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German Pages 24 [25] Year 1961
L E B E N D I G E S
BAND
A L T E R T U M
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POPULÄRE SCHRIFTENREIHE FÜR ALTERTUMSWISSENSCHAFT
WOLFGANG SEYFARTH
Neue sowjetische Beiträge zu einigen Problemen der alten Geschichte Das Problem der Bagauden und die Frage der freien Lohnarbeit in neuem Lichte
A K A D E M I E - V E R L A G
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B E R L I N
Herausgegeben vom Institut f ü r griechisch-römische Altertumskunde der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin In Verbindung mit der Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse
Redaktor der Reihe: Johannes Irmscher Gutachter dieses Bandes: Hans-Joachim Diesner Redaktor dieses Bandes: Dorothee Schröter
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 1, Leipziger Str. 3—4 Copyright 1980 by Akademie -Verlag GmbH, Berlin W 1 Lizenz-Nummer: 202 • 100/82/60 Satz, Druck und Einband: Druckhaus „Maxim Gorki", Altenburg Bestellnummer: 2095/3 Printed in Germany ES 7 M
Den nachstehenden Ausführungen liegt ein Vortrag zugrunde, der im Institut für Altertumskunde der Humboldt-Universität zu Berlin anläßlich der universitätsofFenen Tage zu Beginn des Frühjahrs-Semesters 1959 gehalten wurde.
Die Beschäftigung mit dem Altertum und vor allem mit dem klassischen Altertum, also mit dem, was man allgemein die Antike nennt, ist in der Sowjetunion außerordentlich rege. Dies ist kein Wunder, denn im Süden dieses Landes gab es einst blühende antike Städte und Reiche, die einerseits in lebhafter Verbindung mit den bedeutendsten Städten der Mittelmeerwelt standen, andererseits aber auch mit den in der Nachbarschaft wohnenden Stämmen und Völkerschaften regen Verkehr unterhielten und nicht nur materielle, sondern auch kulturelle Güter austauschten. Der Umfang der Beschäftigung mit der Antike läßt sich an den zahlreichen sowjetischen Veröffentlichungen in Buchform oder in den Fachzeitschriften ermessen. Es gibt kaum ein Heft der Zeitschrift für alte Geschichte (Westnik Drewnei Istorii), in dem nicht irgendwelche Aufsätze zu Fragen des griechischen oder römischen Altertums erscheinen, Vorträge zur Diskussion gestellt, Publikationen aus aller Welt besprochen und Werke antiker Autoren oder Inschriften in die russische Sprache übersetzt werden. Besonders die Erforschung der alten Geschichte liegt der Sowjetwissenschaft sehr am Herzen. Sie beruht natürlich auf der Grundlage des historischen Materialismus und hat besonders die Probleme der ökonomischen Entwicklung und die soziale Lage der niederen Bevölkerungsschichten zum Gegenstand, also Probleme, für die die Geschichtsforschung alten Stils kein oder nur verhältnismäßig geringes Interesse zeigt. Selbstverständlich haben z. B. die Untersuchungen ßostovcevs den Blick der gesamten Geschichtswissenschaft für ökonomische Fragen geschärft, aber im Grunde genommen sind diese Dinge einem großen Teil der Geschichtsforscher der idealistischen Richtung recht unbequem. So ist es kein Wunder, daß man nicht selten auf die Ansicht stößt, es gäbe in der Sowjetunion nur eine Wissenschaft — dies ist vor allem in bezug auf die Geisteswissenschaften zu verstehen —, die dazu da wäre, irgendwelche vorweggenommenen
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Einleitung
Ergebnisse zu beweisen, d. h. es gäbe dort gar keine wirkliche Wissenschaft, die in lebendiger Diskussion zu einzelnen Problemen und Problemkreisen Stellung nimmt und durch eine solche Diskussion zu immer neuen Ergebnissen kommt, mithin Fortschritte in der wissenschaftlichen Erkenntnis ermöglicht. Die Gründe für diese Einstellung liegen auf der Hand und können an dieser Stelle nicht untersucht werden. Selbstverständlich sind die Gedankengänge der Sowjetgelehrten andere als die der Gelehrten des Westens, und es bedarf einiger Mühe, aber auch einiges verständnisvollen Interesses, wenn man sich in diese Gedankengänge hineinversetzen und mit ihnen auseinandersetzen will. Eine große Schwierigkeit bereitet vielen Gelehrten die Sprache, oder besser gesagt die im Westen weithin bestehende Unkenntnis der russischen Sprache, die viele Gelehrte an einem ernsthaften Studium sowjetischer Veröffentlichungen hindert. Mit den hier vorliegenden Ausführungen soll nun der Versuch gemacht werden, zu zeigen, daß die Diskussion wissenschaftlicher Probleme in der Sowjetliteratur sehr offen und scharf vor sich geht und tatsächlich zu fortschrittlichen Ergebnissen führt. Dieser Versuch kann selbstverständlich nur an einigen Beispielen unternommen werden, und hierfür scheinen zwei Probleme am geeignetsten zu sein, die in den letzten Jahren im Westnik Drewnei Istorii behandelt wurden: das Problem der Bewegung der Bagauden in Gallien und die Frage der Stellung der freien Lohnarbeit in der Ökonomik des Römischen Reiches vom 2. Jahrhundert bis zur Zeit der Kodifizierung des Rechts. In dem abschließenden Teil soll die Aufmerksamkeit des Lesers auf zwei Neuerscheinungen sowjetischer Historiker gelenkt werden, die einer besonderen Beachtung wert erscheinen.
