Kurze Geschichte der Imperien [1 ed.] 9783205205579, 9783205203315, 9783205205494


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Kurze Geschichte der Imperien [1 ed.]
 9783205205579, 9783205203315, 9783205205494

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KURZE GESCHICHTE DER IMPERIEN HANS-HEINRICH NOLTE



Hans-Heinrich Nolte

Kurze Geschichte der Imperien Mit einem Beitrag von Christiane Nolte

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar | 2017

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildungen  : Quaternionenadler, die Flügel mit den Reichsständen belegt, als Symbol des Reiches Holzschnitt von Hans Burgkmair d.Ä., 1510; https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsadler Sargon II. Wandrelief 8. Jh. v. Chr.

© 2017 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Satz  : Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung  : Balto print, Vilnius Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-20331-5 | eISBN 978-3-205-20549-4

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   7 1 Steuern wir auf ein neues Imperium zu? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  13

Die USA als Weltreich?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  13 Notiz zur Historiografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  14 Kriterienkatalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  41 Gegenbewegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  44

Kleine Gesellschaften, »Stämme«, Königreiche . . . . . . . . . . . . . . . .  44 2 Imperien als Zusammenfassungen einer Welt.. . . . . . . . . . . . . . . .  46

Neuassyrisches Reich. . . . . . . . . . . Rom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . China unter den Song.. . . . . . . . . . Mongolische Reiche – Dschingis Khan. . Osmanisches Reich. . . . . . . . . . . .

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Gegenbewegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

Opposition aus Israel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3 Imperien als Wiederherstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

Heiliges Römisches Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Indien unter den Moguln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 China unter den Mandschu. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Gegenbewegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

Ein Weltsystem von Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 4 Imperien als Mitglieder des Weltsystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

Russland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Großbritannien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Indien unter den Briten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

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|  Inhalt Gegenbewegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Aufstand der Nationen?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 5 Unionen – oder doch Imperien?.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369

UdSSR . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aus Sowjetrepubliken werden Nationen . Das »Dritte Reich« . . . . . . . . . . . Die USA als globale Nation.. . . . . . .

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6 Was waren, was leisteten Imperien und Unionen? . . . . . . . . . . . . . . 444 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475

Abkürzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 Literatur (Kurztitel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498

Vorwort

Das Buch wendet sich an historisch und politisch interessierte Bürger, die in der Geschichte nach Hinweisen suchen, wie man die Gegenwart angemessen gestalten kann, aber skeptisch gegenüber plakativen Analysen sind. Da die Meinung weit verbreitet ist, dass die USA ein Imperium sei oder China eines werden könne, wird die Geschichte der Imperien als einer Staatsform in einem Abriss vorgestellt. Geht es einigen Politikwissenschaftlern bei ähnlichen Unternehmen eher darum, eine in der »Anarchie der Staatenwelt« verlässliche Ordnung zu finden, ist es mein Ziel, historische Befunde zu erarbeiten. Ab wann gibt es Imperien  ? Die kurze Antwort ist  : seit mehr als drei Jahrtausenden. Wie veränderte sich die Struktur  ? Eine Periodisierung wird vorgeschlagen. Was leisten Imperien, was können sie nicht  ? Die Übersicht legt nahe, dass Imperien besser in der Lage sind, weltweite Probleme zu bearbeiten, dass aber Nationalstaaten besser Vorteile erkämpfen, konkrete Kontrolle sichern und Identifizierung ermöglichen. Das spricht für Unionen, da sie auf globale Probleme adäquater reagieren können und doch Raum für nationale (oder andere) Identitätsbildungen lassen. Der universale Trend lautet also nicht »from Empires to Nations« (wie man nach den Weltkriegen annahm) oder gar »from Nations back to Empires« (wie manche hoffen), sondern »from Empires to Unions«. Eine Gesetzmäßigkeit, dass in Unionen immer bessere Politik gemacht wird, gibt es selbstverständlich nicht  ; aber die Diskussionsebene Union ist den zu lösenden Aufgaben angemessen.1 Ich hoffe, mit diesem Buch zu einer tiefen und weiten Perspektive zu der Frage beizutragen, welche Verfassung die Welt im 21. Jh. braucht. Mein Votum geht für uns Europäer dahin, Europa möge im Rahmen der Vereinten Nationen die Rolle einer Provinz der Welt akzeptieren sowie in Stabilität und festen Grenzen zu einem solidarischen Ausgleich der immer noch wachsenden sozialen und wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Differenzen innerhalb der Union und der Welt beitragen. 1 1995 habe ich auf der Grundlage meiner historischen Forschungen dafür votiert, dass die Europäische Union ihre Mittel genauer kalkulieren und eine Grenze im Osten bestimmen sollte  : H.-H. Nolte  : Wohin mit Osteuropa  ? Überlegungen zur Neuordnung des Kontinents, in  : Aus Politik und Zeitgeschichte (im Folgenden  : APUZ), 22.11.1995, Beilage zu »Das Parlament«, S. 3–11  ; ND in  : Deutscher Hochschulverband (Hg.), Almanach 1995, Bd. VIII, S.  133–144. Im Februar 2013 habe ich dafür plädiert, dass die EU mehr Mittel den Peripherien der Union widmen sollte  : H.-H. Nolte  : Zentrum und Peripherie in Europa aus historischer Perspektive, in  : APUZ, 4.2.2013, S. 36–41, online  : www.eurotopics.net/flu ter.de/hanisauland.de/apuz/izb/deutschlandarchiv (eingesehen 10.02.2017). Auch wenn meine beiden Vorschläge keine politische Unterstützung fanden, konnte ich sie doch auf der Ebene publizieren, auf der lesende Politiker sie zur Kenntnis nehmen konnten (und können).

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|  Vorwort

Der Text beruht nur in kleinen Bereichen (Aufnahme Moskaus in die antiosmanische Liga 1686 sowie deutsche Besatzungspolitik und Holocaust in der UdSSR) auf eigenen Archivarbeiten, sondern vielmehr auf Sekundärliteratur sowie bereits publizierten (also von anderen ausgewählten und herausgegebenen) Quellen. Um Vorgänge realitätsnah zu rekonstruieren und tradierte Konzepte zu hinterfragen, wird oft auf solche Quellen Bezug genommen. Um Kontrolle und Selbstkontrolle zu formalisieren, wurden zu den Beispielen Zeitleisten (die Daten wurden an Datensammlungen kontrolliert2) eingebracht  ; deren Aussage liegt v. a. in der Auswahl. Es wurde versucht, viel Sekundärliteratur zum Thema zu rezipieren, allerdings überwiegend nur, soweit sie in deutscher, englischer oder russischer Sprache vorliegt. Auch Bildersammlungen zur Weltgeschichte wurden herangezogen.3 Um auch in den Anmerkungen ein angemessenes Maß zwischen Detail und Überblick zu erreichen, werden Quellen und Darstellungen meist nur an einem Ort zitiert. Für häufiger vorkommende Texte wurden Kurztitel gebildet, die im Literaturverzeichnis aufgelöst werden, wo der Leser auch andere Hinweise zur Literaturaufnahme findet. Insgesamt werden 14 Imperien und/oder Hegemonialmächte skizziert, und zwar mehr Landmächte als Seemächte. Aufgrund geringer oder fehlender Kompetenz konnten leider keine Beispiele aus dem vorkolumbianischen Amerika und aus der romanischen Welt einbezogen werden. Da der Text in deutscher Sprache vorgelegt wird, werden die Skizzen aus der Geschichte deutschsprachiger Staaten relativ kurzgehalten, weil der Leser sich leicht anderweitig über sie informieren kann. Da ich versuche, an einer – ursprünglich politikwissenschaftlichen – Debatte als Historiker teilzunehmen, schließe ich mich Herfried Münklers Bitte an, den Text als »reflexive Orientierung« und nicht auf Detailfehler hin zu lesen.4 Ich bitte Kolleginnen und Kollegen, Historiker, Soziologen und Politikwissenschaftler um »Hebammenhilfe« beim gemeinsamen Nachdenken über unsere Konzepte zu Geschichte und Gegenwart der Welt. Das Grundkonzept des Buches ist eine fortlaufende Darstellung ausgewählter, meist historiografisch nicht umstrittener Imperien zusammen mit nationalen Infragestellungen. Die beiden Argumentationsreihen werden aufgeteilt in die Kapitel 1–5 Imperien sowie Gegenbewegungen. In Kapitel 6 werden Imperien und Gegenbewegungen einander direkt gegenübergestellt. 2 Ploetz, Wirtschaftsploetz, Matz  : Daten, Hellwig/Linne, Brockhaus Weltgeschichte, zu jedem Kapitel angegebene Literatur. 3 Illustrationen zur Geschichte  : Gerstenberg Weltgeschichte, Knesebeck Weltgeschichte  ; Interpretationen von Bildern  : MacGregor  : Objekte. 4 Herfried Münkler  : Translation, Filiation und Analogiebildung  : Politische Legitimation und strategische Reflexion im Spiegel vergangener Imperien, in  : Münkler/Hausteiner, S. 34–69, S. 35.

Vorwort  |

Der innere Aufbau dieser Kapitel wiederholt sich bei sämtlichen Beispielen. Die Skizzen der verschiedenen Imperien folgen also einem gemeinsamen Schema  : – Chronologischer Aufriss, – Quellenkunde und Methode, – Soziale Einheiten und Ökonomie, – Religionen und Ideologien, – Außenbeziehungen, – Formen von Politik, – Kriterienkatalog. Das Buch wäre ohne meine Familie nicht geschrieben worden. Ich danke meiner Frau, dass sie zu diesem Buch den Beitrag über das Neuassyrische Reich geschrieben hat. Außerdem hat sie das Entstehen des Buchs mit Kritik begleitet und es diskutierend gelesen. Meinen Kindern und Enkelkindern danke ich für ihre Geduld mit dem alten Großvater hinter den Bücherbergen  – und beim Dämmebauen im Bullerbach  ! Mein besonderer Dank gilt Henner für seine Erklärungen des gegenwärtigen Kapitalismus, Insa für die anthropologischen Argumente und eine genauere Vorstellung von oraler Kultur  ; Christian für Aufklärung über Seuchen, Piroschka für psychologische Kritik der Außenpolitik und Jakob für sein Bestehen auf fremden Lebensformen. Und ihnen allen dafür, dass sie mit mir den Rhein hinaufgefahren sind, eine fraglos imperiale Wasserstraße – nur eben im deutschen Sinn, also angefüllt mit der Geschichte von lauter Kleinstaaten und anderen Einzelheiten, nicht zuletzt dem schönen jüdisch-deutschen Märchen von der Lore auf dem Stein. Sowie vielen anderen Missverständnissen. Aber eben auch viel Zuwendung. Das Buch gehört zur Teildisziplin »Welt- und Globalgeschichte«.5 Ich danke Adelheid von Saldern und Helmut Bley dafür, dass sie 1977 die erste kooperative Vorlesung zu diesem Bereich in Hannover mit mir zusammen angeboten, und Irmgard Wilharm, Carl-Hans Hauptmeyer sowie Claus Füllberg-Stolberg, dass sie an späteren weltgeschichtlichen Vorlesungen mitgearbeitet haben.6 Weiter danke ich den Mitdiskutanten bei mehreren Konferenzen zu imperialen Themen in Wien und Hildesheim, Berlin und Hannover, Ratten/Steiermark und Barsinghausen am Deister. Auf der letzten dieser Tagungen hat Jürgen Nagel in Hagen die Frage nach kulturellen Ähnlichkeiten, hier in den Baustilen, initialisiert – gibt es »Imperiales Bauen«  ?7 Und Michael Gehler hat in 5 Einführungen  : Komlosy  : Globalgeschichte  ; Pernau  : Geschichte  ; Conrad  : Globalgeschichte (volle Titel u. S. 476 ff.). 6 Vgl. H.-H. Nolte  : Zur Institutionalisierung von welt- und globalgeschichtlicher Forschung im deutschsprachigen Raum (2014) in  : http://www.vgws.org/files/vgws_dp_007.pdf (eingesehen 10.02.2017). 7 Bericht in Verein für Geschichte des Weltsystems, Rundbrief 240, in. http://www.vgws.org Rundbriefe (eingesehen 18.02.2017).

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|  Vorwort

Hildesheim Forschungen zu den Veränderungen der letzten Jahrhunderte zusammengeführt in der Frage, ob man sinnvoll von einer »Weltgesellschaft« sprechen kann.8 Danken möchte ich weiter den Beiträgern zur »Zeitschrift für Weltgeschichte« sowie den Herausgebern der »Feldbauer-Weltgeschichte« und der »Edition Weltregionen« für ihre Kritik an Konzepten. Namentlich nennen möchte ich an dieser Stelle Dariusz Adamczyk, Martin Aust, Jens Binner, Manuela Boatcă, Beate Eschment, Peter Feldbauer, Michael Gehler, Peter Kehne, Andrea Komlosy, Harald Kleinschmidt, Christian Lekon, und Helmut Stubbe da Luz. Herfried Münkler danke ich für die Herausgabe eines Themenheftes der »Zeitschrift für Weltgeschichte«. Besonders verbunden bin ich den Kolleginnen und Kollegen am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Wien, die mich so freundlich an ihren globalhistorischen Arbeiten haben partizipieren lassen. Sehr danke ich den engagierten Hörern meiner Vorlesungen und den Mitdiskutanten im Verein für Geschichte des Weltsystems. Meinem alten Göttinger Studienkollegen Rolf Wernstedt danke ich dafür, dass er stets auf dem Zusammenhang von wissenschaftlicher Arbeit und politischer Entscheidungsfindung bestanden hat. Dem Böhlau-Verlag bin ich sehr dafür verbunden, dass er den Text sorgsam hat Korrektur lesen lassen. Barsinghausen, 24. Mai 2017 Hans-Heinrich Nolte

8 Bericht http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=6900 (eingesehen 15.01.2017).

»Wer Entlegenes nicht in Betracht zieht, wird Kummer in greifbarer Nähe finden.« Konfuzius, Gespräche, Buch XV, Kapitel XI. »Unruhig ist unser Herz, bis wir ein wenig mehr verstanden haben.« Der Heilige Augustinus verzeihe mir die Abwandlung seines berühmten Satzes aus dem ersten Kapitel der Konfessionen. »Wer an den Weg baut, hat viele Meister.« Deutsches Sprichwort.

1 Steuern wir auf ein neues Imperium zu?

Die USA als Weltreich?

In nicht einmal einem Jahrzehnt, zwischen dem Sieg der südosteuropäischen Nationen in den Balkankriegen ab 1911 und dem der Angelsachsen und Franzosen im Ersten Weltkrieg, wurden vier Imperien besiegt und drei davon wurden sogar aufgelöst. Seitdem haben wir den Eindruck, dass die Ära der Imperien vorbei ist. Österreich-Ungarn wurde 1918 in mehrere Nationalstaaten aufgeteilt, wie auch der Westen des Russischen Reiches. Das »Deutsche Reich« verlor Provinzen an Frankreich im Westen, Dänemark im Norden und Polen im Osten. Der Versuch Italiens, Deutschlands und Japans im Zweiten Weltkrieg 1937–19451, noch einmal die Welt imperial aufzuteilen, scheiterte und führte zur Gründung der Vereinten Nationen. Die letzten Imperien änderten ihre Namen – aus Großbritannien wurde das Vereinigte Königreich, und das Kaiserreich Japan erscheint uns als etwas rätselhaftes Relikt samt wunderschönem Garten in der Mitte der Metropole Tokio. Der Iran und Äthiopien wandelten sich in Republiken. Die Sowjetunion wurde von ihren Gegnern als Imperium angegriffen und schon damit als gewaltsam und veraltet hingestellt  ; auch sie wurde ab 1991 in Nationalstaaten aufgeteilt. Diese scheinbare Sicherheit des 20. Jahrhunderts, dass die Zeitalter der Imperien vorbei sind, wurde nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 und besonders mit dem 21. Jh. brüchig, weil die Übermacht der USA erdrückend schien und scheint. Zuerst nordamerikanische Kritiker, dann auch solche in aller Welt sehen die USA auf dem Weg in ein neues Imperium  : US-amerikanisches Kapital fordert globale Chancen, USGeheimdienste hören den Rest der Welt (einschließlich der Bündnispartner) ab, die Kriegsmarine der USA kontrolliert die Weltmeere und interveniert von der Ukraine bis Südkorea – z. B. mit Manövern. Amerikanische Truppen werden in Jugoslawien, Afghanistan und dem Irak eingesetzt. Vielleicht lassen sich ja auch die globalen und immer tiefer miteinander verbundenen Probleme am besten, oder vielleicht auch nur am ehesten, mit der Institution eines Imperiums lösen  ? Es kann nicht die Aufgabe eines Historikers sein, über die politischen Lösungen der Zukunft zu schreiben. Da mit den Imperien aber eine politische Herrschaftsform wieder ins Gespräch gekommen ist, die über 3000 Jahre alt ist, kann ein Historiker versuchen, eine Übersicht über Leistungen und Defizite von Imperien anzubieten. Sowohl der Re1 Der Zweite Weltkrieg dauerte u. E. vom japanischen Einfall in China bis zur Kapitulation des Kaiserreichs, vgl. Weinberg  : Weltkrieg.

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spekt vor Imperien – wer zähmte die Wölfin  ? – als auch deren Infragestellung – wer zerbrach das Gefängnis der Völker  ? – gehören zur Kultur Europas und seiner Siedlungskolonien sowie vielleicht zur Kultur der Welt. Die Diskussion umfasst sowohl die Kritik der Bibel am Sündenpfuhl Babylon als auch die vielen Wiederherstellungen des Römischen Reichs. Es verspricht also Aufschluss, wenn die Geschichte der Imperien erstens global verglichen und zweitens in den Kontext der Kritik durch die kleinen Einheiten und besonders die Nationen gestellt wird. Was leisten Imperien, um Herfried Münklers Frage zu wiederholen,2 und was leisten sie nicht  ? Es ist schwierig, für eine solche Frage Standards und Perspektiven präzis zu bestimmen, dem sei vorweg zugestimmt.3 Mit der nötigen Vorsicht möchte ich aber die These vorausschicken, dass Imperien viele Jahrhunderte lang Kommunikation und Austausch innerhalb von Großregionen, von »Kulturen« und »Kontinenten« erleichterten und eher als kleine und einzelne Staaten Schutz gegen schwer zu fassende nomadische Gegner boten. Schlechter als Einzelstaaten sicherten sie Konkurrenz und Kontrolle sowie die Realisierung regionaler, ethnischer, religiöser oder anderer partikularer Interessen. Und Imperien boten geringere Möglichkeiten der Identitätsbildung.

Notiz zur Historiografie

Seit Edward Gibbons und Theodor Mommsen ist das Römische Imperium ein feststehendes Thema der Geschichtsschreibung, und mehrfach wurde in der Geschichte eines neueren Imperiums vergleichend auf das Römische Bezug genommen, etwa von Robert Seeley (der klassischer Philologe war)4 in seiner Geschichte des britischen Reiches. Die eigentlich komparative Geschichtsschreibung hat sich der Imperien erst spät angenommen.5 Das lag sicher einerseits daran, dass gegen ein solches historisches Makrothema zwischen Akkad und den USA viele methodische Einwände vorgebracht werden können, zum andern aber auch daran, dass die Themen der Historischen Sozialwissenschaft, die in Deutschland den Vergleich entwickelt hat, eher Arbeiterschaft oder Bildungsinstitutionen waren und man sich auf zwei oder höchstens drei Vergleichsnationen be2 Herfried Münkler (Hg.)  : Was leisten Imperien  ? Zeitschrift für Weltgeschichte (im Folgenden  : ZWG) 11.2 (2010). 3 Jürgen Osterhammel  : Measuring Imperial ›Success‹ and ›Failure‹, in  : Leonhard/Hirschhausen, S. 472– 476. 4 Seeley  : Ausbreitung. 5 Kein Eintrag in der bibliografischen Fallauswahl bei Hartmut Kaelble  : Der historische Vergleich, Frankfurt a. M. 1999 (Campus). Vgl. auch die Übersichten zu innereuropäischen Vergleichen in  : Deborah Cohen, Maura O’Connor (Hg.)  : Comparison and History, New York/London 2004 (Routledge).

Steuern wir aufNotiz ein neues zur Historiografie Imperium zu?  | 

schränkte. Es lag also auch daran, dass die Wende der 1960er und ’70er Jahre zu sozialwissenschaftlichen Themen als Kritik an der alten Nationalgeschichte durchgesetzt und erst mit dem Ende des Jahrtausends wieder in Frage gestellt wurde – durch eine Wende zur Geschichte von Kultur, Staat und Habitusfragen oder Gewaltsamkeit, auch zu Welt- und Globalgeschichte. Damit passte das Thema »Imperien« wieder besser in die akademische Landschaft. Der Zusammenbruch der UdSSR verschaffte dem Thema, wie erwähnt, neue politische Aktualität – zum einen, weil die UdSSR von vielen als Imperium attackiert worden war und deshalb die Frage nach dem Ende von Imperien vergleichend neu gestellt wurde, etwa von Alexander Motyl6  ; zum anderen, weil die Chance groß war, dass die letzte verbleibende Supermacht, die USA, nun zum neuen Imperium würde.7 Michael Hardt und Antonio Negri legten dagegen eine eher philosophische als historische Untersuchung vor, nach der die USA nur ein Instrument einer neuen imperialen, jedoch nicht mehr territorial gebundenen Klasse von Superreichen seien. Marxistische Kritik hat ihrerseits auf Arbeiten von Marx zum Verhältnis von Nationalstaat und Internationalem System verwiesen und betont, dass die USA nicht im globalen internationalen, sondern nur im »partikularen imperialistischen Eigeninteresse« handle.8 Zu diesem Zeitpunkt bedeutete »Empire« in der amerikanischen Linken – deutlich z.B. mit Noam Chomsky und Benjamin Barber  – schon eine Zusammenfassung politischer und politikwissenschaftlicher Kritik an den USA.9 Auch in der europäischen Öffentlichkeit wurde das Konzept in diesem Sinn benutzt, etwa von Jean Ziegler.10 Das Konzept knüpfte an die Kritik der USA als imperialistisch an, die sich selbstverständlich auf die Imperialismusdiskussion und konkret auf William Appleman Williams 1959 erschienenes Buch bezog,11 besaß aber eine neue Qualität. Historische Vergleiche brachte z. B. Charles A. Maier ein, der die USA in den Kontext von früheren Imperien stellte, wobei er seine Beispiele auf bestimmte Fragestellungen hin untersuchte, z. B. sämtliche Grenzprobleme miteinander verglich.12 Julian Go nutzt den Vergleich zwischen dem Britischen Imperium und den USA, um mit vielen   6 Motyl  : Ends.   7 Vgl. Chomsky  : Ambitions  ; Barber  : Imperium. Eine Übersicht zur Debatte bei Helmut Anton Prantner  : Imperium. Die aktuelle englischsprachige Diskussion, in  : ZWG 14.2 (2013), S. 135–158.   8 Hardt/Negri  ; Bob Jessop  : Imperium, in  : HKWM, Bd. 6/II.   9 Vgl. auch H.-H. Nolte  : Die USA – Imperium oder globale Nation  ?, in  : Nolte  : Imperien, S. 97–106. 10 Ziegler  : Imperium. 11 Williams  : Tragödie  ; Gabriel Kolko  : Hintergründe der US-Außenpolitik, ü. Frankfurt a. M. 1971 (EVA)  ; Regina Bohne  : Die tragische Schicksalsgemeinschaft zwischen den USA und Lateinamerika, in  : Frankfurter Hefte 37.5 (1982), S. 15–23  ; 39.4 (1984), S. 22–32. Knapp zur Lateinamerikapolitik der USA und mit der neuen Literatur Ulrike Schmieder  : Der große Bruder  ?, in  : Nolte  : USA, S. 47–62. 12 Maier  : Among Empires.

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Tabellen aufzuzeigen, dass die USA zeitversetzt strukturell gleich waren, z. B. ähnliche Anteile des Staatshaushalts für Rüstung ausgaben, ähnliche Interventionswellen und Truppenstationierungen durchführten etc. Das ist ein wichtiger Beitrag  – seine Schlussfolgerung, dass die USA auch ein Imperium waren/sind, macht aber nur im Zusammenhang einer Definition Sinn, die Expansion zum Hauptkriterium erklärt.13 Der damit vertretene Ansatz geht daran vorbei, dass Expansion eine Universalie der Weltgeschichte ist und kolonialer Expansionismus seit dem Mittelalter ein Charakteristikum aller Staaten des europäischen Systems darstellt14 – von Rhodos, der Zuckerkolonie des Malteser-Ordens, bis zur Kolonie Kongo des gerade gegründeten Staates Belgien. Wenn man den Begriff so weit fasst wie Go, dann fällt auch das Herzogtum Kurland unter die Imperien,15 und damit verliert der Begriff jede Schärfe. Herfried Münkler ordnet seine Beispiele in eine Typologie und in historische Parallelabläufe wie Zivilisierung und Barbarengrenze/Scheitern an der Macht der Schwachen.16 Ähnlich verfährt Ulrich Leitner, der aber seine Beispiele auf politikwissenschaftliche Kategorien hin befragt. Er geht v. a. auf das römische und das amerikanische Beispiel ein  ; seine Stärke liegt dabei in den systematischen Veranschaulichungen.17 Ulrich Menzel hat in seinem monumentalen Werk über »Imperium und Hegemonie in der Hierarchie der Staatenwelt« 14 Beispiele von Song-China bis zu den USA nach 1990 verglichen, wobei er von einem weiten Imperiumsbegriff ausgeht und auch Vorherrschaft (Hegemonie) von Handelsstädten wie Genua oder Venedig einschließt.18 In seiner Definition auf der Grundlage vieler Beiträge zur Diskussion des letzten Jahrzehnts betont Bernd Hausberger in der von ihm behandelten Periode der Frühen Neuzeit den Vergleich mit dem modernen europäischen Staat. Imperien sieht er als territoriale »Ordnungskonfigurationen, in denen um 1750 an die 70 Prozent der Weltbevölkerung lebten […]. Ihre Herrschaft war militärisch durchgesetzt und in der Regel durch eine universalistische Reichsideologie gestützt. Dabei blieben Imperien heterogene, unvollständig zentralisierte Agglomerationen […].«19 13 Go  : Patterns, S. 8. 14 Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 113–200. 15 Kurland war ein von Polen lehnsrühriges, also nicht souveränes Herzogtum im Süden des heutigen Lettland, das zwischen 1651 und 1661 (bzw. 1682) Kolonien in Gambia und Tobago besaß, vgl. Ralph Tuchtenhagen  : Geschichte der baltischen Länder, München 2005 (Beck), S. 34  ; Reinhard Wittram  : Baltische Geschichte, Darmstadt 1973 (WBG), S. 113–119. 16 Münkler  : Imperien. 17 Leitner  : Imperium. 18 Menzel  : Ordnung. 19 Hausberger  : Verknüpfung, S. 37.

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Hier wird versucht, einen chronologisch weiten Überblick zu gewinnen, der an die Geschichte der großen Mächte seit Leopold von Ranke, Paul Kennedy und Amy Chua anknüpft. Dies Übersichten enthalten stets Beispiele, manche vom Persischen Reich bis zu den USA.20 Detailstudien in einem von mir herausgegebenen Sammelband betreffen Polen/Litauen, China, Napoleons Empire, UdSSR sowie die USA und Großbritannien im Irak.21 Herfried Münkler versammelte 2010 in einem Heft der »Zeitschrift für Weltgeschichte« zu der Fragestellung, was Imperien leisten, die Beispiele Rom, Russland, USA und Großbritannien, außerdem Texte zur biblischen Kritik der Imperien.22 Jane Burbank und Frederick Cooper legten im selben Jahr einen umfangreichen Sammelband vor, der zwölf territoriale Beispiele bzw. zeitlich eng begrenzte chronologisch organisierte Aufsätze mit zusammenfassenden Überlegungen vereint.23 Hartmut Leppin und andere publizierten 2012 mehrere imperiale Beispiele aus den christlichen Traditionen und Kurzvorstellungen vom Perserreich, China und den Fatimiden, an die Stefan Weinfurters vergleichende Überlegungen zum Kaisertum im 1. Jahrtausend anschlossen.24 Michael Gehler und Robert Rollinger veröffentlichten schließlich 2014 ein Mammutwerk von 1.762 Seiten, in dem sie Ergebnisse einer Konferenz in Hildesheim sammelten – diese umfassen über 60 Beiträge, die von Babylonien bis zur EU reichen, aber auch mehrere Aufsätze zu Theorie und Kunst.25 Dieser Band liegt dem hier vorliegenden Buch in besonderen Maß zugrunde.26 Die angelsächsische »New Imperial History« hat von den 1980er Jahren an Gewicht auf einheimische Akteure, Fragen von Rassismus und Geschlecht, auf Netzwerke und Individuen gelegt und stärker nach kulturellen und institutionellen Kontexten gefragt.27 An einzelnen Lebensläufen wurde die Durchlässigkeit zwischen Kolonie und Metropole aufgezeigt.28 Neben – in chronologischer Abfolge oder vom theoretischen Ansatz her – umfassende Arbeiten traten regionale Sammlungen, etwa Thomas Harris Kompendium zu Imperien der Antike,29 oder Vergleiche wie jener Andrea Komlosys von Habsburgermonarchie, Osmanischem und Britischem Reich.30 John Darwin hat 2007 in seiner 20 Ranke  : Mächte  ; Kennedy  : Rise and Fall  ; Chua  : Hyperpowers. 21 Nolte  : Imperien. 22 Münkler  : Imperien leisten. 23 Burbank/Cooper. 24 Leppin/Schneidmüller. 25 Gehler/Rollinger. 26 Vgl. die Rezension von Christiane Nolte in  : ZWG 16.1 (2015), S. 189–192. 27 Bley  : Empire. 28 Osterhammel, a.a.O. (Anm. 3)  ; vgl. Aust/Schenk. 29 Harris  : Empires. 30 Andrea Komlosy  : Habsburgermonarchie, Osmanisches Reich und Britisches Empire, in  : ZWG 9.2 (2008), S. 9–62.

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Geschichte der globalen Reiche zwischen 1400 und 2000 asiatische und europäische Reiche verglichen und in einen großen weltgeschichtlichen Kontext gestellt.31 An dieser Stelle kann auch mein welthistorischer Versuch von 2005 genannt werden.32 Christopher Beckwith hat die Reichsgründungen an der Seidenstraße systematisch dargestellt.33 Anders als die Imperien der Weltgeschichte in Zentralasien, China, Indien oder in den Anden haben die Imperien der europäischen Mächte im »langen« 19. Jahrhundert auch nach 1945 kontinuierlich akademisches Interesse gefunden. Das lag an der Aktualität der leninschen Imperialismustheorie,34 die zur Legitimation der UdSSR herangezogen wurde und auf der viele antikapitalistische und antikoloniale Bewegungen ihre politischen Programme bauten. Historische Forschungen wurden in Verteidigung und Kritik dieser Theorie35 begründet. Es entstand eine beträchtliche Zahl von Archivarbeiten zu den europäischen imperialistischen Staaten. Sammlungen wurden z. B. von Hans-Ulrich Wehler 197036 und Wolfgang Mommsen 197137 vorgelegt. Heinrich August Winkler gab 1974 mehrere Aufsätze zu dem Alternativkonzept »Organisierter Kapitalismus« heraus.38 Jürgen Osterhammel hat einen nicht periodisch bestimmten Begriff von Imperialismus in die Debatte eingebracht,39 der sich neben dem etablierten aber nicht durchgesetzt hat. Die Sammlungen zum Imperialismus boten nicht nur theoretische, sondern auch länderspezifische Beispiele zur europäischen Expansion, zu denen weiter geforscht wurde und an die heute angeknüpft wird,40 etwa von Julian Go in seinem Vergleich der britischen und amerikanischen Imperien.41 Osterhammel hat in seiner epochemachenden Geschichte des 19. Jahrhunderts vor einigen Jahren den Stand des Wissens zusammengefasst und dabei auch die Perspektive derer berücksichtigt, welche von den europäischen Mächten unterworfen worden waren.42

31 Darwin  : Tamerlane. 32 Nolte  : Weltgeschichte 1. 33 Beckwith  : Silk Road. 34 Vgl. u. S. 371–374. 35 Bollinger  : Imperialismustheorien. 36 Wehler  : Imperialismus. 37 Mommsen  : Imperialismus. 38 Winkler  : Kapitalismus. 39 Osterhammel, a.a.O. (Anm. 9), S. 59  : »[…] jenes Bündel militärischer und politischer Maßnahmen, die dazu dienen, ein Imperium zu schaffen und aufrecht zu erhalten«. 40 Z. B. in Zeithistorische Forschungen 3.1 (2006)  : Imperien im 20. Jahrhundert. 41 Go  : Patterns. 42 Osterhammel  : Verwandlung, bes. S. 565–673. Vgl. Matthias Middell (Hg.)  : Die Verwandlung der Weltgeschichtsschreibung, Comparativ 20.6 (2010) (mit Reviews).

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Zum 19. Jahrhundert sind eine Reihe länderübergreifender Sammelbände erschienen, in denen Kritik des Eurozentrismus, Agrarrevolutionen, Totaler Krieg, Wirtschaftskrisen, Weltordnungsvorstellungen, imperialer Pomp, Säkularisierungen, Verkehrsrevolutionen und Entwicklung des Weltsystems thematisiert werden. Außerdem werden Entwicklungen von geistesgeschichtlichen Konzepten, Nationen und Individuen innerhalb von Imperien, sowie Imperien insgesamt verglichen.43 Jörn Leonhard und Ulrike von Hirschhausen gliedern den von ihnen herausgegebenen Sammelband44 nach Herausforderungen des Raumes (die überwiegend den Eisenbahnbau betreffen), Kartierungen und Klassifizierungen, Repräsentation (die neue Rolle der Monarchie), Religion und Erziehung, Konflikten sowie den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs für Indien, ÖsterreichUngarn, Russland und das Osmanische Reich. Überzeugend ist auch die Erforschung von imperialen Netzwerken.45 Stefan Berger und Alexei Miller46 haben zum Verhältnis von Nationenbildung und Imperien Beiträge eingeholt, die von Großbritannien über Frankreich bis zum »Spanischen Imperium 1700–1914« und dem Osmanischen Imperium reichen. Martin Aust und Benjamin Schenk47 haben Arbeiten zu Autobiografien in Vielvölkerreichen gesammelt und damit eine wichtige Quellengattung sehr detailliert zugänglich gemacht. Arbeitsansätze

Unter »Arbeitsansätze« werden Forschungsrichtungen skizziert, die auf Weiterarbeit an den Geschichtsbildern hindeuten. Damit wird daran erinnert, dass diese im Fluss sind, sowohl was die Fragestellungen angeht als auch, was die Möglichkeiten angeht, die Fakten zu ermitteln. Großgliederungen Soziale Strukturen eignen sich wenig zur Kennzeichnung von Großperioden (etwa  : Feudalismus, Kapitalismus), weil reale Gesellschaften stets gemischt sind  – die Monarchie, eine im Kern patrimoniale Institution, stabilisiert noch im 21. Jahrhundert die englische Gesellschaft. Einordnungen sind aber notwendig, um einzelne Fakten verständlich zu machen. Die bloße chronologische Fixierung, die hier immer wieder zugrunde gelegt wird, ist 43 Conrad/Randeria  ; Cerman/Steffelbauer  ; Adamczyk/Lehnstaedt  ; Conrad/Sachsenmaier  ; Chickering/ Förster  ; Lekon/Vatansever  ; Roth/Schlögel  ; PEWS  ; Innere Peripherien  ; Reinhard  : Empires  ; Moyn/ Sartori u. a. m. 44 Leonhard/Hirschhausen. 45 Magee/Thompson. 46 Berger/Miller  ; vgl. auch Münkler/Hausteiner. 47 Aust/Schenk.

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zur Kontrolle und um der Genauigkeit willen nötig, aber ebenfalls nicht ausreichend. Die Unterschiedlichkeit der Räume, nicht nur nach ihrer geografischen Ausstattung, sondern auch nach ihrer Prägung durch Kulturen des Menschen ( Jagd, Rodung, Wegebau, Eisenbahnen u. a.) und durch Religionen (Tempel und Kirchen, Kirchwege, Wallfahrtswege u. a.), muss vorweg bedacht werden, damit man sie beim Re-Konstruieren der Geschichte im Blick hat. Zur geografischen und chronologischen Einordnung folge ich deshalb einer Mischung sozialer und ökonomischer, religiöser und politischer Kriterien. Periodisierungen Ein erster Ansatz zur Gliederung des unendlichen und vielfältigen historischen Materials besteht in der chronologischen Einteilung in (lange dauernde) Perioden, die durch (kurze) Epochen gegliedert sind.48 Eine Epoche kann ein Tag sein – wie der »Sonntag von Bouvines«49  –, aber grundlegende Wechsel können sich auch über Monate und Jahre hinziehen. Mit einem sowohl chronologisch als auch inhaltlich engen Begriff von Revolution bildeten diese Epochen  : neolithische – agrarische – militärische – industrielle – postindustrielle Revolution. Allerdings wird gegen den engen Revolutionsbegriff eingewandt, dass in der Realität alle diese Umwälzungen lange dauerten.50 Perioden können nach Jahrhunderten gegliedert werden – wobei dann wieder »lange« und »kurze« Jahrhunderte unterschieden werden.51 Mehrere Jahrhunderte können chronologisch in Großperioden zusammengefasst werden, wie »Frühe Neuzeit.«52 Periodisierungen werden aber auch nach sozialökonomischen Strukturen vorgenommen, wobei die politischen Positionen prägend sind. Als liberal gilt die Abfolge vorindustriell – industriell – Überflussgesellschaft – postindustriell  ; sowjetmarxistisch war die Abfolge Sklavenhaltergesellschaft – Feudalismus – Kapitalismus – Sozialismus. Nach Religionen kann man die Weltgeschichte ebenfalls gliedern  : Religionen, Kulturen  : Achsenzeit – Konfessionalisierung – Säkularisierung. Hier wird eine Abfolge patrimonial – klerikal – feudal – allodial53 – handelskapitalistisch – industriekapitalistisch – sozialistisch – postkapitalistisch – als Raster benutzt. 48 Hermann Heimpel  : Der Mensch in seiner Gegenwart, Göttingen 1957 (Vandenhoeck & Ruprecht), S. 12–66. 49 Georges Duby  : Der Sonntag von Bouvines. Der Tag, an dem Frankreich entstand (1973) ü. B 1988 (Wagenbach). 50 Zum Revolutionsbegriff Griewank  : Revolutionsbegriff  ; Dunn  : Revolutionen, Goldstone  : Revolutions, Cerman/Steffelbauer. 51 Osterhammel  : Verwandlung, S. 84–128. 52 Einführend Anette Völker-Rasor  : Frühe Neuzeit, München 2000 (Oldenbourgh)  ; Boškovska-Leimgruber  : Frühe Neuzeit. Vgl. die Masse des Materials in der Enzyklopädie der Neuzeit [im Folgenden EdN]. 53 Feudal bezeichnet, dass Empfänger für den Besitz fürstlichen Eigentums zu Dienst verpflichtet sind  ; allodial hingegen vom Dienst unabhängiges Eigentum von Adligen, Bauern, Bürgern etc.

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Man kann aber auch nach Räumen gliedern, z. B. nach der Prägung durch Weltreligionen und/oder Kulturen  : Hinduismus – Buddhismus – Konfuzianismus – Judentum – Christentum – Islam – Atheismus – Individualismus – »Länder der Freiheit«, Westen. Da sich allerdings kaum große Räume finden, die durch eine Religion oder eine Kultur allein geprägt worden sind, ist der Terminus Weltregionen erklärungskräftiger, außerdem kann man meist noch stärker durch Austausch bestimmte Meeresräume hinzufügen – vom Indischen Ozean und dem Mittelmeer bis hin zum Atlantik. In der konkreten Arbeit der Geschichtsschreibung wird man chronologische, religions- und geistesgeschichtliche, sozialhistorische und räumliche Kategorien meist verbinden müssen, wenn man ein Phänomen erklären will. Imperien lassen sich weder chronologisch noch räumlich leicht eingrenzen  : Einige haben 1000 Jahre gedauert,54 andere nur zwölf  ; viele haben sich über mehrere Weltregionen erstreckt,55 andere innerhalb ­einer Weltregion bestanden.56 Man kann angesichts solcher Befunde annehmen, Imperien seien eine »Universalie« der Weltgeschichte, die in allen Perioden und Regionen vorkommt und die auch immer wieder im Kontext mit (unterschiedlichen) Weltreligionen steht. Imperium als Institution, die diesen Namen trägt, also in den Quellen vorfindlich ist, gelangte im 20. Jh. jedoch an ihr Ende. Das »Europäische57 Weltsystem«58 ist dagegen ein historisches Konstrukt, das bisher vor allem mit sozialhistorischen, teilweise sogar bloß ökonomischen Kategorien in Zeit und Raum bestimmt worden ist. Für das System sind ebenfalls ungleich verbundene Entwicklungen59 kennzeichnend, nach deren Struktur die Regionen in Zentrum – Halbperipherie – Peripherie und Außenwelt gegliedert werden können. Die staatlichen Mitglieder des Systems, auch die Imperien, sind ebenfalls oft intern durch ungleich verbundene Entwicklungen zwischen Zentren und Innere Peripherien gekennzeichnet. Die 54 Was im Kontext von Zahlensymbolik noch Spengler faszinierte  : Spengler  : Untergang, S.  70–76. Mit Spengler wurde auch der Millinarismus zum »Parfum« vieler Intellektueller der Zeit, vgl. Dina Gusejnova  : Der Prophet als Parfum, in  : ZWG 15.1 (2014), S. 141–162. 55 Klassisch das Römische, Byzantinische und Osmanische Imperium, die sich jeweils über drei Kontinente erstreckten, oder im Gegenteil für die andere Seite das Mongolenreich, das sich innerhalb des Kontinents Asien ausbreitete. 56 Wie das Mogulreich oder China. 57 Die Herkunftsbezeichnung wird hinzugefügt, um deutlich zu machen, dass es auch andere Weltsysteme gab. 58 Wallerstein  : Weltsystem  ; vgl. zur letzten Differenzierung dieses Forschungsansatzes PEWS 1–4 sowie einführend Christofer Chase-Dunn, Hiroko Inoue, Teresa Neal, Evan Heimlich  : Globalgeschichte und Weltsysteme, in  : ZWG 17.2 (2016), S. 11–46. 59 Andrea Bonoldi, Andrea Leonardi (Hg.)  : Recovery and Development in the European Periphery, Bologna, Berlin 2007 (Duncker& Humblot)  ; Christof Dejung, Martin Lengwiler (Hg.)  : Ränder der Moderne, Wien 2016 (Böhlau)  ; kurz H.-H. Nolte  : Ungleich verbundene Entwicklung, in  : Fischer/Hauck, S. 333–336. Vgl. Innere Peripherien.

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Akteure im wirtschaftlichen Bereich dieses Systems sind Kaufleute, Handwerker, Gutsbesitzer und Schiffskapitäne, staatliche Bürokratien sowie (z. B. im Handel mit Pferden und Kühen sowie mit Sklaven) Khane und Kosaken-Atamane, aber auch Großbauern. Es macht Sinn, das europäische »Konzert der Mächte« als die politische Ebene des Systems zu bestimmen, auch wenn letzteres im 12. Jh. entstand, in dem noch niemand vom Konzert sprach. Viele Imperien sind älter als dies System, andere sind erst in seinem Rahmen gegründet worden. Der Westfälische Friede von 1648 gibt die politische Verfassung des Systems wieder  : Staaten mit unterschiedlicher Macht, die sich gegenseitig als souverän anerkennen, aber als Klub die nichteuropäischen Mächte ausschließen bzw. sie dem »Oktroi des europäischen öffentlichen Rechts«60 unterwerfen. Unter den verschiedenen Gliederungskonzepten steht hier das der Imperien im Vordergrund. Bis hin zum Osmanischen vereinten sie jeweils eine »Welt«, allerdings brachen sie sämtlich auch wieder auseinander. Mongolen und Muslime bildeten mehrfach neue Imperien, und das chinesische wurde über mehr als ein Jahrtausend mehrfach wieder gegründet. Aber im Westen Eurasiafrikas misslangen die Versuche der Wiedergründung des Römischen Reichs, und vom 12/13. Jahrhundert an wurde das bestehende Imperium in das »Europäische System« integriert. Von den unterschiedlichen im Lauf der Geschichte wichtigen »Welt-Systemen« war das Europäische von besonderer Bedeutung, weil die Mächte dieses Systems als erste rund um den Globus Territorien eroberten und Ketten von Stützpunkten errichteten. Diese Mächte waren Fernhandelskompanien und Königreiche, Orden und Abenteurer – ein Kaiserreich war nicht darunter (Kaiser Karl V. war an der Expansion beteiligt, aber als König von Spanien). Zeitleiste 1: Europäisches Weltsystem, Räume und Perioden verschränkt

13. Jh. 16. Jh.

17./18. Jh.

Hegemonialkampf (HK) Kirche >< Heiliges Römisches Reich, Agrarrevolu-tion, europäische Arbeitsteilung, Militarisierung, Erste Industrielle Revolution (IR) Eroberungen  : 3. Europa HK Spanien >< Frankreich. Globale Arbeitsteilung  ; Fernhandel mit Silber, Manufakturen, Waffen  ; Rohstoffe aus Peripherien und Halb-Peripherien Eroberungen  : Lateinamerika und Sibirien. Asiatische und afrikanische »Schießpulverreiche«, »Revolution des Fleißes« Textil, Keramik in Asien HK England >< Niederlande, Zweite IR  : Dampf-maschine, Eisenbahnen, Volleisenschiffe, gezogene Geschützrohre Eroberungen  : Indien, Amerika, Schwarzmeerküste

60 Kleinschmidt  : Völkerrecht, S. 304.

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1776 ff. 19. Jh. 1860 ff. 1914–1918 1920 ff. 1917–1991 1937–1945 1960 ff. 1970 ff. 1990 ff. 2000 ff.

Atlantische Revolutionen, 1794–1815 HK Frankreich>< Großbritannien Britische Hegemonie  ; Eroberung des Globus  ; Afrika, China Anpassung Osmanen, Persien, Japan Dritte IR  : Chemie, Elektro, kleine Motoren  : Maschinen-Gewehr, Pkw 1. Weltkrieg  ; HK Deutschland >< Großbritannien. »Ende der Imperien« Vierte IR  : Massenproduktion mit Fließband, Atombombe Sozialismus der UdSSR als antisystemische Bewegung 2. Weltkrieg. USA Hegemon, aber »Kalter Krieg« – HK UdSSR >< USA Entkolonialisierung Fünfte IR  : EDV in die Produktion Wiederaufstieg asiatischer Staaten Sechste IR  : Gensequenzierung, Nanotechnologie, Internet in Produktion Die kapitalistische Wirtschaft ist (zusätzlich zu den Folgen von IR) durch Wellen gekennzeichnet, Investitions-schübe und Abschwünge (A- und B-Phase), die unter Umständen zu einer Depression führen (1928, 2008).

EDV = Elektronische Datenverarbeitung  ; IR = Industrielle Revolution  ; HK = Hegemonialkampf  ; Pkw = Automobil. Nichteuropäische Entwicklungen sind durch interne Kästchen angedeutet.

Das entscheidende Instrument zur Expansion war das Militär, allerdings in einem weiten Sinn. In Austausch und Konkurrenz mit muslimischen Mächten entwickelten europäische Staaten überlegene Techniken beim Bau von Kanonen, von militärisch überlegenen Schiffen oder Eisenbahnen – sowie die Kapazität, den Aufwand zu finanzieren. Der Anstieg des Wohlstands in Westeuropa bildete dann eine Voraussetzung für eine stärkere Stellung der Städte und des Handelskapitals sowie der Parlamente in einigen Staaten im Zentrum des Systems. Der Widerstand einiger Imperien in Asien gegen die Europäer war über Jahrhunderte hinweg erfolgreich und die Expansion des Osmanischen Imperiums hat zur Militarisierung des Systems beigetragen. Der Aufstieg von Nationalstaaten seit dem 16. Jh. wurde in das Europäische System integriert, zu dem seit seiner Entstehung ein Imperium gehört hatte und im 18. Jh. ein zweites hinzukam. Die industrielle Revolution in England im 18. Jh. vermehrte die Macht dieses nationalen Königreiches derart, dass die Imperien (wie andere Staaten auch) sich im 19. Jh. veranlasst sahen, die Erste Industrielle Revolution61 nachzuholen.62 Das gelang in Deutschland, Japan und Österreich-Ungarn, nicht aber in 61 Schwab  : Vierte zählt anders. 62 Komlosy  : Nachholende Industrialisierung.

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Russland und China. Nationalstaaten und Imperien agierten im 19. Jh. gemeinsam, z. B. bei der Verbreitung moderner Medizin oder der Organisation der ersten Kongresse der Friedensbewegung. Die nationalen Bewegungen schwächten die Imperien, was die Gegner ausnutzen konnten. Der Imperiumsbegriff war seit dem 16. Jh. zur Diffamierung der Gegner benutzt worden, und diese wurde im 19. Jh. durch Nationalbewegungen verschärft – Imperien wurden zu »Völkergefängnissen«. Der Zweite Weltkrieg als Versuch von drei Staaten, in kürzester Zeit mit Gewalt neue Imperien zu erzwingen, desavouierte den Begriff weiter. 1945 wurde das Konzept der Union gegen die Imperien eingesetzt, um Bedürfnisse zu befriedigen – sowohl nach Differenzierungen als auch nach Vereinheitlichungen. Der Imperiumsbegriff ist deshalb seit 1918, spätestens aber seit 1945 zu nüchterner Beschreibung von politischer Realität der Gegenwart nicht mehr erhellend. Quellenkunde und Historiografie Der erste Schritt in Richtung besserer Kenntnis hinsichtlich unserer Beispiele stellte kritische Lektüre wissenschaftlicher Literatur dar (die zu Anfang jedes Beispiels aufgeführt ist). Der zweite Schritt war das Studium von Quellen. Dabei haben wir versucht, die Erfahrung von Wolfgang Reinhard im Kopf zu behalten  : Es handelt sich meist um tertiäre Quellen,63 »Monumenta Historica«, die primär von anderen im Archiv oder in einer Ausgrabung gefunden bzw. zum Denkmal erklärt, sekundär von oft wieder anderen Kolleginnen und Kollegen ediert sowie tertiär von weiteren Kolleginnen und Kollegen in Sammelbänden so zugänglich gemacht wurden, dass selbst ein Welt- und Globalhistoriker sie findet. Diese Problematik wurde und wird als Verhältnis von Area Studies und Weltgeschichte diskutiert und an ihr wird gearbeitet.64 Hinzu kommt, dass jeder Welt- oder Globalhistoriker sein Spezialgebiet, seine Area Studies, pflegen muss, um sich der methodischen Schwierigkeiten des Fachs bewusst zu bleiben.65 Aus der Entscheidung zur Quellennähe historischer Arbeit folgt, dass viele Imperien und insbesondere die europäischen 63 Wolfgang Reinhard  : Geburtswehen neuer Weltgeschichten, in  : Erwägen – Wissen – Ethik 22.3 (2011), Themenheft Probleme der Weltgeschichte, S. 415–419. 64 Schäbler  : Area Studies  ; Arjomand  : Theory  ; Komlosy  : Globalgeschichte, S. 165–247  ; Matthias Middell, Katja Naumann  : Global History and the Spatial Turn, in  : JGH 5 (2010), S.  149–170. Einzelne Ansätze  : Dariusz Adamczyk  : Das Polen der Frühen Neuzeit im Weltsystemkonzept, oder die Grenzen eines Modells, in  : ZWG 10.2 (2009), S.  61–78  ; Carl-Hans Hauptmeyer  : Niedersachsen in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Anwendungsaspekte der Geschichte des Weltsystems für die Regionalgeschichte, in  : ZWG 2.2 (2001), S. 53–78  ; H.-H. Nolte  : Weltsystem und Area-Studies. Das Beispiel Russland, in  : ZWG 1.1 (2000), S.  75–98. Zur amerikanischen Diskussion Wolf Schäfer  : Zur Rekonfiguration von Area-Studies für das globale Zeitalter, in  : ZWG 16.1 (2015), S. 149–183. 65 Meinen Part habe ich durch Mitherausgabe eines Quellenbandes zur russischen Geschichte (Quellenbuch) sowie Weiterarbeit an Spezialstudien zu leisten versucht, u.a. H.-H. Nolte  : Jasyry  : Non-Orthodox Slaves in Pre-Petrine Russia, in  : Witzenrath  : Slavery, S. 247–264.

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Reiche spanischer und französischer Sprache hier nicht eingehend behandelt werden. Christiane Nolte ist Philologin. Sie befasst sich derzeit mit altorientalistischen Kulturen und Sprachen. Ich lese (neben deutschen) lateinische, griechische, englische und russische Quellen. Allerdings habe ich in der Hoffnung, dass genug Quellen ins Englische übersetzt sind, auch China, Indien und das Osmanische Reich als Beispiele skizziert. Die einzelnen Kapitel setzen ein, indem die ausgewählten Imperien und ihre Gegner erst mit den Mitteln »historischen Verstehens« als »Individuen« skizziert und anschließend verglichen werden. Dabei wird nach Querverbindungen, gegenseitigen Beeinflussungen, »Entanglements« gefragt. Da die Zahl dieser Querverbindungen und Beeinflussungen spätestens seit dem Ende des Römischen Reiches im Westen in geometrischer Reihe zunimmt, kann man ohne globalhistorische Konzepte in diesen Zusammenhängen nicht mehr arbeiten. In der Vormoderne bilden Imperien und ihre Gegner feste politische Größen, über die man klassischen Texten folgend berichten kann. »Kultur« definiere ich (für die Periode vor den Säkularisierungen) entlang religiöser, aber auch geistes- und kunstgeschichtlicher sowie habitueller Traditionen und nicht nach Räumen.66 Unter »Weltregion« verstehe ich den Zusammenhang eines größeren Raumes, der meist durch engere wirtschaftliche und politische sowie kulturelle Interaktionen gekennzeichnet ist.67 Unter »Weltsystem« wird ein überregionaler Zusammenhang verstanden, den verschiedene – z. T. in Organisationen verbundene – Akteure in sozial-, politik-, religions-, geistes-, ökonomie-, militärgeschichtlichen (und anderen) Kontexten schaffen und gestalten.68 Dem Weltsystemkonzept ist nicht ohne Grund Eurozentrismus vorgeworfen worden  ;69 dem versuchen meine Frau und ich entgegenzuwirken, indem wir zahlreiche Beispiele aus Asien denn aus Europa rekonstruieren. Dass die Periode der europäischen Vorherrschaft und die in dieser Periode bewirkte Veränderung der Imperien nicht ohne Geschichte Europas beschrieben und erklärt werden kann, scheint allerdings selbstverständlich, gerade wenn man Europa als Provinz versteht.70 Mein heutiges Arbeitskonzept nenne ich »kulturvergleichende Perspektive 66 Vgl. zuletzt H.-H. Nolte  : Zur Reichweite von Kulturkreiskonzepten  : Europa und Russland – von Rückert und Dilke bis Danilevskij und Spengler, in  : Nitschke  : Prozess S. 65–86. 67 Vgl. Komlosy  : Globalgeschichte, S. 166–187. 68 Wallerstein  : Weltsystem  ; meine Position siehe  : H.-H. Nolte  : Zur Stellung Osteuropas im internationalen System der Frühen Neuzeit. Außenhandel und Sozialgeschichte bei der Bestimmung der Regionen, in  : JbGOE 28 (1980), S. 157–197. 69 Lekon  : Periphery. 70 Dipesh Chakrabarty  : Europa provinzialisieren, in  : Conrad/Randeria, S. 283 –312. Vgl. zur aktuellen politikwissenschaftlichen Diskussion Claudia Derichs  : Europa als Counterpart des »Orient«. Asiatische Perspektiven, in  : Gehler/Vietta, S. 381–394  ; zur Kritik der Meisterzählungen »Aufstieg des Westens« und »Dependenztheorie« siehe  : H.-H. Nolte  : Europa und Europäisierung im Kontext der Weltgeschichte, in  : Gehler/Vietta, S. 197–216.

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vielfältiger Modernen mit besonderer Berücksichtigung von Systemen«.71 Ein Konzept, in dem ich viel von dem wiederfinde, ist das der Mehrstimmigkeit, in meinem Fall aus der Sozialpsychologie zitiert.72 Das Konzept Nation gebrauche ich mit Beachtung des Unterschieds zwischen »Volk« oder Sprachnation in herderscher und Nation als vorwiegend politischer Einheit in westeuropäischer Tradition.73 Suraiya Faroqhi hat darauf hingewiesen, dass jüngere Forschung vielfach  – im Einklang mit neueren Fragestellungen, aber auch im Kontext der fortschreitenden Erarbeitung von Archiven – weniger Gewicht auf Krieg und Außenpolitik als auf einzelne Akteure und Alltag, auf Produktion und Handel, auf Kommunikation, Kunst und Kultur legt.74 Für diesen Ansatz gibt es glänzende Beispiele  : von Missionaren im Ruderboot bis zu endogenen Religionen Westafrikas in Wort und Symbol,75 vom Nachdenken über die Wirkungen der Globalisierung auf Kultur bis zu Sammlungen wie »Culture in Motion«76. Geistes-77 und Religionsgeschichte78 liegen mir näher  ;79 aber auch sie stehen hier nicht im Zentrum. Im Folgenden wird versucht, viel davon in die Argumentation einzubringen, aber der hier gelegte Schwerpunkt bleibt altmodisch  : Zentral ist weithin Politik- und Institutionen-Geschichte. Soziale Einheiten und Ökonomie Auf die trotz der archäologischen Erfolge der letzten Jahrzehnte noch weithin unbekannten Gesellschaften der Jäger und Sammler wird unten eingegangen. Möglicherweise wurde der Übergang vom Sammeln zur Produktion von Nahrung in der Jungsteinzeit,

71 Nolte  : Religions, S.  21 f.; vgl. Eisenstadt  : Vielfältige Modernen  ; und Wilfried Spohn  : Power in Arjomand  : Theory, S. 113–143. 72 Maschwitz/Müller. 73 Reinhart Koselleck  : Volk, Nation, Nationalismus, Masse, in  : GG 7 (1992), S. 141–431  ; Dieter Langewiesche  : Nation, Nationalismus, Nationalstaat, München 2000 (Beck). 74 Faroqhi  : Ottoman Empire, in  : Reinhard  : Empires, hier S. 222. 75 Insa Nolte  : Spirit, in  : Gus Casely-Hayford, Janet Topp Fargion, Marion Wallace (Hg.)  : West Africa, London 2015 (The British Library), S. 48–71. 76 Arjun Appadurai  : Cultural Dimensions of Globalization, in  : Mazlish/Iriye, S. 276–284  ; Rodgers/Raman. 77 Gollwitzer  : Denken  ; Friedrich Heer  : Europäische Geistesgeschichte, S 1953 (Kohlhammer)  ; Moyn/ Sartori  ; Conrad/Sachsenmaier. 78 Antes  : Religionswissenschaft  ; Nolte  : Religions. 79 Zusammen mit Igor Smirnov, dem Herausgeber des Jahrbuchs »Istorija Mysli«, Moskva 2002 ff. (Vuzovskaja kniga), nehme ich an der Debatte über intellektuelle Wechselbeziehungen zwischen Russland und Deutschland im 19. Jh. teil  : H.-H. Nolte  : Odinachestvo i pafos  : vzajmodejstvie nemeckoj i russkoj kul’tur v XIX veke, in  : Russkij filologicheskij vestnik 82 1/2 (1997), S.  76–87 und zuletzt Igor Smirnov  : Russland und Deutschland. Einwände zu Noltes Konzept der Weltregionen, in  : ZWG 17.2 (2016), S. 189–196.

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die Neolithische Revolution80, nicht zuletzt dadurch bedingt, dass mehr Menschen in einem Gebiet lebten, als dort mit dem Jagen und Sammeln leicht ernährt werden konnten, sodass einzelne häufiger Gräser säten, um die Körner zu essen, oder junge Ziegen aufzogen, um Milch und Fleisch zur Verfügung zu haben.81 Die Neolithische Revolution ging mit einer Reihe von Innovationen zusammen, z. B. Korbflechten und später Keramik, und zog soziale Veränderungen nach sich, weil es galt, die Ernten zu schützen. Es entstanden zwei Grundformen von Produzenten  : solche, die feste Wohnorte entwickelten – meist lebten sie von Ackerbau und Viehzucht –, und Nomaden, die in Regionen mit schlechten Bedingungen für Ackerbau überwiegend von Viehzucht allein lebten und den saisonal wechselnden Bedingungen ihrer Weiden folgten, etwa in ariden Gebieten im Sommer im Hochland und im Winter in der Steppe lebten. Es gab auch nomadisierende Bauern wie in Nordrussland, die im Wald nach drei, vier Jahren die erschöpften Felder aufgaben, neue rodeten und dann in deren Nähe zogen. Häuser aus Balken und Lehm oder Stroh waren für sie Mobilien, weil man sie abreißen und wieder aufbauen konnte82 wie Jurten. Die Grenzen zwischen Nomaden und Sesshaften waren lange fließend, wurden aber schon zeitgenössisch als strukturbestimmend verstanden.83 Wechselbeziehungen fanden ständig, aber selten von gleich zu gleich statt. Oft wandten die Nomaden Gewalt an, um Zutritt zu den Gütern der Sesshaften zu bekommen, und ihrerseits »gebrauchte die agrarisch-städtische Zivilisation die Handelsbeziehungen als Instrument zur politischen Kontrolle der Viehzüchter«, wie Inna Deviatko schreibt.84 Für die meisten der folgend behandelten Imperien haben Interaktionen zwischen Sesshaften und Nomaden eine große Rolle gespielt, so in Assur, in Song- und Mandschu-China, in den Mongolenkhanaten, bei der ottonischen Reichsbildung sowie der jahrhunderte dauernden Auseinandersetzung zwischen Russland und »Polewetzern«, Tataren oder Kasachen. Auch nach der Neolithischen Revolution hat die Nutzung von nicht kultivierter Natur, von »Wildnis«, durch Sammeln, Jagd und Fischfang noch eine Rolle gespielt. Ob als Jäger und Sammler, als Viehzüchter oder Getreidebauer  : die Arbeit auf Höfen und 80 Einführend Edith Specht  : Der Beginn der Agrarwirtschaft, in Cerman/Steffelbauer, S.  41–52  ; Diamond  : Guns, S. 83–192. Umfassender Andreas Zimmermann  : Neolithisierung und frühe soziale Gefüge, in  : Demel/Fried 1, S. 95–127. Eindrucksvolle archäologische Funde dieser Periode MacGregor  : Objekte, S. 70–94. 81 Eine anschauliche Übersicht der Domestizierung von Pflanzen Küster  : Korn, S. 51–72. 82 Quellenbuch 2.6. 83 Siep Stürman  : Common Humanity and Cultural Difference on the Sedentary-Nomadic Frontier, in  : Moyn/Sartori, S.  33–59. Als Beispiel  : Askold Ivantchik  : Griechen und Barbaren, in  : LVR Landesmuseum Bonn (Hg.)  : Die Krim, Begleitkatalog zur Ausstellung, Darmstadt 2013 (WBG), S. 36–49. 84 Inna F. Deviatko  : Teorii ėvoljucij pervobytnikh i tradicionnykh obshchestva, in  : Davydov  : Sociologija, S. 48–61, Zitat S. 58.

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in Jurten verrichteten stets Mann und Frau gemeinsam, naturgemäß in Arbeitsteilung. Gewiss wurde in mancher Rollenzuweisung auch patriarchalische Herrschaft zwischen den Geschlechtern organisiert, aber doch nicht allein.85 Die Produktion derer, die das Land bearbeiteten, stellte die Basis für geradezu jegliche Herrschaftsbildung. »Staat« ist ein Begriff der Frühen Neuzeit, der aber von vornherein einen Kompromiss bezeichnet, der nötig wurde, als man in Europa mit den tradierten Kategorien wie Imperium oder Regnum nicht mehr auskam. Ursprünglich meint »status« einen bestimmten, verlässlichen und berechenbaren Zustand von Macht, zu dessen Beschreibung man die »Statistik« benötigt. In dem Wort »Sonntagsstaat« kommt diese Bedeutung noch, wenn auch für Kleidung, zum Ausdruck. Meist werden im Folgenden Termini der Zeit wie »Reich« verwendet (obgleich diese nicht immer den kulturellen Kontexten entsprechen)  ; wo »Staat« für Herrschaft vor der Frühe-Neuzeit-Periode benutzt wird, wird der Leser gebeten, die skizzierten Differenzen zu bedenken.86 Dass Bauern oder Viehzüchter verlässlich mehr produzierten, als sie zur unmittelbaren Wiederherstellung ihrer Familien, ihrer Arbeitsinstrumente und gegebenenfalls des Bodens benötigten, ermöglichte Berufe, die nicht unmittelbar mit Produktion befasst waren. Man kann mit Karl Wittfogel argumentieren, dass der höhere Grad der Komplexität der Landwirtschaft in Bewässerungsgebieten Herrschaft erforderte,87 wogegen aber spricht, dass Bewässerung oder Rodung durchwegs als Arbeit der Dörfer geleistet wurden. Man kann mit Alfred Weber die Bedeutung der (vielleicht durch Klimaverschlechterung veranlassten  ?) Angriffe von Viehzüchtern auf die Welten von Gesellschaften von Ackerbauern betonen, also exogene Gründe.88 Offenbar wirkten sowohl exogene als auch endogene Gründe, aber innerhalb der Gruppe der Herren bildete das Mehrprodukt dann das Objekt der Auseinandersetzung zwischen »Leviten« und Kriegern, Obersten Priestern und Königen. Am stabilsten mochte es scheinen, wenn die Könige oder Kaiser dann auch die Brückenbauer in die Transzendenz waren, die pontifices ma85 Ein Beispiel bietet die Rollenzuweisung, die man auf vielen mittelalterlichen Bildern, aber auch Fotos noch des 20. Jahrhunderts findet, dass nämlich die Frau bei der Getreideernte die Garben bindet und der Mann das Getreide mit der Sense mäht. Da man zum Führen der Sense viel Kraft in Schultern und Armen benötigt, war der Übergang von der Sichel zur Sense in der Getreideernte oft mit dieser Rollenveränderung verbunden, die aber dem Mann das gegebenenfalls auch als Waffe benutzbare Instrument in die Hand gab. 86 Reinhard Koselleck u.a.: Staat und Souveränität, in  : GG 6 (S. 1–154)  ; Ronald G. Asch u.a.: Staat, Staatenbildung, Staatensystem, in  : EdN 12 (Spalten 494–565). 87 Karl A. Wittfogel  : Die Orientalische Despotie (1957), ü. Frankfurt a. M. 1977 (Ullstein)  ; Übersicht Lawrence A. Krader  : Asiatische Produktionsweise, in  : HKWM 1  ; Küster  : Korn, S. 73 –94  ; vgl. Nolte  : Stellung Osteuropas a.a.O. (Anm. 68). 88 Alfred Weber  : Kulturgeschichte als Kultursoziologie (1950), München 1960, S. 41.

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ximi. Viehzüchter und Bauern werden bekannte Herren den unbekannten vorgezogen haben, solange Erstere nicht allzu viel forderten. Denn offen war oder schien doch, wie viel von ihrem Mehrprodukt sie den Schutzgebenden geben wollten – bzw. was die andern sich davon nehmen wollten oder konnten und in welcher Form.89 Relativ unmittelbare Formen von Herrschaft auf Basis der neolithischen Kultur werden unten am Beispiel des Neuassyrischen Reiches skizziert. Ob das Expansionsbedürfnis des Römischen Imperiums damit zusammenhängt, dass die Böden Italiens nach Jahrtausenden neolithischen Ackerbaus erschöpft waren (was eine andere oder auch zusätzliche Interpretation zu der im Folgenden skizzierten sozialgeschichtlichen böte), ist meines Wissens nicht ausreichend erforscht. Die wichtigsten agrarischen Revolutionen der Zeit nach den großen Imperien Roms und Chinas, also der Periode, die wir für Europa Mittelalter nennen, waren der etwa gleichzeitige Übergang zum Nassreisanbau in China, zur Dreifelderwirtschaft in Europa und zur vielfältigen Fruchtfolge in der »Etagenwirtschaft« in muslimischen Ländern.90 Wer machte danach die Arbeit  ?91 In welchen Formen wurde was getan, damit Gemeinschaften existieren konnten, aus denen vielleicht politische Institutionen entstanden  ? Für die Bildung eines König- oder sogar Kaiserreichs brachte es Unterschiede, ob die Bevölkerung eines Imperiums überwiegend aus Nomaden bestand, die viele Quadratkilometer Land benötigten, um mit ihren Tieren einen Lebensunterhalt zu schaffen, oder aus Bauern, die mit weniger Platz auskamen und also eine höhere Dichte der Bevölkerung erreichen konnten. Zwischen den bäuerlichen Gesellschaften bestanden freilich noch einmal große Unterschiede – die chinesische Nassreiswirtschaft (die in Vietnam entwickelt wurde) brauchte zwei bis drei Hektar Land je Hof, die europäische Dreifelderwirtschaft (die ihren Ursprung zwischen Seine und Rhein hatte) benötigt zehn bis 15 Hektar  ; die schwedische oder russische Waldbauernwirtschaft auf wandernden Feldern (bei günstigen Bedingungen) verlangte nach der fünf- oder sechsfachen Fläche, also über 100 Hektar. Die Wege waren unterschiedlich lang, und vor allem war eine Kontrolle der Produzenten unterschiedlich kostspielig.92 Hinzu kommen weitere Differenzen  – für die Dreifelderwirtschaft brauchte es Pferde und Mühlen  ; die Nassreiswirtschaft ernährte die Familie ohne diese Hilfsmittel. Wo wenige Pferde, die man auch für die Kriegsführung braucht, gezüchtet werden, müssen sie importiert werden. Pferde waren bis zum 19. Jh. Mittel der Macht  ; in mehreren Imperien (China, Mogulreich, 89 Mein Beispiel Nolte  : Russische Bauern. 90 Peter Feldbauer  : Die islamische Welt 600–1250, Wien 1995 (Promedia), S. 54–81  ; Mitterauer  : Warum Europa, S. 17–41  ; anschaulich ders.: Beiträge zur historischen Sozialkunde 1 (2002), S. 4–13. 91 Einführung vom 12. Jh. an  : Andrea Komlosy  : Arbeit, Wien 2014 (Promedia). 92 Michael Mitterauer  : Roggen, Reis und Zuckerrüber, in  : Cerman/Steffelbauer, S. 162–172.

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Russland) kaufte man sie bei den Viehzüchtern jener Steppen, gegen deren Herrscher man kämpfte. Wichtig war auch, welche Produktivität die Landwirtschaft erreichte. Meist bietet das Verhältnis von ausgesätem zu geerntetem Korn einen brauchbaren Indikator  ; aber wo noch viel »nicht« – oder vielmehr meist im Kontext älterer Wirtschaftsformen – ausgebeutete Natur zur Verfügung steht, bezeichnet dieser Indikator nur einen Teil der bäuerlichen Wirtschaft. Die Messung der Agrarergebnisse in Gewicht je Fläche, z. B. in Doppelzentner je Hektar, deutet auf den Übergang zur industriell betriebenen Landwirtschaft, in welcher deren Anteil am Bruttoinlandsprodukt kontinuierlich gesunken ist, also an Bedeutung verloren hat. In vielen nomadischen Gesellschaften war die Jurte, in vielen bäuerlichen und städtischen das »Haus« oder der »Hof« die soziale Grundeinheit  : meist sowohl in den Städten als auch auf dem Land. Das brachte durchaus Hierarchien mit sich, auch wenn es eine Familie war, die in dem Haus wohnte – mit unterschiedlichen Rechten von Vater, Mutter und Kindern sowie Dienstbotinnen oder Dienstboten, Sklavinnen oder Sklaven. Nach welchen Regeln die Familien lebten, war sowohl regional als auch chronologisch unterschiedlich. Im Katholizismus hatte (und hat) die Ehe sakralen Charakter, in anderen Religionen nicht – damit in Verbindung stehen Fragen wie  : Ab welchem Alter dürfen Mädchen verheiratet werden  ? Wer hat das Recht, die Heiratspaare zu bestimmen etc.?93 In Russland war die nächste politische Einheit die Nachbarschaft, organisiert im »Mir«, in Japan das Kollektiv aus jeweils fünf bäuerlichen Haushalten  ; in Westeuropa entwickelte sich auf dem Land das Dorf zur kleinsten politischen Größe, auch viele Einwohner von Städten lebten als »Ackerbürger« de facto von der Landwirtschaft. Freie Leute auf dem Lande kann man unter dem Begriff »Bauer« zusammenfassen, der mit »Nachbar« zusammenhängt – in Russland hießen Bauern einfach »Christen«. Allerdings wurden auch unter diesen Nachbarn die Rechtsverhältnisse immer differenzierter. Folgt man der Definition des Terminus Bauer durch Eric Wolf  : »Bevölkerungen, die grundsätzlich durch Kultivieren bestimmt sind und eigenständige Entscheidungen über den Vorgang der Kultivierungen treffen«,94 trifft die Kennzeichnung in der Frühen Neuzeit auf die Mehrheit der Landbewohner in Indien, China und Westeuropa zu. Die Mehrheiten der Landbewohner Osteuropas waren »an die Scholle gebunden«, sie durften ihre Höfe also nicht aufgeben.95 Die Bearbeiter des Landes in vielen Kolonien waren Sklaven.96 93 Reinhard Sieder  : Haus, Ehe, Familie und Verwandtschaft, in  : Cerman/Eder, S. 322–345. 94 Wolf  : Peasant Wars, S. XXII  : »[…] populations that are existentially involved in cultivation and make autonomous decisions regarding the processes of cultivation«. 95 Schmidt  : Leibeigenschaft. 96 Zeuske  : Handbuch, S. 298–405.

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Und auch auf den Feldern und Viehweiden freier Bauern arbeiteten Unfreie – Mitglieder der Familie, Gesinde und oft auch Sklaven. In vielen Gesellschaften konnte jeder freie Mann auch Sklaven besitzen, also auch ein Bauer. In der Regel  – und in späten Phasen von Adelsgesellschaften manchmal qua Vorschrift – nahm der Adel für sich das alleinige Recht auf Sklaven oder Leibeigene in Anspruch  ; ein Monopol, das zur Bildung von Gütern mit unfreien Landarbeitern genutzt wurde. Mit dem Aufstieg von nichtadligen Kaufleuten und Produzenten und der Durchsetzung neuzeitlicher globaler Arbeitsteilung errichteten Unternehmer in den Peripherien Plantagen für Zucker, Kaffee oder Baumwolle, die auf Sklavenarbeit beruhten. Da die römische Gesellschaft in der Periode des Imperiums zu einem großen Teil auf Sklavenarbeit beruhte und die Eroberungszüge oft auch dem Rekrutieren von Sklaven dienten, wird ein innerer Zusammenhang zwischen Imperium und Sklaverei angenommen. Aber in vielen anderen Imperien, vom Heiligen Römischen Reich bis China, spielte Sklaverei keine fundamentale ökonomische oder soziale Rolle, anders als für koloniale Unternehmen in manchem kleinen Königreich wie Dänemark oder Dahomey. Allerdings gab und gibt es bis zur Gegenwart immer Haussklaverei – also Sklaven oder quasi rechtlose Dienstboten.97 Mit der Verdichtung der Bevölkerung wurden alte Wanderhandwerke (wie Schmied und Töpfer) ansässig und neue Handwerke entstanden. In Indien gab es eine sehr alte, im Kastensystem organisierte Aufteilung von Tuchgewerbe  ; in Russland wurde das Schmiedehandwerk im 17. Jh. differenziert.98 Im Verlauf der Frühen Neuzeit, vom 15. bis zum 18. Jh., kam es zu einer globalen »Revolution des Fleißes« – mit Manufakturen in Indien, Porzellanfabriken in China, Hüttenwerken in Belgien, Schweden und Russland. Es ist kennzeichnend, dass das Gewerbe anstieg, wenn die Bevölkerung derart wuchs, dass sie an die Grenze jener Zahl an Menschen kam, die aus dem jeweiligen Land bei dem jeweiligen Stand der Technik ernährt werden konnte.99 Das galt auch, wenn Mächte  – seien es Staaten des Europäischen Systems, seien es selbstständige Imperien wie Rom oder das Osmanische Reich  – z. B. zur Getreideversorgung Kolonien heranziehen konnten. Mit zunehmender Überlegenheit des »Westens« taten das v. a. die Europäer.100 Die Industrielle Revolution veränderte vom 19. Jh. an mit dem hohen Verbrauch an Kohle, maschinell gewonnener Energie und insbesondere der Beschleunigung sowie Verbilligung des Verkehrs zu Wasser und zu Lande nicht nur das Alltagsleben der Menschen, sondern auch die Handlungsbedingungen aller Mächte der jeweiligen Zeit.  97  98  99 100

Zeuske  : Handbuch. In Huf- und Silberschmiede sowie Roheisen- und Rohstahlmacher  : Quellenbuch 2.30. Goldstone  : Revolution. Pomeranz  : Divergence.

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Die erste »Revolution« der Frühen Neuzeit ist die agrarische, die durch die globale Verbreitung von – für die jeweilige Empfängerregion – neuen Kulturpflanzen, Intensivierung der Produktion, Erweiterung der Anbaufläche, Spezialisierung für Weinanbau oder Schafzucht und den Import von Zucker und Tabak gekennzeichnet ist, z. B. in China.101 Diese Veränderung wurde nicht von Latifundisten, sondern von »unabhängigen kleinen Besitzern« getragen.102 In den Kontexten von Landrechten in Europa brauchten diese Besitzer »den Staat«, das Parlament in London, einen absoluten Fürsten, um feudale Rechte am Land abzuwehren – Rechte der Gemeinden, der Familien oder des Fürsten –, um also den Landbesitz von einem feudal abhängigen zu einem Allod, einem freien Eigentum zu machen, das verkauft werden konnte.103 Die Veränderungen dauerten Jahrzehnte und Jahrhunderte, es ist daher missverständlich, sie »Revolution« zu nennen. Der Übergang zur Mehrfruchtwechselwirtschaft setzte einheitliche Besitzrechte voraus. Am Ende des 18. Jh. war die neue Wirtschaftsform jedoch europaweit verbreitet, und sie führte zu einem Anstieg der Ernten.104 Im Verlauf des 19. Jh. verdoppelten oder verdreifachten sich die Getreideernten in den meisten europäischen Staaten.105 Die zweite »Revolution« des 18. und 19. Jh.  – die »Industrielle Revolution« im engen Sinn – war gekennzeichnet durch den Einsatz alter Werkstoffe wie Eisen in neuen Mengen und mehr noch durch den Einsatz von maschinell hergestellter Energie.106 Die Beobachtung, dass zum Aufbau einer Produktionsstätte mehr Kapital und zu ihrem Betrieb mehr Arbeiter nötig waren als bis dahin auch für große Manufakturen, diente Karl Marx als Ausgangspunkt seiner kritischen Analyse der zeitgenössischen Produktionsweise. Obgleich gerade in England viele alte Gesellschaftsformen weiterbestanden – etwa die Monarchie, der Hochadel, die vielen Agrarproduzenten, die Gentlemen waren oder doch gern gewesen wären, die Fernhandelskompanien –, erlangten Industrieunternehmer und Kapitaleigner einen neuen Status von sozialer Macht, der sich eine organisierte Arbeiterschaft gegenüberstellte. Mit den wirtschaftlichen Revolutionen der Frühen Neuzeit, der globalen gewerblichen »Revolution des Fleißes« im 18. Jh. und der regional europäischen industriellen, 101 Ebda., S. 31–107. 102 Wallerstein  : World-System 1, S. 109. 103 Erich Landsteiner  : Agrarrevolution und industrielle Revolution  ; sowie Ernst Bruckmiller  : Eine grüne Revolution, in  : Cerman/Steffelbauer  : S. 173–226. 104 Wilhelm Abel  : Agrarkrisen und Agrarkonjunkturen, ³Hamburg 1978 (Parey), S. 196–219. 105 Bruckmüller  : Revolution, S. 218. 106 Pierenkemper  : Revolutionen  ; Wolfgang Kruse  : Industrialisierung, Revolution und bürgerliche Gesellschaft, in  : Feldbauer/Hausberger Bd. 7 (19. Jh.), S. 275–308  ; Gerd Hardach  : Wirtschaft, in  : Sieder/ Langthaler, S. 171–190. Zur ökologischen Bedeutung Nolte  : Weltgeschichte 2, S. 261–276  ; Fridolin Krausmann, Marina Fischer-Kowalski  : Gesellschaftliche Naturverhältnisse. Globale Transformation der Energie und Materialflüsse, in  : Sieder/Langthaler, S. 39–68.

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die in Zusammenführung asiatischer und europäischer Entwicklungen entstand,107 veränderte sich das Verhältnis von Land und Stadt grundlegend. Der Wert der in Städten (und industriellen Siedlungen) produzierten gewerblichen Güter überstieg jenen von landwirtschaftlich hergestellten Waren schnell und um ein Vielfaches, und bald lebten auch mehr Menschen in den Städten als auf dem Land. Englands Führungsrolle in dieser gewandelten Gesellschaft beruhte nicht zuletzt darauf, dass das Königreich durch die nationale Integration von vielen Besitzenden im Parlament Mittel und Wege fand, die neue Wertschöpfung steuerlich zu erfassen. Die finanzielle Kapazität des Staates bildete die Grundlage seiner militärischen Erfolge. Mit der Union mit Schottland wurde England Teil Großbritanniens und begann die Reihe der »Groß-Länder«, in der später »Groß-Deutschland« folgte. Der indische Kaisertitel 1876 bildete nur noch einen Schmuckstein am Gewölbe  ; mehr als Empress of India blieb Victoria stets Queen of Great Britain. Als grobe Einordnung zur Kennzeichnung der sozialökonomischen Strukturen wird hier108 vorgeschlagen  : patrimonial – klerikal – feudal – allodial – handelskapitalistisch – industriekapitalistisch – sozialistisch – postkapitalistisch. Viele bäuerliche Gesellschaften haben die patriarchalische Struktur der Höfe auf den »Landesvater« zu übertragen, der als Besitzer des ganzen Landes erschien, das nennen wir patrimonial. Bestimmen Tempel oder Kirche das politische Leben, sprechen wir von klerikal. Alimentiert der Fürst seine Krieger mit Einnahmen, die mit Abhängigkeit verbunden sind, nennen wir es feudal  ; ist der Besitz privat und frei, allodial. Bringt der Handel die höchsten Gewinne und politische Macht, bezeichnen wir das als handelskapitalistisch, ist die industrielle Produktion bestimmend, industriekapitalistisch. Wird in gemeinsamer Entscheidung von Arbeitern oder einer Bürokratie produziert, ist von sozialistisch die Rede.109 Ob es eine postkapitalistische Gesellschaft gibt (und was das bedeuten würde110), muss in diesem Kontext nicht diskutiert werden. Religionen und Ideologien Religionen gehören zu den wichtigen welthistorischen Verbindungswegen und Entwicklungseinflüssen.111 In welcher Form welche Religionen von Imperien und Königreichen zu nachträglicher Legitimation, aber oft auch für vorangehende Begründung in Anspruch genommen werden, muss für jedes Imperium und jede Dynastie einzeln 107 Andrea Komlosy  : Chinesische Seide, indische Kalikos, Maschinengarn aus Manchester, in  : Grandner/ Komlosy S. 103 – 134. 108 Vgl. aber z. B. Lekon  : Periphery. 109 Vgl. zur Vielfalt des Konzeptes aber die Beiträge in Becker/Weissenbacher. 110 Elsenhans  : Saving Capitalism. 111 Nolte  : Religions = PEWS 4.

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untersucht werden. Häufig wird mit der Religion auch eine Wechselbeziehung, eine transnationale Verflechtung angesprochen, zumindest, wenn es sich um Weltreligionen handelt. Die klassische These von Karl Jaspers, dass die meisten Weltreligionen in der »Achsenzeit« entstanden sind,112 kann man als bedeutende Zeitenwende akzeptieren, weltweite Ausbreitung findet sich vom ersten Jahrhundert nach Christi an.113 Aber ein Imperium kann auch aus einem partikularen Glauben, z. B. einem Schamanismus, begründet werden. Wichtig ist, dass mit der Religion zumindest moralische, oft auch rechtliche Kontrollmechanismen verbunden sind. Die Katholische Kirche hat selbst Kaiser wegen Abweichungen von der moralischen Norm vor ihr geistliches Gericht gezogen, und sowohl Islam als auch Christentum kennen die Verurteilung eines Herrschers wegen Häresie. In muslimischen Reichen bildeten die führenden Geistlichen mit der Ulema eine Beratungsinstitution, welche der Fürst in Betracht ziehen musste  ; in christlichen Reichen kam entweder Papst bzw. Patriarch oder Konzil eine ähnliche Funktion zu. Die politische Unabhängigkeit des Papstes wurde in den Ostkirchen als Versuchung durch Macht verstanden – Kaiser und Patriarch sollten in »Symphonie« die Kirche führen und nicht in einem Streit zwischen »zwei Schwertern«. Unter Ideologie wird ein Gedankengebäude verstanden, dass innerweltlich angelegt ist und sich weder auf Offenbarung noch auf Erleuchtung beruft, sondern auf Rationalität oder auch auf antirationalen, aber nicht auf Transzendenz abhebenden Egoismus. Ideologien sind, von der Religion her besehen, Säkularisierungen  : Überführungen von Ewigem, von aeterna, in den Bereich des Zeitlichen, der saecula. Säkularisierungen haben die gesamte Geschichte des Christentums als Staatsreligion begleitet.114 Dabei ging es am Anfang häufig um Vermögenswerte  – die Kirchen wurden  – meist durch Spenden – sehr reich und ihnen gehörten in manchen Ländern bis zu einem Drittel des Bodens, sodass es in einer landwirtschaftlich geprägten Periode schwierig wurde, Herrschaft zu implementieren, weil der König oder Kaiser seine Leute (an erster Stelle seine Ritter bzw. Soldaten) nicht in ausreichender Zahl alimentieren konnte. Es wurden also immer wieder Kirchengüter eingezogen – von protestantischen, aber auch von katholischen Fürsten. Säkularisierung ging aber über Vermögenstransfer hinaus – religiöse Symbole wurden zu säkularen, aus dem Licht Christi wurde das Licht der Aufklärung, aus dem Heiligen Römischen Reich das Deutsche Reich. 112 Jaspers  : Ursprung, S. 58–61, S. 37. 113 MacGregor  : Objekte, S. 317–351. 114 H.-H. Nolte  : Säkularisationen und Säkularisierungen, in  : Asli Vatansever, Christian Lekon (Hg.)  : Islam und Säkularisierung, ZWG 16.1 (2015), S. 11–34.

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Außenbeziehungen Die Rolle von Fernbeziehungen für Gesellschaft und Politik ist, z. B. im Handel mit Flintsteinen, seit der Steinzeit belegt  ; Vater und Sohn McNeill rechnen im »Nil-IndusKorridor« seit dem 3. Jt. vor Christus mit interaktiven Kulturen. Diese Kulturen blieben von da an in Kontakt und bildeten das »Old World Web«.115 Unterhalb dieses Netzes entwickelten sich durch Religion, Kultur und/oder intensiveren Handel geprägte »Weltregionen«.116 Kontinente sind eher irreführende Raumbegriffe,117 abgesehen vielleicht von Europa.118 Religion ist präziser als etwa der Begriff Kultur, aber Religionen sind häufig global und taugen wenig für regionale Unterteilungen. Weltregionen werden manchmal zu Imperien zusammengefasst oder aus Imperien werden Weltregionen, innerhalb derer kulturpolitische Akteure eine »kosmopolitische Transkulturation« vorantreiben, die sie bei Bedrohungen auch verteidigen.119 Auch bäuerliches Leben war durch Fernbeziehungen mitgeprägt. Die einzelne Familie brauchte Salz, Eisen für einige Werkzeuge und von Zeit zu Zeit frisches Saatgut und neue Tiere, um Inzucht zu vermeiden. Auch die Heiraten führten über den Hof hinaus. Man bedurfte der Dienste eines Schmieds für gewisse Feinheiten, musste Keramik kaufen. Die bäuerliche Familie brauchte auch Religion. Schamanismus mochte aus lokalen Traditionen stammen, auch Heilerinnen und Hexen.120 Wo Christentum oder Islam eingeführt wurden, förderte man Bezüge über große Entfernungen. Beide Religionen stammen, wie die Urform des Ackerbaus, aus Westasien. Sie brachten nicht nur Heiligungen und Einteilungen des Lebens, des Jahres und der Woche mit, sondern auch Institutionen wie einen eigenen, verheirateten priesterlichen Stand, Zentralverwaltungen und Schriftlichkeit sowie Hochschulen. Nicht zuletzt transportierten die großen Religionen viele Geschichten aus anderen Räumen, welche die Welt und Gott erklärten, etwa den Sintflut-Mythos, der schon im Gilgamesch-Epos zu finden ist und durch das Christentum in viele Ecken der Welt transportiert wurde. Ähnlich brachte die buddhistische Mission ihre Schriften nach China und Japan, die hinduistische die ihren nach Sumatra und wurde Kungfutse nach Vietnam verbreitet.

115 McNeill/McNeill, S. 41–81. 116 Komlosy  : Globalgeschichte, S. 166–187. 117 Martin W. Lewis, Kären E. Wigen  : The Myths of Continents, Berkeley 1997 (California UP). 118 Ertl/Komlosy. 119 Sheldon Pollock  : Cosmopolitanism, Vernacularism and Premodernity, in  : Moyn/Sartori, S.  59–80  ; vgl. Ulrike Schmieder, Michael Zeuske (Hg.)  : Transkulturation ZWG 8.2 (2007). 120 Gemeint sind Frauen, die selber glauben, dass sie magische Praktiken beherrschen und denen diese Fähigkeit auch von ihrer Umgebung zugeschrieben wird.

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Die am leichtesten nachprüfbaren Fernbeziehungen sind jene des Fernhandels, der für alle Perioden belegt ist.121 Sassanidische Seide aus dem 7. Jh. findet sich in Tokyo genauso wie in Köln – letztere aus dem Grab Bischof Kuniberts, erstere aus dem Besitz des japanischen Kaisers. Zugegeben, der chinesische Kaiser hatte das Geschenk aus Persien für die Japaner nachweben lassen (ob die es gemerkt haben  ?).122 Oft war es Handel mit Luxusgütern, denn schwere Massenfrachten wie Getreide, Holz oder auch Mühlsteine waren nur mit großen Kosten über Land zu transportieren. Unmöglich war es nicht  : Gilgamesch holte Holz aus dem Libanon und die Mogulhauptstadt Agra wurde durch die Herden bepackter Büffel versorgt, welche eine eigene Kaste aus Bengalen nach Norden trieb. Aber Rom und Konstantinopel bezogen ihr Getreide über das Mittelmeer und der Norden Chinas über den Kaiserkanal. Dieser Fernhandel, der bestimmte Wege über Land oder Routen auf See benötigte, war für die Herren leicht zu kontrollieren, weil sie hier sozusagen punktuell Zölle und Abgaben erheben und damit einen Teil des Mehrwerts an sich bringen konnten. Herren waren hier Handelsstädte wie Venedig oder Genua, Königreiche wie Portugal, das seinen Indienhandel lange aus den Abgaben der nichteuropäischen Händler im Indischen Ozean finanzierte, oder Imperien wie das Mongolische beziehungsweise das Osmanische. Allerdings setzten die Zölle als (militärische und politische) Leistung voraus, dass die Wege und Routen freigehalten wurden – gegen wirtschaftliche und militärisch kompetente Konkurrenten oder andere Herren, die ihren Anteil am Transit forderten, wie die Teilhorden der Mongolen und der (turksprachigen) Tataren gegen den Großchan im 14. Jh. oder die Dänen mit dem Sundzoll. Schweden hat im 17. Jh. mit der Errichtung des »Dominium maris Baltici« seine zusätzlichen Zölle auf die Exporte der Anrainer der Ostsee gelegt. Und natürlich funktionierte Macht und Gewinnmaximierung auch durch rohe Gewalt, z. B. den Ausschluss Antwerpens vom Welthandel durch die holländische Besetzung Nordflanderns und die Sperrung der Schelde. Zölle auf Fernhandel bildeten für viele Imperien eine wesentliche und oft entscheidende Ressource. Noch das Deutsche Reich von 1871 sollte sich weithin aus Zolleinnahmen finanzieren, da es gegenüber den Bundesstaaten gerade im Steuerrecht eben schwach war (auch wenn die Kaiser das mit Pomp und Hermannsdenkmal zu übertünchen suchten). Formen von Politik Sowohl Nomaden als auch Sesshafte organisierten sich über die Familie hinaus in Klientelverbänden, die Hierarchie von Angesicht zu Angesicht ordneten und Autorität 121 Für die Perioden nach 1400 Pomeranz/Topik. 122 Haussig  : Seidenstraße 2, S.  98. Übrigens ist durchaus möglich, dass auch die Seide für Kunibert in Konstantinopel nachgewebt worden war, vgl. MacGregor  : Objekte, S. 353–389.

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durch »Gaben« anerkannten.123 Das Prinzip der Klientele von »Verwandten und Freunden« ist eine Universalie, es kommt immer wieder vor – ob in einer Religion, einem Imperium, einer Partei oder einem modernen Konzern. »In der Frühen Neuzeit sind Klientelverbindungen in praktisch allen europäischen soziopolitischen Einheiten zu finden.«124 Dass heute Klientelverbindungen eine große Rolle spielen, lässt sich nicht nur für Russland leicht zeigen. Vereinigen sich – ob aus eigener Zustimmung oder Zwang – mehrere Klientele, kann man vor der Staatenbildung von »Stämmen« reden. Fürst und Gefolgschaft, Monarch und Adel, Kaiser und Teilkönigreiche verfolgten sowohl verschiedene als auch gleiche Interessen. Verschiedene, weil sie jeder einen möglichst großen Anteil an Naturalabgaben, »Zins« von Arbeitszeit und Zöllen, von Mehrprodukt und Mehrwert, haben wollten. Gleiche, weil sie alle auf die Sicherheit und Stabilität des Gemeinwesens achten mussten. Sicher konnte man Kriege gegen aufsässige Bauern und widerspenstige Städter führen, aber die Kosten waren hoch und oft waren Zugeständnisse nötig. Und Feinde gab es immer und in allen Perioden. Die Bauern in Osteuropa125 mussten z. B. bis ins 18., die Bauern im subsaharischen Afrika zwischen den arabischen Imperien und westeuropäischen Handelsgesellschaften bis ins 19. Jh. hinein fürchten, von Sklavenjägern gefasst oder von den eigenen Herren an diese verkauft zu werden.126 Feinde der Imperien waren die »Barbaren«, die Goten und Hunnen, die Tataren und Türken, deren Anstürmen Königreiche und Imperien immer wieder erlagen. Aber es gab auch Kämpfe mit Nachbarn ähnlicher Kultur  – Donatisten gegen Arianer, Sunniten gegen Schiiten, Katholiken gegen Protestanten, Gelbmützen gegen Rotmützen, Wahabiten gegen Anhänger des Adat. Oder die Konkurrenten waren einfach andere Staaten – im tatarischen System des 14. Jahrhunderts der vier »Zaren« (wie die Moskauer sie nannten) in Kasan, Astrachan, auf der Krim und in Sibirien andere Khane  ; oder im Konzert der christlichen Mächte andere Könige. Die Vorstellung, Annexion eines Landes und Vernichtung seiner politischen Struktur sei alleinstellend für das 20. Jh., geht an der Realität der früheren Jahrhunderte vorbei – so wurde allein im 17. Jh. der katholische irische Adel von den Briten und der protestantische tschechische Adel von den Habsburgern vertrieben und – was vielleicht wichtiger war – enteignet. Der polnische Adel wurde von den ukrainischen Kosaken in den Westen gejagt und die Juden wurden ermordet.127 123 124 125 126 127

Eisenstadt  : Patronage  ; Nolte  : Patronage, S. 1–17 (Übersicht zur damaligen Forschung). Hillard von Thiessen  : Klientel, in  : EdN 6 (2007), Spalte 784  ; Reinhard  : Freunde. Goehrke  : Alltag 1, S. 33–244  ; Witzenrath  : Slavery. Zeuske  : Handbuch. Vgl. Parker : Crisis.

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Ordnung des Landes und Schutz vor Feinden, das waren Grundaufgaben der Politik. Hinzu kam schon lange Wirtschaftsförderung, z. B. in China.128 Wirtschaftsförderung als Staatszweck wurde allgemein von der Frühen Neuzeit an forciert – England sicherte sich im Frieden von Utrecht das Privileg, Sklaven in den spanischen Kolonien verkaufen zu dürfen  ; Peter I. plante, Russland durch die Übernahme westeuropäischer Institutionen zur Großmacht zu machen, und Alexander Hamilton plädierte dafür, die »jungen Industrien« der USA durch hohe Zölle vor der britischen Konkurrenz zu sichern.129 Imperien konnten im Rahmen solcher Wirtschaftspolitik den Vorteil größerer Märkte bieten. Die territoriale Größe und die Herrschaft über mehrere Königreiche brachte jedoch noch einen weiteren Konfliktbereich  : In allen Staaten gab und gibt es vielfältige Probleme zwischen Zentren und inneren Peripherien.130 In Imperien können solche Probleme aufgrund der territorialen Ausdehnung und der kulturellen Vielfalt besondere Bedeutung erlangen. Sie bilden übrigens auch eines der Grundprobleme in Unionen, etwa der EU.131 Das leitet zum nächsten politischen Problem über  : Zumindest vor der Medien- und Kommunikationsrevolution am Ende des 20. Jh. behinderte imperiale Ausdehnung stets Personen, die in den Provinzen lebten, bei Partizipation an Politik. Imperien konnten gut lokale oder regionale, auch religiöse Autonomien gewähren, solange Grundleistungen für das Imperium gewährleistet blieben. Ein Beispiel bietet das Einsammeln der Raya-Steuern durch die religiösen Millets im Osmanischen Reich. Aber Mitbestimmung an den zentralen politischen Entscheidungen konnten Imperien nur schlecht gewähren. Trotz ihrer Bemühungen um ein fortschrittliches Image bei der westeuropäischen Intelligenzia setzte Katharina II. von Russland folglich bei ihrem (dann doch nicht realisierten) Entwurf für eine Verfassung des Imperiums 1767 von vornherein fest  : »Ein weitläufiges Reich setzet eine souveräne Gewalt in derjenigen Person voraus, die dasselbe regieret. Die Geschwindigkeit der Entscheidungen muss, da die Sachen von weit her kommen, die aus der Entfernung der Orte entstehende Langwierigkeit aufheben […].«132 128 Angela Schottenhammmer  : Die Song-Dynastie, in  : Feldbauer/Hausberger Bd. 1, S. 38–47. 129 Vgl. allgemein Findlay/O’Rourke  ; zu nachholender Entwicklung Komlosy  : Nachholen. 130 H.-H. Nolte  : Comparing internal peripheries  : a plea for non-linear research, in  : Etemad/Batou, S. 75–83  ; ders.: Von Andalusien bis Tatarstan. Innere Peripherien der Frühen Neuzeit im Vergleich, in  : Boškovska-Leimgruber  : Frühe Neuzeit, S. 127–143  ; ders.: A chain of Internal Peripheries along the old Muslim-Christian Borders, in  : Peter Herrmann, Arno Tausch (Hg.)  : Dar al Islam, The Mediterranean, the World System and the Wider Europe, New York 2005 (Nova Science), S. 21–35. 131 H.-H. Nolte  : Zentrum und Peripherie in Europa aus historischer Perspektive, in  : APUZ 63.6 (4. Februar 2013), S. 36–41. 132 »Nakaz« für eine Verfassung 1767  ; Quellenbuch, S. 138. Sprachlich modernisiert.

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Sind Imperien besonders abweisend gegenüber einer Teilnahme anderer, etwa des Adels oder des besitzenden Bürgertums (geschweige denn der »einfachen« Bürger und der Frauen), an den politischen Entscheidungen  ? Neigen sie zur Tyrannis  ? So besagte jedenfalls der Vorwurf aller Feinde, von Jeremias und Brutus bis zur Amerikanischen Revolution 1776  : Die Geschichte des gegenwärtigen Königs von Groß Britannien ist eine von wiederholtem Unrecht und von Usurpationen, die alle das unmittelbar Ziel haben  : diese Staaten der absoluten Tyrannei zu unterwerfen.133

Die wohl älteste Form imperialer Legitimation stammt aus den Religionen. Die Nähe des Herrschers zu Gott, gar sein göttlicher oder doch heiliger Charakter unterscheidet den Imperator aber nicht von einem König – wie bei den Merowingern hing die Fruchtbarkeit des Landes in China vom König bzw. Kaiser ab. »Allzeit Mehrer des Reichs« von Gottes Gnaden klingt wie eine etwas umständliche Übersetzung von »divus Augustus«. Aber noch jeder deutsche protestantische Fürst im 18. Jh. ist summepiscopus in rebus externis, und das Bündnis zwischen Thron und Altar dauert an – bei den Verlierern des Ersten Weltkriegs bis 1918 und bei den Siegern gegebenenfalls noch heute  : Die Königin von England lässt den Titel F(idei) D(efensor), den der Papst König Heinrich VIII. verliehen hatte (bevor der König sich vom Vatikan abwandte), noch heute auf ihre Münzen prägen. Und, um das vorweg zu nehmen, die USA setzen das »in God we trust« auf jeden Dollar. Freilich spielt oft auch die Geschichte ihre Rolle  : Rom stellte das Vorbild für das Heilige Römische Reich, und es wurden mehrere renovationes imperii in Szene gesetzt. Rom wurde von Ostrom fortgesetzt, auch Konstantinopel hielt an alten Grenzen fest und versuchte, das Römische Imperium zu erneuern, nicht nur unter Justinian, und bestand ja bis 1453 fort. Rom war weiter das Vorbild für die Rum-Seldschuken, und auch im Moskauer Russland sah man auf Rom.134 Zeitweise war für Moskau die Geschichte der Kiewer Rus’ prägend, die man als »Vatererbe« der Dynastie der Rurikiden verstand. Britische Rassisten wie Dilke bezogen sich für ihr globales Angelsachsentum auf Alfred den Großen, und das »Deutsche Reich« von 1933 glaubte sogar, an eine germanische Vorzeit anknüpfen zu können. Zu den klassischen Legitimationen gehört der Kampf mit äußeren Feinden, gegen die verschiedene kleinere Reiche zusammengefasst werden sollen  : der Kampf Chinas gegen nomadische Angriffe aus dem Westen, der Kampf Russlands gegen nomadische Angriffe 133 The unanimous declaration of the thirteen united States of America, in  : Muzzey  : USA, S. i–iii, hier S. i. 134 Vgl. unten S. 281 zum »3. Rom«.

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aus dem Osten, der Kampf Roms gegen die Germanen und der Ostroms gegen die Araber oder der des Heiligen Römischen Reichs gegen die heidnischen Ungarn. Ein halbes Jahrtausend später legitimierte der Kampf gegen die Osmanen aber auch das nunmehr christliche Königreich Ungarn und der Kampf gegen die Tataren die »Adelsrepublik« Polen. Trotzdem wurde Polen nicht zu einem Imperium,135 und Rest-Ungarn war nach der Niederlage 1526 auf die Unterstützung des Imperiums angewiesen – zu dessen Stabilisierung und Legitimierung vom 16. bis zum 18. Jh. die »Türkenkriege« ohne Frage beitrugen. Letztlich konnten nur Imperien wirklich lange Mauern gegen leicht bewegliche oder territorial umfassende, und in dem Sinn selbst imperiale Feinde errichten – von Rom bis China und von Russland bis zur österreichischen Militärgrenze. Ein ganz wichtiges Versprechen des Imperiums lautete Frieden. Auch darin unterscheidet es sich nicht grundsätzlich vom antiken Königreich oder modernen Nationalstaat, überhaupt jeder Gesellschaft, sei sie nun bewusst durch Konsens begründet oder transzendent unter Bezug auf einen Gott, Genius oder auch großem Eroberer zusammengeführt worden  : Die Menschen, die von Natur aus Freiheit und Herrschaft über andere lieben, führten die Selbstbeschränkung, unter der sie, wie wir wissen, in Staaten leben, letztlich allein mit dem Ziel und der Absicht ein, dadurch für ihre Selbsterhaltung zu sorgen und ein zufriedeneres Leben zu führen – das heißt, dem elenden Kriegszustand zu entkommen, der […] aus den natürlichen Leidenschaften der Menschen notwendig folgt, dann nämlich, wenn es keine sichtbare Gewalt gibt, die sie im Zaume zu halten und durch Furcht vor Strafe an die Erfüllung der Verträge und die Beachtung der natürlichen Gesetze zu binden vermag […].136

Auch wenn man Hobbes Pessimismus nicht zustimmt, wird man akzeptieren können, dass nicht nur die Sicherung des äußeren Friedens gegen »Barbaren« oder andere Reiche, sondern auch die des inneren Friedens zu den wichtigsten Aufgaben jeden Staates gehört und dass umgekehrt ein Staat, der den Bürgerkrieg nicht verhindern kann, seine Legitimation verliert. Spezifisch für ein Imperium ist offensichtlich, dass es den inneren Frieden in Bezug auf mehrere, unterschiedliche Reichsteile (»Königreiche«) sichern muss. Der imperiale Charakter kann Vorteile bieten – »der Kaiser« kann Mittel (im Fall eines Aufstands z. B. Truppen) aus anderen Reichsteilen einsetzen, um den Frieden zu sichern. Aber die Vielfalt kann auch nachteilig sein, weil die Entfernungen 135 Dariusz Adamczyk  : Polen – Litauen 1569–1660 oder  : Warum wird das Großreich kein Imperium  ?, in  : Nolte  : Imperien, S. 19–30. Vgl. Srodecki  : Bollwerk. 136 Thomas Hobbes  : Leviathan (1651), hg. v. Iring Fetscher, ü. (1966) Ausgabe Augsburg 1976 (Ullstein), S. 131.

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die Verwendung der Mittel einschränken, z. B. zusätzliche Transportkosten aufgebracht werden müssen. Erfolgreiche Aufstände sind an sich nicht häufig. Aber auch erfolglose Aufstände stellen die Kapazität des Imperiums infrage, den Frieden bewahren zu können, und damit eine seiner strukturellen Aufgaben. Was unterscheidet nun Königreiche von Imperien  ? So wie Imperien selbst Sammlungen von Königreichen unter einem Herrscher sind, so werden in imperialen Legitimationen religiöse, historische, säkulare und andere Konzepte gesammelt und unter einer Überschrift, einem kaiserlichen Kopf – oder sagen wir adäquater  : Haupt – zusammengefügt. Kaiser Otto III. sagte von sich selbst, er sei Römer, Sachse und Italiener.137 Der Mandschu-Kaiser von China war den Chinesen Sohn des Himmels, Großkhan den Mandschu und den Tibetern Bodhisvatta. Zar Aleksej trug nicht nur den Drachentöter, den Heiligen Georg, sondern auch das Wappen des Königreichs Kasan, nämlich den gekrönten Drachen selbst in seinem großen Siegel.138 Nicht nur Macht, auch Titel werden verfügbar. Zugleich wird die Identität des Kaisers selbst immer diffiziler, er verlässt die eindeutigeren Regeln »seiner« Gesellschaft und beginnt, sich an jene einer neuen Gesellschaft zu gewöhnen. Aber diese vermitteln oft nur wenig Bindung, und der Kaiser gehört auch nicht richtig dazu, sondern steht darüber. Das hat Folgen für die dritte Generation, auf die schon Ibn Khaldun hingewiesen hat.139 Es hat aber auch Folgen für die Untertanen  : Sie identifizieren sich gewiss mit der Kaiserin, die – das Baby auf dem Arm – vor sie hintritt, wie es Maria-Theresia tat, aber vielleicht nur auf die Art, die sie selbst vorführte – mit einer artifiziellen nationalen Identität, die zu begeisterten Zurufen, aber wenig zu realen langfristigen Zugeständnissen motivierte.

Kriterienkatalog

Alle anfangs zitierten vergleichenden Arbeiten über Imperien bieten Definitionen. Auf ihnen140 – besonders auf meinem früheren Definitionsvorschlag von 2008141 – baut die folgende Reihe von zwölf Kriterien auf, die ein Imperium auszeichnen (können) und es (vielleicht) von anderen Staatsformen unterscheiden. Die meisten dieser Kriterien treffen auf viele Staaten zu. Kein Kriterium ist für sich ein »Alleinstellungsmerkmal«, nicht einmal jenes, dass viele Königreiche zu einem Imperium zusammengefasst wurden  – viele Königreiche wie Spanien oder Polen haben 137 138 139 140 141

Herbers/Neuhaus, S. 63. P. P. Fon-Vinkler (Hg.)  : Gerby … Rossijskoj Imperii, S. Peterburg 1899, S. XI. Khaldun  : Muqadimma. Hinweisen möchte ich besonders auf Gehler/Rollinger 1, S. 3–32. Nolte  : Imperien, S. 5–18.

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sich als Zusammenfassung mehrerer Reiche verstanden. Es kommt also in jedem Fall darauf an, ob ein Großstaat sich als Imperium versteht. Was wollen die herrschenden Eliten  ? Was wollen andere Akteure im Reich  ? Diese Frage nach den quellenimmanenten Begriffen geht den Kriterien voran. Sie ist auch methodisch zentral, da sie zwingt, nach den handelnden Personen zu fragen, und nahelegt, die hegelsche Frage nach dem »Wesen« hinter den Erscheinungen nicht vorschnell zu beantworten, sondern in einem breiten Kontext von Kenntnissen und Kontrollen einzuordnen. Allerdings ist die quellenimmanente Begrifflichkeit nur sicher zu verwenden, solange man einen einzelnen Staat in einer Periode untersucht. Probleme entstehen im Vergleich, sowohl im räumlichen als auch in dem über mehrere Perioden hinweg. Wenn man Russland von dem Moment an als Imperium bezeichnet, in dem Peter I. den Titel Imperator annahm, oder das Heilige Römische Reich, solange es diesen Titel führte, China, solange seine Herrscher sich als Söhne des Himmels oberhalb aller Könige verstanden, und die mongolischen Imperien, soweit sie sich in die Tradition des Großkhans stellten, stimmt es mit den Quellen überein. Bestimmt man Russland ab Ivan IV. als Imperium, ergibt sich Frage, wie man Zar übersetzt.142 Wenn man den Begriff Imperium benutzt, um einfach eine große Macht oder ein großes Vermögen zu bezeichnen, dann umfasst das Bedeutungsfeld so unterschiedliche Objekte wie ein »Cattle Empire« im amerikanischen Westen und das Kaiserreich Äthiopien. Wenn man jeden Staat als Imperium bezeichnet, der mehrere Länder oder Königreiche umfasst, dann waren fast alle etwas erfolgreicheren Staaten Imperien. Im europäischen System herrschte der Typ des »zusammengesetzten Staates«143 sogar vor  : das Königreich Spanien = Kastilien + Navarra + Katalonien  ; die »Adelsrepublik« Königreich Polen = Polen + Litauen + Kurland (und bis 1657  : + das Herzogtum Preußen). Wir können dann auch von einem Oldenburger Imperium sprechen.144 Die Trennschärfe des Begriffs nimmt freilich entsprechend ab. Keinesfalls sind alle Länder sinnvoll als Imperien zu bezeichnen, die Kolonien besaßen. Die griechischen und phönizischen Städte der Antike unterhielten genauso Kolonien wie Brandenburg und Kurland oder Belgien im 19. und 20. Jh. Eine derartige Begriffsinflation macht einen Terminus für eine historisch-kritische Analyse, die sich um »Pünktlichkeit der Begriffe« bemüht, unbrauchbar. Aber damit sind wir schon bei der Geschichte der Gegner. Die Geschichte der Imperien kann nach der Gründung des europäischen Systems im 13. Jh.145 ohne Bezug auf 142 Vgl. das Lemma »Zar«, in  : EdN 15. 143 Hans-Jürgen Becker (Hg.)  : Zusammengesetzte Staatlichkeit in der Europäischen Verfassungsgeschichte, B 2006 (Duncker & Humblodt). 144 Uffe Østergård  : Nation-Building in the Oldenburg Empire, in  : Berger/Miller, S. 461–510. 145 Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 113–140.

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die abrahamitischen Religionen nicht erzählt werden. Der Aufstieg der Nationalstaaten aus der »Provinz Europa«146 zur Weltherrschaft ist immer wieder mit der Kritik an den Imperien, der »Hure Babylon«, verbunden. Der Widerstand ist aber nur der zweite Teil dieser Geschichte  ; der erste Teil ist die politische Zusammenfassung großer Weltregionen, die sich anfänglich oft für »die Welt« hielten, zu Imperien. In den Amerikas sind solche Imperien aufgrund der entwicklungstechnischen Unterlegenheit und den aus der jahrtausendelangen Isolation stammenden Immunitätsschwächen beim spanischen Angriff im 16. Jh. schnell zusammengebrochen147, in Asien und Afrika haben die Imperien und einige Königreiche eigene Entwicklungen durchsetzen können. Sie waren in der Lage, die britischen, russischen und französischen Angriffe auf Dauer ( Japan, China, Thailand, Persien, Türkei) oder doch bis ins 19. Jh. hinein (Sokoto, Äthiopien, Ägypten, Arabien, Pakistan, Birma, Aceh, Buchara, Chiwa, Kambodscha, Vietnam u. a.) abzuwehren. Sie bewahrten damit Voraussetzungen für den dritten Teil der Geschichte, den Wiederaufstieg Asiens, dem hoffentlich ein Wiederaufstieg Afrikas folgen wird. Kriterienkatalog

– Dynastie (monarchische Spitze) – Staatsreligion – Reichskultur – Bürokratie (geschriebene Reichssprache, andere Mittel zur Informationssicherung) – Adel oder andere Formen von alimentierter Elite – Zentral organisierte Armee (und/oder Marine) – Zentral erhobene Steuern und Abgaben – Vielfalt der Provinzen (auch der unterworfenen Königreiche)  ; Zentrum(Metropole)Peripherie-Gefälle – »Weiche« Grenzen, oft Grenzsäume – Dem starken Imperium entspricht ein schwacher Staat – Dauerhaftigkeit, Friede (»augusteische Schwelle«) – »Barbaren« vor den Toren, hinter den Mauern

146 Dipesh Chakrabarty  : Provincializing Europe  : Postcolonial Thought and Historical Difference, Princeton/NJ 2000 (Princeton UP)  ; Reprint 2008 mit neuem Vorwort  : Provincializing Europe in Global Times. Z. T. ü.: Ders.:   : Europa provinzialisieren. Postkolonialität und die Kritik der Geschichte, in  : Conrad/Randeria, S. 283–312. 147 Auch weil die Imperiumsbildung nicht abgeschlossen oder die Nachfolgeregelung nicht stabil war, sodass die Eroberer einheimische Bundesgenossen fanden, vgl. für das Aztekenreich Wolfgang Gabbert  : Warum Montezuma weinte, in  : Schmieder/Nolte, S. 29–47.

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Gegenbewegung

Kleine Gesellschaften, »Stämme«, Königreiche

Wie schon Aristoteles festgestellt hat, ist der Mensch ein »zoon politikon« – er kann nicht alleine leben, sondern ist auf Zusammenleben angewiesen. Auch Gesellschaften von Jägern und Sammlern lebten in Gruppen und übrigens, wenn die Gegenden besonders ergiebig waren, auch an festen Orten. Und sie wanderten in alle Kontinente der Welt.1 Wir wissen wenig darüber, z. B. trotz vieler Grabungen kaum, wie das minoische Reich funktionierte,2 fast gar nichts über jene recht große Stadt beim heutigen Posen/ Poznań in Polen, die wir nach einem nahen Dorf »Biskupin« nennen (550–400 vor unserer Zeitrechnung3), oder über ein Städtchen im Südwesten der heutigen USA, das nach einem grünen Tafelberg »Mesa Verde« genannt wird und das vom 11. bis zum 13. Jh. besiedelt war.4 Unsere Kenntnisse über jene (exogamen) Sippen, aus denen an einem der sibirischen Ströme wenig später ein »Stamm« wurde, sind ebenfalls sehr begrenzt.5 Die klassische Form der festen Siedlungen waren Dörfer, die das umliegende Land bebauten und verteidigten. Der Konflikt zwischen Wanderviehzucht und Ackerbau währte Jahrtausende. Kühe oder Ochsen halten sich nicht von selbst an die Grenzen von Feldern, und Bauern betrachten oft Land als »leer«, das in Wirklichkeit zum lange dauernden Weideumzug eines Stammes (oder zum Revier eines Jägervolks) gehört. Die Dörfer waren oft die erste »Welt« der Menschen, im Russischen heißen die Beratungsgremien und Institutionen – die Beratung der Höfe, die Wahl des Ältesten, die Verteilung von Gemeinschaftsaufgaben, die Verurteilung von Verbrechern – genauso wie die Welt – Mir. Insbesondere in Indien bilden die Dörfer bis ins 18. Jh. oft gut organisierte und auch verteidigte autonome Einheiten.6 Wenn mehrere Dörfer sich zusammenschließen – der klassische griechische Terminus dafür lautet Synoikismos –, kann eine neue gesellschaftliche Organisation entstehen, die 1 Chanda  : Bound Together, S. 1–33. 2 Jorgos Tzorakis  : Knossos, Athen 2014 (Verlag Esperos)  ; Nanno Marinatos  : Akrotiri, Athen 2015 (Militos). 3 Andrzej Artur Mroczek  : Wielkopolska, Warszawa 1994 (Medyk), S. 170 f.; Geoffrey Bibby  : Faustkeil und Bronzeschwert, Reinbek 1972 (Rowohlt), S. 307–334. 4 Diamond  : Collapse, S. 136–156. 5 Sadokhin/Grushevickaja  ; vgl. Käthe Uray-Kōhalmi  : Zentralasien. Endspiel der großen Steppenreiche, in  : Edelmayer/Feldbauer, S. 139–156. 6 Vgl. Klaus Schmidt  : Von den ersten Dörfern zu frühurbanen Strukturen, in  : Demel/Fried 1, S. 128–144 zu den Übergängen in Eurasiafrika.

Kleine Gesellschaften, »Stämme«, Gegenbewegung Königreiche  | 

»Stadt«.7 Oft ist sie dadurch definiert, dass eine gemeinsame Verteidigungsorganisation gebildet wird, ein Wall oder sogar eine Mauer  ; eine Stadt kann autonom sein, auch politisch selbstständig wie einige poleis in Griechenland in der Antike oder Hafenstädte, sogar in Frankreich wie Saint Malo 1590–1594 oder La Rochelle im 17. Jh. In größeren Städten sind sämtliche sozialen Gruppen vorhanden – städtische Aristokratie, Bauern, Priester, Clanchefs, Unfreie. Eine Stadt, in der alle Bürger frei sind, ist eine Entwicklung des deutschen Spätmittelalters und eine Ausnahme, die nicht taugt, um die Definition zu bestimmen. Sowohl im alten Athen als auch im frühneuzeitlichen London machten die stimmberechtigten Bürger nur einen kleinen Teil der Bevölkerung aus, Frauen und Unverheiratete, Besitzlose und Dienstboten den größeren. Und meist gab es Sklaven. Unter den Bürgern, selbst in den (von Fürsten »freien«) Reichsstädten des deutschen Mittelalters, waren die Rechte sehr unterschiedlich verteilt – nur wenige Geschlechter waren im Rat vertreten und nur selten wurden neue aufgenommen, aber alle Einwohner unterlagen seiner Rechtsprechung (die mit vielen Todesurteilen arbeitete). Grundlage der Bürgerschaft war der Bürgereid. Wurden mehrere Territorien zu einer Herrschaft zusammengefasst, kann man das als vormodernen Staat bezeichnen. Das konnten Khanate oder Königreiche sein, wie das »frühe« Rom, oder Adelsrepubliken, wie das »mittlere« Rom. Von der Organisationsform her überwog das Prinzip von Person zu Person. Es erklärt auch hier wenig, wenn man einen sehr engen Begriff von Staat bildet, der von vornherein viele Varianten ausschließt. Die Vielfalt der Formen muss deutlich werden,8 ohne andererseits zu vergessen, dass unser Begriff der Sache aus der europäischen Frühen Neuzeit stammt.

7 Henri Lefebvre  : Die Revolution der Städte (1970), ü. F 1990 (Hain)  ; Jacques Le Goff  ; Die Liebe zur Stadt, ü. F 1998 (beide zur europäischen Stadt)  ; Peter Feldbauer, Michael Mitterauer, Wolfgang Schwentker (Hg.)  : Die Vormoderne Stadt. Asien und Europa im Vergleich, M 2002 (Oldenbourg). 8 Einführend Wolfgang Reinhard zu dem Sammelband Reinhard  : Empires, S. 3–52  ; vgl. Reinhard  : Staatsgewalt  ; außerdem Diamond  : Guns, S. 265–291.

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2 Imperien als Zusammenfassungen einer Welt

Neuassyrisches Reich

Von Christiane Nolte Sanherib1, der große König, der mächtige König, König der Gesamtheit, König von Assyrien, König ohnegleichen, der (immerfort) betende Hirte, der die großen Götter fürchtet, der Schützer der Wahrheit, der die Gerechtigkeit liebt, Hilfe leistet, dem Krüppel Unterstützung gewährt und das Gute sucht, der vortreffliche Recke und männliche Held, der Erste unter allen Königen, der Reif, der die Widerspenstigen umspannt, derjenige, der die Feinde niederblitzt  – der große Berg Aššur2 hat mir eine Königsherrschaft ohnegleichen geschenkt und meinen Waffen mehr Gewalt verliehen als (den Waffen) aller (anderen), die auf Thronen sitzen.3

Dies ist die Titulatur des neuassyrischen Herrschers Sanherib, unter dessen Herrschaft – und der weiterer Mitglieder seiner Dynastie – der assyrische Staat über eine in Mesopotamien und ganz Westasien nie gekannte Machtfülle verfügte. Spätestens nach dem vierten oder fünften Feldzug nahm er des Weiteren noch den durch militärischen Erfolg verdienten Titel »König der vier Weltufer« an.4 Der offizielle Titel des römischen Kaisers Augustus Imperator Caesar Divi Filius Augustus mutet vergleichsweise bescheiden an, auch wenn der Herrscher noch zum pontifex maximus und pater patriae ernannt wurde. Es stellt sich weniger die Frage, ob das neuassyrische Reich tatsächlich ein Imperium war, als vielmehr, ob es sich möglicherweise um eines der ersten oder sogar um das erste in der Weltgeschichte überhaupt handelt.5 Es gilt also zu klären, ob man Beschreibungs1 Eigentlich Sîn-aḫḫē-erība = »der Gott Sîn ersetzte mir die Brüder«, die offenbar verstorben sind. In der Folge werden die aus der Bibel geläufigen Namen verwendet. 2 Bezeichnung für den Staatsgott der Assyrer. 3 Eckart Frahm  : Einleitung in die Sanherib-Inschriften, W 1997 (Archiv für Orientforschung, Beiheft 26), S. 57. 4 Ebda., S. 249. Kibrāt erbettim meint die Ränder der damals bekannten Welt  : »die vier Ufer des Ozeans, der nach mesopotamischer Vorstellung den Zentralkontinent der Erde umgab«. So Hannes D. Galter  : Sargon II. und die Eroberung der Welt, in  : Manfred Dietrich, Hans Neumann (Hg.)  : Krieg und Frieden im Alten Vorderasien. 52e Rencontre Assyriologique Internationale. International Congress of Assyriology and Near Eastern Archaeology Münster 17.–21. Juli 2006, AOAT 401, Münster 2014 (Ugarit), S. 330. 5 Die Meinungen in der Wissenschaft sind geteilt  : Liverani plädiert bereits im Titel seiner Veröffentli-

Imperien als Zusammenfassungen Neuassyrisches einerReich Welt  | 

kategorien, die anhand einer späteren Staatsform erarbeitet worden sind, sinnvoll auf eine frühere anwenden kann, d. h., ob Imperien schon vor der Existenz des sie heute bezeichnenden Begriffs möglich sind.6 Zeitleiste 2

934–827

Mitte 8. Jh.

744–705

6 7

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Wiedereroberung der vorher an die Aramäer verlorenen Gebiete unter Assurnaṣirpal II. (883–859) und seinem Sohn Salmanassar III. (858– 824)7  ; »Drang nach Westen«8  ; 864 Einweihung der neuen Residenz Kalḫu mit großem Bankett  ; 853 Schlacht von Qarqar  : Aufhalten der Assyrer durch eine Allianz westlicher Fürstentümer, darunter auch Israel und Damaskus neuer Tiefpunkt nach rund 80-jähriger innen- und außenpolitischer Krisenzeit9  : (teils blutige) Machtkämpfe innerhalb der königlichen Familie  ; schwere Epidemien Tiglatpileser III. (744–727)  : Beginn einer zweiten Eroberungsphase  ; 734– 732 Eroberung von Gaza und Damaskus sowie Teilen von Israel  ; 729 Einmarsch in Babylon, unter dem Namen Pulu babylonischer König in Personalunion

chung von Konferenzbeiträgen zum Thema für das ältere Akkad, Mario Liverani (Hg.)  : Akkad. The First World Empire. Structure, Ideology, Traditions, Padua 1993 (Herder). Für Neumann sind neben Akkad auch Ur III und der altbabylonische Staat unter Hammurapi Imperien. Auch wenn sie »nicht an die späteren vorderasiatischen Reiche des 1. Jahrtausends v. Chr. heranreichten, so bildeten sie dennoch eine notwendige historisch-soziale Voraussetzung für die weitere Ausformung imperialer Staatsgebilde im vorhellenistischen Vorderasien« (Hans Neumann  : Altorientalische »Imperien« des 3. und frühen 2. Jahrtausends v. Chr., in  : Gehler/Rollinger 1, S. 55). Für Fales ist das neuassyrische Reich das erste Imperium, Frederick Mario Fales  : Multilingualism on Multiple Media in the Neo-Assyrian Period  : a Review of the Evidence, SAAB XVI, Padua 2007 (Sargon), S. 96. Ich danke den Professoren Claus Ambos, Ariel M. Bagg und Johannes Renger sowie Anja Piller für hilfreiche Hinweise. Dass sich die Regierungszeiten überschneiden, erklärt sich möglicherweise damit, dass der Nachfolger idealiter vom Vorgänger in sein Amt eingewiesen wurde. Zu diesem Zweck wohnte er vor der Inthronisierung im »Nachfolgehaus«, einem eigenen Palast mit eigener Ökonomie. Kai Lämmerhirt  : Aufstieg und Fall des Neuassyrischen Reiches, in  : Demel/Fried Bd. 2  : Gustav Adolf Lehmann, Helwig Schmidt-Glintzer (Hg.)  : Antike Welten und neue Reiche, D 2009, S. 29–46, S. 32. Bagg konstatiert überhaupt einen »Drang nach Westen« in der neuassyrischen Expansionspolitik  – nicht aus religiösen, rassistischen oder Sicherheitsgründen  : »Die Levante war eine Schatzkammer, und das assyrische Reich hat sich ihrer in großem Maßstab bedient.« Ariel M. Bagg  : Die Assyrer und das Westland. Studien zur historischen Geographie und Herrschaftspraxis in der Levante im 1. Jt. v. u. Z., OLA 216, Leuven u.a. 2011 (Peeters), S. 129. Francis Joannès  : The Age of Empires. Mesopotamia in the First Millennium BC, Edinburgh 2004 (Edinburgh UP), original Französisch 2000, S. 34–37.

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704–627

Sargon II. (721–705)10  : Erfolge in allen vier Himmelsrichtungen  ; Zugriff auf die Schätze des Reichsgottes von Urartu  ; neue Residenz Dūr-Šarrukīn  ; unrühmlicher Tod Reifephase  : Sanherib (704–681)  : Ninive neuer Regierungssitz  ; Anerkennung der assyrischen Oberhoheit durch Juda  ; gewaltsamer Tod von Hand eines Sohnes Asarhaddon (680–669)  : 671 Eroberung Ägyptens (trotz schwerer Krankheit) Assurbanipal (668–627)  : letzte große militärische Erfolge (insbes. Sieg über König Teumman von Elam)  ; bitterer Bruderkrieg mit Babylon  ; Bibliothek des Assurbanipal

Arbeitsansätze

Quellenkunde und Historiografie Der Zugang zu und die Beschäftigung mit unseren wichtigsten Quellen ist noch verhältnismäßig jung. Während die Juden durch das Alte Testament die Erinnerung an Babylon und Assyrien über die Jahrhunderte hinweg quasi bruchlos lebendig hielten – sofern sie denn für die jüdische Geschichte relevant war –, richtete die europäische aufgeklärte Öffentlichkeit ihr Interesse an der ferneren Vergangenheit zunächst stärker auf das griechische und römische Altertum  ; erst ab Mitte des 19. Jh. rückte zunehmend der Alte Orient ins Blickfeld. Den ersten mesopotamischen Palast entdeckte der Franzose Paul Emile Botta  : die Residenz des neuassyrischen Königs Sargon II. in Dūr-Šarrukīn. Es folgten erfolgreiche Grabungen durch Engländer, Franzosen und Deutsche. Aufsehen erregte die Entdeckung großer Teile der oben erwähnten Bibliothek des Assurbanipal in Ninive, einer Sammlung von über 25.000 Tontafeln des assyrischen Staatsarchivs. Das Material ist vielfältig  : Ein großer Teil der Texte hat religiösen Charakter, es handelt sich um Beschwörungen, Omen, Rituale und Gebete. Es gibt Textzeugen aus Medizin, Mathematik, Philosophie, Rechtsprechung, Wirtschaft, Verwaltung, ferner Briefe, Lieder, lexikalische Listen und »Königsinschriften« sowie literarische Werke. Allerdings  : Nachdem man Keilschrifttafeln mit der biblischen Geschichte von der Sintflut entdeckt hatte – das Gilgamesch-Epos enthält eine Parallelerzählung –, begann eine wilde und häufig illegale Jagd auf die Tafeln.11 Sie sind zu Zehntausenden qua Schwarzhandel in europäischen und amerikanischen Museen gelandet und vielfach bis heute noch nicht entschlüsselt.12 10 Joannès, a.a.O., S. 38–41. 11 http://de.wikipedia.org/wiki/Ninive (eingesehen 19.7.16). 12 Joannès, a.a.O., S. 16–17.

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Die Analyse der Quellen ist allein sprachlich schwierig. Die meisten erhaltenen Textdokumente sind auf Sumerisch oder Akkadisch verfasst worden. Die in Südmesopotamien ansässigen Sumerer13 haben möglicherweise die älteste uns bekannte Schrift entwickelt  : die Keilschrift. Ihre Sprache, das Sumerische, ist mit keiner anderen bekannten verwandt und etwa von 3200 v. Chr.– 300 n. Chr. nachweisbar. Es wurde bis in das 19. Jh. gesprochen14, blieb dem Lateinischen vergleichbar als Kult-, Gelehrten- und Literatursprache lange lebendig. Die später eingewanderten semitischen Akkader brachten das Akkadische mit, das in Texten etwa ab 2500 nachgewiesen ist und sich rund 500 Jahre später in einen assyrischen und einen babylonischen Dialekt aufspaltete.15 Damit nicht genug, gewann zur Zeit des neuassyrischen Reichs das Aramäische verstärkt an Bedeutung, die Sprache einer halbnomadischen Ethnie, die den Assyrern mit ihren Angriffen zusetzte, sich aber auch mit der Bevölkerung vermischte. Zwar ist diese Sprache ebenfalls eine semitische, die Aramäer benutzten jedoch eine alphabetische Konsonantenschrift. Für die Entzifferer, Übersetzer und Interpreten neuassyrischer Quellen gilt es also, drei Sprachtypen mit ihren jeweiligen lokalen Dialekten und Varianten in verschiedenen Entwicklungsstufen zu beherrschen sowie mehr als zwei Schriftsysteme lesen zu können.16 Die Thematik ist vergleichsweise überschaubar  : – Königsinschriften, – Alltagsdokumente, – Texte der sumero-akkadischen Gelehrtentradition.17 Eine besondere Rolle spielen die Königsinschriften  : Sie berichten über die res gestae, d. h. die großen Taten der Herrscher. Das sind v. a. die Feldzüge, aber auch der Bau oder die Restaurierung von Tempeln und Palästen. Zweifellos sind diese Texte tendenziös, Niederlagen werden verschwiegen und Siege aufgebauscht oder, wie es der Assyriologe Frahm formuliert  : in dubio pro rege18. Die Berichte lassen sich meist dennoch realen historischen Ereignissen zuordnen, die auch aus anderen Quellen, v. a. Chroniken, Königslisten, Briefen und Urkunden oder auch aus dem Alten Testament bekannt sind. Allerdings ist die Quellenlage nicht für alle Herrscher und alle Zeitabschnitte gleich. 13 Ihre Herkunft ist bis heute umstritten. Vgl. Hrouda  : Mesopotamien, S. 20. 14 Anette Zgoll, Brit Kärger  : Einführung in das Sumerische und seine Texte. Scriptum in statu nascendi, S. 3. 15 Richard Caplice  : Introduction to Akkadian, Studia Pohl  : Series Mayor 9, Rom 42002 (Editrice pontificio istituto biblico), S. 3. 16 Das aramäische Alphabet hat 22 Zeichen, die Keilschrift weit über 600, wobei viele Zeichen sowohl als Logogramm wie auch als Silbenzeichen gelesen werden können. Natürlich veränderten sie sich im Lauf der Jahrhunderte bzw. Jahrtausende z.T. stark. 17 Fales, a.a.O., S. 96. 18 Frahm  : Sanherib, S. 4.

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Das geläufige Schema der Inschriften sieht wie folgt aus  : – Königsname, Titulatur, Legitimationspassus, Genealogie,19 – Kriegsbericht, – Baubericht, – Ansprache an spätere Herrscher, welche die Inschrift finden. Im Zentrum der Kriegsberichte stehen die eigene militärische Leistung, die möglichst üppige Beute und die Abschreckung potenzieller Angreifer mittels grausamer Strafen. Salmanassar III. berichtet beispielsweise nach der Eroberung von Aridu  : […] [I]n my accession year (and) in my first regnal year, after I nobly ascended the royal throne, I mustered my chariots and troops. I […] captured the city Aridu, the fortified city of Ninnu. I erected a tower of heads in front of the city. I burned ten cities in its environs. While I was residing in the same city, I received tribute of teams of horses […].20

Des Weiteren wiederholen sich seine Strafmaßnahmen  : Immer wieder häufte er die abgeschlagenen Köpfe aufeinander oder färbte mit dem Blut der Feinde die Berge rot.21 Auch die Beute war beeindruckend  : Nach dem Sieg über Gangara von Karkemiš zählte er neben großen Mengen an Edelmetall, Tieren, roter Wolle und Kleidung auch des Königs Tochter sowie 100 weitere adlige Töchter samt Mitgift auf.22 Die Könige ließen bezwungene Feinde auch pfählen oder häuten. Dennoch galten sie bei den Zeitgenossen – die offenbar ähnlich verfuhren – nicht als besonders grausam oder blutrünstig.23 Schriftträger der königlichen Texte waren v. a. Prismen und Zylinder aus Ton, Steintafeln, Ziegel und Stier- oder Löwenkolosse. Nicht alle Inschriften waren sichtbar  : Steintafeln und Ziegel als Weihgabe für Bauten waren häufig »verborgene«, d. h. in das Fundament eingemauerte Texte. Sie richteten sich explizit an spätere Generationen der Dynastie, die aufgefordert wurden, die Erinnerung an den früheren König in Ehren zu halten und etwa baufällig gewordene Teile zu erneuern, die Inschrift mit Öl zu salben und achtsam wieder zurückzulegen. Dies war eine Form der Unsterblichkeit, die sich die Herrscher nach dem Tode erhoffen konnten.

19 Wie bei Sanherib kann sie fehlen, wenn bei den Vorgängern hinsichtlich ihrer Legitimität Zweifel bestehen. 20 A. Kirk Grayson  : Assyrian Rulers of the First Millennium BC II (858–745 BC), RIMA 3, S. 8. 21 Ebda., S. 10. 22 Ebda., S. 18. 23 Fuchs  : Assyrer grausam, S. 2.

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Nichtbefolgen dieser Aufforderungen wurde darum häufig mit Flüchen (Unfruchtbarkeit, Zerfall des Reiches, ekelhaftem Ausschlag u. a.) belegt.24 Alltagsdokumente, insbesondere Briefe und Rechtsurkunden, geben Einblicke in das politische und private Leben der Neuassyrer. Es war offenbar »gewöhnlichen Bürgern« durchaus möglich, sich mit einem Problem direkt an den König zu wenden, etwa, wenn jemand sich von Beamten ungerechtfertigt behandelt fühlte25 oder die vom Palast geforderte »Arbeitssteuer« als Zumutung empfand. So beschwerten sich 17 Schmiede  : We have made and delivered 200 swords of iron, 100 purṭu – weapons of iron, 25 nails of iron […] (and) 200 pakkus of iron, but we cannot make another 200 pakkus of iron.26

Gern zitiert wird folgender Brief an den König, der die schlechte Löhnung der Schreiber moniert  : »Das Haus des Oberschreibers ist armselig. Nicht einmal ein Esel würde dort eintreten.«27 Das Problem bei der Auswertung der Briefe ist jedoch, dass sie meist nicht explizit datiert, die Absender und Empfänger nicht bekannt sind oder der Kontext unklar bleibt. Günstigenfalls lässt sich der Inhalt konkreten historischen Ereignissen, wie etwa einem im Text erwähnten Friedensvertrag oder einem Naturereignis zuordnen.28 Die dritte Gruppe, die Texte der sumero-akkadischen Gelehrtentradition, beinhalten literarische Werke, z. B. das bereits erwähnte Gilgamesch-Epos, sowie religiöse Schriften im weitesten Sinne, etwa bezüglich Orakelpraxis, Astrologie, Traumdeutung, Leberschau oder Ritualen. Zwar gilt die Quellenlage für die letzten 150 Jahre des Imperiums insgesamt als gut29, doch benutzten die neuassyrischen Schreiber zunehmend den vergänglichen und feuerempfindlichen Papyrus oder auch Pergament für ihre Texte  – Materialien, die sich besser für die aramäische Schrift eigneten als Ton und Stein. Königsinschriften wurden weiterhin auf den traditionellen Schriftträgern keilschriftlich in Sumerisch oder Akkadisch verfasst.30

24 Vgl. dazu Claus Ambos  : Mesopotamische Baurituale aus dem 1. Jahrtausend v. Chr., Dresden 2004 (Islet). 25 Mikko Luukko, Greta van Buylaere  : The Political Correspondence of Esarhaddon, SAA XVI, Helsinki 2002 (University Press), S. XV. 26 Luukko, a.a.O., S. 36. 27 Karin Radner  : Die neuassyrischen Privatrechtsurkunden als Quelle für Mensch und Umwelt, SAAS VI, Helsinki 1997, S. 84. 28 Luukko, a.a.O., S. XVII. 29 Fales, a.a.O., S. 96. 30 Fales, a.a.O., 97–98.

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Die Assyrer selbst nannten ihren Staat seit dem 14. Jh.31 unter Bezugnahme auf die Stadt und den Gott māt Aššur – Land von Aššur.32 In der Geschichtswissenschaft bezeichnet man allgemein als neuassyrisches Imperium das assyrische Reich vom Beginn des 9. Jh. bis zum Ende des 7. Jh.33 Ursprung des späteren assyrischen Imperiums war die Stadt Aššur, wahrscheinlich der alte Kultplatz eines Berggottes gleichen Namens, der im Laufe der Zeit zum Reichsgott avancierte. In dieser Funktion war die Gottheit selbst König der Stadt, die Stadtfürsten nur seine Stellvertreter vor Ort.34 Dass sich die Ansiedlung zu einer bedeutenden Handelsmetropole entwickelte, wissen wir dank eines Tontafelfundes Ende des 19. Jh. in Kültepe/Anatolien, dem antiken Kaniš. Hier florierte aufgrund seiner verkehrsgünstigen Lage schon im 20. Jh. eine Niederlassung assyrischer Kaufleute.35 Politische Erfolge wurden assyrischen Herrschern durch geschicktes Lavieren im Umgang mit dem innenpolitisch abgelenkten Mitanni, den starken Hethitern, Babylon und den ägyptischen Pharaonen zuteil. Mit Aššur-uballiṭ I. (1363–1328) hatten sie auch selbst den Titel »König« angenommen und gerierten sich als den Großmächten ebenbürtig. Eine Erweiterung des Herrschaftsgebiets war indessen noch nicht von Dauer. Die Quellen sind spärlich, aber sowohl innen- als auch außenpolitische Schwächen scheinen eine Art Machtvakuum geschaffen zu haben, das es den nomadischen und halbnomadischen Stämmen der Aramäer leicht machte, assyrisches Territorium zu infiltrieren und den Staat bis zum Beginn des 9. Jh. wieder auf sein Kerngebiet zwischen Aššur, Ninive 31 Wenn nichts anderes vermerkt ist, meinen die Jahresangaben immer »v. Chr.«. 32 Vgl. Karen Radner  : The Neo-Assyrian Empire, in  : Gehler/Rollinger 1, S. 101. 33 Einführungen in die neuassyrische Geschichte  : Eva Cancik-Kirschbaum  : Die Assyrer – Geschichte, Gesellschaft, Kultur, M 2003 (Beck)  ; Barthel Hrouda  : Mesopotamien. Die alten Kulturen zwischen Euphrat und Tigris, M 52008 (Beck)  ; Barthel Hrouda  : Der alte Orient. Geschichte und Kultur des alten Vorderasien, M 1991 (Bertelsmann)  ; Francis Joannès  : The Age of Empires. Mesopotamia in the First Millennium BC, Edinburgh 2004 (Edinburgh UP), original Französisch 2000  ; Kai Lämmerhirt  : Aufstieg und Fall des Neuassyrischen Reiches, in  : Demel/Fried Bd. 2  : Gustav Adolf Lehmann, Helwig SchmidtGlintzer (Hg.)  : Antike Welten und neue Reiche, D 2009, S. 29–46  ; Klaas R. Veenhof  : Geschichte des Alten Orients bis zur Zeit Alexanders, Grundrisse zum Alten Testament 11, Göttingen 2001 (Vandenhoek & Ruprecht)  ; Einzelaspekte  : Andreas Fuchs  : Waren die Assyrer grausam  ?, in  : Martin Zimmermann (Hg.)  : Extreme Formen von Gewalt in Bild und Text des Altertums, Münchner Studien zur Alten Welt 5, M 2009 (Herbert Utz), S. 65–119  ; Karen Radner  : Assyrische Handelspolitik. Die Symbiose mit unabhängigen Handelszentren und ihre Kontrolle durch Assyrien, in  : Robert Rollinger, Christoph Ulf (Hg.)  : Commerce and Monetary Systems in the Ancient World. Means of Transmission and Cultural Interaction. Melammu Symposia 5, Oriens et Occidens 6, S 2004 (Franz Steiner), S.  152–169  ; Claus Wilcke  : Vom göttlichen Wesen des Königtums und seinem Ursprung im Himmel, in  : Erkens  : Sakralität, S. 63–83. 34 Brigitte Groneberg  : Die Götter des Zweistromlandes, Düsseldorf u. a. 2004 (Artemis), S. 109. 35 Cancik-Kirschbaum, a.a.O., S. 31ff.

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Skythe

Gordion

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SPARTA

Karte 1: Neuassyrisches Reich

Ninive

M

ed

er

Assur

Elam

Tyros Sais

Jerusalem

Ägypten

Babylon

Susa

824 v. u. Z. 671 v. u. Z. Grenzen und Grenzsäume

500 km © Entwurf: Hans-Heinrich Nolte Kartographie: Florian Partl

und Arbela zu reduzieren.36 Assyrien reagierte auf diese Schmach mit Militarisierung37 und Expansion. Damit begann der Aufstieg des neuassyrischen Imperiums. Da unsere Kenntnisse über Assyrien trotz zahlreicher Fundstücke zu Alltagsgeschichte und Genderforschung großenteils auf den Königsinschriften, also den Berichten über Werke und Taten der königlichen Regenten, beruhen, seien einige für Expansion und Konsolidierung des Imperiums besonders herausragende »große Männer«38 genauer vorgestellt  : Assurnaṣirpal II. und sein Sohn Salmanassar III. werden häufig zusammen genannt, da Assyrien unter ihrer Regentschaft zur beherrschenden Macht in Westasien expandierte. In den alljährlichen, nicht selten sogar halbjährlichen Feldzügen gelang es ihnen nicht nur, die Aramäer zurückzuwerfen und deren Kleinstaaten teilweise dem assyrischen Reich einzugliedern – ihre Kampagnen zeugten von einem starken Eroberungsdrang in alle vier Himmelsrichtungen, wenn auch das Hauptinteresse Assurnaṣirpals II. dem Westen galt. Er überquerte mit seiner Armee den Euphrat und vollzog »die tradi36 »[…] at the beginning of the first millennium, [the Assyrian state] had been reduced to the original ›Assyrian triangle‹ between the towns of Niniveh, Arbela and Ashur.« Joannès, a.a.O., S. 10. 37 Joannès, a.a.O., S. 25. 38 Das sumerische Wort für König heißt lugal und bedeutet »großer Mann«.

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tionellen Pflichtübungen eines Herrschers«, seine Waffen im Mittelmeer zu waschen und Zedern im Amanusgebirge zu fällen.39 Aber erst seinem Sohn gelang die dauerhafte Eroberung des Euphratübergangs von Til Barsip, der Hauptstadt eines aramäischen Fürstentums, und damit die Sicherung des Zugangs nach Syrien. Damaskus konnte indessen seine Selbstständigkeit noch bis zur Eroberung durch Tiglatpileser III. 732 behaupten. Salmanassar III. ist insbesondere durch den Schwarzen Obelisken bekannt, der die Niederlage des israelischen Königs Jehu zeigt. Dieser hatte mit den Königen von Syrien und Palästina eine Allianz gegen Aššur geschmiedet, musste aber einsehen, dass das Bündnis keine Chance hatte. Er war darum Damaskus abtrünnig geworden und brachte dem Assyrer-König Geschenke. Ausgebremst wurde der Vormarsch erst von einer antiassyrischen Koalition in der Schlacht von Qarqar am Orontes (853).40 Das neue Machtbewusstsein fand Ausdruck in Assurnaṣirpals II. Verlegung der Hauptstadt von Aššur nach Kalḫu, der innerhalb von 15 Jahren neu errichteten Residenzstadt. Allerdings gab es auch geoklimatische Gründe  : So war die Wasserversorgung der alten, aber mit 70 Hektar kleinsten der assyrischen Hauptstädte ein Risikofaktor für die wachsende Metropole.41 Höhepunkt des gigantischen Bauunternehmens war der sogenannte Nord-West-Palast mit seinen Orthostatenreliefs. Berühmt ist die Einweihungsfeier, zu der rund 70.000 Gäste geladen waren, die zehn Tage lang – wie die sogenannte Bankett-Stele auflistet – mit »nicht weniger als 74 Arten an Fleisch, Getränken, Gebäck, Gemüse, Früchten und Nüssen«42 verköstigt wurden. Alle wurden zudem gewaschen und gesalbt.43 Gäste waren die Götter, die Bewohner der Stadt und des Palastes, weitere Assyrer und ausländische Gesandte. Dennoch blieb Aššur mit seinem Heiligtum das religiöse Zentrum des Landes. 39 Veenhof, a.a.O., S. 236. 40 Veenhof, a.a.O., S. 237. 41 Vgl. dazu Baggs Untersuchung der Wasserversorgung assyrischer Metropolen  ; zum Größenvergleich  : Sanherib erhöhte die Fläche der Stadt Ninive von ca. 130 auf über 750 Hektar (Ariel M. Bagg  : Wasser für die assyrischen Metropolen, in  : M. Fansa, K. Aydin (Hg.)  : Wasserwelten. Badekultur und Technik, Oldenburg 2010, S. 2, S. 6). 42 http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/propylaeumdok/1051/1/Fuchs_Neuassyrische_Festesfreuden_2010. pdf, S. 2 (eingesehen 9.8.15). 43 Ebda. S. 2  ; Fuchs kommt jedoch bei genauerer Betrachtung zu der Einsicht  : Was aber erhielt dann im Durchschnitt der einzelne Gast  ? Wir erinnern uns, dass Assurnaṣirpal insgesamt an die 70000 Gäste eingeladen hat, die er zehn Tage lang verköstigt haben will. Um in etwa zu berechnen, was pro Gast und Tag verzehrt werden konnte, müssen die Einzelposten also jeweils auf 700000 Portionen aufgeteilt werden. Da aber fällt das Ergebnis sowohl im Einzelnen wie auch insgesamt höchst ernüchternd aus, hätten sich doch 7000 Gäste einen Mastochsen, 50 Gäste ein Schaf und 700 Gäste einen einzelnen Fisch teilen müssen  ! (S. 3). Tatsächlich werden die Opfergaben für die Verpflegung der Götter und nicht die der Menschen aufgelistet. Deren Beköstigung dürfte zwar auch üppig gewesen sein, musste aber nicht der Nachwelt überliefert werden (S. 4–5)  ; vgl. auch Lämmerhirt, a.a.O., S. 34.

