Lessing’s Werke: Band 6 [Reprint 2020 ed.]
 9783112345184, 9783112345177

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Lessings Werke. Sechster Band.

Stuttgart.

G. I. Göschen'sche Berlagshandlung. 1890.

Druck der Hoffmann'schen Buchdruckerei in Stuttgart.

Anhalt. Seite

Aus der Theatralischen Bibliothek. 1754—1758.

.

.

1

Vorrede. 1754................................................................................................. 1 Abhandlungen von dem weinerlichen oder rührenden Lustspiele 1754.......................... 4 Über das Lustspiel „Die Juden", im vierten Teile der Lessingschen Schriften. 1754......................................................................... 13

Vorrede zu Vermischte Schriften des Herrn Christlob Mylius. 1754................................ 22 Vorrede zu Des Herrn Jakob Thomsons sämtliche Trauer­ spiele, aus dem Englischen übersetzt. 1756.......................... 42 Vorrede zu Herrn Samuel Richardsons Sittenlehre für die Jugend. 1757.................................................................. 49 Vorbericht zu Preußische Kriegslieder in den Feldzügen 1756 und 1757 von einem Grenadier. 1758...................... 52 Briefe, die neueste Litteratur betreffend. 1759—1765. [1767]..................................................................................... 57 Erster Teil.

1759..............................................................................

59

Einleitung................................................................................................59

1. Brief. Allgemeine Betrachtungen über die Unfrucht­ barkeit der neuesten Litteratur.................................................. 60 2. Brief. Über die Übersetzung von Popens sämtlichen Werken 61 3. Brief. Über die Übersetzung der Fabeln des Gay . . 64 4. Brief. Über den Bergmännischen Bolingbroke. . 65 5. Brief. Über des Herrn von Palthen Versuche zu ver­ gnügen ,.............................................................................................. 69 7. Brief, über den Herrn Wieland und dessen Samm­ lung prosaischer Schriften............................................................ 71 8. Brief. Über die Wielandischen Empfindungen des Christen................................. 74 9. 10. 11. und 12. Brief. Über den Wielandischen Plan einer Akademie rc............................................................................. 77 13. und 14. Brief. Von dem Urteile des Herrn Wielands über unsere geistlichen Redner. Von der Sprache des Herrn Wielands. Von den moralischen Beobachtungen und Urteilen..............................................................................87 15.. Brief. Von dem Gedichte des Grenadiers an die Kriegesmuse 95

IV

Inhalt. Seite

16. Brief. Bon der Bibliothek der schönen Wissen­ schaften rc. Von des Herrn Gottscheds nötigem Vorräte zur Geschichte der deutschen dramatischen Dichtkunst . . 101 17. Brief. Von den Verdiensten des Herrn Gottscheds um das deutsche Theater. Auftritt aus dem Doktor Faust . 103 18. Brief. Für den Herrn Klopstock. Von den ersten deutschen Hexametern......................................................................................... 106 19. Brief. Von der neuen Originalausgabe des Messias . 111 30. Brief. Von den Fabelndes BerachjaHanakdan. Fehler des Herrn Gottscheds................................... 117 Nachricht. Herrn Bergmann betreffend....................................119

Zweiter Teil.

1759.............................................................................

123

Vorbericht....................................................................... 123 31. Brief. Ankündigung und Probe einer Übersetzung der Oden des Pindars.............................................................................125 32. Brief. Anpreisung der Tändeleien des Herrn von Gerstenberg..................................................................................................... 133 33. Brief. Kritik über das Lied eines Mohren aus den Tändeleien. Von dem Originale des Liedes eines Lapp­ länders. Zwei littauische Dainos......................................... 137 36. Brief. AnMndigung einer neuen Auflage der Sinngedichte Friederichs von Logau........................................................... 140 39. Brief. Von Grynäus vier auserlesenen Meisterstücken so vieler englischen Dichter. Von den englischen Hexametern 145 40. Brief. Anpreisung des Cissides und Paches, von dem Ver­ fasser des Frühlings. Zwei noch ungedruckte Gedichte von eben demselben...................................................................................153 41. Brief. Über des Herrn Dusch Schilderungen aus dem

Reiche der Natur und der Sitten............................................... 160 43. Brief. Anpreisung der neuen Ausgabe der Sinngedichte des Logau von den Herrn Ramler und Lessing. Ein vortreffliches Lied eines unbekannten deutschen Dichters 182 44. Brief. Von der Sprache des Logau. Probe von den An­ merkungen seiner Herausgeber über dieselbe .... 191 Dritter Teil. 48. Brief.

1759........................................................................ Über den nordischen Aufseher. Über dessen An­

197

merkungen von der besten Art zu erziehen. Des Herrn Tullin Gedicht: ein Maitag..................................................... 197 49. Brief. Anzeige der Trugschlüsse in des Auffehers Beweis, daß man ohne Religion kein rechtschaffner Mann sein könne. Anmerkung über dessen Einteilung der drei Arten über Gott zu denken.......................................................................202 50. Brief. Fortsetzung über den nordischen Aufseher. An­ preisung der Nachricht von einer neuen Art Amazonen. Von der Schwatzhaftigkeit des Aufsehers............................. 210 51. Brief. Beschluß der Amnerkungen über den nordischen Aufseher. Charakter der Oden des Herrn Cramers. Zwei Stellen aus einerKlopstockischen Ode werdenangeführet. Vorschlag zu Einrichtung musikalischer Gedichte. Anpreisung des Blattes im Auffeher, wie man den prosaischen Stil über den poetischen erheben könne...............................................218

Inhalt.

V Seite

52. Brief. Von Herrn Gebauers Geschichte von Portugal. Anführung der Stelle von der Geschichte des unglücklichen Sebastian. Ob Martin Beheim die neue Welt er­ funden habe. Verbesserung der Geschichte eines bon-mot 225 53. Brief. Anzeige des Lebens Antons, Königs von Por­ tugal, von der Frau von Saintonge, welches Herrn Gebauer unbekannt gewesen. Von dieses Königs Antons zweimaligen Aufenthalte in Engeland.................................239 Vierter Teil.

1759..........................................................................

246

63. und 64. Brief. Anzeige des Trauerspiels Johanna Gray von Herrn Wieland. Beweis, daß das Beste in diesem Trauerspiele aus Rowes Jane Gray genommen sei. Plan der englischen Jane Gray.......................................................246 65. Brief. Anzeige der Anmerkungen des Herrn R. Heinz über des Herrn Professor Gottscheds Sprachkunst. Was grämisches Anschnarchen sei............................................261 70. Brief. Anzeige der Fabeln des Herrn Lessing. Kurzer Auszug aus seinen Abhandlungen über die Fabel . . 268 71. Brief. Anzeige des Herrn Professor Uhls Sylloge nova epistolarum................................................................................... 275

Fünfter Teil.

1760.........................................................................

284

77. Brief. Von des Herrn Dusch Übersetzung der Georgicorum des Virgils nach Martins engländischerAusgabe 284 81. Brief. Von des Herrn Weiße Beitrag zum deutschen Theater. Anmerkungen über desselben Trauerspiel Eduard III....................................................................................300 Sechster Teil.

1760.........................................................................

309

102. Brief. Von des Herrn Basedow Vergleichung der Lehren und Schreibart des nordischen Aufsehers mit den Be­ schuldigungen gegen dieselben................................................. 309 103. Brief. Daß es keine Schmähung sei, wenn man Herrn Cramer den vortrefflichsten Verfifikateur genennet hat 313 104. Brief. Von Herrn Basedow geforderte Beispiele, daß es dem Aufseher gewöhnlich sei, viel Worte zu machen und einen kleinen Gedanken durch weitschweifige Reden aufzuschwellen.............................................................................317 105. Brief. Daß es also kein Verbrechen sei, zu sagen, der Stil des fleißigsten Mitarbeiters am Aufseher sei der schlechte Kanzelstil eines seichten Homileten rc......................... 321 106. Brief. Beleuchtung des Satzes im Aufseher, daß ein Mann ohne Religion kein rechtschaffener Mann sein könne, und der Basedowischen Verteidigung.................................324 107. Brief. Wie der Aufseher wohl auf diesen Satz möge ' gekommen sein............................................................................. 334 108. Brief. Verteidigung des Urteils über die vom Aufseher vorgeschlagene Methode, junge Leute den Erlöser der Welt kennen zu lernen............................................................. . 336

VI

Inhalt. Sette

109. Brief. Daß diese Methode weder durch die Rede, die Paulus vor den Acheniensern, noch durch die, welche er vor dem Felix und Agrippa hielt, könne gerechtfertiget werden................................................................................................339 110. Brief. Von der Miene der neumodischen Rechtgläubigkeit, die sich der Aufseher zu geben sucht....................................347 111. Brief. Von Herrn Klopstocks Einteilung der Arten über Gott zu denken, und von dessen Liedern, von welchen beiden der Verfasser wenig hält............................................... 349 112. Brief. Von einem im Aufseher befindlichen, unter dem Namen des Kupferstechers Kauke erdichteten anzüglichen Briefe..................................................................................................... 353

Siebenter Teil

1760..........................................................................

356

127. Brief. Von Hermann Axels Lessing'schen Unäsopischen Fabeln . ..........................................................................................356

Vierzehnter Teil.

1762 ..................................................................

233. Brief. Von der wider Herrn Lichtwers Absicht heraus­ gekommenen verbesserten Ausgabe seiner Fabeln . . .

368 368

1765 ...............................................

370

332. Brief. Von Meinhardts Versuchen über den Charakter und die Werke der besten italienischen Dichter. Sie sind wegen ihrer Bekanntschaft mit allen den besten Genies einer ganzen Natton aller Achtung würdig. Von dem Vorzug der italienischen Dichtkunst vor der deutschen, wie auch derselben Fehlern. Entwurf des Verfassers von einer poetischen Landkarte. Von der beobachteten Zeitordnung des Verfassers bei den Werken der italienischen Dichter. Gegründete Anmerkung des Verfassers, daß der Mangel großer Genies nicht dem Mangel der Belohnungen und Aufmunterungen zuzuschreiben sei. Vetteidigung des Machiavells wegen seiner Verdienste in Absicht der Prose der Italiener. Von Hom es Grundsätzen der Kritik in einer wohlgeratenen Übersetzung von ebendemselben. Beur­ teilung der Ausgabe von Petrarchischen Gedichten . .

370

Dreiundzwanzigster Teil.

Aus der

Theatralischen Bibliothek. Vorrede. •^njAan wird sich der Beiträge zur Historie und Auf-

nähme des Theaters erinnern, von welchen im Jahr 1750 vier Stück zum Vorschein kamen.

Nicht der Mangel der

guten Aufnahme, sondern andere Umstände machten ihnen ein zu kurzes Ende.

Ich könnte es beweisen, daß Leute von Einsicht

und Geschmack öffentlich die Fortsetzung derselben gewünscht haben.

Und soviel man auch von

dergleichen

öffentlichen

Wünschen, nach Gelegenheit, ablaffen muß, so bleibt doch noch immer so viel davon übrig, als hinlänglich ist, mein gegenwärtiges Unternehmen zu rechtfertigen.

Man sieht leicht, daß ich hiermit diese Theatralische Bibliothek als eine Folge gedachter Beiträge ankündigen

will.

Ich verliere mich, nach dem Sprichworts zu reden, nicht

mit meiner Sichel in eine fremde Ernte; sondern mein Recht

auf diese Arbeit ist gegründet.

Von mir nämlich schrieb sich

nicht nur der ganze Plan jener periodischen Schrift her, so wie er in der Vorrede entworfen wird;

auch

sondern

der

größte Teil der darin enthaltenen Aufsätze ist aus meiner Feder geflossen.

Ja ich kann sagen, daß die fernere Fortsetzung

nur dadurch wegfiel, weil ich länger keinen Teil daran nehmen

wollte. Lessing, Werke. VI.

1

2

Aus der theatralischen Bibliothek. Zu diesem Entschlüsse brachten

mich

teils verschiedene

allzukühne und bittere Beurteilungen, welche einer von meinen

Mitarbeitern einrückte; teils einige kleine Fehler, die von feiten

seiner gemacht wurden, und die notwendig dem Leser von den Verfassern überhaupt einen schlechten Begriff beibringen mußten. Er übersetzte, zum Exempel, die Clitia des Machiavells.

Ich

konnte mit der Wahl dieses Stücks, in gewißer Absicht, ganz wohl zufrieden sein; allein mit seinem Vorberichte hatte ich

Ursache, es ganz und gar nicht zu sein.

Er sagte unter andern

darin: „Fragt man mich, roanim ich nicht lieber ein gutes

„als ein mittelmäßiges Stück gewählt habe? so bitte ich,

„mir erst ein gutes Stück von dem italienischen Thea­

ter zu nennen" .... Diese Bitte machte mich so ver­ wirrt, daß ich mir nunmehr beständig vorstellte, ein jeder, der in der welschen Litteratur nur nicht ganz und gar eilt Fremdling

sei, werde uns zurufen: wenn ihr die Bühnen der übrigen Ausländer nicht besser kennt, als die Bühne der Italiener, so haben wir uns feine Dinge von euch zu versprechen!

Was war also natürlicher, als daß ich die erste die beste Gelegenheit ergriff,

mich

von einer Gesellschaft loszusagen,

die gar leicht meinen Entwurf in der Ausführung noch mehr hätte verunstalten können? Ich nahm mir vor, meine Be­

mühungen für das Theater in der Stille fortzusetzen, und die Zeit zu erwarten, da ich das allein ausführen könnte, von welchem ich wohl sahe, daß es gemeinschaftlich mit andern nicht allzuwohl auszuführen sei. Ich weiß nicht, ob ich mir schmeicheln darf, diese Zeit

jetzt erreicht zu haben.

Wenigstens kann ich versichern, daß

ich seitdem nicht aufgehöret habe, meinen erstem Vorrat mit allein zu vermehren, was, nach einer kleinen Einschränkung des Plans, zu meiner Absicht dienlich war.

Diese Einschränkung bestand darin, daß ich den Bei­ trägen, welche, ihrer ersten Anlage nach, ein Werk ohne Ende scheinen konnten, eine Anzahl mäßiger Bände bestimmte, welche

3

Aus der theatralischen Bibliothek.

zusammengenommen nicht bloß einen theatralischen Mischmasch,

sondern

wirklich

eine kritische

Geschichte

des Theaters

zu

allen Zeiten und bei allen Völkern, obgleich ohne Ordnung

weder nach den einen, noch nach den andern, enthielten.

Ich

setzte mir also vor, nicht alles aufzusuchen, was man von der

dramatischen Dichtkunst geschrieben habe, sondern das Beste und Brauchbarste; nicht alle und jede dramatische Dichter bekannt

zu machen, sondern die vorzüglichsten, mit welchen entweder eine jede Nation als mit ihren größtm pranget, oder welche wenigstens Genie genug hatten, hier und da glückliche Ver­

änderungen zu machen.

Und auch bei diesen wollte ich mich

bloß auf diese von ihren Stücken einlassen, welchen sie den

größten Teil ihres Ruhms zu danken haben.

Augenmerk blieben aber dabei noch

Mein vornehmstes

immer die Alten, mit

welchen ich das noch gewiß zu leisten hoffe, was ich in der Vorrede zu den Beiträgen versprochen habe.

Zweierlei wird man daselbst auch noch versprochen finden, roomit ich mich aber jetzt ganz und gar nicht abgeben will.

Erstlich werde ich es nicht wagen,

die dramatischen Werke

meiner noch lebenden Landsleute zu beurteilen.

selbst unter sie gemengt habe,

Da ich mich

so habe ich mich des Rechts,

den Kunstrichter über sie zu spielen, verlustig gemacht.

Denn

entweder sie sind beffer, oder sie sind geringer als ich.

Jene

setzen sich über mein Urteil hinweg; und was diese ihre Leser bitten, das muß ich die meinigen gleichfalls noch bitten:

----------- date Crescendi copiam Novarum qui spectandi faciunt copiam Sine vitiis — — Zweitens werde ich

keine Nachrichten von dem gegen­

wärtigen Zustande der verschiedenen Bühnen in Deutschland mitteilen; teils weil ich für die wenigsten derselben würde

stehen können; teils weil ich unsern Schauspielern nicht gern einige Gelegenheit zur Eifersucht geben will.

Sie brauchen,

4

Aus der theatralischen Bibliothek.

zum Teil, wenigstens ebensoviel Ermunterung und Nachsicht, als unsre Schriftsteller.

Was die äußerliche Einrichtung dieser Theatralischen Bib­ liothek anbelangt, so ist weiter dabei nichts zu erinnern, als daß immer zwei Stück einen kleinen Band ausmachen sollen.

Der letzte Band, von welchem ich aber noch nicht bestimmen kann, welcher es sein wird, soll eine furje chronologische Skia­

graphie von allem, was in den vorhergehenden Bänden vor­

gekommen ist, enthalten, und die nötigen Verbindungen hin­ zuthun, damit man die Schicksale der dramatischen Dichtkunst

auf einmal übersehen könne.

An eine gewisse Zeit werde ich

mich dabei nicht binden; wohl aber kann ich versichern, daß

mir selbst daran liegt,

sobald es sich thun läßt, zustande

zu kommen.

Abhandlungen von dem weinerlichen oder rührenden Lustspiele. Neuerungen machen, kann sowohl der Charakter eines

großen Geistes,

als eines kleinen sein.

Jener verläßt das

Alte, weil es unzulänglich, oder gar falsch ist; dieser, weil es

alt ist.

Was bei jenem die Einsicht veranlaßt, veranlaßt bei

diesem der Ekel.

Das Genie will mehr thun als sein Vor­

gänger; der Affe des Genies nur etwas anders.

Beide lasten sich nicht immer auf den ersten Blick von­ einander unterscheiden.

Bald macht die flatterhafte Liebe zu

Veränderungen, daß man

aus Gefälligkeit diesen für jenes

gelten läßt; und bald die hartnäckige Pedanterei, daß man,

voll unwistenden Stolzes, jenes zu diesem erniedriget.

Genaue

Beurteilung muß mit der lautersten Unparteilichkeit verbunden sein, wenn der aufgeworfene Kunstrichter weder aus wollüstiger

Nachsicht, noch aus neidischem Eigendünkel fehlen soll.

4

Aus der theatralischen Bibliothek.

zum Teil, wenigstens ebensoviel Ermunterung und Nachsicht, als unsre Schriftsteller.

Was die äußerliche Einrichtung dieser Theatralischen Bib­ liothek anbelangt, so ist weiter dabei nichts zu erinnern, als daß immer zwei Stück einen kleinen Band ausmachen sollen.

Der letzte Band, von welchem ich aber noch nicht bestimmen kann, welcher es sein wird, soll eine furje chronologische Skia­

graphie von allem, was in den vorhergehenden Bänden vor­

gekommen ist, enthalten, und die nötigen Verbindungen hin­ zuthun, damit man die Schicksale der dramatischen Dichtkunst

auf einmal übersehen könne.

An eine gewisse Zeit werde ich

mich dabei nicht binden; wohl aber kann ich versichern, daß

mir selbst daran liegt,

sobald es sich thun läßt, zustande

zu kommen.

Abhandlungen von dem weinerlichen oder rührenden Lustspiele. Neuerungen machen, kann sowohl der Charakter eines

großen Geistes,

als eines kleinen sein.

Jener verläßt das

Alte, weil es unzulänglich, oder gar falsch ist; dieser, weil es

alt ist.

Was bei jenem die Einsicht veranlaßt, veranlaßt bei

diesem der Ekel.

Das Genie will mehr thun als sein Vor­

gänger; der Affe des Genies nur etwas anders.

Beide lasten sich nicht immer auf den ersten Blick von­ einander unterscheiden.

Bald macht die flatterhafte Liebe zu

Veränderungen, daß man

aus Gefälligkeit diesen für jenes

gelten läßt; und bald die hartnäckige Pedanterei, daß man,

voll unwistenden Stolzes, jenes zu diesem erniedriget.

Genaue

Beurteilung muß mit der lautersten Unparteilichkeit verbunden sein, wenn der aufgeworfene Kunstrichter weder aus wollüstiger

Nachsicht, noch aus neidischem Eigendünkel fehlen soll.

5

Aus der theatralischen Bibliothek.

Diese allgemeine Betrachtung findet hier ganz natürlich

ihren Platz, da ich von den Neuerungen reden will, welche zu unsern Zeiten in der worden.

dramatischen Dichtkunst

sind

gemacht

Weder das Lustspiel, noch das Trauerspiel, ist davon

verschont geblieben.

Das erstere hat man um einige Staffeln

erhöhet, und das andre um einige herabgesetzt.

Dort glaubte

man, daß die Welt lange genug in dem Lustspiele gelacht und abgeschmackte Laster ausgezischt habe; man kam also auf den Einfall, die Welt endlich einmal auch darin weinen und an

stillen Tugenden ein edles Vergnügen finden zu kaffen.

