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German Pages 420 [426] Year 2008
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber / Editor Jörg Frey (München) Mitherausgeber / Associate Editors Friedrich Avemarie (Marburg) Judith Gundry-Volf (New Haven, CT) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL)
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Martin Vahrenhorst
Kultische Sprache in den Paulusbriefen Studien zur urchristlichen Theologiegeschichte und zur Entstehung des neutestamentlichen Kanons
Mohr Siebeck
Martin Vahrenhorst, geboren 1967; 2002 Promotion; seit 2007 koordiniert er die Bildungsarbeit der EKD in Jerusalem; er leitet das Studienprogramm „Studium in Israel“ und ist Mitarbeiter am Deutschen Evangelischen Institut in Jerusalem.
e-ISBN PDF 978-3-16-151519-4 ISBN 978-3-16-149714-8 ISSN 0512-1604 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2008 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Das vorliegende Buch stellt die leicht überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift dar, die im Wintersemester 2006/2007 von der Kirchlichen Hochschule Wuppertal angenommen wurde. Für den Druck habe ich behutsam Literatur ergänzt, die mir nach der Abgabe im Januar 2006 bekannt geworden ist. Dabei waren mir die Bestände der École biblique et archéologique française und der Jewish National & University Library in Jerusalem eine große Hilfe. Vollständigkeit war angesichts der Fülle dessen, was sich zu lesen lohnt, nicht zu erreichen. Der Abschluss dieses Forschungsprojekts gibt mir Anlass vielfältig Dank zu sagen: Kultische Vollzüge im biblischen Kontext interessieren mich, seitdem Robert Bach im alttestamentlichen Proseminar mir als kirchenmusikbegeistertem Studenten ausgerechnet Amos 5,21–27 zur Bearbeitung aufgegeben hat. Martin Karrer hat mich ermutigt, am Übersetzungsunternehmen Septuaginta – Deutsch (LXX.D) mitzuwirken und mir zugetraut, gemeinsam mit Cornelis den Hertog das Levitikusbuch zu übersetzen und zu erläutern. Vieles von dem, was ich dabei entdecken konnte, ist in diese Arbeit eingeflossen. Besonders danke ich ihm, dass er auch diese Arbeit aufs vorbildlichste betreut hat. Dazu gehörten ermutigende und konstruktiv kritische Gespräche, wie auch seine Bereitschaft, trotz eigener Arbeitsbelastung immer wieder einzelne Teile der Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes postwendend zu lesen und zu kommentieren. Für die Hinweise im Erstgutachten zur Arbeit schulde ich ihm ebenfalls Dank. Klaus Haacker hat das Zweitgutachten erstellt und weit über das übliche Maß hinaus Anregungen gegeben, die ich zu einem großen Teil bei der Überarbeitung der Arbeit mit Gewinn berücksichtigen konnte. Ihm und den Mitgliedern der neutestamentlichen Sozietät an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal, denen ich diese Arbeit in unterschiedlichen Phasen vorstellen durfte, sei herzlich gedankt. Diese Arbeit wäre wohl nicht zum Abschluss gekommen, hätte Wolfgang Kraus mich nicht zu sich an das Institut für Evangelische Theologie nach Saarbrücken geholt. Von ihm „leihe“ ich mir auch den Hinweis auf 1 Kor 4,7. Dass die Evangelische Kirche im Rheinland mich für die Zeit in Saarbrücken vom Pfarrdienst freigestellt und das Gymnasium Horkesgath in Krefeld das mitgetragen hat, war ausgesprochen hilfreich. In diesen zwei Jahren hatte ich Zeit und Freiraum, konzentriert an der Arbeit zu schreiben und einzelne Thesen daraus im Gespräch mit den Studierenden zu erproben. Außerdem hatte ich in Sarah Donsbach eine Mitarbeiterin, die mich bei der Literaturbeschaffung und beim Korrekturlesen sehr zuverlässig und engagiert unterstützt hat.
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Vorwort
Jörg Frey danke ich für die Aufnahme meines Buches in die 1. Reihe der Wissenschaftlichen Untersuchungen zum Neuen Testament und für wichtige Hinweise für die Überarbeitung. Henning Ziebritzki und Lisa Laux vom Verlag Mohr Siebeck habe ich für die unkomplizierte und angenehme Zusammenarbeit zu danken. Mein besonderer Dank gilt Matthias Spitzner, ebenfalls Mohr Siebeck, der mich bei der Erstellung der Druckvorlage ausgesprochen kompetent beraten hat. Die Entstehung eines Buches hängt ganz entscheidend daran, dass die Menschen, mit denen man zusammenlebt, die Arbeit in Höhen und Tiefen mit- und manchmal auch ertragen. Meine Frau, Petra Vahrenhorst, hat nicht nur das getan, sondern darüber hinaus immer wieder Teile der Arbeit gelesen, korrigiert und mit mir diskutiert. Dafür und für vieles mehr danke ich ihr von ganzem Herzen. Dass die Drucklegung der Arbeit nun in Jerusalem erfolgt, ist mir eine besondere Freude. Aus meinem Studienjahr, das ich Anfang der 90er Jahre im Rahmen des Programms „Studium in Israel“ an der Hebräischen Universität absolvieren durfte, stammt mein Interesse am Neuen Testament. Maßgeblich geweckt und gefördert wurde es von Chana Safrai ז''ל, mit der im Gespräch zu sein ich bis zu ihrem plötzlichen Tod im Februar 2008 das Vergnügen hatte. Ihr und all den Menschen, von denen ich während des Entstehens dieser Studie Abschied nehmen musste, sei dieses Buch gewidmet. Jerusalem, im Juli 2008
Martin Vahrenhorst
Inhaltsverzeichnis Kapitel 1. Einleitung ........................................................................ 1. 2. 3. 4. 5.
Vorbemerkung ................................................................................ Bemerkungen zum untersuchten Wortfeld....................................... Kultische Sprache in den Paulusbriefen .......................................... Die Kontexte der kultischen Sprache in den Paulusbriefen.............. Kultische Begrifflichkeit als Hinweis auf ein Kontinuitätsmoment des paulinischen Denkens? ................................................ 6. Impulse aus der Forschungsgeschichte............................................ 6.1 Spiritualisierung, Übertragung oder Metaphorik? ..................... 6.2 Von welchem Tempel, welchem Kult ist die Rede? .................. 6.3 Kultische Sprache umfasst mehr als nur Tempelmetaphorik...... 6.4 Folgerungen für die vorliegende Studie ....................................
1 1 2 5 7 9 9 10 12 15 16
Kapitel 2. Kultische Sprache in jüdischen Kontexten ................ 17 1. Biblische Voraussetzungen ............................................................. 1.1 Reinheits- und Heiligkeitsterminologie im Pentateuch .............. 1.1.1 Das Wortpaar kaqaro,j / avka,qartoj ................................... 1.1.2 Die Wortfamilie a`gni,zw und ihr Verhältnis zu a`gia,zw ..... 1.2 Die Heiligkeit des Tempels als Zentrum der Heiligkeitstheologie................................................................................... 1.3 Die Beeinträchtigung der Kultfähigkeit und ihre Wiederherstellung.............................................................. 1.3.1 Physische Unreinheit ....................................................... 1.3.2 Ethisch qualifizierte Unreinheit........................................ 2. Weiterentwicklungen im Judentum hellenistisch-frührömischer Zeit ................................................................................................. 2.1 Die in Qumran gefundenen Schriften ........................................ 2.1.1 Ausweitung der Reinheitshalachot in den Qumrantexten.. 2.1.2 Das Zentrum des Heiligkeits- und Reinheitsdenkens in den Qumrantexten............................................................ 2.1.3 Sünde und Unreinheit in den Qumrantexten ..................... 2.1.4 Heiligkeit und Reinheit und das Selbstverständnis der Gemeinschaft...................................................................... 2.2 Nicht auf Hebräisch überlieferte Schriften aus hellenistischfrührömischer Zeit ....................................................................
17 18 18 21 25 29 29 32 35 36 38 41 43 46 50
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Inhaltsverzeichnis
Exkurs: Der Beitrag der Pharisäer zur Entwicklung des kultischen Denkens im antiken Judentum ........................................ 57 2.3 Tannaitische Texte.................................................................... 64 3. Zusammenfassung .......................................................................... 70
Kapitel 3. Kultische Sprache in paganen Kontexten.................. 73 1. Einführung: Leges Sacrae ............................................................... 73 2. Leges Sacrae und ihre Inhalte ......................................................... 75 3. Einlassbestimmungen in den Leges Sacrae...................................... 80 3.1 Die Wortfamilie a`gno,j und ihr Verhältnis zu a[gioj ................... 81 3.1.1 Zu a`gno,j .......................................................................... 81 3.1.2 Zu a[gioj........................................................................... 84 3.1.3 a`gno,j und a[gioj – Parallelität und Differenz .................... 85 3.2 Die Herstellung der Kultfähigkeit ............................................. 87 3.3 Zur sprachlichen Gestalt der Einlassbestimmungen................... 88 4. Reinheit und Unreinheit in den Leges Sacrae .................................. 92 4.1 Äußere und innere Reinheit ...................................................... 92 4.2 Verunreinigende Faktoren......................................................... 97 4.2.1 Sexualität......................................................................... 98 4.2.2 Tod .................................................................................. 101 4.2.3 Geburt.............................................................................. 103 4.3 Weitere Beobachtungen ............................................................ 104 Exkurs: Sozialanthropologische und religionssoziologische Erklärungen der Unterscheidung von rein und unrein........................... 105 5. Zusammenfassung .......................................................................... 111
Kapitel 4. Heiligung als Gabe, Aufgabe und Verheißung: Der 1. Thessalonicherbrief ............................................................. 115 1. Das Handeln des Apostels als Ansporn für die Gemeinde: 1 Thess 2,3 und 10 .......................................................................... 116 2. Die Heiligkeit der Gemeinde: 1 Thess 3,13 ..................................... 121 3. Die Ethik der Heiligung als Konsequenz aus der Anwesenheit des heiligen Geistes: 1 Thess 4,3–8................................................. 123 Exkurs: Zum Verhältnis von Heiligkeits- und Erwählungsvorstellung ......................................................................... 130 4. Das heiligende Handeln Gottes:1 Thess 5,23 .................................. 134 5. Zusammenfassung .......................................................................... 135
Inhaltsverzeichnis
IX
Kapitel 5. Die Integrität des Tempels Gottes in Korinth: Der 1. Korintherbrief ....................................................................... 141 1. Christen als Heilige: 1 Kor 1,2........................................................ 142 2. Heiligung als soteriologischer Begriff: 1 Kor 1,30 ......................... 144 3. Die Gemeinde als Tempel: 1 Kor 3,16f ........................................... 145 Exkurs: Die religionsgeschichtlichen Kontexte von 1 Kor 3,16 ....... 148 4. Das Wirken des Apostels im Licht paganer Sündenbockrituale: 1 Kor 4,13....................................................................................... 155 5. Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels (pornei,a):1 Kor 5,1ff .................................................. 157 6. Die Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels (avdiki,a): 1 Kor 6,1ff................................................... 164 7. Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels (pornei,a): 1 Kor 6,12ff .............................................. 168 8. Die Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels durch die Ehe: 1 Kor 7,1ff .............................................................. 172 9. Die heiligende Dimension der Ehe:1 Kor 7,14ff.............................. 176 10. Heiligkeit an Leib und Seele durch Ehelosigkeit:1 Kor 7,25ff ......... 179 Exkurs: Ehe und Heiligkeit ............................................................. 183 11. Das befleckte Gewissen:1 Kor 8,7 .................................................. 186 12. Der Apostel als Diener am Altar: 1 Kor 9,13................................... 187 13. Gemeinschaft mit den Götzen: 1 Kor 10,14ff .................................. 190 Exkurs: Herrenmahl und Kult ............................................................... 194 14. Zusammenfassung .......................................................................... 195
Kapitel 6. Kulttheologische Perspektiven auf Apostel und Gemeinde: Der 2. Korintherbrief .......................................... 199 1. Christen als Heilige: 2 Kor 1,1 und 2 Kor 13,12.............................. 200 2. Christen als Gesalbte: 2 Kor 1,21.................................................... 201 3. Paulus als göttlicher Wohlgeruch im kultischen Triumphzug: 2 Kor 2,14f .................................................................................... 201 4. Die Gemeinde als Tempel: 2 Kor 6,14ff ......................................... 206 Exkurs: Zur Herkunft des Tempelmotivs und der kultischen Begrifflichkeit bei Paulus...................................................................... 216 5. Die unschuldige und kultfähige Gemeinde: 2 Kor 7,11 ................... 219 6. Die Kollekte für die Heiligen im Land Israel: 2 Kor 8,4; 9,1.12 ...... 220 7. Die Kollekte als kultischer Dienst: 2 Kor 9,12 ............................... 222 8. Die jungfräuliche Gemeinde: 2 Kor 11,2......................................... 224 9. Zusammenfassung .......................................................................... 225
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 7. Lebensführung als Opferdienst: Der Philipperbrief ............................................................................ 229 1. Christen als Heilige: Phil 1,1 und 4,21f........................................... 231 2. Die makellose Gemeinde: Phil 2,15 ................................................ 232 3. Das Leben als Opfer – Paulus und die Gemeinde im Gleichtakt: Phil 2,17 ........................................................................................ 234 4. Leben als Gottesdienst durch den Geist: Phil 3,3............................. 238 5. Die Gemeinde und das, was den anderen heilig ist: Phil 4,8 ............ 241 6. Das Leben als Opfer – Die Gabe für Paulus: Phil 4,18 .................... 242 7. Zusammenfassung .......................................................................... 245
Kapitel 8. Das Zurücktreten kultischer Sprache im Galaterbrief ................................................................................. 247 1. 2. 3. 4.
Die Problemlage ............................................................................. 247 Heiligkeit, Reinheit und Beschneidung ........................................... 252 Von der Heiligung zur Rechtfertigung: Ein Lösungsvorschlag ....... 256 Zusammenfassung .......................................................................... 259
Kapitel 9. Heiligung und Rechtfertigung: Der Römerbrief ...... 261 1. Der Römerbrief in nuce – Paulus und die Gemeinde: Röm 1,1ff ..... 262 2. Unreinheit als Inbegriff der Entfremdung von Gott: Röm 1,24........ 266 3. Christus, die Sühnestätte: Röm 3,25f .............................................. 270 Exkurs: Kultische Deutungen des Todes Jesu bei Paulus?..................... 275 4. Heiligung als Ziel des neuen Handelns: Röm 6,19 und 22 ............... 279 5. Die heilige und gerechte Tora: Röm 7,12 ........................................ 284 6. Die Einwohnung des heiligen Geistes: Röm 8,9ff ........................... 284 7. Paulus als Weihegabe zugunsten Israels: Röm 9,3 .......................... 286 8. Der heilige Teig – Eine Spur pharisäischen Denkens: Röm 11,16 ... 291 9. Das Leben als botschaftsgemäßer Gottesdienst: Röm 12,1 .............. 297 10. Paulus im halachischen Diskurs über reine und unreine Speisen: Röm 14,14 und 20............................................................. 306 Exkurs: Der halachische Kontext von Röm 14,14 .................................. 309 11. Der Apostel als Opfernder und die Christen als Opfergabe: Röm 15,16 ...................................................................................... 314 12. Zusammenfassung .......................................................................... 320
Inhaltsverzeichnis
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Kapitel 10. Auswertung ................................................................... 323 1. Kultische Sprache in den Kontexten der Paulusbriefe ..................... 323 1.1 Gemeinsamkeiten ..................................................................... 324 1.2 Unterschiede............................................................................. 325 2. Kultische Sprache in den Paulusbriefen .......................................... 326 2.1 Kultische Beschreibungen der Gemeinde .................................. 326 2.1.1 Das Wesen der Gemeinde und ihr Weg auf die Seite Gottes .......................................................... 327 2.1.2 Die ethischen Konsequenzen............................................ 329 2.1.3 Gemeinde und Welt – Besondere Akzente des paulinischen Heiligkeitsverständnisses....................... 332 2.1.4 Ausgreifende Heiligkeit ................................................... 334 3. Kultische Beschreibungen des Apostels und seines Tuns ................ 335 4. Der Transfer auf die Seite Gottes – Heiligung und Rechtfertigung .. 337 5. Kultische Sprache in der Kommunikation mit Nichtjuden ............... 338 5.1 Anknüpfungen .......................................................................... 338 5.2 Differenzen............................................................................... 339 6. Pharisäisches Denken bei Paulus..................................................... 344 7. Ein Kontinuitätsmoment im paulinischen Denken ........................... 346 8. Ausblick ........................................................................................ 347
Literaturverzeichnis .............................................................................. 353 Stellenregister ....................................................................................... 388 Autorenregister ..................................................................................... 413 Sachregister ........................................................................................ 417 Ausgewählte griechische Begriffe ......................................................... 419
Kapitel 1
Einleitung
1. Vorbemerkung In vielen Bereichen des theologischen Nachdenkens kann man in den letzten Jahren eine „Wiederkehr des Heiligen“ beobachten. Es sind vor allem Arbeiten aus dem Bereich der Praktischen Theologie, die das erkennen lassen.1 So wird beispielsweise der Gottesdienst als kultisch organisierte Begegnung mit dem Heiligen beschrieben, pastorales Handeln überhaupt gerät als Handeln im Bereich des Heiligen2 in den Blick. Selbst die Religionspädagogik entdeckt das Heilige für sich und erschließt Schülerinnen und Schülern die Welt des Religiösen unter der Fragestellung „Was Menschen heilig ist“.3 Eine solche Wiederkehr des Heiligen lässt sich auch in den Bibelwissenschaften verfolgen: Interessierten kultische Zusammenhänge in biblischen Texten früher vor allem unter dem Aspekt ihrer Spiritualisierung oder der Kritik an der Welt des Kultes, so treten kultische Realien und ihre geistesgeschichtlichen Voraussetzungen seit einiger Zeit zunehmend unter positiven Vorzeichen ins Blickfeld der Auslegung.4 Die vorliegende Arbeit hat an diesem Forschungswandel Anteil. Sie fragt nach Elementen kultischen Denkens in den paulinischen Briefen und versucht, ihre Funktion in der Kommunikation zwischen Paulus und seinen vorwiegend nichtjüdischen Adressaten zu verstehen. 1
Vgl. z. B. HEIMBROCK (2005), 4ff; GODEL / B ILGRI (1999). Hier sind vor allem die Arbeiten von Manfred Josuttis zu nennen (z. B. J OSUTTIS [1991] und [1996]). 3 MOLL (2000). In pastoralpsychologischer Perspektive geht das Themenheft „Reinheit – Reinheitsstreben – Reinheitswahn“ der Zeitschrift Wege zum Menschen (Heft 2, 49. Jahrgang [1997]) auf unseren Themenkomplex ein. 4 Hier wäre auf zahlreiche Arbeiten zu verweisen, die die Vollzüge des Kultes Israel und die damit verbundene Theologie nachzuzeichnen versuchen. Wesentliche Impulse gehen dabei im angelsächsischen Sprachraum von J. Milgrom aus. Im deutschen Sprachraum hat die Studie B. Janowskis zur Sühne ähnlich wegweisend gewirkt (eine Übersicht über den Forschungsstand bis zum Jahr 2000 bietet der Sammelband von B. J ANOWSKI und M. WELKER „Opfer“). Vgl. auch EBERHART (2002), 1ff und KLAWANS (2006), 3ff. Auf weitere Einzelstudien werde ich vor allem im ersten Teil dieser Arbeit verweisen. 2
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Kapitel 1. Einleitung
Wer sich auf diese Spur begibt, merkt sehr bald, dass wir als Menschen des 21. Jahrhunderts trotz aller Aktualität des Heiligen keinen unmittelbaren Zugang zur Welt des Kultes, den dort geltenden Regeln und der dieser Welt eigenen Logik mehr haben. Diesen müssen wir uns durch die Arbeit an einzelnen Texten erst wieder erschließen. Für die Leserinnen und Leser der vorliegenden Studie bedeutet das, dass ihnen manche exegetische Detailuntersuchung zugemutet wird, weil sich eben nur in der Arbeit am manchmal zunächst völlig unscheinbaren Detail der Zugang zur Welt des Kultes eröffnet, wie er für Paulus und sein Gegenüber selbstverständlich und alltäglich war. Nur in der Arbeit am Detail wird deutlich, auf welch vielfältige Weise Paulus kultische Begrifflichkeit einsetzt, um mit seinen Adressatinnen und Adressaten über das Evangelium zu kommunizieren. Damit bei allen Einzeluntersuchungen der Gesamtzusammenhang dieser Studie nicht aus dem Blick gerät, finden die Leserinnen und Leser am Ende eines jeden Kapitels Zwischenzusammenfassungen, die den Ertrag sichern und die Orientierung erleichtern sollen. Wer nur diese Zusammenfassungen liest, bekommt einen Überblick über die Verwendung kultischer Begrifflichkeit in den Paulusbriefen. Den Weg dahin sollen die exegetischen Detailausführungen nachvollziehbar machen. Bevor wir uns dem eigentlichen Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit zuwenden, sind noch einige Vorbemerkungen am Platz, die den Fragehorizont der vorliegenden Studie erhellen, ihren Aufbau begründen und sie in der Forschungslandschaft verorten.
2. Bemerkungen zum untersuchten Wortfeld 2. Das untersuchte Wortfeld
Diese Arbeit untersucht die Funktion der kultischen Sprache in den paulinischen Briefen vor dem Hintergrund ihrer religionsgeschichtlichen Bezüge im Judentum und in der paganen Welt. Kult wird dabei verstanden als rituell gestaltete Begegnung mit dem Heiligen, wie sie sich vorwiegend in einem Heiligtum vollzieht.5 Somit geraten zunächst die Begriffsfelder heilig / profan und rein / unrein in den Blick.6 Die Wahl dieser beiden Begriffsfelder bedarf der Begründung, zu5
Vgl. dazu B AUDY (2001), 1799ff. Diese Begrifflichkeit hat sich in den romanischen und germanischen Sprachen als Fachterminologie eingebürgert, obwohl sie dort im üblichen Sprachgebrauch eigentlich andere Assoziationen wachruft. Rein ist etwas, was unvermischt ist (z. B. reiner Wein). Die Bedeutung der damit übersetzen Begriffe in der jüdischen und auch in der Griechischen Welt ist – wie wir sehen werden – dem gegenüber etwas verschoben. Kaqaro,j und rwhj haben nichts mit „unvermischt“ zu tun. Umgekehrt fehlt dem deutschen Wort „rein“ 6
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2. Das untersuchte Wortfeld
mal neuere Untersuchungen zu Heiligkeits- bzw. Reinheitsvorstellungen darauf aufmerksam gemacht haben, dass die mit den Adjektiven heilig und rein etikettierten Kategorien nicht einfach identisch sind.7 Heiligkeit bezeichnet die Zugehörigkeit zur Sphäre des Göttlichen, Reinheit hingegen benennt einen Zustand, ohne eine solche Verhältnisbestimmung vorzunehmen. Dennoch sind beide Kategorien eng aufeinander bezogen, was sich anhand folgender Grafik8 verdeutlichen lässt: unrein profan
rein heilig
Die Grafik zeigt zunächst, dass die Kategoriepaare rein / unrein und heilig / profan nicht deckungsgleich sind. Sie verdeutlicht sodann das Verhältnis, in dem beide zueinander stehen. Einige Felder berühren sich. Dies gilt zunächst für die Felder profan, unrein und rein. Damit wird veranschaulicht, dass ein Gegenstand oder eine Person, der bzw. die zur Kategorie des Profanen gehört, sich entweder im Status der Reinheit oder der Unreinheit befinden kann. Konkret bedeutet das, dass z. B. ein Gefäß für den alltäglichen Gebrauch rein oder unrein sein kann. Eine Frau, die in ihrem alltäglichen Umfeld lebt, kann rein oder unrein sein. Wenn sie ein Kind zur Welt gebracht hat, ist sie für eine bestimmte Zeit unrein, danach ist sie rein. Ein Mensch, der einen Toten berührt hat, ist unrein. Nachdem er entsprechende Reinigungsrituale vollzogen hat, ist wer wieder rein. Die Felder rein, profan und heilig berühren sich ebenfalls. Das illustriert, dass etwas, das sich im Status der Reinheit befindet, profan oder heilig sein kann: Ein reines Gefäß darf als Weihegabe in den Tempel gebracht, der Gottheit übereignet, also geheiligt werden. Es kann auch – ohne jeden Bezug zum Heiligen – im Alltag verwendet werden. Ein Mensch, der sich im Status der Reinheit befindet, darf einen Tempelbezirk betreten, er kann aber auch genauso gut seiner täglichen Arbeit nachgehen oder seine täglichen Mahlzeiten zuhause im Status der Reinheit einnehmen.
die Bedeutungsnuance „erlaubt“, die in den biblischen Sprachen manchmal aber auch nicht immer im Blick ist. Ich halte mich in Ermangelung besserer Alternativen an den in der Fachliteratur üblichen Sprachgebrauch. 7 Vgl. dazu MILGROM (1996), 65; STAUSBERG (2004), 239 und HENNINGER (1979), 400ff. J. Henninger bietet zugleich einen hervorragenden Überblick über die älteren einschlägigen kulturanthropologischen Arbeiten. Darauf sei hier ausdrücklich verwiesen. 8 Nach MILGROM (1991), 616. Dieses sozialanthropologische Modell hat sich in der gegenwärtigen Forschung weitgehend durchgesetzt. Es hat im Blick auf seine Tauglichkeit für die Bibelwissenschaften den Vorteil, dass es an biblischen Texten (vor allem Lev 10,10) selbst entworfen ist.
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Kapitel 1. Einleitung
Die Felder heilig und unrein berühren sich hingegen nicht. Dass es zwischen ihnen keine Verbindung gibt, bedeutet: Etwas Unreines kann nicht heilig sein, und etwas, das zur Kategorie heilig gehört, kann nicht zugleich unrein sein.9 Eine Frau, die sich nach einer Geburt im Status der Unreinheit befindet, darf weder in Israel noch in Griechenland ein Heiligtum betreten. Ein Mensch, der mit der Sphäre des Todes in Berührung gekommen ist, weil zum Beispiel in seinem Haus jemand verstorben ist, darf ebenfalls keinen Tempel besuchen, denn nur reinen Personen oder Gegenständen ist der Kontakt mit dem Heiligen erlaubt. Damit wäre das biblische aber auch das in der paganen Welt des Mittelmeerraumes gültige System von rein und unrein bzw. heilig und profan zunächst recht formal beschrieben. Weitere Konkretionen werden die entsprechenden Abschnitte dieser Arbeit bieten. Für die Frage nach den zu untersuchenden Begriffsfeldern genügt im Moment die Beobachtung, dass beide unterschieden werden müssen, dass man sie aber nicht völlig isoliert voneinander betrachten darf. Die Unterscheidung von rein und unrein dient – wie sich zeigen wird – dazu, das Heilige vor dem Kontakt mit dem Unreinen zu schützen, und Heiligkeit kann nur Bestand haben, wenn das, was mit ihr in Kontakt kommt, rein ist. Reinheit gewinnt ihren Sinn vom Heiligen her, und das Heilige ist auf Reinheit angewiesen, um nicht entweiht zu werden. Aus dem bisher Gesagten dürfte schon deutlich geworden sein, dass die Begriffsfelder heilig / profan und rein / unrein keine Sphären beschreiben, die unveränderlich und beziehungslos nebeneinander stehen. Vor allem die Beispiele zeigen, dass dieses Beziehungsgeflecht nicht statisch ist: Die Grenze zwischen profan und heilig kann überschritten werden, wenn Menschen einen Tempel betreten oder der Gottheit eine Gabe weihen. Solche Grenzüberschreitungen vollziehen und organisieren Menschen in vielfältiger Weise, wenn sie im Bereich des Kultes handeln. Auch das Verhältnis von unrein und rein ist kein statisches. Reines kann unrein werden, Unreines kann gereinigt werden. Menschlichem Handeln ist dabei gleichfalls ein gewisser Spielraum gegeben. Möchte man also die mit den Begriffsfeldern heilig und profan, rein und unrein verbundene Dynamik umfassend in den Blick nehmen, so muss man also auch die kultischen Vollzüge berücksichtigen, die den Transfer vom Profanen hin zum Heiligen organisieren und den Übergang von einem unreinen zum reinen Status gestalten. Im Zentrum des Interesses stehen in dieser Arbeit daher paulinische Texte, die Heiligkeits- bzw. Reinheitsterminologie oder andere Begriffe und Vorstellungen aus dem Bereich des Kultes aufweisen. 9
Vgl. NAUDÉ (1999), 176.
3. Kultische Sprache in den Paulusbriefen
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Für den Gang der Untersuchung legt sich dabei eine Vorgehensweise nahe, die der wahrscheinlichen chronologischen Reihenfolge der Briefe folgt und die einschlägigen Texte in ihrem jeweiligen argumentativen Kontext bespricht. Dieses Verfahren bringt es mit sich, dass manche Einzelbeobachtung, die man beispielsweise sowohl im 1. Thessalonicherbrief als auch im 1. Korintherbrief machen kann, zweimal besprochen wird. Dieser Nachteil wird aber dadurch aufgewogen, dass die argumentative Funktion der Heiligkeits- und Reinheitsterminologie in den einzelnen Briefen auf diese Weise schärfer in den Blick gerät, und dass voreilige Systematisierungen weitgehend vermieden werden. Erst nach der Besprechung der Einzeltexte arbeitet die Gesamtauswertung Kontinuitäten, Entwicklungen und systematische Gesichtspunkte im Blick auf das ganze Corpus der wahrscheinlich authentischen Paulusbriefe heraus.
3. Kultische Sprache in den Paulusbriefen 3. Kultische Sprache in den Paulusbriefen
Welche Aussagen und Themenbereiche geraten auf diese Weise in den Blick? Beginnt man mit dem 1. Thessalonicherbrief, so stößt man auf die Heiligung (4,1ff), die zum Leitbegriff christlicher Existenz wird, wie sie sich auch am Auftreten des Apostels selbst ablesen lässt (2,3.10). Ihren sachlichen Grund findet diese Lebensführung in der Anwesenheit des heiligenden Geistes Gottes in der Gemeinde (4,8). Gott selbst unterstützt die Gemeinde bei ihrer Aufgabe (5,23) und heiligt sie. Der 1. Korintherbrief bringt diese Gedanken auf den Punkt, indem er die Christen Heilige nennt. Diese Bezeichnung, die die Zugehörigkeit der Christen zu Gott beschreibt, findet sich von diesem Brief an in allen Paulusbriefen mit Ausnahme des Galaterbriefes. Paulus expliziert weiterhin den im 1. Thessalonicherbrief noch nicht ausgesprochenen Gedanken, dass Christen Tempel Gottes bzw. des heiligen Geistes sind (3,16f; 6,19). Er macht deutlich, dass aus dieser Wesensbestimmung gewisse Verhaltensregeln abzuleiten sind. Diese betreffen vor allem den Bereich der Sexualität, aber auch das Verhältnis von Gemeinde und Außenwelt. Der 2. Korintherbrief bedient sich ebenfalls der Heiligkeitsterminologie. Wieder ist die Anwesenheit Gottes in seinem Tempel, der Gemeinde, das zentrale Motiv, das die christliche Lebensführung prägen soll (6,14ff; 7,11; 11,2). Dies konkretisiert sich in diesem Brief vor allem an der Haltung, die die Gemeinde gegenüber dem Apostel einnimmt, dessen Amt ebenfalls mit kultisch konnotierter Sprache beschrieben wird (vgl. 2,14f). Heilig ist nicht nur der Ort, an dem Gott gegenwärtig ist, heilig sind auch die Opfer, die Gott dort dargebracht werden. Dieses Bild wendet Paulus im Philipperbrief auf die Gemeinde an. Ihr Leben im Glauben ist ein
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Kapitel 1. Einleitung
Opfer (Phil 2,17; 4,18), das mit dem des Apostels selbst harmonisch zusammengeht. Der Römerbrief greift dieses Motiv auf, indem er christliche Ethik unter die Überschrift des „botschaftsgemäßen Gottesdienstes“ und des „lebendigen Opfers“ stellt (Röm 12,1ff). Durch vielfältige Verschränkungen mit kultisch formulierten Passagen in den Kapiteln 1–11, vor allem aber durch die Entsprechung zu Röm 15,16, wo Paulus sich als Kultdiener beschreibt, der Menschen als Opfergabe Gott übereignet, zeigt sich, wie die Ethik als Konsequenz aus der heiligkeitstheologischen Wesensbestimmung der Gemeinde entwickelt wird. Überblickt man den vorläufigen Befund, so fällt auf, dass kultische Begrifflichkeit schon in den frühen Paulusbriefen eine gewichtige Rolle spielt. Sie dient dort nicht nur zur Beschreibung der christlichen Lebensführung. Ethische Weisungen entfaltet sie immer als Konsequenz aus dem neuen Status, in dem sich die Gläubigen befinden. Dieser Status wird ebenfalls in kultisch geprägter Sprache beschrieben. Paulus verwendet kultische Sprache also zuerst dazu, diesen heilvollen Status und den Weg aus dem Zustand der Gottesferne heraus zur Sprache zu bringen. Beides motiviert dann die Ethik. Bedient man sich der traditionellen theologischen Begrifflichkeit, kann man sagen, dass Heiligkeitsterminologie die paulinische Soteriologie und Ekklesiologie entfaltet und als Konsequenz daraus dann auch die Ethik begründet. In einigen Zusammenhängen wird darüber hinaus deutlich, welche Rolle der Apostel sich selbst im Blick auf den Transfer der Menschen auf die Seite Gottes und ihrem Verbleib dort zuschreibt. Auch darüber spricht Paulus in kultischer Begrifflichkeit. Kultische Terminologie erschließt also zentrale Bereiche des paulinischen Denkens. Aus diesem Rahmen fällt allein der Galaterbrief heraus. In ihm fehlt nicht nur die seit dem 1. Korintherbrief übliche Anrede a[gioi. Ingesamt findet sich in diesem Brief (außer in 4,8 und 5,19ff) kein Hinweis auf Heiligkeits- und Reinheitsterminologie. Stattdessen entwirft Paulus seine Beschreibung des Heils und der Gemeinde schärfer als in den anderen Briefen mit Hilfe der Gerechtigkeitsterminologie. Warum ist das so? Es lässt sich vermuten, dass die Auseinandersetzung mit den Gegnern, die Paulus in diesem Brief führen muss, das Zurücktreten des einen Wortfeldes zugunsten eines anderen motiviert hat. Die Missionare, die in den galatischen Gemeinden auftreten, halten die Beschneidung für eine Eintrittsbedingung in den durch Jesus eröffneten Heilsraum. Konnten sie vielleicht gerade mit kultischer Begrifflichkeit ihre Argumentation stark machen? Immerhin galt die Beschneidung für jüdisches Denken doch als Mindestbedingung, die erfüllt sein musste, damit Menschen Zugang zum Gott Israels haben konnten. Bedurfte es also eines Begriffsfeldes, mit dessen Hilfe Paulus deutli-
4. Die Kontexte der kultischen Sprache
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cher machen konnte, dass vollgültige Partizipation am Heil denen eröffnet ist, die durch Jesu Tod und Auferweckung dem Gott Israels übereignet worden sind? War das Wortfeld „Gerechtigkeit“ dazu besser geeignet als die kultische Begrifflichkeit, die in den übrigen Paulusbriefen zur Beschreibung des gleichen Sachverhaltes Verwendung findet? Dass kultische Begrifflichkeit und Gerechtigkeitsterminologie im paulinischen Denken eine ähnliche Funktion erfüllen, schimmert schon im 1. Thessalonicherbrief und in den beiden Korintherbriefen auf, wo Worte aus beiden Wortfeldern parallel zueinander stehen und das Gleiche beschreiben (z.B. 1 Thess 2,10; 1 Kor 1,30; 6,11), nämlich ein Verhalten, das Gott entspricht, oder aber den Übergang aus der Gottesferne hin zu Gott. Im weniger polemisch gefärbten Römerbrief greift Paulus wiederum auf das kulttheologische Begriffsfeld zurück, um die Heiligung des Alltags (Röm 12,1) – aber auch den Übergang von Menschen aus der Völkerwelt in den Besitz und Herrschaftsbereich Gottes – zu beschreiben (Röm 15,16).
4. Die Kontexte der kultischen Sprache in den Paulusbriefen 4. Die Kontexte der kultischen Sprache
In welche biographischen und sozialen Kontexte lässt sich die Verwendung der heiligkeitstheologischen Begrifflichkeit einordnen? Zweierlei fällt dazu auf. Heiligung gilt – bei allen Unsicherheiten in der Forschung – als Programmbegriff der pharisäischen Bewegung.10 Um Heiligung des alltäglichen Lebens dürfte es ihr im Wesentlichen gegangen sein.11 Nehmen wir das Selbstzeugnis des Paulus ernst, dann hätte es für ihn als Pharisäer (Phil 3,5) schon rein biographisch nahe gelegen, auf die Sprachwelt des Kultes zurückzugreifen, um zu beschreiben, wie sich Gott und die Menschen zueinander verhalten und wie menschliches Handeln dementsprechend gestaltet werden soll.12 10
Wobei der Hinweis Jonathan Klawans’ im Blick auf Ex 19,6 sehr beachtenswert ist: „the Exodus verse in question has been of greater interest and importance to modern scholars […] than it was to the ancient sources (KLAWANS [2006], 170f). 11 Vgl. dazu VAHRENHORST (2005), 53. Zum Beitrag der Pharisäer an der Entwicklung des kultischen Denkens im antiken Judentum vgl. S.57ff. 12 Die Frage, welche Bedeutung der Pharisäismus in der Biographie des Apostels gehabt hat, ist in der Forschung umstritten, wobei sich die Tendenz abzeichnet, anders als früher Zeit (vgl. dazu HAACKER [1997], 54) das paulinischen Selbstzeugnis in Phil 3,5 weniger als Reminiszenz an eine pharisäische Ausbildung in Jerusalem zu verstehen. J. A. OVERMAN sieht in der Notiz kata. no,mon farisai/oj aus Phil 3,5 wenig mehr als einen Hinweis auf die Fähigkeit zu genauer Interpretation der Tora, auf die Paulus stolz sei (187). Das entspricht der parallelen Formulierung in Gal 1,14. Liest man Phil 3,5 mit
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Kapitel 1. Einleitung
Daneben tritt ein zweites Moment: Wenn Paulus sich dieses Begriffsfeldes bedient, dann begibt er sich damit auf eine Ebene, auf der auch seine nichtjüdischen Adressaten ihn ganz unmittelbar verstehen konnten. Diese lebten als Bewohnerinnen und Bewohner hellenisierter Städte in einem zutiefst kultisch geprägten Umfeld. Sie dürften gewusst haben, was es bedeutet, wenn etwas heilig ist bzw. geheiligt wird. Sie lebten in der Nachbarschaft zu Tempeln verschiedenster Kulte und hatten die sich dort vollziehenden Handlungen vor Augen. Sie wussten aus den Überlieferungen und den uns erhaltenen Inschriften, dass etwas, das geheiligt bzw. geopfert wird, auf die Seite Gottes gehört, und dass sich in heiligenden Handlungen eine Besitzübertragung ereignet, mit der sich ein Statuswechsel vollzieht. Ebenso selbstverständlich wussten die Adressaten der paulinischen Briefe, dass beim Umgang mit dem Heiligen besondere Regeln einzuhalten sind, die es vor der Profanierung schützen. Wie Inschriften zeigen, sind heilige Bereiche außer von dem Kontakt mit dem Tod und der Geburt besonders durch Sexualität und ihre Folgen bedroht, entsprechend groß ist dort der Regelungsbedarf. Die Adressatinnen und Adressaten des Paulus dürften sich also kaum darüber gewundert haben, dass Paulus in besonderem Maße vor der pornei,a warnt (z. B. 1 Thess 4,3; 1 Kor 5,1ff; 6,13ff),13 die ja auch in jüdischen Traditionen als besonders problematisch gilt, oder dass er Sexualität in Bahnen zu lenken versucht, in denen sie selbst „geheiligt“ ist und keine Bedrohung für das Heilige mehr darstellt (1 Thess 4,4; 1 Kor 7,1ff). Wenn Paulus also Christen als Heilige, Tempel Gottes oder auch als Opfergabe beschreibt, dann konnte er davon ausgehen, dass seine Adressaten verstehen,14 dass damit ein Besitz- bzw. Herrschaftswechsel gemeint ist, dass es darum geht, Menschen ganz real auf die Seite Gottes zu stellen, sie zu seinem Eigentum zu machen.
Apg 22,3 zusammen, so stellt sich die Frage, welche Art von Ausbildung Paulus bei Gamaliel, den Apg 5,34 als Pharisäer vorstellt, erhalten haben könnte. K. H AACKER (1997) wertet das avnateqramme,noj aus Apg 22,3 als Indiz für eine Art von – freilich prägender – Vorschulerziehung aus (52). G. STEMBERGER (2005) stellt sich Paulus lediglich als gelegentlichen Zuhörer bei öffentlichen Auftritten Gamaliels in Jerusalem vor (69). Weiteres bei SCHNELLE (2003), 54ff und LINDEMANN (2006), 321ff. Wir werden im Laufe dieser Studie auf die Frage möglicher Spuren pharisäischen Denkens in den paulinischen Briefen näher zu sprechen kommen (vgl. den Exkurs in Kapitel 2, 2.2; Kapitel 9, 8). Vgl. dazu auch die Hinweise bei VAHRENHORST (2005), 58ff und FREY (2006), 24ff. 13 Zur Definition dieses Begriffs vgl. Kapitel 4, 3. 14 Das schließt nicht aus, dass Paulus seinen nichtjüdischen Adressaten zuweilen Gedankengänge zumutete, die ihnen von ihrem kultischen Vorwissen her fremd sein mussten. Dies gilt z.B. für die Anwendung des Begriffs „a[gioj“ auf Menschen, die im Griechischen so nicht gebräuchlich war (vgl. dazu Kapitel 2, 1,2 und 3, 3.1.2).
5. Kultische Sprache – ein Kontinuitätsmoment?
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Um das Profil der Aussagen, die Paulus mit kultischer Begrifflichkeit in seiner Kommunikation mit Nichtjuden macht, möglichst deutlich in den Blick zu bekommen, ist es also nötig, auch nach den religionsgeschichtlichen Kontexten der Paulusbriefe zu fragen. Diese liegen im Judentum und in der kultischen Umwelt seiner nichtjüdischen Adressatinnen und Adressaten. Beiden Kontexten ist je ein eigenes Kapitel gewidmet.
5. Kultische Begrifflichkeit als Hinweis auf ein Kontinuitätsmoment des paulinischen Denkens? 5. Kultische Sprache – ein Kontinuitätsmoment?
Aus den bisherigen Ausführungen geht hervor, dass kultische Begrifflichkeit zentrale Aspekte des paulinischen Denkens erschließt. Sie findet sich außerdem in allen Paulusbriefen. Nur im Galaterbrief tritt sie zurück. Könnte das bedeuten, dass sich damit ein Zugang zu einem Kontinuitätsmoment im paulinischen Denken eröffnet? Die Frage, ob die paulinische Theologie ein Zentrum hat, das die in so unterschiedliche Situationen hinein geschriebenen Briefe miteinander verbindet, beschäftigt die Paulusforschung seit Jahrzehnten.15 Das warnt davor, die Erwartungen in dieser Hinsicht zu hoch zu stecken. Andererseits verleiht gerade die Parallelität von kultischer Begrifflichkeit und Gerechtigkeitsterminologie der Vermutung eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass in der Schnittmenge von beiden so etwas wie ein paulinisches Proprium liegen könnte. Mit beiden Begriffsfeldern beschreibt Paulus, wie Menschen auf die Seite Gottes kommen und welche Konsequenzen das für sie hat. Wir werden dieser Vermutung im Laufe dieser Arbeit nachgehen.
6. Impulse aus der Forschungsgeschichte 6. Impulse aus der Forschungsgeschichte
Wer sich am Beginn des 21. Jahrhunderts mit der Erforschung neutestamentlicher Texte beschäftigt, wird nur in den allerseltensten Fällen völliges Neuland betreten. In der Regel findet er sich in einem Gelände vor, das schon andere vor ihm vermessen und bearbeitet haben. Das mag man mit einem gewissen Bedauern zur Kenntnis nehmen, birgt es doch die Gefahr in sich, dass man sich ausschließlich auf ausgetretenen Pfaden bewegt, oder, um dies zu vermeiden, versucht, da neue Schneisen zu schlagen, wo der Boden nicht tragfähig genug ist. Man kann aber auch mit Dankbarkeit 15 Die Debatte ist inzwischen mehrfach zusammenfassend dargestellt worden. Vgl. dazu KARRER (2000), 138, Anm. 69; DUNN (2003), 13ff und SCHNELLE (2001), 58f.
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auf die Arbeit derer blicken, die dem eigenen Forschen den Boden bereiten und ihm Orientierung geben.16 Die kultische Terminologie jedoch gehört sicher nicht zu den am intensivsten bearbeiteten Themen paulinischen Denkens. Die großen Darstellungen der paulinischen Theologie, die in den vergangenen Jahren erschienen sind, erwähnen sie kurz unter der Überschrift „metaphors of salvation“17 oder widmen ihr gar keine gesonderte Darstellung.18 Unbeackert ist dieses Feld aber trotzdem nicht: W. Strack, G. Faßbeck und zuletzt A. L. A. Hogeterp haben in ihren Arbeiten zur „kultischen Terminologie in ekklesiologischen Kontexten in den Briefen des Paulus“, zur „Aufnahme des Tempelkonzepts im frühen Christentum“ bzw. zur „Historical Interpretation of Cultic Imagery in the Corinthian Correspondence“ jeweils umfassende Forschungsgeschichten vorgelegt, die die wesentlichen Studien zum hier zu untersuchenden Themenkomplex würdigen.19 Ich kann daher auf eine eigene chronologisch geordnete Darstellung der Forschungsgeschichte verzichten und mich darauf beschränken, wesentliche Aspekte der Diskussion unter sachlichen Gesichtspunkten herauszustellen.
6.1 Spiritualisierung, Übertragung oder Metaphorik? Der in dieser Arbeit zu besprechende Themenkomplex ist in der Forschung unter anderem unter sprachlichen Gesichtspunkten in den Blick genommen worden, die allerdings stets von religionsgeschichtlichen und theologischen Vorentscheidungen begleitet und bestimmt wurden. Als besonders wirkungsvoll erwies sich die 1932 erschienene Studie „Die Spiritualisierung der Kultbegriffe Tempel, Priester und Opfer im Neuen Testament“ von H. Wenschkewitz. Ihr verdankt die Forschung den seitdem geläufigen Begriff der „Spiritualisierung“.20 Wenschkewitz verstand darunter, dass kultische Begriffe „auf ein nicht im strengen Sinne des Ritualismus kultisches Geschehen“21 angewendet werden.
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DEINES (1997), 11ff entwirft eine in dieser Hinsicht vorbildliche Forschungsgeschichte unter dem Paradigma der Dankbarkeit. 17 So DUNN (2003), 330f. 18 SCHNELLE (2003) nennt einige Texte, in denen kultische Begrifflichkeit begegnet, bei der Behandlung der paulinischen Pneumatologie (z. B. 555 und öfter). 19 Vgl. STRACK (1994), 375ff; FAßBECK (2000), 6ff; HOGETERP (2006), 2ff. Ergänzend sei auf KLAWANS (2006), 3ff verwiesen. 20 Vgl. dazu STRACK (1994), 375f und FAßBECK (2000), 9–12. 21 WENSCHKEWITZ (1932), 228.
6. Impulse aus der Forschungsgeschichte
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Um diesen Begriff herum rankt sich eine kontroverse Diskussion,22 in der zum einen kritisiert wird, dass der Begriff Spiritualisierung „sich zwar als ein Oberbegriff gibt, doch in Wahrheit ganz unterschiedliche Phänomene zusammenfasst: sei es die Dematerialisierung, sei es die Rationalisierung, sei es die Ethisierung oder gar die Substitution“23 eines kultischen Sachverhaltes. Zum anderen verbindet sich mit diesem Begriff ein Gegenüber, ja geradezu ein Auseinandertreten von Leiblichkeit und Geistigkeit, das im antiken Denken längst nicht so verbreitet ist, wie vielfach angenommen wird.24 So lassen sich bei Philo, aber auch bei anderen Autoren jüdischer und griechischer Provenienz Tendenzen beobachten, kultische Sachverhalte zu „spiritualisieren“ oder in ihrer tieferen Bedeutung zu verstehen, doch verbindet sich damit keineswegs eine Entwertung des realen Kultes. Im Gegenteil: geistige und sichtbar-praktische Dimensionen werden zusammengehalten und bleiben aufeinander bezogen.25 Der Begriff der Spiritualisierung ist weiterhin deshalb problematisch, weil er suggeriert, Gegenstand der Aussage seien kultische Sachverhalte, die dann spiritualisiert würden. Er setzt außerdem voraus, dass man kultische Sachverhalte vor allem deshalb spiritualisiere, weil man diese Sachverhalte als defizitär ansehe und kritisieren wolle. Darum stelle man ihnen auf geistiger Ebene etwas Höherwertiges gegenüber. Diese Tendenz lässt sich in den Forschungsbeiträgen zur kultischen Begrifflichkeit immer wieder erkennen.26 In Wahrheit machen die Texte, die kultische Terminologie verwenden, oft aber gar keine Aussage über den Kult, sondern über etwas anderes, das sie dann in kultischer Sprache beschreiben. Wenn Paulus sich kultischer Begrifflichkeit bedient, dann tut er das in der Regel nicht, um sich über den Kult zu äußern, sondern um damit „den Adressaten (noch unbekannte) […] Sachverhalte bzw. Desiderate nahe zu bringen“.27 Es geht Paulus in diesem zentralen Feld seiner Aussagen nicht darum, den Tempel(kult) umzudeuten. Paulus beschreibt vielmehr mit Hilfe kultischer Kategorien die „Zuordnung zu Gott bzw. zur ‚Sphäre Gottes’“.28
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Sie wird ausführlich von STRACK (1994), 375ff dargestellt. STEGEMANN (2000), 197. 24 Vgl. LANCI (1997), 9. 25 Bei Philo dient die allegorische Auslegung kultischer Gebote dazu, ihren realen Vollzug zu begründen und zu ihrer Befolgung zu motivieren. Vgl. dazu Kapitel 2, 2.2 und 3, 4.1. 26 Vgl. dazu FAßBECK (2000), 6ff und K LAWANS (2006), 3f. 27 FAßBECK (2000), 5. 28 STRACK (1994), 396. 23
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Neuere Arbeiten bevorzugen wegen der genannten Schwächen den Begriff „Metaphorik“29, „Umdeutung“ bzw. „Übertragung“30 oder „transference“31. Freilich ist wiederum umstritten, in welchem Sinne man hier überhaupt von Metaphorik sprechen darf. So betont W. Strack, die Anwendung kultischer Terminologie auf die Gemeinde sei „eigentliche Rede“:32 Die Gemeinde wird nicht mit dem Tempel verglichen, sie ist der Tempel.33 Nun wird man andererseits nicht jede Anwendung kultischer Begrifflichkeit in den paulinischen Texten ohne weiteres für eigentliche Rede halten können.34 Wo Paulus kultische Begrifflichkeit eigentlich und wo er sie uneigentlich verwendet, muss an den jeweiligen Texten selbst abgelesen werden. Aus diesem Grund ist die vorliegende Studie bei der Verwendung der Begriffe „bildliche Rede“ bzw. „Metaphorik“ sehr zurückhaltend und spricht lieber allgemein von Terminologie bzw. Begrifflichkeit. Der Sache nach ergibt sich aber eine Nähe zu einem Metaphernkonzept,35 das Metaphern „als Übertragung und nicht – wie ein heute noch verbreitetes Vorurteil unterstellt – als Substitution“ versteht.36 Damit entfällt die strenge Alternative „eigentliche Rede“ – „uneigentliche Rede“. „Die Metapher darf dann aber nicht mehr im pejorativen Sinn als ‚uneigentliche Rede’ bezeichnet werden, sondern erweist sich als ursprüngliche und unersetzbare Sprachform“.37 Wir werden sehen, dass die paulinischen Aussagen sich der Alternative eigentlich und uneigentlich zuweilen versperren. Sie meinen eigentlich und nichteigentlich, was sie sagen.
6.2 Von welchem Tempel, welchem Kult ist die Rede? Besondere Aufmerksamkeit ist seit den 1960er Jahren der Tempelterminologie zuteil geworden. Vor allem die Entdeckung der Schriften von Qumran hat der Forschung hier Impulse gegeben, denn in diesen Texten kommt 29
So STEGEMANN (2000), 198. So KLINZING (1971), 143ff. 31 SCHÜSSLER–FIORENZA (1976), 160f. 32 STRACK (1994), 408. 33 Vgl. auch NEWTON (1985), 58 und ROLOFF (1993), 113, der im Blick auf 1 Kor 3,16 ausführt: „Dies ist nicht bildlich-metaphorische, sondern eigentliche Rede“. 34 Vgl. dazu MERKLEIN (2000), 224. 35 In jüngster Zeit sind mehrere Arbeiten zur Bedeutung von Metaphern für die Exegese erschienen. Der Forschungsstand ist umfassend aufgearbeitet bei GERBER (2005), 81ff und ZIMMERMANN (2001), 35ff. 36 EGGS (2001), 1100. 37 ZIMMERMANN (2003), 8. 30
6. Impulse aus der Forschungsgeschichte
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eine Gemeinschaft zur Sprache, die sich selbst in tempeltheologischer Begrifflichkeit beschrieben, ja sich vielleicht sogar für einen Tempel gehalten hat – und zwar in bewusster Abgrenzung zum Tempel in Jerusalem. Hier sind vor allem die Arbeiten von B. Gärtner und R.J. McKelvey zu nennen. Beide gehen davon aus, dass Paulus ähnlich wie die Gemeinschaft von Qumran in kritischer Distanz zum Jerusalemer Tempel stehe, wenn er die Gemeinde als Tempel bezeichne.38 Die These, dass Paulus den Kult am Jerusalemer Tempel substituieren wolle, indem er die Gemeinde quasi als Gegentempel konstituiert sieht, wird inzwischen von unterschiedlicher Seite in Frage gestellt.39 Einige bezweifeln, ob Paulus, wenn er von der Gemeinde als einem Tempel spricht, überhaupt den realen Tempel vor Augen habe. Paulus könne möglicherweise auf ein „Tempelkonzept“ Bezug nehmen, das mehr umfasse als den realen Tempel in Jerusalem.40 Gewichtiger scheint mir der Hinweis, dass gar nicht ausgemacht ist, dass Paulus dem Jerusalemer Tempel überhaupt negativ gegenüber gestanden hat.41 Eine negative Einstellung zum Jerusalemer Tempel werde in der Forschung mehr vorausgesetzt, als den Texten selbst entnommen.42 Grundsätzlich gelte wohl eher: Wenn Paulus kultische Begrifflichkeit verwendet, um damit seinen Leserinnen und Lesern positiv besetzte Sachverhalte mitzuteilen, dann liegt dem wahrscheinlich ein positives Verhältnis zur Welt des Kultes zugrunde.43 Zugleich ist aber grundsätzlich die Frage zu stellen, ob Paulus ausschließlich Tempel und Kultvollzüge Israels vor Augen hat, wenn er kultische Begriffe auf die Gemeinde anwendet. Die Mehrheit der Forschung geht mit einiger Selbstverständlichkeit davon aus, dass der Apostel dabei an den Jerusalemer Tempel und den Kult Israels denkt. Dies gilt für die Studien von Strack44 und Faßbeck45 ebenso wie für die Arbeit von Hoge38
Vgl. GÄRTNER (1965), 50; MCKELVEY (1969), 106 und 180. Weitere Vertreter dieser Auffassung werde ich bei der Besprechung der einzelnen Texte nennen. 39 Vgl. dazu FAßBECK (2000), 6ff. 40 Vgl. B ÖTTRICH (1999), 413 und FAßBECK (2000), 24ff. So vermeidet man es in der Tat, einen Gegensatz zum real existierenden Tempel in Jerusalem aufzubauen. Ob man die Vorstellung eines „zweifaltigen Heiligtums“ (FAßBECK [2000], 24) religionsgeschichtlich allerdings so allgemein voraussetzen und noch dazu den paulinischen Texten unterstellen darf, die ansonsten davon schweigen, ist fraglich. 41 Paulus zählt die latrei,a – also den Kult – immerhin zu den Merkmalen, die Israel bleibend auszeichnen (Röm 9,4). Vgl. dazu FREDRIKSEN (2005), 213f. 42 Vgl. LANCI (1997), 11ff. 43 Vgl. STRACK (1994), 8f. Das würde – nebenbei bemerkt – eine Brücke zur Paulusdarstellung der Apostelgeschichte schlagen, die Paulus nicht nur im Tempel auftreten, sondern auch als Teilnehmer am Tempelkult erscheinen (21,26) lässt. 44 Vgl. STRACK (1994), 10ff. 45 Vgl. FAßBECK (2000), 32, Anm. 102.
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Kapitel 1. Einleitung
terp, der zwar Bezüge zur Welt paganer Kulte in Ansätzen wahrnimmt, es aber grundsätzlich für ausgeschlossen hält, dass Paulus als Jude auf einen anderen als den Jerusalemer Tempel und seinen Kult Bezug nehmen könnte.46 Daneben gibt es aber auch Stimmen, die die genannte Selbstverständlichkeit in Frage stellen: Ich nenne zunächst H.-J. Klauck, der in seiner knappen Besprechung einiger Texte, in denen sich „kultische Symbolsprache“ findet, wiederholt auf Berührungen mit der jüdischen und der heidnischen Kultsprache hingewiesen hat. Ähnlich wie Philo sei Paulus als ein „Grenzgänger zwischen alttestamentlich-jüdischer und hellenistischer Begriffswelt“ zu verstehen.47 1997 hat J. R. Lanci betont, dass Paulus, wenn er gegenüber den Korinthern von einem Tempel spricht, zwar auch an den Jerusalemer Tempel gedacht haben könnte – aber nicht allein an ihn gedacht haben muss: „the Gentile experience of temples must be considered in conjunction with this imagery“.48 Lanci nimmt also die nichtjüdischen Adressaten der paulinischen Briefe und ihren Erfahrungshorizont in den Blick. Ähnlich verfährt C. Böttrich: „Zur Zeit des Paulus bestimmte gerade die Existenz von Tempeln einen wichtigen Teil der religiösen Alltagserfahrung. Erstens gehörten pagane Heiligtümer / naoi, zu den auffälligsten und prächtigsten Bauwerken der hellenistischen Welt. Andererseits war auch im antiken Judentum der Begriff nao,j fest etabliert…“.49 Die genannten Arbeiten konzentrieren sich vor allem auf die Tempelbegrifflichkeit des 1. Korintherbriefes. Es gilt aber für den gesamten Bereich der kultischen Terminologie, was H. Hübner im Blick auf den Problemkreis von rein und unrein formuliert hat: „It would be very one sided to see the determination of unclean and clean only in terms of the OT and surrounding Judaism. The NT must be understood as a Hellenistic writing, therefore one must not overlook the Greek conception of unclean and clean, both philosophical and religious.“ 50
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Dieses Argument wurde schon in den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts von E. Schwartz gegen A. Deissmann vorgebracht. Deissmann hatte den „paulinischen Lieblingsgedanken der ‚Erbauung’“ unter anderem auch anhand der „großen heidnischen anatolischen Heiligtümer“ illustriert. Darauf reagierte Schwartz mit der These: „dass Paulus beim Anblick unfertiger Tempel“ kaum „etwas anderes empfand als den zornigen Wunsch, dass diese Stätten des Gräuels nie fertig werden möchten“ (Alle Zitate nach DEISSMANN [1925], 241. Die bibliographischen Hinweise finden sich dort auf Seite 231). Vgl. dazu DEISSMANN (1925), 241ff und unten unter V.3. 47 KLAUCK (1983), 109. 48 LANCI (1997), 10. 49 B ÖTTRICH (1999), 411f. 50 HÜBNER (1992), 742. Vgl. auch FREDRIKSEN (2005), 205f; 216f.
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Ziehen wir die Konsequenz, so ist festzuhalten: Judentum und nichtjüdische Religiosität dürfen bei der Erforschung neutestamentlicher Texte nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wenn man verstehen möchte, was in der Kommunikation zwischen Paulus und seinen Gemeinden geschieht, die in einem kultisch geprägten Universum lebten, Tempel und die dort stattfindenden Vollzüge täglich vor Augen hatten, müssen beide Kontexte, der jüdische und der nichtjüdische, Berücksichtigung finden. Wir werden sehen, dass Paulus selbst in der Tat sowohl eindeutig jüdische als auch eindeutig nichtjüdische Begrifflichkeit verwendet. Bei seinen Leserinnen und Lesern dürfen wir sicher davon ausgehen, dass ihnen der Jerusalemer Tempel und sein Gottesdienst weniger vor Augen stand, als die Tempel der Stadt, in der sie lebten, mit deren Kultvollzügen sie aus der Zeit vor ihrer Lebenswende vertraut waren.
6.3 Kultische Sprache umfasst mehr als nur Tempelmetaphorik Wie schon erwähnt, konzentrieren sich die meisten einschlägigen Studien mit Ausnahme der Beiträge von Klauck und Strack auf die Tempelbegrifflichkeit in den Korintherbriefen, speziell dem 1. Korintherbrief. Wie wir bei der Analyse des zu untersuchenden Begriffsfeldes aber zeigen konnten, umfasst kultische Terminologie mehr als nur Tempelterminologie. Nur wenn man die Begriffspaare heilig und profan, rein und unrein und solche Termini, die auf kultische Realien oder Vollzüge anspielen, ebenfalls berücksichtigt, gerät das Ganze in den Blick.51 Diesem Ziel kommt die Arbeit von W. Strack nahe. Sie orientiert sich an den „Gemeindebezeichnungen“52 in den paulinischen Briefen und gewinnt dadurch automatisch einen weiteren Horizont als Studien, die allein nach der Tempelterminologie fragen. Die systematische Vorentscheidung, kultische Terminologie vornehmlich als Ausdruck paulinischer Ekklesiologie zu untersuchen, engt den Horizont aber zugleich wieder ein. Wie Strack selbst gelegentlich andeutet, umfassen die Aussagebereiche, die mit kultischer Begrifflichkeit beschrieben werden, mehr als nur die Ekklesiologie.53 Ebenfalls einer systematischen Vorentscheidung und ausdrücklich nicht der Untersuchung einzelner Texte verdankt sich das abschließende Urteil, das Strack im Blick auf die Verwendung kultischer Terminologie bei Paulus fällt: „Im Kreuzesgeschehen, verstanden als das eschatologische, das 51 Vor diesem Hintergrund ist es befremdlich, dass HOGETERP (2006), 271 das Begriffsfeld a[gioj bewusst ausklammert. Aber auch bei KLAUCK (1983) kommt es nicht vor. 52 Vgl. STRACK (1994), 3. 53 Vgl. STRACK (1994), 397.
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Kapitel 1. Einleitung
Anliegen des Kultes zur Erfüllung bringende Ereignis und somit als das entscheidende Heilsgeschehen schlechthin, liegt für Paulus die sachliche, zwar nicht unmittelbar ausgedrückte, aber aus seiner Darlegung des Sühnetodes Christi […] zu erschließende Voraussetzung für die Anwendung kultischer Terminologie zur Aussage ekklesiologischer Sachverhalte“.54 Nur wenn man solche Vorentscheidungen soweit als möglich vermeidet, wird deutlich, was Paulus mit kultischer Begrifflichkeit tatsächlich sagt – und auch, was er nicht sagt.
6.4 Folgerungen für die vorliegende Studie 1. Diese Arbeit möchte die Verwendung kultisch geprägter Sprache in den Paulusbriefen in möglichst großer Breite untersuchen. Auf diese Weise werden thematische Engführungen vermieden und das gesamte Spektrum der Aussagen, die Paulus mit Hilfe dieses Begriffsfeldes macht, kommt in den Blick. 2. Diese Arbeit versucht, konsequent von den einzelnen Texten im Corpus Paulinum auszugehen, ihren Aussagegehalt in ihrem jeweiligen Kontext zu ermitteln und voreilige Systematisierungen zu vermeiden. Eine systematische Auswertung und Einordnung der Ergebnisse kann erst am Ende der Untersuchung stehen, nicht aber ihre Voraussetzung sein. 3. Diese Arbeit untersucht zunächst die jüdischen und die paganen Kontexte kultischer Begrifflichkeit und berücksichtigt sie dann bei der Auslegung der paulinischen Texte. So wird deutlich, wie die Kommunikation zwischen dem Juden Paulus und seinen überwiegend nichtjüdischen Adressatinnen und Adressaten gelingen konnte – und welche Bedeutung der kultischen Begrifflichkeit bei der Kommunikation des paulinischen Evangeliums zukam. Deutlich wird aber auch, welche Gedanken den ersten Leserinnen und Lesern der Paulusbriefe wirklich neu gewesen sein dürften.
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STRACK (1994), 401 (Hervorhebung M.V.).
Kapitel 2
Kultische Sprache in jüdischen Kontexten In den letzten Jahren ist den in der Welt der Bibel mit kultischer Terminologie zur Sprache gebrachten Phänomenen beachtliche Aufmerksamkeit zuteil geworden. Die gegenwärtige Forschungslage lässt sich mit einem Zitat von Jonathan Klawans prägnant auf den Punkt bringen: „Modern scholarship on biblical and ancient Jewish conceptions of impurity has become a virtual growth industry“.1 Es ist im Rahmen dieser Arbeit weder möglich noch nötig, den zahlreichen Studien über diesen Themenkomplex in der Bibel bzw. im Judentum noch eine weitere eigenständige an die Seite zu stellen.2 Da Paulus seine Kommunikation mit heidenchristlichen Gemeinden aber aus seinem jüdischen Kontext heraus auf dem Boden der Schrift führt, ist es doch angebracht, die wesentlichen Konturen des biblisch-jüdischen Heiligkeits- und Reinheitsdenkens schlaglichtartig darzustellen.
1. Biblische Voraussetzungen 1. Biblische Voraussetzungen
Die Unterscheidung von heilig und profan, rein und unrein gehört zu den zentralen Koordinaten, an denen sich die biblische Welt orientiert.3 Das zeigt sich in den hebräischen Schriften Israels, die forschungsmäßig – wie erwähnt – gut erschlossen sind, und gilt in gleichem Maße für die Welt ihrer ersten Übersetzung, der Septuaginta. Für sie liegt bisher keine vergleichbare Untersuchung vor.4 Das hat sein begrenztes Recht darin, dass die Übersetzer den Vorgaben des hebräischen Textes in hohem Maße treu geblieben sind, verdeckt aber besondere Akzente, die die Übersetzer z. B.
1
KLAWANS (2000), 3. Eine ausführliche Forschungsgeschichte zum Thema bietet KLAWANS (2000), 4–20. Er bespricht vor allem die Arbeiten von A. B ÜCHLER (1926); T. FRYMER–KENSKY (1983); G. ALON (1977); J. NEUSNER (1994). Vgl. auch K AZEN (2002) und KLAWANS (2006). 3 Vgl. SEIDL (2004), 240. 4 Zu nennen wären allenfalls die Arbeiten von DANIEL (1966) und DORIVAL (1996). Weiteres bei VAHRENHORST (2006a und 2006b). 2
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Kapitel 2. Kultische Sprache in jüdischen Kontexten
durch die Wahl der Äquivalente gesetzt haben, wie wir im Folgenden immer wieder beobachten werden. Vor allem die Übersetzung des Pentateuch war es, die für uns zum ersten Mal greif- und nachvollziehbar hebräisches Denken in den griechischen Sprachraum hinein vermittelt hat. Sie wirkte dabei für die folgenden Jahrhunderte – nicht zuletzt für Paulus – sprach- und stilbildend. Auf die terminologischen Weichenstellungen, die die Pentateuchübersetzer im Bereich der Heiligkeits- und Reinheitsterminologie vorgenommen haben, soll darum bei der folgenden Darstellung besonders geachtet werden. Ich stelle sie zu Beginn kurz vor und ordne sie dann in ihren sachlichen bzw. inhaltlichen Rahmen ein.