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Zeichen einer innerdynastischen Krise mit revoltierenden Städten und bürgerkriegs­ ähnlichen Zuständen manifestierten sich bereits unter Salmanassar III. Auslöser war möglicherweise seine aufwendige Finanzpolitik, so etwa auch neuerliche exorbitant teure Bauten.44 Erwähnt sei, dass in diese Zeit das Leben der Sammu-ramat, der unter dem griechischen Namen Semiramis bekannten Königin fällt. Als Schwiegertochter Salmanassars III. übte sie während der Minderjährigkeit ihres Sohnes politisch einen starken Einfluss aus. Nachdem es Tiglatpileser III. gelungen war, die Krise dank erfolgreicher Feldzüge gegen die Meder, Urartu, Babylonien, Syrien, Palästina und Damaskus sowie mit durchgreifenden Reformen des Militärs und der Verwaltung zu meistern, betrat nach dem schwachen Salmanassar V. Sargon II. als prägende Gestalt des Imperiums und Vater der sogenannten Dynastie der Sargoniden die politische Bühne. Schon sein Name spricht für sich  : Spielt er doch auf Sargon I. von Akkade an, den Begründer eines, wenn auch kurzlebigen Weltreichs. Die Deutung der altakkadischen Schreibweise Šarru-kēn ist umstritten  ; die denkbare Übersetzung »der König ist legitim« würde die Namenwahl verständlich machen, denn die Umstände der Thronbesteigung des ersten Sargon waren ziemlich dubios45  ; die Abstammung Sargons II. blieb allerdings ebenfalls im Dunkeln  : Möglicherweise war seine Mutter eine Sklavin seines Großvaters Tiglatpileser III. gewesen. Darauf spielt der Name jedoch nicht an, sondern die Schreibung lautete Šarru-kēn (»der König hat das Recht etabliert«)46. Sargon II. setzte die Erweiterung des Reichsterritoriums fort, wobei von besonderer Bedeutung die Eroberung Urartus war  : Mit dem Heiligtum des Staatsgottes Ḫaldi fielen auch dessen gewaltige Schätze in die Hände des assyrischen Königs und waren bei der Finanzierung des Baus einer – wieder einmal – neuen Hauptstadt, jetzt Dūr-Šarrukīn, »Sargons Burg«, von Nutzen. Die Beziehung zu Babylon hatte sich lange Zeit relativ friedlich gestaltet – auch dank geschickter Heiratspolitik. Der südliche Nachbar galt als Hort überlegener religiöser und kultureller Tradition, dem Achtung als einem ranggleichen Staat gezollt wurde. Schon Šamši-Adad V. (823–810) hatte jedoch eine härtere Gangart in der assyrischen Babylon-Politik eingeschlagen.47 Und nachdem Tiglatpileser III. qua Personalunion in

44 Cancik-Kirschbaum, a.a.O., S. 62. 45 Der Legende nach wurde Sargon I. als Säugling in einem Körbchen auf einem Fluss ausgesetzt – eine Parallele und nach Meinung vieler Forscher der Ursprung der Moses-Geschichte. 46 R1A 12, W. Sommerfeld zu Sargon I. S. 44–49, zu Sargon II. S. 51–61  ; es gab auch einen weniger bekannten Sargon I. von Assyrien im 20./19. Jh., ebda. C. Michel, S. 49–51. 47 Cancik-Kirschbaum, a.a.O., S. 62–63.

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die Innenpolitik des Nachbarstaates hineinregiert hatte,48 brachte Sargon II. Babylon nach mehreren Feldzügen in seine Gewalt.49 Die Tragik dieses Königs war sein Tod in der Schlacht, denn seine Leiche konnte nicht geborgen und folglich nicht rituell angemessen bestattet werden. Sein Sohn und Nachfolger Sanherib war so bestürzt, dass er die Götter befragte, welche Sünde seines Vaters Grund für dieses fatale Ende gewesen sei.50 Unter den letzten drei Sargoniden erlebte Assyrien seinen machtpolitischen Zenit. Sanherib verließ die Stadt seines Vaters und zog mit dem Hof nach Ninive – möglicherweise fürchtete er, dass Dūr-Šarrukīn mit einem Fluch belegt sei. Den schon vorhandenen Palast ließ er abreißen und eine noch prachtvollere neue Residenz bauen, den Süd-West-Palast. In Babylonien setzte er nach wieder aufflammenden Unruhen einen seiner Söhne als Regenten ein. Dieser wurde allerdings offenbar durch babylonischen Verrat ermordet, woraufhin Sanherib die Kultbilder des Staatsgottes Marduk und anderer Götter nach Assyrien verschleppte und Babylon verwüstete. In Palästina gelang es ihm indessen nicht, Jerusalem, die Hauptstadt des zusammen mit anderen Staaten der Levante revoltierenden Juda, zu erobern. Während die Bibel von einem Eingreifen des Engels des Herrn spricht, der 185.000 (!) Assyrer erschlug51, sieht die Forschung den unerwarteten Rückzug des Heeres eher als Folge einer (von Mäusen  ?) eingeschleppten Seuche, welche die Truppe sukzessive dezimierte.52 König Hiskia von Juda erkannte dennoch die assyrische Oberhoheit an und leistete reichen Tribut, denn er hatte verstanden, dass Assyrien auch nach einer erfolglosen Belagerung ein zu fürchtender Gegner blieb.53 Sanherib wurde im Kontext rivalisierender Interessen im Zuge der Suche nach einem Nachfolger von einem oder mehreren seiner Söhne ermordet. Asarhaddon war der Sohn von Sanheribs Lieblingsfrau Naqia. Ob sie ihn gegen seine älteren Brüder aus anderen Verbindungen als Thronfolger erfolgreich stützte, ist umstritten.54 Als König begann Asarhaddon mit dem Wiederaufbau Babylons und brachte 48 Ebda., S. 65. 49 Ebda., S. 72. 50 Veenhof, a.a.O., S. 259. 51 2. Kön. 19,35. 52 Antti Laato  : Assyrian Propaganda and the Falsification of History in the Royal Inscriptions of Sennacherib, in  : Vetus Testamentum 45, Fasc. 2, Leiden u.a. 1995 (Brill), S. 222  ; Herodot (II 141) spricht von einer Mäuseplage (ebda.). 53 Nach Frahm hat er sich mit den hohen Tributleistungen überhaupt den Abzug Sanheribs erkauft, Eckart Frahm  : Zerstörer, Bauherr, Reformer  : der assyrische König Sanherib, in  : Damals. Das Magazin für Geschichte und Kultur 10 (2003), S. 26. 54 Cancik-Kirschbaum, a.a.O., S. 81.

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die Götterbilder zurück. Seine Feldzüge drangen erfolgreich in den Lebensbereich der Meder ein, v. a. aber war die – wenn auch nur kurzzeitige – Eroberung von Teilen Ägyptens ein Höhepunkt seiner Eroberungszüge. Trotz einer schweren chronischen Krankheit55 war er doch einer der erfolgreichsten neuassyrischen Könige und Feldherren. Naqia, Gemahlin Sanheribs, Mutter Asarhaddons und Großmutter Assurbanipals, war die zweite starke Frau in der Geschichte des Imperiums. Es gelang ihr, nach Asarhaddons Tod einen neuerlichen Bruderkrieg zu verhindern  ; bis zur Sicherung der Thronfolge Assurbanipals übernahm sie die Regierungsgeschäfte. Unter diesem erreichte Assyrien mit der Einnahme von Memphis und Theben seine größte Ausdehnung, die allerdings 655 mit einer Rebellion der Ägypter schon wieder endete. Überhaupt begann es in den Grenzgebieten zu kriseln, noch aber konnte Assurbanipal durch sein politisches Geschick und seine guten Feldherren der Bedrohung durch die nomadisierenden Kimmerer, die Elamiter und wiederum Babylon Herr werden. Er war nicht nur ein erfolgreicher Eroberer und Kriegsherr, sondern auch stolz darauf, ein schriftkundiger Gelehrter zu sein. Sogar auf der Jagd hatte er stets Tafel und Schreibgriffel dabei56. Nicht zuletzt verdanken wir ihm die »Bibliothek des Assurbanipal«, eine wichtige Quelle der Assyriologie. Dennoch endete das Imperium wenige Jahre nach seinem Tod. Offenbar war der Höhepunkt der Machtentfaltung bereits der Anfang vom Ende. Das Schlüsselwort für die Erklärung des Zerfalls großer Imperien lautet imperiale Überdehnung57. Das ist zweifellos auch ein Faktor beim Untergang Assyriens gewesen. Das Reich betrieb eine aggressive Expansionspolitik, die v. a. mit Beute und Tributen aus den neu eroberten Gebieten finanziert wurde. Ähnlich wie im berüchtigten Geschäftsmodell des Schneeballsystems wurden immer mehr und immer weitere Feldzüge nötig, allein, um die Truppen zu ernähren  ; gleichzeitig waren die Provinzen so ausgeblutet, »dass keine beträchtliche Beute aus dem geschundenen Land herauszuholen war«58. Assyrien vermochte sich der heranrückenden Feinde nicht mehr zu erwehren. 614 nahmen die mit Babylon verbündeten Meder Aššur, 612 Ninive ein, 609 wurde das letzte assyrische Heer von den Babyloniern vernichtet.59 Soziale Einheiten und Ökonomie Grundlage der Wirtschaft waren Ackerbau und Viehzucht. Die Voraussetzungen waren günstig  : Assyrien liegt im sogenannten »Fruchtbaren Halbmond«, dem niederschlags55 Möglicherweise eine Art Rheuma oder Hauttuberkulose. 56 Hrouda  : Mesopotamien, S. 49. 57 Der Begriff wurde von Paul Kennedy geprägt  : Kennedy  : Rise and Fall. 58 Hrouda  : Mesopotamien, S. 50. 59 Ebda.

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reichen Winterregengebiet im Norden der Arabischen Halbinsel, möglicherweise dem Ursprungsgebiet der Neolithischen Revolution. Im südlichen Babylon wurden Getreide- und Obstanbau wegen der geringeren Niederschläge mit Hilfe eines Netzwerks von Kanälen und einer ausgeklügelten agronomischen Technik betrieben – was paradoxerweise vermutlich zu (noch) höheren Getreideerträgen als im klimatisch bevorteilten Assyrien führte. Teils sollen spektakuläre Werte bis zu 1  :24 erreicht worden sein.60 Für den Norden fehlen leider Quellen mit konkreten Zahlen, wie sie für Babylon vorliegen. Fest steht, dass die Regenfälle aufgrund starker Schwankungen trotz der Menge von 400–900 Millilitern für Ackerbau und Fruchtwirtschaft schwer kalkulierbar waren. Johannes Renger spricht von einem Wechsel von Trockenjahren, schwachen Jahren mit einem Durchschnitt von 1  : 4, 1  : 5 und anderen mit Ausnahmeerträgen von 1  : 10 bis 1  : 20.61 Insbesondere zur Versorgung der Hauptstädte legten darum die assyrischen Könige zusätzliche Bewässerungssysteme an,62 wie z.B. Sanherib das über 150 Kilometer lange Kanalsystem zur Wasserversorgung Ninives mit Tunneln, Aquädukten und Wehren.63 Sanherib kannte wohl auch schon die archimedische Schraube, möglicherweise hat er sie sogar erfunden.64 Die vorliegenden Daten, so unvollständig sie sind, lassen vermuten, dass Babylon etwas höhere Erträge als Assyrien erzielte.65 An Getreide angebaut wurde v. a. die salzresistente Gerste, da die künstliche Bewässerung zu einer allmählichen Versalzung des Bodens führte – ein Problem, das die Erträge beeinträchtigte. Weitere Nutzpflanzen waren Olive, Feige, Dattel und Granatapfel  ; es gehörte daher zu den gefürchteten Strafmaßnahmen eines Siegers, die Gärten des Unterlegenen zerstören zu lassen. Als Haustiere wurden Schafe und Ziegen gehalten, ferner Schweine und Rinder.66 Esel waren das gängige Transportmittel, die teuren Pferde stan60 From early in the 4th millennium onwards agriculture attained extraordinary accomplishments not by technological advances but by highly developed managerial means and agronomic skills and an intensive use of natural advantages and possibilities. Babylonian cereal agriculture was barley monoculture. Since no natural fertilizer (dung) was used the fertility of fields was maintained by a rigid fallow system. The hazards of salinization because of artificial irrigation were met by leaching and drainage. Unparalleled in antiquity is the high seed-yield ratio of 1  : 16 up to 1  : 24 and yields of ca. 750 kg/ha (classical Attica 1  :7  ; Apulia 1  : 10, medieval central Europe 1  : 3) […]. Johannes Renger  : Cereal Agriculture and Datepalm Cultivation, in  : Gwendolyn Leick (Hg.)  : The Babylonian World, London u.a. 2007 (Routledge), S. 191f. 61 Email von Prof. Johannes Renger vom 30.12.15. 62 Bagg  : Wasser, S. 1–2. 63 Ariel M. Bagg  : An den Wassern von Ninive – Sanheribs Wasserbauten für die assyrische Metropole, in  : Philipp von Zabern (Hg.)  : Antike Welt. Zeitschrift für Archäologie und Kulturgeschichte 2/2012, S. 29. 64 Frahm  : Sanherib, S. 12. 65 »Die geringere Ertragshöhe [in Assyrien] liegt auch darin begründet, dass die Aussaat mit Handwurf erfolgte, der Saatpflug, soweit wir wissen nicht zur Anwendung kam« (Email Renger). 66 Hrouda  : Mesopotamien, S. 61.

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den nur dem König und dem hohen Adel zu. Man benötigte sie zudem im Heer für die Streitwagen und später für die Kavallerie. Die kleinste Wirtschaftseinheit im Alten Orient war die Hausgemeinschaft, die Familie im weitesten Sinne mit Dienerschaft und Sklaven, an der Spitze das männliche Familienoberhaupt. Palast und Tempel als vergrößertem Abbild der Familie standen der König oder eine Gottheit vor.67 Idealtypisch war der Oikos (bītum) autark und verbrauchte nur, was er selbst produzierte, aber bis zur Zeit des neuassyrischen Reiches hatte eine zunehmende Differenzierung der Berufsbilder in Weiterverarbeitung und Verwaltung der Produktion stattgefunden. Im Allgemeinen wurden die Kenntnisse innerhalb der Familie weitergegeben bzw. die Ämter vererbt. Vielfach wurde im Auftrag des Königs oder der Priesterschaft gearbeitet. Anders als in Babylon dominierte in Assyrien der Palast und nicht der Tempel die Ökonomie. Die königliche Verwaltung stellte z. B. einer Gruppe Handwerker das Arbeitsmaterial zur Verfügung, das sie in einer bestimmten Zeit zu dem gewünschten Produkt zu verarbeiten hatte.68 Die Bezahlung geschah in Naturalien, gegebenenfalls gab es ein Stück Ackerland. Grundlage der Stärke der Palastwirtschaft (gegenüber der Institution Tempel) war »das Verfügungsrecht über eroberte Territorien und die während langer Phasen der assyrischen Geschichte in reicher Zahl eingehenden Tribute und Steuern«69. Die Quellen zu den Bodenbesitzverhältnissen sind lückenhaft.70 Offenbar gab es Land als Gemeinschaftsbesitz der Dörfer  ; ein großer Teil war Privatbesitz oder gehörte Palast bzw. Tempel  ;71 Mitglieder der königlichen Familie und Magnaten besaßen ausgedehnte Latifundien. Die Besitzer oder Pächter des Bodens – Großgrundbesitz wurde auch verpachtet  – mussten entweder Anteile der produzierten Naturalien als Steuer abgeben oder einen Arbeitsdienst leisten, von dem sie sich offenbar zunehmend freikaufen oder eine Ersatzperson stellen konnten.72 Die Situation der kleinen Landbesitzer und Pächter war heikel, denn das Risiko einer Missernte trugen in jedem Fall sie  : Die Abgaben waren unabhängig von höherer Gewalt wie Trockenheit, Unwetter oder Überschwemmungen zu leisten. Das führte nicht selten zu Verschuldung und Verlust des Landes oder gar zur Schuldversklavung. Im schlimmsten Fall fiel das Land an den 67 Cancik-Kirschbaum, a.a.O., S. 117. 68 Joannès, a.a.O., S. 63, siehe zu den Problemen S. 51 dieses Textes. 69 Hrouda  : Mesopotamien, S. 64. 70 Gerfried G. Müller  : Zur Entwicklung von Preisen und Wirtschaft in Assyrien im 7. Jh. v. Chr., in  : Hartmut Waetzoldt (Hg.)  : Von Sumer nach Ebla und zurück – Festschrift für Giovanni Pettinato zum 27. September 1999 gewidmet von Freunden, Kollegen und Schülern, Heidelberg 2004 (Heidelberger Orientverlag), S. 186. 71 Ebda. 72 Cancik-Kirschbaum, a.a.O., S. 118.

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adligen Großgrundbesitzer oder den Palast zurück, ein Trend, der sich ab ca. 1500 bemerkbar machte.73 Der Handel spielte ebenfalls eine wichtige Rolle für die neuassyrische Ökonomie. Schon früh war neben dem Tauschhandel im Alltag der Fernhandel – von Siebenbürgen bis zum Indus – v. a. für die Bedürfnisse der Oberschicht und der Armee von Bedeutung. Wie das rohstoffarme Mesopotamien überhaupt, musste auch Assyrien u. a. Bauholz, insbesondere Zedern aus dem Libanon, auch Edelmetalle, Edelsteine und Gewürze importieren.74 Gewinnträchtige Exportartikel waren in den Frauenhäusern des Palastes gewebte Stoffe und das vermutlich aus Zentralasien und Usbekistan eingeführte Zinn75, das man in Anatolien günstig gegen Gold und Silber eintauschen konnte. Bezahlt wurde mit abgewogenen Metallen, und nachdem Silber möglicherweise knapp wurde, zunehmend mit Zinn oder Blei. Dass der Fernhandel florierte, lag nicht zuletzt an der hervorragenden Infrastruktur, des eigentlich für die Armee sehr gut ausgebauten Straßennetzes, welches auch die königlichen Kuriere und Diplomaten zu schätzen wussten. Es nimmt nicht wunder, dass in einer so weit entwickelten Ökonomie auch Kreditverträge und verzinsliche wie zinslose Darlehen üblich waren. Zur Sicherung dienten Bürgen oder Pfänder wie Vieh und Immobilien. »Unterschrieben« wurde mit Rollsiegel, Fingernagel-Abdruck oder Eindruck des Rocksaums auf den noch weichen Ton.76 Auf Vertragsanfechtung standen schwere körperliche Strafen – nach Horst Klengel vermutlich zur Abschreckung.77 Die Bevölkerung war hierarchisch gegliedert  : Es gab den Adel, die freien Bürger, abhängige Arbeiter und Kleinbauern sowie Sklaven. Die Sklaverei spielte offenbar keine große Rolle, freie Bürger versklavten sich gegebenenfalls selbst, wenn Schulden anstanden.78 Ein Mann hatte auch das Recht, seine Frau oder seine Kinder zu verkaufen, wenngleich die Frau, insbesondere in der Oberschicht, eine gewisse Freiheit genoss. Sie konnte z. B. Geldgeschäfte abwickeln und Handel treiben.79 Die eigene Produktion reichte bald nicht mehr aus, um die Bedürfnisse von Palast und Tempel zu befriedigen  – wobei die Ansprüche des Hofs besonders ins Gewicht fielen, denn im Laufe des 1. Jt. hatten sich neben dem ursprünglich die Gesamtfami73 Hrouda  : Mesopotamien, S. 63–65, Cancik-Kirschbaum, a.a.O., S. 119. 74 Hrouda  : Mesopotamien, S. 67. 75 Radner  : Handelspolitik, S. 152–153  ; Cancik-Kirschbaum, a.a.O., S. 117  ; https://de.wikipedia.org/wiki/ Assyrisches_Reich#Wirtschaft (eingesehen 20.7.16). 76 http://www.mesopotamien.de/einfuehrung/fingernagel.htm (eingesehen 20.7.16). 77 Horst Klengel  : Kontinuität und Wandel. Die Gesellschaft des Assyrischen und des Neubabylonischen Reichs, in  : Die Zeit. Welt- und Kulturgeschichte. Epochen, Fakten, Hintergründe in 20 Bänden, Bd. 2, Frühe Kulturen in Asien, Hamburg 2006 (Bucerius), S. 203. 78 Müller, a.a.O., S. 189. 79 Klengel, a.a.O., S. 203.

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lie umfassenden Haushalt des Herrschers noch eigene Wirtschaftssysteme für den designierten Thronfolger (im sogenannten »Nachfolgehaus«), für die Königin und für die Königinmutter etabliert. Die Importe von Luxusgütern mussten finanziert oder die Güter anderweitig »erworben« werden. Insofern war eines der wichtigsten Ziele assyrischer Heerzüge, möglichst reiche Beute zu machen und Tribute zu sichern. Die Armee war zweifellos die Grundlage der assyrischen Macht – was dem Reich den schlechten Ruf verschafft hat, ein »antiker Hort des Militarismus« zu sein.80 Die negative Bewertung des Militärs ist allerdings ein Diskussionspunkt innerhalb der Assyriologie. Der Politologe Herfried Münkler meint in diesem Kontext  : »Das assyrische Beispiel ist paradigmatisch für die klassische Form der Imperiumsbildung, wenngleich später nur selten eine derart ausufernde Grausamkeit zur Absicherung der Tributtreue angewendet wurde […].«81 Anders Francis Joannès, der darauf verweist, »that wars in the Near East were fairly often marked by such practices«82. Selbst die Bibel spricht von einer gottgewollten Enthauptung der 70 Söhne Jehus, deren Köpfe in Körben aufgehäuft wurden.83 Unbestritten ist die ökonomische Zielsetzung der Feldzüge  : der Zugang zu den gewünschten Ressourcen.84 Um allerdings regelmäßige »freiwillige« Abgaben statt einmaliger Beute – etwa aus dem südlichen Anatolien Metalle, dem Libanon Zedernholz und dem Zagros-Gebirge Pferde  – zu sichern, ist die möglichst unmittelbar abschreckende Einschüchterung der anvisierten Gegner durch das Heer vonnöten. Tribute hätten dann eine Art Schutzgeldfunktion gehabt. Für Karen Radner stellten sie »sozusagen die Eintrittsgebühr in den assyrischen Markt dar«.85 Andere vermuten, dass die Assyrer schon früh die kriegerische Erweiterung ihres Reichs bis hin zur Weltherrschaft als göttlichen Auftrag Aššurs verstanden hätten.86 Ausschließen kann man nach Ariel Bagg religiöse oder rassistische Motive.87

80 Hrouda  : Mesopotamien, S. 45. 81 Münkler  : Imperien, S. 88–89. 82 Joannès, a.a.O., S.  51. Er weist ferner auf die Belagerungsmethoden hin, die nur eine (kurze) Attacke möglich machten, bei einem Fehlschlag nicht wiederholbar. Das Zurschaustellen von abgeschlagenen Köpfen sollte als Warnung im Vorfeld von zukünftigen Kämpfen abschrecken (ebda.). 83 2. Kön. 10,7–8. 84 Vgl. Marc van de Mieroop  : Die Reiche von Assyrien und Babylonien 900–539 v. Chr., in  : Thomas Harrison (Hg.)  : Imperien der Antike, Mainz 2010 (Philipp von Zabern), S. 84. 85 Radner  : Handelspolitik, S. 157. 86 So Galter, a.a.O., S. 329 unter Bezugnahme auf Hayim Tadmor  : World Dominion. The Expanding Horizon of the Assyrian Empire, in  : L. Milano, S. De Martino, F. M. Fales and G. B. Lanfranchi  : Landscapes  : Territories, Frontiers and Horizons in the Ancient Near East, History of the Ancient Near East Monographs III, Bd. 1, Padua 1999, S. 55–62. 87 Bagg  : Westland, S. 129 (s. o. Anm. 8, S. 47).

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Ursprünglich bestand das Heer aus den Teilen der Bevölkerung, die ihre jährliche Dienstverpflichtung, den ilku, ableisten mussten. Nach der Ernte wurden die Männer vom Land besitzenden Adel und der lokalen Verwaltung für die Sommerfeldzüge rekrutiert. Gegliedert war die Armee in Kontingente von zehn, 50 oder 100 Mann, die zu taktischen Einheiten von 1000 Mann zusammengefasst wurden.88 Tiglatpileser III. stellte in Anbetracht der sich erweiternden Grenzen schließlich ein stehendes Heer auf, das durch Aushebungen ergänzt wurde. Unter den Sargoniden wurden ferner Kontingente aus eroberten Gebieten oder Deportierten zusammengestellt,89 eine Art Fremdenlegion, die man bei Bedarf auch im eigenen Land einsetzen konnte. Der Erfolg des assyrischen Militärs lag jedoch vermutlich nicht an der Quantität der Soldaten, sondern an der Qualität der Waffen, der Flexibilität beim Einsatz von Mensch und Material sowie der Spezialisierung der Truppen,90 die z. B. für Bergland, ebenes Gelände oder die Belagerung von Städten ausgebildet waren. Eine wichtige Rolle spielte auch die Versorgungslogistik. John Marriott und Karen Radner stellen am Beispiel von Sargons II. Feldzug 714 dar, wie Sicherheit und Ernährung auch fernab von Assyrien gewährleistet wurden. Nach der Plünderung der feindlichen Tier- und Getreidevorräte kamen nämlich die verschiedenen nicht kämpfenden Fachleute zum Zuge  : u. a. Bäcker, Schlachter, Tierbetreuer und Opferschauer.91 Nicht zuletzt stellten die regelmäßigen jährlichen Feldzüge ein gutes Training dar. An der Spitze des Heeres stand der König selbst, assistiert vom Militärexperten, dem turtānu oder Oberbefehlshaber. Die Armee wurde auf ihren Kampagnen von den Symbolen der großen Kriegsgötter Aššur, Ištar und Ninurta begleitet, nachdem man zuvor das Orakel befragt hatte, ob dem Feldzug ein gutes Omen beschieden wäre.92

88 Jonnès, a.a.O., S. 54. 89 Radner  : The Assyrian Army, in  : http://www.ucl.ac.uk/sargon/essentials/soldiers/theassyrianarmy/ (eingesehen 29.8.2016)  ; Andreas Fuchs  : War das Neuassyrische Reich ein Militärstaat  ?, in  : B. Meißner, O. Schmitt, M. Sommer (Hg.)  : Krieg – Gesellschaft – Institutionen. Beiträge zu einer vergleichenden Kriegsgeschichte, B 2005 (Akademie), S. 52ff. 90 Hrouda  : Alter Orient, S. 134. 91 John Marriott, Karen Radner  : Sustaining the Assyrian Army among Friends and Enemies in 714 BCE, Journal of Cuneiform Studies 67 (2015), S. 135  ; die Autoren »suggest that the ratio of noncombatants might not have been far off two-thirds for a far-reaching campaign into enemy lands […]. In fact, we would argue that it was the support staff that formed the backbone of the army for such a campaign […]” (S. 136). 92 Joannès, a.a.O., S. 56f.

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Religionen und Ideologien Die altorientalische Literatur kennt drei Seinsweisen  : Mensch  – König  – Gott.93 Die Anfänge des Königtums liegen in einer mythischen Vorzeit, in der die Götter die Menschen erschufen und das Königtum vom Himmel herabkommen ließen.94 Das geschah laut sumerischer Quellen im frühen Mesopotamien konkret dadurch, dass ein Gott den König zeugte und eine Göttin ihn gebar und stillte. Der Herrscher war auch im 3. und beginnenden 2. Jt. göttlicher Natur, also tatsächlich selbst ein Gott. Bei Assyrern und Neuassyrern gestaltete sich die Beziehung distanzierter, der König wurde nur noch »wie« ein Kind geliebt. Er war nicht mehr Gott, sondern sein Stellvertreter und oberster Priester.95 Doch selbstverständlich hob er sich auch weiterhin von seinen gemeinen Untertanen ab. Moralisch, religiös, politisch und physisch musste er makellos sein.96 Er war ein frommer Fürst, ein tapferer Held, ein erfolgreicher Jäger und nicht zuletzt Vertreter von Zivilisation und Ordnung gegenüber dem Chaos und der Barbarei der »Fremdländer«97. Der Gott Aššur war bei der Investitur unabdingbar, weil nur er das Königtum verleihen konnte. Dies geschah, indem der Thronfolger im Aššur – Tempel mit seinen Insignien – Krone, Thron, Zepter, evtl. noch Waffen und Mantel – ausgestattet wurde.98 Nach der Inthronisierung war der König jetzt zum »Hüter der Weltordnung« geworden.99 Die Götter spielten im Leben der Neuassyrer eine wichtige Rolle. Es gab ein riesiges Pantheon regionaler und überregionaler Götter mit den unterschiedlichsten Aufgaben. Zwar war Aššur vom Stadtgott zum Reichsgott aufgestiegen, doch mussten auch die anderen für das Land bedeutsamen Gottheiten kultisch bedient werden – so Šamaš, der Sonnengott und Gott der Gerechtigkeit, oder Ištar, die Göttin der Liebe und des Krieges, und viele mehr. Dem König als gleichzeitig oberstem Aššur – Priester oblag die Verantwortung für den Unterhalt von dessen Tempel und Kult. Nach Stefan Maul ging es dabei zuvorderst um die Ernährung des Gottes  : »Täglich zweimal, morgens und abends, wurde den Göttern, im Rahmen eines umfangreichen Rituals, verbunden mit Gesängen und Gebeten, ein reichliches Mahl serviert […]. Ein nicht geringer Teil der Aktivitäten der Wirtschaftseinheit ›Tempel‹ floss so in die Ernährung der Götter«.100  93 Walther Sallaberger  : Den Göttern nahe – und fern den Menschen  ? Formen der Sakralität des altmesopotamischen Herrschers, in  : Erkens  : Sakralität, S. 87.  94 Wilcke  : Königtum, S. 66.  95 Sallaberger, a.a.O., S. 97.  96 Joannès, a.a.O., S. 80.  97 Joannès, a.a.O., S. 81.  98 Sallaberger, a.a.O., S. 87ff.  99 Stefan M. Maul  : Der assyrische König – Hüter der Weltordnung, in  : J. Assmann, B. Janowski, M. Welker (Hg.)  : Gerechtigkeit, Richten und Retten in der abendländischen Tradition und ihren altorientalischen Ursprüngen, M 1998 (Fink), S. 65–77. 100 Stefan M. Maul  : Den Gott ernähren. Überlegungen zum regelmäßigen Opfer in altorientalischen Tem-

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Aber die Götter waren auch Gebende, insbesondere als »Ansprechpartner«, wenn es um Zukunftsfragen wie den richtigen Zeitpunkt einer Kampagne und deren Erfolgschancen, die Auswahl des königlichen Nachfolgers, Krankheit und Tod wichtiger Personen oder einfach um den politischen Alltag mit seinen zu treffenden Entscheidungen ging. Hierfür dienten Opferschau, Ölorakel, Traumdeutung und andere divinatorische Praktiken, die nur auf den ersten Blick wie unsinniger Aberglaube anmuten. Die Opferschau war die wohl bekannteste Prognoseerstellung. Diese Technik zu praktizieren, erforderte ein jahrelanges, umfangreiches Studium, das hinsichtlich der Menge der zu lernenden körperlichen Details durchaus an das heutige Medizinstudium erinnert. Der gebildete König Assurbanipal hatte auch die Öldivination studiert und war stolz darauf, sogar die schwierigsten Omentexte selbst auslegen zu können.101 Die Vorstellungen, »das Orakel« sei stets so zweideutig, dass die Antwort immer richtig ausfiele oder die Experten stets eine in ihren Augen nützliche Empfehlung als den Willen Gottes verkauft hätten, stimmen so nicht. Die Opferschauer wurden nicht selten gar nicht über die Frage informiert, die beantwortet werden sollte. Es handelte sich zumeist um JaNein-Fragen. Im Allgemeinen wurde noch ein zweites Absicherungsorakel eingeholt – erst dann war ein Ja tatsächlich ein festes Jawort. Doch die Auslegung blieb offenbar auch bei einem festen Jawort schwierig und bedurfte der Kenntnis umfangreicher Beispieltexte.102 Die divinatorischen Praktiken wurden rund zwei Jahrtausende angewandt und überdauerten sogar die Keilschriftkulturen.103 Warum  ? Maul erläutert es so  : »Vorhersagen dieser Art sind keineswegs in der Lage, echte Einblicke in das Kommende zu eröffnen. Doch gleichwohl vermögen sie, einem diffusen Erwartungshorizont Struktur zu verleihen und eine amorphe Zukunft Gestalt annehmen zu lassen. Sie […] geben den Weg für zielorientiertes Planen frei«104 und sind damit ein möglicher Einstieg in »sachbezogene, umsichtige Entscheidungsfindung«105 in der Politik. Und er zitiert Cicero, einen eingefleischten Feind des Aberglaubens, der allen Vorbehalten zum Trotz empfahl, die Eingeweideschau und andere Wahrsagetechniken »um des Staates willen zu pflegen«106.

101 102 103 104 105 106

peln, in  : E. Stavrianopoulou, A. Michaels, Cl. Ambos (Hg.)  : Transformations in Sacrificial Practices. From Antiquity to Modern Times, Berlin 2008, S. 75f. Maul  : Wahrsagekunst, S. 170, Bezug auf Fußnote 58 (Volk 1996, S. 209 mit Anm. 183  : S. 15–16). Joannès, a.a.O., S. 84. Maul  : Wahrsagekunst, S. 316. Maul  : Wahrsagekunst, S. 317. Maul  : Wahrsagekunst, S. 323. Ebda., bezieht sich auf Cicero, De divinatione II, S. 28.

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Außenbeziehungen »Die« Außenbeziehungen des Neuassyrischen Reiches gibt es schon darum nicht, weil die Grenzen gewissermaßen mobil, nach jedem Großfeldzug oder auch nach einer schweren Niederlage nicht mehr dieselben waren wie vorher. Daraus erhellt, dass Kriege einen festen Bestandteil der Außenkontakte darstellten – zunächst in erster Linie als Beutezüge, später zunehmend mit wirtschaftlichem und politischem Weitblick  : Man bemühte sich, die lokale Elite einzubinden, die Ökonomie vor Ort wurde teilweise sogar gefördert.107 In diesem Kontext sei der Handel, insbesondere der Fernhandel als für die Neuassyrer bedeutsam herausgestellt  : Gut erreichbar war das erzreiche Anatolien mit eigenen Handelsniederlassungen und guten Beziehungen zu den anatolischen Herrschern.108 Auch die Frauen waren für Außenkontakte von Bedeutung  : Gern wurden die Töchter der Nachbarfürsten und -könige geheiratet, wodurch sie eine Art Geiselfunktion bekamen.109 Eigene Töchter in andere Reiche zu verheiraten signalisierte ein Freundschaftsangebot, sicherte aber auch eine nützliche Informationsquelle. Ferner übernahm der Sieger nach einer militärischen Niederlage ganze Harems, die Königin inklusive.110 Nicht unerwähnt bleiben sollen die Diplomaten des eigenen und der Nachbarländer, die nicht selten gleichzeitig als Spione fungierten. Auch die Vasallenkönige mussten regelmäßigen gesellschaftlichen Verkehr mit ihrem Oberherrn pflegen, wobei für beide Gruppen eine strenge hierarchische Ordnung eingehalten wurde  : Die wertgeschätztesten »Gäste« durften liegend essen wie der König, die 2. Klasse sitzend und die weniger Wichtigen stehend.111 Auch die Geschenke  – Kleider und Armschmuck  – hatten eine ähnliche Funktion. So durften sich die Babylonier meist über Goldarmreifen freuen, während die (sehr zahlreichen) medischen Fürsten mit Silber vorlieb nehmen mussten.112 Nicht zuletzt förderten auch die Götter Außenbeziehungen  : »Der Kult verdeutlichte die universale Macht des Gottes dadurch, daß diesem Opfergaben aus aller Herren Länder dargebracht wurden.«113 Formen von Politik Wie die meisten Staaten des Alten Orients war Assyrien eine Monarchie. Die neuassyrischen Herrscher von Adad-Nīrārī II. bis Assurbanipal gehörten mutmaßlich alle 107 Joannes, a.a.O. S. 721. 108 Vgl. dazu S. 60. 109 Vgl. S. 48, Beispiel Babylon. 110 Vgl. S. 50. 111 Fuchs  : Festesfreuden, S. 9. 112 Fuchs  : Festesfreuden, S. 9f. 113 Radner http://www.damals.de/de/16/Handel-im-Wandel.html  ?issue=151315&aid=151304&cp=1 &action=showDetails (eingesehen 18.2.17).

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einer Dynastie an. Allein bei Tiglatpileser bestehen vereinzelt Zweifel hinsichtlich des Vaters,114 bei Sargon II. ist eher die Mutter suspekt. Radner geht davon aus, dass dieselbe Dynastie über 700 Jahre lang herrschte,115 Fuchs hält sogar 1000 Jahre für möglich.116 Dabei war, wie Cancik-Kirschbaum meint, die Flexibilität der assyrischen Erbmonarchie eine ihrer Stärken. Innerhalb der Dynastie sind keine festgelegten Nachfolgeregeln wie etwa die Primogenitur bekannt. Nicht selten folgten einander mehrere Brüder auf den Thron, (manchmal auch nach Mord) oder es wurde eine entfernt verwandte Seitenlinie reaktiviert.117 Eunuchen an Schlüsselstellen zu positionieren, reduzierte die Gefahr des Erstarkens konkurrierender Seitenlinien. Tabelle 1: Die irdische Regierungsform – eine Projektion der göttlichen  ?118 šarrum König Oberster und Reichsgott Aššur sukallu Minister, Wesir Mondgott Sîn

ummânu Weiser, Gelehrter Gott der Weisheit Ea

sartinnu Oberster Richter Sonnengott Šamaš

masennu Kämmerer Schöpfergott Marduk rab ša-rēši Obereunuch Liebesgöttin Ištar

nāgir ekalli Palastherold Donnergott Adad

turtānu Oberbefehlshaber himmlischer Retter Nabû/­ Ninurta rab šāqê Obermundschenk Gott der physischen Kraft Nergal

Über die Regierungsform herrscht wieder Uneinigkeit in der Wissenschaft. Raija Mattila scheint die Theorie Simo Parpolas überzeugend  : Ihm zufolge war die irdische Regierungsform eine Projektion der göttlichen, der König dementsprechend der Reprä114 http://antikforever.com/Mesopotamie/Assyrie/teglath_phalasar_III.htm (eingesehen 24.7.16). 115 Karen Radner  : Abgaben an den König von Assyrien aus dem In- und Ausland, in  : H. Klinkott, S. Kubisch, R. Müller-Wollermann (Hg.)  : Geschenke und Steuern, Zölle und Tribute. Antike Abgabenformen in Anspruch und Wirklichkeit, Culture and History of the Ancient Near East 29, Leiden 2007 (Brill), S. 213. 116 Fuchs  : Militärstaat, unter Berufung auf Grayson (1980–1983) und Yamada (2003), S. 45. 117 Cancik-Kirschbaum, a.a.O., S. 54f. 118 Nach Simo Parpola, SAA 9, Helsinki 1997, S. xxif., vorgestellt in  : Raija Mattila  : The King’s Magnates – A Study of the Highest Officials of the Neo-Assyrian Empire, SAAS XI, Helsinki 2000, S. 7–8. Parpola sieht das Ganze wie einen menschlichen Körper und ordnet die Götter einzelnen Körperteilen zu, Ištar beispielsweise dem Herzen (ebda.).

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sentant des höchsten Gottes Aššur auf Erden. Er herrschte mit Hilfe eines aus Großen Männern gebildeten Staatsrates, so wie Gott das Universum mit seinem Hofstaat der Großen Götter regierte. Trotz der auf den ersten Blick informativen Berufsbezeichnungen ist die jeweilige genaue Rolle der einzelnen Amtsträger bis heute nicht ganz klar. Auch wenn der Oberbefehlshaber die leitende Funktion im Krieg innehatte, waren offenbar alle Spitzenbeamten militärisch, aber alle auch im zivilen Bereich aktiv. Die Aufgaben überschnitten sich häufig. Darüber hinaus war jeder der Großen Sieben Eigentümer einer Grenzprovinz und besaß zudem verstreute Lehen. Die großen Besitztümer der hohen Beamten des Zentralstaats beschnitten ganz erheblich die Macht und die territorialen Ambitionen der Provinzautoritäten und schützten zusätzlich die Grenzen.119 Häufig waren die Magnaten Mitglieder der königlichen Familie, doch auch Eunuchen sind – nicht nur als Obereunuch – in Spitzenämtern ausgewiesen.120 Das minderte deutlich die Gefahr familiärer Intrigen oder die Entstehung von Konkurrenzdynastien (s. o. S. 66). Alle Großen Männer verfügten zumindest über Basiskenntnisse im Lesen und Schreiben.121 Das Imperium war hochgradig zentralisiert und hierarchisch strukturiert. An der Spitze gab es eine Abstufung  : Nur der König und seine rechte Hand, der Gelehrte, konnten Entscheidungen treffen  ; die des Königs als eines autokratischen Herrschers waren im Zweifelsfall jedoch ausschlaggebend. Er repräsentierte Legislative und Judikative, die sieben Magnaten Exekutive und Militär.122 Die Assyrer hinterließen nicht nur detaillierte Kriegsberichte, sondern auch eine ausführliche Korrespondenz ihres Verwaltungsapparates, die wir dem hohen Niveau der Schriftlichkeit verdanken. So ist man recht gut über die Provinzadministration informiert  : Die Provinzen, die der Krone direkt unterstanden, wurden von Statthaltern in Stellvertretung des Königs verwaltet. Der Umgang mit den neu eroberten Gebieten konnte im Allgemeinen bis zu drei Stufen durchlaufen  : – Man ließ die lokalen Herrscher auf dem Thron, sofern sie pünktlich zahlten. – Man ernannte einen Marionettenkönig aus der lokalen Aristokratie. – Man erzwang Totalunterwerfung und sicherte die Kontrolle durch Reichsbeamte. Auslöser für das Greifen der jeweils nächsthöheren Stufe waren Rebellionen123 gegen die Vertreter oder Verbündeten des Imperiums. Eine weitere effektive Methode von Strafe 119 120 121 122 123

Mattila, a.a.O., S. 138ff. Ebda., S. 129ff. Ebda., S. 133f. Ebda., S. 8. Bagg (Westland, S. 296f.) bezieht sich auf das Donner’sche »Drei-Stufen-Modell«. H. Donner  : Neue Quellen zur Geschichte des Staates Moab in der zweiten Hälfte des 8. Jahrh. v. Chr., MIO 5, 1957,

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und Kontrolle waren die Deportationen. Verschleppt wurden entweder ausgewählte Bürger wie politische Führer oder Fachhandwerker, aber auch ganze Gemeinschaften von Männern, Frauen und Kindern. Sehr nützlich waren die Deportierten als billige (Zwangs-)Arbeiter bei den großen Bauprojekten und der Erschließung und Bebauung von Land. Umgekehrt konnten die frei gewordenen Gebiete neu besiedelt werden. Man schätzt, dass in drei Jahrhunderten ca. 4,5 Millionen Menschen umgesiedelt wurden,124 also eine starke Vermischung der Bevölkerung stattfand, die nationalen Aufständen weitgehend den Boden entzog.125 Die Deportationen, insbesondere aus dem Westen, führten zu der erwähnten Aramäisierung, die Verwaltung arbeitete allmählich bilin­g ual.126 Unter Tiglath-Pileser III. wurde das Provinzsystem reorganisiert und zentralisiert, indem Provinzen geteilt und häufiger Gouverneure aus dem Zentrum eingesetzt wurden. Das verhinderte ein gefährliches Erstarken großer Territorien127 und war für die betroffene Bevölkerung von Vorteil, da sie keiner anonymen und unüberschaubaren Bürokratie gegenüberstand. Die Steuerpflichtigen wurden z. B. in übersichtliche Gruppen à 50 eingeteilt, die jeweils einem bestimmten Beamten unterstanden. Grundsätzlich hatte der König Anrecht auf Steuerabgaben.128 Das waren nach den Quellen der letzten 150 Jahre des Reiches  : – die Steuer auf Grundbesitz – ursprünglich ein Frondienst, der durch gekaufte Stellvertreter oder später durch Geldleistungen abgegolten werden konnte (Höhe unbekannt), – auf Vieh (Höhe unbekannt), – auf Feldfrüchte wie Getreide, Obst, Wein (10 %), – auf Stroh, nötig für Lehmziegel und die Pferde der Kavallerie (25 %), – auf Import, Export, Transport (Höhe unbekannt).129 Weitere Einnahmequellen des Imperiums waren wie erwähnt die Tribute, die Beute und die allfälligen Geschenke im diplomatischen Verkehr. Hier waren jedoch auch Gegen S. 163–164. Er kritisiert jedoch die seines Erachtens irreführende Terminologie, die die Existenz eines Standardverfahrens suggeriere. Er schlägt eine Unterscheidung zwischen indirekter und direkter Herrschaft vor. 124 Van de Mieroop, a.a.O., S. 83. 125 Horst Klengel  : Auf dem Weg zum Großreich, in  : Die Zeit Weltgeschichte 1, S. 143f. 126 Mirko Novák  : Der späthethitische Kulturraum und Assyrien, in  : M. Novák, F. Prayon, A.-M. Wittke (Hg.)  : Die Außenwirkung des späthethitischen Kulturraums auf Assyrien, Urartu, Palästina und Ägypten. Akten der zweiten Forschungstagung des Graduiertenkollegs ›Anatolien und seine Nachbarn‹ der Universität Tübingen, AOAT 323, Münster 2004, S. 299. 127 Hrouda  : Alter Orient, S. 128. 128 Radner  : Privatrechtsurkunden, S. 199. 129 Radner  : Abgaben, S. 221ff.

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geschenke erforderlich. Dass die Herrschaft über ein so großes und auch heterogenes Reich funktionieren konnte, lag an dem ausgezeichneten Kommunikationssystem, das relativ schnell Informationen erhalten, weiterleiten und kontrollieren konnte. Wichtig waren die gut ausgebauten Straßen sowie ein Netzwerk von Spionen, Boten, Schreibern und Verwaltungsfachleuten. Eines der beeindruckendsten Zeitzeugnisse imperialer Selbstdarstellung ist Dūr-Šar­ rukīn, die Sargonsfestung, die Sargon II. innerhalb von sieben Jahren aus dem Nichts stampfen ließ. Seit Assurnaṣirpal war es zwar üblich, dass die Herrscher  – meist mit der Begründung, der alte sei baufällig – einen neuen Palast errichteten. Doch Sargon II. baute gleich eine neue Stadt.130 Es handelte sich eigentlich eher um eine Zitadelle auf einer Fläche von rund drei Quadratkilometern und Stadtmauern, die über acht Kilometer lang waren. Auf einer 15 Meter hohen Terrasse wurde der riesige Königspalast mit zahlreichen Repräsentations- und Wohnräumen, Tempelanlagen und Wirtschaftstrakten gebaut. Religiöses Zentrum war ein 42,6 Meter hoher Tempelturm oder Ziggurat131, ein assyrischer Turm zu Babel. In die Bauarbeiten waren auch die Provinzgouverneure involviert, so war z. B. die Stadtmauer in Abschnitte eingeteilt, für die je ein Statthalter verantwortlich war. Zur Finanzierung konnte Sargon auf die Beute des Feldzugs gegen Musasir und Urartu, zur Durchführung auf deportierte Zwangsarbeiter zurückgreifen. Manchmal allerdings wurden aufgrund seiner Ansprüche die Ressourcen knapp und er musste Händler und Finanziers um Hilfe bitten.132 Eindrucksvoll ist auch der in Ninive entdeckte »Süd-West-Palast«, den Sanherib erbaute, wohl auch weil er in Dūr-Šarrukīn, der Stadt seines unrühmlich gestorbenen Vaters, den Fluch der Totengeister fürchtete. Der Palast hatte einen Grundriss von 503 x 242 Metern und soll 45 Meter hoch gewesen sein. Erst ca. 120 von geschätzten 220 Räumen sind bis heute freigelegt. Man hat kalkuliert, dass die Steinreliefs des Palastes aneinandergereiht eine Länge von drei Kilometern ergeben.133 Der imperiale Anspruch des Reichs schlägt sich klar ersichtlich auch in der monumentalen Bauweise dieser Paläste nieder, wenn Thronsäle 500 Quadratmeter und selbst Badezimmer 25–50 Quadratmeter groß waren.134 Zur Bequemlichkeit der Bewohner gab es fahrbare Öfen, Kühlvorrichtungen und Badeanlagen.135 130 131 132 133

Joannès, S. 106. http://de.wikipedia.org/wiki/Dur_Šarrukin_(Assyrien) (eingesehen 25.9.14). Joannès, a.a.O., S. 107. http://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCd-West-Palast_des_Sanherib_in_Ninive, bezieht sich auf Scarre  : Die Siebzig Weltwunder, 2006, S. 159 (eingesehen 12.8.14). 134 David Kertai  : The Architecture of Late Assyrian Royal Palaces, Oxford 2015 (Oxford University Press), S. 8. 135 Hrouda  : Mesopotamien, S. 92f.

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Der Aufstieg Assyriens ging Hand in Hand mit einer beachtlichen Bildproduktion. Die Frage stellt sich, ob hier eigentlich Macht präsentiert oder Macht ausgeübt werden sollte. In unserer heutigen Gesellschaft wird manchmal die manipulative Wirkung der Bilder gefürchtet, der man sich kaum noch entziehen könne. Auch wenn es zur Wirkung neuassyrischer Kunstwerke die eine oder andere Parallele gibt, so ist doch der Einsatz entscheidend anders. Der zentrale Ort für Statuen, Malerei und Reliefs war das Innere des Palastes, eines durchaus exklusiven Ortes hoch oben über der Stadt. Das Personal war handverlesen  : die königliche Familie mit Dienerschaft, Handwerkern, hohen Beamten, Diplomaten und Tributbringern. Der Zugang wurde sehr streng geregelt.136 Das heißt, Bildwerke mit Darstellungen der Herrscher und ihrer großen Taten waren der Bevölkerung überhaupt nicht zugänglich, konnten also nicht propagandistischen oder identitätsstiftenden Charakters sein. Ausnahmen bildeten die Obelisken und vereinzelte Stadttore. Aber selbst in den eroberten Städten wurden die Siegesstelen nicht öffentlich aufgestellt, sondern fanden ihren Platz im Allerheiligsten des Tempels, der Cella, oder im Inneren des Palastes. Wer war dann der Adressat  ? Es waren die Götter und die königlichen Nachfahren, denn nur ihnen gegenüber war der Herrscher verantwortlich. Die Öffentlichkeit, das Volk, blieb marginal.137 Kriterienkatalog

1. Das Neuassyrische Imperium hatte eine monarchische Spitze und wurde von einer Königsfamilie regiert, die man seit Sargon II. »die Sargoniden« nennt. Betrachtet man die mittel- und die neuassyrische Zeit als Einheit, so hat diese Dynastie dank eines flexi136 Dominik Bonatz  : Bild, Macht und Raum im neuassyrischen Reich, in  : Gernot Wilhelm (Hg.)  : Organization, Representation, and Symbols of Power in the Ancient Near East – Proceedings of the 5th Rencontre Assyriologique Internationale at Würzburg 20–25 July 2008, Winona Lake 2012 (Eisenbrauns), S. 57. 137 Kertai, a.a.O., S. 5  : »Assyrian Palaces were inaccessible to the majority of Assyrians.” Sallaberger zitiert einige Hammurapi lobpreisende Epitheta auf dessen Gesetzesstele und fragt sich, »wie der Liebling der Götter oder ›der ungestüme Wildstier‹ […] von seinen Untertanen gesehen wurde« (Walther Sallaberger  : Das Ansehen eines altorientalischen Herrschers bei seinen Untertanen, in  : Wilhelm, a.a.O, S. 1). Stelen, Bau- und Weihinschriften waren ebenso wenig wie die Bilder argumentativ oder propagandistisch (ebda., S. 1f.). Auch diese Texte schließen »das Volk« aus. Er kommt zu dem Schluss, dass die Untertanen zufrieden – und gehorsam – waren, wenn der Herrscher für die Götter und für eine gerechte Verteilung der Ressourcen sorgte (ebda., S. 6ff.). Roman Herzog sagt es noch deutlicher  : »Die Hochkulturen des Altertums waren ausnahmslos Kulturen einer herrschenden Schicht, die in den großen Wirtschaftsorganisationen der Tempel, der Paläste und mitunter auch der großen Adels- und Bürgerhäuser entfaltet und weiterentwickelt wurden, an denen das Volk aber keinen Anteil hatte« [Staaten der Frühzeit. Ursprünge und Herrschaftsformen, M 21998 (Beck), S. 249].

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blen Erbfolgesystems und geschickter Strategien, um potenzielle Konkurrenten auszuschalten, möglicherweise rund 700 Jahre lang (oder länger) geherrscht (s. o. S. 66). 2. Aššur war der offizielle Identität stiftende Staatsgott innerhalb eines polytheistischen Pantheons. In seinem Namen führte der Herrscher Kriege und sorgte für seine üppige Beopferung im Tempel. Aššur war auch derjenige, der den König mit seiner Macht ausstattete, ihn zum »Hüter der Weltordnung« machte und als seinen obersten Priester einsetzte. Da die Mesopotamier und insofern auch die Assyrer Unglück und Leid stets als Folge einer Verfehlung betrachteten, hatten sie viele Regeln aufgestellt, um Wiedergutmachung zu erlangen.138 Das Orakelwesen sollte den Menschen helfen, die Erwartungen der Götter richtig und rechtzeitig zu erkennen. Der König hatte eine besondere Verantwortung, denn an seinem Wohlverhalten hing das Schicksal des ganzen Landes. Es bestand jedoch weder im Kernland noch in den annektierten oder den Vasallenstaaten ein Zwang, auf eigene – andere – Kulte zu verzichten. Die Existenz lokaler Gottheiten – wie Aššur selbst eine war – wurde traditionell für selbstverständlich erachtet. Das Pantheon war dabei durchaus flexibel  : Wenn die Bedeutung einer Stadt nachließ, verschmolz der Stadtgott ggf. mit einer neuen mächtigeren Gottheit.139 Das Imperium kann für unsere heutigen Vorstellungen als tolerant gelten. 3. Kultur ist laut Duden u. a. die »Gesamtheit der von einer bestimmten Gemeinschaft auf einem bestimmten Gebiet während einer bestimmten Epoche geschaffenen, charakteristischen geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen«.140 So definiert, war Kultur eine Frage der sozialen Stellung. Abhängige Arbeiter, Kleinbauern und Sklaven hatten im täglichen Überlebenskampf schwerlich Zeit zur Lektüre, die gestalterischen Kunstwerke waren ihnen nicht zugänglich. Nur die Elite hatte die Mittel und die Muße, Lesen und Schreiben zu lernen oder Schreiber zu beschäftigen. Die zahlreichen »klassischen« Epen (z. B. das Gilgamesch-, das Lugulbanda- oder das Atramḫasis-Epos) wurden in den Schreiberschulen tradiert und waren der gebildeten Schicht bekannt. Als »kulturelle Leistung« lässt sich auch der Einstieg in die Diskussion politischer Entscheidungen werten, wie er im Kontext von Orakelbefragungen von Stefan Maul gesehen wird  : Der in unserer eigenen Kultur gepflegte Mythos vom Ursprung der Demokratie in der griechischen Polis verstellt allzu leicht die Einsicht, daß eine Kultur des Aushandelns nicht zwangsläufig an die Agora […] und schon gar nicht an Aufklärung und Säkularisierung gebunden ist.141 138 Groneberg, a.a.O., S. 32. 139 Ebda., S. 36  : Sie verweist hier auch auf die Assyrer, die »am Ende ihres Reiches noch versuchten, ihrem Gott Assur die Maske des babylonischen Gottes Marduk überzustülpen«. 140 http://www.duden.de/rechtschreibung/Kultur (eingesehen 24.7.16). 141 Maul  : Wahrsagekunst, S. 323.

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Zu nennen sind auch die imperiale Architektur sowie die bildlichen Darstellungen, die in ihrer späten Phase schon Ansätze zu einer echten Perspektive aufweisen,142 ferner die Technologie der Bewässerungssysteme (s. o. S.  54), die Streitwagen und Waffen und nicht zuletzt die astronomischen Kenntnisse, die zwar eigentlich der Divination dienten, aber es bereits ermöglichten, Sonnenfinsternisse zeitlich richtig vorauszusehen.143 4. Die Erfindung von Schrift und Tontafeln ermöglichte schon früh eine langfristige Informationsspeicherung und damit die Bürokratie als Voraussetzung eines geordneten Staatswesens. Die größtenteils in den Staatsarchiven von Ninive gefundenen Textzeugen betrafen alle von Herzog für die Staaten des Altertums genannten Typen von Verwaltungsorganisation  : – allgemeine Verwaltung (u. a. Gerichtsbarkeit, Straßen- und Wasserbau, Steuerwesen), – Wirtschaftsverwaltung der Palast- und Tempelökonomien, – Haushalt des Königs und Hofämter, – Heer, – Priesterschaft.144 5. Die Aristokratie, die sogenannten »Großen Familien« stellten wichtige Beamte und Heerführer. Allerdings hatte der Adel »beachtliche Mitspracherechte« und  : »Nur besiegte Feinde mussten den König fußfällig verehren«.145 Der König bemühte sich, durch das Streuen von Landbesitz und das Übertragen von wichtigen Ämtern auf Eunuchen den Adel nicht zu mächtig und damit gefährlich werden zu lassen. Insgesamt weiß man jedoch sehr wenig über diese Elite, ihren sozialen Hintergrund und ihre Vernetzungen. »Die weltliche Oberschicht Assyriens hat sich nie als besondere Schicht oder als Stand definiert und sich erst recht nicht als Adel abgeschlossen. Sie zeichnete sich durch Königsnähe und die dadurch bedingte Gunst aus.«146 6. Spätestens seit Tiglatpileser III. wurden die bis dahin zwangsrekrutierten Truppen allmählich durch Berufssoldaten, also ein stehendes Heer, erweitert und weitenteils ersetzt. Die Armee war hoch spezialisiert und stand unter dem Kommando von Provinzgouverneuren, Magnaten und Eunuchen. Den Oberbefehl hatte der König, der mit den bewusst sehr heterogenen Truppen versuchte, seine Souveränität gegenüber de-

142 Hrouda  : Mesopotamien, S. 99. 143 Stefan  M. Maul  : Sonnenfinsternisse in Assyrien  : eine Bedrohung der Weltordnung, in  : H.  Köhler, H. Görgemanns, M. Baumbach (Hg.)  : »Stürmend auf finsterem Pfad …«. Ein Symposion zur Sonnenfinsternis in der Antike, Heidelberger Forschungen 33, Heidelberg 2000, S. 7. 144 Herzog, a.a.O., S. 253. 145 Hrouda  : Mesopotamien, S. 40. 146 Fuchs  : Militärstaat, S. 47.

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ren sonst »unbridled power vis-à-vis the king«147 zu schützen. Das Erfolgsgeheimnis bestand nach Andreas Fuchs »in der Verbindung von zahlenmäßiger Übermacht mit überlegener Kompetenz«148. 7. Die Einnahmen des Königs waren die Steuern, der Arbeitsdienst der einheimischen Bevölkerung, der Kriegsgefangenen und Deportierten sowie die Erträge des eigenen Grundbesitzes. Im Allgemeinen zogen die örtlichen Autoritäten die Abgaben ein und übergaben sie den Provinzgouverneuren. Diese leiteten sie dann an die Palastverwaltung weiter. Dazu kamen Beute, Tribute und mehr oder weniger freiwillige Geschenke. Joannès stellt heraus, dass die Ausbeutung der eroberten Länder sich im Laufe der Jahrhunderte stark veränderte  : Handelte es sich im 9. und 8. Jh. ihm zufolge um »systematic plunder, pure and simple«149, so versuchten die Sargoniden, das Tributsystem den Möglichkeiten der eroberten Provinzen anzupassen.150 8. Eine klare Differenz zwischen Zentrum und Peripherien ist schwierig auszumachen, zumal die eroberten Provinzen oft nicht dauerhaft assyrisch blieben. Es gab keine gezielte Politik, die zu einer »Assyrisierung« der neuen Territorien führen sollte  ;151 Sprache und Kultus konnten beibehalten werden. Die verschiedenen Ethnien wurden umgekehrt durch Deportationen bewusst vermischt. »Ein Äquivalent zum römischen Bürgerrecht gab es nicht und Assyrer zu sein definierte sich weniger durch Privilegien als durch Pflichten.«152 9. Die je veränderlichen Grenzen des immer stärker expandierenden Reiches dauerhaft zu schützen, war im Grunde nicht möglich. Eine Maßnahme zum Grenzschutz war die Übertragung von neuen Grenzprovinzen an die Magnaten, die dann für die Verteidigung (mit-)verantwortlich waren. Eine Rolle spielten die Grenzen bei der Annexionspolitik  : Man folgte der »Logik der territorialen Kontinuität, d. h., dass nur Provinzen errichtet wurden, deren Territorien an bereits existierende Provinzen angrenzten«153. Nach Fuchs konnte es für die Assyrer ohnehin keine Grenzen geben, denn ihre »Ideologie war ebenso unverschämt wie einfach. Ihr zufolge verliehen die Götter zusammen mit dem assyrischen Königtum auch die Herrschaft über die Welt.«154 10. Ein starkes Militär, gefüllte Schatzkammern, eine bunt durchmischte Bevölkerung und ein florierender Handel gewährten dem König eine beachtliche Machtfülle. 147 148 149 150 151 152 153 154

Radner  : Assyrian Army, S. 1. Fuchs  : Militärstaat, S. 41. Joannès, S. 70f. Joannès, S. 72. Bagg  : Westland, S. 287f. Fuchs  : Militärstaat, S. 44. Bagg  : Westland, S. 296. Fuchs  : Militärstaat, S. 38.

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Allerdings verzichtete der Staat darauf, in puncto Religion, Sprache oder kulturelle Traditionen Einfluss zu nehmen oder gar Zwang auszuüben. 11. Zu den Kriterien, die ein Imperium beschreiben, gehört auch eine längere Phase der Konsolidierung und des Friedens nach einer Phase der Eroberung, die sogenannte augusteische Schwelle. Ob das neuassyrische Reich sie überschritten hat, ist strittig. Für Herfried Münkler ist das Imperium aufgrund der für die Tributeintreibung erforderlichen Grausamkeit nicht dazu in der Lage gewesen,155 Ariel Bagg dagegen sieht die Schwelle erfolgreich überschritten dank des effektiven Verwaltungssystems, mit dem Teile der Eroberungen in das Reich integriert wurden156. 12. Selbst wenn der König, wie es die königlichen Annalen besagen, als »the representative of order and civilization in the face of chaos«157 betrachtet wurde, so erhob das Reich doch keinen zivilisatorischen Anspruch und war darum, wie Bagg formuliert, »ein Weltreich ohne Mission«158.

Rom

Vergil lässt Anchises, den sein Sohn Aeneas im Gefilde der Seligen im Hades besucht, seinen Nachfahren  – also den Römern  – die Weltherrschaft vorhersehen und vorhersagen  : Denke daran, dass Du die Völker durch das Imperium regieren sollst, (die Fähigkeiten dazu werden kommen) setze friedliche Sittlichkeit durch. Schone die Unterworfenen und wirf die Stolzen völlig nieder.159 Zeitleiste 3

Ca. 725 v. u. Z. Synoikismos, (etruskische) Könige, (meist lateinische) Familien (gentes) 509 Sturz des letzten Königs. Aristokratische Herrschaft 201 Zerstörung Carthagos, 168 Eroberung Makedoniens 155 156 157 158 159

Münkler  : Imperien, S. 88f. Bagg  : Westland, S. 305. Joannès, a.a.O., S. 81. Bagg  : Westland, S. 301ff. Thorsten Krüger (Hg.)  : P. Vergilus Maro  : Aeneis, Stuttgart 2012 = Reclam 19827, Verse 851–853. Rollinger Rom in Gehler/Rollinger, S. 400–447, übersetzt S. 405  : »Du Römer denke daran, mit Macht (imperio) die Völker zu regieren (diese Künste werden Dir gehören), dem Frieden die Sitte aufzuerlegen, die Unterworfenen zu schonen und die Übermütigen zu bekriegen.«

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133–30 51 27 v. u. Z.

Bürgerkrieg  ; 101 Heeresreform des Marius Eroberung Galliens, 63 Westasiens, 30 Ägyptens Augustus herrscht durch Vermögen und Ämterkumulationen als princeps, 9 n. u. Z Verlust von drei Legionen in Germanien 68/69 n.u.Z. »Vierkaiserjahr« Vespasian Sieger. Dynastien  : flavisch bis 96  ; unter Trajan Wiederaufnahme der Expansion. Adoptivkaiser bis 138  ; unter Hadrian Grenzsicherung, limites (limes) in Germanien, Hadrianswall u. a.; severische Dynastie bis 325 212 fast alle freien Untertanen des Imperators erhalten römisches Bürgerrecht 293 Tetrarchie  : vier Reichsteile mit vier Hauptstädten 325 Konstantin »Totius orbis imperator«, Konzil Nikäa, Konstantinopel Hauptstadt 379 Theodosius I.: Edikt gegen die Arianer 410 Teilung WESTEN OSTEN 476 ff im Westen Germanische Könige im Osten Imperium Romanum 534 Renovatio Imperii unter Justinian, Corpus Juris, 537 Hagia Sophia 635 ff. Verlust der Südküste des Mittelmeeres an die Araber, 674–740 Verteidigung Konstantinopels und Anatoliens 711 Spanien arabisch

Die Frage, ob Rom ein Imperium160 war, ist im Kontext der europäischen Geschichte eigentlich kaum zu stellen. Für die Antike, für die Christenheit und bis in die Aufklärung hinein bildete Rom nicht ein, sondern das Imperium schlechthin, das »paradigmatische Imperium« wie Kai Ruffing formuliert hat.161 Und Rom ist auch heute das hauptsächliche Vergleichsobjekt in der Diskussion, ob die USA auf dem Weg zu einem 160 Lexikon  : Hubert Cancik, Helmuth Schneider (Hg.)  : Der Neue Pauly, Bd. 1 ff. Stuttgart 1993 ff. (Metzler)  ; Lehrbuch  : Eckhard Wirbelauer (Hg.)  : Antike, M 2004 (Oldenbourg, mit systematischem Aufriss von Quellen und Darstellungen). Darstellungen  : Erward Gibbon  : Verfall und Untergang des Römischen Reiches (1776 ff.), hg. v. D.A. Saunders, Übers. J. Sporschill, Nördlingen 1987 (Greno)  ; Theodor Mommsen  : Das Weltreich der Caesaren (Römische Geschichte Bd. 5, 1885), hg. v. L. Goldschneider, B 1933 (Phaidon)  ; Alfred Heuss  : Römische Geschichte, Braunschweig 1960 (Westermann) [Neuauflage Paderborn 2016]  ; Karl Christ  : Geschichte der römischen Kaiserzeit, M 1988 u.ö. (Beck)  ; Alexander Demandt  : Kleine Weltgeschichte, M 2003 (Beck), hier S. 69–88  ; Bruno Bleckmann  : Das Imperium Romanum, in  : Demel/Fried (WBG Weltgeschichte) 2, 2009, S. 225–263  ; Frank Bernstein  : Das Imperium Romanum – ein ›Reich‹  ? In  : Gymnasium 117 (2010), S. 49–66  ; Armin Eich  : Die römische Kaiserzeit, M 2014 (Beck)  ; Rene Pfeilschifter  : Die Spätantike, M 2013 (Beck)  ; Eckhard Meyer-Zwiffelhofer  : Imperium Romanum. Geschichte der römischen Provinzen, M 2009 (Beck)  ; Bilder  : Puhle/ Köster, S. 54–177. 161 Kai Ruffing  : Rom – das paradigmatische Imperium, in  : Gehler/Rollinger, S. 401–447.

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Imperium sind.162 Hier kann kein Versuch unternommen werden, eine der vielen Fragen zur Geschichte der Republik zu erforschen. Aber was machte den städtischen Zusammenschluss von Dörfern »753« zum Sieger  ? Auch später bildeten die 31 ländlichen tribus eine deutliche Mehrheit gegenüber den vier städtischen, Rom hatte von Anfang an eine »gemischte« Verfassung. Diese Stadt – urbs – gewann sowohl gegen den bäuerlich strukturierten Bund der eine indoeuropäische Sprache redenden Latiner als auch gegen die Städte der Etrusker, die eine nicht indoeuropäische Sprache benutzten. Wie warfen die römischen Wölfe die samnitischen Stiere nieder  ? Und, was schon die Zeitgenossen verwunderte  : Wie besiegte die italische Landmacht sowohl die punischen Welthändler im Süden des Mittelmeers als auch die Erben Alexanders des Großen im Osten  – in einer Folge von Kriegen, die in Magna Graecia begannen, dem damals politisch von Griechen bestimmten Süditalien  ? Auf der Ebene des Faktischen ist die Antwort selbstverständlich und banal  : Die römische Armee war besser, und sie wurde besser geführt. Auch nach schweren Niederlagen – wie der Schlacht bei Cannae163 – entschieden gelernte Politiker (hier der zweite Konsul), ob es lohnte, den Kampf fortzusetzen. Mit ihrer Aufteilung in kleine bewegungsfähige Manipel war die römische Armee in den Kämpfen im Osten der schwerfälligen Phalanx überlegen, welche die Griechen entwickelt hatten. Aber militärische Taktik war nicht ausschlaggebend. Der Zeitgenosse Polybios aus dem griechischen Achaia analysierte, dass zum einen gerade die Mischung der römischen Verfassung, zum andern aber die hohe Mobilisierungskapazität die Gründe waren, dass in den punischen Kriegen die Mittelmeerwelt durch Rom vereint worden war  :164 In den vorangehenden Zeiten lagen die Ereignisse der Welt gleichsam verstreut auseinander, da das Geschehen hier und dort sowohl nach Planung und Ergebnis wie räumlich geschieden und ohne Zusammenhang blieb. Von diesem Zeitpunkt an aber wird die Geschichte ein Ganzes, gleichsam ein einziger Körper, es verflechten sich die Ereignisse in Italien und Libyen mit denen in Asien und Griechenland und alles richtet sich auf ein Ziel.

Seinen griechischen Zeitgenossen macht er das an den Größenordnungen der Rüstungen deutlich. An einer Stelle berichtet er, dass der Achäische Bund zehn Trieren sendet, um Korfu zu entsetzen. In der Seeschlacht bei Eknomos 256 im Kampf um Sizilien stehen 330 römische Trieren mit 140.000 Mann 350 karthagischen Schiffen mit 150.000 162 Maier  : After Empire  ; Leitner  : Empire. 163 Manfred Alexander Speidel  : Halbmond und Halbwahrheit, in  : Förster/Pöhlman, S. 48–62  ; Heinrich Nolte  : Vom Cannae-Mythos, Göttingen 1991 (Musterschmidt). 164 Polybios  : Geschichte, ü. Hans Drexler, Bd. 1–2, Zürich usw. 1961 (Artemis).

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Mann gegenüber  ; die Römer gewinnen, aber das entscheidet keineswegs den Krieg.165 Beide Kontrahenten bringen Material auf, das jenes in den zeitgleichen hellenistischen Staaten übersteigt, und sie bringen Ausdauer mit und wechseln die Strategien. Der Sieg der Republik bedeutete, modern gesprochen, einen Globalisierungsschub  ; für den griechischen Gelehrten brachte er die Einheit seiner Welt  :166 Hieraus wird deutlich, was wir zu Anfang behauptet haben, dass die Römer nicht, wie manche Griechen glauben, durch das Glück oder durch blinden Zufall, sondern dass sie mit gutem Grund und durchaus folgerichtig, nachdem sie sich in solch gewaltigen Operationen geübt hatten, nicht nur kühn nach der Vormachtstellung und der Herrschaft über die Welt griffen, sondern dieses Ziel auch erreicht haben.

Man kann annehmen, dass solche Einsichten im hellenischen Osten verbreitet waren. Es gab zwar Schlachten und Kriege einzelner Diadochen, aber mehrere Herrscher schenkten Rom vorsichtshalber Provinzen oder sogar ihren ganzen Staat. Die Griechen brachten dafür religiöse Kulte und Wissenschaften in den Westen – 204 wurde z. B. der Kult der Magna Mater durch Senatsbeschluss eingeführt, der Dionysoskult jedoch 186 verboten. Der zitierte Polybios wird zum Historiker im Scipionenkreis.167 Was lag den Erfolgen zugrunde  ? Der römische Adel lebte in einem kontinuierlichen Leistungsdruck. Zu den meisten Ämtern wurde jährlich gewählt und der Regelfall war, dass Ämter doppelt besetzt wurden. Unterschiedliche Gremien wählten. Comitien wählen Amtsinhaber aus senatorischen Familien und Rittern in ihre jeweiligen Laufbahnen (Quästor, Ädil, Prätor, Konsul, Zensor)  ; die ehemaligen Amtsinhaber kamen im Rat der Ältesten (Senat) zusammen, der die höchste Autorität besaß. Die comitia curiata, die Kurienverbände mit der Aristokratie und ihren Klienten, bestätigten die Befehlsgewalt der höheren Ämter und den Oberpriester, der auch in Rom die Aufgabe hatte, Brücken zwischen Jenseits und Diesseits zu bauen. Die Zenturiatskomitien, die nach den fünf Klassen der Steuerleistung so zusammengesetzt waren, dass die erste Klasse nicht allein die Mehrheit stellte (nebenbei gab es auch einen Vertreter der Besitzlosen), wählten aus den senatorischen Familien und den Rittern die Prätoren für Rechtsprechung und Verwaltung  ; aus den ehemaligen Prätoren die zwei Konsuln (ab 509) und aus diesen die zwei Zensoren, welche die wichtigsten Aufgaben hatten, nämlich die Schätzung des Vermögens für die Steuer und die oberste Sittenaufsicht. Das concilium plebis wählte (ab 450) zehn Tribunen aus den Plebejern, die das Interzessionsrecht gegen die drei oberen 165 Ebda., S. 36 ff. 166 Ebda., S. 77. 167 Heuss  : Römische Geschichte a.a.O., S. 96–121.

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Ämter besaßen. Der Senat – 300 gewesene Amtsinhaber – hatte kaum Kompetenzen, besaß aber höchste Autorität. Die römische Aristokratie herrschte also durch Besetzung der Ämter. Jeder lernte in dieser Beamtenlaufbahn, den cursus honorum, der aber an ein Mindestalter gebunden war – um das unterste Amt, die Quaestur zu erhalten, musste man 31 Jahre alt sein, für das höchste Amt des Konsuls mindestens 43. Außerdem trieb man Sport und nahm an den vielen Kriegszügen teil. Das galt für alle freien Bürger, die überwiegend als Bauern ihren Lebensunterhalt verdienten. Jeder freie Bauer musste im Kriegsfall als Hoplit – also mit Schild, Schwert und Spieß bewaffnet – im Feld erscheinen. Es war der Erfolg selbst, der dieses System in Frage stellte. Je weiter weg die Kriege die römischen Armeen führten, desto weniger konnte ein solcher Soldat seinen Hof bewirtschaften, und der Sold reichte nicht aus, um die Degradation zuhause zu stoppen. Reiche und Mächtige begannen, die Höfe aufzukaufen und zu Latifundien zusammenzulegen, die sie entweder von den nun zu Knechten gemachten ehemaligen Bauern als »Diener mit Haus« oder auch von Sklaven – »Diener ohne eigenes Haus« – bearbeiten ließen. Es war aber schnell deutlich, dass die Soldaten diesen Statusverlust nicht hinnehmen wollten. Die wichtigste Veränderung unter dem Konsul Marius war, dass die Bauern-Soldaten nach dem Ende der Dienstzeit als »Kolonisten« mit besonderen Rechten in den eroberten Territorien angesiedelt wurden. Die Regel verstärkte die Loyalität der Soldaten zu ihrem jeweiligen Feldherrn, der für die Ansiedlung zu sorgen hatte, wenn er nach dem Ende des Krieges Mitglied des Senats oder Inhaber von Ämtern in Rom war. Schon Marius führte seine Truppen »über den Rubicon«, den Grenzfluss Italiens gegenüber der damals keltisch bewohnten Poebene, weil seine Gegner im Senat die Ansiedlungen nicht akzeptieren wollten. Mit der Verminderung der Zahl der freien Bauern und der Entscheidung, die Versorgung der Veteranen durch Ansiedlung auf erobertem oder enteignetem Land zu organisieren, sind zwei soziale Grundprobleme der »Römischen Revolution«168 benannt. Ein politisches Problem war, dass die von Adel und Plebs schließlich erreichte austarierte Ordnung einer »Mischverfassung« zwischen Monarchie, Aristokratie und Demokratie169 der regionalen Ausdehnung nicht angemessen war. Die regionale Herrschaft Roms war differenziert. In Italien gab es Städte, die in einem gleichen Bündnis standen, Truppenkontingente zu stellen hatten, aber innenpolitisch unabhängig waren, neben Halbbürger- und inkorporierten Gemeinden ohne eigenes Stimmrecht, in denen die Aushebung von Rom aus durchgeführt wurde. Dann gab es römische Kolonien, deren 168 Vgl. auch Ronald Syme  : Die römische Revolution, ü. M o.J. (Goldmann). 169 Peter Riemer  : Ciceros Kampf für eine ›Freie Römische Republik‹ in Behringer, Krise, S. 35–44.

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Bürger an ihrer Zugehörigkeit zur Tribus festhielten, und latinische Kolonien.170 Wie weit die Bundesgenossen in den Tribus wählen durften, war Streitpunkt eines Bürgerkriegs  ; 86 durften sie das. Hinzu kamen aber nun die Provinzen, die den Gouverneuren ungewöhnliche Möglichkeiten zur Bereicherung und Machterweiterung boten und die in das Wahlsystem nicht integriert werden konnten, in denen die römischen Kolonisten aber an ihren Rechten in den Tribus festhielten. Gaius Julius Caesar zeigte das Machtpotenzial des erfolgreichen Feldherrn im Namen Roms  – unter seiner Führung eroberten römische Legionen Gallien bis an den Rhein und Caesar verdeutlichte seine Macht den Daheimgebliebenen durch seine Schriften  – durchaus ein Beherrscher der Medien  ! Er konnte in Rom nicht ein aristokratischer Bürger sein wie andere auch  ; sicher zuerst einmal seines Ehrgeizes wegen, aber in der Sache auch deswegen nicht, weil er seine Legionäre versorgen musste. Er ließ sich vergöttlichen, ließ Anklänge an hellenische Herrschervorstellungen zu. Aber die Heroisierung des Tyrannenmords gehörte zur Prägung dieser Aristokraten,171 und Caesar fiel ihr zum Opfer. Allerdings erschwerte die Heroisierung des Tyrannenmords auch grundsätzlich den Umgang mit den Zwängen, die sich aus der Expansion und der neuen Metropole Rom ergaben. Viele landlose römische Bürger waren in die Stadt gezogen und verlangten Brot und Spiele. Caesars Adoptivsohn Oktavian nutzte die Legionäre seines Vaters als erstes Instrument bei seinem Griff nach der Macht  : Der 18-jährige junge Mann bot dem Senat 43 seine Privatarmee zum Kampf gegen den gewählten Konsul Mark Anton an und erhielt zum ersten Mal ein imperium, die Befehlsgewalt für diesen Krieg.172 Mark Anton, Oktavian und ein dritter erhielten in einem Triumvirat ein imperium und eine konsularische Befehlsgewalt auf fünf Jahre »zur Wiederherstellung des Staats« (rei publicae constituendae). Nach der Niederlage der Caesarmörder und dem Sieg bei Actium 31 wurde Oktavian zum unbestritten mächtigsten Mann. Er »restituierte« 27 den Staat und erhielt vom Senat den Titel Augustus »geheiligt, ehrwürdig«  – die Bedeutung des Verbums augere (wachsen lassen, vermehren) schwang darin mit, und er ließ sich zugleich drängen, doch weiterhin die Fürsorge (cura) für den Staat zu übernehmen. Er erhielt ein prokonsularisches Imperium auf Zeit, das immer wieder verlängert wurde, »sein Herrschaftsbereich hieß seither Imperium«.173 Die eigentlich zugeordnete Be170 Heuß  : Römische Geschichte a.a.O., S. 60–64. 171 Eindrucksvoll, wie lange das Denkmal für die Tyrannenmörder auf der Agora Athens stand und dass Kaiser Hadrian eine Kopie im Palast hatte  : Carola Reinsberg  : Tyrannenmord und Demokratie, in  : Behringer  : Krise, S. 21–34. 172 Bild – »ein ewig mächtiger, ewig junger Augustus« von der südlichen Grenze des Imperiums (Assuan)  : MacGregor  : Objekte, S. 271–277. 173 Kleinschmidt  : Völkerrecht, S. 39.

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fehlsgewalt wurde zum Terminus, um das ganze Herrschaftssystem und schließlich das Territorium zu benennen. Augustus legitimierte dies Amt, indem er kontinuierlich Krieg führte und immer neue Expansionen förderte, bis Armenien und Germanien. Ausgerechnet in den Jahren 13–8, nach der Ausrufung der Pax Augusta, ließ er einen riesigen Tempelkomplex für den Frieden errichten. Das war, von den Germanen aus gesehen, ein ziemlicher Hohn, aber nimmt die frühneuzeitliche Definition vorweg, dass Krieg »beyond the line«  – jenseits der Grenze – eigentlich nicht zählt. Als wichtige dauerhafte Anerkennung der Stellung des Augustus wurde im Jahr 2 v. u. Z. der Titel »Vater des Vaterlandes« verliehen, der die Autorität des Vaters für das römische Volk verdeutlichte.174 Die Wendung zum territorialen Imperium (um den späteren Begriff hier vorweg zu nehmen) hat Augustus selbst getan, nämlich in der Einleitung zu seinem »Tatenbericht«, der auf einer Bronzetafel in allen Provinzhauptstädten zu finden war, aber nur in Ankara überdauerte  :175 Bericht über die Taten des göttlichen Augustus, der den Erdkreis der Befehlsgewalt [imperium] des Volkes [populus] der Römer unterworfen hat, und der Unkosten, die er für die Sache des Staates und des Volkes der Römer [in rem publicam populumque Rom(an)um] aufgebracht hat […].

Er hat, wie er im »Egodokument« nach der offiziellen Bezeichnung fortfährt, aus privaten Mitteln ein Heer aufgestellt, durch welches ich dem Staat, der durch Parteien dominiert wurde, die Freiheit verschafft habe […].

Senat und Volk von Rom haben ihn, »damit der Staat keinen Schaden leidet«, immer wieder in eine Kombination von Ämtern gewählt  – Konsul, Prätor und Volkstribun. Mehrfach wurde er zum Diktator (zur Lösung kurzfristiger Krisen) bestimmt. Was hat er, neben der Rettung des Staates, noch geleistet  ? Er hat Frieden geschaffen, nach innen und außen (s. u.)  : Der »Tatenbericht« zeigt auch, dass neben dem alten Imperium als Befehlsgewalt die neue Bedeutung als Reich schon deutlich wird. Augustus rühmt sich der Erweiterung des Reichs, v. a. des Erwerbs Ägyptens, und er ist stolz auf die internationale Anerkennung durch zentral- und südasiatische Staaten. Er rühmt sich, dass 174 Frank Bernstein  : Der Anfang. Das vermeintliche Kaisertum des Augustus, in  : Schneidmüller/Weinfurter, S. 17 –54. 175 Theodor Mommsen (Hg.)  : Res gestae Divi Augusti (Berlin 1883), Nachdruck Aalen 1970  ; ü. (»Monumentum Ancyranum«).

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er seine Veteranen in Kolonien angesiedelt hat. Insbesondere ist er stolz, dass er – aus eigenen Mitteln – Tempel gebaut hat. Aber eine Nachfolgeordnung oder ein Amt hatte er nicht geschaffen. Nicht einmal ein Titel bestand. Augustus war als princeps anerkannt, er besaß landesväterliche Autorität und trug den Namen Caesar, er sorgte dafür, dass er stets ein Imperium innehatte, über diese Befehlsgewalt verfügte, und insofern »Imperator« war.176 Das galt auch für die Nachfolger, welchen vom Senat der militärische Oberbefehl (imperium proconsulare) und vom Volk die bürgerliche Gewalt in der Form der tribunicia potestas übergeben wurde. Titel entwickelten sich schließlich aus seinem und seines Vaters Namen. Erst ab 69 (Vespasian) n. u. Z. wurden die verschiedenen Gewalten zusammengefasst und geschlossen vom Senat auf den Kaiser übertragen. Entscheidend war dafür die Akklamation durch das Heer (bzw. eines der Heere), die nicht erst seit 69 der Übertragung des Imperiums durch den Senat vorausging oder auch mit ihr zusammenfiel. Das Imperium war, wie schon Theodor Mommsen festgehalten hat, eine Militärmonarchie,177 allerdings eine, welche Kultur und Recht, Wirtschaft und Technik im Mittelmeerraum zu außerordentlicher Blüte brachte. Der militärische Charakter des Imperiums führte dazu, dass die Heere, die an den Grenzen standen, trotz der Entfernung zum Zentrum auf die Wahl des Kaisers großen Einfluss hatten. Die Armeen an den Grenzen waren logistische Versorgungsziele oder anders gesehen  : gute Absatzmärkte. Hauptstädte und Organisationsschwerpunkte wurden in ihrem unmittelbaren Hinterland gegründet. Im ständigen Kampf gegen germanische Einfälle und gegen die Parther teilen sich die zwei Kaiser Valerianus und sein Sohn Gallienus 253 die Abwehrfronten. Trotz einer Wiederherstellung der Einheit  – restitutio orbis 270  – erweist sich die Teilung als militärisch praktikabel. 293 organisiert Kaiser Diokletian die Kaiserherrschaft als Tetrarchie aus zwei Augusti und zwei Caesares – mit den Residenzen Thessaloniki/Sirmium, Nikomedia, Mailand und Trier/ York, je nach den militärischen Erfordernissen. Eine Verwaltungsreform ordnet den Tetrachen jeweils einen Präfekten zu, dessen Präfektur in je zwölf Diözesen aufgeteilt wird. Das Heer wird vergrößert und die Steuerlast vermehrt  ; da die Städter ihr am wenigsten ausweichen können, geht der Urbanisierungsgrad zurück. Konstantin I., 304–337 Kai-

176 Bei der Aufstellung von vier Obelisken 10/9 v. u. Z. liest sich die Inschrift, übersetzt nach Rolf Michael Schneider  : Räume, Bauten, Bilder, in  : Schneidmüller/Weinfurter, S.  55–93, hier S.  69  : »Imperator Caesar Augustus, Sohn des göttlichen Caesar, Imperator zum 12., Consul zum 11., Volkstribun zum 15. Mal, hat dem Sonnengott dieses Geschenk gemacht, nachdem Ägypten zur Macht des römischen Volkes zurückgeführt wurde« [ich übersetze abweichend ›redacta‹ mit ›zurückgeführt‹]. 177 Martin Dreher  : Grundzüge des römischen Kaisertums, in  : Schneidmüller/Weinfurter, S. 96–116, hier S. 103.

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ser, einigt das Imperium 324 noch einmal, nach seinem Tode wird die Teilung (anfangs unter seinen Söhnen) aber wieder Tradition. »Konstantin der Große«178 hat dann den Prozess der Christianisierung des Römischen Imperiums eingeleitet. Schon Jacob Burckhardt hat auf den inneren Widerspruch hingewiesen  :179 Das Christentum ist eigentlich das Leidende und seine Lehre vorhanden für Leidende, und es ist vielleicht von allen Religionen nächst dem Buddhismus am wenigsten geeignet, mit dem Staat in irgendeine Verbindung zu treten. Schon seine Universalität steht dem entgegen. Wie kam es, dass es dennoch mit dem Staate in die engsten Beziehungen trat  ?

Burckhardt führt zwei Gründe an  : Zum einen hat sich das »Kirchentum« in der Antike nach dem Vorbild des Römischen Imperiums gebildet, zum andern wurde die Gemeinde mit Konstantin so mächtig, dass sie den Staat »beinahe hätte in sich aufnehmen können«. Aber die Kirche verändert sich durch die Macht, die ihr zufällt, sie wird aus einer sittlichen Institution zu einem Staat, der nach Besitz und Macht strebt. Vor allem aber stammt aus dieser imperialen Tradition »die enorme Überschätzung der Einheit« – »einer wahren fixen Idee«, der Hekatomben zum Opfer fielen.180 Burckhardts Baseler schweizerisch-protestantische Stimme steht im Kontext der hier immer wieder skizzierten Kritik »aus Israel«  – Burckhardt wendet sich konkret gegen die »Römische« Kirche, implizit aber auch gegen die Einheitsbewegung im Norden der Kantonsgrenzen. Die Christianisierung des Römischen Imperiums wirkt in der Tat nicht nur durch die – in Europa lange Zeit ausschließliche und auch heute mehrheitliche – Religion fort, sondern auch durch die Veränderung der Kirche in der »Konstantinischen Wende«.181 Konstantin hat in dem Gefecht an der Milvischen Brücke über den Tiber bei Rom 312 ein Kreuzsymbol in Anspruch genommen, nachdem er bei einer früheren Schlacht Apollo zum Schutzgott erwählt hatte.182 Er baute Byzanz zu seiner neuen Hauptstadt aus und ließ sich auf dem Totenbett 337 taufen – vielleicht, weil er hoffte, durch die Taufe seine Sünden los zu werden. Der heidnische Senat in Rom erhob ihn unter die 178 179 180 181

Pfeilschifter  : Spätantike, S. 47. Burckhardt  : Betrachtungen, S. 135. Ebda., S. 134–139. Der Begriff meint die Veränderungen im Christentum durch die Entwicklung zur Staatsreligion, konkret den »Abbau der urchristlichen Grundlehren infolge der Parousieverzögerung« und den »Aufbau des altchristlichen Dogmas«, vgl. Martin Werner  : Die Entstehung des christlichen Dogma, S 1959 (Kohlhammer) und kurz Antes Religionsgeschichte, S. 91–96  ; Schimmelpfennig  : Papsttum, S. 7–15. 182 Vgl. Pfeilschifter, a.a.O., S. 49–53.

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Götter  ; Konstantin ließ sich »inmitten der 12 Apostel« beisetzen – »apostelgleich« oder sogar, die zwölf Apostel um sich versammelt, »christusgleich«  ?183 Im nun christlichen Imperium erhält die Kirche eine tragende Rolle und die Bischöfe übernehmen die Sorge für allgemeine Aufgaben wie Armenfürsorge oder Wasserversorgung. Die Zentralorganisation der Kirche war das Konzil. Der Kaiser berief es ein und leitete es. 380 entschied Kaiser Theodosius den innerkirchlichen Streit um die Geltung des Konzils von Nikäa, das Christentum wird Schritt für Schritt zur Staatsreligion. Im gleichen Jahr beugte Theodosius sich dem – mit der Verweigerung des Sakraments in der Messe erzwungenen – Votum des Bischofs Ambrosius von Mailand, eine von einem christlichen Mob zerstörte Synagoge nicht wiederaufzubauen. Nach einem Massaker von Soldaten in Thessaloniki zwang Ambrosius den Kaiser zu öffentlicher Kirchenbuße. Die Westkirche zeigte ihre Macht, sowohl in lateinischer Intoleranz gegenüber dem Judentum als auch im Eintreten für das Volk gegen Soldaten. Das Römische Imperium wurde christlich in der Form des Konzils von Nikäa.184 Das wurde noch einmal wichtig, weil die überwiegend germanischen »Völker«, welche ab 406 über den Rhein vordrangen oder sich aus den vom Imperium schon zugestandenen Siedlungsgebieten weiter auf den Weg machten, meist dem von den Lateinern als Häretiker verurteilten Arius folgten. Warum verlor das Imperium, das schon so viele Angriffe abgewehrt hatte, diesmal  ? Rene Pfeilschifter meint  : »Weil das Reich jetzt geteilt war.«185 Der Osten war nicht willens, sich für den Westen zu engagieren, obgleich auf beiden Thronen Söhne des Theodosius saßen. Beide Regierungen versuchten, die Plünderungen der Westgoten auf die jeweils andere Seite der Adria zu leiten – bis die »Barbaren« sich für den Westen entschieden und 410 Rom eroberten und plünderten. Der Untergang des (West-)Römischen Reiches gehört zu den Grundtraumata der christlichen Kultur. Als der Kirchenvater Hieronymus 410 erfuhr, Rom sei von den Goten erobert und gebrandschatzt worden, fand er zu großen Formulierungen (die an Catull erinnern)  :186 Mir bleibt die Stimme im Halse stecken, und während ich dies diktiere, bin ich von Schmerz geschüttelt. Die Stadt, die die ganze Welt erobert hat, ist selbst erobert worden.

183 184 185 186

Ebda., S. 57. Pfeilschifter  : Spätantike, S. 112–120. Pfeilschifter  : Spätantike, S. 127. Zitiert nach Heinrich Schlange-Schöningen  : Der Untergang des Weströmischen Reiches, in  : Behringer  : Krise, S. 45–55, Zitat S. 45.

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Selbstverständlich gehört der Untergang des Weströmischen Reiches zu den großen Themen der Geschichtsschreibung.187 Sehr viele Gründe wurden angeführt, um den Untergang zu erklären – schon vor einem Jahrhundert  : – Klimaänderung und Bodenerschöpfung,188 – Ausrottung der Besten, – Verfall der Kultur, – Dekadenz, – Rassenmischung, – Germaneneinfälle, – Menschenmangel, – Krise der Sklavenhaltergesellschaft,189 – Ende der Republik, – Teilung des Imperiums u. a. Eine Erklärung wie die von Daron Acemoglu und James A. Robinson in dem aktuellen »New York Times«-Bestseller von 2012  :190 Es war der Übergang von der Republik zum Prinzipat und später zum nackten Imperium, welche die Saat zum Niedergang Roms legte […],

ist triumphalistisch zeitbezogen, indem sie die republikanische Verfassung als überhistorisch »ewig« voraussetzt. Sie macht auch geschichtliche Analysen unnötig, da sie vierhundert Jahre Existenz des Imperiums offenbar als unbedeutend einschätzt – übrigens obgleich die Autoren das Problem der Bodenreform vorher ausführen und obgleich Sklaverei und die Bindung der Bauern an die Scholle im Kolonat angesprochen werden. Aber für eine These, dass die Beibehaltung der Republik diese Probleme gelöst hätte, gibt es kein Argument. Eine kombinierende Antwort scheint sinnvoll. In den zweiten und dritten Generationen der jeweils herrschenden Dynastien kam es zu zunehmender Entfremdung der Herrschenden vom moralischen Kodex der Oberschicht, was in Juvenals klassischer Formel, »es fällt schwer, keine Satire zu schreiben«191, gut zum Ausdruck kommt. Die 187 Karl Christ (Hg.)  : Der Untergang des Römischen Reiches = Wege der Forschung 269, D 1970 (WBG). 188 Ellsworth Huntington  : Klimaänderung und Bodenerschöpfung als Elemente im Niedergang Roms, deutsch in Christ  : Untergang, S. 166–200. 189 Harman  : People’s History, S. 84  ; Hajo Koch  : Die Deutung des Untergangs des Römischen Reiches im Historischen Materialismus, in  : Christ  : Untergang, S. 425–455. 190 Acemoglu/Robinson, S. 164. 191 S.u.. S. 91.

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Karte 2: Römisches Reich, 526

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500 km © Entwurf: Hans-Heinrich Nolte Kartographie: Florian Partl

Oberschicht selbst sah, folgt man Catull, im eigenen Müßiggang eine Gefahr192, aber auch in der Unfähigkeit zur Gegenwehr gegen die Monarchie.193 Zumindest wird man schließen können, dass mit der Militarisierung der Herrschaft unter den Kaisern ein Teil der Oberschicht immer weniger integriert war. Das Imperium löste die Frage der Grenzsicherung für mehrere Jahrhunderte – keine geringe Leistung  ! –, aber es löste nicht den Widerspruch zwischen humanistischen Lebenskonzepten und Tyrannenverachtung auf der Seite der Gebildeten und der Realität der Militärdiktatur. Und es fand kein Mittel gegen die Differenzierung zwischen Stadt und Land – urbs und orbis –, die nicht einfach dadurch aufgehoben werden konnte, dass 212 das Bürgerrecht an die meisten Einwohner des Imperiums verliehen wurde, so wichtige langfristige Folgen das hatte.194 Die Privilegien der Städter reichten von der Getreideversorgung über Zirkus und Bäder bis zum Theater und lagen nicht zuletzt im erleichterten Zugang zum Herrscher in der Aula.195 192 Vgl. Catulls Nachstrophe zur Übersetzung von Sapphos »Jener scheint mir den Göttern gleich« in der Übersetzung von Max Brod  : »Müßiggang Catullus ist dir gefährlich/Müßiggang verleitet dich so zu schwärmen. Müßiggang hat Könige schon/und frohe Städte vernichtet« – Carl Fischer (Hg.)  : Antike Lyrik (München 1964, Winkler), Stuttgart o.J. (Deutscher Bücherbund), S. 516. 193 Vgl. ebda »Was ist Catull«. 194 Ando  : Citizenship. 195 Jan Papenberg hat das an den Hauptstadtplänen der Tetrarchen deutlich gemacht, vgl. Jürgen Nagel

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Die menschenverachtenden Praktiken der Sklaverei und der Staatsterrorismus bei der Niederwerfung von Aufständen trugen dazu bei, die moralischen Maße zu zerstören. Dem auf Konsumption des gewaltsam akkumulierten Reichtums gerichteten Handeln der Spätzeit entsprachen der Mangel an Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft und die schlechten Reproduktionsbedingungen, welche Bauern und Sklaven zugestanden wurden, sodass die Produktivität der Landwirtschaft im politischen Zentrum und die Bevölkerung des Imperiums insgesamt sank, trotz der Immigrationen – ob diese nun zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs im Sklavenhandel den Immigranten aufgenötigt wurden oder in bewaffneten Einwanderungen den damaligen Bewohnern des anscheinend so überlegenen Imperiums aufgezwungen wurden. Die damit skizzierte Krise führte im Westen zum Untergang der politischen Institutionen, wohl auch durch Verarmung der Oberschicht196 oder der Okkupation der Institutionen durch germanische Könige, für die auch ein ärmeres Weltreich noch große Beute versprach. Der Osten war durch ein besser geschütztes Bauerntum, das auch Reservoir für die Rekrutierung der Armeen blieb, in einer besseren Ausgangsposition gegenüber den Immigranten, während im Westen der Anteil der Söldner in den Armeen jenem der Einheimischen deutlich überwog. Die Unterschiedlichkeit der Entwicklungen zeigt aber auch, dass die Regionen des Imperiums nicht angemessen integriert waren. Das wird u. a. daran deutlich, dass es unter Syagrius in Gallien gelang, eine Spätform des Imperiums für einige Jahrzehnte zu verteidigen, obgleich die Differenzen zwischen Freiheit und Sklaverei, extremem Reichtum und bitterer Armut nicht gemindert wurden. Worin bestand dennoch die Leistung des Imperiums  ? Mehrere Jahrhunderte hindurch wurde ein riesiger, kulturell wie wirtschaftlich eng verbundener Raum befriedet. Alte und neue Geschichten wie die aus dem Gilgamesch, philosophische Gedanken wie das Höhlengleichnis des Plato und großartige Gedichte wie jene der Sappho wurden tradiert. Beton wurde erfunden und Aquädukte zur Versorgung der Bevölkerung mit Wasser und Straßen wurden im gesamten Reich angelegt sowie Paläste oder Stadttore wie die Porta Nigra in Trier oder der Palatin in Rom. Nachfolgende Generationen, welche viele der nötigen Techniken nicht mehr beherrschten, ließen sich von diesen Leistungen beeindrucken. Die stärkste historische Wirkung hatte aber vielleicht, dass der wichtigste Kirchenvater dieser Periode, der Heilige Augustinus, die Gläubigen beruhigte  : Der Untergang finde gar nicht statt. Das Römische Reich wurde im Christentum nach dem Traum des

(Hg.)  : Imperiales Bauen, Tagung Hagen 2016, Bericht in Rundbrief 240 des VGWS – www.vgws.org/ Rundbriefe. 196 Milanović  : Welt, S. 76–78.

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Daniel197 als das letzte der Weltreiche gesehen, nach dessen Ende das Weltende – und das hieß, der Offenbarung des Johannes folgend,198 zugleich Christus zum Endkampf erneut auf die Erde – kommen werde. Aber der Heilige Augustinus beruhigte seine Gläubigen  : Das Weltende werde nicht durch einen Menschen (gar den gotischen Heerkönig Alarich, der 410 Rom hatte erobern und plündern lassen) bestimmt, sondern durch Gott. Und das Römische Reich werde bestehen bleiben, so lange Gott das wolle.199 Dass Christus nicht wiederkehrte, die Parusie verzögert wurde, sicherte in der Welt also den Fortbestand Roms. Da Augustinus von der gesamten christlichen Ökumene als Kirchenvater anerkannt wird, galt das für den Westen wie für den Osten. Man konnte, ja man sollte das Römische Reich wiederherstellen. Den ersten Versuch unternahm Ostrom, spätere folgten. Und mit solchen Wiederherstellungen wurde der Untergang des Imperiums für fast anderthalb Jahrtausende, im Reich des Glaubens aufgehoben  – eine virtuelle Realität, die unmittelbar politische Folgen hatte. In der Ostkirche wurde das »Neue Rom« also erst 1453 gestürzt (mit einem russischen Nachspiel im 16. Jh.200) und in der Westkirche wurde das »Heilige Römische Reich« sogar erst 1806 beendet. Arbeitsansätze

Quellenkunde und Historiografie Im Römischen Reich wurden Erlasse und Akten, Romane, Gedichte und auch historische Werke auf Papyrus in den Sprachen zweier im Westen Eurasiafrikas201 beheimateter Weltliteraturen geschrieben – lateinisch und griechisch. Mit der Ausnahme einiger Funde in Oasen sind sowohl behördliche als auch private Texte allerdings verrottet. Besonders solche Texte blieben erhalten, die in den Grammatikschulen der Spätantike vielfältig abgeschrieben und von Liebhabern aufgehoben wurden. So finden sich einige Blätter Vergil in der Klosterbibliothek von St. Gallen. Vor allem aber wurden größere Schriften der Antike im Oströmischen Imperium und in den arabischen Imperien aufbewahrt – viele sind erst in der Renaissance »wieder« in den ehemaligen Westen des Reichs gebracht worden. Übrig geblieben sind v. a. solche Quellen, deren Schreibstoff aus Bronze oder Stein war, wie das oben zitierte »Monumentum Ancyranum«. Die vielfältigen Inschriften 197 Daniel, Kapitel 2. 198 Offenbarung 19. Kapitel, Verse 11–21. Zu aus der Apokalypse stammenden Motiven auf der Krone des Heiligen Römischen Reichs s. Reinhart Staats  : Die Reichskrone, Göttingen 1991, S. 53–66. 199 Kleinschmidt  : Völkerrecht, S. 40–42. 200 Nolte  : Religions, S. 24, 41–43. 201 Vgl. Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 11–44.

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werden seit dem 19. Jh. im Corpus »Inscriptionum Latinarum« systematisch gesammelt. Die eindrucksvollsten Quellen sind Bauten, kilometerlange Aquädukte, alte Stadtmauern und Paläste sowie nicht zuletzt Thermen. Außerdem werden immer wieder Münzen gefunden und kleinere Gegenstände. Im Effekt ist es möglich, aus solchen Resten große Teile der Geschichte des Alltags und der Religionen zu rekonstruieren, die vielfältig überlieferten Wandgemälde – nicht nur in Pompeji – sinnvoll zu interpretieren und einzelne Grabmale zuzuordnen.202 Als Beispiel kann man das nach der jetzigen Rekonstruktion 14,60 Meter hohe Grabmal des Veteranen Lucius Poblicius der 5. Legion in Köln nehmen. Die Legion war nach der Niederlage im Teutoburger Wald 09 in Xanten stationiert und blieb dort bis zum Jahr 69. Die Grabinschrift gibt an, dass Lucius zur Tribus Terentina gehörte, also römischer Bürger war. Nach dem Ende seiner Dienstzeit, in welcher er nicht zu militärischen Ehren, wohl aber offensichtlich zu Geld gekommen war, siedelte er sich in der aufstrebenden Grenzstadt Köln an. Die Frau auf dem Grabmal ist der Inschrift nach (F = Filia) seine Tochter. Fein gearbeitete Friese zeigen Waffen und Ranken, eine Fruchtbarkeitsgöttin, den gehörnten Pan, einmal mit einem gefangenen Hasen und einmal mit der Panflöte – und beide Male mit der Schlange im Baum hinter ihm. Aber auch die Geschichte hat mit einer Aeneas-Gruppe ihren Platz  : Sie verdeutlicht, dass hier ein Römer liegt.203 Es sind also besonders solche Quellen überliefert, welche es erlauben, Geschichten der Mächtigen und der Reichen zu rekonstruieren  ; einen Blick auf das Leben der Mehrheit der Bevölkerung eröffnen die Quellen nur genauso lückenhaft wie auf die tägliche Arbeit der Behörden. Die Historiografie ist außerordentlich umfangreich  ; an ihr wurde fast ohne Unterbrechung über zwei Jahrtausende hinweg geschrieben  – von Livius und Tacitus über Edward Gibbons und Theodor Mommsen bis zu Arthur Rosenberg204 und Alfred Heuß. Und immer wieder werden in der westlichen Tradition Probleme der Gegenwart am historischen Beispiel Roms diskutiert, wie eben die Frage, ob die USA zum Imperium werden oder nicht.205 Aber auch zur Diskussion über die Gründe für den Untergang wird angesichts der Krisen der westlichen Gesellschaften und den Einwanderungen aus ärmeren Weltgebieten, die mit Zäunen und Mauern verhindert werden sollen, die Ge-

202 Vgl. Günter Ristow  : Religionen und ihre Denkmäler im antiken Köln  ; Andreas Linfert  : Römische Wandmalerei der nordwestlichen Provinzen  ; Inge Linfert-Reich  : Römisches Alltagsleben in Köln, beide Köln 1973, hg. v. Römisch-Germanisches Museum. 203 Gundolf Precht  : Das Grabmal des L. Poblicius, Köln 1973, hg. v. Römisch-Germanisches Museum. 204 Rudolf Wolfgang Müller, Gert Schäfer (Hg.)  : Arthur Rosenberg zwischen Alter Geschichte und Zeitgeschichte, Politik und politischer Bildung, Göttingen 1986 (Musterschmidt). 205 Maier  : Empire.

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schichte Roms herangezogen, was für das Interesse an der Geschichte nützlich war, wie Robert Rollinger formuliert  :206 […] der Vergleich zwischen dem Imperium Romanum und den sich ›imperial‹ gebärdenden USA führte in den altertumskundlichen Fachdisziplinen wie auch den historischen Disziplinen zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit dem Phänomen ›Imperium‹ […].

Soziale Einheiten und Ökonomie Grundlage der Wirtschaft des Römischen Reiches war die Übernahme des Ackerbaus aus den Ländern des Fruchtbaren Halbmonds bis etwa 5000 v. u. Z. und dessen Anpassung an die regionalen Bedingungen.207 In der Regel sind die Ackerflächen auf kleine Talgrunde beschränkt, die durch Winterregen genug Niederschlag erhalten und auf denen oft Hartweizen, Hirse und Hülsenfrüchte angebaut wurden. An den Hängen kamen Oliven und Wein hinzu, auch Äpfel, Birnen, Pflaumen und Kirschen. Ergänzt wurde diese Landwirtschaft durch transhumante Viehzucht, die je nach Jahreszeit die tieferen Hänge oder die Hochflächen nutzte. Der Hochwald wurde früh zurückgedrängt und weithin entstand Buschwald (Macchia).208 14 n. u. Z. hatte das Imperium etwa 3,4 Millionen Quadratkilometer und vielleicht 44 Millionen Einwohner, es lebten also etwa 13 Menschen auf einem Quadratkilometer. Nach den Eroberungen des folgenden Jh. wurde das Territorium zeitweise auf etwa fünf Millionen Quadratkilometer vermehrt und die Bevölkerung stieg bis 164 n. u. Z. auf 58 Millionen an, verminderte sich aber bis 200 auf 45 Millionen, bis 400 auf 37 Millionen und bis 600 auf 29 Millionen. Ohne Eroberungen sank die Bevölkerung des Imperiums also relativ kontinuierlich ab. Handel mit Agrarprodukten entwickelte sich schon früh mit der Küstenschifffahrt und die großen Städte benötigten alle Getreideimporte aus Übersee  – Athen vom Schwarzen Meer, Rom aus Sizilien und Afrika, Konstantinopel aus Ägypten. Über Palmyra und Aleppo, Alexandria und Antiochien war das Römische Reich außerdem mit dem Welthandel der frühen Seidenstraßen verbunden, über die man Pfeffer, Zimt und eben Seide importierte. Eine Münze von 189 zeigt ein Handelsschiff vor dem Leuchtturm von Alexandria.209 Ein Wandbild in Stabiae, das wie Pompeji von der Explosion des Vesuvs verdeckt wurde, zeigt einen Hafen mit Schiffen und Werften, Lagerhäusern 206 Rollinger Rom, in  : Gehler/Rollinger, Zitat S. 403. 207 Küster  : Korn, S. 119–132. 208 Vgl. Otmar Seufert  : Die Landschaft des Mittelmeerraums, Kultivierung und Depravierung, in  : ZWG 6.1 (2005), S. 25–37. 209 Bentley/Ziegler, S. 254.; McLaughlin  : Silk Routes.

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und Kais.210 Die Straßen des Imperiums waren einheitlich gebaut – sechs bis acht Meter breit, in mehreren Schichten mit Drainage und einer obersten Schicht aus flachen Steinen für Wagen, Reiter und Fußgänger. An vielen Stellen sind kleine Stücke übriggeblieben. Religion und Ideologien Neben dem offiziellen Staatskult bestanden vielfältige lokale und regionale Religionen auch nach der jeweiligen Eroberung fort bzw. wurden verändert  ; es gab matriarchalische und patriarchalische Weltdeutungen und entsprechende Tempel. Einige Griechen, besonders im Hellenismus, bemühten sich, die Vielfalt zu ordnen und in ein gelehrtes System zu bringen, das zugleich den Patriarchen Zeus in das Zentrum rückte. Viele römische Gelehrte folgten, zuerst in der Parallelisierung der hellenistischen Götterfamilie mit der römischen  : Zeus wurde als Jupiter, Hera als Juno verstanden. Ovid hat für die gebildeten der augusteischen Zeit (wie Ernst Robert Curtius bemerkt) in den Metamorphosen ein eigenes Lexikon dieser griechisch-römischen Götterwelt geschaffen, von Göttern und ihren Lieblingen, von der Wut von Jupiters ewig betrogener Ehefrau Juno und der Begierde der Götter nach Nymphen (die dann in die Natur zurück fliehen wie Daphne) – trotz des Bemühens um Hierarchie zeigen die Metamorphosen eine immer noch sehr menschliche Götterwelt, in welcher eine Katastrophe, die man heute als Meteoriteneinschlag deuten könnte, auf die Liebe des Gottes Sol zu seinem Sohn mit einer Menschenfrau zurückgeführt wird. Und es ist Jupiter, der mit dem Blitz verhindert, dass der unfähig geleitete Sonnenwagen die Welt »in das uralte Chaos« schleudert.211 Ein wichtiger Kult am Beginn der Kaiserzeit galt der kapitolinischen Dreifaltigkeit – der Blitze werfende Jupiter zwischen Juno mit dem Pfau und Minerva mit der Eule. Die Verehrung der Kaiser war, wenn auch mit Unterschieden, im gesamten Imperium Staatskult  ; dabei wurde die Dreiheit mit zwei Frauen schon in vorchristlicher Zeit an manchen Orten auf die Verehrung eines Mannes, des Jupiter Optimus Maximus, konzentriert – der eher auf den Kaiser als männlichen Alleinherrscher verwies.212 Der Kaiser selbst wurde zunehmend mit göttlichen Eigenschaften versehen  ; »divus Augustus« – göttlicher Augustus, wie die Einleitung derer ihn nennt, welche seinen Tatenbericht in Ankara aufstellten,213 »numini eius« wie es auf einem Mark Aurel gewidmeten Grabstein in Galatien heißt, in dem der Beerdigte sich zur Klientel von Mark Aurel be­ 210 Bentley/Ziegler, S. 239. 211 Hermann Breitenbach (Hg. und Übers.)  : P. Ovidius Naso  : Metamorphosen, Stuttgart 1973 = Reclam 356, 1. Buch Vers 750 ff., 2. Buch. Zum Absturz des Sonnenwagens Verse 304–332  ; Zitat Vers 300. 212 M. Clauss  : Kaiser und Gott, Hans-Ulrich Cain  : Kaiser und Gott auf römischen Fora, in  : Erkens  : Sakralität, S. 123–142, Pläne S. 275–289. 213 S.o. Anm. 338.

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kannte.214 Während im Westen des Imperiums für die Anbetung der Kaiser jedoch nur wenige Altäre errichtet wurden, wurden ihnen im Osten auf allen Märkten, z. B. auf der Agora von Athen, sehr viele erbaut. Wichtig war, dass in der Elite die alten moralischen Kodizes an Gültigkeit verloren. Decimus Julius Juvenalis, der um die Wende vom 1. zum 2. Jh. schrieb, hat in seinen Satiren sexuelle Haltlosigkeit, Prasserei und Völlerei, Mangel an Erziehung und an Vorbildern sowie den Sadismus im Umgang mit den Sklaven kritisiert. Er beklagte den Einfluss der Griechen und des Geldes. Trotzdem lehnte er die Annahme von Moralbegriffen aus Offenbarungsreligionen ab – er hatte offenbar Auseinandersetzungen mit dem Judentum –und plädierte für die »mos maiorum«, die Sitten der Republikzeit. Allerdings bedeutete das konkret eine an Epikur orientierte, maßvoll auf Lebensgenuss gerichtete Lebensweise auf seinem Landgut. Dass diese individuelle Entscheidung für das gewaltige Imperium nicht ausreichen konnte, war ihm wohl deutlich.215 Christen wurden seit dem Brand Roms im ganzen Reich verfolgt, allerdings nicht kontinuierlich. Tacitus schreibt, dass Nero den Befehl zur ersten Verfolgung gab, denn weder durch Schenkungen noch durch Sühneopfer für die Götter ließ sich dem üblen Gerücht ein Ende machen, dass der Brand auf Befehl gelegt worden sei«, und weil der Kaiser mit dem Befehl die Schuld auf andere abschieben wollte.216 Während der Verfolgung unter Kaiser Valerian (253–260) machte der Prokonsul in Carthago, der Bischof Cyprian befragte, einen wesentlichen Punkt deutlich  :217 Die verehrungwürdigen Kaiser Valerian und Gallienus haben geruht, einen Brief an mich zu senden, in welchem sie befohlen haben, dass jene, welche keine Anhänger der römischen Religion sind, trotzdem die römischen Kultgebräuche anerkennen müssen.

Sieht man von Gründen wie denen ab, die der Sadismus Neros hervorrief, boten die Kaiser den Christen eine Trennung zwischen Kult und Religion an, wobei sie unter »Romana Religio« die Verehrung der kapitolinischen Götter verstanden. Trotz mehrerer Überredungsversuche weigerte der Bischof sich, irgendeinen Kompromiss einzu214 Preußische Akademie der Wissenschaften (Hg.)  : Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL) Bd. 1 ff., Berlin 1893 ff.; hier Bd. 3.1, hg. v. Theodor Mommsen, S. 47 ANCYRA (Galatiae). 215 Juvenal  : Satiren, hg.  v. Wilhelm Plankl, M 1958 (Goldmann)  ; das Zitat »difficile est satiram non scribere« S. 12. »Fremde Sitten brachte zuerst das unselige Geld uns, und der entnervende Reichtum siegte durch schimpflichen Luxus« – S. 63. Die Ablehnung des jüdischen Einflusses und das Votum für Maßhalten und »unsere Sitten« in der 14. Satire, S. 147–156. 216 Richard Klein (Hg.), Peter Guyot (Übersetzer)  : Das frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen, Bd. 1–2, D 1993 (WBG), S. 17  : Zitat aus den Annalen des Tacitus. 217 Ebda., S. 154–159.

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gehen und zwang so den Prokonsul, das Todesurteil auszusprechen. Cyprian bedankte sich und ließ dem Scharfrichter eine riesige Summe zahlen. Die Gläubigen trugen den Leichnam »unter Gebeten und großem Jubel« zum Grab. Die Christen um Cyprian hofften, dass das Edikt für ihre Verfolgung schnell aus Rom in die Provinz kam, damit jeder sich auf das Bekenntnis freuen könne. Die Märtyrer sahen sich als »Athleten«218, die durch den Glauben das Imperium besiegen würden. Und immer wieder glaubten die Verfolger, die Christen wenigstens zur Einhaltung des Kultes der Götter zwingen zu sollen und zu können. Sowohl die Stärke beider Religionen als auch die unterschiedlichen Richtungen wurden daran deutlich  : Ging es der Regierung um die Sicherung des Fortbestandes des Reiches durch einen gemeinsamen Kult, so den Christen darum, zu beweisen, dass sie als individuelle »Streiter Gottes und Christi nicht zugrunde gehen, sondern bekränzt werden«.219 Gegenüber solch fundamentalistisch begründeter Todessehnsucht wurde von anderen Gläubigen, Paulus’ Brief an die Römer folgend, eine Trennung der Gewalten propagiert, die sich auf die Aussage Christi berief  : »gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.«220 Der Kirchenvater Origines schrieb, dass die Kirche221 nichts Feindliches gegen die Fürsten und Mächtigen der Welt unternehmen dürfe, sondern durch ein ruhiges und stilles Leben das Werk der Gerechtigkeit und Frömmigkeit ausüben solle.

Das Christentum entwickelte sich zu einer v. a. moralischen Alternative. Im Moment der konstantinischen Wende gab es kaiserliche Vorhaben, sich als Christos-Helios oder mindestens als christusgleich verehren zu lassen  ; die Kirche setzte den Kaiser dann »apostelgleich«.222 Für die Sozialverfassung und Moral war entscheidend, dass nun die Bischöfe politische Macht in ihren Sprengeln erhielten. An die Stelle von Völlerei und Sexismus trat die Forderung nach Askese, und auch Sklaven wurden als Menschen angesehen. Eine Mönchsbewegung entstand.223 Außenbeziehungen Grundsätzlich hielt Rom sich im Umgang mit anderen Reichen an Regeln des Völkerrechts, soweit das entwickelt war, insbesondere an die Unantastbarkeit von Gesandten. 218 219 220 221 222

Ebda., S. 180 u.ö., Zitat aus Eusebios Kirchengeschichte. Brief Cyprians ebda., S. 151. Matthäus 22,21. Klein  : Völkerrecht, S. 194–261, Zitat S. 207 f. Klaus-Peter Matschke  : Sakralität und Priestertum des byzantinischen Kaisers, in  : Erkens  : Sakralität, S. 143–163. 223 Pfeilschifter  : Spätantike, S. 75–83.

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Zur Sicherung von Verträgen nahm man Geiseln, was auch dazu führte, dass in Rom eine Kolonie meist junger Leute aus den Peripherien lebte.224 Vergil hatte das Niederwerfen der Hochmütigen zur Aufgabe Roms erklärt. Wie dies debellare superbos aussah, beschreibt Tacitus anlässlich der Feldzüge des Germanicus in Germanien, welche die Niederlage des Varus 9 n. u. Z. rächen sollten. Der römische Caesar führt die Kölner Legionen, die gerade für höhere Löhne und frühere Pensionierung einen Aufstand angezettelt hatten (nachdem die Soldaten die Anführer des Aufstands ermordet hatten, »als sprächen sie damit sich selbst frei«225), zu einem Überfall auf die Marser im heutigen Westfalen. Die werden überrascht und niedergemacht  : »Eine Strecke von fünfzig Meilen verheerte er mit Feuer und Schwert. Nicht Geschlecht, nicht Alter fand Mitleid.«226 Wenig später waren die Chatten oder Hessen dran, wo er so überraschend erschien, »dass alles Volk, das wegen des Alters oder Geschlechts nicht wehrfähig war, sofort gefangengenommen und erschlagen wurde«227. Ihr Hauptort Mattium, wohl das heutige Metze südlich von Kassel, wird verwüstet. Ziel ist die Sicherung des Friedens, der zugleich Unterwerfung ist, oder bei wiederholtem Widerstand auch Genozid bedeuten kann, wie Germanicus in der Schlacht gegen Arminius präzisiert  : »Man brauche keine Gefangenen zu machen, nur die Vernichtung des Stammes werde dem Krieg ein Ende setzen.«228 Augustus ist aber durchaus glaubhaft, wenn er im Tatenbericht schreibt  : »Äußere Völker [externas gentes], die ich begnadigen konnte, habe ich lieber konserviert als ausgerottet.«229 Die politische Leitlinie war nicht Völkermord, sondern mit Gewalt durchgesetzter Friede an den von Rom bestimmten Grenzen (pacificare). Nur, dass die Barbaren immer mächtiger wurden.230 Die klassische Form des Umgangs mit Städten, Stämmen oder Königreichen, die in den römischen Einflussbereich gezogen oder gezwungen, aber nicht zur Provinz gemacht wurden, war die Föderation. Dies galt auch für jene germanischen Stämme, die vom 4. Jh. an auf dem Boden des Imperiums Land erhielten, wie die Goten 378 nach ihrem Sieg bei Hadrianopel, die 382 in geschlossenen Siedlungen nach eigenem Recht auf dem Balkan angesiedelt wurden und später weiterzogen  – Rom war einfach ein zu verlockendes Ziel, das sie 410 eroberten und plünderten. 418 erhielten sie Südfrankreich als eigenen Bundesstaat. 406 224 Kehne  : Geiseln. 225 Walter Sontheimer (Hg.)  : P. Cornellius Tacitus  : Annalen, Neuaufl. Stuttgart 2013 = Reclam 18984, S. 44 (Buch I, 44). 226 Ebda., S. 49 (Buch I, 51). 227 Ebda., S. 53 (Buch I, 56). 228 Ebda., S. 89 (Buch II, 21). 229 Res gestae Divi Augusti wie Anm. 175. 230 Pfeilschifter  : Spätantike, S. 121–193.

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überquerte ein Verbund von Vandalen, Sueben und Alanen der zugefrorenen Rhein  ; auch sie erhielten später als Bundesgenossen eigenes Land  – die Vandalen eroberten sogar Nordafrika. Aber auch das imponere morem Vergils – bring den Völkern bei, was Anstand und Sitte ist – war eindrucksvoll und hat in der Schönheit oder Zweckmäßigkeit seine Denkmale, etwa der Porta Nigra in Trier, alle folgenden Generationen beeindruckt. Römische Straßen durchzogen das Imperium, dessen Grenzen durch Grenzbefestigungen (limites) bezeichnet waren und gegen Angriffe verteidigungsfähig gehalten wurden  ;231 römisches Glas und römisches Werkzeug wurden an die »Barbaren« verkauft. In den imperialen Städten an der Grenze hielten sich manche Traditionen auch über die Katastrophen der Völkerwanderung und die Umwidmungen der Christianisierung hinaus  ; so sprach man in Köln im ganzen Mittelalter von der Gemeinde »St. Maria im Kapitol« – und begriff erst nach den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs, als die Grundmauern freigelegt wurden, dass diese Marienkirche an der Stelle eines Tempels für die kapitolinische Dreifaltigkeit errichtet worden war.232 Formen von Politik Rom bildete nach dem Sturz der Könige eine aristokratische Herrschaft, die oben skizziert wurde  : Der alte Adel führte jeweils eine Klientel an und bestimmte die Kurien, Ritter und Bauern hatte aber eigene Institutionen. Im Unterschied zu den res privata, Angelegenheiten, die innerhalb der jeweiligen Klientelverbände zu regeln waren, bildete sich ein Konzept der öffentlichen Angelegenheiten (res publica) heraus. Zu den meisten Ämtern wurde jährlich gewählt und es war der Regelfall, dass Ämter doppelt besetzt wurden. Unterschiedliche Gremien wählten. Die Kurienverbände bestätigten die Befehlsgewalt der höheren Ämter und den Oberpriester. Die Zenturiatskomitien, die in fünf Klassen nach der Steuerleistung zusammengesetzt waren, wählten aus den senatorischen Familien und den Rittern die Prätoren für Rechtsprechung und Verwaltung  ; aus den ehemaligen Prätoren die zwei Konsuln (ab 509) und aus diesen die zwei Zensoren, welche die Schätzung des Vermögens für die Steuer und die oberste Sittenaufsicht durchzuführen hatten. Die Volksversammlung der Plebejer wählte (ab 450) zehn Tribunen, die das Interzessionsrecht gegen die drei oberen Ämter besaßen. Der Senat bestand aus 300 gewesenen Amtsinhabern und übte über seine Autorität Einfluss. Im Prinzipat herrschte Augustus auf der Machtgrundlage seines Vermögens und seiner Legionäre, die er angesiedelt hatte, sowie durch Ämterkumulation. Nach dem »Vierkaiserjahr« 68/69 wurde der Imperator vom Heer gewählt. 212 erhielten fast alle 231 Walter Sötter (Hg.)  : Das römische Germanien aus der Luft, ²Bergisch Gladbach 1982 (Lübbe). 232 Hiltrud Kier  : Köln, ²Stuttgart 2011 = (Reclam 18564), S. 105–113.

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freien Untertanen des Imperators römisches Bürgerrecht, das aber nicht mehr mit der Möglichkeit verbunden war, an politisch relevanten Wahlen teilzunehmen. Zu den Legitimationen des Augustus gehört, dass er Frieden geschaffen hat. »Den Janustempel auf dem Quirinal, den unsere Vorfahren so gern schließen wollten, wenn auf dem ganzen Imperium des römischen Volkes zu Lande und zur See Frieden geboren aus Siegen herrsche, und der früher von der Gründung der Stadt an so weit das Gedächtnis reicht nur zweimal geschlossen wurde, entschied der Senat durch mich zu schließen« und »Allen Provinzen des Römischen Volkes [populus], denen Völker [gentes] nah waren, die unserem Befehl [imperio] nicht gehorchten, habe ich zu Grenzen verholfen.«233

Augustus rühmt sich der Erweiterung des Reichs v. a. durch den Erwerb Ägyptens und ist stolz auf die internationale Anerkennung durch zentral- und südasiatische Staaten.234 Kriterienkatalog

1. Von Anfang bis zum Ende war das römische Kaisertum eine Wahlmonarchie, »das Heer« wählte den Imperator. Zwar spielten große Familien eine mitentscheidende Rolle, weil es förderlich war, zu einer zu gehören, wenn man gewählt werden wollte. Eine in Familien und Clans organisierte Gesellschaft fand es auch normal, dass ein Vater seinen Sohn als Nachfolger förderte. In Ostrom entwickelten die Kaiser, die als einzige Purpur benutzen durften, einen Kult um »purpurgeborene« Prinzen und Prinzessinnen, ohne aber letztlich ändern zu können, dass auch sie Wahlen brauchten – als Bestätigung von Gottes Willen.235 2. In Rom wurden Staatskult und Staatsreligion getrennt  ; die Beteiligung am Staatskult wurde gegebenenfalls mit Gewalt erzwungen. 3. Ein Grundproblem der römischen Kaiserzeit war, dass die Kultur der Adelsrepublik entsprach, was durch das griechische Erbe noch gestärkt wurde. Es war eine in vielen Punkten individualistische Kultur, die der Muße einen Platz ließ, wenngleich der im Amt und insbesondere beim Militär errungene Erfolg das Ziel jeden Mannes und auch vieler Frauen der Oberschicht war. Die Legitimation des Imperiums fiel schwer. Augustus hat in seinem »Tatenbericht« von dieser individualistischen Konzeption individueller Hochleistung aus argumentiert. Das lief früh auf Vergöttlichung hinaus. 233 Res gestae Divi Augusti , s. o. Anm. 175. 234 Zu den römisch-chinesischen Beziehungen jetzt Friedrich  L. Adomeit  : Welt- und Vernetzungsgeschichte zur Zeit der europäischen Antike, in  : Edelmayer/Tost, S. 37–43  ; McLaughlin Silk Routes. 235 Klaus Peter Matschke  : Sakralität und Priestertum des Byzantinischen Kaisers, in  : Erkens  : Sakralität, hier S. 152.

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4. Die Ämter in der Republik waren durch den cursus honorum bestimmt.236 5. Die Struktur der Republik war durch die großen Familien wie gens Claudia oder gens Julia bestimmt. Die gentes waren Klientelsysteme  – anfangs in Bezirken (tribus), später konnten die »Klienten« Soldaten oder auch das Volk sein. Der Adel verstand seine Rolle nach dem klassischen Bild des Staats als Körper – er bildete das Haupt. 6. »Die Quelle der Macht im Imperium Romanum war ohne jeden Zweifel das Militär.«237 Das Imperium unterhielt zu Zeiten des Augustus 25, später zeitweise 28 Legionen.238 In den ersten drei Jahrhunderten betrug die Gesamtstärke 300.000 bis 400.000 Mann.239 Der Kaiser wurde vom Heer gewählt und war immer Feldherr. Um 400 n. u. Z. wird das Heer, v. a. durch die Einrichtung von auxiliaren Reitertruppen, auf 524.000 Mann erhöht. 7. Die Steuerzahlungen in der Republik wurden durch die Zensoren kontrolliert. In den Provinzen zahlten die civitates Tribut, der als Landsteuer oder Kopfsteuer eingezogen wurde.240 8. Das Imperium unterschied deutlich zwischen urbs und orbis – der Stadt Rom und den Provinzen. An den Grenzen gab es oft verbündete Klientelfürsten, die eigene Truppen unterhielten. Zeitweise übernahm z. B. das Königreich Palmyra die Verteidigung der Ostgrenze, aber 273 wurde die Stadt in der syrischen Wüste von den Römern zerstört.241 9. Rom förderte breite Grenzsäume, hinter denen der Limes lange mehr für die Sicherheit sorgte, als er eine Grenze im modernen Sinn geboten hätte. 10. So militärisch stark das Imperium an seinen Grenzen auftrat, so wenig war es in der Lage, die intellektuelle Entwicklung zu steuern. Der Hiatus zwischen individualistischem Bildungsgut und militärisch organisiertem Kollektiv wurde nicht aufgelöst, und die Zunahme des Christentums konnte trotz der Verfolgungen nicht eingeschränkt werden.242 11. Das republikanische Rom lebte in einem fast ununterbrochenen Kriegszustand. Frieden geschaffen zu haben, gehörte zu den wichtigen Ansprüchen der Kaiser, galt jedoch nur für die Binnenverhältnisse. 12. Mit dem griechischen Begriff »Barbar«, wurde auch in Rom viel kultureller Hochmut übernommen – diese Leute können ja nicht einmal »die« Sprache, sie brab236 Tabelle zur Zeit Ciceros Bernstein  : Anfang, a. a. O., S. 22. 237 Rollinger, a.a.O., Zitat S. 424. 238 Dreher  : Grundzüge, a.a.O., S. 103. 239 Bleckmann, a.a.O., S. 261. 240 Bleckmann, a.a.O., S. 261. 241 Vgl. insgesamt Meyer-Zwiffelhofer  : Imperium a. a. O. (Anm. 160) S. 80 – 117. 242 Hartmut Leppin  : Kaisertum und Christentum in der Spätantike, in  : Schneidmüller/Weinfurther, S. 153–172.

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beln. Nach Vergil wurde den Römern die Aufgabe erteilt, Sittlichkeit durchzusetzen, die Unterworfenen zu schonen und nur die Hochmütigen niederzuwerfen. Die Barbaren waren aber nicht nur treulose Feinde wie etwa Arminius, sie bildeten auch einen großen Teil der Sklaven und später Foederati innerhalb des Imperiums. Theoderich II., westgotischer König im Reich um Toulouse, wird von einem gallorömischen Aristokraten wegen seiner civilitas gerühmt – aus Barbaren waren Könige geworden, und sie lernten vom unterworfenen Gegner.243

China unter den Song Zeitleiste 4

221 v. u. Z. 220 n. u. Z.

Quin Dynastie Han  ; Eroberung des Südens bis Hainan, des Tarimbeckens im Westen, Wälle im Norden 618 n. u. Z. – 906 Tang  ; 881 ältestes Buch überliefert (Blockdruck) 917–979 Zehn Reiche und fünf Dynastien 960 Nördliche Song, Hauptstadt Kaifeng am unteren Hoang-Ho  ; im Norden davon  : Kaiserreich Khitan, Hauptstadt Beijing  ; im Osten  : Königreich Xia-Xia (Tanguten) am oberen Hoangho 983 Beschreibung einer Schiffschleuse, seit 968 Beamtenprüfungen244 1122 Die Jurtschen erobern Khitan, der König nimmt den Kaisertitel an  ; Dynastie Jin, Hauptstadt Beijing. Erobern Kaifeng. 1127 Grenze am Huai-Fluss nördlich des Jangtse  ; bestehen bleiben die Südlichen Song, neue Hauptstadt Huangzhou 13 Jh. wassergetriebene Zwirnmaschine 1276–1279 Eroberung durch die Mongolen, Dynastie Yüan

Östlich der Geländeabbrüche von den trockenen zentralasiatischen Hochländern zu den feuchten ostasiatischen Bergländern und Ebenen, östlich des Großen Chingan wurde China geschaffen.245 Von Natur mit Wald bedeckt ist China mit Europa, Nordindien und Nordamerika eine der größten der durch Rodung im gemäßigten Klima

243 Pfeilschifter  : Spätantike, S. 144. 244 Vgl. unten S. 101 f., 108, zur zeitgenössischen Kritik S. 114 f. 245 Werner Hilgemann, Günter Kettermann  : dtv-Perthes-Weltatlas Bd. 4  : China, Darmstadt 1975.

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hergestellten Kulturräume.246 Die in diesem Gebiet gesprochenen Sprachen gehören überwiegend der sinotibetischen Sprachfamilie an, innerhalb derer das Mandarin als kulturell wichtigste Sprache etabliert worden ist.247 In China248 ist die Domestizierung von Getreide (Reis) für das 7. Jt. v. u. Z. belegt  ;249 der Übergang vom Neolithikum zur Bronzezeit wurde unter der Dynastie Shang-Yin etwa 1.600 bis 1.000 v. u. Z. durchgesetzt. Die Einwohner verfügten über Bronze, Pferde, befestigte Städte und ein entwickeltes Herrschaftssystem  ; ihre militärische Stärke beruhte auf Streitwagen. Wirtschaftliche Grundlage war Ackerbau mit Hirse, Hafer, Weizen und Sorghum, halbnomadische Waldbauern und Viehzüchter spielten neben Sesshaften eine große Rolle. Sie verehrten vergöttlichte Ahnen – ti –, denen Hunderte Diener in die Gräber und in den Tod folgten. Den Shang (ihr letzter Herrscher wird als unfähig und pervers geschildert) folgten die Chou (11. Jh. vor bis 221 v. u. Z.). Ab dem 4. Jh. setzte sich unter diesen Staaten das Königreich Quin (Chin) am oberen Hoangho durch, dem es 211 v. u. Z. gelang, das Land zu einen, d. h. eigentlich  : den Raum China zu erschaffen. Der König von Quin nahm 221 den Titel Huang-ti an, was man mit »göttergleich erhabener Ahn« übersetzen kann  ; Huang bedeutet auch Glanz und Vermehrung.250 Die alten Königreiche wurden abgeschafft und das gesamte Territorium in 36 Regierungsbezirke und diese wiederum in Kreise aufgeteilt, an der Grenze zum Norden baute man einen Lehmwall mit Wachtürmen. Die kaiserliche Kanzlei ernannte die Verwaltungschefs bzw. setzte sie ab. Maße, Münze, Gewichte und Schrift wurden standardisiert. Es wurde angeordnet, solche geschichtlichen und politischen Texte zu vernichten, welche lokale oder oppositionelle Themen behandelten. Der Kaiser ließ sich ein riesiges Mausoleum bauen, in dem ihn nicht mehr dem Tod geweihte Menschen, sondern Terrakotta-Krieger als gewaltige Armee in der Ewigkeit erwarteten. Zeitweise bauten 720.000 Arbeiter an den Anlagen, während die Bevölkerung des Reiches etwa 20 Millionen betrug.251 Die Menschenopfer zum Tode des Mächtigen waren also zu Terrakotta sublimiert, aber die 246 Ich verstehe Kultur hier in der Grundbedeutung von colere = bebauen. 247 Haarmann  : Sprachen, S. 264–268  ; Ostler  : Language History, S. 134–173. 248 Lexika  : Birgit Zinzius  : Das kleine China-Lexikon, Darmstadt 1999 (WBG)  ; Großes China Lexikon  ; Quellen  : s.u. Anm. 267–271  ; Darstellungen  : einführend Angela Schottenhammer  : Chinaabschnitte, in  : Feldbauer/Hausberger Bde. 1–5, Wien 2008–2011 (Mandelbaum)  ; Achim Mittag  : Chinesische Welt, in  : EdN Bd. 2  ; Helwig Schmidt-Glinzer  : Das alte China, ³München 2002 (Beck)  ; umfassend  : Roberts  : China  ; Franke  : Kaiserreich  ; History and Civilization  ; jeweils mit knappen Notizen zum Forschungsstand sowie Bibliografie Schmidt-Glintzer  : Grundriss. 249 Diamond  : Guns, S. 322–333  ; Johannes Hackl  : Nutzpflanzen im Alten Orient und Asien, in  : Historische Sozialkunde 2015.4, S. 7–10, S. 8. 250 Franke  : Kaiserreich, S. 74. 251 Cao Jun  : Die Terrakotta-Armee des Ersten Kaisers, Xi’an 2006.

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ungeheure Arbeitslast einer solchen Totenfeier bildete fraglos einen Grund für die nach des Kaisers Tod ausbrechenden Bauernaufstände, welche die Dynastie nicht überdauern ließen. Die schnell nachfolgende Dynastie Han regierte anfangs in einer aristokratischen Koalition, deren Machthaber sich auf Regionen stürzten. Ein Aufstand von Territorialfürsten 179 endete aber mit deren Niederlage, da die städtischen Beamten sich auf die Seite des Zentralstaats stellten. In Auseinandersetzung mit den Hsiung-nu-Nomaden (wohl den ostasiatischen Hunnen) eroberte China das Tarim-Becken und nahm direkten Kontakt mit dem hellenistischen Baktrien auf. Um 100 gab es mehrere Kontakte zwischen Rom und China, meist war allerdings die Sperre, welche durch das Parthische Reich gebildet wurde, durchaus wirksam.252 Und im 2. Jh. n. u. Z. stiegen die Belastungen der Bauern im Kernland an und viele verloren ihre Unabhängigkeit an adlige Latifundisten. Außerdem kämpften im Reich die Hauptstadt gegen Provinzen sowie Adlige gegen gebildete Literaten, und lange galt die Loyalität vieler Untertanen eher ihren Clans als dem Kaiser. Die Dynastie setzte auf Eunuchen, da diese keine Clans gründen konnten  ; aber sie brachten zunehmend die Herrschaft an sich und verfolgten die gebildeten Beamten. Den Eunuchen gelang es nicht, die Verwaltung effektiv zu führen, und das Reich zerfiel angesichts von Einfällen von außen und einem Bauernaufstand im Innern im 3. Jh. n. u. Z. Das chinesische Imperium wurde zeitnah und ähnlich wie das Römische sowie wahrscheinlich von teilweise denselben nomadischen Völkern (Hunnen) vernichtet. Es gehört zu den welthistorischen Unterschieden, dass in China die Wiederherstellung des Imperiums gelang, während im Westen die erste Renovatio Imperii durch Justinian bald scheiterte und die späteren »Erneuerungen« eher einen virtuellen als einen realen Charakter hatten – weder stimmten die Territorien überein noch die Machtmittel. Wie im Westen das Christentum erleichterte im Osten der Buddhismus solche Erneuerung, aber in China wurden die Anhänger des Alten nicht derart radikal verfolgt wie im Westen seit Kaiser Theodosius, sodass der Taoismus erhalten blieb und der Konfuzianismus später sogar wieder zur Religion der Eliten werden konnte. 581 machte der Heerführer Wen sich zum neuen Kaiser und gründete die Dynastie Sui  ; zwei Jahre später schloss er Frieden mit den Gök-Türken, die zwischen 552 und 744 die Steppen zwischen dem Kaspischen und dem Japanischen Meer beherrschten.253 589 war das Imperium wiederhergestellt. Die Wälle im Norden wurden erneuert und zur 252 Friedrich L. Adomeit  : Welt- und Vernetzungsgeschichte zur Zeit der europäischen Antike, in  : Historische Sozialkunde 2015.4, S. 37–42  ; Skizzen der beiden Imperien und der Seidenstraße in dieser Periode S. 38 f. Vgl. McLauglin  : Silk Routes S. 188- 198. 253 Kürsat-Ahlers  : Staatsbildung, S. 306–376.

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besseren Verbindung mit dem Süden 610 der Kaiserkanal angelegt. Nach einem erfolglosen Krieg zur Eroberung Koreas führten die schweren Frondienste zu Bauernaufständen und diese zusammen mit Aufständen von Turkvölkern »wieder« zum Ende der Dynastie, aber schon 618 folgte der erste Kaiser der nächsten, den Tang.254 Die Tang-Kaiser kämpften gegen die Tibeter (die damals ein Großreich gründeten) und eroberten erneut das Tarim-Becken. Auf der westlichen Seite des Tienschan-Gebirges, in der Region von Samarkand, verloren sie 751 am Talas eine Schlacht gegen die Araber, in deren Kontext entschieden wurde, dass Turkestan muslimisch wurde. Die Schlacht war aber nicht zuletzt wirtschafts- und kulturgeschichtlich wichtig, weil die Sieger von den durch die chinesische Armee zur Herstellung von Propagandaschriften mitgeführten Handwerkern die Papierherstellung lernten. Die Periode der Sui und Tang wird in der aktuellen chinesischen Geschichtsschreibung als »blühendes Zeitalter« hoch gelobt, und viele Keramiken, Baureste und Zeichnungen zeigen Individuen wie Typen Chinas, Gedichte wurden geschrieben und erste Bücher entstanden in Blockdruck.255 Die Hauptstadt Changang nahe des Hoang-Ho war wohl die einwohnerstärkste und auch territorial größte Metropole der Zeit. Die Landwirtschaft im Tangreich ist v. a. durch die enorme Siedlungsbewegung aus dem Norden um den Hoang–Ho in die Territorien südlich des Jangtse gekennzeichnet. Die Struktur der Dörfer war durch patrimoniales Obereigentum des Kaisers und das Prinzip der »gleichmäßigen Feldverteilung« des bäuerlichen Besitzes gekennzeichnet  : 80 % der für einen Hof nötigen Ackerfläche fielen nach dem Tod des Bauern an den Staat zurück, aber 20 % – für Maulbeerbäume – wurden vererbbarer Privatbesitz. Trotz solcher äqualisierenden Gesetze entstanden Latifundien nicht nur der kaiserlichen Familie, sondern auch von taoistischen oder buddhistischen Klöstern, indem Kleinbesitzer enteignet wurden. Da die kulturelle Norm Chinas von Bauern ausging, wurden Sklaven als Bauern aufgeführt.256 Die Südwanderung bewirkte jedoch, dass Arbeiter rar waren und die Lebenslage der Pächter sich so verbesserte, so dass die Sklaverei trotzdem abnahm. Die Bildung wurde ausgebaut, in allen Provinzen wurden Schulen errichtet sowie zwei Universitäten mit je sechs Fakultäten.257 Als Voraussetzung für die Anstellung als Beamter wurde ein System von Prüfungen entwickelt, zu denen jeder sich melden konnte. Seit 736 war das Prüfungswesen unter der Leitung eines Ministeriums, Lerngegenstände waren Schreiben und Lesen sowie zunehmend Literatur und ­Geschichte.

254 255 256 257

Schmidt-Glinzer  : Grundriss, S. 130–138. History and Civilization, S. 86–113. Zum ersten überlieferten Buch Francke  : Kaiserreich S. 183. Franke  : Kaiserreich, S. 159. Franke  : Kaiserreich, S. 169.

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Karte 3: Song Grenzen um 1140 Beijing

XIXIA

KOREA

JIN

JAPAN

Kaifeng

Jingdezhen

TIBET

Huangzhou Jin Jurchen - Oberschicht [tungusisch]

„SÜDLICHE“ SONG

Hauptstadt

Song Hauptstadt

Guangzhou

KANGZHAO

Porzellan Kaiserkanal Reste der Großen Mauer

ANNAM

500 km © Entwurf: Hans-Heinrich Nolte Kartographie: Florian Partl

­ nfangs nur am Kaiserpalast institutionalisiert wurde es auf die Provinzebene ausgeweiA tet258 (unter den Ming und Mangschu auch auf die Kreisebene259). Das Militär bestand aus Söldnern, deren Loyalität ihren Generalen galt. Als ab 755 ein Söldnerführer revoltierte, konnte der Kaiser ihn nur besiegen, indem er ausländische Truppen anwarb – Türken, Tibeter und Uiguren. Ab 906 wurde das Reich in Regionen aufgeteilt (»Fünf Dynastien und zehn Staaten«). 960 begann ein chinesischer General, das ehemalige Imperium neu zu einen und wählte für seine Dynastie den Namen Song.260 Bemerkenswert ist, wie Kaiser Taizu nach dem Sieg im Bürgerkrieg die Armee disziplinierte  : Er machte die Generäle – mit denen er lange gemeinsam gekämpft hatte – zu Provinzgouverneuren und baute ein neues Offizierskorps auf, dem er die Handlungsmaxime gab, das flache Land nicht auszubeuten, die Zivilbevölkerung zu schonen und so wenig Leben wie möglich zu gefährden.261 Die Regierung bestand aus drei Hauptämtern mit jeweils einem Obersten Rat, der dem Kaiser vortrug. Neben dem Zentralen Sekretariat und der Kanzlei stand das Depar258 Marianne Bastid-Bruguière  : Prüfungssystem, in  : Großes China Lexikon  ; zu zeitgenössischen Kritik S. 113. 259 Vgl. Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 61 f. 260 Kuhn  : Confucian Rule  ; Schmidt-Glinzer  : Grundriss, S. 139–151  ; Schottenhammer  : Song. 261 Kuhn  : Confucian Rule, S. 33.

