Lexikon Einer Sentimentalen Reise Zum Exporteurtreffen In Druden: Roman
 3216302644

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

ANDREAS OKOPENK@® | EX BON EINERSENTEIMENTALEN REBESZUM EXPORTEURTREFFEN

IN DRUDEN

HOLEN

Deuticke-

Franklin & Marshall College I

—I

TI

u. CXX © — sn NN TAKE, ———.. DI

Ba

ee.

0) 2

)

Shadek-Fackenthal Library

NIS

I

® en

Okopenko ® Lexikon-Roman

Digitized by the Internet Archive in 2022 with funding from Kahle/Austin Foundation

https://archive.org/details/lexikoneinersent00000kop

EINE BIBLIOTHEK DER ÖSTERREICHISCHEN ZEITGENÖSSISCHEN LITERATUR

ANDREAS OKOPENKO

LEXIKON EINER SENTIMENTALEN REISE ZUM EXPORTEURTREFFEN IN DRUDEN

ROMAN

Deuticke

x

Deuticke A-1010 Wien, Hegelgasse 21

Alle Rechte vorbehalten Fotomechanische Wiedergabe bzw. Vervielfältigung, Abdruck, Verbreitung durch Funk, Film oder Fernsehen sowie Speicherung auf Ton- oder Datenträger, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlags © Franz Deuticke Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien 1996 Umschlaggestaltung: Robert Hollinger Druck: Wiener Verlag, Himberg bei Wien

Printed in Austria

ISBN 3-216-30264-4

Gebrauchsanweisung

Dieses Buch hat eine Gebrauchsanweisung,

denn es wäre hübsch,

wenn Sie sich aus ihm einen Roman basteln wollten. Die sentimentale Reise zum Exporteurtreffen in Druden muß erst vollzogen werden. Das Material liegt bereit, wie die Donau und die Anhäufungen von Pflanzen, Steinen und Menschen an ihren Ufern für viele Reisen und Nebenausflüge nach Wahl bereitliegen. Das Material ist alphabetisch geordnet, damit Sie es mühelos auffinden. Wie in einem Lexikon. Aus dem Lexikon sind Ihnen auch die Hinweispfeile bekannt (>), die Ihnen raten sollen, wie Sie am besten weitergehen, wie Sie sich zusätzlich informieren oder wie Sie vom

Hundertsten ins Tausendste gelangen können. Wie im Lexikon haben Sie die Freiheit, jeden Hinweispfeil zu beherzigen oder zu übergehen. (Selbst übergangene Pfeile geben dem Reizwort ja eine gewisse räumliche Tiefe.) Die Hinweise, die Ihnen von Etappe zu Etappe die Fortsetzung der Reise ermöglichen sollen und die Sie daher vielleicht mit Vorrang beachten werden, sind schräg gedruckt. Eines darf Sie nicht verwirren: wenn Sie zum Beispiel auf STÄDTCHEN hingewiesen werden und beim Nachschlagen STÄDTCHEN 1, STÄDTCHEN 2 und so weiter vorfinden. Wählen Sie sich eines aus, gehen dort spazieren und kehren, wenn Sie wollen, auf die Hauptroute zurück. Die anderen STÄDTCHEN kennenzulernen,

werden Sie im weiteren Verlauf des Romans noch Gelegenheit haben, dort, wo der nächste Hinweis STÄDTCHEN folgt.

Noch eines darf Sie nicht verwirren: wenn Sie in diesem STÄDTCHEN, das der sentimentale Exporteur ja nur vom Schiff aus sieht, dem Helden nicht begegnen. Nur scheinbar begegnen Sie ihm nicht, nur scheinbar geht die Handlung dort — unter den Ziegen, Unkräutern, Vagabunden — nicht weiter. In Wahrheit geschieht mit dem Helden Ungeheures: Ziegen, Unkräuter, Vagabunden werden Bestandteil seiner Welt. Wenn Sie sich an einen fatalen Tag erin-

nern: Abschlußprüfung, Gefangennahme, Verlobung ..., wird der dunstige Blauhimmel oder ein rastendes Trödlerpferd, ein Bausparhaus mit Klavieretüden oder ein zerbrochenes Zahnarztschild auf dem Gehsteig die führende Rolle in dieser Erinnerung spielen. Und dann: ständen am Ufer nur Pappdeckelkulissen, von der DDSG zu Ehren des sentimentalen Exporteurs rasch hingebaut wie 5

die Krimdörfer des Fürsten Potemkin, hätte der Held eine magere Reise. Das Wichtigste an einem Tor, das man sieht, ist doch, daß Gänge dahinter sind, das Wichtigste an Kindern, die vor einem

spielen, ist doch ihre daheimgebliebene Schwester oder ihr Schulatlas mit dem verkritzelten Afrika, das Wichtigste an einer bunten Stranddame ist, daß sie morgen Papier zählen oder Gift nehmen wird. Betrachten Sie einen Stadtplan: er sagt, daß Sie durch die

Bierschädelgasse an der alten Brauerei vorbei zum Dirndlimarkt gehen können und — genau so wirklich! — durch die Rußnasengasse über den Judensturz zum Hotel Wildschwein. Das ist Welt. Und ich will Ihnen keinen sentimentalen Exporteur im Glaskasten vorführen, sondern eine kleine Reise, ein Mikromodell Welt, grup-

piert um den sentimentalen Exporteur, der ihr Bestandteil ist, wie sie sein Bestandteil ist. Noch etwas: Wer hat nicht schon im Lexikon, GOLDSCHMINKE

nachschlagen wollend, erst einmal den Artikel über GoLponı, dann den über GOLDREGEN gelesen, dort auf LABURNUM verwiesen, die Einrichtung von LABORATORIEN gestreift, Interesse an der Herstellung eines Chlorkalziumröhrchens gefaßt, das Glasblasen erlernt,

dabei einen Wangenriß erlitten, pflasterbeklebt einem Clown geähnelt, nachgedacht, was zum Clown noch fehlte, dabei Blanc und

Rouge aufgefunden und so den Gedanken zurückgewonnen, daß er ja GOLDSCHMINKE nachschlagen wollte — was er nun endgültig tat. Auch dieses Vergnügen können Sie haben: Sie brauchen nur kreuz und quer durch mein Lexikon zu lesen, so wie Sie sich ja auch an Ihren Feldwebel, Ihre erste Flaschenmilch und Ihr künftiges Zimmer ım Altersheim durcheinander erinnern können. Das ist Welt. In vorgeschriebener Reihenfolge vorgeschriebene Blicke zu werfen, ist hingegen klassische Lektüre oder vortauwetterlicher Ost-Tourismus. Ich will Sie — versuchen wir es einmal — aus der Lektüre in die Welt befreien. Daß die Sentimentale Reise ein Möglichkeitenroman ist, wurde nun ausgesprochen. Er ist ein Mobile, wie man es von der Decke herabhängen hat, damit es in jedem Luftzittern mitlebt und wechselt. Er ist ein Spiel, das nicht nach einmaligem Gebrauch ausgespielt ist. Lesen Sie einmal dem Schiff nach und einmal dem Alphabet, einmal durcheinander und einmal Überschlagenes nachholend oder STÄDTCHEN tauschend. Vergleichen Sie Abfahrt- und Ankunftkater, Aussaat und Ernte, Milchblau und Schweinchenrosig.

Legen Sie einmal den Helden beiseite und spielen Sie ohne ihn mit den Odstättenkindern,

gehen Sie von Bord und machen Sie sich

in der Au selbständig. Blättern Sie später wahl- und gedankenlos in dem Buch oder benützen Sie das Würfelspiel Ihres Kindes. 6

(„Man überschlage drei Kapitel“ oder „man kehre zum Ausgangspunkt zurück“.) (Bauer + Jelinek haben die aleatorische Textverwertung übrigens unabhängig von mir „erfunden“.) Die Dürftigkeit des Modells sehen Sie mir, bitte, nach. Geographisch wie psychologisch wie kombinatorisch könnte es ungleich reicher sein. Nehmen Sie das Prinzip für die Durchführung, denken Sie an den ersten Computer, erweitern Sie den Roman durch eigene Weiterknüpfung an Reizwörter, am besten: schreiben Sie ein Buch, das meines in seiner Kleinheit festnagelt. Diese Gebrauchsanweisung ist kein Vorwort, denn sie ist nötig. Mit Vorworten verschone ich Sie. Wer die Schonung ausschlägt,

weil er Vorworte liebt oder weitere Informationen will, schlage unter > Vorworte nach. Das Gros folge mir, bitte, gleich zum —> Anfang der Reise.

a DI

Fehr

ri

=

=

ER

ua

Ho

DE DR

EEE

an

ARENA

=

ea

DI sn

EEEa si ee

Ya



u f,

JS DRS SER Vu ae ee Te

„udn

a

Nun

an

=.

Br

u

2

zu

Tyan

Lane

fe

En

a

re

er

Rue

Sul |

Vie)

u

eier

ei &

Te U

(na

ae TEE

>

is

Des

on ur

is

a

NED E

ap NE

Te

DER

2

er Se rn

usa

ee un

Be

SE eb

iu

A

Affiırmative Dichtung

A. Sie sind es gewohnt, ein Buch — unter Umgehung des Vorwortes — von vorn nach hinten zu lesen. Sehr praktisch. Aber diesmal schlagen Sie, bitte, zur GEBRAUCHSANWEISUNG

zurück, denn ohne

die werden Sie das Buch nicht zum Roman machen. Ja: dieses Buch müssen erst Sie zum Roman machen. Im neuen Theater spielt das Publikum mit. Warum nicht im neuen Roman? Aberdeen. Jermilka, Jessica, Jentchen spielen öfters das Spiel

Denkst du manchmal, Josephin‘, an die Katz von Aberdeen? Hierbei wird ihnen traurig zumute, weil Aberdeen so weit weg ist

und eine grausame Katzenverwertungsindustrie hat; die abgehäuteten Kätzchen müssen ihre Anmut im Wolf lassen und werden zu ÄBERCAT — DAS BESTE FÜR IHRE MIEZE.

Achselhöhle. Motivanalytisch ergiebiger Frauenbestandteil: nischig, drüsig, haarig, polstrig, noch dazu an Einmündungsstelle von Extremitäten in den Rumpf. Bezüglich Haarbewuchs: Schmucksignale — sagt Dr. Scheuer — und Duftzerstäuber. ‚Je nach der Farbe des Haares wechselt der

Duft unbegrenzt, seine Skala erstreckt sich über die ganze Klaviatur des Geruchsinstrumentes bis hinauf zu den eindringlichen Krisen von Flieder und Holunder, und er erinnert manchmal an den süßlichen Geruch von Fingern, die eben eine Zigarette gehalten haben. Keck und manchmal erschlaffend bei der Brünetten und Schwarzen, scharf und stechend bei der Rothaarigen, ist die Achselhöhle bei der

Blondine berauschend wie süßer Wein.“ (Leipzig, 1933.) Umsonst banden sich die unternehmungslustigen Mädchen des Mittelalters nicht Pfefferkuchen in die Achsel, und die Jünglinge durften dann würzig frühstücken, was zu ungeheurer Treue führte. Umsonst sind die Achselhöhlen nicht die Heimstatt der phallischen, hypersensiblen (+1.10%°K) Fieberthermometer, deren quickmetallenen Saft sie in ihrer Brutofenwärme hochschießen lassen. Es gibt auch männliche Achselhöhlen. In die wird zuzeiten die Blutgruppe eingeschnitten, damit der Körper nach Bajonett und Granate noch einmal zurechtgeflickt werden könne. Affirmative Dichtung. Buunununuunuuuuununuuuununnuuununuh! rief Peter Hamm aus einer Zuhörerschaft, der ich eine lange I|yrische Liebeserklärung an die Welt vorlas. Denn, hatte er am Vortag ex cathedra verkündet, die Zeit für Lyrik ist aus; Poet, Get

Your Gun!; schlag das Establishment in die Pfanne; wenn du einen Wasservogel schönfindest, leistest du Kiesinger & Nixon Vorschub; (Brecht noch hatte, milder, festgestellt, daß ein Gespräch

I

Affirmative Dichtung über Bäume rast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele

Untaten

einschließt,

und

hielt, daß

er der Liebe

achtlos

pflegte und die Natur ohne Geduld sah, noch für einen finsterzeitlichen MAnGer.) Auch das hübschverpackte sozialkritische Gedicht, fand Hamm, wäre nutzlos geworden; sobald etwas auf den Regalen im Selbstbedienungsladen steht, ist es von der Repression

toleriertes und darum

klassenkämpferisch

wertloses Konsumgut;

schmachvoll für den Künstler, die Narrenfreiheit zu nützen; poli-

tisch eingreifen kann er heut nur mehr mit Transparent, Hungerstreik, Granate; übrigens hätte das Gedicht auch seine psychoanalytische Ventilfunktion eingebüßt, denn den Sex kann heut jeder von uns, frei und so viel er will, direkt verpuffen. Soweit das Buh, eines der vielen Marcuse-Geräusche unserer

Tage. Daß die Herrschenden mit und ohne Künstler gleich sicher sitzen, daß sie die idyllische Sonntagslandschaft fördern, um dem Kanonenfutter ein attraktiveres Übungsgelände hinstellen zu können, daß Kultur, Freizeit, Seele, Liebe, Freundschaft als Ventil für die Sehnsüchte begrüßt werden, die sonst den imperialistischen

Lok-Kessel sprengen könnten, ist leider wahr. Daß aber jeder Polier, der seinen Kumpeln ein Bier zahlt, ein Verräter am Klassen-

kampf ist, denn gut beraten müßte er sie blauprügeln, um darzustellen, wie unmenschlich das vorrevolutionäre Zeitalter ist; daß jede APO-Studentin, die ihrem APO-Studenten eine gute Gefähr-

tin ist, liquidiert gehörte, weil sie mit dem Irrlicht einer privaten Gutartigkeit das Finster der öffentlichen Bösartigkeit verunkenntlicht; daß jeder, der Tiere nicht quält, Eltern nicht killt, Freunde

nicht anzeigt, Fragende nicht anschreit, Lahme nicht umwirft, ein Unmensch ist, weil er den revolutionswichtigen Haß abdämpft; daß der Zahnarzt, solange die Welt nicht erneuert ist, Eiter einplombieren, der Schuster Stolperschuhe machen, der Lehrer Idioten heranziehen, der Brauer ins Bier brunzen müßte, daß keine kleinste Insel im Meer des Ekels, des Schadens, der Angst, der Gemeinheit übrigbleiben dürfte; daß eine komplette Hölle modelliert

werden müßte, um uns wohlgenährte Sklaven endlich mit der Entschlossenheit hungernder Chinesen auf zum letzten Gefecht losrennen zu lassen; daß eine Welt gebaut werden müßte, vor deren Schrecknissen jeder Flammenwerfertod, jedes an den Ohren Aufgehängtwerden, jede lebenslange Gefangenschaft im Verhörkeller zum Zuckerl ersüßen würde: das mache ich nicht mit; dazu ist mir die seit Kindertagen vorgefundene Welt auch unter zweifelhaften Kapitänen zu lieb. Also: Trotz Vietnam; trotz Biafra; trotz Tschechoslowakei; trotz Griechenland, Irland, Spanien; trotz atomarer, bakteriologi10

Anfang der Reise scher, chemischer und diplomatischer Ost-West-Hochrüstung; trotz

Terror in der Ionosphäre und am Meeresgrund; trotz Niggerlynch, Mafia,

Studentenschlachten;

trotz

Alt-

und

Neukolonialismus,

Ausbeutung, Hunger, Bevölkerungs- und Bildungsexplosion; Spionage, Manipulation, Korruption; trotz all dem, dessen Spiegelung in meinen

Hörspielen

Alptraum,

Sadismus

oder

auch

Vernich-

tungsschlacht gegen die Gleichgültigkeit genannt wird; trotz Buh und einem Arm, der langsam The Gun gegen meinen Revisionistennacken hebt: ... wieder eine Liebeserklärung an die Welt; ein ganz mit Frie-

den vollgestopfter kapitalistischer Chemiekaufmann J. fährt an einem 100% blauen Vorhundstagswerktag unter lauter Feiernden auf einem Schiff, auf dem nicht das geringste Schrecknis passiert, guckend,

essend und frauenbeseufzend

zu einem

besoffenen

Ge-

winnspannentreffen in das idyllische Neutralenstädtchen Druden. Allwissender

Köpfen dürfen

Erzähler.

dürfen

Menschen

Spiralfedern

in verschiedenen

dürfen

Nashörner

werden,

aus

dringen, Rechts- und Links-Stereo

Zeitaltern

stehen, aber: der allwissende

Erzähler sei todeswürdig, denn er könne in der Natur nicht nachgewiesen werden. So hängt mich Illusionisten halt, ihr Illusionisten. Anfang der Reise. Hochfrühling-Morgen, 6.30. Sich mit der > Straßenbahn fast verirrt haben. (Die Leute verstanden diese Fertigkeit an ihm doch nie. Ich kann viele Beispiele aus meiner Jugend anführen:

(Raum für einschlägige Erinnerungen

des Lesers.)

) J. geriet in den Strudel des Straßen-Schlußstückes mit den nichts als Wirtshäusern und Autobushaltestellen nahe der noch näher und jetzt war sie schon da die Brücke. 11

Annie

Man? Er? Ich? J.? — Zur Identifikation des Helden suchen Sie, bitte, die > Taufstelle auf. Wen die tiefen Gründe für den Erzählerwechsel nicht interessieren, der folge mir gleich zur > Brücke. Annie. Sie steht an den Marterpfahl gebunden, ein perfekter Schurke aus dem Visagistensalon Barclay mit Schurkenschnurrbart 22.3.A in Acapulcoschwarz (einem verdichteten Tiefdunkelblau) hat ihr gerade mit vorgeglühter Blechpeitsche ein männlich-grobes Mal über die weiblich-zarten Brüste geschmort und strafft nach der Anstrengung seine goldengegürtete Schurkenhose nach. Die Retter sind fern. Annie macht erschreckte Kulleraugen, denn das mit der Peitsche hat sie sehr erschreckt. Sie hat auch schön eingefallene Wangen, an der tiefsten Stelle ist etwas Acapulcoschwarz verteilt, denn sie leidet sehr unter dieser erschreckenden Todesstunde. Das Gesichtchen ist wie mit dem Flügelstaub von Kohlweißlingen eingemehlt, ganz zerbrechlich, nach rettenden Männermuskeln rufend, auf Ledernackenherz hoffend. Ihr Mund zuckt Angst vor der eigenen Körperlichkeit. Ja, auch ihr Rock ist malerisch zerrissen; war nur Messer, nur

Brandpeitsche zu Besuch? oder gab es Unmoral?? Anwendung der Rot-Überlegungen auf ein Kleid. Das Kleid trägt gelb, grün, blaue Längsstreifen in verschiedenen Verteilungen; raffiniert löst die üppige Frau am Gasttisch das Problem des > Fehlens von Rot, indem sie das Rot zart in ihren Wangen und massiv in ihrem Oralflitterwochenmund

anreichert, so alle Aufmerksam-

keit dorthin ziehend: Farberfüllung gibt es dort und nur dort, und schon folgt den Stielaugen der ganze Schneck und schon saugt der Rottrichter ihn ein. Arcimboldi ist der Oberschutzpatron von J.s Exporteurreise, da sie aus diffusen Einzelinformationen zusammengeklittert ist wie Arcimboldis Visagen aus unorganisiertem Gemüse? Nein, ich widersage dem Manierismus und seiner modischen Macht; apage! Meine Gesichter sind nicht aus Zwiebel und Kohl montiert, sondern aus Weichteilen, Knochen, Muskeln, Adern, Bindegewebe, Nerven, Haut, Parfumerien etc. Daß diese Strukturen unter Mi-

kroskop, Skalpell, Röntgenlicht fremd und gewimmlig aussehen, daß ihre Wiedergabe in Trickphotos, Spektren und Diagrammen an Manier gemahnt, ist verständlich. Vom

Manierismus

unterscheidet

mich hier wie überall, daß es

mir um die Sache geht und nicht um den Radius meiner Pfauen-

räder; daß ich jeweils den einfachsten

Weg einer Darstellung

wähle (wenn er nicht die treffliche Kürze eines Abschneiders hat, liegts an der Kompliziertheit der Welt); ein Formelbildner kann 12

Auen

nie Manierist sein —

auch wenn die Formeln zweihundert Terms

haben; die einzigen Allotria, die ich treibe — meine Mini-Essays —,

treibe ich aus dem Recht auf Notwehr, wie es jedem zugestanden wird, der, siehe oben, keinen Oberschutzpatron hat.

Arnica. Heißt du Arnica?, fragte der Chemiekaufmann ]J. die Gelbsüchtige auf Seite 98. Die Frage kam ihm einen Augenblick lang logisch vor. Arnicas leichtzerbrechliches Gesichtchen, ganz matt gestäubt, sah zartumränderten Blicks aus einer filigranen Fülle champagnefarbenen durchsichtigen Haars hervor. Das grellblaue Kleid färbte den ziegelroten feinen Mund (die Unterlippe war etwas-küßbarer-geschminkt). In den gelben Puder kam raffınierterweise nicht nur Orange, sondern auch etwas Grünlich, wie

die Verfärbung der Hühnerleber nahe der Galle. J. gefiel der Gedanke, den Überschuß gelben Puders von Arnica behutsam abzuschütteln; der Rest haftete und war schon eine Schicht Körper wie

der Flügelstaub bei Schmetterlingen; in dieser Schicht war Arnicas Gesicht mit dem Mentholgesicht des Liebhabers mischbar. Auen 1. Schlammschlamm. Matsch. Paatz. > Gaatsch. Ein nackter Fuß tritt auf den oliv Gaatsch, drückt ihn ein, noch tiefer ein, noch sind Fuß und Gaatsch zwei, aber jetzt reißt die Haut des

Gaatsches ein, und der flüssigere Gaatsch erströmt sich über den reingewesenen Fuß. Zehen, Rist, Knöchel, alles steckt jetzt im Gaatsch, tief im Gaatsch, und nicht anders als schwer begaatscht

kommt es wieder aus dem Gaatsch heraus. Dieses weiche Kneten des Fußes im Gaatsch, dieser Widerstand beim Heraussteigen aus dem Gaatsch, dieses volle Eingeschmiertsein mit Gaatsch, so win-

delinfantil, so geborgen, so diluvial. (Höhlenlehm, Pampas-Ton, Löß, Torfmoor; Mammut gaatschtretend, Frosch gaatschspritzend, Aff gaatschschmeißend.) Ein Fuß gaatscht den anderen. Zwei begaatschte Männerfüße begaatschen zwei noch weiße Frauenfüße; die Frau lacht und zieht den Mann mit sich in beintiefen Gaatsch. Auen 2. Einer frisiert sich mit Donauwasser, hat dann Viecher im Haar.

Auen

3. Der zwölfjährige Caro Coenluir streift durch die Au,

scheut nicht Irrpfade, Schmerzenkessel, Abfallkloaken. Er lernt Gegenstände, Eigenhaut, Liebe. Er findet genug, um sich wundzubrennen, zu stolpern, zu röten, zu fremdkörpern, um zu wutzeln, zu schlürfen, zu grausen, Nasses, Käsähnliches, Entflammbares, um sich von oben bis unten zu mustern, um zu stinken, zu kneten, zu

kosten, zu zerlegen, ungeschickt zu sein, zu rennen, zu verheddern, hineinzutreten, sich in Männer zu fühlen, Mädchengeruch kennenzulernen, Insekten drin aufzubewahren, faschings damit zu schrekken, zu tauschen, abzuliefern,

zu basteln, geohrfeigt zu werden,

13

Auen

reich zu werden, blaß zu werden, geschwollene Lippen zu kriegen, sich anzustecken, Lehrer zu werden, Durchfall zu kriegen, mutlos

werdend sich mutig zu fühlen. Auen 4. Am Geröllweg klebend ein zum Arschputzen verwendeter Brief; dem Aufheber augenfällig: „Mein Sohn, der Haudegen“

und „Mein Aufzug ist immer bereit“. Auen 5. > Verwahrloste Fischerin. Auen 6. > Wildenten. Auen 7. > Fischer. Auen 8. Das Liebeslager. Daß einmal rausgetane Watte nicht wieder reingetan wird, Erdnußpastillenpapier nicht bei der Erdnußfabrik wieder abgegeben, Holzstäbchenkohle nicht für den Grill daheim mitgenommen wird,

kleinfingerlange Stechohrenschlüpfer, die in Hemd und Bluse kaputtgingen, nicht bestattet werden, die leere Schminktube wie das zusammengelegene Gras voll Kettenrauchstummeln zur Erinnerung an den verschiedenen

Glückstag hinterbleiben

sollen, ist leidlich

verständlich. Warum aber liegen Strümpfe und Unterwäsche herum? Was hat sich da abgespielt? Warum gabs kein Anziehn danach? Kugelige Gebüsche,

Sträucher

mit unscharfen

Grenzen,

verzweigte

Wege,

was habt ihr gesehen? Wie hielten sie sich untergefaßt? War seine Stimme voll anderer Lüste als ihre? Ihre Dreckhaufen lagen noch einträchtig nebeneinander: hell und dunkel. Aber dann? Wie denkt man darüber im blau-gelben Plastikzelt PoLızEı? Auen 9. Eine dicke Matrone gewöhnt sich ans Wasser, wie an einen neuerworbenen Pensionisten: sie steht zunächst wadennaß, reitet es viele Male mit ihren Schinken, eh sie es beschwimmt.

Auen 10. Ein käppchenbedeckter Schmetterlingfänger. Sein Weiß, sein Stangennetz, sein Schmetterlingtäschchen, wie lustig er rennend die Büsche trennt, wie rüstig er 75 ist.

Ja, wer ein Spannbrett zuhause hat, halali,

der wird das Leben noch lange nicht satt, halalo. Auen 11. In der Gestrüpplichtung zwei abgestellte Autos: ein braunstein-rotes, ein rotkraut-blaues. Die Uferböschung herabhängend, ein großes gelb-grünes Tuch, > männlich frottierend, darauf zwei Sitzmänner. Auf einem gelb-roten Tuch basteln die zwei zugeordneten Frauen ein > Picknick. Sie haben die Kleider ins Auto getan und zeigen ihre mehr wirtschaftlichen als erotischen Frauen14

Auen

körper. Die Männer haben Hemden und Hosen ins Auto getan und zeigen ihre mehr urlauberischen als erotischen Männerkörper. Die zwei zugeordneten Kinder sind nackt und spielen zum Schiff herüber Männeken piss. Die Farb-Summe der Bikinis und männlichen Schwimmhosen ist: 3 Blau, 4 Weiß, 2 Rot, 1 Braun, 1 Gelb.

Die Summe des Fleisches ist (vgl. Benn, D-Zug): 1 Frauenbraun, 1 Männerrosa, 1 Frauenorange, 1 Männerbraun, 2 Kinderkhaki. Die Picknicker winken den Schiffahrern Viel Vergnügen und riechen nach Sardinen und harten Eiern. In Thermosflaschen halten sie kalten Kaffee, in Einsiedegläsern warmen Kartoffelsalat. Pfiffig entkamen sie an diesem Werktag den Büros. Es ist hier in der flimmrigen Au fast so schön wie in Caorle. Auen 12. Am Geröllweg: eine in Draht gefesselte, dann über dem Lagerfeuer verkohlte Schlange. Auen 13. 200 kg Superman tauchten. Das Wasser schrie vor Verdrängung. \ Auen 14. Uferbesteinung: Viel Geröll. Quader mit gelben, blauen, violetten Adern. Ins senkrechte Ufer gutgeschnittener Lehmgang. Gelbliche Platten aufgeschüttet zum Böschen. Flachsandstrand. Sehr nah: kohlschwarz bemoostes Steinufer, mehrere Lagen Au dahinter. Rundsteine, unterwaschen von Wasser und Schlammlake,

manche bedeckt mit dickem braunem > Gaatsch. Ufer-Stein: aus Pflanzen, überkalkt, überschlämmt.

Auen 15. Ein Vagabunden-Denkmal in der Au: ein Strauch, ein Baum. (: Erst strauchelt man, dann baumelt man.) Auen 16. Ein Dicker in weißem Ruderleibchen lackt eine weiß-rote Uferleuchte, winkt echauffiert.

Auen 17. Eine rosalockige Bikini-Susi, die grüne Badetuch- Anakonda um den Hals. Auen 18. Die Auläuferin. Was war ihr geblieben? Kugelige Gebüsche, einzelne richtige Bäume, Sträucher mit unscharfen oberen Grenzlinien, verzweigte Wege in Auen und Auesauen hinein, an-

gekohlt Holzstäbchen (jene geschälten, die, als wärs ein Sägewerk, überall herumlagen); Stahltrossen waren ihr geblieben, ein geschrumpfter entrindeter Baumstumpf, ein Lehmgang in den Uferstein, eintauchende schräge Bäume, Treibholz, tauchende Gebüsche,

eingetauchtes Unkraut; ein verrottetes Holzbrücklein war ihr geblieben,

ein Brennesselkessel

im freundlicheren

Land

hinter

der

Aukulisse, ein zerlegener Grasplatz mit Lippenrot-Zigaretten einer kleinen Transistorlöterin und der Riesen-Kot-Zigarre eines Superman. Verirrungsmöglichkeiten waren ihr geblieben, das wars. Sie war 45, aber der angelesene Was-war-ihr-geblieben-Gedanke saß wie eine Milbe in ihr und verdarb sie. Auf dem verrotteten 15

Auen

Holzbrücklein stand sie auch ein wenig und wippte, flüchtig auf Kitzel und Schmerz des Einsturzes hoffend. Auen 19. Laß dich nicht täuschen, enttäuschen, Chemiekaufmann,

hinter der hier endlosen traurigen Au, nur einige Kilometer landeinwärts, tröstet ein Städtchen, in dem die lebensfördernde Wärme gelbgestrichener Häuser inmitten vielen Grüns optimale > Ent-

wicklungen junger Mädchen ermöglicht und die Erinnerung an den unglücklichen kleinen Emil Ettlow > Hühnern und > Katzen schwerverflüchtbar anhaftet. Jermilka, Jessica und Jentchen haben sich seines > Eichhörnchens angenommen. Doch schon stichts, wenn ich jenes Städtchen aufbaue, wie eine 500-Tonnen-Stornoanzeige in mein Exporteurgehirn, bohrt tief ins Vegetative, ich lasse das Städtchen fallen wie ein Stück Glut und kehre in die wenigstens niemandige, von allem Leid freigestorbene Au

zurück. Auen im allgemeinen. Wenn einmal (zB um 7.58) die Auen, die traurigen Auen, die auch an einem Vorhundstag traurigen, sogar mit ein paar blauen Kerzenblumen verziert traurigen Auen, die wieder nur in Auen, manchmal baumige, manchmal strauchige, krautige und dann wieder baumige Auen fortlaufen, die Donau lang fortlaufen, neuen grüngrauen Auen, Donauauen, traurigen, entgegen stromauf-laufen, wenn einmal diese Auen, manche mit braun-verschlammten Auufersteinen, manche mit befaulpelzten Ausandufern, auftauchen, die traurigen farbarmen grünen Grauufer, mit Auweiden und Aukraut, viel Graukraut, Grausand und

dann und wann Grausamkeiten (der Lokalaugenscheine nach letztem vergeblichem Dauerlauf durch die Au der Raubauflauerer und nach letztem verspätetem Aufklauben durch die Auaufpasser, die Auzillenpolizei, und die Cilli zuhaus heult sich die Augen aus, warum mußte der Kauz in den Augau? wie auf den Augapfel wollte die blaugraue Frau auf ihn aufpassen, und jetzt fault sein Baumwollbauch in der Jauche), wenn die Auen einmal auftauchen, dann laufen sie und laufen, kaum eine Schnaufpause brauchend, neben

Strom und Schiff stromauf und hören nichtmehr auf. Sie versauern dem Kaufmann die Schau aus der Donau, das Eintauchen in die Welt der ungebrochenen Erscheinungen, scheinen

ihm oft traurig, grauslig, dann einmal flau, dann wieder mau und vor allem zeitraubend, so daß er sich, wie wir sehen werden, der Verkaufsschlauheit, Beschaulichem oder den Frauen zuwenden wird.

16

Auflockerung im allgemeinen Auen sind ungenau wie Nebelgebrau, trotz da und dort präzisen Wiesen und scharfumrissenen Mädchen und Fraun und dann und wann einem sich bräunenden Faun. > Nach dem Auftauchen der Auen. Auflockerungen 1. Die Au ist nicht mehr so ernst zu nehmen. Hinter ihrem verleisernden Jammern Festland: ein > Hügel. Auflockerungen 2. Hinter dünner Aubaumreihe, schräg aufwärts, ein > Feld. Auflockerungen 3. Hinter dünner Aubaumreihe, schräg aufwärts, ein > Weingarten.

Auflockerungen 4. Freundlichkeiten durchsetzen und hintergründen die Au: Ackerstreifen, natürlich Ackermädchen, Wein, natürlich Weingartenmädchen, Lichtung, natürlich Rehe, nicht berühren, Sumpfbrücklein, natürlich Sumpfdottermädchen, natürlich: stel-

zende wippende Sumpfvöglein, Haselnußhügel, natürlich Haselnußmädchen, nicht berühren, Traktorenschuppen, natürlich Traktorenmädchen, durchsichtige Libellen, durchsichtiger Jungweibersommer, durchsichtige vertragene Stoffe, natürlich Mädchentüchlein, durchsichtige Sonnenkringelluft, natürlich natürliche. Auflockerungen 5. Echter, schütterer Wald, Laubwald, ohne Fluß-

Weiden und nasse Füße, aufgesonnt durch niedriges grünes Gestrüpp. Hier ist gut hatschen, nicht wahr, ihr (erstaunt:) 2 Männer und 1 Frau? Welche Krise führte zu dieser Verteilung? Oder geht ihr den Waldweg zum Weingarten in die Höhe? Aber ändert das etwas an 2 Männer und 1 Frau? Auflockerungen 6. Lockeres durchsonntes Wiesenwäldchen. (Eine) gelbgrüne Waldwiese. Waldwiese, gelbgrün. Wald, Wiese, Gelbgrün. Waldwiesen-gelbgrün. Wald, Wiese: gelb/grün. Wald, wiesengelbgrün. Wald, gelbgrün?: Wiesen. Eine Wiese (? In so viel Wald?) (Oszillogramm der Eindrucksnuancen)

Auflockerungen 7. Auwald-Lichtung. (Er:) Sechzig Meter, schau! Ich will inn Wald gehn. So wie du dir im Wald die Nerven erholn kannst, so kannst du dirs nirgends. So ein abgeschnittener Baum, so ein Papier drauflegen und die Natur bewundern. Ein Reh fuffzehn oder zwanzig Meter vor dir spazierngehn sehn. (Sie, sich als große Komikerin fühlend:) Auf einmal ein paar Schlangen!!! Fuj!!, naa!!, für mich is so ein Wald keine Erholung. Auflockerung im allgemeinen. Um 11.10 zeigt das Logbuch eine Auflockerung der Aulandschaft durch Weinhänge, Felder, Festlandbäume, die jeweils durchschimmern und mittels der gelbgrün17

Außenvögel färbenden Sonne einen raffinierten Hintergrund abgeben. Klar, daß auch Hügel nicht fehlen. So treibt man in die > Mittagserwartung.

Außenvögel (aus einer Illustrierten): SPEISEKARTE FÜR VOGERLN Ein Vogelhäuschen allein macht hungrige Vögel noch nicht glücklich. Es muß auch etwas Nahrhaftes hineinkommen. Beachten Sie folgende Speisekarte: © Blau- u. Kohlmeisen: Hanfkörner, Sonnenblumen, Meisenring,

Futterglocken. ® Rotkehlchen: Getrocknete Beeren, Talg, Flomen, ölgetränkte Haferflocken, zerkleinerte Apfel.

© Sperlinge: Meisenring, Futterglocke, Hirse, Sämereien, ölg. Haferflocken. © Amseln: Getrocknete Beeren, Talg, Flomen, ölgetränkte Haferflocken. © Buchfink: Sonnenblumen, Hanfkörner, Hirse u. Sämereien.

Autostraße an den Terrassenhügeln. So, jetzt nehmt mich, jetzt habt ihr meine volle Aufmerksamkeit,

Bundesbahnpensionist,

der

sich die in der Bretagne, in Wolhynien und Südkärnten geübten Waden nachölt, Krakeelerin, die schon der dritten Neufreundin die Prachtgeschichte vom zu teuer bezahlten Roßleberkäs erzählt, Ge-

müsefrau, deren heroischen schwarz-rot-grünen Büstenhalter noch immer kein Bordkavalier ausgewunden hat, und — apropos Büste und Halten —

vor allem Barbara, der ich, wie ich ungerührten

Gemütes sehe, bei Wahrung der von Treuherzigen geforderten Treue allmählich sich verdickende und bläuende Krampfadern streicheln müßte; wenn ihr wüßtet, in welchem fernen Balkennebel mein Treusein

müßiggeht und Bereitschaftsdienst schiebt, ihr Ahnungslosen von Bord, mit denen ich mich gleich wieder in Nachmittagsgespräche einlassen werde, um an euerm Ankunftvergnügen ankunftvergnügt teilzuhaben, denn wie bald sind wir schon in Druden bei meinen

Exporteuren, vielleicht Exporteurinnen und der gemiederten Kellnerin und dem kellerkühlen grünen oder gelben Wein und dem Schatten, nach diesem Brutofen endlich Schatten, wozu steckt man mich in den Brutofen, ich bin ausgebrütet, entwickelt, entfaltet, bald könnt ihr mich wieder zusammenfalten,

rückwickeln

und in den entgegengesetzten

wahr, du unentwegt 18

mir beim Denken

Ofen schieben; nicht

zuschauendes

Biest, mit dem

Autostraße an den Terrassenhügeln

leergetarnten allesergründenden Blick und dem haselnußteilenden Lachen, neunjähriges,

wie heißt du? „Ulli.“ Und (um sie zu ärgern) gehst du schon in die Schule? „In die vierte Klasse!“ Und „Wir sollen einen Aufsatz über die

Donau schreiben. Früher hab ich Aufsätze gut geschrieben, aber in letzter Zeit hab ich nachgelassen, ich weißnichtwieso.“ Bei so einem langen Leben, kann ich mir nicht verkneifen, schreibt sich jeder einmal aus. „Das ist wahrscheinlich nicht der Grund“, sagt Ulli, („ich weiß, daß ich noch jung bin“, setzt sie in Klammern hinzu, eine Spur kühler), „aber unsere Lehrerin sagt Schreibt über den Zoo, schreibt über ferne Länder, schreibt über, schreibt über, und was soll man tun, wenn man nicht im Zoo war und keine

fernen Länder gesehen hat?“ Ulli verlangt meine Zustimmung. Siehst du, sage ich ihr, dort (denn an den Terrassenhügeln kle-

ben vereinzelt Häuser) kommt das > Haus mit dem StandardMariandl. „Wo kommt das Haus mit dem Standardmariandl?“ Dort, in Westnordwest, nähert es sich; das weiße Haus. „Dann sagen Sie gleich, in Westnordwest! Ich kann nicht sehen, wo Sie

da mit Ihrem Finger herumfuchteln.“ Ah, der parallaktische Fehler stört dich?, entmutige ich sie. „Ah, wie heißt das? Das ist so wie

bei der Uhr, nicht wahr?, die kann man auch nie genau ablesen: weil zwischen Zeiger und Zifferblatt so ein Zwischenraum ist, nicht

wahr? Ich hab mir schon oft gedacht, es muß doch dafür ein Wort geben. Ich möchte für alles die Wörter wissen, verstehn Sie?“ Ich kann dich sehr gut verstehen. „Weil, wissen Sie, mir liegt sehr viel dran, daß mich die Leute versteehn. Es gibt soviel Leute, die mich nicht verstehn.“ Die unverstandene Ulli, sage ich. „Ja, ich bin wirklich eine unverstandene Ulli. Vorhin am Hinterdec ein Mann

sagt zu mir, ob ich das Hundi seh und ob ich ein Zucki will. Ich möcht nicht wissen, ob der nicht glaubt, daß ich mich noch an-

mach. Dabei darf ich nächstes Jahr schon ins Gym-nasium gehn.“ Da wirst du Algebra lernen, schrecke ich sie. „Och, auf Algebra freu ich mich schon, das ist, wo man mit Buchstaben rechnet, nicht?,

da kann man eine Rechnung für immer ausrechnen, man braucht immer nur andere Ziffern einsetzen, nicht? Ist das so?“ Genau. Ich hab die Algebra auch sehr gern, lüg ich. „Ich hab gleich gewußt, daß wir zusammenpassen“, sagt Ulli; „Sie sind so schön ernst gewesen vorhin.“ Ernst sein ist doch nicht schön, sag ich. „Ich hab

nicht gern Leute, die fort nur lachen“, sagt Ulli; „soo lustig ist ja das Leben auch wieder nicht.“ Also, ich genieße das Vertrauen der unverstandenen Ulli. „Ja, ganz!“ (Ungeduldig:) „Nein, ohne Spaß!!“ Sie wird etwas betreten. Was hast du denn? „Ich denk so 19

Backstube

gern nach, in letzter Zeit. Wissen Sie was? Wir könnten viel miteinander nachdenken. ... Aber das wird nicht gehen.“ Warum nicht? „Weil wir nicht beisammbleiben können! Meine Mutti sagt, ich darf erst mit sechzehn heiraten, das ist noch so lang!“ Wo ist deine Mutti? „Och, das hat gar keinen Sinn, daß Sie mit ihr reden. Sie erlaubt nicht, daß mich wer liebhat außer ihr. Ich werd eine alte Schachtel bleiben; na ja, Schicksal.“ Sie schlenkert davon; ein-

mal dreht sie sich noch um und schneidet mir eine kopfhängerische Grimasse. Während der Nachmittagsgespräche, die nun trotz Ulli endlich stattfinden müssen, behalte man die Bruthitze aus dem lückenlosen Schmelzofenblau, die Terrassenhügel hinter der Autostraße,

die durch Gast- und Rasthäuser aufgemuntert wird, kleine Steinbrüche, den allgemeinen Flaschen- und Harmonikadudel,

einzelne

Klebehäuschen der Weinkultur im Auge, mische nachschlagend etwa: mehrere > Nachmittagsgespräche, einige > Gasthäuser und dazu ein oder zwei > Wasserereignisse. Man - erprobe, ob das Ulligespräch nicht nach den gewählten Gesprächen wirkungsvoller gewesen wäre, versetze es also ans Ende dieses Abschnittes, wo um

14.10 > Löwenfaß sich nähert. Backstube

1. Zero Zobiak

erschrak, denn von

der hohen

Back-

stubengalerie herunter kam statt des weichen Bäckermädchens eine greise Hexe. Sie ließ den Buben im unklaren darüber, ob sie ihn ergreifen und in den Brotteig stecken wollte oder ob sie ihn bloß wie jeden Lausbub haßte. Zero Zobiak brachte vor Zittern den Zipp seines Geldtäschchens nicht auf. Die Hexe griff in ein hohes Fach des Regals: Fenchelbrot. Ihre Hände waren ganz eingemehlt. Er drückte den warmen > Brotlaib an seine Hemdbrust und rannte davon. Ein Klingelzug klingelte am Ausgang. „Guten Tag!“, schimpfte die Hexe dem Nichtgrüßer nach. Backstube 2. Die Backstube zeichnet sich durch ihre Weite aus. Man betritt sie, das Glockenspiel erklingt, die Pudel ist wohl nahe, aber sie steht frei im Raum, und rechts und links und hinten ist freier Raum, und überhaupt ist der ganze Raum frei und weit, und nur ganz hinten perspektivisch klein ein Türlein weist auf einen anderen Raum,

und steht das Türlein einmal offen, sieht

man, daß jener Raum ganz frei ist und ganz weitläufig und rechts ein Türlein hat, durch das man vielleicht in ein kühles Mehllager,

vielleicht aber in die Flammen des Backofens kommt. Barbara 1. Genau 100 kg schwer ist sie nur, wenn sie, im roten Schafwollkleid, mit den hellblau pantoffelten Babyfüßen auf die Badezimmerwaage steigt. Wenn sie wie heute ein Fähnchen anhat, ist sie um die Differenz leichter. Wenn sie gar, von Yog20

Barbara

hurt und Pflaumen durchgeputzt, in einem Hochgefühl von Federgewichtigkeit der Wanne entstiegen, vor Ungeduld unabgetrocknet die Waage bestapft, liest sie, besonders wenn sie den Kopf etwas rechtsneigt, beglückt „‚96“ oder sogar nur „95,5“. Dann läuft sie — es kann vorkommen: immer noch naß — ins Vorzimmer vor den Ankleidespiegel, tätschelt ihre weißen wulstigen Oberschenkel, dreht sich etwas herum, um ein wenig das Profil ihres Körpers mitzukriegen, zieht den schönbenabelten imposanten Bauch ein und tätschelt sich dann die im Spiegel sichtbare Gesäßbacke. Sie findet alles insgesamt nicht übel und verführt ihr beobachtendes Ich durch einen jener anmutigen vielversprechenden Blicke, als wäre es ein lebenslustiger Witwer. Es kann weiters vorkommen, daß sie sich immer noch unabgetrocknet — nur das Gesicht zuvor ins Handtuch tupfend — die Lesezirkelmärchenaugen aus Schwarz und zweierlei Blau verpaßt, die allen gepolsterten Gesichtchen redaktionell empfohlen werden, hernach mit dem stets außenverschmierten Lippenstift (echte Goldhülse, ewig nachfüllbares Geschenk eines Zwiebelhändlers) eine rotkäppchenrote fette Kußtüte malt und so aufgerüstet nochmals ins Vorzimmer vor ihre Kritikerblicke rennt. Dann ist sie meist so zufrieden, daß sie, kehlig einen Hit trällernd, im rosa Bade-

mantel landeinwärts stapft — in ihre Königin der Küchen ® — und sich den Lieblingshappen — ein weiches Brot mit Entenschmalz — schmiert. Dazu mag sie gern Schwarzbier. Barbara 2. Nur Feinde sagen, sie hätte 120 kg. In Wahrheit sieht sie selbst im Miniröckchen schmacig aus, und ihre Waden zeigen, zwar fleischig und bläulichschimmernd, die gutgedrechselte Flaschenform. Barbara ist Schalterbeamtin und macht den Umgang mit dem Amt zur Lust. Sieht man ihre Vorder- und ihre Hinterseite, weiß

man

gar nicht, wofür

man

sich entscheiden

würde;

„Kopf und Adler“ dienen hier gut. Mittwochs darf Barbara schon mittag nach Hause gehen, aber sie tut es nicht, sie setzt sich vielmehr in die nahe Luxuskonditorei. Wenn Schlagobers ihr aus dem roten runden Mund gespannte Röckchen

aufs rosa Kostümchen träuft, auf das enge ganz oben, stürzen mittwochfreie Beamte

mit und ohne Schläfengrau herbei und zücken ihre Servietten, um das Kostümchen zu retten. Sie gurrt einen kehligen Dank und schenkt Tuschblicke.

Sie hat rotes Haar,

jenen Rubinwald,

den

durchscheinendes Sonnenlicht zu einem Gestrüpp metallroter Fäden und auffallendes Sonnenlicht zu einem Helm aus spiegelndem rotem Glas macht. Da dieser Ton nur künstlich erzielt werden kann, ist er kein leises kosmetisches

Schwindelchen,

sondern eine

aufgelegte Herausforderung, besonders an einer weißlichen fetten 21

Barbara

Frau. (Von der Möglichkeit, daß Reiz, der den Urwaldmenschen torklig macht, vom Zivilisationsbarbaren teilnahmslos ausgeübt und aufgenommen wird, sei zur Ehrenrettung der Europäiden hier abgesehen.) Barbara planscht gern in einer Wanne, klemmt den Badeschwamm, bürstet sich Brüste und Schenkel und singt ein amtgängiges Lied. Barbara 3. Ihr Gewicht schwankt zwischen 105 und 115 kg, nun schon viele Jahre lang, und daher traut sie sich, Berge von Fett, Knödeln

und Torten zu essen, und weil sie Erfolg in der Liebe

hat, spottet sie mit den Fettbespöttlern munter und ohne Komplexe mit. Sie ist sogar überzeugt davon, daß jene Art Männer, die sie am meisten zufriedenstellen, die Luxuspolsterung der Gefährtin wertschätzen, und oft schieben sie ihr einen Schokoriegel in den Mund, damit sie so schön dick bleibe oder nach Tunlichkeit zunehme. Barbaras Gesicht ist von Zufriedenheit gezeichnet, denn

solche Zufriedenheit ist nicht selbstverständlich und wird einem nicht ohne Tatkraft geschenkt. Sie ist Sekretärin in einem Zoo und liebt Tiere, weil sie die günstigste Zeit für die Erstschwangerschaft vertändelt hat und jetzt schon wahrscheinlich keine Kinder ertändeln wird. Sie tanzt gern, weil sie gern schwitzt, und malt aus

sich gern abenteuerliche Frauen, nicht nur wegen des Erfolgs, sondern auch aus Affinität zu fetten Stiften und Cremen. Wenn ihre Ohrläppchen nicht eitern, hängt sie gern lange Korallenschnüre daran. Hätte sie einen Säugling, würde sie schweineselig lächeln — drei, vier Kinnwülste gewinnend — und ihn mit orange, gelb, grün, blau und rosa Gummibällen unterhalten. Sie ist, wie manche

fette Frauen, mehr zahnarztfaul als zahnarztfeig und behilft sich gegen Löcher und Schmerzen mit Zungendruck, Luftsaugen und Einziehn der Wange. Überhaupt bildet das Material ihres Gesichts die reichsthaltigen Landschaften und Zielpunkte. Ihre ins Doppelkinn schmelzenden Wangen ersetzen Schüchternen die Kußbrüste. Die Brüste selbst liegen meist in kopfgroßen Miederkörben. Ihr fettiges Haar malträtiert sie in allen Pastellfarben; wenn

sie

heuer gut abbrennt, wird sie das selten zu sehende Kalkweiß tragen, das ihr parisflüchtiger Friseur tatsächlich mit einer Art bröckligem Kalk als einer der wenigen zustandebringt. Sie sonnt sich oft in voller Bekleid- und Bemiederung, zeigt den Begierigen aber freisinnig die erregende obere Grenze der Strümpfe. Sie tanzt nicht nur gern, sondern auch erstaunlich rasch; dem Tiereinkäufer macht

es Spaß, wenn sie im Büro neue Reizwäsche vortanzt, mit grellblauem Schleier-Hemdchen (mini) durch gekonnte Steißstöße nekkisch wedelnd oder in puderrosa Bettbikini bis zur Verzückung um die eigene Achse trampelnd. 22

Barock

Wenn sie nach Herzenslust ißt, wird ihr Gesicht noch einmal so dick — was zunächst niemand für möglich hält. Danah — in Kuhwiesenträgheit verdauend, zurückgelehnt — gibt sie das Gelände ihres üppigen Halses für etwaige Küsse frei. Bei Flutkatastrophen und Flugzeugabstürzen kann sie richtig bekümmert dreinschauen. Kurz, Barbara ist jener schwarzblauen Stempelung wert, die ein witziger Schlachtkommissär ihrer schlafenden Hinterbacke einmal in der Mittagspause angedeihen ließ: „Ia Mastmädchen“. (>Mastmädchen.) Barbara 4.

Raum zum Einkleben Ihres vollschlanken

Lieblings-Pin-ups

Barock. Gewisse Reize des Barockschrifttums will ich nicht leugnen: die „Herzhaftigkeit“ (wie sie sonst ja nur *,* -Suppenwürze aufweist), die gebirgsbildende Eruptivkraft der Sprache (die zu manchen Zeiten hingegen, säuberlich ins Erdinnere verschlossen, lediglich der Wärmung unserer Füße dient), den Mut zum Einfall und seiner erschöpfenden Durchunddurchführung, den Mut zur Monstrenzeugung und dergleichen. Unter dem Einfluß von Artmann, Essayisten und universeller Mummenschanzbewegung (eine echte Restauration dürfte der Stilmöbel-für-Alle-Kult gottlob ja doch nicht sein) ist der Barockschrieb heute sehr gefragt geworden, und da hört sich das Vergnügen auf. Nicht nur hat jede Neu-Proklamation einer erledigten Entwicklungsstufe etwas vom Jungmädchenspielen der Matronen, sondern auch führt die Barockmanier vom Jagdpfad der Information in die Langeweile der Redundanz. 23

Befreiung der Aussicht „Die Natur“, schreibt Herbert Cysarz in seiner Studie über das Barock, „wird zum beschnittenen und bestückten Lustgarten, der Garten zum geputzten Saal, ja zum Theater mit Kulissen und Prospekt, zum Museum der dekorativen Künste. Das äußere Menschenbild gleicht einer Puppe in zeremoniösem Staat. Die sinnlich so kalten Bilder weisen nicht in die irrationale, unerdenkliche Wirklichkeit zurück, sie bilden allegorische Figuren, die die Sinn-

lichkeit zur Zeichensprache des Gedankens — nach barocker Schätzung: erheben (wir würden eher sagen: entseelen).“ Daß meine oft proklamierte Protokollheftführung, mein Hartan-den-Dingen,

mein

Gewilltsein,

mich

von

der einströmenden

„unerdenklichen Wirklichkeit“ überwältigen zu lassen, die extremmögliche Antibarockstellung ist, liegt auf der Hand, so leicht die Fülligkeit und Verästelsucht, Monstrosität und Rabulistik etwa dieses Romans den flüchtigen Leser und Denker zum Trugvergleich mit dem Barock führen mögen. Siehe auch > Labyrinth und > Arcimboldi. Befreiung der Aussicht. Gut, wir stürzten uns in die Erscheinungen, vorsatzgetreu, richteten unsere Optik auf die ungebrochenen Dinge, als saugten die einem Schneck die Stielaugen raus oder preßte ein Kind die Nase ans Wirtshausfenster. Wir sprachen mit niemand, ließen das Auftragsbuch drin und sahen im ganzen Verladeland nur einmal die > Dynamit-Attentäter. Was aber tun, wenn eines der ungebrochenen Dinge, zB die Be-

freiung der Aussicht, neben seinem Freudewert für jetzt (raus aus der Leut- und Material-Schinderei in die große Bläue und Grüne, die Riesen-Langsamkeit und den täglichen Sonntag; zu Nebenwassern,

Hügeln, Dörfchen; Wasserereignissen;

zu Kel-

lerstädtchen, wo schwarz-weiß-gold-gekleidete Exporteure, umströmt von gemiederten Kellnerinnen, jetzt unendlich lang nicht exportieren werden) einen Vergangenheitswert hat, uns einen bittern Geschmack in den Mund pflanzt, uns mit dem Zwanzigjährigen (halb so Alten!) gleichsetzt, für den sich an dieser Stelle vom Ausflug-Ufer aus plötzlich die > Leere auftat? Um 7.38 aber war die Brücke passiert, der Chemiekaufmann ]. ermannte sich (wurde tatsächlich wieder zum Mann, der seine diversen Leeren mit geschäftlichen Nahzielen dekorieren konnte, mit unverbrauchbar lockenden Lokalen und dem unausspielbaren Um und Auf wechselnder Frauen) und freute sich junghündisch an dem ersten > Paddelclub-Haus, das zu einer ganz anderen Welt über-

leitete. 24

Begründung für den Artikel Körper

Befund. Vgl. Hans Weigel über die Wienerin: Wenn sie versucht, das Fremdwort

„Liebe“ im Wienerischen

einzuführen,

wird sie

scheitern. Begeisterung. Da zumindest eine Sorte guter Geister die Welt verlassen hat, mag niemand mehr begeistert sein, es sei denn, unter Persönlichkeits-Chemolyse. Ich bilde eine Ausnahme, wenn ich auch nicht weiß, woher ich meinen Bedarf an Plusgeistern decke,

und trauere der Begeisterung meiner Mitmenschen nach. Mich begeistern Leute, Umgebungen, Genüsse, Erkenntnisse, Formulierungen, mein Gefühl von Hiersein, kurz, ich bin ein Vertreter der >

affırmativen Dichtung. Selbst als Essayist steige ich nie in die Niederungen blasierten Verrisses um des blasierten Verrisses willen, sondern ich sage, wenn

mich etwas banal erfreut, banal Ja und

liebkose noch das Gute am Schlechten. Mag sein, die lang eingeatmete slowakische Landluft (> Kuhdreck) hat mir geschadet, in dem Sinn, daß ich die Phänomene

blütentag oder ein warmer

wörtlichnehme

und ein Obst-

Regen mich affırmativstimmen.

Mag

sein, ich habe immer noch zuwenig Cafekaffee getrunken, bin vom Cafetabak nicht zuendegebeizt und von der Caf£lethargie nicht endgültig zugekotzt worden. Selbst ein Cafe kann mich heute noch freuen, mit bunten

Lichtwellen

und >

Nickel, so bodenständig

bin ich geblieben. Damit begründe ich, daß ich meine Exporteurfahrt so sonntagsmalerisch, so trinchenhefthaft, so arnoschmidtpatzig anlege. Alles ist für mich blankgeputzt wie am ersten Tag und angeschissen wie zum ersten Mal. Ich komme aus dem Staunen nicht raus. Ungern aber gefaßt nehme ich dafür in einer so spannenden wie gelangweilten Welt die Einsamkeit des Psychoexoten auf mich. Begründung für den Artikel Körper. Die Mini-Essays dieses Romans begründete ich (> Arcimboldi) mit Notwehr. Notwehr meint vor allem Wehr in der Not des Mißverstehens. Wo liegt die Möglichkeit des Mißverstehens im Sex? Kritiker meiner Vorprosa lehrten es mich: die Möglichkeit liegt in der denaturierten Denkmode unserer Zeit; die Integration des Geschlechtlichen ist passe; Liebe als integraler Komplex von Geschlechts- und Persönlichkeitsakzeption des Partners ist nicht nur nomenklatorisch zu Schrott geworden; wenn ich den Abbau der Liebe zu linearem Spaß, den Mißbrauch der Liebe zum Prestigeerwerb als „Giftluft‘“ registrierte, schüttelten diese Kritiker den Kopfersatz; sprachen von

unbewältigter Beziehung zum Geschlecht; die Angesteckten diagnostizierten den Gesunden (gut, daß Kritiker wenigstens nicht zwangsbehandeln und euthanasieren dürfen); da sie mich also allmählich einer unbewältigten Beziehung zum Menschengeschlecht 28

Beißzange nahebrachten, habe ich das Recht auf Notwehr auch ihnen gegenüber verdient. Beißzange. „Da is er ghockt, der Ratz, dürft verheirat gwesen sein, hat ein Manndl gmacht, aber war schon hin. Ich hab ein Beißzangen gnommen und ihm am Mist tragen.“ Bergklebesiedlung 1. Die Häuschen, steil übereinandergeschachtelt, sind ein Alpengarten. Im Haus Hauswurz wohnt eine Neidige, die dem Haus

STEINBRECH

nicht ein paar Mäuse

in die Schornsteinöffnung

zum

Selchen

aufgehängt

schaut, ob

sind, im Haus

STEINBRECH wohnt ein Sittenrichter, der dem Haus KATZENPFÖT-

CHEN in die Dachluke schaut. Im Haus KATZENPFÖTCHEN leeren sie hämisch den Mist tief auf den Balkon des Hauses GünseL hinunter. Bergklebesiedlung 2. Die Häuschen, steil übereinandergeschachtelt, sind nicht senkrecht zum Berghang, sondern senkrecht zur Planetenoberfläche gebaut. Wären sie senkrecht zum Berghang gebaut, würden die Menschen, da der Berg keine separate Anziehungskraft hat, aus

Türen

und

Fenstern

rollen, ihr Haushaltsgerät

hinter

ihnen her, und die Häuschen wären bald leergepoltert. Die Ofenflammen im Winter aber würden in den Berg hinein brennen, allmählich den Stein erweichen, und unter dem Stein hervor käme

das feuerflüssige Erdinnere zutage und würde die Umgebung mit roten Ausbrüchen schrecken. Bergklebesiedlung 3. Aber jedes der übereinandergeschachtelten Häuschen ist anders. Bis in die Bewohnerinnen hinein. Frau Dostal läßt die trocknende Wäsche in die Fenster der zehn Meter tieferen Frau Radelmann tropfen, beschwert sich über das Türenschlagen in der modern gebauten Bergklebevilla der Frau Drexler, dreißig Meter

unter

der Frau

Radelmann,

während

der zwanzig

Meter

unter der Frau Drexler schräg in den Berg gebaute Weinkeller der Frau Winter durch seine Gärgase die fünfzig Meter tiefer gelegene Frau Rezalek beunruhigt, die eigens wegen ihrer Bronchitis in die frische Blätterluft des Klebeberges gezogen ist. Von der Vielfalt der roten blauen grünen weißgrünen braunen gelbroten lila tiefvioletten Blumenwelt und ihren Minz Nelken Rosen Saft Insekten Spritzmittel Tierdungdüften gar nicht zu reden und von den so verschiedenen Mittagssteaks schnitzeln laibchen und braten. Bergklebesiedlung 4. Über Schweizerhäusern, Glaswürfeln, Einheitsflach- und Einheitsschrägdachhäuschen, zugerankten Villen, Bungalows und Schreberhüttchen, über Weglein, Büschen, Pools, Hecken,

Rondellen,

Kaninchennetzen

26

Gittern,

Zäunen,

Stromfallen,

Lehmmauern,

steht sogar ein alles überschauendes > NATUR-

Betonlager

Horteı. Von seinem Eckbalkon aus sieht man Frau Rezalek durch die Arme

der Frau Drexler gehen, ihr einen Schrägschnitt des

Weinkellers der Frau Winter in die Achselhöhle stopfend, grün-

durchgittert geht dieser Frauensalat

zwischen

den trocknenden

Hosenbeinen der Frau Dostal vor sich, von der kleineren Schulterkante der rosendurchwehten Frau Radelmann kurzzeitig verstellt,

und ein gelber Köter, der manchmal zwischenspringt, ist entweder ein zwei Terrassen aufwärts springender Riesenhund der zweittiefsten Bewohnerin oder ein drei Terrassen abwärts springender Zwerghund der unterm Hotel dachenden Altlehrerinnenvilla. Bestimmungsbuch. Überraschende Verwandlung schlampiggesehener buntgrüner Dekoration (na, BaumWieseRosen) in Strukturenspuk, vielfach, schwierig und fremd wie Takelage oder Wälzlager-Katalog. Spirre: rispiger Blütenstand, bei dem die unteren Blütenzweige die oberen übergipfeln; Schraubel und Wickel: Blütenstand,

bei dem

immer

wieder

der einzige

Seitensproß

den

Hauptsproß übergipfelt; Scheinquirl: mehrere sitzende oder sehr kurzgestielte Blüten in den Achseln gegenständiger Blätter. Saum. Schlund. Gaumen. Platte. Nagel. Krönchen. Blattspreiten: borstenförmig, pfriemenförmig, nadelig, lanzettlich, linealisch, schwertförmig,

keilförmig, spatelig, länglich, eiförmig, elliptisch,

schildförmig, rautenförmig, nierenförmig, verkehrtherzförmig, pfeilförmig, spießförmig, handförmig-gelappt, handförmig eingeschnitten, gefingert, fußförmig, paarig gefiedert, leierförmig fiederschnittig, Blattrand gesägt, doppelt gesägt, gezähnt, doppelt gezähnt, dornig gezähnt, fein gekerbt, gekerbt, spitz gekerbt, ausgeschweift, ausgebuchtet, schrotsägerandig. Aufwertung eines Straußes Wiesenblumen zu einem Zahnräderhaufen, einer Tischplatte voll frischer Leichen, auf die der Anatom

freudig losspringt, einem Briefmarkenaufkauf, der durchsortiert, gelupt und auf Zahn, Druckstock und Wasserzeichen geprüft werden will. Knien und Kriechen in Grassaft und Ameisenketchup, intellektuelles Asen und Heuen, Erkennen von Klebrigkeit, Quer-

runzlung, Milchgehalt, Gleichsetzung des hier und jetzt Gewachsenen, Duftenden, Ausgerupften mit der linkischen, flächigen, altväterlich verstrichelten Buchillustration, Freude auf Längsschnitt,

essenzige Pressung, womöglich nächtliche Einfärbungs-Mikroskopie. Und der Schock, wenn der Laie unterm Buntpapier, das Blütenfarben anzeigt, erstmals braunes findet. Und grünes. Braune und grüne Blumen! Betonlager. 4 X 28 Reihen Betonreifen, 18 X 23 Reihen Betonquader, 9 X 26 Reihen Betonzylinder, 8 X 18 Reihen Betonkugeln

(mit denen wurden Janitscharen erschossen), 4 Schüttkegel Beton27.

Bezirksgericht staub, 6 Schüttkegel Betongrus (jeder Schüttkegel hat einen materialspezifisch gleichen Böschungswinkel). Beton besteht aus Sand, Wasser und Zement, Zement aus Kalkstein, Ton und Kies, die unter

Gelbglut im Drehofen vereinigt werden, freiliegende Zementglut ist ein teuflisch gelb(-glühend)er Quader, das Kühlsystem besteht aus heißen

Flammen,

rasselklirrend

fällt zusammengebackener

grün-

licher Klinker in die Zementmühle und wird zu > waußem Zementstaub zerkreischt, Brotmehl für den Wolf mit den sieben Geißlein. Getarnte Steinmetze gehen auf dem betonkalten Lagerplatz umher und legen die Werkstücke aus Beton mustrig ins Gelände aus, appetitlich hellgrau wie ein Mäusemarkt, ohne organchemisches Geschwätz, Stein nach Wunsch. Ich möchte, sagt nach dieser Werbeaktion jeder Reisende, in ein Betongrab. Gelände abgesteckt, Zählen stückweise, einfaches Leben wie in der Rechenfibel, sogar

die Elementarbausteine übertreffend, die ja seit neuem Bruchteile absplittern können (0.85 eines Bausteins ist nichts mehr, womit man seine Kirche bauen kann), also: 10 Stück Schutt, 20 Stück Schutt, backe backe Betonkuchen, die Betonmutter hat gerufen,

eins und eins sind zwei und eins sind drei ad infinitum betonicum. Bezirksgericht 1 (Blick aus der Zelle eines konkreten Lyrikers): Jajajajajajajajajajajajajajajajajajajajajaja! [] [| [.) = [

m

l

n

J

i

e r k d

a s S d

a c h h

a d a b

€ h h a

1

b

1

1

e

r

c

r

s

e

d

h

s

r

g

a S e N n

n i e s c

i t z t N

d e r t N

e S p r o

e

h

m

s c

n a

h a

t 1

h e

h u

p p

e f

n g

n h

r |

u

eich

c und

so schöne

n

u

bunte

hörnchen

rennen

y

e

e

n

rY

[

[

draußen

c

u vorbei

Jajajajajajajajajajajajajajajajajajajajajaja! 28

k

[.)

Bier

Bezirksgericht 2. Der eingegitterte Atomforscher, der hier sicherer aufbewahrt ist als in den Verliesen des zuständigen Geheimdienstes, da ihn hier unter Streunern

und Ehestörern

niemand

ver-

mutet, hat es längst aufgegeben, sich ins Birken- und Weidengrün und unter die > Eichhörnchen hinauszusehnen. Heute macht er sich einen guten Tag durch die Errechnung der Häufigkeit von Datumstriaden mit gleichen Anfangsbuchstaben. Er kommt auf 23 unter 365 Tagen, und zwar: Dienstag Donnerstag

dritter dreizehnter

Dezember

dreiundzwanzigster dreißigster Freitag

| fünfter fünfzehnter fünfundzwanzigster

Samstag

sechster

Sonntag

siebenter

Februar =

3

September

sechzehnter siebzehnter sechsundzwanzigster siebenundzwanzigster 23

Nun zieht er sein Logarithmenbuch, d. h. seines mußte er gegen ein unverdächtiges der nahegelegenen Mädchenschule eintauschen, und findet nach Subtraktion der Mantissen von 23 und 365 einen Häufigkeitssatz von 6'30%, also ungefähr den von Vorkommen „höherer Intelligenz“ (IQ > 125) in den USA. Damit ist das Problem aber eigentlich erschöpft, und es hat von dem guten Tag nur einige Minuten verwirklicht. Bier 1. Als er das Malz hopfte, surrten die Verteilungsräder. Ausquellender Schaum spuckte ihm vor die Füße, in die muffelnde Lacke, in der er watete. Prost, sagte er, die Kornflasche zwischen

die Zähne setzend. Bier konnte er längst nicht mehr ausstehen. Bier 2. Das Bier war wirklich wahr, so unvorstellbar es bei dem Hundstagsmarsch gewesen sein mochte. Aber es verdampfte, kaum daß es über die Kehle war. Da trank er noch einen Schluck und regelte dann den Zufluß so, daß ständig etwas den Gaumen eiste; fünfundzwanzig Minuten später war

29

Bier

wieder die Sonnenstraße da, der Flüssigkeitsspuk vorbei, der Durst teufelte

wieder,

nur

ein Gaumen

von

Hopfen,

eine Galle

von

einem Gaumen, war zurückgeblieben. Bier 3. Zugsgarnituren und abgemaulte Biergläser klirren. Dieselloköl und Biersatz stinken genüßlich. Fremdarbeiterkaros und Lidschwärze der Bahnhofsprostituierten signalisieren. Warmer Bierschaum

rasierschmiert

mein

Fettkinn,

Reisekoffer

tritt

meinen

Schweißfuß. Erzstaub schmeckt nach Fremdkörper, Biertümpel nach allen Bahnhöfen meines Lebens. Bier 4. Mytilla Mitil tupfte sich behutsam die biernassen Lippen, obwohl das fliederfarbene Wachs ohnehin schon abgegessen war. Die Studenten waren bei näherem Hinsehen alle fad, wie Zahlen-

kolonnen eines balneometeorologischen Berichts oder Prospekte unbegehrter Maschinen. Es wäre mir ein leichtes, dachte Mytilla, hier einen Anfang zu setzen; warum sollte bei uns keine ordnungsgemäße eheeinleitende Beziehung einrichtbar sein, wenn wir nur zur rechten Zeit die Spielregeln von Mimik und Wortkleister einhalten, uns auch wohl ein bißchen frei geben und ein bißchen generationsbewußt. Wir werden Kerzenleuchter aus Polenkristall haben und die preiswerten Drehkreuzfauteuils, sobald Peters Pra-

xis nur läuft. Mytilla Mitil verhinderte in Wahrheit mit glücklicher Anti-C’est-la-vie-Routine jede Eheanbahnung an diesem und vielen anderen Abenden und legte den Kern ihrer Lustperson einstweilen, yoga-präzis, in den Anti-Mann Bier, in die Einswerdung mit dem gutgekühlten kohlensäurestechenden aromatisch ausgewogenen Trendelag Export. Biographische Übung. Man prüfe, wieviele von den gymnasialnahen Mädchen aus der Jugend des 70jährigen Affentheater-Zitierers

sehr

wohl

„Einzige“

hätten

sein

können

und

was

die

Gründe dafür sind, daß sie es a) nicht oder b) in anderen Aspekten geworden sind. Man prüfe sodann, ob jene gymnasialnahen Mädchen in ihrem Alter ebenso guten oder schlechten Grund zu einer Analogfeststellung, den Mann betreffend, haben mögen und wenn nicht, dann warum nicht. Man prüfe weiters das gegenwärtige und verschiedene zukünftige Gesellschaftssysteme auf günstige Abweichungen von jenen pessimistischen Statements. Man verweile schließlich nur bei genügender Dickhäutigkeit länger im Prüfsaal, denn bald quarren gutgeschiedene Kritiker los, man beschäftige sich mit wenig anderem als der Partnerwahl, also einem Problem,

das im Leben ganz und gar keine Rolle spiele. Blaue

Trichter.

Encore

Edibelbek,

der Bub,

hatte

zuhaus

eine

Spielzeugmühle (durch die er > Spinat, Erde und sogar tote Vögel drehte) und einen ebenso blaulackierten Fabriktrichter, zehn 30

B. ©. bis fünfzehn Meter hoch, auf der Autostrecke vor seinem Heimat-

dorf. Die Autofahrten von Fabriknest zu Fabriknest waren ein Gemisch von Jubel und Angst (> Kreissäge 3), aber bei dem grellblauen Trichter gab es keine Angst, nur Jubel. Encore wußte in irgend einer fastabgeschalteten Ganglienzelle, daß das Leben nicht immer aus so einem allesbefriedigenden Grellblau bestehen würde, eingebettet in Grellgrün und das blassere aber durchsonnte Hellblau des Soemmerhimmels. Darum lebte er in den Vormittag hinein und schrie, wenn er die paar Dutzend Male im Leben an dem grellblauen Trichter vorbeifuhr, vorbehaltlos sein Begrüßungslied. Daß es kein Haus, kein Schlot war, sondern ein unverständ-

licher Trichter, trug zu dem Reiz gewiß bei. Blaugrüner Liegestuhl. Im Vorgarten eines Bauernhäuschens liegt ein vierbeinegrätschender Frosch auf dem Rücken: die Tochter, in die Stadt verdingt und verheiratet, jetzt auf Sonnungsurlaub, ein unauffälliger, aber stadtzu gespannter,: vektoriell aufgeladener blaugrüner Badeanzugkonspekt. Blechchristus. Die Wirren, die seit dem Konzil nicht zur Ruh kommen. Ein Jungkaplan dichtet das Spiritual vom Blechchristus am Feldrand: Die Tauben scheißen Christus an, doch Christus bleibt der Schmerzensmann,

hej, hej, Kyrieleison...... „Die Tauben“ scheinen ihm schön doppelsinnig. Das Lied wird einmal gejazzt, von der Pfarrjugend, mit viel Vergnügen. Niemand weiß recht, was mit dem Jungkaplan geschehen soll. Das Lied bleibt jedenfalls einstweilen suspendiert. B. ©. „O Nachtdörfer, Schönheit, Verschwendung“, schrieb einer, dem es wehtat, daß „seitlich der Straße, im Unkraut, das man jetzt riecht“ ein Fluß rann, „den jetzt in der Kälte niemand sonst

sieht“. Das Erlebnis hat recht. So auch sind von der Nackten (in der Mitte trägt sie natürlich statt der Wahrheit einen Zensurplüschhund, er hat nicht einmal Zunge und Schwänzchen) zwar erdbeereisfarbene Kegelbrüste mit brombeereisfarbenen Höfen und einer harmlos draufgemalten Margerite in den Leserblick gestellt, verschwendet bleibt aber die achtlos weggehängte Reithose, die einen ganzen Luxusgirlsonntag im Extrakt birgt; „birgt“ — denn das Girl heißt Birgit; birg „it“, Birgit!; aber ja, my boy Chemiekaufmann! Wäre ich ein Reporter, ich würde nicht dieses in jedem Eissalon

erhältliche, in jeder Parfumerie druckreif zu machende Gesicht in31

Bordabenteuer

terviewen, sondern die weggehängte Reithose, das Mädchen im Mädchen, ihre weggehängte Wahr- und Kindheit. Aber das wußte der Magazinmann ohnehin, und der Dichter von „Nachtdörfer, Schönheit, Verschwendung“ glaubte naiv an die Oberschwelligkeit der Werbung. Bordabenteuer 1. Ein Ehepaar schwerer Popos pfadfinderte durch die Gänge. Die müßten doch überall Pfeile hinmalen!, wer sich da nicht auskennt, macht sich dreimal an!, verhieß der Gatte. Stell dir

vor, variierte die Gattin, s ist Herbst und einer hat Süßmost getrunken; eine Katastrophe! Sie verhallten, mächtige Breitseite, Popo an Popo in plumper Vertraulichkeit. Bordabenteuer 2. (Zwei Hinterdeck-Freundinnen:) 1: Riech zu meinem Strumpf. 2 (riecht): Pfui Teufel! 1: Na, nicht wahr?

2

(nimmt ihren Brustball aus dem einteiligen Badeanzug heraus, um ihn abzuwaschen, weil ihr Marmelade hineingeflossen ist).

J.: Schön warm heute, meine Damen, was?

1: Sagen wir ihm, er soll sich nicht umsonst bemühen? 2: Ja, Monsieur, wir sind schon in besten Händen! J.: Achgottachgott, wie schad!

Bordabenteuer 3. Der Bikini war blau und rot, also: schön; außerdem winzig, das Mädchen gut > braun, ihr Becken breit genug, um zwischen Taille und Hüfte ein ausladendes Trapez darzustellen. Aber dieses Trapez war aus einem Brett geschnitten. Was nützte da, daß nur jener schmale Schutzstreifen, der immer hinuntergerutscht aussieht, die Nacktheit störte?

Ich weiß schlanke Ware zu schätzen, antwortete J. dem Sklavenhändler, aber an diesen Knochen

zerschlage ich mir meine, sehen

Sie? Und sehen Sie das häßlich Puppengelenkhafte dieser zu magern Schultern, Ellbogen und Knie? Er bog den Unterarm des Mädchens zweimal mißbilligend auf und ab. In den fleischarmen Oberarm stach er kennerhaft seinen Daumen.

Au weh, sagte das Mädchen.

Wehleidiger Indianer, sagte J., bewußt das Maskulinum gebrauchend. Der Büstenhalter wurde nur ein schlampiges Wenig zur Seite gezogen, Bubenbrust, sagte J., anpatschend; wie erwartet! Er ließ das Mädchen die blau-roten Körbchen selbst wieder zurechtrücken. Sie verlor ein wenig die Geduld und zeigte J. die magere Zunge. Nein, sagte J. zum Sklavenhändler, einen Bikini ohne Mädchen drin drehst du mir nicht an. So ein flachliegender Stoff ist wie.. Da er Kaufmann war, fand er keinen passenden Vergleich und fluchte.

32

Bordabenteuer

(Okopenko etwa hätte gesagt, so ein unzerwölbter Bikini ist wie ein Gedicht voll lauter Abstractis oder Pseudoconcretis, zB:

(Raum zum Einkleben eines Gedichtes voll lauter Abstractis oder Pseudoconcretis)

Bordabenteuer 4. Der Kleine, so hört man, geht nur aufs Klo, wenn

seine größere Schwester mitgeht. Die junge Frau mit sehnigem Pflichtgesäß (vgl. > Gesäß 3) sagt stirnrunzelnd zum Mann: „Das ist nur eine blöde Gewohnheit.“ Denn sie haßt alle sexuellen Begründungen. Bordabenteuer 5. Darf ich Ihnen dieses Vogelhaar entfernen?, frage ich einen älteren Herrn, der seinen Rock um die Schultern geschla-

gen trägt. Ach, vielen Dank, sagt er. Bordabenteuer 6. Darf ich Ihnen dieses Vogelhaar entfernen?, frage ich ein blaublusen-überzogenes Bikinimädchen, deren vor mir gehende Rückenansicht mit champagnefarbenem Zopfgeflecht mich animiert. Och, danke, sagt sie. Ich zwicke etwas von ihrer Bluse weg. Bleiben Sie!, sagt sie in diesem Moment, Sie haben ein Eichhörnchen im linken Ohr, darf ichs Ihnen wegblasen? Die Vorderansicht des Mädchens aber trägt eine lange hagere Nase, ein fadwinkeliges Lächeln und hautige ausgezerrte Lider. Ich setze meine Wanderschaft nach sehr kurzem Höflichkeitserweis fort. Bordabenteuer 7. Fürchten Sie nicht, daß Ihr Schwesterl ins Wasser fällt, wenn es so allein herumläuft?, frage ich ein schwänzendes

Schulmädchen mit glänzendblauem Schwarzhaar, das It. STERNAnzeige zum Zärtlichsein einlädt. Ah, meine Tochter ist brav, sagt das Schulmädchen. Die Sylvi kann man den ganzen Tag allein rumlaufen lassen, fügt der Mann des Schulmädchens hinzu. Bordabenteuer 8. Kenne ich Sie nicht von der Musikertagung in Lüttich?, fragt mich am Selbstmörderauswurf eine teigige Fünfzigjährige. Ich entschließe mich, kein Musiker zu sein, wehre aber ihre

Entschuldigungen mit der karitativen Notlüge ab, ich würde indessen wetten, sie vom Tierhändlerkongreß in Mailand zu kennen. Mit viel Liebenswürdigkeit gehen der eingemehlte Teig und ich auseinander. Bordabenteuer 9. Ich rette ein schönes Mädchen, die wegen unglück-

licher Liebe in die Schiffsschraube springen will, und lasse sie abwechselnd kastanienrote Schaflöckchen, einen herzförmigen Mund, silberblonde Zöpfe und leidgebläute Schlafpuppenlider haben. 33

Bordabenteuer

Schließlich schlage ich mit der gefalzten gestrigen Zeitung eine echte Wespenkönigin ins Wasser. Bordabenteuer 10. Ich errege einiges Aufsehen, indem ich in einen schönen roten Automaten beiße. Was treibt der da?, fragt ein guttrainiertes braunes Sportmädchen ein anderes, laut, damit ichs höre.

Zahnübungen, sage ich. Die Mädchen lachen. Zugegeben, es sieht komisch aus, sage ich in einer Beißpause, aber sich nicht genieren, gehört auch zu Karate. Geh, das ist ein Karatekämpfer, sagt das eine Mädchen zu dem anderen. Nix für uns, so sportliche Herren,

gehn wir,

sagt das andere. Wann macht dein Fritz die Kochprü-

fung?, setzen sie ihr Gespräch fort.

Bordabenteuer 11. > Madigmachen von Anknüpfversuchen. Bordabenteuer 12. Sie! Genosse! Was war das Freitag vonwegen „Zwangsbeschlüsse‘‘? — Bitte?, sagt J. — Sie haben mir doch noch Donnerstag im Hauptausschuß — J. wendet sich dem Genossen zu. Jössas, entschuldigen Sie!, sagt der Genosse, ich hab Sie für den We-

werka gehalten; Sie fahren nicht zufällig zur „Arbeitereinheit‘“? Nein, zum Exporteurtreffen. — Der Genosse ist grußlos weg. An seiner Stelle liegt etwas Donauwasser. Bordereignisse 1. Eine Melodie erklang an Hinterdeck. J. wurde kindsfidel zumute, denn es war ein altes Kinderlied, wie er es als

Kind stets verabscheut hatte und nun stets nachzulieben liebte: Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm, gräbt in der Schlackenhalde nach Kalium. Kalium ist so gesund für den Hund und für den Mund,

darum gräbt das Männlein auf fremdem Grund. Was gibt einem Chemiekaufmann

Lebensfreude und Bestätigung,

wenn nicht das Wissen, daß durch seine Hände alle Hunde, die darauf Wert legen, Kalium, das gesunde, bekommen und alle Münder

Kalizahnpaste (vor dem Dreispiegel, dem verstellbaren, in Quarzkristallfassung, die weiblichen Münder noch mit Splittern Rouge in den Haut-

rissen, die männlichen von den fahlbraunen Abendbartstoppeln überschattet,

die kindlichen eiszuckerglasiert — all die Gesichter die blaue hellgrünbewürstchente Bürste im Maul, an den ausgezackten Zähnen, in der schlechtgelüfteten Höhle, am blutenden Zahnfleisch — 34

Bordereignisse die Einheitsabendfrische als individuelles Abend-Erlebnis,

vor dem Einschlüpfen ins körperfrische [nach dem gestrigen Körper riechende] Bettzeug: Hotel, Motel; von Kilometern, Hundstagschweiß, gierigem Bier,

abwesenden Frauen/Männern zu Bett geworfen; etwa mitten in einem durchmohnten Roggenfeld, an einem verwirklichten, hundebepißten Landkartenkilometer)? Bordereignisse 2. Zwei Frauen ging der Rede- und Tatenstoff aus; alle Unordnungen

waren

behoben,

sogar

die Schmutz-Arten

in

Päckchen sortiert, alle Anwesenden durchgehechelt. So schlossen sie wie für eine Sonnenölreklame glücklich die Augen, nachdem sie nicht versäumt

hatten zu sagen „Is das eine wohltuende

Ruh!“,

denn den Höllenschlund der Langeweile mußte man immer mit einer spanischen Wand aus Zufriedenheit tarnen. Jetzt lebte nur noch ihr biologischer Anteil, und wenn man sie im Grab fragen würde, ob sie lieber weiterverwesen oder noch einmal diese Schiffsstunde erleben wollten, würden

sie sagen „Is mir wurscht“. Nur

ihre Kinder spielten unentwegt Komme lieber einzeln, dann kannst du mich heinzeln.

Bordereignisse 3. Die junge twiggiedünne schwarzweißkarierte Superminiengländerin, mit einem standflächelosen Korb umhergehend, kann den Korb niemand geben, da sie von niemand begehrt wird. This is mainly a matter of measurements, schweigt sie; nein,

wohl eine Sache der Gesichtszüge, schweigt J. zurück. In weitere Diskussion läßt sie sich nicht verwickeln, ja, sie läßt sich überhaupt nicht verwickeln, sie setzt sich und nickt auf der Tischplatte ein. Niemand streichelt sie. Bordereignisse 4. Ein zorniger alter (:großmütterlicher) Beamter. Seine gallengelbe Frau. Sie dennoch-beide. Ihre zermümmelten Trauerfälle, ihre Keks, ihr Käs. Bordereignisse 5. „Ich lieg in der Reihe mit dem schönen schwarzen vom Polizeipräsident.“ „Ich lieg drei Reihen weiter.“ Bordereignisse 6. Das Schiff tutete, ein butterbrotbeißendes Kleinkind erschrak, lachte dann aber sehr.

Bordereignisse 7. Ein Großvater geht mit seinem kleinen Enkel die Zeitung durch:

„Eine Gurkensauce

mit einer schönen

Frau ver-

mischt, mit noch einer schönen Frau, ganz nackert, ist im Bad gewesen, hat sich gewaschen, noch eine schöne Frau mit schöne Zähnt, Zahnderln. Was ham wir noch? Die Muhkuh im Stall. Muh. Wie macht die Ziege? Mäh. Da schau, die Tante. Das ist die Tante, und das ist die Evi, gelt?“ =

Bordereignisse Bordereignisse 8. Vier dicke fromme Pensionistinnen, in weißen Blusen über Körpern, die nie erotisch gewesen sind, spielen ihrem Gott eine Show von Sicherheit und Loyalenhochmut; er belustigt sich wie ein Richter an geschwätzigen Zeugen. Drei deutsche Eggheads mit Computergesichtern schauen aschig und platt drein. Zwei Großstädter erzählen einander stolz von ihren Mähleistungen und Ferkelerfolgen. Ein Mann tut die Worte seiner Frau in den Abfallkübel. Null Menschen, schreibt Diogenes in seinen Laternbericht.

Bordereignisse 9. Fette Mutter mit fetter Tochter. Beider fette Gesichtsflächen in fettem Rosenrot gefettet. Die Mutter in fettem autoritärem Mißmut. Die Tochter kaut mißmutig die Dickwangen, faltet angestrengt die Stirn, weils Undenkern schwerfällt, wölbt grob die dicke Unterlippe vor, redet dadurch was Mißmutiges, dehnt den Mund mißmutig nach links außen, wulstet damit das Kinn, kneift

die speckgebetteten Augen zusammen. Sie riecht nach Essig und > Parfum, interessiert sich anhand der Zeitung für Fürstin Ira, die

mit Antel drehen will. Ärgert sich über MAGERE! AcHTung! GEWINNEN SIE PFUNDE FESTEN FLEISCHES!

Mutter und Tochter gamern einander an, lassen ihr Schildkröten-

deutsch langsam und eintönig (:Teigpatzen) fallen. Die Tochter zieht ihr Kleinkind an die behaarten Fettwaden. In ihrem Erdbeerpullover schwappt schwer das ungeteilte Brüstepaar hinunter, ein langer quergestellter Kürbis. Hinterm Ohr schlägt der Speck Wellen bis zum Halsansatz: die dicke Haut faltet sich wie die magere der Schildkröte. Bordereignisse 10. Lösen von Kreuzworträtseln. In-der-HandHalten von Prospekten und Zeitungen. Benutzen von Kopftüchern und Jäckchen als Versatzstücke. Essen, Handarbeiten, Kinderschimpfen, Knipsen, Schlendern. Knutschen, Sonnen, Schlafen.

Streiten,

Ins-Wasser-Schauen,

Bordereignisse 11. Debile katastrophengenäschige Frauen verlangen Bewährung der jungen Männer im Grenzschutz. Bordereignisse 12. Ein Pensionist erzählt einem anderen den folgenden Witz: WissenS, da sagt ein Bursch zu sein Madl: Meine Wünsche kann

ich dir auf der Landkarte zeigen. Ah, sagt das Madl, mit mir in ferne Länder? Sagt der Bursch: nein, mehr Busen.

(Verlegenheitspause.) 36

Braun

WissenS, Meerbusen hat er gemeint, weil einen Meerbusen findet er auf jeder Landkarte, und das Madl hat ihm zu wenig Busen. Mehr Busen, wollt er ihr damit sagen, hahaha. WissenS, sagt der andere Pensionist, diese neumodischen Witz sind nicht mehr das, was wir einmal gewöhnt waren. Den hab ich von mein Sohn, wissenS? Er is in der Landesregierung tätig. Na also! Hab ich mir ja gleich denkt. Bordereignisse 13. > Kinderaufsicht. Bordereignisse 14. Die Stunde Kodak. Kinder photographieren ihre Mütter. Mütter photographieren ihre Kinder. Ein Schmunzelphotograph knipst seinen Sohn. Eine Mutter photographiert ihre vier Mädchen; die machen Bosheiten, damit ein Herr babble: dddi heu

ttti kkke juuu genttt... Ein Berufsphotograph, mit starken Brillen und großen seitoffenen Nasenlöchern, grob spottendem Kinn, rostkariertem Sakko, photographiert gar nichts. Eine einsame Kamera photographiert sich selbst. Braun 1. „Aber das ist eine ganz andere Haut. Seit wir in Caorle waren, werd ich ein bissel braun. Nein, das hängt mit der Haut

nicht zusamm. Mich juckts, weil Blonde werden nicht braun.“ Braun 2. Alphard Mutz freute sich, als er auf seiner Haut, mit der

er nun 15 Jahre bespannt war, noch und noch das Braun speichern konnte, von dem es hieß, daß es die Gesundheit sei. Alphard Mutz hatte damals, ein Jahr nach Kriegsende, Sorge, in einer Lungenheilstätte verdämmern zu müssen. Selbst wenn man dort ein ideales Mädchen fand, auf den elegischen Bänken zwischen Forsythien oder Hundsrosen, störte der stetige Husten, und der Gedanke, daß wir nie hinauskommen würden, außer durch das Prosektur-Tor, machte

unsere Liebe sehr traurig. Auch ich kann braun werden, sagte Alphard Mutz ich werde den Mädchen gefallen, vielleicht sogar (Pippi wäre später sehr froh gewesen, denn Erika wann Pippis mürrische Frau.) Alphard Mutz lag genießerisch auf der Wiese, die

zu Pippi; auch deiner Erika. wurde irgend-

Viecher stachen

ihn mit Halmen und Gräsern um die Wette, sein Oberkörper brannte unbehemdet, sein Unterkörper kaumbehost, Schicht auf

Schicht und nun schon unschälbar brannte Alphard zum schönen Mann. Alphard peitschte sich mit großen Blättern, denn er glaubte, alles, was brennt, bräunt, und aus ähnlichem Aberglauben besprühte

er sich aus einer Wasserflasche. Rechts hinten lag die Dorpät-Anlage mit dem zarten Säggeräusch, das nurmehr Musik war, vor den Blicken lagen die Tevinker Berge mit all den Markierungen (blau, grün und rot) für die Füchse, in der Schultasche steckten ein Trok32

Braun

keneibrot und ein Weltallroman, aber beide interessierten den 15-

jährigen Schönheitsritualiker derzeit nicht. Braun 3. BENEIDENSWERT BRAUN DURCH SOLICER. Beneidenswert, sich so sorgenlos bräunen zu können. Haben Sie den Urlaub gut überstanden?, Sie sind ja beneidenswert braun! Petra warf einen

wohlgefälligen Blick auf Ralphs beneidenswert braunen Rücken. Du bist ja beneidenswert braun, sagte der alte Sozialdemokrat zu seinem Freund, dem NPD-Abgeordneten Blau. Beneidenswert braun liegt das NıvEA-Baby in seinen Windeln. Braun 4. (Vice versa:) Eartha — sie hieß wie die große Kitt — legte die vierte Schicht Bleichpaste auf, die sie rassisch emanzipieren

sollte, wenigstens im Vergnügungsleben von Blackville. Man war zwar darf lung eine

nicht in Rhodesien, aber auch in den Staaten gab es noch Bean Mitteln, die die Haut allmählich weißätzten. Die Entkräus-

des Haars war dagegen ein Kinderspiel, Eartha war längst rot- und glatthaarige Schönheit. Das Weiß der gebleichten

Haut würde wundervoll dazu passen, und vom Natural Look, der

den Wunschtyp der farbigen Bevölkerung allmählich umprägte, war die etwas altmodische Jungkeramikerin nicht zu überzeugen. Brausepulver. Auf der Zunge eine chemische Reaktion zu vollziehen, freut jeden Buben. Kauft ihm deshalb STERNHEIM-Brause, mit

dem lustigen Glitzereffekt, erhältlich in jeder Drogerie. Schärft ihm ein, daß er das Kristallpulver und das gelbe (rote, grüne) mehligere im Trinkglas voll Wasser vereinigen soll, denn dann wird er die Pulver justament roh schlecken. Er wird sich seiner gelben (roten, grünen) Zunge freuen, vor allem aber des Aufbrausens im Mund, so wie er ja auch gern Taschenlampenbatterien mit der Zunge kurzschließt, weil das so gut sauer und nach Funken schmeckt. Wenn er erwachsen wird und man fordert ihm eines Tages durch Anlegen der Elektroden an die Zunge Geständnisse ab, wird er sich wehmütigen Schmunzelns an die selige Kinderzeit erinnern. Brotlaib. Erstarrtes Ergebnis von teigiger Gärung und Feuer, Fernverwandter der Lava. Milchnussiges von grünem Getreide, eßbarer Staub in der gruftgewölbigen Mühle, Puder für Bäckers Esel, im Backofen gefundene Katze (sie liebte die Wärme ..), in Brotteig werden ganze Fische eingebacken, sich mit Sauerteig einschmieren, das Durchkrachen des Messers durch den frischrausgezogenen mehlgestäubten 5-Kilo-Laib, die eingebackenen Firmenzeichen, das Kreuzzeichen des Bauern, wenn die Schnitte vom Bauerntisch auf die Bauerndiele fällt, die ersten Brotlaibe stellten Brüste dar, je schwerer, desto besser, das Klatschen auf den Teiglaib, Kannibalismus: einen Leib essen, hoc est corpus meum („hocuspocus“), einen zuvielgekauften Brotlaib in den Mülleimer stecken, bunte Brote ha-

38

Bunte Stühle

ben sich nicht durchgesetzt, altes Brot den > Pferden verfüttern (schau, wie schön es danke sagt!), mit Schwarzbrotbröseln Schnecken panieren, aus Schwarzbrot und Honig Kwass ergären, mit Brotschmolle Pläne sauberradieren, sich eine Brotmaske auflegen, einen

Brotwagen umschmeißen, den Schwarzbrotpreis stützen, in der > Backstube das Brotregal auswischen. Brücke. Es gibt zweierlei Brücken: 1. die Ozeanbrüce. Ihr „Oo000000ze aaaaaaan!“ dröhnender Va-

nadinstahl überdröhnt den ganzen Ozean, den sie überspannt; meist den riesigen Pazifik. Von ihrem Gedröhn werden alle Matrosen, die unter ihr durchmüssen,

taub. Sie wölbt sich zehn-

tausend Meter hoch über dem Meer, kommt aber zugleich so tief herab, daß die Füße, die in Todesangst über ihre schütteren

Traversen laufen, unmittelbar über unserem Gesicht trampeln. Aufwärtsschauend fällt man in die Mächtigkeit der Brücke: Stahlstrebenwerk, in diese Richtung wächst es unermeßlich —

2. die Flüßchenbrücke. Optischer Merksatz: Sie liegt immer im Sonnenschein und an Flüßchen. Akustischer Merksatz: Sie geht gebückt und auf Krücken, denn sie hat Brüche im Rücken; (und wartet auf Brotbröckel, die ihr gute Kinder, namentlich Brigit-

ten, bringen). Ferner gibt es die > Brücken der Erwachsenen. Die Erwachsenenbrücke vor Kaufmann J. kann, aus bestimmten Perspektiven, zu bestimmten Zeiten, vor allem, wenn sie unversehens dasteht, die fürchterliche Verwandtschaft mit Brücke 1 nicht

verleugnen. Heute steht sie groß, aber aufgeräumt, im Sonnenputz. Kaufmann ]J. ernennt sie zur Stadtschönheit: sie macht ihm Lust,

der Stadt zu entkommen. Und siehe da, auf der Brücke liegt schon ein > Kuhdreck. Brücken der Erwachsenen. Beim Einsturz einer Brücke klatscht sehr viel Fahrzeugeisen ins Wasser. Der Verkehr einer Großstadt rinnt unerwartet ins Flußbett aus. Viele Pläne fallen ins Wasser. Besonders eindrucksvoll ist es, wenn Züge, die rauchende Lokomotive voran, eisern ins Wasser hangen. Bunte Stühle 1. Auf bunten Stühlen sitzende Menschen werden

bunt, wie auf Farbrastern gesiebte. Dieses fade braungekleidete, braunhaarige, braunblickende Mädchen wird auf blauem Stuhl das gänzlich blaue Mädchen, das jeder wünscht. Das bläßliche Kind auf

rotem Sessel wird zum Abenteuer eines roten Kindes. Was brauchen wir da noch Grün und Gelb? Aber zu allem Überfluß setzt sich ein grämlicher Pensionist auf gelben Draht, und schon bekommt er ein 39

Bunte Stühle gelbes Schicksal, van Gogh wird es malen, und der leere grüne Ses-

sel beschämt nun endgültig das weniggrüne Gras. Bunte Stühle 2. Wenn Sie Drahtstühle nachschlagen wollen, suchen Sie, bitte, wo anders. Hier ist die Rede von Holzstühlen. Erinnern Sie sich an die Freude des Bunten, aus Ihrem Leben oder Artikeln,

die Sie schon nachgeschlagen haben. Bedenken Sie die Freude, die es dem ersten Menschen bereitete, wenn er sich nicht vor grünen, braunen, khaki oder gelben Stühlen und Bänken sah, sondern vor blauen oder roten. Laubsägefreuden, Märchenbuchfreuden, Buntlebkuchenfreuden wurden wach. Nichtmehr Blumen allein, auch Holzlack durfte bunt sein, Versprechen einer Welt, die immer bunter werden

würde. Und heute im Zeitalter der Poly-Harze und Mini-Kleidchen hat sich dieses Versprechen erfüllt. Bunte Stühle 3. Bunte Drahtstühle, Drahtbänke. Freundliche Welt

auf bunten

Telephondrähten,

aus

denen

sie in den Zentralen

schwarze, rote und blaue Pudel mit weißen, gelben und lila Beiß-

körben und mausen, nilgrünen und orange Schwänzen fertigen. Befreiung der Welt aus dem Zwang der grünen, braunen und wespennestfarbenen Bänke, zunehmende Durchbuntung des Gesichtskreises. Freilich gehn immernoch düsterfarbene Moden reihum, aber unaufhaltsam wird erstmal die Buntwalze der totalen Visualmöglichkeit unsern Planeten überrollen, ehe nach Ausverschwendung der Kohlen und Ole die farbarme Silico-Letztzeit anbricht. Bunte Stühle 4. Bunte Metallsitze. Sitzen auf farbigen Tasten. Wer weiß, was jede bedeutet. Was dein buntsitzendes Gesäß alles für Signale auslöst. Bunte Stühle 5. Jeder Mensch hat eine Lieblingsfarbe. Meine ist: Lindgrün Grellrot Leuchtendblau Milchblau Stiefmütterchenviolett Kunstharzorange Zitroneneisweiß usw. Gehen wir zumindest das Spektrum durch: © Purpur purpurroter Zwetschken (eingesprenkelt violetter Verrat und Wespengelb) © Karmin eines vom jungen Mischhund im Überschwang zerbissenen Marktmädchenlippenstiftes © Zinnober einer zinnoberroten Diplomatentasche aus atomriechendem Gazellenleder 40

Bunte Stühle

® Orangerot einer durch Filter veränderten orangegelben Orange © Orange einer orange Mekerbrennerflammenfärbung und des orange Pullovers eines fürs Farbfernsehen orangegeschminkten Mekerbrennertechnikers © Orangegelb bestimmter Affensteiße © Dottergelb, das sumpfdotterfarbene Kleidchen meiner ersten Freundin, der vierjährigen Tanja, heute meiner profundesten Erinnerung, in der Sumpfwaldlichtung mit der stets kaffeeriechenden Thermosflasche nahe dem Blauen Trichter © Schwefelgelb, wie zündete ich die Lager Kristallschwefels an,

um zu ermitteln, ob ihre Tintung zum Schwefelflammenblau ideal passe ® Gelbgrün, magische Warmkaltfarbe, Welthälftenversöhnung: Erdwasservegetation gegen Energiesonne im durchleuchteten Graswald © Arsengrün, Farbe der pinselleckenden Lebensliebe

© Blausrün mächtiger Textilhüften in Nachtdurchhäusern, mählich verdünstend das Parfum Vert-bleu

all-

© Blau, die Tausende unausliebbaren Blau, Garantie der Planetenbewohnbarkeit, Farbe der Extrovertierten

© Violettblau: > Leuchtendes Blau © Violett: Niemand

will violette Glühbirnen, violette Landes-

farben, violette Tiere. Freudenschock, (trotz Ermischbarkeit der Farbe) Violett im Blech- > Malkasten zu sehen. OrangeViolett-Harmonie in den Buntstifthänden eines Kleinstklassenlehrers. Das Methylviolett unserer Tintenväter wird hier zum

durchsichtigen

Fest.