1.1 Reinheits- und Heiligkeitsterminologie im Pentateuch Für die Reinheitsterminologie5 der Tora ist das Wortpaar rwhj (rein) und amj (unrein) bestimmend. Worte vom Stamm rhj begegnen im hebräischen Text 204 Mal. Ihr Bedeutungsspektrum deckt sich „weithin mit dem Inhalt des deutschen Wortes ‚rein’ und seiner Fächerung“.6 Als zentrales Antonym zu rhj erscheint amj mit 279 Belegen. Sprachgeschichtlich ist es mit den ägyptischen Worten für „verschlammen“ und „Nilschlamm“ verwandt.7 Sein Bedeutungsspektrum ist ähnlich umfassend wie das von rhj. Für beide gilt: „They take their identity from their antonyms“,8 aus der Gegenüberstellung von rhj und amj wird deutlich, was jeweils genau gemeint ist. Dabei liegt das Schwergewicht in der Tradition priesterlicher Sprache darauf, Kultfähigkeit bzw. Kultunfähigkeit auszusagen. Was rein ist, darf in Kontakt mit dem Heiligen kommen, was unrein ist, nicht. 1.1.1 Das Wortpaar kaqaro,j / avka,qartoj Die Übersetzung des Pentateuch folgt den Vorgaben des hebräischen Textes im Bereich der Reinheits- und Heiligkeitsterminologie insgesamt sehr genau, setzt aber an wenigen Stellen auch eigene Akzente. Kontinuitäten zwischen hebräischem Text und der LXX lassen sich im Pentateuch vor allem anhand des Wortpaares kaqaro,j und avka,qartoj (rein und unrein) feststellen, das im Folgenden zuerst besprochen werden soll. Interessante eigene Akzente setzt die LXX mit dem Gebrauch der Wortfamilie a`gno,j / 5
Über diese informiert knapp und präzise M ILGROM (2000), 29–32. P ASCHEN (1970), 19f. Vgl. auch W RIGHT (1992), 729 und CAZELLES (1979), 492. Man beachte aber den Hinweis Kapitel 1, Anm. 6. 7 Vgl. P ASCHEN (1970), 27. 8 MILGROM (2000), 29. 6
1. Biblische Voraussetzungen
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a`gni,zw (geweiht – rein / weihen – reinigen), auf die entsprechend ausführlicher einzugehen ist. rwhj (rein) und amj (unrein) gibt die LXX sehr konsequent mit kaqaro,j und avka,qartoj wieder. An der Wahl dieser Äquivalente fällt auf, dass die LXX anders als der hebräische Text nicht zwei unterschiedliche Wörter wählt, um den Gegensatz von rein und unrein zum Ausdruck zu bringen, sondern dem positiven Begriff kaqaro,j eine Alpha-privativum-Bildung avka,qartoj gegenüberstellt.9 In der griechischen Sprache wären dafür durchaus Alternativen vorhanden gewesen. So hätte sich beispielsweise das Wort miaro,j (befleckt; unrein) angeboten. Dieses begegnet in der paganen Kultsprache als Gegenbegriff zu kaqaro,j bzw. a`gno,j. Man könnte vermuten, dass die LXX es genau aus diesem Grund vermeidet, dass sie also avka,qartoj wählt, um sich von der Begrifflichkeit paganer Religiosität zu unterscheiden. Diese Vermutung lässt sich jedoch nicht ohne weiteres bestätigen, denn zur Übersetzung des Verbs amj (pi. [für unrein erklären oder verunreinigen]) greift die LXX auf das verwandte und für die griechische Reinheitsterminologie zentrale Verb miai,nw (beflecken / verunreinigen) zurück.10 Die Entscheidung für kaqaro,j ist ebenfalls nicht selbstverständlich, lässt sich aber nachvollziehen, wenn man berücksichtigt, dass zwischen dem hebräischen rwhj (tahor) und dem griechischen kaqaro,j (katharos [beide haben tha und r]) gewisse lautliche Parallelen bestehen. So dürfte es wohl die Orientierung am hebräischen Original gewesen sein, die die LXX zu ihrer Wahl motiviert hat.11 Die Entscheidung, den Gegenbegriff mit avka,qartoj zu übersetzen, kann zumindest nicht direkt so motiviert gewesen sein. Es lässt sich allenfalls vermuten, dass die LXX auf dem Umweg akathartos – katharos – tahor einen Bezug zum Hebräischen wahren wollte. Formen von kaqaro,j übersetzen in den allermeisten Fällen also Formen von rhj. Sie dienen wesentlich seltener aber auch zur Übersetzung von yqn (rein / sauber in unkultischem Sinn) Gen 20,5; 24,8; 44,10; ~t (aufrichtig / einfältig) Gen 20,6; $z (rein / glänzend) Ex 27,20; Lev 24,2.7 und in einem Fall auch von Xdq (heilig) Num 5,17. 9
Ähnlich verfährt die LXX beim Gegenüber von Nomos und Anomos und Derivaten (Weiteres bei SIEGERT [2001], 138). 10 Schon bei Plato, leg. 716 E, begegnen avka,qartoj und miaro,j als synonyme Begriffe. Beide sind in der griechischen Kultsprache gleichermaßen geläufig. Das Interesse an einer terminologischen Abgrenzung von der paganen Kultsprache dürfte die Übersetzer bei ihrer Wahl also wohl kaum geleitet haben. Abgesehen davon lässt sich auch zwischen amj und miai,nw eine gewisse phonetische Nähe ausmachen, die Übersetzer bei ihrer Wahl geleitet haben könnte. 11 Vgl. HARLÉ / PRALON (1988), 31. Vgl. zum Phänomen „hebräisch-griechischer Assonanzen“ bzw. Homoiophonie S IEGERT (2001), 135f.
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Kapitel 2. Kultische Sprache in jüdischen Kontexten
Das Verb kaqari,zw hat in seltenen Fällen ebenfalls eine andere Vorlage als
rhj – nämlich hqn (ungestraft lassen) Ex 20,7 [Dtn 5,11 par]; Ex 34,7 [Num 14,18 par]; ajx (entsündigen)12 Ex 29,36; Lev 8,15 (in beiden Fällen geht es um die reinigende Vorbereitung des Altars für die Aufnahme des Kultes); rpk (sühnen) Ex 29,37; 30,10; xls (vergeben) Num 30,6.9.13; r[b II (wegschaffen) Dtn 19,13. Dabei fällt zum einen auf, dass durch die Anwendung dieser Wortfamilie auf aus heutiger Sicht eher als ethisch zu qualifizierende Sachverhalte (z. B. Gen 20,5; 44,10; Ex 20,7 par; Ex 34,7 par) dem Wortfeld Reinheit im LXX Pentateuch eine stärkere ethische Komponente zuwächst (vgl. auch Num 30,6.9.13: Reinheit von der Schuld, die man sich zuzieht, wenn man ein Gelübde nicht erfüllt).13 Diese Vorstellung ist den entsprechenden Stellen auch im Hebräischen eigen, doch bringt die LXX – indem sie sich für ein einziges Lexem zur Wiedergabe entscheidet – die Sache gleichsam auf einen Begriff. Zum anderen wird hinsichtlich des Opferkultes eine feine Unterscheidung sichtbar. So differenziert die LXX zwischen Akten, die den Opferkult vorbereiten (Ex 29,37; 30,10), und den eigentlichen Opferhandlungen (resp. ihren Wirkungen), während die hebräische Vorlage diese Unterscheidung nicht macht: Zu den Resultaten des Opferkultes kann die Sühne gehören (z. B. Lev 1,4; 4,20; 16,34 u.ö.), hier übersetzt die LXX rpk immer mit evxila,skesqai (Sühne schaffen).14 Rituale, die dem eigentlichen Opferkult vorangehen, haben in der Wahrnehmung der Übersetzer diese Wirkung noch nicht, weshalb in diesen Fällen für rpk die – sachgemäße – Übersetzung „reinigen“ gewählt wird.
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In der Forschung herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass das Bedeutungsspektrum der Wortfamilie ajx weiter ist, als die traditionellen Übersetzungen, die sie – im Gefolge der LXX – in der Regel mit „Sünde“ in Verbindung bringen (vgl. dazu KIUCHI [2003], 2). Schon die ersten Übersetzer haben erkannt und berücksichtigt, dass manche Derivate von ajx eher in den Bereich der Reinheitsterminologie hineinspielen. Diese Linie verfolgt vor allem J. Milgrom in diversen Veröffentlichungen (besprochen bei EBERHART [2002], 240ff), ohne dass sich sein Vorschlag, ajx (pi.) immer mit reinigen und die tajx mit Reinigungsopfer zu übersetzen, hätte durchsetzen können. Wichtig ist aber festzuhalten, dass ajx Verhaltensweisen und Rituale bezeichnet, die in den – für heutige Wahrnehmung getrennten – Bereichen von Kultus und Ethos angesiedelt sind. In der Antike lagen sie, wie wir im Laufe dieser Arbeit immer wieder beobachten werden, deutlich näher beieinander. 13 Die Übersetzung von xls mit kaqari,zw könnte sich in diesem Fall dem Versuch verdanken, zwischen der Vergebung, die als Ergebnis eines Opfers mit „Al xl;s .nIw>“ konstatiert wird (Lev 4,31 u.ö.) und der hier beschriebenen Vergebung, die ohne Opfer erfolgt, hebräisch aber genauso formuliert wird (Hl'– xl;s .yI), zu unterscheiden. 14 Vgl. dazu VAHRENHORST, Exkurs zur Opferterminologie im Begleitband von LXX.D.
1. Biblische Voraussetzungen
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Die hier angesprochenen Beispiele stellen die einzigen Ausnahmen von der Regel dar, nach der für Formen von kaqaro,j im Hebräischen rhj steht. Wenn man die Gegenprobe durchführt und danach fragt, welche Übersetzungsäquivalente für das hebräische rhj / rwhj gewählt werden, so fällt auf, dass allein in Num 8,6.7.21 mit avfagni,zw (vgl. dazu unten) und in Lev 10,14 (a[gioj) vom Üblichen (kaqaro,j) abgewichen wird. Hebräische Vorlagen von avka,qartoj sind im Pentateuch allein Formen von amj. amj wird entsprechend immer mit Formen von avka,qartoj oder miai,nw übersetzt. Damit konzentriert sich die Reinheitsterminologie im LXX-Pentateuch weitgehend auf das Gegensatzpaar kaqaro,j und avka,qartoj.15 1.1.2 Die Wortfamilie a`gni,zw und ihr Verhältnis zu a`gia,zw Wie oben schon angedeutet, hätten die Übersetzer in ihrer Zielsprache eine Wortfamilie vorfinden können, die sehr speziell auf den Sachverhalt kultischer Reinheit anwendbar gewesen wäre. Es handelt sich um das Wort a`gno,j und seine Derivate. Dieses erfüllt in griechischen Leges Sacrae sehr oft die Funktion, Reinheit und die daraus resultierende Kultfähigkeit zu bezeichnen. Daneben trägt a`gno,j jedoch häufig einen weiteren Bedeutungsakzent, nämlich heilig / geweiht, der über die Bedeutung des hebräischen rhj hinausgeht und eher in den Bereich der Vokabel Xdq hineinspielt. Für letztere wählt die LXX mit großer Konsequenz Formen des sprachgeschichtlich verwandten a[gioj.16 Umso interessanter ist es, dass sich im LXX-Pentateuch an einigen Stellen trotzdem Formen von a`gno,j finden. Ein deutlicher Schwerpunkt liegt mit 14 von insgesamt 17 a`gno,j Belegen auf dem Numeribuch. Dort beschränkt sich das Vorkommen auf die Kapitel 6 [2 Belege], 8 [3 Belege], 11 [1 Beleg], 19 [5 Belege] und 31 [3 Belege]. Inhaltlich ergeben sich folgende Akzente: In Num 6 geht es um die Weihe der Nasiräer (6,2) und deren Abstinenz (6,3). Num 8 regelt die Weihe der Leviten und das dazugehörige Weiheritual. Num 11,18 fordert das Volk zur Vorbereitung auf eine besondere Gottesgabe auf. Num 19 legt das Reinigungsritual fest, das zur Reinigung von der Verunreinigung durch den Kontakt mit einem Toten stattfinden muss, damit das Heiligtum nicht unrein wird. Num 31,19ff verpflichtet die Israeliten, die die Midianiter getötet und sich so an Toten verunreinigt haben, ein Reinigungsritual (nach Num 19) durchzuführen: Auch Beutegut muss so gereinigt werden.
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Alltagsrelevante Konkretionen, die sich mit rein und unrein verbinden, werden unter 1.2 und 1.3 genannt. 16 Vgl. Kapitel 3, 3.1.
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Damit beschreiben 8 von 17 Stellen das besondere Reinigungsritual, das die Unreinheit beseitigt, die durch den Kontakt mit einem Toten hervorgerufen wird. An 4 Stellen wird ausgesagt, dass Menschen sich in ein besonderes Verhältnis zu Gott bringen. Eine Stelle beschreibt die dazugehörige Abstinenz. Eine letzte die Vorbereitung auf eine besondere Selbstkundgabe Gottes. Um die Vorbereitung auf eine besondere Gottesbegegnung geht es auch in Exodus 19,10. Die beiden Belege im Levitikusbuch benennen das Reinigungsritual, das durchzuführen ist, nachdem der „Aussatz“ an einem Haus verschwunden ist. Nach dessen Vollzug ist das Haus vollständig rein. Fragt man nach den hebräischen Äquivalenten, so ergibt sich folgendes Bild: In 8 Fällen liegt eine Hitpael-Form von ajx („entsündigen“) vor.17 Von diesen Belegen beziehen sich 7 auf das Ritual, mit dem man sich von der Totenunreinheit reinigt. Ein Beleg beschreibt die Reinigung der Leviten. An 3 Stellen steht im Hebräischen eine Piel-Form von ajx. In Num 19,19 wird damit in Ergänzung zu den sonst reflexiven Wendungen festgelegt, dass ein kultisch reiner Mensch das Ritual an einem unreinen Menschen vollziehen soll. Im Levitikusbuch wird das Reinigungsritual an einem Haus vollzogen. Zwei Belege haben eine Hifil-Form von rzn („sich weihen“) als Vorlage (Weihe des Nasiräers). Hierzu ist zu bemerken, dass die Vokabel a`gni,zw bzw. a`gneu,w in paganen Texten zugleich den Akzent der Weihe und Enthaltsamkeit tragen kann (der Mensch versetzt sich in den besonderen Status a`gno,j, u.a. indem er sich gewisser Speisen oder Kontakte enthält). Von daher eignet sich diese Wortfamilie besonders gut zur Wiedergabe von rzn. Zwei weiteren Belegen entspricht das Verb rhj (reinigen), das sonst mit kaqari,zw wiedergegeben wird (Num 8,6.21 Mose soll die Leviten reinigen. Nach allen Ritualen wird festgestellt, dass die Leviten dadurch rein wurden und ihren Dienst aufnehmen konnten). Wenn es um die Vorbereitung auf eine Gottesbegegnung geht (Ex 19,10 oder Num 11,18), steht eine Form von Xdq (heiligen) – was sonst mit a`gia,zw (heiligen) wiedergegeben wird. Möglicherweise wählten die Übersetzer der LXX hier eine andere Vokabel, weil die Heiligkeit, um die es hier geht, von anderer Natur ist (zeitlich begrenzt), als z. B. die Heiligkeit der Priester, deren Weihe mit dem gleichen hebräischen Wort beschrieben wird. Das entspräche dem Sprachgebrauch der Leges Sacrae, die mit dem Wort a`gneu,w ja auch nur einen temporären Status der „Heiligkeit“ bezeichnen.18 Das Verb a`gni,zw begegnet mit oder ohne Präfix (avfagni,zw). Dabei sind die Belege mit Präfix insgesamt etwas häufiger. Es fällt auf, dass beide Formen im gleichen Kontext stehen können. So begegnet z. B. in Num 31,19 und 23 das Präfix, in Num 31,20 fehlt es. Dies könnte so zu erklären sein, dass die LXX damit den Unterschied, der im Hebräi17 18
Vgl. oben Anm. 12. Vgl. Kapitel 3, 3.1.1.
1. Biblische Voraussetzungen
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schen zwischen dem Hitpael und dem Piel gemacht wird, wiedergeben möchte. In Num 6,2 und 3 erklärt sich die Differenz, wenn man berücksichtigt, dass in Vers 3 direkt ein avpo, folgt, womit dem profanen Sprachgebrauch entsprechend angegeben wird, welcher Sache sich der Mensch enthalten soll. In Vers 2 steht zwischen avfagni,sasqai und dem avpo, am Beginn von Vers 3 das Wort a`gnei,an, so dass nichts gegen den Gebrauch des Präfix spricht. Haben wir im Hebräischen Formen von Xdq, so fehlt das Präfix (Num 11,18; Ex 19,10). In Num 19 steht in 4 Fällen das Präfix (12.13.19.20), in einem Fall fehlt es (19,12). Das Fehlen beim ersten Vorkommen im Kontext lässt sich eventuell als Versuch der Variation innerhalb eines Verses verstehen, vielleicht soll mit der einfachen Form ein einer Überschrift vergleichbares Signal gesetzt werden. In Num 8 steht beide Male das Präfix, ebenso in Lev 14. In beiden Kapiteln scheint der Aspekt des Entfernens von Unreinheit im Vordergrund zu stehen, was die Wahl des Präfix nachvollziehbar machen könnte – wobei in Num 8 deutlich mehr gesagt wird – es geht nicht nur um Reinigung, sondern auch um den Beginn eines besonderen Gottesverhältnisses. Damit geht die LXX über das bloße rhj des MT hinaus (dafür spricht auch die Verwendung von a`gnismo,j im Kontext [siehe unten]). Um Reinigung von Totenunreinheit geht es in Num 19. Insgesamt entsteht so der Eindruck, dass die LXX dort, wo sie die Reinigung von einer Unreinheit im Blick hat, das Präfix setzt, wenn nicht stilistische Gründe eine andere Wahl nahe legen. In diesen Fällen könnte man – um die Differenz zu kaqari,zw zur Geltung zu bringen – mit „das Reinigungsritual vollziehen“ übersetzen.
Nominalformen aus der Wortfamilie von a`gno,j finden sich im LXXPentateuch nur im Numeribuch: Das Wort a`gnei,a bezieht sich auf die Weihe des Nasiräers (Num 6,2.21). Äquivalent ist wie auch bei den Verben eine Form von rzn. a`gnismo,j begegnet bei der Weihe der Nasiräer (Num 6,5) und der Leviten (Num 8,7 hebräisch rhj). In Num 8,7 und 31,23 bezeichnet u[dwr a`gnismou/ das Wasser, das beim Reinigungsritual verwendet wird. Num 19,9 scheint gegenüber dem hebräischen Text zu präzisieren, dass es sich bei der Asche der roten Kuh um Reinigungs- bzw. WeiheMaterial handelt (a[gnisma), parallel dazu steht aber a`gnismo,j in Num 19,17. Versucht man eine Gesamtschau der Belege der Wortfamilie a`gni,zw, so lassen sich folgende Beobachtungen zusammenfassen: Es fällt auf, dass Verbal- und Nominalformen von a`gni,zw nur in wenigen Kontexten vorkommen: 1. bei der Weihe der Nasiräer und Leviten, 2. bei der Vorbereitung auf eine (nicht kultisch vermittelte) Gottesbegegnung und schließlich 3. bei der Reinigung von Totenunreinheit (und von Aussatz an Häusern). Zu 1. und 2. ist bemerkenswert, dass die LXX keine Form von a`gia,zw wählt. Das läge dort unmittelbar nahe, wo das Hebräische eine Form von Xdq vorgibt, dessen Standardäquivalent eben a`gia,zw ist. Diese Wahl lässt sich dahingehend auswerten, dass die Vorbereitungsakte auf eine besondere Gottesbegegnung, um die es in beiden Fällen geht, nur zu einer temporären Statusänderung führen, die den Menschen in die Lage versetzt, die Begegnung mit Gott zu überleben. Zieht man vergleichend Stellen heran, an denen die LXX standardmäßig übersetzt, kann man feststellen, dass die Weiheakte, die dort beschrieben werden, eine dauerhafte Besitzübertra-
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Kapitel 2. Kultische Sprache in jüdischen Kontexten
gung implizieren: Die Opferstätte und die Tempelgeräte gehören dem Herrn nicht nur auf Zeit, sie gehen durch Heiligung dauerhaft in seinen Besitz (Lev 8,11.15) über. Gleiches gilt von Aaron und allen anderen Priestern (Lev 8,12 u.ö.). Die Heiligung des Volkes Israel ist ebenfalls auf Dauer angelegt (Lev 11,44; 20,8 u.ö.). Damit bleibt die LXX auf der Linie des hebräischen Xdq, das auf das dauerhafte „In-Berührung-Kommen“ mit Gott zielt.19 Die besondere Vorbereitung auf eine besondere Gottesbegegnung führt hingegen nur zu einer vorübergehenden Statusänderung.20 Vor diesem Hintergrund wird auch die Wahl von a`gni,zw als Äquivalent von rzn hi. in Num 6 verständlich. Die Nasiräer begeben sich – auf Zeit – in ein besonderes Verhältnis zu Gott (ku,rioj im Dativ: 6,2.5.6. u.ö.). In dieser Zeit gelten für sie Reinheitsvorschriften, die an die für den Hohenpriester erinnern (vgl. Num 6,6f mit Lev 21,11). Aber während der Hohepriester und die übrigen Priester Gott auf Dauer geheiligt sind, ist der Nasiräer nur solange heilig, wie er es in seinem Gelübde festgelegt hat. Entsprechend betont Num 6,8: „pa,saj ta.j h`me,raj th/j euvch/j auvtou/ a[gioj e;stai kuri,w|“ (alle Tage seines Gelübdes wird er dem Herrn heilig sein). Der Status der Heiligkeit gilt nur für eine begrenzte Zeit. Anders beim Priester, hinsichtlich dessen Status als a[gioj sich eine solche zeitliche Begrenzung nicht findet (Lev 21,8: a[gioj e;stai [er wird heilig sein]; vgl. auch Lev 21,6).21 Sehr konsequent verfährt die LXX bei der Beschreibung der Weihe der Leviten in Num 8. Der hebräische Text spricht lediglich von einer Reinigung der Leviten, indem er das Verb rhj verwendet. Mit Ausnahme von Num 8,15, wo die LXX wie zu erwarten mit kaqari,zw übersetzt, steht sonst immer eine Form von a`gni,zw (6.7.21). Damit erhält der griechische Text ein deutlich anderes Gefälle, denn das, was an den Leviten vollzogen wird, ist für den Leser, der Num 6 vor Augen hat, nun eindeutig ein Weihegeschehen. Dies entspricht dem, was schon im hebräischen Text angelegt ist, der die Leviten als Eigentum Gottes bezeichnet (8,14.16.17). Entsprechend heißt es in Vers 17 – und darin folgt ihm die LXX –, dass Gott sich die Leviten geheiligt hat (h`gi,asa auvtou.j evmoi.). Die Wahl von a`gni,zw (statt a`gia,zw – was nach Vers 17 ja möglich gewesen wäre) in den Versen 6, 7 und 21 erklärt sich, wenn man berücksichtigt, dass der Dienst der Le19
SEEBASS / GRÜNWALDT (1997), 887. Vgl. auch STRACK (1994), 152. Die hier beschriebene Unterscheidung dürfte für den neutestamentlichen Sprachgebrauch von großer Bedeutung gewesen sein. Dort ist a`gno,j im Vergleich zu a[gioj relativ selten. Das könnte seinen Grund darin haben, dass die neutestamentlichen Autoren die mit dem Gedanken der Heiligkeit verbundene Zugehörigkeit zu Gott als dauerhaft und nicht als zeitlich befristet gedacht haben. Dies konnte man mit a[gioj besser zur Sprache bringen als mit a`gno,j. 21 Die Übersetzungen des griechischen Bibeltextes folgen LXX.D. 20
1. Biblische Voraussetzungen
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viten ein Amt auf Zeit ist: Die Leviten dienen zwischen ihrem 25. und 50. Lebensjahr am Heiligtum und sind danach frei (8,24f); darin unterscheiden sie sich zumindest der Theorie nach von den Priestern, bei denen keine solchen Befristungen überliefert sind. Eine tabellarische Übersicht soll den Befund abschließend bündeln:
a`gno,j / a`gni,zw
Inhaltlicher Akzent
Schwerpunkt im Realienbereich
Reinigung (vor allem von Totenunreinheit) / Weihe auf Zeit
– Reinigung nach dem Kontakt mit Toten – abschließende Reinigung eines von Aussatz befallenen Hauses – Weihe des Nasiräers – Weihe der Leviten
a[gioj / a`gia,zw
Dauerhafte Besitzübertragung (Weihe)
– Weihe der Priester – Weihe von Opfergaben und Kultgegenständen – Übereignung des Volkes Israel an Gott
1.2 Die Heiligkeit des Tempels als Zentrum der Heiligkeitstheologie Im Zentrum der biblischen Welt befindet sich das Heiligtum (Xdwq / a[gion, oft auch ta. a[gia).22 Es ist der Ort, an dem Gott, der Heilige (o` a[gioj), in Israels Mitte erscheint (Lev 9,4.6; 16,2 u.ö.) und heilvoll gegenwärtig ist. Wie schon im Vorangegangenen angesprochen verwendet der LXXPentateuch zur Übersetzung der hebräischen Wortfamilie Xdq in der Regel a[gioj bzw. a`gia,zw.23 Auch diese Wahl ist in einem griechischsprachigen Umfeld nicht selbstverständlich, denn dort stehen zur Bezeichnung der Heiligkeit einer Gottheit oder des ihr eigenen Heiligtums andere Wortfamilien bereit. An erster Stelle ist dabei auf i`ero,j bzw. i`ero,n zu verweisen. 22 A. SCHENKER (2000), 23 spricht zu Recht davon, dass die biblische Welt in konzentrischen Kreisen konzipiert ist. In der Mitte liegt das Heilige, darum herum das Reine. Den äußersten Kreis bildet das Unreine. Wenn Unreines mit Reinem in Kontakt kommt, wird das Reine unrein, kommt aber das Heilige mit dem Unreinen in Kontakt, dann wird es entweiht. J. MILGROM (1991), 443f differenziert im Blick auf Lev 10,10 die Begriffspaare heilig – profan und rein – unrein. Profan und rein gelten für ihn als passive Kategorien, die von den aktiven Größen heilig und unrein beeinflusst werden (vgl. H ARRINGTON [1993], 29). 23 Vgl. GEHMAN (1954), 337ff.
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Kapitel 2. Kultische Sprache in jüdischen Kontexten
Das Wort i`ero,n ist eines der wichtigsten griechischen Bezeichnungen für Heiligtümer.24 Es begegnet auch in den Leges Sacrae sehr häufig. Die entsprechende Wortfamilie bezeichnet alles, was mit der Welt der Götter in Verbindung steht (z. B. heilige Häuser [Hom. h. in Vestam 1; in Mercurium 250];25 Quellen [Hom. h. in Apolinem 262]). Darüber hinaus trägt sie den Akzent des Machthaltigen (chargé de puissance).26 Als Attribut von Gottheiten wird i`ero,j jedoch nicht gebraucht.27 Die Übersetzer des Pentateuch bedienen sich dieses Begriffsfeldes ausschließlich zur Bezeichnung der Priester, die wie in den Kulten der Umwelt auch i`ereu,j heißen.28 Als Gottesbezeichnung vermeiden sie i`ero,j ebenso wie als Namen für das Heiligtum. Man könnte vermuten, dass die jüdischen Übersetzer damit signalisieren wollten, dass der Gott Israels in anderer Weise heilig ist als die Götter der anderen Kulte: „By using hagios to refer to God’s holiness, the writers of the Septuagint made an implicit distinction between the nature of the Jewish God and the gods of the pagan world.“29 Diese Unterscheidung könnte man noch präzisieren: Das biblische Verständnis von Gottes Heiligkeit setzt sich nämlich aus zwei verschiedenen, aber untrennbar miteinander verbundenen Aspekten zusammen. Hannah K. Harrington nennt sie prägnant „verzehrendes Feuer“ und „Güte“. Der eine Aspekt beinhaltet das, was Rudolf Otto „mysterium tremendum“ genannt hat,30 nämlich die völlige Andersartigkeit Gottes, vor der die Kreatur nicht bestehen kann. Der von seiner Schöpfung radikal unterschiedene Gott sucht aber die Nähe zu seinen Geschöpfen, die sich für sie heilvoll auswirkt.31 Dies ist der zweite Aspekt von Gottes Heiligkeit. Heiligkeit hat somit auch eine Dimension, in der Gott und sein Bundespartner sich in ihrem Handeln entsprechen können und sollen (vgl. Lev 19,2). Diese ethische Dimension ist der Wortfamilie i`ero,j fremd. Mit ihr lässt sich eher der erste Aspekt („verzehrendes Feuer“) von Gottes Heiligkeit zur Sprache bringen.
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Vgl. RUDHARDT (1992), 23ff. Vgl. auch SEG L 1195,27; SEG XLVII 1310; SEG XXVIII 899. 26 RUDHARDT (1992), 28. 27 Vgl. aber die Ausnahmen: Hes. theog. 21; SEG XLI 1064. 28 Ob man daraus für die Zeit der Übersetzung des Pentateuch schon eine Hellenisierung des Priesterstandes folgern darf, ist fraglich. Die Wahl des Äquivalentes lässt sich aus der Regel, dass „gleiche Gebräuche wie im Hellenismus“ auch gleich heißen (S IEGERT [2001], 229) erklären. 29 HARRINGTON (2001), 15. Vgl. dazu schon FRIDRICHSEN (1916), 125 und KELLERMANN (1985), 698. 30 Vgl. OTTO (1987), 14ff. 31 Vgl. dazu HARRINGTON (2001), 11ff. 25
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Es könnte also sein, dass die Übersetzer der LXX – oder ihre Vorgänger in der alexandrinischen Gemeinde – mit der Vermeidung von i`ero,j nicht unbedingt eine Unterscheidung um der Unterscheidung willen machen wollten, sondern dass es ihnen darum ging, alle Aspekte der biblischen Heiligkeitsvorstellung dem hebräischen Sprachgebrauch entsprechend möglichst mit einem Begriff aussagbar zu machen. Dazu eignete sich i`ero,j eben nicht.32 Ihre Entscheidung wäre dann in erster Linie philologisch motiviert gewesen, hätte aber klare theologische Konsequenzen, denn die ethische Dimension von Gottes Heiligkeit unterscheidet Gott eben tatsächlich von den Göttern der Umwelt. An dieser Stelle muss dann aber weiter gefragt werden, warum die Wahl für die Übersetzung von Xdq auf die Wortfamilie a[gioj gefallen ist. Beim Blick in die Quellen der paganen Religiosität zeigt sich, dass es mit a`gno,j eine Alternative gegeben hätte. Griechische Götter können als a`gno,j bezeichnet werden (vgl. z. B. Pindar, P. 9,64; O. 7,60)33 und auch das, was ihnen gehört (Tempel) bzw. geweiht wird, kann so genannt werden (z. B. Aischylos, Suppl. 223; Pindar, P. 4,204). Es dient außerdem auch dazu, Menschen zu qualifizieren. Wer nämlich mit der Gottheit oder den heiligen Dingen in Kontakt treten möchte, muss seinerseits a`gno,j sein.34 Darüber hinaus trägt die Wortfamilie auch einen ethischen Akzent. In älterer Zeit geht es um die Reinheit von Blutschuld, später um untadeliges Verhalten überhaupt, das vor allem in Inschriften als a`gno,j qualifiziert wird.35
Wie wir sahen, verwenden die Übersetzer des Pentateuch a`gno,j durchaus, allerdings nur selten und mit einem speziellen Bedeutungsspektrum, das eher den Akzent der kultischen Reinheit bzw. temporären Weihe umfasst (s.o.). Das legt sich nahe, weil a`gno,j eben vor allem kultische Reinheit und die damit verbundene Enthaltsamkeit zur Sprache bringt. Wenn man a`gno,j auf diese Spezialbedeutung (Reinigung, zeitlich befristete Weihung) reduziert, dann erklärt sich quasi von selbst, warum es als Standardäquivalent von Xdq – also zur Bezeichnung von Gottes Heiligkeit – nicht in Frage kam. Damit blieb den Übersetzern des Pentateuch kaum eine Alternative, als das mit a`gno,j stammverwandte a[gioj zu wählen, um Gottes Heiligkeit,
32
Zumal es als Attribut der Gottheit wie gesagt nicht gebräuchlich war. Inschriftlich belegt ist seine Anwendung auf die „Verwaltungseinheiten“ einer Stadt: „i`erwta.toj dh/moj“ (SEG XXXVII 629); „i`erai. evkklhsi,ai“ (SEG XXXVII 1006); „i`era. gerousi,a “ (SEG XXXVI 659; SEG XXXVIII 1079; SEG XXX 82); „boulh. i`erwta,th“ (SEG XXX 1349); „i`erwta.th fulh,“ (SEG XXVIII 1117; 1118); „i`ero.j su,nklhtoj“ (SEG XXVI 784; 1475; 1826). 33 Weiteres bei RUDHARDT (1992), 40, Anm. 6. 34 Vgl. W ILLIGER (1922), 58. Auf die hier sichtbar werdende Entsprechung zur Verwendung des hebräischen Xdq weisen SEEBASS / GRÜNWALDT (1997), 887 hin. 35 Vgl. Kapitel 3, 3.1.1.
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Kapitel 2. Kultische Sprache in jüdischen Kontexten
das, was Gott gehört, und menschliches Verhalten, das ihm entspricht, auf Griechisch zur Sprache bringen zu können.36 Zwei weitere Beobachtungen können dazu beitragen, die Wahl der Pentateuchübersetzer für uns noch besser nachvollziehbar zu machen. Schon A. Fridrichsen hat darauf hingewiesen, dass orientalische Gottheiten gelegentlich das Epitheton a[gioj tragen. Ich nenne zwei Beispiele: „qew|/ a`gi,w| Ba,l“ (OGIS 590,1), „qew|/ a`gi,w| u`yi,stw|“ (OGIS 378,1).37 Auch auf griechische Gottheiten wird es in Inschriften orientalischer Provenienz angewendet (Zeu/j a[gioj ouvra,nioj [OGIS 262,25]). In genuin griechischen Kontexten ist dies nicht so häufig nachzuweisen (bezogen auf Demeter und Kore CIG 1149; auf Artemis IG V 1 599,6).38 Vor diesem Hintergrund könnte man vermuten, dass den Übersetzern die Gottesbezeichnung a[gioj schon bekannt war, und dass sie sie bei ihrer Übersetzungsarbeit übernehmen konnten und ganz selbstverständlich übernommen haben.39 Ein zweiter Hinweis ergibt sich aus den literarischen Gattungen, in denen a`gno,j und seine Derivate Verwendung finden. `Agno,j ist nämlich eher ein Wort der poetischen Sprachtradition,40 während a[gioj das gleiche Bedeutungsfeld „in der Prosa seit dem 5. Jh. v. Chr. […] etwa zur Bezeichnung der Heiligkeit von Plätzen, Tempeln, Festen, Altären, Eidesformeln und dergleichen“ abdeckt.41 Beim Pentateuch handelt es sich eindeutig nicht um einen poetischen Text und die Übersetzer haben ihn auch nicht so wahrgenommen, von daher verwundert es nicht, wenn sie das poetische a`gno,j meiden und stattdessen das Prosawort a[gioj wählen. Als Ort, der in besonderer Weise Gottes Eigentum ist, unterscheidet sich das Heiligtum (a[gion) von anderen – profanen – Orten. An diesen spielt sich das profane Leben ab. Im Heiligtum aber gelten besondere Regeln, über deren Einhaltung eine besondere Gruppe von Israeliten zu wachen hat, die Priester. Ihre Aufgabe ist es „zu unterscheiden zwischen den heiligen und den profanen Dingen sowie zwischen den reinen und unreinen Dingen“ (Lev 10,10). Sie haben ferner das Volk für diese Unterscheidun-
36
Weiteres zum Verhältnis von a`gno,j und a[gioj bei der Besprechung der kultischen Terminologie in der paganen Gräzität unter Kapitel 3, 3.1.3. 37 Weitere Belege bei FRIDRICHSEN (1916), 125. 38 Vgl. aber SEG XLVII 1855; 2076; SEG XLIX 817,6; 1999; SEG XLV 1708 (avrte,midi a`giwta,thi); SEG XLIII 719; 782; SEG XXXVI 923; 1288; 1289; SEG XL 1416; 1417 (?); SEG XXXV 1488; SEG XXXIII 939; SEG XXXI 960; SEG XXXII 1388; 1551; SEG XXVII 745A; SEG LI 1705; 1823 (Seite 552). 39 Vgl. FRIDRICHSEN (1916), 124. 40 Vgl. DIHLE (1988), 2ff. 41 DIHLE (1988), 5.
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gen zu sensibilisieren42 (Lev 15,31). Die Priester stehen in einem besonderen Verhältnis zu Gott. Sie werden mit einem speziellen Ritual geheiligt (Lev 8,30), also in gewisser Weise Gott übereignet. Mit diesem besonderen Status verbinden sich besondere Rechte, und so haben sie Anteil an den Opfern, die Gott dargebracht werden (Lev 10,12ff). Daraus erwachsen aber auch besondere Pflichten im Blick auf die Wahrung der eigenen Reinheit (s.u.). Die Priester organisieren die im Kult stattfindende heilvolle Kommunikation zwischen Gott und seinem Volk. Dazu gehört es auch, dass sie in besonderen Fällen die Kultfähigkeit bestimmter Israeliten festzustellen haben (Lev 13,3ff). Diese Kultfähigkeit kann auf unterschiedliche Weise aufgehoben und wieder hergestellt werden. Sie gilt als aufgehoben, wenn jemand unrein ist, sich also eine Befleckung zugezogen hat.43
1.3 Die Beeinträchtigung der Kultfähigkeit und ihre Wiederherstellung 1.3.1 Physische Unreinheit Zu den Quellen der Unreinheit, die es dem Menschen unmöglich macht, am Kult zu partizipieren, gehören natürliche Lebensvorgänge wie Geschlechtsverkehr, Menstruation, Geburt, Tod und bestimmte Erkrankungen, nämlich Aussatz und dauerhafte genitale Ausflüsse. Nach Lev 15,16–17 verunreinigt ein Samenerguss den Mann. Gleiches gilt von Mann und Frau, die durch den Geschlechtsverkehr unrein werden. Diese Unreinheit wird durch die Faktoren Waschung und Zeit beseitigt: „und sie sollen sich mit Wasser baden und sie sollen unrein sein bis zum Abend“ (15,17). Damit sind die üblichen Mittel zur Beseitigung von Unreinheit überhaupt genannt. Je nach Verunreinigung kann die Zeit, die bis zur Wiederherstellung der Kultfähigkeit vergehen muss, länger oder kürzer sein. Je nach der Art der Unreinheit wird die Waschung auch durch ein stärkeres Ritual ersetzt bzw. ergänzt (s.u.). Gewisse Verunreinigungen erfordern zur Wiederherstellung völliger Reinheit zusätzlich ein Opfer (vgl. Lev 12; Lev 14; Lev 15 u.ö.).44 Neben die Unreinheit, die durch einen Samenerguss hervorgerufen wird, treten die Unreinheiten der Menstruierenden (Lev 15,19ff) und die der Wöchnerin (Lev 12). Letztere ist je nach dem Geschlecht ihres Kindes 33 42
Die LXX scheint mit der Wahl der Übersetzung „euvlabei/j poih,sete“ gegenüber dem hebräischen Text, der schlicht von „absondern“ (~trzh) spricht, die pädagogische Funktion der Priester zu betonen. 43 Vgl. KLAWANS (2000), 22. 44 Lev 12,8; 14,20 stellen die endgültige Reinheit erst nach dem Opfer fest.
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Kapitel 2. Kultische Sprache in jüdischen Kontexten
bzw. 66 Tage unrein (Lev 12,4f). In dieser Zeit gilt für sie, was generell für alle im Status der Unreinheit befindlichen Menschen gilt: „(sie sollen) nichts Heiliges berühren und nicht in das Heiligtum hineingehen, bis die Tage ihrer Reinigung erfüllt sind“ (Lev 12,4). Der Kontakt mit der Sphäre des Todes hat in besonderem Maße verunreinigenden Charakter. „Wer einen toten Menschen berührt, der wird sieben Tage unrein sein“, heißt es in Num 19,11.45 Das 19. Kapitel des Numeribuchs ist für das biblische Reinheitsdenken in besonderer Weise aussagekräftig, denn es beschreibt, welche Wirkung von einem unreinen Menschen ausgeht, wenn er sich nicht reinigt: „Wenn jemand einen toten Menschen berührt und sich nicht reinigen will, so macht der die Wohnung des Herrn unrein“ (Num 19,13). Es gehört demnach zum Wesen der Unreinheit, dass sie sich ausbreiten, sozusagen „ansteckend“ wirken kann.46 So geht die Unreinheit, die von einem Toten ausgeht, auf den über, der ihn berührt – ja sogar auf den, der den Raum betritt, in dem der Tote liegt (Num 19,14). Die Unreinheit heftet sich auch an bestimmte Gegenstände, die sich im gleichen Raum wie der Tote befinden. Schließlich aber befällt die sich ausbreitende Unreinheit das Heiligtum selbst. Dies zu verhindern – also das Heiligtum vor dem entweihenden Kontakt mit dem Unreinen zu schützen – ist Sinn und Zweck der Unterscheidung von rein und unrein und aller daraus resultierenden Reinigungsriten und Vorsichtsmaßnahmen.47 Diesen Gedanken unterstreicht die Gottesrede in Lev 15,31, mit der die Priester ermahnt werden, das Volk im Blick auf die Unterscheidung von rein und unrein zu unterweisen: „so dass sie nicht sterben wegen ihrer Unreinheit, wenn sie mein Zelt bei ihnen verunreinigen“. Das Heiligtum ist vor der Verunreinigung zu schützen – und das Volk vor den tödlichen Folgen dieser Verunreinigung. Nur wenn der Ort, an dem Gott – der Heilige – gegenwärtig ist, nicht mit Unreinheit in Kontakt kommt, kann Gott dort heilvoll zugegen sein. Jede Berührung zwischen heiliger Sphäre und Unreinheit birgt hingegen tödliche Gefahren. Als gravierendste Form der Unreinheit gilt – wie schon gesagt – die Verunreinigung durch den Kontakt mit Toten.48 Das zeigt sich daran, dass diejenigen, die Gott in besonderer Weise geheiligt sind, nämlich die Pries45
Auch der Kontakt mit Tierkadavern verunreinigt (Lev 11,27ff. 39f.). Dabei kennt die Bibel die Übertragung durch den direkten Kontakt (z.B. Berühren, Tragen oder Essen [vgl. Lev 12]) – aber auch indirekte Übertragungen z.B. durch Kontakt mit einem Gegenstand, der unrein ist, weil eine unreine Person darauf gesessen hat (vgl. Lev 15). Zu den rabbinischen Modifikationen der Übertragbarkeit von Unreinheit vgl. den Exkurs Kapitel 9, 10. 47 Vgl. HIMMELFARB (1999), 14f. 48 Der Leichnam gilt im rabbinischen Denken als „Vater der Väter der Unreinheit“. Er steht an der Spitze der verunreinigenden Faktoren. Zur damit verbundenen Systematik vgl. HARRINGTON (2001), 41. 46
1. Biblische Voraussetzungen
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ter, diesbezüglich besondere Vorsicht walten lassen müssen. Normale Priester dürfen sich nur an ihren verstorbenen nächsten Angehörigen verunreinigen (Lev 21,1–3). Der Hohepriester darf sich an gar keinem Toten verunreinigen (Lev 21,11). Der Sinn dieser Vorschrift dürfte wohl dem unmittelbar folgenden Vers zu entnehmen sein: „und aus dem Heiligtum soll er nicht hinausgehen, und das Geheiligte seines Gottes soll er nicht profanieren, denn das heilige Salböl Gottes ist auf ihm“. Das durch die Salbung dokumentierte besondere Gottesverhältnis impliziert also die Trennung von unreinen und verunreinigenden Faktoren. Heiliges und Unreines dürfen nicht in Kontakt kommen. Diese Gegenüberstellung von Heiligkeit und Tod bietet möglicherweise einen Schlüssel zum Verständnis der inneren Logik des biblischen Heiligkeits- und Reinheitsdenkens. 49 So vermutet H. Harrington im Anschluss an die einschlägigen Untersuchungen J. Milgroms,50 dass Unreinheit die Sphäre des Todes repräsentiert, die dem lebendigen und lebenspendenden Gott diametral entgegengesetzt ist. Der Verlust von Sperma und Blut könnte als Verlust von Lebenskraft verstanden worden sein, der Aussätzige als jemand, der bei lebendigem Leib verwest.51 Auch J. Neusner betont die Analogie zwischen krankhaften Genitalausflüssen und dem Tod (vgl. Josephus, Ap 2,203).52 Die Unreinheit, die sich mit dem Geburtsvorgang verbindet, könnte wegen der dabei austretenden Körperflüssigkeiten auf der gleichen Linie verstanden werden. Außerdem war die Geburt in der Antike für die Frau in so unmittelbarer Weise lebensbedrohlich, dass man sie als Berührung mit der Sphäre des Todes hätte auffassen können.53
Es ist allerdings nicht nur für die Totenunreinheit spezifisch, dass sie sich ausbreiten kann. Dies gilt auch für die Unreinheit der Menstruierenden, die z. B. die Gegenstände verunreinigt, auf denen sie sitzt (Lev 15,20ff). Diese verunreinigen wiederum den, der sie berührt (Lev 15,21). Gleiches gilt von Unreinheiten, die nach heutigen Maßstäben krankheitsbedingt zu nennen wären. Diese werden in Lev 13f und 15 besprochen. Es handelt sich um die Phänomene Aussatz (Lev 13) und krankhafte Genitalausflüsse (Lev 15), die durch direkten oder indirekten Kontakt Unreinheit übertragen. Für den Aussätzigen gilt, dass er sich außerhalb des Lagers, in dessen Mitte das Heiligtum steht, aufhalten muss (Lev 13,46). Ähnliche Bestimmungen finden sich für den, der sich an einem Toten verunreinigt hat, den Samen- und die Blutflüssige in Num 5,2. Totenunreinheit, Aussatz und die genannten dauerhaften genitalen Ausflüsse verunreinigen das Heiligtum auch ohne dass es zu einem direkten Kontakt kommen muss.54 Damit wären die wich49
Eine Übersicht über die in der Forschung vorgeschlagenen Erklärungsmodelle findet sich bei W RIGHT (1992), 739. 50 Vgl. z. B. MILGROM (1991), 767f. 51 So schon Num 12,12 (vgl. HARRINGTON [2001], 38ff). 52 Vgl. NEUSNER (2000), 1123. 53 Vgl. HARRINGTON (2004), 36; SEIDL (2004), 241. 54 Vgl. HARRINGTON (1993), 32.
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tigsten Faktoren des kultischen Systems von rein und unrein, heilig und profan genannt. 1.3.2 Ethisch qualifizierte Unreinheit In unmittelbarer Nachbarschaft zum eben beschriebenen System, das sich um die Anwesenheit Gottes im Heiligtum und die Kommunikation mit Gott im Kult herum konzentriert, findet sich ein anderes, dem es zunächst um die Heiligkeit des Landes zu tun ist. In Lev 18,24f heißt es: „Verunreinigt euch nicht mit alledem. Mit all diesen Dingen haben sich ja die Nationen, die ich vor euch her hinaustreibe, verunreinigen lassen. Und das Land wurde verunreinigt und durch es (d.h. das Land [M.V]) zahlte ich ihnen Ungerechtigkeit heim, und das Land war denen, die auf ihm wohnen, gram.“ Die Verunreinigung, von der dort die Rede ist, verunreinigt das Land und führt schließlich zur Vertreibung. Im Kontext von Lev 18 resultiert die Verunreinigung aus illegitimen Sexualbeziehungen (beschrieben in Lev 18,20.23).55 In gleicher Weise verunreinigen der Götzendienst (Lev 19,31; 20,1–3) und das Blutvergießen (Num 35,33–34). Die Unreinheit, die durch die drei genannten Faktoren hervorgerufen wird, unterscheidet sich von den oben beschriebenen Unreinheiten erstens dadurch, dass sie klar mit einem Verbot belegt wird. Natürliche Lebensvorgänge, die verunreinigenden Charakter haben, wie Menstruation, Geburt, erlaubte Sexualität, Krankheiten oder Tod, können nicht verboten werden – und sie werden auch nicht verboten oder als ethisch verwerflich qualifiziert.56 Es ist nicht weiter problematisch auf natürliche Weise unrein zu werden,57 problematisch wird es erst dann, wenn man sich nicht reinigt oder in unreinem Zustand in Kontakt mit dem Heiligen tritt (s.o.). Anders ist es in Lev 18. Die dort beschriebene Unreinheit ist an sich etwas „Abscheuliches“ (bde,lugma [18,22]) und darum zu meiden. Entsprechend – das ist das Zweite – wird für sie auch keine Reinigung angeboten, sondern die Strafe der Ausrottung angedroht: „Denn jeder, der (etwas) von allen diesen Scheußlichkeiten tut – die Personen, die (das) tun, werden aus ihrem Volk ausgerottet werden.“ (Lev 18,29). Als warnendes Beispiel gel55
Vgl. HIMMELFARB (1999), 15f. Vgl. KLAWANS (2000), 23f. Nirgends wird die oben beschriebene Unreinheit als Sünde angesehen – zuweilen ist sie sogar Resultat einer von Gott gebotenen Handlung (z. B. Gen 1,28). Auch gilt diese Unreinheit nicht als Folge verkehrten Tuns. Selbst da, wo Aussatz als Strafe erscheint (vgl. Num 12,10), ist er dies nicht wegen der damit verbundenen Unreinheit, sondern weil er unangenehm ist. 57 Eine gewisse Ausnahme stellen in diesem System die Priester dar, von denen ausdrücklich gesagt wird, dass sie sich nicht an Toten verunreinigen sollen (Lev 21,1.10). Ein solches Gebot wird aber nur hinsichtlich der Totenunreinheit aufgestellt – und es hat seinen sachlichen Grund natürlich darin, dass die Priester aufgrund ihrer Weihe in einer besonderen – quasi permanenten – Beziehung zum Heiligen stehen. 56
1. Biblische Voraussetzungen
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ten die Völker, die der literarischen Konstruktion nach vor Israel das Land bewohnt haben. Das verunreinigte Land war ihnen gram (Lev 18,25), deshalb leben sie jetzt nicht mehr dort. Die Unreinheit des Landes ist anders als die oben besprochenen Unreinheiten weder zeitlich befristet, noch durch ein übliches Reinigungsritual zu beseitigen.58 Das 18. Kapitel des Levitikusbuches gehört nach der Zuordnung der klassischen Quellenscheidung zum so genannten Heiligkeitsgesetz (Lev 17–26).59 In ihm wird ein anderes Konzept von Heiligkeit und Reinheit vertreten. Es unterscheidet sich vom priesterlich-kultisch orientierten Modell durch mehrere Faktoren: 1. Heiligkeit ist nicht nur den Priestern (und Nasiräern) vorbehalten, sie ist für ganz Israel erreichbar und wird auch von ganz Israel gefordert. 2. Heiligkeit ist nicht nur in kultischen Kontexten relevant, sie realisiert sich im gesamten Leben des Volkes. 3. Heiligkeit wird durch das Befolgen von Ge- und Verboten erreicht.60 Dieses Konzept zeigt sich brennglasartig in Lev 19 mit seiner Mischung aus kultischen und ethischen Geboten, die unter der Überschrift stehen: „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr, euer Gott.“ (Lev 19,1). Gott heiligt das Volk (Lev 20,8; 21,8.15.23 u.ö.) – macht es also zu seinem Eigentum –, und das Volk soll diese Heiligkeit seinerseits durch das Halten der Gebote verwirklichen. Umgekehrt wird Heiligkeit durch das Missachten bestimmter Gebote bedroht. Dieses führt zu einer Verunreinigung (Lev 19,31; 20,1–3; Num 35,33f), die von anderer Art als die bisher beschriebene – aber nicht weniger real – ist. J. Klawans hat überzeugend herausgearbeitet, dass es sich bei der hier beschriebenen Unreinheit um mehr als um einen bildhaften Ausdruck handelt.61 Es gibt zwei Arten der Verunreinigung, die beide aus physischen Vorgängen resultieren und wahrnehmbare Folgen haben. Deshalb ist es schwierig im einen Fall von wörtlich verstandener, im anderen von metaphorisch gemeinter Unreinheit zu sprechen.62 Diese Beobachtung ist an sich nicht neu.63 Es lässt sich deutlich zeigen, dass eine Unterscheidung zwischen äußerer und innerer bzw. ritueller und moralischer Reinheit sowohl in der Bibel, als auch in den Texten des Judentum zu finden ist,64 58
Vgl. KLAWANS (2000), 26. Vgl. SMEND (1989), 59ff; KNOHL (1995); ZENGER (2004), 172ff. J. KLAWANS (2000), 22 bemerkt zutreffend, dass diese literarkritische Unterscheidung keine notwendige Voraussetzung dafür ist, das beschriebene System unterschiedlicher Verunreinigungen nachzuvollziehen. 60 Vgl. MILGROM (1996), 67. 61 Vgl. KLAWANS (2000), 32ff. 62 Vgl. KLAWANS (2000), 34. 63 Vgl. dazu KLAWANS (2000), 17. 64 Das zeigt sich in der Bibel z. B. daran, dass man den Begriff twb[wt (Gräuel) nie auf rituelle Unreinheiten anwendet. 59
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Kapitel 2. Kultische Sprache in jüdischen Kontexten
ohne dass man diese Unterscheidung auf einen Begriff bringt. Die Unsicherheiten darüber, welche Terminologie den Befund am besten beschreibt, haben darin ihren Grund. Grundsätzlich kann man aber mit Th. Kazen formulieren: „Impurity as a result of immoral actions was conceived of as real and factual, albeit somewhat different when compared with bodily impurity“.65 Klawans hat ebenfalls überzeugend gezeigt, dass beide Konzepte im antiken Judentum durchaus voneinander unterschieden werden konnten und unterschieden wurden. Eine Ausnahme stellen die in Qumran gefundenen Schriften dar. Zusammenfassend sei hier eine tabellarische Übersicht geboten, die beide Arten der Unreinheit und die Faktoren, die sie verursachen, verdeutlicht:66 Art der Unreinheit
Quelle
Effekt
Reinigung
Rituell, äußerlich, kultisch
Genitale Ausflüsse, Leichen etc.
Zeitlich befristete, durch Kontakt übertragbare Unreinheit
Baden, Zeit
Moralisch, innerlich
Sünde, Götzendienst, Inzest, Mord
Unreinheit des Sünders, des Landes und des Heiligtums
Sühne bzw. Strafe, Exil
Der Zusammenhang von Unreinheit und Sünde ist biblisch aber auch jenseits des Heiligkeitsgesetzes durchaus verbreitet. Exemplarisch sei hier der Psalm 51 (50 LXX) genannt. In ihm finden sich nicht nur Hauptbegriffe für das Phänomen der Sünde (ajx, !w[, [Xp / a`marti,a, avnomi,a, avno,mhma), es wird vor allem deutlich, dass sich der Verfasser dieses Psalms die Beseitigung der Sünde als Reinigungsvorgang vorstellt: sie wird abgewischt (hxm / evxalei,fw), abgewaschen (sbk / plu,nw) und der Mensch wird davon gereinigt (rhj / kaqari,zw [V.3f; 9–11]). Dass es sich dabei um kultische Reinigungsvorgänge handelt, zeigen nicht nur die genannten Verben selbst, es wird vor allem in Vers 9 deutlich: „Entsündige mich mit Ysop, dass ich rein werde“. Mit dem Verb ajx (pi.) wird deutlich auf kultische Sühne- und Reinigungsriten Bezug genommen.67 Die gesamte Wendung spielt auf Num 19 an, näherhin auf das Besprengungsritual, mit dem Leichenunreinheit beseitigt wird. Die Verbindung von Sünde und Unreinheit findet sich vor allem in prophetischen Traditionen, von denen Ps 51 beeinflusst ist. Besonders deut-
65 66 67
KAZEN (2002), 205. Vgl. KLAWANS (2000), 27. Vgl. dazu oben unter 1.1.2.
2. Weiterentwicklungen in hellenistisch-frührömischer Zeit
35
lich sind die Beziehungen zu Jes 43,22ff.68 Dort liest man ebenfalls davon, dass Verfehlungen weggewischt werden können (Jes 43,25). Auch der Zusammenhang von Reinigung und Beseitigung der Sünden ist in der prophetischen Tradition ebenso bezeugt (vgl. z. B. Jes 1,16; Jer 33,8; Ez 14,11; 36,25ff; 36,33; 37,23),69 wie das Motiv des reinen Herzens (Ps 51,12; Jer 4,14 [Wasche dein Herz vom Bösen rein]; Jer 9,25).70 Wir konnten oben beobachten, dass der Kontakt mit dem Heiligen im Rahmen des Kultes Reinheit erforderte. Psalm 24,4 nennt nun seinerseits ethische Reinheit als Grundbedingung, die der erfüllen muss, der „auf den Berg des Herrn gehen“, also seinen Tempel besuchen möchte. Ps 15 und Jes 33,14–16 fordern zum gleichen Zweck ethische Lauterkeit, allerdings ohne diese explizit mit Reinheit in Beziehung zu setzen.71 All diese Motive haben vor allem in der zwischentestamentlichen Literatur stark weitergewirkt.
2. Weiterentwicklungen im Judentum hellenistisch-frührömischer Zeit 2. Weiterentwicklungen in hellenistisch-frührömischer Zeit
Schon ein flüchtiger Blick auf die Schriften des Judentums hellenistischfrührömischer Zeit zeigt, dass die in der hebräischen und griechischen Pentateuchtradition grundgelegten Unterscheidungen von heilig und profan – rein und unrein breit rezipiert und weiterentwickelt worden sind. Dabei fällt auf, dass unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. Manche Texte bzw. Textgruppen greifen fast ausschließlich den Gedanken der moralischen/inneren Reinheit auf, während andere um die Gestaltung der kultischen Reinheit kreisen. Wieder andere bringen beides in eine deutliche Beziehung zueinander oder verwischen die Unterscheidung von beiden.
68 Vgl. dazu P FEIFFER (2005), 295f und 301ff. Pfeiffer hält den Psalm vor allem wegen der Parallelen einzelner Psalmaussagen zur Davidgeschichte (V.3a | 2 Sam 12,22; V.6aa | 2 Sam 12,13; V.6ab | 2 Sam 12,9; V.16 | 2 Sam 16,7f), auf die schon die Psalmüberschrift hinweist, für eine redaktionelle Einleitung des 2. Davidspsalters (51–72) [296f]. 69 Immer wieder schimmert in diesen Texten der Bezug zum Götzendienst auf, der ja auch nach der Tradition des Heiligkeitsgesetzes verunreinigende Qualität hat. 70 Zur Verbindung von Beschneidung und Reinheit vgl. Kapitel 8, 2. 71 Diese Texte bespricht WEINFELD (1992), 5ff. Er nennt auch ägyptische Parallelen, die Reinheit und ethische Integrität als Einlassbestimmungen und Verhaltensregeln für Besucher und Priester kennen (vgl. WEINFELD [1992], 10ff).
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Kapitel 2. Kultische Sprache in jüdischen Kontexten
2.1 Die in Qumran gefundenen Schriften Letzteres gilt in der Forschung als besonderes Charakteristikum der Texte aus Qumran.72 Unstrittig ist, dass die Gemeinschaft, die hinter diesen Texten steht, einen gegenüber den Vorgaben der Tora deutlich gesteigerten Wert auf kultische Reinheit legt.73 Dabei muss deutlich gesagt werden, dass die „Texte aus Qumran“ von ihrer Entstehungszeit und ihrer Theologie her keine Einheit bilden. Die Tempelrolle ist höchst wahrscheinlich kein in Qumran entstandenes Dokument.74 Das schon vor der Entdeckung der Texte in den Höhlen von Qumran bekannte Damaskusdokument entwirft seine Halacha auch nicht nur für eine bestimmte Gruppe, sondern für ganz Israel (CD 14,12f).75 Was alle Texte aber miteinander verbindet, ist, dass sie in Qumran gefunden wurden. Bis vor kurzer Zeit war es in der Forschung üblich, die archäologischen Überreste und die in ihrer Nähe gefundenen Texte in enger Beziehung zueinander zu sehen: Texte und Siedlung interpretierten sich gegenseitig. Dass dies aus dem Blickwinkel der archäologischen Wissenschaft gesehen ein nicht unproblematischer Kurzschluss ist, arbeitete in den vergangenen Jahren vor allem Yizhar Hirschfeld heraus. Archäologische Funde müssen zunächst in ihrem lokalen und historischen Kontext interpretiert werden. Dieser ist das Westufer des Toten Meeres. „In der späthellenistischen und frührömischen Zeit bot die Region am Toten Meer die Grundlage für ein blühendes Wirtschaftsleben.“76 Vor allem die Herstellung von Dattelprodukten, von Balsam zur Parfümherstellung und das Vorkommen von Asphalt, der zum Abdichten von Schiffen nötig war, machten die Region zu einem wirtschaftlich höchst einträglichen Lebensraum. 77 An vielen Stellen finden sich Überreste antiker Produktionsstätten.78 Betrachtet man diesen Kontext ohne ihn im Licht der in den Höhlen gefundenen Texten zu interpretieren, so stellt sich die Qumransiedlung als Teil dieses Wirtschaftsraumes dar, für den in der Zeit des 2. Tempels mehrere Stadien zu unterscheiden sind: Während der Hasmonäerzeit bestand dort ein befestigtes Landgut (Stratum II), das in herodianischer Zeit deutlich ausgebaut wurde (Stratum III).79 Stratum II könnte nach Hirschfeld auch ein hasmonäischer Militärposten an einer belebten Verbindungsstraße mit Zugang nach Jerusalem gewesen sein. Zugleich könnte er als Wasserstelle für Karawanen gedient haben.80 Im nächsten Stratum wurde der Bau deutlich erweitert und zahlreiche Wasserinstallationen, von denen einige sich sehr eindeutig als Miqwe identifizieren lassen, wurden ergänzt. Die relativ hohe Zahl von Tauchbädern, könnte darauf schließen lassen, dass die Bewohner der Anlage in besonderer Weise auf Reinheit geachtet haben. Hirschfeld vermutet: „Qumran und die damit verbundenen Strukturen 72
Vgl. HARRINGTON (2004), 13 u.ö. Harrington hält die Bewahrung kultischer Reinheit sogar für ein Hauptanliegen der Rollen vom Toten Meer (vgl. HARRINGTON [2000], 724). Ähnlich urteilt J. Baumgarten: „One can hardly point to any aspect of their ideology or their communal discipline which does not in some way involve the legal categories of hrhj” (B AUMGARTEN [1999], 79). 74 Vgl. SCHIFFMAN (1994a), 54. 75 Vgl. T ALMON (1994), 8f. 76 HIRSCHFELD (2006), 39. 77 Vgl. HIRSCHFELD (2004), 69ff. 78 Vgl. HIRSCHFELD (2006), 40ff. 79 Vgl. HIRSCHFELD (2004), 111; ZANGENBERG (2008), 25. 80 HIRSCHFELD (2004), 114. 73
2. Weiterentwicklungen in hellenistisch-frührömischer Zeit
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waren im Besitz einer reichen priesterlichen Familie aus Jerusalem“.81 In dieser Zeit hätte die landwirtschaftliche Nutzung des Ortes im Vordergrund gestanden und Qumran hätte den Besitzern und Arbeitern als Unterkunft und Arbeitsplatz gedient.82 Direkte Anzeichen essenischer Präsenz sind bisher nicht nachgewiesen.83 Hirschfelds Theorie vermag den archäologischen Befund in seinem Kontext weitgehend zu erklären. 84 Die Schriften von Qumran wären dann in ihrer Entstehung völlig unabhängig von der Siedlung. Woher sie stammen, wissen wir nicht. Es wäre denkbar, dass sie während des jüdischen Krieges von Jerusalem nach Qumran gebracht wurden, um sie vor der Zerstörung zu bewahren. Die Menschen, die die Schriften gesammelt haben, und die, in dessen unmittelbarer Nachbarschaft sie sie versteckten, hätte das Interesse an Reinheit verbunden haben können. Gegenwärtig ist die Diskussion über Qumran und sein Verhältnis zu den Texten noch in vollem Gange. Um der methodischen Sorgfalt willen ist es jedoch geboten, Befunde und Texte zunächst unabhängig voneinander zu interpretieren. Im Folgenden sollen die Texte hinsichtlich ihrer Reinheits- und Heiligkeitstheologie ausgewertet werden.85 Dabei wird sich zeigen, dass sie bei allen Unterschieden im Detail in Fragen von rein und unrein eine ähnliche Tendenz verfolgen.86
Als Quellen von Unreinheit findet man in den Qumrantexten, dem Gefälle der traditionellen Vorgaben folgend, Tod, Aussatz, Sexualität und Menstruation, krankhafte Genitalausflüsse und Tierkadaver. Neu gegenüber dem Pentateuch ist die Vorstellung, dass auch Exkremente verunreinigen (11QT 46,15; 4Q265 6,2; Jos. Bell 2,147–149).87 Als bedeutendste Weiterentwicklung des Reinheitsdenkens gegenüber den Vorgaben der Tora wird die Verschmelzung von kultischer und moralischer Reinheit diskutiert. Sünde verunreinige nun in jedem Fall auch kultisch und kultische Unreinheit habe auch etwas mit sündigem Verhalten zu tun.88 Wir werden die einschlägigen Aussagen dazu unten auswerten. Die Qumranschriften lesen die unterschiedlichen Texte der Tora, die sich mit Fragen von rein und unrein befassen, in einer Weise, die man mit den Stichworten „maximalistisch“ und „harmonisierend“ beschreiben
81
HIRSCHFELD (2004), 118 (Übersetzung M.V.). Vgl. H IRSCHFELD (2004), 118, der damit rechnet, dass die Anlage ca. 70 Bewohner zugleich beherbergt haben könnte. 83 Die bisher publizierten Funde sprechen eher gegen essenische Bewohner: Es finden sich Reste von Schmuckarchitektur, beachtliche Geldbeträge, ausländische Glaswaren, Keramik, wie sie sich ähnlich in den Herodespalästen gefunden hat, Bronzefibeln (vgl. H IRSCHFELD [2004], 127ff und (2006), 191ff). 84 Ähnliche Deutungen stellt ZANGENBERG (2008), 25 vor. 85 Eine Auswertung der einzelnen Texte legt H ARRINGTON (2004) vor. Ich wähle eine „synchrone“ Zugangsweise, die ihre Studie ergänzt. 86 Vgl. dazu HARRINGTON (2004), 12f. 87 Die Qumrantexte sind in dieser Hinsicht nicht ganz so eindeutig wie z. B. H ARRINGTON (2004), 106ff behauptet. Die Tendenz ist jedoch deutlich. Vermutlich hat man sich an den Bestimmungen für das Kriegslager aus Dtn 23,13ff orientiert. 88 Vgl. KLAWANS (2000), 77ff; HARRINGTON (2004), 112ff. 82
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Kapitel 2. Kultische Sprache in jüdischen Kontexten
kann.89 Das bedeutet, dass sie eine Reinheitsvorschrift, die in einem bestimmten Kontext explizit genannt wird, auf einen analogen Kontext übertragen, auf den die entsprechende Regel bisher nicht angewendet worden war.90 Außerdem werden Unstimmigkeiten der biblischen Reinheitstexte in einer Weise ausgeglichen, die auf heutige Leser als erschwerend oder verschärfend wirkt.91 Ergebnis und wohl auch Zweck dieser Exegese lässt sich mit Harrington wie folgt formulieren: „The classifications of purity in the scrolls reveal a common desire to extend holiness in Israel.“92 2.1.1 Ausweitung der Reinheitshalachot in den Qumrantexten Ausweitung der Reinheit und Heiligkeit durch Verschärfung und Weiterentwicklung der Reinheitshalacha ist eine deutlich feststellbare Tendenz in den Texten.93 Ich nenne im Folgenden einige Beispiele: 11QT 35,8–9 erachtet über die Vorgaben der Tora hinaus den gesamten Tempel als Allerheiligstes, entsprechend gelten auch alle Priester und nicht nur der Hohepriester als qodesh qodashim (4Q397 6 14; 1QS 8,5–6). Heilig (qodesh) ist nun die ganze Stadt Jerusalem, nicht mehr nur der Tempelbezirk (4Q394 8 4,10–12).94 Das bedeutet, dass die Regeln, die in der Tora auf die Bewahrung der Heiligkeit und Reinheit des Tempels zielen, auf 89 Diese Begriffe finden sich bei HARRINGTON (1993), 58, die ihrerseits auf MILGROM (1989), 171 verweist. Sollte es sich tatsächlich zeigen lassen, dass man in Qumran Sünde und rituelle Unreinheit miteinander verbunden hat, dann könnte man auch diese Innovation als Harmonisierung des biblischen Befundes werten. Das Verständnis von Unreinheit, das sich in den der Priesterschrift zugehörigen Texten findet, trennt Sünde und Unreinheit voneinander, während das Heiligkeitsgesetz Sünden kennt, die das Land verunreinigen. Die Qumranexegese führt dann beides harmonisierend zusammen. 90 Vgl. dazu HIMMELFARB (2001), 15ff (zu 4QD). 91 Dies zeigt sich im Detail vor allem beim Vergleich mit dem rabbinischen Umgang mit diesen Phänomenen (vgl. die instruktive Übersicht bei H ARRINGTON [2004], 134– 138). Dieser zeichnet sich in der Hauptsache durch eine erleichternde Tendenz aus. So legt man Num 19,18 in Qumran so aus, dass das Haus, in dem jemand gestorben ist, samt seinem Inhalt und den Baustoffen, aus denen es erbaut ist, unrein wird (11QT 49,5–7; CD 12,15–18). Die rabbinische Exegese orientiert sich stärker an den Details, die die Tora explizit nennt: Nur diese Geräte werden unrein. Weil die Tora außerdem nur vom Zelt des Verstorbenen spricht, können ihrer Ansicht nach auch nur „mobile“ Behausungen unrein werden, feste Häuser hingegen nicht (vgl. bShab 81a). Auf Ausnahmen, in denen die Qumranhalacha erleichternd entscheidet, weist B AUMGARTEN (1999), 80 hin. 92 HARRINGTON (2000), 725. Die in Qumran gefundenen Texte beziehen sich nicht nur auf die Gemeinschaft. Mehr oder weniger deutlich entwerfen sie, was nach dem Willen Gottes für ganz Israel gelten soll (vgl. dazu H ARRINGTON [2004], 46f). 93 Im Blick auf die Tempelrolle kommt H IMMELFARB (1999), 13 zu einem ähnlichen Ergebnis. Auch wenn die Denkbewegungen, die zu Verschärfungen führen, in den einzelnen Texten durchaus unterschiedlich sein können (vgl. H IMMELFARB [2001], 29), ist der Befund der gleiche. 94 Vgl. NAUDÉ (1999), 185f.