A Das Problem der Bagauden
Das Wort Bagauden ist keltischen Ursprungs — worauf die Endung -avda hinweist — und wird auf einen Stamm: altirisch baga = Kampf, Streit zurückgeführt, bedeutet also etwa „die Streitbaren" und bezeichnete ursprünglich die einheimische Landbevölkerung Galliens, die sich 283 oder 284 unter Amandus und Aelianus hauptsächlich zwischen Seine und Marne erhob. Später wurde es der Name der Bauernheere, die bis ins 5. Jahrhundert Gallien und Nordspanien beunruhigten und erst nach der germanischen Eroberung verschwanden.1 Man darf nicht vergessen, daß das römische Imperium den Charakter eines Erobererreiches niemals verloren hat und daß selbst in den Provinzen, die als völlig romanisiert erscheinen, immer wieder separatistische Bestrebungen auftauchten und außerdem in den weiten Gebieten zwischen den einzelnen Städten und abseits der großen Heerstraßen ständig unkontrollierbare Banden ihr Unwesen trieben. Es ist anzunehmen, daß diese Erscheinungen in Zeiten der Ruhe eingedämmt werden konnten, in Zeiten von Kriegen und Bürgerkriegen sowie Einfällen der sogenannten Barbaren jedoch an Umfang zunahmen. Auch wird man nicht bestreiten können, daß sich Bewegungen nationalistischen Charakters gewiß oft mit dem Banden1
BEECK, Realencyclop&dle der classischen Altertumswissenschaft I I 2,1896,2766; vgl. auch u. a. N. A. MASCHKIN, Römische Geschichte, Berlin 1953, 588. 595. 632f.; E. KORNEMANN, Römische Geschichte 2. Die Kaiserzeit, 2. Aufl. Stuttgart 1942, 891. 403; F. OERTEL, Cambridge Ancient History 12, Cambridge 1939, 267. 287.327. Eine ausführliche Darstellung der Bewegung der Bagauden mit erschöpfender Quellenangabe und -analyse bietet E. A. THOMPSON, Peasant revolts in late Roman Gaul and Spain, in: Past and Present, a journal of scientific history 2, November 1952, 1 1 - 2 3 . Von deutscher Seite liegt eine Abhandlung von ERIKA ENGELMANN vor: Zur Frage der Bagauden im römischen Gallien, in; Vom Mittelalter zur Neuzeit, zum 65. Geburtstag von H. Sproemberg hrsg. von H. Kretzschmar, Berlin 1956, 373 — 385. Der Verfasserin ist die Abhandlung Thompsons nicht bekannt, sonst hätte sie in ihren Ausführungen einige bedauerliche Mängel vermeiden können, so z. B. in der Art des Zitierens der antiken Quellen, die es als fraglich erscheinen läßt, ob sie diese überhaupt eingesehen hat: U. a. zitiert sie Hydatius in der russischen Umschrift als Idatius, Orosius stets mit dem Vornamen Paul (siel), Herodians Werk als „Historia Augusta" nach einer uralten Ausgabe, als ob es keine aus dem 20. Jahrhundert
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A. Das Problem der Bagauden
unwesen verbunden haben; denn es liegt auf der Hand, daß sich solche Banden, die aus entlaufenen Sklaven, Kolonen und anderen Leuten bestanden, die Grund zur Furcht vor dem Richter hatten, in Gebiete hinzogen, wo Unruhen aufflackerten. Der Frage nach der sozialen Zusammensetzung der Scharen von Aufständischen, nach ihren politischen und sozialen Zielen und Programmen schenken die Sowjethistoriker großes Interesse. Wie es aber bei der Behandlung wissenschaftlicher Fragen oft zugeht, so ist es auch hier bei solchen Abhandlungen zunächst nicht ohne gewisse Übertreibungen abgegangen, sobald ein neues Problem zur Diskussion gestellt wurde. So erschien z. B. im Jahre 1951 im Westnik* Drewnei Istorii ein Aufsatz von Dmitrew unter dem Titel „Die Bewegung der latrones als eine der Formen des Klassenkampfes im Römischen Reich" 1 . Man mag dem Autor zugestehen, daß Flucht von Sklaven und Kolonen und die dadurch bedingte Zusammenrottung von Banden als eine Form des Klassenkampfes anzusehen ist, wie dies unter der Bezeichnung ava%iOQtjaig in Ägypten bereits unter den Ptolemäern eine bekannte Streikerscheinung war, die sich in römischer Zeit zu einer richtigen Flucht und damit zum Beginn eines gesetzlosen Räuberdaseins auswuchs 2 . Es blieb den Unterdrückten eben keine andere Wahl, wenn sie der Bedrückung der herrschenden Klasse entgehen wollten. Daß man nun aber von einer Bewegung der latrones gäbe, Ammianus Marcellinus' Werk als „Historia" (ebenfalls in einer veralteten Ausgabe) mit der Stellenangabe C X X V I I I anstatt der genauen Angabe 28, 3, 8 (377). Ähnlich wird bei Dio Cassius statt einer genauen Stellenangabe nur das Werk als solches zitiert (377 Anm. 20). Nicht viel besser steht es mit modernen Literaturangaben: Die Abhandlung von A. JJ. ¿[MUTpeB. JlBHHtenme öarayaoB, erscheint dreimal als „Dwichenie Bagaudi" (I). Daß die Komödie „Querolus" dreimal als die „Komödie des Querolus erscheint" (384f.), sei nur nebenbei bemerkt, ebenso, daß aus dem Centurio, den der Räuber Bulla überlistet, ein Dekurione gemacht wird (377). Schließlich vergleiche man die Ausführungen der Verfasserin über das Verhältnis der Christen und der Bagauden (384) mit den Ausführungen Thompsons hierzu (a. O. 16). Ob das ab (384) in dem Hydatius-Zitat ein bloßer Druckfehler ist, darf man nach all dem Gesagten auch bezweifeln. Was die Verfasserin über die Unterstützung der Bagauden durch desertierte Soldaten sagt, ist offenbar von Dmitrew übernommen (a. O. 382); es wurde inzwischen von KopcyHCKHit widerlegt (BecTHHK BpeBHeft IleropnH). Weitere Einzelheiten seien übergangen, es sei nur noch auf den Schluß hingewiesen, in dem festgestellt wird, daß Sklaven und Kolonen „sicher" am unversöhnlichsten den Kampf geführt hätten; sie hätten sich „offenbar" ideologisch im Schlepptau der freien Bevölkerung befunden — Behauptungen, die auch nur als solche zu werten sind. 1 2
A.A. ÄMHTPEB, HBUHteirae latrones Kau ojjHa H3 (J>opM KJiacc0B0fi öopbChi b Phmckoh HMnepHH, BecTHHK UpeBHeä Hctophh 1951, 4, 61 — 72. M. ROSTOVCEV, Studien zur Geschichte des römischen Kolonats, Leipzig/Berlin 1910,206.217.