Ostereier

violettkochen,

violette

Kalkschalen im Überschwang aufessen. Und eine Stichprobe aus den sogenannten Totfarben: ® Grau wie Grisettchen und Mäusetaschenlampen. In all diesen Farben streicht meine Stühle. Bunte Stühle 6. Wollen wir dem Verschönerungsverein mit seinem Farbenfimmel ein Schnippchen schlagen? Ja, sagte der Zwölfjährige: wir fahren Kahn, ersaufen in bunten Farbsprudeln, liegen dann als kreuz und quer verfärbte Wasserleichen an der Uferpromenade, bumm-das-wird-lustig! Bunte Stühle 7. Man fühle sich in die Düsternis alter Hubertusmäntel, Gemälde, alten Reisigs, alter Zollinspektoren, alter Brautschicksale und trete unvermittelt, wie durch eine Düse, in die Bunt-

gegenwart. Hier huldige man dem Entspannungs- und Trinkgenuß, lasse sich zB in die gehmüden Ohren ein buntes Zischgetränk blasen. Zwar ist Cola heute noch braun, aber es wird eines bunten Tages 41

Bunte Stühle

auch grellblau, mohnrot und drachengrün in drei übereinanderschwimmenden Schichten geliefert werden. Bunte Stühle 8. Man sage sich: So rot wie der Mohn, in den ich keine Europameister- und keine Kinderfäuste geballt, sondern nur traurige Belämmertenblicke geworfen habe, weil eine dünngemütige Sylvi nicht die rare Mytilla Mitil war, und wie stark rotblühte er an der weggelegten fahlrostroten Autoachse, und die Zeit würde bis zu meinem Lebensende zuendevergehen; so rot kanns kein Freiberuflicher treffen und so blau wie die genaugemessene Dickschicht Wassers im Hydrographenpraktikum und so blau wie die Barockdeckenzuckerbrühe, so blau wie die Erde, die erst vom Mond aus

schön wird. Und so grün wie das Kupfersalz, das ich in Butter mischte, um mich mit einem farbfrohen Biß in dicken Fettbelag aus der Welt zu schaffen, aber da kam Myra Metelli, und die irrste

Etappe der Menschheitsgeschichte begann, gelb wie die Küken etcetc. Bunte Stühle 9. Zero Zobiak, der Bub, ging im Kurort, wo seine Familie sich krankbadete, er aber keine Schwimmgelegenheit fand, nicht eher heim, als daß er alle Farben der Stühle abgesessen hatte. Eine ungeahnte Affinität verband ihn hierbei, ihm nur als Lackliebe

merklich, mit Myra Metelli. Bunte Stühle 10. Die einzigen Maler der Welt waren die Fauvisten, sagte Caro Coenluir. Und einige Tachisten, sagte sein minderjähriger Adept. Caro gab ihm dafür eine demokratische Ohrfeige, eine solche also, die der Adept, wenn er seinerseits einmal im Recht sein sollte, Caro zurückzahlen durfte. Die Fauvisten haben, ergänzte Caro Coenluir (mild und gar nicht mehr strafend), die ganze Welt in den Farben dieser bunten Stühle zu malen begonnen. Aber sie sind nicht weit gekommen, entgegnete der Adept schüchtern; leider, fügte er eifrig, um eine zweite demokratische Ohrfeige abzuwehren, hinzu. Burg 1. Burgbrunnen. Gurgelnd. Grundlos. Was klafft, mißt man in Klaftern. Man fällt minutenlang schachtabwärts. Rufen Sie UHU hinein. 600 türkische Gefangene haben mit ihren Leibern den Brunn in den Felsen geschlagen. Der Brunn war der Wasserofen, in den die politischen Gegner mundtotgesenkt wurden. Hören Sie, jetzt kommt das UHU zurück. Hier können Sie, meine Damen, noch wirklich zu Grunde gehen. Lebendig, elendig. Die Ketten aus der Folterkammer sind dreißigmal zu kurz, um Sie aus dem

gruftfrischen Wasser zurückzuholen. Die Seilhaspel ist ein leeres Versprechen. Wie manchmal Wasserratten heraufklimmen, ist rätselhaft. Die vorige Reisegesellschaft hatte hier Pech. Eine junge Dame ist 42

Burg

beim Uhuschreien über das feuchte Moos ausgeglitscht und in die Schachtöffnung gefallen. Ihr Begleiter hat sich darauf im Torturensaal eingeschlossen, man weiß nicht, welchen Weg er dort genommen hat. Wer will das schwarze Verlies sehen? Sind Sie gut zu Fuß? Dort soll man noch die Selchschreie hören. Und binden Sie diesen Rußschutz über Ihre Kleidung, zehn Schilling das Stück. Danke. Ob wir wieder heraufkommen,

steht in Gottes

Hand.

Die anderen

Herrschaften, bitte, können einstweilen im Burgkeller einen guten Schluck Weiß- oder Rotwein nehmen. Burg 2. Können wir mit unserem Ford bis zur Folterkammer hinauf? Ich bedaure, das ist nicht möglich. Die Wege könnten auch endlich verbreitert werden. Die Wege wären breit genug. Aber? Die Eiserne Jungfrau oben ist empfindlich, sie verträgt nicht Motorenlärm, ihre Nägel lockern sich. Vielleicht dürfte man ihr eine Kleinigkeit auf neue Nägel widmen? Ja, dann — Na sehn Sie: ein guter Ford macht jeden Ort. Danke verbindlichst, küß die Hände, gnä Frau, gute Fahrt, Herr Doktor, viel Vergnügen. Burg 3. Durch die Schießscharten photographierte man ins Land hinunter. Unten fuhr ein Bauer ein landwirtschaftliches Gerät. Es war gelb, rot oder blau. Die Burg hinten sonnte sich ihren grauen Pelz. Das Gegenwärtige war immer interessanter als das Vergangene, wenn auch beide im Gesamtplan gleich lebendig waren (sind, sein werden). Sehen wir aber klar, sagte > Quenta Quebec, daß das eine Härte zu den Vergangenen bedeutet, also ein Opfer an Güte. Eine Tötung der Toten, variierte ihr Begleiter und kam sich ebenbürtig vor. Burg 4. Vom jenseitigen Ufer grüßt Schloß, die letzte Ruhestätte des im Jahre, etwas weiter erhebt sich auf hohem Felsen eine Ruine mit massigen Mauerquadern; es ist der. Er war einst der Sitz der Grafen von, die nicht nur sondern auch. Dessen großartiger Prachtbau auf mehr als Meter das Landschaftsbild weithin beherrscht, bietet sich nicht nur als dar, sondern bewahrt auch in seinen und seiner viele Schätze. Es ist steingewordene Geschichte. Auf diesem Fels stand das römische und später die des Ungarnfürsten, die vom

erstürmt und zu seiner Residenz erwählt wurde. Hier wohnte der gastliche, der und ihrem Gefolge auf dem Zug in das aus güldenen Bechern den kredenzte. Burg 5. Aufgabe an den reimenden Leser, das nach wie vor gut sichtbare Fräulein am Söller

mit Hilfe eines Böllers vor der Völlerei eines Völlers zu bewahren.

(Der Autor soll dem Leser nicht jede Arbeit wegnehmen.)

43

Burg

Burg 6. Grobe Steine. Rechtspfot und Linkspfot der Turm. (Tausend mal die kleinen Fenster, zum

Schwerstgewichtsport. Mit gekrümmter geformte Trommel, breite Steintrommel, tausend Tonnen. Trumm.) Rohe Löcher: Schieß- und Ersticken groß genug. Der

jähe Steinabfall: mühloser Selbstmord wandabwärts, dabei in Sonnenlicht, Blumen- und Rankengeruc; naturerfüllte Sterbefabrik;

Ritter u. dgl. mußten da stürmen; Alptraum senkrechter Kriegführung; auf klammernde Hände kochheißes Pech; der Sturzschrei.

Oder wenn die Zugbrücke hochschnoll: lauter Reiterstandbilder schwarzhageln runter. Im Scheinwerferstrahl der Festspielillumination. In Ruinenzimmer regnet es herein. Sie tragen noch den Zerstörungsruß. Er wird alljährlich mit einer Pfanne brennenden Naphthalins erneuert. Ein Witzbold hängte in die Kemenate einen unterwegs gefundenen Bettbikini. Aber das Burgfräulein (> Burg 5) rächte sich und ließ den Boden nachgeben. Ruinen sind sehr begehrt; man arbeitet schon an ihrer Massenherstellung. „Caffeehaus“. Das C in deutscher Schrift und ungekonnt verziert. Die zwei F weit auseinander, das E dem H sehr nahe. Beim Eintritt

Glockenkling: Üb immer Treu und Redlichkeit. Spiel nicht Stoß mit Deines Nächsten Hausfrau. Der Marmor ist überall schründig und

an manchen Tischen durch Plastik ersetzt. Sie können einen Kaffee machen, der nicht nur durchs Haus

duftet, sondern

nach Kaffee

auch schmeckt. (Eine Kunst, der J. trotz besten Maschinen und trotz Kakaozusatz nicht nahekommt; siehe auch > Espresso 2.) Die Tischchen werden viel gewaschen, aber der Fetzen riecht nach Altersheim. In den Holzsesselchen kann man sich einzwicken. Die Cafetiere liebt den Außenefeu und beschneidet ihn. Es gibt Fliegen in sieben verschiedenen Größen, außerdem Pferdfliegen und Bremsen. Milch fließt reichlich und böckelt, aber die glattgekämmte Tochter sagt, daß Böcke keine Milch geben. Daß Rührei manchmal unversehens zum Grillhühnchen wird, hält sie hingegen für biologisch möglich, wenn es auch Fernfahrer wütendmacht. Sommergäste haben das Cafe bald durchforscht und finden es von da an trostlos. Selten verirrt sich eine Fahrerbraut hierher: dann hat sie pralle Hosen, Metallgürtel und gelbes Haar; nach ihrem Parfum lüftet man,

damit die Milch wieder böckle. Snobs von Pensionisten leben hier zuende. Für sie hält man sonntags ein Schweizer Blatt. Das Cafe möchte gern auf einem Marmorhügel stehen und Kurgäste haben. Fine Juke-box kommt ihm nicht herein. EinheimischLanghaarige werden zum Friseur verschickt. Kinder aber bekommen Drops und Lutschstäbe. Hinter einer spanischen Wand sitzt die Cafetiere im Neglige und schreibt die Steuererklärung. Chemiewerk. Es steht, eine böse, dicke Fata morgana, plötzlich da,

44

CP

in der gleichförmigen Flußbegleitlandschaft. Es dampft aus erlaubten Ventilen und unerlaubten Fugen: es wird in irgend einer Stunde explodieren, das ganze System hochhäuserhoher Ofen und Töpfe eine Bombe. Einstweilen spielen die Schiffskinder mit den Schüttkegeln glänzendgroben grellgelben Schwefels. Einstweilen glühen gelbrote Glutluken durch Fenster oder raschgeschlossene Hallentüren. Aus einer Halle flackert es blauweiß: sie ist ein einziger Schweißbrenner. Fenster sind mit weißem Pulver beschlagen. Die ganze Luft der Umgebung ist ozonisiert und geätzt. Die Odkräuter in weitem Umkreis sind braun und schmieren. Rohrleitungen — dünne bunte — oder dicke aluglänzende Riesen-Ofenrohre mit Knien und Abzweigern verbinden die eigenbrödlerischen Gebäude. Jedes gebäudet anders. Klötze der verschiedensten Formen und Größen. Lagerbunker, Türme, Werkhallen, mit vielen eingeschlagenen Fensterwaffeln.

Häuser, als Sortierer und Krane in einfachen

Farben entpuppt: dottergelb, blau, orange, pfefferonirot, blau. Saugzüge orkanen. Wärme bläst mächtige Wärmehauben auf: Rippenatmer aus Aluminiumblec.

Freistehend: Kessel, Ofen, Gerüste,

hinfällige Gleichgewichte aus gebogenen Riesenrohren. Monsterspielzeuglandschaft, brodelnd. Wieviel Wärmeeinheiten gibt ein verfeuerter Mensch, wieviel Gramm Spurenelemente gewinnt man durch Veraschung von hundert Frauen im Gebläse? Wieviel Schilling Ersparnis bedeutet der Einsatz von Kinderskalps statt Schimpansenfellen zur Heptacystin-Erzeugung? Es arbeitet ohne Arbeiter. Es ist ein marsiges Urviech. Es geht vorbei, weicht einer Halde, dann wieder gleichförmiger Flußbegleitlandschaft, macht auf Beruhigung, wird unansehnliches Städtchen und allmonatlicher Handelspartner. CP, Computer-Proletariat.

Ich sehe schwere Zeiten voraus, jam-

mert der Ingenieur. Durch die zweite industrielle Revolution, die Vollautomatisierung, werden bald nur noch hochqualifizierte Spezialisten einen Platz an der Sonne haben. Auch der Durchschnitt der heutigen Gymnasiasten wird nicht gescheit genug sein, um zum Zug zu kommen. Es wird eine Führungsschicht geben, in der Höchstbe-

gabung als Norm verlangt wird, und ein breites Computer-Proletariat, ich nenne es CP, in dem auch ein großer Teil des heutigen oberen Managements versinken wird. Glauben Sie mir!: ich hätte selbst Schwierigkeiten, sagen wir, die Volumsberechnung eines Ellipsoids, an sich keine Hexerei, in Algol oder Fortran oder sonst

ein Computerchinesisch umzudenken. Da helfen Ihnen die eleganten Schulformeln nämlich gar nicht. Sie wissen vielleicht, es werden jetzt sehr die Rechentricks primitiver Völker eingesetzt; der Computer ist eine Art Idiot; man muß ihm die Fragen schrecklich pri45

Debitorenbuchhalterin

mitiv stellen. Und jetzt denken Sie, wie hell einer sein muß, um diesem Idioten eine ganze vollautomatische Betriebsleitung anzudressieren oder die Energieverteilung eines ganzen Kontinents. Das CP wird nur noch für die Kanalreinigung etcetera gebraucht werden, glauben Sie mir! Aber auch Kanäle gibt es nicht so viele,

daß man beispielsweise 90% der Wiener hineinstecken kann. Einzige Lösung — Vordruck aus dem Computer —: Herrn und Frau Soundso! Melden Sie sich, bitte, am Soundsovielten um soundsoviel

Uhr bei der Teppenvernichtungsstelle. Vernichtungsgebühr Schilling soundso sowie Personaldokumente und sorgfältig ausgefüllte Totenscheine (erhältlich in jeder Trafık) sind mitzubringen. Die Oberste CP-Raumplanung. Was glauben Sie, was das für böses Blut machen wird! Die Weltrevolution wird nicht von Rußland oder von China kommen, auch nicht von den unterentwickelten

Völkern, die haben doch in ein

paar Jahren die gleichen Zoress wie wir. Nein, ich sehe die Katastrophe im CP. Ich habe mit ein paar Freunden eine Schätzung aufgezogen: wir rechnen, in groben Zahlen, drei Viertel der Welt werden vernichtet werden. Fragt sich, wer siegt: die Masse, die dann praktisch die ganze Zivilisation zerstören wird und auf Steinzeitniveau wieder anfangen muß, oder — die hochorganisierte Intelligenzdiktatur. Fines steht jedenfalls fest: Vae victis! Debitorenbuchhalterin. Sie sitzt an dem wasserdurchlüfteten Büronachmittag im Büro, der Chef hat ihr erlaubt, eine gelinde Umstel-

lung des Raumes vorzunehmen. Sie liegt an der Sonne Oberitaliens, zwei Papagallı küssen ihre Augendeckel, es leuchten ihre Aktendeckel, nicht grün, weiß, rot, sondern nil, elfen, blaukraut, sie liebt

fingernd die Hängekartei und das erfolgreiche Mahnen. Ihr Lieblingslied ist: Ich bin Debitorenbuchhalterin, schnack, schnack, Debitorenbuchhalterin in der kaiserlich welschen Armee. Zuhause hängen, wie in Eliot’s Waste Land III., ihre trocknenden Unterwäschlein im sinkenden Sonnenlicht, das hat ein autoritärer

Anglistikstudent ihr aufgetragen. Ihr Handelsenglisch ist gut, aber in der Debitorenbuchhaltung nicht zu gebrauchen, denn die Kunden schulden deutschsprachig. Sie hat die Kontenauszüge bis Fe— schon gemacht, morgen hofft sie von Fi— bis Hou— zu kommen. Sie liebt irgendwie ihre Arbeit, irgendwie das Leben, irgendwie die Männer. Meinungsbefrager über die Grenzen dieser Genauigkeit weist sie geläufig ab. 46

Deck

Deck 1. Vorderdeck. Die kühle Brise. In dieser Morgenstunde alles

im Schatten. Dankbar die bewußtlebenden Menschen, dafür, daß es an Sonnentagen Schatten gibt; im System der perfekten Bratpfanne, die aus diesem Schiff heut noch werden würde, nichtfunktionierende Stellen, Zufluchten; wenn die Sonne mit jedem Strahl die Haut schon abschürfen würde, immer noch kühle, brisige, wasserstaub-

sprühende Stellen. Dankbar aber nahmen auch die Kamele im Palmschatten Platz: Ausflügler mit Rucksack, Trampeltiere sogar mit zwei; schlugen sich sogleich um beste Plätze und Klappstühle. Klappstühle verloren gern die Feder und sackten mit den schweren Lasten zusammen: den muffigen Popos der Pensionistinnen in drei DirndIn übereinander, den mürrischen Hinterteilen der Männer, die im Moment des

Eintritts in den Ruhestand noch rasch in den höheren Dienstrang aufgerückt waren. Solche trugen Salonlederhosen, Stutzen, Bergschuhe, als müßten sie um die Brathühner, die am Ende warteten,

erst in einsame Granitwände steigen. Unentwegte Mästerinnen mit sehr mütterlichen Gesichtern, mehreren Kinnen übereinander, wikkelten gleich Lebensmittel aus, Rohstoffe und Fertigwaren, und begannen sie, unter Rede und Gegenrede, den Männern in die Rachen zu schieben. Sie sagten zu ihnen Papschi, und die sagten zu ihnen Mamschi, jede Mamschi also war ihre eigene Großmutter, und das

schon 30 Ehejahre lang. J. war versucht, dem landeskundlichen > Befund rechtzugeben: diese Stadt ist keine Stadt der Liebe; auf die kurzen Späße von Wollen und Bekommen folgt unheimlich früh die lebenslange Sulz; Moorochsen, Kuh neben sich, der Sumpf spritzt ihnen bis an die Keulen, sie schlenkern ein wenig mit den Schweifen, Idyll, die benachbarten Keulen, im Abendsonnenschein von hinten gesehen, sie berühren einander nur aus Unaufmerksamkeit; dann und wann ein dumpfes Muuuh; und die Ausnahmen leben vom Wehtun; eine Stadt, wie geschaffen zum Alleinbleiben. Die Mäd-

chen der Walachei hingegen, hieß es neulich im Radio, sind durchwegs Liebesgöttinnen. Wie sieht es auf dortigen Vorderdecks aus? Ich muß einmal irgendein Sulfat und mich dorthin exportieren; bevor ich zu alt bin. Diese Gedanken liegen auf der Folie des reizvollen weißen Tuns am Ufer (> Stationsgebäude, wasserseitig). Die Gedanken verändern das Stationsgebäude im Sinn einer Überbelichtung; das Objekt wird ein helles, grelles Farbdiapositiv ewigen Sommers werden. Weil die Abfahrtzeit

nah war,

suchte sich J. sein Wo, einen

schattigen Tischplatz am offenen Fenster, stark wasserhaltig (man überfliege zur Einnässung > Wasser oder > Einmarsch ins Schiff), im gedeckten > Mittelteil zwischen Vorder- und Hinterdeck. 47

Deck

Deck 2. Hinterdeck. Noch überwiegt die Wasserfrische, aber schon stichts auch von oben und beglückt unsere Bikinimädchen mit der Gewißheit, heute schrecklich > braun zu werden; gar nicht mehr als Mensch erkennbar, nein, schon wie ein Umkehrphoto; Braun-

schwarz schwärzester >

Zigarren; anfängliches >

Schweinchen-

rosig nur dort, wo für den Boyfriend der Bikini fällt; aber weiß-

gesilbertes Haar und zinkoxydweißer Mund (hartnäckig gegen alle Modewandel seit 1960 verteidigt, denn Weiß ist immer noch das Aufregendste zu schwarzem Teint; die ersten kleinen Kopenhagnerinnen, die die weißen Lippen erfanden, drückten sich einfach Zahnpaste auf den Mund). Dankbar schmiegen sich die bewußtgenießenden in die Liegestühle, ölnaß auf die erfolgbringende Marter wartend, die acht Stunden hautverändernder Schmore. Eine trinkt Juice aus einem künstlichen Zitronenball, „solangs kalt ist“, kommentiert sie. Sie hat grobe Füße entblößt, könnte Mittelstürmer sein, nur wäre des-

sen Nagel nicht verschrumpelt und schriee nicht dieses > junge Zyklam, das wie ein Zuckerl in den Mund gesteckt werden will. Eine Ähnliche malt sich mit solchem Zyklam langsam die Ziffern 007 im Halbkreis um den bloßen Nabel; sie behauptet zu einem

schwitzenden neugierigen Senior, daß diese Ziffern dann auf der dunklen Haut weißbleiben; Sie werden lachen, ich habe mir jeden Bondfilm angesehen, sagt der Senior; dann ruft seine Frau, sie wäre

schon weit voraus. Mir aber, denkt J., ist es schon jetzt hier zu heiß. Er hat ein feines Seidenhemd an, fürs > Exporteur-Treffen, mit schweren gedrehten goldenen Manschettenknöpfen. Im Schwimmbad läßt es sich nicht vermeiden, das Hemd abzulegen, auf einem Verkehrsmittel aber scheut er sich davor; seine Brust ist zwar braun, doch fast

haarlos; und seit er gelesen hat, daß achtzig Prozent der Frauen starkbehaarte Männer vorziehen und weitere acht Prozent noch mittelmäßig behaarte, ja, daß in den USA Perückenmacher neuer-

dings Zweitfrisuren für die männliche Brust herstellen, die reißend Absatz finden, leidet er — fast wie ein schlechtdimensioniertes Mäd-

chen — an einem Brustminderwertigkeitskomplex. J.s Optik wildschweint zum einstweiligen Abschied unterschiedlos über das wenig unterschiedene Fleisch der Einzelnen, unterscheidet viel eher mitten durch das Gemädchen Hügel von Mulden, Sonnenöl von Schweißtröpfchen auf den sorgfältig blankgeätzten Pölsterchen unterm Arm. Er bettet diesen Kannibalenmarkt dann in das reizvolle weiße Tun am Ufer ein (> Stationsgebäude, wasserseitig). Er spielt sentimental: Der muntere Sex verkleinert sich im Weit48

Dicke Leute

winkelobjektiv, danebentreten Exporteurkäfig, Sinnforschungszentrum und Altkaufmannsverwertung, die ernsteren Sehenswürdigkeiten seiner Inside-Stadt. Die Abfahrtzeit ist nahe, darum

sucht sich J. sein Wo, einen

schattigen Tischplatz am offenen Fenster, stark wasserhaltig (man überfliege zur Einnässung > Wasser oder > Einmarsch ins Schiff), im gedeckten > Mittelteil zwischen Hinter- und Vorderdeck. Deformation. Während der Sadomasochismus It. Freud vom Todestrieb, It. Adler von der polarisierten Ich-Umwelt-Beziehung her-

rührt, gibt es einen Eingriffstrieb gegenüber eigenem wie fremdem Körper, der freundlicher Beziehung zu danken ist. Diesem Eingriffstrieb folgten die Inder, als sie kunstvolle Muster in die Frauenhaut bissen, die Urmenschen, als sie sich erstmals Zierwunden beibrachten, ihm folgen die Mädchen, die sich von schönem Blond auf

schönes Rot umfärben und wieder zurück, und ihm folgen die College-Boys, die ihre College-Girls mit Schlamm zuschmieren. Den Variationslüsternen zuliebe baut sich der Bodybuilder Pakete ein, bis er keinem Menschen mehr gleichschaut, und für jenes unselige Starlet begann der Kundendienst damit, sich zu einem anderen Lebewesen namens Monroe emporzuoperieren.

Das Behandeln des Körpers macht ihn erst sichtbar und fühlbar. Unter vermeintlichen Sadisten wird es manche geben, die das Schöne von feiner Frauenhaut erst apperzipieren, wenn sie eingeschnitten ist und frisches Blut über sie läuft. Dem Araber (> Mastmädchen) wird es lang nicht so viel Spaß machen, wenn er auf den Heirats-

markt geht und sich ein Tonnenweib heimbringt, als wenn er ein zierliches Mädchen erwirbt und ihr nun zweistündlich dicke Breie in den Mund kleckst, so daß sie in kurzen Wochen zur Monsterbraut

aufquillt. Und auch diesem Mädchen wird jedes Schlingen und jedes Selbstbefühlen lustvoll sein, und wenn

der schenkelweite Armreif

ihr endlich paßt, wird sie ihren Körper — das selbstgebastelte Paarbett — geradezu narzißtisch lieben. Dicke Leute. Ein zeitungbeliefernder Diagonalleser meiner Erzählungen stellte irrtümlich fest, bei mir fänden sich nur zweierlei

Frauen: ätherisch-schwesterliche Mädchen und gefräßig-dumme Fettweiber. Dieser Kritiker wird jetzt platzen: von dem Fett, das ich diesmal in mein Buch investiere. Barbara ist dick, die Serviere-

rin dick, eine Menge Fahrgäste dick, und sogar der absichtlichen Frauenmast ist ein Artikel gewidmet. Liegt es am sozialistischen Realismus, der mich zwingt, unser Prosperitätsfett uneingemiedert nachzubilden? Liegt es an der eigenen Figur, für deren Überhandnehmen der Autor ängstlich Parallelen rundherum sucht? Liegt es an einer unbewältigten Nichtzubewältigenden? Hat der Autor für 49

Dicke Leute

sich die Niederländer entdeckt? Will er aszetisch die Welt geißeln, Striemen ziehen über das Bauchfleisch — den Sitz der Völl- und Hurerey Babels? Ich lasse das Antworten sein. Wenn ich auch sage: „ich habe bloß

das, was grad dawar, gezeichnet‘ — ob es stimmt, wissen ja doch nur die Diagonalleser. Aber eine Unterstellung muß ich schon aus Selbsthöflichkeit abwehren: daß ich dicke oder gefräßige Leute für dumm oder unliebenswürdig halte. Gewiß studiert ein voller Bauch nicht immer gern, gewiß greift eine körperliche Schwerfälligkeit und Bequemlichkeit gelegentlich aufs Denken über, gewiß verbindet sich in Barbara philiströse Mittelmäßigkeit unlösbar mit einem typischen, erotisch gar nicht so erfolglosen Habitus, gewiß beobachtete jene Journalistin richtig, die ein gehäuftes Auftreten von Rund in den Siedlungen und Vergnügungsstätten des neuen Kleinmittelstandes (sie sagte „proles“; Marx, verzeih ihr!) vermerkte; gewiß investiert dieser Stand einen höheren Prozentsatz vom Einkommen

in Nahrung, vor allem im

Viel an Nahrung; und einen geringeren in musealem Prestige; gewiß gibt es unter Vornehmerzogenen eine ästhetische Tradition der Zerbrechlichkeit; aber steht ein sozialer Status, ein museales Pre-

stige für klug und liebenswert?; gewiß hindern allein schon die obligatorischen nervösen Magengeschwüre den Musterintellektuellen am Fressen; gewiß kann das Grauen edle Schlünde zum Grausen bringen und ihre Besitzer melancholisch schlankhalten; aber: es kann laut Rilke auch zur Flucht in den Napf führen: „Dann aß er. Wie ein Knecht zu Mittag ißt.“ Und jetzt käme die Liste der freßvitalen und der fettleibigen Geisteshelden; die aus oder ohne Grauen, mun-

ter oder tragisch, viel oder teuer, fest oder flüssig geschlemmt haben, die Mast- oder Drüsenverblähten, die Dichter, Herrscherinnen, Denker, Wissenschaftlerinnen, aber auch all die unberühmt klugen und liebenswerten Damen und Herren des Speckadels, die unserem

Alltag ihr optisch-geistiges Gewicht einzudrücken versuchen. Daß ich die erotischen Möglichkeiten des Üppigen mit aller Sorgfalt würdigte, das Fleisch nicht mit der Geißel streichelte, ist wohl überhaupt sichtbar; außer vielleicht für jene, die von Freundschaft

und Sorgfalt ästhetische Verklärung verlangen; die selbst ihren Pudel noch desodorieren; ich hab ihn hundelnd lieber. Zuletzt: wenn ich > Fetischist bin, so: ein universaler.

Also

braucht Ihr Magersten unter meinen Leserinnen nicht entmutigt zu sein oder zum Mehlmilchbrei (> Mastmädchen) überzugehen; ihr habt um kein Dekagramm weniger Chancen, von mir ins Herz geschlossen zu werden, wenn Ihr nur sonst süß seid.

50

Die mit der Tulpe Die Heterogene. Ihr Körper ist schlank, selbst die Oberschenkel, die in der Eröffnungsgeste das Eröffnete verdecken, wodurch das Journal höchstens in Osterreich beschlagnahmbar wird, verzichten auf animalisierende Mächtigkeit. Die Brüste fallen nicht ins Gewicht. Das Gesicht aber staut die Kernung eines übernährten Frauenkörpers, ist also Fettfetischisten Trost und Zentrum, mischt

den geekelten, mühsamen, quetschenden Ausdruck der Schmalzbehinderten mit der Frechheit, dem Stechblick, der Tropflippenträgheit billiger Straßenmädchen. Eine Nachahmung des Betts Ludwig des Soundsovielten macht die Frau, die eben irgendwie beschaffen ist, irgendwie beschaffen muß sie ja sein, zu einem vollwertigen Ding des Herrenjournals. Die mit den Schlafaugen. Wie sehr, sagt Alphard Mutz rückerinnernd, hätten wir (ich, der kleine Zero Zobiak und der mittelgroße Encore Edibelbek) unsere Schlafpuppen, mit denen wir, ehe man uns an den Koala-Bären gewöhnte, schliefen, geliebt, wenn sie wie

diese Kitty Durban die ganzen Lider, von den Wimpern bis zu den Brauenbögen hinauf, mit diesem Nachtschwarz ausgefüllt getragen hätten. Wir hätten gesagt: Wenn eine Tag und Nacht nur mit Männern liegt und die Haut ihrer Lider allmählich ganz durchscheinend wird und Schicht für Schicht die gestockte Enttäuschung blau, violett, grau-schwarz sich ablagert, nie wird sie diese Summe verrotteter Verheißung anhäufen, die der Chefkosmetiker McLoy mit einem einzigen unerregten Pinselschwang vom BLaAck-Tiegel auf die Mädchenhaut transportiert. Er kriegt gezahlt, und fünftausend Leser erkennen sich in französischen Duft und chinesische Seide gewickelt. Fünftausend Kitty Durbans seufzen kaum hörbar ihre entzückte Ergebung ins Leserbett, und ihre schwarzen Lider warten, blankgeküßt zu werden. (Schwarz ist die Farbe von Metall, von Schwere; ist darum für

die Herstellung von Illusionen der Trägheit, des folgenschweren Entschlusses, des Hypnotisiertseins etc optimal geeignet; mittelalterliche Damen zerstörten mit Antisyphilisquecksilber das Weiß ihrer Zähne, und symptomatisch schnell wurde eine Gesundenmode daraus. Wenn McLoy Kitty Schwarz aufhäuft, legt er ihr Totenmünzen auf die Augen; dabei ist Dornröschen ja nur tiefkühltot.) Die mit der Tulpe. Sollte wirklich alles schon dagewesen sein? Der haarkünstlerische Vorgang, den Chemiekaufmann J. als Halbwüchsiger mit viel Staunen in einer Wochenschau gesehen hatte, spielte sich nun, nach einer Generation, wieder ab. Das Modell Mathilda,

töchterlich ähnlich dem damaligen Modell, bekam vom Starfriseur nach Dachgleiche des Kunstwerks eine frische Tulpe ins Haar gesteckt, und nun wurde das ganze mit einem schwarzen Lack zur 51

Diensthäuschen

Einheit gepinselt. Wie damals kam J. flüchtig die Lust, das überzüchtete, doch irgendwie anmutige Architektürchen durch eine elementare Bettkatastrophe zu zerstören. Was sonst als der entropische Trieb, höhere Ordnungen zum Chaos zurückzubauen, sollte durch

solche Eintagskunstwerke wie Haarbauten oder domnachbildende Torten angesprochen werden? Unbezahlbarer Moment: quer durchs Mittelschiff sägt das Tortenmesser, der Zuckerguß splittert, die ersten Brösel fallen aufs Tablett. Diensthäuschen 1. Inventartafel unter Glas: ..kgRuß . . Blumen .. exakte Zäune

... Drahtgitter gg. Bahn .1. Selbstmörderfangkorb . Signalstangen nr Matrone

Hero nm: Karl Schappleitner ..... FDREASFINET IA TINTERR zur getreuen Verwahrung und Tnstandheliuhe übergeben. Für ee Direktion: Mampel m.p., Kappl m.p. Die unausgefüllten Positionen des Inventariums und vor allem der leergelassene Dienstrang kränken den ordnungsliebenden Häuschenisten, und er schreibt in seiner Freizeit immer

an einer auf-

rüttelnden Eingabe in o. a. Sache an die der hierortigen Dienststelle übergeordnete dortamtliche diesbezügliche Unterhauptabteilungsleitung z. H. d. Herrn Vizesekretär Agid Moppl. Diensthäuschen 2. Etwas Gemüse, Dillidyll, die großen gelb-grünen Dolden, Dolden am Drahtgitter gegen die Bahn, Dienstdrahtdolden, in Fenstern aber und am Hausfuß die vorgeschriebenen bunten Blumen, die It. Diensterlaß dralle Diensthausmannsfrau, aus der Gießkanne rieselnd, Dilldienstkost und Blumenkohl ko-

chend, an geeigneten Tagen auch Kriechgurken einlegend, die kleinen gelb-grünen Gurken in so große grün-weiße Gurkengläser, und nie steht im Widerspruch zu Dill-, Draht- und Blumendienst ein in die Sonne schauendes Kleinkind, im Gras sitzend, Grassaft pressend,

Gras schuhharkend und mit dicken Beinen Gras dreschend. Diensthäuschen 3. Zunächst > Diensthäuschen 1 und — Diensthäuschen 2. Dann Korrektiv: „Nicht hierin enthalten die Lebens-

enttäuschung des männlichen Insassen, die Anfangsfreude an seiner Bestallung und seiner Frau, die frühe Resignation der Frau über Ort, Ruß und Mann, die Paradiesperspektive des Gärtchens für einen Jungurlauber, der sein Unglück in der Stadtkarstwand hängengelassen hat, die Höllenperspektive des selbstgenügsamen Häuschens für eine Jungangestellte (die noch hoch- und weitwill, am 52

Edelnaschwerk

Amazonas nacktschenklig mit dem Suomı-Woons- Junior frische Piranhas grillen); der Blick vom Häuschen zum Wassernixwasser, der erstaunte Blick des Wassernixes auf Quader- und KratzlandIdyll im Drahtgehege. Wo haben Sie Ihre Hühnchen, wo Ihre Ka-

ninchen? Woraus besteht Ihre Bibliothek? Was hat Ihre dralle Frau für Liebesträume? Wo beziehen Sie Ihr Heroin? Frau dralle Frau, wird Ihr Gatte vor der Pensionierung sterben, und werden Sie da gerade die Akklimatisation eines Rhododendrons versuchen? (Sie verstehen, rot-grüne Pflanzenrhomben werden durch Ihr Gitter in den Lampenkarussell-Lärm des nahen Volksfestes schneiden; und das Türwehen bringt erratische Luft aus dem gänzlich andern und jungen Ort, aus dem Sie zur Zeit marsroter Hoffnungen kamen.)“ Die Rote im roten Trikot mit rotem Popo. Man mag sie, weil sie den Kopf ertappend nach dem Beschauer wendet; doch tut sie dies nicht abstrafend, sondern wissend um menschliche Wünsche, freundlich, sogar einladend; wenn auch nicht schon herausfordernd. Das Trikothöschen ist extrem kurz und schnürt die Schinken ein (auch

am Rollschinken erhöht die Schnürung ja den Appetit). Die Breite, die dadurch betont wird (durch die Photoperspektive ein zweites und durch das lebendige Rot des Trikots ein drittes Mal, während von der Weiße des Fleisches als viertem Mittel zugunsten animierender Rotbräune Abstand genommen wurde), verheißt, daß es nötig sei, sich mit dieser Prachtfrau sehr kräftig zu beschäftigen; optische Täuschung durch Zentimeter, deren jeder zusätzliche groß von „Bewältigung“ daherredet, so wie man glaubt, daß eine Jause mit einem Professor das Gehirn besonders anstrengen wird. Dynamit-Attentäter. Dynamit-Attentäter sind typische DynamitAttentäter.

Sie schlendern

in eine Kaschemme,

blinzeln sich beim

Eintritt zu, kauen an einem Zünder, hüsteln anzüglich, begrüßen sich — wenn nur die Kellnerin zuhört — mit Spreng Heil!, drükken sich nur in Kilogramm TNT aus, zeigen einander ihre Sprengwunden und polizeilichen Brandnarben, teilen die Landschaft in Planquadrate, brummen unhörbar „Du nimmst dir C 5 — ich geh auf D 4“, schwärzen sich das Gesicht mit Korkruß, die weißen

Zähne blitzen nur so, sie lesen in Zeitungen am liebsten die Anschlagsmeldungen, haben alle Chemie studiert, telephonieren in Nachtklosetten, sagen von einem schönen Mädchen „Das ist eine brisante Katz!“, schleichen in Steinbrüchen hinter die Sprengfahne

und stopfen sich die Taschen mit plastischem Sprengstoff voll, detonieren gelegentlich, wenn sie im Rausch hinfallen, wünschen sich, die

Politik möge nie aufhören, und der liebe Gott hat immer noch ein Einsehen gehabt und sie hört tatsächlich nicht auf. Edelnaschwerk 1. ZB die berühmten H*,*-Bonbons: grünes Marzi53

Edelnaschwerk

pan — grün!, die traditionelle Giftfarbe, Kupfer, Arsen, immer an lockend falschem Platz für die Färbung von Lebensmitteln (selbst wenn man weiß, es ist heute ein zahmer Teerfarbstoff, der bloß Leberkrebs hervorruft); eine Ausnahme: jemandes Großvater erzählte, die Sächelchen

würden

mit Spinatwasser

gekocht;

pfui!

(> Spinat); auch von > Brausepulvern naschte ich grünes am alierliebsten, so wie mich die grünen Krampusse am meisten höllischstimmten. Edelnaschwerk 2. ZB Krachbonbons. Auf dem Cellophansäckchen steht „Besonders gut im Theater. Mmmmm!“.

der Hauptrolle, krach!, mmmmm!

Romeo, Heesters in

Zerging in Dunst das heilge

Römsche Reich, krach!, mmmmm! Das Schwein am schreien wie das Schwein am Spieß, krach!, mmmmm!

Spieß wird

Edelnaschwerk 3. ZB (für solche, die es eilig haben, zur Hauptlinie zurückzukehren; denn es ist nicht jedermanns Lust, die verzögernde Wirkung des Details zu genießen, so wenig das von der Hauptsache unterschieden sein mag; in ein Tor einzutreten, nur um

in eine Tür einzutreten, durch die man ein Fenster sieht, das gegen ein Vis-A-vis-Tor mit einem Durchblick auf ein geöffnetes Fenster geöffnet ist, durch das man einen Dampfer sieht, der einen Chemiekaufmann nach Druden tragen soll) Grillage. Edelnaschwerk 4. ZB grünes Waldmeister-Eis, in weißen Jasmin-

honig eingegossen (in Kühlhaltepackung vertrieben). (Zu „grün“: > Edelnaschwerk 1.) Mit Jasmin ein Lebensmittel zu parfumieren, ist ein leicht perverses Beginnen, das aber bei Halbwüchsigen viel Anklang findet: sie kommen sich beim Lutschen anrüchig, mondän,

intellektuell vor, namentlich seit eine Firma für intime Hygiene die Geruchlosigkeit ihrer Erzeugnisse gegen Jasmindüfte eingetauscht hat; Jasmin ist — natürlich — schwül, zugleich aber, was nicht jeder weiß, kühl wie Leinen, vielleicht auch nur durch die

Tatsache, daß er oft im erkaltenden Abend gerochen wird und glatte weiße Blütenblätter hat. „Weißer Honig“ ist genauso pervers, wie jede Bienengewerkschaft einhellig-empört feststellen wird, und Waldkräuter für Eis zu versaften, schließlich ebenso; es ist, als

führte man ein Reh an der Leine. Edelnaschwerk 5. ZB gefüllte Bierkrüge aus Zuckerguß und Gelee. Der Reiz des Unerwarteten, wenn offensichtliches Pils im Moment

des Zungenkontaktes in Orangenkonfekt umschlägt. (So wie Wachtelschenkel beim Gelage jenes römischen Senators erst Mund zu dem Fisch wurden, aus dem sie modelliert waren.) Auch die Freude, das stets gefürchtete Glas einmal mit Butz Stingel aufessen zu können. Von dem Vergnügen des strenggehaltenen Dreijährigen, wie 54

die im

und die

Einmarsch ins Schiff

Erwachsenen Bier trinken zu dürfen, ganz abgesehen. (Ich selbst durfte schon als kleines Kind Bier trinken, ja, bekam noch vor der

ersten Muttermilch Champagner, was nach Ansicht von Tiefenforschern zum Engramm einer manischen Überhöhung des Saugerlebnisses führen mußte.) Eichhörnchen. Auch Autoren, Komponisten und Verhaltensforscherinnen halten sich Eichhörnchen. Diese gleichungsknackenden Zähne! Diese

rostbuschigen

Schwänze!

Geschwindigkeit,

Geklettre,

Ge-

schmiege. Das Zimmer ein Wald, nichts unbeschädigt. Beim Milchkauf stets zuerst ans Eichtier denken, es eicht uns gründlich, das Hörnchen, ehe es uns zum Freund ernennt. Wozu hält man es? Verhaltensforscherinnen — gut. Aber Komponisten und Autoren? (> Motive für den Erwerb eines Eichhörnchens.) Einmarsch ins Schiff. Über schwankende Planken (die Konstruktion aus Pfahlbauernzeit wird absichtlich nicht erneuert, denn nichts gibt innigeren Kontakt zum ersäufenden Wasser als morsches, mit

wenig Eisen gestütztes, schwingendes Holz; dies seemännische Fluidum will kein Wasserausflügler missen) hochhin über zwölf, dreizehn Flußrand-Fische (Meister im Geschicklichkeitsschwimmen, allen Angeln, Netzen und Reusen der Hunderte Stromkilometer, den fischenden Schadensbeamten, Fischkahnbesitzern, den Bärtigen, Strolchen, > verwahrlosten Fischerinnen, entronnen; noch nicht in Butter gebacken, bleu, paniert,

grilliert, an einem alten Schürhaken im Teufelsfeuer gedreht, der Nachtgefährtin serviert, dem alten Raunzer übern Schädel geschlagen, im Gestrüpp vom Sträfling roh mit Haut und Schwanz gefressen; silberschillernd vorbeigleitend oder silber plus blau, wie die Lidschminke der Cleopatra von Gänserndorf; oder olivgelb und

braun wie Schlammwasser von Pumpenexpeditionen; und ab und zu etwas ganz Räuberisches Schlankes Schwarzes, ein Stehmesser des Flußreiches,

schwimmer-amputierend,

tauchertödlich,

wie

vor

15.000 Jahren) vorbei am Kartenzwicker, am Kettenrassler, am Scheuerbuben in loser Gemeinschaft mit anderen Plankentramplern ’rein ins Trojanische Pferd. Und schon: Reiseführer? Ansichtskarten? Warme Küche ab 11#. Cola und das neue Cıss (endlich mit „gebremster Süße“) aus dem roten Automaten, mit Starletbild als Draufgabe (auf roten flachen

Plastikknopf gepreßt, zum Annähen ans Ohr oder an die Hosentür).

Treppauf, wie durch eine Großmütterkredenz, durch einen gedeckten Gang mit Glasblick auf die SchulmodellMaschinen — noch still —, jeder Teil versilberlackt, sogar die der55

Eiske ben teerschwarzen Kabel, — betrieben gewiß mit reinem Olivenöl, von Maschinisten in blühweißen Spitalmäntelchen,

endlich ins Freie: an > Deck. Eiske. Die spätnachmittäglichen Rückwände der Getreidefelder sind mattbraun, nur die bestrahlten Vorderfronten sind sonnengelb. Sie

entschuldigt sich mittag beim Ausschütten einer Speise fachfremd. Morgens hoffnungsvolle Ankunft des 25jährigen J. mit der Bahn, blumiges > Diensthäuschen an der Bahn, einige Signale zum Lacktrocknen ausgelegt. Einmal, sagt er voraus, werde ich Grottenolm von einem Schiff aus sehen. Eiske schaut mittags auf die Schiffe, denn Werkstudentinnen in Flußgasthäusern zählen immer die Schiffe. J. rückenschwimmt

im hohen Vormittag, hat lange schon

kein Mädchen angespritzt. Die Katze Flux kriegt nachmittag Johannisbeerwein, sie ist Eiskes Liebling. J.s Tanten separieren sich für einen Burgspaziergang, J. hält Eiske am Rock fest. Folterwerkzeuge gibts dort oben, sagt Tante Olga zu Tante Jane, hast du dich gut unterhalten? O ja, ein sehr nettes Fräulein, antwortet um 16.00

Uhr die spätverlobte Apothekerin vom Nachbartisch. Ein Motorboot muß den Kurs ändern, darf nicht unter die Schwimmenden.

Eiske hat eine fast pockennarbige Gesichtshaut, ist aber merkwürdig sauber, und die Entstellung stört niemand. Der Restaurantgarten ist langrechteckig; ich werde alle Blumen aus den Kistchen brechen und dich damit zuschütten, sagt J. zu Eiske. Auch Segelflieger gibt es oben, Playboys, maskiert mit Aufwind, Turbulenz und Temperaturgradienten. Tu nichts Unüberlegtes, sagt Eiske, nach Margaret Mead ist Frigidität keine unnatürliche Möglichkeit der Frau; aber sie schmilzt ihn um 16.30 Uhr in sich, im unbenutzten Zuberraum der Waschküche; hat einen wundervollen Geruch. Nein, ich habe sie

nicht beachtet, sagt Olga, und Jane stimmt ihr zu; ich kann dir nicht bestätigen, daß Eiske ein reizendes Mädchen ist. Sie studiert in Österreich Soziologie, sagt J.; alle studieren hier Soziologie. Um 19.30 Uhr geht J. mit der natürlichen Abstraktplastik einer weitausspreizenden Distel durch Stadtstraßen. Es ist immer noch sehr heiß. Ich werde heute oder nie die eigentliche Frau finden, sagt ]J. um 6.30 Uhr desselben Tages. Wir werden einander fortwährend schreiben und auch oft besuchen, sagt Eiske um 16.40 Uhr. Die Vorderwände der Getreidefelder werfen das Sonnenlicht zurück, die Rückwände aber sind mattbraun: Spätnachmittag nach Eiske, ohne Eiske, ohne Hoffnung auf Eiske. Eissalon. Große Ventilatoren verhindern, daß zuviele Fliegen ins Eis fallen. Vor ein paar Sommern hatten sämtliche Mädchen, die die

hohen Hocker ritten, buntmetallene Fingernägel. Die Abfallkörbe, auf denen BITTE! steht, sind fast leer, dafür sind die Gäßchen voll 56

Eklektizismus

Eisglitsch und Pappknüll. Vorigen Sommer verkauften Schülerinnen einander hier Pillen. Liebende stecken zwei Trinkhalme in was Sauteures und saugen gemeinsam. Die bunten Platten müssen erneuert werden. Ein Treibriemen wird spätestens nächsten Sommer jemand ums Ohr fliegen. Grünes Eis (> Edelnaschwerk 4) ist jetzt sehr beliebt. Echte Sirupe stehen als Rohmaterial zur Schau. Ein Tankstellenmädchen greift in die Overalltasche und drückt sich Senf ins Eis. Abends gibt es rote Beleuchtung auf den nassen Boden und noch mehr Fliegen; das Eindringen der bunten Kaulguäppchen erfolgt: Waffeltüten und Knusperröllchen brechen in ihren Zähnen. Auf Eis wird man noch mehr durstig. Der Mann mit der Kochmütze, der jede Weile in den tiefen Gefriertopf greift, hat schon ganz weiße Unterarme. Er knallt den plumpen Deckel wieder

drauf. Verdirb dir nicht den Magen. Draußen prügeln Leute Ziegen heim. Der Wallner-Michel zeigt Stutzi selbstgeknipste Pornos. Nächstes Jahr wird die Schwiegertochter eine fahlleuchtende Musicbox einstellen. Marmortischchen waren halt ganz was anders. Übernächsten Sonntag ist Kirtag. Tanzen, Affen schießen, > leuchtendblaue Tücher kaufen und nachts vor den gesperrten Buden stehen, das ersetzt den besten Kalender. Beim Bundesheer kannst dich tätowieren lassen, sagt ein Anwärter. Sei nicht so teppert, sagt ein wissender Dritter. Die Kühlflüssigkeit rotiert im geschlossenen System. Für das Streicheln ihres rostroten Haarteils trenzt Linda Michi einen Bananeneiskuß. Die Tür ist offen, damit Fliegen reinkönnen. Die Schlapfen, Stöckelschuhe und Hügeltreter sind voll weißem Staub. Selten löst ein Hockermädchen hier geometrische Aufgaben. Die Lausbuben tragen sämtlich Eigennamen. Der Eissalonbesitzer liebt die Verlagerung der Tropen in sein Städtchen. Eklektizismus. Solange niemand beanstandet, daß Ralph Waldo Emerson, Karl Kraus oder Arthur Rimbaud jeweils ihre Nasen, Augenfarben, Grundsprachen mit Tausenden anderen geteilt haben, also die häufig vorkommende Nase A, die noch häufiger vorkommende Irisnuance B und den immer noch häufig genug vorkommenden Cliquenjargon C verwendet haben, um ihre dann doch Einzigartigkeit in die Welt einzuzeichnen, solange nicht Kritiker das Alphabet nach einmaligem Gebrauch wegschmeißen, so lange beanstande ich an keinem Schriftsteller die Verwendung der Sprachund Baumöglichkeiten anderer. So lange bitte ich aber auch, mich mit dem Vorwurf des Plagiats zu verschonen, wenn ich kurze Sätze

wie Klabund, lange wie Gütersloh, traurige wie Storm, lustige wie Arno Schmidt, Konglomerate wie die Expressionisten, Ellipsen wie George, Farben wie die Fauves, Farben wie Magritte, Farben wie "4

Eklektizismus

Renoir und Schlagzeuge wie Orff einsetze. Trotz Einverleibung von Eigenheiten — ganz wenigen oder ganz vielen — der Prosaisten Adler (Alfred) Artmann Benn

Borchert Brecht Broch Butor

Cysarz Doderer Dos Passos Freud Gide Hartlaub Heißenbüttel Hemingway Höke

Hömberg Huber (Poldi) Jirgal Joyce Jünger Kafka Kein

Kierkegaard Klabund Kräftner Kraus

Marker

Mayröcker (konservative Periode) Michaux

Okopenko Papini Proust

Rilke

Saint-Exupery Schenzinger Schmidt (Arno) Serna

Stifter 58

Element X Storm Wohmann Wolfe u.v.2.

und vieler Eigenheiten von Lyrikern, Malern, Programmusikern, Naturwissenschaftern und Schulmädchen ist meine Exporteurfahrt so sehr Eigentum eines meiner Tage, daß schon alle anderen für sie aufgewendeten Tage wie Diebe dastehen. Die Elster, die Menschen Glasscherben, Nähzeug und chirurgisches Kleinmaterial entlehnt, funktioniert es auch um, macht keine

Glaserwerkstätte, Boutique und kein Transplantatorium draus, sondern eine ganz eigenständige Freudenstatt für sich und Gleichgesinnte. Das ist der Unterschied zwischen uns Substantialisten und euch Formalisten. Element X 1. > Häuscen. Element X 2. > Häuschen. Veraltete Pädagogen schrecken es: Sei brav, sonst kommen die Schwarzdecker. Element X 3. > Häuschen mit Emailschild > Scharfer Hund! Element X 4. a) Zartlavendelblaue Schaumstoffplatten werden entladen? :In einen dunklen braunen Lagerschuppen. b) In einen dunklen braunen Lagerschuppen werden entladen? :Zartlavendelblaue Schaumstoffplatten. Element X 5. IDEALwÄscHEREI. Hier kann man sich seine Ideale waschen lassen. Im Hof der IDEALwÄSCHEREI füttert ein dicker weicher tätowierter Mann

in Schlosserhosen ein auf „Meci“

an-

sprechbares weißes Lebewesen. Die IDEALWÄSCHEREI hat auch eine

Autowerkstätte für die Autos IDEALwÄSCHEREI. Aus dieser Autowerkstätte stinkt es nach Leim. Betonbröckel liegen haufenweise umher. Die dicken alten Dampfwäscherinnen waschen nur in weißen Höschen, aber ihr Dampfdienstraum ist gegen Straßeneinblicke öfters durch ein großes weißes Brett geschützt. Element X 6. Eine Brückenwaage, über die ein junger Wanderer wandert. Der Wanderer singt: Ich will keinen

Landregen,

denn da kann ich nicht brandlegen. Aus seinem grünen Rucksack schauen drei schmutzigbraune Fackeln. Element X 7. Eine Erd- oder Baustoffmulde. Ein Koch oder Kalkauswäger singt hier in der Arbeitspause ein altsässiges Lied: 59

Element X Der Mond denkt über die Begründung nach, warum er abnehmen soll. Beim Hausratz hinterm Käse

liegt eine Hypothese, doch die ist anspruchsvoll, so jung und anspruchsvoll. Element X 8. Eisenstangenlager einer Baustelle, sonnenglühend. Eisenstangen, drahtbartbewachsen, leicht durchgebogen. Noch ehe verwendet, verrostet; ihren gelben Puder verstäubend. Konventio-

nellen Bombenangriffen manchmal standhaltend; zur Erinnerung an ein Schlafzimmer schief in die Luft ragend. Vgl. > Roststangenlager. Element X 9. Eine Espresso-Tankstelle, dazu ein Häuschen aus jenen rassefremden rotvioletten Ziegeln, ja, ganz aus diesen rotvioletten Ziegeln, und ganz isoliert, in seinem artigen Vorgarten mit Tankstelle und Häuschen, ganz isoliert, grüngepflegt, isoliert, mit allen übrigen Städtchenbewohnern zerstritten, grün-rotviolettgepflegtes Ehepaar, ganz isoliert daliegend. Das Espresso an der Landstraße eine gute Idee. Hier kann man eine leichtflüchtige > Orangeblonde, Strohblonde, Strichblonde, Rauchblonde, Rotviolette,

> Ultraviolette aus einem Pannenauto

bei espressofarbenem > Espresso großstädtern und dennoch sofort wieder unter Maimohn bis Maiskolben sein. Es hat auch einige halbkomplizierte Automaten

für einfache Dinge, denn die Inhaberin

sagt richtig: „Die jungen Leute spielen gern mit halbkomplizierten Automaten. Und wenn es bloß nötig ist, einige Münzen hintereinander einzuwerfen, schon fühlen sie sich wie am Schaltbrett eines

Düsenbombers.“ Element X 10. > Bezirksgericht, eingebettet in viel hell bis mittel Grün, in das sich die Eingegitterten, nach Genehmigung eines Sehnsuchtscheins, hinaussehnen dürfen.

Element X 11. > Stadtbibliothek. Element X 12. Arkaden mit Rathaus, drinunten Kartoffel mit Grillfisch. (An hellem Tag in einem dunklen Keller sitzen, bei

40 Watt je Fisch, diese souveräne Mißachtung des Tageslichts, diese Licht-Askese.

Wer

säuft, weiß, warum.

Weinkarte!

Franzhauser

Kabinet — S 500.— der Liter. Warum nicht gleich Menschenopfer. Billigstes Getränk: zusammengefegter Bierschaum in der Schwemme. Wer lichtschwänzt, weiß, warum.) Element X 13. Grüne Bude, Ausläufer eines Marktplatzes. Der ist steinig, mitten auf ihm aber wachsen Pilze. Eßbare, doch seltene,

darum bleiben sie ungepflückt. 60

Element X

Element X 14. Torbogen-Haus konditorei. Pat X 15. Torbogen-Haus salon. Element X 16. Torbogen-Haus mer. Element X 17. Eine Apotheke. a) wohnen, b) in Krankheit oder

mit Durchblick zu ferner > Landmit Durchblick zu fernem > Eismit Durchblick zu fernem > Krä-

(Sogar für die Urlauber, die hier

c) Langeweile vorbeispazieren.) An der Apotheke die alten arroganten Thermometer, die nicht hö-

her als 50 Grad zeigen. In einem heißen Sommer werden sie eher zerplatzen als zugeben, daß auch 57 Grad möglich sind. Element X 18. Selbst hier ein Konsum, aber verfremdet durch Wurstverkost. Die Verkäuferin schneidet eine Stange zusammen und teilt die Wurstscheibchen aus, an Bauersmann, Bauersfrau und

die vier nach Größe geordneten Bauerskinder; die Bewursteten nehmens wie Hostien. Element X 19. Das nach Brandmarkung ärarischer Möbel und dem freien Werktag eines Dienstmädchens riechende großgrüngittrige Bürgermeisterhaus. Frau Bürgermeister leitet das Wohlfahrtskomitee zur Alkoholisierung der Affen. Ihr Sohn ist Spazierer für eine große Schuhfabrik. Ihr Hund ist durch wollüstiges Schlagen auf die Schnauze zugeschwollen. Ihr Schwager bildet sich ein, daß ausgeschlüpfte Wespen im Magen umherfliegen können; aber es begann nur in seinem Mund eine haarige Fliege zu summen — eine schwarze, mit sperrigen Beinen und klebrigen Füßen; er wurde verrückt. Der Bürgermeister selbst ist Amateur-Geologe; Sie Steingeschwätz!, beschimpft er die Menschheit. Element X 20. Ebenerdiges Haus, sauber weiß, mit echtem Dach!,

grün-exakt eingegittert. Weil man in diesem Moment 60 Grad zu der Gittertür steht, wird das Haus eine Dorf-Volksschule der Kind-

heit, schmerzhaft klar wägt man Messing und rauft mit dem weißgrünen W. zum Schutz der schwarzbraunen Z. Eine Winkeländerung funktioniert das Haus zu einem Einfamiliendings um, vor dem nunauch eine Familie spaziert, sehr jung, der Mann trägt einen Dreijährigen, und die Frau, tatsächlich eine Schwarzbraune, und wie 60% der Schwarzbraunen ähnlich der kleinen Z., schiebt im

Kinderwagen ein Einjährig-Unfreiwilliges. Kinderwagen! Welcher Kinderwagen darf eine FLEDERMAUS im Wappen führen?! Ein Fehlgriff von Anfang an, denn bald wird das Kind auf Hausmauern entführt, schuluntüchtig, „ufflu“-flü61

Element X

sternd, zur Ehe ungeeignet, die Einlenkendsten noch sagen „Der Karren ist verfahren“, aber was wird er erst sein späteres Leben lang leiden, ehe ihn eine große Fledermaus — Schwamm drüber, kleine Z., und denk, es ist einfach der Neid der Z.-losen J.s. Element X 21. Eine verstaubte, verbraungraute Volks- und Haupt-

schule, in die viele 90jährige gehen, aber auch Kinder aus einem heutigen, kleinstädtischen, ganz speziellen Gras-Steinstufen-Tag, der absolut nichtidentisch mit einem heimischen Großstadttag mancher Leser und des Autors ist. Hier und heute diktiert Lehrer Kräutenfettel allgemeinbildende > Schreibübungen. Element X 22. Torbogen-Haus mit Durchblick auf eine jener verzichtreichen Straßen aus lauter ebenerdigen Häusern. Die Häuser sind hochgiebelig und weiß (oder bunt oder schmutzig), sie haben entweder einen schmalschmalen Gehsteig, auf dem manchmal ein fensterverrammelnder Telegraphenmast Schädel rammt, oder eine Melancholie namens Vorgartenzaun oder Zaunvorgarten. Manche Häuser verstecken innen ganze Welten, topfreiche Spielplätze von Höfen, baumreiche Grellschattengassen zu heimlichen Werkstätten hin, ein bodenlang verkitteltes Mütterchen sieht nach, ob der Roh-

ling drin schon den Hund an die Sense angelötet hat, bei Regen wird die Städtchenstraße > Gaatsch, bei noch mehr Regen schwimmen auf ihr Boote. Wer hier wohnt, dem wächst mit ihrem Unkraut San Francisco oder jenes bretonische Parallelstädtchen allmählich zu. Auch in der Wahl von Beruf und Hausgenoß wird er mehr und mehr eingeengt, auf das wenige Vorhandene verwiesen, wie auf Gulyäs und Beuschel in einer kleinen Schenke. Noch dazu sterben, gebären und verlieben-sich immer wieder Leute auf und an dieser Straße, und das

gibt ihr vollends etwas Mitleidweckendes. Kein Gegenargument die zwei einzelnen stolperloch- und telegraphenkraut-grabenden Arbeiter: der eine trotz Nacktsonne weißlich, mit sehnigen ausgemergelten blaurosa Beinen, der andere gebräunt, aber seine Röntgenwirbelsäule sticht weiß vom Hautbraun ab; und er trägt ein Silberkreuz als Halsamuletrt. Element X 23. XAVERYERMIL ZEISIG, VOGELHÄNDLER. Wie lange die Eltern nachdachten, ehe sie einen Zweitnamen mit Ypsilon fanden. Yermil verkauft auch Vogelpfeifen und den verbotenen Leim. Seine Tür hat ein Glockenspiel mit einigen Messingstäben, aber die vorüberlaufenden

Schulbuben,

die ihn eines Dezember-

spätnachmittags erschlagen werden, um ihm seinen Stolz, die eingekäfigte Meerkatze, zu rauben, werden das Glockenspiel aushängen. Jetzt denkt Yermil lieber noch nicht an diesen längsten Tag. 62

Entsagungsvolles Munter bedient er einen rastenden Weinreisenden: „Sechs Vögel haben wir noch. Zwei diese synthetischen, und die anderen Natur.“

Der Weinreisende hat eine mehrstöckige Zwiebeltürmchenvilla gekauft „für alle Vögel, die es gibt“. Er füttert aber auch hungrige > Außenvögel. Element X 24. Baum- und Rosenschule Lohma Svatos. BD TEN Lenrbärl. ak Entbehren. Zero Zobiak, der Bub, dachte lange, daß „entbehren“

auf den Teddybären verzichten hieße. Entsagungsvolles 1. Etwas > entbehren ist beiweitem nicht so schlimm wie diesem Etwas entsagen. Entbehrung kann sich jederzeit ändern, aber gesagt ist gesagt, und was einmal weggeschenkt ist, bekommt man nie wieder. Alphard Mutz hatte die Stadt der vielen möglichen Frauen verlassen, im Autobus eines Reisebüros saß er inmitten von Greisen — was nützte es, daß er dem oder jenem bunten Mädchen einer schattigen verwinkelten Gasse zuwinkte: er fuhr mitten in einen jugendlosen Wald. Dort war er nun, er pflückte sich Heidel- und Preiselbeeren, ameiste sich und stach sich an Struppwerk und Reisig. Er saß auf einem Baumstumpf, dann auf einer Bank. Er wartete

auf die Nähe einer Mahlzeitstunde,

dann würde er etwas zu tun und zu hoffen haben: > Suppe, > —>- Schnitzel,

> Bier,

> Torte. Viele Greisinnen würden sich nach-

geben lassen, viele Greise würden die Hälfte zurückschicken. Alphard Mutz entbehrte in Wald und Lichtung und Dorfblick das Rot; die grüne Komplementärfarbe hatte es wohl geschluckt. (> Fehlen von Rot.) Auch rote Blumen blühten hier nicht. Darum aß er das einzige bißchen Rot der halbgrünen Preiselbeeren mit angestrengter Freude, als küßte er ein grellrotes Mädchen, ihr hierbei in grellrote Kunstseide fahrend. Er sah unter die Bank. Wäre hier wenigstens die Hülle oder die zertretene Füllung eines Kuhdirnlippenstiftes gelegen. Aber es lag an menschlichen Lebenszeichen nur abgewickelter Verbandmull da, stark nach Kampferschmiere riechend. Ein Greis setzte sich ans andere Ende von Alphards Bank,

fragte, ob er ja gestatte, und lobte das gute, beständige Wetter. Entsagungsvolles 2. Der Oberwerkmeister war nun pensioniert, er lachte den ganzen Tag auf der Bank vor seinem Werkswohnhaus, in dem er bleiben würde. Seine Laune lebte von den neuesten Enkeln und der Überzeugung, daß nun in seiner Fabrik niemand mehr je die richtigen Farben treffen würde. Daneben trank er sich violett. Auch in anderen Werksgärtchen menschte es sich: Pensionisten, Kranke, Hausfrauen oder Schichtler, die freihatten. Es war ein schöner, stabiler Gemüsetag. Alphard Mutz, zwischen Zoll und

Fabrik unterwegs, verschnaufte auf dem Oberwerkmeisterbänkchen 63

Entsagungsvolles und sah in die Parzellenidylle, die für ihn keinen Auftrag hatte. Die Miss Farbküche, die er recht gern sah, hatte den Werksmittel-

stürmer geheiratet, und die langbeinige Dreizehnjährige war noch zu dreizehnjährig, um etwas vom Leervolum zu erfüllen. Alphard Mutz bekam das Herzzerreißende, als wäre er Gemüse und hätte ihn das Mitgemüse rings vom Sonnen, Reifen, Wachsen ausgeschlos-

sen und würde er nie geerntet werden. Er beneidete vier Sekunden lang den Konzernjunior in Baltimore um seine jüngste pazifische Frau, ein wachszartes Buntes mit zartem miauendem Englisch. Al-

phard Mutz saß auf derselben Bank mit dem pensionierten Maschinenpluto, aber auf einem anderen Stockgeleise. Er solidarisierte sich dennoch mit ihm. Der Schimek wird doch niemals Ihre Farben treffen!,

schmeichelte

er.

Der

Schimek?, hachhachhachhachhach!,

lachhustete der Ausgedingler zurück; er strahlte violett. Demnächst wird Sie auf dieser Bank bei so einem Kompliment der Schlag treffen, schwieg Alphard zum Oberwerkmeister. Der gab keine Antwort, sondern lachte immer noch, wenn auch schwächer, violett in die Welt aus Gemüse.

Entsagungsvolles 3. J. fürchtete von manchen überwucherten Steingäßchen, Steinbrückchen, daß sie zum Haus ohne Weitergang führten. Das war meist ein ländliches oder sehr kleinstädtisches Haus,

aufgestockt oder auch ebenerdig, mit einem schönen umgitterten Gärtchen, aber mehr und mehr reparaturbedürftig, mit Zimmern,

in denen die Jalousien nie mehr hinaufgezogen würden, mit erloschenen Einwohnern, nicht unbedingt alt, aber am Ende ihrer Wün-

sche. Kindheit und Susi, Jugend und Eiske, Geschäftigkeit und Reisen, Schlauheiten

und

das Dobväry

lassen

und

ins Haus

ohne

Weitergang einziehen — dieses Bild weidete ihn schmerzhafter aus als der Gedanke ans Sterben. Was nützte dann starker Kaffee, was

nützten dann selbst die Beine der Ehefrau? Wir waren ja doch erkaltete Sterne. Vis-A-vis stand sicher zu allem Überdruß eine Remise aus dem Dienst gezogener Waggone, wartend auf eine gelegentliche Schuttfuhre oder auf Bahnarbeiter, die einzelne brauchbare Türen,

Riegel, Räder abtrugen. Ihr Hämmern und Schweißzischen drang mit schwerem

Baumgeruch,

mit kalter Fäulnis

des Bächleins,

in

unsere frühbeginnende Nacht. Entwicklungen 1. Myra Metelli und > Quenta Quebec werden im vorsommerlichen Schulhaus von jenem Ereignis heimgesucht, das niemand Sich-Bildendem erspart bleibt: dem Herausheben von Binomen. Im rechten Teil der Gleichung vea2ac t4adr 2 rläbertr Zbd Hibe erkennen sie begeistert 2a=rıb 64

Entwicklungen

als Faktor verborgen, und fliegenden Tintenkulis stellen sie fest: ze ächnb) Ach 2dre) welche Bündelung gegenüber den frei ausgeschütteten Kombinationen von a, b, c, d und e ein ganz anderes Gefühl von Sicher-im-

Griff-Haben bietet. Myra Metelli und Quenta Quebec wollen, im Widerspruch zu den achtzehn anderen Schülerinnen, von dieser Minute an bis auf weiteres Mathematikerinnen werden, um Klasse auf Klasse den Mäd-

chen die noch spärlich gesäte Begeisterung für Algebra dichterzusäen. Myra will bald danach sogar an ein schwieriges Problem aus der Zahlentheorie heran und Quenta an ein ungelöstes aus der Mengenlehre. Vorauseilende Bücher in bunter und düsterer Aufmachung

häufen

sich, und man

geht irr, wenn

man

glaubt, die

Schönheit der beiden Schülerinnen leide unter dem Zugriff der Logik. Nein, sie wird geradezu kristallin. Entwicklungen 2. > Quenta Quebec entdeckt den reinen Klang einer Art Allzweckgläser, in denen Senf geliefert wird. Sie kauft eine Unmenge Senf und baut ein Senfglasophon. Durch Einfüllungen von Paraffın stimmt sie das Gläserregister auf ihre Lieblingstonleiter: ijklmnoi’ i liegt irgendwo zwischen c und dem Viertelton zwischen c und cis. i’ ist von i nicht durch eine Oktave, sondern durch 9%

Tonab-

stände der harmonischen Leiter getrennt. Das Intervall zwischen i und i’ wird in 7 gleiche Spannen geteilt, jede also überbrückt 1% Tonabstände. Halbtonschritte in der Siebenerleiter gibt es nicht, dafür zwischen Ton und Nachbarton

zwei Dritteltöne, die durch

p- und q-Zeichen (Zuguß einer rasch verflüchtenden Flüssigkeit ins Senfglas bzw Ablöffelung von Paraffin) von 0.33 auf 0.30 bzw 0.35 umgezerrt werden können. Quenta Quebec spielt mit reinem Elfenbeinstiel oder tönemischendem Messingstab bald alle geläufigen Schlager in die Senfglastonart um, c durch i, d durch j ersetzend, und so weiter, cis und des aber

durch ios oder ius (die zwei Zwischendrittel zwischen i und j) vergewaltigend. Vater und Freunde bleiben verständnislos, sprechen von > Katzen-Musik und Schad um den Senf. Die Fünfzehnjährige aber gerät in der Faszination wie Gemüse im Zuchtröhrenlicht, nie wieder wird ihr das Eins von Musik, Mathematik

und

Psychoakustik so naheliegen wie dieser Tage in der durchplanten Befremdung. Wieder wird Quenta um einen Schub schöner, längst schon hochreifes Ziel unreifer Lieben, die Buben zerlieben ihr die Aufmerksamkeit, verwöhnen ihr Haut und Eitelkeit, erkennen in

65

Entwicklungen hübschen biologischen Prägungen und frechem Textilbehang aber nicht ein Quentchen von Quenta Quebec, der unlohnend*) Lohnenden. Entwicklungen 3. Mytilla Mitil, die den Einkratzungen und Eintintungen in Cafetischchen viel Aufmerksamkeit widmet — vielleicht aus ihrer grundsätzlichen Wachheit, vielleicht auch auf ihrer Suche nach Menschen —, findet in einem nahegelegenen Landcafe (> „Caffeehaus“) tintenstiftviolett den 1968 berlingängigen Slogan Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment. Hat ein springermüder Student sein Spreewasser in die Donau geleitet? Hat einfach ein ehemüder Fernfahrer wunschgeträumt? Wer immer es war, sein Schuß Pulver traf, statt die, die keinen wert sind, eine, die besseres verdient hätte. Nun ist Mytilla Mitil verwundet. „Warum“, denkt sie, „soll, wenn wir nach 30 Jahren Nach-

laufens einander finden, Encore Edibelbek nur ein einziges Mal mit mir schlafen? Er findet eine Mytilla Mitil pro Jahrdreißig und Erde nur einmal. Und mir wieder bedeuten Caro Coenluir, Chemiekaufmann J., Alphard Mutz, Andreas Okopenko, Zero Zobiak und all

die anderen restlichen Männer nichts. (Die Millionen anderer Handschriften sind kein Musil, die Millionen anderer Bilder sind kein

Van Gogh, die Millionen Gesichter nicht das Gesicht der gestorbenen Mutter.) Wenn Encore und ich einander satthaben, werden wir einander nicht halten. Daß wir kein Besitz sind, so schlau sind wir selber.

Auf Verträge werden wir nicht pochen, die Nachrede der Nachbarn wird uns nicht kümmern. Aber einem politischen Up-to-date zuliebe das Lied nach dem ersten Takt tothusten? Aus lauter Freiheit etwas tun, was wir beide nicht wollen? Verlautbarung: Alle Wachauer müssen nach Afrika reisen, um zu demonstrieren, daß sie Frei-

zügigkeit lieben. Ihr mit euerm Slogan. Formaljuristen, Puppenspielregler, Vaginalpolitiker. Theoretiker, denens aus den Ohren staubt. Zyniker, die sich einen Menschen

nicht vorstellen können,

mit dem mans

länger als einen Ficklang aushält. Auch eine Neue Linke! Neu wie das älteste Gewerbe und links wie ein rechter Stiefel.“ (Vgl. > Feminismus 2.) Entwicklungen 4. Myra Metelli, die Ordnung in Kleinmädchengestalt, ärgert sich darüber, daß die Gerberwiese, die Untere Wiesen, *) (denn lohnt es, lohnend zu sein?)

66

Erfolg die Schafblöckwiese

und

die Bärendirnwiese,

die unregelmäßige

Grenzlinien haben, nicht durch verschiedenfarbiges Gras voneinander gesondert sind. Die Gerberwiese sollte gelb, die Untere notfalls grün, die Schafblöckwiese weiß und die Bärendirnwiese mädchenblau sein. Über all die buntgezüchteten Grasfelle aber — holländische Rasen nennt sie sie irgendwarum — soll Myra Metellis grellrotes Kleid wirbeln, das fehlende Rot (>Fehlen von Rot) überall beitragend, wo es gebraucht wird. Ich bin ein freudebringendes Mädchen, schreibt Myra in ihr grellblaues Tagebuch. Entwicklungen 5. Als in jenem Städtchen ein alter Bauer von Hagelschloßen verstümmelt wird und einem kleinen Buben ein Spieß aus sprödem Zuckerschmelz die Kehle aufritzt, fragen die Mitils ihre 7jährige Mytilla, was sie dazu sage, daß an einem Tag gleich zwei verschiedene Absonderlichkeiten passieren. Wieso verschieden?, sagt Mytilla; wenn der Bauer ein wenig Zeit gehabt hätte, bis der Hagel geschmolzen ist, und der Bub, bis das Zuckerl zergangen ist, hätt das Wasser beiden nichts gemacht; aber wenn

einmal das Hauen

und Zerstechen da ist, das zergeht dann nicht mehr zu Wasser. Mytilla steht nachdenklich vor dem Rätsel unvergänglicher Taten vergänglicher Modifikationen, ihre Eltern aber stehen vor einer rätselhaft röntgen-sichtigen Mytilla. Erfolg. Die Erfolgreichen dieser Welt tragen Hut! Von Ihnen hängt es ab, ob Sie erfolgreich schlafen. Büste — Ihr Erfolgsgeheimnis. Milch — Erfrischung der internationalen Erfolgsgeneration. Besser aussehen —

mehr Erfolg haben! Das ist es, was den Frauen

an uns Männern so gut gefällt. Frauen! Schenkt euern erfolgreichen Männern einen erfolgreichen Rasierapparat. Humor in FRAU UND FREUDE: Erfolgreich ist ein Mann, der mehr verdient, als seine Frau ausgeben kann. Da die Frau in der bürgerlichen Gesellschaft ihren Körper benutzt, um den erfolgreichen Mann einzufangen, überlebt [genetisch] der Opportunist. Ernest Bornemann. Er, auf den es ankommt. Er ist tüchtig und erfolgreich. Er schafft viel und setzt sich durch. So weiß er, daß er fit bleibt. Und aktiv.

Und gesund. Und für alles den richtigen Schwung hat. Männer mit Wirklichkeitssinn haben erkannt, worauf es ankommt: mitmachen, dranbleiben, durchhalten. Und die tausend Möglichkeiten des mo-

dernen Lebens nutzen. (Wissen Sie, was Männer lieben? Langbeinige Gespielinnen, rasante Autos und schicke Sinox-Uhren.) Sechs hübsche Töchter und ein Millionenbetrieb — das Ehepaar hat allen Grund, stolz zu sein.

Der Löwe ist Erfolgsmensch. Zeigen Sie, daß Sie erfolgreich sind, 67

Erproben und Sie werden es bald auch sein. Weiche Löwen verdienen ihre Niederlage. Erproben, ob ein Abschnitt nicht besser anderswo stände, läßt auch

Chotjewitz seine Romanleser. Wir haben es aber nicht voneinander, sondern von der direkten Demokratie, die, sensiblen Barometern erkennbar, in der Luft liegt. Erwartungsmuster. Die „Zerstörung von Erwartungsmustern“ hielt

ich beim Schreiben immer für wichtig, lange bevor ich die schöne informationstheoretische Metapher kannte; ja, selbst, bevor ich Brechts „V-Effekt“ kannte. Zum einen ergibt sich diese Zerstörung

spontan aus jeder genug aufmerksamen Protokollierung (denn, wie Cysarz sagt, es gibt nur Neues unter der Sonne), zum andern will der Autor sich und die Leser aus dem Schnarchfluß stören. Darum immer wieder Stromschnellen: Gedankensprung, Blicksturz, Affektwechsel, Phrasenverstellung, Neologismus. Dies ist ebensowenig Manier, wie Bildschnitt, Menu-Gestaltung

oder die Farborgie moderner Elektroschaltungen Manier ist. Espresso 1. Espresso, Verbündeter gegen den Schlaf. Das Zischen; alles muß express gehen. Espresso, „rausgedrückt“ und schon in der Konferenztasse. Sich die Zunge verbrennen. Gewichtige Lederdrehstühle und Entschlüsse. Mein Respekt vor Eile und Manager-Image, du heiliger Strohsack. Ich denk heut manchmal, ich könnte glatt aus dem Zimmer der guten Geschäfte auf eine Rauchpause rausgehen und mich, ohne Selbstbestaunung, im Kommunistenzimmer niedersetzen. Handelsspanne ist nur eine Modifikation des Skeptiker-Daseins. Warum gerade die Italiener den Espresso erfunden haben? Vielleicht, weil sie rasch sprechen und rasche Geschäfte mögen. Vielleicht, weil sie buntes Licht und > Nickel mögen.

Espresso 2. Warum behalten nur die öffentlich hergestellten Espressi ihr Aroma, warum treffe ich und trifft selbst meine Sekretärin nie das Richtige? Auch mit Kakao, Salz, Natron, sogar mit

Kamelmist, Espresso 3. fast, schon. braucht man

haben wir es schon vergeblich versucht. Bin ich eigentlich von Espresso abhängig? Ich glaube Die meisten > Exporteure. Unser „Zeug“. Vielleicht nur das Rühren mit dem kleinen Löffel; daß man jede

Situation in eine Allee ähnlicher Situationen einreihen kann; immer

hat man mit dem kleinen Löffel gerührt: als die Wirtschaftspolizei kam, als der György pleiteging, als ich umsonst auf Eida wartete; intelligent, daß nichts draus geworden ist; klein, aber gemein. Eigentlich sind unglaublich wenig Schlucke in einer Tasse; merkwürdiger Orient; ein Europäer sollte strenggenommen nur Bier trinken. 68

Essen und Trinken

Espresso 4. Es gibt kein espressofarbiges Licht. Es gibt wenige espressofarbige Blüten. Es gibt viele espressofarbige Haar-, Hautund Gallenpigmente. Die simpelsten synthetischen Farbstoffe liegen zwischen Gelb und Braun. Mein erster selbstgemachter Azofarbstoff war espressofarbig, ich war achtzehn, es war Forsythienapril, und ich bekam eine zentrale Lungenentzündung, in der mir grünplankiges Sodawasser sehr schmeckte. Essen und Trinken 1. Aus den Restaurants dringt der Geruch nach ernstzunehmender Suppe. Essen und Trinken 2. > Spinat. Essen und Trinken 3. Wenn Liebe wirklich durch den Magen geht, dachte ]J., so könnte eine Brücke zum Verständnis dieses häßlichen Verhaltes sein, daß auch Eigenliebe durch den Magen geht. Ich nehme mir vor, ehe ich jenen gerissenen Bindel & Söhne besuche, der mir 30% meines Zollvorteils absäbeln will, ein lukratives Mahl

im Waldorf zu halten, und schon hebt sich mein Selbstbewußtsein, meine Duellkraft, meine Verhandlungskunst, ich schmiere zum Dessert noch einen scharfen Käse, und der Gegner bleibt am Boden. Nach gebratenem Pfau paßt gut ein Ingwerlikör, rate ich mir wie eine gute Liebe-geht-durch-den-Magen-Gattin und liebe mich dafür; ohne mich deswegen als psychischen Idealpartner irgend zu vernachlässigen. Essen und Trinken 4. Stundenlange Gelage. Griechrömer, Russen, Franzosen. Liegen, brechen, dinieren, zur Seite rollen, stentorfurzen, dinieren, dinieren, den Sklaven klapsen, die Sklavin schwängern

(das Kind dient als Futter für die Gladiatorenbiester), dinieren, dinieren, Kaliumantimonyltartrat („Brechweinstein‘“) nehmen, Wasserschüssel ranschleifen, Finger abpritscheln, den Leibeigenen zweiteilen, lachen, dinieren, dinieren, philosophieren, mit Nagaika zum Erinnerungsmal ausholen, dinieren, gegen Preußenschwedenbyzanz intrigieren, dinieren, Louis’ Tod beschließen, dinieren, dinieren, die gute speckweiße Frau bewohnen, halbschlafen, drittelschlafen, große Kunstwerke aushecken, totfallen und dinieren, dinieren, dinieren. Essen und Trinken 5. Erinnern Sie sich, statt nochmals nachzuschla-

gen, Ihres merkwürdigsten Eß-und-Trink-Erlebnisses. Essen und Trinken 6. Der urzeitliche Jäger haderte mit der Geschichte: Es wäre ihm lieber gewesen, jetzt statt des angekohlten Bratens ein Steak mit pommes frites zu essen, nachher statt in die

Höhle ins Hotel zu gehen. Er rang sich bis zu dem Gedanken durch: Zeit ist eine Farce. Dann verfiel er wieder ganz ins UrzeitjägerBewußtsein. Essen und Trinken 7. Mytilla Mitil entdeckt das Essen. Das Leben ist ohnehin so schnell um, singt das Radio. Mytilla wirft ein Son69

Essen und Trinken

nen-Polster nach dem Sonnen-Radio und knabbert hausgemachte Sonnenblumen-pommes-chips, die Speise der Verlängernden, eine ganze Doppel-Dreifach-Vierfach-Schüssel voll. Essen und Trinken 8. Henkersmahlzeit. Wenn die Hähne krähen, kräht auch der Zyan-Hahn. Gallendiät; N. aß eine Sardıne und schrie taglang, sich wälzend. Fasten in einem Glockenturm: das Fach-, Boß-, Stuckwerk schnurrt zum Gelübde. Einer Jugendgefährtin den Ekelkäfer an die gebäumte rosa Zunge setzen. Attila, sein Steak weichreitend. Mit weißem Ton das Gesicht anklatschen, bevor

der Feindhäuptling darin zunichtegekaut wird. Wollen wir ein bißchen was essen, Mausi?, ein Katzi vielleicht. Die tränende Salzburgerin, 1 cm außerhalb des Traklgedichts SPAZIERGANG, erbeißt das Lebzeltherz, sein Blau, Weiß, Rot; wird Trakls Ruhm unterleben; ich bin wirklich, schluchzt sie.

Essen und Trinken 9. Die Tropfen werden auf der heißen Herdplatte zu’, und das ißt du. Wenn das Stockende ölig wird, muß

man es’, und wenn das Schleimige gerinnt und das Gallertige brökkelt und die Gasentwicklung aufhört, tut man es ’ ‚und das ißt du. Schwelende Verkohlung, das ist das beste, das kratz ich am liebsten aus der’, und dazu einen echten Pistolensalat, ja wie machst du denn den so gut western, Grizzly-Boy? Essen und Trinken 10. Nicht nur in Holzasche Gelaugtes; nein, die

Finnen würzen mit ungelöschtem Kalk: Laugenfisch. Brand- und Atzwärme des Kalklöschens im Essermund. Man denkt an schwarze Zähne, rote Zunge auf den Karolinen: blattumschnürtes Kaupaket aus Kalk und Betelnuß. Essen und Trinken 11. Verhalten Sie sich, statt nochmals nachzuschlagen, so, wie Sie es in Zuständen des Hungers, Durstes oder

Appetits gewohnt sind. Eutonignale. Zero Zobiak spreizten sich die Schirme und Schirmesschirme der Eutonignale entgegen. Die hohen Holzkräuter, spröden Stengel kritzten und ratzten ihn. Er knackte sie ab und drehte den Hauptmast zwischen den Fingern, die Schirmesschirme machten mächtigen Wind. Dann knackste er Schirmchen um Schirmchen ab und schickte es in die Weite, zuletzt blieb der harte Hauptstengel stehen, ohne Attraktion, und ihn zu zerkleinern, war reizlose Un-

terhaltung. Mit dem letzten Stengelstück kratzte der Bub sich aus Langeweile eine Wunde, und als sie etwas blutete, gab er ein Bröckel weißen Hundekot drauf, der angeblich alles heilt und den er in seinem Geheimlager unter dem Ohrenschlüpferstein in einer spänernen Pillenschachtel aufbewahrte. Exporteur 1. Das Bürohaus liegt im Frühlingslicht. Das Akkreditiv trägt sich zur Bank. Die Bürowasserleitung wird zurechtinstalliert. 70

Exporteur

Die Frachtkosten sind eingeschlossen. Der Mocca macht sich für den Exporteur und den Auslandskunden. Das Englisch ist tadellos. Die Sekretärin gießt aus, schreit spitz. Die Fakturen müssen noch einmal geschrieben werden. Die > Debitorenbuchhalterin stimmt, schwefel-

gepudert, die Conti ordinarii ab. Ihr Goldhamster ist noch in der Tierhandlung. Heuer sind zwei Tagungen, eine in Druden, eine in Luxemburg.

Als ich Unterläufel war (> Sulfatschluß), küßte ich

mich an einer ZbV-Tippse zur Bürotür hinaus. Das Bürohaus liegt im Sommerlicht. Der Gemeinsame Markt ist fluktuant strukturiert,

Mr. Abdurachman. Of course, really, in very deed. Das Bürohaus liegt im Herbstlicht. Das hieße, Schwefel nach Sizilien tragen. Diesen shipping agent haben wir gebraucht! Bitte rekurrieren Sie. Die zwei Büromädchen sind uneinig. Am besten beide skalpieren, mit Patentfrisierhauben. Beste Gewinnspanne, aber die Steuerschraube.

Am Meer ausspannen, neben rauchblonder Französin. Selbst Exporteuse. Kalisalze sind zeitlos. Das Bürohaus liegt im Winterlicht. Die Sekretärin liegt mit beidseitigem Schi-Bein-Bruch. Die Sichttratte legt sich auf die Bank. Exporteur 2. Im Gebüsch lag ein verendeter Exporteur. Sie liebte einen Exporteur. Eine echte Exporteurtasche. Er schreibt Exporteurpost, bezieht die Exporteurzeitung. Die Exporteure stritten mit den Attaches. Eine typische Exporteurfrisur. Das könnte man fast das Exporteurbad nennen. Wie oft wimmern Exporteure? Der Exporteur heiratete eine nette > Debitorenbuchhalterin. Krokodile mögen Exporteure. So ein Exporteur im Ausland, vom Vaterland fast abgeschnitten. Was wird China mit den Exporteuren machen? Exporteur 3.— On the rocks. Exporteur 4. Exporteure müssen immer konferieren (die Handelsspanne ist eine internationale Weltanschauung). Das Hotel in Luxemburg hatte einen Frühstücksraum, der 21 Stunden verödet lag, eine Reception, in der meist eine schläfrige Geschäftigkeit plätscherte, einen mehrteiligen Speisesaal, dessen einer Flügel nur kurz beessert war, eine Bar, die tags hinter Gittern gähnte, lautlose Lifts, mit denen man niemand zu besuchen wußte, Teppichgänge zu lauter Tabuzimmern außer dem eigenen und dem WC. Einige Stunden des 1., 2., 3. Tagungstags lärmten: Referate, Interessentäusche, ein Empfang; Hauptstadtlärm und wieder das Essen in einem der Glaszwinger. Das Hotel war ein Ofen der Langeweile, in den die armen Seelen freiwillig heimkehrten, selbst aus den parfumierten Armen der Kongreßstadtfeminität. Langeweile, in der „Noch ein Calvados!“ einen rettenden Schachzug bedeutete und ein staubtrockner Frankfurter Kollege, der plötzlich das Athenäum sehen wollte, zum Engel avancierte. Leere, Dämpfung, lautloser Prunk — 71

Exporteurgedanken und zu lächerlich wußte Chemiekaufmann J., daß er in spätestens drei Monaten jenes Hotels in Luxemburg nie ohne die Phänomene der Rührung gedenken würde: einen Stich im Magen, einen Gong im Herzen, einen unchemogenen Geruch in der Nase, einen unno-

tablen Klang in den Ohren, ein Gefühl, irgendwo westlich, nördlich oder algolwärts hinlaufen zu müssen oder jemand darüber etwas Unschwatzbares zu schwatzen. Exporteurgedanken 1. Ingenieur Hasenschnabel die zweite Sekretärin abluchsen? Sie versteht eine Menge vom chemischen Einkauf. Vor Zeiten hat sie steuerfreien Alkohol gemacht, durch ternäre Entgällung von Brennsprit. Könnt ich eigentlich auchmal rumpatzen. Exporteurgedanken 2. Transitgeschäfte — kein übler Gedanke. Vojtech ist ein großes Schwein. Die Signi auf den Trommeln haben Woodenfield verraten. Wir sollten einesteils schon bei der EWG sein. Exporteurgedanken 3. Das einzige, was die Petrik mit den IBMLeuten durchhecheln könnt, wär eine Fracht-Optimalrechnung. Klinsky ist davon sehr begeistert. Anderseits: mit Angola kann man uns nur bedingt vergleichen. Exporteurgedanken 4. Die kleinen Portugiesen abbauen. Exporteurgedanken 5. Ich werde mich für Vorschlag 5 entscheiden. Aber auch nur, weil 5 die schönste Ziffer ist. Abdurachman

sagt,

die Araber haben 5 wie 4 geschrieben. Das hat mich schwer enttäuscht. Ich habe für arabische Tänzerinnen immer viel übrig gehabt. Exporteurgedanken 6. Wie wurde ich eigentlich Chemiekaufmann? (Man erdenke sich eine rührende Geschichte.) Exporteurgedanken 7. How do yon like your office? (Man sehe J.s Büro, so und so eingerichtet, während der Schiffahrt im Sonnenlicht und kritisiere es.) Exporteurgedanken 8. Welche persönlichen Freuden habe ich eigentlich von einem rentablen Geschäftsabschluß? (Man führe sich diese Freuden volltönend vor.) Exporteurgedanken 9. Meine neueste Nachtmasche sind Exporteurträume: neulich zB exportiere ich aus Ghana bezogene Manganerze mit 500% Gewinnspanne nach Gabun, damit Gabun weiter Manganerze exportieren kann. Exporteurgedanken 10. Doch einmal das größere Büro in der Magdalenenstraße anschauen? Der Straßenname stimmt mich weich. Die Artikulation zwischen g und d; mein magedin, Klammer: Mägdchen, von Straße, würde ein Germanist sagen. Und ein zweites Be-

sucherzimmer könnte ich dann auch endlich einrichten. Fabrikschlote 1. Die humorlosen weißen oder zementgrauen Schlote, das sind keine wirklichen Schlote, so wie eine Tonpfeife keine wirk72

Fehlen von Brücken oder Fähren

liche Pfeife ist. (Meine erste Seifenblasenpfeife aus olivweißem Ton. Das Hervorrollen der ersten monströsen Blase aus dem mächtigen Querschnitt, nachdem ich bis dahin nur mit Strohhalmen seifengeblasen hatte. Aber die neue Seifenblase wurde auch nichts Mondgroßes, kein Kürbis, erstarrte nicht, ließ sich nicht in ihre schillernden Spektralfarben zerbrechen, in Streifchen, die man als

bunten Zucker essen konnte.) Fabrikschlote 2. Die frischgeziegelten Schlote, sehr hoch, mit irgend

einer Rußfanganlage drin oder einem Röhrchen als Draufgabe oben, frisch wie für einen Film, dessen Requisiten niemand glaubt, im Smoking beschliefbar, von keinem Arbeiterschicksal zu erzählen wissend, nicht einmal noch eines Eisschießens kundig im Wintersonnmittagkantingarten unten, junger ziegelroter Mann, so lächerlich, so groß. Vor einem richtigen Schlot muß man Ehrfurcht haben können und Furcht; oder Abscheu.

Fabrikschlote 3. Geknickte, vom Wind umgebrochene, mit Ginster zugewucherte Schlote, schwarz von Ruß und Vogelleben, gibt es nur im Märchen. Oder in C.B., an der Dorfgrenze gegen H., dort geben die ehemaligen Ziegelmädchen, die heute nur Wildkühe weiden, den Dorfstrolchen erinnerungsschwere Kneterinnenküsse. (Wie fehlt denen doch eine dynamische kaufmännische Organisation, mit halbmonatlicher Erfolgsrechnung und leistungspsychologischer Arbeitsvorgabe für den rechten Arm bei Spielstellung für den linken. Ing. Orasek, erbarme dich des Totziegelreiches an der Imster, entreiße die wertvollen Märchenkuhmädchenkräfte dem Schlamm des Alterns und betriebswirtschaftlichen Vergessens.) Fabrikschlote 4. Brauereischlote mit den menschenähnlichen eisernen Windfängen obenauf, helvetischen Armbrustschützen. Wer, wenn er euch Plumpe sieht, denkt, daß unter euch hervor das herrliche

nasse > Bier quillt, in allen Honigfarben, aber mit den heißesten Hundstagen Kälteschritt haltend, eiswollüstig in die entzündeten Hälse stechend, das Hitzschlumperwerk hart- und zufriedenfrierend, bei 36 Sonnengrad im kühlsten Nordgasthauswald. Fabrikschlote 5. Schlote, dicke Daumen, der Eisengießerei. Verräterisch oben schwarzbeschlagen, nicht von Ruß, o nein, von zu heiß geschmolzenem Metall, das schon verdampft, und den armen durch

die Qual der Barbarenhände und Schmelztiegel gegangenen Seelen. Euch möchte ich sprengen — dumpfe, brutale Feinde des Menschen, ultima ratio der Polizei. Fehlen von Brücken oder Fähren. Auf der belebten M.-Straße sah ich, als 22-jähriger Meisterspazierer, das > Mädchen Eva, jene Eva, die sich in Anpassung an die damals grassierende Künneke-Mode „Evelyn“ nannte. Ich scheute mich, im Verkehrslärm über die breite 73

Fehlen von Rot

Straße hinüberzurufen, steuerte vielmehr raschest die nächste Ampel an und flehte um Grünlicht. Das Befürchtete trat ein: Evelyn verschwand in einem der bekannten vielstöckigen > Kaufhäuser und wurde von mir nicht mehr gesehen. (Bis heute nicht, und ich würde sie, da unser Kind schon Starmannequin oder Scheinfirmen-Prokurist wäre, auch nicht mehr erkennen.)

Das ist nur die M.-Straße. Was tut aber Herwig, der stromauf stromt und den schon zwölf vielstrophige Wanderlieder von der Nordbrücke trennen, und da sieht er im Staub und Gestrüpp der jenseitigen Uferstraße Hedwig mit ihrem Einkaufskorb und den roten Hosen und all ihrer Erwartung? Mehr, als sich ihr Bild einprägen und den Stromkilometerstein, und in späteren Tagen, Monaten, Jahren auf dem drüberen Ufer nach ihr suchen, kann er nicht.

O, ich sehe schwarz für all die Königskinder, die hüben und drüben wohnen und denen seit Jahrtausenden die Donau viel zu tief ist. Der Chemiekaufmann J. wollte erproben, ob seine Stimme für ein „Hol über!“ reichte, das man am anderen Ufer hören würde,

denn was nützten ohne das selbst Fähren? Aber es schien ihm dann fehl am Platz, denn er sah drüben nichts, nicht Mädchen, nicht Fähre, und wenn ihm nach Zwei- oder sonst einer Mehrsamkeit war, würde es wohl „Hol rüber!“ gelten, nämlich vom Hinterdeck

(> Deck 2), wenngleich es sich dort kaum um ein Sortiment von Königskindern handelte. > Zunächst aber. Fehlen von Rot. Wahrscheinlich richt eine überlieferte Farballegorik © Haemoglobin — Blut — Herztätigkeit — Pulsbeschleunigung — Emotion — Liebe © oder: — Blutverluste — weibliche Vulnerabilität — Liebe © oder: Langwellen-Emission (Rotglut) — Wärme — Durcblutung — Emotion — Liebe © oder: — Hitze — Schmerz/Zerstörung (Brennen) — unkontrollierbares Erfaßtwerden — Liebe © oder: — Feuerstelle — Klima-Korrektur — Lebens-Sicherung/ Behagen — Liebe etc verschuldet die Frustration beim Fehlen von Rot. Goethe schreibt über die Zusammenstellung von Gelb und Blau, „es sei zu wenig in ıhr: denn da ihr jede Spur von Rot fehlt, so geht ihr zu viel von der Totalität ab“. Diese unallegorische, abstraktphysikalische Deutung scheint plausibel. Für uns umfaßt sie auch die Weitlandfarben Grün, Weiß und Grau, sosehr in einer anderen Blickrichtung Goethes Vermerk einer primitiv-heitern Wirkung von Gelb mit Grün beizupflichten ist, das Blau-Weiß-Grün einer gutjahreszeit74

Fehlen von Rot

lichen Landschaft nicht minder erheitert und erfrischt und schließlich Weiß in alle Farben, die es zusammensetzten,

zurückgedacht

werden kann. Gegenüber den anderen Möglichkeiten von Totalitätslücken ist der Rotmangel das Hungersymptom der menschenleeren Natur. Blattgrün,

Atmosphärenblau,

Weiß/Grau

kondensierten

Wasser-

dampfs und mancherlei Gesteinstotes mag es in Mengen geben. Aber die Menschen mit ihrer rotreichen Gegenstandswelt fehlen dem Bild. Wo Menschen hinkommen, reichern sie Rot an, wie das alte Lied sagt: Es gibt in allen Ländern Ochsen, Küh und Stier,

geschmückt mit roten Bändern aus Seide und Papier... Sie ziehen Wildrosen, Gärtnerblumen, rotbackige Apfel und rosahäutige Säue. Auch ist grelles Rot (dies teilt es mit den anderen auffallenden Farben) in unbeschränkter Herstellbarkeit und ungeniertem Massenkonsum ein Zeichen moderner Lebenslust. Rotes Kunststoffspielzeug, rote Zuckerpfeifen, rote Taschen, Möbel, Hemdenstoffe, rote Landwirtschaftsmaschinen, Karteireiter, Kabel, von roten Lichtreklamen

beleuchtete rote Automaten

voll roter Getränke. Seltener denkt

man bei Rot und Bunt an frühere Menschheitsepochen, an Karmin-

Läusemelkerei, Purpurschnecke und Krappzucht. Vor allem aber die Mädchen sind Rotbringer. Bezeichnenderweise heißt die glänzendrote, hellrote Kornelkirsche in Österreich Dirndl.

Wieso eigentlich? Liebten es die Frauen immer schon, sich rot zu kleiden, zu schmücken und zu schminken? Gab es nicht auch genug lange Zeiten männlicher Buntkleidung? Waren es die Qualitäten von Verlegen- und Hitzigsein, die einer patriarchalischen Konvention zuliebe in allen möglichen Gegenden gerade dem weiblichen Geschlecht auf den Körper gepinselt wurden?, auf die Hände der Türkin, die Sohlen der Inderin, Lippen der Griechin, Brüste der

Französin, die Krallen der Vamps und die Bäckchen der Teenagerinternationale? Jedenfalls: Null komma

soundsoviel Gramm

Rot,

etwa die abgebrochene Spitze eines Schul-Buntstiftes, haben das Potential in sich, eine ganze Schar Mädchen aufs Papier zu werfen. Und: Alleinstehende Männer, deren Alleinstand aus gewissen schwer abänderlichen Gesetzmäßigkeiten folgt, gehen in Kleingarten- und Kurortstraßen gern an Blumengeprahl in den vielen Nuancen von Rot vorbei: vom rotgelben Dotter über die Schulfehlertinte bis zum violett erlöschenden Dunkelzyklam. MD

Fehlertoleranz

Zusammenfassung:

Fehlen von Rot weist unallegorisch, physi-

kalisch, sinnenhaft auf Entbehrung, Menschenleere, besonders auch

Mädchenleere hin und kann daher auf alleinlebende Menschen im allgemeinen und ebensolche Männer im besonderen melancholisierend wirken. > Anwendung der Rot-Überlegungen auf ein Kleid, > Mädchenblau-Paradoxon, > Zukunft des Rotgebrauchs. Fehlertoleranz. Ein Stuhl, den ich rücke, ändert die Welt. Ein Streichholz,

das ich aufflammen

lasse, erlebt in seinen kleinsten

Teilchen eine Milchstraßenkatastrophe. Ob Weltänderung oder Weltuntergang jetzt oder in einer Minute erfolgt, ist nicht egal; schon deshalb, weil es nicht egal sein kann, ob die Weltänderung die ursprüngliche oder die um unzählige Zwischenänderungen veränderte Welt trifft, die Revolverkugel also den noch unverliebten oder den bereits verliebten Boy. So kann es auch nicht egal sein, ob der Chemiekaufmann J. die Stadt vor- oder nachmittag sieht; ob die Konfiguration, die etwa ein

einwärtsführendes Gäßchen mit einem roten Trikot und einem Eislutscherstäbchen im Dürrgras bildet, den Phänomengierigen, den Suppenhungrigen, den Barbaraerhitzten, den Ullielegiker trifft; je nachdem wird er sie einfärben, mehr oder weniger als Symbol sehen,

als Wund- oder Schönheitspflaster würdigen. Oder: wenn die Odstätte A schöner öd ist als die Odstätte B, wird die Abfolge A-B ein Abstieg, die Abfolge B-A ein Anstieg sein, also nichts im Weltablauf ist wirklich vertauschbar. Der Fehler gegenüber dem realistischen Anliegen, wenn ich Tauschfreiheiten gewähre, ist mir bewußt. Wollte ich mein Modell vollkommen, müßte ich für jede mögliche Wahl eine komplette Restreise schreiben, was, wenn ich die Kombinatorik richtig im Daumen habe, zu einem Buch von der Dicke des Sonnendurc-

messers führen müßte. Also entbehrt meine Bitte um Fehlertoleranz nicht einer gewissen Einleuchtungskraft. Felder 1. Daß Felder nicht dem Schiff entlangtrotten, sondern ins Land hineingehen, gibt ihnen etwas Munteres. Abzweigung von Leben zugunsten des Bleibens, des Zeitstillstands, der Beschäftigung.

