Landschaft und Seele: Neue Wege der Untersuchung und Gestaltung [Reprint 2019 ed.] 9783486758092, 9783486758085


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German Pages 481 [488] Year 1928

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Vorwort
Inhalt
Erstes Buch. Weg und Ziel
Zweites Buch. Landschaft und Kultur
Drittes Buch. Schrifttum und Forschung
Blattweiser
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Landschaft und Seele: Neue Wege der Untersuchung und Gestaltung [Reprint 2019 ed.]
 9783486758092, 9783486758085

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Landschaft und Seele

Ewald Bans«

Landschaft und Seele Neue Wege der Untersuchung

und Gestaltung

Mit r Textabbildungen

und X Kart'

Druck und Verlag von R. Oldenbourg

München und Berlin 1928

Alle Recht«, «i,schli«ilich deß übersetz,Ngrrechte», Vorbehalt«, Copyright 1928 by 0L Olbtebterg, «il,che» »,d Berli,

Meiner lieben Freundin

und verständnisvollen Mitarbeiterin

E.l s e Banse

Vorwort Die Jahre nach dem Kriege stehen im Zeichen de» Kampfes um den neuen Stil in der Geographie. Es geht um die Frage: genügen die Mittel der Wissen­ schaft (zergliedernde Untersuchung und Beschreibung), ein Land zu schildern, oder mutz das Rüstzeug der Kunst (Einfühlung, Zusammenschau, Gestaltung) zu Hilfe genommen werden, um ein Land lebendig werden zu lassen? gch begann diesen Kampf im Jahre eintausendneunhundertundzwölf und kämpfte ihn, anfangs allein, in den letzten Jahren von man­ chen Fachgenossen und Laien wenigstens mit Beifall unterstützt, bis zum heutigen Tage durch. Der bis­ herige Erfolg besteht darin, daß die Fachleute des gn- und Auslandes auf die neue Richtung aufmerk­ sam geworden sind und gezwungen wurden, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Wer die Trägheit des menschlichen Herzens kennt, wird das nicht gar so wenig finden, zumal wenn er bedenkt, dah der Kamps von einem einfachen Privatmann ohne Titel und Stellung, ohne den schirmenden Hintergrund einer Akademie oder Universität geführt wird. Und wer zu unterscheiden weiß zwischen Recht und Umecht, zwischen Gut und Döse, der mag leichtlich erkennen, welche der beiden Richtungen das Ohr der nach uns Kommenden besitzen wird.

Das vorliegende Buch umfaßt in seinem ersten Teile grundsätzliche Arbeiten über die Fragestellung der gestaltenden Geographie. Der zweite Teil ent­ hält Versuche, in denen danach verfahren wird. Der dritte Teil bringt weitere Ausführungen zum Thema. Wer sich gutwillig und ernstlich in das Buch per­ ltest, müßte meine Absichten klar erkennen.

Ewald Banse

Inhalt Erstes Buch / Weg und Ziel Sette

Vite Entwicklung der Geographie....................... Von der Entdeckung zur Erforschung.................. Sinn geographischer Forschung 3 — Bedeutung der nordischen Nasse für die Entdeckungen 5 — Schauspiel in fünf Aufzügen 8 — Der Kreis der Normannen 9 — Die alten Landostfahrten 11 — Weltbild des Abendlandes im Spätmittel­ alter 12 — Zeitalter der Entdeckungen 14 — Das siebenzehnte Jahrhundert 18 — Erforschung der See 20 — Afrika 22 — Eisgebiete 23 — Hochasien 25 - Heutiger Stand der Erforschung 27

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Don der Beschreibung zur Gestaltung............................ 29 Drei Stufen der Entwicklung 29 — Beschreibende Geographie 30—AntersuchendeGeographie31 — Allgemeine Erdkunde 34 — Formenlehre 35 — Geographie desMenschen 36—Länderkunde 38— Erdteil, Umwelt, Landschaft 40 — Gestaltende Geographie 44

Die e Landschaft......................................................................48

Geographische Bedeutung 48 — Gegenständliche und übersinnliche Landschaft 50 Sichtbare Landschaft 52 — Farbe, Licht und Schatten 52—Landform 54—Bewachsung 56— Wasser 58 — Werke des Menschen 59 — Tiefen­ gliederung 63—Abwechslung und Gegensatz 65— Beweglichkeit 65 — Gesichtkreis 66

Sette

Unsichtbare Landschaft 68 — Geruch 70 — Haut­ gefühl 71 — Übersinnliches 72 — Seele 73 — Schbnheit 74

Zweites Buch ✓ Landschaft und Kultur Zur seelengeographischen Gliederung der Erde...................................................................................... 79 Messende und gestaltende Geographie 79 — Seelenklima 80 — Rasse 81 Germanisches Europa 86 — Hintereuropa 88 — Mittagland 90 — Morgenland 92 Das schwarze Afrika der Neger 93 — Waldnegerafrita (Kongoginea) und Saoannenland 94 — Das braune Ostafrika 96 — Abessinien 97 — Das Osthorn 98 — Südafrika 99 — Mada­ gaskar 101 Indien 103 — Indiens Rassen 107 Das Germanische Europa.......................................... 111 Drei Gürtel 111 — Fremdland 112 — Rand­ land 115 — Kernland 121 — Die Germanische Binnensee 122 — Ihre Landumrahmung 126 — Klima 129 — Rassen 133 — Kultur 137 — Erster Teilgermanischer Kulturentwicklung 140— Zweiter Teil 142 — Dritter Teil 146

Die skandinavische Landschaft............................... 149 Allgemeinere Gesichtspunkte 149 — Skandi­ naviens Bild 151 — Felsgrundlage 153 — Ber­ eisung 155 — Klima 157 — Pflanzentleid 159 — Art der skandinavischen Natur 161 — Das Haus 164 — Die Holzkirche 165 — Der skandi­ navische Mensch 166 — Klima-Änderungen und

Sette

Shitturlinie 167 — SennLnische» Klima 170 — Landschaft und Mensch 171 Schweben................................................................................ 173 Schonen 173—Smüland 176—Bohuslän 178— Seen-Niederung Mittelschwedens 182 — Trollhätta 184 — Schären 187 — Rorrland 189 — Lappland 195

Lofoten....................................................................................200 Norwegen............................................................................... 210 Drei Landformen 210 — Land der Dale 213 — Land der Melde 218 — Land der Fjord« 222 Die lnseldSnische Landschaft............................................. 231 Dänisch Land und Doll 231 — Natur 233 — Ebene 234 — Hügelland 235 — Fjord und Doll 237

Das schön« Deutschland............................................. 240 Deutsche Landschaft 240 — Waterkant 243 — Haid« 244 — Oberdeutsch« Landschaft 246 — Alpen 248 — Reichtum an Einzelheiten 250 Niedersachsen, «in geographischer Deutungs­ versuch ............................................................................... 253 Niedersächsische Umwelt 253 — Zweiteilung des Bodens 256 Die Natur des Nordens, Tiefland 258 — Halb« 262 — Moor 266 — Marsch 268 Die Natur de» Süden», Bergland 271 — Klima 275 — Pflanzenleben 277 — Be­ völkerung 278 — Stämme 278 — Art 280 — Veranlagung 284 — Besiedlung 288 — Dors­ und Stadthaus 293 — Die Stadt 296 — Wirtschaftsleben 299

Gelte Braunschweig.................................................................. 307 Umwelt und Grenzlage 307 — Die umgebende Landschaft 308 — Entwicklung des Stadt­ bildes 315 — Die Stadtlandschast 320 — Ge­ schichtliches und wirtschaftliches Werden 324 — Bevölkerung 328 — Wirtschaftsleben 330 Landschaft und Volkstum der Türkei .... 334 Landschaft 335 — Nördliches Randgebirge 336 — Inneres Hochland 337 — Westkleinasien 338 — Südliches Randgebirge 338 — Landesnatur und Einfluß auf den Menschen 340 — Bevölkerung 343 — Alarobische Rasse 343 — Nordische Rasse 346 — Kurden 347 — Türken 350 — Der heutige Staat und der Kulturwandel 352

Drittes Buch / Schrifttum und Forschung Umrisse zu einer Literaturgeschichte der Geo­ graphie .......................................................................... 359 Literatur des Mittelalters 359 — Reisewerte von Forster bis Dodenstedt 361 — Das neuere Schrifttum 364 Erzählende Geographie 368 Erzählende Iugendschristen 373 Belehrende Iugendschristen 377

Alexander von Humboldt, der erste Vorläufer gestaltender Geographie......................................... 378 Glück und Idee 378 — Das erste Menschen­ alter: die Vorbereitung 380 — Das zweite Menschenalter: Amerika und Paris 401 — Das dritte Menschenalter: Kosmos und Berlin 426 — Das Genie Humboldt 444.

Erste» Buch

Weg und Ziel

Die Entwicklung der Geographie Don der Entdeckung zur Erforschung

Ks ist ein auszeichnender Zug des Menschen, daß Vi- er, anders als die übrigen Bewohner der Erde, das Verlangen hat, sich mit seiner Umwelt auseinan­ derzusetzen. Er nimmt Klima und Wohnort, Pflanzen und Nachbarn nicht einfach als gegeben hin, sondern er trachtet sie kennen zu lernen, sie in Gruppen ein­ zuordnen, kurz: geistig sich ihrer zu bemächtigen. Dieser Drang findet sich aus niedriger wie aus hoher Stufe der Menschwerdung, doch tritt er, gesondert nach Ort, Feit und Kulturhöhe, in verschiedenen Formen auf. Beim Buschmann der Kalahari äußert er sich in seiner einfachsten und natürlichsten Art. Um die erforderliche Nahrungsmenge zu sammeln, muß er in seiner kümmerlich ausgestatteten Heimat aus­ gedehnte Räume durcheilen; er gewinnt dadurch ein­ gehende geographische Kenntnisse. Beim Groß­ städter unserer Tage hat jener Drang sich in so viele Berufe und „Interessen" zerspällt, daß das eigent­ lich Geographische in Hintergrund tritt, ja voll­ ständig verschwindet. Der Forschdrang erscheint in Völkern der Hochtultur lediglich bei gewissen Per­ sonen, offenbart sich dann aber als besondere Be­ gabung, steigert sich zuweilen zu einer wahren Leidenle

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schäft und entwickelt eigene Arbeitsweisen, die sich vom flüchtigen Spähen des gehetzten Buschmannes unendlich unterscheiden: während der Buschmann nur forscht, um zu leben, lebt der Geograph, um zu forschen. Und auch innerhalb der Geographie gibt es eine Entwickelreihe, die von der Entdeckung mit einfacher Feststellung des Neuen fortschreitet zur Gestaltung, d. h. bis zur künstlerischen Betrach­ tung des wissenschaftlich Erkannten. gn höher gerichteten Völkern hat geographische Beschäftigung bloß noch aus ihren niedrigeren Stufen (aus denen der Entdeckung oder der wirtschaftlichen Durchforschung der Länder) mit dem Bedürfnis der Nahrungssuche, aber auch nur mittelbar, zu tun. Fm allgemeinen entspringt sie dort, völlig ohne Eigennutz, dem Bestreben des Wissens um seiner selbst willen. Wie der Mensch der Urkulturen nach Kenntnis seines beschränkten Wohnraume» drängt, sein Leben fristen zu können, so ringt der Mensch der Hochkultur nach Erkenntnis der Erde, um geistig des Weltganzen Herr zu werden. Auch der Halbmensch wirst gelegentlich einen Blick über sein beschränktes Gebiet hinaus, allein er tut es ohne Augenschärfe und bringt es nur zu unklaren Vorstellungen eines spuk­ haften Glaubens. Erst der Mensch der Höhenkulturen müht sich um die Dinge außerhalb seines nächsten und notwendigsten Gesichtskreises, er sieht über die Grenzen seiner Raumschast hinaus, ja er läßt seinen Geist über Länder und Meere schweifen und fügt die Einzelstücke zu einer Gesamtheit zusammen, die dann sein Weltbild ausmacht.

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Die Weltbilder der Rulhiroöttet sind sehr ver­ schieden, denn ein jedes spiegelt nicht allein den Stand der Erforschung, sondern auch den Charakter des Volkes wider. Der abgeschlossenen, in sich selber gestellten Art des Chinesen entspricht es, wenn er aus einer Wellkarte China riesengroß und als Mittel­ punkt, alle übrigen Länder aber als winzige Rand­ gebiet« darstellt. Hieraus zu folgern, er habe von der Größe der Erde falsche Vorstellungen, wäre unver­ ständig: er sieht sich als die Hauptsache an, verachtet das übrige und drückt dies, ein früher Expressionist, entsprechend aus. Im Gegensatz zu ihm bemüht sich der Abendländer, welchem Verständnis für fremde Art jeweilen Stärke und Schwäche ward, geo­ graphische Gerechtigkeit zu üben. Er weist allen Räumen ohne Unterschied die ihnen gebührenden Maße zu, ja er geht vielfach so weit, dah er fremdes Land mit größerem Eifer durchforscht als das hei­ mische. Vielleicht ist dieser Zug dem nordischen Menschen allein eigen, indem er dessen Selbstentäußerung und dessen Streben über das eigene Ich hinaus widergibt. Innerhalb der abendländischen Menschheit,

ins­

besondere innerhalb ihrer germanischen Ausprä­ gung, hat die geographische Forschung zu sehr früher Zelt begonnen. Die Wanderungen der nor­ dischen Rasse aus deren Sitzen im Mittelnorden Europas in alle Lande hinaus bezeugen das. Die ältesten Züge schon, von denen wir Kunde haben und die wir in die junge Bronzezeit (um 2000 v.Chr.)

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setzen, schlugen Richtungen ein, deren Wahl und später immer wiederholte Benutzung aus ausreichende Kenntnis schließen lassen, Fm Lichte dieser Anschau­ ung erscheint uns das von den Wikingern des 9. Jahr­ hunderts eingeleitete Zeitalter der geschichtlich be­ legten Entdeckungen nur als Fortsetzung jener ver­ sunkenen Jahrtausende, in denen nordische Stämme sich in alle Welt ausbreiteten und überall Kulturen ihrer Schöpferkraft auf farbiger Grundlage schufen. Und das letzte Jahrhundert der Erforschungen, das 19., ist nichts anderes als der Abschluß jener Wikingerfahrten. Don dem Normannen Erik dem Roten, der 980 Grönland aussand, führt eine un­ mittelbare und folgerichtige Linie der Entwicklung zu seinem Landsmanne Roald Amundsen, dessen Fuß 1911 den Südpol betrat — mit diesen beiden germanischen Namen beginnt und schließt jenes Blatt, das eines der ruhmvollsten ist im goldenen Buche der nordischen Rasse und das einen ihrer Haupttltel bildet für die Beherrschung der Welt. Dieser Trieb, geographisch zu forschen, der den anderen Rassen so gut wie ganz versagt geblieben ist, mag seine Wurzel in bloßer Abenteuerlust und Deutegier haben — soweit nicht in ftühen Zeiten der Entwicklung gar einfache Nahrungsnot mitbe­ stimmend wirtte. Aber er entfaltete sich doch auch zu höheren Stufen: die niedrige Deutegier zu dem Stteden, neue Reiche zu gründen, und die unklare Abenteuerlust zu dem Drang, zu forschen. Dazu kam, daß die jungen Leute es zu Hause nicht mehr aushielten. Die jüngeren Söhne namentlich, in 6

Ansprüchen erzogen, welche ihnen Erbbevorzugung des Ältesten später schuldig blieb, sattelten oder gingen Anker auf, neues Leben auf fremder Erde zu erkämpfen. Sie wollten und sie muhten hinaus, verrichteten Taten, wurden selbständig und er­ weiterten ihre Dorstellungswelt. So kam es zu den alten Wanderungen und Wikingerfahrten, Kreuzund Römerzügen, zu den Ostritten und Ent­ deckungsreisen. Aus diesem winzigen Stück Erde, welches wir das Germanische Europa nennen und welches ungefähr nur den einhundertfünfundachtzigsten Teil der Erdoberfläche ausmacht, gingen die jungen Leute aus, Indien zu erobern und Nil­ staaten zu errichten, die Eisländer zu erforschen und den tropischen Urwald, die Tiefen der See auezuloten und das Gedankengebäude der heutigen Geo­ graphie aufzusühren. All diese Abenteurer und Ent­ decker sind Wegbereiter geworden des heutigen Weltverkehrs und der Weltwirtschaft, der Kolonial­ reiche und der Weltzivilisation, die germanisch ist und im Begriffe steht, alle anderen Zivilisationen zu aberschichten. Wären nicht Schiffe im Eismeer zermalmt und einsame Wanderer, Kompah und Stift in der Hand, zwischen Wüstendünen und unter Urwaldbäumen erschlagen worden — noch heut be­ stünde die Menschheit aus einzelnen Zellen, deren keine von der andern wüßte, und niemand im Abendlande könnte eine Zigarre rauchen und eine Tasse Kaffee oder Tee trinken, niemand könnte Schokolade essen oder baumwollne Gewänder tragen. Ob das besser wäre, als es heute ist, steht hier nicht in Rede — es 7

ist so, und daß es so ist, danken wir dem Forschdrang einzelner Männer nordischer Rasse.

Die

Entschleierung

der

Erde

steht

vor

uns

als Schauspiel in fünf Auszügen. Im ersten er­ zählen die Normannen die Dorfabel; durch graue Nebel tönt das Schnalzen langer Ruder, und die Schatten gespenstischer Eisberge schieben sich vorüber. Im zweiten geschehen die ersten großen Gesten, schon kühn über alle Maßen, aber noch ohne Erfolge; die Millionenstädte Chinas tauchen im Hintergründe auf. Im dritten erreicht die Handlung äußerlich ihren Höhepunkt, und die Gestalten der Entdecker gehen mit gewaltigen Schritten über die Bühne, um welche die Goldberge Amerikas und die Tempel­ stätten Indiens emporwachsen. Mit dem vierten seht eine neue Zeit ein; in ahnungsvollem Schweigen des Meeres und der Wüste wandeln sich Entdecker zu Forschern. Und im fünften Aufzuge tummelt sich vor Hintergründen und zwischen Schiebewänden eine wachsende Menge von Reisenden und Forschern, deren Gebärden weitausholend beginnen und mit der Zeit immer feiner, aber auch kleiner werden. Und im Zuschauerraum sitzt die abendländische Mensch­ heit. Vornan sieht man die gelehrte und die sonstwie beteiligte Welt, die mit glänzenden Augen dem Schauspiel folgt, einem der gewaltigsten, das je aus den Herzen und Fäusten von Männern sich aufgebaut hat. Dahinter und immer weiter nach hinten abgestust folgen die anderen, die bloße Öffentlichkeit, all jene, die nur gelegentlich einmal einen Blick auf die

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Bühne werfen, und jene, die alles, auch da» größte, als gegeben hinnehmen, und jene, die gedankenlose und undankbare Nutznießer sind der Taten, die dort vor ihren Augen geschehen. Draußen aber um das Schauhau» herum flutet das weite und breite Leben, da» Leben der gelben und braunen und schwarzen Völker, deren Entdeckung drinnen gespielt wird. Sie kümmern sich um rein gar nichts, sie ahnen nicht, daß sie „entdeckt" worden sind, sie leben ihr dumpfes Dasein weiter ohne Gedanken anEntwicklungundErkenntnis.