A. Das Problem der Bagauden
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spricht, muß man für übertrieben halten, ebenso die Behauptung, daß man dem Wort latro in den Rechtsquellen eine politische Bedeutung beimaß. Ein sehr lebensnahes Bild der Tätigkeit solcher latrones bietet z. B. eine afrikanische Inschrift vom Ende des 2. Jahrhunderts 1 , in der ein Ingenieur beschreibt, wie er auf einer dienstlichen Reise nach Saldae unter die Räuber fiel und diesen nur mit knapper Not entkam. Man braucht auch solche Räuberscharen nicht zu idealisieren, wie Dmitrew es tut, wenn er den Sicarii in J u d ä a edelmütige Züge zuschreibt, als hätten sie sich ihre Opfer nur unter römischen Kolonisten und dem romhörigen Grundadel ausgesucht. Die in diesem Zusammenhang von ihm selbst zitierten Quellen sprechen nämlich u. a. auch davon, daß solche Banden in J u d ä a auch die kleinen Leute ausplünderten oder, wie es an einer Stelle bei Josephus heißt, die „gemeinen Leute" ausraubten. 2 Zwar nicht über die latrones, wohl aber über die Bewegung der Bagauden und ihre in falsches Fahrwasser gelenkte Beurteilung in der sowjetischen Geschichtsschreibung hat der Moskauer Historiker Korsunski im Jahre 1957 eine Abhandlung im Westnik Drewnei Istorii erscheinen lassen, die solche Überspitzungen widerlegt. 3 Korsunski wendet sich gegen zwei Seiten: 1. gegen die bürgerlichen Historiker, die Volksbewegungen wie die der Bagauden ignorieren oder sie als Revolutionen, jedoch ohne Verbindung mit ihren f ü r die damalige Zeit charakteristischen Klassenbeziehungen bezeichnen, und 2. gegen falsche sowjetische Konzeptionen wie die, die der sowjetische Historiker Dmitrew in derselben Zeitschrift im Jahre 1940 äußerte. 4 Wenn dieser die Bagaudenaufstände als eine Revolution der Sklaven und Kolonen betrachtete, so wendet sich Korsunskij gegen diese Meinung und sagt, daß seine Interpretationen des reichlich gesammelten Quellenmaterials „ernsthaften Widerspruch" hervorrufen. Dmitrew hat nicht nur den zeitlichen Rahmen der ersten Bagaudenaufstände zu Unrecht erweitert, den Korsunski wieder auf die Jahre 1 2 3
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Corpus Inscriptionum Latinarum VIII 2728 Josephus, Bellum Judaicum 7, 8,1; vgl. 2, 22, 2 und S, 1, 4. A. B. KOPCyHCKHH, HBHHteHHe CarayaoB, BecTHHK flpeBHeö HcTOpml9B7,4,71—87.
A. fl.3MHTPEB, 3BHHteHHeöaray«0B,BecraHKflpeBHeftHcTopHH 1940,3-4,101-114. Seyfarth
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A. Das Problem der Bagauden
283—285 einengt, sondern er hat auch, ohne eine zuverlässige Quelle. hierfür zu besitzen, von einem Programm der Bagauden gesprochen, das die Expropriierung der Großgrundbesitzer vorsah. Weiter kann man, wie Korsunski feststellt, den Aufstand nicht allgemein nennen, vielmehr waren die Aufständischen in der Hauptsache Bauern, und als ganz unannehmbar bezeichnet Korsunski Dmitrews Ansicht, daß römische Truppen zu den Aufständischen übergegangen seien oder die Niederschlagung des Aufstandes der Regierung viel Mühe kostete. Mit Recht warnt Korsunski vor einer Unterschätzung des Bagaudenaufstandes oder vor seiner Einschätzung als Unwesen einer Räuberbande, wie man sie bei manchen ausländischen Historikern finde. Vielmehr ist für ihn der Aufstand der Bagauden keine zufällige und unbedeutende Erscheinung, sondern ein charakteristischer Ausdruck der Krise, die der Sklavenhalterstaat im 3. Jahrhundert durchlebte. Das Hauptkennzeichen der Lage, die zu diesen Aufständen führte, war nach Korsunski das „Anwachsen des Großgrundbesitzes in Gallien und der Knechtung der freien Bauernschaft einerseits und der inneren Krise des Imperiums und der Verstärkung des Ansturms der Barbaren andererseits"1. Die Erhebung des Amandus und Aelianus zu Kaisern legt Korsunski als Argument für seine Annahme eines Versuchs der Bagauden aus, sich vom Reich zu trennen und zu den alten gesellschaftlichen Zuständen zurückzukehren. Trotzdem bestand nach seiner Ansicht kein Zusammenhang mit den separatistischen Bestrebungen der gallischen mittleren und großen Grundbesitzer, die den Bauern vielmehr feindlich gegenüberstanden. So sei es nicht zur Errichtung einer gemeinsamen Front dieser sozialen Schicht mit den Bagauden gegen das Reich gekommen, und aus diesem Grunde bestreitet Korsunski die Möglichkeit einer Charakterisierung dieses Auftretens der Volksmassen als einer Revolution. Der Aufstand konnte nicht einmal die Konsolidierung des römischen Sklavenhalterstaates stören, der sich damals in der Form des Dominats reorganisierte. Folgende Punkte kann man bei Korsunskis Polemik gegen Dmitrew herausstellen: 1
KOPCyHCKHH a. O. 75.