Chemiekaufmann ]J. weiß nicht, was die Bauern hinter der Sichtverdeckung jetzt arbeiten, aber er weiß, daß sie Hüte tragen, um ihre Kopfhaut zu schützen. Sie arbeiten neben den Bäuerinnen, die

auch ihre Kopfhaut schützen. Die Leute haben ein ruhiges Büro, eine ausgestorbene Fabrik, einen lautlosen Chef. Sie können, wenn sie wollen, statt zu arbeiten Hüte hochwerfen, Mückentänze tanzen,

Mädchen

wiederwerden

und wiederbegehren,

Schneckenplastiken

leimen, beim Wildrosenwirten mit dem „Bauernbündler“ die Pfeife 76

Felder

entzünden, blaue Haarmaschen nähen, aber sie tun es nicht, sie sind

verläßlich und frei. So frei, daß sie ihre Freiheit dem Boden schenken und von ihm Unfreiheit geschenkt bekommen. Die tauschen sie auf den Märkten wieder gegen Freiheit ein. Ein Chemiekaufmann ist auch frei, aber sein freier Wille geht nicht so weit, daß er alles

an Freiheit wegschenkt; wenn mitten im Handelstag blaue Haarmaschen Mückentänze tanzen, gönnt der Chemiekaufmann sich immerhin,

den Hut hochzuwerfen,

Wildrosen

zu sehen und eine

Zigarette zu entzünden. Felder 2. Linien gehender Bauern. Nähern sich asymptotisch einem einzigen Anhöhen-Baum, hinter dem man hinter die Welt fällt. Felder 3. Buchenholz, ein Schuß Birkenholz, das ist das beste für

die Selche. Jaja. Zwei Alte: WohnenS noch im Hof oben? Ja freilich; da hab ichs auch im Winter schön warm. Der Junge sprang zur Seite, denn er hatte verstanden, der Alte wohnte im Hochofen, und

solche Leute waren ihm immer unheimlich. Aber am Rand des kakaopulverfarbenen Ackers lag eine müde Maus. Der Junge hielt sie für eine tote Maus, und er wollte einmal Aas angreifen. Als er sie in der Hand hielt, ging sie ein paar Mäuseschritte herum und gucte ihn an. Er nützte die seltene Gelegenheit, eine Maus zu streicheln, er tat es mit dem Mittelfinger, als bestriche er sie mit

Salbe, dann sagte er der Maus, sie dürfe hinunterhüpfen. Sie sprang und unterhielt ihn noch längere Zeit mit ihren Spielen. Am Feldrain Unkrautbüschel, auf nackter Scholle Graskolonien. Der Bauernsohn

glich dem Bauernvater, ein Zeichen für den Willen, daß kein Fortschritt stattfände. Am Abend haben sie ja alle miteinander ein Gasthaus. Totenuhr, Preßwurst und Feuerwehr. Auch Bauern können bauernschnapsen. Am Feldrain, wo keine Unkrautbüschel sind, ro-

stet ein Pflugschärfer. Besonders ackrig sind Acker im Zwickel zweier Sträßchen, die weiter oben — schütter — ebenerdige Häuser tragen. Er hat einen Hut mit Spiralfederneinlage, damit er ihm auf dem Kopf bleibt. Wenn er ihn im Gasthaus aufs Hutbrett wirft, dröhnt das Metall im Hut. Er sagt zu dem Hut: Gib a Ruh! Wenn er aber den Dieseltraktor anläßt, gibt es zunächst eine erschreckendes c — e — g, dann langsames plumpes Hacken, immer schneller,

und mit plup-plup-plup-plup, sehr laut, fährt er schließlich aus dem Tor hinaus. Wassersorgen gibt es wie überall, wo Wasser ist, der Erdzeisel unterwühlt die Dämme, und auf seinen Schwanz gibt es eine Prämie.

Sogar Rinder: Kinder, eure Todesfahrt möcht ich nicht mitmachen; ihr kommt zwar an diesem Tag so weit herum wie nie im Leben, habt die Impressionen des LKW-Ausgucks, einen Kosmos voll Straßen und guter Bäume, ihr grüßt die anderen Autofahrer,

BZ

Felder

erlebt die Sensationen des Bremsens, Rüttelns, Auspuffstinkens, ihr muht, was ihr nur muhen könnt, aber dann geht es wieder in einen Kobel, und wie rasch ist alles schon wieder vorbei und es kommt

die Eisenohrfeige. Eine Gefriertruhe ist das Praktischste für einen Bauern, was es gibt, ich sags Ihnen. Jaja, ich glaubs Ihnen aufs Wort, ich war Offizier bei den 693ern. Felder 4. Ein Bauernmädchen, durch das Rainunkraut, gelb auf dem Fahrrad neben dem Burschen: „Nächstes Jahr beginnt das Theater, weil nächstes Jahr wollen meine Eltern, daß... .“ Na, was wollt

® ihr dankwerten Erzeuger meiner gelben Geliebten mitsamt allen Anlagen, die sich in ihr so angenehm entfalten, © ihr lästigen störenden Bauern-Spießer, ihr anzengruberischen Ibsenfiguren? Das Rainunkraut ist zerquatscht, hinterm Scheunentürl wart mei Annamirl. Feldstreifen von Senf. Die Feldstreifen, da man sie nicht zu bear-

beiten braucht, grüßt man bloß, man pflückt sich was zum Knabbern oder Anstecken, dann dreht man sich und geht einen Steig aufwärts; man kommt zum Wallsteig; den geht man aufwärts, bis man den hohen Weinsteig erreicht; den geht man aufwärts; ganz oben angelangt, sieht man auf die Rückseite von Knopf. Ja, Knopf hat eine Rückseite. Wo Knopf am > Knopfbach liegt, umgeben von weiteren Terrassenhügeln. Unten idylit die Metallfabrik. Auf ihre hohen Schornsteine kann man von hier tief hinunterspucken. Rund um sie bunt die buntlackierten Landmaschinen,

versandfertig, die

Beinchen zusammengebunden. Feminismus 1. Obwohl ich zu den raren männlichen Frauenrechtlerinnen des Westens zähle, die den Frauen neben üblicher Gleich-

berechtigung auch das Recht erwirken möchten, in den Massenmedien als menschliche Wesen anerkannt und angesprochen zu werden, halten mich manche freiwillig Erblindeten wegen meines harten Protokollierens, das auch vor jenem Typ des perfekten Sklavenluders nicht haltmacht, zu dem die Frauen in der patriarchalisch-industrialen

Gesellschaft hinverdummen

sollen, für einen

Frauenhasser. Tiefenpsychologen vermuten eine intrauterine Partialkastration, Oberflächenpsychologen eine „unbewältigte Beziehung zum anderen Geschlecht“. Daß ich nur mit einem Geschlecht nicht zu Rande komme, nämlich dem menschlichen, habe ich schon an anderer Stelle

78

F-Erlebnis

ausgesprochen.

Mir

bleiben

zu

diesem

Thema

keine

weiteren

Aphorismen zu versprühen, höchstens einer: Die Geschlechter ver-

dienen einander. Feminismus 2. Eine meiner obligaten Solidarisierungen mit Autoren des Wiener „Tagebuch“: Walter Hollitscher, 1/1961, gekürzt: „...in jener künftigen, voll emanzipierten Gesellschaft, in welcher der Gegensatz zwischen Mann und Frau restlos aufgehoben sein wird und die Gesellschaft neuartige, würdige, unbefangene und zugleich verantwortungsvolle Beziehungen zwischen den Geschlechtern entstehen läßt. Dies werden Beziehungen sein, frei von materiellen Vorteilen in Liebesangelegenheiten, von materiellen Sorgen, von religiösen Vorurteilen, von elterlicher Bevormundung und spießbürgerlicher Borniertheit. Voraussetzung solcher Freiheit ist die entfaltete Persönlichkeit von Mann wie Frau.“ F-Erlebnis. Man brause zu kalt, verschnaufe den Schock, schneide

sich dann an einer Karteikarte eine Rille in den Finger, sauge die Wunde aus und tröste sich, stolpere dann über eine Schwelle, falle

so, daß die Nase dröhnt und blutet, stille die Blutung und greife endlich versehentlich in die Rotglut einer dicken Zigarre. Die zweifellos unglückliche Kette raffe man in einem zweiten Versuch ins Dramatische: Man lasse sich zugleich mit Eiswasser anschütten, den

Finger einschneiden, auf die Nase hinwerfen und eine glühende Zigarre in den Handballen drücken. Der Vorteil ist ersichtlich. Im Hintertreffen des ersten, zu langsamen Versuchs befindet sich der Autor, der die „magische“ Wirkung des viele Reize und Asso-

ziationen verspannenden Augenblicks ins Nacheinander seiner Schilderung aufrollen muß. Im Vordertreffen des zweiten, effektvollen Versuchs befindet sich der Autor, solange er vom Augenblick

bearbeitet wird und kuscht. Ob das Zerschneiden und Durcheinanderverkleben der Rolle dem aufrollenden Autor etwas zum Reiz der Gleichzeitigkeit verhelfen kann, erproben wir einmal am >

Haus mit dem Standard-Mariandl: In Westnordwest näherte sich ein weißer Punkt / Auf Betonbelag stehen, dann ist der Tag um und / Wurde allmählich ein Haus mit vorgelagertem Garten, in dem / Auf fremdem Sessel knarren, mit Standardmariandl / Heranschwimmen autarker Welt, über deren Zäune / Vorsommerlicher Vegetationsabfall / Ein Balkon

formte sich heraus / Mit Standardmariandl Wand an Wand im saubern Nachbarzimmer / Hatte einen Rechen in der Hand / Schwerkraft gewinnend wie ein nahender Planet / Fremde Stimme zu einem scheckigen Plan für den restlichen Tag mitverarbeiten / Mit Standardmariandl in den / Garten nahe genug herangeschwom79

Fetischist

men / Durch die kleine Balkontür ins Zimmer zurückgehen / Nun war das Haus mit dem Standardmariandl nahe genug / Zu einem mageren Haufen rechen / Lehmpumpenwasser aus einem blauen Glaskrug / Mit Standardmariandl im saubern Nachbarzimmer / Und da stand / Mit Mariandl schlafen / Wirklich ein Standardmariandl. Oder: Westnordwestweißpunktnäherung Fremdbalkonbelagtreten Erkennbarwerdenhaus + vorgelagertgarten Vombalkoningartenschauen Hauswirdweltfürsich Imzimmerknarren + Mariandlbalkonstimme + Scheckigtagplanen Erkennbarwerdenbalkon Lehmpumpenwasserblauglaskrug Balkongewinntschwerkraft Mariandlessenlachen Wirklichmariandlhaufenrechen Wirklichanmariandlschlafen. Oder: WF—EV—HI—EL—-BM—WW-—-alseineneinzigenstichempfinden Oder: Hausmitdemstandardmariandl S Oder: H*abermitallemdetailwissenimquerbalken

H< Solche Hohlnadelstichedurchdieeineganzeanzahlchemischerverbindungenmiteinemeinzigenblitzindenkörpergezwängtwerdenkönnen sind es, die beim Ersterfahren oder Erinnern mancher Eindrücke beglückendschmerzen. Plötzlich beim Anwehen eines Geruchs oder Nennen eines Ortsnamens, beim Ansehen eines vergilbten Papptellers in einem Dorfkonditorschaufenster oder beim Hören eines Radiomusikfetzens aus einer sogleich wieder zuknallenden Wäschereiweibergarderobentür: Zick! Gelegentlich sogar ein un-unterbrochener Spaziergang voll Zick!s. Das Zick! oder (an das etwas schwärmerische Wort „Fluidum“

anknüpfend:) F-Erlebnis, das trotz der Vielelementigkeit als Ein Moment, als Ein Etwas empfunden wird und darum mehr von einem Geruch, einem Frösteln, einer Melodieerinnerung an sich hat

als von einer Gedankenkette oder der schriftstellerischen Bildbeschreibung, ist jeweils unvertauschbar. Leider (da mit dem ganzen Leben des Empfinders verbunden:) auch un-mitteilbar. Alle Konkretion und Superkonkretion meiner Abbildversuche sind nur leere Schoten, die einen eindeutigen aber unersetzenden Hinweis auf die Erbsen geben. Die einzige Hoffnung: daß jede genug intensive Konkretion des Erzählers da und dort ein „ähnliches“

Zick! zufügen

könne — wie fremde Zick!er es an meinem Zick!netz vermochten. Gerne regte ich meine Leser zum Bewußtmachen, Abgrenzen und Sammeln von F-Erlebnissen an. Fetischist. Der Genießer liebt vielleicht schönes Gedeck — der Feti80

Filmtitelspiel schist frißt die Serviette. Ihm geht es gut: Eben lief da ein Mädchen vorbei, die reizlos war, aber brisant reizvolle Ohrpflöcke trug; keine

Hübsche, sondern Trägerin von Hübschem: dem Fetischisten genügt diese adjektive Erotik. Während für den Nichtfetischisten das Ohr eines, der Pflock ein Zweites und das bepflockte Ohr ein höherwertiges Drittes ist, verzichtet der Fetischist auf das Ohr.

Oder: Die Reste von Bekleidung auf einem nackten Frauenkörper bringen dem normalen Erotiker reizvoll nahe, daß er jetzt die ersehnte Dame strenger Tagesstunden „kriegt“ und nicht den losgelösten Traum von einer anderen. (So wie er ja vice versa in der Bekleideten einen geschmückten nackten Körper sieht und darum vom artigen Schauen ungeahnt viel Genuß hat.) Der Fetischist aber verbringt die Nacht mit dem Schlüpfer und die Entschlüpfte weint. Oder: Der Fetischist hat den Stecker herausgezogen, sein Kontakt ist zerrissen, die schöne Tischlampe leuchtet ihm nicht, sondern ist

bloß eine schöne Tischlampe. Darum habe ich mich, im pränatalen Stadium, als ich mir meinen Charakter noch aussuchen konnte, entschlossen, Totalfetischist,

also gar keiner, zu werden. Ich liebe jedes Molekül des Mädchens, einschließlich all ihrer Textil- und Duftaufträge (ausgenommen jene entwertenden Applikationen, die die Massenmedien ihrem Geist zufügen). Auf diesem Umweg wird der Gegenstands-Fan zum echten Liebhaber, und in seiner Vermenschlichung der Dinge nimmt er die Verdinglichung des Menschen zurück. Dennoch bleibt „Totalfetischismus“ ein Ungefähr: Die zwei blauen Augen der Schnulze, der sandrosa Mund des Schönheits-

briefs aus Paris, der Haarbewuchs (echt oder Inter Hair) und das Erdbeerkleidchen aus Diolen® ergeben ja zunächst noch kein Mädchen: solange nicht die Integration drübergeht und aus dem Requisitenkabinett einen Menschen macht. Dies ist aber ein fatales Problem: des Lexikon-Romans im ganz besonderen. Vgl. auch > Studien zum Fetischismus. Filmtitelspiel 1. Man kaufe ein Vokabelheft und treibe Titel, Untertitel etc der laufenden Kinoprogramme zu leidlich passenden Paaren; Beispiel aus Raum Wien / Zeit der Exporteurreise:

Der verkaufte Großvater Wenn du noch eine Mutter hast Hemmungslose Manon Tödliche Tiefen Sturm auf Höhe 404 Das Forsthaus in Tirol

Nackt jeden Abend Warte, bis es dunkel ist Pudelnact in Oberbayern Die Wirtin von der Lahn Die Försterchristl Stundenhotel (hüllenlos und frivol) 81

Filmtitelspiel Das Mädchen vom Pfarrhof Kohlhiesels Töchter Mariandls Heimkehr

Willst du ewig Jungfrau bleiben? Geißeln der Erotik Hilfe, die Schwedinnen kommen

(sexbesessen und busenfroh!) Versuchs doch mal mit meiner

Wenn am Sonntagabend die Dorfmusik spielt Wenn die Alpenrosen blühen Wenn die Musik spielt am Wörther See Das blaue Meer und du

Erotik am Abgrund So badet die Welt — Komi-

Aeneas — der Held von Troja

Dido, Wien IV., wegen Umbaues

Dr. Schiwago, 88. Woche

Liebe 1 — 1000 Hochzeitsnacht vor Zeugen 69 Liebesspiele Drei grüne Hunde Schwarze Sporen Vom Haß getrieben

Sex in der Ehe Das Bett und die Kerzen (zwei Körper — füreinander geschaffen — geben sich alles!) Ohne Dollars kein Sarg Der große Postraub Helga (aus der Intimsphäre einer jungen Frau) Das Insektenweib Das Folterhaus der Lady Morgan Erpressung durch Scorpio

Frau!

sches, Wissenswertes, Nacktes!

Gunther Sachs in Tahiti. Tierstudie in Farben. Klimaanlage vorhanden. geschlossen Angelique, 88. Teil Der lange Tag der Rache Nur noch 72 Stunden 2 Särge auf Bestellung Leitfaden für Seitensprünge Ich bin neugierig Brautzeit und Ehe (jeder 1000. Besucher erhält wertv. Buch!) Perversion

Dreck und Tod in 20 Stunden

Tagebuch einer Frauenärztin Sex aus Schweden Nackt unter Affen DDT Der nächste Herr — dieselbe Dame

Schönheit der körperlichen Liebe

Brutale Lust

Frühjahrskonzert der niederösterr. Tonkünstler

Cosa Nostra — Erzfeind des FBI

Batman hält die Welt in Atem

Panzerspähtrupp Totenkopf Das Paradies der flotten Sünder Katanga 82

Sie treffen sich, sie lieben sich Der Tölpel vom Dienst Mein Körper für ein Pokerspiel Schnellboote vor Bataan

Ich habe Lust (nur heute!)

Filmtitelspiel Krach mit der Kompanie Die letzte Kompanie Hölle auf Okinawa Brennt Paris?

Moskau brennt (wg.d.gr.Erfolges 3. Woche) Pulver und Blei Ich spreng euch alle in die Luft Kampfgeschwader Totenkopf Stirb aufrecht, Schurke! Fantomas bedroht die Welt

Sie möchte immer wieder Das Geheimnis der jungen Witwen Das Wunder der Liebe Knusprige Leichen mit SexAppeal Tagebuch der Lust — Mädchen in ungezähmter Erotik Das heilige Erbe Das hab ich von Papa gelernt Mach mich kalt — ich friere! Dieser Film vermittelt ein unbekanntes Lustgefühl Heute letzter Tag Sex und nackte Frauen!

Filmtitelspiel 2. Man entdecke hinter den Titeln der laufenden Kinoprogramme die Rezepturen und führe so das Viele auf ein Weniges zurück. Beispiel aus Raum Wien / Zeit der Exporteurreise:

©

Tu.den Tiger in den Titel: Flagge des Tigers Der Tiger von Sadres Der Tiger parfumiert sich mit Dynamit

©

Tu den Panther in den Titel: Drei blaue Panther

©

Gungala — die nackte Pantherin Tu den Tierfang in den Titel: Die Falle von Singapur 100 Bandidos in der Falle Frauen als Köder für CD7

©

Kommissar X: Jagd auf Unbekannt Bob Fleming hetzt Professor G. Tu den Teufel in den Titel: Engel des Satans Engel der Hölle Vorposten zur Hölle Hölle auf Okinawa In Montana ist die Hölle los In Colorado ist der Teufel los Der Anwalt des Teufels Das Teufelsweib von Texas Sumuru — die Tochter des Satans Die Verfluchten 83

Filmtitelspiel ©

Tuden Tod in den Titel:

Dreck und Tod in 20 Stunden Der Tod fliegt nach Jamaica Der Tod eines Killers Django tötet leise U 23 — tödliche Tiefen Kampfgeschwader Totenkopf Panzerspähtrupp Totenkopf Stirb aufrecht, Schurke! Karate Killer Mach mich kalt, ich friere Tu Todesarten in den Titel: Keinen Cent für Ringos Kopf Ritt zum Galgenbaum Hängen sollst du in Wyoming Der Mann mit den goldenen Colts Heiße Colts in harten Fäusten Treffpunkt für zwei Pistolen Serenade für zwei Pistolen Duell der Gringos Sechs Kugeln für Gringo Für eine Handvoll Blei Pulver und Blei Pulverdampf ist kein Parfum Gewehre zum Apachenpaß Der Tiger parfumiert sich mit Dynamit Ich spreng euch alle in die Luft Tu die Särge in den Titel: Lucky M. füllt alle Särge Zwei Särge auf Bestellung Ohne Dollars kein Sarg Tu Haß und Rache in den Titel: Vom Haß getrieben Die Rache des Mexikaners Der lange Tag der Rache Tu die Fäuste in den Titel: Heiße Colts in harten Fäusten Der Titan mit der eisernen Faust Das rote Phantom schlägt zu Zwei schlagen zurück Tu das Blut in den Titel: An seinen Stiefeln klebte Blut 10.000 blutige Dollar 84

Fischer

Das Geheimnis der blutigen Perlen Im Schloß der blutigen Begierde Tu die Ziffern in den Titel: Zwei schlagen zurück Drei grüne Hunde Drei blaue Panther Die vier vom Amazonas Die gefürchteten Vier Die fünf Vogelfreien Fünf gegen Casablanca Sieben gegen Chicago 100 Bandidos in der Falle 10.000 blutige Dollar

©

Etcetc.

Filmtitelspiel 3. Man verfahre mit Titeln der laufenden Kinoprogramme nach Belieben. Wer Wert darauf legt, daß dieser Roman naturalistisch ausfalle, überdehne das Verfahren nicht maßlos. Wer

keinen Wert auf getreue Proportionen legt, schließe hier ruhig eine ganze Dissertation ein. Fischer 1. Die Hosenböden voll Lehm, wirft er den Schwimmer weit

aus und zieht schon einen weiß-grün glasigen Fisch aus dem Wasser, reißt ihn ab, wägt und wiegt ihn in der Hand, dankt einer Art Gott für das schöne reflexreiche Schuppenmuster, das in durchgehaltener Sorgfalt bis in die Mikrostrukturen jeden Quadratzentimeter auch der nichtbetrachteten Stellen bedeckt, für die rutschige Bombe voll Fieisch, für den zerstörten Mund und die kochenden

Kiemen. Im Beutekorb tauchen schon zwei unterarmlange glänzende schwarze Mitfische, der Fischer dankt für sein Fischertalent und bittet, nächstens aber einen 57 Kilogramm schweren Waller drillen

zu dürfen. Fischer 2. Sie machen es sich bequem mit alleingelassenen, holztäfelchenbestückten Dauerangeln. Fischer 3. Fischer zu sein, ohne die Verbote zu kennen, ist verboten. Jeder Gebrauch von Juckschnur, Kosack und Pilker und jedes ruckartige Heranziehen beim Spinnen (Schlenzen) ist verboten. Der Fang von Aalen unter 40 cm, Hechten und Zandern unter 35 cm, Felchen und Äschen unter 30 cm,

Barben und Karpfen unter 25 cm, Schleien unter 20 cm, Barschen und Kretzern unter 15 cm

85

Fischer

ist verboten. Das Netz zum Fangen von Köderfischen darf höchstens 1 m hoch sein. Es darf keine größere Maschenweite als 14 mm haben. Es dürfen nicht mehr als 50 Köderfische mitgeführt werden. Angelruten mit Schnur dürfen höchstens eine Länge von 15 m haben. Die Schnur darf keine Ose besitzen. Heggene ab 4 Haken sind verboten. Jeder Gebrauch künstlicher Köder ist verboten. Das Mitführen unerlaubter Geräte ist verboten. Das Beschädigen oder Umdrehen von Verbotstafeln ist verboten. Fischer 4. Die Au fischelt. Aber kein Fisch fischelt in Herrn Fischauers Kescher. Fischer 5. Das Fluolit läßt die Fische sich buchstäblich auf den Haken stürzen, vor allem die gierigsten, die normalerweise mehrere Meter tief auf der Lauer liegen, und zieht unwiderstehlich, wie ein

Magnet, selbst diejenigen an, die sich mehr als 100 Meter von der Angelstelle entfernt befinden. Mehr als zwei Stunden lang war es mir nicht gelungen, einen einzigen Fisch zu fangen — absolut keinen einzigen Fisch! Jedoch sofort, nachdem ich meinen Köder mit diesem sonderbaren Fluolit behandelt hatte, ist es mir noch am sel-

ben Tag gelungen, in weniger als einer Stunde neun große Hechte und fünf mächtige Karpfen zu fangen! Und Anno Domini 1299 an dem 8. Tag Johannis Battisten, 2. Juli, do ward von mir gefangen ain fisch, der was neun schuch lang untz an das hopt und kunt man nit wissen, das hie und ye me als ain fisch gevangen ward. Und schickt her Hans von Urdman des fisch hopt hern Ruodolfen von Heyen, der dozumal dechant was und corherr. Und uß dem hopt wurdent 45 großer stück, die ye zwey genuog groß in ainer schüssel warent. Und zuo dem hopt lud er den von Heyen, die corherren zu sant Steffen und zu sant Johanns und ander pfaffen, das ir wurdent 34, und wurdent dennoch sechs schüsseln von dem hopt in die

statt gesandt. Sie müssen mehr fangen — und viel größere Fische — und viel mehr Freude an Ihrem Sport haben! GRATISGUTSCHELN

Senden Sie mir noch heute 1 Testpackung FLuorır (bei Mißerfolg und Rücksendung gratis). Bitte per Nachnahme schicken. Ich will die Lieferung beschleunigen, deshalb m bezahle ich voraus.

(Gewünschtes bitte ankreuzen.) 86

Fischer

Fischer 6. Selbstgefangener Karpfen kein Vergleich mit gekauftem jeder hat nur ein Stück kriegt nichtwahr Paula ein Gedicht war er. (Der Karpfen:) Ja, ich war ein Gedicht. Fischer 7. Hat ein Fisch angebissen, so wird mit einem Ruck der Rute der Angelhaken in seine Mundteile eingeschlagen. Nur kleinere Fische können gleich herausgezogen werden, größere müssen durch abwechselndes Nachlassen und Anziehen der Schnur (Drillen, Spielen) ermüdet werden. Fischer 8. Man lockt die Fische dadurch an, daß man den Wurm,

Teig oder Käse mit Riechstoffen wie Anisöl betupft. Fischer 9. Jeder Angler muß die Eigenart des Gewässers und des begehrten Fisches beobachten und danach seine Methode wählen. Er muß zB vermeiden, zu atmen oder zu küssen, Scherze zu machen

oder laut zu knistern. Die Ausbildung der Ruten und Köder ist selbst ein Sport. Seepferdchen lassen sich von geschickten Bastlerhänden aus Rofßkastanien schnitzen, Seejungfrauen kauft man am besten in der Fachhandlung. In den größeren Flüssen wird nach Weißfischen

verschiedener Art, vom

Silberfischchen bis zum

Wal,

geangelt. Es empfiehlt sich, die Rute für den Walfischfang stärker und elastischer zu wählen. Delphine dürfen wegen ihrer Kriegswichtigkeit in der Donau nur im September geködert werden. Der Sportangler braucht zur Ausübung seines Sportes, auch im Traum, einen Fischerei- und einen Erlaubnisschein, auf dem ganz genau an-

gegeben sein muß, wo, wann und mit welchen und wieviel Ruten er darf. Fischer 10. Angeln in Gabeln festgemacht, in Händen wippend, untern Armstumpf geklemmt. Naturholz, metallverstärkt, oder schihafter Luxus; aber: es gibt keine überzeugende Angelform; der De-

signer schweigt vor dem Bastler. Überhaupt: Schweigesport. Fachmannidylle. Nasse Schreberei. Fischer zerschnüren Chemiekaufmann J. sagungsvolles. Schon von Früh an nur dem auf Suche nach einer Frau ausgehen, vor der flüchtet. Die optimistische Fischdose fürn Fang

das Gemüt. Ihr > EntFang leben, nicht etwa

man später zum Fischen und die pessimistische

Fischkonserve. Das absurrende Röllchen, senkrecht auf ein zweites.

Der babybunte Plastikschwimmer. Das verrottete Lederimitationsköfferchen mit Abteilungen für Qualdraht und Firlefanz, die Schnupftabakdose mit farbarmen Ekelkriechern: Todeskandidaten und Mordassistenten. Fischer 11. Der Fisch, durch die Farbe und das Aussehen des Köders angelockt, nähert sich, steigt hoch, öffnet sein Maul und wird von 87

Flotte

einem Haken gehalten. Sein Festmahl wird traurig sein, weil er ein Gefangener ist. (Claudius Aelianus, 200 n. Chr.) ..„.Da sah ich einen prächtigen Käse vor mir, roch sein Anisöl (> Fischer 8) und wußte aus dem Elementarunterricht, daß es hier

etwas zu erjagen gäbe. Wie staunte ich (entschuldigen Sie, daß ich zutzle, aber mein ganzer Gaumen ist zerfetzt), als der Käse beim

Schlucken Widerstand leistete. Er hatte einen Fortsatz aus Metall — ich schlage vor, daß unser Technologisches Institut dieses Phänomen

untersucht. Ich wollte das Metall ausspucken, aber es spreizte sich in meinem Mund so ungeschickt, daß ich es nicht hinausbekam. Ich versuchte mit meinem Schwanz zu schlagen, aber das Ding lockerte sich nicht, im Gegenteil, es tat jetzt richtig spitz weh. Kaum hatte ich um mich geschlagen, riß jemand von oben an dem Käse, sicher ein braves Tier, das mich befreien wollte, aber der Metallteil ging beim Rausziehen merkwürdigerweise nicht hinaus, sondern ganz tief herein. Plötzlich schrie ich im höchsten Ultraschall auf, denn nun be-

arbeiteten meinen Mund bis in den Schlund hinein unzählig Scheren (> Fischer 7). Ich spuckte ganze Teile meines Körpers aus und sah gelbe, grüne und blaue Sterne. In diesem Delirium sank das Wasser meiner gewohnten Tiefenschicht rapid gegen den Donaugrund zu, und mit einem Mal war das Wasser überhaupt weg, es war schauerlich atemleer und blau, bunte Flecken flogen auf mich zu, und als sie mich erreicht hatten, knallten sie an mich; ein Tier oben nannte diese Flecken „Erde“ und „Gras“. Ich spuckte Blut,

die Augen quollen mir aus den Höhlen, weil ich nichts in den Kiemen

hatte,

und

hörte

unverständliches

Leiern

einer

zarteren

Stimme: „Man drehe das abgehäutete junge Fischlein rund zusammen, stecke ihm das Schweifende in das Maul und befestige es mit einer Dressiernadel, lege es auf Zwiebelscheiben in eine flache Kasserolle...“ Dann maß mich das erste Tier und stellte fest, daß ich

nicht die polizeiliche Länge hatte (>-Fischer 3). Es drückte mir seine Fingernägel tief in die empfindlichste Stelle, holte aus, und plötzlich flog wieder das Wasser auf mich zu. Sie müssen, wie gesagt, entschuldigen, daß ich zutzle, aber es war eben ein entsetzliches Abenteuer. Daß sich die Mädchen seither um mich reißen, ist, offen

gestanden, nur ein kleines Trostpflaster. Flotte. > Gelbe Schenken 4. Frau und Freude, das Blatt mit Herzpfiff 1. „Huhu! Kommen!“,

ruft sie aus dem Schlafzimmer, als erwarte sie uns zur Bescherung. Das niedliche rotbraune Haarteil ist nicht zu übersehen. „Das benutze ich nur, um die Haare hinten voller zu machen.“ „Und wenn

Sie einmal vom Regen überrascht werden und abends noch eingeladen sind —

88

was tun Sie dann??“ Sie steckt eins, zwei, drei das

Frau und Freude

Haarteil fest, erst dann sagt sie: „Da gibt es jetzt was unerhört Praktisches —

elektrische, heizbare Lockenwickler.“ Sie dreht sich

nach dem Wecker auf dem Nachttisch um und schreit im selben Moment:

„Hui! Wenn

wir uns jetzt nicht beeilen, machen

schäfte zu! Raus!“ Hallo, girls! LigeLte-Kosmetik. Mensch!

Sahara-Beige

schöne

die Ge-

So jung und schon ein neuer

verträumte

Sünde.

Für sehr, sehr

sanfte Mädchen. Tornado — so ein Rot! Lebendig und knisternd vor Spannung; Tornado-Mädchen stehen ihren Mann. JagdhundPurple — hinreißendes Lächeln; eine wilde Farbe, verwirrend wie

der aufregendste Sommerflirt! Charleston 68 — heiße Rhythmen — heiße Küsse; das Violett behexender Faszination. Yucatan — zarte Lippen — zärtliche Worte. Der sonnige Schimmer macht Yucatan zum strahlenden Abglanz glutvoller Sommertage. LiBELLE-Kosmetik — der Lift zum Erfolg. Die kluge Frau sagt JA zu Käse. Frau und Freude, das Blatt mit Herzpfiff 2. Inr TRAUMBUSEN. Ha-

ben auch Sie dieses Problem? Können auch Sie ein gewisses Neidgefühl nicht unterdrücken, wenn Sie eine dieser Leinwandschönheiten sehen, deren hohe, feste Brust zu Bewunderung zwingt? Würden

Sie ihr gern ähnlich sein und ebenfalls eine Traumbüste haben? Was hindert Sie daran? Tonlos biß der Chirurg die Lippen aufeinander. Gebärmutterkrebs, sagte er nach einer Weile leise. Eine dicke Träne stand in seinem rechten und linken Auge. Exstirpation? schienen die Blicke des kleinen schüchternen Assistenzarztes zu fragen. Zu spät, erwiderten

grimmig die Kaumuskeln im eigentlich schönen Gesicht des Skalpellstars. Aber er sagte nur — und die Worte fielen wie Blei von seinen Lippen: Verständigt Baron Stolzenberg. Niemand sollte sie hören, die Stimme, die die Welt in einem einzigen Klageschrei ertränkte: „Claudia!“

Birgitt ist mollig, vor allem im Gesicht. Selbst wenn sie abnimmt, nimmt ihr Gesicht zu. Den Hals verdeckte sie am liebsten mit Rollkragen. Dadurch betonte Birgitt noch ihr kleines Doppelkinn (Foto rechts). Ihren Mund malte sie in zu hellen Tönen voll aus, was ihren Lippen eine ungünstige Wulstigkeit verlieh. Den Teint grundierte sie weiß nach Art eines Clowns, wovon wir ihr zugunsten eines unauffälligeren Beige abrieten. Ihre Stirn bedeckte sie bis zu den Augen mit Ponyfransen, was bekanntlich ein pummeliges Gesicht breiter erscheinen läßt. Wir rieten ihr zu einem todschicken Haarteil. Auch die waagrechte weiße Streifung ihres lichtblauen Lieblingspullis rieten wir ihr aufzugeben; im mitternachtblauen Kostüm und

gut eingemiedert, sieht Birgitt gar nicht mehr so mollig aus (Foto 89

Frau und Freude

links). Im nächsten Heft machen

wir eine Kunststudentin

zur

Dame.

Frau und Freude, das Blatt mit Herzpfiff 3. Unser Eros-Test HEUTE: WIE REIZVOLL SIND SIE? Klopfen

Sie weiche Eier mit dem Hammer auf? mit dem Kleinfingernagel? (5 Punkte) mit dem Chinafächer? (10 Punkte) Wenn Ihr Freund eine schlüpfrige Bemerkung macht, ohrfeigen Sie ihn? (6 Punkte) küssen Sie ihn auf die Wange? (6 Punkte) summen Sie verhalten ein altes Kirchenlied? Lieben Sie... im Winter Tschaikowskij? (3 Punkte) im Sommer Franz Lehär? (5 Punkte) jederzeit den unspürbaren Che£ri-Tampon*?

(3 Punkte)

(10 Punkte)

(20 Punkte)

* auch 13jährige dürfen es wagen...

Meine Mutti verbietet mir, meinen Freund zu sehen. Sie will ihn

gar nicht erst kennenlernen, weil er so lange Haare hat. Soll ich ihn heimlich treffen? — Liebe Elsbeth! Rede doch mal mit deiner Mutti und sage ihr, daß lange Haare nicht unbedingt einen schlechten Charakter bedeuten. Liebe FrAU unD FrEupE! Ihr Farbbericht war in Bild und Wort gleichermaßen erregend. Er zeigte ein Morgenland wie in „1001 Nacht“. Liebreiz und Grausamkeit haben hier ihren angestammten Platz, schließen sich gegenseitig nicht aus. Eine Szene wie die Auspeitschung vergißt man nicht so leicht. Dennoch erscheint sie mehr faszinierend als abstoßend. Helga L., Ochsenziem Kann jetzt jedes Kind oder sogar der Mann gute Reibekuchen machen? Das behaupten wir nicht! Denn auch Guckt-Reibekuchen müssen gut zubereitet und mit herzhaften Beilagen versehen werden. Frau und Freude, das Blatt mit Herzpfiff 4. JUNGVERLIEBTE HABEN HEUTZUTAGE MEHR VERNUNFT. Bei Umfragen erfuhren Meinungsforscher: Fast 75% aller Mädchen wollen heiraten und sich nur ihrer Familie widmen. 44% sagen gleich beim ersten Heiratsantrag ja; 76% verurteilen Ehebruch; 84% tanzen gern; 96% haben einen Regenschirm; 15% mögen Männer in Uniform; 7% lesen nachts ein Buch; 41% inspizieren nachts „seine“ Taschen; 92% sind mit ihrer 90

Frau und Freude

Brust unzufrieden; 48%

wünschen sich drei bis fünf Kinder. Die

angehenden Väter sind im allgemeinen für etwas weniger Nachwuchs; bei ihrer Zukünftigen wünschen sich 55%: sie soll ein Durchschnittstyp sein. Behaglichkeit und Repräsentation durch täuschend echten Kamin. Mit elektrischem Holzfeuer und Flammeneffekt. Einmalig! Stürzen Sie sich hinein in den Wirbel ausgelassener Heiterkeit, in diese herrlich prickelnde Atmosphäre überschäumender Freude — umwogt von Musik und frohen Menschen! Diesen Zauber unterstreicht dezent und leicht anzuwenden M. F. Eye MAkE-up. Für diese Saison empfehlen wir: Die Augenbrauen nicht ausrasieren, sondern feminin bleichen; nur einen schwalbenflügelförmigen Bogen von einem Millimeter in Schwarz ausziehen, dann innen nilgrün,

außen türkisblau überstricheln — das gibt heitere Beschwingtheit; darüber schmeichelt ein Stäubchen Goldpuder. Von der Nasenwurzel aus leicht nach außen hin das Lid abschattieren in der zärtlichen Lidpuderfarbe Wüstenwind I. Das äußere Auge wird zum Jochbogen mit einer fröhlichen Modefarbe bedeckt, die zu Kleidung oder Schmuck paßt: zum Beispiel Orange, Grün oder Gold. Unter dem Jochbogen verteilt man Zimt oder Grau, was das Lid apart vergrößert. Auf dem Lid selbst empfiehlt sich Wüstenwind II, Mor-

gengrau oder Bernstein. Der Lidstrich wird mit brauner oder jetschwarzer Farbe übermütig weit nach außen gezogen, am Ende leicht abfallend. Die Oberwimpern werden dreifach getuscht und getrocknet (Natur- und einzelne Zobelhärchen durch Bernsteinlack vorher vereinigen). Die unteren Wimpern werden zart in der Lidstrichfarbe nachgestrichelt und damit das Auge fast magisch vergrößert. Die freien Zwischenräume werden behutsam mit weißem Lidstrich oder Puder ausgefüllt. Zuletzt wird in die Oberwimpern zweifarbiger Flitterstaub gestreut und in die Augen Eye-Joke eingetropft, das ihnen die Müdigkeit nimmt und sofort einen optimistischen Glanz verleiht. Frau und Freude, das Blatt mit Herzpfiff 5. Ich GEHE MIT EINEM Mann. Mit ihm — das muß ich gestehen — habe ich seit unserer Verlobung ein Verhältnis. Es ist das erste. Er glaubt es aber nicht. Vor kurzem fragte ich, wann wir heiraten würden. Mein Verlobter

verdient gut und ich auch. Übers Wochenende ist es bei uns immer sehr langweilig. Wir sitzen in Lokalen herum. Ich denke, wenn wir verheiratet wären, wäre alles ganz anders. SEIT KURZER ZEIT BIN ICH GLÜCKLICH VERHEIRATET. Mit meinem Mann ist alles in Ordnung: er trinkt nicht, raucht nicht und hat kein Hobby. Aber er verkehrt mit einem Kollegen, den ich nicht leiden kann, denn er ist ein Kneipengänger. Ich habe meinem Mann ge91

Frau und Freude

sagt: „Das ist kein Umgang für dich.“ Aber er läßt nicht von ihm. Neulich verspätete er sich zwölf Minuten zum Mittagessen. MıT GANZEN 54 JAHREN IST ER SCHON PENSIONIST GEWORDEN! Nun ist er seit sechs Jahren daheim. Er nörgelt vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Er steckt in alles seine Nase hinein. Ein trauriger Lebensabend. AUCH AUF SIE WARTET DIE GROSSE LIEBE! Den Partner fürs Leben gefunden zu haben, ist eines der größten Erlebnisse. Sie brauchen nur Ihren ausgefüllten Glücksgutschein einzusenden, alles weitere

ergibt sich dann so gut wie automatisch. Frau und Freude, das Blatt mit Herzpfiff 6. „Bis jetzt hat er sich noch immer an mich gewöhnt, ich krieg das schon hin! Eine Frau muß diplomatisch sein, ihn ab und zu nach seiner Meinung fragen und ihm vorher heimlich ihre eigene suggerieren!“ „Aber wenn Ihr Mann Sie nur so liebt, wie Sie wirklich sind, nämlich schwarz?“ Sie

legt die Puderquaste zur Seite und sagt energisch: „Dann würde ich eben wieder Natur tragen. Denn mein Mann steht ja mit mir zusammen auf.“ Für ein glücklicheres Leben zu zweit: Ein ganzer Mann mit Gmsoran®. Wieviel hängt doch von der Leistungsfähigkeit des Mannes ab — im Beruf, aber auch in der privaten Sphäre. Fühlt er sich jung und vital, ist das Leben nochmal so schön. IcH BIN VERZWEIFELT. Mein Mann zieht neuerdings gern meine Höschen an. Das erste Mal war es für mich ein großer Schock. Jetzt dulde ich es mit zusammengebissenen Zähnen. Ich fühle aber, daß das so nicht weitergehen kann. Ist das normal? Tun das andere Männer auch? Ist es vielleicht ein Scheidungsgrund? Auf der Flasche sitzt ein goldfarbiger Vogel, der zwitschert und singt, sobald man die Flasche bewegt. Dies alles wirkt wie Zauberei. Wenn ein Getränk in die Schale eingefüllt ist, sieht man auf dem Boden eine reizende Geisha. Praktisches Geschenk. Frau und Freude, das Blatt mit Herzpfiff 7. Frisur und Kleider allein tun es nicht mehr, wenn ein Mädchen sich für besondere Ge-

legenheiten schönmachen will. Nun wird auch das Gesicht genormt: Paris diktiert „La Belle“. Jean Casserol hält bereits Kurse für Kosmetiker aller Länder ab, um Dutzende Exemplare von „La Belle“

in jeden Tanzsaal

Europas

einzuschleusen.

FRAU

UND

FREUDE

macht in der nächsten Ausgabe auch Sie zur „La Belle“. KANN MAN ZU SCHÖN SEIN? Alle meine Freundinnen sagen es, und

ich weiß es aus bitterer Erfahrung: Ich wirke auf Männer zu stark. Kann man denn zu schön sein für die wahre Liebe? Weltweite Untersuchungen zeigen, daß bei Blähungsbeschwerden (Völlegefühl, unangenehmem Aufstoßen, Blähbauch) die Luft nicht 92

Frau und Freude

in freier Form vorliegt, sondern in einem trägen Schaumknäuel eingehüllt ist. BLamosan bringt diese schleimigen Blasen zum sekundenschnellen Zerfallen. Die freie Luft kann deshalb wieder auf natürlichem Wege entweichen. Eine schöne Frau weiß immer, daß sie auf Romantik nicht ver-

zichten kann. Frau und Freude, das Blatt mit Herzpfiff 8. FRAU UnD FREUDE —

immer brandneu. In unserer nächsten Folge: Kinderlose Prinzessin adoptiert Negerbaby. Margaret geheimnisvoll bedroht. Wankt Pfauenthron? Ira von Fürstenberg dreht nıcht. Kommt Beatrix denn nie zur Ruhe? Welt zittert um Fabiolas Glück. Außerdem: Kinderarzt gibt wertvolle Tips für richtiges Stillen. Waren Napoleons Eltern streitsüchtig? Wie du „ihn“ zu einem Heiratsantrag

bringst. Ist jede Frau ein Vampyr? — Das Rätselhafte in und um uns fasziniert immer aufs neue. Aber nicht nur Okkultes, auch die

verschiedenen Wettbewerbe bringen viel Rätselhaftes. Doppelseitiger Horoskopteil mit Erfolgszahlen und Test. Gewinnen Sie ein Schwein! Alle Ihre Fettpolster werden gezielt abgebaut; nur an Körperstellen, wo Sie es wünschen.

Darf ich nicht basteln? Ist er anders veranlagt? Er trägt keinen Hut! Mein Vater verfluchte mich. Er hat mir ein Blatt mit üblen Fotografien gezeigt! Ich war eine wilde, wüste Person. Ich möchte verspielte Wäsche tragen. Warum ist er Bettnässer? Fliegen beschmutzen Ihre spiegelblanke Wohnung! Überall hinterlassen sie unappetitliche Spuren! Auf Lampen! Auf Vorhängen! Auf Glas! Auf Möbeln! FLIEGEN!

FLIEGEN!! FLIEGEN!!!

Frau und Freude, das Blatt mit Herzpfiff 9. Denken Sie jede Sekunde an Ihre Schönheit. Schreiten Sie wie eine Königin. Ein Mann, der behauptet, er sei der Herr im Haus, lügt auch bei anderen Ge-

legenheiten. Tragen Sie ein optimistisches Gesicht. Prägen Sie Ihren Mann.

Spitze ist unschlagbar, weil sie einen Mann

sehr zart ans

Heiraten erinnert. Nichts läßt Frauenaugen so blitzen wie der Anblick edler Diamanten. Machen Sie keine Lachfalten. Eine Frau fühlt sich dann am stärksten, wenn sie einen Mann schwach gemacht

hat. Armband aus Goldplättchen mit Turmalinen und Brillanten: diese goldene Fessel läßt sich jede Frau gern anlegen — stimmt’s? Pelzbikini — der Traum jeder Frau. Wenn es um einen neuen Hut

geht, ist jede Frau ganz Ohr. Für eine Frau ist es besser, den Mann zu heiraten, von dem sie geliebt wird, als den, den sie liebt. Der

Mann ist eben ein Egoist. Abends bevorzugt Eva nach wie vor Romantik. Kinder sind der beste Ehekitt. Liebe geht ja doch durch 93

Freiheit, die ich meine

den Magen. Frauen sind ja doch bessere Diplomaten. Die Klügere gibt ja doch nach. Die Liebe ist ja doch eine Himmelsmacht. Die deutsche Frau hat Hausverstand und läßt sich nicht manipulieren. Freiheit, die ich meine. Nicht identisch mit der, die Ernst Jandl meint. Die echte lexikale Freiheit (> Gebrauchsanweisung) bestände darin, meint Jandl, keinen Autorenstil aufgezwungen zu kriegen: zwinge ich dem Leser bei jedem Artikel meine Sprechgewohnheit auf, hustet der Leser auf die Freiheit in der Abfolge von

geographischen Punkten. Jand!l — weil es ihm um die Sprache geht — glaubt, die Konstanz des Protokollführers plus die Variabilität des Protokollierten ergeben eine Konstanz. Ich — weil es mir um die Sache geht — glaube, die Konstanz des Protokollführers plus die Variabilität des Protokollierten ergeben eine Variabilität. So, wie die Konstanz des Fahrenden plus die Variabilität der Fahrtpunkte eine Variabilität,

genannt Fahrtvergnügen, ergeben. Nach Jandl wäre nur noch die Fahrt aus der eigenen Haut vergnüglich. Indessen stelle ich mir Jandls Alternativlexikon reizvoll vor; ich würde es, weil seit Mao Gärten ja Platz für tausend Blumen haben,

als eine erfreuliche Konkurrenz und Unterhaltung begrüßen; ich gebe zu, daß ich mit dem Lexikon jedes Mitmenschen froher spielen werde als mit meinem eigenen. Vorderhand kann ich Freiheitsliebenden der Jandl-Variante nur raten, bei jedem meiner Stichwörter in einem neutralen Lexikon,

einer Etymologie oder auch sinngemäß in Kompendien der Technik, Erotik, Völkerkunde,

Psychiatrie etcetc, bei Marx,

Wittgenstein

oder in der Bibel nachzuschlagen. Mit diesem Rat bin ich unweigerlich avantgardistischer als die neugierig erwartete Konkurrenz. Gaatsch:

einer der m. E. tolerablen Austriazismen,

da in seinem

Fall das weich Verbreiende wienerischer Konsonanten und das dehnend Verzähende wienerischer Vokale dem darzustellenden Material adäquiert. Einen Gaatsch (Erdkot, Lehm, Morast) zu katschen (kauen), mit gesundzahnigem K und schnappigkurzem A, ist minder zumutbar als: ihn zu gaatschen, mit gammligem Graugrün-Gebiß und mittendrin einschlafendem Gaatsch-Maul. Garage. Garagentür und -wände öffnen sich, der Aufbruchsgeruch nach Reifengummi und Abbenzin startet in die Weite des Tags und Lebens von Alphard Mutz. Heute noch wird man in den Bergen sein, rosa Klebblumen pflücken (voll Anheft-Insekten), sogar die Blaublume Enzian. Scharfriechende Almkräuter abstengeln, Muhkuhli-Bimmeln hören aus großen schweren Messingglocken, Konkurrenzbimbam der Abendkirche, oder man wird in jenem See94

Gasthäuser

restaurant essen, wo die dekadenten Kellner ihre Silberrechnungen präsentieren und diskret ins Geplätscher der Kurkapelle hüsteln. Oder an den klinker-zerkrachenden

Zementfabriken

vorbei, dem

staubweißen Ohrentod, und überall Seitenwege, Verzweigungen, Anti-Straßen, auf denen die Eltern geradesogut fahren könnten — warum fahren wir nicht neben uns, quer auf uns, gegen uns, fragt der Siebenjährige, lehnt sich zurück, zählt die damals noch seltenen

Gegen- und Vorfahrzeuge, fängt und kaut ihre Nummern, freut sich auf Stadtrast und grüngrünen Marzipankürbis. Der Garagenmeister hat eine Bauchkugel und läßt Gehilfen zapfen, schmieren und klopfen. Hinten steht sogar eines jener zusammengemoppelten Geräte, schweigsam und abwartend, das sonst zischt und blaue Strahlen schießt, und von dem blauverpackte dickbebrillt- und -behandschuhte Männer, die sich schmutzig machen dürfen, die Kinder immer wegscheuchen; „Autogen-Schweißen“ nennt man das Zisch, „Auto“ ist klar, aber was hat blaues Licht mit

Schweiß zu tun? Benzin plätschert, wie Wasser. Benzin hat immer Geldscheine in

der Nähe. Mit Benzin kommt man weit, und Alphard fragt noch nicht, wie weit willst du eigentlich kommen, Alphard?. Alphards Welt ist noch ganz Möglichkeiten; Beschränkung macht noch nicht den Meister, sondern wird als wildes Schmerzmitleid mit Erwach-

senen geahnt. Die Autotüren schlagen zu, werden abgesichert, die Frau kuschelt sich, der Mann überherrscht die Instrumente. Das Kind schaut

sich die Welt von hinten an, schon schwindet eine ganze Schwade von Eissalons im aufgeräderten Straßenstaub, und auf gehts in die Bläue des fremden Tagablaufs, des verstörten Mahlzeitplans, des Schauens, Anti-Schlafens, Überall-Ansiedelns. Gasthäuser 1. Zum WorLrı-BAUER. Er hat am Steinschlag einen

potemkinschen Garten und putzt die rosa Blüten. Eine der Oleandertöpfinnen liebt er besonders. Wenn er nichts zu tun hat, sitzt er auf dem Topfrand. „Change!“, verlangte ein Engländer und reichte ihm tausend Schilling. Der Wolfi-Bauer verstand sofort und wechselte. Is der echt?, fragte er Blasi, seinen Freund, auf dem Pissoir. Ja, der Wolfi-Bauer ist kein Surm, wie die Leute sagen, sondern

gerissen. Einmal hatte er sogar zum Theater wollen, aber das war lang her. Freundinnen sagten, sei nicht so teppert; St. Pölten ist ein heißer Boden. Nun hat der Wolfi Steinkrüge und gutes Knopfer Bier. Musebart, der bierkundige Millionär, steigt gern dort ab. Und kalt! Gasthäuser 2. Entlang der unbefahrenen, in Gras mündenden Hinterstraße stehen seine Tischreihen an seiner Wand, von der Straße

95

Gasthäuser

nicht abgegrenzt, außer durch die Autorität zweier kräftiger Linden. Ein Arbeiter wird sich an einen beliebigen Tisch setzen. Das Schwitzen vergeht, aber die Mücken stechen. Der Arbeiter denkt ans Arbeiten. Der Rücken ruht aus. Diese guten, langausgezogenen Häuser, diese guten Sommer. Bewohnbare Erde.

Gasthäuser 3. Die räumliche Tiefe mancher Gasthäuser. Ein Kriegsteilnehmer erklärt auf der höheren Ebene eines dritten Nachbarzimmers, während draußen auf zwei Ebenen Gasthofgarten stattfindet, der schräggestellten und angehobenen Theke, die den in ein tiefergelegenes winkligstehendes Sonderzimmer abgeeilten Wirt ersetzt, den Unterschied

zwischen

Feldhaubitze

und Mörser.

Ein

Bierrastweibchen ergreift anderthalb Ebenen drunter ihre kleine Panzergranate und färbt sich damit die blankgegessenen Lippen. Gasthäuser 4. Die Schenke ist neutral wie ein Probierglas. Gut: die Kohlenhändlersteckkalender, jahrealten Bierbretzen, rostigen Kellnerinnen. Aber: erst die Leute, die eintreten, machen die Schenke zu

der Schenke, die man (in einer ihrer Möglichkeiten festgefroren) erinnert. ZB grübelt ein junger Monteur, Trotz gegen „Bessere“ im Gesicht, am Wirtshaustisch beim Auseinanderschrauben eines Zylinders. An den Enden hat der Zylinder je einen drehbaren Zackenring, wie eine Mauerkrone beim Schachturm. Die Ehrfurcht, die man vor Technischem hat, schmilzt, wenn man miteinschließt, daß dieser Zy-

linder vielleicht für den Antrieb von etwas Dummem gehört. Nirgends die Ganzheit; Trost im Prost.

Gasthäuser 5. A verlangte 4 kg Eitriges, worauf alle Gäste sich zurückzogen. Frisch kadavert, fügte B hinzu. Daraufhin wurden A und B, wenn auch dumme, Freunde.

Gasthäuser 6. Schweinssuppe Gasthäuser 7. Sobald sich das hat

eine

„Manche sagen, die Schweinssuppe is nix. Aber die hat so schöne Augen!“ Holzbänke im Schattenhaus. Rembrandtstimmung. Aug gewöhnt: Feuerwehrmann; sagend: Meine Frau

Schulter

gekauft;

Feuerwehrmann,

antwortend:

Der

schnapst wie der erste Mensch. (Das zeigt aber, daß der Feuerwehrmann noch an eine Aufwärtsentwicklung glaubt. Er ist sympathisch.) Gasthäuser 8. Gruu-gruu- Was ist das? Eine Wildtaube. Strafender Blick des bärtigen Forstrats: Die kleine Ringeltaube! Seifenblasdehnbarer Bierschaum bespannt den Haarrahmen des Bierbarts. Ffff!, bläst der Förster, und schmma!, küßt er in das Schmalzbrot.

Gasthäuser 9. Präklimakterische Kellnerin. Weißes Kleid mit spärlichem schwarzem Jugendstil. Silbergraublonder Frisurhelm, feistes Gesicht, gute Arme, kurzgeschürzt beugt sie sich vor, so daß man 96

Gasthäuser

ihr noch tiefer ins Gewerbe sieht. Ein Witwer spricht sie an, erinnert sich an sie. Die Gläser, die sie bringt, riechen am Rand nach ihrem

Bergamottparfum. Ein Witwer wischt den Glasrand mit dem Handballen ab, sorgt aber dafür, daß der Handballen noch lange nach der schönen Schankfrau rieche. (Ein Chemiker sucht vice versa, aus mehreren Gerüchen diese Kellnerin seinen Freunden zusammenzumixen, die Dosen stimmen stöchiometrisch, aber die Kellnerin steht

nicht da.) Gasthäuser 10. Weil unser Vater lebt und stirbt für den Sportplatz! Gasthäuser 11. Flußrauschen, Baumrauschen, karnickelrote Augen, i war Paketzusteller, jetz bin i in Pansion; i bin ka Höherer wurn,

weil i de Matura net gmacht hab; aber de Matura mach i no, da könnenS Gift drauf nehma, jetz hab i Zeit...; — junger Mann, lachenS net, de Bütung is fürn Mentschen wichtig! Gasthäuser

12. SchaunS,

wir Männer

müssen

uns

wehren.

Wir

Männer sind die Gscheiten, wir machen die Geschichte. Machen die Weiber was? An Schmarrn machens, schöne Augen machens und aufpudeln tan sie sich. Und kebeln tans, sunst nix. Aber wir Männer machen die Geschichte. SchaunS, Sie sind doch gebildet, schaun Sie

sich einmal den Franz Joseph an oder den Napoleon Bonaparte, den großen Kaiser von die Franzosen, wissenS eh. Alles Männer. Alles Helden. Aber i, wann i heimkumm, meine Alte fahrt gleich aus die

Socken: Wo warst du? Wieviel hast du getrunken? Und alle san so! Verstehn Sie!, alle, ohne Ausnahm. HeiratenS nie. Bleiben$ ledig, weil nur so können Sie sich Ihr höheres Menschsein bewahren,i

maan s Ihnen guat. Geh, Rosl, bring ma no.a Viertl. Gasthäuser 13. Ich bin eine Schlange, sagt sie. Dworschak kerbt weiter mit dem Feitel die Tischplatte. Sie glauben mirs nicht, sagt sie. Sie kämmt sich in seine Suppe, sichtbar werden einige noch blonde Haare im Gegräu. Dworschak taucht den Feitel in die Suppe, um die Schlangenhaare zu fischen. Ich bin unberechenbar, sagt sie; sie gibt den Arm in die Höhe und lacht Dworschak plötzlich laut aus. Dworschak gönnt ihr einen Kalbsblick. Sie läßt die dürre Hand auf Dworschaks starkes Schultergelenk fallen und bohrt sich ein. Dworschak wischt den Feitel in die Stoffserviette und bindet sie sich gründlich um den Hals. Die Schlange zieht ihm die Zipfel zu, daß er blaurot wird. Ich nehme es mit der Moral nicht so schwer, sagt sie leimsüß. Hallo, hallo, sagt Dworschak, lockert die Strangulation und beginnt die Frittatensuppe zu löffeln. Gasthäuser 14. Ghörn alle aufghängt. Ghörn alle aufghängt. Was sagenS zu dem Buben in Melk? Ghörn alle aufghängt. Was sagenS zu der Diebin beim Schweikhart? Ghörn alle aufghängt. Was sagenS zu dem Bigamisten? Aufghängt ghört er. Was sagenS zu der 97

Gasthäuser

LSD-Party? Ghörn alle aufghängt. Die mit eahnere langen Haar. Beim Hitler hätts da keine Muckn gebn. Alle ghörn aufghängt. Wie s da sind, ghörns aufghängt. I sag aa immer: die Todesstraf müßt wieder her. A jedes rechtschaffene Land hat die Todesstraf. Die Todesstraf is die halberte Anständigkeit. Aber mir ham eben kan Herrngott mehr. (Ausspucken. Die Nase des Gastes trinkt Bier. Der Wirt peitscht die Wunde seines Hundes.) Gasthäuser 15. Ich hab in letzter Zeit mit der Hex nur noch gstritten. Ich hab sie ghaut, mir haben die Knochen wehtan, dann war sie brav drei Wochen, die Frau. Eine hysterische Fuchtel wars.

Braucht hats die Schläg. Und dann hab ich ihr eine gschmissen, sie is ihr im Buckl steckenblieben. Sie hat mir die Gabel raus. Am nächsten Tag hab ich dann Schluß gmacht. Gasthäuser 16. Der blinde Sägewerksdirektor betrat

Gabel nachgsagt: Nimm ganz mit ihr das Stamm-

gasthaus, fragte Myra Metellis Mutter, ob er sich hinzusetzen dürfte.

Ja, warum denn nicht?, fragte die Mutter. Nicht jeder schätzt die Gesellschaft von Blinden, sagte der Direktor. Ach, wir sind nicht heikel, sagte die Freundin der Mutter.

Der Sägewerksdirektor ließ sich nicht zweimal drängen, vom, wie er sagte, edlen Waidwerk

zu erzählen, dem er, wie er sagte,

jahrelang in den Karpaten gefrönt hätte. 250 Wildschweine wären auf sein Konto gegangen. Myra Metelli, die wußte, daß sie nun immer wieder zusammenzechen würden, legte umsichtig eine LISTE

DER

ERZÄHLTEN

WILDSCHWEINE

an. Bald sah diese Liste so aus:

3.1. 1968 gesagt, 250 4.2 ll 2 DER, TOR 14.3 28.3

400 400 300 500 250 603

usf

Nach Eintragung des 13. Postens verlas Myra öffentlich die Liste, und die Symposien mit dem Sägewerksdirektor fanden ein Ende. Gasthäuser 17. Mein Gott, das war unser Ideal: Schwammerlbrokken, mein Lieber! 98

Gegrilltes Hähnchen Gasthäuser 18. (Zur Zither:) Mich beißen die Madeln

so gern in die Wadeln, ich bin ein armer Hund.

(Kommentar: Wir sind alte Hund und wir bleim alte Hund. Na! Was?!) Gasthäuser 19. Jetzt müssen wir langsam trinken, sagte A. Ja, sagte B und zündete sich eine Zeitung an. Gasthäuser 20. Moment! Der Herzfehler. Der Arzt hat gesagt. Ein Adern, und der Kreislauf ist gestört. Verkalkt, das sind die Herzkrankheiten. Das sieht er. Das sieht er nicht. Das sieht er am Röntgenbild. Was sticht, ist ärger, als was brennt. Haben Sie auch Herzkrankheiten? Gasthäuser 21. GESCHLOSSEN. Denn in der Sperrstunde kam hier gestern ein waldknüppelbewaffneter fahrender Sänger vorbei, und der sang: Der Kerl hat nichts in seiner Schenke, valeri valera, dafür zerbrech ich ihm die Bänke,

valeri valera. Das sang er viele Strophen lang, und bei jedem Valera schwang er seinen Knüppel und zerschlug eine Bank. Tische und Wirt schonte er. Dann ging er müde davon, und der Wirt beschloß, den Vorfall erst einmal gründlich zu überschlafen und die nächsten Tage mit einem Schild

geschlossen zu überbrücken. Gegrilltes Hähnchen 1. Das würzsalzige Hautkonzentrat, über dem Feuer

zur

Köstlichkeit

zerkracht,

Schrumpftrophäe

von

einem

Hähnchenleib, goldbraun wie seine Plastik-Attrappe, aber schneid99

Gegrilltes Hähnchen bar in langzerkaubare Kruspeln; darunter das junge fischzarte Weißfleisch. Dazu vielleicht die Mitknusprigen, die heißen Pommes frites: außen Krachkruste, innen brühender Dampf. Nach dem zweiten Bissen mußten die Hähnchenesser flüchten, der

Reiseleiter hob wegen einer nötigen Umdisposition die Tafel auf, jeder wickelte in Papier, und manche, die noch an Flüche glaubten, fluchten. In seinen Träumen aß Zero Zobiak, der Bub, häufig das

gegrillte Hähnchen zuende, denn in Wahrheit kehrte es nie wieder. Gegrilltes Hähnchen 2. Jener unvergeßliche Witz, in dem zwei Playboys von Hähnchen den Besuch einer Bar erwägen, weil am Grill dort nackte Hühnermädchen sich drehen. Gelbe Schenken 1. Die Schenke ist > maria-theresien-gelb. Der Garten drin aber ist grün. Sogar die Tische und Bänke. Die Urlauber-Familie trinkt wenig, spielt hauptberuflich das Entenspiel: Alles schmeißt Entenwürfelchen auf den Tisch. Während des ganzen Ausflugs geht es: Vater hat drei Enten usw. Hinter die Regeln dieses Spiels kommt man nicht. Nur selten spielen die Kinder mit den lebenden Vögeln: den umherbettelnden > Hühnern. Na, Pipihendi,

rufen die Kinder zärtlich, legen den Brathuhnknochen

aus der

Hand, um es zu streicheln.

Gelbe Schenken 2. Trinken in geräumigem Garten. Weil das Wetter bis unlängst recht kühl war, sind die bunten Blätter und die grünen Blumen bunt und grün wie in einem Jungfrühling. Ein Mädchen in Wachauertracht wird fertigverziert und knickst dann ab zu einem Schulsingen. Der Spitzel kühlt seine Handflächen am gutgekühlten Weinglas mit dem gutgekühlten gelben Wein und erzählt, wie es ihm als Spitzel ging: Um an einem Türschloß besser lauschen zu können,

schaltete er, der „Ohren

wie ein Luchs“

hatte, ein

Schwerhörigengerät ein, die Feinde aber bliesen in diesem Moment ein Trompetensolo, und der Ertaubte mußte in Pension gehen. Heute aber möchte der alte Luchs diesen Gesprächsstoff nicht missen.

Gelbe Schenken 3. In den geräumigen buntgrünen Garten mit >- maria-theresien-gelber Hauswand und genügender Frischkühle auch für den > Hundstag kommt das Stuttgarter Autoausflüglerweibchen: puderblaues Kleid, Pudergeruch, vollovales Tätschelgesicht, blonde Löckchen, vorgehende weiße Unterwäsche, mollig,

kurzgeschürzt, lachend und noch zweiundzwanzig anderer Eigenschaften voll. Nicht nur das: ihr nach kommen noch lauter andere Autoausflügler, was sagt ihr?, lauter lustige lebenslustige trinklustige liebeslustige Autolustige, noch 154 anderer Eigenschaften voll, und da gibt es keinen, der nicht zerheiratet wäre, und wer es selbst nicht wäre, wäre doch schrecklich heiratslustig. Nein, dieses Völkchen hat 100

Gelbe Schenken

nicht, noch wurde für es die Atombombe erfunden. Pröstchen! Und Vervollständigung der Bruderschaftsschmätzchen. Hoppla, ich bin ganz voll Autoweibchenpuder. Juchhe, ists hier nicht nett? Ihr seid

doch so nett und geht mal bestellen. Es ist alles so nett hier, typisch gemütliches Entwicklungsland. Gelbe Schenken 4. In dem geräumigen blätterbuntblumengrünen Frischkühlgelbweingarten mit dem wachauervergoldeten Schulsingnachmittagmädchen trägt ein Österreicher eine Tätowierung im rechten Arm: FLoTTE 1961. Österreich hatte doch 1961 keine Flotte! Anzunehmen, daß es zuerst LoTTE hieß und einer andersnamigen Frau zuliebe zu seinem F kam. Dieser Andersnamigen zuliebe trägt der linke Arm wohl das große durchschraffierte Herz, dies schlauerweise ohne Buchstaben. Gelbe Schenken 5. Es kann hier leicht Abend werden, und in den

geräumigen blätterbuntblumengrünen Frischkühlgelbweingarten ohne das wachauervergoldete Schulsingnachmittagmädchen, aber sie muß bald zurückkehren, schnurren die Alten das Lied von der Vergänglichkeit ihrer Bekannten: „...und alle sind schön krank geworden und schön gestorben, eines schöner als das andere.“ Ge-

fahr des Langweiltodes schwebt im Unlangweilgarten. Ich aber habe meine Methode. Ich sage mir: Ich bin gestorben; alles, was

ich dennoch

wahrnehme,

bedeutet

Lustgewinn.

Diese

Methode ist besser als die, alles Gesehene als langweilig gegen das Erwünschte abzuschatten. Die Gestorben-Methode ermöglicht mir jedenorts Dunkelfeldmikrogramme, strahlende; Leuchtziffern im finsteren

Zimmer;

einen finsteren

Wald

voll Grellblumenintensi-

täten. Klarsichtpackungsglanzlichter, sagt ein Bezechter dazu, und alles Schöne zerfällt. Gelbe Schenken 6. Die > maria-theresien-gelbe Fassade, ja, selbst

noch der geräumige blätterbuntblumengrüne Frischkühlgelbweingarten verbirgt etwas; die knautschende Holzzauntür verbirgt es nichtmehr;

der Schankschrank

drinnen

schon

garnichtmehr:

ab-

gehäutete blutverschmierte schlanke Kaninchen hängen von ihm herab, durchs Beil verunkenntlicht zu großen Fischen; pfiffig geht der Alte das nächste und das nächste und das nächste abschlagen. Gelbe Schenken 7. Es kann hier leicht Abend werden und im geräumigen blätterbuntblumengrünen Frischkühlgelbweingarten die Sicht zum Haus verziehen. So definieren die Früh- und Spätvierziger, Männchen

wie Weibchen,

dann: Glück ist, über eine um

30 Grad geneigte Stufe in gelbblauem Licht in einen Vorraum zu treten, in dem — —

101

Gelbe Schenken Aber verwechseln Sie, bitte, dieses volle Stück Leben nicht mit

einer Eisengießerei. Dort könnten Sie bei solchem Eintritt ganz schön begossen werden. Gelbe Schenken 8. Vorgeschrittener Nachmittag im geräumigen blätterbuntblumengrünen Frischkühlgelbweingarten (ohne das wachauervergoldete Schulsingnachmittagmädchen). Sehen Sie klar, daß Sie ebenso merkwürdig sind wie ein ganzer Garten voll Opiumraucher?, fragte Zero Zobiak mit Stentorstimme die Wirtsgartenmeute. Die Leute befiel Unbehagen, weil sie in Opiumrauchern etwas Untermenschliches sahen. Willst du unser Führer werden?, fragten

sie nach einer Doppelsekunde. Kei-neswegs, antwortete Zero etwas holzpuppig. Gelbe Schenken 9. Es kann hier leicht Abend werden und die Men-

schen endlich doch aus dem geräumigen blätterbuntblumengrünen Frischkühlgelbweingarten in den Schankraum verschleppen. In einer

Vitrine liegen dann mager- und fettes Selchfleisch, liegen Kümmelbraten, Räucherwurst und Käs. Drüber steht in Phantasiegotik und

mit grünem Kränzchen SETZ DICH ÜBER ALLES WEG, FREU DICH ÜBER JEDEN DRECK!

Der Dreck ist nicht abgebildet. Der alte Schriftsteller freut sich, daß er hier arbeiten kann, wäh-

rend die anderen hier verwesen. Er bestellt einen Kümmelbraten. Seine Zähne wüten im Schwein, er kann Vegetarier verstehen.

© Er schreibt: Mit jedem Jahr, das ich verbringe, kommen mir zusätzliche Aufgaben für den Rest meines Lebens: zum Beispiel, mir die bisher gelangweilt betrachteten Kinder anzuschauen, in kleinen Bahnstationen

(etwa dem fernen Reka-

winkel!). Mit jedem Jahr fallen zugegebenermaßen solcher Aufgaben wieder fort, aber in Summe

einige

dürfte ich die

höchste Lebensintensität mit 80—90 haben, das heißt, wenn ich Pech habe, nach meinem Tod.

© Er schreibt: Sie machte es mir nicht leicht. Sie war eines jener Mädchen, die durch einen schwierigen Weg über ein nichtlohnendes Ziel hinwegtäuschen. ® Er schreibt: Jede weibliche Person auf ihre Jugendzeit zu reduzieren — das ist eine alles in allem wehmütige Technik. © Er schreibt: Ich liebe es, mich mit der Einhaltung von Vorsätzen zu überraschen, die ich nie gefaßt habe.

© Er arbeitet über die Affwerdung des Menschen. Gelbe Schenken 10. > Gelbe Schenken 6, aber: Die erschlagenen Kaninchen freuen den pensionierten Polizisten, erinnern ihn an den 102

Gelbe Schenken

Kriegs-Polizeidienst in Rußland. Er käut wieder, wie ein befreundeter russischer Milizpolizist einen Häftling halberschlagen als blutige Masse zwei Stockwerke tief hinuntergerollt habe (Soll er hin sein, so Dreck haben wir genug); anschließend habe der Milizpolizist den Erzähler gefragt, ob er budern wolle, im Arrest seien hübsche Mädchen; die haben sich darum gerissen, weils ihnen dafür

gut ging; „alle waren sie aufs Budern; pfui Teufel, das war gut!“. Der Pensionist rühmt sich seiner mächtigen Dimension und seiner Weitherzigkeit im Verteilen der Arrestmädchen an Dienstkameraden. Er zeigt, wie busig die Russinnen waren: „Solche Lollobritschie-

das!“ (Seine Uhr war bei > Lollo stehengeblieben.) Gelbe Schenken 11. Der buntgrüne blumenweingelbe trachtenwandige Garten spielt das Stück „Marzipanpuppe der brutalen Kaufleute“. MARZIPANPUPPE

BRUTALITÄT

Das Mundartsprechen bringt das

Echt schön, auch schön herge-

Unwirsche,

richtet.

Gehässige,

Intole-

rante, Angeberische, Undenkende gut heraus. Die Marzipanpuppe ist rasch mit Ohrfeigen, hält auch das Kind öfters an, dem Dackel eine zu geben. Man prahlt mit Reisen (A: „Wir

haben von oben 200 km weit gesehen!“ B: „Inge, wie weit haben

„Makelloses,

raffiniert

in freundlichen Tönen abschattiertes Marzipangesicht; in dessen Katzenrund katzenschmale ausdrucksvolle und hübsch unterschwärzte Augen eingekernt. Blattförmig gezeichneter schattiertgeschminkterr _Kußmund. Schwarzgefärbtes üppiges Haar,

wir gesehen?“), mit Spezialitä-

locker, das Gesicht einhüllend.

tenrestaurants,

Den goldiggebräunten weichen Körper in ganz weißem Minikleid. Aus dem Braun der Hand weißlichleuchtend die deckrosa gelackten Fingernägel. Voll ausschwingendes Parfum mit unterdrücktem Süß.“ Der einzige

Whiskies.

Diät

an Denkinhalten macht sie lauthals und sicher. Man glänzt mit Perfektion im Nutzwahrnehmen, vom totalen NettopreisLeben bis zum Abreißen von Obst im blumenweinbunten läßt den Dackel

merkliche Fehler, die starke Be-

ruhig eine halbmetertiefe Kuhle untern Gasttisch graben, man schickt den Wein wegen Korkgeschmacks dreckiglächelnd zu-

haarung der Waden, stört nicht. In der üppigen Achsel fraut viel Schwarzhaar.

Garten,

man

rück; in der Feuerzeugflamme

verbrennt man ein halberschlagenes Langbeininsekt; die Mar-

zipanpuppe lacht sattschön dazu.

Gelbe Schenken

Gelbe

Schenken

12. In ihrem blätterbunten

blumenweingelben

Garten mit Trachtentochter pflegt es rasch Abend zu werden, dem

Drinnen zuliebe. Drinnen wartet das Niegesehene Längstbekannte: steilgiebelige weite Stube, an alte Dachböden erinnernd mit ungestört wachsenden Spinnentieren, Duckschnüren, Truhen und Luken. Weite statt Höhe. Die Wände aber naturlasiert, ast-reich, mit Wein-

wurzeln behängt, der unheimlicheren Art von Geweihen. Schmiedeeisen für verwitterte Feldhüte, eingezuckerte süßriechende Stenotypistinnenmäntel. Rotweißkarierte Bauernvorhänge, achtzig Jahre

und von Achtzigjährigen angeraucht, stecken nun voll alter beklemmender Gewürze wie eine Küche, in der gebeizter Lungenbraten siedet. In Sommergewittern tritt ein hagerer LKW-Fahrer ein, mit

eingesunkenem

grauem

Hitlergesicht,

schnapsglänzenden

Augen,

stoppelbärtig, verschwärzt wie ein Teufel. Nur anfangs ist die Schenke eine Schenke. Später bedrückt das Niegesehene Längstbekannte wie jener lebenslang wiederkehrende Traum, in dem man mit der verstorbenen Mutter jahrzehntelang eine zwei Kilometer umfangende Ellipse abgeht, beim Licht einer düsteren Lampe, mit Bassin in der Mitte, einem Ofen, einem Wächterhaus und trockenen Bäumen seitlich mancher Bahnpunkte. Gemeindebauten 1. Husten erlaubt, Spucken verboten, junge Mutter tauscht Baby gegen Plattenspieler, Fertigbeton lähmt die Potenz?, Kohl, aufgewärmter Kohl, aufgewärmtes Kraut, Kraut, Sauerkraut, Kohlrüben, entblähter Einmachkarfiol durch Zugabe von Brotstückchen, Zwiebelkartoffel, ranziges Hirn, qualmende Margarine, alte Wurst ausbraten, Tür 26 Tb-Fürsorge, immer noch ??, schildkrotschwere Monteure, dreibäuchige Straßenarbeiter,

„Mao“-Tintung an der Waschküchentür, Blumentopf in grünverziertem Porzellanscherben, Plastikwäscheleine, -klammern, -locken-

wickler, -puppengeschirre, Aussterben der Gesäßtritte, Zunahme der Handkantenschläge, Gummi- + Kaugummi-Automat, Frauenarzt, Kassenkontrollor, Gaskontrollor, Telephonkontrollor, Hausinspektor, Rattenstreuung, Näh- und Strickmaschinen müssen auf

Filzunterlagen stehen, 1 Hund od. Katze erlaubt, Hunden ist die Schnauze zu verbinden, Kinder an die Leine!, Säuglinge sind mit Schalldämpfern zu versehen, mutwillige Glatteisbildung verboten, Kanäle sauberhalten, versiegeln Sie selber!, Handbohrmaschine bohrt Ohren, Eingabe wegen Nachbarbettkrachens, vor Selbstvergasung Stiegenfenster öffnen, Welensiddich endflohgen, Zintz bite

am 31.igsten 5—7. Ur, bite im Stigenhaus gefäligst keine Tschick nicht entflamen sonst drackonische Anzeige bei Politzei!!!, junge Plattenspielerin erhält Baby durch Fürsorge zurück, Spucken verboten, Husten verboten.

104

Gemeindebauten Gemeindebauten 2. In das armgrüne Dörfchen des Gemeindebaues, wo sonst wenig los ist, aber viele Kinder spielen, kommt diesen

Mittag, wenn alle Kinder vom Spielen fort und bei den Tellern sind und nur ein einzelnes Mädchen irgendwarum noch ein Blechrad durchs Gras treibt,

ein Spaßvogel, der sich als Friseur ausgibt, dem Mädchen die Zöpfe abschneidet,

ihr Resthaar

zu Zacken

zwickt, ihr einredet,

daß er ihr eine tolle modische Frisur mache. Nachmittag verkauft er die Zöpfe, kauft um den Erlös ein altes Pfeifenregal und sendet es dem Opfer mit erklärendem Eilbrief ins Haus. In allen Stiegenhäusern tratschen die Empörten. Gemeindebauten 3. So wie der Mensch im tiefsten Winter Frühjahrsaussicht hat, Gestöber scharfer Eiskristalle oder patschige Schneeflockenumschläge drum hinnimmt, das Schwirren hochgespannter Saiten in seinen blauroten Buswarteohren um Frostmitternacht, so leben die Bewohner

des Baues, die es aus Schokolade-

fabrik- in Asphaltkochernähe verschlagen hat, in dem Glauben, diesenfalls jedoch Aberglauben, daß die Wanderung des Erdplaneten den in jeder Hinsicht ausschließlich häßlichen Feuerteerkratzgeruch des brühenden Giftes unaufhaltsam verlieblichen, ja, reschokoladisieren wird. In diesem Glauben werden Kinder gezeugt und Jahre verseufzt, bis das Schlimmste eintritt, Besucher nämlich angestarrt werden: „Was heißt, nach Teer??“ Gemeindebauten 4. Verkoken, abblasen, sintern, teeren, cracken, rammen, festkeilen, drillen, drollen, rabitzen, muffeln, ankörnen, glasschlicken, dämmen, bördeln, schwelen, keilen, stauchen, seigern, kollern....

wird hier oft geträumt, Nacht für Nacht fährt die Feuerwehr umher, um den ausspritzenden Metallguß oder den undichten Zementofen zu löschen, die Rettung, um die abgesägten oder walzzerquetschten Gliedmaßen wiederanzunähen, der Leichentransporter, um die kalkbrühigen oder vitriolgrünen Reste einzusammeln, die Polizei, um die Schraubenlockerer und Laugenturmanbohrer dingfest zu machen, und der Träumende

schwitzt, schnarcht, röchelt, bläst, bis die

Schlafgenossin ihn aus diesem Alp in den nächsten schickt, und der Koker schwelt jetzt, der Stanzer bördelt und der Kalkbrenner ziegelt zur Abwechslung, oder er fährt, seine Haut endlich abstreifend, zum Mond, nach Hollywood oder in die Würfelstadt der Seligen. Gemeindebauten 5. Zero Zobiak, der Bub, liebt schon die dritte Edith. Jede Edith ist anders als die andere, nicht minder anders, als hieße sie Monica, Sumphia oder Titys. Und wenn die halbe Mäd-

chenwelt Edith hieße, das Persönliche ginge nicht unter. Nur in der 105

Gemeindebauten

Postzustellung gäbe es Irrtümer. Welch Fehler zu sagen, die Edithflut fördere die Vermassung. Gemeindebauten 6. Das Ziel der Feldstecher sind die Philemone und Baucen der Einzimmerwohnungen, ihre lüftenden Federnbetten und Nachthemden, ja: das Textilzeug bleibt Menschen von der JTungviehzeit bis hart an das Abhauen treu, durch schmackhafte und bracke Jahre, selbst in die Kiste gibt man ihnen gewöhnlich noch

Textilwaren mit. Die ausgeräumten Kiefer, kummrigen Kinnladen, die Zuhaarung des Gesichts, Hautigkeit der Hände. Mief, Bretterregale, Blümchenmuster, unsauber Gekochtes. Verklärgewäsch, Volksempfänger, zur

Wunschsendung eingeschaltet, selbst die gängigen Glühbirnen geben Grau- und Sabberlicht. Urenkel, die wöchent- oder monatlich kommen, sind angewiesen, Komplimente zu machen. Die Kassenärzte aber tadeln, wenns schmerzt: Wie alt wollen Sie denn eigentlich noch werden?? Tungen Leuten tut solches Feldstechen in naheliegende Zukünfte recht weh. Gemeindebauten 7. Ein Bub, aber aus einem alten Gemeindebau, besucht ein Mädchen, aber in einem alten Gemeindebau. Sie wird eine junge Frau, aber in einem alten Gemeindebau, und freut sich an Spitzennachthemd und Parties, aber in einem alten Gemeindebau. Es gibt Sommer und Gräser, aber vor einem alten Gemeinde-

bau, und das Leben verläuft nicht ohne Lustgefühl und Sinnvermutung, aber in einem alten Gemeindebau. Bombardierung alter Gemeindebauten riß neue städtebauliche Perspektiven auf, fügte aber, den Bombardierten selbst, das Unlust-

gefühl von Spreng- und Brandschmerzen sowie von Todesahnung zu. Diese Abschiede und Enteignungen waren städtebaulich auch wieder nicht das Rechte. Gemeindebauten 8. Sehen wir lieber Gemeindebauten neu und in freierem Land: Achtung, Giftspritzung! Blumige Grasfladen. Balkone mit schmiedeeisernen Bambis, Schmollbrischitts, Störchen, Laternzwergen. Zuchtbulle aus Gelbstein als kategorischer Imperativ der Siedlung. Alles biopositiv, nächster Evolutionsdreh nach der Tb-Welle. Alles

auch wirtschaftspositiv, sämtliche Geräte, überquellende Autoställe, kein Antennenwald mehr, sondern Gemeinschaftsstengel (S 400.— Kaution pro Zuchtkoje). In einem Badezimmer Taggrün des magischen Auges. Kinder beißen dennoch ins Giftgras. Kleine Buben mühen sich,

muffig zu sprechen: stehn vor dem Durchziehn des Colts. Trittrollerfahrer, Heuhaufenwerfer prämiieren das häßlichste Tuten. 106

Geographie Ein Gekränkter liegt tot im Gras; die Kinder räubern und kicken über ihn hinweg; nun wird er Kleinkind, plärrt. Ballonaufblasen.

Böhböh. Radfahrer serpentinen über das Gras, glinglingelnd. Weltkriegslärm. Erdburgen mit Höhlen, Unterführungen und bemalten Papphäuschen an den Hängen (> Bergklebesiedlung). Teddybärputzen, Haarpuppenkämmen, Doll’s Prams’ Speedway. Mit PlastikstamperIln machen kleine Mädchen eine Jause (rot, dunkelgrün, tintenstiftviolett). Buben schmeißen mit Steinen nach einem >Blechchristus. Der Blechchristus gehört schon zum Bauerngrund. Das Heu auch. Schwer gebräunte kleine Mädchen (> braun) lehnen faultierträg mit rückwärtsgebogenen Ärmchen lauernd, pfeifend, gummiblasend an den grüngestrichenen Rohren, können gut erwachsenspielen. Eine bindet der anderen ein Handtuch als Abendkleid um. Beim Sandschöpfen beugt sich eine weit vor, im grelldünnen Supermini: sie erweckt den Buben im Mann. Ein junges Mädchen drückt den Transistor an sich: ihr Schlagersänger, warmgequetscht, singt. Eine Frau in nilgrünem Arbeitsmantel tritt ans Stockfenster und tratscht zu einer Frau in nilgrünem Arbeitsmantel an der Hausmatte. Gemeindebauten 9. Apropos Gemeindebauten, sagt der Ingenieur; diese Siedlungen erinnern mich an die langen Molekülketten von Kunststoffen; auch die Ergebnisse dieser Polymerisationen ähneln einander: zu einer zähen harzigen oder glasigen Einheit verklebt, keine rechte Struktur, nicht Kristall, nicht Flüssigkeit, viel, billig, modern, bunt, fürs Volk, wischiwaschi; ich verstehe eigentlich nicht, wieso Künstler, zum Beispiel dieser Höke, oder Poeten wie dieser Okopenko einen Narren an Kunststoffen gefressen haben; ein kultivierter Mensch, sag ich immer, kann nur edle, alte Stoffe lieben: Leder, Kupfer, Zedernholz, das sind halt Dinge; und wohnen: nur in einem alten Haus! Stuck, Erker, Altane, Alkoven, Intarsien-

böden — nicht wahr, Margit, da passen wir gut zusammen? (Margit, samtig:) Jaaaaaa. Geographie. Ich fingiere die Ortsnamen, verrücke die Wahrzeichen; verfremde die Donau und befremde vielleicht Sie. Warum lasse ich die Landschaft incognito werben? Weil Orte rasch ihr Romänzchen kriegen, das meinen Roman stört: Nußdorf — dort hat jeder Leser einen Onkel; Zwentendorf — dort hat jede Leserin eine Milchfrau; Dürnstein — dort hat jeder Feschak eine Kinderschar; und das

stört ihn ungemein. Meine Donau soll chemisch rein bleiben. Die Donaureise des Kaufmanns ]J. soll für den Leser keine Familienangelegenheit werden. Ausgedehntere geographische Konkreta — Ströme, Landstriche — 107

Gesäß

werden weniger leicht Familienbesitz; darum wage ich es, „Donau“ und „Wachau“ unchiffriert auszusprechen.

Zur tieferen Geographietriebbefriedigung vgl. > Lokalisation. Gesäß 1. Ein zeitgenössischer Lyriker schrieb: Dreh sie rum, dreh sie rum, hinten ist sie keusch und frumm.

Derselbe Lyriker brach neulich eine Lanze für das Gesäß als Erkennungsmerkmal, als gesichtsvertretende, ja, gesichtsablösende Filialstelle des einmaligen unverwechselbaren

Ich. Seine Frau, eine

ebenfalls zeitgenössische Lyrikerin, fragte darauf, wo der Hintere denn Augen hätte; sie selbst sähe Menschen immer noch am liebsten

in die Augen, die ja doch — da hätten die Alten recht — eine Art Seelenspiegel wären. Der Streit wurde nicht entschieden, und so gibt es heute nach wie vor Kameraleute, die sich mit Gesichtern abgeben, Analphabeten, die eine Frau am Gesäß nicht wiedererkennen, und

Dichter, die vor der größeren Muskelvielfalt des Kopfes und vor dem höheren Wert der von ihm eingeschlossenen Massen abergläubischen Respekt haben. Die Keuschheit des Hinteren ist ein bestechender Gedanke. Die naive Anschauung gibt diesem Gedanken zunächst recht. Opportunismus, Käuflichkeit, Aggression sind den Zügen des Neo-Gesichtes fremd. Kein Gesäß ist geizig, keines neidig. Gegen Speichellecker verhält es sich strikt passiv. Bei Mißwahlen vergleiche man die edle Ruhe der Gesäße mit der Siegesgier der Gesichter. Kein Gesäß, das einen Ministersessel drückt, ist je ein Arschloch. An der verlogensten Maitresse ist der Hintere eitel Wahrheit, und wenn er liebt, liebt er.

Allerdings: die Gerichtsmedizin lehrt uns, daß auch im NeoGesicht Laster allmählich Spuren hinterlassen. Und wer weiß, ob Menschen, die die Afterphysiognomie besser beherrschten als wir Gesichtsidioten, nicht da und dort die flüchtige oder bleibende Aufzeichnung eines politischen Fehlers oder einer Lebenslüge entdecken würden.

Wäre

der Hintere

demnach

nur

so weit

„keusch

und

frumm“, als es das Kamasutram vor seiner Übertragung aus dem Sanskrit war? Übungen nach Belieben sind anzuschließen. Gesäß 2. Die Zahlenangaben im Artikel > Mastmädchen machen es erklärlich, daß das Gesäß mit seinem hohen Fettgehalt als sehr

> weiblich empfunden wird. ... Diese weiche Rundung wirkt in typischester Weise anziehend auf das männliche Geschlecht, weshalb das G. des Weibes eine ganz besonders große Rolle bei der sexuellen Anlockung des Mannes 108

Gesäß

spielt. So finden wir, daß breite Hüften und Hinterbacken auch heute noch bei den meisten Völkern Europas, Asiens und Afrikas als ein wichtiges Schönheitsmerkmal gelten. (Immer dieser CubaBoykott!) Nicht von einander abstehende Hinterbacken, also eine gut schließende Gesäßspalte, sowie eine schöne Rundung des Gesäßes, welche, insbesondere im Profil besehen, auffällig sein muß,

sind ein notwendiges Schönheitserfordernis. (Stratz.) ... Bei den Arabern gelten fettsteißige Frauen als besonders schön und auch die mohammedanischen Südslawen, die Inder und insbesondere die Völker der schwarzen Rasse bewundern und kultivieren den Specksteiß der Frauen. Die Veranlagung zu diesem Schönheitsideal entspricht der Anlage zu Gesäßschwellungen bei Pavianen und Schimpansen. Diese Funktion eines fettreichen Gesäßes läßt uns verstehen,

warum

es so viele

menschliche

Individuen

gibt, auf

welche... (Bilderlexikon der Erotik.) An Individualismen zitiere ich nur die Fälle ...eines französischen hohen Offiziers, der in seinem Privatlogis an bestimmten Tagen mehrere dicke Frauen zugleich hinter einem schwarzen Vorhang empfing, in den kreisrunde Kußlöcher geschnitten waren, und ... eines Straßenbahnfahrgastes, der immer die Wärme von Sitzplätzen aufsuchte, von denen sich soeben eine Dame erhoben hatte. (Beide: ibidem.) Ob Maupassant, der sich nach Dr. Pillet ein Stück von einer sezierten Leiche bringen ließ, um es roh zu verzehren, hierbei eben-

falls gesäßfreudig vorging, ist nicht belegt; ich könnte es mir aber vorstellen. Speck hin, Leiche her. Jedenfalls fühlt sich der Chemiekaufmann J. beim Anblick dieses oder jenes Bordmädchengesäßes in seiner Männlichkeit noch mehr gehoben als beim Hören der Feststellung SIE SPRÜHEN QUANN? — SIE SIND EIN MAnn! (> Männlich.) Gesäß 3. Wie leicht verliert ein Gesäß sein Wissen um die Lieblichkeit. Es wird zum althochdeutschen „gisazi‘“‘ — Sitz, Gestühl; zum nüchternen Sessel. Nun liebe ich zwar Adolf Loos und schmucklose Funktionenmöbel, ich verlange also nicht, daß ein Gesäß tätowiert sei (> tätowieren) oder bei Bauchweh das Salzburger Glockenspiel wiedergebe, aber so wie ein trefflicher schmuckloser Sessel a) Sessel und b) Architektur ist, Architektur von höchster Anmut und Raf-

finade, so sollte doch ein gutes gebrauchsfähiges Eigenmastkissen (> Gesäß 2) zugleich immer Frechheit bleiben, Lockung und Zuneigung. 109

Gesäß

In der Paddelclub-Siedlung stieg eine aufs Rad, zerrte lieblos den Rock zwischen sich und dem Sattel zurecht — Chemiekaufmann ]J. fühlte: die hat ihren Hintern nicht lieb. Für sie ist er nur der Bleiklotz beim Gehen, der Wäscheverstinker, der Kleidzerdrük-

ker. War es eine jener Frauen, die in jedem Moment der Unbewachung das Erotiksein abstreifen wie einen lästigen Mummenschanz? War sie abgestumpfte Hausgenossin eines abgestumpften Mannes? Kann man überhaupt abstumpfen — nämlich körperlich und irregenerabel? Ist nicht nach einem Tag Fasten das Bauchgrimmhuhn wieder Lockvogel? — Chemiekaufmann J. machte die Defeminierung nicht mit: er setzte die guten Körperteile der Nichtsahnenden wieder in ihre Rechte ein, gab sich den kurzbekleideten dicken braunen Oberschenkeln, dem straßenmeter-kauenden schwe-

ren Gesäß und der Raffung körperwarmen dünnblumigen Kleidchenstoffes. Das wäre noch schöner, sagte er sich, das Entgegenrecken nicht als Gruß, den knetenden Gang nicht als Tänzchen zu nehmen, das Kleid nicht als Wegzuhebendes, unter dem das Nackt-

sein aufduftet. Gesäß 4. Das Gesäß hat die Analphase nie überwunden. Und ist doch ein sympathischer Knilch, denn es macht kein Problem daraus. Es kann nie ganz sauber sein, kein ** wäscht es weißer, und

keinen Liebkosenden stört das. Der ganze Perfektionistenfimmel unserer Prosperitätswelt — nur chemisch Gereinigtes sei > sympathisch — verglost zu einem Häufchen Plakatpapier-Asche, wenn eine serpentinberingte Direktorenhand mit aller Zärtlichkeit, die Sklerose und Angina pectoris übrigließen, über die üppige Halbkugel seiner Dame gleitet, ohne ihr den Vorwurf einzukneifen, daß

sie vor fünf Minuten Kanalnetzteilnehmerin war. So einfach könnte die Welt sein, die übrige. Vgl. auch > Kuhdreck. Gesäß 5. Suggestiver Sog jeder Trichteröffnung, dachte der Techniker im Chemiekaufmann ]J. Gesäß 6. Beim Gesäß vergißt du, daß deine Freundin mager ist. Auch das dünne Menschlein hat dort eine Breite, die dich schlägt, eine Fülle, die den Schrecken von hartem Lager, von Brautstand

ohne Braut, von logistikdürrem Sex hinwegquellt. (Erinnerst du dich, wie dich als Kind Kissen enttäuschten, die unter deinem Kopf

flachfielen; wie du dir dann einhüllende Kissen gar nicht mehr vorstellen konntest, und wie du dann das erste gutgeflaumte vor Begeisterung bissest, wortbesiegende Hustlaute aus dir herausdrückend?) Auch das Gesäß deiner Elfe ist Prachtsteiß der Hottentottin, wenn nur du genug Pars-pro-toto-Talent hast und ein Stengelchen Suppensafran dir authentisch die Weltreise ersetzt. 110

Grottenolm

Geschäftsbeziehung. Chemiekaufmann J. liebt Geschäftsbeziehungen. Denn denen zuzurechnen ist auch die Beziehung zum Geschäft, und Geschäftsbeziehungen, wie gesagt, liebt er. Dies ist nur einer seiner Exporteurgedanken, aber der zwingt ihn, Exporteurgedanken zu haben, also neben diesem auch weitere.

Die weiteren Exporteurgedanken streuen wir gelegentlich beim Lesen ein. Man nehme einen Zettel, beschrifte ihn „> Exporteur-

gedanken!“ und lege ihn zur fallweisen Verwendung rechts oder links neben das Buch. Grottenolm. Ganz eng am Steinbruchufer, schon das ist Überraschung: Wettfahren mit den Autos der Uferstraße, Entziffern der Taschentuchmonogramme der Winkenden, Zählen der Zähne der Lachenden, Zählen der Zähne der Reißverschlüsse der Damen,

Herantragen von Flußwind ans so nahe Ufer, Spüren von Steinwind, Steinschatten und Steinwärme des so nahen Ufers. Chemie-

kaufmann J., shwimm mit mir, lacht die in rotem Chrysler vorüberpreschende Frau des Chemiekaufmanns K. (ihr autoroter Mund, ihr autorotes Kleid plakatieren KLEINER KAUFMÄNNERTAUSCH:), uns zwei stattliche Erscheinungen in roten Schwimmdresses und mit roten Strandmänteln für die rote Bar sollen sie beneiden, im Gerücht verkneten; mein Schoß ist erfahren und zärtlich, heiß und boshaft; und wie ich sehe, bist auch du ein Schurke.

Und dann das Sammeln der Schulmädchen zum Ausstieg an der Tür des > Mittelteils; wieder rollt die Frühreifste die Kugelbrust an J.s Arm ab, diesmal die linke, nun kann er sich ein Gesamtbild

machen; an einem anderen Kind klebt unbeachtet ein Stück schöngezeichneter Sardine. All das sind Überraschungen, aber nun die Biegung: Alles, was Welt war, ist jetzt mit Brettern vernagelt, gradaus geht es nur in dichtes Gestrüpp; dafür entsteht links jede Sekunde ein neues Land, ein neues Gradaus, eine neue Sicht. Die unverdeckte Uferstraße mit den Abenteurer-Autos bleibt treu, aber große Häuser kleben am Hügel, ein flacher Bootsstrand reißt ein, Wasser rotbraun, als flösse es von Rost ab, Wasser durchsichtig auf

honiggelbe Steine, handtiefer Grund. Flache Boote, ein Sprung, und ich bin ein nackter Bootfahrer, schwarzbraun und mit nassen bloßen Füßen. Ein einiges Klicken an Vorder- und Hinterdeck: dreißig Leute knipsen die > Burg. Der Bootsaffe turnt in den Bäumen und wirft Kokoseisen an den Anlegesteg, die Papageienherde flieht über die Bretter, fällt in eine ufersässige Papageienherde ein, umflattert sie und hackt sie mit den Schnäbeln, die Lehrerin sagt dazu: „Ksch!“

111

Hahnenzierden

Ufer und Wasser liegen nun im Sonnenlicht, das besonnte Wasser ist schaumig, treibt > Plankton, frißt Pfähle, Trossen, Anker und

ist petrolgrün und petrolgrün und petrolgrün. Der Chemiekaufmann J. erkennt das Grottenolm des 25-jährigen wieder, reißt durch Gehirnströme an der Aufhängevorrichtung seines Herzens, denn im nahen rechteckigen Strandrestaurant glaubt er noch > Eiske stehen zu sehen und aufs Schiff schauen. Er winkt,

kann aber nicht die Identität herstellen, verordnet sich gegen das zappelnde Hasenjunge in ihm eine lange Filter. Er sieht definitiv nur, daß sie drin noch > Johannisbeerwein ausschenken. Der Bootsaffe zerreißt den Kontakt, der Fliegende Holländer rauscht und stampft und spielt Beidrehen und allerhand Seemännisches, und J. bläst in blassem gefiltertem Exporteurblau den unentwöhnbaren Schmerz aus den Nasenlöchern, der beim Vorbeigleiten eines (jetzt erst als > Städtchen sichtbaren) Städtchens entsteht. > Verauung.

Hahnenzierden 1. Ein Kamm, zwei Goder, protziger als beim Weibchen. Das Rot der Rachenentzündung, gänsehautig gepünktelt. Hausfrau, du: Bereit mir Kamm und Goder zu!

Hahnenzierden 2. In den Hahnenkamm hineinschneiden. Hahnenzierden 3. 1) Den Schnabel ruckweise aufsperren 2) 3) 4) 5)

Kurz zögern Schreien: ä — eri — äää! Sich selber wundern, was da aus einem herauskam Über die starren runden Augen mehrmals die Blindscheibe des

Kameraverschlusses zucken lassen 6) Hennenboden betreten, mit dem mächtigen Gewicht in den schwächlichen Rücken einsinkend 7) Kamm und Goder von Blut strotzen lassen. Hahnenzierden 4. Kinder überwältigen Katzen, packen sie, grob, sagen dazu, wie verständnislose Erwachsene, „gib a Ruh!“, Hühner

überwältigen Katzen — ich frage mich, wozu sind überhaupt Raubtiere gut, Angeber, warum kratzen Katzen Hühnern nicht die ohnehin dummen Augen aus? Hähne picken, wenn Futter kommt, auf die Katzen,

die raubsten

Katzen

lämmchen

zu, wenn

die Jung-

hähne das Futter schnappen, den Hennen überlassen, die Hennen geben Hackenhiebe den Katzen. Ist das eine Ordnung? Nur weil ich > Hühner- lieber als > Katzen-Fleisch esse? Kindisch. Hähne, 2

Haus am Knopfer Hügel ich werde euch die Zierden abreißen, mit euch meine Sterne im Te-

leskop einfärben, denn nur die wenigsten tragen das feuerwerkwichtige Rot. (> Fehlen von Rot.) Hahnenzierden 5. Als X. das Kabinett besah, an dessen Schwelle

er über Weiches ausgeglitten war, fand er den Boden kniehoch mit abgeschnittenen Hahnenkämmen und Godern bedeckt. Die Teile hühnelten und blutelten. Ihm wurde übel, und er fiel, das Gesicht voran, in das Geschlachte.