Der erste Kreis der Entdeckungsreisen, jener der Normannen, ging von der Nordsee aus und um­ spannte weit größere Räume, als die antike Schiffahrt jemals eingenommen hat. Dor allen Dingen enthielt er als völlig neue Entdeckungen: die Polarwelt und Amerika. Die Männer aus den Fjorden fuhren auf leichten Drachen mit Ruder und Raasegel und fanden sich zurecht mit Hilfe von Vögeln, welche sie auf Landsuche abließen, und mit Hilfe des Leidarsteines, in dem man die ältere Form des Kom­ passes erblicken darf. Der Kompaß selber wird 1190 zuerst genannt, und zwar von einem Engländer; bei den Arabern findet er sich erst 1242 erwähnt, und daß er von China über die Araber ins Abendland ge­ langt sei, ist falsche Annahme einer Zeit, die alles Tüchtige bei den Fremden suchte. Sizilische Normannen entdeckten schon früh die Azoren und legten 1365 Handelshäuser am Senegal an. Schwedische Waräger gelangten über Rußland, dessen verschlungenes Stromnetz ihren Fahrzeugen

den Rücken bot, bis zum Kaspischen Meer. Nach dem hohen Norden fuhren die Normannen des Walfangs und des Pelzhandels wegen. Ein Ottar umsegelte zwischen 870 und 890 das Nordkap und lies ins Weihe Meer ein, 965 erreichte Harald Gräfeld die Dwinamündung, andere arbeiteten sich bis Nowaja Semlja, Spitzbergen (1194) und gar bis zum nord­ östlichen Grönland vor. Der Gürtel zusammen­ hängenden Packeises dort oben verwehrte weiteres Vordringen; die kühnen Schiffer hatten erreicht, was damals zu erreichen war. Daß nicht bloh händlerische Belange zu diesen Fahrten trieben, erhellt aus der vereinzetten Überlieferung, nach der einige Friesen in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts eine rein wissenschaftliche Polarfahtt unternahmen; sie ge­ langten anscheinend bis Fan Mayen. Nach Westen hin sind es drei Namen, an die sich die normannische Entdeckettätigkeit knüpft: Island, Grönland und Nordamerika. Um 860 segelten sie das schon 795 von Iren gesichtete Island an und besiedelten es 875. Die entlegene Insel des Eises und des Feuers wurde die letzte Heimat des alt­ germanischen Götterglaubens und hat uns in den folgenden gahrhundetten die edelsten Blüten unserer Urdichtung gesammelt und überliefert. Der Schritt gen Abend erfolgte um 980, wo Erik der Rote von Island aus die Westküste von Grönland besuchte, dessen Besiedelung 984 begann. Die Normannen wagten sich 1266 bis zum LancesterSund und bis zur Darrowstrahe hinauf. Leider gingen die Ortschaften später ein, und der Schisss10

verkehr von Bergen au» dorthin riß Ende des 15. Jahrhunderts ad, so daß der Engländer Martin Frobisher Grönland 1576—78 neu auffand. Die Wikinger richteten ihre Kiele aber auch nach Süden. Torsinn Karlsevne entdeckte 1003 die Rüste Labradors (Helluland), Neufundlands (Martland) und Neuschottlands (Winland; ein Deutscher be­ stimmte hier eine den Wikingern unbekannte Pflanze als Wein). Verkehr zwischen Grönland und Amerika scheint bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts bestanden zu haben, hauptsächlich wohl, um das notwendige Holz nordwärts zu bringen.

Der vordere Orient in Afrika und Asien, durch jahrtausendalte Geschichte und durch das leicht zu befahrende, hafenreiche Mittelmeer dem Abend­ lands verknüpft, wurde von diesem wohl als ftemde, doch nie unbekannte Welt empfunden. Die dortigen Verhältnisse waren so vertraut, daß man sogar an Eroberungen im Orient denken konnte. Kaufleute, Pilger und Kreuzfahrer verkehrten im 11., 12. und 13. Jahrhundert ununterbrochen zwischen Nord und Süd. Aber der erfolgreiche Widerstand der islamischen Mächte sowie der Wunsch, ihre Zwischenhändlerrolle im Levantehandel zu brechen, der den fernen Osten mit dem Abendlande verband, veranlaßten das letzte, zahlreiche Gesandte, Glaubensboten und Kaufleute in jene jungen Mongolenreiche zu schicken, die im 13. und 14. Jahrhundert zwischen Kaspischem und Gelbem Meer blühten. Durch ihre Berichte gewann

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der Westen eine ziemlich genaue Kenntnis de» inne­ ren, des südlichen und des Sstlichen Asiens. Deutsche und Italiener, Angehörige der beiden Grenzvölter des damaligen Halbasiens, zeichneten sich besonders aus. So zog der Flame Wilhelm Rubruk 1253—55 Kirgisensteppe, Dsungarei und Gobi in den Ge­ sichtskreis des Abendlandes, Oderich von Portenau (1316—31) lernte als erster Europäer Tibet kennen und Johann Schiltberger durchzog um 1400 die Länder zwischen Bosporus und Indus. Am be­ deutendsten aber waren die von 1271—1295 wäh­ renden Reisen Marco Polo», eines germanisch­ blütigen Benetianero, die uns den ganzen Länder­ gürtel von Mesopotamien über das Tarimbecken bis China, ja selbst Sumatra, Ceylon und Malabar nahebrachten. Sein Landsmann Nikolo Conti bereiste 1428—53 als Erster Vorder- und Hinter­ indien sowie die Sunda-Inseln.

Das äußere Westbild des Abendlandes im Spät­ mittelalter war somit durchaus nicht so klein, wie wir zumeist annehmen. Es erstreckte sich in west­ östlicher Richtung um den halben Erdumfang, von den Reufundlandbänken bis zum Gelben Meer und senkrecht dazu vom Packeisgürtel bis nach Java, also noch über den Gleicher hinüber auf die südliche Halb­ kugel. Die Räume auf der Achse des uralten Levante­ handels, Fernost und Indien, Morgenland und Abendland, waren den Unterrichteten also bekannt — und doch kamen all diese Völker nicht in engere Verbindung miteinander. Im Abendlande nahmen 12

nur wenige außerhalb Skandinaviens und der Hanse Kenntnis von Grönland und Winland und nur wenige glaubten an Marco Polos chinesische Mil­ lionenstädte. Das Abendland von damals war eine in sich ruhende Masse, deren Kultur in sich und aus sich, einzig aus sich selber heraus reiste und der Fremde noch nicht dringend benötigte. Nur Rand­ splitter kümmerten sich aus irgendwelchen Sonder­ belangen um die schauerliche Ferne, der Gesamt­ körper bedurfte derselben nicht. Erst die große Zeitenwende um 1500, welche die Kulturentwicklung gerade des germanischen Abend­ landes durchbrach und eine Reihe erledigter und be­ ginnender Entwicklungen zu einem Änotcn schürzte, schuf umstürzenden Wandel und veränderte das Welt­ bild durchaus und für alle Zeiten. Der Niedergang der alten Naturalwirtschaft und des Feudaltums, der Aufstieg des Geldwesens und des Bürgertums, die Neurichtung des Geisteslebens durch Eindringen süd­ ländischer, ja antiker Gedanken in das bis dahin vorwiegend germanisch eingestellte Denken, welches sich in Form des Luthertums kräftig zur Wehr setzte — all diese Umwälzungen bereiteten die größte vor. Unmittelbarer Anlaß aber wurde die Sperrung der Levante durch die Ausdehnung des türkischen Rei­ ches tief nach Asien und Aftika hinein, die um 1500 eine Mauer quer durch das Zwischenland des Levante­ handels zog und den Warenverkehr zwischen West und Oft teils aufhob, teils ungeheuer verteuerte. Fördernd erwies sich die deutsche Erfindung des Buchdrucks, die ein billiges Mittel geistiger Derstän13

digung und schneller Benachrichtigung gewährte, als welches den alten Reisenden der Normannenzeit und der Land-Ostsahrten noch nicht zur Dersügung ge­ standen hatte. So richtete sich ausgangs des 15. Jahrhunderts der Blick des Abendlandes immer mehr nach außen. Man war geistig bereit geworden, neue Erkenntnis aufzunehmen, Erkenntnis allerdings, die nicht inner­ liche Werte spendete, sondern nur Phantasie, Abenteuerlust und Geldbeutel bereicherte. Kein Mensch ahnte damals, daß die großen Entdeckungen Beginn werden sollten der blutlichen Zersetzung der weihen Rassen und einer immer weiter um sich fressenden Verflachung ihres kulturlichen Gesichtes. Das Schicksal de» Abendlandes seit 1500 läßt sich einer Rose vergleichen, die aus der Knospe heraus voll erblüht, ihre Dlütenblätter entfaltet und dann weithin verstreut — sie bedeckt jetzt eine viel größere Fläche, aber sie ist blaß geworden und schwindet dahin. Sie hat Innenleben mit Außenleben ver­ tauscht. Das sog. Zeitalter der Entdeckungen umfaßt nur

die kurze Spanne von 1486 bis 1542, aber es ver­ änderte das abendländische Weltbild vollkommen. Die altgriechische Ahnung von der Kugelgestalt der Erde wurde nunmehr Wissen, die Flächenkarte wuchs sich zum Globus aus, den der Deutsche Martin Behaim etwa 1493 als Erster anfertigte. Die Achse des Welthandels, später auch des geschichtlichen Geschehens verschob sich vom Mittelmeer und von

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der Germanischen Binnensee in den Atlant und nützte vornehmlich dessen europäischen Anrainem, den kurz zuvor national gefestigten Staaten Portugal und Spanien, Holland und England, schließlich auch Frankreich, die damit aus Randstücken des abend­ ländischen Geschehens Brennpunkte desselben wur­ den. Die Träger der Entdeckungen waren in erster Linie nordisch bestimmte Menschen, und die Völker, die nur noch wenig nordisches Blut besaßen, schieden zuerst aus der Bewegung aus, voran Portugal und Spanien. Beide aber haben den unauslöschlichen Ruhm, das eigentliche Zeitalter der Entdeckungen herdeigeführt und getragen zu haben. Die Portugiesen erschlossen den Seeweg nach Ostindien und brachen damit die Blüte des Levante­ handels. Schon 1486 umsegelte Diego Eüo in Be­ gleitung Martin Behaime, des Begründers der damaligen Schiffahrtkunst, das Kap der Guten Hoff­ nung und bereitete damit dem Basco da Gama den Weg, der 1497—98 nach Kalikut in Vorderindien fuhr. In den folgenden zwanzig Jahren wurden Häfen der malaiischen Inselwelt, Chinas und Japans angelaufen und damit die Entdeckerkreise der Nor­ mannen und der alten Land-Ostfahrten zur See ver­ bunden. Die Portugiesen begnügten sich übrigens mit der Besetzung einiger Hasenplätze, die ihnen den Handel in die Hand gab, ins Innere drangen sie nicht ein. Di« unbekannte Wasserwüste im Westen des Abendlandes erschlossen die Spanier unter Führung des langobardischen Norditalieners Christoph Ko-

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lumbus. Dieser entdeckte, von Palos mit dem NordSquatorialstrom westwärts laufend, am 12. Oktober 1492 die Dahama-gnsel Guanahani und kurz daraus Kuba und Haiti. Auf drei anderen Reisen legte er den größten Teil der östlichen, nördlichen und west­ lichen Umrahmung des Karaibischen Meeres fest, Gegenden, die er übrigens für Teile Indiens hielt. Die Entschleierung der anderen Teile der amerika­ nischen Ostküste, längs deren man anfangs eine Durch­ fahrt nach Westen suchte, vollzog sich sehr schnell und kam 1526 zum Abschluß. Schon von 1504 an fuhren bretonische Fischerflotten nach den reichen Neusundlandbänken. Die Westküsten des neuen Festlandes wurden weniger gut erforscht, durch die Spanier überhaupt nicht über 43 Grad Nordbreite hinaus. Dagegen drangen diese tief ins Innere ein, wo F. Cortez 1519 Mexiko, F. Pizarro 1531 Peru und D. de Almagro Dolivia nebst Nordchile eroberten. Süd­ amerika wurde bald daraus sogar durchquert, in­ dem g. de Ayolas 1536—37 vom Parana durch den Chaco nach Peru vordrang und indem Orellana 1541—42 den Amazonenstrom hinabfuhr. Auch das südliche Innere Nordamerikas wurde damals schon durchwandert; hier zog H. de Solo 1539—42 von Florida durch die Prärien über den Mississippi bis zum Arkansas, und Cardenas entdeckte schon 1542 den Kanjon des Colorado. Die Reise des Kolumbus beruhte auf der irrtüm­ lichen Annahme, daß Indien am Westrande der großen Wasserwüste läge, weshalb sich ja auch der Name

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„Indianer" für die Bewohner der neuen Länder einbürgerte. Indien von Osten zu erreichen, welches die Portugiesen von Westen erstrebten, war das spanische Ziel, das nunmehr in unendliche Weite gerückt schien. Richtige Anschauung der Entfer­ nungen und der MeeresrSume brachte aber erst des Portugiesen Ferdinand Magalhäes Weltumseglung (1520—21), die nach seinem Tode von dem Steuer­ mann del Cano zu Ende geführt wurde. Diese Reise schien die alte, oft bezweifelte Ansicht von der Kugel­ gestalt der Erde durch die Tat zu beweisen. Die Geschichte des kurzen Zeitalters der Ent­ deckungen ist auf die drei Namen Kolumbus, Gama und Magalhäes gestellt. Alle anderen Namen der Zeit sind schließlich nur Nachfolge und Ergänzung. Die Südsee wurde im 16. Jahrhundert mehrfach von Spaniern beschisst, wobei man zahlreiche Insel­ gruppen auffand. Die Entdeckung Australiens ist ein Ruhmestitel der jungen holländischen Seemacht; Adel Tasman führte 1642 den Nachweis von Austra­ liens gnselnatur. Die amerikanische Polarwelt wurde durch Henry Hudson 1610—11 erschlossen und Si­ birien durch russische Kosaken 1639 bis zum Ochotskischen Meere gequert. Und doch waren alle diese Männer erfüllt von dem Geiste der neuen Zeit, jeder in seiner Weise, als Eroberer und Stürzer von Thronen, als Abenteurer und Goldsucher, als Glaubenseiferer und Gelehrte. Niemals hatte die Welt das Schauspiel gesehen, daß winzige Scharen weißer Männer, die neuen Erfin­ dungen Donner und Blitz sowie den wegweisenden «anst, Landschaft

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Kompaß in der Hand, nie gequerte Weiten durch­ zogen, den Pendelschlag alter Kulturen aufhielten und zum ersten Male Weltgeschichte im eigentlichen Sinne dieses Wortes machten. Gewiß, nicht gleich reisten die Früchte dieser Saat. Die iberischen Entdeckervölter erwiesen sich als nicht stark genug, das neue Werk zu Ende zu führen. Vielmehr mußten noch drei gahrhunderte vergehen, und eine zweite Zeitenwende mußte Heraufziehen, bis das ger­ manische Europa so weit war, mit angelsächsischer Unternehmungslust und deutschem Geist eine wirk­ liche Geselligkeit der Welt herbeizuführen. 3m 17. Jahrhundert bereitete sich langsam jene

Wende in der Erforschung der Erde vor, die im 18. Erfüllung wurde. Man ging daran, die neuen Erkenntnisse wissenschaftlich zu verwerten und Ord­ nung in den Wirrwarr von Neuigkeiten zu bringen. Dies wurde ermöglicht einmal durch eine Anzahl Erfindungen, welche genaueres Beobachten und einwandfreies Festlegen ermöglichten, zum andern aber durch eine Wandlung in der geistigen sowie seelischen Einstellung des abendländischen Menschen zur Natur. Dieser wurde sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts seiner bewußt, er blieb nicht mehr unlösbarer Teil von Landschaft und Kullur, sondern er begann sich als außer ihr, als gegensätzlich zu empfinden — und hiermit gelangte er zur Natur­ beobachtung. Er sah nicht mehr bloß die mensch­ lichen Verhältnisse, sondern entdeckte überrascht den Hintergrund ihrer Landschaft. Die Holländer schufen 18

um 1600 die Landschaftsmalerei, die Franzosen vervollkommneten um 1700 die Kartenkunde durch planmäßige Verwendung zahlreicher Ortsbestim­ mungen, die Deutschen und die Franzosen ent­ wickelten gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine vertiestere Betrachtung der Länder und Völker (g. R. und G. Forster). Das 16. Jahrhundert erzielte mit dem gakobstab annehmbare Breiten und Längen, aber erst die englischen Erfindungen des Spiegelsextanten 1731 und des Chronometers 1761 ermöglichten es, in den Wirrwarr der Beobachtungen ein unverrückbares Gerippe fester Punkte zu bringen. Wesentliche Ver­ besserungen der Karte bedeutete die Messung von Erhebungen, die 1700 zuerst aus geometrischem, 1757 aus barometrischem Wege, beide von Franzosen, aus­ geführt wurde; doch dauerte es bis 1811, daß (durch 2L v. Humboldt) diese Ergebnisse zum ersten Male auf Karten verwendet wurden. Die kurz vorher (1799) in Deutschland gemachte Erfindung der Geländeschraffen verbesserte ebenfalls die Karten­ zeichnung wesentlich. So fallen in die zweite Hälfte des 18. Jahrhun­ derts die ersten wissenschaftlichen Forschungsreisen, sämtlich von Germanen ausgeführt. Der Deutsche Karsten Niebuhr erschloß 1763—67 die Erforschung Ägyptens und Dorderasiens wie sein Landsmann Peter Simon Pallas 1768—74 diejenige Sibiriens. Neben sie traten ein Engländer und zwei Schotten. Erster, James Cook, setzte das Zeitalter der Ent­ deckungen in den südlichsten Meeren auf drei Nelsen

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von 1768 bis 1779 fort, fand die Osttaste Australiens auf, legte die gnselnatur Neuseelands fest, leitete die Erforschung des Südpollandes ein und erkannte die Trennung Asiens von Amerika durch die Bering­ straße. Besondere Bedeutung erhielt seine erste Reise, auf welcher er die Überzeugung von der wirt­ schaftlichen Bedeutung Australiens gewann; sie ward Anlaß zur englischen Besiedlung dieses Erd­ teiles. Die beiden Schotten waren Alexander Mackenzie, der 1789 den nach ihm benannten Riesen­ strom befuhr und damit das Innere des nördlichen Nordamerikas erschloß, und James Druce, welcher 1769—72 die Quelle des Blauen Nils entdeckte und damit als erster Europäer tief ins Innere Aftikas eindrang.

