189 110 24MB
German Pages 382 [392] Year 1890
Lessings Werke. Sechster Band.
Stuttgart.
G. I. Göschen'sche Berlagshandlung. 1890.
Druck der Hoffmann'schen Buchdruckerei in Stuttgart.
Anhalt. Seite
Aus der Theatralischen Bibliothek. 1754—1758.
.
.
1
Vorrede. 1754................................................................................................. 1 Abhandlungen von dem weinerlichen oder rührenden Lustspiele 1754.......................... 4 Über das Lustspiel „Die Juden", im vierten Teile der Lessingschen Schriften. 1754......................................................................... 13
Vorrede zu Vermischte Schriften des Herrn Christlob Mylius. 1754................................ 22 Vorrede zu Des Herrn Jakob Thomsons sämtliche Trauer spiele, aus dem Englischen übersetzt. 1756.......................... 42 Vorrede zu Herrn Samuel Richardsons Sittenlehre für die Jugend. 1757.................................................................. 49 Vorbericht zu Preußische Kriegslieder in den Feldzügen 1756 und 1757 von einem Grenadier. 1758...................... 52 Briefe, die neueste Litteratur betreffend. 1759—1765. [1767]..................................................................................... 57 Erster Teil.
1759..............................................................................
59
Einleitung................................................................................................59
1. Brief. Allgemeine Betrachtungen über die Unfrucht barkeit der neuesten Litteratur.................................................. 60 2. Brief. Über die Übersetzung von Popens sämtlichen Werken 61 3. Brief. Über die Übersetzung der Fabeln des Gay . . 64 4. Brief. Über den Bergmännischen Bolingbroke. . 65 5. Brief. Über des Herrn von Palthen Versuche zu ver gnügen ,.............................................................................................. 69 7. Brief, über den Herrn Wieland und dessen Samm lung prosaischer Schriften............................................................ 71 8. Brief. Über die Wielandischen Empfindungen des Christen................................. 74 9. 10. 11. und 12. Brief. Über den Wielandischen Plan einer Akademie rc............................................................................. 77 13. und 14. Brief. Von dem Urteile des Herrn Wielands über unsere geistlichen Redner. Von der Sprache des Herrn Wielands. Von den moralischen Beobachtungen und Urteilen..............................................................................87 15.. Brief. Von dem Gedichte des Grenadiers an die Kriegesmuse 95
IV
Inhalt. Seite
16. Brief. Bon der Bibliothek der schönen Wissen schaften rc. Von des Herrn Gottscheds nötigem Vorräte zur Geschichte der deutschen dramatischen Dichtkunst . . 101 17. Brief. Von den Verdiensten des Herrn Gottscheds um das deutsche Theater. Auftritt aus dem Doktor Faust . 103 18. Brief. Für den Herrn Klopstock. Von den ersten deutschen Hexametern......................................................................................... 106 19. Brief. Von der neuen Originalausgabe des Messias . 111 30. Brief. Von den Fabelndes BerachjaHanakdan. Fehler des Herrn Gottscheds................................... 117 Nachricht. Herrn Bergmann betreffend....................................119
Zweiter Teil.
1759.............................................................................
123
Vorbericht....................................................................... 123 31. Brief. Ankündigung und Probe einer Übersetzung der Oden des Pindars.............................................................................125 32. Brief. Anpreisung der Tändeleien des Herrn von Gerstenberg..................................................................................................... 133 33. Brief. Kritik über das Lied eines Mohren aus den Tändeleien. Von dem Originale des Liedes eines Lapp länders. Zwei littauische Dainos......................................... 137 36. Brief. AnMndigung einer neuen Auflage der Sinngedichte Friederichs von Logau........................................................... 140 39. Brief. Von Grynäus vier auserlesenen Meisterstücken so vieler englischen Dichter. Von den englischen Hexametern 145 40. Brief. Anpreisung des Cissides und Paches, von dem Ver fasser des Frühlings. Zwei noch ungedruckte Gedichte von eben demselben...................................................................................153 41. Brief. Über des Herrn Dusch Schilderungen aus dem
Reiche der Natur und der Sitten............................................... 160 43. Brief. Anpreisung der neuen Ausgabe der Sinngedichte des Logau von den Herrn Ramler und Lessing. Ein vortreffliches Lied eines unbekannten deutschen Dichters 182 44. Brief. Von der Sprache des Logau. Probe von den An merkungen seiner Herausgeber über dieselbe .... 191 Dritter Teil. 48. Brief.
1759........................................................................ Über den nordischen Aufseher. Über dessen An
197
merkungen von der besten Art zu erziehen. Des Herrn Tullin Gedicht: ein Maitag..................................................... 197 49. Brief. Anzeige der Trugschlüsse in des Auffehers Beweis, daß man ohne Religion kein rechtschaffner Mann sein könne. Anmerkung über dessen Einteilung der drei Arten über Gott zu denken.......................................................................202 50. Brief. Fortsetzung über den nordischen Aufseher. An preisung der Nachricht von einer neuen Art Amazonen. Von der Schwatzhaftigkeit des Aufsehers............................. 210 51. Brief. Beschluß der Amnerkungen über den nordischen Aufseher. Charakter der Oden des Herrn Cramers. Zwei Stellen aus einerKlopstockischen Ode werdenangeführet. Vorschlag zu Einrichtung musikalischer Gedichte. Anpreisung des Blattes im Auffeher, wie man den prosaischen Stil über den poetischen erheben könne...............................................218
Inhalt.
V Seite
52. Brief. Von Herrn Gebauers Geschichte von Portugal. Anführung der Stelle von der Geschichte des unglücklichen Sebastian. Ob Martin Beheim die neue Welt er funden habe. Verbesserung der Geschichte eines bon-mot 225 53. Brief. Anzeige des Lebens Antons, Königs von Por tugal, von der Frau von Saintonge, welches Herrn Gebauer unbekannt gewesen. Von dieses Königs Antons zweimaligen Aufenthalte in Engeland.................................239 Vierter Teil.
1759..........................................................................
246
63. und 64. Brief. Anzeige des Trauerspiels Johanna Gray von Herrn Wieland. Beweis, daß das Beste in diesem Trauerspiele aus Rowes Jane Gray genommen sei. Plan der englischen Jane Gray.......................................................246 65. Brief. Anzeige der Anmerkungen des Herrn R. Heinz über des Herrn Professor Gottscheds Sprachkunst. Was grämisches Anschnarchen sei............................................261 70. Brief. Anzeige der Fabeln des Herrn Lessing. Kurzer Auszug aus seinen Abhandlungen über die Fabel . . 268 71. Brief. Anzeige des Herrn Professor Uhls Sylloge nova epistolarum................................................................................... 275
Fünfter Teil.
1760.........................................................................
284
77. Brief. Von des Herrn Dusch Übersetzung der Georgicorum des Virgils nach Martins engländischerAusgabe 284 81. Brief. Von des Herrn Weiße Beitrag zum deutschen Theater. Anmerkungen über desselben Trauerspiel Eduard III....................................................................................300 Sechster Teil.
1760.........................................................................
309
102. Brief. Von des Herrn Basedow Vergleichung der Lehren und Schreibart des nordischen Aufsehers mit den Be schuldigungen gegen dieselben................................................. 309 103. Brief. Daß es keine Schmähung sei, wenn man Herrn Cramer den vortrefflichsten Verfifikateur genennet hat 313 104. Brief. Von Herrn Basedow geforderte Beispiele, daß es dem Aufseher gewöhnlich sei, viel Worte zu machen und einen kleinen Gedanken durch weitschweifige Reden aufzuschwellen.............................................................................317 105. Brief. Daß es also kein Verbrechen sei, zu sagen, der Stil des fleißigsten Mitarbeiters am Aufseher sei der schlechte Kanzelstil eines seichten Homileten rc......................... 321 106. Brief. Beleuchtung des Satzes im Aufseher, daß ein Mann ohne Religion kein rechtschaffener Mann sein könne, und der Basedowischen Verteidigung.................................324 107. Brief. Wie der Aufseher wohl auf diesen Satz möge ' gekommen sein............................................................................. 334 108. Brief. Verteidigung des Urteils über die vom Aufseher vorgeschlagene Methode, junge Leute den Erlöser der Welt kennen zu lernen............................................................. . 336
VI
Inhalt. Sette
109. Brief. Daß diese Methode weder durch die Rede, die Paulus vor den Acheniensern, noch durch die, welche er vor dem Felix und Agrippa hielt, könne gerechtfertiget werden................................................................................................339 110. Brief. Von der Miene der neumodischen Rechtgläubigkeit, die sich der Aufseher zu geben sucht....................................347 111. Brief. Von Herrn Klopstocks Einteilung der Arten über Gott zu denken, und von dessen Liedern, von welchen beiden der Verfasser wenig hält............................................... 349 112. Brief. Von einem im Aufseher befindlichen, unter dem Namen des Kupferstechers Kauke erdichteten anzüglichen Briefe..................................................................................................... 353
Siebenter Teil
1760..........................................................................
356
127. Brief. Von Hermann Axels Lessing'schen Unäsopischen Fabeln . ..........................................................................................356
Vierzehnter Teil.
1762 ..................................................................
233. Brief. Von der wider Herrn Lichtwers Absicht heraus gekommenen verbesserten Ausgabe seiner Fabeln . . .
368 368
1765 ...............................................
370
332. Brief. Von Meinhardts Versuchen über den Charakter und die Werke der besten italienischen Dichter. Sie sind wegen ihrer Bekanntschaft mit allen den besten Genies einer ganzen Natton aller Achtung würdig. Von dem Vorzug der italienischen Dichtkunst vor der deutschen, wie auch derselben Fehlern. Entwurf des Verfassers von einer poetischen Landkarte. Von der beobachteten Zeitordnung des Verfassers bei den Werken der italienischen Dichter. Gegründete Anmerkung des Verfassers, daß der Mangel großer Genies nicht dem Mangel der Belohnungen und Aufmunterungen zuzuschreiben sei. Vetteidigung des Machiavells wegen seiner Verdienste in Absicht der Prose der Italiener. Von Hom es Grundsätzen der Kritik in einer wohlgeratenen Übersetzung von ebendemselben. Beur teilung der Ausgabe von Petrarchischen Gedichten . .
370
Dreiundzwanzigster Teil.
Aus der
Theatralischen Bibliothek. Vorrede. •^njAan wird sich der Beiträge zur Historie und Auf-
nähme des Theaters erinnern, von welchen im Jahr 1750 vier Stück zum Vorschein kamen.
Nicht der Mangel der
guten Aufnahme, sondern andere Umstände machten ihnen ein zu kurzes Ende.
Ich könnte es beweisen, daß Leute von Einsicht
und Geschmack öffentlich die Fortsetzung derselben gewünscht haben.
Und soviel man auch von
dergleichen
öffentlichen
Wünschen, nach Gelegenheit, ablaffen muß, so bleibt doch noch immer so viel davon übrig, als hinlänglich ist, mein gegenwärtiges Unternehmen zu rechtfertigen.
Man sieht leicht, daß ich hiermit diese Theatralische Bibliothek als eine Folge gedachter Beiträge ankündigen
will.
Ich verliere mich, nach dem Sprichworts zu reden, nicht
mit meiner Sichel in eine fremde Ernte; sondern mein Recht
auf diese Arbeit ist gegründet.
Von mir nämlich schrieb sich
nicht nur der ganze Plan jener periodischen Schrift her, so wie er in der Vorrede entworfen wird;
auch
sondern
der
größte Teil der darin enthaltenen Aufsätze ist aus meiner Feder geflossen.
Ja ich kann sagen, daß die fernere Fortsetzung
nur dadurch wegfiel, weil ich länger keinen Teil daran nehmen
wollte. Lessing, Werke. VI.
1
2
Aus der theatralischen Bibliothek. Zu diesem Entschlüsse brachten
mich
teils verschiedene
allzukühne und bittere Beurteilungen, welche einer von meinen
Mitarbeitern einrückte; teils einige kleine Fehler, die von feiten
seiner gemacht wurden, und die notwendig dem Leser von den Verfassern überhaupt einen schlechten Begriff beibringen mußten. Er übersetzte, zum Exempel, die Clitia des Machiavells.
Ich
konnte mit der Wahl dieses Stücks, in gewißer Absicht, ganz wohl zufrieden sein; allein mit seinem Vorberichte hatte ich
Ursache, es ganz und gar nicht zu sein.
Er sagte unter andern
darin: „Fragt man mich, roanim ich nicht lieber ein gutes
„als ein mittelmäßiges Stück gewählt habe? so bitte ich,
„mir erst ein gutes Stück von dem italienischen Thea
ter zu nennen" .... Diese Bitte machte mich so ver wirrt, daß ich mir nunmehr beständig vorstellte, ein jeder, der in der welschen Litteratur nur nicht ganz und gar eilt Fremdling
sei, werde uns zurufen: wenn ihr die Bühnen der übrigen Ausländer nicht besser kennt, als die Bühne der Italiener, so haben wir uns feine Dinge von euch zu versprechen!
Was war also natürlicher, als daß ich die erste die beste Gelegenheit ergriff,
mich
von einer Gesellschaft loszusagen,
die gar leicht meinen Entwurf in der Ausführung noch mehr hätte verunstalten können? Ich nahm mir vor, meine Be
mühungen für das Theater in der Stille fortzusetzen, und die Zeit zu erwarten, da ich das allein ausführen könnte, von welchem ich wohl sahe, daß es gemeinschaftlich mit andern nicht allzuwohl auszuführen sei. Ich weiß nicht, ob ich mir schmeicheln darf, diese Zeit
jetzt erreicht zu haben.
Wenigstens kann ich versichern, daß
ich seitdem nicht aufgehöret habe, meinen erstem Vorrat mit allein zu vermehren, was, nach einer kleinen Einschränkung des Plans, zu meiner Absicht dienlich war.
Diese Einschränkung bestand darin, daß ich den Bei trägen, welche, ihrer ersten Anlage nach, ein Werk ohne Ende scheinen konnten, eine Anzahl mäßiger Bände bestimmte, welche
3
Aus der theatralischen Bibliothek.
zusammengenommen nicht bloß einen theatralischen Mischmasch,
sondern
wirklich
eine kritische
Geschichte
des Theaters
zu
allen Zeiten und bei allen Völkern, obgleich ohne Ordnung
weder nach den einen, noch nach den andern, enthielten.
Ich
setzte mir also vor, nicht alles aufzusuchen, was man von der
dramatischen Dichtkunst geschrieben habe, sondern das Beste und Brauchbarste; nicht alle und jede dramatische Dichter bekannt
zu machen, sondern die vorzüglichsten, mit welchen entweder eine jede Nation als mit ihren größtm pranget, oder welche wenigstens Genie genug hatten, hier und da glückliche Ver
änderungen zu machen.
Und auch bei diesen wollte ich mich
bloß auf diese von ihren Stücken einlassen, welchen sie den
größten Teil ihres Ruhms zu danken haben.
Augenmerk blieben aber dabei noch
Mein vornehmstes
immer die Alten, mit
welchen ich das noch gewiß zu leisten hoffe, was ich in der Vorrede zu den Beiträgen versprochen habe.
Zweierlei wird man daselbst auch noch versprochen finden, roomit ich mich aber jetzt ganz und gar nicht abgeben will.
Erstlich werde ich es nicht wagen,
die dramatischen Werke
meiner noch lebenden Landsleute zu beurteilen.
selbst unter sie gemengt habe,
Da ich mich
so habe ich mich des Rechts,
den Kunstrichter über sie zu spielen, verlustig gemacht.
Denn
entweder sie sind beffer, oder sie sind geringer als ich.
Jene
setzen sich über mein Urteil hinweg; und was diese ihre Leser bitten, das muß ich die meinigen gleichfalls noch bitten:
----------- date Crescendi copiam Novarum qui spectandi faciunt copiam Sine vitiis — — Zweitens werde ich
keine Nachrichten von dem gegen
wärtigen Zustande der verschiedenen Bühnen in Deutschland mitteilen; teils weil ich für die wenigsten derselben würde
stehen können; teils weil ich unsern Schauspielern nicht gern einige Gelegenheit zur Eifersucht geben will.
Sie brauchen,
4
Aus der theatralischen Bibliothek.
zum Teil, wenigstens ebensoviel Ermunterung und Nachsicht, als unsre Schriftsteller.
Was die äußerliche Einrichtung dieser Theatralischen Bib liothek anbelangt, so ist weiter dabei nichts zu erinnern, als daß immer zwei Stück einen kleinen Band ausmachen sollen.
Der letzte Band, von welchem ich aber noch nicht bestimmen kann, welcher es sein wird, soll eine furje chronologische Skia
graphie von allem, was in den vorhergehenden Bänden vor
gekommen ist, enthalten, und die nötigen Verbindungen hin zuthun, damit man die Schicksale der dramatischen Dichtkunst
auf einmal übersehen könne.
An eine gewisse Zeit werde ich
mich dabei nicht binden; wohl aber kann ich versichern, daß
mir selbst daran liegt,
sobald es sich thun läßt, zustande
zu kommen.
Abhandlungen von dem weinerlichen oder rührenden Lustspiele. Neuerungen machen, kann sowohl der Charakter eines
großen Geistes,
als eines kleinen sein.
Jener verläßt das
Alte, weil es unzulänglich, oder gar falsch ist; dieser, weil es
alt ist.
Was bei jenem die Einsicht veranlaßt, veranlaßt bei
diesem der Ekel.
Das Genie will mehr thun als sein Vor
gänger; der Affe des Genies nur etwas anders.
Beide lasten sich nicht immer auf den ersten Blick von einander unterscheiden.
Bald macht die flatterhafte Liebe zu
Veränderungen, daß man
aus Gefälligkeit diesen für jenes
gelten läßt; und bald die hartnäckige Pedanterei, daß man,
voll unwistenden Stolzes, jenes zu diesem erniedriget.
Genaue
Beurteilung muß mit der lautersten Unparteilichkeit verbunden sein, wenn der aufgeworfene Kunstrichter weder aus wollüstiger
Nachsicht, noch aus neidischem Eigendünkel fehlen soll.
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Aus der theatralischen Bibliothek.
zum Teil, wenigstens ebensoviel Ermunterung und Nachsicht, als unsre Schriftsteller.
Was die äußerliche Einrichtung dieser Theatralischen Bib liothek anbelangt, so ist weiter dabei nichts zu erinnern, als daß immer zwei Stück einen kleinen Band ausmachen sollen.
Der letzte Band, von welchem ich aber noch nicht bestimmen kann, welcher es sein wird, soll eine furje chronologische Skia
graphie von allem, was in den vorhergehenden Bänden vor
gekommen ist, enthalten, und die nötigen Verbindungen hin zuthun, damit man die Schicksale der dramatischen Dichtkunst
auf einmal übersehen könne.
An eine gewisse Zeit werde ich
mich dabei nicht binden; wohl aber kann ich versichern, daß
mir selbst daran liegt,
sobald es sich thun läßt, zustande
zu kommen.
Abhandlungen von dem weinerlichen oder rührenden Lustspiele. Neuerungen machen, kann sowohl der Charakter eines
großen Geistes,
als eines kleinen sein.
Jener verläßt das
Alte, weil es unzulänglich, oder gar falsch ist; dieser, weil es
alt ist.
Was bei jenem die Einsicht veranlaßt, veranlaßt bei
diesem der Ekel.
Das Genie will mehr thun als sein Vor
gänger; der Affe des Genies nur etwas anders.
Beide lasten sich nicht immer auf den ersten Blick von einander unterscheiden.
Bald macht die flatterhafte Liebe zu
Veränderungen, daß man
aus Gefälligkeit diesen für jenes
gelten läßt; und bald die hartnäckige Pedanterei, daß man,
voll unwistenden Stolzes, jenes zu diesem erniedriget.
Genaue
Beurteilung muß mit der lautersten Unparteilichkeit verbunden sein, wenn der aufgeworfene Kunstrichter weder aus wollüstiger
Nachsicht, noch aus neidischem Eigendünkel fehlen soll.
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Aus der theatralischen Bibliothek.
Diese allgemeine Betrachtung findet hier ganz natürlich
ihren Platz, da ich von den Neuerungen reden will, welche zu unsern Zeiten in der worden.
dramatischen Dichtkunst
sind
gemacht
Weder das Lustspiel, noch das Trauerspiel, ist davon
verschont geblieben.
Das erstere hat man um einige Staffeln
erhöhet, und das andre um einige herabgesetzt.
Dort glaubte
man, daß die Welt lange genug in dem Lustspiele gelacht und abgeschmackte Laster ausgezischt habe; man kam also auf den Einfall, die Welt endlich einmal auch darin weinen und an
stillen Tugenden ein edles Vergnügen finden zu kaffen.