Hahnenzierden 6. Man ahme die Hahnenzierden in hahnrotem Gummi nach, stecke sich solch einen Kikeriki auf den Finger und reize damit im Hühnerhof einen Hahn zum Zweikampf. Man kämpfe fair, aber hart. Die Kampfbewährungsdaten des Naturhahnes (Häufigkeit seiner Finten, Härte im Nehmen etc) speichere man

in einem Computer,

und dies mache man in vielen Hühner-

höfen. Zur eigentlichen Vergnügung lasse man nun die Daten gegeneinander kämpfen und ermittle also unblutig den absoluten Sieger. Sein Bauer, ungeübt im Indirekten, wird erstaunt sein, wenn er für seinen Hahn, dessen Hof nie ein anderer Hahn betrat,

die höchste Kampfauszeichnung in die Hand gedrückt erhält: Kamm, Schnabel und Goder aus 24-karätigem Gold. Hahnenzierden 7. Es gibt auch Blumen mit dem Rot und der Lappigkeit von Hahnenzierden. Das Rot ist sogar noch hahnenhafter. Die Blüten stehen an langem Stiel zwölfsprossenleitrig übereinander. Kleingärten, die sie am Gitter ziehen, werden von den Ge-

meinden etwas später als die anderen eingeebnet. Haus am Knopfer Hügel 1. Der Vorgarten ist exakt, blumig, betoniert. Eine gelbe Glastür schützt das susibewahrende Innere. Ein Fremder drin sagt „Wiesenhang“. Aber die Wiesen sind giftgespritzt und tragen Warnschilder. Die Kräuter riechen nach Bienen, die toten Vögel nach Wespen. Wespen und Bienen sind Motorfliegen und lassen einander in Ruhe. Der Fremde läßt Susi in Ruhe. Der Fremde hängt Ingrid nach und wird nie zu der gelangen. Deswegen hängt ein Barometer mit ausgeleierter Feder an der Wand. Die Sonne scheint traurig auf Polstermöbel voll Vergangenheit und ein Elbebild. Die Vergangenheit ist vergeblich, weil sie noch niemand glücklich gemacht hat. Erst die Zukunft wird Menschen glücklich machen. Annähernd glücklich sind auch die, die das glauben. (Aber auch ein durstiger Todeszellenmann ist in dem Augenblick, da er eisgekühltes Sodawasser in seine Kehle flößen darf, frei und glücklich; frei, denn niemand hindert ihn an der Trink-Tat; glück-

lich, denn die Stillung des Eissodatriebes nimmt seinen ganzen Gesichtskreis ein, verdeckt die Hinrichtungsmaschine — so wie ein niedriggehaltener Regenschirm den losstürzenden Kometen ver113

Haus am Knopfer Hügel deckt.) Susi trinkt Whisky-Soda, im Haus auf dem Knopfer Hügel so schön wie in der Bar neben J. Nur ist die Bar unwiederbringlich, das Haus unwiderruflich. (Ein Komet ist meist nicht gefährlich. Aber er kann der Erde den Luftmantel ausziehen und einen Giftmantel anlegen.) Warum ist die Banane gelb, spielt sich Susi auf. Sie hat einen guten Plattenreiniger. Sie mochte schon seinerzeit diese Hits einer alten aufbrechenden Zeit. Ihr Mann, J.s Todfeind aus der Schule, der mit dem hirschhörnernen Stockknauf, ist Diplomarchitekt, Susi wird nicht verbauern.

Susi hat ein Kind. Susi ist ein

Kind. (> Susi.) Haus am Knopfer Hügel 2. Susi, die Frau des Hauses, muß meh-

rere Winkel nehmen (> Motiv für die Freude an Verwinkelungen), endlich erreicht sie den hügelnahen Ausgang. Für Fremde ist dieser Ausgang ein Eingang. Um zu Susi zu gelangen, müssen sie mehrere Winkel nehmen, schmiedehölzerne, rotbucheneiserne. Im Garten dieser Vorhundstage, die alle Aktivität verderben, kann jeder, inmitten des buntgrünen Blumengemüses, dichten oder, wenn er ein

Pechingenieur ist, einen neuen Pechkocher aufs Papier werfen. In seinem ventilatorenzerhackten Büro wird er dem technischen Zeichner

pfeifen,

dem

Direktor

schmeicheln,

der Techsekretärin

die

Skizze zur Ablichtung ins Schwitzhändchen kuscheln. Susi aber gibt den Fremden — wenn sie sich zu einer Knopfer-Hügel-Party im bleichen Sommerhügelstaub treffen — die stadtgewohnten Susihände. Bei der Party muß man allerhand bunte Winkel nehmen. Dies war nicht das Leben, das Susi und ]J. sich in der Studentenstadt konstruiert hatten. Susi zeigt in Vorhundstagen niemand ihre Pelze, denn die hat sie zu dieser Zeit außerhügels, bei einem Knopfer Kürschner (Laus & Nistl, mit verblichener Totwand-Reklame), eingehängt. > Susi nennt es, wenn Frauen viel von Motten sprechen, Geschwätz. Haus am Knopfer Hügel 3. Das Gesunde von Sicheln und Mähen. Es will uns nicht recht gelingen, traurig zu werden. Das, was wir im Leben nicht erreicht haben, nivelliert sich mit dem zusehr Er-

reichten: im Muster des Straßenkieses. Ein Haus ist ein Bergungsunternehmen. Zwölf Schicksale der jungen Frau, alle tödlich, entgiften sich im Besitzwahn, Besitzärger, Besitzstreit. Im Haus am

Knopfer Hügel ist sogar ein Halbintellektueller für Susi ein Protzbesitz wie ein Stier mit vier Hörnern. Denn wie übertrumpft er sogar den jungen Max Jacques beim Kreuzworträtseln. Erfinder der Grausamkeit (Marquis de —)? SADE! Bienenzweck? Honıc! Ist doch prächtig, sowas zu beschlafen. Max Jacques ist der Stolz von Knopf-Ost, denn er ist aus einem bretonischen Kaff. Die Leber, sa-

gen alle, ist hier unvergleichlich besser. Donaumatrosen lieben Susis 114

Häuschen Haus. Susi füttert die Meisen. Susi füttert die Ameisen. Susi, warum

bist du hergezogen? Susi, die sich im Kaufhaus Amotl verlief (eine Treppe räderte sie fast, sie konnte noch nicht gut lesen, sie vergaß sich im grün-marmligen Email einer Puppenküche). Susi, die zwei Stunden im Regenstrom diskutierend den Menschen im Mann entdeckte. Susi, die belanglose Spiele spielte (aber als Generalbaß zu belangvollen

Susi-Melodien),

Susi vom

Schulweg,

Susi, die Be-

spottete und Betrotzte, Susi, die metaphysische Besitzerin eines Transistorradios (sie crawlte gern in pazifischen Kurzwellen), Susi, die Fehlgeheiratete — nein, wir machen nicht wie in Jugendtagen

Fehlheirater ‘für ihr Fehl verantwortlich, wir beugen uns der Lehre von

den Verhältnissen,

die nicht so sind. Laßt uns darum

auch

heute Susis (uns jetzt zugekehrte) Rückseite wertschätzen, spöttelnd, weinend, begehrlich — Susi bleibt Susi. Susi ist einfach unausrottbar, wenn wir sie in Dur-Moll-Gemischen aus einem verirrten Tran-

sistor in die richtige Bedeutungslage einpendeln. Die Betrunkenen, die sagen „Scheiß drauf!“, „s ist alles ein großer Irrtum“, haben genau so unrecht, wie die Betrunkenen, die sagen, „Die Susi im

Haus am Knopfer Hügel, die liegt schon richtig“. Es ist eine Frage des Prozentsatzes, zu 60 bis 40%, würde ich sagen, liegt > Susi richtig. Häuschen 1. > Milchblau 2. Häuschen 2. Das offene Bauernhäuschen erfreut durch Verwinkelungen (> Motive für die Freude an Verwinkelungen). Um einen Hackstock herum Bretteln und Spreißeln vor dem finsteren Holzschuppen. Mit dem Reisbesen kehrt die Bäuerin das Sägemehl zusammen; das wirbelt, mit Staub gemischt, hoch. Mit der Mistgabel schmeißt sie das Hackholz in den Eisenschubkarren. Häuschen 3. Es ist vollkommen: waschmittelweiß, ausbezahlt, hat Fenster, keine schiefen Winkel außer dem Dach, genau einen Schornstein, einen grünen Garten, kein Unkraut, schläft in der starken Sonne und träumt von der abwesenden Frau. Am günstigsten Fenster klärt ein kurz anwesender Büromaschinenvertreter seinen

Sohn, der abend erstmals in eine Bar fahren will, über Gepflogenheiten der Animiermädchen auf: ...an den teuern darfst dich nur scheuern,

während die billigen alles bewilligen. Aha, sagt der Sohn. Er sieht aus wie sein Vater und ist überhaupt wie geschaffen dazu, Vaters Lebensweg zu gehen. Häuschen 4. Die Front des Häuschens ist mit einem riesigen Bild 115

Häuschen

verziert. Das Bild zeigt noch einmal die ganze Landschaft, denn der Besitzer fand die Landschaft malerisch und sicher ist sicher. Häuschen 5. Ebenerdiges Häuschen, idyllisch, verschlafen, mit Vegetation zugepflegt. Plötzlich bei Grün und verschiedenem BlumenOrange der Schock: VERSICHERUNGS-BÜRO. Schmerzhaft: hier arbeiten Leute, in Schönheit. Packend: hier arbeiten Leute, gelangweilt. Häuschen 6. Das Häuschen ist, wenn man nachsehen will, fort. An seiner Stelle: ein hausloser Garten, nur aus Rasen und Trittplatten,

mit kieferchen-umstandener Zisterne inmitten und kleiner Gerätebude am Rand. Häuschen 7. Dieses Häuschen bleibt für immer im Hintergrund, denn der Blick wird von ihm zu > kleinen Dingen abgelenkt, die im vorsommerlichen Vordergrund leben. Häuschen 8. Knapp vor dem grüntürigen, grünlädigen Häuschen die Seltenheit: Mops-Paar. J. fällt die Notlösung eines Kollegen ein, der für einen bestimmten Wunsch kein salonfähiges Wort in der deutschen Sprache vorfand. Er sagte zu seinem Rivalen: „Ich möchte Ihre Frau gern

mops.‘“ Nachdem der Rivale Nichteinmischung zugesagt hatte, bat der Kollege die Frau: „Ich möchte Sie mops; gibt es da eine Möglichkeit?“ Sie hatte ein schönes stumpfes Profil; ließ den Mund manchmal aus Vergeßlichkeit offen; schien sackdumm; der Kollege

sagte ihr nach der Möglichkeit: „Ich könnt dich immerfort nur mops.“ Sie sagte: „Aber das wäre doch kein Beruf?!“ Häuschen 9. Eines aus der Verjährten-Häuschen-Serie: Fenster mit Fliegengittern, erbs- oder grasgrün; Messingbeschläge, kupfersalzgrün; all das Improvisierte: GLOCKE NÄCHSTE TÜR; Verbandgaze über Türausguck; anders gemustert das Glas, anders der Vorhang; grüner Anstrich, abblätternd von Tür und überpemsteltem Kabel; elektrische Klingeln von 1905; der alte Knauf-Klingelzug. Ein blutiger Hühnerkopf. Wie rührend wird der Vorgarten mit dem kahlen Baum im Mittdezember sein, wenn die Leute Gänse kaufen.

Häuschen 10. Dieses Häuschen wird seit Jahren aufgestockt. Dennoch wird in ihm gelebt, hinter Wasserfaß, Sandhaufen, Kalkstaub,

Dachpappenresten, ausgerissenen Kabeln. Seit Jahren in Maurergewändern laufen alle Hausgenossen, essen mit Kelle und Spachtel, gedeihen kalkreich, sehen mit freiem Aug Calciumlinien in der

Sonne. Betritt man das Klo, wer klopft einen ans Knie?:

2 Schultaschen groß, 1 Ehefrau schwer: 50 Kilo Zement, nicht minder, nicht mehr. 116

Häuschen

Zement, belehrt einen der pensionierte Hauptschullehrer, der grad baufrei hat, so nennt man in Österreich auch das Milchmaß; man beachte den Schock, den ein Fremder erlebt, wenn er ein Blech-

gefäß sieht und Zement hört. Ähnlich, wie wenn wir Igel hören und einen englischen Adler sehen oder das englische „‚petal“, Blütenblatt, mit einem Pedal verwechseln. Name ist Schall und Rauch, zitiert er; Sie wissen vielleicht nicht, daß Subjekt und Objekt noch

im Universalienstreit die umgekehrte Bedeutung hatten; oder daß die Person, das innerste Unvertauschbare des Menschen, von persona, der aufgesetzten Maske, kommt. Verlassen Sie sich nicht auf

Worte, glauben Sie mir, was ich Ihnen sag! Der pensionierte Hauptschullehrer entkalkt seinen Overallärmel und sagt: jetzt gehen wir wieder ein bißchen anrühren. Häuschen

11. Es ist in einem Garten versteckt, hinter einem Vor-

dergrund von Garten. In den Vordergrund von Garten ist ein Irrgarten gebaut. Den Weg in ihn versperrt eine Mülltonne. Die sichtbar gewesene Rosenhecke im Irrgarten ist mit Schlingpflanzen zugewachsen. Aber ein Riesenrad im Irrgarten, 170 cm hoch, dreht

sich frei. An einer anderen Stelle des Irrgartens stürzt ein ebenso großes Flugzeug ab. Irgendwie ist dennoch eine Fremde im Irrgarten. Eine Hausangehörige bringt ihr die Rotpause eines Krematoriumsplans. Die Fremde sagt scheppernd: „Damit fang i nix an.“ Häuschen 12. Hat Mytilla Mitil dieses Haus einmal besucht? Oder eines mit ähnlichen Details von Bauweise und Lage? Es ist spürbar mytillenumträumt. Mytilla denkt genug kritisch, um zu wissen, daß ein Teil ihrer Erwartung von der Welt nach Eintritt der Liebe Besuchen bei fremden Paaren zuzuschreiben ist; nicht deren Möbel werden zum Vor-

bild, sondern ein gewisses Summen der Atmosphäre, eine Lichtverteilung, eine Choreographie von Gehen und Kommen — Der Umstand, daß es eine fremde Wohnung, eine Wohnung von vermeintlich Glücklichen ist, wird maßgeblich dafür, daß Mytilla

beim Denken an die eigene glücklicherhoffte Zukunft Fragmente einer solchen Wohnung um sich spürt und weiß: erst so zu wohnen, wird Mytillen-Wirklichkeit sein. Häuschen 13. Im straßenoffenen Winkel eines verwinkelt gebauten Häuschens (> Motive für die Freude an Verwinkelungen), in dessen markisenbeflatterten Vergnügungshof man übrigens auch hineinsah, wusch die kunstvoll aus beige Puppenmasse gegossene Ingenieursfrau das Auto. Das Jahrfünft, in dem sie wusch, gab ihr gerade die richtige Vollreife. Aus sextechnischen Gründen trug sie ihren von den Tatsachen überrollten Bikini und stopfte das bißchen Überschuß gelegentlich zurück oder nicht. Im Vergnügungshof rot117

Haus mit dem hochfrühlinghaften Zimmer

blaute auch die Hollywoodschaukel, auf der das Ehepaar in diesem Jahrfünft sich gern schaukeln fühlte. Der Mann, genaues Messen und Wägen gewohnt, maß und wog mit Skalenhänden gelegentlich die bikiniverpackten Schaukelfleischchen seiner Liebstgewesenen und befand kein mene tekel upharsin. Und die Frau, in dem Städtchen nicht reizüberflutet, blieb dem Mess- und Wägenden lange gewogen. Dem Ingenieur tat es oft leid, daß er kein Maß für Frauenschönheit wußte; die vielen Kennzahlen für Nasenlänge, Augenabstand,

Brustschwere, Schenkeldurchmesser etcetc ergaben auch im Computer seiner Firma kein brauchbares Monom. Die Ingenieursfrau hatte ein großflächiges gut liebkosbares Gesicht. Dessen Fehler, aber nur nach der herkömmlichen Ästhetik, bestanden in Knopfnase, dickem

Augenbett, > unbestimmtem nun langsam sich verdoppelndem Kinn. Die Augen selbst waren sehr hell. Dem Gesicht angehörten: eine stete Belustigung, ein häufiges Gähnen, ein in jeder Lage kunstvoll anfrisiertes Semmelblond, Freundlichkeit daheim und zu Gä-

sten, rote Schminke auf den Wangen und ein Pflästerchen beim Mund, beides sogar dem Schwimmen oder Autowaschen standhaltend. Der weiche geübte Ehefrauenmund wäre schön als dicker Tropfen in Plastikspielzeugrot gewesen, aber sie verkannte ihn und kalkte ihn zu. Der Ingenieur konnte seine Frau gut ausstehen. Diese Frau, dachte er zB, könnte sogar forellenblaue Hautmetallisation

oder

die Pariser Schockglatze wagen, in vier Quadranten alternierend blau und rot gelackt. Er neigte zu innenarchitektonischer Weltbetrachtung. Seine erste Frau hatte er, noch in der Beiwagenmaschine, beim Kurven an einem Felsen zerrieben. Sie erschien ihm

manchmal. Werden Sie sich keine Kinder anschaffen?, fragten Neugierige ab und zu das Ingenieurpaar, das abends gern rot-blau strickend

beisammensaß.

Schauen

Sie, kalkulierte

der Ingenieur:

7.000.— Schilling Entbindung, 3 Wochen Spital je 1.200.— Schilling pro Tag, macht rund 30.000.— Schilling, dafür können Sie sich schon drei ordentliche Begräbnisse leisten. Sie waren muntere Leute. Manchmal hängten sie ein Schild an ihre Vorgartentür: AFFE ENTLAUFEN, manchmal eines an den Swimming-Pool: WEGEN Kroro-

DILMANGELS GESCHLOSSEN. Haus mit dem hochfrühlinghaften Zimmer. Encore Edibelbek ist traurig, als er, eines der paar Male in seinem Leben, sieht, wie in

einem hochfrühlinghaften Zimmer eine Frau und ihr Mann einander freundlich anschauen. Sie tun sonst nichts, aber Encore ist von die-

sem Ort Glück definitiv ausgeschlossen. (Vgl. > Häuschen 12.) 118

Hawaiimädchen

Encore fällt ein, wie Alphard Mutz eines Spätabends in der Provinzverbannung, als die Schichtarbeiterinnen heimkamen, die Vor-

gänge einer solchen Heimkehr hinter unverhangene Fenster erforschte; wie die kleine Müde, von der er wußte, daß sie nicht viel

gleichsah und Edith hieß, sich erst ein paar Minuten in ihre Küchenecke setzte; hier hatte Alphard sie fern, aber sicher, wie einen Spiralnebel im Teleskop, und er bemühte sich, ihr mit den scharfen

Rändern des Blickfelds nicht weh zu tun und sie in seinem Wissen einzumulden wie in Watte. Ein Spätabendgeräusch lenkte ihn ab, und er erschrak: Wenn man zwei Millimeter im Blickfeld abwich,

war keine Edith mehr da, und wenn man weiter- und weiterging, den ganzen Weltraum entlang, nie würde sie wieder dasein; er fühlte es damals dramatisch: ein All, das nach Edith schrie; in einem einzigen möglichen Punkt war das All schmerzfrei: dort, wo Edith saß. Die kleine Arbeiterin aber fühlte in diesem Moment nicht, daß

sie ein geometrischer Ort aller Punkte war, und Alphard bedachte nicht die Möglichkeit eines in der Zeit gekrümmten und daher Edith wiederbringenden Raums. Haus mit dem Standard-Mariandl. In Westnordwest näherte sich ein weißer Punkt, er wurde allmählich ein Haus mit vorgelagertem Garten. Spielzeugkleines, so anschwimmend, avanciert zu autarker Welt, über deren Zäune mitunter gar nicht hinausgesehen wird. Ein Balkon formte sich heraus, Schwerkraft gewinnend allmählich

wie ein nahender Planet: auf seinem fremden Betonbelag stehen, in den Garten schauen, durch die kleine Balkontür ins Zimmer zurückgehen, auf dem fremden Sessel knarren, mit Standardmariandl wieder auf den Balkon treten, fremde Stimme zu einem

schekigen Plan für den restlichen Tag mitverarbeiten. Lehmpumpenwasser aus einem blauen Glaskrug trinken. Mit Standardmariandl

essen,

beisammenlachen,

Wand

an Wand

mit ihr im

saubern Nachbarzimmer schlafen. Nun war der Garten genug nahegeschwommen, und da rechte (> Rechen) wirklich ein > Standardmariandl vorsommerlichen Vegetationsabfall zu einem mageren Haufen. (Zum Theoretischen:) > F-Erlebnis. Hawaiimädchen. Das vielleicht nicht einmal künstliche Hawaiimädchen steht auf allen vieren (Knien und Händen) im künstlichen hellgrünen Gras. Sie sprengt trotz ihrer Magerkeit Blue Jeans, den Oberleib hat sie mit etwas rotem Stoff geschmückt, das teegelbe Gesicht lacht und saugt die Herrenjournalleser ein, die Blauschwarzmähne hat für drei von ihnen Raum. Natürlich sind auch Blumen nah, und jetzt zieht sie aber die Knie etwas an sich und läßt eine frische Flade ins Gras fallen. Das Girl hat das Talent, dann wieder 119

Herrenjournal

dazuknien und den Leser anzulachen, als ob nichts geschehen wäre. Herrenjournal. > Annie, > Arnica, > B. &., > Die Heterogene, > Die mit den Schlafaugen, > Die mit der Tulpe, > Die Rote im roten Trikot mit rotem Popo, > Hawaiimädchen, > Liddy, > Mary McPee, >M.d.D., >M.S.

Hügel 1. Dieser Hügel ist in Planquadrate unterteilt: von C 3 gehen sie bis F5, es sind also zwölf. Jedes Planquadrat hat seinen gesonderten Eintritt und seine Vergnügung, aber insgesamt sind sie ein Hügel, der unabhängig vom Schiff existiert, also Freude bringt, in all den Hügelfarben, mit all den Subhügeln, Rillen, Höhlen, mineralisch, botanisch, etwas zoologisch, betretbar. C 3 ist der Hügeleingang; seinerseits hat er eine Eintrittstür aus

Stacheldraht. Seine Vergnügung besteht in der Freude am Überwinden des Stacheldrahtes und im lehmigen Eintritt ins Hügelige. C 4 liegt höher. Es hat eine Eintrittstür aus Fuchseisen. Seine Vergnügung besteht in einer Minigolf-Anlage, aus deren Löchern aber oft Füchse schnellen. Sie beißen den Sieger tief oder schenken ihm einen Fuchsschwanz. C 5 ist die Gipfelzone. Sie betritt man am besten vom Himmel aus. Ihre Vergnügung besteht in einem frei aufgestellten Waschautomaten,

um

den gern Mädchen

und Buben

herumlaufen;

das

Programm ist auf 120 Grad Celsius eingestellt, der Kessel also längst explosionsreif, aber die Mädchen und Buben möchten diese kleine Gefahr nicht missen; sie gibt ihrem Tanz die Vulkanperspektıve.

D 5 grenzt unmittelbar an. Zwischen C 5 und D5

steht die Ein-

trittstür: ein wilder Birnbaum, durch dessen Astwerk man

durch-

klettern muß. Den Baum bevölkern wilde Hummeln. Die Vergnügung besteht in einer herrenlosen Apotheke, in der man nicht nur die obligate Ätzpaste zur Heilung der Hummelwunden bekommt, sondern auch an allen möglichen bunten Tabletten, Dragees, Pillen,

Kapseln und Zäpfchen naschen und die fast durchwegs unbeschrifteten Tiegelchen, Standgläser, Flaschen und Schubladen

mit wild-

lateinischen Namen bunt beschriften darf. Pasta Mytilla nigra schreibt Mytilla Mitil in steiler Jungmädchenschrift stolz auf einen Tiegel, in dem sie aus Galläpfeltinte, schmierigem Naphthalinruß und weißer Zahnpaste ein tiefdunkelgraues Gesalb zum allmählichen Schwärzen von Filmstarzähnen angerührt hat. Pulvis canonicus Zeronis schreibt ein andermal Zero Zobiak auf ein vermeint-

liches Kanonen-Schießpulver aus Stärkemehl und rotem Phosphor, das in kleinen Mengen zur Mutprobe eingenommen auch recht spannend schmeckt. Schwer nur trennen sich die Menschen von D 5, um

das tiefergelegene D 4 aufzusuchen. 120

Hügel D 4 muß erschwommen

werden; das Bächlein ist bächleinklein,

aber reißend. So besteht auch die Vergnügung von D4 in oberund unterirdischen Bachfahrten, Besuchen beim Fischotter, Wettnagen mit Wasserratten. Zur Erinnerung an das etwas milchig-

schmeckende Wasser nehmen sich Kinder gern einen Schwamm, den sie in den Bach getaucht haben, mit nach Hause. D3 hat als Eintrittstür Feuer. Einer jener anderwärts beschriebenen Hügelbrände wütet hier ständig. Mädchen und Buben halten einander die Hände ins Feuer und schwören sich Unsinn. Die Vergnügungen dieses Planquadrats bestehen denn auch in Nachahmungen kindlich mißverstandenen Hochzeiter-Lebens; allerdings sind hierbei auch schon süße kleine Entjungferungen vorgekommen. Aber die Muttis daheim schimpfen nicht: Ihr seid ja allerliebst, befinden

sie über sämtliche D 3-Kinder. Nach E 3 führt ein Hochspannungsseil. An ihm töten sich aber nur wenige D 3-Kinder, denn die meisten bleiben gern in D 3 oder hüpfen schräg nach E4 hinüber. Die Vergnügungen in E3 sind naturgemäß makaber. Sie bestehen in Kämpfen roter Ameisen- und Spinnenstämme um die kleinen Elektroleichen, aber nur Leute von Nachbarquadraten sehen zu. Da schau, der kleine Emil Ettlow, sagen sie zum Beispiel, die schöne Blitzzeichnung, die er hat, schad,

die Ameisen

haben ihm schon das schönste Muster wieder raus-

gefuttert; sind schnelle Bestien, allerhand.

Nach E4, sagten wir schon, muß man schräg einhüpfen. Hier herrscht die Kreide. Nicht nur Kinder, auch Erwachsene kommen

an Sonntagen frühmorgens nach E 4 und bleiben im angenehmen Kreidemehl bis spätabends eingebuddelt. Sie liegen, sitzen, robben, streuen, reiben, sie scharren, häufen, wägen, kämpfen und lieben;

viele denken einfach nach über ihre weiße Schönheit oder die des Hügels. Durc eine Kreidetür kommt man auch nach E5. Die Vergnügung dort besteht in einem Automatenbuffet. Es hat nur eine Münzöffnung, und in die paßt jeder der zahllos umherliegenden Rundkiesel. Es hat hundert Zuggriffe mit unbeschriebenen Emailtäfelchen darüber. Also muß man raten. Emil Ettlow, bevor er verschmorte,

hielt zB den Mund unter den Auswurf und bekam sechs, sieben Hasenbemmer|n hineingetropft. Mytilla Mitil kam mit klebrigen, hormonhaltigen

Lutschplätzchen

dran;

sie erkannte

ihre Klein-

mädchenpsyche nach dem Genuß kaum wieder. Andere aßen Dörrkäfer um die Wette, käuten ausgediente Kaugummi wieder, rätsel-

ten um echte und giftige Beeren. Im ganzen war das Planquadrat friedlich: eigentlich starb nie jemand an dem Gegessenen; ein einziger Bub mußte am Blinddarm operiert werden, weil er Bartwichse 121

Hügel aß, aber der Bub schützte, Nach

auch hier war nicht die Kost, sondern ein Irrtum schuld: aß das Stanniol, das die Wichse vor dem Ranzigwerden mit, und die Operation verlief im übrigen erfolgreich. F5 geht es über Stufen, obwohl auch dieses Planquadrat

ganz oben am Hügel liegt. Die Stufen führen unter die Erde. Die Vergnügung besteht in einem Mineralienkabinett, an dem aber nur wenige Leute Interesse haben. Die Attraktion sind versteinte Kindchen, mit Lehmköpfchen, denen man noch alle Lebensfunktionen zusprechen würde. Mädchen nehmen sich gelegentlich so ein Steinkindchen mit nach Haus, stellen es aufs Regal oder bitten den Bruder, ihm ein Bettchen zu basteln. Die Steinkindchen auf F 5 nehmen

trotzdem nicht ab, denn andere Mädchen kommen und bringen verstohlen ein Kindchen und senken es rasch in den Steinteig, der in einem großen Steinbottich aus erratischem Material unter einem unauffälligen Steindeckel schwabbelt. Die Eintrittstür nach F 4 ist ein Katapult, das den Besucher aus

dem Mineralienkeller in ein Labyrinth befördert. Denn die Vergnügung von F4 besteht im Verirren. Aus Erdgängen, nach oben verlängert mit Wällen, Hecken und Gneisplatten, ist ein Irrgarten gebaut, in dem Mädchen und Buben anfangs Entspannung, später Erschöpfung finden. Die Platten drehen sich, die Wälle und Hecken wandern. Wo ein Ausgang schien, ist plötzlich die Welt mit allerhand vernagelt, und in späteren Tagesstunden beginnt da manches Mädchen, aber auch mancher Bub leise zu weinen. Gegen Abend steigt kalter Lehmbrei in die Laufgräben, und wer da noch unterwegs ist, um den steht es schlimm. Ein kleines Elschen beging an der Ausgangstür Selbstmord, weil wohl sie, aber nicht mehr der kleine Bub, den sie in D3 geriet.

liebgewonnen

hatte, abend

aus F4 heraus-

Ein Rahmen, von dem Elschens Schädel hängt (von den Raben bald blankgezupft), ist die Eintrittstür nach F3. F3 umfaßt neben Hügelgebiet auch ein Eckchen angrenzenden Flachlands. Seine Vergnügung besteht hauptsächlich darin, dem Hügel mit seinen Vergnügungen sattgespielt und heil entronnen zu sein, wieder waagrechten Boden zu treten und nicht zu fern im Flachlandlampenoder -sonnenlicht häusliche Fenster aufblitzen zu sehen. Hügel 2. Ein Hügelhang trägt einen > Weingarten. Hügel 3. Auf diesem Hügel sind da und dort Brände. In 200 m Höhe einer, 55 m darunter einer und 25 m rechts, 60 m links einer und 20 m darunter, und noch viele andere, kurz: die Hügelfeuer-

wehr hat heute viel zu tun. Eigentlich immer. Sie liebt den blauen Rauch, den weißen Dampf, das knisternde Holz, schwelende Heu, die brenzelnden Käfer, lustig ist das Feuerwerker-Leben von der

122

Hügel ersten Ausbildungsstunde, in der mit Harzbüscheln kleine Brandwunden gesetzt werden, bis zum Feuertod oder der Pensionsfeier. Die Hügelfeuerwehr kennt eigentlich keine Höhen und Tiefen; sie spaziert auch im 'Traum senkrecht, waagrecht, schräg, ohne Wege, wie ein Hubschrauber, die Feuerwerker auf 80 m hoher rauchender

Schneise sind genauso groß sichtbar wie die in 120 m tiefer Wolfsgrube, in der Wölfe ungeschickt Feuer gemacht haben. Im Plauderton, ohne Sprechfunk, sagen sie zueinander: Heb! und Lösch! Halt! und Hust! Das Aushusten gefährlicher Gase, besonders auch farbloser Flammen im hellblauen Sommerhimmel, wird in vielen lusti-

gen dem dort auf,

Ausbildungsstunden gelehrt. Wenn bis mittag alle Brände auf Hügel gelöscht sind, wird der Hügelpfiff gepfiffen, und da und blitzen Bauernfeuerzeuge und Vagabundenfeuerschwämmchen und der Nachmittag ist schon wieder gesichert.

Hügel 4. Dieser Hügel ist nicht bloß Hügel, sondern es steht auf ihm ein aufwärtsgebautes Hügeldörfchen samt Feldern. Sogar ein kleines Chemiehäuschen raucht gelb und stinkt. Im übrigen aber muß man

ein Anrainer-Sträßchen

aufwärts gehen, wenn

man

zu

den höheren Häuschen des Hügeldörfchens hinaufhügeln will. Ganz oben ist man schon richtig auf einem Hügel. Dort kann man richtig von einem Hügel hinuntersehen. Hügel 5. Der Bub ist noch sehr klein, aber ein guter Kletterer. Ihm macht es auch nichts aus, wenn seine Hände tonrot werden, sein

Blickfeld rot vom Anschauen rotverwitterter Baumruinen. Die Hauptsache, der Großvater ist nah und lenkt ihn abweichungslos zu den Haselnußbüschen

mit den haselnußgrünlichen,

haselnuß-

gelblichen Haselnüssen, nach deren Entgrünung und Aufklopfung milchigsüße

herbe

Haselnüsse

entstehen,

feucht,

zu

kratzenden

Raspelbröcklein zerbeißbar, ohne den Petrolgeschmack der faden trockenen Haselnüsse des Krämers. Die selbstgepflückten Haselnüsse sind neu wie am ersten Welt-Tag und leben meist nur am Pflücktag. (Sie leben manchmal ein wenig auf einem Brett.) Der Großvater nennt den Enkel ein Eichhörnchen und behandelt ihn auch so: hetzt ihn, fängt ihn und trägt ihn am Nackenfell ein Stück Weges. Hügel 6. Hügelhasenjagd, horrido!, Höhenschichtlinien. Ha!, hechelt der Hasenhäscher,

Höhenschicht

höher.

doch halt!, schon huscht der Hase eine

Der Häscher

hetzt zwischen

Haselbüschen

hügelan, doch der Hase schlägt einen Haken, hebt Hals und Hasen-

läufe hoch und der Häscher hört ein herziges Haha! Hund! heißt der Häscher den Hasen, der Hase hebt die Hasenlöffel: Hund? Hoppla! Er holt eine hellbraune Haselnuß und hält sie dem nun schon hinkenden Häscher eine hellbraune Höhenschicht höher hin. Er hänselt ihn. Der Häscher hebt seine Handfeuerwaffe, 123

Hügel hält etwas vor und heizt dem Hasen ein. Er hustet ins Horn. Die höher hockenden Häscher horchen und holen den hornverzierten Hirschfänger, für den Fall, daß der Hase halbtot den Hügel hinauf hetzt. Der Hase hört Hackendes, holpert in die Halme, hält, hat Hartes, heult um

seine Haut, hopst und ist hin. Der Hügel

huldigt dem hingegangenen Helden hundert zur Hütte des Häuters hin. Hügel 7. Man ziehe einen sanften Bogen mit oben. Seitlich und unten braucht man diesen schließen, es soll ja nur ein bestimmtes Gebiet Kuppe herum strukturell aufgefächert werden.

Höhenschichten

bis

der Wölbung nach Bogen nicht abzudes Hügels um die

(Raum für das Ziehen des Bogens.)

Mit den Einzeichnungen beginne man links: schneide einen nach rechts oben gerichteten Keil aus dem linken Randstück der Zeichnung; in den Keil schreibe man „buschig“. Etwas links von der Kuppe setze man einen Punkt. Von dem ziehe man eine Gerade ungefähr zum Bodenpunkt der ersten keilbildenden Geraden. So entsteht ein zweiter Keil, mit der Spitze nach links unten. In diesen Keil schreibe man „kahlgrün“. Nun ziehe man von dem kuppennahen Punkt im rechten Winkel zur zweitkeilbildenden Geraden eine Gerade nach rechts unten. Das entstehende Dreieck, eine gebirgige Parodie auf den Hügel, fülle man mit den Worten „buschig, schründiges Gelände“. Das Dreieck lasse man unten offen. Nun ziehe man zu der letztgezeichneten Geraden einige Parallelen, verforme sie aber im Zeichnen zu sanften Bogen. Man gerate mit ihnen nicht zu weit nach rechts und beschrifte das Gebiet mit „Wein, buschig‘“. Rechts schließe man ein kleines Dreieck an, das mit der Spitze nach links unten zeigt. Man beschrifte es mit „Busch, Häuser“. Eine Hilfszeichnung zeigt die Bogenkontur eines Hügelstücks

und von ihr abzweigend eine Gerade, auf der nach einiger Leere ein Häuschen mit dreieckigem Dach steht. Den rechten Rand der Hauptzeichnung nimmt ein Dreieck ein, dessen Spitze nach oben zeigt, dessen Schenkel schon gezeichnet sind und dessen Grundlinie wir nun unsicher in den Hügel zeichnen. Dieses Dreieck beschriften wir mit „Wein“. Nun deuten wir noch nach all diesen Zeichnungen 124

Hühner der höchsten Schicht eine zweithöchste Schicht an, setzen etwa unter

die linke

Hälfte

des rechten

Randdreiecks

eine vage

Ellipse,

liegend, mit der Inschrift „Laubbäume“. Links an diese Ellipse schließen wir, wie einen linksgerichteten Schnabel, der unter ‚Wein,

buschig“ zu stehen kommt und noch ein Stück in „buschig, schründiges Gelände“ sticht, einen schmalen Keil mit der Inschrift „kahl,

Wein“. Schließlich beschäftige man

sich mit der dritten Schicht,

zeichne, locker an die „Laubbäume“-Ellipse anschließend, ein etwas

zur Kuppe hin kippendes breites Rechteck ohne unteren Abschluß. Dieses Rechteck schneide man in senkrechte Streifen und beschrifte es über die ganze Breite mit „Wein, in verschiedenen Formationen“. Eine Hilfszeichnung zeigt Weingärten in verschiedenen Linieaturen, Dichten, Wuchsintensitäten. Eine Hilfszeichnung in kleinerem Maßstab

(Raum

für die drei Hilfszeichnungen.)

reduziert diese Individualitäten auf wechselnde Durchliniierungen, zittriger Handschrift wie eine Tätowierspur. Irgendwo auf die Hügelkuppe der Hauptzeichnung schließlich setze man jenen unentbehrlichen Einzelbaum, zu dem alle Spekulation hinstrebt und hinter dem auch wieder eine Welt liegt. Hühner 1. Beim Backhuhnessen flatterten die Hühner bis auf unsern Tisch, so sehr hatten wir sie mit Hühnerfleisch verwöhnt. Die Hüh-

ner nahmen die schlechtabgenagten Hühnerknochen in den Schnabel, bekamen kaum Luft, plumpten zur Erde, wurden von den Mithühnern überfallen, rannten, bis ihnen der Hühnerknochen aus dem Schnabel fiel, und hackten in die hühneressenden Hühner. Drum gab es in dem Hof so viele kahlrosa Bürzel, so viele erd-

verklebte Blut- und Federwunden. Vom Teller durften die Hühner nicht essen, denn sie legten gern weißblasige grüne Kleckse, wenn sie aßen. Die Mithühner rutschten beim Dreinsteigen aus, aber faßten sich und trampelten mit kotbeladenem Fuß ihres Wegs. Hühner 2. Gibt es, sagte Alphard Mutz zu der üppigen etwas unappetitlichen schwarzhaarigen Dame, als sie die Hühner fütterte, die die Wirtin mit biili-billibillibilli zum

Schlaf rief, jemand, der

Ihren ganzen Körper mit Küssen bedeckt? Ihr Mann saß daneben und war apathisch. O ja, sagte die Dame, mein Mann bedeckt mich,

125

Hühner

Sie werden lachen, jede Nacht. Nun gibt es zwei Hypothesen, sagte Alphard Mutz zu sich auf dem Pissoir: Entweder unterschätze ich wirklich die Männer, mindest in ihrer Vitalität, oder sie war schon

so sehr resigniert und hörig. Biili, jedenfalls, ist ein lustiger Ruf für Hühner, und in Biafra schlachten sie Ratten und verkaufen sie den Reichen, die sich das Leben noch leisten können, also sind Entbehrungen, sei es der schwarzhaarigen Dame, seien es meine, (denn

Alphard Mutz war immer ein sozial denkender Mensch) rangig. Hühner 3. Noch ihre Hühner sind bauernschlau: im Flug eines durch den Hof geworfenen Sakkos) kennen Wurst und verschmähtes Brot auseinander. Die Gäste

eher zweitFlug (dem sie begehrte unkenntlich

auslachend, hängen sie weiß-braun im Baum. Hühner 4. Nicht weinen, Sylvi: Hühner sind ja dazu da.

Hühner 5. (Heiser:) krooo krooo. (Futteranforderung.) Hackendes Pulsen des Nickwerks. Nervöses Aufpicken. Erschrecktes Kopfwenden. Starten mit viertem Gang. Immer verschreckt, immer verfolgt, immer der Augenaufriß vor der Ohnmacht. Zwei Hennen stehen schwesterlich nebeneinander, plötzlich macht eine: grrrr— Hühner 6. Weiße Hühner sind immer schmutzig. Wer wäscht eigentlich die weißen Hühner? Mit Omo würden sie wieder weiß. Es müßte immer OMOo regnen. Hühner 7. Der Hahn läßt jeden Bissen sofort fallen, wenn eine Henne kommt. Er steht geradeaus starrend im Gefütter. Wovon lebt er eigentlich? Er ist ein dunkler Phantasiehahn mit Metalleffekten. Er trennt die Raufenden nicht, außer wenn er auf eine Lust hat. Er kräht, aber zögert. Er wählt zwischen einem schmut-

zigen, einem reinen und einem rotwunden Hintern. Er läßt sich durch gekrümmte Zeigefinger stören, hält sie für Superhahnenschnäbel, flieht.

Hühner 8. Die Hühner lauschen dem Choral des Regens und träumen von der Schwierigkeit des Legens. Hühner 9. Henne, madig, gerupft. Henne mit umwölkter Stirn. Henne hackt Flaschenstanniol und schaut dann betrübt drein. Henne mit eierschalenfarbenen Drachengräbbeln, einziehbereit wie die einer alten sensiblen Dame. Henne hüpft hoch und zupft unreife Trauben vom Stock. Henne breitet alle Unterröcke aus und weibelt das Gras warm. Hunde. ... kurz, wenn er irgendein Talent hat, mit dem er glänzen kann — und sei es, daß er Tierstimmen imitiert —, so wird er über einen

126

100 kg attraktive Frau Mangel an Erfolg bei Frauen nicht zu klagen haben. (Alexander Barrantay,.) Schau, ein Hund. Schau: Hunti. Dort hinten. Robert, geh weg

dort. Hörst du nicht? Wo willst denn hingehn? Papa ist blöd, Papa ist blöd, bu! bu!

Hundige Familien. Ein häßlicher grauweißer kleiner Wachthund bellt woch! woch! Der beste Freund des Menschen ist der deutsche Schäferhund — Treu bis in den Tod. (Titel-Layout einer deutschen Illustrierten.) Wenn ich ein bissel eine größere Wohnung hätt, einen Hund möcht ich schon. Ein Hund ist so was Treues! Ein Hund bellt wuwu! Ein Hund bellt o-ut, o-ut!

Schlafende Hunde sind hautig. Ihr latentes Lachen. Unvermittelt fahren sie aus dem Schlaf und beißen das Kind, denn das Kind ist

schlimm und will mit einem feuerstinkenden Eisenrohr gebrannt werden. Die Wunde klafft, der Hund kläfft. Seine Fangzähne trenzen. Einem Hund die Schnauze abschneiden. Nun sieht er aus wie eine Gasmaske. Der Durchschnitts-Hundefreund ist ein Durchschnitts-Pferdefreund (> Pferde), Durchschnitts-Katzenfeind und neigt zu Autorität und Standessymbolik. Katzenfreunde aber lieben Libert£, Egalite und nicht nur Fraternit€ sondern auch Sororite; unerzwungene Freundschaft, das Ungarantierte, das Fallweise, das Grazile. (> Katzen.) Koeduzierte Hunde + Katzen + Ratten schonen einander, viel-

leicht gelingt es durch Koedukation, Hunde zu erzielen, die nichtunterwürfig und schön wie Katzen sind. Ein Hund beutelt die Hundekäfer ab, schmückt sich mit Hundeblumen und hat Hundesehnsucht. 100 kg attraktive Frau. Die gezähmten Gazellen stieben auseinander, wenn die Elefantin die Manege betritt. Verblaßt, ihr fragilen Mädchen, schrumpft vollends, wenn wir Repräsentanz des Bindegewebes Blick- und Lustfeld erfüllen. Glaubt, ihr Männer, nicht der Antiwerbung, die den mageren Degenerantinnen einen Platz an der Sexsonne

retten

will. Wir Fettzellensammlerinnen,

Kissenzüchte-

rinnen, Selbstverdopplerinnen, wir Federgewichte von 80, Leichtgewichte von 100 und Entzückensklöße von 120 und mehr kg, wir, unter deren zärtlichen Patschfüßchen die Lebendgewichtwaagen metallische Klänge von sich geben, wir mit unserem Umfeld von Wärme und Feuchtigkeit, wir Allzweckgefährtinnen, die noch

Steinböden und Tischplatten die Illusion weicher Betten anzaubern, 127

100 kg attraktive Frau

wir sind die Siegerinnen. Hört doch, wie falsch das Hohngeschrei der Mageren klingt, hört, wie belegter Stimme die ängstlichen Männer ihr Pfui über unsere Lavamassen sprechen; ein Blick von

uns, und gern schmelzen sie in unsere Lava hinein. Jedes Kind weiß, daß man vom Guten nicht genug kriegen kann. Wenn ihr unentschlossenen Herren ein 50 kg leichtes Spätzchen an euch drückt, wie wenig wird euch da dieses Emotionen-

futter, wie gern würdet ihr Hungrigen es vervielfachen. 100 kg Mädchen in den Armen zu halten, ist doch ganz etwas anderes. Nur überquellendes Fleisch und Fett kann mit euren überquellenden Gefühlen Schritt halten. Darum mästen wir uns, jeden Butterbissen und jede abgeschmalzene Nudel in Liebe zu euch schlickend. Gern nehmen

wir Keuchen

und Transpiration

auf uns, Hitzege-

fühl und Spott. Wenn in der heimlichsten Stunde unsere Schweißbächlein fließen, ist aller Spott vergessen und sind sie euch das liebste Bad. Wir kennen euch gut, denn die Mageren schwatzen von Erfahrungen, doch wir haben sie. Sagt selbst: der Schlaf mit Mageren

ist etwas

Stilisiertes, eine

schmiedeeiserne Gruppe fürs Nachtkästchen. Magere Frauen riechen nach Hygiene, verdrehten Parfums und Kästchen voll alten Zwiebacks. An uns wird jedes Parfum gleich Körperbestandteil, der euch vor Begehren schamrot macht. Wir duften nach Vitalität wie ein Roßapfel und sind bewegungsfreudiger, als der Sportarzt glaubt. Viele von uns sind intelligent, aber nehmt selbst das Vergnügen mit einem Trampel, wenn er nur gut dick ist, und radiert

die schwindsüchtigen Elfen eurer Jünglingsträume alsbald mit einem Tintengummi ein für allemal aus. Oder nehmt die Textilbranche: ein mageres Mädchen hängt sich erlesene und kostspielige Modelle an ihr Gerüst, und der Erfolg, sie wird euern Vogel verscheuchen;

wir massigen Verheißungen sind nackt, was wir auch anhaben; wir sitzen nackt in der Opernloge und unser klobigster Pelz im Frost ist Schwall von unserem Schwall. Nicht nur unsere anklebsamen Hundstagsfähnchen, nein, auch unsere schweren Kostüme und Mäntel könnt ihr mitbeschlafen, versucht es einmal! An uns erlernt ihr den Fetischismus wie Kinderspiel, denn alles,

was wir an uns tragen, umhüllen wir gleich mit unsichtbarer Haut und machen es zu einem Stück von uns selbst. Ja, auch euch unschlüssige Herren saugen wir auf, schon seid ihr ein Stück unsrer Pracht. Noch glaubt ihr, auf uns bildhauern zu können, noch packt ihr mit sachsieggewohnten Handwerkerpranken zu, glaubt, die Lehmklötze verformen und Eingebettetes, wenn ihr kräftig hingreift, pflücken zu können, noch planscht ihr auf uns; doch schon seid ihr von uns Werkstoffspielenden rettungslos begraben; noch 128

Hundstage

wehrt ihr euch mit gefräßigem Kuß in unsere riesigen Kinnwülste, Wangenberge und Dickhälse; wir aber klemmen euch und beginnen die Zerreibung, für die wir viele Mühlen haben; noch behauptet ihr euch, in uns umherzappelnd; doch dann rinnt ihr aus, in uns, und seid Erde zu Erde. Das sind gerade genug Argumente für eine erfolgreiche Werbung; nun resigniert bei Bewußtsein, denn ihr entgeht uns Dampfwalzen nicht. Werft noch letzte Blicke auf uns, bevor wir euch einverleiben: starrt dorthin, wo unter ansehnlichen Bäuchen im stets sich knül-

lenden Stoff die Gehbewegungen ansetzen; wo Strümpfe sich zu elefantischer Weite dehnen, wo ihr ins beginnende Weiß gern das Rotviolett eurer Zahnmarken fletscht; wo wuchtig malmende Gesäße den Selbstzerstörer in euch anlocken; oder wo enge Armreifen in Oberarmschinken schneiden, die feuchte Achsel euch beschnuppert und das Lösen des Büstenhalters den Sturz einer Fettmasse auslöst;

starrt auf unser unterspicktes Gesicht, seine trägen und behinderten Züge; unser Lächeln, das vom Verschub der Fettpolster wie Ekeln

und Naserümpfen aussieht, wozu wir noch gern Bäh und andere träge Laute ausquellen lassen; das Kneifen unserer Schweinsäuglein, das Satte, Wissende, Genießerhafte, das uns Mädchen wie Matronen und uns Matronen wie Mädchen dreinschauen läßt; hört die Musik,

weich

und

klatschprall,

in die wir getaucht

sind; riecht und

schmeckt, was es zu riechen und zu schmecken gibt. Und dann bereitet euch vor, uns zu fühlen. Euer Untergang wird sanft sein,

luxusgepolsterte Kabine, Erster Klasse. Mit garantierter Auferstehung in immer neues Glück (wir sind ja nicht so!). Wählt uns. Lernt um. Lernt Quantität ıst QUALITÄT. Lernt, was ihr ohnehin wißt. Hundeschärfer. Im Feld, gleich draußen vor der Städtcheneinfahrt, wohnt der Hundeschärfer. Seine Schärfmaschine surrt über die Felder und wird oft mit dem Surren des Überlandleitungsdrahtes verwechselt. Er schärft Ia, Ib und IIb. Sein großes grellgeblumtes Weib hilft ihm halten. Ia geschärfte Hunde winseln bei der Behandlung jämmerlich, haben dann aber Zähne wie Rasierklingen. Die Zunge wird abgetragen, denn der Hund würde sie sich unsachverständig abbeißen. Der Menschenschutzverein hat gegen das Ia-Schärfen so wiederholt wie erfolglos protestiert. Hundstage 1. Eine Quellennutzung. Auch wenn wir die Hundstage lieben — das Nacktgehen, das Baden, den Vorgenuß Durst —, laßt uns nicht vergessen, daß wir Kältegeschöpfe sind. Von der Temperatur unsres Blutes geht es nur noch 310 Grad abwärts, dann ist die tiefstmögliche Kälte des Weltalls erreicht. In die Hitze der Sterne hinauf aber geht es viele 129

Hundstage

Millionen Grad. (Der Salpeterprozeß etwa setzt bei 200 Millionen ein.) Im tiefsten Winkel des Weltkühlschranks sitzen wir, aber quatschen von „lebensspendender Sonne“. Die Sonne braucht nur einmal zu niesen, und unsere Welt ist weg. Hitze zerlegt jede Zelle, liquidiert die ganze organische Chemie, löst jede Molekülbindung und ermöglicht zum Schluß nur rasende einfachste Teilchen. Hitze

ist Chaos, Kälte ist Ordnung. Wenns einen ordnungsliebenden Gott gibt, liegt seine Lieblingstemperatur zwischen minus 20 und plus 40 Celsius, also, anständig gesprochen, etwa 250 und 310 Grad Kelvin. Was drüber ist, erfreut konfuse Schlachtpriestergötter, die

Mädchen in Kratern lieben und Neugeborene zu Braten brennen. Also: Heiliger Frost, belasse die Eiszapfen in unseren Bärten, lasse die Sonne so kühl und die Erde so extrakalt bleiben, schicke uns brustkorbmalmendes Packeis, aber nicht knochenverdampfende

Lava,

schicke uns

gefrierenden

Hauch

vor

die Schnauze,

aber nicht die tödlichen Gasknäul der Sonnen; laß uns keine Millionäre an Graden werden, laß die Liebe zu Hundstagen maßvoll bleiben, und laß die Liebe zu Menschen Kühlung und nicht Glut sein,

amen. (Quellenangabe:

1) ein Letzte-Dinge-Gespräch

mit Dipl.-Ing.

Walzel-Wiesentreu im und vorm Restaurant Baumann

zu Leoben,

2) Anrufung Elses aus „Tage und Träume“ von Eisenreich.) Hundstage 2. Nackte dicke Herren zurren die Jalousien und bereiten sich Bäder. Hundstage 3. Auf den Stadtplänen die hellgrüne Weite, die graugepünktelte Weiße werden zu weißgrüner Glut. Sonne schon ohne Charme; ohne Schonung. Trockene Grasspitzen brandtüpfeln die Sohlen. Hundstage 4. Hundstage der Ferienkinder. Abkühlung, Beinsalat, Creme, Dusche, Eissalon, Frische, Gurkenblatt, Hundszunge, Island, Jugendclub, Kanada, Lappland, Meer, Norden, Ozon, Polareis, Quellwasser, Ruderboot, Segelboot, Tauch-

kammer, Unterwasserjagd, Varangerfjord, Wasserball, X-Chromosom, Yawlboot, Zitroneneis. Man denke zwischen diese Punkte zwanglos verteilt die Ferienkinder Alphard Mutz, Elschen, Myra Metelli, > Quenta Quebec, Encore Edibelbek etc, manche einander erkennend, manche nicht.

Ingenieur Ingenieur Ingenieur Ingenieur ich nicht.“ 130

1. > Lollo. 2.> CP. 3. > Gemeindebauten 9. 4. (Mutter und Kind:) „Essen kommen!“ — „Essen mag

Ing. Pozzi Der Ingenieur sagt, er habe eine Weile gebraucht, um draufzukommen, daß von Nahrungsaufnahme und nicht von heranzotteln-

den Schmiedeöfen die Rede war; nach dieser Erleuchtung sei ihm wie dem Betrachter jener perspektivisch gezeichneten Schachtel gewesen,

die sich durch Änderung der Blickfixation zusehends um-

stülpt. Ingenieur 5. Kommen Sie, sagt der Ingenieur, gehn wir auf die Suche nach rechten Winkeln. Ingenieur 6. Gnädige Frau, ich meine so:, sagt Chemiekaufmann

J. zur Ingenieurs-Margit; wenn die bodenlange Mode wiederkommt, an der ich mich schon einmal als Zwanzigjähriger sattgesehen habe, wird es ganz lustig sein. Aber substantiell ist die Minimode ungemein reicher. Wie meinen Sie das genau?, fragt der Ingenieur. Er meint, dolmetscht die Ingenieurs-Margit einfühlungsstark, in langen Kleidern stellen wir einen Gag zur Schau oder, sagen wir, schönen Stoff, für den natürlich auch Männer immer eine Schwäche haben; aber über das, was wir im Mini offenbaren, läßt sich viel

spezieller meditieren als über die banale Quizfrage, was wohl der Osterhase unter unserer langen Robe versteckt hat. Genau. Die Wirklichkeit ist viel schöner als die verdorbenste Phantasie, bestätigt ]J. Danke, lacht Margit kätzisch. Ingenieur 7. Kennen Sie eigentlich einen > Ing. Pozzi?, fragt der Ingenieur. Und ob!, sagt Chemiekaufmann J. Ein reizender Mensch, nicht wahr?, sagt die Ingenieursgattin; och, ich habe Italiener überhaupt so gern! Leise, gnä Frau, sagt Chemiekaufmann J., der Mann dort drüben ist ein > Dynamit-Attentäter. Och, meinen Sie das im

Ernst?, haucht die Ingenieursgattin und kratzt ihn mit einem Blick voll unternehmungslustiger Krähenfüße. Ing. Pozzi, Kältespezialist aus Italien. Ich fragte ihn einmal, warum keine Kühlschrankfirma sich entschlösse, Rührwerke für Speiseeiserzeugung in die Schränke einzubauen, was doch gewiß jeder technische Gewerbeschüler durchkonstruieren könnte und was, mei-

nem Laienhirn nach, den gesättigten Kühlschränkemarkt in aller Welt neu aufreißen würde. Ing. Pozzi mit seinem traurigen Schnurrbartlachen wies mich aber auf die Katastrophe hin, die dieses Patent unter den > EissalonBesitzern auslösen würde, und auf die Agenturen, die mißliebige Erfindungen aufkaufen und meinen Wunschkühlschrank gewiß auch schon längst aufgekauft haben. Ich schämte mich, daß es eines Technikers bedurft hatte, mir, dem

Exporteur, für ein kaufmännisches Motiv die Augen zu öffnen. 131

Johannisbeerwein

Johannisbeerwein. Erfreuversuch mit abseitigen Mitteln. Dabei differenziert, der Humbug: schwarze, rote, sogar weiße Beeren, nun Wein. (J. gedachte des jungen Chemikers J., der neben dem gewohnten Äthyl- plötzlich einen Propyl-, Butyl-, Amyl-Alkohol zubuchefand und hunderte, tausende weitere, teils dickflüssig, teils ungenießbar, teils tödlich, rote Pulver, braune Kristalle, wilde Aromen, krumme Gestänke; sogar Karbol, mit dem betrogene

Krankenschwestern sich zunichteätzen, spielt Alkohol.) Irrwein, dreifarbig trinkbar, im Freien, flirtbeleuchtender Johanniskäfer eingedenk, pulpigen Johannisbrots der Jahrmärkte, Wildhonigs des geköpften Johannes. Durstnichtstillend, im Nippen wie Stürzen, laevulo-süß, elegisch, casanovisch, schwerberauschend, aufs Herz anlegend: Kollaps-Füsilier. Glückliche Mädchen,

glückliche Gelsen, glückliche Manschettenknöpfe langgezogenen Flußrestaurants.

in glücklichen

Joyce. Ist der Tag, der meine sentimentale Reise einschließt, ein

Abklatsch des Bloom-Tages? Nein. Meine Sekunden sind nicht die Sekunden des Denkkontinuums, sondern Blick- und Blindsekunden

eines Weltmodell-Diskontinuums. (Einbekenntnis der Kleinheit meines Weltmodells: > Gebrauchsanweisung.) Darum auch ist der innere Monolog nur sparsam angewandt und die angebliche Sünde des Allwissendspielens und Ex-machina-Tretens freigebig begangen. (> Allwissender Erzähler.) Jung (werbesprachlich): Junges Zyklam. Junges Ingwergelb, Lindgrün, Curry. Junges Altrosa. Junge Schlüpfer. Junge Pyjamas. Junge Umstandsmieder. Jung sein in Baumwolle. „LK-Mode wird täglich jünger.“ Junge Möbel, Margarine. Die junge Tankstelle, Zahncreme. Die junge Nähmaschine. Junge Limonade, junges Hopfenbier, junges Bock. Junge Intimfrische. Junge Fleischbrühe. Junge Taille. „Schlüpf in eine junge Haut.“ Die junge Verdauungshilfe. „Wie jung du heute bist!“ „So jung war noch keine Jugend!“ „Junge Generation“ (SPÖ). „Junge Generation“ (OVP). Eine junge Bombe, sagten wir 1940 gern, wenn wir eine kleine meinten. Etwa die herzigen Thermitbomben, vor denen der Luftschutzwart nicht abzuhauen riet, denn sie sprühten ja bloß so unheimlich, konnten aber mit einer Feuerzange in die Sandkiste gelegt werden. Kamille. Bröslige Köpfchen, Schwämmchen, eure heilsame Abkochung, Reim auf Stille, Sommerpension, eine kamillengelb und kamillengrün stickende grüngelbe Camilla, Bahnsteigkräutlein, tagelanger Geruch beim Teerplankenschwimmbad, lebenslanger Geruch aus den Laborfenstern des Dürrkräutlers (noch Hoflieferanten!), Bienen + Schmetterlinge, öfter Begleitlied von Faulen132

Katze

zung als von Unternehmung, eigentlich harmonisch zu Lindenblüte, sich bückende Sammelaktionskinder, Rascheln beim Dörren, benachbart auf dem Dachboden trocknen Pilze, Dachbodenstaub das Dritte

im Geruch, zwischen den Handflächen zerreiben, duftende Dampfwolke im Flur, Pritscheln im Mädchenspülbecken. Katze 1. Du hast mich gekratzt, Katze, sagte der Gast zu der Katze,

als sie ihn zum Dank für eine dargereichte Wurstscheibe vor 21 boshaften Mitzechern kratzte; ich verurteile dich zur Aufschneidung deines Bauchfellchens mit einer Schneidfeder, zur Abtragung deiner Ohren mit einer Laubsäge; zur Schließung deiner Augen durch den Lötkolben, zur Kappung deines Schwanzes in der Kreissäge; zur Verschlechterung deines Geruches im Kachelherd. Aber er tat nichts dergleichen. Beim Fortgehen, auf dem Weg zum WC, schnappte der Gutmütige die Katze dann doch, an einer Fellfalte nahe den Ohren, legte sie sich unter die Füße und zertrat sie. Im wilden Klee reinigte er sich die Schuhe. Katze 2, fellis ludens, Susi. Froschsprung durch die Luft. Junge weiße (rostgefleckte) Katze. „Das faule Mensci!“ Das Tatzen. Schmiegen, schleichen, spielen. Diese hier will eher spielen als gestreichelt werden. Mit Katzen spielen Sylvia, Monika.

Katze 3. Die Barbarakatze traute sich nur bis aufs Dach rüber, weil die Eigenkatzen sie zerkratzten. Sie stammte vom verkommenen Nachbarn und war nur Haut über Katzenknochen. Ihre rosabraunen Haare standen in die Höhe, und auf jeden ansteppenden Spatzen reagierte sie panisch. Das Futter mußte man ihr geschickt aufs Dach zielen. Verfehlte man, so sah die Barbarakatze auf den fetten gelben Käskeil hinunter, spannte sinnlos ihren Rücken und forschte,

warum das getan worden war. Katze 4. Ich liebe Hunde, sagt die Fremde, ich Katzen, sagt Alphard

Mutz, und Pferde, ergänzt unnötig die Fremde. Zuerst will Alphard Mutz ihr sagen, Hundeliebhaber sind meist auch Pferdeliebhaber, aber das wird ihm bald unnötiges Informieren. „Jeder ist allein“,

zitiert er lohnender. Katze 5. Drei, vier, fünf, sechs, sieben,

die Katz hat hingespieben. Was das für eine Mieze ist,

wenn sie nur frische Leber frißt! Verdient noch dieses Biest, daß man sie höflich grüßt?

Katze 6. Ein Neukätzchen hat den Sack überlebt. Es hoppelt. Es überfällt die Mutter, ohrfeigt, beißt sie. Ulrike nimmt es weg, 133

Katze

drückt es, quietscht, beißt. Ist dir nicht leid um die andern, fragt Zero Zobiak. Nein, die sind ja zuviiiel!, sagt Ulrike, sieben Katzen, brrrr!, sie schüttelt sich kasperltheatralisch; Vati hat mit der Hacke

draufgeschlagen, erklärt sie, wumm!, wumm!, die jungen Katzen sind ja gleich weg, der hat schon solche Übung; lieb hab ich dich, Katzi Katzi, entschuldigt sie sich bei dem einen konkretgebliebenen Neukätzchen des Gesprächs. Katze 7. Die Katze zerfleischt einen Goldhamster; dessen Langohr und Nagezähnchen, die blauroten und fischsilbernen Eingeweide;

Hohlschnüre hängen vom Katzenmund, die Katze legt den Kopf schief, zerrt; schupft im kleinen aber raschen Mund die Beute, ent-

läßt auch einmal schlechte Luft durch die Nasenlöcher. Wie kam der Goldhamster in den Garten? Katze 8. Dieses isolierte Nebeneinander von Menschen- und Katzenbetriebsamkeit. Für die Katze ist das Zinktopf- und Waschtrogtragen der Hausfrau, das Schnürespannen des Mädchens, das Sensendengeln des Mannes nur zweckloses Katzenspiel; erführe sie einmal von Zwecken und Produktivität, stürbe sie an Entsetzen über ihr Image bei den Menschen. Katze 9. Machen Sie den Schwanz so steif wie möglich und schmiegen Sie ıhn mit maximalem Druck ans Tischbein oder meine Waden. Stellen Sie ihn jetzt hoch und machen Sie richtig mi-jau. Üben Sie aber auch kwää. Kratzen Sie sich mit dem rechten Fuß, ganz steifhalten!, akrobatisch. Lecken Sie Ihren Unterleib. Senken Sie Ihre Pfote tief in ein Mauseloch. Noch tiefer. Waschen Sie sich das kleine kreisrunde Gesichtchen. Katze 10. Katzen nur filmen. Photo in den seltensten Fällen. Bitte, Tierbücher, aber das ist gestellt. Jede gewöhnliche Hauskatze. Alles Gelenke und Gummifedern. Wozu Gummilinse? Lichtmuster aus Laubwerk stört ungemein. Rascheln können Sie dazuschneiden, Rascheln ist Rascheln. Katzen-Iris mit ganz kleiner Blende? Haare müßten ins Gegenlicht kommen, aber wie? Haben Sie noch eine Maus? Wollen Sie selber eine? Vielen Dank, hab mich schon so an den Geschmack gewöhnt. Katze 11. Marktkommissär Zbonka hat im Lauf seines Lebens, von dem er viel in Gasthöfen verbrachte, alle Vorkommnisse bei Katzen registriert. Varianten reduzierte er auf Grundphänomene. Heute sind mit den Punkten A) bis Q) alle Möglichkeiten für ihn erschöpft. Katze 12. Es gelang uns, eine Katze so zu erziehen, daß sie Mäuse nicht killte. Die deutschen Illustrierten holten sich bei uns nacheinander ihre Idylibilder, zu denen sie ihre Texter verzweifelt reimen ließen. Ein weißes Mäuschen schlief gern in der Achselhöhle der ver134

Kaufhäuser

hinderten Feindin. Und viele andere Photos. Dem ersten Kater, der kam, schenkte sie aber ihr Mäuschen. Er biß es wund, spuckte es aus und holte es ein, lang den Genuß wiederholend; teilte es

schließlich mit ihr. Katze 13. Die Katze bringt dem Hausherrn ihre Jagdbeute: Rebhühner, Hasen, Mäuse, Erdzeisel. Was, das hast du alles in einer

Nacht erjagt?, fragt er. Er nimmt natürlich außer einer kleinen Maus nichts an. Den Rest darf ich behalten?, fragt die Katze froh,

und schon ist sie bei ihren Neugeborenen und verschenkt ihn. Aber die Kleinen lallen nur „Milch!“ und „Mir-auch! Mir-auch!“. Weich-

linge, schimpft die Katze und entblößt ihre Zitzen und Zähne. Katze 14. Motive für das Quälen von Katzen. Katze 15. Aberdeen. Kaufhäuser

1. Zero Zobiak,

der Bub, glaubte immer,

in Kauf-

häusern könnte man sich einen Rausch antrinken. Im 4. Stock, wo die pappigen, rotbemalten, klobigen, drehbaren, hölzernen, clownigen, glasglatten, verschwärzten Puppppen standen, streifte er oft umher, der Liftboy hielt vergeblich die Hand auf und war vergeblich mürrisch, die Verkäuferinnen lächelte Zero erwachsen an, alles

vergeblich aber. Die Krawattenmary im musikdurchdrehten Erdgeschoß hoffte, an Zero mit Kurzware zu verdienen, aber: Zero blieb Zero. Nie hatte er den Mut, nach der Wein- oder auch nur

Lebens- und Genußmittelabteilung zu fragen. Detektive lauerten ihm auf, nie erwischten sie ihn bei Diebstählen, denn wenn er Büstenhalter und Lippenstifte stahl, war dies nur eine Ersatzhandlung für den unerhältlichen Rausch, und er stahl leidenschaftslos und un-

aufrichtig. Die Büstenhalter und Lippenstifte schenkte er seiner Schwester, die fragte ihn so schön, warum er immer schlechter aus-

sähe und ob sie ihm vielleicht einmal rosige Wänglein schminken sollte. Einmal, als sie ihn im Traum belauschte, schnarchte er: „Rausch!“, und da wußte sie, wie wenig es geschlagen hatte. Mit der Schwesterlichkeit einer Schwester stellte sie nächsternacht eine farblose unetikettierte Flasche zu den Teddybären an sein Bett, und

instinktiv griff Zero Zobiak um zwei Uhr hin und trank aus. Dies ist kein Himbeersaft, sang er, die Schwester glühte vor Genugtuung, die Eltern wacelten in den Betten, die Schwester wurde zur

Braut, und die Kaufhäuser gewöhnten sich Zero Zobiak ab. Kaufhäuser 2. Zerlärmt rolltreppt blechauf liftab Detektiv Gratisansprühung Kleinkugelschreiberhaufen Windtürwind Herrenkopftücher Damenrasierapparate Alle zum Telefon Stöckelsturz mit neugestohlenem Badeflakon Zerrt kindquer über schreiendes Blech Schallplattenwind Parfumsurren Aktentaschenleder juchtet Schulfreinasen Ventilatorhurrikan prospektet Neumöbelholzen Gratis135

Kaufhäuser

knopflöcher Freundlichkeitswochenlippmund Gratiskalender Bälleknall Diebsspiegel Taschenkrimipfuhl Wundpflastervorführung im Nelkenphotodrom Hutschelefantenschilling schließt Nougatbegehrheulmaul Zehn Unauffällige spritzen Diebstinte Wühlfrauenstrudel perspektivisch näherheulend reißt Kindbein in Zerstör-Truhe Hals in

Stoffzentimeterzentrifuge Aug schließt mit Stoffknäuel Stoffetzen brandknattern grüngelbrot durch die Blaugelbweiß Orange! Violila! Rosolett! Wühlfrauen reißen sich Strumpf von Krampfbein Mörder vielleichtwirft Glutzigarette in tausend Stockwerkliftpaniktote fenstaufwärts kassenausklirren klinglingeln Straßenlärm Kaufhäuser 3. In der Vergangenstadt vielleicht K? gab es, vielleicht hundert Meter vom vielleicht Paulsplatz, vielleicht trug J. damals einen beigedicken Kindermantel?, und vielleicht hatte man die vielleicht braune vielleicht Pauls-Kirche besichtigt?, vielleicht ein Delli-, vielleicht ein Fasso-Kaufhaus. Vielleicht war J. dort allein, vielleicht vierjährig, vielleicht kauflustig, vielleicht erschreckt, vielleicht zugleich mit einem vielleicht vierjährigen Mädchen vielleicht Vera hineingeraten, vielleicht an der vielleicht zuckerlpickigen Hand genommen vielleicht treppauf gerollt, vielleicht befragt wie er hieße vielleicht getröstet beschimpft und polizeilich abgegeben vielleicht von damaligen Thirties-Schlagern besprudelt vielleicht großes Rotes sehend vielleicht von einem vielleicht schwarzweißen Hund niedergewuchtet worden vielleicht sich das Tränensalz von den vielleicht kindsdicken Wangen schleckend vielleicht vom vielleicht nie prügelnden Vater ungeprügelt vielleicht mutterwarm vielleicht heimtrotzend vielleicht von Regenkot vielleicht brusthoch beschmutzt vielleicht in ein vielleicht vielstöckiges Hotel vielleicht mit klobigem Schlüsselnichtverlierer handbedrückt vielleicht gewaschen vielleicht ein vielleicht rot-blaues Holzhasenauto ersehnend vielleicht mit Träumen von vielleicht Vera vielleicht unfröstelnd eingeschlafen. Kinderaufsicht. Robert, komm her, geh zum Papa abwischen.

Krause Brillenkinder, sich fortwährend umständlich Jäckchen anund ausziehend. Mageres kränkliches Frauchen, mit schlaffhängendem weißem Gehäkel über tintenblauem Kleid, sogar das sichtbare Nackt ober

den Strümpfen wie fade Milchspeise; trenzt raunzige dünne Verbote. Kinder rennen einander um einen der Mittelpfeiler nach. UrErlebnis: rotieren, schwindlig werden, Übelkeit speichern, nicht brechen können. Kleines Scherzfragen-Mädchen: Warum ist die Butter fett? — Daß beim Aufstreichen nicht quietscht. 136

Kleine Dinge

Mutter sagt: Bleib da. Wurscht, Wurscht. Vater nichts begeben. Bub sagt: Er hätt dir fast den Wein

Papa kommt gleich. Bub sagt: Wurscht, kommt zurück. Mutter sagt: Es hat sich Wurscht, Wurscht, Wurscht. Mutter sagt: austrunken.

Dann tun wir uns spielen, dann schlafen wir, dann tun wir essen.

Dann spielen wir mit meinen drei tütütü. Der-Papa-muß-mir-denPappendeckel-picken. Der arme Kinderzeitungs-Pinguin. Weil sein Schwesterl so schlimm war wie du. „Mit den großen Ruderfüßen / sieht man ihn für Margit büßen.“ Nein ist ein Wort, das Kinder sehr beeindruckt. Robert, komm her, geh zur Mama schneuzen. Kinder des Weidendorfes. Von den Kindern des Weidendorfes geht keines mit Hunden. Jermilka, Jessica und Jentchen beschließen, Katzenfreundinnen zu werden. Der unglückliche kleine Emil Ettlow aber hält sich ein > Eichhörnchen. Kleine Dinge 1. Auf dem Kies des Gäßschens lag eine verfrüht abgefallene Roßkastanie, noch Embryo. Die Stachelchen steif aber biegsam und an den Enden durchsichtig. Das angenehme Gefühl beim Eindrücken so schwacher Gegner in die Haut: am Widerstand den eigenen Körper zu spüren, ohne daß der Fremdkörper trennt, löchert, dringt; ohne daß der banale Alarm von Schmerz Unwiderrufliches meldet, ohne daß das hysterische Ausschleudern von Blut beginnt. Ganze Perspektiven von zartgrünen und miniaturmodellhaften Gegenständen

eröffnen

sich: ein zentimeterkurzes

Salatherzchen,

ein neugeworfener grüner Zwergpudel — schon ganz Zwergpudel, die daumennagelkleine Nachbildung eines Blumenkohls aus pastellgrünem und weißem Marzipan. Lesekasten lupenkleiner Buchstaben aus creme und zartgrünem Bein. Ebensolche Würfel, mit denen ringfingerkleine Landsknechte an Lagerfeuern aus weißem und blaßgrünem Seidenpapier knobeln. Kleine Dinge 2. Da unten liegt ein Stück Stuck. Stück Stuck. Im Krieg gibts dann solches genuck. Genuc.

Kleine Dinge 3. Wer blitzt noch mit Magnesiumband? Aber kein Zweifel; hier liegen die Reste: spiraliges Scheinband aus Asche, dem weißen Oxyd. Das Gegenständchen ohne Widerstand; eine Berüh-

rung, und das Filigran pulvert zusammen,

in den Fingern bleibt 137

Kleine Dinge

ein schmieriges Stäubchen. Und das war brüchiges, aber doch metallenes Band, sofort zu weißglühender Flamme entzündbar, kurze Zeit ging eine Grenze, die die Form nicht zerstört, durch das brennende Stück; davor weißgraues Metall, dahinter weißweiße Asche.

Legionärsspaß: Erschießen von Gefangenen mit Leuchtspurmunition. Sanft löst sich Magnesiumband auch in Säure; ohne Umrühren, ohne Rest geht es klar in die klare Flüssigkeit ein und verändert doch ihre Formel. Kleine Dinge 4. Vierblättriger Klee. Auch dem Unabergläubischen macht das Finden der seltenen Variante Spaß, so wie Pilzsucherinnen, die pilzlose Diät erleiden, für ihre Schwägerinnen oder Märkte allzeit begeistert den Waldboden sichten. Für abgeschmact hält es > Quenta Quebec, wenn Gärtner Viererklee züchten und mühlose Kleetöpfe auf dem Neujahrstisch stehen. Beim Kleesuchen hilft ihr ein Peter, ein schwarzer sogar und gleichaltriger. Aber er ist dumm, insofern, als er die Klischees von den Mädchen selbst ange-

sichts Quentas nicht revidiert. So leidet Quenta die Schmerzen a) der Unrechterfahrung, b) des Alleinseins unter Gefährten. Behandle ihn wie eine Puppe, rät ihr eine weise weiße Katze, machs wie ich mit den Menschen: such ihre Nachbarschaft, aber kenn ihre Grenzen

und unterwirf dich nicht. Bleib du selbst. Quenta ist aber im Moment noch zu mild, um das voll zu verstehen und auszuüben. So

versucht sie, Peter durch Worte und Geistbeweise in Ordnung zu bringen, aber er bleibt wirr wie ein Zimmer voll Bettfedern und definitiv wie die Flugunfähigkeit der Ratte. Die kleinen hellgrünen Blättertröpfchen haben Verständnis für Quentas Lage; formieren sich nicht zuviert. Die Unabergläubische begreift auf dem Umweg über die Wahrscheinlichkeitsrechnung: als Symbol für die Häufigkeit kommunikabler Gefährten ist vierblättriger Klee durchaus ernstzunehmen. Kleine Dinge 5. Ein verlorenes > Kopftuch. Knopf. Das zieht natürlich die Leute in seinen Sog und facht die Harmonika-Feuerung an, entlockt auch dem glühenden Blechschiff im Zischwasser ohrenzerreißendes Tuten. Daß der Lehmkopf voll sparsamgrüner Weintreppen jetzt schon dem rechten Kulissenufer einen nahenden Hintergrund macht; daß es den Auwald aber zerreißt und die Stadt drinliegt, gleich ist sie beschreibbar, wenn einmal die Brücke, zum Beispiel das riesige Lagerhaus, die unmittelbar herankommt,

ein Weißhaariger

bläht den roten Brustkorb,

hier

möchte er ja gleich vom Schiff ins Wasser, denn es ist Schwimmwasser, passiert ist, und neben dem Lagerhaus der Wohnklotz un-

proportioniert massig und aufragend vom flachen armen verschlafenen Hügel (rechter Stadtausläuferflanke), und wirklich sind wir 138

Knopf unter den verschränkten Eisenflüchen der Brücke, die zehnten, was das Metall alles zusammenschimpft, treffen unseren Kopf, ja, schaut, die Stadt ist wieder weg, idyllische Schraubflaschenpicknicker im Ufergras bei den weidenden Autos, richtiges Schlachtenwetter, euer

Strand wird gerammt, das junge Frauchen mit ausgeprägter Vasenfigur im einteiligen Rottrikot wird als Galeonenmiss gespießt, eh sie

begreift, aber mit Preßluft in den Backen schwimmen da schon die frechsten Buben an, erst im Augenblick vor dem Sieg können wir sie mit der Kielwasserzentrifuge zerstäuben, und im Tod noch spucken sıe ein „Tod den Piraten“ an Bord, hier hilft nur ein Bauch-007, aber dieser Bauch rennt grimmend vorbei zu den Waschräumen, und aus der Au entsteht eine vielstöckige Menschenbarrikade, win-

kend und um diese Tageszeit kann man schon im Schwimmdreieckchen die Stadt bevölkern und sehr viele Arme und Beine verflechtend und lachen und Schwimmhauben tragen oder meiden und Hunde mit abgeschälten Stöcken ins Wasser kommandieren. Wir winken und flattern und fleischeln zurück, und unsere Schwimm-

hosenmann- und Bikiniweibschaft tritt zum Gegenangriff an, den Kokosankerwurf nicht abwartend und den Steg stürmend, an dessen Ausgangseingang Gekreisch, Zertrümmerung, viele Ohrfeigen, Fllenhiebe. Verwandtenumarmungen und Nacktpärchenaufküssungen entstehen. Irgendein Zivilistenmarsch schmettert aus der rotblaugelberünen Station mit dem weißen weißgelben weißblauen Licht drauf und mit den schattigergrünen Verzierungen, aus denen dicke rote orange und violette Blumen wachsen. Knopf, die schönste Eingeborenenstadt der Welt. Und wie sie ins Restaurant wimmeln und aus allen seinen Fenstern ausdringen und würmeln und wursteln und all die Lastwagen voll Speiseeis, die unauffällig umherstehen, leerschlecken, mit den Bechern wedelnd und Tüten winkend und quietschend, wenn sie sich mit Papierbändern anwerfen und Sodawasser bombardieren. Tuuuuu und von der Landorgie abgeschnitten und schon ist sie ein kleines Postkärtchen für die Erinnerung und was wir mitnahmen richtet sich jetzt Klappstühle hortend scharrend lärmend schwatzend an unserm Bord ein und wir nehmen die Uferparade ab, die bunten Bänke (> bunte Stühle) auf der > Promenade, na also, die rechte Seite hat jetzt endgültig ihren Terrassenhügelhintergrund, und was ist das für ein neuer Affentanz, jetzt regnet es ja Brücken, die viel-

vermißten; sie schlägt eine Trapezkapriole rechts über ein Flüßchen, was heißt!, über einen ganzen SPORTHAFEN, „Sporthafen Knopf“, in den man, unser Schiff optisch verlassend, mit roten

Holz- und Motorbooten in ein neues Leben einzweigen kann, Wasserbrüdern und -schwestern nachlaufen, kreischend, Nasse ins nasse

139

Knopf Wasser schmeißen, naß lachen, plustern, crawlen, eine Maske von

nassen Haaren um den Wasserkopf haben, irgendwo einen Dreizack der lehnt entlehnen und damit Nymphen jagen und Donauweibchen abschuppen und mit Petersilie und Zitrone zubereiten. Drei Trampoline wirbeln

auf einmal hoch und schmeißen

blaue und rote

Selbstmörder in die zum Schreien lustige Vernichtung. Die ganze Landschaft ist besät mit Schnippeln Menschenhaut, in fortwährender Bewegung in allen Varianten von > Braun (beige, mocca, olive, puter, nuß, schweinchen, grill). Von Textilfleckchen mühsam zusammengehalten Atmendes, Wölbendes, Sprengendes, Hüpfendes, Ulk, Bedürfnis, Lebenslust, Nachbarschaft, Herausforderung. Und die

Fleckchen selbst: zweite angeschmiegte, angepickte bunte Haut, miterregend, miterregbar, mitkneifbar, mitklatschbar, mitliebbar. Schön wärs, aber spielen tun sie meine Exporteurfahrt nach Druden, die Donau nicht rechts hinein, sondern gradaus weiter, immer

der Stadt Knopf flußentlang die Parade abknöpfend, zum kahlen Terrassenberg in ihrem Hintergrund salutierend. Hochgenuß am Immerwiederstrand, dem Strand der wildbadenden Städtchenbürger,

Familienmütter,

Hundeväter

mit

Triller

Schimpf

und

Stein: eine dicke Matrone grüßt das Schiff, Arme und Beine gegrätscht, in schwarzem Trikot. Ihre klatschdicken weißlichen Oberschenkel. Super-Barbara, Wahrzeichen. Und gelbes > OdstättenUnkraut am Immerwiederstrand, der flach ins magersiedlige Städtchen einbuchtet. Das Streusel der vielen Häuschen auf dem Kahlkopf im Hintergrund und auf den Ausläuferwellen in die Ebene: Dutzende Optiken drehen Knopf, Wein und Donau: Chemiekaufmanns Bärtchen

rechts am Aug vorbeifahrend, Chemiekaufmanns Golduhr am linken Horizont auftauchend, während der rechte (hintere, schräglinke) Nachbar dengelt (hustet, Zeit vertratscht). Wir haben aber jetzt die Möglichkeit, auf Straßen, gleich einigen, vom Ufer aus in die Stadt zu dringen; hinter der Kulisse stehen wirklich Kulissen! Namentlich eine Kirche hält Frühnachmittagsruhe, kocht im Schamott-Sonnenofen ihr Weihwasser, betet menschenleer um ein nächstes Jahr voll Maiandachten und schwachen Maikäferbefalls



Schwermut

des Juni, bitt für uns Barabbasse

und Barbarabarbaren, amen. Die Kirche ist jetzt ans Ufer gewatschelt, mit ihrem Kirchplatz der Bänke und Büsche, — ihre Zivilbäume, von denen man

gleich in die > Odstätten abrutscht,

ersetzen die Flottenbaumdivision der unbesiegbaren Au. Wer würde da keine bunte Zeltstadt — mit ocker, rot, blauen Eintagspyramiden, trapezförmiger Einstiegstür in den Reaktor von Weib- und Männchen — hinstellen, wo doch auch ein wirklich grüner Hügel 140

Kollaboration

den Kahlhügel abgelöst hat; schon erkennt die sich steigernde Üppigkeit nur mehr ein rotverziertes Wohnschiff an, und alle lärmenden Schichten unseres Schiffes drängeln durcheinander und stauen sich am Trichterrand meiner Aufmerksamkeit. Denn

meine

Aufmerksamkeit

Bordgeziefer nicht um

will noch nicht; läßt sich vom

den raumlosen

Übergang in die nächste

Stadt bringen, den das > Knopfer Tor, nachdem es Senfer Tor geworden ist, vollzogen hat. > Senf.

Knopfbach. Knopf vom Knopfbach aus: Windwurmgasse 1 hat ihre Fortsetzung in Riegelgasse 3 und Speckmessergasse 5, ums Eck der dritten Seitengasse geht die Riegelgasse weiter. Dörrfrauen hängen in den Fenstern, haben ihre löcherige Galle an der Hofleine aufgehängt. Im > Wallgraben liegt ein Abgehäuteter, obwohl die Gassen sonst rein sind; die ersten Straßenkehrer nach jenem Blutbad hielten sich für inkompetent, die späteren ihn für ein Naturdenkmal. Die > Stadtbibliothek trägt die Inschrift: „Jeder, der viel wußte, hatte

noch Verluste.“ Knopfer Tor. Man tritt ins Tor und ist plötzlich im Tor einer Weltstadt, im Licht, nach seiner Finsternis, rumort, wimmelt und

schaufensterglitzert das Citygäßchen einer Weltstadt, und dreht man sich um, liegt im Licht, nach seiner Finsternis, ein zweites Citygäßchen

einer

Weltstadt,

mit

Juwelieren,

Antiquitätenläden;

umfärbende Brüden und erstickende Parfums quellen aus Coiffeursalons, und für die Ankunft im Airport oder im Hiltonhotel empfehlen sich massige neuhelle Schweinslederkoffer. Dämchen auf Glasstöckeln und in Puderwolken haken sich in rosa Gecken, und Orchideen am okapiledernen Herrenschuh oder im durchstochenen Herrenohr sind keine Seltenheit. Grüßt man lettisch, wird man auch verstanden. Der Autoverkehr spielt sich auf Drehscheiben ab und aus allen Magnettüren dringen Stereoschlager. Die prächtigsten Läden liegen im Dunkel des Tores, mit Phosphoreszenzbeleuchtung nutzbar gemacht, Blau-, Violett- und Orangelicht aus Plasmaröhren

oder natürlichen Stromquellen der Tiefseefische. Ein wenig marktschreierisch findet man die Tausende Fahnen in den Farben Knopfs und Senfs. Tritt man aus dem Tor, genügt der Augenblick des Aufpassens (ungerädert den Gehsteig der Tageslichtstadt zu erreichen), um allen Cityspuk zu zerstreuen. Einförmig liegt das Gäßchen im weißgrellen Tageslicht, Grün und Staub und Steinhäuschen, und Felleisen auf dem Rucken wandert der Handwerksbursch von weither über Knopf nach den > Feldstreifen von Senf, um in irgendeinem Abend die deftigen Betten von Druden zu erreichen. Kollaboration. Einer Kollaboration werden mich vielleicht Leser bezichtigen,

die gewohnt

sind, „außer-“

und

„innersprachliche“

141

Komposition Dichtung als Feindespaar zu sehen. Wenn ich, Real- und Moralist, nun (zB in einem Artikel über Steinbrüche) Sprachspiel zu treiben scheine, sieht es wie Kleinbeigeben gegenüber den „Innersprachlichen“ aus. Dies trifft nicht zu. Da es mir, wie schon gesagt, um die Sache und nicht um die Sprache geht, sind mir auch „innersprachliche“ Mittel willkommen, um einen Wirklichkeitsverhalt oder einen Verbesserungswunsch schärfer, facettenreicher oder injektiver

zu kommunikabilisieren. Mit „innersprachlicher“ Haltung möge man diesen Mitteleinsatz nicht verwechseln. (Man informiere sich auch, wieweit er ein > Nachziehverfahren bedeutet.) Ich kann mir übrigens vorstellen, daß ich damit eine Ermunterung gebe, die Synthese von „außer-“ und „innersprachlicher“ Experimental-Literatur im zeitgenössischen Bewußtsein zu etablieren.

Komposition. Hiermit bestätige ich, daß auch dieser Roman eine Ordnung hat. Es ist nicht die Ordnung der Sinfonia, sondern der Jam session. Zur Herstellung des Wissenszustandes, wieweit die

Ordnung der Jam session von jener des Entropiezieles abweicht, befrage man sanftmütige Jazz-Interpreten. Kopftuch. Übung: ausscherende Denkbewegung von JAHRMARKT (Umfeld probeweise selbst basteln) zu in Kopftuchköpfen gedachten Gedanken (probeweise selbst denken). Körper. Wir fressen wie die Hirschkäfer, aber sind die einzigen, die 2036, wenn Ikarus die Erde rammt, imstande sind, auf Ami-

Sonde AN 1 (in freundlicher Erinnerung an den Sintflutvater) ein Hirschkäferpaar zu Proxima Centauri hinüberzuretten. Darum lehne ich euch, Puritaner wie Sexualisten, ab.

Karl Jaspers, Psychopathologie: Freud sieht, was durch Verdrängung der Sexualität entsteht, oft außerordentlich treffend. Aber er fragt nicht ein Mal, was durch Verdrängung des Geistes entsteht. Ihr Leser aber nehmt, bitte, mit mir die losgelöste Körperfreude für eine Unvollständigkeitsform der Erotik, freut euch der Freude und bedauert die Unvollständigkeit. ». .. So führt sich“, sagt, aus anderer Perspektive, Thomas von Aquin, „was im hinkenden Gang an Schreiten ist, zurück auf die

Kraft der Bewegung; alles aber, was darin an Schiefem ist, das entspringt aus der Mißbildung des Schenkels. Darum ist nichts Unangemessenes

in dem Gedanken,

daß Gott mit den Ehebrechern

mitwirke in deren natürlichem Tun und ihm seine letzte Vollendung gibt. Die bösen Taten sind gut — soweit das zur Rede steht, was sie an Sein besitzen.“ 142

Korrupte Bräute

> Begründung für den Artikel Körper. Korrupte Bräute 1. Nun habe ich sie also geheiratet. Noch im Mai verpatzte sie mir die zweite Etappe des Ausflugs, indem ich standhaft an ihrem Haus vorbeiging und all die Abenteuer des weiteren Tages diesen Verzicht nicht wettmachten. Sie ging dort auf sauberen hellblauen Fliesen umher, sechzehnjährig, im Sonnenlicht,

nahe ihrem noch jüngeren Schwesterdouble, ihr Alpenvollmilchgesicht von etwas altmodischer Erotik wie die Gesichter vieler diklicher Mädchen, und gewiß würde sich auch sonst viel Schönes meinem Streicheln entgegenwölben. Zur hellen Haut des Trumms Milch kontrastierte gut das Kakaobraun der Mindest-Verpacung; zu den erdhaften Kilogrammen die wieslige Ubiquität. Das Weltlein, das ich bei jenem Ausflug in einem Anfall von Selbsttäuschung links liegen gelassen hatte, war nun durch einen Handstreich meine Welt geworden. Wir eroberten uns das Glück im Sturm, und Dollis nächste Regel wird gewiß schon ausbleiben, denn — so jung sie ist — wir wünschen uns viele Kinder. Die Kinder dieser Familie sehen alle gleich aus, dies ist vielleicht ein Zug bäuerlicher Beharrlichkeit. Diese Braut ist korrupt, weil sie mich ohne Warnung genommen hat. Wie bringen wir einander unseren Freunden bei und worüber handeln wir nach Ablauf der Flitterwochen, wenn Erstes und Zwei-

tes Programm gleichöde Blaulichtberieselung bieten? Korrupte Bräute 2. Sie trägt nicht Ringlottenrot, sondern Weiß! Sie tut nicht: hundeln,

ackern, verbleien,

streicheln, rutengehen,

Wellpappe ordnen, sondern: lächeln! Sie erteilt ihren Verwandten nicht Ohrfeigen, Ringelnattern, Olung, sondern Küsse und Hände-

drücke! Sie wiegt 42 kg und hat 36.0° Morgentemperatur! Sie hat soeben geheiratet einen: Mann! Sie wird aufbauen keinen Hochofen, Transformator, Fuchsbau, UNIDO-Wolkenkratzer, sondern einen Hausstand! Sie tritt nicht in ein Schienbein, Eisbein, Fischbein, in

Olmützer Quargeln oder Harzer Käschen, sondern in den Ernst des Lebens! Darum

scherzt sie, scherzt, scherzt.

Jeder Zoll also eine Un-

genauigkeit, genannt Braut, austauschbar gegen Großwetterlage, Funkstreife und Tagesspiegel. Korrupte Bräute 3. Weiße Bräute muß man mit allen mühsamen Ecchen aus weißem Holz aussägen — es ist das Feld, in dem Laubsägearbeit zu Spitzenklöppelei wird. Ein Mann mit Stoppuhr überwacht die Geläufigkeit. Weiße Bräute kann man auch in Apotheken kaufen, nur muß man die Lizenz haben. Sie stehen in weißen Regalen zwischen Talk und Clownpuder, Frauenmilch und Weißmehlstreu für Hundekrätze, man kann anderseits mit ihnen nicht die

143

Korrupte Bräute

Bälle nachweißen und die Brillen putzen, selbst die Hochzeitsschuhe mit der Dorneinlage nicht weißzuckern. Durch Selchfleisch sind sie unbestechlich. Männer tauschen sie nur gegen Vorauskasse. Sie singen aus Kohlweißlingskehlen, solange die Brautschulung nachhält. Sie schminken ihre Bettwangen mit Sahne und Lilien. Dringt der -gam in sie ein, versprüht er Eselmilch. In weißem Licht sind sämtliche Spektralfarben vereinigt, man braucht nur zu wählen. Aus blauem Licht erwählt man Violett oder jenes wunderschöne Sonnengrün niemals. In Weißglut verkohlen die Feinde schmerzlos. Also sind an jeden, der sich mit Weiß gleichsetzt, kritischste Maßstäbe

anzulegen.

Wer, wie Fräulein Doris,

weiße Brautfarbe gedankenlos annimmt, ist korrupt. Korrupte Bräute 4. Man setze hierher, was man ohne Hilfe des Autors hierhergesetzt hätte. Es übertrifft alle Vorstellhilfen. Nur den Ratschlag: zu verweilen; an eine so ganz und gar korrupte weiße Braut zu denken; nicht beiläufig, sondern alptraumfüllend;

nur diesen Ratschlag — der das Leben des Lesers im Grenzfall radikal umstülpen kann — hält sich der Autor zugute. Korrupte

Bräute

5. Für jene, die alles in Torte auflösen:

Man

stülpe eine weiße Mütze auf, nehme 100 g Gipsmehl, 10 Schwaneneier, 100 g Gänsefett, 100 g JAsmın-Blüte, verrühre unter langsamem Weißbierzusatz zu perfekter Knetbarkeit, würze mit Weißdornsaft und Bleiweiß, süße (kalorienfrei) bis zur Weißfärbung der Zunge, forme Weißtörtchen und backe sie auf weißlackiertem Weißblech bei Weißglut bis zu völliger Weiße. Dann wasche man sie mit ** noch weißer, schneide sie mit dem Weißrübenmesser in Schichten und fülle sie mit Weißwurst. Man glasiere mit weißem Nagellack, bestreue mit zermörsertem Weiß-

druckpapier und serviere auf Kreideteller. Die Törtchen nenne man „korrupte Bräute“. Sie erfreuen sich bei Junggesellenparties großer Beliebtheit. Korrupte Bräute 6. Das Schwarz echter Konkubinen ist seriös wie ein Blinddarm, das Weiß echter Bräute mit Brautunterricht ist seriös wie Rindsbraten, das Weiß korrupter Bräute aber zeigt Zunge und

Kürbis. Hinter all dem Bespitzten, Beschleppten, Gestärkten sind Gelüst, Geschäft und Gespött nur notdürftig verborgen, „Gelüst“, versteht sich, auf all die Hunderte Nichtbräutigame, deren Pano-

rama sich beim Ausschritt aus der Kirchentür nun überwältigend

144

Krämer

auftut. Jeder gutgejagte Hase hält solches Brauttextil schon beim ersten Schnuppern für eine mittelmäßige Imitation aus Butterbrotpapier oder Oblatenteig; wenn die korrupte Braut die Schleppe hebt, gibt sie kein Guck-Guc für das keusche Auge des Bräutigams frei, sondern läßt einen schadenfrohen Furz fahren, ein Blitztele-

gramm an den höllischen Boß, daß alles geklappt hat. Die Dorf- oder Grätzel-Bewohner aber haben ihre Freude ungetrübt, ich gebe es zu, denn das Weiß stimmt gut zu einem heißen Mittmaitag, ist garantiert aus allen Spektralfarben zusammengesetzt, und die Braut hat einen echten Körper mit Rehaugen, Goldfischmündchen und Brotteigbrüsten. Krämer 1. Petroleum, 1 Sorte ausrauchender Kaffee, Salzgurken im offenen Glas, echte Wachskerzen, Schmierseife im quellenden

Holzkübel, Parfumbar „Margit“ (Rosen, Veilchen und Maiglöckchen in rosa, violetten und milchblauen Flakons), Hering (marinierter und geräucherter), alles riecht durcheinander ineins, in den Geruch des Krämerladens. „Chramer, gip die varwe mir, diu min wengel roete“, heißt es in den buranischen Liedern. Die Mädchen,

die dort Farbe kaufen, damit sie den jungen Mann’ uf dem Anger ihre minniglichen Nöte zeigen, stehen schon Jahrhunderte herum und kommen

nicht dran, verstellen mir den Weg zum Ladentisch,

wo ich eine Spezialität: gesponnenen Käse, karamelierte Weintrauben oder Pfeffernüsse kaufen will. Eine trägt einen Minirock, eine einen Komplex: sie fürchtet, daß aus dem Gewölb ein grauroter Hund auffletschen wird. Süßwaren hält man hier noch in zugeschliffenen Gläsern. Die Schliffe sind gesprungen, und in den Sprüngen staut sich Zuckerzement aus Kanditen und weißem Straßenstaub verlassener Hügel. Über den Hügeln fliegt wohl manchesmal ein Flieger, das ist aber eine Seltenheit, und die gab es auch schon zu

buranischen Zeiten. Der größte Feind der Krämer ist die Großeinkaufsgenossenschaft. Die Genossenschaftsläden verkaufen Pommes chips aus Blech, und um den Service der schöngefärbten Verkäuferinnen muß man nach den Regeln der Minnehöfe werben. Krämer jammern immer über Stufen: allweil sind die ausbesserungsbedürftig, und es fehlt an willigen Taglöhnern. Warum hängen in den Krämerläden Kalender ägyptischer oder bolivianischer Versicherungsgesellschaften? Eine alte Einkäuferin riecht wie die alte Verkäuferin nach hausgewaschenem Karzinom, sie verstehen einander glänzend, vor allem in Fragen der heutigen Jugend, eingedenk ihrer 60 Jahre lang benachbarten Kirchenstühle. Schön blaurot ist der Joseph, was? („Heilige‘“ erübrigt sich nach so langer Familiarität.) Schön rot-blau die weinende Maria, was?, funktio-

niert es reibungslos zurück. 145

Krämer

Krämer 2. > Krämer 1. Nein, Sie lesen dasselbe nicht zweimal? Und wenn ich Ihnen sage, Sie haben den Mittelteil zu hudelig konsumiert? Gönnen Sie sich diesmal mehr Stehfleisch, im Krämerladen, warten Sie, von Einheimischen angestoßen, bis die alte Verkäuferin Sie drannimmt, und schauen Sie sich derweil schicksalsergeben um.