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ganz Jerusalem angewendet werden. 4Q394 8 4,10ff beschreibt z. B. ganz Jerusalem mit Worten aus Dtn 12,11 als „heiliges Lager“ und den Tempel als Allerheiligstes (vgl. 4Q394 5 16ff).95 Deshalb bedarf es vor dem Betreten der heiligen Stadt besonderer Reinheit (vgl. 1QSa 1,25f; 11QT 45,7– 12).96 Träger von Unreinheit dürfen die Stadt überhaupt nicht betreten (11QT 45,17; 48,13–17), sie müssen zuvor eine dreitägige Reinigungsperiode durchlaufen. Wegen der verunreinigenden Kraft sexueller Vorgänge wird jeglicher Geschlechtsverkehr in der heiligen Stadt verboten (11QT 45,11–12; ggf. auch CD 12,1–2) – wohl in Analogie zu Ex 19,15.97 Andere Städte Israels sind in einem geringeren Maße heilig bzw. rein (vgl. 11QT 47, 3–4), wenngleich auch dort vergleichsweise strikte Reinheitsvorschriften zu beachten sind (Isolation von Menstruierenden 11QT 48,13–17; 4Q274 fr. 1 1,4–6). Als zweites Beispiel seien die Regeln genannt, die nach einem Todesfall greifen: Laut Num 19,18 ist alles, was sich im Zelt eines Verstorbenen befindet, unrein. Die Qumrangemeinschaft wendet diesen Vers nicht mehr nur im Bezug auf Zelte an, sondern lässt ihn für jedes Haus (11QT 49,5–7) gelten. Nach der Tora können nur bestimmte Materialien unrein werden. 11QT 49 legt Num 19,18 aber dahingehend aus, dass auch Gegenstände, die aus einem Material hergestellt sind, das eigentlich nicht unrein werden kann (z. B. Stein), durch den Toten verunreinigt werden und nach Möglichkeit gereinigt werden müssen (11QT 49,12–16). Num 19,15 führt aus, dass Speisen, die sich in einem unverschlossenen Gefäß befinden, unrein werden. 11QT 49,8 und 4Q274 fr. 3 2 weiten das dahingehend aus, dass nun auch der Inhalt eines verschlossenen Gefäßes als unrein gilt. Das Haus selbst muss – über Num 19,18 hinaus – nicht nur mit einem Besprengungsritus gereinigt werden. Es müssen vielmehr – analog zu Lev 14,33ff (Aussatz an Häusern) – die Wände, der Boden und die Türen abgeschabt wer-
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Vgl. HARRINGTON (1997), 114 u.ö. Weiteres bei HARRINGTON (1997), 115. 97 Die archäologischen Funde in Qumran lassen darauf schließen, dass die Bewohner dieser Siedlung ehelos gelebt haben. Das wäre aber auch dann erklärbar, wenn man berücksichtigt, dass an diesem Ort in der Hauptsache männliche Arbeitskräfte gelebt haben (vgl. ZANGENBERG [2008], 28). Bis auf wenige Ausnahmen finden sich nur Gräber von Männern. Die wenigen Frauengräber liegen getrennt von den übrigen und sind dazu in ihrer Datierung umstritten (vgl. HARRINGTON [2004], 13f). Interpretiert man den Befund im Licht der Texte, ergäbe sich eine Analogie zu den oben genannten Bestimmungen, die die heilige Stadt bzw. das heilige Lager betreffen. Es gibt daneben auch Texte, die den Geschlechtsverkehr nicht völlig ausschließen, sondern ihn nur am Sabbat verbieten (CD 12,1–2) und ihn grundsätzlich nur zum Zweck der Fortpflanzung erlauben (so evtl. 4Q270 fr. 11 1,13 [„zum Zwecke der Unzucht an seiner Frau“] vgl. aber MAIER [1995b], 229, Anm. 344). 96
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den (11QT 49,12).98 Nicht nur der Kreis der Gegenstände, die unrein werden können, weitet sich in den Qumrantexten. Gleiches gilt auch für die Überträger von Unreinheit. Lev 11,38 legt fest, dass trockene Lebensmittel durch den Kontakt mit Wasser verunreinigungsfähig werden. Einige Qumranschriften werten auch Öl und Wein als entsprechende Überträger (11QT 49,11–14; CD 12,15–18).99 Die Reinigung totenunreiner Menschen gestaltet sich nach 11QT ausführlicher, als es die Tora eigentlich vorsieht, indem zusätzliche Waschungen bzw. Besprengungen vorgesehen sind (11QT 49,17ff vgl. auch 4Q414 fr. 2).100 Zu den Besonderheiten, die in den Qumrantexten im Vergleich zu den Vorgaben der Tora auffallen, gehört die Verwendung des Reinigungswassers, das Num 19 für die Reinigung von Totenunreinheit vorsieht, bei der Reinigung von anderen Unreinheiten („trxa hamj“ [4Q277 fr. 1 2,9]).101
Im Blick auf Unreinheit durch Aussatz kann man ebenfalls Beobachtungen anführen, die eine verschärfende Tendenz erkennen lassen: Der Aussätzige soll nach Lev 13,46 von der Gemeinschaft isoliert wohnen. 4Q274 fr. 1 1,1–2 interpretiert diese Anweisung in dem Sinne, dass der Aussätzige nicht nur von der Gemeinschaft, sondern auch von anderen Aussätzigen getrennt leben muss (vgl. 11QT 46,16–18; 48,14–17). Aus Lev 13 erfahren wir nicht, was passiert, wenn jemand einen Aussätzigen berührt. 4Q274 fr. 1 1,3 führt – wohl in Analogie zu Lev 14,37 – aus, dass dieser unrein wird. Neu gegenüber dem Befund der Tora ist der Gedanke, dass jemand, der schon unrein ist, in noch stärkerem Maße unrein werden kann, auch wenn er mit einer leichteren Form von Unreinheit in Kontakt kommt.102 Der Zusammenhang zwischen Aussatz und Sünde wird möglicherweise in 4Q270 explizit gemacht, weil dieser Text den Aussätzigen und den Ausflussbehafteten in einem Zusammenhang mit anderen Sündern nennt. Damit käme das Ineinander von Unreinheit und Sünde, das man in Qumranschriften beobachten kann,103 in den Blick (vgl. dazu Kapitel 2, 1.3). 98 Die Tempelrolle neigt allgemein dazu, die Quellen ritueller Unreinheit zu erweitern. So wird Blinden der Zugang zum Tempelbezirk verwehrt, damit sie das Heiligtum nicht verunreinigen (11QT 45,12ff). Auch legt sie Wert darauf, dass Menschen, die sich in einem Reinigungsprozess befinden, weil sie sich schon gewaschen haben, erst nach Sonnenuntergang wirklich als rein gelten. Damit vertritt sie eine Position, die die Rabbinen den Sadduzäern zugeschrieben haben (vgl. S CHIFFMAN, [1994], 285ff). 99 Zur erweiterten Verunreinigungsfähigkeit von Flüssigkeiten in den Qumrantexten vgl. B AUMGARTEN (1999), 89ff. 100 Vgl. ESHEL (1997), 3ff. 101 Vgl. dazu B AUMGARTEN (1999), 83ff, der auch auf entsprechende Rezeptionen von Num 19 in anderen jüdischen Texten hinweist. 102 Vgl. HARRINGTON (2004), 89. 103 Vgl. FRENSCHKOWSKI (1997), 902.
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Die ausweitende Tendenz, die sich bisher als typisch für den Umgang mit den Reinheitsvorstellungen in Qumrantexten gezeigt hat, setzt sich auch hinsichtlich der Unreinheit, die durch krankheitsbedingte Ausflüsse entsteht, fort. Nach Lev 15,5–10 verunreinigt ein Gegenstand, auf dem ein an Ausfluss erkrankter Mensch gesessen hat, den Menschen, der ihn berührt. 4Q274 fr. 1 1,4–5 weitet diese Regel auf Gegenstände aus, die der Flussbehaftete lediglich berührt hat. Außerdem werden Menstruationsunreinheit und Unreinheit durch krankhafte Ausflüsse gleichgesetzt (4Q274 fr. 1 1,7–8).104 Deutlich verschärfende Tendenz hat auch die Einschätzung der verunreinigenden Kraft von Sperma (11QT 46,16–18; 48,13–17; 4Q274 fr. 1 1,8). Die Texte fordern im Fall eines Samenergusses, anders als es in der Tora festgelegt ist, eine dreitägige Reinigungsperiode und stellen eine Parallelität zu krankhaften Unreinheiten her.105 Auch um den Geburtsvorgang herum ranken sich erschwerende Bestimmungen. Die Wöchnerin überträgt Unreinheit auch auf andere Personen (nicht zuletzt auf das Neugeborene).106 Trägt eine Frau ein totes Kind in sich, gleicht sie einem Grab und verunreinigt entsprechend (11QT 50,11). Diese Beispiele mögen genügen, um die in den Qumrantexten auffallende Tendenz zur Ausweitung und Verschärfung der Reinheitshalachot zu verdeutlichen. 2.1.2 Das Zentrum des Heiligkeits- und Reinheitsdenkens in den Qumrantexten Die biblischen Texte lassen deutlich erkennen, dass ihr Reinheitsdenken in letzter Konsequenz auf den Tempel und seine Heiligkeit bezogen ist (s.o. unter 1.2). Damit stellt sich die Frage, welche praktische Bedeutung die genannten Regeln für die Gemeinschaft hatte, die in den Qumrantexten zu Wort kommt. Diese hatte sich ja ab einem bestimmten Zeitpunkt vom Tempel in Jerusalem getrennt. Die Mitglieder der Gemeinschaft nahmen praktisch am Tempelkult nicht teil, da in ihren Augen der Jerusalemer Tempel bereits als verunreinigt galt (CD 5,6f; 11,19–21; 1QpHab 1,5; 8,3).107 Wo und in welchen Lebensvollzügen konnte Reinheit für sie also
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Die Bedingungen, die zur Diagnose eines krankhaften Ausflusses bei Frauen erfüllt sein müssen, werden deutlich gelockert. Jede Blutung, die außerhalb der Menstruation auftritt, ist als Blutfluss zu werten (4Q267 fr. 9 2,2–4). Vgl. dazu H ARRINGTON (2004), 99. 105 Vgl. HIMMELFARB (2001), 19. 106 Vgl. 4Q266 fr. 6 2,10–11 (vgl. H IMMELFARB [2001], 25). 107 1QpHab 8,8f und 12,7ff bezeichnet den hasmonäischen Hohenpriester als unrein. Die Unreinheit resultiert aus der Tatsache, dass der „Frevelpriester“ sich unrechtmäßig bereichert hat. CD 6,11–17 nennt ebenfalls „bösen Reichtum“ unrein (vgl. R EGEV [2004], 395). Zur Trennung der Gemeinschaft, die hinter den in Qumran gefundenen Texten
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relevant sein? Ein Schlüssel zur Klärung dieser Frage könnte in der Tatsache zu suchen sein, dass sich zahlreiche Reinheitsregeln in den Qumrantexten um das gemeinsame Essen drehen. Besonders aufschlussreich ist in dieser Hinsicht 4Q274, denn die Formulierungen in 4Q274 lassen darauf schließen, dass es vor allem das (gemeinsame) Essen ist, das den Zustand der Reinheit erfordert. Immer wieder findet sich dort nach den Bestimmungen über Reinigungsvorgänge die Formulierung „danach esse er [lkawy rxaw]“ (fr. 1 1,3) bzw. „und dann esse sie“ (fr. 1 1,5). Diese Regelungen beziehen sich auf Personen, die sich im Status der Unreinheit befinden, und durch Kontakt mit anderen unreinen Personen weiter verunreinigt worden sind. Sie sollen sich waschen, und dürfen danach essen.108 Damit ist natürlich nicht das Gemeinschaftsmahl gemeint. Dafür gilt: Wer unrein ist, soll „von der Reinheit“ fern bleiben (fr. 1 1,1f). In fr. 2 1,3 heißt es „nur berühre er nicht die Reinheit“ (hrhjb [gy la qr). Wer in Kontakt mit Sperma gekommen ist, muss sich – und wohl auch seine Kleider – waschen, bevor er heiliges Essen (~yXdwqh) zu sich nehmen darf (fr. 2 1,9).109 Aus diesen Zeilen wird ersichtlich, dass unreine Personen ihre Unreinheit möglichst reduzieren sollen, bevor sie überhaupt etwas essen dürfen. Unter besonderem Schutz steht darüber hinaus das Gemeinschaftsmahl. Die Teilnahme daran – selbst „Reinheit der vielen“ (~ybrh trhj)110 oder einfach nur „Reinheit“ (hrhj) genannt111 – setzt rituelle Reinheit voraus. Das geht auch aus schon länger bekannten Quellen hervor.112 Wer am Gesteht, vom Jerusalemer Tempel vgl. SCHIFFMAN (1999), 267ff und K LAWANS (2006), 147ff. 108 Vgl. dazu B AUMGARTEN (1999), 80. 109 Vgl. HARRINGTON (2004), 13. Auch bei der Zubereitung des Essens gelten Reinheitsbestimmungen, die über das, was die Tora fordert, hinausgehen. So lässt man beim Umgang mit Flüssigkeiten größere Vorsicht walten, als sich von Lev 11,38 nahe legt. Flüssigkeiten aller Art übertragen Unreinheit (so auch der Fruchtsaft, der bei der Ernte austritt vgl. dazu HARRINGTON [2004], 25f) und zwar so, dass auch die Flüssigkeit, die sich in einem Gefäß befindet, aus dem etwas auf Unreines gegossen wird, unrein wird (4Q394 8 4,5–8). 110 Vgl. zu dieser Lesart AVEMARIE (1997), 217f. Avemarie erweitert das Bedeutungsspektrum dieser Wendung mit guten Gründen. Sicher scheint ihm, dass ~ybrh trhj „the pure food of the full members of the community“ meint (226), möglicherweise bezieht es sich aber auch auf reine Gegenstände (so schon NEWTON [1985], 26), ja sogar auf die Mitglieder der Gemeinschaft selbst (226f). 111 Vgl. NEWTON (1985), 10ff und 21ff und KLAWANS (2000), 192, Anm. 81 (dort Literatur). 112 Auch der nicht besonders gut erhaltene Text 4Q284 (Purification Liturgy) erwähnt wiederholt das Essen (fr. 2 1,1 [„lkay awl“]; fr. 2 2,3). Ähnlich verhält es sich mit 4Q414 (4QRitual of Purification A) fr. 7. Zeile 8 spricht von der „Reinheit Israels“ ausgerechnet im Zusammenhang mit dem Essen und Trinken (vgl. auch 5Q512 11,4). All das unterstreicht, dass Fragen der Reinheit gerade im Kontext des Essens relevant waren.
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meinschaftsmahl teilnehmen wollte, musste vorher ein rituelles Reinigungsbad genommen haben und durfte auch keinerlei körperliche Makel aufweisen (1QS 5,13–14; 6,25; 7,17 u. ö.; 1QSa 2,3–10). Der Ausschluss sündiger Gemeindeglieder vom gemeinsamen Mahl wird vor diesem Hintergrund weitgehend nicht nur als eine disziplinarische Maßnahme vollzogen (vgl. 1QS 7,2ff), sondern bekundet das Sünden- und Reinheitsverständnis der Gemeinschaft. 2.1.3 Sünde und Unreinheit in den Qumrantexten In den Qumrantexten besteht eine deutliche Verbindung von Sünde und Unreinheit. Die in 1QS erhaltenen Bestimmungen lassen sich entsprechend auswerten: Sünde verunreinigt, darum darf der Sünder – wegen seiner Unreinheit – am gemeinsamen Mahl nicht teilnehmen. Mitglieder der Gemeinschaft, die sich eine Sünde zuschulden kommen lassen, gelten als unrein und sind deshalb von den gemeinsamen reinen Mahlzeiten ausgeschlossen (1QS 6,24ff). Die Sünden, die hier im Blick sind, umfassen deutlich mehr als die im Heiligkeitsgesetz als verunreinigend genannten. Dazu gehören z. B. falsche Angaben über das Eigentum (1QS 6,24f) oder absichtliches Beleidigen eines Mitglieds (1QS 7,4f).113 Alle, die nicht der Gemeinschaft angehören, gelten per se als Sünder – und entsprechend als unrein (1QS 2,25ff; 5,14–20), weshalb zur Aufnahme in die Gemeinschaft ein umfangreicher und langer Reinigungsprozess gehört, in dem der Eintretende nicht nur Buße tut, sondern auch gereinigt wird (vgl. 1QS 3,6–9). Wie eng der Zusammenhang von ritueller Reinheit und Sündlosigkeit ist, zeigt sich an der Feststellung, dass ohne Buße jede Art von Reinigung wirkungslos ist (1QS 3,4f).114 Die Verbindung von Sünde und Unreinheit ist weiterhin sehr deutlich an der Verwendung des Wortes hdn in den Qumrantexten ablesbar. In der Bibel steht dieses Wort mehrheitlich für die menstruierende Frau und die Unreinheit, die von ihr ausgeht. In den Qumrantexten wird hdn zu einem Synonym für sündige Taten (vgl. 1QS 11,14f; 1QM 13,5; 1QH 4 (17),19 u.ö.). Wie ist dieser Befund zu bewerten? Die Mehrheit der Forscher sieht darin ein Indiz dafür, dass die in Qumran gefundenen Texte die in der Tora vorhandene Grenze zwischen Sünde und Unreinheit nicht mehr scharf gezogen hätten.115 Sünde verunreinige immer auch rituell. Diese Sicht der Dinge könnte sich jedoch als den Textbefund zu stark vereinfachend erweisen. Besonders Martha Himmelfarb hat hier gewichtige Einwände vor113 114 115
Weiteres bei KLAWANS (2000), 83. Vgl. dazu HARRINGTON (2004), 112ff. Vgl. z. B. KLAWANS (2000), 77ff. Weiteres bei HIMMELFARB (2001), 9ff.
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gebracht: Sie stellt die u.a. von Baumgarten, Klawans und Harrington vertretene These in Frage, dass man in den Qumranschriften die Grenzen zwischen Sünde und Unreinheit verwischt habe, so dass Sünden auch rituell verunreinigen.116 Ihre Durchsicht der Texte, die zum Damaskusdokument gehören, ergibt, dass im halachischen Teil dieses Dokumentes Unreinheit und Sünde nicht miteinander verbunden werden. 4QD stehe vielmehr in der Tradition von Lev und versuche, Spannungen, die sich dort finden, zu glätten und Regeln, die dort explizit auf eine Form der Unreinheit angewendet werden, auf andere zu übertragen.117 Das führe zwangsläufig zu Verschärfungen (z. B. Samenerguss und Ausfluss; Verunreinigung durch die Gebärende).118 Die für die oben genannte These bedeutende Nennung des Aussätzigen und des an Ausfluss Erkrankten in einer Liste von Sündern (4Q270 fr. 9 2,12) könnte auf einer falschen Lektüre beruhen, denn auf die Erwähnung der beiden Unreinen folgt eine Textlücke, so dass es ursprünglich vielleicht gar nicht deren Unreinheit war, der sich ihr Vorkommen in der Liste verdankt, sondern ein Fehlverhalten im unreinen Status.119 Deutlich sei, dass 4QD Reinheit um ihrer selbst willen schätze (anders als die Priesterschrift) – das bedeute aber nicht, dass man Unreinheit deshalb für sündig gehalten habe. Außerhalb des halachischen Teils werde das Wort hdn „übertragen“ gebraucht.120 1QS behandele rituelle Unreinheit so gut wie gar nicht. Dort wo die priesterschriftliche Terminologie Verwendung finde, wende man sie nicht auf körperliche Vorgänge an (1QS 2,25; 3,4–9; 4,20–22), sondern auf geistige.121 Der Umgang mit der Reinheitsterminologie lasse sich als eher poetisch beschreiben: „1QS, then, draws on both sides of P’s language of purity, the language of defilement and the language of cleansing, but uses the language in a way considerably further removed from its concrete applications in P than does H.“122 1QS benutze dieses Begriffsfeld allgemein, um von menschlicher Unvollkommenheit und ihrem Gegenteil zu sprechen.123 Der oben erwähnte Ausschluss vom Gemeinschaftsmahl müsse darum nicht unbedingt einen kulttheologischen Hintergrund haben. Reine Speisen seien eng mit der Mitgliedschaft in der Gemeinschaft verbunden – und so gehe es beim Ausschluss vom Mahl de facto um einen Ausschluss aus der Gemeinde. Mit Unreinheit müsse das gar nichts zu tun haben.124
Nun haben wir bei der Besprechung von 4Q274 gesehen, dass der Ausschluss von der Tischgemeinschaft keinesfalls nur disziplinarischen Cha116
Interessant sind ihre Beobachtungen zur zeitlichen Reihenfolge der Priesterschrift (P), des Heiligkeitsgesetzes (H) und anderer biblischer Traditionen. Ältere Überlieferungen (aufbewahrt in Num 12,10; 2 Chr 26,16–21; Ez 36,17; 2 Chr 29,5) verbinden Unreinheit und Sünde miteinander. P reagiert darauf und trennt beides. H reagiert auf P und hält nur manche Sünden für verunreinigend (HIMMELFARB [2001], 11–13). 117 Vgl. HIMMELFARB (2001), 15. Ähnlich oben unter 2.1.1. 118 Himmelfarb beobachtet, dass 4QD und 11QT beide die Reinheitsbestimmungen verschärfen, allerdings tun sie es auf unterschiedliche Weise (29). 119 Vgl. HIMMELFARB (2001), 27. 120 Vgl. HIMMELFARB (2001), 27. 121 Vgl. HIMMELFARB (2001), 30. 122 HIMMELFARB (2001), 32. 123 Vgl. HIMMELFARB (2001), 37. 124 Vgl. HIMMELFARB (2001), 33.
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rakter hat, sondern auch den betrifft, der körperlich unrein ist.125 Von daher ist es nicht zwingend notwendig, die einschlägigen Aussagen in 1QS metaphorisch zu interpretieren – sie können durchaus meinen, was sie sagen, nämlich dass der Sünder zugleich rituell unrein ist. Es gibt weitere Beispiele, an denen sich dieser Zusammenhang zeigen lässt. Himmelfarb nennt selbst 4Q512. Die Fragmente dieses Textes erwähnen wiederholt Sünde, Sühne, Vergebung und Reinheitsbegriffe nebeneinander (deutlich: fr. 39 2,1f; fr. 30 7ff; fr. 15 1,1ff; fr. 16 4ff; fr. 34 15ff). Leider ist der Zustand des Textes zu schlecht, um hier eindeutige Schlüsse zu ziehen.126 Letztlich läuft die Diskussion auf die Frage hinaus, was man metaphorisch und was man wörtlich verstehen möchte. Da wir aber zumindest ein Dokument haben, in dem der Ausschluss vom Mahl eindeutig aus Reinheitsgründen erfolgt (4Q274), dürfen wir vermuten, dass gleichlautende Argumentationen in anderen Texten ebenfalls beim Wort genommen werden wollen. Möglicherweise sind die in dieser Debatte aufgeworfenen Alternativen aber insgesamt zu scharf formuliert und werden den Denkvoraussetzungen der antiken Texte nicht voll gerecht. Unreinheit (sei sie eher kultisch oder eher moralisch definiert) macht in jedem Fall den heilvollen Kontakt mit Gott unmöglich. In gleicher Weise trennt Sünde von Gott. Die Wiederermöglichung des Kontaktes mit Gott wird in der Tora als Sühne und Vergebung aber auch als Reinigung beschrieben (vgl. schon Lev 12,7f; 14,31; 15,15 mit Lev 4,3ff [Unreinheit und Sünde erfordern beide ein Opfer für die Sünde] und Ps 51).127 Das erklärt, warum beide Begriffsfelder auf der theoretischen Ebene nebeneinander und einander durchdringend verwendet werden können. Dass dies in den Qumrantexten breit beobachtet werden kann, ist unstrittig.128 Es gibt aber Indizien dafür, dass dies nicht nur bloße Rhetorik ist, sondern auch halachische Konsequenzen hat. Diese betreffen vor allem die Teilnahme am gemeinsamen Mahl, die eine den ganzen Menschen umfassende Integrität erforderte. Eine Fülle von Reinheitsbestimmungen ranken sich also um das gemeinsame Mahl, das nicht ohne Grund hrhj „Reinheit“ genannt wird: Wer 125 Himmelfarb bespricht diesen Text nicht, räumt im Blick auf ihn aber in einer Fußnote ein, dass er Unreinheit und Sünde in einem halachischen Zusammenhang miteinander kombiniert (35, Anm. 61). 126 Ethik und Reinheit verbinden sich auch in CD 16,14–17. Nur ethisch einwandfrei erworbene Dinge können Gott übereignet werden. 127 Vgl. dazu VAHRENHORST, Exkurs zur Opferterminologie im Begleitband zu LXX.D. 128 Vgl. NEWTON (1985), 48f: „Thus the Qumran sect made little or no distinction between ceremonial and moral transgression; both caused the individual to become impure and in turn to pollute the community. Nor was any distinction made between inner and outer purity; the whole of man was made impure by sin.“
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daran teilnehmen wollte, musste rein sein und sich vorher durch ein Tauchbad gereinigt haben,129 von der Ernte130 bis zum Verzehr wurde auf Reinheit der Nahrungsmittel geachtet.131 2.1.4 Heiligkeit und Reinheit und das Selbstverständnis der Gemeinschaft Die Betonung der Reinheit und Heiligkeit der Gemeinschaft bietet wohl einen bedeutenden Schlüssel zu ihrem Selbstverständnis. Die Gemeinschaft, die in den Qumrantexten zu Wort kommt, dürfte sich in einem längeren Prozess vom Tempelkult in Jerusalem zuerst distanziert und dann völlig getrennt haben, weil sie den Jerusalemer Tempel durch in ihren Augen falsche Opfer- und Reinheitspraktiken als verunreinigt, also entweiht betrachtete (vgl. CD 5,7).132 Deshalb erwartete man die Errichtung eines neuen Tempels in der Endzeit (4Q174 3 1,2ff;133 11QT 29,9134). Bis dahin – so interpretiert die Mehrheit der Forschung135 die einschlägigen Texte – fungierte die Gemeinschaft als Tempelersatz, als menschlicher Tempel (4Q174 3 1,6136).137 Eine Fülle von Selbstbeschreibungen der Gemein129
Zum archäologischen Befund in Qumran vgl. HARRINGTON (2004), 31f. Vgl. dazu 4Q284 (4QHarvesting): Nur reinen Personen, die auch die „Getränke der Vielen“ (~ybrh yqXm) berühren dürfen, ist es gestattet, bei der Ernte mitzuwirken (fr. 1 2f). 131 Vgl. HARRINGTON (2004), 23. Dass man, wie Harrington meint, die Knochen der verzehrten Tiere speziell gesammelt hätte, um das Essen sogar vor nachträglicher Verunreinigung zu schützen, ist eine These, die sich auf Funde stützt, die man auch anders deuten kann (vgl. H IRSCHFELD [2006], 175, der davon ausgeht, dass die Knochen beseitigt wurden, damit sie keine wilden Tiere anlocken). 132 Differenzen zwischen der Gemeinschaft von Qumran und dem Jerusalemer Kult bestanden hinsichtlich der Bewertung der von Heiden dargebrachten Opfer, die man in Qumran nicht als gültig erachtete (4Q394 3 1,8ff). Strittig waren weiterhin der Zeitpunkt, bis zu dem das Getreideopfer verzehrt werden darf (4Q394 3 1,13), und die Frage ob nur Personen, die sich im Status völliger Reinheit befinden, die rote Kuh nach Num 19 schlachten dürfen (4Q394 3 1,16ff). Selbst korrekt dargebrachte Opfer dürften von der Qumrangemeinschaft nicht anerkannt worden sein, weil man in Jerusalem einen anderen Kalender benutzte als in Qumran (4Q394 fr. 1–2). Hinzu kommen Unstimmigkeiten über den Reinheitsstatus von Frauen (CD 5,7), die Heirat von Nichten (CD 5,7ff), die Toragemäßheit der Unterscheidung von rein und unrein in Jerusalem (nach CD 6,17) und die Sabbat- und Festtagsobservanz (nach CD 6,18). Vgl. dazu SCHIFFMAN (1999), 269–271 und Klawans (2006), 173f. 133 LANCI (1997), 17. 134 Vgl. dazu SCHIFFMAN (1999), 279. 135 Wegweisend waren die Studien von GÄRTNER (1965),16ff und MCKELVEY (1969), 46ff. Vgl. HORN (1992), 70ff (dort ältere Literatur) und HAFEMANN (1997), 183ff. 136 Vgl. DIMANT (1986), 187ff; HARRINGTON (1997), 122; SCHIFFMAN (1999), 272ff; BROOKE (1999), 288 (dort ausführliche Besprechung des Textes). 137 Dieser Text steht in unmittelbarem Kontext der Verheißung des in Qumran erwarteten eschatologischen Tempels. Man wird den Text am besten so lesen, dass damit ein 130
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schaft legt dieses Urteil nahe: Sie sprechen von einem heiligen Gebäude (Xdwq tyb 1QS 8,5) oder gar von einem Allerheiligsten (~yXdwq Xdwq dws / ~yXdwq Xdwq !w[m 1QS 8,5f; 8,8).138 Eine alternative Deutung schlägt Johann Maier vor. Er bezweifelt, dass man die Termini tyb und Xdwq tatsächlich eindeutig „auf ein Gebäude (Tempelheiligtum) beziehen kann“.139 Schon das Nomen tyb sei insofern mehrdeutig, als es bereits in der Bibel nicht nur ein Gebäude, sondern auch eine Gruppe bezeichnet (z. B. „Haus Israel“). Noch offener sei die Deutung von Xdwq. Hier kämen die Aspekte Heiligkeit, Heiligtum oder Heiliges in Betracht. Im Folgenden sollen die einschlägigen Texte kurz besprochen und darauf hin befragt werden, wie man die zur Debatte stehende Begrifflichkeit deuten soll. Kann man ihr tatsächlich entnehmen, dass die Gemeinschaft, die in den Texten zu Wort kommt, sich als Tempel verstanden hat, oder beschreiben sie die Gemeinschaft lediglich als heilige Körperschaft? 1QS 8,5f bezeichnet den „Rat der Gemeinschaft“ als „Heiliges Haus für Israel“ (Xdwq tyb) und „Gründung des Allerheiligsten für Aaron“ (dws ~yXdwq Xdwq). Der so benannten Größe wird u.a. eine sühnende Funktion für das Land zugeschrieben. Der „Rat der Gemeinschaft“ dürfte wohl die Gemeinde in ihrer Zweiteilung in Laien und Priester repräsentieren. Dabei kann man den Text so lesen, als werde diese Größe als Tempel – bestehend aus Heiligem und Allerheiligstem – verstanden.140 Die von Johann Maier erwähnte Doppeldeutigkeit von tyb und Xdwq lässt sicher auch eine andere Deutung zu, doch wenden die nachfolgenden Zeilen weitere Termini an, die in der biblischen Tradition recht eindeutig mit dem Tempel in Verbindung gebracht werden (7ff). Das macht es zumindest an dieser Stelle wahrscheinlich, dass mit den genannten Begriffen eine Analogie von Tempelgebäude und Gemeinschaft (präziser: einem Teil davon) hergestellt werden soll. Auch ~yXdwq Xdwq !w[m (Zeile 8) dürfte auf dieser Linie zu lesen sein, denn !w[m ist anders als tyb ein doch recht eindeutiger Begriff, der sich auf eine Wohnstatt bezieht und nicht übertragen auf eine Gruppe angewendet wird. 1QS 9,6 spricht davon, dass „in jener Zeit“ „die Männer der Gemeinschaft ein heiliges Haus (Xdwq tyb) für Aaron absondern“ sollen, „um vereint zu sein als Allerheiligstes, und ein Haus der Gemeinschaft für Israel, Zwischenstadium zwischen Verheißung und Errichtung des eschatologischen Tempels gemeint ist. Anders LANCI (1997), 17, der überhaupt bezweifelt, dass sich die Qumrangemeinde als Tempel verstanden hat. 138 Vgl. NAUDÉ (1999), 186ff. Naudé nennt weiter 1QM 6,6; 14,12; 1QS 4,6; 8,17.21; 9,6.8; 1Q34 3 2,6 und viele andere mehr. Vgl. auch KLAWANS (2006), 162ff. 139 MAIER (2006). Ich danke J. Maier dafür, dass er mir sein Manuskript vor der Veröffentlichung zugänglich gemacht hat. 140 So schon GÄRTNER (1965), 26f.
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die in Vollkommenheit wandeln“. Im Kontext ist erneut von einer sühnenden Funktion (4) die Rede, noch dazu von Opfern, die wohlgefälliger sind als die, die man im Tempel darzubringen pflegt (4f). Streng genommen sind es hier aber nur die Priester, von denen tempeltheologische Aussagen gemacht werden. Die gewöhnlichen Israeliten bilden lediglich ein dxy tyb. An dieser Stelle kann nicht entschieden werden, ob die Priester eine Art Ersatztempel darstellen, oder ob es lediglich darum geht, auszusagen, dass sie bestimmte Funktionen übernehmen, die üblicherweise im Tempel angesiedelt sind. 1QS 11,8 käme ebenfalls als Text in Betracht, der die Qumrangemeinschaft als „Tempel“ bezeichnet. Die Rede ist von einem Xdwq tynbm dws, das aus Engeln und Menschen besteht. Die im Kontext zu findenden Parallelbegriffe lassen eine eindeutige Deutung auf ein Gebäude nicht zu. Die Tempelbaumetaphorik könnte zur Bezeichnung einer Gruppe dienen, ohne dass zwingend an ein Gebäude zu denken wäre. 4Q511 35 spricht von Gottes Handeln. Er „beruft/heiligt“ für sich unter „Heiligen“, „für sich zu einem ewigen Heiligtum (~ymlw[ Xdqm) und als Reinheit unter Männern, dass sie Priester werden, das Volk seiner Gerechtigkeit…“. Auch wenn nicht ganz klar ist, von wem hier eigentlich gesprochen wird – ist an wirkliche Priester oder an ganz Israel im Sinne von Ex 19,6 zu denken? –, so steht doch außer Frage, dass die Gemeinschaft, die hier im Blick ist, tatsächlich mit einem Gebäude verglichen wird. Xdqm als Gruppenbezeichnung ist ansonsten nicht belegt. In 4Q174 3 1,6 findet sich der Begriff Xdqm ebenfalls. Diesmal ist von einem ~da Xdqm, einem „Menschen-Heiligtum“ die Rede.141 Damit dürfte nun tatsächlich Israel – wie es sich in der Gemeinschaft repräsentiert sah – gemeint sein.142 Die Gemeinschaft versteht sich hier als „proleptisches Heiligtum“,143 dessen Aufgabe es ist, „Dankerweise“ (hdwt yf[m) darzubringen. 1Q34 3 2,6 blickt zurück auf einen Erwählungsakt Gottes. Gott wird als der angesprochen, der sich ein Volk erwählt hat. Weiter heißt es: „und bestelltest sie dazu, sich für dich abzusondern zu einem Heiligtum aus allen Völkern“ (~ym[h lkm Xdwql). Hier ist wieder offen, ob Israel – bzw. die Gemeinschaft, die sich im Licht dieses Textes versteht, – als Heiligtum im Sinne eines Tempels oder als Gott heilige Größe, also als Gottes Eigentum beschrieben wird. Überblickt man die einschlägigen Texte, dann legen zumindest 1QS 8,5f; 4Q511 und 4Q174 den Schluss nahe, dass die Gemeinschaft, die in den Texten aus Qumran zu Wort kommt, sich als Ganze (oder zumindest 141 142 143
Vgl. GÄRTNER (1965), 34f. Vgl. zur Interpretation dieses Begriffs BROOKE (1999), 287f. Vgl. BROOKE (1999), 288 und M AIER (2006).
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eine repräsentative Größe in der Gemeinde) in Analogie zum Tempel (bestehend aus Heiligem und Allerheiligstem) verstanden hat. Indirekt wird diese „Selbstwahrnehmung“ durch den Bericht des Josephus gestützt, der ausführt, dass die Essener nach der Reinigung vor dem Gemeinschaftsmahl den Speiseraum im Zustand der Reinheit betreten hätten, „als ginge es in ein Heiligtum“ (kaqa,per eivj a[gio,n ti te,menoj [Bell 2,129]). Diese Stelle ist nicht nur deshalb aussagekräftig, weil sie die Lebensvollzüge der Gemeinschaft mit dem Verhalten von Tempelbesuchern vergleicht, sie belegt darüber hinaus auch die besondere – nämlich sakrale – Qualität des Gemeinschaftsmahles für die Gemeinschaft, von der oben schon die Rede war. Die übrigen oben besprochenen Texte lassen sich nicht ganz so eindeutig in dem Sinn lesen, dass die Gemeinschaft sich oder einige ihrer Glieder als Tempel verstanden hat. Sie verwenden zwar Tempelbaubegrifflichkeit – allerdings in einer Weise, die auch eine Interpretation auf eine heilige Gemeinschaft, also eine Gemeinschaft, die Gott gehört, hin offen lässt. Für dieses Selbstverständnis lassen sich noch eine Fülle eindeutiger Paralleltexte nennen (z. B. 1QSa 1,9 [Xdwq td[]; 1QSb 4,27–28 [wm[b Xdwq]). Diese beschreiben die Gemeinschaft als heilige Größe – auch wenn sie es nicht mit dem Vokabular tun, mit dem man ansonsten vom Tempel spricht. Jenseits der Debatte über das Verständnis der Tempelterminologie in den Texten aus den Qumranhöhlen ist in jedem Fall deutlich, dass Heiligkeit das bestimmende Konzept der Selbstwahrnehmung der Gemeinschaft, die hinter den besprochenen Texten steht, gewesen sein dürfte.144 Von daher ist es nicht überraschend, dass die Schriften dieser Gemeinschaft ein besonderes Interesse an der Bewahrung kultischer und wohl auch moralischer Reinheit erkennen lassen. Nur wenn die Gemeinschaft sich im Status der Reinheit befindet, kann sie im Kontakt mit Gott und seinen Engeln leben.145
144
Vgl. NAUDÉ (1999), 184; 197 und HARRINGTON (2004), 15. Dieses Selbstverständnis lässt sich besonders gut an 1QSa ablesen, einer Schrift, in der die Gemeinde mehrfach als heilige Größe bezeichnet wird, ohne dass man hier von direkter Tempelmotivik sprechen könnte (1,9.12; 2,9). Weil die Gemeinschaft eine heilige Größe ist, haben Unreine keinen Zutritt (1QSa 2,3). In ihr sind die „Engel der Heiligkeit“ gegenwärtig (2,8f). Das Motiv der Gemeinschaft mit den (heiligen) Engeln begegnet in den Sabbatliedern wieder (vgl. N AUDÉ [1999], 189 und 198). 145 Vgl. NEWTON (1985), 36ff, der den Gedanken der Anwesenheit Gottes in der Gemeinschaft als Voraussetzung für ihr Interesse an Reinheitsfragen betont. Weiteres bei HARRINGTON (2004), 38. Die in Qumran gefundenen Sabbatlieder lassen sich so verstehen, dass sie eine Korrespondenz von irdischem und himmlischen Gottesdienst entwerfen (vgl. KLAWANS [2006], 134ff).
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2.2 Nicht auf Hebräisch überlieferte Schriften aus hellenistisch-frührömischer Zeit Befragt man das Corpus der sog. pseudepigraphischen Literatur146 auf die Verwendung kultischer Begrifflichkeit, so fällt auf, dass bei allen Unterschieden zwischen den einzelnen Schriften doch durchaus gemeinsame Akzente zu erkennen sind. Die rituelle Reinheit wird in diesen Texten eher selten thematisiert (vor allem im Jubiläenbuch und im Aristeasbrief). Stattdessen liest man viel von der verunreinigenden Kraft der Sünde, allen voran des Götzendienstes und der illegitimen Sexualität. Auch schimmert das Ideal einer Reinheit des Herzens und Verstandes immer wieder deutlich auf. Das wohl um die Mitte des zweiten Jahrhunderts147 entstandene Jubiläenbuch nimmt an verschiedenen Stellen Bezug auf Reinheitsvorstellungen, die nach der Systematik des Levitikusbuches in den Bereich der rituellen Reinheit gehören. Jub 3,8ff greift Lev 12 auf und verankert die dort genannten Reinigungsfristen in der Schöpfungsgeschichte nach Gen 2.148 In Jub 21,16 ermahnt Abraham seinen Sohn Isaak, sich zu den für die Opferriten vorgesehenen Zeiten durch Waschung zu reinigen, und sich Hände und Füße zu waschen, bevor er an den Altar herantritt. Vor dem Weg zurück in die profane Sphäre ist ebenfalls eine solche Waschung vorgesehen. Bevor Jakob sich in Jub 31,1 mit seiner Familie auf den Weg nach Bethel macht, fordert er sie dazu auf, sich zu reinigen. In Dtn 14,22 sind die Gesetze für die Gabe des zweiten Zehnten grundgelegt.149 Jub 32,10ff greift diese Tradition auf und ergänzt sie dahingehend, dass Teile des Zehnten, die zu lange aufbewahrt wurden, unrein werden und verbrannt werden sollen.150 Die überwiegende Mehrheit der Stellen, an denen sich im Jubiläenbuch kultische Begrifflichkeit findet, lassen eine deutliche Verknüpfung von Sünde und Unreinheit erkennen: „Und auch ihr hütet euch vor aller Unzucht und Unreinheit und jeder Befleckung der Sünde…“ (20,6f vgl. auch 7,20; 9,15; 22,14151). 146
Vgl. zu dieser Sammelbezeichnung die Hinweise bei VAHRENHORST (2002), 61. Die wesentlichen in der Diskussion vorgebrachten Argumente sind leicht zugänglich bei W INTERMUTE (1985), 43f. Vgl. auch BERGER (1998), 33 und (2001), 594. 148 Vgl. BROOKE (1999), 294. 149 Vgl. ALBECK (1988) Band 1, 243. 150 Das Jubiläenbuch hat vergleichsweise großes Interesse an kultischer Reinheit und kultischen Vollzügen (vgl. BERGER [1998], 33f). Rituelle Reinheit im eigentlichen Sinn wird nach meiner Durchsicht der Texte ansonsten nur noch in Testament Salomos 6,10 (31) zum Thema gemacht. 151 Wenn Sünde und Unreinheit nebeneinander stehen, wundert es auch nicht, dass für Vergebung und Reinigung das Gleiche gilt (22,14; 50,5). Zu den Taten Gottes, die wie147
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Konkret setzt das Buch dabei zwei Hauptakzente, nämlich auf die verunreinigende Kraft des Götzendienstes und auf die Unreinheit, die durch illegitime Ehen und Sexualkontakte entsteht – ja nichts verunreinigt stärker als letztere (33,8ff; vgl. zum Nebeneinander von Unreinheit und illegitimer Sexualität auch 7,20; 9,15; 16,5; 20,3ff).152 Die Assoziation von Unreinheit und heidnischer Religiosität findet sich in Jub 1,9; 11,16; 20,7; 22,14ff. Weil das Tun der Heiden wegen ihres Götzendienstes überhaupt unrein ist, soll Israel sich von den fremden Völkern trennen (22,16) und vor allem keine Mischehen mit ihnen eingehen. Davor warnt das Buch ganz vehement,153 und verweist dabei auf in der Genesis dokumentierte Präzedenzfälle: Die Ehe Esaus mit kanaanäischen Frauen beurteilt Rebekka als unreine Tat oder auch Hurerei (25,1). Jub 30,7ff führt aus, dass Mischehen das Land und das Heiligtum154 verunreinigen (vgl. auch 23,15ff), und dass es für diese Unreinheit auch keine Reinigung gibt. Ähnlich gravierend sind Verunreinigungen durch inzestuöse Verhältnisse (33,10ff; 41,25f) – auch dafür gibt es keine Vergebung, selbst wenn in der Tora von Juda und Ruben155 anderes berichtet wird. Die im Jubiläenbuch deutlich sichtbare Verbindung von Unreinheit und Götzendienst schimmert auch im Liber Antiquitatum Biblicarum auf.156 Dort befürchten die Israeliten, der Plan der Ägypter, nur jüdische Mädchen am Leben zu lassen und diese in ägyptischen Haushalten zu Sklavinnen zu erziehen, könnte zu einer Entweihung der Nachkommenschaft Israels führen, weil die Mädchen zum Götzendienst verleitet werden würden (9,2; der eine intakte Verbindung zwischen ihm und seinem Volk herstellen, gehört neben der Reinigung außerdem die Beschneidung des Herzens (1,23) bzw. die Schaffung eines reinen Herzens (1,21). Das Ineinander von Sünde und Unreinheit erinnert an die in Qumran gefundenen Texte. Nicht umsonst wurde das Jubiläenbuch in der Gemeinschaft, die in den Texten zu Wort kommt, hoch geschätzt (vgl. N ICKELSBURG [1984],103). Vgl. dazu oben unter 1.3.2. 152 Vgl. dazu HAYES (1999), 15ff. 153 Das Jubiläenbuch zielt „insgesamt auf Abgrenzung“ (B ERGER [1998], 35) von der hellenistisch geprägten Umwelt. 154 Vgl. HIMMELFARB (1999), 13. 155 Die Genesis berichtet in drei Zusammenhängen von problematischen sexuellen Verbindungen (Gen 34; 35; 38). Die Wirkung auf die Frauen beschreibt das Jubiläenbuch jeweils gleich: sie wurden verunreinigt. Umgekehrt verunreinigen sich die Engel nach Jub 4,22 durch ihren Kontakt mit Frauen. 156 Dieses Werk dürfte wohl ins erste nachchristliche Jahrhundert zu datieren sein. Umstritten ist, ob es vor oder nach der Zerstörung des Tempels verfasst wurde (vgl. dazu REINMUT [1994], 17ff; VAN DER HORST [1997], 670). Für eine Abfassung nach 70 spräche das Fehlen messianischer und apokalyptischer Gedanken, das parallel zu ähnlichen Tendenzen in frührabbinischen Kreisen verstanden werden könnte (vgl. W ANDREY [2003], 1791). NICKELSBURG (1984), 109 nennt weitere Charakteristika dieses Werkes, die sich gut als Reaktion auf die Ereignisse des Jahres 70 verstehen lassen.
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vgl. auch 26,4). Die Verunreinigung durch sexuelle Kontakte ist in diesem Buch ebenfalls bekannt (2,8). Sie steht allerdings im Zentrum der einschlägigen Ausführungen in den Testamenten der zwölf Patriarchen.157 Benjamin, Asser, Josef, Ruben aber auch Levi warnen mit unterschiedlichen Akzenten davor. Ruben bekennt, er habe durch pornei,a das Bett seines Vaters verunreinigt. Darum warnt er vor der im Erzählkontext vorwiegend als Inzest verstandenen pornei,a und propagiert, dass Männer und Frauen überhaupt möglichst wenig Kontakt miteinander haben mögen, damit beide Sinn und Verstand rein halten (kaqareu,ein th/| dianoi,a| [TestRub 6,1]). Der Anblick schöner Frauen könnte nach Issachar dazu führen, dass der Geist befleckt wird (mia,nh| to.n nou/n [TestIss4,4]).158 Ähnlich äußert sich Benjamin, dem es gleichfalls um reinen Verstand (dia,noia) geht (8,1ff). Das Konzept einer „geistigen Reinheit“ ist diesem Textkorpus überhaupt sehr wichtig (vgl. TestBenj 6,6; TestAss 4,4f; TestJos 10,2 [a`gnei,a neben swfrosu,nh]).159 An das Jubiläenbuch erinnern die Ausführungen Levis zum Heiligtum, das wegen pornei,a verunreinigt (miai,nein) wird (TestLev 9,9 vgl. 14,1ff und 15,1). Böse Taten führen zum gleichen Ergebnis (16,1f). Der Roman Joseph und Aseneth160 fügt diesem Bild nichts wesentlich Neues hinzu: Aseneth bekennt, dass ihr Mund vom Genuss der Opfer an die Götzen unrein sei (12,5). Ihre Keuschheit trägt ihr den Ruf einer parqe,noj a`gnh, (vgl. auch SEG XXXIX 973) bzw. kaqara, ein (15,1.8). Auch der Roman Joseph und Asenet spricht sich gegen die Heirat mit An-
157 Die Datierung dieses Werkes ist umstritten. KEE (1983), 777f datiert die Schrift (abgesehen von ihren christlichen Interpolationen) ins zweite vorchristliche Jahrhundert. Unbestreitbar handelt es sich bei dem Dokument in seiner vorliegenden Form jedoch um einen christlichen Text (DE J ONGE [2002], 108f), der jüdische „identity marker“ nicht erwähnt (vgl. dazu COLLINS [1984], 337: „despite numerous references to the law […] there are few references to specific laws. […] The emphasis is on virtues rather than on specific commandments. The sin most often singled out for condemnation is fronication“). In welchem Umfang man jüdische Vorstufen rekonstruieren kann, ist umstritten. Dass es solche gegeben haben wird, ist allerdings sehr wahrscheinlich (vgl. C OLLINS [1984], 339ff). 158 Josef lehnt Proselytentum aus unreinen Motiven (evn avkaqarsi,a [gemeint ist sexuelle Begierde]) ab (4,6). 159 Die Vorstellung des „reinen Herzens“ ist u.a. auch in TestNaph 3,1; LAB 5,1; Jub 1,21 belegt. 160 Im Zentrum dieses Werkes steht die Ehe zwischen Joseph und Asenet, der Tochter eines ägyptischen Priesters (vgl. Gen 41,45.50; 46,20). Es ist gut möglich, dass eine jüdische Diasporagemeinde darin die für sie aktuelle Mischehenproblematik wieder erkannte und literarisch zu bewältigen suchte (vgl. dazu ILAN [2001], 577). Insgesamt sind die Indizien zur Datierung und Lokalisierung jedoch spärlich. Vgl. dazu BURCHARD (1985), 177ff und (1983), 613ff.
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hängern anderer Religionen aus. Nur die Konversion des nichtjüdischen Partners zum Judentum macht sie möglich.161 Im äthiopischen Henochbuch sind es vor allem sexuelle Vergehen, von denen in kultischer Sprache gesprochen wird. Es wirft den gefallenen Engeln / Giganten vor, sie hätten sich durch den Umgang mit Frauen befleckt (9,9; 10,11; 12,4; 15,3).162 Der Blick auf kleinere zur pseudepigraphischen Literatur zählenden Schriften bestätigt den Befund, den wir bisher beschrieben haben: Götzendienst gilt als unrein und verunreinigt das Heiligtum (AssMos 2,7f; 5,3ff; 8,5; TestHiob 3,6). Unreinheit und Sünde sind zwei Seiten einer Medaille. Die Strahlen der Sonne werden darum verunreinigt (molu,nontai), wenn sie während des Tages sehen, was auf der Erde geschieht: „Gesetzlosigkeit und Unrechtstaten der Menschen: Hurerei, Ehebruch, Diebstahl und Raub, Götzendienst, Trunksucht, Mord“ und anderes mehr (grBar 5,4f [vgl. VitAd 6,2; äthHen 10,20.22; 91,7]). Entsprechend gibt es eine Korrespondenz von Reinigung und Vergebung (TestHiob 43,17 [kekaqari,stai h` avnomi,a]). Das 1. und 2. Makkabäerbuch thematisieren Reinheit und Unreinheit vor allem in historischer Perspektive. Man erinnert sich an Antiochos Epiphanes, der das Heiligtum (ta. a[gia) und die Opfer entweihte (1 Makk 4,45; 7, 34; 14,36 [miai,nw]), und daran, dass der Tempel unter Judas Makkabäus 165 v. Chr. wieder gereinigt wurde (1 Makk 4,36.43; 2 Makk 1,18; 2,19; 10,3.5.7 [kaqari,zw]). Verunreinigende Wirkung haben von der Tora verbotene Speisen (1 Makk 1,63). Für den Sprachgebrauch des Neuen Testaments bedeutsam ist die Verwendung des Wortes koino,j für unreine Tiere und Speisen (1 Makk 1,47.62).163 Weil auch der jüngste der legendären sieben Söhne die ihm vorgesetzten unreinen Speisen nicht gegessen hat, stirbt er im Status der Reinheit (2 Makk 7,40). Dem Sprachgebrauch des Pentateuch treu bleibt der Gebrauch von a`gni,zw in 2 Makk 12,38. Dort geht es um die Reinigung vor dem Sabbat – also um eine vorübergehende „Heiligung“, die zur Begehung des heiligen Tages fähig macht. Die Psalmen Salomos beziehen sich ebenfalls auf eine historische Entweihung des Tempels und der heiligen Stadt Jerusalem.164 Sie haben die Eroberung Jerusalems und die Schändung des Tempels durch Pompeius im Jahre 63 v. Chr. vor Augen (vgl. 2,3; 17,22.30).165 Schlimmer noch als 161
Vgl. NICKELBURG (1984a), 70f. Die zitierten Stellen gehören zum sog. Wächterbuch, das ausgehend von Gen 6,1-4 die Existenz des Bösen in der Welt zu erklären sucht (vgl. HERRMANN [2000], 1628). Vgl. ISAAC (1983), 6f. 163 Vgl. dazu HAACKER (1999), 286. 164 Zur historischen Einordnung der Psalmen Salomos vgl. WRIGHT (1985), 651f und DRIJVERS (1998), 731. 165 Vgl. W INNINGE (1995), 12ff. 162
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diese empfinden sie das Verhalten der hasmonäischen Eliten Jerusalems,166 deren Vergehen sie in kultischer Begrifflichkeit schildern (1,8 [evbebh,lwsan ta. a[gia kuri,ou]; 2,13 [miai,nw]; 8,11ff.22 [miai,nw; avkaqarsi,a]). Die Menschen die in den Psalmen zur Sprachen kommen,167 grenzen sich von ihren Gegnern ab, indem sie sich als Heilige (o[sioi) und Gerechte (di,kaioi) beschreiben (9,3; 13,10; 15,3). Damit entsprechen sie Gott, der seinerseits auch heilig und gerecht ist (10,5). Mit den übrigen Texten aus der zwischentestamentlichen Zeit teilen die Psalmen Salomos die Assoziation von Reinigung und Sündenvergebung bzw. Reinheit und Sündlosigkeit (3,8; 9,6; 10,1; 17,36; 18,5). In gewisser Weise fallen der Aristeasbrief und die Werke Philons aus dem Rahmen der Texte, die bisher im Zentrum der Aufmerksamkeit standen, weil sie die jüdischen Traditionen besonders stark ins Gespräch mit der Gedankenwelt des Hellenismus bringen: Der Aristeasbrief168 propagiert das Ideal des reinen Herzens (234), des reinen Verstandes (dia,noia [292]) und der „reinen Verfassung der Seele“ (yuch/j kaqara, dia,qesij), die man durch Bildung erreicht (2).169 Dieser inneren Reinheit dienen seiner Ansicht nach die Reinheitsvorschriften der Tora: Die Unterscheidung von unreinen und reinen Tieren soll Israel von den Völkern absondern und dafür sorgen, dass die Angehörigen dieses Volkes „an Körper und Seele rein“ (a`gnoi. kata. sw/ma kai. kata. yuch,n) bleiben (139). Dieser Status gerät in Gefahr, wenn der Mensch ein Verhalten an den Tag legt, das dem von einem unreinen Tier symbolisierten entspricht. So ist z. B. das Wiesel unrein, weil es der Sage nach durch die Ohren empfängt und durch den Mund gebiert. Auf der Ebene menschlichen Handelns entspricht dem das Verbreiten böser Gerüchte. Wer sich so verhält „verunreinigt sich vollständig durch die Befleckung der Gottlosigkeit“ (mianqe,ntej auvtoi. panta,pasi tw/| th/j avsebei,aj molusmw/| [165f]). Sündiges Verhalten verunreinigt die Seele des Menschen.170 166
Vgl. W INNINGE (1995), 126f. Die Forschung neigt dazu, die Psalmen Salomos in einem Milieu anzusiedeln, das den Pharisäern nahe stand (vgl. D RIVERS [1998], 731; SCHNELLE [2003], 521ff; LINDEMANN [2006], 330). „Die Psalmen Salomos legen großen Wert auf das Gesetz, den freien Willen und das Jenseits. Jeder, der die Gebote aus freiem Willen erfüllt, wird das Jenseits ererben“ (DRIVERS [1998], 731). Diese Charakteristika treffen höchstwahrscheinlich auf pharisäische Kreise zu, doch werden diese nicht die einzigen gewesen sein, die solche Überzeugungen vertreten haben (vgl. FLUSSER [1984], 573 und CHARLESWORTH [1997], 640), denn vieles davon findet sich auch in anderen Schriften des antiken Judentums. Insofern ist es fraglich, ob man in den Psalmen Salomos eine pharisäische Primärquelle sehen sollte. 168 Zur Datierung und Theologie des Aristeasbriefs vgl. KREUZER (2004), 61ff. 169 So auch Philo, SpecLeg 4,59; All 2,29; 3,127. 170 Weiteres bei VIAN (1996), 71. 167
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Die gleiche Tendenz kultische Praktiken ethisch zu deuten und Unreinheit mit Sünde zu verbinden, zeigt der Brief bei der Erklärung der Sitte des Händewaschens vor dem Gebet und dem Umgang mit den heiligen Schriften. Danach gefragt antwortet Aristeas: „martu,rio,n evsti tou/ mhde.n eivrga,sqai kako,n“ (es bezeugt, dass sie nichts Böses getan haben [306]). Mit diesem Motiv und mit der entsprechenden Auslegung der Reinheitsvorschriften des Pentateuch – die selbstverständlich in der Realität zu halten sind171 – nimmt der Aristeasbrief vorweg, was Philo in seinen Schriften wiederholt zum Thema ausführt. Philo hält ausdrücklich an der praktischen Dimension der Reinheitsgebote der Tora fest.172 Immer wieder betont er, dass zur Verrichtung kultischer Handlungen der Körper rein sein muss (z. B. SpecLeg 2,148). Er stellt dieser Forderung aber eine weitere zur Seite: Der Körper soll rein sein von Befleckungen (mia,smata) und die Seele von Gesetzesübertretungen (paranomi,ai [Decal 93]; vgl. SpecLeg 2,6). Das eine ist ohne das andere wirkungslos. Die Seele wird nun verunreinigt durch böse Taten und Worte, durch Leidenschaften (SpecLeg 1,257; All 2,29) und durch Unrechtstaten (SpecLeg 1,150; 3,123). Die Abkehr173 von diesen gleicht darum der Reinigung (SpecLeg 1,243). Man geht sicher nicht fehl, wenn man behauptet, dass die Reinheit der Seele, des Verstandes (nou/j SpecLeg 1,201) und des Gewissens (SpecLeg 1,243) Philo in besonderer Weise am Herzen liegt:174 Schließlich ist der gereinigte nou/j das heiligste Opfer, das man Gott darbringen kann (SpecLeg 1,201: auvto,j evstin h` euvagesta,th qusi,a). Nach SpecLeg 1,277 kommt es Gott beim Opfer nicht auf die Gaben, sondern auf den „reinsten vernünftigen Geist des Opfernden“ (to. kaqarw,taton tou/ qu,ontoj pneu/ma logiko,n) an.175 Diese geistige Reinheit ist nach Philos Ansicht darum der eigentliche Zweck der Reinheitsgebote: Philo bestimmt das Verhältnis von Israel und den anderen Völkern in Analogie zu dem von Priestern und Lai171
Vgl. Arist 106. Philo hat wohl selbst den Tempel besucht (vgl. De Providentia 2,64). Auf der symbolischen Ebene spiegelt der Tempel das gesamte Universum (SpecLeg 1,66f). Was die Menschen im Jerusalemer Tempel vollziehen, entspricht der Ordnung der Elemente des Universums. Vgl. dazu K LAWANS (2006), 118f. 173 Philo kann in diesem Zusammenhang auch von Umkehr (meta,noia) sprechen. So reinigt sich eine Prostituierte, die ihren bisherigen Lebenswandel aufgibt, durch Umkehr von ihren Miasmen (SpecLeg 1,102). Dass sie trotzdem nicht von einem Priester zur Frau genommen werden darf, unterstreicht für Philo den heiligen Stand der Priester, an die die Tora – und Philo ebenfalls – hohe Anforderungen stellt. So reicht es für den Laien aus, von wissentlich begangenen Sünden rein zu sein, der Hohepriester soll hingegen überhaupt von Sünden rein sein (SpecLeg 3,134–136). 174 Vgl. KLAWANS (2006), 120. 175 Vgl. zur Sache VIAN (1996), 78. 172
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en. Israel habe eine Priesterfunktion für die Welt, „da es körperlich und geistig in jeder Weise gereinigt und geweiht ist durch die Anweisungen des göttlichen Gesetzes, das die Lüste des Magens und des Unterleibs hemmt […], indem es den vernunftlosen Sinnen in dem Geiste einen vernünftigen Lenker gibt, das die willkürlichen und überschüssigen Triebe der Seele aufhält und zurückdrängt…“ (SpecLeg 2,163).176 In die gleiche Richtung argumentiert Migr 93, wobei der Ton hier darauf liegt, die in Philos Augen abwegige Meinung abzuwehren, es komme bei den Geboten einzig auf ihre spirituelle Bedeutung an: „Vielmehr muss man glauben, dass dieses dem Körper, jenes der Seele gleicht. Wie man nun für den Körper, der ja die Wohnstätte der Seele ist, Vorsorge trifft, so muss man auch auf den Wortlaut der Gesetze achten. Werden sie nämlich recht beobachtet, so wird auch das klarer erkannt, wofür sie Symbole sind…“.177 Beide Dimensionen gehören zusammen – selbst wenn die körperliche letztlich der seelischen dient.178 Rein und unrein werden dabei zu Begriffen, die die gesamte Lebensführung des Menschen beschreiben (vgl. Decal 58; 65; SpecLeg 2,258). Rein wird dadurch fast zu einem Synonym für „sündlos“ bzw. „gut“179 – unrein ist gleichbedeutend mit „sündig“. Ein kultischer Bezug bleibt aber dadurch erhalten, dass Philo die menschliche Lebensführung als Opfer beschreiben kann (s. o.).180 Auch Josephus verwendet in seinen Schriften kultische Sprache. Die Wortfamilie a[gioj bezeichnet dort durchgängig den heiligen Ort (Stiftshütte oder Tempel), wobei Josephus ähnlich wie schon die LXX von ta. a[gia oder to. a[gion sprechen kann.181 Auch sonst ist die Verbindung zur Welt des Kultes deutlich erkennbar (heiliges Öl). Relativ selten verwendet er Form von a`gno,j. Der Akzent liegt dabei auf kultischer Reinheit. Der Mensch, der die Asche der roten Kuh einsammelt, muss a`gno,j sein (Ant 4,80), ebenso der Mensch, der den inneren Bereich des Tempels betritt (Ant 15,418). Die Worte a`gnei,a und a`gni,zw decken das gleiche Bedeutungsspektrum ab (z. B. Ant 1,342; 3,78). Die übliche Bezeichnung für den kultisch reinen Status eines Menschen ist kaqaro,j (Bell 5,227; 6,99). 176
Zitiert nach der Übersetzung von I. Heinemann. Zitiert nach der Übersetzung von Posner. 178 Indem sie sie deutlicher zutage treten lässt. 179 So soll der Mensch den Sabbat dazu nutzen, sein Gewissen dahingehend zu erforschen, ob er in der vergangenen Woche immer „rein“ (kaqarw/j) gehandelt habe (Decal 98). 180 Sprechend ist der philonische Sprachgebrauch in SpecLeg 1,150. Die Begierde ist nicht einfach „böse“ oder „sündig“ – sie wird mit kultischen Begriffen qualifiziert (be,b hloj, avkaqa,rtoj; avniero,j). 181 Ähnlich wie bei Philo repräsentiert auch bei Josephus der Tempel das Universum (Bell 5,212f. 218; Ant 3,180ff). Weiteres dazu bei K LAWANS (2006), 114f. 177
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Josephus verwendet kaqaro,j aber auch als Synonym für „unschuldig” (Bell 7,228; Ant 6,307), wobei die Unterscheidung zwischen Kult und Ethik nicht immer klar getroffen werden kann (Ant 20,166; Bell 2,7). Das Konzept der seelischen Reinheit, das wir im Aristeasbrief und bei Philo beobachten konnten, ist Josephus auch nicht unbekannt (Bell 2,31; 3,374; Ant 10,194). Einmal stellt auch er einen Zusammenhang zwischen kultischen Reinheitsvorschriften und deren ethisch-pädagogischer Abzweckung her (CA 2,205). Das Antonym miaro,j (avka,qartoj ist äußerst selten [Bell 4,562]) begegnet sehr häufig in ethischer Bedeutung (z. B. Ant 2,22; 7,168 [neben a;dikoj]; Bell 1,506). Kultische Färbung hat es fast ausschließlich in den Manethozitaten in Contra Apionem (1,266; 1,294). Das dazugehörige Verb miai,nw wird als Terminus technicus für kultische Verunreinigung verwendet (Ant 3,275; Bell 1,39; 6,95). Nur selten bezieht es sich auf eher als ethisch zu beschreibende Sachverhalte (Ant 16,39; Bell 1,500; 4,562). Der Aristeasbrief und Philo – in gewisser Weise auch Josephus – befinden sich deutlich im Dialog mit der hellenistischen Kultur, die ihrerseits die Bedeutung der seelischen Reinheit kennt (vgl. Kapitel 3, 4.1). Aber auch Schriften, bei denen dieser Kontakt nicht so deutlich sichtbar ist, betonen – wie wir sahen – diesen Aspekt, der ja zum Bestand der biblischen Tradition gehört. Philo und die in diesem Abschnitt schlaglichtartig besprochenen Schriften haben ferner gemeinsam, dass sie Sünde und Unreinheit aufs engste zusammenrücken. Bei Philo, Josephus und im Aristeasbrief wird dies aber deutlich weniger mit heidnischer Religiosität assoziiert,182 als wir es in anderen Texten aus der Zeit zwischen den Testamenten beobachten konnten. Keine der besprochenen Schriften ließ eine Abwertung der Bedeutung der rituellen bzw. körperlichen Reinheit erkennen. Exkurs: Der Beitrag der Pharisäer zur Entwicklung des kultischen Denkens im antiken Judentum Wer sich mit den kultischen Realitäten und ihrer sprachlichen Ausformulierung im antiken Judentum beschäftigt, stößt früher oder später auf die Pharisäer. Sie gelten als die Gruppe im antiken Judentum, die wie keine sonst kultische Kategorien auf das Alltagsleben angewendet hat, und darum bemüht war, das ganze Leben des Volkes Israel als Gottesdienst zu begreifen und zu gestalten. In seinem umfassenden Forschungsbericht über die Pharisäer und „ihr Verständnis im Spiegel der christlichen und jüdischen Forschung seit Wellhausen und Graetz“ schreibt Roland Deines, was für die Mehrheit der gegenwärtigen Forschung Konsens ist: „Die schriftliche Tora ergänzende Tradition aber war nötig, um eine möglichst umfas182 Die Verunreinigung durch illegitime Sexualkontakte ist bei Philo aber deutlich präsent (vgl. SpecLeg 1,101f; 3,54; 3,62).