D« letzte Abschnitt der Erforschung der Erde begann Ende des 18. Jahrhunderts und zog sich bis ins 20. hinein. Es war die Zeit der Aus­ bildung der Naturwissenschaften und der Derbesserung der Beobachtungen, der Entwicklung der Tech­ nik und damit des Weltverkehrs. Die Völker des Germanischen Europas schufen sich eine Industrie und eine erkleckliche Dolksvermehrung. Sie be­ durften dann sofort neuer Länder, die ihnen einmal Rohstoffe für die Fabriken und Nahrung für die steigende Zahl der Hungrigen lieferten, zum andern aber ihre Fertigwaren aufnahmen. Die Bölter schauten nach Kolonien aus und bedienten sich der Forschungsreisenden als Kundschafter. So trat 1788 in London die African Association zusammen, die 20

zahlreiche, großenteils deutsche Reisende hlnau»sandte, um der Ausbreitung des englischen Han­ dels zu nützen. Zum Schutze der Handelsschiffahrt und der sie sichernden Kriegsflotten unternahmen verschiedene Seemächte, voran England, Küstenausnahmen in aller Welt und gaben Seekarten heraus. Ja, die Forderungen der Nautik führten zur Be­ gründung der neuen Wissenschaft der Meereskunde, deren Schöpfer der Virginier M. F. Maury und deren Hauptquellen die großangelegten Tief­ seereisen der österreichischen „Novara", der eng­ lischen „Challenger" und der deutschen „Gazelle" in den 18506t und 1870er Jahren wurden. Anderseit aber arbeiteten manche Forscher völlig un­ eigennützig, voran die Deutschen, deren Staat erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts an Kolonial­ erwerb heranglng. Dahin gehört ein Alexander von Humboldt, der 1799—1804 Mittelamerika und den Norden Südamerikas bereiste und durch An­ wendung der neuen Arbeitsweisen der Naturwissen­ schaft sowie durch Betrachtung der Gesamtnatur der Länder Ziel und Weg des späteren Forschungs­ reisenden überhaupt erst begründete. Dahin zählt auch ein August Petermann, der nach der Jahr­ hundertmitte In Gotha einen geistigen Mittelpunft für die geographische Forschung schuf. Der

Zeitraum machte

dem

Abendländer

das

Bild der Erde bis in starke Einzelheiten vertraut. Die Küstenumrisse, vorher nur in groben Zügen und mit starken Verrenkungen bekannt, wurden des

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einzelnen ausgenommen, so daß sie heut nur noch in den Eisgebieten gewisse Rätsel bergen. Dor allem aber klärte das 19. Jahrhundert das Innere der Fest­ länder auf. Während die Dinnenräume in Amerika hauptsächlich durch die schrittweise vordringende europäische Besiedlung aufgehellt wurden, ging die Erforschung in Asien und Australien, besonder» aber in Afrika und den Polargegenden ruckweise vor und nahm oft dramatische Formen an. Die Frage „Quid novi ex Africa?“ beherrschte jahrzehntelang die Unterhaltung der Gebildeten, und das Schicksal verschollener Forscher bewegte Herzen und Geld­ beutel der Daheimgebllebenen. Afrika handelte es sich vornehmlich um Durch­ dringung von vier Gebieten. Zuerst ging man (aus englischen Handelsbelangen) daran, in den Sudan einzudringen, was gleichzeitig der Erforschung der Sahara als seines Hauptzuganges zugute kam. Der Engländer Mungo Park und der Deutsche Friedrich Hornemann bereisten um 1800 jener das Niger­ gebiet, dieser die nordSstliche und mittlere Sahara. Die Engländer Denham, Tlapperton und Oudney erschlossen 1821—24 den mittleren Sudan, und die Deutschen Heinrich Barth, Gerhard Rohlss und Gustav Nachtigal führten die Kenntnis von Sahara und Sudan im dritten Viertel des Jahrhunderts einem gewissen Abschluß entgegen. Die Erforschung der Nilländer wurde durch den Gelehrtenstab der Donapartischen Expedition in Ägypten in Angriff genommen und durch den Schwei-

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zer Jakob Burckhardt nach Nubien erweitert. Die Aufhellung der Ouellgebiete des Nils wird haupt­ sächlich den Engländern verdankt, voran John Speke, der 1857 mit Burton von Osten aus den TanganjikaSee aufgefunden hatte und 1858 auf den ViktoriaSee stieß. In Mittelasrika bereiste der Schotte David Livingstone das Quellgebiet des Kongo, und Stanley befuhr als Erster 1876 den Lauf des Stromes. Der Deutsche Hermann Witzmann klärte das süd­ liche Flutzwirrsal des Kongobeckens auf, und sein Landsmann Georg Schweinfurth erforschte das Nil-Kongo-Zwischengebiet mit seinen Zwergvölkern. Die wissenschaftliche Bereisung Südaftikas be­ gann durch den Deutschen Heinrich Lichtenstein, der 1805/6 das Kapland durchzog, und gipfelte in Livingstones ausgedehnten Reisen (1841—59), die in den Namen Sambesi und Njassa-See ausklingen. In den Eisgebieten der Erde ging es einmal

um die Grundftagen nach der Jnselmeer- oder Festlandnatur der polaren Räume, sodann im Nor­ den insbesondere um die Fragen der nordwestlichen und der nordöstlichen Durchfahrt, d. h. nach der Derkehrsmöglichkeit um Asien und Nordamerika herum vom Atlant zum Großen Meer, und letztens um die Erreichung der Pole an sich, jener merkwürdigsten Stellen der Erdkugel, die Punkt und Kreis in einem sind. Wirtschaftliche Wünsche, die in den Walsängersahrten schon seit der Normannenzeit eine Rolle spielen, verquicken sich aus das seltsamste mit 23

solchen des Ehrgeizes, dem Männer wie Völker ein Jahrhundert lang verfielen. Und gibt es ein ein­ druckvolleres Bild des germanischen Menschen, als es der Polarfahrer bietet, der den schwerbeladenen Schlitten durch Nacht und Eis einem bloßen Hirn­ gespinst entgegenschiebt, dessen Erreichung ohne Nutzen bleibt für die Menschheit? Keine andere Rasse hätte dafür auch nur einen einzigen Augenblick ihrer schläfrigen Zeit geopfert. Die nordwestliche Durchfahrt wurde 1850—53 durch die Schotten Mac Clure von Westen und Mac Tlintock sowie Kettet von Osten her, die nordöstliche 1878—79 durch den Schweden Erik Nordenskiöld ausgesunden. Die Erforschung der vereisten Insel­ welt ober Nordamerika begann mit den Reisen der Engländer E. Parry und I. Franklin 1818 und 1819, ging über die Entdeckung des magnetischen Nordpols durch John und James Roß 1831 weiter und gipfelte in der Erkenntnis der eisverschütteten Derglandnatur Grönlands durch den Norweger Fridtjof Nansen 1888 und seiner Jnselhastigkeit durch des Amerikaners Robert Peary Begehung der Nordküste 1891/92. In der europäisch-asiatischen Arktis wurde FranzJosephs-Land 1873 von den Deutschen I. Payer und K. Weyprecht aufgefunden, und Nansens Drift­ fahrt von den Neusibirischen Inseln nach Franzgosephs-Land 1893—96 bewies die gnselmeernatur der nördlichen Arktis. Die ungefähre Gegend des Nordpols wurde 1909 durch R. Peary, vielleicht schon ein Jahr vorher durch Frederick Eovk er­ reicht.

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Vas Südpolargebiet, in dem wissenschaftliche Beweggründe die Reisenden weit mehr antrieben al» wirtschaftliche, wurde 1819—21 von dem DeutschBalten F. G. v. Vellinghausen in Pvlarkreisdreite umsegelt. Er auch begann die Erforschung der Rän­ der des antarktischen Festlandes mit Entdeckung von Alexander-l.-Land, wonach der Amerikaner Charles Wilkes 1840 Wilkes-Land, der Engländer James Roh 1840—42 Viktoria-Land, der Deutsche Erich v. Dry­ galski 1902 Kaiser-Wilhelm-11.-Land und der Eng­ länder H. 6. Scott 1901/04 König Eduard-V 1I.Land eintrugen. Hieraus ergab sich bald nach 1900 der Festlandcharatter des Südpolargebietes, dessen Pol 1911 von dem Norweger Roald Amundsen und kurz nach ihm von Rodert Scott erreicht wurde.

Auch

die

Erforschung Hochasiens enthält noch

genug heldenhafte Füge, um tiefere Anteil­ nahme zu erwecken. Nachdem die Franzosen Huc und Gäbet 1846 Tibet durchzogen und Lhasa er­ reicht, nachdem die drei deutschen Brüder Schlagintweit 1856 Tibet von Süd nach Nord durchquert und nachdem der Russe Sewjerzow 1864—68 die Kennt­ nisnahme des Tianschan begonnen hatte, traten durch die vier Reisen des Russen Nikolaj Prschewalskij (1870—85) Tarimdecken, Nordtibet und Gobi in das helle Licht der Wissenschaft — Gebiete, deren Geographie der Schwede Sven Hedin auf drei Fahrten (1894—1908) durch Bereisung der Wüste Takla Makan, des Lobnor, Befahrung des Tarim und Fest­ stellung des Transhimalaja zum Abschluh brachte. 25

Die Erforschung keines einzigen der übrigen Länder der Erde zeigt diese» Zneinandergreifen der einzelnen Reisen, diese dramatische Zuspitzung bis zum endlichen Erfolge — wie Afrika, wie Pol-Land, wie Hochasien. Auch anderswo ist genug stilles oder anerkanntes Heldentum geleistet worden, aber es handelt sich dort immer nur um vereinzelle Leistungen, die plötzlich und ohne Verbindung mit Vorgängern dastehen, oder um lange Reihen von Kleinarbeit, die den Erfolg zusammenrechnet, aber nicht erstürmt. Die erste Durchquerung Australiens von Süd nach Nord, 1860/61 von dem Engländer Burke in stetem Kamps mit dem Dursttode erzwungen, ist eine Leistung höchsten Ranges, aber sie ist vergessen. Die erste Bereisung Hinterindiens an seiner hochgebirgsdurchquollenen Wurzel durch die Ungar-Deutschen v. Szecheny, Rreitner und Loczy 1877—80 von Ost nach West ist nur mehr im Gedächtnis der Wissen­ schaft, nicht in dem der Öffentlichkeit hasten ge­ blieben. Und so ist die Geschichte der Entschleierung unserer Erde in endlosem Zuge besät mit Grab­ steinen und Skeletten, deren Namen vom Wellen­ gischt des Meeres und vom Staubatem der Wüste so verwischt sind, dah nur genauestes Hinsehen die Buchstaben entziffern kann. gm letzten Drittel des 19. Jahrhunderts änderte sich auch die Arbeitsweise der Forscher langsam. Es galt hinfort weniger zu entdecken, als Zwischenräume auszufüllen und die Räume (nicht nur die neuen) mit den fortgeschrittenen Mitteln der Wissenschaft zu untersuchen. Der Erweiterung hatte Vertiefung zu

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folgen. Auf den Feldern des Geistes waren da noch viele Entdeckungen zu machen, und die Geographie insbesondere zog aus fremdem Boden die beste Straft zu ihrer Entfaltung. Wie schon Alexander v. Hum­ boldt um die Wende des 18. Jahrhunderts in Amerika aus einem Geologen zum Geographen geworden war, welcher der geographischen Wissenschaft fruchtbarste Antriebe verlieh, so ging der gleiche Wandel mit Ferdinand v. Richthosen vor sich, der 1868—72 den grötzten Teil Chinas durchzog, die neuere Landes­ kunde dieses Gebietes begründete und der Geographie zum Rang einer neuzeitlichen Wissenschaft verhalf. Andere wissenschaftliche Reisende waren etwa der Engländer A. R. Wallace, dessen Fahrten in der Sundawelt 1854—62 der Tiergeographie neue Bahnen wiesen, die Deutschen W. Reitz und A. Stübel, die auf Wanderungen im Mittelmeergebiet und in Südamerika zwischen 1862 und 1890 die neuere Dulkanforschung begründeten, und der Deutsche gohannes Walther, dessen Reisen in Ägyp­ ten und Turan (1884—97) die Wüstenfvrschung aus andere Wege lenkten.

Der heutige Stand der Erforschung ist der, daß nur noch (oder doch noch?) etwa zweieinhalb v. H. der Erdoberfläche unbetreten sind. Grotze Teile der westlichen Sahara, der Libyschen Wüste und Südarabiens sind wegen Wassermangels und wegen des abweisenden Benehmens ihrer Um­ wohner noch nicht von Weitzen betreten worden. Und autzerdem bergen die Pol-LSnder noch manche

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jungfräuliche Stelle. Im einzelnen ist noch un­ endlich viel zu tun. Tin Gebiet wie Kurdistan bei­ spielsweise, dessen Menschen sehr fremdenfeindlich und räuberisch sind, ist im großen bekannt, packt man aber genauer zu, so erweist sich kaum eine seiner zahlreichen Bergketten auf der Karte einwandfrei eingetragen, geschweige denn in Ansehung von Aus­ bau, Bewachsung und Besiedlung untersucht. Ja selbst in Ländern wie Deutschland bleibt der genaue­ ren Kleinforschung fast noch alles zu tun. Kaum eine Landschaft, kaum ein Gebirge hat seine völlig be­ friedigende Bearbeitung gesunden, und auch unser Vaterland als Ganzes ermangelt noch jenes Werkes, das Landschaft und Volk in ihren tiefsten Verklam­ merungen erschließt. Wie aus der Erdoberfläche in der Breite noch so manches fehlt, so ist dos doch noch mehr der Fall in senkrechter Richtung dazu. Lotungen auf dem Meere ergaben bisher als größte Tiefe 10430 m, die das deutsche Vermessungsschiff „Emden" 1927 im Phi­ lippinentief seststellte. Die Lufthülle der Erdkugel ist von Menschen bis zu einer Höhe von 10500 m, von Deobachtgerät aus Drachen bis zu 29 000 m be­ fahren worden. Die Wirkung der Schwerkraft steht der (Entfernung vom Festen entgegen, und das Schwinden des Sauerstoffs erlaubt das Erreichen solcher Höhen nur unter Mitsührung von besonderen Vorrichtungen. Selbst aus sicherem Boden hat man den höchsten Punkt der Erde, den Tschomolung-po (Mt. Everest 8845 m) noch nicht völlig erklimmen können. Anderseit ist noch schwieriger 28

da- Erreichen größerer Tiefen des Erdinnern. Hier legen Härte des Gesteins und zunehmende Hitze dem Eindringen ungeheure Widerstände in den Weg, so daß das tiefste Bergwerk nicht weiter als 1597 m, das tiefste Bohrloch nicht tiefer als 2240 m vorge­ drungen ist. Die Dicke der von Menschen befahrenen Schicht der Erdhülle mißt also nur 12 km, die Dicke der un­ mittelbar gemessenen nicht mehr als 39,5 km — bescheidene Zahlen angesichts der Halbmes erlänge der Erdkugel von 6378 km und der Mächtigkeit der Lufthülle von 200—300 km.

Von der Beschreibung zur Gestaltung

le dämonische Abenteuerlust den nordischen Menschen treibt, unbekannte Länder zu ent­ decken, so zwingt ihn sein aus Erkenntnis gerichteter Sinn, sich mit Geographie zu beschäftigen. Beides steht in engem Zusammenhang, und so ist die Entwicklung der Geographie von der Geschichte der Entdeckungen nicht zu trennen. Hinkt die Geographie anfangs hinter den Entdeckungen her, indem sie deren Er­ fahrungen rein äußerlich sammelt, so tritt sie später ebenbürtig neben sie und setzt ihr Ziele. Ja, neuer­ dings hat die Geographie die Entdeckung über­ flügelt und zur Dienerin gemacht. Ein Daren er­ langte mit dem Entwurf einer Geographie noch keiner­ lei Bedeutung in seiner Zeit, ein Humboldt ttat schon gleichberechtigt neben die großen Reisenden, ein Richthofen überwand im Geographen den Reisenden. 29

Die abendländische Geographie hat sich sehr lang­ sam entwickelt und sie hat noch heute nicht ihre endgültige Form gefunden. Am Mittelalter, das mit seiner Kultur noch fest in der Landschaft stand und das seiner selbst noch nicht bewußt war, begnügte man sich mit Kenntnis der menschlichen, ja eigentlich nur der geschichtlichen Verhältnisse eines Landes. Erst in der Zeit des 15. und 16. Jahrhunderts, die durch vielerlei seelische Erschütterungen einem selbst­ sicheren Traumleben entrissen wurde, erwachte die Fähigkeit, ftemde Dinge als ftemd zu erkennen, und erwuchs das Bedürfnis, in den Wust der durch Reisende aus aller Welt gesammelten Nachrichten Ordnung und Klarheit zu bringen. Dieser innere Drang, einer Sache sich geistig zu bemächtigen, ist eine im höchsten Maße germanische Eigenschaft, und das Hauptvolk der Germanen, die Deutschen, haben sich denn auch um die Entwicklung der Geographie am meisten verdient gemacht. In dieser sind drei Stufen zu erkennen: Beschrei­ bung, Untersuchung und Gestaltung. Fede spätere Stufe sucht die früheren zu überwinden, und doch bestehen heute noch — und wohl für ewig — alle drei nebeneinander, denn sie entsprechen drei Arten menschlichen Geistevvermögens, deren jede für eine besondere Schicht Berechtigung hat.