Hier

hielt man es für unbillig, daß nur Regenten und hohe Standes­ personen in uns Schrecken und Mitleiden

erwecken

sollten;

man suchte sich also aus dem Mittelstände Helden, und schnallte ihnen den tragischen Stiesel an, in dem man sie sonst, nur

ihn lächerlich zu machen, gesehen hatte. Die erste Veränderung brachte dasjenige hervor, was seine Anhänger das rührende Lustspiel, und seine Widersacher

das weinerliche nennen. Aus der zweiten Veränderung entstand das bürgerliche

Trauerspiel.

Jene ist von den Franzosen und diese von den Eng­ ländern gemacht worden.

Ich wollte fast sagen, daß sie

beide aus dem besondern Naturelle dieser Völker entsprungen zu sein scheinen.

Der Franzose ist ein Geschöpf, das immer

größer scheinen will, als es ist.

Der Engländer ist ein anders,

welches alles Große zu sich hernieder ziehen will.

Dem einen

ward es verdrießlich, sich immer auf der lächerlichen Seite

vorgestellt zu sehen; ein heimlicher Ehrgeiz trieb ihn, seines­ gleichen aus einem edeln Gesichtspunkte zu zeigen.

Dem andern

war es ärgerlich, gekrönten Häuptern viel voraus zu lassen;

er glaubte bei sich zu fühlen, daß gewaltsame Leidenschaften

und erhabne Gedanken nicht mehr für sie, als für einen aus seinen Mitteln wären. Dieses ist vielleicht mir ein leerer Gedanke; aber genug,

6

Aus der theatralischen Bibliothek.

daß es doch wenigstens ein Gedanke ist.--------- Ich will für

diesesmal nur

die

erste Veränderung

zu

dem

Gegenstände

meiner Betrachtungen machen, und die Beurteilung der zweiten auf einen andern Ort sparen. Ich habe schon gesagt, daß man ihr einen doppelten Namen beilegt, welchen ich auch sogar in der Überschrift ge­

braucht habe, um mich nicht durch die bloße Anwendung des einen so schlechtweg gegen den Begriff des andem zu erklären.

Das weinerliche Lustspiel ist die Benennung derjenigen, welche wider diese neue Gattung eingenommen sind.

Ich glaube,

obschon nicht hier, sondem anderwärts, das Wort weinerlich, um das französische larmoyant auszudrücken, am * ersten ge­

braucht zu haben.

Und ich wüßte es noch jetzt nicht bester

zu übersetzen, wenn anders der spöttische Nebenbegriff, den inan damit hat verbinden wollen, nicht verloren gehen sollte.

Man

sieht dieses an der zweiten Benennung, wo ihre Verteidiger

ihre Nechmlng dabei gefunden haben, ihn gänzlich wegzulasten. Ein rührendes Lustspiel läßt uns

an ein sehr schönes

Werk denken, da ein weinerliches, ich weiß nicht was für

ein kleines Ungeheuer zu versprechen scheinet. Aus diesen verschiedenen Benennungen ist genugsam, glaub' ich, zu schließen, daß die Sache selbst eine doppelte Seite haben müsse, wo man ihr bald zu viel, und bald zu wenig thun

könne.

Sie muß eine gute Seite haben, sonst würden sich

nicht so viel schöne und scharfsinnige Geister für sie erklären:

sie muß aber auch eine schlechte haben, sonst würden

sich

andre, die ebenso schön und scharfsinnig sind, ihr nicht wider­ setzen.

Wie kann man also wohl sichrer hierbei gehen, als daß man jeden von diesen Teilen höret, um sich alsdann entweder

auf den einen, oder auf den andern zu schlagen, oder auch, wenn man lieber will, einen Mittelweg zu wählen, auf welchem

sie sich gewissermaßen beide vereinigen lasten? Zum guten Glücke finde ich, sowohl hier als da, zwei Sprecher, an deren Ge-

7

Aus der theatralischen Bibliothek.

schicklichkeit es wahrhaftig nicht liegt, wenn sie nicht beide

recht haben.

Der eine ist ein Franzose und der andre ein Deutscher.

Jener verdammt diese neue Gattung, und dieser verteidiget sie; so wahr ist es, daß die wenigsten Erfindungen

an dem

Orte, wo sie gemacht werden, den meisten Schutz und die meiste Unterstützung finden.

Der Franzose ist ein Mitglied der Akademie von Rochelle, befielt Name sich mit den Buchstabm M. D. C. anfängt.

Er

hat Bettachtungen über das Weinerlich-Komische ge­

schrieben, welche bereits im Jahr 1749 auf fünf Bogen in

klein Ottav herausgekommen sind.

Hier ist der völlige Titel:

Reflexions sur le comique-larmoyant, par Mr. M. D. C.

tresorier de France et conseiller au präsidial, de l’academie de la Rochelle; adressees a M. M. Arcere et Thylorier de la meme aeadämie.

Der Deutsche ist der Herr Professor Gellert, welcher im Jahr 1751 bei dem Antritte seiner Professur, durch eine

lateinische Abhandlung pro comoedia commovente, zu der feierlichen Antrittsrede einlud.

Sie ist in Quart, auf drei

Bogen gedmckt.

Die Regel, daß man das, was bereits gethan ist, nicht noch einmal thun solle, wenn man nicht gewiß wüßte, daß

man es besser thun werde, scheint mir so billig, als bequem.

Sie allein würde mich daher entschuldigen, daß ich jetzt gleich beide Aufsätze meinem Leser

übersetzt vorlegen will,

wenn

dieses Verfahren eine Entschuldigung brauchte.

Mit der Abhandlung des Franzosen, die man also zuerst

lesen wird, bin ich ein wenig französisch verfahren, und bei­ nahe wäre ich noch französischer damit umgegangen.

Sie ist,

wie man gesehen hat, an zwei Nebenmitglieder der Akademie zu Rochelle gerichtet; und ich habe es für gut befunden, diese

Anrede durchgängig zu verändern.

Sie hat verschiedene Noten,

die nicht viel sagen wollen; ich habe also die armseligsten weg-

8

Aus der theatralischen Bibliothek.

gelassen, und beinahe hätten sie dieses Schicksal alle gehabt.

Sie hat ferner eine Einleitung von sechs Seiten, und auch

diese habe ich nicht übersetzt, weil ich glaube, daß sie zu ver­ missen ist.

Beinahe hatte ich sogar den Anfang der Abhand­

lung selbst übergangen, wo uns mit wenigen die ganze Ge­ schichte der dramatischen Dichtkunst, nach dem Pater Brumoy,

erzählt wird.

Doch weil der Verfasser versichert, daß er diese

Schritte zurück notwendig habe thun müsien, um desto sichrer

und mit desto mehr Kräften auf seinen eigentlichen Gegenstand losgehen zu können,

so habe ich alles gelassen wie es

ist.

Seine Schreibart übrigens schmeckt ein wenig nach der kost­ baren Art, die auch keine Kleinigkeit ohne Wendung sagen will.

Ich habe sie größtenteils müssen beibehalten, und man

wird mich entschuldigen.

Ohne roeitre Vorrede endlich zur Abhandlung selbst zu kommen; hier ist sie!

Betrachtungen über das Weinerlich-Komische, aus dem Französische» des Herrn M. D. C.

Hier ist die Schrift des französischen Gegners aus. Ob es

nun gleich nicht scheint, daß sie der Herr Professor Gellert gekannt habe, so ist es denilvch geschehen, daß er auf die mei­ sten ihrer Gründe glücklich

geantwortet hat.

Weil sie dem

Leser noch in frischem Andenken sein müssen, so will ich ihn nicht lange abhalten, sich selbst davon zu überzeugen.

habe ich eine kleine Bitte an ihn zu thrm.

Nur

Er mag so gut sein,

und es dem Herrn Professor Gellert nicht zuschreiben, wenn

er finden sollte, daß er sich dieses Mal schlechter ausdrücke, als er sonst von ihm gewohnt ist. Man sagt, daß auch die besten Übersetzer Verhunzer waren.

9

Aus der theatralischen Bibliothek. Des Herr« Professor Gellerts Abhandlung für das rührende Lustspiel.

So weit der Herr Professor Gellert! Ich würde meinen

Lesern wenig zutrauen, wenn ich nicht glaubte, daß sie es nun­ mehr von selbst wissen könnten, auf welche Seite die Wage den Ausschlag thue. Ich will zum Überflüsse alles, was man für und wider gesagt hat, in einige furje Sätze bringen, die inan auf einmal übersehen kann.

Ich will sie so einrichten,

daß sie, womöglich, alles Mißverständnis heben, und alle schwei­ fende Begriffe in richtige und genaue verwandeln. Anfangs muß man über die Erklämng der rührenden

oder weinerlichen Komödie einig werden. Will man eine solche darunter verstanden haben, welche hier und da rührende und

Thränen auspressende Scenen hat; oder eine solche, welche

aus nichts als dergleichen Scenen besteht? Meinet man eine, wo man nicht immer lacht, oder wo man gar nicht lacht? Eine, wo edle Charaktere mit ungereimten verbunden sind, oder

eine, wo nichts als edle Charaktere vorkommen?

Wider die erste Gattung, in welcher Lachen und Rührung, Scherz und Ernst abwechseln, ist offenbar nichts einzuwenden. Ich erinnere mich auch nicht, daß man jemals dawider etwas

habe einwenden wollen. Dichter verteidigen sie.

Vermurst und Beispiele der

alten

Er, der an Scherz und Einfällerr der

reichste ist, und Lachen zrr erregen nicht selten Witz und An­

ständigkeit, wie man sagt, beiseite gesetzt hat, Plautus hat die Gefangnen gemacht und, was noch mehr ist, dem Phile­

mon seinen Schatz geborgt.

unter der Anfschrist Trinummus ab­

In beiden Stücken, uird auch in andern, kommen

Arrftritte vor, die einer zärtlichen Seele Thränen kosten müssen.

Im Mokiere selbst fehlt es an rührenden Stellen nicht, die nur deswegen ihre völlige Wirkung nicht thrin können, weil

er uirs das Lachen allzugewöhnlich nracht.

Was man von

10

Aus der theatralischen Bibliothek.

dem schleunigen Übergange der Seele von Freude auf Traurig­ keit, und von dem Unnatürlichen desselben gesagt hat; betrifft

nicht die Sache selbst, fonbem die ungeschickte Ausführung.

Man sehe das Exempel, welches der Franzose aus dem Schau­ spiele Simson

ansührt.

Freilich muß der Dichter gewiße

Staffeln, gewiße Schattierungen beobachten, und unsre Empfin­ dungen niemals einen Sprung thun laßen. Von einem Äußer­ sten plötzlich auf das andre gerißen werden, ist ganz etwas anders, als von einem Äußersten allinählich zu dem anderil

gelangen. Es muß also die andre Gattung sein, über die man

hauptsächlich streitet; diejenige nämlich, worin man gar nicht

lacht, auch nicht einmal lächelt; worin man durchgängig weich gemacht wird.

Und auch hier kann man eine doppelte Frage

thun. Man kann fragen, ist ein solches Stück dasjenige, was man von jeher unter dem Namen Komödie verstanden hat?

Und

darauf antwortet Herr Gellert selbst Nein.

Ist es

aber gleichwohl ein Schauspiel, welches nützlich und für gewiße Denkungsarten angenehm sein kann? Ja; und dieses kann der französische Verfaßer selbst nicht gänzlich in Abrede sein.

Worauf kömmt es also nun noch weiter an?

Darauf,

sollte ich meinen, daß man den Grad der Nützlichkeit des neuen

Schauspiels gegen die Nützlichkeit der alten Komödie bestimme, und nach Maßgebung dieser Bestimmung entscheide, ob man beiden einerlei Vorzüge einräumen müße oder nicht? Ich habe schon gesagt, daß man niemals diejenigen Stücke getadelt habe,

welche Lachen und Rührung verbinden; ich kann mich dieserwegen unter andern

darauf berufen,

daß

man den Des­

touches niemals mit dem la Chaussee in eine Klasse gesetzt

hat, und daß die hartnäckigsten Feinde des letzter» niemals

dem erstem den Ruhm eines vortrefflichen komischen Dichters abgesprochen haben, so viele edle Charaktere und zärtliche Sce­

nen in seinem Stücke auch Vorkommen.

Ja, ich getraue mir

zu behaupten, daß nur dieses allein wahre Komödien

sind,

Aus der theatralischen Bibliothek.

11

welche sowohl Tugenden als Laster, sowohl Anständigkeit als

Ungereimtheit schildern, weil sie eben durch diese Vermischung ihrem Originale, dem menschlichen Leben, am nächsten kommen.

Die Klugen und Thoren sind in der Welt untermengt, und

ob es gleich gewiß ist, daß die erstem von den letztem an der Zahl übertroffen werden, so ist doch eine Gesellschaft von lauter Thoren beinahe ebenso unwahrscheinlich, als eine Gesellschaft

von lauter Klugen.

Diese Erscheinung ahmet das Lustspiel

nach, und nur durch die Nachahmung derselbm ist es fähig,

dem Volke nicht allein das, was es vermeiden muß, auch nicht allein das, was es beobachten muß, sondern beides

zugleich in einem Lichte voHustellen, in welchem das eine das andre erhebt.

Man sieht leicht, daß man von biefem wahren

und einigen Wege auf eine doppelte Art abweichen kann.

einen

Abweichung hat man schon

längst

den Namen

Der

des

Possenspiels gegeben, besten charakteristische Eigenschaft darin besteht, daß es nichts als Laster und Ungereimtheiten, mit

keinen andern als solchen Zügen schildert, welche zum Lachen bewegen, es mag dieses Lachen nun ein nützliches oder ein

sinnloses Lachen sein.

Edle Gesinnungen, emsthaste Leiden­

schaften, Stellungen, wo sich die schöne Natur in ihrer Stärke

zeigen kann, bleiben aus demselben ganz und gar weg; und wenn es außerdem auch noch so regelmäßig ist, so wird es doch in den Augen strenger Kunstrichter dadurch noch lange

nicht zu einer Komödie. weichung bestehen?

Worin wird

also die andre Ab­

Unfehlbar darin, wenn man nichts als

Tugenden und anständige Sitten, mit keinen andern als sol­ chen Zügen schildert, welche Bewundemng und Mitleid er­

wecken, beides mag nun einen Einfluß auf die Bessrung der

Zuhörer haben können, oder nicht.

Lebhafte Satire, lächer­

liche Ausschweifungen, Stellungen, die den Narren in seiner Blöße zeigen, sind gänzlich aus einem solchen Stücke verbannt.

Und wie wird man ein solches Stück nennen? Jedermann wird mir zurufen: das eben ist die weinerliche Komödie! Noch ein-

12

Aus der theatralischen Bibliothek.

mal also mit einem Worte:

das Possenspiel will nur zum

Lachen bewegen; das weinerliche Lustspiel will nur rühren; die wahre Komödie will beides.

Man glaube nicht, daß ich

dadurch die beiden erstem in eine Klaffe setzen will; es ist noch immer der Unterscheid zwischen beiden, der zwischen dem

Pöbel und Leuten von Stande ist.

Der Pöbel wird ewig

der Beschützer der Poffenspiele bleiben, und unter Leuten von

Stande wird es immer gezwuitgne Zärtlinge geben, die den Ruhm empfindlicher Seelen auch da zu behaupten suchen, wo

andre ehrliche Leute gähnen.

Die wahre Komödie allein ist

für das Volk, und allein fähig, einen allgemeinen Beifall zu erlangen, und folglich auch einen allgemeinen Nutzen jh stiften.

Was sie bei dem einen nicht durch die Scham erlangt, das

erlangt sie durch die Bewunderung; und wer sich gegen diese verhärtet, dem macht sie jene fühlbar. Regel des Kontrasts,

Hieraus scheinet die

oder der Abstechung, geflossen zu

sein, vermöge welcher man nicht gerne eine Untugend aufführt, ohne ihr Gegenteil mit anzubringen; ob ich gleich gerne zu­ gebe, daß sie auch darin gegründet ist, daß ohne sie der Dichter seine Charaktere nicht wirksam genug vorstellen könnte.

Dieses nun, sollte ich meinen,

bestimme den Nutzen der

weinerlichen Komödie genau genug.

Er ist nämlich nur die

Hälfte von dem Nutzen, den sich die wahre Komödie vorstellet;

und auch von dieser Hälfte geht nur allzuoft nicht wenig ab. Ihre Zuschauer wollen ausgesucht sein, und sie werden schwer­

lich den zwanzigsten Teil der gewöhnlichen Komödiengänger

ausmachen.

Doch gesetzt sie machten die Hälfte derselben aus.

Die Aufmerksamkeit, mit der sie zuhören, ist, wie es der Herr Professor Gellert selbst an die Hand giebt, doch nur ein Kompli­

ment, welches sie ihrer Eigenliebe machen; eine Nahmng ihres Stolzes. Wie aber hieraus eine Beffrung erfolgen könne, sehe

ich nicht ein. Jeder von ihnen glaubt der edlen Gesinnungen, und der großmütigen Thaten, die er siehet und höret, desto eher fähig 51t sein, je weniger er an das Gegenteil zu denken

Aus der theatralischen Bibliothek. und sich mit demselben zu vergleichen Gelegenheit findet.

13 Er

bleibt was er ist, und bekömmt von den guten Eigenschaften weiter nichts, als die Einbildung, daß er sie schon besitze.

Wie steht es aber mit dem Namen? Der Name ist etwas

sehr Willkürliches, und man könnte unserer neuen Gattung gar wohl die Benennung einer Komödie geben, wenn sie ihr auch

nicht zukäme.

Sie kömmt ihr aber mit völligem Recht zu,

weil sie ganz und gar nicht etwas anders als eine Komödie, sondern bloß eine Untergattung der Komödie ist.

Ich wiederhole es aber noch einmal, daß dieses alles nur

aus diejenigen Stücke gehet, welche völlig den Stücken des la Chaussee ähnlich sind.

Ich bin weit entfernt, den Herrn

Gellert für einen eigentlichen Nachahmer desselben auszugeben. Ich habe beide zu wohl gelesen, als daß ich in den Lustspielen

des letztem nicht noch genug lächerliche Charaktere und sati­

rische Züge angetroffen haben sollte,

welche aus den Lust­

spielen des erstem ganz und gar verwiesen sind. Die rühren­ den Scenen sind bei dem Herrn Gellert nur die meisten; unb ganz und gar nicht die einzigen.

Wer weiß aber nicht,

daß das Mehrere oder Wenigere wohl die verschiedne Gemüts­ art der Berfaffer anzeigt, nicht aber einen wesentlichen Unter­

scheid ihrer Werke ausmacht? Mehr braucht es hoffentlich nicht, meine Meinung vor aller Mißdeutung zu sichern.

Über das Lustspiel „Die Juden", im vierten Teile -er Lrssingfchrn Schriften. Unter den Beifall, welchen

die zwei Lustspiele in dem

vierten Teile meiner Schriften gefunden haben, rechne ich mit Recht die Anmerkungen, deren man das eine, die Juden,

wert geschätzt hat.

Ich bitte sehr, daß man es keiner Unleid-

Aus der theatralischen Bibliothek. und sich mit demselben zu vergleichen Gelegenheit findet.

13 Er

bleibt was er ist, und bekömmt von den guten Eigenschaften weiter nichts, als die Einbildung, daß er sie schon besitze.

Wie steht es aber mit dem Namen? Der Name ist etwas

sehr Willkürliches, und man könnte unserer neuen Gattung gar wohl die Benennung einer Komödie geben, wenn sie ihr auch

nicht zukäme.

Sie kömmt ihr aber mit völligem Recht zu,

weil sie ganz und gar nicht etwas anders als eine Komödie, sondern bloß eine Untergattung der Komödie ist.

Ich wiederhole es aber noch einmal, daß dieses alles nur

aus diejenigen Stücke gehet, welche völlig den Stücken des la Chaussee ähnlich sind.

Ich bin weit entfernt, den Herrn

Gellert für einen eigentlichen Nachahmer desselben auszugeben. Ich habe beide zu wohl gelesen, als daß ich in den Lustspielen

des letztem nicht noch genug lächerliche Charaktere und sati­

rische Züge angetroffen haben sollte,

welche aus den Lust­

spielen des erstem ganz und gar verwiesen sind. Die rühren­ den Scenen sind bei dem Herrn Gellert nur die meisten; unb ganz und gar nicht die einzigen.

Wer weiß aber nicht,

daß das Mehrere oder Wenigere wohl die verschiedne Gemüts­ art der Berfaffer anzeigt, nicht aber einen wesentlichen Unter­

scheid ihrer Werke ausmacht? Mehr braucht es hoffentlich nicht, meine Meinung vor aller Mißdeutung zu sichern.

Über das Lustspiel „Die Juden", im vierten Teile -er Lrssingfchrn Schriften. Unter den Beifall, welchen

die zwei Lustspiele in dem

vierten Teile meiner Schriften gefunden haben, rechne ich mit Recht die Anmerkungen, deren man das eine, die Juden,

wert geschätzt hat.

Ich bitte sehr, daß man es keiner Unleid-

14

Aus der theatralischen Bibliothek.

lichkeit des Tadels zuschreibe, wenn ich wich eben jetzt gefaßt mache, etwas darauf zu antworten.