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sende Gesetzespraxis zu etablieren. Dabei wirkten entscheidend priesterliche und ältere schriftgelehrte Traditionen mit, wie überhaupt der Tempel das Modell einer gottgefälligen Heiligkeit war. […] Der wirksamste Schutz des Tempels aber war, dass dem ganzen Volk den priesterlichen Verhaltensregeln analoge Reinheitsbestimmungen zur Aufgabe gemacht wurden.“183 Kultisches Denken, Reinheit und Heiligkeit sind Stichworte, die sich in der Forschung untrennbar mit den Pharisäern verbinden. Die vorliegende Studie orientiert sich vorwiegend am Sprachgebrauch der antiken Texte. Da sich nun keine dieser Quellen eindeutig den Pharisäern zuordnen lässt,184 ist die Frage, welche Bedeutung die Pharisäer für die Entwicklung des kultischen Denkens und der kultischen Sprache hatten, mit der Methodik dieser Arbeit nur sehr schwer zu beantworten. Andererseits nehmen in den Diskussionen zwischen den Anhängern der Jesusbewegung und den Pharisäern in den Evangelien Fragen der Reinheit in der Tat einen beachtlichen Raum ein. Mk 7,3-4 schildert die pharisäische Praxis des Händewaschens vor dem Essen. Mt 15 leistet ausgehend davon einen eigenständigen Beitrag zur Debatte um die Frage nach der Reinheit der Hände.185 Mt 23,25f spiegelt gleichfalls das Interesse der Pharisäer an Reinheitsfragen. Rabbinische Texte, die inhaltlich etwas über Diskussionen, an denen Pharisäer beteiligt waren, erwähnen, stellen Fragen der kultischen Reinheit ebenfalls ins Zentrum.186 Der Quellenwert der rabbinischen Texte ist dabei in besonderer Weise umstritten. Eyal Regev hat in seiner umfassenden Studie über die Sadduzäer und ihre Halacha dazu einen weiterführenden Vorschlag gemacht. Er unterscheidet in den rabbinischen Texten, die Pharisäer und Sadduzäer miteinander diskutieren lassen, den Inhalt der Debatten von der literarischen Tendenz, die Unterlegenheit der sadduzäischen Position zu erweisen. Letztere hält er für historisch nicht aussagekräftig, erstere hingegen schon.187 Bei seiner Rekonstruktion kann er sich darauf berufen, dass einige der Kontroversen auch in 4QMMT bezeugt sind, also Diskussionen spiegeln, die schon lange vor dem Entstehen der rabbinischen Texte virulent waren. Lässt man sich auf diesen Vorschlag ein, dann 183
DEINES (1997), 545. Zu den Psalmen Salomos vgl. oben Anm. 164. 185 Vgl. dazu VAHRENHORST (2002), 393ff. 186 Vorsichtig urteilt STEMBERGER (1991), 72ff. 187 Vgl. REGEV (2005), 15ff und (2006), 128. DEINES (1997), 538ff bricht ebenfalls eine Lanze für die methodisch kontrollierte Auswertung der rabbinischen Texte im Blick auf die Frage nach pharisäischen Traditionen. In der Tat lässt die Fülle des in Qumran gefundenen Materials eine recht genaue Beschreibung der nichtpharisäischen Halacha zu. Nicht umsonst finden sich Regevs Ausführungen zur pharisäischen Halacha in einer Studie über die Sadduzäer, die in vielen Fällen eine Halacha vertraten, die denen der Qumrantexte grundsätzlich wohl sehr nahe gestanden hat. 184
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kann man beobachten, dass Pharisäer und Sadduzäer hauptsächlich über Fragen der Sabbat- und Reinheitshalacha, des Strafrechts und der Rolle der Priester gegenüber den Laien im Kult streiten.188 Im Zusammenhang dieser Arbeit sind vor allem der zweite und der vierte Themenkomplex von Interesse. Im Bereich der Reinheitshalacha gibt es folgende Kontroversen: 1. Muss der Hohepriester, der die rote Kuh verbrennt „ganz“ rein sein – oder ist das Tauchbad ausreichend (mPar 3,7-8; tPar 3,8; 4Q394 3 1,17f)? 2. Verunreinigt eine unreine Flüssigkeit, in die eine reine Flüssigkeit gegossen wird, diejenige, die sich im reinen Gefäß befindet (mYad 4,7; mToh 8,9; mMakh 5,9; 4Q394 8 4,5ff)? 3. Ist jedes Blut, das sich im Vaginalbereich findet, als Menstruationsblut unrein oder nur das, das während der eigentlichen Menstruation auftritt?189 4. Verunreinigen heilige Schriften die Hände oder tun sie das nicht? Die Sadduzäer votieren in jedem einzelnen Fall für die strengere Halacha: Der Hohepriester muss ein Tauchbad genommen und bis zum Sonnenuntergang gewartet haben, bevor er die rote Kuh verbrennen darf. Die Pharisäer führen hingegen das Konzept des „Tevul Yom“ ein, und nehmen damit eine Stufung im System von rein und unrein vor: Der Mensch, der nur ein Tauchbad genommen hat, ist noch nicht vollständig rein, er ist aber auch nicht mehr vollständig unrein. Er befindet sich in einem Zwischenzustand, in dem er aber begrenzt kultfähig ist und profane Speisen im Zustand der Reinheit essen kann.190 Die Pharisäer gehen nur dann davon aus, dass Unreinheit von unten nach oben übertragen wird, wenn es sich um zähflüssige Substanzen (z. B. Honig) handelt, während dünnflüssige Flüssigkeiten den Inhalt des oberen Gefäßes nicht verunreinigen.191 Die Sadduzäer wenden diese Regel auf jede Flüssigkeit an. Die Sadduzäer werten jedes Blut im Vaginalbereich als Menstruationsblut. In der Praxis hat das die Konsequenz, dass die Frau vom Auftreten des Bluts an sieben Tage lang unrein ist. Das kann nun dazu führen, dass sich Blutungszeiträume überschneiden und die Frau nach sieben Tagen de facto noch unrein ist. Die Pharisäer unterscheiden hingegen zwischen Menstruations- und anderem Blut. Vom sadduzäischen Selbstverständnis her, dürfte ihre Halacha die strengere sein. „Samaritaner, Sadduzäer und diejenigen, die hinter dem Damaskusdokument stehen, verfuhren hinsichtlich des Menstruationsblutes strenger. Nicht nur die Glieder der Qumrangemeinschaft, sondern auch die Samaritaner und die Sadduzäer werden sicher davon ausgegangen sein, dass die pharisäischen Frauen, und diejenigen, die der rabbinischen Halacha folgten, sich in einem zweifelhaften – und darum unreinen – Status befanden. Tatsächlich ist der Ansatz dieser drei Gruppen strenger 188
Vgl. REGEV (2006), 127f. Vgl. dazu REGEV (2006), 130f. 190 Vgl. REGEV (2005), 174f. 191 Vgl. REGEV (2005), 194f, der darauf hinweist, dass diese scheinbar marginale halachische Frage große Auswirkung auf den Bau und den Betrieb von Tauchbädern hatte. 189
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als der der Rabbinen, gingen doch ihre Frauen davon aus, dass jedes Blut, das sie an sich sahen, Menstruationsblut war. Nach ihrer Auffassung war jede, die Blut sah und es für reines Blut hielt, absolut unrein. Im Gegensatz dazu ergibt sich aus mNid 4,1, dass die rabbinische Auffassung sich einzig und allein aus dem Verdacht speiste, dass die samaritanische Frau in reinem Blut saß und daher die Tage ihrer wirklichen Menstruation nicht vollzählig gezählt hat.“192
In mYad 4,6 wird eine pharisäisch-sadduzäische Kontroverse überliefert, deren sachlicher Grund nicht ganz deutlich ist. Lehnen die Sadduzäer die – nicht biblische – Vorstellung ab, Hände könnten unrein werden, während der Rest des Körpers rein bleibt? Oder teilen sie diese Annahme, wehren sich aber dagegen, die Tora, als heilige Schrift, für verunreinigend zu halten?193 Vermutlich sind beide Annahmen zutreffend, ist doch selbst in rabbinischen Kreisen der Gedanke, dass allein Hände unrein werden können, nicht unumstritten.194 Regev nimmt an, die Sadduzäer hätten sich auch gegen die Vorstellung verwahrt, heilige Schriften verunreinigen im gleichen Maße wie es die Überreste eines nicht vollständig verspeisten Opfers tun.195 Man könnte aber auch vermuten, dass sie nicht wollen, dass jenseits des Tempels Gegenstände für heilig gehalten wurden. Nennen wir nun kurz die Kontroversen, die den Vollzug des Tempelkultes selbst betreffen: 1. Sadduzäer legen fest, dass die täglichen Opfer von Einzelpersonen finanziert werden sollen, während die Pharisäer durchsetzen, dass das ganze Volk dies durch den halben Shekel tun muss. 2. Die Sadduzäer verlangen, dass der Hohepriester am Versöhnungstag Weihrauch verbrennt, bevor er in das Allerheiligste eintritt. Die Pharisäer sagen, er solle es im Allerheiligsten verbrennen. Geht es den Sadduzäern um eine öffentliche Demonstration der besonderen Verbindung zwischen Priestern und Gott? 3. Die Pharisäer möchten, dass das Getreideopfer auf dem Altar dargebracht wird, während die Sadduzäer es den Priestern zufallen lassen wollen. 4. Die Sadduzäer trieben den Zehnten aktiv ein und warteten nicht darauf, dass die Bauern ihn freiwillig gaben. 5. Die Sadduzäer lehnen von Laien durchgeführte Kultvollzüge ab. 6. Die Sadduzäer lehnen es ab, dass Laien den Priesterhof betreten (mHag 3,7-8).196 Bis auf den vierten Punkt treffen sich alle Kontroversen in einer Grundfrage: Inwieweit ist das ganze Volk Israel an den Kultvollzügen im Tempel beteiligt – und inwieweit handelt es sich dabei um ein Vorrecht, dass die Priester auszeichnet? Die pharisäische Position dabei ist deutlich: Das ganze Volk Israel ist für den Tempelkult verantwortlich und hat grundsätzlich, 192 193 194 195 196
REGEV (2005), 188 (Übersetzung M.V.). Vgl. dazu REGEV (2005), 191f. Vgl. REGEV (2005), 191 (Anm. 55). Vgl. REGEV (2005), 192. Vgl. dazu REGEV (2006), 131ff.
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wenn auch in unterschiedlicher Abstufung, Anteil daran.197 Die Sadduzäer betrachten den Tempelkult hingegen eher als Domäne der Priester, die auf die Heiligkeit und Reinheit des Tempels zu achten haben. Zum Schutz der Heiligkeit des Tempels muss in Reinheitsfragen darum besonders streng entschieden und verfahren werden. 198 Eyal Regev vermutet, dass hinter den angesprochenen Debatten zwischen Pharisäern und Sadduzäern zwei sehr unterschiedliche Auffassungen über die Natur der Heiligkeit stehen, die wie folgt zu beschreiben sind: Für die Sadduzäer ist Heiligkeit „a dynamic entity that might be transformed or even vanish if handled improperly. It might therefore be termed ‚dynamic holiness’. In contrast, the Pharisees regarded holiness as relatively indifferent to desecration and were less interested in its protection from pollution and desecration. Following the (later) Rabbinic approach to ritual purity, the priesthood and sacrificial prescriptions, I suggest that for the Pharisees and rabbis the holy was mainly a status, not an entity. It was a designation, an etiquette, that God named for certain cultic objects or activities that relate to the worship of God. Hence holiness is static. It may be approached more overtly, by the nonpriests for example, and desecration is only an unwelcome change of this status and not a real cosmic or natural event.“199 Heiligkeit wäre nach pharisäischer Auffassung also keine Realität, sondern eine Bezeichnung, ein Name, ein Status. Die Sadduzäer hingehen hätten ein „ontologisches“200 oder realistisches Verständnis von Heiligkeit. Heiligkeit ist eine Realität und nicht nur eine Statusbezeichnung. Diese Realität manifestiert sich an einem bestimmten Ort, dem Tempel: „The Sadducees’ cultural construction of reality is built upon that of the socalled Priestly Code: the priestly system and the Temple cult are the main means of linkage between Israel and God“.201 Die oben kurz angesprochenen Diskussionen lassen sich in der Tat auf dem Hintergrund der von Regev gemachten Unterscheidung verstehen. Verständlich wird auch, warum die Pharisäer überhaupt in der Lage waren, die Tempelfrömmigkeit sozusagen zu „demokratisieren“202 und von der direkten Bindung an den Tempel zu lösen. Dieses Anliegen steht nämlich hinter der im Neuen Testament gerade auch in Galiläa angesiedelten Praxis
197
So auch DEINES (1997), 545: „So wachte das Volk über die Reinheit des Tempels, indem es Anteil an seiner Heiligkeit […] erhielt.“ 198 Vgl. REGEV (2005), 238. 199 REGEV (2006), 137. 200 Vgl. REGEV (2005), 239. 201 Regev (2006), 139. 202 Vgl. DEINES (1997), 545.
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des Händewaschens vor dem Essen (Mk 7 par; Joh 2,6203). Welche Vorstellungen stehen im Hintergrund dieser Praxis? Jacob Neusner hat im Anschluss an Gedalyahu Alon wiederholt betont, dass es zu den Hauptkennzeichen der Pharisäer gehört habe, profane Speisen im Status der Reinheit zu essen („eat ordinary food in the status of purity“).204 E.P. Sanders hat dem widersprochen. Die gegensätzlichen Auffassungen der beiden Forscher resultieren u. a. aus der Auswahl ihrer Quellen205 und ihrem speziellen Verständnis von Reinheit. Sanders widerspricht Neusner, indem er auf in der rabbinischen Literatur erhalten gebliebene Diskussionen (mToh 10,4; tTer 3,12; mNid 10,6f) verweist, aus denen hervorgeht, dass die Pharisäer nicht daran interessiert waren, priesterliche Reinheitshalachot im Alltag außerhalb des Tempels zu befolgen.206 J.C. Poirier hat darauf aufmerksam gemacht, dass Sanders Reinheit offenbar automatisch im Sinne priesterlicher Reinheit versteht.207 Wenn man aber zwischen priesterlicher und nichtpriesterlicher Reinheit unterscheide, dann sei es nicht weiter schwierig, sich vorzustellen, dass es im antiken Judentum Menschen gegeben habe, die darauf bedacht waren, ihre Mahlzeiten im Zustand der Reinheit einzunehmen. 208
In einer knappen, aber materialreichen Studie hat Hannah K. Harrington zur Frage Stellung genommen: „Did the Pharisees eat ordinary food in a state of ritual purity?“. Sie bejaht diese Frage, nachdem sie zunächst die Argumente Sanders’ einer kritischen Prüfung unterzieht und danach einschlägige Stellen aus der frühen rabbinischen Literatur untersucht. Dabei handelt es sich zum einen um Texte, die das Essen im Zustand der Unreinheit erlauben, was nach Harrington nur dann sinnvoll ist, wenn man dies sonst für verboten gehalten hätte (mHul 2,5; mPar 11,5; mZav 3,2). Zum anderen bezeugen die Quellen, dass es bestimmte Gruppen oder Einzelpersonen im Judentum gegeben habe, die auch alltägliche Speisen im Zustand ritueller Reinheit gegessen hätten (mToh 4,12; mDem 2,3; tDem 2,20–22; tDem 2,2). Nachdem sie neutestamentliche Texte wie Mk 7,4; Lk 11,38 und Mt 23,25 gesichtet hat, kommt sie zu dem Schluss: „In summary, it is clear that although the Pharisees did not adopt the total regimen required
203
Vgl. dazu VAHRENHORST (2008), 14ff. Vgl. z. B. NEUSNER (1984), 107. 205 Vgl. dazu HENGEL / DEINES (1995), 42f. 206 Vgl. SANDERS (1992), 432. 207 Vgl. P OIRIER (2003), 248. 208 Sanders differenziert eigentlich sehr wohl zwischen priesterlicher und nichtpriesterlicher Reinheit: „The evidence is that Pharisees aspired to a level of purity above the ordinary, but below that of the priests and their families, and also well below that of the Qumran sect“ (SANDERS [1992], 440). Poirier sammelt weitere Indizien dafür, dass in weiten Kreisen des antiken Judentums (nicht nur bei Pharisäern) das Interesse bestand, einen gewissen Grad an Heiligkeit und Reinheit auch außerhalb des Tempels zu leben (vgl. P OIRIER [2003], 256–259). 204
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for a priestly way of living, they did think it important to eat like priests and to consider their own ordinary food as holy in some degree.“209 Aus einigen der in der Forschung diskutierten Quellen geht hervor, dass die Praxis des Händewaschens vor dem Essen (vgl. Mk 7 par.210) besondere Beachtung verdient, wenn man verstehen möchte, welche Einstellung die Pharisäer zum Essen hatten. Durch das Händewaschen kann man keine priesterliche Reinheit erlangen, wohl aber eine abgestufte. 1993 hat Roland Deines eine Studie zur Praxis des Händewaschens vor allem vor dem Hintergrund der zahlreich gefundenen Steingefäße aus der Zeit des zweiten Tempels vorgelegt. Durch umsichtige Auswertung des archäologischen Materials und einschlägiger rabbinischer Texte kommt er zu dem Schluss, dass die Praxis, sich vor dem Essen die Hände zu waschen, zur Zeit des zweiten Tempels im Land Israel recht verbreitet war. Er wertet dies als Indiz für den Einfluss, den pharisäische Kreise211 im Judentum des 1. Jh. n. Chr. hatten.212 Welche Bedeutung hatte nun dieser Ritus? „Das rituelle Waschen der Hände vor dem Essen impliziert […] eine Entscheidung darüber, wie die konsumierte Nahrung gewertet wurde, denn profane Speisen brauchen nach den alttestamentlichen Texten nicht im Zustand ritueller Reinheit gegessen zu werden.“213 Mit der Praxis des Händewaschens hätte sich dann also die Vorstellung verbunden, dass die (eigentlich profanen) Speisen zumindest in einem abgestuften Grad mit den heiligen Speisen im Tempel vergleichbar seien. Die Pharisäer haben somit den häuslichen Tisch und den priesterlichen Altar miteinander in Beziehung gesetzt – und wenn auch in abgestufter Weise – ein Leben in Heiligkeit auch jenseits des Tempels möglich gemacht. Das setzt voraus, dass Heiligkeit für die Pharisäer – anders als für die Sadduzäer – in der Tat nicht ausschließlich an den Tempel gebunden war. Hätten sie Heiligkeit im Sinne Regevs als dynamische und zugleich verletzliche Realität aufgefasst, wäre die Gefahr der Profanierung des Hei209
HARRINGTON (1995), 53. Ähnlich urteilt J. K LAWANS (2006), 171: „Again, we need not suppose that those who emulated priestly purity necessarily thought of themselves as real priests or ascribed to themselves all of the obligations of the priests. The point was not to act just like priests but to act priestly“ (Hervorhebung im Original). 210 Vgl. Sie wird vor allen Dingen in der Zeit nach der Tempelzerstörung diskutiert. Vgl. dazu VAHRENHORST (2002), 396ff. 211 Deines ist sicher darin zuzustimmen, dass die Pharisäer das Interesse hatten, das Gebot Lev 19,2 zu verwirklichen, und Heiligkeit, die von Reinheit nicht zu trennen ist, im Alltag zu praktizieren (vgl. VAHRENHORST [2005], 53). Ich zitiere HENGEL / DEINES (1995), 47: „But since the basic obligation to be holy applied to the entire people, the Pharisees wanted to deduce what was involved from scripture and tradition, and then live this out as an example for the rest.” Vgl. auch DEINES (1993), 278f. 212 Vgl. die Zusammenfassung in DEINES (1993), 282ff. 213 DEINES (1993), 268.
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ligen in den alltäglichen Lebensräumen auch viel zu hoch gewesen. Tempel dienen ja gerade dazu, die Präsenz des Heiligen in der Welt zu kanalisieren und zu schützen.214 Bei aller Vorsicht hinsichtlich der Quellenlage wird man den Beitrag der Pharisäer an der Entwicklung des kultischen Denkens im antiken Judentum wohl dahingehend beschreiben können, dass die Pharisäer aufgrund ihres Verständnisses von Heiligkeit dazu in der Lage waren, diese Heiligkeit vom Tempel in Jerusalem zu lösen und auf andere Bereiche des Lebens zu übertragen – ohne dass der Tempel dadurch seine Bedeutung verloren hätte. Die überkommenen Debatten lassen ja deutlich erkennen, dass die Pharisäer durchaus ein Interesse am Tempel und an der Gestaltung des Kultes hatten.215 „Dem Pharisäismus war es gelungen, Tempel und Haus […] miteinander zu verbinden“.216 Diese Weichenstellung ist für die weitere Geschichte des Judentums von fundamentaler Bedeutung. (Exkurs Ende)
2.3 Tannaitische Texte Die rabbinischen Texte sind allesamt nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 n. Chr. zusammengestellt worden. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass sie nicht auch Traditionen aus der Zeit enthalten, in der der Tempel noch stand.217 In ihrer redaktionell vorliegenden Gestalt spiegeln sie jedoch die Lebensverhältnisse und Lebensentwürfe einer tempellosen Gemeinde. Nach der deutlichen Bezogenheit auf das Heiligtum, die sich bei der bisherigen Besprechung zeigte, könnte die Menge des in diesen Sammlungen enthaltenen Materials zur Heiligkeit und kultischen Reinheit überraschen.218 Erst in talmudischer Zeit wird man aufhören, Reinheitsfra214 Die Texte von Qumran bezeugen eine ähnliche Übertragung kultischer Begehungen auf eine Gemeinschaft, die nicht im Tempel lebt, sich aber offenbar sehr bewusst als Tempel verstanden und entsprechend strikte Reinheitshalachot entwickelt hat. Diese Gemeinschaft sah sich – anders als die Pharisäer – aber um der eigenen Heiligkeit willen zur Trennung vom Volk gezwungen. 215 KLAWANS (2006), 171 betont mit Recht: „There is nothing inherently antitemple in ascribing cultic significance to activities that are not strictly speaking, sacrificial or cultic in nature. […] To the contrary, what we find here could perhaps be better described as the ‚sacrificalization’ of modes of worship that do not involve the performance of sacrifice“. 216 DEINES (1997), 547. 217 Zur Beurteilung des Quellenwertes rabbinischer Texte für die Zeit des zweiten Tempels vgl. VAHRENHORST (2002), 30ff. 218 Weit über ein Drittel aller tannaitischen Texte bezieht sich auf diesen Vorstellungskomplex (vgl. HARRINGTON [2001], 3).
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gen in ihrer ganzen Breite zu diskutieren.219 In tannaitischer Zeit ist dies noch nicht der Fall. Kultische Themen und Fragen der Reinheit haben in der Zeit nach der Tempelzerstörung in erster Linie theoretische Bedeutung. Man diskutiert sie zum einen, um auf den Tag der Wiedererrichtung des Tempels vorbereitet zu sein,220 zum anderen gilt das Studium der einschlägigen Halachot aber auch als vollgültiger Ersatz für den verlorenen Tempelkult selbst: „Wenn du die Opfervorschriften studierst, dann ist das für mich so, als ob du wirklich geopfert hättest“ (PesK [Ed. Mandelbaum, 118]). Nach anderen Traditionen ist das Studium nicht nur ein Ersatz für den Tempelkult, sondern überbietet ihn sogar (ARN A 4,1 „das Studium der Tora ist dem Ort [= Gott] lieber als Brandopfer“ [twlw[m ~wqmh ynpl hbybx hrwt dwmlt]). In den tannaitischen Quellen lässt sich das Interesse beobachten, die Reinheitshalacha zu systematisieren. Die Rabbinen übernehmen die Vorgaben der Tora – wie auch die Unterscheidung von Sünde und Unreinheit.221 Sie führen aber auch einige Neuerungen ein. So verunreinigen nun auch heilige Schriften,222 Heiden223 und Götzen (mAZ 3,6). Auch kennen die Tannaiten neue Wege, auf denen Unreinheit übertragen werden kann.224 Ein deutliches Beispiel für die systematisierende Tendenz stellt der Anfang des Traktates Kelim dar, der in der Mischna zugleich die Ordnung „Reinheit“ eröffnet (mKel 1,1–4):
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Die Zerstörung des Tempels und die Verlagerung rabbinischen Lebens ins Exil führte in amoräischer Zeit dazu, dass die Mischnatraktate der Ordnung Reinheit nicht mehr diskutiert worden sind. Eine Ausnahme stellt der Traktat Nidda dar, der den Umgang mit Menstruationsunreinheit behandelt. Diese Ausnahme wird verständlich, wenn man sich vor Augen führt, dass der (sexuelle) Kontakt mit menstruierenden Frauen zu einer Unreinheit führen kann, die schon biblisch als sündhaft – und eben nicht natürlich und unvermeidbar – bewertet wird. 220 Vgl. dazu HARRINGTON (2001), 86. 221 Vgl. KLAWANS (2000), 118ff. 222 An dieser Neuerung wird sichtbar, dass Unreinheit für die Tannaiten nicht notwendigerweise negativ besetzt war. Nach der Wahrnehmung von mYad 4,6 entspricht die Unreinheit der heiligen Schriften der Wertschätzung, die man ihnen entgegen bringt (vgl. KLAWANS [2000], 97). Auch HARRINGTON (2001), 149 vermutet, dass man heilige Schriften für unrein erklärt hat, weil man dafür sorgen wollte, dass man ihnen mit besonderer Vorsicht und besonderem Respekt begegnet. 223 Vgl. dazu HAYES (1999), 3f bespricht kurz die wesentlichen Positionen zur Datierung dieses Konzepts. 224 Biblisch gesehen kann die Unreinheit durch genitale Ausflüsse oder Menstruation nur „nach unten“ weitergegeben werden, wenn z.B. eine unreine Person auf einem Gegenstand sitzt oder liegt. Für die Tannaiten ist eine solche Übertragung auch von „unten nach oben“ möglich.
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Kapitel 2. Kultische Sprache in jüdischen Kontexten
1,1: Hauptquellen der Unreinheit sind: das Kriechtier, der Samenerguss, der Totenunreine, der Aussätzige während der Tage seiner Zählung, das Reinigungswasser, das zu wenig zum Besprengen ist, denn diese verunreinigen den Menschen und Geräte durch Berührung und Tongefäße durch Luft, verunreinigen aber nicht durch Tragen.
twamjh twba tm amjw [rz tbkXw #rXh wrps ymyb [rcmhw hyzh ydk ~hb !yaX tajx ymw [gmb ~ylkw ~da !yamjm wla yrh !yamjm ~nyaw rywab frx ylkw afmb
1,2: Darüber stehen: Aas und Entsündungswasser, das genug zum Besprengen ist, denn diese verunreinigen den Menschen durch Tragen, so dass er Kleider (durch Berührung) unrein macht, die Kleider selbst werden nicht durch Berühren unrein. 1,3: Darüber steht: der, der mit einer Menstruierenden geschlafen hat, denn er verunreinigt das Lager unter ihm und darüber. Darüber steht: der Ausfluss eines Flussbehafteten, sein Speichel, sein Samen und sein Urin, und das Blut der Menstruierenden, denn sie verunreinigen durch Berührung und durch Tragen. Darüber steht: der Sattel, denn er verunreinigt auch unter einer Steinplatte. Über dem Sattel steht das Lager, denn seine Berührung und sein Tragen haben die gleichen Folgen. Über dem Lager steht der an Ausfluss Erkrankte, denn der an Ausfluss Erkrankte macht das Lager (unrein), das Lager aber macht das Lager nicht (unrein).
~hb XyX tajx ymw hlbn ~hm hl[ml hyzh ydk amjl afmb ~dah ta !yamjm ~hX [gmb ~ydgb ykwXxw [gmb ~ydgb
1,4: Über dem an Ausfluss Erkrankten steht die an Ausfluss Erkrankte, denn sie verunreinigt den, der mit ihr schläft. Über der Flussbehafteten steht der Aussätzige, denn er verunreinigt durch Betreten (des Hauses). Über dem Aussätzigen steht ein Knochen von der Größe eines Gerstenkorns, denn er verunreinigt für sieben Tage. Schwerwiegender als sie alle ist der Tote, denn er verunreinigt im Zelt – was sie alle nicht tun.
ta hamjm ayhX hbz bzh !m hl[ml hl[wb amjm awhX [rcm hbzh !m hl[ml haybb awhX hrw[fk ~c[ [rcmh !m hl[ml h[bX tamj amjm lhab amjm awhX tmh ~lwkm rwmx !yamjm ~lwk !yaX hm
amjm awhX hdn l[wb !hm hl[ml !wyl[k !wtxt bkXm tbkXw wqrw bz lX wbwz !hm hl[ml !hX hdnh ~dw wylgr ymymw w[rz afmbw [gmb !yamjm txt amjm awhX bkrm !hm hl[ml amsm !ba w[gm hwXX bkXm bkrmh !m hl[ml wafml hfw[ bzhX bzh bkXmh !m hl[ml bkXm hfw[ bkXm !yaw bkXm
Dieser Abschnitt nennt die wesentlichen Quellen der Unreinheit, die die rabbinische Welt kennt (darüber hinaus gilt natürlich weiterhin eine Geburt als verunreinigend [vgl. Sifra zu Lev 12 und mKel 1,8]). Vor allem aber bringt er sie – sich an den Vorgaben der Tora orientierend – in eine systematische Ordnung, indem die Quellen der Unreinheit je nach „Schwere“
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gestaffelt werden. Dabei gilt wie schon in der Tora die durch einen Leichnam verursachte Unreinheit als besonders gravierend, denn sie verunreinigt alles, was sich im gleichen Raum befindet wie der Tote. Die vor allem in Lev 11–15 genannten Übertragungsarten dienen dabei als Ordnungskriterium. Deutlich wird also auch, welche Übertragungswege von Unreinheit die Rabbinen kennen. Bis auf den Geschlechtsverkehr mit einer Menstruierenden225 handelt es sich in allen Fällen um Unreinheiten, die mehr oder weniger unvermeidlich und für die Rabbinen – den Vorgaben der Tora folgend – ethisch unproblematisch sind.226 Unreinheit gehört zu bestimmten natürlichen Lebensvollzügen (Geburt, Tod, Sexualität) und kann von daher nicht vermieden werden. Die Rabbinen wissen sogar darum, dass die Erfüllung bestimmter Gebote notwendigerweise Unreinheit nach sich zieht. Zu diesen Geboten gehört die Fortpflanzung (mYev 6,6) und das Begraben von Toten (z. B. bEr 17b). Über die Bibel hinaus diskutiert man sogar, ob es nicht auch für Nasiräer und Hohenpriester geboten sein kann, sich an Toten (sogar an solchen, mit denen sie nicht verwandt sind) zu verunreinigen (mNaz 7,1).227 Unreinheit wird erst dann unter dem Aspekt der Sünde wahrgenommen, wenn jemand im Status der Unreinheit in Kontakt mit dem Heiligen kommt (mShevu 1,4–6228). Überhaupt bleibt auch nach der Zerstörung des Tempels dessen Heiligkeit zumindest theoretisch im Zentrum des Reinheitsdenkens.229 Dies lässt sich wiederum am ersten Kapitel des schon zitierten Traktates Kelim zeigen, der ein Modell zunehmender Heiligkeit von der Heiligkeit des Landes Israel bis zum Tempelbezirk hin entwirft. Damit verknüpft er die in der Tora nebeneinander stehenden Konzepte von der Heiligkeit des Landes und der des Tempels. Zu letzterer heißt es: 1,8: […] Heiliger ist der Tempelberg, denn an Ausfluss Erkrankte, Menstruierende und Wöchnerinnen haben dort keinen Zugang. Der Raum um die 225
[…] twbzw ~ybz !yaX wnmm Xdwqm tybh rh ~Xl ~ysnkn twdlwyw twdn tm yamjw ~ywg !yaX wnmm Xdwqm lyxh
Dieser wird in Lev zweimal erwähnt. Dabei dürfte in Lev 15,24 von einem Versehen die Rede sein, während 18,19 von einem absichtlich herbeigeführten Tatbestand spricht. Unsere Mischna setzt wohl den ersten Fall voraus, weil sie Unreinheiten, die durch die in Lev 18f genannten Vergehen entstehen, im Kontext nicht bespricht. 226 Es gibt allerdings eine deutliche Tendenz Aussatz als Strafe für sündhaftes Verhalten zu beurteilen (vgl. HARRINGTON [2001], 174). 227 KLAWANS (2000), 96 weist zu Recht darauf hin, dass es schon in der Bibel kultische Vorschriften gibt, die den, der sie befolgt, in den Status der Unreinheit überführen. Die Tannaiten schreiben dies fort (z.B. mPar 4,4). 228 Diese Mischna diskutiert Sühnemittel, mit denen die entstandene Verunreinigung des Heiligtums beseitigt werden kann. 229 Zur Tempelzentriertheit des Reinheitsdenkens vgl. auch ADERET (1990), 360.
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Kapitel 2. Kultische Sprache in jüdischen Kontexten
inneren Tempelhöfe ist heiliger als er, denn Heiden und Totenunreine haben dort keinen Zugang. Der Frauenhof ist heiliger als er, denn solche, die sich zwar schon gewaschen haben, denen die Sonne aber noch nicht untergegangen ist, haben dort keinen Zugang, man muss deswegen aber kein Sündopfer bringen. Der Hof der Israeliten ist heiliger als er, denn der, dem Sühne fehlt, hat dort keinen Zugang und man muss deswegen ein Sündopfer bringen. Der Priesterhof ist heiliger als er, denn (gewöhnliche) Israeliten haben dort keinen Zugang, es sei denn dass es nötig ist zum Aufstemmen, Schlachten und Schwingen. 1,9: Der Raum zwischen der Halle und dem Altar ist heiliger als er, denn (Priester) mit einem Makel und mit frei wachsendem Haar haben dort keinen Zugang. Das Heiligtum ist heiliger als er, denn dort hat man nur mit gewaschenen Händen und Füßen Zugang. Das Allerheiligste ist heiliger als sie, denn dort hat nur der Hohepriester am Versöhnungstag zur Zeit des Dienstes Zugang.
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An der Spitze der „Heiligkeitsskala“ steht der Ort, an dem Gott gegenwärtig ist, nämlich das Allerheiligste. Von dort strahlt die Heiligkeit abgestuft aus in die unterschiedlichen Bereiche des Tempels und schließlich ins Land Israel. Nach der Zerstörung des Tempels konnte die Orientierung des Heiligkeits- und Reinheitsdenkens am Tempelkult lediglich theoretisch oder im Blick auf die Zukunft, in der man die Wiedererrichtung des Tempels erwartete, relevant sein. Aber trotzdem blieben Fragen der Reinheit auch praktisch von Bedeutung: Etwas von der Heiligkeit des Tempels geht auf die Synagoge über. Die Synagoge wird zu einem „kleinen Tempel“ (Zitat aus bMeg 29a) und der Ort des Torastudiums zur Begegnungsstätte zwischen Gott und Mensch.230 Entsprechend erfordert der Besuch eines dieser Orte auch Reinheit wie die zahlreichen bei Synagogen gefundenen Miqvaot bezeugen.231 Außerdem treten nun Lebensbereiche in den Vordergrund, die bisher – wie Abraham Aderet ausführt – weitgehend im Schatten des Tempels standen: „der Tisch, die Familie, das jüdische Haus, die jüdische Welt im Ge-
230 231
Vgl. HARRINGTON (2001), 143. Vgl. die Hinweise bei REGEV (2000), 185 und REICH (1987), 205ff.
2. Weiterentwicklungen in hellenistisch-frührömischer Zeit
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genüber zur heidnischen.“232 Wegweisende Faktoren im Verlauf dieser Entwicklung waren z. B. die sich ausbreitende Sitte des Händewaschens vor dem Essen,233 vor dem Gebet und dem Torasstudium und schließlich das immense Anwachsen der Halachot, die um die Menstruation kreisen.234 Vergleicht man den rabbinischen Umgang mit den Heiligkeits- und Reinheitsregeln mit dem, der aus den Qumrantexten ersichtlich wird, so fällt auf, dass bei aller Betonung der Notwendigkeit der Reinheit und der Heiligung des Alltagslebens über den unmittelbaren Kontakt zum Tempel hinaus Reinheit und Heiligkeit nicht zur Trennung einer rabbinischen Elite von der Masse des Volkes geführt haben. Den Rabbinen gelingt es Heiligkeit und Reinheit sozusagen zu demokratisieren und Lev 19,2 entsprechend für ganz Israel lebbar zu machen. Damit setzt die rabbinische Bewegung wahrscheinlich fort, was die Pharisäer schon zur Zeit des zweiten Tempels begonnen haben. Anhand der Fülle von Steingefäßen und Tauchbädern, die die Archäologie aus dieser Zeit zutage gefördert hat, lässt sich nämlich auch anhand außertextlicher Belege zeigen, wie verbreitet das Interesse an ritueller Reinheit schon zur Zeit des zweiten Tempels in weiten Kreisen des Judentums war. 235 Vor diesem Hintergrund dürfte das (durchaus kritisch gemeinte) Diktum Shimon ben Elasars den Sachverhalt gut auf den Punkt bringen: „larXyb hrhj hcrp“ (Reinheit ist in Israel ausgebrochen [bShab 13a]).236
Dazu tragen sicherlich zahlreiche Erleichterungen bei, die gerade im Vergleich mit den Regeln in Qumran als solche erkennbar werden.237 Zwar hegen die rabbinischen Quellen gewisse Vorbehalte gegenüber dem in Reinheitsfragen als unzuverlässig geltenden Am Haaretz (mHag 2,7; bBer 47b), aber einen Satz, der auf der Linie des in 4QMMT belegten „wnXrp ~[h bwrm“ (Wir haben uns von der Masse des Volkes getrennt [4Q 398 fr. 14–21 7]) liegt, findet man in den rabbinischen Texten nicht. Die rabbinische Reinheitshalacha trug vielmehr dazu bei, die Identität des ganzen jüdischen Volkes als heiliges Volk nach dem Verlust des heiligen Ortes, des Tempels, zu bewahren und zu stärken.238 232
ADERET (1990), 361. Vgl. dazu VAHRENHORST (2002), 398. Schon in pharisäischen Kreisen dürfte das Essen eine Handlung gewesen sein, der ein gewisser Grad an Heiligkeit eigen war (vgl. dazu den Exkurs unter 2.2). Für die Gemeinschaft von Qumran lässt sich das ebenfalls zeigen (vgl. oben unter 2.1.2). 234 Zur Vorstellung, dass das Land Israel rein sei und alle anderen Länder einschließlich ihrer nichtjüdischen Bewohner unrein seien, die wohl schon zur Zeit des zweiten Tempel bestand, sich aber besonders nach dem Bar Kochba Krieg ausbreitete, vgl. SAFRAI / SAFRAI (1993), 345.364f u.ö. und KLAWANS (2000), 134f. 235 Vgl. dazu die Arbeiten von DEINES (1993) und REGEV (2000). Weiteres unter Kapitel 9,8. 236 Vgl. dazu B AUMGARTEN (1999), 80. 237 Vgl. dazu die Übersicht bei HARRINGTON (2004), 134ff. 238 Vgl. HARRINGTON (1993), 264. 233
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Kapitel 2. Kultische Sprache in jüdischen Kontexten
3. Zusammenfassung 3. Zusammenfassung
Die Ausführungen der Tora zur Reinheit und Heiligkeit kreisen um das Interesse, Gottes heilvolle Anwesenheit bei seinem Volk zu gewährleisten. Diese wird besonders durch die Institution des Tempels und des dort stattfindenden Kultes vermittelt. An diesem Ort, der in besonderer Weise Gottes Eigentum ist, begegnen sich Gott und die Menschen. Eine solche Begegnung ist nicht unproblematisch, denn Menschen können unrein werden (durch Berührung mit dem Tod, Geburt, Sexualität, genitale Ausflüsse und Aussatz). Kämen sie in diesem Status mit dem Heiligtum in Kontakt, so würden sie es kontaminieren. Damit das nicht geschieht, damit das Heilige nicht entweiht wird, gilt es, die mit der Unterscheidung von rein und unrein verbundenen Regeln zu beachten. Diese Regeln werden dem Volk durch die Priester, die Gott in besonderer Weise eigen sind, vermittelt. Zu den Aufgaben der Priester gehört es auch, die Kultfähigkeit der Menschen festzustellen und damit im Zweifelsfall zu entscheiden, wer in Kontakt mit dem Heiligen kommen darf und wer nicht. Schon der hebräische Pentateuch regelt diese Zusammenhänge mit recht einheitlicher Begrifflichkeit. Die LXX setzt diese Einheitlichkeit fort, führt darüber hinaus aber auch weitere Differenzierungen ein. So unterscheidet sie begrifflich zwischen dauerhafter und zeitweiliger Zugehörigkeit zur Sphäre des Heiligen und bezieht durch die Vereinheitlichung der Reinheitsterminologie stärker als der hebräische Text ethische Aspekte mit ein. Während das priesterschriftlich geprägte Modell von rein und unrein, heilig und profan in erster Linie die Gegenwart Gottes bei seinem Volk im Blick hat,239 thematisieren die Reinheitsvorstellungen des Heiligkeitsgesetzes expressis verbis eine Trennung von den Völkern und Kulten der Umwelt. Abgesehen vom Blutvergießen haben nämlich vor allem solche Praktiken verunreinigenden Charakter, die man in der Erinnerung mit den nichtjüdischen Bewohnern des Landes Israel in Zusammenhang bringt (illegitime Sexualbeziehungen und Götzendienst). Auf diese Weise wird sichtbar, dass zwischen dem Gott Israels und seinem Volk ein exklusives Eigentumsverhältnis besteht. Das Volk gehört Gott, es ist ihm geheiligt und soll seinerseits heilig sein. Das führt notwendigerweise zu Trennungen von der Umwelt. In der zuletzt genannten Traditionsschicht des Pentateuch gewinnt Unreinheit somit eine deutliche ethische Dimension. Es ist vermeidbares 239
Die Unterscheidung von reinen und unreinen Tieren kann man auch als Unterscheidungsmerkmal von Israel und den Völkern in den Blick nehmen. Weil Gott sich Israel zugeeignet hat, dürfen die Israeliten manche Tiere essen und andere nicht. Ohne dass dies ausdrücklich gesagt würde, werden diese Gebote als Grenzmarkierung zwischen Israel und den Völkern gewirkt haben (vgl. Lev 11,43ff).
3. Zusammenfassung
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Fehlverhalten, das verunreinigenden Charakter hat. Diese Unreinheit betrifft das Land und kann auch nicht durch Waschung und das Verstreichen von Zeit beseitigt werden. Sünde und Unreinheit erscheinen im Gefolge dieser Traditionen sozusagen als zwei Seiten der gleichen Medaille. Auch jenseits des Pentateuch – in den Psalmen und der Prophetie – kann man diese Verbindung von Sünde und Unreinheit beobachten. Die Texte des nachbiblischen Judentums schreiben die genannten Linien fort. In den in Qumran gefundenen Schriften lässt sich eine deutliche Tendenz zur Verschärfung und Ausweitung der traditionellen Vorgaben ausmachen. Diese Tendenz ist motiviert durch den Gedanken, dass die Glieder der Gemeinschaft in ständigem Kontakt mit dem heiligen Gott und seiner himmlischen Welt leben. Dieses Miteinander realisiert sich konkret in gottesdienstlichen Vollzügen, im Studium der Tora und vor allem auch im gemeinsamen Essen. Einiges spricht dafür, dass sich die Gemeinschaft, die die in Qumran gefundenen Texte überlieferte, ab einem bestimmten Zeitpunkt in Analogie zum Tempel verstanden und Reinheitsregeln, die Gottes Gegenwart in diesem Tempel ermöglichen, auf sich angewendet hat. Vom Jerusalemer Tempel hatte sie sich getrennt. Zumindest aber sah sie sich als heilige Größe – also als Eigentum Gottes und Ort seiner heilschaffenden Gegenwart. Einige Traditionslinien der Tora unterscheiden – wie gesagt – zwischen ritueller Unreinheit und einer Unreinheit, die durch ein Fehlverhalten hervorgerufen wird. Es spricht viel dafür, dass man in Qumran beides miteinander verbunden hat, so dass die Gemeinschaft nicht nur auf eine Separation von Trägern ritueller Unreinheit, sondern auch von Sündern geachtet hat. Beide durften am gemeinsamen Mahl nicht teilnehmen. Die im Detail sehr unterschiedlichen nicht auf Hebräisch überlieferten Schriften aus hellenistisch-frührömischer Zeit setzen die rituellen Reinheitsgebote durchweg voraus, auch wenn sie sie nur verhältnismäßig selten thematisieren. In den Vordergrund tritt die Warnung vor der illegitimen Sexualität (pornei,a – u. a. verstanden als Inzest, Ehen zwischen Juden und Nichtjuden, homoerotische Praktiken) und vor dem Götzendienst. Beide verunreinigen Land und Heiligtum und stellen Israels Identität als Gottes Eigentum in Frage. Positiv steht in einigen dieser Texte das Interesse an der Trennung von den Völkern und Kulten der Umwelt im Vordergrund. Weil es ethisch verwerfliche Taten sind, die verunreinigende Wirkung haben, erscheinen Sünde und Unreinheit auch hier in engster Verbindung. In einigen Texten, die in besonderer Weise im Gespräch mit der hellenistischen Geisteswelt stehen, zeigt sich außerdem ein verstärktes Interesse an einer Reinheit, die nicht nur den Körper, sondern auch die Seele bzw. den Verstand betrifft. Dies gilt besonders für den Aristeasbrief und für Philo. Beide gehen davon aus, dass die Reinheitsgebote der Tora selbstver-
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Kapitel 2. Kultische Sprache in jüdischen Kontexten
ständlich zu befolgen sind. Nur so können die Menschen und Gott im Heiligtum in Kontakt kommen. Außer der realen Dimension wird aber – vor allem auch bei Josephus – noch eine weitere sichtbar, die den Tempel als Repräsentanz des Universums versteht und die Reinheitsgebote der Tora auch im Blick auf den Geist und die Seele auslegt. Reinheit wird zu einer Haltung, die die ganze Lebensführung bestimmen soll. Ein reines Leben wird zu einem Synonym für ein in ethischer Hinsicht gutes Leben. Entsprechend korrespondieren Unreinheit und moralische Schlechtigkeit. Nach der Zerstörung des Tempels bemühen sich die tannaitischen Texte um die Erhaltung Israels als heiliges Volk und greifen damit auf, was wohl vor allem die Pharisäer durch die „Deobjektivierung“ der Heiligkeitsvorstellung vorbereitet haben. In der Theorie bleibt der Tempel auch im frühen rabbinischen Judentum Zentrum des Heiligkeits- und Reinheitsdenkens. Konkret ersetzt aber das Studium der Reinheits- und Heiligkeitsgebote, das zu einer systematischen Durchdringung des biblischen Materials führt, den Tempelkult. Die Übertragung von Reinheitshalachot auf alltägliche Lebenszusammenhänge, die nicht primär mit dem Tempelkult zu tun haben, und erleichternde halachische Entscheidungen ermöglichen dem Volk ein Leben in Reinheit und Heiligkeit „im Alltag der Welt“, das dem Verhältnis von Israel und dem heiligen Gott entspricht.
Kapitel 3
Kultische Sprache in paganen Kontexten
1. Einführung: Leges Sacrae 1. Leges Sacrae
Widmete sich der vorangehende Abschnitt den biblischen und jüdischen Argumentationsvoraussetzungen des Apostels, so soll in diesem Kapitel der heiligkeits- und kulttheologische Denk- und Erfahrungshorizont der nichtjüdischen Adressaten der paulinischen Briefe erhellt werden. Das Hauptaugenmerk gilt dabei ausgewählten Tempelinschriften,1 vor allem den sog. Leges Sacrae. Die Bezeichnung Leges Sacrae entspricht der in diesen Texten selbst nur selten belegten Wendung i`eroi. no,moi. In LSCG 145 A 9 ist die Rede von „den Dingen, die in den heiligen Gesetzen aufgeschrieben sind, über das Opfer, die heilige Reinheit und die Reinigungen“ (vgl. SEG XXVIII 1318; SEG XXXII 1167,10). Damit sind schon wesentliche Inhalte dieser Gesetze benannt.2 Die Leges Sacrae verstehen sich dabei nicht unbedingt als Gesetze göttlichen Ursprungs. Die überwiegende Mehrzahl wurde von einer Stadt errichtet (z. B. „e;doxen th/i boulh/i kai. tw/i dh,mwi, gnw,mh strathgw/n “ [LSAM 12,10: Es hat dem Rat und der Bevölkerung gefallen, Beschluss der Strategen…]), einer öffentlichen oder privaten Gruppierung oder gar von Einzelpersonen verfasst, in deren Obhut die Pflege eines Heiligtums
1
Die Leges Sacrae sind zuerst (1896 und 1906) von H. von Prott und L. Ziehen gesammelt und publiziert worden. Ergänzungen hat F. Sokolowski zusammengetragen und darüber hinaus die von v. Prott und Ziehen edierten Texte neu herausgegeben. Seine dreibändige Edition liegt dieser Arbeit zugrunde: F. SOKOLOWSKI (Lois sacrées de l’Asie mineure, Paris 1955 [LSAM]; Lois sacrées des cités grecques. Supplément, Paris 1962 [LSCG, Suppl]; Lois sacrées des cités grecques, Paris 1969 [LSCG]. Sokolowski bietet die Texte und einen kurzen Kommentar mit bibliographischen Hinweisen (zur Kritik an Sokolowskis Arbeit vgl. LUPU [2005], 4). Im Jahr 2005 ist eine Sammlung von 27 nach dem Abschluss von Sokolowskis Edition gefundenen Leges Sacrae erschienen (LUPU [2005]). Weiteres ergänze ich aus SEG. Die Leges Sacrae sind selbst in der epigraphischen Sekundärliteratur erstaunlich wenig ausgewertet worden. Zu den wenigen Untersuchungen gehören die von COLE (1992), GUARDUCCI (1995), CHANIOTIS (1997) und jetzt LUPU (2005). 2 Fragt man nach den Textarten, die in den Editionen als Leges Sacrae gesammelt werden, so stellt man eine erstaunliche Fülle fest. Es finden sich darunter Verträge, Dekrete, Orakel, Stiftungen und vieles mehr (vgl. L UPU [2005], 5).
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Kapitel 3. Kultische Sprache in paganen Kontexten
und seines Kultes lagen. So werden die Bestimmungen einer Lex Sacra aus dem 4. Jh. v. Chr. (LSCG 37) mit folgenden Worten eingeleitet: „o` i`ereu.j tou/ Apo,llwnoj tou/ vEriqase,ou p[r]oagoreu,ei kai. avgoreu,ei“ (Der Priester des Apoll Erithaseos gibt öffentlich als Verbot bekannt und verkündet…). Zuweilen wird eine solche Verlautbarung aber dadurch „aufgewertet“,3 dass eine Gottheit die Regelungen in einem Orakelspruch mitgeteilt hat. Als Beispiel dafür sei auf LSCG, Suppl 115 A 1 (Apo,llwn e;crhse); LSCG 129,2 (o` qeo.j e;crhsen); LSCG 180,1 (o` qeo.j e;crhse); SEG XXXVI 267 (avpagoreu,ei o` qeo,j) verwiesen. Viele Verschriftungen der Gesetze sind jünger als ihre Entstehung. Andere sind alt und stehen doch noch in junger Zeit in Geltung, da Kultvorgänge in der Antike äußerst konservativ vollzogen wurden. Daher ist die Datierung der Texte nur begrenzt aussagekräftig.
Diese Texte sind in besonderer Weise geeignet, den Erfahrungs- und Denkhorizont der Menschen, an die Paulus sich in seinen Briefen wendet, herauszuarbeiten. Zum einen bündeln sich in ihnen die reichhaltigen Vorstellungen zur Reinheit und Heiligkeit in kultischen Kontexten, wie sie immer wieder verstreut in den Werken der griechischen Literatur von Homer bis hin zu spätantiken Romanen aufschimmern. Zum anderen schlagen die Inschriften eine Brücke von der Welt der Literatur und der Philosophie hin zum Alltag der Menschen in den Jahrhunderten um die Zeitenwende. Sie wenden sich nicht nur an eine gebildete Leserschaft, die Zugang zu literarischen und philosophischen Texten hatte, sondern prinzipiell an jeden, der ein Heiligtum betreten wollte.4 Sie lassen erkennen, wo die Bewohner hellenistisch geprägter Städte konkret mit Reinheits- und Heiligkeitsvorstellungen konfrontiert wurden, und was das für sie bedeutete. Das tun sie – wie die überwiegende Mehrzahl der jüdischen Texte auch – im Modus des Gebots. Leges Sacrae haben in der Regel nicht nur rein informativen, sondern vor allem appellativen Charakter. Sie spiegeln die alltägliche Wirklichkeit, indem sie ausführen, was sein soll, und wie Menschen sich im Angesicht des Heiligen verhalten sollen.5 Ich stelle im Folgenden zunächst diese spezielle Textgattung vor, bevor ich auf die im Rahmen dieser Arbeit besonders interessierende kultische Begrifflichkeit eingehe. Dabei ziehe ich zur Verdeutlichung immer auch Material heran, das sich in literarischen Werken findet.
3
So GUARDUCCI (1995), 3. So auch CHANIOTIS (1997), 145. 5 Eine Einschränkung ist freilich zu notieren: Nie beschreiben Inschriften und Gesetze das Ganze des Lebens. Vielmehr klammern sie das Selbstverständliche oft aus. Sie bieten uns also einen signifikanten Ausschnitt aus dem Gesamtbild, aber nicht das Gesamtbild selbst. 4
2. Leges sacrae und ihre Inhalte
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2. Leges Sacrae und ihre Inhalte 2. Leges sacrae und ihre Inhalte
Der griechische Historiker Xenophon (430–354 v. Chr.) berichtet, dass er während seines Exils in Scilius, in der Nähe von Olympia, ein Stück Land erwarb, auf dem er der Göttin Artemis einen Altar und einen Tempel baute (evpoi,hse de. kai. bwmo.n kai. nao,n). Er bestimmte, dass der Gottheit in jedem Jahr ein Zehntel aller Erträge darzubringen sei, die auf dem ihr geweihten Land erwirtschaftet wurden. Dies solle im Rahmen eines Festes geschehen, an dem alle Bewohner der Gegend teilnehmen sollten. Die Gottheit ihrerseits wolle – so schreibt Xenophon – den Feiernden (toi/j skhnou/sin) u. a. Brot, Wein und einen Anteil vom Opferfleisch gewähren. Xenophons Beschreibung nimmt den Leser sodann mit auf den Weg zum Heiligtum, der durch eine idyllische wald- und tierreiche Landschaft führt. Den Tempel selbst beschreibt Xenophon als verkleinertes Abbild des Artemistempels in Ephesus. In seiner Nähe stehe nun eine Stele, auf der folgende Inschrift zu lesen sei: i`ero.j o` cw/roj th/j vArte,midoj· to.n e;conta kai. karpou,menon th.n me.n deka,thn kataqu,ein e`ka,stou e;touj· evk de. tou/ perittou/ th.n nao.n evpiskeua,zein· eva.n de, tij mh. poih|/ tau/ta, th/i qew/i melh,sei.
Dieser Ort ist der Artemis heilig. Wer ihn besitzt und Nutzen daraus zieht, soll jedes Jahr den Zehnten opfern. Von dem Überschuss soll er den Tempel in Stand halten. Wenn jemand dieses nicht tut, wird die Gottheit dafür Sorge tragen.6
Xenophon (an. 5.3.13) beschreibt hier Standort und Inhalt einer Lex Sacra – eines Gesetzes, das in Stein gehauen in der Nähe eines Heiligtums7 aufgestellt ist und die Angelegenheiten eines Heiligtums regelt. Eine mit Xenophons Text identische Inschrift aus dem 2. Jh. n. Chr. wurde in Ithaka gefunden.8 Die Ausgrabungen der vergangenen Jahrhunderte haben eine Fülle von solchen Leges Sacrae zutage gefördert. Sie stammen überwiegend aus der Zeit zwischen dem 5. Jh. v. Chr. und dem 3. Jh. n. Chr. und waren fast im gesamten griechischsprachigen Mittelmeerraum verbreitet.9 Darunter finden sich Texte, die wie Xenophons Inschrift Angaben zu den Opfern ma-
6 Damit ist wohl gemeint, dass derjenige, der den Pflichten nicht nachkommt, eine Strafe zu erwarten hat (so die italienische Übersetzung von E. Ravenna). 7 Zuweilen finden sich Leges Sacrae auch an anderen Stellen in der Stadt (vgl. L UPU [2005], 15). 8 Literarisch sind solche Texte beispielsweise auch bei Lukian, De sacrificiis. 13 und vor allem bei Pausanias belegt (vgl. COLE [1992], 104). Lukian bezeugt, dass die einschlägigen Texte kultische Reinheit fordern. Zugleich mokiert er sich darüber, dass die Priester im Heiligtum in ethischer Hinsicht nicht rein sind (vgl. dazu unten 4.1). 9 Vgl. GUARDUCCI (1995), 3 und CHANIOTIS (1997), 145.
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Kapitel 3. Kultische Sprache in paganen Kontexten
chen, die der Gottheit des Heiligtums darzubringen sind.10 Sie geben Auskunft darüber, welche Tiere welchen Geschlechts einer bestimmten Gottheit geopfert werden dürfen und welche nicht.11 Auch haben sich ganze Festkalender12 erhalten, die bestimmen, zu welcher Zeit, welcher Gottheit welche Opfer zu bringen sind.13 Andere Inschriften nennen die Rechte und Pflichten, die sich mit dem Erwerb eines Priesteramtes verbinden.14 In ihnen ist niedergelegt, welche Anteile der Opfer, die in einem bestimmten Heiligtum darzubringen sind, dem Priester oder der Priesterin zukommen,15 und welche die Teilnehmer an einer Opferfeier essen dürfen.16 Die Reihenfolge der Teilnehmer an einem Festumzug wird ebenso inschriftlich festgehalten, wie die dabei zu tragende Kleidung oder die zu singenden Gesänge.17 Sie können die Details eines mantischen Rituals wie der Vogelschau erläutern (SEG XLVI 1450). Auch beschreiben solche Texte die Maßnahmen, die zur Erhaltung eines Heiligtums durchgeführt werden
10
Hier handelt es sich um den Zehnten, den auch die Hebräische Bibel kennt (Gen 28,22; Dtn 14,22). Die LXX wählt zur Übersetzung den gleichen griechischen Begriff, der auch in Xenophons Inschrift begegnet. Die Opferfeier, von der die Rede ist, erinnert außerdem an das biblische Gemeinschaftsschlachtopfer (Lev 3 und 7,11ff). 11 Vgl. z. B. LSCG 114 A 1f. 12 Vgl. dazu den umfangreichen Abschnitt bei GUARDUCCI (1995), 35ff. 13 Vgl. z. B. SEG XXXVIII, 786; 853; XXXVI 206; SEG XXVIII 750. Der geläufige Begriff für Opfer ist in den Inschriften qusi,a. Die LXX übernimmt ihn und das damit zusammenhängende Wortfeld. Geopfert werden – wie Xenophon in seinem Referat schildert – Tiere, vegetabile Gaben oder Trankspenden. Vergleicht man die entsprechenden Ausführungen im LXX Pentateuch mit den Inschriften, so stellt man sehr bald fest, dass alle Tiere, die die LXX als Opfergaben vorsieht, auch in griechischen Kulten geopfert werden. Zusätzlich werden dort allerdings auch Schweine dargebracht. Üblich ist es auch, die geopferten Tiere zu zerlegen, wobei nicht unbedingt alle Teile der Gottheit übereignet werden. Die Inschriften kennen aber auch Opfer, die ganz verbrannt werden. Sie benutzen zu ihrer Beschreibung Begriffe vom Stamm o`lokaut- (z. B. LSCG, Suppl 19,84; LSCG 18 B 18f; LSCG 89,6), den auch die LXX in ihren Wortschatz aufgenommen hat. Opfertiere dürfen keinerlei Mängel aufweisen. Die Inschriften erwarten, dass sie „vollkommen“ sind (te,leioj). Auch diese Forderung findet sich in der LXX (Ex 12,5). 14 Vgl. z. B. SEG XXIX 1088. Griechische Kulte kennen anders als das Judentum unterschiedliche Wege zum Priesteramt. In manchen Kontexten war das Priesteramt erblich, in anderen wurde man Priester durch Wahl oder Losverfahren und nicht zuletzt konnte man ein Priesteramt käuflich erwerben (vgl. STENGEL [1920], 44ff). 15 Die griechische Kultsprache kennt dafür den Begriff ge,raj (vgl. LSAM 11,5f; 12,12ff [vgl. dazu auch LUPU (2005), 309]). Die LXX verwendet ihn für die gleiche Sache (Num 18,18). 16 Beides regelt z. B. SEG XLV 1508. 17 Manchmal ist von u[mnouj a[|desqai die Rede (LSAM 28,7; 33 A 29). Auch diese beiden Worte konnte die LXX ohne Berührungsängste aufnehmen (vgl. Ps 136,3 [LXX]).
2. Leges sacrae und ihre Inhalte
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müssen, nennen die Namen der Stifter,18 oder den Eintrittspreis, den die zu entrichten haben, die das Heiligtum besuchen möchten.19 Daneben gibt es eine Fülle von Texten, die Regeln für das Verhalten in einem Heiligtum aufstellen. Ich zitiere und übersetze einige Beispiele: Bsp. 1 (LSCG, Suppl 50 [Delos] 5. Jh. v. Chr.): mh. plu,nen evpi. te.n krh,[ne]n mhde,n, mhde. kolum[ba/n evn t]hi krh,nei, mhde. [ba,l]l[en k[a] ta. th.n krh,n[en ko,pron mhd][e, ti a;ll]o. evp[izh,mia]· dracmai. Ü Ü [i`]er[a]i,.
Nicht(s) in der Quelle waschen, noch in der Quelle baden oder Mist oder etwas anderes in die Quelle werfen! Strafe: 2 heilige Drachmen.
Bsp. 2 (LSAM 17 [Smyrna] 1. Jh. v. Chr.): [iv]cqu/j i`erou.j mh. avdikei/n, mhde. skeu/oj tw/n th/j qeou/ lumai,nesqai, mhde. [ev]kfe,rein evk tou/ i`erou/ evp[i.] kloph,n o` tou,twn ti poiw/n kako.j kakh|/ evxwlei,ai avpoloito, ivcquo,brwtoj geno,menoj. eva.n de. tij tw/n ivcqu,wn avpoqa,nh|, karpou,sqw auvqhmero.Õn evpi. tou/ bwmou/. toi/j de. sumfula,ssousin kai. evpau,xousin ta. th/j qeou/ ti,mia kai. to. ivcquotro,fion auvth/j bi,ou kai. evrgasi,aj kalh/j gi,noito para. th/j qeou/ o;nhsij.
Einem heiligen Fisch soll man keinen Schaden zufügen, noch ein Gefäß der Göttin beschädigen, oder aus dem Heiligtum als Diebesgut herausbringen.20 Wer etwas davon tut – der Bösewicht wird durch böses Verderben zugrunde gehen, nachdem er Fischfutter geworden ist. Wenn einer der Fische stirbt, so werde er am gleichen Tag auf dem Altar als Feueropfer dargebracht. Denen aber, die (dies) beobachten und die Ehre der Göttin und ihren Fischteich vermehren, werde von Seiten der Göttin Genuss an Leben und gutem Gewerbe zuteil.
Diese beiden Inschriften legen genau fest, was im jeweiligen Heiligtum zu unterlassen ist. Die eine bemüht sich darum, die Sauberkeit der Quelle eines Nymphenheiligtums sicherzustellen.21 Die andere schärft dem Besu-
18
Vgl. auch COLE (1992), 104. Vgl. SEG XXXI 415. Vgl. zum Ganzen auch LUPU (2005), 9ff. 20 Solche Vorschriften können auch bezüglich bestimmter Opfer gemacht werden, deren Teile man nur im Heiligtum verzehren durfte (vgl. LSCG 54, dazu G UARDUCCI [1995], 25 und LUPU [2005], 274f). 21 Die Reinhaltung von Quellen ist ein wichtiges Thema in den Leges Sacrae (vgl. LSCG 152, dazu GUARDUCCI [1995], 14). 19
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Kapitel 3. Kultische Sprache in paganen Kontexten
cher mit drastischen Drohungen22 ein, dass die Fische in diesem Heiligtum unter dem besonderen Schutz der Gottheit stehen und darum nicht zu Schaden kommen dürfen.23 Gleiches gilt für die zum Heiligtum gehörenden Kult- und Gebrauchsgegenstände. Wer sie mitnimmt, macht sich des Tempelraubs schuldig. Diese Inschrift führt außerdem aus, was zu geschehen hat, wenn einer der Fische des Heiligtums stirbt. In diesem Fall soll er auf dem Altar verbrannt werden.24 Vergleichbare Texte untersagen das Feuermachen oder Weiden von Vieh, andere verbieten, in einem heiligen Hain Bäume zu fällen,25 oder fordern ganz allgemein ein „ordentliches Benehmen“ (mhqei.j evn toi/j i`eroi/j oi;koij tou/ vApo,llwnoj avta,ktwj avnastrafei/ [SEG XLVIII 1037,2– 4: niemand soll sich in den heiligen Häusern des Apoll unordentlich benehmen]26). Sehr oft wird mit einer solchen Inschrift auch bekannt gemacht, welche Strafe derjenige zu erwarten hat, der den Bestimmungen zuwider handelt. Dabei kann die Strafe eher theonomer Natur sein, indem sie von einer Gottheit vollzogen wird (Bsp. 2), oder in einer Geldzahlung bestehen (Bsp. 1). Sklaven müssen außerdem mit körperlicher Züchtigung rechnen (LSAM 61,13; LSCG, Suppl 53,14; LSCG 37,9ff).27 Diese und viele andere Leges Sacrae warnen die Besucher eines Heiligtums also davor, sich im Bereich des Heiligen in irgendeiner Weise falsch zu verhalten. Das in den Inschriften mit mehr als 30 Belegen zentrale Verb für fehlerhaftes Verhalten im Heiligtum ist avdike,w. Er begegnet auch in Bsp. 2. Grundsätzlich gilt, dass man in einem Heiligtum „nichts Unrechtes tun soll“ (mhde. [dra/n] m[h]qe.n a;di[kon] [LSAM 29,10ff]; vgl. LSCG 65,4.44; LSCG 69,9; LSCG 73 A 8f; LSCG, Suppl 35 [vgl. SEG XXXI 416,8.19]). „Unrecht“ tut derjenige, der das Asylrecht nicht respektiert (LSAM 75,7.9.10), die Tiere und Gegenstände beschädigt, die unter dem Schutz der Gottheit stehen (vgl. LSAM 17), oder in irgendeiner Weise 22 Die Aussicht, den Tod auf dem Meer zu finden und von Fischen gefressen zu werden, gehörte wohl zu den schlimmsten Vorstellungen bezüglich des Todes in der griechischen Welt (vgl. Homer Il. 21,122f; Od. 14,135f; 24, 290f). 23 Im Griechischen steht hier avdike,w, die zentrale Vokabel, mit der man das Fehlverhalten in einem Heiligtum bezeichnet. 24 Der Opferterminus karpo,w ist auch in den Inschriften recht häufig belegt. Zu seiner Bedeutung vgl. VAHRENHORST, Exkurs zur Opferterminologie im LXX Pentateuch im Begleitband zu LXX.D. 25 Auch dieser Topos ist relativ häufig zu finden (vgl. G UARDUCCI [1995], 19). 26 Im Folgenden untersagt die Inschrift, außer zu Opferzwecken Tiere ins Heiligtum zu bringen. Vgl. auch SEG XXXVI 1221, wo eine Reihe von Gegenständen und Kleidungsstücken genannt werden, mit denen man das entsprechende Heiligtum nicht betreten darf. Ähnlich LSCG 68: Wer dennoch etwas Verbotenes in den heiligen Bezirk hineinbringt, muss es dort als Weihegabe zurücklassen. 27 Vgl. dazu KRAUTER (2004), 242ff.
2. Leges sacrae und ihre Inhalte
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dem, was in einer Lex Sacra geschrieben steht, zuwiderhandelt (LSAM 53,26; LSCG 83,61).28 Dass es nun trotz allen Strafandrohungen durchaus vorkam, dass Menschen sich im Heiligtum nicht so verhielten, wie die Leges Sacrae dies vorsehen, bezeugen Beichtinschriften, wie sie sich vor allem in Kleinasien erhalten haben.29 Dort bekennen Menschen beispielsweise, sie hätten das Heiligtum betreten, obwohl noch ein Tag bis zur Herstellung der völligen Reinheit fehlte (Petzl Nr. 19). Andere haben die Waschung vergessen (Petzl Nr. 36 [avkata,loustoj]) oder waren schlicht nicht a`gno,j (Petzl Nr. 98 [memolume,noj ei=] 110; 115; 116; 120). Auch andere Handlungen, die den Bestimmungen der Leges Sacrae zuwiderlaufen, finden sich in den Beichtinschriften, so dass man diese geradezu als Komplement der Leges Sacrae ansehen könnte. Die Rede ist vom unrechtmäßigen Weiden des Viehs (Petzl Nr. 7 [vgl. LSAM 68]), vom Essen noch nicht geopferten Fleisches (Petzl Nr. 1; 123 [vgl. LSAM 84 (dazu Sokolowski, 188)]), illegitimem Geschlechtsverkehr (Petzl Nr. 5 [s.o.]), Verkauf oder Missbrauch von heiligem Besitz (Petzl Nr. 9; 10; 76; SEG XXVIII 913 [LSCG, Suppl 81]), Diebstahl heiliger Dinge (Petzl Nr. 22; 50; 64; SEG XXXVIII 1234 [LSAM 17,4f; 74,1ff]), Hineinbringen von Soldaten bzw. Waffen ins Heiligtum (Petzl Nr. 114 [vgl. LSAM 68; LSCG 124]).30 Als Strafe für solche Vergehen haben die Menschen, die die Beichtinschriften aufgestellt haben, wohl vor allem Krankheiten interpretiert, die oftmals nur angedeutet werden.31 Die Inschrift selbst kann dann Teil der Bußleistung sein oder einfach nur die Versöhnung mit der Gottheit dokumentieren. Alles in allem lassen diese Inschriften erkennen, dass man die Regeln der Leges Sacrae und die darin angedrohten göttlichen Strafen durchaus ernst genommen und ihre Übertretung als Schuld (e;nocoj e;stw)32 empfunden hat.