Die beschreibende

Geographie

oder „Cos-

mographey“ war die Begleiterin der großen Ent­ deckungen. Sie bemühte sich, deren Ergebnisse auf rohen Karten einzutragen und Ortslagen zu30

sammenzustellen, geschichtliche Angaben zu ver­ zeichnen und Nachrichten beliebiger Art zu erzählen. Die Bücherschreiber gingen in erster Linie darauf aus, ihre Leser zu überraschen, indem sie von Dingen plauderten, die dem Abendlande neu und unerhört waren. Das Streben nach Sichtung des Bezeich­ nenden vom Zufälligen, des Wichtigen vom An­ wichtigen trat noch ganz zurück, nicht einmal eine Sonderung nach Wissensgebieten ist zu erkennen. Man wollte nichts als unterhalten, gewissermaßen auch belehren, ja sogar erbauen und zu größerer Ehrsucht vor Gott erziehen, denn der Glaube war damals beherrschende Geistesmacht. Hauptvertteter dieser Geographie war Sebastian Münster, dessen „Cosmographia“ zuerst 1544, und zwar in Basel, erschien. Immerhin blieb die beschreibende Geographie nicht ganz ohne Entwicklung. Brachte sie auch keine Dettiefung, so schritt sie wenigstens zu einer Sichtung des Stoffes vor. Aus der voraussetzungslosen Tosmographey wurde eine steifleinene Länder- und Staaten­ kunde, die vorwiegend statistisch gerichtet war und schon vielerlei Seltsamkeiten adgestohen hatte. Am bekanntesten wurde hier Anton Ludwig Büsching mit seiner „Neuen Erdbeschreibung", die 1754 in Hamburg zu erscheinen begann und Geographie als „gründliche Nachricht von der natürlichen und bürgerlichen Be­ schaffenheit des bekannten Erdbodens" erklärte. Die untersuchende Geographie. Je mehr die

Kultur des Abendlandes fortschritt und je stärker

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der aus aller Welt zusammenströmende Stoff an­ schwoll, um so größer wurde das Bestreben, ihn zu ordnen, durch Ausspüren der Zusammenhänge zu ergründen, kurz, aus dem Zusallswissen eine Wissen­ schaft zu straffen. Die ftühesten Ansätze regten sich schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Damals be­ gründete der Deutsche Philipp Clüver der auf Reisen in Deutschland und Italien den Wert des Selbst­ sehens erkannt hatte, durch seine Schrift „Introductio in geographiam universam“ (Leiden 1624) die geschichtliche Länderkunde, und sein Landsmann Bernhard Daren mit dem Büchlein „Geographia generalis” (London 1650) die Allgemeine Erdkunde, gn beiden zeigen sich sofort, wenn auch erst in Ansätzen, jene zwei Gesichtspunkte, welche Kosmographie und Geographie zu allererst voneinander unterscheiden: Betrachtung der Landesnatur und Sichtung sowie Gliederung des Stoffes. G» voll­ zieht sich also ein Wandel nach Gegenstand und Arbeitsweise. Reben den Menschen tritt die Natur, zuerst von Alexander von Humboldt auf seiner amerikanischen Reise um 1800 in ihrer ganzen Be­ deutung und Schönheit erkannt und gegen Ende des 19. Jahrhunderts voll in den Vordergrund rückend, nach 1900 den Menschen zeitweise sogar hintan­ setzend. Die Arbeitsweise selber entwickelte sich durch denkrechte Gliederung des Wissenschatzes und durch Aufstellung eines Planes zu seiner Bearbeitung — ganz bedeutende Fortschritte gegenüber dem un­ geordneten Dorgehen der Koomographie.

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Llüver und Daren liefen ihrer Zeit stark vorweg und übten aus langehin keine wesentlichen Einflüsse aus. Ihre Gedanken wurden im 19. Jahrhundert neu geboren und kamen erst durch Männer wie Ritter und Humboldt zur Auswirkung. Leider ent­ stand durch die Erweiterung des Stoffes, welche die Bettachtung der Natur neben, ja vor dem Menschen heischte, ein böser Zwiespalt in der Geographie, der bis in unsere Tage hinein sputt. Man glaubte näm­ lich, die Behandlung der Natur erfordere natur­ wissenschaftliche, die des Menschen geschichtliche Ein­ stellung, und man konnte sich lange nicht einigen, ob die Geographie Naturwissenschaft oder Geistes­ wissenschaft, ob sie Naturwissenschaft mit geistes­ wissenschaftlichen Bestandteilen oder das umgekehtte sei. Der Stteit ist erst neuerdings verstummt, seitdem man erkannt hat, daß zwar das Stoff­ gebiet der Geographie beiden Arten des Geistes­ lebens angehört, daß aber der junge Begriff der Landschaft (als welche das Ergebnis einer natür­ lichen und gleichzeittg der Beginn einer geschicht­ lichen Entwicklungreihe ist) beide verknüpft und versöhnt, sowie daß es eine im eigentlichsten Sinne geographische Arbeitsweise gibt. Die Gewinnung der Erkenntnis der Selbständigkeit der Geographie im Geistesleben bildet so recht die Geschichte ihrer Entwicklung, die, voller Kämpfe und Umwege, das Jahrhundert von etwa 1820 bis 1920 durchzieht. Aber noch ein anderer Zwiespalt geht durch die Arbeit der Geographen dieses Zeitraumes, der Gegensatz der von Daren zuerst umrissenen AllgeBanse, Landschaft

Z

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meinen Erdkunde und der Länderkunde. Während die wissenschaftliche Länderkunde einfach die alte Kosmographie folgerichtig fortsetzte, drängte sich die Allgemeine Sekunde al» etwa» ganz Neue» her­ vor. A. v. Humboldt und Ernst Kapp, F. v. Richthosen und E. Reclu» haben sich, in engem Zusammenhang mit der Entwicklung der Naturwissenschaften, um ihren Ausbau in erster Linie verdient gemacht.

Ziel der Allgemeinen Erdkunde ist die Er­ fassung de» gmmerwiederkehrenden und Gesetz­ mäßigen in den geographischen Erscheinungen ohne Berücksichtigung ihrer Gebundenheit an den Ort und ihrer Bezüglichkeit aus andere Dinge. Es wird, beispielsweise, alles zusammengetragen, was über Gletscher bekannt ist, es werden Gattungen der Gletscher aufgestellt, die Verbreitung wird sestgelegt, und es werden Gesetze der Gletscherbildung ermittelt. Diese Arbeit ist, um zu tieferen Einsichten zu ge­ langen und um den Anfänger mit den Grundkennt­ nissen vertraut zu machen, natürlich notwendig, aber sie stellt sich durch Verzicht aus die Gebundenheit der Dinge an den Ort und auf ihre Bezüglichkeit zu anderen Erscheinungen (als welches beides die Grund­ eigenschaften geographischen Denkens sind) außer­ halb des Rahmens der Geographie und tritt in die Reihe der begriftbildenden und der erziehenden Wissenschaften. Außerdem geht die Allgemeine Erd­ kunde folgewidrig vor, indem sie bei der Betrachtung von Land, Wasser und Lust die Dinge selber, bei jener der Lebewelt aber nur die Beziehungen zwischen

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diesen selben (nicht auch die mit anderen) Dingen be­ trachtet. Entscheidend ist aber, daß die Allgemeine Erdkunde die großen Änheiten der Natur auslöst, nicht, um erkennend sie wieder zusammenzusetzen, sondern, um sie in Sachgruppen auszustapeln. Sie bleibt auf halbem Wege stehen und wird dadurch Dienerin der Länderkunde, als welche jenen Weg zu Ende geht und die denkmäßig ausgelösten Teile wieder zu einem Ganzen fügt. Entscheidend ist ferner noch, daß die meisten in der Allgemeinen Erd­ kunde behandelten Tatsachen schon in anderen Wissenschaften untersucht werden, zu denen sie ihrer Art nach gehören. Es wäre demnach die Allgemeine Erdkunde ein Versuch, der Geographie ein eignes Stossgebiet zu sichern, aber dieser Versuch ist nahezu völlig gescheitert. Innerhalb der Allgemeinen Geographie er­ langten gegen Ende des 19. Jahrhunderts zwei Sondergediete erhöhte Beachtung, die Lehre von den Landformen (Morphologie) und die Geographie de» Menschen (Anthropogeographie). So notwendig es sicherlich war, in beiden zuchtvolle Arbeit­ weisen auszubilden, so sehr haben sie zu ihrer Zeit die Entwicklung der Länderkunde verzögert. Die Formenlehre wurde von Oskar Peschel, allerdings nur aus dem unzureichenden Wege der Kartenvergleichung, begründet („Neue Probleme der vergleichenden Erdkunde", Leipzig 1869), durch F. v. Richthofen ausgebaut („Führer für Forschungs­ reisende", Hannover 1886) und durch den Ameri­ kaner W. M. Davis („Physical Geography“, 1898) 3*

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ergänzt. Sie erklärt die Landformen nach Gestalt und Entstehung und hat, namentlich durch Richt­ hofens Vorgang, der zuerst praktische Beobachtung im Felde betrieb, das Verdienst, die Landformen in den Mittelpunkt der geographischen Arbeit ge­ rückt zu haben — man vergesse nicht, daß der feste Erdboden früher nur wenig beachtet und kaum gesehen wurde, wozu eben besondere, von der Geo­ logie herkommende Schulung nötig war. Die über­ mäßige Hochschähung, welche die Formlehre nach 1900, namentlich unter den deutschen Anhängern von Davis gefunden hatte, war unberechtigt, denn diese Gelehtten blieben aus halbem Wege stehen, indem sie wohl die Landformen erklärten, darüber hinaus aber nicht zur Untersuchung der Bezie­ hungen zwischen diesen Formen und der Fülle der übrigen Erscheinungen vorstießen — sie entfrem­ deten sich dadurch dem eigentlichen Wesen der Geographie. Die Geographie des Menschen entstand durch F. Ratzel, der 1882 seine „Anthropogeographie" herausgab, und war ursprünglich als Abwehr gegen das damals einsehende Übergreisen der natur­ wissenschaftlichen Richtung anzusehen. Was ftühere Geographen, Earl Ritter voran, vom Einfluß des Landes auf die Bewohner geahnt und ge­ plant hatten, das sollte in der Geographie des Men­ schen in ein festes Gedankengefüge gebracht werden. Doch auch hier blieb es letzten Endes bei einer mehr zerpflückenden als aufbauenden Arbeit—unbeschadet natürlich ihres schulenden Wertes.

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Innerhalb der Geographie des Menschen haben sich, zumal seit dem Weltkriege, wieder zwei Sonder­ gebiete schärfer abgezeichnet, Wirtschaftsgeographie und politische Geographie, beide ebenfalls in Ratzels Gedankenwelt wurzelnd. Die Wirtschaftsgeographie, für Deutschland 1882 von W. Götz begründet, will die Beziehungen zwischen dem Erdraum und dem wirtschaftenden Menschen untersuchen. Die politische Geographie, 1897 durch F. Ratzel geschaffen, be­ müht sich um die Wechselbeziehungen zwischen Raum und Staat. Aus ihr entwickelte sich neuerdings, am stärksten vertreten durch Karl Haushofer, der Begriff der Geopolitik, als welche der politischen Tätig­ keit die wissenschaftlichen Grundlagen schaffen will durch Erkenntnis der Einwirkung der geographi­ schen Erscheinungen auf das Ringen der Staaten um Ledensraum sowie durch Auffpürung der dabei waltenden Gesetzmäßigkeiten. Diese beiden Sonder­ richtungen der Geographie des Menschen im kleinen verwenden ebenso wie diese selber und die Formenlehre im großen, ja wie die Allgemeine Erdkunde überhaupt, Arbeitsweisen, die im tieferen Grunde nicht geographisch sind, und ihre Ergebnisse kommen anderen Wissenschaften häufig mehr zugut denn der Geographie. All dies ist eigentlich gar nicht mehr Geographie, sondern das sind Anwen­ dungen geographischer Erkenntnis auf ftemde Wis­ sensgebiete, ftemde Tätigkeit und ftemde Absichten. Aber ungeachtet aller Seitensprünge und Irrungen haben doch sämtliche Zweige der Allgemeinen Erd­ kunde in den letzten vierzig Jahren belgetragen zu

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einer zuchtvolleren Erfassung der Aufgaben und zu einer schärferen Behandlung geographischer Gegen­ stände, kurz, zur Ausbildung de» wissenschaftlichen Gefüges der heutigen Geographie überhaupt. Ver­ gleicht man diese letzte mit jener der Zeit um 1870, so muh man anerkennen, daß die Länderkunde allein diesen Fortschritt nicht gebracht hätte. Die Allge­ meine Erdkunde war ein Kampfmittel, ein Sturmbock, der Neuland erobern mutzte; sie hat ihre Dienste getan und mag hinfort als Einführung und Dorlehre, als äußerster der drei Ringe der Geographie weiterleben. Die Länderkunde führte die alte Kosmographie

sowie die Länder- und Staatenkunde fort und bildete sie zu einer Wissenschaft um. Ihre Entwick­ lung setzte ftüher ein als die der Allgemeinen Erd­ kunde und ist heute noch nicht völlig abgeschlossen, sie hat auch viel mehr innere Schwierigkeiten und Vor­ urteile zu überwinden als diese. In der Hauptsache handelt es sich dabei um zwei Fragenpaare, ein älteres und ein jüngeres, durch deren Stellung allein schon die Länderkunde über ihre Vorläuferin hinaus­ ging. Das ältere umfaßt die ursächliche Wechsel­ beziehung sowie die Auswahl und Anordnung des Stoffes, das jüngere den Erdteilbegriff und die Landschaft. Um Beantwortung des ersten Fragen­ paares machten sich besonders verdient Carl Ritter, Ernst Kapp und Ferdinand v. Richthosen, um die des zweiten bemühte sich zuerst Ewald Banse. Don den Beziehungen zwischen Landevnatur, Kultur und Geschichte hatte schon Herder gesprochen,

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und auch die Vorläufer der Geographie hatten sich nicht gänzlich mit äußerlichen Erscheinungen begnügt. Aber erst Ritter erhob das Forschen nach dem Warum der geographischen Dinge und nach ihrer Ein­ flußnahme aus den Menschen zum Grundsätze geographischerArbeit und verlieh dieser damit wissenschaft­ liche Berechtigung. Allerdings blieb er selber in dem vielbändigen Werke „Die Erdkunde im Verhältnis zur Natur und zur Geschichte des Menschen" (Berlin 1817 sg.) hinter seiner Forderung weit zurück. Noch zu seinen Lebzeiten überholte ihn sein Schüler Ernst Kapp in der „Vergleichenden Allgemeinen Erdkunde" (1845) bedeutend. Die Beschränkung länderkundlicher Arbeit auf gewisse Gegenstände, die infolge der Art der Er­ scheinung und infolge gegenseitiger Gebundenheit einer geographischen Behandlung besondere wert find (wobei die Natur stärker als vorher zu berück­ sichtigen war), ferner auch die Behandlung des Gesamtstoffes in einer bestimmten Reihenfolge — diese zweite grundlegende Tat wurde in der Haupt­ sache erst durch Richthofen geleistet („China", Berlin 1877), mit welchem gleichzeitig Ratzel über Nord­ amerika und Gustav Nächtig«! über Teile Aftikas („Sahara und Sudan" 1879—89) tüchtige Arbeiten lieferten. Begrifflich kam die Länderkunde bis 1912 nicht über die Zeit von 1877 hinaus, wenn sie auch einen so feinen Könner wie Joses Partsch hervorbrachte. Dessen Bücher „Schlesien" (1896—1911) und „Mitteleuropa" (1904) zeigen die äußersten Möglich39

ketten der wissenschaftlichen Länderkunde sowie ihre Begrenztheit und weisen gleichzeitig, schüchtern und hall» unbewußt, aus neue Wege hin. Denn das Fragenpaar der Wechselbeziehung und der Stoff­ wahl allein umriß die Fülle der geographischen Er­ scheinungen noch lange nicht. Es brachte schließlich nichts anderes als eine Behandlung der Länder­ räume nach den Gesichtspunkten der Allgemeinen Erdkunde: also Begriffe abziehend und Gesetz­ mäßigkeiten aufspürend, einige äußerliche Be­ ziehungen ausweisend, sonst aber In der Hauptsache doch nur Erscheinungen beschreibend. Es fehlte noch ganz die Erkenntnis des weitverzweigten und in die Tiefe gehenden Znnengewebes und dessen sichtbarer Niederschlag. Das führt zum zweiten Fragenpaar, dessen Dasein von Ewald Banse 1912 zuerst erkannt und von ihm sowie von Siegftied Passarge besonders behandett wurde. Es besteht aus den Begriffen des natürlichen Erdteils und der Landschaft, die hinfort die Schwerpuntte aller geographischen Arbeit be­ deuten. Länderkunde ist Raum- und Beziehungwissenschast. Sie strebt nach Erfassung der Räume der Erde und nach Darstellung von deren Erfülltheit. Ihr erstes Tun muß also daraus gerichtet sein, die Erdoberfläche in Erdteile und innerhalb dieser in Raumschaften einzuteilen, deren jeder und jede eine möglichst große Summe von Eigenheiten auf­ weist, welche den anderen fehlen. Die Summe dieser Eigenheiten kann man Umwelt (Milieu) oder Art40

mittel nennen. Sie wird ermittelt nicht durch ein­ fache Aufzählung geographischer Elemente, sondern bildet sich durch eine besondere Verquickung solcher; jedes einzelne Element kann und wird auch in anderen Gebieten Vorkommen, aber ihrer aller Vereinigung in der jedesmaligen Mischung geschieht stets nur einmal auf Erden. Die Erkenntnis solcher Artmittel fühtt, ausgehend von der Gegend ihrer stärksten Verdichtung als Mittelpuntt, rundum zum äußersten Kreise ihres Vorkommens, der schon etliche An­ zeichen fremder Artmittel aufweisen wird. Aus diese Weise über die Erdoberfläche wandernd, stellt man die natürlichen Erdteile und deren Kleingliederung, die Raumschasten, fest. Jeder Erdteil, jede Raumschast ttitt dem Men­ schen in einer Reihe von Wandeldildern entgegen, deren jedes man als Landschaft zu bezeichnen pflegt. Genauer gesagt ist jedes nur eine gufallslandschast, die für ihren Erdenraum nicht entscheidend oder art­ eigen zu sein braucht, gn einem Waldlande kann ein Fleckchen Steppe austauchen und doch ist es nicht richtunggebend, sondern nur durch zu­ fälliges Zusammentreffen besonderer Umstände her­ vorgerufen; der Reisende wird, will er sich des ganzen Landes Att in Erinnerung zurückrufen, stets nur Waldland vor Augen haben. Diese geistige Quersumme aller landschaftlichen Eindrücke eines wohlumgrenzten Erdraumes ist die Landschaft des Erdraumes schlechthin. Dentt man an einen Erdraum, so taucht ohne weiteres, wie in Erz gegossen und geitenwandel üderdauemd, eben