Kreissäge 1. Alphard Mutz erwachte eine Stunde nach dem Einschlafen und noch ohne späteren Geschützdonner,

8-, frühestens

6jährig. Licht brannte noch im Zimmer, das Angenehme des Nichtmehr-Heute/Noch-nicht-Morgen, noch nicht ausgebrannten Tages, im Elternzimmer ging das Leben noch weiter, Sumpfwanderung vom Tag oder Vorjahr mixte einen Halbschlaf, in den übergroß angeleuchteten Sumpfdotterblumen entstand ein Blickzentrum, und daraus heulte es nun kreissägegrell

Niı

i I; Die Niili war das erschrecklichste Weib der ganzen Kindheit, dabei vielleicht erst ein 16jähriges Mädchen, aber am nächsten Tag und vielen anderen würde Alphard Mutz aus dem penetranten Geschrei der Kreissäge ihren Namenszug heraushören. Was wollte Niili damals eigentlich von ihm? Wollte sie ihn schlachten? In die Sägblätter nehmen? Ihm eine Ahnung von der Hölle mit ihren abenteuerlichen Landschaften und Zerrmenschen geben? Warum trat sie als Mädchen auf, da Alphard Mutz doch hauptsächlich mit Mädchen spielte und weder jetzt noch später ihnen bös war? Als Alphard Mutz’ Freund die rechte Hand in der Kreissäge verlor, ließ es Alphard merkwürdig kalt. Kreissäge 2. Der rohbraune Kreissägetisch. Und das Schreien. Das Glockenbimmeln beim Einlegen. Das gelbe Warnschild mit der rotblutenden abgehackten Hand. Und das Schreien. Der abfliegende Sägestaub, der aufbrechende Terpentinduftspeicher. Und das Schreien. Ablängung auf Stücke von 1 m, Aufplatschen der Schnittstücke. Und das Schreien. Damit die Säge sich nicht festklemmt, wird die Zahnlinie dicker als der Rücken ausgeführt, oder die Zähne werden geschränkt. Jetzt macht der Arbeiter Pause. Am Fuß des Kreissägetisches stehen zwei Bierflaschen. Die Kreissäge schreit jetzt nicht. Sie wurde 1799 in Frankreich patentiert. Der Lehrling trägt jetzt geschnittene Stücke weg. Die Mantelzähne sind aus Schnell146

Kuhdreck

stahl, Schnittgeschwindigkeit bis zu 70 m/sek. Der Arbeiter kratzt sich den nackten braunen Bauch und läßt den Motor weiterrennen. In Bodenfugen verirren sich Blumen. Der Lehrling hinkt jetzt. Ein Sägeblatt, das während der Rotation flattert, kann Nuten in das Holz schneiden. Das Vergnügen, Genutetes zusammenzusetzen. Jetzt knallt ein Pfosten auf den Tisch. Und das Schreien. Alles muß zusammengeschnitten werden. Was ist dir draufgefallen? Und das Schreien. Es gibt auch Besäum-, Aufteil- und Formatkreissägen. Die

leeren Bierflaschen werden um zehn eingelöst. Eine sich entfernende Kreissäge schreit allmählich leiser und fällt irgendwann aus der Aufmerksamkeit. Kreissäge 3. Encore Edibelbek litt wie Alphard Mutz (> Kereissäge 1) unter der Furcht vor Sägen, hatte allerdings konkreten Grund, weil seine Eltern im Sägewerk wohnten. Heute, sagte Tamen Edibelbek, siehst du dir das Maschinenhaus an, mit der Kreissäge (Zirkularsäge, sagte man damals; Encore Edibelbek heulte bereits), der Spaltmaschine, der Gattersäge.. (Gattersäge war das schrecklichste Wort). Jetzt kommst du mit. Encore Edibelbek hatte das rechte Gefühl für solch indikativisch getarnte Imperative; woher weißt du, daß ich mitkomme?, fragte er. Aber nach einer Maulschelle stand er doch im Maschinenhaus, schnackender Knie, wundgezerrter Arme, wurde jetzt also geschlachtet, die Kreissäge schrie für ihn, grell und hinunter, es begann ein Stadium, wo Edibelbek alles wurst war, und nun vor der Gatter-

säge konnte er die senkrechte, tief in eine Grube fortreichende Höllenmaschinerie bei abgeschalteter Furcht betrachten, wie der Häftling den Ofen, in den er nun lebendig geschoben wird, und

irgendwann gab es dann doch einen Mittagstisch in der Rosenlaube, denn es waren schöne Sommertage, und schön war es, überlebt zu haben, doch hielt Edibelbek nie übermäßig viel von der befreienden Wirkung solch vorläufiger Rettungen. Kuhdrec. J. hatte es immer gern, wenn Kühe machten. Eine Kuh-

wiese ohne Fladen war eine halbe Kuhwiese. (Ob dabei Ressentiments aus der ersten Lebensphase mitspielten, wußte er nicht.) Als Schulkind matschte er gern darin mit den Füßen. Bis unnatürliche Leute ihm von den Schrecken einer Blutvergiftung erzählten. Wenn er sich nach einer Traktoristin sehnte, hoffte er, den Geruch an ihr

wiederzufinden. Kuhdrek hatte anderseits auch etwas Entsagungsvolles: das mit einigen Konsonanten auslangende Landleben alten Schlages (ohne Musicboxes in der Dorfschenke, ohne lilagemalte Vronimündchen,

ohne > Edelnaschwerk, nein, bloß mit alten sauern Drops im einzigen >

„Caffeehaus“); ein Wind über einsamer Scholle, das ist 147

Kulinarisch

doch rührend; schlechtgebaute Häuser ohne Kanalisation; Stapfen in photogenen Urschuhen, sich Zeit lassend, im rotlosen Abenddämmern des nur mehr mit Schlaf aufwartenden Bauernhofes: nur mit einigen Konsonanten weht die Nacht herüber; Kuhdreck, Fröstelkälte, der Tag ist getan, Federnbett, erkaltende Gebüsche, der

Dachkater kann nichts retten. Kuhdreck, herb, mit sehr spärlichem Süß, wie soeben aufgebrochenes Brot; nicht so unähnlich dem Jasmin!; auch Würziges: wäre

Kuhdreck eßbar, schmeckte er gut auf Lebkuchen gestrichen; schwacher Ammongasgeruch wie aus Camembert, wo es jeder untadlig findet. Aldo Palazzeschi (29. 12. 1913) schrieb: Laßt in einen Ballsaal frischen Rosenduft eindringen, und ihr werdet euch in einem eitlen,

vergänglichen Lächeln wiegen; aber laßt den Saal von dem viel tiefergründigen Geruch der Scheiße durchdringen, und ihr werdet ihn in Heiterkeit und freudige Erregung versetzen. Freudig machte sich Kaufmann J. auf den > Weg zur Schiffsstation. Kulinarisch. So wird von der Neuen Linken manchmal die Kunst genannt, die nicht ausschließlich die Herstellung neuer gesellschaftlicher Strukturen erkämpft. Die Konsequenten nennen sogar jede Kunst kulinarisch. Die Kochbücher sollen, womöglich mit Stachel-

draht den Köchen angebunden, öffentlich verbrannt werden. Die intellektuelle Weltrevolution ist also der erste Feldzug, der auf Gulaschkanonen verzichtet und auf den eine Ära von Appetitlosigkeit folgen soll. Ich hoffe, der Kunst zuliebe, indessen, daß die Weltrevolution von den Stahlarbeitern und Schrebergärtnern statt von meinen Kollegen durchgeführt werden wird, denn die Erstgenannten sind nette Menschen und werden es nicht lange ohne Platzkonzerte und die Gründung von künstlerischen Volkshochschulen aushalten, was auch nach unserer Erschießung auf etwas wie Kunstvirulenz rechnen läßt. Kunststofiliebe habe ich schon 20 Jahre vor dem Poprummel gefühlt, dem ich für sein Bekenntnis zu den Gegebenheiten der modernen Umwelt onkelig verbunden bin. 1943, mit 13, wollte ich mir im Garten eine Höhle aus bunten Kunststoffen bauen, und 1950

schrieb ich Eins freilich: Marjorie saß, blaue Blumen in ihrem Kleid, blaue Blumen um sich im Gras,

und saß gestern und saß heute. Blaue Blumen aus Plexiglas.

und 148

Küssen

Wenn das erste Flugzeug aus rotem Kunststoff aufsteigt, werde ich jubeln (aber das wird in einem Frühling sein). Küssen 1. Nur für Jungen! Das stumme Spiel der Lippen. Auch die Unerfahrenen und die Schüchternen brauchen nicht zu verzweifeln. Unsere Zeitschrift hilft ihnen mit einer Schule der Kußarten. Jede schenkt den Liebenden neue und andere Wonnen.

© Der Kuß der Verehrung: etwa so, wie der Frühlingswind die Weidenkätzchen umschmeichelt. Er wird abgeleitet von dem Kuß des Moses auf die Gesetztafeln. © Der Kuß des Versprechens: leicht und zärtlich auf beide Augen; erst auf das rechte, dann auf das linke. Verweile bei jedem Auge nur sekundenlang, und das Mädchen wird verstehen, daß du innerlich soeben ewige Treue gelobtest, wie es arabische Heerführer taten, wenn sie in den Krieg zogen.

© Der Kuß der Zuneigung: Du stehst seitlich neben dem Mädchen und hältst ihren Kopf umfangen. Dabei küßt du sie mit einer streichelnden Bewegung kurz unter dem Haaransatz. Damit

beweist du ihr, daß du ihr niemals in unziemlicher

Weise nahe treten würdest. © Der Kuß der Stärke: Du ergreifst mit deiner rechten Hand den linken Oberarm

des Mädchens, drückst ihn etwas nach

vorn und umschließt mit deiner linken Hand ihren Unterarm. Dann ziehst du den Unterarm zart an dich, die Innenfläche

nach oben gewendet, und küßt die Innenfläche eine Handbreit über dem Handgelenk. (Nicht ausrenken!) Auch dieser Kuß stammt von ins Feld ziehenden Kriegern. © Der Kuß der tausend Wünsche: Hier drückst du einen Kuß auf die Oberfläche des Oberarms, etwa eine Handbreit über

dem Ellenbogen. Dieser Kuß drückt all die Wünsche aus, die ein Liebender an die Geliebte hat, Wünsche jedoch, die stets

vom Respekt beherrscht werden. © Der Kuß der wahren Liebe: Er ist die Krone des Kusses. Er gilt jenem Menschen, den man wahrhaft liebt und mit dem man sich eine Verbindung fürs Leben wünscht. Du mußt deine leicht angefeuchteten etc. Unzählige Gedichte sind dem Kuß gewidmet. Eines der schönsten stammt von Franz Grillparzer.

Du hast jetzt alles über den Kuß gelernt, und dein Verständnis für die Bewunderung dieser Königskrone der Liebe ist sicherlich groß genug, um sie zu teilen. Dazu gehört jedoch nicht nur das 149

Küssen

„Gewußt wie“, sondern auch das „Gewußt wo“. Dieses „Gewußt wo“ erfährst du im nächsten Heft. Tschüß.

Küssen 2. Aus einer erweiterten Kußschule (> Küssen 1) mit Dezimalnumeration:

0.00 bis 4.99 Die bereits durchgenommenen Salon- und Anfängerküsse 5.00 Der Stirnprothesenkuß 5.10 Der Wimpernzupfkuß 5.20 Der Nasenlöcherkuß (unerkältet) (erkältet) 5.21 > 5.40 Der Dämenbärkan (flachsblond) 5.48 5.49 9255 5.92 9:93 5.94 6.00 6.10 6.20 6.70 6.80 6.81 6.93 7.00 7.01 7.10 7.39 7.54 733 8.00 8.50 bis 8.59 8.98 8024 9.30 992 9.33 9.40 957 9.58 2.33 9.68

150

a n

Der Der Der Der Der Der Der Der Der ”

(maulwurfbrünett) (schwarz)

Dame ober Doppelkinnkuß Dreifachkinnkuß Vierfachkinnkuß Rauchfangkehrerkuß Drillbohrerkuß Ferdinandkuß Zwiebelkuß Senfkuß (Estragon) (Kremser)

Der Blattlauskuß Der Achselhöhlenkuß (desodoriert) &

(naturfrisch)

Der ArzreitininakkoR Der Büstenhaltersuchkuß Der Miedersprengkuß (Größe 4) »

(„»

5)

Der Sl inmllteknt Die Strumpfküsse Der Oberschenkelkuß (straffes Fleisch) Mr (schlabbriges Fleisch) Der Gesäßspaltenkuß wi (mit Jasminparfum) tr

Der Der A Der Der

(‚„

Hagebuttenparfum)

Känguruhkuß Strumpfbandgürtelkuß (besonnen) (unbesonnen) Kenschheitsefirtelkuß Vorkuß zu 9.69

Labyrinth

9.69 bis 9.96 Küsse, die It. $$ 169—196 des kaiserl. salischen Hofkußerlasses v. 1. 4. 1069 und $$ 269—296 der Neuen Bundeskußverordnung (NBKV) der Staatsanwaltschaft angezeigt werden müssen 9.97 Das Anknabbern 9.98 Die stückweise (partielle) Auffressung 9.99 Die vollständige (totale) Auffressung Küssen 3. Aus einem Kesselchen wird Fettmasse geschöpft, seitlich die Zahnradübersetzung ist mit erstarrtem rotem Schaum bekleckst. > Schmelzmeister und eine olivbeschürzte Arbeitermatrone stehen abei. Oder: Auf einem Acker liegt die abgebrochene Kuppe eines Landmädchenlippenstiftes (Kaufhaus Acrex). Diese beiden Episoden aus dem Leben von Lippenstiftmaterie sind für 82% (nämlich den nicht-assoziierenden Teil) der geschlechtsreifen Bevölkerung unerotisch, obwohl das Substrat von sehr vielen eindringlichen Küssen hier zu einem — zwar unmenschlich dichten — Massekern geballt ist. Erst die Verdünnung — auf unternehmungslustigen Lippen, einem Filtermundstück, einem Sektglasrand — belebt das plumpe Material, veranmutigt oder dämonisiert den schmutzenden Handelsartikel. Küssen 4. Nach dem Frühjahrsfest, das verheerend ausging, ertappten sich sowohl Egon als auch Mira (Kurzform von Semiramis) gelegentlich dabei, durch Rollübungen ihre nun einsamen Zungen im eigenen Mund zu Fremdkörpern werden zu lassen und tote Freuden dadurch aufzugespenstern. Küssen 5. In richtiger Erkenntnis der physikalischen Weisheit von der Wirkung großer Oberflächen sagt der Vierzehnjährige, der natürlich Ralph heißt, auf alle Neckereien seiner Verwandten betreffend das Küssen von Mädchen: „Küssen interessiert mich nicht. Ich möcht ein ganzes Mädchen an mich pressen.“ Inga, der er Mathematik nachschiebt, probt das Küssen einmal mit ihm durch, Familienküsse nachahmend, und kommt zu dem gleichen LangweilErlebnis wie Ralph. Dennoch schenkt ihr Ralph das nächste Mal einen kleinen billigen Lippenstift und wird schwach in den Knien, als Inga ihn erstmals ansetzt. Küssen 6. F. Reimer, Sanitätsfibel, Fall 703: Verletzungen durch

Küssen einer Mistgabel. Labyrinth. Ich liebte immer Ariadne, die geisthelle Frau, die aus dem Labyrinth herausführte; nun soll ich Minotaurus sein? Nein,

übersichtlich wie je liegt meine Welt da: das Modell so übersichtlich wie sein Modell; das uns lehrt, es gibt keine Labyrinthe, sobald wir in Wegen Ziele sehen (vgl. Wittgenstein, den man ja unbedingt 151

Lagerschuppen zitieren muß, Tractatus, 6.4311: Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche

Zeitdauer,

sondern

Unzeitlichkeit versteht, dann lebt

der ewig, der in der Gegenwart lebt); sobald wir in jedem Labyrinthsack, an dessen Grenzen die Ratten anrennen, Futterschüsseln

aufstellen. Lagerschuppen

1. Zum Handwerkzeug

des Lagerschuppners

ge-

hören: eine Wrangel, eine Wrappel, eine Wrunzel, eine Wriggel,

eine Wrompstel. In den Lagerschuppen ist die Finsternis ägyptisch. Selten gibt das Blech ein bißchen Eigenlicht, denn meist ist es von knallgelbem Rost bedeckt. Auch die eisenfressenden Spinnen leuchten meist nicht. Ihre Hungersignale sind akustisch, und die Lagerschuppner verstopfen sich dagegen die Ohren. Die Schuppner leuchten sich mit einer Wrunzel, wenn sie mit einer Wrappel Kubus und Schrottwert ausmessen wollen. Oft schneiden sie sich mit Blech oder der Blechschere, dann säubern sie sich mit der Wriggel. Kleingeschnittenes Blech kommt in ein Faß, wo es gärt: die sogenannte Wrompstel. Damit ihnen der Sechzehnstundentag nicht zu lang wird, spielen sie bei der Arbeit die Wrangel. Wenn die Kommission kommt, rollen sie die überhängenden Bleche ein. Der Betriebs-

rat der Lagerschuppner hat dafür schon seit langem eine Wreddel angefordert, aber die ist aus Schildkrotstein und zu teuer. So müssen

die Schuppner mit der vielgequälten Hand wreddeln. Im Lagerschuppen tönt das Echo, besonders beim Klettern in Blech. Das zweite Stockwerk erreicht man nur an den Händen hangend. Oft schwirren dort große Blechbremsen auf und stechen den Schuppner in die Wange. Ist er unbeherrscht, läßt er sich fallen und wird vom Hartschrott gespießt. Aber nach zwei Tagen findet ihn meistens ein Oberschuppner und schreibt ihm einen rettenden Krankenschein. Das Spital der Lagerschuppner ist in Wraunl, Wretzelstraße 2, Ecke

Spitalgasse. Das Spital hat viele Lagerschuppen, aber auch Rotkreuzkästchen voll >Mindelkraut und > Kamille. Lagerschuppen 2. Im Lagerschuppen lehrt der Meister den Lehrling folgende Zangen kennen: Abisolierzange, Abmantelungszange, Auswuchtgewichtzange, Batteriezange, > Beißzange, Bleirohraufweitzange, Bleirohrschneider, Blitzrohrzange, Bremsfederzange, Deckzange, Drahtseilschneider, Eckrohrzange, Falzzange, Flachzange, Gasrohrzange, Greifzange, Hammerzange, Justierzange,

Kabelösenzange, Kabelschneider, Kerbzange, Kombizange, Konuszange, Mechanikerzange, Plombenzange, Rabitzzange, Radiozange, Revolverlochzange, Rundzange, Schmiedezange, Schrägschneider, Seegerringzange, Seitenschneider, Standhahnmutternzange, Telephonzange, Ventilfederhebezange, Verdrahtungszange, Wasserpumpenzange, Zwickzange. Für weitere Zangenbisse haben Arme 152

Landkonditorei

und Beine des Lehrlings keinen Platz mehr. Feierabend, sagt drum der Meister verfrüht und kneift ihm mit der Vorschneidzange ein blutiges Clip ins Ohr. (Das Blaß des Lehrlings paßt gut zum kargblauen Overall, den er nun anlegen darf.) Landkonditorei 1. Prompt steigt aus dem weißen Lehmstaub der ebenerdigen Häuschengasse das Lied von der Elate Yerond (>Städtchen 2), die Kinder quäken es entweder gedankenlos nach oder hören es nicht, sie schießen den Staubballen wie einen Fußball,

geben Fersengeld über die Höcker der Gasse, haben ganz weiße Mehlschuhe, treten einander Lehmflecken in die Hinterbacken und hauchen das Schaufenster der Landkonditorei mit Staubmaul noch schmutziger. Im Schaufenster steht eine mit Blümchenpapier benagelte Stufenkonsole. Das restliche Schaufenster ist mit anderem Blümchenpapier ausgeschlagen. Das Blümchenpapier ist eingerissen, vergilbt und verstaubt. Im August dürfen Wespen hinein. Auf den Stufen der Konsole stehen Papptellerchen mit ergrauten Schokodesserts, Marzipanwürstchen und angebissenen Schokoröllchen, von denen

die Schokoschicht

abblättert.

Die Kinder

sagen „Mmm!“,

weil Schokoröllchen im Mund zerkrachen. Die Landkonditorei hat zu seltsamen Zeiten offen. Im stechenden Sonnenschein ist sie ganz ebenerdiges Häuschen, Staub und Sonnenschein. Landkonditorei 2. Die Kinder lieben das grüngestrichene Holzhäuschen, das nach dem staubigen Gestühl alter Kirchen riecht; von dem der grüne Anstrich heruntergilbt, -bläut und -blättert; und das

im drückenden viel zu süßen cremes. Haben zufrieden. Die

Sonnenschein modrig schattet. Hier nutschen sie die Halmgetränke, pampeln die viel zu dicklichen Eisnachher doppelten Durst und sind mit der Welt unEnttäuschung der Türkisch-Honig-Bonbons wartet

auf jeden; sie kommt nur einmal im Leben; dann spuckt man die

ranzige Hülle um den hartvertrockneten Staubzucker zum Teufel. Die alte Gusti, struppiges Weißhaar auf Skalp und Kinn, bemüht sich rührend, zu rechnen. Wenn sie orakelt 1.20 und —.90 sind 1.10,

sind die Kinder weltversöhnt. Landkonditorei 3. (,... Insofern war diese Zeit spannender ...“) Der Bub, der die heute verschrottete Kleinstraßenbahn in dem

Städtchen verschmähte, obwohl sie an einem Getreidespeicher, dem Flußbrückchen mit Gelbgrüngetreide und einigen indifferenten, Bäuerinnen vorbeiführte, fand sich, öfter als er dachte, in der Konditorei am Vorstadt-Ende, wo er im Halbschatten, merkwürdigerweise ohne Assistenz anderer Kinder, den Buntkugelautomaten bediente. Er freute sich, einmal die goldene oder doch die silberne

Kugel auszulösen. Damals waren diese Kugeln noch nicht kaubar, sondern einzutauschen gegen ungewisse Näschereien. 133

Landschaft

Insofern war diese Zeit spannender. Wenn man die goldene Kugel entlockte, wußte man: jetzt bekäme man von der dicken behaarten Konditorin eine Gelee-Eisenbahn mit abhörbaren Abteilen;

oder sonst etwas; und das — in Verbindung mit dem grünsandigen Straßenstaub — genügte. Landschaft. Ich empfehle die Wiederzurkenntnisnahme der Landschaft. Ich empfehle hierzu die Übung beider Standortbezüge: © des tragischen (Rilkes „Gegenüber‘“), ® des harmonischen (Whitmans „Inmitten‘“), dem Subjekt-/Mitobjekt-Charakter des Menschen entsprechend. Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zur Landschaft, Stei-

gerung dieses Klimawandels zur Make-Love-Not-War-Revolution im Umgang mit ursprünglicher und bemenschter Natur, Immanenzfrömmigkeit vor Bachwindung, Dottergelb, Roßapfel — und kein Kubikmillimeter mindererfreuliches Psychedelicum ist für den highsten Persönlichkeitsumschub mehr nötig. Leere. Der Weinausflug

war

viel zu früh im Tag beendet, der

Zwanzigjährige vor der Nordbrücke abgeliefert und unversehens alleingelassen. Aus dem episodischen Alleinwerden durch Abwatscheln irgendwelcher Verwandt- und Bekannter rutschte der Zwanzigjährige augenblicklich ins große Alleinsein. Die Tage der Mädchen lagen weit hinter und vor ihm. Der Wein war gut und stark gewesen, aber streng, wie zugelassene Freuden für einen Mönchsorden. Nun wurden die Augen scharf für die Landschaft, die zuvor durch Geplauder und Gestichel hübsch durchscheinende; nein, für

die plötzlich sich auftuende groß-, leere. Nicht mehr Gäßchen mit Häuschen und Menschlein und Gärtchen und Weglein und Blümchen und Kätzchen und Hündchen und einem Bäumchenhorizont, sondern Die Brücke, das räudige endlos breite Überschwemmungsgebiet, Der Strom, wieder das Überschwemmungsgebiet, klein am drübern Ufer auslaufend die nichtmehr zu beachtende Stadt, rechts aber die Weite, die Sicht auf stundenweit

entfernte kleine beim Annähern mächtigwerdende Hügel und den ganz klein werdenden, beim Annähern riesigwerdenden Strom. Hier gab es als Schaueinheit nicht den Zweig, das Dach, das Kleid, sondern den Hügel, den Himmelsabschnitt, den Flußkilometer. Bei

solcher Ausweitung des Blicks schrumpft das Detail ins Unsichtbare. Nahgesehene Bewegung erstarrt. Die Natur liegt nicht idyllisch, sondern wie ein Stein da. So wie die Gesamtheit aller Idyllen ein Punkt (:ein Stern) ist. Wo sind die Menschen geblieben? Der Zwanzigjährige machte sich daran, den optischen Untergang der Menschheit aufzuhalten. Er analysierte den Landschaft-Stein mit vergrößernder Optik. Die Be154

Leuchtendes Blau

lebung stieg zaghaft. Die Hügel dort wurden vielfältig, vielflekig, vielhügelig, auch mit Häusern besprenkelt; Sonne glitzerte in fernen Scheiben, ein Chemiewerk rauchte schmutziggelb Chemie in die Luft. Aber: erreichbar lag das Spielzeug nur, solange es spielzeugklein war; von hier aus. Streckte man sich danach, machte sich auf den Weg, es großzuhaben und zu erreichen, die Häuser umhüllend

zu spüren und nicht als Krümel, die Mädchen als bettgroße Partnerinnen, ansprechbar, Lebensaufgabe und nicht als submikrone Läuse, wurde es unerreichbar fern. Dies zeigten die Schlepper, die

unter der Brücke noch durchfuhren, aber in einiger Entfernung stillzustehen begannen; in einem fernen Flußstück stand eine Schleppgarnitur, die zu Beginn des Ausflugs unter der Brücke gefahren sein mochte. Und wie aussichtsarm für den Menschensuchenden war die so aussicht-reiche Welt an der Brücke. In Stunden und Stunden pechzähen Marsches Erreichbares — was war es? Dünnste Besiedlung. Endlose Landschaften. Die Waldhügel ein einziges Dementi. Selbst in der Häuschenspur alles Menschliche so reduziert. Schläfriges. Abgearbeitetes. In den Boden Starrendes. In festen Formen Funktionierendes. Keine freien Valenzen. Jede Vierzehnjährige schon fest verkauft und verkettet. Keine Meteore zu erwarten. Keine Treffpunkte, Willkürlichkeiten, Möglichkeiten. Wurzelkosmos, nichts für Entwurzelte. Dem Zwanzigjährigen war nach freier Marktwirtschaft, Chance, Improvisation; Kondensation von Lebendigem, Verkehrsdichte, Promiskuität um der „Einzigen“ willen.

J. kam auf einen wichtigen Grund dieses merkwürdig verallgemeinernden Eindrucks, dieser Vision von unerlösendem Land: Es fehlten die lebhaften Farben, die menschlichen, erotischen, die Far-

ben von versuchendem, begeisterndem Gespräch, von Freiheitserprobung. Die grau-grün-blaue Urlandschaft bewegte sich auch spektralanalytisch nicht. Keine Eruptionen von da Riesenblumen, dort einem dottergelben Buch, dort einem grellroten Kleid. Bei dem Gedanken an Rot empfand J. einen Stich. Der Entbehrungsgedanke war jenem ebenbürtig, der den sehr seltenen geglückten Ehen mit angenehmen Frauen in seiner Nachbarschaft galt; dem Gedanken an Ausgesperrtsein und Versäumthaben. > Fehlen von Rot. Leuchtendes Blau 1. Der vierjährige Zero Zobiak fühlte sich in diesem Augenblick nichtmehr gelangweilt vor der hundert Jahre angestarrten Kredenz, denn ihr Schliffglas projizierte in ihn ein leuchtendes Blau (neben einem Smaragdgrün, das alle sich sonnenden Eidechsen überstrahlte, einem Orange, das man durch Kopfdrehung zu Glutrot oder auch zu Kükengelb nuancieren konnte). Keine Blumen, Kleider, Gasflammen gaben dieses zauberische Blau,

155

Leuchtendes Blau

später hörte Zero Zobiak, daß manche Planeten unter so blau leuchtenden Sonnen all ihre Tage oder manche Stunden (etwa vor dem Aufgang der andersfarbigen Zweitsonne) verbringen. Jeder Arbeitsplatz im physikalischen Praktikum war eine Vergnügungsbude, für eine andere Aufgabe bestimmt, in beliebiger Abfolge durfte man die Plätze benutzen. Ein Arbeitsplatz gab ihn jenem leuchtenden Blau wieder, die Randfarben waren rasch abgeschnitten, im Skalennetz lag sauber das Blau eingeschlossen, er vergaß die Wissenschaft und war ganz Kind. Leuchtendes Blau 2. Encore Edibelbek hob Deckel und weiße Wellpappe: der gutmaskierte Nikolo hatte ihm für sein rotloses Rechtschreibheft 4X6 „SchnapszuckerIn“ beschert, soviel man sah, jedes

anders gefüllt und jedes in andersfarbiges Stanniol gehüllt. Edibelbek stellte seinen Blick natürlich sofort auf jenes Stanniol ein, das

stark wie eine Taschenlampe und blau wie eine Kornblume leuchtete; jenes Blau, das die Vollendung allen Blaus war, weil seine Reinheit schon vor dem Violett kapitulierte. Leuchtendes Blau 3. In ausgesucht diesem Blau will ich meine Metallhöschen und meine Flitterschminke, sagte Myra Metelli zum Regisseur bei der Lagebesprechung. Der Höschenklempner und der Maskenbildner widersprachen, der Kostenrechner schloß sich ihrem

Einspruch an. Augenblick, knurrte der Koordinator und tastete etwas in seinen Taschencompi; na, also: wenn Frau Metelli das leuchtende Blau benützt, schon zart dem Violett zu, werden 22.000 Menschen mehr angesprochen; der Kostenaufschlag ist dagegen

minimal. Leuchtendes Blau 4. Ich habe ein Geheimrezept, sagte Encore Edibelbek. Gegen die schneerne Langeweile hier in diesem Schi-Nest?, fragte Zero Zobiak. Leg, sagte Edibelbek, den Kopf bloß so schräg, daß die Schneekristalle als Prismen fungieren. So, fragte Zero. Jöö, setzte er fort, was alles in dem weißen Licht drin ist: dieses Grün!

Und jetzt wirds ja gleich gelb. Und orangegelb! Und sonnenorange! Und rosarot — und tintenrot — und roterüben — Jetzt geh aber, sagte Edibelbek, vom Grün in die andere Richtung. Bleib nicht beim Kobalt, geh ins Violett, nicht ganz ins Violett, ein Schritt ins Blau zurück — Jöö, sagte Zero Zobiak, das ist ja das Schönste, was ich

je gesehen habe. Na also, sagte Encore befriedigt, jetzt bleibst du doch noch den Schikurs zuende. Leuchtendes Blau 5. Die Drehscheibe bunter Glasstückchen über dem sprühenden Feuerstein — Drehung und Funkenschlag wirkte man mit einer einzigen Fingerbewegung — enthielt auch ein Blau. Wenn man die Vorrichtung nicht zu schnell drehte, blitzte das Blau

als die prächtigste Farbe der ganzen Scheibe auf. Blauaufgehende 156

Liddy Sonne, Kornblume, durchsichtig werdend wie ein Diapositiv, Blau,

selten in Signalen und Laternen, Unfeuerfarbe, nun doch Feuer lernend, ich möchte einen blaubrennenden Ofen zuhaus, Flammen aus

blauer Kälteflüssigkeit von Thermometern, nahm sich Encore Edibelbek vor. Wenn du größer bist, versprach ihm sein Vater. Leuchtendes Blau 6. Wenn eine Frau unerwartet, inmitten einer Lodenmäntelversammlung, Rhomben oder Ellipsen aus leuchtendem Blau im Kleid trägt, ist die ländliche Schenke oder das Warte-

zimmer ins Luzide verändert. Dieses Kleids wegen möchte ich dich —, beginnt man in diesen Fällen, und wenn die Chromophorin beleidigt losweint, tröstet man sie mit ihrem Geschmack. Leuchtendes Blau 7. Mytilla Mitil fand sich in dem großen Hof, sie war schrecklich alt, der Regenbogen war plötzlich nicht aus der Kinderzeitung, sondern in Natur, wasserkalt, regentropfentragend, Mytilla fröstelte angenehm nach diesen Hitzsommerjahren, wedelte mit dem Röckchen, und morgen würde die Schule beginnen. Mytilla suchte die Grenzen zwischen den Farbschichten des Regenbogens, aber sie fand früher den zweiten Bogen, den Abklatsch. Behutsam suchte sie im Grün den Blaubeginn, fand ihn, folgte ihm ängstlich zur lebensgefährlichen Grenze nach Violett. Noch, noch war das Blau nicht gestürzt, war blau, immer schöner, immer tiefer-leuchtend — Mytilla bekam, wie es sich gehörte, an ihrem ersten Schultag eine lebensgroße pappsteife Zuckerwarentüte. Lexikonromane. Ich bestätige hiermit, daß ich die Verfasser weiterer Lexikonromane nicht als Nachahmer betrachten werde, denn auch ich betrachte mich, wenn ich einen Brief schreibe, nicht als Nachahmer irgendeines alten Hethiters oder, wenn ich Nullen por-

trätiere, nicht als Nachahmer Al Chwarizmis. Die Möglichkeit Lexikonroman ist ein Topos, also ein Platz, der von allen begangen, behinkt und schlittschuhbelaufen werden kann. Hierzu rufe ich nachgerade auf, nicht nur einzelne, sondern auch Kollektive. Liddy 1. Ihre > Waffe, sagt man, sei das Kuscheln. Sie liegt kuschelig vermengt mit dem Flausch-Weiß einer Bett-Innenlandschaft, hat sich dort, wo es für den Photographen riskant wird, Bettschaum dazwischengestopft, bedrängt das Bett wie Leda den Schwan. Der Herrenjournalleser wird zu einer Dreiecksbeziehung eingeladen — Liddy, das Bett und er —, zu einem Wettbewerb im Kuscheln. Dieses Bild soll den Jungen der U. S. Vietnam-Armee besonders

gefallen haben, wohl auch infolge des Heimwehs nach einem kuscheligen Bett. Liddy 2. Sie sammelt Byzantinika und Ikonen, hält sich für aber-

gläubisch, wenn sie beim Nacktposieren vor dem Bethlehemstall 157

Liddy unter dem starren Marienblick zusammenschrickt, und sagt, diese Bilder hätten einen so fürchterlichen Ernst, als hätte eine Kuh sie

gemalt. Gegen diese Anwandlungen schluckt sie diverse Abkürzungen in Pillenform und wirft ihre gutgezüchteten Melonenbrüste in die Waagschale. Das Strafgericht wird hierauf wegen Befangenheit einiger Schöffen vertagt. Liddy 3. Das Photomodell gibt dem Reporter, der ihr sichtbar sein Werkzeug entgegenzückt, die originelle Antwort, ihr Zukunfttraum sei es, reich zu werden. Sie sieht aus kreisrund gemalten Augen, für

die ja nicht ihre, sondern des Verlagsvisagisten Intelligenz verantwortlich ist, so drein, daß man

ihr diesen „Zukunfttraum‘“

auch

zumutet. Zum Überfluß überredet der Reporter sie, ein LollipopMündchen

zu machen, und auf dem nächsten Bild macht sie es

wirklich. Der Reporter fühlt sich regenwurmfarben gelutscht und ist satisfied. Lokalisation. © FUNKTIONEN DER OBJEKTE: umschließt die einst einen wehrhaften Ring um das Land schlossen blühend umgibt zeichnet sich aus ist seit jeher wird immer in angenehmer Erinnerung bleiben bringt es mit sich den Wanderer laden ein bieten Gelegenheit hat den besten Ruf in aller Welt den kunstbegeisterten Reisenden laden zum Besuche ein sind Zeugen einer fast zweitausendjährigen lädt zum Besuche ein © FUNKTIONEN DES REISENDEN: ein beliebtes Ausflugsgebiet Erholungsgebiet ob man nun... oder sonntäglicher Spaziergang durch den Wald Wochenendausflug unternimmt geruhsamen Urlaub verbringt ein Aufenthalt in daß jeder Gast etwas findet einen wirklich erholsamen Urlaub verbringen findet der anspruchsvolle Gast nach schönen Touren 158

Lollo

der Erholungssuchende findet Ruhe und Erholung genießen © EIGENSCHAFTEN DER OBJEKTE:

reiche Vielfalt landschaftlicher Schönheiten die Vielseitigkeit der Landschaft das Land der vielseitigen Naturschönheiten rebenumkränzte Wachau in waldiger Einsamkeit in traulichen Orten zwischen sonnigen Weinbergen in reizenden Städtchen wo man bereits die unendliche Weite erahnen kann die schlichten gotischen Kirchen die prunkvollen barocken Stifte herrlichen Stifte © KUNDENDIENST DER OBJEKTE: in erstklassigen Hotels jeden Luxus und jede Bequemlichkeit gemütliche Schutzhäuser behaglichen Gasthöfen und Pensionen zur Erzielung vorzüglicher Heilerfolge und Erholung in vielen gemütlichen Heurigenschenken zu einer guten Küche einen guten Tropfen des edlen Rebensaftes unzählige kunstgeschichtliche Kostbarkeiten die zahlreichen mittelalterlichen Burgruinen © ZUSAMMENFASSUNG: nicht zuletzt längst erprobt mit seinem vielgerühmten ärztlich anerkannt (Auszug aus einem Prospekt des Landesverkehrsamtes Niederösterreich.) Lollo. Erschütternd, wie die Zeit dahinfließt, jammert der Ingenieur. Erinnern Sie sich noch an „Liebe, Brot und Phantasie“? Ich

seh die Lollo vor mir, als wärs gestern gewesen. Und heute haben wir die Twiggie, diesen verhungerten Heuhüpfer, und ich wette, in fünf Jahren, wenn Sie junge Leute fragen, was sie von Kurven halten, werden sie todernst von Hyperbeln und Parabeln reden;

und bei Lorzo werden sie herumrechnen und sagen, das bedeutet in der Computersprache zweiundzwanzig. (Anmerkung fürs > CP: Die Eins des Dualsystems wird statt mit I mit L > umschrieben; die binary digits 159

Löwenfaß

Eins Null Eins Eins Null aber bedeuten

24+0+22+21+40,d.s.16+4+2.) Löwenfaß. Löwenfaß ist ein > Städtchen. Es liegt im Vordergrund niedrigerer Terrassenhügel. Dieser Sommer wird überwiegend ein Barbarasommer werden. („Überwiegend“ ist schön bildlich.

> Per-

spektiven.) Eingezäunte Weingärten liegen an der Straße. Ummauerte Weingärten liegen an der Straße. Offene Weingärten liegen an der Straße. Wächter dürfen hier schießen, Hunde dürfen hier beißen. Aber nicht in Kehle und Herz, und nur bis der Gendarm

kommt. Die Frau des Gendarmen bietet guten Trebernschnaps feil, weil der Mann nicht brennen darf. Feuerwehrleute dürfen brennen. Die Trebern liegen im Herbst an den Weingartenrändern, blaue, braune Haufen, rauchen, wärmen und stinken. Wie wenn im Kel-

lerchen eines Rathauses eine Flasche Wein zerschellt und der Scheuerlappen den aufgesaugten langsam verdünstet. Löwenfaß hat ein kleines Rathaus. Mit einem Rathausmann, der dem von Wien nachgebildet ist. Ein Witzbold hat ihm die Nase weinrot lackiert. Löwenfaß hat viele Witzbolde pro Quadratkilometer. So einfach ist das Leben in Löwenfaß, nicht im natürlichen natürlich, aber im künstlichen, das von der Donauschiffahrt als potem-

kinsche Wachau an den Rand der wirklichen Welt (mit all den Terrassenhügelkomplikationen, Weingartenschwankungen, Weinbuttenskrupeln,

Kellerinzesten,

Laternentraumatis,

Weinlauben-

spaltungen und Mariandlüberwertigkeiten) geleimt worden ist. Es hat auch einen Sandhaufen, an dem Kenner es erkennen. Vor dem

Sandhaufen hält ein Autobus. Nachmittag, wenn der Sandhaufen besichtigt ist, hält vor ihm der Rück-Autobus. Die Fahrkarte kostet

Beträge, gestaffelt nach der Entfernung. Nur wenn die Winzerinnen gekrönt werden, kommt sie teurer. Aber da wollen viele im Ort übernachten. Manche von ihnen wollen keine Rückfahrt mehr. Sie stehen in den Ställen der Winzerinnen, werden gefüttert und gedeihen, bis die Ehefrauen sie mit wuchtigen Schlägen auf die Schinken heimholen. Die Schweine in Löwenfaß sind braun. Die Ziegen heißen Mecki. Die > Hühner sind namenlos. nachts der Grill zirpt, ans Schicksal.

Sie denken, wenn

So einfach und so schwierig ist das Leben in Löwenfaß. Ihm entlang beschreibt der Fluß eine unendliche Rechtsbiegung, die, wo alle Unendlichkeiten enden, den Punkt Druden hervorrufen wird.

Die > Burg von Druden ist schon knipsbar. Irgendwo im Bordlärm geht Löwenfaß verloren. Bordlärm: Eine Gruppe von Ungeduldigen, die mit J. aussteigen werden, singt, in schlecht gebündeltem Chor:

160

Löwenfaß Jetzt kommen wir nach Druden, Druden, Druden,

jetzt kommen wir nach Druden, Dru-u-den.

Dort schlagen wir die Juden, probiert ein Fliegenbärtiger weiter, aber die anderen löschen ihn im Chor aus: Ksch! Druden steht im Duden, schlägt eine junge Frau vor, und das wird begeistert angenommen. Die Siegerin schwenkt eine rote Papierserviette, ihr Mann klatscht sie auf den Oberarm, da schreit sie spaßig auf und läßt die Serviette nach Löwenfaß fliegen. Das gefällt ihr, und sie

bildet, „Druden steht im Duden“ singend, einen ganzen Vogelzug von roten Papierservietten, nach Löwenfaß hin. „Warum singen Sie nicht mit?“, zupft Ullis Stimme an mir. Warum soll ich? „Sie steigen ja auch in Druden aus, nicht wahr?“ Wieso weißt du das, Ulli? „Ich habs gleich gewußt; das ist mein Geheimnis.“ Hast du viele solche Geheimnisse? „Och, soo viele! ... Aber mir ist leid, daß Sie aussteigen, wissen Sie das?“

Nun ist die Drehung so weit, daß Druden auftaucht: seine hügelgelegenen > gelben Schenken zuerst. Seine grüne > Promenade am Hügelrand. In Druden wollen viele aussteigen, das macht Geschwirr und eine feierliche Stimmung. Drei Beat-Männer in gelben Jacken haben sogar eine Gitarre und singen das Lied von der Bitte des Kleinwesirs: Großwesir, Großwesir,

mach mir ein Großplaisir, schenk mir deine dickste Frau,

denn ich liebe Körperbau. Barbara bleibt an Bord, drum winke ich in ihre Richtung, und sie winkt mit der Grazie dicker Soubretten durch Flattern mit den

Babyfingern zurück. Ihr Mastbruder scheint zu fragen, „wer ist denn das?“, und Barbara wird ihm jetzt vielleicht gestehen, daß sie mir im Sommer nicht neinsagen wird. Ruhig wie ein Gespenst sehe ich meinen Weg vor mir, mein Anläuten bei Barbara, das Seiden-

papier von den roten Rosen rasch wegknüllend, die Stecknadel, die es hielt, in meinen

Rockaufschlag

schwindelnd,

das himmelblau

damastüberzogene gewaltige Bett, meine lokalisierte und terminisierte Freude beim Abreiben an fremdem Speck, meine kurze Selbst-

aufgabe, geschwisterlich geteilt mit Barbara, wenn wir im Mischbecken liegen, meine Befremdung apr£s, welch seltsame Geliebte ich diesmal habe, den Ausbruch vergröbernder Gesichtszüge in Barbaras letztem Auftritt zu Sommerende, mein neues Stiefeln in vorherbstlicher Stadt, mein Suchen.

161

Mädchen

Viel Spaß, kann ich zu Ulli nur sagen; ich hab mich sehr gefreut, dich kennenzulernen. (Bei Geschäftsfreunden kam mir der Satz nie zu dumm vor.) Weil du nämlich wirklich so..., versuche ich zu präzisieren. „Ich weiß schon, wie Sie meinen; ich sag ja, ich möcht auch immer für alles Wörter“, entlastet mich Ulli. Als sie ein kleiner

weißer Fleck ist, möchte ich irgendwas Entscheidendes nachrufen. Es ist unwahr, daß nun „weh“ der Landungssteg mit dem boots-

männischen Handwerkszeug vor uns liegt, „weh“ die grüne > Promenade mit der 14.25-Uhr und den bunten Bänken (> bunte Stühle), „weh“ die steil auf den Hang geführte Stadt mit den Aufgängen durch grabesluftige Turmdurchbrüche, über unzählige altertümliche Treppen, bei Spinnweben- und Weihwassergeruch, „weh“ die obere neuzeitverflirtete Hauptstraße der Stadt mit > Gasthäusern, > Krämern und Kitschläden, mit hellem Grün und dichten roten Blumen, „weh“ der Weg zu den > gelben Schenken, „weh“

der Abend mit Exporteurinnen und Exporteuren und der schwarzgemiederten drallen Kellnerin. Wahr ist vielmehr, daß Druden völlig in Ordnung ist. Denn welche Hausmauern, Himmel und Straßenbelage werfen nicht die Stimme des Menschen zurück, der sie anspricht? Des hunnischen Minnesängers etwa, der hier und zu dieser Minute 468 n. Chr., zum Hunnentreffen in Druden hinaufkletternd, sang:

Unstillbar ist mein Wunsch nach dir, Ulli. Nicht in Nähe deiner Wachheit werde ich altern.

Immer werde ich glauben, auf dich zu warten. (Im Original alliterierend und in hunnischen Jamben; Bratvogel, Der hunnische Minnesang in der Wachau, Leipzig 1726.) > Nachworte. Mädchen. © Ein bestimmter Bestandteil des Connorschen Webstuhls heißt „Mädchen“; es ist jener Bestandteil, der den Wechsel der ein-

und ausschießenden Fäden im Mehrfachschützen regelt; bei Automaten, in denen ein Bestandteil gleich eine ganze Reihe von Schützen zu regeln vermag, heißt das „Mädchen“ „wench“, also ungefähr „Dirne“.

© Die klassische Grubenlampe des unglücklichen Sir Humphrey Davy soll einen „Mädchen“ genannten inneren Zusatzverschluß aufgewiesen haben. (Dieser Bestandteil ist in heutigen Lehrbüchern nicht mehr zu finden.) © Die äußere Schutzschicht der Tannenbestriche,

wendung von Wildverbiß 162

die der Ab-

dient, heißt im Forstadjunkten-

Malkasten nie — kein Forstrat konnte mir erklären, wieso — „Mäda

Diese fast beliebig fortsetzbare Reihe zeigt, daß das Mädchen im Leben der Männer eine wichtige Rolle spielt. Immer wieder haben selbst die Nüchternsten etc. etc. Mädchenblau-Paradoxon. Es zählt zu den schwerlöslichen Weltwidersprüchen, daß das > Fehlen von Rot in einer Landschaft mit dem Fehlen der Mädchenkomponente korreferiert, obwohl es, wie man durch mich weiß, ein Mädchenblas gibt und auch bläuliche Flüßchen und Erstfrühlingsatmosphären unbedingt etwas Mädchenhaftes haben. Madigmachen 1. Es gibt anscheinend, auch exakt gesehen, kleine Gemüter, so wie es kleine Exportbüros, kleine Hunde und kleine Sterne gibt. Madigmachen 2. An manchen Menschen sind nur die Kleider intelligent. Madigmachen 3. Was soll der Fuchs tun, wenn die Trauben, die er nicht erreichen kann, wirklich sauer sind?

Magazine. Der 15 jährige denkt auf dem Acker des Ferienorts, daß der Besitz des „SoLEIL“-Magazins einen neuen Lebensabschnitt voll

verfügbarer Brüste, Wunschgesöße und quellender Lippen einleiten würde. Er beschließt, zunächst im zeitungführenden Gemischtwarenladen des Ortes, dann, als ihn dort unter Bekannten der Mut verläßt, am Bahnhof, dann, als dort ein zu schönes Mädchen diensttut, im Ankunftbahnhof, dann, als dort zwei große Lackel stehen, in

irgendeiner Trafık des Wohnviertels, dann, als dort schon gesperrt ist, irgendwo irgendwann seine erste Nummer

zu kaufen, weitere

Nummern aber schriftlich zu fordern und diskret sich zustellen zu lassen. Er weiß, mit welchem Akzent er „Soleil“ aussprechen, wohin

er dabei teilnahmslos schauen und wie er das Geld hinschnippen wird; wie weit er seine Schultasche inzwischen geöffnet halten und wie rasch er das Magazin dann in ihr versenken wird; sogar, wie

er einem lehrhaften Herrn antworten wird, der eine Sekunde vor Gelingen um sein leidiges Tagblatt anrückt, oder einer schneeweißen gutfrisierten Kopfschüttlerin; er plant für die brenzligsten Lagen Ersatzkäufe ein und Ersatzläden, sieht sogar in einem Ge-

büsch eine vogelfreie Banknote leuchten und hat damit ein kleines Abonnement herin. Malkasten 1. Das vertrackte Lied von der Elate Yerond (> Städtchen 2) schwindet nicht aus der Straße, bleibt wie ein Produkt des drückenden Sonnenscheins und des Staubs in Menschenhöhe schweben, nur die Hausnähen wechselnd. Jetzt ist die Tabakbude dran,

und man will nicht von hier grad die Pfeife und hat noch Zigaretten 163

Malkasten

und hat noch im Feuerzeug Feuer, also — aber da liegt ja mitten im Raucherkram ein Malkasten! Blech, schofel, höchstens zweimal fünf Knöpfe, aber Malkasten der Kindheit. A. hört noch das Deckel-

hebklappern. Wenn Wasser durch die Farben durchfließt, entsteht — wie aus den süßschmeckenden Taubächen quer durch die Wiesen

im Frühling —

die Welt, die zweite, viel interessantere

Welt. Froh strich Alphard Mutz um die Auslagenscheibe, unversehens hatte dieses Stück Nest einen Sinn bekommen,

mehr, als

wären drei nachtbeleuchtete Spielautomaten in den grellweißen Sonnentagsstaub hingestellt worden. Malkasten 2. Myra Metelli und > Quenta Quebec sitzen auf den frischmörtelbekleckerten Stufen des Zweifamilienhauses. Myra auf der dritt-, Quenta auf der fünftuntersten. Sie feilschen um den Besitz des gefundenen Puppenmalkastens (in Wahrheit Lidschminkkästchens, das eine Parfumeriehilfe gestohlen und an einem Versteck ihrer metzgernden Freundin zum Austausch gegen Landwurstwaren hinterlegt hat). Malt man damit Puppenkleider an?, fragt Myra. Nein, Puppen und Puppenzimmer, sagt Quenta. Aber man kann doch Puppen nicht blau anmalen und grün, wo willst du Puppen blau und grün anmalen?, fragt Myra. Red nicht so dumm, sagt Quenta, gib ihn mir, ich seh, du bist zu blöd, damit umzu-

gehen. Nein, aber sag wirklich!, sagt Myra. Au, sagt Myra, weil Quenta ihr das Kästchen aus den Fingern gedreht hat. Nun liegt es offen auf der frischbemörtelten Stufe, hat im Blaufett eine Schramme, im Grünfett einen Aushub, im Silber einen feinen Riß,

vom Überschlagen auf zwei Stufen, und nun tritt Myra es zu Plastikschrott und Baatz, aber die Farbe geht in die Oberfläche des frischen Mörtels ein und versöhnt die beiden Zehnjährigen zu einem pastellbewundernden Pastellmädchenpaar. Malkasten 3. Der Häftling war glücklich, daß er nach all den Jahren langweiliger Schrauben und Rasierklingen nun endlich einen Malkasten essen konnte. Wie dankten seine Schlund- und Magenaugen der geliebten Rosina, die es ermöglicht hatte, für das farben-

frohe leuchtende schmierige Möglichkeitenspiel. Malkasten 4. Myra Metelli, die Ordnung in Kleinmädchengestalt, bekam erstmals den Malkasten der Mutter geliehen. Und was durch ein paar Buntstifte nicht ausgelöst worden war, trat jetzt ein: Die bunte Welt wurde malbar, ordnete sich zu 16 Näpfchen Farbe und einer Tube deckend dickem Weiß, bei Gelb unterschied man Ocker und Cadmium, bei Blau Kobalt und Ultramarin, so schöne wie

spannende Namen. Der Kasten war aus blechglänzendem Blech, die Schienen für die Näpfchen und die Näpfchen auch. Ihr niegeschleckter Geschmack blieb Myra Metelli für immer im Augmund 164

Männlich vergegenwärtigbar. Dem Pinsel dankte sie für die Weichheit und Wälzbarkeit in Farbe, dem Wasser für sein Lösen, der Farbfläche

der Näpfchen, die sich nach jeder Nutzung wieder halbfeucht glättete wie ein trocknender Lehmtümpel, für Farbwildheit und Kör-

per. Sie schnitt mit dem Pinsel ins Farbfleisch, entstellte eine Gegenfarbe durch Eingriff des fremdfarbbeladenen Pinsels, bereinigte im Wasser, das Wasser trübend, begann zu mischen — aus Gelb und Blau wurden soviele Grün, als sie wollte, sie mischte mit Deck weiß, Umbra und Elfenbeinschwarz, sie liebte Farbschanden auf ihrer Haut, aber nicht auf den Fingern, wo sie die Sauberkeit der Arbeit

störten, sie bemalte, die Wirkung von Nachbar- und Gegenfarbe sicher erfassend, ein ganzes weißes Puppenkleid, nimm dir gefälligst einen anderen Abwischfetzen, schimpfte die mißverständige Mutter; daß der Malkasten nur auf Bitten und Bravheitsversprechen zugänglich war, erhöhte seine Wirkung auf das ordnende Kleinmädchen wohl raritätspsychologisch, wurde aber von Myra auch in erwachsenen Jahren nie gutgeheißen, denn ordnende Menschen wollen alles immer bereit und lieben nicht kapriziöse Erschwerungen. Manipulation. Ich manipuliere Sie, denn ich spreche zu Ihnen. Ich werde meiner Milchfrau sagen, sie soll mich beim Wursteinwägen nicht mehr manipulieren. Ich werde auch keine Schallplatte mehr anhören, kein Bild mehr ansehen, keinen Park betreten. Ich werde

mich nurnoch selbst und nurnoch mich selbst manipulieren. Gehen Sie, bitte, hin und tun Sie desgleichen.

Man nehme ...

ist in liberalen Systemen wie dem Lexikon-Roman

eine Kurzform und bedeutet: „Man nehme, wenn man gerade rats-

empfängerisch gelaunt ist“. Männlich. Fleischschmalz — so männlich kräftig! XX-Bier löscht Männerdurst. Ein männlicher Morgen — mit YY-Rasierwasser. Wir zeigen Ihnen, wie Sie ohne Schweiß herrlich männliche Formen

bekommen können. Sind Sie ein 100%iger Mann? Testen Sie sich selbst durch Beantwortung folgender Fragen nach Ihren Hobbys! Fußball? Boxen? Autofahren?

Kino? Kochen? Tanzen?

Drei Ja in der linken Kolonne bedeuten, daß Sie wirklich ein Supermann sind, darum werden Sie auf jeden Fall Mentho-Deodorant verwenden!

Das Wichtigste im Leben ist der Mann. Der Idealmann ist 1.90 m groß, schlank, breitschultrig, hat blaue

165

Männlich

Augen und blondes Haar, keine zu hohe Stirn, ist redegewandt, sportlich, ein guter Kaufmann und ein anhänglicher Familienvater. Er tanzt gut und trägt keine weibisch auffallenden Krawatten. Ihre Freunde werden staunen, wenn

sie Ihre stolzen Muskeln

sehen — oder zu spüren bekommen! Mein Sohn soll eher einen Baum ausreißen, als daß er weint. Der Traummann muß vor allem gute Manieren haben. Dann

folgt der Wunsch nach einem festen Charakter. Er ist ferner klug, nett und fleißig. Tapferkeit, Stärke, Überlegenheit — das verlangt man von einem richtigen Mann. Stahlkugeln. Geschenkkarton. Wie ein echter Colt;

mass. u. prächt. Endlich kann Ihr Körper erfahren, was es heißt, im vollen Besitz seiner MÄNNLICHKEEIT ZU sein. Männer haben keine Ahnung von Frauenproblemen. Männer dürfen keine Angst haben. Ich habe im Krieg jeden Tag von neuem Angst um mein Leben gehabt. Aber ich habe es Gott sei Dank nie gezeigt. Also Mann sein, heißt, seine Angst verbergen. Frauen bevorzugen in der Liebe harte Männer — um sie in der Ehe weich zu machen. (Konsumentenzeitung.) „Sie hat eine unvergleichliche Mischung der Eigenschaften, die ich für eine Ehe als notwendig erachte. Das ist vor allem: die Entscheidungen des Mannes zu respektieren, dieses patriarchalische Gesetz der Ehe anzuerkennen und trotzdem ein selbständiges junges Wesen zu bleiben.“ (Curd Jürgens.) So erträumt sich Dornröschen 1968 die Liebe: Der Mann, stark und schön wie ein Prinz, wird sie voll Romantik

in die Arme

nehmen. Wir haben lange mit uns gekämpft und überlegt, ob es zulässig und wünschenswert sei, in diesem den Frauen, der Küche und den Kindern vorbehaltenen Teil der Wochenendbeilage auch einen Mann zu Wort kommen zu lassen. Wir glauben, daß es ein Akt der Fairness ist, ihn auch einmal anzuhören. Wir wollen dem Mann daher ab heute ein kleines Plätzchen einräumen, auf dem er manch-

mal eine Randbemerkung machen darf. Allzu ernst werden wir — „Mädchen unter uns“ — ihn nicht nehmen, aber er soll auch seine

Redefreiheit haben. Das ıst Er —

der Mann, auf den es ankommt.

Er kennt den

Stil der großen Welt. Man sieht’s ihm an: Er HAT ERFOLG... und Er trägt Quakoflex. Sind Frauen klüger als Männer? Ja, natürlich! Männer kaufen wahllos. Frauen kaufen bei SCHNoRR. „Da Frauen Professionals der Liebe sind, sind sie immer mit der 166

Marktkundliches

Liebe beschäftigt. Sie verstehen nur schwer, daß Männer noch etwas anderes zu tun haben.“ (Hans Habe.) Es ist schon schlimm genug, wenn die Frau mehr verdient als der Mann. Ja, das kann nicht gutgehen, denn der Mann muß immer noch eine Trumpfkarte in der Hand haben, um stechen zu können. Ja, in jeder Beziehung. Sonst ist er kein Mann. Der Mann — das große Rätsel. Männer lieben anders. Keine Frau kann wirklich nachfühlen, wie ein Mann die Liebe erlebt.

Für einen Mann ist eine Glatze grundsätzlich kein Hindernis. Maria-Theresien-Gelb 1. Warmgelb, Gebäudedotter, landschaftgestaltend, zu Grün passend, aus warmgelb eingestäubter Kalkbrühe gewonnen, freundlich, Farbe gutgeborgener Beginne. Jemand aber sah darin Alter, Geschichte, sah mit dem Staub-

gemüt statt den Augen und vertat mit dem Ansinnen, hier wäre schön verdämmern, dem gegenwartfrohen und zukunftgespannten Gefährten die Freude. Maria-Theresien-Gelb 2. Maria-theresien-gelb gestrichene Häuser inmitten von viel Grün ermöglichen (durch die Ausgewogenheit des Gelb zwischen grünhafter Ruhe und > orangehaftem Brand, also durch idyllische Lebendigkeit, nichtversengende Wärme) viele optimale > Entwicklungen junger Mädchen. Marktkundliches. Die Lehre von Marktforschung und Marktbeeinflussung ist ein auf meine Aufmerksamkeit gerichteter Hufeisenmagnet. Sein Scheitelpunkt, an dem man sich gesundstoßen kann, liegt mir fern. Aber seine psycho-/soziologischen Pol-Enden, das abstoßende und das anziehende, wirken aus nächster Nähe auf mich.

Das abstoßende: Filterung der Menschen nach Wohlstandsgraden Hab- und Prahlgierverseuchung der Beziehungen universelle, permanente Druckausübung Gleichschaltung der Images und Wünsche Weckung unnötiger Unzufriedenheit Weckung unberechtigter Selbstzufriedenheit Förderung der Rückbildung des Denkens © Verschwendung der terrestren Vorräte etcetc Das anziehende: @ Die einschmeichelnde Lehre der Motivalchemisten, daß man im Kauf Persönlichkeit bewähren, © sich trösten,

e daß man käufliche Dinge liebhaben kann. Die Motivanalyse ist kapitalistische Inquisition. Die Motivanalyse kommt einer Fetischanalyse nahe. Die Motivanalyse kommt einer Poetik des Dinglichen nahe. 167

Mary McPee

Mary McPee. Der gespannte Strumpfhalter schnellt zurück, das letzte Hindernis ist überwunden, schon glänzt das pralle weiße Oberschenkelfleisch im San Francisco Mondlicht, und gleich wird das ganze Bein bloßliegen für eine wunderbare unblutige doch heftige Operation. Dieses Gleich werden die Herrenjournalleser nie erreichen: es ist ein physikalisches Wunder, eine Art Ewigkeit; die

Zeit-Ordinate ist eingefroren, alle Aktivität des Lesers kann sich jetzt nur

in der Abszisse

bewegen;

durch Küssen,

Drehen

und

Schrubben des Bildes ist der Vorgang nicht wieder in Fluß zu bringen. Mary McPee wird nie von ihrem Stilfauteuil aufstehen und bloßbeinig dem Leser entgegensprießen. Mastmädchen. ... Interessant für unsere Frage der willkürlichen Formung des Schönheitsideals ist die Mästung der Frauen, deren geradezu klassi-

sches Land die Landschaft Karagwe am Westufer des Viktoriasees in dem uns geraubten Deutsch-Ostafrika ist. Diese Frauenmästung wird ganz systematisch mit Milch durchgeführt und so weit getrieben, daß diese Wesen schließlich, wie Emin Pascha berichtet, nicht

mehr gehen können und zum Tragen zu schwer sind. (W. Liepmann, Psychologie der Frau.) ... Tunesierinnen gelten in den Augen ihrer männlichen Stammesgenossen nur dann als schön und begehrenswert, wenn sie eine üp-

pige überquellende Körperfülle aufweisen. Verlobt sich nun ein junger Tunesier, so bringt er der Braut ein goldenes oder silbernes Armband mit, dessen Umfang der Körperfülle, die er wünscht, entspricht. Man streift den Reif über den Arm der Erwählten, und die Hochzeit findet statt, wenn der Arm das Armband restlos ausfüllt.

Mutter und Großmutter lassen es sich zwar angelegen sein, die jungen Mädchen zu einer das Dickwerden begünstigenden Lebensführung anzuhalten; da aber der Verlobungsreif für gewöhnlich recht große Dimensionen zeigt, erweist sich eine besondere Mastkur

als notwendig. (Wangen und Scheuer, Das üppige Weib.) ... Den größten Teil des Tages verbrachten die jungen Türkinnen bei der Schönheitspflege und im absoluten Müßiggang, durch welchen ihre Körperformen jene üppigen Rundungen erhielten; sie setzten sich obendrein noch richtigen Mastkuren aus und aßen den ganzen Tag Süßigkeiten und fette kleine Mehlkuchen, um möglichst viel Fett anzusetzen. (Ormonde, Geheimnis Frau.) ... Schon von früher Jugend an werden die Mädchen auf den Kanarischen Inseln einer richtigen Mästung mit Mehlbrei oder geronnener Milch unterworfen. Diese Prozedur wird so lange fortgesetzt, bis den jungen Mädchen an verschiedenen Körperstellen die Haut aufplatzt. (Ohne Quellenangabe archiviert.) 168

Mastmädchen ... Bei den Arabern gelten in Wort und Schrift (A. Stoll, Das Ge-

schlechtsleben in der Völkerpsychologie) die fettsteißigen Frauen als besonders schön, und diese Eigenschaft hängt ja mit dem Leben, das aus Erotik und Nichtstun besteht, zusammen.

... Die Eingeborenen Guineas finden nach Humboldt fette Frauen mit zurückstehenden Stirnen schön, die Kirgisen schätzen den Wert der Frau nach ihrer Fettmenge. ... Mit einem überaus seltenen Fall hatte sich im vorigen Frühjahr ein Richter im Wiener Strafbezirksgericht zu befassen. Der aus dem Vorderen Orient stammende Ledun E. hatte seine Gattin in einem Gitterbett nahezu drei Monate lang gemästet. Um sich dem Vorhaben ganz widmen zu können, erbat Ledun einen sechswöchigen Urlaub.

Er ging einkaufen,

verrichtete

alle häuslichen

Arbeiten,

pflegte das Kind und befaßte sich vor allem mit dem Kochen. Neben echt orientalischen Honig- und Mandelkuchen erhielt Maryja auch PowidltatschkerIn, fette Mohnnudeln und den echten Wiener Kai-

serschmarrn. Schon nach zehn Tagen hatte die junge Frau eine Gewichtszunahme von drei Kilo zu verzeichnen. Da Maryja trotz strenger Anweisung öfters das Ehebett verließ, mußte sie in das Gitterbett des Söhnchens übersiedeln. Wenn Ledun die Wohnung verließ, befestigte er an dem Gitter ein kleines Vorhängeschloß. Eine Nachbarin enthüllte den Vorgang, als Leduns kleiner Sohn ihr ahnungslos Einlaß gewährte. Zu dieser Zeit wog Maryja bereits 89 Kilogramm. Breit und wohlgerundet, so daß sie fast das Kinderbett sprengte, saß sie im Bett und verzehrte einen Teller Himbeerreis. Polizeibeamte holten am Nachmittag den Orientalen ab, als er eben mit hoher Kochmütze am Kopf die üppigen Zutaten zur Herstellung von Salzburger NockerIn mischte. Nach der Einvernahme seiner in Decken gewickelten Gattin (kein Kleid paßte ihr mehr) wurde das Verfahren eingestellt, weil Maryja immer wieder beteuerte, sie wäre jetzt, nachdem sie ihres Mannes größten Wunsch erfüllt habe, glücklicher als je zuvor. (Kronen-Zeitung.) Sekundäre Geschlechtsmerkmale des Weibes: die Entwicklung des Fettpolsters ist mächtiger und steht im Verhältnis zur Muskulatur in einer höheren Proportion: Muskulatur : Fett = d 41.8 :18.2 2 35,8 : 28.2

Die besondere Betonung der sekundären Geschlechtsmerkmale wird als schön empfunden. (Liepmann/Bischoff.) Man verlängere die Fahrt in Gedanken bis zur nahe gelegenen Gemeinde Willendorf und huldige dort der 10 cm hohen und bis zu 169

Masut

4 cm dicken Kalksteinvenus des Aurignacien, die also einem Weib von 70 cm Durchmesser oder (U = 2 nr) 2 Meter 20 Umfang entspricht. Masut, schweres Heizöl, für dickes, heißes Kesselhausfeuer und den Flammenwerfer. Fast schneidbar schlammig, schwer entzündbar, dafür aber dann dauerhaft fackelnd. Seine Flammen auf brennender Haut nicht wie Benzinflammen durch Patschen und Decken löschbar.

Seine Opfer brennen bis zum bitteren Ende, unentwegt wimmernd, verkrampft und sich wälzend. Hat sich Masutchen erst für dich erwärmt, bleibt es dir bis ans Lebensende treu.

Auf einer Faktura wird dem Kesselhaus einer Brauerei oder Kosmetikfabrik 1 Wgg. Masut angerechnet, worauf in der Materialbuchhaltung Unheil einreißt. Tote auf ukrainischen Feldern beginnen zu dampfen. Verbrannter Braten und der unbestimmbare Geruch der Furcht. Ich habe mich nie gefürchtet, sagt der Soldat, aus

der Heimatperspektive sieht alles viel schrecklicher aus. Aber wenn die Flamme einmal an der Haut angeklebt sitzt, die unabwaschbare Schmier-Schmorerei bis zum minutenfernen klinischen Tod,

kann auch er eine gewisse Inkommodation nicht leugnen. Im Verbrennen kommt auch Atemnot, als stecke man bis über die Brust in

Eiswasser. Hitzeschock, Krampf aller Muskeln und vorwärtsstürmende Blutvergiftung machen das Wirkungsvollste aus der Sache, und zuhause wartet ein kleins Mägdelein, und das heißt Erika. Masut, Barbaren-U, Angriff der Batua und Bantu und des BatuKhan, Ol von Baku und Batum; Masut, geweiht im Massaker von

Maas bis Masurensumpf; eisernklebrig wie Mastix, anklebende Eisenglut in den Masseln, schmerzmästende mas? (slaw.: Fettigkeit, Schmiere). Masut fluscht dich kaputt; bis aufs capıt mortuum, mit ausgebrannten Augenhöhlen. Sud, die Sud erleben, das Gesottenwerden; sud (slaw.: das Gericht); süd (das Faß); in ein Faß Dicköl getaucht, das Gericht erleben. Maturanten 1. Zwei Maturanten wollten Pharmakologie studieren; das inspirierte sie, „Gesetzt den Fall...“ aus dem „Bettelstudenten“

mit neuem Text zu singen:

Ein junger Mensch, der seine Frau vergiften will, ein junger Mensch mit solchem Ziel ist meistens still..... Maturanten 2. Zwei Maturanten wollten Theologie studieren; im Moment aber sangen sie noch das Lied des Eunuchen: 170

M.d.D. Ich möchte dich afrika, aber womit,

ich möchte dich paprika, aber womit, ich möchte dich klosterspaß, aber womit, ich möchte dich osterhas, aber womit... Maturanten

3. Zwei Maturanten

wollten

demnächst

nach Berlin

gehen; zur Übung sangen sie: Herr Bolle saacht dem Kolle „Ic such een Weib aus Wolle

mit fernjelenkter Bluse“. Der Kolle saachts der Uhse.

Maturanten

4. Zwei Maturanten

wollten Ägyptologen

werden;

das hinderte sie nicht, ein unbelegtes Isis-und-Osiris-Duett anzustimmen: Liebes Schwester, komm auf ein Inzesterl. Gerne, liebes Brüderchen,

gleich bin ich dein Lüderchen. M.d.D. 1. Sie ist sehr merkwürdig: auf manchen Bildern ein mageres Kätzchen, auf manchen ein feist- und grobwerdendes alterndes Weib. Auf dem Bild, auf das wir uns einigen, verschleiert sie einen tappbärigen nackten Körper mit feinmaschigem gelbem Gewebe. Damit kontrastiert ein flüssiggeschminktes Gesicht, über das zärtlich hereinzubrechen man Hemmungen hat, etwa so, wie die meisten sich nur zögernd auf eine Mokkacremetorte legen. M.d.D. 2. Zu Bett gehen mit eigens dafür gelegter Röllchenfrisur, einem Kunstwerk, zwei Köpfe hoch, in Platinblau. Noch rasch den gauguinbraunen Puderbauschen um die weiß bezitzte Brust. In dem Wunsch, in dieses Bild als Beteiligter einzusteigen, ist viel Angeberei. Zwei Kaufleute: .Ich kann morgen unmöglich; ich muß mit M.d. 2... la, was hast denn du mit M. d. D.??“ Denn unbezweifel-

bar ist M.d.D. Luxus. M.d.D. 3. Kann man diese weltverlassene Kinderschnute einfach erlernen? Ich weiß, ihr werdet mir jetzt mit der guten alten Bardot kommen. Und schließlich mit der Ausdrucksquetscherei jeder Schauspielschule. „Stellen Sie sich nun mal vor, Sie müßten eine halbe Zitrone essen. Gut. Aber Sie müssen es heimlich tun, weil die Zitrone

gestohlen ist. Gut. Aber Sie müssen dabei einer guten Freundin zulächeln, die nicht merken soll, daß ihr jüngstes Apergu Ihnen zugetragen wurde. Gut. Und jetzt das ganze nochmal, aber ungezwungen.“ 171

Melina Mercouri

Melina Mercouri. Da dem Mimen die Nachwelt keine Kränze flicht, stelle ich — in Hoffnung auf das Überleben meines Buches — unserer Nachwelt folgende Daten über diese Griechin zur Verfügung: © Geboren als Tochter eines Athener Politikers © Berühmt geworden als Prostituierte im Schwarz-Weiß-Tonfilm „Sonntags nie...“ und Sängerin des Hadjıdakis-Liedes „Ein

Schiff wird kommen“ (top hit in den frühen 60er Jahren) © In einem Illustrierten-Report (der sie, eine jungverwitterte Krähe, grob lachend über Betten trampeln zeigte) mit der Liebe zu Geld und Schmuck als dem einzigen Hobby behaftet © Nach Errichtung der Diktatur in Griechenland aber durchaus unökonomisch emigriert, um in Liedern, Reden und Demonstrationen für die Demokratie zu werben. (‚Vom ersten Augenblick an“, heißt es nun, „ist der Besucher von zwei Eindrücken beherrscht: von der Echtheit und Auf-

richtigkeit dieser schönen Frau, die alles eher als ein Star ist und menschliche Wärme ausstrahlt, und von der Hingabe an

ihre Sache, die die Sache des von der Militärjunta unterdrückten griechischen Volkes ist.‘“) © Zur näheren Information



auch über die Pfützen, die sie

spiegelten — sei auf die einschlägige Presse der einschlägigen Jahre verwiesen. © Ihr Blick auf manchen Photos war wie geschmolzenes Zink. Menschen. Die Anzüge, Weiberröcke, watschelnd, feiernd, eilend in mengen- und gütemessende rauchtelephonische Büros, Glutbatzen-, Plätzchen-, Punzen-Werkstätten, Urinschulen, Krauthaushalte, Fahnenschwimmbäder, Chemiewurstausflüge, Besonderenheime, Wischfetzengasthäuser, Zukunftbetten, Zufallstode — drum winkt ihr mit Taschentüchern voll Lavendel, Wäschereinummern, Lippenrot, Dünnschnupfen, Zahnresten, Halbkindern,

Bügelfalten, optischen Aufhellern allen nichtbrückentrampelnden,

zB den Schiffs-, Menschen

einen zutunlichen, neidischen Brückengruß, singt großschnabels aber leishals ein geöffnetes Lied, etwa: Überall ist Welt aufgerissen, überall, auch hier, ist Welt aufgerissen,

überall liegt Menschenfleisch zutag, überall ist Verteilung, überall ist Wahl, überall Wegezwickel, -drickel,

überall ist Antwort auf Schulschwänz-Erwartung, 172

Menschennäheres Stadium

auf Plänelesen, überall ist eine Art Überall,

Überfall,

Sprungbrett in Schiffe, Übersetzung der Senk- in die Waagrechte, Übertragung der Geh- auf Schraubentempi. Dies ist der Sinn des Mensch-, Greise.

Esel-, Fischseins,

dies ist der Brautunterricht

noch der

Menschennäheres Stadium. Liegt es daran, daß meine Kräfte von > Eiske und ihrem Grottenolm verzehrt sind? Ich habe nicht mehr die Nerven, in selbstverhängter Einzelhaft jetzt stundenlang aus Zehntausenden

von

Flußweiden, Büschen, Unkrautstauden,

Gras-

und Wildgetreidehalmen, aus da und dort einer angeketteten Unfallzille und alle hundert Meter einem Flußkilometerstein in Weiß und Grau das Eigentliche zu schöpfen. Was heißt eigentlich das Eigentliche? Bin ich uneigentlich, wenn ich rechne „franko plus Auslandsfracht plus FOB-Kosten plus C & F dürfen nicht mehr als 120 Dollar pro Longton ausmachen, weil sonst Portugal für I.C.C. rentabler wird“? Bin ich uneigentlich, wenn ich meinen Nescafe auflöse und meine Morgenschuhe schnüre? Wenn ich mein Bärtchen nachfärbe und meinen Glücksaffen am Startschlüssel beiseiterücke? Wenn ich meine Büffelledermappe, die mir mein Konkurrent anläßlich eines doppelten Friedensschlusses (Abtretung eines Entwicklungsmarktes und einer guten Tanzpartnerin) geschenkt hat, mit Büffellederhandschuhen unterfasse und beim Rechtsberater mit den traurigen Gardinen und Gardenien anläute? Wenn ich Tabletten schlucke, „Hold the line!“ in die perlgraue Muschel gurgle, zur Sekretärin meines Überseepartners, die ich mir nach ihrer Stimme nie vorstellen kann? Wenn ich die immer lokkende Blütentür im „„Dobväry“ öffne und meinen Obolus der gelb-

geschminkten richte? Wenn in die Nacht Import einen

Garderobiere mit den leise faulenden Zähnen entich in gewissen Siruptänzen mich unendlich langsam mit meiner Tanzdame vorarbeite oder im neuesten heißen kurzen Teenager schüttle?

Bin ich uneigentlich, wenn ich werbe und mich werben lasse, ver-

lasse und mich verlassen lasse, ohne daß die Nüchternheit des Love Agreement jemals schmilzt? (Nur die > Körper nehmens noch ernst, die sind doch die besseren Menschen; die Körper — die guten,

weichen meiner Frauen und mein eigener dazu — haben mir immer noch die einwandfreiesten Stunden geschenkt; Tage, Wochen, wenn man die Vorfreude loyalerweise dazurechnet; körperlich kann man

wirklich noch von Sehnsucht, Erfüllung, Entbehrung sprechen; un173

Milchblau

bestreitbar wie der Reiz, den ein > wasserbeschlagenes Glas an einem > Hundstag ausübt.) Bin ich uneigentlich, wenn ich meine Pferdewette gewinne und meinen Bankauszug ungeduldig mit unbewaffnetem Zeigefinger öffne? Wenn ich in einer fremden Stadt eine fremde Zeitschrift mit einer fremden Titelschönheit kaufe und in einem Provinznest protzig die New York Times aus meinem echten Burberry ragen lasse? ?

Begleiten wir J., der darum nun unter die Menschen geht, durch die verschiedenen Schiffsräume, durch den Mittelteil, vorbei am Guckfenster für den spitalsaubern Schiffsantrieb, dem Steuermanns-

raum mit dem Dynamitrucksack, durch den riesigen Halbring des schon sonnigeren Vorderdecks, durch den anderen Mittelteil — mit Einzelgängertischen —, durch das riesige Halbrund des grellbesonnten Hinterdecks (auf dem immer noch die Bräunungsfakirinnen schmoren), treppab auf die Restaurant- und Kabinen-Etage, entlang den Betriebsräumen, Dienstzimmern, den unbenutzten Kabinen, benutzten WCs, dem Ansichtskarten-Kiosk, vorbei am Restaurant-

und am Bar-Eingang, zu der Trossen-Haspel, dem erfrischendsten Wassergespritze am Rettungsdeck, dem Schiffsjungen-Besen und dem Selbstmörder-Auswurf („Lebensmüde — rote Taste drücken; 10X 10 Schilling“). Freuen wir uns seiner >Bordabenteuer (mehrere

nachlesen und am richtigen Ort in der eben gebotenen Auswahl spielen lassen). Bald aber belegt ihn ein Ingenieur, der, wie sich herausstellt, einem befreundeten Geschäftshaus angehört (doch nicht nach Druden unterwegs ist), mit Beschlag; er versetzt J. aufs Vorderdec. Neben der Anteilnahme an diesem Ingenieur gibt es aber auch Beobachtungen an Deck; außerdem sieht J. gelegentlich auf das, was sich draußen abspielt. In beliebiger Reihenfolge: —>- Ingenieur (mehrere) > Vorderdeckereignisse (mehrere) > Wasserereignisse (mehrere) — Pfahlhäuser (mehrere) —>- Hügel (einer) —>- Auen (mehrere) —>- Betonlager > Städtchen (zweie; in einem legen sie kurz an, nahe einer der wenigen Brücken der Strecke) > Chemiewerk Alles zusammen dauert knapp 2 Stunden, bis 11.10. > Auflockerung im allgemeinen. Milchblau 1. Auch Myra Metelli nannte ein gewisses weißverdünn174

Mindel(-kraut) tes Blau gern Milchblau. Hast du denn nicht genug Milch getrunken?, fragte sie einmal der Vater, einmal die Mutter.

Ich weiß,

sagte Myra dann, daß Milch sahnigweiß bis elfenbein ist und daß, wenn einmal eine Milch blau fließt, das sogleich dem Veterinär zu melden ist. Aber wie ungern würde ich gelbe Milch trinken, wie unerfrischend wäre dieser Buttertrank.

Gerade das Bläuliche, das

der himmelblaue Himmel eines Ausflugtags hineinspiegelt, macht die Erfrischung. Übrigens haben Emulsionen wirklich einen bläulichen Widerschein. Und wenn in einem kahlen ärmlichsten Bauernzimmer, das ein Obdachsuchenden-Kind riesenweit findet, der Kalk fürs Weißen angerührt wird, mit blauer Farbe drin, ist das nicht

Milch, die das Kind in Stadttagen immer vor sich sehen wird? Mein Milchblau ist nicht kuhwarm,

sondern kühlschrankkalt, und eine

Myra Metelli trinkt in einem blauen Bademantel eines Cöte-d’AzurHotels aus einer milchblau liniierten Schale milchblaue Milch. Milchblau 2. In ein Häuschen ist eine Nische eingelassen. Tief hinten in der Nische schattet ein Fenster. Die Nische ist milchblau gemalt, so daß Leute, die aus dem Fenster sehen, plastisch in den Hinter-

grund gerückt sind, in lieblichem Rahmen, und auch ihrerseits einen gewissen Rückhalt haben. Die Leute, die, zB winters, aus dieser Nische schauen, sind ein tröstlicher Anblick. Milchblau 3. Milchblaue Träume passen gut zu schwarzem Katz-

haar, blek blek blek blek geht die Zunge, und schon ist die schwarzblaue Schale mit milchblauer Milch blank. Mindel(-kraut). Romantische Buben glauben, „Mindelkraut‘“ kommt

von „Mindel“, jenem unvergeßlichen Mädchen Mindi (Vindemiatrix, Winzerin Epsilon im Sternbild der Jungfrau, die jeden Buben größerer Städte einmal im Leben besucht). Es wäre an sich denkbar, denn Mindelkraut ist in seinem Minz-, Pastell- oder Pistaziengrün wirklich ‚‚lieblich“, vor allem jung und interstellar. Mindel-

kraut hat selbst Sterne: Sternblüten und auf den Blättern nochmals Sternmuster in Weiß. Es schmeckt bitter und aromatisch, Wermut ist dagegen Lakritze und Minze ausgekautes Gras. In Mindenheim, wo die Mindenmädchen angereichert vorkommen, sind unabsehbare Rasenflächen voll Mindelkraut; dazwischen blubbern jene so begehrten Mindelbäche, mit Krümmungen, Stegen, wo die Mindenfrauen ihre Wäsche waschen, und voll Mindelwassers,

eines kat-

ionenreichen, aber anionenlosen Sprudels (den Chemikern ein Rätsel, den Wanderern eine salubre Erfrischung). „Möge dir [etwas] Mindel und Kamille sein“ ist ein alter Segensspruch. Die minder Gebildeten glauben, er rühre von der Mindeleiszeit (der einzigen

Mindel-Ableitung, die sie in gewöhnlichen Lexizis vorfinden), und halten den Segen daher für einen verkappten Erfrierungsfluch.

175

Mineralwasser Mineralwasser. Lösung eines Steins in Wasser, Vollzug einer Un-

löslichkeit. Kälte aus der Rohrpiepe eines Bubenkurorts. Nach Halbstundenmarsch vom Gemsenhaus herunter, vor der Spitalabwaage. Dieses Wasser krächzt. Reibt Salz und zischt Gasblasen. Vollzug einer Unatembarkeit. Kristallin. Es enthält Kat- und Anionen. Kati und Anni, lernt man in der Schule, die eine ist posi-,

die andere negativ. Jedes Mineralwasser ist anders als Sodawasser, aber jedes ist anders anders. Die meisten sind enttäuschend unblau. Verlangt man sie zur Mahlzeit, ist man fein, das Essen wird zur Tafel. Mineralsole, die man Tafelwasser nennt, enthält kleine Salz-

täfelchen. Es ist aber so eisgekühlt, daß es zerspringt, und löscht selbst in der Kehle deines Hundes deinen Durst. Mittagserwartung. Ich war ganz froh, daß der Ingenieur und seine Frau sich mit den Worten, es wäre sehr nett gewesen,

mich ken-

nenzulernen, sie müßten sich jetzt aber wieder ihrem Chef und dessen Frau, mit denen sie auch später im Restaurant essen würden, widmen, verabschiedet hatten; ihre Frage, ob ich Dr. Lemmerer nicht kennenlernen wollte, war mehr der Höflichkeit zuzuschreiben gewesen, denn sie hatten gemeinsam noch viele Rechnereien vor; ich hatte gedankt, unter dem Vorwand, daß ich einer erwarteten

transatlantischen Nachricht, die meine > Geschäftsbeziehung mit Dr. Lemmerers Chef berühre, nicht vorgreifen wollte. So konnte ich mich ungestört auf das Essen freuen, zu dem mein

Magen

schon

aufspielte.

Weniger

disziplinierte

schoben schon Stullen, Gurken, Würstchen

Bordbewohner

in den Mund,

führten

Fettfleckgespräche. An beiden Decks schmorte man jetzt nahezu gleichmäßig, die Füße tanzten auf Feuer, ich entsann mich des Williams-Stückes „Katze auf heißem Blechdach“, nur im Nordschatten

und an der Selbstmörderreeling mit dem Gespritze gab es etwas Kühlung. Das verdampfte Motorenöl, das über Bord herumzitterte, mischte seinen dünnen, nicht schlechten Geruch mit dem Geruch des

Erdnußöls, in dem für die Restaurantschattigen anscheinend schon Wiener Schnitzel ausgebacken wurden. Auf diese Gerüche reagierte mein Magen mit verstärktem Kullern. Ich freute mich also auf schattiges Sitzen, auf > Essen und Trinken (mehrere nachlesen). Den Colamat ließ ich aus einer Art sportlicher Standhaftigkeit unbenutzt. Ich stand meist im nördlichen Spritzbecken und betrachtete > Auen, > Hügel, > Wasserereignisse, > Auflockerungen und ein > Städtchen. Vor zwölf Uhr besuchte ich den Waschraum und ging von ungefähr ins > Restaurant. Mittelteil. Und kaum sitzt er — die versilberten Maschinen summen schon, die blanken Kölbchen nähen auf und ab —, trampelt 176

Motive für den Erwerb eines Eichhörnchens

die Herde der zu kleinen Schulmädchen ein. J. findet mit Mühe die Lehrerin aus Tarnfarbe heraus. Die zu kleinen Schulmädcen riechen manche nach Milch (wie Robert Hamerling es spitzkriegte), andere haben schon ein kleines Parfum. Manche haben Gesundheitsschlapfen, viele haben rote Schuhe mit blauen Söckchen zu grünen Pyjamahosen und gelber Kleinmädchenbluse oder grüne Schuhe mit gelben Söckchen zu lila Minimini und orange Schleierbluse. Dazu orange Christbaumkugeln an den Ohrläppchen und eine himmel-

blaue Masche im noch nicht mitternachtsblau gefärbten Haar. Sie beißen noch in die Butterbrote des harmlosen Spottes — über geschmacklose Farben, dickbäuchige Männer, eine Kameradin, die „Halt den Hund“ statt „Halt den Mund“ gesagt hat. Eine ist schon ein bißchen frühreif, schwänzelt beim Gehen, schaut unerlöst und

spendet J. das Abrollen ihrer rechten Kugelbrust an seinem rechten Oberarm. Die Lehrerin aus Tarnfarbe klatscht den Schwanz der Schlange herbei, eine Intelligente mit verschlossenem Gesicht bellt und geht finster weiter; eine läßt schon hier ihren weiß-schwarzen „Fernseh“-Ball hüpfen, zwischen Handfläche und Boden unermüdlich, und damit sind alle vorbei und an > Deck (man schlage jenes nach, das man noch nicht kennt). Mehr Leute vom Ufer kommen nicht, eine Kette wird vorgehängt, die Maschinen geraten auf Hochtouren, 7.15, ein Tuten muß in den nächsten Sekunden die Ohren zerreißen — three, two, one, > zero. Molotow-Cocktail. Ich liebe, sagte Andre Anarchique, Molotow-

Cocktails mit Kalimetall-Zündung. Wasser setzt sie in Brand. Motive für das Quälen von Katzen. Nach der vermeintlich erschöpfenden Betrachtung einer Schwarzkatze, nach den ersten Entzückensäußerungen und den späteren vergeblichen Anreden weiß der Dreijährige mit der Katze nichts mehr anzufangen. Ein Wunder müßte geschehen, aber es unterbleibt. Da lotet er ihre Möglichkeiten aus, indem er die Dehnbarkeit ihrer Arme mißt, die Brüchigkeit ihrer Beine, die Durchstoßbarkeit

ihrer Ohren, die Widerstands-

kraft ihres Schnäuzchens gegen spitze Steine und Brennesseln. Nun kratzt sie ihn blutig und liefert ihm ein zweites Motiv. Das reicht für totalen Krieg. Mit der Wunderwaffe seiner Schuhe malmt er ihre Füße, und seine Milchzähne suchen im Raubaffeninstinkt ihre Halsschlagader. Heut hab ich das Katzi aufgefressen, prahlt er schmerzglücklich, und seine Mutti berichtigt ihn: „Aufgegessen, sagt man. Fressen tun nur die Viechi.“ Motive für den Erwerb eines Eichhörnchens. Aus der Deutschstunde behält man, daß es ein Eichhorn ebensowenig gibt wie ein Kanin oder ein Mad. Eichhörnchen- und notfalls Kaninchenliebe werden also meist eine Vorliebe für junge Mädchen tarnen, die so177

Motive für die Freude an Verwinkelungen genannte Korophilie, etwas, das der Mann im Zeitalter der genialen Analytik nicht ohne Berechtigung tarnt; ein Wissenschaftler, der alle linken Hände nur für Degenerationen fälschlich links angewachsener rechter Hände hält, sieht in der Mädchenvorliebe von Män-

nern eine lesbische Entartung Schwuler und wendet deshalb an das Natürlichste den griechischen Fachnamen einer Perversion, vom Kotschmieren nurnoch durch Kastration eines „p“ getrennt.

Eichhörnchenkaufende Mädchen haben oft einfach den Erwerb fehlender oder zusätzlicher Eichhörnchenhaftigkeit im Sinn. Motive für die Freude an Verwinkelungen. In einem verwinkelten Raum haben nicht nur die räumliche Tiefe, sondern auch die Türenund-Fenster-Front räumliche Tiefe. Wo nur die räumliche Tiefe räumliche Tiefe hat, ist der Ersatz des Raumes durch Vorstellungen oder Postkarten leichter möglich. Vorstellungen und Postkarten aber sind zweitrangig, weil man von einem Raum nicht nur mit Gegenständen unterhalten, sondern auch umhüllt werden will. Der Raum ist, würden die Freudianer sagen, Sinnbild des Schoßes. Nur selten haben Vorstellungen diese Umgebenskraft, Postkarten nur in

ganz geschickten Fällen oder wenn man sie in eine Pappschachtel stellt und mit einer Guckloch-Lupe berritt. Jede Verwinkelung ist ein Überraschungswert. Jedes Handlungspaar, das sich auf zwei zueinander verwinkelten Bühnen simultan abspielt, illudiert „echte“ Simultaneität, denn diese

ist das Zugleichsein von unzusammengehörig Empfundenem. Wenn Alfred den Ball wirft und Marie die Arme hebt, um zu fangen, ist

der Eindruck von Simultaneität geringer, als wenn

hier Alfred

Marie den Ball zuwirft, dort aber Martha Alfons die Arme ab-

hackt. Und solches geschieht viel glaubhafter auf zwei zueinander verwinkelten Bühnen. Zu den Teilen eines verwinkelt gebauten Hauses hat der Mensch von einem Punkt aus viel mehr Zutrittsmöglichkeiten. Inmitten eines Vierkants zögernd, kann er hier die Diele, dort den Stall, dort

den Geräteschuppen, dort die Selche betreten, wird hier begrüßt, dort eingemistet, dort geharkt und dort geselcht werden; die Möglichkeitenstruktur der Welt wird durch jeden Winkelbau deutlicher. Motivsammlung. Nur aus praktischen Gründen habe ich diesen Roman nicht auch noch ». . . eine Motivsammlung“

untertitelt. Hierbei meine ich mit Motiv nicht das geschmackig in den Sucher bugsierte Stück Landschaft, sondern etwas > Marktkundliches nach Art von Ernest Dichters HANDBUCH DER KAUFMOTIVE. „Aaaah, Holz! Zedernholz! Geborgenheit, nach a hard day’s work, am Ka178

Mundart

min dem breitbrüstigen Gatten gegenübersitzend“, orakelt ungefähr ein holzbefragtes Tippschen, eines von hundertzwanzig gut gemischten, und der Holzwunschforscher kommt nicht nach mit Kreuzchenmalen in die vorgedruckte Tabelle seiner Incorporation.

Warum lehnt sich ein Volkswagenkäufer beim Plaudern mit dem Saloninhaber instinktiv an einen vergoldeten Rolls Royce? Warum läßt sich der Straßenarbeiter meist nur blau tätowieren? Warum gibt es Absatzkrisen für tiefviolettes Klosettpapier? — Kommt es nicht solchen Weisheitsschürfungen nahe, wenn ich Punkt für Punkt die Donau abschmece, um zu ermitteln, warum Chemiekaufmann

J. sie sich heute kauft? M. S. Schrecklich, das Schicksal der kleinen Lou Bostrom, denkt die

Rekordbrustinhaberin Marianne Spot, und drum schaut sie so traurig auf ihre Prämienkürbisse hinunter, mit dem rechten Aug auf den rechten, mit dem linken auf den linken, und so kann nichts passieren.

Die kleine Lou Bostrom war jenes Mädchen aus St. Louis, die sich in den roaring twenties mit einem Fleischmesser die Brüste abgetragen hatte, weil die Mode Flachbrüstigkeit vorschrieb und die reichen Eltern ihr die fachgemäße Operation verwehrten. Mariannes Lieblingsjournal hatte neulich einen kleinen Nachruf auf die kleine Modeheldin gebracht. Mundart. Mir ist wohl die Landschaft nicht Vorwand. Sie ist nicht gegen anderscharaktrige austauschbar. Dennoch ist das Osterreichelnde an ihr zurückgedrängt. Gerade der Wirklichkeit wegen; es hängt ja nicht an jeder Hausmauer das Holloderoh, steigt nicht aus jedem Schornstein der Radetzkymarsch und es wurde gelegentlich auch schon Wein mit ortlosen und fränkischen, slowakischen und Maori-Gefühlen hier getrunken. Ein Schuß Felix Austria — und selbst Kierkegaard würde eine gewisse Gemütlichkeit bekommen; die Würze ist nämlich sehr penetrant. Möglichst wenig Assoziationen also mit der Tradition des süßsauren Denkverzichts. So auch behandle ich die Mundart. Der Mund, der hier aufgetan wird, erleidet dies zwar ebenfalls in einer charaktrigen Weise, das Wesentliche aber sind nicht die Phoneme. Natürlich bieten sich zwei Transkriptionen an: die streng phonetische und die artmannsche; aber die streng phonetische überfordert den Leser (und, ich will nicht leugnen, den Autor); und auch die artmannsche verlangt eine unlohnende Mikropräzision und Differenzierung — der Bewohner des Wiener Bezirks Hernals erschlägt schon den Bewohner des Wiener Bezirks Breitensee, zB Artmann, für dessen Mundart, der Amts-

rat den Oberamtsrat und die Milchfrau die Toilettefrau; zuviel Lokaldetails für ein unösterreichelndes Buch; die Wahrheit ist zwar

konkret, aber sie läßt gewiß mit sich reden. 179

Muskeln

Also: Nur wo durch Übertragung in die Hoch- oder Umgangssprache die Rede

atmosphärisch

oder akustisch

verzerrt

würde,

deute ich Mundart an; nicht indem ich den ganzen Satz mundartlich transkribiere, sondern indem ich mich mit der Notation

des

entscheidend Abweichenden begnüge, etwa der rhythmisch wichtigen Fortlassung einer Silbe. So kann es vorkommen, daß ich statt „Das habe ich gedacht!“, aber auch statt „Des hob i ma denkt!“ schreibe: „Das hab ich mir dacht!“. Bei Kürzungsformen wie

„gsehn“, „bleim“ (bleiben), „mim“ (mit dem) u.ä. wende ich, wie auch sonst, das stolprige Apostroph nicht an. Es bleibt dem Leser überlassen, im Lesen meine gemeindeutschen Sätze oder Halbdialektsymbole in die Wiener oder auch eine andere vollwertige Mundart zu transformieren. Muskeln. Myra Metelli überrascht eines Morgens der von einem Illustriertenbild angeregte Gedanke, ein durch Muskelpakete gänzlich deformierter Mann (> Deformation) presse sie an sich und sie beiße mit heißem Vergnügen in dieses harte Geschwelle. Bald, sagt sie, werde ich so tief gesunken sein, mir einen starken, dummen,

brutalen Zoologiebuch-Mann zu suchen und ihm ein enghorizontiges, geiziges, keifendes Haushuhn abzugeben, kadavergehorsam der Negativauslese namens Sexualcharakteristik. Niemals!, sagt die Ordnung in Jungmädchengestalt etwas theatralisch und wirft das Bild aus dem Bett. Aber das ist keine Lösung, so wie es für Chemiekaufmann J., wenn er einmal auf den Geschmack dicken Weibchen-

fleisches gekommen ist, keine Lösung bedeutet, die Hundertkilobarbara aus dem Bett zu werfen. Hochzielenden Menschen, denen die Schwerkraft der steinzeitlichen

Anthropologie das Gewehr nach unten zieht, bleibt nur das Hoffnungspaar, daß a) eine spätere Menschheit die atavistischen unter den KörperbauReizen verabschieden wird oder b) die atavistischen Körperbau-Reize weiterbestehen, aber mehr und mehr die Kopplung mit atavistischen Wesens-Zügen verlieren werden, wodurch schöne Bären-Abailards intelligenteste und zarteste Liebesverbindungen mit Renoir-Heloisen werden durchschwelgen können. Nachbetrachtung zu > Nachmittagsgespräche 20 und anderen Artikeln: Um solche Kommunikationsschwierigkeiten über das Ergriffenwerden durch Landschaft u.ä. wenigstens dort zu vermeiden, wo beide Kommunikanten, etwa ein sensibles Hochzeitsreisepaar, genügend Emobilität mitbringen, sei vorgeschlagen, daß das Paar sich bloß durch ein kurzes Signal, etwa das Drücken eines Gummi-Entleins, vom Vorliegen eines > F-Erlebnisses verständigt; was hin180

Nachmittagsgespräche gegen jeder durchmacht, bleibe unzerredet, der Heuhaufen wird ohnehin nicht beiden Partnern das gleiche bedeuten; daß synchron F-Ströme fließen, sei ihnen eine genug erfreuliche Information; vielleicht sind sogar intuitive Strominduktionen möglich. So wie Mytilla Mitil, wenn

sie Encore

Edibelbek

fände, freudig neben

dem Roastbeeferfreuten von gebackenen Reinanken ließe, in identischer Lichtsaalmusik mit dem Freund Nach dem Auftauchen der Auen wurde nicht so heiß gekocht. Kaum war die erste > Au (von nun an sind

sich erfreuen delphinend. gegessen wie Auen im be-

sonderen, also Auen 3, Auen 1 etc, aufzuschlagen) beschaut und verdaut, also um 8.03, konnte man frei auf die Uferstraße mit den

Autos schauen und auf die auslaufenden nahen und die ferneren > Hügel. Auch dann wurde die Aulandschaft immer wieder durchbrochen: öfters wiederholte sich der Potemkinzauber von Pfahlhäusern der Bootssportkolonien (> Paddelclub-Haus), dann und wann erschien noch ein Hügel, oder anderes (auf das wir rechtzeitig hinweisen werden), und oft auch wurde der Blick von Ereignissen auf dem Wasser angezogen. Fürs erste wähle man, die Zeit bis 8.10 füllend,

je ein Beispiel von > Auen,> Pfahlhäusern und > Wasserereignissen. Sattgesehen, richte man seine Optik voraus, wo plötzlich (am jenseitigen Ufer des sich krümmenden Stromes) ein mächtiger schwarzer — Silo steht. Nachgefrischt werden allmählich unfrisch gewordene Dinge. Frisch heißt komischerweise frisch gewaschen. (Es könnte ja auch frisch verdreckt bedeuten.) Das Wort „nachfrischen“ hat etwas von dem hoffnungslosen Kampf um das anorganische Image eines organischen Wesens. Man frischt laut Werbesprache Menschen und Menschenverpackungen nach, um sie > sympathisch zu machen. Nach dem Fallen des Wortes „nachfrischen“ verbreitet sich erst richtig der vor-

her nichtbeachtete Menschengeruch und wird unappetitlichpfuiteufel. Nachmittagsgespräche 1. Eine Mutter renkt ihrer Tochter die Negerpuppe wieder ein. Die Tochter fragt: „Neger, warum schaust du so traurig?“ Ein Pensionist sagt: „Weil er gelyncht wird, wenn er groß ist.“ Die Tochter fragt: „Weil er was?“ Der Pensionist sagt: „Weißt du, die Weißen prügeln die Neger gaanz fest, bis sie tot sind.“ Die Tochter fragt: „Da muß ich dich auch prügeln, Neger?!“ und beantwortet sich die Frage mit ganz festen Schlägen in ihr Kind. „Mm! Mm!“ Ein Bein fliegt weg. Die Mutter schimpft: „Jetzt

hab ich dir die Puppe grad erst wieder eingerenkt; du bist doch —!“ Nachmittagsgespräche 2. Alte Leute erzählen von einstigen Wanderungen in dieser Gegend. Der Pensionist ist gleichzeitig an Bord 181

Nachmittagsgespräche und auf jenem Feldweg. Der Pensionist ist gleichzeitig ausgedient (ins Trockne gebracht) und jung (voll Erwartungen, ungesichert). Der Feldweg ist gleichzeitig leer und mit dem (jungen) Pensionisten. Die Donau ist gleichzeitig mit dem Schwätzerschiff und einstzeitleer. Nachmittagsgespräche 3. (Schmerfettmutter zu zweiter:) Das is wurscht! Die Menscher werden das tragen, was ich will!

Nachmittagsgespräche 4. „Da, wo wir vorbeigefahren sind, bei dem kleinen Brückerl, hat er sie in allen warmen Nächten hingeschleppt. Sie hat müssen im Fluß stehn und mit ihm was machen. Lang hats nicht gedauert, hat sie eine Unterleibslähmung gekriegt. Er hat sich von ihr scheiden lassen, hat sie in ein Versorgungsheim gegeben und eine Junge geheiratet.“ „Schleppt er die auch wieder in allen warmen Nächten zum Brükkerl?“ Nachmittagsgespräche 5. „Mein Mann hat sich bei der Versteigerung sechs rote Zipfelmützen gekauft.“ „Jö, das is praktisch.“

Nachmittagsgespräche 6. Kannst mir nicht den Namen sagen von dem, der verbrannt ist? Nachmittagsgespräche 7. > Maturanten. Nachmittagsgespräche 8. Ein älterer Herr, der schon getrunken hat (zur Gegend stimmenden Gelbwein in einer durchwärmten Grünflasche), gönnt Haarboden und Panamamütze eine kleine Erholung voneinander und zitiert hierbei den vor 88 Jahren geborenen Hans Adler: O letzte Lust, die noch dem Denker frommt! Vom keuschen Mond verklärt, im Garten Auf jene einzige zu warten, Die niemals kommt.

Moment, sagt ein jüngerer Weingenosse, dessen Sonnengesicht zu dem Lied opponiert, das ist nicht so leicht abgetan; Sie müssen mir erst einmal beweisen, daß der Mond keusch ist; der Mond war schon zu Zeiten der alten Syrer eine Göttin der Empfängnis, und Jungfrauen — verstehn Sie!: richtige Jungfrauen — haben sich am Mondfest preisgeben — verstehn Sie!: richtig preisgeben — müssen. Junger Mann, sagt der Ältere zu dem 50jährigen, Sie sind im Irrtum: die Göttin Ischtar hat damals schon von allen Priestern und Priesterinnen das Zölibat verlangt; lesen Sie einmal altorientalische Geschichte; — aber ich habe an dem Vers etwas anderes auszusetzen. An einem Vers oder der ganzen Strophe?, triezt der 50jährige. Ich habe auszusetzen, antwortete der 70jährige, daß der Dichter sagt: 182

Nachmittagsgespräche Auf jene einzige zu warten, Die niemals kommt;

dabei kommt ja ein ganzer Schüppel nicht, nicht nur eine einzige; der 70jährige lacht; oder gehts Ihnen besser?, fragt er den 50jährigen. Auch nichtmehr, sagt der. Sie eröffnen sodann eine Diskussion, wie die Einzige beschaffen sein müßte, die niemals kommt, um zu der Ursache vorzustoßen,

warum sie grundsätzlich nicht kommt. Sie beginnen mit den körperlichen Eigenschaften und trinken dazu ihren jeweiligen brackiggewärmten Gelbwein. >- Biographische Übung. Nachmittagsgespräche 9. In die Diskussion über die Einzige, die niemals kommt, mengte sich ein Taschenlampenvertreter, der aber Interesse an der Verhaltensforschung hatte. Er erzählte, wie ein

junger Amerikaner ein pazifisches Delphinmädchen liebgewonnen hatte; er lebte mit ihr im Delphinbassin, lernte tauchen, schnellen und ihre Sprache, sie lernte von ihm bewundernswert rasch die

höhere Mathematik und die Formallogik, und sie wurden ein Pärchen mit musterhafter Kommunikation, ließen Menschenpärchen darin weit zurück. Der junge Amerikaner mußte dann aber seine Geliebte dem CNR — dem Central Navy Research — abgeben, von wo aus sie mit einer taktischen Atomladung, jedem Torpedo überlegen, einem schrottreifen Versuchsschiff nachgesandt wurde. Mit ihrer Intelligenz gelang es ihr leicht, ihren geladenen Leib in den Kesselraum zu verstauen, wo sie mit dem Wrack in die Luft

flog. Der junge Amerikaner trauerte. Eine eigene Frage bleibt, wieso Liebe und Intelligenz des Mädchens nicht eine Wehrdienstverweigerung bewirken konnten; aber vielleicht hatte ihr Denken schon zusehr menschliche Züge angenommen; Delphine, schreibt Professor Lilly, lassen sich trotz oder gerade wegen ihrer hohen Intelligenz leicht korrumpieren. Nachmittagsgespräche 10. In die Diskussion um die Einzige, die niemals kommt, mengt sich ein Beiträger, nach dessen Bericht einem Junggesellen sehr wohl die Einzige kam, und zwar ein aus der Illustrierten geschnittenes Dämchen, das, weil es sich erstmals in seinem vollen Liebes-Wert erfaßt fand, unter der Schere des Junggesellen lebendig wurde. Der Junggeselle allerdings, nach einigen erfreuten Sekunden, trug das heftig sich wehrende Bildchen zur Pfarre. Dort wurde es neuerlich lebendig, erklärte aber, nun in ein Kloster gehen zu wollen. Jetzt haben Sie uns aber schön reingelegt, sagt der PanamaMann. Alle Menschen, die so reden, zitiert der Besitzer eines neulich 183

Nachmittagsgespräche verteilten Traktätchens, kennen unser Volk in seinen großen Nöten

nicht. Es handelt sich bei der Zauberei um Satanismus. Eine weitverbrgitete Art der Zauberei ist das Besprechen. Man nennt es auch das Tun, Büßen, Blasen, Pusten,

Versöhnen,

Sympathie

treiben.