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tement für Staatsangelegenheiten, dem sechs Ministerien unterstanden  : Personal, Finanzen, Riten, Krieg, Justiz und staatliche Anstalten (wie etwa der Kaiserkanal). Taizu führte die Palastprüfungen wieder ein und schon unter seinem Nachfolger Taizong, der 976–997 regierte, erhielten 5.816 Personen, oft einfacher Herkunft, akademische Grade – mehrere den höchsten Grad eines beim Kaiser eingeführten Gelehrten. »Seit Beginn der Song-Zeit wurde die Mehrzahl der Beamten auf dem Weg über das Prüfungssystem ausgewählt.«262 Anfangs wurde Kai-Feng am Südufer des Hoang-Ho zur Hauptstadt. Anders als bei den Tang in ihrer Blütezeit reichte das Imperium im Norden nicht bis dorthin, wo heute die Große Mauer steht. Die dort und in der heutigen Mandschurei herrschenden Khitan gründeten ein eigenes Kaiserreich unter einer Dynastie Liao. Nach erbitterten Kämpfen einigten sich die Kaiser 1004 auf eine Doppelung  – der Song-Kaiser wurde »älterer Bruder« des Liao-Kaisers und ersterer »schenkte« letzterem jährliche Tribute  : 200.000 Ballen Seide und 100.000 Unzen Silber. Machte die Seide nur 2,5 % der Steuereinnahmen des Song-Kaisers aus, bewirkten die Silbertribute mehr Schäden, da Silber die Grundlage der Währung darstellte, auch nach der Einführung von Papiergeld.263 Die formale Oberhoheit des Song-Kaisers wurde so durch ein »politisches Alter« erhalten, obgleich sie der faktischen Unterlegenheit widersprach. Unabhängig vom biologischen Alter wird Hierarchie häufig durch Alter dargestellt, etwa beim »Senior« oder »Sir« für Verhältnisse zwischen Adel und Bauern oder »Jungherr« bzw. »Junker« zur Kennzeichnung des niederen Adels in Relation zu höheren Rängen. In Russland nennt man den niederen Adel in der Frühen Neuzeit »Bojarenkinder«, aber in der Formel vom »älteren Bruder« wird politisches Alter auch im 20. Jahrhundert in der Politik eingesetzt.264 Khitan wurde in vielen Sprachen zur Bezeichnung für China. Mit der Übernahme des Kaisertitels 916 wurde Erblichkeit an die Stelle der Wählbarkeit des Herrschers durch die Versammlung der Stämme gesetzt, man baute eine feste Hauptstadt, förderte den Konfuzianismus, entwickelte eine eigene Schrift und führte 988 sogar die zentralen Prüfungen ein. Im Westen der Song beherrschten die Tanguten, eine Koalition tibetischer Stämme, die Seidenstraße. Den Kaiser ihres Reiches Xixian adoptierte der Song-Kaiser als Sohn und zahlte ebenfalls jährlichen Tribut. Das heutige Yünnan war als Reich Nanzhao unter Tibetern und Birmesen unabhängig.265 262 Bastig-Bruguière a.a.O., S. 594. 263 Kuhn  : Confucian Rule, S. 45. 264 Beispiel bei Erwin Oberländer  : Sowjetpatriotismus und Geschichte, Köln 1967 (Verlag Wissenschaft und Politik), S. 230. 265 Zusammenhängende Darstellung Kuhn  : Confucian Rule, S. 20–28 mit Kartenskizze.

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1125 eroberten die Dschurdschen, eine Föderation halbnomadischer, eine ural-altaiische Sprache gebrauchender Reiterverbände aus der heutigen Mandschurei, das Land der Khitan und gründeten die Jin-Dynastie. Sie stießen in Nordchina weiter nach Süden vor und zwangen die Song, ihre Hauptstadt zu verlegen – zuerst nach Nanjing am Jangtse und dann in die Hafenstadt Hangzhou südlich des heutigen Schanghai. Für die folgenden anderthalb Jahrhunderte spricht man deshalb von den »südlichen Song«. Nach verlustreichen Kämpfen einigten die Kaiserhäuser sich wieder auf Frieden und jährliche Tribute – dem Text nach 250.000 Unzen Silber und 250.000 Ballen Seide.266 1206 begannen die Song einen Rückeroberungskrieg, den die Dschurdschen gewannen – in deren Rücken allerdings gerade Temüdschin zum Khan aller Mongolen gewählt worden war. Erst sein Enkel Kublai Khan vereinigte 1272 China wieder und gründete die Yüan-Dynastie, die das Reich über ein Jahrhundert lang regierte. Mehr als dreihundert Jahre Herrschaft einer Dynastie ist dem Historiker sehr beachtenswert  ; Osmanen und Neuassyrer haben wesentlich länger geherrscht, aber in der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches haben nur die Habsburger (bzw. Lothringer) Ähnliches erreicht. Ähnlich war auch, dass Song und Habsburger kontinuierlich gegen imperiale Gegner zu kämpfen hatten, deren nomadische Vergangenheit noch nicht ganz so weit zurücklag. Song und Habsburger waren jedoch diachron – als Erstere gestürzt wurden, betraten Letztere mit der Wahl Graf Rudolfs I. zum König 1273 gerade die Bühne der großen Politik (auf der sie allerdings erst viel später dauerhaft eine Hauptrolle spielten). Trotz beträchtlicher Kritik und zeitweiligen Siegen der Opposition aus den alten Eliten wurde die Politik von Wang (vgl. unten) bis zur Niederlage gegen die Dschurdschen weithin beibehalten. Zwar wurde die Niederlage von vielen auf das von Wang geförderte Milizsystem zurückgeführt, aber da die Song mit professionellen Armeen weite Vorstöße nach Norden durchgeführt haben, ohne die Dynastie Jin vernichten zu können, bot das preiswertere Milizsystem vielleicht die angemessenere Verteidigungsform. Arbeitsansätze

Quellenkunde und Historiografie China ist durch einen großen Reichtum an verschiedenartigen Quellen gekennzeichnet,267 von denen ein Bruchteil, aber doch eine beträchtliche Zahl ins Englische oder auch

266 Schottenhammer  : Song, S. 33. 267 Wilkinson  : Manual, besonders S. 844–861  ; Sebastian Eicher  : Chroniken und Geschichtsschreibung in China, in  : Hiery  : Übersee  ; Schmidt-Glintzer  : Grundriss, S. 153–208.

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Deutsche übersetzt worden ist.268 Die Song-Periode zeichnet sich dadurch aus, dass sowohl offizielle als auch private Texte durch den Buchdruck erhalten sind – auch viele Schriften der Perioden vor den Song. Zum einen ist das die offizielle Geschichte der Dynastie269, zum anderen sind es Überlieferungen der Tagesnachrichten vom Hof, die zeitgleich vom Büro für wichtige Dokumente gesammelt und in einer Fassung aus der Ming-Zeit überliefert wurden. Tradiert sind auch Werke zur Geografie, lokale Zeitungen, Reiseberichte, Gesetzessammlungen und Edikte, Enzyklopädien sowie v. a. Prosa und Gedichte. Außerdem sind Inschriften aller Art gesammelt und zum Teil ediert. Von etwa 100.000 überlieferten Biografien wurden 441 in Deutschland herausgegeben.270 Hinzu kommen Paläste, Mauern und Bilder, auch technische Denkmale wie der Kaiserkanal271 als wichtige Quellen. Da die chinesische Historiografie der Periode kulturell mandarinchinesisch und kaisertreu geprägt war, liegen zur Geschichte der Liao (Khitan), Xixia (Tanguten) und Jin (Dschurdschen) relativ wenige Nachrichten vor.272 Von den Liao sind kaum Dokumente unmittelbar überliefert, aber es gibt die offizielle Geschichte der Dynastie. Erst am Ende des 20. Jh. erschienen in St. Petersburg tangutische Texte, die ein russischer Gelehrter 1907 gesammelt hatte. Trotz beträchtlicher Zerstörungen nach der Eroberung durch die Mongolen 1226 sind Ruinen von neun kaiserlichen Mausoleen der Tanguten gefunden worden. Von den Jin gibt es eine offiziöse zeitgleich verfasste Geschichte, jedoch kaum Dokumente. In der Historiografie Chinas betrifft die vielleicht wichtigste Veränderung der letzten Jahrzehnte die Song-Periode. Einer der Väter der modernen Weltgeschichtsschreibung, William H. McNeill, hat im Rückblick auf sein epochemachendes Buch von 1963 »The Rise of the West« als wichtige Lücke erkannt, dass er bei der Arbeit an diesem Buch »die zentrale Rolle von China und chinesischer Zivilisation« zwischen den Jahren 1000 und 1500 »aus Unkenntnis (und Rest-Eurozentrismus)« übersehen habe.273 Meine eigene Bekanntschaft mit dieser »revolutionären Zeitenwende« begann mit der Lektüre von Angela Schottenhammer, welche die Periode auch für den Nichtfachmann unter 268 Textsammlungen  : Sources China I und II, zur Song-Periode besonders I, S.  587–754  ; Klaus Boch (Hg.)  : Konfuzius  : Gespräche, Essen 2004 (Magnus)  ; Sun Tsu  : Über Kriegskunst, ü. P. Lindley, Wiesbaden 2005 (Marix). Kleinere Quellenauszüge in Klaus Mäding (Hg.)  : China  : Kaiserreich und Moderne, Berlin 2000 (Cornelsen). Eine ergiebige Quelle aus ganz anderer Sicht sind die Reiseberichte Ibn Battutas  : Battuta  : Travels. 269 Wilkinson  : Manual, S. 501–515. 270 Wilkinson  : Manual, S. 857. 271 Vgl. Patricia Buckley Ebrey  : China. Cambridge Illustrated History, Cambridge 1996  ; auch Wim Schmitz (Hg.)  : China. 100 Bilder, Köln o. J. (NGV). 272 Wilkinson  : Manual, S. 862–870. 273 McNeill  : Rise, S. xv–xxx, hier S. xviii f.

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eben diesem Titel kurz zusammengefasst hat.274 Auch Dieter Kuhn wählt »Transformation« als Kennzeichen der Song-Periode.275 Thomas Ertl hat herausgestellt, dass die europäische Dreiteilung der Geschichte in Alte, Mittlere und Neue auf China nicht übertragbar ist,276 und Ulrich Menzel betont, dass die im Vergleich zu Europa große Kontinuität von Imperium und Geschichte bis heute die Folge hat, »dass China bis heute ein ungebrochenes Selbstverständnis als Zentralmacht« besitzt.277 Dem positiven Bild in der westlichen Historiografie steht allerdings weiterhin das negative in China gegenüber, »wo die Song-Dynastie v. a. mit der Schande assoziiert [wurde], welche der allmähliche Verlust des Territoriums an fremdländische Dynastien für das chinesische Selbstgefühl bedeutete«, wie Hans van Ess formuliert hat.278 Soziale Einheiten und Ökonomie Song-China war der dritte Ort der Agrarrevolutionen, welche im Hohen Mittelalter die eurasische Welt veränderten.279 In China wurden im Norden Hafer, Hirse und Weizen angebaut, in der Mitte und im Süden Reis, von dem über 30 Sorten bekannt waren. 1012 führte Kaiser Zhenzhong eine neue Sorte Nassreis ein, die nach ihrer Herkunft aus dem heutigen Vietnam (das damals diesen Namen trug) Champa-Reis heißt. Die neue Sorte erlaubte in vielen Gebieten mit hoher Durchschnittstemperatur zwei Ernten im Jahr. Nach den Landsteuerregistern wurden 1021 etwa 2,6 Millionen Tonnen Getreide geerntet. Die agrarischen Innovationen machten den Süden immer attraktiver, schon während der Tang waren Han-Chinesen hierhin gewandert, wo sie auch während der »Kleinen Eiszeit« vom 10. bis zum 12. Jh. (es wird berichtet, dass der Jangtse zufror) gute Bedingungen vorfanden, und wo viele Bauern aus Roderechten gute Besitzverhältnisse erlangten. Der Historiker Ma Duanlin schrieb am Ende des 13. Jh.,280 dass zwar die Quin und Han-Kaiser »sich für Besitzer allen Landes hielten und alle Entscheidungen selbst fällten«, dass aber in Wirklichkeit kein zentraler Herrscher die einzelnen Dörfer anleiten könne. Deshalb wurde im Lauf der Jahrhunderte »alles Land privater Besitz normaler Leute«. 274 Angela Schottenhammer  : Das songzeitliche Quanzhou im Spannungsfeld zwischen Zentralregierung und maritimen Handel, Stuttgart 2002  ; vgl. Schottenhammer  : Song. 275 Kuhn  : Confucian Rule. 276 Ertl  : Chinahistorie. 277 Menzel  : Ordnung, S. 72. 278 Hans van Ess  : Song-Dynastie in  : Großes Lexikon China, S. 683 f., Zitat S. 684. 279 Mitterauer  : Warum Europa  ?, S. 17–41  ; anschaulich Ders. in  : Beiträge zur historischen Sozialkunde 2002.1, S. 4–13. 280 Ma Duanlin  : Zusammenfassende Studien zu den literarischen Denkmalen, in  : Sources China I, S. 664–666, Zitat S. 665.

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Zur Leistungsfähigkeit der chinesischen Ökonomie dieser Periode gibt es eine Schätzung, die Helwig Schmidt-Glinzer publiziert hat.281 Zur Ergiebigkeit der chinesischen Wirtschaft um 1080

Bevölkerung in Mio. Ungeschältes Getreide pro Kopf Gesamtgetreideertrag Wert der gesamten Getreideernte (in engl. Unzen Silber) Anteil der Steuer am Nationaleinkommen

100 Mio. 71 kg 710 Mio. kg 320,8 Mio. 15,6 %

Selbstständige Bauern machten um 980 über die Hälfte der bäuerlichen Haushalte aus und dieser Anteil stieg bis 1067 auf 69 %  ; die übrigen zahlten Pacht für den Grund an Klöstern oder Adlige. Der Wohlstand vieler Bauern aufgrund guter Besitzrechte und ertragreicher neuer Fruchtsorten bildete die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Blüte. Das Verkehrssystem baute auf den seit den Qin ausgebauten Straßen auf, die 11,5 Meter breit und gepflastert waren, sodass Ochsenkarren auf ihnen fahren konnten. Alle 20 Kilometer gab es eine Pferdehalterei für die kaiserlichen Kuriere, unter den Song kamen Restaurants und private Gasthäuser zu den offiziellen Stationen hinzu. Allerdings nahmen Dichte und Ausbau der Straßen nach Süden hin ab, bis die Song ihre Hauptstadt in den Süden verlegten. Angenehmer für Reisen und leistungsfähiger für den Gütertransport waren die Kanäle. Seit 605 wurde der Kaiserkanal gebaut, der den Jangtse und den Hoangho sowie die Bohai-Bucht und die dicht besiedelten, weithin gewerblichen Norden mit den Produktionsgebieten von Seide und Reis im Südosten verband. Kanäle vernetzten das ganze Reich  ; eine Schleuse wird 983 erstmals beschrieben. Da Zölle erhoben wurden, weiß man z. B., dass 981 auf allen offiziellen Wasserwegen ca. 418.000 Tonnen Getreide verschifft wurden. Die Hochseeschiffe der Song-Zeit trugen mehr Lasten als die europäischen (auch späterer Zeit) – in Quanzhou hat man elf Werften ausgegraben, die Schiffe von bis zu 300 Tonnen Last bauten (das Flaggschiff des Kolumbus trug 110 t). Allerdings waren diese Schiffe so gebaut, dass sie auf dem Wasser schwammen wie eine Ente  ; europäische Schiffe mit ihrem tiefen Kiel ähnelten eher Fischen und waren damit manövrierfähiger.282 Der marokkanische Reisende Ibn Battuta nahm von Kalikut nach Kanton 1342 281 Schmidt-Glintzer  : Grundriss, S. 145. Die Umrechnung der Daten nach Trapp/Wallerus, S. 76–78  ; Jin = 220 Gramm. 282 Der Vergleich bei Kuhn  : Confucian Rule, S. 229 f.

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ein chinesisches Schiff und beschrieb es voller Bewunderung, v. a. die Größe und die Verteidigungsanlagen mit brennenden Naphtha-Bällen. Allerdings sank die Dschunke noch im indischen Hafen und nahm die Gastgeschenke des Sultans von Delhi an den Yüan-Kaiser mit auf den Grund.283 Eisen wurde an vielen Orten produziert. Auf der Grundlage der Steuerverzeichnisse schätzt man die Produktion von Eisen, je nach Konjunktur, auf 5.000 bis 20.000 Tonnen und die von Kupfer auf 2.460 bis 12.985 Tonnen jährlich. Die eigene Silberproduktion lag zwischen 15 und 60 Tonnen, Silber und Gold wurden aber stets auch importiert. Die chinesischen Städte blieben Sitze der Verwaltungen wie Paris oder Moskau und wurden nicht so autonom wie viele »freie« Städte Mitteleuropas. Manche chinesischen Städte waren sehr groß und voll urbanen Lebens, Ibn Battuta, der in Kairo, Damaskus und Delhi gelebt hatte, hielt Hanghzou für die größte Stadt, die er gesehen hatte.284 Kaifeng zählte an der Wende zum 12. Jh. eine halbe Million Einwohner. Jedes Gewerbe hatte seine eigenen Straßenzüge, es wurde für das Kaiserhaus und für privaten Gebrauch produziert, gehandelt und verkauft. Zu den Behörden, Gewerben und Marktverkäufern kamen die Fernhändler, man ging zu Papiergeld über und schrieb Wechsel, die im ganzen Imperium eingelöst werden konnten. Ein zentrales Gewerbe war die Seidenindustrie, die seit 2000 Jahren bestand und kontinuierlich technisch verbessert wurde. 1090 wird in einem Buch über Seidenkultur eine Maschine zur Herstellung von Seidenfaden beschrieben, mit der – von zwei Menschen bedient – bis zu 2.869 Gramm Seidenfaden am Tag gesponnen werden konnten. Textilfäden wurden mit der Hilfe von Wassermühlen verzwirnt  ; wie diese Erfindung nach Europa kam, ist unbekannt. Leicht zu belegen ist dagegen, dass Seidenstoffe nicht nur wichtige Fernhandelsgüter, sondern auch Mittel eines Austausches von Mustern und Moden zwischen Ost und West waren.285 Unter den Song gewann die chinesische Keramik durch die Erfindung von neuen Öfen, welche höhere Temperaturen ermöglichten, an internationalem Ansehen  ; sie bildeten eines der wichtigsten Exportgüter.286 Chinesisches Porzellan war teuer, aber im Handel des Indischen Ozeans weit verbreitet – Ibn Battuta, der um 1348 in Damaskus war, berichtet, dass es dort eine Stiftung gab, welche den Preis ersetzte, wenn Sklaven chinesisches Porzellan zerbrachen – damit sie nicht zu schwer bestraft wurden.287 Ein weiteres wichtiges Gewerbe war der Buchdruck, der Texte relativ preiswert zur Verfügung stellte. Papier war um die Wende zum ersten Jahrtausend erfunden worden, 283 284 285 286 287

Battuta, S. 223–226  ; der Marokkaner fuhr als Gesandter des Sultans nach China. Battuta  : Travels, S. 268. Ertl  : Chinahistorie, S. 21–27  ; Kuhn  : Confucian Rule, S. 213–232. Schottenhammer  : Song, S. 57–59. Battuta  : Travels, S. 40. Chinesisches Porzellan war auch im Maghreb geläufig  : S. 261.

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der Druck mit Holzplatten wohl im 6. Jh. Das älteste überlieferte Buch erschien 868. Unter den Song wurden Sammlungen von Dynastiegeschichten und von konfuzianischen und buddhistischen Schriften gedruckt. Die 978 gegründete Bibliothek des Kaiserpalastes besaß (später) über 80.000 Bände  ; ein Katalog wurde im 11. Jh. erstellt. Der um 1000 erfundene Druck mit beweglichen Lettern konnte sich in China nicht als Massenproduktion durchsetzen, da die chinesische Schrift aus Zeichen besteht, die eine Silbe oder ein Morphem bedeuten. Es sind etwa 60.000 Morpheme bekannt, aber auch wenn die Klassiker mit 4.000 Morphemen auskommen, sind bewegliche Lettern in dieser Zahl schwer zu handhaben. Der Block-Buchdruck wurde auch in China zu einem gewinnbringenden Gewerbe – während im Umfeld der Hauptstädte die Regierung den Buchdruck kontrollierte, entstanden fern der Zentrale im Süden große private Druckereien, die auch nach Japan exportierten.288 Das chinesische politische System beruhte auf den zentral durchgeführten Prüfungen, aber seit dem 11. Jh. gab es Forderungen, ein umfassendes Schulsystem289 einzuführen. Dagegen erhob sich allerdings Opposition der vielen privaten Schulen und Akademien im Lande  ; den Lehrern an staatlichen Schulen wurde mangelnde Zuwendung zu den Schülern vorgeworfen. Es gab verbreitete Curricula. Eine Schulordnung von 1181 bestimmte nicht nur den Tageslauf, sondern auch, wie man die vom Lehrer bestimmten Bücher zu lesen hatte. Das Curriculum sollte insgesamt »Lernen über die Natur des Menschen und über Prinzipien« ermöglichen. In einem Anfängerlehrbuch werden z. B. Begriffe erklärt  : Das Prinzip des Himmels, das alles durchfließt und in allen Dingen vorhanden ist, heißt himmlischer ›Auftrag‹ (ming). Die Gabe, die alle Menschen erhalten haben, das total Gute, heißt ›moralische Natur‹ (xing). Sich selbst regieren, Gefühle und Natur koordinieren heißt ›Verstand-und-Herz‹ (xin). Auf Dinge reagieren, die Bedürfnisse der eigenen Natur ausdrücken heißt ›die Gefühle‹. Die Eigenschaften der eigenen Natur, unterschieden in hart und weich, gut und böse – die heißen ›Kapazitäten‹ (cai). Die Richtung von Verstand-und-Herz, das angestrebte Ziel, aus dem alles andere folgt, heißt ›eigene Entscheidung‹ (zhi), der Geist des Baumes, bei Menschen das Prinzip der Liebe, die im Gefühl des Mitleids ausgedrückt wird, heißt Menschlichkeit (ren). Der Geist des Metalls, bei Menschen das Prinzip des Besitzes, ausgedrückt in Gefühlen von Scham und Verachtung, heißt Rechtmäßigkeit (yi). Der Geist des Feuers, bei Menschen das Prinzip des Respekts, das sich im Gefühl Höflichkeit ausdrückt, heißt rituelle Angemessenheit (li)  ; der Geist des Wassers, bei Menschen das Gefühl für Differenzierung, das im Gefühl für richtig und falsch ausgedrückt wird, heißt Weisheit (shi). 288 Schottenhammer, S. 56 f., Christina Neder  : Druck- und Verlagswesen, in  : Großes Lexikon, S. 166 f.; Viviane Alleton  : Schrift, ebda., S. 651–654. 289 Sources I, S. 667–719  ; 800–840.

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Die Worterklärungen gehen weiter. Vermutlich wurden solche Begriffserklärungen auswendig gelernt und dienten der Vorbereitung auf das Lesen von Büchern.290 »Die Chinesen sind die reichsten Leute der Welt«, so fasste Ibn Battuta – den es ärgerte, dass der Islam in China keine große Rolle spielte – etwas widerwillig Mitte des 14. Jh. deren Wohlstand und Kaufkraft zusammen.291

China hatte um 1000 n. u. Z. etwa 59 Millionen Einwohner, 22 % der Bevölkerung der Welt. Bis 1500 stieg die Bevölkerung auf 103 Millionen, was damals 23,5 % der Weltbevölkerung ausmachte. Angus Maddison berechnet Chinas Nationalprodukt (GNP) zu diesem Zeitpunkt mit 26.550 Millionen Dollar im Wert von 1990. Sein GNP pro Kopf setzt Maddison auf 450 Dollar im Jahr an, also etwas über dem Niveau Westeuropas – das er zwischen 400 Dollar und 425 Dollar im Jahr ansetzt, aber deutlich unter dem Westasiens (also dem Gebiet, mit dem Battuta verglich) mit 621 Dollar. Allerdings beziehen sich diese Daten auf die heutigen Territorien, die Staaten der Song-Zeit – Khitan, Tibet, Tangutenreich – sind also eingerechnet und das eigentliche Gebiet der Song wird ein höheres Pro-Kopf-Einkommen gehabt haben. Bis 1500 ist dieses »China« auf 600 Dollar pro Kopf geklettert, den höchsten Stand in Asien – einige europäische Länder haben es aber überholt  : »Italien« hat 1.100 Dollar pro Kopf erreicht, »Belgien« 875 Dollar pro Kopf.292 Italien wäre mit fünf Millionen Einwohnern um 1000 und 10,5 Millionen um 1500 in China allerdings nur eine Provinz gewesen, die wir hier vielleicht mit der Provinz um eine der Hauptstädte oder dem Jangtse-Delta vergleichen müssten  ; für Belgien hätte es mit 400.000 bzw. 1.400.000 Einwohnern wohl nicht einmal zu einer Provinz gereicht. Hätte Maddison in China eine der ökonomisch führenden Provinzen untersuchen können, wäre er für diese wahrscheinlich auf ähnliche Werte wie für Italien gekommen.293 Religionen und Ideologien Ich bin glücklich, weil ich ein Mensch und kein Tier, ein Mann und keine Frau, ein Chinese und kein Barbar bin, und weil ich in Luoyang lebe, der herrlichsten Stadt der Welt.294

Ahnenkult ist schon seit der späten Shang-Dynastie durch Inschriften auf Schildplatt oder Knochen, die für Brandopfer benutzt wurden, und auf Bronzegefäßen belegt. Ein 290 291 292 293 294

Cheng Duanmeng  : A Primer of Human Nature and Principle, in  : Sources I, S. 814–816, Zitat S. 814 f. Battuta  : Travels, S. 224. Maddison  : Contours, S. 376–383. Vgl. Pomeranz  : Divergence. Shao Yong im 11. Jahrhundert, zit. nach Kuhn  : Confucian Rule, S. 5.

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Beispiel aus der Periode 1200–1000 v. u. Z.: »Am Tag 20 las der König die Risse im Knochen und sagte  : ›[I]n den nächsten zehn Tagen wird es kein Unglück geben‹ […] Das war im fünften Mond, für die Woche, die am Tag 21 begann, als wir den Jin-Ritus dem Vorfahren Jin (dem 23. König) darbrachten, und am Xie-Tag für König Xiang Jia (dem 17. König).«295 Die Macht der Herrscher war ihre Verbindung mit den Göttern  ; sie sicherten durch diese magische Vermittlung die Ergiebigkeit der Ernte296 und den Sieg über die Feinde.297 Die Ahnen der Könige wurden vergöttlicht und konnten mit bestimmten Riten ebenfalls um Vermittlung zu den höchsten Göttern gebeten werden. Um sie zu erreichen, mussten die Könige aber selbst moralisch handeln  ; das Ende von Dynastien wird wiederkehrend darauf zurückgeführt, dass die letzten Söhne grausam oder pervers wurden bzw. sich der Völlerei hingaben. Das Pantheon in diesem Interpretationsmodell wurde von den Zhou zur Begründung des Sturzes der Shang durch den »Himmel« ersetzt  : So lange die Shang-Könige weise und wohlwollende Herrscher waren, hatten sie den Segen des Himmels  ; als sie aber grausam wurden, erhielten die Zhou den Auftrag des Himmels – tianming –, die »Welt« (die chinesische Welt) zu regieren. Dies Modell dynastischer Herrschaft wurde von fast allen Chinesen als Grundlage der Geschichte verstanden und prägte auch die offiziellen Dynastiehistorien. Die Kaiser Chinas haben die Aufgaben der Sicherung der Ernte und des Schutzes vor Feinden mit der Reichsgründung von den vorangehenden Königen übernommen. In den chinesischen Eliten gab es eine längere Tradition, die moralischen Bestandteile dieses Glaubens herauszuarbeiten und die schamanistischen zurückzudrängen. An der Wende vom 6. zum 5. Jh. hat ein Gelehrter (der gern ein leitendes Staatsamt in einem der damaligen Königreiche erhalten hätte) diese Richtung zusammengefasst  ; die Überlieferung seiner Aussagen  – die nicht den Charakter systematischer Philosophie oder gar der Offenbarung haben, sondern den von Gesprächen – stammt durchweg aus späterer Zeit. Meister Kung (551–479 v. u. Z.) weigerte sich z. B., über überirdische Wesen zu sprechen.298 Vor allem ging es ihm um das Verhalten, das er in einer Gruppe von Schülern – ru – durchsetzen wollte, im Glauben an die Wirksamkeit von Tugend, nicht

295 Sources 1, S. 15. Offenbar hat ein Schreiber die Daten festgehalten und den Orakelspruch des Königs zitiert. 296 Z.B. Sources 1, S. 8 das Orakel  : »Die östlichen Länder werden Ernte haben.« 297 Z.B. Sources 1, S. 12  : »Wenn wir die Mafang angreifen, wird Di uns helfen.« Di war der oberste Gott in einem Pantheon. 298 Konfuzius  : Gespräche, S. 93 Buch VII, Kapitel 87) oder S. 137 (Buch XI, Kapitel XXIV) in dem Konfuzius das Lesen von Büchern explizit über »Altäre der Geister und der Saaten« stellt. Vgl. Lin Yutang  : (Hg.)  : Konfuzius, deutsch Frankfurt 1957 (Fischer).

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die von Gewalt und Zwang.299 Zu den wichtigen der von Kung vertretenen Tugenden gehören kindliche Ehrfurcht, Menschlichkeit und Rücksicht auf Riten. Konfuzius – so sein latinisierter Name – individualisierte das Konzept des himmlischen Mandats (tianming) und wandte es auch auf Nichtherrscher an. Seine Grundregel ist, »andern nichts anzutun, was du selbst dir nicht angetan wissen möchtest«.300 Eine zweite in China entstandene religiöse Lehre ist der Daoismus.301 Der wichtigste Lehrer Laotse, ein Zeitgenosse des Konfuzius, setzte dessen gesundem Menschenverstand Tiefe und Geist entgegen und kritisierte das geordnete System mit Paradoxen. Schrieb Konfuzius Gespräche, welche Angehörige der Elite zu moralischen Menschen erzogen, die sich rücksichtsvoll um ihre Mitmenschen kümmern sollten, so verfasste Laotse Gedichte, über die Mönche in Klöstern meditierten  : Wiederkehr ist die Tat des Tao Sanftheit ist die Wirkung des Tao. Die Dinge der Welt kommen aus dem Sein Und das Sein (kommt) aus dem Nicht-Sein.302

Auch der Daoismus war kritisch gegenüber der Staatsgewalt und dem Militär  : Sanftheit überwindet Stärke Fische sollen im tiefen Wasser gelassen werden Und die scharfen Waffen des Staates sollten dort belassen werden, wo sie keiner sehen kann.303

Beide großen philosophisch-religiösen Systeme Chinas waren skeptisch gegenüber Gewaltanwendung, der Daoismus außerdem gegenüber technischer Entwicklung, staatlicher Herrschaft und Bürokratie. Beide weisen auf einen kritischen Überschuss philosophischen Denkens gegenüber königlicher und erst recht imperialer Machtentfaltung hin, der Chinas Geschichte begleitet hat. Das chinesische Denken setzt einen frühen Kontrapunkt zu seiner eigenen imperialen Geschichte. Laotse schrieb im Rekurs auf ein (Rousseau vorwegnehmendes) Bild der Urzeit  :

299 Sources 1, S. 41–63. 300 Konfuzius  : Gespräche, Buch XII, Kapitel II (S. 142)  ; Buch V, Kapitel XI (S. 67), Buch XV, Kapitel XXIII (S. 190) u.ö. 301 Sources 1, S. 77–111  ; Lin Yutang (Hg.)  : Laotse, deutsch Frankfurt 1955 (Fischer). 302 Yutang  : Laotse, S. 142. 303 Yutang  : Laotse, S. 132.

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|  Imperien als Zusammenfassungen einer Welt Wenn Fürsten und Herzöge das Tao wahren können, Wird die Welt von selbst verbessert werden. Wenn sie verbessert wird und in Tätigkeit tritt, Möge sie durch die namenlose Schlichtheit von ehemals in Schranken gehalten werden. Die namenlose Schlichtheit von ehemals Ist vom Begehren nach Wettbewerb frei, Durch das Freisein vom Begehren wird Ruhe erzielt, Und die Welt gelangt von selbst zum Frieden.304

Wettbewerb und Gewalt, die Laotse hier im 6. Jh. v. u. Z. kritisierte, hatten selbstverständlich nichts mit dem Westen oder Industriekapitalismus zu tun, sondern waren Bestandteile seiner chinesischen Gegenwart. Aber seine Kritik dieser Systematik des dauernden Unfriedens, war eben auch ein Teil dieses China. Auch wenn einige Kaiser den Daoismus und andere den Buddhismus förderten, blieb doch der Schamanismus mit der Rolle des Kaisers als »Sohn des Himmels« der herrschende Kult und der kontrollierende, rationale Konfuzianismus die zentrale religiöse Position der Elite. Es gab immer wieder andere »Neo-Konfuzianismen«, auch unter den Song.305 Konfuzianer forderten die Disziplin eines in der Tradition der Familien mit Rücksicht auf die andern gebundenen Menschen. Sie wandten sich gegen die Weltentsagung des Buddhismus, der in der Tang-Zeit großen Einfluss besaß  : Die Natur des Menschen ist im Grunde gut, und wer dem Buddhismus folgt und seine Familie verlässt und Ehemann oder Ehefrau, handelt in Wirklichkeit gegen die Natur. Buddhismus ist eine Fäulnis, die sich in den Menschen frisst […].306

Anders als im Konzept des seit der Geburt sündigen Menschen, der Erlösung von oben braucht und nur durch gute Werke, durch Gebet und Wallfahrt oder sogar »allein durch die Schrift« zu einem gnädigen Gott kommt, anders auch als im Konzept des Lebens als Leid, dem man durch Entsagung ins Nirwana entkommt, blieb China eine bäuerlich schamanistische, aber durch eine gebildete, weltzugewandte Elite geführte Gesellschaft. Der Islam spielte in China besonders in den westlichen Randprovinzen eine beträchtliche Rolle, aber auch Anhänger anderer monotheistischer Religionen des Westens, Christen 304 Yutang  : Laotse, S. 133 f. 305 Sources 1, S. 587–666. 306 Ouyang Xin (1007–1070), Zitat Sources 1, S. 515.

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und Juden, waren im China der Song-Zeit vertreten und wurden geduldet, wie außerdem Manichäer.307 Großen Einfluss besaßen die westlichen Religionen aber nicht. Außenbeziehungen Die Song haben immer wieder Feldzüge gegen die benachbarten Khanate und Kaiserreiche unternommen, aber sich im Regelfall mit diesen darauf geeinigt, ihnen beträchtliche Tribute zu zahlen sowie dafür formaliter ein Unterordnungsverhältnis anzuerkennen, etwa das des älteren zum jüngeren Bruder. Sie haben nie genügend Mittel aufgebracht, um die Reiche jenseits der jeweiligen Grenzen zu unterwerfen und das Imperium in den Grenzen der Tang wiederherzustellen. Dabei hat vermutlich individuelles Luxusbedürfnis der Oberschicht und der kaiserlichen Familie eine Rolle gespielt. Vielleicht war für die Niederlagen der Song an den Grenzen aber doch entscheidend, dass die Gegner in der Kavallerie durch die geographischen Bedingungen überlegen waren. Das vielleicht wichtigste militärische »Instrument« der Periode, das Pferd, war für den Reisanbau unnötig und vertrug subtropisches Klima schlecht, wurde in China also nur wenig gehalten. Zwar züchteten die Bauern der Gebiete mit Weizen-oder Hirseanbau im Norden Pferde, aber in den Steppen im Norden und Westen war es zuhause und stand den Nomaden oder Halbnomaden dieses Gebiets schnell zur Verfügung. Die Auseinandersetzung zwischen Sesshaften und Nomaden hatte hier eine spezifische Komponente. In der Außenpolitik der Song spielte aber sicher auch eine Rolle, worauf Herbert Franke verwiesen hat,308 dass der Konfuzianismus den zivilen Bereich über den militärischen stellte und die Song-Kaiser diese politische und philosophische Position unterstützten. Dieser Vorrang des Zivilen mag uns sogar für die Gegenwart als zu human erscheinen309, war vom 10. bis zum 12. Jh. nur schwer gegen eine militarisierte Umwelt zu verteidigen und unterlag im 13. Jh. dem Angriff der Mongolen und ihrer Bundesgenossen – trotz erbitterter Gegenwehr, die über eine Generation lang aushielt. Das lässt sich in das Bild fassen, dass viele »arme« Völker mit Neid auf das wohlhabende China sahen. Lange ließen sie sich mit Silber und Seide abspeisen, aber die Tribute erinnerten ja auch immer wieder daran, wo der Reichtum herkam – und erneuerten die Wünsche, an diesem Reichtum teilzuhaben, ohne sich jener Disziplin zu unterwerfen, ohne welche er nicht erarbeitet werden konnte. Mit den Tributen, welche die wohlhabenden Kaiser den umliegenden weniger wohlhabenden Nomaden zukommen ließen, ist ein Teil des Außenhandels angedeutet. Aber Seide und Porzellan bildeten auch global und von privaten Kaufleuten besonders aus 307 Schmidt-Glintzer  : Grundriss, S. 135 f. 308 S. u. S. 116 f., vgl. Franke  : Kaiserreich S. 217–222. 309 Nolte  : Ziviler Widerstand.

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Südchina gehandelte Güter, so wie Bücher, die innerhalb Ostasiens in dem Raum verkauft wurden, in dem der Blockdruck lesbar war.310 Formen von Politik Das klassische Bild des chinesischen politischen Systems stellt den Kaiser heraus, so etwa jüngst Susanne Kuss  : Der chinesische Kaiser galt als der moralische und politische Angelpunkt der Weltordnung. Er besaß das Mandat des Himmels und damit universale Macht über Frieden, Wohlstand und Sitte. Er war oberster Gesetzgeber, oberster Richter, oberster Administrator, oberster Herr der Beamtenschaft, oberster Zeremonienmeister für alle Staatsopfer und militärischer Oberbefehlshaber.311

Im politischen Alltag war dieses Programm jedoch nicht erfüllbar, nicht einmal, wenn der Kaiser ein Workaholic war – was auf einige wohl zutraf. Die daraus folgende Abwesenheit von der Familie mag dann auch ein Grund dafür gewesen sein, dass einige Söhne und Enkel sich lieber dem Luxus hingaben als diesen Arbeiten. Für die Kaiser gab es ein umfangreiches Bildungsprogramm. Die Dynastie definierte sich inmitten der chinesischen Gesellschaft, die sich in Schulen und Akademien um Bildung bemühte, als besonders gebildet. Viele Lehrer waren auf ihre Unabhängigkeit und ihr eigenes Urteil stolz, bekämpften einander aber gegenseitig  ; z. B. schrieb der Lehrer des jungen Kaisers Zhenzhong an die Kaiserinwitwe Dowager  : Allgemein gesprochen hat ein Herrscher, der das Mandat des Himmels erhalten hat, eine außergewöhnliche Gabe der Natur. Aber eine sorgfältige Prüfung der Geschichte erweist, dass die Intelligenz der meisten Kaiser und Könige nur selten überdurchschnittlich ist. Warum sind Kaiser, welche mit völliger Tugend begabt sind und den Weg kennen so selten  ? Wenn aber die Lehrer des Kaisers und seine Ernährer den Weg selber nicht kennen, ist es doch nur natürlich, dass es so ist […].312

Aber gute Beamte waren schwer zu finden, das stellte Wang Anshi 1058 in einem berühmten Memorandum an Kaiser Renzong heraus  :

310 S.o., S. 107 f. 311 Susanne Kuss  : Kaisertum, chinesisches in Hiery  : Überseegeschichte, Zitat S. 398. 312 Cheng Yi  : Denkschrift an Kaiserin Dowager, Sources I, S. 634–636, Zitat S. 635.

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Nur wenn wir in der Lage sind, eine große Zahl von tüchtigen Männern im Reich hervorzubringen, wird es möglich sein, eine ausreichende Zahl von Personen auszusuchen, die für Regierungsarbeit qualifiziert sind […]. Obgleich wir heute Schulen in jeder Präfektur und jedem Distrikt haben, sind das eigentlich nur Schulgebäude. Es gibt keine Beamten, die anleiten und führen  ; nichts wird getan, um Talent zu trainieren und zu entwickeln […].

Er forderte eine Reform des Bildungs- und Prüfungssystems, in der an die Stelle von Stilproben und auswendig gelernten Texten der Klassiker ein Essay über die »allgemeine Bedeutung der Klassiker« trat.313 Als wichtiges innenpolitisches Ereignis der Song-Dynastie gilt die Reform des Wang Anshi (1021–1086) unter der Herrschaft Kaisers Zhenzong (1068–1085).314 Mit folgenden Anordnungen  : – Regionale Beamte erhalten die Erlaubnis, Getreide, das sie als Naturalsteuer einsammelten, auf den Markt zu bringen. – Bauern erhalten Anleihen zum Kauf von Saatgut. – Um die Kosten der Söldnerarmee zu senken, wird eine Miliz eingerichtet, die lokal und regional organisiert ist. – Fronarbeit für den Staat wird durch eine Geldsteuer abgelöst, die v. a. von den Wohlhabenden eingezogen wird. – Alles Steuerland wird in gleiche Quadrate (li) aufgeteilt, von denen – abhängig von der Fruchtbarkeit – dieselbe Steuer eingezogen wird. Clans mit viel Land müssen also mehr Steuer zahlen. Wang Anshi plädierte dafür, die Vorräte der Getreidespeicher antizyklisch einzusetzen (also bei guten Ernten Erträge der Naturalsteuer einzulagern, ja, sogar dazu zu kaufen und vice versa) und die Anleihen an die Bauern mit 2 % monatlich zu verzinsen, »um es den Monopolhäusern unmöglich zu machen, die Periode zwischen den Ernten auszubeuten und das Doppelte der normalen Zinsen zu nehmen«315 (mehr als 48 % jährliche Zinsen dürften auf dem freien Markt also geläufig gewesen sein). Dagegen protestierte der Dichter und Beamte Su Shi, die Wirtschaft werde zusammenbrechen, wenn die dazu notwendigen neuen Behörden eingerichtet würden – »die großen wohlhabenden Kaufleute werden misstrauisch und wagen nicht, sich zu bewegen«.316 Nach dem Tod Kaiser Zhenzongs wurden die Reformen großenteils 313 314 315 316

Denkschrift an den Kaiser, Sources I, S. 612 –616, Zitat S. 614. Sources 1, S. 609–638. Denkschrift zu den Anleihen bei Ernten, hier Sources 1, S. 617. Denkschrift an den Kaiser, hier Sources 1, S. 624.

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wieder zurückgenommen. Reform und Gegenreform machen deutlich, dass der Kaiser inhaltlich auf seine Beamten angewiesen war, von denen einige der Regierung große Kompetenz in der Reform zutrauten, während andere auf die ökonomische Macht der großen Kaufleute verwiesen und die Kapazität des Kaisers, Reformen zu implementieren, für begrenzt hielten. Man kann zusammenfassen, dass das chinesische Imperium der Song-Zeit in einem monarchisch-bürokratischen Konsensverfahren regiert wurde. Der Kaiser suchte die Beratung mit seinen gebildeten und in einer bürokratischen Hierarchie geordneten Beamten. Je nach dem Arbeitswillen, der Intelligenz und dem Durchsetzungsvermögen des Kaisers entschied er über die Vorlagen seiner Beamten, die er selbst auswählte.317 Vom wirtschaftlichen Erfolg des Landes waren aber sowohl Beamte als auch Kaiser abhängig, und in diesem Bereich mussten sie auch Interessen berücksichtigen, die weder in der Dynastie noch der Beamtenschaft repräsentiert waren. Die grundlegende Legitimation der Herrschaft war die Annahme, dass China im Zentrum all dessen liege, was unter dem Himmel ist (tianxia), und Kultur wie Ordnung in Zonen zu den Rändern hin abnähmen, wo Barbaren leben.318 Die Aufgabe des Kaisers war, zwischen Himmel und Erde zu vermitteln, was er besonders durch Fruchtbarkeitsriten erfüllte (der Kaiser hatte die Pflicht, die erste Furche zu ziehen  ; die Kaiserin sollte das erste Blatt vom Maulbeerbaum ernten). Meister Kungs Konzept für Politik prägen Vorbildlichkeit und Sparsamkeit  :319 Um über ein Land, das tausend Streitwagen aufbieten kann, zu herrschen, bedarf es der ehrfurchtsvollen Wahrnehmung der Regierung, haushälterischen Wirtschaftens und der Liebe zu den Menschen, deren Dienste nur zu gebotener Zeit in Anspruch zu nehmen sind.

Man muss den Untertanen also eigene Mittel lassen  ; harte Strafen, gar Todesstrafen, lehnte Konfuzius ab.320 Der gute Fürst soll v. a. durch sein Beispiel wirken. Für die Gelehrten forderte er, modern gesagt, das Recht auf herrschaftsfreie Rede.321

317 Art Daniel Levine  : Court and Country. Discourses of Socio-political Collaboration in Northern and Southeren Song China, in Ertl/Trausch S. 351 -393. 318 Susanne Kuss  : Kaisertum, chinesisches in Hiery  : Überseegeschichte  ; vgl. Schmidt-Glintzer  : Grundriss, S. 18–20 und häufiger  ; Babones  : Tianxia. 319 Vgl. Buch I, Kapitel V (S. 26). 320 Buch XII, Kapitel XIX, XIII, Kapitel XI. 321 Buch II, Kapitel XII  : »Der umfassend Gelehrte ist kein Werkzeug.«

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Der Konfuzianismus ist seinem Wesen nach ausgeprägt antimilitaristisch. Der Vorrang, den er der Moral – theoretisch auch in der Politik – einräumt, muss notwendigerweise den Sinn für das Denken in militärischen Kategorien schwächen.

So urteilte Herbert Franke und wies damit auf eines der politischen Probleme der vielen Konfuzius-Renaissancen hin, welche die Geschichte Chinas bestimmen – so wirksam sie in Zeiten stabiler Macht zu Einhegung der Mächtigen sein konnten, so unzureichend waren sie gegenüber den Angriffen aus Gesellschaften, in denen die Eliten das Kriegerische zum eigenen Ethos machten.322 Das lag nicht an der Zahl der Soldaten, zwischen 970 und 1018 haben die Song die Zahl der Soldaten von 220,000 Mann auf 912,000 Mann erhöht.323 Trotzdem haben sie die Kriege nicht gewonnen und mussten immer mehr nach Süden hinter den Jangtse-Strom ausweichen. Aber sie haben lange Krieg geführt und sind erst gegen die Mongolen wirklich unterlegen. Die Neokonfuzianer wandten sich nicht nur gegen Bevorzugungen durch Herkunft oder kaiserliche Gunst in den Karrieren, sie setzten sich auch für Reformen des Prüfungssystems ein, für Wasser- und Deicharbeiten sowie Rodungen. Einige plädierten für die Wiederherstellung der Gleichheit der Ackerflächen und protestierten gegen die Latifundien der Reichen. Zu viele Menschen, so argumentierten sie, lebten von der Arbeit anderer, statt selbst zu arbeiten,324 und die Reichen holten sich Wanderarbeiter, die sie wie Sklaven behandelten.325 Viele forderten ein »Zurück zu den Quellen« der alten Zeit  : Das Land des Imperiums sollte in Quadrate aufgeteilt und zugewiesen werden, so dass jeder Mann ein Quadrat erhält. Das ist die Grundlage der Subsistenz des Volkes. In der letzten Zeit […] wurde nicht für die Subsistenzmittel des Volkes gesorgt, sondern es wurden nur Anordnungen zu ihrer Arbeit erlassen. Entgegen dem, was man erwarten durfte, wurde die herausgehobene Position des Sohnes des Himmels benutzt, um alle Sachen zu monopolisieren, die Gewinn abwerfen. Aber wenn die Regierung nur an die Regierung denkt und das Volk nur an sich selbst, haben sie sich gegenseitig nicht beachtet. Aber ›wenn das Volk viel hat, wird der Fürst nicht in Not sein. Wenn das Volk in Not ist, kann der Fürst nicht allein Reichtum genießen‹.326

Die neokonfuzianischen Analysen der Bereicherung der Mächtigen, der Herausbildung von Latifundien und der Selbstisolierung des »Sohns des Himmels« im Kaiserclan und 322 323 324 325 326

Franke  : Kaiserreich, S. 172. Kuhn  : Confucian Rule, S. 33 f. Cheng Hao (1068–1085), in  : Sources 1, S. 601–604. Su Xun (1009–1066), in  : Sources 1, S. 606–609, hier S. 607. Zhang Zai (1020–1077), in  : Sources 1, S. 605 f., Zitat S. 605. Das Zitat-Zitat ist von Konfuzius  : Gespräche Buch XII Kapitel IX (S. 145).

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im Hofzeremoniell verdeutlichen die Schwierigkeiten der Song-Periode. Wie überhaupt bei Konfuzius lassen sich viele seiner Sätze auf Charakter und Wirken der Menschen in den Perioden nach dem Neolithikum allgemein beziehen und bieten überzeugende Anknüpfungspunkte für Kritik. Allerdings wird aus den hier in Übersetzungen vorliegenden Texten nicht ersichtlich, dass die außerordentliche Dynamik der Song-Periode angemessen zur Kenntnis genommen und für ein neues, diese Dynamik begreifendes Konzept zusammengefasst wurde. Das bei Konfuzius im Hintergrund stehende Bild einer ursprünglichen Agrargesellschaft passte für die Song-Periode immer weniger. Dass das Imperium um die Jahrtausendwende zu einer solchen Umverteilung nach einem mehr als ein Jahrtausend zuvor verbreiteten Modell überhaupt in der Lage sei, wurde frühzeitig bezweifelt. Die Veränderungen wurden auch historisch erklärt  : Vor den Quin konnten die Söhne des Himmels Land nicht privat besitzen und die QuinKaiser seien die ersten gewesen, welche ganz China als ihren Besitz betrachtet hätten. In der Han-Periode sei aber die Kapazität der Beamten verloren gegangen, das Land sinnvoll an die Bauern zu verteilen, sodass »schließlich alles Land privater Besitz der einfachen Leute geworden sei«.327 Warum gelang es nicht, auch das Positive an den Veränderungen zu besprechen  ? Es wurden durchaus neue Vorstellungen vom Lauf der Geschichte diskutiert, welche man an die Stelle des ewigen Kreislaufs der Dynastien hätte setzen können. Waren die Sympathisanten einer Rückkehr zu der Agrarverfassung der Zhu kritisch gegenüber dem Imperium, so fassten andere den Weg dahin als unumgänglich, wenn nicht als Fortschritt auf  :328 Die vielen Flüsse haben alle einen eigenen Lauf, aber alle müssen ins Meer münden, wenn das Land nicht überschwemmt werden soll. Die tausend Staaten haben alle ihre verschiedenen Wege, aber alle müssen in die größere Gemeinschaft unseres vielfältigen Landes eintreten  ; nur dann werden die Randgebiete von der Furcht befreit, zu stagnieren. Groß ist das Prinzip, sich zu treffen und zu vereinen  !

Das knüpfte an alte Vorstellungen an, dass die Türen zwischen Staaten stets offen stehen sollten329, richtete sich zugleich mit der Betonung der Einheit sowohl gegen eine romantische Verklärung der Periode der Könige als auch gegen die Jin-Dynastie der Dschurdschen, welche die Einheit störten und später im Kampf gegen die Mongolen als erste unterlagen. 327 Ma Duaulin (1254–  ?), in  : Sources 1, S. 664–666, Zitat S. 665. Vgl. schon Su Xun (1006–1066), ebda., S. 608. 328 Zheng Quiao (1108–1166)), in  : Sources 1, S. 662–664, Zitat S. 663. 329 Kleinschmidt  : Völkerrecht, S. 43 f.

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Kriterienkatalog

1. Die Dynastie war eine der Grundeinheiten der chinesischen politischen Struktur, auch unter den Song. Die Hofhistoriografie periodisierte die Geschichte des Landes nach ihnen. »Dynastie« bezeichnet einen Großclan mit entsprechendem Besitz, der selbstverständlich für eine gute Ausbildung seiner jungen Leute sorgt. Dass Kaiser unter Umständen nur mittelmäßig begabt sind, wurde diskutiert. In der Historiografie wird das Ende von Dynastien oft mit Luxus, Drogen, Sexorgien und einer Zunahme von Eunuchen begründet. 2. Der Staatskult war schamanistisch, der Kaiser hatte als Sohn des Himmels die Aufgabe, durch verschiedene Riten ein gutes Einverständnis zwischen dem Himmel und der Erde zu sichern, nicht zuletzt für gute Ernten. Neben dem Staatskult gab es in China aber stets mehrere Religionen, von denen viele – der Buddhismus, aber auch Offenbarungsreligionen wie der Islam – aus dem Westen kamen. Verschiedene Dynastien förderten unterschiedliche Religionen, die Song den Konfuzianismus. 3. Von allen Gebildeten wurde erwartet, einen bestimmten Kanon an Literatur und Geschichte zu kennen sowie sich in Kalligrafie zu üben. Diese »unsere Kultur« – die Konfuzius siwen nannte – hielt das Land zusammen. 4. Unter den Song wurde China von einer umfangreichen Bürokratie regiert, die nach regionalen und danach zentralen Prüfungen in die Ämter gelangte. Die Schwächen dieses Systems  – eine gute Prüfung garantiert keineswegs immer einen verantwortungsvollen Beamten  – wurden diskutiert. Die Gelehrtenfamilien, aus denen die Beamten stammten, sicherten sich oft ihren Bildungsvorsprung  ; aber Verwaltungsmacht war an das Prüfungssystem gebunden, das zumindest Törichte von der Macht fernhielt. 5. Das chinesische Imperium unter den Song ist dadurch gekennzeichnet, dass die alten nordchinesischen Adelsfamilien in den Bürgerkriegen zwischen 880–960 verschwanden. Erblicher Adel ist später in China wieder entstanden oder durch Eroberung von außen eingeführt worden, im »Modell« des neuen China der Song, das ein Jahrtausend später das Modell des alten China war, spielte erblicher Adel jedoch keine entscheidende Rolle. 6. Das Kaiserreich unterhielt unter den Song sowohl eine zentral bezahlte Armee als auch eine Marine, zwischen 960 und 1018 wurde die Zahl der Soldaten sogar von 220,000 auf 912,000 Mann gesteigert,330 wohl die größte Armee der damaligen Welt. Trotzdem gelangen keine durchgreifenden Siege über die Nachbarreiche, vielleicht wegen der Kavallerie der Viehzüchter, vielleicht, weil der Konfuzianismus Frieden und

330 Kuhn  : Confucian Rule, S. 33 f.

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eine niedrige Steuerlast forderte. Der Kaiser war nicht zugleich Oberbefehlshaber  ; vielmehr wurde das Heer von Fachleuten geführt.331 7. Die wichtigste Steuer war die Landsteuer. Es gab mehrere Versuche, das Land unter die Bauern gleichmäßig zu verteilen, Maulbeerhaine waren jedoch erblicher Privatbesitz. Die Regierung handelte grundsätzlich nach dem konfuzianischen Prinzip, dass der Staat möglichst wenig ausgeben solle. 8. Die Differenz zwischen dem Zentrum und den Peripherien bildete eine Konstante der chinesischen Struktur  ; ein gebildeter Han-Chinese lebte am liebsten in der Hauptstadt. Das Song-Reich hat einige periphere Gebiete des vorangehenden Imperiums der Tang insbesondere im Norden Chinas nicht halten können, diese Gebiete wurden selbstständig. Dabei spielten auch die Unterschiede zwischen Han-Chinesen, anderen Chinesen und Angehörigen nichtchinesischer Ethnien in China oder an seinen Grenzen eine Rolle. 9. Die Grenzen des Kaiserreichs wechselten gegenüber allen Nachbarn nach der Machtlage. Da die weiteren Grenzen des Tang-Reiches bekannt waren und es auch Versuche zu Rückeroberungen gab, blieb wohl eine Vorstellung erhalten, dass das Imperium »eigentlich« größer war  ; die Grenzen wurden aber nach den Kriegen konkret festgelegt. 10. Unter den Song war der Zentralstaat grundsätzlich in der Lage, die Landsteuer einzuziehen. Er förderte die Wirtschaft und verbesserte die Infrastruktur. Gegenüber den Interessen der »Monopolhäuser« konnte er einen Versuch zur Wirtschaftslenkung jedoch nicht durchsetzen. 11. Der Kaiser war für den inneren Frieden verantwortlich, musste also z. B. Räuberbanden verhindern. Er war auch für den äußeren Frieden verantwortlich, was nicht notwendig militärisch vor sich ging. Die Songkaiser haben mehrfach mit ihren militaristischen Nachbarn Frieden geschlossen, indem sie ihnen Subsidien in Silber und Seide zahlten, welche die gegnerischen Kaiser oder Khane dann an ihre Gefolgsleute verteilen konnten. 12. Gerade die »realpolitischen« Zugeständnisse an kriegerische Nachbarn feuerten in der Song-Periode den kulturellen Hochmut der Han-Chinesen gegenüber den Grenzvölkern an. Es gab aber keine »Mission«, diese Khanate oder Königreiche zu unterwerfen und etwa zu »zivilisieren«, man war froh, wenn man sie draußen halten konnte.

331 Hans von Ess  : Chinesisches Kaisertum, in  : Schneidmüller/Weinfurter, S. 173–189  ; aus der Literatur liegt das 500 v. u. Z. verfasste Handbuch Sun Tsu  : Über Kriegskunst. Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft, ü. Wiesbaden 2005 (Matrix) deutsch vor.

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Mongolische Reiche – Dschingis Khan

China bildet den klassischen Fall einer Weltregion, in der  – nachdem die Tradition einmal begründet war – über mehr als zwei Jahrtausende hinweg immer wieder Imperien durchgesetzt wurden und selbst Teilreiche, wie Khitan oder Song, sich als Imperien verstanden. Die Imperien knüpften an die Disziplinierung der Bauern an, welche grundsätzlich bereit waren, Landsteuern zu bezahlen (auch wenn sie mitunter gegen ihre Höhe revoltierten)  ; sie knüpften an die, durch zentrale Prüfungen gesicherte, Kapazität der Beamten an und an die religiöse Tradition, dass der Kaiser in der Rolle des großen Ahnen des Landes zwischen Himmel und Erde vermitteln werde. Der Kaiser werde Katastrophen wie schlechte Ernten oder Überschwemmungen verhindern, Räuber im Land und von jenseits der Grenzen abwehren, und nicht zuletzt für moralisches Verhalten der Menschen sorgen, so wie er selbst moralisch war. Dynastien waren nötig, aber sie konnten abgelöst werden. Dschingis Khan und seine Nachfahren, die Dschingissiden, stehen dagegen für charismatische Herrschaft. Über 600 Jahre hinweg haben Dschingissiden geherrscht, in China und in Indien, über die Tataren im Wolgaland, in Russland und in Persien. Sie haben in diesen Gebieten als Khane, als Kaiser, als Sultane oder als Großmoguln Macht ausgeübt und Ordnung gehalten, Gewerbe befördert und sich in einer von religiösen Fronten zerrissenen Welt um Toleranz und Frieden bemüht. Sie haben auf globaler Ebene die Sache der Nomaden gegen die Sesshaften, der Viehzüchter gegen die Bauern gefördert.332 Die meisten von ihnen haben versucht, die Seidenstraße als zentralen, allerdings in vielen Routen verlaufenden Landweg zwischen Osten und Westen zu sichern und von den Abgaben auf den Fernhandel reich zu werden.333 Die Herrscher dieser Steppenreiche334 haben Schätze gesammelt und Gebäude gebaut, die wir noch heute bewundern, etwa die Grabmale in Samarkand oder das Taj Mahal bei Agra. Sie haben ganze Volksstämme vernichtet (wie die mongolischen Tataren in Nordasien) und anderen zur Macht verholfen (wie den turksprachigen Tataren im Wolgaraum). Und sie haben nirgendwo mehr als einige 100 oder 200 Jahre geherrscht  – lange Perioden für einen Historiker der Moderne, aber verglichen mit der Kontinuität von Imperien, die auf der Grundlage bäuerlicher Arbeit beruhten  – wie China, Russland oder auch das Heilige Römische Reich – doch deutlich kürzer. In der Theorie der Zeit passt der Wechsel der Sub-Dynastien zu Ibn-Khalduns Modell von Aufstieg und Zerfall herrschender Solidargemeinschaften, das er allerdings am Verhältnis von Beduinen und 332 Kwanten  : Nomads  ; Khazanov  : Nomads. 333 Haussig  : Seidenstraße  ; Höllmann  : Seidenstraße  ; Barisitz  : Silk Road. 334 Beckwith  : Silk Road  ; Trepavlov Imperii.

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Herrschaft im Maghreb untersucht hat  : Die erste Generation erträgt harte Lebensbedingungen und fühlt kollektiv, die zweite erobert eine Hauptstadt, die dritte organisiert die Herrschaft und richtet sich ein, die vierte Generation gewöhnt sich an ein individualistisches Lebenskonzept (»Luxus«) und die Solidarität nimmt ab. Entsprechend dauert die Herrschaft einer Dynastie meist drei oder vier Generationen beziehungsweise ca. 100 oder 120 Jahre. Wenn man bei den Mongolen an die Stelle der Wüste die nördliche Steppe setzt, scheint das Modell erklärungskräftig.335 Die Geschichte der Dschingissiden beginnt als Familiengeschichte336 und einer Person göttlicher Herkunft, Temüdschin. Die »Geheime Geschichte der Mongolen« berichtet, dass sein Urahn ein vom hohen Himmel erzeugter, schicksalserkorener grauer Wolf und seine Mutter eine weiße Hirschkuh gewesen sei. Es folgen die chronologischen Register der Sippen. Heiraten werden zwischen Familien verabredet, häufig ist auch Frauenraub, so auch bei der Mutter Tedmüdschins Ho’elun. Ihr Mann will sie im Karren nach Haus bringen und der Vater überfällt ihn. Ho’elun rät ihrem Mann spöttisch zu fliehen, und der folgt dem Rat, weil er Noch nie seinen Haarschopf Dem Wind ausgesetzt und Noch nie in der Steppe Hunger gelitten an seinem Leib […]337

Temüdschin338 wird 1155 geboren, er bekommt vier Brüder und eine Schwester. Während einer Reise vergiften Tataren den Vater. Die Mehrheit des Stammes lässt die Mutter mit ihren Kindern zurück, aber Ho’elun gelingt es, die Kinder großzuziehen339 und eine starke Familie entsteht. Temüdschin – »Mit Glanz im Gesicht/ Und Feuer in den Augen«

 – wird als überragende, vom Geist – oder einem Geist  ? – beseelte Führerpersönlichkeit vorgestellt  ; er wird zum Khan der Mongolen gewählt  ; die Führer der Sippen versprechen ihm unbedingte Gefolgschaft  :340 335 Khaldun Muquadimma, S. 134–177, vg. S. 205 f., vgl. auch S. 325–330. 336 Walther Heissig (Hg.)  : Das Buch vom Ursprung der Mongolen (1981) ²München 1989, ü. Erich Haenisch, Erstauflage 1940 bei Harrassowitz, vormals Schindler, in  : Leipzig [folgend Geheime Geschichte]. 337 Geheime Geschichte, S. 17. 338 Weatherford  : Genghis. 339 Geheime Geschichte, S. 23. 340 Ebda., S. 46.

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Wenn du, Temujin, Khan bist Wollen wir gegen die vielen Feinde vorne reiten […] Wenn wir am Tag des Kampfes nicht Folge leisten deinem Befehl, reiß uns Von unseren Lehen Von Gattin und Weibern und Wirf unsere schwarzen Köpfe auf den Erdboden […].

Mit solchen Gelübden und solchen Eiden erhoben sie Temüdschin zum Khan mit dem Titel Dschingis Khan.341 Einer der ersten Kriege der nun vereinten Mongolen ging gegen die (asiatischen) Tataren.342 Nachdem sie besiegt waren, beschloss die Sippe, die erwachsenen Männer zu töten und die anderen zu versklaven  : In früherer Zeit haben die Tatar Unsere Ahnen und Väter getötet Wir wollen sie zur Rache und Vergeltung für Ahnen und Väter diesen opfern, Am Achsenstift gemessen niedermetzeln, Wollen sie bis auf den letzten Mann abschlachten, Wollen die übrigen zu Sklaven machen, nach Allen Seiten hin unter uns verteilen.

Unter den Mitkämpfern verteilt der Khan Privilegien,343 v. a. erhalten sie das Weideland unterworfener Gegner. Die Formel für treue Gefolgschaft lautet  :344 Hast dich im Nebel nicht verirrt, Hast dich im Handgemenge nicht abgesondert, Bei Nässe hast du dich mit mir durchnässen lassen, Bei Kälte mit mir gefroren.

341 Anm. des Hg.: Die Bedeutung von Dschingis ist strittig, möglicherweise ist es der Name eines Lichtgeistes, wie er beschrieben wird – »mit Glanz im Gesicht und Feuer in den Augen«. Beckwith Silkroad plädiert S.  415 Anm. 83 für »ozeangleich« als Gegenbegriff zu dem seines Rivalen Janunka »GürKann« als »universaler Herrscher«. 342 Geheime Geschichte, S. 68 343 Geheime Geschichte, S. 124. 344 Ebda. S. 120 u.ö.

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1211 begannen die Feldzüge gegen Khitan, die Tanguten und nach Turkestan. Eine seiner Frauen, die Tatarin Yesui, mahnt ihn, sein Erbe zu sichern, und die vier Söhne wählen Ögödei zum Nachfolger. 1227 »stieg Dschingis Khan zum Himmel auf«. Nach seiner Himmelfahrt gab man das meiste Gut und die Sklaven aus dem letzten Feldzug Yesui. 1228 wählten die Prinzen und Prinzessinnen über die Eidame, die Zehntausendschaftsführer und die Tausendschaftsführer in einem allgemeinen Treffen Ögödai Khan (der nicht der älteste Prinz war) zum Kaiser. Das Weltreich der Mongolen war begründet.345 Es hatte schon vor Dschingis Khan ein Khanat der Mongolen gegeben, eine aristokratische Herrschaftsorganisation, in der die Posten nach Herkunft vergeben wurden und die Beute nach Herkunft geteilt wurde. Das Khanat war in kleinere Clans gegliedert. Temüdschins Familie gehörte wohl zum niederen Adel, sie waren Schmiede (ein sehr angesehenes Handwerk).346 Durch den frühen Tod des Vaters waren sie isoliert und in Gefahr, versklavt zu werden  ; Temüdschin wurde auch wirklich gefangen und sein Kopf in einen Holzbalken gesteckt. Es gelang ihm aber, zu entfliehen. Es war also ein Außenseiter, der eine neue Ordnung in diese Gesellschaft von Viehzüchtern und Beutejägern brachte. Bei ihm wurde jeder nach seiner Leistung belohnt  ; die neue Ordnung durchbrach die alten Stammesstrukturen. Allerdings beruhte das Khanat auf erfolgreicher Expansion  ; Niederlagen gefährdeten schnell die gesamte neue Struktur. Das in Sippen und Stämme gegliederte nomadische Volk mit schamanistischer Religion hatte unter der Führung des als Lichtgestalt vergöttlichten Khans damit begonnen, alle Stämme der zentralasiatischen Steppen in das Reich einzugliedern (oder zu vernichten) und die Bauern in Oasen oder Randgebieten zu unterwerfen. Die Grundlage der militärischen Kapazität stellte ihr Umgang mit Pferden dar und eine Erziehung, welche Stolz darauf weckte, alle Belastungen zu ertragen. Den Kern der Macht bildete eine Gefolgschaft, auf welche der Khan sich verlassen konnte und die beim Aufgebot weder Ausreden suchte noch Qualen scheute. Wer dem Khan gut diente, wurde mit Anteil an der Beute sowie mit Ruhm und Weidegründen belohnt. Feinde wurden, wenn man ihnen mangelnde Gastfreundschaft oder gar Verrat vorwarf, im Extremfall ausgerottet – die erwachsenen Männer (gemessen an der Achse des Karrens) wurden getötet, Frauen 345 Spuler  : Mongolen  ; Conermann/Kusber  ; Eggebrecht  : Mongolen, S. 45–116  ; Weiers  : Mongolen  ; Bert Fragner  : Die Mongolen und ihr Imperium, in  : Fragner/Kappeler, S. 103–120  ; T. T. Alsen  : Culture and Conquest in Mongol Eurasia, Cambridge 2004   ; Johannes Grießauf  : Size does matter – das mongolische Imperium. in. Gehler,/Rollinger 1, S. 589–620  ; Anfangsperiode  : Ralph Kauz  : Die Gründung des Mongolischen Weltreichs, in  : Feldbauer/Hausberger Bd. 1, S. 112–136  ; vgl. Kürsat-Ahlers  : Staatenbildung. 346 So Weiers Geschichte, S. 50  ; Beckwith  : Silkroad, S. 183 folgte dagegen der »Geheimen Geschichte« und hält Temüdschin für einen Enkel des letzten Khans.

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und Kinder versklavt. Die Sklaven wurden als Beute in den Familien verschenkt oder verkauft. Die Frauen der Mongolen hatten eine gute Stellung  ; auch von der ersten Frau Dschingis Khans Borte wird berichtet, dass sie Glanz im Gesicht und Feuer in den Augen hatte. Der Rat einer weiteren Frau aus dem dezimierten, aber mit Herrschaft erfahrenen Stamm der Tataren, wurde vom Khan gehört und auch ihr wurden Sklaven und Land geschenkt. Zu den wichtigen Neuerungen Dschingis Khans gehörte die Organisation der Armee nach dem Dezimalsystem. Der Khan bestimmte die Führer dieser Truppenteile (10er, 100er, 1000er und 10.000er), die nicht automatisch aus dem alten Adel kamen. Die strenge Durchführung der Dezimalaufteilung teilte die Soldaten von ihren gentilen Verbänden ab, und diese Trennung wurde auch auf die Verbände selbst übertragen. Nur wenige freiwillig beigetretene Clans behielten ihre alte Struktur. Aufteilung und neue Zusammenfügung ermöglichten eine rasche Mobilisierung und förderten »das Genossenschaftsgefühl der von oben geschaffenen (Militär)Gemeinschaft«.347 Der Khan bestimmte auch die Zusammensetzung von Garden, die stets um seine »Palastjurte« herum zu lagern hatten. Nach seinem Tod wurde, wie Dschingis Khan es bestimmt hatte, weder der älteste noch der jüngste Sohn zum neuen Großkhan gewählt, sondern Ögödei. Er sandte 1229 seinen Cousin Batu zur Eroberung des Wolgaraums in den Westen und führte selbst den Feldzug gegen Khitan fort. In einem zweiten Westfeldzug unterwarfen die Mongolen die Wolgatürken und 1237–1240 die russischen Fürstentümer  ; im April 1241 vernichteten zwei Teilarmeen jeweils ein schlesisches Heer bei Liegnitz und ein ungarisches am Sajó. Der Tod des Großkhans im fernen Karakorum im Dezember dieses Jahres ließ Batu jedoch das Heer zurückziehen. Zwar gelang es noch zwei Mal, Großkhane zu wählen, aber die Einheit des Großreiches wurde ab 1259 zunehmend von den Clans in Frage gestellt. Kubilai, Sohn des jüngsten Prinzensohns von Dschingis Khan, erklärte sich 1260 selbst zum Großkhan  ; das Imperium zerfiel in  – 1. das Khanat Kiptschak, auch ›Goldene Horde‹ genannt, im Wolgaraum. Die meisten Teile dieses Ulus sprachen Turksprachen, wählten aber regelmäßig einen Dschingissiden zum Khan. Die Goldene Horde hat bis zum 15. Jh. von Russland Tribut eingezogen, dieses hat aber durch die Übernahme tatarischer Institutionen wie der Post und der freien bewaffneten Grenzbauern (Kosaken) in konkurrierender Imitation gelernt. Die Goldene Horde teilte sich im 15. Jh. Im 16. Jh. wurden die Khanate Kasan, Astrachan und Sibirien von Russland annektiert und das Khanat der Krim

347 Grießauf a.a.O., hier S. 594–597, Zitat S. 595.

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vom Osmanischen Imperium zur Anerkennung der Oberhoheit gezwungen.348 Das Krimkhanat wurde 1783 vom Russischen Imperium annektiert. 2. Das Khanat ›Tschagatei‹ in Zentralasien zwischen Hindukusch und dem heutigen Kasachstan. Wichtige Teile wurden im 17. Jh. vom Kaiserreich China bzw. von Persien erobert  ; in anderen Städten Turans siegten usbekische, einen reineren Islam vertretende Emire meist im 18. Jh.349 3. Das ›Zentralkhanat‹ zwischen dem Herkunftsland der Mongolen und Tibet einschließlich Chinas (je nach dem Stand der Kämpfe mit den Song). Nach dem Sieg der Ming-Dynastie in China 1368 blieb Letzteres als mongolisches Khanat bis zur Aufteilung zwischen Russland und dem Mandschu-Reich 1698.350 4. Das Ilkhanat, das sich von einer Linie zwischen Schwarzem Meer und Aralsee im Norden bis zu einer Linie zwischen Mittelmeer und Persischem Golf im Süden erstreckte. Die Geschichte dieser Teilkhanate gehört nicht mehr in den Kontext dieser Skizze. Zwei Exkurse scheinen aber ergiebig – zu Timur Lenk und zum Mogulreich in Indien. Dynastie der Dschingissiden

Die Nachfahren Dschingis Khans wählten zwar noch einen Großkhan, teilten sich aber bald in mehrere „Horden“ auf. Diese wurden jeweils von Dschingissiden regiert, fassten aber unterschiedliche Ethnien, Religionen und Kulturen zusammen oder hielten sie unterworfen. 1. die östliche, die China unterwarf und dort die Dynastie Yüan gründete. Sie wurde 1386 von der han-chinesischen Ming-Dynastie vertrieben. 2. Die mittlere, die das Ausgangsgebiet beherrschte und bis 1689 von Mandschu-China unterworfen wurde. 3. Die südliche, die ein Reich zwischen Turkestan und dem Persischen Golf mit der Hauptstadt Samarkand errichtete. Eine Teillinie eroberte von dort aus den Norden Indiens und errichtete 1540 das Reich des Großmogul. Die Großmoguln verloren zwar ab 1757 Provinzen an die Marhatten und die Englische Ostindische Kompanie, blieben aber bis 1857 auf dem Thron in Delhi. 4. Die westliche, die sich bald in vier Teil-Khanate teilte (Sibirien, Kasan, Astrachan, Krim). Das Großfürstentum Moskau befreite sich 1480 und eroberte Kasan, Astrachan und Sibirien. Das Krim-Khanat bestand als vom Osmanischen Reich abhängiger Staat bis zum 18. Jahrhundert und wurde 1783 von Russland annektiert. 348 V.D. Grekov  : Zolotaja Orda i ee padenie, Moskva 1950 (Akademie)  ; L. N. Gumilev  : Drevnjaja Rus’ i velikaja step, Moskva 1993 (Mysl’). 349 Bert Fragner  : Die »Khanate«  : Eine zentralasiatische Kulturlandschaft 15.–19. Jh., in  : ZWG 9.1 (2008), S. 33–76. 350 Russland verhandelt mit ihnen im 17. Jahrhundert  ; die Mandschu setzen sich aber durch.

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Vertreter der Dynastie regierten also von 1206, der Wahl Temüdschins zum Großkhan mit der Bezeichnung Dschingis Khan, bis zur Absetzung des letzten Großmogul durch die Briten 1857 in verschiedenen Regionen Asiens. Arbeitsansätze

Quellenkunde und Historiographie Die Geschichte der Mongolen beruht für ihre Anfänge auf oralen Traditionen  ; erst ab der Eroberung Khitans nehmen die schriftlichen Zeugnisse zu. Das Mongolische gehört zu der altaiischen Sprachfamilie, zu der als weitere Abteilungen auch die tungusischen und die Turksprachen gehören.351 Die wichtigste Quelle, die »Geheime Geschichte der Mongolen«352, wurde 1240 aufgezeichnet. Die Familiengeschichte wurde innerhalb der Dynastie des Dschingis Khan weitergegeben und diente ihrem Selbstverständnis. Dass er sie nicht einsehen durfte, beklagte der jüdische Gelehrte Raschid ad Din, der (vor 1318) am Hof der Il-Khane in Persien eine Weltgeschichte schrieb. Die »Historische Kommission« des Ming-Kaisers nahm sie in chinesischen Schriftzeichen, aber mongolischer Sprache nach dem Sturz der Yüan 1368 in ihre Sammlung auf und sie wurde ab 1407 im Fremdspracheninstitut in Peking als Lehrstoff verwendet, aber später vergessen. Erst im 19. Jh. wurde der mongolische Text in chinesischen Zeichen wiederentdeckt  ; 1929 wurde in Ulan Bator eine 1655 hergestellte Fassung in mongolischer Schrift gefunden. Inzwischen wurden auch Epen über Dschingis Khan entdeckt. Große Teile der Geheimen Geschichte sind stabreimende Gedichte aus oraler Tradition (man nimmt an, dass diese Heldenlieder vielfach gesungen wurden, wie im Westen Lieder von Siegfried oder Dietrich von Bern, bevor sie niedergeschrieben wurden). Weitere Quellen sind vielfältige Berichte von Reisenden353 sowie aus eroberten Ländern wie Russland354 oder China355 und auch von Turkvölkern wie den Uiguren, die 1209 die Oberhoheit Dschingis Khans anerkannten.356 Das Problem dieser Quellen ist, dass sie von den Besiegten stammen. Es gibt zwar einzelne Verträge oder Briefe aus mongolischer Hand, aber z. B. nur wenige Bauten. Es gibt viele Gebrauchsgegenstände, die als typisch mongolisch angesehen werden  ; doch sie stammen meist aus dem 19. oder 351 Haarmann  : Sprachen, S. 268–270. 352 Walther Heissig (Hg.)  : Das Buch vom Ursprung der Mongolen (1981) ²München 1989, ü. E. Haenisch, Erstauflage 1940 bei Harrassowitz, vormals Schindler, in Leipzig. 353 Michael Weiers  : Westliche Boten und Reisende zu den Mongolen, in  : Eggebrecht  : Mongolen, S. 185– 195. 354 Quellenbuch Nrn.1.10–1.14. 355 Sources China 1, S. 755–778. 356 Wolfgang Ekkehard Scharlipp  : Die frühen Türken in Zentralasien, D 1992 (WBG), z.B. S. 116.

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gar 20. Jh. und oft wird in romantischer Pose ungeprüft angenommen, dass sie »schon immer« in Gebrauch gewesen seien. Es sind keine Akten überliefert. Die Quellenlage ist dort besser, wo mongolische Herrschaft eine nicht mongolisch geprägte Weltregion unterwarf – ob diese nun mehrheitlich chinesisch, wolgatatarisch, russisch, persisch, indisch oder tibetisch war. Hier liegen Quellen in den Schriftsprachen aus den griechischen und christlichen, persischen sowie arabischen und muslimischen, zentral- bzw. südasiatischen, also lamaistischen oder Mahayana-buddhistischen Religionen und Kulturen vor. Viele Quellen sind in den Landessprachen der heutigen Staaten publiziert und gehören auch zur Literatur in den Sprachen dieser Regionen. Aber alle diese Quellen betreffen spätere Perioden  ; wie weit aus ihnen auf die Frühzeit geschlossen werden kann  – was sie also zur Frage beitragen, warum es den Mongolen gelang, Weltreiche aufzubauen –, bleibt unklar. Dschingis Khan kommt welthistorische Bedeutung zu, weil er Zentral-, West- und Süd-Asien dauerhaft umgestaltet und den Fernhandel zwischen Europa und China für ein wichtiges Jahrhundert geöffnet hat. Er war, von heute aus betrachtet, wohl auch der bedeutendste Führer von Viehzüchtern gegen Ackerbauern. Für die Zeitgenossen hatte er Licht in den Augen und fuhr in den Himmel auf. Soziale Einheiten und Ökonomie Eine Darstellung der Wirtschaft des Mongolischen Imperiums muss mit einer Übersicht der eurasischen Klimazonen beginnen,357 welche Voraussetzungen für die Geschichte dieses »Kontinents« sind.358 In ihrer Heimat Zentralasien südlich des Baikalsees, in Übergängen zwischen Taiga und Steppe, lebten die Mongolen v. a. von Viehzucht, aber Sammeln und Jagen spielte auch eine große Rolle. In der Tundra im Norden der Mongolei entsteht nur wenig Biomasse und Menschen brauchen riesige Flächen, um eine Lebensgrundlage zu erwirtschaften – ausgenommen nur jene, die vom Meer leben, in dem Biomasse nach Norden getragen wird. Die im Süden anschließende Taiga – Nadelwald, der von Birkenhainen unterbrochen wird – bietet Jagdtiere, Holz, Beeren und Pilze  ; hier leben Sammler und Jäger, welche Pelze und Roheisen (aus winterlicher Produktion von Luppen, also Roheisenstücken) gegen Getreide in den Süden verkaufen. Bei vier Wachstumsmonaten ist Ackerbau nur ausnahmsweise möglich – meist Kohl, Zwiebel und Buchweizen. Weiter südlich, mit fünf Wachstumsmonaten, schließt Ackerbau mit Roggen auf wandernden Feldfluren an, wenn der

357 Gerasimov  : Atlas, Blätter 99–116. 358 H.-H. Nolte  : Eurasisches Europa, in  : Ertl/Komlosy, S. 127–151.

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Niederschlag ausreicht.359 Waldgebiete sind für Reiter nur schwer zu kontrollieren, auch, weil sich kaum Futter für die Pferde findet. Im Westen und Osten eroberten die Mongolen Land in Mischwaldregionen mit hohen Laubbäumen. Hier fällt viel Laubasche an, und mehr als die Hälfte des Jahres kann Ackerbau getrieben werden  – meist Zweifelderwirtschaft. Vom Westen her reicht der Mischwald bis zum Ural, vom Osten her bis zum Chingang-Gebirge. Diese Mischwälder waren im Verlauf von Mittelalter und Früher Neuzeit zunehmend gerodet worden, sodass Feldfluren mit festen Dörfern und offene, für Reiterarmeen zugängliche Landschaften entstanden. In den Mischwäldern braucht eine Bauernfamilie, in China wie in Europa, 30–40 Morgen, um sich zu ernähren  ; wo Champareis gedeiht, reichen fünf– drei Morgen. Außerdem hat der Nassfeldbau wenig Weide  – diese Kulturlandschaft ist für Reiter schwer zu kontrollieren, anders als die Trockengebiete Zentralasiens und Persiens. Im Süden der eurasischen und im Osten der chinesischen Waldzonen ist das Land überwiegend von Steppe geprägt, bis in die neueste Zeit ein klassisches Land der Viehzüchter. Die Mongolen züchteten insbesondere Pferde, deren Milch getrunken und zu Schnaps verarbeitet wurde. Außerdem züchteten sie Schafe und Kamele. Oft haben die Nomaden auch etwas Gartenbau betrieben. Der Steppengürtel zieht sich von Peking bis Wien, er wird je nach Route von einigen Hochgebirgen gegliedert, aber nicht unterbrochen. Da es alle paar hundert Kilometer Flüsse gibt, die östlich des Ural von Süden nach Norden und westlich davon von Norden nach Süden fließen und Tränke für große Herden bieten können, ist der Steppengürtel ein ideales Land für einen Fernhandel, in dem die Waren auf Tragtieren transportiert werden  : sozusagen eine Steppenautobahn mit Tankstellen. Diese Nordroute der Seidenstraße bildete zeitweise den Haupthandelsweg zwischen China und Europa, solange nämlich nicht zu viele Teilherrscher Zölle verlangten und der Frieden auf der Strecke gesichert war. Die Einigung der Herrschaft über diese Steppenautobahn bildete eine Voraussetzung für den globalen Wirtschaftsaufschwung im 13. und 14. Jh. und verband die Handelsräume West- und Südosteuropa, Westasien und Persien mit China.360 Für den Fernhandel mit Südeuropa und Westasien waren die Häfen auf der Krim die Umschlagsorte  ; die Sperre des Bosporus für nichtosmanische Schifffahrt ab 1453 bedeutete das Ende dieses Handelswegs. Für den Ostseehandel war wichtig, dass Russland Tribute an die Mongolen in Silber zu leisten hatte und, da es nicht über eigene Silberbergwerke verfügte, deshalb im Westen einen Aktivhandel anstreben musste.

359 Nolte  : Russische Bauern. 360 J. Abu-Lughod  : Before European Hegemony, NY 1989.

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Die meisten Gebiete südlich der Steppen zwischen Mittelmeer und Indien sind mit Trockenwald bewachsen, weil Trockenheit die Wachstumsperiode für einige Monate unterbricht. Diese Landwirtschaft hier ist vielfältig – Weizen und Reis, im Westen Oliven, im Osten Obstbäume wie Äpfel und Kirschen. Im Süden davon liegen Steppe und oft aride Wüste – von der Thar über die Rub al Kali bis zur Sahara. Wo viel Regen fällt, wie an der Koromandelküste Indiens oder in Vietnam, entsteht Tropenwald. Wo er in Bengalen oder Südostasien gerodet wurde, aber das Land durch Überschwemmungen an Fruchtbarkeit gewinnt, werden fast alle Kulturpflanzen angebaut, von Baumwolle und Nassreis zu Zucker und Gewürzen. Mongolen haben nicht nur Persien, sondern auch Nordindien erobert  ; es gelang ihnen jedoch nie, die Südrouten der Seidenstraße zu kontrollieren. Wenngleich selten zur selben Zeit, waren doch fast alle diese Landschaften Bestandteile des Mongolischen Imperiums. Allerdings haben die Mongolen auch außerhalb ihrer Heimat nur selten Ackerbau betrieben, sondern eher Möglichkeiten für Viehzucht erzwungen. Ihre Heereszüge glichen – mit Frauen und Kindern sowie Vieh und Beute – riesigen Schwärmen, die für bäuerliche Gesellschaften schon als solche katastrophale Folgen hatten.361 Die Gesellschaft, die Dschingis Khan geformt hatte, war militaristisch. Heldenmütter waren die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg, der Anführer hatte göttlichen Charakter, und für die Soldaten zählte die Disziplin der Armee mehr als Clan und Familie. Sie konnten auf Beförderung hoffen, auch wenn sie nicht zum Adel gehörten – mindestens aber auf Beute. Je mehr jedoch Steuern und Abgaben an die Stelle der Beute traten, desto mehr wurden Mongolen zu einem neuen, transkontinentalen Adel. Religionen und Ideologien Die Mongolen und ihre Dynastie waren anfangs schamanistisch. Sie akzeptierten aber Buddhisten, Muslime, besonders nestorianische Christen, Manichäer u. a., solange diese loyal waren. Auch viele Khane haben sich schriftlich überlieferten sogenannten Hochreligionen angeschlossen  ; im Osten wurden sie meist buddhistisch in der lamaistischen Form, im Westen meist muslimisch. Kennzeichen blieb stets Toleranz gegenüber anderen Religionen, ob das nun die Orthodoxie in Russland war, der Zaroasterglaube am Kaspischen Meer oder der Konfuzianismus in China. Was bedeutete der Schamanismus  ? »[…] [E]in Komplex von Vorstellungen innerhalb des viel umfassenderen Animismus, der die Natur und ihre Kräfte von Geistern ›beseelt‹ sieht.«362 Für den mongolischen Schamanismus war kennzeichnend, dass die 361 Reinhard Schulze  : Die Niederlage des mongolischen Reiterheeres ›Ayn Dschalut‹, 3. September 1260, in  : Förster/Pöhlmann, S. 93–107 mit Beschreibung der Logistik eines Tümen. 362 Claus C. Müller  : Die Religion der Mongolen, in  : Eggebrecht  : Mongolen, S. 169–184, Zitat S. 169. Vgl. Antes Religionsgeschichte, S. 45 f. u. ö.

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Nähe zum Ahnenkult gepflegt wurde und dass auch Frauen Schamaninnen wurden. Die guten Ahnenseelen sollen ihren Familien in dem Kampf gegen Krankheit oder Unglück helfen, den der Schamane führt. Der hat eine eigene Tracht und außerdem Trommel und Stock, mit denen er die Dämonen bekämpft. Vom 16. bis zum 19. Jh. wurden die Mongolen  – durchaus mit konfessionellen Zwängen  – zum Lamaismus bekehrt, u. a. durch Umdeutungen von Schamanenpraktiken in buddhistische.363 Viele mongolische Herrscher haben an ihren Höfen die hohe Kultur der Länder gepflegt, die sie erobert hatten  ; auf den Taj Mahal und Timurs Grabmal in Samarkand364 wurde schon verwiesen. Von der einst riesigen Hauptstadt Karakorum, in welche die Stämme im Winter mit ihren Jurten zogen, sind nur die Außenmauern und eine steinerne Schildkröte übriggeblieben.365 Von Kublai Khan sind Bilder in chinesischer Kunsttradition überliefert, die seine beliebteste Freizeitbeschäftigung, die Jagd, zeigen.366 In Museen finden sich Bilder mongolischer Pferde367 und Abbildungen mongolischer Bögen.368 Außenbeziehungen Die Mongolen suchten auch die diplomatischen Instrumente der von ihnen eroberten Imperien zu nutzen, aber dabei stand ihnen sowohl der eigene als auch der fremde Herrschaftsanspruch manchmal im Wege. Auf die Mahnung des Papstes Innozenz IV. 1245, der Großkhan möge keine Christen verfolgen und sich taufen lassen, antwortete dieser, der Papst und alle Könige sollten kommen, um sich zu unterwerfen, denn  : »Durch die Kraft Gottes sind uns alle Reiche vom Sonnenaufgang bis zum Untergang übergeben worden, und wir besitzen sie.«369 So kam es nicht zu einem wirksamen Bündnis zwischen Mongolen und christlichen Mächten gegen die zwischen ihnen liegenden muslimischen Länder  – im Gegenteil  : 1260 schlugen die Mamelucken ein vorrückendes mongolisches Reiterheer bei Ayn Dschalut in Palästina vernichtend, ohne dass die letzten Kreuzfahrerfestungen von der Situation profitieren konnten.370

363 Eine Quelle zu diesem Prozess, wenn auch aus der hochmütigen Perspektive der frühen Aufklärung, P. S. Pallas  : Sammlungen historischer Nachrichten über die Mongolischen Völkerschaften, Bd. 2 (1801) Nachdruck Graz 1980, am Beispiel der Kalmücken. 364 Eggebrecht  : Mongolen Nrn. 53–56. 365 Ebda., S. 184. 366 Ebda., S. 130 und Aufschlagseite. 367 Ebda., Nr. 64, S. 155. 368 Ebda., Nr. 61. 369 Textauszüge Eggebrecht  : Mongolen, S. 207 f., Zitat S. 208. 370 Reinhard Schulze  : Die Niederlage des mongolischen Reiterheeres, in  : Förster/Pöhlmann, S. 93–107.

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Die zuverlässige Sicherung der nördlichen Route der Seidenstraße371 bewirkte eine Handelsrevolution. Janet Abu-Lugod spricht sogar vom Entstehen eines eigenen Weltwirtschaftssystems.372 Die Exporte Chinas stiegen an, v. a. von Seide, Porzellan und Tee. Porzellan der Yüan-Zeit kam jetzt nicht nur nach Westasien und z. B. nach Istanbul (man kann es im Topkapi-Museum bewundern), sondern auch im stärkeren Maß nach Westeuropa. Der spätmittelalterliche Anstieg der Kaufkraft in Westeuropa373 fiel so mit einer Verbesserung der Transportmöglichkeiten zusammen, was sicher zum Aufschwung beitrug. Die Importe nach China aus Zentralasien bestanden aus Pferden, Pelzen, Edelsteinen, Weihrauch und Elfenbeinwaren (von Walrössern, Narwalen etc.). Der zentralasiatische Handel mit China verlief in der Form des Gabentausches, wobei der Kaiser die (nicht selten 100 Mann starken) Gesandtschaften beköstigte und man dann tauschte. Aus der Ming-Zeit gibt es eine Tabelle, was man wogegen tauschte (B = Ballen)  :374 Tauschwerte im Handel China-Steppe

1 Pferd 1. Kategorie = 2 B gefütterter Satin + 2 B Seide Steuerqualität 1 Pferd 2. Kategorie = 6 B Seide mittlerer Qualität + 1 B Seide Steuerqualität 1 Jagdfalke = 1 B gefütterter Satin 2 Zobelfelle = 1 B Seide mittlerer Qualität

Europa lieferte v. a. Edelmetalle. Thomas Höllmann zitiert ein Handbüchlein des Kaufmanns Pepolati, der über Astrachan nach China reiste, aus dem 14. Jh.. Pepolati empfiehlt, zwei Burschen und eine Frau auf die Reise mitzunehmen  : »Nötig ist dies zwar nicht unbedingt, aber doch vergleichsweise annehmlich.«375 Pepolati meint, dass ein Kaufmann, der Waren im Wert von 25.000 Goldflorin mit sich führt, auf dem Weg dorthin 300 bis 400 Goldflorin ausgibt. Silber werde vom Kaiser in China konfisziert und man erhalte Papiergeld dafür (Silber war in China lange mehr wert als Gold  ; auch weil man mit ihm nicht handeln könne, solle man Gold mitnehmen). Diese auf entschiedener Machtausübung, Schutz und Organisation der Transportwege sowie religiöser Toleranz und Welthandel beruhende Welt wurde in dem Pestum371 Haussig  : Seidenstraße  ; Barisitz: Silk Road; einführend Höllmann  : Seidenstraße. 372 Janet Lippmann Abu-Lughod  : Das Weltsystem im dreizehnten Jahrhundert, ü., in  : Feldbauer  : Anfänge, S. 11–36  ; Weatherford  : Genghis. 373 Zwischen 1000 und 1500 stieg der Anteil Westeuropas an der Weltbevölkerung von 9,6 auf 13,1 % und die Summe des Nationalprodukts von 10,9 auf 44,2 Mrd. $ (1990) nach Maddison  : Contours, S. 378 f. 374 Höllmann  : Seidenstraße S. 84. 375 Höllmann  : Seidenstraße, S. 71.

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lauf 1332–1349 zerstört. Bis zu einem Drittel der Bevölkerungen zwischen Pazifik und Atlantik fielen der Seuche zum Opfer  ; der Fremde wurde mehr mit Angst gemieden als mit Hoffnung begrüßt, und die Fernstraßen verödeten.376 Die Schließung des Schwarzen Meeres als Handelsraum durch die Osmanen im 15. Jh. und das »Einklinken« der Europäer in den ostasiatischen Seehandel im 16. Jh. minderten dann die Gewinnmöglichkeiten auf der Seidenstraße auf Dauer, auch wenn es immer wieder Versuche gab, ihre Profitabilität zu erhöhen und den Verkehrsweg zu erneuern. Kriterienkatalog

1. Die Familie, der Clan des Großkhans, bildete das Zentrum der Macht  ; die Mitglieder wurden bei der Teilung der Beute reich  ; die Nachfahren regierten bis ins 19. Jh. Für die muslimische und wohl auch die chinesische Welt war die starke Stellung der Frauen auffällig  ; sie wurden an der Beute beteiligt und ihr Rat galt viel. Noch Ibn Battuta im 14. Jh. wunderte sich darüber, dass in Saraj – der Hauptstadt der Goldenen Horde – die Frau des Khans – »in ihrer Sprache heißt das Sultan« – beim Empfang neben ihm saß, obwohl die Tataren und auch diese Mongolen zu diesem Zeitpunkt muslimisch waren.377 2. Die mongolischen Reiche hatten in der Regel keine Staatsreligion, auch wenn die Khane schamanistisch blieben oder z. B. muslimisch wurden. Der indische Großmogul Aurangzeb, der den Versuch machte, den Islam in Indien über den Hinduismus zu setzen, richtete damit das Reich fast zugrunde. Und in Zentralasien wurde ein entschiedenerer, fundamentalistischerer Islam zur Staatsreligion der Usbeken, als diese ihre Herrschaft gegen die Dschingissiden durchsetzten.378 3. Die Kultur der Steppe mit ihrer Beweglichkeit, mit der festen sozialen Position der Frauen und den ausgeklügelten Techniken des Jagens und Kriegführens wurde weitergetragen  ; das Imperium war aber für viele ältere Kulturen empfänglich. 4. Dschingis Khan entwickelte beim Aufbau des Imperiums quasi aus dem Nichts eine Bürokratie. Dabei knüpfte er an die Bürokratie der Naiman an, nachdem er sie 1204 besiegt hatte. Die Naiman hatten eine türkischsprachige Oberschicht und ihre Verwaltung schrieb in uigurischer Schrift. Auch später haben die Mongolen fremde Schriften und Sprachen für ihre Verwaltung benutzt. Berühmt ist z. B. der Brief des Großkhans

376 Weatherford  : Genghis, S. 241–247  ; McNeill  : Plagues, S. 132–175  ; vgl. Dobson  : Seuchen, S. 8–19. 377 Battuta  : Travels, S. 125 f., Zitat S. 124. Vgl. das persische Bild aus dem 14. Jahrhundert Eggebrecht  : Mongolen Nr. 19. 378 Bert Fragner  : Die ›Khanate‹. Eine zentralasiatische Kulturlandschaft vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, in  : ZWG 9.1 (2008), S. 33–75.

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Güyük an Papst Innozenz IV. 1246379– er ist in persischer Sprache und arabischen Buchstaben geschrieben. 5. Die mongolische Gesellschaft war schon lange vor dem 12. Jh. durch einen Herkunftsadel geprägt, der über Weiden, Vieh, abhängige Viehzüchter und Sklaven (Jasyri) verfügte. Temüdschin setzte Genossenschaften von Aufsteigern gegen diesen Herkunftsadel. Nach seinem Tod wurden seine Mitkämpfer zu einem neuen Adel und seine sowie seiner Brüder Nachfahren zu neuen Fürsten. Im 18. Jh. meinten die Kalmücken, der Adel habe weiße und die gemeinen Leute hätten schwarze Knochen  ; die Adelsverfassung wurde also als erblich begründet und mit der Weiß-Schwarz-Symbolik verdeutlicht.380 6. Die Armee war das zentrale Machtinstrument des Imperiums. Ausdauernde Pferde zeichneten die mongolischen Armeen aus, sie verwendeten relative kleine, also beim Reiten handhabbare Kompositbögen, die den Pfeilen eine hohe Durchschlagskraft verliehen. Für den Nahkampf waren sie schlecht gerüstet, sie schufen also Distanz zu ihren Feinden, z. B. durch vorgetäuschte Flucht. Ein persisches Bild von etwa 1300381 zeigt ein typisches Stadium einer solchen Schlacht  : links die heranreitenden Mongolen, zum Teil mit mehreren Pfeilen in der Faust, im Vordergrund gefallene Feinde mit Schwertern und rechts fliehende Feinde, welche ihre Pferde peitschen. Gegenüber der Stadt Novgorod reichte allein die Drohung mit der mongolischen Armee, um die Zahlung der Kopfsteuer (welche die Reichen begünstigte, da sie je Person erhoben wurde) gegen die aufbegehrenden Bürger durchzusetzen.382 7. In Temüdschins Zeit bestand die Entlohnung der Armee aus Beute. Der Khan organisierte das Beutemachen so, dass alles an ihn selbst fiel und er es nach dem Gefecht nach Verdienst und Leistung verteilte, sodass niemand während des Kampfes der Beute wegen zurückblieb. Kriege um Beute galten als normal  ; allerdings hielt der muslimische Richter Ibn Khaldun sie für ungerecht – anders als einen Dschihad oder einen Krieg zur Niederwerfung eines Aufstands.383 An die Stelle der Beute traten nach der Unterwerfung Abgaben und Geschenke, in einem – wie das erwähnte Beispiel Novgorod zeigt – noch lange umkehrbaren Prozess. Wollten Unterworfene nicht zahlen, konnte man auch wieder plündern und Sklaven sammeln. Die russischen Fürstentümer zahlten Kopfsteuer, die von den Fürsten in die Hauptstadt des westlichen Ulus, der Goldenen Horde in Saraj an der unteren Wolga 379 Auszug Eggebrecht  : Mongolen, S. 188, s.o. S. 130. 380 Pallas Sammlungen 1, S. 24. Die Kalmücken glaubten, Dschingis Khans Mutter habe diesen als Jungfrau vom Schutzgeist der Erde empfangen, ebda. 381 Eggebrecht  : Mongolen, S. 49. 382 Quellenbuch Nr. 1.11. Da die Kopfsteuer nicht nach Einkommen differenzierte, begünstigte sie die Reichen und war deshalb in der Stadtversammlung (Wetsche) umstritten. 383 Khaldun: Muqaddima, S. 246 f.

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geliefert wurde. Die Landsteuer in China wurde unter den Yüan von der chinesischen Bürokratie eingehoben, im Mogulreich wurde die Landsteuer von Steuerpächtern eingezogen und die Bezirke an den Adel als »Lehen« gegeben. 8. Mit der Unterwerfung benachbarter Stämme, aber auch ersten Eroberungen in China  – Khitan mit Peking  – oder den Naiman mit turksprachiger Oberschicht war Temüdschins Reich sehr vielfältig. Es umfasste Wald und Steppe, Ackerbauern und Nomaden, Sammler und Jäger. Noch vor seinem Tod wurden sehr alte Kulturgebiete wie die Oasen an Amu- und Syr-Darja erobert, nach seinem Tod kamen China, Persien, Mesopotamien und im 16. Jh. sogar Indien hinzu. Angesichts dieser Ausdehnung führten zentrifugale Tendenzen schnell zur Herausbildung von faktisch oder von ihrem Anspruch her selbstständigen Reichen, welche die Oberhoheit des zentralen Khans nicht anerkannten, aber von Dschingissiden beherrscht wurden. Sogar in der Goldenen Horde, in welcher die turksprachige Mehrheit sich schnell durchsetzte, achtete man darauf, dass die Khane aus der Familie Dschingis Khans kamen. 9. Für einen Staat, dessen Armee v. a. aus der Beute bezahlt wird, kann es keine stabilen Grenzen geben. Immer wieder führen Razzien und Beutezüge über die Grenze hinaus. Das kann mit kleinen Gruppen geschehen, aber erfolgreiche kleine Gruppen ziehen dann größere nach. Die machtklugen Versuche großer Khane, von Kublai bis Akbar, die daraus resultierende Unsicherheit durch juristische Fixierung von Abgaben und Tributen aufzuheben, haben nie lange gehalten, sodass stets schnell Widerstandsbewegungen entstanden. Als Indien erobert wurde, war China für die Mongolen schon lange verloren. Die litauische und ab 1386 polnisch/litauische Expansion nach Osten (von der Eroberung von Leopolis/Lemberg/Lwow/Lwiw bis zu der von Smolensk) hieß immer auch, dass die Kopfsteuer nicht nach Saraj geliefert wurde und umgekehrt, dass die Tataren einen Grund mehr hatten, die Ukraine als Region zu betrachten, in der man gut Sklaven jagen konnte. Diese wurden über die Krim nach Westasien und in den Mittelmeerraum verkauft.384 10. Das mongolische Imperium bildet ein klassisches Beispiel für einen »schwachen Staat«, wenn man darunter versteht, dass ein Staat wenig Einfluss auf Religion und Habitus »seiner« Bevölkerung nimmt. Ob die Untertanen Bauern in Oasen waren, im Regenfeldbau oder auf Bergterrassen, ob es viehzüchtende Nomaden waren oder Jäger der Taiga, wandernde Schmiede oder städtische Handwerker und in welcher Religion auch immer  – wer die Oberhoheit anerkannte, Truppen stellte oder Abgaben zahlte, wurde geduldet. Die Kapazität des Imperiums, das alltägliche Leben der Menschen zu beeinflussen, war gering. Deswegen waren Maßnahmen gegen Bevölkerungen, wenn der

384 Vgl. Witzenrath  : Slavery.

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Khan sie ergriff, auch so radikal  : Dann musste die Armee aufgeboten werden, und die brauchte Beute, mindestens Sklaven. 11. Die »Pax Mongolica«, der mongolische Friede, ermöglichte im 14. Jh. einen Wirtschafts- und Wissensaustausch quer über den gesamten eurasischen Kontinent. Reisende – wie die Italiener Johannes di Piano Carpini und Marco Polo oder der Marokkaner Ibn Battuta – wurden an den Höfen zu Berichten eingeladen und schrieben lange Berichte auf, die in Venedig oder Rabat weitergegeben wurden. Die nördliche Route der Seidenstraße wurde, so lange sie sicher war, zum zentralen Verkehrsweg eines Ost und West verbindenden Handelssystems. 12. Für Christen und Muslime, für Oströmer und Ägypter, für Perser und Chinesen waren die Mongolen die Barbaren. Es waren also Barbaren, welche das Imperium schufen, und Behörden, Sprachen und Schriften der Besiegten als Bausteine ihrer Macht gebrauchten. Zum Selbstbewusstsein der Sieger gehörte, geht man wieder von der »Geheimen Geschichte« aus, ein auf uns archaisch wirkendes Bild von Mann und Frau  : Der Mann ist ein Eroberer, der zu seinem Wort steht  ; er ist ausdauernd und lässt sich weder durch Kälte noch Regen von seiner Treue abbringen  ; die Frau akzeptiert viel Gewalt, bewundert die harten Männer und meistert das Leben selbst unter schwierigsten Bedingungen. Im Rat sitzt eine starke Frau neben dem Khan. Wer besiegt wird, wird Sklave – auch Temüdschin war einmal ein solcher Sklave.385 Und  : Auch Kultur kann man erobern – den Koran lernt man386 und die chinesischen Gelehrten arbeiteten für den Sieger.

Osmanisches Reich

Das Römische Reich hatte eine Welt zusammengefasst  – die des Mittelmeeres. Man wusste, dass dies nicht die ganze Welt war, und Augustus erwähnte stolz in seinem Tatenbericht, dass sogar Gesandte aus Indien kamen.387 Aber zwischen den limites, den Grenzräumen mit Verteidigungslinien gegen Wald- und Wüstenvölker im Norden und im Süden, bildete das Imperium doch einen eigenen Raum mit guten Seeverbindungen und einem relativ einheitlichen Klima unter der imperialen Herrschaft. Allerdings waren zwei kulturelle Typen zusammengefasst worden – der griechisch-hellenistische im Osten und der lateinisch-römische im Westen. Rom war aber für das ganze Imperium prägend, die neue Hauptstadt im Osten trug den Ehrentitel »neues Rom« und von 385 Auch Männer, vgl. Eggebrecht  : Mongolen Nr. 23. 386 Ein eindrucksvolles Bild Eggebrecht  : Mongolen Nr. 95. 387 Theodor Mommsen (Hg.)  : Res gestae Divi Augusti (Berlin 1883), Nachdruck Aalen 1970.

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ihr aus versuchten die Kaiser mehrfach, den Westen zurückzuerobern, nachdem er an germanische Stämme verloren war. Weshalb war der griechische Osten widerstandsfähiger gegen die Barbaren, hielt sich das Imperium, obschon mit vielen Katastrophen, fast tausend Jahre lang, bis zur Eroberung Konstantinopels 1453 (und an einigen Orten sogar darüber hinaus)  ?388 Trotz einiger »republikanischer« Inseln wie Athen war der Osten des Imperiums an imperiale Herrschaft seit den Siegen der Makedonen, insbesondere seit Alexander dem Großen, gewohnt und in der Lage, sie einzuordnen. Folgt man dem Konzept, das Polybios zugeschrieben wird, dass es eine Abfolge von Herrschaftsformen gab, die von der Tyrannis über die Aristokratie zur Demokratie führte, und ergänzt man das Konzept um das Imperium als weitere Stufe, dann war der Osten des Mittelmeerraums früher bei einer imperialen Verfassung angekommen als der Westen. Die zentralistische, »konstantinische« Form der Christianisierung stieß auf weniger Widerstand, und mit dem Konzept der »Symphonie« zwischen Patriarch und Kaiser wurden weltliches und geistliches Haupt der Christenheit aufeinander hingewiesen.389 Lange gab es auch eine Teilung zwischen ziviler und militärischer Verwaltung in Ostrom, welche Handwerkern und Gelehrten mehr soziale Möglichkeiten ließ und den Adel, der im Militär diente, einschränkte  ; unter dem Druck der Araber und Bulgaren verschwand die Teilung jedoch und das Militär gewann an Bedeutung.390 Die Förderung von Soldatenbauern, die weniger auf Sold aus waren als auf Land, war nach dem Verlust der reichsten Provinzen an die Araber jedoch nötiger als vorher. Allerdings muss man sicher historische »Zufälle« und geografische Zusammenhänge zur Erklärung mit heranziehen. Im Westen des Mittelmeerraums misslangen die Versuche, das Imperium wiederherzustellen – es setzten sich dauerhaft von Germanen geführte Königreiche bzw. schließlich das »Fränkische« Imperium durch. Da geistliche und weltliche Hauptstadt im Westen auseinanderfielen, konnte der Konflikt zwischen den »zwei Schwertern« viel schärfer werden und schließlich zum Zusammenbruch des Kaisertums führen. Allerdings ging im Osten das europäische Binnenland schon im frühen Mittelalter an slawische Stämme verloren, auch wenn Serben und Bulgaren mehrfach wieder vom Imperium unterworfen wurden. Die Stärke des Imperiums beruhte im Osten auf Anatolien. Das war vom 7. Jh. an von Muslimen bedroht, konnte aber bis zum 388 Übersicht mit gegliederter Bibliografie Schreiner  : Byzanz  ; Lilie  : Byzanz  ; Maier  : Byzanz  ; Ralph-Johannes Lilie  : Byzanz, Kaiser und Reich, Köln 1994 (Böhlau). Quellensammlung Reinhold Lange  : Imperium zwischen Morgen und Abend, Recklinghausen 1972 (Bongers)  ; Denkmale Ludwig Wamser (Hg.)  : Die Welt von Byzanz, Darmstadt 2004 (WBG). 389 Herbert Hunger  : Reich der neuen Mitte. Der christliche Geist der byzantinischen Kultur, Graz usw. 1965 (Styria). 390 Vgl. die Zusammenfassung zur »Themenreform« bei Lilie  : Byzanz, S. 54–57.

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11. Jh. gehalten werden. Danach ging Anatolien allerdings mehr und mehr an türkische Stämme verloren – die nach »Rom« wollten, wie die »Rum-Seldschuken«. Und 1204 belegte die »Aufteilung der Beute« des zu erobernden Kaiserreichs391 zwischen den Kreuzzugsteilnehmern – Venedig, französischem Adel, die Kurie, den Bulgaren – das faktische Ende des Imperiums, trotz einer allerletzten Renaissance unter den Palaiologen. Ging es den westeuropäischen Herren, die nach 1204 (weithin) Griechenland beherrschten, um kirchlichen Gehorsam für Rom, um adlige Gesellschaft in den Ritterorden und um Profite, so ging es den in Anatolien immer mehr vorrückenden türkischen Verbänden zwar ebenfalls um Gewinne, v. a. aber um die Verbreitung des Islam, um Sklaven als Beute und um Land zur Siedlung. Ibn Battuta beschrieb die Grenze 1345  : Die Nichtmuslime zahlen an die verschiedenen muslimischen Sultane besondere Steuern. An der Grenze, geführt von dem Sultan in Bursa, dem Sohn Osmans, wird ein kontinuierlicher Kampf der Gazi, der Kämpfer für den Islam, geführt, in dem griechische Männer fielen. Sklavinnen waren billig, und der Reisende kaufte sich mehrere – war aber über Prostitution von Griechinnen empört, besonders, weil sogar ein Kadi daran verdiente.392 Übrigens berichtete Battuta auch über Konstantinopel, das er seiner Erzählung nach als Mitglied einer Gesandtschaft aus der Goldenen Horde besuchte. Er bewunderte die großartigen Bauten, schrieb aber auch verächtlich über den Schmutz und darüber, dass »die meisten seiner Männer Mönche sind«393  – ein Gegenbild zu der Betonung der männlichen Zeugungskraft unter den muslimischen Grenzern. Die Kernstadt rechts des Goldenen Horns hieß Battuta zufolge übrigens schon damals »Astanbul«. Das Osmanische Imperium394, dessen Anfänge in Bursa Battuta ebenfalls beschrieb, gehört – trotz vieler Anknüpfungen an Konstantinopel und trotz der unübersehbaren Traditionen des Mittelmeerraums – nicht nur in das Narrativ über die Entstehung des modernen Staats,395 sondern zuerst in die Reihe der Zusammenfassungen, ja der Schaffung »einer Welt«.396 Es ist nicht mehr die »Welt des Mittelmeers« – die türkischen Nomaden kommen aus den Steppen Zentralasiens – es ist der Islam, der die Eroberungen legitimiert, und es ist die im Islam bewährte Staatsform des Sultanats, unter welcher 391 392 393 394

Text in Lange  : Imperium, a.a.O., S. 331. Battuta  : Travels, S. 101–118. Ebda., S. 134. Überblicke Faroqhi  : Geschichte  ; Stefan Reichmuth, Henning Sievert  : Osmanisches Reich, in  : EdN 9  ; Faroqhi  : Ottoman Empire  ; Faroqhi  : Kultur. Auseinandersetzung mit der Christenheit Cardini  : Islam (1999), S. 147–280. Karten  : Kellermann Islam-Atlas, S. 96–121. 395 Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 141–147. 396 Neuere Darstellungen Matuz  : Osmanen  ; Goodwin  : Lords. Vgl. Barbara Kellner-Heincke, Dorothea Rohwedder (Redaktion)  : Türkische Kunst und Kultur aus osmanischer Zeit, 2 Bde. Recklinghausen 1985 (Aurel Bongers).

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die Osmanen schließlich den Norden Afrikas, den Westen Asiens und den Südosten Europas zusammenfassen und prägen. Diese beeindruckende Leistung gelingt ihnen vor allem, weil sie militärisch überlegen sind. Nach der Phase des Aufstiegs als Grenzer-Staat kommt die Niederlage gegen Timur Lenk 1402, aus der man lernt. Man übernimmt die Institution der Militärsklaven, welche nur für den Krieg leben. Die Militärsklaven sind eine gesamtislamische Institution – im Wappen von Navarra ist noch die Kette zu sehen, welche die Militärsklaven des muslimischen Heeres in der Schlacht von Las Navas de Tolosa 1212 zusammenhielt und die von den Navarresen erbeutet wurde. Das bedeutendste Beispiel boten die Mamluken in Ägypten, Militärsklaven aus dem Wolga- und Kaukasusgebiet, die 1250 die Macht in Kairo ergriffen und über zwei Jahrhunderte lang die Sultane stellten. Im Heer der Osmanen bildeten die Janitscharen diesen Kern von Berufssoldaten. *** Das Osmanische Imperium schafft eine neue, von Muslimen beherrschte Welt, die imperial zusammengefasst und mit militärischen Mitteln erweitert wird. Diese Welt sieht mit ihren Minaretten von Gran an muslimisch aus, auch wo die christlichen Ortsteile der Städte noch erkennbar bleiben.397 Sie unterscheidet sich in ihrer religiösen Vielfalt scharf von den monolithischen, intoleranten Imperien und Königreichen der Christenheit, wo Königreiche wie Frankreich und England alle Juden vertrieben398 und eine Duldung von Muslimen nicht denkbar war. Im Islam werden alle Buchreligionen geduldet, allerdings müssen ihre Angehörigen besondere Steuern zahlen und haben meist kein Waffenrecht. Die syrischen und armenischen Monophysiten begrüßten arabische Eroberer im 7. Jh., weil sie unter ihnen mehr Duldung erhoffen konnten als unter Ostrom. Ob beim Übergang Bosniens und Albaniens zum Islam eine Rolle spielte, dass die manichäischen Traditionen ja nicht nur in den Ketzerverfolgungen in Südfrankreich, sondern auch in Südosteuropa mit Waffengewalt ausgerottet wurden, ist nicht sicher. In jedem Fall profitierten die Protestanten im 16. Jh. von der »türkischen Gefahr« – und in Ungarn machte die muslimische Toleranz es den Calvinisten leichter, das Fürstentum Siebenbürgen gegen Wien zu unterstützen.399 Der Raum des Osmanischen Imperiums ist ganz überwiegend durch mediterranes Klima geprägt, zwischen der Steppe im Norden und der Wüste im Süden. Das Territorium war kaum irgendwo (Mossul) mehr als 500 Kilometer vom nächsten Meer entfernt. Nur ausnahmsweise gehörten die, klimatisch gesehen, nassen und sommergrünen Wald397 Lud’a Klusáková  : The Road to Constantinople. The Sixteenth Century Ottoman Towns through Christian Eyes, ü. Prag 2002 (ISV-Publishers). 398 Poliakov  : Antisemitismus Bd. 2. 399 H.-H. Nolte  : Duldung und Vertreibung. (Ethno-)religiöse Minderheiten in Europa, in  : Hahn/Komlosy, S. 26–47.

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gebiete Mittel- und Osteuropas (die den eleganten Pferden der Türken wenig zuträglich waren) zum Reich. Man schickte Gesandte und Truppen durch die Wüste an den Tschadsee, aber die Wüsten selbst blieben außerhalb. Und auch die Steppen Zentralasiens blieben außerhalb – nach einem vergeblichen Versuch 1569, Astrachan zu erobern, überließ man die Steppe den Tataren oder eben dem Moskauer Zaren (der versprach, die Muslime nicht im Glauben zu bedrängen)400. Trotzdem mögen die Horizonte Zentralasiens im Selbstbild der Elite noch eine Rolle gespielt haben, wie Jason Goodwin eine Inschrift der Moschee des zweiten Sultans von Bursa zitiert  : »Orhan, Sohn des Osman, Sultan der Gazi, Herr der Horizonte, Vogt der Welt […].«401

Wie kann man einen Überblick über 700 Jahre Geschichte des Osmanischen Reiches und der Dynastie Osman geben  ? Die Reichsgründungsphase zeigt eine enge Zusammenarbeit muslimischer Krieger (Gazi)402 mit Stammesorganisationen, die im Djihad begriffen sind. Zeitleiste 5403

1071 1302 1326 1402 1453 1514 ff.

Mantzikert  : Sieg der Rum-Seldschhuken gegen Ostrom Sieg des Gazi (Glaubenskrieger) unter Osman bei Baphaon Eroberung Bursas, 1389 Sieg über Serbien (Amselfeld) Niederlage gegen Timur Lenk Eroberung Konstantinopels unter Mehmed II. (dem Eroberer) Selim I. erobert Aserbaidschan, Syrien, Mesopotamien und Ägypten sowie den Hedschas. 1517 Kalif 1520 Suleyman I. erobert 1526 Ungarn, 1529 erste Belagerung Wiens 1571 Niederlage in der Seeschlacht bei Lepanto 1669 Eroberung Kretas, 1672 Podoliens 1682–1699 Niederlage gegen Koalition Kurie-Kaiser-Polen-Russland 1739 Friede von Belgrad  : Donau und Karpaten Nordgrenze 1774 Friede von Kücük-Kaynarca  : Nordküste des Schwarzen Meeres russisch. 1783 Verlust der Krim, 1812 der Moldau östlich des Pruth (»Bessarabien«) 1829 Griechenland unabhängig 400 Nolte  : Toleranz, S. 63 f. 401 Goodwin  : Lords, S. 10. 402 Endreß  : Islam, S. 68 f., S. 153. 403 Tabellen Goodwin  : Lords, S.  329–333  ; ausgiebiger bis 1606, Glossar in Inalcik Ottoman Empire, S. 207–226.

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1840 1856 1878 1881 1911–13 1914

Intervention des europäischen Konzerts gegen den reformerischen Statthalter von Ägypten Ali Pascha Sieg Frankreichs und Großbritanniens über Russland im Krimkrieg, Schwarzes Meer neutralisiert (bis 1871) Berliner Vertrag  : Serbien, Montenegro, Rumänien, Bulgarien unabhängig. Bosnien an Österreich, Zypern an Großbritannien, Kars an Russland Staatsbankrott, internationale Schuldenverwaltung Balkankriege  : Dodekanes und Libyen an Italien  ; die verbündeten Balkanstaaten erobern und teilen Südosteuropa. Osmanischer Brückenkopf um Edirne Kriegserklärungen der Entente an Osmanen, 1918 Niederlage, 1923 Republik

Der »Heilige Krieg« sollte die christliche oder jüdische Bevölkerung nicht ausrotten, aber die Welt der Ungläubigen, die »Welt des Krieges«, Dar al-Harb, zur Anerkennung der Herrschaft des Islam (Dar al-Islam) zwingen.404 In der Tat zogen viele Städte und auch Adlige, wenn sie schlecht verteidigt wurden, die Unterwerfung unter einen Sultan den Überfällen der Gazi vor. Unter mehreren Grenz-Sultanaten setzten sich die Osmanen durch, nachdem ihnen 1354 der Sprung über die Dardanellen gelungen war – ein Erdbeben zerstörte die Mauern Gallipolis und die Osmanen besetzten es sofort. Der Sieg eröffnete den Muslimen den erhofften Weg in den Westen – schon 1385 war man an der Adria. Im Osten akzeptierten die anatolischen Sultane die Führung durch die Osmanen, mit denen offensichtlich Gott war, oder wurden unterworfen. Noch war das Imperium allerdings weithin eine Ansammlung von Vasallenstaaten. Aber die Niederlage gegen Timur 1402 machte deutlich, dass das osmanische Heer zu einer Armee der »Schießpulverreiche« reformiert werden musste, also zu einer Kombination verschiedener Truppenteile mit starker Stellung von Artillerie und Infanterie sowie verlässlicher und leistungsfähiger Logistik. Den Kern bildeten nun die Militärsklaven, insbesondere die Janitscharen, deren Zahl auf über 6.000 Mann anstieg und die zum Haushalt des Sultans gehörten. Hier wurde auch die Artillerie so gut entwickelt, dass man eine Bresche in die Mauer von Konstantinopel schießen konnte. Den zweiten Pfeiler der Armee bildete die Reiterei, die Sipahis, die Steuerpfründen erhielten. Die Bedeutung sowohl der irregulären Gazis als auch der Vasallenarmeen trat dagegen zurück. Mit der Deklassierung des feudalen griechischen Adels sowie der Übernahme der Verwaltung von »Byzanz« wurde der Zentralstaat weiter gestärkt. Den Osmanen gelang es im Verlauf der folgenden Jahrhunderte, nicht nur die letzten Inseln oströmischen Widerstands (1460 fiel Mistra, 1461 Trapezunt), sondern auch die südosteuropäischen christlichen Königreiche Bulgarien, Serbien, Ungarn, die Walachei 404 Lemmata in Handwörterbuch des Islam.

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und die Moldau zu erobern sowie nicht nur die anderen turksprachigen Herrscher Anatoliens, sondern sogar die Mamelucken in Ägypten zu unterwerfen. Das Krimkhanat erkannte die osmanische Oberherrschaft an. Letztlich wurden auch Libyen, Tunesien und Algerien annektiert sowie Venezianer, Genuesen, der Malteserorden und französische wie aragonesische Dynastien aus dem östlichen Mittelmeer vertrieben. Die Feindschaft gegen Persien wurde durch den Gegensatz zwischen Sunna und Schia konfessionell überhöht. Im Südosten gelang den Osmanen die Eroberung Mesopotamiens, im Norden bildeten die Steppen bis zur Oka einen weiten Grenzsaum zu Russland und den Tatarenkhanaten. Auch nach der Eroberung Astrachans durch Russland blieb das »weite Feld« bis zur Waldgrenze noch lange ein umstrittener Raum. In seinen Glanzzeiten umfasste das Osmanische Reich also das gesamte südliche und östliche Mittelmeer einschließlich des Schwarzen und des Roten Meers, es reichte von Wien bis Sanaa, von Bachtschisaraj (der Hauptstadt des Krimkhanats) bis Bagdad und von Algier bis Jerevan. Trotz verschiedener Versuche  – 1480 wurde Otranto besetzt, 1529 und 1683 standen die osmanischen Truppen vor Wien und 1672 vor Kiew – gelang es nicht, weiter in die katholisch/protestantische und/oder russisch-orthodoxe Christenheit vorzustoßen. Das 16. Jh. wurde mit dem Sieg über das Mameluckenreich (wo die ehemaligen Militärsklaven zu Fürsten geworden waren) zum eigentlichen Höhepunkt der Expansion. Für Europa war die Schlacht bei Mohacz 1526, in der die osmanische Artillerie und Infanterie das ungarische Reiterheer vernichteten und der ungarische König fiel, ein Menetekel. Ganz Südosteuropa wurde in Provinzen des Osmanischen Reichs aufgeteilt.405 Die Anziehungskraft des Osmanischen Reiches wurde aber auch dadurch erhöht, dass die Bauern deutlich bessere Bedingungen erhielten als in feudalen und christlichen Ländern  – z. B. bestimmte das Gesetz des serbischen Königs Stepan Dušan, dass die Bauern zwei Tage in der Woche auf den Feldern der Adeligen Frondienst zu leisten hatten, während die Regeln des Osmanischen Reiches nur drei Tage Fron im Jahr auf den Feldern der muslimischen Spahis vorschrieben.406 Diesen Höhepunkt der Macht brachte das Schriftzeichen, die Tughra, Suleymans des Prächtigen in ihrer kalligrafischen Vollendung zum Ausdruck.407 Mit seinem Titel stellte er sich in die Traditionen des Römischen sowie des Persischen und des Arabischen Reiches und beanspruchte auch sonst fast alles, was berühmt und großartig war  :408 405 406 407 408

Calic  : Südosteuropa S. 85 – 151. Inalcik  : Ottoman Empire, S. 13. MacGregor  : Objekte, S. 528–534. Goodwin  : Lords, S. 81. Einige heute nicht geläufige Ortsnamen  : al-Hasa – die Südküste des Persischen Golfs  ; Kiptschak – das turksprachige Wolgagebiet, Rumelien – die heutige Ostprovinz Bulgariens, Ka-

Imperien als Zusammenfassungen Osmanisches einerReich Welt  |  Karte 4: Osmanisches Reich, 1683 Kiew

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Außengrenzen 1683 auch gegenüber Persien strittig

© Entwurf: Hans-Heinrich Nolte Kartographie: Florian Partl

Herr der Reiche der Römer, der Perser und der Araber, Held allen Seins, Stolz der Arenen von Erde und Zeit  ! Herr des Mittelmeers und des Schwarzen Meers, der glorreichen Kaaba und des leuchtenden Medina, des edlen Jerusalem, des Thrones von Ägypten, der durch sein Alter hervorsticht  ; der Provinzen Yemen, Aden und Sana, und von Baghdad, dem Sitz der Rechtschaffenheit, von Basra und al-Hasa und den Städten Nushirivans, den Ländern Algier und Aserbeidschan, den Steppen des Kiptschak und dem Land der Tataren, von Kurdistan und Luristan sowie den Ländern Rumelien, Anatolien, Karaman, Wallachei, Moldawien und ganz Ungarn, und vielen anderen wertvollen Königreichen und Ländern  : Sultan und Padishah.

Die Siege der Osmanen hinterließen einen tiefen Eindruck bei den christlichen Mächten. Machiavelli machte sich 1513 noch Hoffnung, dass das türkische Reich schwer zu erobern, aber nach einer Eroberung leicht zu behaupten sei, im Gegensatz zu Frankreich  :409

raman – ein lange selbstständiges seldschukisches Sultanat in Anatolien. Luristan südlich des UrminaSees gehört heute zum Iran. Nushirvan war ein berühmter sassanidischer König, sein Land lag an der Ostgrenze. Ich danke für die Information Suraiya Faroqhi. 409 Machiavelli  : Fürst, S. 31.

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|  Imperien als Zusammenfassungen einer Welt Das ganze türkische Reich wird von einem Herrn regiert, die anderen sind seine Diener […]. Der König von Frankreich hingegen steht inmitten einer großen Zahl alter Herrengeschlechter, die von ihren Untertanen anerkannt und geliebt werden.

Nach einer Eroberung des Ersteren breche aller Widerstand zusammen  ; nach der Eroberung Frankreichs dagegen werde der Adel neuen Widerstand organisieren. Aber nach der Katastrophe Ungarns 1526 war eine Eroberungsperspektive in weite Ferne gerückt, und der europäische Hochadel musste sich erst dem Absolutismus beugen, bevor Gegenangriffe realitätsnah wurden. Ivan Peresvetov riet Zar Ivan IV., sich in seinem Kampf gegen die russischen Fürsten das Osmanische Reich zum Vorbild zu nehmen und v. a. mehr eigene Truppen einzuführen  : »Durch Krieger wird ein Zar stark und berühmt.«410 Der kaiserliche Gesandte Ogier de Busbecq stellte in seinen Briefen nach Wien der Adelswelt Alteuropas das nach Leistung organisierte System in Konstantinopel positiv gegenüber und gibt damit auch heute noch eine gute Einführung in die Glanzzeit dieses Imperiums  :411 Das Hauptquartier des Sultans war voll mit zahlreichen Bediensteten, darunter vielen hohen Beamten. Die Gardekavallerie war ganz vertreten, die Spahis, die Ghourebas, Ulefudjis, und eine große Zahl von Janitscharen. In dieser ganzen großen Versammlung gab es keinen Mann, der seinen Rang etwas anderem verdankte als seinen persönlichen Verdiensten und seiner Tapferkeit  ; keiner unterschied sich vom Rest durch seine Geburt, und Ehre wird allen nach der Art seines Dienstes und Funktion seines Amtes zuteil. Der Sultan selbst weist Dienste und Ämter zu, er kümmert sich nicht um Wohlstand oder leere Rangforderungen und auch nicht um Einfluss oder Popularität, welche ein Kandidat vielleicht besitzt  ; er berücksichtigt ausschließlich Verdienst, Charakter und Begabung412. So wird jeder nach seinen Verdiensten geehrt, und die Ämter sind voll mit Leuten, welche ihr Amt auch ausführen können. In der Türkei hat jeder die Macht, aus der Position, in die er geboren wurde, und aus seinem Glück zu machen, was er will. […] So werden Würden, Ämter und Verwaltungsposten als Belohnungen von Fähigkeit und Verdienst vergeben, wer dagegen unehrenhaft, faul und träge ist, bleibt unbemerkt und wird verachtet. Das ist der Grund, aus dem die Türken in allem Erfolg haben, was sie versuchen, die herrschende Rasse sind und ihre Herrschaft täglich ausdehnen. Unsere Methode ist sehr unterschiedlich  ; es gibt keinen Platz für Verdienst, sondern alles hängt von der Geburt ab und nur deren Berücksichtigung öffnet den Weg zu hohen Ämtern […]. 410 Ivan S. Peresvetov  : Bolshaja chelobitnaja, in  : A. A. Zimin (Hg.)  : Khrestomatija po istorii SSSR XVI.– XVII. vv., Moskva 1962, S. 73–85. 411 Übersetzt nach der Übersetzung ins Englische von E. S. Forster, Ausgabe London 2005, S. 39 f., S. 76 f., S. 92. Vgl. Jürgen Behrens  : Briefe aus der Türkei = Studio 7, Bamberg 1998  ; Behrens bezieht sich auf die Ausgabe Leyden 1633 und einen Druck Basel 1740, der 1968 in Graz nachgedruckt wurde. 412 Bei Behrens heißt es »ingenium«, S. 15.

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All dies zeigt mit welcher Geduld, Nüchternheit und Wirtschaftlichkeit die Türken gegen Widerstände kämpfen, und auf bessere Zeiten hoffen. Wie anders sind unsere Soldaten […]. Ich zittere, wenn ich das türkische System mit unserem vergleiche  ; eine Armee muss siegen und die andere zerstört werden, es können ja nicht beide ungeschoren davonkommen. Auf der einen Seite ein mächtiges Imperium, unvergleichliche Macht, Erfahrung und Praxis im Kriegführen, Kriegsveteranen, die an Sieg, Ausdauer, Einheit, Befehl, Disziplin, Entbehrungen und Wachsamkeit gewohnt sind. Auf unserer Seite Armut der öffentlichen Finanzen und privater Luxus, eingeschränkte Macht, gebrochener Geist, Mangel an Ausdauer und Training, die Soldaten sind ungehorsam, die Offiziere geizig, Disziplin wird verachtet, man nimmt sich Freiheiten, ist rücksichtslos, trinkt und genießt Ausschweifungen, und am schlimmsten  : Der Gegner ist an den Sieg gewohnt und wir an die Niederlage […].

Ogier beschreibt einen osmanischen Versuch, schwere Kavallerie mit Musketen einzuführen, und folgert  : Denn keine Nation hat weniger Scheu davor gezeigt, nützliche Erfindungen von anderen zu übernehmen [als die türkische, Anm. d. A.]  ; z. B. haben sie große und kleine Kanonen und viele andere unserer Erfindungen für ihren eigenen Gebrauch angepasst […].413

Die osmanische Gefahr trug auch darin zur Zentralisierung von Herrschaft auf dem Kontinent bei, dass sie den Aufbau christlicher Söldnerheere an der Stelle von adligen Aufgeboten legitimierte und die Einziehung von Steuern rechtfertigte – auch wenn es den deutschen Landesfürsten schnell gelang, die Einziehung der »Türkensteuer« in ihre Hand zu bekommen.414 Und die Türkengefahr wurde benutzt, um die Untertanen zu disziplinieren. Auch protestantische Pastoren warnten die leibeigenen Bauern, sich nicht zum Aufstand »verführen« zu lassen. Die Osmanen wurden zur Konkretisierung »des Anderen«, über den erst langsam ein Bestand an genauen Kenntnissen aufgebaut wurde.415 Eine Gefahr, dass große Teile Mitteleuropas am Anfang des 16. Jh. vom Sultan erobert werden würden, bestand durchaus – allerdings sah der König von Frankreich mehr die Gefahr, dass die gesamte Christenheit dem Imperium Kaiser Karls V. unterworfen würde.416 Beide Bedrohungen wurden jedoch überschätzt. 1525 vernichtete die 413 Kulturtransfer im Militär ging über die Religionsgrenzen  : Gottfried Liedl, Manfred Pittioni, Thomas Kolnberger (Hg.)  : Im Zeichen der Kanone, Wien 2002  ; H.-H. Nolte  : Neuzeitlicher Kulturtransfer zwischen Islam und Christenheit, in  : ZWG 8.1 (2007), S. 105–130. 414 W. Schulze  : Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert, München 1978. 415 Almut Höfert  : Den Feind beschreiben. ›Türkengefahr‹ und europäisches Wissen über das Osmanische Reich, Frankfurt 2003 (Campus). 416 Inalcik  : Ottoman Empire, S. 35.

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spanische Infanterie das französische Heer bei Pavia, 1527 plünderte die kaiserliche Soldateska Rom, aber der französische König führte weiter Krieg gegen Habsburg. 1529 belagerte der Sultan Wien, das aber ohne Hilfe vom Kaiser (allerdings mit der Zahlung eines Tributs nach Konstantinopel) gehalten wurde, wie sogar ein westlicher Streifen Ungarns. Das Osmanische Imperium war an die Grenzen seiner logistischen Kapazität gelangt  ; den Tribut Wiens haben die Habsburger aber bis 1606 bezahlt. Die Wiederaufnahme der Expansionspolitik in der zweiten Hälfte des 17. Jh. reagierte auf die Schwächung des Heiligen Römischen Reiches (HRR) 1618–1648 und die »Sintflut« in Polen 1648–1660. In beiden Fällen spielte konfessionelle Intoleranz eine auslösende und auch die beiden Kriegsverläufe mitprägende Rolle – zwischen Katholischer Kirche und Protestantismus bzw. Orthodoxie im HRR bzw. in Polen. Die Wesire in Istanbul  – lange von der Familie Köprülü gestellt  – mochten eine Chance sehen, noch einmal Intoleranz und Uneinigkeit der Christen auszunutzen. 1669 wurde Kreta erobert, 1672 das polnische Podolien und die Osmanen standen vor den Toren Kiews. Das Verhältnis zu Moskau war über ein Jahrhundert lang friedlich gewesen. Nachdem ein osmanischer Versuch zur Eroberung Astrachans 1569 gescheitert war, haben beide Reiche Frieden gehalten und weder dem Krimkhanat noch den Kosaken erlaubt, die Politik zu bestimmen. Russland hat 1637 sogar die Festung Asow, welche Kosaken erobert hatten, an die Hohe Pforte zurückgegeben. Aber vor Kiew traf die russische Westexpansion auf die osmanische Nordexpansion, und 1677 wurde erbittert um die Festung Tschigirin auf der rechten Seite des Dnjepr gefochten.417 Die Osmanen wandten sich danach aber nicht gegen Moskau, für das in Westeuropa niemand Hilfe organisiert hätte, und das immerhin mehrere muslimische Khanate beherrschte sowie aktuell Kiew verteidigte, und auch nicht gegen Polen, sondern gegen den Kaiser. Die Belagerung Wiens 1683 misslang jedoch, nicht zuletzt durch Unterstützung polnischer Reiterei, und im Bündnis mit Polen sowie ab 1686 auch Russland418 eroberte Habsburg Ungarn und Venedig den Peloponnes. Polen erhielt Podolien zurück, obgleich ihm die Artillerie fehlte, um Kamenec Podolsk zu erobern. Russland hatte die Mündung des Don und damit einen Hafen am Asowschen Meer erobert. Aber die osmanische Führung konnte die Folgen der Niederlage in mehreren erfolgreichen Kriegen einschränken. Eine russische Armee wurde 1711 vernichtend geschlagen und Russland musste Asow zurückgeben. 1739 gelang es der Pforte im Frieden von Belgrad, die Grenze an Donau und Karpaten fest zu etablieren sowie Venedig aus Griechenland zu vertreiben. 417 Nolte  : Toleranz, S. 65 f., S. 69–73. 418 Vgl. auch H.-H. Nolte  : »Mit lähren Händen«. Zur Moskauer Konferenz 1684, in  : JbGOE 2002, S. 276–285.

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Dann aber machte die Pforte Russland zu seinem Hauptgegner, indem es ihm 1767 den Krieg erklärte. Die Ulema, die Versammlung der Geistlichen, begründete den Angriff mit dem Vorwurf, dass »die moskowitischen Ungläubigen […] die Grenzen des Islam verletzen«419. Das Ziel war strategisch angemessen  : Polen geriet immer mehr in Gefahr, in russische Abhängigkeit zu geraten und Russland unterhielt Truppen in der Adelsrepublik. Die Pforte wollte Polens Selbstständigkeit schützen und verhindern, es im Norden nicht mit zwei, sondern nur mit einem Gegner zu tun zu haben. Aber die Osmanen überschätzten ihre Mittel. Das Russische Imperium vernichtete nicht nur die türkische Flotte in der Ägäis bei Tschesme (die russische Flotte war aus der Ostsee um Europa herum gesegelt), sondern eroberte die Nordküste des Schwarzen Meeres zwischen Dnjestr und Kuban – 1783 abgerundet mit der Annexion des Krimkhanats. Die Nordküste des Schwarzen Meeres war nun in russischer Hand. Der Friede von Küçük Kaynarca 1774 veränderte die geostrategische Lage des Osmanischen Imperiums. Dass Petersburg als Beschützer der Orthodoxen auftrat, hatte viel mehr Bedeutung als Frankreichs Ansprüche auf eine Beschützerrolle, denn nur wenige osmanische Untertanen waren katholisch, aber sehr viele orthodox. Die Patriarchate von Alexandrien, Jerusalem und Aleppo bestanden noch mit zahlreichen Gemeinden, und der Patriarch von Konstantinopel war der Anführer des gesamten Millet der Orthodoxie. In Südosteuropa stellten die Christen in den meisten Regionen noch die Mehrheiten der Bevölkerungen. Die religiöse Frage wurde aktuell, und sie ging in die nationalen Fragen über. Im Westen wurde die Hoffnung, dass der »Mann am Bosporus« krank sei, erneut genährt. Schon 1684 hatte der kaiserliche Gesandte in Moskau, das man zum Bündnis mit Wien gewinnen wollte, vorgetragen, dass das Osmanische Imperium zusammenbreche.420 Jetzt wurde eine allgemeine Debatte über »Niedergang, Degeneration, Stagnation« daraus.421 Reformen wurden unabdingbar.422 Aber, wie Yasar Aydin schreibt, der […] dreifache, zentrifugale, anti-systemische und expansionistische Druck, der von den nationalen Bewegungen, aufstrebenden gesellschaftlichen Schichten und europäischen Großmächten  – insbesondere vom Russischen Reich  – ausging, setzte das Osmanische Reich in eine Existenzkrise. […] Es fehlte an einer soliden sozialen Basis, auf die sich der Staat stützen 419 420 421 422

Quellenbuch Nr. 3.35. Nolte, a.a.O., (Anm. 418). Osterhammel  : Entzauberung, S. 385. Elçin Kürşat  : Der Verwestlichungsprozess des Osmanischen Reiches im 18. und 19. Jahrhundert, 2 Bde. Frankfurt 2003 (Iko-Verlag)  ; Howard Eissenstat  : Modernization, Imperial Nationalism, and the Ethnicization of Confessional Identity in the Late Ottoman Empire, in  : Berger/Miller, S. 369–459  ; Asli Vatansever  : Ursprünge des Islamismus im Osmanischen Reich, Hamburg 2010 (Kovač).

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|  Imperien als Zusammenfassungen einer Welt konnte. Da sich das produzierende und verarbeitende Gewerbe sowie der Handel weitgehend in den Händen von Nichtmuslimen befanden und diese mit ihren Patronage-Staaten sympathisierten, unterstützten die modernen Bürokraten der Hohen Pforte die Landbesitzer.423

1829 wird Griechenland unabhängig, sowohl von Russland als auch von den Westmächten unterstützt, ab 1830 erobert Frankreich Algerien. Mit Hilfe Großbritanniens wehrt das Imperium einen Herrschafts- und Modernisierungsversuch der wichtigsten Provinz unter dem ägyptischen Statthalter Ali Pascha 1840 ab, allerdings um den Preis entscheidenden Einflusses der Suez-Kanalgesellschaft. In der setzt sich schließlich Großbritannien durch. London übernimmt 1883 die reale Herrschaft in Ägypten und erklärt das Land 1914 zum Protektorat. Während Frankreich das vormals osmanische Algerien annektierte, stieß das Vordringen Russlands nach Süden auf den Widerstand der Westmächte. Sie besiegten St. Petersburg im Krimkrieg 1853–1856 und setzten die Neutralisierung des Schwarzen Meeres durch, die allerdings nach der Niederlage Frankreichs 1871 nicht weiterhin erzwungen werden konnte. Auch waren die territorialen Verluste an europäische Großmächte nicht aufzuhalten. 1881 annektierte Frankreich Tunesien, ab 1883 kontrollierte Großbritannien wie erwähnt Ägypten, 1884 annektierte Österreich Bosnien-Herzegowina und Großbritannien Zypern, Russland drang in Anatolien bis Kars vor, und Italien besetzte 1911 Libyen sowie den Dodekanes. Wichtiger als die Verluste an europäische Großmächte war jedoch, dass die religiös/ nationalen Selbstständigkeitsbewegungen nicht aufgehalten werden konnten.424 Die 1878/1884 anerkannten südosteuropäischen Königreiche Montenegro, Serbien und Bulgarien eroberten 1912 zusammen mit Griechenland den Rest des Osmanischen Reichs in Europa (abgesehen von einem Brückenkopf um Edirne).425 Im Ersten Weltkrieg wählte die Pforte die Seite der späteren Verlierer und seine arabischen Provinzen wurden 1916/18 zwischen Frankreich und Großbritannien aufgeteilt. 1923 wurde in der neuen Hauptstadt Ankara die Republik ausgerufen und die Türkei zum Nationalstaat erklärt.426 Mehr als sechs Jahrhunderte Osmanisches Reich waren zu Ende  ; es war ein ungewöhnlich dauerhaftes Imperium gewesen und noch ungewöhnlicher war, dass Vertreter einer einzelnen Dynastie es so lange regiert haben. 423 Yasar Aydin  : Vom Osmanischen Reich zur Republik Türkei  : Ein multiethnisches Staatsvolk wird zur Nation, die arabischen Länder werden Kolonien, Paper zur Vorlesung H.-H. Nolte  : »Aufstieg und Fall des Nationalstaats«, Hannover WS 2015/16. 424 Einführend zu den »Bildern vom anderen« Wolfgang Höpken  : Ethnische Stereotypen, in  : ders. (Hg.)  : Öl ins Feuer  ? Hannover 1996 (Hahnsche Buchhandlung), S. 9–26. 425 Wachtel  : Balkans, S. 51–96  ; Lampe  : Balkans, S. 31–62. 426 Mit dem 19. Jahrhundert als Vorgeschichte Cengiz Günay  : Geschichte der Türkei, Wien usw. 2012 (Böhlau).

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Arbeitsansätze

Quellenkunde und Historiografie Sämtliche Arten von Quellen des schriftlichen Zeitalters liegen für das Osmanische Reich vor – Gesetze und Dekrete, Aktenbestände und Gesandtenberichte, Reiseberichte von Kaufleuten, Kirchenleuten und Diplomaten. Die Bestände der Archive in Istanbul gelten als weithin noch nicht erschlossen. Gedruckte Quellen aus den Perioden vor dem 19. Jh. gibt es auch für die nichtmuslimischen »millets«,427 die erste hebräische Druckerei wurde 1494 in Istanbul eröffnet, um 1512 eine in Saloniki. Orthodoxe Druckereien gab es in den Donaufürstentümern seit dem 17. Jh., 1627 auch eine in Konstantinopel. Die erste Druckerei, die mit arabischen Lettern arbeitete, wurde 1726 gegründet – von vornherein mit der Auflage, dass keine Bücher zum Glauben gedruckt werden durften, die in der Frühen Neuzeit jedoch den größten Markt bildeten.428 Osmanische gedruckte Bücher sind also selten und spät überliefert. Denkmale sind vielfältig vorhanden, nicht nur die berühmte Blaue Moschee. Ein Problem des Studiums besteht darin, dass die drei in den Quellen am häufigsten benutzten Sprachen – Arabisch, Persisch und Osmanli – heute in der Türkei nicht mehr gesprochen werden und ebenso wie die alten Schriften gelernt werden müssen, Professionalisierung also unumgänglich ist. Die Historiografie war lange von dem Paradigma des Zerfalls, des »kranken Manns am Bosporus« geprägt, auch, weil die Gründung der kemalistischen Nation Türkei das multiethnische Imperium als Kontrastbild benutzte und dieses Gegenbild noch heute präsent ist. Angesichts der langen Dauer des Imperiums, aber auch mancher Infragestellung imperialer Duldungspolitik im Vergleich zu nationalistischer Intoleranz wie dem Genozid an den Armeniern oder den bis zur Gegenwart andauernden Schwierigkeiten, einen dauerhaften Modus Vivendi für die Kurden im Rahmen des türkischen Nationalstaats zu finden, erscheint dies Bild als einseitig. Kontrafaktisch argumentiert  : Hätten die verbündeten Imperien Deutschland, Österreich-Ungarn und das Osmanische den Ersten Weltkrieg gewonnen, dann gäbe es vermutlich keinen Nationalstaat Türkei und auch nicht die Kolonien Syrien, Palästina und Irak, die nach 1945 nach neuen Teilungen durch die Gründungen Israels und Jordaniens als Nationalstaaten souverän wurden oder wie Palästina noch werden möchten – obgleich ihre jeweilige religiöse und sprachliche Heterogenität kaum geringer ist, als die des Osmanischen Reichs es war.