A. Das Problem der Bagauden
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1. Die soziale Zusammensetzung der Bagauden wird von einer zeitgenössischen Quelle erwähnt, nämlich von Salvian in seinem Werk „De gubernatione dei". Nach Salvians Bemerkungen sind sie Leute niederer Herkunft (5, 7, 1) oder verarmte Bauern, aber frei und römische Bürger (5, 6, 24). Der Zweck, den sie mit ihrer Flucht von ihren Höfen verfolgen, liegt klar zutage: Sie wollen dem Steuerdruck entgehen: ad hostes fugiunt, ut vim exactionis evadant (6, 7, 28). Aus diesem Material kann man mit Korsunski folgern, daß die flüchtigen Bauern und Kolonen die Hauptmasse der Bagauden bildeten und daß sie in dieser Bewegung die führende Rolle spielten. Wenn auch Sklaven zu ihnen stießen, dann waren dies wohl nur gelegentliche Fälle. Dmitrews Angaben über die soziale Zusammensetzung der Bagauden sind also ungenau, aber ganz geklärt wird auch bei Korsunski die Frage der Bagauden nicht. Denn Salvian spricht an einer Stelle von den vor der römischen Ausbeutung Fliehenden: itaque passim vel ad Gothos vel ad Bacaudas vel ad alios ubique dominantes barbaros migrant (5, 5, 22). Diese Aufzählung deutet doch eigentlich auf eine Betrachtung der Bagauden als eines Barbarenstammes, eines Stammesverbandes oder wenigstens etwas Gleichwertigen hin. 2. Der antirömische Charakter der Bagaudenbewegung wird von Korsunski gegenüber Dmitrews Ansicht hervorgehoben, der betont, daß das Ziel der Bagauden, als die er ja Sklaven und Kolonen ansieht, die Erringung der Freiheit und die Expropriierung der Großgrundbesitzer war. Auch hier wird man sich bei einer vollständigen Prüfung des Quellenmaterials für Korsunskis Meinung entscheiden müssen. Salvian bezeichnet die Bagauden nicht einfach als Flüchtlinge, sondern als rebelies, die die Rechte der freien römischen Bürger verloren hatten. Jedenfalls bildeten sie bewaffnete Abteilungen, überfielen die Villen der Magnaten, auch schlecht verteidigte Städte und hatten auch Zusammenstöße mit regulären Truppen. In entfernteren Gegenden, in die die Macht der römischen Beamten nicht reichte, hatten sie wohl richtige Gemeinden, auf die Salvian anscheinend anspielt, wenn er die Bagauden mit den Barbarenstaaten vergleicht. 3. Von einem festen Programm dieser Bewegung kann natürlich, wie Korsunski mit Recht ausführt, nicht die Rede sein. Weder in Gallien noch in Spanien, wohin die Bewegung übergriff, gelang es den Ba2«
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A. Das Problem der Bagauden
gauden, organisierte Truppen aufzustellen, die sich mit den Regierungstruppen messen konnten, vielmehr hatte die Bewegung nur lokalen Charakter und führte keinen zielbewußten Kampf. Wenn man die Darstellung des Problems der Bagauden bei den Sowjetgelehrten überblickt, wird man zugeben müssen, daß die Art der Behandlung des Problems bei Korsunski eine realere Grundlage hat als bei Dmitrew und daß auch die Interpretation der Quellen bei Korsunski offenbar zuverlässiger ist, obwohl eine Überprüfung des Materials bis in alle Einzelheiten, die über den Rahmen dieser Abhandlung hinausginge, noch erfolgen müßte. Es ist aber kaum wahrscheinlich, daß eine eingehendere Analyse der Quellen wesentlich andere Ergebnisse erzielen wird. Einige abschließende Bemerkungen Korsunskis seien noch hervorgehoben. Korsunski führt im letzten Teil seiner Abhandlung noch einmal genauer aus, daß die Bewegung der Bagauden keine politische Revolution war. Denn da nach Lenin das Hauptkeimzeichen einer politischen Revolution der Übergang der Staatsmacht von der Hand einer Klasse in die einer anderen ist, so fehlt dieses Kennzeichen der Bagaudenbewegung überhaupt. Eine solche Aufgabe konnten sich, wie Korsunski meint, die Bagauden nicht stellen und taten es auch nicht, ja sie erreichten nicht einmal die Ergreifung besonderer Maßnahmen durch die Zentralregierung, geschweige denn eine Liquidierung der römischen Macht in Gallien und Spanien. Wenn man an Korsunskis Ausführungen den Hebel der Kritik ansetzen will, dann wird dies bei einigen Gedanken seines Schlußwortes möglich und vielleicht notwendig sein. Denn wenn er hier Ansichten äußert, als hätten die Bagaudenaufstände zusammen mit anderen Volksbewegungen den ökonomisch bedingten Prozeß der Verbreitung neuer Arten der Sklavenausbeutung (z. B. die Belehnung mit Landparzellen) beschleunigt, als hätten sie die Position des römischen Staates in seinen wichtigsten Provinzen untergraben und die Eroberung Galliens und Spaniens durch germanische Stämme erleichtert, so sind dies offenbar im Gegensatz zu den vorhergehenden Darlegungen des Autors keine festbegründeten und sachlich untermauerten Beobachtungen, sondern bestenfalls Vermutungen. Offenbar verwechselt der Autor hier Ursache und Wirkung, oder man kann bei vorsichtiger Einschätzung allenfalls von einer Wechselwirkung zwischen
A. Das Problem der Bagauden
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dem Andringen äußerer Feinde und den Erhebungen im Landesinnern sprechen. Denn die Einfälle der Barbarenvölker von Osten und Nordosten schufen durch Bindung der Truppen an den Reichsgrenzen die Möglichkeit für innere Unruhen, und die Häufigkeit der Belehnung von Sklaven mit Landparzellen, die bei anderen sowjetischen Autoren als Überführung von Sklaven auf ein Peculium erscheint, hat ihre Ursachen lediglich in den ökonomischen Verhältnissen, nicht aber in den Bagaudenaufständen. Im Gegenteil, die Ansiedlung von Sklaven als quasi-cokmi auf den großen Gütern war ihrerseits eine Vorbedingung der Fluchtbewegung. Jedoch können diese letzten kritischen Einwände den Wert der soliden Arbeit des Moskauer Gelehrten nicht einschränken.
B Das Problem der Stellung der freien Lohnarbeit in der Ökonomik des Römischen Reiches vom 2. Jahrhundert bis zur Kodifizierung des Rechts Das Grundproblem der Geschichte besteht für den Historiker, der auf dem Boden der Marxschen materialistischen Geschichtsauffassung steht, in der Frage des Verhältnisses der Produktionsbeziehungen zu den Produktivkräften und ihrer Entwicklung. In dem Vorwort zu seiner „Kritik der politischen Ökonomie" sagt Marx: „In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen."1 In der Entwicklung der Produktivkräfte aber erblickte Marx die revolutionäre Kraft, die die Bewegimg der menschlichen Gesellschaft von einer niederen zu einer höheren Stufe verwirklicht. Wenn die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft auf einer bestimmten Stufe der Entwicklung in Widerspruch zu den bestehenden Produktionsbeziehungen, d. h. zu den Eigentumsbeziehungen gelangen, in denen sie sich bis dahin entwickelt haben, dann tritt nach Marx die Epoche der sozialen Revolution ein2. Es liegt auf der Hand, daß dieser Grundsatz des historischen Materialismus auch auf die Entwicklung der Verhältnisse im Römischen Reich angewendet werden muß, wenn man deren Ursachen nachgehen will, und darum spielt die Frage der Produktionsbeziehungen in allen Stadien, auch der alten Geschichte, eine große Rolle, besonders aber für die Zeit, in der sich der große Umschwung von der auf Sklaverei beruhenden Produktionsweise zur feudalistischen Formation anbahnt. Grundlage der antiken Produktionsweise war nach Marx die Sklaverei; daß es neben dieser in der antiken Welt viele andere zeitlich und örtlich bedingte Eigentumsformen gegeben hat, wird von Marx durchaus anerkannt, und auch die moderne sowjetische Geschichtsschreibung 1 8