Daß ich sie nicht mit Still­

schweigen übergehe, ist vielmehr ein Zeichen, daß sie mir nicht zuwider gewesen sind, daß ich sie überlegt habe, und daß ich

nichts mehr wünsche, als billige Urteile der Kunstrichler zu er­ fahren, die ich auch alsdann, wenn sie mich unglücklicherweise nicht überzeugen sollten, mit Dank erkennen werde.

Es sind diese Anmerkungen in dem siebzigsten Stücke der

Göttingschen Anzeigen von gelehrten Sachen, dieses Jahres, ge­ macht worden, und in den Jenaischen gelehrten Zeitungen hat man ihnen beigepflichtet. Ich nmß sie notwendig hersetzen, wenn ich

denjenigen von meinen Lesern, welchen sie nicht zu Gesichte ge­

kommen sind, nicht undeutlich sein will.

„Der Endzweck dieses

„Lustspiels, hat mein Herr Gegner die Gütigkeit zu sagen, ist „eine sehr ernsthafte Sittenlehre, nämlich die Thorheit und Un-

„billigkeit des Hasses und der Verachtung zu zeigen, womit

„wir den Juden meistenteils begegnen.

Man kann daher dieses

„Lustspiel nicht lesen, ohne daß einem die mit gleichem End„zweck gedichtete Erzählung von einem ehrlichen Juden, die in

„Herrn Gellerts Schwedischer Gräfin stehet, beifallen muß. „Bei Lesung beider aber ist uns stets das Vergnügen, so wir „reichlich empfunden haben, duxch etwas unterbrochen worden,

„das wir entweder zu Hebung des Zweifels oder zu künftiger „Verbesserung

„wollen.

der Erdichtungen

dieser Art bekannt machen

Der unbekannte Reisende ist in allen Stücken so

„vollkommen gut, so edelmütig, so besorgt, ob er auch etwa „seinem Nächsten unrecht thun und ihn durch ungegründeten

„Verdacht beleidigen möchte, gebildet, daß es zwar nicht un„möglich, aber doch allzu unwahrscheinlich ist, daß unter einem „Volke von den Grundsätzen, Lebensart und Erziehung, das

„wirklich die üble Begegnung der Christen auch zu sehr mit „Feindschaft, oder wenigstens mit Kaltsinnigkeit gegen die Christen

„erfüllen muß, ein solches edles Gemüt sich gleichsam selbst

„bilden könne.

Diese Unwahrscheinlichkeit stört unser Ver-

Aus der theatralischen Bibliothek.

15

„gnügen desto mehr, jemehr wir dem edeln unb schönen Bilde „Wahrheit und Dasein wünschten.

Aber auch die mittelmäßige

„Tugend und Redlichkeit findet fich unter diesein Volke so selten,

„daß die wenigen Beispiele davon den Haß gegen dasselbe nicht

„so sehr mindern, als man wünschen möchte.

Bei den Grund-

„sätzen der Sittenlehre, welche zum wenigsten der größte Teil

„derselben angenommen hat, ist auch eine allgemeine Redlichkeit

„kaum möglich, sonderlich da fast das ganze Volk von der „Handlung leben mnß, die mehr Gelegenheit und Versuchung „zum Betrüge gibt, als andre Lebensarten."

Man sieht leicht, daß es bei diesen Erinnemngen auf zwei Punkte ankömmt.

Erstlich darauf, ob ein rechtschaffner und

edler Jude an und vor sich selbst etwas Unwahrscheinliches sei;

zweitens ob die Annehmung eines solchen Juden in meinem

Lustspiele unwahrscheinlich sei.

Es ist offenbar, daß der eine

Punkt den andern hier nicht nach sich zieht; und es ist ebenso

offenbar, daß ich mich eigentlich nur des letztem wegen in

Sicherheit setzen dürfte, wenn ich die Menschenliebe nicht meiner

Ehre vorzöge, und nicht lieber eben bei diesem, als bei dem erstem verlieren wollte.

Gleichwohl aber muß ich mich über

den letztem zuerst erklären. Habe ich in meinem Lustspiele einen rechtschaffnen und edeln Juden wider die Wahrscheinlichkeit angenommen?---------

Noch muß ich dieses nur bloß nach den eignen Begriffen meines Gegners untersuchen.

Er gibt zur Ursache der Unwahrschein­

lichkeit eines solchen Juden die Verachtung und Unterdrückung, in welcher dieses Volk seufzet, und die Notwendigkeit an, in

welcher es sich befindet, bloß und allein von der Handlung zu leben.

Es sei; folgt aber also nicht notwendig, daß die Un­

wahrscheinlichkeit wegfalle, sobald diese Umstände sie zu verursachen aufhören?

Wann hören sie aber auf, dieses zu thun?

Ohne Zweifel alsdann, wenn sie von andern Umständen ver­ nichtet werden, das ist, wenn sich ein Jude imstande befindet,

die Verachtung und Unterdrückung der Christen weniger zu

16

Aus der theatralischen Bibliothek.

fühlen, und sich nicht gezwungen sieht, durch die Vorteile eines

kleinen nichtswürdigen Handels ein elendes Leben zu unterhalten. Was aber wird mehr hierzu erfordert, als Reichtum?

Doch

ja, auch die richtige Anwendung dieses Reichtums wird dazu erfordert.

Man sehe nunmehr, ob ich nicht beides bei dem

Charakter meines Juden angebracht habe.

Er ist reich; er sagt

es selbst von sich, daß ihm der Gott seiner Väter mehr ge­

geben habe, als er brauche; ich lasse ihn auf Reisen sein; ja, ich setze ihn sogar aus derjenigen Unwisienheit, in welcher man ihn vermuten könnte; er liefet, und ist auch nicht einmal auf

der Reise ohne Bücher.

Man sage mir, ist es also nun noch

wahr, daß sich mein Jude hätte selbst bilden müsien?

Besteht

man aber darauf, daß Reichtum, besiere Erfahrung, und ein

aufgeklärterer Verstand nur bei einem Juden keine Wirkung haben könnten: so muß ich sagen, daß dieses eben das Vor­

urteil ist, welches ich durch mein Lustspiel zu schwächen gesucht

habe; ein Vorurteil, das nur aus Stolz oder Haß fließe» kann,

lmd die Juden nicht bloß zu rohen Menschen macht, sondern sie in der That weit unter die Menschheit setzt.

Ist dieses

Vorurteil nun bei meinen Glaubeilsgenossen unüberwindlich, so darf ich mir nicht schmeicheln, daß man mein Stück jemals mit Vergnügen sehen werde.

Will ich sie denn aber bereden,

einen jeden Juden für rechtschaffen und großmütig zu halten,

oder auch nur die meisten dafür gelten zu lassen?

Ich sage

es gerade heraus; noch alsdann, wenn mein Reisender ein Christ wäre, würde sein Charakter sehr selten sein, und wenn

das Seltene bloß das Unwahrscheinliche ausmacht, auch sehr unwahrscheinlich.--------Ich bin schon allmählich auf den ersten Punkt gekommen.

Ist denn ein Jude, wie ich ihn angenommen habe, vor sich selbst unwahrscheinlich?

Und warum ist er es?

wieder auf die obigen Ursachen berufen.

Man wird sich

Allein, können denn

diese nicht wirklich im gemeinen Leben ebensowohl wegfallen, als sie in meinem Spiele wegfallen?

Freilich muß man, dieses

17

Aus der theatralischen Bibliothek.

zu glauben, die Juden näher kennen, als aus dem liederlichen Gesindel, welches auf den Jahrmärkten herumschweist. — —

Doch ich will lieber hier einen andern reden taffen, dem dieser

Umstand näher an das Herz gehen muß; einen aus dieser Ich kenne ihn zu wohl, als daß ich ihm hier

Nation selbst.

das Zeugnis eines ebenso witzigen, als gelehrten und recht­

schaffnen Mannes versagen könnte.

Folgenden Brief hat er

bei Gelegenheit der Göttingischen Erinnerung an einen Freund in seinem Volke, der ihm an guten Eigenschaften völlig gleich ist, geschrieben.

Ich sehe es voraus, daß man es schwerlich

glaubm, sondern vielmehr diesen Brief für eine Erdichtung

von mir halten wird; allein ich erbiete mich, denjenigen, dem

daran gelegen ist, unwidersprechlich von der Authenticität des­

selben zu überzeugen.

Hier ist er.

Mein Herr,

„Ich überschicke Ihnen hier das siebzigste Stück der Göt-

„ttngschen „Berlin.

gelehrten Anzeigen.

Lesen Sie den Artikel von

Die Herren Anzeiger recensieren dm vierten Teil

„der Lessingschen Schriften, die wir so ost mit Vergnügen ge„lesen haben.

Was glauben Sie wohl, daß sie an dem Lust­

spiele, die Juden, aussetzen? Den Hauptcharakter, welcher, wie „sie sich ausdrücken, viel zu edel und viel zu großmütig ist.

„Das Vergnügen, sagen sie, das wir über die Schönheit eines

„solchen Charakters empfinden, wird durch deffen Umvahrschein„lichkeit unterbrochen, und endlich bleibt in unsrer Seele nichts,

„als der bloße Wunsch für sein Dasein übrig. „danken machten mich schamrot.

Diese Ge-

Ich bin nicht imstande, alles

„auszudrücken, was sie mich haben empfinden lassen.

Welche

„Erniedrung für unsere bedrängte Nation! Welche übertriebene

„Verachtung!

Das gemeine Volk der Christen hat uns von je

„her als den Auswurf der Natur, als Geschwüre der mensch„lichen Gesellschaft angesehen.

Allein von gelehrten Leuten er-

„wartete ich jederzeit eine billigere Beurteilung;

von diesen

„vermutete ich die uneingeschränkte Billigkeü, deren Mangel Lessing, Werke. VI. 2

18

Aus der theatralischen Bibliothek.

„uns insgemein vorgeworfm zu werden pflegt.

Wie sehr habe

„ich mich geirrt, als ich einem jeden christlichen Schriftsteller „so viel Aufrichtigkeit zutrauete, als er von andern fordert. „In Wahrheit! mit welcher ©time kann ein Mensch, der

„noch ein Gefühl der Redlichkeit in sich hat, einer ganzen

„Nation die Wahrscheinlichkeit absprechen, einen einzigen ehr„lichen Mann aufweisen zu können? Einer Nation, aus welcher,

„wie sich der Verfasier der Juden ausdrückt, alle Propheten

„und die größesten Könige aufstanden? „Richterspruch gegründet?

„Geschlecht!

Ungegründet?

Ist sein grausamer

Welche Schande für das menschliche

Welche Schande für ihn!

„Ist es nicht genug, daß wir den bittersten Haß der

„Christen

auf so

manche grausame Art empfinden müssen;

„sollen auch diese Ungerechttgkeiten wider uns durch Verleum„dungen gerechtfertiget werden? „Man fahre fort uns zu unterdrücken, man taffe uns be­

ständig mitten unter freien und glückseligen Bürgern einge„schränkt leben, ja man setze uns ferner dem Spotte und der

„Verachtuilg aller Welt aus; nur die Tugend, den einzigen

„Trost bedrängter Seelen, die einzige Zuflucht der Verlassenen, „suche man uns nicht gänzlich abzusprechen. „Jedoch man spreche ste uns ab, was gewinnen die Herren „Recensenten dabei? Ihre Kritik bleibet dennoch unverantwort-

„lich.

Eigentlich soll der Charakter des reisenden Juden (ich

„schäme mich, wenn ich ihn von dieser Seite betrachte) das

„Wunderbare, das Unerwartete in der Komödie sein. Soll nun „der Charakter eines hochmütigen Bürgers, der sich zum türki„schen Fürsten machen läßt, so unwahrscheinlich nicht sein, als „eines Juden, der großmütig ist? Laßt einen Menschen, dem „von der Verachtung der jüdischen Nation nichts bekannt ist, „der Aufführung dieses Stückes beiwohnen;

er wird gewiß

„lvährend des ganzes Stückes für Langeweile gähnen, ob es

„gleich für uns sehr viele Schönheiten hat.

Der Anfang wird

„ihn auf die traurige Betrachtung leiten, wie weit der National-

19

Aus der theatralischen Bibliothek.

„haß getrieben werden könne, und über das Ende wird er

„lachen müssen.

Die guten Leute, wird er bei sich denken,

„haben doch endlich die große Entdeckung gemacht, daß Juden „auch Menschen sind.

So menschlich denkt ein Gemüt, das

„von Vorurteilen gereinigt ist. „Nicht daß ich durch diese Betrachtung dem Lessingschen

„Schauspiele seinen Wert entziehen wollte; keinesweges!

Man

„weiß, daß sich der Dichter überhaupt und insbesondere, wenn „er für die Schaubühne arbeitet, nur nach der unter dem „Volke herrschenden Meinung zu richten habe.

Nach dieser

„aber muß der unvermutete Charakter des Juden eine schr

„rührende Wirkung auf die Zuschauer thun.

Und insoweit

„ist ihm die ganze jüdische Nation viele Verbindlichkeit schuldig, „daß er sich Mühe giebt, die Welt von einer Wahrheit zu über„zeugen, die für sie von großer Wichtigkeit sein muß.

„Sollte diese Recension, diese grausame Seelenverdammung

„nicht aus der Feder eines Theologen geflosien sein?

Diese

„Leute denken der christlichen Religion einen großen Vorschub

„zu thun, wenn sie alle Menschen, die keine Christen sind, für „Meuchelmörder und Straßenräuber erklären.

Ich bin weit

„entfernt, von der christlichen Religion so schimpflich zu denken; „das wäre unstreitig der stärkste Beweis wider ihre Wahr„haftigkeit, wenn man sie festzustellen alle Menschlichkeit aus

„den Augen setzen müßte.

„Was können uns unsere strengen Beurteiler, die nicht „selten ihre Urteile mit Blute versiegeln. Erhebliches vorrücken?

„Laufen nicht alle ihre Vorwürfe auf den unersättlicheil Geiz „hinaus, den sie vielleicht durch ihre eigene Schuld, bei dem

„gemeinen jüdischen Haufen zu finden, frohlocken? Man gebe

„ihnen diesen zu; wird es denn deswegen aufhören wahrschein„lich zu sein, daß ein Jude einem Christen, der in räuberische

„Hände gefallen ist, das Leben gerettet haben sollte?

Oder

„wenn er es gethan, muß er sich notwendig das edle Ver-

„gnügen, seine Pflicht in einer so wichttgen Sache beobachtet

30

Aus der theatralischen Bibliothek.

„zu haben, mit niederträchtigen Belohnungen versalzen lassen?

„Gewiß nicht!

Zuvoraus wenn er in solchen Umständen ist,

„in welche der Jude im Schauspiele gesetzt worden. „Wie aber, soll dieses unglaublich sein, daß unter einem

„Volke von solchen Grundsätzen und Erziehung ein so edles

„und erhabenes Gemüt sich gleichsam selbst bilden sollte? Welche „Beleidigung! so ist alle unsere Sittlichkeit dahin! so regt sich

„in uns kein Trieb mehr für die Tugend! so ist die Natur „stiefmütterlich gegen uns gewesen, als sie die edelste Gabe unter

„den Menschen ausgeteilt, die natürliche Liebe zum Guten! Wie „weit bist du, gütiger Vater, über solche Grausanikeit erhaben!

„Wer Sie näher kennt, teuerster Freund! und Ihre Talente

„zu schätzen weiß, dem kann es gewiß an keinem Exempel „fehlen, wie leicht sich glückliche Geister ohne Vorbild und

„Erziehung emporschwingen, ihre unschätzbaren Gaben aus„arbeiten, Geist und Herz bessern, und sich in den Rang der Ich gebe einem jeden zu

„größten Männer erheben können.

„bedenken, ob Sie, großmütiger Freund! nicht die Rolle des „Juden im Schauspiel übemommen hätten, wenn Sie auf Ihrer „gelehrten Reise in seine Umstände gesetzt worden wären.

Ja

„ich würde unsere Nation erniedrigen, wenn ich fortfahren wollte,

„einzelne Exempel von edlen Gemütern anzuführen.

Nur das

„Ihrige konnte ich nicht übergehen, weil es so sehr in die Augen „leuchtet, und weil ich es allzuoft bewundere. „Überhaupt sind gewisse menschliche Tugenden den Juden

„gemeiner, als den meisten Christen.

Man bedenke den ge-

„waltigen Abscheu, den sie fiir eine Mordthat haben.

Kein

„einziges Exempel wird man ansühren können, daß ein Jude „(ich nehme die Diebe von Profession aus) einen Menschen

„ermordet haben sollte.

Wie leicht wird es aber nicht manchem

„sonst redlichen Christen seinem Nebenmenschen für ein bloßes „Schimpfwort das Leben zu rauben? Man sagt, es sei Nieder­ mächtigkeit bei den Juden.

Wohl! wenn Niederträchtigkeit

„Menschenblut verschont; so ist Niederträchtigkeit eine Tugend.

21

Aus der theatralischen Bibliothek.

„Wie mitleidig sind sie nicht gegen alle Menschen, wie

„milde gegen die Armen beider Nationen?

Und wie hart ver-

„bient das Verfahren der meisten Christen gegen ihre Arme

Es ist wahr, sie treiben diese beiden

„genennt zu werden?

„Tugenden fast zu weit.

Ihr Mitleiden ist allzuempfindlich,

„und hindert beinah' die Gerechtigkeit, und ihre Mildigkeit ist

„beinah' Verschwendung.

Allein, wenn doch alle, die aus-

„schweifen, ans der guten Seite ausschweifeten.

„Ich könnte noch vieles von ihrem Fleiße, von ihrer be-

„wundernswürdigen Mäßigkeit, von ihrer Heiligkeit in den „Ehen hinzusetzen.

Doch schon ihre gesellschaftliche Tugenden

„sind hinreichend genug, die Göttingsche Anzeigen zu wider„legen; und ich bebaute den, der eine so allgemeine Verar­

beitung ohne Schauern lesen kann.

*

Ich bin rc."

*

* Ich habe auch die Antwort auf diesen Brief vor mir.

Allein ich mache mir ein Bedenken, sie hier drucken zu laffen. Sie ist mit zuviel Hitze geschrieben, und die Retorsionen sind gegen die Christen ein wenig zu lebhaft gebraucht.

Man kann

es mir aber gewiß glauben, daß beide Korrespondenten, auch ohne Reichtum, Tugend und Gelehrsamkeit zu erlangen gewußt

haben, und ich bin überzeugt, daß sie unter ihren» Volke mehr Nachfolger haben würden, wenn ihnen die Christen nur ver­

gönnten, das Haupt ein wenig mehr zu erheben. — —

Der übrige Teil der Göttingschen Erinnerungen, worin man mich zu einem andern ähnlichen Lustspiele aufmuntert, ist

zu schmeichelhaft für mich, als daß ich ihn ohne Eitelkeit wieder­ holen könnte.

Es ist gewiß, daß sich nach dem daselbst an­

gegebnen Plane, ein sehr einnehmendes Stück machen ließe.

sJhir muß ich erinnern, daß die Juden alsdann bloß als ein unterdrücktes Volk und nicht als Juden betrachtet werden, und die Absichten, die ich bei Verfertigung meines Stücks gehabt

habe, größtenteils wegfallen würden.

Vorrede -u

Vermischte Schriften des Herr« Christlob Mhlius. würde schwer zu bestimmen sein, ob Herr Christlob Mr Mylius sich mehr als einen Kenner der Natur, oder mehr als einen witzigeil Kopf bekannt gemacht habe, wenn nicht die

letzten Untemehmungen seines Lebens für das erstere den Aus­ schlag geben müßten.

Sein Bestreben war allezeit, diesen ge­

doppelten Ruhm zu verbinden, den nur diejenigen für wider­

sprechend ansehn, welche die Natur entweder zu plump oder zu leicht gebildet hat. Ich war verschiedene Jahre hindurch einer seiner vertrau­

testen Freunde, und jetzt bin ich sein Herausgeber geworden;

zwei Titel, die mir hinlängliche Erlaubnis geben könnten, mich weitläuftig in sein Lob einzulassen, wenn ich mir nicht ein

Gewissen machte, demjenigen im Tode zu schmeicheln, welcher

mich nie in seinem Leben als einen Schmeichler gefunden hat. Mit diesem Vorsatze würde ich eine sehr kurze und kahle

Vorrede macheil müssen, wenn ich nicht, zum Glücke, eine kleine

Folge von Briefen in Bereitschaft hätte, durch welche zum

Teil diese Sammlung vermischter Schriften ist veran­

lasset worden.

Sie sind an einen Freund geschrieben, welcher

den Herrn Mylius nur bei dem letzten Geräusche, welches er machte, recht kennen lernte.

Ich bestimmte sie zwar nur für

zwei Augen; da ich aber niemals gern für zwei Augen etwas

23

Vorrede zu Mylius' Schriften.

zu schreiben pflege, welches nicht allenfalls tausend Augen lesen dürsten: so mache ich mir kein Bedenken, sie dem Leser vor­

Er wird alles darin finden, was ihn in den Stand

zulegen.

setzen kann, von den folgenden prosaischen und poetischen Auf­ sätzen, zugleich auch von allen übrigen Schriften des Herrn

Mylius, ein richtiges Urteil zu fällen.