427 Theodore H. Papadopoulos  : Studies and Documents relating to the History of the Greek Church and People, ²Aldershot 1990 (Variorum). 428 Mitterauer  : Warum Europa, S. 235–273, hier S. 267 f.; Stefan Reichmuth  : Schriftkulturen, außereuropäische, Islam, in  : EdN 11.

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Soziale Einheiten und Ökonomie Das Osmanische Imperium wurde in einer Weltregion gegründet, die seit Jahrtausenden von Bauern und Viehzüchtern besiedelt und oft zwischen Sesshaften und Nomaden umstritten war.429 Etwa drei Viertel der Einwohner des Imperiums waren Bauern. Die wirtschaftliche Grundeinheit der Landwirtschaft war der Hof (çift), der von einer Familie bewirtschaftet wurde. Sein Land gehörte »dem Sultan« und die Familie musste dafür Landsteuer zahlen. Söhne erbten den Besitz, Töchter nur mit besonderer Genehmigung gegen eine Gebühr. Die Abgaben gingen meist an einen Steuereinzieher, der für die Einnahmen aus einem Bezirk (Timar) dem Staat Dienste leisten musste, meist im Militär (Sipahi). Die soziale Grundeinheit war in dieser Periode die patriarchalisch strukturierte Großfamilie, die jedoch nur durch Kooperation von Mann und Frau erfolgreich sein konnte. Anders als in manchen christlichen Gesellschaften der Zeit konnten osmanische Frauen selbst zum Kadi gehen und Klage einreichen – so wie sie selbst beklagt werden konnten – und sie behielten nach der Heirat die Kontrolle über ihr Vermögen. Fast jeder Erwachsene war verheiratet. Polygamie war für Reiche zwar erlaubt, die Einehe aber die Regel. Heiraten waren arrangiert, eine Frau, die vor ihrer Mündigkeit verheiratet wurde, konnte vor dem Kadi die Auflösung verlangen  – allerdings sind hierzu nur wenige Fälle belegt. Es gab drei Formen von Recht am Boden  : – privat (mülk), – Stiftungen (vakf ), – Staatsbesitz (arz i miri), aufgeteilt in Domänen und Timar. Unter Mehmed I. wurde festgelegt, dass nur intensiv genutzter Boden (Weinberge, Gärten) mülk oder vakf sein konnte und der gesamte Rest Staatsbesitz ist, sodass er in Timare aufgeteilt werden durfte. Die Abgaben und Steuern daraus erhielt ein Sipahi, der aus der Summe seinen Dienst im Krieg finanzieren musste. Söhne hatten kein Erbrecht, aber Anspruch auf Versorgung. Neben den Bauernhöfen entstanden Güter, die v. a. für den Binnenmarkt, aber auch für den Export produzierten. Die Nomaden wurden, zusammen mit den Roma, mit der Stabilisierung der sozialen Verhältnisse nach den Eroberungsperioden zu einer Unterschicht. Nicht eine eigene, durch Älteste oder andere Hierarchien organisierte Schicht, sondern fast überall vertretene, aber isolierte Personen waren die Sklaven. Muslime durften nicht als Sklaven gehandelt werden und ein Muslim war angehalten, einen muslimischen Sklaven – meist im Testament – in die Freiheit zu entlassen so wie auch eine Sklavin, mit welcher er ein Kind hatte. Die meisten Sklaven wurden – nach der Eroberungsphase mit 429 Zu den folgenden Angaben vor allem Faroqhi  : Kultur, hier S. 66–68, S. 118 f.

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ihren vielen erbeuteten Griechinnen etc. – aus nicht muslimischen Gesellschaften importiert. Die osmanische Verwaltung führte über die Sklaven Buch.430 Da das Imperium eine besondere Steuer von einem Fünftel des Werts auf den Import von Sklaven erhob, kann man auf eine genauere Aufschlüsselung hoffen, wie sie für das Jahr 1606/7 (jeweils Mondmonat November) vorliegt. In dieser Zeit wurden 3.488 Sklaven in Istanbul verzollt, von denen 2.947 Erwachsene waren. Der Zoll betrug variierte zwischen 330 akça für stillende Mütter mit Baby und 32 für Senioren  ; der Schnitt lag für Erwachsene bei 240 akça. Da dies zumindest offiziell ein Fünftel des Werts der Ware war, lag der Wert des versklavten Menschen bei der Ankunft in Istanbul also im Schnitt bei 1.200 akça.431 Sklaven wurden v. a. in Haus und Hof eingesetzt  ; nur wenige arbeiteten auf Gütern. Außerdem waren die Janitscharen rechtlich Sklaven des Sultans, und es wurden Staatssklaven für die Galeeren eingesetzt. Das Klima in dem Imperium ist überwiegend mediterran, die Landwirtschaft muss nicht auf lange vegetationsarme Winter Rücksicht nehmen, ist aber oft in Gefahr, nach trockenen Sommern Missernten ertragen zu müssen. Die große Differenzierung des Reliefs, die Meere und Seen, aber auch die Berge bis hinauf zum Ararat, bewirken viele regionale Besonderheiten – hohe Niederschläge bei Trapezunt, im Taurus und in den dinarischen Alpen, Steppen im anatolischen Hochland, im pontischen Vorland und in der ungarischen Tiefebene  ; Wüsten – im Süden, kaum, dass man den Euphrat überschritten hatte  ; im Westen gleich hinter der Kante des Niltals und im Osten hinter dem Don (von Istanbul aus gesehen). Die Böden waren durchwegs durch antike Übernutzung weniger fruchtbar als möglich und viele Gebirgszüge waren auch damals schon verkarstet, aber die islamische »agrarische Revolution« des Mittelalters hatte – v. a. durch eine hohe Differenzierung der Pflanzen und Tiere und Oasenanbau in »Etagen«, später auch durch neue Produkte wie Mais oder Truthahn (der englisch noch heute turkey genannt wird), die beide aus den Amerikas stammen – an Produktivität gewonnen. Ein osmanischer Beitrag zum »Columbian Exchange« war die Tulpe, die dann in Holland Symbol einer der ersten kapitalistischen Wirtschaftskrisen wurde. Relativ wenige Bergbauprodukte wurden gefördert – Kupfer in Bosnien und Zypern, Silber und Gold in Ungarn sowie Kilikien, Alaun in der Ostägäis (Chios). Die Eisenproduktion war mehr von der Holzversorgung als den Erzvorkommen abhängig und also überall verbreitet, wo Holz billig war.

430 Charles L. Wilkins  : A Demographic Profile of Slaves in Early Ottoman Aleppo, in  : Witzenrath  : Slavery, S. 221–246. 431 Zübeyde Güneş-Yağci  : The Black Sea Slave Trade According to the Istanbul Port Customs Register, in  : Witzenrath  : Slavery, S. 207–220.

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Den Kern der gewerblichen Wirtschaft des Imperiums bildeten die großen Städte – Istanbul, Aleppo, Saloniki, Alexandria. Das Gewerbe des Imperiums war in vielen Bereichen auf dem Niveau der damaligen Welt  : Tuche aller Art, Leder- und Wollwaren, Glas- und Metallerzeugnisse. Aber man konnte sich auch Importe leisten  : Chinesisches Porzellan ist noch heute im Topkapi-Palast in Istanbul zu bewundern. Sklaven kaufte man auf der Krim – überwiegend christliche Slawen aus Osteuropa432 – oder aus dem Transsaharahandel  – überwiegend schamanistische Sudanafrikaner.433 Die Städte wurden aus Ägypten und dem heutigen Rumänien mit Getreide beliefert  ; wie viele Herrscher hielt auch der Sultan es für seine Pflicht, für die Ernährung seiner großen Städte zu sorgen. Deshalb wurden die Getreidepreise von Beamten niedrig gehalten und kontrolliert. Das erleichterte das Leben in den Hauptstädten, da aber die Gewinne der Agrarproduzenten mäßig waren, gab es auch nur wenig Anreize für Investitionen. Die Gesamtbevölkerung des Imperiums wird für das Ende des 16. Jh. auf 30–35 Millionen geschätzt, wobei die größten Siedlungsschwerpunkte um 1700 die Türkei (in ihren heutigen Grenzen) mit über acht Millionen und Ägypten mit viereinhalb Millionen Menschen waren.434 Im Kontext der Weltsystemstudien ist eine eingehende Debatte um die Frage geführt worden, warum das Osmanische Imperium nicht zu einem kapitalistischen Kernland, sondern zu einem halbperipheren Rohstofflieferanten geworden ist.435 Suraiya Faroqhi hat darauf verwiesen, dass die Inkorporation des Weltreichs zwischen Algier und Don nicht auf einmal, sondern stückweise vor sich ging.436 Vielleicht ist die Antwort einfach, dass das Osmanische Reich niemals zum Europäischen System gehört hatte und weder eine auf Staatenkonkurrenz gestützte Wirtschaftsförderung noch einen täglichen Militärwettbewerb organisieren wollte. Für beides war es zu groß und zu prächtig. Religionen und Ideologien Die Staatsreligion des Osmanischen Reichs, der sunnitische Islam, hatte keinen monopolistischen Charakter, aber es war die Religion der herrschenden Elite – des Sultans, des Militärs und der Rechtsprechung. 1517 nahm der Sultan den Titel Kalif an, also Nachfolger des Propheten, und erhob damit den Anspruch, für die gesamte Welt des Friedens, den gesamten Dar al-Islam sprechen zu können. Allerdings tat er das in ei432 Witzenrath  : Slavery. 433 Ralph A. Austen  : Marginalization, Stagnation and Growth, in  : Tracy  : Merchant Empires 1, S. 311– 350, hier S. 321–328. 434 Wirtschaftsploetz, S.  470  ; Maddison  : Contours, S.  184, S.  192. Vgl. jedoch die Hinweise auf die schlechte Quellenlage in den Berechnungen in Faroqhi  : Ottoman Empire, S. 262–265. 435 Menzel  : Ordnung, S. 421–428. 436 Faroqhi  : Empire and World, S. 214–216.

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nem eingeschränkten Sinn, denn Entscheidungen im Recht oder in der Lehre, auch Erklärung des Kriegs gegen Mitglieder des Dar al-Harb, der Welt des Kriegs und der Nichtmuslime, fällte die Ulema, die Versammlung der geistlichen Gelehrten. Das gesamte Rechtssystem der Muslime folgte den Auslegungen der Scharia durch Gelehrte, die an den Theologischen Hochschulen (Medresen) studiert hatten, sowie außerdem und manchmal korrigierend der ausgefeilten Gesetzgebung des Imperiums. Es gehörte zu den Aufgaben des Kalifen, dafür Sorge zu tragen, dass muslimische Richter (Kadi) überall vorhanden waren. Religion prägte aber auch den Alltag (hier) des muslimischen Teils der Bevölkerung, mit vielen Bruderschaften  – die v. a. dem Sufismus anhingen  – sowie Stiftungen aller Art. In jeder mittleren Stadt gab es davon über 50, in Istanbul mehrere Tausend.437 Das Verhältnis zur Schia war, besonders während der Kriegszeiten gegen Persien, ausschließend und abwehrend.438 Die Schia wurde als Ketzerei behandelt. Das Imperium umfasste, besonders so lange Mesopotamien dazu gehörte (1534–1603, 1638–1920), große schiitische Minderheiten, und deren Duldung war schwierig. Aber während der sunnitische Islam Probleme mit anderen Konfessionen hatte, wurde die Duldung der nicht muslimischen Buchreligionen im Milletsystem gesichert, wenn jene eine besondere Kopfsteuer zahlten. Orthodoxe, monophysitische und katholische Christen und Juden unterstanden in allen religiösen und sehr vielen Zusammenhängen, die wir heute als zivil definieren würden, der Leitung ihres jeweiligen Patriarchen. Dabei nahm die Pforte keine Rücksicht auf Nationen  – auch Serben und Bulgaren wurden dem Patriarchat Konstantinopels unterstellt und die eigenen Patriarchate unterdrückt, was eine Gräzisierung des Klerus in Südosteuropa beförderte. Die schwerste Belastung für die christliche Bevölkerung war die »Knabenlese«  : Die Christen mussten in vom Sultan festgelegten Zeiten und Mengen Jungen im Alter zwischen 15 und 20 Jahren abgeben, wobei auf etwa 40 Familien ein abzugebendes Kind kam. Die Jungen wurden zwangsweise zu Muslimen gemacht und bildeten zusammen als Haussklaven des Sultans das Janitscharenkorps. Das klügste Zehntel wurde in den Palast geholt und dort ausgebildet, viele von ihnen machten Karriere. Nicht wenige sind, der Bildungs- und Karrieremöglichkeiten wegen, wohl auch gern Janitscharen geworden, und im 18. und 19. Jh. gab es auch muslimische Familien, die ihre Kinder in das Korps aufnehmen ließen.439 Auch wenn über soziale Hierarchie, Steuer und Knabenlese ein kontinuierlicher Islamisierungsdruck aufrechterhalten wurde, ist es aus der christlichen Erfahrung gesehen 437 Faroqhi  : Ottoman Empire, S. 256. 438 Halm  : Schiiten  ; Prozessionstandarte mit den Namen »der Familie« (des Propheten) MacGregor, S. 602–610. 439 Die Karrieremöglichkeiten betont Peter Mario Kreuter  : Religiöser Zwang im Osmanischen Reich  ?, in  : ZWG 7.1 (2006), S. 87–100.

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verblüffend, dass sich die nicht muslimischen Religionen so viele Anhänger bewahrten. Baruch Wachtel meint, dass die Osmanen die Bevölkerung Süd-Ost-Europas mit Gewalt hätten zum Islam bringen können, wenn sie das versucht hätten, und dass dann Bulgaren, Serben und Griechen als einzelne Völker verschwunden wären.440 Aber das hätte eine andere Staatsstruktur vorausgesetzt, die wiederum keine derart zügigen Expansionen erlaubt hätte. Außenbeziehungen Suraiya Faroqhi hat betont, wie durchlässig die Grenzen zwischen der Welt des Islam und der von Ungläubigen beherrschten Welt des Krieges waren, und dass die osmanischen Eliten sehr oft eine Realpolitik betrieben, die stärker pragmatisch war, als sie sich von religiösen Zielen wirklich binden ließ – auch wenn der » Ideologie der Ausdehnung des Islam durch Kriege gegen die ›Ungläubigen‹ eine wesentliche Rolle in der Legitimierung der Herrschaft des Sultans« zukam.441 Ohne Frage wurde Krieg als eine der wichtigsten Aufgaben der Elite insgesamt und des Sultans insbesondere aufgefasst  ; aber das unterschied die Osmanen nicht von den christlichen Herrschern in der Frühen Neuzeit442 – ungewöhnlich war nur, dass die osmanischen jahrhundertelang den christlichen Armeen überlegen waren. In der Diplomatie gehörte die Hohe Pforte mit Gesandtschaften und inoffiziellen Informanten lange zu den gut informierten Plätzen der Welt. Ein schwerer außenpolitischer Fehler wie die Annexion Podoliens 1672, die es den Habsburgern erlaubte, sich mit Polen zu verbünden und dieses sogar zu veranlassen, die Teilung der Ukraine an zu erkennen, um auch Russland in die antiosmanische Front zu holen – solch ein Fehler kann auch einer wohlinformierten Führung unterlaufen. Die Pforte blieb allerdings mit wenigen Ausnahmen auch dann beim System der Gesandten, als die europäische Diplomatie zu ständigen Vertretungen überging, und nahm entsprechend an dem berufsmäßigen und kontinuierlichen diplomatischen Austausch, der sich im Rahmen des christlichen Systems entwickelte und für einen ständigen Fluss von Informationen sorgte, nicht teil.443 Entsprechend waren die Osmanen beim Wiener Kongress 1815 nicht dabei.444 440 441 442 443

Wachtel  : Balkans, S. 61. Faroqhi  : Empire and World, Zitat S. 8. Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 183–200  ; Hoffmann  : Conquer. Patrich Harries, Hans-Joachim König, Jürgen Nagel, u.a.: Wissensaustausch, globaler, in  : EN 15 (Spalten 31–59). 444 Erbe  : Erschütterung  ; Mark Jarett  : The Congress of Vienna and its Legacy, L 2014 (Tauris)  ; vgl. H.-H. Nolte  : Membership in the European Concert, International Law, und why the Ottoman Empire was not invited 1814/15, to be published in  : Christian Cwik  : The Congress of Vienna and its global Dimension, forthcoming Newcastle upon Tyne 2017 (Cambridge Scholars Publishing).

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Das alte christliche Feindbild gegen die heidnische Macht wurde im 18. Jh. gegen die Pforte als barbarous power, also in ein aufgeklärtes Feindbild umgewandelt, und die Osmanen haben kaum versucht, dem entgegenzutreten.445 Die Initiative wurde den andern überlassen und das Osmanische Reich erst auf Drängen der Westmächte im Frieden von Paris 1856 offiziell zum Konzert der Mächte zugelassen.446 Der Fernhandel bot in der Glanzzeit eine der größten Einnahmen des Staates (nach der Landsteuer), hinzu kam ja die kontinuierlich entstehende Wohlhabenheit der Händler und Handwerker sowie des Transportgewerbes. Die Regierung war darauf bedacht, den gesamten Ost-West-Handel zu kontrollieren – sie erklärte das Schwarze Meer zum mare clausum und vertrieb die westeuropäischen Händler, sodass die Nordroute der Seidenstraße faktisch stillgelegt wurde, und brachte mit der Eroberung Ägyptens auch die Südroute durch das Rote Meer in ihre Hand. Auch nachdem es der Pforte und ihren Bundesgenossen in Südasien nicht gelungen war, die Portugiesen aus dem Indischen Ozean zu vertreiben, blieb doch der größere Teil des alten Ost-West-Handels den mittleren Routen der Seidenstraße mit ihren Karawanen noch lange treu. Das Überwiegen des Seehandels war erst eine Sache des 17. Jh.447 Nachdem der osmanische Angriff auf Astrachan missglückt war, konnte die Pforte keine Zölle auf den russischen Handel mit Persien (und selbstverständlich auch nicht auf den mit Turkestan und China) legen.448 Allerdings hatten russische, armenische, englische und sogar holsteinische Versuche, die Nordroute der Seidenstraße zu beleben und über Wolga und die beiden Düna-Flüsse an das Weiße Meer bzw. die Ostsee anzubinden, nur mäßige Erfolge,449 sodass die Sperrung des Schwarzen Meeres entscheidend blieb. Aber vom 18. Jh. an ging der Indienhandel immer ausschließlicher über See. Der Niedergang der Zolleinnahmen traf die osmanischen Finanzen. Die Diskussion um die Frage, wie weit die ökonomische Einheit des Imperiums durch die zunehmende Einbeziehung in das europäische Wirtschaftssystem aufgeweicht und es zum Rohstofflieferanten, zur Peripherie des Westens wurde,450 ergänzt den grundlegenderen Tatbestand der größeren Profitabilität des Seeverkehrs im Verhältnis zum Landverkehr be445 Oliver Schulz  : ›This clumsy fabric of barbarous power‹, in  : Pyta  : Mächtekonzert, S. 273–298. 446 Textauszug in Quellenbuch Russland Nr. 3.65. 447 Niels Steensgard  : The Asian Trade and the Revolution of the Seventeenth Century, Chicago 1974 (Chicago UP). 448 A. I. Jukht  : Torgovlja s vostochnymi stranami, Moskva 1994 (Rossijskaja Akademija Nauk)  ; zu indischen und armenischen Kaufmannsiedlungen in Astrachen Nolte  : Toleranz, S. 52–54, 92 f. 449 Morris Rossabi  : The ›decline‹ of the central Asian caravan trade, in  : Tracy  : Merchant Empires 1, S. 351–370. Einführend zur russischen Seite Klaus Heller  : Russische Wirtschafts- und Sozialgeschichte 1, D 1987, S. 201–206  ; zum schwedischen Interesse und überhaupt zu bewusster Zollpolitik Troebst  : Handelskontrolle. 450 Faroqhi  : Kultur, S. 60–66.

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sonders für Massengüter.451 Dies betraf alle Landmächte negativ, und viele versuchten, mit politischen Mitteln gegenzusteuern. Das Osmanische Reich war jedoch besonders betroffen, da die Stellung als Land des Zwischenhandels und des Transfers eine Grundlage von Wirtschaft und Staat gebildet hatte. Eine Gegensteuerung gelang nicht, weil die Transportentscheidungen außerhalb der osmanischen Herrschaft gefällt wurden und der (mit venezianischer Hilfe unternommene) Versuch, den europäischen Handel im Indischen Ozean mit militärischen Mitteln zu unterbrechen, in einer Seeschlacht gegen die Portugiesen scheiterte. Formen von Politik Das Osmanische Reich wurde von einem absoluten Souverän regiert, der jedoch (wie auch die europäischen absolutistischen Fürsten) an die Glaubensregeln gebunden war, deren Einhaltung im Streitfall von der Zusammenkunft der Glaubensgelehrten (ulema) eingefordert wurde. Der Sultan wurde von dem Kanzler (Wesir) beraten, der wiederum sich im Beisein des Sultans (wenn dieser wollte) mit den Ministern beriet. Jeder Teilhaber dieser Macht musste damit rechnen, dass er – wenn er nicht genug auf seine Berater einging und seine Handlungen zu Katastrophen führten – getötet werden konnte  : Der Sultan in einem Aufstand, der Wesir und die Minister durch einen Befehl des Sultans. Die Zentralisierung der Macht war theoretisch fast vollkommen, in der Realität aber setzten sich sowohl Vertreter der Bürokratie als auch die Inhaber von Timaren auf Lebenszeit für bestimmte Varianten von Politik ein, sodass es unter der Decke der absoluten Herrschaft zu einem power-sharing kam.452 Nicht umsonst erwartete man vom Sultan, dass er bei Feldzügen in Persona teilnahm, sodass er über lange Zeiten gar nicht in Istanbul weilte. Die Ritualisierung war überhaupt von großer Bedeutung – im Zentrum des Topkapi hatte Stille zu herrschen. Beim Sultan achtete man darauf, dass auch sein Pferd langsam schritt  ; der Wesir musste sich doppelt so schnell bewegen, und Sklavinnen hatten gegebenenfalls dahinzuhuschen.453 Mehrere Peripherien des Imperiums wurden als autonome Fürstentümer regiert. Wenn der Khan der Krim etwa an den Verhandlungen mit russischen Gesandten in Istanbul teilnahm, wurde er selbstverständlich im Topkapi auch gehört. Die zentrale Legitimation des Sultans bestand in der Anführerschaft des Islam und der Erweiterung der islamischen Welt. Es gibt eine Debatte darüber, wie weit diese Ziele für die Frühzeit wirklich entscheidend waren, und ob damals nicht pragmatische Beute451 Nachvollziehbare Berechnungen am Beispiel des Transsahara-Handels bei Ralph Austen  : Marginalization, stagnation, and growth, in  : Tracy  : Merchant Empires 1, S. 311–350. 452 Faroqhi  : Empire and World, S. 30. 453 Goodwin  : Lords, S. 50–54.

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politik eine entscheidende Rolle spielte  ; vom 15. Jh. an »zeichneten die Chronisten die Sultane jedoch in einer Art, die nahelegte, dass sie immer im Konflikt mit den Ungläubigen gewesen seien«454. Auch das Charisma der Dynastie wurde in Anspruch genommen, die brudermörderische Form der Durchsetzung der Unteilbarkeit der Macht des Fürsten aber mit dem Wohl des Landes begründet. Außerdem gab es Arcana Imperii, »machiavellistische« Regeln des Machterhaltes. Und es gab eben auch Vorstellungen von Herrschaft, die wir heute als sozial bezeichnen würden – wie die, dass der Sultan dafür zu sorgen habe, dass jeder im Land und besonders jeder in der Hauptstadt ein Auskommen hat. Dass Papst Pius II. (der Humanist Enea Silvio Piccolomini) Sultan Mehmed II., dem Eroberer, 1461 sogar den Kaisertitel anbot, sofern er nur zum Christentum konvertiere,455 hat den Sultan vermutlich erheitert, während es dem Kaiser weniger gefallen haben dürfte. Kriterienkatalog

1. Das Osmanische Imperium war insofern einmalig, als es von einer einzelnen Dynastie – den Nachkommen Osmans – regiert wurde, solange es existierte.456 Das wurde erreicht, indem jeder Sultan im Harem mehrere Söhne hatte oder doch haben konnte und indem ein zur Regierung gelangter Sultan seine Brüder teils gefangen setzen, teils töten ließ. Legitimiert wurde diese Praxis mit dem Koranvers  : »Was bedeutet der Tod eines Prinzen im Vergleich zum Verlust einer Provinz  ?«, also mit dem Wohl des Reichs oder genauer mit der Ausdehnung des Imperiums.457 Zur Regelung gehörte auch, dass von jedem Sultan erwartet wurde, in Person mit der Armee ins Feld zu ziehen, was nicht nur den militaristischen Habitus der Dynastie weitertrug, sondern durch die Belastungen dieser Lebensführung auch dazu beitrug, dass viele Sultane nur kurz regierten. 2. Die Staatsreligion des Imperiums war der sunnitische Islam. 1517–1924 war der Sultan auch Kalif, also Nachfolger des Propheten. Das höchste Beratungsgremium des Staates war die Ulema, eine Versammlung hoher Gelehrter des Imperiums. Als Kalif war der Sultan verpflichtet, für die Rechtsprechung im Reich Kadis ausbilden zu lassen und einzustellen. Muslimische »Häresien« wie die Schia wurden bekämpft, andere Buchreligionen wie Mosaismus und Christentum wurden gegen besondere Steuern geduldet. 3. Insbesondere in den großen Städten bestanden viele, meist von Bruderschaften unterhaltene, Bibliotheken, die ein großes Publikum erreichten. Auch Nichtmuslime 454 Faroqhi  : Empire, S. 235. 455 Cardini  : Islam, S. 179. Die »Epistola ad Mahomentem« wurde mehrfach gedruckt. 456 Genealogie 1326–1924  : Inalcik  : Ottoman Empire, S.  204 f.; Liste der 36 Sultane ab 1300 und des letzten Kalifen  : Goodwin  : Lords, S. 327 f. 457 Goodwin  : Lords, S. 55.

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konnten an den Diskussionen über die antike und klassische Literatur, Medizin und die Entwicklung der Welt teilnehmen. 4. Das Imperium erbte die Bürokratie Ostroms, aber formte sie nach eigenen Gesetzen. Die Bürokraten, auch der Wesir, waren Sklaven des Sultans (kul), der jedem das Leben nehmen konnte. 5. Im Osmanischen Reich existierte kein geborener Adel. Es gab alte Familien und es gab Aufsteiger, besonders im Dienst des Sultans, aber niemand konnte aufgrund seiner Geburt einen bestimmten Platz in der politischen Hierarchie einfordern. 6. Im 16. Jh. bestand das osmanische Heer aus drei Teilen  : ­– Truppen des Hauses Osman, die unmittelbar vom Sultan unterhalten wurden  : a) etwa 20.000 Janitscharen (nicht verheiratete kasernierte Soldaten, rechtlich Sklaven des Sultans) sowie b) Sondereinheiten für Artillerie und c) Marine. – Truppen des Imperiums – etwa 200.000 Mann  : a) schwere Reiterei der Sipahis, die Timare verwalteten, und b) leichte Kavallerie ohne Sold, die auf Beute angewiesen war und oft eingesetzt wurde, um hinter den Linien des Feindes die Kommunikation zu stören. – Truppen von Vasallenstaaten wie Krim oder Moldau. 7. Die Bauern zahlten die allgemeine Landsteuer, Sondersteuer und Zehnten  ; alle Nichtmuslime zahlten eine besondere Kopfsteuer. Städter zahlten keine Steuer. Es gab viele Sondersteuern, etwa die Abgabe von einem Fünftel des Werts für importierte Sklaven (s. o.), aber auch Nickligkeiten – Montenegro zahlte eine, wenn auch kleine, Abgabe für die silbernen Puschen der Frauen im Harem des Sultans.458 8. Die territoriale Zentralisierung des Imperiums wurde nur durch die Anerkennung von Vasallenstaaten wie Siebenbürgen oder der Walachei gemildert. In der Hochphase osmanischer Macht konnten die Sultane alle regionalen Autonomiebewegungen, z. B. in Anatolien oder Ungarn, unterdrücken. Im 19. Jh. arbeitete das Zentrum gegen eine korrupte Verwaltung in Belgrad mit der entstehenden Nationalbewegung zusammen, musste ihr danach aber auch Freiraum lassen. Die Selbstständigkeitsbestrebungen Ägyptens im 19. Jh. waren eine Reaktion darauf. Dass der Sultan, um den Khediven in Schach zu halten, auf Bündnisse mit den Westmächten angewiesen war, hat zur Schwächung des Imperiums beigetragen. Da die Provinzarchive in der Türkei erst in jüngerer Zeit systematisch durchgearbeitet werden, sind besonders auf diesem Gebiet von der Forschung viel neue Kenntnisse zu erhoffen.459 458 Goodwin  : Lords, S. 53. 459 Faroqhi  : Empire, S. 224.

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9. Viele Grenzen, insbesondere im Süden gegen die Wüsten und im Norden gegen die Kosaken in polnischen oder russischen Diensten waren nicht genau festgelegt und oft mehr von der Geländeform abhängig als von einer Linie  : Wo Pferde schwierig einsetzbar waren, in den Flusstälern der pontischen Steppen und den Sand- und Steinwüsten Innerarabiens oder der Sahara, da setzte man keine Herrschaft durch. Bei den Friedensschlüssen mit Habsburg und den Safawiden wurden aber Linien im Gelände festgelegt, und je mehr das Imperium Territorien aufgeben musste, desto mehr solcher Linien im Gelände entstanden, meist entlang von Gebirgsketten oder Flüssen, also Linien im Gelände, die auch vor einer Vermessung eindeutig zu bestimmen waren. Anders als in Russland oder China spielten für den auf Expansion angelegten Osmanischen Staat Grenzmauern oder Grenzverhaue keine Rolle. Darin ähnelte es dem europäischen System – zwar hat Habsburg eine »Militärgrenze« eingerichtet, aber wo man ständig auf Erweiterung hofft, bietet sich ein solches Instrument zur Stabilisierung von Herrschaft nicht an. Undurchlässige Grenzen kannte das Osmanische Imperium nicht und solche hätten ihm auch nicht entsprochen.460 10. Dass der Osmanische Staat wenig Kapazität besessen habe, im Innern wirksam zu sein, wird man schwerlich behaupten können. Zwar gab es weite Bereiche, in welche der Staat nicht intervenierte, aber da er bis ins 19. Jh. hinein die Kapazität aufbrachte, die Islamisierung der Bevölkerung so weit zu treiben, dass heute ein antikes Kernland des Christentums wie Anatolien fast vollständig muslimisch ist, und in anderen früher christlichen Ländern wie Syrien das Christentum zu einer kleinen Minderheit geworden ist, das zeigt eine große und kontinuierliche Kraft zur Intervention in die Gesellschaft. Sie geschah allerdings mit ganz anderen Zielen als die Interventionen des modernen säkularen Staats. 11. Für Frieden im Reich des Islam zu sorgen, war eine der vornehmen Pflichten jedes muslimischen Fürsten. Gegenüber der »Welt des Kriegs« bestand diese Verpflichtung nicht. 12. Während man in den christlichen Staaten Muslime nicht als Nachbarn haben konnte, konnte der Sultan Christen und Juden dulden, wenn sie die muslimische Oberherrschaft anerkannt hatten. Hier mag auch kultureller Hochmut gegen die Ungläubigen eine Rolle spielen, aber es blieb doch Toleranz im inneren Kreis. Gegen die Ungläubigen jenseits der Grenzen galt das nicht. Wenngleich aus der Sicht der diplomatischen Akten deutlich wird, dass die Osmanen durchaus praktisch mit christlichen Mächten umgingen und nach den Regeln der Arcana Imperii Bündnisse schlossen (der Nachbar des Nachbarn ist dein Partner, also Frankreich, der Nachbar der Habsburger, Partner der Osmanen), blieb die Grundkonnotation doch erhalten  : Das Christentum wurde 460 Faroqhi  : Empire and World, S. 5.

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als unterlegene, weniger gebildete Religion gesehen, und die Ausbreitung muslimischer Herrschaft gegenüber ihm galt als normal.

Gegenbewegung

Opposition aus Israel

Was Imperien nicht leisten, wird man am ehesten von ihren Gegnern hören – nicht von den anderen Imperien, sondern von den Königreichen, den gentes oder »vormodernen Nationen«.1 Vermutlich hat es viele derartige Oppositionsbewegungen gegeben. Der für die monotheistischen Religionen entscheidende Fall war Israel. Er zeichnet sich auch dadurch aus, dass die Texte des »Alten Testamentes« auch im Christentum und im Islam tradiert wurden, also leicht zugänglich sind. Wie wir wissen, sind Exodus nach Ägypten und militärische Eroberung Palästinas in der Bibel verbreitete Mythen  ; man kann aber davon ausgehen, dass um 1012 v. u. Z. die israelitischen Stämme Palästinas sich zusammenschlossen und ein Heerkönigtum bildeten, dem es unter der Führung König Davids gelang, Jerusalem zu erobern. Das Reich zerfiel schnell in ein Nordreich mit der Hauptstadt Sichem (später Samaria) und ein Südreich um Jerusalem herum. Ab 738 zahlte das Nordreich Tribut an das assyrische Imperium, 721 eroberte Sargon II. Samaria, machte das Nordreich zur Provinz und ließ große Teile des Volkes deportieren. Das Südreich zahlte Tribut und wollte sich dann, gestützt auf Ägypten, aus der Abhängigkeit befreien  ; 597 eroberte der babylonische König Nebukadnezar jedoch Jerusalem und nach dem Abfall des von ihm eingesetzten Königs Zedekia eroberte er es 587 zum zweiten Mal. Diesmal wurde die Festung geschleift und ein Teil der Bevölkerung nach Mesopotamien deportiert, während ein anderer Teil nach Ägypten floh. Einige Jahre nach der Eroberung Babylons durch den persischen Großkönig Kyros II. 538 wanderten die Israeliten wieder zurück  ; 515 wird der Neubau des Tempels geweiht und 445 erlauben die Perser ihrem Statthalter Nehemia, Jerusalem wieder zu befestigen.2 Das Babylonische Imperium hatte die Integration der Israeliten nicht zustande gebracht. Obgleich die Zerstörung des Tempels und der Festung Jerusalem erst nach Eroberung, Abfall und Wiedereroberung, also nach in den Regeln der Zeit vertretbarer Demonstration der Übermacht geschah, und obgleich – worin man den Geschichten

1 Vgl. Anthony D. Smith  : Were there nations in Antiquity  ?, in  : Scales/Zimmer, S. 33–53. 2 Die Daten nach Ploetz. Vgl. zum Schwerpunkt der Aussage Israel Finkelstein, Neil Asher Silbermann  : Keine Posaunen vor Jericho, deutsch München 2001 (Beck)  ; Israel Finkelstein  : Das vergessene Königreich. Israel und die verborgenen Ursprünge der Bibel, deutsch München 2014 (Beck).

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von Daniel und Ester doch folgen kann – zumindest Teile der Oberschicht in Babylon gute Karrieren gemacht haben. Vor und während der babylonischen Gefangenschaft war unter den Exilierten ein strenger Monotheismus entwickelt worden. Die globalgeschichtliche Bedeutung dieser Etablierung des Monotheismus ist außerordentlich. Zu Recht hat Karl Jaspers den »tiefsten Einschnitt der Geschichte« zwischen 800 und 500 vor Christus als »Achsenzeit« gekennzeichnet, da in dieser Periode neben Esra und Jeremias auch Kungfutse und Laotse, Buddha und Zarathustra, Heraklit und Plato lehrten.3 Die globalgeschichtliche Diskussion der Religionen ist hier aber nicht unser Thema.4 Zeitleiste 65

Ca. 1012 1008–969 926 845 721 725 609 597 587 538 520 445

Heerkönig Saul David, Eroberung Jerusalems Teilung 1. Nordreich (Israel, Hauptstadt Sichem, später Samaria) 2. Südreich ( Juda, Hauptstadt Jerusalem) Israel zahlt Tribut an Salmanassar III. von Assyrien Samaria von Sargon II. von Assyrien erobert  ; Deportationen und Ansiedlungen von Babyloniern und Syrern in Palästina Juda zahlt Tribut an Sanherib von Assyrien, Jerusalem nicht erobert Schlacht bei Megiddo6 Nebukadnezar II von Neubabylonien7 erobert Jerusalem Zweite Eroberung Jerusalems durch Nebukadnezar II., Zerstörung von Stadt und Tempel, Deportationen nach Babylon bzw. Flucht nach Ägypten Kyros II. von Persien8 erobert Babylon, erlaubt Rückkehr von Juden Persische Behörden erlauben Wiederaufbau Jerusalems und des Tempels. Sitz der persischen Provinzverwaltung ist Samaria. Nehemia, persischer Statthalter, erlaubt Wiederaufbau Stadtmauer Jerusalems

3 Karl Jaspers  : Vom Ursprung und Ziel der Geschichte (1949), Frankfurt 1959 (Fischer), S. 11–36, Zitat S.  14. Vgl. zuletzt Johann  P. Arnasson  : Historicising Axial Civilizations, in  : Arjomand Social Theory, S. 179–202. 4 Vgl. Nolte  : Religions. 5 Das Neuassyrische Reich rechnet der Ploetz von ca. 1000 bis 609 v. Chr. 6 Der König von Juda Josia scheitert beim Versuch, den Ägyptern den Weg zu verlegen. Die Ägypter kommen trotzdem zu spät, um die letzte assyrische Festung des von den Medern eroberten Assyrien zu entsetzen. Vgl. o. S. 57. 7 Das Neubabylonische Reich rechnet der Ploetz von 626–539 v. Chr. 8 Das Persische Reich rechnet der Ploetz von 550–330 v. Chr.

Opposition Gegenbewegung aus Israel  | 

Die Fassung des Mosaismus in der »babylonischen Gefangenschaft« enthielt nicht nur in dem Mythos der militärischen Eroberung Palästinas unter Josua die Legitimation, ein großes Territorium nach Eroberungsrecht zu beanspruchen, sondern auch das Konzept des »Bannes«, also des Genozids an der nicht israelitischen Bevölkerung.9 Das Konzept belegt nicht, dass so verfahren wurde, aber der biblische Text transportiert die Vorstellung einer extremen Radikalität bei Eroberung und Landnahme in ferne Zukunft, da jeder gläubige Leser des Alten Testaments solchen »Bann« für Gottes Wille hält. Weiters waren mit der Etablierung des systematischen Monotheismus viele Regulierungen für die Gläubigen verbunden sowie die Exklusion der trotz der Deportationen Daheimgebliebenen als Häretiker. Mischehen mit den »Samaritern« wurden verboten.10 Die Realgeschichte Palästinas von der Eroberung Jerusalems durch David im 10. Jh. über die Perioden der Zugehörigkeit zu den assyrischen, babylonischen, persischen und den Diadochen-Reichen sowie der Neugründung Israels als Provinz Persiens mit Autonomien unterscheidet sich deutlich von dem Bild, das wir im Religionsunterricht gelernt haben. Religions- und geistesgeschichtlich war aber eben dieses Bild prägend. Das »Alte Testament« hat es nicht nur dem Judentum, sondern auch dem Christentum vermittelt, und das Bild erlangte durch die Prägung von Vorstellungen in den folgenden Jahrtausenden vielleicht mehr Wirkung als der Versuch, das Königreich Juda nach der Rückkehr neu zu errichten. Zuerst einmal wirkte es auf die Johannes-Apokalypse ein, so dass ein übereinstimmendes Bild auch für das Neue Testament entstand. Die Bibel zeichnet ein kleines, religiös und ethnisch begrenztes Königreich in einem Land, »in dem Milch und Honig« fließt, das aber im Kampf stand gegen ein despotisches und sündiges Imperium, symbolisiert durch die Hauptstadt, die »große Buhlerin, die an vielen Wassern sitzt«11. Der Vorwurf ist, dass Babylon alle berauschte  : »Die Völker tranken von seinem Wein, darum wurden närrisch die Völker.«12 Babylon ist so verrottet, dass man es nicht mehr heilen kann. Die Völker müssen es verlassen, »fort von da gehen wir, ein jeder in sein eigenes Land«13. In den christlichen Gesellschaften standen dieses Lob des kleinen Volkes und die Schmähung der großen Metropole nicht nur in der Bibel, wo Mönche sie lesen mochten, sondern wurden über die Lesungen in der Messe auch den Gläubigen regelmäßig   9 Vgl. Josua Kapitel 7. 10 Vgl. Esra Kapitel 9. 11 Apokalypse Kapitel 17. Der Kommentar der benutzten Ausgabe mit Imprimatur (s. Bibel) verweist S. 339 darauf, das Rom gemeint sei, und erklärt vorsorglich, dass »Buhlerei« hier zur allgemeinen Charakterisierung des gottlosen Lebens diene. 12 Jeremias 50,51, Zitat 51,7. Oder wie es Apokalypse 11,8 heißt – Babylon ließ alle Völker vom »Glutwein ihrer Unzucht« trinken. Es liegt nahe, an die Verbreitung von Rauschgiften in Mesopotamien zu denken. 13 Jeremias 51,9.

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|  Gegenbewegung

vorgetragen.14 In der russischen Kirche nebenbei genauso15 wie in der lateinischen. In Gesellschaften, in denen der Kirchgang selbstverständlich war,16 hörten die Gläubigen diese Geschichten immer wieder und nahmen sie in sich auf. Um vorzugreifen  : die christlichen Kirchen legitimierten also einerseits die Imperien ihrer Zeit, weil sie – wiederum im Rekurs auf das Alte Testament17 – den Traum des Nebukadnezar in der Deutung des Daniel verstanden  : Es wird vier Reiche geben, das vierte ist das Römische, und nach seinem Ende kommt das Gottesreich. Auch deswegen musste das Römische Reich immer weiter dauern – weil die Parusie sich verzögerte, weil das Endreich nicht kam. Andererseits transportierte die Bibel in die Stuben der Kleriker und die Andacht der Laien im westeuropäischen Aachen oder in die Klöster der Altgläubigen in den Wäldern Nordrusslands aber auch deutliche Kritik an dem großen Imperium und seiner Hauptstadt, der »Hure Babylon«. In der Reformationszeit meinte man in Deutschland damit das Rom der Päpste, aber man konnte in den russischen Wäldern auch ganz gut Sankt Petersburg darunter verstehen, wo man Wein aus Portugal trank, die Frauen Dekolleté trugen und sogar Kaiserinnen wurden. Vom »Alten Testament [ging] ein antiimperialer Grundton ins abendländische Konzert des politischen Denkens«18 – und eben nicht nur in das abendländische, sondern das allgemein christliche. Was leisten Imperien weniger gut wie eine Religion  ? Zugehörigkeit, »belonging« und Identität in einer Gruppe von Gläubigen, selbst wenn diese auf die Apokalypse wartet, und besonders, wenn sie sich in einem kleinen Reich auch politisch organisiert – ob im Täuferreich zu Münster oder im Kloster Solowezki.19

14 Anselm Schott  : Das Messbuch der Heiligen Kirche, Freiburg 1940 (Herder). Etwa die Lesung am Montag nach dem ersten Fastensonntag mit dem von Ezechiel 34,11–16 berichteten Versprechen Gottes, seine Herde zurückzuführen zu den fetten Weiden Palästinas, oder die 12. »Prophetie« am Karsamstag nach Daniel 3,1–24 von den Jünglingen im Feuerofen. 15 Zum Volksglauben Anna Stepanowa Sytowa (Hg.)  : Lubok. Russische Volksbilderbogen, Leningrad (Aurora), S. 86 f. Lubok der »babylonischen Frau«, 1820er Jahre. Luboks waren auf den Märkten verkaufte Blockdrucke mit kurzen Texten und Bildern. 16 In Westdeutschland also noch in den 1950er Jahren, vgl. etwa Rupert Neudeck  : Radikal leben, Gütersloh 2014 (Gütersloher Verlagshaus), S. 99–103. 17 Daniel Kapitel 1–2. 18 Rainer Kessler  : Identität und Pragmatismus. Das antike Israel und die Imperien seiner Zeit, in  : ZWG 11.2 (2011), S. 53–69, Zitat S. 69. 19 Richard van Dülmen (Hg.)  : Das Täuferreich zu Münster, M 1974 (dtv), z. B. S. 213  ; s. u. S. 279 f.

3 Imperien als Wiederherstellungen

Heiliges Römisches Reich

Die These Rankes, Europa sei aus dem Zusammenwirken von Germanen und Romanen entstanden, hat einen überzeugenden Kern  : Europa ist in der Tat die Bildung einer neuen Kultur aus der von Griechen und Römern geprägten mediterranen Welt und den erobernd einwandernden Stämmen der Slawen und Awaren, Germanen und Bretonen. Diese Stämme brachten kein gemeinsames Selbstbewusstsein mit, wurden aber vom Süden aus zusammenfassend als Barbaren bezeichnet. Man kann die Hauptperiode dieser Einwanderungen etwa zwischen 375 (dem »Hunnensturm«) und 568 (der Landnahme der Langobarden in Italien) ansetzen, kommt dann aber um Vorläufer wie die Kimbern (113 v. u. Z.) oder spätere Staatsbildungen von Immigranten wie im Bulgarischen Reich 679/81 nicht herum.1 Diese Migrationen entstanden an einer Grenze von zwei Landnutzungssystemen. Die Menschen des Mittelmeerraums hatten ein intensives Landnutzungssystem erarbeitet, einen großen Teil der Natur der Nutzung unterworfen sowie die relativ dichten Siedlungen durch Handel zu einem System von Küstenschifffahrt und Straßen verbunden. Das Land wurde übermäßig ausgenutzt und die agrarische Fruchtbarkeit sank vom dritten Jahrhundert an. Einige militärisch und organisatorisch besonders leistungsfähige Eliten hatten die Länder politisch im Imperium vereint. Weniger organisierte Gebiete wurden unterworfen oder mit einem System von limites, Mauern und Grenzsäumen ausgegrenzt. Den »Barbaren« verkaufte man Fertigwaren, Waffen und Luxusgegenstände  ; man kaufte Waren, die selbst liefen – Vieh oder Sklaven. Die Menschen in den bäuerlichen Ländern nördlich der Grenzen lebten in kleinen Siedlungskammern, in denen die eigene Subsistenz im Vordergrund stand.2 Wald dominierte das Landschaftsbild. Relativ kleine, aber hierarchisch und emotional miteinander verbundene »Stämme« – manchmal mit verschiedenen Sprachen im selben Verband, etwa (kaukasische) Alanen und (germanische) Goten – hatten im ersten Jahrhundert die Expansionen des Imperiums abgewehrt und Nachbarschaft sowie Wechselwirkung ermöglicht. Viele »Barbaren« lebten als adlige Geiseln in Rom, andere als Sklavinnen und Sklaven. 1 Michel Kazanski  : Les Grandes Migrations et les Royaumes Barbares, in  : Ahrweiler/Aymard, S. 75–84  ; Pfeilschifter  : Spätantike, S. 121–193. 2 Küster  : Korn, S. 133–174.

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Im 4. Jh., selbst bedrängt von den Hunnen, drangen immer mehr dieser Stämme über die Grenzen in den reichen Süden vor. Sie besiegten die imperialen Armeen und zwangen die jeweiligen Imperatoren, ihnen Siedlungsland zu geben. Mehrere, aber nicht alle Stämme gründeten dann Königreiche, regna. Die »Barbaren« zwangen die Imperien mit militärischer Macht, Sondergebiete zu akzeptieren, in denen die imperialen Gesetze – über Sklaverei und Religion, Steuer und Rechtsprechung – nicht galten und in denen die aus der Fremde zugewanderten gentes Sonderrechte genossen. Oft dauerte es trotz der Sonderregelungen nur zwei, drei Generationen, bis die Minderheiten sich den (romanischen oder schon vor der Völkerwanderung romanisierten) Mehrheiten anpassten, aber zugleich zu einem integrativen Eigenbewusstsein der jeweiligen römischen Provinz (Gallien, Iberien etc.) beitrugen. In den Königreichen und Herzogtümern, die auf der Grenze zwischen dem Römischen Reich und dem freien Germanien entstanden – in Burgund, Bayern und Alemannien sowie v. a. im Frankenreich –, blieben die neuen Rechtssysteme und die alten Stammesregeln lange miteinander verschränkt bestehen. Germanische Siedler bildeten noch lange Enklaven bis zu Somme und Seine, während umgekehrt Romanen – »Walchen« – noch lange (und manche bis heute) in Rätien oder eben am Walchensee Mehrheiten bildeten. Anders als das Osmanische oder das Mogulreich oder auch England nach 1066, wo alles Land dem Eroberer gehörte, entstanden diese neuen Reiche aus Kompromissen an Macht und Eigentum. Es gab schon vor der jeweiligen Gründung eines Herzog- oder Königtums Familien, die als adlig anerkannt wurden, es gab freie Bauern und es gab Hörige. Es gab Stammesverfassungen, die z. B. jeden freien Mann zur Landesverteidigung verpflichteten. Wenn aber jemand ein Gefolge aufbauen wollte, dann musste er es selbst alimentieren – anfangs gewiss oft mit der Hoffnung auf Beute, zunehmend aber mit regelmäßigen Einkommen aus Vermögen oder Ackerland. Für die Überlassung schuldete der Gefolgsmann dem jeweiligen Großen Treue, zu welcher umgekehrt auch der Große dem Gefolgsmann verpflichtet war. Klientelverbindungen prägten die Königreiche.3 Mit der juristischen Fixierung der Verbindung von gegenseitiger persönlicher Treue zwischen Fürst und Adligem und sachlich gebunden an die Pfründen für Letzteren entstand das Lehensystem, eine »Sonderform des allgemeinen Phänomens Patronage – Klientel«4, dessen Reste die Französische Revolution 1789 als regime feodal abschaffte. Der Feudalismus bildete eine Grundlage für die europäischen Heere des langen Jahrtausends davor, vom Frankenreich im 7. bis zu Russland im 16. Jh. Meist im 18. Jh. haben die adligen Inhaber der Pfründen ( feuda) jedoch die Pflicht zur Heeresfolge abgeschüttelt und die Lehngüter wurden »allodifiziert«, also privatisiert. In allen europäischen 3 Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 113–140. 4 Reinhard  : Freunde, S. 7.

ImperienHeiliges als Wiederherstellungen Römisches Reich  | 

Staaten (außer in England nach der Eroberung von 1066) gab es auch Eigentum adliger Familien, das »eigentlich« nicht an Dienst für den Fürsten gebunden war (alloda), meist aber »faktisch« zur Alimentierung des Adels mit herangezogen wurde. Dass im 18. Jh. Allode und Lehngüter zu Eigentum im kapitalistischen Sinn wurden, bestimmt diese Periode als allodial, da sie immer noch ganz überwiegend agrarisch geprägt ist. Allerdings blieben, z. B. in Deutschland und Russland, mit Majoraten oder Familienbesitzen Reste feudaler Eigentumsordnungen bis ins 20. Jh. bestehen. Auch wenn mit der rechtlichen Fixierung eine gewisse Stabilität in die Klientelsysteme gebracht worden war, blieb doch die Kirche die Macht, welche ein Amtsverständnis einbrachte. Die Kirche verbreitete das Selbstverständnis der Länder zwischen Nordkap und Sizilien als Christenheit, als »respublica Christiana« bis ins 17. und 18. Jh. hinein. Erst danach wurde der säkulare Europabegriff allgemein.5 Die klassische These von Henri Pirenne, dass die arabische Eroberung der Südküste des Mittelmeers eine scharfe Trennung verursacht habe,6 ist durch Fernand Braudel für den sozialökonomischen Bereich widerlegt worden.7 Als politische Akteure in der Christenheit schieden Afrika und Ägypten jedoch mit der islamischen Eroberung aus oder traten zumindest zurück. Durch die Kämpfe auf dem Balkan, v. a. die Eroberungen der Lateiner im Vierten Kreuzzug 1204 und den folgenden Zusammenbruch Ostroms gegen die Osmanen, wurde auch das erste, das griechische und orthodox slawische Europa aus Politik und Denken Europas hinausgedrängt.8 Der Westen erlangte geradezu Ausschließlichkeit. Da auch die lateinisch-slawischen Traditionen exkludiert wurden, besitzt die klassische rankesche These vom »Germanisch-Romanischen« Europa einige scheinbare Realität  : Sie legitimierte die Verhältnisse, unter denen Ranke lebte.9 Aber während der europäische Raum im Süden und Südosten durch die Verluste eingeschränkt wurde, war er im Hochmittelalter nach Norden und Nordosten erweitert und zugleich verlagert worden. Aus dem Rhein als Grenze wurde der Rhein als Mitte. Entscheidend war die Entstehung des »dritten Europa« durch die Christianisierung des Gebiets nördlich der Donau und östlich des Rheins, die Henryk Samsonowicz skiz5 Federico Chabod  : Der Europagedanke (1961), ü. S 1963, S. 11–44. Chabod betont den Gegensatz zur Ostkirche, dazu kurz Nolte  : Russland S. 29 – 36, 79 – 82. Ausgehend von Peter Burkes 1980 gestellter Frage, ob es Europa vor 1700 überhaupt gab, vgl. Kiran Klaus Patel  : The Making of Homo Europaeus, in  : Comparativ 25.5/6 (2015), S. 15–31. 6 Henri Pirenne  : Mahomet und Karl der Große. Untergang der Antike am Mittelmeer und Aufstieg des germanischen Mittelalters, ü. F 1963 (Fischer). 7 Fernand Braudel  : Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Phillips II. (1949)  ; ü. Bd. 1–3 F 1992 (Suhrkamp). 8 Konkret durch die habsburgische Unterwerfung Böhmens 1620 und die Teilungen Polens 1772 ff. 9 In denen gab es keine slawischen Fürsten – wenn man die russischen Imperatoren als Deutsche sah.

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ziert hat.10 Sie ging zusammen mit dem Landesausbau, der Rodung von Wald und dem Anbau v. a. von Getreide, wobei Roggen zur wichtigsten Anbaufrucht entwickelt wurde. Das Getreide wurde mit der Sichel geerntet, das wichtigste Zugtier war der Ochse.11 Obwohl diese Intensivierung der Landwirtschaft den Norden nicht auf das Niveau des Südens brachte, waren die Verbesserungen deutlich. Allerdings blieben die Transportmöglichkeiten für Massengüter schlecht, die Regionen im Norden weithin selbstversorgend. Aber weshalb haben die in Gefolgschaften organisierten Königreiche der Westgoten oder Serben, der Franken oder der Bulgaren so oft versucht, mehrere Königreiche zu einem Imperium zusammenzufassen  ? Das Römische Reich hat nicht nur die Bewohner seiner ehemaligen Territorien im Osten fasziniert wie die »Rum-Seldschuken«, sondern auch die im Westen und Norden,12 und nicht zuletzt die des »dritten Europa«. Kaiser Konrad II. hat den Ruhm der alten Hauptstadt 1027 als Umschrift für die Herrscherurkunden gewählt  : »Rom das Haupt der Welt führt die Zügel des Erdkreises.«13 Und in diesem Kontext ermöglichte das Konzept, die Deutschen seien zur Wiederherstellung des Imperiums berufen, nicht nur die Legitimierung immer neuer deutscher »Romzüge« in das viel reichere Italien14 (wo man bei einem Sieg manchen Luxus erwerben und z. B. den Dreikönigschrein aus Mailand nach Köln holen konnte), sondern auch viel historischen Glanz auf das deutsche Mittelalter (auch wenn die Realität ja nicht selten so aussah, dass der kaiserliche Romwanderer von den Einheimischen in einer Ecke des Landes eingekesselt wurde und auf Nachschub hoffen musste, wie Barbarossa 1176 in Chiavenna.) Und für die »lateinische« Kirche mit dem Patriarchen von Rom als Papst brauchte es solche Anerkennung nicht einmal. Für das Christentum kam zum Glanz der imperialen Sachreste die Struktur der Kirchen hinzu, da sie dem spätrömischen Beispiel folgte. Und die Endzeiterwartung kam hinzu, die Parusieverzögerung  : Man wartete auf die Apokalypse und damit die Wiederkehr Christi nach dem Ende des Vierten Reiches, gemäß dem Daniel-Traum. Rom musste also andauern. Aber das Römische Reich bestand ja auch im Mittelalter  – im Osten (wir nennen es heute Byzantinisches Reich). Ostrom war für das Programm der Wiederherstellung prädestiniert. Aber das »zweite Rom«15, so ausdauernd es sich auch verteidigte, verlor 10 Henryk Samsonowicz  : La tripartition de l’espace européen, in  : Ahrweiler/Aymard, S. 229–237. 11 Küster  : Korn, S. 175–204. 12 Übersichten Wolfgang Schmale  : Geschichte Europas, W 2000 (Böhlau)  ; Ahrweiler/Aymard   ; Gehler  : Europa. Vgl. Theodor Schieder (Hg.)  : Handbuch der Geschichte Europas Bd. 1–7, S 1971 (Union). Einführend Fernand Braudel (Hg.)  : Europa, Bausteine seiner Geschichte, ü. F 1987 (Fischer)  ; Wolfgang Reinhard  : Europe and the Atlantic World, in  : Reinhard  : Empires, S. 739–941. 13 Weinfurter  : Reich, S. 85  : »Roma caput mundi regit orbis trena rotundi«. 14 Nach Maddison  : Contours, S. 382 war das Pro-Kopf-Bruttonationalprodukt in Italien um 1500 fast doppelt so hoch wie in Deutschland. 15 Hélène Ahrweiler  : Byzance  : l’Empire chrétienne, in  : Ahrweiler/Aymard, S. 85–92.

ImperienHeiliges als Wiederherstellungen Römisches Reich  | 

nicht nur die Südküste des Mittelmeers an die Araber im 7., sondern auch vom 11. Jh. an Anatolien an Turkvölker und im 13. Jh. die Ägäis und Griechenland an Italiener und Franzosen. Konstantinopel fiel 1453.16 Die orthodoxen Länder auf dem Balkan wurden ebenfalls vom Osmanischen Reich unterworfen.17 Im Norden blieben einige orthodoxe Staaten, v. a. Georgien18 und Russland. In Moskau plädierten orthodoxe Geistliche nach der Befreiung von der Goldenen Horde 1480 dafür, dass Moskau das »dritte Rom« sei – die politische Elite ließ sich durch diesen Anspruch jedoch nicht binden und betrieb Realpolitik. Die These wurde dann im 17. Jh. zum Argument der schismatischen Opposition der Altgläubigen gegen den Verwestlichungskurs der Regierung.19 Im Osten der Christenheit fehlte es an Potenzial zur Erneuerung des Imperiums. Im Westen hat das Papsttum 800 den Versuch der Erneuerung des Römischen Reichs auf der Machtgrundlage des Frankenreichs unter Karl dem Großen initiiert, und das wurde zum Ausgangspunkt für das spätere »Heilige Römische Reich« (HRR).20 Es erreichte seinen Höhepunkt nach der Kaiserkrönung Ottos I. 962 und stützte sich auf die Indienstnahme der Kirche für die Aufgaben des Imperiums. Diese erste Phase des HRR steht hier im Mittelpunkt, sie endete im 12. Jh. Die Stauferzeit bildete ein Nachspiel auf der Machtgrundlage des ererbten normannischen Sizilien, so dass das Imperium bis ins 13. Jh. bestehen blieb. Die Kurie war nicht in der Lage, den imperialen Anspruch durchzusetzen, den sie mit dem Kampf gegen die Kaiser im Investiturstreit erhoben hatte  ; vielmehr führte die Niederlage des Imperiums zum Aufstieg von Staaten, die entlang von Lehnssystemen organisiert waren und damit dem Hohen Adel mehr Mitspracherechte gaben. Frankreichs König brachte in der klassischen Formulierung – »der König ist in seinem Gebiet Kaiser« – die Gleichberechtigung der europäischen Staaten zum Ausdruck. Zeitleiste 7

16 Ralph Johannes Lilie  : Byzanz ³M 2003 (Beck)  ; Peter Schreiner  : Byzanz 565–1453, ³M 2008 (Oldenbourg). Vgl. vor allem zu Kultur und Kirche Ludwig Wamser (Hg.)  : Die Welt von Byzanz. D 2004 (WBG). 17 Georg Ostrogorsky  : Byzanz und die Welt der Slawen, D 1974 (WBG)  ; Edgar Hösch  : Geschichte der Balkanländer M (1988) 1999 (Beck), S. 29–77  ; Wachtel  : Balkans, S. 11–50. 18 Boris Metreveli  : Georgien. Nashville/Tennessee 1995 (Publishers International), S. 21–63. 19 Nolte  : Russland S. 59–86. 20 Klassisch zur gesamten deutschen Geschichte ist Gebhardt  : Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Auflage, Bd. 1–23, S 2004–2005 (Klett-Cotta). Vgl. Joachim Leuschner (Hg.)  : Deutsche Geschichte  ; Rainer A. Müller (Hg.)  : Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellungen, Bd. 1–11, S 2000 (Reclam). Neue Übersichten  : Herbers/Neuhaus  ; Stefan Weinfurter  : Das Reich im Mittelalter M 2008 (Beck). Mehrere Beiträge in Gehler/Rollinger und Becker  : Staatlichkeit.

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|  Imperien als Wiederherstellungen NORDEN SÜDEN Germanenreiche Römisches Reich 534 Justinian  : Renovatio Imperii 674–740 Konstantinopel wehrt Araber ab, Anatolien christlich Arabische Expansion 7/8. Jh.: Süden des ehemaligen Imperiums islamisch Christliche Expansion 7/10 Jh.: Norden durch Mission christlich. WESTEN OSTEN Obödienzgrenze Rom  : Konstantinopel = Karpaten, westlicher Bug, Narwe 800 Karl I. Kaiser 962 Otto I. Kaiser Schisma 1054 1071 Mantzikert, Anatolien türkisch Expansion des europäischen Systems 11.–13. Jh.: Spanien, Mittelmeer, Ostsee21 1204 4. Kreuzzug  : Aufteilung des (Ost-)römischen Reiches unter westliche Territorialherren 1254 Interregnum HRR 1240–1480 Russland mongolisch 1356 Goldene Bulle 1476 Tordesillas 1453 Konstantinopel osmanisch 1554 Zarentitel Moskau Westexpansion  : beide Amerikas, Indien 1389–1683 Osmanische Expansion Südosteuropa Ostexpansion  : Wolga, Sibirien Diese Zeitleiste ist nach den »Theatern« organisiert. Bis zum Verlust des Südens und der Entstehung des »dritten Europa« nördlich der Donau ist das Verhältnis Süd–Nord entscheidend, Vom neunten Jahrhundert an verschieben sich die Theater innerhalb der Christenheit und es geht um eine Auseinandersetzung zwischen Westen und Osten,. Mit dem Ende des Oströmischen Reichs »verschwindet« der alte Osten und die Westexpansion beginnt. Russland wird aber ein neuer Osten, der im 16. Jh. hoch im Norden nach Osten expandiert.

Die Dynastie der Luxemburger mit dem Machtzentrum Prag stellte das HRR in diesen Kontext, und Kaiser Karl IV. befestigte die Verfassung des Reichs mit der »Goldenen Bulle« von 1356 als Ständestaat. Damit wurde die Machtstellung der Kurfürsten als wichtigster Stand anerkannt  ; das Reich blieb verändert bestehen. Mit 1356 endet hier die eingehende Darstellung  ; dieses Imperium war nicht einmal eine Hegemonialmacht22. Der Versuch des Habsburgers Karl V., auf der Grundlage des Erbes von Bur21 Kartenskizze Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 138. 22 Als Einstiege zum frühneuzeitlichen Imperium die Lemmata, in  : EdN  5  : Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation und 10  : Reiche (Stephan Wendehorst) Reichsdeputationshauptschluss, Reichsdorf, Reichsgesetzgebung, Reichsgrundgesetze, Reichshofkanzlei, Reichshofrat, Reichsitalien, Reichskammergericht, Reichskreise, Reichskriegsverfassung, Reichsmünzordnung, Reichspost, Reichsritter, Reichsstadt, Reichstag, Reichsverfassung. Zu den Reichsinsignien Jan Keupp u.a.: Die Reichskleinodien, Regensburg

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gund und Spanien und neu legitimiert (noch nicht  : neu finanziert) durch die Expansion nach Übersee den alten Anspruch auf ein universales Kaisertum erneut zu erheben, scheiterte an der Opposition Frankreichs, der Protestanten und nicht zuletzt des Osmanischen Imperiums,23 dessen Heere zwei Mal vor Wien standen. Die zweite Phase des HRR wurde im 18. Jh. geistesgeschichtlich durch die unterschiedlichen Säkularisierungen infrage gestellt24, die damit zusammengingen, dass langsam das Konzept »Europa« an die Stelle des Konzepts »Christenheit« trat.25 Politisch wurde nach dem Frieden von Münster und Osnabrück 1648 der Dualismus zwischen Katholiken und Protestanten durch die itio in partes – die Teilung nach den Konfessionen – auch im Reichstag institutionalisiert. Nach der Niederlage Schwedens gegen Russland (und die norddeutschen Mächte) 1721 wurde der Dualismus zwischen dem Haus Habsburg und dem Aufsteigerstaat Preußen unter den Hohenzollern mit dem Machtzentrum Berlin in unmittelbar staatliche Form gebracht. Das HRR scheiterte dann an der revolutionären Expansion des französischen Nationalstaats in imperialer napoleonischer Form. Zwar blieb auch nach der Niederlage Napoleons gegen die Koalition das Verhältnis von Imperium und Nation auf der Tagesordnung der europäischen Politik, aber es ging von nun an bis ins 20. Jh. um mehrere Imperien. Die Erste Phase des HRR Zeitleiste 8

800 911 919 954/55 2.2.962 1000 1122

Karl I. Kaiser Wahl des Franken Konrad Wahl des Sachsen Heinrich zum König, 936 Otto I. König Wechsel von Stammesherzögen zum »Reichskirchensystem« – König als vicarius Christi investiert Bischöfe, schenkt Güter und behält servitium regis Otto I. Kaiser, Mittel  : Heerfolge, Kirchenzehnter, Eigengut Otto III. in Gnesen  : Modell der vier Nationen des Imperiums Sieg der Kurie gegen den Kaiser  : Kaiser Heinrich V. verzichtet auf die Investitur, behält aber Einfluss im deutschen Episkopat

2009 (Schnell & Steiner). Hans-Jürgen Becker u.a.: Die Reichskleinodien, Göppingen 1997 (Gesellschaft für staufische Geschichte). Soziale Daten der Spätzeit Christof Dipper  : Deutsche Geschichte 1648– 1789, F 1991 (Suhrkamp). 23 Alfed Kohler  : Neue Welterfahrungen. Eine Geschichte des 16. Jahrhunderts, Münster 2014 (Aschendorff ). 24 Asli Vatansever, Christian Lekon (Hg.)  : Islam und Säkularisierung = ZWG 16.1 (2015). 25 Mathias Middell (Hg.)  : The Invention of the European = Comparativ 25, 5/6 (2015)  ; vgl. Alexander Tschubarjan  : Europakonzepte von Napoleon bis zur Gegenwart, ü. B 1992 (Ediition q).

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Friedrich I. Barbarossa, Mittel  : Heerfolge, Eigengut, Reichsgut, Italien RT Gelnhausen  ; der Kaiser akzeptiert den Leihezwang für Reichslehen Schlacht bei Bouvines Kaiser Friedrich II. akzeptiert die Territorialherrschaft der Fürsten im Reich, Mittel  : Eigengut, Italien, Königreich Sizilien 1254–1273 Interregnum

Nach dem Zusammenbruch des Römischen Reiches im Westen wurden auf dessen Territorium mehrere Königreiche gegründet, die auf bestimmten Konföderationen germanischer Stämme beruhten und unter Familiendynastien in regna zusammengefasst waren  – Ost- und West-Goten, Burgunder und Franken, Angeln und Langobarden, schließlich auch noch Territorien, in denen spätrömischer Adel herrschte wie das des Syagrius. Stämme waren Rechtsgemeinschaften, welche die Mitglieder und kleinere Gemeinschaften wie Verwandtengruppen (Sippen) sowie das Haus schützten. Der schon früh belegte Adel wurde durch ein höheres Wergeld herausgehoben. In den Völkerwanderungen haben einzelne Heerkönige und Dynastien mehr Macht erlangt und diese im 4. und 5. Jh. auf dem Boden des Römischen Imperiums und unter Mitwirkung der Kirche in kleinen Königreichen festgeschrieben sowie staatsähnlich organisiert. Unter den Franken setzten sich im 5. Jh. die Könige der salischen Franken durch (486 siegte Chlodwig über Syagrius) und unterwarfen ihre hochadligen Konkurrenten, die sie der zeitgenössischen Geschichtsschreibung nach sogar ausrotteten – wobei aber genug Familien überblieben, um später wieder eine Rolle zu spielen.26 Josef Fleckenstein hat die »Integration der fränkischen und der galloromanischen Bevölkerung in das Frankenreich« zum entscheidenden Vorgang der Gründung des Fränkischen Reichs erklärt.27 Die charismatische Herrscherfamilie, die Merowinger, besaß qua Geburt ein schamanistisches Königsheil, das z. B. für die Fruchtbarkeit der Äcker und die Gesundheit der Untertanen sorgte, aber sie baute nun die Kirche in ihren Herrschaftsaufbau ein. Die Merowinger regierten vom Königsgut aus, das sich aus altem römischen Staatsland und konfiszierten Ländereien zusammensetzte  ; außerdem erhoben sie Anspruch auf alles »herrenlose« Land – z. B. den Wald. Wie der fränkische Adel und auch die integrierten gallorömischen Familien lebten sie vom Produkt der Fronhöfe, die von Sklaven bewirtschaftet wurden. Daneben gab es Freie. Die Merowinger wurden in einem langen Prozess von einer anderen Familie abgelöst, den Karolingern, welche das Charisma nicht mitbrachten und deshalb die Sakralisie26 Fleckenstein  : Grundlagen. 27 Josef Fleckenstein  : Das Großfränkische Reich  : Möglichkeiten und Grenzen der Großreichsbildung im Mittelalter, in  : HZ 233 (1981), S. 265–294, Zitat S. 269.

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rung durch die Kirche suchten. 751 ließ sich der damals mächtigste dieser »Hausmeier« Pippin auf einer Reichsversammlung »nach der Sitte der Franken« zum König wählen, nachdem der Papst beschieden hatte, dass der den Titel haben solle, der auch die Macht hatte, »damit die Ordnung nicht gestört werde«28. Die fränkischen Bischöfe und später der Papst fügten zur Wahl die Salbung hinzu, der neue Titel war »gratia Dei rex (Francorum)«  : »[…] [D]ie alte heidnisch-magische Auffassung von der Heiligkeit des königlichen Blutes [lebte] in der verchristlichten Form des Königtums, im Gottesgnadentum fort.«29 Damit sind Grundanspruch und Grundproblematik der Heiligkeit der Staatsgründung bestimmt. Unter dem Sohn Pippins, König Karl I.30, gelang die Eroberung der Reiche der Langobarden, der Aufbau einer Grenzmark gegen die muslimischen Herren Spaniens sowie die Unterwerfung der Sachsen, also die Ausweitung der Herrschaft bis an das Mittelmeer und die Elbe. Lange dauernder Widerstand wurde durch Massaker gebrochen, so der Schwaben bei Cannstatt und der Sachsen bei Verden (die Zahlen der Getöteten sind jeweils strittig). Konkurrierende hochadlige Häuser wurden ausgelöscht, die bayrische Herzogsfamilie etwa durch lebenslange Klosterhaft. Die Expansion wurde durch eine mit Gewalt geförderte Missionierung der Heiden, insbesondere also der Sachsen, gesichert. Man schätzt die Bevölkerung des Imperiums auf etwa acht Millionen Einwohner.31 96 % dieser Menschen waren nach dem modernen Verständnis des Wortes unfrei – als Frauen, Kinder oder Gesinde der Hauszucht des Vaters unterworfen oder als Sklaven bzw. Hörige. Der fränkische König folgte, so Stefan Weinfurter, dem Konzept des Heiligen Augustin vom Gottesstaat.32 Er konnte nicht auf die Sakralisierung seiner Herrschaft durch die Kirche verzichten, er brauchte sie für Legitimation und inhaltlichen Ausbau seines Reiches. Er musste also dem Hilferuf des Papstes gegen die Langobarden Folge leisten. Dem Papst gelang es, den fränkischen Königen die Sicherung der päpstlichen Herrschaft in Rom und in den – immer noch von Ostrom beanspruchten – Gebieten des späteren »Kirchenstaats« in Mittelitalien zur Pflicht zu machen. 800 weihte Papst Leo den Kö-

28 Fleckenstein  : Grundlagen, S. 75 zur genaueren Bedeutung des Wortes Ordo, das ich hier knapp mit Ordnung übersetzt habe. 29 Fleckenstein  : Grundlagen, S. 77 f. 30 Rudolph Wahl  : Karl der Große, Frankfurt 1954 (Fischer)  ; Stefan Weinfurter  : Karl der Große. Der heilige Barbar, München 2015 (Piper)  ; Frank Pohle (Hg.)  : Karl der Große, 3 Bde.: Kunst/Orte der Macht/ Orte der Macht – Katalog, Dresden 2014 (Sandstein)  ; Puhle/Köster, S. 388–516. 31 Weinfurter  : Karl, S. 81. 32 Weinfurter  : Karl, S. 87.

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nig zum Kaiser. Sein Biograf und Vertrauter hat berichtet, dass der Papst das gegen den Wunsch des Königs tat.33 Selbst wenn sein Zögern mehr als Demutsgeste zu verstehen ist, wird doch die Schwierigkeit dieses Übergangs nicht nur wegen der Opposition der oströmischen Kaiser deutlich.34 Im Kern ging es um die Belastung eines Familienbesitzes, eines kollektiven Eigentums, mit einer Amtsfunktion, die von vielen aber als Stärkung der Herrschaft verstanden wurde. Das Bündnis mit der Kirche war seit Pippin vorbereitet, aber wurde nun auf eine deutlich umfangreichere Funktion eingestellt. Stellte die Kirche, stellten sich die Karolinger und der fränkische Adel mit dem Transfer mediterraner Traditionen territorialer Herrschaft eine Aufgabe, welche sie überforderte  ? Eine Urkunde Karls von 813 nennt sowohl den Titel des »von Gott« gekrönten Kaisers als auch das Amt eines »romanum gubernator imperium«, aber die beiden Königstitel erscheinen fast stabiler als der kaiserliche  :35 Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Karl der erlauchte Kaiser von Gott gekrönt, der grosse, friedvolle Fürst, Gubernator des römischen Reichs und auch durch die Gnade Gottes König der Franken und Langobarden.

Der Kaiser nutzte die Krönung, um 802 einen neuen Eid von seinen Untertanen zu verlangen. Der Kaiser bezeichnete sich als imperator christianissimus und forderte die Einhaltung der »Zehn Gebote«. Außerdem wurde die Formel aufgenommen, dass »ich treu bin, wie der Mann gegenüber seinem Herrn«, also eine Formel des Lehnrechts, des Personenverbandsstaats und nicht des Amts gegenüber allen, die den Eid zu leisten hatten.36 Dieser Versuch, einen alle Freien umfassenden Flächenstaat zu schaffen, scheiterte jedoch und der Personenverbandsstaat wurde durchgesetzt  : Die Aufteilung des Reichs in Grafschaften, die theoretisch als Ämter an alle Freien vergeben werden konnten, praktisch aber in der Hand von adligen (oder nun adlig werdenden) Familien mit Besitz und Einfluss erblich wurden. 33 Post G. H. Pertz recensuit G. Waitz  : Einhardi Vita Karoli Magni = Scriptores Rerum Germanicorum in usum scholarum ex Monumentis Germaniae Historicis separatum editi Hannoverae et Lipsiae 1911, Neudruck 1947, S.  32, Kapitel 28  : Übersetzung in Hermann Schreiber (Hg.)  : Einhard/Notker der Stammler  : Leben und Taten Karls des Großen, ü. M 1965, Kapitel 28. Matthias Becher  : Das Kaisertum Karls des Großen zwischen Rückbesinnung und Neuerung, in  : Schneidmüller/Weinfurter, S. 251–270, hier S. 262 urteilt dagegen, dass Karl die treibende Kraft gewesen sei. 34 Zum »Zweikaiserproblem« zuletzt Ernst-Dieter Hehl  : Zwei christliche Kaiser im mittelalterlichen Europa, in  : Schneidmüller/Weinfurter, S. 271–295. 35 Facsimile, Interlinear  : lateinischer Text und Übersetzung ins Deutsche, in  : L.  Stacke  : Deutsche Geschichte, Bd. 1, Bielefeld & Leipzig 1896 (Velhagen & Klasing) nach S. 212. 36 Fleckenstein  : Grundlagen, S. 102.

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Welche Ressourcen hatte der Kaiser  ? Pfalzen (Palastburgen) und Reichsgut zum einen.37 Die Grundherrschaft von Kaiser und Adligen beruhte auf einem Kernhof mit eigener Wirtschaft auf »Salland« und Hofstellen abhängiger Bauern oder auch Sklaven mit »Hufen«. Ein Hof (Manse) war eine Institution aus Menschen und Vieh, Häusern, Ackerland und Rechten im Wald. Innerhalb des Imperiums bestanden diese Höfe in sehr unterschiedlichen Formen und Größen.38 Hörige und Sklaven, die Hufen besaßen, hatten meist Frondienst auf dem Salland zu leisten, zahlten aber unter Umständen auch Naturalabgaben. Ziel des Wirtschaftens war grundsätzlich eine »Hauswirtschaft« (Ökonomie) mit Selbstversorgung sowohl des Adels als auch der Bauern. Insbesondere Karl der Große plante genau, wie die Pfalzen zu bevorraten waren, sodass der kaiserliche Hof, wenn er in einer Pfalz war, versorgt werden konnte  ; nach einiger Zeit zog der Hof dann weiter auf eine andere Pfalz. Auf den Pfalzen fand auch handwerkliche Produktion statt, nicht zuletzt von Tuch und Waffen.39 Das wichtigste Machtinstrument war das Heer.40 Der Kaiser unterhielt eine Elitetruppe in Aachen, die besondere Treue und Gefolgschaft schwören musste. Sie wurde durch kaiserliche Krieger in den Teilen des Reichs ergänzt, den Vasallen, die ein beneficium aus Reichsgut erhielten.41 Die Masse des Heeres wurde jedoch von den Großen des Reiches gestellt – Grundherren, Bischöfe und Äbte waren verpflichtet, je zwölf Mansen einen Panzerreiter und je vier einen Fußkrieger zu stellen. Der Panzerreiter sollte mit Pferd, Kettenhemd und Helm sowie mit Buckelschild und Schwert,42 Lanze und Wurfbeil (Franziska) ausgerüstet sein und für drei Monate Verpflegung mitführen. Auch jeder Freie war entsprechend seinem Besitz verpflichtet, im Feld zu erscheinen. Je mehr Freie sich in den Schutz von Mächtigeren begaben, desto mehr achtete die Krone darauf, dass alle, welche ein beneficium hatten, ihre Dienstpflicht erfüllten. Der Graf war verpflichtet, die Truppen seiner Grafschaft zum Heer zu führen. Rechnet man damit, dass 4 % der Reichsbevölkerung zu den Waffen gerufen werden konnten, dann kommt man auf eine theoretische Heeresgröße von 100.000 Mann, und in der Tat haben die Heere Karls

37 Thomas Zotz  : Pfalzen und Reichsgut, in  : Pohle  : Orte der Macht (Anm. XXX), S. 80–85. 38 Haberkern Wallach  : mansio, Hufe. 39 Jean-Pierre Devroey, Alexis Wilkin  : Die Landwirtschaft der Karolingerzeit  ; Michael Herdick  : Pfalzen als Produktionsstandorte des Handwerks, in  : Pohle  : Orte der Macht, S. 86–101. 40 Weinfurter, a.a.O., S. 78–82  ; Malte Prietzel  : Lernen durch Kriege, in  : Pohle  : Orte der Macht, S. 58–65  ; ders. Katalog, S. 32–67 (Waffen). 41 Zu den regional und chronologisch unterschiedlichen Rechtsformen vgl. Brigitte Kasten  : Mittelalterliches Prekariat und Lehnswesen, in  : Behringen  : Krise, S. 57–70. 42 Ebda. Nrn. 016, 017, 025, 026 – noch zur Merowingerzeit war das typische Schwert der »Sax« – einschneidig, ca. 40 cm. lang und in den Sachsenkriegen noch die Hauptwaffe der Sachsen, während die Franken unter Karl meist mit der Spatha ausgerüstet waren – um 90 cm. lang und zweischneidig.

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des Großen etwa 30.000 bis 60.000 Mann umfasst (weit weniger also, als die Heere der Assyrer oder Römer, von den in etwa gleichzeitigen Song ganz zu schweigen). Die fränkische Kriegsführung war in der Regel auf Schnelligkeit und Überwältigung der Gegner durch Überzahl ausgerichtet. Diese Art von Krieg konnte man allerdings nur gegen andere etablierte fürstliche Herrschaften führen – gegen das Königreich der Langobarden oder das Herzogtum der Bayern z. B. Gegen die Sachsen, die keine zentralisierte Herrschaft kannten und denen Religion und Habitus genommen sowie die Zahlung des Zehnten aufgezwungen werden sollte, dauerte der Krieg dagegen Jahrzehnte  ; die Franken konnten nicht eine Hauptstadt besetzen und den Herzog sowie seine Familie in ihre Gewalt bringen, wie den bayrischen Herzog in Salzburg, und es gab auch Niederlagen der Franken. Die Basken verschwanden einfach im Lande, nachdem sie die Nachhut des fränkischen Heeres bei Roncesvalles vernichtet hatten. Immerhin gelang die Eingliederung der Sachsen in das Imperium, nachdem ihr Herzog Widukind die Niederlage anerkannte und sich 785 taufen ließ. Aber wie weit war das christliche Verständnis der Welt unter den Franken wirklich verbreitet  ? Dass der Kaiser selbst, die Familie und der fränkische Adel der Zeit am Konzept »Imperium als Familienbesitz« festhielten, wurde unmissverständlich durch die Teilungen nach dem Tod Karls des Großen. Das entsprach der Tradition des deutschen Hochadels, der »seine« Länder auch späterhin geteilt hat. Dieses Konzept von Territorien als Familienbesitz wurde in vier Fällen durch das Privileg für die Kurfürsten mit der »Goldenen Bulle« aufgehoben, und später oft durch Hausgesetze eingeschränkt, blieb aber eben doch lange gültig, z. B. in der Teilung Hessens nach dem Tod Philipps des Großmütigen oder den Teilungen der welfischen Lande. In diesem Verständnis von öffentlicher Macht als familiärem Besitz ähnelte der deutsche Hochadel dem polnischen und russischen im Hochmittelalter und z. B. den Dschingissiden. Theo Kölzer hat an den Itinerarien, den Aufzeichnungen über die Aufenthaltsorte der Kaiser,43 gezeigt, dass den Reichsteilungen auch ein Sachproblem entsprach  : Herrschaft aus der Ferne überstieg die Mittel dieses Imperiums. Karl machte Aachen ab dem Winter 794/95 zu einer Hauptstadt, in welcher der Kaiser lebte und z. B. die Mehrzahl der Urkunden unterschrieb. Der Nachfolger, Ludwig der Fromme, war aber 822 gezwungen, zu den Großen des Reichs in Attigny im Westen zu reisen, da er sie von Aachen nicht wirklich erreicht hatte. Von da an wird die polyzentrische Struktur des Imperiums wieder deutlich und auch die Reichsversammlungen finden eher im heutigen Frankreich statt. Nach dem Tod Ludwigs wird das Reich mehrfach geteilt  ; einige Zeit konnte der Teil unter Kaiser Lothar I. in der Mitte (von dem heute noch Lothringen den Namen trägt) noch eine Hegemonialstellung behaupten, aber zunehmend wurden west- und 43 Theo Kölzer  : Schwindendes Zentrum, in  : Pohle  : Orte der Macht, S. 392–399.

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ostfränkische Reiche selbstständig  – sie wurden wieder von Reisekönigen beherrscht, die von Pfalz zu Pfalz zogen und die Königsmacht wie Königsheil »von Person zu Person« konkretisierten. 842 bekräftigen die jüngeren Söhne Ludwigs, Karl der Kahle, der das Westreich innehatte, und Ludwig der Deutsche, ihr Bündnis gegen den älteren Bruder Lothar durch die »Straßburger Eide«, welche die Romanen auf Althochdeutsch und die Germanen auf Altfranzösisch leisteten, damit die andere Seite sie verstehen konnte. Die Eide gehören zu den frühesten Belegen der beiden Sprachen und verdeutlichen eine beginnende Entwicklung der beiden Nationen. Aber sie belegen noch nicht die Teilung des Reiches und schon gar nicht eine Teilung entlang der Sprachgrenzen, die sich nur langsam herausbilden. Lothringen umfasst (rechnet man Belgien als sein Erbe, bis auf den heutigen Tag) sowohl germanische als auch romanische Sprachen redende Menschen. Die Sprachgrenze – zwischen Französisch und Wallonisch auf der einen sowie Deutsch und Niederländisch auf der anderen Seite – entsteht langsam und durch Assimilierung der jeweiligen Minderheiten, also der Franken im Pariser Becken an das Französische und der Romanen, z. B. an der Mosel (wo sogar Keltisch sich lange hielt), an das Deutsche. Das westfränkische Teilreich war ökonomisch dynamischer. Vom 10. Jh. an gingen Landwirte zum Einsatz von Pferden anstelle von Ochsen über  ; Pferde arbeiten doppelt so schnell. Im gleichen großen Zusammenhang wurde an die Stelle von quadratischen Feldern, die abwechselnd als Acker genutzt wurden und brachlagen, die länglichen Gewanne der Dreifelderwirtschaft eingeführt, die mit einem Wechsel von Wintergetreide, Sommergetreide und Brache die Flur besser ausnutzte. Die neue Wirtschaftsform erforderte mehr Eisen, besonders für Pflugscharen und Hufeisen. Um den Bedarf zu decken, traten sesshafte Schmiede in kleinen Städten an die Stelle von Wanderschmieden. Oft wurde dort auch Leinen gewebt, dessen Produktion aus der Selbstversorgung ausgelagert wurde. Das setzte Geld in kleinen Münzen voraus, welches neben die großen Denare der Zeit Karls des Großen trat. Die größere Verfügung von Mitteln auf der lokalen oder regionalen Ebene, bildete die Grundlage für eine Aufteilung der Macht. Der fränkische Hochadel gründete große Grafschaften und Herzogtümer wie Aquitanien oder Flandern, und 879 wählten die Bischöfe sogar einen Nichtkarolinger zum König von Burgund. Das westfränkische Reich hatte 880 Lothringen an das ostfränkische verloren und die damals entstandene Reichsgrenze an Schelde und Maas sollte für mehrere Jahrhunderte Bestand haben. 987 wurde Hugo Capet, Herzog von Franzien (des Gebiets um Paris), von mehreren Grafen und Bischöfen zum König von Frankreich gewählt, die letzten Karolinger wurden verraten und im Kloster eingekerkert (sodass sie keine legitimen Nachfahren zeugen konnten). Zum Grundprinzip der Herrschaft der Kapetinger wurde eine

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Weiterentwicklung des Lehnssystems  : Abgesehen von den Adligen der Krondomäne (die nur etwa 10 % des Königreichs umfasste) huldigte der Adel in den Herzogtümern und Grafschaften nur diesen Landesherren – die dann dem König in Person den Lehnseid schwuren. Den Königen gelingt es aber, die Erblichkeit der Krone durchzusetzen, und es gelingt ihnen, das Prinzip des Heimfalls erledigter Lehen zu bewahren – und es, wenngleich nicht immer, sogar durchzusetzen. Das Frankenreich wurde, wirtschaftlich und kulturell dynamisch, zum Ziel von neuen Immigranten aus den Peripherien. Sklaven wurden importiert, v. a. aus dem Osten. Im Süden traten Raubzüge von arabischen oder berberischen Muslimen – Sarazenen – an die Stelle der systematischen arabischen Expansion, die mit der Aufteilung des Kalifats nach dem Ende der Omajaden 750 stagnierte. Die Sarazenen eroberten bis 902 Sizilien und auch Städte auf dem Festland  ; hier war es die Konkurrenz zwischen Ostrom, langobardischen Fürsten und dem Frankenreich, welche die Festsetzung der Sarazenen erleichterte. Im Norden sind es die germanische Dialekte sprechenden »heidnischen«44 Wikinger aus Skandinavien, die von 793 an (Überfall auf das englische Inselkloster Lindisfarne) mit überlegenen schnellen Booten alle Küsten und Flussläufe abfahren, um Beute zu machen, Handel zu treiben oder auch Staaten zu errichten. Das gelingt ihnen in Nordfrankreich (Normandie ab 911), Russland (907 Handelsvertrag mit Ostrom), England (1066) und Sizilien (ab 1030)  ; selbstverständlich unter Einbeziehung von kooperationswilligen Einheimischen. Ab 896 siedelten sich »heidnische« magyarische Stämme aus Westsibirien (mit finnougrischer Sprache) in der pannonischen Ebene an und verwüsteten in einer Vielzahl von Raubzügen Italien, die Balkanländer und v. a. die Territorien des ostfränkischen Reichs (32 Raubzüge). Das Ostfrankenreich erstreckte sich nach dem »Vertrag von Ribemont« 880 von Schelde und Saone bis etwa an Elbe und Saale sowie den Böhmerwald. Die Reichskirche behielt ihre Stellung als wichtigste Stütze des Königs, der das Recht der Bischofserhebung behielt und darüber hinaus mit Hofkapelle und Gericht regierte. Die Macht des Königs reichte jedoch immer weniger aus, um die Grenzen zu sichern  – 848 zerstörten die Wikinger Hamburg und das Erzbistum musste nach Bremen verlegt werden, 862 konnte der erste ungarische Raubzug nicht verhindert werden. Ein großer Teil der Macht wird auch im Ostfrankenreich in Herzogtümern unter der Führung fränkischen Hochadels organisiert – Schwaben, Bayern, Thüringen, Sachsen, Ostfranken (im Sinn

44 Mit dem Terminus ist hier gemeint, dass sie keiner Buchreligion folgen  ; die Religion der Germanen lässt sich nur aus Aufzeichnungen (Sagas) rekonstruieren – vor allem aus der Schlusszeit dieser Religion in Island um 1000 und oft nur aus Texten des katholischen Geistlichen Snorri Sturluson nach 1200.

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von Mainfranken) und Lothringen. Das Konzept der Wiederherstellung des Römischen Reiches bleibt aber trotz der Teilungen wirksam.45 911, nach dem Tod des letzten Karolingers im Osten, unterstellen die Lothringer sich dem westfränkischen König  ; die übrigen Stämme wählen jedoch den Ostfranken Konrad aus dem nicht karolingischen Hochadel zum König. Er kann die Königsherrschaft weder gegen Bayern noch gegen Schwaben durchsetzen und das Land gegen die Ungarneinfälle nicht verteidigen. Nach seinem Tod wählen Sachsen und Franken in Fritzlar 919 den sächsischen Herzog Heinrich aus der Familie der Liudolfinger zum König,46 während die Bayern Herzog Arnulf zum König in regno teutonico wählen. Auch sie halten also an der Zugehörigkeit zum neuen »deutschen« Königreich fest und Heinrich kann, durch Verzicht auf eine sakrale Überordnung (keine Salbung) und Anerkennung der Autonomie der Herzöge diese als Lehnsleute an das Reich binden. 925 gelingt es, Lothringen als weiteres Herzogtum zurückzugewinnen, 926 mit König Rudolf II. von Burgund gegen Abtretung eines Teils von Schwaben zur Kooperation zu gelangen, und der Burgunder schenkt Heinrich die »Mauritiuslanze«, die fortan zu den Insignien des Reichs gehört. Entscheidend bleibt die Auseinandersetzung mit den Ungarn. Heinrich nutzt einen Waffenstillstand zum Aufbau eines Reiterheeres, mit dem der niedrige Adel eine neue Stellung erwirbt, und besiegt die Ungarn 933 an der Unstrut. 934 erobert er Haithabu gegen Skandinavier. Nach seinem Tod 936 wird sein Sohn Otto I. in Aachen zum König gekrönt.47 Er systematisiert die Ostexpansion, unterwirft die Elbslawen und fördert die Mission. Aber in den folgenden Jahrzehnten hat er immer wieder mit Aufständen der Herzöge zu kämpfen, auch wenn es ihm gelingt, die Herzogtümer an Familienmitglieder zu vergeben. Da Schwaben und Bayern an eigener Italienpolitik festhalten, zieht er 951 nach Italien und lässt sich zum langobardischen König krönen. Neue Aufstände von Verwandten bieten den Hintergrund für den letzten Ungarneinfall. Otto siegt 955 in der Schlacht auf dem Lechfeld bei Augsburg, aber die Akklamation des Heeres allein reicht nicht mehr, um den Kaiser zu machen.48 Da sich die Familie als unsicherer Weg zur Herrschaftssicherung erweist, stützt sich der König immer stärker auf die Kirche und baut den Reichsepiskopat aus. Ausgehend vom sakralen Charakter des Königs selbst, hat jener das Recht der Einsetzung von Reichsbischöfen und Reichsabteien (Investitur), kann aber auch Heerfolge und Beher45 Grundlegend Percy Ernst Schramm  : Kaiser, Rom und Renovatio, Studien zur Geschichte des römischen Erneuerungsgedankens vom Ende des karolingischen Reiches bis zum Investiturstreit, Bad Homburg v.d.H. 1962 (Gentner). 46 Robert Holtzmann  : Geschichte der sächsischen Kaiserzeit 900–1024, 4. München 1961 (Callwey). 47 Puhle/Köster, S. 517–703, vgl. besonders den prachtvollen Heiratsvertrag für Theophanu. 48 Heike Johanna Mierau  : Kaiser und Papst im Mittelalter, Köln usw. 2010 (Böhlau), S. 55.

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bergung von ihnen fordern. Er besetzt diese Ämter der Kirche meist mit Adligen aus den Regionen und am Ende seines Lebens immer mehr mit »seinen« Leuten – Klerikern aus seiner Kanzlei (Hofkapelle).49 Da (hohe) Kleriker auch damals keine legitimen Kinder haben konnten, bestand keine Gefahr, den Reichseinfluss auf das Kirchengut an die Erben zu verlieren, und die Kleriker waren in der Regel gebildeter als neidische Brüder oder andere Hochadlige.50 Die Krönung Ottos I. zum Kaiser am 2. Februar 962 in Rom war also eine willkommene Bestätigung der neuen, durch den Sieg gegen die »Heiden« legitimierten und durch die Stärkung der Kirche im Klerus verankerten Reichsstruktur.51 Dem entsprach die Krönung in der Metropole der Kirche, in Rom, die zugleich die Metropole des Imperiums gewesen war und ja noch viele Monumente aus jener Glanzzeit zeigte. In Rom ging es nicht nur um Rechte, sondern auch um Vorstellungen und Bilder – viele deutsche Könige versuchten, den Romzug auch noch durchzusetzen, nachdem der Kurverein von Rhens 1338 festgestellt hatte, dass jeder deutsche König auch ohne Zustimmung des Papstes Kaiser war. Noch 1452 ließ sich Sigismund III. in Rom krönen und Karl V. 1530 wenigstens in Bologna, obgleich er seit der Frankfurter Wahl 1519 als »Erwählter Kaiser« handelte.52 Kaiser Otto I., für den wohl das Vorbild Karls I. entscheidend war, vereinigte nach der Kaiserkrönung also die Königreiche Deutschland, Italien und Burgund. Er beanspruchte die Oberhoheit über Dänemark, Polen, Böhmen und Ungarn. Für den Osten wurde die Mission zur imperialen Aufgabe – das vom Kaiser geförderte Magdeburg erhielt in den unterworfenen Slawenländern Suffraganbistümer. In Süditalien entstand sofort ein Konflikt mit Ostrom, der aber diplomatisch gelöst wurde  – Apulien blieb beim Osten, Capua beim Westen.53

49 Laudage  : Otto, S. 252–269. 50 Mierau referiert S. 63 Kritik am Terminus »Reichskirchensystem«, ohne die Sache in Frage zu stellen, und beschreibt die »Zusammenarbeit mit den Bischöfen als Muster zur Herstellung von Ordnung im Reich«. Dass alle diese Bischöfe mit Truppen im Feld standen, wenn der König rief, muss man zu den moralischen und sozialen Aufgaben des Episkopats aber hinzu rechnen. 51 Vgl. die umfangreichen Diskussionen  : Helmut Beumann, Heinrich Büttner  : Das Kaisertum Ottos des Großen, Konstanz o.J. (Thornbeke)  ; Wolfgang Huschner  : Kaiser der Franken oder der Römer  ?, in  : Puhle/Köster, S. 519–528. 52 Rudolf Schieffer  : Otto Imperator – in der Mitte von 2000 Jahren Kaisertum, in  : Schneidmüller/Weinfurter, S. 355–374. 53 Fritz Kern hat vom Nationalbegriff aus kritisiert, dass die von Otto I. wieder aufgenommene Kaiserpolitik sowohl für die deutsche als auch die italienische Entwicklung nachteilig war  : Fritz Kern  : Der deutsche Staat und die Politik des Römerzugs, in  : Aus Politik und Geschichte, Festschrift Georg von Below, 1928, S. 41–61.

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Karte 5: KGR. Heiliges Römisches Reich, 973 D Ä N E M A R K

F

S RIE

HM. FRANKEN

OSTMARK

KGR. BÖHMEN

HM. S C H WA B E N ÖSTERREICH

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GFT. BURGUND

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© Entwurf: Hans-Heinrich Nolte Kartographie: Florian Partl

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200 km

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Herzogtümer, in denen der Kaiser von Pfalz zu Pfalz zog Herzogtümer und Grafschaften des Reichs

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Das Heilige Römische Reich

O S T R O M

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Nach Ottos I. Tod 973 und dem Begräbnis im Magdeburger Dom ist Otto II. also schon Romanorum Imperator. Er fällt im sarazenischen Sizilien ein, wird aber 982 bei Cotrone entscheidend geschlagen. Ein Jahr später erheben sich die Elbslawen  ; die Missionsbistümer werden vernichtet und Hamburg wird geplündert  ; das Land zwischen Elbe und Oder wird wieder »heidnisch«, Polen aber bleibt christlich. Otto kann noch die Wahl seines zweijährigen Sohnes zum König durchsetzen  ; nach des Kaisers Tod 983 wird Otto III. in Aachen zum deutschen König gekrönt. Die Regentschaft seiner Mutter, der byzantinischen Prinzessin Theophanu, gehört zu den erfolgreichsten Perioden des neuen Imperiums – sie sichert die Reichshoheit in Polen und Böhmen sowie die Reichsrechte in Italien. Otto III. übernimmt 14-jährig die Herrschaft und wird in Rom zum Kaiser gekrönt. Da er durch seine byzantinischen Schreiber über den Fälschungscharakter der »Konstantinischen Schenkung« informiert ist, macht er Rom zum Zentrum seiner Macht, obgleich sein Großvater das Privileg der Kurie erneuert hatte. Er übernimmt die Formel der »Renovatio imperii Romanorum« als Programm, aber mit einer durchaus praktischen Anpassung an die entstehende Nationenstruktur der Christenheit  : Sein Konzept ist, dass Sclavinia, Germania, Gallia und Roma gleichermaßen dem Kaiser huldigen.54 Der Herzog von Polen55 Boleslaw erhält bei einer Wallfahrt des Kaisers zum Grab eines heiligen Missionsbischofs in Gnesen in diesem Sinn der Gleichstellung mit Germania, Gallia und Roma eine Krone  ; außerdem wird Gnesen Sitz eines Erzbistums und aus der Unterstellung unter Magdeburg befreit. In ähnlichem Sinn erheben Kaiser und Papst 1002 Gran zum Erzbistum für Ungarn und senden Stephan I. eine Krone. In Gallia hatte die Kaiserwürde allerdings keine Bedeutung  ; als der Papst mit kaiserlicher Unterstützung im Streit um die Besetzung des Erzbistums Reims zu einer Synode nach Aachen einlädt, erscheint kein Mitglied des französischen Episkopats. Nach dem Tod Ottos III. wird der Herzog von Bayern, auch er ein Liudolfinger, als Heinrich II. König und 1014 Kaiser. Die Abkehr von den hochfliegenden Plänen seines jugendlichen Vorgängers wird in seinem Programm deutlich  : »Renovatio regni Francorum«. Er beendet als erstes den Streit mit der Kurie um die »Konstantinische Schenkung«. Seine Herrschaft im Osten wird durch den Streit mit Boleslaw von Polen bestimmt, dem zeitweise die Eroberung Böhmens gelingt und der 1013 die Lausitz als deutsches Lehen erwirbt. Die Mehrzahl der geistlichen und weltlichen Großen des Reiches wählte nach Heinrichs II. Tod den Urenkel Ottos I. über die weibliche Linie, den Salier Konrad, zum König. Er wurde 1027 in Rom zum Kaiser gekrönt und 1033 zum König von Burgund. 54 Abbildung aus dem Evangeliar Ottos III. Holtzmann, a.a.O. Nr. 34, Schneidmüller, Weinfurter, S. 404 f. Vgl. Stefan Weinfurter  : Renovatio imperii. Die Romidee Ottos III., in  : Puhle/Köster, a.a.O., S. 539–546. 55 Vgl. zur Frühgeschichte Polens Dariusz Adamczyk  : Silber und Macht. Fernhandel, Tribut und die piastische Herrschaftsbildung in nordosteuropäischer Perspektive, Wiesbaden 2014 (Harrassowitz).

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Damit werden Saône und Rhone zur Westgrenze des Heiligen Römischen Reichs, das Herzogtum Burgund mit der Hauptstadt Dijon westlich der Saône bleibt dagegen französisches Lehen. Unter Konrads Sohn Heinrich III. – schon 1028 gekrönt, seit 1039/40 alleiniger König von Deutschland, Burgund und Italien und seit 1046 Kaiser – ist das mittelalterliche Imperium auf dem Höhepunkt seiner Macht  : Ungarn, Böhmen, Polen und Pommern erkennen die Lehnshoheit an, ebenso die Normannenfürsten in Süditalien. Der Kaiser fördert die aus dem Westen kommende Reformbewegung in Rom, indem er die Wahl von deutschen Päpsten durchsetzt und die Kurie damit gegen die Herrschaftsansprüche des stadtrömischen Adels stützt. Mit dem bestimmenden Einfluss des deutschen Königs auf die römische Kirche wurde das innere Ungleichgewicht des ottonischen Kaisertums manifest, denn dem Einfluss entsprach auch Abhängigkeit. Die Ottonen brauchten die Kirche, aber sie gehörten – vielleicht mit der Ausnahme Ottos III. – ja bildungsmäßig nicht zur mediterranen Welt, welche die Kultur der Kirche prägte. Bernd Schneidmüller hat den »Griff nach der römischen Kaiserkrone als Hineindrängen einer Randkultur in die lange imperiale Geschichte der Mittelmeerwelt« überzeugend beschrieben.56 Die Ottonen versuchten so etwas wie eine Machtergreifung aus der Peripherie. Das musste, wie ein Blick auf die Mandschu oder das Mogulreich zeigt, keineswegs von Anfang an misslingen. Es misslang auch nicht, insofern Ottos Konzept für anderthalb Jahrhunderte die Politik bestimmte und die Historiker viel kürzere Perioden als Erfolge einordnen, wenn sie »glücklich« waren. Aber das Scheitern des nachottonischen Kaisertums an der Opposition der Kirche gehört auch zu dieser »imperialen Überdehnung«. Die Reformer der Kirche forderten, den Verkauf kirchlicher Ämter als Simonie zu verbieten (z. B. hatte der Erzbischof von Narbonne 1016 100.000 Goldschillinge für sein Amt bezahlt), setzten das Verbot der Priesterehe durch (Priesterfrauen wurden von nun an als Konkubinen verurteilt, die Kinder als Sklaven dem Kirchenvermögen zugeschlagen) und verurteilten die Investitur von Kirchenamtsträgern durch Laien. Hinter der Reform standen der Wunsch, das irdische Leben so einzurichten, dass es zum Heil der Menschen führte, und die Forderung nach der »Freiheit der Kirche« von politischer Macht.57 Zum wichtigsten Anführer wurde der aus der Toskana stammende Papst Gregor VII.58 Als König Heinrich IV. den Erzbischof von Mailand einsetzt, exkommuniziert ihn der Papst, und als eine Synode deutscher Bischöfe den Papst daraufhin zum Rücktritt auffordert, setzt der Papst den König ab und bannt ihn. »Zum ersten Mal in der Geschichte hat 56 Bernd Schneidmüller  : Altes Kaisertum als neue Fragestellung, in  : Schneidmüller, Weinfurter, S. 7–16, hier S. 11. 57 Gerd Tellenbach  : Libertas, Kirche und Weltordnung, S 1936. 58 Fuhrmann Einladung, S. 77–99  ; Uta-Renate Blumenthal  : Gregor VII., D 2001 (WBG).

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hier ein Papst einen König abgesetzt.«59 Allerdings hatte schon Bischof Ambrosius von Mailand Kaiser Theodosius die Sakramente verweigert, um ein politisches Ziel durchzusetzen.60 Die Römische Kirche war von der Konstantinischen Wende an eine Machtkirche, nur deswegen konnte sie ja auch zum Bundesgenossen werden. Eine interne Fürstenopposition verleiht dem Bann Wirkung, aber dem König gelingt es, den Papst durch eine dreitägige Buße vor der Burg Canossa zu veranlassen, ihm die Absolution zu erteilen. Als die Fürstenopposition trotzdem einen Gegenkönig wählt, siegt Heinrich IV. Er kann 1084 sogar Gregor vertreiben und in Rom die Krönung zum Kaiser durchsetzen. Seine Gegner wählen allerdings 1099 seinen Sohn Heinrich V. zum König. Der bereinigt die Fronten im Reich und zieht nach dem Tode seines Vaters 1111 nach Rom. Ein schon fertiger Vertrag mit dem neuen Papst, der die völlige Trennung von Kirche und Reichsgut vorsieht, scheitert an der Opposition der Bischöfe, die am Reichsgut hängen. Erst 1122 schließen Kurie und Kaiser in Worms ein Konkordat, das dem Papst die Investitur zubilligt, aber dem König das Recht gibt, bei der Wahl der Bischöfe in Deutschland anwesend zu sein und die Regalien, also die vom König stammenden Einnahmemöglichkeiten, in einer eigenen Handlung zu übergeben. Dadurch behielt der König in Deutschland Einfluss, weniger aber in Italien, aus dem ja ein großer Teil der Mittel für die Machtausübung kam, und auch nicht in Burgund.61 Auch, wenn so das Gesicht beider Parteien gewahrt bleibt, ist der langfristige Gewinner weder der Papst noch der Kaiser, sondern der Hochadel, der immer mehr Einfluss auf die Wahl zu diesen Reichsgütern und Kirchenämtern erlangt. Später werden jene Adelsfamilien, welche in den Domkapiteln das Recht zur Bischofswahl erreichen, sich als eigene Gruppe der »stiftsfähigen« Familien abschließen. Der Investiturstreit bildete den Beginn des Abstiegs des mittelalterlichen Imperiums.62 Dies nicht nur, weil dem Reich ein beträchtlicher Teil der Mittel entzogen wurde, sondern auch, weil der König an Sakralität verlor. Dass auch der Papst erleben musste, dass sein zweiter Bann gegen den König nicht mehr so viel Wirkung zeigte, schmälerte ja nicht den Verlust des Kaisers an religiöser und kultureller Macht. Die Schwächung des Kaisertums kam in Deutschland und Italien dem Hohen Adel und dem Patriziat der vorher zum Reich gehörenden Städte zugute, der »neue Fürstenstand« bildet sich  : »Fürst ist, wer ausschließlich und direkt vom König belehnt ist und selbst Vasallen hat.«63 Außerdem stärkte der Machtverlust des Kaisertums in der ganzen Christenheit 59 Ebda., S. 180. 60 Pfeilschifter  : Spätantike, S. 112–115. 61 Mierau  : Kaiser, a.a.O., S. 76 f. 62 Klassisch Heinrich Mitteis  : Lehnrecht und Staatsgewalt, Weimar 1933. 63 Mitteis, a.a.O., S. 436.

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die Königreiche und Stadtrepubliken von Frankreich bis Venedig, von der Hanse bis Polen und Ungarn. Das Europäische System setzte sich durch.64 Dass unter den Staufern noch einmal, weithin nicht mit den Mitteln des Reiches in Deutschland, sondern denen in Italien und unter Friedrich II. denen des Königreichs beider Sizilien, versucht wurde, die Idee der kaiserlichen Universalherrschaft durchzusetzen, entsprach zu diesem Zeitpunkt wohl schon nicht mehr dem Mainstream des europäischen Denkens, trotz Dantes Eintreten für das Kaisertum. Die Staufer haben für ihren Versuch mit den Mitteln des deutschen Königtums gezahlt – für die Niederwerfung des Konkurrenten im Innern, des Welfen Heinrich des Löwen, musste Friedrich I. auf dem Reichstag in Gelnhausen 1180 den Leihezwang akzeptieren, also die Pflicht des Königs, Lehen binnen Jahr und Tag wieder auszugeben. Eine Familie, die bis dann den Fürstenstand erreicht hatte, behielt ihn in der Regel bis zum Ende des Reichs. »Wer ihn bis 1180 noch nicht erreicht hatte, sollte ihn nicht mehr erreichen« – außer durch Kooptationen.65 Deutschland konnte also nicht wie Frankreich durch den Heimfall der Lehen an die Krone wieder »gesammelt« werden. Eine weitere Festigung fand die Entwicklung zur Landesherrschaft dann unter Friedrich II., der 1220 und 1231 den Fürsten viele noch bestehende Rechte des deutschen Königs überließ. Diese Sicht auf Friedrich II. aus der Perspektive der Reichsgeschichte ergänzt die Geschichte des dominus mundi aus der Perspektive des Mittelmeeres – der Imperator Federico nutzte nun die Ressourcen des alten Imperiums als Instrumente zur Absicherung des neuen mit dem Zentrum Palermo66 (das ihn allerdings kaum überdauern sollte). Militärisch wird der Bedeutungsverlust des Reiches durch die Niederlage des welfischen Kaisers Otto IV. im Bündnis mit dem englischen König Johann Ohneland in Bouvines 1214 deutlich. Es gelingt den deutschen Knechten furore teutonico, bis zum König von Frankreich Phillip August vorzustoßen, aber sie können ihn nicht außer Gefecht setzen, weil »mit Gottes Hilfe die fränkischen Schwerter obsiegten«. Der König kämpft weiter  ; als aber der Kaiser persönlich angegriffen wird, »flieht er von der Wahlstatt und lässt Adler und Karren zurück als Beute«.67 Phillip August schickt die Reichsinsignien (auf dem Karren) freundlich, aber gewiss nicht ohne persönlichen Triumph an den verbündeten Kaiser Friedrich II. Dies war ein Bündnis der großen Häuser – die Staufer mit den Capetingern und die Welfen mit den Anjou-Plantagenet  –, aber die 64 Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 113–140  ; Hoffmann  : Conquer. 65 Mitteis, a.a.O., S. 439. 66 Friedrich Kantorowicz  : Kaiser Friedrich der Zweite (1964), Stuttgart 1987 (Klett-Cotta), hier S. 471– 550. Vgl. Geoffrey Barraclouggh  : The Origins of modern Germany, Oxford 1949 (Oxford UP), S. 219 ff. 67 Chronica Albrici Monachi Trium Fontium = Monomenta Germaniae Historica, Scriptores XXIII, S. 631 ff., Zitate S. 900 f. »Furor teutonicus« übersetze ich mit »ungeordnete deutsche Wut«.

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Quellen charakterisiert auch ein vormoderner nationaler Unterton. Jedenfalls hat der französische König die Schlacht durch seine persönliche Tapferkeit entschieden und die französische Ritterschaft hat den furor teutonicus besiegt. Das Kaisertum hat in Westeuropa nicht mehr viel zu sagen, auch wenn es in diesem Moment keine Territorialverluste gibt. Dass die Staufer am Imperium festhalten, trennt Deutschland von den westeuropäischen Entwicklungen  ; die Politik Kaiser Friedrichs II. bildete entsprechend »ein Nachspiel der alten großen Kaiserzeit«.68 Aber dass Friedrich von Palermo aus »den Weg zum modernen, zum weltlichen und souveränen Staat einschlug«, betraf auch das Reich nördlich der Alpen und wies auf eine neue Entwicklung hin.69 Im gesamten Gebiet des – im Machtsinn ehemaligen – Imperiums, von Savoyen und Mailand bis Brandenburg und Hannover, in der Schweiz und in den Niederlanden, suchten die Landesherren und ihre Stände Wege in die Zukunft, die auf vielfältigen Autonomien und Kooperationen beruhten und nicht auf imperialem Glanz. Die zweite Phase des HRR  : Das ständische Imperium

Auch das Kaisertum Friedrichs II. scheitert. Da die Vorstellung kaiserlicher Herrschaft und die Realität von Landesherrschaften anfangs nicht übereinzubringen sind, kommt es nach dem Scheitern der Staufer zum Interregnum, zu einer Periode, in welcher die Zentrale weiter an Macht verliert. Die Landesherrschaften werden zu den wichtigsten politischen Akteuren der deutschen Geschichte. Aber für die gesamte Christenheit wird die Durchsetzung des Ständestaats, also die geregelte und regelmäßige Partizipation der Kirche, des Hohen Adels und der reichen Kaufleute an der Politik ihrer Staaten politisch bestimmend. Nun bildeten die Königreiche und Republiken der Christenheit ein religiöses, politisches und wirtschaftliches System, an dem das »Heilige Römische Reich« gleichberechtigt beteiligt war, solange auch bei den anderen Teilnehmern Stände eine politische Rolle spielten. Auch die deutsche Expansion in den Osten wird nach dem Zusammenbruch von 983 im 12. Jh. wiederaufgenommen, aber durch Landesherren wie den sächsischen Herzog Heinrich den Löwen, der das heutige Mitteldeutschland bis zur Oder unterwirft, oder die böhmischen Könige, die als Lehnsträger des Reichs Schlesien erwerben. Im 13. Jh. laden die Könige von Böhmen, Ungarn und Polen mehrfach deutsche Bauern und Städter zur Siedlung in ihren Ländern ein und zwei klerikale Orden erobern Preußen und das Baltikum. Jetzt entsteht das Deutschtum in Osteuropa, das durch neue Siedlungen bis ins 19., ja ins 20. Jh. hinein ausgeweitet wird. Vielfältig assimilieren sich Deutsche an 68 Hermann Heimpel  : Das Wesen des deutschen Spätmittelalters, in  : Heimpel  : Gegenwart, S. 109–135, Zitat S. 121. 69 Hermann Heimpel  : Hermann von Salza, in  : Heimpel  : Gegenwart, S. 87–108, Zitat S. 91.

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Polen oder Tschechen und Obodriten oder Meißener Slawen an Deutsche  ; andere ethnische Gruppen in dem großen, bis zum 20. Jh. polyethnischen Raum bleiben bestehen, wie die Sorben in der Lausitz oder die Deutschen an der Wolga.70 Zeitleiste 9

1338 1356 1519 1521 1555 1618 ff. 1648

1663 1697 1718 1763 1772ff. 1795 1803

Kurverein von Rhens  : Der von der Mehrheit der Kurfürsten gewählte König kann ohne päpstliche Bestätigung herrschen Karl IV. (Luxemburger) erlässt die »Goldene Bulle«  : HRR ständischer Staat, Reichstag als vom Kaiser einberufenes Parlament Karl V. (Habsburger) »Römischer König und Kaiser« nach Wahlkapitulation, Mittel  : Hausmacht Worms  : Reichsacht über Luther, Ritter- und Bauernkrieg, Landeskirchentum »Augsburger Religionsfriede«  : Stände haben ius reformandi, Bürger haben ius emigrandi  ; spätere Formel  : cuius regio, eius religio 30-jähriger Krieg  : Kaiser, Spanien und Katholiken gegen Protestanten und (nacheinander) Dänemark, Schweden sowie das katholische Frankreich »Westfälischer Friede«  : Durchsetzung der Staatsraison. Schweden und Frankreich erhalten Territorien, die Schweiz und die Niederlande werden souverän. Alle dürfen Bündnisse schließen, nur nicht gegen Kaiser und Reich. Drei Konfessionen werden geduldet, in Religionsfragen gilt im Reichstag Parität. Organisation der Regionen in Reichskreisen Reichstag tagt ständig (in Regensburg), und wird zum Gesandtenkongress  ; Vertretung der Fürsten durch professionelle Räte Friede von Ryswijk bestätigt Frankreichs Expansion Richtung Rhein  : Elsass Friede von Passarowitz bestätigt Österreichs Expansion nach Osten  : Ungarn Friede von Hubertusburg bestätigt deutschen Dualismus Preußen  : Österreich Preußen und Österreich annektieren den Westen Polens Das revolutionäre Frankreich erreicht die Rheingrenze im Norden. Die Niederlande, 1807 Norddeutschland annektiert Reichsdeputationshauptschluss, 1804 Franz erblicher Kaiser von Österreich 1806 Niederlegung der Kaiserkrone des HRR

70 Günther Stökl  : Osteuropa und die Deutschen, [1967] M 1970 (dtv)  ; Werner Conze (Hg.)  : Deutsche Geschichte im Osten Europas, ungezählte Reihe (10 Bde.), B 1997 (Siedler)  ; Rexheuser  : Kulturen  ; Dralle  : Deutsche  ; Srodecki  : Bollwerk. Knapp Jerzy Strzelczyk  : Ritterorden und Hanse, in  : Komlosy/ Nolte, S. 49–60.

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Das »alte Reich« bildete für etwa ein halbes Jahrtausend das politische Gerüst der Geschichte Mitteleuropas.71 Den Anfang haben die Luxemburger organisiert,72 die dann ihre Herrschaft in den Osten ausgedehnt haben. Aber anders als der Osten des Reiches wird der Streifen zwischen Antwerpen und Florenz nur geringer Zentralisierung unterworfen. Hier bleibt eine Vielfalt kleinerer geistlicher und weltlicher Länder erhalten, manchmal nur in der Form von Reichsstädten oder Reichsabteien. So bewahrt dies Mittelland zwischen Frankreich im Westen und den großen Territorien im Osten viel Potenzial für ökonomische und kulturelle Innovationen. Der Streifen bleibt der soziale und kulturelle Motor Europas, das eigentliche »Zentrum« oder auch die »Europäische Banane«.73 Viel davon gehörte zum regnum Germania, die »Banane« reichte auch über die Champagne bis Paris oder bis Venedig im Süden, und das alte Reich umfasste von den Ardennen bis Pommern und Mecklenburg bis Krain auch viele nicht zentrale Gebiete als »Innere Peripherien«.74 Und es umfasste von Brabant bis zur Lausitz und Lüttich bis Böhmen weiter viele Gebiete, in denen die Mehrheiten nicht Deutsch redeten, es beherbergte sowohl Französisch und Flämisch als auch Italienisch und Tschechisch sprechende Menschen. Nach der »Goldenen Bulle« sollten die Kur71 Mit Angabe der Quelleneditionen etc. Arno Buschmann  : Heiliges Römisches Reich, in  : Becker  : Staatlichkeit, S. 9–40. Übersichten Karl Brandi  : Deutsche Geschichte im Zeitalter von Reformation und Gegenreformation, M 1960 (Bruckmann)  ; Georg Schmidt  : Der Dreißigjährige Krieg, 7. Auflage M 2006 (Beck)  ; Günter Vogler  : Absolutistische Herrschaft und ständische Gesellschaft, S 1996 (Ulmer). 72 Dieser Lernprozess war sowohl in Deutschland als auch in Italien sehr langsam und verlustreich. In den Italienzug Heinrichs VII. 1310–13 hatte Dante große Hoffnungen gesetzt, dass die Monarchia universalis wieder aufgerichtet werden würde, und das (wohl in Verona geschriebene) Werk des in Florenz 1302 zum Tode verurteilten Dichters und Philosophen verteidigte die »auctoritas Monarche romani, qui de iure Monarcha mundi est« (Dante  : Monarchia, S. 180). Das Scheitern der Italienpolitik Heinrichs VII. führte also noch nicht zu einem Ende der kaiserlichen Italienpolitik, auch sein Nachfolger Ludwig der Bayer zieht 1327–30 nach Italien und riskiert einen neuen Konflikt mit dem Papst, der die Kurfürsten auf die Seite des Kaisers bringt und im Kurverein von Rhens 1338 zu dem Beschluss veranlasst, dass der von ihnen gewählte König ohne Bestätigung durch den Papst herrschen kann. Das ist die Voraussetzung für den gegen Ludwig gewählten Luxemburger Karl IV., der sich nach Ludwigs Tod 1347 langsam durchsetzt und mit der Goldenen Bulle 1356 die Grundlagen des ständischen Imperiums in eine feste Verfassung bringt. 73 H.-H. Nolte  : The European System in the Middle Ages. Pleading for a set of indicators and nonlinear research, in  : M. Hroch, L. Klusakova (Hg.)  : Criteria and Indicators of Backwardness, Essays on Uneven Development in European History, Prag 1996, S. 29–46.(Variant Editors)  ; die Kontinuität mit der im 20. Jahrhundert beschriebenen »Banane« ist auffällig  : H.-H. Nolte  : Eine Kette innerer Peripherien entlang der alten christlich-muslimischen Grenze in ZWG 3.1 (2004), S. 41–58. Erweiterter Nachdruck in  : Peter Herrmann, Arno Tausch (Hg.)  : Dar al Islam, The Mediterranean, the World System and the Wider Europe, New York 2005, S. 21–35. 74 Beispiele in Innere Peripherien Bd. 1 – 3 .

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fürsten ihre Söhne, die, wie man annahm, Deutsch konnten, Latein, Italienisch und Slawisch lernen lassen.75 Am Anfang des 16. Jh. kam es aber noch einmal zu einem imperialen Versuch. Das Konzept, an die mittelalterliche »Monarchia universalis« anzuknüpfen, kam aus der Umgebung Kaiser Karls V. und sollte die Mittel einsetzen, die das Haus Habsburg sich zusammengeheiratet hatte – Mittel aus Burgund und Spanien, aus den Erbländern im Reich, und etwas später auch aus den überseeischen Eroberungen. Die Politik der Universalmonarchie ging jedoch von Anfang an und bis zur Abdankung des Kaisers über die Möglichkeiten hinaus, die der Dynastie zur Verfügung standen.76 Die Wahl zum Kaiser des HRR war in diesem Konzept nur die Vorstufe zur »monarchia orbis«.77 Die Bildersprache der Umzüge und Denkmale zitierte alle Helden von Herkules bis Alexander.78 Die Opposition gegen das Konzept einigte humanistische Gelehrte und katholische Reichsstände, europäische Könige und die Kurie. Trotz des Sieges über die Protestanten ist das Konzept am Bündnis zwischen dem Kurfürsten von Sachsen und dem König von Frankreich gescheitert. Und da der Kaiser (trotz einsetzender Einkünfte aus Amerika) weit über seine Verhältnisse Politik machte, resultierte seine Politik, nach seiner Abdankung, im Staatsbankrott.79 Wieder hatte es zur imperialen Überdehnung geführt, dass ein Kaiser die großen Worte des Amtes mit der Realität verwechselte. Seit dem 16. Jh. plädierten deutsche Intellektuelle dafür, dem Namen »deutscher Nation« zum »Heiligen Römischen Reich« hinzuzufügen. Gerade in protestantischen Lehrbüchern wird auch vom »Römisch-deutschen Reich«80 geschrieben, und Martin Luther wandte sich an den Kaiser und den »christlichen Adel deutscher Nation«81. Aber es gab im Reich keinen König, der ein schamanistisches Heil mit sich trug und die Skrofeln heilen konnte, wie der König von Frankreich, und es gab und gibt nicht einmal einen zentralen Dom, in dem die Särge beisammenstehen (wie Saint-Denis in Paris oder Uspenskij Sobor in Moskau) – die Kaisergräber waren und sind von Palermo bis Magdeburg verstreut. Wo man im Reich Deutsch sprach, »repräsentierte die gemeinsame Sprache nicht eine Alternative zu einer (fehlenden) Identität, sondern eines der Elemente, aus denen diese Identität gebildet war«82. Und immer bildete die lands75 Kapitel 30, zitiert Respublica sive status Imperii Romano-Germanici, 2 Bde., Leyden 1634 (Elsevier) Bd. 2, S. 344 f. 76 Kohler  : Expansion und Hegemonie, S.  194–214. S.  204 die Berechnung des Defizits allein von Ferdinand, es lag bei jährlich etwa 300.000 Gulden. 77 Kohler  : Karl V., S. 94–100, Zitat S. 98. 78 Ebda., S. 100–116. 79 Ebda., S. 139–149  ; vgl. Menzel  : Ordnung, S. 429–521. 80 S. o. Anm. 75. 81 Auszug in Helmut Gollwitzer (Hg.)  : Luther, F [1955] 1963, S. 46–60. 82 Lens Scales  : Late medieval Germany – an under-stated nation  ?, in  : Scales/Zimmer, S. 166–191, Zitat S. 169.

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mannschaftliche Zugehörigkeit einen weiteren Bestandteil dieser Identität, vom Hessen bis zum Pommern. Und die Nationalisierung des Imperiums wurde zumindest für den offiziellen Titel nicht durchgesetzt, auch wenn die Geschichtsschreibung des 19. Jh. manchmal diesen Eindruck erweckt. Der Titel des Kaisers lautete z. B. 1643  : »Die gratia electus Romanorum Imperator semper Augustus, ac Germaniae, Hungariae, Bohemiae, Dalmatiae, Croatiae, Slcavoniae Rex […]«83. Da man das Augustus nicht recht verstand, lautete die Übersetzung ins Deutsche  : »Von Gottes Gnaden erwählter Römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs«, danach folgte der Königstitel für Deutschland und für die anderen Reiche, in denen die Person des Kaisers König war, darauf jene für die anderen Fürstentümer.84 Der Titel wurde auch in der Korrespondenz der Wiener Hofkanzlei benutzt – bei manchem Vorrang des Deutschen war das Imperium international. Im Rahmen des Systems bauten Österreich und Russland mit absolutistischen Verfassungen, den osmanischen und französischen Beispielen folgend, im 17. und 18. Jh. auf dem Kontinent erfolgreich eine neue Form von Imperien auf, die von Anfang an auf das Konzert der Mächte bezogen waren. Die kontinuierliche Konkurrenz unter den christlichen Mächten führte zu einem hohen Grad der Militarisierung. Das Problem lag in der Finanzierung, die kontinuierlich in die Höhe getrieben wurde85 und im 16. Jh. die Expansionen der christlichen Staaten des späteren Europa nach Amerika und Nordasien sowie das Einklinken von Europäern in den reichen süd- und ostasiatischen Handel ermöglichte. Im 17. Jh. stagnierte der Kontinent, zerrissen von Religionskriegen und gebeutelt von Klimaschwankungen.86 Im 18. Jh. gelang die Eroberung Indiens sowie der nördlichen Provinzen des Osmanischen Reiches. In Europa wurde Polen zum nächsten Opfer – die Adelsrepublik wurde zum Expansionsobjekt der Nachbarn »im Norden«, die es 1772 ff. untereinander aufteilten. In Westeuropa war mit dem Aufstand der Niederlande und den Revolutionen in England eine neue politische Form geschaffen worden, welche Krone, Nationalkirche, Hoch- und Landadel sowie reiche Händler und Handwerker im Parlament integrierte. Der englische Nationalstaat war seinen Konkurrenten jenseits des Kanals v. a. dadurch überlegen, dass er mit der Zustimmung der Steuerpflichtigen eine höhere Steuerquote erreichte, als das absolutistisch zentralistische Frankreich oder das dezentrale Heilige Römische Reich und auch als die wiederum meist absolutistisch regierten habsburgischen Erblande. Im 17. und 18. Jh. konnten v. a. Großbritannien und die Niederlande 83 Peter Eller  : Totius Orbis Terrarum Descriptio … Leyden 1643 (Eller), S. 137 f. 84 So das Druckprivileg Rudimenta Historica … pro Gymnasiis Societatis Jesu, Augsburg 1728 (Matthias Wolff ), vor der ersten Textseite. 85 Schilling  : Konfessionalisierung, S. 68–99, bes. S. 80–87. 86 Parker  : Crisis.

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mit überlegenen Mitteln sowohl die größten Flotten unterhalten als auch Interventionsarmeen ausrüsten sowie nicht zuletzt immer wieder Bundesgenossen mit Subsidien jeweils auf ihre Seite ziehen.87 Auch der deutsche Dualismus zwischen Preußen und Habsburg wurde teilweise zur Funktion der Konkurrenz zwischen Paris und London – und während Preußen nicht unterging, gewann Großbritannien Nordamerika und die Basis für die Herrschaft in Indien. Im klassischen Merkantilismus (gegen den Adam Smith opponierte) förderte Großbritannien seine Wirtschaft und damit die Industrielle Revolution.88 Der französische Versuch, auf revolutionärem Weg einen Nationalstaat zu schaffen, wurde von Napoleon imperial gekapert und ein Französisches Imperium gegründet, das schließlich bis Lübeck, Barcelona und Triest reichte.89 Der gesamte Westen und die Nordseeküste Deutschlands wurden annektiert.90 Weder die Niederlande und die italienischen Staaten noch das Heilige Römische Reich hatten dieser Dynamik genug entgegenzusetzen. Wie nur wenige Jahrzehnte zuvor Polen wurde nun das Heilige Römische Reich geteilt, und der letzte Kaiser legte 1806 seine Krone nieder, nachdem Wien Österreich zum erblichen Imperium erklärt hatte. Arbeitsansätze

Quellen und Historiografie Das deutsche Mittelalter war zu großen Teilen eine orale Kultur, und bis zum Spätmittelalter konnten oft nur Kleriker schreiben und lesen. Ereignisse, welche die Kleriker nicht interessierten oder die sie sogar verurteilten (wie z. B. »heidnische« Bräuche) sind also quellenmäßig kaum zu fassen. Das gilt auch für weite Bereiche des Alltags, über den wir oft nur die Normen kennen, welche Fürsten oder die Kirche setzten. Herrschaftliche Vorgänge wurden aber schriftlich festgehalten  ; es sind Dokumente überliefert, auch Berichte in Chroniken, Annalen (in denen fortlaufend festgehalten wurde, was in jedem Jahr geschehen war), Tatenberichte und »Reste« – wiederum v. a. aus den kirchlichen Bau- und Schreibprogrammen, außerdem z. B. Münzen. Die Mittelalterarchäologie hat nicht nur unter den romantisierenden Umbauten meist des 19. Jh. wenigstens die Grundrisse der früheren Bauten erschlossen, sondern auch z. B. über Brunnenreste viele Infor87 Duchhardt  : Balance, S. 363–394. 88 H.-H. Nolte  : Nationen und Staatenbildung – Parlamentarismus und Absolutismus, in  : Komlosy/Nolte, S. 74–90. 89 Stubbe  : Statthalterregimes, S. 53–208  ; Erbe  : Erschütterung, S. 317–342. 90 Helmut Stubbe da Luz  : Okkupanten und Okkupierte. Napoleons Statthalterregimes in den Hansestädten, Bd. 1–4, M 2006–2008  ; einführend ders.: Ein ›gescheitertes Imperium  ?‹, in  : Nolte  : Imperien, S. 59–68.

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mationen zum täglichen Leben gewinnen können. Die Sprache der Quellen war in der Regel Latein  ; seit dem Hochmittelalter wurden auch deutschsprachige Geschichtswerke wie etwa die Kaiserchronik abgeschrieben.91 Die moderne Sammlung von Quellen wurde im 18. Jh. begonnen und im 19. Jh. mit den »Monumenta Germaniae Historica« systematisiert  ; heute gibt es ein digitales Repertorium »Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters«. Im 19. Jh. und bis ins 20. Jh. hinein war die deutsche Geschichtsschreibung zum mittelalterlichen Reich romantisch, man nahm den Glanz für eine historische Realität und träumte von einer imaginierten Einheit. Die Periode wurde »als deutsches Mittelalter angeschaut«, und ganz Europa wurde auf Deutschland bezogen.92 Außerdem war die Öffentlichkeit vom Sybel-Ficker’schen Streit um die Frage beherrscht, ob die Südexpansion und die Romzüge für die Nation ertragreich gewesen seien oder man nicht lieber die Ostexpansion hätte fördern sollen. Der Streit findet seine Spuren bis in nationalsozialistische Konzepte deutscher »Ostsiedlung«. Mein Vorschlag, unter Berücksichtigung des Blickwinkels der betroffenen Slawen und Balten von »Ostexpansion« zu sprechen,93 hat sich in der Historiografie nicht durchgesetzt. Die herrschende Meinung der deutschen Historiker bis in die Mitte des 20. Jh. war, dass die Zersplitterung des HRR ein Unglück gewesen sei  ; erst die Arbeiten Karl Otmar von Aretins haben gelehrt, den typisch deutschen »Pfad« der Entwicklung zur Moderne angemessen zu würdigen.94 Ein anderer Streit ging um die Schuldzuweisung für die Katastrophen des Dreißigjährigen Kriegs und damit die Legitimierung der »protestantischen« Nationsgründung im 19. Jh.95 Nach der deutschen Niederlage 1945 wurde die deutsche Reichsgeschichte stärker in die europäische Geschichte eingeordnet und in jüngster Zeit in die globale Geschichte. Außerdem öffneten Fragen nach Riten, Ordnungen und Bildern die Geschichte des Mittelalters für anthropologische Fragestellungen. Die jeweiligen turns der Geschichts91 Heinz Quirin  : Einführung in das Studium der mittelalterlichen Geschichte, Braunschweig 1950 (Westermann) 5. Auflage S 1991 (Steiner)  ; Herbert Grundmann  : Geschichtsschreibung im Mittelalter, Göttingen 1965 (Vandenhoeck & Ruprecht). 92 Hermann Heimpel  : Europa und seine mittelalterliche Grundlegung, in  : Heimpel  : Gegenwart, S. 67–86, Zitat S. 75. 93 Einführend Rex Rexheuser  : Die Deutschen, die Juden und der Osten Europas, in  : Rexheuser  : Kulturen, S. 295–306. Meine Skizze dazu vor vierzig Jahren  : H.-H. Nolte  : ›Drang nach Osten‹, Sowjetische Geschichtsschreibung der deutschen Ostexpansion, F 1976 (EVA), S. 11–47. 94 Karl Otmar von Aretin  : Das Reich – Friedensordnung und europäisches Gleichgewicht, S 1992 (KlettCotta)  ; Thomas Schwarze  : Die Entstehung peripherer Räume in Deutschland, Münster 1995 (Institut für Geographie)  ; ders.: Die unterschiedlichen Wertungen und Wahrnehmungen der komplexen Staatsstruktur des HRR, in  : Innere Peripherien 3, S. 65–80. 95 Kevin Cramer  : Religious Conflict in History, in  : Geyer/Lehmann, S. 35–48.

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schreibung wurden rezipiert, aber auch die (trotz der ideologischen Wendungen) reiche interpretatorische Tradition der genauen Analyse und des »Verstehens« der Quellen weiterentwickelt.96 Diese Verwissenschaftlichung und auch Verfachlichung (d. h. die Entwicklung neuer Teilgebiete wie der Mittelalterarchäologie oder Umweltgeschichte) prägen die Gegenwart.

Soziale Einheiten und Ökonomie Dem Aufstieg Westeuropas lagen ökonomisch die flächendeckende Ausbreitung von Rodung und Siedlung im Hochmittelalter nördlich der Alpen, die allgemeine Durchsetzung ertragreicherer Landwirtschaft, meist durch Dreifelderwirtschaft, eine Zunahme der Städte und festen Handwerksorte sowie der Anstieg des Seeverkehrs zugrunde. Deutschland97 gehört in diesen Kontext, ist aber in der sozialen und ökonomischen Entwicklung oft etwas später als v. a. Flandern – die ersten Belege für die Dreifelderwirtschaft stammen aus dem Westen, das »deutsche« Stadtrecht, später als »Magdeburger-« oder »Lübecker Recht« in Osteuropa bis Kiew und Riga weitergegeben, wurde über Soest aus den flämischen Stadtrechten entwickelt. Tabelle 2  : Verhältnis von Aussaat zu Ernte bei Brotgetreide (Roggen, Weizen, Gerste)98

Spätmittelalter

Niederlande, England

Mitteleuropa

5,0–6,5

3.5–4,0

1500–1550

7,4

4,0

1550–1600

7,3

4,4

1600–1650

6,7

4,5

Die »Kleine Eiszeit« seit dem 13. Jh. und v. a. der Pestumzug 1346 warfen auch in Deutschland die Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung zurück, führten aber nicht zu einer neuen Verwaldung des Kontinents. Die grundlegende Einheit der Gesellschaft war auch in Mitteleuropa das Haus – der Zusammenhalt einer Familie einschließlich der Dienstboten. Der Vater vertrat die Familie nach außen und in der Arbeit, er war verantwortlich für alles, was von denen getan wurde, die seiner Munt unterstanden. Die Mutter hatte die Schlüsselgewalt über das, was 96 Vgl. Laudage  : Otto, S. 9–38. 97 Heinrich Bechtel  : Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, München 1967 (Callwey). 98 Wirtschaftsploetz, S. 62.

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zum Trinken oder Essen, Heizen oder Anziehen aufbewahrt werden konnte und verteilt wurde. Jedes Haus gehörte zu einem Klientelverband, auf dessen Schutz und Vertretung es auch angewiesen war  ; wo kein Kläger war, war auch kein Richter. Das Recht regelte z. B., wie viel Wergeld für einen Mord zu zahlen war, wenn man Frieden wiederherstellen wollte  ; Offizialdelikte, welche der König oder Herzog auch ohne Kläger zu verfolgen hatte, gab es nur im Bereich der Herrschaft. »Frieden« in dem Sinn, dass die Wege sicher waren und niemand zum Aufstand rief, war lange das wichtigste Kriterium für erfolgreiche Herrschaft. Über diese geordneten Klientelverbände schob sich die Kirche. Sie zog viel vor ihr Gericht, nicht nur sexuelle Vergehen. Ihr Sozialkonzept unterschied sich von der Realität der Klientelverbände – sie teilte die Menschen in Laien und Kleriker. Schon im 9. Jh. setzte sich aber eine konzeptionelle Dreiteilung durch  : Klerus – Adel – Bauer. Der erste Stand soll beten, der zweite schützen und der dritte arbeiten.99 Religionen und Ideologien Das »Heilige Römische Reich« war streng christlich und duldete weder »Heiden« noch Muslime. Juden wurden, anders als in England, Frankreich und Spanien, als Privileg und gegen hohe Geldzahlungen geduldet, auch wenn Verfolgungen trotzdem nicht selten waren.100 In der Vorstellung vieler Gläubiger entsprach die Herrschaft damit dem Satz aus dem Johannesevangelium, dass eine Herde und ein Hirt sein solle.101 Die Intoleranz, aber eben auch die Geborgenheit der Herde Christi hat Bewusstsein und Habitus der Einwohner des HRR geprägt. Bis zur Reformation gehörte das HRR zur Obödienz Roms, also zum lateinischen Zweig der Christenheit. Der Kaiser, als Vikar Christi auch ein Kleriker (obschon ohne die höheren Weihen), besetzte die höheren Kirchenstellen und beschenkte die Kirche mit Reichsgut. Als der Papst sich gegen dies System entschied (und sich damit durchsetzte), bedeutete das das Ende des Heiligen Römischen Reiches in seiner klassischen Form. Die Besetzung der Kirchenposten geriet weithin in die Hände des jeweiligen »stiftsfähigen« Adels und das Reich wurde mit der »Goldenen Bulle« zum Ständestaat. Das bildete wiederum die Voraussetzung für den Erfolg der Reformation und die auf diese folgende Teilung der Kirche, welche in Deutschland nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555 die Territorialisierung nach Konfessionen bedeutete. Die Kirche bildete auch meist als erste einen eigenen Stand mit eigener Gerichtsbarkeit. Sie akkumulierte so viel Eigentum  – oft über ein Drittel von Grund und Boden  –, dass  99 Fuhrmann, Einladung, S. 97. 100 Poliakov  : Antisemitismus Band 2  ; vgl. Battenberg  : Juden 1. 101 Joh. 10,16.

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dieses oft die Habgier der Fürsten weckte. Etwa, folgt man Heinrich van Veldeke, wurde die Gier der Herzogin von Lothringen nach schönen Stoffen in der Sakristei oder die der Vasallen des Herzogs nach einem kirchlichen Weinberg geweckt.102 Allerdings wurde dadurch ein Sachproblem deutlich  : Wie sollte der Fürst in einer weithin agrarischen Gesellschaft Beamte oder Adlige alimentieren, wenn er kein zentrales Steuersystem institutionalisierte  ? Die Reformation trug zur Lösung des Problems bei, indem sie die Säkularisation von kirchlichem Vermögen in großem Stil legitimierte. Die katholischen Fürsten folgten den protestantischen in diesem Punkt. Machtprobleme, die aus der religiösen Teilung und Konfessionalisierung103 in den anderthalb Jahrhunderten nach dem Westfälischen Frieden folgten, wurden durch die »itio in partes« im Reichstag, die Aufteilung der Reichsstände nach Konfessionen entschieden. Die religiösen und nationalen Probleme ließen sich so nicht lösen und trugen schließlich zur Gegenüberstellung zwischen einem katholischen und einem protestantischen Kaiser nach 1871 bei.104

Außenbeziehungen Der Außenhandel des Karolingerreichs bestand großenteils aus Importen von Luxuswaren aus dem Osten und Exporten von Sklaven, die wiederum zum großen Teil aus den Feldzügen stammten.105 Europa befand sich an der äußeren Ecke des damaligen Welthandels und wurde durch die Osmanen für eine ganze Periode von ihm durch Zölle noch weiter abgedrängt. Erst langsam nahm die Verstädterung Westeuropas zu und wurden Waffen- und Tuchproduktion entwickelt. Mit dem Harzbergbau wurde das Imperium zum Exporteur von Silber und konnte damit den Westhandel des arabischen Weltreichs im Ostseeraum zurückdrängen. Innerhalb des Europäischen Systems wurde vom 14. Jh. an eine regionale Arbeitsteilung durchgesetzt, in welcher Fertigwaren aus Flandern und dem Rheinland  – der skizzierten »Banane« – gegen Rohstoffe aus dem Osten und Süden getauscht wurden. Im Spätmittelalter führten die Hansestädte in Osthandel. Die Gebiete der deutschen Ostexpansion, die in manchem Kolonien ähnelten, wurden zum Ziel deutscher Migrationen  : Adlige zogen nach Preußen und ins Baltikum, Bauern nach Schlesien, Polen und 102 H.-H. Nolte  : Säkularisationen und Säkularisierungen, in  : Lekon/Vatansever, S.  11–33, hier S.  12 ff. Der Bericht über die Rache des Heiligen Servatius, der hier der Bestohlene war, bei Heinrich von Veldeke  : Sente Servas, in  : Theodor Frings, Gabriele Schieb (Hg.)  : Die epischen Werke des Henric van Veldeken, Halle 1956, Verse 5094–5254. 103 Schilling  : Konfessionalisierung  ; vgl. H.-H. Nolte  : Säkularisierungen und Säkularisationen, erscheint in  : Stubbe  : Säkularisierung. 104 Vgl. die Beiträge, in  : Geyer/Lehmann. 105 Jean-Pierre Devroey, Alexis Wilkin  : Die Landwirtschaft der Karolingerzeit  ; Michael Herdick  : Pfalzen als Produktionsstandorte des Handwerks, in  : Pohle  : Orte der Macht, S. 93.

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Ungarn und Städter in gesamte Gebiet, in dem neues Stadtrecht eingeführt wurde – bis Riga, Kiew und Klausenburg.106 Im 17. Jh. übernahmen die Holländer den Ostseehandel und entwickelten ihn weiter  – nicht zuletzt mit dem Silber, das seit der zweiten Hälfte des 16. Jh. aus Lateinamerika kam und mit dem die Europäer im südasiatischen Handel Fertigwaren kaufen konnten, die sie dann in Europa gegen Rohstoffe – Getreide aus Polen, Holz aus Schweden, Hanf aus Russland – wiederverkauften.107 Nun zogen Deutsche als Saisonarbeiter und Soldaten in den Westen. Formen von Politik Alle Kaiser und Könige berieten sich mit ihren Großen vor wichtigen Entscheidungen.108 Die »Strukturprobleme, die sich aus dem Fehlen einer einheitlichen Staatsgewalt und dem großen Aktionsradius der meisten Herzöge ergaben«,109 ließen sich im Regelfall nur von Person zu Person lösen. Der kaiserliche Hof wanderte zwischen den Pfalzen, oft nur jener Herzogtümer, auf welche der jeweilige König bauen konnte  ; ohne das »servitium regis« auch der Bischöfe konnte sich weder der Hof ernähren noch die Reichsverteidigung in Stand gehalten werden. Das Bündnis mit der Kirche war notwendig für beide Seiten, auch wegen der Aufgaben im Innern – Christianisierung und Frieden – ohne die Kirche waren sie nicht zu erreichen. Otto der Große hat entsprechend in Anspruch genommen, auch auf die Wahl des Papstes Einfluss zu nehmen. Trotz der Investitur durch den König nahm der regionale Adel viel Einfluss auf die Besetzungen der Bischofssitze und Abteien  ; auch mit ihm musste die Krone ja auskommen.110 Partizipation im Reich nach der »Goldenen Bulle«

Drei Kurien im Reichstag (RT)  : 1. Sieben Kurfürsten  : drei geistliche  : Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier  ; vier weltliche  : König von Böhmen, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog von Sachsen und Markgraf von Brandenburg (1648 Bayern, 1692 Hannover, 1803 Hessen-Kassel)  ; Privilegien u. a.: Wahl des Königs› des Kaisers, Unteilbarkeit der Länder. 2. Die Fürsten  : a) Geistliche Bank, Primas Germaniae  : Erzbischof von Salzburg  ; Vorsitz der geistli106 Vgl. o., zuletzt Jerzy Strzelczyk  : Ritterorden und Hanse, in  : Komlosy/Nolte, S. 49–60. 107 Michael North  : Ostseehandel, Drehscheibe der Weltwirtschaft in der Frühen Neuzeit, in  : Komlosy/ Nolte, S. 132–147. 108 Vgl. Ertl/Trausch. 109 Laudage  : Otto, S. 235. 110 Laudage  : Otto, S. 180–207, S. 244 ff.