K. MARX, Zur Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1951, 16. ebda. 7.
B. Bas Problem der Stellung der freien Lohnarbeit
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kennt neben den beiden Hauptklassen der antiken Gesellschaft, den Sklaven und den Sklavenhaltern, ein buntes Vielerlei von Nebenklassen.1 Im Zusammenhang mit diesem Fragenkomplex interessiert sich die sowjetische Geschichtsschreibung für die Stellung des Lohnarbeiters innerhalb der spätantiken Gesellschaft. Bei der Behandlung dieser Frage hat sich in den letzten Jahren ebenfalls ein Fortschritt der •wissenschaftlichen Betrachtung und ihrer Ergebnisse gezeigt. Die beiden Abhandlungen, die in diesem Zusammenhang vor allem zu erwähnen sind, stammen aus den Jahren 1955 und 1958: I. W. Schereschewski, Die rechtliche Regelung der Lohnarbeit in Rom, und M. J. Sjusjumow, Über die Lohnarbeit zur Zeit der Kodifizierung des römischen Rechts. Beide Arbeiten wurden im WestnikDrewneilstorii veröffentlicht 2 und beschäftigen sich vor allem mit der rechtlichen Seite des Problems. Worin besteht nun der Fortschritt, den man von der einen zur anderen Abhandlung erblicken kann? Wenn man diese Frage beantworten will, muß man einen kurzen Überblick zunächst über die zuerst genannte Abhandlung geben. Diese gesteht zwar das Vorhandensein der Lohnarbeit in Rom als seltener Erscheinung neben der vorherrschenden Sklaverei zu, meint aber, der freie Handwerker habe sich in den Augen des Sklavenhalters nicht viel vom Sklaven unterschieden und die Sklaverei drücke den Stempel der ünfreiheit auch der freien Lohnarbeit auf. Schereschewski meint: Wer sich an die Quellen des römischen Rechts wende, werde keineswegs darüber erstaunt sein, daß in ihnen Spuren einer Regelung der Lohnarbeit freier Bürger fehlen. Für die s e l t e n e n Fälle der Anwendung solchen Lohnes genügten vollkommen die Formen, die durch die Anwendung der Sklavenarbeit entstanden waren. Der Autor betont, daß auch die Arbeitskraft des freien Bürgers, der sich für die Ausführung einer Arbeit verdingte, eine Sache war und daß gerade deswegen im römischen Recht in der Frage der Arbeit 1
4
Vgl. S. L. UTTSCHENKO, Der weltanschaulich-politische Kampf in Horn am Vorabend des Sturzes der Republik, Berlin 1956, 6f. und E. IttraepMaH, KpnaHc paGOBJianenbiecKoro crpofl B aanaOTbix ÜPOBHHIJHHX PHMCKOA mraepHH, Moskau 1957,14. H . B . M E P E M E B C K H H , üpaBOBOe peryjinpoBaHHe HaeMHoroTpynaB PHMe, BecTHHK JCpeBHeä HCTOPHH 1955, 1, 3 9 — 5 0 ; M . H . C K > 3 K ) M O B , O HaeMHOM Tpyue B nepHon KONNITHKAIIHH pHMCKoro npaBa, BecTHHK SpeBHeä HCTOPHH 1958, 2, 132—142.
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B. Das Problem der Stellung der freien Lohnarbeit
freier Menschen ein großes Vakuum vorhanden sei. Weil die römische Wirtschaft auf der Sklaverei beruhte und es ein Ziel der römischen Gesetzgebung war, die Sklavenhaltergrundlage zu stärken, habe sich das römische Recht nur mit der Verdingung Unfreier und ihrer Dienste beschäftigt. Schereschewski bestreitet, daß sich Hinweise der Digesten auf Personen, die locant operas svas, also Lohnarbeit übernehmen, auf Freie beziehen, die selbst über ihre Arbeitskraft verfügten. Wenn solche Leute existierten, so habe sie der Gesetzgeber nicht im Auge gehabt. Den Ausdruck merces sieht Schereschewski als typisches Erzeugnis der Sklavenhaltergesellschaft an, „für die die Benutzung einer Sache, der Arbeitskraft eines Sklaven oder freien Menschen, der sich zum Sklaven herabwürdigte, ein und dasselbe war". Die Verdingung gegen Lohn bezeichnet der Autor dementsprechend als nicht weit vom Selbstverkauf entfernt, die Lage des Betreffenden als der Lage eines Sklaven ähnlich. Weiter stellt Schereschewski fest, daß für Rom die offene, nicht die getarnte Sklaverei typisch war, und bezeichnet die Fälle, in denen ein freier Bürger seine Arbeitskraft verkaufte, als Ausnahmefälle, in denen sich die beiden Seiten als Verkäufer und Käufer, aber nicht als Kapital und Lohnarbeit gegenübertraten. Schließlich kommt der Autor zu folgender Formulierung: „In Wirklichkeit ist die Lohnarbeit der kapitalistischen Gesellschaft eine spezifische, bürgerliche Form der Arbeit, die völlig von den antiken Formen verschieden ist." 1 Zusammenfassend kann man sagen, daß dieser Gelehrte offenbar einer ihm selbst vielleicht unbewußt gebliebenen Tendenz erlegen ist, die darin zu erblicken ist, daß er eine möglichst weitgehende Annäherung der freien Lohnarbeit an die Sklavenarbeit nachweisen möchte. Er stellt dabei zumindest zwei bekannte Tatsachen zu wenig in Rechnung: 1. daß bei aller Annäherung der armen Freien an die Sklaven eine Grenze von der Gesetzgebung niemals außer acht gelassen wird, nämlich der status libertatis — 2. daß eine allgemein übliche Erscheinung des Lebens keineswegs immer einer rechtlichen Regelung bedarf, daß vielmehr gerade 1
a. o . 50.