Hier
hielt man es für unbillig, daß nur Regenten und hohe Standes personen in uns Schrecken und Mitleiden
erwecken
sollten;
man suchte sich also aus dem Mittelstände Helden, und schnallte ihnen den tragischen Stiesel an, in dem man sie sonst, nur
ihn lächerlich zu machen, gesehen hatte. Die erste Veränderung brachte dasjenige hervor, was seine Anhänger das rührende Lustspiel, und seine Widersacher
das weinerliche nennen. Aus der zweiten Veränderung entstand das bürgerliche
Trauerspiel.
Jene ist von den Franzosen und diese von den Eng ländern gemacht worden.
Ich wollte fast sagen, daß sie
beide aus dem besondern Naturelle dieser Völker entsprungen zu sein scheinen.
Der Franzose ist ein Geschöpf, das immer
größer scheinen will, als es ist.
Der Engländer ist ein anders,
welches alles Große zu sich hernieder ziehen will.
Dem einen
ward es verdrießlich, sich immer auf der lächerlichen Seite
vorgestellt zu sehen; ein heimlicher Ehrgeiz trieb ihn, seines gleichen aus einem edeln Gesichtspunkte zu zeigen.
Dem andern
war es ärgerlich, gekrönten Häuptern viel voraus zu lassen;
er glaubte bei sich zu fühlen, daß gewaltsame Leidenschaften
und erhabne Gedanken nicht mehr für sie, als für einen aus seinen Mitteln wären. Dieses ist vielleicht mir ein leerer Gedanke; aber genug,
6
Aus der theatralischen Bibliothek.
daß es doch wenigstens ein Gedanke ist.--------- Ich will für
diesesmal nur
die
erste Veränderung
zu
dem
Gegenstände
meiner Betrachtungen machen, und die Beurteilung der zweiten auf einen andern Ort sparen. Ich habe schon gesagt, daß man ihr einen doppelten Namen beilegt, welchen ich auch sogar in der Überschrift ge
braucht habe, um mich nicht durch die bloße Anwendung des einen so schlechtweg gegen den Begriff des andem zu erklären.
Das weinerliche Lustspiel ist die Benennung derjenigen, welche wider diese neue Gattung eingenommen sind.
Ich glaube,
obschon nicht hier, sondem anderwärts, das Wort weinerlich, um das französische larmoyant auszudrücken, am * ersten ge
braucht zu haben.
Und ich wüßte es noch jetzt nicht bester
zu übersetzen, wenn anders der spöttische Nebenbegriff, den inan damit hat verbinden wollen, nicht verloren gehen sollte.
Man
sieht dieses an der zweiten Benennung, wo ihre Verteidiger
ihre Nechmlng dabei gefunden haben, ihn gänzlich wegzulasten. Ein rührendes Lustspiel läßt uns
an ein sehr schönes
Werk denken, da ein weinerliches, ich weiß nicht was für
ein kleines Ungeheuer zu versprechen scheinet. Aus diesen verschiedenen Benennungen ist genugsam, glaub' ich, zu schließen, daß die Sache selbst eine doppelte Seite haben müsse, wo man ihr bald zu viel, und bald zu wenig thun
könne.
Sie muß eine gute Seite haben, sonst würden sich
nicht so viel schöne und scharfsinnige Geister für sie erklären:
sie muß aber auch eine schlechte haben, sonst würden
sich
andre, die ebenso schön und scharfsinnig sind, ihr nicht wider setzen.
Wie kann man also wohl sichrer hierbei gehen, als daß man jeden von diesen Teilen höret, um sich alsdann entweder
auf den einen, oder auf den andern zu schlagen, oder auch, wenn man lieber will, einen Mittelweg zu wählen, auf welchem
sie sich gewissermaßen beide vereinigen lasten? Zum guten Glücke finde ich, sowohl hier als da, zwei Sprecher, an deren Ge-
7
Aus der theatralischen Bibliothek.
schicklichkeit es wahrhaftig nicht liegt, wenn sie nicht beide
recht haben.
Der eine ist ein Franzose und der andre ein Deutscher.
Jener verdammt diese neue Gattung, und dieser verteidiget sie; so wahr ist es, daß die wenigsten Erfindungen
an dem
Orte, wo sie gemacht werden, den meisten Schutz und die meiste Unterstützung finden.
Der Franzose ist ein Mitglied der Akademie von Rochelle, befielt Name sich mit den Buchstabm M. D. C. anfängt.
Er
hat Bettachtungen über das Weinerlich-Komische ge
schrieben, welche bereits im Jahr 1749 auf fünf Bogen in
klein Ottav herausgekommen sind.
Hier ist der völlige Titel:
Reflexions sur le comique-larmoyant, par Mr. M. D. C.
tresorier de France et conseiller au präsidial, de l’academie de la Rochelle; adressees a M. M. Arcere et Thylorier de la meme aeadämie.
Der Deutsche ist der Herr Professor Gellert, welcher im Jahr 1751 bei dem Antritte seiner Professur, durch eine
lateinische Abhandlung pro comoedia commovente, zu der feierlichen Antrittsrede einlud.
Sie ist in Quart, auf drei
Bogen gedmckt.
Die Regel, daß man das, was bereits gethan ist, nicht noch einmal thun solle, wenn man nicht gewiß wüßte, daß
man es besser thun werde, scheint mir so billig, als bequem.
Sie allein würde mich daher entschuldigen, daß ich jetzt gleich beide Aufsätze meinem Leser
übersetzt vorlegen will,
wenn
dieses Verfahren eine Entschuldigung brauchte.
Mit der Abhandlung des Franzosen, die man also zuerst
lesen wird, bin ich ein wenig französisch verfahren, und bei nahe wäre ich noch französischer damit umgegangen.
Sie ist,
wie man gesehen hat, an zwei Nebenmitglieder der Akademie zu Rochelle gerichtet; und ich habe es für gut befunden, diese
Anrede durchgängig zu verändern.
Sie hat verschiedene Noten,
die nicht viel sagen wollen; ich habe also die armseligsten weg-
8
Aus der theatralischen Bibliothek.
gelassen, und beinahe hätten sie dieses Schicksal alle gehabt.
Sie hat ferner eine Einleitung von sechs Seiten, und auch
diese habe ich nicht übersetzt, weil ich glaube, daß sie zu ver missen ist.
Beinahe hatte ich sogar den Anfang der Abhand
lung selbst übergangen, wo uns mit wenigen die ganze Ge schichte der dramatischen Dichtkunst, nach dem Pater Brumoy,
erzählt wird.
Doch weil der Verfasser versichert, daß er diese
Schritte zurück notwendig habe thun müsien, um desto sichrer
und mit desto mehr Kräften auf seinen eigentlichen Gegenstand losgehen zu können,
so habe ich alles gelassen wie es
ist.
Seine Schreibart übrigens schmeckt ein wenig nach der kost baren Art, die auch keine Kleinigkeit ohne Wendung sagen will.
Ich habe sie größtenteils müssen beibehalten, und man
wird mich entschuldigen.
Ohne roeitre Vorrede endlich zur Abhandlung selbst zu kommen; hier ist sie!
Betrachtungen über das Weinerlich-Komische, aus dem Französische» des Herrn M. D. C.
Hier ist die Schrift des französischen Gegners aus. Ob es
nun gleich nicht scheint, daß sie der Herr Professor Gellert gekannt habe, so ist es denilvch geschehen, daß er auf die mei sten ihrer Gründe glücklich
geantwortet hat.
Weil sie dem
Leser noch in frischem Andenken sein müssen, so will ich ihn nicht lange abhalten, sich selbst davon zu überzeugen.
habe ich eine kleine Bitte an ihn zu thrm.
Nur
Er mag so gut sein,
und es dem Herrn Professor Gellert nicht zuschreiben, wenn
er finden sollte, daß er sich dieses Mal schlechter ausdrücke, als er sonst von ihm gewohnt ist. Man sagt, daß auch die besten Übersetzer Verhunzer waren.
9
Aus der theatralischen Bibliothek. Des Herr« Professor Gellerts Abhandlung für das rührende Lustspiel.
So weit der Herr Professor Gellert! Ich würde meinen
Lesern wenig zutrauen, wenn ich nicht glaubte, daß sie es nun mehr von selbst wissen könnten, auf welche Seite die Wage den Ausschlag thue. Ich will zum Überflüsse alles, was man für und wider gesagt hat, in einige furje Sätze bringen, die inan auf einmal übersehen kann.
Ich will sie so einrichten,
daß sie, womöglich, alles Mißverständnis heben, und alle schwei fende Begriffe in richtige und genaue verwandeln. Anfangs muß man über die Erklämng der rührenden
oder weinerlichen Komödie einig werden. Will man eine solche darunter verstanden haben, welche hier und da rührende und
Thränen auspressende Scenen hat; oder eine solche, welche
aus nichts als dergleichen Scenen besteht? Meinet man eine, wo man nicht immer lacht, oder wo man gar nicht lacht? Eine, wo edle Charaktere mit ungereimten verbunden sind, oder
eine, wo nichts als edle Charaktere vorkommen?
Wider die erste Gattung, in welcher Lachen und Rührung, Scherz und Ernst abwechseln, ist offenbar nichts einzuwenden. Ich erinnere mich auch nicht, daß man jemals dawider etwas
habe einwenden wollen. Dichter verteidigen sie.
Vermurst und Beispiele der
alten
Er, der an Scherz und Einfällerr der
reichste ist, und Lachen zrr erregen nicht selten Witz und An
ständigkeit, wie man sagt, beiseite gesetzt hat, Plautus hat die Gefangnen gemacht und, was noch mehr ist, dem Phile
mon seinen Schatz geborgt.
unter der Anfschrist Trinummus ab
In beiden Stücken, uird auch in andern, kommen
Arrftritte vor, die einer zärtlichen Seele Thränen kosten müssen.
Im Mokiere selbst fehlt es an rührenden Stellen nicht, die nur deswegen ihre völlige Wirkung nicht thrin können, weil
er uirs das Lachen allzugewöhnlich nracht.
Was man von
10
Aus der theatralischen Bibliothek.
dem schleunigen Übergange der Seele von Freude auf Traurig keit, und von dem Unnatürlichen desselben gesagt hat; betrifft
nicht die Sache selbst, fonbem die ungeschickte Ausführung.
Man sehe das Exempel, welches der Franzose aus dem Schau spiele Simson
ansührt.
Freilich muß der Dichter gewiße
Staffeln, gewiße Schattierungen beobachten, und unsre Empfin dungen niemals einen Sprung thun laßen. Von einem Äußer sten plötzlich auf das andre gerißen werden, ist ganz etwas anders, als von einem Äußersten allinählich zu dem anderil
gelangen. Es muß also die andre Gattung sein, über die man
hauptsächlich streitet; diejenige nämlich, worin man gar nicht
lacht, auch nicht einmal lächelt; worin man durchgängig weich gemacht wird.
Und auch hier kann man eine doppelte Frage
thun. Man kann fragen, ist ein solches Stück dasjenige, was man von jeher unter dem Namen Komödie verstanden hat?
Und
darauf antwortet Herr Gellert selbst Nein.
Ist es
aber gleichwohl ein Schauspiel, welches nützlich und für gewiße Denkungsarten angenehm sein kann? Ja; und dieses kann der französische Verfaßer selbst nicht gänzlich in Abrede sein.
Worauf kömmt es also nun noch weiter an?
Darauf,
sollte ich meinen, daß man den Grad der Nützlichkeit des neuen
Schauspiels gegen die Nützlichkeit der alten Komödie bestimme, und nach Maßgebung dieser Bestimmung entscheide, ob man beiden einerlei Vorzüge einräumen müße oder nicht? Ich habe schon gesagt, daß man niemals diejenigen Stücke getadelt habe,
welche Lachen und Rührung verbinden; ich kann mich dieserwegen unter andern
darauf berufen,
daß
man den Des
touches niemals mit dem la Chaussee in eine Klasse gesetzt
hat, und daß die hartnäckigsten Feinde des letzter» niemals
dem erstem den Ruhm eines vortrefflichen komischen Dichters abgesprochen haben, so viele edle Charaktere und zärtliche Sce
nen in seinem Stücke auch Vorkommen.
Ja, ich getraue mir
zu behaupten, daß nur dieses allein wahre Komödien
sind,
Aus der theatralischen Bibliothek.
11
welche sowohl Tugenden als Laster, sowohl Anständigkeit als
Ungereimtheit schildern, weil sie eben durch diese Vermischung ihrem Originale, dem menschlichen Leben, am nächsten kommen.
Die Klugen und Thoren sind in der Welt untermengt, und
ob es gleich gewiß ist, daß die erstem von den letztem an der Zahl übertroffen werden, so ist doch eine Gesellschaft von lauter Thoren beinahe ebenso unwahrscheinlich, als eine Gesellschaft
von lauter Klugen.
Diese Erscheinung ahmet das Lustspiel
nach, und nur durch die Nachahmung derselbm ist es fähig,
dem Volke nicht allein das, was es vermeiden muß, auch nicht allein das, was es beobachten muß, sondern beides
zugleich in einem Lichte voHustellen, in welchem das eine das andre erhebt.
Man sieht leicht, daß man von biefem wahren
und einigen Wege auf eine doppelte Art abweichen kann.
einen
Abweichung hat man schon
längst
den Namen
Der
des
Possenspiels gegeben, besten charakteristische Eigenschaft darin besteht, daß es nichts als Laster und Ungereimtheiten, mit
keinen andern als solchen Zügen schildert, welche zum Lachen bewegen, es mag dieses Lachen nun ein nützliches oder ein
sinnloses Lachen sein.
Edle Gesinnungen, emsthaste Leiden
schaften, Stellungen, wo sich die schöne Natur in ihrer Stärke
zeigen kann, bleiben aus demselben ganz und gar weg; und wenn es außerdem auch noch so regelmäßig ist, so wird es doch in den Augen strenger Kunstrichter dadurch noch lange
nicht zu einer Komödie. weichung bestehen?
Worin wird
also die andre Ab
Unfehlbar darin, wenn man nichts als
Tugenden und anständige Sitten, mit keinen andern als sol chen Zügen schildert, welche Bewundemng und Mitleid er
wecken, beides mag nun einen Einfluß auf die Bessrung der
Zuhörer haben können, oder nicht.
Lebhafte Satire, lächer
liche Ausschweifungen, Stellungen, die den Narren in seiner Blöße zeigen, sind gänzlich aus einem solchen Stücke verbannt.
Und wie wird man ein solches Stück nennen? Jedermann wird mir zurufen: das eben ist die weinerliche Komödie! Noch ein-
12
Aus der theatralischen Bibliothek.
mal also mit einem Worte:
das Possenspiel will nur zum
Lachen bewegen; das weinerliche Lustspiel will nur rühren; die wahre Komödie will beides.
Man glaube nicht, daß ich
dadurch die beiden erstem in eine Klaffe setzen will; es ist noch immer der Unterscheid zwischen beiden, der zwischen dem
Pöbel und Leuten von Stande ist.
Der Pöbel wird ewig
der Beschützer der Poffenspiele bleiben, und unter Leuten von
Stande wird es immer gezwuitgne Zärtlinge geben, die den Ruhm empfindlicher Seelen auch da zu behaupten suchen, wo
andre ehrliche Leute gähnen.
Die wahre Komödie allein ist
für das Volk, und allein fähig, einen allgemeinen Beifall zu erlangen, und folglich auch einen allgemeinen Nutzen jh stiften.
Was sie bei dem einen nicht durch die Scham erlangt, das
erlangt sie durch die Bewunderung; und wer sich gegen diese verhärtet, dem macht sie jene fühlbar. Regel des Kontrasts,
Hieraus scheinet die
oder der Abstechung, geflossen zu
sein, vermöge welcher man nicht gerne eine Untugend aufführt, ohne ihr Gegenteil mit anzubringen; ob ich gleich gerne zu gebe, daß sie auch darin gegründet ist, daß ohne sie der Dichter seine Charaktere nicht wirksam genug vorstellen könnte.
Dieses nun, sollte ich meinen,
bestimme den Nutzen der
weinerlichen Komödie genau genug.
Er ist nämlich nur die
Hälfte von dem Nutzen, den sich die wahre Komödie vorstellet;
und auch von dieser Hälfte geht nur allzuoft nicht wenig ab. Ihre Zuschauer wollen ausgesucht sein, und sie werden schwer
lich den zwanzigsten Teil der gewöhnlichen Komödiengänger
ausmachen.
Doch gesetzt sie machten die Hälfte derselben aus.
Die Aufmerksamkeit, mit der sie zuhören, ist, wie es der Herr Professor Gellert selbst an die Hand giebt, doch nur ein Kompli
ment, welches sie ihrer Eigenliebe machen; eine Nahmng ihres Stolzes. Wie aber hieraus eine Beffrung erfolgen könne, sehe
ich nicht ein. Jeder von ihnen glaubt der edlen Gesinnungen, und der großmütigen Thaten, die er siehet und höret, desto eher fähig 51t sein, je weniger er an das Gegenteil zu denken
Aus der theatralischen Bibliothek. und sich mit demselben zu vergleichen Gelegenheit findet.
13 Er
bleibt was er ist, und bekömmt von den guten Eigenschaften weiter nichts, als die Einbildung, daß er sie schon besitze.
Wie steht es aber mit dem Namen? Der Name ist etwas
sehr Willkürliches, und man könnte unserer neuen Gattung gar wohl die Benennung einer Komödie geben, wenn sie ihr auch
nicht zukäme.
Sie kömmt ihr aber mit völligem Recht zu,
weil sie ganz und gar nicht etwas anders als eine Komödie, sondern bloß eine Untergattung der Komödie ist.
Ich wiederhole es aber noch einmal, daß dieses alles nur
aus diejenigen Stücke gehet, welche völlig den Stücken des la Chaussee ähnlich sind.
Ich bin weit entfernt, den Herrn
Gellert für einen eigentlichen Nachahmer desselben auszugeben. Ich habe beide zu wohl gelesen, als daß ich in den Lustspielen
des letztem nicht noch genug lächerliche Charaktere und sati
rische Züge angetroffen haben sollte,
welche aus den Lust
spielen des erstem ganz und gar verwiesen sind. Die rühren den Scenen sind bei dem Herrn Gellert nur die meisten; unb ganz und gar nicht die einzigen.
Wer weiß aber nicht,
daß das Mehrere oder Wenigere wohl die verschiedne Gemüts art der Berfaffer anzeigt, nicht aber einen wesentlichen Unter
scheid ihrer Werke ausmacht? Mehr braucht es hoffentlich nicht, meine Meinung vor aller Mißdeutung zu sichern.
Über das Lustspiel „Die Juden", im vierten Teile -er Lrssingfchrn Schriften. Unter den Beifall, welchen
die zwei Lustspiele in dem
vierten Teile meiner Schriften gefunden haben, rechne ich mit Recht die Anmerkungen, deren man das eine, die Juden,
wert geschätzt hat.
Ich bitte sehr, daß man es keiner Unleid-
Aus der theatralischen Bibliothek. und sich mit demselben zu vergleichen Gelegenheit findet.
13 Er
bleibt was er ist, und bekömmt von den guten Eigenschaften weiter nichts, als die Einbildung, daß er sie schon besitze.
Wie steht es aber mit dem Namen? Der Name ist etwas
sehr Willkürliches, und man könnte unserer neuen Gattung gar wohl die Benennung einer Komödie geben, wenn sie ihr auch
nicht zukäme.
Sie kömmt ihr aber mit völligem Recht zu,
weil sie ganz und gar nicht etwas anders als eine Komödie, sondern bloß eine Untergattung der Komödie ist.
Ich wiederhole es aber noch einmal, daß dieses alles nur
aus diejenigen Stücke gehet, welche völlig den Stücken des la Chaussee ähnlich sind.
Ich bin weit entfernt, den Herrn
Gellert für einen eigentlichen Nachahmer desselben auszugeben. Ich habe beide zu wohl gelesen, als daß ich in den Lustspielen
des letztem nicht noch genug lächerliche Charaktere und sati
rische Züge angetroffen haben sollte,
welche aus den Lust
spielen des erstem ganz und gar verwiesen sind. Die rühren den Scenen sind bei dem Herrn Gellert nur die meisten; unb ganz und gar nicht die einzigen.
Wer weiß aber nicht,
daß das Mehrere oder Wenigere wohl die verschiedne Gemüts art der Berfaffer anzeigt, nicht aber einen wesentlichen Unter
scheid ihrer Werke ausmacht? Mehr braucht es hoffentlich nicht, meine Meinung vor aller Mißdeutung zu sichern.
Über das Lustspiel „Die Juden", im vierten Teile -er Lrssingfchrn Schriften. Unter den Beifall, welchen
die zwei Lustspiele in dem
vierten Teile meiner Schriften gefunden haben, rechne ich mit Recht die Anmerkungen, deren man das eine, die Juden,
wert geschätzt hat.
Ich bitte sehr, daß man es keiner Unleid-
14
Aus der theatralischen Bibliothek.
lichkeit des Tadels zuschreibe, wenn ich wich eben jetzt gefaßt mache, etwas darauf zu antworten.