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chen Bank  : Erzherzog von Österreich. Mitglieder z. B. Bistümer Lüttich, Regensburg, Gurk, Münster und Reichsabteien wie Essen oder Quedlinburg, Deutscher Orden (nur der katholische Teil). b) Weltliche Bank  : Vorsitz Herzog von Bayern  ; hier die reichsunmittelbaren Herzöge, Land- und Markgrafen etc. (etwa die Herzöge von Savoyen, die Grafen von Holland. Kleinere Grafen in Grafenvereinen  ; Standeserhöhungen (etwa Herzöge von Calenberg› Kurfürsten, Grafen von Arenberg› Herzöge, freie Herren zu Lippe› Fürsten). 3. Die Reichsstädte (Hamburg, Köln, Frankfurt bis zu Dinkelsbühl etc.). 4. Nicht im RT vertretene Glieder des Reiches  : a) Reichsritterschaften, b) Reichsbauernschaften (Schwyz, Unterwalden bis 1648  ; Dithmarschen bis 1581, Groningen, Westfriesland, Drenthe bis 1648) und c) Reichsvogteien. Landstände bestanden in den meisten Ländern des Reichs meist aus drei Ständen  : 1. Kirche, 2. Adel, 3. Städte. In einigen Landständen (Tirol, Limburg, Hadingen) waren über Kirchspiele oder Talschaften Bauern vertreten. Absolutismus gab es nicht auf der Ebene des Reichs, aber auf der Ebene einiger Länder. Staaten wie Preußen konnten Absolutismus auch deswegen durchsetzen, weil jedes Land zwischen Kleve und Preußen eigene Stände hatte, mit denen die Kurfürsten einzeln verhandeln konnten, es also keine Gesamtstände gab.111 Mit der Durchsetzung der Landesherrschaft veränderte sich das Imperium (in einem langen Prozess) zu einem Ständestaat,112 der damit das erste Imperium im Rahmen des Europäischen Systems bildete. Die Teilnahme an den politischen Entscheidungen war aber auch innerhalb der Gruppen von Hochadel und Patriziat vielfach gestuft. Die ursprüngliche Legitimation der Königsherrschaft der Merowinger war schamanistisch  : Der König selbst sorgte durch das Herumfahren im Lande für gute Ernten, Reste dieses Königsheils haben sich vor allem in Frankreich lange erhalten, z. B. in der Fähigkeit des Königs, bei Berührung Ausschlag zu heilen. Die Legitimation, welche die Kirche bot, war die des Vogts, des Fürsorgers für die Kirche. Da aber die Kirche einen

111 Zur Absolutismusdiskussion Walter Hubatsch (Hg.)  : Absolutismus D 1973 (WBG)  ; Ernst Hinrichs (Hg.)  : Absolutismus, F 1986 (Suhrkamp)  ; Ronald G. Asch, Heinz Duchhardt (Hg.)  : Der Absolutismus – ein Mythos  ?, Köln usw. 1996 (Böhlau)  ; Asch/Freist  ; Becker  : Staatlichkeit und oben zur konkurrierenden Imitation mit dem Osmanischen Reich. 112 Einführend Reinhard  : Staatsgewalt, S. 52–62.

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eigenen Zuständigkeitsbereich anstrebte, wurde die »Theorie der zwei Schwerter«113 entwickelt  : der Papst hat das geistliche, der Kaiser des weltliche. Das war sicher ein Schritt in Richtung einer Säkularisierung, auch im Vergleich zu der andauernden Sakralität des Amts des oströmischen Kaisers. Doch auch Kaiser Heinrich IV. hielt, so lange er konnte, an der sakralen Weihe des Kaisertums fest  ; so verkündete er nach der Eroberung Mantuas 1091  : »Wie der Apostel wahrlich sagt, der König trägt das Schwert nicht ohne Grund, sondern zur Bestrafung der Übeltäter und zu Lob und außerordentlicher Belohnung derer, die Gutes tun […].«114 Mit dem Konkordat erkannte sein Sohn Heinrich V. die Niederlage an, die »Zweischwertertheorie« blieb jedoch bestehen. Mit der Spaltung durch die Reformation trat die klerikale Legitimation zurück. In einem Buch über die Reichsverfassung – 1634 in Holland publiziert und dem Kurfürsten von Pfalz gewidmet, also aus dem calvinistischen Lager – wird die Translatio Imperii auf die gentes bezogen – Karl der Große wird, nach seinen Siegen über die »heidnischen« Sachsen, Sarazenen, Awaren und Hunnen, vom ganzen Volk durch Akklamation zum Imperator und Augustus gewählt und (ganz kann der Autor den Papst nicht auslassen) vom Pontifex gekrönt. Alle anderen Herrscher (Persien, Afrika, Konstantinopel) erkennen ihn an. Die Abfolge der Kaiser legitimiert den jetzigen – der Wahlmodus wird beschrieben.115 Aber nicht nur die »Goldene Bulle« wird publiziert, sondern auch die »constitutio de pace«, zu deren Einhaltung auch der Kaiser verpflichtet sei.116 Kriterienkatalog

1. Das Heilige Römische Reich war – wie schon das Römische – eine Wahlmonarchie. Traditionell wählte das Heer, de facto die mächtigen Familien, zu denen die Kirche hinzukam. Gewählt werden konnten nur Männer, die keinen offensichtlichen körperlichen Mangel hatten, also etwa nicht blind waren. Mehrfach gelang es regierenden Königen und Kaisern, zu ihren Lebzeiten einen Sohn zum Mitkönig wählen zu lassen, damit entstanden Dynastien. Abgesehen von den Habsburgern konnten aber nur wenige mehr als zwei, drei Generationen lang herrschen. Ein Kaiser hatte keine Hauptstadt, bis im 16. Jh. Wien zu einer solchen wurde – er wurde in Frankfurt gewählt und in Aachen gekrönt 113 Kleinschmidt  : Völkerrecht, S. 73–76. 114 Bernd Schütte  : Herrschaftslegitimierung im Wandel, in  : Erkens  : Sakralität, S. 165–180, Zitat S. 173. Vgl. zum Verhältnis Helmut Stubbe da Luz  : Säkularisierung und Sakralisierung, erscheint in  : Stubbe  : Säkularisierung. 115 Respublica sive status Imperii Romano-Germanici, 2 Bde., Leyden 1634 (Elsevier) Bd. 1, S.  5–8, S. 195 ff. 116 Ebda., Bd. 2, S. 518 f.

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und zog von da an von Pfalz zu Pfalz oder von Bischofssitz zu Bischofssitz durch sein Reich, notwendigerweise auch über die Alpen und durch die malariaverseuchte Poebene nach Rom. Kaiser war nur selten ein Amt, in dem man alt wurde. 2. Das Imperium beruhte von Anfang an auf der Zusammenarbeit von Thron und Altar. Die Säkularisation bedeutete auch das Ende des Reichs. 3. Die Kultur des Reiches war ein Teil der Kultur der damaligen Christenheit, in welcher aber die prägendsten Entwicklungen in der Regel in Westeuropa und oft in Frankreich entstanden. Vom Christentum selbst, über die großen Stoffe der mittelalterlichen Literatur, von der Scholastik bis zur Aufklärung, wurde viel ins Reich übernommen – kam die Gotik aus Frankreich, so die Renaissance aus Italien. »Wiedergeburt« war ein häufiges Konzept – von der Renovatio Imperii bis zur Rückkehr zum Christentum vor den Konzilen, zum »Urtext« der Bibel in der Reformation oder der »Revolution« der englischen Roundheads zu den Zeiten vor dem Absolutismus.117 Was man für die Antike, für das Urchristentum hielt, war freilich oft imaginiert. 4. Die Schwäche der Reichsbürokratie blieb bis zum Ende des Reiches ein Zeichen seiner unzureichenden Institutionalisierung, auch wenn in den letzten zwei Jahrhunderten mit Reichskammergericht und den Wiener Institutionen einiges geschaffen wurde. Dass das Imperium in seiner Blütezeit die Kirche als Bürokratie nutzte, zeigte diese Schwäche e contrario. Außerhalb der Kirche gab es lange kaum Bildungsmöglichkeiten  ; Universitäten entstanden erst im 13. Jh. 5. Der Adel war älter als das Reich  ; es gab niemals eine Phase, wo ein Kaiser e novo ohne ihn hätte entscheiden können.118 Es gab auch – wie in allen europäischen Gesellschaften (außer England)  – adliges Eigentum außerhalb des Systems der Alimentierung durch den König oder die Kirche. Als allgemeines System wurde der Feudalismus entwickelt  : Der Herr gab ein Lehen an den Mann, der dafür zu Treue verpflichtet war. Umgekehrt war der Herr verpflichtet, sich mit seinen Mannen vor einer wichtigen Entscheidung – einem Krieg, einer Steuer, einem Gesetz – zu beraten. Beratungen waren konkrete Vorgänge, nicht abstrakte  : Wer riet, wurde auch beim Wort genommen. Insofern war das Lehenssystem ein normales Klientelsystem wie in vielen Gesellschaften der Welt, der Unterschied zu den meisten anderen lag in der juristischen Festlegung, die wiederum durch die lateinische Rechtstradition und die Rezeption des Römischen Rechts im Spätmittelalter präfiguriert war. Diese Rechtstradition half dann auch bei der Sicherung der Rechte von Adel, Kirche und Städten gegen den Fürsten und der Entwicklung von einer eher inoffiziellen curia regis zum offiziellen Parlament. 117 Der erste Sinn von Revolution war ja »Revolvere«, zurückdrehen, vgl. Griewank  : Revolutionsbegriff. 118 Die allodialen Wurzeln auch der Territorienbildung betont Walter Schlesinger  : Die Entstehung der Landesherrschaft, Dresden 1941.

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In allen europäischen Gesellschaften organisierte sich der Adel sowohl in Korporationen als auch in Hierarchien. Allerdings waren die Bildungen in Osteuropa zumindest in der Theorie weniger differenziert – in Polen war jeder Schlachtiz ein »Bruder« des andern, obgleich die Macht- und Einkommensunterschiede zwischen einem Magnaten und einem »nackten« Adligen riesig waren – in Russland organisierten sich die Familien nach tradierten Hierarchien (Platzordnung). Im Reich entstanden vom König bis zum untitulierten Adligen sehr viele Hierarchien, die untereinander nur bei Strafe des Standesverlusts heiraten konnten (kein connubium besaßen). Zusätzlich entstanden regionale Korporationen wie etwa die »Grubenhagen’sche Ritterschaft«. 6. Den Kern des Heeres der ottonischen und salischen Zeit bildeten die gepanzerten Reiter, die Ritter. Etwa um 1100 war die Abspaltung eines Teils der Bauern als bewaffnete Truppe abgeschlossen, der spätere »niedere Adel«. Ein ritterliches Reitpferd kostete bis zum Gegenwert von 45 Kühen, ein Kettenhemd über 20 Ochsen. Um einen Ritter zu ernähren, brauchte es bewirtschaftetes Land von 150 Hektar. Zur Bewaffnung gehörten Steigbügel, lange Stoßlanze, Schild und Schwert. Man erklärte den Kampf Mann gegen Mann zum Teil des Ethos der »Ritterlichkeit«, jedoch begannen im 14. Jh. Fernwaffen dieses Ethos infrage zu stellen. In der Schlacht von Crécy 1346 besiegte ein englisches Heer das französische ritterliche Aufgebot durch die schnelle Schussfolge der Langbögen, denen die vom französischen König gemieteten genuesischen Bolzenschützen nicht Paroli bieten konnten – und das ritterliche, schwer gepanzerte französische Heer schon gar nicht.119 Damit begann der Übergang zu Söldnerheeren, die entweder ein Unternehmer oder ein Fürst besoldete. Im Heiligen Römischen Reich fällt diese Entwicklung in die Periode der Landesherrschaft, und nur die Landesherren waren in der Lage, Söldnerheere aufzustellen oder später »Landskinder« als »Kantonisten« zu den Landesarmeen einzuziehen. Die gemeinsame Verteidigung des Reiches beruhte auf Matrikeln, die für jeden Reichsstand die Stellung von Truppen vorschrieben bzw. den kleinen und »nicht armierten« Ständen Ersatzkosten auferlegten. De facto hatte vom 17. Jh. an das Militär der kleinen Mächte kaum noch Gewicht, sodass die Regelung von 1648, welche den Reichsständen außenpolitische Selbstständigkeit zubilligte, »außer gegen Kaiser und Reich«, die Realität des Aufstiegs der ehemaligen Landesherren gegen das HRR nur im Osten (Preußen, Sachsen, Österreich) präzis spiegelte. Aus katholischer Sicht blieb das zu bedauern  : Die »Kriegs-Macht« in »Teutschland« »ist höchst ansehnlich/ und wurde Zweiffels ohne allen auch denen mächtigsten Feinden gewachsen/ ja so gar weit überlegen seyn/ wann sich alle und jede Reichs-Glieder mit dem 119 Horst Fuhrmann  : Einladung ins Mittelalter, M ³1988, S. 51–61.

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Haupt vollkommen vereinigten/ so aber bey gegenwärtigem Unterschied der Religionen und der daher rührenden Trennung schwer zu hoffen.«120

7. Die meisten Zölle und Abgaben, v. a. aus den Gerichten, aber auch von Brücken, Wegen, dem Bergbau, der Nutzung des Waldes oder der Duldung der Juden, gingen mit dem Zusammenbruch des alten Reichs in die Hände der Landesherren über. Sie hießen auch dort noch »Regalien« – also Rechte des Königs – und konnten sehr lange Bestand haben, so hielten die Herzöge von Arenberg das Regal für den Kohleabbau in dem zeitweise ihnen gehörenden Gebiet im nördlichen Ruhrgebiet (Vest Recklinghausen) bis 1918. Es gab Reichssteuern, aber sie wurden in den Ländern eingezogen, sodass die Landesherren den ersten Zugriff hatten. An sich sollten die Abgaben nach den Matrikeln geleistet werden. Als Einnahme- und Machtquellen des Kaisers in der Periode des Ständestaats blieben bis ins 18. Jh. die italienischen Besitzungen.121 Daneben bildeten die geistlichen und anderen kleinen Territorien, die vom 16. Jh. an mehrfach in Gefahr waren, von protestantischen Nachbarn einverleibt zu werden, eine Gruppe, welche den Kaiser stützte. Das galt z. B. auch für die Reichsritterschaft. Weiters konnte der Kaiser Standeserhöhungen gewähren – vom Herzog zum Kurfürsten oder vom Beamten Schilgen des Fürstbistums Münster zum Beamten »von Schilgen«. Geld kostete beides in Wien, selbstverständlich nicht dieselbe Summe. 8. Das Heilige Römische Reich hatte großen Anteil an der »europäischen Banane«, jenem Streifen von Ländereien zwischen Flandern und der Toskana, in dem seit dem Mittelalter die meisten Fertiggüter produziert und die höchsten Einkommen erwirtschaftet wurden.122 Das Reich war also durch ein deutliches West-Ost-Gefälle gekennzeichnet, dem auch die politische Struktur des Stände-Reichs entsprach  : Vier der sieben Kurfürsten hatten ihre Besitzungen in diesem Streifen. Allerdings war eine politische Entwicklung in diesem Teil des Reiches schwierig, weil zu viele und zu kleine, aber gut etablierte Territorien die Aktionsspielräume einengten. Ehrgeizige Familien im Westen versuchten ihre Karrieren also außerhalb des Reichs – die Nassauer in den Niederlanden, die Welfen in England. Die Territorien im Osten des Imperiums  – Österreich und Brandenburg, Sachsen und Böhmen – stammten aus den relativ großen Marken der deutschen Ostexpansion. 120 Rudimenta Historica … pro Gymnasiis Societatis Jesu, Augsburg 1728, S. 31. 121 Reinhard  : Staatsgewalt, S. 60 f. 122 H.-H. Nolte  : The European System in the Middle Ages. Pleading for a set of indicators and nonlinear research, in  : Miroslav Hroch, Luda Klusakova (Hg.)  : Criteria and Indicators of Backwardness, Essays on Uneven Development in European History, Prag 1996, S. 29–46.

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Sie verfügten von Anfang an über mehr zusammenhängende Flächen und fanden bessere Chancen, Absolutismus durchzusetzen, moderne Armeen aufzubauen und ihre Herrschaft auszuweiten. Im 18. Jh. bekämpften sich Brandenburg/Preußen und Habsburg – und gleich, wer gewann, ihre Hauptstädte lagen im Osten. In der Frühen Neuzeit wurde die Politik Deutschlands also in der (inneren) Peripherie entschieden, während die wirtschaftliche und soziale Dynamik nach wie vor vom Westen ausging. Eine Hauptstadt, diese Eigentümlichkeit muss man sich immer wieder deutlich machen, hatte das Heilige Römische Reich nicht, bevor in der Frühen Neuzeit Wien zur De-facto-Hauptstadt wurde. Gewählt wurde der König in Frankfurt, gekrönt wurde er in Aachen, der »immerwährende« Reichstag traf sich in Regensburg und das Reichskammergericht tagte in Wetzlar. Im Umherziehen des Königs steckte etwas Archaisches  : der Wunsch, weiter von Angesicht regiert zu werden, den König zu sehen, ihn anzufassen. In der Vielfalt deutscher Hauptstädte – selbst der Städte mit Funktionen für das Reich  ! – steckte ein Stück deutschen Föderalismus. 9. Im Mittelalter waren die Grenzen des Imperiums im Westen durch Verträge gesichert und klar bezeichnet, oft entlang der Flussläufe wie Schelde, Maas oder Saône. Im Süden reichte das HRR bis an die Nordgrenze des Kirchenstaats – sieht man von dem zeitweisen Ausgreifen nach Sizilien ab – und bei aller Kritik an der »Konstantinischen Schenkung« war diese Grenze ziemlich stabil. Im Norden bildete die Eider für Jahrhunderte die Grenze zu Dänemark. Diese Grenze war nicht nur durch die Zusammengehörigkeit von Schleswig und Holstein besonders durchlässig, sondern auch dadurch, dass Dänemark für Holstein deutscher Reichsstand war. Im Osten hatte das Imperium Grenzmarken eingerichtet, die aber auch wieder verloren gingen (wie 983). Die Ostexpansion der Landesherren (einschließlich Böhmens) und des Deutschen Ordens seit dem 12. Jh. hat die Grenze bis ins 14. Jh. hinein verschoben, sodass Schlesien und Pommern zum Reich gehörten.123 Diese Grenze im Osten zwischen den beiden Ständestaaten Polen und dem Reich blieb bis zu den Polnischen Teilungen im 18. Jh. stabil. Im Süden gewannen italienische Stadtrepubliken und Herzogtümer in der Renaissance die Unabhängigkeit vom Reich, wobei der Anstieg der spanischen Macht in Italien im 16. Jh. lange dazu beitrug, dass einzelne Rechte unklar blieben. In Burgund begann die Ostexpansion Frankreichs schon im 14. Jh., Savoyen blieb aber bis zum Schluss beim Reich. Im Westen gelang es den Habsburgern im 16. Jh., einen bedeutenden Teil des burgundischen Erbes, v. a. Flandern, von Frankreich zu annektieren. Im 17. Jh. gelang es

123 Dralle  : Deutsche, S. 7–104  ; übrigens von Anfang an nicht ohne Zusammenhang zur deutschen Ostexpansion, vgl. Haumann  : Ostjuden, S. 19–21, H.-H. Nolte  : Zur Geschichte der Juden aus Deutschland in Polen, in  : Nolte  : Migrationen, S. 67–76, 228–130. Zur Ostexpansion s.o., S. 186 f.

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dann der Krone Frankreichs, bis zum Rhein vorzustoßen. Bis zu Napoleon kam es aber nie zu einem Zusammenbruch der Abwehr des Reichs. 10. Das Heilige Römische Reich bot in seiner Ständestaatsphase ein fast klassisches Beispiel eines schwachen Staats, der die wichtigste religiöse Frage der Zeit nicht entscheiden konnte und auch in der Münz- oder Wirtschaftsgesetzgebung oft erfolglos blieb. Eine starke Förderung der eigenen Wirtschaft – wie sie die Hanse z. B. gegen die holländische Konkurrenz forderte – wurde nicht geleistet. 11. Zu den Aufgaben des Königs gehörte es mit an erster Stelle, Recht zu sprechen und Frieden zu wahren.124 Die Wahrung des Rechtsfriedens zwischen den Klientelverbindungen bildete eine zentrale Aufgabe der politischen Macht. Ohne König schufen die Sippen den Frieden untereinander nach dem Grundsatz, dass wo kein Kläger, auch kein Richter sei – wer sich nicht über Verwandte und Schutz gewährende Gehör verschaffen konnte, durfte nicht auf ein Verfahren hoffen. Die Wahrung des Rechtsfriedens gehörte durch die anfallenden Bußgelder und Gebühren auch zu den wichtigen Einnahmequellen des Königs bzw. später als Teil der Regalien zu den Einnahmequellen der Stadt- und Landesherren. Die Mächtigen des Landes bis hinab zu Rittern und auch kleinen Städten konnten noch lange gegeneinander Fehde führen. Die Kirche förderte im 10. Jh. die Gottesfriedensbewegung, welche Waffengewalt gegen bestimmte Personengruppen wie Kleriker und Frauen oder an bestimmten Tagen der Woche zu unterbinden sucht, im 13. Jh. jedoch lief die Bewegung aus. Während die Bauern zunehmend entwaffnet wurden, hielt der Adel am Recht der Fehde gegen die Kirche und in der Frühen Neuzeit auch gegen den absolutistischen Staat fest, bis schließlich im 19. Jh. Corps und Landsmannschaften das Duell auch in bürgerlichen Kontexten etablierten. Auch die Wahrung des Friedens mit den Nachbarn, den Königreichen, gehörte zu den Aufgaben des Kaisers. 1518 schlossen Kaiser Karl V. und König Franz I. auf Vorschlag von Erasmus sogar einen allgemeinen Friedensvertrag zur Beendigung des Krieges schlechthin.125 Allerdings zeigte das wenig Wirkung  : Die Unterzeichner waren die zwei hauptsächlichen Kriegsführer der folgenden Jahrzehnte … 12. Der Kampf gegen die Heiden gehörte von den Merowingern an zu den wichtigen Legitimationen der Könige und Kaiser. Mit der Christianisierung Ungarns im 11. und der Litauens im 14. Jh. verschwanden diese Gegner, aber das Bedürfnis nach Exklusion war so prägend, dass nun Häretiker an die Stelle der Heiden traten oder Schismatiker zu Häretikern gemacht wurden. Zwar ermöglichte der Angriff des Osmanischen Imperiums noch einmal die »Heilige Allianz« gegen Muslime. Im 17. Jh. wurde jedoch der Krieg gegen die Häretiker fast zur Norm. Katholiken, Orthodoxe, Lutheraner, Calvi124 Vgl. die Interpretation des »Lothar-Kristalls« MacGregor, S. 407–412. 125 Kleinschmidt  : Völkerrecht, S. 150.

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nisten, Wiedertäufer – sie alle führten Krieg gegeneinander. Gemeinsam verfolgte man jedoch, nicht nur in der Ukraine, Juden und Roma, Atheisten und Anhänger kleiner Kirchen, die man »Sekten« nannte.

Indien unter den Moguln Timur Lenk

John Darwin hat Timur Lenk aus den Reihen der vielen Khane zwischen Saraj und Karakorum als Gründer der »Schießpulverreiche« hervorgehoben.126 Karen Armstrong stellt Timur an das Ende des Kapitels über die mongolische Welt und den Islam und vor das Kapitel »Islam Triumphant«127, in dem sie die Reiche der Safawiden128, der Moguln und der Osmanen als die Periode des »imperialen Islam« skizziert. Auch Gudrun Krämer ordnet Timur sozusagen als Vorläufer dieser drei Imperien ein.129 Mir scheint Darwin hier überzeugender  ; nicht nur, weil unsicher ist, ob Timur nicht doch ein Türke war, der sich um des Charismas Dschingis Khans willen als Mongole ausgab, sondern v. a., weil mit Timur eine neue Periode imperialer Politik begann. Er unterhielt sich mit Ibn Khaldun, der über den regelmäßig scheinenden und schnellen Wechsel der Herrschaft in den damaligen muslimischen Sultanaten schrieb. Und kaum hatte der Gelehrte das schnelle Auf und Ab der muslimischen Staaten mit dem nachlassenden Gemeinschaftsgeist der dritten Generation der Herrscher und dem Gegensatz Wüste/Oase erklärt, entstanden dauerhafte Reiche, die das Problem der Dekadenz plötzlich für viele Generationen lösten. Auch hier flog die Eule der Minerva in der Dämmerung. Zeitleiste 10

1336–1405 1526–1857 1526 1556–1605 1632–1653

Timur Lenk 1449 Ermordung Ulug Begs in Samarkand Reich der Großmoguln Sieg Baburs über das Sultanat Delhi bei Panipat Akbar  : Toleranz, Kopfsteuer für Hindus abgeschafft, Ain Akbari Shah Jahan, Bau des Taj Mahal

126 Darwin  : Tamerlan  ; schon Tilman Nagel hatte auf ihn besonders hingewiesen  : Tilman Nagel  : Timur der Eroberer und die muslimische Welt des späten Mittelalters, München 1993 (Beck). 127 Armstrong  : Islam, S. 89, S. 97–117. 128 Das von Turkmenen gegründete neue persische Reich der Safawiden machte die Schia zur Staatskonfession, vgl. Halm  : Schiiten, S. 71–77  ; Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 268 f. 129 Krämer  : Islam, S. 195–244, zu Timur S. 176–180.

ImperienIndien als Wiederherstellungen unter den Moguln  | 

1659–1707 1627ff. 1600 1757 1835 1857

Aurangzeb, Südexpansion, proislamische Politik Marathen-Konföderation, 1761 Niederlage gegen Afghanen bei Panipat East India Company, danach Holländer, Dänen, Franzosen (Faktoreien) Bengalen britisch, 1763 Franzosen ausgeschaltet Englisch statt Persisch Verwaltungssprache, 1853 Eisenbahn, Telegraf Indischer Aufstand, Absetzung des Großmoguls

Timur (1336–1405) war der bedeutendste der Il’khane, der Herrscher der südlichen mongolischen Horde, die am Ende des 13. Jh. zum Islam übergetreten waren. Bei diesem Übertritt blieben aber »wesentliche Bereiche ihres Denkens einer anderen Überlieferung verpflichtet«, nämlich dem Konzept des Charismas der Dschingissiden.130 Die unterworfenen Muslime hatten die Frage nach der Legitimität von Herrschaft, soweit es das Kalifat war, v. a. im 11. Jh. angesichts von Fürsten aus Turkstämmen diskutiert und die Rechtmäßigkeit von »Potentaten aufgrund faktischer Machtergreifung« anerkannt.131 Es gelang Timur, in verwinkelten und an Verrat reichen Kriegen, sich in Turkestan durchzusetzen, 1370 erkannten ihn die Emire als Sultan an. Er führte erfolgreiche Feldzüge gegen die Goldene Horde (1391), gegen das Delhi-Sultanat (er eroberte Delhi 1389, legte aber keine dauerhafte Besatzung in die Stadt) und gegen das Osmanische Imperium (Sieg bei Ankara 1402). Das Reich, das er auf Dauer hielt und organisierte, das Il’khanat, reichte vom heutigen Turkestan über Persien bis Mesopotamien. Timur Lenk ist berüchtigt dafür, dass er den staatlichen Terror gegen Unterlegene mit Schädelpyramiden demonstrierte, aber auch für die Bauten von Moscheen und Grabmalen in seiner Hauptstadt Samarkand. 1401 traf sich der mongolische Feldherr bei der Belagerung von Damaskus mit dem damals schon berühmten tunesischen Gelehrten Ibn Khaldun, der in Kairo zum Oberrichter der malikitischen Rechtsschule ernannt worden war und den jungen tscherkessischen Mameluckensultan auf dessen Entsatzfeldzug nach Syrien begleitet hatte.132 Da der Herrscher über Ägypten wegen eines Putschgerüchtes umkehrte, war Ibn Khaldun daran beteiligt, den Frieden der Stadt Damaskus mit dem Mongolen auszuhandeln, und traf diesen 35 Mal. Sie sprachen über alle großen Themen der Zeit. Viele verstanden Timurs Herrschaft als Zeitenwende, und der Gelehrte schmeichelte dem Fürsten mit astrologischen Berechnungen, die auf das Erscheinen eines großen Herrschers deuteten. Timur schenkte dem Gelehrten ein graues Maultier, wie es in Kairo nur ein Richter 130 Nagel, a.a.O., S. 73. 131 Gerhard Hoffmann  : Regionalisierung, Kontakte, Konflikte  : Die islamische Welt, in  : Feldbauer/Hausberger Bd. 1, S. 137–172, Zitat S. 142. 132 Alma Giese  : Einführung, in  : Khaldun Muqadimma, S. 15–61, hier S. 36–42.

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reiten durfte. Bei allen astrologischen Rechenkünsten des Gelehrten blieb allerdings bestehen, dass Timur nicht »der Fatimide« sein konnte, der am Ende der Zeiten erwartet wurde, weil er kein Nachfahre Mohammeds war.133 Darwin nennt die imperiale Staatsform, die Timur Lenk entwickelte, das »Modell Timur«. Die neue Staatsform führte zu dem langen Gleichgewicht zwischen den globalen Großmächten im Raum zwischen Frankreich und China, das vom 15. bis zum Ende des 18. und sogar bis ins 19. Jh. andauerte und immer noch eine Wurzel der Gegenwart ist. Die Grenzen der Großreiche China, Indien, und Persien sind in dieser Periode entstanden. Für einen mitteleuropäischen Historiker ist an Darwins Text verblüffend, dass er die imperiale Tradition sowohl Westasiens als auch Europas nicht auf Rom zurückführt (nach dem ein Teil der Seldschuken sich nannte und das die Osmanen beerbten), sondern auf die Dschingissiden und insbesondere eben Timur Lenk. Diese nicht nur innermuslimische, sondern globale Bedeutung begründet Darwin, indem er die Traditionslinie der »Gunpowder Empires« auf ihn zurückführt  :134 Voraussetzung für die neuen Reiche war die Entwicklung kleiner Kanonen, die in der Feldschlacht eingesetzt werden konnten, wenn man den Feind so lange aufhielt, bis die Kanonen nachgeladen werden konnten. Der militärische Kern der neuen Armeen wurde aus Infanterie, Artillerie und schwerer Kavallerie gebildet. Diese Form des Militärs erforderte einen geregelten Nachschub und also einen Staat mit hoher Verwaltungskapazität und regelmäßiger Finanzierung, die aus den Abgaben der sesshaften Bevölkerung kommen musste. Diese neue Form der Kriegführung war auch eine tschechische Erfindung und wurde jedenfalls für die Hussitenkriege in Mitteleuropa entscheidend. Ob sie aus Asien nach Böhmen kam oder ob sie dort zum zweiten Mal erfunden wurde, ist nicht deutlich, aber während die Hussiten mit politischen Mitteln (Teilung) besiegt wurden, wurde in Asien eine neue imperiale Periode begründet.135 Das asiatische Modell hat in der Frühen Neuzeit in ganz Eurasien Karriere gemacht  ; in Mittel- und Westeuropa vor allem wegen der militärischen Erfolge des Osmanischen Reichs.136 Die »europäischen Revolutionen«, so Darwin weiter, zerstörten zwischen 1750 und 1830 das Gleichgewicht zwischen europäischen und asiatischen Mächten. Darwin bestimmt diese Revolutionen in den Feldern Geopolitik, Kultur und Wirtschaft – geopolitisch wurden sie in den Siegen Großbritanniens in Nordamerika und Indien deutlich, ökonomisch in der neuen globalen Arbeitsteilung. Die Welt, so Darwin weiter, wurde 133 Khaldhun Muqadimma, S. 292–295. 134 Einführend Dietmar Rothermund  : Das ›Schießpulverreich‹ der Großmoguln und die europäischen Großmächte, in  : Edelmayer/Feldbauer, S. 249–260. Andrade  : Gunpowder sieht dagegen Ming-China als erstes »Schießpulverreich«. 135 Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 184 f. 136 Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 141  ; s.o., S. 141–145, 158.

ImperienIndien als Wiederherstellungen unter den Moguln  | 

von nun an durch europäisches Kapital verändert und kulturell wurden Erfahrung und Vernunft als Richtlinien sehr großer Teile der Eliten durchgesetzt. Gelehrte Debatten gab es auch in muslimischen Ländern und in China, aber der entscheidende Unterschied lag nach Darwin in der auf individualistischer Psychologie und Philosophie beruhenden »Toleranz aus Skeptizismus«. Für einen in England bis Cromwell gar nicht geduldeten und aus Spanien ins Osmanische Reich vertriebenen Juden dürfte das ziemlich eurozentrisch klingen. Aber zurück zu den Nachfahren Timurs. Sie beherrschten von der Hauptstadt Samarkand aus für ein knappes Jahrhundert den Raum zwischen Sibirien und dem Persischen Golf. Sultan Ulug Beg ließ ein bedeutendes Observatorium bauen und förderte die empirischen Wissenschaften, wurde aber 1449 von einem Sohn gestürzt und ermordet. Die Timuriden verloren die Herrschaft wohl nicht infolge von Dekadenz, sie konnten jedoch die Nachfolgefrage nicht lösen. Außerdem nahm der Druck der Usbeken zu. 1511 wich der Timuride Babur aus Turkestan nach Süden aus. Das Mogulreich in Indien

Der indische »Subkontinent« hat etwa die Größe Westeuropas, liegt aber zwischen dem 8. und dem 36. Breitengrad, also im subtropischen und meist ariden Gürtel. In Indien ist dieser Wüstengürtel unterbrochen, weil im Norden am Himalaya viel Niederschlag anfällt, der in einer Vielzahl von Strömen und Flüssen die Ebenen wässert, und weil im Süden die Monsune Regen bringen.137 Indien138 gehört deshalb zu den ältesten Kulturräumen der Menschheit,139 und der Indische Ozean seit Tausenden von Jahren zu den wichtigsten Verkehrsgebieten. Er bietet Verbindungen von Afrika bis Südostasien mit Indien als Zentrum und vom heutigen Indonesien mit den Durchfahrten nach China und Japan, bis Westasien mit den Überlandanschlüssen an das Mittelmeer und Europa.140 Mit der Einwanderung der Arier um 1500 v. u. Z. wurde Indien sprachlich zwischen den drawidische Sprachen nutzenden Trägern der alten Hochkultur des Industales, die den Süden behaupteten, und den indoeuropäische Sprachen redenden Eroberern des Nordens sowie Ceylons geteilt.141 In der Drawida und Arier umfassen137 Hilfsmittel  : W. Hilgemann, G. Kettermann  : dtv-Perthes-Weltatlas Bd. 2, D 1973  ; S. S. Shahi (Hg.)  : Encyclopedia Indica, Vol. 1–150, New Delhi 1996–2003. 138 Kulke/Rothermund  ; Johnson  : India  ; Dharampal-Frick  : Indien. Wirtschaftsgeschichte T. Rayaughuri, Irfan Habib (Hg.)  : The Cambridge Economic History of India, Vols.  1–2, Cambridge 1982  ; Überblick  : Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 71–89. 139 Vgl. McNeill/McNeill, S. 41–81. 140 Rothermund/Weigelin-Schwierzik. 141 Zu den indoeuropäischen Sprachen Haarmann  : Sprachen, S.  152–240  ; Karte der aktuellen Verbrei-

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den Religion des Hinduismus wurden jedoch nicht nur einige der ältesten religiösen Texte tradiert, sondern auch die heilige Sprache Sanskrit. Außerdem legitimierten die heiligen Schriften ein ursprünglich an der Farbe der Menschen orientiertes sozialreligiöses Differenzierungssystem  ; die Portugiesen übersetzten später den indischen Begriff »varna« mit »Kaste«. Unterhalb der vier Kasten gibt es noch die Schicht der »Unberührbaren«. Außerdem ist das System mit vielfältigen Tabus gesichert und im Lauf der Jahrhunderte weiter differenziert worden. Im Rahmen der Hindukultur entstanden mehrere Imperien wie um das Jahr 1000 das der Chola im Süden, das durch seine großen Tempelanlagen berühmt ist.142 Ab dem 8. Jh. drangen arabische Muslime entlang des Industales von den Küsten her nach Indien ein und ab etwa 1000 n. u. Z. kamen muslimische Turkstämme über den Kaiberpass hinzu.143 Die aus Turkestan vorstoßenden Stämme errangen Siege gegen die Hindus, da sie mit einer steten Versorgung von Pferden eine überlegene Kavallerie aufbauten und außerdem gegen die hinduistischen Einzelkämpfer Kriegssklaven in Kampfgruppen einsetzten. 1206 wurde das Sultanat Delhi gegründet, das eroberte Land eingezogen sowie einer zentralen Besteuerung unterworfen. Der Islam fand nicht zuletzt in den Unterschichten Indiens Anhänger. Die Duldung der Hindus war möglich, weil die muslimischen Gelehrten den Hinduismus als eine Religion des Buches einstuften  ; als Ungläubige mussten sie eine Sondersteuer zahlen. Ibn Battuta schrieb von seiner guten Aufnahme in Delhi und seiner Anstellung als Kadi, Auseinandersetzungen um Tempel bzw. Moscheen zwischen Muslimen, Hindus und Buddhisten sowie einer Reise nach China auf chinesischen Schiffen.144 Das indische Sultanat hatte eine Niederlage gegen Timur Lenk 1398 überwunden, als aber die Nachfahren Timurs von Afghanistan aus das Sultanat mit einer modernen Armee angriffen, siegte diese 1526 bei Panipat südlich von Delhi  : Leichte Feldartillerie auf verschanzten und durch Schutzwehren verbundenen Karren hielt auch die Elefanten des Gegners auf, während Baburs Kavallerie die Truppen des Sultans umfasste und vernichtete.145 1556 bestätigte sein Sohn in einer zweiten Schlacht bei Panipat die Überlegenheit des mongolischen Heeres. Der Enkel Baburs, Schah Akbar, weitete die Herrschaft bis Bengalen aus und organisierte den Staat.146 tung (auch der Sprecher anderer Sprachfamilien) Ostler  : Language History, S. 177. Vgl. über Indien hinaus Hans Harder  : Die südasiatischen Neusprachen, in  : ZWG 17.1 (2016), S. 33–48. 142 Dietmar Rothermund, Tilman Frasch  : Im Glanz des Hochmittelalters, in  : Feldbauer/Hausberger Bd. 1, S. 90–111. 143 Karten  : Kettermann  : Islam-Atlas, S. 85–92. 144 Battuta  : Travels, S. 149–255. 145 Stig Förster  : Panipat, in  : Förster/Pöhlmann, S. 123–137. 146 Übersicht von dieser Periode an, mit umfangreicher gegliederter Bibliografie  : Lütt  : Indien. Mit vielen

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Die wichtigsten Einnahmen des Imperiums147 kamen aus der Landsteuer, der Kopfsteuer auf Nichtmuslime sowie aus Zöllen aller Art. Die Moguln erklärten alles Land aufgrund des Eroberungsrechtes zu ihrem Eigentum. Das Modell der daraus folgenden Herrschaft war, dass die Bauern dafür Steuern zahlen mussten, welche sehr sorgsam entsprechend der Fruchtbarkeit des Bodens festgelegt wurden. Die Dörfer waren groß und in sich nach dem Kastensystem gegliedert, womit auch viele Handwerke vertreten waren. Die Dörfer waren oft befestigt, und wo Wasserarbeiten nötig waren (Deiche, Kanäle), organisierten sie diese. Neuere Forschung hat u. a. ergeben, dass die Steuereintreiber (zamindari) häufiger ihre Position an die Erben weitergaben. Die Händlerkaste verkaufte Agrarprodukte in die Stadt und die Bauern zahlten den Steuereintreibern des Moguls Geld, das meist in der Stadt verdient worden war  ; die Dörfer bezogen aber wenig städtische Waren. Neben den sesshaften Bauern gab es in dieser Periode noch viele nomadische Stämme auch in den Ebenen, die in – meist offen patrimonialen – Strukturen organisiert waren. Der Mogul unterhielt aus den Steuern den Hofstaat, einschließlich Harem, Dichtern und Gelehrten, sowie die kaiserlichen Kontingente der Armee. An einen muslimischen Befehlshaber (Mansabdar) wurde das Einzugsrecht für die Steuern einer bestimmten Region (Jagir) als Pfründe und auf Zeit vergeben  ; sie mussten daraus eine festgelegte Zahl von Soldaten unterhalten. Das Modell der Hierarchie innerhalb des Militärs war wie seit Dschingis Khans Zeiten ein Dezimalsystem von 10 bis 1000  ; in der Realität wurden die Titel inflationiert. Der muslimische Adel hatte also, zumindest im Zentrum des Reichs, keinen Großgrundbesitz  ; es zogen auch häufig neue Familien aus Turkestan oder Persien nach Delhi, um in den Dienst des Moguls zu treten. Dieser Adel konsumierte also in den Städten.148 Hinduistische Fürsten, die sich dem Mogul unterwarfen, besaßen ihr Land meist erblich, und wo – besonders in Randprovinzen – dieselben Steuerbezirke mehrfach nacheinander denselben Familien zugewiesen wurden, entwickelte sich weiterer erblicher Besitz. Das System  :

thematischen Zugängen (Umweltgeschichte, Philosophie, Geschlechtergeschichte) Preisendanz/Rothermund. 147 John F. Richards  : The Mughal Empire = The New Cambridge History of India 1.5, Cambridge 1995 (Cambridge UP)  ; Einführend Stephan Conermann  : Das Mogul-Reich, München 2006 (Beck)  ; Michael Mann  : Das Imperium der Moguln, in  : Feldbauer  : Globalgeschichte 4, S. 217–246  ; Stephan Conermann  : South Asia and the Indian Ocean, in  : Reinhard  : Empires, S. 389–552, hier S. 408–473. 148 I. Hasan  : The Central Structure of the Mughal Empire, Neuausgabe Lahore 1967  ; I. H. Qureshi  : The Administration of the Mughal Empire, Calcutta 1979.

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|  Imperien als Wiederherstellungen Tabelle 3 Mogul

Mansabdare

Hindufürsten

Haushalt

Harem, Gestüt, Artillerie, Manufaktur, Schloss, Mausoleum

Besitz in der Hauptstadt

ähnlich, kleiner

Einnahmen

Landsteuer, Zölle, Ungläubigensteuer Güter

Steuerpfründe Haus, Gut

Güter, jeweilige Tradition der Abgaben

Regierung

Diwan

Armee

Artillerie, Mogultruppen

Weitere ­Aufgaben

Gerichtsaufsicht (Kalifat), Sicherheit, Bildungsförderung, Stiftungen für Medresen etc.

Hindu-Tradition feste Zahl Reiterei

Hindu-Tradition Hindu-Tradition

Der Groß-Mogul Akbar (1556–1605) hat eine effektive Zentralverwaltung aufgebaut, die Verwaltungssprache war Persisch. Es gab Übersetzungen aus dem Persischen ins Sanskrit und umgekehrt.149 Akbar hat für das Imperium (oder doch seinen Kern) ein gleichmäßiges Rangsystem eingeführt. Die Steuern wurden aufgrund einer über zehn Jahre geführten Berechnung des Durchschnitts der Erträge berechnet, außerdem die Rupie normiert (auf 11,5 Gramm Silber).150 Weiters hat er versucht, die religiösen Differenzen zwischen Hinduismus und Islam zu mildern. Er verzichtete auf die Ungläubigensteuer und lud zu Konferenzen aller Religionen ein. Der Mogul sah im Innersten aller Religionen denselben Gott.151 Unter seinem Enkel Schah Jahan war der Hof in Agra ein Zentrum höfischer Kultur, wovon das Mausoleum für seine Frau, der Taj Mahal, bis heute zeugt. Brahmanische und muslimische Wissenschaftler lebten am Hof  ; ein Brahmane lobte ihn  : »Er kennt Koran und Puranas […], er kennt die Geheimnisse der Veden.«152 Der Sohn Schah Jahans, Daraj Shukosh, wurde zu einem Vertreter der multikulturellen Bildungsschicht zwischen Benares und Agra.

149 Harder, a.a.O. 150 Klassisch W. H. Moreland  : India at the death of Akbar. An Economic Study, Delhi 1962 (Atma Ram). 151 A. Hottinger  : Akbar der Große, Zürich 1998, Stephan Conermann  : Akbar, in  : Hiery  : Übersee. Anschaulich, auch mit Beirägen zur Geschlechtergeschichte, Nahrungsgeschichte u. a. Thomas Ertl (Hg.)  : Akbar und die Großmoguln = Historische Sozialkunde 2013.3. Vgl. zur Toleranz auch MacGregor  : Objekte, S. 611–616 »Miniatur eines Mogulprinzen«. 152 Michael Bergunder  : Persische Gelehrsamkeit und brahminische Sanskrit-Tradition im Mogulreich, in  : ZWG 17.1 (2016), S. 49–69, Zitat S. 61.

ImperienIndien als Wiederherstellungen unter den Moguln  | 

Kabul

Karte 6: Mogulreich unter Akbar

PE

RS

IE

N

CHINA [TIBET] Panipat

Eroberungen unter Aurangzeb 1658 - 1707

Delhi Fatehpur-Sikri

Agra

BIRMA

Faktoreien europäischer Handelsgesellschaften Hauptstädte der Moguln (nacheinander)

Pune

500 km

CEYLON 1644 ndl.

© Entwurf: Hans-Heinrich Nolte Kartographie: Florian Partl

Allerdings konnte Schah Jahan den Krieg zwischen seinen Söhnen um die Nachfolge nicht verhindern, und der Sieger Aurangzeb setzte ihn gefangen. Seinen Bruder Daraj ließ er der Häresie anklagen und hinrichten. Aurangzeb führte 1679 die Ungläubigensteuer wieder ein und verbot den Neubau von Hindutempeln. Die islamistische Politik wurde von Feldzügen begleitet, in denen der hinduistische Süden Indiens fast vollständig erobert wurde  – allerdings auf Kosten einer Finanzkatastrophe des Imperiums.153 Und der Übergang von »dschingissidischer«, aber auch klassisch muslimischer Toleranz gegen andere Religionen zu Ansätzen zur Konfessionsbildung im Mogulreich trug zu dessen Machtverlust bei, indem man hinduistische Gegner aufbaute. Der muslimische Fundamentalismus und die Expansion förderten eine Föderation von meist (aber nicht ausschließlich) hinduistischen Fürsten, der Marathen. Dies bildete kein neues Imperium, sondern ein Bündnis, das der heterogenen Struktur Indiens gut entsprach. Mit dem Zentrum in Pune und unter der Führung eines Peschwa gelang es den Marathen, große Teile Mittelindiens zurückzuerobern und in Gegenfeldzügen bis in das Gebiet um Delhi vorzustoßen. Dort trafen sie allerdings auf einen neuen muslimischen Einfall aus dem Norden – diesmal von Afghanen. 1761 wurde eine weitere Schlacht bei Panipat geschlagen  – weit über 200.000 Mann standen einander gegen153 Stephan Conermann  : Moguln, in  : Hiery  : Übersee.

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über, mit 200 Kanonen auf marathischer und 70 auf afghanischer Seite. Die Schlacht schwächte beide Kontrahenten derart, dass sie sich zurückzogen und der Mogulstaat weiterbestehen konnte. Über das Ende des Mogulreichs existiert ähnlich umfangreiche Literatur wie über jenes des römischen Imperiums. Das klassische Konzept war, dass das Imperium an der Überdehnung und der Förderung der muslimisch-hinduistischen Frontbildung unter Aurangzeb gescheitert sei. John Richards setzt den Point of no Return auf 1720 an – der Mogul war nun weder in der Lage, die Marathen einzubinden oder zu besiegen, noch, das zerrüttete Verhältnis zu den Radschputen wiederherzustellen.154 Diese Interpretation wurde aber relativiert – etwa mit dem Hinweis, dass sich das Imperium nach einer Vermehrung von Bürokratie und Armee nicht angemessen finanzieren konnte, auf das indische Bankensystem angewiesen war und dort auf einen neuen Konkurrenten um das Leihkapital der indischen Banken traf, nämlich die Englische Ostindische Kompanie. Es bleibt aber auch ein wichtiges Argument, dass die Aufteilung des Imperiums in Provinzen von der Größe Bengalens – das ja immer noch mehr Einwohner hatte als ein europäischer Durchschnittsstaat – auch als angemessene Entwicklung und nicht als Niedergang gesehen werden kann.155 Allerdings wurde in einem übertragenen Sinn die Englische Ostindien Kompanie zum Erben der Moguln  – 1765 erhielt sie die Verwaltung der Provinz Bengalen und dann die der Provinz Madras. Der letzte Mogul, eine Art Scheinkaiser, wurde aber erst 1857 nach dem indischen Aufstand von den siegreichen Briten abgesetzt. Arbeitsansätze

Quellen und Historiografie Das Mogulreich war bürokratisch und es gibt eine große Zahl von archivalischen Quellen in öffentlichen und privaten Archiven. Ibn Hasan nennt Chroniken, zeitgenössische persische Bücher und Manuskripte, Briefsammlungen, Biografien und Reiseberichte.156 Athar Ali benutzte zur Periode Aurangzebs Verwaltungsschriften, offizielle Verzeichnisse, Hofberichte Dokumente, Briefe etc.157 Die Quellen der Periode sind überwiegend in persischer Sprache. Selbstverständlich kommen die Akten der Handelsgesellschaften hinzu, aber auch die Archive der Fürsten, etwa der Radschputen und der Marathen. Quellen zu dieser Periode indischer Geschichte sind auch religiöse arabische Schriften. 154 155 156 157

Richards  : Indien, S. 293. Andrea Hintze  : The Mughal Empire and Its Decline, Aldershot 1997 (Ashgate). Hasan  : Central Structure, a.a.O., S. 7–28. Athar Ali  : The Mughal Nobility under Aurangzeb, London 1966 (Asia Publishing House), S. 4 f.

ImperienIndien als Wiederherstellungen unter den Moguln  | 

Manche Staatsschriften wie das Ain Akbari158 sind übersetzt, und viele Berichte von Reisenden liegen auch in deutscher Originalsprache159 oder in Übersetzungen ins Deutsche vor.160 Ibn Battuta, dessen Bericht aus dem Arabischen ins Englische übersetzt wurde,161 hat vermutlich auch Teile aus anderen Berichten übernommen, was seine Autorschaft manchmal fraglich, aber die Informationen nicht automatisch unbrauchbar macht. Man darf vermuten, dass viele Reiseberichte aus der nicht europäischen Welt noch unpubliziert sind, und hoffen, dass sie später ausgewertet werden. Auch Architektur und Bilder bieten spannende, ergiebige Quellen, gerade zur Mogul-Periode, etwa die Kanonen und Feldschlangen auf Bildern der Belagerung einer Radschputenfestung aus dem 16. Jh.,162 oder die Miniatur vom Herabstürzen Adham Khans von einer Mauer des Palastes in Agra auf Befehl Akbars 1561.163 Die historische Überlieferung der nicht islamischen Kulturen hat Georg Berkemer als »Endo-Historie« gekennzeichnet – Geschichte von einzelnen Gruppen wie Familien, Städten, Asketen, Kriegern etc.164 Die höfische Geschichtsschreibung der Sultane oder Moguln kann also ergänzt und gegebenenfalls korrigiert werden. Die westeuropäische Geschichtsschreibung über das Ende indischer Selbstständigkeit und den Beginn der britischen Herrschaft oszillierte lange zwischen der Vorstellung, dass die Englische Ostindische Gesellschaft christliche Kultur gegen asiatische Tyrannei oder zumindest den Kapitalismus gegen den (indischen) Feudalismus durchgesetzt habe,165 und dem kapitalismus-kritischen Gegenkonzept, dass die bei Beginn der Territorialherrschaft der East India Company (EIC) in Bengalen erbeuteten Reichtümer entscheidend zur Industriellen Revolution in England beigetragen hätten.166 Meines Erachtens sollte man mehr über die Frage diskutieren, ob es nicht ohne die britische Übermacht und trotz der erneuten Einfälle aus dem persischen bzw. afghanischen Westen eine Chance gab, dass Indien sich zu einem System von Staaten entwickelt hätte, das vielleicht dem europäischen System hätte Paroli bieten können.

158 Abu I-Fazl Allami  : The Ain-i Akbari, aus dem Persischen ins Englische übers. H. Blochmann (Kalkutta 1878), hg. v. D. C. Phillot, Bd. 1–2, ³New Delhi 1977 (Reprint). 159 Z.  B. Johann Albrecht von Mandelslo  : Morgenländische Reisebeschreibung, hg.  v. Adam Olearius, Hamburg 1696. 160 Übersicht zu Reisenden und Forschern des 18. und 19. Jahrhunderts bei Osterhammel  : Entzauberung. Vgl. etwa J. B. Tavernier  : Reise zu den Reichtümern Indiens, ü. Nürnberg 1681, Neuauflage S 1984. 161 Battuta  : Travels. 162 Mario Bussagli (Hg.)  : Indian Miniatures, (1966) New Delhi usw. 1976 (Macmillan of India) Nr. 21 f. 163 Ebda., Nr. 25  ; das Bild ist auf das 16./17. Jahrhundert datiert. 164 Georg Berkemer  : Historische Überlieferung, Südasien, in  : EdN 5. 165 Klassisch hierzu Karl Marx 1853, vgl. Marx Studienausgabe IV, Nrn. 4–6. 166 Klassisch Dutt, a.a.O.

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Soziale Einheiten und Ökonomie Der Subkontinent Indien bietet, vom Norden nach Süden beschreibend, im Hochgebirge des Himalaja, den weiten Ebenen zu seinen Füßen, dem alten Dekkangebirge mit schmalen Flusstälern sowie langen Küsten mit Sanddünen im Westen, hinter steil abfallenden Gebirgszügen und in riesigen Mündungsdeltas von Indus, Ganges und Brahmaputra eine Vielfalt geografischer Voraussetzungen für Wirtschaft. Wo genug Regen fällt, sind die Schwemmländer an den Füssen des Himalajas von großer natürlicher Fruchtbarkeit, aber bei Trockenheit herrscht Steppe oder sogar Wüste  ; nomadische und bäuerliche Nutzung werden beide nahegelegt. In vielen Gebieten gibt es Wald und Menschen, die vom Sammeln und Jagen leben. Das hinduistische Indien ist durch das Kastensystem strukturiert, das die Tätigkeiten und Spezialisierungen der Menschen als religiöse Zuweisung durch Geburt bestimmt  : – Geistliche und Gelehrte – Brahmanen – Krieger und Herrscher – Kschatria – Kaufleute und Landbesitzer – Waischias – Bauern, Unterschichten – Schudras – Ohne Kaste  : Unberührbare – Parias Der Islam bietet zu dieser Zuweisung von sozialen Rollen und Geschlechterarbeit eine Alternative, die besonders in den Unterschichten begrüßt wurde. Die Wirtschaft des Mogulreichs war an erster Stelle Landwirtschaft, aber Verstädterung und Gewerbe nahmen schnell zu.167 Nach Maddisons Berechnungen hatte Indien – also die Weltregion zwischen Bengalen sowie der Tharr-Wüste und nicht nur das Mogulreich – um 1700 185 Millionen Einwohner, also mehr als doppelt so viele wie »Westeuropa« – in dem die Unterschiede zwischen Spanien und den Niederlanden z. B. wohl nicht ganz so tiefgreifend waren – mit 81,5 Millionen. Das Bruttonationalprodukt (BNP) pro Kopf betrug 550 bzw. 997 Verrechnungsdollar, im Vergleich des BNP pro Weltregion lag Indien mit 90,7 Milliarden Dollar noch vor Westeuropa mit 81,2 Milliarden Dollar.168 Auffällig ist, dass die Moguln und die Städte einen sehr hohen Prozentsatz des BNP für eigene Zwecke beanspruchen konnten. Maddison erklärt das damit, dass die Dörfer als Kommunen unter eigener, weithin erblich geführter Selbstverwaltung standen und einen sehr hohen Anteil ihrer Produktion abgeben mussten, aber eben auch (politisch gesehen) konnten, weil die Kontrolle durch das Kastensystem eine hohe interne Aus-

167 S. Mosvi  : The Economy of the Mughal Empire, Delhi 1987. 168 Maddison  : Contours, S. 117.

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beutungsrate ermöglichte.169 Das ist eine sehr theoretische Begründung, die vielleicht nur widerspiegelt, dass bisher wenig regionale und lokale Archive für die Gesamtrechnung ausgewertet wurden. Das Interesse aller Dörfer (wenn nicht aller Steuerzahler) ist, wenig Einkommen nach oben auszuweisen, sodass angesichts der Autonomie der Dörfer vermutet werden darf, dass der Anteil der Landbevölkerung am BNP höher war und die dörflichen Eliten mehr Mittel hatten, weil sie mehr Einkommen vor der Erfassung verbergen konnten. Tabelle 4  : Die Verteilung des BNP innerhalb des Mogulreichs berechnet Maddison % der ­Arbeitskraft

 18

% des BNP nach Steuern

Nichtdörfliche Wirtschaft insgesamt

 52

  1

Mogulhof, Adel, Hindufürsten

 15

 17

Kaufleute, Banker, Gelehrte, Handwerker, kleine Bürokratie, Dienstboten (oft Kastenlose)

 37

 72

Dörfliche Wirtschaft  : Brahmanen, Bauern, dörfliches Handwerk, Landarbeiter, Kastenlose

 45

 10

Stämme

100

  3 100

Trotzdem machte die politische Struktur der Steuerzahlung Indien zu einer idealen Beute. Von den Steppen Zentralasiens aus sah man nicht nur ein grünes Land, sondern auch ein Land, in dem man leicht an das Produkt der Bauern kommen konnte, weil die Dörfer die Steuereinziehung übernahmen. Nicht immer fragten die Eroberer nach, ob es ein Mehrprodukt war, ob also genug zur Reproduktion über blieb. Aber die landbesitzenden Bauern bildeten eine durchaus angesehene Kaste, die Dörfer waren wehrhaft und leisteten mitunter Widerstand.170 Das fing im Kleinen an – als z. B. Schah Jahan 1633 dem Kaufmann Manohardas Danda ein Monopol für den Indigohandel verlieh und der die Preise der Produzenten in den Keller trieb, zerstörten viele Bauern ihre Pflanzungen. Aber der Widerstand betraf auch die große, zentrale Frage der Landsteuer. Ein einzelner Bauer floh, wenn er ruiniert zu werden drohte. Aber es gab auch bewaffneten Widerstand bäuerlicher Gebiete, etwa 1622 bei Agra – die Mogul-Armee musste eine offene Feldschlacht schlagen, in der viele Bauern fielen. Ihre Frauen und Kinder 169 Maddison  : Contours, S. 123 f. 170 Irfan Habib  : Peasant and Artisan Resistance in Mughal India, Montreal 1984 = McGill Studies in International Development 34.

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wurden versklavt.171 Die Jatts, eine spezifische Bauernkaste im Süden von Delhi, organisierte eine bewaffnete Rebellion während der Herrschaft von Aurangzeb. Zeitweise wurde ihr Gebiet als ein eigenes »Königreich« verstanden.172 Die Unterschichten unterhalb der Bauern, die Schudras und Parias, besaßen in der Regel nicht die Mittel, um Widerstand zu leisten. Im Hinduismus gab es, der Kastenregeln wegen, keine »Sklaven« in diesem Sinn, wohl aber im islamischen Teil der Gesellschaft. Religionen und Ideologien Indien ist ein klassisches Land der Religionen.173 Zwei Weltreligionen sind hier entstanden  – Hinduismus und Buddhismus. Seit der Verbreitung des Islam liegt Indien auf der Grenze zwischen den »abrahamitischen« Offenbarungsreligionen und den »asiatischen« Traditions- und Reflexionsreligionen. Indien ist auch das Land, in dem viele »alte« Religionen überdauert haben  – das Zaroastertum mit den Parsen, die vorrömische Ostkirche mit den Thomaschristen, der Jainismus, die Religion des Gewaltverzichts, vor allem in Gujerat. In Indien entstanden neue Religionen wie die der Sikhs und es entstehen kontinuierlich neue wie Ayurveda. Durch die Missionen sind auch die verschiedenen modernen Konfessionen des Christentums vertreten. Und nicht zuletzt leben in Indien noch heute Stämme, die schamanistisch sind. Die Mogulperiode war durch eine forcierte Expansion des Islam gekennzeichnet. Das Imperium duldete an sich (anders als die westeuropäische Christenheit in dieser Periode) Anhänger von »Buchreligionen«, soweit diese eine Sondersteuer zahlten. Aber es förderte den Islam – durch politische Bevorzugung, durch den Bau von Moscheen, durch die an der Scharia orientierten und von der Regierung organisierte muslimische Rechtsprechung. Ibn Battuta war solch ein Kadi. Er leitete 1342 eine Delegation des Sultans von Delhi an den Kaiser von China, begleitet von 1000 Reitern. Auf der Reise von Delhi zur Küste gerät er in derselben Region in einen Krieg zwischen Hindus und Muslimen, in der es am Anfang des 21. Jh. abermals zu Massakern kommen sollte. Das Eingreifen seiner Gesandtschaft überraschte die Hindus (etwa 1000 Reiter und 4000 Fußsoldaten), »und wir töteten sie bis zum letzten Mann und nahmen ihre Pferde und Waffen als Beute. Von unserer Seite erlitten 23 Reiter und 55 Fußsoldaten den Märtyrertod […].«174 Auf dem weiteren Weg bis zum Hafen in Ghandar und von dort weiter auf Küstenschiffen bis Kalikut (wo sie in größere chinesische Schiffe umsteigen) trifft Bat171 Ebda., S. 11 f. 172 Ebda., S. 20–23. 173 Saïd Amir Arjomand  : Three Generations of Comparative Sociologies, in  : Arjomand  : Theory, S. 23–61, hier S. 38–43. 174 Battuta  : Travels, S. 202.

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tuta auf viele Ruinen und Verwüstungen aus den Kriegen zwischen Muslimen und Hindus.175 Trotz der politischen Macht der Muslime blieb die Mehrheit der Bevölkerung des Subkontinents hinduistisch – wobei der Staat wiederum an den Massenwallfahrten der Hindus durch eine weitere Sondersteuer verdiente. Außenbeziehungen Von der Seite der Moguln her gesehen boten die Außenbeziehungen ihres Imperiums eine Bühne für die dschingissidische Weltherrschaftsidee, die freilich dem Umgang mit der Macht nach den Regeln der Arcana Imperii untergeordnet wurde. Die ererbte Gegnerschaft zu den usbekischen Fürsten und die Konkurrenz zu Persien verhinderten, dass es zu einem dauerhaften Bündnis zwischen den muslimischen Mächten kam, aber Safawiden und Timuriden bestätigten sich meist gegenseitig ihre globale Rolle.176 Von einem Treffen zwischen den Schahs Jahangir und Abbas 1620 gibt es sogar ein Miniaturbild.177 Trotzdem versuchten immer wieder neue Gegner aus Steppen und Gebirgen, ins Land einzudringen, z. B. eroberte Nadir Shah von Persien 1739 Delhi und brachte eine riesige Beute nach Hause, darunter den »Pfauenthron«. Europäische Kaufleute und Fachleute tauchten schon früh auf den Bildern der Moguln auf. Um 1600 kopierte ein Künstler eine Madonna von Dürer.178 Aber die Faktoreien der europäischen Kompanien an den Küsten wurden als Machtzentren lange nicht zur Kenntnis genommen und gewannen erst nach dem Tod Aurangzebs 1707 an politischem Einfluss,179 soweit die Nawabs der Provinzen de facto unabhängig wurden. Der Anteil der Gewinne, welche England aus der bengalischen Beute und dem politisch zu seinen Gunsten strukturierten Handel mit Indien zog, war wohl nicht groß genug, dass man mit ihnen allein die Industrielle Revolution erklären könnte. Andererseits kann man die beginnende Aufteilung des Mogulreichs im 18. Jh. auch nicht als Indiz für Stagnation interpretieren, wenn man Vielfalt und Konkurrenz als Grund für europäische Entwicklungskapazität begreift. Indien entwickelte sich schnell und veränderte sich tiefgreifend, und das kann in der Tat als Indiz dafür gelten, dass das Land auch aus eigenen Antrieben eine indische Moderne hätte entwickeln können. Insbesondere der Aufstieg der Marathen – einer Föderation, die man auch als System verstehen kann

175 176 177 178 179

Battuta  : Travels, S. 201–223. Mann  : Imperium, S. 217. Bussagli  : Miniatures Nr. 50. Bussagli  : Miniatures Nrn. 31, 51. 1707 gilt in der europäischen Öffentlichkeit als Beginn des Zerfalls des Mogulreichs  : Osterhammel  : Entzauberung, S. 33–36 u. ö.

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und die vielleicht einer Fürsten- und Adelsrepublik vergleichbar war – bot politische Anknüpfungspunkte.180 Aber alles, was mit dem Machtverlust der Zentrale des Mogulreichs neu möglich schien und was aus endogenen Antrieben hätte geschehen können, wurde durch die militärische Macht neuer Angreifer aus den Steppen und vor allem der Briten beschränkt. Jedenfalls trug die Verwendung der bengalischen Steuern zum Kauf des feinen bengalischen Tuchs – das weniger auf den englischen Markt kam, als auf den europäischen Kontinent reexportiert wurde – zu einem kontinuierlichen Abzug von Ressourcen und zum ökonomischen Niedergang Indiens bei. Formen von Politik Den europäischen Reisenden fiel im Mogulreich auf, wie sagenhaft reich dessen Herrscher war, und dass er allein durch die große Zahl der Zugehörigen zu seinem »Haus« – von den Sklaven bis zu den Frauen im Harem, von den Artilleristen bis zu den Kanonenschmieden – aus der Reihe der christlichen Fürsten fiel. Eindrucksvoll für jemanden, der aus einer ständischen Gesellschaft kam, war auch, dass der Mogul aus Sklaven Fürsten machen konnte, wie der niedersächsische Adlige von Mandelsloh beschrieb  :181 Die Raschi oder Fürsten am Hofe/ wie auch alle im Lande/ werden nicht Fürsten geboren/ sondern gleich wie in Persien/ vom König darzu erkohren und erkläret/ wenn sie nämlich durch Ritterliche Thaten/ und grosse Gefahr sich darzu würdig gemachet. Und wenn er einen zum Fürsten machet/ gibt er ihm auch so viel darzu/ daß er Zeit seines Lebens den FürstenStand führen kan. Nach dessen Todt aber nimbt er die Güter wieder zu sich/ und belehnet darmit einen andern/ deren Kinder aber erben nicht mehr/ als was der Vater an Gütern gehabt/ und dann bey der Belehnung gewonnen/ ersparet oder beygelegt hat/ und was der König ihnen/ des Vaters wegen/ aus freyem Willen schenken will. Auff diese Weise kann auch ein Handwercks-Mann oder Stall-Knecht die Hoffnung haben/ ein Fürstenthum zu überkommen/ wenn er nemlich mit Tapfferkeit oder andern dem Mogol gefälligen Dingen sich verdienet und beliebet machet. Er hat viel am Hofe/ die seine erkauffte Sclaven und Jungen gewesen/ und durch solche Mittel zu Fürsten und großen Herren geworden.

Dieses Bild eines Herrschers, der sich auch über die Ständeordnung hinwegsetzen kann, und dieses Konzept von Politik, das in Berichten westlicher Reisender zum Ausdruck kommt, stellten den Mogul als einen zentralistisch regierenden Monarchen dar. Das entsprach wohl auch der Vorstellung dieser Fürsten selbst. Die politische Realität un180 Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 80–82. 181 Mandelsloh, a.a.O., S. 66.

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terschied sich jedoch davon. Einmal war auch der Mogul an die Scharia gebunden und die Versammlung der muslimischen Gelehrten, die Ulema, konnte sich auch gegen ihn wenden. Zum andern brauchte die Bürokratie zusammenfassende Führung, die in der Beratung mit dem Wesir, aber auch anderen Ministern stattfand. Vor allem aber war die Herrschaft in den Provinzen von Zusammenarbeit abhängig, denn das Imperium setzte sich unterhalb der Provinzebene aus einzelnen Segmenten zusammen. Über die Teilhabe an der Souveränität und die Erzeugung von Legitimität musste vor Ort immer wieder neu verhandelt werden […].182 Das Fernziel universaler und uneingeschränkter Herrschaft legitimierte immer wieder Kompromisse in zeitlicher und räumlicher Nähe. Im »Ain Akbari« wird zugrunde gelegt, dass »die Konzeptionen souveräner Herrschaft das Universum umfassen«183. Akbar bezog sich aber selbst mehr auf die Rolle des Friedensfürsten.184 Aurangzeb titulierte sich in einer Gesandtschaft an den persischen Schah Abbas als »König der ganzen Welt«, worauf Abbas dem Boten antwortete, »er habe auch noch ein klein Theil von der Welt, darüber dein Herr nicht König ist«, aber der Tod des Persers verhinderte den damit (in der Theorie) nötig gewordenen Krieg um die Weltherrschaft.185 Als Kern der Legitimation blieb also der Schutz der Menschen des Landes  – vor neuen Eroberungsversuchen aus den Steppen Persiens und Turkestans, vor Räubern und Mördern, aber auch vor dem ewigen Kampf der Fürsten untereinander.186 Kriterienkatalog

1. »Der jetzige Mogol oder grosse König in Indien nennet sich Chach Choram/ sol einer aus des wüterigen Tarters/ Tamerlanes Nachkommen/ und der zehende König nach ihm seyn«, schrieb von Mandelsloh.187 Die Moguln nahmen die muslimischen Legitimationen der Macht in Anspruch, der Bezug auf Dschingis Khan – über Timur Lenk und über diesen und die spezifisch persische Herrschaftstradition des Schah-in-schah – spielte aber eine zentrale Rolle. Die charismatische Berufung der Dschingissiden zur Weltherrschaft blieb also wichtig, wenngleich man am Ende akzeptierte, dass es auch 182 Mann  : Imperium, S. 230  ; vgl. Pankaj Kumar Kha  : Literary Conduits for >Consent< in Ertl/Trausch S. 322 – 350. 183 Ain i Akbari, a.a.O. Bd. 2, S. 129. 184 Vgl. das Titelbild in  : Richards, a.a.O., dass den Mogul mit Aura zeigt, wie er einen Löwen und eine Färse (eine junge Kuh) lehrt, zusammen auf einer Wiese zu liegen. Das Original ist aus dem Jahr 1630. 185 Volquard Iversen  : Orientalische Reisebeschreibung, Hamburg 1696, hg. v. Adam Olearius, S. 166. 186 Habib  : Central Structure, a.a.O., S. 36 f. 187 Mandelsloh, a.a.O., S. 64.

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andere Herrscher gab. Bei mehreren Söhnen wurde die Nachfolge nicht selten durch Brudermord entschieden – wie bei der Thronbesteigung Aurangzebs.188 2. Staatsreligion war der sunnitische Islam. Das trennte das Mogulreich vom schiitischen Persien. Nach der Annahme des Kalifentitels durch die Osmanen hätte sich die Möglichkeit einer Einflussnahme aus Istanbul ergeben, aber die Moguln erklärten, dass jeder große Herrscher Kalif in seinem Imperium sei.189 Die Reformversuche unter Schah Akbar wurden von den orthodoxen islamischen Gelehrten auf schiitische Einflüsse aus Persien sowie auf parsische und hinduistische von den Radschputen zurückgeführt.190 Wie weit der jeweilige Mogul den Hindus und anderen religiösen Gruppen entgegenkam, unterschied sich, die Duldung aller Buchreligionen gegen eine Sondersteuer blieb jedoch die Grundlage der Religionspolitik. De facto wurden auch schamanistische Praktiken unter den Stämmen geduldet. Die Teilung von 1947 hat die Bedeutung der Religion für Indien herausgestellt. Aber war Indien schon immer ein Land der religiösen Auseinandersetzungen oder projizieren wir eine – im Kampf gegen die Kolonialherrschaft entwickelte – Haltung zurück in eine Periode, in welcher deren Bedeutung gar nicht so groß war  ? Die Schwierigkeiten des Zusammenlebens von Muslimen und Hindus hatten jedenfalls schon zu Massakern und »Märtyrertoden« geführt, bevor die Portugiesen Goa eroberten (an dem Battuta noch vorbeifuhr). 3. In den Glanzzeiten umfasste die Reichskultur auch hinduistische Gelehrte, meist aber war sie vom sunnitischen Islam geprägt. Literatur- und Verwaltungssprache war Persisch. 4. Das Mogulreich war durch eine ausgebildete Bürokratie geprägt, die z. B. in der Lage war, eine Gesamtveranlagung des Reiches zu schreiben (»Ain Akbari«). Die imperiale Verwaltung reichte jedoch in der Regel nicht auf die lokale oder regionale Ebene, wo vielmehr tradierte Herren oder Steuerpächter Steuern und Abgaben von den autonom agierenden Dörfern einzogen. 5. Der Adel des Imperiums wurde, wie erwähnt, mit Steuerpfründen alimentiert. Er bestand v. a. aus Iranern, Turanern und Afghanen  ; indische Muslime befanden sich meist an vierter Stelle, auf den mittleren Ebenen kamen andere Muslime und Radschputen hinzu.191 Die Regel war, dass die Steuerpfründen nach dem Tod des Inhabers an den Mogul zurückfielen. Da dies für den ererbten Besitz der Radschputen oder anderer einheimischer Fürsten nicht zutraf und auch am Mogulhof eine Tendenz dahin ging, 188 189 190 191

Zum Schrecken christlicher Besucher, vgl. Iversen, a.a.O., S. 164–166. Qureshi Administration, a.a.O., S. 28. Conermann  : Mogulreich, S. 54 –63. Tabelle Conermann  : Mogulreich, S. 52.

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im Lauf der Zeit verliehene Güter und Einkünfte des Mogul-Hauses erblich werden zu lassen, gab es Parallelen zur europäischen Entwicklung auf erbliches Eigentum hin. Dass aber Knechte oder gar Sklaven in den Adel aufgenommen wurden, das konnte ein Besucher aus dem deutschen Adel dieser Periode kaum glauben.192 6. Die Armee bestand aus Reiterei, Infanterie und Artillerie des Hofes und aus den Einheiten der Mansabdare – die Offiziere erhielten Steuerpfründen nach dem Dezimalsystem, was bedeutete, dass sie jeweils zehn oder 10.000 Mann ins Feld zu stellen hatten – wobei, wie in wohl allen Armeen der Zeit, Ist-Stärken und Soll-Stärken oft nicht übereinstimmten. 1647 zählte die Armee 7.000 Mann Hof-Kavallerie, 40.000 Mann Hof-Infanterie und Artillerie sowie 185.000 von den Mansabdaren ins Feld zu stellende Soldaten, also  – ohne die Truppen der Untertanen Rajahs etc.  – 232.000 Mann. Für die Pferde waren die Moguln auf Importe aus Arabien, Iran und Turkestan angewiesen. Waffen und Kanonen wurden in eigenen Manufakturen produziert, auch kaufte man gern Waffen aus dem europäischen Handel. Die Milizen, also die lokalen Verteidiger der Dörfer und Städte, sollen 1595 über vier Millionen Mann ausgemacht haben. Habib rechnet, dass etwa zwei Drittel der Staatseinkünfte für das Militär ausgegeben wurden,193 womit die Rüstungausgaben des Mogulreichs etwa in der Größenordnung europäischer Mächte lagen. 7. Die Landsteuer und die Personensteuern (sowie die Steuer gegen Nichtmuslime) wurden zentral festgelegt, lokal durch die Steuerpächter eingezogen (ggfs. als feste Summen von den Dorfoberen) und zentral verwaltet. Gleiches galt für die Zölle. Die Summen der jährlichen Einnahmen waren für europäische Verhältnisse enorm, sie betrugen unter Schah Akbar 1,3  ; unter Schah Jahan 2,2 und unter Schah Jahanhangir 3,4 Milliarden Rupien zu zwölf Gramm Silber.194 Selbstverständlich gab mancher Mogul mehr Geld aus, als er einnahm, aber eben auf einem hohen Niveau – unter Jahan waren das Bauten wie das Tadsch Mahal und v. a. die neue Hauptstadt Shahjahanabad195, unter Aurangzeb die endlosen Kriege im Süden des Subkontinents, die sogar den Mogulhaushalt überforderten. 8. 1643 hatte Agra 660.000 Einwohner  ; 200.000 hatten Patna (1671), Masulipatnam (1672) und Surat (1700).196 Das Mogulreich war durch eine kontinuierliche Ver192 Das Ain i Akbari notiert Bd. 1, S. 263, dass Akbar den Begriff für Sklaven abschaffte, »weil er glaubt, dass Besitz an Menschen niemand zusteht außer Gott«, und seine Sklaven als »treue Schüler« bezeichnete. 193 Die Daten bei Irfan Habib  : Potentialities of Capitalistic Development in the Economy of Mughal India, in  : The Journal of Economic History 29 (1969), S. 32–78, hier S. 53–55. 194 Die Zahlen bei Qureshi  : Administration, a.a.O., S. 155. 195 Mann  : Imperium, S. 232–235. 196 Habib  : Potentialities a.a.O., S. 61.

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städterung geprägt. Mandelsloh nennt Agra »die allerfürtrefflichste Residenz […], die Königin von ganz Orient«197. Die Differenz zwischen Hauptstadt und Provinz im Mogulreich war immens. Die Wirtschaft der Hauptstadt beruhte v. a. auf dem Konsum des Hofes, außerdem mussten Familien, die Karrieren fördern wollten, in der Hauptstadt vertreten sein und von ihrem Familienvermögen in Häuser etc. investieren – in der Hoffnung, dann durch ein hohes Amt das Vermögen zu mehren. Aber in der Hauptstadt wurde wenig für die anderen Städte und die Dörfer produziert, da alle Berufe vom Kotfahrer über Bauern und Handwerker bis zum Brahmanen auch in den Dörfern vertreten waren. Agra war bei aller Größe eine Residenzstadt. Das Imperium war unter Akbar in zwölf Provinzen unterteilt, zu denen drei neu eroberte hinzukamen. Autonome Rajahs und autonome Stämme werden auch im »Ain i Akbari« gesondert vom direkten Staatsbesitz aufgeführt. Zwischen der Hauptstadt des Reiches und jenen der Provinzen bestand ein Gefälle, zwischen den Provinzen und den kleineren oder peripheren Rajas – wie etwa denen der Radschputen – sowie den autonomen Stämmen198 bestanden weitere. Das Ende des Imperiums wurde dadurch eingeleitet, dass einzelne Provinzen wie Bengalen de facto unabhängig wurden und andere Regionen und Herrschaften wie die der Marathen sich ihre Unabhängigkeit erkämpften. Das verweist darauf, dass lokal Ressourcen vorhanden waren, über welche das Zentrum nicht verfügen konnte. 9. »Jeder Mogul führte Kriege in den Randgebieten des Reiches, um die Grenzen entweder zu befrieden und abzusichern oder weiter vorzuschieben.«199 Die Nachfahren Timur Lenks kannten keine festen Grenzen  ; mal versuchten sie, bis zur Südspitze des Subkontinents vorzustoßen, mal im heimatlichen Samarkand wieder Einfluss zu gewinnen. Sie kannten aber auch keine Grenzsäume oder gar Mauern und limites, nur das Hochgebirge des Himalaja haben sie nicht überstiegen. 10. Das Mogulreich war darin frühmodern, dass es Konzepte systematisch organisierter Staatlichkeit propagierte, die wiederum den Schah als Zentrum postulierten. Es hat in der Religionspolitik tief in die beherrschte Gesellschaft eingegriffen und die Ausbreitung des Islam in Indien gefördert  ; der Versuch Akbars, eine zusammenfassende Religion zu gründen, ist allerdings gescheitert. 11. Das Imperium verstand es als seine Aufgabe, im Innern für Frieden und Gerechtigkeit zu sorgen. Da es jedoch niemals feste Grenzen akzeptierte, bestand niemals wirklicher äußerer Frieden.

197 Mandelsloh, a.a.O., S. 61. 198 Conermann, in  : Reinhard  : Empire, a.a.O., S. 427–436. 199 Mann  : Imperium, S. 221.

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12. Wie bei anderen von Mongolen auf dem Boden von alten Hochkulturen wie China, Persien oder Turkestan gegründeten Imperien wurde nicht systematisch ein Anspruch erhoben, dass nun die Feinde die Barbaren seien  ; sondern es wurde den Feinden vorgeworfen, dass sie die charismatische Berufung der Dschingissiden zur Weltherrschaft nicht rechtzeitig anerkennen wollten. In späteren Perioden, z. B. unter Aurangzeb, wurde (wie schon im Delhi-Sultanat) der Islam zur religiösen Legitimierung und damit wurden nicht muslimische Religionen und noch stärker muslimische Sonderentwicklungen wie die Schia zum Feindbild.

China unter den Mandschu

China,200 das einzige Land der Welt mit einer über zwei Jahrtausende reichenden relativ großen Kontinuität von Territorium und Staat (wie oben im Kapitel über die Song skizziert), ist globalgeschichtlich gesehen »das« Imperium überhaupt – gewiss mehr als das »Heilige Römische Reich« (von dem manche Engländer spöttisch sagen, es sei »neither holy, nor Roman, nor an Empire« gewesen) und mehr sogar als Rom selbst, das (von China aus gesehen) wenige Kontinuität aufwies. Aber auch für die Auseinandersetzung von einem Imperium mit dem Nationalstaatskonzept im 19. und 20. Jh. ist China von zentraler Bedeutung. Warum schaffte eine chinesische Elite in der Revolution von 1911 das Imperium ab und verkündeten den Nationalstaat  ? Noch kurz zuvor, im 17. und 18. Jh., war China eines der mächtigsten Reiche der Welt, welches das östliche Zentralasien, Tibet und die Mongolei eroberte und Russland aus dem Amurbecken drängte.201 Wegen seiner gebildeten Elite, seines zentralen Schulsystems und auch seiner blühenden Gewerbe galt China vielen europäischen Intellektuellen als Vorbild.202 Die von Großbritannien erzwungene Öffnung des Marktes für Opium, Mission und später für industrielle Güter leitete jedoch eine Periode der Verluste von Territorien und Einschränkungen der Souveränität, von Bürgerkriegen und politischem Verfall ein. Diesem Niedergang Chinas hoffte die Nationalbewegung durch die Abschaffung des Imperiums zu begegnen.203

200 Zu Lexika und umfassender Literatur S. 98, Anm. 248  ; S. 104, Anm. 268. 201 Übersichtliche Lehrbücher  : Klein  : China, Dabringhaus  : Grundriss  ; vgl. die gegliederte Bibliografie S. 215–291. Zum Militär jetzt Andrade  : Gunpowder. 202 Vgl. Osterhammel  : Entzauberung. 203 Überblicke zum Ende der Periode Fairbank  : China  ; Hu Kai, Gerhard Schildt  : Das moderne China. 19. und 20. Jahrhundert, S 2014 (Reclam) = Reclam 17075  ; Konrad Seitz  : China. Eine Weltmacht kehrt zurück, Berlin (2000), B 2006 (Goldmann).

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*** Im Kampf gegen die mongolische Dynastie Yüan gründete Kaiser Taizu 1368 die hanchinesische Ming-Dynastie. China erhielt eine absolutistische Verfassung, das »innere Kabinett« und die Zentralkanzlei wurden abgeschafft, die Minister dem Kaiser selbst verantwortlich  ; kaiserliche Familie und Regierungsbehörden wurden getrennt. Das Prüfungssystem wurde durch einen dritten Grad auf Kreisebene ergänzt. Der Systematisierung von Macht im Zentrum entsprach eine Stärkung der dörflichen Selbstverwaltung, die für die Steuereinziehung verantwortlich war. 1402 wurde die Hauptstadt von Nanking nach Peking verlegt, um den Schutz des Landes gegen die Steppenvölker durch den Kaiser zu organisieren und zu symbolisieren. Zugleich unternahm der Admiral Zheng He mehrere große Expeditionen und fuhr im Indischen Ozean bis Mocambique. Die chinesische Schifffahrt war im Indischen Ozean bedeutend, bis Malaien durch Piraterie den Weg durch Indonesien sperrten und japanische Piraten die chinesischen Küsten selbst heimsuchten. Außerdem erforderte eine neue Auseinandersetzung mit Waldbauern und Nomaden unter den späten Ming-Kaisern den Einsatz von mehr Mitteln im Norden. Urbanisierung und Kommerzialisierung sowie Monetarisierung des Handels durch die Verfügung über Silber, der Ausbau von Seiden- und Textilmanufakturen sowie der Porzellanproduktion und v. a. die Einführung neuer Produkte in der Landwirtschaft (wie Mais und Zucker) kennzeichneten einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufschwung. Wissenschaft und Kultur blühten auf, z. B. publizierte Li Shizhen ab 1552 Informationen über 1.892 Kräuter Chinas und deren medizinische Wirkungen.204 1557 landeten die Portugiesen in Macau, das ihnen verpachtet wurde. Die durch inneren Frieden und wirtschaftlichen Aufschwung ermöglichte Bevölkerungszunahme führte dazu, dass schlechtere Böden beackert wurden und nach einigen Jahren Missernten und Hunger auftraten.205 Die Selbstisolierung der kaiserlichen Familie führte zu einem umfangreichen Spitzelsystem, in dem Eunuchen die Kommunikation beherrschten. Ein langer Krieg mit Japan um die Vorherrschaft in Korea (1572–1620) führte zwar zum Sieg, aber auch zur Erhöhung der Steuern. Missernten kamen hinzu. Zudem entfremdeten sich die Kaiser durch die bloß virtuelle Anwesenheit in der Hauptstadt und die Isolierung in der verbotenen Stadt dem Volk. Es kam zu großen Aufständen mit den Zielen »Gleichheit des Landbesitzes« und Nachlässe auf die Steuern. Im Kaiserpalast wurden die Aufstände allerdings kaum wahrgenommen.

204 History and Civilization, S. 168–172. 205 Goldstone  : Revolution, S. 349–362.

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Nördlich der Großen Mauer hatte nach 1580 der Khan der Jin-Dynastie Nurhaci mehrere, v. a. bäuerliche tungusische Stämme geeinigt und dann mit Hilfe chinesischer Berater sowie in einer Allianz mit einigen mongolischen Stämmen einen neuen Staat mit einer am chinesischen Vorbild angelehnten Bürokratie geschaffen. Sein Sohn bestimmte 1636 Mandschu zum Namen der neuen Ethnie und ließ sich zum Kaiser der Mandschu krönen. Als 1644 eine Bauernarmee Teile Pekings besetzte, luden Ming-Generäle die Mandschu zur Intervention ein, um die Bauern zurückzudrängen.206 Die kaiserliche Familie beging Selbstmord  ; der Widerstand der Ming-Anhänger zog sich aber noch über Jahrzehnte hin, bis die neue Dynastie 1683 Taiwan eroberte.207 Der Khan erklärte die Ming-Dynastie für beendet und sich zum Kaiser von China. Er benannte die von ihm gegründete Dynastie Quing und stellte sie damit in die lange Reihe chinesischer Dynastien. Zeitleiste 11

1259–1294 1368 1572–1620 1644 1689 1696–1757

1840–42 1850–1864 1858 1867–1881 1884 1894/5 1898 1900/1

(mongolische) Yüan-Dynastie Neue (han-chinesische) Dynastie Ming, 1405–1433 Seeexpeditionen unter Zheng He bis Afrika. 1557 Portugiesen in Macau Krieg mit Japan um Korea Gegen Bauernaufstände Mandschu ins Land geholt. »Wiederherstellung des himmlischen Mandats« der Qing. 1683 Eroberung Taiwans Vertrag von Nertschinsk  : Amurbecken bleibt den Mandschu Kriege in Zentralasien gegen die Dsungaren  ; China reicht im Norden bis zum Jablonowoj-Gebirge, im Westen bis an die Grenze Turkestans  ; Korea, Nepal, Birma, Vietnam sind tributpflichtig Britische Flotte erzwingt Öffnung Chinas für Drogenhandel  ; Abtretung Hongkong. »Ungleiche Verträge« nehmen China die Zollhoheit Taiping, weitere Aufstände (Miao, Muslime in Yünnan) weitere Freihäfen, Freizügigkeit für westliche Kaufleute und Missionare, Gebiete nördlich Amur und Ussuri an Russland Sinkiang unter Jakub Beg unabhängig Frankreich zerstört chinesische Schiffsneubauten und Werften Niederlage gegen Japan  ; Taiwan verloren, Korea japanisches Protektorat Europäische Annexionen von Küstenstädten (Kiautschou deutsch) Boxeraufstand, Acht-Mächte-Intervention, hohe Entschädigung an diese

206 History and Civilization, S. 174–177. 207 Tonio Andrade  : How Taiwan became Chinese, New York 2007 (Columbia UP).

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Port Arthur und Süd-Mandschurei an Japan  ; britischer Einfall in Tibet, aber Anerkennung der Quing-Oberhoheit Ausrufung der Republik China

Die Quing-Dynastie208 war ethnisch fremd und blieb das auch, anders als die Ming-Dynastie. Bei aller Förderung han-chinesischer Kultur wurde ein Verbot der Heirat zwischen Han und Mandschu erlassen und die Chinesen wurden gezwungen, wie die Mandschu einen Zopf zu tragen. Das Mandschurische blieb Verkehrssprache am Hofe und viele Mandschu sowie auch kooperierende Chinesen gelangten nicht über das Prüfungssystem, sondern durch Protektion auf ihre Stellen. Die höheren Ämter der Regierung waren in der Regel doppelt besetzt  : mit Chinesen und Mandschu oder Mongolen. Der in Europa im 17. und 18. Jh. übliche Ämterkauf setzte sich in China jedoch erst in der zweiten Hälfte des 19. Jh. durch. Zu Beginn des 18. Jh. wurde die Steuer vereinfacht und die Beamtengehälter wurden erhöht, um die Korruption zu bekämpfen. Außerdem gab es strengere Kontrollen. China unter den Quing war ein expansiver Staat. 1689 zwangen die Mandschu die Russen im Norden zum Rückzug und schlossen mit ihnen einen Vertrag unter Gleichberechtigten  ; erst mit der Annexion des Amurbeckens durch Russland 1858/60 wurde der Friede aufgekündigt. 1691 unterwarfen sich die Stämme der äußeren Mongolei. 1720 bis 1756 führten die Mandschu erbitterte Kämpfe gegen die Dsungaren, welche ein Handelsreich von der Chinesischen Mauer bis zur Krim errichten wollten, mit dem sie den chinesischen Westhandel kontrolliert (und mit Zöllen belastet) hätten. Die Kämpfe endeten teilweise in einem Genozid. Den religiösen Kontext der Auseinandersetzung bildete der Lamaismus, der in Zentralasien missionierte und den die Dsungaren einzubinden suchten  ; aber 1720 erkannte Tibet die chinesische Oberhoheit an.209 1790 wurde ein Versuch nepalesischer Gurkhas, Tibet zu erobern, abgewehrt und sowohl Nepal als auch Bhutan erkannten die Tributpflicht an China an, wie schon früher Burma und Tonking. Von Korea bis Nepal umgab ein Kranz tributärer Staaten das Imperium, der erst durch den wachsenden englischen Einfluss im Himalaja und den französischen in Indochina aufgebrochen wurde.210 Während die Mandschu einerseits auf der sozialen Trennung der beiden Völker bestanden, unterwarf sich die mandschurische Oberschicht andererseits dem chinesischen Kulturideal. Ein konservativer Neokonfuzianismus bildete den Kern der sittlichen und intellektuellen Bildung. Die Staatsprüfungen verlangten Kenntnisse in Literatur, Geschichte und Kalligrafie, bereiteten also nicht auf Verwaltungsaufgaben vor. Das 18. Jh. 208 Vgl. auch Pierre-Étienne Will  : Quing-Dynastie in  : Staiger, China-Lexikon. 209 Vgl. besonders Sabine Dabringhaus  : Das Quin-Imperium als Vision und Wirklichkeit. Tibet in Laufbahn und Schriften des Song Yun (1752–1835), Stuttgart 1994. 210 Babones  : Tianxia.

Imperien China als Wiederherstellungen unter den Mandschu  |  RUS

KALMÜCKEN

SISCH

ES REICH

Karte 7: Mandschu-Reich

1639

KASACHENHORDEN

Nertschinsk

Große Mauer Großer Kanal

1696

Kashgar 1760

Samarkand

Peking

1644

Herat

REI

Mukden

Urumtschi

SIAM

CH

Urga

KOREA

Kyoto

O

U

1645 Nanking

1750 NE PA L

M G

LR

Mandschu-Reich vor 1644 Eroberungen der Mandschu nach 1644 Eroberungen der Mandschu/Quing

Chang‘an Delhi

tributpflichtige Königreiche

Edu

ES

Kuldscha

CH

1755

NI S

Taschkent

J A PA

USBEKEN-KHANATE

1646

Lhasa

TAIWAN

B H U TA N

EIC H

1650 Guangzhou 1659

- 1662 holländisch ab 1683 Quing 1662-83 letzter Ming-Widerstand

Macao

BURMA

SPANISCHES REICH

LAOS SIAM ANNAM

1000 km © Entwurf: Hans-Heinrich Nolte Kartographie: Florian Partl

war eine intellektuelle Blütezeit, in der auch das klassische Bild der Menschen nördlich der Mauer als Barbaren in Frage gestellt wurde. Kaiser Yongzhen attackierte Thesen grundlegender Andersartigkeit von Han-Chinesen und Barbaren in einer Schrift, die an allen Schulen studiert werden musste. Die Regierung bemühte sich um große Editionen. 1726 wurde eine umfangreiche Enzyklopädie gedruckt, 1782 eine »Vollständige Sammlung aller Bücher aus den vier Abteilungen«, die mehr als 3000 Werke umfasste – allerdings wurden umgangssprachliche Bücher in der Sammlung nicht aufgenommen und mehr als 2.400 Schriften, die dem Kaiser moralisch oder politisch bedenklich erschienen, wurden vernichtet. Zugleich erschienen auf dem privaten Buchmarkt einige Romane, etwa der Familienroman »Der Traum der roten Kammer«. Besonders in der langen Periode inneren Friedens im 18. Jh. war Chinas Wirtschaft durch eine anhaltende Konjunktur gekennzeichnet. In zahlreichen Handbüchern wurden neue Früchte (Sorghum und Mais) sowie neue Anbaumethoden beschrieben. Der Transport von Reis vom Süden in den Norden auf dem Kaiserkanal nahm zu. Die Bedeutung von Früchten wuchs, die für Märkte angebaut wurden (cash crops)  : Tee und Zuckerrohr, Baumwolle und Seide wurden im Süden produziert. Tee wurde auch exportiert  ; Baumwolle ersetzte frühere Importe aus Indien. Sie wurde z. T. in Shanghai und anderen Städten sowie auf dem Land weiterverarbeitet – einige Dörfer konzentrierten sich auf Socken, andere auf Hemden. In Nanjing soll es etwa 30.000 Weber gegeben haben. In den Porzel-

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lanmanufakturen in Jingdezhen arbeiteten über 100.000 Menschen. Die Stofffärbereien in Huqi verdarben allerdings mit ihrem Abwasser die Umwelt  : »Der ganze Fluss ist blau, rot, schwarz und violett«, hieß es in einer Unterschriftensammlung der Anwohner 1737. Das riesige China betrieb eine ziemlich selbstgenügsame Ökonomie, die aber durch umfangreiche Arbeitsteilung innerhalb der Reichsgrenzen geprägt war. Der Binnenhandel überwog bei weitem den Außenhandel. Obgleich im Außenhandel höhere Steuern erhoben wurden, waren die Abgaben aus dem Binnenhandel am Ende des 18. Jh. mit ca. vier Millionen Unzen Silber etwa sechs Mal so hoch wie 650.000 aus dem Außenhandel. Letztere stiegen bis 1811 auf eineinhalb Millionen Unzen an, aber auch der Binnenhandel stieg. Rechnet man Silber nicht als Ware, sondern als Geld, erwirtschaftete China stets einen Außenhandelsüberschuss, bis die Englische Ostindische Kompanie ab etwa 1820 den Import von Opium erzwang.211 Wie jede ordentliche Staatsverwaltung das tun musste, verbot die chinesische Regierung den Rauschgiftimport und ein kaiserlicher Kommissar erzwang 1839 die Vernichtung der englischen Opiumvorräte in Kanton. Daraufhin zeigte Großbritannien China die im Rahmen der Industriellen Revolutionen erreichte Überlegenheit britischer Waffen  : Eine kleine Flotte eroberte Flottenstützpunkte bis Shanghai. China kapitulierte 1842/43  : trat Hongkong ab, zahlte eine Kriegsentschädigung, öffnete fünf Vertragshäfen und gestand den Briten die Meistbegünstigungsklausel im Außenhandel zu. Die USA und Frankreich schlossen sich an – China verlor seine Zollautonomie und wurde mit Waren überschwemmt, die europäische Kaufleute in der Hand hatten, v. a. Opium und Baumwolle aus der britischen Kolonie Indien.212 Gewerbliche Erzeugnisse aus Europa stiegen im Import nur langsam an, erst 1890 wurden mehr Baumwollwaren als Rauschgift importiert. Angesichts des hohen Rauschgiftkonsums in den USA und Europa im 20. und 21. Jh. sowie des Aufwands, den die Staaten heute im Kampf gegen Rauschgifte treiben – treiben müssen –, wird man vorsichtig sein, aus der Bereitschaft so vieler Chinesen, Rauschgift zu erwerben, auf den Verfall des Mandschureiches zu schließen. Großbritannien verhinderte einfach, dass der chinesische Staat seine Aufgabe erfüllte und für Volksgesundheit sorgte. Damit trug das Königreich zum Niedergang des Imperiums entscheidend bei – auch, indem die Autorität der chinesischen Regierung untergraben wurde. Das entscheidende Instrument für diese Politik war die militärische Überlegenheit, besonders der britischen Flotte, das entscheidende Argument das private Eigentum an Handelsgütern. Da Opium lange mehr als ein Drittel der britischen Exporte nach China ausmachte und 211 Angela Schottenhammer  : Blütezeit eines Reiches, in  : Feldbauer/Hausberger Bd. 5, hier S. 335–345, Zitat S. 343. 212 Vergleich der Verschuldung und der Opiumausfuhr der EIC Ferguson  : Empire, S. 167.

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erst am Ende des 19. Jh. auf ein Fünftel sank, 213 folgt deutlich, dass es mehr um britische Gewinne aus dem Drogenhandel als um Förderung britischer Industrie ging. Gegen die Kapitulation der Regierung, den Einfluss der Fremden und chinesischer Gutsbesitzer begann 1850 ein großer Aufstand mit dem Ziel des Taiping – des ewigen Friedens. Nach der Eroberung von Nanking gründete die Bewegung ein Reich, in dem Privateigentum abgeschafft, Land nur zur Nutzung vergeben und Frauen und Männer gleichberechtigt waren. Altchinesische, christliche und sozialrevolutionäre Elemente wurden vereinigt. Die Pekinger Regierung war nicht in der Lage, die Bewegung zu besiegen, v. a., weil weitere Aufstände – der Miao-Minderheit, von Bauern in der Provinz Anhui, von Muslimen in der Provinz Yünnan – sich anschlossen. Teile der regionalen Eliten, Gutsbesitzer und Mandarine, finanzierten Milizen gegen die Aufständischen. Frankreich und Großbritannien nutzten die Gelegenheit, um weiter Zugeständnisse zu erzwingen  ; 1864 gelang es regionalen Armeen, mit Hilfe der Engländer die TaipingBewegung zu besiegen. Der Verlust der Steuern aus Mittelchina schwächte die Regierung in Peking weiter. Hinzu kam, dass Sinkiang 1867–1881 unter der Führung eines Uiguren eine zeitweise Selbstständigkeit errang.214 Die Schwäche Chinas wurde von den Nachbarn und den imperialistischen Mächten in der zweiten Hälfte des 19. Jh. benutzt, um Randprovinzen zu erobern. 1858/60 annektierte Russland das Amurgebiet und 1882 einen Streifen zwischen Balchaschsee und Hochgebirge, Japan annektierte 1897 Taiwan  ; Frankreich, Deutschland, Russland und Großbritannien okkupierten Häfen oder Orte, die sich für Häfen eigneten. Die USA forderten, durchaus von diesem Tenor abweichend, eine Politik der »offenen Tür«, die allen damals industrialisierten Mächten zugutegekommen wäre. 1900 erhoben sich die »Faustkämpfer für Recht und Einigkeit« gegen die fremden Herren in China und der deutsche Gesandte wurde ermordet. Aber es gelang den Interventionstruppen, das Gesandtschaftsviertel in Peking zu entsetzen. Im Russisch-Japanischen Krieg 1904/05 ging es schon um die Teilung der Beute – um Gebiete, die wenige Jahrzehnte zuvor noch zu China gehört hatten. Der japanische Sieg machte Korea zur Kolonie, brachte Port Arthur in japanische Hand und gab Tokyo die Möglichkeit zur Expansion in die Mandschurei. 1862 hatte die chinesische Regierung eine Politik der »Selbststärkung« begonnen und z. B. durch Import westlicher Technologie eine Rüstungsindustrie aufgebaut. Allerdings gab es zu wenige Fachleute und zu wenig chinesisches Kapital, das sich auf diesem Feld engagierte, die Beamtenschaft lernte nichts über Technik, und die Fran213 Tabellen Ploetz, S. 1212 f. 214 Vgl. zur englisch-russischen Konfrontation in Sinkiang (und einer deutschen Verwicklung) Hermann Kreutzmann  : Das Great Game. Asien als Bühne des imperialen Machtkampfes, in  : Moritz von Brescius, Friederike Kaiser, Stephanie Kleidt (Hg.)  : Über den Himalaya. Die Expeditionen der Brüder Schlagintweit, Köln usw. 2015 (Böhlau), S. 89–112.

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zosen vernichteten 1884 sowohl die Anfänge einer chinesischen Kriegsflotte als auch die Werften. Auch nach den Verlusten von 1898 entstand eine Reformbewegung, aber die Kaiserinwitwe Cixi setzte ihren Sohn ab und beendete dessen Programm. Nach den Verlusten im Russisch-Japanischen Krieg wurde 1905 nochmals ein Reformprogramm beschlossen, die »Neue Politik«  : Das staatliche Prüfungssystem wurde abgeschafft, das Heiratsverbot zwischen Mandschu und Chinesen aufgehoben, der Regierungsapparat nach westlichem Vorbild umgestaltet, der Übergang zur Konstitutionellen Monarchie geplant und mit dem Bau eines Parlamentsgebäudes begonnen. Die Revolution 1911 beendete diese Versuche  ; die Revolutionäre entschieden sich für eine Verfassung nach dem Vorbild der USA, für welche in China viele Voraussetzungen fehlten und die zum Scheitern der Republik beigetragen hat.215 In China gab es keine Meiji-Revolution mit militärischer Niederwerfung der Gegner, autokratischer Führung und staatlicher Förderung der Industrialisierung wie in Japan. Mit dem Imperium scheiterte vielmehr der Zentralismus  : Randgebiete wurden von äußeren Feinden annektiert, und seit der Niederwerfung des Taiping-Aufstandes kamen in immer mehr Provinzen warlords an die Macht. Arbeitsansätze

Quellenkunde und Historiografie China ist durch einen großen Reichtum an verschiedenartigen Quellen gekennzeichnet.216 Für das China der Mandschu spielen archäologische Funde keine große Rolle mehr, aber die Zahl schriftlicher Quellen ist außerordentlich  – Darstellungen von Staatsaktionen und oppositionelle Konzepte, Steuerregister, Literatur und die Geschichten der Dynastien. Schon im 18. Jh. wurden Schriften systematisch gesammelt und herausgegeben. Es sind etwa 14 Millionen chinesische Dokumente aus der QuingPeriode überliefert, zu denen etwa zwei Millionen kommen, die in chinesischer Schrift aber mandschurischer Sprache geschrieben worden sind.217 In der Gegenwart liegen viele Texte auch übersetzt vor.218 Hinzu kommen Paläste, Mauern und Bilder, aber auch technische Denkmale wie der Kaiserkanal in der Form des 19. Jh.219 als wichtige Quellen. 215 Klein  : China, S. 94–101. 216 Quellenkunde  : Wilkinson  : Manual, S. 879–980 (Quellen zu den Dynastien der Ming und Quing). 217 Wilkinson  : Manual, chapter 50. Die Forschung ist auf diesem Gebiet aktiv, vgl. den Call for Papers »Manchu in Global History« http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=33184, eingesehen 12.02.2017. 218 Sources China 2  ; kleinere Quellenauszüge, in  : Klaus Mäding (Hg.)  : China  : Kaiserreich und Moderne, Berlin 2000 (Cornelsen)  ; Thoralf Klein  : China im 18. Jahrhundert, in  : Nolte  : Imperien, S. 109–113. 219 Vgl. Patricia Buckley Ebrey  : China. Cambridge Illustrated History, Cambridge 1996  ; auch Wim

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Die Beziehungen zu ausländischen Mächten werden in vielen Hafenstädten durch eigene Stadtteile greifbar, in denen ausländische Verwaltung durchgesetzt wurde, auch durch Reiseberichte und Dokumentensammlungen.220 Staatliche Archive und viele Archive der Missionsgesellschaften sind zugänglich, außerdem die Archive mancher Banken und Industrieunternehmen (v. a., wenn sie nationalisiert wurden wie die Internationale Handelsbank in St. Peterburg221 oder das Archiv der Pariser Rothschild Bank). Auch alte Atlanten und Kartenbilder liegen vor.222 Vor allem bieten die chinesischen Archive selbst viele Möglichkeiten, die noch keineswegs ausgeschöpft sind. Wahrscheinlich werden Arbeiten v. a. chinesischer Historiker also noch Veränderungen unseres Bildes dieses Imperiums bringen. Es ist viel Quellenmaterial – selbst für einen des Mandarin unkundigen Leser – zugänglich, aber mit Sicherheit noch viel mehr nicht Erarbeitetes vorhanden. Hier soll aus dem mir zugänglichen Material die Frage untersucht werden, warum und in welchem Sinn das Chinesische Imperium beendet wurde. Dabei scheinen klassische Bilder für Untergang– wie etwa »Brillant Setting Sun« – »der glorreiche Untergang der Sonne« in der offiziösen Geschichte Chinas –223 nicht sehr erklärungskräftig zu sein. Die westliche Historiografie der Geschichte Chinas ist in Wellen verlaufen – auf die Hochachtung des Gelehrtenimperiums im 18. Jh. folgte im 19. das abfällige Diktum, China stagniere.224 Das Diktum Stagnation wurde v. a. durch die »California School« korrigiert, welche die ökonomische Stärke des Reiches vor den Opiumkriegen herausarbeitete.225 R. Bin Wong hat am Anfang dieser Debatte deutlich gemacht, dass dieses neue Chinabild eine Änderung auch des Europabildes bedeutete.226 Die Vergleiche von Kenneth Pomeranz,227 Jack Goldstone228 und nicht zuletzt Andre Gunder Frank229 Schmitz (Hg.)  : China. 100 Bilder, Köln o.J. (NGV). 220 Übersicht zu den Reisenden und Forschern aus dem 18. und 19. Jahrhundert Osterhammel  : Entzauberung. Dokumente z. B. in  : Die Große Politik der Europäischen Kabinette. 221 Korrespondenzen verschiedener Bankiers zur Russisch-Chinesischen Bank sind z.B. publiziert in  : I. A. D’jakonova (Hg.)  : Rossija i mirovoj biznes  : dela i sud’by, Moskva 1996 (ROSSPEN). 222 Z. B. Edward Stanford  : China Inland Mission (1908), Nachdruck o.O. o.J. (CPSA). 223 History and Civilization, S. 172–211. 224 Vgl. Dabringhaus  : Grundriss, S. 105–214. 225 H.-H. Nolte  : China  : the »California School«, in  : Michael Gehler, Xuewu Gu, Andreas Schimmelpfennig (Hg.)  : EU – China. Global Players in a Complex World, Hildesheim 2012 (Olms), S. 15–26. 226 Wong  : China transformed. 227 Pomeranz  : Divergence  ; ders.: Nachdenken über vergleichende Wirtschaftsgeschichte  : ›Der fernöstliche Entwicklungsweg‹ als Konzeption, Geschichte und Politik, in  : ZWG 4.2 (2003), S. 11–27. 228 Jack Goldstone  : Revolution and Rebellion in the Early Modern World, Berkeley 1991 (California UP). 229 Frank  : Re-Orient  ; ders.: Geschichtswissenschaft und Sozialtheorie ›Re-Orientieren‹  ! in  : ZWG 5.1 (2004), S.  9–42  ; vgl. Andrea Komlosy  : Andre Gunder Frank und die Reorientierung der Weltgeschichte, in ZWG 17.2 (2016) S. 47 – 70.

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strebten eine fundamentale Kritik des herrschenden Chinabildes an und haben diese auch erreicht. Patrick O’Brien hat gegen die These von Pomeranz, es habe vorm 19. Jh. keinen »großen Unterschied« zwischen dem Westen und China gegeben, eingewendet, dass Europa schon vorher auf einem mehr versprechenden Entwicklungspfad gewesen sei – »in Besitzrechten, politischen Systemen, Rechtsordnungen sowie kulturellen und religiösen Institutionen«230. Aber kann das überzeugen, wenn Besitzrechte und Systeme zur Förderung von Rauschgifthandel eingesetzt werden  ? Peer Vries hat ebenfalls das Bild der California School kritisiert und z. B. auf die große Kreditwürdigkeit Großbritanniens im Vergleich zum späten Mandschu-Reich hingewiesen.231 Für den Allgemeinhistoriker ist das Argument, dass die höhere Verschuldungskapazität den Unterschied ausmachte, zwar überzeugend, doch auch zwiespältig – in der Tat, der chinesische Staat suchte mit seinen Steuereinahmen auszukommen. Thoralf Klein hat aus kulturgeschichtlicher Sicht eine knappe Übersicht über drei politisch ansetzende »Meistererzählungen« vorgelegt  : Revolution, Moderne und Nation.232 Jürgen Osterhammel hat das Verhältnis Chinas zur Welt vorgestellt.233 Im Kontext meiner Form des Weltsystemansatzes, welcher die Vielfalt der Entwicklungen sowohl in Sachgebieten als auch in den Regionen zu berücksichtigen sucht, geht dieser Versuch dahin, zu der Fragestellung Imperium und Nation die unterschiedlichen Ansätze zu integrieren. Für diesen Ansatz sind die Bände der Wiener »Edition Weltregionen« von besonderer Bedeutung, weil sie immer wieder die »Weltregionen« herausgreifen und einzeln vorstellen.234 Die jüngere chinesische Historiografie235 hat sich lange um die Frage bemüht, inwieweit China einen eigenen Weg gegangen ist oder sich in das marxistische Konzept der »Stufen« bzw. das neoliberale der »Stadien« einordnen lässt. Die aktuelle chinesische Geschichtsschreibung betont die Rolle der Han-Chinesen gegenüber den vielen Invasoren und stellt heraus, in wie vielen globalen Entwicklungen China führend war.236 Hu Qiu-Hua und Rainer Hoffmann haben diese Tendenz als »Chinas Rückwendung zum autochthonen Kulturmodell« bezeichnet.237 230 231 232 233 234

Patrick Karl O’Brien  : The Divergence Debate, in  : Budde/Conrad, S. 68–82, Zitat S. 68. Vries  : Divergence. Klein  : China, S. 22–30. Osterhammel  : Entzauberung.. Sepp Linhart, Susanne Schweigelin-Schwiedrzik (Hg.)  : Ostasien 1600–1900, Wien 2004 (Promedia)  ; Sepp Linhart, Erich Pilz (Hg.)  : Ostasien. Geschichte und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Wien 1999 (Promedia)  ; zuletzt Linhart/Weigelin-Schwiedrzik. 235 Dominic Sachsenmaier (Hg.)  : Schwerpunkt China = ZWG 4.2 (2003). 236 Vgl. das Kapitel »The Four Great Inventions That Rock the World«, in  : History and Civilization, S. 138 f. 237 Hu Qiu-Hua, Rainer Hoffmann  : Das Eigene und das Fremde, in  : ZWG 11.1 (2010), S. 11–53.

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Soziale Einheiten und Ökonomie China südlich der Mauer und östlich des zentralasiatischen Hochlands war seit Jahrtausenden Bauernland. In der Quing-Periode wurde südlich des Hwaiho (zwischen Jangtse und heutigem Hoangho) der extrem nahrhafte Nassreis angebaut, von dem auch zwei Ernten im Jahr möglich waren, nördlich Weizen und Sojabohnen (s. o. China I). Das soziale Modell bäuerlicher Wirtschaft in China war das eines Hofes mit ausreichend Land  ; es wurde 1662, noch in Kritik an den Zuständen der späten Ming-Periode, von dem konfuzianischen Gelehrten Huang Zongxi als uraltes Recht beschworen  : Bis zum Ende der drei Dynastien herrschte das Gesetz, danach gab es keines mehr. Warum sage ich das  ? Weil die zwei Kaiser und die drei Könige238 wussten, dass alle unter dem Himmel239 ohne Nahrung nicht auskommen konnten, deshalb gaben sie ihnen Felder zum Bearbeiten. Und sie wussten, dass alle unter dem Himmel ohne Kleider nicht auskommen konnten und gaben ihnen Land, um Maulbeerbäume und Hanf an zu pflanzen. Sie wussten, dass alle unter dem Himmel nicht ohne Lernen bleiben konnten und gründeten Schulen, sie richteten die Ehe ein, um gegen Promiskuität vor zu gehen, und sie begründeten den Militärdienst, um das Land gegen Unordnung zu sichern.240

Danach aber sorgten die Dynastien nur noch für sich selbst  : »was sie ›Gesetz‹ nannten, war nur für eine Familie gedacht – es waren keine Gesetze für alle unter dem Himmel […]«241.

Dieser Mythos vom goldenen Zeitalter wurde unter den Quing nicht nur durch den Egoismus der herrschenden Dynastie und der neuen Oberschicht der Mandschu konterkariert (was in der chinesischen Geschichte keine Ausnahme darstellte), sondern auch durch die seit dem 17. Jh. schnell wachsende agrarische Bevölkerung.242 Wenn jeder Hof genug Land haben sollte, um davon zu leben, mussten kontinuierlich neue Höfe angelegt werden, sodass immer mehr Wälder gerodet wurden.243 238 Mythische Kulturheroen einer goldenen Vorzeit, vor der sicher belegten Dynastie Shang, die etwa im 11. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung regierte  : Franke  : Kaiserreich, S. 13–26. 239 Also das Volk des Imperiums. 240 China Sources II, S. 3–37, S. 10. 241 Ebda., S. 11. 242 Vergleichende Skizze in H.-H. Nolte  : Die eine Welt, Hannover 1982 (Fackelträger), S. 73. 243 Pomeranz  : Divergence, S.  307–312, dass die mit Wald bedeckte Fläche in den zwei Provinzen Guangdong und Guangxi zwischen 1753 und 1853 ca. 37 % auf ca. 24 % gesenkt wurde. Der Prozess der Entwaldung ging weiter, 1937 hatte Guangdong 10 % und Guangxi 5 % Waldbedeckung.

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Der Patriarchalismus Chinas war gemäßigt  ; z. B. war der Bauer für die Getreidesteuer, die Bäuerin für die von der Seide zuständig, eine Frau war also Steuersubjekt. Allerdings wurde das tradierte Erbrecht einer Tochter in einer Familie ohne Söhne unter den Mandschu abgeschafft. Das chinesische Gewerbe war in mehreren Zweigen global führend  ; am auffälligsten in der Produktion von Porzellan und Seide, die auch in der Quing-Zeit weltweit verkauft wurden. Kaufleute und Handwerker bildeten feste Bestandteile der chinesischen Gesellschaft. Insgesamt sank, nach der Schätzung von Angus Maddison, der Anteil Chinas am Bruttosozialprodukt der Welt zwischen 1600 und 1700, also im Jahrhundert der Kriege zwischen Ming und Quing, von 29 % auf 22 %, explodierte bis 1820 auf 33 % und stürzte dann bis 1870 auf 17 % ab. Zu- und Abnahmen folgten bis 1820 meist inneren Rhythmen der chinesischen und ostasiatischen Geschichte, aber auch schon äußeren Einflüssen. Die großen Umbrüche zeigen sich als Katastrophen der Bevölkerung – sowohl der Wechsel der Dynastien im 17. als auch die Opium- und Bürgerkriege im 19. Jh. führten zu zeitweiser Bevölkerungsabnahme bei insgesamt steigender Tendenz. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen, gemessen in Dollar von 1990, lag zwischen 1600 und 1820 kontinuierlich bei etwa 600 und sank dann bis 1870 auf 530. Das Pro-KopfEinkommen Englands wurde zwischen 1600 und 1870 dagegen von 974 auf 3.190 mehr als verdreifacht  ; es folgte der Dynamik außenpolitischer Expansionen und der Industriellen Revolution.244 Aus chinesischer Sicht war die militärische Überlegenheit der europäischen Mächte im 19. Jh. entscheidend. Sie folgte aus der tradierten Präokkupation mit waffentechnischen Entwicklungen im europäischen System,245 erhielt aber durch die Industrielle Revolution eine neue Schärfe, v. a. durch bessere und preiswertere Stähle und nicht zuletzt gezogene Kanonenrohre, welche größere Reichweiten und mehr Treffsicherheit möglich machten. Das macht es sinnvoll, zwischen Gewerbe und Industrie nach dem Kriterium der Verwendung maschinell erzeugter Kraft zu unterscheiden. Industrie in diesem Sinn wurde in den Reformprogrammen der Regierung oder einzelner Generale ab 1843 immer wieder, aber mit begrenzten Ergebnissen gefördert. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs gab es über 900 Industriebetriebe in China. Betriebe mit über 500 Arbeitern beschäftigten 240.000 Personen oder 0,5 % der Bevölkerung – mit den Familienangehörigen gehörten höchstens 0,5 % zum »Proletariat«.246

244 Maddison  : Contours, S. 380–383. 245 Nolte  : Weltgeschichte 2, S. 289–306  ; Hoffmann  : Conquer, vgl. Andrade  : Gunpowder. 246 Thomas Scharping  : Die Industrialisierung des modernen China, in  : Peter Feldbauer u.a. (Hg.)  : Industrialisierung, Frankfurt 1995 (Brandes & Apsel), S. 117–140, hier S. 118.

Imperien China als Wiederherstellungen unter den Mandschu  | 

Religion und Ideologien Grundlage der chinesischen Volksreligiosität war auch in der Quing-Periode ein schamanistischer Staatskult, in dessen Rahmen der Kaiser und die Kaiserin durch rituelle Aussaaten für die Fruchtbarkeit des Landes sorgten. Für die intellektuelle Elite war der Konfuzianismus wichtiger, den die Quing-Kaiser förderten. Diese selbst gehörten aber außerdem dem lamaistischen Buddhismus an  ; vereinten also in ihrer Person schamanistische Beherrschung der Natur, buddhistisches Streben nach Nirwana und konfuzianische Moralüberlegungen. Abgesehen von dem Staatskultus gab es keine Staatsreligion. Es wurden auch Offenbarungsreligionen in China vertreten, sowohl die drei abrahamitischen als auch neue, etwa der Kult einer großen Muttergottheit, aber sie errangen keine Mehrheiten – sieht man von den muslimisch geprägten Provinzen Hsinkiang und Yünnan ab.247 Den aufgeklärten konfuzianischen Eliten waren die schamanistischen Riten der Weihe von Saat und Ernte zweifelhaft. Dies kritische Potenzial war alt, schon Meister Kung (551–479 v. u. Z.) weigerte sich, über überirdische Wesen zu sprechen.248 Die Bedeutung von Säkularisierung für die Eliten stieg unter den Quing, als jedoch ein Kaiser sich weigern wollte, Riten für Saaten und Ernten auszuführen, rieten seine Berater ihm ab  : Wenn es jetzt eine Hungersnot gegeben hätte, wäre dem Kaiser die Schuld zugewiesen worden. Die religiöse Vielfalt der chinesischen Gesellschaft, in der es zwar Offenbarungsreligionen gab, die meisten Religionen aber auf Meditation beruhten oder schamanistische Praktiken tradierten, ließ Platz sowohl für die Vielzahl christlicher Missionen – von den katholischen des 16. bis zu den protestantischen des 19. Jh. – als auch für rein innerweltliche Ideologien. Die wichtigste wurde der chinesische Nationalismus, der in einer klassischen Konfrontation mit westlichen Staaten, v. a. aber mit Japan angeheizt wurde, je mehr das Kaiserreich sich durch Verluste an den Rändern und Korruption im Innern gedemütigt sah. Der Nationalismus der chinesischen Opposition im 19. Jh. hing zwar vielfältig mit den protestantischen Missionen und den Vorbildern Europas zusammen, hatte aber ein endogenes Programm, wie Sun Yatsen formulierte  : Verglichen mit den anderen Völkern haben wir die größte Zahl und unsere Kultur ist 4.000 Jahre alt, wir sollten also zusammen mit den Nationen Europas und Amerika an der Spitze 247 Romeyn Taylor  : Spirits of the Penumbra  : Deities Worshipped in More Than One Chinese Pantheon, in  : James D. Tracy, Maguerite Ragnow (Eds.)  : Religion and the Early Modern State, Cambridge 2004 (Cambridge UP), S. 121–153. 248 Konfuzius  : Gespräche, hg. v. Klaus Bock, Essen 2004 (Magnus), S. 93, Buch VII, Kapitel 87 oder S. 137 (Buch XI, Kapitel XXIV), in dem Konfuzius das Lesen von Büchern explizit über »Altäre der Geister und der Saaten« stellt.

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|  Imperien als Wiederherstellungen marschieren. Aber die Chinesen sind nur für Familie und Clan solidarisch, sie haben keinen Nationalismus. Obwohl wir also 400 Millionen in einem China zusammen haben, sind die in Wirklichkeit nur ein Sandhaufen. Heute sind wir die ärmste und schwächste Nation in der Welt und haben die unterste Position in internationalen Beziehungen. Die andern sind das Schneidemesser und bedienen sich zum Essen  ; wir sind Fisch und Fleisch. Unsere Lage ist höchst gefährlich. Wenn wir den Nationalismus nicht ernsthaft annehmen und unsere 400 Millionen zu einer starken Nation schmieden, droht der Verlust unseres Landes und die Zerstörung unseres Volkes […].249

Außenbeziehungen Bis zum Beginn des 19. Jh. war China das Zentrum des Welthandels mit gewerblichen Fertigwaren – v. a. in Porzellan und Seide. Sie wurden klassischerweise über die Seidenstraße, welche die Mandschu bis Zentralasien erobert hatten, in den Westen transportiert. Der Export über Japan sowie über die europäischen Vertragshäfen stieg aber seit dem 16. Jh. und überwog vom 17. Jh. an. Zeitweise betrieben die Mandschu eine Politik der Abschottung gegenüber der See. Da sie aus der Steppe kamen, hielten die Mandschu den Versuch, mit der Westexpansion nach Zentralasien die nördliche Route der Seidenstraße wieder in Gang zu bringen, für leichter durchsetzbar und wohl auch weniger kostenintensiv als den Flottenbau in Konkurrenz zu den europäischen Flotten. Der Rest der Welt, also v. a. die europäischen Importeure, zahlte für die Fertigwaren überwiegend mit Silber, da man europäische Fertigwaren auf dem chinesischen Markt kaum absetzen konnte (außer Waffen). In den Opiumkriegen setzte Großbritannien durch, dass China ein offener Markt wurde, aber auf der Insel selbst gab es keineswegs einen freien Markt, sondern die Wirtschaft war von Merkantilismus und staatlichen Interventionen geprägt. Anfangs verkauften die britischen Kaufleute Rauschgifte, später traten industriell gefertigte Waren an deren Stelle. Die Binnenhandelsstruktur des Imperiums wurde aufgelöst, ohne dass chinesische Industrie an die Stelle des alten Gewerbes getreten wäre. Grund dafür war eher die leichte Zugänglichkeit des chinesischen Markts nach den ungleichen Verträgen als die geringe Wirksamkeit von Bemühungen des Kaiserreichs, ihn zu lenken oder chinesische Produktion durch Staatsausgaben zu fördern. Intellektuell förderten die Mandschu den Neokonfuzianismus, also eine auf Tradition und Vernunft bestehende Weltordnung. Nach der Eroberung Zentralasiens nahm auch der Einfluss des Buddhismus wieder zu, diesmal in der lamaistischen Form  – die allerdings auch als endogen gelten konnte, da Tibet zu China gehörte. In ihren wirtschaftlichen Vorstellungen waren alle diese Religionen auf maßvolles 249 China Sources 2, S. 314–350, Zitat S. 321.

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Handeln bedacht, und dazu gehörte, keine Schulden aufzuhäufen. China hatte, wie Peer Vries betont »keine Institution, mit der staatliche Schulden hätten verwaltet werden können […], es gab keine [Schulden]«.

Im Vergleich zu Großbritannien bildete das in der Tat eine Schwäche, da dieses seine Rüstungen nicht zuletzt über die Staatsschuld finanzierte.250 Formen von Politik In der Quing-Zeit lag die Zeit der »kämpfenden Provinzen« vor der Reichseinigung so weit zurück, dass es kein föderalistisches Denkmodell für Kern-China mehr gab. Das Imperium war zwar de facto föderalistisch aufgebaut, mit fast völliger Selbstständigkeit der Mandschurei und beträchtlichen Autonomien für die mongolischen Clans und für Tibet. Aber Kernchina bestand aus (anfangs) 15 Provinzen, die durch eine Verwaltungskette und Bildungsinstitutionen auf das Zentrum bezogen waren. Das hatte zur Folge, dass regionaler Widerstand sich meist durch ein gesamtchinesisches Konzept legitimieren musste. Der Taiping-Aufstand umfasste große Teile Mittelchinas, konnte aber im Norden nicht Fuß fassen. Trotzdem beanspruchte er, eine Lösung für das gesamte Reich zu haben. Der Nationalismus folgte diesem Muster, auch wenn zunehmend warlords nur einzelne Regionen beherrschten. Das System des QuingImperiums, so Sabine Dabringhaus, […] hatte seit Kiangxi auf zwei Säulen beruht  : auf dem wohlinformierten und unentwegt eingreifenden Herrscher, der seine Beamten unter strenger Kontrolle hielt, und auf der moralischen ›Innenlenkung‹ des Handelns dieser Beamten durch eine lebendig gehaltene Pflichtethik. Beide Stützen gerieten im 19. Jahrhundert ins Wanken […].«251

Die schamanistische Legitimation des Kaisertums war die Vermittlungsfunktion zwischen Himmel und Erde, verdeutlicht durch die Fürsorge des Kaisers für Saat und Ernte, Ordnung und Schutz. Alle Bauten unterstrichen die Übereinstimmung der Herrschaft mit der kosmischen Ordnung  – Dörfer und Städte sind quadratisch (so wie man die Erde für quadratisch hielt) und entlang der Mittelachse ist der Sitz des jeweils leitenden Beamten bzw. in der Hauptstadt der Palast des Kaisers – näher zum Norden hin, woher stets Gefahr zu drohen scheint, aber das Tor zum Süden, dem Volk entgegen. In der 250 Vries  : Divergence, S. 233 f. 251 Dabringhaus  : Grundriss, S. 56.

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späten Ming-Periode und unter den Quing wurde der Palastbezirk in Peking zur »verbotenen Stadt«  – der »Platz des Himmlischen Friedens« südlich davon blieb allen zugänglich.252 Schon Kungfutse hatte um 500 v. u. Z. Herrschaft an Moral, Disziplin und Sparsamkeit zu binden gesucht.253 Der oben zitierte Huang sah 1662 den Fürsten der Vorzeit als Begründer des Bemühens um das gemeine Gute nach einer Periode des Egoismus der einzelnen  : »Es kam einer, der nicht an Vorteil für sich selbst dachte, sondern an Gutes für alle unter dem Himmel […]«. [Da eine solche Haltung jedoch viel Arbeit machte, weigerten sich damals gerade die würdigsten, Fürsten zu werden. Später allerdings wurden solche Fürsten, welche ihre eigenen Interessen förderten]. »So nahm der Egoismus der Fürsten den Platz des allgemeinen Guten unter dem Himmel ein.«254 Vielleicht lag den Mandschu-Kaisern aus den Traditionen Dschingis Khans nahe, ihre Herrschaft durch Eroberung zu legitimieren. Allerdings hätten sie mit einem solchen Anspruch unter den Gelehrten keine Gefolgschaft finden können. Die bedeutendsten Mandschu-Kaiser, etwa Kiangxi (1661–1722) oder Qianlong (1736–1796), zeichneten sich durch Bemühungen um Bildung und Wissenschaft aus, etwa durch Förderung riesiger Sammlungen von Literatur oder eines Wörterbuchs des Chinesischen. Sie waren legitimiert, weil sie die Ordnung sicherten und das Chaos abwehrten (s. u.) und auch, weil sie meist mit dem Geld auskamen, das die tradierten Steuern ihnen gaben. Dass genau das gegenüber den europäischen Mächten nicht ausreichte, lag in der Tat jenseits ihres Horizontes. Die Quing-Herrscher waren auch bereit, in verschiedenen Landesteilen verschiedene Rollen zu spielen. Sie waren Sohn des Himmels für die Han-Chinesen, Khan der Khane für die Mongolen und Reinkarnation eines Bodhiswattwa für die Tibeter. Den europäischen Reisenden fiel solch ein Wechsel der Rollen oft schwer. So wurde der Kaiser oft als Despot dargestellt und der Kotau – ein dreifaches Niederknien einschließlich eines dreimaligen Schlagens der Stirn auf den Boden, also eine Proskynese – als rituelles Indiz dafür gesehen. Wenn die Protestanten das als kulturelle Fremdheit verstanden, übersahen sie allerdings, dass die Proskynese in der Katholischen Kirche bei mehreren Riten vorgeschrieben ist, von der Weihe der Mönche bis zu jener der Bischöfe. Und auch der Kaiser machte beim jährlichen Opfer im Himmelstempel selbst den Kotau und stellte mit dieser Kette eine Interaktion zwischen dem Himmel, dem Kaiser, dem Untertan (auch wenn dieser ein Gast war) und der Erde her. Der chinesische Kaiser 252 Vgl. Mäding  : China, S. 56, S. 68 f. 253 S.o., S. 110 f. 254 China-Sources, Zitat S. 6.

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war in die Normen der Kulturen, die er in seinem Reich vereinte, sowie in die Regeln des Staatskultes und des Hofes vielleicht ähnlich eingebunden wie ein absoluter Fürst Europas, der zwar von den Gesetzen losgelöst war, aber doch den Normen und Regeln des Glaubens unterworfen blieb. Nur, dass die Quing-Kaiser auf drei Normensysteme Rücksicht nehmen mussten. Kriterienkatalog

1. In China gab es »immer« eine Dynastie und bei einem Dynastiewechsel konnte es über Jahrzehnte hinweg auch zwei geben. Das »private« Vermögen der Dynastie und die Zahl der ökonomisch abhängigen Personen waren beträchtlich. Der private »Hof« war in der Ming- und Quing-Zeit die »verbotene Stadt«. 2. Es gab einen verbindlichen schamanistischen Staatskult sowie die konfuzianische Morallehre für die Elite, aber keine systematische Staatsreligion. Vielmehr wurden viele Religionen geduldet. Die Missionen des Buddhismus und der christlichen Kirchen gewannen Minderheiten, die zeitweise die Politik sehr beeinflussten. 3. Unter den Quing bildeten mandschurische Familien, besonders aus dem Clan des Kaisers, einen Reichsadel, der sich mühte, an der tradierten chinesischen Reichskultur mit literarischem Kanon, Geschichte der Dynastie und Kalligrafie Anteil zu nehmen. Diese klassische chinesische Kultur der Han bestimmte das Zentrum des Imperiums, jedoch war der Westen (abgesehen von Hsinkiang und Yünnan) lamaistisch geprägt und in der Mandschurei wurden Eigenheiten gepflegt (etwa Bogenschießen und Jagen als Männersport). 4. Es gab eine das gesamte Land umfassende, durch ein Prüfungssystem meritokratisch organisierte han-chinesische Bürokratie, die in den wichtigsten und besonders den militärischen Gliederungen durch mandschurische Beamte kontrolliert wurde. Neben die alte Reichssprache traten Mandschurisch und im Westen Tibetanisch. 5. Der (zahlenmäßig im Verhältnis zu China kleine) mandschurische Geburtsadel (v. a. der kaiserliche Clan) lebte von Abgaben und Diensten aus Gütern. Die Gelehrten erhielten Gehälter, wenn sie eine »Aufgabe« hatten, besserten diese aber durch gewohnheitsmäßige Geschenke auf. Viele Gelehrte kamen aus alten Gelehrtenfamilien, aber eine Voraussetzung für eine Karriere war, dass sie das Prüfungssystem überstanden. 6. Den Kern der Armee bildeten mandschurische und mongolische Einheiten, die in zwei Mal acht »Banner« organisiert waren. Zu ihnen kamen früh verbündete »Bannerchinesen« hinzu (ebenfalls acht Banner). Neben diesen 24 »Bannern« gab es im Kernland umfangreiche chinesische Milizen und im Westen Eigentruppen regionaler Fürsten. Unter den Ming wurde eine zentral finanzierte Flotte unterhalten, da aber der Widerstand gegen die Quing im Süden erst mit der Eroberung Taiwans 1683 beendet

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wurde und die Mittel des Imperiums auf die Expansion nach Westen gerichtet waren, wurde die Flotte im 18. Jh. aufgegeben.255 7. Die wichtigste Steuer war die Grundsteuer, die in Silber über die Provinzverwaltungen an Peking zu zahlen war. Das setzte ein entwickeltes Marktsystem voraus. Weitere wichtige Einnahmen kamen aus Abgaben auf den Handel, wobei im Binnenhandel ein Vielfaches von dem eingenommen wurde, was der Außenhandel einbrachte. Zwischen 1653 und 1766 sank der Anteil der Grund- und Kopfsteuern von 87 % auf 73 % der Staatseinkünfte, während der der Salzsteuer von 9 % auf 14 % und der der Handelssteuer von 4 % auf 13 % anstieg.256 Die Steuer spiegelte also den Anstieg des Gewerbes wieder. 8. Das ökonomische und kulturelle Kernland China war in 15 Provinzen geteilt, die im Verlauf der Quing-Dynastie auf 18 vermehrt wurden. Das Kernland war ein unterworfener Landesteil und in der Zentralverwaltung benachteiligt. Die Mandschurei, das Herkunftsland der Sieger, war bis ins 19. Jh. für chinesische Siedler verboten. Im Westen bewahrten Länder wie Tibet und die Mongolei große Selbstständigkeit  ; entlang der Seidenstraße wurde Hsinkiang jedoch als neue Provinz angelegt, in welche auch Han-Chinesen auswanderten. Die Einwanderung in die Mandschurei nahm erst zu, als das Imperium im Abstieg war  ; ihre Ausmaße – etwa 30 Millionen – stellen die chinesische Emigration der europäischen zur Seite.257 Es war diese Einwanderung von HanChinesen, welche japanischen Versuchen zur indirekten Annexion »Mandschukuos« und auch Siedlung258 zuvorkam. 9. Die enorme Chinesische Mauer war nicht als lineare Grenze, sondern als Rückhalt der Verteidigung in einem Grenzstreifen gedacht. Die Mauer wurde nur von Dynastien gebaut bzw. erneuert, die gegen die Steppenvölker kämpften. Mit Russland schloss China 1683 einen Vertrag, der eine Linie zwischen der Mandschurei und dem Moskauer Imperium als Grenze vorsah  ; die anderen Grenzen waren fließend (der Urwald am südlichen Rande Tibets, der Balchaschsee). Um das Kernland herum lag ein Gürtel tributpflichtiger Länder. 10. Jürgen Osterhammel hat China als schwachen Staat analysiert, der nur wenig Wirkung auf die Bevölkerung ausüben konnte. Religionspolitik war dem Kaiser entzogen bzw. in ihren Fruchtbarkeitskulten rituell vorbestimmt, das Schulsystem konnte er

255 Aus Holz gebaute Flotten werden nach (je nach dem Holz zahlenmäßig unterschiedlichen, aber stets) wenigen Jahren durch das Verrotten des Holzes oder Bohrwürmer von allein untauglich. Werden also nicht kontinuierlich neue Schiffe gebaut, verschwinden Flotten »von selbst«. 256 Gernet  : Chinesische Welt, S. 410. 257 Patrick Manning  : Migration, in  : World History, NY 2005 (Routledge), S. 146–149. 258 Beschrieben in Colin Ross  : Das Neue Asien, deutsch 5. Auflage Leipzig 1941 (Brockhaus), S. 97–120.

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fördern, aber in der Fläche kaum durchsetzen. Das einzelne »Haus« besaß eine große Autonomie.259 11. Kaiser Yongzhen argumentierte 1730, »dass die Quing-Dynastie legitimerweise das Himmelsmandat (tianming) erhalten habe und zu Recht China beherrsche, das durch die mandschurische Führung vor dem Chaos bewahrt worden war«260. Die Herrschaft der Mandschu wurde als Ende des Chaos legitimiert. Dass sie nach den Opiumkriegen nicht in der Lage war, den Frieden zu wahren, gehörte dementsprechend zu ihren entscheidenden Legitimationsdefiziten. 12. Unter den Ming-Kaisern galten die Völker nördlich der Großen Mauer als Barbaren. Die Mandschu konnten ein solches Weltbild nicht dulden, in dem sie selbst die Barbaren waren, und traten für wesensmäßige Gleichheit bei kultureller Verschiedenheit der Menschen (des Imperiums) ein. Viele han-chinesische Intellektuelle ließen sich davon nicht überzeugen, aber sie wurden von den Kaisern gut bezahlt. Desto deutlicher wurde der kulturelle Hochmut gegen andere Ethnien gewendet, etwa die Urbevölkerung Taiwans, welche dem Imperium eine Getreideabgabe schuldig war. Als einige Dörfer diese verweigerten und die Dolmetscher, die für den Mandarin arbeiteten, verjagten, meinte der Leiter der Zivilverwaltung  : »Desto schlimmer für diese Barbaren, wenn sie in der Barbarei verweilen wollen. Wir versuchen, aus ihnen Menschen zu machen […].«261

259 Jürgen Osterhammel  : China und die Weltgesellschaft, M 1989, S. 83 f. 260 Schottenhammer  : Blütezeit, Zitat S. 346 [sic]. 261 Thoralf Klein (Hg.)  : [Quellen zu] China im 18. Jahrhundert, in  : Nolte  : Imperien, S. 109–113, Zitat S. 111. Zu Eroberung und Sinisierung von Taiwan Tonio Andrade  : How Taiwan became Chinese, New York 2007 (Columbia UP).

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Gegenbewegung

Ein Weltsystem von Nationen Die große Expansion

Die erste große Expansion der christlichen Mächte, des gerade entstandenen europäischen Systems, fiel in das Spätmittelalter – Kreuzzüge am Mittelmeer, die zweitweise Palästina in die Hand des europäischen Adels brachten,1 in Iberien, welche die Rückeroberung bis an die Sierra Nevada führten, und an der Ostsee, wo die klerikale Komponente mit der Gründung des Deutschordensstaats ihre deutlichste Ausprägung fand.2 Die zweite große Expansion der europäischen Mächte – die Eroberung Lateinamerikas und der Philippinen, der Einbruch in die Handelswelt Süd- und Ostasiens über See mit Forts bis Macau und die Eroberung des Wolgaraums  – ging im 16. Jh. sternförmig von Europa aus.3 Sie wurde sowohl von Imperien als auch von Königreichen getragen – Russland, Spanien, Portugal. Diese zweite Expansionsphase, die wir als erste Globalisierungsphase rechnen,4 bildete die Periode, in der moderne Nationalstaaten entstanden sind. Entscheidend war aber, dass die Christenheit seit der Niederlage des Heiligen Römischen Reiches ein System geworden war. »Die Geschichte des Europäischen Staaten-Systems ist keineswegs die Geschichte der einzelnen Staaten. Sie ist vielmehr die Geschichte ihrer Verhältnisse gegeneinander […]«,

so definierte der Göttinger Historiker A. H. van Heeren 1809 sein Thema.5 Er nannte vier Stützen des Systems  : – Die »Heiligkeit des anerkannt rechtmäßigen Besitzes«  – trotz der »widerrechtlichen Theilung« eines Wahlreichs (Polen), – die »Erhaltung des sogenannten politischen Gleichgewichts« sowie 1 Feldbauer/Lidl  ; Nolte  : Weltgeschichte 1, S.  137–140  ; Erbstösser  : Kreuzzüge,  ; Amin Malook  : The Crusades through Arab Eyes, ü. L 2006 (SAQI). 2 Zur deutschen Ostexpansion kamen die dänische, schwedische und im 14.  Jahrhundert die polnische hinzu. Vgl. u. S. 186 f. Anm. 70. 3 Hierzu die Gesamtdarstellung von Reinhard  : Expansion  ; weiter Wendt  : Globalisierung  ; Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 183–200  ; Wolfgang Reinhard  : Europe and the Atlantic World, in  : Reinhard  : Empires, S. 739–941. 4 Fässler  : Globalisierung spricht von Protoglobalisierung. 5 Heeren  : Handbuch, S. 5.

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– die Seemächte und – die »Familienverbindungen der herrschenden Häuser«.6 Diese politikwissenschaftliche und monarchistische Begründung reicht heute nicht mehr aus, sie war ja auch, wie zwischen Erst – und erneuter Veröffentlichung 1809 und 1817 deutlich genug wurde – offensichtlich zu statisch. Das System ist einerseits durch Konkurrenz untereinander, aber andererseits auch durch Gemeinsamkeiten gekennzeichnet – die Kirche brachten von außerhalb der Staaten moralische Konzepte mit, die Intellektuellen wanderten zwischen den Universitäten und lasen dieselben Bücher, der Fernhandel wuchs und eine regionale Arbeitsteilung gewann immer mehr an Gewicht, die Könige diskutierten miteinander und akzeptierten gelegentlich Schiedssprüche. Innovationen wanderten über die Grenzen – England zahlte Spione, um die piemontesische Spinnmaschine nachmachen zu können, und von der Petersburger Ökonomischen Gesellschaft bis zur Leopoldina diskutierten alle Gelehrten, wie man die Landwirtschaft nach dem Beispiel der holsteinischen Koppelwirtschaft verbessern könne. Am deutlichsten lernte man voneinander im Krieg, wiederum gekennzeichnet durch Konkurrenz und durch Gemeinsamkeiten.7 Philip Hoffmann hat herausgearbeitet, dass die militärische Überlegenheit der entscheidende Grund für den Erfolg der Expansion war.8 Er erklärt die kontinuierlichen Innovationen in der Rüstung mit einem »Turniermodell«. Dieses »Turnier« der europäischen Mächte begann mit der Teilung des Imperiums nach dem Tod von Karl dem Großen und jedenfalls im Mittelalter. Versuche zum nochmaligen Wiederaufbau des Imperium Romanum unter Ottonen und Staufern scheiterten an der Opposition der Katholischen Kirche. Eckpunkte des damit entstehenden »Turniers« der Fürsten waren ein wertvoller Preis als lockendes Ziel, niedrige Kosten für den Aufbau eines fiskalischen und militärischen Systems und dass die Unterschiede der teilnehmenden Mächte bei den Kapazitäten Mannschaften und Rüstung nicht allzu groß waren. Die so entstandene Konkurrenz – die dauerhaft war, weil es auch später nicht gelang, ein Imperium zu schaffen – verhinderte, dass der Anteil der Kosten des Militärs am Nationalprodukt in Europa gesenkt werden konnte – anders, als z. B. in China.9 Unter vier Bedingungen förderte die europäische Konkurrenz also seit dem späten Mittelalter die Entwicklung der Rüstungstechnologie  : häufiger Krieg  – hohe Militärausgaben  – wenig Verwendung älterer Technologien (wie Pfeil und Bogen)  – sowie Zugänglichkeit der Innovationen (geringe Erfolge von Embargos aller Art). Diese vier 6 7 8 9

Ebda., S. 10 f. Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 113–182  ; Wallerstein  : World System Bd. 1. Hoffmann  : Conquer. Hoffmann  : Conquer, S. 20–24.

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Bedingungen galten auch für das frühneuzeitliche Europa, wo hohe Steuerquoten und Kapazität für Staatsanleihen den Steuerstaat begründeten  : 1578 hatte die Zentralregierung in England fast drei Mal und 1776 mehr als 25 Mal so viel Mittel aus Steuern je Einwohner wie China.10 Hoffman unterschätzt die Militarisierung der Schießpulverreiche, aber auch in der Auseinandersetzung mit ihnen ging es um konkurrierende Qualität der Waffen  ; Moskau warb (spätestens) ab 1488 (gegen Versuche des Deutschen Ordens, ein Embargo durchzusetzen) westliche Geschützmeister,11 und die Kasaner Tataren versuchten, sie aus russischen Diensten abzuwerben.12 Die Rüstungsbasis des Khanats Kasan war das Eisengewerbe im Ural.13 Innerhalb des europäischen Systems kann man das Verhältnis mit dem Modell Zentrum–Halbperipherie–Peripherie erklären.14 Aber auch Darwins »Tamerlan« weist ja auf die Entwicklung der Feuerwaffen in Zentralasien hin.15 Trotzdem war die Militarisierung des europäischen Konzerts wohl noch höher, wenn man sie nicht nur in Geld, sondern auch an den für den Feudalismus kennzeichnenden Arbeitsund Sachleistungen des »europäischen Sonderwegs«16 misst. Finden sich in den muslimischen Staatsschriften ähnliche Urteile wie bei Machiavelli, dass man vom Fürsten eigentlich nur Kenntnisse in der Kriegskunst erwarte  ?17 Immanuel Wallerstein hat 1974 gezeigt, dass der Systemcharakter Europas nicht negativ als »Zersplitterung«, sondern positiv als Voraussetzung für den zunehmenden Wettbewerb zu sehen ist.18 Die Herleitung des Militarismus der europäischen Mächte aus dem Konkurrenzcharakter des Systems wurde 1982 von mir vorgeschlagen.19 Paul 10 Tabelle ebda., S. 51, gemessen in Silber. 11 Erik Amburger  : Die Anwerbung ausländischer Fachkräfte für die Wirtschaft Russlands, Wiesbaden 1968  : (Harrassowitz), S. 16–22. 12 Vgl. Sigismund zu Herberstein  : Reise zu den Moskowitern 1526, hg. v. Traudl Seifert, M 1966  : (Bruckmann), S. 235. Die technische Entwicklung der frühen Feuerwaffen ging lange in Konkurrenz zwischen muslimischen und christlichen Mächten vor sich, vgl. Liedl/Pittioni. 13 V. V. Alekseev, D. V. Gavrilov  : Metallurgija Urala, Moskva 2008 (Nauka), S. 254–268. Der Ural verlor nach der Eroberung des Khanates durch Moskau 1552 diese Rolle, wurde aber in den späten Jahren Peters I. erneut zum Schwerpunkt der Rüstungswirtschaft, nun des Imperiums Russland. 14 Mein Vorschlag  : Nolte  : Weltgeschichte 1, zur Waffenentwicklung S. 183–200. 15 Darwin  : Tamerlane. 16 Mitterauer  : Warum Europa  ? 17 Niccolò Macchiavelli  : Il Principe, herausgegeben und übersetzt von Phillip Rippel, Stuttgart 2013 = Reclams Universalbibliothek 1219, S. 112  : »per sua arte«. Macchiavelli  : Fürst, S. 74 hat »Kriegskunst« übersetzt. 18 Wallerstein  : World-System 1 [1974]. 19 H.-H.  Nolte  : Die Eine Welt, Hannover [1982] ²1993 (Fackelträger), S.  69 f., S.  85, 165–167, wo die Frage gestellt wird, wie die europäischen Gesellschaften ohne die gewohnten Expansionen funktionieren werden., und S. 176–178 zum Zivilisierungsprozess.