Sympathie heißt: auf einen Gegenstand einen unerklärlichen Einfluß ausüben. In manchen Fällen hilft es gewiß. Aber die Hilfe kommt nicht von Gott, sondern vom Teufel. Sie ist mit einem tiefen

Schaden für die Seele verbunden, denn sie fordert der Teufel als Lohn. Als ich versuchte, mit einem besprochenen Mädchen zu beten, vermochte sie nicht den Namen des Herrn auszusprechen. Immer wieder kam sie nur bis „Je... Je..:-“. Durch dieses geheimnisvolle Mittel sind ganze Ställe unter den Einfluß böser Geister gekommen, Mensch und Vieh wurden oft geplagt. Ja, mancher Landwirt hat seinen Hof verkaufen müssen, weil er keine Ruhe hatte bei Tag und Nacht. Du mußt in so einem Fall dem Teufel kündigen. Sag ihm etwa folgendes: Ich entsage dem Teufel und allen seinen Werken und insbesondere auch den Rechtsansprüchen, die er an mich bekommen

hat. (Gibt es heute noch Zauberei?, Evangelische Lan-

deskirchliche Volks- und Schriftenmission Lieme, 1968.) Nachmittagsgespräche 11. Nun sprachen auch noch zwei Männer drüben, die sahen Schulkameraden aus J.s freundlichgrüner Steinzeit ähnlich. J. dachte: Ich bin unendlich lange zu keinem Klassentreffen gegangen. Was fasziniert uns an so Klassentreffen? Ihre statistische Wehleidigkeit. Einfach, daß zwanzig Menschen naturgemäß einige Schicksals-Arten haben, zwei gestorben, einer Zwillinge gezeugt, einer Sportmedaille, einer hohes Viech (Landesregierung). Und: das Altern. Und: Freunde in Reserve zu haben, unausgewertet oder doch nicht so restlos ausgewertet wie die Verwandten und ständigen Kumpane. J. ging langsam hinüber, bis er die Unterschiede zwischen den Sprechenden und seinen Kameraden klar heraushatte. Nachmittagsgespräche 12. Am Grundlsee bin ich gwesen mit meine Herrschaften. In einer Villa ham wir dort gewohnt. Am Grundlsee, mein Gott, da is schee! Die Berge! Die scheene Villa! Das war ein Erlebnis! Jaja. Ein einmaliges Büt, in der Vollmondnacht, da sind

wir am Balkon gsessn. Da zehrt ma dann ein Leben lang. Nna! Warn das net glückliche Stunden? Mit einem Jahr, sagte die verblühte Hundebesitzerin, hab ich schon gut zusammzählen und schreiben können. Da war grad der Krieg aus. Mit zwei Jahren, ich sag Ihnen, da war ich schrecklich

verliebt in einen Harry (damals haben sich alle Harry genannt weeen dem Harry Piel). Mit drei hat mich meine Mutter gestoßen zum Heiraten, aber ich wollt nicht. Na, mit vier war ich schon eine gut184

Nachmittagsgespräche verheiratete Geschäftsfrau,

Gemischtwarenhandel,

die Frau Gau-

leiter ist zu uns immer selber einkaufen kommen. Mit fünf hat mich ein Franzos gehabt, man glaubt immer, nur die Russen haben ver-

gewaltigt, einen Schmarrn!, ich hab ein paar Wochen nur geheult. Mit sechs hab ich zum zweitenmal geheiratet, damals hat auch bei uns ganz zart das Wirtschaftswunder angefangen. Mit sieben haben wir uns scheiden lassen, mein Mann ist so unausstehlich geworden, ihn haben nurnoch die Sputnike interessiert. Mein Lebensgefährte, der Franzl, den was ich jetzt hab, ist prima. Na, und jetzt bin ich auch schon acht Jahr vorbei, und viel mehr als zehn wirds bei mir nicht werden; alle meine Leute sind mit neun oder zehn. Nicht viel Zeit, so ein Leben; was, Rexl?

Auch ein Elternpaar unterhält sich. Etwa: Man kommt kaum dazu, das Liebsein der Kinder zu genießen, schon entwickeln sie sich;

man kommt kaum dazu, das Entwickeln des 3jährigen mitzuerleben, schon ist der 7jährige 11jährig und gleich entfremdet er sich auch schon endgültig. Eine Gesprächspartnerin findet es vorteilhaft, wenn man Mädchen hat. „Man verliert sie ja doch wieder. Aber sie sind doch anders als Söhne... Freilich, in einem kenn ich nichts: Meine Mädchen müssen ausschauen, wie ich will.“ „Wir alte Krauter...“ (Wie der Rücktritt eines Politikers noch

glanzvoll, sein Leben im Hintergrund dann aber glanzlos ist, wie die Enttäuschung eines Buben, dem das Mädchen aus dem Lokal geht, noch prickelnd, die folgende Zeit der Langeweile dann aber schal ist, so ist der Ausspruch des letztmals verzichtenden Mannes

„So, jetzt werd ich ohne dich ein alter Krauter“ durch Gedankenverbindung mit dem, worauf verzichtet werden soll, noch eroshaltig; später, wenn der Verzichtende nurmehr Krauter unter Krautern ist und keine Frage mehr nach der Dämonin seines Verkrauterns geht, wirkt sein Leben kaummehr als eine Repräsentanz jener Weltkraft.) Nachmittagsgespräche 13. Eine in Unternehmungslust ergraute W/ienerin

betut sich mit Holländern:

Lieben

Sie Musik?

Nein?,

schade. Sonst hätte ich Ihnen einen besonderen Leckerbissen empfehlen können: die Ehrengräber am Zentralfriedhof. Alle Fremden waren mir dafür immer sehr dankbar. Nachmittagsgespräche 14. Ein rosiges 60jähriges Paar bestätigt einem 30jährigen Techniker unaufgefordert, daß er anständig sei. Dann gibt es ihm recht, weil er seinen Urlaub nicht an der Adria verbringe. Schaun Sie, der Rudi — was, Emmi, fragt der 60jährige dazwischen seine Frau, na!, sagt die, — geht baden und der Hai-

fisch frißt seine Frau zusamm; jetzt muß er sich eine neue suchen. Alle lachen, aber die 60jährigen merken plötzlich, daß der 30jährige 185

Nachmittagsgespräche die Haifischstory für einen Witz hält. Nein; wirklich, der Copak, unser Schneider, sagt der 60jährige. Der 30jährige läßt sein Lachen zusammensacken.

Na, es ist schon schrecklich, sagt die 60jährige

etwas verlegen. Aber werden Sie sich noch keine Frau suchen, lenkt der 60jährige ab, haben Sie gar kein bisserl Sehnsucht nach glücklichen Stunden? Wo wohnen Sie? Bei meinen Eltern, sagt der 30jährige. Na, er ist brav, sagt die Frau, er wartet, bis die Mutter weg ist. Und so gescheit! Der 30jährige winkt bescheiden ab. A nein, bekräftigt der 60jährige, zur Frau gewandt, ein bisserl was muß er schon im Hirn haben, wenn er Hochbautechniker ist.

Nachmittagsgespräche 15. Zwei nicht mehr schwangerzukriegende Frauen bereden eine junge > schwangere Nachbarin. Nachmittagsgespräche 16. Der Ingenieur kommt noch einmal heran. Meine Frau, sagt er, hat sich ganz mit den Lemmerers eingesponnen, da geh ich lieber; na, haben Sie inzwischen Ihre transatlantische Nachricht bekommen?, frozzelt er J. Der Chemiekaufmann lacht: Ich muß einmal den Bordfunker fragen; und Ihr Tabellenwerk, ist es inzwischen druckreif geworden? Der Ingenieur lacht: Ich drehe durch, ich ziehe schon aus allem die Quadratwurzel; kommen Sie, setzen wir uns ein wenig in den sogenannten Schatten;

haben Sie heute schon die Zeitung gelesen?, ich noch nicht. Was steht Schönes drin? Die Männer stecken sich, Max und Moritz, unter die

gedruckte Decke. > Zeitung (mehrere). Nachmittagsgespräche 17. In meiner Jugend habe ich einmal einen Lustmord geplant, sagt ein älterer Herr. Ich habe ihn dann allerdings nicht ausgeführt, nein, wirklich nicht. Als ich so planend auf meiner Parkbank sitze, Sie können sichs vorstellen, gegenüber einer

Straßenbahnremise, kommt eine geschwätzige Frau und setzt sich neben mich. Ich —, na, ich laß mich doch nicht durch einen Ablenkungsfehler ins Zuchthaus bringen —, ich sage der Frau einfach, bitte, Gnädigste, seien Sie mir nicht böse, aber ich bin in einer schweren Meditation. Oh, verzeihen Sie vielmals, sagt sie, sind Sie vielleicht Buddhist?; wir hatten einen Nachbarn, einen seelenguten Menschen .. Ist schon recht, sage ich; nein, ich bin Laientrappist; hören Sie doch auch einmal auf die Botschaft der Stille. Nun, meine Nachbarin nimmt meine Worte ernst, und, was sagen Sie: sie ge-

staltet von der Stunde an ihr Leben fromm. Ich hab es später in einer Missionszeitung gelesen. Ich habe mich manchmal gefragt, wieweit das ein Beweis gegen die Frömmigkeit ist. Ich glaube heute, es ist keiner. Ich glaube, es

ist kein Argument gegen die Physik, wenn ein Papagei eine richtige 186

Nachmittagsgespräche ns an die richtige Adresse bringt, ohne Physik studiert zu aben. Nachmittagsgespräche 18. Stimmt das, daß er halbe Leichenschändung getrieben hat? Was ist das eigentlich? Aber! Kunststoffspritzer war er, oder Presser, was weiß ich, ein

ganz junger Mensch. Im Urlaub hat er als Totengräber ausgeholfen, und von toten Frauen, die ihm gefallen haben, hat er in der Nacht einen Gipsabdruck genommen, und wenn er wieder in der Fabrik war, hat er sich die Frauen aus Plastik nachgegossen. Kein Mensch kann sagen, daß Abgipsen eine unzüchtige Handlung ist. Gut, für den Materialdiebstahl hätt er hoppgehen können. Und stimmt das, daß sich die Frauen gerächt haben? Blödsinn! Der Lieferwagen ist einfach im Nebel über eine Böschung, und die Puppen haben den Mann halt zerdruckt. Nachmittagsgespräche 19. Eine Gruppe junger Mädchen — vielleicht die vormittag den Schnurrbart am Gebläse angezündet hatte — sang einen munteren > Schlager. Nachmittagsgespräche 20. Chemiekaufmann J. fühlt sich gedrängt, für das Merkwürdige, das Auftauchen jenes > Hauses am Knopfer Hügel aus dem Schlammbad der Siesta, Zeugen zu finden. Er spricht daher eine recht schöne alleinreisende Frau verschiedener Helligkeitswerte an, die klimaktischen Blicks ebenfalls jenes Haus anpeilt. „Eine schöne Lage“, präambuliert er. „Ja, herrlich“, antwortet die Frau, „die Leute am Land wissen nicht, wie schön sies haben.“ „Finden Sie nicht auch“, bemüht sich J., „daß dieses Haus etwas

ganz Merkwürdiges hat?“ „Ich glaube, das ist die neue Type von der Bausparkasse.“ „Ich meine“, stottert J., „dieses Auftauchen jetzt plötzlich — man ist plötzlich drin — mitten unter den Bewohnern — man nimmt an ihrem Leben teil —“ „Ja, wirklich, herzig“, sagt die Frau, „wie aus der Spielzeugschachtel.“ „Wissen

Sie, gnädige Frau“, J. bleibt am Ball, „es ist nicht nur das Herzige. Ich meine, diese Situation, oder diese... Konstellation kommt nie wieder. Hier das Schiff mit den Menschen, die aus der Siesta aufwachen. Dort der Hügel, wieder ganz anders; aus dem Haus, glaub

ich, sieht jemand raus und wird jetzt vielleicht unser Schiff sehen —“ „Genau“, sagt die Frau, „die Leute am Land sind wie die Kinder; sie winken, winken, aber ich wink auch immer, wenn ich einen Zug oder ein Schiff sehe.“ „Ich meine eigentlich das... Einmalige daran“, sagt J. „Sie haben recht“, sagt die Frau, „die Donau ist schon

sehr einmalig.“ > Nachbetrachtung. Nachmittagsgespräche 21. Ein Herr Rastauritsch erzählt von Bruckners vergeblichem Liebeswerben an der Orgel zu St. Florian. Das 187

Nachmittagsgespräche Trampelchen, dem das Genie hatte imponieren wollen, lief aus der

Kirche. (Wie günstig hätte sich der Fall doch entwickelt, wenn eine brucknersüchtige Musikstudentin im Kleid des Trampelchens gesteckt hätte.) Die junge Frau Rastayritsch: ist ein glitzernder Eisberg, dessen notdürftig verborgene neun Zehntel düster und (durch Langeweile) tödlich sind. Das statistische Entsetzen,

den Kaufmann

überkommend:

Su-

chende, ausgesetzt inmitten einer Welt voll unsortierter Menschen. Designer Rohäcs spielt bei: ein Freund habe sich die Wohnung in perfekter Sachlichkeit eingerichtet und annonciere nun vergeblich um jemand, der diesen Anblick gernhätte. Whiskyflaschenpost eines versoffenen Mytilla-Mitil-Beobachters, am Schiff zu dieser Zeit vorbeitreibend: „Intellektuelle Mädchen erkennt man daran, daß Leute, die mit Hunden, Babies und Mäd-

chen peinlich schweigsam sind, weil sie nicht den gefälligen Ton und die Informationsleere der diese Kreise induzierenden Sprache treffen, mit ihnen keine Kommunikationsschwierigkeiten haben. Ich will ein intellektuelles Mädchen werden, schwor sich Mytilla, als eines Kindertages

die Art von

Leuten,

mit Hunden,

Babies und

Mädchen zu sprechen, ihr hellseherisch evident wurde und Mytilla in einen weltallgroßen Topf des Alleinseins fiel.“ Freilich: Herr Huber fährt automatisch, Frau Huber wäscht auto-

matisch — passen Herr und Frau Huber nicht gut zusammen? Oder: der Twinnie-Look für Pärchen: Sie und Er in gleichgeschnittenen Hemden und Hosen. Wo findet man aber die solcher Dingpärchen würdigen Menschenpärchen? Projektion der rührend muffigen Jugendwohnung J.s mit den Schränken voll Wünsche. Damals las der Kaufmannsadept sogar Dichter; nach Wanderungen hängte er in die Stubenluft Gelbkräuterbüschel und Wilhelm Lehmanns Minzbitterkeiten: ... Niemanden traf ich auf meiner Fahrt,

Niemand hat mich dabei getroffen.

Ja, ich war damals noch kein so eminent lustiger > Exporteur. Rohäcs

läßt den Transistor

erzählen:

„Ich bin zweimal

auf-

erstanden wegen Selbstmordes, sagte Wolfgang angesichts St. Peters. Die Himmelstür war undicht. Die Hölle klaffte sehr verlockend, hol dich der Teufel, sagte Wolfgang zu einem Mädchen, wie auf der

Erde, aber in dieser neuen Umgebung holte wirklich ein Teufel dieses Mädchen, und Wolfgang fühlte sich sehr stark.“ Es gibt zwei Möglichkeiten, sagte der Ingenieur, sich die optimale 188

Nachziehverfahren?

Partnerin zu bauen: a) sie sorgfältig in Gedanken darzustellen und dann noch die Kleinigkeit zu wünschen, daß sie lebendig werde,

b) sie aus einer wirklichen Weibse anzusetzen — denn Wirklichkeit hat immer viel für sich —

und dann die Kleinigkeit zu wünschen,

daß sie optimal werde. Gottseidank bin ich dieser Problematik enthoben, fügte er, als seine Gattin anwesend wurde, rasch hinzu. Aber

ich nicht, sagte die Gattin langsam. —>-Platonische Hälften. Nachmittagsgespräche 22. Ein Liebespaar küßt sich, zerstreitet sich dann am Gefühl für Plastik-Gegenstände: Er sieht in ihnen noch den Zauber der Herstellung (von Neuem, Farbigem, unzählige Eigenschaftswünsche Erfüllendem), sie das Symbol der Vermassung, den Ramsch. Nach dem Streit, der unbehebbar bleiben muß, küßt das Paar sich

aus Symmetriegründen wieder, lappig-weich und traurig. Nachworte. > Affirmative Dichtung, > Allwissender Erzähler, > Arcimboldi, > Barock, > Begeisterung, > Begründung für den Artikel Körper, > Deformation, > Dicke Leute, > Eklektizismus, > Erwartungsmuster, -> Fehlertoleranz, > Feminismus, > F-Erlebnis, > Fetischist, > Freiheit, die ich meine, > Geographie,

> Joyce, > Kollaboration, > Komposition, > Körper, > Kulinarisch, > Kunststoffliebe, > Labyrinth, > Landschaft, > Lexikonromane, — Lokalisation, > Manipulation, > Man nehme, > Marktkundliches, > Motivsammlung, > Mundart, > Nachziehverfahren?, > Nouveau roman, -> Ortsbestimmung, — Politik, > Pop-Roman?, > Realismus, > Sättigung, -> Sehnsucht, > Sex,

> Spezifisches Gewicht, > Spielregel, > > Ulli Ergänzungen, > Zigarre 3.

Susi-und-Eiske-Epilog,

Nachziehverfahren? Daß ich trotz meiner „außersprachlichen“ Althasenschaft mit der Assimilation ‚„innersprachlicher“ bzw dadaogener Methoden nicht 1970 nachziehe, sondern schon 1950 befaßt war, als die Chronik noch mit Busta und Kießling schloß, die „Wiener

Gruppe“ noch nicht bestand und die Revolte von uns Autoren der „neuen wege“ getragen wurde, zeigt ein stilanalytischer Blick in meine alten Gedichtbände und Manuskripte: ob ich darin nun von der statt dem Mai spreche, um seine Koromorphie zu betonen, ob ich die Syntax störe („Aber Sie haben ein schönes Tier, das Ihnen folgt / Tier Ihnen folgt“ oder „Der braune Steinbruch wird tagelang Kinder klettern“), ob ich Wörter zerbreche („Do you remem, Do you re-ber, Do you remember her“), Neologismen („Acker ge-

hackt vom unendlichen Holz Hark“) und wortgeborene Para-Tätigkeiten ausschütte („Sie schneiden Zeichen in die bartlosen Gesichter / Sie treiben rot / Sie sanden bis zu Salz“), ob ich wortspiele (‚Ist das

189

Nachziehverfahren?

eine grausige Phantasie? / Ist das ein Nachtmahr? / Nein, es ist die Dagmar“), lautmale („Nur Zink / das linkisch klappernde Zink / der Traufen / wird Tropfen / auf Tropfen / antworten“, es folgen vier Zeilen mit je einem punktförmigen Regentropfen), oder ob ich montiere, Werbesprüche und Musikgeräusche einblende. Zur Ergänzung seien drei unveröffentlichte Texte von 1951 zitiert, in denen ich den Wortschatz überhaupt verlasse: 28.3.1951 („Aus meinem Dada“): it

Weites Land in der Kindheit, eine Autofahrt am frühen

goch

Vormittag in der Nähe eines Hohlweges, in einer ganz neuen Gegend Ein andermal Lärmen der Zementfabriken. Das Bewußtsein von Staub unmittelbarer als je seither. Goch — später auch noch in Mischmaschinen eine leise Ahnung davon

3. 10. 1951 („Disharmonisierung“): eroubis petoukis limonsastris chipaquis

stepalaxmis telathmis evchiaa tevelthmaa idvelxmaa .

monibigel

ostna -stna posus misblegma 26. 12. 1951 („Sommerlaubenlied“): m-i it it t-it i t-it m, m, m, it m, ti, m, tit.

190

Nachziehverfahren? 1

in in n-in i n-in m, m, m, it m, ti, m, tin.

mo so lu du in m-u in, in, m, it Tree

— und eine Lautnotation vom 10. 1. 1952 abgebildet:

IAdddddddadAhddl JBRBDEIIRBERZERDIRIT EI EI

A-A-A-A-A-AA

Te

pa dd

-p =ppgritätr

.r re an are

A UM

191

NATUR-HOTEL

namnan

N

IBEnERneNe er

ie rt u

Bere

er rt

ratetetec,

NATUR-HOTEL 1. Marie macht eine Pfanne Eierspeis. Die Pfanne rußt. Die Eier sind selbstgelegt. Alte Naturgeschichtslehrer dürfen befruchten helfen. Patiencelegen ist erlaubt, nur muß man dazu das an der Wand hängende Eselgesicht aufsetzen. Frau Rechnungsrätinnen sind nicht unter Frau Rechnungsrätin anzusprechen, Fräulein Marien nicht über Marie. Hofräte werden vor Wirklichkeit manchmal wirklich. Ein Märchen ist es, daß die guten dicken Landbetten an der Luft ungelüftet bleiben. Die Luft ist wirklich wertvoll. Wenn sich ein junger Romantiker in ein knarrendes Doppelbett legt, in den eisern zusammengetischlerten Brauttrog, und in der frühzeitig eintretenden Abendstunde wachträumt, mit welcher Vorgängerin er hier wohl schlafe, ärgert ihn Marie, indem sie die angegreiste barthaarıge Wutzel beschreibt. So werden Naturhotels rasch entzaubert und weniger schön und verlieren auch mehr und mehr junge Gäste, die Motels hingegen, in denen Filmsternchen abspritzen, ohne daß die Leintücher nach ihnen gewendet werden,

können die Jünglingsherden kaummehr einkoppeln. NATUR-HOTEL 2. Wie > NATUR-HOTEL 1. Nur macht statt Marie Eierspeis Steffi Palatschinken und Hofräte bleiben unwirklich. Zusätzlich gibt es eine Teppichbürste, die Zimmerbrände hervorruft. Ein Apotheker schwärmt inoffiziell von Magnetkuren. NATUR-HOTEL 3. Wie > NATUR-HOTEL 1. Nur hat es ein Schild Zum goldenen Zapfen. Es hat Rechnungsformulare auf gelbem Affichenpapier, mit Phantasiefraktur belettert, mit einem brau-

nen Zapfen geschmückt, und einen Aschantinußautomaten. Hier tröstet den jungen Enttäuschten im Bedarfsfall die kleine rote Renate, die sich auf Wunsch sogar eine flachsblonde Faschingsperücke aufstülpt und die an der Frühstückszimmerwand klirrenden Sporen an die Hornhautfüßchen schnallt. 192

Odstätten

NATUR-HOTEL

4. Wie > NATUR-HOTEL

2. Nur sagt, wenn

Steffi Palatschinken macht, der unwirkliche Hofrat, sie während seines Redens vertraulich festzwickend, seufzend: Naja, Steffi, in Nizza, Au Petit Brouant, hab ich anders gegessen. Warten Sie: Le

saumon frais de L’Adour au champagne (verstehen Sie?)... Le poulet Cöte d’Azur (hmm, das war ein Gedicht)... Les fromages de France (die essen Sie auch gern, nicht, Mädi?)... Le Pudding souffle au Rhum (aber was für ein Souffl&!, das müßten Sie erlebt haben!) und...Le fin Nectar (ist Ihnen das ein Begriff, ja, Steffi?) ... Tja, überall ist eben nicht große Welt, und ewig bleibt man nicht jung und agil... Nicht bös sein, Steffi. Die Palatschinken sind EeXXxxx-quisit. Küßdiehände. Nickel. Ursprünglich: eigensinniger, boshafter Mensch oder Kobold; Taugenichts. Da sächsische Bergleute aus einem kupferfarbenen Kies vergeblich Kupfer zu gewinnen suchten, schrieben sie die Schuld einem Nickel zu und schimpften das Erz Kupfernickel. Im Kupfernickel wurde später ein neues Metall entdeckt; v. Cronstedt nannte es Nickel. Also ist nicht jeder Nickel so boshaft, wie es fürs erste scheint. Motive für die Vernickelung: Was man vernickeln läßt, wird schön, chirurgisch und unsterblich. Eine rostfreie Zange ist schön wie ein wanzenfreies Bett. Eine Theke mit kaltem Nickelglanz ist chirurgisch wie eine nichtrußende Stichflamme. Eine Kühlernackte aus Nickel ist unsterblich wie eine pharaonische Grabbeigabe. Auch unsere Erde ist ein Traum aus Nickel. Aber die Übermacht der anderen Elemente verpatzt ihn. Nouveau roman. Insofern, als ich den Dingen (die mich schon als Säugling fasziniert haben) viel Autonomie in meinen Schriften gebe, bin ich ein nouveau romancier — vor allem als Lyriker und Kurzprosaist. „Magischer Realismus ist eine Tautologie“, schrieb ich einmal, in einem

Neunseiter

über einen Fünfzeiler;

die Magie der

Dinge komme nicht von einem Gleichnis, das sie seien, sondern von ihrem Selbst (diesem Seins-Partikel), das auf uns wirke. Ich liege damit dem Versuch, „exemplarische Dinge-Romane zu schreiben, in denen es keine Helden gibt, sondern nur Objekte, wobei ein Tausendfüßler oder eine Bananenstaude, eine Möve auf einem Pfahl oder ein Stück

Bindfaden auf dem Boden gleiches Recht beanspruchen können wie der Reisende in Uhren und das Fischermädchen“ (W. Ross über Robbe-Grillet), mindestens ebenso nahe wie dem Existentialismus oder einem ganz ordensfromm genommenen Materialismus. Odstätten 1. Unmerklich geht die Odstätte in Wasser über. Seichtes 193

Odstätten

Wasser: die Kinder lernen hier ihre Sehnsucht nach Kähnen. Sie baden in ihm beschuhte und nackte Füße. Sie sprechen sommerüber die Brackwassersprache. Vor Wasserbenützung aber laufen sie lang über Odstättenkrautwerk, das vorzeitig Sommer und Verblühen hat. Brandigbraun oft schon im Juni, Lebensuhrwerk, etwas überdreht, dadurch den Kindern merklich und jammrig. Im übrigen: Abenteuer. Alle Abenteuer geschehen aus Langeweile, münden in Langeweile und nähren in Zeiten der Langeweile. Das Wasser der Odstätte läßt sich durch das Ausschütten von Zubern vermehren. In den Zubern ist Seifen- oder Abwaschwasser. Odstätten 2. Man geht aus den Städtchenhausgäßchen (den staubigen, zugigen, brausepulvrigen) zweimal links, einmal rechts, passiert einen Durchgang und ist an der Odstätte. Hier überwältigt die Sonne. Städtchenkinder, die hier spielen, werden abgeschafft und als Odstättenkinder neugeschaffen. Odstättenkinder haben keine Mutter und keinen Vater mehr, haben nur die Odstätte, erst die Hungeruhr werkelt sie dem Abenteuer-Ende entgegen, sie sterben und werden als Mittagstischkinder wiedergeschaffen. Dann, wenn die Erwachsenen rülpsen und schnurren, verdampfen die Kinder in die Odstätte und werden als Odstättenkinder mächtig bis zum Abend. Sie schmecken nach Botanik, Maulwurf, Bittersaft, Steinschlecken, Kratzwunden, Indianerehre und haben Finger aus Hundekot. Dann erschrecken sie, weil die Sonne schon zu weit

unten ist und ihre Eltern noch prügeln. Sie sterben und Heulkinder neugeschaffen, die Zorn für vierzig Jahre in den dampfblasenden Maisbrei hineinstampfen. Odstätten 3. Encore Edibelbek fand sich als Soldat Krieges im Spiel auf der Odstätte wieder. Das Spiel

werden als mit Löffeln irgendeines war anders

verlaufen, als die Generalität es im Sandkasten kalkuliert hatte.

Ihm rann Blut der Gruppe A aus dem abgetrennten Bein, und er sah interessiert dem Verfließen der Flüssigkeit in die beige Odstättenerde zu. Das Rot verlor sich dort fast, neben dem abgekniffenen Bleirohr-Ende; wäre Wasser ausgeschüttet worden, wäre die Abdunkelung des Flecks kaum anders verlaufen. Hokuspokus, sagte Edibelbek zu seinem Blut, werde Wasser. Er lachte über die Ein-

fachheit chemischer Umsetzungen. Ein ganz hübscher, keineswegs unappetitlicher oder schauerlicher Käfer kitzelte ihn durch Saugen an der Schnittfläche, aber Edibelbek spürte das mangels Nervenleitungen nicht. Mahlzeit!, wünschte er dem Käferchen; daß Leute in meiner Lage beten oder Wünsche nach einem letzten Familientreffen haben, ist also ein Lesebuchmärchen. Heil X!, grüßte er seinen verlierenden

Staatsmann,

für den er am Sterben war. Er

spuckte. Edibelbek bemühte sich stark, das Geflecht holzigen Un194

Odstätten

krauts auf der Odstättenfläche zu entwirren. Jetzt ruhen irgendwo Bäuerinnen (reagierte er auf sonn- und schatten-dialektisches Gras), jetzt bereiten sie irgendwo Maisbrei. Jetzt sterben (ein friedenszeitlicher Pneu-Rest verwitterte im Wildkies) Leute unvergleichlich gequälter im schweren Heizöl (> Masut) des Flammenwerferstrahls. Ich war ein Glückspilz. Über den Sinn des Geflechts vermochte er nicht klarzuwerden. Ins Gras beißen, lachte er. Er ver-

suchte das, es gelang, schmeckte nicht interessant. Es erfrischte ein wenig. Holzkreuzchen;

für Freiheit, Volk oder sonst einen aus-

tauschbaren Begriff. Odstätten 4. Freu dich, Hund, sagt der Pensionist zu seinem Hund,

wir gehen auf die Odstätte, abrichten. Wir gehen vorbei an der kleinen Seifenfabrik, wo die Portiershündin, deine Freundin Myra,

angekettet bellt, mein Arm ist ganz Peitsche, mein Bein ganz Stock, mein Mund ganz Pfeife, sei ganz Ohr! Schau, ein toter Frosch. Pfui, nicht in den Mund nehmen! Da, ein alter Faltkarton, tuj, tuj,

hols Apportl, huj! Watta, nichts für dich, pfui, gehst weg! Gibs Pfoti. Brav. Tüchtig. Stoci holen, tuj, rrrenn! Fffff(ü)! Der Pen-

sionist kriegt einen Hustenanfall. Er grüßt andere Odstättenhundepensionisten und andere Abrichter, stolpert Ziegel, riecht Fischwasser, spuckt Glasschutt. Der zottige schwarze bellt wie aus einem

gefüllten Sack. Abwärtsjaulen. Ein auchzottiger Setter, seine Haarspitzen wie in Asphaltöl getunkt, ein ganzes Zwölfendergeweih aus wassergeschältem Holz trägt er keuchend im rinnenden Maul. Ein alter Mann wiegt einen schmutzigweißen Bobby im Arm. Auf Odstätten beißen Hunde in den Schwanz, in die Leine. Oder sie laufen frei

Ein altgedünkeltes Weibsstück aber hat ihre grau-schwarz-braun gestreifte Riesendogge an eine KETTE geschlagen. Das alles sind > Hunde, sie scharren Holz-Grün-Stein-Scherb hoch, verteilen ihren Dreck, bellen Hoch Gott!, sind in eine unfaß-

liche Clownerie hineingeraten, dienen sie aber japp, knorr und trenz zu Ende, geben das Sinnbild einer egoistenschonenden Liebe (dagegen die herrliche Unabhängigkeit meiner > Katzen!), rupfen Wucherblätter, derbgrüne dickadrige, Riesenblätter von der Größe ausländischer Zeitungen, überspringen die Wassergrenze, wälzen sich im kalten nassen Wasser, crawlen, waten, schaumschlagen, Stock im Gebell, schütteln hundelnden Wasserspray ins Gras, spielen das Hundestück VORMITTAG, das Hundestück NACHMITTAG, duften sich

eins, riechen zu allem, konzentrieren ihre Koketterie ins gehobene 195

Odstätten

Hinterbein, arbeiten streng und unproduktiv und möchten die ganze Welt voll kleiner Hunde machen. Odstätten 5. Immer dichteres Brenzeln führt uns an den rußenden Scheiterhaufen. Die orangeroten Flammen sind gegen das Sonnhimmelblau

kaum

sichtbar, aber die Wärme

ist verdammt.

Der

stoffige Geruch der brennenden und schwelenden Matratze. Eine Art Witwenverbrennung. (Der Eigentümer stinkt unterm frischausgehobenen Lehm des örtlichen Friedhofs.) Zwiebelschalenrosa Plastiksäcke von Kunstdünger flammen mit. So wie in der Hölle: niemand löscht. Ofenboden: überwachsener Steingrund. Akteure und Zuschauer

sind: Alte Zeitungen,

ausgebrochene

Kachelofentüren,

Autoreifen, Bauschutt, Blechrohre (von Vögeln weiß und braun angekotet), Bleirohr, Bubendreck, Einsiedegläser, Faltkartone, Fauteuils, Kanister, Kondens-Topf, Konservenblech, Mädchendreck, Mädchenwatte, Näh-Restchen, Plastikflaschen (Opfer der LostPackage-Weltanschauung), Portlandzementsäcke, Schlacke, Schlauchstücke, Stahlband, Stahlfedern, zerbeultes und rinnendes Blech-

geschirr, zerbrochene Fliesen und Kacheln, Ziegel, Zigarettenpackungen. Odstätten 6. Ödstätte. Hat eine Stadt noch diese große Unbekannte? Das Ungeplante dieses Barbarenparks, das Un- (oder Höchst-)Geometrische für komplizierte Kinder- und Hundespiele? Was man dort alles finden und erleben kann, lohnt Schulschwänz-

prügel, Schlangenbiß und Fußzerscherbung. Werft einander nur in die mannshohen Brennesseln, die unkontrollierten, vielleicht zimmertiefen Ameisenhaufen, die Tausendfüßlerkasernen, dornt, wespt

und distelt einander im Heulen eurer Schutzengel zu. Saugt, wenn ihr Mädchen und Bub seid, einander erste Wunden, zerreißt einander erstmals Hemd und Röckchen, klebt die Wut eurer Eltern auf

eure neuerliebte Haut wie schmerzendes Senfölpflaster. Schleppt, wenn ihr Tagdiebe seid, zerschlitzte Matratzen oder geschundene Autositze in die Laube aus verlaustern verfitztem Gebüsch und schlaft dort den Hungerschlaf, ungeschoren von Polizisten; wenn

Nachtschlangen verstreute

>

Hühnerfarben

kommen, Hühner,

pfeift sie mit Lungenfaul

am

besten jener absurden

weg. Stehlt

Rasse, die alle

scheckig auf sich trägt. Raschelt, wenn

mörder seid und der Werkbahnzug eure Guillotine ist, im Busch, aus dem ihr unvermittelt auf das blanke Gleis so werden die zwei schweren Linksräder der Lok und 16 andere Rädchen, beschwert mit Kies, Zement oder

ihr Selbstrecht leise hinstürzt; dann noch Hartholz,

euch gnadenlos teilen. Ödstätten

7. Odstätte:

ihr Weites,

Unabgegrenztes,

sogar

dem

Wasser zu. Ihre Unebenheiten, ja, Spielbrett in einigen Höhen196

On the rocks

schichten. Räudige Plätze. Getrampelte Weglein, die mittendrin aufhören. (Hier ist ein Wegbahner vor Erschöpfung gestorben, oder ein Pärchen hat hier den Rubikon zwischen sich überquert.) Schuttburg mit Grasbewuchs. Massengrab abgezwickter Kabelmäntel. Hügel aus Erde zusammengebacken, daran angebackene Steine, dürre Stengel einverfault, neues Wuchswerk

darüber, wirre Schutzsten-

gelei. Stellen, die Gerümpel anziehen. Lagerfeuer, Hymenschlachthaus Viertelwüchsiger. Rundgewaschene Mineralogie mitten im Landstaub:

Stromkuckuckseier;

so merken Odstättenkinder

nicht,

wenn sie sich plötzlich schwimmend oder diebskahnfahrend wiederfinden. Odstätten 8. Man ist kein Botaniker, das rächt sich. Man glaubt,

man hat ein > Bestimmungsbuch in der Aktentasche und kann nun die Odstättenflora mühelos nach Farbe, Jahreszeit, Wassernähe und

Stempelform zernennen. Die grünen Blätter, aussternend von weinroten sirupglänzenden Stengeln. Die silbrigen hohen Krautwälder. Etwas wie Kren. Die ineinander verfitzten Ästchen von Dürrbüschen. Büsche mit eingeölten, Büsche mit verzinkten Blättern. Gelbes: tropfenkleine Blüten, jede verameist. Bauschige Kräuter mit silbernen Bröseln daran. Elefantische, nashornige Arten. Borstiges Wildgetreide (kleine Schnecken haften an den Halmen). Gestrüpp mit Grashüpfern, Distelbusch mit bösgelber, schwarzpelziger Hummel. Man kniet in die Dornen, Spitzsteine, Insektenstacheln und zählt; rät, ob etwas eine Rispe oder Dolde ist; ob ein rausschießendes hartes Blättchen „dornartig‘ genannt werden kann, wo die Blüten

doch fünf statt vier Kronenblätter zu haben scheinen. Sind falsche Kornblumen wirklich die Wegwarte? Sind sie jedesmal das gleiche? (Einmal blaulila — plötzlich ist die ganze Wiese violett — Seltenheit von Violett in der Natur? — dann schlagartig jenes > leuchtende Blau, das eine Haarbreite vor Violett liegt —) Wie heißen die spreizigen > „Eutonignale“ der Kindheit richtig? Man möchte nicht

haltmachen,

wenn

man

Klette,

Hahnenfuß,

Löwenzahn,

Schafgarbe, Taubnessel erkannt hat — oder jene > Kamillen-Flur nahe dem Wasser —, jetzt aber kennt man schon die Farben nicht-

mehr: gelbes Papier? grünes Papier aufschlagen? Denn das gelbgrün Blühende nun sind nicht nur gelbe Blüten in grünem Grund, sondern gelbe in Gelbgrün, grüne in Grüngelb, viel senfgrün bis gelb blühendes Krautwerk in dichtem Geflecht, und im kalbshohen Un-

kraut grünblühende Schwaden im Übergang zu Senfgelb. On the rocks. Auch Chemiekaufmann J. hatte das Whiskytrinken on the rocks nicht in den Kinderwagen mitbekommen. Er trank von den Eisfelsen zum ersten Mal mit etwa 25 Jahren, als ihn ein

197

Orangeblonde älterer Kaufmann an einem Gebirgssee empfing, um über die Zweckmäßigkeit eines Lizenzankaufs schlüssig zu werden. Glauben Sie auch, endete das Gespräch, daß bei Monika Hopfen und Malz

verloren sind? Die Glasbar schmiß damals schon Teak rum. Raten Sie mir auch, es noch einmal mit Edda zu versuchen? Seien wir doch nicht blöd: sagen wir einander du, nach dem, was ich dir heut alles

gebeichtet hab; für zwei Jahre strenger verschärfter Besäufnis reichts; Cheers!, auf alle, die wir kriegen und nicht lieben.

Der Eisblockstapel im breitzylindrischen Glas, das stumpfe Schellen der weißgerauhten frostigen Würfelchen, das Steigen von almhoniggelbem rauchigem Atzmittel übern Eisstein hinweg, das Plattenspiel, die Ahnung von größeren als den gekannten Resignationen, das triste Röntgenogramm des Erfolgskaufmanndaseins, die unwirtliche Gebirgsseenähe im Abend — Programmsuite, die mitklingt, wenn der unproblematische Klirrgenuß an Sommertagen auf Terrassen herbeizitiert wird. Mit dem

Rausch miteßbarer Eispalast, noch im auglosen Rachen funktionierende Fenster. Das ist die abendgelbe Modifikation von „On the rocks“. Und jetzt denken wir uns eine morgenweiße, vorvormittaghim-

melblaue Modifikation des Eiszvlinderklirrgenusses aus, mit viel Überraschung vor uns und mit Bitternis nur so viel, als in einem euten Frühzeit-Frfrischungstrunk enthalten sein muß. Orangeblonde. Ein erfreuter Stelldicheinling küßt vorsichtig in das gefärbte Haar seines Mädchens, das trockene, oranzenduftaual-

mende: nein, es ist kein Traum oder Beleuchtungseffekt; er kann drin wühlen, sie ist jetzt wirklich orangeblond. Orangehafter-Brand-Paradoxon. Es zählt zu den schwerlöslichen Weltwidersprüchen,

daß Orange den Sündenbock

für die Feuer-

fürchtieen abgeben muß, während sich Gelb als Inbegriff heiterer Sonnenwärme gefallen darf, Weiß als Quintessenz kühlender Kleidung und Bläulichweiß gar als Eisbringer der Gletscher und kristalldurchsichtigen Winterhimmel, wo doch die Glut von einer zur andern Stufe mörderischer wird, um im Bläulich die Weltzerknall-

Temperatur zu erreichen. Ortsbestimmung. Weil ich nicht blasiert sondern begeistert (> Begeisterung),

nicht

„innersprachlich“

sondern

„gegenständlich“

(> Realismus), nicht zitatbetont sondern erlebnisbetont (> Freiheit, die ich meine) schreibe, weil mich Landschaften (!) und Zweierbeziehungen (!) emovieren, Zweierbeziehungen sogar übern elementaren > Sex hinaus, habe ich mich in eine Harakiri-Position 198

Paddelclub-Haus

begeben. Achgott, die Avantgarde will mich nicht, und achgott, in der konservativen Dichtung hab ich schon gar nichts verloren. Aber ätsch, das eine hab ich: einen 40er Roman, der die Lyrik

des 20ers ins Extremgewicht treibt, mitsamt der Augenblicksschnapperei, der wehleidig-nüchtern sich lebenden Unzufriedenheit, dem geländegängigen Mundwerk, der Kommunikationsgläubigkeit quia absurdum. Der Augenblick ist flüchtiger, die Unzufriedenheit seßhafter, das Mundwerk unflätiger, das quia absurdum dicker geworden — dennoch: so eine Harakiri-Position ist nicht der bedienteste Ort. Paddelclub-Haus. Hier hat man die Verladewelt überstanden, hier herrscht die Illusion, daß es keine Kohlenstaublungen, verrosteten Arme, verbleiten Augen, keine Hundsmüdabschiede vom Tag, der

einem frühmorgens wie ein ewiger Morgen vorkam, keine im Rechnen, Messen und Schreien abgesoffenen Ingenieure und keine zerschlissenen erkahlten Materialbeamten mit Rollmeter, Schublehren

und Kubiktafeln im sperrhölzernen Brustkasten gibt. Hier wird man nicht geschweißt, wenn man ein Loch im Gerüst hat, hier wird

man nicht mit einem Fußtritt auf die Zentimalwaage geschoben und mit gelbem Lack numeriert. Hier wird man nicht ausgebohrt, damit

die Werktage die Kette durch einen ziehen können, deren Enden sie nun plattschmieden und in die Betonrampe einbetonieren. Hier herrscht aber auch nicht die > Leere, das Herb-, Keusch-

und Ewig-Spiel der Hügel, der harz- und blattmoderriechenden Baumgruppen, die Programmusik der unverrückbaren menschenvergessenden Landschaft mit einem Reh pro Quadratmeile und einem blechernen Trinkbecher hie und da an einem Schnappsack und mit den Auen, den traurigen grauen entlanglaufenden Auen, die dem Schiff allzeit folgen. Hier beginnt ein Dorf potemkinscher Fröhlichkeit; Geschäftigkeit in Ruhe; alles Leben und Treiben läßt sich schließlich aus einigen hübschgestrichenen Brettern, Blumensamen (oder -zwiebeln) und einigen nett verteilten unwerktäglichen Menschen zusammensetzen; ein Kind hat vorerst auch nur das weiße Blatt (das es genausogut mit grauem Graphitgeschmier vollöden könnte) und den > Malkasten und den Optimismus, daß die Anwendung schnurgrad in eine liebe kleine Welt hineinführen wird. Dazu kommt die Freude am > Wasser, den appetitlichen kleinen Booten,

deren frisches Geschnitten-,

Verbunden-

und Bemaltsein

reizvoll erkennbar ist. Singen und Scheinarbeit der Plätschermenschen mit Haut- und Rekordsorgen und sonst auf tausend Jahr keinen, Dorf ohne Zweck und Hintergrund, ohne Nacht und Kirche und Straße.

199

Parfum

Und ein Radschlag unseres Schiffes, und das Idyll ist abgehackt. Um 7.41 ist nichts auf der Welt als eine > Schleuse. Parfum 1. Annabelle, des Tags duftsparsam, badet zwar — dem Rat ihrer Zeitschrift folgend — abends sich, den Raum und den Freund in Parfum (es ist fast egal, wohin Pierre küßt: auf die Deckenkappe, das Rüschendekollet€ oder das Blausilberhaar; sie brennt ihm den Duft ein, daß ihn keine drei Bäder morgen vor dem Neid seiner Freunde retten), aber sie kann ihren Duft trotz Firmenmarke und Gebrauchsanweisung nicht einordnen. Jede erdenkliche Farbe hat ihren Platz nach 1) Spektrum, 2) Reinheit, 3) Schwarz-Weiß-Achse, läßt sich also bestellen, beschreiben, vergleichen, einem Computer eingeben (003.026.252 wäre zB das Pastellgrüngelb eines bestimmten Erbsenpurees). In den Düften aber herrscht noch heute, da wir bald Mondboden-Rüche

und Venus-

schlamm-Stänke zu schnuppern kriegen werden, heil- und ratloses Durcheinander. Wohl gibt es einen Doppelkegel, auf dessen Mantel und in dessen Körper alle Düfte ihren Ort (nach: blumig, fruchtig, würzig, faulig, harzig etc) finden sollen, aber das glaubt und verwendet niemand. So heißt es in Parfumbeschreibungen weiter: romantisch, heiter, feminin, elegant, anspruchsvoll, ein Phantasie-

duft aus vergangener Zeit, apart, orientalisch, für Empfindsame, wie Harfenklang, sehr intim und verführerisch, für den glanz-

vollen Abend, anschmiegsam, wie der gleichnamige Drink, eigenartig, herausfordernd, etwas pikant, eigenwillig, auffallend und doch diskret, witzig, frech, lieblich, das Parfum für Wagemutige, weder süß noch herb, unverbindlich, Duft der sogenannten modernen Note, mächtig, verwirrend, leidenschaftlich, impulsiv, für

Winter und Pelz. Die Menschen haben sich wahrscheinlich für den Besitz ihrer Nase zu lange geniert, weil sie an den Hund

erinnert, und darum dem

Spektrum auch das an Neugier gegeben, was des Duftkegels ist. Nur abends hüllt Annabelle usf. Parfum 2. Dein Parfum erinnert mich an eine Studentin, auf die

ich einmal sehr gestanden bin, sagt der Kassenbote

zur jungen

Milchfrau, auf die er sehr steht. Aber geh! Auch da? forscht die Milchfrau und läßt den Kassenboten an ihrem Dirndldekollete, das

sie ihm möglichst weit entgegenhält, riechen. Hier schon ganz anders, sagt der Kassenbote. Gelt ja! sagt die Milchfrau erleichtert. Parfum 3. Brigitte ist über die Zeitungsnachricht auf Seite 5, daß sich eine geruchseinheitliche Kosmetik nun auch in Österreich durchsetzen wird, so erfreut, daß sie ihren WELTCHRoNIRK lesenden Eltern das Wort abschneidet und die jüngsten Erdbebentoten an diesem Abend und in diesem Haus um ihr Täßchen Beweinung kommen. 200

Parfum Parfum 4. Warum kannst du nicht nach Hund riechen, Mausi, sagt Burschi, der manchmal Einfälle hat; warum riechst du immer nur

nach dir und nach Chypre? Wenn du Hunde beobachtest, was die für ein Vergnügen an Hundegeruch haben, ich glaube manchmal, da kommen wir in den schönsten Nächten nicht hin. Geh, sei nicht gleich beleidigt. Du weißt, ich sag ja auch immer, es ist tragisch, daß

“ Mensch den herrlichen knusprigen Hundekuchen nicht essen ann. Parfum 5. Beschreibungsversuch: Es steht jetzt vom Regal auf, zündet sich ein Stämmlein Schnittlauch an, überdreht sich bis zur

vierten Zacke, spreizt die Beine, aber schon kommt die Regentonne mit viel neuem

Wasser, chloriert sich übermütig, die Marseillaise

singend, wird mit einer Schere in zwei ungleiche Dreiecke geschnitten, die werfen sich sofort auf, riechen nahe der Innenkante nach Lockenwicler, verkleben sich mit Bier, ein Misthaufen brennt zusammen und seine Himbeere erstickt in Zahnpaste, die in junges

Kiefernharz einen schmierigvioletten Knoten bläst. Das Warenhaus bewegt sich dabei auf unschlittgefetteten Messingschienen von links oben raumschräg nach rechts Mitte und planscht durch einen seichten traurigen Kaffee. Parfum 6. Wenn Alphard Mutz in seiner dörflichen Herberge, seinem dörflichen Zimmer plötzlich das Parfum des neuen Mädchens roch, war es, wie wenn die Wolkendecke platzte und das Blaugelb von Sonne zu fungieren begann. ...Kam mehr Großstadt, mehr Katzensprung nach anderm Kontinent, mehr unheimliche Beweglichkeit flüssiger Luft in die Stube, als wenn im Hochleistungsempfänger Puerto Rico sich meldete und die dortige Moderatorin Alphard aus einem Meter Nähe zu spritziger Unterhaltung über die neuesten Sounds herausforderte. Und wirklich konnte bald nach dem Auftauchen dieses neuen Dufts Alphard Mutz das Wartezimmer Dorf verlassen. Parfum 7. Liebe FRAU-UND-FREUDE-Leserin! Auch hinter Ihnen soll man Ihr Parfum noch ahnen. Wir zeigen Ihnen diese betörenden Stellen. Der Duft, der eine Dame begleitet, gehört auch zu Ihnen. Von der Haut geht der Wohlgeruch auf den Rocksaum über, der ihn mit Schwung um Sie herumträgt. Rothaarige Frauen dürfen pikante Düfte tragen. Mit den Fingerspitzen fühlen Sie genau, wo das Blut pocht; dunkle Typen herausfordernd. Hinter jedes Ohr, das ist nicht überholt. Eine Ahnung in die Kniekehle — das ist duftende Vollendung. Parfum 8. Man belebe seine Geruchsphantasie durch Aufquellenlassen einer Masse aus überreifem Käse, Naphthalin und Veilchenparfum. 201

Perspektiven Perspektiven 1. (Hier schreibe man besonders wohlgefällige Textstellen aus Aufklärungsbüchern, Partnerzeitschriften oder auch dem Gedächtnis ein:)

202

Perspektiven Perspektiven 2. Barbara liegt, die Beine hochgezogen, auf einem sommerlichen Bett, in durchsichtiger Sommerluft, unbesonnte Stel-

len mit Bräunungslotion fleckig nachgefärbt; die Szenerie hat etwas von dem gläsernen Sarg aus dem Märchen. Barbara hat die fleischigen Arme an sich gepreßt, wird sie aber sogleich J. um den Nacken schlingen. Sie hält den Kopf 80% zur Seite gewendet, J. entgegen, der im Sommerpyjama an die Sache rangeht; ich hab ihr richtig den Kopf verdreht, denkt J. Barbara lacht satt und doch hungrig aus den kernigen Wangen hervor, ihre fettgewachsenen und fettgeschminkten Lippen sind geöffnet und guten weißen Zähnen vorgelagert. Die Augenlider triefen von schwarzem glänzendem Fett, indisch, der Blick ist sieghaft wie der einer dicken, noch enthusiastischen Dirne oder auch einer Flitterwöchnerin, die sich reich und potent verheiratet hat, und muß sich, genau wie das

Lachen, erst durch das Kernfett der Wangen durchschieben. Barbara ist frisch gewaschen und bergambottiert, nur ihr Klarsichthemdchen, babykurz, babyblau, riecht in Achselnähe nach Erwartung.

An den schönen Ohrläppchen hat Barbara unmöglich stechende’ rotmetallene Gehänge. J. selbst trägt einen whiskyfarbenen Siegelring mit dem verfänglichen Zeichen der Retorte. Perspektiven 3. J. spricht auf Barbara ein, die neuerdings durch das Treffen einer leidigen Freundin den Schlankheitsfimmel hat. Für Barbara ist „Man kann doch nicht“ ein bindendes Diktat. Barbara lebt in diesen Tagen nur von Tee, Zwieback, sauren Äpfeln

und verschiedenfarbigem

Yoghurt.

„Daß

du Yoghurt ißt, muß

mich naturgemäß freuen“, lügt er, „denn das gibt mir die Gewiß-

heit, daß ich dich noch hundert Jahre habe; aber quäl dich im übrigen nicht so ab, iß wieder, was dir Spaß macht, du wirst ja wieder bei viel besserer Laune sein.“ „Schrecklich ist das Fasten“, bestätigt Barbara. „Sei doch nicht so dumm“, sagt J., „für wen

brauchst du das? Mir gefällst du so, wie du bist.“ Er denkt an das Profil ihres Bauches, zB in lindgrünem noppigem Kleid. Er liebt dieses Profil, das das Unwahrscheinliche des Umfangs in das augenfälligere Unwahrscheinlich von Breite umsetzt. Wenn sie so, Profil gegen Profil, neben einer Durchschnittsfrau steht, nimmt es ihm erst so richtig den Atem. Er liebt das Radikale,

Definitive solcher > Deformation. Die unförmig Dicke ist magisch wie ein Tätowierter, der in der üblichen Gesellschaft nicht mehr zu gebrauchen ist, aber seiner Geliebten ein Fest der Körperaufschlie-

Rung bietet. J. möchte Barbaras Unförmigkeit hegen, ja, züchten: seine eigene Lustbarkeit vorbereiten, wie die Rudrabhatta-Inder,

die die Ge-

liebtenbrüste selbst zu bemalen pflegten. Er fühlt sich als Pop-Bild203

Perspektiven hauer, der mit Mehlspeisen Geliebtenfleisch hochmodelliert. „Weißt du, was?“, sagt er; „ich bring dir heut abend drei echte dicke Topfenkolatschen mit, die mußt du auf einen Sitz aufessen.“ „Unmensch!“, schreit Barbara. J. will sie packen und küssen, aber Barbara muß schon wieder auf die Toilette.

Perspektiven 4. Weil J. Barbara nicht immer behalten wird, nützt er die vorhandene Zeit zum Experimentieren aus. Ich muß doch draufkommen,

sagt er, was dicken Geliebten am besten paßt. Bei

Chwala in der City lümmelt er am Pult, einer bambiäugigen, twiggieschlanken Verkäuferin gegenüber; er ist im Einkaufen von hübscher Wäsche nicht grad ein Neuling, aber einem Kostspieligen, das ihn mit den Blicken durchlöchert, Barbaras angeberische Maße

zu nennen und in diesen Maßen noch Dinge aus Azurblau mit riesigen roten Mohnblumen zu verlangen, ist enervant wie für einen Zwölfiährigen das Wählen von Pfeifentabak bei einer grimmigen

alten Gemischtwarenhändlerin. Das ordinäre Lächeln der Puppe zur Mitpupne, als J. den Laden verläßt, ist selbstverständlich, aber man müßte ja nicht alles Selbstverständliche auch tun, denkt ]. Umso stolzer schwenkt er draußen die Traetasche, und schon heute abend wird er jede der großen roten Mohnblumen pflücken. Perspektiven 5. ..Sollen wir nicht ein wenig Luft reinlassen?“, fragt I. und manipuliert schon das Ausstellfenster. Immer, wenn seine Riesenvortion Freude mitfährt, ist die Luft voll Bergamottöl und Hitziekeit. In Kurven klatscht der Brocken oft vollsewichtie an ihn. und öfters behindert sie ihn mit umhalsendem Bloßarm. Dann und wann macht ein ungezogener Autoneuling — Kreuzunssnachbar — Bemerkungen. sorar von Zentralviehmarkt und dersrleichen. Barbara lacht nur, kehlie, und wenn TJ. eine kultivierte Beleidigung zurückruft. stemnelt sie ihm einen dicken roten Kuß auf die > Exnorteur-Wanee. T. gefällt es, diesen Sommer im Schatten des liebeslustigen Naturdenkmals zu verliegen, auch Barbara gefällt solches Tun: sie ist ihrem Chemieschatz, wie sie ihn altväterlich nennt, derzeit sogar treu, und eine längerfristize Trewe scheint sich — aus lauter Verenüren über einen so gründlichen Würdiger ihrer Vorzüge und über einen so erfreulichen Plauderer mit ernstem Hinter-

erund



anzubahnen.

Sie trägt gern einen

aparten

türkischen

Oberarmreifen, den ]J. von seinem Smyrnaer Phosphatpartner erschachert hat; dort sind Barbaras Durchmesser nicht ungewöhnlich.

Perspektiven

6. In bräutlicher

Seligkeit



mit

übergehender

Stimme — fragt sie ihn, von welcher Seite er wolle.

Perspektiven 7. J. bereitet Barbaras Abbau vor. Er empfiehlt sie dem Forscherdrang eines ehrgeizigen Laborchefvertreters von Dvorak & Co, der über Menschen, die er konsumiert, ein ähnliches 204

Perspektiven Protokollheft führt wie über Ammoniumbasen, die er verarbeitet. Erotik der Schwergewichtsklasse dürfte ihm ein willkommenes No-

vum werden. Schon spitzt der Forscher seinen Extraharten und rastriert sein Heft. 21.9, Barbara nach Konferenz mit ihr und J. in Ordnung übernommen. Erste Beobachtung: Die unexakte Stelle zwischen Rock und Bluse, wo die Unterwäsche hervorlugt, bei dicken Frauen

besonders

ansehnlich;

Barbaras

nervöses

Ziehen

dort. 21.—29. 9. Die Standardversuche an Barbara und mir. Besonders gut reagiere ich auf ihren Bettbikini mit großen roten Mohnblumen (Wellenlänge maßgeblich?), den noch J. ihr gekauft hat. Gegen Ende der Serie an mir, nicht jedoch an Barbara Inkontinenzerscheinungen. Versuchspause. Ich kann Barbara im Moment nicht sehen. (Nachtrag: Dies bedeutet nicht Augenschwäche, sondern eine Unwillensäußerung.) An Dicken fällt das Kleinbleiben des Kopfes, manchmal auch der Brüste, auf. Die Intimteile bleiben It. Fachliteratur unverändert, wirken also relativ klein. Barbara ist hin-

gegen in jeder Hinsicht kolossal. Besondere Versuche an Barbara und mir. (L.P., S.121 ff., $.201.) Aus einem Satz erkannte ich: Barbara ist ein Mensch (homo sapiens). Merkwürdiger Gedanke, daß sie über mich ebenso ein Protokollheft führen könnte. Sie beruhigte mich, sie sei nicht gescheit. — Das stets Laszive von schulterfreien Kleidern: zwischen hellerem Brustansatz und dunklerem Arm die dickliche Nische — bei dicken Frauen vom Wuchs Barbaras geradezu primärsignalhafte Nacktheit. Wenn ich ihre breiten Kostümhüften umspanne, ist es für mich ein lusteffektives Längenmaß, für die verständnislose Besitzerin des Körperteiles ist das Umspannte einfach die Einheit „Gesäß“.

(Nachtrag 6. 10.: Fehlbeobachtung. Auch B. zeigte Vergnügen.)

Dicke Menschen haben ganze Körperteile zusätzlich: etwa die Magen-, die Rückenwurst etc. — Idee zur exakten Erfassung: Das Dreieck, das von Kopf und den beiden Hüften der Sitzenden gebildet wird, als Maß der weib-

lichen Dicke. 205

Pfahlhäuser

7.10. 8.10.

Der Reiz prallen Eingenähtseins: die geballte Ladung festen Fleisches. Dynamisierung des Statischen. E = m 2. Vorgestern bis heute drei Routineversuche zur Feststellung der Erregungs-Per- und -Transpiration. Ausgedehntes Vorspiel a) im Kostüm, b) im Kleid. Barbaras wienerisch gefärbter Terminus, sie müsse ihr Kleid morgen auswaschen (recte: waschen), traf das Richtige; die Wienerinnen finden anscheinend, daß Kleidung und Wäsche nicht

flächenhaft schweißverschmutzt, dimensionale

9.10.

sondern

Behälter für Schweiß

geradezu drei-

sind, die man

dann

und wann ausleert und ausspült. Mischte im Anschluß an die letzte Versuchsserie eine Reihe von Terpen-Duftstoffen mit Barbaras natürlichen Capryl-, Capron- und Caprinsäurederivaten. Verspreche mir von der Variation mit blumig-fruchtigen Duftstoffen stärker emotionalisierende Wirkung.

10.10.

Barbara sagte, ich sollte sie doch einmal kneifen oder ver-

11.10.

prügeln. Sie macht sich aber offenbar nur über mein methodisches Vorgehen lustig. Die Verspottung der Fettleibigkeit ist meiner Hypothese nach ein Schutzwall gegen die übermächtige Flut von Erotik, die von dicken Frauen ausgeht. Ich bin J. für die Anregung,

12.10. 13.10.

Versuche

mit Barbara

und

mir anzustellen,

dankbar. Barbara erwartet sich von einem Mann Aggressionen. Damit sie Ruhe gebe, betupfte ich sie mit einem Tropfen Kalilauge, neutralisierte sie aber recht bald mit Essigsäure. Barbara ist bereit, auf meine Aggressionen zu verzichten. Sie gesteht, seit sie mit mir experimentiert, keine „Pille“ mehr zu nehmen, denn ich sei der erste Mann, mit dem sie

sich ein Kind wünsche. — Verlagerung meiner Wißbegierde auf mein eigenes Verhalten. Gott mit euch, denkt J. abschließend.

Pfahlhäuser 1. Ja, ihre Sonntagsfarben: unwahrscheinliches Blau, Ocker, ausnahmsweise auch Schwarzwälderteer, dann ein neuhölzernes Hüttchen, dünn orange gestrichen, Zaun dazu pastellgrün, und schon eine rote Dachterrasse, gittertreppig betretbar, gelbe Galerien rund um das Wohngeschoß, viel Verglasung, und alle Flächenflecken zwischen den Häusern vollgestellt mit Bäumen, vollgeschüttet mit Blumen. Kaufe Blautanne als Hausschmuc, springe bestens über Taxushecken, spiele erstklassig Jazzgitarre zu Zypresse. Oder so: unter den Hütten ist ein Teppich aus leisem Boden, gelbgrün, über den Hütten ein Teppich aus dichtschließenden Blätter-

206

Pfahlhäuser

ästen, gelbgrün, alles junge und jungalte Leben geteppicht und sonnenkleidig und flächig in der Waagrechten, trotz den Pfahlhüben, unter denen man schattenbaden oder autowaschen oder weitere himmelblaukleidige Kinder machen kann. Hinter einer Tür aus wehenden verschiedenfarbigen Bändern und einem Vorraum mit Luft aus Fähnchengirlanden die Lichtschreie von Fischschwärmen aus röhrengesteuerten Druckaquarien in sommerlichem Wintergarten. Bauernstuben wickeln Großväterkram, in die Wand gesägte Gilbphotos und angenagelte Porzellanpfeifen, in Altweibersommer aus Transistormusik. Oder das Hüttchen ist nur 1 Zimmer auf Pfählen. Aber es hat seinen eigenen > wildenten-wabbelnden Anlegeplatz. Zwischen Bäumchen und Riesenbäumen wildenteln vergraste Steintreppchen direkt an das Eierstein-Ufer am nassen Wasser, fördern dich, wenn

du Pech hast, in ein Verandaboot aus häßlich zitrongelbem Glas. Pfahlhäuser 2. > Wildenten 6. Pfahlhäuser 3. Viel Holz, dunkelbraun, bituminiert. Sitz eines Paddelclubs. Das Abzeichen aus Stoff-Fleck, das Abzeichen aus

Email, das Abzeichen aus Laubsägeholz, im Entstehen begriffen das Abzeichen aus Rosen beim Swimmingpool mit den Steinsitzen. Auf Regalen die Boote; wo ist das Kolophonium für diese Geigen,

fragt ein Zerstreuter. Das Bitumen schweigt, kratzt, wo die Sonne hinschwelt, in Nasen. Im Schatten riechts nach Reinholz und Fischwasser. Uniformleibchen mit andersfarbigen Einfassungen dauerlaufsimpeln um den dicken weißbestrickten Bootsmeister mit angekabeltem kleinem Dackel. Pfahlhäuser 4. > Pfahlhäuser 3, aber feminin betont. Bootsmeister unsichtbar. Swimmingpool und Rosengarten mit Sitzen stärker her-

ausgeleuchtet. Vor und hinter Buntdrahtgittern sportliche totbraune Ladies, hart, unsexy, gewähltsprechend.

Pfahlhäuser 5. > Pfahlhäuser 3 und 4 verlieren die Strenge ihrer Geschlechtertrennung in einem Schwenk auf das Wasser: groß im Bild ein Zweierpaddler:

sie ruhend, er rudernd; dann reitet das

Boot: Wellen gefärbtklaren nassen Wassers. Pfahlhäuser 6. Durchbrechung des Potemkinismus: einer der funktionslosen Wege hat plötzlich die Funktion, zu einem Gemischtwarenhändler zu führen. Der Laden ist nicht nur durch Außentreppe und Innenkalender malerisch, nicht nur wie jeder plötzlich auftauchende Ort, an dem mit Menschen etwas geschieht, packend

oder rührend, nicht nur kühl und in bestimmten Winkelgrößen eingeplant, sondern auch echt; man kann etwa Bier haben. (Wenn das Schiffsmittagessen nahe ist, der Durst also schon groß, verweile

man ruhig etwas bei > Bier. Andernfalls lasse man den Blick zu 207

Pfahlhäuser

einer sprudeldynamischen Flüßchenmündung hin ausschweifen.) Pfahlhäuser 7. Die Bewohner der buntgemalten Häuser haben es leicht, wenn sie Sprudeldynamisches sehen wollen. Sie brauchen hierzu nicht das Werbefernsehen abzuwarten, sondern nur zu einer

ganz nahen Flüßchenmündung Hund

zu rennen, sich, ihr Baby, ihren

hineinzuwerfen oder auch zuzuschauen, wie es allein oder

mit ein bißchen Eisenzeug sprudelt. Es gibt dort viel feinverteilte Luft, und hydrodynamische Konstanten und Variable wirbeln leicht fangbar im Nimbus

über dem Wasser.

Kein Wunder,

daß alle,

besonders die lichtblauen Physikerinnen, wie Mücken übermütig werden. Unschätzbarer Vorteil der Pfahlhäuser. Pfahlhäuser 8. In diesem Pfahlhäuschen sind jetzt gerade junge Menschen

drin; sie schwimmen

also nicht, sondern tapezieren ein

Zimmerchen mit Mickimaus, Mecki und den Rolling Stones. Sie werden einander hier und heute vernaschen, bei einem gewerkschaftlich empfohlenen Batterieplattenspieler und schwachgekühltem picksüßem Fruchtentfrischungsgetränk, in voller Kleidung und Aufmachung, um 18 Uhr, bei leichtem aufkommendem Südwind. Sie haben es leicht, sich zu küssen, denn sie schmecken nach dem gleichen

preiswerten Schokoriegel. Ihm gefällt ihr orange Superminikleid und der dazu passende Girl-Lippenstift, ihr gefällt seine stoßsichere goldfarbene Armbanduhr, er ist damit sehr pünktlich; ihnen gefällt das Sich-Lieben bei Wasserwind, ein wenig Mücken, aber plötzlich dreht ihre Sehnsucht magenzerknetend in jenes Stadthotel, wo alles viel schwieriger war. Pfahlhäuser 9. Hier zwischen den rot, blau, gelben Häuschen, in-

mitten Transistoren und hingegrätschten Speckfrauen, pinseltriefenden Dispersionslackfetischisten und buntparfumierten perpetuis mobilibus des Eislutscherverbrauchs beginnt schon das Wasservergnügen, hinter Guckbüschen teilgetarnt, abgesondert vom Fluß, auf kleinen befahrbaren Pfützen. Auf Bug- und Heckkisten sitzend, rohen Plankenboden anschauen, Segel reffen und vom eingefangenen Wind gegen das Wasser gekippt werden, als Wildbub in einem der kleinen Emailkanus schnellen, als weißlich-sehniger Altherr in blauem Leibchen und weißen Shorts auf Anlegeplanken treten, hohles Holzgeräusch machen, schwanken, an den Füßen getauft werden,

Bootsfestigkeit gründlich prüfen, als braunverbrannter kahler Mann mit Grinsekinn lange strohgelbe Ruder in blauen Gabeldollen hebeln lassen, damit Mückenwasser um das weiße schi-schmale Boot gurgle, den Blick auf uns Fluß-Plebejer draußen, auf die abgestell-

ten blauverplachten Weißboote am Flußeingang, auf die grasenden Autos mit Booten als Kopflast: lafettierten V-Raketen, lafettierten gelbgelben Bananen; Fischkühle und Entensonne reiten. 208

Pferde

Pfahlhäuser 10. Gleich einige bunte und besonnte Clubs formieren sich auskreisend an einer leeren Stelle und bilden plötzlich einen Platz. Alles ist niedrig und eng beisammen, also in allen Dimensionen auch Kindern erreichbar, von Kindern durchtollbare, Kinder

einhüllende Welt. Sie sind in der Kleinstadt der Kindheit, sehen im sonnenfarbenen, aber bunten Licht das weiße Emailschild des Notars, ganz groß NOTAR und die Dienststunden, lernen, was Hecken

sind, und haben nach einigen Gängen durch vegetabile Mäander, immer noch auf dem Platz, auf dem unverlierbaren Platz, einen Spritzschlauch der örtlichen Feuerwehr in der Hand; es wetterleuchtet ihnen, was es heißt, einem ländlichen Verein anzugehören; sie

lesen als 15jährige plötzlich eine Humoreske vom Eingegrabenwerden, erkennen die Friedhofswege und -hecken in einem lustigen Film wieder, sind die einzigen, die jahrelang über diesen Film traurig sind, trotz dem nahenden mädchenförmigen Mädchen, und

stecken plötzlich fünfjährig im Auto des Vaters, der bei dem Notar eine Erbschaftsangelegenheit zu besorgen hatte. Das Auto hupt mit der großen Gummihupe und springt, Kind bei Vater, aus dem handlichen kinderzimmergroßen Umkreis, dem Kleinststadtplatz, davon. Pferde 1. Ein Pferd kaut die Kandare, ein Pferd kann nichts für die

Symbolik

seiner Liebhaber.

(Reiten, Jagdhorn, >

Hunde-Stall,

Kamin, Butler, Leder, Lohn, Strafe, Herrin, rauchig, düster, unver-

rückbar.) Mußme Hinterteil vurn haben, da fälltme nach vurn. Die ham ooch Reitferde, da könn wa ooch hinjehn. Das Vieh bewegt sich nicht vom Fleck. Ich war froh, daß ich oben war. Dabei is a Leberkas vom Gigerer vü-vü besser als wira gwehnlicher Leberkas. Pferde 2. Weiß und grün wie Gorgonzola fand man mein Gesicht, das Pferdchen war ohnehin ein Lamm, aber sein natürlicher Wellengang suggerierte meinem vegetativen Nervensystem, daß ich jetzt und jetzt in den viechelnden Sand geschleudert würde. Ich zählte die Runden (sah ihre Zahl wie auf einem großen automatischen Umsteckkalender), mein verlorener Ruhm

vor dem Gafferkreis dieser

öffentlichen Hinrichtung war mir egal, nur glimpflich runter auf die pampligen Kinderfüße und nie wieder rauf. Ich hielt den ungeschworenen Schwur mannhaft und werde mich wohl auch nie zur Kavallerie melden. Pferde 3. Die vorgelagerten Pferde fressen die halbierten Zuckerwürfel so gern, daß man für die nachgelagerten Hunde nichts mehr als ein mageres Streicheln übrig hat. Die Reitställe stehen im Kreis,

die Stille geht wie ein besonders lästiger Motor, die Wege sind alle sehr weit, und wenn die Reitlehrerin nicht auf dem vorbesprochenen Platz wartet, kann man sie genausogut in die Steppe suchen gehen. Natürlich nimmt sich ein Trainer unser an, verspricht, Gruß und

209

Picknick

Bedauern zu bestellen, und zeigt uns sogar, wohin auf dem fellund mähnenkosmetischen Gebilde man klopfen und kraulen darf, ohne daß es einen zertrümmert. Auch er findet, daß Pferde sich in

surrealistischen Witzen ganz natürlich ausnehmen. Picknick. Encore Edibelbek, der Bub, wurde in eine Dunkelecke des

dunklen > Gasthauses gedrängt, durfte etwas Bierschaum schlürfen, nach zwei Jahrhunderten aber fuhr man weiter, durch dunkle Straßen in dunklen Wäldern; statt Sand und Erdstaub gab es an Hellem

nur Gelbrot von Roterde und Rotgelb von rotbrüchigen Baumstümpfen. Er war ungemein alt und hatte die Liebe zu Mädchen viele Jahrhunderte zurückgelassen; sie lag irgendwo zwischen den Seiten der Andersenmärchen aus Pappengraublau und Leinenrot. Was ist mit Manja, fragte der Vater die Mutter. Durch diese Frage lichtete sich der Wald etwas, und als tatsächlich ein düsteres, graugrünes Hell eingetreten war, saßen sie alle auf bunten Decken im Laubwaldgras, von hohem Pflanzenwuchs umzackt. Die Mutter hatte nach dem schmolligen Butterbrot sogar Salzmandeln mit. Pläne. Die Pläne für das Holzklötzchenspiel umfassen, in all ihrer Weite und Vielfalt, folgende Freudewerttypen: 0) Bildwert 00) Abbildung erlebter Gegenden (zB des Tränkenhügels, dessen Hang bekanntlich in späteren Träumen viel zu groß, jeder Halm so groß wie das Kind, und jede Kuhbreit voll verlorenheitbringender Weite, gesehen wird, also in vorchronistische

Kindheitstiefen zurück weist) 01) Neubildung von Gegenden auf Grund von Wünschen („Ich möchte so einen Krötenteich wie in N. B., aber auf dem Hang eines buntbekuhten Vulkanchens“) 02) Neubildung von Gegenden mittels Improvisation (dem Materialzufall oder Augenblickseinfall überlassen; so entstand die berühmte Hasen-Einfärbungs-Halle der Gänse-Fitta in Nord-Stiglic) 1) Funktionswert 10) Abbildung erlebter Funktionswerte (zB des heimischen Wäscheschwemmens) 11) Neubildung von Funktionswerten auf Grund von Wünschen („Ich möchte zwischen der Mädchen- und der Bubenschule eine Ziegelei, damit Buben und Mädchen durch allerhand Unheim-

12)

liches zueinanderlaufen müssen“) Neubildung von Funktionswerten

mittels

Improvisation

(„Was kann dieser runde Klotz hier auf der Schafwiese be-

deuten? Ah!: ein Wasserbehälter mit lebenden Fischen für die 210

Plankengeruch Schafe.“

2) 20)

„Geh, Encore,

Schafe fressen doch keine Fische!“

„Meine schon, Mytilla.“) Episodenwert Abbildung erlebter Episoden („Das ist der Gendarm auf dem Motorrad, und das im Beiwagen ist sein Fräulein Nicolaides, und hier kommen sie an den Fluß, und da ist die Brücke, und

21)

plumps fliegen sie von der Brücke in den Fluß —“) Neubildung von Episoden auf Grund von Wünschen („Das ist unser Gärtner Jammrich, und jetzt mag er uns nicht mehr und kündigt, und hier kriegt er sein Lohnsackl, und jetzt geht er als Kuhmelker und hier ist die Kuh, und er fragt sie, darf ich dich melken, aber da gibt sie ihm — wumm! — einen

22)

Tritt mit den Hinterkeulen, und da ist schon das Rettungsauto, und das führt — tütü tütü — den armen Jammrich ins Spital, und da liegt er schon auf dem Operationstisch, und das da ist der Doktor, und das da ist das lange, lange Messer“) Neubildung von Episoden mittels Improvisation („Wieso liegt dieses kleine Mädchen im Eimer? Ah, das bist du, Mytilla, du

bist ausgerutscht und platsch in den großen Eimer gefallen.“ „Nein!!!, Encore; ich bin doch nicht so klein, daß ich im Eimer

Platz hab. Aber du hast in dem kleinen Hund Platz! Schau: wau! wau! und schon ist der kleine Bub ganz drin in dem großen kleinen Hund;

bäääh!, weint der kleine Encore im

Hundebauch, hörst du ihn? bäääh!“) Einige wenige Beispiele für beliebte landschaftbauliche Besonderheiten: Auslaufen des Städtchens in die Ebene. Unterbrechen des Städtchens durch einen Anger mit Tümpel und vielen Tieren. Leichte Abkrümmung eines Gäßchens. Übergang von Pflaster- zu Grasbüschelweg an der Peripherie des Städtchens. Ein durch das Städtchen sich windender Fluß mit > Kamille, > Mindel und zwei Brücklein. Wäscheschwemmerinnen aus rundem buntem Holz. Holzvorräte, kuppelförmig aufgeschichtet. Eine Feldbahn mit Funkenflug in Haferfelder. Verteilung des Städtchens auf einige Bodenwellen. Verschiedene Licht- und Schattenverhältnisse beim Drüberhalten oder Drüberführen der Taschenlampe. Verwinkelungen (> Motive für die Freude an Verwinkelungen), Aussehen des Städtchens nach Beschuß aus dem Stoppelrevolver. Plankengeruch. Zero Zobiak, der Bub, wurde in einem bunten Vier-

tel des Ferienorts vom

Naturgeschichtlehrer beim Schmutzigsein

betreten. Zobiak, grauer Schuft, sagte der Lehrer, du Musterschüler

heute so drecig?, pfui Teufel! Marsch ins Bad, und wenns dort überfüllt ist, wirf die anderen raus. Das ist Gesindel, die haben den

211

Plankton

heimlichen Mongolenfleck, die brauchen nicht rein sein. Aber du bist ein nordischer Mensch, Zobiak, halt mehr auf dich. Und halt dich

grad, das unterscheidet den Menschen vom Pithecanthropus erectus. Zobiak lief eingeschüchtert mit sehr gradem Rücken in die Richtung des Bades und brauchte niemand hinauszuwerfen, denn das Dampfbad war zugunsten des Schwimmbades leer. Zobiak löste eine Karte und rannte bald bloßfüßig über die guten glitschigen Planken, die stark nach Scheuerlauge rochen. Als er sich mit der Badewanne einschloß, kribbelte es ihn wie immer: Vorgefühl nackter Zweisamkeit. Die elektrische Birne im Folterkämmerchen veräppelte den Sonnenschein draußen. Plankton 1. Sammelst du Kaulquappen?, fragten die belehmten Schnaufschwimmer den Mitbuben J. Kaulquappen sind das wenigste, sagte J., aber schaut einmal, was dieser Teich für ein prächtiges Plankton hat. Den Schnaufschwimmern grauste, sie kratzten sich die lehmigen Schenkel, eingedenk der naturgeschichtlichen Wasserflöhe, Amöben, Wasserspinneneier etc. Aber ]J. stellte sein wassergefülltes Einsiedeglas noch am selben Abend auf sein Lernbrett, und das messing Erbmikroskop schaute messing und gläsern drein, ganz wissenschaftlich, es warf die Lichter der Lernlampe zurück. Und bald quabbelten Haxen und Blasen durchsichtigfarben in J.s pubertätsunterbläutes linkes Aug. Plankton 2. Das Plankton ist längst eine Olschicht geworden, von

Schiffen verloren, Fische ernten das Plankton und werden Olsardinen, Schiffe fangen sie und gewinnen ihr Ol, stellen sich auf Olantrieb um und verlieren Ol in das Plankton der Flußoberfläche. Plankton 3. Schaum wie von Spucke. Bio-Potpourri. Schiffs-Clobereichert. Goldwasser für den Sammler. Sogar verirrte Heuhüpfer gehören noch dazu. Laub, vorzeitig gelbes, wird darin vermaischt. Daphne, zärtliche Wasserflöhin! Vgl. C. Chun, Die pelagische Tierwelt, 1887; C. Apstein, Das Süßwasserplankton,

1896; Archiv f.

Hydrobiologie u. Planktonkunde, 1905 ff.; A. Steuer, Planktonkunde, 1910; Wesenberg-Lund, Grundzüge der Biologie u. Geographie des Süßwasserplanktons, 1910; H. Lohmann, Über das NannoPlankton, 1911; K. Lampert, Das Leben der Binnengewässer, 1924; ©. Meissner, Der Altweibersommer in Potsdam 1938, 1939. Platonische Hälften. Die Sache mit den zwei Hälften, die einander

suchen, dürfte wohl unwissenschaftlich sein. Je bewußter aber jemand lebt und je stärker er sich aus Aggression und dem Meinungskitsch heraushebt, desto mehr nähert sich seine Suche nach jemand ebenso Rühmlichem der märchendüstern Suche nach der „zweiten Hälfte“. Man multipliziere bloß Wahrscheinlichkeiten von 1% mehrmals miteinander. Die dritte Stufe ergibt schon 0°0001 %, also 212

Promenade

für den Mann knapp 1 Menschen unter der weiblichen Bevölkerung von Wien inklusive Babies, Greisinnen, Gattinnen, Unentbrannter

und Vogelscheuchen. Politik. Um Rätselraten zu sparen: Der Autor des Lexikonromans möchte eine Menschheit, die unter den Konditionen von LiBErT£

EGALIT£ FRATERNITE bestandfähig ist, zum Sozialismus nicht geprügelt zu werden brauchte, in ihm die Individualität und alle anderen Wert- und Lustfaktoren höchst entwickeln könnte, keine Repression mehr kennt und alle Intelligenz an Stabilisierung und Intensivierung des Lebens wendet. Der Autor des Lexikonromans ist also © politisch unzufrieden, Ss E) 5) ©

$ a . *

ungebildet, ungläubig, unentschlossen, unwirksam.

Pop-Roman? Die Verfasser von Pop-Romanen einerseits, ich anderseits haben sich unter Pop-Romanen etwas anderes als meine sentimentale Drudenreise vorgestellt. Pop-Gegner indessen werden vieles Verhaßte auch in meinem Roman finden. So sei ihnen denn, mehr in Dreiteufels als in Gottes Namen, erlaubt, mich — wie schon

einmal geschehen — unter die Popper einzureihen. Schelmen-, nouveau und Pop-Roman zusammen ergeben, zumindest von der Etikettierung her, It. Schillers Glocke einen guten Klang. Promenade

1. Sie mußten

die Stadt bald verlassen,

die Feinde

ließen nicht mehr viel Zeit. Außerdem war es schon Oktober, und die Saison der Flußpromenade war eigentlich vorbei. Caro Coenluir schaute durch das Verkleinerungsglas des Abschiedstages alles noch einmal an, hatte nie begriffen, wozu eine Promenade gut war. Promenade 2. Spazierwelt, Teerölluxus, hauslose Gasse, von Beruf waagrecht, von Beruf schön, von Beruf grün, mit bunter Bank- und

Blumenassistenz, für Menschen, die von Beruf Spaziergänger sind, Lauschende, Dichtende, Hustende, Liebende, von Beruf Gäste, von Beruf Atmende, Guckende, Lobende, Zahlende. Menschen, die ein-

ander zehnmal beim Auf- und Abgehen begegnen, brauchen sich ab dem zweiten Mal It. Chamrath nur mehr freundlich zuzunicken. Flirtende Hundebesitzer müssen die Leinen kurz halten, damit sie einander keine Köter machen. Die Promenade obliegt dem Verschönerungsverein, der oft ahnungslos und meist machtlos ist. Sein Gebäude liegt malerisch. Aber viel Freiheit, ausgiebiger Zeitvorrat, viel Verruchtheit in Grenzen, auch freie Sonnenbenützung, Wasserplätschern, Fischeln und Rasenmähgeruch,

bunte Lacke, an denen

213

Promenade

man kletzeln kann, ein Reservoir an Meisen und wippenden Bachstelzen und die Nähe der eigenschicksaligen echten Ortsgassen und der dösenden

Plätze, nicht zu vergessen

der Klempnereien

und

Wagnereien mit ihrem Geheinzel, machen die Promenade dem profunden Betrachter adäquat. Promenade 3. Aber Vater, sagte die Ausflüglerin (sie hatte keine Hals-Bucht, ihr Kinn ging brutal in den Brustansatz über), in violettem Kleid, Konkurrenz den Wegrandblüten, aber sie hieß Magda,

ihre Unterlippe hing lang hinunter, schau wie schön, ein andermal gehen wir den ganzen Sonntag nur da am Ufer spazieren, sie waren froh, daß sie den Besuch aus Deutschland abgeliefert hatten, wir

sind doch gemütlicher,

von

dem

mannigfachen

Bewuchs

dieser

Strecke hatten sie trotz scheinbaren Blicken dahin keine Ahnung, Grün war einfach Grün, Blatt war Blatt, oder Natur einfach Natur. Promenade 4. Grünknipsen, Wartenlassen, Begegnen, Fahrzeugver-

bannung,

Zeithaben,

Stimmendämpfung,

Gezwitschermonopol,

Wohin bei Gewitter?, Barfußfanatiker, Flußbrise, Pavilion, Erfrischungsbonbons, Milchtrinkhalle, Transistorflüstern, Nichtwieder-

begegnen, Hinken, Dann ins Gärtchen, Heut abend ein Hühnchen, Zeitungentfalten, Handtäschchendurchwühlen, Kinderklapsen, Schlangefinden, Verändertbegegnen, Einholen, Überholen, Einhaken, Gedämpftlachen, Entspannen, Gesichtbewahren, Nasenachpudern, Leisefurzen, Tiefatmen, Aufknöpfen, Grußkärtchen

auswählen, Zujungsein, Zualtsein, Gradrichtigaltsein, Sommerverbringen, Üben, Magenknurren, Verfehlen, Trotzen, Rauchen, Schönhaarigsein, Turnen, Frescohosentragen, Keine Unterwäsche tragen, Rehe vermuten, Torte versprechen, Parfummund küssen,

Kühltüchlein

zerfitzeln, Stein im Schuh, Vermessungspfropf

an-

stoßen, Ordnung loben, Fluß betrachten.

Quenta Quebec möchte nicht englisch oder französisch wie die kanadische Stadt, sondern deutsch (Kwenta Kwebek) und mit der Betonung auf den ersten Silben ausgesprochen werden. Sie dankt recht schön für Ihr Verständnis. Realismus. Warum

ich nicht das Maul halte in der heutigen Zeit,

der doch dichterisches Fangerlspiel mit der Wirklichkeit schißkojedno ist? Mit großer Eloquenz zeigt Oswald Wiener, daß man die Qualitäten eines Tisches nicht in Sprache transsubstantiieren kann; und: wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen (Wittgenstein, Tractatus, Satz 7).

Ich halte das Maul deshalb nicht, weil die Lochkarte des Eheinstituts ein armes Spiegelbild des Partners ist, aber dennoch so viel von ihm trägt, daß, wenn sie ausfungiert hat, ein echter Honig-

mond da ist. Kühler gesagt: wenn ich lese, es fiel ein gelbgrüner Nie214

Restaurant

derschlag, und der roch nach Quargeln, ist für mich das widerliche Ereignis eingetreten. Die zweite Frage, die sich anbietet (welchen Genuß das Essen vorgekäuter Wirklichkeit bringt), wollte ich manchmal hypothetisch beantworten. Heute beschränke ich mich auf: Dem Leser Okopenko bringt es Genuß; und da ein paar Dutzend Autoren für mich käuten, werden auch sie dieses Schmecken gekannt haben; also ist es unwahrscheinlich, daß ich heute der einzige bin, für den solches

Zweitgekäu in Betracht kommt; wenn es aber auch nur einen froh macht, ist der Stellenwert der zweiten Frage schon ermäßigt. Freilich: der Zeitfaktor; die Erfindung des Farbphotos läßt sich nicht überkäuen; Whitman und Hartlaub sind mit Butz und Stingel

erknipsbar geworden; und viel mehr Punkte sind auf so einer Ektachrome-Dichtung drauf; das kann mein Druden-Roman natürlich nicht widerlegen. Rechen. Motive für den Erwerb eines Rechens: Das Werkzeugneue. Mittel zum Ausfüllen des sonst leeren Kleingartensonntags (der ohne ordnende Arbeit wie ein unliniiertes Kraftfeld daliegt). Die Glätte des hellgelben Holzes. Dennoch das erregende eine Prozent der Möglichkeit, sich einen Span einzuziehen. Das Mörderische der Zacken. Andeutung des urig Pflughaften. Der Geräteschuppen füllt sich. Das Klirren auf Stein. Das Zutagefördern von Regenwürmern aus der frischfeuchten Erde. Das stolzmachende Schwielenkriegen. Motive für das Bewundern eines Rechens in der Hand eines > Standard-Mariand!s: Das museal Bäuerinnenhafte. Das outriert Gesunde. Fleischige. Arbeitsrote heiße trockene Hände, auf das Selbstverständliche eingespielt. Die kuhbraven drallen Schenkel mit der Hoffnung in der Mitte. Der rauhhalsige, nicht ohne Charme herausfordernde Recherinnen-Dialekt. Restaurant.

Nach getaner Arbeit ißt Gudrun. (Ambraser Apokryph, um 1195 n. Chr.) Wir wollen nicht vergessen, daß während all des Folgenden der Chemiekaufmann J. den Blick aufs Wasser und dessen Ufer behielt und die Welt der ungebrochenen Erscheinungen in das Übrige mit einströmte. Um das nachzuahmen, schlagen wir an einigen Stellen des folgenden Ablaufberichtes, ihn unterbrechend, Beispiele etwa je einer > Au, > Auflockerung, eines > Hügels, > Wasserereignisses nach. Ich war in einer fremden Stadt, auch mittag, auch mit Kuller-

magen und den Gerüchen aus den gasthofreichen Gassen, Plätzen, 215

Restaurant

Straßen, freilich dazwischen etwas wie Leimgeruch (einer Zuckerwarenfabrik) und Amylazetat (einer Karosseriespritzerei). Die Zuschauer- und Streuner-Internationale irgendwelcher Sommerspiele warf ihre Hüte, bunten Beine, Taschen zwischen uns Ein- und Halbeinheimische, gelegentlich mit dem gemeckerten „Excusez‘“ der

Schweizer und einem arg hergenommenen „Sorry“. Plötzlich drehte mich der Windmühlenflügel einer Drehtür in das wohlige Finster einer Freßstube mit dicken Eichenplatten, drangeklammerten rotweiß-karierten Tischtüchern, den Reklamen für siebzehn Biersorten

und (in mehreren Nischen) glühenden Schmorgeräten; ein im Prospekt, den jeder zur Erinnerung und Weiterempfehlung mitbekam, als „feenhaft beleuchtet‘ ausgewiesener Springbrunnen wusch den Tabakrauch in sich hinein, was der Luft einen etwas vakuumhaften

Charakter gab. Dann die Trinkfrage, die dicke Rolle einer Serviette und das Lederbuch mit dem Tiefstapelnamen „Speisenkarte“. Ich bin aber, dachte Chemiekaufmann J., auf die Donau geraten nicht, um mit der Lektüre eines beleibten Speisenbuches renommieren zu können, und so gefiel es ihm an dem wasserluftnahen Tisch beim Studium zweier Wahlmenus und beim Trinken des Einheits— Bieres gut. Ein Lautsprecher sprach laut. Ein schwerhöriges Pensionistenpaar freute sich. „Bei diesem Radio versteht man wenigstens was“, schrie sie. „Was hast du gesagt?“, schrie er zurück.

Ich wünsch mir einen Grizzlybär in einem Übersee-Kuvert,

bettelte die kleine Martina der Goldenen Schallplatte entgegen; ihr Romeo war platter; er sang: den kriegst du aber nur,

wenn du mich kü-ü-üßt. (> Küssen.)

Ich entschied mich für das Menu mit den Schnitzeln, wegen des Motorenöl-Vorspiels meiner Hungerzeit. Bis zum Eintreffen der > Suppe (die hübsch dicke und hübsch schwarz-rot-gemusterte -> Serviererin reizte mich raffiniert, brachte nämlich die knusprige Suppeneinlage schon im vorhinein) weidete ich mich an der fröhlichen Unordnung der aufgescheuchten und aufgemunterten Leute, die sich schon in Gedanken,

Worten

oder Werken

an einem

der

beiden Freßprogramme weideten. Kühle des Raumes, der Wasserkulisse, Hitzigkeit der Wärmezentren

auf Tellern, Hitzigkeit der

oft nur schlampig

Körper,

wiederbekleideten

Gedränge,

Musik,

Durcheinanderquatschen, Buntfarben der Gäste, Offiziellfarben des 216

Restaurant

Ortes, und da und dort kristallisierende Einzeleindrücke, nament-

lich wo es aus der Fülle weiblicher Erscheinungsformen herauszugreifen einlud (man schlage, auch später, > Restaurantmenschen nach). > Suppe, > Schnitzel (reichlich, in gutem Ol blond gebacken, mit fünffältigem Salat), > Bier, dann > Torte (zu einem doppelten > Espresso, darüber aber noch später) erfüllten allesamt mit maximalem Lusteffekt ihre Funktion. Zwischen dem letzten Schnitzelbissen (J. hob sich das knusprigste Zipfelchen für den Schluß auf) und dem Einlangen der espressoergänzten — Torte streckte ich mich — das Radio spielte: Ein Cowboy wollte naschen, am Da die Da

himmelblauen Meer. griff er in die Taschen — Taschen waren leer. griff er zur Pistole:

wenn ich mir jetzt was hole, so schmeckt es mir noch mehr, so schmeckt es mir noch mehr

— kurzerhand: alles war in Ordnung, und zur Tür herein kamen > 100 kg attraktive Frau. Die Frau parfumierte (mit frischem Bergamottölgeruch) einen Umkreis, in dem auch an mich noch gedacht war (die Welt vergißt mich nicht!), nur ein Eßplatz trennte mich von ihr. So schmeckt es mir noch mehr,

am himmelblauen Meer. Ich biß in die Stellvertretende, die dicke Sahneschicht der dicken > Torte, und ließ die viele fette Innencreme lasziv in meinem

Mund zerschmelzen. Fette und fettbildende Dinge, die ich aus Kindheitsekeln und als sportlicher Mann nicht aß, auch auf Speisekarten nicht duldete, formten sich jetzt zu ungeahntem Reiz um: hängende, schwabbernde

Specke

an

Schweinernem,

nur-gekocht,

fad, beim

Einbeißen eberndes flüssiges Schmalz in den Mund tropfend; Knödel, unbewältigbar, kanonenkugelgroß, und gleich eine Schüssel voll, in stockend fetter Sauce; ganze Töpfe voll cremiger Nährspeisen wie für Venusflüge (Kakao, Honig, Puddddding, Dotter, nen und Triefgrammeln; all ihr dummen Mastschweine, Kernfettochsen, Milchfettkühe, Fetthammeln, Fettgänse, Fettenten, Fett-

karpfen, Trandorsche, all ihr langweiligen Schmere und Stelzen, 217

Restaurant

> verwandelt euch in kostbare Zentimeter und Pfunde Frauenfleisch, Liebkosungsfett, nässende Nischen, schmiegsame Wülste; schaukelnde Brustkürbisse, knetende > Gesäße, massiv kosende Armschinken, Monumentalbeine, Schulterpakete, küßbare Kugel-

wangen und Speckhälse, Wulstlippen, heiße Anpreßbäuche voll rumpelnder Eingeweide, schwerfällige Waden, polstrige Babyfüße; Wärme,

Sanftmut,

Trägheit,

Einbettung,

paschah-zermalmendes

Tonnenglück. So schmeckt es mir noch mehr

endete der Cowboy, dann bekam er die Pointe — einen Schuß, der ihm nur noch einen Stöhnlaut erlaubte. Die Korpulenz des Begleiters meiner Odaliske stieß mich — im Gegensatz zu ihrer eigenen — ab. Ich nippte vom Kaffee, holte mir, an der jetzt Schlemmenden

sattgedacht, den Lesezirkelrahmen mit

der vorwöchigen FRAU UND FREUDE. Statt in die lose Filterpackung ich wollte jetzt > Exporteur sein griff ich ins Gold-Etui, zündete mit dem Goldfeuerzeug Erinnerung an die Tagung in Milano und blies weltmüde Rauch. > FRAU UND FREUDE (mehrere Textstellen). „Will der Herr vielleicht“, fragte die hübsch dicke > Serviererin, weil sie etwas weniger Rummel jetzt hatte, „ein Herrenjournal?“ „Lesen Sie mir das an den Augen ab?“ (J. ließ wirkbewußt sein

Strichbärtchen spielen). „Gott bewahre“, sie lachte in jener Art der Dicken, bei der alles Schlumprige im Körper mithüpft, „aber ich sehe, Sie haben FRAU UND FREUDE...“ „Das Schönste, das ein

Mann (Ihren schnitt etwas

haben kann.“ „Das sagt auch nur der Idealist in Ihnen.“ letzten Würstelfinger — der vorletzte war zu geschwollen — ein dicker unverbrüchlicher Treuering entzwei.) J. nahm das altbackene amerikanische Herrenjournal (Hundekuchen für

die Kettenrüden der Frauenvereine), polierend, Gesellschaftsberichte

überflog, sein Amerikanisch

(„Nach Mitternacht stülpte Lyddie Rockefeller die Goldschablone über ihre Zähne und biß den verbliebenen Herren ein Autogramm in den Rücken... In den Bärten von Mr. Eede und seinen ‚Senatoren‘ blitzten, vornehm versteckt, eine Anzahl eingeknüpfter Brillanten von nicht unerheblichem Karat und Feuer... Ina ‚Fats‘ Mellington, im Nightclub Of The Seven zuletzt Chef-

serviererin, wurde nach dem tragischen Segelflugunfall ihrer Vorgängerin die vierte Frau des siebenundachtzigjährigen ChemieAlvaro — schau, schau, dachte Chemie-]. —

...“)

und saß dann in der Mitte des Hirsebergs (> Herrenjournal, ausgiebig.) 218

schöner

Frauen.

Restaurant

„So einen Bruder lob ich mir“, sagten kehlig die -> 100 kg attraktive Frau vom Nebentisch; „sorgt rührend für seinen sitzengebliebenen Brocken von Schwester.“ Schau, schau, dachte Chemie-]J., mit Heine:

... und zur Hälfte nur genutzet ist dein trautes Schlafgemach. (Ein Verspaar, das wegen seines Okonomisierens den Kaufmann in J- immer angesprochen hatte.) „Aber geh nur sonnen“, setzte sie mütterlich fort, „mir ist es hier im Schatten noch lieber.“ Unter dem

Perlonhemd

des schweren

Nichtrivalen

leuchtete

das Rot von

> Hahnenzierden, das röter und röter gestrahlt werden wollte und

in seinem Eitelkeitseigensinn nicht an Behagen, Haut und Herz des Trägers dachte. „Gnädige Frau“, sagte ich leise und dunkel. (Müdes Überzeugtsein, daß auch dies wieder glückt, schwang mit.) „Ja?“ Sie suchte durch massige Halsdrehung den Sprecher, der bisher nur am Volksfest ihres Rückens teilhatte. „Gestatten Sie?“, munkelte ich, ohne zu sagen, was. „Bit-tee“, sagte sie tief in der Kehle, wo Vögel eben-

so zärtlich das Futter für ihre Jungen zubereiten. „Mein Name ist J., Chemieexport“, unser Tisch bog sich unter der süßen Mast,

die ich meiner Odaliske kaufen durfte. Dazu trank Barbara (ich nannte sie noch „gnädige Frau“) Kaffee mit zehn Zentimeter süßer steifer Haube, in der schon gelbe Butterstücke steckten. „Wollen Sie

nicht auch etwas für die Linie tun?“, fragte sie. Ich kam mir erstmals wegen meiner Sportsman-Figur ewas windig vor, aber stützte mich gleich an den Scheichs

scheuchendürr,

in nur

rollbaren

gönnte mir einen langsamen

aus Mondo-Filmen

Riesenfrauen

schlammdicken

ab, die,

schwelgten.

Kräuterbitter.

Ich „Na,

wenn Sie sich mit mir nicht genieren, Monsieur —? Ich kenne das Domino auch.“ (Das Dobväry vorzuschlagen, hatte ich multilaterale Hemmungen gehabt.) „Ja, Sie werden lachen“, setzte sie fort, „ich

tanze gee-rn.“ (Sie fütterte wieder ihre Jungen.) Ich fing unauffällig eine Fliege, um sie ihr aus der kleidfreien > Achselhöhle nehmen zu können. „Aah? Ein freches Biest“, sagte sie. „Wollen Sie es im Kaffee?“, fragte ich. „Ich finde es sehr nett von Ihnen“

(sie wiederholte die mit Babyhändchen auf meiner Visitenkarte ergänzte Privatnummer,) „daß Sie mir keinen Arzt empfehlen.“ „Das wäre“, entrüstete ich mich, „wie den Eiffelturm aus Paris abtragen.“

„Eher nach. trank gutes

die sieben Hügel aus Rom“, lachte sie. Ich zählte unbemerkt „Darf ich?“: sie kostete von meinem Bitterschlamm, und ich in ihrer Lippenspur aus, dann bestellte ich uns beiden. „Auf Verstehen“, kam sie mir zuvor; sie belehrte mich: „das ist 219

Restaurant-Menschen

selten; und sehr wichtig.“ Sie schluckte dick. „Ein Uhr. Begleiten

Sie mich noch ein Stückchen zum Sonnendeck?“, fragte sie. > Siesta.

Restaurant-Menschen 1. Die Matrone stieß auf und sagte dazu jedesmal „Puszta!“. Vielleicht dachte sie an übermäßig geknofelte Pusztawürstel oder mit übermäßig viel Zwiebel garniert, vielleicht war sie aus der Puszta und hatte starken Mitteilungsdrang, vielleicht wollte sie immer einmal in die Puszta, heut noch ein Füllen reiten — aber das würde unter ihr doch zusammenbrechen, oder es

würde sie abwerfen. Die Dame

hörte auch am liebsten Franz Lehär, und wenn

ein

fescher pensionierter Krankenwärter ihr den oberen Blusenknopf aufnestelte, zweifelte sie keine Minute an der Erotizität auch ihres sauersten Aufstoßens. Restaurant-Menschen 2. Unser Helmut ist so gescheit und so brav, aber er nascht immer vom Topferl, wenn er a-a war.