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Dass avdike,w in kultischen Zusammenhängen eine so bedeutende Rolle spielt, könnte für die Interpretation des Nebeneinanders von Heiligungs- und Gerechtigkeitsterminologie bei Paulus von Bedeutung sein. 29 Allgemeine Hinweise zur Bedeutung dieser Texte bei KLAUCK (1996), 63ff. 30 Häufig ist in den Beichtinschriften aber auch die Rede von nicht eingelösten Gelübden oder Meineiden – darüber reden die Leges Sacrae nicht. 31 Vgl. P ETZL (1994), VIII. Zuweilen haben die Hinterbliebenen den Tod eines Angehörigen als Strafe einer Gottheit empfunden (so wohl Petzl Nr. 36; 37; 68; 69; 72). Weiteres bei COLE (1992), 115. 32 Vgl. SEG XXVII 930.
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Kapitel 3. Kultische Sprache in paganen Kontexten
3. Einlassbestimmungen in den Leges Sacrae 3. Einlassbestimmungen in den Leges Sacrae
Eine Vielzahl von Leges Sacrae dient dazu, den Zugang zu einem Heiligtum und seinen einzelnen Bezirken zu regeln. Dazu gehören neben den Leges Sacrae auch Grenzsteine, die in der Literatur zumeist separat behandelt werden.33 Die Inschriften auf diesen Steinen sind in der Regel sehr kurz. Manche nennen nur den Namen der Gottheit, der das durch den Stein begrenzte Heiligtum geweiht ist, im Genitiv (z. B. Dio.j vAiglai,o).34 Andere ergänzen die Worte i`ero,n oder te,menoj. In seltenen Fällen enthalten diese Grenzsteine auch Bestimmungen, wie wir sie aus den ausführlicheren Leges Sacrae kennen: „Grenze des Apollo Heiligtums. Niemand soll zum Gipfel aufsteigen, der dort nichts zu tun hat. Wer dieser Bestimmung zuwiderhandelt, wird angeklagt werden“ (O[u=]roj i`[erou/] vApo,llwnoj mhqe,na prosporeu,esqai pro.j th.n a;kran w-i mh. pra/gma o[j d’ a'n para. tau/ta poih/i auvto.n aivtia,setai) [SEG XXVI 1225]. „Grenze des heiligen Asyls des Dionysos Bakchos. Dem Schutzflehenden soll man kein Unrecht tun, und eine Unrechtstat soll man nicht übersehen. Wenn aber doch, dann wird er [sc.: der Täter bzw. der, der die Tat nicht anzeigt] vernichtet und auch sein Geschlecht“ (o[roj i`ero.j a;suloj Dionu,sou Ba,kcou to.n i`ke,thn mh. avdikei/n mhde. avdikou,menon periora/n eiv de. mh, evxw,lh ei=nai kai. auvto.[n] kai. to. ge,noj auvtou/).35 Der Übersichtlichkeit halber behandle ich auch diese Texte als Leges Sacrae.
Den Einlassbestimmungen gilt das Hauptaugenmerk der folgenden Ausführungen. Ein Mysterienheiligtum dürfen Uneingeweihte nicht betreten (deorum sacra qui non acceperunt non intrant. avmu,hton mh. eivsie,nai [LSCG, Suppl 75]), wie eine zweisprachige Inschrift aus Samothrake verrät.36 Es gibt daneben Heiligtümer, zu denen Frauen keinen Zutritt haben (gunaiki. ouv qe,mij [LSCG 5,6]),37 so wie es Kulthandlungen gibt, bei denen sie nicht anwesend sein dürfen.38 Einige Tempel dürfen von Frauen nur betreten werden, wenn sie Priesterinnen oder Prophetinnen sind (mh. eivstei,chn de. mhde. gun[ai/k]a eivj to.n nao.n pla.n ta/j i`ere,aj kai. ta/j profhti,doj [LSCG 124,18ff]). Vom Besuch bestimmter Heiligtümer sind Fremde (xe,noi) ausgeschlossen (LSCG 96; 110; SEG XLIV 678 [xe,nwi ouvc o`[si,h evse,nai]).39 Zu den Grundbedingungen, die in jedem Fall erfüllt sein müssen, wenn man ein Heiligtum betreten möchte, gehört es, dass der Besucher sich im 33
Vgl. GUARDUCCI (1995), 46ff. Vgl. GUARDUCCI (1995), 49. 35 Zitiert nach GUARDUCCI (1995), 70f. 36 Vgl. auch SEG XLIX 454. 37 Weiteres einschlägige Material sammelt und bespricht COLE (1992), 105. Sie untersucht diese Texte unter Gender-Aspekten und stellt fest, dass Frauen wesentlich häufiger von der Teilnahme an Kultvollzügen ausgeschlossen werden als Männer. SEG XXVI zu LSAM 77 berichtet aber von einem Kult, an dem Männer nur in Frauenkleidern partizipieren konnten. 38 Vgl. z. B. LSCG 82. Vgl. auch GUARDUCCI (1995), 12f. 39 Vgl. auch KRAUTER (2004), 56ff. 34
3. Einlassbestimmungen in den Leges Sacrae
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Zustand der kultischen Reinheit befindet. Dieser Zustand wird sehr häufig mit einer Ableitung von a`gno,j zur Sprache gebracht, einem Begriff, der eine eingehende Besprechung verdient: 3.1 Die Wortfamilie a`gno,j und ihr Verhältnis zu a[gioj Blickt man von der Heiligkeits- und Reinheitsterminologie der biblischjüdischen Quellen herkommend auf die Leges Sacrae, so fällt zunächst auf, dass bei allen Gemeinsamkeiten in der Reinheitsterminologie (z. B. im Gebrauch von kaqaro,j und kaqari,zw) vor allem ein gewichtiger Unterschied besteht: In den Leges Sacrae sucht man vergebens nach Belegen für a[gioj, dessen Formen und Derivate seit der LXX in den jüdischen Texten griechischer Sprache – wie wir sahen40 – recht verbreitet sind. Stattdessen stößt man sehr häufig auf a`gno,j und damit zusammenhängende Worte, die die jüdische Literatur zwar auch kennt, jedoch nur in spezieller Bedeutung benutzt.41 [Agioj und a`gno,j sind nun sprachgeschichtlich eng miteinander verwandt. Sie leiten sich vom gleichen Stamm a`g- ab.42 Am Anfang ihrer sprachgeschichtlichen Entwicklung dürfte das Verb a[zw bzw. a[zomai stehen, das scheuen, verehren und respektieren bedeutet.43 Objekt solcher Verehrung können Götter, aber auch die Eltern sein (Hom. Il. 1,21; Od. 17,401). Von diesem Verb leiten sich nun die beiden Familien a[gioj und a`gno,j ab.44 3.1.1 Zu a`gno,j Als älteste Ableitung von a[zw bzw. a[zomai ist zunächst a``gno,j zu besprechen. Dieses Wort bedeutet ursprünglich „religiöse Scheu erweckend“.45 Es findet sich bei Homer, Hesiod und den Tragikern – a[gioj kommt bei diesen Autoren gar nicht vor. Als a`gno,j gelten ihnen beispielsweise die himmlischen Götter46 aber auch die Götter der Unterwelt (Aischyl. Pers. 40
Vgl. Kapitel 2, 1.2. Vgl. Kapitel 2, 1.1.2. 42 Vgl. die Übersicht bei FRIDRICHSEN (1916), 126. 43 Vgl. HAUCK (1933), 123; SEEBASS / GRÜNWALDT (1997), 887. 44 Zu beiden Begriffen, die im Griechischen den Gedanken der Heiligkeit aber auch der Reinheit zum Ausdruck bringen, hat Eduard Williger 1922 eine sehr instruktive Analyse vorgelegt. Ihm verdankt die folgende Darstellung viel, ergänzende Beobachtungen treten hinzu. 45 Vgl. W ILLIGER (1922), 38f und DIHLE (1988), 1. 46 Apoll gilt Pindar als a`gno,j (P. 9,64), ähnlich verhält es sich in den homerischen Hymnen z. B. mit Demeter und Persephone (in Demeter 203; 439; 337) oder der „heiligen Himmelsmacht“, die bei Sophokles angerufen wird (OT 830). Auch inschriftlich ist a`gno,j als Gottesprädikat belegt: SEG XLVII 1761; 1809; SEG XLV 910; 1612; SEG XXXV 887; SEG XXXVI 740; SEG XLI 774; SEG XL 1710; 1159; SEG XXXI 731; SEG XXXII 218, 43.84.218.237; SEG XXIV 195,86. 41
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628; Hom. h. in Cererem 203; 439; 337).47 Der Heiligkeit der Götter entspricht die Heiligkeit ihres Besitzes: Der Gottheit geweihte Feste sind a`gno,j (Od. 21,259). Gleiches gilt vom Weihrauch (Xenophanes fr. B1,7), den man ihr opfert. Der heilige Hain (Hom. h. in Mercurium 187), der Tempelbezirk (Pindar, P. 4,204; Euripides, Andr. 253), der Altar (Aischylos, Suppl. 223), die heilige Flamme (Euripides, El. 812) und das Heiligtum selbst (Euripides, Iph. T. 972) sind a`gno,j.48 Auch der Eid (Euripides, El. 835) wird mit diesem Adjektiv als heilig qualifiziert. Kurz gesagt bezieht a`gno,j sich zunächst auf alles, was „in irgendeiner Beziehung zu den Göttern“ steht, so dass man es im Deutschen mit „heilig“ übersetzen kann.49 Es wird dabei auf den Besitz der Götter ebenso angewendet (Euripides, Suppl. 32) wie auf den Menschen, der bei ihnen Schutz sucht (Pausanias 7.25.1), und bezeichnet damit beider Unverletzlichkeit.50 Wenn ein Mensch in Kontakt mit der Sphäre des Heiligen treten, also einen Tempel besuchen will, muss er der Qualität dieses Ortes entsprechen und seinerseits a`gno,j, also heilig und rein sein. Bei den Tragikern und später auch bei Herodot schimmert diese wirkungsgeschichtlich besonders bedeutsame Nuance von a`gno,j deutlich auf: a`gno,j „bezeichnet hier die rituelle Reinheit des Menschen“.51 Kultische Reinheit besteht primär in der Abwesenheit von Befleckungen aller Art.52 In dieser Bedeutung ist a``gno,j vollkommen identisch mit kaqaro,j wie sich anhand der bei Plato belegten Wendungen a`gno.j fo,nou (leg. 759 C) bzw. fo,nou kaqaro,j (rep. 451 B) zeigen lässt. Da nun Sexualität nach antiker Anschauung zu den prominentesten verunreinigenden Faktoren im menschlichen Leben gehört, kann a``gno,j in dieser Beziehung auch auf die sexuelle Enthaltsamkeit zielen und den Ton von keusch bzw. jungfräulich tragen.53 Der Zustand der Reinheit bestimmt sich also vornehmlich negativ: Man gilt als rein, wenn man von Verunreinigungen rein ist, bzw. sich von dem enthalten oder gereinigt hat, was verunreinigende Wirkung hat.54 Dabei
47 Nach RUDHARDT (1992), 40 lässt sich die Bedeutung des Adjektivs, wenn es auf Gottheiten angewendet wird, wie folgt umschreiben: Es bezeichnet die „majesté des dieux, ce qui les élève au-dessus de l’humanité et commande aux hommes une vénération“. 48 SEG XLIV 904 bezeichnet den Hades als heiliges Haus (do,moj a`gno,j). 49 W ILLIGER (1922), 43. 50 Vgl. W ILLIGER (1922), 41. 51 W ILLIGER (1922), 44. 52 Vgl. DIHLE (1988), 3f. 53 Vgl. W ILLIGER (1922), 47 (dort Belege). 54 Die LXX spiegelt dieses Verständnis, wenn sie Derivate von a`gno,j als Äquivalente für rzn (sich enthalten; sich weihen) wählt (Num 6,3.5.21). Zum Sprachgebrauch der LXX vgl. Kapitel 2, 1.1.2.
3. Einlassbestimmungen in den Leges Sacrae
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wird die Quelle der Unreinheit mit einem von avpo, abhängigen Genitiv benannt.55 Im Laufe seiner Geschichte hat sich die Bedeutung von a``gno,j nun dahingehend entwickelt, dass zum einen die Ehrfurcht gebietende Heiligkeit der Götter damit bezeichnet wird, zum anderen die ihnen auf Seiten der Menschen, die mit ihnen in Kontakt kommen wollen, entsprechende Reinheit. Damit stellt sich dem Leser bzw. Übersetzer zuweilen das Problem, dass er zwischen den Übersetzungsmöglichkeiten „heilig“ oder „rein“ wählen muss. Williger führt zu dieser Schwierigkeit aus, dass die Entscheidung zwischen heilig und rein manchmal tatsächlich nicht zu treffen ist, was sachlich seinen Grund schlicht darin hat, dass zu den Grundbedingungen für die Heiligkeit die Reinheit gehört.56
So wie die heiligen Kultgeräte rein sind, müssen auch die, die damit Umgang haben, rein sein. Dieser Gedanke ermöglicht es, Reinheit bzw. Heiligkeit einerseits objektiv andererseits subjektiv zu definieren: Ein Kultgegenstand ist objektiv rein (oder er ist als Kultgegenstand untauglich), der Mensch hat jedoch die Möglichkeit die erforderliche Reinheit zu erreichen oder zu vernachlässigen. So gesehen kann a``gno,j auch die „subjektive“ Reinheit eines Menschen bezeichnen.57 Die so geartete Reinheit kann nun Gegenstand einer Forderung werden, was man in den Leges Sacrae gut beobachten kann. Neben der kultischen Reinheit in strengem Sinn dient a`gno,j aber auch in zunehmendem Maße zur Beschreibung eines Verhaltens, das in ethischer Hinsicht untadelig ist. Als a`gno,j gilt zunächst der Mensch, der unschuldig ist, weil er kein Blut vergossen hat, aber auch der Beamte, der sich in seiner Amtsführung nichts hat zuschulden kommen lassen.58 So wird a`gno,j zu einem Synonym von di,kaioj.59 Man würde den Texten und der dahinter stehenden Gedankenwelt nicht gerecht, wenn man hier von einem übertragenen bzw. uneigentlichen Gebrauch sprechen würde, denn das politische bzw. das private Leben sind in religiöser Hinsicht nicht neutral. Dies gilt vor allem für den politischen Bereich: Die antike Stadt stellt „in diesem Sinne eine Fortsetzung des heiligen Tempelgebietes dar; wie dieses ist sie den Göttern der Stadt […] geweiht, und gegen die Umwelt durch Tabus […] abgeschlossen. Beim Aufenthalt in der Stadt muss daher aus denselben Gründen wie bei dem Betre55
Vgl. W ILLIGER (1922), 45 mit Beispielen. Vgl. W ILLIGER (1922), 55ff. Man könnte in solchen Fällen „heilig-rein“ als Übersetzung wählen. 57 Vgl. W ILLIGER (1922), 58. 58 Vgl. z. B. SEG L 1130; SEG L 1109,13.17; SEG XLIX 1996; SEG XLVIII 1472,10; 1603,8; 1770 A 7. 59 Belege bei W ILLIGER (1922), 66ff. Neuere Belege: SEG L 1130; SEG L 1109,13.17; SEG XLIX 1996; SEG XLVIII 1472,10; 1603,8; 1770 A 7; SEG XLI 1174 (neben di,kaioj); SEG XL 1133; SEG XXXIX 1208; SEG XXXV 1416; SEG XXXIII 692 (a`gnei,a neben dikaiosu,nh); SEG XXXVI 1198; 1354; SEG XXXI 905. 56
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Kapitel 3. Kultische Sprache in paganen Kontexten
ten eines Heiligtums eine gewisse a`gnei,a beobachtet werden“.60 Vor diesem Hintergrund besteht das als a`gno,j qualifizierte Verhalten eines Beamten in einer Amtsführung, die der religiösen Qualität der Stadt, der er dient, entspricht. Wenn nun die Stadt – der alltägliche Lebensraum des Menschen – im beschriebenen Sinn einen quasi heiligen Charakter bekommt, dann ist es leicht nachvollziehbar, dass a`gno,j nun auch eine ethische Komponente erhält, die auf das Verhalten des Menschen im Alltag zielt. Entsprechend loben Grabinschriften den Verstorbenen oder die Verstorbene als a`gno,j und deren Lebensführung als a`gnei,a (vgl. SEG XLVIII 1428,7; CIG 3415; IGUR II 1137; SEG XXXII 1267; SEG LI 1684). Als Antonym erscheint fau,loj: „Wahrhaftig ist meine Hand unversöhnlich gegen die Bösen; wenn jemand dagegen rein / gut ist, ehre ich ihn“ ([…] fau,loij me.n e;cw ce,r' avmi,licon· eiv de, tij a`[gno.j] timw/|h [SEG 4,264]).61 3.1.2 Zu a[gioj Blickt man auf das verwandte Wort a[gioj, so fällt zunächst auf, dass es in der paganen Literatur insgesamt deutlich seltener belegt ist als a`gno,j. In klassischer Zeit bezieht es sich nicht auf Götter, wohl aber auf deren Heiligtümer62 und Kultobjekte (heilige Altäre [Paean delphicus I in Apollinem, Fr. 1,9; Thespis, fr. 4,5]; heilige Tempel [Demosthenes, In Neaeram 77,1]); heilige Orte [Plutarch, Camillus 31,3,7]) oder Kulte [SEG XXXV 1305]). Manchmal findet es sich aber auch in nicht direkt kultischen Kontexten, nämlich mit Bezug auf das Vaterland oder althergebrachte Sitten und Gebräuche.63 Williger und andere vermuten daher, dass das Wort zunächst „ehrwürdig“ bzw. „pietätvolle Ehrfurcht“ evozierend bedeutet.64 Häufiger als in der älteren Literatur angenommen qualifiziert es direkt göttliche Wesen, zunächst in orientalischen, dann aber auch in genuin griechischen Kulten.65 Gleiches gilt für seine Anwendung auf Personen:66 Isokrates spricht davon, dass die Ägypter sich in „diesen Dingen heilig und 60 W ILLIGER (1922), 59. Wie eng Politik und Religion in der griechischen Stadt miteinander verflochten waren, arbeiten ausführlich G. Busolt und V. Ehrenberg heraus (BUSOLT [1920], 514ff; EHRENBERG [1965], 17ff; 90ff; 248ff). Vgl. auch KRANZ (1947), 112; RHODES (2001), 23. 61 Vgl. auch SEG XXX 1277. 62 Zahlreiche Belege bei FRIDRICHSEN (1916), 128. Zu ergänzen ist die inschriftliche Bezeugung in der Lex Sacra aus Megalopolis (SEG XXVIII 421 [200 v. Chr.]). Dort wird ein heiliges Heiligtum erwähnt (i`ero.n a[gion). Vgl. auch Herodot 2,41 und 44. 63 Vgl. RUDHARDT (1992), 39; FRIDRICHSEN (1916), 132. 64 Vgl. W ILLIGER (1922), 73f; RUDHARDT (1992), 39. 65 Vgl. Kapitel 2, 1.2. Vgl. aber Plato, soph. 249 A, der von der „hehren und heiligen Vernunft“ (semno.n kai. a[gion) fast wie von einer Gottheit spricht. 66 Es gibt zwei Beispiele, in denen es auf Tiere angewendet wird, allerdings nur um damit zu signalisieren, dass diese göttliche Verehrung genießen oder genossen haben (Aristophanes, Av. 522; Antiphanes, fr. 147,7).
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fromm verhalten (a`gi,wj peri. tau/ta kai. semnw/j e;cousin [Busiris 25]“.67 Später wendet Jamblichos den Begriff auf Menschen an, die die Götter verehren (de myst. 4,181). Beides wird vor allem in Schriften, die von der LXX abhängig sind, geläufig, aber auch jenseits des jüdischen Kulturkreises kann man feststellen, dass a[gioj in hellenistischer Zeit deutlicher an religiöser Qualität gewinnt und in genuin religiöser Hinsicht gebraucht wird.68 3.1.3 a`gno,j und a[gioj – Parallelität und Differenz Wie verhalten sich nun a`gno,j und a[gioj zueinander? Beide haben gemeinsam, dass ihnen ein respektvoller Ton eigen ist69 und dass sie einen Bezug zur Welt der Götter herstellen.70 Orientiert man sich am Vorkommen der beiden Begriffe bei den antiken Autoren, so fällt auf, dass beide in einem gewissen Maße synonym gebraucht werden, allerdings nicht von den gleichen Autoren. Anhand zweier Beispiele lässt sich zeigen, dass a`gno,j bei einem Autor an die Stelle treten kann, an der bei anderen Autoren a[gioj steht. So ist bei Herodot das Heiligtum a[gioj (2,41), bei den Tragikern ist es a`gno,j (Euripides, Iph. T. 972). Bei Aristoteles gilt der Eid als heilig (a[gioj [mir. 834 B]). Bei den Tragikern ist er a`gno,j (Euripides, El. 835). Generell ist a`gno,j eher ein Wort der poetischen Sprache, während a[gioj vor allem seit dem 5. Jh. v. Chr. in Prosatexten Verwendung findet.71 Beide Wortfamilien unterscheiden sich also weniger inhaltlich als vielmehr durch ihre Verwendung in bestimmten Textgattungen und bei bestimmten Autoren voneinander. Dies und die Tatsache, dass a[gioj in hellenistischer Zeit an Bedeutung gewinnt, sprechen dafür, die beiden Worte und ihre Derivate hinsichtlich ihrer Bedeutung nicht zu scharf voneinander zu trennen. Für die Erhellung des Vorstellungshintergrundes, den man bei nichtjüdischen Menschen in neutestamentlicher Zeit erwarten darf, wenn sie mit der Wortfamilie a[gioj konfrontiert werden, sind beide gleichermaßen zu berücksichtigen. Bei aller Gemeinsamkeit lassen sich allerdings doch leichte Differenzen zwischen den Wortfamilien ausmachen. Das insgesamt in der paganen Gräzität nicht sehr häufig belegte a[gioj steht seit Herodot in „enger Verbindung mit dem Heiligtum“72 und wird in hellenistischer Zeit auch zum 67
Besprochen bei W ILLIGER (1922), 83f. W ILLIGER (1922), 76ff vermutet, dass dies in dem Maße geschieht, in dem a`gno,j in ethischen Kontexten an Bedeutung gewinnt 69 Vgl. RUDHARDT (1992), 39f. 70 Die von RUDHARDT (1992), 39 genannten Größen Gastrecht, Ahnen oder Vaterland haben vielleicht nicht unmittelbar kultische aber doch in jedem Fall religiöse Bedeutung. 71 Vgl. DIHLE (1988), 2ff. Vgl. auch RUDHARDT (1992), 40. 72 PROCKSCH (1933), 87. 68
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Beiwort für Götter.73 Allerdings wird es, wie schon angedeutet, weitaus seltener auf Menschen und deren Verhalten angewendet als das bei a`gno,j der Fall ist. Letzteres bezeichnet den Zustand, in dem der Mensch die Sphäre des Heiligen betreten darf. Es bedeutet daher heilig mit der Konnotation rein.74 Diese enge Verknüpfung von Heiligkeit und Reinheit ist bei a[gioj so nicht gegeben.75 Ein weiterer Bedeutungsaspekt, der vor allem das Wort a`gno,j kennzeichnet, besteht darin, dass es sexuelle Enthaltsamkeit bezeichnen kann. In dieser Bedeutung kennt auch die jüdisch-christliche Literatur dieses Wort. [Agioj findet in diesem Sinn m. W. hingegen keine Verwendung. Wie schwierig es trotz allem ist, zwischen a[gioj und a`gno,j zu unterscheiden und diese Differenzierung durchzuhalten, zeigt ein Vergleich der Wörterbucheinträge zu den beiden Vokabeln nach den Wörterbüchern von Liddell / Scott bzw. Benseler:
a`gno,j
a[gioj
Pure, chaste, holy, hallowed, undefiled;
Sacred, holy, pure;
heilig, geweiht, rein
Ehrwürdig, heilig, geweiht, rein
Diese Übersicht zeigt noch einmal, wie eng verwandt beide Begriffe sind. Die Übersetzer des LXX Pentateuch, die beide verwenden, können zwischen ihnen differenzieren.76 Eine solche bewusste Differenzierung lässt sich in der paganen Literatur m. W. nicht beobachten, weil Autoren, bei denen sich das eine Wort findet, das andere in der Regel nicht benutzen.
Fasst man die Beobachtungen zusammen, so wird man sagen können, dass a`gno,j in den Leges Sacrae die Stellung einnimmt, die in den biblischjüdischen Schriften (und auch in Teilen der griechischen Prosa) a[gioj innehat. Beide beziehen sich auf eine Gottheit, den Ort ihrer Gegenwart und ihr Eigentum. Beide beschreiben, wie die Menschen, die mit dem Heiligen in Kontakt treten wollen, beschaffen sein sollen. Im Blick darauf, was die Adressatinnen und Adressaten der Paulusbriefe mit „Heiligkeit“ assoziiert haben, reicht es darum nicht aus, nur Belege von a[gioj auszuwerten. Welche weiteren inhaltlichen Akzente mit diesem Vorstellungsbereich verbunden sind, ergibt sich aus der folgenden Besprechung der Leges Sacrae.
73 74 75 76
Vgl. SEEBASS / GRÜNWALDT (1997), 887. Vgl. B ALTENSWEILER (1997), 893. Vgl. W ILLIGER (1922), 83. Vgl. Kapitel 2, 1.1.2.
3. Einlassbestimmungen in den Leges Sacrae
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3.2 Die Herstellung der Kultfähigkeit Die kultische Reinheit der Besucher sicherzustellen, gehört zu den wesentlichen Anliegen der Leges Sacrae. „Sie sollen aufschreiben, von welchen (Unreinheiten) man sich reinigen soll und was man nicht haben soll, wenn man (das Heiligtum) betritt“ (avnagraya,ntw de. kai. avf’ w-n dei/ kaqari,zein kai. a] mh. dei/ e;contaj eivsporeu,esqai), heißt es exemplarisch in LSCG 65,37 (Adania [92. v. Chr.]). Wie kultische Reinheit konkret verstanden wird, variiert von Inschrift zu Inschrift. Es gibt Texte, die ganz allgemein festlegen: „oi` prosi,ontej tou,twi tw|/ to,pwi a`gnw/j pro,site“ (Die ihr zu dieser Stätte herzutretet, tretet heilig / rein herzu [LSAM 82 II 5ff]) oder: „eivsi,nai eivj [to.] i`ero.n a`gno.n ev[n] evsqh/ti leuk[h/i]“ (Man gehe in das Heiligtum heilig / rein und mit einem weißen Gewand hinein [LSAM 35,3ff]). Die überwiegende Mehrzahl solcher Einlassbestimmungen nennt aber konkret, wie der geforderte Zustand der kultischen Reinheit hergestellt werden kann. Dies geschieht vorwiegend durch negative Bestimmungen: kultisch rein wird man, wenn man sich bestimmter Dinge oder Tätigkeiten enthält (s.u.). Kultische Reinheit kann aber (zusätzlich) auch durch bestimmte Reinigungsriten erreicht werden. Die Inschriften kennen im Wesentlichen zwei Reinigungsriten. Da wären zum einen Waschungen: Wenn diese vorgesehen sind, findet sich in der Regel das Partizip lousa,menoj (vgl. LSAM 12,6; 14,3; 18,12; 51,9; LSCG, Suppl 54,3; 91,17; LSCG 55,4; 97 A 30) – zuweilen mit dem Zusatz katake,fala (vom Kopf abwärts [LSCG 55,4.5; 97 A 30]). Mit dem Wort lou,w dürfte eine „Gesamtreinigung des Körpers“ also ein Bad im Unterschied zum Waschen der Hände, des Gesichts oder der Füße gemeint sein.77 Solche Bäder sind in kultischen Kontexten reichlich bezeugt.78 Sie gehören so selbstverständlich dazu, dass ein Mensch, der sich einer Gottheit nähern will, schlicht lousa,menoj genannt werden kann (Syll³ 1159).79 Zum anderen gibt es Besprengungsriten, die mit einer Form von perirrai,nw80 bezeichnet werden (LSAM 12,8; LSCG 139,15; 154 A 29.30.44.45 B 2.4.6.15.26). Für diese Besprengungen waren in griechischen Heiligtümern spezielle Wasserbecken81 vorgesehen – die perirranth,ria (vgl. LSCG, Suppl 91,2). 77
Vgl. OEPKE (1942), 298. Eine materialreiche Übersicht findet sich bei OEPKE (1942), 298–302. Die LXX verwendet für die Waschungen, die sie im Blick hat, das gleiche Wort. 79 Vgl. hierzu 1 Kor 6,11; Hebr 10,22. Beide Textstellen sind sicherlich primär im Rahmen jüdischen Denkens konzipiert. Die genannten Belege zeigen aber, dass sie auch vor einem paganen Hintergrund unmittelbar verständlich sind. 80 Vgl. dazu unten 4.2.2. Auch diesen Begriff haben die Übersetzer der LXX nicht gescheut (Lev 14,7; Num 19,21). 81 Nach SEG XXVIII 1213 louth,r. 78
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Kapitel 3. Kultische Sprache in paganen Kontexten
Zur Herstellung der Kultfähigkeit ist in manchen Heiligtümern die Abstinenz von bestimmten Speisen und Getränken vorgesehen: Drei Tage bevor man ein bestimmtes Heiligtum in Delos betreten wollte, durfte man weder Fisch noch Schweinefleisch gegessen haben (LSCG, Suppl 54 [2. Jh. v. Chr.]). Gleiches gilt im 2. Jh. n. Chr. in Lindos für Linsen, Ziegenfleisch oder Käse (LSCG 139). Der Genuss von Knoblauch oder Schweinefleisch machte vor dem Besuch eines attischen Heiligtums sogar eine Waschung „vom Kopf abwärts“ nötig (LSCG 55 [2. Jh. n. Chr.]). Wer Wein getrunken hatte, war vom Besuch eines Heiligtums ägyptischer Gottheiten auf Delos ausgeschlossen (LSCG 94: avp’ oi;nou mh. prosie,nai). Wesentlich häufiger als Speisegebote sind jedoch Regelungen, die mit Sexualität, Geburt oder Tod zu tun haben. Bevor ich mich diesen Regelungen im Detail zuwende, sind einige Bemerkungen zur sprachlichen Gestalt dieser Texte angebracht.
3.3 Zur sprachlichen Gestalt der Einlassbestimmungen Die sprachliche Gestalt der Inschriften ist über Jahrhunderte hinweg erstaunlich konstant geblieben.82 Üblicherweise beginnen die einschlägigen Passagen in den Leges Sacrae mit einer Form von a`gno,j oder dem Verb a`gneu,w, dem in der Regel ein Verb der Bewegung ([eivs-] e;rcomai; stei,cw; eivsporeu,w; eivse,rpw) folgt: a`gneue,twsan de. kai. eivsi,twsan eivj to.n th/j qeo[u/ nao.n]
Man soll sich reinigen und (darf dann) in den Tempel der Gottheit hineingehen. (LSAM 12,3 [nach 133 v. Chr.])
a`gneu,ontaj eivsie,nai
Wenn man rein ist, darf man hineingehen. (LSCG, Suppl 54,1 [2. Jh. v. Chr.])
tou.j eivsio,ntaj eivj to. [i`ero.n] a`gneu,ein
Diejenigen, die in das Heiligtum hineingehen, sollen sich reinigen. (LSCG, Suppl 119,1f [1. Jh. v. Chr.])
eivsi,nai eivj [to.] i`ero.n a`gno.n
In den Tempel darf man (nur) heilig / rein hineingehen. (LSAM 35,3f [3. Jh. v. Chr.])
82 So auch CHANIOTIS (1997), 146. COLE (1992), 105 nimmt dies mit Recht auch für ihre Inhalte an, die in der Tat erstaunlich konstant sind. Als einzige wirkliche Neuerung darf das Aufkommen der Forderung ethischer Reinheit gelten (vgl. dazu 4.1), die älteres Material allerdings nicht ersetzt, sondern nur ergänzt. Manchmal enthalten also auch Inschriften jüngeren Datums sehr altes Material, zuweilen auch in archaisierender Sprache (vgl. dazu G UARDUCCI [1995], 4).
3. Einlassbestimmungen in den Leges Sacrae
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a`gno.n pro.j te,menoj stei,cein
Heilig / rein soll man in den Tempelbezirk hineingehen (LSCG, Suppl 82,1 [ohne Datum])
a`gno.n crh. naoi/o q[u]w,deoj evnto.j ivo,nt[a] e;nmenai
Heilig / rein soll man bleiben, wenn man den weihrauchduftenden Tempel betritt. (LSCG, Suppl 108,4 [1. Jh. n. Chr.])
[ev]j to. i`ero.n mh. evse,rpen o[stij mh. a`gno,j evsti
Ins Heiligtum darf nicht hineingehen, wer nicht heilig / rein ist (LSCG 130,1f [3. Jh. v. Chr.])
a`gno.n eivsporeu,esqai
Heilig / rein hineingehen (LSCG 171, 15 [2. Jh. v. Chr.])
Diese Konstruktion kann – wie in Inschriften häufig – von einem verbum dicendi abhängig sein, aber auch absolut stehen.83 Parallel oder alternativ dazu finden sich Formen von kaqaro,j84oder lou,w: „[ka]qaro[u.]j [kai. a`gnou.j]“ (LSCG, Suppl 91,1); „eivse,lqh| ka[q]a[ro,j“ (LSCG, Suppl 106,6); „]eisiwn lousa,menoj“ (LSAM 14,3) „lousa,[m]enon eivsporeu,esqai“ (LSAM 18,13f). Darauf folgen in der Regel von avpo, abhängige Genitive, die die Unreinheit benennen, mit der behaftet man das Heiligtum nicht betreten darf.85 Aus der Fülle der Beispiele greife ich drei heraus: „avpo. gunaiko,j“ (von einer Frau [LSCG, Suppl 54,4; LSCG 95]); „avpo. u`ei,ou“ (von Schweinefleisch [LSCG, Suppl 54,3]); „avpo. tetokei,aj“ (von einer Wöchnerin [LSCG, Suppl 54,5]). Im Anschluss an die avpo,-Konstruktion wird nun häufig eine Zeitangabe gemacht, aus der hervorgeht, wie viel Zeit zwischen dem Kontakt mit dem verunreinigenden Faktor und dem Betreten des Heiligtums verstrichen sein muss: „avpo. [gun]aiko.j th/j [ivdi,a]j h`me,raj du,[o], [avpo. e`]tai,raj trei/j“ (von [dem Geschlechtsverkehr mit] der eigenen Frau – zwei Tage; von [dem mit] einer Hetäre drei Tage [LSAM 29,4–7]); „avpo. gunaiko.j tritai,ou(j)“ (von [dem Geschlechtsverkehr mit] einer Frau – am dritten Tag [LSCG, Suppl 54,4]). Im Folgenden seien einige exemplarische Inschriften vorgestellt:
83 84 85
Vgl. SCHWYZER (1950), 383. Zur Verwendung von kaqaro,j im LXX Pentateuch vgl. Kapitel 2, 1.1.1. Vgl. dazu TE RIELE (1978), 328f.
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Kapitel 3. Kultische Sprache in paganen Kontexten
Bsp. 3 (LSAM 12 [Pergamon] nach 133 v. Chr.): a`gneue,twsan de. kai. eivsi,twsan ei.j to.n th/j qeo[u/ nao.n] oi[ te poli/tai kai. oi` a;lloi pa,ntej avpo. me.n th/j ivdi,aj g[unai]ko.j kai. tou/ ivdi,ou avndro.j auvqhmero,n, avpo. de. avllotri,aj k[ai.] avllotri,ou deuterai/oi lousa,menoi· w`sau,twj de. kai. avpo. kh,douj kai. tekou,shj gunaiko.j deuterai/oj· avpo. de. ta,fou kai. evkfora/j perirasa,menoi kai. dielqo,ntej th.n pu,lhn kaq’ h]n ta. a`gisth,ria ti,qetai, kaqaroi. e;stwsan auvqhmero,n.
Die Bürger und alle anderen sollen sich kultisch reinigen und hineingehen in den Tempel der Göttin: von der eigenen Frau und dem eigenen Mann – am gleichen Tag, von einer Fremden und einem Fremden – am zweiten Tag, nachdem sie sich gewaschen haben. Ebenso auch von einer Trauerfeier und einer Frau, die geboren hat – am zweiten Tag. Von einer Grablegung oder einem Leichenzug werden sie am gleichen Tag rein sein, nachdem sie sich ringsum besprengt haben und durch das Tor hindurchgegangen sind, hinter dem sich die Reinigungsstätten befinden.
Bsp. 4 (LSCG, Suppl 54 [Delos] 2. Jh. v. Chr.): avgaqh|/ tu,ch|. a`gneu,ontaj eivsie,nai avpo. ovyari,ou tritai,ouj, avpo. u`ei,ou lousa,menon, avpo. gunaiko.j tritai,ou(j), avpo. tetokei,aj e`bdomai,ouj, avpo. diafqora/j tettarakostai,ouj, avpo. gunaikeiwn evnatai,ouj.
Glück auf! Man gehe hinein, wenn man kultisch rein ist: vom Fisch – am dritten Tag; vom Schweinefleisch – nachdem man sich gewaschen hat; von einer Frau – am dritten Tag, von einer Wöchnerin – nach einer Woche; von einer Fehlgeburt – am vierzigsten Tag; von einer Menstruierenden – am neunten Tag.
Bsp. 5 (SEG XXVIII 421, [Megalopolis] ca. 200 v. Chr.)86 sta,la ;Isioj Sara,pioj qeo,j, tu,ca avgaqa,. i`ero.n a[gion ;Isioj Sara,pioj vAnou,bioj. eivsporeu,esqai eivj to. i`ero.n to.n boulo,menon qu,ein kaqari,zonta avpo. men le,c[o]uj evnatai,an, avpo. de. diafqe,rmatoj tessera,konta kai. te,ssaraj a`me,raj, avpo. de. tw/[n] fusikw/n e`bdomai,an, avpo. fo,[n]ou e`pta. a`me,raj, avpo. de. aivge,ou kai. probate,ou tritai/on, avpo. de. tw/n loipw/n brwma,twn evk kefala/j lousa,menon auvqhmeri,, avpo. de. avfrwdisi,wn auvqhmeri, lousa,menon […]87
Stele der Isis und des Gottes Sarapis Glück auf. Wer in das heilige Heiligtum von Isis, Sarapis (und) Anubis eintreten will, um zu opfern, soll sich reinigen von einer Geburt88 am neunten Tag, von einer Fehlgeburt am vierundvierzigsten Tag, von natürlichen (Vorgängen) nach einer Woche,89 von einem Leichnam90 nach einer Woche, von Ziegen- und Schaffleisch drei Tage, von allen anderen Speisen am gleichen Tag, nachdem man sich vom Kopf (ab) gewaschen hat, von Sexualkontakten am gleichen Tag, nachdem man sich gewaschen hat […]
86 Diese Inschrift wurde zum ersten Mal 1978 ediert und ist daher in der Sammlung von Sokolowski noch nicht enthalten.
3. Einlassbestimmungen in den Leges Sacrae
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Diese Inschriften aus vorneutestamentlicher Zeit beziehen sich auf unterschiedliche Kulte. LSAM 12 nennt Voraussetzungen für den Besuch eines Heiligtums, das der Göttin Athene geweiht ist.91 LSCG, Suppl 54 regelt die Verehrung einer syrischen Göttin,92 SEG XXVIII 421 die ägyptischer Götter. Daran lässt sich die kultübergreifende Bedeutung und Verbreitung dieser Texte ablesen. Sie stammen aus dem griechischen Kernland und aus Kleinasien und nennen Faktoren, die die Kultfähigkeit eines Menschen aussetzen. Konkret handelt es sich um Sexualität, den Kontakt mit der Sphäre des Todes oder der Geburt. Auch gibt es bestimmte Speisen, die es dem Menschen unmöglich machen, mit dem Heiligen in Kontakt zu treten. Waschungen und das Verstreichen von Zeit machen diese Begegnung wieder möglich.93 Diese drei Inschriften weisen sprachliche Strukturen auf,
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Die übrigen sechs Zeilen sind nicht mehr zu entziffern. Die Edition vokalisiert nicht lecou/j , sondern le,couj. Damit wäre das (Ehe)bett gemeint. Da von der Verunreinigung durch Sexualkontakte weiter unten in der Inschrift noch gesprochen wird, und der Majuskeltext diese Deutung möglich macht (vgl. unter 4.2.3), vermute ich, dass hier Unreinheit durch Geburt im Blick ist. Dazu passt, dass direkt danach von einem Abort die Rede ist. Ähnlich LUPU (2005), 209. 89 Was mit den „natürlichen“ (Vorgängen) gemeint sein soll, ist nicht ganz klar. Man könnte annehmen, dass es um natürliche Fehlgeburten im Unterschied zu Abtreibungen geht – allerdings irritiert der Plural, der nicht zum Singular diafqe,rmatoj passt. T E RIELE (1978), 329f schlägt vor, das Wort als Begriff für die Menstruation zu verstehen. In den Leges Sacrae kommt das Wort fusiko,j sonst überhaupt nicht vor und von den üblichen Begriffen für die Menstruation in den medizinischen Texten, die Te Riele nennt, kommt dem nur „ta. kata. fu,sin“ aus dem Corpus Hippocraticum nahe (De morbis popularibus 6,8,32). Diese Deutung ist im Kontext aber durchaus plausibel, denn das feminine Adjektiv e`bdomai,an bezieht sich wohl auf Vorgänge, die Frauen betreffen – und nachdem Geburt, Sexualität und Abort schon genannt wurden, kommt kaum etwas anderes als die Menstruation in Frage (vgl. TE R IELE [1978], 329, dem sich auch LUPU [2005], 210 anschließt.). 90 Ob fo,noj hier tatsächlich den Mord bzw. den Totschlag meint, oder im Sinne von „Leichnam“ zu verstehen ist (das entspräche dem Sprachgebrauch bei Euripides, Or. 1357 und 1491), lässt sich wegen der Kürze des Textes nicht fundiert entscheiden. Berücksichtigt man aber den Inhalt vergleichbarer Inschriften, so ist Letzteres wahrscheinlicher. Der Kontakt mit der Sphäre des Todes gehört zu den Vorgängen, die üblicherweise als verunreinigend genannt werden. Da die Inschrift auch sonst im Rahmen des Üblichen bleibt, dürfte sie es auch in diesem Punkt tun. LUPU (2005), 210f vermutet, dass es um die Tötung eines Tieres geht, was in den Leges Sacrae m. W. allerdings singulär wäre. Dass es sich um Mord handelt, schließt er aus, weil die Verunreinigung dadurch „far more serious“ wäre, als die, von der die Inschrift sonst spricht (211). 91 Vgl. SOKOLOWSKI (1955), 73. 92 Vgl. SOKOLOWSKI (1962), 109. 93 Näheres zu den verunreinigenden Faktoren vgl. unter 4.2. 88
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Kapitel 3. Kultische Sprache in paganen Kontexten
die sich – bei aller Differenz im Detail – noch auf Inschriften aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert finden:94 Bsp. 6 (LSCG 139 [Lindos] 2. Jh. n. Chr.): [avg]aqa/i tu,c[a]i. avf’ w-n cr[h] pa[r]i,n[ai] aivsi,wj e[iv]j to. ive[r]o,n· prw/ton me.n kai. to. me,giston, cei/raj kai. gnw,mhn kaqarou.j kai. u`gie[i/j] u`pa,rcontaj kai. mhde.n auvtoi/j deino.n suneido,taj kai. ta. evkto,j· avpo. fakh/j h`merw/n g avpo. aivgei,ou h`me(rw/n) g avpo. turou/ h`me(rw/n) a avpo. fqorei,wn h`me(rw/n) m avpo. kh,douj [oivk]ei,ou h`me(rw/n) m avpo. sunousi,aj nomi,mou auvqhmero.n periraname,nouj kai. pro,teron creisame,nouj evlai,w| avpo. parqenei,aj
Glück auf! Wovon (rein) man schicklicherweise in das Heiligtum gehen soll: Zuerst und am wichtigsten, dass man an Händen und Sinn rein und gesund sei und sich keiner unerhörten (Sache) bewusst sei. Und außerdem: von Linsen – drei Tage; von Ziegen(fleisch) – drei Tage; von Käse – drei Tage; von Aborten – vierzig Tage; vom Trauerfall eines Verwandten – vierzig Tage; vom gesetzmäßigen Geschlechtsverkehr – am gleichen Tag, wenn man sich ringsherum besprengt und zuvor mit Öl gesalbt hat, von einer Entjungferung 95 ...
4. Reinheit und Unreinheit in den Leges Sacrae 4. Reinheit und Unreinheit in den Leges Sacrae
4.1 Äußere und innere Reinheit Die Beispiele 3, 4 und 5 nennen die in den Inschriften besonders häufig zu findenden und auch jüdisch belegten Unreinheitsfaktoren Geschlechtsverkehr, Tod und Geburt. Beispiel 4 und 5 erwähnen zusätzlich noch bestimmte Speisen (Fisch und Schweinefleisch). All das findet sich in der als Beispiel 6 zitierten Inschrift aus Lindos ebenfalls. Diese unterscheidet sich von den Beispielen 3, 4 und 5 aber dadurch, dass zusätzlich zu „äußerlichen“ Reinheitsbestimmungen weitere – von den Verfassern der Inschrift selbst für wichtiger gehaltene (prw/ton me.n kai. to. me,giston) – Reinheitsbestimmungen hinzukommen, die das Innere des Menschen betreffen. Es genügt nicht, nur auf die nötige Frist nach dem Genuss von Knoblauch zu achten, wenn man ein Heiligtum betreten will, man soll vielmehr auch geistig und ethisch rein sein.
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Überhaupt fällt hinsichtlich der sprachlichen Gestalt der Inschriften auf, dass diese über viele Jahrhunderte hinweg konstant bleibt. 95 Vgl. dazu COLE (1992), 109.
4. Reinheit und Unreinheit in den Leges Sacrae
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Diese Bestimmung hat Vorläufer im 2. Jh. v. Chr. und begegnet auf Inschriften ab dieser Zeit recht häufig: eivstei,chn euvsebe,aj ouv loutroi/ avlla. no,w| kaqaro,n
(Das Heiligtum) dürfen die Frommen betreten. (LSCG 124 [2. Jh. v. Chr.]) Nicht durch Waschung, sondern im Geist rein… (LSCG, Suppl 108,6f [1. Jh. v. Chr.])96
a`gno.n pro.j te,menoj stei,cein o[sia frone,onta
Kultisch rein betrete man den heiligen Bezirk und denke Frommes. (LSCG, Suppl 82 [römische Zeit])
ive,nai eivj to i`er[o.n tou/] Dio.j tou/ Kunqi,ou [kai. th/]j vAqhna/j th/j Kunqi,[aj ce]rsi.n kai. yuch|/ kaqa[ra/|, e;]contaj evsqh/ta leu[kh,n…
In das Heiligtum des kynthischen Zeus und der kynthischen Athene darf man (nur) rein an Händen und Seele hineingehen, mit weißem Gewand bekleidet… (LSCG, Suppl 59,10–14 [römische Zeit])97
mh. to. [sw/]ma mo,non avlla. kai. th.n yuch.n kekaqarme,nouj
Nicht nur körperlich, sondern auch an der Seele gereinigt… (LSCG, Suppl 91,4f [3. Jh. n. Chr.])98
Literarisch ist der Gedanke, dass Reinheit nicht nur eine kultische, sondern auch eine „seelische“ Dimension haben kann, die vor allem ethisch qualifiziert ist, schon bei den Tragikern greifbar:99 Euripides lässt die Amme die Phaidra fragen: „Sind deine Hände, Kind, rein vom Blut?“ (a`gna.j me,n, wpai/, cei/raj ai[matoj forei/j;), worauf Phaidra antwortet: „Die Hände sind 96
Diese Inschrift nennt vorher als verunreinigende Faktoren die Sexualität (avfrodisi,wn), Bohnen und Herzen. 97 Es folgen Angaben zur Enthaltsamkeit bezüglich der Sexualität und bestimmter Speisen. Außerdem werden Kleidungsstücke und weitere Gegenstände genannt, die man nicht in den Tempelbereich hinein bringen darf. 98 Vorher wird sehr allgemein ausgeführt, dass man von allem Unheiligen (avna,gnou) und Unziemlichen (avqe,smou) rein und geheiligt ([ka]qaro[u.]j [kai. a`gnou.j ]) sein soll (1,ff). Im Folgenden werden wiederum konkrete Faktoren benannt, die den Menschen kultunfähig machen. 99 Die genauen Ursprünge dieser Vorstellung liegen im Dunkeln. CHANIOTIS (1997) vermutet, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Glauben an die Unsterblichkeit der Seele und der Forderung, dass diese rein zu halten sei, gebe (149). Er sieht selbst, dass schon Homer voraussetzt, dass die Seele auch nach dem Tod des Menschen noch fortbesteht, ohne dass Homer daraus den Schluss gezogen hätte, die Seele müsse rein sein (149, Anm. 8). Möglich ist, dass man in Mysterienkulten die Reinheit der Seele propagiert hat. Chaniotis kann dafür drei Zeugnisse beibringen (Aristophanes, Ran. 354f; Origenes, Contra Celsum 3,59; Libanios, Declamatio 13,52 [„Mysten sollen rein an den Händen und in der Seele sein, und Griechen in der Sprache“]).
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Kapitel 3. Kultische Sprache in paganen Kontexten
rein, unrein ist nur das Herz“ (cei/rej me.n a`gnai,, frh.n d’ e;cei mi,asma, ti) (Hipp. 316f).100 Das Miasma, das Phaidras Herz und Sinn – so wie ein Mord die Hände101 – befleckt, ist die sittenwidrige Liebe zu Hippolytos, dem Sohn ihres Gatten. Vergleichbares liest man im Dialog zwischen Orest und Menelaos: Menelaos beteuert: „Rein sind ja meine Hände“ (a`gno.j ga,r eivmi cei/raj), und fühlt sich damit in der Lage, eine Opferzeremonie zu vollziehen. Orest bestreitet dies mit dem Hinweis: „Nicht dein Herz“ (avll’ ouv ta.j fre,naj) (Or. 1604). Was Orest hier konkret meint, kann nur die mangelnde Solidarität unter Familienmitgliedern sein, auf die Orest sich als Schutzflehender verlassen hat (381ff).102 Plato bringt die in den zitierten Texten aufschimmernde Verbindung von Kult und Ethik auf die Formel, dass der, der in ethischer Hinsicht schlecht ist, an seiner Seele unrein ist (avka,qartoj ga.r th.n yuch.n o[ ge kako,j), der ethisch Gute aber rein (kaqaro.j de. o` evnanti,oj). Das hat Folgen für den Kontakt mit der Gottheit: „Vergeblich also ist das eifrige Bemühen um die Götter für den Unfrommen, für alle Frommen aber höchst zweckmäßig“ (ma,thn ou=n peri. qeou.j o` polu,j evsti po,noj toi/j avnosi,oij, toi/sin de. o`sioij evgkairo,tatoj a[pasin) (leg. 716 E–717 A).103 Der Kontakt mit der Gottheit kann nur dann gelingen, wenn der Mensch auch in ethischer Hinsicht rein ist. Reinheit der Seele verbindet sich in der philosophischen Erinnerung des 3. nachchristlichen Jahrhunderts besonders mit der Gestalt des Pythagoras und seiner Lehre. Nach Jamblich, v. P. 3.13.5 (vgl. auch 24.106.13; 24.107.3) dienen die zuvor genannten Speise- und Lebensgewohnheiten der seelischen Reinheit. Bei der Darstellung der pythagoreischen Musiktheorie spricht Jamblich ebenfalls von der „Reinigung des Verstandes und der ganzen Seele“ (ka,qarsij th/j dianoi,aj a[ma kai. th/j o[lhj yuch/j) [16.68.2]. Pythagoras habe an der Reinigung des Verstandes gearbeitet, heißt es in 16.70.16. Wer sein Schüler werden wollte, musste ein mehrjähriges Aufnahmeritual durchlaufen, denn nur wer eine „gereinigte Seele“ habe, dürfe in die Geheimnisse der Philosophie eingeweiht werden (17.75.9f). Auch Diogenes Laertios schreibt Pythagoras ein Interesse an der Reinheit der Seele zu. Nur reine Seelen würden – so referiert er – nach dem Tod von Hermes nach oben geführt (8.31).104 Ob diese Erinnerungen 100
Übersetzungen nach H. von Arnim. Genauer wäre „hat eine Befleckung“. Vgl. SEG LI 1105 B 11. 102 Aus den Inschriften kann noch SEG XXVIII 856 ergänzt werden. Dabei handelt es sich um eine Ehreninschrift, in der parallel neben kaqarw/j diaiw/j steht. 103 Übersetzung nach K. Schöpsdau. 104 In der bekannten Aufzählung, wie der Mensch Reinheit erlange, erwähnt Diogenes Laertios allerdings nur äußere Faktoren (8.33). 101
4. Reinheit und Unreinheit in den Leges Sacrae
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sich den philosophischen Prioritäten derer verdanken, die sie aufzeichnen, oder ob sie tatsächlich altes Material, das auf Pythagoras selbst zurückgeht, enthalten, können wir an dieser Stelle offen lassen. In die Leges Sacrae haben einschlägige Vorschriften in jedem Fall erst mit einiger Verspätung Eingang gefunden,105 dann begegnen sie aber recht häufig und lassen auch erkennen, dass die Reinheit der Seele vor allem eine ethische Dimension hat. Eiv kaqara,n, w= xei/ne, fe,reij fre,na, kai. to. di,ka[i]on hvskh,kej yuch/(i), bai/ne kat’ euvi,eron. eiv d’ avdi,kwn yauei,j, kai, soi no,oj ouv kaqareu,ei, pw,rrw avp’ avqana,twn [e;]rgeo kai. teme,nouj. ouv ste,rgei fau,louj [i`]ero.j do,moj, avlla. kolla,zei, toi/j d’o`si,oij [dex]i,ouj avntine,me[i o` qeo,j]106
Wenn du, Fremder, ein reines Herz trägst und in deiner Seele Gerechtigkeit übst, dann trete in diesen heiligen Ort ein. Wenn du aber Ungerechtigkeit berührst und dein Geist unrein ist, begib dich weit weg 107 von den Unsterblichen und dem heiligen Bezirk. Das heilige Haus liebt nicht schlechte Menschen, sondern bestraft sie. Aufrichtige aber beschenkt der Gott mit seinen heiligen Gaben.108
Diese ins 2. Jh. v. Chr. datierte Inschrift aus Euromos knüpft den Zugang zum Heiligtum an die Bedingung, dass der Mensch, der in Kontakt mit der Gottheit treten will, in seiner Seele Rechtes übt.109 Das Gegenbild zum Menschen, der das Rechte (to. di,ka[i]on) übt, ist der „schlechte Mensch“. Für ihn kann die Begegnung mit der Gottheit keine heilvollen Konsequenzen haben.110 Er muss vielmehr mit dem Widerwillen und der Strafe der Gottheit rechnen.
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Die ältesten erhaltenen Inschriften stammen aus dem 2. Jh. v. Chr. CHANIOTIS (1997), 152 sieht den ältesten inschriftlichen Beleg bei Clemens von Alexandrien, Stromateis 5,1.13.3 aufbewahrt. „Wenn du den weihrauchduftenden Tempel betrittst, musst du rein sein; rein sein heißt, fromm zu denken“, heißt es nach Theophrast auf einer Inschrift, die den Zugang zu dem im 4. Jh. v. Chr. erbauten Asklepiostempel in Epidauros regelt. 106 Text zitiert nach ERRINGTON (1993), 29f. 107 Wörtlicher: „Halte dich weit entfernt von…“. 108 Übersetzung von ERRINGTON (1993), 30. 109 Man könnte auch übersetzen „mit der Seele das Gerechte übt“, was nichts anderes bedeutet, als dass er als ganze Person recht handelt. Zum Personaspekt von yuch, vgl. den Hinweis zu Lev 2,1 im Erläuterungsband zu LXX.D. 110 Dass die Inschrift aus Euromos „ausschließlich an dem inneren Menschen interessiert“ ist (so CHANIOTIS [1997], 158), scheint mir zu scharf formuliert. Es ist zwar richtig, dass das gerechte Tun in der Seele angesiedelt wird, andererseits scheint die Formulierung „Berührung der Ungerechtigkeit“ doch mehr als einen rein intellektuellen Vorgang im Blick zu haben. Auch ist die Wendung „schlechter Mensch“ so umfassend, dass sie sicher auch das Handeln des Menschen im Blick hat.
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Kapitel 3. Kultische Sprache in paganen Kontexten
Eine Inschrift aus dem kleinasiatischen Philadelphia (LSAM 20 [1. Jh. v. Chr.]) stellt einen ganzen Katalog ethischer und kultischer Forderungen auf, die derjenige, der das Haus, in dem sich große Götter aufhalten (qeoi. g[a.]r evn autw/i i]druntai mega,loi) betreten will, erfüllen muss: do,lon mhqe,na mh,te avndri. mh,[te gunaiki. eivdo,]tej mh. fa,rmakon ponhro.n pro.j avnq[rw,pouj, mh. evpwi]da.j ponhra.j mh,te ginw,skein mh,[te evpitelei/n, mh.] fi,ltron, mh. fqorei,on, mh. [avt]okei/on, m[h. a;llo ti paido]fo,non mh,te auvtou.j evpitelei/n mh,te [evte,rwi sumbou]leu,ein mhde. sunistorei/n […] a;ndra para.] [th.n] e`autou/ gunai,ka avllotri,an h' [evleutqe,ran h'] dou,lhn a;ndra e;cousin mh. fqere[i/n mhde. pai/da mh][de.] parqe,non mhde. e`te,rwi sumboul[eu,sein […] gunai/ka evleuqe,ran a`gnh.n ei=n[ai kai. mh. ginw,sk]ein a;[l]lou avndro.j plh.n tou/ ivdi,ou euvnh.[n h; sunousi,an]
dass sie Hinterlist gegen Mann oder Frau nicht kennen, dass sie böses Gift gegen Menschen und böse Zaubersprüche weder kennen noch anwenden; dass sie auch keinen Liebestrank oder Abtreibungstrank oder ein Verhütungsmittel oder sonst irgendetwas, das Kinder tötet,111 selbst anwenden oder jemand anderen darin beraten oder davon wissen […] Ein Mann darf außer seiner eigenen Frau keine Fremde verführen, die einen Mann hat – sei sie eine Freie oder eine Sklavin – auch keinen Knaben oder eine Jungfrau. Auch darf er niemanden (dabei) beraten. […] eine freie Frau soll rein sein und das Bett und den Beischlaf eines anderen als ihres eigenen Mannes nicht kennen.
(LSAM 20,14–32 [1. Jh. v. Chr.])
Diese Inschrift112 untersagt zunächst generell Verhaltensweisen, die anderen Menschen – auch noch nicht geborenen – Schaden zufügen. Danach wendet sie sich an verheiratete Männer und Frauen und weist sie an, ihre Sexualität ausschließlich in der Ehe zu leben. Auffällig ist, dass nicht allein die verbotene Handlung, sondern auch schon die Beraterschaft und im Prinzip auch die Mitwisserschaft einen Tatbestand darstellt, der den Unwillen der Götter nach sich zieht. Diesem kann nur entgehen, wer die böse Tat und den Täter umgehend zur Anzeige bringt. Dazu fordert die Inschrift ausdrücklich auf. Auch nennt diese Inschrift einige Folgen, die eintreten, wenn man den Vorschriften der Gottheit nicht gehorcht. Dann gilt, dass die Götter „dies beobachten und diejenigen, die die Anweisungen übertreten, nicht aufneh-
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Diese Rekonstruktion Sokolowskis korrigiert den in der Forschung bis dahin angenommenen Text, den M. W EINFELD (1990), 35, Anm. 98 referiert: „m[h. a`rpagmo,n mh.] fo,non“. Für Weinfeld ergibt sich auf der Basis dieser Rekonstruktion eine Parallele zum Dekalog. 112 Bei W EINFELD (1990), 35f findet sich eine englische Übersetzung des Textes.
4. Reinheit und Unreinheit in den Leges Sacrae
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men“ (kai. t[au/ta evpiskopou/]sin kai. tou.j parabai,nontaj ta. parag[ge,lmata ouvk avne,]xontai).113 Eine delische Inschrift aus römischer Zeit schreibt neben der Reinheit von sexueller Befleckung und bestimmten Bekleidungsvorschriften (z.B. weiße Gewänder114) vor, dass man nur „mit reinen Händen und reiner Seele“ (cersi.n kai. yuch|/ kaqara|/) in das Heiligtum gehen darf (LSCG, Suppl 59,13), außerdem soll man „nichts von den verbotenen Dingen tun“ (mhd’ avllo pra,ttein tw/n avphgoreume,nwn) – ohne dass ausgeführt würde, was das genau ist (21–23). Wer im dritten nachchristlichen Jahrhundert das Heiligtum von Lindos auf Rhodos betreten wollte, musste gleichfalls nicht nur körperlich, sondern auch seelisch rein sein (mh. to. sw/ma mo,non avlla. kai. th.n yuch.n kekaqarme,nouj) (LSCG, Suppl 91,4f). Von Unreinheit, die durch den Kontakt mit Geburt, Tod oder Sexualität (11ff) entsteht, soll man ebenso rein sein wie von „allem Fluchbeladenen, Unreinen, Gesetzlosen“ (avpo, panto.j evnagou/j, avna,gnou, avqe,smou) (4). Diese Inschriften, wie auch die zuvor genannten literarischen Belege, lassen eines deutlich erkennen: Reinheit im kultischen Sinn wird durch moralische Reinheit ergänzt – aber nicht ersetzt. Es genügt den Texten nicht, dass der, der den Kontakt mit dem Heiligen sucht, seinen Körper gereinigt und alle Fristen eingehalten hat. Zur Reinheit des Körpers muss eine der Seele hinzutreten. Umgekehrt genügt es nicht, in moralischer Hinsicht untadelig zu sein, dafür aber z.B. die auf einer Beerdigung zugezogene Unreinheit in den Tempel zu tragen. Eine vergleichbare Tendenz findet sich auch Traditionen Israels (vgl. Ps 24) und verstärkt sich in jüdischen Texten, die sprachlich und inhaltlich im Kontakt mit der hellenistischen Welt stehen (vgl. oben Kapitel 2, 2.2). 4.2 Verunreinigende Faktoren Vor dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert finden sich in den Inschriften noch keine Spuren der Vorstellung einer inneren Reinheit. Ältere Texte erwähnen nur solche Verunreinigungen, die den Körper betreffen und die durch Waschungen und / oder das Verstreichen von Zeit beseitigt werden können.115 Betrachtet man die oben zitierten Inschriften (Bsp. 3, 4 und 5), 113 Das kann zweierlei bedeuten: Entweder akzeptieren die Götter nicht, dass sich solche Menschen in ihrem Haus aufhalten, oder sie nehmen sie nach deren Tod nicht in ihrem Kreis auf. Weiteres bei CHANIOTIS (1997), 160f. 114 Weiße Gewänder werden immer wieder als Kleidung der Kultteilnehmer genannt (LSAM 11,2; 14,9; 16,9; 35,5 u. ö.). Die Johannesoffenbarung sieht die Teilnehmer am Kult, den sie vor Augen hat, ebenfalls weiß gewandet (z. B. Apk 3,4f; 4,4; 7,9.13; 19,14). 115 Damit berühren sich diese Texte mit einschlägigen Passagen in der Hebräischen Bibel bzw. ihrer Übersetzung, der Septuaginta, die zur Beseitigung der meisten Verunreinigungen eine Waschung und das Verstreichen von Zeit für ausreichend halten.
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Kapitel 3. Kultische Sprache in paganen Kontexten
erweisen sich neben den dort genannten Speisen folgende Lebensvollzüge als mit Kontakt mit dem Heiligen nicht kompatibel: 4.2.1 Sexualität Die als Beispiel 4 zitierte Inschrift aus Delos sieht vor, dass ein Mann am dritten Tag, nachdem er mit einer Frau geschlafen hat, das Heiligtum betreten darf. Von drei Tagen spricht auch eine vom Isthmos stammende Inschrift aus dem 2. Jh. v. Chr. (LSCG 171,17). Mit 10 Tagen geht ein später Text aus Pergamon (LSAM 14 [3. Jh. n. Chr.]) deutlich über dieses Maß hinaus, während andere Zeugnisse den Zugang zu einem Heiligtum am Tag des Beischlafs erlauben, wenn der Mann sich vorher einer Waschung unterzogen hat (LSAM 18 [147/6 v. Chr.]; LSCG 55 [2. Jh. n. Chr.]; LSCG 124 [2. Jh. v. Chr.]; LSCG 139 [2. Jh. n. Chr.]). Die meisten Inschriften denken in der Tat androzentrisch, doch begegnen entsprechende Regelungen (selten) auch für Frauen116 (LSAM 12,5 [133. v. Chr.] s. oben Bsp. 3; LSCG, Suppl 119 [1. Jh. v. Chr.]; LSAM 18,13ff [147/6 v. Chr.] „e`tai,ra tritai,a periagnisame,nh ka[qw.]j ei;[q]istai“ [eine Hetäre am dritten Tag eintreten, nachdem sie sich rundherum gereinigt hat, wie es üblich ist]). Der androzentrischen Sicht entspricht die Formulierung, die als Quelle der Unreinheit oft einfach nur die Frau angibt (avpo. gunaiko,j [LSAM 29,4f; LSCG 171,17; LSCG, Suppl 54,4; 59,16; 115 A 11 u.ö.]).117 Während die genannten Texte allgemein auf eine Distanzierung von Sexualität und Kultus achten, differenzieren andere Inschriften danach, mit welchem Partner der Geschlechtsverkehr stattgefunden hat.118 War es der eigene Mann bzw. die eigene Frau, so ist der Eintritt in Pergamon am gleichen Tag erlaubt, war es ein Fremder oder eine Fremde, erst am zweiten (s. Bsp. 3). Wer ein Heiligtum im ionischen Metropolis betreten wollte, durfte es nach zwei Tagen tun, wenn er mit seiner eigenen Frau geschlafen hatte, war er mit einer Prostituierten zusammen, musste er einen Tag länger warten (LSAM 29 [4. Jh. v. Chr.]). In Lindos konnte man zwischen gesetzlichem (no,mimoj) und ungesetzlichem Verkehr unterscheiden. Während sich in diesem Text (LSCG 139 [s. Bsp. 6]) nichts Entsprechendes erhalten hat, 116
Dies ist allerdings nicht ohne literarische Parallele. So beschreibt Aristophanes ein Gespräch zwischen einer Frau und ihrem Mann, in dem die Frau sich den „Nachstellungen“ ihres Mannes zu entziehen versucht, indem sie darauf hinweist, dass sie nach dem Geschlechtsverkehr nicht mehr rein sein werde, und so nicht auf die Akropolis gehen könne (Lys. 912f). 117 Vgl. COLE (1992), 108, die darauf hinweist, dass dies in Spannung zu der Auffassung steht, dass das Sperma selbst verunreinigende Qualität hat (Hesiod, erg. 733f). 118 LSCG, Suppl 115, eine kyrenische Inschrift vom Ende des 4. Jh. v. Chr. differenziert danach, ob der Geschlechtsakt am Tag oder in der Nacht stattgefunden hat (11ff). Nur am Tag bedarf es der Waschung.
4. Reinheit und Unreinheit in den Leges Sacrae
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sieht LSCG, Suppl 91 im 3. Jh. n. Chr. vor, dass man vom ungesetzlichen Verkehr niemals rein wird (avpo. tw/n parano,mwn ouvde,pote kaqaro,j ).119 Die Vorstellung, dass es Verunreinigungen gibt, von denen man niemals mehr rein werden kann, ist nicht nur in Kontexten belegt, in denen es um sexuelle Befleckung geht. Auch in dieser Inschrift ließe sich diese Zeile isoliert so lesen, als spreche sie von gesetzwidrigen Taten überhaupt (im Kontext geht es aber um den Geschlechtsverkehr). Als nicht „abwaschbar“ gilt bei den Tragikern die Blutschuld (z. B. Aischylos, Choeph. 72– 74). Texte aus hellenistischer Zeit verallgemeinern das Motiv („den bösen Mann wüsche mit all seiner Flut selbst der Ozean nicht rein“ [a;ndra de. fau/lon ouvd' a'n o` pa/j ni,yai na,masin wvkeano,j Anthologia Graeca XIV 71]); „denn niemals spült die Waschung des Leibes Flecken der Seele ab“ [ou;pote ga.r sh.n yuch.n evkni,yei sw/ma diaino,menon Anthologia Graeca XIV 74]). Auch Leges Sacrae kennen unsühnbare Schuld (LSCG 55,16 [a`marti,an […] h]n ouv mh. du,nhtai evxeila,sasqai]).