Ein Weltsystem Gegenbewegung von Nationen  | 

Kennedy hat 1987 die militärische Überlegenheit des Westens als einen der Gründe für die Eroberung des Globus umfangreicher ausgeführt.20 Grundlegend für alle Forschungen über das »neue Militär« in den 90er Jahren war Geoffrey Parker, der die Rolle militärischer Innovationen herausgestellt, aber ihre langfristigen Wirkungen auf das System der Mächte skeptisch beurteilt hat.21 Mit einem kulturalistischen Ansatz hat Victor D. Hanson 2002 die europäischen Siege dann auf eine Jahrtausende überdauernde Tradition von Salamis bis Vietnam zurückgeführt  : »the Western Way of War«.22 Handelskapital und Migrationen

Die europäische Expansion unterstützte die Möglichkeiten zur Teilnahme am globalen Fernhandel und teilweise auch die zu dessen Kontrolle. Sie wurde zugleich aus den Gewinnen aus diesem Fernhandel finanziert.23 Sie ging mit einer tiefgreifenden Veränderung aller beteiligten Gesellschaften zusammen.24 Die Objekte der Expansion agierten selber unterschiedlich und hatten unterschiedliche Schicksale  – sie wurden teilweise vernichtet, leisteten teilweise erfolgreich Widerstand oder assimilierten sich an die ihnen zugedachten (peripheren) Rollen, sowohl innerhalb europäischer Staaten25 als auch in Kolonien oder abhängigen Staaten.26 Unter den Subjekten der Expansion, also den Siegern, bestimmte nicht nur Militarismus27 viele Eliten, sondern auch ein durchgehender Kolonialismus als »Mindset«28, eine Überschätzung von Gewalt und Unterwerfung als Instrumente zur Konfliktregelung. Dynastien wie die Habsburger oder die Bourbonen gewannen in dieser Periode an Macht und Reichtum, andere wie die Grafen von Nassau stiegen zu Generalstatthaltern und einer sogar zum König auf. Der Adel setzte immer mehr die Allodifizierung der Güter durch. Der katholische Klerus verlor zwischen Irland und dem Baltikum beträchtliches Vermögen, das meist von den Landesfürsten, aber auch von Adel und Städten 20 Kennedy  : Rise and Fall, S. 16–30. 21 Parker  : Empire  ; Howard  : Krieg. 22 Victor Davis Hanson  : Carnage and Culture, NY 2002 (Anchor). 23 Fundstücke MacGregor, S. 567–601. 24 Übersicht zu globalen Ökonomien und Formen der Arbeit Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 157–242, Komlosy  : Arbeit, S. 121–153. Zu Differenzen im Einkommen, an mitteleuropäischen Fällen Schulze  : Arm und Reich. 25 Innere Peripherien 1–3. 26 Parnreiter/Novy. 27 Vgl. die Debatte der 80er Jahre  : Wilfried von Bredow  : Moderner Militarismus, S 1983 (Kohlhammer)  ; Volker R. Berghahn  : Militarismus, ü. NY 1986 (Berg). 28 Vgl. aktuell die Beiträge in PEWS 1 (Andrea Komlosy, Manuela Boatca, H.-H. Nolte (Hg.)  : Coloniality of Power and Hegemonic Shifts in the World-System = Journal of World-Systems Research 22.2 (2016).

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säkularisiert wurde. Das ging oft mit den Reformationen zusammen, wurde aber auch in einem oft nur wenig geringeren Ausmaß und etwas später auch in den katholischen Ländern durchgesetzt. In den Städten gewannen viele Familien Wohlstand und Reichtum, der Jahrhunderte überdauern würde.29 Neue Reiche kamen ziemlich fortlaufend hinzu. Eine Erweiterung ihres Vermögens und ihrer sozialen Stellung erreichten die Fernhandelskaufleute, wenn sie erfolgreich waren. Familien wie die Fugger und Welser in Augsburg, die Medici in Florenz, die Stroganov in Solvychegodsk oder die Zheng in Südchina30 gingen nicht nur mit Waren, sondern auch mit politischer Macht erfolgreich um, machten sich zu Herzögen der Toskana oder doch wenigstens Fürsten in Schwaben, eroberten Sibirien oder Taiwan bzw. scheiterten, weil sie am Golf von Maracaibo kein Gold fanden (mit Petroleum konnte man damals nicht reich werden). Die wichtigste Stärke der neuen Kaufleute lag vielleicht im Zugang zu neuen Informationen. Überall wurden neue Universitäten gegründet, in China Akademien. Der Bürgermeister von Amsterdam sammelte genauso Karten wie der Sultan. Es ging aber nicht nur um Länder und Zugänge zu ihnen, sondern auch um Techniken, z. B. die Herstellung der Farbe Blutrot in einer chinesisch-arabisch-europäischen Wechselbeziehung31 oder einer Seidenzwirnmaschine, deren Spur von Song-China über Lucca und Piemont nach London nicht leicht (oder vielleicht auch gar nicht) zu rekonstruieren ist.32 Und es mündete im 18. Jh. in der »Vermessung der Welt«.33 Die große Menge der Einkommen der Fürsten und Kaufleute kam immer noch aus dem Mehrprodukt der Bearbeiter des Bodens.34 Das waren in China und Indien, im Osmanischen Reich und in Europa meist Bauern im Sinn der Definition von Eric Wolf, dass sie selbst über ihre Arbeit entscheiden konnten.35 In Osteuropa waren diese Bauern in der Mehrheit schollenpflichtig oder leibeigen – sie konnten ihre Dörfer ohne Zustimmung der Grundbesitzer nicht verlassen und waren gezwungen, Dienste oder Zins zu leisten – doch auch sie entschieden über die Arbeit auf den Feldern selbst.36 In den

29 Josh Zumbrun  : The Wealthy in Florence today are the same families as 600 years ago (Wall Street Journal 19.05.2016) http://blogs.wsj.com/economics/2016/05/19. 30 Tonio Andrade  : How Taiwan became Chinese, NY 2008 (Columbia UP), Kapitel 10–11. 31 Pamela H. Smith  : Knowledge in Motion, in  : Rodgers/Raman, S. 101–133. 32 Cipolla  : Before, S. 168 f. 33 Nicht nur nach Längen und Breiten, sondern auch mit der Frage nach Bevölkerungen und Rohstoffen – vgl. die Beiträge Leonhard/Hirschhausen, S.  145–218 oder auch die Vermessung des Aralsees 1848  : Quellenbuch Nr. 3.32. 34 Vgl. einleitend Komlosy  : Arbeit, S. 105 –135. 35 Wolf  : Peasant Wars, S. XII. 36 Schmidt  : Leibeigenschaft  ; zur Diskussion Dariusz Adamczyk  : Zur Stellung Polens im modernen Weltsystem der Frühen Neuzeit, Hamburg 2001 (Kovač).

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Kolonien, besonders in den Amerikas, machten in der Regel Sklaven die Arbeit nach Regeln, die der Plantagenbesitzer durchsetzte.37 Die meisten Gewinne zogen die Kaufleute aus interregionalen Arbeitsteilungen  – Holländer importierten Getreide aus Polen und Marinebedarf aus Russland und Schweden, Engländer Zucker aus der Karibik und Chinesen Zucker aus Java. Dabei bestanden die alten Arbeitsteilungen fort – Russland, China und Indien importierten Pferde und Vieh aus den Steppenländern und exportierten Eisen und Pelze. Der Welthandel wurde beschleunigt, weil lateinamerikanisches Silber als Austauschwährung diente und die europäischen Händler damit ihre Defizite ausgleichen konnten – sowohl im Baltikum, als auch im Mittelmeer und v. a. in China und Indien.38 So viele Gesellschaften waren durch Anstiege von handwerklichen Produktionen auf dem Land oder in Vorstädten geprägt, dass Jan de Vries von einer globalen »Revolution des Fleißes« gesprochen hat. Diese Protoindustrialisierung39 bereitete nicht nur Märkte vor, sondern trug auch die Bevölkerungszunahme der Jahrhunderte – sowohl in Europa als auch in Indien und China. Wie man jeweils lebte, war sehr unterschiedlich. Die eigentlichen Unterschichten – Matrosen und Soldaten, Knechte und Sklaven, Frauen und Gesinde, Bauern ohne Pferd und Angehörige viehzüchtender Völker ohne Vieh – lebten in der Regel schlechter als die Handwerksmeister, Bauern oder Händler und oft so armselig, dass ihnen die Flucht als einziger Ausweg erschien.40 Sklaven entflohen aus den Plantagen und bildeten eigene, von der Gutsherrschaft freie Gesellschaften.41 Russische Bauern42, aber auch Matrosen und Soldaten entliefen ihren Herren, ob das nun ein orthodoxes Kloster oder die Niederländische Ostindienkompanie war.43 Um das Entlaufen zu verhindern, wurden oft Brandzeichen oder Tattoos benutzt.44 37 Barry Higman  : Plantagensklaverei, in  : ZWG 3.2 (2002), S. 9–23  ; Albert Wirz  : Sklaverei und kapitalistisches Weltsystem, F 1984 (Suhrkamp)  ; Zeuske  : Handbuch. 38 Jan de Vries  : Connecting Europe and Asia  : A Quantitative Analysis 1497–1795, in. Flynn/Giráldez, S. 35–106, hier S. 80 f. 39 Kriedte  : Spätfeudalismus  ; Peter Kriedte, Hans Medick, Jürgen Schlumbohm  : Industrialisierung vor der Industrialisierung, Göttingen 1977 (Vandenhoeck & Ruprecht)  ; kurz Markus Cerman  : Vorindustrielles Gewerbe und Proto-Industrialisierung, in  : Cerman/Eder, S. 211–227  ; vgl. Markus Cerman, Sheilagh C. Ogilvie (Hg.)  : Protoindustrialisierung in Europa, W 1994 (Verlag für Gesellschaftskritik). 40 Rossum/Kamp. 41 Wirtz, a.a.O., S.  158–184  ; vgl. Karwan Fatah-Black  : Desertion by Sailors, Slaves and Soldiers in the Dutch Atlantic  ; Kate J. Ekama  : Runaway Slaves from the VOC Cape, in  : Rossum/Kamp, S. 97–124  ; S. 161–184. 42 Quellenbuch 2.24. 43 Matthias van Rossum  : Desertion and Control in South Asia, in  : Rossum/Kamp, S. 187–202. 44 Marcel van der Linden  : Mass Exits  : Who, Why, How  ?, in  : Rossum/Kamp, S. 31–48.

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Aber Spaniens und Portugals Expansionen stagnierten. Stattdessen traten neue Konkurrenten auf den Plan  : Holland und England etablierten sich im globalen Handel und legten an den wichtigsten Welthandelswegen befestigte Faktoreien an  – von Batavia und Kalkutta bis Jamaica und Curaçao. Diese neue Konkurrenz erhöhte das Angebot an Handelsgütern, sowohl aus Reexportgütern als auch aus den Sklavereisystemen der Zuckerproduktion, führte aber nicht über die Grenzen hinaus, an die auch Portugiesen und Spanier schon gelangt waren. Die Siegesgewissheit der Spanier, Portugiesen und Russen wurde durch den Aufstieg des osmanischen Imperiums in Frage gestellt, das – mit der ersten Belagerung Wiens und dem Vorstoß ins westliche Mittelmeer, der Unterstützung indischen Widerstands gegen die Portugiesen und dem Angriff auf Astrachan – seine imperiale Position zwischen den Christen und den »Reichtümern des Orients« zu wahren versuchte. Die Osmanen machten ihren Frieden mit Russland (alles andere als »Erbfeinde«) und verloren die Seeschlachten im Indischen Ozean gegen die Portugiesen, aber sie behielten Ungarn und bauten ihre Herrschaft in der Ägäis aus. Die »Krise des 17. Jahrhunderts«45 wurde nicht nur daran deutlich, dass die Osmanen den Südosten Europas beherrschten, sondern auch an den bitteren Auseinandersetzungen entlang konfessioneller Fronten, welche den Kontinent v. a. nördlich der Pyrenäen und der Alpen erschütterten  – Hugenottenkriege in Frankreich, Revolution in England und Hinrichtung eines Königs, dreißig Jahre Lutheraner, Calvinisten und Katholiken gegeneinander im »Heiligen Römischen Reich« und »Sintflut« in Polen. Die Verluste im Dreißigjährigen Krieg waren ungeheuerlich, wenn auch sehr unterschiedlich – in Mecklenburg und Pommern betrugen sie über die Hälfte der Bevölkerung, in Schlesien etwa ein Zehntel und sowohl die österreichischen Erblande als auch Teile Nordwestdeutschlands blieben verschont.46 Insgesamt sank die Bevölkerung Deutschlands etwa um ein Viertel.47

45 Trevor Aston (Hg.)  : Crisis in Europe 1560–1660, (1965) Neuauflage London 1975 (Routledge & Keegan)  ; Miroslav Hroch, Josef Petráň  : Das 17. Jahrhundert. Krise der feudalen Gesellschaft, (1976) ü. Hamburg 1982 (Hoffmann & Campe)  ; vgl. von der Klimageschichte ausgehend und umfassend Parker  : Crisis. Menzel  : Ordnung verweist darauf, dass der Terminus Krise nicht für den Gewinner des Jahrhunderts, die Niederlande, gilt. 46 Kurz Georg Schmidt  : Der Dreißigjährige Krieg, ⁷M 2006 (Beck), hier S.  88–96  ; vgl. immer noch C. V. Wedgwood  : Der Dreißigjährige Krieg, ü. M 1967 (List). 47 Herbers/Neuhaus, S. 242.

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Der Westfälische Friede48 brachte dann, wie Henry Kissinger formuliert hat49, eine »pragmatische Anpassung an die Realität«  – ein System unabhängiger Staaten, die »davon Abstand nahmen, sich in die inneren Angelegenheiten der anderen einzumischen«. Geht man davon aus, dass die Macht des Kaisers im Reich seit dem Spätmittelalter recht begrenzt war und spätestens der Augsburger Religionsfriede 1555 gezeigt hatte, dass weder der Papst noch Kaiser Karl V. sich gegen die protestantischen Territorialfürsten und die Staatsraison Frankreichs durchsetzen konnten, war die Veränderung im realen politischen System wohl weniger tiefgreifend. Auch wenn die Landesherren nun fast die Souveränität erreicht hatten, war das Prinzip der Souveränität zwischen den Königreichen schon länger gültig und ist in Frankreich ja auch schon früher formuliert worden.50 Aber vielleicht kann man sagen, dass der Westfälische Friede das Prinzip der Souveränität unumkehrbar machte. Zur inneren Krise, die aus der in der konstantinschen Fassung des Christentums verankerten Intoleranz folgte und im Sinn der Staatsraison beigelegt wurde, kam der erneute Angriff des Osmanischen Reichs auf Polen und das HRR. Der bot aber zugleich die Chance, die Krise nach außen zu wenden. Gottfried Wilhelm Leibniz51 bietet dafür ein geistesgeschichtliches Beispiel. In seinem »Bedencken, welchergestalt Securitas publica interna et externa und Status praesens im Reich iezigen Umbständen nach auf festen Fuß zu stellen sei«52, beklagt er 1670, dass Deutschland zum Apfel der Eris geworden sei, »zum Kampfplatz, darauf man umb die Meisterschaft von Europa gefochten«. Er schlägt stattdessen vor, dass Europa sich gegen »den Erbfeind, den Barbaren, den Ungläubigen« wenden solle. Seine Idee ist dabei nicht, dass erst eine staatliche Union hergestellt werden müsse, sondern dass jeder Staat für sich die Expansion suchen solle  :

48 Die beiden Städte, in denen sich die Vertreter der Mächte trafen, um dann Boten hin und her zu schicken, gehörten damals beide zum Westfälischen Reichskreis. Erst 1815 kam Osnabrück auf Dauer an das Königreich Hannover und Münster wurde der Hauptort der preußischen Provinz Westfalen. 49 Kissinger  : Weltordnung, S. 11  ; Klaus Malettke  : Hegemonie – multipolares System – Gleichgewicht = Handbuch Internationale Beziehungen 3. 50 Vgl. klassisch Carl J. Burckhardt  : Richelieu, M 1937 (Callwey)  ; Hans Hubert Hofmann (Hg.)  : Die Entstehung des modernen souveränen Staates, Köln usw. 1967 (Kiepenheuer & Witsch)  ; Ilja Mieck  : Die Entstehung des modernen Frankreich, S 1982 (Kohlhammer). Ein neuerer kulturbezogener Ansatz Asch/ Feist. Zur Geschichte des Staatsverständnisses vor Jean Bodin Stefano Saracino, Manuel Knoll (Hg.)  : Das Staatsdenken der Renaissance – Vom gedachten zum erlebten Staat, Baden-Baden 2013 (Nomos). 51 Einführend Klaus Kremb (Hg.)  : Gottfried Wilhelm Leibniz. Politisches Denken, Wiesbaden 2016 (Marix). 52 Gottfried Wilhelm Leibniz  : Bedencken, in  : Sämtliche Schriften und Briefe, 4. Reihe, Bd. 1, hg. v. Paul Ritter, Darmstadt 1931, S. 133–170, hier S. 166.

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|  Gegenbewegung Solten nun Kayser, Pohlen, Schweden auf einer seite parallelis lineis auf die Barbaren gehen, und die Promoeria der Christenheit zu erweitern suchen, der Kayser und Pohlen auf die Türcken, Moscau auf die Tartaren mit ernst dringen, und keiner in andere concilia vertieft seyn, oder andere feinde à Tergo zu fürchten haben, wie bald solte bey gerechter sache der segen Gottes zu spueren seyn […].

Die Länder Westeuropas sollten nach Übersee expandieren, Frankreich nach Ägypten … Die für Paris geschriebene Fassung heißt dann auch »consilium Ägyptiacum«53. Der junge Leibniz, der damals in Diensten von Kurmainz stand, schlug also ein Zusammenwirken der verschiedenen europäischen Mächte gegen die »Barbaren und Ungläubigen«54 vor, um den Frieden in Europa und insbesondere für Deutschland zu erhalten. Dass das Konzept schon theoretisch nicht ganz aufging, ist an der Stellung Russlands deutlich – wenn Russland, Polen und das Reich gegen das Osmanische Imperium marschieren (zu dem die Krim gehört), bleibt Schweden unbeschäftigt. In einem anderen, ähnlichen Entwurf für Frieden im Zentrum und Krieg an den Peripherien, anlässlich der Königswahl in Polen 1669 und gegen den russischen Kandidaten, hat Leibniz entsprechend infrage gestellt, ob Russland überhaupt ein christliches Land sei – dann hätte sein Modell gestimmt und die Militärmacht Schweden hätte gegen Moskau marschieren können.55 Die Frage nach der Zugehörigkeit Russlands zu Europa ist heute wieder aktuell  ; z. B. hat Wolfgang Reinhard Russland in seiner hier mehrfach herangezogenen »Geschichte der Staatsgewalt« nicht einbezogen, obgleich er das Buch »vergleichende Verfassungsgeschichte Europas« nennt.56 Auch an anderer Stelle betont er als seinen Gegenstand »Latin Europe«, das er vom Atlantik bis zu einer fiktiven Grenze St. Petersburg–Triest reichen lässt.57 Dieser Begriff von Europa ist vermutlich unter deutschen Historikern heute am weitesten verbreitet und hat auch in den USA viele Anhänger. Dass hier anders argumentiert wird, hängt zuerst damit zusammen, dass Religion ein höherer Stellenwert bei der Prägung einer Kultur zugemessen wird als bei Reinhard, und dass die Orthodoxie nun einmal als schismatische der Lateinischen Kirche näher steht als der 53 Consilium Ägyptiacum, in  : Sämtliche Schriften und Briefe, 4. Reihe, Bd. 1, hg. v. Paul Ritter, Darmstadt 1931, S. 215–410. 54 Bedencken, a.a.O., S. 167. 55 Georgius Ulivicio Lituanus  : Specimen Demonstrationum Politicarum pro eligendo Rege Polonorum, in  : ders.: Opera omnia, hg. v. L. Butens, Bd. IV, Genf 1768, S. 522–615  ; hier nennt er den Moskauer sogar »Turca alter« S. 614. Nach der Einleitung des Herausgebers in G. W. Leibniz  : Sämtliche Schriften, hg. v. Paul Ritter, 4. Reihe, Band 1, Darmstadt 1931, S. XIX hat Leibniz 1694 eingestanden, Autor zu sein. 56 Reinhard  : Staatsgewalt. 57 Reinhard  : Europe and the Atlantic World, in  : Reinhard  : Empires, S. 739–940, hier S. 771–857.

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Protestantismus, der theologisch gesehen eine Häresie ist.58 Es hängt aber auch mit der Wirtschaftsgeschichte zusammen – Russland ist kontinuierlich und vom 15. Jh. an auch mit Massengütern am innereuropäischen Handel beteiligt,59 und seine Regierungen bemühen sich vom 16. und 17. Jh. an, militärische Kenntnisse und Produktionstechniken aus dem Westen zu übernehmen. Dass ihnen das nicht im gewünschten Ausmaß gelang, dass Russland also nur zu einem halbperipheren und nicht zu einem zentralen Teilnehmer des Systems wurde, ist Vorgeschichte seines Aufstiegs zum Imperium unter Peter I. (vgl. unten), ändert aber nichts daran, dass es Teil des Systems war. Übrigens auch der Migrationssysteme – Italiener und Holländer, Schotten und Deutsche machten in Russland schon vor Peter I. Karriere.60 Außenpolitisch gehörten die »Bedenken«, die Leibniz hier publizierte, zu vorbereitenden Gedankenspielen für eine Änderung der Bündnisse – Russland sollte für die Heilige Allianz geworben werden (was 1686 übrigens gelang61). Insofern könnte man davon sprechen, dass das »Bedenken« realisiert wurde  – Moskau marschierte gegen die Krim, Polen gegen Podolien, Österreich gegen Belgrad und Venedig eroberte den Peloponnes. Der Kern von Leibniz’ Vorschlag – Frankreich zur Allianz zu überreden, damit das Heilige Römische Reich keinen Angriff im Rücken fürchten musste – wurde jedoch nicht realisiert. Leibniz war an den Bündnisverhandlungen mit Moskau nicht beteiligt  ; er formulierte, wie schon Heinz Gollwitzer festgestellt hat, ein Projekt, das gewissermaßen in der Luft lag.62 In diesem Vorschlag wird die Struktur des europäischen Mächtesystems deutlich. Wenn Leibniz vorschlägt, dass Frankreich Ägypten, Habsburg Ungarn, Polen Wolhynien und Russland die Krim erobern soll, weiß er natürlich, dass dies alles Provinzen oder doch Klientelstaaten eines einzigen Imperiums sind  : des Osmanischen. Die europäischen Staaten können diesem Imperium einzeln nicht expansiv entgegentreten, dazu fehlt ihnen das Potenzial. Leibniz schlägt ein Bündel von Angriffen als »Orbis Christianum«63 vor. Dass bei einer solchen Art des Angriffs das Osmanische Imperium sich an der Front den Gegner aussuchen wird, dem es sich zuerst zuwendet, und die 58 Nolte  : Russland, S. 81 f., Nolte  : Religions. 59 H.-H. Nolte  : Zur Stellung Osteuropas im internationalen System, in  : JbGOE 28.2 (1980. 60 H.-H. Nolte  : Tradition des Rückstands. Ein halbes Jahrtausend Rußland und der Westen, in  : Vierteljahreshefte für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 78 (1991), S. 1–21  ; ders. Images of the West in Russian Peasant Uprisings, in  : J. S. Lemmink (Ed.)  : De Nederlanden en het Balticum, Nijmegen 1990, S. 249– 262. Vgl. z. B. zum Jakobitismus in Russland Paul Dukes, Graeme P. Herd, Jarmo Kotilaine  : Stuarts and Romanovs, Dundee 2009 (Dundee UP), bes. S. 105–222. 61 Zuletzt H.-H. Nolte  : »Mit lähren Händen«. Zur Moskauer Konferenz 1684, in  : JbGOE 2002, S. 276– 285. 62 Gollwitzer  : Weltpolitisches Denkens 1, S. 172–197. 63 Specimen, wie Anm. 55, S. 564.

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Gefahr besteht, dass die Angreifer einzeln geschlagen werden, liegt auf der Hand – von der Rolle Frankreichs zu schweigen. Die Auseinandersetzung mit den Osmanen hatte auch eine innenpolitische Seite. Nicht nur, weil muslimische Staaten mehr religiöse Toleranz und den Bauern bessere Lebensbedingungen boten, sondern auch, weil der »zusammengesetzte« Charakter vieler europäischer Staaten64 durch die imperiale Autokratie Istanbuls infrage gestellt wurde. Der Aufstieg asiatischer Imperien

Globalgeschichtlich war das 17. Jh. nicht nur durch einen Aufstieg der Osmanen, des Mogulreichs und der Mandschu, sondern auch anderer asiatischer Mächte bestimmt. Wir verdanken es v. a. Kenneth Pomeranz65 und der »kalifornischen Schule«66, dass wir diesen Aufschwung ökonomisch und sozial einordnen können. Auch Andre Gunder Frank hat an der »Reorientierung« der Sozialwissenschaften und einer Abwendung vom eurozentrischen Konzept »the West and the rest« seinen Anteil.67 Die wirtschaftliche Produktivität in Westeuropa und Ost- sowie Südasien lag im 17. Jh. ziemlich auf demselben Niveau. Selbstverständlich gab es Unterschiede – aber viele Veränderungen im wirtschaftlichen Aufschwung der Periode waren ähnlich, z. B. wurden die Zentren Chinas genauso entwaldet wie die der führenden europäischen Länder. Waren die Chinesen bei den Öfen überlegen und die Bengalen beim Tuch, so die Europäer bei Metallprodukten – und durch die Verfügung über das lateinamerikanische Silber. John Darwin hat für eine breite Öffentlichkeit deutlich gemacht, dass die asiatischen Imperien in dieser Periode den europäischen Königreichen auch militärisch keineswegs unterlegen waren.68 Die sogenannten Schießpulverimperien69 waren in der Lage, die Rüstung der Zeit – eine Mischung aus beweglicher Feldartillerie, Schützen mit Steinschlossgewehren und verschiedenen Arten von Kavallerie  – aufzustellen und im Feld mit Nachschub zu versorgen. Die asiatischen Imperien unterhielten entsprechend nicht nur Manufakturen für Kanonen und Musketen, sondern auch Magazine für Getreide und Gestüte für Pferde (der Aufstieg von Infanterie und Artillerie bedeutete ja einen Mehrbedarf an Pferden, weil Geschütze und Nachschub gezogen werden mussten). Die Kriegsschiffe der asiatischen Mächte waren den europäischen unterlegen, weil letztere 64 Becker Zusammengesetzte Staatlichkeit. 65 Pomeranz  : Divergence. 66 H.-H. Nolte  : China  : the »California School«, in  : Michael Gehler, Xuewu Gu, Andreas Schimmelpfennig (Hg.)  : EU – China, Hildesheim 2012 (Olms), S. 15–26. 67 Frank  : »Re-Orientieren«. 68 Darwin  : Tamerlane. 69 Vgl. einführend Dietmar Rothermund  : Einleitung, in  : Rothermund/Preisendanz, S. 11–28.

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Breitseiten feuern und schneller manövrieren konnten (selbst hier gab es Grenzen – Chinesen besiegten bei der Rückeroberung Taiwans die Holländer). Aber zu Lande siegten asiatische Imperien meist über Europäer – wie die Ungarn schon 1526 mit der Niederlage von Mohacz erfahren hatten, aber eben auch die Russen in Albasin in Fernost. Die Schießpulverimperien waren zentralisierte Staaten, in denen Verwaltung und der wichtigste Teil des Militärs (Artillerie und Schützen) beim Sultan, Schah-in-schah oder Sohn des Himmels organisiert waren und als Mitglieder des imperialen Haushaltes alimentiert wurden. Obwohl z. B. die Eroberung des christlichen Georgien durch das Persische Imperium in Westeuropa durchaus beklagt wurde  – etwa von Andreas Gryphius in einem eigenen Schauspiel70  –, war für Mitteleuropa die neue Expansion des Osmanischen Reiches unmittelbar relevanter. 1663 eroberten die Osmanen die Festung Neuhäusel vor den Toren Wiens, 1669 schlossen sie die Eroberung von Kreta ab, 1673 eroberten sie die polnische Provinz Podolien mit der Festung Kamienec Podolsk und standen damit vor den Toren Kiews und Lembergs. Nun plädierten viele christliche Publizisten wie Leibniz für einen gemeinsamen Angriff der europäischen Mächte, und ein kaiserlicher Gesandter versuchte 1684 sogar, Russland den Angriff nicht nur auf das Schwarze, sondern auch das Rote Meer als erfolgversprechend zu verkaufen.71 Die »Heilige Liga«, das Bündnis von Malteser Orden, Venedig, Kaiser und Polen, unterstützt vom Vatikan, kam zustande. Der polnische König Jan Sobieski führte 1683 den Entsatz des belagerten Wien an, aber Polen konnte seine Schwäche in der Artillerie nicht ausgleichen und Kaminiec Podolsk nicht zurückerobern  ; es erhielt Podolien erst mit dem Frieden von Karlowitz. 1686 ließ sich auch Russland zur Teilnahme bewegen, aber die russischen Feldzüge auf die Krim endeten in logistischen Katastrophen. Erst Peter I. setzte den Hafen am Asowschen Meer durch – den er allerdings 1711 wieder aufgeben musste. Das Osmanische Imperium war damals kein »kranker Mann«. Woher kam die Schwäche der asiatischen Mächte im späten 18. und im 19. Jh.? Eher kann man die Stärke der europäischen Mächte und besonders Großbritanniens beschreiben – in der »industrialisierten Kultur« und im Militär.72 Siege der Nationalstaaten

»Vormoderne Nationen« hat es nicht nur in der Antike, sondern auch im europäischen Mittelalter gegeben.73 Der mittelalterliche Begriff bezeichnet eine Gruppe mit einer ge70 Andreas Gryphius  : Catharina von Georgien [1657], hg. v. A. M. Haas S 1999 (Reclam). 71 Vgl. die Rede des kaiserlichen Gesandten von Blomberg in Moskau, z. T. in H.-H. Nolte, Wolfgang Vetter  : Der Aufstieg Russlands zur europäischen Großmacht, Stuttgart 1982 (Klett) Nr. 41. 72 Mishra  : Ruinen, S. 21–60, Zitat S. 53. 73 Scales/Zimmer.

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meinsamen Stellung, die durchaus verschiedene Sprachen reden mochten. So konnte in Polen ein Litauer, der zum (geborenen) Adel gehörte, von sich sagen, er sei »natione Polonus, gente Lituanus«. Allerdings wurde in der Frühen Neuzeit durchgesetzt, dass der Adel po pansku, auf Art der Herren, also polnisch redete, während Bauern, Juden oder Tataren bei ihren vielen lokalen Sprachen blieben.74 Susan Reynolds führt einen Brief der natio Scottorum an den Papst an (1320), der sich gegen Angriffe aus England wendet.75 Im späten Mittelalter häuften sich die Bekenntnisse zu sprachlicher Zugehörigkeit, gefördert von den Humanisten, die mehr Menschen erreichen wollten, und den Druckereien.76 Als erste moderne Nation, in der die politische Integration einer breiten Elite erreicht wurde, wird unten England skizziert. Denn obgleich die von der Katholischen Kirche als transnationale (von ihrem eigenen Konzept her universale) geförderte Heilige Liga gegen das Osmanische Imperium zustande kam, nahm Frankreich nicht teil. 1681 besetzte es Straßburg und Casale mitten im Frieden und begann mit den »Reunionen«, welche die Grenze an den Mittelrhein vorverlegen sollten. 1688 marschierte Frankreich in die Pfalz ein. England und Holland finanzierten den Widerstand, das Heidelberger Schloss wurde niedergebrannt, aber der Krieg dauerte bis 1697 und im »Frieden von Risjwijk« musste Frankreich zwar auf die Reunionen verzichten, behielt aber Straßburg. Damit war der Charakter des europäischen Konzerts als eines Konkurrenzsystems von Imperien, Königreichen und Republiken bestätigt. Jeder Staat suchte seinen Vorteil. Rekurse auf das Christentum oder das Feindbild »Barbar und Ungläubiger« mochten für die Propaganda und Intellektuelle nützlich sein, aber sie überzeugten die Politiker nicht. Interessant am Pfälzischen Krieg ist deshalb nicht, dass Frankreich seine Interessen verfolgte, sondern dass zwei neue Mächte den Krieg entschieden  : England und Holland, vereint unter Wilhelm von Oranien. Im Osten gelang die Abwehr des osmanischen Angriffs. Im Frieden von Karlowitz 1699 konnte Habsburg große Teile Ungarns in Personalunion und Russland konnte Asow erwerben. Der Erfolg war nur möglich, weil Habsburg und Moskau zum Absolutismus übergegangen waren, die Ressourcen ihrer Staaten vermehrt und teure, moderne Armeen aufgebaut hatten. Zugleich aber wurde deutlich, dass das leibnizsche Thema, der Kampf der Christenheit, die westeuropäische Szene nicht mehr bestimmte. 1700 setzte der kinderlose letzte Habsburger auf dem spanischen Thron, Karl II., den Enkel des französischen Königs Ludwig XIV., einen Bourbonen, als seinen Nachfolger ein  : König Philipp V. wurde im 74 Alexander  : Polen, S. 100. 75 Susan Reynolds  : The idea of a nation as a political community, in  : Scales/Zimmer, S. 54–66. 76 Kohler  : Expansion und Hegemonie, S. 63–74  ; Anderson  : Nation.

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ganzen spanischen Reich als König anerkannt und Frankreich erhielt einen monopolistischen Zugang zum spanischen Kolonialhandel, insbesondere das gewinnbringende Privileg, Sklaven aus Afrika in den spanischen Kolonien zu verkaufen – das »Asiento«. Für die Seemächte drohte damit eine französische Hegemonie, welche das Gleichgewicht der Kräfte, die balance of power, aufheben würde. Wie schon im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1688–1697 verbünden sich unter der Führung Wilhelms von Oranien Großbritannien, die Generalstaaten, der Kaiser und das Reich sowie Preußen und Savoyen zur Großen Allianz. Dies ist der Moment, sich die beiden Seemächte, die Generalstaaten und Großbritannien, genauer anzusehen. Tabelle 5  : Vergleiche um 1700 N. Niederlande

England u. W.

Habsburg

Frankreich

Bevölkerung*

1,5

5,5

5,3

20

Rüstung**

50

45

10

15

1  : 4,5a

1  :7

910

910

Ernten***

1  :10

1  :7

GDP****

2.130

1.250

a Ganz Deutschland. * in Millionen ** je Kopf in Pfund Sterling *** gemessen am Verhältnis ausgesätes/geerntetes Korn **** Bruttosozialprodukt je Kopf um 1700 in Dollar von 1990

Um 1700 hatte Frankreich fast viermal so viele Einwohner wie England und Wales.77 Wirtschaftlich waren beide Länder damals nicht grundlegend unterschieden. Landwirtschaftlich gab es sehr produktive Gebiete wie die Isle de France oder Sussex, in denen die Bauern zu intensiver Wirtschaft und Spezialisierungen im Rahmen von Mehrfruchtwechselwirtschaften übergingen, aber es gab auch viele altertümlich nach dem Dreifeldersystem produzierende Gebiete, wie überhaupt die Übergänge (nicht nur in der Landwirtschaft) eher als langfristig denn als kurzfristig und »revolutionär« zu verstehen sind.78 Der Übergang des Gewerbes zu Manufakturen war im 17. Jh. in Frankreich gegen die holländische und englische Konkurrenz von der Regierung gefördert worden  ; man hatte aufgeholt. Auch der Urbanisierungsgrad war ähnlich – Frankreich hatte mehr Großstädte mit über 30.000 Einwohnern, aber es hatte ja auch viel mehr Menschen.

77 Wirtschaftsploetz, S. 53. 78 Erich Landsteiner  : Landwirtschaft und wirtschaftliche Entwicklung 1500–1800, in  : Cerman/Steffelbauer, S. 173–205.

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Das ökonomisch am weitesten entwickelte Land waren vielleicht immer noch die südlichen Niederlande – Antwerpen war um 1700 mit mehr als 200.000 Einwohnern die bevölkerungsreichste Stadt Westeuropas und die Ebenen im heutigen Belgien waren landwirtschaftlich außerordentlich produktiv. Lag das Verhältnis zwischen ausgesätem zu geerntetem Korn in England und Frankreich bei eins zu sieben, gab es in Flandern Gebiete mit Werten bis über 1  :20.79 Die südlichen Niederlande waren aber keineswegs die politisch führende Macht, sondern viel eher Ziel der Eroberungen – Frankreich und die nördlichen Niederlande eroberten Teilgebiete. Frankreich als absolutistisches Land integrierte seine Eroberungen und Lille ist heute eine französische Stadt  ; die nördlichen Niederlande als protestantische Republik errichteten in den »Generalitätslanden« abhängige Territorien, die trotz calvinistischer Missionsversuche überwiegend katholisch blieben und vom Norden regiert wurden.80 Vor allem gelang es dem Norden, die Schelde zu sperren und Antwerpen vom Seehandel auszuschließen. Trotz solcher Verluste kämpften die Habsburger um jedes Stück Boden dieses reichen Landes (letztlich erfolgreich, denn sonst gäbe es heute Belgien nicht). Wenn die wirtschaftliche Leistung je Einwohner um 1700 sich nicht oder zumindest noch nicht entscheidend unterschied, wie konnten die Republik der Niederlande und das Königreich England es wagen, sich gegen Frankreich zu wenden  ?81 Vor allem deswegen, weil ihre finanzielle Leistung je Einwohner deutlich höher war. Nehmen wir als Beispiel den Spanischen Erbfolgekrieg 1701–1713/14, in dem es um die Hegemonie im europäischen Konzert ging. Rechnet man die Summen in Pfund Sterling um,82 brachte Frankreich in diesem Krieg mit etwa 20 Millionen Einwohnern ca. 300 Millionen Pfund auf  ; England und Wales mit etwa 5,5 Millionen Menschen 171 Millionen Pfund (die zu 40 % für die Armee, zu 35 % für die Flotte und zu 25 % für Subsidien ausgegeben wurden)  ; die (nördlichen) Niederlande mit 1,5 Millionen Menschen etwa 70 Millionen Pfund (die zu 25 % für die Flotte ausgegeben wurden) und die habsburgischen Länder mit etwa 5,5 Millionen Einwohnern rund 59 Millionen Pfund Sterling. Rechnet man die Rüstungssummen auf die Bevölkerung um, dann stand die Republik der Niederlande an erster und Habsburg an letzter Stelle. In der Wirtschaftsleistung unterschieden sich England und Frankreich noch nicht fundamental, aber auch die habsburgischen Länder im Reich fielen nicht wesentlich ab.83 Die 79 Wirtschaftsploetz, S. 62. 80 J.  S.  A.  M. van Koningsbrugge  : The ›Generaliteitslanden‹ as a Periphery of the Republic, in  : Innere Peripherien 1, S 119–132. 81 Vgl. H.-H. Nolte  : Radikalisierung von Macht und Gegenmacht, in  : Grandner/Komlosy, S. 45–72. 82 Peter G. M. Dickson  : War Finance, in  : John S. Bromley (Hg.)  : The New Cambridge Modern History Bd. 6, Cambridge 1970 (Cambridge UP), S. 284–315. 83 Erich Landsteiner  : Kein Zeitalter der Fugger, in  : Edelmayer/Feldbauer, S. 95–124. Landsteiner berichtet

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nördlichen Niederlande hatten die südlichen überholt, aber Flandern war immer noch reich. Der Kolonialhandel brachte zweifellos große Gewinne, die meisten zu diesem Zeitpunkt für die Niederlande. Aber um 1700 waren die französischen Kolonien nicht unbedeutender als die englischen. Beide Länder nahmen über ihre nordamerikanischen Besitzungen am Pelzhandel teil, beide nutzten die Neu-Fundland-Bank zum Kabeljaufang, beide nahmen am Indienhandel teil, wo sie für asiatische Waren mit Silber bezahlen mussten. Nach den Schätzungen von Patrick O’Brien lag der Anteil des Fernhandels am Bruttosozialprodukt im 18. Jh. bei höchstens einem Zehntel und der Anteil des Kolonialhandels war entsprechend geringer. Doch die Gewinne aus dem Kolonialhandel und die Rückflüsse des Silbers aus Indien machten Geld in England billig, was zur Finanzierung der Armeen und Flotten beitrug.84 Angus Maddison hat versucht, das »Gross Domestic Product«85 der Welt per capita in Dollar von 1990 zu schätzen (s. o.). Ihm zufolge liegen 1600 die südlichen Niederlande, England, Frankreich und Deutschland bei 791 bis 900 seiner Verrechnungseinheit, nur die nördlichen Niederlande liegen mit fast 1400 deutlich darüber. Um 1700 sind die Daten für die nördlichen Niederlande bei über 2000 anzusetzen und die für England bei 1.250, während Frankreich und Deutschland bei 900 stagnieren. Während demnach um 1600 die Einkommen pro Kopf noch nah beieinanderliegen, sind im Lauf des 17. Jh. die Pro-Kopf-Einkommen von England und den Niederlanden überdurchschnittlich gestiegen. Die Niederlande sind führend, aber die Differenz zwischen Frankreich und England ist noch nicht allzu groß. Trotzdem brachte der englische Steuerzahler im Spanischen Erbfolgekrieg nicht etwa ein Viertel mehr als der französische auf, wie das dem Unterschied im Pro-Kopf-Einkommen entsprochen hätte, sondern das Dreifache. Die Differenz in den finanziellen Ressourcen der vier Staaten kann also nur begrenzt mit den Unterschieden in der durchschnittlichen ökonomischen Leistung erklärt werden und auch nicht mit Unterschieden hinsichtlich der Gewinne aus den Kolonien oder dem Kolonialhandel. Der Unterschied liegt vielmehr in der höheren Kapazität Englands und der Niederlande, die erhobenen Steuern auch wirklich einzuziehen. Diese Kapazität war Teil jenes Vorgangs, in dem die beiden erwähnten Staaten zu Nationen wurden. Ein anderer zentraler Teil dieses Vorgangs war Sozialdisziplinierung.86 Nicht nur der Habitus der nur bis zum 30-jährigen Krieg, aber die habsburgischen Lande erlitten in ihm viel weniger Verluste als der Norden. 84 Vgl. Joachim Becker  : Die Peripherie in der kapitalistischen Weltwirtschaft, und H.-H. Nolte  : Die Peripherie in der Weltgeschichte, in  : Parnreiter/Novy, S. 35–74. 85 Maddison  : Contours, Tabelle S. 382. 86 Wolfgang Reinhard  : Sozialdisziplinierung  – Konfessionalisierung  – Modernisierung, in  : BoškovskaLeimgruber  : Frühe Neuzeit, S. 39–56.

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allodialen Gutsbesitzer und der Bürger, sondern auch jener der Unterschichten wurde geändert, oder doch – von der Kanzel herab, aber auch durch Polizei und Schule – zu ändern gesucht. Höflichkeit und Disziplin wurden gefördert und gefordert. Auf diese Zivilisierung hat schon früh Norbert Elias hingewiesen  ;87 sie wurde nicht nur bei den Seemächten, sondern auch auf dem Kontinent verbreitet. Ich folge Reinhard Koselleck in den »Geschichtlichen Grundbegriffen«88 und verwende den Begriff Nation im Unterschied zu dem Begriff Volk  : Nationen sind politische Einheiten mit festen Grenzen, in denen ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung an den politischen Entscheidungen partizipiert, auch wenn die Menschen nicht dieselbe Sprache reden  ; Völker sind ethnische Einheiten, welche dieselbe Sprachen reden und für die ein Staat gefordert wird. Im System wurden auch, von England vorangetrieben, politische Regeln entwickelt, für das 17. und 18. Jh. das Konzept vom »Gleichgewicht der Kräfte«. Imperium, »Universalmonarchie«, wurde zum »Instrument der propagandistischen Diffamierung der jeweils mächtigsten Herrscher Europas«, wie Wolfgang Reinhard formuliert hat.89 Im Verlauf der beiden Jahrhunderte  – manchmal mit beträchtlichen Vorläufen  – entwickelten alle Staaten des Systems Institutionen, die nicht überall gleich, aber doch miteinander kompatibel waren – Hofämter wie Kanzler und Schatzmeister, Sekretäre und Minister sowie regionale Verwaltungsinstitutionen.90 Auch die beiden Imperien, die im 18. Jh. Mitglieder des Konzerts waren – das Heilige Römische und das Russländische Reich  – folgten diesen Mustern. Beispielhaft waren nicht nur die die »militärische Revolution«91, sondern auch die Verbreitung einer meist vom Fiskus organisierten, »merkantilistischen« Wirtschaftspolitik in den europäischen Staaten.92 In allen Staaten wurden auch Fremdbilder entwickelt, die im Krieg zu Feindbildern gesteigert werden konnten, um Fronten aufzuzeigen und Zusammenhalt zu fördern – von »John Bull« zu »Marianne«.93 Staatsbildung war – wie unten am englischen Fall skizziert – auch stets ein kultureller Prozess – nicht nur in West- und Mitteleuropa94, sondern auch

87 Norbert Elias  : Über den Prozeß der Zivilisation (1936), Neuausgabe Frankfurt 1976 (Suhrkamp)  ; vgl. Peter Gleichmann  : Soziologie als Synthese, hg. v. Hans-Peter Waldhoff, Wiesbaden 2006 (VS-Verlag), S. 231–306. 88 Koselleck  : Volk. 89 Reinhard  : Staatsgewalt, S. 44. 90 Reinhard  : Staatsgewalt, S. 125–210. 91 Parker  : Revolution, vgl. Parker  : Empire. 92 Fritz Blaich  : Die Epoche des Merkantilismus, Wiesbaden 1973 (Steiner)  ; vgl. jetzt Andreas Weigl  : Wirtschafts- und Sozialpolitik, in  : Cerman/Eder, S. 305–321. 93 Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 259–308, S. 281–283. 94 Asch/Freist.

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KÖNIGREICH

Karte 8: Polen 1621

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poln. Intervention

1605 - 16013

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Königreich [Zarstwo] Polen 1815 in Personalunion mit Russland

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Aufteilung im 18. Jahrhundert

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Verluste im 17. Jahrhundert

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Königreich Polen 1621 [„Adelsrepublik“] als Expansionsobjekt der benachbarten Königreiche und Imperien

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1667

OSMANISCHES REICH

250 km © Entwurf: Hans-Heinrich Nolte Kartographie: Florian Partl

z. B. in Russland.95 Ob Imperium oder Königreich, ob protestantisch, katholisch oder orthodox – die frühneuzeitlichen Staatsbildungen in Europa verliefen unterschiedlich, aber nach ähnlichen Mustern. Allerdings scheiterten auch einige der europäischen Staaten, Polen zum Beispiel.96 Im 17. Jh. verlor Polen Randprovinzen an das Osmanische Imperium, das Königreich Schweden und das Kurfürstentum Brandenburg und es musste die Teilung der Ukraine mit Russland akzeptieren. Aber es erlangte im Bündnis mit Österreich Podolien zurück und stabilisierte sich in Kooperation mit dem Kurfürstentum Sachsen. Am Ende des 18. Jh. wurde Polen jedoch zwischen den beiden Imperien Österreich und Russland sowie dem Königreich Preußen aufgeteilt. Warum scheiterte Polen  ? Es war eine ständisch-parlamentarische, vormoderne Nation in der Halbperipherie Europas. Mit etwa 8 % war ein höherer Prozentsatz der Gesamtbevölkerung als in jedem anderen europäischen Staat wahlberechtigt für die Landtage der Provinzen und den Reichstag (die Sejimiki und den Sejm) – der gesamte Adel und 95 Vgl. S. Ja. Karp, S. A. Mezin (Hg.)  : Les Lumières Européennes et la civilisation de la Russie, Moskva 2004 (Nauka)  ; E.  N. Marasinova (Hg.)  : Classical Russia Vol. 1–5, (2006–2010, Idyllwild/CA (Schlacks))  ; einführend auch die Lemmata Russländische Gesellschaften, in  : EdN 11 (2010), Spalten 434–452. 96 Alexander  : Polen  ; Hoensch  : Polen  ; Zernack  : Polen.

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einige Städte. Polen war auch nicht (wie man das für die konfuzianischen Eliten Chinas überlegen kann) pazifistischer als die anderen Staaten Europas – es intervenierte, wo das möglich schien, etwa in Moskau 1605–1613. Polen ähnelte in seiner sozialen Struktur vielen anderen Ländern  ; ein allodialer Adel exportierte über die Ströme des Landes und die Häfen Danzig und Riga Getreide und Marinebedarfsprodukte.97 Es war das einzige Land in Europa, das Juden eine ziemlich verlässliche Heimstatt bot – sie durften keinen Grund und Boden außerhalb der Städte erwerben, dominierten aber viele Handwerke und manchen Zwischenhandel.98 Polen war »zusammengesetzt« aus Litauen, Livland, Preußen, Polen selbst und »Reussen« – den vor der polnischen Ostexpansion im 14. und 15. Jh. zur »Rus« gehörenden Ländern. Polen war – wie der Aufsteiger des 18. Jh. Österreich und wie Frankreich – katholisch. Polen war übrigens territorial sehr groß, es umfasste in seiner Glanzzeit etwa eine Million Quadratkilometer. Der Grund, aus dem Polen im 17. Jh. schwächelte und schließlich aufgeteilt wurde, war auch nicht das »liberum Veto« des Adels im Sejm, mit dem ein adliger Abgeordneter einen Beschluss verhindern konnte (in den Niederlanden hatte jede Provinz ein Veto gegen die Generalstaaten). Gewiss kam vieles in einer Krise zusammen, aber der Grund für die Schwäche war, dass die Adelsrepublik nicht genügend Mittel aufbrachte, um ein modernes stehendes Heer in ausreichendem Umfang zu finanzieren. Der Adel sah seine eigene Rolle als kriegerische Elite, und konnte ja auch immer noch gute Kavallerieeinsätze reiten wie in der Schlacht am Kahlen Berge, aber ohne ausreichende Artillerie unterlag Polen den vereinigten Schweden und Brandenburgern in der Mitte des Landes in der Schlacht vor Warschau 1656 und konnte den Osmanen nicht Kamenec Podolsk abnehmen. Obgleich die territorialen Folgen sich mit der Anerkennung der Souveränität des Großen Kurfürsten in Preußen in Grenzen hielten, bedeuteten die Niederlagen doch den »Verlust der Großmachtstellung«99. Die Teilungen Polens am Ende des 18. Jh. wurden schon zeitgenössisch als offenbares Unrecht verstanden. Diese Reaktion in weiten Teilen der öffentlichen Meinung in Europa zeigte, dass die polnische Elite zwar die militärische und politische Macht verloren hatte, aber über andere »Sorten« von Macht nach wie vor verfügte, nämlich die internationale Anerkennung100 und die nationale Integration. »Polen als Ganzes lebte in der Kultur fort.«101 Als Kaiser Alexander 1815 in Wien durchsetzte, dass der größeren Teil Polens an Russland kam, hat er versucht, der Fremdherrschaft den Stachel zu nehmen  97 Dariusz Adamczyk  : Zur Stellung Polens im modernen Weltsystem der Frühen Neuzeit, Hamburg 2001 (Kovač)  ; ders.: Polen-Litauen 1569–1660, in  : Nolte  : Imperien, S. 19–30.  98 Haumann  : Ostjuden.  99 Hoensch  : Polen, S. 143–152. 100 Heeren  : Handbuch, S. 10. 101 Alexander  : Polen, S. 220.

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und ein Zarstwo, ein Königreich Polen mit eigenen Institutionen und eigener Staatsbürgerschaft, zu schaffen. Alexander nahm an Sejms in Polen teil und noch sein Nachfolger Nikolaus I. kam zur Krönung nach Warschau und eröffnete den polnischen Reichstag. Aber ein Aufstand polnischer Offiziersschüler führte zum Beschluss des Sejms, den König (also Kaiser Nikolaus I.) abzusetzen, und das führte zu einem regelrechten Krieg der königlich polnischen gegen die kaiserlich russische Armee. Der Chef der russischen Geheimpolizei sah mit dem Aufstand die Chance gekommen, Mittel gegen die »Verbreitung der sittlichen Krankheit zu ergreifen, welche die jungen Geister in Europa angesteckt hat«102. Auf die Niederlage Polens folgte die »Große Emigration«. Was immer es an Möglichkeiten des Zusammenlebens gegeben hatte, war vergangene Zukunft. England

Die Entstehung des Königreichs England103 als eines der am Beginn des Mittelalters vier Staaten auf den britischen Inseln  – Irland, Schottland, England und Wales  – ist durch die weitgehende Einbindung der keltischen Bevölkerung in das Römische Imperium, dann aber den Abzug der letzten Legionen geprägt. Mit der typischen Berufungslegende folgten die germanische Dialekte sprechenden Angeln und Sachsen, deren Herrschaften aber weder in den keltisch bleibenden Westen noch in die schottischen Highlands vordrangen und von Dänen und Norwegern aus dem Osten bedrängt wurden. Aus dieser Gemengelage entstand, v. a. unter dem sächsischen König Alfred im 9. Jh., das englische Königreich.104 Zeitleiste 12

43/44 ab 407

Römische Provinz Britannia Abzug der Legionen, Invasionen von Jüten, Angeln und Sachsen  ; Kelten nach Westen und Bretagne  ; irische und romanische Missionen

102 Quellenbuch Nr. 3.60. Deutsche Bürger verfassten Protestresolutionen gegen das russische Vorgehen als gegen »asiatische Brechruhr«, aber die Bundesversammlung in Frankfurt erklärte sich für unzuständig und hielt sich damit an die »westfälische« Regel, nicht in andere Staaten zu intervenieren  : Quellenbuch Nr. 3.61 f. 103 G. M. Trevelyan  : History of England (1926), new ed. L etc. 1948, with 37 maps/ders.: English Social History (1942), new ed. L 1948/K-F. Krieger, H. Haan, G. Niedhart  : Geschichte Englands in 3 Bdn, M 1993 (Beck)/B. A. Holderness  : Pre-Industrial England, London 1976/C. Hill  ; Von der Reformation zur Industriellen Revolution (1969), ü. F 1977 (Campus)  ; Greenfeld  : Nationalism, Cambridge 1992  ; Jenkins England. 104 Vgl. Sarah Foot  : The historiography of the Anglo-Saxon ›Nation-State‹, in  : Scales/Zimmer, S. 125– 142.

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|  Gegenbewegung 664 Entscheidung für die Römische Kirche 802 Einigung der sächsischen Königreiche  ; dänische und norwegische Invasionen 871–899 König Alfred der Große 1066 Eroberung durch Normannen. Grundbesitz neu vergeben. 1086 Domesdaybook 1214 Kämpfe in Frankreich  ; Niederlage bei Bouvines  ; »Magna Charta libertatum« 1277–82 Wales unterworfen 1314 Schottland unabhängig 1455–1485 Bürgerkrieg  ; Rückzüge in Frankreich, 1483 Henry Tudor 1558–1603 Elisabeth I., Virginia  ; 1588 Armada besiegt 1600 East India Company 1603 ff. Haus Stuart  ; Schottland und England vereinigt 1649–1660 Republik 1652 ff. Seekriege gegen Holland, Navigationsakte 1688 »Glorious Revolution«  ; »Declaration of rights«

Die Eroberung durch die französisch gewordenen Normannen veränderte die Besitzstruktur des Landes, da Wilhelm der Eroberer alles Land an sich nahm und nach Lehensrecht wieder ausgab – England war also das einzige europäische Land ohne Allode, ohne Besitz des Adels an Land aus eigenem Recht. Der Krone gelang es, nicht zuletzt durch Streuung des Besitzes der großen Familien, die Verwaltung der Grafschaften durch königliche Beamte (Sheriffs) zu sichern  ; Abrechnungen (Pipe rolls) sind vom 12. bis zum 19. Jh. erhalten. Die Zentralverwaltung hatte ihren Sitz in Westminster, soweit sie nicht dem König folgte  ; wichtig sind Rechtsprechung und das königliche Steuersystem. Das oberste Schatzamt (exchequer) ist in England seit 1118 und in der Normandie seit 1130 belegt. Der hohe Adel wurde in einem Beratungsgremium (curia regis) an der Machtausübung beteiligt. Der französisch sprechende normannische Adel brachte ein starkes romanisches Element in die englische Kultur, in welcher andererseits an germanischen Institutionen lange festgehalten wurde, z. B. am Common Law. England war an der Rezeption des Römischen Rechts auf dem Kontinent im 15. und 16. Jh. nicht beteiligt. Die Binnenstruktur der Insel war durch das ökonomische und politische Übergewicht Londons über die eigenen inneren Peripherien105 und andererseits durch die Fortdauer der nichtenglischen Herrschaften auf dem Archipel bestimmt, auch wenn Wales im 13. Jh. unterworfen und – als eigenes Fürstentum – ab 1301 jedem Thronfolger zur Verwaltung zugeteilt wurde. Schottland blieb bis zur Thronbesteigung der Stuarts 1603 105 Hechter  : Colonialism  ; ders.: Nonconformity and the Emergence of Nationalism, in  : Innere Peripherien 1, S. 45–66.

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unabhängig und danach bis zur Realunion 1707 ein eigenes Königreich.106 In Irland107 übten die englischen Könige seit dem 12. Jh. beträchtlichen Einfluss aus, aber Versuche, das Land zu einen, scheiterten trotz schottischer Unterstützung. Vom 16. Jh. an setzte England sich immer mehr durch  ; aber sowohl in Irland als auch in Schottland fand Widerstand gegen London schnell Unterstützung. Die Außenpolitik ist jahrhundertelang durch den Konflikt mit Frankreich geprägt. Nach dem Tod Wilhelm des Eroberers waren England und die Normandie unter Söhnen verteilt worden, aber 1100 wurden sie in Personalunion vereinigt, König Heinrich gewann die Lehnshoheit über die Bretagne, und die Heiratsverbindung mit dem Haus Anjou-Plantagenet verstärkte die »englische« Macht. Bundesgenossen waren oft sächsische bzw. welfische Fürsten. Der Sieg Philipp Augusts König von Frankreich über König Johann »Ohneland« und Kaiser Otto. IV. bei Bouvines 1214 bestätigte nicht nur den Verlust der Normandie, sondern zwang den König auch, den Baronen in der »Magna Charta Libertatum« 1215 als alt beanspruchte Rechte zu sichern, ausländische Berater auszuweisen, und die politische Mitwirkung der Barone an der Regierung anzuerkennen. Der hohe Adel wollte die Monarchie kontrollieren. Aus dem magnum concilium, in dem Vertreter von Kirche und Hochadel (Lords) zur Besprechung (parlamentum) zusammenkommen, wurde 1295 das model parlament, indem je zwei Vertreter der Grafschaften und der Städte hinzu gewählt wurden (Commons). Die Teilnahme der Gewählten ist kein Privileg, sondern Pflicht  ; meist braucht die Krone Zusagen zu Finanzierungen. Die Krone nimmt später die Auseinandersetzung mit Frankreich wieder auf, diesmal von Aquitanien aus  ; aber ungeachtet des militärgeschichtlich wichtigen Siegs der englischen Bogenschützen über die französischen gepanzerten Ritter (und ihre genuesischen Armbrustschützen) bei Crecý 1346 verliert auf Dauer England die Auseinandersetzung – 1453 bleibt nur Calais auf dem Kontinent englisch. Landwirtschaftlich war England108 bis ins 17. Jh. überwiegend durch die Dreifelderwirtschaft bestimmt, auch wenn kontinuierlich einzelne Besitzer ihre Ländereien aus den Commons der Dörfer herauslösten und einzäunten (enclosures). Während in den Lowlands Ackerbau vorherrschte, wurde in den Highlands mehr Viehzucht getrieben. Gewerblich war die Tuchindustrie führend, aber auch Schiffbau und Metallgewerbe waren wichtig. Billige Arbeitskräfte kamen aus dem »keltischen Rand«, v. a. aus Wales.109 106 T. C. Smout  : A History of the Scottish People, 8. Auflage Glasgow 1989. 107 T.  W. Moody, F.  X. Martin (Hg.)  : The Course of Irish History, Cork 1978 (Mercier Press)  ; Steven G. Ellis  : The inveterate dominion  : Ireland in the English state, a survey to 1700, in  : Innere Peripherien 1, S. 29–43. 108 Überblick B. A. Holderness  : Pre-Industrial England, L 1976 (Dent & Sons). 109 Hechter  : Colonialism.

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Im 17. Jh. nahmen Hungersnöte zu, wegen der allgemeinen Klimaverschlechterung und weil die Zunahme der Bevölkerung schneller vor sich ging, als die Nahrungsmittelproduktion anstieg.110 Mit dem Übergang zur Mehrfruchtwechselwirtschaft (up and down husbandry) und neuen Fruchtfolgen nahm die Produktion im 18. Jh. aber schnell zu und England wurde zum Getreideexportland. Die Innenpolitik war durch die langsame Inklusion der Besitzenden, Exklusion der Fremden sowie Unterdrückung der Armen geprägt. 1290 werden die Juden aus England vertrieben, welche sowohl dem Adel als auch der Krone große Summen geliehen hatten. 1350 verordnete das Parlament, dass die Löhne der Landarbeiter, welche als Folge der Pest gestiegen waren, auf das Niveau vor 1348 festgeschrieben werden und sie ihre Arbeitsorte nicht verlassen dürfen. Die Erhebung einer Kopfsteuer zur Finanzierung des Kriegs in Frankreich führte 1381 zum Bauernaufstand, der niedergeworfen wurde. Eine einschneidende Veränderung brachte der lange Bürgerkrieg zwischen den Häusern Lancaster (rote Rose) und York (weiße Rose) um die Krone ab 1455. Der »Rosenkrieg« führte zu einer allgemeinen Verrohung der Sitten, die in der vom König angeordneten Ermordung von zwei Kindern, potenziellen Thronerben, im Tower von London 1483 ihren grausigen Höhepunkt fanden. Große Teile des Adels rotteten sich gegenseitig aus  ; Sieger war 1485 Heinrich VI. Tudor. 1509 wird Heinrich VIII. Tudor König. Er heiratet mit päpstlicher Zustimmung die Frau seines verstorbenen Bruders, Katharina von Aragon, und erhält für seine katholische, gegen Luther gerichtete Politik 1521 den Titel »Defensor Fidei«, den die englischen Könige bis heute tragen. Da Katharina aber keinen Sohn hat, sondern »nur« die Tochter Maria, entsteht die Gefahr, dass ihr spanischer Cousin in England Erbansprüche erhält. Heinrich will sich von ihr scheiden, und als der Papst die Zustimmung verweigert, ändert der König seine Politik und setzt die Unabhängigkeit der englischen Kirche von Rom durch, 1534 in der »Suprematsakte« auch formell. Viele, welche den Eid auf den König als Oberhaupt der Kirche verweigern, werden hingerichtet  : darunter auch der Humanist Thomas Morus. Als auch seine zweite Frau Anne Boleyn keinen Sohn gebiert (sondern »nur« die spätere Königin Elisabeth), wird sie hingerichtet. Zwar gebiert Heinrichs dritte Frau Anne Seymour einen Sohn, aber sie stirbt im Wochenbett. 1542 nimmt Heinrich den Titel »König von Irland« an. Heinrichs Sohn Edward VI. bringt durch die Verkündung des »Common Prayer Book« die Organisation der englischen Kirche 1549 zum Abschluss  ; Versuche der Rekatholisierung unter seiner älteren Halbschwester Maria misslingen  ; sie stirbt, bevor die beschlossene Heirat (mit ihrem Cousin) Philipp II. von Spanien vollzogen wird.

110 Goldstone  : Revolution, S. 63–156  ; Parker  : Crisis, S. 55–76 und 324–396.

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Die Tochter Heinrichs VIII. mit Anna Boleyn, Elisabeth, wird zum Symbol einer ganzen Epoche, des »elisabethanischen Zeitalters«. England wird nicht nur kulturell führend im Rahmen des europäischen Konzerts, es wird außenpolitisch führend im Kampf gegen die Gegenreformation  : Der Papst entbindet 1570 ihre Untertanen vom Treueid, es gibt mehrere Verschwörungen mit dem Ziel, die katholische Maria Stuart auf den Thron zu setzen, und 1588 einen spanischen Versuch, England zu erobern – aber Engländer (und Stürme) besiegen die »Armada«. Zugleich werden überseeische Handelsunternehmen gegründet  – 1555 die Muscovy Company und 1600 die East India Company. 1584 wird die neue Kolonie in Amerika von den Anteilseignern der Charter nach der unverheirateten Königin Virginia benannt. Elisabeth, von den Katholiken als unehelich verunglimpft, hat nie geheiratet. So vereinigte 1603 Jakob I. Stuart, König von Schottland, die beiden Länder in Personalunion. Jakob I. musste 1628, um vom Unterhaus Geld bewilligt zu bekommen, die »Petition of Rights« unterzeichnen, die jegliche Erhebung von Steuern oder Abgaben an die Zustimmung des Unterhauses band. Darauf löste der König das Parlament auf und ließ Abgaben auf königliche Autorität hin einziehen. Aber das Parlament gab nicht nach und der König blieb klamm. Auch Jakobs Sohn Karl I. berief 1640 das Parlament ein, weil er Geld für einen Krieg gegen das calvinistische Schottland brauchte, aber das Parlament gab erneut nicht nach. Der König löste es auf, berief es noch im November 1640 wieder ein, scheiterte jedoch abermals. Das Parlament  – es tagte bis 1660 und heißt deshalb »long parliament«  – ging sogar zum Angriff über  : Die puritanische Mehrheit des Unterhauses stellte die alte Bischofskirche unter parlamentarische Kontrolle und veränderte so die Mitgliedschaft im Oberhaus. Das Unterhaus erklärte sich zum Souverän. 1642 floh der König aus der Finanzstadt London, der Bürgerkrieg begann. Auf der Seite des Parlaments wurden die Steuern nun mit kaufmännischem Knowhow systematisiert – die Landsteuer wurde neuen Nutzungen angepasst, eine Akzise (Verbrauchssteuer) auf alle Güter gelegt. George Macaulay Trevelyan schrieb  :111 »Die Ressourcen Englands, die Elisabeth nur widerwillig gegeben worden und die James und Charles verweigert worden waren, wurden nun vom Parlament in dem Krieg, den es selber focht, voll ausgenutzt.«

Das Unterhaus, geführt von Calvinisten, gewann den Bürgerkrieg. 1649 wurde der König wegen Tyrannei verurteilt und hingerichtet. 1660 wurde die Monarchie unter dem 111 George Macaulay Trevelyan  : History of England, New ed. London 1947 (Longmans), S. 408. Vgl. jetzt Vries  : Divergence.

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Stuart Karl II. zwar restauriert, aber er musste wichtige Zugeständnisse machen, v. a. blieb die Besteuerung Sache des Parlaments. 1673 wurden Katholiken durch die »Testakte« von allen Regierungsämtern ausgeschlossen und 1679 wurde in der »HabeasCorpus-Akte« festgelegt, dass ein Verhafteter das Recht hat, unverzüglich dem Gericht vorgeführt zu werden. Da der Sohn Karls II., König Jakob II., sich nicht an die Testakte hielt, rief das Oberhaus 1689 den Schwiegersohn Wilhelm von Oranien ins Land. Der kam mit einer Armee auf 400 Transport- und 53 Kriegsschiffen sowie ca. 20.000 Mann  – die erfolgreichste Invasion Englands seit 1066, und die gewaltärmste, da die Gegner flohen.112 Das Parlament setzte den Stuart ab, und Wilhelm gestand in der »Bill of Rights« die Regeln des englischen Verfassungslebens zu  : Der König ist in der Gesetzgebung an die Zustimmung des Parlaments gebunden, er darf keine Sondergerichte einsetzen, kein stehendes Heer unterhalten, das Parlament erhält seine Freiheiten, z.B. die der freien Rede. Zur Steuer erklärt das Parlament  :113 Daraufhin erklären die erwähnten geistlichen und weltlichen Lords, sowie die Gemeinen auf der Grundlage ihrer Bestallungen und Wahlen, die sich jetzt als vollständige und freie Repräsentation dieser Nation versammelt haben, und welche angemessen und ernsthaft über die besten Mittel nachgedacht haben, um die oben genannten Ziele zu erreichen zu allererst (wie ihre Vorfahren in vergleichbaren Fällen auch getan haben), dass sie ihre alten Rechte und Freiheiten beanspruchen und verteidigen. Dass der Machtanspruch illegal ist, durch königliche Autorität ohne Zustimmung des Parlaments Gesetze oder die Ausübung von Gesetzen zu suspendieren. Dass der Machtanspruch illegal ist, durch königliche Autorität könnten Gesetze oder die Ausübung von Gesetzen aufgehoben werden, wie das kürzlich angemaßt und durchgesetzt wurde. […] Dass es illegal ist, für die Krone oder ihren Gebrauch, durch Prätension der Prärogative, ohne Bewilligung des Parlaments für eine längere Zeit oder in irgendeiner anderen Weise, als bewilligt ist oder bewilligt wird, Steuern zu erheben.

Zum Untertaneneid für William und Mary fügte das Parlament einen besonderen Satz hinzu, dass der Untertan »aus ganzem Herzen die unfromme und häretische verdammenswerte Meinung verdammt«, dass Fürsten, die vom Papst exkommuniziert worden sind, abgesetzt und ermordet werden dürfen. Kein ausländischer Fürst, Prälat oder wer auch immer durfte in England irgendeine Rechtsprechung, Macht oder Autorität ausüben. Die Sicherheit der Rechte der Person und des Eigentums, welche die »Glorious 112 Menzel  : Ordnung, S. 616. 113 http://avalon.law.yale.edu/17th_century/england.asp (eingesehen 24.1.2014).

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Revolution« bot, war eine Voraussetzung für den Aufstieg,114 auch oder weil es eben nur den Siegern Sicherheit bot, nicht den Katholiken Irlands, die unter Wilhelm von Oranien ihr letztes Eigentum am Land verloren115 (was der Orange Order in Ulster noch heute feiert). 1701 konkretisierte das Parlament im »Settlement Act« die protestantische Thronfolge für das Haus Hannover, das vor dreihundert Jahren auf den Thron von England kam – Wilhelms Ehe mit Maria II., der Tochter des gestürzten Stuarts Jakobs II., war kinderlos geblieben, die Schwester von Maria, Queen Anne (also auch eine Stuart), blieb unverheiratet und starb 1714. In die Regierungszeit von Anne fiel der Sieg Englands im Spanischen Erbfolgekrieg im Frieden von Utrecht 1713. England durfte Gibraltar und Menorca behalten, es bekam von Frankreich Neufundland und Akadien an der Mündung des Lorenzstroms (was es dann umtaufte in Neuschottland und Neubraunschweig) und außerdem von Spanien das »Asiento« und damit den Handelszugang zu Lateinamerika. Gemeinsam setzten England und Holland durch, dass das »Gleichgewicht der Mächte« zum politischen Prinzip des Systems wurde. Entsprechend wurde Spanien geteilt – Habsburg erhielt die spanischen Provinzen in Italien und im Reich, also u. a. die südlichen Niederlande, wo die Generalstaaten Barrierefestungen gegen Frankreich errichteten. Frankreich setzte sein Hauptziel durch  : Die spanische Krone fiel an einen Bourbonen. Das Heilige Römische Reich ging im »Frieden von Rastatt« 1714 leer aus, Frankreich musste nicht einmal Straßburg zurückgeben – wer viel Geld in diesen Krieg gesteckt hatte, setzte einige seiner Ziele durch, wer zu wenig aufbrachte, verlor. Das macht nochmals klar, dass der Kampf des Unterhauses um die Verwendung der Steuermittel keineswegs geführt wurde, um die Steuer zu senken. Die Steuereinnahmen des Königreichs werden zwischen 1692 und 1790 mehr als vervierfacht,116 die stärkste Steigerung der Periode.117 Die Bürger Englands zahlen die Steuern, weil sie ihren Zweck kennen und bejahen. Viele der Wohlhabenden, die in den Parlamenten sitzen, verdienen am Steueraufkommen  – sie liefern Musketen, Kanonen, Pulver, Kugeln, Pferde, Nahrungsmittel, Schiffe etc. Die Mitglieder der Stände sind aber auch damit einverstanden, dass große Summen für Subsidien an halbperiphere Staaten gegeben werden, um die eigene Mannschaft zu schonen und den Sieg zu fördern. Aber man kann die Bereitwilligkeit der Parlamente, Steuern zu bewilligen, wenn man selbst über die Verwendung bestimmt, ohne das entstehende und geförderte Nationalgefühl nicht erklären. Die Nie114 115 116 117

Acemoglu/Robinson, S. 102–104. Innere Peripherien 1, S. 43. Menzel  : Ordnung, S. 732. R. Bonnen (Hg.)  : The Rise of the Fiscal State in Europe, Oxford 1999.

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derlande sind eine Republik, wenn auch mit hochadligen Generalstatthaltern, England bleibt ein Königreich. Aber auch in England verliert das Königtum sein Charisma, und die völlig uncharismatischen Hannoveraner auf dem englischen Thron vollenden später diesen Vorgang. Einen König zu haben, ist ganz gut, aber politisch entscheidend sind jene wohlhabenden Adligen und Bürger, welche die Nation bilden und Partizipation an der Politik für sich in Anspruch nehmen.118 Ein Stück vom Charisma des Königs geht auf die Nation über. Liah Greenfeld hat gezeigt, dass England durch die Integration der zahlungskräftigen nicht adligen Schichten die Wiege des modernen Nationalstaats und damit zum Paradigma für den Westen, wenn nicht für die Welt insgesamt wurde.119 In der Tat öffnen die Tudors den sozialen Raum Englands für Aufsteiger, das traditionelle Gesellschaftsbild, nach dem Aufstieg abnormal war, verliert an Gültigkeit. »Nation« meinte auch in England bis zum 16. Jh. eine ständische Oberschicht, die an den politischen Entscheidungen partizipierte. Die Aristokraten der Tudor-Zeit, von denen viele aus den Commons stammten, setzten nun Nation mit people gleich, womit im Prinzip jeder Engländer den gleichen intellektuellen Status bekam. Der englische Nationalismus ging also von den Individuen aus (was ihn vom späteren, kollektiven Nationalismus Mittel- und Osteuropas unterschied). Aber England war keine Demokratie. England hatte ein ständisches Parlament aus zwei Kammern – die Inhaber hochadliger Ämter, die Lords, sitzen einschließlich der Erzbischöfe und Bischöfe der Anglikanischen Kirche im Oberhaus, die »Gemeinen«, die Commons, wählen Repräsentanten der Countys ins Unterhaus. Anders als auf dem Kontinent gehören zweite Söhne nicht zum Hochadel, sondern werden als snobs (sine nobilitate) Mitglieder des Landadels, der Gentry, und wählen zum Unterhaus. Auch wenn der Hochadel seine Bedeutung wahrt – immer mehr politische Macht wird danach verteilt, wer welches Vermögen hat, ob das nun aus einem adligen Erbe, aus Geschäften in der City oder aus Gewinnen in Handelskompanien stammt. Niederlande

Die Schweiz und die (nördlichen) Niederlande verlassen den Zusammenhang des ständischen Reiches im späten Mittelalter bzw. im 16. Jh. Beides waren vorher habsburgische Territorien. Die Sonderstellung des Burgundischen Reichskreises hat Kaiser Karl 118 Zur Entwicklung der »uses of discourse« Michael Braddick  : State formation and political culture in Elizabethan and Stuart England, in  : Asch/Freist, S. 69–90. 119 Greenfeld  : Nationalism  ; dieselbe  : Nationalism in Western and Eastern Europe Compared, in  : Stephen  E.  Hanson, Willfried Spohn (Hg.)  : Can Europe Work  ? Seattle & London (University of Washington Press) 1995, S. 15–13.

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V. durchgesetzt  : Die unter habsburgischer Herrschaft vereinten Territorien wurden von der Zuständigkeit des Reichskammergerichts ausgenommen, das Reich war aber weiterhin mit der Pflicht zur Verteidigung belastet.120 Aber der habsburgische Versuch, die verschiedenen und in Wirtschaftsleistung wie Verfassung unterschiedlichen Provinzen zwischen Luxemburg und der Nordsee insgesamt zu einem modernen, zentralisierten Staat zu machen, scheitern am Widerstand nicht nur der hochadligen Familien wie Egmont oder Oranien, sondern auch an dem vielfältigen Autonomien in Städten, Bauernschaften und kleinen Herrschaften. Verschärft wird die Auseinandersetzung durch die Verbreitung des Calvinismus. Es kommt zu einer langen Auseinandersetzung um Zentralisierung und Autonomie, in dem sich die nördlichen Provinzen von der »spanischen« Herrschaft befreien (Karl V. war ein Enkel der letzten Herzogin von Burgund und Philipp II. also ein Urenkel) und 1579 eine Union bildeten, deren oberste Vertretung die »Generalstaaten« waren, ein ständisches Parlament.121 Über Außenpolitik, Verteidigung, Aufsicht über die Überseegesellschaften und Zölle konnte nur einstimmig entschieden werden, so wie auch über die Wahl des militärischen Anführers, des Generalkapitäns. Jede Provinz hatte also ein Vetorecht, mit anderen Worten  : Die einzelnen Provinzen bewahrten mehr Souveränität als heutige Mitglieder von NATO und EU. Die sieben Provinzen waren unterschiedlich geprägt und hatten unterschiedliche ständische Verfassungen. In Geldern und Holland waren nur Adel und Städte in den Ständen vertreten, in Seeland und Utrecht auch die Geistlichkeit. Außerdem gab es in Seeland und Utrecht erbliche Statthalter, die Oranier. Im Oversticht – dem nördlichen Territorium des säkularisierten Reichsbistums Utrecht  – waren neben Adel und Städten auch Bauern in den Ständen vertreten. In Friesland und Groningen gab es keinen Adel, und die Bauern besaßen in den Ständen gegenüber den Städten eine Mehrheit von 3  :1.122 Ausgangspunkt der ökonomischen Stärke der nördlichen Niederlande waren die Flotten, die schon im 16. Jh. die Konkurrenz gegen die Hanseschifffahrt für sich entschieden hatten. Eine ihrer Stärken resultierte aus Spezialisierungen im Schiffbau – in die Ostsee fuhren ganz andere Schiffe als nach Indonesien, und allein für den Heringsfang hatte man zwei Schiffstypen  : Die Heringslogger blieben die ganze Saison auf der Doggerbank, aber schnelle »Jachten« brachten den ausgenommenen und gesalzenen 120 Kohler  : Expansion und Hegemonie, S. 377 f. 121 Vgl. allgemein Horst Lademacher  : Geschichte der Niederlande, Darmstadt 1983 (WBG)  ; und die Kapitel zu zu Demografie und Wirtschaft in Diederiks/Lindblad  ; weiter Menzel  : Ordnung, S. 527–617. 122 Simon Groeneveld  : Eine Union der sieben Provinzen, in  : Becker  : Staatlichkeit, S. 87–108. Synopse der acht Verfassungen (das Oversticht zerfiel in zwei Teile) H.-H. Nolte  : Radikalisierung von Macht und Gegenmacht, in  : Grandner/Komlosy, S. 45–72, hier S. 49.

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Fisch nach Texel. Sowohl für die Heringslogger als auch für die Überseeschiffe nach Indonesien heuerten Mannschaften aus dem Ausland an, v. a. aus Deutschland, während die Offiziersstellen in niederländischen Händen blieben. Auch wenn die Böden nicht so reich waren wie im katholischen Süden – das Land war durch Kanäle erschlossen und die Landwirtschaft produzierte für den Markt, die Höfe des Nordens z. B. Fleisch und Käse. Saisonarbeiter aus dem heutigen Niedersachsen boten billige Arbeitskraft in der Landwirtschaft für schwere Arbeiten wie Torfstechen oder Mähen. Und manche Arbeit war nicht nur schwer, sondern auch gefährlich – z. B. musste man beim Torfstechen oft im Wasser stehen, und viele Arbeiter bekamen Malaria.123 Auch das Gewerbe produzierte preiswert – es waren v. a. Flüchtlinge aus dem Süden, die bereit waren, zu schlechten Bedingungen zu arbeiten, weil sie froh waren, bei ihrer calvinistischen Konfession bleiben zu können. Auch gab es viele Deutsche, die als Ärzte oder Apotheker, Bäcker oder Schuster in den niederländischen Städten ihr Geld verdienten – man findet sie in den Kirchenbüchern, weil sie lutherisch oder katholisch waren. Schließlich stellte die calvinistische Führungsschicht aus dem Norden die Befehlshaber und Staatsbeamten auch in jenen Teilen der südlichen Provinzen, die man in den langen Kriegen gegen die Spanier (und eben den Süden) unterworfen hatte – den »Generalitätslanden«. Das waren mehrere Territorien  : der Norden Flanderns, durch dessen Eroberung die Generalstaaten die Schelde sperrten und Antwerpen zur Landstadt machten  ; der Norden Brabants, von wo aus man die Maas sicherte, und nicht zuletzt den Norden des Herzogtums Limburg mit Maastricht, durch das der Handel mit der Aachener und Lütticher Eisenindustrie lief. Lüttich war Reichsbistum und wurde nicht von Brüssel aus regiert  ; Rüstung war auch damals ein gutes Geschäft. Entscheidend für die Nationsbildung war, dass die wirtschaftlich führenden Gruppen der sieben Provinzen über ihre Stände in den Generalstaaten vertreten waren. Auch das kleine Friesland fühlte sich repräsentiert, weil es in den Generalstaaten mit einem Veto auch das reiche Holland stoppen konnte. Es waren gar nicht so viele Personen, die in den Ständen mitregieren konnten, aber sie kontrollierten das Land und sorgten für eine wirtschaftliche Konjunktur. Sie förderten auch die Entstehung eines Nationalbewusstseins. 123 Einführend Herman Diederiks  : Deutsche Arbeitsmigranten in den Niederlanden, und Franz BölskerSchlicht  : Deutsche Saisonarbeiter in den Niederlanden, in  : H.-H. Nolte (Hg.)  : Deutsche Migrationen, Münster 1996 (LIT), S. 41–66 (Anmerkungen S. 226–228). Mehrere Einträge in Enzyklopädie Migration. Vgl. auch H.-H. Nolte  : »Schlechte Wege und billige Arbeiter«. Nationenbilder an der wandernden Grenze zur Halbperipherie, Sozialwissenschaftliche Informationen 30,1 (2001), S. 64–54.

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Noch einige Zeit nach dem Aufstand gab es ein burgundisches Staatsgefühl, das den Norden und den Süden der Niederlande vereinte.124 Je länger die Teilung dauerte, desto mehr nahmen jedoch die intellektuellen Momente zu, welche eine Abgrenzung nahelegten, und um die Abgrenzung zu erleichtern, wurde die Republik oft mit ihrer mächtigsten Provinz Holland in eins gesetzt. Die konfessionelle Spaltung wirkte auch über den Kreis der überzeugten Calvinisten hinaus. 1584 rief ein Vorkämpfer des Calvinismus in den Niederlanden, Philipp de Marnix de Saint Adelgonde, die »respublica Christiana« dazu auf, sich der spanischen Tyrannei und dem Weltherrschaftsstreben Philipps II. zu widersetzen und das Gleichgewicht wiederherzustellen. Ein Vierteljahrhundert später formulierte Hugo Grotius im Auftrag der Ostindischen Kompanie die Lehre von der Freiheit der Meere gegen spanische Vorherrschaftsansprüche. Willem Usselinx, Glaubensflüchtling aus Antwerpen und Mitgründer der Westindischen Kompanie (1621), forderte, im Kampf gegen die Tyrannei spanische Überseebesitzungen zu erobern.125 Dieser Antihispanismus vereinte die Calvinisten in den Niederlanden mit denen in aller Welt. Nach dem Angriff Frankreichs auf die Republik 1670 und der Aufhebung des Toleranzedikts 1685 wurde Frankreich allerdings gefährlicher – gut, dass man beide absolutistischen Gegner als Tyrannen angreifen konnte. Das Selbstbewusstsein als Nation war also antiabsolutistisch, stilisiert im Bild des israelitischen Volkes im Kampf gegen die Könige von Babylon und Ägypten. Die Niederländer hatten keine nationale Revolution gegen das spanische Imperium gemacht, nicht einmal eine konfessionelle, da der Calvinismus anfangs in allen Provinzen vertreten, aber kaum irgendwo in der Mehrheit war. Es war ein von radikalen Calvinisten organisierter Aufstand von ständisch organisierten »Staaten«. Mit den spanischen Siegen im Süden und der Emigration der Protestanten in den Norden sowie der konfessionellen Homogenisierung der sieben Provinzen wurde die Differenz jedoch zu einer konfessionellen. Und schließlich passte sich das entstehende Nationalbewusstsein an die herrschenden Grenzen an – mit der Bibelübersetzung wurde die Umgangssprache der Provinz Holland zur Hochsprache, und nach einer Sprachreinigungspolitik konnte der Dichter Joost von den Vondel 1650 schreiben, dass »unsere Sprache« von »onduitsch« gereinigt war.126 Man setzte sich nun auch gegen die Nachbarn ab – von den »tyrannischen« Franzosen und Spanier, gegen die sie das Widerstandsrecht in Anspruch nahmen,127 und von den deutschen Saisonarbeitern, die »Moffen« genannt wurden. 124 Robert van Roosbroeck  : Die Niederlande, in  : Günther Franz (Hg.)  : Teilung und Wiedervereinigung, Göttingen 1963 (Musterschmidt), S. 15–32. 125 Gollwitzer  : Denken, S. 108–115. 126 Kohn  : Nationalismus, S.  452–459, Zitat S.  456  : »Onze spraak is sedert wenige jaren herwaart von bastaard-woorden en onduitsch allengs geschuimt.« 127 Richard Saage  : Herrschaft, Toleranz, Widerstand, Frankfurt 1981.

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Die deutschen Dienstboten, die aus Westfalen oder dem Rheinland kamen, spielten in den possenhaften Bühnenstücken, mit denen die Niederländer sich unterhielten, stets die Rolle des faulen und gefräßigen Hausmädchens, der Magd, die den verwitweten Hausherrn ins Bett kriegen will, um sich ins gemachte Nest zu setzen, oder des dummen niedersächsischen Landarbeiters, der nicht einmal weiß, was ein Wechsel ist.128 Die Niederländer nahmen für sich in Anspruch, freie Leute zu sein, und dazu gehörte, dass sie nur die Steuern zahlten, über die sie in ihren Gremien beschlossen hatten. Diese waren in den meisten Provinzen von unten nach oben aufgebaut, zumindest in den Städten und in den bäuerlich bestimmten Provinzen, und zwar nach dem Vermögen. Die Regenten in den Städten wurden durch Kooptation ergänzt – wenn ein solcher Ratsherr starb, wurde ein neuer aus der Schicht der reichen Leute gewählt, meist aus den alten Familien  ; aber auch aus neuen, wenn die zu Wohlstand gekommen waren. Sie stimmten nicht nur über die Steuern ab, sondern bezahlten sie auch und sahen darauf, dass die Nachbarn sie zahlten. Sie votierten in den Provinzialständen für hohe Kontributionen an das Militär. Im 18. Jh. verfestigte sich die Sozialstruktur jedoch, und die »Regenten« schlossen sich gegen Aufsteiger ab.129 Es war die Identifizierung mit der Politik des Landes und die daraus folgende hohe Steuerleistung je Kopf, welche die Republik der Niederlande von Frankreich unterschied. Nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekriegs mit dem Frieden von Utrecht votierten dieselben Städte sofort für die Verringerung der Steuer und die Verkleinerung des Heeres. Holland war trotz der Autonomie der sieben Republiken eine Nation geworden, die durch die Repräsentation in den Ständen gemeinsam handeln lernte – mit dem royalen (oft bestrittenen) Element der oranischen Generalkapitäne, die für die Armee zuständig waren, aber doch in dem Bewusstsein, dass die Politik Ziele verfolgte, welche alle (Vermögenden) teilen konnten. Die dritte Welle der europäischen Expansion

Die neuen Nationen standen bereit, um das 18. Jh. zu bestimmen. Was machte sie aus  ? a) Innenpolitisch die Inklusion größerer Schichten von Besitzenden aus Adel und Bürgertum (nicht etwa der Mehrheit auch nur der Männer über 21  !), 128 H.  Mertens-Westphalen  : Der Deutsche und der Hollandgänger in der Kluchtspelen des 17. und 18.  Jahrhunderts, in  : A.  Eiynck, H.  Mertens-Westphalen, H.  Kaiser, H.  W.  Saaltink, F.  Schonwille  : Wanderarbeit jenseits der Grenze, Assen 1993 (Drents Museum). S. 52–59. 129 G. C. Quispel  : Groupen, sociale verhoudingen en mentaliteit, in  : H. A. Diederiks u. a.: Van agrarische samenleving naar verzorgingsstaat, Groningen 1994 (Nijhoff ), S. 133–173, hier S. 149.

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b) religionsgeschichtlich die Entwicklung von Nationalkirchen, wobei in Schottland, den Niederlanden und bei den Puritanern die calvinistische Betonung der Gemeindebildung durch die Wohlhabenden prägend wird  ; in Mittel- und Nordeuropa sowie England das Summepiskopat der Landherren, c) institutionell den gesamten Staat umfassende Behörden – zentrale Verwaltungen, Armeen, Flotten, Fiskus, Rechtsystem, d) binnenwirtschaftlich die Säkularisation des Vermögens der katholischen Kirche, Zusammenfassung der Territorien zu einem Wirtschaftsraum, Verbesserung der Verkehrssysteme, Wegfall von Binnenzöllen, e) außenwirtschaftlich Zentrum transkontinentaler Handelskompanien sowie von Produktionen für halbperiphere Länder, z. T. mit billigen Arbeitskräften aus peripheren Ländern oder inneren Peripherien, f ) geistesgeschichtlich die Entwicklung eines Zusammengehörigkeitsgefühls, einer Identität als Brite oder Holländer, die Hochadel und Königtum einschloss, aber zugleich säkularisierte und den Königen den charismatischen Charakter nahm. Außenpolitisch blieben die Nationen Teile des europäischen Weltsystems. Nicht im Sinne von Leibniz, nämlich der gemeinsamen Expansion gegen den nichtchristlichen Feind, sondern im Sinn der Konkurrenz  – wer expandiert schneller, wer ist leistungsfähiger  – sowohl für die Kämpfe untereinander als auch für die Kämpfe gegen asiatische Imperien oder weniger gut bewaffnete Völker an den Peripherien wie Indianer oder Maori. Ein Grundprinzip dabei ist »konkurrierende Imitation«130  – jeder imitiert denjenigen, der gerade die meisten Erfolge hat. Dass die Dynamik der europäischen Konkurrenz- und Expansionsgesellschaft in dieser Periode vom calvinistisch bestimmten Westen des Kontinents ausgeht, ist dem Lutheraner Leibniz bei seiner an sich so umsichtigen Analyse der Welt offenbar entgangen.131 Und da zeigte das 18. Jh., dass die neuen Nationen leistungsfähiger waren als die alten Königreiche und Imperien. Sie waren in der Lage, auch asiatische »Schießpulverimperien« zu besiegen und zu erobern. England bzw. die Englische Ostindische Kompanie eroberte Bengalen, Provinz des Mogulreiches, und Südindien. Englische Siedler besiegten alte indianische Konföderationen wie den Irokesenbund, deren Wirtschaften auf Gartenbau und Jagd beruhte und von denen die Siedler als für sie neue Kulturpflanze den Mais übernommen hatten. Die 130 Der Terminus bei Ekkehard Krippendorff  : Internationales System als Geschichte, F 1975 (Campus), S. 79. 131 Auch in den späteren Analysen Chinas und Russlands scheint dieser Aspekt keine große Rolle zu spielen, vgl. Gollwitzer  : Denken, S. 194–198.

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Niederlande eroberten bzw. die Ostindische Kompanie eroberte das Sultanat Mataram auf Java, und holländische Siedler vertrieben die »Buschleute« aus dem Kapland. Die christlichen Imperien konnten noch mithalten. Russland eroberte das Nordufer des Schwarzen Meeres und die Habsburger eroberten Ungarn. Und England verlor den Krieg gegen die 13 Kolonien in Amerika, die in klassischer Kabinettspolitik von Frankreich unterstützt wurden. Jenseits des Atlantik entstand die dritte Nation, nämlich die USA. Die Niederlage Englands erhöhte die Chancen der christlichen Kaiserreiche und auch die der absolutistischen Königreiche. Frankreich konnte diese Chance aber nicht nutzen, weil seine Verschuldung stieg. Schließlich drohte der Bankrott der Staatsfinanzen und König Ludwig XVI. musste die Generalstände einberufen, weil er der Schulden nicht Herr wurde. Die adlig-bürgerlichen Eliten Frankreichs lockte jedoch das englische Beispiel, und auch Frankreich beschritt in der Revolution den Weg zum republikanischen Nationalstaat. Das heißt  : Die erste Welle der Globalisierung im 15. und 16. Jh. wurde durch die Ausdehnung von zusammengesetzten Staaten am Rande der christlichen Welt (Spanien, Portugal, Russland) und das »Einklinken« von europäischen Kaufleuten in den bestehenden Welthandel bestimmt.132 Das 17. Jh. war für Europa eines der Krise, in dem die christlichen Mächte sich untereinander mit riesigen Verlusten bekämpften, und für Asien ein Jahrhundert des Neubeginns. Für Europa war relevant, dass die osmanische Expansion erneuert wurde. Die Projekte von Leibniz, wie die christlichen Mächte untereinander Frieden finden und als »orbis Christianum« gegen die »Barbaren« expandieren könnten, verdeutlichten den strukturellen Unterschied zwischen Imperien wie dem Osmanischen Reich und dem europäischen »Konzert«. Da jeder einzelne europäische Staat weniger Ressourcen hatte als ein asiatisches Imperium, aber doch kontinuierlich Krieg führte, musste er je Einwohner sehr viele Mittel aufbringen, um moderne Armeen und Verwaltungen zu finanzieren. Dies gelang an erster Stelle in Holland und England, wo Adlige und Städte gegen Fürsten mehr Partizipation erkämpft hatten und erste Nationen entstanden waren, die den Vermögenden nationale Identifikation anbieten konnten. Die Nationen erreichten hohe Steuerleistungen je Kopf und förderten eigenen Handel und Gewerbe, bauten Chausseen und Forschungsinstitutionen. Vor allem unterhielten sie größere und modernere Armeen und Flotten. Die Parlamente waren, wie das niederländische Beispiel zeigt, aber auch in der Lage, zu bestimmen, wann die Grenzen der Besteuerung erreicht waren.

132 Vgl. Renate Pieper  : Die Anfänge der europäischen Partizipation am weltweiten Handel, in  : Edelmayer/ Landsteiner, S. 33–53.

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Mit ihrem überlegenen Militär waren die ersten Nationalstaaten im 18. Jh. nicht nur innerhalb Europas oft siegreich, sondern sie sicherten auch eine neue Phase der Handelsexpansion in den »Rest« der Welt mit militärischer Gewalt. Sie eroberten nicht nur Stützpunkte, sondern Territorien der asiatischen Imperien. Den Siegen der beiden ersten Nationalstaaten folgte 1789 in »konkurrierender Imitation« die Umwandlung Frankreichs in eine vierte Nation und im 19. Jh. folgten weitere Nationalstaaten in Mitteleuropa. Dass jenseits von Rhein und Alpen die Initiative zur nationalen Umwandlung immer weniger von aufständischen Eliten aus Bürgertum und Adel kam (wie in England und den Niederlanden) und immer mehr von Fürsten und Regierungen, gehört zu der Art und Weise, wie im System gelernt wird  : deutsche und italienische Eliten erkannten das Machtpotential, das im Nationalgefühl lag, und stellten sich an die Spitze der Bewegung.133 Nationalstaat und Globalisierung sind also keine Gegensätze, sondern seit der zweiten Phase der Globalisierung im 18. Jh. funktional miteinander verbunden. Der Nationalstaat bot einen dichteren Zugriff auf die Ressourcen als die zusammengesetzten Staaten der vorangehenden Perioden, wobei Letztere noch lange die Mehrheit der europäischen Staaten bildeten. Denn die europäischen Staaten waren zur Sicherung ihrer globalen Stellung auf das System angewiesen – auf den kontinuierlichen Austausch von Informationen über den anderen durch Reisende und einen frühen Journalismus sowie durch die Verstetigung der Diplomatie. Entscheidend blieb aber, dass die europäischen Nationalstaaten mit den Imperien im System zusammen handelten. Um das tun zu können, mussten die Akteure – von den Monarchen zu den Ständen, von den Universitäten zu den Akademien, von Kaufleuten und Ratsmitgliedern der Städte bis zu Bauern und den Saisonarbeitern – viele unterschiedliche Daten erarbeiten und in das System einbringen. Welche Art Militär ist wo am erfolgreichsten  ? Kann die Landwirtschaft besser produzieren  ? Können billigere Schiffe gebaut werden  ? Kann man eines der afrikanischen oder asiatischen Königreiche, kann man einen schwächeren europäischen Nachbarn sich einverleiben oder ihm zumindest eine Provinz abnehmen  ? Muss A einschreiten, wenn B eine Provinz erobert  ? Lohnt sich die Wanderung zur Saisonarbeit in die Niederlande oder in die Lowlands  ? Das System verarbeitete Daten einer komplexen und nicht nur immer globaler, sondern auch immer komplexer werdenden Realität  : 133 Vgl. Carl von Clausewitz  : Vom Kriege, hg.  v. Werner Hahlweg, Bonn 1980 (Dümmler), S.  413  : »… nachdem alle diese Fälle gezeigt haben, welch ein ungeheurer Faktor in dem Produkt der Staats-, Kriegs- und Streitkräfte das Herz und die Gesinnung der Nation sei – nachdem die Regierungen alle diese Hilfsmittel kennengelernt haben, ist nicht zu erwarten, dass sie dieselben in künftigen Kriegen unbenutzt lassen werden …«

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|  Gegenbewegung Tabelle 6  : Europäisches System und asiatische Imperien, 17./18. Jh.134 x = Schlacht, ∞ Friedensschluss, frz. = französisch, e = englisch, r = russisch, sp = spanisch, o = osmanisch, N = Napoleon, NL = Republik der Niederlande, ch = chinesisch, g = gekauft, t = tributpflichtig, GM = Großmacht im Konzert Nordamerika

Europ. System

Osman. Reich

Ca. 1570 Irokesenbund 1604 Akadia frz 1607 Virginia e 1610 Sta. Fe sp 1620 Plymouth e

1648 ∞ Westfalen GM Frankreich, Spanien, Kaiser, Schweden NL 1679 ∞ Nimwegen 1681 Straßbg. f 1688 e Revolution 1697 ∞ Rijswijk 1704 x Höchstädt 1713 ∞ Utrecht/ Großbrit. GM. 1721 Baltikum r Russland GM 1740–1763 Preußen GM 1772–1795 Teilungen Polens 1794 frz Revolution 1804 N Kaiser 1815 Kongress

1526 x Mohacz 1645 Dagestan o 1664 Neuhäusel 1669 Kreta o 1672 Podolien o 1683 x Wien 1699 ∞ Karlowitz 1711 x Pruth 18 ∞ Passarowitz, 39 ∞ Belgrad (Donaulinie o)

1700 Alaska r 1713 Akadia e

1763 Kanada e 1776 Unabhängigkeit 1779 IrokesenBund vernichtet 1783 USA

1803 Louisiana US 1819 Florida US

Mogul-Reich

1526 x Panipat 56–1605 Àkbar 1657–1707 Aurangzeb, SüdExpansion 1757 x Plassey 1761 x Panipat Afghanen 1763 Frankreich ausgeschaltet 1765 Bengalen EIC 1775–1799 Maisurkriege 1796 Ceylon e

1774 Schwarzmeerküste r 1786 Krim r

1644/57 Mandschu 1649 Ochotsk r (1663 Taiwan) 1696 Mongolei t 89 Amurtal ch 1691–1754 Dsungarenkriege 1720 Tibet t 1756 Birma t 1760 Sinkiang

1788 Nordvietnam unabhängig

1809 Bessarabien r 1798–1819 Marathenkriege

134 Meist nach verschiedenen historischen Atlanten.

China

1793, 1816 e Handelsmission

4 Imperien als Mitglieder des Weltsystems

Russland

Russland hat eine über tausendjährige Geschichte, rechnet man diese von der Gründung eines einheitlichen (drei heutige Nationen umfassenden) Reichs zwischen Kiew und Nowgorod bis zu Putin. Abgesehen von der Frage, ob die UdSSR ein Imperium war (s. u. S. 369 ff.), gibt es über das Ende des Imperiums 1917 keinen Disput, jedoch wird der Beginn unterschiedlich gesehen – entweder mit der Krönung Ivans IV. zum Zaren 15471 oder dem offiziellen Imperatortitel 17212. Ich werde mich hier an den formalen Verlauf halten und skizziere ihn von der Annahme des Imperatortitels durch Peter I. bis zur Abdankung Nikolaus II., also 1721–1917. Aus dieser Periode von 200 oder sogar mehr als 350 Jahren wird die Epoche Peters I. als Höhepunkt dargestellt.3 Die Ostslawen im Bereich des Dnjepr-Fluss-Systems zahlten bis ins 8. Jh. Abgaben an das Khaganat der Chasaren,4 das den Wolgalauf beherrschte und über das der Nordhandel der arabischen Welt bis Schleswig-Holstein lief.5 Die Kreativität der Wikinger lag darin, unter der Führung Ruriks über den Dnjepr einen direkten Weg von der Ostsee nach Konstantinopel aufzubauen, wozu sie slawische Fürsten unterwarfen aber auch Slawen in ihre Handels- und Kampfgemeinschaften aufnahmen. 988 schlossen die Fürsten sich dem orthodoxen Christentum an  ; ihr Gottesdienst wurde in Kirchenslawisch verrichtet und ihre Hauptstadt Kiew nach Baubeispielen aus Konstantinopel zur Metropole entwickelt. Sie regierten das Land als Familienbesitz der »Rurikiden«, die Rus’. Ursprünglich regierte stets der »Älteste«, aber bald kam es zur Herausbildung von festen Teilfürstentümern.6 1 Schmidt  : Russland. 2 Jane Burbank, Mark von Hagen, Anatolyi Remnev (Hg.)  : Russian Empire, Bloomington 2007 (Indiana UP)  ; H.-H. Nolte  : Das Russländische Imperium, in  : Gehler/Rollinger, S. 1083–1100. 3 Reinhard Wittram  : Peter I. Czar und Kaiser, 2 Bde. Göttingen 1964 (Vandenhoeck & Ruprecht)  ; Lindsey Hughes  : Russia in the Age of Peter the Great, New Haven 1998 (Yale UP). Vgl. auch H.-H. Nolte  : Kompetenzakkumulation im Weltsystem. Der Krieg, Rußland und die Liebe zu soliden Sachen, in  : Eva Barlösius, Elcin Kürsat Ahlers, Hans-Peter Waldhoff u.a. (Hg.)  : Distanzierte Verstrickungen. Die schwierige Bindung soziologisch Forschender an ihr Objekt. Festschrift Peter Gleichmann. Berlin 1997, S. 147–160. 4 S. A. Pletnjowa  : Die Chasaren, deutsch Leipzig 1978 (Koehler & Amelang). 5 Dariusz Adamczyk  : Friesen, Wikinger, Araber, in  : Komlosy, Ostsee, S. 32–47. 6 Lexika  : Hans-Joachim Torke (Hg.)  : Lexikon zur Geschichte Russlands, M 1985  ; T. M. Bohn, D. Neutatz (Hg.)  : Studienhandbuch Östliches Europa Bd. 2, Köln usw. 2002 (Böhlau)/Quellensammlung  : Quellen-

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In der Verbindung christlicher Institutionen mit einem durchgehenden Klientelsystem, einer charismatischen Familie, der Tendenz zur Teilung des Reiches und der Anlage von Städten war die Kiewer Rus ein Teil der Christenheit. Als es 1054 zum Schisma kam, wirkte sich das anfangs nur wenig aus, z. B. gingen die Fürstenhochzeiten mit westlichen Dynastien weiter. Aber die Entwicklung von Teilfürstentümern schwächte die Verteidigung des südlichen, fruchtbarsten Gürtels des Landes gegen die Nomaden, und in mehreren Feldzügen eroberten bis 1240 die Mongolen das Land. Zeitleiste 13

9. Jh. 911 1097 1223–1240 1328 1547 1591 1613 1654 1686 1689–1725 1721 1774 1772–1795 1815 1853–1856 1873–1890 1892 1905 1907 1914 ff. 15.3.1917

Waräger  : Handelsreich Rus von Ostsee zum Schwarzen Meer, Rurik Vertrag mit Konstantinopel  ; 988 Taufe, Hauptstadt Kiew, Seniorat Teilung, neue Zentren Nordosten (Nowgorod) und Westen (Halič) Von Mongolen unterworfen  ; Teilungen  ; tatarische »Goldene Horde« Moskau  : Großfürst, 1480 unabhängig Zar Ivan IV., 1556 ff. Kasan und Astrachan erobert, Kooptation des tatarischen Adels. Vorstoß nach Sibirien, 1649 am Pazifik Ende der Dynastie, Schweden erobert Ostseezugang, Polen Moskau Landesversammlung wählt Romanov, 1649 Schollenpflichtigkeit Dnjepr-Kosaken unterstellen sich Moskau, 1667 Teilung der Ukraine Allianz Habsburg–Polen–Russland gegen die Osmanen Peter I. absolutistisch  ; Eroberung Baltikum, Kooptation des baltischen Adels Imperator Kütschük-Kainardschi  : Russland am Schwarzen Meer, 1783 Krim Teilungen Polens Imperator Alexander I. Zar von Polen Krimkrieg, 1861 Bauernbefreiung (Haftungsgemeinde bleibt) Verträge mit Deutschland Militärkonvention mit Frankreich, bis 1884 Expansionen in Zentralasien Ostasien – Sieg Japans, Revolution – Duma, Stolypinsche Reform Abkommen mit England  : Aufteilung Persiens Erster Weltkrieg, Februarrevolution Rücktritt von Imperator Nikolaus II.

buch/Handbuch  : Manfred Hellmann, Gottfried Schramm, Klaus Zernack (Hg.)  : Handbuch der Geschichte Russlands, Bd. 1–5 (5 hg. v. Stefan Plaggenborg), S 1981–2003, (Bd. 4 = Register zu Bd. 1–3, S 2002) (Hiersemann)/Umfassende Darstellungen  : Stökl  : Russland  ; Haumann  : Russland  ; Kappeler  : Vielvölkerstaat  ; Figes  : Kulturgeschichte  ; Goehrke  : Alltag  ; Hildermeier  : Russland  ; Nolte  : Geschichte Russlands. Zur UdSSR s.u. 371, Anm. 10.

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Nach der Eroberung wurden die Siedlungen im Süden weithin aufgegeben und der Westen suchte Schutz bei der damaligen Großmacht Litauen, die durch die Heirat des Großfürsten Jagiełło mit der polnischen Prinzessin Jadwiga 1386 mit Polen vereint wurde. Der Norden der Rus’ lebte für mehr als zwei Jahrhunderte in Abhängigkeit, was hieß, dass man entweder Abgaben in Silber zahlte oder das Land den Sklavenjägern offen stand. Unter den Mongolen setzten sich die Tataren des Wolgaraums in eigenen Khanaten durch  ; unter den russischen Großfürsten gelang es dem Moskauer, 1480 die Unabhängigkeit zu erreichen. Wenige Jahre vorher hatte Großfürst Ivan III. die byzantinische Prinzessin Zoe geheiratet und so die Verbindung zur Tradition von Konstantinopel erneuert. 1547 nahm der Großfürst Ivan IV. den Titel Zar an. Der Titel bedeutet im slawischen Raum König, und noch Kaiser Alexander I. fügte 1815 zu seinem Imperatortitel den eines Zaren von Polen hinzu. Aber Zar kommt genauso wie Kaiser von Caesar. Der Caesar stand in der byzantinischen Tetrarchie in der zweiten Reihe hinter dem Basileus, wurde aber nicht nur im Westen mit dem Vater von Augustus verbunden. Schon deswegen erkannten die Nachbarn den russischen Titel nicht an. Unter dem neuen Zaren eroberte Russland den Wolgalauf und russische Kosaken und Kaufleute drangen nach Sibirien vor. Außerdem griff Ivan IV. den Staat des Deutschen Ordens im heutigen Lettland und Estland an, allerdings ohne Erfolg – die anderen Nachbarn Schweden und Polen teilten die Beute schließlich untereinander auf, und Schweden verdrängte Russland sogar von dem schmalen Zugang zur Ostsee, den es seit dem Mittelalter besaß. Nach dem Aussterben der Moskauer Rurikiden besetzte Polen Moskau und es sah fast so aus, als würde »Moscowien« zu einem polnischen Nebenland. 1613 siegte jedoch ein konservatives russisches Bündnis gegen Polen. Moskau wurde zurückerobert und eine Landesversammlung wählte einen Angehörigen der Familie Romanov zum Zaren. Katholische Gegenreformation und ukrainisch-orthodoxer Widerstand erleichterten im 17. Jh. die Westexpansion, und 1667 wurde die Ukraine zwischen Polen und Russland geteilt. Der osmanische Angriff zwang Polen dazu, die Grenze am Dnjepr auf Dauer anzuerkennen, und dass Russland im Bündnis mit Wien und Warschau die Krim angriff, erleichterte den habsburgischen Vormarsch in Ungarn. Auch im Zusammenhang mit der Expansion in die Ukraine hatte der russische Klerus eine Reform der Kirche betrieben, welche in der »Sorge um den rechten Text« die russischen theologischen Bücher nach den Vorlagen der griechischen korrigierte. 1666 hatte ein Landeskonzil die Reformen bestätigt. Ein großer Teil des Kirchenvolkes folgte den Bischöfen aber nicht, sondern hielt an den alten Riten und alten Büchern fest (darunter an der These von Moskau als dem Dritten Rom).7 Nach einem kurzen Versuch, 7 Serge A. Zenkovskij  : Russkoe staroobrjadchestvo, ²Moskva 2006 (Di-DIK)  ; Nolte  : Religiöse Toleranz  ;

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das Schisma mit dem Scheiterhaufen zu beenden, bildeten sich »altgläubige« Kirchen, die bis heute bestehen. Im 17. Jh. war die ökonomische Bedeutung der Ostsee angestiegen und Schweden finanzierte sein »dominium maris Baltici« nicht zuletzt durch Zölle auf die Waren von Anliegern, die es vom Meer abgedrängt hatte wie Russland.8 Der Krieg um den Zugang zur Ostsee, begonnen im Bündnis mit Dänemark und Polen, bestimmte die zwei folgenden Jahrzehnte. In vielen Punkten folgte Russland dem feindlichen Vorbild – Schweden war damals absolutistisch, die Krone kontrollierte die Kirche über das Konsistorium, das Land zog seine Rekruten im Kantonssystem ein, und sein König saß nicht im wohlbefestigten Stockholm, sondern zog mit seinen Heeren durch Europa – ein Soldatenkönig, wie auch Peter I. einer wurde, obwohl ihm manches von der Disziplin des Schweden fehlte. Der russische Sieg 1721 veränderte die Machtstruktur des europäischen Nordens – Brandenburg und Hannover gewannen wichtige Territorien an ihren Küsten und Russland wurde zur europäischen Großmacht. Der Imperatortitel gab dem Ausdruck.9 Das neue Imperium vereinte in keiner Weise »eine Welt«. In der Religion war es ein Teil der christlichen Ökumene, der auch kirchenrechtlich zur Orthodoxie gehörte und theologisch der Katholischen Kirche näherstand als den Protestanten.10 In der praktischen Politik, nicht zuletzt des Konflikts mit Polen wegen, war Russland meist auf der protestantischen Seite. Die Sozialstruktur war durch das Obereigentum des Adels am Land der Bauern geprägt, wobei es sowohl allodiales als auch feudales, für Dienst verliehenes Land gab. Der Adel hatte aber auch von ersterem Dienst zu leisten. Offizierskorps und Beamtenschaft waren durch kontinuierlichen Zuzug aus Westeuropa charakterisiert, besonders aus den vielen kleinen deutschen Territorien, aber dies Verhältnis beruhte insofern auf Wechselseitigkeit, als viele Deutsche Arbeit suchten und froh waren, sie in Russland zu finden. Das Land produzierte Rohstoffe und Halbfertigwaren für westeuropäische Märkte, vom Hanf zum Segelleinen. Sibirien bietet das eindrucksvollste Beispiel  – um den europäischen Pelzmarkt zu bedienen, wurde der Nord-SüdHandel entlang der Ströme in einen Ost-West-Handel umgedreht, der viel schwieriger zu bewerkstelligen war, da die sibirischen Ströme nun einmal von Süden nach Norden fließen. Nur in Fernost blieb etwas vom alten sibirischen Nord-Süd-Handel erhalten, und Pelze von der Lena oder Alaska kamen auf den Markt der russisch-chinesischen Grenzstation in Kjachta.11 ders.: Die Reaktion auf die spätpetrinische Altgläubigenbedrückung, in  : Kirche im Osten (KiO) 19 (1976), S. 11–28.   8 Michael North  : Ostseehandel, in  : Komlosy  : Ostsee, S. 132–147.   9 Duchhardt  : Balance, S. 237–258. 10 Nolte  : Geschichte Russlands, S. 81 f. 11 Quellenbuch Nr. 3.31.

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Imperator hieß für die russischen Eliten also nicht Zusammenfassung einer eigenen Welt, sondern Gleichberechtigung mit dem katholischen Kaiser im System der europäischen Mächte. In der westeuropäischen Literatur hält sich bis in die neueste Zeit12 die These, es sei ein Ziel der Zaren gewesen, das »Dritte Rom« als Imperium aufzurichten. Das Konzept hat im 16. Jh. einige Bedeutung besessen,13 aber die Zaren haben sich davon nicht binden lassen. Mit der Glaubensspaltung im 17. Jh. wurde die klerikale Forderung nach dem »Dritten Rom« zum Vorwurf gegen den Zaren.14 Das Konzept kommt in den das Imperium legitimierenden Texten des 18. und 19. Jh. nicht vor, es wird aber im 19. Jh. in der Kritik der Slawophilen an St. Petersburg wieder aufpoliert und hat von dort seinen Weg in die westeuropäische Russlandkritik gefunden. Die russische Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jh. (auch die sowjetische) hat das »Sammeln russischer Erde« zum außenpolitischen Konzept russischer Politik im 17. Jh. erhoben, und dieser nationalgeschichtlich imperiale Ansatz erklärt auch einiges.15 Fraglos benutzten die russischen Eliten (wie viele Expansionisten) zur Legitimation von Expansion »historische Rechte«, dass aber diese Vorstellung einer Wiederherstellung des alten Kiewer Russlands die Politik wirklich geleitet hätte, ist nicht so sicher. Bei der Rechtfertigung des Nordischen Kriegs gegenüber seinem Sohn erwähnt Peter I. die (sonst bemühten) historischen Ansprüche nur mit einem Adjektiv  : Die Schweden schnitten uns durch unrechtmäßigen Besitz so vieler unserem reiche nöthigen See-Örter die Handlung mit der übrigen Welt ab, und wir haben mit Schmertzen angesehen, dass sie noch dazu einen dicken Vorhang vor die Augen der Scharffsehenden gezogen hatten […].16

Es ging dem aufgeklärten Imperator also nicht um die Schaffung »einer Welt«, sondern um Anschluss an die europäische Aufklärung, die er als globale Entwicklung verstand, die bei den Griechen angefangen hatte und nun nach Russland kommen müsse. Er wollte den »dicken Vorhang« zum Westen zerreißen. Diese imperiale Aufklärung blieb die Ratio des petrinischen Reiches, wie Richard Wortmann schreibt  :17 Da einheimische Traditionen absoluter Macht fehlten, beriefen die Zaren Russlands sich auf fremde Bilder von Herrschaft und ahmten sie nach, um sich selbst und die Staatselite über 12 Bernd Schneidmüller  : Altes Kaisertum als neue Fragestellung, in  : Leppin/Weinfurter, S. 7–16, hier S. 11. 13 Quellenbuch Nr. 2.12  : Patriarchatserhebung mit Verweis auf das Konzept 1589. 14 Quellenbuch Nr. 2.44  : Erklärung der Mönche des Klosters Soloveckij 1670. 15 Nolte, in  : Gehler/Rollinger, S. 1086 f. 16 Quellenbuch Nr. 2.74. 17 Richard Wortmann  : The Tsar and the Empire, in  : Leonhard/Hirschhausen, S. 266–286, Zitat ü. S. 266.

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|  Imperien als Mitglieder des Weltsystems die Untertanenbevölkerung zu erhöhen. Die Quelle der Heiligkeit war fern von Russland, ob jenseits der See, woher die Wikinger einmal kamen, oder im Bild von Byzanz, Frankreich oder Deutschland.

Deswegen konnten ja auch so gut Angehörige deutscher Duodezfürstentümer auf dem Thron Russlands sitzen  – ihr Programm musste es ja sein, (von Russland aus) westliche Verhältnisse zu fördern. »Russland ist eine europäische Macht«, begann SophieFriederike von Anhalt-Zerbst als Imperatorin Katharina II. den Verfassungsentwurf für Russland, den sie im Westen weit zirkulieren ließ, den sie aber in ihrem Reich nie durchgesetzt hat.18 »Asien« begann für Katharina II. noch in Kasan, und als sie es sah, begann sie zu fürchten, dass es doch nicht gelingen werde, »ein Kleid [zu] schneidern, das für alle passt«19. Dass das aufklärerische Programm an seine inhaltlichen Grenzen stieß, machte sowohl die konservative Kritik an der Fürstin deutlich, die durch den Mord an ihrem Gatten an die Macht gekommen war und junge Männer zu sich holte wie die französischen Könige junge Frauen20, als auch die Kritik der Intelligenz, die das Leibeigenensystem angriff.21 Aber das imperiale Russland war außenpolitisch erfolgreich  – im Süden wurde die Küste des Schwarzen Meeres erobert, im Westen Polen bis zum westlichen Bug annektiert, im Osten kam Alaska zum Reich.22 Auch im 19. Jh. wurde Kritik an diesem Weg deswegen als Krankheit verstanden. Als aufgeklärte Monarchie war Russland eine der fünf Mächte des Konzerts und am Sieg über Napoleon entscheidend beteiligt.23 Das Imperium war Gründungsmitglied der Heiligen Allianz, in welcher Österreich, Preußen und Russland nach den napoleonischen Kriegen es unternahmen, die Regeln der Staatsraison aufzugeben und stattdessen

18 Quellenbuch Nr. 3.22. 19 Vgl. ihren Brief an Voltaire vom 29.  Mai 1767 in Hans Schumann (Hg.)  : Monsieur  – Madame. Der Briefwechsel zwischen der Zarin und dem Philosophen, Zürich 1991 (Manesse), S. 54 f. Voltaire hatte vorher, wie stets unterhaltsam, über die Relativität von Sprachen geschrieben, u. a. S. 53, dass Katherinas »Nachbar«, der Kaiser von China, sich nicht vorstellen könne, das man in einer europäischen Sprache Gedichte schreiben könne. Katharina schrieb über das Kasaner Asien als Vielfalt  : »Und doch muss ich ihnen ein Kleid schneidern, das für alle passt. Allgemeine Grundsätze lassen sich leicht aufstellen. Aber im Detail steckt der Teufel. Und um welche Details geht es hier  ! Es gilt, fast eine Welt zu schaffen, zu vereinen und zu bewahren. Damit komme ich nie zu einem Ende, es gibt einfach zu viele Schnittmuster.« 20 Auszüge aus dem Buch von M. M. Shcherbatov  : Quellenbuch Nr. 3.18. 21 Ebda. Nr. 3.26 f. 22 Eine Karte Russlands 1815 mit den Transportwegen EdN 11, Spalte 471 f. (Lemma Russländisches Reich). 23 Erbe  : Erschütterung, S. 281–360.

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sich sowohl in der Regierung ihrer Staaten wie in ihren politischen Beziehungen zu allen anderen Regierungen von nichts anderem leiten zu lassen, als den Regeln der heiligen Religion, Regeln der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens […].24

Dieser Versuch, dem übernationalen Charakter des Systems der europäischen Mächte moralische Regeln zu geben, ist schnell gescheitert. Russland wurde zum »Gendarm Europas« und intervenierte gegen die demokratische Bewegung in Ungarn. Außerdem nahm es die Expansion wieder auf, ohne dem Konflikt mit dem Hegemon des 19. Jh., Großbritannien, aus dem Wege zu gehen. Die Westmächte fügten ihm im Krimkrieg 1853–1856 eine schwere Niederlage zu, welche die Expansion in den Süden wenn nicht stoppte, so doch verlangsamte,25 und den Entschluss zur Agrarreform, d. h. zur Emanzipation der Bauern, stärkte.26 Das Jahrhundert wurde aber nicht deswegen zum Krisenjahrhundert für Russland, weil seine Expansionen auf Widerstand trafen  – gegenüber dem Osmanischen Imperium auf den der Westmächte, gegenüber Südosteuropa auf den Österreich-Ungarns und Deutschlands, gegenüber China auf den Japans. Es wurde zum Krisenjahrhundert, weil der einheitliche imperiale Schein der Vielfalt des Imperiums immer weniger entsprach. Der Krimkrieg und die regelmäßigen polnischen Aufstände machten deutlich, dass die Expansionen des 18. Jh. zu erfolgreich gewesen waren und besonders die Annexion Polens 1815 eine strategische Selbstüberforderung bedeutete.27 Auch die »Inszenierung von Freundlichkeit und Nähe« konnte angesichts äußerer Rückschläge das Imperium nicht dauerhaft stabilisieren.28 Und der Bau von Eisenbahnen, fraglos ein »Instrument kaiserlicher Herrschaft«, stieß angesichts der riesigen Räume oft in Enttäuschung darüber um, was nicht erreicht wurde. Es war unmöglich, alle wichtigen Orte schnell anzuschließen.29 Für eine bäuerliche Gesellschaft bietet ein pater patriae, ein Landesvater eine überzeugende Herrschaftsform, weil Patriarchalismus der bäuerlichen Ordnung in den Höfen entspricht. Die russischen Bauern haben sich bei den vielen Aufständen der Periphe24 F. Martens (Hg.)  : Recueil de Traités et Conventions conclus par la Russie, Bd. 6.1, Nr. 99  ; längerer Auszug in  : Quellenbuch Nr. 3.62. 25 Baumgart  : Konzert, S. 336–351  ; Dietrich Geyer  : Der russische Imperialismus, Göttingen 1977 (Vandenhoeck & Ruprecht). 26 Peter Scheibert  : Die russische Agrarreform von 1861, Köln usw. 1973 (Böhlau)  ; Beate Eschment  : Die große Reform  ?, Münster 1994 (LIT). 27 Zu den unterschiedlichen Entwicklungslinien beider Länder Zernack  : Polen  ; vgl. Alexey Miller, Mikhail Dolbilox  : ›The Damned Polish Question‹, in  : Leonhard/Hirschhausen, S. 425–452. 28 Leonhard/Hirschhausen  : Pomp, S. 36–41. 29 Frithjof Benjamin Schenk  : Mastering Imperial Space, in  : Leonhard/Hirschhausen, S. 60–77.

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rie nicht gegen den Zaren erhoben, sondern gegen den Adel und die Fremden.30 Im 19. Jh. wurde der Konflikt mit der Bauernemanzipation aktuell  : Wie viel Land sollten die Bauern zu welchen Bedingungen erhalten  ? Der Kompromiss von 1861 war den Bauern zu wenig, weil die Bevölkerung auf dem Land schnell wuchs und die Anteile der Gemeindemitglieder immer kleiner wurden – zu klein, um davon leben zu können. Der Adel blieb als Zwischenschicht in einer prekären Position. Im späten 18. und im 19. Jh. verbreiteten sich aber noch mehr Gruppen, die nicht in das simple Bild passten – Städter nahmen an Zahl und Bedeutung zu, in Industriedörfern und städtischen Sonderräumen (wie dem Altgläubigen-Friedhof in Moskau) lebten Arbeiter, neue Händler (oft Juden oder Armenier) kamen auf die Dörfer und zugleich Intellektuelle, auch sie Fremde.31 Sprache begann wichtiger zu werden, weil die Ämter mehr Einfluss nahmen und immer mehr forderten, dass alle schreiben und lesen lernen sollten und zwar Russisch. Also entstanden Nationalbewegungen  ; nicht nur erhob sich die alte polnische Herrschaftselite gegen das Imperium, sondern auch unter Ukrainern und Tataren bildeten sich nationale Bewegungen. Der aktuellste Konflikt entstand vielleicht aus dem wachsenden russischen Nationalismus, der forderte, dass das Baltikum endlich russifiziert werden solle – was nicht nur den loyalen baltendeutschen Adel irritierte, sondern auch lettische und estnische Nationalbewegungen provozierte. Neue Probleme brachte die schnelle Industrialisierung nach 1880, welche die Regierung durch Sonderbedingungen für ausländisches Kapital förderte. Neben der meist Russen gehörenden Ural-Industrie entstand ein zweites Montanzentrum, der Donbass, in dem die wichtigsten Unternehmen in westeuropäischen Händen waren. Damit Kapitalrenditen und Gewinne aus dem investierten Kapital nach Paris und Brüssel transferiert werden konnten, pflegte das Imperium eine Goldwährung und einen kontinuierlichen Außenhandelsüberschuss. Zugleich suchte man weiteres französisches Bankkapital – Paris fing aber um die Jahrhundertwende an, Investitionen in den USA für vielversprechender zu halten.32 Diese Schwierigkeiten unterschieden sich nicht grundlegend von denen in anderen europäischen Ländern in dieser Periode. Aber sie gingen damit zusammen, dass Russland seine Kriege nicht gewinnen konnte oder auch nach einem Sieg nicht das erhielt, was die Eliten für angemessen hielten. Trotzdem gibt es eine Reihe von Argumenten 30 H.-H. Nolte  : Images of the West in Russian Peasant Uprisings, in  : J. S. Lemmink (Ed.)  : De Nederlanden en het Balticum, Nijmegen 1990, S. 249–262. 31 Rex Rexheuser  : Der Fremde im Dorf, in  : JbGOE 25 (1977), S. 494–512  ; vgl. Hans-Jürgen Bömelburg, Beate Eschment (Hg.)  : ›Der Fremde im Dorf‹, Lüneburg 1998 (Nordostdeutsches Kulturwerk). 32 Vgl. die Korrespondenzen von Adolf Rotstein und Hermann Spitzer  : Irina Djakonova (Hg.)  : Rossija i mirovoj bizness, Moskva 1996 (ROSSPEN).

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GROSSBRITANNIEN

DÄNEMARK Nordpol

SCHWEDEN

ÖSTERREI

CH

PREUSSEN

St. Petersburg

Moskau

N

N. REI

J A PA

OSMA CH

PERSIEN

KHA NATE

CHINA

KOREA

Karte 9: Russländisches Reich, 1815

Russländisches Imperium 1725

Erwerbungen bis 1815 im Westen vermessene Grenzen im Osten Grenzstreifen, im Polargebiet Projektionen

1000 km © Entwurf: Hans-Heinrich Nolte Kartographie: Florian Partl

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dafür, dass der Zusammenbruch 1917 hätte vermieden werden können, wenn Russland 1914 nicht in den Krieg gezogen wäre.33 Im Ersten Weltkrieg verlor Russland, weil es für einen modernen Abnützungskrieg nicht genug industrielle Tiefe besaß. Und im Innern büßte der Imperator Zustimmung und Gefolgschaft ein, bis die Zentralmacht die Kontrolle in drei sozialen Sektoren verlor, die mehrfach auch territorial definierte Gebiete bildeten  : – Auf dem Land begannen die Bauern mit der »schwarzen Umteilung« und brannten die Gutshäuser nieder  ; – in Gebieten mit nichtrussischen Mehrheiten erklärten nationale Bewegungen die Unabhängigkeit, und – in den Arbeitervierteln der Städte errichteten die Sozialisten Räteverwaltungen, welche diese Gebiete der Regierung entzogen. In der ersten Reform im Rahmen der Westexpansion hatten sich die Altgläubigen von Moskau getrennt, im 18. Jh. folgten die Gegner des imperialen Bruchs mit Moskau und der altrussischen Tradition, im 19. Jh. distanzierten sich die kritische Intelligenz und die größeren Nationalbewegungen. Die städtische Arbeiterschaft hatte nie zur loyalen Gefolgschaft gehört. Das Imperium war am Ende, nicht aus Naturnotwendigkeit, sondern weil es den Krieg verloren hatte und seine (verschiedenen) Eliten gern an Siegen beteiligt gewesen wären – möglichst an solchen, welche eine verkehrte Welt auf ihre Füße stellen würden. Arbeitsansätze

Quellenkunde und Historiografie Die zentralistische Verwaltung hat früh Akten gesammelt, die in Moskau aufbewahrt werden. Hinzu kommen Bücher früherer Perioden, Erinnerungen und Briefe der Familien, Kirchen- und Gutsakten, im 19. Jh. auch Akten von Unternehmen und Unternehmern. Diese Quellen werden fortlaufend ediert. In sowjetischer Zeit war auch der Zugang zu Akten früherer Perioden eingeschränkt,34 das ist heute nicht relevant. In der Historiografie spielte die Frage nach dem Verhältnis von endogenen und exogenen Antrieben eine zentrale Rolle. Der erste Streit ging um die Frage, ob die Gründung des Kiewer Russland von Wikingern oder von Russen durchgeführt worden sei. 33 So der Zeitgenosse Fedor Stepun  : Das Antlitz Russlands und das Gesicht der Revolution, deutsch München 1961 (Kösel), S. 142–143. 34 Meine eigene Erfahrung in den sechziger Jahren war, dass ich im Moskauer Zentralarchiv Akten zu den armenischen Gemeinden im 17. Jahrhundert nicht einsehen durfte, aber Akten und handgeschriebene Bücher der Altgläubigen im Pushkinskij Dom im damaligen Leningrad studieren konnte.

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Da in Westeuropa nicht nur Sizilien, sondern auch England von »Normannen« erobert worden ist, verbindet die »Normannentheorie« Russland mit Westeuropa  ; eine rassistische These wie jene der Nationalsozialisten, dass der germanische Adel das russische Reich zusammengehalten habe, ist dagegen unhaltbar. Meines Erachtens sprechen die Quellen (z. B. der Vertrag in Konstantinopel 911) dafür, dass es die Wikinger waren, wobei sie sehr früh slawische Fürsten und Händler in ihren wahrscheinlich zahlenmäßig kleinen Kreis aufgenommen haben. Gegen die bewusste Verdrängung der vorpetrinischen Geschichte durch das aufgeklärte Imperium  – ein Verlust der Geschichte ohne koloniale Herrschaft35  – haben die Historiker des 19. und 20. Jh. mit großem Erfolg angearbeitet. Die Frage nach dem Verhältnis endogener zu exogenen Einflüssen ist auch aktuell wichtig, sowohl in den Arbeiten über die Rolle ausländischen Kapitals als auch in denen über die globale Rolle der Kommunisten nach 1917 und über die Supermachtphase der UdSSR.36 Über das Ende des Imperiums 1917 gibt es keinen Disput, der Beginn wird unterschiedlich gesehen, wie oben skizziert. Auch Boris Mironov fasst in seiner Sozial- und Wirtschaftsgeschichte das 18. und das 19. Jh. zusammen  ;37 Elise Kimerling Wirtschafter geht von der Lage der Bauern aus und periodisiert 1649–1861.38 Zu Russland als »Petersburger Imperium« und »Mitglied der Familie« Europas und zur Globalisierung gibt es das klassische Werk von Arcadius Kahan und neuere Sammelbände.39 Periodisch noch enger sind die Arbeiten zu Russland im Imperialismus, für die in Deutschland v. a. Dietrich Geyer bekannt geworden ist.40 In der neuesten Zeit haben Martin Aust, Julia Obertreis, Ricarda Vulpius, Benjamin Schenk und andere gerade zur Geschichte Russlands als Imperium im »langen 19. Jahrhundert« beigetragen und mehrere neue Forschungsansätze eingebracht, die hier nicht alle aufgenommen

35 Präzise ausgedrückt in dem ersten »Philosophischen Brief« des Fürsten Tschaadajew 1829, ü. Dmitrij Tschizewskij, Dieter Groh (Hg.)  : Europa und Russland, D 1959 (WBG), S. 73–93  ; Modell meiner Interpretation ist Eric R. Wolf  : Europe and the People Without History, Berkeley 1982 (California UP). 36 Literaturbericht H.-H. Nolte  : Russland und der Westen, in  : ZWG 11.1 (2010), S. 173–204. 37 B. N. Mironov  : Social’naja Istorija Rossii, 2 Bde. S. Peterburg 1999 (Dmitrij Bulanin). 38 Elise Kimerling Wirtschafter  : Russia’s Age of Serfdom 1649–1861, Malden/MA 2008 (Blackwell). 39 Arcadius Kahan  : Russian Economic History, Chicago 1989 (Chicago UP)  ; Susan P. Maccaffray, Michael Melancon (Hg.)  : Russia in the European Context 1789–1914. A Member of the Family, New York 2005 (Palgrave-MacMillan). 40 Dietrich Geyer (Hg.)  : Wirtschaft und Gesellschaft im vorrevolutionären Russland, Köln 1973 (Kiepenheuer & Witsch)  ; Dietrich Geyer  : Der russische Imperialismus, Göttingen 1977 (Vandenhoeck & Ruprecht).

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werden können.41 Im Bereich der Kulturgeschichte führt der von Bianca Pietrow-Ennker herausgegebene Sammelband in viele Teilfragen ein.42 Soziale Einheiten und Ökonomie Die Grundlage von sozialem Leben und Wirtschaft bildeten in der gesamten Periode Waldbauern im Mischwaldkeil,43 der sich vom Baltikum bis zum Ural hinzieht und nach Osten stets kleiner wird, da von Norden die Zahl der Froststage zunimmt und von Süden die Trockenheit. Die Vorfahren waren von den reichen Böden der heutigen Ukraine vor den Mongolen in die Wälder des Nordens geflohen, wo sie zwischen und mit finnougrischen Völkern lebten.44 Alle Waldbauern betrieben Brandrodewirtschaft auf wandernden Feldern in einem Turnus von etwa 25 Jahren  : 1. Jahr  : Roden eines Feldes, Abbrennen des Holzes, um die Erde mit Asche zu düngen, Saat von Hirse, Buchweizen, Hafer oder Flachs  ; 2. Jahr  : Saat von Gerste oder Roggen  ; 3. Jahr  : Brache und Verbuschen, bei guten Böden vielleicht im 5. Jahr eine Nachsaat, danach wartet man 20 Jahre, bis neuer Wald gewachsen ist, den man dann wieder roden kann. Ein Zyklus von 25 Jahren mit günstigstenfalls fünf Jahren Ackernutzung bedeutete, dass Dorf und Acker weit auseinander liegen konnten. Oft zogen die Dörfer den Äckern hinterher und nahmen die Häuser mit, die keine Immobilien, sondern Mobilien waren.45 Aber der Bauern konnte seine Familie von der Feldarbeit nicht ernähren, weil die Vegetationsperiode kurz ist und er dann die Hälfte – oder, je weiter nach Norden, mehr 41 Martin Aust (Hg.)  : Globalisierung imperial und sozialistisch, 1851–1991, Frankfurt 2013 (Campus). Martin Aust, Ricarda Vulpius, Aleksej Miller (Hg.)  : Imperium inter pares, Moskva 2010, (Novoe Literaturnoe Obozrenie)  ; Marin Aust, Julia Obertreis (Hg.)  : Osteuropäische Geschichte und Globalgeschichte, Stuttgart 2014 (Steiner)  ; Benjamin Schenk  : Mastering Imperial Space  ? The Ambivalent Impact of Railway-Building, in  : Leonhard/Hirschhausen, S. 60–77. 42 Bianka Pietrow-Ennker (Hg.)  : Kultur in der Geschichte Russlands, Göttingen 2007 (Vandenhoeck & Ruprecht). 43 Vgl. Gerasimov  : Atlas  ; Übersicht Nolte  : Russische Bauern. 44 Z. B., jeweils mit vorangehender Literatur, G.  E. Kochin  : Sel’skoe chozjaistvo na Rusi konca XIII  – načala XVI v., Moskva 1965 (Nauka)  ; N. N. Pokrovskij  : Aktovye istochniki po istorii chernosošnogo zemlevladenija v Rossii XIV – načala XVI. v. Novosibirsk 1973 (Nauka)  ; L. I. Ivina  : Krupnaja votchina severo-vostočnoj Rusi konca XIV – pervoj poloviny XVI v. Leningrad 1979 (Nauka). 45 Quellenbuch Nr. 2.6. Noch in sowjetischer Zeit konnte man eine Kate abreißen und das Bauholz neu verwenden, vgl. Alexander Solschenizyn  : Matrjonas Hof, ü. ders.: Im Interesse der Sache, ³Neuwied 1974, S. 5–56.

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als die Hälfte – des Jahres nicht arbeiten würde.46 Im Winter übernahmen die Bauern vielfältige nicht landwirtschaftliche Arbeiten – sie jagten Wild und Pelztiere, angelten Fische im Eis, schmolzen Eisen47, siedeten Salz, stellten Geräte her etc. und besonders die Frauen sammelten. Aus dem Handel benötigte die Familie Salz, fertige Werkzeuge, und von Zeit zu Zeit neues Saatgut sowie neue Tiere. Auch die Heiraten gingen über den Hof hinaus. Man brauchte Austausch mit anderen Höfen, Religion, und Schutz. Gegen Reiter brauchte man Reiter. Es war klar, dass man den russischen Adel unterhalten, »alimentieren« musste. Es gelang den Moskauer Großfürsten, ihr Gebiet vor den Sklavenjagden sicherer zu machen, und nördlich der Oka (dem Grenzfluss zur Goldenen Horde bis ins 16. Jh.) nahm die russische Bevölkerung zu. Es wurde unmöglich, regelmäßig im Wald herumzuziehen und neue Felder zu roden. Die Dörfer wurden stabil und bekamen feste Plätze sowie größere Fluren. So lange die Bauern auf wandernden Feldern wirtschafteten, so lange lohnte es sich nicht, Eigentum an Land zu definieren, jetzt wurde adliges Obereigentum immer häufiger über die Bauern geschoben. Es gab zwei Arten von adligem Eigentum an Land, die der westeuropäischen Unterscheidung zwischen Feudum und Allod nahekamen. Pomest’ja erhielt ein Beamter oder Krieger für den Dienst vom Großfürst oder auch der Kirche  ;48 »Vatersgüter« dagegen wurden in den Familien vererbt und wenn ein Gutsherr eines verkaufte, konnte jemand aus dem Clan ein Rückkaufsrecht geltend machen.49 Im 18. Jh. wurde die Erblichkeit auch der Pomest’ja durchgesetzt. Die räumliche Gliederung der ländlichen Siedlungen ist Hof› Weiler oder Dorf› Uezd. Der Gutsbesitzer erhält aus seinem Eigentum Fronarbeit und Geld, außerdem erhält der Großfürst, sozusagen der »Staat«, die Steuer. Die Bauern waren frei  ; sie waren Rechtspersonen, welche die niedere Gerichtsbarkeit in ihren Dorfgemeinden mit einem System gewählter Ältester in eigenen Händen hielten, während die über Leib und Leben beim Großfürsten oder später Zaren lag. Die Freien im Land waren aufgeteilt in 46 A. I. Kopanov  : Krest’janstvo Russkogo Severa 16. v., Leningrad 1978  ; 17. v. Leningrad 1984  ; vgl. einführend Hans-Heinrich Nolte  : Soloveckij, in  : Martin Stöber u. a. (Hg.)  : Insel-Reflexionen, Carl-Hans Hauptmeyer zum 60. Geburtstag, Hannover 2008 (ecrivir), S. 65–70. 47 Zur bäuerlichen Eisenproduktion zuletzt V. A. Alekseev, D. V. Gavrilov  : Metallurgija Urala s drevnejshikh vremen do nashikh dnej, Moskva 2008 (Nauka), S. 239–293  ; zu den späteren Perioden kurz  : H.-H. Nolte  : Eisen und Stahl im Zarenreich und in der Sowjetunion, in  : Martin Aust (Hg.)  : Globalisierung imperial und sozialistisch, Frankfurt 2013 (Campus), S. 274–300. 48 Zur Fortdauer von Familiengütern Lee A. Farrow  : The Ties that Bind, in  : Susan P. McCaffray, Michael Melancon (Hg.)  : Russia in the European Context. A Member of the Family, London 2005 (Palgrave), S. 13–32  ; Interpretation nach dem Grundgesetz von 1649  : H.-H. Nolte  : Eigentumsrechte im Moskauer Rußland, in  : Katharina Colberg u.a.(Hg.)  : Rechts- und Verfassungsgeschichte in Mittelalter und Früher Neuzeit. Gedenkschrift Joachim Leuschner, Göttingen 1983 (Vandenhoeck & Ruprecht), S. 226–244. 49 Quellenbuch 2.2–2.4.

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»dienende« und »lastentragende« Bevölkerung  ; wer (einem Fürsten, der Kirche, dem Zar) diente, wird hier Adel genannt  ; Kaufleute, Handwerker und eben Bauern zahlten Steuern und Abgaben. Der Adel hatte im Moskauer Russland keinen eigenen Rechtsstand, sondern unterlag dem allgemeinen Gericht  ; Adlige wurden in dem System der Guba-Gerichte oft zum Richter gewählt, mussten aber in Moskau im Amt bestätigt werden. Außerdem gab es Knechte, Cholopen, die manche Wissenschaftler als Sklaven ansprechen, die aber ebenfalls Rechtspersonen waren und auch Rechte hatten  ; sie machten etwa 10 % der Bevölkerung aus.50 Das konkret wichtigste Freiheitsrecht der Bauern war das auf Abzug. Sie konnten den Hof verlassen und sich einen anderen Herrn oder an den Grenzen Land ohne Herren suchen. Das Recht zur Kündigung wurde 1550 auf eine Woche im Herbst eingeschränkt. Auch die Lage der dienenden Leute veränderte sich durch den Erfolg Moskaus. Die Grenzen des Landes waren immer weiter entfernt, Kriege wurden im 16. und 17. Jh. im Wolgaraum und weit südlich der Oka, nicht zuletzt in der Ukraine geführt. Die Adligen lagen also im Sommer vor Smolensk oder Kiew, Riga oder Astrachan. Sie erhielten keinen Sold – Pferd, Waffen und Nahrung mussten sie mitbringen. Die Familien blieben derweil auf den Höfen zurück, auch sie musste das Dorf ernähren. Gerade vom Grund kleiner Adliger, auf dem vielleicht nur fünf oder sechs Bauern wirtschafteten, begannen die Bauern, fortzuziehen und dienende Leute forderten, das Abzugsrecht aufzuheben, was 1649 geschah.51 Ein System von Kontrollen wurde eingerichtet, v. a. wurden die bäuerlichen Gemeinden für die Ablieferung der Steuern und Abgaben in Gesamthaftung genommen. Wenn eine Familie floh, mussten alle anderen doch die alte Summe an Fronen auf dem Herrenacker oder Steuern an den Staat zahlen. Damit machte die Regierung die Dorfgemeinde zum wichtigsten Kontrolleur auf dem flachen Land. Sie ersparte sich den Aufbau einer eigenen Steuerbehörde auf dem Land, und insofern war der Mir eine imperiale Institution. Das Imperium hatte also keine Institutionen auf dem flachen Land, mit denen es eine Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung hätte durchsetzen können, und scheiterte bei dem Versuch, das gegen die Altgläubigen durchzusetzen.52 Die Disziplinierung blieb äußerlich – fraglos gröber, aber auch leichter als Machtausübung zu durchschauen–, oder wie Alexander Herzen seinem westeuropäischen Publikum erklärte  : der russische Arbeiter »kann sich der einförmigen und methodischen deutschen Disziplin nicht fügen«.53 50 Richard Hellie  : Slavery in Russia, Chicago 1982 (Chicago UP)  ; anders H.-H. Nolte  : Kholopen, in  : EdN 6. 51 Vgl. als Übersicht Schmidt  : Leibeigenschaft. 52 Nolte  : Altgläubigenbedrückung s.o. Anm. 7. 53 Alexander Herzen  : Russlands soziale Zustände, ü. Hamburg 1856 (Hoffmann & Campe), S. 82.

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Die Pflichten der bäuerlichen Gemeinden wurde noch erhöht, als sie nach der Einführung der Rekrutierungspflicht 172254 – auf 32 Männer im Dorf musste ein Rekrut gestellt werden  – für die Gestellung verantwortlich gemacht wurden. Die Dörfer reagierten auf die hohe Belastung bei Gesamthaftung mit der Umteilungsgemeinde  :55 Um allen arbeitsfähigen Menschen die Möglichkeit zum Wirtschaften zu geben, ging man dazu über, das Ackerland regelmäßig neu zu verteilen  : Jeder Hof, jedes Ehepaar oder jeder Kopf erhielt alle paar Jahre eine gleiche Ackerfläche zugeteilt56. Mit der Umverteilung wollte die Gemeinde (Mir) verhindern, dass einzelne arme Familien flohen, denn die Last der Steuern und Rekrutengestellungen hätte ja dann auf die wohlhabenderen Zurückgebliebenen aufgeteilt werden müssen, was wiederum deren Ruin absehbar gemacht hätte. Die Gutsbesitzer, die den Ruin »ihrer« Dörfer fürchten mussten, unterstützten die Gemeinden darin oder ordneten den Wechsel der Dorfverfassung sogar an.57 Die Umverteilung führte nicht dazu, dass alle Familien gleichen Besitz hatten – Hofstelle, Werkzeuge, Vieh blieben unterschiedlich. Ein armer »Bauer« konnte seinen Anteil wegen Armut dem Mir zurückgeben  ; der häufigste Grund für die Rückgabe (in einer Liste von 1738) war allerdings, dass der Sohn zu den Soldaten musste.58 Daraus wird auch deutlich, über welche Entscheidungsgewalt Starosten und Dorfversammlung (S-chod) verfügten. Die Dörfer wurden von Patriarchen regiert, für die sich beträchtliche Machtmöglichkeiten ergaben.59 Die Umteilung verhinderte, dass ein Hof dasselbe Land dauerhaft bewirtschaften und z. B. meliorieren konnte und bewirkte, dass die Bauern die Arbeitskraft der Familien60 auf solche Teile der Gesamtwirtschaft lenkten, die in dem Abgabesystem zumindest anfangs nicht erfasst waren – die Waldwirtschaft (Pilze und Beeren sammeln, Holz schlagen etc.). Allerdings griff die Regierung auch hier ein – um die neuen Eisenhütten zu fördern, wurde schon im 17. Jh. den Bauern in manchen Gebieten der Holzeinschlag

54 Quellenbuch Nr. 2.68. 55 Grundlegend S. G. Pushkarev  : Krest’janskaja Pozemel’naja-Peredel’naja Obshchina v Rossii (Die bäuerliche Umteilungsgemeinde in Russland) (Prag 1939/41), hg. v. Marc Raeff, Newtonville 1976 (Oriental Research Partners)  ; vgl. Carsten Goehrke  : Die Theorien über Enststehung und Entwicklung des ›Mir‹, Wiesbaden 1964 (Harrassowitz). 56 Vgl. die Urbare der Güter zentralrussischer Klöster in L. N. Vdovina  : Krest’janskaja obščina i monastyr’ vo Central’noj Rossii v pervo polovine XVIII. v. (Die bäuerliche Gemeinde und das Kloster in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts), Moskva 1988 (Izdatel’stvo Moskovskogo Universiteta), S. 70–86. 57 Quellenbuch 2.69 (Instruktion des Gutsherren A. Volynskij 1725). 58 Vdovina Krest’janskaja obščina a.a.O., S. 103. 59 Mit einem südrussischen Beispiel aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Steven Hoch  : Serfdom and Social Control in Russia, Chicago 1986 (Chicago UP), z.B. S. 115 f. 60 Tschajanow  : Bäuerliche Wirtschaft.