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problematisch gewordene Dinge immer wieder neuer Entscheidungen des Kaisers als gesetzgebender Instanz bedurften, daß also die Menge der vorliegenden Entscheidungen kein Beweis für eine alltägliche Erscheinung ist und daß umgekehrt das Fehlen gesetzlicher Bestimmungen noch nicht den Schluß auf ein Pehlen der entsprechenden Erscheinung im Leben zuläßt. Daß die freie Lohnarbeit n i c h t nur ein Ausnahmefall im alten Rom war, hat z. B. bereits E. Meyer in einem im Jahre 1898 gehaltenen Vortrag aufgezeigt. 1 Er führt dort aus, daß die Sklaverei bei ihrem langsamen Absterben seit dem 2. Jahrhundert u. Z. „nicht etwa der freien Arbeit Platz macht, sondern daß gleichzeitig mit ihr auch ihr Konkurrent, die freie Arbeit, zugrunde geht". Im Rahmen der vorliegenden Abhandlung kann die Frage des spezifischen Gewichts der freien Lohnarbeit in der antiken Wirtschaft nicht eingehend untersucht werden. Es sei nur auf eine Stelle des Codex Justinianus hingewiesen2, an der von flüchtigen Kolonen die Rede ist, die sich bei einem fremden Herrn niedergelassen haben, als wenn sie freie Leute wären, und die vielleicht durch irgendwelche Arbeiten einen ausbedungenen Lohn erworben haben. Gerade die Tatsache, daß gewissermaßen beiläufig von den geleisteten Arbeiten quibuscumque operis impensis und dem ausbedungenen Lohn merces placita, sowie von einem privatus contraclus im Zusammenhang mit Leuten die Rede ist, die sich als Freie ausgeben, beweist, daß es sich um eine allgemein übliche Erscheinung handelte, wenn Freie sich gegen Lohn verdingten. Man darf die Wirksamkeit des Gewohnheitsrechts neben dem kodifizierten Recht nicht unterschätzen. In der Richtung dieser Betrachtungen liegt auch die Kritik, die Sjusjumow in seinem Aufsatz über die Lohnarbeit an den Ergebnissen Schereschewskis übt. Eine geschlossene Übersicht über diese Abhandlung braucht an dieser Stelle nicht gegeben zu werden, vielmehr wird es genügen, einige Punkte hervorzuheben, an denen die Fortschritte dieses Autors gegenüber seinem Vorgänger besonders deutlich zutage treten. Sjusjumow wendet sich zunächst gegen Tendenzen in der sowjetischen ! e . MEYER, Die Sklaverei im Altertum, Kleine Schriften 1, 2. Aufl. Halle 1924, 169-212, bes. 212. 2 Codex Justinianus 11, 48 (47), 8, 1 um 370. 3
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historischen Literatur, die die Produktionsbeziehungen in der Sklavenhalterformation vereinfachen wollen, und wirft gerade Schereschewski vor, er strebe danach, alle verschiedenen Formen der Beziehungen zwischen Ausbeutern und Arbeitern in der alten Welt in ein Schema zu pressen. Man wird Sjusjumow zugeben müssen, daß seine Ablehnung einer so unzulässigen Vereinfachung, wie sie bei Schereschewski zu beobachten war, einen Fortschritt in der Behandlung der antiken Probleme darstellt. Das Leben ist und war eben bunter und mannigfaltiger, als daß man es auf eine Formel zurückführen könnte. Selbstverständlich gibt Sjusjumow seinem Gegner recht, wenn dieser behauptet, daß die Lohnarbeit in der antiken Welt der Lohnarbeit im kapitalistischen Staat nicht gleiche. Aber trotzdem läßt er keinen Zweifel an ihrem Bestehen gelten und bezeichnet den Akt der Übereinkunft zweier rechtlich voneinander unabhängiger Menschen als das Kennzeichen der Lohnarbeit in jeder beliebigen Klassengesellschaft. Es sind ferner zwei völlig verschiedene Dinge zu unterscheiden: Die Grundlage des Rechts an der Arbeit des Sklaven beruht auf dem Akt des Erwerbs der Person des Sklaven als einer Sache, während die Grundlage des Rechts auf die Arbeit des Lohnarbeiters der Akt der Vereinbarung zweier rechtlich voneinander unabhängiger Personen ist. Der Autor beruft sich auf Karl Marx: „Ohne Lohnarbeit gibt es keine Erzeugung des Mehrwertes, sobald sich die Individuen einander als freie Personen gegenüberstehen."1 Allerdings ist der Unterschied zu beachten, daß im kapitalistischen Staat der Unternehmer nicht ohne Lohnarbeiter auskommen kann, während im antiken Staat der Kauf eines Sklaven eine andere Form der Ausnutzung von Arbeitskraft mit sich brachte. Sjusjumow wirft die Frage auf, ob eine Gesellschaft, in der der Sklave der Haupterzeuger war, juristisch formulierte Rechtsnormen der Dingung von Arbeitskraft herausarbeiten konnte, und wendet sich gegen die in der Sowjetliteratur vertretene Auffassung, daß es für die Sklavenhalterformation außerordentlich schwierig gewesen sei, von der Person des Menschen eine solche Ware wie seine Arbeitskraft zu trennen. Eine solche Einstellung — meint Sjusjumow — hieße, der antiken Gesellschaft ein zu primitives Denken zuzumuten. Im römi1