Ja, schmeckt ıhm denn das? Was weiß ich? Er hats einmal bei unserm Tasso gesehn, und seither ist er ganz wild drauf. Vielleicht braucht er das für gewisse Aufbaustoffe? Kann das sein? Ja, in Rumänien sagt die Frau Chalupka essen die Patscherln oft Erde, aber dort ist sie besonders fett, wegen dem Erdöl. Na ja, vielleicht hat er auch Erdöl? Aber ich glaub, ich solls ihm

schon abgewöhnen, wegen die Würmer. Restaurant-Menschen

3. Ein Spaßvogel, der bei Vermouth

extra

dry saß, zitierte den Wermutstern aus der Offenbarung 8,11. Von mir aus könnt er seinen Schwanz öfters ins Meer eintauchen, sagte er, all-erheiternd.

Restaurant-Menschen 4. Das Paar dort hatte schon gegessen, gab Zeichen von Sättigkeit, fächelte mit der Papierserviette. Der Herr drückte die Dame nun an sich, die Dame drückte mit. In Brusthöhe

waren sie zwei Behälter mit Speisebrei, gut eingespeichelt; wo die Mägen sich berührten, liebkosten sich zwei Fässer Diarrhoe, und in

den Liebesregionen kuschelten sich zwei Trommeln Stuhlgang aneinander. Man konnte es natürlich auch vergeistigt sehen: Zwei Wolken Vorurteil blitzten zusammen, zwei Zeitungsjahrgänge tauschten Fehlinformationen, zwei Lügen gebaren eine dritte. Aber vielleicht waren es kluge, gute und zärtliche Schiffahrer, dann war

natürlich die Sache anders. Restaurant-Menschen 5. Ein dunkelgebräuntes blondes Mädchen in Blue Jeans und Mini-BH stößt sich mit kantigen Ellbogen in den 220

Roststangenlager Speisesaal durch. Der Mund ist grell und voll ausgemalt, tritt aber im Brasilzigarr (> Zigarre) des sonnenzerstörten Gesichts zurück. Am Wartetisch vergißt sie die Ellbognerei und fällt in Trance, Ol-

augen schließend und Buntschnute vorwölbend. Durch jähe Einkreisung mit Buntschnatternden ist sie plötzlich Engländerin. Restaurant-Menschen 6. > Madigmachen. Restaurant-Menschen 7. Den Speisesaal betritt vor dem rüstigen Braumeister (denn er erklärt die Wassergebundenheit der Güte eines bestimmten Bieres) Meisters ältliche Gefährtin mit weißlich-fettigem zerrinnendem Gesicht, rotem Lockengebäude und massigem Hosenhintern. Wenn

sie sich dem Braumeister

schenkt, wie man

dumm

sagt,

schenkt sie ihm eigentlich viel Geld; Chemiekaufmann J. beginnt die Schätzung, damit nichts entgehe, bei der Frisur. Dazwischen hört er: „Eine ältere Frau kann den Mann noch verwöhnen, wie man sagt. Na, wenn er kann, nicht wahr, wie man sagt, nicht? Sind andere schon viel früher arbeitsuntüchtig, nicht?“ Restaurant-Menschen 8. Eine > Schwangere.

Restaurant-Menschen 9. > Torte 3. Restaurant-Menschen 10. Die Gutmütigkeit in Supermini betritt das Restaurant. Ihre fülligen Oberschenkel ließen sich gut patschen oder mit einem Badeschwamm abreiben, oder man könnte sich in sie einhängen. Die armen Sex-Schematiker, denkt ]J., die, alle Mate-

rialfreuden überspringend, Frauenreize auf die alleinseligmachende Formel 8X? reduzieren; analytisch unbefriedigend, als würden sie das Fluidum der Aromen, Konsistenzen, Temperaturen und

Täfelungen eines Restaurant-Abends in die Kurve des Stoff wechselchemismus hineinliquidieren. Roststangenlager. Hier regiert die Länge. Die Durchmesser sind gegeben. Aber 1 Meter, 50 Meter, 2000 Meter sind nicht dasselbe. Es gibt Roststangen und Rostrohre. Rost ist hier gelbes, schwarzes, braunes,

rotes, orange

Pulver, nach Rost riechend und lose auf-

gestäubt oder jahrzehntelang inkrustiert. Durch Rostrohre kriechen ebensowenig Insekten wie durch Roststangen. Fortwährend heulen Portal- und Schwenkkrane. Wenn Greifer durch die Rosthaut hindurch ins blanke Eisen schneiden, knirscht es, spanabhebend.

Ein

Lobkonzert schmutziger Arbeit. Gehilfen müssen Längen schätzen können. Wenn man ihnen die Pipeline von Kuwejt nach Venedig hinlegt, müssen sie sagen können, das sind 10 oder 50.000 km, mit

10 cm Toleranz. Durch Rostrohre kann man schreien wie durch vernickelte, nur fällt hierbei viel Roststaub in die Kehle. Über einen

Haufen aufeinandergeschichteter Rohre kann man tanzen, obwohl 221

Sättigung

Fanny Elßler es nie tat. Manchmal bleibt ein Fuß drin stecken. Wenn

man

lange Roststangen

auf den

Pflasterboden

schmeißt,

schlagen sie Funken. Wenn man sie mit dem Portalkran durch die Luft schleust, bekommt die Luft Löcher; an der Stelle, wo ein Rohr

die Luft verläßt, bleibt sekundenlang ein Rohr aus Luft zurück. Rohre sind unantastbar: 100 m Rohr bleiben bis zu ihrem Abtransport 100 m Rohr, man kann die Einzelstücke auswendig lernen. Nur wenn ein Schweißbrenner kommt, verändern sich Längen. Das ist aber ein Abenteuer. Was taten die Mäuse, denen Gift ausgelegt wurde, im Roststangenlager? Fraßen sie Rost — dann waren

sie ohnehin nützlich. Die Leute, die lebenslang mit Stangen zu tun haben, stumpfen gegen Welt und Selbstmord ab. Nur ihre Augen bluten. In ihren Gasthäusern umarmen sie Rostmädchen, danach liefern sie Rostfrauen Geld ab. Roststangen sind auch Ware. Sie werden verschifft; wenn hinunter, werden sie Bestandteil des War-

schauer Paktes, wenn hinauf, der NATO. NATO-Stangen begrüßen Warschauer

Stangen mit „Pace!“ Sie wissen, sie sind unsterblich.

Auch zerbeultes, ja, im Panzerbrand geschmolzenes Eisen bleibt Eisen. Menschen werden zu Wasserdampf, Kohlendioxyd und Mineralasche. Drum begrüßen Eisen einander gutmütiger. Schmiede, Schlosser und Ingenieure schauen auf das Roststangenlager verliebt. Sonst selten jemand. Soziologen manchmal. Aber unter dem dritten Portalkran teilt sich das Gelände durch eine Zunge Wasser. Nasses, gutes Wasser. Sättigung. Wenn bei Zimmertemperatur in 80 Gramm Wasser einmal 20 Gramm Caesiumnitrat aufgelöst sind, ist es aus. Soviel Caesiumnitrat man noch hineinwirft, so stürmisch man umrührt,

kein weiteres Gramm löst sich mehr. Die Lösung ist gesättigt, sie nimmt nichts mehr auf. Ähnlich wehrt sich die Peterskirche gegen weitere Bausteine und Der alte Mann und das Meer gegen weitere Worte.

Alkohol hingegen wird in jeder Menge aufgenommen. Zu unseren 80 Gramm

Wasser können Sie 20 Gramm

schütten, 20 Liter oder

20 Güterzüge. Hier herrscht die Unersättlichkeit. In der Donauau — der man Unvollständigkeit nicht nachsagen kann — können Sie noch 20.000 Bäume anpflanzen; wenn Sie sich daran gewöhnt haben, noch: 200 Häuschen hinstellen; und, wenn Sie sich dran ge-

wöhnt haben, noch: 20 chemische Fabriken. Von diesem Typ ist mein Roman.

Was hält mich davon ab, die sentimentale Reise des Chemiekaufmanns — diesen coitus prolongatus mit meiner Muse — ins Anagalaktische zu dehnen? J. könnte doch einen Gedanken über Stalingrad haben, der es mir ermöglicht,

22

eine Geschichte

des Zweiten

Schläflinge Weltkriegs in mein Drudenbuch einzubauen; einen Gedanken über den Experimentierdrang Gottes — und schon wäre der Aufhänger für ein theologisches Lebenswerk eingeschraubt; einen Gedanken über arithmetische Reihen — und schon könnte ich ein 1000 Seiten starkes Mathematikdruden an die Hochschulen liefern. Ja: Kein künstlerisches Beschränkungsprinzip hält mich klein. Nur die Beschränktheit meiner vorkalkulierten Zeit und meines Denkformates. Am liebsten denke ich an Mädchen und Materialien, Lichtwellen und Landschaften. Und auch über die wären einige hundert Seiten Mehrgeschwätz möglich. Ich gleiche nicht dem Chemiker, der bei 20 Gramm

Caesiumnitrat

weise

aufhört,

sondern

dem

Wüstling, der sich zu seinen 80 Gramm heißem Tee Rum um Rum um Rum in die Teekanne schüttet, bis halt die Kanne voll ist.

Scharfer Hund. > Hundescärfer. Schildermalen.

In Dosen

stehen die Olfarben

herum, alle offen,

bunt und betäubend. Der Meister kommt und wirft uns den triefenden Pinsel an den Kopf. Das ist sein Gruß. Jetzt bist schön blau!, sagt er, denn er ist farbenblind. Wir sagen „ja“, damit er uns keine

Maulschelle gibt. Dann dürfen wir selber streichen, in allen Farben der Kindheit. Das Großvaterblau, das es nie mehr gab — eine dicke

Schmiere aus reinen Kornblumen. Das Onkelgelb — wie Senf ohne Grün —, mit dem man nur ausgesägte Buchstaben streichen darf. Das Für-immer-Weiß — denn wenn man in den klebrigen weißen Teig die Hände eintauchen wollte, sagte die Mutter, „daß dus ja nicht tust, du bleibst weiß für immer“. Und das Rot, nicht Weinrot, Zyklam, Rosen, Rubin, Koralle, Karmin, Kirsch, Zinnober, sondern das Nur-Rot: das Rot, das Anstrichrot, das zum Anstrichgelb, -grün, -weiß, -blau, -braun, -schwarz so gut paßt. Wenn alle Bretter und Buchstaben sattgestrichen sind, sind wunderbare neue Ge-

genstände entstanden, die man erst im Hof trocknen lassen muß und dann in die Welt einführen darf. Zum Abschied badet uns der Meister in Terpentin. Schläflinge 1. Regierungsrat R. trug ein Schwitztuch, ein Schneuztuch und ein Damentuch bei sich, so wie er im Büro einen Dienst-,

einen Einfalls- und einen Prunkkugelschreiber liegen hatte. Das Damentuch trug als einziges eine Spitze und diente dazu, eventuellen Damen aus der Schneuzverlegenheit zu helfen. Es roch nach dem nahegelegenen Pfeifentabak, wäre also It. Packard für Damen besonders faszinierend gewesen, war aber schon eine Ewigkeit lang nicht begehrt worden; hilfesuchende Damen suchten bei jüngeren Rittern und schneuzten sich, wenn die unbetucht waren, diskreten Lauts in die Bluse.

Schläflinge 2. Im wülstereichen Gesicht der schlafenden Feinkost223

Schläflinge händlerin das Würstchenpaar vorgestülpter Lippen, auf paprikaroten Breibelag auch in Schlaf und Sonnenqual nicht verzichtend. Die Motivanalyse zeigt Einladung zu Materialfreuden: © Durch das rote Fett durchbeißend die gespannte Würstchenhaut erreichen, sie stärkerspannen, gleich wird sie durchtrennt

sein —; © Kuß in frisches Olbild, Eintunken in feuchte rote Farbe, kind-

liche Beschmierungslust (> Auen 1) etc. Erst die Happenings mit Farbstürzen, Breibädern haben solche Freuden, befreit von seelchenamourösen Vorwänden, zu gebühren-

dem Ansehen gebracht. Stemple deinen Feinkosthändler mit der Spur deiner fettigen Wärme, befraue seine fade männische Haut. Schläflinge 3. Eine junge Frau hob, um den Sessel zurechtzurücken, ihren grünen Kittel, wie wenn man im Streit den Hintern zeigt; flatternd mit Parfum- und Fraugeruch; sichtbar wurde ein verruchter ganz-anders-grüner Unterrock mit schwarzem Muster. Das Gestell war gut, das Gesicht trotz Aufmachungsversuchen mies, aber nicht nötig; in mancher Erotik, dachte ]J., klappt es wie

bei den Geflügelteilen im Selbstbedienungsladen (man kauft bloß eine Packung Brüstchen oder Beinchen). Wirklich gingen, wie der Ingenieur später zu erzählen wußte, die Liebhaber dieser jungen Frau meist bald vom Gesicht zu tieferen Regionen über; aber die

junge Frau ärgerte das, denn sie mochte ihr Gesicht sehr. Schläflinge 4. Ein Bundesbahnpensionist, der seinen nackten Oberkörper mit Schmalz eingeschmiert hat, weil dies besser sei als jedes Sonnenöl, riecht nach Schwein. Das Schmalz ebert stark, dringt nicht in die schmalzgesättigte Bundesbahnpensionistenhaut, gibt Schmalz an die Schweißbäche ab, schmalzt den Bund der dunkelgrauen Bundesbahnpensionistenhose und macht die sattgegessenen Leute in der Umgebung noch um einige Kilogramm satter. Schläflinge 5. Der Leser stelle sich als Schläfling zur Verfügung. Schlager 1.

Der dummböse Bill und die schlauschlechte Li, die machen dich fertig und wissen schon, wie;

dein Bitten hilft wenig, da hilft nur Arsenik und eine geschmierte M. Pi. Schlager 2. Durch Paris, da fließt die Elbe,

und die Olga ist ein Biest, und die Elbe ist dieselbe,

224

Schnitzel

die auch durch die Wolga fließt. Und die Wolga ist die gelbe, die den Yangtsekiang begießt, und die Schwalbe liebt die Schwälbe, wenn man sie mit Salbe schießt.

Schlager 3. In Indien werden die Witwen verbrannt, juchhe,

in Hamburg, da bruzzelt der Elefant, da wird der Gesandte nach Bombay gesandt, und er sollte doch nach Tai-peh,

juchhe, bombaidschi, juchhe.

Schleuse. Gut, daß wir nicht geschleust werden. Beim Schleusen werden den Leuten die Augen verbunden, ein Motor heult auf, eine

Stahlplatte hebt sich, der Fluß wird auf die Leute geschüttet, das Schiff stellt sich auf den Kopf, die verbundenen Stirnen dringen in Taucherräume ein, in Kabinette aus schwarzem Wasser, das nach

Eisen riecht. Die Stahlplatten haben Tausende ochsenkopfgroße Nieten. Die Leute spucken das Wasser aus und reißen sich die Binde von den Augen, sehen einen weißen Sprühregen und nach Entblindung himmelblauweißen Himmel, und sie sagen „eine frische Brise“ und „jetzt sind wir in einem lustigen kleinen Flüßchen“.

Nichts

davon.

Aber

auf einem

technischen

weißen

Gebäude

> milchblaue Zierstreifen. Ist es ein Wunder, daß sich die Fröh-

lichkeit an Bord in einem Lied Luft macht, das vom Hinterdeck (> Deck 2), mädchengesungen, zartlaut herüberzieht? Nimm dir deinen besten Stresemann, zünd den Schnurrbart am Gebläse an, hab mich lieb

bei pommes chips aus Prinzip. Nimm dir deinen besten Stresemann, schmier das Klatschbonbon mit Käse an, hab mich lieb etc.

> Ufermauer. Schnitzel 1. Durch die knusprige mit dem Messer. Querschnitt liegt frei: Fleischblock, rundum Luftpolster und innengelbe außenbraune Panade. Zähne krachen an die Bröselkruste, durchtrennen dann dünnste Omelette, halten im Fleisch, Saftgeschmack breitet sich aus,

225

Schnitzel

Panade kratzt die Mundhöhle, erster Bissen schaukelt den Appetit auf. Ich wünsche mir immer eine Mak]zeit aus lauter ersten Bissen. Schnitzel 2. Ein Schnitzel zwischen den Zähnen, auf allen vieren

davonjappen. Im Lauf trotz dem höllischen Hunger und göttlichen Appetit nicht zu tief ins Fleisch beißen, damit es nicht in zwei Teile zerfällt, deren einer mit der davonlaufenden Erde davonläuft. Ge-

rade ein bißchen würzigen Saft (es ist ein paniertes Rindschnitzel!) darfst du herausfletschen; dein Gaumen und dein Rachen brennes-

seln vor Erwartung, gleich kuschst du dich irgendwo in sicherem Heu nieder, und nun gehört das Schnitzel wirklich deinen Zähnen

und deinem Gehirn: dir! Schreibübung 1. „Schreib zwanzigmal: JEDES MÄDCHEN HAT EINEN Körper!“ Die dreizehnjährigen Buben wehren sich, und der Lehrer darf keinen Schlagstock benutzen. Er ist jetzt erst draufgekommen, daß auch schlanke, kleine oder sonstwie unscheinbare Mädchen einen

aufregenden (um die Mitte starkdimensionierten) Körper haben. Denn der Lehrer ist weder Schwimmer noch Illustriertenleser; was Bäder und Blätter ihn längst gelehrt hätten, mußte ihn ein Zufall im Kleingarten lehren: die junge Kollegin im Bikini. Die flache, aber breite Bauchpartie, die fettlosen, aber mächtigen Oberschenkel.

Nun wird der Lehrer sich Anita ungehemmt nähern. Seine Schüler aber, die armen Unerlösten, in ihren muffigen Hosen und vorlauten Hemden, all die Fußtreter, Kehligschreier und Erröter, sollen schon

jetzt, durch Strafschreiben geprägt, wissen: JEDES MÄDCHEN HAT EINEN KÖRPER! Schreibübung 2. Das Schiff mußte beinahe beidrehen. Beiliegend übersende ich Ihnen ein Beilager. Die Beiladung fing Feuer, der Beifahrer verkohlte. Er wurde beiläufig beigesetzt, mein herzlichstes Beileid! Alles geht vorbei. Den Beisitzer nannten die Beigezogenen ein „Beiwagerl“, mit verächtlichem

Beigeschmack,

die Beischläfer

der Angeklagten pflichteten beifällig bei. Sich was beiseitelegen, das werd ich dir schon beibringen! Die Indianer brachten dem Weißen, Beistrich, der ihnen beikommen wollte, Beistrich, beifolgende Wun-

den bei. Beileibe! Er aß sechs Schnitzel vom Beiried und sah auf den blühenden Beifuß. Gebt beizeiten klein bei. Schreibübung 3. Wir haschen hinter Rüschen nach dem Röschen und lauschen einem Läuschen in dem Höschen.

Schreibübung 4. Elefanten möchten ein Huhn auf dem Kopf. Ich hielt meine Gattin für ein Krokodil; da rammte ich dem Tier ein Glas in den Hals. Das Auto wird mit einem Schweißbrenner zer-

226

Schwangere

legt, sagt Samson, und dann esse ich pro Tag ein Kilo. Eines der Wesen brannte mit einem Gerät, das wie eine Lötlampe aussah, Zeichen auf unseren Wagen, das andere entnahm unseren Fingerspitzen Blut. Sie erschlug ihn; Anführungszeichen; er wollte mein Kind zu einer Ziege erziehen; Anführungszeichen oben. Der Vater verwechselt sein Töchterchen mit einem Trichterchen. Der Gegensatz von Nahtugend ist: Fernlaster. Vor der Trafık liegt ein Vollballen mit 25 Eltern. Schreibübung 5. Wir sind stark, wir sind Stahl, sagte der Versicherungsbeamte Na Und. Sind Sie frei? Sind Sie verheiratet? Dann möchte ich Sie afrika,

sagte angeberisch der Lehrer zur Schülerin. Sind Sie blitzdumm? Diesen Einwurf verzeihe ich meinem Einwerfer nie. Der Tilsiter geruchloste im Einwurfzimmer. Potzblitz! Rätselhaft vom Anfang bis zum salzigen Ende bleibt das Leben. Und ob. Schwangere 1. Der Wunsch, aus Fleisch wie aus einer Modelliermasse Formen entwickeln zu können (> Deformation), scheint bei schwangeren Frauen erfüllt. Der Bauch, in friedlichen Zeiten eine vorgegebene Größe, gewinnt Leben und beginnt sich phantastisch aufzublähen. In die Brüste gerät Hefe. Der Mann, der zufällig Schlanke vorzieht und eine Schlanke geheiratet hat, kann jetzt an seiner Frau dicke Abenteuer erleben, ein urweltliches Mastodon lieb-

kosen, ohne die Nachteile der Mastodonschaft ein ganzes Leben lang in Kauf nehmen zu müssen. Auch aus diesem Grund ist es ungerecht, daß Männer nicht schwanger werden können; nur unwiderruflich dick. Das einzige, das einem sensiblen Mann solche Genüsse schmälert, ist, daß ein guter Prozentsatz dieser Fülle unsexuelle Materie ist, Fleisch eines dritten Wesens, und daß in der > männlich-wilden

Liebkosung der aufquellenden Frauenfülle eine brave Kindesliebkosung enthalten ist. Schwangere 2. Ein Konzil wurde einberufen, träumte sie; die Links-

priester stellten lauter 20jährige Kardinäle auf, die Kurie wurde umfunktioniert, der Papst trat zurück, und der neue Generalsekre-

tär (wie er sich nun nannte) verordnete den katholischen Ehe- und Liebespaaren ab sofort die Pille. Jeden Morgen aß Irmgard nun das rosa Kügelchen, und zu jeder Tagesstunde, wann immer sie und Erwin der Wunsch überfiel, durfte sie ihn in ihre bettwarmen Arme reißen, durften sie bis in den Traum ineinander verweilen. Durch den Reisewecker aus dem Wunschtraum entfernt, machte

Irmgard die morgendlichen ersten Orientierungsversuche und erschrak wie meistens, als sie ihren aufgepumpten Bauch vorfand. Sie 227

Schwangere

hatte in Wirklichkeit Erwin schon geheiratet, und bei der Taufe würde es vielleicht eine kleine Rüge wegen des weißgewesenen Hochzeitskleides setzen. Am Nachmittag kam Erwin vom Büro (das Studium hatte er aufgegeben), schmatzte dem Kind durch Irmgard hindurch einen Kuß, klapste die Frau dann noch wie ein Pferdchen und fragte, was es denn zum Essen gäbe. Schwangere 3. Sie findet es spaßig, daß das Minifähnchen einen halben Meter weit von ihr absteht, das himmelblaue Kinderhemd-

chen. Sie gönnt den jungen Männern den tiefen Einblick, da, schaut, was ihr anrichten könnt, und den älteren Frauen das Skandalblabla.

Na, schön, bin ich ein paar Wochen jetzt zum Tierchen gemacht, Abwechslung muß sein, schaut mich nur alle wie ein Weltwunder an. Sie verlangt ein Feinwaschmittel für Wolle und etwas Pfeifenton;

sie schaut dabei schon jetzt, was es auf dem Babysektor gibt. Sie gönnt es sich, jeden Freitag den roten Wuschelkopf erneuern zu lassen, der nicht zuletzt ihren Mann

vervatert hat, und sie freut

sich auf größere Brüste. Das Kind wird ein Löwe, rechnet sie. Und Löwen sind die Beherrscher unserer > Erfolgs-Welt, erinnert sie sich. Ich bin gebärfreudig gebaut, hat mir mein Frauenarzt gesagt, tröstet sie sich, und ihr Mann und sie stimmen darin überein, daß es ein Mädchen werden sollte, weil es dann nicht zum Militär muß; wenn alles schiefgeht, zu einem weiblichen Hilfsdienst.

Schwangere 4. Er freute sich jeden Sommerabend, an dem er daheim war, auf 19.10 Uhr, denn da ging vor seinen Fenstern Anna vorüber. Er nannte sie für sich Anna, obwohl die Wahrscheinlichkeit, daß ein Mädchen Anna hieße, in dieser Zeit verschwindend klein

war. Anna schien in der Küche eines nahen Wirtshauses zu arbeiten. Er war verrückt nach ihr, und viele andere waren

auch verrückt

nach ihr, und einer davon hatte in seiner Verrücktheit Annas Figur verändert. Anna trug zu ihrer Schwangerschaft zitronblondes Haar, ja, richtig wie die glänzende Zitronenschale, glatt und glänzendes

gelbes Zitronenmetall. Das stimmte gut zu ihrer totgesonnten Haut. Sie mußte hübsch sein, wenn sie einen Kübel schwenkte oder Zwie-

beln schnitt. Ob sie noch lange geldverdienen würde? Er kannte Annas Mann nicht. Er fand sie mit dem aufschwellenden Leib verrückt schön und wünschte (zumindest für die Minute von 19.10 Uhr), daß er sie so umgeformt hätte. Aber das war keine Eifersucht; er würde ohne Hemmungen

dort weiterspielen, wo der an-

dere aufgehört hat, wie am Schachtisch. Ich habe geliebt, schrie der füllige Bauch, und die Männer schauten fasziniert wie in ein Porno-

buch. Ich habe geliebt, schrien ja auch die Kratzmale an den Inderinnen, und je mehr Male es waren, desto dichter hagelte es Kratzmaler. 228

Schweinchenrosig Um 19.11 ging dann ein Dackel vorbei. Eine Schnapsidee, diese Anna, eine fremde schwangere Frau! Und ein Küchenmädchen würde schließlich zu mir Oberrevidenten niemals passen. Schwangere 5. Es wird sich nicht viel ändern, sagt die Schwangere, mit einer ganzen Anzahl Verlangsamungen im Gesage. Wird sich also doch etwas ändern?, denkt der Mann.

Sie will

zwar noch ein Kind, aber dafür würde theoretisch ein einziges Mal genügen, oder wenn das jetzt Zwillinge werden, gar keines mehr, oder wenn es Drillinge werden, kann sie sogar eine unserer letzten Ekstasen widerrufen, die Erni. Sagt doch die Fachliteratur, — — —

Frau Wirtin!, ruft nach diesen Gedanken dramatisch der Mann um einen neuen Müller-Thurgau. Ja, Herr Gast, antwortet die Wirtin und schickt sich an, die traurige Drohne mittelbar in Träume zu

wiegen. Schwarzmeer-Perspektive. „... Wie gern verbrächte ich die späten Jahre unten, wo die weißbunten Dampfer anlegen und der Krimwein gerüttelt und dosiert wird, ehe ich ihn auf das Wohl der hof-

fentlich kommenden Zeiten knallen lasse...“ So mag es wohl in einem Onkelbrief aus dem meerfernen Mittel-Land rhapsodieren, zB: Moskau, 17. 8.

... Aber acht Krähen in kunstvoller Formation ziehen einen elliptischen Bogen um die Windfänge des Hauses gegenüber und erinnern an Sammlungen zum Südabflug von Sommervögeln oder an Wärmemanöver der Wintervögel

...zuboden Weiden jagt die hohen, schreibt Schewtschenko vom Wind — hier im Westhof hat er nur Kalinen und Flieder zu jagen, aber er jagt sie gründlich und oftmals zuboden, und diesen Wind, mein Neffe, lasse ich weit durch meine offenen Fenster

...und etwas von meiner alten Landsucht hat mich flüchtig überzogen — wie gern verbrächte ich die späten Jahre unten, wo die weißbunten Dampfer etc. ... Zinnoberwolken ändern den Himmel, alles in allem wendet sich

das Jahr; der 21. Juni war nicht so leicht zu nehmen, wie wir ihn nahmen; wir sagten: erst der Frühling ist um; aber seht zum Teufel jetzt die verkümmernden Abende! ... Mundharmonikaspiel

(„Und als wir den Weizen

dann haben

geschnitten“) dringt in Triften, man könnte sie zeichnen, aus dem zweiten Nachbarblock; aus der oberen Wohnung aber treibt die Fassade abwärts ein Geruch von ernstzunehmender Suppe, wie aus einem blütenfeuchten Restaurant mit großen zyrillischen Leuchtbuchstaben. Schweinchenrosig. Spar dir ein Fleckchen Haut auf, um dort 229

„Sehnsucht“

schweinchenrosig zu sein. Entgegen aller Bräunungsmode ist S. die Farbe der Intimität. Motivanalyse: 1) „Die Welt sieht mich bronzegepanzert, für dich will ich nackt sein; nur Schweinchenrosig ist echtes Nackt.“ 2) Das Ausstellen des S. setzt Fallen der letzten Hüllen voraus. „Die Ahnungslosen, die glaubten, intim gewesen zu sein, wenn

sie mich im Bikini fraßen.“ 3) Auf S. sieht man ganz anders Zärtlichkeitsspuren, Kraushaar und Schönheitspflästerchen. 4) „Nun wollen wir Schweinchen sein.“

5) Das Schweinchen als Masttier ist Symbol des stärkeren weiblichen Fettpolsters. (Zahlenangaben siehe > Mastmädchen.) 6) Schweinchenrosige Herren können eine gewisse Form von Weichheit, Ausschweifung, Luxuriosität, Vergeistigung bedeuten; eine verruchte Zeiteinteilung, in der der bräunende Sport

nicht Platz hat. 7) Flitschchen, pudre dein S. mit rosa Staubzucker; schon liegst du im Bett der großen Kurtisanen, und Boucher wird dich malen. Nachbemerkungen: 8) Außer für Haut, Textil, Kosmetikinhalte und -behälter sowie

Zuckerwaren ist $. nicht anzuwenden. Schweinchenrosige Bücher, Küchengeräte und Häuser sind der Müllverbrennung zuzuleiten. Schweinchenrosiges Schmalz ist Kitsch. 9) Wenn du Trichinen befürchtest, führ einen Amtsarzt mit dir.

10) Die Freikörperkultur ist das Ende des S. Nur darum: Nieder mit ihr! „Sehnsucht“. Der Terminus ist sträflich, das Vertexten seines se-

mantischen Inhalts out. Die Menschensuchlaterne als Realität des Menschelns indessen ist so aktuell, daß sie, allenfalls auf den neuesten Stand der Plasma-

und Laser-Lampisterie gebracht, auf keiner Welt-Ausstellung fehlen sollte. Oder haben mehr als 99% Ihrer Bekannten die optimale Nachbarschaft gefunden? Senf. Das ist jetzt erst richtig Stadt. Die Geschichtslehrbuchhäuser, noch von Kublai Khan oder Kriemhild gekalkpinselt, voll Rinnspuren des siedenden Goldes, das Atezuaheketl (der eigentliche Beherrscher

der Wachau)

auf Raubritter

Rinnomar,

der aus

dem

Kamptal zu Brandbesuch geritten kam auf drei aneinandergebundenen bemesserten Eseln mit Fackelschwänzen,

aus allen Fenstern

träufeln ließ, und voll Tränenspuren der zwölf Nächte lang in Pfauensuppe gesottenen Jungfrauen (Emil Botokude, Greuelgeschichte der Wachau, Nürnberg 1892), die Augustus Livianus das 230

Serviererin

ius primae noctis verwehrt hatten und dafür nun den waffenbraven Söldnern aus dem Kongo vorgesetzt werden sollten (aber ein Steinregen aus dem damals noch tätigen Senfer Kogel verhinderte es), die Backstube, in die zur Herstellung der berühmten Kindelwecken

nicht so standhaft gebliebene Wachauerinnen ihre Schandgeburten trugen (die Bäckersfrau wurde 1332 vor die Hunde geworfen), die Wagenschmiede, in der die Fürstin von Senf ihrer Nebenbuhlerin eine Eisenkrone in den Kopf schlagen ließ, der Brunnen, in dem die Fürstin dann endete, vom Fürsten mit ertrinkenden Wieseln zugeschüttet, all die vor Schreck und Kummer blassen Fassaden —

oder sind es zum Städtchenfest hellgepuderte Winzerinnen — rosa, lindgrün, puppenblau — rollen an der offenen Strecke meiner Optik ab, von uns Donau-Dingen nur durch die rascherlaufende Schneidscheibe des Ufer-Auto-Kontinuums getrennt. Hinter der Räuber-, Mörder- und Miss-Weinberg-Kulisse rennt noch eine Schneidscheibe: die Hauptstraße der Stadt; und dahinter Häuser, und dahinter Straßen und so weiter bis zum Ende der Welt, wo die Terrassen die

nächste Miss-Wahl hecken.

und den Trost-Missen-tröstenden

Wein

aus-

Haustürme, Kampftürme, Schuldtürme, Mordtürme, Türme drei-

tausend Fuß ins Wasser, Türme voll rätselhaften grünen Feuers, Türme der rachsüchtigen blindgestochenen Katzen, Türme der vergeblichen Jungpriesterschreie. Und dahinter die Türme der Garnison: der Bastonaden- und der Füsilier-Turm, der turmförmige Pranger, von dem herab ehrlose Leutnante an nur einem Finger befestigt ins Land hingen, und die turmförmige Trommel, die bei Untreue des Offiziersburschen geschlagen wurde. Und dahinter die Türme des Frauenzuchthauses: der Turm der Splitternackten, der Turm der schwarzen Rüden, der Monatsturm und der von allen Ansichtskarten wegretuschierte Turm „Zur Wächterfreude“. Kein Wunder, wenn vor so vielen Türmen der Chemiekaufmann

J. schließlich türmt und nahe einer neuerlichen Brücke die steinrohe Stadt um 13.55 ausklingen läßt. Er bleibt aber der Autostraße treu, die jetzt fort und fort an den Terrassenhügeln weiterführen wird. (> Autostraße an den Terrassenhügeln.) Serviererin 1. Alphard Mutz kam nach Eginbrunn zur Zeit des Volksfestes. Er wurde deshalb in das Zimmer eines Hoteldienstmädchens eingewiesen. Er aß im Restaurantgarten bis spät in die Nacht, ließ teegelbe Lampione für seine Freude sorgen, irgendwann aber war es doch an der Zeit, zu Bett zu gehen. Er knarrte das Treppchen aufwärts, es gab kein Zimmerlicht, nur ein Eisenbett mit Mädchengeruch und einen abgesperrten Kasten mit Mädchensachen. So lehnte er noch länger am Fenster und sah in den Restau231

Serviererin

rantgarten hinunter. Dort gab es noch, wie vor Jahren, die weiche große Serviererin, sie war aber müde und klebte an einer Latern-

stange. Sprach ordinären Tonfalls mit einem oberflächlich feingemachten Gast, Kaufmann, der im Volksfest rummelte und Auf-

tragbücher vollaufen ließ. Sie hatte noch den Messinghelm

aus

steifgelacktem Blondhaar anfrisiert, glänzte wie damals von hell-

ockriger Buttercreme-Schminke und hatte noch das kalkuliert Liebesbereite in ihrem Geschau. Alphard Mutz war vor Jahren in seinen Bemühungen nicht weit gekommen, nicht weiter, als daß die

Serviererin nach dem Inkasso auf eine Wetterbemerkung notdürftig antwortete, dann aber durch lärmvolles Neudecken des Tisches zum Aufbruch riet. Wodurch mochte der Volksfestfritze dort unten sich in die unwahrscheinliche Lage gezaubert haben, schon Rasierwasserwange an Ockercremewange mit der Müden zu flirten, von ihr des natürlichen Jargons gewürdigt zu werden und vielleicht sogar der Nacht in einer ähnlich sozialromantischen Magdkammer? Alphard Mutz kam auf psychologische Vorzüge und verbindende Geschäfte, wurde aber rasch müde und legte sich in die Abwesenheit der Magd. In der Gegenübermansarde trieben die beiden zusammengelegten Mädchen noch Ulk. Nächstentags wurde Alphard Mutz auf seine Beschwerde, die er eigentlich nur aus Ordnungssinn einlegte, in die leerstehende Zimmerflucht seines Generaldirektors eingewiesen, und die Serviererin

ging mit der Restaurantkasse durch. Serviererin 2. Manchen Serviererinnen verleiht das Seifensaubere der oftgewaschenen Hände und der täglich gewechselten (zB schwarz-weißen) Uniformen merkwürdigerweise etwas Schmieriges: die Glitschigkeit von Faßseife, die flotte Gebrauchshygiene der Prostitution duften durch. Serviererin 3. Der Medizinstudent zählte der Serviererin, die in die schwarze Bluse Anna

eingenäht trug, auf lateinisch alles auf,

was er mit ıhr zu tun gedächte. Er benützte dazu aber eine Stimme von

harmloser Nettigkeit. Die Serviererin

lachte, ebenfalls nett,

drehte sich beim Abschwänzeln noch mehrmals nach ihm um und sagte dann zu ihrer Kollegin, die Linpe eingenäht trug: „Diese Spanier haben ja doch einen ganz anderen Charme; sag der Nessy, sie soll ihm viel Mayonnaise geben.“ Serviererin 4. Sie serviert alles. Sogar ihre Brust — vom Miederleibchen hoch- und in die Flucht nach vorn geschnürt — trägt sie in der tiefausgeschnittenen weißen Dirndlbluse geschickt dem Gast entgegen. Serviererin 5. In seiner Arkade, nur innen, küchenseits, saßen die Serviererinnen alle auf einem Abendhaufen beisammen. Nach Rang: 232

Sex

die abgenützte Ungarin, vierzig vorbei, kurzbeinig, viel glattgeschminkte Gesichtsfläche, kneifenden Blicks und Lächelns, gerissenfreundlich; die fade dünne Einheimische, von leichtentfernbarer

Freundlichkeit; und die gastlichen zwei Gastarbeiterinnen mit den immerfort wackelnden Beinen. Sie aßen einträchtig ein Bedienungspausenessen, und unablässig machten sie sich über Gäste lustig, zB den upstair logierenden alten Amerikaner, der aufbegehrte, weil er nicht sofort mit Los Angeles gurgeln konnte, oder jenen jungen Mann, der dreier Puppen wegen den Chef kommen ließ, als die Ungarin ihm ein Messer, das er hinwarf, nicht aufhob. Das ukrainische Köchlein trat ein, ganz offenen Hemds, behaarter

weißer Brust, schnaufte. Die eine Fremdarbeiterin stöhnte zurück, beide wischten sich die Stirnen. Eine Menge Hühner grillten auf Vorrat. „Ach, morgen um diese Zeit“, stöhnte die fade Einheimische. Sie freute sich auf den dienstfreien Tag, den sie auch wieder in einer Schenke zuabendführen wollte, aber bei Apfelwein, drüb-

ufers und als Gast. Serviererin 6. Motive für das Begehren eines S.-Kontaktes: Attraktive Servierdame gesucht. Abendeinblicke ins Serviererinnenleben (Einblicknehmer besoffen). Sozialrührung: fleißig, treu und brav. Durch alle Suppen geschwommen. Serviert für Geld auch dem Einsamen. Mädchenuniformfetischismus. Anherrschbarkeit (Meinung gutgläubiger Sadisten). Manche haben freundliche patschige Hände. Manche setzen sich, nach Anfrage, zu einem. Manche haben selbst

schon Kinder. Manche kennen Lokalprominenz, vermitteln Autokäufe,

Untermietzimmer,

Kolleginnen.

Manche

verdienen

viel

Trinkgeld und möchten es mit einem guten Kumpel teilen. Viele haben schöne weiße Brüste. Serviererin 7. Als Anni von der Fachschule ging, machten sie alle ein Fest. Sie betranken sich tüchtig, und Anni schmorten sie mit einem glühenden Brieföffner ein großes Erinnerungskreuz in den Handrücken; daran erkannten sich die Absolventinnen, wo immer

sie sich trafen. Es war die einzige Brandwunde in Annis Küchenausbildung, und darauf war sie stolz. Vor der Heimfahrt klebte sie sich ein großes Heftpflaster auf die Hand, denn die Eltern würden vielleicht schimpfen. Sex. Seit der Sex flügge geworden ist, also nicht mehr des Verstecks, aber auch nicht mehr der Wärme bedarf und nur die Supermarkets noch so anachronisieren, ihn nicht in Tiefkühlpackung auszubieten, ist es regressiv, sich als Literat um die sogenannte menschliche Seite von erotischen Partnerschaften, also um das Freundschaftliche oder

Traurige daran, zu kümmern. Von turbulenten Späßen und genialen Techniken darf allenfalls berichtet werden; im übrigen aber erfor233

Siesta

dert das neue Tabu, die Ehefrau wie eine Gemeindewohnung zu dulden, die Partnerschaften als eine Art Stuhlgang zu absolvieren

und das Großhirn mit solchen Sachen nicht aus seiner Schwärmerei für die Sprache oder für die klassenlose Gesellschaft aufzustören. Da die Tabuiker die Sprache am Kragen halten und die Sprache das Denken terrorisiert, steht dem Fortschritt des Sexteilnehmers

zur einsamen Bestie nichts mehr im Wege. -> Körper. Siesta. „Noch einen kleinen Umweg“, sagte Barbara verschämt. Sie lockerte an ihrer Kleidung, unter der ein weißes Mieder krachte, das seine Fleischflut wohl bald — ich schätzte, in einer Frühsommer-

nacht — über mich ausgießen würde. Artig stand ich vor der Tür des WC. „Alle WCs meines Lebens“, meditierte ich, „wäre eine Sammlung sui generis.“ (> WC, meh-

rere.) Die Schiffs-WCs schienen im Augenblick ein wichtiger Umschlagplatz. Die Nestelnden, Watschelnden, Königlichen, Gehemmten ergaben eine Art Brandung um mich Riff. „Warum gehn Sie nicht rein?“, fragte sogar eine. „Das darf man doch nicht“, sagte ich treuherzig. Ich zog diskret Barbaras verdrückten Kleidrücken zurecht; ein Hauch von Ort hielt sich noch darin. „Dankee“, kröpfelte sie wieder zärtlich. „Jetzt hab ich einen Schlaf“, sagte sie. Ihre > Achsel-

höhlen hatte sie mit die Lippen strotzten so werbenden mußte nen Terminkalender,

Bergamott > nachgefrischt, spürte ich. Auch wieder in frischem Fett und Rot, aber um die noch eine Weile geworben werden. J. zog seiüberschlug die erste Tanz-, die erste Vollschwelgerei. „Auch diesem Sommer werde ich nachwinken“, dachte er; „ich habe nicht verhindern können, daß der Mai vergeht, ich

werde auch das Vergehn des Sommers nicht verhindern können“, dachte er laut weiter. „Ach Gott, reden Sie nicht so traurig“, sagte Barbara träg; „das ist das Leben.“

Requiem für die Dahingeschlafene, schon schnarcht und schnurcht sie im Liegestuhl in einiger Entfernung von ihrem Bruder, dem sie mich gütigerweise nicht vorgestellt hat. Unter all den > Schläflingen, Schwitzlingen, Sättlingen (mehrere nachlesen) ein Prachtexemplar, eine spezielle Barbara, vielleicht 35, vielleicht erst 32. > Barbara, beschrieb er sie sich, und welche > Perspektiven läßt das zu,

fragte er. (Mehrere nachlesen.) Mit unverwirrtem Gefühl für den nur relativen Wert mancher > Geschäftsbeziehung taxierte er das wie geschlachtet hingeschmissene Massiv seiner baldigen Lustbarkeiten, lobte die © urbaren Täler,

© saftigen Weiden 234

Silo

und © Höhen, hoch genug, um in Älplerfreude von dort in sein son-

stiges Leben hinunterzujodeln. Auf der breit herausgedrehten linken Hüfte der Schnarcherin ließ er sogar eine Weile seine Hand liegen, nicht daß er sich Besitz anmaßte, sondern daß er mittels Pfoten wie ein junger Hund die Welt bestaunte. „> Gesäß“, er erprobte das schriftdeutsche Wort; „seß-

haft; breites Bei-mir-Sitzen;

Gesäß

der Gefräßigen.“

Nebstbei

dachte er auch an „Gefäß“. Dann zucte er, für einen eingebauten Regisseur, die Achseln („Man ist halt so“) und ging ins Spritzbecken, denn J.s Vorrat an Schatten war aufgebraucht, und beide Decks erwarteten das Schmelzen. Von hier aus sah er durch einen bald verblasenen Stimmungs-

schleier in die Welt der ungebrochenen Erscheinungen. (Empfohlenes Nachschlagen: je 1 Stück > Au, > Auflockerung, > Hügel, > Städtchen, > Wasserereignis, in beliebiger Reihenfolge.) = 13.15 tauchten weit vorn endlich die Hügel der > Wachau auf. Silo. Zugeschüttet mit Korn fand man nach zweiunddreißig Jahren den Silowächter Swoboda. Mumifiziert in Rapsöl nach immerhin drei Jahren den Fremdarbeiter Dinga&. Was der Silo einmal nimmt, das gibt er nicht zurück: nicht lebend. Er ist blind, sieht nicht, wel-

chen Vornamen er tilgt: Janos, Oswald, auch Eva (die im Korndienst verblichene; die bis ans Fundament fiel und dort den Krieg über im durchbrochenen Gestänge hängen blieb). Grabmal. Unumheulbar vom Ebenensturm, der es umheult. Schwarze Messe, für all die Geschluckten, die Augen der Erblindeten, die Hälse der Stumm-

geschütteten im Sandsturm der Ackerstäube. Und Durstbauer, der das Thermometer schlecht las und in die Selbstentzündung kam. Mungl, der im Orkan des brennenden Hanfes nicht mehr die achte

Innentreppe fand. Und die Kali-Toten!

Requiescant, requiescant

alle in deinem Frieden, Silo, schrecklicher, schwarzer, fensterloser.

Vom

Chemiekaufmannsdaumen

zu über-

decken, Loch in der Perfektion des vorhundstagblauen

Sciff aus mit meinem

Himmels.

Loch in der Weltbeglückung durch uns Ökonomen und Ingenieure. Paradies mit Loch und Moloch, mea culpa, mea culpa, Janos, Oswald, Eva, pfutsch.

Kaufmannsschwamm drüber! Wann kommt der nächste Sulfatschluß? Durchrechnen? Oder lieber Au anschauen? Oder: jetzt stehen ja wieder ein paar Pfahlhäuser da? (Man rechne nach Wahl einen © >

Sulfatschluß

durch, mit C.I.F.-Kosten,

Akkreditivspesen

und Vermittlerprovision, zahlbar mit drei nicht prolongierbaren Sichttratten, ohne Kriegs- und Goldwertklausel,

235

Spezifisches Gewicht

© schlage eine > Au © oder ein > Pfahlhaus nach.) Dann fiel dem Chemiekaufmann J. das stundenlange > Fehlen von Brücken oder Fähren auf der Donau auf. Spezifisches Gewicht. Wie kann das spezifische Gewicht der Exporteurseele erklärt werden? Da J. doch ungeachtet seines Berufs ein Dichter, Maler, Schluchzer ist, ja, zeitweise fast eine Heloise oder Louise Labe: wie erträgt er sein Bluffen, Prahlen, Flirten, seine Klischeeglücklichkeit im Dobväry, sein Umspringen mit all den

(zugegeben: robusten) Kurzfristdamen? Und da J. doch ein Bluffer, Prahler, Flirter ist, wie duldet er seine Exzesse an Einsicht, Weltfreude, Trübsal?

Ich erkläre mir das mit einer gesunden, wenn auch nicht edlen Schizophrenie: Haben Sie nicht selbst, gelegentlich, unter sympathischen Rohlingen jemand verlacht, den Sie im ernsten Gespräch respektierten? Und im nächsten ernsten Gespräch mit ihm wieder die Rohlinge als billiges Volk verkauft? Ich habe es. Und ]J. hat sich, was ihm meinen Respekt einträgt, wissend vom

Unvollständigkeitscharakter seiner Liebesgelegenheiten, auf schizoides Umschalten dressiert. Es wäre ja doch schade, wenn er nicht wenigstens in den Mikrostrukturen seiner „unvollständigen“ —

recht zoologisch bleibenden — von

Hautoberfläche,

dh

Liebschaften, also in der Wirkung

Duft, Speck, Schmuck,

Ausdruckselementen,

etwas fände, das er (Andre Gide: Nathanael, lerne die Innigkeit!) intensiv wie eine Isoldenliebe apperzipieren kann. Der Mensch ist mit sich nicht im vollen Sinn identisch, obwohl Selbstkontrolle das auseinanderfliegende Bündel Eigenschaften und Motive zu einem schlecht und recht gepackten Rucksack ordnen könnte und dem Bilderwirrwarr einen Spür von Kontinuum geben. Spielregel. Wenn ein Mensch vor einer Sekunde mit dem Schicksal, eines der üblichen Stadt-, Kaufmanns-, Alltags-, Junggesellen- etc. -Leben führen zu „müssen“, gehadert hat und nun, nach Vorsatz-

fassung, sich in die ungebrochene, sorgenfreie, verliebtenfrische, immerrichtige Welt der Phänomene zu stürzen, sogleich kohlige Kähne, Kohlenstaub auf Kohlenkranen, verbeulte Fässer und schreiende Kreissägen wahrnimmt, halte sich der Leser vor Augen, daß kein Etwas, das man im Sonnenschein sieht, so häßlich wie die Wolke ist, die dem Besorgten alles verdeckt; ja, daß es in der frei-

gewitterten Welt überhaupt nichts Häßliches gibt (> Kuhdrek!); daß der Verladearbeiter, der lebenslang die Kohle schaufelt und siebt, sie wohl hassen und von ihr eine tote Lunge bekommen wird,

daß diese Sorgen aber, so unsozial das fürs erste klingt, nur das Schwarz im > Malkasten des Reisenden sind. J. würde selbstver236

Stadtbibliothek

ständlich, wenn

er die Macht hätte und es seine Gewinnspanne

nicht schmälerte, dafür sorgen, daß kein Mensch mehr verkümmern

und kaputtgehen müßte; er würde oft genug noch wegen des Häßlichen in der kommentierten Welt niedergeschlagen sein; nie aber würde er die Fähigkeit verlieren, zeitweise bei abgeschaltetem Trüb-

sinn zu leben und die Welt einfach als vielfarbig Hingesetztes zu sehen, als bejahens-, ja bejubelnswertes Viel im Gegensatz zur Möglichkeit des Nitschewo und auch zum Wenig des verhangenen Krankenzimmers. > Affirmative Dichtung. Spinat 1. Dem Spinat hatte es J. zu danken, wenn sich ihm zum Hühnerdrec nie eine solche herzliche Beziehung wie zum > Kuhdrec einstellte. J. stand einmal vor einer grün gefüllten Hühnerjauchengrube, so wie er unzählige Male vor dem Zwangs-Teller geknofelten Spinates saß. Dem Vitaminträger, pfui Teufel. Er bat seinen Vater, ihm den Spinat doch in Pillenform zu kaufen, denn sein Vater fraß die Stierhoden ja auch nicht in Urform, doch für

diesen Vergleich bekam J. eine Maulschelle. Spinat 2. Auch Spinat säten sie aus den dünnen windigen Papiersäckchen mit den großbunten lehrreichen Gemüsebildchen. Sie machten die Beete aus mooriger Erde, den Füßen und einer Schnur, und

der Bub wußte, daß das irgendetwas bewirken würde. Er trampelte gern im hall-losen Weich, im feuchten Sattbraun und kam so zu guten Weglein zwischen den Beeten. Er kannte bald jede Samenart, spielte mit der Gottwillkür in seinen Säckchenhänden, genoß im dicken grünen und bunten Frühlingsommerherbst, in den zehn Jahrzehnten eines Bubenhalbjahrs, alle Ausgrünungen, Ausknäuelungen, Ausblühungen, all das Eßbare, das er hervorrief. Er bekam auf die

Frage nach Menschensamen eine erdbraune Ohrfeige, und man erntete strunkigen Spinat, dessen schurzgroße Menge die Mutter dann durch den grüntriefenden Wolf drehte und dessen Knofelbreiheit,

vom grünhölzernen Löffel patzend, trotz angebackenem gelbäugigem Spiegelei die enttäuschendste Ernte eines Gärtnerlebens wurde.

Stadtbibliothek 1. Die Bücher sind alle noch in grünes Papier geschlagen und handgestempelt. Stadtbibliothek 2. Die Mauer rieselt. Eine Hilfsbibliothekarin geht umher. Stadtbibliothek 3. Die Rechtfertigung für das „per se“?, fragte die Hilfsbibliothekarin (> Stadtbibliothek 2) erbleichend. Du weißt es nicht, sagte der Hilfsbibliothekar nachlässig, aber durchaus unsicher. Die HB erschütterte ein Weinkrampf (> Stadtbibliothek 1). Komm,

sagte der HB unscharf. Was willst du, bohrte die HB, aber unsicher. Ich begehr dich, sagte der HB. Zu was?, fehlformuiierte die HB; AH

Städtchen

dennoch aber konnte sie in späteren Jahren außergewöhnliche Bücher schreiben. (Die Unsicherheit werden erst die Sirioten aus der Welt schaffen.) Städtchen 1. © GRoTTENOLM? Dann bitte eine andere Städtchen-Nummer aufsuchen. © Löwenrass? Dann bitte eine andere Städtchen-Nummer aufsuchen. © IRGENDEIN STÄDTCHEN? Das nähert sich so: Am Anfang ist das Au-Ufer. Die Objekte des fernen Städtchens voraus sind zuerst in ihrer Kleinheit aussagelos, gewinnen dann Inhalt, kommen näher und werden dabei immer aufregender. Sie bleiben etwa zwei Minuten miterlebbar (eine Minute im Vor-, eine im Rückblick), in der

Rückblickminute aber treten sie hinter neuen Objekten, die inzwischen ins Hauptfeld schwimmen, zurück. Man übe a) die Inhaltgewinnung eines weißen Eckchens während seiner Entfaltung zum Haus, b) die Inhaltgewinnung eines > maria-theresien-gelben Querstäbchens während seiner Entfaltung zum Gehöft. Wichtig: das Erkennbarwerden der Fenster, das Reifwerden für Interieurs. Man ertrage den ambivalenten Schmerz der flüchtigen, aber engen Kommunikation mit der fremden Wirklichkeit so lange wie möglich, denn das Abschalten bereut man. Städtchen 2. Die lehmstaubige Straße vom kalkstaubigen Frächter zum mehlstaubigen Bäcker (> Backstube) war voll drückendem Sonnenschein. Ein paar Tagsäufer kamen nach den Gesetzen des Torkelmotors vorwärts, schwiegen eigentlich; das Lied, das sich in dieser Straße aufhielt, war vielmehr ein altes unwahrscheinliches

Lied, dessen Motivmädchen keiner Begebenheit, ja, keiner Sprache zuzuordnen ist: Von dir verlassen werden, Elate Yerond,

wiegt mehr auf dieser Erden als Hochzeit auf dem Mond. Städtchen 3. Ein Städtchen, das vexiert. Man watet an Land, schlägt die Büsche auseinander, um die Häuschen zu entblättern, findet auch

richtig eine Kuppel kunstvoll aufgeschichteten Holzes, ärgert sich ökonomesk über das Zeitverschwenderische solcher Aufschichtkunst,

sieht das Weiß einer Hausmauer aufleuchten, schließt von Efeu auf Winkelwerk (> Motive für die Freude an Verwinkelungen), gerät aber so winkelab, daß ein Flüßchen da ist, ein weit zugewuchertes, gerades, niemand ist da für die Frage, ob es denn hier Grachten gebe, solche Flüsse gibt es ja sonst nur an der Rückseite von Cafe238

Städtchen konditoreien,

man

geht eine unbenamte

unbebaute

lange verwil-

derte Flußpromenade entlang, da und dort ragen Schwemmbretter in den Fluß, jetzt ein wäscheschwemmendes maulfaules blaues Sechs-

jähriges sehen oder doch wenigstens eine ausgefreute blaugraue Frau, eine schnappige, mit kantiggewordenem mannshartem Pflichtgesäß, um sie zumindest fragen zu können, wie man wieder zum Schiff komme, denn auch zurück wuchert nur das zugewucherte

Flüßchen und die verwilderte Flußpromenade, soweit der Blick reicht, und man wird nun langsam müd und blattsaftgegerbt. Da fragt man einen Baum, doch der rät nur, die Österreichische Volks-

partei zu wählen. Man setzt sich, geradewegs in die zuschnappende Futterfalle der zehntausend Ohrenschlüpfer, und sieht gerade noch

durch

die bisher mißachtete

Baumreihe

eine Straße, sogar

die

Hauptstraße des gesuchten Städtchens, blenden und hört das ent-

rauschende Schiff hoffnungslos fern tuten. Städtchen 4. Häuser. Nein: abgeschlagene alte Bauernhöfe oder Schmieden. Häuser. Nein: Häuser mit einem Stück Straße. Straße. Nein:

Straße,

stadtplatzwärts

oder

auf einen

Hügel

führend.

Straße, ansteigend, oder Straße, hinter ein Haus biegend. An ihrem Zielpunkt liegt Ähnliches wie das, was wir sehen. Nein: Wenn man sie geht, ist man dann ganz wo anders. Freude an der zusätzlichen Dimension, dem Landeinwärts? Freizügigkeit im Möglichkeitenland? Oder

Romantikercredo

„dort, wo

du nicht bist, ist das

Glük“? Bauernhäuser. Nein: Bauernhäuser mit Gelegenheit, einzudringen. Kirche. Nein: gelbes Kirchlein, wo einem Kind Langweile und Ohnmacht geschieht. Gasthaus. Noch ein Gasthaus. Nein: die zwei Gasthausschicksale des Ortes. Man zerlöse in Kraftlinien: Verschiedene Häuser-Lagen Radfahrerin Zum Trocknen aufgeleinte Wäsche Blochlager Pavillon + undefinierbare Zweckhäuschen im Garten Flüßchenmündung mit Autos und Booten Kamillenstrand mit Kindern in kleinem Boot Arkadenrathäuschen Winkende Schulklasse. Die Kraft der Linien prüfe man an der Heftigkeit des in > Städtchen 1 besprochenen ambivalenten Kommunikations-Schmerzes (siehe auch > F-Erlebnis). Städtchen 5. Die Kleinstadt hat einen Ostvorort und einen Westvorort. Im Ostvorort liegt ein verwilderter Altlandhausgarten. Im 239

Städtchen

Farnkraut, für das der stetige Wind gesorgt hat, sitzt Encore Edibelbek auf einem Stein und singt zur Ziehharmonika: Mytilla Mitil, wo find ich dich?, wo?, du Mädchen auf Edibelbek-Niveau?

Im Westvorort liegt ein gepflegter Bausparhausgarten. Am Kiesrand des frischgeduxten hellgrünen Englischrasens, denn den Rasen selbst darf sie nicht betreten, sitzt Mytilla Mitil auf einem rot-blau-gurti-

gen Feldhocker und singt zur Mandoline: Encore Edibelbek, wo find ich dich?, wo?,

du Bub auf Mytilla-Mitil-Niveau? Der Wind vereint die beiden Gesänge an einem Ort, wo niemand was damit anfangen kann: im Assel- und Nesselgewirr unter der Kanalısationsbrücke. Städtchen 6. Überraschend: hinter idyllisierenden Häusern + Haselbusch im Sonnenstaub unentwegtes Flüstergebrüll, sonnentagfüllend: waa-u waa-u waa-u waa-u... Walzen, Bahnen einer versprengten Kleiderfabrik. Der Pförtner verschläft wachsam Tageszeiten. Wir dürfen an dem Werkel vorbei, werden nicht eingesogen, sind etwas enttäuscht. Drinnen Arbeiterinnen, die man aus ihrem zugleich

stattfindenden Werktag nicht lösen kann. Ein anderes System. (Als schaue man an einem Terrassennachmittag fivc-o’-clock-tea-siedend in den Kessel, in dem Mikroben sich errennen.) Vielleicht tragen manche das Dessin unserer Mädchen. Was hier rollt, läuft noch weit, wird appretiert und imprägniert, schlottert an Schneiderpuppen, brüstigen ohne Unterleib, riecht oft nach Feuer und Leimigem, ehe es langsam seinen Kennduft bekommt und verliert und Parfumchen und Menschgeruch annimmt. Ein großes Rechteck aus allseits schwabbelndem Stoff zu schneiden, ist ein Kunststück. An besonders

jungen Mädchen oder besonders reifen Frauen küßt man Kleider oft mit. Die Kontrolluhr läßt sich mit allen Arbeiterinnen ein. Sie ist bei der Lieferung langweilig, aber reift, eingesetzt, zu einer Art von Glück. Städtchen 7. Dieses Städtchen sei als Urlaubsstädtchen festgelegt. Hierzu brauchen wir einen Urlauber, sei es allein, sei es mit etwas abseitsgehender Familie. Er kommt von einem jener modernen Buswartehäuschen, jener geräumigen, betonhellen, plattenflachen, mit Sonnenbänken und Überhangregendach und gutem Gehsteig, an 240

Städtchen einer Musterstraße, und schon mit Efeu sich einrankend und mit Blaurotgelbblumen sich färbend. Links und rechts von dem Häus-

chen schweigt die Straße die große Ruhe des Urlaubsortes, eine einzelne Frau geht über sie lautlos stadteinwärts, ein Spatz tschilpt, muß sich aber erst eintschilpen. Wind und Gräser werden sehr wichtig, ein Laden, der auch Zeitungen führt (> Magazine), wird Oberkommando. Der Urlauber macht sich irgendwelche Notizen mit dem kleinen Urlaubskugelschreiber. Vielleicht notiert er: „Was ich mir auf Urlaubsreisen an Notizen abringe, genießt meine gesteigerte Bewunderung.“ Er goutiert den Unterschied dieses Urlaubsortes von seinen Dienstreiseorten. Beim Einmarsch in das Städtchen freut den Urlauber die Möglichkeit anderer Einmärsche, denn die Straße hat viele Parallelgäßchen. Auch freut ihn die Möglichkeit, verschiedene Teile des Tages beliebigen Stellen des Städtchens zuzuwenden, im Kirchlein des blauen und roten Fensterlichts ebensogut ein Amateurgebet zu

schludern wie zu jammerschad heller Tageszeit im Ratskellerdüster zu trödeln oder zum Fischufer (> Fischer) zu gehen, wo der Diluvium-Seebär in weinrotem Leibchen, mit Rahmenbart ums fette Kindergesicht und mit Matrosenmütze, darauf wartet, etwas hieven

oder vertäuen zu können. Bald aber bemerkt der Urlauber eine Einschränkung, ähnlich dem Pauliverbot, das es Elektronen unmöglich macht, in beliebigen Ab-

ständen um den Atomkern zu kreisen. Der Tag in dem Ort ist zerhakt von den Abfahrtzeiten der Busse, den Ankunftzeiten der Schiffe, den Eßzeiten in den wenigen Gasthöfen, den Ladenschluß-

zeiten dieser und jener Geschäfte. Um 15 Uhr 30 einen gebackenen Fisch oder an zu lang verschlafenem Frühvormittag noch einen Kleinbus zur Richtstätte im Köpferlwald zu bekommen, ist ebensowenig möglich, wie im besten Sonnenschein mit Landwirtschaftschülerinnen spazierenzugehen, die um diese Zeit in einem nahen Mustergut festsitzen. Selbst der Abend ist Pauli, denn die Pension Lerchenruh verlangt von ihren Gästen, daß sie um 20 Uhr daheim seien und kein Radio mehr spielen. Einen Tag früher als nötig, am zeitigen Nachmittag, reist daher unser Urlauber — belassen wir ihn vielleicht (wegen der Landwirtschaftschülerinnen) ohne Familie — ab, um am Abend in einer größeren Stadt, nördlich des Flusses, zu sein; dort geht er in ein Tanzcaf& mit Kegelbahn, ißt gebackenen Zander, hält ein blaßrosa,

von daheim ausgerissenes Mädchen frei und ermöglicht ihr die Weiterfahrt in einen beliebten Selbstmörderort, resumiert in einem nächtlichen Bahnwartehäuschen

den Urlaub, findet, es sei bis auf

den schönen Anfang eigentlich alles egal gewesen, kommt dann aber 241

Städtchen

noch zu einem symmetrischen, nämlich aufregenden Abschluß, als die Tür in ein Bahnbeamtenzimmer jenseits der Gleise aufgeht und eine ferne verschlafene Atmosphäre mit einem richtigen Kachelofen opernglasnahe vor ihn gerät; er will aufstehen und nachforschen, was es mit seiner Kindheit und diesem Zimmer auf sich hat, aber da geht die Tür zu, Fliesen irrlichtern noch kurz einen Nachexzeß,

und da wird die Nacht draußen auch schon unruhig, und der Zug fährt ein. Städtchen 8. Vom Ufer führt eine Baumstraße zu > Element X, dem plötzlichen. Wir aber wandern im Sonnenlicht weiter, einen Weg nur aus Sonne und Staub, immer rechts, und kommen zu > Element X, oder wir kehrten unseren Entschluß um und gehen nun immer links, einen mühsameren, doch schattigeren Weg, an

einer Rampe mit sumpfiger Autoschmiererei und vielen nichtsverratenden Häusern vorbei, bis wir auf > Element X stoßen. Neu-

gierig geworden, auch durstig, über Ziegen stolpernd, von Kindern verschrien, eine dürre Rispe weniger zur Erinnerung als aus Nervosität abreißend und uns ins Hemdknopfloch steckend, passieren wir > Element X und stehen schließlich vor > Element X, wo wir

traurig werden, weil wir glauben, nicht so leidenschaftlich, eindringlich, informativ, zauberisch, lebensändernd, wie es zu erwarten gewesen wäre, in die Stadt hineingenommen worden zu sein.

(Es wird klarerweise empfohlen, jeweils eine andere Variante von Element X, in beliebiger Reihung, nachzuschlagen.) Städtchen 9. Vorgang wie unter > Städtchen 8, nur mit anderen

Varianten von Element X. Hier kann zusätzlich auf einem unserer Wege eine Schweineprüfanstalt stehen. Städtchen 10. Vorgang wie unter > Städtchen 8, nur mit anderen Varianten von Element X. Hier kann zusätzlich auf einem unserer Wege eine Kontrollstation für Lenkgeometrie stehen. Städtchen 11. Vorgang wie unter > Städtchen 8, nur mit anderen Varianten von Element X. Hier können zusätzlich auf einem unserer Wege nonnenbeschattete Kranke ihre runden Köpfe auf die Anstaltmauer legen. Städtchen 12. Man versetze sich in die Kindheit und freue sich in einem ebenso schönen, nur etwas kühleren Junitag juniblau, hügelhellgrün an dem hingeschütteten Netzsäckchen voll Holzklötzchen, Holzbäumchen etc, Weltbauelementen, frisch vom Großvater. Man schnitze sich ungeschickt die ergänzenden Teilchen hinzu, eine nötige Kuh, Nachbarin, Flußbank, bohre, glätte, leime, male, aus dem Räubervorrat an Kindheitsmaterialien, schmutzend, unrationell,

ungeduldig, aber bis auf den Zeit-Faktor echt glücklich und einen schwervergeßlichen Geschmack für einst hinterlegend. Dann lasse 242

Städtchen

man alle Weltelemente (außer dem Flüßchen) trocknen und stelle sie nach verschiedenen > Plänen auf. Man spiele damit stunden-, tage-, wochenlang. Wenn man Encore Edibelbek ist, versäume man nicht, zu dem Spiel Mytilla Mitil einzuladen, denn nur in dieser Frühlandschaft besteht die Chance, daß die beiden einander finden.

Städtchen 13. Das Städtchen durchgehen. Rückseite des Städtchens dann: x. x ist durch eine grüne Böschung, durch niedrige Kräuterwiese, die an einem Fluß böscht, durch einen Busch, der in der Wiese hinabböschend fast schon in den Fluß buscht, durch heranentende Enten im Heranenten an entenkindernde Kinder, die über eine abufernde

Stange gebeugt sind, ein blaßblaues Mädchen und einen rot/grünen Buben, gagagaqaga, kielwassernd, von einer großen gelb-weißen Rotziegeldachkirche im > Plankton-Spiegel angelockt, nicht zu ersetzen. Allein die Größe, die Temperatur, die Begehbarkeit! Photos

und Geschwätz sind nicht begehbar (außer als Verbrechen). Auf der Rückseite einer photographischen Kirche kommt nicht der Mesner hervor, sondern stehen die Worte: Gimpelpietsch, 22. Juni 1968,

1/100 sec, ein bißl gewackelt. Städtchen 14. In dieses Städtchen zogen vorigen Sommer die> Kinder des Weidendorfes. Aber Jermilka, Jessica und Jentchen sind noch zu klein. So ließ sich Oberrevident Holstein, der mit dem ver-

fließenden Leben, nicht bewegen, länger in dem Städtchen zu bleiben. In > Torschlußpanik ließ er sich in die Großstadt versetzen, > Katzen, > Element X, > Element X, den > blaugrünen Liege-

stuhl und die > ÜOdstätte gegen kindheitserinnerte Großstadt—> Kaufhäuser, den Anblick von > Gemeindebauten, Morgenbüros, Abendautobussen eintauschend, neugierig diese oder jene > Serviererin betrachtend, das Versprechen dieses oder jenes > Parfums einklagend, auch Handelsschülerinnen und > Schwangere nicht verschmähend, selbst > Korrupte-Bräute-Weiß in der Nähe duldend. Während er, die >Serviererin um sich, >Suppe in halbdunklem Speisehaus löffelte, verspritzte, aus dem Oberrevidentenmund zurückträufeln ließ, wuchs das Städtchen um die Lücke, die er hinter-

lassen hatte, rasch zu: ein weiblicher Teenager wanderte in den Sommerferien ein, allerdings gelangweilte > Teenager-Briefe in die frühere Stadt schreibend, aber auch der Oberrevident hätte dem

Teenager nicht geholfen; so betrachtete sie die Muskeln starker > Pferde nahe der Wagenschmiede und rekonstruierte sich > Muskeln weltschönster Männer. > Element X lag unbeachtet, das Jahr verschlafend, > kleine Dinge, vorsommerliche, lebten nun in einem

Vordergrund, und der unglückliche kleine Emil Ettlow war gestorben, bevor er alt genug für den gelangweilten weiblichen Tee243

Städtchen

nager geworden wäre. Mit Jermilka, Jessica und Jentchen saß der Teenager öfters im > Eissalon, sie sprachen über -> Katzen, Buben, > Odstätten, gingen zum > Krämer (lernten, daß Fremde sich aus diesem Städtchen unbedingt.einen White Horse Whisky mitnehmen müßten, lernten, daß Maßgeschneidert der Schlüssel zum >Erfolg wäre, und waren unentschlossen, ob sie den maßgeschneiderten Er-

folgreichen, der im Krämerladen für das nachbarliche Schneiderstübchen, mit dem Siegeszeichen > V aus zwei großnageligen Fingern, warb, dämlich oder dämonisch finden sollten), atmeten -> Plankengeruch ein, und der Teenager lehrte Jermilka, Jessica und Jentchen, sich die Langeweile mit chemisch reinen Büchern aus der > Stadtbibliothek zu modifizieren. Erzählt mir was vom Weidendorf, bat der Teenager endlich, und: erzähl du uns was von deiner

früheren Stadt, baten Jermilka, Jessica und Jentchen zurück. (Der Leser stelle sich nun beiderlei Erzählungen vor.) Städtchen 15. Ja, wir sehen einen Anlegesteg, grüne (!) Büsche, braune (!) Baumstämme und ein weißes Haus, erdigen Boden, Fliegen, Bienen, spüren fischelnde, weiter drinnen reine Luft, hören einen Traktor und die Ruhe, fühlen im Hinfallen einen scharfen Stein durch das zerscheuerte Hosenbein das Knie schinden, schmek-

ken (nicht ohne Hilfe der Zunge) eine Blattlaus auf unseren Lippen, werden weitergehen und uns über Gassen und Plätze verzweigen, mit Kindern spielen, von Mädchen uns verwirren lassen, mit Frauen Zimmerluft essen, mit Männern raufen, mit Greisen in Schnaps-

schenken dämmern,

Ziegen streicheln, von Ofeninnenseiten Ruß

fingern, Halme knicken, Heilkräuter durchs Zimmer streuen, Bauernstiefel probieren, in einen Brunnen klettern, einen Winkel-

herrngott gradhängen, einer Greisin ein Kreislaufmittel empfehlen und so weiter. Wir werden mit all dem eine frohe Zeitspanne oder doch frohe Momente verbringen, unproblematische wie eines ausgedehnt guten Essens bei Freunden. Vielleicht aber läuft ein Gehirnband mit, das die (:unveränderten) Eindrücke mit Anfallähnlichem kombiniert, eine Gassenabzweigung wird wahnsinnige Freude sein, ein zugewuchertes Haus ein unerklärlicher Schmerz, nicht metaphorisch und durch schöne Parallelen, nein: ein Bauchschuß aus der Wirklichkeit, aus dem immanenten Trans, aus dem

Hinterhalt Manitous. Das ist natürlich unmitteilbar. Wer es nicht selbst hat, erfährt davon nur wie von einer Drogennacht. Friß, Vo-

gel, oder stirb. Wenn nun gesagt wird „grüne Büsche“, empfängt der heutige Zuhörer

einen

semantischen

Reiz,

der wirksamer

ist als der von

„schöne Landschaft“. Wenn variiert wird „senfgelb/grüne in Brakkiges tauchende Zitterbüsche“, wird der Reiz noch wirksamer. Bis

244

Standard-Mariandl

auf hochkomplizierte Fälle von Wunderwirkung durch Knappstes gilt die Regel der Proportionalität von Wirksamkeit und spezifizierender Konkretion. Wenn die Bezeichnungsvegetation (die übrigens nicht mit den rechtens verpönten Schmuckadjektiven verwechselt werden darf) allzustark auswuchert, kann die Wirkung freilich ersticken. Worin besteht diese Wirkung aber? Das bloße Vorstellen wäre ein noch zu kleiner Erfolg. Das Vorstellen mit der Begleitemotion, etwas „erstmals“, „frisch, wie ein Kind es sieht“, zu sehen, ist besser. Aber wird je das Umwerfende, das Schuß- oder Blitzhafte, das > F-Erlebnis, mit in die Information gehen? 1 erlebtes F-Phänomen ist Beweis für den Sinn des Lebens. Durch Eigenschaftswörter etc in günstiger Auswahl und Setzung Lebenssinn zu transportieren, wäre ein schöner Schreiber-Erfolg. Aber wird der je eintreten? Und wenn nicht, ist alles andere

nütz? Ist es nicht, als malte ich, für ein ab-

gedunkeltes Zimmer, aus „leuchtenden“ aber unphosphoreszenten Farben ein Bild? Helfen selbst jene Übertreibungen, Verdrehungen, die der Autor benutzt, um die ausgeleierten Gleise im Leser zu umfahren und das

Besondere, vielleicht Märchenhafte der Situation karikierend zu suggerieren? Wenn nicht, renn, Trottel, Autor, noch durch dreihundert Gäß-

chen und Gassen, Feldwege und Flußpromenaden und Weinsteige und Wildwechsel und Hurenpassagen, stolper, und krieg Schnupfen und Fuchsbisse und Lues und brich dir die Zunge, aber nicht beim adjektivischen Spezifizieren, sondern in Lesers Arsch. Standard-Mariandl 1. Man erinnere sich eines Kinderspielzeugs: eine junge dralle Bäuerin, Drechslerarbeit, aus nicht ganz spanfrei geglättetem politiertem oder blau/rot lackiertem Holz (Weich-, bessere Ausführung:

Hartholz). Blau kann der Kittel, rot die Bluse

sein; spektralreine, ungebrochene Farbtöne! Die Taille eng, die Hüften sehr breit. Bei besserer Ausführung Beine und Füße vorhanden, die Füße in Riesenschuhen (meist wieder rot) steckend. > Standard-Mariandl 2. Standard-Mariandl 2. Auch bei mancherlei Festen wird man hier nicht zur sterilen Miß, sondern zum Standard-Mariandl gewählt. (> Standard-Mariandl 1.) Standard-Mariandl 3. Das Standard-Mariandl ist immer gut aufgelegt, liebt alle Dorfburschen, die kein anderes Standard-Mariandl haben, wartet aber zugleich einsam, den > Rechen in der Hand, auf

jeden Schiffspassagier, der in ihr das Standard-Mariandl erkennt, und hat Haustiere, die immer die richtigen Geräusche machen: die 245

Standard-Mariandl

Kuh muh, das Ferkel qui-qui, die Katze miau, das Küken piep, der Hahn kikerikäh. Standard-Mariandl 4. Ich spaziere mit Standard-Mariandl in dem optikfüllenden Städtchentag, in dessen kilometerlangem und zehnmal uns überragendem Schachtel-Innerem sie und ich verschwindend klein werden, und gern fasse ich sie um die warme derbe Taille und

fühle an Hand und Schenkel den knatternden Stoff ihres Landfrauenrocks. Ich sehe ihr Spektrum um einige Problemlinien ärmer als meines, bin mir aber klar, daß das eine Täuschung ist.

Standard-Mariandls Echtheit wird erhöht durch den Perspektivzauber einiger ReservemariandIn in Sichtweite, deren Sorte sie also eingemeindet ist und in deren Städtchen sie unverlierbar festsitzt. Station Nixdorf naht da schon, naht, naht noch näher, wir fahren

direkt in den Nixberg hinein, spalten das pritschelnde leuchtringeziehende Wasser, spalten das Ufer, spalten die Doppelreihe der mehrminderkleinen Mädchen und haben alle ihre Regenbogenfarben auf uns, ihr Feuerwerk geht mitten durch mich hindurch, meine Uhr

läuft noch, zeigt 7.45, das katastrophte Dorf zeigt jetzt böse den Rücken, schreckt uns mit einem auf uns abgeschossenen grellblauen Blitzzug voll mehrminderkleiner Mädchen, der indessen irgendwieso

in den Hügel verläuft, den grün mit Efeuhäuschen steilan beklebten. (> Bergklebesiedlung.) Hinter dem Nixberg der entferntere Nixberg, flacher. Die baum-

reiche Uferstraße mit ihrem Autoverkehr voll mehrminderkleiner Mädchen. Wieder eine > Bergklebesiedlung am Hügelrand, das ist jetzt der Nixberg. Der Hügel läuft aus, der > Vulkankegel läuft an, der Nixberg, vorerst mit kunterbunten Weinäckern, zerschnippelter Landkarte, täuschend. Dann mit dickem dunklem vielschattiertem Baumpelz schon drohend und mit der Räude von > Steinbrüchen

keine Unklarheit

mehr

lassend. So fraß der Berg, von

Augenzeuginnen in Nixdorf gesehen, Bug, Chemiekaufmann und Heck des Drudenschiftes. > Auen im allgemeinen. Stationsgebäude. © Rechte Treppe, da werden Sie wieder ein Kind, läufst in tagblauem Nachthemdchen steil aufwärts, weißt darfst wieder soeins tragen wasd als Exporteurlein nicht hast tragen dürfen. © Mittlere, da ist gesperrt Glas auf Glas auf Quadratglas, da schickt J. seinen Blick schlittschuhlaufen, und das inmitten des Sommers,

eines verfrühten Mohn-

und > Mindel-Sommers;

ein Genuß von Stationsgebäude > on the rocks. © Links, da geht er nun wirklich, da geht er als Exporteur und ganz glatt und pflückt im Vorbeigehen ein paar Prospekte — 246

Steinbruch

Das ist aber alles nicht das Wesentliche des Stationsgebäudes (das könnte in einem Landesgericht, einem Patentamt, einem Eros-Center

genauso sein). Das Wesentliche: die wenigen Schalter, realisierend Fischzüge von Naß nach Naß (> Schwarzmeer-Perspektive!); fast nichts; etwas abgestützter leerer Raum; und: rasch erkauft, die wiedererlangte Freiheit, durchs Haus hindurch, direkt, ungeduldig, vornaß, an den Strom, an das fischelnde petrolgrüne > Wasser.

Stationsgebäude, wasserseitig. Weiß lag diese Fassade an Land, weiß überstrahlt von Sonnenhimmel, von den weißen Tröpfchenembryos über bewohntem Wasser und bewohnter Erde. Weiße Gitter zerschnitten für die drüben weiße Schiffe, einige kleine und zwei große. In die weiße Wasserfläche schauten weiße (und eine Prise bunter) Menschen. Jetzt formte sich eine Schulklasse zu kleiner Mädchen für den Einmarsch ins Schiff, bunt, weiß und etwas fleisch-

farben. Weiß flimmernd. Neben der Stationsfassade bot ein Strandcaf& hinter weißem Drahtgitter an weißen Tischen für weiße Menschen weiße und bunte Drahtsesselchen. Der Kies drunter war weiß. (> Bunte Stühle.) Steinbruch 1. Verschrägte Perspektive der Aufwärtswege. Graue Perlschnüre über das Mattbeige geschleift. Fremdsteinmarken? Abgeschliffenglänzendes? Um x-zig Grad geschrägter Kessel, an dessen Wand die den ganzen Tag Spielenden Lebenslanggelbbraunen herumlaufen, für die der Tag des Försters schon ferne Luxusstadt ist. Steinbruch 2. Mit Sprengfahnen spielen, dann ohne Warnung sprengen. Den Wald mit Körpersäften des Zerborstenen sprengen, sprenkeln. Sprengen: Steine und Hasen zum Springen bringen. Sprenkelungen und Sprünge im Stein. Versprengte Touristen werden gesprengt. Im Steinbruch ist der Rahmen der Hügel gesprengt. Wie gerne spränge mancher in die Sprengung. Prometheus wollte seine Fesseln sprengen, mit denen er in den Steinbruch geschmiedet war, aber die Streife sprengte daher und streifte ihn mit Sprengschnur. Zu welchem Sprengel gehört dieser Steinbruch? Steinbruch 3. Bis in den Bruch wachsen moosig Gebüsche und Grasbüschel. Dem Bruch benachbart durchsichtig-räudig Grasbewuchs. Steinbruchlehmig, bestäubtes Grün. Die Furcht des kletternden Buben. Noch so hoch bis zur Höhle. Kein Vor, kein Zurück. Kein Freund traut sich kommen. Die zitternden Kleinäste. Seine Schwächlingshände. Das Abrutschen im gelben Sand. Die Baumspieße tief unten: werden jetzt alle sein Magenblut trinken. Steinbruch 4. Bei Hartgesteinen wird der Abbau von Hand mit Brecheisen, durch Abkeilen und mit Drucklufthämmern vorgenommen, geschwind, in 50 Meter Höhe hängt ein Mädchen!, während

247

Straßenbahn

die Lockermassen unter Benutzung von Schaufeln, Keilhauen und (Drucluft-)Spaten gewonnen werden. Ist sie schon tot? Ist sie schön? Zur kontinuierlichen Gewinnung eine blaue Seidenbluse hat sie an zählt der Abbau mit Hilfe von Fräser- und Schaufelradbaggern aber sie ist ganz blutdurchtränkt von dem groben Eisen, zieh sie ihr aus und mach ihr künstliche Atmung. Die Hereingewinnung von Blöcken ist durch den Einsatz von Drahtseilsägen, Gesteinssäge- und Schrämmaschinen gekennzeichnet jetzt ist nix mehr zu machen, hau sie weg, pfui schau sie nicht an. Bei Wandsturz- und

Pfeilerbauverfahren für die Gewinnung von Bruchsteinen und dem Abdrücken von geschnittenen Blöcken werden Sprengstoffe geringer Brisanz eingesetzt. Hast sie tief versenkt? Schad um die Katz. Das Sprengen gliedert sich in Bohrlochschießen, Kammerminenschießen und die Sprengung mit auf-, unter- und angelegten Ladungen. Ich glaub überhaupt, es war eine Steinbruchnixe. Die ersten beiden Methoden dienen der Hereingewinnung größerer Mengen Haufwerks. Ja, ich glaub, ich hab gar keinen Bauch gesehen, Schwamm drüber, bleim wir bei der Mitzi.

Straßenbahn. Den Vorhundstag-Morgen mit der Straßenbahn statt mit dem Auto beginnen: würdiges Reisevorspiel. Bei Linden einsteigen. Der lieblingsblaue Terminkalender verrät Juni 1968 und entläßt einen einzelnen rosa Vorverkaufsfahrschein. Sie Person! Sie Gepäck! Sie Hund!, schreit der. Alles ist für J. ungewohnt. Wie gesagt: würdiges Vorspiel von Tag-Abenteuern. Werktag. Der Vorhundstaghimmel Europas hat viele in vorzeitige Ferien gehocht, in noch heißere aber meersalzige Süden und in frischere Waldberge mit Quellbären, Pilzrehen und Lichtungsgraskühen. Auch in Stadtstraßen, Bussen und Schiffen, auch in Feldern

und Bädern lungert jetzt losgeeistes Menschenfleisch viel: Schraubenschlüsselhände, Produktionsprozeßpopos, Sekretärinnenhüpfendes, Kahlgeärgertes, entsprungene Schüler. Noch aber fährt genug in die Dienste, werden Nerven verdünnt, Hoffnungen verdunstet,

Kalenderblätter gerupft. J. fährt wie im Abenteuerfahrzeug eines Traumfilms. Die Sonne noch nachtkühl, wärmt sich jetzt erst an Dächern auf. Die Köpfe und Dinge hochdeutlich, aus dem hellbunten aber noch matten Mor-

gen herausgesägt. Die Häuser schatten, die Pflaster reliefen. Die Straßen der schmutzigen Großstadt sonderbar rein, vom Nachtheinzel ausgefegt. Schaufenster schwatzen: bleib da; in ein, zwei Stunden kannst du kauffauffen; Zweitfeldstecher, nachtscharf, versuchen schwarzriechend; angeberische Fachliteratur ledert den > Exporteur; und

natürlich hinter den toten Papierhandlungs-Türen die > Magazine 248

Studien zum Fetischismus

lockferkeln wie in der Bubenzeit. Nun schleudert aber die Straßenbahn um die Kioskkurve, und da sind schon Zeitungen in vielen Pfoten. 15 KATZEN FRESSEN IHR EIGENES FRAUCHEN. WIRD STIERZEITALTER FARAHS SCHICKSAL WENDEN? Und unverdrängbar: SAIGON: RAKETENGEMETZEL. RATTEN-SCHWARZMARKT IN BIAFRA. Zusteigerschwarm drückt J. in Stadtlandschaftscherben. Drogerie: Besen schon draußen. JUGENDVERBOT wird angeleitert. Achtung Hochspann-. Einramm in eine aha die Molkereien haben schon offen. Will J. seiner Tanzkatz ein Minikleid kaufen?: gelb/orange/ rosa/zyklam ‚verspätet op-streifig. Und schon durch den Via-; Notbremsungswumm. Das Haltestellengedränge dringt ein. Dämchen laufen, um in dreißig Minuten nicht angeschrieen zu werden; dies kleinlaut zerlächelnd. Kraftsommerschweiß achselt J. im Vorbeirummeln ab. Morgenschnäpse und Morgenwurstbrote transportarbeitern und knofeln in den allgegenwärtigen Kaffee. Essig? Im zerlegenen Weizenhaar eines Neuehefrauchens. Brillantine? Patzt in den strähnblondierten Haarpaketen eines Lehrbuben. Puder? Rosa übermehlte Ekzeme auf Kaumgesichtern. Chypre? Ja, vorgeschoben mit überdicken Brüsten.

Schuhleder?

Ja, aus dem Schuhsäcchen,

das als

Bürofreß-, -strick- und -garderobesack dient. Aufräumefrauen tragen den Ärger in Einkaufstaschen. Eine aufgeschwemmte Tranigschauerin mit geschwärztem Haar — wie gesponnenem Rußzucker — duct mit in der Front der Krimileser. Geprügelte Frauen, kleingebliebene Fabrikangestellte, totgeölte Verkäufer, katalogskizzenhirnige Werkstättenleute. Frischgebürstete noch hoffende Adlaten. Frühbesoffene Nörgler aus Ressentimentzimmern, Grobiane von der Verladerampe, gute Jahrgänge Fabrikfrauen, wehrhaft vom Umgang mit solchem. Zwei Weiber, zusammdrängelnd, anscheinend glücklich, einander hier zufallbegegnet zu sein. Niedergeschlagene Werktag-, fade Ducker- und Kränklerinnen-Stimmen. Offene Kragen, Zahnfäule mit Menthol, bunte Hemden. Durchscheinen von Unterwäsche, Vorgehn von Trägern; Nesteln, Kratzen, Klebrigeslösen.

Und jetzt, erstes Wasser, noch frisch aus der Morgenverpackung, brist die Straßenbahnluft und bricht Freigrün und Urlaubsebene in die pflichttagzerstopften Stücke Fenster. Ein Knotenpunkt saugt die Massen hinaus, und J. bequemt, Beine weit vor, die letzten grün-

grauen Etappen zum endgültig Blauen und Grünen. Studien zum Fetischismus 1. Ich möchte mit dir schlafen, sagte unterm Klingeln des ödländlichen Erdnußautomaten der Besoffene,

aber unter folgenden Bedingungen: Du mußt nach dem Parfum riechen, das meine Kinderwärterin,

als sie mich wartete, unter der

249

Studien zum Fetischismus

Brust und am Weißschenkel trug. Du mußt bellen, wie meine erste

Liebe, wenn sie sich im Schwachsinnigeninternat ins grünspanbekettete Zapfenstreichbett legte. Du mußt jene Zigaretten rauchen, aus

Mund, Nase und Fingerkuppen, die Fräulein Boyler rauchte, meine Leichtkunstlehrerin, ehe ich sie an einem herbstfahlen Moortag mit

dem Fliegenersticker tötete. Du mußt — Jetzt hör auf, sagte die schielende Wollustbeinige, ich kann dein „Du mußt“ nicht mehr hören. Ich rufe, sagte sie, meinen Zuhälter, und der wird aus dir Kleinhölzli machen. Er wird dich zerschrammen, durchkerben, entwobbeln, inkrusten, mißquirren. Jetzt hör auf, sagte der Besoffene und zahlte; um mit Sadistinnen an einem Tisch zu —

Ist schon recht, sagte die Schielende und verdoppelte ihre Beine. Studien zum Fetischismus 2. > Marktkundliches. Studien zum Fetischismus 3.

(Raum zum Übertragen eines Schulaufsatzes: „Mein erster Fetisch.‘“)

250

Suppe

Sulfatschluß. Der junge Unterläufel versprach sich, den Tag, an dem er erstmals würde sagen können, „meine Lieferanten“, „meine Zahlungsbedingungen“, „mein Sulfatschluß“, rot oder blau einzurah-

men und jährlich mit französischem Champagner zu feiern. Heute sagt er zu Champagner nie mehr „französisch“ hinzu, wenngleich er öfters auch heimischen Sekt trinkt, und feiert mit ihm dies und jenes, aber nie den langverjährten blau-roten Tag, an dem er erstmals sagen konnte, „meine Lieferanten“, „meine Zahlungsbedingungen“ und „mein Sulfatschluß“. Suppe 1. Die Suppe ist fertig, ruft die Mutter durch die Räume. Die Sonnenringe versprechen eine Überraschungssuppe mit roten

und blauen Einlagen aus knusprigem Hexenteig. Aber es gibt heute nur klare Rindssuppe mit faden immer wieder vom Löffel schlüpfenden Nudeln. Der Bub sieht darin die Langeweile erwachsener Jahre. Suppe 2. Zirka 500 g abgezogenen, ausgenommenen, gereinigten Aal drehen wir über einer Cognacflamme nach allen Seiten, bis die feine Haut springt, die wir dann mit einem Tuch abreiben. Nun schneiden wir den Aal in fingerbreite Stücke, salzen und pfeffern ihn und kochen nach einiger Zeit mit geschnittenen Zwiebelringen von einer mittleren Zwiebel mit etwa einem Viertelliter essiggesäuertem Wasser weich. Sodann nehmen wir die Aalstücke aus 251

Suppe

dem Sud, schneiden sie in kleine Stücke, ebenso über Nacht ein-

geweichte Dörrbirnen, die wir mit etwas Champagner und Wasser gut weichgekocht haben. Ungefähr 150 g kleinwürfelig geschnittenes Wurzelwerk dünsten wir mit etwas Suppe weich, geben ein klein wenig Salbei und Thymian dazu. Sodann setzen wir dem Aalsud das Püree von 200 g Edelkastanien unter stetem Rühren zu, fügen in Fischotternsuppe weichgekochte gewaschene Froschschenkel (pro Person 3—4 Paar) zu, tragen den Birnenaal und endlich das Wurzelgemüse ein, gießen mit 34 Liter gut legierter Champignonpüreesuppe auf, lassen alles nochmals gut durchkochen und geben mit buttergerösteten gestoßenen Krebsenschalen und falschen Schildkröteneiern zu Tisch. Suppe 3. Was bleibt mir übrig, als den Frühling in der Frühlingssuppe aufzuessen?, sagt der 14jährige Caro Coenluir zu seiner Tischnachbarin, der 15jährigen Linda. Ich kann dich nicht auf Kommando lieben, schreit die schöne Basketballsiegerin ihn bekümmert an. Beide sind naß in den Augen, fühlen die Tragik der Naturgesetze, löffeln märzgrüne cremige Suppe. Suppe 4. In der Suppe ist ein Haar. Er erkennt die Or&al-Färbung des schönen roten Küchenmädchens. Er nimmt das Haar liebevoll aus dem Teller, trocknet es an der Serviette und klebt es zwischen

zwei Kleb-Etiketten, die er anschließend mit Ort und Tag des Vorfalls signiert. Restaurateur, Küchenchef, Oberkellner und die drei

ranghöchsten Serviererinnen haben sich mittlerweile um seinen Tisch gestellt. Das rote Küchenmädchen wird fristlos entlassen, sagen sie

mit devoten Stimmen. Ja, aber sie hat mir ein starkes Vergnügen bereitet, sagen Sie ihr das, bitte, zuvor. Ihr Wunsch ist uns Befehl,

sagen sie mit devoten Stimmen. Jetzt erst gäumt er den blaßgelben Spargel. Suppe 5. Er ist hungrig, nach dem Streunen, und freut sich selbst auf etwas Blasses wie Suppe. Die Häuser, die so anders sind, weil sie Häuser der Westvorstadt sind, werden zurückgelassen, eine Riesenumfahrung

der Stadt und die gewohnten,

aber rührenden

Häuser der Ostvorstadt folgen, und er riecht Vorstadtsuppen. Suppe renkt den Magen ein, hörte er oft,*Suppe rundet ab, Suppe ist die Königin des Mahles, auch las er den Suppenkaspar. Speise meiner extremen

Situationen, deklamiert er, Gulyas- oder serbische Boh-

nensuppen der Sperrstundenräusche, Fliedersuppe der Ile-deFrance-Hochzeiter, Bettelsuppe, hölzerngestisch eingeschöpft, hundig vom Teller geschlürft und geschleckt. Vielleicht aber werde ich auch Kranführer und mein fettes Weib macht mir einen dicken blutroten Eintopf, wenn ich schichtspät zu einem blau- oder rotkarierten Tisch heimkomme. 292

Susi

So (oder anders) ist das Leben, singen die ungeschmolzenen Glocken des bombenlosen Kontinentalsonntags,

seid geliebt und ausgelöffelt, wenn ihr auch nur Suppen heißt, singt der streunhungrige suppenverliebte Suppengegner. Susi 1. Wenn Sie zu „Susi“ eigene elegische Assoziationen haben, stellen Sie sie auf das Optimum: auf jene Schärfe, vor und hinter der sie zu verschwimmen beginnen (Sie werden Gründe haben, dies

Verschwimmen zu fördern ..); auf jene (kurze) Dauer, nach deren Ablauf sie ins weitere Assoziationenfeld zerwimmeln. Verbannen Sie diese Susi in die traurige Ferne und Unbestimmtheit irgendeines Hauses auf irgendeinem Wachauer Hügel. Falls Sie nun jenen Stich ins vegetative Nervensystem bekamen, der schmerzlicher als die sogenannte Erfüllung, aber angenehmer als die Langeweile des Abgeklärten ist, brauchen Sie keine andere Susi-Variante aufzuschlagen. Susi 2. Es gibt Orte, die geeignet, und Orte, die ungeeignet sind. Stunden, geeignete und ungeeignete. Randfiguren, geeignete und ungeeignete. Temperaturen, Gespräche, Kleidfarben, geeignete und ungeeignete. So kompliziert ist die Welt geworden, seit J. Susi liebt. Diese Bedeutung des Zufalls für das Gelingen von etwas so Unzufälligem wie Liebe wird J. auch als Erwachsener nie verstehen. Später bleiben die Leute trotz Amputation, Arbeitslosigkeit, Zuchthausstrafen beisammen, heute entscheidet noch eine dünne ausflug-

verhindernde Wolkendecke über Susi und ihn. J. weiß, Susi, seine Philosophier-Gefährtin, Mitstreiterin, Nahziel im Apfelgarten, Fernziel im Hemdchen, sein beliebtestes Grün, Orangerosa, Lila, die Zyklamduft- und Lederduft-Susi ist gestern, vor Beginn des neuen Schuljahres, mit unbestimmtem Ziel fort-

gezogen. Er wird sie immer suchen. Susi 3. In der ersten Nacht nach dem Aufscheinen Susis, ohne Hoff-

nung auf Wiederkehr des Phänomens, lag der Schüler J. noch etwas wach, die Möglichkeiten abweisend, die sich kitschig anboten: zu weinen; zu stöhnen „Gott, Gott... .“; zu denken „ich fasse es nicht“;

zu schimpfen und dergleichen. Am reinlichsten kam ihm Still-Liegen vor, ohne aktives Denken,

ohne diese Bauchpresse

des Gehirns.

Wenn er still-lag, kamen ohnehin die richtigen Gedanken über ihn. Heute ja. Heute lag er im Säurebad und mußte, um bis zu den Knochen aufgelöst zu werden, gar nicht planschen und sich einreiben. Er wünschte sich, daß das immer so bliebe, daß das erste,

noch authentische Susibild, das die Gespräche und Bewegungen der 253

Susi

echten Susi noch ein Stück automatisch fortzusetzen imstande war (so wie ein geköpftes Huhn noch etwas weiterrennt), immer bestände. Er wußte aber, daß dies nicht möglich war, und genoß das

unverdienbare Privileg der heutigen, einzigen Nacht, die je einer echten Susinacht vergleichbar sein würde. Schon erwartete er die Schmarotzgesichter, die jedes Susibild überwuchern, zerstören. Susi 4. Der Schüler J. (> Susi 3) sparte sich das nochmalige Erzählen von Susis Reizen nächsten Morgens auf die nächste, die übernächste Stunde, den Nachmittag auf, weil er wußte, daß es nach diesem Erzählen kein nächstes geben würde oder, wahrscheinlicher, doch, aber das dritte Erzählen würde das Thema schon ramponie-

ren: es waren auf die Dauer zu wenig Details, nichts Neues wuchs nach. Er hatte es schwer, von Susi eine Rahmenvorstellung zu geben. Er beherrschte nicht die Kunst, mit wenigen Strichen eine prägnante Karikatur zu zeichnen. Er fühlte aber zugleich, daß die lahmlappigen Beschreibungsversuche (weiblich; ein Mädchen; mittelgroß; in einem Kleid; in einem bunten Kleid; braunhaarig; welche Augenfarbe eigentlich?; mit einem Mund versehen; etc) nicht nur so gut

wie: khläduwäschkhäbäthl waren, sondern auch vor das eigene inwendige Susibild eine dummbemalte Figur aus dickem Pappdeckel stellten. Susi 5. Irgendwann kam das Verhängnis, daß der Schüler J. (> Susi 3) sich sein virtuelles Susibild ins Bett mitnahm, um darüber zu onanieren. Er stattete Susi mit schematischen Körperteilen aus, denn er hatte nicht viel authentische Erinnerung verfügbar. Außerdem zerging bei so intensivem Angriff das Susibild in ein Puzzle aus mehreren Mündern, Augen, Ohren, aus Wangen, die sich zu keiner

überzeugenden Farbe entschlossen und zuletzt in das Rosaweiß von rohem Schweinespeck, den er gestern gesehen hatte, flüchteten. So war auch die Freude nur halb, und nachher lag er mit einem Wrack von Susibild da, als hätte er ein unfixiertes Pastellbild belegen, des-

sen Schmetterlingsstaub nun auf dem eigenen Bauch, Bein, Hintern zu finden wäre und niemals mehr in die künstlerische Ordnung zurückkehren würde. Diese Zerstörung konnte, außer durch Wiederbegegnen der echten Susi, kaum ungeschehen gemacht werden. Susi 6. Susi morgens: Susi duscht. Susi trocknet sich die schönen kleinen Brustlaibe ab. Sie ist ärgerlich, daß der Rücken naß bleibt. Sie macht sich einen dünnen Kaffee, ziegenmilcht ihn und streicht sich Malz aufs Butterbrot. Aber Susi schreibt mit der zierlich runden 254

Sympathisch Mädchenscrift der Schulen jener Tage in ihr grellrotes Tagebuch Datum, Wetter, ich liebe ihn richtig (unterstrichen), heute MathSchularbeit, ich fürchte mich vor dem Leben (unterstrichen). J. mittags: J. schiebt den leergegessenen Erbs-Teller weg. Die Mutter wäscht ab. J. schiebt lärmend den schäbigen Sessel auf den kleinen Gassenbalkon und lernt Materialien. Der Unterschied zwischen Gips und Alabaster. Der Kristallwassergehalt. Sinterungsprozeß. Die Susileute der neuen Susistadt singen Susilieder. (Der Susifrühling ist ausgebrochen.) Durch Susistraßen und Susiwände hindurch liest J. im Susitagebuch „Ich liebe ihn richtig“. Er antwortet mittels

seines grellblauen Tagebuchs „Ich möchte Susi schon ganz haben.“ Das ist damals für J. noch ein Monsterwunsc. Susi abends: Susi duscht. Susi geht nackt ins Bett. Susi denkt an > Edelnaschwerk und ruiniert sich mit Elendsnaschwerk ein wenig die Zähne. Sie klatscht sich auf den schönen speckweißen Oberschenkel und erreicht mit dem rosakralligen Luxus-Mittelfinger den Drucknopf der Messinglampe. Liest ein wenig in Sartres „Ekel“. Mißversteht ihn als lebensverneinend, denn sie ist gegenwärtig sehr lebensbejahend. Susi liegt in Lichtblau. Susi träumt sich allmählich zur Frau. Nur für Susi und J. hat seinerzeit die Genesis stattgefunden, Ursprung und Ziel der Geschichte ist kein Buch von Jaspers, sondern liegt in Susis willkommenheißendem Bett. Susi- und Eiske-Epilog. Nach Ernest Bornemann (dessen andere Meinungen ich schätze) ist die ungeteilte Liebe zu einem Menschen eine merkwürdige Krankheit, die ausgerechnet Homosexuelle dem Abendland vererbt haben. Der Wunsch nach „einer Auserwählten

i ist ätiologisch Fetischismus aufgrund überlebender Kindheitseindrücke, teleologisch eine Triebkraft im Dienst des Aussterbens.

Günstig wäre es, Starke, Fruchtbare, Unbesondere zur Paarung zu wählen. Stabil sind die nivellierenden Kulturen, in denen (man

verzeihe das Konsumbild) Susi, Eiske und Barbara nicht Birne, Apfel und Kürbis bedeuten, sondern austauschbares, gleichschmekkendes Einheitsobst. Danke, schon gespeist. Sympathisch (werbesprachlich): Das sympathische Rasierwasser. FLokkı-FLo&k macht Hunde sympathisch.