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untersagt oder eingeschränkt, um Holzkohle für die Verhüttung oder (vom 18. Jh. an) marinetaugliches Holz für die Admiralität zu reservieren. Dass auf die Verbesserung der eigentlichen Ackerwirtschaft wenig Energie verwandt wurde und Russland hinter dem zurückblieb, was in Westeuropa als »agrarische Revolution« die Landwirtschaft veränderte, wurde unter den Gelehrten diskutiert. Das Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Freien Ökonomischen Gesellschaft Benedikt F. J. Hermann stellte 1790 den baltischen Gütern, auf denen »durch Kunst und Fleiß« selbst schlechter Boden in gutes Ackerland verwandelt werde, und den Ackerbau der Tataren, die als freie Bauern durch Einhegung der Ackerflächen sowie bessere Düngung höhere Erträge erzielten, der wenig innovativen russischen Landwirtschaft gegenüber.61 Während in Westeuropa im 18. Jh. die Fluren in fünf oder sechs Felder eingeteilt und neue Früchte eingeführt wurden, stagnierte die Produktivität in Russland.62 Die Bauern waren gegenüber verordneten Reformen auf den Gutsanteilen der Dorfflur skeptisch, weil sie neue Fronarbeit fürchteten, außerdem gab es vielerorts noch »Natur«, die man ohne allzu viel Investitionen ausbeuten konnte – Wald, zum Roden und meist auch noch zum Jagen, Flüsse zum Fischen. So erfolgreich Russland in der Einführung neuer Manufakturen und Eisenhütten war – die Landwirtschaft stagnierte bei der Zweifelderoder, im Zentrum, Dreifelderwirtschaft. Die soziale Lage der Bauern wurde im 18. Jh. verschlechtert, indem Katharina II. den Rechtszug der Bauern zu übergeordnete Instanzen kappte. Da das bäuerliche Beschwerderecht wegfiel, konnten die Gutsbesitzer die Bauern leichter mediatisieren und selbst richten. Ging die Verschlechterung der Lage der Bauern im Zentrum so weit, dass sie »leibeigen« wurden  ? Unter Peter I. waren auch die Kholopen mit Kopfsteuer und Rekrutengestellung belastet und damit in den Stand der Bauern eingegliedert worden  ; die Aufhebung des Kholopenstandes konnte aber auch so verstanden werden, als seien nun alle Bauern Kholopen. Andererseits blieb bestehen, dass es nicht legal war, Bauern zu kaufen und zu verkaufen. Man konnte Land kaufen, an das Bauern »gefesselt« waren, aber keine Personen. Allerdings konnten Bauern versteigert werden, insbesondere zur Deckung von Spielschulden. Damit waren die russischen Bauern am Ende des 18. Jh. von der Sklaverei, wie sie in der Karibik oder den USA bestand, nicht mehr allzu weit entfernt, trotz ihrer Teilnahme an den großen, meist von Kosaken angeführten Aufständen der Peripherie

61 Benedikt F.  J. Hermann  : Statistische Schilderung von Russland, Sankt Petersburg und Leipzig 1790, S. 284–290. Ein größerer Auszug Quellenbuch Nr. 3.1. 62 Michael Confino  : Systèmes Agraires et Progrès Agricole, Paris 1969 (Mouton).

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im 17. Jh.63 und der »schwarzen« (also durch Abbrennen der Gutshäuser verübten) Aufteilung der Güter im 19. Jh.64 Aber gleich wie die Bauern selbst ihre Lage sahen – politisch entscheidend war, dass die russische Intelligenz die Bauern als Sklaven sah. Die Liberalen attackierten den Zarismus, weil er die Leibeigenschaft nicht abschaffte, und waren fest überzeugt, dass freie Bauern die Produktivität der Landwirtschaft erhöhen würden. Daneben wurden auch die christlichen Argumente gegen jede Leibeigenschaft vorgebracht, z. B. von Teilnehmern an dem Dezemberputsch von 1825.65 Nicht zuletzt aber stellte der Publizist A. N. Radischtschew schon 1790 die Versteigerung von Bauern und sexuelle Übergriffe bloß, und wurde dafür von der »aufgeklärten« Katharina II. nach Sibirien geschickt.66 Solche aufgeklärte Kritik ging mit der Vielfalt der Argumente und Sentimente der westeuropäischen Antisklavereibewegung zusammen, löste aber nicht das Problem der Alimentierung der Elite. Wer sollte sozialer Träger einer republikanischen Umgestaltung des Imperiums (welche die Dekabristen anstrebten) sein, wenn der Adel depossediert würde  ? Oder sollten die Bauern ihren Besitz verlieren, wie es polnischer und baltischer Adel mit ihren Bauern vorgemacht hatten  ? Und die Plantagenbesitzer in den USA es mit ihren Sklaven noch nachmachen würden  ? Die politisch entscheidende Gruppe war der Adel.67 Der Moskauer Adel war ursprünglich ein Geburtsadel, er musste aber dienen und war auf Zar bzw. Kaiser angewiesen, wenn er Karriere machen wollte. Die Ränge waren Fürsten (Nachfahren Ruriks, Gedimins, des Gründers Litauens, und Dschingis Khans), Bojaren (z. B. die Tolstoj), Dumadjaken u. a. (Ämter, deren Inhaber dann zum höheren Adel gerechnet werden), Bojarenkinder (niederer Adel).68 Der Adel war nicht in Korporationen verfasst, aber die Hierarchie der Familien war in der »Platzordnung« festgelegt. Peter I. ordnete an, dass Adel nach dem Dienst (zivil oder militärisch) eingeteilt werden solle, und erließ eine entsprechende Rangordnung.69 Die niedrigeren Ämter brachten den persönlichen, die höheren den erblichen Adel  ; viele der deutschen Offiziere, Ärzte, Professoren etc. wurden adlig. Selbstverständlich haben die alten Familien die neuen nicht als gleichwer63 Gans-Genrikh Nol’te  : Russkie »krestjanskie vojny« kak vosstanija okrain, in  : Voprosy Istorii 1994/11 (Moskva), S. 31–38. 64 Quellensammlung  : N. M. Druzhinin (Hg.)  : Krest’janskoe dvizhenie v. Rossii, ungezählte Bände (1796– 1917), Moskva 1961–1965 (Nauka). 65 Quellenbuch 3.51. Vgl. allgemein G. Dudek (Hg.)  : Die Dekabristen, Leipzig 1975. 66 Quellenbuch 3.26 f.; A.  N. Radistschew  : Reise von Petersburg nach Moskau, ü. Helmut Graßhoff, B 1961. 67 Kulturgeschichtlich Jurij M. Lotman  : Russlands Adel, ü. Köln usw. 1997 (Böhlau). 68 In dem Begriff wird biologisches Alter als sozialer Rang benutzt, s. o., S. 102 (Song). 69 Quellenbuch 2.70.

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tig anerkannt, außerdem hat Peter selbst durch die Verleihung westlicher Bezeichnungen wie Graf diese aufklärerische Tendenz gebrochen. Unter Katharina II. (die ja aus dem deutschen System stammte) wurden die alten Familien wieder privilegiert und ein einheitlicher russischer Adel (1785) geschaffen (dvorjanstvo). Katharina führte auch regionale Adelsvertretungen ein. Anders als in Mitteleuropa lebten Adlige in den Städten, auch wenn sie im Sommer auf ihre Landgüter zogen. Der russische Adel wurde kontinuierlich aus anderen Ethnien ergänzt. Der tatarische (und anderer muslimischer) Adel behielt in Russland seine Ränge, konnte aber keine Karriere machen, wenn er nicht konvertierte. Westliche Besucher kritisierten die Toleranz gegenüber Muslimen und »Heiden« und Peter I. verbannte Tataren aus dem russischen Offizierskorps und dequalifizierte sie  ; unter Katharina II. erhielten sie jedoch die alten Adelsränge zurück. Durch die Annexion des Baltikums wurden die baltischen Ritterschaften Teile des russischen imperialen Systems.70 Dieser Adel war während der deutschen Ostexpansion entstanden und betonte nach der Eroberung durch Russland die Korporationsverfassung. Alle Familien der drei baltischen Ritterschaften waren in einer Matrikel verzeichnet, und wer ein Gut innehatte, musste eines der Ämter der Ritterschaft übernehmen, wenn er gewählt wurde (zum Landrat z. B.), ohne dafür eine Entlohnung zu erhalten.71 Mit der Annexion Polens wurde ein Adel inkorporiert, in dem wie im Baltikum die Herkunft den Adel machte, selbst wenn der einzelne Schlachtitz nur den eigenen Hof besaß und sozial gesehen Bauer war. Der polnische Adel war in Wappenverbänden organisiert, welche alle Adligen umfassten  ; auch ein großer und reicher Magnat war hier Bruder. Mit diesen korporativen und regional verankerten Verfassungen waren baltischer und polnischer Adel fremd in der russischen Adelswelt, aber während der baltische sich anpasste und sogar zu einer das Imperium tragenden Personengruppe wurde, wurde der polnische zum Träger einer territorialen und religiösen sowie zunehmend national verstandenen Opposition. Der russische Versuch, ein Königtum (Tsarstvo) Polen in Personalunion mit Russland zu errichten, scheiterte im Aufstand 1830, und nach dem Aufstand von 1867 wurden die besiegten Teilnehmer – der größte Teil des polnischen Adels – enteignet. Die Städte im Moskauer Reich waren in viele Stadtteile (Slobodden) aufgeteilt, die jede für sich als Mir organisiert waren. Sie sorgten für niedere Gerichtsbarkeit und Ordnung, und sie sammelten die Steuern und Abgaben für die Regierung oder auch z. B. kirchliche Besitzer. Nachts wurden diese Slobodden geschlossen (mit Seilen oder Ketten 70 Zur russischen Verwaltung H.-H. Nolte  : Generalgouvernements  : Das russländische Beispiel, in  : Stubbe  : Statthalterschaften, S. 34–51. 71 Gert von Pistohlkors (Hg.)  : Baltische Länder, B 1994 (Siedler).

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an den Zugangsstraßen). Im Reichstag waren die gosti vertreten, reiche Kaufleute, die nach dem Vermögen vom Zaren berufen wurden. Im petrinischen Absolutismus wurden nach westeuropäischem (oder auch baltischem) Vorbild alle männlichen, erwachsenen und finanziell selbstständigen Einwohner einer Stadt zu einer Bürgerschaft zusammengefasst. Religionen und Ideologien Schamanismus gibt es noch lange, auch Heilerinnen und Hexen.72 Offiziell aber war nur die orthodoxe Kirche.73 Das Christentum stammt, wie die Urform des Ackerbaus, aus Westasien (was früher, in eurozentrischer Verkennung der kulturellen Hauptrichtungen, Vorderer Orient genannt wurde). Mit dem Christentum wurden Heiligungen und Einteilungen des Lebens, des Jahres und der Woche tradiert  ; auch die Institution eines eigenen, verheirateten priesterlichen Standes und nicht zuletzt die vielen Geschichten aus diesem Raum, welche die Welt und Gott erklärten, etwa der Sintflut-Mythos, der schon im Gilgamesch-Epos zu finden ist. Die Kirche hat mit der Erhebung Moskaus zum Patriarchatssitz 1589 vielleicht den Höhepunkt ihrer Wirksamkeit erreicht. Durch die Kirchenspaltung ab 1666 verlor die Kirche eine wichtige Gefolgschaft, die Altgläubigen  ; eine Konfessionalisierung im Sinn von Sozialdisziplinierung fand jedoch nicht statt. Peter I. wollte die Kirche dem Staat stärker dienstbar machen und ersetzte das Patriarchat durch den Synod. Diese synodale Kirche war die Kirche des Imperiums. Die Geistesgeschichte Russlands in der imperialen Periode hat Forscher in West und Ost fasziniert. Hier sei nur auf zwei klassische Sammlungen übersetzter Quellen und eine Einführung verwiesen, von denen aus man schnell weiter findet.74 Außenbeziehungen Westasien – Bagdad, Samarkand, Byzanz/Istanbul – das waren die Metropolen, auf welche der frühe Fernhandel gerichtet war75  ; hinzu kam die (untergeordnete) Teilhabe am mongolischen Imperium und an dem Handelsweg von China bis Magdeburg. Der Nor72 In der Moskauer Zeit wurde wegen Hexerei vorm bischöflichen Gericht angeklagt und geurteilt. Unter den nichtrussischen Völkern der Russischen Föderation ist Schamanismus bis heute belegt. 73 Einführend Thomas Bremer  : Kreuz und Kreml, Freiburg 2007 (Herder)  ; Hans-Dieter Döpmann  : Die Russische Orthodoxe Kirche in Geschichte und Gegenwart, Wien usw. 1977 (Böhlau)  ; zur Organisation Igor Smolitsch  : Geschichte der Russisch-Orthodoxen Kirche 17oo- 1917, Leiden 1964 (Brill). 74 Dmitrij Tschižewskij, Dieter Groh Hg.: Europa und Russland, Darmstadt 1959 (WBG)  ; Marc Raeff Hg.: Russian Intellectual History. An Anthology , New York 1966 (Harcourt)  ; Dmitrj Tschižewskij  : Russische Geistesgeschichte, M 1974 (Fink). 75 Einführend Dariusz Adamczyk  : Friesen, Wikinger, Araber. Die Ostseewelt zwischen Dorestad und Samarkand, in  : Komlosy  : Ostsee, S. 32–48.

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den brachte Pelze, Roheisen (da Eisenerz in jedem Moor zu finden und Energie, also Holzkohle, im Süden teuer war), über Jahrtausende hinweg aber immer auch Arbeitskräfte in Form von Sklaven.76 Den Russen war es als Christen untersagt, andere Christen zu verkaufen, aber es gab eine beträchtliche Gruppe von Knechten (Kholopen). Die Sklavenjagden nomadischer Völker hatten einen sehr großen Umfang und haben die Geschichte der russischen Bauern über Jahrhunderte mitbestimmt. Im Sommer mochte so ein Dorf im Wald manchmal schwer zu finden sein, aber im Winter konnte man die Wälder entlang der Flüsse und Bäche leicht durchqueren, und der Rauch der Herdfeuer war weit zu sehen. Fernhandel gehörte seit der Gründungszeit zu den Tätigkeiten der Oberschicht. Auf den Märkten in Konstantinopel/Istanbul, in Buchara und Isfahan, in Lübeck und Amsterdam wurden v. a. Rohstoffe verkauft. Im 18. Jh. stieg der Anteil von Halbfertigwaren wie Eisen und Segeltuch am Export, im 19. ging er wieder zurück, und Russland exportierte v. a. Holz und Getreide sowie am Ende des Jahrhunderts Erdöl und Bunkerkohle.77 Da der Anteil der Kompetenzakkumulation beim Rohstoffexport klein blieb und zu viele freie Mittel in die Rüstung gingen, konnte das Land über 500 Jahre lang zwar halbperipher bleiben, aber nicht zum Zentrum aufsteigen.78 Formen von Politik Das politische Leben der russischen Fürstentümer war durch Entscheidungsmacht der Fürsten nach Beratung mit den Bojaren bestimmt. Dieses Verfahren wurde im 16. und 17. Jh. ausgebaut, indem Fürsten und Bojaren vom Zaren eingeladen wurden, in seinem Rat mitzuwirken, und indem eine Versammlung des Landes (Zemskij Sobor) eingerichtet wurde, in der es drei Kurien gab  : 1. Kirchenleute, 2. Fürsten und Bojaren, 3. Gosti (reiche Kaufleute). Wie die meisten Ständeversammlungen der Christenheit erreichte der Zemskij Sobor nicht das Recht auf Selbsteinberufung.79 76 Witzenrath  : Slavery. 77 H.-H. Nolte  : Rohstoffausbeutung im Kontext ungleich verbundener Entwicklung in Osteuropa, in Fischer/Jäger, S. 188–202. 78 Vgl. H.-H. Nolte  : Tradition des Rückstands. Ein halbes Jahrtausend Rußland und der Westen, in  : Vierteljahreshefte für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 78 (1991), S. 1–21. 79 L. V. Cherepnin  : Zemskie sobory Russkogo gosudarstva v XVI–XVII vv., Moskva 1978 (Nauka)  ; Günter Stökl  : Gab es im Moskauer Staat Stände  ?, in  : JbgOE 11 (1963), S. 321–342, Hans-Joachim Torke  : Die

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Peter I. berief diese Versammlung niemals ein, es gab danach bis zum 20. Jh. keine ständische Vertretung und damit keine Bestätigung sozialer Positionen über eine ständische Politik mehr. Der russische Absolutismus, der v. a. nach dem schwedischen Beispiel (der dort kurzen »Einherrschaft«) entwickelt worden war, dauerte fast zwei Jahrhunderte. Er wurde erst durch die Revolution 1905 erschüttert, und 1907 akzeptierte Imperator Nikolaus II. ein Parlament, das mit Zensus gewählt wurde. Eine parlamentarische Tradition konnte sich bis 1914 nicht entwickeln, und das 1907 gegründete System wurde von Max Weber als »Scheinkonstitutionalismus« angegriffen.80 Als Russland 1907 ein Parlament einrichtete, hatten die Muslime der Provinz Turkestan wie alle anderen Wahlrecht für St. Peterburg  ; kein Einwohner Indiens hatte Wahlrecht für London. Allerdings erschreckte es die herrschende Elite sehr, dass 41,5 % der Abgeordneten zur ersten Duma Nichtrussen waren (wobei Ukrainer und Weißrussen als Russen gerechnet wurden), und ein Effekt der stolypinschen Wahlreform war, den Anteil der Nichtrussen auf 16,6 % zu drücken.81 Die russische Regierung bediente sich mehrerer Legitimationen, wie weit diese auch Gründe für Aktionen waren, ist manchmal unsicher. Gegenüber den damals polnischlitauischen sowie livländischen Territorien im 17. und 18. Jh. wurde argumentiert, dass diese Länder vor der Mongolenherrschaft zur Rus’ gehört hatten. Dies »Sammeln russischer Erde« wurde von der Kirche unterstützt, da es immer auch um die Grenzen der Obödienz zu Rom bzw. die Auseinandersetzung mit protestantischen Kirchen ging. Für die Expansion in den Wolgaraum und nach Sibirien, also gegen die Khanate, reichte die machtbezogene Politik als Legitimation, welche die tatarischen Herrscher über ein Vierteljahrtausend gegen Russland betrieben hatten, und die Tatsache, dass zum Ende des 18. Jh. (z. B. von den gerade angesiedelten Wolgadeutschen) im großen Ausmaß Sklaven unter der Bevölkerung Russlands gefangen wurden.82 Zum Freikauf gefangener Orthodoxer wurde eine eigene Steuer erhoben, von welcher Agenten auf der Krim oder in Buchara Gefangene zurückkauften. Für die Expansion ins Baltikum standen wirtschaftliche und entwicklungspolitische Argumente im Vordergrund. Der Schutz des Glaubensraums Orthodoxie war Aufgabe der Moskauer Großfürsten und Zaren seit dem Mittelalter. Friede und Ordnung im Innern war seit eh eine Herrschaftslegitimation, nicht zuletzt angesichts der großen Aufstände der Peripherie.

staatsbedingte Gesellschaft im Moskauer Reich, Leiden 1974 (Brill)  ; H.-H. Nolte  : The Tsar gave the order and the boiars assented, in  : Ertl/Trausch S. 229 – 252. 80 Vgl. schon Max Weber  : Zur Lage der bürgerlichen Demokratie in Russland, und Russlands Übergang zum Scheinkonstitutionalismus (1904, 1906) = Russlandbericht 1–2, Koblenz 1996 (Fölbach). 81 Richard Wortmann  : The Tsar and the Empire, in  : Leonhard/Hirschhausen, S. 266–186, hier S. 282 f. 82 Witzenrath  : Slavery.

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Die wichtigste Legitimation des Imperiums im 18. Jh. war aber die Modernisierung und Bildung des Landes. Von den von Jörn Leonhard83 formulierten Typen der Legitimation im 19. Jh. waren mehrere also schon länger in Gebrauch, auch die sakral konnotierte Dynastie und die Kapazität, modernen Krieg zu führen. Die bewusste Entwicklung des Wirtschaftsraums wurde von Witte auf ein neues Niveau gehoben. Der Versuch der Nationalisierung des Imperiums ist mit Alexander III. aber eher gescheitert. Kriterienkatalog

1. Das Russländische Imperium hatte stets eine Dynastie. Seit der Gründung herrschten Mitglieder der Familie der Rurikiden, ab 1613 der Romanovs und ab 1741 des Hauses Holstein-Gottorp, das den Namen der Romanovs und v. a. deren Besitzungen und Loyalitätsansprüche übernahm. Die Testierfreiheit war in Russland traditionell groß84 und ein Erblasser konnte auch Frauen als Erben einsetzen. Von der Schwester Peters I. an wurden im 17. und 18. Jh. oft Frauen Alleinherrscher, und erst im 19. wurde das westeuropäische patriarchalische Modell der Primogenitur in männlicher Linie übernommen. Mehrfach wurden Zaren ermordet, die dumm oder mit dem Verwestlichungskurs nicht einverstanden waren. Der Hof war schon im 18. Jh. nicht nur Regierungssitz, sondern auch Ort für Bildung und Erziehung des russischen Adels.85 So wichtig die Kirche für das Imperium war – die Imperatoren der petrinischen Tradition eigneten sich nicht für eine Sakralisierung. Das änderte sich erst, als der Zar-Befreier Alexander II. einem Attentat zum Opfer fiel und am Ort des Attentats in St. Peterburg die Kirche »auf dem Blut« errichtet wurde. Die in Jekaterinburg von Bolschewiki erschossenen letzten Romanows wurden nach dem Ende der UdSSR zu Märtyrern des Glaubens erklärt und werden in der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) verehrt. 2. Staatskirche war die ROK. Sie war durch die Einrichtung des Patriarchats 1589 von Konstantinopel endgültig unabhängig geworden, das Patriarchat wurde aber unter Peter I. beendet und an seine Stelle ein Konsistorium gesetzt (Synod). Es gab mehrfach Säkularisationen von Kirchenbesitz, die wichtigste 1762. Das Imperium tolerierte Angehörige fast aller Weltreligionen, aber bis zu den Polnischen Teilungen keine Juden. Erst mit dem Ende der Dynastie wurde es wieder möglich, einen Patriarchen zu wählen. 83 Leonhard, in  : Münkler/Hausteiner. 84 Worüber der englische Gesandte Giles Fletcher sich 1591 gewundert hatte, vgl. Quellenbuch Nr. 2.13. 85 O. G. Ageeva u.a. (Hg.)  : Evropejskie chiny rossijskogo dvorca, in  : Classical Russia 2.1–2 (2007), S. 1–78, Auszüge in  : Quellenbuch.

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3. Die Kultur des russischen Imperiums war die einer aufgeklärten höfischen Monarchie. Der Adel pflegte gutes Benehmen, las die westeuropäische, v. a. französische, und zunehmend auch die russische Literatur, und verehrte den Imperator als Landesvater. Man schrieb Tausende von Briefen. Ausländer aus dem Westen wurden schnell integriert.86 Die imperiale Kultur war zweigeteilt – die höfische Gesellschaft und die Bauern lebten in verschiedenen Welten. Da in den Bauernaufständen das Leben der westlichen Ausländer noch mehr als das der Adligen bedroht war, ergaben sich noch weniger Berührungspunkte mit den meisten Ausländern. Im 19. Jh. entstand, nicht ohne Rezeption der deutschen Romantik, in einem Teil der Intellektuellen eine »slawophile« Kritik der Petersburger Hofgesellschaft, oder, wie der Chef des Geheimdienstes Graf Benkendorff 1830 meinte  : »Sogenannte russische Patrioten  ; sie bezeichnen die Kaiserfamilie als deutsch und träumen von sinnlosen Reformen im russischen Geist.«87 Der Versuch, Nation und Imperium überein zu bringen, wurde unter Alexander III. unternommen, aber unter Nikolaus II. nicht intensiv weiterverfolgt, da er wenig zur Stabilisierung der Macht beitrug. 4. Das Petersburger Imperium hatte aus der Moskauer Periode eine umfangreiche Bürokratie ererbt, die anfangs Kirchenslawisch, später (Moskauer) Russisch schrieb und sowohl nach sachlichen als auch nach regionalen Zuständigkeiten organisiert war. Peter I. ordnete die Prikase nach schwedischem Vorbild in zwölf nach Sachen organisierte Kollegien. 1715 zählte der Behördenapparat des Imperiums 5.478 Personen, von denen 1.396 in der Zentralverwaltung und 4.082 in den Gouvernementsverwaltungen angestellt waren. 1721 war in den Petersburger Kollegien ein Drittel der Angestellten Ausländer, die bei gleicher Stelle besser bezahlt wurden als die Russen.88 Die verwaltete Bevölkerung nahm zwischen 1690 und 1913 (ohne Finnland und Polen) von zwölf auf 155 Millionen zu, die Zahl der Bürokraten (Tschinowniki) von 4.660 auf 252,900, d. h. von 0,4 auf 1,6 je 1000 Einwohner89 – Russland nahm also am globalen Prozess der Bürokratisierung vollen Anteil. 5. Der Adel war bis ins 18. Jh. nicht korporativ verfasst, sondern gliederte sich nach Familien und deren Herkunft in Fürsten, Bojaren und neuere Gruppen. Der Adel umging das petrinische Gesetz, dass Güter nur an eine Person vererbt werden sollten, bis Kaiserin Anna es aufhob. Die Güter wurden 1785 allodifiziert. 1858 gab es im Imperium 276.000 Personen im persönlichen und 612.000 im erblichen Adel  – 45,6 % besaßen 86 E. I. Marasinova  : Vlast’ i lichnost’, Moskva 2008 (Nauka). 87 Quellenbuch Nr. 3.56. 88 A. N. Medushevskij  : Utverzhdenie absoljutizma v Rossii, Moskva 1994 (Tekst), S. 270. 89 B. I. Mironov  : Social’naja Istorija Rossii, 2 Bde. St. Petersburg 1999 (Dmitrij Bulanin) Bd. 2, S. 200.

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keine Bauern  ; die reichsten Familien, etwa 6.400 Personen, hatten jede mehr als 1000 Bauern.90 6. Der Übergang von Gefolgschaften einzelner Fürsten und Bojaren zu zentral entlohnten Truppen wurde unter Ivan IV. begonnen (Strelitzen = Schützen) und im 17. Jh. beendet. Peter I. ging nach schwedischem Beispiel zum Kantonssystem über und belastete die Dörfer mit der Rekrutengestellung. In diesem Prozess wurden die ehemals tatarischen Einheiten deklassiert  ; die Kosaken blieben als leichte Kavallerie, die von Land- und Viehwirtschaft lebte, irregulär. In Petrinischer Zeit unterhielt Russland nach Frankreich die zweitgrößte Armee in Europa. Sie hatte 1767 Stellen für 278.381 Soldaten, von denen allerdings nur 191.263 besetzt waren.91 1795 betrug der Sollbestand mit Kosaken und Ingenieurtruppen 470.000 Mann. 1913 gab es 1,3 Millionen Soldaten. Der Prozentsatz von Armeeangehörigen an der gesamten Bevölkerung sank zwischen 1680 und 1913 von 1,6 auf 0,8 %.92 Im Absolutismus wurden etwa 80 % der Staatsausgaben für das Militär aufgewandt, davon ein Drittel für die Kriegsmarine. Das Imperium unterhielt oft mehrere Flotten – Ostsee, Schwarzes Meer, Pazifik. Mehrfach gingen ganze Flotten verloren, aber sie wurden immer wieder aufgebaut. 7. Seit der Moskauer Zeit gab es ein umfangreiches System von zentral erhobenen Steuern und Abgaben, für deren Einziehung die autonomen städtischen und ländlichen Gemeinden (Mir) verantwortlich waren.93 1713 wurde dieses System zur Kopfsteuer vereinfacht, aber zugleich erhöht. 8. Zur Krone gehörten nicht nur die vom 14. bis zum 16. Jh. unterworfenen russischen Fürstentümer, sondern auch die eroberten Königreiche (Tsarstvo) Kasan, Astrachan und Sibirien, zu denen das Baltikum, Finnland und 1815 das Königreich Polen in den Grenzen des Wiener Kongresses hinzukamen. Durch Kooptation der Eliten gelang es dem Imperium in vielen Fällen, einen Modus Vivendi zu finden, besonders da weder der tatarische noch der baltische Adel oder der schwedische in Finnland die jeweiligen Bevölkerungen als Ethnien repräsentierten  ; der Modus misslang jedoch gegenüber Polen.94 90 Mironov 1, S.  88. Nb.: der Vater Lenins, Il’la Nikolaevič Uljanov, war Inspektor, später Direktor der Volksschulen im Bezirk Simbirsk. Er wurde 1874 zum Staatsrat ernannt, womit er in den erblichen Adel erhoben wurde. Lenins Vater und erst recht Lenin selbst gehörten also nach ständischem Recht zum Adel in Russland. Lenins Mutter Maria Blank kam übrigens aus einer Familie russifizierter Wolhyniendeutscher  ; Lenin hätte also nach heutigem deutschem Recht die Einbürgerung erhalten. 91 Quellenbuch Nr. 3.34. 92 Mironov Social’naja Istorija, a.a.O. 2, S. 210. 93 Übersicht bei Richard Hellie  : The Economy and Material Culture of Russia 1600–1725, Chicago 1992 (Chicago UP), S. 536–570. 94 Kappeler  : Vielvölkerreich.

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Das Imperium gestattete eine große Zahl von autonomen Institutionen (Mir), von selbstverwaltenden Stadtteilen und Dörfern über Religionsgemeinschaften bis zur baltischen Ritterschaft (ab 1721), dem Hetmanat Poltava oder dem Großfürstentum Finnland (ab 1809). Es bot jedoch wenig Partizipation auf der zentralen politischen Ebene und schaffte die Beratungsinstitutionen des 16. und 17. Jh. (Sobor, Duma) im 18. Jh. ab. Während der Anteil der Russen an der Bevölkerung des Imperiums in der zweiten Hälfte des 19. Jh. sank,95 ließen die Migrationen den Anteil der Russen an der Bevölkerung der Peripherien steigen.96 9. Das Imperium sicherte seine Grenzen gegen nomadische Nachbarn durch lange Verhaulinien.97 Das Territorium des Imperiums reichte über diese Linien hinaus, sowohl zu Kosakenarmeen als auch zu kalmückischen oder kasachischen Horden (Ulus). Nach den Siegen über die Tataren im 15. Jh. und der polnischen Intervention beim Dynastiewechsel 1605–1613 konnte das Imperium seinen zentralen Raum (das Zwischenstromland zwischen Wolga und Oka) bis zum Krieg gegen Napoleon sichern, d. h. zwischen 1612 und 1812 stand kein Feind in Moskau. 10. So stark das Imperium nach außen war, so begrenzt war seine Macht gegenüber den Untertanen. Es konnte z. B. keine »Konfessionalisierung« und keine allgemeine Sozialdisziplinierung durchsetzen. Ein allgemeines Schulsystem wurde erst später als in Polen oder Schweden eingerichtet, noch 1917 gab es Analphabeten. Im 17. und 18. Jh. gab es mehrfach Aufstände in den Peripherien (etwas irreführend oft als »Bauernaufstände« bezeichnet) und um die Wende zum 20. Jh. gelang es nicht, die Judenpogrome zu kontrollieren. 11. Peter I. ließ sich für den Frieden von Nystadt feiern, aber selbst hier verließ ihn nicht die Sorge, »nicht in militärischen Angelegenheiten nach zu lassen, damit es uns nicht so ergehe wie der griechischen Monarchie«98. Um die Wende zum 20. Jh. wurde die russische Krone zu einem Förderer des Aufbaus einer Völkerrechtsordnung. 12. Das klassische Außenbild der Christenheit, die Exklusion von Heidentum und Islam, wurde auch von der Russisch-Orthodoxen Kirche vertreten, wenn auch vielleicht nicht mit der Schärfe der lateinischen Kirche, da die Orthodoxie den Kreuzzug ablehnte und Russland ja Heiden, Muslime und Protestanten duldete. Aber die Begründungen änderten sich. Bis zum 18. Jh. waren Feinde Häretiker (Protestanten), machtgierige 95 Trotz der Bemühungen der Regierung sank der Anteil der Russen an der Bevölkerung des Imperiums zwischen 1857 und 1911 von 45,9 auf 44,6 %, während die Anteile bäuerlicher Ethnien anstiegen – Ukrainer von 17,1 auf 18,1 %, Deutsche von 1,1 auf 1,4 %. Außerdem stieg der Anteil der Juden von 2,7 auf 4,2 % – Quellenbuch Nr. 4.6.15. 96 Alex Miller  : The Romanov Empire and the Russian Nation, in  : Berger/Miller, S. 309–368. 97 Andreas Kappeler  : Russlands erste Nationalitäten, Köln 1982 (Böhlau), Karten 4 & 5. 98 Quellenbuch Nr. 2.60.

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Kirchenspalter (Katholiken) oder Ungläubige (Muslime). Zur Begründung der Teilung Polens erklärte die kaiserliche Regierung, dass die Nachbarn leider unfähig seien, allein »friedlich unter dem Schutz der Gesetze zu leben«99. Bei der Niederwerfung des polnischen Aufstands 1830 ging es für den Chef der Geheimpolizei von Benkendorff sogar gegen die »sittliche Krankheit, welche die jungen Geister in Europa angesteckt hat«100.

Großbritannien

England wurde oben als klassische Nation vorgestellt.101 Trotzdem ist es nicht gut möglich, die Geschichte der Imperien zu schreiben, ohne auf das britische »Empire« einzugehen.102 Das macht schon deutlich, dass mit dem Übergang vom 18. zum 19. Jh. etwas Neues beginnt. Aber auch für diese zweite englische Expansion ist die Vorstellung, es habe eine geplante Reichsbildung vom Zentrum London aus gegeben  – wie sie imperiale Ideologen wie Cecil Rhodes und J. Chamberlain vortrugen –, schwer haltbar. Schon 1883 hatte J. R. Seely in »The Expansion of England« festgestellt, dass das Britische Reich ungeplant entstanden sei  : »Fast macht es den Eindruck, als hätten wir die halbe Welt in einem Zustand von Geistesabwesenheit erobert und bevölkert.« Er analysierte diesen englischen »Drang nach Ausbreitung«  :103 Durch die Erkenntnis seiner Tiefe, seiner Nachhaltigkeit und seiner Notwendigkeit für unser nationales Leben werden wir ihn ernsthafter betrachten lernen  ; und es wird unsere Hoffnung für die Zukunft stärken, wenn wir uns davon überzeugen dass die Absplitterung unserer ersten Kolonien nicht eine natürliche Folge unserer Ausbreitung war, wie das Platzen einer Seifenblase, sondern die Folge zeitlicher und veränderlicher Bedingungen, die inzwischen behoben worden sind.

 99 Quellenbuch Nr. 3.43. 100 Quellenbuch Nr. 3.60. 101 England  : G. M. Trevelyan  : History of England (1926), new ed. London etc. 1948, with 37 maps/ders.: English Social History (1942), new ed. London 1948/K-F. Krieger, H. Haan, G. Niedhart  : Geschichte Englands in 3 Bdn, München 1993 (Beck), Jenkins England/C. Hill  : Von der Reformation zur Industriellen Revolution (1969), deutsch Frankfurt 1977 (Campus)  ; Liah Greenfeld  : Nationalism, Cambridge 1992. Innere Peripherien  : Hechter  : Colonialism  ; T. C. Smout  : A History of the Scottish People, 8. Auflage Glasgow 1989/K. Th. Hoppen  : A Double Periphery/J. Elvert  : Nordirland als dreifache Peripherie, in  : Innere Peripherien 2, S. 95–130. 102 Ferguson  : Empire, Paxman  : Empire. 103 Seeley  : Ausbreitung, S. 16, S. 24 f.

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Seeley schrieb Geschichte in praktischer Absicht104 und sammelte Argumente dafür, die englisch besiedelten Länder zusammenzufassen, um neben den damals aufsteigenden Großmächten USA und Russland bestehen zu können. Er betonte den Unterschied zu »türkischen oder persischen Völkergemischen, die eine erobernde Horde zusammengezwungen hat«105. »Greater Britain« würde in einer Zeit schneller Kommunikation ein englischer Großstaat sein, der Kolonien nur braucht »als Gebiete für den Bevölkerungsüberschuss und den Handel«. Die Kolonien selbst würden durch den Schutz des Mutterlandes Gefahren und »geistige Verarmung« wegen ihrer Isolierung vermeiden.106 Freilich verwies der Ausbau der nordamerikanischen Kolonien gegen Frankreich und die Versuche zur Einbindung der 13 Kolonien in den transatlantischen Handel durchaus auf kontinentale geopolitische Konzepte. Allerdings dauerte dieses erste Imperium eben nur bis zum Verlust Amerikas 1783. Diese Niederlage verhinderte aber nicht den Sieg über Napoleon einige Jahrzehnte später, und diesem Sieg folgte der Aufbau des zweiten Imperiums mit dem Schwerpunkt Indischer Ozean und einem, wiewohl lockeren Gürtel von Stützpunkten der Royal Navy um den Globus. Die englische Elite war vielleicht nicht aggressiver als andere in Europa, aber sie war erfolgreicher in ihren Aggressionen. Es gab katastrophale Niederlagen, aber nach ihnen fing man stets neu an – auf das erste Reich in Frankreich mit dem Schwerpunkt im Norden folgte das zweite mit dem Schwerpunkt im Westen, auf das erste Empire mit dem Schwerpunkt in Nordamerika folgte das zweite, das nun wirklich global war. Vielleicht ist die Kunst, Niederlagen zu akzeptieren und in Grundlagen für neue Expansionen umzuwandeln, eine der Stärken des Königreichs. *** Das elisabethanische Zeitalter bildete einen der kulturellen Höhepunkte der europäischen Geschichte. Zugleich brachte es die Grundlegung des britischen Imperiums – die Gründung der East India Company (EIC) und die Tätigkeit der Muscovy Company, die Erfolge der englischen Piraterie und den Sieg über die spanische Flotte 1588. Die Thronfolge des Hauses Stuart brachte die Einigung der britischen Inseln, auch wenn es in Irland wie in Schottland immer wieder zu Aufständen und zu Gegenkönigtum kam.107 Nach dem Sturz der Stuarts in London und der Errichtung der Republik bil104 105 106 107

Seeley  : Ausbreitung, S. 11. Seeley  : Ausbreitung, S. 295. Seeley  : Ausbreitung, S. 293. Im 17. Jahrhundert in der Rolle der schottischen Presbyterianer im Bürgerkrieg, im 18. Jahrhundert als Zentrum der katholischen »jakobitischen« Opposition  : Bruce P. Lenman, John S. Gibson (Hg.)  : The Jacobite Threat, Edinburgh 1990 (Scottish Academic Press)  ; Alexander B. Tulloch  : The Story of the ’45 and Bonnie Prince Charlie Rebellion, Newtongrange 1987 (Lang Syne).

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deten die Kriege des calvinistisch geführten Commonwealth gegen die ebenfalls calvinistischen Generalstaaten zwischen 1652 und 1660 einen Wendepunkt der Außenwirtschaftspolitik. »Selten wurden Kriege um so nackter wirtschaftlicher Gründe willen ausgefochten.«108 England versuchte durchzusetzen, dass Waren von und nach England nur auf englischen Schiffen transportiert werden durften und es gelang auch wirklich, die Handelsflotte in einer Dekade zu verdoppeln. Aber die Holländer konnten, v. a. aufgrund ihres guten Kreditsystems, selbst dann noch weiterkämpfen, als die Stuarts sich später mit Frankreich gegen sie verbündeten. Diese katholizismusnahe Politik trug zur Entfremdung des letzten Stuartkönigs Jakobs II. von der City bei, die nach dem Aufstieg der englischen Handelsflotte das Bündnis mit Holland vorzog. Das führte zur Wahl von Anne und Wilhelm von Oranien – und auch dazu, dass 1694 in London nach holländischem Vorbild die Bank von England gegründet wurde. Die Periode, in der England die Niederlande als Hegemonialmacht zur See endgültig ablöste, ist das 18. Jh. Die Hannoveraner stellten das Königshaus.109 Die vier hannöverschen Könige mit dem Namen George haben in England seit Thackeray keine gute Presse  : Die ersten beiden tut man gewöhnlich als dumm und ohne Interesse an englischen Angelegenheiten ab – was sich dann als Glücksfall erwies, weil es die Kabinettsregierung und das Zweiparteiensystem ungehindert zur Blüte kommen ließ. Der dritte, der seinen Ruhm als Brite suchte, versuchte die Stuarts nach zu äffen und verlor dadurch die amerikanischen Kolonien. Glücklicherweise stellten Wahnsinn und Pitt das Gleichgewicht der Verfassung wieder her. Das öffentliche Leben von Georg IV. ignoriert man in der Regel und widmet seine Aufmerksamkeit allein der Eleganz seiner Möbel […].110

Die »Georgian World« zwischen 1714 und 1830 war einerseits geprägt durch eine neue Eleganz der hochadligen und reichen Gesellschaft, zum andern durch blutige Unterhaltung von Hahnenkämpfen und Boxen bis zu den Spektakeln öffentlicher Hinrichtungen, etwa dem Tod einer 16-jährigen Giftmischerin auf dem Scheiterhaufen. Strafen für Vergehen gegen Eigentum wurden verschärft  ; wer nach Australien verschickt wurde, konnte es besser haben als nach einer Verurteilung in England. Zugleich aber war es das 18. das Jahrhundert, in dem England, auch durch eine ungewöhnlich schnelle Vermehrung seiner Bevölkerung, an politischem Potential gewann und eine der Großmächte Europas wurde. 1707 hatten Schottland und England als 108 Ferguson  : Empire, S. 21. 109 J. H. Plumb  : The First Four Georges (1956), 20. Auflage Glasgow 1989 (Fontana). 110 Ebda., S. 9.

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»Königreich Großbritannien« eine Realunion geschlossen, welche für England strategische Sicherheit und für viele Schotten die Möglichkeit bot, sich an den englischen Expansionen zu beteiligen.111 Im Frieden von Utrecht 1713 hatte Großbritannien das Monopol des Sklavenhandels mit den spanischen Kolonien errungen. 1739 übte die Öffentlichkeit Druck auf die Regierung aus, um Spanien den Krieg zu erklären, weil man in der Karibik bessere Handelsbedingungen durchsetzen wollte  ; aber die Ziele wurden im Aachener Frieden von 1748 nicht erreicht. Zeitleiste 14

1603 1649 1660 1707 1763 1775–1783 1815 1832, 1867 1837–1901 Ab 1840 1876 1904 1914–1918 1922 1939–1945 1947

Haus Stuart, Schottland und England Personalunion England Republik, 1652 ff. Seekriege gegen Holland Restauration, 1688 »Glorious Revolution«  ; »Declaration of rights« Realunion mit Schottland, 1714 Haus Hannover Kanada und Louisiana sowie Südindien britisch Unabhängigkeitskrieg Amerika, Friede von Versailles Wiener Kongress  : Großbritannien Hegemonialmacht Parlamentsreformen  : Vermehrung der Stimmberechtigten Victoria ∞ Albert von Sachsen-Coburg Opiumkriege, 1853/56 Krimkrieg, 1857 indischer Aufstand Victoria Empress of India, 1882 Okkupation Ägyptens, 1902 der Burenrepubliken »Entente Cordiale« Erster Weltkrieg, Umbenennung der Dynastie in »Windsor«  ; neue Kolonien Washingtoner Flottenabkommen, Empirekonferenz  : Commonwealth Zweiter Weltkrieg Indien unabhängig, 1960 Rückzug aus Afrika, 1966 Abbau »östlich von Suez«

Der Siebenjährige Krieg 1756–1763 bestätigte die Großmachtstellung. Während der von britischen Subsidien abhängige Bündnispartner Preußen sich mühsam behauptet, obgleich London 1761 die Subsidien streicht, erobern die Briten die französischen Kolonien in Indien, Kanada, und Afrika. Mit dem Pariser Frieden 1763 ist Großbritanniens Vorherrschaft auf den Meeren der Welt vertraglich untermauert. Nur die Niederlage gegen die Vereinigten 13 Staaten Amerikas 1783 lässt Grenzen der britischen Macht erkennen. 111 George Macaulay Trevelyan, History of England, (1926) Neuausgabe London 1948 (Longmans), S. 478–482  ; T. S. Smout  : A History of the Scottish People, (1969) Neuausgabe London 1989 (Fontana), S. 199–205.

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Der französische Versuch, unter Napoleon diese britische Vorherrschaft zu brechen, scheitert zur See 1805 in Trafalgar und zu Lande 1811 in Moskau. Auf dem Wiener Kongress erreicht Großbritannien, dass es die im Kampf gegen Napoleon besetzten holländischen Kolonien Ceylon und Kapkolonie sowie auch Helgoland und Malta behalten kann. Außerdem erhält es die Legitimation zur globalen Intervention gegen den Sklavenhandel, durch die es weltweite Flottenstützpunkte legitimiert. Großbritannien ist die Hegemonialmacht des 19. Jh. Sie hatten die Spanier ausgeraubt, die Holländer nachgemacht, die Franzosen geschlagen und die Inder ausgeplündert. Jetzt herrschten sie überlegen.112

Aber bis zur Mitte des 19. Jh. nannten weder seine Eliten noch seine Könige es »Imperium« – nicht einmal seine Kritiker.113 Seit den 1870er Jahren begann die Regierung jedoch, die Monarchie in den »Dienst des expandierenden Empire zu stellen« und sie zu »einem neuen Forum symbolischer Sinnstiftung für die Nation« zu machen.114 Damit (und gewiss auch wegen des imperialen Anspruchs des Vetters in Berlin) nahm Königin Viktoria (1837–1901) 1876 den Titel einer Kaiserin von Indien an. In ihrer Regierungszeit wurde das britische Kolonialreich systematisch ausgebaut, bis es 1910 mit 29,9 Millionen Quadratkilometern nicht nur Frankreich mit 11,5, sondern auch Russland mit 22,2 deutlich hinter sich gelassen hatte – ganz abgesehen davon, dass die französischen Kolonien überwiegend aus Wüste und die russischen aus Taiga und Tundra bestanden. Aber die riesige Ausdehnung verursachte auch Kosten und Risiken, die man angesichts der wirtschaftlichen Aufstiege der USA und Deutschlands minimieren wollte. Das Konzept entstand, die englisch besiedelten Teile des Empire zusammenzufassen und Kanada, Australien, Südafrika und Neuseeland sowohl für englische Siedlung in Übersee als auch für die Machtprojektion zu nutzen. Allerdings waren die Domninions 1914, auch wenn sie Truppen zur Verteidigung der britischen Inseln sandten, schon auf dem Weg zu Nationalstaaten.115 Der Aufstieg Deutschlands nach 1871 geschah im Rahmen eines verhältnismäßig kleinen und strategisch sehr angreifbaren Staates. Aber obgleich der Zugang zu den Ozeanen über den inneren Zipfel der Nordsee seestrategisch etwas Lächerliches hatte, 112 Ferguson  : Empire, S. 51. 113 Thomas Paine  : Common Sense (1776), hg. v. Isaac Kramnick, London 1988 (Penguin) attackiert die (englische) Monarchie, konkret den »k-« (König) und redet von den Kolonien als »Continent«. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung vom selben Jahr wirft dem »König von Großbritannien« vor, in den Kolonien eine »absolute Tyrannei« errichten zu wollen. 114 Leonhard/Hirschhausen  : Pomp, S. 23–30  ; Zitate S. 24 und 23. 115 Evans, a.a.O., S. 81–87.

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Karte 10: Britisches Weltreich, 1905 Großbritannien Kolonien und Dominions © Entwurf: Hans-Heinrich Nolte Kartographie: Florian Partl

offizielle Einflussgebiete

wichtige Marinestützpunkte Telegraphenlinien über See und Anschlüsse

bestand Deutschland darauf, eine Hochseeflotte aufzubauen, die eine Seeschlacht mit der britischen wagen konnte. Großbritannien rüstete und legte 1905 mit den »Dreadnoughts« eine neue Klasse von Schlachtschiffen auf Kiel, aber es reagierte auch auf die durch die Aufstiege der USA und Deutschlands relative Minderung seines industriellen Potenzials und gab die splendid isolation auf. Großbritannien hatte Frankreich im Südsudan und Deutschland zugunsten Frankreichs in den Marokkokrisen zum Rückzug gezwungen. Es hatte Japan bei dessen Sieg über Russland 1905 unterstützt, während Deutschland die russische Ostseeflotte auf der Fahrt nach Tsuschima mit Kohle versorgt hatte. Großbritannien fand 1904 in der »Entente cordial« einen Interessenausgleich mit Frankreich, 1907 mit Russland. Die europäischen Mächte teilten die Welt  : Großbritannien erhielt Ägypten und Südpersien mit dem neuerdings wichtigen Erdöl  ; Frankreich endgültig Marokko, Russland Nordpersien als Einflusszone. Aber auch mit Deutschland einigte Großbritannien sich – die Bagdadbahn soll nicht bis an den Persischen Golf gebaut werden. Zu den Verhandlungen gehörte weiter die zweite Haager Friedenskonferenz 1907, auf der es gelang, mit der Haager Landkriegsordnung feste Regeln für den Landkrieg zu verabschieden – die Verabschiedung der entsprechenden Seekriegsordnung verhinderte das englische Oberhaus, weil die britischen Interessen nicht genug berücksichtigt schienen.

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Großbritannien gehörte zu den Siegern des Ersten Weltkriegs, und durch Annexionen aus osmanischem und deutschem Kolonialbesitz erreichte das Empire mit 37,3 Millionen Quadratkilometern seine größte Ausdehnung. Die Rolle des Hegemons ging allerdings an die USA. Arbeitsansätze

Quellenkunde und Historiogafie Da England einerseits (nach 1066) nie erobert wurde und andererseits durch eine alte Tradition des Sammelns von Dokumenten und Altertümern, der mittelalterlichen und der modernen Geschichtsschreibung geprägt ist, gehört es zu den quellenmäßig sehr gut erschlossenen Ländern, mit guten Archiven und Museen sowie selbstverständlich auch Quellen außerhalb der englischen Grenzen. Helmut Bley116 hat die englischen Kolonien in der Frühen Neuzeit charakterisiert als »eher […] ein recht unkoordiniertes Gewebe von Einflussnahmen … Siedlungsversuche in Amerika seit etwa 1606, Unternehmungen der 1600 gegründeten East India Company, Freibeuter-Fahrten gegen die spanische Flotten […]«,

in das durch die Monopolgesetzgebung und die Navigationsakten ab 1651 zwar merkantilistische Systematik zur Förderung englischer Schifffahrt, englischen Handels und englischer Industrie kam, das aber nicht zentralistisch geplant wurde. Im Unterschied zu dieser eher Zufälle und kurzfristige Aktionen herausstellenden Darstellung des Empire hat der britische Historiker Niall Ferguson die Weltmission schon im Untertitel seines Buchs beschworen – »wie Britannien die Moderne schuf« – und das auch inhaltlich ausgeführt  :117 Wenn die Briten ein Land regierten, gab es bestimmte Eigenschaften ihrer eigenen Gesellschaft, die sie tendenziell zu verbreiten pflegten. Eine Liste der wichtigeren der Eigenschaften würde beinhalten  : 1. Die englische Sprache. 2. Englische Formen des Landbesitzes. 3. Schottisches und englisches Banksystem. 4. Common Law. 5. Protestantismus. 6. Mannschaftssportarten. 7. Begrenzter bzw. ›Nachtwächter‹-Staat. 8. Repräsentativversammlungen. 9. Die Idee der Freiheit.

116 Helmut Bley  ; British Empire, in  : EdN 2, Stuttgart 2005, Spalte 426–443. 117 Ferguson  : Empire, S. XXIII.

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Die beiden Ansätze müssen sich ja nicht widersprechen, aber was trifft den Kern  ? Jedenfalls wurde die englische Nation zum Ausgangspunkt einer neuen Form des Imperiums im 19. Jh.,118 ja zum Modell der zeitgenössischen Analyse einer eigenen Periode der Geschichte, des »Imperialismus«. Die Vorstellung allerdings, dass dieses Britische Imperium weniger egoistisch als die anderen, dass es gegenüber den Unterworfenen wohlwollend gewesen wäre, ist kaum zu halten.119 Soziale Einheiten und Ökonomie Grundlegend war England durch einen schnellen Zuwachs der Bevölkerung gekennzeichnet. Zwischen 1500 und 1650 verdoppelte sich die Bevölkerung der britischen Inseln von 4,4 auf 8,5 Millionen, zwischen 1650 und 1800 ein weiteres Mal auf 16,3 Millionen  ;120 zwischen 1810 und 1910 verdreifacht sich die Bevölkerung von England, Schottland und Wales von 12,4 auf 40,8 Millionen, während die Bevölkerung Irlands von 6 auf 4,4 Millionen sinkt.121 Die Bevölkerung der britischen Inseln hat sich zwischen 1500 und 1901 etwa verzehnfacht, während sich die Bevölkerung Europas von 1500 etwa 80 auf 1900 401 Millionen verfünffacht hat.122 Voraussetzung für den englischen Aufstieg war die Einführung der Mehrfruchtwechselwirtschaft.123 In den Lowlands wurden immer mehr Dörfer aus dem gesamtdörflichen System der Dreifelderwirtschaft genommen, indem einzelne Grundbesitzer ihr Land einhegten und dann zu Mehrfruchtwechselwirtschaft übergingen – zu Wintergetreide, Sommergetreide und Brache kamen Felder mit Klee (als Futter für das Vieh) und Rüben hinzu, außerdem ließ man im Sommer das Vieh auf einem Feld weiden. Dazu brauchte es nicht weniger Arbeitskräfte, aber der Bevölkerungszuwachs hatte zur Folge, dass trotzdem immer mehr Menschen vom Land in die Städte und die industriellen Dörfer der Industriegegenden, besonders der Midlands, zogen. Die Agrarreformen brachten deutlich mehr Produktivität und England wurde zeitweise zu einem Getreideexportland. Als im 19. Jh. Getreide auf dem Weltmarkt billig wurde, hielten die »Cornlaws« die Konkurrenz bis 1846 vom englischen Markt fern. 118 Seeley  : Ausbreitung  ; Eric J. Hobsbawm  : Industrie und Empire, 2 Bde. (1968) ü. F 1979/Peter Wende  : Vom Inselstaat zum Weltreich  : Anmerkungen zum Aufstieg und zur Struktur des Britischen Empire, in  : ZWG 11.2 (2010), S. 109–124  ; Paxman  : Empire, Ferguson  : Empire. Vgl. die Titel oben Anm. 101. 119 Vgl. Alan Lester  : Britain should stop trying to pretend that its empire was benevolent, online https:// theconversation.com/britain-should-stop-trying-to-pretend-that-its-empire-was-benevolent-59298 (eingesehen 1.6.2016). 120 Wirtschaftsploetz, S. 50–53. 121 Ploetz, S. 744. 122 Wirtschaftsploetz, S. 147, S. 162. 123 B. A. Holderness  : Pre-Industrial England, L 1976 (Dent & Sons).

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Gewerbe und Handel wuchsen gemeinsam. Das Parlament schützte das englische Gewerbe, indem es z. B. den amerikanischen Siedlern vorschrieb, London für ihren Handel mit der Karibik als Stapel zu benutzen, oder der Ostindien-Kompanie verbot, bengalische Textilien in England zu verkaufen und der englischen Textilindustrie Konkurrenz zu machen. Bengalische Textilien waren also Reexportwaren.124 Zwischen indischen und englischen Produzenten wurde kooperiert, um auf den englischen Markt zu kommen und billiger zu werden.125 Chinesisches Porzellan wurde aus Steingut nachgemacht. Jawaharlal Nehru schrieb 1944, die Ausplünderung Bengalens habe zur Industriellen Revolution in England beigetragen.126 Allerdings hatte Ralph Davis schon 1979 argumentiert und mit Zahlenreihen deutlich gemacht, dass der Überseehandel zwar eine wichtige und günstige, aber wohl kaum ausreichende Bedingung für die Industrielle Revolution war.127 Patrick O’Brien hat geschätzt, dass das im Außenhandel verdiente Kapital nur etwa ein Zehntel des Kapitals der neuen Firmen ausmachte. Importe brachten im 18. Jh. etwa ein Zehntel und am Anfang des 19. Jh. 15 % des Nationaleinkommens  ; Exporte 1840 13 %. Der Binnenmarkt war also dominant, aber der Außenhandel machte den Unterschied z. B. zu Frankreich aus, wo die Anteile viel kleiner waren.128 Diese innerökonomischen Schätzungen und Berechnungen sind unerlässlich für ein genaueres Urteil, aber sie gehen an der Bedeutung der Gewinne im Ausland für die britischen Staatsanleihen und deren Rolle für die Siege Großbritanniens und damit für die Sicherheit der Kapitalanlagen – auch aus den Niederlanden – vorbei. Zusammengefasst  : Unter den günstigen Bedingungen eines globalen und durch militärische Macht gesicherten Außenmarktes, billiger, sicherer Staatsanleihen durch Zufluss von Silber, z. B. aus Indien nach dem Sieg bei Plassey, eines schnell wachsenden Binnenmarkts durch die Agrarrevolution und den Bevölkerungszuwachs wurden immer mehr Erfindungen in Produktionen überführt. Meist kamen die Erfindungen wie überall in der Welt von Handwerkern  ; nicht die alten Universitäten, sondern neue Akademien der Wissenschaften förderten dann den Austausch von Forschungen und Forschungsergebnissen, welche schließlich zur Industriellen Revolution führten.129 Mechanischer Webstuhl und Spinnmaschine waren wichtig, zentral war die Erfindung der doppelt wirksamen Dampfmaschine durch James Watt. 124 Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 169–171. 125 Andrea Komlosy  : Chinesische Seide, indische »Kalikos«, Maschinengarn aus Manchester in  : Grandner/Komlosy, S. 104–134. 126 Nehru  : Indien, S. 384–388. 127 Ralph Davis  : The Industrial Revolution and British Overseas Trade, Leicester 1979 (Leicester UP). 128 Evans, a.a.O., S. 43. 129 Joachim Becker und H.-H. Nolte  : Die Peripherie in der kapitalistischen Weltwirtschaft, in  : Parnreiter/ Novy, S. 35–74.

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Mit der Dampfmaschine wurde eine kontinuierliche Energiequelle zur Verfügung gestellt, was Produktion und Verkehr weltweit revolutionierte. Die durch Wasserkraft betriebenen mechanischen Webstühle konnten nur mit Unterbrechungen je nach dem Wasserstand arbeiten, und der globale Verkehr war von Wind und Wetter abhängig. Die Dampfmaschine brauchte mehr Eisen. Schon 1709 wurde die Verhüttung von Eisenerz mit Steinkohlekoks erfunden, aber mit dem aus Schweden und Russland importierten Eisen aus Holzkohleverhüttung konnte die neue Produktionsweise im 18. Jh. noch nicht konkurrieren.130 Erst durch die Kontinentalsperre wurde die neue Massenproduktion rentabel, die Eisen zum wichtigsten Werkstoff des 19. Jh. machte. 1807 fuhr der erste mit Dampfmaschine betriebene Dampfer auf dem Hudson  ; 1818 das erste Dampfschiff von Liverpool nach New York  : 1830 verband die erste Eisenbahn Liverpool und Manchester. Im 19. Jh. war Indien »Großbritanniens bester Markt«, aber auch jetzt in einem eingeschränkten Sinn  : der Kernhandel – Handel mit den Staaten Europas und den USA – machte 1891 zwei Drittel des gesamten Außenhandels aus.131 Andererseits sorgte der Reexporthandel mit aus dem Empire importierten Gütern für stabile Gewinne,132 1919 machte er über 16 % aller Exporte aus – v. a. mit Rohstoffen und Lebensmitteln.133 Die neuen Verkehrs- und Informationsmöglichkeiten und nicht zuletzt die massenweise Emigration förderten ein neues Gefühl für eine »britische Welt« zwischen Neuseeland und Kanada. Viele, teilweise ethnische Netzwerke entstanden, innerhalb derer nicht nur Bekanntschaften aufrechterhalten wurden, sondern auch Geschäfte gemacht wurden oder Kapital wanderte.134 Noch fanden Ideen zu einer Föderationsstruktur für das Empire aber nicht genug Unterstützung.135 Die Industrialisierung verstärkte die Tendenz zur Bildung innerer Peripherien. Mit den »Highland Clearances«, der Vertreibung von Kleinbauern um Land für Viehzucht freizumachen, verschwanden in Schottland viele Siedlungspunkte.136 Auch Wales war Auswanderungsland  ; für die Zurückgebliebenen wurden nicht mit der High Church konforme Gemeinden zu einer Ausdrucksmöglichkeit.137 Im Süden Irlands besaßen protestantische Gutsbesitzer den Grund und Boden, während die katholische Mehrheit 130 131 132 133 134 135 136

Importdaten Quellenbuch Nr. 3,8. Pope/Hoyle, S. 8. Pope/Hoyle, S. 41–45. Pope/Hoyle, S. 60–62. Gary B. Magee, Andrew S. Thompson  : Empire and Globalisation, Cambridge 2010 (Cambridge UP). Wolfgang Mock  : Imperiale Herrschaft und Nationales Interesse, Stuttgart 1982 (Klett-Cotta). Vgl. populärgeschichtlich Alexander Mackenzie  : Stories of the Highland Clearances, Glasgow 1986 (Lang Syne). 137 Michael Hechter  : Nonconformity and the Emergence of Nationalism in Nineteenth Century Wales, in  : Innere Peripherien 1, S. 45–66.

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der Bevölkerung als Kleinpächter überlebte.138 Oft investierten die Gutsbesitzer ihre Gewinne im fernen London, außerdem wurde die Entwicklung einer irischen Industrie vom Londoner Parlament durch Einfuhrzölle behindert. 1846–1850 wurden die irischen Kleinpächter durch eine Kartoffelseuche ruiniert, in der folgenden »Großen Hungersnot« lässt die Londoner Regierung Massenhunger zu, sodass etwa eine Million Iren verhungerten, eine weitere Million emigrierte als Wirtschaftsflüchtlinge und 800.000 kamen in Arbeitshäuser. Als agrarische Folge wurden die Kleinpächterhöfe vermindert und der Übergang Irlands zur Viehzucht verstärkt.139 Die Bevölkerung Irlands schrumpfte 1801–1911 von 5,2 auf 4,4 Millionen, ihr Anteil an der Bevölkerung Großbritanniens sank von 33,1 auf 9,7 %.140 Schnell wurden die neuen Techniken zur Kriegführung eingesetzt. Man panzerte Kriegsschiffe mit Eisenplatten, die neuen gezogenen Kanonen waren billig und präzis, und die neuen Gewehre hatten höhere Schussfolgen. Im Krimkrieg wurde deutlich, dass die militärische Überlegenheit der Westmächte das im Wiener Kongress noch einmal restaurierte Konzert der Mächte infrage stellte. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. beobachteten viele den Aufstieg der USA und Deutschlands mit Sorge, aber durchaus mit dem Willen, von den Konkurrenten zu lernen.141 Für die Bevölkerung Englands, auch die Arbeiter, brachte die Industrialisierung im Durchschnitt eine deutliche Verbesserung der Lebensverhältnisse. Zwischen 1820 und 1913 stieg das Pro-Kopf-Einkommen (der Länder, die heute das Vereinigte Königreich bilden) von 1.706 Verrechnungs-Dollar auf 4.921, bei einem gleichzeitigen Wachstum der Bevölkerung von 21,2 auf 45,6 Millionen.142 Religionen und Ideologien Die Krone hatte in der Tudor-Zeit eine nationale Kirche gegründet, die High Church, die (mit wenigen Ausnahmen) von da an Staatskirche war. Auch die katholischen Iren mussten z. B. den Zehnten an die anglikanischen Pfründner zahlen (vielleicht hatte der anglikanische Dean Jonathan Swift deshalb Zeit genug, um seine großartigen Satiren zu schreiben). Katholiken konnten aber kein Staatsamt einnehmen. Dissenters, Abweich138 K. Th. Hoppen  : A Double Periphery/J. Elvert  : Nordirland als dreifache Peripherie, in  : Innere Peripherien 2, S. 95–130. 139 Moody, Martin Course a.a.O., S. 263–274, Zahlen S. 274. Zur irischen Agrarverfassung und der Hungersnot vgl. K.  Theodore Hoppen  : Ireland since 1800, Harlow 1989 (Longman), S.  33–59  ; Harald Flohr  : Zwei irische Krisen im Vergleich, in  : Adamczyk/Lehnstaedt, S. 102–132 bes. S. 103–121 (mit Karten und Tabellen). 140 Evans, a.a.O., S. 66. 141 Pope/Hoyle, S. 55–60. 142 Maddison  : Contours, S. 376, S. 382.

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ler, waren in England geduldet, seit Cromwell auch wieder Juden, aber sie mussten die Kosten für ihre Kirchen selbst tragen, also zweimal zahlen. Da das Vermögen der Katholischen Kirche säkularisiert worden war, waren die Klosterkirchen unbenutzt und verfielen  – um ihre Ruinen besichtigen zu können, muss man manchmal noch heute an die Grundeigentümer eine Gebühr für das Durchqueren ihres Geländes entrichten. Hatte das 18. Jh. die Entstehung der zwei Parteien, der Whigs und der Tories gesehen, so sah das 19. die Entstehung einer Vielzahl von Vereinen und Sportclubs. Außenbeziehungen Die Außenbeziehungen kann man in einen europäischen und einen außereuropäischen Kreis teilen. Im ersteren war Großbritanniens Machtstellung im 18. und 19. Jh. schon so herausgehoben, dass es das »Gleichgewicht der Kräfte« für alle Mächte zu seiner außenpolitischen Richtlinie machen konnte. So lange die anderen Mächte des europäischen Konzerts sich die Waage hielten, bestand für Großbritannien keine Gefahr. Der Krieg gegen Napoleon hatte eben deshalb ein besonderes Gewicht, weil es eine Weile lang so schien, als könne der französische Kaiser den Kontinent gegen die Insel vereinen. Nach 1815 war diese Gefahr gebannt. Großbritannien konnte jahrzehntelang Politik betreiben, ohne mit militärischen Mitteln in die kontinentalen Auseinandersetzungen eingreifen zu müssen. Die Ausnahme bildete die Zurückweisung Russlands im Krimkrieg im Bündnis mit Frankreich – da Großbritannien an der Erhaltung des Osmanischen Reichs interessiert war, zeigte es Russland durch die Eroberung der Krim, dass seine Machtmittel denen des Inselkönigreichs nicht gleichkamen. Am Beginn des 20. Jh. schien es Großbritannien, dass Deutschland mit seiner Flottenrüstung und seinen Forderungen nach »einem Platz an der Sonne« die britische Hegemonie infrage stellte, und begann, die über ein Jahrhundert bewahrte Politik der Bündnisfreiheit aufzugeben. Allerdings machte erst der Einmarsch Deutschlands in Belgien, dessen Neutralität Berlin garantiert hatte, die Teilnahme am Ersten Weltkrieg aus britischer Sicht nötig  : Einen deutschen Marinestützpunkt auf dem anderen Ufer des Kanals wollte man nicht dulden, und Deutschland hatte sich durch den Vertragsbruch in eine international schwache Position manövriert. Großbritanniens Politik gegenüber dem »Kontinent« war hegemonial und nicht imperial.143 Es handelte nach dem Konzept des Mächtegleichgewichts und suchte in Europa keine Territorialgewinne. Allerdings bildete die »Kontrolle der Meere« eine strategische Voraussetzung, die auch für Europa in den Seestützpunkten an den Rändern deutlich wurde  : Orkneys – Portsmouth – Gibraltar – Zypern.

143 Menzel  : Ordnung, S. 699–702.

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Während sich die englische Politik im Kreis der europäischen Mächte an die zunehmende Bedeutung des Völkerrechts band, bestand sie »jenseits der Linie« auf der Praxis unbegrenzter kolonialer Kriegführung,144 die manchmal auch von regionalen Gouverneuren ausgeübt wurde. Großbritannien sah auch keinen Grund, bei der Durchsetzung seiner v. a. an Handelsinteressen orientierten Politik außerhalb Europas auf Gewalt zu verzichten. Von den englischen Piraten in der Karibik im 16. bis zu den Opiumkriegen gegen China im 19. Jh., von der Annexion der holländischen Kolonien am Indischen Ozean auch nach dem Frieden von Wien 1815 bis zum Burenkrieg  – England setzte seine Interessen mit militärischer Gewalt und, wie die Konzentrationslager in Südafrika deutlich machten, ohne Rücksicht auf Schwächere durch. Es sah auch keine Probleme, die Abwehr russischer Expansionsversuche selbst zum Erwerb eines Anteils am Osmanischen Imperium zu nutzen – 1878 ließ es sich Zypern im Austausch für militärische Unterstützung geben, 1882 begann es mit der Okkupation Ägyptens. Formen von Politik England war seit 1688 eine von einem Parlament mitbestimmte Monarchie mit einem Zweiparteiensystem. Im Parlament waren im House of Lords der Hochadel durch Geburt und die Kirchenhierarchie der High Church durch Kooptation entsprechend den Regeln der apostolischen Nachfolge vertreten  ; im House of Commons die Grundbesitzer in Grafschaften und Städten durch gewählte Repräsentanten. In einer Parlamentsreform wurden 1832 die rotten boroughs für die Commons angepasst – viele Wahlbezirke hatten durch die Urbanisierung an Wählern verloren oder gewonnen, durch die Reform stieg die Zahl der Wähler von 0,5 auf 1 Million. 1867 wurde eine zweite Parlamentsreform durchgesetzt, nach der jeder Inhaber einer städtischen Wohnung wahlberechtigt wurde, sodass die Zahl der Wähler auf 2,5 Millionen stieg. Man kann das als Einschränkung sehen – in England waren nur ca. 10 % der Bevölkerung wahlberechtigt – oder als Öffnung eines sozialen Raums – der Parlamentarismus zeigte sich als reformfähig, er integrierte immer mehr Bürger. 1918 wurde das Wahlrecht auf alle Männer über 21 Jahre und alle Frauen über 30 mit einigem Besitz ausgedehnt und 1928 auf alle Frauen über 21 Jahren. In seiner Tendenz hat Seeley den Vorgang überzeugend wiedergegeben  :145 […] Die einzige im jüngsten Verlauf der englischen Geschichte überhaupt erkennbare Richtung ist die, zunächst die mittleren und dann allmählich die unteren Klassen zu einer Teilnahme an dem Staatsgeschäft heran zu ziehen. 144 Vgl. Kleinschmidt  : Legitimationsfalle. 145 Seeley  : Ausbreitung, S. 16.

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Für das Imperium war wichtig, dass zwar zeitweise Irland im Parlament vertreten war, aber keine der Kolonien. Während in Russland ein usbekischer Chan oder ein baltischer Baron zum Machtzentrum in St. Petersburg unmittelbar Zugang haben konnte, waren die Kolonien vom Parlamentarismus in London ausgeschlossen, anders auch als in Russland nach der Einführung der Duma. Lag in der russischen Wahlrechtspolitik sicher eine Überforderung, so in der englischen vielleicht eine Unterforderung, jedenfalls eine nationalistische Exklusion. Russland war ein Imperium, England war eine Nation, die ein Imperium besaß. Neben dem Parlament verlief der Kapitalexport. Zwischen 1865 und 1914 wurden über vier Milliarden Pfund aus Großbritannien ausgeführt, über 20 % in die USA, 7,8 % nach Indien und 3,4  % nach Russland. Chronologisch aufgegliedert ging 1865–1884 ein beträchtlicher, aber sinkender Teil des Kapitalexports nach Europa, dieser sank danach auf unter 10 %, stattdessen stieg der Kapitalexport nach Kanada und Lateinamerika und der nach Indien sank zwischen 23,6 % im Jahrfünft 1865–69 und auf 3,7 % 1910–1914. Der Kapitalexport in die USA blieb in der gesamten Periode ziemlich gleichmäßig bei rund einem Fünftel  ; die Geschäftsverbindungen bildeten einen wichtigen Teil der amerikanisch-britischen Netzwerke.146 Gewinne aus der Expansion, von der Hoffnung auf Gold über Sklavenverkauf in die spanischen Kolonien, von der Durchsetzung des Transportmonopols aus englischen Häfen gegen Holland bis zur bengalischen Beute, galten als normale Staatsziele. Hinzu kamen, von der Gründung Virginias und der Massachusetts Bay Company bis zur großen Missionswelle des 19. Jh. immer auch Ziele der Ausweitung des Anglikanismus oder des Calvinismus gegen Rom. Die erste Ideologie, mit der und über die auf Außenpolitik eingewirkt wurde, war dann die der Antisklavereibewegung. Mit der Aufklärung wurden die Staatsziele auch der Außenpolitik systematisiert. Adam Smith, Professor für Logik, bestimmte es als Aufgabe der politischen Ökonomie,147 […] erstens dem Volke reichliche Einkommen und Unterhalt zu verschaffen, oder eigentlich, es in den Stand zu setzen, sich selbst solch ein Einkommen oder solchen Unterhalt zu verschaffen  ; und zweitens dem Staat oder dem Gemeinwesen ein Einkommen zu versorgen, das für die öffentlichen Angelegenheiten hinreicht. Als erste Pflicht des Herrschers sieht er, »die Gesellschaft gegen die Gewalttätigkeit und Ungerechtigkeit anderer unabhängiger Gesellschaften zu schützen« und er fährt fort  : »Der Schutz des Handels überhaupt ist immer als ein wesentlicher Teil der Landesverteidigung und mithin als unerlässliche Pflicht der vollziehenden Gewalt betrachtet worden.«

146 Magee/Thompson, S. 170–231, Tabellen S. 173 f. 147 Smith  : Volkswohlstand Bd. 2, S. 7, S. 395, S. 430.

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Smith argumentierte gegen das Monopol der Ostindischen Kompanie, aber den Handel der eigenen Nation zu unterstützen, gehörte für ihn zu den zentralen Aufgaben des Staats. Neu – z. B. gegenüber den Versuchen des Heiligen Römischen Reichs, sich von den italienischen Städten bezahlen zu lassen, oder der Politik des Osmanischen Imperiums, die Zölle des Handels zwischen Europa und Asien zur effizienteren Ausbeutung zusammenzufassen –, war die Legitimation der Expansion damit, dass sie Angehörigen des Volks individuelle Vorteile bieten sollte. Das »Volk« bestimmte über das adlig/besitzbürgerliche Parlament, für welche Ziele die Mittel des Staates eingesetzt werden sollten. War das Empire also wirklich absentminded zustande gekommen  ? Zur aufklärerischen Legitimation und als historisierende Form der politischen Diskussion wurde auch die Geschichte Roms herangezogen, die Vorstellung, »größer als Rom« zu sein  ; oder auch die Furcht, wie Rom schon dem Abstieg nahe zu sein.148 Man berief sich auf Rom, wenn man nachträglich systematisierte, Grenzsicherungen wie an der indischen Nordwestgrenze durchsetzte oder Erweiterungen um Gebiete, in denen es Gold und Diamanten gab wie bei den Burenrepubliken und schließlich geopolitische Überlegungen anstellte wie Cecil Rhodes mit dem »Kap-Kairo-Plan«. Am Anfang ging es darum, ob und wo eine Aggression Gewinn versprach, und das konnte manchmal nicht vorhergesehen werden. Zu den Legitimationen kam seit dem Ende des 18., v. a. aber seit dem 19. Jh. das Konzept hinzu, die asiatischen Gesellschaften seien statisch und es könne Chance oder sogar Aufgabe der Europäer und an erster Stelle eben der Briten sein, diese Gesellschaften zu »entwickeln«.149 Kriterienkatalog

1. Abgesehen von der Periode 1649–1660 hatte England immer eine dynastische Spitze, oft aus der zugleich reichsten Familie des Landes. Die Dynastie achtete auf ihre »Inszenierungen«.150 Auch bei den englischen Dynastien war der »Haushalt« die politisch entscheidende Institution, die zu kontrollieren für das Parlament eine Jahrhundertaufgabe bildete.151 148 Eva Maria Hausteiner  : Greater than Rome. Neubestimmungen britischer Imperialität 1870–1914, Frankfurt 2015 (Campus). 149 Osterhammel  : Entzauberung, S. 375–402, vgl. H.-H. Nolte  : China, in  : Michael Gehler, Xuewu Gu, Andreas Schimmelpfennig (Hg.)  : EU – China. Global Players in a Complex World, Hildesheim 2012 (Olms), S. 15–26. 150 Heide Rohloff (Hg.)  : A Royal Millenium. Inszenierungen einer Monarchie, Hannover 1997 (Congress Centrum). 151 Vgl. in aller Kürze das Stichwort Household, Royal, ebda., S. 170 f.

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2. In England war 664–1534 Katholizismus in römischer Obödienz Staatsreligion, danach die Anglican High Church, deren Haupt der König/die Königin ist. Jede Münze nennt ihn/sie D. F. = Defensor Fidei. Zwischen 1673 und 1829 konnten Katholiken keine Staatsämter einnehmen (»Testakte«). 3. Seit der Tudor-Zeit entwickelt sich eine nationale Kultur, welche v. a. in der Konfiguration mit/gegen Frankreich ausgebildet wird  : gentleman ideal  ; John Bull  : Marianne  ; Shakespeare  : Racine  ; englische Erfindungen  : französische Systeme. 4. England war durch frühe Bürokratisierung gekennzeichnet, die z. T. bis in die Normandie zurückreichte. Da die Behörden der Counties und Städte nicht unter royal gezählt werden, wird das Ausmaß der Bürokratisierung des Königreichs oft zu gering eingeschätzt. 5. Wer ein Amt mit dem Vermögen geerbt hatte (Lord) gehörte und gehört zur nobility, zweite Söhne waren rechtlich sine nobilitate (snob), und pflegten daher oft Verbindung mit dem Landadel (Gentry). 6. Der König durfte (endgültig ab 1688) dauerhaft keine Armee im Land haben, aber Armeen außerhalb (Irland  !, Indien). Erst im 19. Jh. wurde die Regel aufgehoben. In der Mitte des 19. Jh. hatte die Navy 40.000 Mann und etwa 240 Schiffe.152 1881 unterhielt das Kaiserreich Indien 194.600 Mann, von denen 69.600 in rein britischen Einheiten dienten  – und alle unter britischen Offizieren. Zugleich unterhielt das Königreich über 91.000 Mann in Irland und England.153 Von den 8,5 Millionen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg auf der Seite Großbritanniens kämpften, wurden 1,4 Millionen von Indien bezahlt.154 7. Es gab zentral erhobene Steuern und Abgaben, für die das Parlament sich die Zuständigkeit erkämpfte. Das Recht des Parlaments, über die Steuern zu bestimmen, war ein Ausgangspunkt für die Revolution 1640. Durch die Kooperation im Parlament gelang es, die Steuererträge in England kontinuierlich anzuheben.155 8. Großbritannien ist durch eine Vielfalt der Provinzen gekennzeichnet. Die deutschkeltisch-skandinavische Mischung der Ethnien mit französischer Überlagerung ist kulturell bestimmend  ; der »keltische Rand« bleibt aber kontinuierlich bis in die Gegenwart erhalten. Trotz den Eroberungen von Wales und Irland sowie der Realunion mit Schottland bleibt das Verhältnis zu den Peripherien problematisch, mehrfach werden sie zu Zentren von Unruhen und Aufständen oder doch Selbstständigkeitsbestrebungen. Im Kontext der Industrialisierung wandern anfangs Kelten, später Inder, Menschen aus der Karibik und anderen Kolonien v. a. nach London und in die Midlands. Eine 152 153 154 155

Ferguson  : Empire, S. 165, vgl. die Tabelle S. 44. Ferguson  : Empire, S. 171. Paxman  : Empire, S. 220. Vgl, die Grafik Nolte  : Weltgeschichte 1, S. 238  ; sowie jetzt Vries  : Divergence.

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deutliche Grenze trennt Großbritannien von den Kolonien, die der Nation gehören, aber nicht Teil von ihr sind. 9. Für die Nationen auf der Inselgruppe gab es feste Grenzen. In den Kolonien gab es einige wandernde Grenzen, so die Grenze zwischen den Kolonien und den Indianern in Nordamerika oder die North-West-Frontier in Indien. 10. Der englische Staat formt seine Bürger  ; zuerst einmal religiös – sowohl in der Entscheidung gegen Rom als in der gegen die Puritaner  ; bis heute prägt die High Church das Land, trotz der dissenters aller Art. 11. Seit der Glorious Revolution gab es in England (sieht man von Bonnie Prince Charlie ab) keine Kriegshandlungen  ; Kriege wurden außerhalb der Grenzen, in Schottland und Irland geführt. Die deutschen Luftangriffe ab 1914 waren, ungeachtet ihrer geringen Wirksamkeit, auch deshalb erschreckend, weil man Krieg im eigenen Land nicht mehr gewohnt war. Im Empire oder auf dem Kontinent wurde jedoch kontinuierlich mit britischen oder von Großbritannien bezahlten Truppen Krieg geführt, von der Eroberung Quebecs bis zur Schlacht bei Waterloo und vom Krimkrieg bis zur Schlacht an der Somme. 12. Der Begriff »Barbaren« wird in der polemischen Publizistik häufig angewandt, um Gegner abzuwerten, die in den Highlands oder jenseits des Meeres leben. Seit der Eroberung Irlands werden die Bewohner der Insel »black Irish« genannt. Katholiken gelten oft als »popish«, und sowohl die »wilden, unzivilisierten« Indianer in Amerika als auch die »effeminated Indians« in Asien, schließlich die »Krauts« oder gar »Huns« vom Ersten Weltkrieg an werden mit abwertenden Klischees bezeichnet.156 In der zweiten Hälfte des 19. Jh. nehmen rassistische Argumente zu.157

Indien unter den Briten

Wie oben erwähnt, war Indien unter britischer Herrschaft seit 1876 ein Kaiserreich.158 Dass es von Landfremden regiert wurde, unterscheidet die britische nicht grundsätzlich von der Herrschaft der Großmoguln  ; ein Unterschied war aber dadurch gegeben, dass die Moguln eine sehr unsichere Machtquelle jenseits des Kaiberpasses in Turkestan,

156 Vgl. etwa John Farman  : The Very Bloody History of Britain Without the Boring Bits, London 1990 (Random), S. 148–155. 157 Rassistische Argumente z. B. bei Sir Dilke  : Greater Britain, London 1868, vgl. H.-H. Nolte  : Zur Reichweite von Kulturkreiskonzepten, in  : Peter Nitschke (Hg.)  : Der Prozess der Zivilisationen  : 20 Jahre nach Huntington, Berlin 2014 (Frank & Timme), S. 65–86. 158 1. Überblick  : Michael Mann  : Der lange Kampf um nationale Selbstbestimmung  : Südasien, in  : Feld-

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die Briten dagegen eine sichere Machtbasis jenseits zweier Ozeane hatten.159 Waren die Moguln auf die Ressourcen angewiesen, die sie im Lande vorfanden, konnten die Briten sich hinsichtlich manpower und v. a. Technik auf ihre Inseln verlassen und sich in Indien darauf konzentrieren, die Kosten wieder hereinzuholen und v. a. Gewinne zu machen. Da das Kaiserreich 1947 in drei Nationen zerfiel, illustriert seine Geschichte auch den Übergang von Imperien zu Nationen. *** Das britische Engagement in Indien begann mit der Gründung der East India Company (EIC) 1600, einer Aktiengesellschaft, deren Aktien jedoch nur selten auf dem Markt waren, sondern von einigen Großeignern gehalten wurden. Die EIC zahlte regelmäßig dafür, dass ihr König und/oder Parlament das Monopol für den Indienhandel verliehen – gegen das es in England und v. a. Schottland (dessen Oberschicht an der EIC nicht beteiligt war) viel Kritik gab. Adam Smith hat sie 1776 »verewigt«.160 Der Handel mit Indien war gewinnbringend, aber ein Defizithandel – etwa 80 % der importierten Waren mussten mit Silber bezahlt werden, das letztlich überwiegend aus Lateinamerika stammte.161 Diese Außenhandelsstruktur war auch den englischen Merkantilisten ein Dorn in Auge, weil sie den Reichtum eines Landes in dem Besitz an Edelmetallen sahen.

bauer/Hausberger Bd. 7, Preisendanz/Rothermund. 2. Quellen  : H. G. Philips (Hg.)  : Select Documents of the History of India and Pakistan, Vol. IV, London 1962/R. Tagore  : Die Religion des Menschen, dt. Freiburg 1962 (Hyperion)/Gegliedertes Verzeichnis, in  : Lütt  : Indien. 3. Gesamtdarstellungen  : Kulke/ Rothermund  ; Mann  : Indien  ; Lütt  : Indien  ; Gita Dharampal-Frick (Hg.)  : Indien = ZWG 17.2 (2016). 4. Einzelthemen  : Harald Müller  : Weltmacht Indien, Frankfurt 2006 (Fischer)  ; Dietmar Rothermund  : India. The Rise of an Asian Giant, New Haven 2008 (Yale UP)  ; Clemens Six  : Hindi – Hindu – Hindustan, Wien 2006 (Mandelbaum)  ; Otto Wolff  : Indiens Beitrag zum neuen Menschenbild, Reinbek 1957 (Rowohlt)  ; Christian Sigrist u.a.: Indien. Bauernkämpfe, Berlin 1976 (Wagenbach). 159 In dieser Hinsicht war die Herrschaft der Mandschu in China der britischen in Indien ähnlich, da erstere ihre Machtbasis getrennt vom klassischen China nördlich der Großen Mauer hatten, auch wenn – ähnlich wiederum den Moguln – der Transport auf Pferde und nicht Schiffe angewiesen war. 160 Smith  : Wohlstand 2, S. 441–462. Charles Rivers (Ed.)  : The East India Company, Lexington/Ky 2016 ist eine gut lesbare Kompilation aus der englischen Geschichtsschreibung. 161 Jan de Vries  : Connecting Europe and Asia  : A Quantitative Analysis 1497–1795, in  : Flynn/Giráldez, S. 35–106, S. 80 f.

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|  Imperien als Mitglieder des Weltsystems Zeitleiste 15

1600 1602 1757 1835 1857 1876 1885 1905–1911 1914 ff. 1918 13.4.1919 1922 1929 1931 1937 1939

1947

East India Company (EIC) Holländer, 1616 Dänen, 1664 Franzosen Bengalen britisch, 1763 Frankreich ausgeschaltet Englisch statt Persisch Amtssprache, 1853 Eisenbahn, 1854 Telegraph Indischer Aufstand, EIC aufgelöst, Indienministerium in London Victoria »Kaiserin von Indien«  : Direkte Territorien plus ca. 500 Fürsten Indian National Congress in Pune gegründet Bengalen geteilt Indische Armee, bezahlt vom Kaiserreich, befehligt von Briten, ist die größte Berufsarmee des Empire Verfassungsentwurf  : Gandhi plädiert für Nichtzusammenarbeit Blutbad auf dem Jallianwalla Bagh in Amritsar Nichtzusammenarbeit nach Massaker an Polizisten beendet, Gandhi in Haft Kongress fordert Unabhängigkeit, März–April 1930 Salzmarsch Verfassungskonferenzen, 1935 Fürsten treten Föderation nicht bei Verfassung ohne Fürsten in Kraft Vizekönig erklärt ohne Beratung Indien zum kriegführenden Land, Rücktritt der Kongressminister  ; Muslimliga kooperiert und fordert 1940 islamischen Staat, Kongressführer im Lager Spaltung Indiens

Die EIC besiegte jedoch 1757 die Armee des Nawabs von Bengalen in der Schlacht bei Plassey durch Verrat und machte den »besiegten« Heerführer des alten zum neuen Nawab – allerdings gegen Zahlung einer immensen Beute und Abtretung eines Territoriums, in dem die EIC nun selbst die Steuern einzog. Die EIC brauchte also kein Silber mehr zu kaufen, sondern zahlte die Importe aus Indien aus den in Indien erhobenen Steuern. Sie erhöhte 1767 die Dividende von 6 auf 10 % bei 3,2 Millionen Pfund Kapital162 und zahlte 0,4 Millionen Pfund an den Staat, wies also ein Fünftel des Kapitals als Gewinn aus. Hinzu kamen Gewinne der leitenden Angestellten, die nach ihrer Heimkehr nach England oft ihr Geld in Staatsanleihen anlegten. Auch wenn man die »bengalische Beute« nicht als »Grund« der Industriellen Revolution ansehen kann, hat sie meines Erachtens deren Gelingen doch deutlich befördert.163 162 Smith  : Wohlstand, S. 454. 163 Um Anschaulichkeit bemüht H.-H. Nolte  : Wie Europa reich und die Dritte Welt arm wurde, in  : Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (GWU) 1981/1, S. 14–36  ; »Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles«, in  : Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 1981/5, S. 293–296.

Imperien als Mitglieder Indien unter des Weltsystems den Briten  | 

Nach 1757, als die EIC die Regierung von Bengalen übernahm, wurde die britische Beziehung zu Indien ausbeuterisch. Exporte nach Großbritannien und Opium-Exporte nach China wurden aus dem bengalischen Steuereinkommen bezahlt.164 Das Territorium, das die EIC beherrschte, wurde in dem folgenden Jahrhundert ausgeweitet. Am Ende des Siebenjährigen Kriegs waren die französischen Besitzungen britisch, am Ende der Napoleonischen Kriege die bis dahin niederländischen Besitzungen in Südindien und Ceylon. 1799 war der muslimische Usurpator von Maisur Tipu Sultan im Süden besiegt und die hinduistische Dynastie unter britischer Kontrolle restituiert. 1761 war der Versuch der hinduistisch geprägten Föderation der Marathen, ein indisch bestimmtes System für den Kontinent aufzubauen, in einer weiteren Schlacht bei Panipat vor Delhi vom persischen Schah vernichtet worden  ; 1805 wurde die Föderation von den Briten zersplittert.165 1849 wurde das Reich der Sikhs – einer um 1500 gegründeten Religion – von der EIC unterworfen und Punjab sowie das Industal erobert.166 In den britischen Provinzen verlor der Mogul-Adel sein Einkommen aus Steuerbezirken  ; die Ansprüche der Steuereintreiber wurden in Eigentum verwandelt. Insbesondere in den Provinzen Punjab und Sindh wurden Bewässerungssysteme angelegt, der Anteil bewässerten Landes stieg von 5 % in Mogul-Zeiten auf über 25 %. Neue Früchte wie Indigo, Zucker, Jute und Tee wurden v. a. für den Export angebaut. Das indische Gewerbe verlor durch die Reduzierung der alten Oberschicht Kundschaft und die neuen Herren trugen englische Kleidung und englische Waffen. Im 19. Jh. setzte die britische Regierung die indische Textilindustrie ohne Zollschutz der Konkurrenz von Lancaster aus.167 Die Kritik an der durch London betriebenen Wirtschaftspolitik »Drain of India« wurde nach Hungersnöten im 19. Jh. verschärft. Romesh Dutt fasst zusammen  : Die Politik glich der, welche Großbritannien damals gegenüber Irland und den Kolonien betrieben hat. Die Anstrengungen, indische Industrie zu unterdrücken und britische zu fördern, hatten katastrophalen Erfolg.168

1829 wurde die Verbrennung von Witwen (Sati) verboten. Zwischen 1813 und 1825 waren 7.901 Frauen allein in Bengalen durch (keineswegs immer freiwilliges) Verbrennen auf dem Scheiterhaufen des gestorbenen Ehemanns getötet worden.169 Der Gouverneur 164 165 166 167 168

Maddison  : Contours, S. 118. Vgl. auch Nolte  : Weltgeschichte, 1, S. 80–82. Zu dieser Periode Mann  : Indien. Maddison  : Contours, S. 118–130. Romesh Dutt  : The Economic History of India in the Victorian Age, Bd. 1–2, London (1906) (Routledge & Keegan), Reprint ohne Jahr, Zitat Bd. 2, S. Vii. 169 Ferguson  : Empire, S. 141.

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wich von der Politik der EIC, sich nicht in religiöse Riten einzumischen, ab und verbot Sati, ohne allerdings die Fürsorge für nun überlebende Witwen zu regeln. Die EIC unterdrückte das Banden- und Räuberunwesen  ; 1854 wurde der Telegraf eingeführt und 1853 die erste Eisenbahn gebaut. Zusammen mit den technischen Installationen begann eine entschiedene Missionspolitik. Damit begann ein »Kampf der Kulturen«, den die EIC bis dahin zu vermeiden gesucht hatte.170 Vor allem die religiösen Differenzen führten 1857 zum Aufstand der indischen Soldaten der EIC, der »durchaus Züge eines patriotischen Kampfes gegen die Fremdherrschaft trug«171. Der Aufstand gegen die Briten wurde grausam geführt und noch ­grausamer niedergeworfen. Da Inder das Angebot der Mission, zum Christentum überzutreten, offenbar ablehnten, rief ein baptistischer Prediger in London vor 25.000 Gläubigen dazu auf, den Hinduismus nicht zu dulden  : »Dieser Glaube macht alles Böse nötig und die Moral muss ihn beenden.«172 Die Briten nahmen grausam Rache, z. B. mit der summarischen Erschießung aller Männer von Dörfern, aus denen Widerstand geleistet worden war.173 Die Londoner Regierung zog aus dem Beinahezusammenbruch der britischen Herrschaft 1858 im »India Act« die Konsequenz, die EIC auf zu lösen und für Indien ein eigenes Ministerium in London zu gründen. 1876 nahm Königin Victoria den Titel »Kaiserin von Indien« an. Das Kaiserreich vereinte die direkt britischen Territorien mit jenen der etwa 500 Fürsten. Den symbolischen Höhepunkt der kaiserlichen Herrschaft bildeten die »Hoftage« 1902/03 und 1911/12. Zum Empfang des britischen Königspaares 1911 und zur Kaiserkrönung wurde außerdem in Bombay das monumentale, an die klassischen Triumphtore von Rom bis Paris und Berlin erinnernde »Gateway to India« errichtet.174 Die Krone wurde in Indien von Vizekönigen vertreten, der bekannteste, Lord Curzon (1899–1905), erwartete von den Fürsten Beteiligung an der Repräsentation, ohne politische Mitsprache zu akzeptieren. Das Kaiserreich Indien wurde also von Briten regiert. Aber »wie in aller Welt haben 900 britische Beamte des Indian Civil Service (ICS) und 70.000 britische Soldaten es geschafft, über 250 Millionen Inder zu regieren«  ?175 Selbst, wenn man die bis zu 300.000 Angloinder176 hinzurechnet, bleibt das Zahlenverhältnis erdrückend. Selbstverständlich 170 Ferguson  : Empire, S. 113–153. 171 Mann  : Indien, S. 102, insgesamt S. 100–104 mit Abbildungen des Zufluchtsorts der Briten in Lucknow, um den besonders erbittert gekämpft wurde. 172 Ferguson  : Empire, S. 151. 173 Mann  : Indien, S. 102, Paxman  : Empire, S. 95 ff. 174 Mann  : Indien, S. 79–84  ; Leonhard/Hirschhausen  : Pomp, S. 23–30. 175 Ferguson  : Empire, S. 163. 176 Paxman  : Empire, S. 127–143  ; Kinder aus Verbindungen zwischen Briten und Inderinnen.

Imperien als Mitglieder Indien unter des Weltsystems den Briten  | 

AFGHANISTAN PERSIEN

Lahore

CHINA TIBET

Simla

NE

Delhi

Britisches Interessensgebiet

PAL

Karatschi

Calcutta

OMAN

BURMA

von Indien aus verwaltet [bis 1937] Rangun

Bombay

Karte 11: Kaiserrreich Indien, 1913

Pune

Britisch

Madras

abhängige Staaten Außengrenzen Binnengrenzen Stützpunkte anderer Mächte

Ceylon

britische Kolonie

Colombo

500 km © Entwurf: Hans-Heinrich Nolte Kartographie: Florian Partl

war es nur möglich durch Kooperationen  – nicht nur mit den Fürsten, sondern mit indischen Beamten, Eisenbahnangestellten, Soldaten etc. In der Zusammenarbeit mit Indern wuchs der Rassismus, da man die Differenzen zwischen Briten und Indern gern betonte, wobei Verhältnisse von Indern mit »weißen« Frauen besonders sanktioniert wurden.177 Der reale Absolutismus der kaiserlichen Regierung unter Londoner Kontrolle bedeutete de facto eine koloniale Regierung. London wahrte aber den Eindruck, dass ein Übergang zu parlamentarischen Verhältnissen in Indien geplant sei.178 1885 wurde in Pune der Indian National Congress gegründet – mit Billigung des Vizekönigs. Der Kongress wandte sich gegen »unbritische Praktiken« in Indien wie Diskriminierung von Indern.179 Immer wieder wurden Pläne für eine Reform vorgelegt, die eine Repräsentation der indischen Oberschichten ermöglicht hätten, aber nicht realisiert  ; von Vizekönig Lord Minto mit dem aus der Geschichte des britischen Parlamentarismus stammenden Verständnis, dass Übergänge nur schrittweise erfolgen sollten  : 177 Regina Runge-Beneke  : Indien in britischen Augen, Göttingen 1996 (Musterschmidt). 178 Vgl. zur anderen Seite Ramesh Chandra Majumdar  : History of the Freedom Movement in India, Vol. 1–3, Calcutta 1962–1963. 179 Vgl. P. D. Kaushik  : The Congress Ideology and Programme, Bombay u.a. 1964.

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|  Imperien als Mitglieder des Weltsystems Die Kongressführer möchten oben anfangen. Sie wollen Macht, die für sie vorbereitet ist. Wir müssen aber daran denken, dass unser eigenes Volk zuhaus seit Jahrhunderten für die Idee konstitutioneller Regierung erzogen worden ist, und nur mit langsamen Schritten der Repräsentation der Allgemeinheit nahe gekommen ist, die heute vorhanden ist. Hier ist alles anders. Seit ewigen Zeiten gab es hier Herrschaft von Diktatoren, und wir müssen uns sehr hüten, eine moderne politische Maschinerie einem Volk aufzuzwingen, das für sie völlig unvorbereitet ist […].180

Dabei spielte die britische Herrschaft auf dem Instrument der Teilung der entlang der vielen religiösen und ethnischen communities von Indien. Als Soldaten wurden Männer aus dem Himalajagebiet (Gurkhas) und Sikhs bevorzugt. 1905 teilte Lord Curzon Bengalen in einen überwiegend muslimischen und einen überwiegend hinduistischen Teil. Das sollte die bengalische Nationalbewegung schwächen. Eine Widerstandsbewegung rief zu Svadeshi auf  : zu Warenboykotten, zu Attentaten und zu demonstrativem Verbrennen britischer Textilien. Mehrere Bombenanschläge und 64 terroristische Morde wurden verübt, ein Attentat auf den Vizekönig misslang knapp. Ramesh Majumdar schreibt vom »Kult der Bombe«.181 Auf der anderen Seite gründeten die Muslime eine eigene »Liga«, welche – gegen das Konzept einer nationalen Einheit Bengalens – die Teilung der Sitze in den Provinzgremien nach Religionsgruppen forderte und durchsetzte. 1911 wurde die Teilung der Provinz Bengalen rückgängig gemacht, was wiederum zur Entfremdung der Muslime führte. Auf die Teilnahme der vom Kaiserreich bezahlten, von britischen Offizieren befehligten Armee am Ersten Weltkrieg – bis 1914 die größte Landarmee des Empire – folgte in der Tat eine erste Verfassung für Indien, die eine britische Zentralregierung ohne Parlament vorsah, aber auch Provinzregierungen mit einem nach Listen in den communities gewählten Parlament, das aber nur für wenige Ressorts zuständig war. Gegen diese erneute Verweigerung effektiver Selbstbestimmung gab es viele Demonstrationen. Eine von ihnen am 13. April 1919 auf dem Jallianwalla Bagh, einem Platz in Amritsar, löste der befehlshabende britische General mit einem Massaker auf. Es gab auch nach der offiziellen Statistik 379 Tote, und der General bedauerte öffentlich, nicht mehr Soldaten zur Stelle gehabt zu haben – der moralische Effekt wäre bei mehr Toten noch größer gewesen, meinte er.182

180 Vizekönig Lord Minto an John Morley, in  : C. H. Philips (Hg.)  : Select Documents, a.a.O., S. 77. 181 Majumdar, a.a.O., Vol. 2, S. 298, Zitat S. 268. 182 Philips  : Select Documents IV, S. 210–215.

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Diesem Staatsterrorismus, der leicht den Übergang der indischen Nationalbewegung in einen terroristischen Unabhängigkeitskampf nach bengalischem Beispiel zur Folge hätte haben können, setzte Mohandas Gandhi das Konzept gewaltlosen Widerstands und der Nichtzusammenarbeit mit der Regierung entgegen.183 Er begründete ihn als »Festhalten an der Wahrheit« – Satyagraha  :184 Die Wurzelbedeutung ist Festhalten an der Wahrheit, daher Wahrheitskraft. Ich habe es auch Liebeskraft oder Seelenkraft genannt. Während der Anwendung von Satyagraha habe ich sehr früh entdeckt, dass die Nachfolge der Wahrheit nicht zulässt, dass Gewalt gegen den Gegner angewandt wird, sondern dass sein Irrtum ihm mit Geduld und Sympathie abgewöhnt werden muss. Denn was dem einen als Wahrheit erscheint, mag dem andern Irrtum scheinen. Geduld aber bedeutet Selbstleiden […].

1922 brach Gandhi die Nichtzusammenarbeit nach einem Massaker an Polizisten ab und kam in Haft. 1928 erklärte der Kongress sich mit einem Dominion-Status für Indien einverstanden, der Verfassungsentwurf scheiterte aber am Widerstand der Muslimliga. In Reaktion darauf forderte der Kongress 1929 die Unabhängigkeit und leistete einen Eid.185 183 Nolte  : Ziviler Widerstand, S. 50–71  ; G. Dharampal-Frick (Hg.)  : Mahatma Gandhi  : Gewaltfreiheit, Stuttgart 2014 (Reclam 19095). Gandhi pflegte in seinem Auftreten offensichtlich den Gegensatz zu »pomp and circumstances« des britischen Kaiserreichs, vgl. Leonhard/Hirschhauen  : Pomp, S. 23–30. 184 Philips  : Select Documents, a.a.O., S. 215  ; vgl. Dharampal-Frick, a.a.O., S. 44–60. 185 Eid am Unabhängigkeitstag, 26.1.1930, ü. nach Philips (Hg.)  : Select Documents, a.a.O., S.  238 ff.: »Wir glauben, dass es das unveräußerliche Recht des Indischen Volkes so wie jedes anderen Volkes ist, frei zu sein, die Früchte seiner Arbeit zu genießen und nicht im Leben zur Not gezwungen zu werden, damit es die Möglichkeit hat, zu wachsen. Wir glauben auch, dass wenn irgendeine Regierung einem Volk diese Rechte raubt und das Volk bedrückt, das Volk das weitere Recht hat, dies zu ändern oder abzuschaffen. Die britische Regierung Indiens hat nicht nur das indische Volk seiner Freiheit beraubt, sondern gründet sich außerdem auf die Ausbeutung der Massen und hat Indien wirtschaftlich, politisch, kulturell und geistig ruiniert. Wir glauben deshalb, dass Indien die britische Verbindung lösen muss, um Purna Swaraj oder vollständige Unabhängigkeit zu erlangen. Indien ist wirtschaftlich ruiniert. Die Abgaben, die von unserem Volk eingezogen werden, sind außerhalb jeden Verhältnisses zu unserem Einkommen. Unser durchschnittliches Einkommen beträgt sieben Pice (weniger als zwei Pence) am Tag, und wir zahlen 20 % davon an der Landsteuer, die von den Bauern erhoben wird, und 3 % an der Salzsteuer, die vor allem den Armen äußerst schwer fällt. Die Dorf-Industrie, wie das Spinnen im Haus, wurde zerstört, so dass die Bauern mehr als vier Monate im Jahr keine Arbeit haben, verdummen, weil sie kein Handwerk haben, und nichts wurde an die Stelle der zerstörten Handwerke gesetzt, wie das in anderen Ländern geschehen ist. Zölle und Währung wurden mit dem Ziel manipuliert, den Bauern weitere Lasten aufzubürden. Britische Industrieprodukte bilden die Masse unserer Einfuhren. Die Zölle zeigen eine klare Parteilichkeit für britische Industriewaren, die Einnahmen daraus werden nicht genutzt, um die Last der Massen zu verringern, sondern um eine höchst extravagante Verwaltung

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Der Eid machte deutlich, dass der Kongress insgesamt am Militär als Mittel der Politik festhielt, und die Klage über die Vergeudung von Verwaltungstalent legt nahe, dass Mintos Vermutung, dem Kongress gehe es um Macht von oben, nicht aus der Luft gegriffen war. Der Eid hat offensichtliche Anklänge an die Unabhängigkeitserklärung der USA und zielte auch auf amerikanische Unterstützung. Neuerliche Aktionen gewaltlosen Widerstands wie der »Salzmarsch« 1930 waren von vornherein von amerikanischen Medien begleitet und machten das Konzept der Gewaltlosigkeit in der angelsächsischen Welt bekannt. 1931 sahen Verfassungskonferenzen für Muslime und Kastenlose eigene Wahllisten und feste Zahlen im Parlament vor, um sie vor der Übermacht der Hindus zu schützen. Gandhi drohte mit Hungertod, wenn die Kastenlosen eigene Wahllisten erhalten würden, und diese Bedingung wurde zurückgenommen  ; aber Muslim-Listen blieben. Zwar weigerten sich 1935 die Fürsten, der vorgeschlagenen Föderation mit den unmittelbar britischen Territorien beizutreten, aber 1937 trat die Verfassung ohne die Fürsten in Kraft und der Kongress gewann in sechs Provinzen die Mehrheit. Ein Schritt in Richtung auf parlamentarische Vertretung von Indern war also gemacht, als der Vizekönig 1939 ohne Beratung Indien zum kriegführenden Land erklärte. Während die Minister der Kongresspartei aus den Provinzregierungen zurücktraten, kooperierte die Muslimliga, die 1940 einen eigenen islamischen Staat forderte. Großzu unterhalten. Die Austauschrate ist sogar noch parteilicher, und sie wird eingesetzt, um Millionen aus dem Land zu ziehen. Politisch war Indiens Status noch niemals so reduziert wie unter der britischen Regierung. Reformen haben dem Volk keine wirkliche Macht gegeben. Auch die größten unter uns müssen sich vor fremder Autorität verbeugen. Die Rechte auf freie Meinungsäußerung und freie Assoziation werden uns vorenthalten, und viele Landsleute sind gezwungen, im Exil im Ausland zu leben, ohne in die Heimat zurückkehren zu können. Alles Verwaltungstalent wird umgebracht, und die Massen müssen mit lächerlichen Dorfstellungen oder Angestelltenaufgaben zufrieden sein. In kultureller Hinsicht hat das System der Bildung uns von unseren Wurzeln gerissen und unsere Ausbildung lehrt uns, die Ketten zu lieben, die uns binden. In geistiger Hinsicht hat die zwangsweise Entwaffnung uns unmännlich gemacht und die Anwesenheit einer fremden Besatzungs-Armee, die mit tödlicher Sicherheit eingesetzt wird, um unseren Widerstandsgeist zu zerstören, lässt uns denken, dass wir nicht für uns selbst sorgen können und uns gegen Angriffe von außen nicht verteidigen können, ja nicht einmal unsere Häuser und Familien gegen Angriffe von Dieben, Räubern und Unholden. Wir halten es für ein Verbrechen gegen Mensch und Gott, uns länger einer Herrschaft zu unterwerfen, das diese vierfältige Katastrophe über unser Land gebracht hat. Wir erkennen aber an, dass der effektivste Weg, um unsere Freiheit zu erlangen, nicht über Gewalt führt. Wir werden uns deshalb darauf vorbereiten, uns von allen freiwilligen Verbindungen mit der britischen Regierung zurück zu ziehen und werden uns für zivilen Ungehorsam vorbereiten, einschließlich des Boykotts der Steuern. Wir sind überzeugt, dass wir, wenn wir unsere freiwillige Hilfe zurückziehen und keine Steuern zahlen ohne in Gewalt zu fallen, selbst wenn wir provoziert werden, das Ende dieser unmenschlichen Regierung herbeiführen. Wir entschließen uns deshalb hiermit feierlich, die zu gegebener Zeit mit dem Ziel der Durchsetzung der völligen Freiheit gegebenen Instruktionen des Kongresses auszuführen.«

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britannien bot nun einen Dominion-Status an  ; der Kongress entschied sich jedoch für eine neue Bewegung zivilen Ungehorsams  : »Quit India«. Nach dem Scheitern von Gesprächen wurden führende Kongressmitglieder verhaftet und kamen in ein Gefangenenlager. 1947 wurde Indien unabhängig, zugleich aber in einen muslimischen Staat und eine säkulare Union gespalten  : Pakistan und die Indische Union. Etwa zehn Millionen Menschen wurden vertrieben, Hindus und Sikhs aus Pakistan und Muslime aus der Union  ; über eine Million starben oder wurden umgebracht.186 Unter den Unsicherheiten während der Vertreibung und der lokalen Gewalt litten besonders indische Frauen.187 Tabelle 7 1999a

Indien

Pakistan

Bangladesch

3.287.263 km²

796.095 km²

147.570 km²

Bevölkerung (1996)

945.121.000

133.510.000

121.671.000

Bevölkerungsdichte

288 je km²

168 je km²

825 je km²

Territorium

BSP (1996) je E.

380 $

480 $

260 $

80,3 %



12 %

Muslime

11 %

fast 100 %

87 % (1992)

Christen

2,4 %





1,8 % (1990–96)

2,9 %

1,6 %

48 % (1995)

62 %

62 %

Hindus

Bevölkerungswachstum Analphabeten

a Nachweise Fischer Weltalmanach 1999.

Die mächtigeren Fürsten hatten das Recht, sich für einen der beiden Staaten zu entscheiden, aber der muslimische Nizam von Haiderabad im Süden mit hinduistischer Mehrheit wurde 1948 durch Einmarsch indischer Truppen zum Beitritt zur Union gezwungen. Der hinduistische Maharadscha von Kaschmir, das eine muslimische Mehrheit hat, trat der Union bei  : Pakistanische Truppen besetzten die Randgebiete und Kaschmir wurde geteilt. Nach der Unabhängigkeit Ostpakistans 1970 war das Imperium in drei Staaten aufgeteilt  : 1. Indien, eine säkulare Republik mit einem Zweikammersystem, die aus Bundesstaaten und Territorien besteht. Die offizielle Sprache ist Hindi, aber Englisch ist gleich186 Mann  : Indien, a.a.O., S. 120. 187 Gyanendra Pandey  : Der Platz der Frau im Niemandsland der Gewalt, in  : ZWG 13.1 (2012), S. 41–50.

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berechtigt. Daneben sind 17 Regionalsprachen Amtssprachen. Der Nationalkongress erreicht bei ersten Wahlen 1951 eine Zweidrittelmehrheit und diese wählt Jawaharlal Nehru zum Präsidenten. 2. Pakistan, eine muslimische Republik. Das Kürzel ist aus Punjab, Afghanen-Provinz, Kaschmir, Sind und Belutschistan gebildet, heißt auf Urdu, der Staatssprache, zugleich Land der Reinen. 3. Ostbengalen gehörte anfangs zu Pakistan, machte sich 1970 aber als Bangladesch selbstständig, Staatssprache ist Bengali. Neben der religiösen ist auch die sprachliche Vielfalt auf dem indischen Subkontinent beeindruckend. Unter den 20 Sprachen mit den meisten Sprechern (Muttersprache plus Verkehrssprache) auf der Welt waren 2005 sechs auf dem indischen Subkontinent beheimatet  : Hindi mit 487 Millionen Sprechern, Bengali mit 211, Urdu mit 104, Telugu mit 75, Tamil mit 74 und Marathisch mit 71 Millionen.188 Eindrucksvoll ist weiter, dass die Indische Union seit den 1990er Jahren trotz der andauernden Gegnerschaft von dem durch die USA geförderten Pakistan zu einer jener im 21. Jh. aufstrebenden Mächte geworden ist, die oft als BRICS zusammengefasst werden.189 Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 1,9 Billionen US-Dollar liegt Indien 2015 in derselben Größenordnung wie Russland (2,1) bzw. Brasilien (2,3) und nicht weit hinter Deutschland (2,7), auch wenn das Einkommen pro Kopf mit 1,7 Tausend Dollar noch weit hinter Russland mit 13,8, Brasilien mit 11,7 und Deutschland mit 46,1 Tausend Dollar liegt.190 Arbeitsansätze

Quellenkunde und Historiografie Zu den Quellenarten, die oben s. S. 212 f. skizziert wurden, kommen unter britischer Herrschaft eine Vielzahl von Akten in indischen und britischen Archiven, Statistiken und Reiseberichte und zunehmend auch journalistische Texte hinzu. Die Vielfalt der Sprachen und Schriften erfordert die Kooperation über kulturelle, religiöse und staatliche Grenzen hinweg. Der bengalische Hindu Romesh Chandra Dutt hat in seiner Wirtschaftsgeschichte Indiens am Anfang des 20. Jh. nicht nur die Hungersnöte des 19. Jh. mit 15 Millionen 188 Nicholas Ostler  : Empires of the Word, New York 2005, S. 526. 189 Dietmar Rothermund  : India. The Rise of an Asian Giant, New Haven 2008 (Yale UP)  ; Harald Müller  : Weltmacht Indien, Frankfurt 2006 (Fischer). 190 Arnold Heitzig  : Die BRICS – Zukunfts- oder Auslaufmodell der Weltwirtschaft  ?, ZWG 17.2. (2016).

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Toten auf die britische Herrschaft zurückgeführt, sondern auch die Grundtatsache, dass »die Quellen des nationalen Wohlstands in Indien unter britischer Herrschaft gemindert wurden«. Das indische Gewerbe wurde ruiniert, indem englisches Tuch zollfrei eingeführt wurde, indisches in England aber mit prohibitiven Zöllen aus dem Markt gedrängt wurde, indem die Landsteuer, die in England bei 5–20 % des Pachtwerts lag, in Bengalen auf 90, in Nord-Indien auf 80 % festgelegt wurde, indem die Steuereinnahmen nicht in Indien, sondern in England ausgegeben wurden, indem Indien das Kapital der EIC bei deren Auflösung 1858 als Staatsschuld aufbringen musste – wobei diese bis 1862 auf 97 und bis 1901 auf 200 Millionen Pfund erhöht wurden, indem nicht nur die Gehälter der britischen Soldaten in Indien zu zahlen waren, sondern auch die Pensionen derselben nach England, sodass mit anderen Zahlungen die Hälfte der 44 Millionen Pfund, die das Kaiserreichs 1901 einnahm, außer Landes gingen. Dutt bezieht sich auf den britischen Liberalen John Stuart Mill und fasst zusammen  :191 Die Geschichte kennt nicht einen einzigen Fall in dem ein Volk ein anderes im Interesse der Unterworfenen regiert. Die Menschheit hat bis jetzt keine Methode erfunden, die Interessen der unterworfenen Nation zu sichern, ohne dieser Nation in der Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten eine Stimme zu geben. Und was mehr bedeutet  : solch eine exklusive und absolute Herrschaft nutzt nicht einmal der herrschenden Nation [da ein florierendes Indien ein viel besserer Markt für britische Waren wäre].

Jawaharlal Nehru ging es, 1944 im britischen Gefangenenlager, nicht zuletzt um die Frage, ob Indien einen eigenen Weg zum industriellen Kapitalismus gefunden hätte  :192 Die Wirtschaft Indiens hatte einen so hohen Entwicklungsstand erreicht, wie es vor der industriellen Revolution überhaupt möglich war. Ob sie die Keime für die Weiterentwicklung in sich trug oder sie allzu sehr an die starre Gesellschaftsstruktur gefesselt war, lässt sich schwer sagen. Es scheint jedoch durchaus möglich zu sein, daß sie unter normalen Verhältnissen diesen Wechsel vollzogen und sich auf eigenen Wegen den neuen industriellen Verhältnissen angepasst haben würde […].

Dass die Territorialherrschaft der EIC in Bengalen, die »bengalische Beute« und die Bezahlung der Exporte Indiens aus den eigenen Steuern sowohl den ökonomischen

191 Romesh Dutt  : The Economic History of India, 2 Bde. ²L 1906, Zitat Bd. 1, S. XVIII (Routledge & Kegan). 192 Nehru  : Indien, S. 368–393, Zitat S. 369.

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Niedergang Indiens als auch die Industriellen Revolution in England gefördert hat,193 erscheint mir als schlüssig. Beide Konzepte beziehen sich allerdings auf eurozentrische Positionen des 19. Jh. – die von Adam Smith vertretene Vorstellung, dass Handel nur dann für beide Seiten günstig ist, wenn keine Monopolbildung vorliegt, und das von Karl Marx entwickelte Konzept der ursprünglichen Akkumulation als Voraussetzung des Kapitals für die Errichtung der Industrie. In der aktuellen Diskussion geht mehr um entanglements, um Wechselbeziehungen, in welchen die Aktionen der Unterlegenen besser deutlich werden können. Die neuere indische oder mit Indien verbundene Geschichtsschreibung trägt vielfältig zu diesem Ansatz bei. Globale Wirkung haben (mindestens) zwei Konzepte  : Zum einen Gayatri Charkravorty Spivaks 1988 gestellte hintergründige Frage, ob die Subalternen sprechen können.194 Spivak wirft dem westlichen Diskurs epistemologische Gewalt vor und attackiert »das von Ferne orchestrierte, weit angelegte und heterogene Projekt, das koloniale Subjekt als ›das Andere‹ zu konstituieren«.195 Auch wenn Partha Chatterjee zugibt, dass die archivalische Arbeit seitdem wenig subalterne Rede zugänglich gemacht hat,196 bleibt doch der Einwand, dass auch Quellen von Herrschenden aus der vorkolonialen Periode durch die Arbeiten der westlichen Wissenschaft nicht leichter, sondern schwerer verständlich geworden sind. Zum anderen wurde Dipesh Chakrabartys Aufforderung, Europa solle sich als eine Provinz der Welt auffassen, weithin übernommen.197 Soziale Einheiten und Ökonomie Ökonomische Grundlage war in der gesamten Periode die Landwirtschaft, die zwar auf einigen Plantagen bestimmte Produkte wie Tee, Weizen, Reis und Jute oder auch Opium für den Export neu einführte, im Wesentlichen aber bäuerlichen Mustern der Produktion folgte, die regional sehr unterschiedlich waren.198 Entscheidend für die Produktivität war durchwegs die Wasserversorgung  ; Brunnen und Bewässerungssysteme, wie sie im Punjab eingerichtet wurden, hatten deshalb große Wirkung. Vom letzten Viertel des 19. Jh. an bis 1946 nahm die Kommerzialisierung der Landwirtschaft zu, allerdings 193 Klassisch Dutt, vgl. auch oben, S. 310 f. 194 Gayatri Chakravorty Spivak  : Can the Subaltern speak  ?, Neudruck in  : Richard C. Morris (Hg.)  : Can the Subaltern speak  ? Reflections on the History of an Idea  ?, New York 2010 (Columbia UP), S. 237– 291. 195 Ebda., S. 249. 196 Partha Chatterjee  : A Brief History of Subaltern Studies, in  : Budde/Conrad, S. 94–104  ; Partha Chatterjee  : Reflections on ›Can the Subaltern speak‹, in  : Morris, a.a.O., S. 81–86. 197 Dipesh Chakrabarty  : Europa provinzialisieren, ü., in  : Conrad/Randeiria, S. 283–312. 198 Eine nach Regionen gegliederte Übersicht bei Mann, Indien, a.a.O., S. 139–191.

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auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion. Die Bevölkerung Indiens wuchs schneller, als die landwirtschaftliche Erzeugung, die vielmehr je Kopf (in Preisen von 1938/39) zwischen 1900/01 und 1946/47 von 26,7 Rupien auf 20,7 Rupien sank, ähnlich wie das bebaute Land je Kopf zwischen 1891 und 1951 um 25 % zurückging.199 Indien litt (wie Russland) an agrarischer Überbevölkerung. Was auch immer Indien zur Industriellen Revolution beigetragen hat – die wirtschaftliche Wirkung der britischen Herrschaft für Indien wird ziemlich einstimmig negativ beurteilt, v. a. wegen des Entzugs der Mittel für den indischen Markt. Die Regierung Indiens kaufte, statt die Industrialisierung im Land zu fördern, Schienen und rollendes Material für den imposanten Ausbau des Eisenbahnnetzes in England. Die Regierung Indiens ließ britisches Tuch zollfrei importieren und erhob zeitweise besondere Abgaben von Fabriktuch in Indien.200 Trotzdem gingen Urbanisierung und Industrialisierung in Indien voran, nur eben langsam – am Anfang des 20. Jh. betrug der industrielle Sektor am BIP um 12 %.201 Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den heutigen Provinzen Mysore und Gujarat hat Kaveh Yazdani erarbeitet.202 Religionen und Ideologien Wie im Abschnitt über das Mogulreich skizziert, ist Indien die Heimat von zwei der zahlenmäßig großen Weltreligionen – Hinduismus und Buddhismus – und seit den Eroberungszügen der Araber, Mongolen, Perser und der Turkvölker auch von einer großen muslimischen Gemeinde, die unter den Hindus viel Anhang fand, weil der Islam kein Kastensystem kennt. Das Zusammenleben war stets von Auseinandersetzungen und Kriegen geprägt, die konkret aber meist zwischen Staaten ausgetragen wurden, die einer der verschiedenen Religionen nahestanden. Die britische Herrschaft hat diese Kriege pazifiziert und eine politisch erzwungene Friedfertigkeit geschaffen  ; wie haltbar die Pax Britannica sein würde, wenn keine Soldaten sie durchsetzten, konnte zweifelhaft sein. Die Briten selbst haben dann religiöse Differenz gegen die Hindu-Oberschicht als Instrument der Macht benutzt.203 Die religiösen Unterschiede wurden 1947 deswegen zum Instrument politischer Macht der muslimischen Oberschicht, sodass das Imperium nicht nach sprachlichen, sondern nach religiösen Kriterien in Nationen aufgeteilt 199 Durgaprasad Bhattacharya  : Socio-Economic Trends in India, in  : M. K. Chaudhuri (Hg.)  : Trends of Socio-Economic Change in India 1871–1961, Simla 1969, S. 17–41. 200 Vgl. etwa das Telegramm des Generalgouverneurs 1896  : Philips  : Select Documents 4, S. 605. 201 Mann  : Indien, a.a.O., S. 277–343. 202 Yazdani  : India. 203 Dietmar Rothermund  : Nationsbildung in Indien, in  : Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 11 (1963), S. 392–403  : »Dem Einheitsstreben der Nationalisten stellte die Kolonialregierung ein Mosaik der vielfältigen Interessengruppen Indiens entgegen.«

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wurde. Neben den – wenngleich am Jainismus204 ansetzenden, so doch im Kern neuen – religiösen Positionen Gandhis entsteht, z. B. bei Nehru, ein skeptischer Laizismus.205 Außenbeziehungen Indien hatte keine Möglichkeiten zu einer eigenen Außenpolitik, auch wenn Interessen des Landes für Großbritannien eine große Rolle spielten, z. B. im »Great Game« mit Russland um die Kontrolle des Raums zwischen den beiden Kaiserreichen. Indische Intellektuelle nahmen aber an den weltweiten Diskussionen des 19. Jh. teil, und einige – wie Gandhi – brachten fundamentale Argumente in diese Debatten ein. Im Außenhandel wurde Indien nicht nur gegenüber Großbritannien auf den Status eines Exporteurs von Rohstoffen reduziert. Das Opium, für dessen Absatz Großbritannien Kriege gegen China führte, stammte aus Bengalen. Indien wurde jedoch nicht zum wichtigsten Exporteur von Baumwolle für die englische Textilindustrie, da die indischen Sorten für Fabrikverarbeitung weniger brauchbar waren als die amerikanischen und ägyptischen  ; allerdings hat Japan nach dem Ersten Weltkrieg den entsprechend billigeren indischen Rohstoff benutzt, um mit preiswerterem Tuch auf dem Weltmarkt zu konkurrieren. Indien war politisch eine koloniale Diktatur von Briten, die den eroberten Territorien ihre militärische Stärke gezeigt hatten, aber sich auch den noch bestehenden absolutistischen Fürstentümern im Lande weit überlegen fühlten, weil sie Christen waren, eine europäische Bildung besaßen und über die mit Abstand besten Waffen verfügten. Oft wurde nach der Mitte des Jahrhunderts das Überlegenheitsgefühl rassistisch geformt. Pläne, die indische Oberschicht an der Macht zu beteiligen, erreichten nur auf Provinzebene eine eingeschränkte Realisierung. Die Legitimation der EIC war die jeder Aktiengesellschaft  – Gewinne zu machen. Angefochten wurde diese Legitimation von den Liberalen wie Smith, die forderten, dass die Gewinne aus Indienhandel und Indienbesitz zum besten der britischen Nation allen Kaufleuten offenstehen sollten (auch den Schotten). Nach der Übernahme Indiens durch den britischen Staat und der Gründung des Kaiserreichs war die erste Legitimation ein christliches, nicht nur puritanisches, sondern auch methodistisches Sendungsbewusstsein  : den Hindus beibringen, wie ein ordentliches Volk lebt.206 Vom letzten Viertel des Jahrhunderts an überwogen rassistische Be-

204 Antes Religionsgeschichte, S. 70 f.; Nolte  : Ziviler Widerstand, S. 17 f. 205 Vgl. Nehru  : Entdeckung, a.a.O., S. 90. 206 Paxman  : Empire zitiert S. 113 John Milton 1645  : »Let not England forget her precedence of teaching nations how to live.”

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gründungen auch in Indien selbst  – Rudyard Kiplings »For East is East and West is West« oder »The White Man’s Burden«.207 Von den acht Typisierungen von Legitimation, die Leonhard für Imperien im 19. Jh. vorschlägt,208 treffen auf Indien nur zwei zu  : Das Imperium Indien war in der Tat eine Zivilisationsmaschine und es sorgte für Pazifizierung. Aber weder konnte das Empire sich auf lange Dauer berufen noch die Dynastie sich auf Sakralität  ; weder war es ein Glaubensraum noch ein Wirtschaftsraum – im Gegenteil, London hinderte eine Förderung indischer Autarkie. Es war unmöglich, dieses multiethnische Imperium zu nationalisieren, obgleich der Nationalkongress ja so etwas vorschlug. Und die Art, in der die Briten den Aufstand von 1857 niedergeworfen hatten, machte es auch unmöglich, sich auf besondere Effizienz im Militär zu berufen. Kriterienkatalog

1. Die Dynastie waren 1878–1947 die in England residierenden englischen Könige aus dem Haus Hannover/Sachsen-Coburg/Windsor. Für die Krönungen der britischen Könige als Kaiser Indiens wurden jeweils eigene Kronen angefertigt.209 2. Trotz mancher Bevorzugung der Anglican High Church gab es im Kaiserreich keine Staatsreligion. 3. In der herrschenden britischen Elite war die jeweilige Phase der englischen Kultur bestimmende Kultur. Unter den Indern bestanden die alten Hochkulturen fort und entwickelten sich ihrerseits weiter. 4. Der Indian Civil Service lenkte 1866/67 mit ca. 900 Angestellten lokale indische Bürokratien mit 13.000 anderen sowohl englischen als auch indischen Angestellten der öffentlichen Hand und weiteren 4.000 Indern in unteren Tätigkeiten (wie etwa Fahrkartenverkäufer).210 5. Die englische Aristokratie hatte die besten Chancen, Positionen im Kaiserreich zu erlangen. Der alte hinduistische und muslimische Adel lebte in der Regel vom ererbten Besitz und Privilegien, wurde aber in die Repräsentation des Imperiums einbezogen.

207 Ferguson  : Empire, S. 197–205. 208 Leonhard, in  : Münkler/Hausteiner, S. 70–93. 209 Die verwendeten Kronen sind bei Heide Rohloff (Hg.)  : A Royal Millennium, Hannover 1997 (Congress Centrum), S. 57–59 abgebildet. Die 1911 für Königin Mary gefertigte Krone war vermutlich die wertvollste Krone der Welt, da sie einige der größten damals bekannten Diamanten enthielt, darunter den indischen Kohinoor mit 106 Karat. Für die Krönung von Königin Elisabeth, der Gattin von George VI., 1937 wurde sie etwas umgearbeitet. 210 Ferguson  : Empire, S. 189.

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6. 1881 unterhielt das Kaiserreich Indien 194.600 Mann, von denen 69.600 in rein britischen Einheiten dienen – und alle unter britischen Offizieren.211 Von den 8,5 Millionen Soldaten, die im Ersten Weltkrieg auf der Seite Großbritanniens kämpften, wurden 1,4 Millionen von Indien bezahlt.212 Da Großbritannien über jeden Einsatz bestimmte, war die kaiserliche Armee ein Machtmittel in der Hand der Londoner Regierung. 7. Die wichtigste Steuer war die Landsteuer, die nach Dutt 1901 44 Millionen Pfund ausmachte.213 8. Das sozialökonomische Gefälle zwischen den Teilen Indiens, etwa dem Gewerbegebiet von Bengalen und den Wäldern Orissas, war groß. Da die Regierung absolutistisch war, waren politische Entscheidungen jedoch nicht von Bevorzugung oder Benachteiligung in Parlamenten abhängig. 9. Die Grenzen im Himalaja, besonders in Assam, waren oft eher Grenzsäume. Die Grenzen gegen Afghanistan bzw. Persien wurden militärisch festgelegt und waren deshalb an den strategischen Punkten präzis, in Steppe, Wüste und Hochgebirge jedoch ebenfalls oft nur Grenzsäume. 10. Die EIC war am Anfang des 19. Jh., als sie das wollte, nicht in der Lage, christliche Mission durchzusetzen, und das Kaiserreich verzichtete auf solche Versuche. Das Landbesitzsystem und das Bildungssystem wurden jedoch tiefgreifend geändert. 11. Bei aller Kritik an Großbritannien erkannte Romesh Dutt es als eine ihrer wichtigen Leistungen an, als »greatest human blessing« Frieden gebracht zu haben.214 Die »Pax Britannica«, das Ende der vielen Kriege zwischen den indischen Fürsten und der durch Räuberbanden entstandenen Unsicherheit, legitimierte die britische Herrschaft. 12. Sowohl für Muslime als auch für Hindus befanden sich die Stämme Indiens215 als Heiden außerhalb der Kultur. Für die englischen Herren waren die Kulturen der Hindu und Muslime bis zur Mitte des 19. Jh. durchaus anerkannt  ; in der zweiten Hälfte sah man sie jedoch meist als weniger zivilisiert und der Entwicklung bedürftig an.

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Ferguson  : Empire, S. 171. Paxman  : Empire, S. 220. Dutt, a. a. O., S. XVIII. Dutt, a.a.O., S. VII. In Indien gab und gibt es Stämme, die nicht in die jeweiligen Staaten integriert sind, zu keiner der Weltreligionen gehören und z.T. auch Sprachen aus anderen Sprachfamilien reden, austroindonesische in Orissa und sinotibetische an den Abhängen des Himalaja.

Gegenbewegung

Aufstand der Nationen? Aufstieg des Nationalstaats

Das 19. ist das Jahrhundert des europäischen Imperialismus. Der Osten Europas wurde schon seit dem 18. Jh. von einem Imperium regiert, und im 19. Jh. folgten Österreich und Deutschland  ; alle drei im Rahmen des Europäischen Weltsystems gebildet und Mitglieder im Konzert der Mächte.1 Imperialismus meint aber, dass die westeuropäischen Nationen im 19. Jh. ihre Kolonien über den gesamten Globus ausbreiten. Von Belgien bis Spanien, von den Niederlanden bis Dänemark erwerben die europäischen Nationen Kolonien und für das gesamte System wird der Begriff Imperialismus gängig. Mit Dampfschiffen und Eisenbahnen fördert die Verkehrsrevolution diese Ausbreitung der europäischen Mächte. In Europa wollen die neuen Nationen den Vorlauf Englands und nun auch Frankreichs aufholen und den »modernen Nationalstaat« schaffen – der möglichst schnell zugleich imperial sein soll. Aber mit der Gründung der deutschen und italienischen, griechischen und serbischen Nationalstaaten zeigt sich auch die gegenläufige Tendenz, kleinere politische Einheiten zu schaffen. In Lateinamerika siegen die Nationalstaaten schon am Anfang des 19. Jh. über das Spanische Imperium. Der Kampf der Griechen und dann der anderen südosteuropäischen Völker gegen das Osmanische Imperium begleitet das Jahrhundert genauso wie der Kampf Polens gegen Russland. Zeitweise versuchen die Imperien, auf der nationalen Welle mitzureiten.2 Damit treten neue Differenzierungen neben die tradierten Unterschiede zwischen den Ständen oder den Territorien in »zusammengesetzen« Königreichen und Imperien. Aus autonomen Gebieten werden innere Peripherien,3 aus kooptierten adligen Gruppen Vertreter nationaler Minderheiten.4 Die geläufige Unterscheidung »die da oben, wir da unten« wird in neue Formen gebracht, neue Facetten werden eingeführt.5

1 Osterhammel  : Verwandlung S. 565 – 673  ; H.-H. Nolte  : Die letzte Chance der Imperien, in  : Michael Mann (Hg.)  : Die Welt im 19. Jahrhundert, Wien 2009 = Feldbauer/Hausberger Bd. 6, S. 244–276. 2 Vgl. die Beiträge zu Berger/Miller. 3 Vgl. Innere Peripherien 1 – 3, ein klassisches Beispiel ist Wales, vgl. Hechter Colonialism. 4 Ein klassisches Beispiel bietet der baltendeutsche Adel., vgl. Gert von Pistohlkors Hg.: Deusche Geschichte im Osten Europas, Die baltischen Länder, B 1994 (Siedler). 5 Bourdieu  : Unterschiede.

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Für Deutschland und Italien geht die Nationsbildung jener der jeweiligen Imperien voraus, sie bestätigen das britische Modell der Trennung zwischen Nation und Kolonien. Der Hiatus legt den Wandel von die Menschheit umfassenden, humanistischen zu rassistischen Konzepten nahe, die es zu erlauben scheinen, für die eigene Nation mehr Gleichberechtigung zu fordern und für die andere Untertänigkeit, weil sie für naturgegeben weniger fähig gehalten wird. Die Verbindung von Rassismus und Nationalstaat wird von dem amerikanischen Gelehrten Cary Coolidge vorgeführt, der die konkurrierenden Nationen nach ihrem Anteil von »Kaukasiern« an ihrer Bevölkerung misst.6 Rassismus wurde zu einem ständigen Teil der modernen Nationen, keineswegs nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern und den USA.7 Was ist eine Nation  ? Das ist zuerst einmal eine Frage zur europäischen Geistesgeschichte.8 Nach der Französischen Revolution mit ihrer plakativen Inanspruchnahme universeller Aufklärung und der anschließenden französischen Expansion wurde Nationalismus, wie Isaiah Berlin schreibt, zur Fahne der Reaktion, zur […] Ideologie des Organizismus, der nationalen Treue, des Volkes als des wahren Trägers der nationalen Werte‹, die Ideologie von Integralismus, historischer Verwurzelung, ›la terre et les morts‹ und nationalem Willen9.

Das Verhältnis zwischen Nation und Sprache wurde aber auch von der Seite der kämpferischen Aufklärung her geändert, v. a. durch die Forderung nach Homogenisierung.10   6 Archibald Cary Coolidge  : The United States as a World Power, London 1908  : stellt S.  7 ff. »Weltmächte« vor – »was meint  : Mächte die direkt oder indirekt in allen Teilen der Welt interessiert sind und auf deren Stimmen man überall hören muss. Der Terminus ist wissenschaftlich präzis, da jede dieser so genannten Weltmächte Sphären hat, die lebenswichtig für sie sind, aber auch andere, in denen diese verhältnismäßig klein sind …« [ Japan sei noch nicht global, also sind es de facto fünf ], »alle beherrscht von Völkern europäischen Bluts« (S. 8). Coolidge stellt diese jeweils nach Territorium, Ökonomie und Rassenverhältnissen einschließlich ihrer Kolonien vor. Großbritannien habe 400 Mio. Einwohner, von denen aber weniger als 60 weiß sind  ; Russland hat 150 Millionen, von denen sind 125 »arischer oder semitischer Herkunft – eine größere weiße Bevölkerung, als in jedem anderen Land  ; aber … insgesamt zurück geblieben«  ; Frankreich hat 95 Millionen, von denen aber nicht ganz 40 Mio. weiß sind  ; die USA haben 93 Millionen, von denen 75 Millionen weiß sind und Deutschland hat 75 Millionen, von denen sind 60 Mio. weiß. Diese 5 Mächte, so Coolidge, werden das 20. Jh. bestimmen.   7 Boatcă  : Inequalities  ; Treitler/Boatcă  ; vgl. auch den Review H.-H. Nolte  : Ungleichheiten, erscheint in ZWG 18.2 (2017).   8 Vgl. Koselleck  : Volk, Deutsch  : Nationenbildung  ; Etienne Balibar, Immanuel Wallerstein  : Rasse, Klasse, Nation, ü. B 1990 (Argument-Verlag)  ; Gellner  : Nationalismus  ; Anderson  : Nation  ; Brubaker  : Difference.   9 Isaiah Berlin  : Der Nationalismus, [1972] ü. F ²1990, S. 54. 10 Erste Literatur  : Liah Greenfeld  : Nationalism in Western and Eastern Europe Compared, in  : S.  Han-

Aufstand Gegenbewegung der Nationen?  | 

In der Französischen Revolution, in welcher royalistischer Widerstand insbesondere von den Peripherien ausging, forderte Bertrand Barère 1794 die Abschaffung der regionalen Sprachen, weil sie die Konterrevolution förderten.11 Aber die Provinzen mit nichtfranzösischen Mehrheiten blieben 1815 beim Königreich, und umgekehrt forderte Frankreich nicht die Annexion von Genf oder Savoyen. Die beiden Imperien bestimmten im Bündnis mit Preußen und England die universalistisch argumentierende Politik der Mächte. Aber die Kritik von Heinz Duchhardt an den Regelungen des Wiener Kongresses überzeugt  :12 dass den Architekten der Kongressakte die nationalen und liberalen Unterströmungen des Zeitalters so völlig vernachlässigenswert geblieben waren und man den Kontinent völlig neu geschnitten hatte, ohne den ethnischen Gegebenheiten oder gewachsenen Animositäten Rechnung zu tragen […].

Der Sprachnationalismus, der von den Revolutionären in Frankreich ins Spiel gebracht worden war, erlangte für Deutschland eine gegenrevolutionäre Bedeutung.13 Ein nicht zu widerlegendes Argument gegen die Expansion Frankreichs, das zeitweise nicht nur Köln, sondern auch Hamburg annektiert hatte, war die Sprache. Gottfried Wilhelm Hegel überhöhte das Konzept nach 1815 – der Weltgeist könne nur zu sich selbst kommen über die Arbeit der Volksgeister, und ein Volk wird über die Sprache definiert.14 Von son, W. Spohn (Hg.)  : Can Europe Work  ? Seattle 1995 (Washington UP)  ; D. Langewiesche  : Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, M 2000 (Beck)  ; Scales/Zimmer  ; Leonhard/ Hirschhausen. 11 »Föderalismus und der Aberglaube sprechen bretonisch, die Emigration und der Hass auf die Republik sprechen deutsch, die Konterrevolution spricht italienisch und der Fanatismus baskisch. Zerschlagen wir diese Instrumente der Schädigung und des Irrtums  ! … Die Bürger in der Unwissenheit ihrer Volkssprache zu lassen, das heißt das Vaterland verraten … Bürger, die Sprache eines freien Volkes muss für alle die gleiche sein …« Zitiert nach Hannah Vogt (Hg.)  : Nationalismus gestern und heute, Opladen 1967 (Leske), S. 82. 12 Heinz Duchhardt  : Der Wiener Kongress, M 2013 (Beck), Zitat S. 120  ; vgl. Dieter Langewiesche  : Kongress-Europa in globalhistorischer Perspektive, in  : ZWG 16.2 (2015), S. 11–50. 13 S. u. S. 395 f. 14 Gottfried Wilhelm Hegel  : Die Vernunft in der Geschichte, Vorlesung Berlin nach 1818, publiziert aus dem Nachlass nach 1831, neu hg. Georg Lasson, Leipzig 1930, S. 39  : »Von der Weltgeschichte kann nach dieser abstrakten Bestimmung gesagt werden, daß sie die Darstellung des Geistes sei, wie er zum Wissen dessen zu kommen sich erarbeitet, was er an sich ist«, S. 42  : Der Volksgeist »allein ist es, der in allen Taten und Richtungen des Volkes sich hervortreibt, der sich zu seiner Verwirklichung, zum Selbstgenusse und Selbsterfassen bringt. Seine Entfaltung sind Religion, Wissenschaft, Künste, Schicksale, Begebenheiten … Es ist das Höchste für den Geist, sich zu wissen, sich nicht nur zur Anschauung, sondern auch zum Gedanken seiner selbst zu bringen  ; aber diese Vollbringung ist zugleich sein Untergang und dieser das Hervortreten eines anderen Stufe, eines anderen Geistes…«, S. 163  : »Ein

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Berlin aus vorgetragen war der politische Sinn klar. Er richtete sich zuerst gegen deutsche Fürsten wie die Könige von Hannover oder Bayern, die sich der Einheit entgegenstellten, konnte sich aber auch auf deutschsprachige Gebiete außerhalb des Deutschen Bunds beziehen wie das Elsass. Wichtig ist, dass nach diesem sprachnationalen Konzept nicht das Individuum entscheiden konnte, wohin es gehörte, sondern irgendein Professor einer Regierung die Vorlagen liefern konnte  ; Sprachnationalismus war also ein Machtinstrument nationalistischer Intellektueller. Nachdem jedoch 1871 das Elsass ohne Volksbefragung an das neue Deutsche Reich gebracht worden war, lehnte der französische Orientalist Ernest Renan Rasse, Sprache und Religion als Bestimmungsmerkmale ab und definierte als liberales Konzept, dass Nation »ein täglicher Plebiszit« sei.15 Renan brachte damit die mittelalterliche und westeuropäische Tradition des Partizipationsnationalismus auf eine griffige Formel, die allerdings ebenfalls weit von der politischen Realität entfernt war und z. B. aus französischer Sicht ja nicht für Algerier gelten sollte. 1920 – das Elsass gehörte wieder zu Frankreich – führte der eher konservative Marcel Mauss wieder objektivierbare Indikatoren ein, die nicht dem Votum des Individuums unterlagen – er verglich die Nation mit einem modernen Clan und die Fahne mit dem Totem.16 Man kann das Kulturnationalismus nennen. Aber trotz solcher Tendenzen blieb Frankreich eine Partizipationsnation. Um chronologisch vorzugreifen  : Es ist unübersehbar, dass der Sprachnationalismus als Teil-Ideologie des Nationalsozialismus nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa zur Katastrophe des Zweiten Weltkriegs beigetragen hat, wenn man z. B. seine Rolle bei der Legitimation für den Einmarsch in Österreich und für die Zerschlagung

Volk kann nicht mehrere Stufen durchlaufen, es kann nicht zweimal in der Weltgeschichte Epoche machen.« 15 Ernest Renan 1882, in  : Jeismann/Ritter, hier S.  390  : »eine Nation ist also eine große Solidargemeinschaft, getragen von dem Gefühl der Opfer, die man gebracht hat, und der Opfer, die man noch zu bringen gewillt ist. Sie setzt eine Vergangenheit voraus, aber trotzdem fasst sie sich in der Gegenwart zu einem greifbaren Faktum zusammen  : der Übereinkunft, dem deutlich ausgesprochenen Wunsch, das gemeinsame Leben fort zu setzen. Das Dasein einer Nation ist – erlauben Sie mir dies Bild – ein täglicher Plebiszit…« 16 Marcel Mauss, Oevres Bd. 3, hg. v. Victor Karady, Paris 1969 (Editions de Minuit), S. 573–639. »Unter einer Nation verstehen wir eine materiell und moralisch integrierte Gesellschaft, mit einer stabilen Zentralmacht, dauerhaft, mit festen Grenzen, einer ziemlichen moralischen, mentalen und kulturellen Einigkeit der Bewohner, welche bewusst zu diesem Staat und seinen Gesetzen gehören« (S. 584)… »In einer modernen Nation werden die Mitglieder individualisiert und uniformiert. Sie ist homogen wie ein primitiver Clan aber dem Anspruch nach aus gleichen Bürgern zusammengesetzt. Sie wird durch die Fahne symbolisiert, wie jener durch sein Totem  ; sie hat ihren Kultus, das Vaterland, wie jener den Kultus der Vorfahren und Tiergötter« … Die Nation »glaubt« an ihre Rasse, Sprache und Kultur (civilisation).