Sie bedürfen keiner

weitern Einleitung.

Erster Brief. Vom 20. März 1754.

Ja, mein Herr, die Nachricht ist gegründet; Herr Mylius ist zwischen den 6. und 7. dieses in London gestorben. Ich nehme Ihr Belleid, welches Sie mir in diesem Falle bangen wollen,

an.

Sie kennen mich zu wohl, als daß Sie mir bei diesem

Verluste nicht alle die Empfindlichkeit zutrauen sollten, deren

ein zur Freundschaft gemachtes Herz fähig ist.

Es macht einen

ganz besondern Eindruck auf mich, ihn nunmehr in einer Welt zu wisien, die etwas mehr und etwas anders als die See von

der unsrigen trennet.

Die Art, mit welcher ich von ihm Ab­

schied nahm, war eine Beurlaubung auf einige flüchtige Tage, und kein Abschied, so gewiß bildete ich mir ein, ihn wieder zu sehen.

Ich spottete über die, welche ihm gar zu gern das

Herz schwer gemacht hätten.

Wohin, wohin treibt dich mit blut’gen Sporen, Die Wißbegier, dich, ihren Held? Du eilst, o Mylius! im Auge feiger Thoren, Zur künst'gen, nicht zur neuen Welt.

So redete ich ihn in einem kleinen Gedichte, noch wenige Tage

vor seiner Abreise, an.

Aber ach, die Vermutung dieser feigen

Thoren ist richtiger gewesen, als meine Hoffnung!

Und gleich­

wohl war sie auf die Kenntnis seines Körpers, den ich nie einer merklichen Unpäßlichkeit unterworfen gesehen hatte, und auf das Urteil erfahrner Leute gebauet, welche eben die Reisen

23

Vorrede zu Mylius' Schriften.

zu schreiben pflege, welches nicht allenfalls tausend Augen lesen dürsten: so mache ich mir kein Bedenken, sie dem Leser vor­

Er wird alles darin finden, was ihn in den Stand

zulegen.

setzen kann, von den folgenden prosaischen und poetischen Auf­ sätzen, zugleich auch von allen übrigen Schriften des Herrn

Mylius, ein richtiges Urteil zu fällen.

Sie bedürfen keiner

weitern Einleitung.

Erster Brief. Vom 20. März 1754.

Ja, mein Herr, die Nachricht ist gegründet; Herr Mylius ist zwischen den 6. und 7. dieses in London gestorben. Ich nehme Ihr Belleid, welches Sie mir in diesem Falle bangen wollen,

an.

Sie kennen mich zu wohl, als daß Sie mir bei diesem

Verluste nicht alle die Empfindlichkeit zutrauen sollten, deren

ein zur Freundschaft gemachtes Herz fähig ist.

Es macht einen

ganz besondern Eindruck auf mich, ihn nunmehr in einer Welt zu wisien, die etwas mehr und etwas anders als die See von

der unsrigen trennet.

Die Art, mit welcher ich von ihm Ab­

schied nahm, war eine Beurlaubung auf einige flüchtige Tage, und kein Abschied, so gewiß bildete ich mir ein, ihn wieder zu sehen.

Ich spottete über die, welche ihm gar zu gern das

Herz schwer gemacht hätten.

Wohin, wohin treibt dich mit blut’gen Sporen, Die Wißbegier, dich, ihren Held? Du eilst, o Mylius! im Auge feiger Thoren, Zur künst'gen, nicht zur neuen Welt.

So redete ich ihn in einem kleinen Gedichte, noch wenige Tage

vor seiner Abreise, an.

Aber ach, die Vermutung dieser feigen

Thoren ist richtiger gewesen, als meine Hoffnung!

Und gleich­

wohl war sie auf die Kenntnis seines Körpers, den ich nie einer merklichen Unpäßlichkeit unterworfen gesehen hatte, und auf das Urteil erfahrner Leute gebauet, welche eben die Reisen

24

Vorrede zu Mylius' Schriften.

gethan hatten, die er zu thun willens war, und die darauf

schworen, daß er das vollkommne Ansehen eines guten See­ fahrers habe.

Sagen Sie mir, möchte man nicht die Lust

verlieren, sich auf irgend etwas Schmeichelhaftes, das noch nicht

gänzlich in unserer Gewalt ist, mehr Rechnung zu machen? Wäre es nicht bester, wenn man auf gut stoisch in den Tag hineinlebte, und das Künftige das für uns sein ließe, was es

in der That ist; nichts? .. Zwar die Herren, welche ihm den Tod prophezeiten, haben doch nicht recht prophezeit, obgleich

dasjenige, was sie prophezeiten, eingetroffen ist.

Die See und

Amerika war das, wofür er sich fürchten sollte; England war

es nicht.

Eine Reise nur von etliche Tausend Mellen sollte

ihm tödlich sein; und ich kann noch immer behaupten, daß sie

es ihm nicht würde gewesen sein, wenn er nicht vorher ge­ storben wäre. . So viel ist gewiß, er hat sie nicht thun sollen.

Wenn ich von

den allweisen Einrichtungen der Vorsehung

weniger ehrerbietig zu reden gewohnt wäre, so würde ich keck sagen, daß ein gewisies neidisches Geschick über die deutschen Genies, welche ihrem Vaterlande Ehre machen könnten, zu

herrschen scheine. dahin!

Wie viele derselben fallen in ihrer Blüte

Sie sterben reich an Entwürfen, und schwanger mit

Gedanken, denen zu ihrer Größe nichts als die Ausführung

fehlt.

Sollte es aber wohl schwer sein, eine natürliche Ursache

hiervon anzugeben?

Wahrhaftig sie ist so klar, daß sie nur

derjenige nicht sieht, der sie nicht sehen will.

Nehmen Sie an,

mein Herr, daß ein solches Genie in einem gewisten Stande

geboren wird, der, ich will nicht sagen der elendeste, sondern nur zu mittelmäßig ist, als daß er noch zu der sogenannten güldnen Mittelmäßigkeit zu rechnen wäre.

Und Sie misten

wohl, die Natur hat einen Wohlgefallen daran, aus eben diesem immer mehr große Geister hervorzubringen, als aus

irgend einem andern.

Nun überlegen Sie, was für Schwierig­

keiten dieses Genie in einem Lande als Deutschland, wo fast alle Arten von Ermunterungen unbekannt sind, zu übersteigen

25

Vorrede zu Mylius' Schriften.

Bald wird es von dem Mangel der nötigsten Hilfs­

habe.

mittel zurückgehalten; bald von dem Neide, welcher die Ver­

dienste auch schon in ihrer Wiege verfolgt, unterdrückt; bald in mühsamen und seiner unwürdigen Geschäften entkräftet.

Ist

es ein Wunder, daß es nach aufgeopferten Jugendkrästen dem

ersten starken Sturme unterliegt? Ist es ein Wunder, daß Armut, Ärgernis, Kränkung, Verachtung endlich über einen Körper Regen, der ohnedem schon der stärkste nicht ist, well er kein Körper eines Holzhackers werden sollte? Und glauben Sie

mir, mein Herr, in diesem Falle war unser Mylius, oder es ist nie einer darin gewesen.

Er ward in einem Dorfe geboren,

wo er gar bald mehr lernen wollte, als man ihn daselbst

lehren konnte.

Er ward von Eltem geboren, derm Vermögen

es nicht zuließ, ihn aus einer andem Ursache studieren zu lassen, als daß er einmal, nach der Weise seiner Väter, von einer

Er kam auf

geschwind erlernten Brotwissenschast leben könne.

eine Schule, die ihn kaum zu dieser Brotwissenschast vorbereiten

konnte.

Er kam auf eine Akademie, wo man beinahe nichts

so zeitig lernt, als ein Schriftsteller zu werden.

Er fiel einem

Manne in die Hände, welcher durch Wohlthaten manchen jungen

Witzling zu seinem Vorfechter zu machen wußte. eine natürliche Leichtigkeit zu

reimen,

Er besaß

und seine Umstände

zwangen ihn, stch diese Leichtigkeit mehr zu nutze zu machen, als es dem Vorsatze, ein Dichter zu werden, zuträglich ist.

Er

schrieb, und die grausame Verbindlichkeit, daß er viel schreiben

mußte, raubte ihm die Zeit, die er seiner liebsten Wifienschast, der Kenntnis der Natur, mit bessern Nutzen hätte weihen kön­

nen.

Er verließ endlich die Akademie, und begab sich an einen

Ort, wo es ihm mit seiner Gelehrsamkeit beinahe wie den­

jenigen ging, die von dem, was sie einmal erworben haben, zehren müssen, ohne etwas mehrers dazu verdienen zu können. Nach einiger Zeit ward er zu einem Unternehmen für tüchtig

erkannt, von welchem einige Leute sagten, daß man sich nur aus Verzweiflung dazu könne brauchen lassen.

Er wollte und

26

Vorrede zu Mylius' Schriften.

sollte reisen; er reifete auch, allein er reifete auf fremder Leute

Gnade; und was folgt auf fremder Leute Gnade?

Er starb...

Ja, mein Herr, das ist sein Lebenslauf. Ein Lebenslauf, ohne Zweifel, in welchem das Ende das Unglücklichste nicht ist.

Und

doch behaupte ich, daß er mehr darin geleistet hat, als tausend andere in seinen Umständen nicht würden geleistet haben.

Der Tod hat ihn früh, aber nicht so früh überrascht, daß er

feinen Teil seines Namens vor ihm in Sicherheit hätte bringen können.

Hiermit tröste ich mich noch; noch mehr aber mit der

gewissen Überzeugung, daß er in einer vollkommen philoso­

phischen Gleichgültigkeit wird gestorben sein.

Seine Meinun­

gen, die er von dem Zustande der abgeschiedenen Seelen hatte,

haben es nicht anders zulassen können.

Es ist wahr, er ward

in einem großen Vorhaben gestört, aber nicht so, daß er es

ganz und gar hätte aufgeben dürfen.

Sein Eifer, die Werke

der Allmacht näher kennen zu lernen, trieb ihn aus seinem Vaterlande.

Und

eben

dieser Eifer führt seine entbundene

Seele nunmehr von einem Planeten auf den andern, aus

einem Weltgebäude in das andre.

Er gewinnet im Verlieren,

und ist vielleicht eben jetzt beschäftiget mit erleuchteten Augen zu untersuchen, ob Newton glücklich geraten, und Bradley

genau gemessen habe.

Eine augenblickliche Veränderung hat

ihn vielleicht Männern gleich gemacht, die er hier nicht genug bewundern konnte.

Er weiß ohne Zweifel schon mehr, als er

jemals auf der Welt hätte begreifen können.

Alles dieses hat

er sich in seinem letzten Augenblicke gewiß zum voraus vor­ gestellt, und diese Vorstellungen haben ihn beruhiget, oder es sind keine Vorstellungen fähig, einen sterbenden Philosophen

zu beruhigen... Ich will aufhören, Sie mit diesen traurig­ angenehmen Ideen zu beschäftige».

Ich will aufhören, um

mich ihnen desto lebhafter überlasten zu können.

Es ist bereits

Mitternacht, und die herrschende Stille ladet mich dazu ein.

Leben Sie wohl.

27

Vorrede zu Mylius' Schriften.

Zweiter Lrief. Dom 3. April. Ich soll Jhnm, mein Herr, einige Nachricht von den Schriften des Herrn Mylius, welche Sie noch nicht kennen,

und unter diesen besonders von denen erteilen, in welchen er sich als einen schönen Geist hat zeigen wollen?

gen.

Mit Vergnü­

Aber erlauben Sie mir, daß ich Sie vorher an eine

kleine Anmerkung erinnern darf.

Ein gutes Genie ist nicht

allezeit ein guter Schriftsteller, und es ist oft ebenso unbillig, einen Gelehrten nach feinen Schriften zu beurteilen, als einen

Vater nach seinen Äinbem.

Der rechtschaffenste Mann hat oft

die nichtswürdigsten, und der klügste die dümmsten; ohne Zweifel,

well dieser nicht die gelegensten Stunden zu ihrer Bildung, und jener nicht dm nötigen Fleiß zu ihrer Erziehung ange­ wendet hat.

Der geistliche Vater kann oft in eben diesem

Falle sein, besonders wenn ihn äußerliche Umstände nötigen,

den Gewinnst seine Minerva, und die Notwendigkeit seine Begeifierung fein zu lassen.

Ein solcher ist alsdann meistenteils

gelehrter als seine Bücher, anstatt daß die Bücher derjenigm, welche sie mit aller Muße und mit Anwendung aller Hilfs­

mittel ausarbeiten können, nicht selten gelehrter als ihre Verfasier zu sein pflegen . . .

Nun lasten Sie mich anfangen.

Aber wo wollen Sie, daß ich anfangen soll?.. .

Das erste,

was unter seinem Namen gedruckt ward, war eine Ode auf die Schauspielkunst, oder vielmehr eine Ode auf die Verdienste

des Herrn Profestor Gottscheds um die Schauspielkunst. Ihr Inhalt gab ihr ein Recht auf eine Stelle in den Belustigun­ gen, die sie in dem sechsten Bande derselben fand.

Ich nenne

sie eine Ode, weil sie Herr Mylius selbst so nennt, und ein Versaster ohne Zweifel seine Geburten nennen kann, wie er will.

Was halte ich mich dabei auf?

Er hat sie nach der

Zeit selbst verachtet, und die letzte Strophe ziemlich boshaft

parodieren helfen, wie Sie es in dem ersten Teile des Lieb-

28

Borrede zu Mylius' Schriften.

Habers der schönen Wissenschaften finden können.

So

geht es fast immer, wenn man Leute von zweideutigen Ver­

diensten allzusehr erhebt, ehe man sie näher untersucht hat. Man schämt sich endlich, daß man sich bloßgegeben hat, und will allzuspät durch ebenso übertriebene Beschimpfungen die

Lobsprüche vertilgen, die uns bereits lächerlich gemacht haben. Auf diese Ode folgten seine Betrachtungen über die Majestät Gottes, welche aus einer oratorischen Übung ent­

standen waren, mit der er sich in der vertrauten Rednergesell-

schast gezeigt hatte.

Er fügte in der Umschmelzung die natür­

liche Erklärung des Wunders mit dem Sonnenzeiger Ahas' hinzu, welche mehr Aufsehen machte, als sie verdiente.

Sie

wissen, daß der Herr Inspektor Burg sich alle Mühe gegeben hat, sie zu

widerlegen.

Ich, meinesteils, habe sie allezeit

bloß wegen der Dreistigkeit des Herrn Mylius bewundert. Der Einfall war nicht seine, sondern der Recensent der Parent-

schen Untersuchungen in den Actis Eruditorum hatte ihn

bereits gehabt. Allein was dieser als einen flüchtigen Gedanken,

der keine Billigung verdiene, vorgetragen hatte, das trug unser Schriftsteller gradeweg als eine Wahrheit vor.

auch schon recht!

Und so ist es

Ernsthafte gesetzte Männer müssen zweifeln;

und wir, wir jungen Gelehrten müssen entscheiden.

Wer würde

es auch sonst wagen, gebilligten Meinungen die Stirne zu

bieten, wenn wir es nicht wären, die wir noch alle unser Feuer beisammen haben? ...

Sie finden diese Betrachtungen, mein

Herr, in eben dem angeführten Bande der Belustigungen; sie

enthalten überhaupt viel gemeine Gedanken, und die Schreib­ art ist die Schreibart eines Deklamators, welcher die Beob­

achtung der Schulregeln für Ordnung, und das O und das

Ach für das schönste Rezept zum Feurigen und Pathetischen hält.

Fast von eben diesem Schlage sind seine Abhandlung

von der Dauer des menschlichen Lebens; seine Unter­

suchung, ob die Tiere um der Menschen willen geschaffen morden; und sein Beweis, daß man die Tiere physiolo-

29

Borrede zu Mylius' Schriften.

gischer Versuche wegen gar wohl lebendig eröffnen

dürfe. . .

Aus diesem letztem Aufsatze kann man unter an-

derm sehen, daß Herr Mylius die Buchstabenrechnung damals müsse gelernt haben.

Er wirst mit a und x um sich, wie einer,

der noch nicht lange damit bekannt ist.

Das aber hat er mit

sehr großen Analysten daselbst gemein, daß es ihm vollkommen gelungen ist, eine Wahrheit, die, in schlechten Worten aus­ gedrückt, sehr faßlich wäre, durch die allgemeinen Zeichen für

die Hälfte seiner Leser zum Rätsel zu machen.

Zwar ... als

wenn man nur die Leser klug zu machen schriebe! wenn man zeigt, daß man selbst klug ist...

Gnug,

Außer diesen

prosaischm Stücken werden Sie auch verschiedene Gedichte in

den Belustigungen von ihm findm; besonders einige sapphische

Oben, die dieses zärtliche Silbenmaß sehr wohl beobachten, und viel artige Stellen haben.

Das vomehmste aber ist wohl

das Gedicht auf die Bewohner der Kometen.

Ich muß

Ihnen sagen, bei was für Gelegenheit es gemacht worden. Der Herr Professor Kästner hatte kurz vorher sein philoso­ phisches Gedicht über die Kometen in den Belustigungen dmcken

lassen.

Sie haben es doch gelesen?

Es ist in der That ein

Gedicht; und in der That philosophisch.

Sein Verfasser hat

sich längst den nächsten Platz nach Hallern erworben, und

Reimen und Denken nie getrennt.

Ich führe folgende Stelle

aus dem Gedächtnisse an: Was aber würde wohl dort im Komet geboren? Ein widriges Gemisch von Lappen und von Mohren, Ein Volk, das unverletzt vom Äußersten der Welt,

Wo Nacht und Kälte wohnt, in lichte Flammen fällt. Wer ist, der dieses glaubt?

Ohne Zweifel brachte diese Frage den Herrn Mylius auf.

Er wollte es sein, der es glaubte.

Noch mehr, er wollte es

sein, der auch andre, es zu glauben, nötigte.

Er setzte sich

also und schrieb ein ziemlich lang Gedichte, worin er von der

Möglichkeit der Bewohner der Kometen, die der Herr Professor

30

Vorrede zu Mylius' Schriften.

Kästner nicht geleugnet hatte, und von ihrer Wahrscheinlich­

keit,

die

aber unter seinen Händen noch ziemlich unwahr­

scheinlich blieb, handelte. Der Vorsatz an sich selbst war keines Tadels wert;

wie ein Dichter, den Herr Mylius nicht wohl leiden konnte,

bei einer ähnlichen Gelegenheit spricht.

Nur schade, daß er

seine Einbildungskraft nicht bester dabei anstrengte; nur schade,

daß er den kurzen und nervenreichen Ausdruck nicht in seiner Gewalt hatte; nur schade, daß er sich von dem Reime fort­

reißen ließ, und in sein ganz

Gedichte noch lange nicht so

viel gute Gedanken

brachte,

von Kometen haben.

Ein Freund hat sogar nicht mehr, als

als wir gute Beobachtungen

eine einzige schöne Zeile darin gefunden; diese nämlich: Was nützt der größte Stern, der ewig müßig geht? Er glaubte eine feine Anspielung auf die großen einflußlosen

Steme unter den Menschen darin zu sehen, von der sich noch zweifeln läßt, ob sie unser Poet dabei gedacht hat.

Was für

einen artigen physikalischen Roman hätte er uns machen können,

wenn er den innern Reichtum seiner Materie recht gekannt und ihn gehörig zu brauchen gewußt hätte!

Aber war es

von ihm damals zu verlangen? War es von dem geschwornen Schüler eines Meisters zu verlangen, der Reimer die Menge,

aber auch nichts als Reimer gezogen hat?

Genug, daß Herr

Mylius in den Aufsätzen, die von seiner Feder in den Be­ lustigungen stehen, alles geleistet hat, was ein Gottfchedianer leisten kann.

Die poetischen sind fließend, und ohne Mttel-

wörter; und die prosaischen sind gedehnt und rein...

Sie

sehen wohl, mein Herr, daß ich mir heute kein Blatt vors Maul nehme.

Ich wäre auf guten Wegen; wenn ich nur

nicht abbrechen müßte.

Leben Sie wohl!

Vorrede zu Mylius' Schriften.

31

Dritter Brief. Vom 22. April.

Freilich

hat sich

Herr Mylius auch in wöchentlichen

Sittenschristen versucht...

Sie wissen, mein Herr, wer die

ersten Verfasser in dieser Art waren.

an Tiefsinn,

weder an Witz, noch

noch an Kenntnis der Welt fehlte.

Männer, beiten es

an Gelehrsamkeit,

noch

Engländer, die in der

größten Ruhe und mit der besten Bequemlichkeit auf alles

aufmerksam sein konnten, was einen Einfluß auf den Geist

und auf die Sitten ihrer Natton hatte...