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diese bestimmte Landschaft auf. Sie -u erkennen, sie aus ihren in vielfacher Verflechtung ineinander­ greifenden Einzelteilen aufzubauen, ist eine weitere Aufgabe geographischer Arbeit. Umwelt (oder Artmittel) und Landschaft sind zwei Begriffe, die vieles gemein haben, aber doch nicht das gleiche bedeuten. Während Landschaft die Verbindung der in der Hauptsache sichtbaren geographischen Ele­ mente zum Bilde bedeutet, umfaßt Umwelt ge­ dankliche Vorstellungen. Beide ergänzen einander und bilden gemeinsam den Zentralbegriff der Geographie. Don hier aus erst erscheint die Geographie als wirklich selbständige Wissenschaft, ja als besondere, durchaus für sich und ebenbürtig neben anderen Wissensgruppen stehende Form des Den­ kens und der geistigen Arbeit. Es gibt kein anderes Fach, das unter dem Gesichtswinkel der ursächlichen Verknüpfung die Gesamtheit der am Bilde der Erd­ hülle mitwirkenden Tatsachen in ihrer örtlichen Sondergebundenheit verarbeitet, als die Geographie; hieraus entspringt ihr hoher Wert für Erkenntnis und Bildung im allgemeinen, sie kann nur mit der Philo­ sophie in Vergleich gestellt werden — allerdings be­ wegt sich ihre bisherige Behandlung durchaus auf niedrigerer Stufe als diese. Und es gibt nichts, worin sich der Eharakter der Geographie klarer kund­ tut als in den Sammelbegriffen Umwell und Land­ schaft, denn beide vereinen verschiedenartigste Ge­ bilde zu Gruppen, heben diese in ihrer Geschlossen­ heit aus der Masse der übrigen Gruppen heraus und deuten ihren Sinn im Weltgefüge. 42

Die beiden neuen Begriffe entscheiden auch den alten Streit, der sämtliche während des letzten gahrhunderts gepflogenen Erörterungen durchzieht: welcher Stoff gehört noch zur Geographie und welcher nicht? — umfaßt die Geographie ausnahmslos alle Erscheinungen der Lrdhülle (worunter Land, Wasser und Lust verstanden seien) oder nur eine Auswahl daraus? Das Fangbereich der Geographie inner­ halb der Erdhülle ist an sich unbegrenzt, doch findet Sonderung und Auswahl statt nach Maßgabe der Rolle, die eine Erscheinung im Zusammenwirken aller spielt. Man muß nicht fragen: was gehört noch zur Geographie? sondern muh die Frage so stellen: welche Tatsachen sind entscheidend für Umwelt und Landschaft einer Erdenstelle? Alle entscheidenden Dinge gehören zur Geographie, alle Dinge also, deren Dasein unlösbar dem Spiel der Kräfte verflochten ist, deren Außerachtlassung aber ein unvollständiges oder falsches Bild geben würde. Daraus erhellt, daß für die Geographie (ähnlich wie für die Philo­ sophie) nicht der Stoff bezeichnend ist, sondern der Standpunkt zu ihm, die Art seiner Betrachtung. Das Eigentliche unseres Faches liegt nicht im Grob­ stofflichen, sondern höher, in dessen Ansehung — und hier machen sich schon Anzeichen bemerkbar, die auf eine besondere Art der Behandlung weisen, auf die künstlerische. gn der geographischen Arbeit lausen stets zwei Reihen unlösbar verkettet nebeneinander her: jede Tatsache will an sich betrachtet sein, nicht so sehr als Stoff denn als Erscheinung, und außerdem müssen

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ihre Beziehungen zu den übrigen Tatsachen erklärt werden. Erst die verbundene Behandlung beider Reihen macht die wirkliche geographische Tätigkeit aus. Jeder Versuch, jeder andere Weg, sie zu er­ klären und zu vertiefen, ist zu begrüßen, möge er harmonische Landschaft (Robert Gradmann) heißen oder Rhythmus (Wilhelm Bolz), wobei jener mehr aus das räumliche, dieser mehr auf das zeitliche Nebeneinander zielt.

G e st altende

Geographie.

Die Aufgabe

der Geographie ist unstreitig, eine möglichst ein­ dringliche Dorstellung und ein möglichst lebendiges Bild von der Erdhülle und ihren Teilen zu geben. Die ältere untersuchende Geographie, die heute noch fast durchweg vorherrscht, mühte sich nur um den ersten Teil dieser Ausgabe. Die neuere unter­ suchende Geographie, als welche zu den Begriffen des Erdteils und der Landschaft vorgeschritten ist und infolgedessen stärkere Wirkungen erzielt, findet sich noch wenig. Aber auch sie wird der obigen Forderung längst nicht gerecht, auch sie ist nicht imstande, ein nach jeder Richtung beftiedigendes Bild eines Landes zu entwerfen. Deshalb erhebt sich die Frage: was muß geschehen, um das Ziel zu erreichen? Dieses Ziel ist so weit gesteckt und so hochragend, daß jedes Mittel recht sein sollte, zu ihm zu gelangen. Untersuchung ist Betrachtung eines Gegenstan­ des auf seine äußere Erscheinung und seine Ent­ stehung hin; dabei bleibt völlig außer Frage, welche persönliche Einstellung der Untersuchende zu dem

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Gegenstände hat. Gestaltung hingegen umschließt nicht nur die Betrachtung der Süßeren Erscheinung und der Entstehung, sondern auch (und zwar ganz besonders) des eigentlich Wesentlichen des Gegen­ standes, das ihn zu allerinnerst von sämtlichen anderen Gegenständen unterscheidet. Das äußere Gewand ist nämlich (und dies ist von den Geo­ graphen noch nicht erkannt worden) durchaus nicht in jedem Fall unbedingt bezeichnend und also unter­ scheidend, es kann sich bei Dingen, die einander zu­ innerst wesensfremd sind, sogar wiederholen. Eine mitteleuropäische und eine nordamerikanische Wald­ landschaft, eine arabische und eine australische Wüste mögen einander in Formen und Farben überraschend ähneln — sie sind doch wesensverschieden und mithin nicht zu verwechseln. So muh es sich darum handeln, tiefer in die Dinge einzudringen, das in ihnen bloßzu­ legen, was wirtlich ihnen allein eigen ist—ihre Seele. Untersuchung geht auf Zerspellung aus, legt Ordnung und Übersicht der Dinge bloß, klärt den Begriff. Gestaltung zielt auf Einheit hin, gibt Anschau­ ung, deutet den Sinn, der hinter den Dingen steht, die Seele. Jene dient dem Verstände, diese be­ friedigt das Gemüt. Es ist klar, daß Gestaltung eine ganz andere Ein­ stellung zu den Dingen erfordert als Untersuchung. Letztere kann von jedem ausgeübt werden, der mittel­ mäßig begabt ist und die erforderlichen Dorkennt­ nisse erwirbt. Erstere dagegen setzt voraus: einmal besonderes Einfühlungsvermögen und zum andern Kraft, Erlebtes anschaulich wiederzugeben. Wem 45

nicht eine Landschaft mit ihrer ganzen Erfülltheit von Formen und Farben, von Lust und Menschen zum Erlebnis wird, das ihn völlig durchrüttelt und gänzlich ausfüllt, der kann nicht bis zum Ge­ heimnis ihrer Seele vordringen und wird nie in der Lage sein, diesen Erlebniseindruck anderen Menschen in wünschbarer Stärke zu vermitteln. Wer aus geographischem Gebiete gestaltend tätig sein will, der hat sich zuerst auf dem Wege der Antersuchung Kenntnis der Einzeldinge zu erwerben, die eine Landschaft zusammensehen — er hat sich den Begriff zu erarbeiten. Sodann muh er die Einzel­ stücke unter Ausscheidung aller unwesentlichen zu einer großen Komposition zusammenschauen — er muß Bild und Seele gestalten. Die Dahn von dem Einzelding (das für sich ge­ nommen ziemlich belanglos ist) zur Gesamtheit führt über die Landschaft als Erscheinungsbild, in dem alle sichtbaren Dinge enthalten sind, bis zur Seele, dem unsichtbaren Etwas, das zwischen den Tinzecheiten schwebt und ihre eigentliche Verklam­ merung darstellt. Diese Dinge müssen schon ftüher von geborenen Geographen empfunden worden sein. Den Forsters und Humboldts, den Kohls und Ratzels waren sie sicherlich nicht ftemd. Ausgesprochen aber haben diese Männer sie nirgends, und auch ihre Arbeiten werden von diesen Gedankengängen nicht geleitet. Erst im gegenwärtigen Jahrhundert tritt die neue Auffassung in die Schicht der Bewußtheit; zuerst bei E. Danse (1912), dann vielleicht bei E. de 46

Martonne (1915) und bei Sir Francis Dounghusband (1920). Namentlich seitdem der Erstgenannte in Deutschland die gestaltende Geographie (die er anfangs expressionistische, dann künstlerische Geo­ graphie nannte) von 1920 ab sehr nachdrücklich ver­ tritt, haben sich zahlreiche Geographen für sie er­ klärt. Voran Männer wie Wilhelm Volz, Erich Obst und Hugo Hassinger, sodann jüngere wie Jörgen Hansen und Richard Ahden, doch sind die Widerstände immer noch sehr start. Der Kampf um die Gestaltung in der Geographie ist auch durchaus begreiflich, da Untersuchung von jedem erlernt, Gestaltung aber nur von denen ausgeübt werden kann, die angeborene Anlage dazu haben.

Die Landschaft eographie im Dollsinn dieses Wortes wird gedacht und geschrieben, erst seit der Begriff der Landschaft von den Geographen erkannt und ge­ würdigt wird, gn ihm allein zeigt sich die Einheit der Natur, von einem bestimmten Blickpunkt aus ge­ sehen, und vor ihm schweigen alle lehrhaften Strei­ tereien um die Zwiespältigkeit der Erdkunde. Die Mehrzahl der Fachgenossen ist allerdings noch weit entfernt von dieser wünschbaren Einstellung, und in den Mittelpunkt der Behandlung wird die Land­ schaft überhaupt nur von ganz wenigen gestellt. Soviel zu ersehen, haben wir als erster 1912 auf die Bedeutung der Landschaft aufmerksam gemacht und seit 1913 in länderkundlichen Werken fort­ schreitend danach gehandelt. Siegfried Passarges „Landschaftskunde" ist im Sinne der hier gebrauchten Namengebung Raum­ schaftkunde und beschäftigt sich mit der eigentlichen Landschaft nicht. Die neue Art ist von allergrdtzter Bedeutung. Man bedenke doch: vorher fehlte es an einem ein­ heitlichen Führer durch die verwirrende Fülle der Erscheinungen — alles wurde als gleichwertig ange­ sehen und nacheinander abgewandelt, so daß nach der Lesung der undeftiedigende Eindruck blieb: da 48

hast du nun tausend Dinge tennengelernt, aber was ist daran das Wesentliche und wie sieht das Land eigentlich aus? Der Begriff der Landschaft erst drückt dem Geo­ graphen das Steuer in die Hand und gibt ihm damit die Möglichkeit, den vielfältigen Stoff um einen inneren Kern zu ordnen. Es ist notwendig, die tausend Zufälligkeiten der gegenseitigen Stellung der Natureinzelheiten in einem Bilde zusammen­ zufassen und, in Worte übersetzt, der Leserwelt zu vermitteln. Hierdurch wird die Regellosigkeit in der Natur beseitigt und das Bündige, da» Gesamtheitliche sestgestellt. Landschaft geographisch ge­ stalten heiht, die Erde in feste Ordnungen gliedern und ihrer Gestalten Fülle, die heute noch längst nicht erkannt ist, der Menschheit erschliehen. Suchte man früher die Wissensmasse nach dem bekannten starren System (Oberfläche, Entstehung, Gewässer, Klima, Pflanzen, Tiere usw.) gradlinig zu durchschneiden, eine Schlachtordnung, die vor jedem Tleferdenkenden umfiel, so hat man jetzt die Möglichkeit, das Wesent­ liche schnell zu erkennen, herauszuheben und nach­ haltiger zu beleuchten, das Unwichtige aber an die gebührende Stelle zu verweisen. Erst damit wird man jedem Lande gerecht, indem man jedes nach seiner Eigenatt behandelt. Hierdurch erhalten die einzelnen Länder plötzlich wirkliches, springendes Leben, alles Eintönige und Langweilige verschwin­ det aus der Erdkunde, aus Namenwissen wird bild­ hafte Erscheinung. In dem einen Lande ttitt diese Gruppe von Dingen in den Vordergrund, in dem Sans«, Landschaft

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andern jene, denn Landform und Pflanzenleben, Klima und Rasse, Weltlage und nachbarliche Ein­ wirkung, geschichtliche Gänge und PersSnlichteiten schieben sich so mannigfaltig durcheinander, daß in jedem Lande ganz verschiedenartige Zusammenstellungen auftreten.

Die alte Geographie sprang mit einem Lande um wie der Anatom mit einer Leiche, er schneidet gerade durch und nimmt keinerlei Rücksichten — Patient fühlt ja nichts mehr. Die neue Geographie arbeitet am lebenden Körper, sie erforscht nicht allein das Gewebe, svndem auch dessen Tätigkeit und Empfin­ dungsleben.

Es ist nicht zu früh, zu sagen, daß geographische Arbeit ohne Aufbereitung des Stoffes um den Be­ griff der Landschaft hinfort nicht mehr als volle geo­ graphische Arbeit kann angesprvchen werden.

Die

geographische

Landschaft

besteht

aus

den

Dingen, die ein geübter Blick in ihren Einzel­ heiten erkennt, zu einer einheitlichen Gesamtheit ordnet, in ihrer seelischen Wirkung erfühlt und in einer Schilderung so spiegelt, daß der Leser sich in sie hineinversetzt glaubt. Man muh in der Landschaft unterscheiden zwi­ schen sichtbaren und unsichtbaren, ja darüber hinaus sogar zwischen gegenständlichen Dingen und über­ sinnlichen Wahrnehmungen. Das Gegenständliche ergibt sich aus den mit dem Auge feststellbaren Tat­ sachen und den, davon ausgehend, verstandesmäßig 50

abzuleitenden Wahrscheinlichkeiten. Aus Tatsachen der Gesteinverteilung an der Oberfläche beispiels­ weise lassen sich Schlüsse ziehen auf den Gebirgbau in der unsichtbaren Tiefe. Die Erkenntnis des Gegenständlichen ergibt nur die äußere, die Schein­ welt der Landschaft. Die Einzelheiten, wie Gestein, Daum, Wasser, Haus, Straße, reihen sich zu Ge­ samtheiten niederer Ordnung, so Berg, Tal, Sied­ lung. Die Arbeit, die erforderlich ist, diese Bausteine zu brechen, zu behauen und herbeizutragen, ist von rein wissenschaftlicher Art. Sie wurde bisher schon in beftiedigender Weise angestrebt und ost auch geleistet. Neben das Gegenständliche in der Landschaft tritt das Übersinnliche. Es besteht aus den Wir­ kungen, welche die Gesamtheiten niederer Ordnung hervorbringen. Diese Wirkungen treten in zweierlei Gestalt auf. Einmal erscheinen sie als Gesamtheiten höherer Ordnung, so, wenn Berg und Tal, Wald und Dorf, Himmel und Licht (Farbe) sich zu einem Bilde vereinen. Ium andern aber gehen sie aus diesen Dingen in Form von Wirkungen auf den Menschen hervor. Geheime Verbindungen werden da ge­ knüpft, die ebenso tiefteichende wie weittragende Folgen aueüben, sei es nun aus den Bewohner, dessen Art sie bilden, oder auf den Durchwanderer, dessen Lustgefühl sie bestimmen. Die Ergründung der übersinnlichen Seiten der Landschaft ist ohne künstlerische Arbeit nicht möglich, mit ihnen hat sich die Geographie bis vor einigen Fahren überhaupt nicht auseinandergesetzt.

4*

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ie sichtbare Landschaft. Durchzieht man eine Landschaft, so steht man zuerst einer Viel­ fältigkeit von Dingen gegenüber, in der höchstens eines vorherrscht, das Licht. Licht und Schatten sind da, und verschiedene Farben laufen in Gegen­ sätzen, Abstufungen und Übergängen durcheinander und verändern das Gesicht des Landes ost ganz erstaunlich. Häufig sind das Erscheinungen, die kaum greifbar werden, etwa wandernde Wolken­ schatten, die das Aussehen einer Gegend völlig um­ gestalten können. Obwohl sie die Fähigkeit haben, bergiges Land eben, flaches Land zerschnitten zu machen, sind die Woltenschatten von den beschrei­ benden Geographen noch nie beachtet worden. In bewachsenen Gegenden und auf der See teilt der Gesichtskreis alles in eine hellere obere und dunklere untere Halbe, nur in Schneegebieten und kahlen Wüsten kann die Erde greller sein als der Himmel. Der Sieg des Lichtes ist so groß, daß die Eigenfarbe der Dinge in der Landschaft daneben völlig verblaßt. Ein Berg, der grün bewachsen ist, zeigt wohl nur ganz selten das Grün des einzelnen Blattes, denn die Farbwirkung in der Verbreiterung durch die Masse, die gleichzeitige Erscheinung von Holz und Gestein, die Verteilung von Licht und Schatten, die Lust auch als kleinstes Teilchen zwi­ schen den einzelnen Blättern sowie der Gegensatz des Grüns zur Farbe der Nachbargegenstände und des Himmels lassen schon aus geringe Entfernung den Berg nicht unwesentlich andersfarbig erscheinen.