Mundfrisch sein, schafft Sympathie, Mundgeruch erreicht das nie. Auc an kritischen Tagen beinsympathisch. Ercremen Sie Sympathieachseln. Kobolz — der magensympathische Kräuterlikör. Keine 255

Tätowieren

Rauchernägel mehr: Filter X handsympathisch. Minx — der twensympathische Lippenstift. Taschenmarlitt — die sympathische Reiselektüre. Scheiterhauff & Co, die sympathische Feuerbestattung. Suche sympathische Wicklerin/Löterin; suche sympathischen GehBeruf; suche sympathisches Darlehen. Hausse im Angeben. Hausse im Pfötchengeben. Wer weiß, wie man sich beliebt macht, macht sich beliebt. Nie so gut gekotzt. Suche sympathische Gegenwart, suche sympathische Vergangenheit, suche sympathische Zukunft. Tätowieren. Ich hatte Gelegenheit, bei Bellini die Lanzettchen in Aktion zu sehen. Eine mutige, etwas extravagante Assistentin hatte sich den Interessenten — ein paar Kosmetikern beiderlei Geschlechtes, zwei, drei Chemiekaufleuten

und einem Gerichtsarzt —

zur

Verfügung gestellt. Sie lag auf einer Pritsche, Rücken nach oben, in rotem Bikini, war ganz hübsch braun und wurde von einem Spezialisten lokalanästhesiert und entblutet. Dann traten die Messerchen in Funktion: zehn Grundfarben, aus denen Japaner angeblich bis zu sechshundert unterscheidbare Töne tätowieren können, und sechs Schnittformen: am interessantesten die drehbaren, mit denen

man unter der Haut eine Art farbiges Knöpfchen aufwuchern lassen konnte, und die drittelrunden, aus deren Verletzungen man sowohl die sehr beliebten Blumengirlanden als auch Bilder kunstvoller Frisuren aufbaut. Die Messerchen steckte man in ein handliches Werkzeug mit Pistolengriff und mannigfachen Einstellmarken. Das Großartige an ihnen war, daß sie nicht mit Farbe gespeist werden mußten, sondern selbst Farbe waren, nämlich buntes Metall, das bei

zerstörender Berührung mit der Haut winzige Mengen eines unvergänglich und prächtig färbenden Reagens abgab. Während die Assistentin unbekümmert mit dem etwas schwitzenden Fachmann plauderte (sie wollte wissen, wo er die Wendigkeit im Leutverschandeln erlangt hatte), bedeckte sich unter wechselnd hohem Motorgebrumm ihr Rücken allmählich mit einem LSDTraum von verschlungenen Menschen, Katzen, Heuschrecken und blühenden Kakteen. „Das Purpur ist besonders schön“, lobte der Fachmann, ‚im auffallenden Licht wird es zu einem warmen Grün,

und der ganze Rücken webt und lebt“. Ob sie ein Monogramm ans Rückenende wolle; japanische Teenager zieren sich meist mit dem Namen des Freundes; „ja, aber nur mein eigenes; sicher ist sicher“; sie lachte. „Na, bin ich jetzt eine Schönheit?“, sagte sie zu uns. Sie war aufgestanden und drehte sich in der neuerworbenen Pracht, die

tatsächlich wie ein durchstürmter Dschungel durcheinanderwogte und hier und dort die Farben wechselte. „Sagen Sie, Fräulein, tut Ihnen der Rücken schon gar nicht weh?“ „Ich habe keinen Augen-

256

Torschlußpanik

blick etwas gespürt, nicht während und nicht nachher.“ „Ein leichter Wundschmerz wird sich noch einstellen“, sagte der Gerichtsarzt, „im Moment wirkt noch die Anästhesie.“

In der ersten Woche verkaufte ich zweihundert Garnituren Tattoofix nach Japan. McCrown startet jetzt eine Kampagne für den skandinavischen Markt. Bevor es dort und in London nicht Fuß gefaßt hat, hat es gar keinen Sinn, Deutschland und Österreich da-

mit zu attackieren. Taufstelle. Ich ertappte mich beim Zögern, welchen Heldennamen ich verwenden soll. Daß © ıcH viel von J.s Reise mitgemacht habe, leugne ich nicht; daß ich wichtige Eigenschaften, zB die Katzenfreundschaft, mit ihm teile, erleichtert mir die Einfühlung; daß ich oft in seinen

seltsamsten Momenten zu Ich übergehe, soll ihn vor meiner Überheblichkeit schützen; daß ich mit ihm identisch bin, endlich, wäre Irrtum, Schmeichelei und Verleumdung (bedenkt: er ist schlank! und er liebt nicht die Algebra!); © ER kommt dem „erlebenden Subjekt“, das von allen anderen

Subjekten unterschieden ist (denn ihm wird sein Sterben trotz Fortleben vieler Subjekte immer ein Weltuntergang scheinen), wesentlich näher als © ;., das dem Leser nichts grundsätzlich anderes als K., L., M. bedeutet; wo ich den Helden in die Mitmenschenschar ein-

tunken will, bleibe ich bei J.; vieles betrifft auch J. wie alle anderen, dort kann man sagen: ®

MAN.

Nun schulde ich dem Leser nichts mehr, als „Gute Anpassung!“ zu wünschen. Damit ausgerüstet: rasch dem Kaufmann nachgerannt; er steht schon vor der > Brücke. Teenager-Briefe. „Hier ist es fad“, schreibt ein Teenager. ‚Pferde scheuchen die Mücken weg. Mücken scheuchen die Pferde weg. Das ist alles. Ein Hund bekotete ein Raubtier. Eine Wespe machte sich in Wein naß und trocknete sich an einem Filterkarton. Straßenarbeiter fluchten. Von einem Tisch troff Blut. Eine Biene schneuzte sich in ihre Nase und wurde traurig.“ Torschlußpanik. In diesem Dorf sperren sie schon um halb acht die Haustore. Alphard Mutz sitzt nach seiner sechsstündigen Wanderung, die ihn auf kalkigen und lehmigen Straßen zwischen Getreidefeldern und allerlei Dörfern herumführte, mit brennender > brauner Haut vor einem Tisch mit frischen roten Mohnblumen und zartgrünen Mohnblumenknospen und weiß, daß ihn nun niemand mehr besuchen kann. Auf der Wanderung hat er Ysot, die man ihm versprach, nicht getroffen. Die anderen Männer des Werkwohnhau257

Torte

ses sitzen jetzt alle in ihren Stuben und lieben ihre Frauen. Unter dem Fenster liegt ungemähter Rasen, mit einer gewissen Kühle und von sternförmig wucherndem Blattwerk überkrochen. Torte 1. Biß durch Biskuit und Schaum. Plötzlich treffen die Zähne auf hartes Karamel. Torte 2. Die ländliche Torte, von allen gepriesen, erwies sich als eine Art aufgeweichten Weißbrotes. Die Milch, noch dazu, böckelte.

Torte 3. Schmull, sagt der Tortenesser schmatzend zu seiner Frau. Schmaff, sagt die Frau, kokett sich die Lippen leckend. Ihre Torte ist überhaupt nur Creme. Darf ich deine Lippen reinigen, Schmätzchen?, fragt der Tortenesser, und seine Tortencremezunge fährt über die Tortencremelippen der allmählich aufschmerenden Frau. Sein Tortencremebart sticht ihr schmettengeschmiertes Tortendoppelkinn, aber Schmätzchen schmollt nicht, sondern schmurrt schmohlig. Torte 4. Törtchen — sie waren wirklich keine Torten, sondern Genießerspielzeug. Man biß durch grüngefärbten nach herben Knospen schmeckenden Teig, leckte dann Mokka,

stieß. auf Pistaziennüsse,

dann aber schockte ein Hirschhornsalzbrocen. Torte 5. Magdalenentorte Wirtschaftstorte Puffertorte gerührte Linzertorte Polentatorte Käsetorte Knödeltorte Brottorte Windtorte Zebratorte Glastorte Sandtorte Napoleontorte Allianztorte Bleitorte Schrottorte Prophetentorte Blitztorte Krachtorte Torte von Heidenmehl (Prato, Süddeutsche Küche)

Torte 6. Sie bewarfen sich mit Torten. Es fehlte nicht die keusche Sachertorte, die geile Rohbuttertorte, die raffinierte Fliedercreme-

torte, die spartanische Sprudelmilchtorte, es fehlten nicht die blauen Torteletten, die blutsüßen Lungentorten mit eingebackenen Kalbs-

augen, die Honigtorten, mit denen Jünglinge ihre Mädchen einreiben, wenn sie an Wildbienenbäumen und Bärenschulen vorbeistreunen — Aber plötzlich kam der Chef, die Lautstärke wechselte auf MegaPhon, der Maulschellen war kein Ende, des Arbeitslohnes kein Anfang, der Schulden keine Grenze. Da haben wir uns heut was Schö-

nes eingebrockt, formulierte die kleine Schma ihrer aller Situation. Jetzt können wir nur mehr Verbrecher werden, folgerte Boxl. Aber

wenn ich irgendmalwowieder angestellt werde, sagte die platzende Stoni, das Tortenwerfen laß ich mir nicht entgehen. Es ist ja doch zum Anscheißen lustig, bestätigte Scheißerl, schau, was wir alle für einen Tortenbart haben. 258

Transvestiten

Torte 7. Diese Torte da, sagte schüchtern der 9jährige Willi. Das Wasser lief ihm rechts und links hinter der Zunge und vom unteren Gaumen her zusammen, weil er an das Mümmeln des durchcremten

parfumierten Teigs dachte. Das Petroleum, meinst du!, sagte mürrisch der Krämer, der Menschenfeind, und schnell bildete sich eine Flasche in Willis Händen,

und der Krämer pumpte am glitschigen Hebel, und der Laden war ganz Petroleumgestank, und in Willi goß sich nichts als schmutziges Erdöl ein. Jugendträume, sagte der Physiker W. N. etwas blaß und hob sich, zu Ehren des 9jährigen Willi, dies aber leuchtkräftig, ein dickes Stück tarte a la Mathilda vom Tortensilber der Internationalen Atomenergiekommission ab. Torte 8. Jetzt werden wir rasten, sagten die Eltern. Ist das die Möglichkeit?, sagte Mytilla Mitil, da gibt es gar dieses von durcheinanderkaufenden Leuten durchwimmelte Fremdstadtcaf& mit der schwerverständlichen Mundart; die Türkischrottorte?, verstand My-

tilla da schon einen Kellner, ja, sagte sie begeistert, denn zuhaus gab es nur die langgewohnten Binsenkuchen, und haben Sie ein Krokodil drauf?, ergänzte sie schüchtern. Natürlich, frisch gefangen, munkelte der Kellner und zeigte ein Portefeuille mit drei verschieden großen Marzipanbiestern. O, o, stammelte Mytilla. Sie ist so gern in Calve-

stadt, entschuldigten die Eltern Mytillas undamenhafte Aufregung. Torte 9. Mürb. Buttrig. Staubig. Alt. Despotisch. Konventionell. Mehlbrocken. Zuviel eingegrieselt. Zu heiß gebacken. Zu dünnflüssig übergossen. Zuwenig da. Sprachstreit Sahne/Obers. Mehrfarbige Schichten. Artigsein. Spitzenpapier. Tortenspritze. Vanillegeruch der Tortenläden. War Diplomatengattin und aß die Sacher „mit“! Sattgegessen. Unsere Mirli wird so dick, sie tortelt zuviel. Gebrannte Mandeln auf glutigem Blech. Karamelverklebt. Tortenbäcker, ach ein goldener Boden. Tortenböden. Torte, von „torqueo“, die Gedrehte, ob sie auch ohne Drehung so rund wäre? Tortur, die schmerzhafte Verdrehung des Körpers zur Torte. Torquato Tasso, der qualgedrehte Liebhaber. Torquemada, der Torturenmacher der Inquisition. Bitte, bestellt die Frau des Geburtstagskindes, eine Torte wie diese hier, aber mit achtzig Kerzen. Transvestiten. Man schließe von der Lust am Anlegen der Attribute des anderen Geschlechtes nicht voreilig auf gleichgeschlechtliche Veranlagung. Von unserer pseudo-fetischistischen Freude (> Fetischist) am Betrachten hübscher Teenagerkleidung am Teenager, über das Befühlen und Streicheln dieser Kleidung am Teenager oder nach Ablegen durch den Teenager, bis zum Anschmiegen dieser Textilien 259

Ufer

an unseren eigenen Körper führt ein Weg ohne Grenzstein. Der Autor selbst, wenn er das mädchenblaueste seiner Freizeithemden anzieht, also als Amateurtransvestit, fühlt ein Mädchen ange-

schmiegt. (Und nicht etwa sich als bubensüchtiges Mädchen.) So wird auch mancher zünftige Transvestit in seinem Handeln nicht Verweiblichung, sondern Vereinigung mit Weiblichem fühlen. (Vgl. Kinsey, Das sexuelle Verhalten der Frau: „Ein Mann kann sich zum

Beispiel so stark zu Frauen hingezogen fühlen, daß er eine permanente Identifizierung mit ihnen anstrebt.““) Ufer. Geographisch: rechtes, in J.s Stromauf-Fahrt aber linkes. Die Winkenden winken nicht mehr. (Das massige Stampfen und Rauschen hat ausgelärmt, der Schiffsjunge turnt nicht mehr in den Bäumen, der Kapitän ist im Kapitänkobel ganz Kapitän, jeden Tag Sonntag, ein Wolljäckchen gabelfrühstückt schon), langsam weicht der Dunst — der Himmel wird stärker blau, ein Nachleuchten der

>> bunten Stühle im Schiffsstations-Cafe. Eintritt in die > Verladelandschaft. Ufermauer. Na also, jetzt ist es schon unumstößlich, daß wir in freundlichem Land sind, auch die Ufermauer kann uns nicht schrek-

ken, ganz im Gegenteil, es ist ein so säuberliches Feiertagsmäuerchen mitten im Werktag; eine rechte Mauer zur rechten Zeit erquickt oft in ganz überraschendem Ausmaß (Schi huang-ti?). Nagelneue Lackschilder (> Schildermalen), langgezogen, für Getränke werbend, am langgezogenen Uferrestaurantgärtchen, grüngittrigen, an die Ufermauer geklebten. Dort Ameise sein. Wanderer sein. Der sich jetzt im Sitzen im Trinken an die Mauer lehnen kann, die sonnendurchwärmte im Herbst, die glitschiggekühlte am heutigen Vorhundstag. > Bunte Stühle. > Station Nixdorf. Ulli Ergänzungen 1. Ulli kasperlt gern. Schüttelt sich vor Ekel, die Augen verdrehend, das Gesicht wie im Fliehkrafttester verschoben, wenn Leute ihr einen Tausendfüßler in die Hand drücken. Sie und

die siebenjährige Elisabeth haben auf Gartenbänke Sessel gestellt: die Sessel reiten die Bänke, die Mädchen sitzen auf den Sesseln wie Maharanis hoch zu Elefant; so spielen sie Karten und Buchstabenspiele. Ulli Ergänzungen 2. Ulli bringt einen nicht ganz sattelfesten Ingenieur in schwere Verlegenheit durch Fragen nach physikalischen Ursachen und Wirkungen. Sie baut schrittweise auf und führt auf diese Weise einen Testprozeß, in dem man nicht schwindeln kann. Ulli Ergänzungen 3. Der Chemiekaufmann J. bedauert, daß er in Y., wo er neunjährig haselnußstreunte — gänzlich allein —, nicht die heutige neunjährige Ulli zur Kameradin hatte. Ulli versteht so260

Ultraviolett

gleich, daß sie dem Mann, der ihr das heute sagt, zur rechten Zeit die Einsamkeit genommen hätte. Denn sie sind, wie der Chemiker sagt, wahlverwandt, mißachten die Grenzen der Zeit und bedürfen, um einander die Einsamkeit zu nehmen, weder erklärender Worte

noch der reifgeschlechtlichen Möglichkeiten. Ulli Ergänzungen 4. Ulli beschreibt, zum Erstaunen der Psychologen, Abenteuer aus ihrem zweiten Lebensjahr, von einem Ort, den sie damals für immer verlassen hat. Ihre Zeichnung der Stuben,

Verschläge und Unebenheiten stimmt. Sie zeigt, wie sie ein sechzehntel Liter Johannisbeerwein im Garten der Großeltern austrinkt und „lustig“ ins Bett wankt — ihre Eltern wundern sich, daß Ulli am nächsten Morgen so lange schläft. Ulli findet, es ist inzwischen

gar keine Zeit vergangen, denn während man manches nur wie eine altväterliche Illustration vor sich sieht, wird die Umwelt der Zwei-

jährigen mit der Umwelt der Neunjährigen identisch, und Ulli schlägt den längstveraschten Großvater beim Fangenspiel übermütig auf die Hand. Ulli Ergänzungen 5. Ulli ist von Spottlust nicht frei. Besonders im Team mit Elisabeth höhnt sie viel und unbarmherzig. Ist sie außer Dienst, wechseln ihre Gesichtszüge ins Milde, Ernste, Traurige, auch Leere — ein Engerl, sagen Besucher. Sobald jemand Eßbarer das Spinnennetz betritt, verschiebt sich Ullis Gesicht ins Disharmonische des Hohns. Wie stolz dürfen daher jene Menschen sein, die von Ulli akzeptiert werden und an ihrem milden, traurigen oder leeren

Dreinschauen teilhaben. Ulli Ergänzungen 6. Ulli fingert in der Stummensprache den langen Satz: „SCHADE DASS ICH NOCH NICHT ALT GENUG BIN UM EINEN FREUND ZU HABEN.“ Sie lutscht sich einen Fleck in den Oberarm, zeigt auch das ihrem Gesprächspartner, schaut ihn herausfordernd an, und als er fragt „Warum machst du denn das?“, zuckt sie die

Schulter, schaut scheinheilig kindisch und sagt abschätzig einen schwerbestimmbaren Konsonanten. Ulli Ergänzungen 7. Ein bitterer Mensch schreibt in Ullis Stammbuch: Du bist gescheit. Aber benimm dich doch nicht wie in einer Welt, in der die Gescheiten gesiegt haben. Ulli Ergänzungen 8. Ein Ingenieur träumte von Ulli einen bösen Traum. Ullis Vernichtung. Weil Ulli zu gescheit war (> Ulli Ergänzungen 2). Man nahm ihr vor der Verladung alles ab; den Apfel, in den sie gerade biß, durfte sie aber auf den Lastwagen mitnehmen, denn sie würde ihn ohnehin noch aufessen und der Butzen

würde dann gemeinsam mit Ullis Körper verbrennen. Ultraviolett. Myra Metelli, die Ordnung in Mädchengestalt, räumte alle Requisiten ihres Experiments in die waagrecht-senkrechte Ord261

Umschrieben

nung Haar aber Licht

ihres hellen Regals. Dann erst besah sie sich im Spiegel. Ihr war weißblond geworden, nichts sonderlich Neues. Aufgeregt schaltete sie die Ultraviolett-Birne ein: in ihrem unsichtbaren begann Myras duftiges, etwas wattiges Haar ein hellblau-

hellgrün-violettes Eigenleuchten auszustrahlen; hhhhhhh! — hauchte Myra, von ihrem Gelingen und ihrer Schönheit selbst er-

schreckt. Kein Friseur der Welt hatte je noch die UV-Fluoreszenz ausgenutzt, kein Star und keine Begum waren je in solcher Verzauberung aufgeleuchtet. Rasch holte sie den Sohn ihres Gemüsehändlers zum Zeugen. Umschrieben wird im Computerwesen manches Kommunikationselement etwas abweichend. Zur L-förmigen Eins des Dualsystems tritt das durchgestrichene Zeichen für den Vokal O („&“), das Verwechslungen mit Null ausschließen soll, und treten etwas verschobene Ziffern der Magnetschriften (zB der E 13.B amerikanischer Banken, die den laienhaften Empfänger von 200 Dollar hoffen lassen, er könne sich in seinem Kreditinstitut einen fix und fertigen

ZOO abholen). Unbestimmt. Ist die oft kuschelige Wirkung unbestimmt geformter weiblicher Gesichtspartien womöglich der patriarchalischen Vorliebe für unentschiedene Frauen zuzuschreiben? Ich hoffe, nein. Ich hoffe, auch Bewußtseinsentfaltung und Zielklarheit werden die Frau

nicht verhärten (werden vielleicht sogar etwas von der unsympathischen Mesozoikerhärte des heutigen Männerbildes aufweichen). V (werbesprachlich): Veni, vidi, vici. Victory! (Churchills 2. u. 3. Finger). Deutschland siegt an allen Fronten, Victoria! V 1, V 2, Intercontinental Ballistic Missile. (Fotomodell hebt zwei Churchillfinger:) V-Kaffee, der Siegreiche. Mit dem Bullworker erhalten Sie einen schönen V-förmigen Oberkörper: massive Schultern, die sich bis zur Taille verjüngen, geben Ihnen das Aussehen eines stahlharten, dynamischen Mannes. V auf römischen Inschriften: 1) lebendig, 2) hat gesiegt, 3) lebwohl. Verauung. Die Zigarette verzischt im Wasser, etwas > Plankton verbrennend. Die > Hügel ziehen sich vom Ufer, das Ufer vom

Schiff zurück. Das Häuschenzeug wird fern und unansehnlich. Um 9.20 gibt es überhaupt keine Häuser mehr. Auwald beginnt für unabsehbare Zeiten. (> Au). Das Schiff fährt manchmal fern, manchmal nah dem Ufer. > Wasserereignisse. J. tritt in ein > menschennäheres Stadium. Verladelandschaft. Gab es je ein Schiffsstations-Caf&? Nein, es gab und gibt und wird allzeit nur geben diese Verladelandschaft, Stege, Ketten, Rampen, Bretter, rostige Ringe in Zementbeton, rostige 262

Verladelandschaft

Anker hochgehaspelt oder grundelnd. Kahnhäuschen, Frachtkähne, Arbeitskähne. Kisten, Werkzeugbeutel, tätowierte Arme mit Kanistern. Olfässer, naßgrau, rostbraun, hingeworfene Folterknechtzangen. Und Trossen, Seile, Stricke. Ein kobradickes schwarzes Ka-

bel zu irgendeinem zischenden Kleingerät, das eine kleine kornblumenblaue Bläue in den himmelblauen Hundstagehimmel brennt. Das langsame melancholische Treideln stromaufwärts. Hinter der Hafenlinie der Trauermarsch der Gebäude: Zurücklassen der rußigen grauen violettbezipfelten Kirche. > Diensthäuschen. Ode alte > Gemeindebauten: verblichenes Gelblich, grau überrußt, verblichen grüne Kistenbalkone, ein wenig Antituberkelrasen, vergeblicher, um die Blöcke gescharrt. Das langsame melancholische Treideln stromaufwärts. Noch ödere > Gemeindebauten. > Lagerschuppen. > Fabrikschlote. > Fabrikschlote. Fabrikschlote, an der Spitze geschwärzt. Fabrikschlote in seltsamen Formen,

auf Podesten, mit Kröpfen. Kähne mit Kohle

oder dreckigem Kies. Ganz tiefgrau zerrußte Fabrikfront mit ausgenommenen Waffelfenstern, auch blindgeweißten Scheiben. Eine grauviolette Fabrikburg, mit altmodischer Schrift im obersten Stock: GREVEN-WERRE. Ein blindes kleines graues Fabrikhaus, das einen Schornstein, der einen Schornstein, der ein Schornsteinchen trägt, trägt.

An Bord Durchgang:

Wandervogelmänner

trägt,

mit grünen Ruck-

säcken, Feldstechern, zeltfarbenen Hemden: feldgrau, oliv, braunrot. Karierten Socken, Nickelbrillen. Einer stellt seinen Rucksack

beim Steuermann ein. Wahrscheinlich ein > Dynamit-Attentäter. Das langsame melancholische Treideln stromaufwärts. Verblichener Rohziegel: Lagerhäuser. Mattschwarze Krane, Doppelkrane, Portalkrane. Rostviolette Waggone. Freihaufen grober Kohle. Nun schöne > blaue Trichter; Förderband. Holzstämme,

aus der Ent-

fernung Soletti ähnelnd. Ein blaugraues Lastauto mit Fetzenplache, schleihend am Ufer. Eine > Kreissäge schreit. (> Spielregel). Nun ist es 7.30. Unbemerkt ist die Doppelbrücke herangeschwommen, und schon ist über dem Schiff eine > Brücke, über die mehrere

Rollgurte voll Verkehr poltern, und unter der Brücke, um das Schiff herum und unter dem Schiff ist > Wasser, und schon ist über

dem Schiff eine leere > Brücke, grüngestrichenes Stahlgestarre, schon ist es zurückgelassen, aber jetzt beugen sich > Menschen von ihm in das Schiff und fallen in das erfrischende petrolgrüne > Wasser und sind schon stromab getrieben, wo weit zurück die Doppelbrücke steht. Links täuscht das > Roststangenlager nicht über die Nähe der Freiheit hinweg. Schon steht eine Pappelreihe am Ufer. Noch ver263

Verwahrloste Fischerin

laden sie weiter Kohle. Nun nurmehr eine endlose Reihe von Güterwaggonen entlang dem Strom, hinter der steinigen Uferböschung, räudig vergrast. Genesende > Gemeindebauten. Schon: die Nord> Brücke in Sicht. Rechts: verankerte Hundehütten mit Liegenden darin, mit Steg und Spreizstangen: Senknetze; Fischer-Kolonie, Wasserheuschrecken

auf taglanger Lauer, auch die echten Hunde am Steg zu > FischerRuhe dressiert. Den langgestückelten Steg halten irgendwo über dem Wasser Zwingen und Flügelschrauben zusammen. Eine angebundene Blechdose schwimmt auf dem Fleck. Dicke Ringe, dicke Muttern, dicke Drähte machen auf Halt, in den Fluß gekettet spielt

im Käfig die Beute. Teer auf dem Dach, grüngelacktes Holz, Türen ausgemusterter Güterwaggone, Fenster aus verkitteten Glasereiabfällen. Links voraus aber das große Ereignis: die > Befreiung der Aussicht. Verwahrloste Fischerin 1. Und zwar einsame. Von der Sonne gebleichtes Haar, vom Alter noch kaum. Dazwischen helbraune Strähnen. In grauem Herrenhemd, teils geflickt, teils zerrissen. Knielanger violetter Rock, männliche Knie. Hartes Gesicht, von schwierigen Jahren vermiest, vom Schmutz mehrerer Tage ver-

schattet. Frage 1: Ißt sie diese Fische selber? (Über geklaubtem Holz gekocht, in einem Allzwecktopf, einem auf einer Lichtung gefundenen, den ihr der Pfannenflicker Josafat, für einen Beischlaf a posteriore im Gestrüpp einer August-, September-, Oktobernacht, zurechtgelötet hat?) Trägt sie sie auf den Markt? Wo ist der Fischmarkt? Wie kommt sie hin? (Hat sie ein Fahrrad noch aus ihren Arbeiterzeiten oder ein Jungmädchenrad, das der Besitzerin aus der Gepäckaufbewahrung der nächsten Bahnstation verlorenging? Mit rotem oder blauem Ziergespinst über den kleinen Rädern?) Frage 2: Wie ist ihr Bett? Eines der wenigen sauberen Refugien verwahrloster Menschen? Mit Liebe — wie jener, die man Rekruten einschreit — gemacht? Wäscht sie das Leintuch alle drei Wochen im nahen Bach? (Denn das Donauwasser ist voll des Ols der nahen Chemiewerke, thalliumhaltig.) Hat sie jemand, den sie stolz an der

Hand auf ihr sauberes Bett zieht und der ihr dann seine Bartstoppeln einprägt, plötzlich ein schönes Gesicht der verwahrlosten Fischerin kennend? Frage 3: Wie wird sie in der Schenke behandelt? Trinkt sie den Schnaps dort oder holt sie ihn nur für ihr Daheim? Kommt es vor, daß sie im Bett lange über Mitternacht hinaus trinkt und, weil das Fenster mit Erdäpfelsäcken verhangen ist, gar nicht merkt, daß es 264

Vorderdeckereignisse schon vormittag ist? Speit sie manchmal Fusel?

oder verträgt sie jeden

Frage 4: Wie würde sie sich verhalten, wenn ich sie beim Fischen störte, zB mich neben sie setzte und ihr den Rock hinaufzöge? Gibt es ungeschriebene Gesetze in ihrem Stand, die das verbieten? Oder

hat sie ein waches Aug für die faule Komik einer Situation? Oder hat sie auch schon Chemiekaufleute beherbergt und wundert sich über gar nichts mehr? Verwahrloste Fischerin 2. Und zwar gesellige. Soweit man bei Fischergruppen von Geselligkeit sprechen kann. (Aber nachher gehen die verwahrloste Frau und die zwei verwahrlosten Männer mitsammen in den Auwald, laut ein Kauderwelsch schnatternd. Der Mann der Verwahrlosten geht neben ihr mit der unaufdringlichen Selbstverständlichkeit

vieler Eheleute,

also: nicht händehaltend,

eingehängt oder nach der Hüfte greifend, sondern einfach danebenher, mit jenem sparsamen Abstand, der gelegentliches Zusammenstoßen der Arme oder Becken ermöglicht. Der andere Mann treibt Scherze, packt die Frau an der Schulter, haucht sie an — er stinkt, weil er stundenlang nichts gegessen hat —, küßt sie sogar auf den Mund und tätschelt sie auf dem Schenkel ganz oben. Damit hat er das Maß des Duldbaren überschritten, und der Ehemann stößt ihm

die Faust in den Rücken. Der Liebhaber lacht von einem Ohr zum anderen und greift dem Ehemann mit vollen Fäusten in die Mähne. Die Frau schreit vergnügt auf. Der Ehemann gibt dem Liebhaber noch einen Rippenstoß und geht dann an seiner Seite, ihn eng umschlingend. Die ungern vereinzelte Frau, zwei Schritt voraus, zwingt bald den Ehemannskopf in ihre scharfriechende Achselhöhle und lacht.) Verwandelt euch. Daten It. einem Briefkastenonkel: Das Schwein verwandelt

3,2 kg Körner,

die es frißt, zu einem

Kilogramm

Schweinefleisch, Lebendgewicht. Vorderdeckereignisse 1. Ein Pensionistenpaar erzählte einem anderen vom Urlaub in den Salinen. Salinen!, dachte J.: dort verdamp-

fen wir das Meer, um es Kühen und Hirschen zum Lecken zu geben. Vorderdeckereignisse 2. Sie haben erst jetzt einen Dackel, denkt Chemiekaufmann ]J. zu einer alten Dackelbesitzerin hinüber. Woher wissen Sie das?, denkt die Frau erstaunt zurück. Weil Ihr Gesicht

nach einer langen Gemeinschaft mit einem Mops aussieht, antwortet].

Vorderdeckereignisse 3. Zwei Pensionisten sahen einem Mädchen nach, deren weißer Minirock Teile eines gutgesonnten festen Gesäßes freigab. Dann schimpften sie; undankbar wie Kinder, die sich

265

Vorderdeckereignisse

freuen, wenn sie auf eine schmutzige Windschutzscheibe schreiben können, aber „Schwein“ hinschreiben.

Vorderdeckereignisse Vorderdeckereignisse Vorderdeckereignisse Vorderdeckereignisse

4. > Bordereignisse 2. 5.-> Bordereignisse 4 und 6. 6. > Bordereignisse 5 und 7. 7. Penetrante Wiederholung von Ereignissen

aus „> Deck 1“. Vorworte. > Nachworte, aber überlegen Sie, bitte, erst noch, ob

Sie sie nicht wirklich für danach aufsparen sollen; behalten Sie anderseits ihre jederzeitige Verfügbarkeit für Fragen, die sich während des Lesens aufdrängen, in Erinnerung. Vulkankegel 1. Mißtraue dem Grün-in-Grün, den pelzigen Laubkronen: sie sind erstarrte Lavabutzen, verbrannte Schafwollkräusel, zu heiß gesengte Lockenpracht des neu-romantischen Mödleins, vul-

kanisierter Wald. Heuchlerisch riecht er nach dem Bitter der Laubbäume: Rindenabsud, Gallwespenknödel, Laubsaft und Laubmoder, Gerbstoff der Knickäste, nach dem Frisch des feinkanalisierten Was-

sers. Er läßt sich friedlich begehen, begeh ihn nur! Wenn du in seiner Mitte bist, beginnt er wie ein Bassist zu lachen, zu grüßen, er lüftet

die Mütze, und schon fliegt sie dir und der Stadt entgegen und der Kegelstumpf zeigt seinen wahren Inhalt aus flüssiger Gelbglut, die nun, für dich aufgespart, zäh, aber viel schneller als du, deinen

Fluchtabhang brandorkan-stiftend und mit eisernem Höllengeruch herabrinnt. Die Vortruppzünglein tasten sich vorwärts, ein bißchen links, ein bißchen rechts, aber im ganzen imposant unbeirrbar dich einholend. Armer Unterlieger, Drunterlieger, brennender schwarzer Braten.

Vulkankegel 2. Ein ganz hoher aus der Vulkangruppe Kınpkeit — recht genaue Kegel, waldgetarnt, mit der abnehmbaren Kuppe — Grün wurde Schwarz, Tagblau Nachtrot, Traum Alp, Vogelgezirp Gebläseschnaufen, Flüßchenstadt Kohlenkübel, Lieblingsmenschen Asche und Waldbummel Jetztrennwenndukannst. Er drohte, dich zu „Kurb£l“ zu brennen, im bordeauxroten Schlafzimmer der blau-

salonigen Zimmervermieterin. Emilie ging dann mit euch in den schütteren politischen Laubwald des Grenzstädtchens, tröstlich, aber

auf der Flucht vor den Feinden dann wimmelte es von unverläßlich erloschenen Kegeln und Kuppen, und du grubst dich vor Schrecken in Odebene und ein späteres Geometriebuch. Wachau. Jetzt müssen wir die Szenenbeleuchtung ändern, gleichsam vom Gelb und Rot der Sonnenträgheit auf Hellblau umschalten, denn jetzt kommt der quickere Nachmittag (Vorbote abendschattiger Ausgelassenheit an all den quellschwarzen Bestimmungsstationen). 266

Wachau

Die Schnarchenden

fallen Stück für Stück aus dem Schlaf, die

Schweigenden beginnen zu reden, die lustlos Murmelnden beginnen zu singen, sogar Mundharmonikas und Flaschen mit warmem Wein beginnen zu tanzen. Empfohlene Liköre werden weiterempfohlen. Der Hinterdeck-Teenager

schält sich das Lack-007

ab, den Vor-

sprung der übrigen Haut kann die Restsonne nicht mehr einbräunen. „Du bist ein Trampel“, sagt die Mittelstürmerin zu ihr, als die

Kennzahl rosig vom > braunen Bauch leuchtet. Die VorderdeckPensionistin fängt gar wieder ihren Mann zu schoppen an. Dabei sind nur ganz weit vorn die Hügel des Bestimmungslandes aufgetaucht, ohnehin noch nicht der Rede wert, die Hügel mit den

lehmstaubigen Weinzuchtpyramiden der Terrassenkultur. Die Hügel nennt man „lieblich“, und sie tragen einzelne Häuser. Der aller-

erste Hügel hat eine Seitenfront mit einer ganzen Anzahl Häuser, vielleicht Ausläufer einer Stadt. Im übrigen herrscht weiter die endlose Au, durch Auflockerungen nicht mehr so traurig, und da und dort gibt es Wasserereignisse. (Schlagen wir also nach einigen > Nachmittagsgesprächen und einem > Haus am Knopfer Hügel je eine > Au, > Auflockerung und ein > Wasserereignis nach.) Meine dicke > Barbara ist bei ihrem Bruder untergetaucht, manchmal wirft sie mir einen kleinen betuschten Blick zu, dem ich nicht entnehmen könnte, daß sie mein nächstes Abenteuer wird,

wenn ich es nicht von vornherein wüßte. Brauche ich euch zu sagen, daß dieses Weiblein von dem Unstillbaren, das aus der Landschaft

und den Bordgesprächen jetzt wie Sickergas ausbricht, nichts stillt? Nicht mehr als ein gutes Glas > Wein (dem ich auch schon sehr entgegenlebe), ein resch > gegrilltes Hähnchen, Schatten auf der Bank, Blumengeruch, Saufkumpanschaft, Herrenwitz, Schunkellied? Aber was heißt eigentlich „unstillbar“, was will sich stillen, und womit, wenn nicht mit Lied, Huhn, Barbara? Bei einem Säugling

ist das Stillen eine klare Angelegenheit. Wenn ein Geschäftsfreund wegen eines Transits oder einer Lohnveredlung, die keine ist, Skrupel vorschützt, kann ich sein Gewissen mit einer Prozentverein-

barung stillen. Was aber schreit und greint aus den Bordgesprächen und der Harmonika, aus dem Suff, der Freude und der Dummheit,

den Transistoren, Schiffsmotoren und Au-Lagerplätzen, so daß es durch alle Oropaxe® weiterschriee? Es schreit nicht BRATWURST, schreit nicht WEINFAss, schreit nichtmal DoPPELBETT. Schreit es „Leben“ — ja, aber man lebt doch sowieso? Schreit es „Alter“ —

ja, aber was soll ich aus der Jugend noch holen? Schreit es „Welterkenntnis“ — die Donau entspringt im Schwarzwald, spielt mit Ulm, heiratet Wien, hurt Chilia Noua und stirbt im Russenmeer —

267

Waffe

gibts über die Welt noch mehr zu wissen? Verbleiben wir so: Die Dinge senden Wellen aus, die keine Botschaft bedeuten. Ein Fleck im tiefsten Weltall (ich habe ihn auf der Urania-Warte gesehen) übergibt sich auch so an Radiosignalen, und wenn man sie abhört, ists keine Beethovensendung. Am ehesten knirscht irgendeine Achse, um die sich was dreht. Aber zum Teufel warum, wenn ich an > Eiske in > Grottenolm

oder an > Susi im > Haus am Knopfer Hügel denke, ists wie essigsaure Tonerde aufs Weltwehweh? Obwohls selbst wieder schindet. Da lassen sich ja doch Heulregeln finden? EıskE JA, BARBARA NEIN —: Gibt es zwei Sorten von Frauen? Oder gibt es zwei Sorten von mir? Ist ein Psychiater doch kein blauer Hund? Ohhhhh, blinde Auen, blöde Hügel, warum speit das Menschenfüllhorn, in dem ich

mich exportiere, nicht Eiske oder Susi aus oder gibt mir noch eine dritte Chance, nennen wir sie Ulrike. Was nach einer Flußbiegung, an einer Flüßchenmündung, die weiße Tafel um 13.25 viel zu früh versprochen hat, den Bordalarm eskalierend, wird nun, nach zehn Minuten, eingelöst: > Knopf liegt

in Sicht. Waffe (ein Sprachgebrauch): Man sehe zunächst einen Himmel vollgeräumt mit langen Bomben, Thermitschnüren, Zündtonnen. Man sehe einen zerstochenen Rücken, einen zu Riemen geschnittenen Gefangenenschenkel, einen Schrapnellbauch, ein Flammenwerfergesicht und ein Gelbkreuzgas-Auge. Dann überlege man kritisch, ob das Klischee „Waffen der Frau“ im Sprachwert von „weibliche Reize“ sinnvoll sei. Wenn man den

Eindruck gewinnt, daß a) unsere Gesellschaft die Frau in einen Verzweiflungskampf treibt, der sie b) nicht einmal vor dem Mann, den sie mag, haltmachen läßt und in dem c) Instrumente wie Charaktereigenschaften, Verstand nichts, hingegen die Genießbarkeit alles gilt, so daß d) sowohl die Person-Entwertung als auch die Lustvergällung der Normalfall sind, e) also das Klischee „Waffen der Frau“

wirklich sinnvoll ist, investiere man in diese Gesellschaft kein Elektronenvolt an Anteilnahme mehr. Wallgraben. Im Wallgraben fußt das > Haus mit dem hochfrühlinghaften Zimmer; es wäre kein Wunder, wenn nahe diesem Or-

tungspunkt Edibelbeks das mytillen-ortende > Häuschen 12 läge und eines der raschwechselnden Quartiere der > Kinder des Weidendorfes: Jermilka, Jessica und Jentchen würden diesenfalls mit ihrer > Katzen-Schar zum Flüßchen Knopfbach hinunterpoltern, nur im heißesten Sommer nicht mit dem — leuchtendblauen, mohn-

roten und zinnobergrünen > Kopftuch. Wasser. ...und feuchten kalten Fahrtwind erzeugen, kaltes Ge268

Wasser

sprühe, das Kopf und Oberkörper kalt anspritzt, naßtropft wie kaltes nasses Wasser, und die grauen Bojen auf dem petrolgrünen kalten Wasser, auf dem kalt fischelnden, sind Bomben voll kälte-

rauchendem Eis... Das Wichtigste am Wasser ist, daß es naß ist. Es gibt keinen Ersatz für Nässe. Die Beschreibung von Nässe ist kein Ersatz. Über einem Yucon-Gedicht (das eiskalte Alaska-Wasser wird durch seinen hohen Goldgehalt schroff deinen Durst löschen) kann dir in den > Hundstagen, vor leeren krustigen > Mineralwasser-Flaschen, die Kehle eintrocknen. Die Nässe ist am Wasser wichtiger als Kindheitserinnerungen, die daran hangen. Solange im Sand-Luft-Bad dein rotgesonnter Körper qualvoll trocknet oder dein Rachen sich verklebt wie eine Brandwunde, so lange ist es dir gänzlich egal, daß du einmal schulschwänzend ein paradiesisches Bad vorfandest mit glitschigen Fliesen und Eishauch und sechzig Meter Schwimmbahn in frostblauem Wasser für dich allein, oder daß um ein Uhr nacht während eines (die Schwüle nicht lösenden) Gewitters ein Wirt noch offen hatte und dir kältestes kohlensäurestechendes Bier ins eisbeschlagene Glas pritschte. Nässe ohne Kälte aber ist eine zweifelhafte Sache. Man denke an einen zu warmen Regen, an die Dunsthaube, die er über dem heißen

Asphalt hinterläßt. Man denke an abgestandenes Wasser auf einem Spitalnachtkästchen, in einer fieberigen, sonst sehr hübschen Julinacht. Heiße Nässe ist etwas anderes: Durch physiologische Vorgänge, die brühheißer Tee in den Schluckorganen auslöst, entsteht eine merkwürdige Durstlosigkeit, eher Betäubung als Befriedigung des Dranges. Und der kochende Schwefel, der in bestimmten Teilen des mohammedanischen

Jenseits ausgeschenkt

wird, ist vielleicht nur

scheinbar von orientalischer Grausamkeit; in Wahrheit ist solches Trinken möglicherweise die einzige Dauerkur für Durst in zu heißen Gebieten. Also: Gut Naß! Gut Kalt! Kalt Naß! Naß Kalt!

Ein Schiff wird planschen auf kaltem nassem Wasser und

feuchten

kalten

Fahrtwind

erzeugen,

kaltes Gesprühe,

das

Kopf und Oberkörper kalt anspritzt, naßtropft wie kaltes nasses Wasser, und die grauen Bojen auf dem petrolgrünen kalten Wasser, auf dem kalt fischelnden, sind Bomben voll kälterauchendem Eis, aus der Werkstatt des -> Ing. Pozzi, den ich vor dem > Einmarsch ins Schiff kältestens grüße. 269

Wasserbeschlagenes Glas Wasserbeschlagenes Glas.

(Raum zum Einkleben eines wasserbeschla-

genen Glases)

Wasserereignisse 1. Eine Wasserwespe. Wasserereignisse 2. Eine Wassernixe. Wasserereignisse 3. Ein Indianerboot

aus Weidenzweiglein; von Niki am Horizont drüben ausgesetzt? Es hat sogar einen Mast. Wir fahren Niki entgegen. Wasserereignisse 4. Ein Schwimmer in korrektem Straßenanzug. Wasserereignisse 5. Schnellende Fische geisiren das Wasser. Wasserereignisse 6. Eine hellgraue Vogelschar streicht niedrig über dem Wasser, hier flirrend wie Mücken, dort eisläuferknapp. Wasserereignisse 7. Ein > junges Motorschnellschiff, mit Lautsprecher die kleinen Boote warnend. Ja, Delphine sind intelligent. (Optisch-akustische Durchfahrt.)

(Kälte!!)

So hinterbleibt nur weißer Sprudel und Nebel nach seinem schneidenden Kiel. Wasserereignisse 8. Knapp überm Wasser ein Hubschrauber. Libelle, die einen Frosch verschluckt hat und plappernden Motors damit prahlt. Rotpistoltes Metall soll die Nahbeobachteten schrecken. Mit dem Hubschrauber — wird J. belehrt — muß man akkurat umgekehrt manövrieren als mit dem Flächenflugzeug. Hubschraubersoldaten sehen in die dachlosen Strand-WCs. Wasserereignisse 9, Eine grüne Frau winkt aus einer Motorjacht, grünschalenem

Küchengerät,

unzerbrechlich,

hitzebeständig,

mit

glasklarer Kunsthaut überhimmelt, mit > Nickel-Teilen beelstert. Im Gesicht der grünen Frau die erstaunte Miene vorgegerbt, die sie 270

Wasserereignisse bei ihrer nächsten Liebe aufsetzen wird: „Ich alte Ziege mache noch

solche Sachen!“ Ihre Sohlen erinnern noch das Schwanken der schwimmenden Bänke: der plankigen Anlegeböden im Jachthafen (raufquellende Nässe; > Plankengeruch); neben ihr stieg einer in seine Jacht wie in eine Nußholzbar. Nun tuckt die grüne Frau, zischt mit schnellem Wasser. Wildente!, schreit der 7-jährige J. hinüber. Wasserereignisse 10. Plötzlich Soldatenspiel. Ein hüpfendes Boot mit Landesfarben und vier Mann: dottergelbes Motorschlauchboot mit nackten Brustkörben. Überholt unser Schiff und zischt dann rechts um. Ein Soldat läßt die Beine heraushängen. Nun Brustkörbe in roten Zillen, je zwei Mann, ins Wasser stakend mit langen Stökken, gegen den Stein kaum sich abhebend, wie rote Waldameisen auf einem Felsbrocken. Zwei Dutzend davon. Wasserereignisse 11. Bojen, in der Strömung wackelnd. Warum nie Heulbojen? Schwarze Bojen wie leere Bomben mit spitzer Schnauze und grünem aufgestelltem Dreieck. Das sind echte Bojen-Boys. Aber die grellrote Boje da — ein Girl? Wasserereignisse 12. Das Tuten widerhallt. Das langsame Kriechen der Schlepper. Das weiße Antriebs- (beinah Luxus-) Schiff mit weißen Tür-Kulissen zu netten Zimmerchen im Parterre und dem Führerhaus im Hochdeck. Zwei sauber braune Anhänger mit weißen Häuschen über Bug und Heck: ein Kahn mit Stapelholz, einer mit Stückgut, etwas Holz, metallglänzendem Spielzeug. Wasserereignisse 13. Ausweichen, Lärm nahbei. Ausbaggern: gelber Krebs taucht ins Wasser, kehrt geschlossener Scheren zurück, Schöpfwasser fließt durch Scherenfugen ab, dann: Schwenk über Schiff;

läßt die großen Grundsteine anbord fallen. Unkraut arbeitet gegen: bewächst die öde Schotterbank, besitzergreift endgültig Fahrwasser. Wasserereignisse 14. Überholmanöver. Weiß gegen Weiß. Feindseliger Akt. Entermesser gezückt, Torpedos klar, Bordkanonen in Stellung, volle Kraft voraus, keiner verläßt das Schiff, Ziel: der

Hauptkessel,

Nebenziel:

Kommandoturm,

Lautsprecher:

euch, alle Mann über Bord, als letzter — grüßend —

ergebt

der Kapitän.

Hymne, Landestrauer, Ich hatt einen Kameraden. Die Mädchen des Lokalschiffes winken den Exporteuren des Drudenschiffes. Wasserereignisse 15. J. schaute zurück auf das Wasser im Osten: rauchbedecktes geschmolzenes Metall, tot, obwohl gekräuselt. Grün,

dahinter graugrün, noch weiter graublau: die Bäume. Tot. Der Himmel, zartblau überm Ufer, überm Wasser fahl. J. schaute voraus auf

das Wasser im Westen: totes Wasser auch hier, wenn auch kräftiger; Dunstflimmer, Flimmerhimmel, totes Grün des ferneren Ufers.

Wasserereignisse

16.

DasMotorboothellbraunEmaillärmthochge271

Wauß

stellterSchnauzeganznahran (Lärm: Motorrad, gezuscht durch Heimsiphon.) amRammpunktkantetesganzschrägundbe ruhigt sich dann zu einer gischtenden Kehre. Selbstverkleinerungs-Manöver. :Schon fast nicht mehr gewesen. Wauß. Im Gegensatz zu Grauß, das das Nuancenfeld zwischen Grauweiß und Grau absteckt, das Nuancenfeld zwischen Weißgrau und Weiß. WC 1. Durch eine Tür, die sich schloß. Von jetzt an war alles automatisch. Absolute Dunkelheit umfing ihn und schob ihn weiter. Dann erschien Lumineszenzschrift. Links stand „Damen“, rechts stand „Herren“, inmitten stand „Vertilgung“. Er wählte artig rechts, worauf es dort zu surren begann. Auch eine Leuchtstoffröhre schaltete sich ein, und eine Transistorstimme sagte deutlich „Sie ha-

ben gut gewählt“. Nach Vollbringen wusch ihm ein Luftstrom Gesäß und Hände, ein Automat bot ihm „für abend“ kleine Behelfe an. „Danke!“, klang es ihm nach, und ein sachter Orkan stellte den

Anfangszustand für den nächsten Besucher her. WC 2. Es roch nach > Kuhdreck, aber weit und breit waren keine

Kühe. Eine Beamtin in den mittleren Jahren wartete auf ihre Kollegin, die drinnen saß. Er ging unbeirrt auf die andere Lattentür zu, auf die eine Lederhose gezeichnet war. Er schloß hinter sich ab, wippte ungeschickterweise erst dann den Schalter auf „Licht“. Sein rechter Schuh haftete schon an einem schmutzigen Zeitungspapier. Er studierte die pompejanischen Wandzeichnungen, bewunderte abgebildete Größenverhältnisse und las „Mahlzeit“. Das Brett hatte einen Spalt, in dem man sich empfindlich einklemmen konnte, zwei

Kettenglieder der Spülung hingen zu lose aneinander, sodaß beim Ziehen der Handgriff abriß (‚Jede Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied“). Aber total gesehen, hatte der Raum seine Funktion erfüllt. WC 3. Bescheidenes, freundliches Interieur. Weiß, klein. Spülkästchen aus einem „Preßwerk“, jenem, das säuberlich, aber voll unheimlichen Feuers, an der Südstrecke lag. So klein auch die Zeitungsblättchen „zum Unterlegen“, durch mehrfaches sauberes Zerschneiden aus der „Kronen-Zeitung“ gewonnen, mit ihrem ohnehin

so kleinen Format. Daneben echtes, aber violettes Industriekrepp. Keine Sorge, es färbte nicht ab. An der hübschen weißen Tür hing,

reinlich auf ein A 6-Zettelchen getippt: Ist die Sitzung nun dahin, sollst Du an der Spülung ziehn. So machst Du Deinem Thronfolger Freud’, denn nichts ist schön wie Sauberkeit. 272

WC Er bemühte sich während des Sitzens, ein besseres, nämlich zweisilbiges Wort für „Thronfolger“ zu finden, keines aber schien ihm

genug saftvoll. WC 4. Hoch genug, um, wie in jenen französischen Feinschmeckerlokalen, zwei Toiletten übereinander zu beherbergen, mit durch-

sichtigem 'Trennboden. Oben, nur durch Besteigen des Sitzbrettes schaltbar, ein großes Fenster mit Aufblick zu den Schmidttöchtern

in der 4. Etage. Die Schmidttöchter beobachteten die WC-Gänger gern, winkten ihnen mit Staubtüchern hinunter, die Verfolgten aber hatten sich bis heute nicht zu einem jener buntgeblumten duftigen Vorhänglein aufgerafft, wie sie in dieses WC mit seiner > mariatheresien-gelben Malerei so gut passen würden. Er schnitt den vermutlichen Beobachterinnen, sicher ist sicher, eine

Grimasse, zeigte die Zunge, machte Winkohren. Dann lockerte er seine Kleidung. WC 5. Die Ratskellerküchentür öffnet sich. Die dicke alte Putzfrau watschelt heraus, eine Tasse Ratskellerküchenkaffee balancierend,

und bezieht mit ihr den Platz bei den Ratskeller-DAmen. WC 6. In die valeriansäuredurchwehten Labor-Toiletten gehen Chemikerinnen und Chemiker, wie sichs grad trifft. Das geschlechtertrennende D und H bedeutet für sie nur schweren und leichten Wasserstoff. WC 7. Ein grüngestrichenes Hüttchen im Weinberg, 80 cm im Quadrat. Die Kleider lösen oder ordnen konnte man nur bei offener Tür. Das Hüttchen stand unmittelbar neben J.s Heurigentisch. ]. verfolgte mit allen Sinnen die schöne schwarzhaarige Frau, die hineinging; was half es, daß sie wütend an ihrem elektrisch eingeklebten Kleidchen zerrte; daß sie, eine intelligente Dame, nicht als Schaustück dienen wollte? J. tat genau das, was sie fürchtete: er

ging nicht fort. Da resignierte sie, gab sich als Mensch und hielt nicht einmal den Innenknauf zu. WC8. Ein Schild

ein Schild

DAMEN

HERREN

Verlag E. Winkler

für Damen,

Verlag E. Winkler

für Herren

273

WC

und ein Schild

PISSOIR Verlag E. Winkler

für solche, die in keiner

Lage gern allein sind.

WC 9. Auf einem WC in Pottschollach stand mit gelber Olfarbe AMI RAUS AUS VIETNAM, was die Amerikaner mit einem sofortigen Friedensschluß in Saigon beantworteten. Weg zur Schiffsstation. An der Brücke vorbei ging J., die K.-Straße entlang, bis die L.-Straße kam. Dort wuchs frühe > Kamille. Ein Betrunkener in altem singendem Lloyd überfuhr ihn fast, trotz grüner Fußgängerampel. „Tod alleinstehenden Chemiekaufmanns“ sah J. in der „Tageschronik“, „Trinkerwüstling mordet Passanten“ im „Express“. Hinter dem Baum- und Buschwerk spürte man weiße

Motorschiffe. Firmlingskutschenweiß, zuckerbäckerweiß, — korrupte-Bräute-weiß. Wind an diesem verfrühten > Hundstag (Junimitte) blähte J.s Rock zum Segel und half ihm so weiter zum Schiff. Ein Schiff wird kommen,

fühlte er,

und zwar geschwommen. (Käm es geflattert, wär ich verdattert.)

-> Melina Mercouri muß Weiß gut passen. Weißere Wäsche wird durch Britz® noch weißerer. PoLyrıwron DR. Wurz® soll ein neuerliches Absetzen gelöster Schmutzteilchen auf der Faser verhindern. In weißer Wäsche vergißt selbst Melina für eine Nacht den Diktator. Rauschend von Rüschen. Militärjunta — unwahrscheinlicher Tagtraum aus siestaträgem Wolkenkratzer-Athen. Dem Tüchtigen schlägt keine Stunde; bis ihm die Stunde schlägt. „Stärkste

Gifte, besonders die Merkuri-Salze, die gleichzeitig ätzend wirken.“ Melina hin und her: ein halber > Brotlaib lag im Rasen, für > Pferde, etwaige. Und als der Blick wieder hochkam, stand da schon, wasserluftverpackt, das > Stationsgebäude. 274

Wein

Weiblich. ANNABELLE — die weibliche Apfeltorte Weibliche Brüste durch Sentrix-Creme Weibliches Camping im Winkie-Wohnwagen Weibliche Darmfrische durch Ignazquelle Weibliche Eva durch PELZCREDIT Weibliche Finger durch Teenagerkurse Weibliche Gesundheit durch Zwiebosan Henny — die weibliche Höhensonne

Weibliche Intelligenz durch FRAUENBLATT Weibliches Jungsein durch Schildkrötenmilch Weibliche Kokswärme — Herthagrube Weiblicher Lautsprecher RosENKLANG Weibliche Mädchen durch Minischultasche Weibliche Nase durch Nachtformant Weibliche Ostern durch Nerzosterhasen Packsy — das weibliche Packpapier Weiblich quick durch Lyso Stick Gletscherbraun in der weiblichen Riesentube Weibliche Sohlen durch Bessy-Einlagen JAavA-DorREE — der weibliche Tee Gegen weibliche Unfrische ExTrA Jop Thunfische Weibliche Vorsicht — Alma-Versicherung

Schaumbad, der weiblichste Wassersport Weibliche X durch Schönschreibkurse Weibliche Y durch Schönschreibkurse Weibliche Zahncreme, Zimmertemperatur, Zukunft.

(Die Werbung macht, in ihrem Trachten nach Wunschdifferenzierung und nach Einfühlung in differenzierte Wünschergruppen, den Frauen eine weibliche Welt, den Männern eine > männliche, so differenziert voneinander, daß die Geschlechter einander nicht einmal

mehr beim Rülpsen verstehen. GUTEN weiblichen Tac! ist mit GUTEN männlichen Tac! längst nicht mehr identisch. Auch macht die Werbung alle Männer einander und alle Frauen einander gleich. So wird die Wohlstandswelt ein Kriegsschauplatz, auf dem ein einziger in seinen Modifikationen austauschbarer Mann und eine ebensolche Frau einander maximal gewinnbringend abzuschaffen bestrebt sind. Moral: Wählt — ja, wen?) Wein 1. Gärung wird durch Trauben von frischem Weinsaft gewonnen. Die Traubenmühlen werden entrappt und in Trauben zerquetscht. Die anschließenden Stiele dienen den Kernen und der Kelterung von Schalen und Entfernung. Die so erhaltenen Fässer werden gut gereinigt und in Gärung dem Most ausgesetzt, der durch 275

Wein

von den Hefeflächen stammende Traubenoberpilze verursacht wird. Daran schließt sich der Zucker an, der je nach Wochengehalt mehrere Nachgärung bis Monate dauern kann. Die jungen Fässer setzen sich ab, und die Nachreifung wird angestochen und zum Weintrub in Wein gefüllt. (Meyers Buch über die Handtechnik: Erzeugnisse und alkoholischer Alkohol, 1964.) Moral: Solch ein geschüttelter Produktionsablauf ist m. E. viel echter als der echte. Traubenmühlen, die zerquetscht werden, neh-

men im Lesenden leichter Gestalt an als solche, die quetschen. Übrigens leistet auch der gelegentliche Ersatz von

‚„quetschen“ durch

„quätschen“ (zu Quatsch machen), von „gereinigt‘“ durch „gepeinigt““ (Beschwerlichkeit des Reinigungsprozesses für das Faß) und von „stammende“ durch „stmammenmdme“ (Pilzverwucherung) gute Dienste. Solcherart stelle ich mir eine > Kollaboration von uns Realisten mit der „innersprachlichen“ Schule bejahenswert vor.

Wein 2. Wein fließt daneben. Wenn man ihn in der Hand verreibt, riecht in ihr eine Landschaft von Hefe, Keller, Korken. Dies tröstet den gelangweilten Buben. Fragt man ihn nach seinem Berufsziel, wird er „Säufer“ sagen.

Wein 3. Die Erkenntnis : Lebensbeschreibung ist kein Ersatz für Leben, Bilder kein Ersatz für Huren, Ethik kein Ersatz für Gutsein, Lesen kein Ersatz für Wundenzunähn, Schädeleinrennen kein Ersatz für Gescheitsein, Teddybär kein Ersatz für Koalabär, Koalabär kein Ersatz für

Baby, Baby kein Ersatz für Andock der zwei > platonischen Hälften ist so verheerend wie leicht gewinnbar. Der dazu benötigte Wein (ARZNEIBUCH: vin. veritatis) wird aus Trauben, Bioticis, Antibioticis, leichtem Wasser und Rechtszucker gewonnen, nach Schmerzen gemessen, von Knaben besungen, von Mädchen verdaut. Über den Wein gibt es eine ganze (nicht, wie über manches, nur eine halbe) Fachliteratur. Wein 4. Wieviele Trauben müssen gepreßt werden, damit ein Viertelliter Wein entsteht? Der Besinnungsfritze will das wissen, um sich

des Ausmaßes an Fruchtuntergängen und Arbeit besinnen zu können, das er jetzt besinnlich schluckluckern wird. Mit Na, s werden schon ein ganzer Schüppel sein läßt er sich nicht abspeisen; er beharrt wie jeder Getriebene auf einer genauen Befriedigung. Wein 5. Pfui Teufel, der schmeckt geschönt! Wein 6. Was wollen Sie erkämpfen?, fragte man den unentwegt schreibenden unentwegt trinkenden 80jährigen. Ich will erkämpfen, sagte der, daß jenes 12jährige Mädchen die Braut des 14jährigen werden kann, der ich damals war.

276

Wein

Mhm, sagte man — bestrebt, sich die Rührung nicht anmerken zu lassen —, dann Kriegsmanns Heil!; darf ich Ihnen einen kleinen > Molotow bestellen?

Wein 7. Man schreibe Mytilla Mitils Erlebnis (> Bier 4) von Bier auf Wein um und prüfe, ob der vorgestellte Wein tatsächlich Weißwein, farbarm, schlechtgekühlt ist und aus einer Glasschliff-Flasche

plätschert. Dagegen der Kraftwein erdherber weinnaher Dörfer. Wein 8. Beispiel einer Wein-Verwendung. A) Ein Ensemble: 1) Schweinsgesichtiger Hobbysänger, schwarzer Kitzelhalbkreis überm Mundloc, rote (Speck-)Kugeln in den Wangen, starrende runde Singen.

Schlachtschußaugen,

Schweineschmalz

auch

im

Die uneheliche Urenkelin der Wirtin, ein mageres rundköpfiges Kleinkind mit schütteren abstehenden Löckchen.

3)

Der Verbitterte (,‚Ich hab in mein Leben noch niemand braucht.

4)

Der Reiche. Er bestellt eine Flasche, balanciert sie auf dem

Alles hab ich mir selber gmacht. Wie ich verwundet war in Rußland, hab ich mich auch selber gschreckt.“) Kopf, zottelt so durch den Raum und stellt sie plötzlich fremden Gästen auf den Tisch. Ein Mann mit Rollstuhlfrau. Sie zittertattert und starrt einen Blumenstrauß an, den sie in Händen zittertattert. Der Mann

zecht mit seinen Freunden, singt, den Hobbysänger ablösend, mit viel Schmalzherz und Tremolo „Maderl, magst net?“ und „So ein Tag, so wunderschön wie heute“.

Sonstige Besoffene. Lieder des Schweinskopfes:

... Und i hab ihr die AugerIn zuadruckt und hab die Träner|n verschluckt...

Heute war die Polizei bei mir, leider nur im Draum ....

(Polizei? Wird im Ohr nachträglich berichtigt: Oide Zeit.) Hätt mas net, so tät mas net,

und weil mas ham, drum steck mas zsamm.

(S Geld meint er!, beruhigt der Mann am Rollstuhl laut zwinkernd die Leute.) 277.

Weingarten

4) 5)

Und da hat die kleine Blumenfrau einen Strauß von Blumen, ameisblau(?)... Zwei Blümerln stehn am Wiesenrand schon lange beieinand (Weiterer Inhalt: nur ab und zu trifft sie ein Sonnenstrahl, aber man muß selbstverständlich damit zufrieden sein,) und kommt der Herbst ins Land,

verblühns auch miteinand.

C)

(Diese betrüblichen Daten werden vom Schmalzsänger freudig wie die beste Nachricht ausgesungen.) Stimme des Volkes: Sing noch was, vom Herrngott noch was! (FEUER GoTT ABRAHAMS, GOTT ISAAKS, GOTT JAKOBS — BrLaAıse PAscaAr.)

D)

Weitere Symptome:

1)

Ich hab heut keine Stimm. — Paß auf: Dann gurgel mit Reißnägeln. Solch Abgebrauchtes wird von der Runde bewiehert, als würde es erstmals verwendet. Je bekannter, desto besser, wie in den

Wiener Konzertsälen. Der Sinn der „lustigen“ Anremplung ist nicht, durch Originaleinfälle zu unterhalten, sondern eine vertraute Lachtaste zu

2)

3)

drücken. Nahe an 1) steht die Erfahrung, daß auch komische Talente unter den Besoffenen den geheiligten Wortlaut des Stimmungsliedes selten antasten. Eine Parodie muß selbst schon wieder abgedroschen sein (wie die SCHILLERS GLOCKEN unserer Großväter), um aufs Repertoire zu kommen. Zum Schmalzgesang gehören mehr oder weniger integrierend: Kritiklosigkeit; Glaube an die Zulänglichkeit der Attrappe: unverstandene Übernahme der Kunst des Zerhackens, unverstandene angeäffte Gesten, verlogene Betonungen, erschüttertes Geschrei, Tremoli, schriftdeutsche und gedehnte Einsprengsel, „sinnige“, „wissende‘“ Ausleuchtungen; zu haben; Selbstzufriedenheit.

E)

Glaube, etwas

gesagt

Therapie: Selbst verblöden. Weingarten 1.-> Wildenten 8. Weingarten 2. Im Weingarten ziehen sie > Wein. Weingarten 3. Ich gehe die Umgebung suchen, sagte der Narr, als er 278

Weingarten

sich aus seinen Weinbergen endgültig zurückzog. Alles, selbst der Himmel, war ergriffen; ein großes Hündchen bellte, Hühner schissen, ein Kater sah nach, ob er ein Kater wäre, kurz: es war ein er-

greifender Augenblick, würdig, in einen Jungschen Großtraum genommen zu werden. Der Träumer in Jungscher Behandlung aber murmelte „Mandala, Mandala“, über die einfachsten geometrischen

Formen gelangte er nie hinaus; vielleicht wollte er auch nur Honorarstunden sparen. Weingarten 4. Das Spritzmittelfaß. Die Rückenspritze, von der Brühe salzpastellt und zerätzt, die bunten zerfressenen Hände, der Giftgeruch über den Stöcken. Keine Arbeiter zu kriegen, alles selber machen. Am Abend aber stellt sich unter den kalkkühlen Fenstern des unbeliebten Weinbauern ein Rangencor auf, singend:

So kommen wir von fern und nah und wünschen Peronospora und wünschen Pero — no — spo — ra! Weingarten 5. In diesem Weingarten werden folgende Tiere gezüchtet: Heu-

und Sauerwurm,

Kräuselmilbe,

Filzmilbe

(Weinblatt-

pockenmilbe), Rote Spinne, Bohnenspinnmilbe, Springwurm, Rebstecher (Zigarrenwickler), Rebenfallkäfer, Blattgallenreblaus, Engerling. Damit mehr los ist, wird Wild zum Verbiß eingeladen und werden mittels chemisch verfluchter Dithane, Ortho-Phaltane, Polyrame und Karatane Peronospora und Oidium angesetzt, Roter Brenner und Traubenfäule verbreitet, und am Garteneingang steht ein Böller, der Hagel herbeischießt. Jede dennoch gefüllte Weinbutte wird durch kräftiges Sprühen mit Kupfervitriol vergällt. Der Drahtzaun trägt ein schwarz emailliertes Schild mit weißer Beschriftung: Musterkultur des Antabooze-Verbandes Zwegerndorf. Weingarten 6. Man bereite ein Schüttelgemisch aus Kakao und Mehl, wälze darin Tonkrümel. In die entstehende Weingartenerde stecke man rohe Stöcke. Man lasse nur leichten Wind in den Blättern spielen und verlege sonst absolute Ruhe darüber. Nun betrete man: die absolute Ruhe über dem Weingarten; nur leichter Wind in den Blättern. Die rohen Stöcke stecken in krümeliger Erde. Der Weingarten hat Farben, die es in der Natur nicht gibt. Grün, Beige, Grau,

Blau setzen sich in unerklärlicher Weise zu einer Harmonie jener Farben zusammen. Das Weinlaub ist in diesen Tagen saftig grün, aber nur dort,

wo es, das Gekrümel durchwehend, existiert. Eine

Schnecke ganz im Vordergrund schleppt ihren Wohnwagen mit sich. Dieser Weingarten ist in gepflegter Durchsichtigkeit angelegt, ein grüngestrichenes Gerätehäuschen steht am Ausgang, eine reine grün279

Wildenten

gelackte Zisterne am Eingang. Sonst gibt es Wasser nur in Feldflaschen. Man rennt am besten in der Vorhundstagsonne unzählige Male den halbsteilen Hang hinauf und hinunter, so wird man ab-

gehärtet für den Kampf mit dem tagweis entlohnten Raufer. Die Bäuerin ist groß, ganz Gesäß und für die Höllenhitze viel zu dick verpackt. Der Bauer ist schmächtig, zäh, herrschsüchtig, zwiebelbehemdet, und wenn er die absolute Ruhe über dem Weingarten brechen will, in Arbeits-Pausen, immer lustig vom Wein, er trinkt

14—16 Viertel am Tag, singt er schwerverständlich etwas wie: Am Lebens-Abend wird der Faule fleißig, dabei bin ich erst hundertdreiunddreißig, ein Lied, das in Diktion und Aussage nicht zu ihm paßt, vielleicht einmal unterm Strohrad von bundesdeutschen Besuchern eingeschleppt wurde. Die Bauern dürfen sich, zum Unterschied von Stenotypistinnen und Akkordarbeitern, langsam bewegen; eine Bäuerin windstill neben einem Weinstock, mit dem Mann Privates redend, ist eine Idylle, die nicht mit Karteieintragung bestraft wird.

Der Weingarten ist eine Fabrik, die jeden Herbst niedergerissen und jedes Frühjahr neu aufgebaut wird. Für den Weinbauern gibt es keinen Lohntütentrott, er ist jeden Tag anders beschäftigt, was er erledigt hat, ist für immer erledigt, denn jedes Jahr ist er ein anderer Unternehmer. Wildenten 1. Wildenten schwimmen: kratzen das Wasser mit ihren Gräbbeln; plaudern: bäp bäp. Wildenten 2. Bäp bäp — ich habe mitten im Grau weiße Federn; meine Mutter hatte es mit einem Haus-Erpel — bäp bäp bäp. Wildenten 3. Eine graugesprenkelte Wildente mit tintengrüner Verzierung spielt Motorboot. Wildenten 4. Eine Beat-Ente schreit sehr laut: Ah! Ah! Ah! Wildenten 5. Die Flotte der Wildenten. (> Flotte.) Wildenten 6. Auf einem alten Anlegefloß spazieren Wildenten. (> Plankengeruch.) Wildenten 7. Eine Wildente haus-entet ruhig am Ufer, nimmt ein Fußbad, legt sich ins Wasser, zupft an ihrer Brust.

Wildenten 8. Wildenten auf der Flußfläche — ja. Aber in jenem Betonreservoir auf dem Weinberg? Wie kommen die hinein? Was machen sie, wenn das Reservoir austrocknet?

Wolfi-Bauer. > Gasthäuser 1. Zeitung 1. Da schau her, freut sich der Ingenieur, eine Charade:

N ne

Kurzform für das stille Ortchen Was jeder Motorradfahrer einmal reißt

Zeitung

n URPRIENE Autokennzeichen Integrationsliebender Auch Kurzform für Österreichs ehrwürdigstes Theater 1—4... Heimatstadt eines beliebten Fässersports

DER

EU

Een

Re

Ist ja toll, sagt der Ingenieur. Zeitung 2. Lesen Sie mit?, lädt der Ingenieur ein; ich lese vor. Meine Fesseln schnitten verdammt ins Fleisch. Aber ich biß die Zähne zusammen und streifte sie ab. Wen? Die Zähne? (Lachen.) Der dicke kleine Ire draußen war kein Problem. Er litt nicht lange. Wumm. Um die Sekretärin,

Ah! die ahnungslos den Gang entlang kam, Die Arme! war es eigentlich schade.

Finde ich auch. Ich erledigte sie mit einem gekanteten Milzschlag. Rohling; mache ich mit meiner Sekretärin nie. — Ich eigentlich auch nie. Den kleinen Browning, den sie an ihrer Brust trug, nahm ich zu mir — Ohne die Figur zu berühren, versteht sich.

das Spielzeug war besser als gar nichts. Und da kam auch schon Joe. Wumm.



Wumm

sagten Sie schon einmal, Monsieur. —

Pardon.

Sein Vorfahre mußte Brüllaffe in den brasilianischen Wäldern gewesen sein, denn...

Warum „denn“? — Gebrüllt wird er halt haben. Jetzt fehlt ein ganzes Stück heraus, meine Frau hat den Lemmerers hinten eine Annonce herausgeschnitten. — Das ist ein Jammer. — Aber hier gehts schon weiter: Vor dem Chefzimmer lag ein Kopf. Aah! Fortsetzung folgt. Owehoweh. Zeitung 3. Vielen Dank für den guten Bericht über die Papuas. Ich fand Text und Foto ausgezeichnet und vor allen Dingen informativ. Ich möchte Ihnen versichern, daß Sie damit mitten ins Herz Ihrer

treuen Leserschar getroffen haben. Herrliche Bilder fremder Länder 281

Zeitung und spannende Reiseberichte,

das erwartet

man

eben von

einer

Zeitung, die auf der Höhe ihrer Zeit schwebt. Natürlich kann ich verstehen, daß Sie auf anderen Seiten auch Berichte über aktuelle

Ereignisse bringen, über Königinbesuche oder Medizin. Aber solche Reportagen sollten Sie öfter veröffentlichen, denn Sitten und Gebräuche in fernen Ländern, das versteht jeder. Durch Ihren Bericht habe ich wieder etwas dazugelernt. Ich habe ihn übrigens sofort meinen Kindern gezeigt, und meine älteste Tochter, die einmal Stewardess werden will, nahm ihn mit. Nur eine Bitte hätte ich: Sind die Papuas Menschenfresser?

Zeitung 4. Keine Milde für den Dieb. Freude durch Sparschwein. Kühne Weltraumfahrt. Zwei liebenswerte Sänger. Heintje als Clown. Wo wohnt Heintje? Rommels Selbstmord. Ihre Stärke liegt im Tanz. Sollten abgeschafft werden. Kam Käse vom Mars? Teenagerkurse. Klüger als Affen. Udo ist der Größte. Informative Unterhaltung. Zwei Tote erwürgt. Liebe zu zweit. Birne blieb im Hals stecken. Frau verwechselt. Babypreise steigen. Ein glücklicher Tag — die Gruft versoffen. Bein ab. Ich bin so froh. Zeitung 5. Ich liebe den Anzeigenteil, sagt der Ingenieur. Man weiß nie, ob einem nicht ein Sechsspalter entgegenschreit: Monegassischer Weltkonzern sucht genialen Ingenieur für das oberste Management. Ich würde verdammt gern nach Monaco gehen, weniger wegen der Fürstin als wegen der paradiesischen Steuerzustände. Sie würden, sagt J., Ihr ganzes Geld in den Casinos verputzen. Mein ganzes bestimmt nicht, sagt der Ingenieur; glauben Sie, die hübschen Starlets, die sich um mich anstellen, lassen mir was übrig? Aber schauen Sie, auch die Kleinen Anzeigen sind doch was wert: Köchin, Landwirtstochter, 32 Jahre, komplett,

Oder hier, sagt der Chemiekaufmann: Ich bin noch heut ein Wunderknabe,

dem manches glückt; wenn ich noch lang kein Schätzchen habe, werd ich verrückt.

Oder wollen Sie vielleicht, fragt der Ingenieur, Ganz entzückende Hundebabies aus meinem letzten Wurf

? Nein, sagt J., dann schon lieber 400 Damen jeder Art diskret ins Haus

oder Nur weibliche Verkäuferin für Damenwäsche.

282

Zeitung Schauen Sie, sagt der Ingenieur: Intelligentes Mädchen wird von Eisenhandlung für Glas und Porzellan eingeschult!

Ein Kenner der komplizierten Intelligentenpsyche, sagt J.; aber wissen Sie, wo ich als stellensuchende würde? Lesen Sie!

Weibse

nicht anklopfen

Wurstfabrik hat für junge, frische Mädchen Verwendung.

Da geb ich Ihnen recht, sagt der Ingenieur. Beim Rechtgeben fällt ihm der Anzeigenteil aus der Hand, er bückt sich danach, der Chemiekaufmann auch, die Köpfe stoßen zusammen, nur leicht, aber

das Interesse an Anzeigen wird hierbei hinausgeklopft. Zeitung 6. Hübsch, sagt Chemiekaufmann J., diese Filmtitel alle auf einem Haufen zu sehen. Nein, winkt der Ingenieur ab, interes-

sant wäre es zum Beispiel, alle Titel längere Zeit hindurch zu sammeln und alphabetisch geordnet zu veröffentlichen: Der Mörder heißt Joe Der Mörder Der Mörder Der Mörder Der Mörder Der Mörder und so weiter

hieß kam kam kam trug und

Eve nachts nur einmal zu spät Seide so weiter. Ich habe den Verdacht, sagt J., das

Tabellenwerk wirkt in Ihnen nach, Herr Ingenieur. Das ist es, sagt

der Ingenieur; dann vertiefen sich die beiden in ein flüchtigeres > Filmtitelspiel. Zeitung 7. Ich habe eine sehr nette Freundin, die ich sehr liebe. Nur

eins an ihr gefällt mir nicht: Sie trägt mit ihren 21 Jahren noch immer einen Schnuller. Das Schlimmste aber ist, ich muß ihr zuliebe

auch einen tragen. Statt anderer Zärtlichkeiten gibt sie mir oft die Babyflasche, und ich muß mich wie ein Säugling in ihre Arme legen und am Sauger nuckeln. Was soll ich machen? Zeitung 8. Der Ingenieur und der Chemiekaufmann vertiefen sich in lautloses Wettlesen des Reklameteiles:

Der Ingenieur

Der Chemiekaufmann jeder Jetzt

Frauen — garantiert 100% enthaart. Jetzt schmerzlos!

Nupr, das nasenfreundliche Er-

Sicherheit — Charme — Küsse — — ScHLuBBE® ProthesenHaftschleim.

Haare — der Schmuck Frau. Haarteile CoBRA. unsichtbar!

folgs-Taschentuch.

283

Zeitung

Seien Sie schwedengesund:

Sie wollen

Zweı-KnürpeL-PıLLeE die Manneskraft.

cherlich genießen?

eskaliert

Ihre Frau doch si-

Machen

Sie

sie froh durch ALMENDUFT für’s Clo.

Vergangenheiten sind austauschbar. Flitterwochen und Taucherfreuden anderer zaubert in Ihren Projektor Dıa-TAuscH-

In dieser schnellebigen Zeit kann man nicht weich genug sitzen. Schlemmerfauteuils und KoLLAPs’CHEN.

PArs’cHEN

DIENST NIEGETHAN. Traubensalz TEEN-’'n’-IwEN für schlanken Stuhl und elanvolle Harmonie.

Denkt schon heute an den Winter! Schneemannformer, vollelektrisch, mit und ohne Nasenkarotteur.

DDDDDDDDDDDDDDDi&k wird das Ehepaar Essegern nie: Hammelkeule, Sautanz und die

guten Wiener Mehlspeisen, alles darf in Herrn und Frau Essegern hinein. Aber nachher die Pille. (Die Entschlackungspille!) Ein Gesundheitsgang zum kleinsten Zimmer — schon sind Essegerns wieder leicht und fit.

Klöckners GARTENHILFE mit ideenreichen Pflanzenbeschreibungen und nützlichen Zeichnungen zur Freude und Entspannung.

Zu wenig Insekten im Garten?

Spucks — die denkende Fleischbrühe! Suppenaktiv!

Heıpı, die einschmeichelnde Fischsuppe. So zärtlich passiv...

Korn

CHIicKkIE — das gaumendynamische Dosenhühnchen.

der

aus Meisterhand

neuzeitlichen



mit

Kegelbahn-

KrABBOLIN hilft käferrasch!

formel.

PorzıA — die Baby-Cigarette.

goldgesunde

RomAnTIcus — der tröstende Krückstock mit eingebautem Liebesgeflüster (nach Wahl Sandrock, Leuwerik, sters, Lennon).

BB, Hee-

Frecher, blonder Fratz! Komm,

lauf ein Stück mit mir. Wie jung Du heute bist! Nimm Dir auch so ein kleines, weißes Täfelchen; 284

STRYCHNO-MUTZ, liche Rattengift.

das appetit-

Zeitung CorRInNNA wäscht moderne Gewebe so sauber, als wären Sie

gekocht.

Sehen Sie? Nein, beide Augen blind. Sehen Sie! Und wir mußten es Ihnen sagen. Optiker-Rat — guter Rat.

Auch dumme Kinder wachsen gut mit PıMPINELLA Rübensud.

Nierenkranke atmen wieder — durch POKORNYS ZEHENMIEDER.

Du bist mehr als Nachbars Liese durch Trolen®-verstärkte Biese.

Wirf den Mann zum alten Eisen. Geh mit uns auf WIıTwenREISEN.

Verspricht sie wenig, hält sie viel bei MinttruDas Plattenspiel.

Mit SAHNEFLOCKEN eingerieben

Hast du schon eine Sekretärin?

Verlängere CLAUDI Verlängere ihn Verlängere ihn dir Verlängere ihn dir deinen Verlängere ihn dir deinen Urlaub (durch kurzweilige CLAuDIa-

Wenn ja: tu ihr nur Gutes. Wenn CORD.

nein:

wähle

MAGNETO-

wie alle jene, die wir lieben.

Romane) Damen! Herren! Wir heben Ihr Prestige um kostbare Zentimeter. Senden Sie heute noch Diskret-Porto an ZOLLSTOCK & IRET

Sorge mit KP*)? NPD**) macht dich frei! *) Kleinem Pudel **) NEUE PUDEL-DRESSUR, Rathausplatz 2

WASSERMANN positiv? Tröste dich — mit einem Buch von

JUNGFRAU positiv? Tröste dich — mit einem Buch von

Zeitung 9. Lesen wir, sagt der Ingenieur, was unser Spaßmacher heute wieder über die Frauen schreibt; ich sage Ihnen, es gibt nichts Köstlicheres, als sich ein Stündchen von der Gattin abzuseilen und

ungestört Nadelstiche gegen das schöne Geschlecht zu studieren. Armer Tropf, denkt Chemiekaufmann

J. sehr leise, wärst du mit

Eiske oder Susi liiert... oder mit Ulrike... — Was wäre dann?, denkt der Ingenieur; würde ich dann wirklich dieses misogyne Kli285

Zeitung scheegekicher unter meiner Köstlichkeits-Ebene finden? Nein, Sie haben recht, denkt J., auch die Liebe der gescheitesten Frau heilt

einen Muffel & la longue nicht von seinen Vorurteilen. Kommen Sie, sagt der Ingenieur, nehmen Sie Urlaub vom Denken; also was schreibt unser Spaßmacher? Ingenieur

Spaßmacher Wenn eine Frau lächelt, dann hat in den meisten Fällen ihr Mann nichts zu lachen.

Oahahahaha!

Wenn eine Frau betont, sie gehöre zum schwachen Geschlecht, dann ist oft das

Gegenteil der Fall.

Hahaha!

Was eine Frau im Frühling träumt, muß der Mann zahlen.

im Herbst noch ab-

Oahahahahaha, hahaha!

Frauen sind beharrlicher als Männer.

Das zeigt sich im Hutgeschäft.

Ahahahaha, haha!

Frauen sind konsequenter als Männer. Wenn er noch an Flirt denkt, rechnen sie schon mit der Ehe.

Oahahahaha, hahaha, das ist wahr!

Wenn Männer sich mit dem Kopf beschäftigen, nennt man das „denken“, wenn Frauen sich mit ihrem beschäftigen, heißt es „frisieren“. Eine Frau bleibt so lange schön, wie sie

Hhahhahhah, (Schenkelklatschen), die weibliche

Intelligenz, haha!

ihren Mann nicht ganz ernst nimmt.

Hah! Frechheit! möcht ich sehn!

Der Führerschein gibt den Frauen das

Oahahahaha,

Recht, einen Wagen zu steuern, der Trauschein erlaubt ihnen, dasselbe mit einem Mann zu tun.

hat eine Schärfe! Der ist den Kanaillen auf der Spur, hahaha.

Frauen sind alle gleich — sogar darin, diese Tatsache zu leugnen.

(Schenkelklatschen.) Aussgezeichnet! Ha! Das ist ausgezeichnet! (Weglegen der Zeitung.)

haha,

Das

der

Merkwürdig, denkt Mytilla Mitil mädchenblaubeschürzt in einem jener Städtchen, daß unsere Zeit sich einbildet, vom Baby bis zum Großpapa Sigmund Freud nötig zu haben, während sie in Wirk286

Zero

lichkeit Alfred Adler nötig hätte. Wir haben eine Adler-Zeit wie noch nie. Es wimmelt von Geltungsneurosen, Minderwertigkeitskomplexen, irrealen Leitlinien, Entwertungs-Attituden, Geschlechter-Intrigen. Eine merkwürdige Übereinkunft, denkt Mytilla, Adler totsein zu lassen und das Problem, im Gegensatz zu Kleeblättern, Inzesten und Ziegenbeischläfen, zu tabuisieren. Der Kampf der Geschlechter hat sich seit Strindbergs Zeiten vollautomatisiert und atomgerüstet, aber niemand stellt ihn fest. Sex gemacht wird angeblich wie nie zuvor — stört es niemand, ihn mit Feinden zu machen? Ich, denkt Mytilla, bin Deserteuse. Aber wird der, den ich suche, auch Deserteur aus dem idiotischen Kampf sein? Mytilla freut

es, daß Rilke ein Mädchen sprechen ließ: Solang das Liebe heißt, daß einer siegt über den andern, geh ich. Teile Kühle im Gehen mit. Ich werde nicht zuteil. Mytilla geht. Ihre mädchenblaue Schürze teilt Kühle mit. Mytilla wird einstweilen nicht zuteil. Zero. Alles kann man nicht auf Null stellen. Niemehr kann man von Null ausgehen. Ich möchte von Null ausgehen. So wie ich meinen 1200 M in der > Garage Zentrum-Nord abgestellt habe und als Schiffspassagier beginne. Aber man müßte als blinder Passagier beginnen. Oder, noch besser, als Flußpirat. Zillenfahrer, stromauf

kämpfend. Behaarter Schwimmer, einem Affen davonschwimmend, aber einen schönen rot-blau-gesprenkelten Stein für die Höhlengattin im Schnappsack. Ich habe meinen Wagen weggestellt, weil Druden nur aus hundert Häusern besteht, in denen drei Tage fachgesimpelt wird, gefressen und gesoffen und von denen auf Nachbarhügel gestiegen wird, damit der Exporteurbauch in Grenzen bleibe. Ich habe keinen Exporteurbauc,

sondern bin ein stattlicher Mann, 40 Jahre, 1.78

groß, gut gebräunt, volles schwarzbraunes Haar, genaues nachgetöntes Bärtchen, > männlich eau-de-cologniert (aber wenig, damit ich die Frauenparfums besser spüre), Filterraucher (in der Jugend exzedierte ich mit Chesterfields), > Katzen-Liebhaber: © Katzen leben unbeeinträchtigt vom Menschen; wahre Gleichberechtigung; © Katzen geben im Spiel mit Menschen Liebesreserven, die sie im Spiel der Geschlechter nicht antasten; das rührt mich: etwas unverdiente Gabe und etwas faul im Weltbau; was bin ich sonst noch? Ganz flott bei Kasse, redlich im Geschäft,

gewinnend im Umgang, tüchtig in Sprachen, zögernd im Rechnen; 287

Zero

träumend im Wachen und dabei abermals gewinnend; Junggeselle, fremder Pyjamas kundig, doch keine machte mir verständlich, was mir die Landschaft in noch verträumteren Jahren eigentlich versprochen hatte; weiter: lyrisch im Gefühl, auch für schönverpackte Chemikalienpröbchen, für Messeplakate, Stahlmöbel, froschgrüne Saugzuganlagen, aber ohne Vertrauen zu Schriftstellern, daß sie den Iyrischen Rohstoff auch richtig verwerten; und rationelle Fertigung ist mir als Okonomen Grundprinzip. Meine Sekretärin wird Chwala urgieren und Anni mit den fällıgen Prolongationsakzepten zur Bank schicken. Vertreterbesuch Olwein erst, wenn ich wieder im Büro bin, Christa überdenkt nicht

vif genug die Lieferkonditionen. Eine Wohltat, daß kein Telephon an Bord ist; aber vielleicht versucht Schmidt mich per Schiffsfunk zu erreichen: „Soll ich die grünen oder blauen Reiter nehmen?“. SOS, spreizt die Antenne in die Luft, SOS, ich bin 40 Jahre, das war die schönere Hälfte eines langen Lebens; die häßlichere, mit immer höherer Tourenzahl, liegt vor mir; 40; mit 13 tat ich was das erste Mal, sind 27 Jahre; plus 40 sind 67, da tut sich was

vielleicht zum letzten Mal. Also mitten drin in jeder Karriere. Aber es wäre irrig zu glauben, daß J. in der Abfahrtsekunde traurig war. Rings, im platschenden Wasser, den wackelnden Ufern, den langsam Teilkreise beschreibenden Uferhäusern, dem fahlblauen Wasserdunsthimmel, dem Ohr im Horizont hinten, wo die Donau in andere Länder floß, und der Unschärfe vorn, die wieder zu weiter Landschaft auskeilen würde, lagen die Möglichkeiten der Welt, ein unendlich kleiner, aber immer noch unendlicher Bruchteil der Welt,

denn Unendlich durch Unendlich kann It. Mathematik für die Mittelstufe immer noch unendlich sein. Ich bin frei. Ich bin zu vielem noch fähig: © Ein bestimmtes > leuchtendes Blau kann mir zustoßen und die Fahrt rechtfertigen. (Nicht als Kunstgenuß, sondern umwerfend, mir Kraft zu einem neuen Anfang gebend, endlich zu richtigem Leben. Wieso eigentlich? Man müßte Denker sein, um draufzukommen. Aber die Tatsache bleibt, die kann ich

jedem zeigen. Kann ich das? Hat das irgendein anderer, und wenn, kann ich diese elektrische Entladung durch leuchtendes Blau in ihm gerade freisetzen, wenn ich will? Man müßte Dichter sein, um sich zu verständigen. Aber die Dichter verständigen sich ja auch nicht, sie tanzen vor ihrem Spiegel und küssen die eigenen Grimassen.) © Ein Ort kann auftauchen mit dem Haus und dem langgezogenen fliesenbelegten Vorgarten, dem Zimmer voll Kastanienmilch und schattig aufgehängten roten > Kopftüchern, dem 288

Zero

Brettspiel,

auf das ich immer

neugierig

war,

dem

gelben

schwarzgefleckten Teddyhund und der Zwölfjährigen, deren Gesicht ich mein Leben lang nicht zu erklären weiß — etwas Volles in einer meist blechdosenleeren Welt. Ich könnte mir einen Inhalt auffinden, indem ich für einen

kleinen Buben, der nicht lang leben wird und seltsam gründelnd ins Wasser schaut, mit Exporteurhemd und dunkler Hose über Bord hechte und einen riesigen blaufrischen Karpfen ertauche;

so kommt

dem

Buben

Welt

ins baufällige

Haus — und ich habe einem Gleichgestimmten gedient, bin nicht allein. Mir könnte jemand etwas erzählen: nicht das, was ich mir selbst auf meinen Plattenteller legen kann, sondern etwas,

womit ich nicht fertig werde; was mir eine neue Perspektive gibt, eine neue Seite in einem Kunstbuch, die garantiert nicht ich gemalt habe. Oder, wer wagt die Vorstellung?, jemand könnte sich für mich interNein. Aber es ist genug, wenn ich endlich erfahre, wie man auf Krk die echten Cevapcici macht (als ob ein zubereitetes Gemisch von Etwas mit Etwas nicht überall echt wäre; zwei Teile serbischen Schweins und ein Teil kroatischen Hammels nicht ebenso wie je anderthalb Teile österreichischen Schweins und österreichischen Mehls). Oder wenn ich einen überzeugenden Ausspruch lese (zB Die Krähe kann nie bergauf fließen, sondern immer nur der Bach bergab; oder: Wer weiß? Vielleicht hat sich Bluff aufgehängt?) oder, damit ichs fürn Bedarfsfall weiß: „So wurde Klein-Gerti erdrosselt“. Oder ich sehe einen jener japanischen Teenager, für die ich bei Bellini schockweise die magischen Lanzettchen bestelle, die bunten Hautaufreißer zum > Tätowieren; seltsames Volk:

wegen Sprechfehlers bei einem Stapellauf Harakiri, wegen Nichtgrüßens der Schwägerin Harakiri; wenn

das Bettleben

am ergiebigsten wird, gemeinsam in einen Wasserfall (ersäufen, erschlagen, ersticken); im Schlaf die Frisur nicht zerstören,

den Ehemann

anlächeln,

selbst wenn

er hinten ist;

unsere optische und Spielzeugindustrie unterbieten; den Siegerkindern die Statussymbole vorprägen (Margie Doll ®, sechs Wechselköpfe,

54 Kleider, funktionierender

Straßenkreuzer,

funktionierender Puppenplattenspieler, galoppierendes und trabendes Damenpony mit Zaum- und Pflegzeug, PuppenMake-up und Puppenschuhpaste, elf Gefährtinnen für Puppenparties, jede wieder mit sechs Wechselköpfen usw, Made in 289

Zigarre Nippon); einen Gott haben, der gestürzt weiterlebt, nicht etwa auferstanden nach einem Harakiri; ... aber wir werden euch mit unseren Handelsattaches, Hit-Textern und Nonkonformisten schon konformkriegen. Das Schiff hat sich eingeschlingert und rauscht nun gradaus durchs nasse Wasser; ich muß mich an sein langsames Vorwärtskommen

erst gewöhnen. Ich, Chemiekaufmann J., beende meine Gedanken zur Lage, nein, ich bin wirklich nicht zynisch, ich tauche mit besten Vorsätzen und elementar wie einer dieser zahllosen kühlen sparfarbigen Schattenfische ringsum in die bessere Welt, die Welt der außerichlichen Erscheinungen. Ein Trost, daß ich außerhalb meiner auch zu dieser ungebrochenen Welt gezählt werde. Schon von der dicken Gemüsehändlerin neben mir, die sich soeben den heroischen Büstenhalter

nachstrafft: er ist schwarz (er dampft schon frühmorgens) und hat rote Blüten und grüne Blätter. Von solch weichem Trampolin hinein ins Wasser, meine Optik, und hinüber ans > Ufer. Zigarre 1. Wenn man von Österreich nach Deutschland kommt:

Alles raucht Zigarre. Man schwitzt, der Koffer zieht an unseren Plastikhänden, das Hotel liegt langweilig und fern, aber nun fasziniert ein Tabakladen, Fenster um Fenster voll Orgelregister an Zigarren,

spazierstocklange,

roßschwanzdicke,

de Gaulle,

weiß-

blättrige, Fehlfarben, Stumpen, die ganz verruchten schwarzrindigen, Cuba, schiefe mit tropischen Beimengungen, kindische Cigarillos, Krumme Hunde, Verwittertes, Quarantäne-Verpacktes, jede

in einem Blechetui oder hundert Zerbrochene in einem Schuhpastakarton. Jetzt ein Hund sein (> Parfum 4) und all das zerbeißen können! Erinnern wir uns an frisches Packpapier, auch so knusprig und unverzehrbar. Unvollkommene Welt. Drum hat alles — Makler, Deichgräber, Apotheker, Student — die braune Rolle im Mund und pafft, von Aroma und Nikotin schwafelnd, in Wahrheit frustriert.

Vielleicht ist doch der erste Blick garren in der fremden Stadt das holen ist. Zigarre 2. Nach Zigarren riecht der Fremdarbeiter hat sich das Nach pommes

auf die Orgelregister all der ZiHöchste, das aus ihnen herauszues in den Pommes-frites-Stuben, Deutschpaffen bald angewöhnt.

frites riecht es in den Tabakläden,

denn an jeder

Ecke werden pommes frites verkauft. Bei pommes frites stört nicht das hitzelnde, fischelnde Ol, denn man ißt sie, wenn man pommes-

frites-hungrig ist, und das ist man, wenn man in deutschen Städten stiefelt, und Deutschland ist ein schreckliches Städteland. Pommes

frites werden von mißmutigen aber lieben Kunsthistorikerinnen ge290

Zukunft des Rotgebrauchs schmort, mit der Salzhand fahren sie drüber hin und fragen, ob

Mayonnaise auch. Auch Griechen und Ungarn bedienen uns Serben und Türken. Zigarren kriegt man immer und in jeder Preislage. Am billigsten, wenn Sonntag ist: da schlägt man die Scheiben ein oder ist unglücklich. Man tröstet sich mit einer gruppenmüden Kommunardin — aber Waltraud hat gar die entsetzlichen Weicheier lieber als die knusprigen pommes frites und Haschisch im Tee lieber als einen Krummen Hund in den blütenbemalten Fingern. Aus reinem Nonkonformismus habe ich keinen Dreiklang gebaut: das > Bier überschwiegen —

in Wahrheit das Beste, daran man

sich an einem > Hundstag heranassoziieren kann. Zigarre 3. Ginge es nach den Freud-Enkeln, wären alle Zigarrenraucher Schwule. Die Befriedigungsfritzen vergessen die Befriedigung, die Formen unsymbolisch, ontologisch bringen. Von elf Fingern lassen die Fritzen zehn untern Tisch fallen. Vgl. auch Jaspers-Zitat unter > Körper. Zigarre 4. Die dicke Cuba. Nie (sagt der abgewiesene Fakturist zum Fakturisten-Gott) werde ich wie Q (oberes Management der ©.C.P.D. S.) eine Cuba rauchen, mit knisternden Deckblättern, die Beine weggestreckt, der

Schlagfluß soll ihn holen. Der Schlagfluß wird mich holen (sagt der Personalchef der O.C.P.D. S. zu seiner erkahlenden Frau), den ganzen Nachmittag taten mir die Beine weh, ich muß die blöden Cuba bald lassen, ja

einen Fakturisten hab ich heut hinausgeschmissen, tat mir eigentlich leid, der Junge, aber die machen ja alle ihr Glück, oder (Husten-

anfall) sie sind eben nicht tüchtig. Zukunft des Rotgebrauchs. Eine Zeit, die nichtmehr patriarchalisch ist, vielmehr den Geschlechtern gleichen Wert einräumt, wird ge-

wisse uneigentliche Geschlechtsmerkmale abbauen. Allgemeine Prosperität vorausgesetzt, wird nach einiger Zeit auch der männlichempfindende Mann durchwegs bunte Kleidung tragen und sich geeignet schminken. (Was schon dann weniger befremdlich scheinen wird, wenn die Chemie ihn vom Bartstoppelgraus befreit.) Die von Kinsey erhobene Regel, daß Frauen im Geschlechtsleben den Gesichtssinn unbetätigt lassen, ist, sofern derzeit korrekt, weder phylonoch ontogenetisch bindend. Man denke an Stämme, bei denen der Mann in Schönheitspflege versinkt, während die Frau jagen geht, und an jenen Teil der Tierwelt, in dem das Männchen so schmuck wie das Weibchen oder das Weibchen unscheinbar ist. Die Kinseysche Regel könnte leicht dem männlichen Diktat unserer ausklingenden Epoche zuzuschreiben sein: Wähl nicht, sondern laß dich wäh291

Zunächst aber

Zz

len, und verbirg deine Aktivität im gelöschten Nachtkästchen-Licht. Im Zug der erotisch-visuellen Emanzipation wird Rot auch eine Männerfarbe werden. (Man betrachte schon heute die roten, orange,

rosa Arbeits- und Freizeitdressen der Männer.) Wird Rot an Frauen dadurch seinen Reiz verlieren? Wohl kaum, so wie Seide an einer

Frau wirksam bleibt, obwohl es seidene Herrenhemden und Herrenfallschirme gibt. Die rote Kornelkirsche

wird, wo

sie „Dirndl“

heißt, Dirndl bleiben (> Fehlen von Rot), auch wenn ganz in der Nähe der rote männliche Fliegenpilz wächst. Die Sehnsucht nach Rot an rotlosen Orten wird dem Mann auch in jener Zeit Sehnsucht nach

weiblichen

Röten

enthalten,

und

selbst für die Lust

des

> Transvestiten werden gewiß kleine Reservate bleiben. Zunächst aber vermochte ihn wieder die Welt der ungebrochenen Dinge zu fesseln (> Au, > Pfahlhaus, > Wasserereignis, in belie-

biger Reihenfolge); um 8.30 querte dann endlich das schräggespannte etwas durchhängende Stahlseil einer Königskinder-Fähre das Schiff; sodann nahmen bis 8.50 neben dem Exerzitium, wieweit Fähren-

benützung die Garantienkette eines versicherten Transportes durchbrechen könnte, folgende Eindrücke (in beliebiger Reihenfolge) seine Aufmerksamkeit in Anspruch: > Au, > Bordereignis, > Hügel, > Pfahlhaus, > Wasserereignis. Etwa

um

8.50

traten

hinter den Pfahlhäuschen,

die die Au

dauernd idylidurchsetzten, die sehr saftigen Wald-/Wiesen-Hügel ganz nahe heran, es wetterleuchtete nach einem baldigen Städtchen (da und dort ein von Wildrosen umrötetes Haus, echt, massiv, dauerbewohnbar; Spuren von Gassen ins Land hinein, nichtbloß-

immer die Uferbegleitschnur); und um 9.00 bog das Schiff ganz eng am Steinbruchufer in die

große Überraschung > Grottenolm. Zz. Sie sind es gewohnt, zuerst nachzulesen, ob sie sich kriegen, Napoleon und D6siree, oder der Bulle und der Kunde. Sehr praktisch. Diesmal aber erfahren Sie auf diese Weise nur, daß Zz bei den alten Apothekern Myrrhe, bei den neueren Ingwer bedeutet. Wollen Sie besser informiert werden, schlagen Sie, bitte, zur GEBRAUCHSANWEISUNG zurück. Denn Sie selbst müssen dieses Buch erst zum Roman machen. Im neuen Theater spielt das Publikum mit. Warum nicht im neuen Roman?

292

FRANKLIN & MARSHALL COLLEGE LIBRARY

Il

— — — —

15 030bb81

8

Der Lexikon-Roman ist ein sublimer und

gescheiter Spaß, der neue Literatur vorlegt, indem

sich er sie zugleich praktiziert und in Frage stellt, der

zeitgemäß über die Zeit erhebt. lustig macht und

en hinwegsetzt. der hierfür einen originellen Rahm ... schafft und gleichzeitig wohlgelaunt sprengt Dieser Autor besitzt Seltenheitswert: ein Rebell mit Charme. Hans Weigel

DER AUTOR Andreas Okopenko, geboren Er gehört zu den sroßen Gegenwartsliteratur. Zu seinen zählen Meteoriten. Kindernazi

1930 in Kosice. Autoren der wichtigsten Werken und der Lyrikband

Immer wenn ich heftig regne (Deuticke 1992). DIR ERURTEE

N