Wer aber sind

ihre Nachahmer unter uns? Größtenteils junge Witzlinge, die ungefähr der deutschen Sprache gewachsen sind, hier und da

etwas gelesen haben, und, was das Betrübteste ist, ihre Blätter zu einer Art von Renten machen müssen... Herr Mylius

war noch nicht lange in Leipzig, als er mit dem Jahr 1745

seinen Freigeist anfing, und ihn durch zweiundfunfzig Wochen glücklich fortsetzte.

Der Titel versprach viel, und ich glaube

nicht, daß man zu unfern Zeiten leicht einen anlockendern

finden könnte.

Ich weiß es aus dem Munde des Verfassers,

daß er sich nie hingesetzt, ein Blatt von demselben zu machen, ohne vorher einige Stücke aus dem Zuschauer gelesen zu

haben.

Diese Art sich vorzubereiten und seinen Geist zu einer

edeln Nacheiferung

lobenswert.

Freilich

aufoumuntern, kann sie nur

war ohne Zweifel sehr bei

denen von einiger

Wirkung sein, die schon vor sich Kräfte genug hätten, nichts

Gemeines zu schreiben.

Denn denen, welchen diese Kräfte

fehlen, wird sie zu weiter nichts nützen, als die äußerliche

Einrichtung zu ertappen.

Sie werden uns bald ein Briefchen,

bald ein Gespräch, bald eine Erzählung, bald ein Gedichtchen vorlegen und in dieser abwechselnden Armut sich ihren Mustem gleich dünken, deren wahre Schönheiten sie nicht einmal ein­ sehen ...

Herr Mylius sahe sie allerdings ein, und man

kann nicht leugnen, daß sich nicht ein großer Teil von seinem

32

Vorrede zu Mylius' Schriften.

Freigeiste sehr wohl

lesen laste.

Verschiedene kleine Züge,

die er seiner Person darin giebt, sind etwas mehr als bloße

Erdichtungen.

Was er zum Exempel in dem dreizehnten Blatte

von des Boethius Troste der Weltweisheit sagt, ist

gänzlich nach

den

Buchstaben zu verstehen.

Er hatte von

diesem geliebten Buche eine Ausgabe in sehr kleinem Formate, die er eine lange Zeit, anstatt der geriebnen Wurzeln

und Kräuter, welche andre aus Artigkeit in die Nase stopfen, in einer Schnupftabaksdose bei sich trug. Die Über­ setzung, die er an angeführtem Orte daraus mitteilt, macht ihn zum Erfinder einer im Deutschen noch nie gebrauchten Versart, der adonischen nämlich; und es ist seine Schuld ohne Zweifel nicht, wenn er keine Nachahmer darin gehabt hat.

Was übrigens den Inhalt des Freigeistes anbelangt, so

wird auch der eigensinnigste Splitterrichter nicht das Geringste darin finden, was der christlichen Tugend und Religion zum Schaden gereichen könnte.

Gleichwohl aber ward es . . . und

dieses muß ich Ihnen zu melden nicht vergessen ... seinem

guten Namen einigermaßen nachteilig, ihn geschrieben zu haben. Er behielt von der Zeit an den Titel seines Buchs statt eines

Beinamms, und seine Bekannten waren noch lange hernach

gewohnt, die Namen Mylius und Freigeist ebenso ordent­ lich zu verbinden, als man jetzt die Namen Edelmann und Religionsspötter verbindet. Sie können sich leicht einbilden,

daß diese Verbindung bei denen, welche die wahre Ursache davon nicht wußten, oft ein sehr empfindliches Mißverständnis werde verursacht haben.

Es ist aber so ungegründet, daß ich

es auch nicht mit einem Worte weiter widerlegen will.

Ich

will Ihnen vielmehr noch etwas von seiner zweiten moralischen

Wochenschrift sagen, die er bald nach seiner Ankunft in Berlin herausgab.

Sie hieß der Wahrsager.

damit, als bis auf das zwanzigste Stück.

Er kam nicht weiter

Die fernere Fort­

setzung ward ihm höheres Orts verboten, und es wäre seiner

Ehre zuträglicher gewesen, wenn man ihm gleich den Anfang

33

Vorrede zu Mylius' Schriften.

untersagt hätte.

Ich kann Ihnen nicht sagen, wie ungleich

er sich darin sieht!

Die Schreibart ist nachlässig, die Moral

gemein, die Scherze sind pöbelhaft und die Satire ist beleidi­

gend.

Er schonte niemanden und hatte nichts Schlechters zur

Absicht, als seine Blätter zur flandalösen Chronik der Stadt zu machen. Man schrie daher überall wider ihn, bis ihm das Handwerk gelegt ward. Als ein neuer Ankömmling in Berlin hatte er sich ohne Zweifel einen allzugroßen Begriff von der hiesigen Freiheit der Preffe gemacht.

Er hatte gesehen, daß

wichtige Wahrheiten hier Scheiß verstehen müssen, und glaubte

also, daß ihn die Einwohner auch ertragen würden, wenn er auch schon ein wenig massiv wäre. Allein er irrte sich! Die erstem können durch die allergrößte Mißhandlung nichts ver­

lieren; die andern aber können auch durch die allerkleinste alles verlieren, nämlich ihre Ehre. Was also die Obrigkeit dort aus Sicherheit verstattet, das muß sie hier aus Mitleiden ver­

bieten .... Das erste Blatt des Wahrsagers kam Donners­ tags heraus. Den Sonntag vorher wußte Herr Mylius noch nicht, wie es heißen sollte. Er lief hundert Namen durch und

konnte keinen finden, der ihm recht gelegen gewesen wäre. Endlich half ihm der geschwinde Witz eines guten Freundes

noch aus der Not.

Sie können sich nicht entschließen,

wie Sie Ihr Blatt nennen wollen? sagte der Herr von

K** zu ihm; nennen Sie es den Wahrsager.

Die zu

dumm waren, Sie als einen Freigeist zu hören, die werden gewiß nicht zu klug sein, Ihnen als einem Wahrsager zu folgen.

Dieser Einfall war gebilliget, ob er

gleich ein wmig boshaft war, und in drei Stunden war das erste Stück fertig. Mit eben dieser Geschwindigkeit hat Herr Mylius auch die übrigen ausgearbeitet, und wenn dieser

Umstand schon nicht ihren geringen Wert entschuldiget, so verhindert er doch wenigstens zu glauben, daß unser Tachy-

graphus sie nicht besser habe machen können.............. bin rc. Lessing, Werke. VI.

Z

Ich

34

Vorrede zu Mylius' Schriften.

vierter Srief. Vom 6. Mai.

Herr Mylius hat drei Lustspiele und ein musikalisches Zwischenspiel geschrieben.

Das sind seine theatralischen Lor­

beer» ! Das erste Lustspiel ward 1745 in Hamburg gedruckt und heißt die Ärzte. Es ist in Prosa; es hat fünf AuMge;

es beobachtet die drei Einheiten; es läßt die Bühne vor dem Ende eines Autzugs niemals leer; es hat keine unwahrschein­

liche Monologen...

Warum darf ich nun nicht gleich dazu

setzen: furg, es ist ein vollkommnes Stück?

Warum giebt es

gewisse schwer zu vergnügende ekle Kunstrichter, welche eine anständige Dichtung, wahre Sitten, eine männliche Moral,

eine feine Satire,

eine lebhafte Unterredung, und ich weiß

nicht, was noch sonst mehr, verlangen?

Und warum, mein

Herr, sind Sie selbst einer von diesen Leuten? Ich hätte Ihnen

ein so vortreffliches Ouidproquo machen wollen,

daß

meinen Freund den deutschen Mokiere nennen sollten.

Sie Ein

deutscher Moliere! und dieser mein Freund! O wenn es doch wahr wäre! Wenn es doch wahr wäre! . .. Hören Sie nur,

Herr Mylius mußte seine Ärzte auf Verlangen machen, was Wunder, daß sie ihm gerieten, wie. . wie alles, was man

auf Verlangen macht.

Kurz vorher waren die Geistlichen

auf dem Lande zum Vorschein gekommen. Sie kennen dieses

Stück; es hatte einen jungen Menschen zum Verfaffer, der

hier in Berlin noch auf Schulen war, der aber nach der Zeit bessere Ansprüche auf den Ruhm eines guten komischen Dichters

der Welt vorlegte, und selbst aus Liebe zur Bühne ein Echan­ spieler ward, nämlich den verstorbenen Herrn Krieger.

In

seinen Geistlichen hatte er die Satire auf eine unbändige Art

übertrieben, und ich weiß überhaupt nicht, was ich von der Satire halten soll, die sich an ganze Stände wagt.

Doch

Galle, Ungerechtigkeit imb Ausschweifung haben nie ein Buch tim die Leser gebracht, wohl aber manchem Buche zu Lesern

Vorrede zu Mylius' Schriften.

verholfen.

35

Die Welt konnte sich an den Geistlichen nicht satt

lesen; sie wurden mehr als einmal gedruckt; ja sie wurden, was die Leser immer um die Hälfte vermehrt, konfisziert. So eine vortreffliche Aufnahme stach einem Buchhändler in die

Augen. Er versprach sich keinen kleinen Gewinnst, wenn man

auch andre Stände eine solche Musterung könnte passieren laffen, und trug die Abfertigung der Ärzte dem Herrn Mylius auf, der es auch annahm, ob er gleich selbst unter die Söhne des Äskulaps gehörte. Er brachte sonderbares Zeug

in sein Lustspiel; eine Jungfer, der man es ansehen kann,

daß sie keine Jungfer mehr ist; ein Paar Freier, die sich über eine künftige Frau zur Hälfte vergleichen, und ein Haufen Züge, die vollkommen wohl in eine schlechte englische Komödie paffen würden.. . Doch wie steht es um sein zweites Lust­ spiel? Es heißt der Unerträgliche und ist gleichfalls in Prosa

und fünf Aufzügen.

Es sollte eine persönliche Satire sein;

muß ich Ihnen im Vertrauen sagen.

Allein es gelang ihm

mit dem Jndividuo ebenso schlecht, als dort mit der Gattung. Denn mit wenigem alles zu sagen, er schilderte seinen Uner­ träglichen, ich weiß nicht ob so glücklich, oder so unglücklich, daß sein ganzes Stück darüber unerträglich ward. Die Ärzte

und den Unerträglichen machte Herr Mylius

bald nach­

einander; sein drittes Stück aber, von welchem ich gleich reden

will, folgte erst einige Jahre darauf. Es heißt die Schäfer­ insel; es ist in Versen und hat drei Aufzüge. Wenn ich doch wüßte, wie ich Ihnen

einen deutlichen Begriff davon

machen sollte. . . Kennen Sie den Geschmack der Frau Neuberin? Man müßte sehr unbillig sein, wenn man dieser be­

rühmten Schauspielerin eine vollkommne Kenntnis ihrer Kunst absprechen wollte. Sie hat männliche Einsichten; nur in einem Artikel verrät sie ihr Geschlecht.

Sie tändelt ungemein

gerne auf dem Theater. Alle Schauspiele von ihrer Erfin­ dung sind voller Putz, voller Verkleidung, voller Festivitäten; wunderbar und schimmernd... Vielleicht zwar kannte sie ihre

36

Vorrede zu Mylius' Schriften.

Herren Leipziger, und das war vielleicht eine List von ihr, was ich für eine Schwachheit an ihr halte.

Doch dem sei,

wie ihm wolle; genug, daß nach diesem Schlage ungefähr die Schäferinsel sein sollte, welche Herr Mylius auch wirklich auf ihr Anraten ausarbeitete.

Er hätte sie am kürzesten ein

pseudopastoralisch-musikalisches Lust- und Wunderspiel nennen

können.

Nachdem

er einmal den Entwurf davon gemacht

hatte, kostete ihm die ganze Ausarbeitung nicht mehr als vier

Nächte; und so viele bringt ein andrer wohl mit Einrichtung einer einzigen Scene schlaflos zu.

So lange er damit be­

schäftiget war, habe ich ihn, seiner Geschwindigkeit wegen, mehr als einmal beneidet; sobald er aber fertig war, und er mir

seine Geburt vorgelesen hatte, war ich wieder der großmüttgste

Freund, in dessen Seele sich auch nicht die geringste Spur des Neides antreffen ließ. . . .

Zwischenspiele.

Noch

ein Wort von seinem

Es heißt der Kuß; es ward komponiert,

und auf der Neuberischen Bühne in Leipzig aufgeführt.

Es

fanden sich Leute, welche es bewunderten, weil eine gewisse Schauspielerin die Schäferin darin machte.

Der Inhalt war

aus der Schäferwelt. . .. Verzeihen Sie, mein Herr, daß mir

die Schäferwelt den Frühling in die Gedanken bringt; ver­

zeihen Sie, daß das heutige angenehme Wetter mich verleitet, ihn immer ein wenig zu genießen, und daß ich also, Zeit zu

gewinnen, schließe.

Ich will lieber den ganzen Spaziergang

an niemanden als an Sie gedenken, als noch ein Wort mehr schreiben; ausgenommen: Leben Sie wohl!

Fünfter Aries. Vom 4. Junius.

An Kenntnis der vortrefflichsten Muster fehlte es dem Herrn Mylius gar nicht.

Und wie hätte es ihm auch so

leicht daran fehlen können, da er das Hilfsmittel der Sprachen

vollkommen wohl in seiner Gewalt hatte?

Die vornehmsten

36

Vorrede zu Mylius' Schriften.

Herren Leipziger, und das war vielleicht eine List von ihr, was ich für eine Schwachheit an ihr halte.

Doch dem sei,

wie ihm wolle; genug, daß nach diesem Schlage ungefähr die Schäferinsel sein sollte, welche Herr Mylius auch wirklich auf ihr Anraten ausarbeitete.

Er hätte sie am kürzesten ein

pseudopastoralisch-musikalisches Lust- und Wunderspiel nennen

können.

Nachdem

er einmal den Entwurf davon gemacht

hatte, kostete ihm die ganze Ausarbeitung nicht mehr als vier

Nächte; und so viele bringt ein andrer wohl mit Einrichtung einer einzigen Scene schlaflos zu.

So lange er damit be­

schäftiget war, habe ich ihn, seiner Geschwindigkeit wegen, mehr als einmal beneidet; sobald er aber fertig war, und er mir

seine Geburt vorgelesen hatte, war ich wieder der großmüttgste

Freund, in dessen Seele sich auch nicht die geringste Spur des Neides antreffen ließ. . . .

Zwischenspiele.

Noch

ein Wort von seinem

Es heißt der Kuß; es ward komponiert,

und auf der Neuberischen Bühne in Leipzig aufgeführt.

Es

fanden sich Leute, welche es bewunderten, weil eine gewisse Schauspielerin die Schäferin darin machte.

Der Inhalt war

aus der Schäferwelt. . .. Verzeihen Sie, mein Herr, daß mir

die Schäferwelt den Frühling in die Gedanken bringt; ver­

zeihen Sie, daß das heutige angenehme Wetter mich verleitet, ihn immer ein wenig zu genießen, und daß ich also, Zeit zu

gewinnen, schließe.

Ich will lieber den ganzen Spaziergang

an niemanden als an Sie gedenken, als noch ein Wort mehr schreiben; ausgenommen: Leben Sie wohl!

Fünfter Aries. Vom 4. Junius.

An Kenntnis der vortrefflichsten Muster fehlte es dem Herrn Mylius gar nicht.

Und wie hätte es ihm auch so

leicht daran fehlen können, da er das Hilfsmittel der Sprachen

vollkommen wohl in seiner Gewalt hatte?

Die vornehmsten

37

Vorrede zu Mylius' Schriften.

lebendigen und toten waren ihm geläufig. Von der lateinischen

werden Sie mir es ohne Beweis glauben. In Ansehung der griechischen beruf' ich mich auf seine Übersetzungen, die er aus dem Aristophanes und Lucian gemacht

hat.

Diese letztem

werden Sie in der Sammlung auserlesener Schriften dieses Sophisten, welche im Jahr 1745 bei Breitkopfen ge­

druckt ist, finden.

Der Herr Professor Gottsched machte eine

unverlangte Vorrede dazu, mit der er dem Publico einen schlech­ ten Dienst erwies.

Die Besorger wurden darüber ungehalten,

und anstatt daß sie uns den ganzen Lucian deutsch tiefem

wollten, ließen sie es bei dieser Probe bewenden.

Ich würde

einen langen und trocknen Brief schreiben müssen, wenn ich Ihnen auch alle seine Übersetzungen aus dem Französischen, Ita­

lienischen und Englischen anführen wollte.

Unter den erstem

verdienen ohne Zweifel die Kosmologie des Herrn von

Maupertuis, und des Herrn Clairaut Anfangsgründe der Algebra die vorzüglichste Stelle.

Beide Werke zu über­

setzen, ward etwas mehr als die bloße Kenntnis der Sprache erfordert; einer Sprache, in der er übrigens seine Briefe am

liebsten abzufassen pflegte.

Und ich muß es Ihnen nur bei­

läufig sagen, daß sein Briefwechsel sehr groß war; größer als

ihn vielleicht mancher in dem einträglichsten Amte sitzender Ge­ lehrte, aus Furcht vor den Unkosten, übernehmen möchte.

Er

war nicht bloß in Deutschland eingeschlossen; er erstreckte sich noch viel weiter, und es war allerdings eine Ehre für ihn,

daß er die verbindlichsten Antworten

von einem Maumur,

Linnäus, Watson, Lyonet rc. aufweisen konnte. . . Aus dem. Italienischen hat Herr Mylius unter anderm in dem Bei­ trägen zur Historie und Aufnahme des Theaters die

Clitia des Machiavells übersetzt, und aus dem Englischen Popens Versuch über den Menschen. Durch diese letztere Über­ setzung, welche in Prosa ist und in dem zweiten Bande der Höllischen Bemühungen steht, wollte er die Arbeit des Herrn Brockes ausstechen. Das Weitschweifende und Wässrichte

38

Vorrede zu Mylius' Schriften.

seines paraphrastischen Vorgängers hat er zwar leichtlich ver­ meiden können, allein daß es sonst ohne Fehler auf seiner Seite hätte abgehen sollen, das war so leicht nicht.

Ohne Zweifel

wußte er damals so viel Englisch noch nicht, und konnte es auch nicht wißen, als er während seines Aufenthalts zu London, in seinem letzten Jahre, durch die Übersetzung von Hogarths

Zergliederung der Schönheit, zu wißen gezeigt hat.

Ja

er ist sogar noch selbst, mitten unter den Engländern, ein

Schriftsteller in ihrer Sprache geworden. Und zwar ein kritischer

Schriftsteller.

Er ließ nämlich über ein neues Trauerspiel

des Herrn Glover einen Brief drucken, in welchem er sich Christpraise Myll nannte. Ohne Zweifel wollte er die eng­ lischen Leser durch seinen deutschen Namen nicht abschrecken.

Noch habe ich diesen Brief nicht gesehen, und ich kenne ihn nur zum Test aus dem Monthly Review, wo er ganz kalt­

sinnig und kurz angezeigt wird.

Er hat dem Herrn Glover

die Verabsäumung einiger dramatischen Regeln vorgerückt; und

Sie wißen wohl, mein Herr, was die Regeln in England gelten.

Der Britte hält sie für eine Sklaverei und sieht die­

jenigen, welche sich ihnen unterwerfen, mit eben der Verachtung

und mit eben dem Mitleid an, mit welchem er alle Völker,

die sich eine Ehre daraus machen, Königen zu gehorchen, be­ trachtet, wenn auch diese Könige schon Friedriche sind. Doch ich zweifle, ob Herr Mylius zu einer wichtigern Kritik auf­ gelegt war; sein Geist war in Gottscheds Schule zu mechanisch

geworden, und der unglückliche Tadler der ewigen Gedichte eines

Hallers

konnte unmöglich mit seinem Geschmacke bei einem

Volke bewundert werden, welches uns dieses Dichters wegen zu beneiden Grund hätte.

Wie? werden Sie sagen, der un­

glückliche Tadler Hallers?

Ja, mein Herr, dieses war Herr

Mylius; denn er ist es, aus deßen Feder die Beurteilung des Hallerischen Gedichts, über den Ursprung des Übels,

in den ersten Stücken der Höllischen Bemühungen,

ist.

gefloßen

Ich sage mit Fleiß aus seiner Feder, und nicht aus seinem

39

Vorrede zu Mylius' Schriften.

Kopfe.

Der Herr Professor Gottsched dachte damals für ihn,

und mein Freund hat es nach der Zeit mehr als einmal be­ reuet, ein so schimpfliches Werkzeug des Neides gewesen zu

sein.

Doch ich weiß schon, auf wen die größte Schande fällt; auf

den ohne Zweifel, auf welchen alle seine Schüler ihre Vergehungen

bürden, und ihn, wie den Versöhnungsbock, in die Wüste schicken sollten... Aber, bewundem Sie doch mit mir den Herrn von Hal­

ler! Entweder er hat es gewußt, daß ihn Herr Mylius ehedem so schimpflich kritisiert habe; oder er hat es nicht gewußt. Indem

ersten Falle bewundre ich seine Großmut, die auf keine Rache dieser

persönlichen Beleidigung gedacht, sondem sich den Beleidiger vielmehr unendlich zu verbinden gesucht hat. In dem andem

Falle bewundre ich . . seine Großmut nicht weniger, die sich nicht einmal die Mühe genommen hat, die Namen seiner spötti­ schen Tadler zu wissen .. Leben Sie wohl.