Daß ich sie nicht mit Still
schweigen übergehe, ist vielmehr ein Zeichen, daß sie mir nicht zuwider gewesen sind, daß ich sie überlegt habe, und daß ich
nichts mehr wünsche, als billige Urteile der Kunstrichler zu er fahren, die ich auch alsdann, wenn sie mich unglücklicherweise nicht überzeugen sollten, mit Dank erkennen werde.
Es sind diese Anmerkungen in dem siebzigsten Stücke der
Göttingschen Anzeigen von gelehrten Sachen, dieses Jahres, ge macht worden, und in den Jenaischen gelehrten Zeitungen hat man ihnen beigepflichtet. Ich nmß sie notwendig hersetzen, wenn ich
denjenigen von meinen Lesern, welchen sie nicht zu Gesichte ge
kommen sind, nicht undeutlich sein will.
„Der Endzweck dieses
„Lustspiels, hat mein Herr Gegner die Gütigkeit zu sagen, ist „eine sehr ernsthafte Sittenlehre, nämlich die Thorheit und Un-
„billigkeit des Hasses und der Verachtung zu zeigen, womit
„wir den Juden meistenteils begegnen.
Man kann daher dieses
„Lustspiel nicht lesen, ohne daß einem die mit gleichem End„zweck gedichtete Erzählung von einem ehrlichen Juden, die in
„Herrn Gellerts Schwedischer Gräfin stehet, beifallen muß. „Bei Lesung beider aber ist uns stets das Vergnügen, so wir „reichlich empfunden haben, duxch etwas unterbrochen worden,
„das wir entweder zu Hebung des Zweifels oder zu künftiger „Verbesserung
„wollen.
der Erdichtungen
dieser Art bekannt machen
Der unbekannte Reisende ist in allen Stücken so
„vollkommen gut, so edelmütig, so besorgt, ob er auch etwa „seinem Nächsten unrecht thun und ihn durch ungegründeten
„Verdacht beleidigen möchte, gebildet, daß es zwar nicht un„möglich, aber doch allzu unwahrscheinlich ist, daß unter einem „Volke von den Grundsätzen, Lebensart und Erziehung, das
„wirklich die üble Begegnung der Christen auch zu sehr mit „Feindschaft, oder wenigstens mit Kaltsinnigkeit gegen die Christen
„erfüllen muß, ein solches edles Gemüt sich gleichsam selbst
„bilden könne.
Diese Unwahrscheinlichkeit stört unser Ver-
Aus der theatralischen Bibliothek.
15
„gnügen desto mehr, jemehr wir dem edeln unb schönen Bilde „Wahrheit und Dasein wünschten.
Aber auch die mittelmäßige
„Tugend und Redlichkeit findet fich unter diesein Volke so selten,
„daß die wenigen Beispiele davon den Haß gegen dasselbe nicht
„so sehr mindern, als man wünschen möchte.
Bei den Grund-
„sätzen der Sittenlehre, welche zum wenigsten der größte Teil
„derselben angenommen hat, ist auch eine allgemeine Redlichkeit
„kaum möglich, sonderlich da fast das ganze Volk von der „Handlung leben mnß, die mehr Gelegenheit und Versuchung „zum Betrüge gibt, als andre Lebensarten."
Man sieht leicht, daß es bei diesen Erinnemngen auf zwei Punkte ankömmt.
Erstlich darauf, ob ein rechtschaffner und
edler Jude an und vor sich selbst etwas Unwahrscheinliches sei;
zweitens ob die Annehmung eines solchen Juden in meinem
Lustspiele unwahrscheinlich sei.
Es ist offenbar, daß der eine
Punkt den andern hier nicht nach sich zieht; und es ist ebenso
offenbar, daß ich mich eigentlich nur des letztem wegen in
Sicherheit setzen dürfte, wenn ich die Menschenliebe nicht meiner
Ehre vorzöge, und nicht lieber eben bei diesem, als bei dem erstem verlieren wollte.
Gleichwohl aber muß ich mich über
den letztem zuerst erklären. Habe ich in meinem Lustspiele einen rechtschaffnen und edeln Juden wider die Wahrscheinlichkeit angenommen?---------
Noch muß ich dieses nur bloß nach den eignen Begriffen meines Gegners untersuchen.
Er gibt zur Ursache der Unwahrschein
lichkeit eines solchen Juden die Verachtung und Unterdrückung, in welcher dieses Volk seufzet, und die Notwendigkeit an, in
welcher es sich befindet, bloß und allein von der Handlung zu leben.
Es sei; folgt aber also nicht notwendig, daß die Un
wahrscheinlichkeit wegfalle, sobald diese Umstände sie zu verursachen aufhören?
Wann hören sie aber auf, dieses zu thun?
Ohne Zweifel alsdann, wenn sie von andern Umständen ver nichtet werden, das ist, wenn sich ein Jude imstande befindet,
die Verachtung und Unterdrückung der Christen weniger zu
16
Aus der theatralischen Bibliothek.
fühlen, und sich nicht gezwungen sieht, durch die Vorteile eines
kleinen nichtswürdigen Handels ein elendes Leben zu unterhalten. Was aber wird mehr hierzu erfordert, als Reichtum?
Doch
ja, auch die richtige Anwendung dieses Reichtums wird dazu erfordert.
Man sehe nunmehr, ob ich nicht beides bei dem
Charakter meines Juden angebracht habe.
Er ist reich; er sagt
es selbst von sich, daß ihm der Gott seiner Väter mehr ge
geben habe, als er brauche; ich lasse ihn auf Reisen sein; ja, ich setze ihn sogar aus derjenigen Unwisienheit, in welcher man ihn vermuten könnte; er liefet, und ist auch nicht einmal auf
der Reise ohne Bücher.
Man sage mir, ist es also nun noch
wahr, daß sich mein Jude hätte selbst bilden müsien?
Besteht
man aber darauf, daß Reichtum, besiere Erfahrung, und ein
aufgeklärterer Verstand nur bei einem Juden keine Wirkung haben könnten: so muß ich sagen, daß dieses eben das Vor
urteil ist, welches ich durch mein Lustspiel zu schwächen gesucht
habe; ein Vorurteil, das nur aus Stolz oder Haß fließe» kann,
lmd die Juden nicht bloß zu rohen Menschen macht, sondern sie in der That weit unter die Menschheit setzt.
Ist dieses
Vorurteil nun bei meinen Glaubeilsgenossen unüberwindlich, so darf ich mir nicht schmeicheln, daß man mein Stück jemals mit Vergnügen sehen werde.
Will ich sie denn aber bereden,
einen jeden Juden für rechtschaffen und großmütig zu halten,
oder auch nur die meisten dafür gelten zu lassen?
Ich sage
es gerade heraus; noch alsdann, wenn mein Reisender ein Christ wäre, würde sein Charakter sehr selten sein, und wenn
das Seltene bloß das Unwahrscheinliche ausmacht, auch sehr unwahrscheinlich.--------Ich bin schon allmählich auf den ersten Punkt gekommen.
Ist denn ein Jude, wie ich ihn angenommen habe, vor sich selbst unwahrscheinlich?
Und warum ist er es?
wieder auf die obigen Ursachen berufen.
Man wird sich
Allein, können denn
diese nicht wirklich im gemeinen Leben ebensowohl wegfallen, als sie in meinem Spiele wegfallen?
Freilich muß man, dieses
17
Aus der theatralischen Bibliothek.
zu glauben, die Juden näher kennen, als aus dem liederlichen Gesindel, welches auf den Jahrmärkten herumschweist. — —
Doch ich will lieber hier einen andern reden taffen, dem dieser
Umstand näher an das Herz gehen muß; einen aus dieser Ich kenne ihn zu wohl, als daß ich ihm hier
Nation selbst.
das Zeugnis eines ebenso witzigen, als gelehrten und recht
schaffnen Mannes versagen könnte.
Folgenden Brief hat er
bei Gelegenheit der Göttingischen Erinnerung an einen Freund in seinem Volke, der ihm an guten Eigenschaften völlig gleich ist, geschrieben.
Ich sehe es voraus, daß man es schwerlich
glaubm, sondern vielmehr diesen Brief für eine Erdichtung
von mir halten wird; allein ich erbiete mich, denjenigen, dem
daran gelegen ist, unwidersprechlich von der Authenticität des
selben zu überzeugen.
Hier ist er.
Mein Herr,
„Ich überschicke Ihnen hier das siebzigste Stück der Göt-
„ttngschen „Berlin.
gelehrten Anzeigen.
Lesen Sie den Artikel von
Die Herren Anzeiger recensieren dm vierten Teil
„der Lessingschen Schriften, die wir so ost mit Vergnügen ge„lesen haben.
Was glauben Sie wohl, daß sie an dem Lust
spiele, die Juden, aussetzen? Den Hauptcharakter, welcher, wie „sie sich ausdrücken, viel zu edel und viel zu großmütig ist.
„Das Vergnügen, sagen sie, das wir über die Schönheit eines
„solchen Charakters empfinden, wird durch deffen Umvahrschein„lichkeit unterbrochen, und endlich bleibt in unsrer Seele nichts,
„als der bloße Wunsch für sein Dasein übrig. „danken machten mich schamrot.
Diese Ge-
Ich bin nicht imstande, alles
„auszudrücken, was sie mich haben empfinden lassen.
Welche
„Erniedrung für unsere bedrängte Nation! Welche übertriebene
„Verachtung!
Das gemeine Volk der Christen hat uns von je
„her als den Auswurf der Natur, als Geschwüre der mensch„lichen Gesellschaft angesehen.
Allein von gelehrten Leuten er-
„wartete ich jederzeit eine billigere Beurteilung;
von diesen
„vermutete ich die uneingeschränkte Billigkeü, deren Mangel Lessing, Werke. VI. 2
18
Aus der theatralischen Bibliothek.
„uns insgemein vorgeworfm zu werden pflegt.
Wie sehr habe
„ich mich geirrt, als ich einem jeden christlichen Schriftsteller „so viel Aufrichtigkeit zutrauete, als er von andern fordert. „In Wahrheit! mit welcher ©time kann ein Mensch, der
„noch ein Gefühl der Redlichkeit in sich hat, einer ganzen
„Nation die Wahrscheinlichkeit absprechen, einen einzigen ehr„lichen Mann aufweisen zu können? Einer Nation, aus welcher,
„wie sich der Verfasier der Juden ausdrückt, alle Propheten
„und die größesten Könige aufstanden? „Richterspruch gegründet?
„Geschlecht!
Ungegründet?
Ist sein grausamer
Welche Schande für das menschliche
Welche Schande für ihn!
„Ist es nicht genug, daß wir den bittersten Haß der
„Christen
auf so
manche grausame Art empfinden müssen;
„sollen auch diese Ungerechttgkeiten wider uns durch Verleum„dungen gerechtfertiget werden? „Man fahre fort uns zu unterdrücken, man taffe uns be
ständig mitten unter freien und glückseligen Bürgern einge„schränkt leben, ja man setze uns ferner dem Spotte und der
„Verachtuilg aller Welt aus; nur die Tugend, den einzigen
„Trost bedrängter Seelen, die einzige Zuflucht der Verlassenen, „suche man uns nicht gänzlich abzusprechen. „Jedoch man spreche ste uns ab, was gewinnen die Herren „Recensenten dabei? Ihre Kritik bleibet dennoch unverantwort-
„lich.
Eigentlich soll der Charakter des reisenden Juden (ich
„schäme mich, wenn ich ihn von dieser Seite betrachte) das
„Wunderbare, das Unerwartete in der Komödie sein. Soll nun „der Charakter eines hochmütigen Bürgers, der sich zum türki„schen Fürsten machen läßt, so unwahrscheinlich nicht sein, als „eines Juden, der großmütig ist? Laßt einen Menschen, dem „von der Verachtung der jüdischen Nation nichts bekannt ist, „der Aufführung dieses Stückes beiwohnen;
er wird gewiß
„lvährend des ganzes Stückes für Langeweile gähnen, ob es
„gleich für uns sehr viele Schönheiten hat.
Der Anfang wird
„ihn auf die traurige Betrachtung leiten, wie weit der National-
19
Aus der theatralischen Bibliothek.
„haß getrieben werden könne, und über das Ende wird er
„lachen müssen.
Die guten Leute, wird er bei sich denken,
„haben doch endlich die große Entdeckung gemacht, daß Juden „auch Menschen sind.
So menschlich denkt ein Gemüt, das
„von Vorurteilen gereinigt ist. „Nicht daß ich durch diese Betrachtung dem Lessingschen
„Schauspiele seinen Wert entziehen wollte; keinesweges!
Man
„weiß, daß sich der Dichter überhaupt und insbesondere, wenn „er für die Schaubühne arbeitet, nur nach der unter dem „Volke herrschenden Meinung zu richten habe.
Nach dieser
„aber muß der unvermutete Charakter des Juden eine schr
„rührende Wirkung auf die Zuschauer thun.
Und insoweit
„ist ihm die ganze jüdische Nation viele Verbindlichkeit schuldig, „daß er sich Mühe giebt, die Welt von einer Wahrheit zu über„zeugen, die für sie von großer Wichtigkeit sein muß.
„Sollte diese Recension, diese grausame Seelenverdammung
„nicht aus der Feder eines Theologen geflosien sein?
Diese
„Leute denken der christlichen Religion einen großen Vorschub
„zu thun, wenn sie alle Menschen, die keine Christen sind, für „Meuchelmörder und Straßenräuber erklären.
Ich bin weit
„entfernt, von der christlichen Religion so schimpflich zu denken; „das wäre unstreitig der stärkste Beweis wider ihre Wahr„haftigkeit, wenn man sie festzustellen alle Menschlichkeit aus
„den Augen setzen müßte.
„Was können uns unsere strengen Beurteiler, die nicht „selten ihre Urteile mit Blute versiegeln. Erhebliches vorrücken?
„Laufen nicht alle ihre Vorwürfe auf den unersättlicheil Geiz „hinaus, den sie vielleicht durch ihre eigene Schuld, bei dem
„gemeinen jüdischen Haufen zu finden, frohlocken? Man gebe
„ihnen diesen zu; wird es denn deswegen aufhören wahrschein„lich zu sein, daß ein Jude einem Christen, der in räuberische
„Hände gefallen ist, das Leben gerettet haben sollte?
Oder
„wenn er es gethan, muß er sich notwendig das edle Ver-
„gnügen, seine Pflicht in einer so wichttgen Sache beobachtet
30
Aus der theatralischen Bibliothek.
„zu haben, mit niederträchtigen Belohnungen versalzen lassen?
„Gewiß nicht!
Zuvoraus wenn er in solchen Umständen ist,
„in welche der Jude im Schauspiele gesetzt worden. „Wie aber, soll dieses unglaublich sein, daß unter einem
„Volke von solchen Grundsätzen und Erziehung ein so edles
„und erhabenes Gemüt sich gleichsam selbst bilden sollte? Welche „Beleidigung! so ist alle unsere Sittlichkeit dahin! so regt sich
„in uns kein Trieb mehr für die Tugend! so ist die Natur „stiefmütterlich gegen uns gewesen, als sie die edelste Gabe unter
„den Menschen ausgeteilt, die natürliche Liebe zum Guten! Wie „weit bist du, gütiger Vater, über solche Grausanikeit erhaben!
„Wer Sie näher kennt, teuerster Freund! und Ihre Talente
„zu schätzen weiß, dem kann es gewiß an keinem Exempel „fehlen, wie leicht sich glückliche Geister ohne Vorbild und
„Erziehung emporschwingen, ihre unschätzbaren Gaben aus„arbeiten, Geist und Herz bessern, und sich in den Rang der Ich gebe einem jeden zu
„größten Männer erheben können.
„bedenken, ob Sie, großmütiger Freund! nicht die Rolle des „Juden im Schauspiel übemommen hätten, wenn Sie auf Ihrer „gelehrten Reise in seine Umstände gesetzt worden wären.
Ja
„ich würde unsere Nation erniedrigen, wenn ich fortfahren wollte,
„einzelne Exempel von edlen Gemütern anzuführen.
Nur das
„Ihrige konnte ich nicht übergehen, weil es so sehr in die Augen „leuchtet, und weil ich es allzuoft bewundere. „Überhaupt sind gewisse menschliche Tugenden den Juden
„gemeiner, als den meisten Christen.
Man bedenke den ge-
„waltigen Abscheu, den sie fiir eine Mordthat haben.
Kein
„einziges Exempel wird man ansühren können, daß ein Jude „(ich nehme die Diebe von Profession aus) einen Menschen
„ermordet haben sollte.
Wie leicht wird es aber nicht manchem
„sonst redlichen Christen seinem Nebenmenschen für ein bloßes „Schimpfwort das Leben zu rauben? Man sagt, es sei Nieder mächtigkeit bei den Juden.
Wohl! wenn Niederträchtigkeit
„Menschenblut verschont; so ist Niederträchtigkeit eine Tugend.
21
Aus der theatralischen Bibliothek.
„Wie mitleidig sind sie nicht gegen alle Menschen, wie
„milde gegen die Armen beider Nationen?
Und wie hart ver-
„bient das Verfahren der meisten Christen gegen ihre Arme
Es ist wahr, sie treiben diese beiden
„genennt zu werden?
„Tugenden fast zu weit.
Ihr Mitleiden ist allzuempfindlich,
„und hindert beinah' die Gerechtigkeit, und ihre Mildigkeit ist
„beinah' Verschwendung.
Allein, wenn doch alle, die aus-
„schweifen, ans der guten Seite ausschweifeten.
„Ich könnte noch vieles von ihrem Fleiße, von ihrer be-
„wundernswürdigen Mäßigkeit, von ihrer Heiligkeit in den „Ehen hinzusetzen.
Doch schon ihre gesellschaftliche Tugenden
„sind hinreichend genug, die Göttingsche Anzeigen zu wider„legen; und ich bebaute den, der eine so allgemeine Verar
beitung ohne Schauern lesen kann.
*
Ich bin rc."
*
* Ich habe auch die Antwort auf diesen Brief vor mir.
Allein ich mache mir ein Bedenken, sie hier drucken zu laffen. Sie ist mit zuviel Hitze geschrieben, und die Retorsionen sind gegen die Christen ein wenig zu lebhaft gebraucht.
Man kann
es mir aber gewiß glauben, daß beide Korrespondenten, auch ohne Reichtum, Tugend und Gelehrsamkeit zu erlangen gewußt
haben, und ich bin überzeugt, daß sie unter ihren» Volke mehr Nachfolger haben würden, wenn ihnen die Christen nur ver
gönnten, das Haupt ein wenig mehr zu erheben. — —
Der übrige Teil der Göttingschen Erinnerungen, worin man mich zu einem andern ähnlichen Lustspiele aufmuntert, ist
zu schmeichelhaft für mich, als daß ich ihn ohne Eitelkeit wieder holen könnte.
Es ist gewiß, daß sich nach dem daselbst an
gegebnen Plane, ein sehr einnehmendes Stück machen ließe.
sJhir muß ich erinnern, daß die Juden alsdann bloß als ein unterdrücktes Volk und nicht als Juden betrachtet werden, und die Absichten, die ich bei Verfertigung meines Stücks gehabt
habe, größtenteils wegfallen würden.
Vorrede -u
Vermischte Schriften des Herr« Christlob Mhlius. würde schwer zu bestimmen sein, ob Herr Christlob Mr Mylius sich mehr als einen Kenner der Natur, oder mehr als einen witzigeil Kopf bekannt gemacht habe, wenn nicht die
letzten Untemehmungen seines Lebens für das erstere den Aus schlag geben müßten.
Sein Bestreben war allezeit, diesen ge
doppelten Ruhm zu verbinden, den nur diejenigen für wider
sprechend ansehn, welche die Natur entweder zu plump oder zu leicht gebildet hat. Ich war verschiedene Jahre hindurch einer seiner vertrau
testen Freunde, und jetzt bin ich sein Herausgeber geworden;
zwei Titel, die mir hinlängliche Erlaubnis geben könnten, mich weitläuftig in sein Lob einzulassen, wenn ich mir nicht ein
Gewissen machte, demjenigen im Tode zu schmeicheln, welcher
mich nie in seinem Leben als einen Schmeichler gefunden hat. Mit diesem Vorsatze würde ich eine sehr kurze und kahle
Vorrede macheil müssen, wenn ich nicht, zum Glücke, eine kleine
Folge von Briefen in Bereitschaft hätte, durch welche zum
Teil diese Sammlung vermischter Schriften ist veran
lasset worden.
Sie sind an einen Freund geschrieben, welcher
den Herrn Mylius nur bei dem letzten Geräusche, welches er machte, recht kennen lernte.
Ich bestimmte sie zwar nur für
zwei Augen; da ich aber niemals gern für zwei Augen etwas
23
Vorrede zu Mylius' Schriften.
zu schreiben pflege, welches nicht allenfalls tausend Augen lesen dürsten: so mache ich mir kein Bedenken, sie dem Leser vor
Er wird alles darin finden, was ihn in den Stand
zulegen.
setzen kann, von den folgenden prosaischen und poetischen Auf sätzen, zugleich auch von allen übrigen Schriften des Herrn
Mylius, ein richtiges Urteil zu fällen.