Diese strenge Regelung erinnert an einen der Frau des Pythagoras zugeschriebenen Ausspruch: „Sie soll auch gefragt worden sein, wann eine Frau nach sexuellem Umgang mit einem Mann wieder rein sei, und geantwortet haben: ‚Wenn’s der eigene war, sofort, wenn’s ein fremder war, niemals!‘“ (Diogenes Laertios 8,43).120 Damit stimmt die Erinnerung Jamblichs überein, der von der Frau eines Pythagoräers berichtet, dass sie gesagt habe, eine Frau dürfe am gleichen Tag,121 an dem sie vom Bett ihres Mannes aufsteht, ein Opfer bringen (v. P. 27.132). Nach dem Umgang mit einer Prostituierten (koinh,)122 sieht LSCG, Suppl 91 immerhin eine Frist von 30 Tagen vor, die man abwarten soll, bevor man das Heiligtum betreten darf. Dass Prostitution in der Antike ein weit verbreitetes Phänomen war, ist hinreichend bekannt.123 Die hier erwähnten Inschriften bestätigen ihrerseits ihre Verbreitung und gesellschaft-
119 Was genau mit no,mimoj und para,nomoj gemeint ist, lässt sich den Texte leider nicht entnehmen. 120 Auch Musonius (12) unterscheidet zwischen legitim (no,mimoj) und illegitim (para,nomoj) gelebter Sexualität. Legitim ist die Ausübung von Sexualität in der Ehe, wenn sie dem Zweck der Kindererzeugung dient. Alles andere gilt als schändlich (aivscro,j). 121 Jamblich verwendet hier den Ausdruck auvqhmero,n, der sich in gleicher Bedeutung auch in den Leges Sacrae findet (vgl. Bsp. 3, 5 und 6). 122 Das Griechische kennt mehr als 30 Begriffe für Prostituierte aller Art (vgl. REINSBERG [1993], 88). Die Bezeichnung e`tai,ra (Hetäre) „meint im Gegensatz zu der oft geäußerten Meinung durchaus nicht nur besonders exquisite Vertreterinnen ihrer Spezies [...]. Vielmehr steht der Begriff Hetäre umfassend und allgemein für Prostituierte jeder Art.“ (REINSBERG [1993], 89). Koinh, hat hingegen klar einen abwertenden Ton (vgl. LSJ, 968). 123 Vgl. KIRCHHOFF (1994), 42ff und FOTOPOULOS (2003), 169ff (beide mit Schwerpunkt auf den Verhältnissen in Korinth); REINSBERG (1993), 86ff (mit Schwerpunkt auf den Verhältnissen in Athen).
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liche Bedeutung.124 Sie nehmen aber zugleich eine gewisse Wertung vor, indem sie festlegen, dass der Verkehr mit einer Prostituierten stärker verunreinigt als der mit der Ehefrau. Diese Tendenz teilen sie mit philosophischen Aussagen aus den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende, die – so wie Epiktet und Plutarch – jeden nichtehelichen Sexualverkehr für eine Schande halten, die „den handelnden Mann beschmutzt“.125 Die sich in den genannten Leges Sacrae ausdrückende strenge Festlegung, der Vollzug eines Kultes verlange Reinigung von vorangehenden sexuellen Handlungen, gilt schon Herodot als typisches Kennzeichen griechischer (und ägyptischer) Kultur: „Auch mit einem Weibe in einem Tempel den Beischlaf zu vollziehen oder nach einem Beischlaf ungewaschen einen Tempel zu betreten, haben zuerst die Ägypter für sündhaft gehalten. Denn fast alle anderen Völker außer den Ägyptern und den Griechen vollziehen den Beischlaf unbedenklich auch in einem Tempel und gehen, wenn sie bei einem Weibe gelegen, ungewaschen hinein...“ (2,64).126 Für die spätneutestamentliche Zeit bezeugt Plutarch, dass zwischen dem Geschlechtsakt und dem Tempelbesuch einige Zeit verstreichen sollte. In den Tischgesprächen erwähnt er, dass „wir [...] den Gesetzen unseres Vaterlandes gehorsam sein“ müssen und „uns sorgfältig hüten, dass wir nicht die Tempel der Götter besuchen oder Opferhandlungen verrichten, wenn wir eben erst von der Umarmung eines Weibes kommen. Daher ist es am besten, die Nacht und den Schlaf dazwischen zu setzen und dann nach einem hinlänglichen Zwischenraum wieder rein, gleichsam neu geboren, [...] mit ganz neuen Gedanken aufzustehen“ (mor. 655 C).127 Eine moralische Bewertung der Sexualität verbindet sich mit der in den Inschriften geforderten Trennung von Sexualität und Kult zunächst ebenso wenig, wie dies in der alttestamentlichen Überlieferung der Fall ist. Für sich genommen ist Sexualität qe,mij (Hom. Il. 9,276) – also recht, billig, erlaubt, der göttlichen Satzung entsprechend. Nur mit der Sphäre des Heiligen darf sie nicht in Kontakt kommen. Dabei werden Zuwiderhandlungen nicht unbedingt so hart bestraft, wie Herodot dies referiert, der über die Einwohner von Elaius erzählt, dass sie den Tod des persischen Feldherrn Artayktes gefordert haben sollen, weil dieser im heiligen Hain Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Artayktes wird dafür auch tatsächlich ans Kreuz geschlagen (9,117ff). Doch zeigen die genannten Inschriften, dass
124 LSAM 18,13–15 (147–146 v. Chr.) nennt sogar Eintrittsbedingungen für Hetären: Sie dürfen erst am dritten Tag das Heiligtum betreten, nachdem sie sich kultisch gereinigt (periagni,zw) haben. 125 KIRCHHOFF (1994), 97 (zu Musonius, 12; Plut. mor. 144 B und anderen). 126 Übersetzung von Th. Braun. 127 Übersetzung von Kaltwasser.
4. Reinheit und Unreinheit in den Leges Sacrae
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die Trennung von Sexualität und Kult durchaus sehr ernst genommen wurde – bzw. genommen werden sollte. Eine relativ geringe Rolle spielt Homosexualität in den Leges Sacrae, obwohl es durchaus Stimmen gibt, die homosexuelle Praktiken für verunreinigend halten (vgl. unten zu Röm 1,24ff [Kapitel 9, 2]). Nach LSCG 151 A 42 soll sich ein Priester von einer Frau und einem Mann reinigen (a`gneu,esqai gunaiko.j kai. avnd[ro.]j), bevor er kultische Handlungen ausführt (so auch LSCG 156 B 30). Die oben besprochene Inschrift aus Philadelphia (LSAM 20,27) untersagt den sexuellen Verkehr mit Knaben allen männlichen Kultteilnehmern. 4.2.2 Tod Die Beispiele 3, 4, 5 und 6 kennen neben der Sexualität den Kontakt mit der Sphäre des Todes als verunreinigenden Faktor. Dies ist ein gängiger Topos in den Leges Sacrae. Sehr häufig findet sich parallel zu avpo. gunaiko,j die Wendung avpo. kh,douj (LSAM 12,6 [133 v. Chr.]; LSAM 29,2 [4. Jh. v. Chr.]; LSCG, Suppl 91,13 [3. Jh. n. Chr.]; LSCG 139, 13 [2. Jh. n. Chr.]). Kh/doj bedeutet Sorge, Kummer, Trauer (care, anxiety, grief [LSJ s.v.]) und bezieht sich sehr oft auf die Trauer um geliebte Tote (Il. 5,156 [Trauer eines Vaters um seine toten Söhne; Pindar, P. 4,112 [Trauer der Eltern um ein verstorbenes Kind]; Herodot 2,36 [Trauer um einen Familienangehörigen]). Es meint den „Trauerfall“ und die Trauerfeierlichkeiten (Herodot 5,58 [Leichenfeier für einen König]). 128 Die als Bsp. 3 zitierte Inschrift aus Pergamon nennt neben kh/doj noch ta,foj (Begräbnis) und evkfora, (Prozession). Beide Begriffe bezeichnen – allerdings in umgekehrter Reihenfolge – die Stationen im Ablauf eines Beerdigungsrituals, die den größten Öffentlichkeitscharakter haben.129 Die Teilnahme daran verunreinigt, allerdings für kürzere Zeit als der Tod eines Angehörigen, von dem die Inschrift zunächst spricht.130 Der Zugang zum Tempel kann am gleichen Tag erfolgen. Die Unterscheidung zwischen dem Tod eines Verwandten und dem eines Fremden hinsichtlich seiner verunreinigenden Wirkung wird nicht überall gemacht (LSAM 29 [4. Jh. v. Chr.]; LSCG, Suppl 119131 [1. Jh. v. Chr.]; LSCG 55 [2. Jh. n. Chr.]; LSCG 97 B 9ff [5. Jh. v. Chr.] kennen sie nicht). Sie ist aber auch nicht selten.132 LSCG 124,2–4 setzt die Frist nach 128
Vgl. aber Euripides, Alc. 828. Das lässt sich an den umfangreichen Versuchen zeigen, den Pomp bei diesen öffentlichen Akten durch Gesetze einzuschränken (vgl. LSCG 97). 130 Vgl. dazu P ARKER (1983), 37, Anm. 17. 131 Vgl. dazu SEG XLIII 1131. 132 Vgl. W ÄCHTER (1910), 48f: „Die Hausgenossen sind natürlich in besonders hohem Grade der Verunreinigung ausgesetzt; deshalb dürfen sie auch manche Tempel erst nach 129
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der Trauerfeier für einen Verwandten (ka,dewj ivdi,w) auf zwanzig Tage fest, nach der eines Fremden (avllotri,w) sind es drei Tage. LSAM 18, 7–9 verlangt nach dem Tod eines Angehörigen (o`mai,mou) eine fünftägige Frist, sonst müssen drei Tage verstreichen, bevor man das Heiligtum betreten darf. Dass der Kontakt mit der Sphäre des Todes verunreinigende Wirkung hat, gehört zu den Grundüberzeugungen griechischen Denkens. Das Heilige darf damit ebenso wenig in Berührung kommen wie mit der Sexualität. Aus diesem Grund will Artemis nicht beim Sterben des Hippolytos zugegen sein. „Ich darf ja Sterbende nicht schauen, mein Antlitz darf kein Todeshauch berühren“, sagt sie, bevor sie den Sterbenden allein lässt. (Euripides, Hipp. 1437ff). Ebenso muss Apoll den Palast des Admetos verlassen, bevor Thanatos Alkestis holt: „Ich aber, dass mich nicht Befleckung (mi,asma) treffe, muss nun verlassen diese lieben Räume“ (Euripides, Alc. 22f133). Für Menschen gilt entsprechend: wer mit einer Leiche Kontakt hatte, darf sich dem Altar nicht nahen (vgl. Euripdes, Iph. T. 382).134 Weil die Welt der (himmlischen) Götter und die Sphäre des Todes einander diametral entgegengesetzt sind, gestalten sich die Reinigungsgebräuche nach einem Todesfall so umfangreich. Die zitierte Inschrift aus Pergamon (Bsp. 3) fordert zuerst eine Waschung – wie auch nach dem Geschlechtsverkehr. Im zweiten Fall ist zunächst von einer Besprengung die Rede. Perirrai,nw darf als Standardausdruck für rituelle Besprengungen gelten,135 und ein entsprechendes „Weihwasserbecken“ (perirranth,rion) gehört zum selbstverständlichen Inventar einer jeden Tempelanlage.136 Bevor die Reinheit festgestellt werden kann, ist das Tor, hinter dem die a`gisth,ria liegen, zu durchschreiten. Nach dem Eintrag im Wörterbuch von Liddell und Scott ist das nur in dieser Inschrift belegte Wort a`gisth,rion identisch mit dem sonst geläufigen perirranth,rion.137 Damit stellt sich die Frage, wie die durch kai, verbundenen Aoristpartizipien zu deuten sind. Möglich wäre eine Aufzählung: „Nachdem man sich besprengt hat und durch das Tor hinter dem die Weihwasserbecken liegen, hindurchgegangen ist...“. Ebenfalls möglich wäre es, das kai, epexegetisch zu übersetzen: „Nachdem man sich besprengt hat – d.h. durch das Tor, hinter dem die Weihwasserbecken liegen, hindurchgegangen ist.“
Ablauf einer über das gewöhnliche Maß verlängerten Frist betreten.“. Beispiele dafür nennt Parker in der o.g. Anmerkung. 133 Übersetzung von H. von Arnim. 134 An dieser Stelle wird der Kontakt mit einer Gebärenden ebenfalls erwähnt (vgl. dazu unten). 135 Belege bei LSJ, 1385. 136 Vgl. z. B. SEG XL 418; SEG XXXV 470; SEG XXIX 459; erwähnt wird es auch in SEG XXVIII 22; SEG XXVII 113; SEG XXXII 405. Vgl. WIDE / NILSSON (1931), 17. 137 Vgl. LSJ, 9.
4. Reinheit und Unreinheit in den Leges Sacrae
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Nach erfolgter Reinigung gilt man in jedem Fall augenblicklich als rein (kaqaroi, e;stwsan auvqhmero,n ). Eine wohl recht häufige Art von Todesfall stellt der Tod eines ungeborenen Kindes durch Fehlgeburt oder Abtreibung dar. Inschriften aus Delos (LSCG, Suppl 54 [2. Jh. v. Chr.]), Smyrna (LSAM 84 [2. Jh. n. Chr.]), Attika (LSCG 53 [2. Jh. n. Chr.]) und Lindos (LSCG, Suppl 91 [3. Jh. n. Chr.]; LSCG, Suppl 139 [2. Jh. n. Chr.]) sehen eine Frist von 40 Tagen vor, bevor der Zugang zum Heiligtum erlaubt ist. Die gleiche Frist setzt die genannte Inschrift aus Smyrna auch für den Fall, dass jemand ein Kind ausgesetzt hat.138 4.2.3 Geburt Die Beispiele 3, 4 und 5 haben als weitere Gemeinsamkeit den Gedanken, dass auch der Kontakt mit der Geburt bzw. einer Wöchnerin die Kultfähigkeit des Menschen aussetzt. „Kultische Reinheit erlangt man durch Reinigungsriten, Waschungen, Weihwasser und dadurch, dass man sich reinigt von Toten, Geburten und sonstiger Befleckung...“ (th.n d’ a`gnei,an ei=nai dia. kaqarmw/n kai. loutrw/n kai. perirranthri,wn kai. dia. tou/ auvto.n kaqareu,ein avpo. te kh,douj kai. lecou/j kai. mia,smatoj panto.j) – soll Pythagoras nach Diogenes Laertios (8,33) gelehrt haben.139 Die meisten Elemente dieses pythagoräischen Satzes haben wir bereits kennen gelernt.140 Noch nicht besprochen wurde bisher die Geburt als verunreinigender Faktor. Wer mit einer Frau im Kindbett in Kontakt kommt, ist nach LSAM 12 (Bsp. 3) in gleichem Maße unrein wie der, der an den Trauerfeierlichkeiten eines Angehörigen teilgenommen hat. Er muss einen Tag warten, bevor er den Tempel betreten darf. Andere Inschriften schreiben zwei (LSAM 51,6– 10), drei (LSCG 124,7) oder noch mehr Tage vor.141 Selbstverständlich gelten Mutter und Kind ebenfalls als unrein. Im Fall der Mutter kann sich diese Unreinheit über eine Zeit von 40 Tagen erstrecken, weshalb sie den 138
Die im Vergleich zu einem normalen Todesfall auffällig langen Fristen lassen sich so erklären, dass man eine Fehlgeburt ebenfalls als Geburt, für die ja lange Fristen vorgesehen waren, verstand. Vielleicht rief eine Fehlgeburt (oder eine Abtreibung) aber auch besondere Scheu hervor. Wir könnten dazu mehr sagen, wenn wir wüssten, welche „Logik“ dem antiken Reinheitsdenken überhaupt zugrunde lag. Darüber schweigen die Texte aber. COLE (1992), 110 vermutet, dass sich in der Vorstellung der Menschen bei einer Fehlgeburt die Unreinheiten von Tod und Geburt summiert haben. 139 Die Aufzählung fährt fort, indem sie Abstinenz von bestimmten Speisen empfiehlt. 140 Eine ähnliche Zusammenstellung bietet der nur fragmentarisch erhaltene Text IG II² 1035,10f: „evpei. de. pa,trio,n evstin evn mhdeni. tw/n temenw/n mh,t’ evnti,ktein mh.t’ evnapo[qnh,skein“ (Da es väterlicher Brauch ist, in keinem der heiligen Bezirke zu gebären oder zu sterben…). 141 P ARKER (1983), 50, Anm. 67 bietet weitere Beispiele.
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Kapitel 3. Kultische Sprache in paganen Kontexten
Tempel erst nach Ablauf dieser Frist besuchen darf.142 Um diese Unreinheit zu beseitigen, bedarf es neben Waschungen weiterer Riten wie der „Amphidromie“, bei der das Kind um den häuslichen Herd herum getragen wurde, und der Namensgebung.143 Alle Personen, die bei der Geburt geholfen haben, sind ebenfalls verunreinigt. Die in LSAM 12 belegte Form von ti,ktw ist in den einschlägigen Texten eher selten. In der Regel findet sich der Genitiv LECOUS. Dieser lässt sich lecou/j akzentuieren und gehört dann zum Femininum lecw, (= Frau im Kindbett). Möglich ist auch die Akzentuierung le,couj. Dann handelt es sich im den Genitiv von le,coj (= [Ehe]bett). Es ist also in jedem Fall aus dem Kontext zu erheben, ob an Unreinheit, die aus dem Kontakt mit einer Wöchnerin erwächst, gedacht ist, oder an Unreinheit, die sexuelle Ursachen hat.144
Die Unreinheit von Geburt und Tod sind im griechischen Denken eng miteinander verwandt und werden entsprechend häufig nebeneinander erwähnt (vgl. Euripides, Iph. T. 381ff). 4.3 Weitere Beobachtungen Alle unter 4.2 genannten Lebensvollzüge gelten auch in der biblischjüdischen Tradition als verunreinigend (vgl. Kapitel 2, 1.3; 2.1.1; 2.2; 2.3). Entsprechend achtet man – wie wir sahen – auch dort darauf, den direkten Kontakt zum Heiligen zu vermeiden (Ex 19,15; Lev 12,4; 21,4; Num 19,13). Hinzu kommt in der Bibel noch die Unreinheit, die mit der Menstruation zusammenhängt (Lev 15). Einige wenige griechische Inschriften halten diese ebenfalls für verunreinigend (LSCG 55; LSCG, Suppl 119; LSCG, Suppl 54)145 und fordern entsprechende Fristen und Waschungen (5, 6 oder 9 Tage).146 Die erwähnten Faktoren gehören nun zum alltäglichen Leben selbstverständlich dazu und können bzw. sollen auch gar nicht vermieden werden. Nur mit dem Heiligen dürfen sie nicht in Kontakt kommen. Die damit ver142
Vgl. W ÄCHTER (1910), 29f; P ARKER (1983), 48f. In der Suda heißt es s.v. avmfidro,mia: „th.n pe,mpthn a;gousin evpi. toi/j bre,fesin, evn h|- avpokaqai,rontai ta.j cei/raj ai` sunaya,menai th/j maiw,sewj· to. de. bre,foj perife,rousi th.n e`sti,an tre,contej, kai. dw/ra pe,mpousin oi` prosh,kontej, w`j evpi. to. plei/ston polu,podaj kai. shpi,aj. th|/ deka,th| tou;noma ti,qenai“. 144 Vgl. die Besprechung bei PARKER (1983), 352ff. 145 In der Regel nimmt man an, dass die Vorstellung einer durch Menstruation hervorgerufenen Unreinheit ursprünglich nicht griechisch war (vgl. COLE [1992], 111). Cole selbst verweist auf zwei Stellen bei Aristoteles, die Menstruation und Reinheit bzw. Unreinheit miteinander in Beziehung setzen (somn. 459 B–460 A; gen. an. 728 A). An beiden ist die Unreinheit, um die es geht, keine kultische, sondern eine, die eher als hygienisch zu beschreiben wäre. Die Inschriften, die Menstruation erwähnen, fanden sich in der Mehrzahl an Heiligtümern, die nicht genuin griechischen Gottheiten geweiht waren. Vgl. auch LUPU (2005), 210. 146 Von einer Verunreinigung durch Aussatz oder krankhafte Ausflüsse (Lev 13–15) wissen die Leges Sacrae nichts. 143
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bundenen Regeln lassen sich für Menschen, die nur ab und zu ein Heiligtum betreten, relativ leicht einhalten. Wie steht es aber mit dem Kultpersonal, das mehr oder weniger permanent im Bereich des Heiligen lebt? Nur wenige Texte äußern sich dazu. Dass Priester gesund und unversehrt sein müssen, ergibt sich aus LSCG 166,8ff. Nach LSCG 163,12ff müssen sie ganz allgemein kultisch rein sein (a`gneue,sqw [w-n] kai. toi/j loipoi/j i`erei/si potite,taktai a`[gn]eu,esqai). LSCG 154 A 21ff – eine Inschrift aus Kos (3. Jh v. Chr.) – legt für eine Priesterin fest, dass sie „niemals mit etwas Unreinem in Berührung kommen“ solle (musarw/i m[h. summei,gnusqai mhdeni. mhdamw/j]). Auch dürfe sie ein Haus, in dem eine Frau ein lebendes oder totes Kind zur Welt gebracht hat, erst drei Tage nach der Geburt betreten ([mhde. evj oivki,an evse,rpen en a-i] ka guna. te,khi h' evktrw/i a`mera/n triw/n avf’ a-j [ka a`me,raj te,khi h' evktrw/i]). Gleiches gilt für ein Haus, in dem jemand gestorben ist ([mhde. evj oiv]ki,an evse,rpen evn o`poi,ai ka a;nqrwopoj [avpoqa,nhi a`mera/n triw/n avf’ a-j ka a`me,raj] o` nekro.j evxenicqh/i). Gräber dürfe sie nicht besuchen, Aas nicht berühren und Ersticktes nicht essen. LSCG 156 B (Kos 3. Jh. v. Chr.) ist nur sehr fragmentarisch erhalten. F. Sokolowski legt eine Rekonstruktion vor, nach der Priesterinnen und Priester sich vor dem Opfer drei Tage lang des Geschlechtsverkehrs mit „einem Kind, einem Mann, einer Jungfrau oder einer Frau“ enthalten haben sollen (29ff).147 Beide Texte äußern sich auch dazu, was zu geschehen hat, wenn eine Priesterin z. B. Unreines isst oder sich an die genannten Fristen nicht hält. Nach LSCG 154 soll sie ein Reinigungsritual durchführen, bei dem ein weibliches Schwein geschlachtet und die Priesterin mit dem Blut mit Hilfe einer goldenen Kanne besprengt wird.148 Nach LSCG 156 ist eine Strafe zu zahlen und das Priestertum wird aufgelöst. Von einer Reinigung des Heiligtums sprechen diese Texte in unserem Zusammenhang nicht (vgl. aber u. a. LSCG 154 B 22 [Verunreinigung durch einen unbestatteten Toten]; LSCG 39,23; LSCG 152,8; LSCG 136,23ff [Verunreinigung durch das Hereinbringen verbotener Tiere]. Exkurs: Sozialanthropologische und religionssoziologische Erklärungen der Unterscheidung von rein und unrein Keiner der bisher untersuchten biblisch-jüdischen oder paganen Texte macht transparent, warum bestimmte Phänomene den Kontakt mit der Sphäre des Heiligen unmöglich machen. Weder die Leges Sacrae, noch die biblischen Gebote bzw. ihre Reflexe in den unterschiedlichen Quellen des antiken Judentums erklären, welche Logik hinter der Unterscheidung von 147 148
162ff.
Einen Fall, in dem das nicht beachtet wurde, bezeugt Petzl Nr.116. Zu den griechischen Reinigungsriten vgl. die Darstellung bei STENGEL (1920),
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rein und unrein steckt. Warum hält man bestimmte Lebensvorgänge oder Speisen oder Lebensvollzüge für rein und andere für unrein? Welche gesellschaftlichen Funktionen erfüllen diese Unterscheidungen?149 Die ältere Forschung vermutete besonders im Hinblick auf die Unreinheit von Tod und Geburt, Unreinheit sei auf den Einfluss von Dämonen zurückgeführt worden.150 Allerdings geben weder die biblisch-jüdischen noch die nichtjüdischen Quellen dieser Vermutung eine sichere Basis.151 Auch die von uns gesichteten Texte erwähnen Dämonen mit keinem Wort. Dass Geburt und Tod (wie auch Sexualität) „unsaubere“ Vorgänge sind, ist auch dem hygienischen Empfinden des modernen Menschen geläufig. Dieser augenscheinliche Aspekt ist auch in griechischen Quellen von Bedeutung. Sophokles beschreibt in der Antigone, dass die Altäre Thebens verunreinigt sind, weil Vögel Stücke vom Leichnam des unbestatteten Polyneikes darauf haben fallen lassen (Ant. 1016ff). Auch Geburt (und Sexualität) verunreinigen sichtbar. Unreinheit wird als mi,asma verstanden, also als Besudelung bzw. Befleckung.152 Damit ergibt sich zumindest begrifflich eine Nähe zu Mary Douglas’ Versuch, die Systematik von rein und unrein mit Hilfe der Vorstellung vom Schmutz, der fehl am Platz ist, zu erklären.153 Douglas bleibt allerdings nicht bei einer so „augenscheinlichen“ Erklärung stehen. Rein und unrein seien keine natürlichen, sondern gesellschaftlich konstruierte Kategorien. Während eine Handvoll Erde im Garten völlig unproblematisch sei, sei sie auf einem Schreibtisch fehl am Platz und werde als störend empfunden. Die Unterscheidung von rein und unrein hat nach Douglas die Funktion, die Welt zu ordnen und zu strukturieren: als rein gilt, was innerhalb bestimmter gesellschaftlich akzeptierter Grenzen bleibt, unrein ist, was die gesellschaftliche Ordnung bedroht. „Concerns about things entering and exiting the body reflect concerns about the boundaries of society“.154 Diese Erklärung ist in soziologischer Hinsicht interessant, denn sie verbindet das Reinheitsdenken mit dem Modell der Gruppenidentität. Im Totenkult und in der Sexualethik kann sich eine Gruppe von der anderen absetzen. Speisegebote können die gleiche Funktion haben. 149
Eine übersichtliche Darstellung der Erklärungsmodelle bieten W RIGHT (1992), 739 und KLAWANS (2006), 17ff. 150 Z. B. W ÄCHTER (1910), 25. 151 In dem weiter unten zu besprechenden Text PRK 4 wird immerhin ironisch die Vermutung geäußert, dass Totenunreinheit auf einen Dämonen zurückzuführen sei. 152 P ARKER (1983), 55 spricht zutreffend davon, dass Unreinheit ein physisches Zentrum hat. Diese Vorstellung schimmert bei Philos Erklärung der Beschneidung auf (SpecLeg 1,5 [vgl. unten unter IX.2]). 153 Vgl. DOUGLAS (1988), 208f u.ö. 154 WRIGHT (1992), 739.
4. Reinheit und Unreinheit in den Leges Sacrae
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Im Blick auf die biblisch-jüdische Literatur kann diese Erklärung tatsächlich eine gewisse Plausibilität beanspruchen. Schon im Pentateuch werden einschlägige Tabus mit der Unterscheidung von den Sitten und Gebräuchen der benachbarten Völker verbunden. Das gilt für sexuelle Tabus, die in Lev 18,2ff ausdrücklich mit dem Hinweis eingeleitet werden, dass Israels Praxis sich von der der Ägypter und Kanaanäer unterscheiden soll. Dass sexuelle Tabus in der zwischentestamentlichen Literatur vor allem die Funktion hatten, die (religiöse) Identität Israels zu wahren, haben wir bei der Besprechung der einschlägigen Texte gesehen. Lev 20,24f stellt eine begriffliche Verbindung zwischen der Unterscheidung von Israel und der Völkerwelt und der von reinen und unreinen Tieren her (~ym[h-!m ~kta ytldbh-rXa // hamjl hrhjh hmhbh !yb ~tldbhw).155 Nicht zuletzt lässt sich auch im Blick auf den Totenkult vermuten, dass abgelehnte Trauerriten von den Völkern der Umwelt praktiziert wurden (Lev 19,28 [vgl. 1 Kön 18,28]).156
Dennoch bleiben Fragen: Warum geschieht die Abgrenzung ausgerechnet im Blick auf die genannten verunreinigenden Faktoren? Blickt man auf die Leges Sacrae, so geht es ihnen in der Regel gerade nicht darum, nur eine bestimmte Gruppe von Menschen am Kult teilhaben zu lassen und darüber die Gruppenidentität zu fördern. Es gibt zwar Heiligtümer, von deren Besuch Fremde ausgeschlossen sind, nur wird das dann ausdrücklich gesagt und nicht mit Hilfe von Reinheitsvorschriften geregelt.157 Überhaupt sind solche Ausschlussbestimmungen eher selten. Prinzipiell sind griechische Heiligtümer allen zugänglich, die sich an die dort geltenden Regeln halten – und diese Regeln sind unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe.158 155
Die Übersetzung der LXX verwischt diese Entsprechung, indem sie zwischen diori,zw und avfori,zw unterscheidet. Das könnte darauf schließen lassen, dass den Übersetzern dieser Zusammenhang entweder nicht mehr geläufig war, oder dass er ihnen nicht plausibel erschien. 156 Vgl. MILGROM (2000), 1692ff. 157 Vgl. dazu KRAUTER (2004), 56ff; 66f. Krauter bespricht die einschlägigen Quellen ausführlich und wertet sie wie folgt aus: „Die Kulte in griechischen Poleis waren also in der Regel nicht exklusiv, Nichtbürger konnten an ihnen teilnehmen. Dies gilt für die verschiedenen Ebenen von Kulten, private Kulte und Vereinskulte, aber ebenso auch die zentralen offiziellen Poliskulte“ (112). Die Quellenlage ist für die in der vorliegenden Arbeit nicht ausgewerteten römischen Zeugnisse deutlich schlechter. Aber auch in ihnen ist nicht nachzuweisen, dass soziale Grenzen über die Teilnahme bzw. Teilnahme an Kulten definiert wurden (vgl. KRAUTER [2004], 141f). 158 Zur Kritik an Douglas vgl. BENDLIN (1998), 412, der zutreffend bemerkt, dass Douglas’ „Überlegungen kaum […] universalisierbar“ sind. „Nicht jedes ambivalente Phänomen wird als unrein, nicht jede Unreinheit als ungeordnet oder bedrohlich empfunden“. Im Blick auf die Leges Sacrae kann man in der Tat fragen, was an Knoblauch, Ziegenfleisch oder Fisch, die ja den potenziellen Besucher bestimmter Heiligtümer verunreinigen, bedrohlich bzw. ungeordnet sein soll. Andererseits ist vorstellbar, dass auch solche Bestimmungen die Identität derer, die an einem Heiligtum Gottesdienst feiern, stärken: „Bei uns tut man solche Dinge nicht / Wir tun solche Dinge nicht“. Sexuelle Abstinenz in kultischen Zusammenhängen vermag für Herodot (2,64) ja in der Tat als Identitätsmerkmal ägyptischer und griechischer Religiosität zu gelten.
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Könnte es nicht ausreichen, Unreinheit einfach von ihrer hygienischen Dimension her zu verstehen? Liest man die antiken Quellen, so merkt man schnell, dass es ihnen nicht nur um Hygiene geht, denn dann wäre es genug, die Verschmutzung einfach abzuwaschen. Von der sichtbaren, physischen Verschmutzung strahlt aber ein unsichtbares, „metaphysisches“ Miasma aus.159 Es spielen also offenbar noch andere Aspekte eine Rolle. Gelten Geburt und Tod vielleicht als Übergang in einen anderen Status, der besonders sensibel von „normalen“ Zuständen zu unterscheiden wäre?160 Dieses Erklärungsmodell könnte verstehen helfen, wieso alles, was mit Geburt und Tod zu tun hat, als unrein gilt. Für den Bereich der Sexualität ist es hingegen nicht so aussagekräftig (von Speisegeboten ganz zu schweigen). Geburt, Tod und Sexualität sind Vorgänge, bei denen der Mensch anders als im Normalzustand nicht die volle Kontrolle über seinen Körper hat. Ist dies ein Grund, sie von anderen Lebensvollzügen als unrein zu unterscheiden? Eine weitere Spur könnte sich aus einem Hinweis Max Webers ergeben. Er sieht Sexualität im Bereich der „außeralltäglichen Sphäre“ angesiedelt.161 Dort kann sie mit der Religion in Konkurrenz treten. Blickt man aber auf die Leges Sacrae – für die Tora Israels gilt das Gleiche –, so vermag auch dieses Modell nicht alle Faktoren zu berücksichtigen, denn Speisetabus geraten so nicht in den Blick. Im Blick auf die biblische Unterscheidung von rein und unrein haben wir oben auf den Erklärungsversuch Milgroms verwiesen:162 Die Unterscheidung von rein und unrein sei letztlich die zwischen Leben und Tod und damit die zwischen der Zugehörigkeit zur Sphäre des lebendigen Gottes oder der des Todes. Alles, was mit dem Verlust von Lebenskraft zu tun hat, muss von der Welt der Götter ferngehalten werden. Diese These ließe sich auch auf die griechische Religiosität anwenden, denn bei aller Vielfalt der griechischen Göttervorstellungen ist doch gerade die Unsterblichkeit der Götter deren eigentliches Wesensmerkmal. Menschen sind sterblich – die Götter sind hingegen unsterblich. Einen ausdrücklichen Reflex dieses Motivs finden wir im Blick auf die Reinheitsvorstellungen allerdings nirgends und es erklärt auch nicht sämtliche Tabuvorstellungen.163 159
Vgl. P ARKER (1983), 55. Vgl. BENDLIN (1998), 413. 161 Vgl. WEBER (1972), 557. Blickt man auf die Regelungen in den Leges Sacrae, so kann man diese Einschätzung der Sexualität durchaus in Frage stellen. Sexualität erscheint in ihnen eher als „alltäglich“. 162 Vgl. oben Seite 31. 163 So wird die biblische Unterscheidung von reinen und unreinen Tieren auf die von Aasfressern und Vegetariern reduziert. Aasfresser sind zu nahe an der Sphäre des Todes 160
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Jonathan Klawans hat Milgroms These – mit ausdrücklicher Einschränkung auf die biblisch-jüdische Welt – in jüngster Zeit wie folgt erweitert: Nicht nur die Sterblichkeit unterscheidet die Menschen von Gott, sondern auch die Sexualität: „By separating from sex and death – by following the ritual purity regulations – ancient Israelites […] separated themselves from what made them least God-like. In other words, the point of following these regulations is nothing other than the theological underpinning of the entire Holiness Code: imitatio dei […]. Only a heightened, god-like state – the state of ritual purity – made one eligible to enter the sanctuary, God’s holy residence on earth“.164 Es ist deutlich, dass diese Erklärung auf den kulturellen Kontext, aus dem die Leges Sacrae stammen, nicht anwendbar ist, denn Sexualität ist griechischen Göttern nicht fremd. Sicherlich zutreffend ist aber Klawans’ abschließende Beobachtung: Wer mit dem Heiligen in Kontakt treten will, muss diesem Heiligen seinerseits so weit wie möglich entsprechen, wer mit dem „Anderen“ kommunizieren will, muss seinerseits „anders“ sein. Die antiken Quellen selbst decken die Logik, die der Unterscheidung von rein und unrein zugrunde liegt, nicht auf. Das setzt sozialanthropologischen und religionssoziologischen Bemühungen Grenzen. Wir können kaum mehr sagen, als dass man sich an diese Sitten und Gebräuche hielt, vielleicht ohne sie zu verstehen, und dass diejenigen, die sie zu verstehen suchten, keine plausiblen Erklärungen dafür zu finden vermochten. Ein sprechendes Beispiel dafür überliefert Plutarch, der auf die Frage, warum diejenigen, die sich kultisch rein halten (a`gneu,ontaj), keine Hülsenfrüchte essen, nur eine Reihe von spekulativen Antworten vorschlagen kann, ohne dass er einen plausiblen Grund für diesen Brauch zu nennen wüsste (Plutarch, mor. 286 D): „Vielleicht deswegen, weil sie Bohnen aus eben dem Grunde, wie die Pythagoräer, die Lathyren und Erebinther aber (Erbsen und Kichern) wegen der Ähnlichkeit des Namens mit Erebos und Lethe (Tod und Vergessen) verabscheuen? Oder weil man bei Leichenmahlen und Totenopfern vorzüglich Hülsenfrüchte braucht? Oder weil zur Heiligkeit (a`gnei,a) und Frömmigkeit (a`gistei,a) ein reiner und geschmeidiger Leib gehört, die Hülsenfrüchte aber blähend sind und überflüssige Säfte im Körper erzeugen, die dann viele Reinigungsmittel nötig machen? Oder auch weil blähende und auftreibende Speisen zur Wollust reizen?“165
und deshalb unrein. Nur dürften die Menschen, die hinter den Unterscheidungen von Lev 11 stehen, sehr genau gewusst haben, dass Hasen und Kamele keine Aasfresser sind. Hier zeigt sich ein Dilemma, das letztlich allen Erklärungsmodellen eigen ist: Sie „funktionieren“ im Blick auf die großen Linien. Im Detail aber stoßen sie an ihre Grenzen. 164 KLAWANS (2006), 58. 165 Übersetzung von Kaltwasser.
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Kapitel 3. Kultische Sprache in paganen Kontexten
Die Vielzahl der vorgeschlagenen Erklärungsversuche zeigt, dass die Logik, der sich diese Vorschrift verdankt, selbst einem Priester wie Plutarch nicht bekannt ist. Auch in der Welt der Rabbinen finden sich Hinweise darauf, dass man sogar für zentrale Reinheitsriten keine einleuchtende Begründung kannte: „Ein Heide fragte Jochanan ben Zakkai: Die Rituale, die ihr durchführt, sehen wie Zauberei aus. Ihr nehmt eine Kuh, schlachtet sie, zermahlt sie und sammelt ihre Asche. Wenn sich jemand von euch an einem Toten verunreinigt, besprengt ihr ihn mit zwei oder drei Tropfen und sagt zu ihm: ‚Du bist rein’. Da entgegnete Rabban Jochanan ben Zakkai: Ist der Schütteldämon jemals in diesen Mann (andere Lesart: in dich) gefahren? Er antwortete: Nein. Da sagte er: Hast du jemals gesehen, wie der Schütteldämon in einen anderen gefahren ist? Da antwortete er: Ja. Er fragte: Was tut ihr in solch einem Fall? Wir bringen Wurzeln und räuchern sie unter ihm und besprengen ihn mit Wasser, dann flieht der Dämon, antwortete er. Da sagte er zu ihm: Deine Ohren hören nicht, was deine Lippen sprechen. So verhält es sich auch mit diesem Dämon, der ein Dämon der Unreinheit ist, wie es heißt: ‚und auch die Propheten und den Geist der Unreinheit (will ich aus dem Land treiben)’ (Sach 13,2). Als der Heide gegangen war, sagten seine Schüler zu ihm: Rabbi, diesen hast du mit dem Rohr fortgetrieben, was aber wirst du uns antworten? Er sagte zu ihnen: Bei eurem Leben! der Tote macht nicht unrein und das Wasser macht nicht rein – aber es ist ein Beschluss vom Heiligen, gelobt sei er. Der Heilige, gelobt sei er, spricht: Eine Satzung habe ich gesetzt und einen Beschluss habe ich beschlossen, du bist nicht befugt, meinen Beschluss zu übertreten, das ist die Satzung des Gesetzes (Num 19,2)“ (PesK 4 [ed. Mandelbaum, 74]).
Diese Erzählung, die in ihrem Grundbestand schon in der tannaitischen Literatur belegt ist (Sifra 13,10), zieht nicht ohne Selbstironie eine Parallele zwischen den magischen Praktiken der Umwelt und den Ritualen Israels. Gegenüber dem fragenden Nichtjuden liefert Jochanan ben Zakkai eine Begründung ad homines paganos, die das Ritual aus Num 19 in Analogie zu paganen Dämonenaustreibungsritualen erklärt. Für den – vom Erzähler nicht ganz ernstgenommenen – Nichtjuden reicht diese Erklärung aus. Die Schüler Jochanans vermag sie hingegen nicht zu überzeugen. Sie sind auf die „wirkliche“ Antwort ihres Lehrers gespannt, weil auch sie den Sinn dieses Rituals nicht kennen. Umso überraschender, dass auch Jochanan offensichtlich keinen Sinn in diesem Ritual zu sehen vermag – und noch dazu die sachliche Basis des ganzen Rituals in Frage stellt. In seinem Denkhorizont und dem seiner Schüler ist es das göttliche Gebot, das das (unverstandene) Ritual legitimiert. Diese antiken Stimmen mahnen zur Vorsicht bei dem Versuch, der Logik, die der Unterscheidung von rein und unrein zugrunde liegt, auf die Spur zu kommen. Die Erklärungsversuche, die den Textbefunden gegenwärtig am ehesten gerecht werden (Identitiätsstiftung, Unterscheidung der Sphäre des Lebens von der des Todes), waren den antiken Autoren, die entsprechende Rituale immerhin aus eigener Erfahrung kannten, offenbar nicht bekannt. Sie haben sich an die einschlägigen Regeln gehalten, ohne
5. Zusammenfassung
111
sie zu verstehen, ohne dass ihnen ihr Symbolgehalt bewusst gewesen wäre. Wir dürfen vermuten, dass das bei Paulus und den Menschen, mit denen er kommuniziert hat, nicht anders war. (Exkurs Ende)
5. Zusammenfassung 5. Zusammenfassung
Überblickt man die Reinheits- und Heiligkeitsvorstellungen griechischer Religiosität, wie sie sich in den Leges Sacrae und in den literarischen Quellen der griechischen Literatur von den ältesten Zeiten an zeigen, so ergibt sich ein recht einheitliches Bild. Allen Texten liegt die Grundannahme zugrunde, dass es heilige und profane Bereiche gibt, die nicht ohne weiteres miteinander in Kontakt kommen dürfen. Es gibt bestimmte Speisen und Lebensvollzüge, an denen im Grunde überhaupt nichts zu beanstanden ist, weil sie zum menschlichen Leben selbstverständlich dazugehören: Menschen werden geboren, essen, gestalten ihre Sexualität und sterben. All diese an sich unproblematischen Lebensvollzüge können den Menschen zum Kontakt mit dem Heiligen unfähig machen. Geburt, Tod, Sexualität und manchmal auch bestimmte Speisen, Kleider oder Gegenstände vertragen sich nicht mit der Gegenwart des Heiligen und haben im Heiligtum keinen Ort. Menschen, die damit in Kontakt gekommen sind, gelten als unrein oder befleckt, und müssen zur Herstellung ihrer Kultfähigkeit bestimmte Reinigungsriten durchführen und / oder bestimmte Wartezeiten einhalten. Erst dann ist es ihnen erlaubt, mit der Welt der Götter im Tempel in Kontakt zu treten. Diese Vorstellungen, die sich vereinzelt in den literarischen Zeugnissen der Dichter und Philosophen finden, bündeln die Leges Sacrae und setzen sie in konkret praktizierbare Regelungen um. Dabei fällt auf, dass nicht in jedem Heiligtum die gleichen Schutzbestimmungen gelten. Speisegebote sind seltener als Ausführungen zu den Aspekten Geburt und Tod, und häufiger als alles andere ist der Hinweis, dass sexuelle Aktivität den Zutritt zum Heiligtum für eine bestimmte Zeit unmöglich macht. Diese Überzeugungen bleiben von alter Zeit bis in die Jahrhunderte nach der Zeitenwende lebendig und weitgehend konstant. Ihnen zur Seite tritt der Gedanke, dass zu einem gelingenden Kontakt mit der Welt der Götter jedoch mehr gehört, als allein die Reinheit des Körpers. Auch das, was Menschen denken oder tun, hat Einfluss darauf, ob sich der Kontakt mit den Göttern heilvoll gestaltet oder nicht. Dieses Motiv findet sich schon bei den Tragikern und begegnet in einigen Leges Sacrae ab dem 2. vorchristlichen Jahrhundert als Forderung. Vom Besucher eines Heiligtums erwartet man (selbstverständlich) körperliche aber nun auch ethisch
112
Kapitel 3. Kultische Sprache in paganen Kontexten
qualifizierte Reinheit. Die heilvolle Begegnung mit der Welt des Heiligen setzt auf menschlicher Seite völlige Integrität voraus. Vergleicht man die Koordinaten des Reinheits- und Heiligkeitsdenkens, wie sie den ausgewerteten Leges Sacrae und vielen weiteren Zeugnissen griechischer Religiosität zugrunde liegen, mit den biblisch-jüdischen, so fällt auf, dass sie in weiten Teilen deckungsgleich sind. Das in der Einleitung vorgestellte Schema von rein und unrein / heilig und profan lässt sich zwanglos auch auf Texte nichtjüdischer Provenienz anwenden. Im Raum der Profanität dürfen Menschen und Dinge rein oder unrein sein. Der Kontakt mit dem Heiligen setzt aber zwingend Reinheit voraus, Unreines darf mit dem Heiligen nicht in Kontakt kommen. Genau darauf weisen die Leges Sacrae hin, und dies versuchen sie sicherzustellen. Allein die im Judentum zuweilen sichtbare Tendenz, durch die Unterscheidung von rein und unrein auch eine Unterscheidung von Gottes heiligem Volk und den Völkern der Umwelt aufrechtzuerhalten, finden sich in den Leges Sacrae naturgemäß nicht.166 Allerdings hatten zu manchen griechischen Tempeln Fremde keinen Zutritt. Auch die einzelnen Faktoren, die man für verunreinigend gehalten hat, sind im Wesentlichen die gleichen wie in der biblisch-jüdischen Welt: Sexualität, Geburt, Tod, Menstruation sind ebenso wie schon im Pentateuch als Lebensvollzüge im Blick, die die Kraft haben, das Heiligtum zu verunreinigen. Ähnlich verhält es sich mit den Wegen, die zur Wiederherstellung der Reinheit führen, nämlich Waschungen und das Verstreichen von Zeit. Dass zur körperlichen Reinheit auch noch eine innere oder ethische Reinheit dazukommen muss, ist in der jüdischen Tradition schon in den später kanonisch gewordenen Schriften Israels bekannt, betont wird es in hellenistischer Zeit. Parallel dazu erscheint ethische Reinheit als Forderung in den Leges Sacrae. Inwieweit sich die religiösen Welten hier gegenseitig befruchtet haben, ist eine offene Frage. Dass sie es getan haben, ist allerdings nicht unwahrscheinlich. Für die Fragestellung dieser Arbeit ist die Feststellung, dass die Vorstellungen über Heiligkeit und Reinheit im Judentum und in den griechischen Kulten bei allen Unterschieden in Sprache und Details von ihrer Struktur her äußerst ähnlich sind, wichtiger als die Klärung ideengeschichtlicher Abhängigkeiten. Die Ähnlichkeit der heiligkeits- und reinheitstheologischen Systeme in beiden Kulturräumen lässt nämlich die Vermutung zu, dass die mit der Welt des Kultes verbundenen Vorstellungen sich in besonderer Weise als Basis für die Kommunikation des paulinischen Evangeliums eigneten. Auf diesem Feld konnte eine Begegnung zwischen Paulus und seinen nichtjüdischen Adressaten leicht möglich sein. Paulus konnte 166
Vgl. CANCIK (2004), 250.
5. Zusammenfassung
113
ganz aus dem Kontext des zeitgenössischen Judentums heraus denken und schreiben, und seine Botschaft konnte auch von Menschen verstanden werden, die mit den Grunddaten der jüdischen Tradition nicht vertraut waren. Diese Spur gilt es bei der Besprechung der paulinischen Texte weiter zu verfolgen.
Kapitel 4
Heiligung als Gabe, Aufgabe und Verheißung: Der 1. Thessalonicherbrief Im 1 Thessalonicherbrief sehen wir Paulus zum ersten Mal im brieflichen Gespräch mit einer der von ihm gegründeten Gemeinden. Der Brief, der von Dankbarkeit gegenüber seinen Adressaten geprägt ist (vgl. 1,2; 2,13; 3,9), wurde vermutlich im Jahr 50 oder 51 n. Chr verfasst.1 Er wendet sich an Christen, die vorwiegend einen paganen Hintergrund gehabt haben dürften (vgl. 1,9), und die im Kontext einer lebendigen Hafenstadt, die reich an unterschiedlichsten Kulten war, lebten.2 Der Brief reagiert auf Fragen, die durch Sterbefälle innerhalb der Gemeinde, die mit der Wiederkunft Jesu noch zu Lebzeiten ihrer Glieder rechnete, aufgebrochen waren (4,13ff). In diesem Zusammenhang entwirft er ein Hoffnungsszenario, ohne zeitliche Festlegungen zu treffen: Die Parusie des Herrn steht bevor (4,15), für sie gilt es bereit zu sein (5,6ff), vor ihrem Horizont muss sich die Lebenspraxis der Gemeindeglieder bewähren (3,13). Paulus kommt im Brief zugleich direkt oder indirekt auf die Sonderstellung zu sprechen, die die junge Gemeinde in ihrem heidnischen Umfeld hatte und haben musste.3 Paulus nimmt ihre Situation als bedrängend wahr (1 Thess 1,6 [qli,yij]; 2,14ff) und fordert mehr oder weniger deutlich zum Festhalten an einem Lebenswandel auf, der sich von dem, was in der heidnischen Umwelt üblich ist, unterscheidet (vgl. 4,5; 5,74).5 Sie darin und in ihrem Glauben zu bestärken, ist die Absicht des Briefes. 1
Vgl. dazu die Diskussion bei H OLTZ (2002), 414; SCHNELLE (2003), 178. Vgl. zur Vorgeschichte des Briefs und zum Umfeld der Gemeinde in Thessaloniki SCHNELLE (2003), 177ff; HOLTZ (2002), 413ff; VOM BROCKE (2001) und VOM BROCKE (2005), 171ff. 3 Vgl. HOLTZ (2002), 413, der von einer „potenzierten sozialen Desintegration“ spricht. Die Christen sind ihrem Ursprungsumfeld entfremdet (ggf. schon durch die „Hinwendung zur Synagoge“ [vgl. dazu Abschnitt 5], „sodann durch die Wendung von dort weg hin zur Christusverkündigung“). 4 VOM BROCKE (2005), 172 vermutet, dass die Mahnungen 5,5-11 „ihren Anlass in entsprechenden Praktiken der Dionysosverehrer“ haben. Dionysoskulte sind nach dem inschriftlichen Befund im Thessaloniki des 1. Jahrhunderts stark vertreten gewesen (vgl. dazu VOM BROCKE [2001], 116ff). 5 Vgl. COLLINS (1998), 407ff. 2
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Kapitel 4. Kultische Sprache im 1. Thessalonicherbrief
Kultische konnotierte Sprache dient Paulus in der Kommunikation mit der nicht lange vor der Abfassung des Briefes gegründeten Gemeinde zunächst dazu, menschliches Verhalten zu beschreiben und zu normieren. Das gilt anfänglich im Blick auf das Auftreten des Apostels in Thessaloniki, das er unter anderem als heilig und rein charakterisiert (2,3 und 10). Dies gilt aber auch im Blick auf die Lebensführung seiner Adressatinnen und Adressaten, die als Heiligung gestaltet werden soll (4,3ff). Ihren sachlichen Grund, der ein solches Verhalten als Konsequenz aus sich heraussetzt und fordert, finden diese Beschreibungen in der Anwesenheit des Geistes Gottes in der Gemeinde (4,8). Heiligung erscheint somit zuerst im Horizont der Gegenwart Gottes und wird dann – für Juden und Nichtjuden gleichermaßen nachvollziehbar – zur Aufgabe der Gemeindeglieder. Mit der Aufgabe, der Anwesenheit des Geistes Gottes im Handeln mehr und mehr zu entsprechen, sieht Paulus die Gemeinde aber nicht sich selbst überlassen: Gott ist es, der diese Heiligung bis zur Vollendung mehr und mehr vollzieht (3,13 und 5,23).
1. Das Handeln des Apostels als Ansporn für die Gemeinde: 1 Thess 2,3 und 10 1. Das Handeln des Apostels als Ansporn für die Gemeinde: 2,3 und 10
Heiligkeits- und Reinheitsterminologie findet in 2,3 und 10 Verwendung. Paulus stellt hier wie im gesamten Abschnitt 2,1–12 sein erstes Wirken in Thessaloniki dar. Dabei appelliert er eindringlich an die Erinnerung der Gemeindeglieder (2,1: „ihr wisst selbst“; 2,5: „so wie ihr wisst“; 2,9: „ihr erinnert euch“; 2,11: „wie ihr wisst“). Diesem Appell treten Anrufungen Gottes (und der Gemeinde) als Zeugen zur Seite. Diese Wiederholungen gliedern den Abschnitt formal. Sie haben aber vor allem eine inhaltliche Funktion: Die Erinnerung der Gemeinde und das Zeugnis Gottes sollen die Wahrheit dessen bestätigen, was Paulus über sich sagt.6 Als weiteres formales Merkmal fällt auf, dass Paulus in seiner Beschreibung stark antithetisch argumentiert (allein fünfmal findet sich die Konjunktion avlla,). Damit hebt Paulus sein tatsächliches Verhalten in Thessaloniki positiv von (nicht realisierten) negativen Handlungsalternativen ab.7 Der erste Unterabschnitt (2,1–4) erinnert die Adressaten an den „Einzug“ des Apostels in Thessaloniki und dessen leidvolle Vorgeschichte in Philippi. Vers 3 bezeichnet das in 2,2 erwähnte „Reden des Evangeliums“ kon6 Zur argumentativen und formalen Struktur von 1 Thess 2,1-12 vgl. COULOT (2006), 378ff. 7 Paulus entwirft hier „zwei alternative Beziehungsmuster“ (vgl. GERBER [2005], 272).
1. Das Handeln des Apostels als Ansporn für die Gemeinde: 2,3 und 10
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kret als Paraklese (tröstende Ermahnung) und beteuert, dass diese nicht durch Betrug (evk planh,j) oder Unreinheit (evx avkaqarsi,aj) motiviert gewesen bzw. mit Hinterlist (evn do,lw|) geschehen sei. Paulus habe vielmehr getreu seinem Auftrag gehandelt (2,4). Der folgende Unterabschnitt (2,6–8) setzt erneut mit negativen Begriffen ein, von denen Paulus sich distanziert: nicht mit Schmeichelworten oder aus Hab- bzw. Herrschsucht sei Paulus zu den Thessalonichern gekommen, auch um menschliche Ehre sei es ihm nicht gegangen (vgl. 2,4). Positiv vergleicht Paulus sich hier mit einem unmündigen Knaben (nh,pioj),8 einem Pfleger, einer Mutter oder besser wohl mit einer Amme,9 die sich um ihre Kinder kümmert. Den Wunsch, die Thessalonicher am Evangelium und darüber hinaus am Leben des Paulus teilhaben zu lassen, führt Paulus abschließend darauf zurück, dass er die Gemeinde lieb gewonnen habe. Der dritte kurze Abschnitt (2,9) erinnert konkret daran, dass Paulus, um niemandem zur Last zu fallen, selbst für seinen Lebensunterhalt gearbeitet und dabei das Evangelium gepredigt habe. Der letzte Gedankengang (2,10–12) schlägt den Bogen zum Anfang zurück, indem er eine Trias von positiv besetzten Begriffen nennt, die der negativen Reihe in 2,3 entspricht: heilig, gerecht und untadelig (o`si,wj kai. dikai,wj kai. avme,mptwj) sei Paulus in Thessaloniki gewesen. Die im Fragehorizont dieser Arbeit besonders interessierende kultische Terminologie findet sich in den Dreierreihen in Vers 3 und 10, die den gesamten Abschnitt einrahmen. In beiden Versen beschreibt Paulus die Motivation bzw. den Modus seines Wirkens in Thessaloniki. Dazu setzt er je zwei eher ethisch qualifizierte Begriffe (Vers 3: evk pla,nhj / evn do,lw|; Vers 10: dikai,wj / avme,mptwj)10 neben je einen Begriff, der zugleich auch in der Welt des Kultes Verwendung findet (ouvde. evx avkaqarsi,aj / o`si,wj).
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Zur textkritischen Problematik dieses Wortes vgl. GERBER (2005), 276 und 288ff. Wenn man nh,pioj als bessere Lesart im Text belassen will (woran wegen der Qualität der äußeren Bezeugung eigentlich kein Weg vorbeiführt), muss man zunächst feststellen, dass sich die Vergleichsebene verschiebt: Paulus vergleicht sich zunächst mit einem unmündigen Kind und danach mit einer Amme. Das ist durchaus möglich, weil beide Bilder – auch wenn sie aus unterschiedlichen Bereichen stammen – die gleiche Aussage verdeutlichen können. Einen solchen Wechsel muss man nicht annehmen, wenn man nh,pioi als Vokativ liest (so GERBER [2005], 290). Allein der Wechsel des Bildspenders zwingt aber nicht dazu. 9 Die Diskussion über die Bedeutung von trofo,j arbeitet C. Gerber auf, die selbst vorschlägt, dass Paulus sich hier mit einer Amme vergleicht, die ihre eigenen Kinder nährt, „ohne dafür Geld zu nehmen“ (GERBER [2005], 277). 10 In nachbiblischen jüdischen Texten kann a[memptoj durchaus auch kultische Konnotationen haben. Vgl. unten zu 1 Thess 3,13.
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Kapitel 4. Kultische Sprache im 1. Thessalonicherbrief
Die Leges Sacrae beschreiben mit der Wortfamilie o[sioj Gedanken (LSCG, Suppl 82,2), Zustände (LSCG, Suppl 91,3), Verhaltensweisen (LSCG 65,8 parallel zu dikai,wj) und Kultpraktiken (LSCG 161 A 6; 163,4) die in der Gegenwart des Heiligen angemessen sind.11 Zuweilen bedeuten die entsprechenden Adjektive in diesen Inschriften schlicht „erlaubt“12 oder „angemessen“13 – allerdings muss man den Zusatz mithören „in der Begegnung mit dem Heiligen“. Nach der Systematik des Heiligkeits- und Reinheitsdenkens, wie wir sie auch für die Welt der griechischen Religiosität herausarbeiten konnten,14 wäre ein als unrein zu wertendes Verhalten mit dem, was o[sioj beschreibt, nicht vereinbar, denn Unreinheit und Heiligkeit dürfen auf keinen Fall miteinander in Kontakt kommen. Das Begriffspaar ouvde. evx avkaqarsi,aj / o`si,wj qualifiziert demnach das Auftreten des Apostels in Thessaloniki als eines, das so geartet ist, dass es dem Kontakt mit der Sphäre Gottes völlig entspricht (vgl. 2,4). Nun begegnen die beiden Begriffe o`si,wj und dikai,wj neben ihrer breiten Verwendung in der kultischen Sprache der griechischen Welt auch als Begriffe der allgemeinen Ethik. Dies findet seinen Niederschlag vor allem in Inschriften, die „die Amtsführung eines Beamten als untadelig“15 preisen. Aus der Fülle der einschlägigen Beispiele seien nur einige genannt, in denen neben o`si,wj auch noch dikai,wj begegnet:16 IG XII Suppl. 141,8f qualifiziert so die Amtsführung eines Richters. Einem anderen Beamten ist IG XII, 7 233 I 7 gewidmet. Eine Inschrift aus Pergamon (Inschriften von 11
Vgl. RUDHARDT (1992), 30. Vgl. auch COULOT (2006), 390. Entsprechend spricht die Wendung ouvc o[sia ein Verbot aus: „Es ist Frauen nicht erlaubt einzutreten“ (vgl. LSCG, Suppl 88 A 5; B 6; 89,6). Vgl. SEEBASS (1997), 907: „Das Adj[ektiv] o[sioj […] hat daher den allg. Sinn durch göttliches Recht oder die Natur sanktioniert bzw. erlaubt.“ 13 F. SOKOLOWSKI sieht in seinem Kommentar zu LSCG, Suppl 155 A 24 eine Parallele zum Wort qe,mij (LSCG, Suppl, Seite 192). Das entspricht der zusammenfassenden Beschreibung Rudhardts, der im Blick auf o[sioj festhält, dass damit ein Verhalten zwischen Menschen und den Göttern oder auch unter den Menschen (vgl. z. B. Plato, rep. 463 C–D ; epist. 331 B–C) beschrieben wird, das sich an festen Normen und Regeln orientiert (RUDHARDT [1992], 31f). 14 Vgl. Kapitel 3, 5. 15 Vgl. W ILLIGER (1922), 66. Auch die Leges Sacrae kennen diesen Gebrauch (vgl. LSAM 9,3; 13,25) zur Beschreibung der Amtsführung von Priestern und Priesterinnen. 16 Diese Zusammenstellung ist in der griechischen Literatur recht häufig (vgl. RUDHARDT [1992], 32, Anm. 5). Beispielhaft diskutieren über das Verhältnis der beiden Sokrates und Eutyphron (Plato, Eutyphr. 11 D und folgende). Eutyphron, der zunächst beides unter die Gerechtigkeit subsumiert, versucht, o[sioj auf das Verhalten der Menschen zu den Göttern einzuschränken, während die Gerechtigkeit sich in zwischenmenschlichen Beziehungen bewähren soll (12 E). Diese Aufteilung findet sich später auch bei Polybios 23.10.8 und anderen. Zweifellos richtig daran ist, dass auch da, wo es um zwischenmenschliches Verhalten geht, religiöse Konnotationen mitschwingen, wenn man o[ sioj gebraucht (vgl. RUDHARDT [1992], 36). 12
1. Das Handeln des Apostels als Ansporn für die Gemeinde: 2,3 und 10
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Pergamon II, 410,5) weist daneben noch das Adverb kaqarw/j auf. Dieses begegnet ebenfalls häufig in Ehreninschriften (parallel zu dikai,wj: z. B. Aphrodisias 26,11 (vgl. Reynolds [1982] Dokument 30; IOSPE 2, 40, 25). In einigen einschlägigen Inschriften, zuweilen auch auf Grabsteinen, ist das Adverb avme,mptwj erhalten (z. B. IG XII,7 372,2; 479,3).17 Das gesamte Vokabular der Verse 3 und 10 erinnert also an Beschreibungen positiver Amts- und Lebensführung, wie sie sich in antiken Inschriften erhalten haben. Auch das Nebeneinander kultischer und nichtkultischer Adverbien hat epigraphische Analogien.18 Man könnte diesen Befund dahingehend auswerten, dass die genannten Ehreninschriften kultisch konnotierte Termini nur „abgeschliffen“ oder „übertragen“ – in jedem Fall aber „uneigentlich“ benutzen. Dagegen spricht aber, dass die Sphäre des Politischen in der Antike nicht religiös neutral war. „Die antike Polis stellt […] eine Fortsetzung des heiligen Tempelgebietes dar“.19 Vor diesem Hintergrund lässt sich die Amtsführung eines Menschen, der im Dienste einer Stadt stand, auch im eigentlichen Sinn mit kultischen Begriffen beschreiben. Im Kontext der paulinischen Argumentation spricht ebenfalls nichts dagegen, die kultische Konnotation mitzuhören, korrespondiert sie doch genau mit der Beschreibung seines Tuns nicht nur als ethisch einwandfrei, sondern auch Gott bzw. seinem Auftrag entsprechend. Kultisch geprägte Begrifflichkeit ergänzt die zunächst profan-ethisch scheinende Argumentation also um ein Element, das ins Zentrum der paulinischen Selbstbeschreibung führt: Paulus orientiert sein Verhalten nicht an menschlicher Anerkennung, sondern an Gott, der ihn damit betraut hat, das Evangelium Gottes (2,4) zu predigen.20 Dass Paulus sich hier quasi selbst eine Ehreninschrift aufstellt, lässt vermuten, dass er sich durch Nachrichten aus der Gemeinde in Thessaloniki dazu genötigt sah. „Den Abschnitt 1 Thess 2,1–12 kennzeichnet ein apologetischer Tenor“.21 Die Forschung ist uneins in der Frage, ob Paulus tatsächlich auf konkrete Infragestellungen seiner Person und seines Wirkens reagiert, oder ob es sich bei diesem Abschnitt um geradezu konventionelle Rhetorik handelt.22 W. Kraus vermutet, dass die paulinische Verkündigung und ihre göttliche Legitimation von jüdischer Seite in Frage gestellt worden sein könnten. Das wäre vor dem Hintergrund von 2,14 gut denkbar. Dort wird allerdings nicht ausdrücklich gesagt, dass die Gemeinde in Thessaloniki von jüdischer Seite bedrängt wurde. Es sind 17 Dass auch dieser Begriff kultische Dimensionen hat, zeigt Josephus, Ant 3,279; Philo Agr 127; SpecLeg 1,138; Quaest in Gn 1,63. 18 Vgl. Kapitel 3, 3.1.1. 19 So W ILLIGER (1922), 59 und die Hinweise zu a`gno,j Kapitel 3, 3.1.1. 20 Dies deckt sich mit einschlägigen Passagen aus anderen paulinischen Briefen (z. B. 1 Kor 9,13; Röm 15,16). Ob mit der Qualifizierung seines Tuns als „heilig“ schon an eine priesterliche Funktion gedacht ist, lässt sich dem Kontext nicht entnehmen. 21 KRAUS (1996), 131; EBEL (2006), 127. 22 Vgl. die Überblicke bei HOPPE (2002), 329ff und GERBER (2005), 309ff.
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Kapitel 4. Kultische Sprache im 1. Thessalonicherbrief
die sumfule,tai der Adressaten, die der Gemeinde – so wie es „die Juden“ in Judäa mit den dortigen Gemeinden tun – Probleme bereiten.23 Der Begriff sumfule,thj ist in der nichtchristlichen Literatur äußerst selten. Außer im Kommentar des alexandrinischen Grammatikers Aristonicus (ca. 1. Jh. v. Chr. / 1. Jh. n. Chr.)24 und in einer Inschrift findet er sich m. W. nur noch bei wesentlich jüngeren Lexikographen, die ihn mit o`moe,qnoj oder suggenh,j übersetzen und damit die Volkszugehörigkeit- oder Blutsverwandtschaft betonen. Auch wenn wir dieses Verständnis für Paulus und seine Adressaten nicht unbedingt voraussetzen dürfen, bleibt doch zu fragen, ob die heidnischen Adressaten des Briefes in Thessaloniki lebende Juden als sumfule,tai bezeichnet hätten. Dies ist allein schon deshalb unwahrscheinlich, weil zum Begriff der fulh, bestimmte religiöse Gemeinsamkeiten gehörten, die Heiden und Juden sicher nicht geteilt haben werden.25 Ein inschriftlicher Beleg von sumfule,thj unterstreicht die kultische Dimension, die sich mit dem Begriff verbindet, denn dort ist es die fulh,, die die Darbringung der Opfer und auch ihren Zweck (u`pe.r u`giei,aj kai. swthri,aj tw/n sumfuletw/n26 [IG XII,2 505,18 (Methymna)]) regelt.27 Von daher halte ich es für unwahrscheinlich, dass Paulus in 2,14 jüdische Anfeindungen im Blick hatte.28 Wenn man dazu neigt, bei der Näherbestimmung vermeintlicher Gegner des Apostels vorsichtig zu sein, legt sich eine andere Deutungsmöglichkeit der paulinischen „Apologetik“ nahe. Paulus spricht im Blick auf die Gemeinde mehrfach von mimhtai, (1,6; 2,14).