Ich bin rc.

Sechster Brief. Vom 20. Junius.

O, ich glaube es Ihnen sehr wohl, mein Herr, daß ver­

schiedene in Ihrer Gegend, welche an der Myliusischen Reise teil­ gehabt, über den unglücklichen Ausgang derselben verdrießlich

sind, und ihr Geld bereuen.

Was haben wir nun davon?

heißt es bei einigen auch hier.

Ehre! habe ich denen, die ich

näher kenne, geantwortet. Ehre!.. „Nichts weiter?" versetzte man.

„Wir glaubten, wie vortrefflich wir unsre Naturalien­

sammlungen

würden

vermehren

können." . . Ei!

und also

sahen Sie den Herrn Mylius nicht sowohl für einen Gelehrten, welcher Entdeckungen machen sollte, als für einen Kommissionär

an, der für Sie nach Amerika reifete, um die Lücken Ihres Kabinetts so wohlfeil als möglich zu erfüllen? . . „Nicht viel anders!" . . Nicht viel anders?

So nehme ich mir die Frei­

heit aufrichtig zu gestehen, daß ich Ihnen den vorgegebenen Schaden von Grund des Herzens gönne.

Aber wissen Sie

wohl, bin ich in meinem Komplimente fortgefahren, für was

39

Vorrede zu Mylius' Schriften.

Kopfe.

Der Herr Professor Gottsched dachte damals für ihn,

und mein Freund hat es nach der Zeit mehr als einmal be­ reuet, ein so schimpfliches Werkzeug des Neides gewesen zu

sein.

Doch ich weiß schon, auf wen die größte Schande fällt; auf

den ohne Zweifel, auf welchen alle seine Schüler ihre Vergehungen

bürden, und ihn, wie den Versöhnungsbock, in die Wüste schicken sollten... Aber, bewundem Sie doch mit mir den Herrn von Hal­

ler! Entweder er hat es gewußt, daß ihn Herr Mylius ehedem so schimpflich kritisiert habe; oder er hat es nicht gewußt. Indem

ersten Falle bewundre ich seine Großmut, die auf keine Rache dieser

persönlichen Beleidigung gedacht, sondem sich den Beleidiger vielmehr unendlich zu verbinden gesucht hat. In dem andem

Falle bewundre ich . . seine Großmut nicht weniger, die sich nicht einmal die Mühe genommen hat, die Namen seiner spötti­ schen Tadler zu wissen .. Leben Sie wohl.

Ich bin rc.

Sechster Brief. Vom 20. Junius.

O, ich glaube es Ihnen sehr wohl, mein Herr, daß ver­

schiedene in Ihrer Gegend, welche an der Myliusischen Reise teil­ gehabt, über den unglücklichen Ausgang derselben verdrießlich

sind, und ihr Geld bereuen.

Was haben wir nun davon?

heißt es bei einigen auch hier.

Ehre! habe ich denen, die ich

näher kenne, geantwortet. Ehre!.. „Nichts weiter?" versetzte man.

„Wir glaubten, wie vortrefflich wir unsre Naturalien­

sammlungen

würden

vermehren

können." . . Ei!

und also

sahen Sie den Herrn Mylius nicht sowohl für einen Gelehrten, welcher Entdeckungen machen sollte, als für einen Kommissionär

an, der für Sie nach Amerika reifete, um die Lücken Ihres Kabinetts so wohlfeil als möglich zu erfüllen? . . „Nicht viel anders!" . . Nicht viel anders?

So nehme ich mir die Frei­

heit aufrichtig zu gestehen, daß ich Ihnen den vorgegebenen Schaden von Grund des Herzens gönne.

Aber wissen Sie

wohl, bin ich in meinem Komplimente fortgefahren, für was

40

Vorrede zu Mylius' Schriften.

Herr Mylius eigentlich Sie und alle Beförderer seiner Reise angesehen hat? Für Verschwender; für Leute, die ihr über­

flüssiges Vermögen zu sonst nichts Besierm anzuwenden wüßten; die nur Geld verschenkten, um es zu verschenken, und . . „Was?

„hat man mich unterbrochen; uns für Verschwender anzusehen?"

. . Wahrhaftig, meine Herren, dafür hat Sie Herr Mylius angesehen, noch ehe er die Ehre hatte, Sie zu kennen.

Ich

habe ihnm hierauf, um sie rechtschaffen zu kränken, eine Stelle aus dem satirischen Sendschreiben meines Freundes vorgelesen,

in welchem er verschiedne Anschläge erteilet, wie man die Thor­

heiten und Laster der Menschen zum Aufnehmen der Naturlehre nützen könne.

Er hat dieses Sendschreiben in die Ermunte­

rungen eingerückt, und die Stelle, auf welche ich ziele, ist viel zu

sonderbar, als daß mich die Mühe dauern sollte, sie Ihnen, mein Herr, hier abzuschreiben.

„Die Verschwender, sagt er,

„lasse man ihr Geld auf die Besoldung einer Anzahl Reisender „wenden, welche die Welt die Länge und Quere durchreisen

„und durchschiffen, und, wenn es das Glück will, allerlei „physikalische und

„machen.

zur Naturgeschichte gehörige

Entdeckungen

Man lasse auf ihre Unkosteir Luftschiffe bauen, und

„den Erfolg auf ein Geratewohl ankommen.

Die Ausfüh-

„rung solcher Unternehmungen trage man irrenden Rittern, „Don Quixoten und Wagehälsen auf, und erwarte mit Ver„gnügen und Gelassenheit,

ob

die Naturlehre dadurch mit

„neuen Erfindungen und Lehrsätzen wird bereichert werden.

„Die Sache mag so übel ausschlagen als sie will, so werden „doch weder die physikalischen Wissenschaften noch ihre uneigen„nützige Handlanger

einigen

Schaden

davon haben." . .

Was sagen Sie zu dieser Stelle, mein Herr? sie etwas Prophetisches hat.

Vielleicht, daß

Doch ich bin gewiß überzeugt,

daß Herr Mylius ein sehr lobenswürdiger und vorsichtiger

Wagehals würde gewesen sein, wenn ihm der Tod vergönnt hätte, seine Geschicklichkeit zu zeigen.

Er würde sich nicht be­

gnügt haben, wo er hingekommen wäre, bloß mit den Augen

Vorrede zu Mylius' Schriften.

41

eines Naturforschers zu sehen, und um nichts, als um einen

Stein oder um ein Kraut sich Gefahren auszusetzen. Er würde ein allgemeiner Beobachter gewesen sein, und die Kenntnis

des Schönsten in der Natur, des Menschen, für keine Kleinig­ keit angesehen

haben, ob sie gleich in dem gemeinen Plane

seiner Reise nicht in Betrachtung gezogen war... Doch, erlauben

Sie mir, mein Herr, daß ich Ihnen auch endlich einmal von

Die Erinnerung der Geschicklichkeiten

etwas anderm schreibe.

meines Freundes ist mir zu peinlich, und ich empfinde seinen

Verlust zu lebhaft, wenn ich derselben allzusehr nachhänge... Lassen Sie uns vielmehr rc...

*

*

* Hier gerieten wir in unserm Briefwechsel auf eine andre Materie, welche für den Leser wenig Reizendes haben würde und

hierher nicht gehöret. Alles, was ich noch für ihn hinzuthun muß, ist etwas Weniges, was diese Sammlung genauer angeht.

Sie

bestehet aus lauter Stücken, welche teils in verschiednen Monats­ schriften zerstreut, teils auch einzeln gedruckt waren.

Alles

dessen, was in den vorstehenden Briefen gesagt worden, un­ geachtet, glaube ich, daß sehr viele Leser die meisten nicht ohne besonderes Vergnügen lesen werden.

Die Poesien insbesondere

habe ich überall zusammengesucht, und hätte zwar mit leichter

Mühe noch weit mehrere, bessere aber wohl schwerlich auf­ treiben können. Mit was für Augen man sie bettachten müsse,

habe ich deutlich gnug zu verstehen gegeben, und ich füge nur noch hinzu, daß die Gedichte des Herrn Mylius ganz anders

aussehen würden, wenn sie alle mit dem Gefühle und dem Fleiße gemacht wären, mit welchem er seinen Abschied aus Europa gemacht hat. Es schien, als ob er erst um diese Zeit

recht anfangen wollte, sein Herz und seinen Witz zu brauchen. .. Mir ist jetzt weiter nichts zu thun übrig, als den Leser den

Inhalt der Sammlung auf einmal übersehen zu lassen, und mich seiner Gunst zu empfehlen.

Vorrede »u

des Herrn Jakob Thomsons sämtliche Trauerspiele, aus dem Englischen übersetzt. Vergnügen, diese Übersetzung

der Thomsonschen

/* toig ngayfiafft xai Tin ßioi iwv noij.tov der Ausspruch seines Euripides wahr sei: Ovx äv yfrojio XtoQ*S to&Xa xai xaxa.

'AKK it seinem Gttilford.

Itzt wird die

hinterste Scene aufgezogen, und mail sieht die Johanna auf

ihren Knien liegen und beten.

Guilford tritt zu ihr herein.

Sie unterhalten sich mit Todesbetrachtungen, als Pembrock kömtnt und ihnen seine fröhliche Botschaft bringet.

Nur einen

Augenblick glänzet ihnen dieser Strahl von Hoffnung.

Gar-

260

Litteraturbriefe.

diner erscheinet, und bekräftiget zwar die Gnade der Königin, aber bloß unter der Bedingung, daß sie beide zur römischen

Kirche zurückkehren sollen.

Diese Bedingung wird abgeschlagen;

sogleich wird Guilsord zum Tode geführet; die Scene er­ öffnet sich noch weiter; man erblickt das Blutgerüste; Johanna besteiget es, als eine wahre Heldin; Gardiner triumphieret;

Pembrock verwünscht den Geist der Verfolgung; und das Stück schließt.

Nunmehr sagen Sie mir, was Herr Wieland mit diesem

großen Plane anders gemacht hat, als daß er einen prächtigen

Tempel eingerissen, um eine kleine Hütte davon zu bauen? Er hat die rührende Episode des Pembrocks herausgerissen,

lind die letzten drei Aufzüge in fünfe ausgedehnet, durch welche

Ausdehnung, besonders des fünften Aufzuges in seine beiden

letzten, die Handlung ungemein schläfrig geworden ist.

Herr

Wieland läßt den Guilford an einem Orte zur Johanna

sagen:

Und selbst, o Scheusal, deine Räte selbst. Die kaum mit aufgehabnen Händen schwuren. Dir, dem Gesetz und unserm heil'gen Glauben Getreu zu bleiben, alle sind Verräter, Verdammte Heuchler! — Pembrock, ach! mein Freund, Mein Pembrock selbst, vom Gardiner betrogen, Fiel zu Marien ab. Man weiß gar nicht, was das für ein Pembrock hier ist, und wie Guilford aus einmal eines Freundes namentlich gedenket, der in dem Stücke ganz und gar nicht vorkömmt?

Aber nun werden Sie dieses Rätsel auflösen können.

Es ist

eben der Pembrock des Rowe, dem er in seinem Stücke

keinen Platz gönnen wollen, und der ihm dafür den Possen

thllt,

sich,

schleichen.

gleichsam

wider

seinen

Willen,

einmal

einzu­

261

Vierter Teil.

V. Den 2. November 1759.

Fünfundsechzigster Brief.

Den Einfall des Herrn Professor Gottscheds, seinen Kern der deutschen Sprachkunst den sänrtlichen berühmten Lehrern

der Schulen in rind außer Deutschland zuzuschreiben, muß man ihn nicht für einen recht unverschämten Kniff eines gelehrten

Charlatans halten?

Denn was ist diese Zuschrift anders, als

ein Bettelbrief, seine Grammatik zu einer klassischen Gram­ matik deswegen machen zu helfen, weil sie in vier Jahren drei­ mal gedruckt worden, und der Herr Autor darüber ein Kom­

pliment aus Wien und aus Chur im Graubündtnerlande

erhalten hat? Wenn der Name des Verlegers unter dieser Zu­ schrift stünde, so würde ich weiter nichts daran auszusetzen

haben, als daß dieser vergessen, den Herren Rektoren und Kon­

rektoren in jedes Dutzend Exemplare, die ihre Schüler ver­ brauchen würden, das dreizehnte gratis obenein zu versprechen.

Aber daß sich Gottsched selbst durch seine blinde Eitelkeit zu diesem Schritte verleiten lassen, das muß ihn notwendig in

den Augen aller Rechtschaffenen nicht bloß lächerlich, es muß ihn verächtlich machen.

Denn wenn es auch schon unwider-

sprechlich wäre, daß seine Sprachkunst, vor allen andern in

den Schulen eingeführt zu werden, verdiente; hätte ein großer Mann, wie er sein will — denn alle große Männer sind be­ scheiden — einen dergleichen Vorzug nicht vielmehr in der Stille

abwarten, als ihn zu erschleichen suchen sollen? —

Aber die berühmten Lehrer der Schulen, wie haben die sich dabei verhalten?

Sehr leidend; doch scheinet es eben nicht,

daß sie so leicht zu bestechen gewesen sind.

Und in der That

märe es für den Herrn Professor selbst sehr zu wünschen, daß sie sämtlich ganz und gar nicht auf seine Zuschrift reflektieret

hätten.

Denn ich sorge, ich sorge, man fängt auch schon auf

kleinen Schulen an, den berühmten Gottsched — auszulachen. Wenn nun der Lehrer das Büchelchen, über welches er zu lesen

262

Litteraturbriefe.

gebeten worden, auf allen Seiten verbessern und widerlegen

muß, was für eine Achtung können die Schüler für den Professor mit auf die Universität bringen?

Und daß jenes zum Teil wirklich geschehen, beweisen unter andern die Anmerkungen, welche Herr Heinz, Rektor zu

Lüneburg, über die Gottschedische Sprachlehre vor kurzem ans

Licht gestellt hat.

„Da das Werk, hebt er seine Vorrede au,

„welches diese Anmerkungen veranlaßt hat, den Schulen ge-

„widmet und zugeschrieben war: so hat, deucht mir, der be„rühmte Verfaffer, wenn er uns anders so viel zutrauet, schon

„längst eine Kritik darüber vermuten müssen: und da unter „so vielen Schullehrern sich doch, meines Wissens, keiner dazu

„entschlossen hat, so dürfte ich mir wohl ohne Eitelkeit den „Vorzug anmaßen, daß ich die Aufmerksamkeit desselben auf

„die Schulen, unter allen mit der größten Achtung erwidert „habe." — In diesem schleichenden Tone eines trocknen naiven

Mannes fährt Herr Heinz fort, und gestehet endlich, daß frei­ lich seine ganze Beurteilung so ausgefallen, daß ihm der Herr Verfasser schwerlich Dank dafür wissen könne.

„Ich verlange,

„sagt er, auch nichts Unmögliches: berufe mich aber schlechter„dings darauf, daß sie nicht anders geraten können, und daß

„sie gerecht sei." Ich möchte meinen Brief am allerungernsten mit gram­

matikalischen Streitigkeiten anfüllen; und Sie wollen überhaupt nicht sowohl diese Streitigkeiten selbst, als vielmehr bloß das

Resultat derselben wissen. Hören Sie also, wie Herr Heinz seine ganze Kritik schließt.

„Wollen wir, sagt er, noch kürz-

„lich zusammenrechnen, ehe ich meinen Skribenten verlasse? so „ist, deucht mir, durch die bisherige Prüfung folgendes wohl „ganz ausgemacht: daß beide Sprachlehren des Herrn Pro„fessor wohl schwerlich mit Einsicht und reifer Gelehrsamkeit „geschriebene Werke heißen können: daß sie ohne Kritik bei-

„nahe unbrauchbar sind, wegen der gar zu vielen Fehler, welche

„doch teils durch die ausnehmende Zuversicht, womit Herr Gott-

263

Vierter Teil.

„sched seine Meinungen vorträgt, teils durch beii ihm gewöhnlichen

„Dunst von Worten, teils durch das Gepränge einer titeln „und magern Philosophie, vor unwissenden und treuherzigen „Lesern ziemlich versteckt werden.

Ein Gelehrter wird nirgmds

„etwas finden, das die gewöhnliche Erkenntnis der deutschen

„Sprache überstiege, und woraus ein grammatikalischer Geist, „oder ein Naturell, das zur Philologie geboren oder erzogen

„wäre, hervorleuchtete.

An dessen statt offenbaret sich durch

„das ganze Werk eine enthusiastische Liebe und eigensinnige

„Partellichkeit des Verfaflers für die deutsche Sprache, oder eiet» „mehr für seine Meinungen und Vorurteile von derselben, nebst

„einem allzugroßen Vertrauen auf seine Einsicht, welche oft in „unbedächtige Urteile und schnöde Verachtung gegen angesehene „Schriftsteller, oder gar gegen unschuldige Städte und Pro-

„vinzen ausbrechen. Wenn andere Sprachlehrer mit ihm einerlei

„Frage abhandeln, so wiegt er immer am leichtesten: und der „Mangel des Scharffinnes, der Überlegung, und einer genug»

„samen Übung in diesem Felde, ist allen seinen Urteilen anzu„sehen.

Die große Grammatik hat vor der andern sonst nichts

„voraus, als die Weitläuftigkeit, mit welcher die Sachen nicht

„gründlicher, vollständiger, gelehrter, sondern gedehnter, lang„weiliger, und in einem gewissen schlechten Verstände philo-

„sophischer gesagt sind.

Zur Probe kann das Kapitel von

„Nebenwörtem dienen; aber auch jedes andere Stück. „macht durchgängig viel Aufhebens

Sie

von Kleinigkeiten, und

„thut, als ob vor ihr nicht nur keine deutsche, sondern überall

„noch keine Sprachlehre geschrieben wäre: und als ob sie alle „grammatikalische Begriffe und Einteilungen zuerst aus dem „tiefen Brunnen, worin die Wahrheit verborgen liegt, heraus-

„holete, welches in der That weder Gelehrsamkeit noch Be-

„scheidenheit beweiset.

Freilich hätte man denken sollen, daß

„Herr Gottsched viel weiter sehen würde, als alle seine Vorgänger: „da er sich nicht weniger als vierundzwanzig Jahr zur Aus-

„arbeitung seiner Grammatik genommen, wie das Privilegium

264

Litteraturbriefe.

„und die Vorrede bezeugen.

Mer der Leser wird angemerkt

„haben, daß ich unfern Verfasser oft aus Bödickern und

„Frischen verbessern können: hingegen zur Verbesserung dieser

„Männer aus Gottscheden wüßte ich auch nicht eine Stelle „anzugeben.

Ist das aber recht, seiner Vorgänger Verdienste zu

„unterdrücken, und ihre Bücher der Jugend aus den Händen

„zu spielen, nenn man es ihnen nicht einmal gleich thut? Wenn „uns Deutschen nicht so gar leicht Genüge geschähe, so würde

„der Herr Professor mit seiner lange erwarteten neuen Sprach­ lehre schwerlich eine andere Aufnahme erfahren haben, als ehe-

„mals ein gewisser Poet in Frankreich mit seinem Heldengedichte. „Weil aber Herr Gottsched alles mit der Erwartung seiner „Grammatik angefüllt hatte, so wurden unsere alten wohlver-

„dienten Sprachlehrer wenig gelesen, sondem die meisten sparten

„ihren Appettt nach grammatikalischer Erkenntnis auf das große „Mahl, so er ihnen bereitete, und das ist wohl die Ursache

„des großen Beifalles, womit die neue Sprachlehre ausgenom„men worden.

Was mag er aber in so lieber langer Zeit

„daran gebauet und ausgefeilet haben! da doch noch itzo, nach „so vielen gelehrten Erinnerungen so vieler Gönner „und Freunde, wie in der andern Vorrede stehet, und nun „nach so viel wiederholten Auflagen, gleichwohl noch so viel,

„ich mag wohl sagen, kindische Fehler darin sind? — Herr „Gottsched, schließet er endlich, hätte daher viel besser gethan, „wenn er doch ein Sprachlehrer werden wollte, daß er die

„Bödickerischen und Frischischen Grundsätze bloß in be„quemere Ordnung gebracht hätte. Ich will damit nicht sagen,

„daß er's hätte thun sollen, denn meiner Meinung nach, mußte „er gar keine Sprachlehre schreiben: weil die grammatische „Muse, nach so vielen feindseligen Angriffen, welche er in dem „Baylischen Wörterbuche, und sonst überall, auf sie selbst, und

„auf ihre größten Günstlinge gethan hatte, ihm von jeher,

„nicht anders, als gehässig sein konnte."