Sie bedürfen keiner
weitern Einleitung.
Erster Brief. Vom 20. März 1754.
Ja, mein Herr, die Nachricht ist gegründet; Herr Mylius ist zwischen den 6. und 7. dieses in London gestorben. Ich nehme Ihr Belleid, welches Sie mir in diesem Falle bangen wollen,
an.
Sie kennen mich zu wohl, als daß Sie mir bei diesem
Verluste nicht alle die Empfindlichkeit zutrauen sollten, deren
ein zur Freundschaft gemachtes Herz fähig ist.
Es macht einen
ganz besondern Eindruck auf mich, ihn nunmehr in einer Welt zu wisien, die etwas mehr und etwas anders als die See von
der unsrigen trennet.
Die Art, mit welcher ich von ihm Ab
schied nahm, war eine Beurlaubung auf einige flüchtige Tage, und kein Abschied, so gewiß bildete ich mir ein, ihn wieder zu sehen.
Ich spottete über die, welche ihm gar zu gern das
Herz schwer gemacht hätten.
Wohin, wohin treibt dich mit blut’gen Sporen, Die Wißbegier, dich, ihren Held? Du eilst, o Mylius! im Auge feiger Thoren, Zur künst'gen, nicht zur neuen Welt.
So redete ich ihn in einem kleinen Gedichte, noch wenige Tage
vor seiner Abreise, an.
Aber ach, die Vermutung dieser feigen
Thoren ist richtiger gewesen, als meine Hoffnung!
Und gleich
wohl war sie auf die Kenntnis seines Körpers, den ich nie einer merklichen Unpäßlichkeit unterworfen gesehen hatte, und auf das Urteil erfahrner Leute gebauet, welche eben die Reisen
23
Vorrede zu Mylius' Schriften.
zu schreiben pflege, welches nicht allenfalls tausend Augen lesen dürsten: so mache ich mir kein Bedenken, sie dem Leser vor
Er wird alles darin finden, was ihn in den Stand
zulegen.
setzen kann, von den folgenden prosaischen und poetischen Auf sätzen, zugleich auch von allen übrigen Schriften des Herrn
Mylius, ein richtiges Urteil zu fällen.
Sie bedürfen keiner
weitern Einleitung.
Erster Brief. Vom 20. März 1754.
Ja, mein Herr, die Nachricht ist gegründet; Herr Mylius ist zwischen den 6. und 7. dieses in London gestorben. Ich nehme Ihr Belleid, welches Sie mir in diesem Falle bangen wollen,
an.
Sie kennen mich zu wohl, als daß Sie mir bei diesem
Verluste nicht alle die Empfindlichkeit zutrauen sollten, deren
ein zur Freundschaft gemachtes Herz fähig ist.
Es macht einen
ganz besondern Eindruck auf mich, ihn nunmehr in einer Welt zu wisien, die etwas mehr und etwas anders als die See von
der unsrigen trennet.
Die Art, mit welcher ich von ihm Ab
schied nahm, war eine Beurlaubung auf einige flüchtige Tage, und kein Abschied, so gewiß bildete ich mir ein, ihn wieder zu sehen.
Ich spottete über die, welche ihm gar zu gern das
Herz schwer gemacht hätten.
Wohin, wohin treibt dich mit blut’gen Sporen, Die Wißbegier, dich, ihren Held? Du eilst, o Mylius! im Auge feiger Thoren, Zur künst'gen, nicht zur neuen Welt.
So redete ich ihn in einem kleinen Gedichte, noch wenige Tage
vor seiner Abreise, an.
Aber ach, die Vermutung dieser feigen
Thoren ist richtiger gewesen, als meine Hoffnung!
Und gleich
wohl war sie auf die Kenntnis seines Körpers, den ich nie einer merklichen Unpäßlichkeit unterworfen gesehen hatte, und auf das Urteil erfahrner Leute gebauet, welche eben die Reisen
24
Vorrede zu Mylius' Schriften.
gethan hatten, die er zu thun willens war, und die darauf
schworen, daß er das vollkommne Ansehen eines guten See fahrers habe.
Sagen Sie mir, möchte man nicht die Lust
verlieren, sich auf irgend etwas Schmeichelhaftes, das noch nicht
gänzlich in unserer Gewalt ist, mehr Rechnung zu machen? Wäre es nicht bester, wenn man auf gut stoisch in den Tag hineinlebte, und das Künftige das für uns sein ließe, was es
in der That ist; nichts? .. Zwar die Herren, welche ihm den Tod prophezeiten, haben doch nicht recht prophezeit, obgleich
dasjenige, was sie prophezeiten, eingetroffen ist.
Die See und
Amerika war das, wofür er sich fürchten sollte; England war
es nicht.
Eine Reise nur von etliche Tausend Mellen sollte
ihm tödlich sein; und ich kann noch immer behaupten, daß sie
es ihm nicht würde gewesen sein, wenn er nicht vorher ge storben wäre. . So viel ist gewiß, er hat sie nicht thun sollen.
Wenn ich von
den allweisen Einrichtungen der Vorsehung
weniger ehrerbietig zu reden gewohnt wäre, so würde ich keck sagen, daß ein gewisies neidisches Geschick über die deutschen Genies, welche ihrem Vaterlande Ehre machen könnten, zu
herrschen scheine. dahin!
Wie viele derselben fallen in ihrer Blüte
Sie sterben reich an Entwürfen, und schwanger mit
Gedanken, denen zu ihrer Größe nichts als die Ausführung
fehlt.
Sollte es aber wohl schwer sein, eine natürliche Ursache
hiervon anzugeben?
Wahrhaftig sie ist so klar, daß sie nur
derjenige nicht sieht, der sie nicht sehen will.
Nehmen Sie an,
mein Herr, daß ein solches Genie in einem gewisten Stande
geboren wird, der, ich will nicht sagen der elendeste, sondern nur zu mittelmäßig ist, als daß er noch zu der sogenannten güldnen Mittelmäßigkeit zu rechnen wäre.
Und Sie misten
wohl, die Natur hat einen Wohlgefallen daran, aus eben diesem immer mehr große Geister hervorzubringen, als aus
irgend einem andern.
Nun überlegen Sie, was für Schwierig
keiten dieses Genie in einem Lande als Deutschland, wo fast alle Arten von Ermunterungen unbekannt sind, zu übersteigen
25
Vorrede zu Mylius' Schriften.
Bald wird es von dem Mangel der nötigsten Hilfs
habe.
mittel zurückgehalten; bald von dem Neide, welcher die Ver
dienste auch schon in ihrer Wiege verfolgt, unterdrückt; bald in mühsamen und seiner unwürdigen Geschäften entkräftet.
Ist
es ein Wunder, daß es nach aufgeopferten Jugendkrästen dem
ersten starken Sturme unterliegt? Ist es ein Wunder, daß Armut, Ärgernis, Kränkung, Verachtung endlich über einen Körper Regen, der ohnedem schon der stärkste nicht ist, well er kein Körper eines Holzhackers werden sollte? Und glauben Sie
mir, mein Herr, in diesem Falle war unser Mylius, oder es ist nie einer darin gewesen.
Er ward in einem Dorfe geboren,
wo er gar bald mehr lernen wollte, als man ihn daselbst
lehren konnte.
Er ward von Eltem geboren, derm Vermögen
es nicht zuließ, ihn aus einer andem Ursache studieren zu lassen, als daß er einmal, nach der Weise seiner Väter, von einer
Er kam auf
geschwind erlernten Brotwissenschast leben könne.
eine Schule, die ihn kaum zu dieser Brotwissenschast vorbereiten
konnte.
Er kam auf eine Akademie, wo man beinahe nichts
so zeitig lernt, als ein Schriftsteller zu werden.
Er fiel einem
Manne in die Hände, welcher durch Wohlthaten manchen jungen
Witzling zu seinem Vorfechter zu machen wußte. eine natürliche Leichtigkeit zu
reimen,
Er besaß
und seine Umstände
zwangen ihn, stch diese Leichtigkeit mehr zu nutze zu machen, als es dem Vorsatze, ein Dichter zu werden, zuträglich ist.
Er
schrieb, und die grausame Verbindlichkeit, daß er viel schreiben
mußte, raubte ihm die Zeit, die er seiner liebsten Wifienschast, der Kenntnis der Natur, mit bessern Nutzen hätte weihen kön
nen.
Er verließ endlich die Akademie, und begab sich an einen
Ort, wo es ihm mit seiner Gelehrsamkeit beinahe wie den
jenigen ging, die von dem, was sie einmal erworben haben, zehren müssen, ohne etwas mehrers dazu verdienen zu können. Nach einiger Zeit ward er zu einem Unternehmen für tüchtig
erkannt, von welchem einige Leute sagten, daß man sich nur aus Verzweiflung dazu könne brauchen lassen.
Er wollte und
26
Vorrede zu Mylius' Schriften.
sollte reisen; er reifete auch, allein er reifete auf fremder Leute
Gnade; und was folgt auf fremder Leute Gnade?
Er starb...
Ja, mein Herr, das ist sein Lebenslauf. Ein Lebenslauf, ohne Zweifel, in welchem das Ende das Unglücklichste nicht ist.
Und
doch behaupte ich, daß er mehr darin geleistet hat, als tausend andere in seinen Umständen nicht würden geleistet haben.
Der Tod hat ihn früh, aber nicht so früh überrascht, daß er
feinen Teil seines Namens vor ihm in Sicherheit hätte bringen können.
Hiermit tröste ich mich noch; noch mehr aber mit der
gewissen Überzeugung, daß er in einer vollkommen philoso
phischen Gleichgültigkeit wird gestorben sein.
Seine Meinun
gen, die er von dem Zustande der abgeschiedenen Seelen hatte,
haben es nicht anders zulassen können.
Es ist wahr, er ward
in einem großen Vorhaben gestört, aber nicht so, daß er es
ganz und gar hätte aufgeben dürfen.
Sein Eifer, die Werke
der Allmacht näher kennen zu lernen, trieb ihn aus seinem Vaterlande.
Und
eben
dieser Eifer führt seine entbundene
Seele nunmehr von einem Planeten auf den andern, aus
einem Weltgebäude in das andre.
Er gewinnet im Verlieren,
und ist vielleicht eben jetzt beschäftiget mit erleuchteten Augen zu untersuchen, ob Newton glücklich geraten, und Bradley
genau gemessen habe.
Eine augenblickliche Veränderung hat
ihn vielleicht Männern gleich gemacht, die er hier nicht genug bewundern konnte.
Er weiß ohne Zweifel schon mehr, als er
jemals auf der Welt hätte begreifen können.
Alles dieses hat
er sich in seinem letzten Augenblicke gewiß zum voraus vor gestellt, und diese Vorstellungen haben ihn beruhiget, oder es sind keine Vorstellungen fähig, einen sterbenden Philosophen
zu beruhigen... Ich will aufhören, Sie mit diesen traurig angenehmen Ideen zu beschäftige».
Ich will aufhören, um
mich ihnen desto lebhafter überlasten zu können.
Es ist bereits
Mitternacht, und die herrschende Stille ladet mich dazu ein.
Leben Sie wohl.
27
Vorrede zu Mylius' Schriften.
Zweiter Lrief. Dom 3. April. Ich soll Jhnm, mein Herr, einige Nachricht von den Schriften des Herrn Mylius, welche Sie noch nicht kennen,
und unter diesen besonders von denen erteilen, in welchen er sich als einen schönen Geist hat zeigen wollen?
gen.
Mit Vergnü
Aber erlauben Sie mir, daß ich Sie vorher an eine
kleine Anmerkung erinnern darf.
Ein gutes Genie ist nicht
allezeit ein guter Schriftsteller, und es ist oft ebenso unbillig, einen Gelehrten nach feinen Schriften zu beurteilen, als einen
Vater nach seinen Äinbem.
Der rechtschaffenste Mann hat oft
die nichtswürdigsten, und der klügste die dümmsten; ohne Zweifel,
well dieser nicht die gelegensten Stunden zu ihrer Bildung, und jener nicht dm nötigen Fleiß zu ihrer Erziehung ange wendet hat.
Der geistliche Vater kann oft in eben diesem
Falle sein, besonders wenn ihn äußerliche Umstände nötigen,
den Gewinnst seine Minerva, und die Notwendigkeit seine Begeifierung fein zu lassen.
Ein solcher ist alsdann meistenteils
gelehrter als seine Bücher, anstatt daß die Bücher derjenigm, welche sie mit aller Muße und mit Anwendung aller Hilfs
mittel ausarbeiten können, nicht selten gelehrter als ihre Verfasier zu sein pflegen . . .
Nun lasten Sie mich anfangen.
Aber wo wollen Sie, daß ich anfangen soll?.. .
Das erste,
was unter seinem Namen gedruckt ward, war eine Ode auf die Schauspielkunst, oder vielmehr eine Ode auf die Verdienste
des Herrn Profestor Gottscheds um die Schauspielkunst. Ihr Inhalt gab ihr ein Recht auf eine Stelle in den Belustigun gen, die sie in dem sechsten Bande derselben fand.
Ich nenne
sie eine Ode, weil sie Herr Mylius selbst so nennt, und ein Versaster ohne Zweifel seine Geburten nennen kann, wie er will.
Was halte ich mich dabei auf?
Er hat sie nach der
Zeit selbst verachtet, und die letzte Strophe ziemlich boshaft
parodieren helfen, wie Sie es in dem ersten Teile des Lieb-
28
Borrede zu Mylius' Schriften.
Habers der schönen Wissenschaften finden können.
So
geht es fast immer, wenn man Leute von zweideutigen Ver
diensten allzusehr erhebt, ehe man sie näher untersucht hat. Man schämt sich endlich, daß man sich bloßgegeben hat, und will allzuspät durch ebenso übertriebene Beschimpfungen die
Lobsprüche vertilgen, die uns bereits lächerlich gemacht haben. Auf diese Ode folgten seine Betrachtungen über die Majestät Gottes, welche aus einer oratorischen Übung ent
standen waren, mit der er sich in der vertrauten Rednergesell-
schast gezeigt hatte.
Er fügte in der Umschmelzung die natür
liche Erklärung des Wunders mit dem Sonnenzeiger Ahas' hinzu, welche mehr Aufsehen machte, als sie verdiente.
Sie
wissen, daß der Herr Inspektor Burg sich alle Mühe gegeben hat, sie zu
widerlegen.
Ich, meinesteils, habe sie allezeit
bloß wegen der Dreistigkeit des Herrn Mylius bewundert. Der Einfall war nicht seine, sondern der Recensent der Parent-
schen Untersuchungen in den Actis Eruditorum hatte ihn
bereits gehabt. Allein was dieser als einen flüchtigen Gedanken,
der keine Billigung verdiene, vorgetragen hatte, das trug unser Schriftsteller gradeweg als eine Wahrheit vor.
auch schon recht!
Und so ist es
Ernsthafte gesetzte Männer müssen zweifeln;
und wir, wir jungen Gelehrten müssen entscheiden.
Wer würde
es auch sonst wagen, gebilligten Meinungen die Stirne zu
bieten, wenn wir es nicht wären, die wir noch alle unser Feuer beisammen haben? ...
Sie finden diese Betrachtungen, mein
Herr, in eben dem angeführten Bande der Belustigungen; sie
enthalten überhaupt viel gemeine Gedanken, und die Schreib art ist die Schreibart eines Deklamators, welcher die Beob
achtung der Schulregeln für Ordnung, und das O und das
Ach für das schönste Rezept zum Feurigen und Pathetischen hält.
Fast von eben diesem Schlage sind seine Abhandlung
von der Dauer des menschlichen Lebens; seine Unter
suchung, ob die Tiere um der Menschen willen geschaffen morden; und sein Beweis, daß man die Tiere physiolo-
29
Borrede zu Mylius' Schriften.
gischer Versuche wegen gar wohl lebendig eröffnen
dürfe. . .
Aus diesem letztem Aufsatze kann man unter an-
derm sehen, daß Herr Mylius die Buchstabenrechnung damals müsse gelernt haben.
Er wirst mit a und x um sich, wie einer,
der noch nicht lange damit bekannt ist.
Das aber hat er mit
sehr großen Analysten daselbst gemein, daß es ihm vollkommen gelungen ist, eine Wahrheit, die, in schlechten Worten aus gedrückt, sehr faßlich wäre, durch die allgemeinen Zeichen für
die Hälfte seiner Leser zum Rätsel zu machen.
Zwar ... als
wenn man nur die Leser klug zu machen schriebe! wenn man zeigt, daß man selbst klug ist...
Gnug,
Außer diesen
prosaischm Stücken werden Sie auch verschiedene Gedichte in
den Belustigungen von ihm findm; besonders einige sapphische
Oben, die dieses zärtliche Silbenmaß sehr wohl beobachten, und viel artige Stellen haben.
Das vomehmste aber ist wohl
das Gedicht auf die Bewohner der Kometen.
Ich muß
Ihnen sagen, bei was für Gelegenheit es gemacht worden. Der Herr Professor Kästner hatte kurz vorher sein philoso phisches Gedicht über die Kometen in den Belustigungen dmcken
lassen.
Sie haben es doch gelesen?
Es ist in der That ein
Gedicht; und in der That philosophisch.
Sein Verfasser hat
sich längst den nächsten Platz nach Hallern erworben, und
Reimen und Denken nie getrennt.
Ich führe folgende Stelle
aus dem Gedächtnisse an: Was aber würde wohl dort im Komet geboren? Ein widriges Gemisch von Lappen und von Mohren, Ein Volk, das unverletzt vom Äußersten der Welt,
Wo Nacht und Kälte wohnt, in lichte Flammen fällt. Wer ist, der dieses glaubt?
Ohne Zweifel brachte diese Frage den Herrn Mylius auf.
Er wollte es sein, der es glaubte.
Noch mehr, er wollte es
sein, der auch andre, es zu glauben, nötigte.
Er setzte sich
also und schrieb ein ziemlich lang Gedichte, worin er von der
Möglichkeit der Bewohner der Kometen, die der Herr Professor
30
Vorrede zu Mylius' Schriften.
Kästner nicht geleugnet hatte, und von ihrer Wahrscheinlich
keit,
die
aber unter seinen Händen noch ziemlich unwahr
scheinlich blieb, handelte. Der Vorsatz an sich selbst war keines Tadels wert;
wie ein Dichter, den Herr Mylius nicht wohl leiden konnte,
bei einer ähnlichen Gelegenheit spricht.
Nur schade, daß er
seine Einbildungskraft nicht bester dabei anstrengte; nur schade,
daß er den kurzen und nervenreichen Ausdruck nicht in seiner Gewalt hatte; nur schade, daß er sich von dem Reime fort
reißen ließ, und in sein ganz
Gedichte noch lange nicht so
viel gute Gedanken
brachte,
von Kometen haben.
Ein Freund hat sogar nicht mehr, als
als wir gute Beobachtungen
eine einzige schöne Zeile darin gefunden; diese nämlich: Was nützt der größte Stern, der ewig müßig geht? Er glaubte eine feine Anspielung auf die großen einflußlosen
Steme unter den Menschen darin zu sehen, von der sich noch zweifeln läßt, ob sie unser Poet dabei gedacht hat.
Was für
einen artigen physikalischen Roman hätte er uns machen können,
wenn er den innern Reichtum seiner Materie recht gekannt und ihn gehörig zu brauchen gewußt hätte!
Aber war es
von ihm damals zu verlangen? War es von dem geschwornen Schüler eines Meisters zu verlangen, der Reimer die Menge,
aber auch nichts als Reimer gezogen hat?
Genug, daß Herr
Mylius in den Aufsätzen, die von seiner Feder in den Be lustigungen stehen, alles geleistet hat, was ein Gottfchedianer leisten kann.
Die poetischen sind fließend, und ohne Mttel-
wörter; und die prosaischen sind gedehnt und rein...
Sie
sehen wohl, mein Herr, daß ich mir heute kein Blatt vors Maul nehme.
Ich wäre auf guten Wegen; wenn ich nur
nicht abbrechen müßte.
Leben Sie wohl!
Vorrede zu Mylius' Schriften.
31
Dritter Brief. Vom 22. April.
Freilich
hat sich
Herr Mylius auch in wöchentlichen
Sittenschristen versucht...
Sie wissen, mein Herr, wer die
ersten Verfasser in dieser Art waren.
an Tiefsinn,
weder an Witz, noch
noch an Kenntnis der Welt fehlte.
Männer, beiten es
an Gelehrsamkeit,
noch
Engländer, die in der
größten Ruhe und mit der besten Bequemlichkeit auf alles
aufmerksam sein konnten, was einen Einfluß auf den Geist
und auf die Sitten ihrer Natton hatte...