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der Tschechoslowakei bedenkt. Für Hitler bildete aber der Sprachnationalismus von Anfang an nur den ersten Schritt für den Imperiumsaufbau.17 Der Nationalstaat war nach 1945 nicht am Ende, wie manche glaubten, sondern musste neu definiert werden. Die bekannteste Definition stammt von dem Tschechoslowaken Karl Deutsch, der in Prag seinen Magister an der deutschen und seinen Doktor an der tschechischen Universität gemacht hatte, bevor er in die USA emigrierte. Er definierte »Volk« als Personengruppe mit »komplementären Kommunikationsgewohnheiten« und als »Nation« ein Volk, »das Kontrolle über einige Institutionen gesellschaftlichen Zwanges gewonnen hat«, und bestimmte als einen Zweck der Nation, das Wettbewerbsinteresse der eigenen Nation zu fördern.18 Ernest Gellner wies der Nation im Kapitalismus höchste Bedeutung zu, weil ihr nach der Erosion der alten Untergruppen die Aufgabe zufällt, »ehrenwerte, loyale und kompetente« Mitglieder der Gesellschaft zu formen.19 17 Adolf Hitler  : Mein Kampf, (1925) (312.–316. Auflage, München 1938), S. 1  : »Das deutsche Volk besitzt so lange kein moralisches Recht zu kolonialpolitischer Tätigkeit, solange es nicht mal seine eigenen Söhne in einem gemeinsamen Staat zu fassen vermag. Erst wenn des Reiches Grenze auch den letzten Deutschen umschließt, ohne mehr die Sicherheit seiner Ernährung bieten zu können, ersteht aus der Not des eigenen Volkes das moralische Recht zur Erwerbung fremden Grund und Bodens. Der Pflug ist dann das Schwert, und aus den Tränen des Krieges erwächst für die Nachwelt das tägliche Brot …« Vgl. unten, S. 402, 412 f. 18 Karl  W. Deutsch  : Nationenbildung  – Nationalstaat  – Integration, ü. Düsseldorf 1972 (Bertelsmann), hier aus dem Text Entwicklungsprozeß der Nationen (1951)  : S. 26 f.: »Für den Zweck unserer Untersuchung unterscheiden wir zwischen einer Gesellschaft, definiert als Personengruppe, die gelernt hat, zusammenzuarbeiten, und einer Gemeinschaft, definiert als eine Personengruppe, die fähig ist, Informationen miteinander über einen weiten Themenbereich leistungsfähig zu kommunizieren….Ähnlich können wir zwischen einem Land – … mit einem multiplen Güter- und Dienstleistungsmarkt – und einem Volk – einer Personengruppe mit komplementären Kommunikationsgewohnheiten – unterscheiden. Eine Nation ist demnach ein Volk, das Kontrolle über einige Institutionen gesellschaftlichen Zwanges gewonnen hat, was eventuell zu einem fertigen (fully-fledged*) Nationalstaat führen kann  ; Nationalismus ist die Bevorzugung der Wettbewerbsinteressen dieser Nation…« Ders.: Nation und Welt (1966), hier S. 212 f., Punkt 5  : »Der Nationalstaat konserviert Gruppeninteressen  ; er ist das Hauptinstrument, um internationale Unterschiede im Einkommen, in den Lebensstandards und in den kulturellen und ökonomischen Chancen* unter den Völkern der Welt aufrechtzuerhalten« (*meine Abweichungen von der zitierten Übersetzung). 19 Ernest Gellner  : Nationalismus und Moderne (1983) ü. B 1991 (Rotbuch-Verlag), S.  98 f.: »Die Agrargesellschaft mit ihren relativ stabilen Spezialisierungen, ihren fortdauernden regionalen, verwandtschaftlichen Berufs- und Ranggruppierungen hat eine deutlich ausgeprägte Sozialstruktur … Die Industriegesellschaft funktioniert völlig anders. Ihre räumlichen und Arbeitseinheiten bilden sich ad hoc. Deren Mitgliedschaft ist fließend, sie weist eine große Fluktuation auf und verpflichtet die Mitglieder im allgemeinen nicht zu Loyalität und einer bestimmten Identität  … Die Nation ist nunmehr von höchster Bedeutung  – und zwar ebenso dank der Erosion fast aller Untergruppen wie aufgrund der enorm gesteigerten Bedeutung einer gemeinsamen, schriftabhängigen Kultur. Der Staat ist unvermeidlich mit

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Gegenüber den sozialhistorischen Interpretationen von Deutsch und Gellner verwies Benedict Anderson auf die Bedeutung der Medien, insbesondere von Büchern und Pamphleten, von deren Verkauf die Druckereien lebten.20 Die Nation wurde in den Kontext des Übergangs von weithin oralen Gesellschaften (in denen, wie oben skizziert, nur Teile der Oberschichten an schriftlichen Kulturen beteiligt waren) in eine Moderne gestellt, in der Texte immer mehr Menschen zugänglich werden und über die Religion/ Konfession,21 aber auch über Debatten in bestimmten Sprachen zur Selbsteinschätzung und Gruppenbildung beitragen, und hier fällt der Beitrag von Nationen zur Herausbildung der Identität von Individuen ins Gewicht.22 Allerdings geht die kulturelle Differenzierung mit der territorialen und inhaltlichen Ausbreitung der Mediengesellschaft schnell weiter, und gegebenenfalls werden transnationale Identitäten auch über Musik und Bilder, globale Spiele oder globale Waren gebildet23, sodass man nur selten von »einer« Identität ausgehen kann. Auch steht in dem Kranz von Zugehörigkeitsbekenntnissen die Nation keineswegs immer an erster Stelle. Allerdings ist der Nationalstaat oft die politisch verlässlichste Form, und das Angebot des Nationalstaats, in einer multikulturellen Welt für Orientierung zu sorgen, trägt zur Stabilisierung des globalen Systems bei. Außerdem ist der Nationalstaat, wie skizziert, für die Stabilität und das Funktionieren einer Marktgesellschaft durchaus notwendig. Aber er steht in weltgeschichtlichen Zusammenhängen, von der Industriellen Revolutionen bis zu den Medienrevolutionen.24 Die »Krise des Nationalstaats« oder sogar sein Ende ist ja eben deshalb seit langem ein etabliertes und notwendiges Thema.25 Der Nationalstaat wurde und wird, kaum, dass er irgendwo etabliert ist, fast sofort durch Globalisierungsschübe26 infrage gestellt, welche Funktionen erfordern, die der Nationalstaat nicht leisten kann. der Aufrechterhaltung und Überwachung einer gewaltigen sozialen Infrastruktur befasst (deren Kosten charakteristischerweise fast die Hälfte des Gesamteinkommens einer Gesellschaft ausmachen. Das Erziehungssystem gewinnt dabei entscheidende Bedeutung … Dieses System hat die Aufgabe, ehrenwerte, loyale und kompetente Mitglieder der Gesamtgesellschaft hervorzubringen, die bei ihrer Arbeit nicht durch Sonderloyalitäten gegenüber Untergruppen belastet werden …« 20 Anderson  : Nation. 21 Michael Mitterauer  : Religion und Massenkommunikation, in  : Grandner/Komlosy, S. 243–262. 22 Berlin  : Nationalismus, S.  50–55  ; Johann  P. Arnason  : Nationalism, Globalization and Modernity, in  : Featherstone Culture, S. 207–236  ; vgl. Matthias Werner (Hg.)  : Identität und Geschichte, Weimar 1997 (Böhlau Nachfolger). 23 Vgl. die Beiträge in Rodgers/Raman  ; Brubaker  : Difference. 24 Vgl. Feldbauer/Hausberger  ; Demel/Fried. 25 John Dunn (Hg.)  : Contemporary Crisis of the Nation State  ?, Oxford 1995 (Blackwell)  ; Martin Albrow  : Abschied vom Nationalstaat, ü. F 1998 (Suhrkamp). 26 Fässler  : Globalisierung  ; Osterhammel/Petersen.

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Die Globalisierungsschübe sind der Anschaulichkeit wegen hier überwiegend an »Verkehrsrevolutionen« festgemacht, die Ralf Roth skizziert hat.27 Nimmt man nur die seit dem Bestand des Europäischen Weltsystems, kann man die Globalisierung in fünf solche Schübe periodisieren  : 1. Globalisierung »Schiffe«  : Die im Spätmittelalter erhöhte Leistungsfähigkeit durch die chinesische Erfindung des Kompasses und die europäische Verbindung von Rah und Besamsegel ermöglicht die Vervielfältigung des Güterverkehrs, die Umsegelung des Globus und Siege über fast alle anderen Marinen. Die europäische Seeherrschaft führt zu einer Zentrum-Peripherie-Struktur. Die Produktion von Feuerwaffen erfordert Manufakturen  ; Töten auf Distanz wird zur Regel. Es kommt zu Massenmigrationen, alte Kollektive werden infrage gestellt. 2. Globalisierung »Dampfmaschinen«  : Die Dampfmaschine und die anderen Innovationen der Industriellen Revolution verkürzen die Verkehrszeiten auf dem Land auf ein Zehntel. Die industrielle Produktion gibt vielen Staaten genug Mittel, um Massenheere auszurüsten, die national motiviert werden können.28 3. Globalisierung »Automotor«  : Die Erfindung kleiner Motoren ermöglicht Massenverkehr und Maschinengewehr. Europäische Nationalstaaten erobern die Peripherien (auch das Innere Asiens und Afrikas)  : es kommt zum Imperialismus. Entlang der Telegrafenlinien werden Informationen fast ohne Zeitverlust weitergegeben.29 4. Globalisierung »Flugzeuge«  : Erfindung und Ausbau des Flugverkehrs verkürzen Verkehrszeiten nochmals auf Bruchteile. Luftwaffen greifen Zivilbevölkerungen hinter Fronten an und stellen die nationale Legitimation von Armeen infrage. Nationalstaaten nutzen moderne Techniken für Massenmorde.30 Funk macht Nachrichten für Organisationen sofort zugänglich. Im Hegemonialkrieg zwischen Deutschland gegen Großbritannien bzw. die USA zerstören die europäischen Mächte ihre Position. 5. Globalisierung »Computer«  : Die Erfindung der Atomwaffen macht die Selbstvernichtung der Menschheit möglich. Die Einführung der elektronischen Datenverarbeitung in die Produktion reduziert den Arbeitsanteil an den Produkten. Die Einführung von EDV in Waffensysteme vervielfältigt die Wirkung und macht gezielte Tötung über sehr weite Strecken hin möglich. Im Internet werden Nach27 Einführend Ralf Roth  : Verkehrsrevolutionen, in  : Sieder/Langthaler S. 470–501  ; vgl. Roth  : Weltverkehr  ; vgl. Roth/Schlögel. 28 Clausewitz  : Vom Kriege, S. 41. 29 Vgl. Jürgen Osterhammel  : Die Verwandlung der Welt, München 2009 (Beck). 30 Mark Levene  : Warum ist das Zwanzigste das Jahrhundert der Genozide  ?, in  : ZWG 5.2 (2004), S. 9–38  ; Philipp Ther  : Die dunkle Seite der Nationalstaaten, Göttingen 2011 (Vandenhoeck).

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richten für alle Teilnehmer ohne Zeitverlust verfügbar, es ist schwer zu kontrollieren. Massenmigrationen und Individualisierungen werden bestimmend. Für die am Anfang des 20. Jh. noch bestehenden Imperien brachten die Industriellen Revolutionen besonders in ihren Auswirkungen auf den Verkehr Vorteile – Fernverkehr, erst recht Flugverkehr minderte die Schwierigkeiten für Warenaustausch über große Entfernungen und Telegraf, Telefon und mehr noch Funk hoben die Behinderungen für Kommunikation durch weite Strecken fast auf. Aber zugleich ermutigten Vermehrung von Abkömmlichkeit in den wohlhabenden Schichten, Alphabetisierung und Ausweitung der Presse zu neuem Umgang mit der eigenen Sprache und gewann angesichts des Zusammenbruchs alter Rollenzuweisungen die Frage nach der Identität an Bedeutung. Wo also die imperiale Regierung Eliten nicht integrierte, stieg deren Möglichkeit, sich an die gleichsprachige Öffentlichkeit zu wenden und – wenn das politisch real schien – gegen das Imperium einen Nationalstaat zu fordern. Ob sie mit einer derartigen Politik eine Sezession durchsetzen würden, hing nicht nur von der Politik der imperialen Regierung ab, sondern auch vom Internationalen System. Ähnliches galt, mutatis mutandis, auch für Sozialisten, die ihre Klientel in der internationalen Arbeiterschaft suchten. Wer Erfolg haben würde, konnte man in der Regel vor 1917 nicht voraussehen. Eins allerdings war voraussehbar  : Diasporaminderheiten wie Juden oder Auslandsdeutsche erlebten zwar ähnliche Auseinandersetzungen um Presse und Hochsprache und waren oft genug die Sündenböcke einer imperialen Regierung, hatten aber wenig Aussicht, aus ihrer Minderheitensituation zu entkommen.31 Verschärfung der Differenzen und Migrationen

Die Mitglieder des europäischen Weltsystems haben sich in den Perioden der Expansion und der Industrialisierung nicht gleichmäßig, sondern sehr unterschiedlich entwickelt. Nach den Daten für das Bruttosozialprodukt pro Kopf,32 berechnet in US-Dollar von 1990 und für die Nationalstaaten oder Unionen in den Grenzen von 1990 rückwirkend, lag der Unterschied zwischen den »reichsten« und den ärmsten 1913 bei 1  : 10.

31 Zum Judentum in den Russländischen und Osmanischen Imperien Sarah Abrevaya Stein  : Bastard Tongues, in  : Geyer/Lehmann, S. 279–297  ; Überblicke Haumann  : Ostjuden, S. 95–185  ; Dralle  : Deutsche, S. 175–246. 32 Zu den verschiedenen Maßen für solche Vergleiche Wolfgang Hein  : Entwicklung messen, in  : Fischer/ Hauck, S. 155–168.

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Tabelle 8  : BSP pro Kopf zwischen 1000 und 1913  :33

Österreich

1000

1500

1600

1700

1820

1870

1913

425

707

837

993

1.218

1.863

3.465

Frankreich

425

727

841

910

1.135

1.876

3.485

Deutschld.

410

688

791

910

1.077

1.839

3.648

Niederlde.

425

761

1.381

2.130

1.838

2.757

4.049

UK

400

714

974

1.250

1.706

3.190

4.921

UdSSR

400

499

552

610

688

943

1.488

USA

400

400

400

527

1.257

2.445

5.301

Japan

425

500

520

570

669

737

1.387

China

450

600

600

600

600

530

552

Indien

450

550

550

550

533

533

673

Welt

450

566

616

616

667

873

1.526

Vergleicht man den Zuwachs des Durchschnittseinkommens, ist deutlich, dass die ersten modernen Nationalstaaten – die Niederlande im 17. und England im 18. Jh. – die übrigen europäischen Staaten distanzierten. Offensichtlich setzten diese Nationalstaaten die richtigen Mittel ein, um die jeweilige »Volkswirtschaft« voranzubringen. Aber in der zweiten Hälfte des 19. Jh. folgten die USA, Frankreich und Deutschland. Gewiss konnte man die beiden letzten sowohl als Nationen als auch als Imperien ansehen, aber die USA, obwohl bewusst kein Imperium, machte durch ihre bloße Größe fraglich, ob die Differenz zwischen Imperien und Nationalstaaten in der zweiten Hälfte des 19. Jh. für den Industrialisierungsvorgang erklärungskräftig war. Die Globalisierung der Arbeitsteilung wird durch das Weltsystemkonzept besser deutlich gemacht  : Im 19. Jh. stiegen die USA und Deutschland ins Zentrum auf und eroberten periphere Gebiete als Kolonien. Am Anfang des 20. Jh. deuteten die Aufstiege von Österreich-Ungarn, Japan und Russland an, dass sie auf gutem Wege waren  : War Imperium eine politische Form, mit welcher die Semiperipherie aufholte  ? Die erfolgreichsten Staaten auf dieser Tabelle besaßen um 1700 Kolonien, die Auswanderer aufnahmen und teils Rohstoffe, teils Fertigwaren zu günstigen Bedingungen lieferten. Indien, um daran zu erinnern, lieferte um 1700 jedoch Fertigwaren. Der Besitz an Kolonien allein kann die Erfolge nicht erklären, da Spanien, Portugal und Russland, die seit dem 16. Jh. Kolonien besaßen, aber erst im 19. Jh. dem westeuropäischen Zentrum folgten, ohne doch 1913 dessen Niveau von 3.457 Dollar erreicht 33 Maddison  : Contours, S. 382.

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zu haben  – Portugal hat 1913 1.250, Spanien 2.056 Dollar. Sowohl Deutschland als auch Japan erwarben Kolonien erst nach 1870. Kolonien allein boten also nicht den Königsweg zur industriellen Produktionssteigerung, sondern die Rolle der Peripherien im gesamten System. War ein Staat aber einmal industrialisiert und mächtig genug, dann suchte er Kolonien – auch Japan folgte ja auf diesem »europäischen« Weg. Dass internationale Arbeitsteilung zu Voraussetzungen und Folgen dieses Wirtschaftsaufschwungs gehörte, war im 19. Jh. im liberalen westeuropäischen Mainstream unstrittig – wie dieser Austausch zu organisieren war, aber nicht.34 Alle Staaten, die in der Tabelle erfasst wurden, sind durch große interne Unterschiede zwischen Zentren und Peripherien gekennzeichnet  ; in Frankreich z. B. zwischen der Isle de France und der Bretagne, in Deutschland zwischen Sachsen und Mecklenburg35 oder in Japan zwischen Tokio und Hokkaido. Österreich auf der Tabelle ist das in den Grenzen von 1918  ; es ist ein Zentrum für den »Rest« der Habsburger-Monarchie, die insgesamt zurückliegt. Im langen 19. Jh.36 revolutionierten Dampfmaschine und Eisen den Weltverkehr und damit die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Beziehungen der Welt.37 Innerhalb eines Jahrhunderts wurde die Transportgeschwindigkeit verzehnfacht  – am Anfang des 19. Jh. gab es kein Verkehrsmittel, das schneller war als ein Pferd, aber schon 1848 konnte man mehr als 100 Stundenkilometer schnell fahren. Gleichzeitig wurden die Kosten des Gütertransports dezimiert.38 Die Bezüge zwischen den Teilen der Weltwirtschaft wurden verändert  ; die Dominanz des europäisch-amerikanischen Zentrums und die Abhängigkeit der peripheren Gebiete verschärft.39 Nach der Aufteilung Afrikas, den britisch-russischen Grenzziehungen in Asien und der Kolonialisierung Koreas war die globale politisch/militärische Herrschaft der europäischen Mächte bzw. der USA fest etabliert und schloss auch halbperiphere Mächte wie Russland oder Japan ein. Diese Globalisierung veränderte nicht nur das tägliche Leben und

34 Smith  : Wohlstand. 35 Innere Peripherien Bd. 1–2, Andrea Komlosy  : Grenze und ungleiche regionale Entwicklung, W 2003 (Promedia)  ; Klemens Kaps  : Von der Zivilisierung der Peripherie, Diss. Phil. W 2011  ; vgl. den CFP von Klemens Kaps http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id-30985 (eingesehen 15,01.2017). 36 Osterhammel  : Verwandlung  ; Nolte  : Weltgeschichte 2  ; Michael Mann (Hg.)  : Feldbauer/Hausberger Bd. 6  ; Harman  : People’s History, S. 379–404. 37 Fässler  : Globalisierung  ; s. o., S. 341. 38 Beiträge in Roth/Schlögel. 1848 fuhr zum ersten Mal eine Eisenbahn schneller als 100 km/h  ; die Firthof-Forth-Brücke in Schottland wurde 1889 auf 100 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit angelegt. 1860 kostete der Tonnenkilometer auf der Eisenbahn in England ein Zwanzigstel des Transports auf der Straße. 39 Wirtschaftliche und soziale Daten nach Mitchell  : Statistics, Maddison  : Contours und Findlay/O’Rourke.

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die Arbeit der Menschen,40 sondern auch die Handlungsbedingungen der »Großen Mächte«.41 Organisiert wurde die globale Veränderung v. a. durch Industrielle und Kapitalbesitzer, nicht zuletzt durch Frankfurter, Pariser42 oder auch Petersburger Banker, welche transnational agierten  – z. B. Gelder für die Entwicklung Russlands in Paris zu bekommen suchten43 oder das Kapital lieber in den USA anlegten. Etwa sprach 1899 in Paris der Petersburger Banker Adolf Spitzer mit Alfons Rothschild über eine Nationalisierungstendenz im Kapitalmarkt – das Publikum kaufte oft nicht mehr, was die Banker empfahlen, sondern nach nationalpolitischen Kriterien. Politische Veränderungen wie die Entente Cordial wurden in den Finanzmarkt hineingetragen. Jacques Aron, Leiter der Erdölabteilung im Hause Rothschild, brachte das auf eine allgemeine Formel  :44 Es ist klar, dass in allen Ländern ein und dasselbe Symptom erkennbar wird, nämlich  : die Banker, so sachlich unangemessen ihnen das auch erscheint, erstaunen über nicht vorhergesehene Veränderungen in den Beziehungen des Publikums zu erstklassigen Werten – man kann ohne weiteres zugeben, dass es, wie in Deutschland, ziemlich starke Veränderungen in den Kursen dieser Werte gibt, die im Augenblick die rückläufige Bewegung verstärken.

Zu den Unsicherheiten der (überwiegend jüdischen) Banker trug die Affäre Alfred Dreyfus bei, welche beide Rothschilds beunruhigte, insbesondere die Artikel im Figaro  : »[ J]e donnernder die Wahrheit tönt, desto mehr ist zu bedenken, womit all diese Skandale enden werden.«45 Man hat den Eindruck, dass Rothschild mehr den Wirbel verurteilte, den Emile Zola mit seiner Kampagne verursachte, als das antisemitische Fehlurteil gegen den jüdischen Offizier. Ein Kennzeichen der neuen Bereiche in den alten Gesellschaften wird Migration.46 Einerseits wandern besonders im 19. Jh. Millionen Siedler aus ihren Heimatländern 40 Komlosy  : Arbeit. 41 Kennedy  : Rise and Fall. 42 Niall Ferguson  : The House of Rothschild, Vol. 1  : NY 1998 (Penguin). 43 Vgl. Irina Djakonova (Hg.)  : Rossija i mirovoj bizness, Moskva 1996 (ROSSPEN). 44 Djakonova, a.a.O., S.  158 (zum Kontext H.-H.  Nolte  : Korrespondenzen ausländischer Unternehmer über Russlands Wirtschaft 1880–1912, Ms.). 45 Djakonova, a.a.O., S. 161. Der elsässische Jude Alfred Dreyfus wurde 1896 mit gefälschten Belegen wegen Landesverrat verurteilt. Émile Zola publizierte 1897 mehrere Artikel gegen das Fehlurteil im Figaro, bis diese Zeitung  – von einem Publikumsboykott bedroht  – die Zusammenarbeit einstellte. Zolas berühmter Aufsatz »J’accuse« erschien am 13.1.1898 in der von Georges Clemenceau herausgegebenen Zeitschrift »Aurore«. Zola wurde verurteilt. Dreyfus erst 1906 rehabilitiert. 46 Umfassend Liebig  : Migration  ; Oltmer  : Migration und Oltmer Migration 2. Lexikon  : Enzyklopädie

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aus – Europäer nach Amerika, Sibiren und Australien, Chinesen in die Mandschurei. Sie bringen in der Regel einige Vermögenswerte mit, vertreiben oder marginalisieren in den neuen Siedlungsgebieten endogene Bevölkerungen, okkupieren den Boden und bilden neue Besitzschichten.47 Die USA sind beispielhaft, s.u.. Andererseits tritt im Verlauf des 19. Jahrhunderts an die Stelle der seit dem Wiener Kongress bekämpften Sklaverei 48 die Wanderung von Millionen indischer, chinesischer und afrikanischer Kulis nicht nur im Rahmen des Britischen Imperiums.49 Aber auch in den Zentren müssen viele der Arbeit hinterher wandern. Das gilt für die neuen Mittelschichten – ihre Mobilität prädestiniert mobile Minderheiten wie Armenier und Juden, aber auch Italiener in Deutschland wie die Brentano oder Deutsche in Russland wie die Amburger50 zum Aufstieg. Das gilt für die Arbeiter, welche die Provinzen verlassen und zur Arbeit ziehen – nicht nur in England,51 sondern auch in Deutschland, Russland oder Indien. Die nicht selten fundamentale Einkommensdifferenz führt zu einer kontinuierlichen Migration von Arbeitern aus den (jeweils) peripheren Gebieten in die Zentren. Die Rolle der Nation war oft, solche Prozesse zugunsten der Nationsangehörigen zu kanalisieren  ; bei einer Konjunktur Arbeiter ins Land zu lassen, die zugewanderten Arbeiter möglichst lange sozial zu deklassieren und die Zuwanderung bei einer Baisse zu stoppen.52 Dass Österreich-Ungarn das mit den Zuwanderern aus Tschechien und Galizien nicht tun wollte, weil das interne Konflikte im Imperium verschärft hätte, wurde dem Imperium von Rassisten vorgeworfen. Auch der Rassismus wurde sozialpolitisch instrumentalisiert und wissenschaftlich radikalisiert. Zur Legitimation des Landraubs an Iren oder Indianern hatte er einen Bestandteil der Expansionsideologien gebildet und behielt diese Funktion in den Kolonien. Mit dem Entstehen großer Ansammlungen von Arbeitern wurde die innenpolitische Funktion wichtiger  : Die Legitimation der Differenz durch das Herausstellen Migration. Global  : Jones/ Mielants  ; Gabaccia/Hoerder  ; Lekon  : Peripherien. Vgl. Bade  : Migrationsforschung  ; Manning  : Migration. 47 Day  : Conquest  ; Karl H. Schneider  : Migration im nordatalantischen Raum, in Schmieder/Nolte S. 154 – 171  ; mehrere Beiträge, auch zu den Rückwirkungen in den Auswandererländern, in Pietschmann  : Atlantic History. 48 Cwik/Zeuske  ; Füllberg-Stolberg  : Ende  ; Zeuske  : Sklaverei. 49 Zuletzt Damir-Geilsdorf/Lindner. 50 Vgl. Slezkine  : Century  : mit der dem ökonomischen Erfolg angemessenen Repräsentativität z. B. Klaus Günzel  : Die Brentanos. Eine deutsche Familiengeschichte, Zürich 1993 oder Dittmar Dahlmann, Klaus Heller u.a. Hg.: >Eine grosse ZukunftGeistEndlösng< = Götz Aly  : ›Endlösung‹ . Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden (1995) Neuauflage F 2017 (Fischer) Ambos  : Baurituale = Claus Ambos  : Mesopotamische Baurituale aus dem 1. Jahrtausend v. Chr., Dresden 2004 (Islet). Anderson  : Nation = Benedict Anderson  : Die Erfindung der Nation, ü. F 1988 (Campus). Andrade  : Gunpowder = Tonio Andrade  : Gunpowder Age. China, Military Innovation and the Rise of the West, Princeton/NJ 2016 (Princeton UP).

Literatur (Kurztitel) Anhang  |  Ando  : Citizenship = Clifford Ando (Hg.)  : Citizenship and Empire in Europe 200–1900, S 2016 (Steiner). Antes  : Religionswissenschaft = Peter Antes  : Grundriss der Religionsgeschichte  : Von der Prähistorie bis zur Gegenwart, S 2006 (Kohlhammer). Arendt  : Elemente = Hannah Arendt  : Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (1951) ND M 1986 (Piper) Arjomand  : Theory = Saïd Amir Arjomand (Hg.)  : Social Theory and Regional Studies in the Global Age, Albany NY 2014 (StateU NY). Armstrong  : Islam = Karen Armstrong  : Islam. A Short History, L 2001 (Phoenix). Armstrong  : Religion und Gewalt = Karen Armstrong  : Im Namen Gottes. Religion und Gewalt, ü. M 2016 (Droemer). Asch/Freist = Ronald G. Asch, Dagmar Freist (Hg.)  : Staatsbildung als kultureller Prozess, Köln usw. 2005 (Böhlau). Ash  : Free World = Timothy Gordon Ash  : Free World, L 2004 (Penguin). Atkinson  : Ungleichheit = Anthony B. Atkinson  : Ungleichheit, ü. S 2016 (Klett-Cotta). Atlas Mira = Gerasimov  : Atlas. Attman  : Flow = Artur Attmann  : The Bullion Flow between Europe and the East 1000–1750, Göteborg 1981 (Kungl. Vetenskaps- och Vitterhets-Samhället). Augustynowicz  : Ostmitteleuropa = Christoph Augustynowicz, Geschichte Ostmitteleuropas (Basistexte Wirtschafts- und Sozialgeschichte 2), W 2010. Aust  : Globalisierung = Martin Aust (Hg.), Globalisierung imperial und sozialistisch, F 2013 (Campus). Aust/Schenk = Martin Aust, Benjamin Schenk (Hg.)  : Imperial Subjects. Autobiographische Praxis in den Vielvölkerreichen … Köln 2015 (Böhlau). Baberowski  : Terror = Jörg Baberowski  : Der rote Terror. Die Geschichte des Stalinismus, F 2008 (Fischer). Baberowski  : Moderne = Jörg Baberowski (Hg.)  : Moderne Zeiten  ? Krieg, Revolution und Gewalt im 20. Jahrhundert, G 2006 (Vandenhoeck & Ruprecht). Babones  : Hegemon = Salvatore Babones  : The Once and Future Hegemon, in  : The National Interest 138 ( July/August 2015), S. 54–62. Babones  : World-Empire = Salvatore Babones  : From World-Market to World-Empire, in  : PEWS 2, S. 145– 157. Babones  : Tianxia = Salvatore Babones  : American Tianxia  : Chinese Money, American Power and the End of History, https://policypress.co.uk/american-tianxia (eingesehen 23.3. 2017) Bade  : Migrationsforschung = Klaus J. Bade  : Sozialhistorische Migrationsforschung, G 2004 (Vandenhoeck & Ruprecht). Bagg  : Westland = Ariel M. Bagg  : Die Assyrer und das Westland. Studien zur historischen Geographie und Herrschaftspraxis in der Levante im 1. Jt. v.u.Z. (OLA 216), Leuven u.a. 2011 (Peeters). Bagg  : Wasser = Ariel M. Bagg  : Wasser für die assyrischen Metropolen, in  : M. Fansa, K. Aydin (Hg.), Wasserwelten. Badekultur und Technik, Oldenburg 2010. Bairoch  : Economics = Paul Bairoch  : Economics and World-History, Chicago 1993 (Chicago UP). Barber  : Imperium = Benjamin R. Barber  : Das Imperium der Angst, ü. M 2007 (dtv). Barth  : Genozid = Völkermord im 20. Jahrhundert. Geschichte, Theorien, Kontroversen M 2006 (Beck). Barisitz  : Silk Road = Stephan Barisitz  : Central Asia and the Silk Road, W 2017 (Springer). Bartlett  : Gewalt = Robert Bartlett  : Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt, ü. M 1996 (Kindle). Battenberg  : Juden = Friedrich Battenberg  : Das europäische Zeitalter der Juden, Bd. 1 f., ²D 2000 (WBG). Battuta  : Travels = Tim Mackintosh (Hg.)  : The Travels of Ibn Battuta, London 2003 (Picador). Baumgart  : Konzert = Winfried Baumgart  : Europäisches Konzert und nationale Bewegung, Paderborn 1999 (Handbuch Internationale Beziehungen 6, Schöningh). Bayly  : Geburt = Christoph A. Bayly  : Die Geburt der modernen Welt [2004] ü. F 2006 (Campus).

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|  Anhang Becker/Komlosy = Joachim Becker, Andrea Komlosy (Hg.)  : Grenzen Weltweit. Zonen, Linien, Mauern im historischen Vergleich. W 2004 (Promedia). Becker/Weissenbacher = Joachim Becker, Rudy Weissenbacher (Hg.)  : Sozialismen. Entwicklungsmodelle von Lenin bis Nyerere, W 2009 (Promedia). Becker  : Staatlichkeit = Hans-Jürgen Becker (Hg.)  : Zusammengesetzte Staatlichkeit in der europäischen Verfassungsgeschichte B 2006 (Duncker & Humblot). Beckwith  : Silk Road = Christopher Beckwith  : Empires of the Silk Road, Princeton/NJ 2009 (Harvard). Behringer  : Krise = Wolfgang Behringer (Hg.)  : Krise und Aufbruch in der Geschichte Europas Trier 2013 (Kliomedia). Bendix  : Könige = Reinhard Bendix  : Könige oder Volk, Bd. 1–2, ü. F 1980 (Suhrkamp). Benjamin  : Sprache = Walter Benjamin  : Sprache und Geschichte, S 1992 (Reclam). Bentley/Ziegler = Jerry H. Bentley, Herbert F. Ziegler (Hg.)  : Traditions and Encounters. A Global Perspective on the Past, Boston/Mass. 2000 (McGraw-Hill). Berend  : Periphery = Ivan T. Berend  : Central and Eastern Europe 1944–1993. Detour from the Periphery to the Periphery, Cambridge 1996 (Cambridge UP). Berend  : Derailed = Ivan T. Berend  : History Derailed. Central and Eastern Europe in the long Nineteenth Century, Berkeley/Cal 2003 (California UP). Berger/Miller = Stefan Berger, Alexei Miller (Hg.)  : Nationalizing Empires, Budapest 2015 (CEU-Press). Berlin  : Nationalismus = Isaiah Berlin  : Der Nationalismus [1972], ü. F 1990 (Hain). Beyrau  : Schlachtfeld = Dietrich Beyrau  : Schlachtfeld der Diktatoren, G 2000 (Vandenhoeck & Ruprecht). [Bibel, zitiert nach den Büchern] = Vincenz Hamp, Meinhard Stenzel, Josef Kurzinger (Hg.) Die Heilige Schrift, Aschaffenburg (1899) 1957 (Pattloch). Bibó  : Misere = István Bibó, Die Misere der osteuropäischen Kleinstaaterei, ü. F 1992. Binner  : Massenverbrechen = Jens Binner (Hg.)  : Schwerpunkt  : Massenverbrechen = ZWG 13.1 (2012). Bley  : Empire = Helmut Bley  : British Empire, in  : EdN 2, Spalte 426–443. Bley/Kremers 2014 = Helmut Bley/Anorthe Kremers (Hg.)  : The World during the First World War, Essen 2014 (Klartext). Bloch  : Atheismus im Christentum = Ernst Bloch  : Atheismus im Christentum. Zur Religion des Exodus und des Reichs, F 1973 (Suhrkamp). Boatcă/Spohn = Manuela Boatcă, Willfried Spohn (Hg.)  : Globale, multiple und postkoloniale Modernen, M 2010 (Hampe). Boatcă  : Inequalities = Manuela Boatcă  : Global Inequalities beyond Occidentalism, Farnham 2015 (Ashgate). Borodziej/Holubec = Włozimierz Borodziej, Stanislav Holubec, Joachim von Puttkammer (Hg.)  : Mastery and Lost Illusions, Space and Time in the Modernization of Eastern and Central Europe, M 2014 (Oldenbourg) Bollinger  : Imperialismustheorien = Stefan Bollinger (Hg.)  : Imperialismustheorien, W 2004 (ProMedia). Bonney  : Rise = R. Bonney (Hg.)  : The Rise of the Fiscal State in Europe, Oxford 1999 (Oxford UP). Bonwetsch  : Revolution = Bernd Bonwetsch  : Die Russische Revolution, D 1991 (WBG). Bonwetsch  : Massenverbrechen = Bernd Bonwetsch (Hg.)  : Schwerpunkt  : Neue Forschungen über Massenverbrechen = ZWG 12.1 (2011). Bourdieu  : Unterschiede = Pierre Bourdieu  : Die feinen Unterschiede, ü. F 1987 (Suhrkamp). Boškovska-Leimgruber  : Frühe Neuzeit = Nadja Boškovska-Leimgruber (Hg.)  : Die Frühe Neuzeit in der Geschichtswissenschaft, Forschungstendenzen und Forschungserträge, Paderborn 1997 (Schöningh). Bracher/Fraenkel = Karl Dietrich Bacher, Ernst Fraenkel (Hg.)  : Internationale Beziehungen, F (1969) 1974 (Fischer).

Literatur (Kurztitel) Anhang  |  Braudel  : Mittelmeer = Fernand Braudel  : Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Phillips II. (1949)  ; ü. Bd. 1–3, F 1992 (Suhrkamp). Braudel  : Europa = Fernand Braudel (Hg.)  : Europa  : Bausteine seiner Geschichte, ü. F 1989 (Fischer). Braudel  : Kapitalismus = Fernand Braudel  : Die Dynamik des Kapitalismus, ü. S 1986 (Klett). Bremmer  : Nation = Ian Bremmer  : Every Nation for Itself. Winners and Losers in a G-zero World, L 2012 (Penguin). Brockhaus Weltgeschichte = Lexikonredaktion A. Brockhaus (Hg.)  : Taschenlexikon Weltgeschichte Bd. 1–3, Mannheim 2004 (Brockhaus). Brower Century = Daniel Brower  : The World in the Twentieth Century. From Empires to Nations, ⁶Upper Saddle River/NJ 2006 (Pearson) Brubaker  : Difference = Rogers Brubaker  : Grounds for Difference, C 2015 (Cambridge UP). Brunner-Traut  : Weltreligionen = Emma Brunner-Traut (Hg.)  : Die fünf großen Weltreligionen, Freiburg 2002 (Herder). Budde/Conrad = Gunilla Budde, Sebastian Conrad, Oliver Janz (Hg.)  : Transnationale Geschichte, FS Jürgen Kocka, G 2005 (Vandenhoeck & Ruprecht). Burbank  : Empires = Jane Burbank, Frederick Cooper (Hg.)  : Empires in World History, Princeton 2010 (Princeton UP). Burckhardt  : Betrachtungen = Jacob Burckhardt  : Weltgeschichtliche Betrachtungen (1868), hg. v. Wilhelm Hansen, Detmold 1947 (Maximilian-Verlag). Burckhardt  : Mediterranes Kaisertum = Stefan Burckhardt  : Mediterranes Kaisertum und Imperiale Ordnungen. B 2014 (de Gruyter). Burleigh  : Causes = Michael Burleigh  : Sacred Causes. The Clash of Religion and Politics, NY 2007 (Harper). Burrin  : Warum = Phillippe Burrin  : Warum die Deutschen  ?, ü. M 2004 (Propyläen). Calic  : Jugoslawien = Marie-Janine Calic, Geschichte Jugoslawiens, M 2010 (Beck). Calic  : Südosteuropa = Marie-Janine Calic  : Südosteuropa. Weltgeschichte einer Region, M 2016 (Beck). Calic/Neutatz = Marie-Janine Calic, Dietmar Neutatz, Julia Obertreis (Hg.)  : The Crisis of Socialist Modernity, G 2011 (Vandenhoeck & Ruprecht). Cancik-Kirschbaum = Eva Cancik-Kirschbaum  : Die Assyrer  – Geschichte, Gesellschaft, Kultur, M 2003 (Beck). Cardini  : Islam = F. Cardini  : Europa und der Islam, ü. M 2000. Carr  : Geschichte = Edward Hallett Carr  : Was ist Geschichte  ? ü. S 1963 (Kohlhammer). Carrère-d’Encausse  : Risse = Hélène Carrère d’Encausse  : Risse im Roten Imperium. Das Nationalitätenproblem in der Sowjetunion, ü. W 1979 (Molden). Carrère-d’Encausse Gloire = Hélène Carrère d’Encausse  : La gloire des nations, Paris 1990 (Fayard). Cerman/Steffelbauer = Markus Cerman, Ilja Steffelbauer, Sven Tost (Hg.)  : Agrarrevolutionen, Innsbruck usw. 2008 (Studien-Verlag). Cerman/Eder = Markus Cerman, Franz X. Eder, Peter Eigner, Andrea Komlosy, Erich Landsteiner (Hg.)  : Wirtschaft und Gesellschaft. Europa 1000–2000, Innsbruck 2011 (Studien-Verlag). Chanda  : Bound Together = Nayan Chanda  : Bound Together. How Traders, Preachers, Adventurers and Warriors Shaped Globalization, New Haven/Conn 2007 (Yale UP). Chase-Dunn/Babones = Christopher Chase-Dunn, Salvatore Babones (Hg.)  : Global Social Change, Baltimore/Md. 2006 ( Johns Hopkins UP). Chaudhuri  : Asia = K. N. Chaudhuri  : Asia before Europe, Oxford 1990 (Oxford UP). China Sources = W. Theodore de Bary, Irene Bloom (Hg.)  : Sources of Chinese Tradition, 2 Vols. [1960] Neuauflage NY 1999 (Columbia UP). Chirot  : Origins = Daniel Chirot (Hg.)  : The Origins of Backwardness in Eastern Europe, Berkeley 1989 (California UP).

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|  Anhang Chomsky  : Ambitions = Noam Chomsky  : Imperial Ambitions, L 2006 (Penguin). Chua  : Fire = Amy Chua  : World on Fire. How Exporting Free Market Democracy breeds Ethnic Hatred and Global Instability, L 2003 (Independent). Chua  : Hyperpowers = Amy Chua  : Day of Empire. How Hyperpowers Rise to Global Dominance – and why They Fall, (2007) NY 2009 (Anchor-Books). Cipolla  : Before = Carlo M. Cipolla  : Before the Industrial Revolution, L 1976 (Methuen). Clark  : Sleepwalkers = Christopher Clark  : The Sleepwalkers  : How Europe Went to War in 1914, (Oxford 2012) L 2013. Clausewitz  : Vom Kriege = Carl von Clausewitz  : Vom Kriege, (19. Auflage v. 1832), hg. v. Werner Hahlweg, Bonn 1980 (Dümmler). Conermann/Kusber = S. Conermann, J. Kusber (Hg.)  : Die Mongolen in Asien und Europa, F 1997. Conermann  : Mogul = Stephan Conermann  : Das Mogul-Reich, M 2006 (Beck). Conquest  : Empire = Robert Conquest  : The Last Empire, Washington 1986. Conrad/Randeria = Sebastian Conrad, Shalini Randeria (Hg.)  : Jenseits des Eurozentrismus, F 2002 (Campus). Conrad/Eckert = Sebastian Conrad, Andreas Eckert, Ulrike Freitag (Hg.)  : Globalgeschichte, F 2007 (Campus). Conrad/Sachsenmaier = Sebastian Conrad, Dominic Sachsenmaier (Hg.)  : Competing Visions of World Order, NY 2007 (Palgrave). Conrad  : Globalgeschichte = Sebastian Conrad  : Globalgeschichte, M 2013 (Beck). Conrad  : Technik = Walter Conrad (Hg.)  : Geschichte der Technik in Schlaglichtern, Mannheim 1997 (Meyers Lexikonverlag). Coolidge  : USA = A. C. Coolidge, The United States as a World Power, L 1908. Crosby  : Imperialism = Alfred W. Crosby  : Ecological Imperialism. The Biological Expansion Of Europe 900–1900, Neuausgabe Cambridge 1993 (Canto). Cwik/Zeuske = Christian Cwik, Michael Zeuske (Hg.)  : Schwerpunkt Der Wiener Kongress und seine globale Dimension, in  : ZWG 16.2 (2015). Dabringhaus  : Grundriss = Sabine Dabringhaus  : Geschichte Chinas 1279–1949, ³M 2015 (de Gruyter). Damir-Geilsdorf/Lindner = Sabine Damir-Geilsdorf, Ulrike Lindner, Gesine Müller, Oliver Tappe, Michael Zeuske Hg.: Bonded Labour. Global and Comparative Perspectives, Bielefeld 2016 (transscript) Dankelmann  : Lexikon = Otfried Dankelmann (Hg.)  : Biographisches Lexikon zur Welt-Geschichte, F 2001 (Lang). Dante  : Monarchia = Dante Alighieri  : Monarchia (um 1317). Lateinisch/Deutsch, hg. v. Ruedi Imbich, Christoph Flüeler, S 1989 (Reclam). Darwin  : Tamerlane = John Darwin  : After Tamerlane. The Rise and Fall of Global Empires, L 2007 (Palgrave), ü. Der imperiale Traum, F 2010 (Campus). Davis  : Trade = Ralph Davis  : The Industrial Revolution and British Overseas Trade, Leicester 1979 (Leicester UP). Davydov  : Sociologija = Ju. N. Davydov (Hg.)  : Novoe i staroe v teoreticheskoj sociologii, Moskva 2006 (Institut Sociologii). Day  : Conquest = David Day  : How Societies Overwhelm Others, Oxford 2008. Demandt  : Weltgeschichte = A. Demandt  : Kleine Weltgeschichte, M 2003. Demel/Fried = Walter Demel, Johannes Fried, Ernst-Dieter Hehl u.a. (Hg.)  : WBG-Weltgeschichte, Bde. 1–6, D 2009 f. (WBG). Deutsch  : Nationenbildung = Karl W. Deutsch  : Nationenbildung – Nationalstaat – Integration, hg. v. A. Ashkenasi, P. Schulze, ü. Düsseldorf 1972 (Bertelsmann). Dharampal-Frick  : Indien = Gita Dharampal-Frick (Hg.)  : Schwerpunkt Indien = ZWG 2016 (17.1).

Literatur (Kurztitel) Anhang  |  Diamond  : Guns = Jared Diamond  : Guns, Sails and Steel, L 1998 (Vintage). Diamond  : Collapse = Jared Diamond  : Collapse. How Societies choose to fail or succeed, NY 2005 (Penguin). Diederiks/Lindblad = H. A. Diederiks, J. Th. Lindblad u.a.: Van agrarische samenleving naar verzorgingsstaat, ²Groningen 1994 (Nijhoff ). Dilke  : Greater Britain = Charles Wentworth Dilke  : Greater Britain – a record of travel in English-speaking countries, 4. L 1869 (Macmillan).. Dobson  : Seuchen = Mary Dobson  : Seuchen, die die Welt veränderten, ü. Hamburg 2009 (National Geographic) Drabkin  : Totalitarizm = Ja. S. Drabkin, N. P. Komolova (Hg.)  : Totalitarizm v Evrope XX veka, Moskva 1996 (Pamjatniki istoricheskoj mysli). Dralle  : Deutsche = Lothar Dralle  : Die Deutschen in Ostmittel- und Osteuropa, D 1991 (WBG). Duchhardt  : Balance = Heinz Duchardt  : Balance of Power und Pentarchie, Paderborn 1997 (Handbuch Internationale Bewegungen 4, Schöningh). Dülffer  : Gewalt = Jost Dülffer  : Im Zeichen der Gewalt. Frieden und Krieg im 19. und 20. Jahrhundert, Köln 2003 (Böhlau). Dukes  : Superpowers = Paul Dukes  : The Superpowers, NY 2000 (Routledge). Dunn  : Revolutionen = John Dunn  : Moderne Revolutionen, ü. Reinbek 1974 (Rowohlt). Ebeling/Meissner = E. Ebeling, B. Meissner u.a.: Reallexikon der Assyrologie und Vorderasiatischen Archäologie, B und Boston (de Gruyter) eingesehen 4.8.2016  : http://www.degruyter.com/view/serial/16013. Edelmayer/Feldbauer = Friedrich Edelmayer, Peter Feldbauer, Marija Wakouning (Hg.)  : Globalgeschichte 1450–1620, W 2002 (Promedia). Edelmayer/Landsteiner = Friedrich Edelmayer, Erich Landsteiner, Renate Pieper (Hg.)  : Die Geschichte des europäischen Welthandels und der wirtschaftliche Globalisierungsprozess, W 2001 (Oldenbourg). Edelmayer/Tost = Friedrich Edelmayer, Sven Tost (Hg.)  : Flora und Fauna im globalen Kontext, in. Memoriam Markus Cerman = Historische Sozialkunde 2015.4. EdN = Jaeger, Friedrich (Hg.)  : Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 1–16, S 2005–2014 (Metzler) Empires, NY 2001 (Columbia UP). Eggebrecht  : Mongolen = A. Eggebrecht (Hg.)  : Die Mongolen und ihr Weltreich, Mainz 1989 (Zabern). Eisenstadt  : Patronage = S.  N. Eisenstadt  : Some Analytical Approaches to the Study of Patronage, in  : V. Burkolter  : The Patronage System, Basel 1976, S. VII–XII. Eisenstadt  : Vielfältige Modernen = Shmuel Eisenstadt  : Vielfältige Modernen, ü. ZWG 2.1. (2001), S. 9–34. Eliade/Couliano = Mircea Eliade, Ioan Couliano  : Handbuch der Religionen, ü. Zürich 1991. (Artemis & Winkler). Elias  : Prozess = Norbert Elias  : Über den Prozeß der Zivilisation (1936), Neuausgabe F 1976 (Suhrkamp) mit Vorwort von 1968. Elsenhans  : Kapitalismus = Hartmut Elsenhans  : Kapitalismus global, S o. Jahr. (Kohlhammer). Elsenhans  : Capitalists = Hartmut Elsenhans  : Saving Capitalism from the Capitalists, Delhi 2015 (Sage). Endreß  : Islam = Gerhard Endreß  : Der Islam, M 1991 (Beck). Enzyklopädie Migration = Klaus J. Bade, Pieter C. Emmer, Leo Lucassen, Jochen Oltmer Hg.   : Enzyklopädie Migration in Europa, Paderborn & München 2007 (Schöningh Fink). Erbe  : Erschütterung = Michael Erbe  : Revolutionäre Erschütterung und erneuertes Gleichgewicht, Paderborn 2004 (Handbuch Internationale Beziehungen 5, Schöningh). Erbstösser  : Kreuzzüge = Martin Erbstösser  : Die Kreuzzüge. Eine Kulturgeschichte, ²Leipzig 1980 (Edition Leipzig). Erkens  : Sakralität = Franz-Reiner Erkens (Hg.)  : Die Sakralität von Herrschaft, B 2002 (Akademie). Ertl  : Chinahistorie = Thomas Ertl  : Mediävistik und Chinahistorie, in  : ZWG 7.2 (2006), S. 9–34.

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|  Anhang Ertl/Komlosy = Thomas Ertl, Andrea Komlosy, Hans-Jürgen Puhle (Hg.)  : Europa als Weltregion. Zentrum, Modell oder Provinz  ?, W 2014 (new academic press). Ertl/Trausch = Thomas Ertl, Tilmann Trausch (Hg.)  : Command versus Consent. Representation and Interpretation of Power in the Late Medieval World, Delhi 2016 (= Medieval History Journal 19.2). Eschment/Harder = Beate Eschment, Hans Harder (Hg.)  : Looking at the Colonizer. Cross Cultural Perceptions in Central Asia and the Caucasus, Bengal, and related Areas, Düsseldorf 2004 (Ergon). Etemad/Batou = Bouda Etemad, Jean Batou, Thomas David (Hg.)  : Towards an International Economic and Social History, FS Bairoch, Genf 1995 (Pass’s Present). EWR = Edition Weltregionen, hg. v. Andrea Komlosy, Bd. 1 ff. W 2000 ff. (1–23 Promedia, ab Bd. 24 New Academic Press). Fairbank  : China = John K. Fairbank  : Geschichte des modernen China 1800–1985, (1986) ü. M 1991 (dtv). Faroqhi  : Kultur = Suraiya Faroqhi  : Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, M 1995 (Beck). Faroqhi  : Geschichte = Suraiyah Faroqhi  : Geschichte des Osmanischen Reichs, M 2000 (Beck). Faroqhi  : Empire and World = Suraiya Faroqhi  : The Ottoman Empire and the World Around It, L 2004 (Tauris). Faroqhi  : Ottoman Empire = Suraiya Faroqhi  : The Ottoman Empire and the Islamic World, in  : Reinhard  : Empires, S. 221–388. Fässler  : Globalisierung = Peter E. Fässler, Globalisierung  : Ein historisches Kompendium, Köln 2007. Feldbauer  : Anfänge = Peter Feldbauer u.a. (Hg.)  : Die mittelalterlichen Anfänge der europäischen Expansion, W 2001 (Mandelbaum). Feldbauer/Hausberger = Peter Feldbauer, Bernd Hausberger, Jean-Paul Lehners (Hg.)  : Globalgeschichte der Welt 1000–2000, Bde. 1–8, W 2008–2010, (Mandelbaum). Feldbauer/Liedl = Peter Feldbauer, Gottfried Liedl, John Morissey (Hg.)  : Mediterraner Kolonialismus, Essen 2005 (Magnus). Ferguson  : Empire = Niall Ferguson  : Empire. How Britain Made the Modern World, L 2003 (Penguin). Ferguson  : Niedergang = Niall Ferguson  : Der Niedergang des Westens, ü. B 2014 (List). Fetscher  : Marxismus = Iring Fetscher (Hg.)  : Der Marxismus. Seine Geschichte in Dokumenten, M 1967 (Piper). Figl  : Handbuch = Johann Figl (Hg.)  : Handbuch Religionswissenschaft. Religionen und ihre zentralen Themen, D 2003 (WBG). Figes  : Kulturgeschichte = Orlando Figes  : Nataschas Tanz. Eine Kulturgeschichte Russlands, ü. B 2011. Findlay/O’Rourke = R. Findlay/K. O’Rourke, Power and Plenty. Trade, War, and the World Economy in the Second Millennium, Princeton 2007 (Princeton UP). Fisch  : Selbstbestimmungsrecht = Jörg Fisch, Das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die Domestizierung einer Illusion, M 2010. Fischer/Hauck = Karin Fischer, Gerhard Hauck, Manuela Boatcă (Hg.)  : Handbuch Entwicklungsforschung, Wiesbaden 2016 (Springer). Fischer/Jäger = Karin Fischer, Johannes Jäger, Lukas Schmidt (Hg.)  : Rohstoffe und Entwicklung, W 2016 (new academic press). Fleckenstein  : Grundlagen = Josef Fleckenstein  : Grundlagen und Beginn der deutschen Geschichte, ³Göttingen 1988 = Joachim Leuschner (Hg.)  : Deutsche Geschichte 1 (Vandenhoeck & Ruprecht). Flynn/Giráldez = Dennis O. Flynn, Arturo Giráldez, Richard von Glahn (Hg.)  : Global Connections and Monetary History, Farnham 2002 (Aldershot). Förster/Pöhlmann = Stig Förster, Markus Pöhlmann, Dierk Walter (Hg.)  : Schlachten der Welt-Geschichte, M 2001 (Beck). Fragner/Kappeler = Bert Fragner, Andreas Kappeler (Hg.)  : Zentralasien W 2006 (Promedia).

Literatur (Kurztitel) Anhang  |  Frahm  : Sanherib = Eckart Frahm, Einleitung in die Sanherib-Inschriften, Selbstverlag des Instituts für Orientalistik der Universität Wien (Archiv für Orientforschung, Beiheft 26), W 1997. Frank  : Re-Orient = Andre Gunder Frank  : Re-Orient. Global Economy in the Asian Age, Berkeley 1998 (California UP). Frank  : Geschichtswissenschaft = Andre Gunder Frank  : Geschichtswissenschaft und Sozialtheorie ›Re-Orientieren‹ ! in ZWG 5.1 (2004) S. 9 – 42. Franke  : Kaiserreich = Herbert Franke, Rolf Trauzettel (Hg.)  : Das chinesische Kaiserreich (1968), Neuaufl. Hamburg 2011 (Nikol). Franz  : Teilung = Günther Franz (Hg.)  : Teilung und Wiedervereinigung. Eine weltgeschichtliche Übersicht, G 1963 (Musterschmidt). Frie/Planert = Ewald Frie, Ute Planert (Hg.)  : Revolution, Krieg und die Geburt von Staat und Nation, Tübingen 2016 (Mohr Siebeck) Fuchs  : Assyrer grausam = Andreas Fuchs  : Waren die Assyrer grausam  ?, in  : Martin Zimmerman (Hg.)  : Extreme Formen von Gewalt in Bild und Text des Altertums (Münchner Studien zur Alten Welt 5), M 2009 (Herbert Utz), S. 65–119. Fuchs  : Militärstaat = Andreas Fuchs  : War das Neuassyrische Reich ein Militärstaat  ?, in  : B. Meißner, O. Schmitt, M. Sommer (Hg.)  : Krieg – Gesellschaft – Institutionen. Beiträge zu einer vergleichenden Kriegsgeschichte, B 2005 (Akademie), S. 35–60. Füllberg-Stolberg  : Zwangsarbeit = Claus Füllberg-Stolberg  : Zwangsarbeit in der Moderne. Vergleichende Überlegungen, in  : ZWG 3.2 (2002), S. 71–88. Füllberg-Stolberg  : Ende = Claus und Katja Füllberg-Stolber (Hg.)  : Schwerpunkt  : Das Ende der Sklaverei in der Karibik und in Afrika = ZWG 15.1 (2014). GG = Otto Brunner, Werner Conze, Reinhard Koselleck (Hg.)  : Geschichtliche Grundbegriffe Bd. 1–8, S 1972–1997 (Klett-Cotta). Gabaccia/Hoerder = Donna R. Gabaccia, Dirk Hoerder (Hg.)  : Connecting Seas and Connected Ocean Rims, Leiden 2011 (Brill). Gebhardt = Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Auflage Bd. 1–23, S 2004–2005 (KlettCotta). Gehler  : Europa = Michael Gehler  : Europa, Ideen, Institutionen, Vereinigung, M 2005 (Olzog) Gehler/Vietta  : Europa = Michael Gehler, Silvio Vietta (Hg.)  : Europa – Europäisierung – Europäistik, W 2010 (Böhlau). Gehler/Rollinger 1, 2 = Michael Gehler, Robert Rollinger (Hg.)  : Imperien und Reiche in der Weltgeschichte, Teil 1–2, Wiesbaden 2014 (Harrassowitz). Gehler/Vietta  : Weltgesellschaft = Michael Gehler, Silvio Vietta, Sanne Ziethen (Hg.)  : Dimensionen einer Weltgesellschaft, Wien 2017 (Böhlau, in Vorbereitung)  ; Bericht http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/ tagungsberichte/id=6900, einges. 20.01.2017. Gellner/Waterbury = Ernest Gellner, J. Waterbury (Hg.)  : Patrons and Clients, L 1977. Gellner  : Nationalismus = Ernest Gellner  : Nationalismus und Moderne, ü. B 1991 (Rotbuch). Gerasimov  : Atlas = I.  P. Gerasimov (Hg.)  : Fiziko-geograficheskij Atlas mira, Moskva 1964, (Akademija Nauk). Gerrits/Adler = André Gerrits, Nancy Adler (Hg.)  : Vampires Unstaked, National Images, Stereotypes and Myths in East Central Europe, Amsterdam 1995 (Akademie). Gerlach  : Ernährung = Christian Gerlach  : Krieg, Ernährung, Völkermord, Zürich 2001 (Pendo). Gerstenberg Weltgeschichte = Simon Adam, Yvonne Ayo u. a. (Hg.)  : Visuelle Weltgeschichte, ü. Hildesheim 2003 (Gerstenberg). Geschichte der Technik = Walter Conrad (Hg.)  : Geschichte der Technik in Schlaglichtern, Mannheim 1997 (Meyers).

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|  Anhang Geyer/Lehmann = Michael Geyer, Hartmut Lehmann (Hg.)  : Religion und Nation. Nation und Religion, G 2004 (Wallstein). Geyer/Fitzpatrick = Michael Geyer, Sheila Fitzpatrick (Hg.)  : Beyond Totalitarianism Cambridge 2009 (Cambridge UP). Giddens Anthony  : Entfesselte Welt. Wie die Globalisierung unser Leben verändert, ü. F 2001 (Suhrkamp). Gleichmann/Kühne = Peter Gleichmann, Thomas Kühne (Hg.)  : Massenhaftes Töten. Kriege und Genozide im 20. Jahrhundert, Essen 2004 (Klartext). Go  : Patterns = Julian Go  : Patterns of Empire, Cambridge 2001 (Cambridge UP). Goehrke  : Alltag = Carsten Goehrke  : Russischer Alltag, Bd. 1–3, Zürich 2003–2005 (Chronos). Goldstone  : Revolution = Jack A. Goldstone  : Revolution and Rebellion in the Early Modern World, Berkeley 1991 (California UP). Gollwitzer  : Denken = Heinz Gollwitzer  : Geschichte des weltpolitischen Denkens, Bd. 1–2, G 1972 (Vandenhoeck & Ruprecht). Goodwin  : Lords = Jason Goodwin  : Lords of the Horizons, L 1998 (Vintage). Grandner/Komlosy = Margarete Grandner, Andrea Komlosy (Hg.)  : Vom Weltgeist beseelt, W 2004 (Promedia). Grandner/Rothermund = Margarte Grandner, Dietmar Rothermund, Wolfgang Schwentker (Hg.)  : Globalisierung und Globalgeschichte, W 2005 (Mandelbaum). Grandner/Gräser = Margarete Grandner/Marcus Gräser (Hg).: Nordamerika. Geschichte und Gesellschaft seit dem 18. Jahrhundert, W 2009 (Promedia). Greenfeld  : Nationalism = Liah Greenfeld  : Nationalism, Five Roads to Modernity, C. 1992 (Harvard UP). Greiner  : Vietnam = Bernd Greiner  : Krieg ohne Fronten, Die USA in Vietnam, Hamburg 2007 (Hamburger Edition). Griewank  : Revolutionsbegriff = Karl Griewank  : Der neuzeitliche Revolutionsbegriff, ND F 1973 (Suhrkamp). Großes China-Lexikon = Brunhild Staiger, Stefan Friedrich, Hans-Wilm Schütte (Hg.)  : Das große ChinaLexikon, Darmstadt 2003 (WBG). Gründer  : Expansion = Horst Gründer  : Eine Geschichte der europäischen Expansion, D 1998 (WBG). Grumblies/Weise = Florian Grumblies, Anton Weise (Hg.)  : Unterdrückung und Emanzipation in der Weltgeschichte. FS Claus Füllberg-Stolberg, Hannover 2015 ( Jmb-Verlag,). Guardini  : Ende = Romano Guardini  : Das Ende der Neuzeit, Basel 1950 (Hess-Verlag). Gumpenberg/Steinbach = Marie-Carin von Gumpenberg, Udo Steibach (Hg.)  : Zentralasien. Ein Lexikon, M 2004 (Beck). Haarmann  : Sprachen = Harald Haarmann  : Weltgeschichte der Sprachen, M 2006 (Beck). Haberkern/Wallach = Eugen Haberkern, Joseph Friedrich Wallach  : Hilfswörterbuch für Historiker, 2 Bde. ³M 1972 (Francke). Hahn/Komlosy = Sylvia Hahn, Andrea Komlosy u.a. (Hg.)  : Ausweisung, Abschiebung und Vertreibung in Europa, Innsbruck usw. 2006 (Studienverlag). Halbach  : Vielvölkerimperium = Uwe Halbach  : Das sowjetische Vielvölkerimperium, Mannheim 1992 (B. I.). Halm  : Schiiten = Heinz Halm  : Die Schiiten, M 2005 (Beck). Handbuch Geschichte Russlands = Manfred Hellmann, Gottfried Schramm, Klaus Zernack (Hg.)  : Handbuch der Geschichte Russlands, Bd. 1–5, S 1981–2001 (Hiersemann). Handbuch Internationale Beziehungen = Heinz Duchhardt, Franz Knipping (Hg.)  : Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, Bd. 1–9, Paderborn 1999 ff. (Schöningh). Handwörterbuch Islam = A. J. Wensinck, J. H. Kramers (Hg.)  : Handwörterbuch des Islam, Leiden 1976 (Brill).

Literatur (Kurztitel) Anhang  |  Hanson  : Carnage = Victor Davis Hanson  : Carnage and Culture. Landmark Battles in the Rise of Western Power, NY 2002 (Anchor-Books). Hardach  : Deutschland = Gerd Hardach, Deutschland in der Weltwirtschaft, 1870–1970, F 1977. Hardt/Negri = Michael Hardt  ; Antonioni Negri  : Empire, (2000) ü. F 2002 (Campus). Harman  : People’s History = Chris Harman  : A Peoples History of the World, L & NY (1999) 2008 (Verso). Harris  : Empires = Thomas Harris (Hg.)  : Great Empires of the Ancient World, L 2009 (Thames & Hudson)  ; ü. Mainz 2010 (Zabern). Haumann  : Ostjuden = Heiko Haumann  : Geschichte der Ostjuden, 4. Auflage M 1998 (dtv). Haumann  : Russland = Heiko Haumann  : Geschichte Russlands, Neuaufl. Zürich 2009 (Chronos). Hausteiner  : Imperialität = Eva Marlene Hausteiner  : Greater than Rome. Neubestimmungen britischer Imperialität, F 2015 (Campus). Haupt/Kocka = Heinz-Gerhard Haupt, Jürgen Kocka (Hg.)  : Geschichte und Vergleich, F 1996 (Campus). Hauptmeyer  : Zwang = Carl-Hans Hauptmeyer (Hg.)  : Schwerpunkt Zwang in europäischen Agrargesellschaften der Frühen Neuzeit = ZWG 7.1 (2006). Hauptmeyer  : Niedersachsen = Carl-Hans Hauptmeyer  : Geschichte Niedersachsens, M 2009 (Beck). Hausberger  : Verknüpfung = Bernd Hausberger  : Die Verknüpfung der Welt, W 2015 (Mandelbaum). Haussig  : Seidenstraße = Hans-Wilhelm Haussig  : Geschichte Zentralasiens und der Seidenstraße, Bd. 1–2 D 1988–1992 (WBG). Hechter  : Colonialism = Michael Hechter  : Internal Colonialism. The Celtic Fringe in British National Development, L 1975 (Routledge & Kegan). Heeren  : Handbuch = A. H. L. Heeren  : Handbuch der Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Colonien (1809), Neuausgabe W 1817 (Härter). Heideking  : USA = J. Heideking  : Geschichte der USA, Tübingen 1999. Heimpel  : Gegenwart = Hermann Heimpel  : Der Mensch in seiner Gegenwart, ²G 1957 (Vandenhoeck & Ruprecht). Heller  : Cold War = Henry Heller  : The Cold War and the New Imperialism, NY 2006 (Monthly Review Press). Hellwig/Linne = Gerhard Hellwig, Gerhard Linne  : Daten zur Weltgeschichte, M 1983 (Mosaik). Herbers/Neuhaus = Klaus Herbers, Helmut Neuhaus  : Das Heilige Römische Reich, Köln usw. 2010 (Böhlau). Herren  : Organisationen = Madeleine Herren  : Internationale Organisationen seit 1865, D 2009 (WBG). Herzog  : Frühzeit = Roman Herzog  : Staaten der Frühzeit. Ursprünge und Herrschaftsform, M 1988 (Beck). Heuß  : Verlust = Alfred Heuß  : Verlust der Geschichte, G 1959 (Vandenhoeck & Ruprecht). Heuß  : Weltgeschichte = Alfred Heuß  : Zur Theorie der Weltgeschichte, B 1968 (de Gruyter). Hiery  : Übersee = Hermann Hiery (Hg.)  : Lexikon zur Überseegeschichte, S 2015 (Steiner). Hildebrandt  : Reich = Klaus Hildebrandt  : Geschichte des Dritten Reiches, M 2012 (Oldenbourg). Hildermeier  : Russland = Manfred Hildermeier  : Geschichte Russlands. Vom Mittelalter bis zur Oktoberrevolution, M 2013 (Beck). Hillgruber  : Strategie = Andreas Hillgruber  : Hitlers Strategie. Politik und Kriegführung 1940–41 (1965), ²M 1982 (Bernard & Graefe). History and Civilization = The History and Civilization of China, o.O. o.J. HKWM = Wolfgang Fritz Haug (Hg.)  : Historisch Kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 1ff. B 1994 ff. (Argument). Hobe  : Völkerrecht = Stephan Hobe, Einführung in das Völkerrecht, Tübingen-Basel 2008 (9. Auflage) (A. Francke). Hobsbawm Industrie = Eric Hobsbawm  : Industrie und Empire 1–2, (1948) ü. 8. Auflage F 1979 (Suhrkamp). Hobsbawm  : Extremes = Eric Hobsbawm  : The Age of Extremes, NY 1995 (Vintage).

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|  Anhang Hoensch  : Polen = Jörg K. Hoensch  : Geschichte Polens, ³S 1998 (Ulmer). Höllmann Seidenstraße = Thomas Höllmann  : Die Seidenstraße, M 2004 (Beck Hösch  : Balkanländer = Edgar Hösch  : Geschichte der Balkanländer, M 1999 (Beck). Hoffmann  : Conquer = P. T. Hoffmann  : Why did Europe Conquer the World, Princeton NJ 2015 (Princeton UP). Holubec  : Ost-Mittel-Europa = Stanislav Holubec (Hg.)  : Schwerpunkt Ost-Mittel-Europa = ZWG 10.2 (2009). Hourani  : Arabische Völker = A. Hourani  : Die Geschichte der arabischen Länder, ü. F 1991 (Fischer). Howard  : Krieg = Michael Howard  : Der Krieg in der europäischen Geschichte, ü. M 1981 (Beck). Hroch/Klusakova = Miroslav Hroch, Luda Klusakova (Hg.)  : Criteria and Indicators of Backwardness, Prag 1996 (Faculty of Arts). Hroch  : Nationen = Miroslav Hroch  : Das Europa der Nationen. Die moderne Nationsbildung im Vergleich, G 2000 (Vandenhoeck & Ruprecht). Hrouda  : Mesopotamien = Barthel Hrouda  : Mesopotamien. Die alten Kulturen zwischen Euphrat und Tigris, 5M 2008 (Beck). Hrouda  : Alter Orient = Barthel Hrouda, Der alte Orient. Geschichte und Kultur des alten Vorderasien, M 1991 (Bertelsmann). Huber  : Ökologie = Joseph Huber  : Die verlorene Unschuld der Ökologie, F 1982 (Fischer). Huntington  : Kulturen = Samuel Huntington  : Kampf der Kulturen, ü. M 1996 (Europaverlag). Iggers/Wang = Georg G. Iggers, O. Edward Wang  : A Global History of Modern Historiography, Edinburgh 2008 (Parson). Inalcik  : Ottoman Empire = Halil Inalcik  : The Ottoman Empire. The Classical Age 1300–1600, ²L 1975 (Weidenfeld). Innere Peripherien 1–3 = H.-H. Nolte (Hg.)  : Internal Peripheries in European History, Göttingen 1991 (Musterschmidt)  ; ders. (Hg.)  : Europäische innere Peripherien im 20. Jahrhundert = S 1997 (Steiner)  ; ders. (Hg.)  : Innere Peripherien in Ost und West, Redakteur Klaas Bähre, S 2002 (Steiner). Irye/Osterhammel = Akira Irye, Wolfgang Osterhammel (Hg.)  : A History of the World, 2012 ff. Cambridge (Belknap, zugleich Beck). Jacoby  : Bürokratisierung = Henry Jacoby  : Die Bürokratisierung der Welt, Neuwied 1969 (Luchterhand). Jarausch  : Imperien = Konrad Jarausch, Christoph Kleßmann, Martin Sabrow Martin (Hg.)  : Zeithistorische Forschungen 3 (2006). Jaspers  : Ursprung = Karl Jaspers  : Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, F 1959 (Fischer). Jeismann/Ritter 1993 = Michael Jeismann, Henning Ritter (Hg.), Grenzfälle. Über neuen und alten Nationalismus, Leipzig 1993 (Reclam). Jenkins  : England = Simon Jenkins  : A Short History of England, L 2011 (Profile Books). Joannès = Francis Joannès  : The Age of Empires. Mesopotamia in the First Millennium BC [2000], ü. Edinburgh 2004 (Edinburgh UP). Joas/Wiegand = Hans Joas, Klaus Wiegandt (Hg.)  : Säkularisierung und die Weltreligionen, F 2007 (Fischer). Johnson  : India = G. Johnson (Hg.)  : The New Cambridge History of India, Vol. 1 ff. Cambridge 1987 (Cambridge UP). Jones/Mielants = Terry-Ann Jones, Eric Mielants (Hg.)  : Mass Migration in the World System, Boulder/Col. 2010 (Paradigm). Junker  : USA = Detlef Junker, Power and Mission  : Was Amerika antreibt, Freiburg 2003 (Herder). Kaelble  : Vergleich = Hartmut Kaelble  : Der historische Vergleich, F 1999 (Campus). Kappeler  : Vielvölkerreich = Andreas Kappeler  : Russland als Vielvölkerreich, M 1992 (Piper). Kappeler  : Ukraine = Andreas Kappeler  : Kleine Geschichte der Ukraine, M 1994 (Beck).

Literatur (Kurztitel) Anhang  |  Kay/Stahel = Alex J. Kay, David Stahel (Hg.)  : Mass Violence in Nazi-Occupied Europe  : New Debates and Perspectives, Bloomington ´/Ind. (Indiana UP) im Druck für 2018. Kehne  : Geiselstellungen = Peter Kehne  : Geiselstellungen im römischen Völkerrecht und die Außenpolitik des Prinzipats, in  : Marburger Beiträge 30 (2012), S. 199–254. Keep  : Last Empire = John Keep  : Last of the Empires, Oxford 1995. Kennedy  : Rise and Fall = Paul Kennedy  : The Rise and Fall of the Great Powers, NY 1989 (Vintage), ü. Aufstieg und Fall der großen Mächte, F 1989 (Fischer). Kennedy  : Parliament = Paul Kennedy  : Parlament der Menschheit. Die Vereinten Nationen und der Weg zur Weltregierung, ü. M 2007 (Beck). Ketterman  : Islam-Atlas = Günter Kettermann  : Atlas zur Geschichte des Islam, D 2001 (WBG). Khaldȗn  : Muqaddima = Ibn Khaldȗn  : Die Muqaddimma. Betrachtungen zur Weltgeschichte. ü. M 2011 (Beck). Khazanov  : Nomads = A. M. Khazanov  : Nomads and the outside world, ü. Cambridge 1983 (Cambridge UP). Kissinger  : Weltordnung = Henry Kissinger  : Weltordnung, ü. M 2012 (Pantheon). Klein/Schumacher = Thoralf Klein, Frank Schumacher (Hg.)  : Kolonialkriege, Hamburg 2006 (Hamburger Edition). Klein  : China = Thoralf Klein  : Geschichte Chinas, Paderborn 2007 (Schöningh). Kleinschmidt  : Beziehungen = Harald Kleinschmidt  : Geschichte der internationalen Beziehungen, S 1998 (Reclam). Kleinschmidt  : Völkerrecht = Harald Kleinschmidt  : Geschichte des Völkerrechts in Krieg und Frieden, Tübingen 2013 (Francke). Kleinschmidt  : Repräsentanten = Harald Kleinschmidt  : Repräsentanten des großen Ganzen Bemerkungen zu Systemmodellen, in  : ZWG 16.1 (2015), S. 95–134. Kleinschmidt  : Legitimationsfalle = Harald Kleinschmidt  : Die Legitimationsfalle. Universal-, Expansionsund Völkerrechtshistoriographie wird kolonialistische Ideologie, Gleichen 2015 (Musterschmidt). Knesebeck Weltgeschichte = Detlef Berghorn, Markus Hattsheim (Hg.)  : Weltgeschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert, M 2010 (Knesebeck) = Wissen Visuell. Kohler  : Expansion und Hegemonie = Alfred Kohler  : Expansion und Hegemonie, Paderborn 2008 (Handbuch Internationale Beziehungen 1, Schöningh). Kohler  : Welterfahrungen = Alfred Kohler  : Neue Welterfahrungen. Eine Geschichte des 16. Jahrhunderts, Münster 2014 (Aschendorff ). Kohn  : Nationalismus = Hans Kohn  : Die Idee des Nationalismus [1944], ü. F 1962 (Fischer). Komlosy  : Globalgeschichte = Andrea Komlosy, Globalgeschichte  : Methoden und Theorien, W 2011 (Böhlau). Komlosy  : Nachholen = Andrea Komlosy (Hg.)  : Nachholende Entwicklung im 19.–20. Jahrhundert = ZWG 13.2 (2012). Komlosy  : Arbeit = Andrea Komlosy, Arbeit  : Eine globalgeschichtliche Perspektive. 13. bis 21. Jahrhundert, W 2014 (Promedia). Komlosy  : Frank = Andrea Komlosy  : Andre Gunder Frank und die Reorientierung der Weltgeschichte, in ZWG 17.2 (2016) S. 47 – 70. Komlosy/Nolte = Andrea Komlosy, Hans-Heinrich Nolte, Imbi Sooman (Hg.)  : Ostsee 700–2000, W 2008 (Promedia). Konfuzius  : Gespräche = Konfuzius  : Gespräche, hg. v. Klaus Bock, Essen 2004 (Magnus). Koran = benutzte Ausgabe  : Rudi Paret (Hg.)  : Der Koran, ü. S ³1983. Korchagina  : Transformacii = M. B. Korchagina (Hg.)  : Social’nye transformacii v Evrope XX Veka, Mockva 1998 (Akademija Nauk).

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|  Anhang Koselleck  : Volk = Reinhard Koselleck  : Volk, Nation, Nationalismus, Masse in  : GG 7, S. 141–431. Krämer  : Islam = Gudrun Krämer  : Geschichte des Islam, M 2008 (dtv). Kraler/Husa = Albert Kraler, Karl Husa, Veronika Bilger, Irene Stacher (Hg.)  : Migrationen, W 2007 (Mandelbaum). Kremb  : Geoökologie = Klaus Kremb (Hg.)  : Schwerpunkt Geoökologie = ZWG 6.1 (2005). Kremb  : Weltordnungskonzepte = Klaus Kremb (Hg.)  : Weltordnungskonzepte, Schwalbach 2010 (Wochenschau-Verlag). Kriedte  : Spätfeudalismus = P. Kriedte  : Spätfeudalismus und Handelskapital, G 1980 (Vandenhoeck & Ruprecht). Krieger  : Asien = Martin Krieger  : Geschichte Asiens, Köln 2003 (Böhlau). Krippendorff  : Internationale Beziehungen = Ekkehard Krippendorf (Hg.)  : Internationale Beziehungen, Köln 1973 (Kiepenheuer & Witsch). Krumeich 2014 = Gerd Krumeich, Der Erste Weltkrieg. 101 Fragen. M 2014. Krüger  : Staatensystem = Peter Krüger (Hg.)  : Das europäische Staatensystem im Wandel, M 1996 (Oldenbourg). Kuchenbuch  : Feudalismus = Ludolf Kuchenbuch (Hg.)  : Feudalismus. Materialien zu Theorie und Geschichte, B 1977 (Ullstein). Kürsat-Ahlers  : Staatenbildung = Elçin Kürsat-Ahlers  : Zur frühen Staatenbildung von Steppenvölkern, B 1994 (Duncker & Humblot). Kuhn  : Confucian Rule = Dieter Kuhn  : The Age of Confucian Rule, The Song Transformation of China, C 2011 (Harvard University Press). Kulke/Rothermund = Herrmann Kulke, Dietmar Rothermund  : Geschichte Indiens, S 1982 u. ö. (Kohlhammer). Küster  : Korn = Hansjörg Küster  : Am Anfang war das Korn, M 2013 (Beck). Kwanten  : Nomads = Luc Kwanten  : Imperial Nomads, Philadelphia 1979 (Pennsylvania UP). Lampe  : Balkans = John R. Lampe  : Balkans into Southeastern Europe, Basingstoke 2006 (Palgrave). Landes  : Wohlstand = David Landes  : Wohlstand und Armut der Nationen, ü. D 1999 (WBG). Laudage  : Otto = Johannes Laudage  : Otto der Große, ³Regensburg 2011 (Pustet). Leitner  : Imperium = Ulrich Leitner  : Imperium. Geschichte und Theorie eines politischen Systems, F 2011 (Campus). Lekon  : Periphery = Christian Lekon  : Hadhramaut and its Migration to the Indian Ocean Rim. A case of Periphery-Periphery Relations  ? in  : PEWS 2, S. 28–50. Lekon/Vatansever = Christian Lekon, Asli Vatansever (Hg.)  : Islam und Säkularisierung = ZWG 16.1 (2015). Lenk  : Ideologie = Kurt Lenk (Hg.)  : Ideologie ²Neuwied 1964 (Luchterhand). Levene/Roberts = Mark Levene, Penny Roberts (Hg.)  : The Massacre in History, NY 1999 (Berghahn). Lewis  : Middle East = The Middle East. 2000 Years of History, 4. Aufl. L 2004. Leonhard/Hirschhausen = Jörn Leonhard, Ulrike von Hirschhausen (Hg.)  : Comparing Empires, G ²2012 (Vandenhoeck & Ruprecht). Leonhard/Hirschhausen  : Pomp = Jörn Leonhard, Ulrike von Hirschhausen  : Empires und Nationalstaaten,²G 2011 (Vandenhoeck & Ruprecht). Leppin/Schneidmüller = Hartmut Leppin, Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter (Hg.) Kaisertum im 1. Jahrtausend, Regensburg 2012 (Schnell & Steiner). Liebig  : Migration = Sabine Liebig (Hg.)  : Migration, Schwalbach 2006 (Wochenschau) Lilie  : Byzanz = Ralph-Johannes Lilie  : Byzanz, ³ M 2003 (Beck). Linhardt/Weigelin-Schwiedrzik = Sepp Linhardt, Sabine Weigelin-Schwidrzik (Hg.)  : Ostasien 1600–1900, W 2004 (Promedia). Lütt  : Indien = Jürgen Lütt  : Das moderne Indien 1498–2004, M 2012 (Oldenbourg).

Literatur (Kurztitel) Anhang  |  Liedl/Pittioni = Gottfried Liedl, Manfred Pittioni, Thomas Kolnberger (Hg.)  : Im Zeichen der Kanone, W 2002 (Mandelbaum). Longerich  : Vernichtung = Peter Longerich  : Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung, M 1998 (Piper). Luhmann  : Weltgesellschaft = Niklas Luhmann  : Die Weltgesellschaft (1971), in  : ders., Soziologische Aufklärung 2, 6. Auflage Wiesbaden 2009 (VS-Verlag). Macchiavelli  : Fürst = Niccolò Machiavell  : Der Fürst [1513], ü. F 1990 (Insel). MacGregor  : Objekte = Neil MacGregor  : Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten, ü. M 2011 (Beck). Maddison  : Contours = Angus Maddison  : Contours of the World Economy, Oxford 2007 (Oxford UP). Magee/Thompson  : Networks = Gary B.  Magee, Andrew S.  Thompson  : Empire and Globalisation, Cambridge 2010 (Cambridge UP). Maier  : Byzanz = Franz Georg Maier (Hg.)  : Byzanz (1973), 11. Auflage Hamburg 2011. Maier  : Among Empires = Charles S. Maier  : Among Empires. American Ascendancy and its predecessors, C 2006 (Harvard UP). Mandelbaum  : Weltgeschichte s. Feldbauer/Hausberger. Mann  : Indien = Michael Mann  : Geschichte Indiens vom 18. zum 21. Jahrhundert, Paderborn 2005 (Schöningh). Mann  : Dunkle Seite = Michael Mann  : Die dunkle Seite der Demokratie. Eine Theorie der ethnischen Säuberung, ü. Hamburg 2007 (Hamburger Edition). Mann/Pross = Golo Mann, Harry Pross  : Außenpolitik, F 1957 (Fischer). Manning  : Navigating = Patrick Manning  : Navigating World History NY 2003 (Palgrave). Manning  : Migration = Patrick Manning  : Migration in World History, NY 2006 (Routledge). Marramao  : Säkularisierung = Giacomo Marramao  : Die Säkularisierung der westlichen Welt, ü. F 1999 (Insel). Marx  : Kapital = Karl Marx  : Das Kapital, Vol. 1, hg. v. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. B 1966 (Dietz) = MEW 23–25. Marx Studienausgabe = Iring Fetscher (Hg.)  : Karl Marx Studienausgabe, Bd. 1–4, F 1966 (Fischer). Maschwitz/Müller = Renate Maschwitz, Christoph F. Müller, Hans-Peter Waldhoff (Hg.)  : Die Kunst der Mehrstimmigkeit. Gruppenanalyse als Modell für die Zivilisierung von Konflikten, Gießen 2009 (Psychosozialverlag). Massing/Breit = P. Massing, G. Breit (Hg.)  : Demokratietheorien. Bad Schwalbach 2001 (WochenschauVerlag). Matz  : Daten = Klaus-Jürgen Matz  : Die 1000 wichtigsten Daten der Weltgeschichte, 4. Auflage M 2006 (Beck). Matuz  : Osmanen = Joseph Matuz  : Das Osmanische Reich, Grundlinien seiner Geschichte, D 1990 (WBG). Maul  : Wahrsagekunst = Stefan M. Maul  : Die Wahrsagekunst im Alten Orient, Zeichen des Himmels und der Erde, München 2013 (Beck). Mazlish  : Globalgeschichte = Bruce Mazlish  : Die neue Globalgeschichte ü. ZWG 3.1 (2002), S. 9–22. Mazlish/Iriye = Bruce Mazlish, Akira Iriye (Hg.)  : The Global History Reader, NY 2005 (Routledge). Mazower  : Empire = Mark Mazower  : Hitlers Empire, NY 2008 (Allen Lane). Mazower  : No Palace = Mark Mazower  : No Enchanted Palace. The End of Empire and the Ideological Origins of the United Nations, Princeton/NJ 2013 (Princeton UP). McDermott/Stibbe = Kevin McDermott, Matthew Stibbe (Hg.)  : The 1989 Revolutions, Manchester 2013 (Manchester UP) McLaughlin  : Silk Routes = Raoul McLaughlin  : The Roman Empire and the Silk Routes. Barnsley 2016 (Pen & Sword)

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|  Anhang McNeill  : Rise = William H. McNeill  : The Rise of the West. A History of the Human Community, Neuauflage mit einer rückblickenden Einführung zur Erstauflage [1963], Chicago 1990 (Chicago UP). McNeill  : Plagues = William H. McNeill  : Plagues and Peoples, NY 1997 (Doubleday). McNeill  : Encyclopedia = William H. McNeill (Hg.)  : Berkshire Encyclopedia of World History Vol. 1–5 Great Barrington/Mass. 2005. McNeill/McNeill = John R. McNeill, William H. McNeill  : The Human Web, NY 2003 (Norton). Meissner  : Parteiprogramm = Boris Meissner (Hg.)  : Das Parteiprogramm der KPdSU, Köln 1962 (Wissenschaft & Politik). Menzel  : Entwicklungstheorie = Ulrich Menzel  : Geschichte der Entwicklungstheorie, Hamburg 1993 (Deutsches Übersee Institut). Menzel  : Hierarchie = Ulrich Menzel  : Die Hierarchie der Staatenwelt, in  : ZWG 11.2 (2011) 161–191. Menzel  : Ordnung = Ulrich Menzel  : Die Ordnung der Welt, B 2015 (Suhrkamp). Middell  : Verfachlichung = Matthias Middell  : Weltgeschichtsschreibung im Zeitalter der Verfachlichung und Professionalisierung, Bd. 1–3, Leipzig 2005 (Akademische Verlagsanstalt). Middell/Engel = Matthias Middell, Ulf Engel (Hg.)  : Theoretiker der Globalisierung, Leipzig 2010 (Leipziger Universitätsverlag). Milanović  : Welt = Branko Milanović  : Die ungleiche Welt, Deutsch B 2016 (Suhrkamp). Mishra  : Ruinen = Pankaj Mishra  : Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens, ü. F 2013 (Fischer). Mitchell  : Statistics = B. R. Mitchell, International Historical Statistics. Europe New York 1992. Mitterauer  : Warum Europa = Michael Mitterauer  : Warum Europa  ? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs, M 2003 (Beck). Mommsen  : Imperialismus = Wolfgang J. Mommsen (Hg.)  : Der moderne Imperialismus, S 1971 (Kohlhammer). Moore  : Ursprünge = Barrington Moore  : Soziale Ursprünge von Diktatur und Demokratie, ü. F 1969 (Suhrkamp). Motyl  : Ends = Alexander J. Motyl  : Imperial Ends. The Decay, Collaps and Revival of Empires, NY 2001 (Columbia UP). Moyn/Sartori = Samuel Moyn, Andrew Sartori (Hg.)  : Global Intellectual History, NY 2013 (Columbia UP). Münkler  : Imperien = Herfried Münkler  : Imperien. Die Logik der Weltherrschaft, B 2005 (Rowohlt). Münkler  : Imperien leisten = Herfried Münkler (Hg.)  : Was Imperien leisten, ZWG 11.2 (2011). Münkler  : Krieg = Herfried Münkler, Der Große Krieg, B 2013. Münkler  : Mitte = Herfried Münkler  : Macht in der Mitte, Hamburg 2015 (Körber-Stiftung). Münkler/Hausteiner = Herfried Münkler, Eva Marlene Hausteiner (Hg.)  : Die Legitimation von Imperien, F 2012 (Campus). Muzzey  : USA = David Saville Muzzey  : A History of Our Country, ND Boston 1950 (Ginn & Co.). Nagel  : Fernhandel = Jürgen Nagel  : Abenteuer Fernhandel. Die Ostindienkompanien. Mainz 2012 (Zabern). Naimark  : Fires = Norman M. Naimark  : Fires of Hatred. Ethnic Cleansing in Twentieth Century Europe, C 2001 (Harvard UP). Naumann  : Laboratorien = Katja Naumann  : Laboratorien der Weltgeschichtsschreibung. Lehre und Forschung an den Universitäten Chicago, Columbia und Harvard von 1918 bis 1968, Diss. Phil. Leipzig 2012. Nehru  : Indien = Jawaharlal Nehru  : Die Entdeckung Indiens (1946), ü. B 1959 (Rütten & Loening). Nitschke  : Prozess = Peter Nitschke (Hg.)  : Der Prozess der Zivilisationen. 20 Jahre nach Huntington, B 2014 (Frank & Timme). Nitz  : Perspective = Hans-Jürgen Nitz (Hg.)  : The Early Modern World-System in Geographical Perspective, S 1993 (Steiner).

Literatur (Kurztitel) Anhang  |  Nolte  : Faschismus = Ernst Nolte  : Der Faschismus in seiner Epoche, München 1963 (Piper)  ; Nolte  : Toleranz = H.-H. Nolte  : Religiöse Toleranz in Russland, G 1969 (Musterschmidt). Nolte  : Ziviler Widerstand = H.-H. Nolte  : Geschichte zivilen Widerstands, in  : H.-H. und Wilhelm Nolte  : Ziviler Widerstand und autonome Abwehr, Baden-Baden 1984 (Nomos), S. 13–140. Nolte  : Patronage = H.-H. Nolte (Hg.)  : Patronage und Klientel, Köln usw. 1989 (Böhlau). Nolte  : Überfall = H.-H. Nolte  : Der deutsche Überfall auf die Sowjetunion 1941, Hannover 1991 (Niedersächsische Landeszentrale). Nolte  : Migrationen = H.-H. Nolte (Hg.)  : Deutsche Migrationen, Münster 1996 (LIT). Nolte  : Weltgeschichte = H.-H. Nolte  : 1. Weltgeschichte. Imperien, Religionen und Systeme, 15–19. Jahrhundert, W 2005  ; 2. Weltgeschichte des 20.Jahrhunderts, W 2009 (Böhlau). Nolte  : USA = H.-H. Nolte (Hg.)  : USA 1, Schwalbach 2006 (Wochenschau-Verlag). Nolte  : Imperien = H.-H. Nolte (Hg.)  : Imperien, eine vergleichende Studie, Schwalbach 2008 (Wochenschau-Verlag). Nolte  : Russland = H.-H. Nolte  : Geschichte Russlands, ³S 2012 (Reclam). Nolte  : Religions = H.-H. Nolte  : Religions in World and Global History, F 2015 (Lang) s. PEWS. Nolte  : Russische Bauern = H.-H. Nolte  : Russische Bauern zwischen Waldeinsamkeit, Kommune und Kapitalismus, in  : Grumblies/Weise, S. 63–98. Nolte/Eschment = H.-H. Nolte, Beate Eschment, Jens Vogt, Nationenbildung östlich des Bug, Hannover 1994 (Niedersächsische Landeszentrale). North  : Geld = Michael North  : Das Geld und seine Geschichte, M 1994. Northrup  : Companion = Doug Northrup (Hg.)  : A Companion to World History, Oxford 2012 (Blackwell). O’Brien  : Industrial Revolution = Patrick O’Brien (Hg.)  : The Industrial Revolution in Europe Vol. 1–2, L 1994 Oltmer  : Migration = Jochen Oltmer  : Globale Migration, M 2012 (Beck) Oltmer  : Migration 2 = Jochen Oltmer  : Migration. Geschichte und Zukunft der Gegenwart, D 2017 (Theiss) Osterhammel  : Entzauberung = Jürgen Osterhammel  : Die Entzauberung Asiens, M 1998 (Beck). Osterhammel  : Basistexte = Jürgen Osterhammel (Hg.)  : Weltgeschichte. Basistexte, S 2008 (Steiner). Osterhammel  : Verwandlung = Jürgen Osterhammel  : Die Verwandlung der Welt, M 2009 (Beck). Osterhammel/Peterson = Jürgen Osterhammel, Niels P. Peterson  : Geschichte der Globalisierung, M 2003 (Beck). Ostler  : Language History = Nicholas Ostler  : Empires of the Word. A Language-History of the World, NY 2005 (Harper). Oxtoby  : Religions = W. G. Oxtoby (Hg.)  : World Religions 1–2, Oxford 2002 (Oxford UP). Parker  : Revolution = Geoffrey Parker  : The military revolution, ³Cambridge 2008 (Cambridge UP). Parker  : Empire = Geoffrey Parker  : Empire, War and Faith in Early Modern Europe, L 2003 (Penguin). Parker  : Crisis = Geoffrey Parker  : Global Crisis. War, Climate Change & Catastrophe in the Seventeenth Century, New Haven/Conn. 2013 (Yale UP). Parnreiter/Novy = Christof Parnreiter, Andreas Novy, Karin Fischer (Hg.)  : Globalisierung und Peripherie, F 1999 (Brandes & Apsel). Paxman  : Empire = Jeremy Paxman  : Empire, L 2012 (Penguin). Pernau  : Geschichte = Margrit Pernau  : Transnationale Geschichte, G 2011 (Vandenhoeck & Ruprecht). PEWS 1–4 = Manuela Boatcă, Andrea Komlosy, H.-H. Nolte (Hg.)  : Political Economy of the World System, Vol. 1–4  ; 1. Coloniality of Power and Hegemonic Shifts = Journal of World-System Research 22.2 (2016)  ; http://www.facebook.com/groups/PEWSJWSR  ; 2. Worldregions, Migrations and Identities = Zur Kritik der Geschichtsschreibung 13, Gleichen 2016 (Musterschmidt)  ; 3. Global Inequalities (erscheint bei Routledge) Vol. 4. Nolte Religions (s.o.).

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|  Anhang Pfeilschifter  : Spätantike = Rene Pfeilschifter  : Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher, M 2014 (Beck). Pierenkämper  : Revolution = Toni Pierenkemper  : Umstrittene Revolutionen, Industrialisierung im 19. Jahrhundert, F 1998 (Fischer). Pietschmann  : Atlantic = H. Pietschmann (Hg.)  : Atlantic History, G 2002 (Vandenhoeck & Ruprecht). Piketty  : Capital = Thomas Piketty  : Capital in the 21st. Century, ü. C 2014 (Harvard UP). Pilz  : China = Erich Pilz, Warum nicht China  ?, in  : Linhart/Weigelin-Schwiedrzik, S. 229–244. Ploetz = Dieter Geiß (Hg.)  : Der Grosse Ploetz, 35. Auflage G 2008 (Vandenhoeck & Ruprecht). Pohl  : Wehrmacht = Dieter Pohl  : Die Herrschaft der Wehrmacht (2008), F 2011 (Fischer). Poliakov  : Antisemitismus = Léon Poliakov  : Geschichte des Antisemitismus Bd. 1–7, ü. Worms 1977–F 1988 (Heintz – Athenäum). Poljan  : Volja = Pavel Poljan  : Ne po svoej vole … Istorija i geografija prinuditel’nykh Migracii v SSSR, Moskva 2001 (O.G.I). Poljan  : Zhertvy = Pavel Poljan  : Zhertvy dvukh diktatur, ²Moskva 2002 (ROSSPEN). Poljan/Nolte = Pavel Poljan, H.-H. Nolte  : Massenverbrechen in der Sowjetunion und im Nationalsozialistischen Deutschland., in  : ZWG 2,1 (2001), S. 125–148. Pomeranz/Topik = Kenneth Pomeranz, Steven Topik (Hg.)  : The World that Trade Created, L 1999 (Sharpe). Pomeranz  : Divergence = Kenneth Pomeranz  : The Great Divergence, Princeton/NJ 2000 (Princeton UP). Pomeranz Nachdenken = Kenneth Pomeranz  : Nachdenken über Vergleichende Wirtschaftsgeschichte  : Der >fernöstliche Entwicklungsweg< als Konzeption, Geschichte und Politik, in ZWG 4.2 (2003) S. 11 – 26 Preisendanz/Rothermund  : Karin Preisendanz, Dietmar Rothermund (Hg.)  : Südasien in der ›Neuzeit‹, W 2003 (Promedia). Puhle  : Europa = Hans-Jürgen Puhle  : Staaten, Nationen und Regionen in Europa, W 1995 (Picus). Puhle/Köster = Matthias Puhle, Gabriele Köster (Hg.)  : Otto der Große und das Römische Reich. Ausstellungskatalog Magdeburg, Regensburg 2012 (Schnell & Steiner). Pyta  : Mächtekonzert = Wolfram Pyta (Hg.)  : Das europäische Mächtekonzert, Köln usw. 2009 (Böhlau). Quellenbuch = H.-H. Nolte, Bernhard Schalhorn, Bernd Bonwetsch (Hg.)  : Quellen zur russischen Geschichte, S 2015 (Reclam). Quentmeier/Stupperich = Manfred Quentmeier, Martin Stupperich, Rolf Wernstedt (Hg.), Krieg und Frieden 1914–1924, Schwalbach 2014 (Wochenschau-Verlag). Radner  : Handelspolitik = Karen Radner  : Assyrische Handelspolitik. Die Symbiose mit unabhängigen Handelszentren und ihre Kontrolle durch Assyrien, in  : Robert Rollinger, Christoph Ulf (Hg.)  : Commerce and Monetary Systems in the Ancient World. Means of Transmission and Cultural Interaction. Melammu Symposia 5 (Oriens et Occidens 6), S 2004 (Franz Steiner), S.152–169. Radner  : Privatrechtsurkunden = Karen Radner  : Die neuassyrischen Privatrechtsurkunden als Quelle für Mensch und Umwelt, Helsinki 1997, SAAS VI. Radner  : Assyrian Army = Karen Radner  : The Assyrian army, http://www.ucl.ac.uk/sargon/essentials/soldiers/theassyrianarmy eingesehen 24.7.16. Radner  : Abgaben = Karen Radner  : Abgaben an den König von Assyrien aus dem In- und Ausland, in  : H. Klinkott, S. Kubisch, R. Müller-Wollermann (Hg.)  : Geschenke und Steuern, Zölle und Tribute. Antike Abgabenformen in Anspruch und Wirklichkeit (Culture and History of the Ancient Near East, Bd. 29), Leiden 2007 (Brill), S. 213–230. Ranke  : Mächte = Leopold von Ranke  : Die Grossen Mächte. Politisches Gespräch, hg. v. Theodor Schieder, G 1958 (Vandenhoeck & Ruprecht). Reichholf  : Naturgeschichte = Josef H. Reichholf  : Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends, F 2007 (Fischer).

Literatur (Kurztitel) Anhang  |  Rein  : Ausdehnung = Adolf Rein  : Über die Bedeutung der überseeischen Ausdehnung für das Europäische Staatensystem, D (1953) 1965 (WBG). Reinhard  : Freunde = Wolfgang Reinhard  : Freunde und Kreaturen, M 1979 (Beck). Reinhard  : Expansion = Wolfgang Reinhard  : Geschichte der europäischen Expansion, Bd. 1–4 Stuttgart 1983–1990 (Kohlhammer). Reinhard  : Staatsgewalt = Wolfgang Reinhard  : Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas, ³M 2002 (Beck). Reinhard  : Empires = Wolfgang Reinhard (Ed.)  : Empires and Encounters, Cambridge 2015 (Belknap). Rexheuser  : Kulturen = Rex Rexheuser  : Kulturen und Gedächtnis. Studien und Reflexionen zur Geschichte des östlichen Europa, Wiesbaden 2008 (Harrassowitz). Richards  : Mogul = John F. Richards  : The Mughal Empire = The New Cambridge History of India 1.5, Cambridge 1995 (Cambridge UP). Roberts  : China = J. G. A. Roberts  : The complete History of China, Neuaufl. Phoenix 2003 (Sutton). Rodgers/Raman = Daniel T. Rodgers, Bhavani Raman, Helmut Reimitz (Hg.)  : Cultures in Motion, Princeton/Mass. 2014 (Princeton UP). Rokkan  : Vergleich = Stein Rokkan  : Vergleichende Sozialwissenschaft, ü. B 1972 (Ullstein). Rossum/Kamp = Matthias van Rossum, Jeannette Kamp (Hg.)  : Desertion in the Early Modern World, L 2016 (Bloomsbury). Roth/Schlögel = Ralf Roth/Karl Schlögel (Hg), Neue Wege in ein neues Europa. Geschichte und Verkehr im 20. Jahrhundert, F 2009. Roth  : Weltverkehr = Ralf Roth (Hg.)  : Schwerpunkt  : Weltverkehr und Weltgeschichte = ZWG 12.2 (2011). Roth  : Unternehmen = Ralf Roth (Hg.)  : Schwerpunkt  : Transnationale Unternehmen – Globale Netzwerke und lokales Engagement = ZWG 14.1 (2013). Rothermund/Weigelin-Schwiedrzik = Dietmar Rothermund, Susanne Weigelin-Schwiedrzik (Hg.)  : Der Indische Ozean, W 2004 (Promedia). Rothermund/Preisendanz = Dietmar Rothermund, Karin Preisendanz (Hg.)  : Südasien in der »Neuzeit«, Wien 2003 = Edition Weltregionen 5 (Promedia). Sachsenmaier  : China = Dominic Sachsenmaier (Hg.)  : China = ZWG 4.2 (2003). Sachsenmaier  : Perspective = Dominic Sachsenmaier  : Global Perspectives on Global History, Cambridge 2011 (Cambridge UP). Sadokhin/Grushevickaja = A. P. Sadokhin, T. G. Grushevickaja  : Ėtnologija, Moskva 2000 (Akademija). Saldern  : Amerikanismus = Adelheid von Saldern  : Amerikanismus, kulturelle Abgrenzung von Europa und US-Nationalismus, S 2013 (Steiner). Scales/Zimmer = L. Scales, O. Zimmer (Hg.)  : Power and the Nation in European History, Cambridge 2005 (Cambridge UP). Schacht/Bosworth = Joseph Schacht, C. E. Bosworth (Hg.)  : Das Vermächtnis des Islams, ü. 2 Bde. M 1983 (dtv). Schäbler  : Areastudies = Birgit Schäbler (Hg.)  : Area Studies und die Welt. Weltregionen und die Neue Globalgeschichte, W 2007 (Mandelbaum). Scherrer  : Ethno-Nationalismus 1–2 = Christian P. Scherrer  : Ethno-Nationalismus im Weltsystem/ders.: Ethno-Nationalismus im Zeitalter der Globalisierung  ; Münster 1996 f. (agenda). Scheve/Stasavage = Kenneth Scheve, David Stasavage  : Taxing the Rich. A History of Fiscal Fairness in the United States and Europe, Princeton 2016 (Princeton UP). Schilling  : Konfessionalisierung = Heinz Schilling  : Konfessionalisierung und Staatsinteresse, Paderborn 2008 (Handbuch Internationale Beziehungen 2, Schöningh). Schimmelpfennig  : Papsttum = Bernhard Schimmelpfennig  : Das Papsttum von der Antike bis zur Renaissance, ³D 1988 (WBG).

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|  Anhang Schlögel  : Raum = Karl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, F 2006 (Fischer). Schmale  : Europa = Wolfgang Schmale  : Geschichte Europas, W 2000 (Böhlau). Schmidt  : Leibeigenschaft = Christoph Schmidt  : Leibeigenschaft im Ostseeraum, Versuch einer Typologie, Köln usw. 1997 (Böhlau). Schmidt  : Russland = Christoph Schmidt  : Russische Geschichte 1547–1917, M 2009 (Oldenbourg). Schmidt-Glinzer  : Grundriss = Helwig Schmidt-Glintzer  : Geschichte Chinas bis zur Mongolischen Eroberung = Oldenbourg Grundrisse 26, M 1999 (Oldenbourg). Schmidt-Glinzer  : Buddhismus = Helwig Schmidt-Glinzer  : Der Buddhismus, M 2005 (Beck). Schmiechen-Ackerman  : Diktaturen = Detlef Schmiechen-Ackermann  : Diktaturen im Vergleich, ³D 2010 (WBG). Schmieder/Zeuske = Ulrike Schmieder, Michael Zeuske (Hg.)  : Transkulturation und Wissen = ZWG 8.2 (2007). Schmieder/Nolte = Ulrike Schmieder, H.-H. Nolte (Hg.)  : Atlantik, W 2010 (Promedia). Schottenhammer  : Song = Angela Schottenhammer  : Die Song-Dynastie – eine revolutionäre Zeitenwende, in  : Feldbauer/Hausberger 1, S. 29–66. Schramm  : Wegscheiden = Gottfried Schramm  : Fünf Wegscheiden der Weltgeschichte, G 2004 (Vandenhoeck & Ruprecht). Schreiner  : Byzanz = Peter Schreiner  : Byzanz 565–1453, ³München 2008 (Oldenbourg). Schulin  : Universalgeschichte = Ernst Schulin (Hg.)  : Universalgeschichte, Köln 1974 (Kiepenheuer & Witsch). Schulz  : Arm und Reich = Günther Schulz (Hg.)  : Arm und Reich. Zur gesellschaftlichen Ungleichheit in der Geschichte, S 2015 (Steiner). Schwab  : Vierte = Klaus Schwab  : Die Vierte Industrielle Revolution, ü. M 2016 (Pantheon). Seeley  : Ausbreitung = John Robert Seeley  : Die Ausbreitung Englands (1865), ü., fortgeführt von Michael Freund, F 1954 (Fischer). Senghaas  : Dissoziation = Dieter Senghaas  : Weltwirtschaftsordnung und Entwicklungspolitik. Plädoyer für Dissoziation, F 1977 (Suhrkamp). Senghaas  : Weltökonomie = Dieter Senghaas (Hg.)  : Kapitalistische Weltökonomie, F 1979 (Suhrkamp). Senghaas  : Europa = Dieter Senghaas  : Von Europa lernen, F 1982 (Suhrkamp). Seibring  : Hunger = Anne Seibring (Hg.)  : Hunger = APuZ 65.49 (30. 11.2015). SIĖ = E. M. Zhukov (Hg.)  : Soveckaja Istoricheskaja Ėnciklopedija Bd. 1–16, Moskva 1961–1976 (Soveckaja Ėnciklopedija). Sieder/Langthaler = Reinhard Sieder, Ernst Langthaler (Hg.)  : Globalgeschichte 1800–2010, W 2010. Sieferle  : Transportgeschichte = Rolf Peter Sieferle (Hg.)  : Transportgeschichte, Münster 2008 (LIT). Simon/Simon = Gerhard und Nadja Simon  : Verfall und Untergang des sowjetischen Imperiums, M 1993 (dtv). Slezkine  : Jahrhundert = Yuri Slezkine  : Das jüdische Jahrhundert, ü. Göttingen 2007 (Vandenhoeck & Ruprecht). Smart  : Denken = Ninian Smart  : Weltgeschichte des Denkens. Die geistigen Traditionen der Menschheit, ü. D 2002 (WBG). Smil  : Twentieth Century = Vaclav Smil  : Creating the Twentieth Century, Technical Innovations and Their Lasting Impact, Oxford 2005 (Oxford UP). Smith  : Wohlstand = Adam Smith  : Eine Untersuchung über Natur und Wesen des Volkswohlstands, Tle. 1–2 (1786), ü. 1923, NA Gießen 1973 (Achenbach). Snyder  : Bloodlands = Timothy Snyder  : Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin, ü. M 2014 (dtv). Sooman  : Sprache = Imbi Sooman  : Sprache, wofür stehst du  ?, in  : Komlosy/Nolte, S. 174–196.

Literatur (Kurztitel) Anhang  |  Sources China 1 & 2 = Theodore de Bary, Irene Bloom (Hg.)  : Sources of Chinese Tradition, Vol. 1–2, ²NY 1999 (Columbia UP). Spengler  : Untergang = Oswald Spengler  : Der Untergang des Abendlandes, Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, hg. v. Helmut Werner, M 1959 (Beck). Spuler  : Mongolen = Bertold Spuler  : Geschichte der Mongolen, Sigmaringen 1968 (Thorbeke). Srodecki  : Bollwerk = Paul Srodecki  : Antemurale Christianitatis. Zur Genese der Bollwerksrhetorik im östlichen Mitteleuropa, Husum 2015 (Mathiesen) Staiger/Friedrich s. Großes China Lexikon. Steffen  : Zerfall = Katrin Steffen (Hg.)  : Nach dem Zerfall der Imperien = Nord-Ost-Archiv 23 2015. Stielers  : Handatlas = Justus Perthes’ Geographische Anstalt (Hg.)  : Stielers-Handatlas 9. Auflage Gotha 1905 (Perthes). Stiglitz  : Work = Joseph E. Stiglitz  : Making Globalization Work, NY 2007 (Norton). Stökl  : Russland = Günter Stökl, Manfred Alexander  : Russische Geschichte. ND S 2009 (Kröner). Stubbe  : Statthalterregimes = Helmut Stubbe da Luz (Hg.)  : Statthalterregimes = Hamburg, Europa und die Welt (folgend HEW) Bd. 3, F 2016 (Lang). Stubbe  : Säkularisierung = Helmut Stubbe da Luz (Hg.)  : Säkularisierung. Ein weltgeschichtlicher Prozess in Hamburg = HEW Bd. 4, erscheint F 2017 (Lang). Stuby Föderalismus = Gerhard Stuby (Hg.)   : Föderalismus und Demokratie, Baden-Baden 1992 (Nomos) Sundhaussen  : Serbien = Holm Sundhaussen, Geschichte Serbiens, W 2007 (Böhlau). Subtelny  : Domination = Orest Subtelny  : Domination of Eastern Europe. Native Nobilities and Foreign Absolutism 1500–1715, Kingston 1986 (McGill UP). Szlaijfer  : Nationalism = Henryk Szlaijfer (Hg.)  : Economic Nationalism in East-Central Europe and South America, Genf 1990 (Droz). Ther  : Nationalstaaten = Philipp Ther  : Die dunkle Seite der Nationalstaaten, G 2011 (Vandenhoeck & Ruprecht). Tocqueville  : Demokratie = Alexis de Tocqueville  : Die Demokratie in Amerika (1835/40), ü. F 1956 (Fischer). Total War 1–5 = Stig Förster, Roger Chickering u.a. (Hg.)  : Total War  : 1. 1861–1871  ; 2. 1871–1914  ; 3. 1914–1918  ; 4. 1919–1939  ; 5. 1937–1945  ; Cambridge 1997–2005 (Cambridge UP). Tracy  : Merchant Empire 1 & 2 = James D. Tracy Ed.: The Rise of Merchant Empires & the Political Economy of Merchant Empires, Cambridge 1991 (Cambridge UP). Trapp/Wallerus = Wolfgang Trapp, Heinz Wallerus  : Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte und der Zeitrechnung, 5. Auflage S 2005 (Reclam). Treitler/ Boatcă = Vilna Bashi Treitler, Manuela Boatcă (Hg.)  : Dynamics of Inequalities in a global Perspective = Current Sociology 64.2 (March 2016). Trepalov  : Imperii = V. V. Trepavlov  : Stepnye imperii Evrazii, Mongoly i Tatary, Moskva 2015 (Kvadriga). Troebst  : Handelskontrolle = Stefan Troebst  : Handelskontrolle – ›Derivation‹ – Eindämmung, Wiesbaden 1997 (Harrassowitz). Tschajanoff  : Bäuerliche Wirtschaft = Alexander Tschajanow  : Die Lehre von der bäuerlichen Wirtschaft (Berlin 1923), Nachdruck Frankfurt 1987 (Campus). Tuchtenhagen  : Baltikum = Ralph Tuchtenhagen  : Geschichte der baltischen Länder, M 2005 (Beck). Ueberschär/Wette = Gerd R. Ueberschär, Wolfram Wette (Hg.)  : Unternehmen Barbarossa, Paderborn 1984 (Schöningh), mehrfach Neuauflagen (bei Fischer). Ullrich  : Großmacht = Volker Ullrich, Die nervöse Großmacht 1871–1918  : Aufstieg und Untergang des deutschen Kaiserreichs, F 1997. Valentej Federalizm = S. D. Valentej (Hg.)  : Federalizm. Ėnciklopedicheskj Slovar’, Moskva 1997 (INFRA)

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|  Anhang Valentino  : Solutions = Benjamin A. Valentino  : Final Solutions. Mass Killing and Genocide in the 20th Century, Ithaca 2004 (Cornell UP). Veenhof = Klass R. Veenhof  : Geschichte des Alten Orients bis zur Zeit Alexanders (Grundrisse zum Alten Testament 11), G 2001 (Vandenhoeck & Ruprecht). Vester/von Oertzen = Michael Vester, Peter von Oertzen, Heiko Geiling, Thomas Hermann, Dagmar Müller  : Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel (2001), ⁴F 2015 (Suhrkamp). Vietta  : Weltgesellschaft = Sivio Vietta  ; Die Weltgesellschaft. Wie die abendländische Rationalität die Welt erobert und verändert hat, Baden-Baden 2016 (Nomos). Völkel  : Geschichtsschreibung = Markus Völkel  : Geschichtsschreibung, Köln 2006 (Böhlau). Vries  : Divergence = Peer Vries  : State, Economy and the Great Divergence. Great Britain and China, 1680s– 1850s, London 2015 (Bloomsbury). Wachtel  : Balkans = Andrew Baruch Wachtel  : The Balkans in World History, Oxford 2008 (Oxford UP). Wallerstein  : Kapitalismus = Immanuel Wallerstein  : Der historische Kapitalismus, ü. B 1984 (Argument). Wallerstein  : Weltsystem = Immanuel  : Das moderne Weltsystem, Bde. 1–4 (englisch 1974 ff.), ü. F 1986–W 2013 (Promedia). Wallerstein  : Sozialwissenschaften = Immanuel Wallerstein  : Die Sozialwissenschaften ›kaputtdenken‹, ü. Weinheim 1995 (Beltz). Wallerstein  : Overcoming = Immanuel Wallerstein u.a. (Hg.)  : Overcoming global inequalities, L 2015 (Routledge). WBG-Weltgeschichte s. Demel/Fried. Weatherford  : Genghis = Jack Weatherford  : Genghis Khan and the Making of the Modern World, NY 2014 (Broadway Books). Wehler  : Imperialismus = Hans-Ulrich Wehler (Hg.)  : Imperialismus, Köln usw. 1970 (Kiepenheuer & Witsch). Weber  : Wirtschaft = Max Weber  : Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie (1920), hg. v. Alexander Uhlig, F 2006 (Zweitausendundeins). Weinberg  : Weltkrieg = Gerhard L. Weinberg  : Eine Welt in Waffen, ü. D 1995 (WBG). Weinfurter  : Reich = Stefan Weinfurter  : Das Reich im Mittelalter, M 2008 (Beck). Weinfurter  : Karl = Stefan Weinfurter  : Karl der Große. Der heilige Barbar, M 2015 (Piper). Wendt  : Globalisierung = Reinhard Wendt  : Vom Kolonialismus zur Globalisierung, Paderborn 2007 (Schöningh). Wette  : Ueberschär = Wolfram Wette/Gerd R. Ueberschär (Hg.), Kriegsverbrechen im 20. Jahrhundert, D 2001 (WBG). Wilcke  : Königtum = Claus Wilcke  : Vom göttlichen Wesen des Königtums und seinem Ursprung im Himmel, in  : Erkens  : Sakralität, S. 63–83. Wilkinson  : Manual = Endymion Wilkinson  : Chinese History. A Manual [1998], ²Cambridge/Mass. 2000 (Harvard UP). Willems/Pollack = Ulrich Willems, Detlef Pollack, Helene Basu u.a. (Hg.)  : Moderne und Religion, Bielefeld 2013 (transcript). Williams  : Tragödie = William Appleman Williams  : Die Tragödie der amerikanischen Diplomatie, ü. Frankfurt 1973 (Suhrkamp). Wildt  : Nationalsozialismus = Michael Wildt  : Geschichte des Nationalsozialismus, G 2008 (Vandenhoeck & Ruprecht). Wilson  : Earth = James Wilson  : The Earth shall weep, L 1998 (Picador). Winkler  : Kapitalismus = Heinrich August Winkler (Hg.)  : Organisierter Kapitalismus, G 1974 (Vandenhoeck & Ruprecht). Wippermann  : Faschismus = Wolfgang Wippermann  : Faschismus, Darmstadt 2009 (Primus).

Literatur (Kurztitel) Anhang  |  Wirtschaftsploetz = Hugo Ott, Hermann Schäfer (Hg.)  : Wirtschaftsploetz, Würzburg 1984. Witzenrath  : Slavery = Christoph Witzenrath (Hg.)  : Eurasian Slavery, Ransom and Abolition in World History, 1200–1860, Farnham 2015 (Ashgate). Wittram  : Interesse = Reinhard Wittram  : Das Interesse an der Geschichte, ²G 1963 (Vandenhoeck & Ruprecht). Wittram  : Zukunft = Reinhard Wittram, Hans-Georg Gadamer, Jürgen Moltmann  : Geschichte Element der Zukunft, Tübingen 1965 (Mohr). Wobbe  : Weltgesellschaft = Theresa Wobbe  : Weltgesellschaft, Bielefeld 2000 (transcript). Wolf  : People = Eric R. Wolf  : Europe and the People without History, Berkeley 1982 (California UP). Wolf  : Peasant-Wars = Eric R. Wolf  : Peasant Wars of the Twentieth Century, ²Oklahoma 1999 (Oklahoma UP). Wolf  : UNO = Klaus Dieter Wolf  : Die UNO. Geschichte, Aufgaben, Perspektiven, M 2005 (Beck). Wolfrum/Arendes = Edgar Wolfrum, Cord Arendes  : Globale Geschichte des 20. Jahrhunderts, S 2007 (Kohlhammer) Wolfrum  : Zwiespalt = Edgar Wolfrum  : Welt im Zwiespalt. Eine andere Geschichte des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 2017 (Klett-Cotta) Wong  : China transformed = R. Bin Wong  : China transformed. Historical Change and the Limits of European Experience, Ithaca/NY 1997 (Cornell UP). Yazdani India = Kaveh Yazdani  : India, Modernity and the Great Divergence  : Mysore and Gujarat, Leiden 2017 (Brill) Zeit Weltgeschichte = Hildegard Hogen (Hg.)  : Zeit Welt- und Kulturgeschichte Bd. 1–20, Hamburg 2006 (ZEIT-Verlag). Zernack  : Polen = Klaus Zernack  : Polen und Russland, B 1994 (Propyläen). Zeuske  : Handbuch = Michael Zeuske  : Handbuch der Geschichte der Sklaverei, B 2013 (de Gruyter). Ziegler  : Imperium = Jean Ziegler  : Das Imperium der Schande. Der Kampf gegen Armut und Unterdrückung, ü. M 2005. Zimmermann  : Grenzüberschreitungen = Susan Zimmermann  : Grenzüberschreitungen, W 2010 (Mandelbaum). Zinn  : People’s History = Howard Zinn, A People’s History of the United States, Neuauflage NY 1995 (Harpers) Zubok  : Failed Empire = Vladislav Zubok  : A failed Empire, Charlotteville 2007

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Personenregister (und nicht regierende Familien)

Abbas (Schah in Schah) 218, 220 Abu-Lugod, Janet 130 Acemoglu, Daron 84 Achmatova, Anna 389 f. Adad (Gott) 66 Adad-Nīrārī II. 65 Adamczyk, Dariusz 10 Adelgonde, Philipp de Marnix de Saint 274 Adham Khan 214 Adomeit, Hannes 378 Aeneas (Held) 86 Akbar (Großmogul) 135, 205, 210, 212, 214, 220– 224, 279, 445, 453 Albert von Sachsen-Coburg 305 Alarich (König) 87 Aldcroft, Derek 411 Aleksej (Zar) 41 Alexander I. (Kaiser) 260 f., 278 Alexander II. (Kaiser) 298 Alexander III (Kaiser) 298 f. Alexander der Große 76, 137, 189 Alfred (König) 39, 262 Ali Pascha (Khedive) 139, 148,158 Ambrosius (Bischof ) 81, 184 Amburger 346 Anderson, Benedict 340 Anna (Kaiserin) 299 Anne (Königin) 267 Anne Boleyn (Königin) 264 Anne Seymour (Königin) 264 Arendt, Hannah 445 Aretin, Karl Otmar von 193 Aristoteles 41 Arius (Presbyter) 81 Arminius 93, 96 Armstrong, Karen 206 Arndt, Ernst Moritz 396 Aron, Jaques (Banker) 345 Asarhaddon 48, 56, 57

Ash, Timothy Garton 454 Aššur (Gott) 46, 62, 63, 66, 67, 71 Assurbanipal 48, 57, 64, 65 Assurnaṣirpal II. 45, 46, 47 Assurnaṣirpal II. 47, 53, 54, 69 Aššur-uballiṭ I. 52 Athar Ali 214 Augustinus (Kirchenvater) 7, 84 f. Augustus (Octavian) 43, 46, 75, 79-81, 86 f., 89, 93, 96, 135, 469 Aurangzeb (Großmogul) 132, 205, 212, 214, 217, 219, 223, 225, 279, 466 Aust, Martin 6, 15, 287 Aydin, Yasar 146 Baberowski Jörg 387 Babones Salvatore 439 Babur (Großmogul) 205, 208, 210 Bagg, Ariel M. 61, 74 Barber, Benjamin 15 Barère, Bertrand 342 Batu (Khan) 125 Beckwith, Christopher 15 Benjamin, Walter 456 Benkendorff, (Graf ) 299, 302 Berger, Stefan 19 Berkemer Georg 215 Berlin, Isaiah 336 Beyrau, Dietrich 408 Binner, Jens 10 Bismarck (Reichskanzler) 353, 398 Bley, Helmut 6, 308 Bloch, Ernst 456 Boatcă, Manuela 10 Boleslaw Chobry (König) 182 Bonnie Prince Charly (Anführer eines Aufstands) 318 Bonwetsch, Bernd 387 Borte (Khan-Gattin) 123

Personenregister  | Botta, Paul Emile 48 Braudel, Fernand 167 Brecht, Bertold 426 Breitmann, Paul 410 Brezhnev (Vorsitzender) 386 Bright, Charles 471 Brower, Daniel 426 Brüning (Reichskanzler) 407 Bucharin, Nikolaj (Politiker) 369 Buddha (Philosoph) 162 Burbank, Jane 17, 394 Burckhardt, Jacob 82 f. Busbecq, Ogier de (Gesandter) 143 f. Bush, G.W. (Präsident) 419, 429 f., 432, 438 Bzrezinski, Zbigniew 429 Caesar, Gaius Julius 79, 279, 466 Cancik-Kirschbaum, Eva 66 Capet, Hugo (König) 178 Carnegie 432 Catull 85 f. Chakrabarty, Dipesh 330 Chamberlain, J. 312 Chanda, Nayan 456 Chatterjee, Partha 330 Chlodwig (König) 173 Chomsky, Noam 15 Christus 87 f., 90, 92, 169 Chruschtschow, Nikita (Vorsitzender) 387, 397 f., 402 Chua, Amy .17, 442 Cicero 64, 66, 466 Cixi (Kaiserinwitwe) 232 Clausewitz, Carl von (Offizier) 348, 364, 367 Clinton (Präsident) 433 Cockerille 352 Conquest, Robert 388 Conrad, Sebastian 471 Coolidge, Archibald C. 336 f., 423 f. Cooper, Frederick 13, 394 Cromwell, Oliver (Lord-Protector) 313 Curtius, Ernst Robert 88 Curzon, Lord (Vizekönig) 322–324 Cyprian (Bischof, Märtyrer) 90

Dabringhaus, Sabine 237 Danda, Manohandas (Kaufmann) 217 Daniel (Prophet) 86 f., 161, 164 Daphne (Nymphe) 88 Daraj Shukosh (mongolischer Prinz) 212 Darwin, John 17, 206–208, 247, 252 f. David (König) 161–163 Davis, Ralf 310 Deutsch, Karl 339 f., 350 Deviatko, Inna 23 Dietrich von Bern (Held) 127 Dilke, Charles 39, 417, 452 Diokletian (Kaiser) 81 Dionysos (Gott) 75 Dowager (Kaiserinwitwe) 114 Dreifaltigkeit (Gottesvorstellung) 88, 90 f. Dreyfus, Alfred (Offizier) 351 Dschingis Khan, Temüdschin (Groß-Khan), 119– 126,129, 132 f., 135, 206, 221, 297, 433 Dschingissiden, einzelne Khane 123 f., 132 Duby, Georges 16 Duchhardt, Heinz 337 Dukes, Paul 429 Dürer, A. 218 Dutt, Romesh 321, 328 f., 334 Dyer (General) 324 Dzerzhinski, Feliks (Revolutionär) 448 Ea (Gott) 66 Eckert, Andreas 324 Edward VII. (König) 264 Egmont 269 Einstein, Albert 442 f. Elias, Norbert 258 Elisabeth I. (Königin) 262, 264f., 267, 303 Elisabeth II. (Königin) 264 Elsenhans, Hartmut 456 Enea Silvio (Papst) 157 Engels, Friedrich 351 Epikur (Philosoph) 89 Erasmus (Gelehrter) 204 Ertl, Thomas 105 Eschment, Beate 10 Esra (Prophet) 162

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|  Personenregister Ess, Hans von 104 Ester (eine der Frauen des Großkönigs) 161 Faroqhi Suraya 26, 152 . 155 Feldbauer, Peter 10 Ferdinand (Kaiser) 190 Fergusson, Niall 308 Ficker, Julius von 193 Fisch, Jörg 362 Fitzpatrick, Sheila 387 Fleckenstein, Josef 173 Ford, Henry 439 Frank, Andre Gunder 231, 234, 252 Franke, Herbert 112, 117 Franz I. (König) 144, 204, Franz I. (Kaiser) 353 Franz-Joseph (Kaiser) 405 Friedrich I. Barbarossa (Kaiser) 168, 172 Friedrich II. (Kaiser) 172, 185 f. Friedrich Wilhelm IV. (König) 406 Fuchs, Andreas 62, 66, 73 Fugger 246 Füllberg-Stolberg, Claus 9 Gallienus (Kaiser) 79, 91 Gandhi, Mahatma (Politisch-religiöser Führer) 320,325-27, 332 Gangara 50 Gedimin (Großfürst) 297 Gehler, Michael 10, 17, 394 Gellner, Ernest 339, 350 George I.–IV. (Könige) 304 f.. 417 f. Germanicus (Feldherr) 93 Geyer, Dietrich 291 Geyer, Michael 471 Gibbons, Edward 10, 86 Giddens Anhony 469 Gilgamesch (Held) 35 f. Gleichmann, Peter 407 Go, Julian 15–18 Gobineau 452 Goldstone, Jack 234 Gollwitzer, Heinz 253 Goodwin, Jason 140

Gorbatschow, Michael (Präsident) 385 f. Göring, Hermann (Minister) 411 Greenfeld, Liah 268 Gregor VII. (Papst) 184 f. Grotius, Hugo 274 Gryphius, Andreas 253 Güyük (Großkhan) 132 Habib, Irfan 223 Hadrian (Kaiser) 73 Ḫaldi (Gott) 55 Hamilton, Alexander 435 Hammurapi (König) 70 Hanson, Victor D. 245 Hardt, Michael 15 Harris, Thomas 17 Hauptmeyer, Carl-Hans 9 Hausberger, Bernd 16 Heeren, A. H. von 242 f. Hegel, Gottfried Wilhelm 343 Heimpel, Hermann 186 Heine, Heinrich 6 Heinrich »der Löwe« (Herzog) 187 Heinrich I. (König) 172, 180 Heinrich II. (Kaiser) 182 f. Heinrich III. (Kaiser) 183 Heinrich IV. (Kaiser) 184, 198, 447 Heinrich V. (Kaiser) 172, 184 f. 198 Henry (König) 265 Henry VI. Tudor (König) 264, 267 Henry VIII. (König) 264 f. Hera (Göttin) 88 Heraklit (Philosoph) 162 Herder, Johann Gottfried.22, 404 Herkules (Held) 189 Hermann, Benedikt F. 296 Herzen, Alexander 290 Herzog, Roman 72 Heuß, Alfred 86 Hieronymus (Bischof ) 83 f. Hillgruber, Andreas 406 f., 414, 450 Himmler, Heinrich 413, 441 Hirschhausen, Ulrike von 19 Hiskia (Prophet) 56

Personenregister  | Hitler, Adolf (Reichskanzler) 339, 380, 398, 412–427, 441, 466 Ho’elun (Familienchefin) 120 Hobbes, Thomas 40 Hobson, John Atkinson (Publizist) 359 Hoffmann, Phillip 243 f. Hoffmann, Rainer 235 Höllmann, Thomas 131 Hoover, Herbert (Präsident) 424 Hu Qiu Hun 235 Huang Zongxi (Gelehrter) 235, 240 Huang-ti (Sohn des Himmels) 98 f. Ibn Battuta (Reisender) 105–109, 133, 136, 138, 210, 222, 214 Ibn Hasan 214 Ibn Khaldun (Gelehrter) 41, 121, 41, 206 f. Innozenz IV. (Papst) 131, 134 Ištar (Göttin) 62, 63, 66 Ivan III (Großfürst) 282 Ivan IV (Zar) 42, 144, 278 f., 291, 304 Jackson, Andrew (Präsident) 419 f., 433 Jagiełło (König) 282 Jahan (Großmogul) 205, 212, 217 Jakob I. (König) 265 f. Jakob II. (König) 266, 304 Jans (Sobieski, König) 253 Janhangir (Großmogul) 218 Jaspers, Karl 30, 162 Jedlicki Jerzy 384 Jefferson (Präsident) 433 Jehu 54 Jeremias (Prophet) 162 Joannès, Francis 61, 70, 73 Johann »Ohneland« (König) 186, 263 Johannes (Autor der Apokalypse) 84 f. Johannes (Evangelist) 194 Josua (Feldherr) Junker, Detlef 358 Juno (Göttin) 88, 90 Jupiter (Gott) 88–90 Justinian (Kaiser) 75, 99, 442

Juvenal (Decimus Julius Juvenalis, Schriftsteller) 84 f., 89, 91 Kahan, Arcadius 287 Karl »der Kahle« (König) 177 Karl I. (Kaiser) 169, 172–178, 198 Karl I. (König) 265, 246 Karl II. (Kaiser, Seliger) 444 Karl II. (König) 254, 266 Karl IV. (Kaiser) 170, 187 Karl V. (Kaiser) 22, 145, 170, 181, 187–189, 204, 249, 269. Karl XII. (König) 284 Katharina II. (Kaiserin) 282, 292–294 Katharina von Aragon (Königin) 264 Katharina von Georgien (Königin) 253 Kehne, Peter 10 Kemal Atatürk (Präsident) 149 Kennedies 433, 438 Kennedy, J. F. (Präsident), 433 f., 424 Kennedy, Paul 17, 245, 361, 375, 424 Kiangxi (Sohn des Himmels) 237f., 240 f. Kimerling-Wirtschafter, Elise 287 Kipling, Rudyard (Schriftsteller) 333, 437 Kissinger, Henry 249, 443 Klein, Thoralf 232 Kleinschmidt, Harald 10 Klengel, Horst 60 Kolumbus 105 Kölzer, Theo 177 Komlosy, Andrea 10, 17 Kondratieff 335 Konrad I. (König) 172. 180 Konrad II. (Kaiser) 168, 183 Konstantin (Kaiser) 75, 81–83, 466 Köprülü 146 Koselleck, Reinhard 260 Krämer, Gudrun 206 Krippemdorff, Ekkehart 429 Krupp, Friedrich (Unternehmer) 358, 406 Kubilai Khan (Großkhan) 124, 130, 134 Kuhn, Dieter 103 Kung Fu Tse (Gelehrter) 7, 110 f., 116–118, 162, 235, 238, 240

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|  Personenregister Kuss, Susanne 112 Kyros II. (Großkönig) 161 f. Lao Tse (Gelehrter) 111 f., 162 Lancaster 264 Lansing (Außenminister) 265 Lee (Offizier) 432 Leibniz, Gottfried Wilhelm (Wissenschaftler) 249–252, 254, 273 f. Leitner, Ulrich 12 Lekon, Christian 10, 469 Lenin, Vladimir Il’ich (Vorsitzender) 353 f., 362, 371–375, 386, 448, 460 Leo (Papst) 174 Leonhard, Jörn 19, 302, 333 Leppin, Hartmut 17 Li Shizhen (Wissenschaftler) 236 Lincolln,. Abraham (Präsident) 348, 421 Livius, Titus 88 Lothar I. (Kaiser) 177 Ludwig »der Deutsche« (König) 177 Ludwig »der Fromme« (Kaiser) 177, 468 Ludwig XIV. (König) 257, 274 Ludwig XVI. (König) 277 Luhmann, Niklas 463 Luther, Martin 187, 190, 267 Ma Duanlin (Gelehrter) 105 Macchiavelli Niccolo (Gelehrter) 143 f., 247 Maddison Angus 109, 216, 234, 257, 424 Magna Mater (Göttin) 75 Maier, Charles 11, 439 Majumdar, Ramesh Chandra 329 Mandelsloh, von 219, 223 Mann, Golo 448 Mann, Heinrich 456 Mann, Michael (D) 328 Mann, Michael (US) 224, 408, 441 Marcuse, Ludwig 426 Marduk (Gott) 56, 66, 71 Maria die katholische (Königin) 264 Maria (Königin) 266 Maria II. (Königin) 269 Maria Stuart (Königin) 265

Maria Theresia (Kaiserin) 41 Marius (Feldherr) 75, 78, 466 Mark Anton (Feldherr) 77 Mark Aurel (Kaiser) 89 Marramao, Giacomo 445 Marriot, John 62 Marx, Karl 11, 351, 353 –356, 376, 394, 470 Mattila, Raija 61 Maul, Stefan 63, 64, 71 Mauss, Marcel 338 McNeill, John R. 31 McNeill, William H. 31, 103, McCarthy 359 Meder 48, 50, 51 Medici 246 Mehmed I (Sultan) 150 Mehmed II. (Sultan) 140, 157 Menzel, Ulrich 12, 105, 440 Mignolo, Walter 451 Milanović Branko 458 Mill, John Stuart 329 Miller, Alexei 15 Minerva (Göttin) 90 Minto, Lord (Vizekönig) 323 Mironov, Boris 287 Mommsen, Theodor 10, 81, 86 Mommsen, Wolfgang 18 Monroe (Präsident) 429, 434 Montesquieu (Gelehrter) 419 Morewood, Steven 412 Morus, Thomas (Theologe) 264 Motyl, Alexander 15 Münkler, Herfried 61, 74 Nabû (Gott) 66 Nadir (Schah in Schah) 218 Nagel, Jürgen 9 Napoleon (Kaiser) 192, 204, 282, 303, 306 f., 3313, 353, 460 Napoleon III. (Kaiser) 359, 405 Naqia 56, 57 Naumann, Katja 471 Nebukadnezar 161–164 Negri, Antonio 11

Personenregister  | Nehemia (Statthalter) 161 f. Nehru, Jawaharlal (Präsident) 310, 329, 332 Nergal (Gott) 66 Nero (Kaiser) 89, 90f., Nikolaus I. (Kaiser) 261 Nikolaus II (Kaiser) 277 f., 297 f., 444 Ninurta (Gott) 62, 66 Nolte, Christian 9. 20 Nolte, Heinrich 9 Nolte, Insa 9 Nolte, Jakob 9 Nurhaci Khan (237)

Pippin (König) 173 Pirenne, Henri 167 Plato (Gelehrter) 86, 163 Polikovskij, Andrej 391 Polo, Marco (Reisender) 135 Polybios 74 f., 136 Pommeranz, Kenneth 234, 252 Preobrazhenski, Evgenij (Wissenschaftler) 369 Publicus, Lucius (Soldat) 88 Pulu 47 Putin, Vladimir (Präsident) 281 Quianlong (Sohn des Himmels) 238, 241

O’Brien, Patrick 232, 234, 257, 291, 310 Obertreis, Julia 287 Ögödai Khan (Großkhan) 122 Orhan (Sultan) 137, 140 Origines (Kirchenvater) 90 Osman (Gazi) 137, 139 Osterhammel, Jürgen 18, 15, 232, 241, 451 Otto I. (Kaiser) 169, 172, 180–182 Otto II. (Kaiser) 182 Otto III. (Kaiser) 41, 172, 182 f. Otto IV. (Kaiser) 186, 263 Ovid (Naso) 90 Paine, Thomas (Publizist) 435 Pan (Satyr) 86 Papen, von (Reichskanzler) 398 Parker, Geoffrey 245 Parpola, Simo 66 Pasternak, Boris 390 Paulus (Apostel) 90, 92 Pepolati (Kaufmann) 131 Peresvetov, Ivan (Gelehrter) 144 Peter I. (Kaiser) 38, 251, 253, 278–286, 291, 296– 299, 301, 303, 306, 353 Pfeilschifter, Renée 81 Philipp II. (König) 267, 271, 274 Philipp V. (König) 254 f. Phillip (Landgraf ) 177 Phillip August (König) 186, 263 Piano Carpini, Johannes de (Reisender) 136 Pietrow-Ennker, Bianca 288

Racine 317 Radischtschew A. N. (Publizist) 297 Radner, Karin 61, 62, 66 Ragner, Karen 59, 60, 61 Ranke, Leopold von 17, 165–167 Raschid ad Din (Gelehrter) 127 Reinhard Wolfgang 20, 250 f., 261 Renan Ernest 338 Renger, Johannes 55 Reynolds, Susan 254 Rhodes, Cecil 302, 316 Richards, John 213 Robinson, James A. 84 Rockefeller 432 Rollinger, Robert 17, 89, 403 Roosevelt, F. D. (Präsident) 429, 436, 452 Roosevelt, Theodore (Präsident) 429 Roosevelts 433, 438 Rosenberg, Arthur 86, 416 Roth, Ralf 341 Rothschild, Alfons (Banker) 345 Rudolf II. (König) 180 Ruffing, Kai 74 Rurik (bewaffneter Fernhändler) 277 Sachsen-Coburg-Gotha, Albert von (Prinzgemahl) 309 Saldern, Adelheid von 6 Salmanassar II. 163 Salmanassar III. 47, 50, 53–55

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|  Personenregister Salmanassar V. 55 Šamaš (Gott) 63, 66 Sammu-ramat (Semiramis) 55 Šamši-Adad V. 55 Samsonowicz, Henryk 168 Sanherib 46, 48, 56, 57, 58 Sappho 86 Sargon I. 55 Sargon II. 48, 55, 56, 62, 66, 69, 70 Saul (König) 162 Schenk, Benjamin 19, 287 Schiller, Friedrich von 404 Schleicher, von (Reichskanzler) 407 Schlieffen, Alfred Graf von (Offizier) 357 f. Schmidt-Glinzer, Helwig 106 Schneidmüller, Bernd 183 Schottenhammer, Angela 104 f. Schumpeter, Joseph A. 353 Seeley, J. R. 10, 302 f., , 314 Semiramis (Königin) 48 Shakespeare, William 317 Siegfried (Held) 127 Sigismund III. (König) 181 Simon, Gerhard 382 Sîn (Gott) 66 Smith, Adam 192, 315 f., 319, 330, 332, 457 Snyder, Timothy 418 Sofija (Zarin) 302 Sol (Gott) 88 Spitzer, Adolf (Banker) 351 Spivak, Gayatri Chakravorti 330 Stalin (Vorsitzender) 373-376, 386 f.,, 394, 408 f. Stepan Dušan (König) 142 Stephan I. (König) 182 Stolypin (Minister) 283, 301 Stolz, Piroschka 9 Stresemann, (Reichskanzler) 368, 400 f. Stroganov 246 Stubbe da Luz, Helmut 10 Su Shi (Gelehrter) 114 Su Xun (Gelehrter) 115 f. Suleyman I. (Sultan) 140, 142 f. Sulla (Feldherr) 466 Sun Yatsen 236

Swift, Jonathan 312 Syagrius 84, 173 Sybel, Heinrich 193 Tacitus 88, 91–93 Taizong (Sohn des Himmels) 101 Taizu (Sohn des Himmels) 101 f., 236 Tassilo (Herzog) 176 f. Teumman 48 Thamer, Hans-Ulrich 403 Thackeray 304 Theoderich (König) 73, 126 Theoderich II (König) 96 Theodosius (Kaiser) 83, 99, 184 Theophanu (Kaiserinwitwe) 182 Tiglatpileser III. 47, 54, 55, 62, 66, 68, 72 Tipu Sultan 321 Timur Lenk (Sultan) 125, 129, 139–141, 205–208, 221 Toqueville . Alexis de 447 Trajan (Kaiser) 73 Trevelyan, George Macaulay 268 Trotzki (Politiker) 364 Tschubarjan, Alexander 391 Ulug Beg (Sultan) 205 Usselinx, Willem 274 Valerian (Kaiser) 81, 90f. Veldeke, Heinrich von 194 f. Vergil (Vergilius Maro) 72, 85 f., 93, 97 Vespasian (Kaiser) 75, 81 Victoria (Kaiserin) 29, 305, 320, 322, 353 Vondel, Joost von den 271 Vries, Jan de 247 Vries, Peer 234, 237 Vulpius, Ricarda 287 Wachtel, Baruch 153 f. Wagner, Richard 416 Wallerstein, Immanuel 244, 450 Wang Anshi (Kanzler) 102, 113 f. Watt, James 310 Weber, Alfred 24

Personenregister  | Weber, Max 297, 301 Wehler, Hans-Ulrich 18 Weinfurter, Stefan 13, 174, 447 Welser 246 Wen (Sohn des Himmels) 99 Widukind (Herzog) 176 f. Wilharm, Irmgard 9 Wilhelm »der Eroberer« (König) 262 Wilhelm von Oranien (König) 254, 263–272, 304, 460 Wilhelm I (Kaiser) 359, 398–400 Williams, William Appleman 15 Wilson, Woodrow (Präsident) 362–368, 436, 460 Winkler, Heinrich-August 18 Witt, de (Bürgermeister) 246 Witte, Sergej (Minister) 302 Wittfogel, Karl 24 Wladimir (Großfürst) 282 Wolf Eric 26, 249 Wortmann, Richard 286

Xiang Jia (König) 109 Yesui (Khan-Gattin) 121–123 Yongzhen (Sohn des Himmels) 229, 240 f. York 264 Yurchak Alexei 399 Zarathustra (Prophet) 162 Zedekia (König) 161 f. Zeus (Gott) 88 Zhang Zai (Gelehrter) 117 Zheng (Familie) 246 Zheng He (Admiral) 236 Zheng Quiao (Gelehrter) S. 118 f. Zhenzhong (Sohn des Himmels) 104, 113 f. Ziegler, Jean 15 Zinn, Howard 425 Zoe (Großfürstin) 282 Zola, Emile (Publizist) 345

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HANS-HEINRICH NOLTE

WELTGESCHICHTE DES 20. JAHRHUNDERTS

Das 20. Jahrhundert ist durch vielfältige Emanzipationen, außerordentliche Erfindungen und eine schnelle Globalisierung, aber auch durch wachsende Ungleichheit, Genozide und Vertreibungen, unsichere und multiple Identitäten, Terrorismus und einen ungezügelten Verbrauch von Umwelt gekennzeichnet. Der Wiederaufstieg Indiens und Chinas sowie neue Hoffnung für Afrika und Lateinamerika bestimmen den Jahrtausendwechsel. Der Band bietet einen Überblick über die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, von der Industrialisierung bis heute. 2009. 448 S. 5 GRAFIKEN GB. 240 X 170 MM. ISBN 978-3-205-78402-9

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REINHARD SIEDER UND ERNST L ANGTHALER (HG.)

GLOBALGESCHICHTE 1800–2010

Wie der Globus bevölkert wird und wie wir altern. Was Migrationen antreibt – und was sie antreiben. Wie beginnt und verläuft die Globalisierung der Wirtschaft? Kann internationale Politik Konflikte regulieren? Dieser Band bietet eine Einführung in die Entstehung und Entwicklung moderner Gesellschaften in global vergleichender Perspektive. Dabei sind ökonomische, soziale, kulturelle, politische und ökologische Interaktionen wie z. B. Wirtschaft, Politik, Handel, Verkehr, Migrationen usw. zwischen Weltregionen ebenso Thema wie die Ausbildung jener Infrastrukturen und Medien, die diese Interaktionen möglich machen (Währungs- und Finanzsysteme, Verkehrs-, Transport- und Kommunikationssysteme, etc.). Ein weiterer Schwerpunkt ist dem Vergleich von sozial-kulturellen Systemen und Prozessen in diversen Weltregionen wie z. B. Arbeitsverhältnisse, Familie und Elternschaft, Religionen, Kriege, u. a. gewidmet. 2010. 588 S. BR. 52 S/W-ABB. & 14 TAB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78585-9

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AndreA Komlosy

GlobAlGeschichte methoden und theorien

Das Buch bietet eine Einführung in die Globalgeschichte – verstanden als Methode der Annäherung an interaktive Prozesse im Weltmaßstab und als Perspektive auf die Geschichtswissenschaft. Themen sind: Der Umgang mit Raum und Zeit über regionale und kulturelle Grenzen hinweg, ungleiche und ungleichzeitige Entwicklung als Ausdruck der Wechselwirkung von Globalisierung und Fragmentierung; die Reflexion des geeigneten räumlichen Analyserahmens zwischen Kleinraum, Weltregion und globalem Systemzusammenhang. Die Autorin verbindet theoretisch-methodische Einführungen mit arbeitspraktischen Überlegungen und bereitet den Gegenstand didaktisch auf. Der Band gibt Studierenden einen Leitfaden in die Hand, wie globalhistorische Fragestellungen entwickelt und in welchen Schritten die globalhistorische Annäherung an ein Thema erfolgen kann. 2011. 271 S. 15 S/w-Abb. br. 150 x 210 mm. ISbN 978-3-205-78712-9 [A], ISbN 978-3-8252-3564-2 [D]

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HANNS JÜRGEN KÜSTERS (HG.)

DER ZERFALL DES SOWJETIMPERIUMS UND DEUTSCHLANDS WIEDERVEREINIGUNG THE DECLINE OF THE SOVIET EMPIRE AND GERMANY’S REUNIFICATION

Die Ereignisse des Mauerfalls und der Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft in den ostmitteleuropäischen Staaten 1989/90 markierten das Ende der 45-jährigen Nachkriegszeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Entwicklungen der Jahre 1989 bis 1991 führten nicht nur zur Friedlichen Revolution in der DDR, dem Fall der Mauer und zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands. Zugleich fanden friedliche Umwälzungen in allen ostmitteleuropäischen Staaten statt. Mit dem allmählichen Zerfall der DDR kündigte sich zugleich die Auflösung des Warschauer Paktes an, die einherging mit dem Niedergang der Sowjetunion und Ende 1991 zu ihrem Ende führte. Die Autoren dieses Sammelbandes analysieren in ihren Beiträgen, wie diese Entwicklungen zustande kamen und welche Auswirkungen der Niedergang des Sowjetimperiums auf die Entwicklung in Deutschland hatte. 2016. 262 S. GB. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-50400-7

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BERTRAND MICHAEL BUCHMANN

WELTPOLITIK SEIT 1945 (BÖHLAU STUDIENBÜCHER [BSB])

Die Beschäftigung mit der unmittelbar zurückliegenden Vergangenheit erlaubt uns, die Gegenwart zu verstehen und uns in der Vielfalt des Geschehens zu orientieren. Analog zur Explosion der Weltbevölkerung, die sich in dieser kurzen Zeitspanne mehr als verdoppelt hat, entwickelte sich die Weltpolitik in atemberaubendem Tempo. Die Ost-West-Konfrontation verursachte Kriege und Krisen auch in den entlegensten Teilen der Erde, die Entkolonialisierung machte die Welt kaum friedlicher, und die jüngsten Revolutionen in der arabischen Welt weisen in eine ungewisse Zukunft. Während die in den letzten Jahrzehnten reich gewordenen Staaten des Westens den Weg von der Moderne zur Postmoderne beschreiten und nachdem der Kommunismus als Utopie entlarvt worden war, wuchsen aus den Tiefen Asiens neue Wirtschaftsgiganten, die mit Nachdruck in die vorderste Reihe der Weltmächte drängen. Diese Vorgänge erklärend darzustellen ist die Aufgabe des vorliegenden Buches. 2014. 288 S. 10 KARTEN. BR. 150 X 210 MM | ISBN 978-3-205-79530-8

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HANS-HEINRICH NOLTE

WELTGESCHICHTE IMPERIEN, RELIGIONEN UND SYSTEME 15.–19. JAHRHUNDERT

Die Europäer waren nicht klüger als die Inder und nicht militaristischer als die Azteken. Sie haben nicht mehr neue Technologien entwickelt als die Chinesen und nicht härter gearbeitet als die Afrikaner auf den Plantagen der Karibik oder in den Haushalten der muslimischen Welt. Warum steht Europa 1815 so groß da und stürzt 1914 so tief in den Abgrund? Hans-Heinrich Nolte analysiert die entscheidenden Momente des Aufbruchs der Menschheit in die Moderne und vereint, beeindruckend kenntnisreich, afrikanische, osmanische, indische, chinesische und europäische Kultur und Geschichte zu einer Weltgeschichte des 15. bis 19. Jahrhunderts. 2005. 392 S. ZAHLR. TAB. U. GRAF. GB. M. SU. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-77440-2

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Grundkonzept dieses Buches ist eine fortlaufende Darstellung ­ausgewählter, meist historiographisch nicht umstrittener ­Imperien in Abgrenzung zu nationalstaatlichen Gegenbewegungen. Insgesamt werden 14 Imperien und Hegemonialmächte skizziert: vom Römischen, Chinesischen, Osmanischen oder Habsburgischen Reich bis zu den Imperien Russlands und Groß-Britanniens.

ISBN3-205-20331-3 ISBN 97 8-3-205-20331-5  |  W W W. B OE H L AU-V E R L AG .CO M