Was sagen Sie hierzu; vorausgesetzt, daß Herr Heinz

265

Vierter Teil.

ein ehrlicher Mann ist, der int geringsten nichts übertreibt? (Wenn Sie es nicht voraussetzen wollen, so glanben Sie es

so

lange

auf

mein Wort, bis Sie üt'uft

bekommen,

sich

selbst davon zu überzeugen.) Wird es Ihnen noch wahrschein­

lich

sein,

daß einer, ob

er schon

ein

magrer Philosoph,

und ein schlechter Dichter ist, dennoch wohl eine gute Sprach­ kunst schreiben könne?

Oder gestehen Sie es nun bald, daß

ein seichter Kopf nirgends erträglich ist? Und Herr Profesior Gottsched muß es selbst gefühlt

haben, daß ihm dieser Gegner ein wenig zu sehr überlegen

sei! Sie glauben nicht, wie seltsam er sich in seinem Neuesten gegen ihn gebärdet!

Ohne sich auch nur auf einen einzigen

Tadel einzulassen, eifert und sprudelt er da etwas her, woraus kein Mensch klug werden kann; und begegnet dem Rektor mit

einem so groben Profesiorstolze, als verhielte sich der Rektor zum Professor, wie der Schüler zum Rektor;

Verhältnis in diesem Falle grade umgekehrt ist.

da doch das „Hier steht

„übermal," ruft er mit vollem Maule aus, „hier steht aber-

„mal ein Grammatiker auf, der an Herrn Profesior Gott-

„scheds Sprachkunst zum Ritter werden will. „Heinz zu Lüneburg ist

Herr Rektor

von einem innern Berufe genagt

„worden, sich durch einen Angriff eines berühmten Mannes „auch berühmt zu machen.

Und was war leichter als dies?

„Man kann ja bald etliche Bogen über ein Buch zusannnen

„schreiben, dessen gute Aufnahme in Deutschland ihm ein Dorn „im Auge war.

Besondre Ursachen

zur Feindschaft

„denselben hatte er nicht: das gestehet er selbst.

gegen

Die Pflichten

„der Mitglieder einer Gesellschaft, dergleichen die deutsch« zu „Göttingen ist, werden's ihm vermutlich auch nicht auferlegt

„haben, einen seiner ältern Gesellschafter so stürmend anzu„greisen.

Um desto mehr wundem wir uns, daß er dennoch

„kein Bedenken getragen, einen solchen Anfall auf einen Mann

„zu thun, der ihm nicht den geringsten Anlaß dazu gegeben."

— Wann werden die schlechten Skribenten einmal aufhören

266

Litteraturbriefe.

zu glauben, daß notwendig persönliche Feindschaft zum Grunde liegen müsse, wenn sie einer von ihren betrogenen Lesern vor

den Richtstuhl der Kritik fordert? — „Doch wie?" fährt das Neueste fort; „hat nicht Herr Profesior Gottsched seine kleine

„Sprachlehre den sämtlichen berühmten Schullchrern in Deutsch„land zugeschrieben?

Es ist wahr, und der Augenschein zeigt

„es, daß solches mit viel Höflichkeit, mit Dielen Lobsprüchen,

„und in dem besten Verträum zu ihnen geschehen ist.

War

„nun das etwa ein zureichender Grund, dmjmigen so grämisch

„anzuschnarchen, der ihm zugleich mit andern eine solche Ehre „erwiesen? Welcher Wohlgesittete kann das begreifen?" — Der­

jenige Wohlgesittete, würde ich hierauf antworten, bei dem

die Höflichkeit nicht alles in allen ist.

Der die Wahrheit

für keine Schmeicheleien verleugnet, und überzmgt ist, daß die

nachdrückliche Warnung vor einem schlechten Buche ein Dienst ist, den man dem gemeinen Wesen leistet, und der daher einem

ehrlichen Manne weit bester anstehet, als die knechtische Ge­ schicklichkeit, Lob für Lob einzuhandlen. Zudem weiß ich auch gar nicht, was das Neueste mit dem grämischen Anschnar­ chen will; zwei altfränkische Wörter, die schwerlich aus einer andern, als des Herrn Profestors eigener Feder können ge-

flosten sein.

Man kann nicht mit kälterm Blute kritisieren,

als es Herr Heinz thut; und die Stelle, die Sie oben ge­

lesen haben, ist die stärkste in seinem ganzen Buche. finden Sie

darin

Grämisches

und

Was

Angeschnarchtes?

Grämisch anschnarchen kann niemand als Herr Gott­

sched selbst; und zwar fällt er in diesen Ton gemeiniglich

alsdann, weirn er satirisch sein will.

geschnarchter als folgende Stelle?

Zum Exempel:

Was ist

„Doch Herr Heinz be-

„sorget, es werde bei seinem Sttllschweigen die Gottschedische

„Grammatik ein klassisches Ansehen gewinnen; da er's zumal „nicht ohne Galle bemerket, daß bisher alle seine Herrn Kollegen „stille dazu geschwiegen: weswegen er glaubet; es sei bester,

„daß einer, als daß keiner das Maul austhue, und diesem großen

267

Bierter Teil.

„Unheile [teure und wehre. Allein mit seiner gütigen Erlaubnis, „fragen wir hier, ob er denn wohl glaube, daß ein Buch „darum gleich zu Boden geschlagen sei, weil er, Herr Heinz

„von Lüneburg, sich demselben widersetzet?

„es gewißlich noch nicht!

Wir glauben

Die Gottschedische Sprachkunst hat

„schon mehr solche grimmige Anfälle überstanden, und steht „doch noch.

Sie wird gewiß, den [einigen auch überstehn."

— Welche Schreibart! Und wie witzig ist das Herr Heinz

von Lüneburg, auf welches einige Zeilen darauf der Se­ kundaner Kunz folgt! Noch eine recht lustige Stelle aus dem Henmonde des Herrn Professors kann ich mich nicht enthalten. Ihnen abzu­

schreiben. Indem er Herr H e i n z e n aushunzt, kommm ihm auch die Verfasser der göttingischen gelehrten Zeitung in den Weg, die sich dann und wann unterstehen, ihm eine kleine Wahr­

heit zu sagen, ohne zu bedenken, daß der Herr Professor ein

altes Mitglied ihrer deutschen Gesellschaft ist.

Er meint, er

habe zu dieser Frechheit nun lange genug stille geschwiegen; und wenn sie ihn weiter „böse machten, so werde er ein-

„mal aufwachen, und ihnen durch den Zuruf:

Tecum habita et noris, quam sit tibi curta suppellex „ihre Schwäche bekannt Nlachen. — Wir wissen auch nicht,

„fährt hierauf der Heumond fort, was ihn bisher zu solcher „Geduld und Gelassenheit bewogen; zumal da die göttingischen „Zeitungen

für

ein Werk

von einer ganzen

Societät der

„Wissenschaften gelten sollen, unter deren Aufsicht, und mit

„vermutlicher Genehmhaltung sie heratiskommen.

Gewiß in

„solchen Zeitungen verdammt zu werden, ist kein solcher Spaß, „als wenn einen ein jeder unbekannter und ungenannter Kriti„kaster herunter macht.

Wer also auf seinen guten Namen

„hält, der ist in [einem Gewissen verbunden, von einem so „unbefugten und gewaltsamen Richter sich auf einen höhern zu „berufen, und den Ungrund seiner Urteile zu zeigen.

Nichts,

268

Litteraturbriefe.

„als die Verbindung mit der göttingischen deutschm Gesellschaft „kann ihn, unseres Erachtens, bisher abgehalten haben,

„hier so lange

stille zu sitzen.

Mein wer weiß, wie

„lange es dauert, so schicket er ihr sein Diplom (nach Herrn

„Rat Königs in Haag Beispiele) zurück; und setzet sich wieder „in die natürliche Freiheit, seine Ehre zu retten.

Bis dahin

„kann er ihnen mit dem Achill in der Jphigenia zurufen:

Dankt es dem Bade bloß, das meinen Zorn noch hemmet. Sonst hätt' er schon mein Herz gewaltsam überschwemmet.

— Welch eine Drohung! Die arme deutsche Gesellschaft,

wenn ihr dieses Unglück begegnen sollte! Ich glaube, sie würde

darüber zu einer wendischen. Denn wie kann eine deutsche Gesellschaft ohne Gottscheden bestehen? VIII. Den 23. November 1759.

Ziebenftgster Brief. Hier ist etwas von einem Verfasser, der ziemlich lange

ausgernhet hat! — Es sind die Fabeln des Herrn Lessings. Er meldet uns in der Vorrede, daß er vor Jahr und Tag einen kritischen Blick auf seine Schriften geworfen, nach-

bem er ihrer lange gnug vergessen gehabt, um sie völlig als

fremde Geburten betrachten zu können.

Anfangs habe er sie

ganz verwerfen wollen; endlich aber habe er sie, in Betrach­ tung so vieler freundschaftlichen Leser, die er nicht gern dem

Vorwurfe aussetzen wollen, ihren Beifall an etwas ganz Un­ würdiges verschwendet zu haben, zu verbessern beschlosien. Den Anfang dieser Verbesierung hat er mit seinen Fabeln

gemacht. „Ich hatte mich, sagt er, bei keiner Gattung von Ge-

„dichten rc. ssiehe Band VII, Seite 14] — Phrygiers gemacht, k.

Und kurz; hieraus ist das gegenwärtige kleine Werk seiner Fabeln entstanden, welches man als den ersten Band

der

gänzlichen Umarbeitung seiner Schriften anzusehen hat.

Ich

269

Vierter Teil.

muß die Ordnung, die er darin beobachtet, umkehren, und Ihnen vorher von seinen beigesügten Abhandlungen über diese

Dichtungsart etwas sagen, ehe ich die Fabeln selbst ihrem

Urteile unterwerfen kann. Es sind diese Abhandlungen fünfe.

Die erste, welche

die weitläuftigste und dabei die wichtigste ist, untersuchet das

Wesen der Fabel.

Nachdem die Einteilung der Fabeln in

einfache und zusammengesetzte, (das ist in solche, die bei der allgemeinen Wahrheit, welche sie einprägen sollen, stehen bleiben, und in solche, die ihre allgemeine Wahrheit auf einen wirklich geschehenen, oder doch als wirklich geschehen

nommenen Fall, weiter anwenden) vorausgeschickt gehet

der

Berfasser die Erklärungen durch, welche

ange­

worden,

de

la

Motte, Richer, Breitinger und Batteux von der Fabel gegeben haben.

Bei der Erklärung des ersten, die allen fol­

genden Erklärungen zum Muster gedienet habe, ist er vor­ nehmlich gegen das Wort Allegorie, und behauptet, daß

die Fabel überhaupt nicht in der Erzählung einer allegorischen Handlung bestehe, sondern daß die Handlung nur in der zu­

sammengesetzten Fabel allegorisch werde, und zwar alle­ gorisch, nicht mit dem darin enthaltenen allgemeinen Satze,

sondern mit dem wirklichen Falle, der dazu Gelegenheit gegeben hat.

An der Erklärung des Richer setzet er vornehmlich

dieses aus, daß sie ein

bloßes allegorisches Bild zu einer

Fabel für hinreichend hält.

„Ein Bild, sagt er, heißet über­

haupt rc. (siehe Band VII, Seite 27] — eine Fabel? — Ein „jedes Gleichnis rc. (siehe Seite 28] — durch das Wort Hand-

„lung ausdrücken." — Mit diesem Worte verbindet er aber einen

viel weitern Sinn, als man gemeiniglich damit zu verbinden

pfleget, und verstehet darunter jede Folge von Veränderungen, die zusammen ein Ganzes ausmachen.

Denn daß die Er-

klärung, welche Batteux von der Handlung giebt, daß sie

nämlich eine Unternehmung sein müsse, die mit Wahl und Absicht geschieht, bei der Fabel nicht stattfinde, zeiget er um-

270

Litteraturbriefe.

stündlich, indem die allerwenigsten Äsopischen Fabeln in diesem Batteux, wie der Verfasser

Verstände Handlung haben.

sehr wahrscheinlich zeiget, hat seine Erklärung nur von einem

einzigen, in seiner Art zwar sehr vollkommenen, deswegen aber

doch zu keinem allgemeinen Muster tauglichen Exempel ab­ strahieret, und überhaupt die Handlung der Äsopischen Fabel mit der Handlung der Epopöe und des Drama viel zu sehr verwirrt.

„Die Handlung der beiden letztem, sagt er, muß rc.

sfiehe Band VII, Seite 38] — damit erreichet rc." Der Gmnd hiervon liegt in den Leidenschaften, welche jene erregen sollen,

und auf deren Erregung diese ganz und gar keinen Anspmch nlacht. — Diese und verschiedene andere Anmerkungen nimmt

der Verfasser nunmehr zusammen, und sagt: „In der Fabel „wird nicht eine jede Wahrheit, sondern ein allgemeiner

„moralischer Satz, nicht unter die allgemeine Hand„lung, sondern auf einen einzeln Fall, nicht versteckt oder

„verkleidet, sondern so zurückgeführet, daß ich, nicht bloß „einige Ähnlichkeiten mit dem moralischen Satze in „ihm entdecke, sondern diesen ganz anschauend darin erkenne."

— Und das ist das Wesen der Fabel?

Noch nicht völlig.

'Noch fehlet ein wichtiger Punkt, von welchem die Kunstrichter bloß

ein dunkles

Gefühl

gehabt zu haben scheinen;

dieser

nämlich: der einzelne Fall, aus welchem die Fabel bestehet,

muß als wirklich vorgestellet werden. der

Möglichkeit

desselben,

so

ist es

Begnügen wir uns an ein Beispiel,

eine

Parabel.

Der Beschluß künftig.

IX. Den 29. November 1759.

Beschluß des ßebenzigsten Briefes. Nachdem der Verfasser diesen wichtigen Unterschied an einigen Beispielen gezeigt, läßt er sich auf die psychologische

Ursache ein, wamm sich das Exempel der praktischen Sitten-

271

Vierter Teil.

lehre, wie nm« die Fabel nennen kann, nicht mit der biofeen an welcher sich

Möglichkeit begnüge,

Wissenschaften begnügen.

die Exempel anderer

Er findet diese Ursache darin, weil

das Mögliche, als eine Art des Allgemeinen, die Lebhaftigkeit

der

anschauenden Erkenntnis verhindere, welche Lebhaftigkeit

gleichwohl unentbehrlich ist, wenn die anschauende Erkenntnis

zur lebendigen Erkenntnis, als worauf die Moral bei ihren

Wahrheiten vornehmlich sieht, erhöhet werden soll.

Er zeiget

hierauf, daß schon Aristoteles diese Kraft des Wirklichen

gekannt, aber eine falsche Anwendung davon gemacht habe, weil er sie aus einer unrechten Quelle hergeleitet. Aristoteles

lehret nämlich, die historischen Exempel hätten deswegen eine größere Kraft zu überzeugen, als die Fabeln, weil das Ver­

gangene

gemeiniglich dem Zukünftigen

Verfasier aber sagt: „Hierin,

ähnlich

sei.

Unser

glaube ich, hat Aristoteles

„geirret rc. ssiehe Band VII, Seite 47] — von den historischen „Exempeln gebühre." — Und nunmehr trägt der Verfasier seine

völlige Erklärung der Fabel vor, und sagt: „Wenn wir rc.

ssiehe Seite 48] — so heißt diese Erdichtung eine Fabel."

Die zweite Abhandlung Tiere in der Fabel.

betrifft den

Gebrauch

der

„Der größte Teil der Fabeln, sagt

„der Verfasier, hat Tiere, oder rc. ssiehe Seite 48]. — Oder „was ist es?"

Batteux hat sich auf diese Fragen nicht ein-

gelasien, sondern listig genug den Gebrauch der Tiere seiner

Erklärung der Fabel sogleich mit angeflickt.

Breitinger

hingegen behauptet, daß die Erreichung des Wunderbaren

die Ursache davon sei, und glaubt daher die Fabel überhaupt nicht bester als durch ein lehrreiches Wunderbare erklären zu können.

Allein unser Verfasier zeiget, daß die Einführung

der Tiere in der Fabel nicht wunderbar ist, indem es darin

vorausgesetzt und angenommen werde, daß die Tiere und andere niedrige Geschöpfe Sprache und Vernunft besitzen. Seine

Meinung gehet also dahin, daß die allgemein bekannte Bestandheit ihrer

Charaktere diese Voraussetzung ver-

272

Litteraturbriefe.

anlasset und so allgemein beliebt gemacht habe.

„Je tiefer

„wir, setzt er hinzu, auf der Leiter der Wesen herabsteigen, rc.

„ssiehe Band VII, Seite 56] — von ihm abstehen." In der dritten Abhandlung sucht der Verfasser eine

richtigere Einteilung der Fabeln festzusetzen.

Die alte Ein­

teilung des Aphthonius ist offenbar mangelhaft.

Schon

Wolff hat bloß die Benennungen davon beibehalten, den da­ mit zu verknüpfenden Sinn aber dahin bestimmt, daß man

den Subjekten der Fabel entweder solche Handlungen und Leidenschaften, überhaupt solche Prädikate, die ihnen zukommen,

oder solche die ihnen nicht zukommen, beilege.

In dem ersten

Falle hießen es vernünftige Fabeln; in dem andern sitt­ liche Fabeln; und vermischte Fabeln hießen es alsdann, wenn sie etwas sowohl von der Eigenschaft der sittlichen als

vernünftigen Fabel hätten.

Allein auch diese verbefferte Ein­

teilung will unserm Verfasser darum nicht gefallen, weil das nicht zu ko mm en einen Übeln Verstand machen, und man

wohl gar daraus schließen könnte, daß der Dichter eben nicht gehalten sei, auf die Natur der Geschöpfe zu sehen, die er in

seinen Fabeln aufführet.

Diese Klippe also zu

vermeiden,

glaubt er, man werde am sichersten die Verschiedenheit der

Fabeln

auf die verschiedene Möglichkeit

welche sie enthalten, gründen können.

der einzeln Fälle,

Diese Möglichkeit aber

ist entweder eine unbedingte oder eine bedingte Möglichkeit;

und nm die alten Benennungen gleichfalls beizubehalten, so nennt er diejenige Fabeln vernünftige Fabeln, deren ein­

zelner Fall schlechterdings möglich ist; diejenigen hingegen, wo

er es nur unter gewissen Voraussetzungen ist, nennt er sitt­

liche Fabeln.

Die vernünftigen sind keiner fernern Ab­

teilung fähig; wohl aber die sittlichen.

Denn die Voraus­

setzungen betreffen entweder die Subjekte der Fabeln, oder die

Prädikate dieser (Bubjette.

Fabeln, worin die Subjekte vor­

ausgesetzt werden, nennet er mythische Fabeln; und Fabeln, worin erhöhtere Eigenschaften wirklicher Subjekte angenommen

273

Vierter Teil.

werden,

nennet er hyperphysische Fabeln.

Die ferner

daraus entstehende vermischte Kattungen nennet er die ver­

nünftig mythischen, die vernünftig hyperphysischen, und die hyperphysisch mythischen Fabeln. — Welche Wörter! werden Sie ausrufen.

Welche unnütze scholastische

Grübelei! Und fast sollte ich Ihnen recht geben.

Da doch

aber einmal die Frage von der Einteilung der Fabel war, so

war es ihm auch nicht so ganz zu verdenken, daß er die Sub-

tilität in dieser Kleinigkest so weit trieb, als sie sich treiben läßt. — Was er auf die Fragen antwortet, wie weit in den

hyperphysischen Fabeln die Natur der Tiere zu erhöhen sei, und ob sich die Äsopische Fabel zu der Länge eines epischen Gedichts ausdehnen laste, ist wichtiger; ich übergehe es aber, weil es ohne seine Versuche,

die er in Absicht der letztern

Frage gewagt hat, nicht wohl zu verstehen ist.

Wenn Sie

es einmal selbst lesen sollten, so werden Sie leicht finden, daß seine Versuche seine Spekulation nicht erschöpfen. In der vierten Abhandlung redet er von dem Vor­

trage der Fabeln.

Er charakterisiert

den Vortrag des

Äsopus und Phädrus, und scheinet mit dem Vortrage des

la Fontaine am wenigsten zufrieden zu sein.

La Fon­

taine bekannte aufrichtig, daß er die zierliche Präcision, und

die

außerordentliche

sehr empfehle,

nicht

Kürze,

durch

die

sich

habe erreichen können;

Phädrus

und

daß

so

alle

die Lustigkeit, mit welcher er seine Fabeln aufzustützen gesucht, weiter nichts als eine etwaige Schadloshaltung für jene wesent­

lichere Schönheiten sein solle.

„Welch Bekenntnis! rüst unser

„Verfaster aus rc. ssiehe Band VII, S. 72] — mot plaisant,

„mais solide!" — Er gehet hierauf die Zieraten durch, deren

die Fabel, nach dem Batteux, fähig sein soll, und zeiget, daß sie schnurstracks mit dem Wesen der Fabel streiten.

Sogar

Phädrus kömmt ihm nicht ungetadelt davon, und er ist

kühn genug, zu behaupten, daß Phädrus, so ost er sich von der Einfalt der griechischen Fabeln auch nur einen Schritt Lessing, Werke. VI.