Wer aber sind
ihre Nachahmer unter uns? Größtenteils junge Witzlinge, die ungefähr der deutschen Sprache gewachsen sind, hier und da
etwas gelesen haben, und, was das Betrübteste ist, ihre Blätter zu einer Art von Renten machen müssen... Herr Mylius
war noch nicht lange in Leipzig, als er mit dem Jahr 1745
seinen Freigeist anfing, und ihn durch zweiundfunfzig Wochen glücklich fortsetzte.
Der Titel versprach viel, und ich glaube
nicht, daß man zu unfern Zeiten leicht einen anlockendern
finden könnte.
Ich weiß es aus dem Munde des Verfassers,
daß er sich nie hingesetzt, ein Blatt von demselben zu machen, ohne vorher einige Stücke aus dem Zuschauer gelesen zu
haben.
Diese Art sich vorzubereiten und seinen Geist zu einer
edeln Nacheiferung
lobenswert.
Freilich
aufoumuntern, kann sie nur
war ohne Zweifel sehr bei
denen von einiger
Wirkung sein, die schon vor sich Kräfte genug hätten, nichts
Gemeines zu schreiben.
Denn denen, welchen diese Kräfte
fehlen, wird sie zu weiter nichts nützen, als die äußerliche
Einrichtung zu ertappen.
Sie werden uns bald ein Briefchen,
bald ein Gespräch, bald eine Erzählung, bald ein Gedichtchen vorlegen und in dieser abwechselnden Armut sich ihren Mustem gleich dünken, deren wahre Schönheiten sie nicht einmal ein sehen ...
Herr Mylius sahe sie allerdings ein, und man
kann nicht leugnen, daß sich nicht ein großer Teil von seinem
32
Vorrede zu Mylius' Schriften.
Freigeiste sehr wohl
lesen laste.
Verschiedene kleine Züge,
die er seiner Person darin giebt, sind etwas mehr als bloße
Erdichtungen.
Was er zum Exempel in dem dreizehnten Blatte
von des Boethius Troste der Weltweisheit sagt, ist
gänzlich nach
den
Buchstaben zu verstehen.
Er hatte von
diesem geliebten Buche eine Ausgabe in sehr kleinem Formate, die er eine lange Zeit, anstatt der geriebnen Wurzeln
und Kräuter, welche andre aus Artigkeit in die Nase stopfen, in einer Schnupftabaksdose bei sich trug. Die Über setzung, die er an angeführtem Orte daraus mitteilt, macht ihn zum Erfinder einer im Deutschen noch nie gebrauchten Versart, der adonischen nämlich; und es ist seine Schuld ohne Zweifel nicht, wenn er keine Nachahmer darin gehabt hat.
Was übrigens den Inhalt des Freigeistes anbelangt, so
wird auch der eigensinnigste Splitterrichter nicht das Geringste darin finden, was der christlichen Tugend und Religion zum Schaden gereichen könnte.
Gleichwohl aber ward es . . . und
dieses muß ich Ihnen zu melden nicht vergessen ... seinem
guten Namen einigermaßen nachteilig, ihn geschrieben zu haben. Er behielt von der Zeit an den Titel seines Buchs statt eines
Beinamms, und seine Bekannten waren noch lange hernach
gewohnt, die Namen Mylius und Freigeist ebenso ordent lich zu verbinden, als man jetzt die Namen Edelmann und Religionsspötter verbindet. Sie können sich leicht einbilden,
daß diese Verbindung bei denen, welche die wahre Ursache davon nicht wußten, oft ein sehr empfindliches Mißverständnis werde verursacht haben.
Es ist aber so ungegründet, daß ich
es auch nicht mit einem Worte weiter widerlegen will.
Ich
will Ihnen vielmehr noch etwas von seiner zweiten moralischen
Wochenschrift sagen, die er bald nach seiner Ankunft in Berlin herausgab.
Sie hieß der Wahrsager.
damit, als bis auf das zwanzigste Stück.
Er kam nicht weiter
Die fernere Fort
setzung ward ihm höheres Orts verboten, und es wäre seiner
Ehre zuträglicher gewesen, wenn man ihm gleich den Anfang
33
Vorrede zu Mylius' Schriften.
untersagt hätte.
Ich kann Ihnen nicht sagen, wie ungleich
er sich darin sieht!
Die Schreibart ist nachlässig, die Moral
gemein, die Scherze sind pöbelhaft und die Satire ist beleidi
gend.
Er schonte niemanden und hatte nichts Schlechters zur
Absicht, als seine Blätter zur flandalösen Chronik der Stadt zu machen. Man schrie daher überall wider ihn, bis ihm das Handwerk gelegt ward. Als ein neuer Ankömmling in Berlin hatte er sich ohne Zweifel einen allzugroßen Begriff von der hiesigen Freiheit der Preffe gemacht.
Er hatte gesehen, daß
wichtige Wahrheiten hier Scheiß verstehen müssen, und glaubte
also, daß ihn die Einwohner auch ertragen würden, wenn er auch schon ein wenig massiv wäre. Allein er irrte sich! Die erstem können durch die allergrößte Mißhandlung nichts ver
lieren; die andern aber können auch durch die allerkleinste alles verlieren, nämlich ihre Ehre. Was also die Obrigkeit dort aus Sicherheit verstattet, das muß sie hier aus Mitleiden ver
bieten .... Das erste Blatt des Wahrsagers kam Donners tags heraus. Den Sonntag vorher wußte Herr Mylius noch nicht, wie es heißen sollte. Er lief hundert Namen durch und
konnte keinen finden, der ihm recht gelegen gewesen wäre. Endlich half ihm der geschwinde Witz eines guten Freundes
noch aus der Not.
Sie können sich nicht entschließen,
wie Sie Ihr Blatt nennen wollen? sagte der Herr von
K** zu ihm; nennen Sie es den Wahrsager.
Die zu
dumm waren, Sie als einen Freigeist zu hören, die werden gewiß nicht zu klug sein, Ihnen als einem Wahrsager zu folgen.
Dieser Einfall war gebilliget, ob er
gleich ein wmig boshaft war, und in drei Stunden war das erste Stück fertig. Mit eben dieser Geschwindigkeit hat Herr Mylius auch die übrigen ausgearbeitet, und wenn dieser
Umstand schon nicht ihren geringen Wert entschuldiget, so verhindert er doch wenigstens zu glauben, daß unser Tachy-
graphus sie nicht besser habe machen können.............. bin rc. Lessing, Werke. VI.
Z
Ich
34
Vorrede zu Mylius' Schriften.
vierter Srief. Vom 6. Mai.
Herr Mylius hat drei Lustspiele und ein musikalisches Zwischenspiel geschrieben.
Das sind seine theatralischen Lor
beer» ! Das erste Lustspiel ward 1745 in Hamburg gedruckt und heißt die Ärzte. Es ist in Prosa; es hat fünf AuMge;
es beobachtet die drei Einheiten; es läßt die Bühne vor dem Ende eines Autzugs niemals leer; es hat keine unwahrschein
liche Monologen...
Warum darf ich nun nicht gleich dazu
setzen: furg, es ist ein vollkommnes Stück?
Warum giebt es
gewisse schwer zu vergnügende ekle Kunstrichter, welche eine anständige Dichtung, wahre Sitten, eine männliche Moral,
eine feine Satire,
eine lebhafte Unterredung, und ich weiß
nicht, was noch sonst mehr, verlangen?
Und warum, mein
Herr, sind Sie selbst einer von diesen Leuten? Ich hätte Ihnen
ein so vortreffliches Ouidproquo machen wollen,
daß
meinen Freund den deutschen Mokiere nennen sollten.
Sie Ein
deutscher Moliere! und dieser mein Freund! O wenn es doch wahr wäre! Wenn es doch wahr wäre! . .. Hören Sie nur,
Herr Mylius mußte seine Ärzte auf Verlangen machen, was Wunder, daß sie ihm gerieten, wie. . wie alles, was man
auf Verlangen macht.
Kurz vorher waren die Geistlichen
auf dem Lande zum Vorschein gekommen. Sie kennen dieses
Stück; es hatte einen jungen Menschen zum Verfaffer, der
hier in Berlin noch auf Schulen war, der aber nach der Zeit bessere Ansprüche auf den Ruhm eines guten komischen Dichters
der Welt vorlegte, und selbst aus Liebe zur Bühne ein Echan spieler ward, nämlich den verstorbenen Herrn Krieger.
In
seinen Geistlichen hatte er die Satire auf eine unbändige Art
übertrieben, und ich weiß überhaupt nicht, was ich von der Satire halten soll, die sich an ganze Stände wagt.
Doch
Galle, Ungerechtigkeit imb Ausschweifung haben nie ein Buch tim die Leser gebracht, wohl aber manchem Buche zu Lesern
Vorrede zu Mylius' Schriften.
verholfen.
35
Die Welt konnte sich an den Geistlichen nicht satt
lesen; sie wurden mehr als einmal gedruckt; ja sie wurden, was die Leser immer um die Hälfte vermehrt, konfisziert. So eine vortreffliche Aufnahme stach einem Buchhändler in die
Augen. Er versprach sich keinen kleinen Gewinnst, wenn man
auch andre Stände eine solche Musterung könnte passieren laffen, und trug die Abfertigung der Ärzte dem Herrn Mylius auf, der es auch annahm, ob er gleich selbst unter die Söhne des Äskulaps gehörte. Er brachte sonderbares Zeug
in sein Lustspiel; eine Jungfer, der man es ansehen kann,
daß sie keine Jungfer mehr ist; ein Paar Freier, die sich über eine künftige Frau zur Hälfte vergleichen, und ein Haufen Züge, die vollkommen wohl in eine schlechte englische Komödie paffen würden.. . Doch wie steht es um sein zweites Lust spiel? Es heißt der Unerträgliche und ist gleichfalls in Prosa
und fünf Aufzügen.
Es sollte eine persönliche Satire sein;
muß ich Ihnen im Vertrauen sagen.
Allein es gelang ihm
mit dem Jndividuo ebenso schlecht, als dort mit der Gattung. Denn mit wenigem alles zu sagen, er schilderte seinen Uner träglichen, ich weiß nicht ob so glücklich, oder so unglücklich, daß sein ganzes Stück darüber unerträglich ward. Die Ärzte
und den Unerträglichen machte Herr Mylius
bald nach
einander; sein drittes Stück aber, von welchem ich gleich reden
will, folgte erst einige Jahre darauf. Es heißt die Schäfer insel; es ist in Versen und hat drei Aufzüge. Wenn ich doch wüßte, wie ich Ihnen
einen deutlichen Begriff davon
machen sollte. . . Kennen Sie den Geschmack der Frau Neuberin? Man müßte sehr unbillig sein, wenn man dieser be
rühmten Schauspielerin eine vollkommne Kenntnis ihrer Kunst absprechen wollte. Sie hat männliche Einsichten; nur in einem Artikel verrät sie ihr Geschlecht.
Sie tändelt ungemein
gerne auf dem Theater. Alle Schauspiele von ihrer Erfin dung sind voller Putz, voller Verkleidung, voller Festivitäten; wunderbar und schimmernd... Vielleicht zwar kannte sie ihre
36
Vorrede zu Mylius' Schriften.
Herren Leipziger, und das war vielleicht eine List von ihr, was ich für eine Schwachheit an ihr halte.
Doch dem sei,
wie ihm wolle; genug, daß nach diesem Schlage ungefähr die Schäferinsel sein sollte, welche Herr Mylius auch wirklich auf ihr Anraten ausarbeitete.
Er hätte sie am kürzesten ein
pseudopastoralisch-musikalisches Lust- und Wunderspiel nennen
können.
Nachdem
er einmal den Entwurf davon gemacht
hatte, kostete ihm die ganze Ausarbeitung nicht mehr als vier
Nächte; und so viele bringt ein andrer wohl mit Einrichtung einer einzigen Scene schlaflos zu.
So lange er damit be
schäftiget war, habe ich ihn, seiner Geschwindigkeit wegen, mehr als einmal beneidet; sobald er aber fertig war, und er mir
seine Geburt vorgelesen hatte, war ich wieder der großmüttgste
Freund, in dessen Seele sich auch nicht die geringste Spur des Neides antreffen ließ. . . .
Zwischenspiele.
Noch
ein Wort von seinem
Es heißt der Kuß; es ward komponiert,
und auf der Neuberischen Bühne in Leipzig aufgeführt.
Es
fanden sich Leute, welche es bewunderten, weil eine gewisse Schauspielerin die Schäferin darin machte.
Der Inhalt war
aus der Schäferwelt. . .. Verzeihen Sie, mein Herr, daß mir
die Schäferwelt den Frühling in die Gedanken bringt; ver
zeihen Sie, daß das heutige angenehme Wetter mich verleitet, ihn immer ein wenig zu genießen, und daß ich also, Zeit zu
gewinnen, schließe.
Ich will lieber den ganzen Spaziergang
an niemanden als an Sie gedenken, als noch ein Wort mehr schreiben; ausgenommen: Leben Sie wohl!
Fünfter Aries. Vom 4. Junius.
An Kenntnis der vortrefflichsten Muster fehlte es dem Herrn Mylius gar nicht.
Und wie hätte es ihm auch so
leicht daran fehlen können, da er das Hilfsmittel der Sprachen
vollkommen wohl in seiner Gewalt hatte?
Die vornehmsten
36
Vorrede zu Mylius' Schriften.
Herren Leipziger, und das war vielleicht eine List von ihr, was ich für eine Schwachheit an ihr halte.
Doch dem sei,
wie ihm wolle; genug, daß nach diesem Schlage ungefähr die Schäferinsel sein sollte, welche Herr Mylius auch wirklich auf ihr Anraten ausarbeitete.
Er hätte sie am kürzesten ein
pseudopastoralisch-musikalisches Lust- und Wunderspiel nennen
können.
Nachdem
er einmal den Entwurf davon gemacht
hatte, kostete ihm die ganze Ausarbeitung nicht mehr als vier
Nächte; und so viele bringt ein andrer wohl mit Einrichtung einer einzigen Scene schlaflos zu.
So lange er damit be
schäftiget war, habe ich ihn, seiner Geschwindigkeit wegen, mehr als einmal beneidet; sobald er aber fertig war, und er mir
seine Geburt vorgelesen hatte, war ich wieder der großmüttgste
Freund, in dessen Seele sich auch nicht die geringste Spur des Neides antreffen ließ. . . .
Zwischenspiele.
Noch
ein Wort von seinem
Es heißt der Kuß; es ward komponiert,
und auf der Neuberischen Bühne in Leipzig aufgeführt.
Es
fanden sich Leute, welche es bewunderten, weil eine gewisse Schauspielerin die Schäferin darin machte.
Der Inhalt war
aus der Schäferwelt. . .. Verzeihen Sie, mein Herr, daß mir
die Schäferwelt den Frühling in die Gedanken bringt; ver
zeihen Sie, daß das heutige angenehme Wetter mich verleitet, ihn immer ein wenig zu genießen, und daß ich also, Zeit zu
gewinnen, schließe.
Ich will lieber den ganzen Spaziergang
an niemanden als an Sie gedenken, als noch ein Wort mehr schreiben; ausgenommen: Leben Sie wohl!
Fünfter Aries. Vom 4. Junius.
An Kenntnis der vortrefflichsten Muster fehlte es dem Herrn Mylius gar nicht.
Und wie hätte es ihm auch so
leicht daran fehlen können, da er das Hilfsmittel der Sprachen
vollkommen wohl in seiner Gewalt hatte?
Die vornehmsten
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Vorrede zu Mylius' Schriften.
lebendigen und toten waren ihm geläufig. Von der lateinischen
werden Sie mir es ohne Beweis glauben. In Ansehung der griechischen beruf' ich mich auf seine Übersetzungen, die er aus dem Aristophanes und Lucian gemacht
hat.
Diese letztem
werden Sie in der Sammlung auserlesener Schriften dieses Sophisten, welche im Jahr 1745 bei Breitkopfen ge
druckt ist, finden.
Der Herr Professor Gottsched machte eine
unverlangte Vorrede dazu, mit der er dem Publico einen schlech ten Dienst erwies.
Die Besorger wurden darüber ungehalten,
und anstatt daß sie uns den ganzen Lucian deutsch tiefem
wollten, ließen sie es bei dieser Probe bewenden.
Ich würde
einen langen und trocknen Brief schreiben müssen, wenn ich Ihnen auch alle seine Übersetzungen aus dem Französischen, Ita
lienischen und Englischen anführen wollte.
Unter den erstem
verdienen ohne Zweifel die Kosmologie des Herrn von
Maupertuis, und des Herrn Clairaut Anfangsgründe der Algebra die vorzüglichste Stelle.
Beide Werke zu über
setzen, ward etwas mehr als die bloße Kenntnis der Sprache erfordert; einer Sprache, in der er übrigens seine Briefe am
liebsten abzufassen pflegte.
Und ich muß es Ihnen nur bei
läufig sagen, daß sein Briefwechsel sehr groß war; größer als
ihn vielleicht mancher in dem einträglichsten Amte sitzender Ge lehrte, aus Furcht vor den Unkosten, übernehmen möchte.
Er
war nicht bloß in Deutschland eingeschlossen; er erstreckte sich noch viel weiter, und es war allerdings eine Ehre für ihn,
daß er die verbindlichsten Antworten
von einem Maumur,
Linnäus, Watson, Lyonet rc. aufweisen konnte. . . Aus dem. Italienischen hat Herr Mylius unter anderm in dem Bei trägen zur Historie und Aufnahme des Theaters die
Clitia des Machiavells übersetzt, und aus dem Englischen Popens Versuch über den Menschen. Durch diese letztere Über setzung, welche in Prosa ist und in dem zweiten Bande der Höllischen Bemühungen steht, wollte er die Arbeit des Herrn Brockes ausstechen. Das Weitschweifende und Wässrichte
38
Vorrede zu Mylius' Schriften.
seines paraphrastischen Vorgängers hat er zwar leichtlich ver meiden können, allein daß es sonst ohne Fehler auf seiner Seite hätte abgehen sollen, das war so leicht nicht.
Ohne Zweifel
wußte er damals so viel Englisch noch nicht, und konnte es auch nicht wißen, als er während seines Aufenthalts zu London, in seinem letzten Jahre, durch die Übersetzung von Hogarths
Zergliederung der Schönheit, zu wißen gezeigt hat.
Ja
er ist sogar noch selbst, mitten unter den Engländern, ein
Schriftsteller in ihrer Sprache geworden. Und zwar ein kritischer
Schriftsteller.
Er ließ nämlich über ein neues Trauerspiel
des Herrn Glover einen Brief drucken, in welchem er sich Christpraise Myll nannte. Ohne Zweifel wollte er die eng lischen Leser durch seinen deutschen Namen nicht abschrecken.
Noch habe ich diesen Brief nicht gesehen, und ich kenne ihn nur zum Test aus dem Monthly Review, wo er ganz kalt
sinnig und kurz angezeigt wird.
Er hat dem Herrn Glover
die Verabsäumung einiger dramatischen Regeln vorgerückt; und
Sie wißen wohl, mein Herr, was die Regeln in England gelten.
Der Britte hält sie für eine Sklaverei und sieht die
jenigen, welche sich ihnen unterwerfen, mit eben der Verachtung
und mit eben dem Mitleid an, mit welchem er alle Völker,
die sich eine Ehre daraus machen, Königen zu gehorchen, be trachtet, wenn auch diese Könige schon Friedriche sind. Doch ich zweifle, ob Herr Mylius zu einer wichtigern Kritik auf gelegt war; sein Geist war in Gottscheds Schule zu mechanisch
geworden, und der unglückliche Tadler der ewigen Gedichte eines
Hallers
konnte unmöglich mit seinem Geschmacke bei einem
Volke bewundert werden, welches uns dieses Dichters wegen zu beneiden Grund hätte.
Wie? werden Sie sagen, der un
glückliche Tadler Hallers?
Ja, mein Herr, dieses war Herr
Mylius; denn er ist es, aus deßen Feder die Beurteilung des Hallerischen Gedichts, über den Ursprung des Übels,
in den ersten Stücken der Höllischen Bemühungen,
ist.
gefloßen
Ich sage mit Fleiß aus seiner Feder, und nicht aus seinem
39
Vorrede zu Mylius' Schriften.
Kopfe.
Der Herr Professor Gottsched dachte damals für ihn,
und mein Freund hat es nach der Zeit mehr als einmal be reuet, ein so schimpfliches Werkzeug des Neides gewesen zu
sein.
Doch ich weiß schon, auf wen die größte Schande fällt; auf
den ohne Zweifel, auf welchen alle seine Schüler ihre Vergehungen
bürden, und ihn, wie den Versöhnungsbock, in die Wüste schicken sollten... Aber, bewundem Sie doch mit mir den Herrn von Hal
ler! Entweder er hat es gewußt, daß ihn Herr Mylius ehedem so schimpflich kritisiert habe; oder er hat es nicht gewußt. Indem
ersten Falle bewundre ich seine Großmut, die auf keine Rache dieser
persönlichen Beleidigung gedacht, sondem sich den Beleidiger vielmehr unendlich zu verbinden gesucht hat. In dem andem
Falle bewundre ich . . seine Großmut nicht weniger, die sich nicht einmal die Mühe genommen hat, die Namen seiner spötti schen Tadler zu wissen .. Leben Sie wohl.