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Auf Abstand aber legt sich vor seine Farbplatte die Farbplatte der Lust und wandelt das Grün in deut­ liches Blau. Die kahlen Höhen der Trockenländer, die in der Nähe grau oder höchstens gelblich aussehen, ragen in der Landschaft stets als rosige oder rote Berge. Von der Farbveränderung der Landschaft durch Dämmerung und Staubtrübung, Regen und Nebel, Mondnacht und Sternenhimmel soll nicht weiter gesprochen werden, gestreift auch nur sei die Be­ deutung der Himmelkuppel in der Landschaft, die der Geographie bisher nur gerade gut war, um sie für klimatische Feststellungen heranzuziehen. Als Spenderin alles Lichtes und als Bühne der groß­ artigen und für ein Land artgebenden Wolken­ bewegung verdient sie die gleiche Beachtung wie der Boden, auch wenn die Zeit der Luftschiffahrt nicht die praktische Aufmerksamkeit auf sie lenken würde. Daß jedes Land seine besondere Wolkenbildung besitzt, scheint wenig bekannt zu sein, daß Gestalt und Zug der Wolken von Einfluß auf das Gemüts­ leben werden, wird nicht beachtet. Man vergleiche aber einmal die scharf umrissenen, sabeltierartig geballten Wolkenheere, die über unsere Waterkant gen Osten stürmen, mit den unsicher gezeichneten, charakterlosen Haufwolken des deutschen Binnen­ landes, die steuerlos dahintreiben. Ebenso stark ist der Gegensatz zwischen sichtiger und unsichtiger, zwischen dünner und dichter, zwischen See- und Land­ lust — erste mit blankgewaschener, farbleuchtender, letzte mit trüberer Färbung.

Auch der Gegensatz der Jahreszeiten ist durchaus vom Himmelgewölbe abhängig, in seinen Ursachen von der Bewegung der Sonne und anderen klima­ tischen Erscheinungen, in seinen Folgen vom Licht, also von der Farbe. Dieser Farbwechsel kann die Landschaft als völlig andere erscheinen lassen — man denke an die grüne, blütenprangende Steppe mit ftöhlichem Hirtenleben und Wandergazellen zur Lenzzeit und an die gelbkahle, sandige, leere und stumme Steppe im Sommer. Oder an ein mittel­ deutsches Berg- und Talstück, wie es in besonntem Svmmergrün aufsteigt, gegenüber seinem winter­ lichen Aussehen, wenn alles unter Schnee versinkt und dunkle Geländeteile sich abzeichnen, die vorher nicht auffielen. Nächst dem Lichte tritt für den Wanderer die Landsorm hervor. Ob Ebene, Hügelland oder Gebirge — das sind Erscheinungen, über die das Auge sofort Auskunft gibt. Ob es sich um Hoch- oder Tiefland handelt, mutz erst verstandesmäßig durch Schlüsse aus gewissen Umständen oder wohl gar durch Messungen gefolgert werden. Die Erkenntnis der Landform erfordert über­ haupt den größten Aufwand wissenschaftlicher Unter­ suchung in der Geographie, denn der bloße Augen­ schein genügt nicht, über Lagerung und Gebirgbildung einer Landsorm Klarheit zu gewinnen. Es ist bekannt, daß eine Ebene in Armlänge unter ihrer Dodendecke den Dau eines Gebirges besitzen kann.

Es fragt sich nun, ob die Erforschung des Unter­ grundes überhaupt notwendig, ja auch nur wünsch­ bar ist. Wenn wir uns zu der Ansicht bekennen, daß hochwertige geistige Arbeit aus der Erschließung von Zusammenhängen besteht, so müssen wir die Frage bejahen. Ls kann nicht geographische Aufgabe im engeren Sinne sein, die Landform durch mühevolle Tiefenuntersuchung zu beweisen, aber der Geograph darf nicht darauf verzichten, die Ergebnisse dieser Leistung zur Erklärung der Landsorm mit heranzu­ ziehen — ebensowenig wie es seine Arbeit ist, durch selbstausgesührte Messung die klimatischen Erschei­ nungen zu ergründen. Bei keinem Zweige seines Faches so sehr wie bei der Bearbeitung der Landformen sollte der Geo­ graph vergessen, daß es Maß halten gilt. Nirgends vollzieht sich der Übertritt in eine vollkommen anders­ geartete Wissenschaft leichter als beim Anschnelden der festen Ädrinde. Wir wissen alle, wie viele

Geographen dieser Versuchung in den letzten Jahr­ zehnten erlegen sind, ja, daß das Ziel der geographi­ schen Arbeit vorübergehend vSUig verschoben oder gar aus den Augen verloren wurde. Es gilt, das Augenmerk sehr klar auf das zu richten, was nötig ist: auf nichts anderes als die Erklärung der Form und gewisser wirtschaftlicher Dinge. Blicken wir lediglich aus die Gestalt der Ober­ fläche, so werden wir bald gewahr, daß die Feststel­ lung von Ebene, Hügelland oder Gebirge allein nicht genügt; es muß vielmehr ihre jeweilige Bezüglichkeit klargelegt werden. Es gibt Hügelgesamtheiten, die

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dem Beschauer mit dem Gewalteindruck eines Ge­ birges entgegentreten. Man hat aus der Karte er­ sehen. daß sie nur einige fünfzig Meter hoch sind, und ist überrascht, daß sie aus völlig flacher, von niedrigem Gesichtskreis umrahmter Ebene oder Meerfläche steil emporschießen und unter dem Ein­ fluß starker Niederschläge Kleinformen entwickelt haben, die in keinem gewohnten Verhältnis zu ihrer geringen Höhe und Ausdehnung stehen. (Es liegt auf der Hand, daß solche Iwerggebirge auf Beschauer und Bewohner Wirkungen ausüben, die zum Teil mit denen echter Gebirge verwandt sind. Die Natur ist eben so vielgestalten, daß man ihr mit Einordnung der Erscheinungen in enge Sach­ gruppen nicht beikommen kann. An dritter Stelle wendet sich das Augenmerk

der Bewachsung zu. Rein als Frage des Lichtes gedacht, spielt sie allerdings keine sonderlich große Rolle, denn in größeren Entfernungen ist die Land­ schaft nur noch Farbbild, in dem die Art der Gegen­ stände, ja die Gegenständlichkeit selber (wenn man so sagen darf) zurücktritt. Ob Wüste, ob Waldland, macht grundsätzlichen Unterschied einzig in der Nähe aus — in weitem Abstande betrachtet, können beide gleich blau oder gleich veiel aussehen. Auch die ver­ schiedenen Kleinsormen der Oberfläche, die in zer­ schnittenem Waldlande andere sind als in unruhiger Wüste, gehen auf ferne Sicht in der Farbe unter. Anders in der Nähe. Ganz wie Angehörige ver­ schiedener Rassen und Völker in großer Entfernung 56

nicht voneinander zu unterscheiden sind und erst beim Räherkommen ihre Eigenart nach und nach ent­ hüllen, ähnlich entschleiert erst die Nähe das Höchst­ persönliche, das Gesicht der Landschaft. Völlige Kahlheit ebenso wie gleichmäßig dichte Bewachsung entweder mit Wald oder mit Gras­ narbe geben wohl dem Lande als Ganzem Gepräge, verwischen aber jegliche Unterscheidung zwischen hier und dort. Man findet sich nicht darin zu­ recht, beide Arten atmen gleicherweise Eintönigkeit, Langeweile und Schrecknis. Einzig Niederschlag und Wind bringen Leben und Abwechslung in die tote Hde, sei es, daß Wolken oder Regengüsse, Schnee oder Sandsäulen sie durchwandern. Die See kann nie mit diesen Landschaften ver­ glichen werden, denn das Leben des Lichtes in den Wasserschüppchen sorgt selbst bei ruhigem Spiegel für Bewegtheit, die sich bei Wind, unter Sturm gar, zu heftigster Abwechslung steigert. Erstaunlich ist die Wandelfähigkeit des Meeres, das dabei stets es selber bleibt und niemals seine Wesensart verleug­ net, das mit den einfachsten Mitteln, mit nichts als Wasser, Bewegung und Licht die stärksten Wirkungen erreicht. Die landschaftliche Bedeutung der See, der großen Wasserflächen überhaupt, ist noch nie in geographischen Darstellungen zur Abrundung des Bildes eines Landes herangezogen worden. Ts bildet dort höchstens eine physikalische Größe oder eine solche des Raumes. Auf dem festen Boden spielt die Bewachsung ihre Hauptrolle, wenn sie unregelmäßig verteilt ist. 57

Gras- oder Ackerflächen, aus denen Baumgruppen oder Wäldchen aufsteigen, bilden die abwechslungs­ reichste und ansprechendste Landschaft, die sich denken läßt. Ihre anregende Wirkung auch auf den Be­ wohner kann gar nicht hoch genug eingeschätzt wer­ den. Genauere Kenntnisnahme der Pslanzenvereine gibt die Grundlage zu tiefgreifender Unterscheidung von Einzelformen. selbst wenn es keine sonderliche Rolle spielt, wir suchen doch gleich danach, und wenn es gar fehlt, so vermissen wir es, mag uns das auch nicht einmal gleich bewuht werden — das Wasser. Die Landschaft, in der es fehlt, hat etwas Totes oder doch etwas vom Dornröschenschloß — sie ist ein Antlitz ohne Auge, ein Mund ohne Lachen. Der schauerlich­ ste Wald, die ödeste Wüste kommt uns näher, wenn das heimliche Glucksen einer Quelle unser Ohr er­ reicht, oder wenn mitten in gelber Kahlnis der blaue Fleck einer Lache austaucht. Das Wasser schafft, neben der Pflanze und vielleicht mehr noch als sie, die Beziehung der Erdrinde zum Menschen; es macht ihn erst zum Bewohner und erleuchtet ihm seine Landschaftsbilder. wurde schon berührt, daß Wasser allein, nur vom Licht unterstützt, vollkommene Landschaft, ja vielleicht die schönste überhaupt, schaffen kann. Daß es in Form von Schnee und Eis auch auf dem Lande zeitliche, ja in Hochgebirgen und Polbreiten sogar dauernde Landschaften erzeugen kann, sei nur ge­ streift.

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Die Bedeutung des Wasser» beginnt natürlich mit der Erzeugung der meisten Kleinformen und tut sich am stärksten in der Hohlsorm de» Tales kund, das mit seinen Gehängen und Kämmen sowie mit den Sonderbedingungen, die es der Bewachsung und den Lebewesen bietet, landschaftlich von allergröß­ tem Belang ist. Darüber hinaus erreicht das Wasser das Höchstmaß seiner Bildwirkung in bewegten Flußbändern und Seeflächen. Beide erscheinen ver­ möge der Lichtfülle, die ihr Spiegel einsängt, zumeist als Mittelpunkte, auf die alle übrigen Teile bezogen werden und zu denen das Auge immer wieder zurückkehrt. Es

ist

eine

alte

Erfahrung,

daß

die

Werke

des Menschen die Landschaft entscheidend beein­ flussen. Ihr Vorkommen verändert den Umriß der Erde, hebt den Gesichtskreis in die Höhe und haucht selbst der wildesten Gegend etwas Anheimelndes oder doch Beruhigendes ein. Die Karawane, die das pfadlose Wellenmeer der Steppe durchwandert, ver­ hält, süßen Schreckes voll, den Schritt, wenn sie plötzlich aus ein kümmerliches Gerstenfeld stößt — es mag die Nähe von Feinden künden, immer sind es doch Menschen, die ebenso denken und fühlen. Ganz anders noch wirtt natürlich die Oase in der Wüste. Sie liegt wie dunkler Wolkenschatten in­ mitten der grellen, flimmerigen Kahlheit, die nichts ist als Glut und Odenel, und verheißt Schatten und Ruhe, Sicherheit und Ergötzung, Handel und Wandel. Ader sie ist mehr als eine schöne Stelle in einem 59

Bilde — sie übt auf die Wüste in weitestem Um­ kreise Wirkungen aus, indem sie Pfade auf sich zieht, wie die Spinne die Fäden ihres Netzes, und damit Veranlassung gibt zur Anlage von Rast­ häusern und Wasserstellen ebenso wie zum Er­ scheinen von Karawanen aus und von Raubscharen neben den Strahen. Was Wüste und Steppe in halbtropischen Breiten sind, Fürchtnis und Einsamkeit, das sind in unseren die Gebirge. Und hier erscheinen inmitten besonders wilder Gegenden ost Drücken oder Gasthöfe, Stau­ teiche oder gewerbliche Anlagen, gelegentlich auch Trümmer einer Burg oder Schuhhütten, jagd­ liche Hochstände oder Türme der Landesaufnahme. Eine Brücke schlägt auch die schauerlichste Schlucht in Fesseln, wobei die Frage offen bleibe, ob sie die Schönheit der Landschaft mit eisernem Gezitter in Scherben schlägt oder ob sie ihr durch seinerfühlten Bogenschwung die letzte Abrundung gibt. Auch die ganzen Formen des Geländes können merklich gehoben werden durch die Schlingen oder Jacken von Landstrahen oder Bahnlinien, die eine kühne Hand aus der Niederung zur Höhe geführt hat. Solch ein weitzes Band hat in Alpenland und in Norwegen mancher Tallandschast ganz neues Leben verliehen. Die stärkste Umgestaltung landschaftlichen Aus­ sehens wird natürlich durch die Siedlungen und das zwischen ihnen ausgespannte Netz von Straßen und Bahnkörpern, Kanälen und Drähten erzeugt. Selbst der kleinste Einzelhof ruft in der ein­ samsten Wildnis merkliche Veränderungen hewor.

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Man denke nur an die Einödhöfe in den Waldtälern Norwegens. Solch ein Gewese liegt etwa auf einer vorspringenden Schulter des Gehänges, mehrere hundert Meter über dem schäumenden Bach dort unten im Talgrunde. Die Schulter kann ein stehengedliebenes Stück aus der sonst abgetragenen Tal­ terrasse sein, vielleicht ist sie auch nur das Nestchen einer ehemaligen Landfläche. Sie sticht hellgrün ab von dem viel dunkleren Walde ringsum, und aus ihrer Schräge hocken ein paar graue Dlvckhäuschen. Über die Helle Weidefläche kriechen winzige Punkte,

die Kühe und Pferde. Begeht man den Berghang, so gewahrt man eine Anzahl von Pfaden, zumeist auch einen schmalen Karrenweg, der nach anderen Weilern und schließlich zu einem winzigen Hafen oder einem Bahnhöfe führt. Ja, selbst der Draht eines Fernsprechers schlingt sich von Mast zu Mast und erinnert in dem wilden, blockersüllten, wasserdurchtosten Walde immer wieder daran, daß Einzel­ höfe gar nicht so weit sind. Gleichwohl herrscht die freie Natur noch durchaus vor. Anders in altdesiedelten Ländern, etwa wie im südöstlichen Niedersachsen. Der Tal- und Moränen­ sand der Ebene nördlich von Braunschweig ist aus Haide in Ackerland und der Urwald in Forst um­ gewandelt worden. Don jeder Stelle der offenen Feldslur erblickt man mehrere Dörfer gleichzeitig, und in den Forsten wächst kein Zweig, atmet kein Tier ohne Erlaubnis der Verwaltung. Das klingt nicht schön und doch empfindet man diese Natur nicht als vergewaltigt. Sie ist nicht das Ursprüngliche, nicht 61

Wirkung unbeherrschter Gewalten, vielmehr eine andere Möglichkeit, hervorgebracht durch überlegte Zusammenarbeit von Natur und Mensch. Es ist gar keine Künstelei darin, sondern das Ergebnis ist durchaus als Natur zu werten, als freie, freudige, ihrer Eigenart bewußte Landschaft. Und das Dorf? Selbst wenn es häßliche Einzelheiten aufweist, im Häuserbau des letzten Haldjahrhunderts namentlich — als Ganzes ist das Dorf der Landschaft immer gut eingepaßt, denn es ist aus ihr hervorgegangen und mußte so sein, wie es ist. Anders verhält es sich mit der Stadt. Es gibt keine alten Städte, die häßlich sind, weder als Teil der Landschaft noch in ihrem Straßenbilde — sie erwuchsen ja allmählich aus den Erfordernissen der Gegend heraus und gliederten sich damit in die Landschaft ein. Solch eine alte Stadt mit ihrem Dächermeer, das sich in Hut der Burg und der Kirchen, der Türme und Tore hinter dem Mauer­ kranz versteckte und mit seinen schrägen Dächern ftagend hervorlugte — solch ein Stadtwesen sah tatsächlich mitten in der Landschaft, von ihr gefaßt als ein kostbarer Edelstein. Die neue Zeit der gewerblichen und verkehrlichen Entwicklung hat das alles vernichtet. Die Stadt trat plötzlich über ihre Ufer wie ein anschwellender See und ftaß Land, zuerst die hübschen Daumgärten, Gemüsefelder und Sommerhäuschen dicht dabei, nachher Felder und zuletzt ganze Dörfer, ja selbst benachbarte Städte. Damit ging jede Eingliederung in die Landschaft verloren — die Stadt „sitzt" nicht

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mehr in der Landschaft, wo sie hingehört, sondern treibt sich in ihr herum. Ebenso schlimm ist es in ihrem Innern. Der Mauerring ist fast immer ge­ fallen, und in den Straßen stehen Häuser verschie­ dener Jahrhunderte nebeneinander. Das meiste von dem, wa» bei uns nach 1700 gebaut wurde, fällt schon aus dem Gewordenen der älteren Zeit heraus — was aber nach 1860 erstand, ward fast allemal so ohne jede künstlerische Rücksicht auf die Nachbarschaft errichtet (wenn es das, was man so nennen kann, überhaupt besitzt), daß es ein Greuel ist. Die menschliche Siedlung muh aus den Gegeben­ heiten der Landschaft hervorwachsen, sie muh aus ihren Rohstoffen errichtet sein und muh in Aus­ sehen und Tätigkeit den Erfordernissen der Umgegend entsprechen. Marmorne Gebäude in einem Lande, das keinen Marmor wachsen läht und keinen „ewig" blauen Himmel hat, von dem das Weih dieses Steines sich wohltuend abhebt, sind Unsinn, ebenso Orte aus Wellblech in einem Sandlande, das kein Stückchen Erz hervorbringt und in dem die Sonne die Bewohner solcher Käfige als Röstfleisch zurichtet.