23 T AYLOR (2002), 784ff plädiert dafür, dass die Gemeinde in Thessaloniki sich in einer Verfolgungssituation befand, die von der jüdischen Gemeinde maßgeblich ins Werk gesetzt worden sei. Er wertet Texte wie 2,14 (dazu unten) und 1,9 dahingehend aus, dass die Gemeinde sich aus Juden und Heiden zusammengesetzt habe. Seine Argumentation, dass Paulus eine zum Teil jüdische Gemeinde durchaus darauf angesprochen habe könnte, dass sie sich von den Götzen hin zum wahren Gott bekehrt hätten, wirkt dabei etwas gezwungen. Plausibler ist seine abschließende Vermutung, dass die Situation der Gemeinde in Thessaloniki weniger von einer aktuellen Verfolgung, sondern von alltäglichen Schwierigkeiten geprägt gewesen sein dürfte, die sich aus der exklusiven Bindung an die christliche Gemeinde ergaben. Diese führt zu einem gespannten Verhältnis zu den sozialen Beziehungsgruppen, in denen die neuen Christen vorher gelebt haben (798). Vgl. auch EBEL (2005), 132ff. 24 De Signis Iliadis zu Il 4,307. Aristonicus erläutert, dass die Truppenaufstellung und die Anweisungen Nestors dazu gedient habe, zu vermeiden, dass im Kampf die eigenen Soldaten von ihren Kameraden (u`po. tou/ sumfele,tou) versehentlich getötet werden. Mit sumfule,tai sind hier also die Angehörigen des eigenen Heeres gemeint. 25 Vgl. MAURER (1973), 241. 26 Der sumfule,thj scheint hier nichts anderes zu sein als das einzelne Mitglied der fulh,. Die genannte Inschrift ist die einzige mir bekannte, in der sich das Wort sumfule,thj findet. 27 Die religiöse Dimension, die sich mit der Vorstellung von einer fulh, verbindet, blendet T AYLOR (2002), 791ff völlig aus. Er berücksichtigt allein den Aspekt der Ethnizität, den er bei Paulus gerade für aufgehoben hält (unter Berufung auf Gal 3,28). Abgesehen davon, dass Gal 3,28 das nicht hergibt (auch die Unterscheidung von Frauen und Männern hebt Paulus ja nicht auf – nur die trennende Bedeutung, die sie hat), ist es sehr unwahrscheinlich, dass Paulus oder seine Adressaten Juden und Nichtjuden einer fulh, zugeordnet hätten. 28 Vgl. auch HOLTZ (2002), 416.
2. Die Heiligkeit der Gemeinde: 3,13
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Davon bezieht sich der erste Beleg auf das Verhältnis von der Gemeinde zu Paulus, der zweite auf das Verhältnis der Gemeinde in Thessaloniki zu den Gemeinden in Judäa. In 1,6 lobt Paulus seine Adressatinnen und Adressaten, weil sie ihrerseits das verwirklicht haben, was Paulus ihnen vorgelebt hat. Die „Ehreninschrift“,29 die er sich in Kapitel 2 selbst errichtet, gewinnt von daher zumindest implizit Aufforderungscharakter: „So bin ich – so sollt auch ihr sein“. Sie bereitet damit die Paränese vor, zu der der gleich zu besprechende Abschnitt 3,11ff dann überleitet. Hier sei nur soviel vorweggenommen, dass Paulus der Gemeinde dort als Ideal das vor Augen malt, was er nach 2,10 selbst gelebt hat, nämlich einen „untadeligen“ Lebenswandel. 30 Die paränetische Funktion des Mimesis-Motives und damit der paulinischen Selbstaussagen wird deutlich, wenn man einen Blick auf die Wirkungsgeschichte des 1 Thess im 2 Thess wirft. In 2 Thess 3,7–9 werden dort nämlich „apologetische“ Aussagen ausdrücklich mit der Aufforderung an die Leserinnen und Leser verbunden, es Paulus gleichzutun und sein Verhalten nachahmend zu realisieren. Damit hätten wir ein sehr frühes Zeugnis, das diese Selbstaussagen nicht als Apologie, sondern als Paränese rezipiert hätte – wenn es nicht gar der Apostel selbst war, der seine Mahnungen aus dem 1 Thess hier wieder aufgegriffen hat. Im Blick auf die Begrifflichkeit, die Paulus in seinen späteren Briefen weiter ausbauen wird, sei hier noch festgehalten, dass sich in 2,10 ein auch in der Welt des Kultes verwendeter Begriff neben einem aus dem Wortfeld dikaiosu,nh findet.
2. Die Heiligkeit der Gemeinde: 1 Thess 3,13 2. Die Heiligkeit der Gemeinde: 3,13
Die Verse 11–13 markieren einen deutlichen Einschnitt im 1. Thessalonicherbrief. Mit ihnen endet der primär an der Danksagung orientierte erste Teil.31 In 4,1 setzt Paulus mit konkreten tröstenden Ermahnungen ein (parakalou/men).32 Sie schließen zugleich den Wunsch des Paulus ab, erneut nach Thessaloniki zu reisen, und bitten darum, dass Gott selbst die Herzen der Thessalonicher stärken möge, so dass sie untadelig in Heilig29
Diese Analogie scheint mir näher zu liegen als die zur Gerichtsrede. Vgl. MALHERBE (2000), 153ff. Die Bedeutung des Mimesis-Motivs für die Argumentation des 1 Thess unterstreicht auch M ARTIN (1999), 39ff. Diese Deutung wird aktuell von KIM (2005), 528 und GERBER (2005), 312 bestritten. Da Paulus nicht ausdrücklich zur Nachahmung aufrufe, solle man nicht davon ausgehen, dass dies sein Anliegen sei. Er wolle vielmehr die Gemeinde in die Lage versetzen, sich gegen antipaulinische Polemik zur Wehr zu setzen (Kim) bzw. den Adressatinnen und Adressaten eine „Vergewisserung der Freundschaft“ (Gerber) zukommen lassen. Nun ist es psychologisch sehr plausibel, dass Indikative oft die stärkste Form des Imperativs darstellen, so dass Paulus auch ohne explizite Imperative zur Nachahmung seines Verhaltens aufrufen könnte. Gerade eine „Vergewisserung der Freundschaft“ kann starken Aufforderungscharakter haben (vgl. W ANAMAKER [1990], 90f). Vgl. auch HOPPE (2002), 332ff. 31 Vgl. dazu HOLTZ (1986), 29ff. 32 Die Wahl dieses Verbs schafft eine begriffliche Verbindung zur Erstverkündigung des Apostels in Thessaloniki, die er in 2,3 para,klhsij genannt hatte. Durch das Stichwort „Heiligkeit“ ist aber zugleich eine inhaltliche Verbindung zur folgenden Paränese gegeben, die christliches Leben als Heiligung beschreibt (4,3 u.ö.). 30
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Kapitel 4. Kultische Sprache im 1. Thessalonicherbrief
keit (evn a`giwsu,nh|) vor Gott seinen, wenn der Herr mit seinen Heiligen (a[gioi) wiederkommt. Vers 13 entwirft eine Entsprechung zwischen der himmlischen Welt und der Gemeinde. Von den Denkvoraussetzungen der antiken Welt steht es außer Frage, dass die göttliche Sphäre das Prädikat „heilig“ verdient. Paulus macht das hier explizit, indem er dem wiederkommenden Herrn „seine Heiligen“ an die Seite stellt. Damit wird diese sachliche Selbstverständlichkeit auch sprachlich deutlich gemacht. Damit die Begegnung mit der himmlischen Welt in einer für die Menschen heilvollen Weise gelingen kann, müssen diese der Heiligkeit der himmlischen Welt entsprechen. Darum ist es wichtig, dass sie sich selbst „in Heiligkeit“ befinden, wenn es zu dieser Begegnung kommt. Mit dem Wort „untadelig“ (a;memptoj) hatte Paulus bereits sein eigenes Auftreten und Wirken in der entstehenden Gemeinde beschrieben (2,10). Dort erschien er vor allem als Terminus, der in Ehrenschriften beheimatet ist. Er dient zur Bezeichnung einer untadeligen Amtsführung bzw. eines untadeligen Lebenswandels. So scheint ihn auch Josephus zu gebrauchen, der in Ant 3,279 die ideale Lebensführung der Priester „untadelig“ nennt. Parallel dazu spricht er aber davon, dass die Priester beim Opferdienst rein zu sein haben (278). Bei Priestern, die qua Definition dem Herrn heilig sind (vgl. z. B. Lev 21,6), kann man zwischen profaner und nichtprofaner Sphäre kaum unterscheiden. Philo verwendet das gleiche Wort nun in dezidiert kultischer Bedeutung, wenn er das ideale Opfer rein und untadelig nennt (Quaest in Gn 1,63). Im unmittelbaren Kontext, der von der Begegnung mit der himmlischen Welt spricht, könnte das Adjektiv a;memptoj also durchaus kultische Bedeutung haben. Dafür spricht die Verbindung mit dem folgenden evn a`giwsu,nh| ebenso wie der Gedanke, dass die Gemeinde vor Gott steht (e;mprosqen tou/ qeou/) und dem heiligen Status seiner Welt entsprechen soll. Im 4. und 5. Kapitel wird Paulus ausführen, was die Gemeinde selbst zum Erhalt des heiligen Status tun kann und muss. Vor der Paränese aber erbittet er Gottes Beistand für die Gemeinde, der sie bei ihrem eigenen Tun unterstützen möge. Am Schluss des Briefes erneuert Paulus diese Bitte (5,23) und rahmt damit die Paränese ein. Diese Rahmung macht deutlich, dass es zum Gelingen der Heiligung der Gemeinde ihres eigenen Tuns ebenso bedarf, wie des bewahrenden Handelns Gottes. In 5,23 wird sichtbar, dass Paulus sich beides als analoges Geschehen vorstellt: Die Gemeinde vollzieht in ihrem Tun die Heiligung – zugleich ist es Gott, der die Gemeinde heiligt.
3. Heiligung als Konsequenz aus der Anwesenheit des heiligen Geistes: 4,3–8
123
3. Die Ethik der Heiligung als Konsequenz aus der Anwesenheit des heiligen Geistes: 1 Thess 4,3–8 3. Heiligung als Konsequenz aus der Anwesenheit des heiligen Geistes: 4,3–8
Der Abschnitt 1 Thess 4,3–8 konkretisiert die von Paulus in 4,1–2 angekündigte Beschreibung eines gottgefälligen Lebenswandels. Pointiert legt Paulus hier dar, worin der Wille Gottes besteht, nämlich in der „Heiligung“ (a`giasmo,j).33 Werfen wir zunächst einen Blick auf die Struktur dieses Abschnitts: 3a 3b 4 5 6a
6b 7 8a 8b
Tou/to ga,r evstin qe,lhma tou/ qeou/( o` a`giasmo.j u`mw/n( – avpe,cesqai u`ma/j avpo. th/j pornei,aj, – eivde,nai e[kaston u`mw/n to. e`autou/ skeu/oj kta/sqai evn a`giasmw/| kai. timh/|( mh. evn pa,qei evpiqumi,aj kaqa,per kai. ta. e;qnh ta. mh. eivdo,ta to.n qeo,n, – to. mh. u`perbai,nein kai. pleonektei/n evn tw/| pra,gmati to.n avdelfo.n auvtou/( dio,ti e;kdikoj ku,rioj peri. pa,ntwn tou,twn( kaqw.j kai. proei,pamen u`mi/n kai. diemartura,meqaÅ ouv ga.r evka,lesen h`ma/j o` qeo.j evpi. avkaqarsi,a| avllV evn a`giasmw/|Å toigarou/n o` avqetw/n ouvk a;nqrwpon avqetei/ avlla. to.n qeo.n to.n Îkai.Ð dido,nta to. pneu/ma auvtou/ to. a[gion eivj u`ma/j.
Der Abschnitt ist formal recht klar strukturiert. Nach der Bekanntgabe des Programmbegriffes Heiligung (4,3a), legt Paulus mit drei Infinitivsätzen dar, worin diese Heiligung konkret bestehen soll (4,3b–6a).34 Es folgen drei mit unterschiedlichen Konjunktionen eingeleitete Begründungssätze (6b–8).35 Was Paulus in den Versen 4,3b–6a inhaltlich vor Augen hat, ist in der Forschung seit langem umstritten. Relativ eindeutig ist die Warnung vor der pornei,a in 4,3b. Dieser Begriff umschreibt in der jüdischen Literatur, die das NT umgibt, wie auch im NT selbst ein weites Feld vorwiegend sexuellen Fehlverhaltens:36 33 Dieser Begriff umschließt die materialethischen Aussagen in den Versen 3–6. Vgl. HOLTZ (1986), 150f. 34 Dabei fällt auf, dass die Infinitive in Vers 6 mit dem Artikel eingeleitet werden und somit aus der ACI Konstruktion der vorangehenden Sätze herausfallen (vgl. HOLTZ [1986], 155f. Diese Änderung in der Konstruktion könnte auf eine inhaltliche Neuakzentuierung hinweisen und signalisieren, dass dieser Vers ein neues Thema in den Blick nimmt. Vgl. MERK (1968), 47. Weiteres dazu unten. 35 Zum Aufbau vgl. HORN (1992), 123ff. 36 Vgl. VAHRENHORST (2002), 406f; KONRADT (2001), 128f.
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Wie in 1 Kor 5,1 kann eine nach Lev 18,8 (vgl. Jub 33,10ff; Pseudo Phokylides 179) verbotene sexuelle Beziehung unter Verwandten gemeint sein. Auch Homosexualität wird zuweilen mit pornei,a etikettiert (vgl. Sib 3,764). Des Weiteren meint pornei,a den außerehelichen Geschlechtsverkehr z. B. mit einer Prostituierten (Philo, VitMos 1,300). Diese letzte Bedeutung trifft den ursprünglichen und auch im nicht biblisch geprägten Griechisch zumeist intendierten Ton.37 Im Blick auf unseren Text wird man demnach nicht fehlgehen, wenn man hier eine Warnung vor jedem „regelwidrigen Sexualverkehr“38 hört. Konkret dürfte damit „jeder sexuelle Verkehr mit einer anderen Frau oder einem anderen Mann als mit dem eigenen Ehepartner“39 gemeint sein. Die Warnung davor begegnet in jüdischen Schriften recht häufig und zwar als Warnung vor einem typisch heidnischen Laster.40 Paulus reiht sich in diese Tradition ein und adressiert diese Mahnung an seine heidnischen Leser,41 die wissen sollen, dass außereheliche Sexualpraktiken der Heiligung widersprechen. Es folgt eine positiv formulierte Mahnung (4,4), deren genauer Gehalt wesentlich schwerer zu bestimmen ist als die Aussage von Vers 3b. Schon die altkirchliche Auslegung differiert im Verständnis des Wortes skeu/oj (Gefäß). Geht es darum, den eigenen Leib oder die Ehefrau heilig und in Ehren zu halten?42 Bis heute ist in der Exegese dieses Verses kein Konsens auszumachen.43 Zusätzlich zu den genannten Alternativen wird in der Gegenwart vorgeschlagen, skeu/oj als Euphemismus für das männliche Glied zu verstehen.44 Für Letzteres sprechen vereinzelte Texte aus der paganen Gräzität (Anth.Gr.16,243; Ail. nat. 17,11). Die als Belegstellen vorgeschlagenen jüdischen Texte 1 Sam 21,6 und 4Q 416 Frg. 2; 2,21 sind bestenfalls nicht eindeutig, lassen es vielmehr angeraten erscheinen, 37 Vgl. REIßER / NIEBUHR (1997), 298. Weiteres bei KIRCHHOFF (1994), 22. Archäologisch nachgewiesen ist die Existenz wenigstens eines Bordells in Thessaloniki im 1. Jh. n. Chr. (vgl. dazu VOM BROCKE [2001], 131). 38 KIRCHHOFF (1994), 37. Vgl. auch HOLTZ (1986), 156 und SCHRAGE (1989), 229. 39 W OLTER (2003), 329. Vgl. VOM B ROCKE (2001), 131. Vom Brocke zeigt auch einleuchtend, dass die Annahme, Paulus habe auf die „kultische Überhöhung des Phallos […] besonders im Dionysos-Kult“ reagieren wollen, sich am Text und von den archäologischen Funden her nicht bestätigen lässt. Paulus wendet sich ganz allgemein gegen Porneia. 40 Vgl. z. B. Jub 25,1; Weish 14,12–31; Philo, All 3,8 (vgl. Kapitel 2, 2.2). 41 Die paulinische Paränese entspricht in diesem Punkt genau dem Aposteldekret Apg 15,29 vgl. dazu Kapitel 6, 6. 42 Vgl. dazu MAURER (1959) , 366. 43 Vgl. dazu STILL, 208f; 213ff. Eine ausführliche Literaturzusammenstellung findet sich bei KONRADT (2001), 130. 44 Vgl. ELGVIN (1997), 604ff. Weitere Vertreter dieser Auslegung nennt KONRADT (2001), 130. Vgl. auch ASCOUGH (2003), 187ff.
3. Heiligung als Konsequenz aus der Anwesenheit des heiligen Geistes: 4,3–8
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das hebräische ylk im Sinne von Leib (1 Sam 21) oder Ehefrau (4Q 416) zu verstehen. 45 Konzentrieren wir uns im Folgenden also auf die älteren Alternativen: Wer in 1 Thess 4,4 Leib liest, kann sich auf Stellen wie TestNaph 2,2; 8,6; IV Esra 7,88; 1QH 4 (17),9 und bTaan 7a berufen, die vom Leib (oder vom Menschen insgesamt) als einem Gefäß sprechen.46 Wer die Übersetzung Ehefrau bevorzugt, kann dies unter Berufung auf rabbinischen Sprachgebrauch tun (bMeg 12b; bBM 84b; Weiteres Bill III, 632f). Auch 4Q 416 dürfte der Liste der einschlägigen Belegstellen zugefügt werden, denn die Wendung hkqyx ylk (Gefäß deines Schoßes) in Zeile 21 lässt sich von 4 5,13 (Frau deines Schoßes; vgl. Dtn 13,7) ungezwungen auf die Ehefrau deuten, was auch im Kontext einen Sinn ergibt.47 Vom lexikalischen Befund her spricht – vor allem aufgrund der Deutung von 4Q 416 – mehr für die Übersetzung „Frau.“48 Maurer weist mit Recht darauf hin, dass das Verb kta/sqai bei der Entscheidung zwischen Leib und Frau helfen könnte. Dieses hat nämlich nach Ausweis der gängigen Wörterbücher im Präsens die Bedeutung „erwerben“, in der Vergangenheit aber „behalten, besitzen“. In 4,4 steht es im Präsens und so ist zu fragen, was mit der Lesart „den eigenen Leib erwerben“, gemeint sein soll. Zu kta/sqai im Präsens passt die Deutung auf die Ehefrau besser, denn diese wird nach jüdischem Recht und Sprachgebrauch eben „erworben“ (vgl. mQid 1,1).49 Auch 1 Petr 3,7 mag für diese Deutung sprechen. Hier wird die Ehefrau ausdrücklich „Gefäß“ genannt – allerdings qualifiziert durch das Adjektiv avsqenh,j (schwach), was zugleich nahe legt, dass es auch anders qualifizierte „Gefäße“ – nämlich starke – geben muss. Folglich würden nach der Logik von 1 Petr 3,7 auch Männer Gefäß genannt werden können.50 Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Entscheidung für oder gegen die Übersetzung Leib bzw. Frau? Lesen wir Leib, dann könnte Paulus hier zu einer völligen sexuellen Abstinenz mahnen. Man soll den Leib heilig halten, d.h. man soll verunreinigenden Sexualverkehr meiden. Geschlechtsverkehr hat aber in jüdischer wie in griechischer An-
45
So auch KONRADT (2001), 131f. Weitere Stellen nennt KONRADT (2001), 132, der außerdem darauf hinweist, dass das Bild vom Leib in sehr eingeschränkten Sinnzusammenhängen begegnet, die in unserem Kontext eher nicht zu hören sind (Zerbrechlichkeit von Gefäßen; Gott als Töpfer der Gefäße [Jer 18]). Vgl. auch CARAGOUNIS (2002), 141ff. 47 Vgl. KONRADT (2001), 132. Diese von J. STRUGNELL (1996), 537ff rekonstruierte Lesart ist von M. KISTER (2003), 365ff infrage gestellt worden, der statt „vessel of thy bossom“ „not [according to] your prescribed portion“ zu lesen vorschlägt. Die Hauptlast der Argumentation ruht auf der Entscheidung zwischen den Buchstaben k oder b. F. GARCÍA M ARTÍNEZ (2006), 24ff stellt die materiale Problemlage umfassend dar und plädiert aufgrund der ältesten Fotografien des Textes für die Rekonstruktion ylk (Gefäß). Auch die parallele Wendung hkqyx tXa (Frau deines Schoßes) in 4Q416 2 4,5 stützt dies. 48 VOM BROCKE (2001), 131 weist allerdings zu Recht darauf hin, dass dieser jüdische Sprachgebrauch Lesern mit paganem Hintergrund nicht ohne weiteres verständlich gewesen sein dürfte. Er votiert daher mit Dibelius für die Übersetzung „Leib“ (130), für die auch CARAGOUNIS (2002), 144 plädiert. 49 Dort steht das Verb hnq, das in der LXX häufig mit kta,omai wiedergegeben wird (z. B. Gen 4,1; 12,5; 25,10). Vgl. auch HOLTZ (1986), 157 und REINMUTH (1998), 139. Allerdings kann man mit MERK (1968), 47 fragen, ob die Adressaten in der Lage waren, diese Wendung, die einen hebräischen Hintergrund hat, zu verstehen. 50 Vgl. HAUFE (1999), 70. 46
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schauung immer verunreinigende Wirkung, also wäre er zu unterlassen. Diese Lektüre steht in Spannung zu 1 Kor 7, wo Paulus ehelichen Geschlechtsverkehr zwar nicht gerade gutheißt, aber zumindest erlaubt. Man müsste dann zwischen 1 Thess 4,4 und 1 Kor 7 eine Entwicklung annehmen. Gravierender ist, dass diese Lektüre sich auch zu 4,3b nicht so recht fügen will. Dieser Vers warnt ausdrücklich nur vor illegitimem Sexualverkehr, setzt also voraus, dass es auch eine legitime Variante gibt. Demnach dürfte völlige sexuelle Enthaltsamkeit hier nicht intendiert sein. Paulus könnte vielmehr daran denken, dass der Mann sich bzw. seinen Leib heilig halten soll, indem er ausschließlich legitime Sexualpraktiken übt.51 Dass ein solches Verständnis von ehelichem Geschlechtsverkehr, das der Reinheit und Ehrbarkeit nicht widerspricht, möglich ist, belegen jenseits der Paulusbriefe Weish 14,24 (ga,moj kaqaro,j) wie auch später Hebr 13,4 (ga,moj ti,mioj). In den Leges Sacrae findet sich diese Bewertung der ehelichen Sexualität zwar nicht explizit, die konkreten Regelungen lassen aber erkennen, dass man in der Ehe praktizierte Sexualität für weniger verunreinigend halten konnte, als zum Beispiel den Umgang mit einer Prostituierten (vgl. z. B. LSAM 29; LSCG, Suppl 91).
Damit ergibt sich bei einer Deutung von skeu/oj als Leib in der Praxis nahezu die gleiche Konsequenz wie bei der, die skeu/oj ohnehin als Chiffre für die Ehefrau versteht. Das präsentische kta/sqai könnte dann daran denken lassen, dass Paulus geradezu zur Eheschließung ermutigt. Dazu passen aber die folgenden näheren Bestimmungen nicht gut. Paulus gibt hier also eine Anweisung, wie Sexualität in der Ehe gestaltet werden soll,52 damit sie der Heiligung entspricht. Die griechische Sprache kennt das Verb kta/sqai im Sinne von „eine Frau sexuell besitzen“53 (Xen. symp. 2,10;54 Sir 36,24). Vielleicht dürfen wir annehmen, dass die Adressaten von dieser Wendung her auf das schließen konnten, was Paulus mit dem Gebrauchen des Gefäßes gemeint haben dürfte. Sicher ist dies allerdings nicht, wie schon die Verwirrung in der altkirchlichen Exegese zeigt.
In jedem Fall werden auf der Linie von Vers 3 a`giasmo,j und – neu eingeführt – timh, als Leitbegriffe genannt, die den christlichen Umgang mit der ehelichen Sexualität prägen sollen. Als genaues und darum zu vermeidendes Gegenteil wird in 4,5 pa,qoj evpiqumi,aj (Leidenschaft der Begierde)55
51
Zwischen beiden Lektüremöglichkeiten scheint die Auslegung H AUFES (1999), 71 zu schwanken, der skeu/oj auf den Leib bezieht und den Passus mit „Enthaltung von Unzucht setzt positiv sexuelle Selbstbeherrschung voraus“ wiedergibt. 52 Dafür spricht m.E. die Beobachtung HAUFES (1999), dass das vorangestellte e[kaston u`mw/n einen größeren Adressatenkreis impliziert als allein die Gruppe der unverheirateten Männer (71). Das ingressive Moment des Verbs wäre dann weniger schwer zu gewichten. 53 So MERK (1968), 47. 54 Der Bezug zur Sexualität ist bei Xenophon allerdings nicht so deutlich, wie Merk behauptet. Man könnte das fragliche „tau,thn ke,kthmai“ ebenfalls mit „ich habe diese geheiratet“ übersetzen. 55 Vgl. TestJos 7,8; Pseudo Phokylides 194 (vgl. unten zu Röm 1,24).
3. Heiligung als Konsequenz aus der Anwesenheit des heiligen Geistes: 4,3–8
127
genannt.56 Durften wir in Vers 3 stillschweigend voraussetzen, dass mit Porneia ein heidnisches Kardinallaster im Blick war, so geht es hier ausdrücklich um eine Abgrenzung von einem als heidnisch wahrgenommenen Lebensstil.57 Ein beachtliches Deutungsspektrum eröffnet sich auch in 4,6. Das Wort pra/gma lässt sich im Wesentlichen in drei verschiedenen Richtungen auslegen. Zum einen kann man es – wie es z. B. die Lutherübersetzung tut – im Sinne von Handel verstehen. Es geht dann darum, sich keine Übergriffe zu erlauben, und den Bruder58 im Handel nicht zu übervorteilen. Zum anderen kann man konkret an eine Gerichtsverhandlung denken (vgl. 1 Kor 6,1), in der der Nächste nicht um sein Recht gebracht werden soll. Zum Dritten ist vorgeschlagen worden, die Wendung evn tw/| pra,gmati als Rückverweis auf Vers 3bf zu lesen: „...den Bruder in dieser (oben angesprochenen) Sache übervorteilen“. Dann ginge es um eine Warnung vor dem Ehebruch. Der Abschnitt trüge damit ein sehr einheitliches Gepräge, indem er allein von der Gestaltung der Sexualität spräche und nicht noch ein weiteres Thema hineinbrächte.59 Gegen die zuletzt genannte Deutung spricht m. E. aber, dass nicht evn tou/tw| tw/| pra,gmati im Text steht, womit der Rückverweis klar wäre. Dagegen steht ferner, dass das bestimmende Verb pleonektei/n (übervorteilen, überlisten) sonst m. W. nie in Bezug auf Ehebruch gebraucht wird. Es selbst oder verwandte Begriffe stehen aber sehr wohl in Lasterkatalogen neben der oben genannten pornei,a60 (vgl. TestLev 14,5; Mk 7,21; 1 Kor 5,9.11; 6,9), bedeuteten dort aber „bereichern, übervorteilen“ „und zwar auf materiellem Gebiet“.61
56 Für diese Deutung entscheidet sich auch KONRADT (2001), 134. Er weist darauf hin, dass die Wendung eivde,nai e[kaston u`mw/n to. e`autou/ skeu/oj kta/sqai nicht isoliert gelesen werden darf, sondern zusammen mit der Fortsetzung evn a`giasmw/| kai. timh/|, mh. evn pa,qei evpiqumi,aj. Der Ton liegt dann nicht darauf, dass als Alternative zu Porneia Geschlechtsverkehr nur in der Ehe gelebt werden darf, sondern darauf, dass dies in einer bestimmten Weise zu geschehen hat (133ff). 57 Dieser muss von der reinen Wortbedeutung her nicht nur auf die Sexualität eingeschränkt werden (vgl. HOLTZ [1986], 159f). Allerdings gibt der unmittelbare Kontext eine solche vor. Zur traditionell alttestamentlich-jüdischen Rede von Ausschweifung und Unkenntnis Gottes vgl. die Belege bei H OLTZ (1986), 160 58 Vgl. dazu GERBER (2005), 344ff. 59 So MAURER (1959), 640. Ähnlich argumentiert HAUFE (1999), 71ff. Seine Argumentation bewegt sich zunächst auf philologischer Ebene, wobei er die jeweils beizubringenden Gegenargumente selbst nennt. Gewichtig sind seine Erwägungen auf der inhaltlichen und formalen Ebene: „Es ist ganz unwahrscheinlich, dass innerhalb eines Satzes [...] im letzten Teil abrupt ein neues Thema angesprochen wird...“ (73). Des Weiteren ergibt sich für ihn der thematisch einheitliche Charakter aus der Inclusio (73). 60 Vgl. HORN (1992), 124, Anm. 10 und REIßER / NIEBUHR (1997), 300. 61 HOLTZ (1986), 161; SCHRAGE (1989), 230. Vgl. auch MERK (1968), 47, der innerneutestamentlich auf 1 Kor 5,10; 6,12ff.19 verweist (vgl. DELLING [1959], 269ff).
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Kapitel 4. Kultische Sprache im 1. Thessalonicherbrief
Für den Übergang zu einem neuen Thema spricht auch die Syntax des Satzes, die hier zu einer anderen Infinitivkonstruktion wechselt (vgl. oben Anm. 34).62 Wir können also mit guten Gründen davon ausgehen, dass Paulus hier ein Thema jenseits der bisher verhandelten Sexualethik anspricht. Ob es ihm dabei um den Prozess vor einem Gericht oder um das Geschäftsleben allgemein geht, muss nicht unbedingt entschieden werden. Paulus betont, dass der Mitchrist nicht durch Übergriffe finanziell geschädigt wird. Ob das vor dem Richter oder auf dem Markt geschieht, ist dabei nicht ausschlaggebend. Die Themenverschiebung von der Sexualethik hin zur Wirtschaftsethik63 steht – wie Konradt zutreffend bemerkt – in der „Tradition frühjüdischer Gesetzesparänese“, „in der eben die Meidung von Unzucht und Habgier geradezu dazu dienen kann, den Willen Gottes in nuce zu umreißen“.64
Die Mahnung zur Heiligung, die Paulus in 4,3a programmatisch ausspricht, wird in den folgenden Versen also in zwei Richtungen konkretisiert: Heiligung vollzieht sich durch einen Umgang mit der Sexualität allein in der Ehe, der durch Heiligung und gegenseitige Ehrfurcht geprägt ist. Sie vollzieht sich weiter im Geschäfts- bzw. Rechtsleben, in dem der Nächste nicht übervorteilt werden darf. Diese Weisung begründet Paulus im Folgenden in drei aufeinander aufbauenden Argumentationsschritten (6b–8): Die Thessalonicher werden zunächst daran erinnert, dass Gott selbst rächend bzw. vergeltend eingreift, wenn die zuvor genannten Regeln nicht eingehalten werden. Damit ruft Paulus den schon zuvor erwähnten Horizont des göttlichen Gerichts ins Gedächtnis (vgl. 1,10 u.ö.). Dieses Motiv könnte allein schon ausreichen, um die in 3b–6a ergangenen Mahnungen zu begründen. Paulus argumentiert aber noch weiter. Er führt in Vers 7 aus, warum Gott peri. pa,ntwn tou,twn nicht gleichgültig bleiben kann: Gott hat „uns“ nämlich nicht zur Unreinheit (evpi. avkaqarsi,a|) berufen, sondern in Heiligung (evn a`giasmw/|). Die Bedeutung der beiden Präpositionen, vor allem aber der letzten, ist Gegenstand der Diskussion. Man kann beide synonym verstehen, so dass sie das Ziel bezeichnen „auf das hin die Berufung nicht erfolgt, bzw. in das hinein sie erfolgt“.65 Das evn kann ebenso gut „auf den Status, den die Christen dank des berufenden Handelns Gottes gewonnen haben“ verweisen.66 Und schließlich ist es möglich, es als Hinweis auf den Modus der Berufung zu lesen: „It is through God’s call that they are sanctified“, die Thessalonicher
62 SCHRAGE (1989), 231 nennt als weiteres einleuchtendes Argument für diese Deutung, dass der Plural von peri. pa,ntwn tou,twn (V.6) besser passt, wenn man annimmt, dass Paulus von mehreren Themen und nicht nur von der Sexualität spricht. 63 Paulus entwirft diese ganz innergemeindlich, indem er vom Verhalten gegenüber dem Bruder spricht. Bei der Besprechung von 1 Kor 6,1ff werden wir sehen, dass Paulus davor warnt, dem Unrecht durch Unrechttun im Heiligtum Raum zu geben. Diese Argumentationsstruktur findet sich hier sachlich vorbereitet. 64 KONRADT (2001), 129 (dort weitere Literatur). Dass es sich dabei tatsächlich um typische Inhalte jüdischer Paränesen handelt, zeigt N IEBUHR (1987), 232ff. 65 So HOLTZ (1986), 165. 66 So KONRADT (2003), 96.
3. Heiligung als Konsequenz aus der Anwesenheit des heiligen Geistes: 4,3–8
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sind also durch Gottes heiligendes Handeln berufen worden. 67 Alle genannten Deutungen ergeben im Kontext des Briefes einen Sinn, so dass sich die Auslegung nicht zwischen ihnen entscheiden muss: Gottes heiligendes Handeln versetzt die Christen in einen heiligen Status, was wiederum auf fortschreitende Heiligung zielt.
Unreinheit und Heiligung erscheinen hier ähnlich wie auch in 2,3 und 10 als Gegensatzpaar. Vergleicht man das mit der Grundsystematik von rein / unrein, heilig / profan, die sich in Teilen der jüdischen Tradition und auch in paganen Quellen feststellen ließ,68 so fällt auf, dass Paulus nicht einfach rein mit unrein oder heilig mit profan kontrastiert. Die Alternative zur Unreinheit ist die Heiligkeit. Damit überspringt Paulus die Möglichkeit der Existenz in einer profanen Sphäre, in der es rein oder unrein geben dürfte. Christliche Existenz ist hingegen ganz im Bereich des Heiligen angesiedelt. Darum ist alles, was mit Unreinheit zu assoziieren wäre, grundsätzlich ausgeschlossen. Diese Denkfigur wird uns im 1 Korintherbrief weiter beschäftigen.69 Die zuvor negativ gewerteten Verhaltensweisen entsprechen also nicht dem Modus der göttlichen Berufung (vgl. 2,12) und dem Willen Gottes. Auch das ist noch nicht das letzte Wort im vorliegenden Argumentationsgang. In einem dritten Anlauf bindet Paulus das, was er bisher ausgeführt hat, noch einmal an Gott selbst zurück und qualifiziert Gott auf eine Weise, die begrifflich den Bogen zum Schlagwort „Heiligung“ zurück schlägt und diesen Programmbegriff zugleich abschließend sachlich begründet: Gott gibt seinen heiligen Geist in die Angesprochenen hinein (eivj u`ma/j). Gottes Gegenwart im Modus seines Geistes ist es also, die von der Gemeinde ein der Gegenwart Gottes entsprechendes Verhalten verlangt, nämlich die genannte Heiligung:70 „Holiness is a state of existence; the Thessalonians are to act accordingly“.71 Paulus sieht seine Adressaten als Ort der 67
So MALHERBE (2000), 234, der weitere Vertreter dieser Auffassung nennt. Vgl. Kapitel 3, 5. Diese Systematik wird vor allem in Qumran in einer Weise variiert, die mit der paulinischen durchaus vergleichbar ist. Rein und unrein sind nicht einfach natürliche Befindlichkeiten, sondern sie werden aufgrund ihrer Kompatibilität mit dem Heiligen bewertet: Unreinheit ist etwas, das wegen der Anwesenheit Gottes in der Gemeinschaft unbedingt zu vermeiden ist. 69 Vgl. Kapitel 5, 6. 70 Vgl. BETZ (1994a), 190: „Paulus schärft seinen Lesern ein, dass sie heilig gemacht worden sind durch die Gabe des heiligen Geistes (4,8), und dass ihr gegenwärtiger Status der von Heiligen ist“. Die Aufgabe, die sich für die christliche Ethik daraus ergibt, ist, „den Stand der Heiligkeit zu ‚bewahren’“. So auch KRAUS (1996), 146: „In 4,8 stellt die Gabe des Geistes eine der Motivierungen für das christliche Leben als a`giasmo,j dar“. Berücksichtigt man das argumentative Gefälle des Abschnitts und die sprachliche Berührung zwischen Heiligem Geist und Heiligung, wird man wohl sagen dürfen, dass die Gabe des Geistes die zentrale Motivation darstellt (vgl. auch COLLINS [1998], 407). Ähnlich verhält es sich in CD 7,3f. 71 COLLINS (1998), 407. 68
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Kapitel 4. Kultische Sprache im 1. Thessalonicherbrief
Gegenwart Gottes und als sein Eigentum, als heiligen bzw. geheiligten Bereich. Er erläutert ihnen vor diesem Hintergrund, welche Regeln in diesem so geheiligten Bereich einzuhalten sind, und markiert notwendige Grenzen gegenüber denen, die nicht zur Gemeinde gehören.72 Exkurs: Zum Verhältnis von Heiligkeits- und Erwählungsvorstellung Als „Basis der Theologie“ des 1 Thess gilt in der Forschung das Motiv der Erwählung.73 Es begegnet in der Tat an zentralen Stellen des Briefes: Schon in 1,4 erinnert Paulus die Gemeinde an ihr Erwähltsein (evklogh,) durch Gott. Dabei setzt Paulus offenbar voraus, dass es sich beim Faktum des Erwähltseins um eine Erfahrungstatsache handelt (eivdo,tej). Das wirft natürlich die Frage auf, welchen Anhalt an der Erfahrung der Adressatinnen und Adressaten dieser theologische Topos hat. Eine Antwort auf diese Frage findet sich im folgenden Vers, in dem Paulus auf die Wirkung des Evangeliums in Thessaloniki verweist: An der Tatsache, dass (o[ti) das Evangelium unter den Thessalonichern nicht nur als gesprochenes Wort, sondern auch „in Kraft und im heiligen Geist und in voller Gewissheit“ wirksam geworden ist, kann man Gottes Erwählung ablesen. Blickt man vom eben besprochenen Argumentationsgang 4,3–8 auf 1,4f zurück, so fällt auf, dass auch hier ein Zusammenhang zwischen Gottes erwählendem und berufendem Handeln74 und der Begabung mit dem heiligen Geist besteht. Bevor wir diesem Zusammenhang näher nachgehen, werfen wir zunächst einen kurzen Blick auf die übrigen erwählungstheologischen Aussagen des Briefes: Vers 2,12 qualifiziert Gott als den, „der euch zu seinem Reich und (seiner) Herrlichkeit berufen“ hat. Diesem Gott soll die Gemeinde sich in ihrer Lebensführung als würdig erweisen. Gottes berufendes Handeln ist offenbar so charakteristisch für ihn, dass Paulus Gott schlicht „den der euch beruft“ (5,24) nennen kann. Nimmt man diese Aussagen zusammen, so wird man das berufende und erwählende Handeln Gottes in der Tat für eines seiner wichtigsten Kennzeichen im 1 Thess halten können. Wie hängen nun Gottes Berufen und die Gabe des heiligen Geistes, die die Heiligung der Gemeinde inauguriert und motiviert, zusammen?
72
So deutlich COLLINS (1998), 407.414. Vgl. HOPPE (2006), 67ff und die Ausführungen bei KRAUS (1996),122ff und SCHNELLE (2003), 183. 74 Erwählung und Berufung kann man sprachlich auch im Griechischen voneinander unterscheiden (evkle,gw // kale,w). Trotzdem gehören sie natürlich der gleichen Gedankenwelt an (vgl. KRAUS [1996], 129). SCHNELLE (2003), 183 versucht beide in eine differenzierte Beziehung zueinander zu setzen: Bei der Erwählung handele es sich um den „grundlegenden Akt der Wahl Gottes“ bei der Berufung „vornehmlich um den Vollzug dieses Geschehens“. 73
3. Heiligung als Konsequenz aus der Anwesenheit des heiligen Geistes: 4,3–8
131
Blicken wir zunächst auf Kapitel 4: Bei beidem handelt es sich um Aktionsweisen Gottes: Gott beruft zur Heiligung (4,7) und er gibt seinen heiligen Geist (4,8). Man könnte beide Handlungen also als parallele Vorgänge beschreiben, noch dazu weil beide die ethischen Weisungen des Kapitels motivieren: Weil Gott zur Heiligung beruft, gelten die zuvor genannten Mahnungen – sie gelten aber auch, weil Gott seinen Geist gibt. Wie wir oben sahen, handelt es sich bei der Gabe des heiligen Geistes in der ethischen Argumentation aber nicht nur um eine Begründung unter anderen. Sie bildet vielmehr den Schlussstein, der das ganze Gebäude zusammenhalten soll: Es ist eben die Gabe des pneu/ma a[gion, die den a`giasmo,j fordert – die Anwesenheit des Heiligen in der Gemeinde nötigt zu ihrer Heiligung. Von daher könnten Erwählung bzw. Berufung und die Gabe des Geistes auch noch anders zu beschreiben sein als nur als zwei Seiten einer Medaille. Wenn es erst die Gabe des heiligen Geistes ist, die die ethischen Weisungen begründend in Kraft setzt, dann wären die anderen Begründungen dieser „nur“ vorgelagert – erst die Begabung mit dem heiligen Geist realisiert, was die Berufung intendiert. Möglicherweise geht diese Differenzierung aber doch über das hinaus, was Paulus im Blick hatte und was dem Erfahrungshorizont seiner Hörer entsprach – zumindest für diese dürfte es keinen Unterscheid zwischen der Berufung und der Gabe des Geistes gegeben haben. Berücksichtigt man nämlich, dass das abstrakte Konzept der Berufung sich als Ruf an den Einzelnen konkretisiert, so dürfte beides – Berufung und Geistbegabung – in eins fallen. Der Ruf Gottes ist nach 1,4f ja nur dann von allen anderen Worten zu unterscheiden, wenn der Heilige Geist ihn für den Hörer als Gottes Wort – und eben nicht als Menschenwort – ausweist. Darin zeigt sich im Rückblick dann das Erwähltsein (1,4). Von daher ergäbe sich eventuell eine Näherbestimmung der Begriffe Erwählung und Berufung, die hier bisher als Synonyme gebraucht wurden.75 Es hat den Anschein, als realisiere die Berufung die Erwählung – konkret erfahrbar wird beides durch die Präsenz des heiligen Geistes, die das Leben des Berufenen fortan bestimmt. Traditionsgeschichtlich ist der Gedanke der Erwählung und Berufung im AT beheimatet, wo er das Verhältnis von Gott zu seinem Volk beschreibt.76 Ebenfalls biblisch ist die Parallelität von Erwählung und von Gott ausgehender Heiligung. Um ein solches Geschehen geht es ja der Sache nach, wenn Gott die Gemeinde durch seinen Geist bleibend zu sich in Beziehung setzt. Ursprünglich handelt es sich dabei um zwei nicht miteinander verwandte Denkmodelle. Ich verweise auf B. J. Schwartz: „At the root of the dif75 76
Dafür spricht sich auch KRAUS (1996), 129 aus. Vgl. die Belege bei KRAUS (1996), 128f.
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Kapitel 4. Kultische Sprache im 1. Thessalonicherbrief
ference between the non-priestly and the priestly traditions are two distinct views regarding the nature of Israel’s relationship with God.” Die nichtpriesterliche Tradition spricht von Erwählung, während die priesterliche Tradition von Heiligung spricht.77 Im Deuteronomium kommen beide Traditionen zusammen (Dtn 7,6; 14,2). Vor allem in den so genannten zwischentestamentlichen Texten findet sich diese Verbindung häufig – sehr oft in der Henochliteratur (z. B. äthHen 39,6f; 56,1ff u.ö.) und in Qumranschriften (vgl. 1QM 10,8ff; 12,1.4 u.ö.). Für Paulus dürfte sie selbstverständlich gewesen sein. War es das für seine Leserinnen und Leser auch? Den Gedanken, dass Götter Menschen oder eine bestimmte Gruppe von Menschen erwählen, ist der griechischen Religiosität fremd. Wohl weiß man darum, dass Götter oder göttliche Mächte das Leben des Menschen bestimmen können: In homerischer Zeit ist die Vorstellung vom „Schicksal“ der Moira lebendig. Die Moira kann man sich als eine Größe vorstellen, die jedem Menschen seinen Teil (Nilsson spricht von der „Portion“) zuweist:78 „Jeder Mensch erhält sein Geschick bei der Geburt zugeteilt.“79 Dabei schwebt der Sprachgebrauch zwischen einer unpersönlichen und einer (wie in späterer Zeit) personifizierten Macht. Die Vorstellung von der Macht der Moira – modern könnte man von der Macht des Faktischen sprechen 80 – steht unverbunden neben der von der Macht der Götter,81 wobei sich reflektierter Religiosität zuweilen die Frage stellt, welche Macht eigentlich stärker ist. Homer spricht pointiert davon, dass die „Götter das Schicksal“ verhängen, „bestimmten den Menschen Verderben“ (Od. 8,579f). Konkret heißt es von Menelaos, dass die Götter ihm bestimmt hatten, wo er sein Ende finden sollte (Od. 4,561ff). Andererseits sind die Götter nicht in der Lage, die, denen sie geneigt sind, vor dem Tod zu bewahren, „zur Stunde, da ihn das düstre Geschick des schmerzlichen Todes hinwegrafft“ (Od. 3,234ff)82 Aischylos macht die Spannung, in denen beide Konzepte zueinander stehen, zum Thema eines Dialogs zwischen Prometheus und dem Chor, an dessen Ende die Frage bezeichnenderweise offen bleibt (Prom. 510ff): „Prometheus: Dafür hat Moira noch, die Allgewaltige, den Zeitpunkt nicht bestimmt. Erst wenn, unendlich bitter, mich Qual und Leid gebeugt, erhalte ich die Freiheit. Die Klugheit steht weit unter der Notwendigkeit. Chorführerin: Wer nun bestimmt die Richtung der Notwendigkeit? Prometheus: Teils die drei Moiren, teils die rächenden Erinnyen. Chorführerin: So wäre ihnen folglich Zeus auch unterlegen? Prometheus: Ja, dem bestimmten Schicksal wird er kaum entgehen. Chorführerin: Was ist sein Schicksal, wenn nicht Herrschermacht auf ewig? Prometheus: Das darfst du nicht mehr wissen, höre
77
SCHWARTZ (2000), 58f. Vgl. NILSSON (1955), 362. 79 NILSSON (1955), 363. 80 Dies legt sich nahe, weil das Geschick eines Menschen schlicht mit dem in eins fällt, was ihm in seinem Leben tatsächlich zustößt. 81 Vgl. NILSSON (1955), 364f. 82 Übersetzung nach D. Ebener. 78
3. Heiligung als Konsequenz aus der Anwesenheit des heiligen Geistes: 4,3–8
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auf zu fragen! Chorführerin: Es ist wohl etwas Heiliges, was du verhehlst? Prometheus: Ihr müsst das Thema wechseln – darüber zu sprechen, erlaubt die Zeit noch nicht...“83 In hellenistischer Zeit gewinnt der Begriff der Tyche an Bedeutung. Dieses Wort meint „das, was sich ereignet, den Gang, den Wechsel der Ereignisse, d. h. das Geschick“84 – und zwar zunächst ohne (explizit) religiöse Komponente: „Die Tyche ist bei uns kein Gott, sondern das, was einen jeden befällt, wie es kommt, wird Tyche genannt“. 85 Später wurde der Gedanke an die Tyche religiös geprägt, was sich an den erhaltenen Hausaltären ebenso zeigt86, wie an Städten, die die Tyche zu ihrer Stadtgöttin erhoben.87 Auch Heiligtümer wurden der Tyche geweiht und entsprechende Kulte eingerichtet.88 Der Tyche wachsen im vierten Jahrhundert Eigenschaften der Moira, des homerischen Schicksals zu. So wird sie dem Menschen bei der Geburt zuteil (Philemon, fr. 10), und begleitet ihn dann durchs Leben (Aischines, Ctes. 157; Demosthenes, De corona 18,266). Diese Vorstellung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Tyche für den Menschen immer noch eine unberechenbare Macht war. Das verhält sich anders, wenn vom Daimon die Rede ist: „Der Daimon konnte auch gut sein und war es oft.“89 Mit dem guten Dämon, dem man am Ende eines Mahles ein Trankopfer spendete, konnte jede Gottheit gemeint sein, 90 an einen Daimon im erwähnten Sinn muss man dabei zunächst nicht denken.91 Dieser kurze Überblick zeigt, dass für die griechische Religiosität zwischen Homer und den spätantiken Romanschriftstellern92 – sicherlich in unterschiedlicher Intensität und Ausprägung – von der Vorstellung einer das menschliche Leben bestimmenden Macht auszugehen ist.
An diese Vorstellung kann Paulus anknüpfen, wenn er von der göttlichen Bestimmung mit der Wendung ti,qhmi eivj spricht. So heißt es in 1 Thess 5,9, dass Gott die Glieder der Gemeinde nicht zum Zorn, sondern zum Erlangen der Rettung bestimmt hat. Schon die klassische griechische Literatur verwendet das Verb ti,qhmi in diesem Sinn:93 Apollon bekennt, dass sein Vater Zeus zwar „oben und unten“ alles bestimmt (ti,qhsin), und doch keine Macht hat, die Toten wieder lebendig zu machen (Aischylos, Eum.
83
Übersetzung nach D. Ebener. NILSSON (1961), 201. 85 Philemon, fr. 137. 86 Vgl. NILSSON (1961), 207f. 87 Belege bei NILSSON (1961), 208. Vgl. auch P ÖTSCHER (1975), 1016. 88 NILSSON (1961), 209 weist darauf hin, dass die Tyche zuweilen mit Isis verschmelzen konnte. 89 NILSSON (1961), 211. Nilsson zitiert Menander: „Neben jeden Menschen stellt sich gleich, wenn er geboren wird, ein Daimon, ein guter Mystagoge des Lebens; denn man darf nicht glauben, dass es einen bösen Daimon gibt. (fr. 714)“ (212). 90 Vgl. FAUTH (1964), 121f. 91 Vgl. NILSSON (1961), 213f. 92 Vgl. z. B. Chariton 1,3,5; 1,10,2; Achilleus Tatios 1,3,2 u.ö. 93 Das in dieser Literatur noch spezifischere Verb pe,prwsqai (gewähren / bestimmen) findet sich im NT nicht. 84
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651); Zeus kann einem Kampf einen guten Ausgang geben (Sophokles, Trach. 26), ja er bestimmt alles, was er will (Semonides, fr. 1,2).94 Formulierungen wie 1 Thess 5,9 dürften für die Adressaten des Apostels wohl leicht zugänglich gewesen sein. Vielleicht erschloss sich ihnen von diesen Vorgaben her auch das Motiv, dass Gott erwählend und berufend das Geschick der Menschen bestimmt. Die oben besprochenen Formulierungen des 1 Thess, die Gottes erwählendes und berufendes Handeln implizit und explizit mit kultischer Terminologie erläutern, dürften das ihre dazu beigetragen haben, die Adressaten mit dem biblischen Gott, zu dessen Wesen es gehört, Menschen zu erwählen, bekannt zu machen, denn diese Sprachwelt wird ihnen von ihren Denkvoraussetzungen her vertraut gewesen sein. Ich komme auf diesen Aspekt bei der Auswertung der Besprechung der einzelnen Texte im 1 Thess noch einmal zurück. (Exkurs Ende)
4. Das heiligende Handeln Gottes:1 Thess 5,23 4. Das heiligende Handeln Gottes:1 Thess 5,23
Schon in 3,13 hatte Paulus die Heiligung der Gemeinde nicht allein ihrer Verantwortung und ihrem Handeln überlassen, sondern der Unterstützung Gottes anbefohlen. Diese Linie setzt sich nun zum Schluss des Briefes fort:95 Gott selbst möge die Adressaten des Briefes ganz und gar heiligen. Zum ersten Mal findet sich hier im Corpus Paulinum das Verb a`gia,zw, mit dem Paulus in 1 Kor 1,2 und 6,11 (vgl. Kapitel 5, 1 und 6) das rettende Handeln Gottes in Christus beschreiben wird. Was der 1 Kor in der Rückschau formuliert, wünscht sich Paulus für die Gemeinde hier im Blick auf ihre Gegenwart und ihre Zukunft. Das Verb „heiligen“ wird in der LXX verwendet um den Transfer von Dingen oder Personen aus dem Bereich des Profanen in den Bereich des Heiligen zu beschreiben. Die Übereignung der Erstgeburt (Ex 13,2) ist dabei ebenso im Blick wie die Darbringung der Opfergaben (Ex 28,38) sowie die Weihe der Stiftshütte und der Priester (Lev 8,11). Sprachlich und inhaltlich besonders nahe steht 1 Thess 5,23 sicher Lev 20,8, wo Gott sich selbst als der vorstellt, „der euch heiligt“ (o` a`gia,zwn u`ma/j). Wenn in der vom Pentateuch geprägten Sprachtradition von a`gia,zein die Rede ist, geht 94
Vgl. schon Homer, Od 8,465; 15,180. Zum dritten Mal findet sich hier im Brief das Wort avme,mptwj. In 2,10 hatte Paulus sein eigenes Verhalten damit beschrieben, in 3,13 und 5,23 geht es um die Gemeinde. Damit wird deutlich, dass zwischen dem Wunsch in 3,13 und dem hier zu besprechenden Vers eine Beziehung besteht. Deutlich wird auch, dass Paulus sein eigenes Tun und Ergehen zu dem der Gemeinde in Beziehung setzt (vgl. oben unter 1). Die Gemeinde verkörpert das, was er vorlebt, und beide erwartet die gleiche Zukunft beim Herrn (4,17). 95
5. Zusammenfassung
135
es immer darum, dass etwas dauerhaft in den Besitz Gottes überführt wird.96 Mit der Gabe des heiligen Geistes (1,5; 4,8) hat Gott diesen Transfer schon im Ansatz realisiert – nun fehlt nur noch, dass das Angefangene vollständig (o`lotelh,j) zum Ende gebracht wird. Darum bittet 5,23. Setzt man die einschlägigen Aussagen des Briefes miteinander in Beziehung, so entsteht der Eindruck, dass Paulus das gesamte christliche Leben von der anfänglichen Geistbegabung, die die Erwählung realisiert (1,4f), bis hin zu seiner Vollendung (5,23) als Heiligungsgeschehen beschreiben kann. Zwischen diesen beiden Eckpunkten kommt es darauf an, dass die Gemeindeglieder dem Status, in den sie die Begabung mit dem heiligen Geist versetzt hat, in ihrem Handeln entsprechen. Paulus legt dabei aber Wert darauf, die Gemeinde mit dieser Aufgabe nicht alleinzulassen. Ebenso wenig, wie es nach der paulinischen Darstellung in der Macht des Menschen lag, den Schritt in die Beziehung zu Gott („in den Bereich des Heiligen“) hinein zu tun,97 steht es allein in seiner Macht, dort zu verbleiben. Dass das den Menschen nicht von jeglicher Verantwortung für sein Tun entbindet, betont Paulus in Kapitel 4 und 5 – aber es bedarf eben des göttlichen Zutuns, damit der einmal begonnene Weg auch wirklich zum Ziel führt. In diesem Zusammenhang spricht Paulus von Stärkung (3,13) und Bewahrung (5,23).
5. Zusammenfassung 5. Zusammenfassung
Paulus verwendet im 1. Thessalonicherbrief kultische Terminologie zunächst, um sein eigenes Verhalten zu beschreiben. Parallel dazu findet sich mit dikai,wj ein Wort aus dem Bereich der Gerechtigkeitsterminologie. Auch die vom Apostel anvisierte Lebensführung der Gemeinde im Angesicht des wiederkommenden Herrn wird in kultisch geprägter Sprache entworfen: untadelig und von Heiligkeit bestimmt sollen die Glieder der Gemeinde sein, wenn sich die direkte Begegnung mit der Sphäre des Heiligen ereignet (3,13), wenn sich der schon begonnene Transfer auf die Seite Gottes vollgültig realisiert (vgl. zu 5,23). In 1 Thess 4,3ff bringt Paulus mit dem Schlagwort „Heiligung“ (a`giasmo,j) auf den Begriff, welches Verhalten seitens der Gemeinde dem Kontakt mit dem Heiligen entspricht, und entwickelt die Ethik als Konsequenz aus der Anwesenheit des heiligen Geistes in der Gemeinde. 96
Vgl. dazu Kapitel 2, 1.1.2. Dies betont Paulus, wenn er in 1,4 zum einen die Erwählung jeder menschlichen Antwort vorordnet und zum anderen die Aufnahme des Evangeliums als Wort Gottes eben auf die Gabe des heiligen Geistes zurückführt (1,5). 97
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Kapitel 4. Kultische Sprache im 1. Thessalonicherbrief
Die Heiligkeitsterminologie, die Paulus in unterschiedlicher Ausprägung verwendet, dient also dazu, den Weg des Menschen auf die Seite Gottes, sein gegenwärtiges Leben in diesem Status, die ethischen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sowie die Zukunft, der er entgegen geht, zu beschreiben. Die Forschung zum 1. Thessalonicherbrief hat in den letzten Jahren wiederholt darauf hingewiesen, dass in diesem Brief – und vor allem in der Paränese 1 Thess 4,3ff – „der jüdische Hintergrund immer wieder mit Händen zu greifen ist“.98 Bibelkundlich versierte Leserinnen und Leser werden sich bei der Argumentationsfigur, dass die Gegenwart des heiligen Gottes von denen, bei denen er gegenwärtig ist, Heiligkeit fordert, an Sätze wie Lev 11,44f erinnert fühlen. Nicht nur der Argumentationsduktus von 1 Thess 4,3ff steht ganz in jüdischer Tradition, auch die einzelnen paränetischen Bestandteile sind dort beheimatet. Das gilt für die Warnung vor der pornei,a ebenso wie für die Mahnung zu einem Umgang mit der Sexualität in der Ehe, der der Heiligkeit der Gemeinde nicht widerspricht. Auch für das dritte – wirtschaftsethische – Element lassen sich Parallelen in jüdischen Texten finden.99 Lassen sich daraus Rückschlüsse auf die Adressatinnen und Adressaten, an die Paulus sich wendet, ziehen? G. Schimanowski vermutet wie viele andere Exegeten auch, dass die Leserinnen und Leser des 1 Thess schon eine gewisse jüdische Vorbildung genossen haben müssen, um der paulinischen Argumentation überhaupt folgen zu können.100 Diese an sich plausible Annahme hat nun aber mit der Schwierigkeit zu kämpfen, dass die Existenz einer größeren und entsprechend einflussreichen jüdischen Gemeinde in Thessaloniki für das 1. Jahrhundert bisher nicht nachgewiesen wurde.101 Der Bericht der Apostelgeschichte (Apg 17,1-9), „wie einige wenige Zeugnisse epigraphischer und literarischer 98
SCHIMANOWSKI (1994), 300. Vgl. LICHTENBERGER (1994), 101ff, der in einem Überblick über die Reinheitsund Unreinheitsvorstellungen in pharisäischer und später rabbinischer Tradition u.a. auch die Elemente nennt, die Paulus in seinem Text erwähnt. 100 Vgl. SCHIMANOWSKI (1994), 300, der zustimmend T. Holtz zitiert: „Will man nicht annehmen, dass Paulus an seinen Lesern vorbeiredet, muss man voraussetzen, dass sie mit dieser Sprache vertraut waren, d. h. in ihrer Mehrheit dem hellenistischen Kreis entstammen, der sich in vielfältig abgestufter Weise um die Synagoge sammelte, ohne doch zum Judentum überzutreten...“. Vgl. auch HOLTZ (2002), 413. 101 Vgl. die Analyse des Materials bei ASCOUGH (2003), 191ff mit dem Ergebnis: „…the assumption that in first century CE Macedonia there existed a large group of Jews and God-fearers who would form the backbone of the Christian communities has little literary and archaeological evidence to support it.” Vgl. auch VOM BROCKE (2001), 230f. Als frühester Beleg für eine Synagoge in der Stadt gilt eine Sarkophaginschrift aus dem 3. Jh. n. Chr, die sogar von mehreren Synagogen spricht (vgl. N IGDELIS [1994], 297ff). 99
5. Zusammenfassung
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Art“102 legen es nahe, dass es in der Stadt eine jüdische Gemeinde gab. Das Zeugnis der Apostelgeschichte lässt ferner vermuten, dass die paulinische Verkündigung vorwiegend unter Nichtjuden, die ein gewisses Interesse am Judentum hatten, erfolgreich war (Apg 17,4). Es fällt aber auf, dass Paulus in diesem Brief auf direkte Zitate aus dem Alten Testament verzichtet. Nicht zuletzt spricht die Zusammenfassung der paulinischen Erstverkündigung in 1 Thess 1,9 für eine vorwiegend heidenchristliche Leserschaft, die bis zu ihrer Lebenswende an heidnischen Kulten teilgenommen hat. Das könnte darauf schließen lassen, dass die Gemeinde sich in der Hauptsache aus Nichtjuden zusammengesetzt hat, die mit jüdischen Traditionen nicht unbedingt vertraut waren.103 Erinnern wir uns an die Ergebnisse, die wir oben aus dem Bereich der Tempelinschriften zutage gefördert haben, dann weitet sich der Kreis der Adressatinnen und Adressaten, die den paulinischen Gedankengängen folgen konnten, auch auf Menschen aus, die mit der jüdischen Tradition vor ihrer Lebenswende keine Bekanntschaft gemacht hatten. Sie konnten wissen, dass außereheliche Sexualpraktiken mit dem Besuch in dem Bereich, in dem die Götter gegenwärtig sind, nicht zusammenpassen. Sie konnten ebenso darum wissen, dass auch der eheliche Geschlechtsverkehr hier nicht ohne weiteres am Platz war. Dass der Umgang mit dem Heiligen dazu eine gewisse ethische Lauterkeit erfordert, wird ihnen ebenfalls kein fremder Gedanke gewesen sein.104 R. Börschel hat im Blick auf 1 Thess 4,3ff die Vermutung geäußert, dass „die Kategorie des Heiligen im Selbstverständnis der Thessalonicher eine Rolle spielt“.105 Die „Heiligkeit zu der die Thessalonicher berufen sind“, verweise „auf ihr besonderes Verhältnis zu Gott als seine Erwähl102
VOM BROCKE (2005), 173. Vgl. EBEL (2006), 131. 104 Auch das Nebeneinander so verschiedener Themen wie Sexualität und Wirtschaftsleben, das die Forschung an unserem Text bis heute irritiert (vgl. oben Anm. 59), ist im Licht der Tempelinschriften nicht verwunderlich. 105 B ÖRSCHEL (2001), 148. R. Börschel argumentiert weitgehend religionstheoretisch, wobei sie sich vor allem auf die Arbeiten Ottos, Duerkheims und anderer Religionsphilosophen des 20. Jahrhunderts beruft. Zeitgenössische Quellen wertet sie nicht aus, allerdings werden die von ihr ausgewählten Beschreibungen von den Aussagen der antiken Quellen – insbesondere der Leges Sacrae – bestätigt. Diese stellen als „Voraussetzung der Begegnung des Profanen mit dem Heiligen“ die Forderung einer „Metamorphose des Profanen“ (148) auf: „Es muss selbst ein Stück heilig werden und damit seinen spezifischen Charakter aufgeben“ (148). Diesem Ziel dienen die diversen Einzelausführungen, die sich in den Texten finden. Wer sie befolgt, wird selbst a`gno,j (heilig / rein) und darf sich in den Bereich des Heiligen hinein begeben (vgl. Kapitel 3, 3.3). Man wird im Blick auf die antiken Texte durchaus davon sprechen können, dass „der Kontakt mit dem Heiligen […] einen Identitätswechsel verlangt. Man verlässt die Sphäre des Profanen und steht nun in der Sphäre des Heiligen und seiner Gesetze“ (148). 103
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Kapitel 4. Kultische Sprache im 1. Thessalonicherbrief
ten“.106 Im Exkurs zum Verhältnis von Heiligkeits- und Erwählungsvorstellungen habe ich schon angesprochen, dass die Kategorie der Erwählung in der paganen Religiosität wohl keine Rolle gespielt hat, weshalb ich Börschels Ausführungen entsprechend modifizieren möchte. Wenn die Leserinnen und Leser des Briefes allerdings mit der Kategorie des Heiligen vertraut sind, dann können sie sich den ihrer Tradition fremden Gedanken der Erwählung ausgehend von dem ihnen vertrauten kultischen Motivkomplex gut erschließen: Beide Gedankenwelten implizieren ein besonderes Verhältnis zu Gott. Was die Leserinnen und Leser des 1 Thess im Vergleich zu den Tempelinschriften allerdings vermisst haben dürften, sind die dort so typischen Fristen, die den Wechsel von der profanen in die heilige Sphäre regeln. An diesem Punkt zeigt sich bei allen Berührungen im Detail eine sehr bedeutsame Differenz zwischen den Leges Sacrae und den paulinischen Texten: Anders als die Leges Sacrae kennt Paulus keinen Wechsel zwischen heiligen und profanen Bereichen: Da Gott durch den heiligen Geist in den Gemeindegliedern gegenwärtig ist, ohne dass diese Gegenwart als zeitlich befristet zu denken wäre, ist auch die Heiligung nicht zeitlich begrenzt.107 Für Christen gilt als Normalzustand, was die paganen Kulte, deren Inschriften wir betrachtet haben, als Ausnahmefall kennzeichnen, nämlich die Zugehörigkeit zum heiligen Bereich, die Nähe und Zugehörigkeit zur Gottheit selbst. Entsprechend lesen sich die paulinischen Ausführungen nicht als Maßstäbe, die für den Zugang zur Sphäre des Heiligen gelten, sondern als Richtlinien, die Orientierung für das gesamte Leben in der Gegenwart Gottes geben. Setzt man diese kulttheologische Bestimmung christlicher Existenz voraus, dann wundert es nicht, dass Paulus sein eigenes Handeln nicht nur mit ethischen Kategorien beschreibt, sondern sich dazu ebenfalls kultischer Begrifflichkeit bedient (2,3ff). Wenn die Differenz zwischen heilig und profan in der Weise aufgehoben ist, dass sich christliche Existenz immer in der Sphäre des Heiligen abspielt, dann ist alles Tun und Lassen nicht nur ethisch, sondern immer auch kultisch qualifiziert. Der Befund, dass Paulus im Unterschied zu den Inschriften keinerlei Eintrittsbedingungen formuliert, weist auf eine weitere theologisch bedeutsame Besonderheit hin: Für Leser und Leserinnen der besprochenen Inschriften war es selbstverständlich, dass sie bestimmte Bedingungen zu erfüllen hatten, wenn sie in Kontakt mit dem Heiligen treten wollten. Bei 106
B ÖRSCHEL (2001), 150. Darin hat die Bevorzugung von a[gioj gegenüber a`gno,j ihren sachlichen Grund. In der Sprachtradition des LXX-Pentateuch spricht das auch in den Leges Sacrae häufige a`gno,j von zeitlich befristeter Heiligkeit. Paulus geht aber von dauerhafter Heiligkeit aus und verwendet konsequenterweise a[gioj. 107
5. Zusammenfassung
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Paulus fehlt – was den Zugang zu Gott anbelangt – hier jegliche menschliche Initiative. Er betont vielmehr, dass Gott es ist, der initiativ wird, dass er seinen heiligen Geist gibt, dass er Menschen erwählt und beruft (1,4; 4,7). Gott selbst verbindet sich so mit ihnen (4,8) und heiligt sie weiterhin (5,23). Menschliche Lebensgestaltung ist nicht Bedingung für den Eintritt in die Sphäre des Heiligen, sondern Konsequenz aus einem voraus liegenden Geschehen.108 Die theologischen Nuancierungen, die Paulus hier vornimmt, sind für jüdisch gebildete Leserinnen und Leser ohne weiteres nachvollziehbar, weil sie völlig auf der Linie biblisch-jüdischen Denkens liegen.109 Der Vergleich mit paganen Texten lässt nun erkennen, dass sie – in Kontinuität und Differenz – auch für Leserinnen und Leser mit heidnischem Hintergrund zugänglich sind. Dies verdankt sich der Tatsache, dass Paulus gerade auf das Begriffsfeld der Heiligkeit und Reinheit zurückgegriffen hat, um die Zugehörigkeit zu Gott und ihre Konsequenzen zur Sprache zu bringen.
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Den Gedanken, dass der von Gott ins Werk gesetzte neue Status der Gemeinde als Konsequenz ein bestimmtes Handeln fordert, um diesem Status zu entsprechen, bringt K. Haacker auf den prägnanten Begriff der „konsekutiven Ethik“ (vgl. HAACKER [1999], 252). 109 Vgl. R. B ÖRSCHEL (2001), 149.