K. MARX—F. ENGELS-Archiv 2, 63 (zit. nach Ckwiomob a. 0.132).
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sehen Recht gibt es ja, wie er betont, auch durchaus die Abstraktion der Arbeitskraft des Sklaven in der locatio operarum servi. Die oben erwähnte Ansicht Schereschewskis, das römische Recht habe bei der Seltenheit der Lohnarbeit keine juristisch formulierten Normen für die Dingung von Arbeitskraft begründen können und der Begriff der locatio — conductio operarum habe sich nicht auf die Arbeit Freier bezogen, wird von Sjusjumow unter Hinweis auf die Digesten und die tatsächlichen Verhältnisse im Römischen Reich vom 2. Jahrhundert an scharf zurückgewiesen. Grundlegender Irrtum Schereschewskis laut Sjusjumow ist, daß er die Stellung der Sklavenarbeit in der antiken Gesellschaft überhaupt und die Stellung der Sklavenarbeit im System der Lohnarbeit durcheinanderbringt. Sjusjumow betont folgendes: In der Produktion innerhalb der antiken Gesellschaft nahm die Sklavenarbeit die beherrschende Stellung ein, aber das bedeutet nicht, daß sie im System der Lohnarbeit vorherrschte, die allerdings ohne sichtbare Stelle neben der Zwangsarbeit existierte.1 Bei der weiteren Auseinandersetzung mit den Argumenten Schereschewskis, die hier nur an Beispielen verfolgt werden kann, widerlegt Sjusjumow u. a. dessen Auffassung des Begriffs merces als eines Kennzeichens des Sklavenstatus, demgegenüber der Lohn für Freie honorarium salarium hieße. Zur Widerlegung der Meinung Schereschewskis genügt der Hinweis auf die mercedes und salaria der Professoren und Ärzte, die in einem Gesetz Konstantins vom Jahre 333 genannt werden2, und auf ein Gesetz desselben Kaisers vom Jahre 317, in dem es heißt: quod si servtts ingenuum se esse mentitus sub mercede a/pud aliquem fuerit3 — wenn ein Sklave sich fälschlich als Freier ausgegeben hat und als solcher bei jemandem in Lohn stand ... Auch hier ist ganz selbstverständlich von der merces eines freien Lohnarbeiters die Rede. Die Verdingung von eigenen operae wird sowohl in den Digesten wie auch im Codex Justinianus erwähnt, und es besteht kein Grund, diese Stellen nur auf Unfreie zu beziehen, vielmehr ist es an den von Sjus1 C J 0 3 I 0 M 0 B a. 0.136. 3
Codex Justinianus 10, 53 (52), 6, 1.
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Codex Justinianus 6,1, 4, 3. — Man vergleiche zu dieser Frage z. B . auch die dakischen Wachs tafeln, auf denen merces deutlich als Lohn freier Arbeiter (Mitte des 2. Jahrhunderts) erscheint (Corpus Inscriptionum Latinarum I I I p . 948 X = Fontes Juris Romani Antejustiniani I I I ed. V. A R A N G I O - R U I Z , Florenz 1943, N r . 150).
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jumow zitierten Stellen deutlich, daß als Vertragspartner des Arbeitgebers auch Freie in Frage kommen. So z. B. wenn es an einer Stelle von einem Unternehmer heißt, er wohne mit denen zusammen, quos loco servorum in operis habet,... licet liberi sint vel servi alieni1. Das bedeutet, daß der betreffende Unternehmer bei Lohnarbeiten — von eigenen Sklaven ist hier nicht die Rede — Freie neben Sklaven eines fremden Herrn beschäftigt. Es bestand also — auch nach Auffassung der Digesten, die hier eine Stelle von Ulpian wiedergeben — die Möglichkeit, sich entweder freie Lohnarbeiter oder von einem Sklavenhalter Sklaven für Lohnarbeiter zu dingen. Infolge solcher Überlegungen kommt Sjusjomow zu der Schlußfolgerung, daß gerade der Status des Freien und nicht der des Sklaven dem Lohnvertrag zugrunde lag. Die Anerkennung der freien Lohnarbeit in der Antike bedeutet nach Sjusjumows Meinung durchaus keine Modernisierung, sofern man nicht moderne Begriffe wie den des Industrie-Proletariats in das Römische Reich hineinbringt. Ebensowenig hält er es für eine Modernisierung, wenn man feststellt, daß zu jeder Zeit in der Lohnarbeit das Grundlegende immer unveränderlich blieb, was sie zu einer Einrichtung sui generis machte, d. h. sie war die einzige Form, die die Möglichkeit der Ausbeutung eines unabhängigen Menschen durch den Arbeitgeber gewährte. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die freie Lohnarbeit in der Antike eine durchaus alltägliche Erscheinung war — unter den zahlreichen Zeugnissen hierfür verweist Sjusjumow auch auf das Gleichnis vom Weinberg im Neuen Testament —, nennt dieser Autor Schereschewskis Behauptung, es habe in spätrömischer Zeit keinen Arbeitsvertrag gegeben, unverständlich und weist auf die vielen in Papyri erhaltenen Verträge über Verdingung freier Personen hin. Gewiß waren, wie auch er einräumt, die Voraussetzungen andere als im Kapitalismus, aber der Vertrag zwischen dem Armen und dem Arbeitgeber blieb im Grunde genommen in der Klassengesellschaft der gleiche. Abschließend kann man über die Behandlung des Problems der Lohnarbeit in der Antike in den letzten Arbeiten der sowjetischen Historiker sagen, daß die negative Beurteilung dieses Problems, wie man sie 1
Digesten 7, 8, 4, pr.
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bei Schereschewski findet, durch den Aufsatz Sjusjumows eine wesentliche Berichtigung erfahren hat. Schereschewski hatte nicht nur den Umfang der freien Lohnarbeit in der Wirtschaft des Römischen Reiches unterschätzt, sondern auch die rechtliche Regelung in den uns erhaltenen Rechtsbüchern bestritten. Beide Teilfragen dieses Komplexes hat Sjusjumow wieder ins rechte Licht gerückt. Er hat erstens darauf hingewiesen, daß die Lohnarbeit in der Wirtschaft des Römischen Reiches eine alltägliche Erscheinung neben der Sklaverei war, und er hat zweitens konkrete Beweise für deren rechtliche Regelung aus den Digesten und dem Codex angeführt. Weiter zu gehen wird auch kaum möglich sein, weil bei der kasuistischen Behandlung des Rechts in diesen Büchern niemand eine systematische Regelung der Frage der Lohnarbeit erwarten kann. Als ein weiterer Vorzug des Aufsatzes von Sjusjumow sei hervorgehoben, daß er in der Abgrenzung der Lohnarbeit in der Antike gegenüber dem Kapitalismus das richtige Maß gewahrt hat.
Von den zahlreichen Veröffentlichungen sowjetischer Althistoriker der letzten Jahre, die alle zu nennen nicht Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein kann, seien zum Abschluß zwei erwähnt, die beide sehr voneinander verschieden sind und auch sehr verschiedene Probleme behandeln. Grundlegend sowohl hinsichtlich der Problemstellung als auch hinsichtlich der Methode ist das Ende 1957 in Moskau erschienene Werk von Frau E. M. Schtaerman „Die Krise der auf Sklaverei gegründeten Gesellschaftsform in den westlichen Provinzen des Römischen Reiches."1 Dieses Werk ist der erste Versuch in der marxistischen Geschichtswissenschaft, „die überaus vielgestaltigen und komplizierten Erscheinungen der sogenannten Krise des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert als Resultat der beginnenden allgemeinen Krise der auf Sklaverei beruhenden Produktionsweise aufzuzeigen und den mit ihnen verbundenen politischen und ideologischen Erscheinungen die sozialökonomische Basis zu geben, die jene bestimmt und erklärt" — 1
s. S. 15 Anm. 1.