Ich bin rc.
Sechster Brief. Vom 20. Junius.
O, ich glaube es Ihnen sehr wohl, mein Herr, daß ver
schiedene in Ihrer Gegend, welche an der Myliusischen Reise teil gehabt, über den unglücklichen Ausgang derselben verdrießlich
sind, und ihr Geld bereuen.
Was haben wir nun davon?
heißt es bei einigen auch hier.
Ehre! habe ich denen, die ich
näher kenne, geantwortet. Ehre!.. „Nichts weiter?" versetzte man.
„Wir glaubten, wie vortrefflich wir unsre Naturalien
sammlungen
würden
vermehren
können." . . Ei!
und also
sahen Sie den Herrn Mylius nicht sowohl für einen Gelehrten, welcher Entdeckungen machen sollte, als für einen Kommissionär
an, der für Sie nach Amerika reifete, um die Lücken Ihres Kabinetts so wohlfeil als möglich zu erfüllen? . . „Nicht viel anders!" . . Nicht viel anders?
So nehme ich mir die Frei
heit aufrichtig zu gestehen, daß ich Ihnen den vorgegebenen Schaden von Grund des Herzens gönne.
Aber wissen Sie
wohl, bin ich in meinem Komplimente fortgefahren, für was
39
Vorrede zu Mylius' Schriften.
Kopfe.
Der Herr Professor Gottsched dachte damals für ihn,
und mein Freund hat es nach der Zeit mehr als einmal be reuet, ein so schimpfliches Werkzeug des Neides gewesen zu
sein.
Doch ich weiß schon, auf wen die größte Schande fällt; auf
den ohne Zweifel, auf welchen alle seine Schüler ihre Vergehungen
bürden, und ihn, wie den Versöhnungsbock, in die Wüste schicken sollten... Aber, bewundem Sie doch mit mir den Herrn von Hal
ler! Entweder er hat es gewußt, daß ihn Herr Mylius ehedem so schimpflich kritisiert habe; oder er hat es nicht gewußt. Indem
ersten Falle bewundre ich seine Großmut, die auf keine Rache dieser
persönlichen Beleidigung gedacht, sondem sich den Beleidiger vielmehr unendlich zu verbinden gesucht hat. In dem andem
Falle bewundre ich . . seine Großmut nicht weniger, die sich nicht einmal die Mühe genommen hat, die Namen seiner spötti schen Tadler zu wissen .. Leben Sie wohl.
Ich bin rc.
Sechster Brief. Vom 20. Junius.
O, ich glaube es Ihnen sehr wohl, mein Herr, daß ver
schiedene in Ihrer Gegend, welche an der Myliusischen Reise teil gehabt, über den unglücklichen Ausgang derselben verdrießlich
sind, und ihr Geld bereuen.
Was haben wir nun davon?
heißt es bei einigen auch hier.
Ehre! habe ich denen, die ich
näher kenne, geantwortet. Ehre!.. „Nichts weiter?" versetzte man.
„Wir glaubten, wie vortrefflich wir unsre Naturalien
sammlungen
würden
vermehren
können." . . Ei!
und also
sahen Sie den Herrn Mylius nicht sowohl für einen Gelehrten, welcher Entdeckungen machen sollte, als für einen Kommissionär
an, der für Sie nach Amerika reifete, um die Lücken Ihres Kabinetts so wohlfeil als möglich zu erfüllen? . . „Nicht viel anders!" . . Nicht viel anders?
So nehme ich mir die Frei
heit aufrichtig zu gestehen, daß ich Ihnen den vorgegebenen Schaden von Grund des Herzens gönne.
Aber wissen Sie
wohl, bin ich in meinem Komplimente fortgefahren, für was
40
Vorrede zu Mylius' Schriften.
Herr Mylius eigentlich Sie und alle Beförderer seiner Reise angesehen hat? Für Verschwender; für Leute, die ihr über
flüssiges Vermögen zu sonst nichts Besierm anzuwenden wüßten; die nur Geld verschenkten, um es zu verschenken, und . . „Was?
„hat man mich unterbrochen; uns für Verschwender anzusehen?"
. . Wahrhaftig, meine Herren, dafür hat Sie Herr Mylius angesehen, noch ehe er die Ehre hatte, Sie zu kennen.
Ich
habe ihnm hierauf, um sie rechtschaffen zu kränken, eine Stelle aus dem satirischen Sendschreiben meines Freundes vorgelesen,
in welchem er verschiedne Anschläge erteilet, wie man die Thor
heiten und Laster der Menschen zum Aufnehmen der Naturlehre nützen könne.
Er hat dieses Sendschreiben in die Ermunte
rungen eingerückt, und die Stelle, auf welche ich ziele, ist viel zu
sonderbar, als daß mich die Mühe dauern sollte, sie Ihnen, mein Herr, hier abzuschreiben.
„Die Verschwender, sagt er,
„lasse man ihr Geld auf die Besoldung einer Anzahl Reisender „wenden, welche die Welt die Länge und Quere durchreisen
„und durchschiffen, und, wenn es das Glück will, allerlei „physikalische und
„machen.
zur Naturgeschichte gehörige
Entdeckungen
Man lasse auf ihre Unkosteir Luftschiffe bauen, und
„den Erfolg auf ein Geratewohl ankommen.
Die Ausfüh-
„rung solcher Unternehmungen trage man irrenden Rittern, „Don Quixoten und Wagehälsen auf, und erwarte mit Ver„gnügen und Gelassenheit,
ob
die Naturlehre dadurch mit
„neuen Erfindungen und Lehrsätzen wird bereichert werden.
„Die Sache mag so übel ausschlagen als sie will, so werden „doch weder die physikalischen Wissenschaften noch ihre uneigen„nützige Handlanger
einigen
Schaden
davon haben." . .
Was sagen Sie zu dieser Stelle, mein Herr? sie etwas Prophetisches hat.
Vielleicht, daß
Doch ich bin gewiß überzeugt,
daß Herr Mylius ein sehr lobenswürdiger und vorsichtiger
Wagehals würde gewesen sein, wenn ihm der Tod vergönnt hätte, seine Geschicklichkeit zu zeigen.
Er würde sich nicht be
gnügt haben, wo er hingekommen wäre, bloß mit den Augen
Vorrede zu Mylius' Schriften.
41
eines Naturforschers zu sehen, und um nichts, als um einen
Stein oder um ein Kraut sich Gefahren auszusetzen. Er würde ein allgemeiner Beobachter gewesen sein, und die Kenntnis
des Schönsten in der Natur, des Menschen, für keine Kleinig keit angesehen
haben, ob sie gleich in dem gemeinen Plane
seiner Reise nicht in Betrachtung gezogen war... Doch, erlauben
Sie mir, mein Herr, daß ich Ihnen auch endlich einmal von
Die Erinnerung der Geschicklichkeiten
etwas anderm schreibe.
meines Freundes ist mir zu peinlich, und ich empfinde seinen
Verlust zu lebhaft, wenn ich derselben allzusehr nachhänge... Lassen Sie uns vielmehr rc...
*
*
* Hier gerieten wir in unserm Briefwechsel auf eine andre Materie, welche für den Leser wenig Reizendes haben würde und
hierher nicht gehöret. Alles, was ich noch für ihn hinzuthun muß, ist etwas Weniges, was diese Sammlung genauer angeht.
Sie
bestehet aus lauter Stücken, welche teils in verschiednen Monats schriften zerstreut, teils auch einzeln gedruckt waren.
Alles
dessen, was in den vorstehenden Briefen gesagt worden, un geachtet, glaube ich, daß sehr viele Leser die meisten nicht ohne besonderes Vergnügen lesen werden.
Die Poesien insbesondere
habe ich überall zusammengesucht, und hätte zwar mit leichter
Mühe noch weit mehrere, bessere aber wohl schwerlich auf treiben können. Mit was für Augen man sie bettachten müsse,
habe ich deutlich gnug zu verstehen gegeben, und ich füge nur noch hinzu, daß die Gedichte des Herrn Mylius ganz anders
aussehen würden, wenn sie alle mit dem Gefühle und dem Fleiße gemacht wären, mit welchem er seinen Abschied aus Europa gemacht hat. Es schien, als ob er erst um diese Zeit
recht anfangen wollte, sein Herz und seinen Witz zu brauchen. .. Mir ist jetzt weiter nichts zu thun übrig, als den Leser den
Inhalt der Sammlung auf einmal übersehen zu lassen, und mich seiner Gunst zu empfehlen.
Vorrede »u
des Herrn Jakob Thomsons sämtliche Trauerspiele, aus dem Englischen übersetzt. Vergnügen, diese Übersetzung
der Thomsonschen
/* toig ngayfiafft xai Tin ßioi iwv noij.tov der Ausspruch seines Euripides wahr sei: Ovx äv yfrojio XtoQ*S to&Xa xai xaxa.
'AKK it seinem Gttilford.
Itzt wird die
hinterste Scene aufgezogen, und mail sieht die Johanna auf
ihren Knien liegen und beten.
Guilford tritt zu ihr herein.
Sie unterhalten sich mit Todesbetrachtungen, als Pembrock kömtnt und ihnen seine fröhliche Botschaft bringet.
Nur einen
Augenblick glänzet ihnen dieser Strahl von Hoffnung.
Gar-
260
Litteraturbriefe.
diner erscheinet, und bekräftiget zwar die Gnade der Königin, aber bloß unter der Bedingung, daß sie beide zur römischen
Kirche zurückkehren sollen.
Diese Bedingung wird abgeschlagen;
sogleich wird Guilsord zum Tode geführet; die Scene er öffnet sich noch weiter; man erblickt das Blutgerüste; Johanna besteiget es, als eine wahre Heldin; Gardiner triumphieret;
Pembrock verwünscht den Geist der Verfolgung; und das Stück schließt.
Nunmehr sagen Sie mir, was Herr Wieland mit diesem
großen Plane anders gemacht hat, als daß er einen prächtigen
Tempel eingerissen, um eine kleine Hütte davon zu bauen? Er hat die rührende Episode des Pembrocks herausgerissen,
lind die letzten drei Aufzüge in fünfe ausgedehnet, durch welche
Ausdehnung, besonders des fünften Aufzuges in seine beiden
letzten, die Handlung ungemein schläfrig geworden ist.
Herr
Wieland läßt den Guilford an einem Orte zur Johanna
sagen:
Und selbst, o Scheusal, deine Räte selbst. Die kaum mit aufgehabnen Händen schwuren. Dir, dem Gesetz und unserm heil'gen Glauben Getreu zu bleiben, alle sind Verräter, Verdammte Heuchler! — Pembrock, ach! mein Freund, Mein Pembrock selbst, vom Gardiner betrogen, Fiel zu Marien ab. Man weiß gar nicht, was das für ein Pembrock hier ist, und wie Guilford aus einmal eines Freundes namentlich gedenket, der in dem Stücke ganz und gar nicht vorkömmt?
Aber nun werden Sie dieses Rätsel auflösen können.
Es ist
eben der Pembrock des Rowe, dem er in seinem Stücke
keinen Platz gönnen wollen, und der ihm dafür den Possen
thllt,
sich,
schleichen.
gleichsam
wider
seinen
Willen,
einmal
einzu
261
Vierter Teil.
V. Den 2. November 1759.
Fünfundsechzigster Brief.
Den Einfall des Herrn Professor Gottscheds, seinen Kern der deutschen Sprachkunst den sänrtlichen berühmten Lehrern
der Schulen in rind außer Deutschland zuzuschreiben, muß man ihn nicht für einen recht unverschämten Kniff eines gelehrten
Charlatans halten?
Denn was ist diese Zuschrift anders, als
ein Bettelbrief, seine Grammatik zu einer klassischen Gram matik deswegen machen zu helfen, weil sie in vier Jahren drei mal gedruckt worden, und der Herr Autor darüber ein Kom
pliment aus Wien und aus Chur im Graubündtnerlande
erhalten hat? Wenn der Name des Verlegers unter dieser Zu schrift stünde, so würde ich weiter nichts daran auszusetzen
haben, als daß dieser vergessen, den Herren Rektoren und Kon
rektoren in jedes Dutzend Exemplare, die ihre Schüler ver brauchen würden, das dreizehnte gratis obenein zu versprechen.
Aber daß sich Gottsched selbst durch seine blinde Eitelkeit zu diesem Schritte verleiten lassen, das muß ihn notwendig in
den Augen aller Rechtschaffenen nicht bloß lächerlich, es muß ihn verächtlich machen.
Denn wenn es auch schon unwider-
sprechlich wäre, daß seine Sprachkunst, vor allen andern in
den Schulen eingeführt zu werden, verdiente; hätte ein großer Mann, wie er sein will — denn alle große Männer sind be scheiden — einen dergleichen Vorzug nicht vielmehr in der Stille
abwarten, als ihn zu erschleichen suchen sollen? —
Aber die berühmten Lehrer der Schulen, wie haben die sich dabei verhalten?
Sehr leidend; doch scheinet es eben nicht,
daß sie so leicht zu bestechen gewesen sind.
Und in der That
märe es für den Herrn Professor selbst sehr zu wünschen, daß sie sämtlich ganz und gar nicht auf seine Zuschrift reflektieret
hätten.
Denn ich sorge, ich sorge, man fängt auch schon auf
kleinen Schulen an, den berühmten Gottsched — auszulachen. Wenn nun der Lehrer das Büchelchen, über welches er zu lesen
262
Litteraturbriefe.
gebeten worden, auf allen Seiten verbessern und widerlegen
muß, was für eine Achtung können die Schüler für den Professor mit auf die Universität bringen?
Und daß jenes zum Teil wirklich geschehen, beweisen unter andern die Anmerkungen, welche Herr Heinz, Rektor zu
Lüneburg, über die Gottschedische Sprachlehre vor kurzem ans
Licht gestellt hat.
„Da das Werk, hebt er seine Vorrede au,
„welches diese Anmerkungen veranlaßt hat, den Schulen ge-
„widmet und zugeschrieben war: so hat, deucht mir, der be„rühmte Verfaffer, wenn er uns anders so viel zutrauet, schon
„längst eine Kritik darüber vermuten müssen: und da unter „so vielen Schullehrern sich doch, meines Wissens, keiner dazu
„entschlossen hat, so dürfte ich mir wohl ohne Eitelkeit den „Vorzug anmaßen, daß ich die Aufmerksamkeit desselben auf
„die Schulen, unter allen mit der größten Achtung erwidert „habe." — In diesem schleichenden Tone eines trocknen naiven
Mannes fährt Herr Heinz fort, und gestehet endlich, daß frei lich seine ganze Beurteilung so ausgefallen, daß ihm der Herr Verfasser schwerlich Dank dafür wissen könne.
„Ich verlange,
„sagt er, auch nichts Unmögliches: berufe mich aber schlechter„dings darauf, daß sie nicht anders geraten können, und daß
„sie gerecht sei." Ich möchte meinen Brief am allerungernsten mit gram
matikalischen Streitigkeiten anfüllen; und Sie wollen überhaupt nicht sowohl diese Streitigkeiten selbst, als vielmehr bloß das
Resultat derselben wissen. Hören Sie also, wie Herr Heinz seine ganze Kritik schließt.
„Wollen wir, sagt er, noch kürz-
„lich zusammenrechnen, ehe ich meinen Skribenten verlasse? so „ist, deucht mir, durch die bisherige Prüfung folgendes wohl „ganz ausgemacht: daß beide Sprachlehren des Herrn Pro„fessor wohl schwerlich mit Einsicht und reifer Gelehrsamkeit „geschriebene Werke heißen können: daß sie ohne Kritik bei-
„nahe unbrauchbar sind, wegen der gar zu vielen Fehler, welche
„doch teils durch die ausnehmende Zuversicht, womit Herr Gott-
263
Vierter Teil.
„sched seine Meinungen vorträgt, teils durch beii ihm gewöhnlichen
„Dunst von Worten, teils durch das Gepränge einer titeln „und magern Philosophie, vor unwissenden und treuherzigen „Lesern ziemlich versteckt werden.
Ein Gelehrter wird nirgmds
„etwas finden, das die gewöhnliche Erkenntnis der deutschen
„Sprache überstiege, und woraus ein grammatikalischer Geist, „oder ein Naturell, das zur Philologie geboren oder erzogen
„wäre, hervorleuchtete.
An dessen statt offenbaret sich durch
„das ganze Werk eine enthusiastische Liebe und eigensinnige
„Partellichkeit des Verfaflers für die deutsche Sprache, oder eiet» „mehr für seine Meinungen und Vorurteile von derselben, nebst
„einem allzugroßen Vertrauen auf seine Einsicht, welche oft in „unbedächtige Urteile und schnöde Verachtung gegen angesehene „Schriftsteller, oder gar gegen unschuldige Städte und Pro-
„vinzen ausbrechen. Wenn andere Sprachlehrer mit ihm einerlei
„Frage abhandeln, so wiegt er immer am leichtesten: und der „Mangel des Scharffinnes, der Überlegung, und einer genug»
„samen Übung in diesem Felde, ist allen seinen Urteilen anzu„sehen.
Die große Grammatik hat vor der andern sonst nichts
„voraus, als die Weitläuftigkeit, mit welcher die Sachen nicht
„gründlicher, vollständiger, gelehrter, sondern gedehnter, lang„weiliger, und in einem gewissen schlechten Verstände philo-
„sophischer gesagt sind.
Zur Probe kann das Kapitel von
„Nebenwörtem dienen; aber auch jedes andere Stück. „macht durchgängig viel Aufhebens
Sie
von Kleinigkeiten, und
„thut, als ob vor ihr nicht nur keine deutsche, sondern überall
„noch keine Sprachlehre geschrieben wäre: und als ob sie alle „grammatikalische Begriffe und Einteilungen zuerst aus dem „tiefen Brunnen, worin die Wahrheit verborgen liegt, heraus-
„holete, welches in der That weder Gelehrsamkeit noch Be-
„scheidenheit beweiset.
Freilich hätte man denken sollen, daß
„Herr Gottsched viel weiter sehen würde, als alle seine Vorgänger: „da er sich nicht weniger als vierundzwanzig Jahr zur Aus-
„arbeitung seiner Grammatik genommen, wie das Privilegium
264
Litteraturbriefe.
„und die Vorrede bezeugen.
Mer der Leser wird angemerkt
„haben, daß ich unfern Verfasser oft aus Bödickern und
„Frischen verbessern können: hingegen zur Verbesserung dieser
„Männer aus Gottscheden wüßte ich auch nicht eine Stelle „anzugeben.
Ist das aber recht, seiner Vorgänger Verdienste zu
„unterdrücken, und ihre Bücher der Jugend aus den Händen
„zu spielen, nenn man es ihnen nicht einmal gleich thut? Wenn „uns Deutschen nicht so gar leicht Genüge geschähe, so würde
„der Herr Professor mit seiner lange erwarteten neuen Sprach lehre schwerlich eine andere Aufnahme erfahren haben, als ehe-
„mals ein gewisser Poet in Frankreich mit seinem Heldengedichte. „Weil aber Herr Gottsched alles mit der Erwartung seiner „Grammatik angefüllt hatte, so wurden unsere alten wohlver-
„dienten Sprachlehrer wenig gelesen, sondem die meisten sparten
„ihren Appettt nach grammatikalischer Erkenntnis auf das große „Mahl, so er ihnen bereitete, und das ist wohl die Ursache
„des großen Beifalles, womit die neue Sprachlehre ausgenom„men worden.
Was mag er aber in so lieber langer Zeit
„daran gebauet und ausgefeilet haben! da doch noch itzo, nach „so vielen gelehrten Erinnerungen so vieler Gönner „und Freunde, wie in der andern Vorrede stehet, und nun „nach so viel wiederholten Auflagen, gleichwohl noch so viel,
„ich mag wohl sagen, kindische Fehler darin sind? — Herr „Gottsched, schließet er endlich, hätte daher viel besser gethan, „wenn er doch ein Sprachlehrer werden wollte, daß er die
„Bödickerischen und Frischischen Grundsätze bloß in be„quemere Ordnung gebracht hätte. Ich will damit nicht sagen,
„daß er's hätte thun sollen, denn meiner Meinung nach, mußte „er gar keine Sprachlehre schreiben: weil die grammatische „Muse, nach so vielen feindseligen Angriffen, welche er in dem „Baylischen Wörterbuche, und sonst überall, auf sie selbst, und
„auf ihre größten Günstlinge gethan hatte, ihm von jeher,
„nicht anders, als gehässig sein konnte."