Äußer den

genannten

gegenständlichen

Seiten

der Landschaft sind noch andere zu beachten, die man sachlich nicht so scharf einordnen kann, die aber gleichwohl wichtig werden. Dahin gehört vor allem die Tiefengliederung der Landschaft. Es gibt Landschaften mit starker und solche mit geringer Raumtiefe, ost mit so geringer, daß die Gegend flach wirtt. Im allgemeinen hängt die Raumtiefe

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von starker Erfülltheit des Bildes mit Gegenständen ab. Wolkenloser Himmel, sei er strahlendblau oder, was noch schlimmer ist, gleichmäßig weißgrau, und nackte, tischflache Wüste erzeugen in der Tat eine ganz ausdruckslose Landschaft, deren Gesichtskreis, in Wahrheit eine Wegstunde entfernt, in fünf Mi­ nuten erreichbar scheint — es fehlt an jedem Maß­ stabe. Schon das Meer wirkt anders, denn seine Kästelung bei geringer Bewegung schasst blickbare Derkürzungen und gibt schon damit etwas Schau­ bildlichkeit. Rechte Tiefengliederung ist aber abhängig von Gegenständen, die sich nach dem Hintergründe zu wiederholen und dorthin merkliche, ja start ins Auge fallende Verkleinerungen zeigen. Das gilt nicht allein von Hügeln und Bergen, von Daumgruppen und Gebäuden, sondern auch und namentlich von Wolken. Nichts schasst auffallendere Raumtiefe als jene Wolkengehänge, von denen Saum auf Saum einander folgen, und jene Hügelwellen, die staffel­ förmig hintereinander aussteigen — zwei Erschei­ nungen, die beide zusammen dem norddeutschen Tiefland« so oft das Gepräge geben, um Blick und Gemüt sehnsuchtvoll in blaue Fernen zu leiten. Häufig ist es ein Tal, das enger und enger wird und dessen Gehänge wechselseitig gegeneinander vorstvßen, oder ein Fluß, eine Landstraße, deren Schlingen in die Weite hinauslaufen, um dort ein­ zuschrumpfen — ost sind es solche immerhin mehr zufälligen Erscheinungen, welche die Tiefengliederung erhöhen.

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Nicht fern von diesem Gesichtspunkte liegt jener der Abwechslung und des Gegensatzes. Tine Land­ schaft mag einem noch so gut gefallen, entbehrt sie der Abwechslung, so kann man sie aus die Dauer nicht ertragen. Wer die leere Steinwüste durchzieht, dem ist, al» schreite er zwischen rosiggrau getünchten Lein­ wänden. Wer in unermeßlichem Waldlande wan­ dert, der sehnt sich aus dem grünen Gefängnis nach offenen Gegenden. Die See ist gleich etwas ganz anderes, sobald ein bescheidenes Segel, eine Wolken­ bank, ja nur dieNauchsahne eines Dampfers sich zeigen. Selbst das aufgeregteste Kettengebirge kann lang­ weilig wirken, wenn ewig und ewig diese in ihrer Zerrissenheit und Zackigkeit so unsagbar gleichartigen, unterschiedslosen Dergmauern aussteigen. Im Wider­ satz dazu wirkt glückatmend und beseligend ein Land, in dem Ebenen und Hügel einander entgegen­ kommen, in dem Woltenburgen lichtes Blau durch­ segeln und in dem vielleicht der Silberblick der See au» irgendeinem Winkel hereinblltzt. Neben Raumtiefe und Abwechslung erscheint als Drittes bie Beweglichkeit oder auch die Ruhe der Dinge. Die Geographie bettachtet stets nur die unbewegten Gegenstände der Natur. Wenn diese auch die maßgeblichen sind, so dürfen dennoch die beweglichen nicht vergessen werden. Liest man in den Büchern von einem Fluß oder Dach, so sieht man nie, daß dies doch eine Wassermasse ist, die in ununterbrochener Bewegung steht. Höchstens die Wasserfälle läßt der Verfasser tüchtig donnem. Auch vom Wandern der Wolken ist fast nie die Rede, und

Banl», Landschaft

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doch ist das einer der auffälligsten Züge in der Land­ schaft. Bei nächtlichem Himmel zumal, wenn der Mond leuchtet, bildet das Ziehen der Wolken wahre Landschaften, vor denen die gestaMose, schwarze Masse der Erde völlig verschwindet. Das Meer liegt nur selten still da; sehr sparsam gesät sind die Stun­ den, an denen es wirklich wie träges öl schläft. Die Bewegungen der Tiere werden fast nur in Iagdschristen beachtet, die Geographie vernach­ lässigt sie ganz. Die Geschwader der Zugvögel aber und die Heerscharen der Steppenläufer, die mit Regen und Weide gehen, die Wanderungen gewisser Meeresbewohner schließlich sind so auffällige Ver­ schiebungen großer Massen von Lebewesen, daß sie manchen Teilen der Erde und manchen Jahres­ zeiten das Gepräge geben. Gestreift sei nur die Be­ wegung, die einer Landschaft durch Verkehrsmittel, durch Rauchballungen und durch den Menschen selber verliehen wird. Der Säemann, der weitaus­ holend über den Acker schreitet, der Pflüger, der mit seinem Gespann die Furchen hinaufkriecht — sie sind von großen Malern der Darstellung für wett erachtet worden, sie solllen auch in geographischen Werken Heimstatt finden. Auf der Grenze der sichtbaren und unsichtbaren

Landschaft verläuft der Gesichtkreio, dessen Mittelpunkt unser Auge ist. Sein Reis trägt den Himmelsdom und ist Hauptbühne der Dämmerungs­ erscheinungen sowie der vorwiegenden Bewölkung. Er ist das Feste und Bleibende in der Landschaft, 66

worauf wir alles beziehen nach Maß, Zahl und Ein­ druck. Wird er unsichtig, wie auf diesiger See und bei Lustgeflimmer in der Wüste, so daß er in zittern­ dem Wabern verschwimmt, dann wird uns unsicher zumut und wir verlieren den Halt unserer ganzen Raturaussassung. Der Blickkreis ist das große Kreis­ sinnbild, das im Dasein des Menschen eine so ge­ waltige Rolle spielt. Er ist der Kreis des Lebens, innerhalb dessen alles Menschliche sich bewegt, aus dessen Bann es niemals Heraustann. Diesseitiges und Jenseitiges berühren sich in ihm, der dem Blicke jenes Unsichtbare verbirgt, das hinter allem Scheine liegt. Dieser zauberhafte Kreis ist unentrinnbar, die Flucht ins Innere der Erde selbst schützt nicht vor ihm, denn dort rückt er uns besonders nahe und be­ klemmend aus den Leib. Anderseit abergibt der Gesicht­ kreis dem Menschen das Recht, sich als Mittelpunkt alles Irdischen zu fühlen, alles Geschehen von seinem Dlickott und unter seinem Blickwinkel zu dettachten. Die runde Linie des Augenkreises erscheint in der Ebene ungebrochen, im Berglande gezackt. Sie ist Sammelring aller Blicke in der Landschaft; sie flößt Ruhe ein und bändigt den schweifenden Blick, erhebt ihn aber auch und zwingt zum Suchen und Forschen — eine geheimnisvolle Linie, hinter welcher das Rätsel, die Fremde lockt, hinter welcher tag­ täglich die Sonne hervorkvmmt und wieder ver­ sinkt. Der Gesichtkreis ist ein Reis zaubervoller Kräfte, der unser Wesen seit undenklichen Geschlech­ tern und von Jugend an beeinflußt, den einsperrend, jenen anspvrnend zum Hinausschweisen in unbe-

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kannte Fernen. Waldvölker und Bewohner tief­ eingeschnittener Gebirgsgaue haben engen Augen­ kreis, so eng, daß sie vor Heller, offener Landschaft Furcht empfinden. Das Volk der Ebene dagegen blickt stets weiter, und von ihm ist in allen Landen die Steigerung des Menschtums zur Hochkultur ausge­ gangen, insonderheit von der großen germanischen Hauptebene zwischen deutschem Dergland und skandinavischem Hochland. Der rechnerische und der gefühlte Blickkreis sind nicht die gleichen. Geringe zahlenmäßige Weite bedingt nicht geringe GefühlsgrSße, es kann sogar umgekehrt sein. Im Gebirge besteht der Augenreif aus Wänden und engt den Blick ein, trotzdem er ost viele tausend Meter vom Beobachter entfernt ist. Im Tiefland hat er nicht selten nur 5—6000 m Abstand, er ist aber niedrig und führt in ganz leichten Wellen den Blick in un­ endlich scheinende Fernen hinaus.

ie unsichtbare Landschaft. Nachdem der Durchwanderer der Landschaft deren sichtbare Teile gesehen, zergliedert und in ihren Gesamtheiten neu ausgebaut hat, bleibt ihm die Ergründung der unsichtbaren, zum Teil sogar übersinnlichen Land­ schaft. Ihrer enträt die bisherige Geographie völlig. Am leichtesten wahrnehmbar sind die Geräusche. Man erblickt sie nicht, man kann sie auf der Karte nicht festlegen — und doch bilden sie einen festen Bestandteil der Landschaft. Man vergleiche den 68

Vogelsang bei uns mit der Stummheit südlicher Länder. Ja noch näher, man vergleiche den Som­ merwald mit dem Winterwalde — die Erfülltheit der sommerlichen Waldlust mit jubelnden Dogelstimmen macht tatsächlich auch für das Auge etwas Dolleres, Lebendigeres aus ihm, als aus der Todes­ stummheit des Winterforstes. Wer mag sich die Haide ohne das gluckerige Läuten der Schnucken, Dergwiesen ohneKuhglocken vorstellen? Erhöht nicht das Deng-Dong der Karawanenglocken die Einsam­ keit der Steppen in Armenien und Mesopotamien, steigt es nicht wie die Stimme der Wildnis empor, scheinbar machtvoll und doch so verzagend? Und denket an den Rus der Tiden an unseren Nordseekasten, wie er wechsell zwischen leisem Schmätzern am Sand­ strand und fernem Dröhnen heraufkommender Flut, das sich anhört, als würden eiserne Schienen zusammengeworsen. Dav Heulen der Dampfpfeisen ist von unseren Städten und Häsen, das Puckern der Motorboote von unseren Wasserwegen, das Lösten der Kraftwagen von unseren Landstraßen nicht mehr zu trennen. Diese Geräusche sind nicht zufällige Zutat zur Landschaft, sondern sie sind in ihr geboren oder doch in ihr möglich. Das schwere Glockenläuten der ger­ manischen Dome, das ganz andere, hellere, hastigere, äußerlichere der südländischen Kirchen ist ihren Landschaften wesensgleich. Der Ruf der Mueddin, der fünfmal täglich über die Dächer der orientalischen Städte zittert, die Trommelsprache der Neger, deren rollende Töne die Urwalddickichte überspringen — 69

sind fit nicht Ausdrücke ihrer Umwelt, ja schlechtweg der sprechende Mund ihrer Landschaft? Der

Geruch der Landschaft wird schon we­

sentlich seltener bemerkt und bewußt eingeordnet in die Reihe der artbestimmenden Erscheinungen. Und doch spielt er eine ausschlaggebende Rolle, denn er beeinflußt, zumal wenn nicht klar erkannt, das Bild der übersinnlichen Landschaft. Nadelwald duftet anders als Laubwald, Frühlingsgehölz anders als Herbstgehölz, Sommersorst anders als Schnee­ forst. Ackerland strömt zu den verschiedenen Jahres­ zeiten auch ganz verschiedene Gerüche aus, und Lehmboden riecht erdiger als Sandboden. Wem zaubert nicht der Dust warmen Sonnenscheins und gelben Kornfeldes, vereint mit dem Summen der Kerbtiere, volle prangende Sommerlandschast ein­ dringlicher vor Augen als ein Bild das vermag? Der würzige Geruch der blütenbesternten Frühlingssteppe; der kräftige Würzduft der Zwergbirkenbestände Lapplands; die behäbigen Wohl­ gerüche verschiedenster Art, die gleich guten Geistem über den Gassen und Höfen unserer Dörfer schweben; der seltsame säuerlich-herbe Geruch, der im deutschen Bauernhause herrscht; jener Geruch der Mittelmeerküsten, aus öl, Fisch, Schmutz, Tang und Weih­ rauch zusammengesetzt; der Dust der morgenlän­ dischen Basare, eine Mischung aus Ambra und Sandel, aus Zibet und alter Schafwolle, aus Dreck und Dastardschweiß; und schließlich der stechende Rauchgeruch unterm Giebeldach der kurdischen

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Dergzelte — sie alle sind untrennbare Bestandteile ihrer besonderen Landschaft, sie alle begleiten den Reisenden in das dämmervolle Reich seiner Erinne­ rungen hinein und verlangen nach Gestaltung. Auch

das

Hautgefühl spricht sein

Wörtlein

in der Landschaft mit. Vielleicht die größte Unannehm­ lichkeit der Wüste ist, daß die Haut dauernd von starkem Wind gepeitscht wird. Es ist nicht allein das Frieren, welches im Winter, oder das DSrre- und Sengegefühl, welches im Sommer hervorgebracht wird, es ist auch nicht das Peitschen der Sandkörner, das so sehr belästigt, sondern die ganze Empfindung, ununterbrochen im Winde zu stehen, immer schutzlos ihm ausgesetzt zu sein, was das Wandern in der Wüste unbehaglich macht. Für Berghöhen in unseren Breiten ist das Vorherrschen des Windes gleichfalls bezeichnend, und seine Erwähnung gehört mit zu ihrer Geographie. Die Haut der Atmungswerkzeuge ist ebenfalls stark beteiligt an der Erkenntnis der Landschaft. Es ist ein Unterschied, ob sie von der Staub- und Rauchlust einer gewerb- und verkehrsreichen Groß­ stadt oder von dem würzigen Odem schattigen Som­ merwaldes oder von salzdurchspritzter und kräftig durchgeschüttelter Seeluft getroffen wird. Auch die Füße setzen sich, auf ihre Weise, mit der Landschaft auseinander und beeinflussen das Bild, das der Wanderer von ihr helmträgt. Das leichte Gehen auf den Wegen der Haide steht in höchst wohl­ tuendem Gegensatze zu dem harten Ausstößen der

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Füße aus den stelnfesten, ost noch gerSllbesSten Pfaden im Harze. Der Marsch durch Dünenmehl, in das man bis zum Knöchel einsintt, das Stakern über Steinscherbenwüste, das Stampfen durch tiefen Schnee — das alles sind Empfindungen, die für den Eindruck der Landschaft nicht belanglos bleiben. Llnb wie ist es, zum Schlug zu kommen, mit dem

Übersinnlichen bestellt? Worin liegt jenes Eigne jeder Landschaft, das wir ahnen und vielleicht ge­ stalten, nicht aber mit dürren Worten beweisen können? genes Etwas, nennen wir es Umwelt (Milieu), von dem wohl schließlich jeder einen Hauch verspürt, das bewußt zu erkennen und in Worte zu fassen aber nur wenigen gegeben ist. Betrachtet man ein Landschastsbild von irgend­ einem Maler XV, so sieht man einen Streifen Meer, davor ein Stück gelben Sandes und darüber reichlich viel Himmel; im Sande steht eine Gestalt, die auch fehlen könnte. Die dreieinhalb Dinge sind nicht zu einer höheren Einheit erhoben worden, jedes bleibt für sich, äußerlich gesehen und hingepinselt. Betrachtet man nun aber solch ein Bild von Caspar David Friedrich, so wird plötzlich etwas Besonderes aus den gleichen Bestandteilen. Düstere See, trüber Himmel voll Unheil, herzzerreißend öder Sand — das alles ist schauerliche Ode, die aus den Mönchen einstürmt und die öbe seiner Seele widerspiegelt. Hier ist die Natur auf einen Menschen, ja auf uns selber bezogen worden, damit sind Mensch und 72

Natur eins geworden — da» aber nennt man Kunst. Ebensowenig wie das erstgenannte Bild ins Bereich der Kunst gehört, ebensowenig ist nurwissenschastliche Beschreibung einer Landschaft Geo­ graphie, beide sind vielmehr Stümperei, die es nicht versteht, aus dem Vorhof in den Tempel zu treten. Das Eigne der Landschaft, ihre Seele, liegt nicht einem jeden zutage. Wer es nicht sieht, hat damit noch kein Recht, es zu leugnen. Blicken wir auf die Steinwüste. Es ist ftaglos, dah ihre kahle Nacktheit, erfüllt nur von Scherben und ausdrucks­ losen Trockenbetten, dah ihr verschleierter Blau­ himmel mit dem steilen Sonnenseuer, dah ihr Glut­ odem, auf dem etwa» Ungeheures heranreitet, dah die fllmmemden Hihnedel, die alle Umrisse auf­ lösen, dah ihre todstumme Einsamkeit, ihre Wasser­ losigkeit, ihr Fehlen jedes Pflanzengrüns, jedes Tlerlautes — dah all dies in dem Gemüt des Wanderers zu einem unheimlichen Wesen zusammen­ rinnt, welches die Gestalt eines Fadellieres annimmt, eines Dschinn, über den Eindringling herfällt, ihn in die Irre tteibt und irgendwo verschmachten läht. Ganz ohne Zweifel kommt jeder, er sei noch so seelenkahler Gelehrter, aus der Wüste mit ähnlichen Empfindungen heraus, mögen sie nun fester oder unklarer erkannt sein. Die Völker jedenfalls, die am Rande der Wüste Hausen und sie öfter durch­ ziehen, haben sich seit Jahrtausenden in der Gestalt 73

der Dschinnen und Afrits Rechenschaft darüber ab­ gelegt. gebe Landschaft auf Erden hat im Bewußtsein ihrer Bewohner persönliche Gestalt angenommen: der schauerliche Nordwald unserer Vorfahren ganz allgemein in menschenftessenden Riesen, der Harz im besondern in Hackelberg mit seiner wilden Jagd, das Riesengebirge in Rübezahl — um nur diese paar zu nennen. In solchen Wesen spiegelt sich alles, was von Natur und Menschtum auseinander einwirkt, sie sind jene Landschaft, auf die kürzeste Formel gebracht. Ähnlich muh auch die geographische Betrachtung der Landschaft vorgehen. Sie muh streben, nach voraufgegangener Ergründung der äuherlichen Sei­ ten, das Eigentliche jeder Landschaft zu erkennen und darzustellen. Hierbei erschließt sich dann auch ganz von selber die innere Schönheit der Landschaft. An sich gibt es weder schöne noch häßliche Landschaften, erst der Bezug auf den Betrachter läßt sie schön oder häßlich erscheinen. Ein blütenbestreuter Kirschbaum vor blauem Himmel kann ebensosehr ein Wunder von Schönheit sein wie der Färb- und Formen­ rausch einer mächtig wogenden Gebirgswelt. Der eine zieht diese, der andere jenen vor. Es ist falsch, eine Landschaft nach Betrachten von wenigen Minuten zu beurteilen — dabei sprechen die obenhin ins Auge fallenden Turistenschönheiten zu sehr mit. Lassen wir doch die sog. Schönheit und befassen wir uns damit, ob eine Landschaft zu unserer Seele