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Schlußbemerkungen
so formuliert die erste im Westnik Drewnei Istorii erschienene Rezension von Djakow das Ziel dieser breitangelegten und auf solidem Wissen beruhenden Monographie.1 Auch diese Rezension des Buches von Frau Schtaerman ist ein Beweis für die eingangs dieser Ausführungen erwähnte Beobachtung, daß in der sowjetischen historischen Literatur eine offene und sachlich scharf geführte Diskussion der Probleme vor sich geht. Der Rezensent erkennt durchaus die Verdienste des Werkes an, das den Weg zu einer breiten Diskussion eröffnen kann, und stellt andererseits Schwächen der Methode und der allgemeinen Konzeption rücksichtslos heraus. Soweit sich zunächst übersehen läßt, verliert sich die Kritik in mancher Beziehung sogar zu sehr in eine gewisse Kleinlichkeit, z. B. wenn der Verfasserin vorgeworfen wird, das Wörter wie „möglich" und „wahrscheinlich" im Zusammenhang mit ihren Schlußfolgerungen öfter vorkommen. Hier muß man vielmehr bedenken, daß bei der Schwierigkeit der Beurteilung der Probleme jener Zeit oft nur Ergebnisse mit einem bestimmten Wahrscheinlichkeitsgrad zu erreichen sind. Die vorhandenen Quellen gestatten oft keinen absolut sicheren, lückenlosen Beweis, sondern vermitteln in sehr vielen Fällen nur Indizien für bestimmte Rückschlüsse. Die zweite hier noch zu erwähnende Arbeit ist die Kandidatendissertation eines jüngeren Leningrader Althistorikers, J. B. Braschinski, „Athen und die Nordküste des Schwarzen Meeres im 6 . - 4 . Jahrhundert v. u. Z."2. Im Zusammenhang mit der Versorgung der athenischen Bevölkerung mit Brotgetreide aus dem Königreich Bosporus und den Städten der nördlichen Schwarzmeerküste ist diese Arbeit u. a. geeignet, eine wichtige Seite der athenischen Politik und der Operationen und Maßnahmen des Peloponnesischen Krieges auf breiter Basis zu erläutern. Auch die pontische Expedition des Perikles wird ausführlich behandelt und der Versuch ihrer Datierung auf die Zeit von Sommer bis Herbst 439 gemacht. Der Teil der Arbeit, der die pontische Expedition des Perikles behandelt, ist bereits als Aufsatz erschienen.3 1
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BecTHHK JIpeBHeit HCTOPHH 1958, 4, 122—129. A$HHHI H ceBepHoe npniepHOMopbe B VI—IV BB. ho H . 3., Leningrad 1958. IIoHTHftcKaH aKcneflHqHH nepHKJia, BecTHHK HpeBHeü HCTOPHH 1958, 3, 110—121.
H. B. EPAHIHHCKHii,
In der gleichen Schriftenreihe
erschien:
Band 1
Der Materialismus in der Philosophie der griechisch-römischen Antike Von GEORG MAX HARTMANN 1059. VI, 49 Seiten -
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8° - DM 2,50
I n der Geschichte der gesellschaftlichen E n t w i c k l u n g ist nachgewiesen, d a ß der Sieg der jeweils fortschrittlichen K r ä f t e ü b e r eine alte Gesellschaftsordnung eine neue Gesellschaftsform höherer Q u a l i t ä t hervorrief, z u m Wohl u n d N u t z e n aller. Friedrich Engels f ü h r t e in seinem Anti-Dühring aus, d a ß die E i n f ü h r u n g der Sklaverei u n t e r den damaligen U m s t ä n d e n ein großer F o r t s c h r i t t war, d a die Sklaverei die Teilung der Arbeit zwischen Ackerbau u n d Industrie, die zur Blüte der Alten W e l t f ü h r t e , erst in größerem M a ß s t a b möglich m a c h t e . Der rege W a r e n a u s t a u s c h auf dem Seeweg b r a c h t e eine Erweiterung des geistigen Horizonts m i t sich. Die N a t u r e r k e n n t n i s wurde v e r t i e f t u n d der Mensch langsam von idealistischer Mystik befreit. Zwar dringt zur Zeit der griechisch-römischen Antike das fortschrittliche D e n k e n einiger aufgeklärter Geister noch nicht in das Bewußtsein der Volksmassen, dennoch war der altgriechische Materialismus die Ideologie verhältnismäßig fortschrittlicher Gruppen von Sklavenhaltern. Sie f ö r d e r t e n die E n t w i c k l u n g der Produktionsweise, waren a n der V e r m e h r u n g wissenschaftlicher Erkenntnisse interessiert u n d u n t e r s t ü t z t e n die Sklavenhalterdemokratie. Der Verfasser geht diesem fortschrittlichen D e n k e n nach u n d f ü h r t den Leser an H a n d der Lehren Demokrits, Aristoteles' u n d E p i k u r s in die griechische Philosophie ein, in der das dialektische D e n k e n noch in naturwüchsiger Einfachheit a u f t r i t t , es beschäftigt sich n u r m i t der N a t u r als ganzem. Dieses erste wissenschaftliche Denken in der Geschichte der Menschheit ist materialistisch. Der Materialismus s t e h t also am Beginn der philosophischen Beschäftigung init der N a t u r der Welt. Bestellungen
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Griechische Tyrannis und griechische Tyrannen Von H.-J. DIESNER i960, etwa 76 Seiten - gr. 8° — etwa DM 3,40
In dem 2. Band der populärwissenschaftlichen Reihe beschäftigt sich der Verfasser mit der Tyrannis, die eine bestimmte Herrschaftsform des alten Griechenland darstellt, und einigen ihrer bekanntesten Vertreter in verschiedenen Stadtstaaten. Er geht der Bedeutung und dem Ursprung des Wortes Tyrannis nach, das bis zu unserer Zeit einen mehrfachen Bedeutungswandel erfahren hat. Dabei wird der progressive Charakter verschiedener Tyrannen herausgestellt und ihre positive Rolle bei der Vorbereitung der nachfolgenden Sklavenhalterdemokratien hervorgehoben.
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