Was sagen Sie hierzu; vorausgesetzt, daß Herr Heinz
265
Vierter Teil.
ein ehrlicher Mann ist, der int geringsten nichts übertreibt? (Wenn Sie es nicht voraussetzen wollen, so glanben Sie es
so
lange
auf
mein Wort, bis Sie üt'uft
bekommen,
sich
selbst davon zu überzeugen.) Wird es Ihnen noch wahrschein
lich
sein,
daß einer, ob
er schon
ein
magrer Philosoph,
und ein schlechter Dichter ist, dennoch wohl eine gute Sprach kunst schreiben könne?
Oder gestehen Sie es nun bald, daß
ein seichter Kopf nirgends erträglich ist? Und Herr Profesior Gottsched muß es selbst gefühlt
haben, daß ihm dieser Gegner ein wenig zu sehr überlegen
sei! Sie glauben nicht, wie seltsam er sich in seinem Neuesten gegen ihn gebärdet!
Ohne sich auch nur auf einen einzigen
Tadel einzulassen, eifert und sprudelt er da etwas her, woraus kein Mensch klug werden kann; und begegnet dem Rektor mit
einem so groben Profesiorstolze, als verhielte sich der Rektor zum Professor, wie der Schüler zum Rektor;
Verhältnis in diesem Falle grade umgekehrt ist.
da doch das „Hier steht
„übermal," ruft er mit vollem Maule aus, „hier steht aber-
„mal ein Grammatiker auf, der an Herrn Profesior Gott-
„scheds Sprachkunst zum Ritter werden will. „Heinz zu Lüneburg ist
Herr Rektor
von einem innern Berufe genagt
„worden, sich durch einen Angriff eines berühmten Mannes „auch berühmt zu machen.
Und was war leichter als dies?
„Man kann ja bald etliche Bogen über ein Buch zusannnen
„schreiben, dessen gute Aufnahme in Deutschland ihm ein Dorn „im Auge war.
Besondre Ursachen
zur Feindschaft
„denselben hatte er nicht: das gestehet er selbst.
gegen
Die Pflichten
„der Mitglieder einer Gesellschaft, dergleichen die deutsch« zu „Göttingen ist, werden's ihm vermutlich auch nicht auferlegt
„haben, einen seiner ältern Gesellschafter so stürmend anzu„greisen.
Um desto mehr wundem wir uns, daß er dennoch
„kein Bedenken getragen, einen solchen Anfall auf einen Mann
„zu thun, der ihm nicht den geringsten Anlaß dazu gegeben."
— Wann werden die schlechten Skribenten einmal aufhören
266
Litteraturbriefe.
zu glauben, daß notwendig persönliche Feindschaft zum Grunde liegen müsse, wenn sie einer von ihren betrogenen Lesern vor
den Richtstuhl der Kritik fordert? — „Doch wie?" fährt das Neueste fort; „hat nicht Herr Profesior Gottsched seine kleine
„Sprachlehre den sämtlichen berühmten Schullchrern in Deutsch„land zugeschrieben?
Es ist wahr, und der Augenschein zeigt
„es, daß solches mit viel Höflichkeit, mit Dielen Lobsprüchen,
„und in dem besten Verträum zu ihnen geschehen ist.
War
„nun das etwa ein zureichender Grund, dmjmigen so grämisch
„anzuschnarchen, der ihm zugleich mit andern eine solche Ehre „erwiesen? Welcher Wohlgesittete kann das begreifen?" — Der
jenige Wohlgesittete, würde ich hierauf antworten, bei dem
die Höflichkeit nicht alles in allen ist.
Der die Wahrheit
für keine Schmeicheleien verleugnet, und überzmgt ist, daß die
nachdrückliche Warnung vor einem schlechten Buche ein Dienst ist, den man dem gemeinen Wesen leistet, und der daher einem
ehrlichen Manne weit bester anstehet, als die knechtische Ge schicklichkeit, Lob für Lob einzuhandlen. Zudem weiß ich auch gar nicht, was das Neueste mit dem grämischen Anschnar chen will; zwei altfränkische Wörter, die schwerlich aus einer andern, als des Herrn Profestors eigener Feder können ge-
flosten sein.
Man kann nicht mit kälterm Blute kritisieren,
als es Herr Heinz thut; und die Stelle, die Sie oben ge
lesen haben, ist die stärkste in seinem ganzen Buche. finden Sie
darin
Grämisches
und
Was
Angeschnarchtes?
Grämisch anschnarchen kann niemand als Herr Gott
sched selbst; und zwar fällt er in diesen Ton gemeiniglich
alsdann, weirn er satirisch sein will.
geschnarchter als folgende Stelle?
Zum Exempel:
Was ist
„Doch Herr Heinz be-
„sorget, es werde bei seinem Sttllschweigen die Gottschedische
„Grammatik ein klassisches Ansehen gewinnen; da er's zumal „nicht ohne Galle bemerket, daß bisher alle seine Herrn Kollegen „stille dazu geschwiegen: weswegen er glaubet; es sei bester,
„daß einer, als daß keiner das Maul austhue, und diesem großen
267
Bierter Teil.
„Unheile [teure und wehre. Allein mit seiner gütigen Erlaubnis, „fragen wir hier, ob er denn wohl glaube, daß ein Buch „darum gleich zu Boden geschlagen sei, weil er, Herr Heinz
„von Lüneburg, sich demselben widersetzet?
„es gewißlich noch nicht!
Wir glauben
Die Gottschedische Sprachkunst hat
„schon mehr solche grimmige Anfälle überstanden, und steht „doch noch.
Sie wird gewiß, den [einigen auch überstehn."
— Welche Schreibart! Und wie witzig ist das Herr Heinz
von Lüneburg, auf welches einige Zeilen darauf der Se kundaner Kunz folgt! Noch eine recht lustige Stelle aus dem Henmonde des Herrn Professors kann ich mich nicht enthalten. Ihnen abzu
schreiben. Indem er Herr H e i n z e n aushunzt, kommm ihm auch die Verfasser der göttingischen gelehrten Zeitung in den Weg, die sich dann und wann unterstehen, ihm eine kleine Wahr
heit zu sagen, ohne zu bedenken, daß der Herr Professor ein
altes Mitglied ihrer deutschen Gesellschaft ist.
Er meint, er
habe zu dieser Frechheit nun lange genug stille geschwiegen; und wenn sie ihn weiter „böse machten, so werde er ein-
„mal aufwachen, und ihnen durch den Zuruf:
Tecum habita et noris, quam sit tibi curta suppellex „ihre Schwäche bekannt Nlachen. — Wir wissen auch nicht,
„fährt hierauf der Heumond fort, was ihn bisher zu solcher „Geduld und Gelassenheit bewogen; zumal da die göttingischen „Zeitungen
für
ein Werk
von einer ganzen
Societät der
„Wissenschaften gelten sollen, unter deren Aufsicht, und mit
„vermutlicher Genehmhaltung sie heratiskommen.
Gewiß in
„solchen Zeitungen verdammt zu werden, ist kein solcher Spaß, „als wenn einen ein jeder unbekannter und ungenannter Kriti„kaster herunter macht.
Wer also auf seinen guten Namen
„hält, der ist in [einem Gewissen verbunden, von einem so „unbefugten und gewaltsamen Richter sich auf einen höhern zu „berufen, und den Ungrund seiner Urteile zu zeigen.
Nichts,
268
Litteraturbriefe.
„als die Verbindung mit der göttingischen deutschm Gesellschaft „kann ihn, unseres Erachtens, bisher abgehalten haben,
„hier so lange
stille zu sitzen.
Mein wer weiß, wie
„lange es dauert, so schicket er ihr sein Diplom (nach Herrn
„Rat Königs in Haag Beispiele) zurück; und setzet sich wieder „in die natürliche Freiheit, seine Ehre zu retten.
Bis dahin
„kann er ihnen mit dem Achill in der Jphigenia zurufen:
Dankt es dem Bade bloß, das meinen Zorn noch hemmet. Sonst hätt' er schon mein Herz gewaltsam überschwemmet.
— Welch eine Drohung! Die arme deutsche Gesellschaft,
wenn ihr dieses Unglück begegnen sollte! Ich glaube, sie würde
darüber zu einer wendischen. Denn wie kann eine deutsche Gesellschaft ohne Gottscheden bestehen? VIII. Den 23. November 1759.
Ziebenftgster Brief. Hier ist etwas von einem Verfasser, der ziemlich lange
ausgernhet hat! — Es sind die Fabeln des Herrn Lessings. Er meldet uns in der Vorrede, daß er vor Jahr und Tag einen kritischen Blick auf seine Schriften geworfen, nach-
bem er ihrer lange gnug vergessen gehabt, um sie völlig als
fremde Geburten betrachten zu können.
Anfangs habe er sie
ganz verwerfen wollen; endlich aber habe er sie, in Betrach tung so vieler freundschaftlichen Leser, die er nicht gern dem
Vorwurfe aussetzen wollen, ihren Beifall an etwas ganz Un würdiges verschwendet zu haben, zu verbessern beschlosien. Den Anfang dieser Verbesierung hat er mit seinen Fabeln
gemacht. „Ich hatte mich, sagt er, bei keiner Gattung von Ge-
„dichten rc. ssiehe Band VII, Seite 14] — Phrygiers gemacht, k.
Und kurz; hieraus ist das gegenwärtige kleine Werk seiner Fabeln entstanden, welches man als den ersten Band
der
gänzlichen Umarbeitung seiner Schriften anzusehen hat.
Ich
269
Vierter Teil.
muß die Ordnung, die er darin beobachtet, umkehren, und Ihnen vorher von seinen beigesügten Abhandlungen über diese
Dichtungsart etwas sagen, ehe ich die Fabeln selbst ihrem
Urteile unterwerfen kann. Es sind diese Abhandlungen fünfe.
Die erste, welche
die weitläuftigste und dabei die wichtigste ist, untersuchet das
Wesen der Fabel.
Nachdem die Einteilung der Fabeln in
einfache und zusammengesetzte, (das ist in solche, die bei der allgemeinen Wahrheit, welche sie einprägen sollen, stehen bleiben, und in solche, die ihre allgemeine Wahrheit auf einen wirklich geschehenen, oder doch als wirklich geschehen
nommenen Fall, weiter anwenden) vorausgeschickt gehet
der
Berfasser die Erklärungen durch, welche
ange
worden,
de
la
Motte, Richer, Breitinger und Batteux von der Fabel gegeben haben.
Bei der Erklärung des ersten, die allen fol
genden Erklärungen zum Muster gedienet habe, ist er vor nehmlich gegen das Wort Allegorie, und behauptet, daß
die Fabel überhaupt nicht in der Erzählung einer allegorischen Handlung bestehe, sondern daß die Handlung nur in der zu
sammengesetzten Fabel allegorisch werde, und zwar alle gorisch, nicht mit dem darin enthaltenen allgemeinen Satze,
sondern mit dem wirklichen Falle, der dazu Gelegenheit gegeben hat.
An der Erklärung des Richer setzet er vornehmlich
dieses aus, daß sie ein
bloßes allegorisches Bild zu einer
Fabel für hinreichend hält.
„Ein Bild, sagt er, heißet über
haupt rc. (siehe Band VII, Seite 27] — eine Fabel? — Ein „jedes Gleichnis rc. (siehe Seite 28] — durch das Wort Hand-
„lung ausdrücken." — Mit diesem Worte verbindet er aber einen
viel weitern Sinn, als man gemeiniglich damit zu verbinden
pfleget, und verstehet darunter jede Folge von Veränderungen, die zusammen ein Ganzes ausmachen.
Denn daß die Er-
klärung, welche Batteux von der Handlung giebt, daß sie
nämlich eine Unternehmung sein müsse, die mit Wahl und Absicht geschieht, bei der Fabel nicht stattfinde, zeiget er um-
270
Litteraturbriefe.
stündlich, indem die allerwenigsten Äsopischen Fabeln in diesem Batteux, wie der Verfasser
Verstände Handlung haben.
sehr wahrscheinlich zeiget, hat seine Erklärung nur von einem
einzigen, in seiner Art zwar sehr vollkommenen, deswegen aber
doch zu keinem allgemeinen Muster tauglichen Exempel ab strahieret, und überhaupt die Handlung der Äsopischen Fabel mit der Handlung der Epopöe und des Drama viel zu sehr verwirrt.
„Die Handlung der beiden letztem, sagt er, muß rc.
sfiehe Band VII, Seite 38] — damit erreichet rc." Der Gmnd hiervon liegt in den Leidenschaften, welche jene erregen sollen,
und auf deren Erregung diese ganz und gar keinen Anspmch nlacht. — Diese und verschiedene andere Anmerkungen nimmt
der Verfasser nunmehr zusammen, und sagt: „In der Fabel „wird nicht eine jede Wahrheit, sondern ein allgemeiner
„moralischer Satz, nicht unter die allgemeine Hand„lung, sondern auf einen einzeln Fall, nicht versteckt oder
„verkleidet, sondern so zurückgeführet, daß ich, nicht bloß „einige Ähnlichkeiten mit dem moralischen Satze in „ihm entdecke, sondern diesen ganz anschauend darin erkenne."
— Und das ist das Wesen der Fabel?
Noch nicht völlig.
'Noch fehlet ein wichtiger Punkt, von welchem die Kunstrichter bloß
ein dunkles
Gefühl
gehabt zu haben scheinen;
dieser
nämlich: der einzelne Fall, aus welchem die Fabel bestehet,
muß als wirklich vorgestellet werden. der
Möglichkeit
desselben,
so
ist es
Begnügen wir uns an ein Beispiel,
eine
Parabel.
Der Beschluß künftig.
IX. Den 29. November 1759.
Beschluß des ßebenzigsten Briefes. Nachdem der Verfasser diesen wichtigen Unterschied an einigen Beispielen gezeigt, läßt er sich auf die psychologische
Ursache ein, wamm sich das Exempel der praktischen Sitten-
271
Vierter Teil.
lehre, wie nm« die Fabel nennen kann, nicht mit der biofeen an welcher sich
Möglichkeit begnüge,
Wissenschaften begnügen.
die Exempel anderer
Er findet diese Ursache darin, weil
das Mögliche, als eine Art des Allgemeinen, die Lebhaftigkeit
der
anschauenden Erkenntnis verhindere, welche Lebhaftigkeit
gleichwohl unentbehrlich ist, wenn die anschauende Erkenntnis
zur lebendigen Erkenntnis, als worauf die Moral bei ihren
Wahrheiten vornehmlich sieht, erhöhet werden soll.
Er zeiget
hierauf, daß schon Aristoteles diese Kraft des Wirklichen
gekannt, aber eine falsche Anwendung davon gemacht habe, weil er sie aus einer unrechten Quelle hergeleitet. Aristoteles
lehret nämlich, die historischen Exempel hätten deswegen eine größere Kraft zu überzeugen, als die Fabeln, weil das Ver
gangene
gemeiniglich dem Zukünftigen
Verfasier aber sagt: „Hierin,
ähnlich
sei.
Unser
glaube ich, hat Aristoteles
„geirret rc. ssiehe Band VII, Seite 47] — von den historischen „Exempeln gebühre." — Und nunmehr trägt der Verfasier seine
völlige Erklärung der Fabel vor, und sagt: „Wenn wir rc.
ssiehe Seite 48] — so heißt diese Erdichtung eine Fabel."
Die zweite Abhandlung Tiere in der Fabel.
betrifft den
Gebrauch
der
„Der größte Teil der Fabeln, sagt
„der Verfasier, hat Tiere, oder rc. ssiehe Seite 48]. — Oder „was ist es?"
Batteux hat sich auf diese Fragen nicht ein-
gelasien, sondern listig genug den Gebrauch der Tiere seiner
Erklärung der Fabel sogleich mit angeflickt.
Breitinger
hingegen behauptet, daß die Erreichung des Wunderbaren
die Ursache davon sei, und glaubt daher die Fabel überhaupt nicht bester als durch ein lehrreiches Wunderbare erklären zu können.
Allein unser Verfasier zeiget, daß die Einführung
der Tiere in der Fabel nicht wunderbar ist, indem es darin
vorausgesetzt und angenommen werde, daß die Tiere und andere niedrige Geschöpfe Sprache und Vernunft besitzen. Seine
Meinung gehet also dahin, daß die allgemein bekannte Bestandheit ihrer
Charaktere diese Voraussetzung ver-
272
Litteraturbriefe.
anlasset und so allgemein beliebt gemacht habe.
„Je tiefer
„wir, setzt er hinzu, auf der Leiter der Wesen herabsteigen, rc.
„ssiehe Band VII, Seite 56] — von ihm abstehen." In der dritten Abhandlung sucht der Verfasser eine
richtigere Einteilung der Fabeln festzusetzen.
Die alte Ein
teilung des Aphthonius ist offenbar mangelhaft.
Schon
Wolff hat bloß die Benennungen davon beibehalten, den da mit zu verknüpfenden Sinn aber dahin bestimmt, daß man
den Subjekten der Fabel entweder solche Handlungen und Leidenschaften, überhaupt solche Prädikate, die ihnen zukommen,
oder solche die ihnen nicht zukommen, beilege.
In dem ersten
Falle hießen es vernünftige Fabeln; in dem andern sitt liche Fabeln; und vermischte Fabeln hießen es alsdann, wenn sie etwas sowohl von der Eigenschaft der sittlichen als
vernünftigen Fabel hätten.
Allein auch diese verbefferte Ein
teilung will unserm Verfasser darum nicht gefallen, weil das nicht zu ko mm en einen Übeln Verstand machen, und man
wohl gar daraus schließen könnte, daß der Dichter eben nicht gehalten sei, auf die Natur der Geschöpfe zu sehen, die er in
seinen Fabeln aufführet.
Diese Klippe also zu
vermeiden,
glaubt er, man werde am sichersten die Verschiedenheit der
Fabeln
auf die verschiedene Möglichkeit
welche sie enthalten, gründen können.
der einzeln Fälle,
Diese Möglichkeit aber
ist entweder eine unbedingte oder eine bedingte Möglichkeit;
und nm die alten Benennungen gleichfalls beizubehalten, so nennt er diejenige Fabeln vernünftige Fabeln, deren ein
zelner Fall schlechterdings möglich ist; diejenigen hingegen, wo
er es nur unter gewissen Voraussetzungen ist, nennt er sitt
liche Fabeln.
Die vernünftigen sind keiner fernern Ab
teilung fähig; wohl aber die sittlichen.
Denn die Voraus
setzungen betreffen entweder die Subjekte der Fabeln, oder die
Prädikate dieser (Bubjette.
Fabeln, worin die Subjekte vor
ausgesetzt werden, nennet er mythische Fabeln; und Fabeln, worin erhöhtere Eigenschaften wirklicher Subjekte angenommen
273
Vierter Teil.
werden,
nennet er hyperphysische Fabeln.
Die ferner
daraus entstehende vermischte Kattungen nennet er die ver
nünftig mythischen, die vernünftig hyperphysischen, und die hyperphysisch mythischen Fabeln. — Welche Wörter! werden Sie ausrufen.
Welche unnütze scholastische
Grübelei! Und fast sollte ich Ihnen recht geben.
Da doch
aber einmal die Frage von der Einteilung der Fabel war, so
war es ihm auch nicht so ganz zu verdenken, daß er die Sub-
tilität in dieser Kleinigkest so weit trieb, als sie sich treiben läßt. — Was er auf die Fragen antwortet, wie weit in den
hyperphysischen Fabeln die Natur der Tiere zu erhöhen sei, und ob sich die Äsopische Fabel zu der Länge eines epischen Gedichts ausdehnen laste, ist wichtiger; ich übergehe es aber, weil es ohne seine Versuche,
die er in Absicht der letztern
Frage gewagt hat, nicht wohl zu verstehen ist.
Wenn Sie
es einmal selbst lesen sollten, so werden Sie leicht finden, daß seine Versuche seine Spekulation nicht erschöpfen. In der vierten Abhandlung redet er von dem Vor
trage der Fabeln.
Er charakterisiert
den Vortrag des
Äsopus und Phädrus, und scheinet mit dem Vortrage des
la Fontaine am wenigsten zufrieden zu sein.
La Fon
taine bekannte aufrichtig, daß er die zierliche Präcision, und
die
außerordentliche
sehr empfehle,
nicht
Kürze,
durch
die
sich
habe erreichen können;
Phädrus
und
daß
so
alle
die Lustigkeit, mit welcher er seine Fabeln aufzustützen gesucht, weiter nichts als eine etwaige Schadloshaltung für jene wesent
lichere Schönheiten sein solle.
„Welch Bekenntnis! rüst unser
„Verfaster aus rc. ssiehe Band VII, S. 72] — mot plaisant,
„mais solide!" — Er gehet hierauf die Zieraten durch, deren
die Fabel, nach dem Batteux, fähig sein soll, und zeiget, daß sie schnurstracks mit dem Wesen der Fabel streiten.
Sogar
Phädrus kömmt ihm nicht ungetadelt davon, und er ist
kühn genug, zu behaupten, daß Phädrus, so ost er sich von der Einfalt der griechischen Fabeln auch nur einen Schritt Lessing, Werke. VI.