274

Litteraturbriefe.

entferne, einen plumpen Fehler begehe.

Er giebt verschiedene

Beweise hiervon, und drohet seine Beschuldigung vielleicht gar

durch eine eigene Ausgabe des Phädrus zu rechtfertigen.

— Ich besorge sehr, unser Verfaffer wird mit dieser Abhandlung am wenigsten durchkommen, und er wird von Glück zu sagen

haben, wenn man ihm keine schlimmere Absicht giebt, als die Absicht, seine eigene Art zu eyählen, so viel als möglich, zu

beschönigen. Die fünfte Abhandlung ist die kürzeste, und redet von einem besondern Nutzen der Fabeln in den Schulen.

Es ist hier nicht die Frage von dem moralischen Nutzen, son­ dern von einem Nutzm, welchen der Verfaffer den heuri­

stischen nennet. Er glaubt nämlich, daß die Erfindung der Fabeln eine von den besten Übungen sei, durch die ein junges Genie gebildet werden könne.

Da aber die wahre Art, wie

eine Fabel erfunden wird, vielen Schwierigkeiten unterworfen ist, so rät er vors erste die Fabeln mehr finden als er­

finden zu laffen; „und die allmählichen Stufen von diesem

„Finden zum Erfinden," sagt er, „sind es eigentlich, was

„ich durch verschiedene Versuche meines zweiten Buches habe „zeigen wollen."

Es sind aber diese Versuche nichts anders

als Umschmelzungen alter Fabeln,

deren Geschichte er bald

eher abbricht, bald weiter fortführet, bald diesen oder jenen

Umstand derselben so verändert, daß sich eine andere Moral darin erkennen läßt.

Aus einigen Beispielen werden Sie sich

einen deutlichern Begriff davon machen können.

Zum Exempel

die bekannte Fabel von der Krähe, die sich mit den ausge­

fallenen Federn anderer Vögel geschmückt hatte, führt er einen

Schritt weiter, und macht folgende neue Fabel daraus. Die sechste des zweiten Buchs, [f. Band I, S. 216.]

Diese Fabel kann für neu gelten, ob sie gleich aus alten Stücken zum Teil zusammengesetzt ist: denn es liegt eine neue Moral darin.

„So geht es dem Plagiarius! rc. [f. Band VIT,

275

Vierter Teil.

S. 83]." — Oder die Fabel von den Fröschen, die sich einen König erbeten hatten:

Die dreizehnte des zweiten Buchs, [f. Band I, S. 219.] Diese Fabel fängt da an, wo die alte aufhöret, und erhält dadurch gleichsam eine Art von historischer Wahrscheinlich­ keit. — Und aus diesen Proben werden Sie zugleich von dem

Tone und der Schreibart unsers Fabulisten urteilen können. Jedes von ben drei Büchern enthält dreißig Fabeln; und wenn

ich Ihnen nunmehr noch einige aus dem ersten und zweiten was Sie

Buche vorlege, so wird es hoffentlich alles sein,

Die erste, welche ich anführen

diesesmal von mir erwarten.

will, scheinet er mit Rücksicht auf sich selbst und die einfältige

Art seines Vortrages gemacht zu haben. Der Besitzer des Bogens, [f. Band I, S. 226.] Die Schwalbe, [f. Band I, S. 234.]

Der Geist des Salomo, [f. Bd. I, S. 227.]

X. Den 6. Dezember 1759.

Emmldsiebenjigster Gries.

Ein Gelehrter, den Sie, soviel ich weiß, in Frankfurt an der Oder suchen müssen, fing bereits im vorigen Jahre an,

eine Sammlung ungedruckter Briefe

herauszugeben.

gelehrter Männer

In dem ersten Buche derselben nahmen sich

besonders verschiedene Briese von des Bigno les und Theoph. S i g. Bayern aus, indem sie an nützlichen Sachen ungleich

reicher waren, als die übrigen.

In dem zweiten Buche ver­

sprach der Herausgeber den gelehrten Briefwechsel des Ste­

phanus

Vinandus

Pighius zu liefern.

Es

scheinet

aber, daß ihn ein sehr glücklicher Umstand dieses Versprechen aufzuschieben

verleitet hat.

Sein

Unternehmen

selbst

hat

nämlich so viel Beifall gefunden, daß ihm nicht nur ver­

schiedene Gelehrte ihre litterarischen Schätze von dieser Art

276

Litteraturbriefe.

mitgeteilet haben, sondern daß ihm auch, durch Vermittelung

des Herrn von Münchhausen, der ganze Vorrat ungedruckter Briefe in der königlichen Bibliothek zu Hannover, zu beliebigem Gebrauche angetragen worden.

Durch diesen Beitrag also ist

er in den Stand gesetzt worden, uns noch vorher mit andern

lesenswürdigern Briefen zu unterhalten, als ihm die Briefe des Pighius mögen geschienen haben. Die ersten vier Bücher, aus welche die Sammlung nun-

mehro angewachsen ist, und welche den ersten Band derselben ausmachen, enthalten hundert und neunzig Briefe*).

Byn-

ckershoeck, Beverland, Gisbert Super, d'Orville, I. A.

Fabricius,

Grävius,

Gramm,

Schannat,

I. P. von Ludewig, Gesner rc. sind die berühmten Namen

ihrer Verfasser. Sogar von Leibniz en finden sich in dem vierten Buche

ein Dutzend Briefe, und Sie können leicht glauben, daß ich diese zu lesen am begierigsten gewesen bin.

Die ersten zwei

derselben sind an P. I. Spenern geschrieben und enthalten

Die fol­

wenig mehr, als einige jetzt veraltete Neuigkeiten.

genden sechse aber an den berühmten Huetius sind desto

interefianter und enthalten Gedanken eines Philosophen, die noch immer unterrichten können. dem Jahre 1673 und

zu Paris

Die zwei ersten sind von geschrieben,

aus

welchen

Datts, wenn Sie sich der Lebensgeschichte unsers Weltmeisen

erinnern, Sie ungefähr den Inhalt erraten können.

Huetius

hatte damals die Besorgung der Ausgabe der klassischen Schrift­

steller, welche vornehmlich zum Gebrauche des Dauphins eingerichtet sein sollten; und er glaubte, daß er sich bei dieser

Arbeit

auch unsers Leibniz versichern müßte.

Ob dieser

nun gleich damals sich mit ganz andern Dingen beschäftigte.

*) Sylloge nova epistolarum varii argumenti. Volumen I. libros III priores continens. Norimbergae impensis bered. Felseckeri 1760. 2 Alphabet 4 Bogen.

277

Vierter Teil.

und besonders an seiner Recheninaschine arbeitete: so ließ er sich doch bewegen; denn ihm war in dem ganzen Bezirke der Wissenschaften nichts zu klein, so wie ihm nichts zu groß war.

Nur bat er sich aus, daß man ihm einen Autor geben möchte, bei welchem sich Philosophie, und eine gesunde Philosophie

anbringen ließe.

Man schlug ihm in dieser Absicht den ältern

Plinius, den Mela, die Schriftsteller vom Acker­

baue, den Apulejus, den Capella und den Boethius vor.

„Mich zum Plinius zu entschließen, schreibt er, ver-

„stehe ich zu wenig von der Arzneigelahrtheit; und von den „Schriftstellern des

Ackerbaues schreckt mich

meine

geringe

Er wählte also den Martianu s

„Kenntnis der Ökonomie ab.

Capella, und das Urteil, das er von diesem Schriftsteller fällt, ist sehr vorteilhaft, und sollte hinlänglich genug sein,

dem Capella mehr Leser zu verschaffen, als er itziger Zeit tvohl haben mag:

Martianum

Capellam,

usus ingentis

auctorem, gratum varietate, scientias non libantem tan-

tum, sed intrantem, solum ex superstitibus scriptorem cujusdam artium liberalium encyclopaediae.

Er fing auch

schon wirklich an daran zu arbeiten, und wollte die Anmer­ kungen des Grotius, die dieser in seinem fünfzehnten Jahre

gemacht hat, seiner Ausgabe ganz einverleiben.

Allein welch

Schicksal war es, das uns derselben beraubte? Jaucourt

sagt in seiner Lebensbeschreibung unsers Weltweisen, daß ihm alles, was er dazu ausgeschrieben, boshaft entwendet worden,

und daß er in der Folge keine müßigen Augenblicke finden

können, es wieder herzustellen.

Leibniz muß diesen Verlust

nod) in Paris erlitten haben, denn in den Briefen, die er 1679 aus Hannover an den Huetius sd)reibet, wird des

Capella gar nicht mehr gedacht, als einer ohne Zweifel schon längst aufgegebenen und abgethanen Sache.

Jaucourt kann

übrigens aus diesem Briefe darin verbessert werden, daß Leib­

niz

den Capella

selbst

aus

eigenem Antriebe

gewählet,

und daß es eben nicht der Einsicht des Huetius zuzuschreiben,

278

Litteraturbriefe.

daß er sich nur mit diesem und keinem andern Autor abgeben

wollen.

Denn Leibniz kannte sich wiMch bester, als ihn

Huetius kannte; welches unter anderen auch daraus zu er­

sehen, daß chm dieser mit aller Gewalt auch den Vitruvius

aufdringen wollte, mit dem er sich aber abzugeben rund ab­

schlug, weil er nicht hoffen könne, etwas Außerordentliches dabei zu leisten. — Übrigens muß es ein wenig verdrießen,

daß Leibniz bei dieser Gelegenheit

nicht allein

allzuklein

von sich selbst (denn ein bescheidner Mann kann sich selbst

so viel vergeben, als er will), sondem auch allzuklein von seiner Nation spricht: ld enim fateor, tametsi neque In­

genium, neque doctrinam mihi arrogem, diligentiae tarnen laudem aliquando apud aequos censores consecutum.

Et

quid aliud expectes a Germane, cui nationi inter animi

(loses sola laboriositas relicta est?

Nun wundere man sich

noch, wie es komme, daß die Franzosen einen deutschen Ge­ lehrten so gering schätzen, wenn die besten deutschen Köpfe

ihre Landesleute unter ihnen so erniedrigen, nur damit man ihnen Höflichkeit und Lebensart nicht absprechen könne.

Denn

das bilde man sich ja nicht ein, daß diese aus Komplimenten zusammengesetzte Station

auch

das

für Komplimente

halte,

was gewissermaßen zur Verkleinerung ihrer Nachbarn dienen kann.

Die drei folgenden Briefe hat Leibniz bei Gelegenheit

des Huetschen Werkes von der Wahrheit der christlichen

Religion geschrieben,

und

sie enthalten sehr vortreffliche

Gedanken über den Gebrauch der Philologie und Kritik.

„Die

„Kritik, sagt er, die sich mit Prüfung der alten Handschriften, „Münzen, und Inskriptionen beschäftiget, ist eine sehr nötige

„Kunst, und zur Festsetzung der Wahrheit unsrer Religion

„ganz unentbehrlich. „Kritik verloren,

Denn das glaube ich gewiß, gehet die

so ist es auch mit den Schriften unsers

„Glaubens geschehen, und es ist nichts Gründliches mehr übrig, „woraus man einem Chineser oder Mohametaner unsere Religion

279

Vierter Teil.

„demonstrieren könne.

Denn gesetzt, man könnte die fabel­

haften Historien von Theodorico Veronensi, wie sie „bei uns die Ammen unter dem Namen Dietrichs von

„Bern, den Kindern erzählen, von den Erzählungen des „Cassiodorus, eines zeitverwandten Schriftstellers, der bei

„diesem Könige Kanzler war, nicht unterscheiden; gesetzt, es „käme die Zeit, da man mit den Türken zweifelte, ob nicht

„Alexander der Große des Königs Salomon oberster „Feldherr gewesen sei; gesetzt, es wären uns, anstatt desLi„vius und Tacitus, weiter nichts als einige von den zier-

„lichen aber im Grunde abgeschmackten geheimm Nachrichten

„von den Liebeshändeln großer Männer, wie sie itzt geschrieben „werden, übrig; gesetzt, es kämen die fabelhaften Zeiten wieder,

„dergleichen bei den Griechen vor dem Herodotus waren:

„würde nicht alle Gewißheit von geschehenen Dingen wegfallen? „Wir würden nicht einmal zeigen können, daß die Bücher der „heiligen Schrift nicht untergeschoben wären, noch viel weniger,

„daß sie göttlichen Ursprungs wären.

Unter allen Hinder-

„nissen, welche die Ausbreitung der christlichen Religion in „den Morgenländern findet, ist dieses, meiner Meinung nach,

„auch das vornehmste, daß das dasige Volk, weil es von der „allgemeinen Geschichte ganz und gar nichts weiß, die histo-

„rischen Beweise, auf welche sich die christliche Religion stützet, „nicht begreifen kann." — Er giebt hierauf eine sehr sinn­

reiche, aber aus dem Vorhergehenden sehr natürlich fließende

Ursache an, warum zu Anfänge des vorigen Jahrhunderts die Kritik so stark getrieben, und in den neuern Zeiten hin­

gegen so sehr vernachlässiget worden.

„Die Kritik, sagt er,

„wenn ich die Wahrheit gestehen soll, ward damals durch die „theologischen Streitigkeiten genähret. Denn es ist kein Übel

„in der Welt, das nicht etwas Gutes veranlassen sollte.

Jn-

„dem man nämlich von dem Sinne der Schrift, von der „Übereinstimmung der Alten, von echten und untergeschobenen „Büchern häufig streiten mußte, und nur derjenige von den

280

Litteraturbriefe.

„Kirchenskribenten aller Jahrhunderte richtig urteilen konnte,

„der sich in den übrigen Werken des Altertums gehörig um„gesehen hatte: so durchsuchte man aufs genaueste alle Biblio-

„theken.

Der König von England Jakobus selbst, und andere

„von dm vornehmsten Gliedern der Kirche und des Staats, „gaben sich mit dergleichen Streitigkeiten vielleicht ein wenig

„nur allzusehr ab.

Als aber diese Streitigkeiten in Kriege

„ausbrachen, und nach so viel vergossenem Blute, die Klügern

„wohl sahen, daß mit alle dem Geschrei nichts ausgerichtet

„werde, so bekamen, nach wiederhergestelltem Frieden, sehr

„viele vor diesem Teile der Gelehrsamkeit einen Ekel.

Und nun

„fing sich ein neuer Periodus mit den Wisienschasten an; indem

„in Jtalim Galiläus, in England Baco, Harväus und Gil-

„bertus, in Frankreich Cartesius und Gassendus, und „in Deutschland der einzige, den ich biefen Männern entgegen-

„zusetzen wüßte, Joachim Junge, durch verschiedene treffliche „Erfindungen oder Gedanken, den Menschen Hoffnung machten, „die Natur vermittelst der mathematischen Wisienschasten näher

„kennen zu lernen. — Ich will jetzt nicht untersuchen, worin „es, wie ich glaube, heutzutage versehen wird, und woher es

„kömmt, daß die Schüler so großer Männer, ob

sie gleich

„mit so vielen Hilfsmitteln versehen sind, dennoch nichts Be-

„sonderes leisten; denn es ist hier nicht der Ort dazu.

Ich

„will nur dieses einzige anmerken, daß seit dieser Zeit das „Studium der Altertümer und die gründliche Gelehrsamkeit

„hin und wieder in Verachtung gekommen, so daß sich wohl „gar einige in ihren Schriften irgend einen Autor zu citieren,

„sorgfältig enthalten, teils damit sie alles aus ihrem Kopfe

„genommen zu haben scheinen mögen,

teils weil

es ihrer

„Faulheit so bequemer ist; da gleichwohl die Anführung der „Zeugen, wenn es auf geschehene Dinge ankömmt, von der

„unumgänglichsten Notwendigkeit ist, und nur durch sie gründ„liche Untersuchungen sich von einem seichten Geschwätze unter„scheiden.

Damit also dieses Übel nicht weiter um sich fresse,

Vierter Teil.

281

„kam, man die Welt nicht ernstlich genug erinnern, wie viel

„der Religion an der Erhaltung der gründlichen Gelehrsamkeit

„gelegen sei." —

Und was meinen Sie, wenn diese Erinnerung schon zu Leibniz Zeiten, da noch Gudii und Spanheime, Vossii

und Heinsii lebten, so nötig war, wie viel nötiger wird sie jetzt sein, jetzt da wir noch kaum hier und da Schatten von diesm Männern haben, und besonders unsere Gotte-gelehrte,

die sich die Erhaltung dieser gründlichen Gelehrsamkeit am

meisten solltm angelegen sein lassen, gleich das Allerwenigste davon verstehen?

Doch anstatt diese verkleinernde Parallele

weiter auszuführen, erlauben Sie mir lieber, Ihnen noch dm Schluß des Leibnizischen Briefes vorzulegen. „Ich kann überhaupt mit denjmigen gar nicht zufrieden

„sein, die alle Hochachtung gegen das Altertum ablegen, und „von dem Plato und Aristoteles nicht anders als von ein „Paar elenden Sophisten reden. Hätten sie diese vortrefflichen „Männer aufmerksam gelesen, so würden sie ganz anders von

„ihnen urteilen. Denn die metaphysische und moralische Lehre

„des Plato, welche die wenigsten aus ihrer Quelle schöpfen, „ist wahr und heilig, und das, was er von den Ideen und

„ewigen Wahrheiten sagt, verdienet Bewunderung.

Die Logik,

„Rhetorik und Politik des Aristoteles hingegen, könnm im

„gemeinen Leben von sehr großem Nutzen sein, wenn sie sich „in einem guten Kopfe, der die Welt und ihre Händel kennet, „finden.

Sogar kann man ihm nicht genug dafür danken,

„daß er in seiner Physik den wahren Begriff des Stetigen „gegen die scheinbaren Irrtümer der Platoniker gerettet hat.

„Und wer endlich den Archimedes und Apollonius ver-

„ stehet, der wird die Erfindungen der allergrößten Neuern „sparsamer bewundern." Gewiß die Krittk auf dieser Seite betrachtet, und das

Studium der Alten bis zu dieser Bekanntschaft getrieben, ist

keine Pedanterei, sondern vielmehr das Mittel, wodurch Leib-

282

Litteraturbriefe.

niz der geworden ist, der er war, und der einzige Weg, durch welchen sich ein fleißiger und denkender Mann ihm nähern kann. — Aber welchen lustigen Kontrast machet mit dieser wahren Schätzung der Kritik und alten Schriftsteller, die Denkungsart dieses und jenen grundgelehrten Wortforschers, von welchem sich in eben dieser Sammlung Briefe finden. Zum Exempel Gisbert Eupers. Dieser Mann war un­ streitig einer von den größten Antiquariis, der aber die Anti­ quitäten einzig und allein um der Antiquitäten willen studierte. Er hält sich stark darüber auf: Saeculis superioribus plel’osque eruditorum magis stilo operam dedisse, quam ritibus, moribus, aliisque praeclaris rebus, quae veterum libris continentur, illustrandis. Und damit Sie ja nicht etwa denken, daß er unter diesen praeclaris rebus vielleicht auch die philosophischen Meinungen der Alten verstehe, so lesen Sie folgende Stelle aus einem andern seiner Briefe: Recte facis, quod edere constitueris Jamblichi Protrepticon, nam illius nec Graeca valent nee Latina. Ego olim illud percucurri, sed eidem inhaerere non poteram, quia me magis oblectabant antiqui ritus, veteris aevi reliquiae et historia; nec capiebar admodum tricis philosophicis etc. Unterdessen ist doch in den Briefen dieses Eupers, deren uns eine ansehnliche Folge an den von Almeloveen und an I. A. Fabricius mitgeteilet wird, viel Nützliches und nicht selten auch Angenehmes. So macht er unter andem die An­ merkung, daß die Wahrheit bei den Alten zwar als eine allegorische Person eingeführet, und von einigen die Tochter des Jupiters, von andern die Tochter des Saturnus oder der Zeit, von andern die Säugamme des Apollo genennt werde, daß sie aber doch als keine Göttin von ihnen verehret worden, daß sie weder Tempel noch Altäre gehabt habe. Bossius, sagt er, in seinem Werke de Idololatria habe zwar angemerkt, daß Anaxagoras zwei Altäre, den einen dem

Verstände, und den andern der Wahrheit gesetzt habe. Allein Vossius habe sich hier geirret, weil diese Altäre nicht Anaxagoras gesetzt habe, sondern sie dem Anaxagoras ge­ setzt worden, welcher durch die Aufschriften derselben Nm> und AkijSeiag selbst bezeichnet worden, indem, wie anderweitig bekannt sei, Anaxagoras wirklich den Beinamen Noge­ sühnt habe. (Wenn Sie Kühns Ausgabe des Älianus nachsehen wollen, so werden Sie finden, daß Cuper den Vos­ sius hier nur zur Hälfte verbefiert hat. Denn Kühn zeigt deutlich, daß Ali an nicht von zwei Altären, sondern nur von einem einzigen rede, welcher nach einigen die Aufschrift N und nach andern die Aufschrift AX>?a«ac iZottIOC ö noirjitjc f’Zf/tr, ttov xottov Ist /11>

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