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spricht oder nicht. Außer Frage und mit vollem Recht wird hier jeder seiner heimatlichen Landschaft den Kranz reichen — aus ihr ist sein ganzes Wesen erwachsen und in ihr erkennt er sich selber wieder. Aus dieser Einstellung heraus werden wir wohl jeder Landschaft gegenübertreten. Je verwandter eine solche unserer mütterlichen Landschaft ist, sei es derjenigen unserer eigenen Kinderjahre im be­ sondern oder unserer Rasse im allgemeinen, um so vertrauter wird sie uns anmuten. Wer hätte das nicht empfunden, der ins südliche Skandinavien reiste — im nördlichen, wo unsere Rasse ebenfalls nur Kolonialvolk ist, geht dieses Gefühl verloren. Berge, Alpen, Fjorde sind auch zu verschwenderisch im Verschenken ihrer Schönheiten. Deshalb stumpfen sie leicht ab und ermüden schnell. Rur Austeilung im kleinen innerhalb großer, stiller Linienführung ist auf die Dauer für den rein germanischen Menschen erträglich. Deshalb stößt uns die südliche Landschaft, je länger wir in ihr weilen, zurück. Anfangs ist dieses Prangen der schönen Berge und „malerischen" Siedlungen ja wunderhübsch, aber mit der Zeit er­ kennt man das Äußerliche und Hochtrabende und fühlt sich leer, ja abgestoßen — falls man nicht einen tüch­ tigen Schuß südlichen Blutes in den Adern rollen hat. Es fehlt die innere Verbundenheit zwischen uns und der ftemden Landschaft, wir haben kein Körnchen ihres Stoffes in uns — und es ist klar, daß dieses Gefühl der Fremdheit um so stärker ist, je mehr wir mit einer artstarken Landschaft verwachsen, also wohl auch, je älter wir sind.

Die Schönheit einer Landschaft ist nicht ein dünner Schleier, nicht etwas Ansichtskartenhastes, etwas so obenhin, daß man mit „ach wie niedlich" abtun kann, sondern sie ist etwas, das tief in ihrer Wesenheit verankert liegt und nur wenigen sich erschlieht. Schön ist eine Landschaft, in der alle Be­ standteile dahin drängen, ihre Eigenart mit den stärksten und knappsten Mitteln auszudrücken, handle es sich um schlichte Ebene ober um zerschnittenes Gebirge.

Zweites Buch

Landschaft und Kultur

Zur stelengeographischen Gliederung der Erde er Gegensatz zwischen messender und gestaltender Geographie ist uralt, er ist aber erst in der letzten gelt tiefer begriffen worden. Die messende Geo­ graphie hält sich an Äußerlichkeiten, an bloße Derstandesdinge und wird in der ihr eignen Langweilig­ keit von dazu bestallten Menschen ausgeübt, unbeküm­ mert um jeglichen Fortschritt. Die gestaltende Geo­ graphie sucht in die innersten Verflechtungen der sichtbaren und unsichtbaren Erscheinungen vorzu­ dringen und strebt danach, nicht allein den Verstand, sondern auch die gemütlichen Ansprüche zu befrie­ digen. Wie kläglich es mit der messenden Geographie bestellt ist, zeigt uns ein einziger Blick in ihr kahles, geistloses Schrifttum. Jeder geistig Anspruchsvolle wird sich von ihm abwenden. Die Geographie, so wie sie gemeinhin betrieben wird, hat ihre eigent­ lichen Aufgaben überhaupt noch nicht erkannt. Sie läuft Nebensächlichkeiten und Oberflächlichkeiten nach, sie preist Maulwursuntersuchungen und schreitet dafür an den tiefer liegenden Fragen blind vor­ über. Was man heutzutage in Deutschland (und anderswo schließlich auch) als Geographie ausgibt — das hat mit wahrer Geographie nur den Namen gemein.

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Die Hauptaufgabe geographischer Untersuchung und Gestaltung ist, dem Leser ein möglichst eindrucks­ volles Bild von einem Lande zu geben, ihn dahin zu bringen, daß er dort zu sein glaubt. Jede andere Erklärung bedeutet Derärmlichung des Begriffes, Verengerung der Aufgabe und Verschiebung des Zieles. Dah andere Erllärungen bisher immer noch die Köpfe beherrschen, kann angesichts des kn zahlreichen Gelehrten hausenden Geisteszustandes nicht verwundern.

Geht man dem Problem Natur und Mensch, das wie alles Leben so auch die Geographie beherrscht, eifriger nach, so erstaunt man, wie wenig sich die Geographen um Ergründung dieses Geheimnisses gekümmert haben. Namentlich hat die irdische Be­ dingtheit der menschlichen Seele sie kaum berührt. Der Geographie der Zukunft bleibt hier eigentlich noch alles zu tun. Die folgenden Ausführungen mögen dafür vielleicht Weg-leitend werden. Das Seelenleben der Völker hängt ab von vier Hauptströmungen, die zusammenfliehen müssen, um als gefühlsicheres Wollen und Handeln zu erscheinen. Das sind Landschaft und Klima, Rasse und Weltlage — diese vier machen das Seelenklima eines Landes aus. Sie zu erkennen und zum seelischen Gesamtbilde zu verflechten, ist eine schwierige, aber eine lohnende und höchst wichtige Aufgabe. Es gilt dabei nicht zu verweilen in der Unter­ suchung jener Dinge als solcher, sondern man muh stets ftagen: welche von ihnen wirken in der Rich80

hing auf Formung der Seele besonders hin und in welcher Weise tun sie es?

Rasse hat sich in einer bestimmten Land­ schaft gebildet, die nach Landform, Bewachsung und Klima diese Menschenart so gestaltet hat, daß sie in dieser Landschaft ihre beste Entwicklung erreicht. Wandert die Rasse in ein Gebiet ähnlicher Aus­ stattung, so wird sie ebenfalls noch gut gedeihen, aber schon nicht mehr ihre höchstmögliche Ent­ faltung erreichen; am ehesten werden ihre feinsten Fähigkeiten zurückgehen, jene des Geistes und des Gefühls, während in den rein körperlichen ein Rück­ gang nicht so leicht wird wahrgenvmmen werden. Hiermit ist nicht gesagt worden, daß jede Land­ schaft überhaupt nur eine einzige Rasse züchten könne. Je urwüchsiger eine Rasse ist, je weniger die zarten Werkzeuge des Geistes und Gefühls ausgebildet sind, in um so mehr verschiedenen Klimaten kann sie leben — pflanzenhast und lediglich der Befriedigung dringender Notdurft hingegeben. Keine Rassengruppe bewohnt in geschlossener Ausdehnung grötzere Teile der Erde als die mongo­ lische mit all ihren Ablegern — von Mittelftankreich über Süddeutschland-Norditalien, über RuhlandAngarn, über den gröhlen Teil Asiens und durch ganz Amerika hin bis Grönland und Patagonien. Man hat nie gehört, dah es ihr auch nur an einem einzigen Punkte dieses Riesenraumes schlecht geht. Sie ist eben eine grob angelegte, geistig nicht einmal ungelenke, im Gefühlsleben aber ganz unausgebildete Rasse, die in Vanse, Landschaft

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sämtlichen Klimalen der Erde zwischen Pol und Linie sich zurechtfindet. Sie stammt wohl aus dem inneren Asien, dessen Gegensätze zwischen weiten Ebenen und hohen Gebirgen, zwischen glühenden Sommern und eisigen Wintern ihren Angehörigen und Stämmlingen für alle Landformen der Erde ausreichende Eignung mitgegeben Haden. Im Gegensatz dazu ist die nordische Rasse viel empfindlicher. Sie hat sich im nördlichen und nord­ westlichen Europa gebildet, im Umkreise der Nordsee, und ist an niedrige Landformen, weite Wasser­ flächen und gleichmähigeres, windbewegtes Klima gewöhnt. Es gibt aber auf der ganzen Erde kein einziges Gebiet, das mit jenem übereinstimmt. Hier­ aus folgt, bah die nordische Rasse nirgendwo sonsteine gleich hohe Entwicklung erreichen kann. Man findet jedoch ähnlich ausgestattete Gegenden im östlichen Nordamerika, int östlichsten Ostasien, in höheren Teilen des südöstlichen Australiens und Südafrikas, vielleicht auch des südlichsten Südamerikas. Hier scheint die nordische Rasse sich ebenfalls behaupten zu können — aber es scheint nur so. Geist und Gefühlsleben verkümmern doch schnell, und einzig der Körper hält sich gesund aufrecht. Selbst diese verwandten Landschaften und Klimate verändem schon die Rasse—natürlich nicht in dem Sinne, daß die Körper­ lichkeit des einzelnen tatsächlich umgestaltet wird, sondern in der Richtung der Auslese: die Leute, welche die Art der Heimat am ausgeprägtesten zeigen, pflanzen sie weniger fort als jene, die weniger heimatbedingt sind. Die genannten Kolonien sind 82

in den Landformen doch fremdartiger als es auf den ersten Blick scheint (beispielsweise im östlichen Nordamerika nüchtern-abwechslungsloser, in Japan kleinlich-spielerischer) und ihre Klimate sind gegen­ sätzlicher, vernichtender als die Seele des nordischen Menschen (das feinste Werkzeug, das jemals ist gebaut worden) vertragen kann. Der Mongole hat gelernt, sich in die Natur zu fügen, der Norde ist gewöhnt, sie zu leiten. Jener schiebt sich überall ein, er vermag allerorten zu leben, dieser stürmt überall hin, um an den meisten Orten zu sterben. Sv vermag der Weihe die ganze Erde zu beherrschen, aber nicht zu bewohnen — das ver­ steht nur der Gelbe. Ersteres ist ruhmvoller, letzteres aber bekömmlicher. Die schwarze Rasse ist die Bewohnerin des heißen Gürtels, von Afrika über Südasien und Australien bis in die Südsee hinein. Ihre Körperlichkeit und Geistigkeit steht dem Tiere am nächsten, ihre farbstoff- und talgreiche Haut macht sie unempfindlicher als die anderen beiden Rassen gegen hohe Wärme­ grade und Luftfeuchtigkeit — kurz sie ist Auedruck einer Natur, die übergewaltig vor dem Menschen steht und ihn nur als scheues, machtloses Getier neben anderem Getier dahinleben läßt. Diese Rasse ist jeglicher planmäßiger Vorsorge bar, weil die Landschaft ihr das tierische Dasein gerade noch mög­ lich macht. Das wäre soweit ganz in der Ordnung, und man könnte sich freuen, in dieser Rasse willige Arbeits­ tiere zu haben. Schlimm ist nur für die anderen

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beiden Rassen, namentlich für die weiße, daß die Schwarzen auf der Nordseite ihres Wohnraumes einen breiten Menschheitsgürtel durch ihr Blut zu Mulatten gemacht haben. Da die Richtung ihrer Ausbreitung jener der anderen Rassen entgegen­ gesetzt ist, so hat sich ein ansehnlicher Streifen braun­ häutiger Menschen gebildet, der von der westlichen Sahara, Portugal und Südfrankreich bis nach Hinter­ indien und den Sunda-gnseln reicht. Die Abstufung von Schwarz über Braun zu Weiß oder Gelb geht im großen ganzen stetig, im einzelnen jedoch sehr vielgestalt zu, da Weltlage und Landschaft, Klima und geschichtliche Fügung das Bild bestimmen. Der braune Gürtel der Durchmischung ist der Gürtel der Gegensätze. Hochrassige und Tiesrassige leben in tausendfacher Durchkreuzung in ihm neben­ einander. Damit ist hier die Gelegenheit zu den weitesten Möglichkeiten geboten. Ansehnliche Kultur­ höhe, von Hochrassigen in günstiger Landschaft er­ richtet, tiefe Barbarei, von Tiefrassigen herbeigeführt, und lange Zeiten der Kulturstarre als wichtiger Ausdruck der Mischrassigkeit, die wohl eben noch er­ halten, nicht aber neu schaffen kann — diese drei Stufen der Entwicklung liegen hier ost hart neben­ einander. Die Durchmischung der Rassen auf der ganzen Erde ist so ungeheuerlich, daß man, hält man sich an das Maßgeblichste, den Gesichtschnitt, aus fast jedem Volke der Erde Vertreter nahezu aller Rassen zu­ sammenstellen kann. Hieraus folgt, daß nach seinem Gehalt an Hoch- oder Minderrassigen in jedem

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Einige seelengeographische Räume L Abendland oder Germa­ nisches Europa 2. Hintereuropa 3. Mittagland 4. Morgenland 5. Wald-Negerafrita

6. 7. 8. 9. 10. 11.

Savannen-Negerafrita Abessinien Afrikanisches Osthorn Südafrika Madagaskar gndlen

Volke Möglichkeiten zum Aufstieg oder Niedergang liegen. — Außer durch Landschaft, Klima und Rasse wird die seelenklimatische Art eines Raumes durch Welt­ lage und Nachbarschaft bestimmt. Diese ist sehr wichtig, ja nicht selten ausschlaggebend. Beispiels­ weise ist das mittelnördliche Skandinavien seiner Natur nach schon nicht mehr germanisch; man würde aber seiner Bevölkerung, wenigstens ihrem größeren Teil, Unrecht tun, wollte man sie zu den Halbpolaren rechnen. Sie steht eben in engem Verkehr mit der germanischen Muttererde. Noch deutlicher ist das bei Island zu erkennen, das trotz seiner fast polaren Natur seit nahezu tausend Jahren germanischer Boden ist, germanischer Boden, auf dem das ger­ manische Herdfeuer der Geisteskultur zeitweise, nämlich in den ersten Zeiten der Besiedlung, so­ gar am höchsten schlug. Im Folgenden werden einige Abschnitte aus einer seelenklimatischen Gliederung der Erde darge­ boten und mit sparsamen Strichen umrissen. Der knappe Umfang macht unmöglich, die Aufgabe durch eingehende Begründung zu lösen, an deren Stelle der Leser vorläufig mehr mit Andeutungen sich begnügen muß.

Germanische Europa oder Abendland im engeren Sinn umfaßt die Flach-, Hügel- und Bergländer rings um Ost- und Nordsee, die von Natur Wald und Haide tragen, durch menschliche

Pflege aber viele zusammenhängende Ackerbreiten erhalten haben. Harsche See und schiffbare Flüsse, resche Westwindlust und Vorherrschaft der nordischen Rasse germanischer Prägung bilden wesentliche Bindungen. Die Landschaft liegt in blauen und grünen Farben da, beruhigend und sehnsuchtsvoll, viermal im Jahre Abwechslung und damit seelische Belebung bringend. Der wolkendurchsegelte Him­ mel beschäftigt die Phantasie und lenkt den Blick in die Weite, in die sich die verblauenden Säume ferner Höhen ziehen. Die ganze Landschaft zeichnet sich durch besondere Raumtiefe aus. Der Boden spendet Unterhalt und darüber hinaus Wohlstand, wenn Fleiß und Verstand sich ihm widmen. Das Klima verläuft zwischen gemäßigten Grenzen und löst sich in vier Jahreszeiten wohltuend ab. Ts bringt Erftischung und regt, namentlich nicht allzufern der Seeluft, prächtig an; niemals, außer vorübergehend während weniger Stunden im Sommer, ermüdet es. Das Ruhen aller landwirtschaftlichen Arbeit in der Natur, das die Wintermonde erzwingen, und das Fehlen jeglicher Nahrungsmittel in dieser Zeit nötigt zur Vorsorge im Herbst. Dieser Zwang zur Vorsorge, den die wärmeren Breiten auf den Men­ schen nicht ausüben, ist einer der heilsamsten Wesen­ heitsbildner der Natur. Die langen Dämmerungen und die langen Abende tauchen die Wohnungen in ein geheimnisvolles Gewebe von Licht und Schatten und fördern Grübelei, Nachdenken und Versonnenheit. Die nordische Rasse, die sich in diesem Gebiete nach Rückzug des Eises gebildet hat, ist die höchst87

stehende von allen Rassen der Erde. Das gilt vor allem von ihrer schöpferischen Veranlagung, die sich offensichtlich nur hier hat entwickeln können, denn es gibt keine Umwell sonst auf der Erde, die der schöpferischen Tätigkeit auch nur in annähernd ähn­ licher Weise entgegentommt. Ale anderen, auch Japan, sind zu einseitig und haben ein Geistes­ leben, das rastlos in immer neuen Formen sich zu crgtfcnbcn und zu erklären sucht, nicht hervorge­ bracht. Rach allem, was wir davon wissen, müssen wir annehmen, daß vom Germanischen Europa die be­ deutendsten Taten und die nachhaltigsten Anregungen ausgegangen sind. Die Raumtiefe und Dielgliederigkeit, das Sehnsuchtsvolle und Besinnliche, das kernhast Echte und Belebte der Landschaft spiegelt sich deutlich im nordischen Menschen wider. Ganz

anders

sieht

es

in

einem benachbarten

Gebiet aus, in Hintereuropa. Ls ist ein Raum der Widersprüche und ein Kreis ohne innere Ge­ schlossenheit, es zeichnet sich nicht so sehr aus durch Eigenschaften, die allen seinen Teilen gemeinsam sind,