274
Litteraturbriefe.
entferne, einen plumpen Fehler begehe.
Er giebt verschiedene
Beweise hiervon, und drohet seine Beschuldigung vielleicht gar
durch eine eigene Ausgabe des Phädrus zu rechtfertigen.
— Ich besorge sehr, unser Verfaffer wird mit dieser Abhandlung am wenigsten durchkommen, und er wird von Glück zu sagen
haben, wenn man ihm keine schlimmere Absicht giebt, als die Absicht, seine eigene Art zu eyählen, so viel als möglich, zu
beschönigen. Die fünfte Abhandlung ist die kürzeste, und redet von einem besondern Nutzen der Fabeln in den Schulen.
Es ist hier nicht die Frage von dem moralischen Nutzen, son dern von einem Nutzm, welchen der Verfaffer den heuri
stischen nennet. Er glaubt nämlich, daß die Erfindung der Fabeln eine von den besten Übungen sei, durch die ein junges Genie gebildet werden könne.
Da aber die wahre Art, wie
eine Fabel erfunden wird, vielen Schwierigkeiten unterworfen ist, so rät er vors erste die Fabeln mehr finden als er
finden zu laffen; „und die allmählichen Stufen von diesem
„Finden zum Erfinden," sagt er, „sind es eigentlich, was
„ich durch verschiedene Versuche meines zweiten Buches habe „zeigen wollen."
Es sind aber diese Versuche nichts anders
als Umschmelzungen alter Fabeln,
deren Geschichte er bald
eher abbricht, bald weiter fortführet, bald diesen oder jenen
Umstand derselben so verändert, daß sich eine andere Moral darin erkennen läßt.
Aus einigen Beispielen werden Sie sich
einen deutlichern Begriff davon machen können.
Zum Exempel
die bekannte Fabel von der Krähe, die sich mit den ausge
fallenen Federn anderer Vögel geschmückt hatte, führt er einen
Schritt weiter, und macht folgende neue Fabel daraus. Die sechste des zweiten Buchs, [f. Band I, S. 216.]
Diese Fabel kann für neu gelten, ob sie gleich aus alten Stücken zum Teil zusammengesetzt ist: denn es liegt eine neue Moral darin.
„So geht es dem Plagiarius! rc. [f. Band VIT,
275
Vierter Teil.
S. 83]." — Oder die Fabel von den Fröschen, die sich einen König erbeten hatten:
Die dreizehnte des zweiten Buchs, [f. Band I, S. 219.] Diese Fabel fängt da an, wo die alte aufhöret, und erhält dadurch gleichsam eine Art von historischer Wahrscheinlich keit. — Und aus diesen Proben werden Sie zugleich von dem
Tone und der Schreibart unsers Fabulisten urteilen können. Jedes von ben drei Büchern enthält dreißig Fabeln; und wenn
ich Ihnen nunmehr noch einige aus dem ersten und zweiten was Sie
Buche vorlege, so wird es hoffentlich alles sein,
Die erste, welche ich anführen
diesesmal von mir erwarten.
will, scheinet er mit Rücksicht auf sich selbst und die einfältige
Art seines Vortrages gemacht zu haben. Der Besitzer des Bogens, [f. Band I, S. 226.] Die Schwalbe, [f. Band I, S. 234.]
Der Geist des Salomo, [f. Bd. I, S. 227.]
X. Den 6. Dezember 1759.
Emmldsiebenjigster Gries.
Ein Gelehrter, den Sie, soviel ich weiß, in Frankfurt an der Oder suchen müssen, fing bereits im vorigen Jahre an,
eine Sammlung ungedruckter Briefe
herauszugeben.
gelehrter Männer
In dem ersten Buche derselben nahmen sich
besonders verschiedene Briese von des Bigno les und Theoph. S i g. Bayern aus, indem sie an nützlichen Sachen ungleich
reicher waren, als die übrigen.
In dem zweiten Buche ver
sprach der Herausgeber den gelehrten Briefwechsel des Ste
phanus
Vinandus
Pighius zu liefern.
Es
scheinet
aber, daß ihn ein sehr glücklicher Umstand dieses Versprechen aufzuschieben
verleitet hat.
Sein
Unternehmen
selbst
hat
nämlich so viel Beifall gefunden, daß ihm nicht nur ver
schiedene Gelehrte ihre litterarischen Schätze von dieser Art
276
Litteraturbriefe.
mitgeteilet haben, sondern daß ihm auch, durch Vermittelung
des Herrn von Münchhausen, der ganze Vorrat ungedruckter Briefe in der königlichen Bibliothek zu Hannover, zu beliebigem Gebrauche angetragen worden.
Durch diesen Beitrag also ist
er in den Stand gesetzt worden, uns noch vorher mit andern
lesenswürdigern Briefen zu unterhalten, als ihm die Briefe des Pighius mögen geschienen haben. Die ersten vier Bücher, aus welche die Sammlung nun-
mehro angewachsen ist, und welche den ersten Band derselben ausmachen, enthalten hundert und neunzig Briefe*).
Byn-
ckershoeck, Beverland, Gisbert Super, d'Orville, I. A.
Fabricius,
Grävius,
Gramm,
Schannat,
I. P. von Ludewig, Gesner rc. sind die berühmten Namen
ihrer Verfasser. Sogar von Leibniz en finden sich in dem vierten Buche
ein Dutzend Briefe, und Sie können leicht glauben, daß ich diese zu lesen am begierigsten gewesen bin.
Die ersten zwei
derselben sind an P. I. Spenern geschrieben und enthalten
Die fol
wenig mehr, als einige jetzt veraltete Neuigkeiten.
genden sechse aber an den berühmten Huetius sind desto
interefianter und enthalten Gedanken eines Philosophen, die noch immer unterrichten können. dem Jahre 1673 und
zu Paris
Die zwei ersten sind von geschrieben,
aus
welchen
Datts, wenn Sie sich der Lebensgeschichte unsers Weltmeisen
erinnern, Sie ungefähr den Inhalt erraten können.
Huetius
hatte damals die Besorgung der Ausgabe der klassischen Schrift
steller, welche vornehmlich zum Gebrauche des Dauphins eingerichtet sein sollten; und er glaubte, daß er sich bei dieser
Arbeit
auch unsers Leibniz versichern müßte.
Ob dieser
nun gleich damals sich mit ganz andern Dingen beschäftigte.
*) Sylloge nova epistolarum varii argumenti. Volumen I. libros III priores continens. Norimbergae impensis bered. Felseckeri 1760. 2 Alphabet 4 Bogen.
277
Vierter Teil.
und besonders an seiner Recheninaschine arbeitete: so ließ er sich doch bewegen; denn ihm war in dem ganzen Bezirke der Wissenschaften nichts zu klein, so wie ihm nichts zu groß war.
Nur bat er sich aus, daß man ihm einen Autor geben möchte, bei welchem sich Philosophie, und eine gesunde Philosophie
anbringen ließe.
Man schlug ihm in dieser Absicht den ältern
Plinius, den Mela, die Schriftsteller vom Acker
baue, den Apulejus, den Capella und den Boethius vor.
„Mich zum Plinius zu entschließen, schreibt er, ver-
„stehe ich zu wenig von der Arzneigelahrtheit; und von den „Schriftstellern des
Ackerbaues schreckt mich
meine
geringe
Er wählte also den Martianu s
„Kenntnis der Ökonomie ab.
Capella, und das Urteil, das er von diesem Schriftsteller fällt, ist sehr vorteilhaft, und sollte hinlänglich genug sein,
dem Capella mehr Leser zu verschaffen, als er itziger Zeit tvohl haben mag:
Martianum
Capellam,
usus ingentis
auctorem, gratum varietate, scientias non libantem tan-
tum, sed intrantem, solum ex superstitibus scriptorem cujusdam artium liberalium encyclopaediae.
Er fing auch
schon wirklich an daran zu arbeiten, und wollte die Anmer kungen des Grotius, die dieser in seinem fünfzehnten Jahre
gemacht hat, seiner Ausgabe ganz einverleiben.
Allein welch
Schicksal war es, das uns derselben beraubte? Jaucourt
sagt in seiner Lebensbeschreibung unsers Weltweisen, daß ihm alles, was er dazu ausgeschrieben, boshaft entwendet worden,
und daß er in der Folge keine müßigen Augenblicke finden
können, es wieder herzustellen.
Leibniz muß diesen Verlust
nod) in Paris erlitten haben, denn in den Briefen, die er 1679 aus Hannover an den Huetius sd)reibet, wird des
Capella gar nicht mehr gedacht, als einer ohne Zweifel schon längst aufgegebenen und abgethanen Sache.
Jaucourt kann
übrigens aus diesem Briefe darin verbessert werden, daß Leib
niz
den Capella
selbst
aus
eigenem Antriebe
gewählet,
und daß es eben nicht der Einsicht des Huetius zuzuschreiben,
278
Litteraturbriefe.
daß er sich nur mit diesem und keinem andern Autor abgeben
wollen.
Denn Leibniz kannte sich wiMch bester, als ihn
Huetius kannte; welches unter anderen auch daraus zu er
sehen, daß chm dieser mit aller Gewalt auch den Vitruvius
aufdringen wollte, mit dem er sich aber abzugeben rund ab
schlug, weil er nicht hoffen könne, etwas Außerordentliches dabei zu leisten. — Übrigens muß es ein wenig verdrießen,
daß Leibniz bei dieser Gelegenheit
nicht allein
allzuklein
von sich selbst (denn ein bescheidner Mann kann sich selbst
so viel vergeben, als er will), sondem auch allzuklein von seiner Nation spricht: ld enim fateor, tametsi neque In
genium, neque doctrinam mihi arrogem, diligentiae tarnen laudem aliquando apud aequos censores consecutum.
Et
quid aliud expectes a Germane, cui nationi inter animi
(loses sola laboriositas relicta est?
Nun wundere man sich
noch, wie es komme, daß die Franzosen einen deutschen Ge lehrten so gering schätzen, wenn die besten deutschen Köpfe
ihre Landesleute unter ihnen so erniedrigen, nur damit man ihnen Höflichkeit und Lebensart nicht absprechen könne.
Denn
das bilde man sich ja nicht ein, daß diese aus Komplimenten zusammengesetzte Station
auch
das
für Komplimente
halte,
was gewissermaßen zur Verkleinerung ihrer Nachbarn dienen kann.
Die drei folgenden Briefe hat Leibniz bei Gelegenheit
des Huetschen Werkes von der Wahrheit der christlichen
Religion geschrieben,
und
sie enthalten sehr vortreffliche
Gedanken über den Gebrauch der Philologie und Kritik.
„Die
„Kritik, sagt er, die sich mit Prüfung der alten Handschriften, „Münzen, und Inskriptionen beschäftiget, ist eine sehr nötige
„Kunst, und zur Festsetzung der Wahrheit unsrer Religion
„ganz unentbehrlich. „Kritik verloren,
Denn das glaube ich gewiß, gehet die
so ist es auch mit den Schriften unsers
„Glaubens geschehen, und es ist nichts Gründliches mehr übrig, „woraus man einem Chineser oder Mohametaner unsere Religion
279
Vierter Teil.
„demonstrieren könne.
Denn gesetzt, man könnte die fabel
haften Historien von Theodorico Veronensi, wie sie „bei uns die Ammen unter dem Namen Dietrichs von
„Bern, den Kindern erzählen, von den Erzählungen des „Cassiodorus, eines zeitverwandten Schriftstellers, der bei
„diesem Könige Kanzler war, nicht unterscheiden; gesetzt, es „käme die Zeit, da man mit den Türken zweifelte, ob nicht
„Alexander der Große des Königs Salomon oberster „Feldherr gewesen sei; gesetzt, es wären uns, anstatt desLi„vius und Tacitus, weiter nichts als einige von den zier-
„lichen aber im Grunde abgeschmackten geheimm Nachrichten
„von den Liebeshändeln großer Männer, wie sie itzt geschrieben „werden, übrig; gesetzt, es kämen die fabelhaften Zeiten wieder,
„dergleichen bei den Griechen vor dem Herodotus waren:
„würde nicht alle Gewißheit von geschehenen Dingen wegfallen? „Wir würden nicht einmal zeigen können, daß die Bücher der „heiligen Schrift nicht untergeschoben wären, noch viel weniger,
„daß sie göttlichen Ursprungs wären.
Unter allen Hinder-
„nissen, welche die Ausbreitung der christlichen Religion in „den Morgenländern findet, ist dieses, meiner Meinung nach,
„auch das vornehmste, daß das dasige Volk, weil es von der „allgemeinen Geschichte ganz und gar nichts weiß, die histo-
„rischen Beweise, auf welche sich die christliche Religion stützet, „nicht begreifen kann." — Er giebt hierauf eine sehr sinn
reiche, aber aus dem Vorhergehenden sehr natürlich fließende
Ursache an, warum zu Anfänge des vorigen Jahrhunderts die Kritik so stark getrieben, und in den neuern Zeiten hin
gegen so sehr vernachlässiget worden.
„Die Kritik, sagt er,
„wenn ich die Wahrheit gestehen soll, ward damals durch die „theologischen Streitigkeiten genähret. Denn es ist kein Übel
„in der Welt, das nicht etwas Gutes veranlassen sollte.
Jn-
„dem man nämlich von dem Sinne der Schrift, von der „Übereinstimmung der Alten, von echten und untergeschobenen „Büchern häufig streiten mußte, und nur derjenige von den
280
Litteraturbriefe.
„Kirchenskribenten aller Jahrhunderte richtig urteilen konnte,
„der sich in den übrigen Werken des Altertums gehörig um„gesehen hatte: so durchsuchte man aufs genaueste alle Biblio-
„theken.
Der König von England Jakobus selbst, und andere
„von dm vornehmsten Gliedern der Kirche und des Staats, „gaben sich mit dergleichen Streitigkeiten vielleicht ein wenig
„nur allzusehr ab.
Als aber diese Streitigkeiten in Kriege
„ausbrachen, und nach so viel vergossenem Blute, die Klügern
„wohl sahen, daß mit alle dem Geschrei nichts ausgerichtet
„werde, so bekamen, nach wiederhergestelltem Frieden, sehr
„viele vor diesem Teile der Gelehrsamkeit einen Ekel.
Und nun
„fing sich ein neuer Periodus mit den Wisienschasten an; indem
„in Jtalim Galiläus, in England Baco, Harväus und Gil-
„bertus, in Frankreich Cartesius und Gassendus, und „in Deutschland der einzige, den ich biefen Männern entgegen-
„zusetzen wüßte, Joachim Junge, durch verschiedene treffliche „Erfindungen oder Gedanken, den Menschen Hoffnung machten, „die Natur vermittelst der mathematischen Wisienschasten näher
„kennen zu lernen. — Ich will jetzt nicht untersuchen, worin „es, wie ich glaube, heutzutage versehen wird, und woher es
„kömmt, daß die Schüler so großer Männer, ob
sie gleich
„mit so vielen Hilfsmitteln versehen sind, dennoch nichts Be-
„sonderes leisten; denn es ist hier nicht der Ort dazu.
Ich
„will nur dieses einzige anmerken, daß seit dieser Zeit das „Studium der Altertümer und die gründliche Gelehrsamkeit
„hin und wieder in Verachtung gekommen, so daß sich wohl „gar einige in ihren Schriften irgend einen Autor zu citieren,
„sorgfältig enthalten, teils damit sie alles aus ihrem Kopfe
„genommen zu haben scheinen mögen,
teils weil
es ihrer
„Faulheit so bequemer ist; da gleichwohl die Anführung der „Zeugen, wenn es auf geschehene Dinge ankömmt, von der
„unumgänglichsten Notwendigkeit ist, und nur durch sie gründ„liche Untersuchungen sich von einem seichten Geschwätze unter„scheiden.
Damit also dieses Übel nicht weiter um sich fresse,
Vierter Teil.
281
„kam, man die Welt nicht ernstlich genug erinnern, wie viel
„der Religion an der Erhaltung der gründlichen Gelehrsamkeit
„gelegen sei." —
Und was meinen Sie, wenn diese Erinnerung schon zu Leibniz Zeiten, da noch Gudii und Spanheime, Vossii
und Heinsii lebten, so nötig war, wie viel nötiger wird sie jetzt sein, jetzt da wir noch kaum hier und da Schatten von diesm Männern haben, und besonders unsere Gotte-gelehrte,
die sich die Erhaltung dieser gründlichen Gelehrsamkeit am
meisten solltm angelegen sein lassen, gleich das Allerwenigste davon verstehen?
Doch anstatt diese verkleinernde Parallele
weiter auszuführen, erlauben Sie mir lieber, Ihnen noch dm Schluß des Leibnizischen Briefes vorzulegen. „Ich kann überhaupt mit denjmigen gar nicht zufrieden
„sein, die alle Hochachtung gegen das Altertum ablegen, und „von dem Plato und Aristoteles nicht anders als von ein „Paar elenden Sophisten reden. Hätten sie diese vortrefflichen „Männer aufmerksam gelesen, so würden sie ganz anders von
„ihnen urteilen. Denn die metaphysische und moralische Lehre
„des Plato, welche die wenigsten aus ihrer Quelle schöpfen, „ist wahr und heilig, und das, was er von den Ideen und
„ewigen Wahrheiten sagt, verdienet Bewunderung.
Die Logik,
„Rhetorik und Politik des Aristoteles hingegen, könnm im
„gemeinen Leben von sehr großem Nutzen sein, wenn sie sich „in einem guten Kopfe, der die Welt und ihre Händel kennet, „finden.
Sogar kann man ihm nicht genug dafür danken,
„daß er in seiner Physik den wahren Begriff des Stetigen „gegen die scheinbaren Irrtümer der Platoniker gerettet hat.
„Und wer endlich den Archimedes und Apollonius ver-
„ stehet, der wird die Erfindungen der allergrößten Neuern „sparsamer bewundern." Gewiß die Krittk auf dieser Seite betrachtet, und das
Studium der Alten bis zu dieser Bekanntschaft getrieben, ist
keine Pedanterei, sondern vielmehr das Mittel, wodurch Leib-
282
Litteraturbriefe.
niz der geworden ist, der er war, und der einzige Weg, durch welchen sich ein fleißiger und denkender Mann ihm nähern kann. — Aber welchen lustigen Kontrast machet mit dieser wahren Schätzung der Kritik und alten Schriftsteller, die Denkungsart dieses und jenen grundgelehrten Wortforschers, von welchem sich in eben dieser Sammlung Briefe finden. Zum Exempel Gisbert Eupers. Dieser Mann war un streitig einer von den größten Antiquariis, der aber die Anti quitäten einzig und allein um der Antiquitäten willen studierte. Er hält sich stark darüber auf: Saeculis superioribus plel’osque eruditorum magis stilo operam dedisse, quam ritibus, moribus, aliisque praeclaris rebus, quae veterum libris continentur, illustrandis. Und damit Sie ja nicht etwa denken, daß er unter diesen praeclaris rebus vielleicht auch die philosophischen Meinungen der Alten verstehe, so lesen Sie folgende Stelle aus einem andern seiner Briefe: Recte facis, quod edere constitueris Jamblichi Protrepticon, nam illius nec Graeca valent nee Latina. Ego olim illud percucurri, sed eidem inhaerere non poteram, quia me magis oblectabant antiqui ritus, veteris aevi reliquiae et historia; nec capiebar admodum tricis philosophicis etc. Unterdessen ist doch in den Briefen dieses Eupers, deren uns eine ansehnliche Folge an den von Almeloveen und an I. A. Fabricius mitgeteilet wird, viel Nützliches und nicht selten auch Angenehmes. So macht er unter andem die An merkung, daß die Wahrheit bei den Alten zwar als eine allegorische Person eingeführet, und von einigen die Tochter des Jupiters, von andern die Tochter des Saturnus oder der Zeit, von andern die Säugamme des Apollo genennt werde, daß sie aber doch als keine Göttin von ihnen verehret worden, daß sie weder Tempel noch Altäre gehabt habe. Bossius, sagt er, in seinem Werke de Idololatria habe zwar angemerkt, daß Anaxagoras zwei Altäre, den einen dem
Verstände, und den andern der Wahrheit gesetzt habe. Allein Vossius habe sich hier geirret, weil diese Altäre nicht Anaxagoras gesetzt habe, sondern sie dem Anaxagoras ge setzt worden, welcher durch die Aufschriften derselben Nm> und AkijSeiag selbst bezeichnet worden, indem, wie anderweitig bekannt sei, Anaxagoras wirklich den Beinamen Noge sühnt habe. (Wenn Sie Kühns Ausgabe des Älianus nachsehen wollen, so werden Sie finden, daß Cuper den Vos sius hier nur zur Hälfte verbefiert hat. Denn Kühn zeigt deutlich, daß Ali an nicht von zwei Altären, sondern nur von einem einzigen rede, welcher nach einigen die Aufschrift N und nach andern die Aufschrift AX>?a«ac iZottIOC ö noirjitjc f’Zf/tr, ttov xottov Ist /11>
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