Kapitel 5
Die Integrität des Tempels Gottes in Korinth: Der 1. Korintherbrief Der 1. Korintherbrief1 eröffnet uns erneut einen Blick auf die Kommunikation zwischen Paulus und einer von ihm gegründeten Gemeinde. Der um das Jahr 55 herum geschriebene Brief2 lässt erkennen, dass sich die Gemeinde, die wiederum in einer an unterschiedlichen Kulten reichen Hafenstadt lebte,3 aus Menschen unterschiedlicher sozialer Stellung zusammensetzt (11,21ff). Einige von ihnen stehen in engerem Kontakt zu ihrem paganen Umfeld (8,10; 10,21.27f), andere halten sich bewusst fern davon. Paulus sieht die Sprengkraft, die in diesen und anderen Spannungen, vor allem aber im Eindringen paganer Umgangsformen in den Raum der Gemeinde4 liegt, und zeigt Wege auf, die den Zusammenhalt und die Heiligkeit der Gemeinde fördern können. Paulus reagiert in diesem Schreiben auf diverse Gerüchte (5,1), Berichte (1,11) und direkte Fragen (7,1.25; 8,1.4; 12,1; 16,1.12) aus Korinth – aber dennoch lässt sich in diesem Brief ein Grundtenor finden: Die Integrität der Gemeinde nach innen und außen.5 Da die Gemeinde, die Paulus vor Augen hat, nun keine profane Größe ist, hat die Integrität, um die es ihm geht, eine Dimension, die Paulus in kultischer Begrifflichkeit entfaltet: „Paul’s big goal is not unity, but the sanctification of Gentile believers that they may glorify God“.6 Im Dienst dieses Anliegens stehen die unterschiedlichen situationsbezogenen und allgemeinen Mahnungen, die Paulus laut werden lässt.7 Im 1. Korintherbrief bringt der Apostel zum ersten Mal im Corpus Paulinum das Wesen der Gemeinde als geheiligte – also Gott übereignete – 1
Vgl. dazu SCHNELLE (2003), 201ff und FOTOPOULOS (2003). Paulus schreibt aus Ephesus (16,8), wo er sich von 52 bis 55 aufgehalten hat. Seine Reisepläne (16,5ff) könnten dafür sprechen, dass seine Abreise nicht in allzu ferner Zukunft liegt, wenngleich er noch mindestens bis zum Shavuotfest in der Stadt bleiben möchte (vgl. W ISCHMEYER [2006], 150. 3 Vgl. KOCH (2005), 160f. 4 Vgl. dazu CIAMPA / ROSNER (2006), 208 (Anm. 14). 5 Vgl. zur Frage nach der Thematik des 1. Korintherbriefs W ISCHMEYER (2006), 141f. 6 CIAMPA / ROSNER (2006), 214. 7 Dass der Brief einen Schwerpunkt auf die Paränese legt, lässt sich der Klammer von 1,10 bis 16,15 entnehmen. 2
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
Größe auf den Begriff, indem er seine Adressaten „Heilige“ nennt (1,2).8 Den Prozess der „Übereignung“, der die Glieder der Gemeinde aus der Gottesferne auf die Seite Gottes geführt hat, verdeutlicht er in Entsprechung dazu vor allem heiligkeits- und reinheitsterminologisch (parallel dazu auch gerechtigkeitsterminologisch [1,30; 6,11]). Die Wahl des Begriffsfeldes bestimmt die Beschreibung der Gemeinde. Sie wird zu Gottes Eigentum par excellence, zum Tempel (3,16; 6,19). Diese Wesensbestimmung knüpft an Erfahrungen an, die Menschen jüdischer wie nichtjüdischer Provenienz gleichermaßen vertraut sind. Ihnen beiden ist auch bewusst, dass sich als Konsequenz daraus die Notwendigkeit ergibt, die Integrität des heiligen Bereichs nach innen und nach außen zu bewahren. Ersteres hat vor allem die Argumentation in den Kapiteln 1–4 im Blick, um Letzteres bemühen sich die Kapitel 5ff. Von diesem kulttheologischen Zentralgedanken her entwickelt Paulus ebenfalls in kultischer Logik Antworten auf unterschiedliche ethische Herausforderungen in Korinth, die den Status der Gemeinde als Ort der Anwesenheit des Geistes Gottes bedrohen. Im Vordergrund stehen dabei sexualethische Fragen, sind es für kultisches Denken in der Antike doch nicht zuletzt sexuelle Vollzüge, die die Reinheit eines Heiligtums bedrohen (Kap. 5–7). Im Bereich des Kultes bleibt die paulinische Argumentation auch, wenn er sich seinen Leserinnen und Lesern zum ersten Mal in priesterlichen Kategorien vorstellt (9,13ff) und sie zur Trennung von fremden Kulten auffordert (10,14ff).
1. Christen als Heilige: 1 Kor 1,2 1. Christen als Heilige: 1 Kor 1,2
Paulus spricht seine Adressaten, die Ekklesia in Korinth, als in bzw. durch Christus Geheiligte, als berufene Heilige an (h`giasme,noij evn Cristw/| VIhsou/( klhtoi/j a`gi,oij). Damit bringt er die Verhältnisbestimmung von Christen und Gott, die sich im 1 Thess schon andeutete, auf den Begriff (so auch 1 Kor 16,15).9 Die Gemeindeglieder sind als Heilige Gottes Eigentum, weil sie evn Cristw/| geheiligt – also Gott übereignet worden sind. Der präpositionalen Wendung evn Cristw/|, die im Corpus Paulinum so verbreitet ist, dass man sie geradezu als „Kontinuum“ paulinischer Theo-
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Dass dieser Paulusbrief über die Gemeinde in Korinth hinaus eine breitere Öffentlichkeit im Blick hat, ergibt sich aus 1,2 auch ohne dass man die Anrede in evkklhsi,a und a[gioi unterteilen muss (vgl. W ISCHMEYER [2006], 149; LINDEMANN [2000], 26f). 9 „Was im 1 Thess noch teilweise offen geblieben war, wird in 1 Kor ausformuliert“ (KRAUS [1996], 160).
1. Christen als Heilige: 1 Kor 1,2
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logie bezeichnen könnte,10 dürfte am ehesten eine Interpretation gerecht werden, die die Bandbreite der griechischen Sprache nicht vorschnell einschränkt.11 Nach J.D.G. Dunn lassen sich bei den zahlreichen Belegen in den Paulusbriefen12 drei inhaltliche Schwerpunkte ausmachen: 1. „In Christus“ bezieht sich auf das erlösende Geschehen. Dunn nennt diese Nuancierung „objective“. Die Begriffe der griechischen Grammatik nutzend könnte man auch von einem „instrumentellen“ Gebrauch sprechen. 2. „In Christus” bezeichnet den „Ort“, an dem Christen sich befinden. Dunn verwendet hier das Adjektiv „subjective“ 3. „In Christus“ bezieht sich auf das eigene Tun und Denken des Apostels.13 Allen drei Schwerpunkten gemeinsam ist, dass sie versuchen, ein und dieselbe Erfahrung zur Sprache zu bringen: „Paul evidently felt himself to be caught up ‚in Christ’ and borne along by Christ“.14 M. Bockmuehl schreibt im Blick auf die ähnliche Formlierung in Phil 1,1: „to be in Christ means to be incorporated into his body, to live in relation to him and through him“.15 Die Heiligen sind in Christus, weil Christus dafür verantwortlich ist, dass sie nun zu Gott gehören, und weil Christus nun ihre neue Existenzsphäre ist.16 „Als die Gemeinschaft der Glaubenden befindet sich die Gemeinde innerhalb der Sphäre, die von Christus Jesus bestimmt ist, und ist somit heilig.“17 Die Zugehörigkeit der Gemeindeglieder zu Gott wird also in kultischer Terminologie als Zugehörigkeit zur Sphäre des Heiligen beschrieben. Inhaltlich wird damit ein für den ganzen Brief zentraler Gedanke vorbereitet: Die Gemeinde ist keine profane Größe, sie ist Gottes Eigentum, die allein in Gottes Berufung18 ihren Existenzgrund hat.19 10
So SCHNELLE (1983), 106. So richtig SCHRAGE (1991), 103: „Man wird hier zwischen instrumentalem und lokalem Verständnis von evn kaum alternativ entscheiden dürfen“. 12 DUNN (2003), 396 zählt 83 Belege im Corpus Paulinum, zu dem er allerdings auch den Kolosserbrief rechnet. 13 Vgl. DUNN (2003), 397f. 14 DUNN (2003), 400. Vgl. auch KARRER (1998), 142: Die Wendung „in Christus“ „umschrieb von Anfang an die Übereignung in der Taufe an den Gesalbten und seinen Tod sowie den Ort, den die Getauften dadurch bekamen […]. Paulus vertieft: Wer ‚in Christus’ ist, erfährt seine Identität durch Christus. Er wird in den geschichtlichen Raum der Gemeinde gestellt, und sein tätiges Leben wird ein Leben ‚in Christus’…“. 15 B OCKMUEHL (1998), 53. 16 Vgl. FEE (1995), 65 und SCHNELLE (1983), 120, der aus einer „räumlichen Grundbedeutung“ alle anderen Bedeutungsaspekte ableitet. 17 GNILKA (1987), 31. 18 Das Motiv der Berufung / Erwählung, das hier neben dem Terminus „Heilige“ steht, begegnete schon im 1 Thess in zentraler Position. Vgl. dazu den Exkurs unter Kapitel 4, 3. 19 Vgl. MERKLEIN (1992), 73f; LINDEMANN (2000), 26. 11
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
Heiligkeit – verstanden als Zugehörigkeit zum Eigentumsbereich Gottes20 – hebt die Gemeinde nun zugleich aus ihrer Umwelt heraus und markiert deutliche Grenzen zu dem, was nicht heilig ist. Der 1 Kor expliziert dieses Motiv der Trennung von heilig und nicht-heilig in besonderer Weise (1 Kor 5ff), indem er die ethischen Konsequenzen der Zugehörigkeit zu Gott verdeutlicht.
2. Heiligung als soteriologischer Begriff: 1 Kor 1,30 2. Heiligung als soteriologischer Begriff: 1 Kor 1,30
In 1,29 bringt Paulus den vorangehenden Argumentationsgang zum Abschluss: Niemand soll sich vor Gott rühmen können. Das bedeutet im Kontext konkret, dass das Pochen auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe in der Gemeinde ausgeschlossen sein soll, weil Gott der alleinige Existenzgrund der Gemeinde ist. Durch ihn – so führt Vers 30 aus – gehören die Gemeindeglieder zu Christus.21 Gottes Initiative (in 1,27 als Erwählung beschrieben)22 ist es zu verdanken, dass Menschen den gekreuzigten Christus nicht als Torheit oder Ärgernis, sondern als Gottes Weisheit und damit als Grund ihres Heils begreifen. Die folgenden drei Begriffe Gerechtigkeit (dikaoisu,nh), Heiligung (a`giasmo,j) und Erlösung (Loskauf [avpolu,trwsij]) entfalten das rettende Geschehen23 und beleuchten alle denselben Sachverhalt, nämlich den Statuswechsel der Gemeindeglieder auf die Seite Gottes, ihre Zugehörigkeit zu Gott, die sich allein der Initiative Gottes verdankt.24 Der letzte Begriff (avpolu,trwsij) lässt antike Leserinnen und Leser wohl an den Loskauf von Kriegsgefangenen oder Sklaven (Plato, leg. 919 A;
20 Um Zugehörigkeit zu Gott geht es auch der vorausgehenden Bezeichnung „Gemeinde Gottes“, die ebenfalls klarstellen will, dass die Gemeinde nicht durch menschliches Handeln, sondern durch Gottes Ruf zustande kommt (vgl. MERKLEIN [1992], 73). 21 Vgl. MERKLEIN (1992), 200. 22 Vgl. den Exkurs zum Verhältnis von Heiligkeit und Erwählung unter Kapitel 4, 3. 23 Das Stichwort „Weisheit“, das den direkten Anschluss zum Argumentationskontext herstellt, ist einerseits mit ihnen verbunden, aber durch das dazwischen gestellte „von Gott“ zugleich etwas abgehoben. Man wird die drei Begriffe von daher am besten als Explikation und „soteriologische Qualifizierung“ der Weisheit verstehen (so M ERKLEIN [1992], 201). SCHRAGE (1991), 215 ist gegenüber der explikativen Deutung skeptisch, und betont, dass die drei Begriffe die „soteriologische Qualität des Christusgeschehens“ illustrieren. 24 Vgl. SCHRAGE (1991), 216: „Ausschlaggebend für das rechte Verständnis ist, dass man h`mi/n avpo. qeou/ bei der Charakterisierung von sofi,a auch bei den übrigen Begriffen mithört“.
3. Die Gemeinde als Tempel: 1 Kor 3,16f
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Plutarch, Pompeius 24; Ex 21,8) denken.25 Christus ist Befreiung von den Mächten, denen die Christen vorher gehört haben. Besondere Erwähnung verdient im Horizont dieser Arbeit der Umstand, dass zur Beschreibung dieses Statuswechsels Heiligkeits- und Gerechtigkeitsterminologie nebeneinander gebraucht wird.26 Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Aufzählung, vielmehr interpretieren sich die Begriffe gegenseitig: „So wird durch die Verbindung mit ‚Heiligen‘ deutlich, dass das ‚Gerechtmachen‘ mehr ist als die Beseitigung alter Schuld und mehr als nur die Befähigung zu neuem sittlichen Streben. Die Heiligung als ein Gott vorbehaltener Akt der Aussonderung [...] entreisst der Profanität und verleiht den davon Betroffenen eine andere, qualitativ neue Existenz“.27 Heiligen und Gerechtmachen sind Transferbegriffe. Mit „Transfer“28 bzw. „transition“29 wird in der neueren Paulusforschung der Übergang aus dem Status der Gottesferne auf die Seite Gottes, aus der Heillosigkeit zum Heil bezeichnet. Dieser Übergang hat zugleich momentanen und prozesshaften Charakter. Damit kann also der einmalige Akt der „Rettung“ durch Gott ebenso benannt werden, wie der Prozess, in dem sich die Gemeinde zwischen dem Beginn des neuen Gottesverhältnisses und der noch ausstehenden Vollendung befindet. Er umgreift damit die beiden traditionellen dogmatischen Topoi der „Rechtfertigung“ und der „Heiligung“.
3. Die Gemeinde als Tempel: 1 Kor 3,16f 3. Die Gemeinde als Tempel: 1 Kor 3,16f
In diesen Versen wird die Gemeinde zum ersten Mal im Corpus Paulinum ausdrücklich als Tempel – also als Ort der Gegenwart Gottes (nao.j qeou/) angesprochen.30 Dieser Gedanke wird mit einer Frage eingeleitet („Wisst ihr nicht?“), die die Funktion haben dürfte, die Adressaten an etwas zu erinnern, das ihnen schon bekannt ist – oder zumindest bekannt sein sollte.31 Die Frage könnte aber auch als rhetorische Frage zu verstehen sein, 25 Vgl. DUNN (2003), 227f; KERTELGE (1992), 332. KRAUS (1991), 177ff bespricht weitere in der Forschung vorgeschlagene Hintergründe des Begriffs. 26 Ein breiter Strom der Forschung geht davon aus, dass Paulus hier auf Tauftraditionen anspielt (vgl. KRAUS [1996], 161). Paulus selbst stellt den Bezug zur Taufe allerdings nicht her. 27 MERKLEIN (2001), 202. Zum sachlichen Zusammenhang, in dem Gerechtigkeitsund kultische Terminologie bei Paulus stehen vgl. unten Abschnitt 6. 28 Vgl. SCHNELLE (2003), 545. 29 Vgl. DUNN (2003), 317ff (bes. 328ff). 30 Dieses Wort bezeichnet auch im paganen Griechisch „die Wohnung der Götter, den Tempel [...] bzw. dessen innersten Bezirk“ (von MEDING [1997], 879). In genau dieser Bedeutung begegnet es in den Leges Sacrae (z. B. LSCG 44,13.17; 65,91; 78,35; 86,7; LSAM 129, 9.27 [jeweils in Verbindung mit oivkodome,w (vgl. 1 Kor 3,9ff)]). 31 So B ÖTTRICH (1999), 415. Er spricht von einem „Topos der gemeindegründenden Predigt“. Diese Vermutung hat einige Wahrscheinlichkeit für sich – vor allem weil Pau-
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
die die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser auf einen zentralen Gedanken richten32 und ihr „selbstverständliches Einverständnis“ provozieren soll.33 Hinter dieser Alternative verbirgt sich die Frage, ob Paulus eventuell schon bei seinem Missionsbesuch in Korinth (vgl. Apg 18,1ff) die Rede vom Tempel eingeführt hat, um der Gemeinde ihre Identität vor Gott und den Menschen zu verdeutlichen. Die Apostelgeschichte selbst verrät davon nichts und auch die umstrittene Frage nach einer Gemeindetradition in 2 Kor 6,16 muss letztlich offen bleiben (vgl. Kapitel 6, 4).34 Der Vergleich mit anderen Stellen, an denen diese Frage in der gleichen Form begegnet, könnte hier weiterführen. In 1 Kor 5,6; 9,13.24 wird mit der Frage „ouvk oi;date“ nämlich klar auf einen schon bekannten Sachverhalt hingewiesen (1 Kor 6,2f.9.15f.19 ähneln 1 Kor 3,16 zu sehr, als dass sie eine eindeutige Entscheidung zwischen den Alternativen zuließen). Das spräche dafür, auch hier den Hinweis auf eine der Gemeinde schon bekannte Tradition zu sehen.35
Die Rede vom Tempel Gottes überrascht zunächst, da sie sich nicht zwingend aus der vorangehenden Argumentation ergibt.36 Paulus greift zunächst auf (profane) Pflanz- und Baumetaphorik37 zurück, um seinen Adressaten zu verdeutlichen, welche Funktion die einzelnen Personen, die bei den Gruppenbildungen in der Gemeinde38 wohl eine Rolle gespielt haben dürften (vgl. 1 Kor 1,10ff; 3,4ff), für die Gemeinde haben: Sie sind lediglich Diener und Mitarbeiter Gottes (3,5.9), die – bildlich gesprochen – an der Pflanzung und dem Aufbau der Gemeinde mitwirken,39 wobei die Gemeinde eben den Acker oder das Bauwerk Gottes40 darstellt.41 Weil die lus in 6,19 mit den gleichen Worten zur Tempelterminologie überleitet. Vgl. auch GÄRTNER (1965), 57 und SCHRAGE (1991), 305. 32 Vgl. LANCI (1997), 119f. 33 So MERKLEIN (1992), 272. 34 Vgl. ROLOFF (1993), 111. 35 Vgl. HORN (1992), 66. 36 Vgl. MCKELVEY (1969), 99: „the reader is scarcely prepared for the shift of emphasis“. 37 Die Motive, die Paulus hier auf die Gemeinde anwendet, entstammen der jüdischen Tradition. Gottes Pflanzung ist nach Jes 5,7; 60,21 Israel. Gleiches gilt von der Baumetaphorik (vgl. insgesamt KRAUS [1996], 172). Vor Paulus sind sie schon in den Qumranschriften miteinander verbunden und auf die Gemeinschaft angewendet worden (z. B. 1QS 11,8 [Weiteres bei KLINZING (1971), 168f]). Vgl. MÜLLER (1995), 78f: „Die Zusammenstellung und Verbindung von Pflanzen und Bauen ist ‚allgemein antik’ und in der Tradition breit belegt“. Dabei kann die Reihenfolge allerdings auch umgekehrt sein, nämlich „bauen“ und „pflanzen“ (vgl. dazu B ACH [1961], 11 u.ö.). 38 Vgl. zur Situation in der korinthischen Gemeinde SCHNELLE (2005), 76ff; zu Apollos vgl. BERGER (1994), 259ff. 39 Der Sache nach dürfte es mit KONRADT (2003), 259 um diejenigen gehen, die in der „Gemeinde leitende Funktionen ausüben“. 40 Vgl. KRAUS (1996), 174: In beiden Fällen liegt der Ton der Aussage auf qeo,j als Antithese zu Paulus bzw. Apollos.
3. Die Gemeinde als Tempel: 1 Kor 3,16f
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Gemeinde Gottes Eigentum ist – „nicht Menschenwerk, sondern Gottes Werk“42 – darf sie sich auch nicht in Parteien spalten, und damit unter der Hand so tun, als verdanke sie ihre Existenz und ihr Wesen Menschen. Während Paulus nun die Pflanzmetaphorik ab Vers 10 nicht mehr aufgreift,43 entwickelt er das Bild vom Bau und den Baumeistern weiter: Christus ist das Fundament, das Paulus als Erstmissionar selbst gelegt hat (3,10f). Auf diesem Fundament bauen nun unterschiedliche Mitarbeiter mit unterschiedlichen Materialien weiter. Die Qualität ihres Handelns an der Gemeinde (im Bild ausgedrückt durch die Qualität der gewählten Baumaterialien) wird sich am „Tag des Gerichts“ (3,13) herausstellen, an dem die Baumeister ihren Lohn empfangen bzw. nicht empfangen.44 Der Argumentationsgang hat im Zusammenhang der Kapitel 1–3 damit im Prinzip sein Ziel erreicht.45 Paulus hat seinen Adressaten die Widersinnigkeit der „Spaltungen“ aufgezeigt und das angemessene Verhältnis von Gemeinde und Mitarbeitern beschrieben. Zugleich ist der Horizont umrissen, vor dem (allein [vgl. 1 Kor 4,1–5]46) die Mitarbeiter sich zu verantworten haben. Paulus lässt seine Argumentation damit jedoch nicht enden, sondern führt sie weiter, indem er den Akzent seiner Bildersprache nun von einem profanen hin zu einem sakralen Bauwerk verschiebt: der Bau wird zum Tempel.47 Damit erreicht Paulus ein Doppeltes. Er präzisiert zum einen die Beschreibung des Verhältnisses von Gott und Gemeinde:48 Gott ist durch 41
HÜBNER (1993), 129 bemerkt wahrscheinlich zutreffend, dass Paulus seine eigene Position gegenüber Apollos unter der Hand geschickt aufwertet: „Pflanzen ist doch mehr als Begießen“. 42 KRAUS (1996), 172. 43 Zum Übergang von der Pflanz- zur Baumetaphorik vgl. K ONRADT (2003), 258. 44 Vgl. dazu KONRADT (2003), 268. 45 So auch J. B ECKER (2006), 9. 46 Auf diesem Gedanken liegt hier – wie KONRADT (2003), 264 bemerkt – nicht mehr der Ton. Es geht vielmehr darum, den Gemeindeleitern einzuschärfen, dass ihr mit evpoikodomei/n beschriebenes Handeln an der Gemeinde Konsequenzen für den Ausgang des Endgerichtes haben wird: „Die, die als Lehrer in der Gemeinde nach Einfluss streben, sollen sich in acht nehmen, wie sie am Bau der Gemeinde mitwirken. Erfüllen sie ihre Aufgabe schlecht, indem sie sich nicht konsequent am Gekreuzigten, dem Fundament der Gemeinde orientieren, stehen sie am Ende beschämt da, ja sie entkommen nur mit knapper Not dem Verderben“ (KONRADT [2003], 272). 47 Zur biblisch-jüdischen Tradition dieses Bildes vgl. KRAUS (1996), 174f. LIETZMANN (1949), 17 spricht zutreffend davon, dass Paulus hier „ein neues Bild“ zur Anwendung bringt. Zugleich verschiebt sich der Akzent in Vers 17a, der bisher auf einem – wenn auch nur mehr oder weniger erfolgreichen – aufbauenden Tun an der Gemeinde lag, auf ein Handeln, das der Gemeinde schadet (vgl. KONRADT [2003], 278). 48 Darin besteht nach MÜLLER (1995), 106f die „heuristische Relevanz“ dieser Aussage. Man sollte darum auch nicht davon sprechen, dass hier eine „sachliche Unausgeglichenheit“ vorliegt, die darauf schließen lasse, dass Paulus eine traditionelle Formel zum
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
seinen Geist49 bleibend in der Gemeinde gegenwärtig,50 sie steht in einem besonderen Eigentumsverhältnis zu Gott.51 Zum anderen verdeutlicht er den Gemeindeleitern die Dimension ihrer Verantwortung. Um diesen Gedanken zur Sprache zu bringen, greift Paulus auf biblische Motive zurück,52 die in der nichtjüdischen Geisteswelt der Antike ihre Entsprechungen finden. Beide Kontexte sollen im Folgenden kurz erläutert werden. Exkurs: Die religionsgeschichtlichen Kontexte von 1 Kor 3,16 Die Vorstellung vom Wohnen Gottes bzw. einer seiner Vergegenwärtigungsgestalten im Tempel steht im Zentrum biblischer Tempeltheologie:53 „Sie sollen mir ein Heiligtum (Xdqm / a`gi,asma) machen, und ich werde unter ihnen wohnen“ (Ex 25,8). Dass Gottes Geist in den Gläubigen wohnt (vgl. auch 1 Kor 6,19; Röm 8,9–11), ist ein Motiv, das die jüdische Erwartung einer endzeitlichen Geistbegabung voraussetzt.54 Aus Weish 9,1–18 lässt sich der Wunsch herauslesen, Gottes Geist möge im Tempel gegenwärtig sein;55 deutlich ausgesprochen wird er bei Josephus, Ant 8,114: Einsatz bringe (so J. BECKER [2006], 9ff). Was Klaus HAACKER (1999), 89 im Blick auf Röm 3,25 sagt, gilt m. E. auch hier: „Diese Vermutung verdankt sich jedoch mehr dem Interesse an solchen Traditionsstücken, die womöglich auf die Urgemeinde zurückgehen, als klar in diese Richtung weisenden Indizien“. 49 Man wird nicht fehlgehen, wenn man mit M CKELVEY (1969), 101 das kai, vor to. pneu/ma tou/ qeou/ oivkei/ evn u`mi/n als explikativ – oder besser – als begründend beschreibt: Weil der Geist Gottes in der Gemeinde wohnt, ist sie Gottes Tempel. 50 Der Gedanke der bleibenden Gegenwart Gottes in der Gemeinde ist im Bild der Gemeinde als Gottes Bau (3,9) noch nicht enthalten, so dass dieses Bild seine Funktion im Argumentationsgang zwar erfüllt, aber ekklesiologisch unterbestimmt bleibt. Von daher wird man Vers 16 doch als Zielpunkt des ganzen Abschnitts beschreiben können (anders MÜLLER [1995], 95, der weitere Vertreter dieser Auffassung nennt). 51 Vgl. STRACK (1994), 233f und B ÖTTRICH (1999), 416. 52 Die Zusammengehörigkeit der Motive Tempel und Geist bzw. Tempel und Wohnen wird in der Forschung diskutiert. Vgl. dazu die folgenden Ausführungen. 53 Vgl. z. B. 1 Kön 8,13; Joel 4,17; Ps 132,13f und VAHRENHORST (2002), 363. Dass Paulus hier auf diese Tradition zurückgreift, ist auch dann noch wahrscheinlich, wenn man berücksichtigt, dass er nicht das typische Kompositum katoike,w benutzt, sondern nur oivke,w. W. KRAUS (1996), 176 weist darauf hin, dass das Einwohnungsmotiv in jüdischen Texten sonst nicht mit der Vorstellung von der Geistbegabung verbunden wird. Wenn dem zuzustimmen ist, wird einmal mehr deutlich, worin für Paulus der sachliche Grund für die Anwendung des Tempelmotivs auf die Gemeinde liegt: „Sein Verständnis der Gemeinde als Tempel Gottes ist gekoppelt an die Gabe und Einwohnung des Geistes“ (KRAUS [1996], 177). 54 Vgl. J. BECKER (2006), 16; HORN (1992), 65. In der alttestamentlichen Tradition wird Gottes Anwesenheit im Tempel nicht als Anwesenheit seines Geistes beschrieben (vgl. MCKELVEY [1969], 105). 55 So HOGETERP (2006), 327. Allerdings bittet Salomo Gott darum, dass er ihm seinen Geist senden möge (9,17), vom Wohnen des Geistes im Tempel ist darum eigentlich nicht die Rede.
3. Die Gemeinde als Tempel: 1 Kor 3,16f
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„Dann aber bitte ich dich auch noch, du wollest deinen Geist (eigentlich: einen Teil deines Geistes) in diesen Tempel senden, damit du uns wahrhaftig gegenwärtig seist…“.56 Für den Gedanken, dass eine Gemeinschaft Ort der Gegenwart Gottes und damit Tempel sein könnte, verweist man seit den Studien von Gärtner (1965) und Klinzing (1971) in der Regel auf Texte aus Qumran.57 Vor allem 1QS 5,5–6; 8,4–10; 9,3–6; 11,8; 4Q174 1,2f werden so gelesen, dass die Gemeinschaft, die in diesen Texten zu Wort kommt, sich selbst als Tempel verstanden habe.58 Die einschlägigen Stellen wurden oben ausgewertet.59 Auch wenn man den Befund differenziert sehen muss, weil nicht alle Texte eindeutig belegen, dass die Gemeinschaft davon ausging, dass sie den Tempel in Jerusalem als Ort der Gegenwart Gottes abgelöst habe, weisen noch genug Textindizien darauf hin, dass sie sich selbst in einem tempeltheologischen Licht gesehen hat. „Abgesehen von Qumran und christlichen Texten gibt es für die hellenistisch-frührömische Zeit und die Zeit davor keine Parallele dafür, dass eine Gruppe […] als Tempel verstanden wird.“60 Zugleich gehört es zum Selbstverständnis der Gemeinschaft, dass Gottes Geist in ihr gegenwärtig ist (1QS 9,3f), so dass sich zur paulinischen Vorstellung, Gottes Geist wohne in der Gemeinde als einem Tempel, eine Analogie ergibt. Eine direkte Verbindung beider Motive (Tempel und Gegenwart des Geistes) stellen die Qumrantexte jedoch nirgends her. Gottes Gegenwart in Israel kann in der hebräischen Bibel bekanntlich als Wohnen beschrieben werden: „Ich will unter den Israeliten wohnen…“ formulieren Stellen wie Ex 29,45 (vgl. 1 Kön 6,13; Sach 2,14f), ohne dass dieses Wohnen näher präzisiert würde. Als besonderer Ort des Wohnens Gottes kommt in manchen Traditionen die Stadt Jerusalem, näherhin der Berg Zion in Betracht: Gott „wird zu Jerusalem wohnen ewiglich“ (1 Chr 23,25 [vgl. Ps 135,21; Sach 8,8]). Gottes Gegenwart in Zion macht dessen Besonderheit aus: „Warum lauert ihr neidisch, ihr gipfelreichen Berge, auf den Berg, den Gott zu seinem Wohnsitz begehrt hat? Ja, der Herr wird dort 56 57 58
Vgl. HOGETERP (2006), 328f. Vgl. ROLOFF (1993), 112; STRACK (1994), 386f; P OLA (1997), 881 u.a. Vgl. DIMANT (1986), 188; HARRINGTON (2002), 15. Kritisch dazu LANCI (1997),
14. 59
Vgl. Kapitel 2, 2.1.4. KUHN (1999), 231. Kuhn führt ergänzend aus, dass das Motiv der Pflanzung sich ebenfalls in Qumrantexten findet (Material bei M ÜLLER [1995], 72; das Urteil teilt auch J. BECKER [2006], 11f). Ob man mit KUHN (1999), 238 von einer direkten Abhängigkeit des paulinischen Denkens von dem der Qumrangemeinde auszugehen hat, ist fraglich. Möglich wäre auch, dass die Qumrangemeinde und Paulus unabhängig voneinander auf dem Hintergrund biblischer Tempeltheologie in unterschiedlichen Situationen zu ähnlichen Denkmodellen gefunden haben. 60
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
wohnen für immer“ (Ps 68,17). Darum kann das Volk aus der Perspektive des Exils bitten: „Gedenke deiner Gemeinde, die du erworben hast vor alters, erlöst zum Stamm deines Eigentums, an den Berg Zion, auf welchem du gewohnt hast!“ (Ps 74,2 [vgl. Jes 8,18; Joel 4,17.21; Sach 8,3]). Einige Texte verorten das Wohnen Gottes ganz konkret im Tempel: „das ist die Stätte meines Thrones und die Stätte meiner Fußsohlen, wo ich mitten unter den Söhnen Israel wohnen werde für ewig“ (Ez 43,7). In Jer 7,3.5 dürfte diese Vorstellung ebenfalls vorausgesetzt sein, denn der konkrete Ort, um den es in Jer 7,4 geht, ist der Tempel (vgl. auch 2 Makk 14,35). Häufiger noch, aber sachlich gleichbedeutend, ist vom Wohnen Gottes in seinem Haus oder seinem Heiligtum die Rede (2 Sam 7,5; 1 Kön 8,13.27; Ex 25,8; Jes 57,15). An allen bisher genannten Stellen ist es Gott selbst, der bei seinem Volk oder an einem bestimmten Ort wohnt. Mindestens ebenso verbreitet ist aber die Vorstellung, dass nicht Gott selbst, in Israels Mitte wohnt, sondern dass er durch eine seiner Vergegenwärtigungsgestalten wie seinen Namen oder seine Ehre (Ps 26,8 [vgl. Jdt 9,9]) repräsentiert wird. Jerusalem mit dem Tempel gilt in der Tradition des Deuteronomiums als der Ort, an dem Gott seinen Namen wohnen lässt (ab Dtn 12,5; 1 Kön 9,3; 2 Kön 21,7; Ps 74,7). Um die Vorstellung des Wohnens in Worte zu fassen, verwenden die biblischen Autoren vor allem Verben, die von der Wurzel !kX abgeleitet sind. Diesen folgen in den meisten Fällen die Präpositionen b oder $wtb, mit deren Hilfe eine genauere Bestimmung des Wohnortes eingeleitet wird.61 Die LXX verwendet zur Wiedergabe von !kX verschiedene Äquivalente. Die beiden häufigsten sind kataskhno,w und katoike,w.62 Mit der Präposition evn verbunden übersetzen sie beide in der Regel b !kX (z. B. Num 23,9; 1 Kön 8,12; 1 Chr 23,25; 2 Chr 6,1). Das insgesamt seltenere $wtb !kX hat deutlich mehr Äquivalente, deren Wahl sich zum Teil daraus erklären lässt, dass die Übersetzer offenbar Anthropomorphismen oder theologisch schwierige Vorstellungen vermeiden wollten.63 Die von den LXX Übersetzern geprägte Wendung katoike,w evn wird in der zwischentestamentlichen Literatur breiter gepflegt (vgl. TestDan 5,1; TestJos 10,3). Dabei kann sie zunächst völlig auf der Linie der oben be-
61
Seltener finden sich ta oder l[. Selten ohne Vorsilbe (Jes 33,16; 34,11; Jer 31,28 [LXX = Jer 48,28 MT]). 63 So Ex 25,8 (ovfqh,somai); 29,45 (evpiklhqh,somai [vgl. 29,46]); katagi,nomai (Num 5,3); kataskhnw,sw evn me,sw| (Num 35,34 [dort auch kataskhnw,sw evn u`mi/n]; Ez 43,9; Sach 2,14 [vgl. 2,15]; 8,3.8). 62
3. Die Gemeinde als Tempel: 1 Kor 3,16f
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schriebenen biblischen Aussagen verstanden werden.64 Texte wie TestBenj 6,4 setzen aber einen neuen Akzent, indem man sie von ihrem Kontext her so lesen kann, als sagten sie aus, dass Gott in einer Person wohnt.65 Deutlich wird dies bei Philo, der die Seele auffordert, Gottes Haus zu werden, ein heiliges Heiligtum (qeou/ oi=koj gene,sqai i`ero.n a[gion [Som 1,148f]). Im Vergleich mit anderen möglichen Wohnstätten Gottes kommt der Seele bei Philo die herausragende Stellung zu: „Welches würdigere Haus für Gott könnte man in der Schöpfung finden, als eine vollkommen gereinigte Seele…“ (ti,j ga.r oi=koj para. gene,sei du,nait’ a'n avxioprepe,steroj eu`reqh,nai qew|/ plh.n yuch/j telei,wj kekaqarme,nhj [Sobr 62]). Ähnlich kann er sich auch über den Verstand äußern: Für Gott gibt es „kein verehrungswürdigeres oder heiligeres Haus […] als der schaulustige Verstand“ (semno,teron kai. a`giw,teron […] oi=kon […] filoqea,mona dia,noian [Som 2,251]), das Haus des weisen Gottes ist der Verstand (oi=koj qeou/ sofou/ dia,noia [Praem 123]). Hier verbinden sich biblische Vorstellungen mit denen der (stoischen) Philosophie, die die Vernunft bzw. das Gewissen als göttlichen Teil im Körper des Menschen beschreibt: „Nahe ist dir der Gott, mit dir ist er, in dir ist er (prope est a te deus, tecum est, intus est) […] ein heiliger Geist wohnt in uns (sacer intra nos spiritus sedet)“, schreibt Seneca an Lucilius (vgl. Seneca, epist. 41,2). Epiktet sagt ähnliches: „Einen Gott trägst du mit dir herum, du Armer, und weißt es nicht“ (Diss II 8,11f).66 Im Blick auf die Dichter rät Ovid den Mädchen: „Seid den Musenpriestern gefällig, ihr Mädchen, in ihnen wirkt eine Gottheit […] (numen inest illis). In uns wohnt ein Gott, und wir verkehren mit dem Himmel (est deus in nobis et sunt commercia caeli)“ (ars. 3,549f).67
64
Es ist methodisch problematisch so wie HORN (1992), 69 davon auszugehen, dass die LXX schon an einer „Umdeutung“ des Wohnmotivs im Sinne eines „Einwohnungsmotives“ partizipiere. Die LXX übersetzt zunächst schlicht hebräische Wendungen mit sprachlich entsprechenden griechischen Äquivalenten. Damit bereitet sie natürlich den Boden für eine Schriftlektüre wie wir sie bei Philo beobachten können, die biblisches und griechisches Denken in harmonischer Verbindung in der Bibel findet. Aber wir dürfen nicht ohne weiteres voraussetzen, dass die LXX hier Umdeutungen vornimmt. Die Übersetzungen von $wtb !kX (vgl. oben Anm. 63) lassen viel eher darauf schließen, dass man „Einwohnungsvorstellungen“ bewusst vermeiden wollte. 65 TestBenj 6,4 spricht parallel vom Erleuchten der Seele. 66 Vgl. KLAUCK (1996), 100, von dem die Übersetzungen stammen. 67 VOLLENWEIDER (1996), 169 bespricht ausführlich die „Traditionsgeschichte der göttlichen Einwohnung im Einzelnen“. Seine aus der paganen und jüdischen Literatur beigebrachten Beispiele (Anm. 20–24) belegen nun alle die Vorstellung, dass Götter durch Menschen handeln oder sprechen, aber nirgends ist dort davon die Rede, dass eine Gottheit in einem Menschen „wohnt“ (der Stamm oivk- fehlt), was sie für die Frage nach dem Wohnen Gottes im Menschen wenig aussagekräftig sein lässt. Eine Ausnahme stellt hier einzig Philo dar (Anm. 25).
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
Überblickt man den Gesamtbefund, so wird deutlich, dass die Vorstellung vom Wohnen Gottes biblisch in verschiedenen Ausprägungen vorliegt. Gott kann – unterschiedlich vergegenwärtigt – bei seinem Volk wohnen, ohne dass dafür eine genauere Adresse angegeben werden müsste. Man kann Gott aber auch in Jerusalem, auf dem Zion und im Tempel verortet sehen. Die Gemeinschaft, die hinter den Texten aus Qumran steht, hat ihr eigenes Selbstverständnis im Licht dieser Tempeltheologie formuliert. Im Kontakt mit der zeitgenössischen Philosophie beschreiben verschiedene jüdische Autoren das Innere des Menschen bzw. die Seele als Tempel – als Ort der Gegenwart Gottes.68 Mit dem Hinweis auf zeitgenössische Parallelen aus dem philosophischen Diskurs weitet sich der Blick über die Grenzen des Judentums hinaus. Der Gedanke, dass ein Tempel von einer Gottheit bewohnt wird, war auch nichtjüdischen Menschen in der Antike selbstverständlich vertraut. In der Regel steht in einem Tempel eine Statue (a;galma), die den abgebildeten Gott, dem das Heiligtum geweiht ist, direkt repräsentiert69 (vgl. SEG XXIX 135,10; SEG XXXI, 731,4; SEG XXXVI, 1039, 8–9; vgl. bes. LSAM 20,14ff [zitiert in Kapitel 3, 4.1] u. ö.).70 Die paulinische Argumentation ist für Juden und Nichtjuden somit gleichermaßen nachvollziehbar. (Exkurs Ende) Paulus verdeutlicht der Gemeinde in 3,16 also ihr Wesen und verschärft zugleich die Mahnung an die Gemeindeleiter, mit der Gemeinde verantwortlich umzugehen, indem er sakralrechtliche Bestimmungen auf sie anwendet. Formal handelt es sich um einen nach dem jus talionis gebildeten
68 HORN (1992), 68ff trennt Tempel- und Wohnmotiv scharf voneinander. Das hängt bei ihm aber auch damit zusammen, dass er offenbar zwischen Wohn- und Einwohnungsmotiv unterscheidet. Vor allem bei Philo lässt sich die Vorstellung nachweisen, dass Gott tatsächlich im Menschen wohnt. Darüber hinaus findet sie sich höchstens noch in TestBenj 6,4, so dass ich (gerade auch im Blick auf die von V OLLENWEIDER [1996] herangezogenen Belegstellen [vgl. dazu Anm. 67]) fragen möchte, ob man hier wirklich von einem festen Motiv sprechen kann oder ob nicht viel mehr die durch die LXX vermittelte biblische Vorstellung des Wohnens Gottes bei seinem Volk bzw. in seinem Tempel für das frühe Christentum prägend war, ohne dass man eine jüdisch vermittelte Beeinflussung durch philosophisches Gedankengut annehmen muss. Dass es eine Entsprechung zu diesem gibt, ist unbestritten und schafft hervorragende Voraussetzungen für die Rezeption einer biblisch-jüdischen Vorstellung in einer heidenchristlichen Gemeinde. 69 Insbesondere waren es Salbungen, die Statuen aber auch andere Gegenstände tatsächlich zu Göttern machten. Einschlägiges Material findet sich bei KARRER (1991), 190ff. Zur Sache vgl. jetzt auch W OYKE (2005), 39ff. 70 Weitere Belege bei HOGETERP (2006), 322, Anm. 79. Vgl. auch STENGEL (1920), 21ff und RUDHARDT (1992), 81 zum Tempel als Wohnort der Götter.
3. Die Gemeinde als Tempel: 1 Kor 3,16f
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Satz: „Wer den Tempel verdirbt, den wird Gott verderben“.71 W. Strack führt dazu passend aus: „Wie am Beispiel der Verbotstafeln vom Vorhof des herodianischen Tempels wird auch in 1 Kor 3,17a.b das Sakrale als ein zu schützender Tabubereich beschrieben, so dass diese Warnung als sakralrechtliche Norm bezeichnet werden kann. [...] Der Bereich des Heiligen darf unter keinen Umständen gefährdet werden.“72 Schon E. Käsemann fühlte sich von 3,17 an die genannten Verbotstafeln erinnert und konnte von diesem Vers als „Inschrift über dem neuen göttlichen Heiligtum“ sprechen.73 Käsemann und Strack haben mit ihrem Verweis auf die Verbotstafeln am herodianischen Tempel richtig gesehen, dass die Bildersprache, die Paulus hier verwendet, sich ganz aus jüdischen Traditionen speist.74 Die Verwurzelung dieser Motive im Judentum ist in der Tat unbestreitbar.75 Andererseits ist der Gedanke, dass ein nao,j die Wohnstatt einer Gottheit ist, und dass zum Schutz dieses heiligen Bereiches besondere Vorsichtsmaßnahmen erforderlich sind, antikes Gemeingut.76 Gerade für Korinth sind zahlreiche Tempel belegt, die zumindest von Pausanias nao,j respektive naoi, genannt werden (Pausanias 2.4.5; 2.4.6–7).77 Für die Adressaten 71
Vgl. KÄSEMANN (1964), 69f. Ob es sich hierbei um einen so genannten Satz heiligen Rechts handelt, der als solcher einen bestimmten Sitz im Leben gehabt hätte, darf mit K. BERGER (1970/71), 10ff bezweifelt werden. Die Struktur der Argumentation ist hingegen deutlich: Tun und Ergehen stehen in Korrespondenz zueinander (vgl. KONRADT [2003], 278). 72 STRACK (1994), 232. 73 KÄSEMANN (1964), 70. Darauf, dass man weder den Begriff „Sakralrecht“ noch den Talionsgedanken zu sehr pressen sollte, weist zu Recht Merklein hin (MERKLEIN [1992], 274ff). Denn hier wird erstens kein Recht begründet, das die Gemeinde zu exekutieren hätte (vgl. aber 1 Kor 5), und zweitens steht die „(irreparable) ‚Vernichtung‘ des Entweihenden“ nicht auf der gleichen Stufe wie die „(durchaus wieder umkehrbare) ‚Entweihung’ des Tempels“ (MERKLEIN [1992], 274f). Deutlich ist aber in jedem Fall die „Warnung vor der Gefährlichkeit des Heiligkeitsbereiches“ (275). Vgl. schon WEIß (1910), 85: „hier schlägt die allgemeine religionsgeschichtliche Vorstellung eines ‚Tabu’ durch – wer sich am Gottestempel vergreift, ist dem Untergange geweiht“. 74 Vgl. ROLOFF (1993), 112. 75 Die populärphilosophische Vorstellung von der Seele als einem Tempel Gottes (Seneca, epist. 41,2; Epiktet, Diss 1.14,14f), die sich auch bei Philo findet (Som 1,149; Virt 188) dürfte wegen ihrer das Individuum betonenden Ausrichtung hier weniger Pate gestanden haben, könnte den Leserinnen und Lesern jedoch die Rezeption des Gedankens erleichtert haben. 76 Vgl. Kapitel 3, 5. Vgl. MERKLEIN (1992), 273: Das Motiv der Wohnung Gottes „ist den Korinthern schon aus ihrer vorchristlichen religiösen Erfahrungswelt vertraut. An die Stelle des Götterbildes tritt jetzt der ‚Geist Gottes‘“. LINDEMANN (2000), 75 entscheidet sich bei seiner Übersetzung dem indeterminierten griechischen Text folgend für die Übersetzung „ein Tempel Gottes“. 77 Vgl. dazu FOTOPOULOS (2003), 57 und 76.
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
des 1 Kor machte „die Existenz von Tempeln einen wichtigen Teil der religiösen Alltagserfahrung“ aus.78 Wie die Auswertung der Leges Sacrae ergab, muss derjenige, der die in den einschlägigen Inschriften genannten Schutzbestimmungen der Heiligtümer verletzt, mit Strafe rechnen. Die Strafen waren je nach sozialer Stellung körperlicher oder finanzieller Natur, konnten aber auch Gesundheit und Leben des Übertreters betreffen.79 Vor diesem Hintergrund erscheint das Motivfeld, das Paulus hier in seiner Argumentation benutzt, in besonderer Weise dazu geeignet, eine Brücke zwischen den biblisch-jüdischen Denkvoraussetzungen des Apostels und denen der nichtjüdischen Adressaten des Briefes zu schlagen. Der Bereich der Tempelterminologie erweist sich als „common ground“, auf dem sich Juden und Nichtjuden ihrer Identität und ihrer Verantwortung vor Gott vergewissern können.80 78
B ÖTTRICH (1999), 412. Für die Nachvollziehbarkeit der paulinischen Argumentation ist der Bezug zur Alltagserfahrung der Adressaten unerlässlich. Das übersieht m. E. die Arbeit von HOGETERP (2004). Hogeterp geht davon aus, dass Paulus heidnische Kulte grundsätzlich negativ bewertet (womit er sicher Recht hat). Daraus folgert er nun, dass Paulus im Rahmen seiner Argumentation nicht positiv auf aus heidnischen Kulten stammendes Anschauungsmaterial zurückgreifen könne („Thus, there is a clear disjunction between Paul’s pejorative perspective and the contemporary pagan perspective“ [320]). Für unsere Stelle bedeutet das konkret, dass Paulus hier keine heidnischen Tempel im Blick haben könne, auch wenn diese ebenfalls nao,j genannt werden (Belege sammelt HOGETERP [2006], 320 [Anm. 75]). „Paul’s temple imagery therefore implies monotheistic connotations“ (322). Diese Argumentation – so richtig ihre Voraussetzungen auch sein mögen – übersieht, dass man auch anhand irgendeines Tempels gut erklären kann, was es mit dem Tempel Gottes auf sich hat. Paulus kann zur Verdeutlichung seiner Argumentation auf Sachverhalte und deren innere Logik zurückgreifen, ohne diese in der Sache gutheißen zu müssen. Umgekehrt gilt: Nur weil die Gemeinde wie ein (heidnischer) Tempel funktioniert, werden heidnische Tempel an sich nicht aufgewertet. Man muss also nicht davon ausgehen, dass die Glieder der korinthischen Gemeinde wenigstens rudimentär mit jüdischer Tempeltheologie vertraut gewesen sein müssen, um die paulinische Argumentation nachvollziehen zu können (so HOGETERP [2006], 323). Die lebendige Anschauung eines heidnischen Tempels und die Kenntnis der damit verbundenen Vorstellungen reicht aus, um verstehen zu können, was Paulus über das Wesen der Gemeinde sagt. 79 Vgl. Kapitel 3, 2. 80 Vgl. die Hinweise bei LANCI (1997), 131f. Eine „polemische Spitze gegenüber dem übrigen Israel“ (so KRAUS [1996], 176 mit einem breiten Strom der Forschung [vgl. GÄRTNER (1965), 50; NEWTON (1985), 55; KLAIBER (1982), 38]), die sich in den Qumrantexten mit der Anwendung der Tempelterminologie auf die Gemeinde verbindet, vermag ich hier nicht zu sehen (zu diesem Auslegungsmodell vgl. B ÖTTRICH [1999], 412). Zumindest legte sie sich für seine Adressaten von ihrem Verstehenshorizont her nicht nahe. Was Paulus sagt, ist in keiner Weise gegen den Tempel zu Jerusalem gerichtet (vgl. DAVIES [1974], 191: „actual temple practice is not frowned upon, but supplies a model for Christian forms. There is no hint of criticism of the priesthood or the temple sys-
4. Das Wirken des Apostels im Licht paganer Sündenbockrituale: 1 Kor 4,13
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4. Das Wirken des Apostels im Licht paganer Sündenbockrituale: 1 Kor 4,13 4. Das Wirken des Apostels im Licht paganer Sündenbockrituale: 1 Kor 4,13
Ob dieser Vers überhaupt zu den im Rahmen einer Untersuchung der kultischen Terminologie im Corpus Paulinum zu besprechenden Texten gerechnet werden kann, ist in der Forschung umstritten. Paulus verwendet hier zwei Begriffe, die in einem paganen Kontext in hohem Maße kultisch konnotiert sein konnten – aber nicht notwendigerweise mussten. Ab Vers 9 beschreibt Paulus seine apostolische Existenz als eine, die am untersten Ende der antiken Wertehierarchie (evsca,touj) angesiedelt ist.81 Diese Beschreibung endet mit dem hier zur Debatte stehenden Vergleich „w`j perikaqa,rmata tou/ ko,smou evgenh,qhmen( pa,ntwn peri,yhma e[wj a;rti“, der ganz neutral übersetzt werden könnte: „wie Abschaum der Welt sind wir geworden, Kehricht von allen bis jetzt“. Für diese Übersetzung spricht nach H. Merklein vor allem der Kontext von Vers 13: „So wird man – der Isotopie der VV 9–13a folgend – doch davon ausgehen müssen, dass ‚perikatharma’ und ‚peripsēma’ hier als abträgliche, schimpfwortartige Begriffe verwendet sind: ‚Unrat’, ‚Abschaum’“.82 Merklein grenzt sich mit seiner Auslegung ausdrücklich von der Haucks und Stählins im ThWNT ab, die beide Begriffe auf dem Hintergrund antiker Sündenbockrituale verstanden haben. Ein perika,qarma konnte ein Menschenopfer bezeichnen, das „regelmäßig oder in besonderer Notzeit zur Entsühnung der betreffenden Gemeinschaft (Volk, Stadt) dargebracht“ wurde.83 Gleiche Funktion hatte das peri,yhma.84 Die Vorstellung, dass dietem“). Paulus beschreibt, was für jeden Tempel gilt (vgl. LANCI [1997], 132; BÖTTRICH [1999], 414: „Für Autor und Adressaten scheint der reale Tempel in Jerusalem dabei doch eher in den Hintergrund zu rücken“). Die nichtpolemische Lektüre vertritt ebenfalls LINDEMANN (2000), 88f. Nach Apg 21,26ff hat Paulus selbst den Jerusalemer Tempel besucht und an seinem Kult teilgenommen (vgl. auch Röm 9,4). Methodisch stellt sich hier die Frage, ob Paulus selbst alle Konsequenzen, die moderne Exegeten aus seiner Argumentation ziehen können, auch selbst so gezogen hätte. Dürfen wir Polemik hören, wo er sie selbst nicht explizit anwendet? 81 Paulus baut einen ironischen Kontrast zwischen sich und seinen Adressaten auf: Während er sie als klug, stark und geehrt anspricht, bezeichnet er sich selbst als Narr, schwach und verachtet. 82 MERKLEIN (1992), 317; ähnlich LINDEMANN (2000), 110. 83 In einem Scholien Kommentar zu Aristophanes, Ran. 730 wird das Wort ka,qarma wie folgt erläutert: „Die schlechten Menschen und die, die Widernatürliches planen, opferte man zur Rettung von Trockenheit oder Hungersnot oder sonst einem von diesen. Diese nannte man Katharma.“ (Scholia in ranas, 730,9ff [Übersetzung M.V.]). 84 Zu diesem nicht sehr häufigen Wort findet sich eine Notiz bei den antiken Lexikographen. Sie berichten, dass man einmal im Jahr einen jungen Mann (neani,aj) als Rettung vor Übeln gleich einem Opfer für Poseidon ins Meer geworfen habe (Suda s.v.). Im Licht dieser Rituale deutet F INLAN (2004), 97 diese Stelle. Paulus verwende hier einen
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se „Reinigungsmittel“ selbst die Unreinheit, die sie beseitigen sollten, auf sich gezogen haben, weshalb man sie fortschaffen musste, dürfte dazu geführt haben, dass die genannten Begriffe ganz allgemein auch als Schimpfwörter verwendet werden.85 Diese Entwicklung könnte aber auch dadurch befördert worden sein, dass man zu den so genannten Pharmakos-Ritualen vor allem Menschen auswählte, die aufgrund ihres Aussehens oder ihrer gesellschaftlichen Stellung keinerlei Ansehen genossen.86 Es könnte nun sein, dass Paulus mit beiden Bedeutungsnuancen der Ausdrücke gleichsam spielt. Einerseits setzt er die in Vers 9 begonnene Reihe fort und zeichnet von sich selbst das Bild eines aus der Gesellschaft Ausgestoßenen – andererseits aber wendet er dieses Bild zugleich ins Positive: „Ja, wir werfen unser Leben weg, aber für die Welt, und unsere scheinbar unnütze Existenz kommt allen zugute“.87 Diese Wendung geht nun – darin ist Merklein Recht zu geben – tatsächlich über das hinaus, was im Argumentationszusammenhang unmittelbar gefordert wird. Beachtet man aber, dass Paulus im Kontext durchaus ironisch spricht, so käme diese Wendung nicht mehr so überraschend, Paulus könnte dann auch hier anderes oder mehr meinen, als er vordergründig sagt. Er ginge dann davon aus, dass seine Form apostolischer Existenz seinen Gemeinden zugute kommt.88 Dies wäre der Vergleichspunkt, um den es ihm geht: So wie perika,qarma und peri,yhma verachtenswerte Größen sind, die der Gemeinschaft aber doch Gutes bringen, so ist auch die Lebensweise des Apostels gemessen an korinthischen Maßstäben verachtenswert – und bringt der Gemeinde Gutes. Mit dieser Deutung entfiele eine Schwierigkeit der kultischen Deutung dieses Verses, auf die H. Merklein aufmerksam gemacht hat, dass nämlich Paulus sich selbst sühnende Funktion zuschriebe und damit in Konkurrenz zum Sühnetod Jesu träte.89 Es geht nicht um die sühnende Funktion der „gentile expulsion term“. Vgl. zum Ganzen auch B URKERT (1977), 139ff. Literatur nennt KARRER (1998), 125f. 85 Vgl. Josephus, Bell 4,241, Philo, Virt 74; Epiktet, Diss III 22,78 u.ö. 86 Vgl. B URKERT (1977), 139, der u. a. auf Hipponax fr. 5–11 verweist. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass man den Menschen, mit denen man die Rituale durchzuführen gedachte, vorher eine gute Versorgung zuteil werden ließ. 87 STÄHLIN (1959), 89f. 88 Dass die apostolische Existenz anderen zugute kommt, liegt auf der Linie von Texten wie 1 Kor 9.19ff; 2 Kor 4,7ff; 1 Thess 2,7ff. 89 Vgl. MERKLEIN (1992), 316f und SCHRAGE (1991), 349f. Dass das paulinische Leben und Wirken tatsächlich sühnende Funktion haben, wird mit dem Vergleich nicht gesagt. Aber selbst wenn dem so wäre, könnte man auf die Anwendung des Rettungsmotivs auf die Tätigkeit des Apostels verweisen. Christus rettet (Röm 5,9) und Paulus rettet auch (vgl. 1 Kor 9,22). Die gleiche Schwierigkeit stellt sich auch angesichts der steilen Aussagen in Röm 9,3 (vgl. Kapitel 9, 7). In der paulinischen Tradition wird der Gedanke dann aber deutlich ausgesprochen (vgl. Kol 1,24).
5. Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels: 1 Kor 5,1ff
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genannten Riten, sondern um positive Auswirkungen negativ qualifizierter Sachverhalte. Dass Paulus sich selbst in kultischen Kategorien beschreiben kann, ist in jedem Fall schon aus 1 Thess 2,3 und 10 bekannt.90
5. Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels (pornei,a):1 Kor 5,1ff 5. Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels: 1 Kor 5,1ff
Nachdem die Kapitel 1–4 um die innere Integrität der als Tempel beschriebenen Gemeinde in Korinth kreisten, wendet sich Paulus nun der Integrität der Gemeinde nach außen zu: Das alle Einzelfragen übergreifende Thema der Kapitel 5–7 ist die Frage, wie die Gemeinschaft der Heiligen, der Tempel Gottes (3,16) heilig gehalten werden kann.91 Diese Frage wird hinsichtlich verschiedener konkreter Problemfälle erörtert. Zunächst kommt Paulus in Kapitel 5 auf einen Fall illegitimer Sexualpraxis (pornei,a)92 zu sprechen.93 Konkret handelt es sich wohl um den in biblisch-jüdischer Tradition (vgl. Lev 18,7f und 20,11; mSan 7,4) verbotenen aber auch im griechisch-römischen Denken tabuisierten Fall94 des sexuellen Verkehrs mit der Konkubine des verstorbenen Vaters.95 Die kultische Deutung dieses Verses wird schon von Origenes vorausgesetzt, der ausdrücklich auf den religionsgeschichtlichen Hintergrund der Begriffe verweist und das Leben bzw. Sterben der Märtyrer und Apostel mit dem Tod Jesu vergleicht, der natürlich größere Bedeutung hat (Über das Johannesevangelium VI, 284). Auf der gleichen Linie liegt seine Aussage, dass 1 Kor 4,13 noch viel mehr auf Jesus, der die Sünde der Welt trägt und zugunsten der Menschen stirbt, anwendbar wäre als auf die Apostel (Über das Johannesevangelium, XXVIII 161). Anders scheint Basilius zu lesen, der diesen Vers heranzieht, um die Fähigkeit zur Demut, die denen, die mit dem heiligen Geist begnadet sind, eigen ist, zu betonen (Psalmhomilien, XXIX, 381). 90 Vgl. Kapitel 4, 1. 91 Vgl. KONRADT (2003), 296; SCHLUND (2005), 185. Wie schon in den Kapiteln 1-4 steht auch in den Folgenden die „Dimension der Gefährdung“ im Hintergrund (MERKLEIN [2000], 23). 92 Zur Bedeutung dieses Begriffs vgl. oben zu 1 Thess 4,3ff (Kapitel 4, 3). 93 Zur argumentativen Struktur vgl. SMIT (2004), 131ff. 94 Eine instruktive Übersicht über das bekannte jüdische und pagane Vergleichsmaterial bietet HARTOG (2006), 51ff. Er führt neu in die Diskussion Seneca, Phaedra, 165-173 ein, einen Text, der von der Beziehung zwischen Stiefmutter und Stiefsohn handelt und diese als „Frevel, den kein Barbarenland jemals begangen“ habe, bezeichnet. 95 So mit guten Gründen W OLTER (2003), 326f. LIETZMANN (1949), 23 vermutet, dass es sich um die zweite Frau des verstorbenen Vaters handelt (so auch MAY [2004], 74). Eine solche Beziehung wäre auch nach römischem Recht verboten gewesen. Die einschlägigen Quellen nennt auch Wolter, wobei er allerdings annimmt, dass ein „verbotenes incestum [...] in der römischen Kolonie Korinth kaum ohne strafrechtliche Folgen geblieben wäre“ (327). Der paulinische Hinweis darauf, dass ein solches Verhalten selbst unter Heiden nicht üblich sei (5,1), würde sich in diesem Fall nicht als Hinweis auf das
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
Paulus kritisiert hier aber nicht nur das Verhalten eines Gemeindegliedes, sondern vor allem die Tatsache, dass die Gemeinde dieses Verhalten toleriert, zumindest aber nicht rigoros bekämpft. Stattdessen sei sie „aufgeblasen“ (5,2). Dieser Vorwurf greift auf 1 Kor 4,6 und 18 zurück, die entsprechende Haltung wird in 8,1 und 13,4 wieder thematisiert werden. Sachlich dürfte damit gemeint sein, dass die angesprochenen Gemeindeglieder aufgrund ihres religiösen Status bzw. ihrer Erkenntnis mit sich selbst zufrieden und „für die ethischen Konkretionen des Christseins“ wenig sensibel sind.96 Dass nun pornei,a in besonderer Weise die Heiligkeit der Gemeinschaft, in der Gott gegenwärtig ist, bedroht, ist ein Gedanke, der aus 1 Thess 4,3ff vertraut ist, und der in 1 Kor 6,18f wie auch in 10,8 wieder aufgegriffen wird. Im unmittelbaren Kontext unserer Stelle fehlen allerdings Vokabeln aus dort benutzten kulttheologischen Wortfeldern (Heiligung bzw. Tempel). Es finden sich aber Hinweise darauf, dass Paulus auch hier kulttheologisch gedacht haben dürfte. So ließe sich der Vorwurf, die Gemeinde hätte „den Bösen“ nicht aus ihrer Mitte (evk mesou/) entfernt, in Vers 2 als Anspielung auf Num 19,20 verstehen. Dort wird festgelegt, dass jemand, der unrein wird, und sich weigert, die Reinigungsriten zu vollziehen, aus der Gemeinschaft Israels ausgerottet werden soll (evxoleqreuqh,setai h` yuch. evkei,nh evk me,sou th/j sunagwgh/j), weil er das Heiligtum verunreinigt hat. Nähmen wir diesen biblischen Bezugspunkt als Hintergrund für unsere Stelle an, so wäre auch hier der Gedanke der, dass ein Mensch, der illegitime Sexualpraktiken übt, eine Bedrohung für die Heiligkeit der Gemeinde darstellt, und deswegen aus ihr ausgeschlossen werden muss. Auch wenn man die Anspielung auf Num 19,20 für zu vage hält, legt sich eine heiligkeitstheologische Lektüre der paulinischen Argumentation nahe, wenn man nämlich berücksichtigt, dass die beschriebene Unzucht nach biblischen Vorgaben verunreinigende Qualität hat (Lev 18,24.28 [vgl.
römische Recht, sondern als Reflex der jüdischen Sexualethik verstehen. Zu den Deutungsvarianten und den entsprechenden rechtlichen Regelungen vgl. L INDEMANN (2000), 123f. 96 So mit guten Argumenten KONRADT (2003), 301. Konradt verweist auf 6,12 und vermutet, dass die Korinther Fragen der Sexualethik in Analogie zu Fragen der Speisegebote als Adiaphora behandelt hätten (309). In beiden Kontexten zeigt Paulus, dass das mitnichten der Fall ist. Dass es sich bei dem erwähnten Gemeindeglied um einen „Überzeugungstäter“ handeln könnte, wäre der Syntax von Vers 3 und 4 zu entnehmen (vgl. KONRADT [2003], 310f). Zwingend ist das nicht, vor allem nicht, weil Paulus hier nicht auf eine entsprechende Argumentation reagiert. Paulus begründet vielmehr, warum diese Praxis die Gemeinde bedroht.
5. Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels: 1 Kor 5,1ff
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dazu Kapitel 2, 1.3.2]).97 Was nach Lev 18 für das verunreinigte heilige Land gilt, überträgt Paulus auf die heilige Gemeinschaft. Konkret bedeutet das, dass die der heiligen Gemeinschaft entsprechende Reinheit nur durch die Beseitigung des Täters wieder hergestellt werden kann (Lev 18,29). Die Anspielung auf das Reinigungsritual zum Passafest (5,7f) weist ebenfalls in die Welt des Kultes. Nach Ex 12,19 und 13,7 darf während des Passafestes kein Sauerteig im Land Israel zu finden sein. Wer während des Passafestes Gesäuertes isst, soll aus Israel ausgerottet werden (Ex 12,15).98 Paulus wendet diese Regel auf den konkret vorliegenden Fall an, indem er den realen Sauerteig als „Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit“ allegorisiert und mit dem Unzüchtigen identifiziert. Eine ähnliche Denkfigur findet sich bei Philo, der in Quaest in Ex 2,14 Sauerteig ebenfalls als Bild für etwas Negatives einsetzt, indem er ihn als Sinnbild für die Lust versteht.99 Der biblische Zusammenhang ist dort jedoch nicht das Passafest, sondern die Vorschrift aus Ex 23,18, nach der man nicht Blut (bei Philo Sinnbild für die Seele) und Sauerteig zusammen opfern darf. Philo betont in diesem kurzen Abschnitt, wie wichtig es ist, die Bereiche von heilig und profan auseinander zu halten: „das Unvermischte zu mischen, ist dem Heiligen nicht angemessen (mignu,nai de. ta. a;mikta, ouvc o[sion)“.100 Paulus bewegt in 1 Kor 5 die gleiche Denkfigur.
Die Gemeinde wird in dieser Bildwelt durch den ungesäuerten Teig repräsentiert (a;zumoi), um zu signalisieren, dass sie auf die Trennung von den ihre Heiligkeit gefährdenden Personen und Praktiken achten soll, weshalb entsprechende Reinigungsmaßnahmen zu treffen sind (evkaqa,rate th.n palaia.n zu,mhn). K.-H. Ostmeyer hat einen überzeugenden Versuch vorgelegt, die Passamotivik und die Übergabe des Unzüchtigen an den Satan miteinander zu verbinden. Nach Jub 49,2 war es Mastema (laut Jub 10,8 und 11 ist das der Satan),101 der die Erstgeborenen in Ägypten tötete. Nur die, deren Türen durch das Blut des Passalammes gekennzeichnet waren, und die am Passamahl teilnahmen, wurden vor dem draußen umgehenden Satan bewahrt. Wenn der Unzüchtige aus der Gemeinschaft der Teilnehmer am Christuspassa ausge-
97
Diese Vorstellung dürfte auch bei der Formulierung des Aposteldekretes im Hintergrund gestanden haben. Dieses wendet solche Bestimmungen aus Lev 17f auf Heidenchristen an, die dort auch für die Beisassen im Land Israel gelten, damit eben das Land bzw. die Judenchristen, die am Tempelkult weiterhin teilnahmen, nicht verunreinigt werden (vgl. WEHNERT [1997], 240ff; KRAUS [1999], 153 und Kapitel 6, 6). 98 OSTMEYER (2002), 41 weist darauf hin, dass zwischen dem evxoleqreuqh,setai aus Ex 12,15 und 1 Kor 5,5a (eivj o;leqron) ein Zusammenhang besteht. 99 Auch bei nichtjüdischen Autoren konnte Sauerteig negative Assoziationen wecken (Plutarch, mor. 289 E). Vgl. auch K LAUCK (1983), 109. 100 Dieser zutiefst kulttheologische Gedanke fordert ebenso wie Paulus die strikte Trennung von heilig und profan. 101 Vgl. SCHLUND (2005), 109.
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
schlossen wird, verlässt er den Raum der Bewahrung und tritt in den Einflussbereich Satans ein.102
Paulus führt das Bild vom Sauerteig in Vers 6 ein. So wie eine geringe Menge Sauerteig, den ganzen Teig durchsäuert, so beeinflusst die Präsenz nur eines „Sünders“ die ganze Gemeinde. Die Konsequenz, die sich für die Gemeinde daraus ergeben müsste, formuliert Paulus in Vers 7: „beseitigt den alten Sauerteig“. Im Duktus der Argumentation ist damit genug gesagt. Die Gemeinde weiß, wie sie mit der entsprechenden Person umgehen soll – und sie weiß, warum das so ist. Paulus ordnet das Bild vom Sauerteig dann aber in den Zusammenhang des Passafestes ein und begründet den Imperativ, mit dem Vers 7 beginnt, damit, dass „unser Passa(lamm) geschlachtet ist: Christus“. Das verwendete Verb qu,w hat in der LXX zumeist kultische Bedeutung (ab Gen 31,54). Zuweilen ist damit aber auch eine profane Schlachtung (Dtn 12,15.21; 1 Sam 28,24) oder ein „Abschlachten“ von Menschen (Ri 12,6) gemeint. Qu,w ist auch das Verb, das die LXX klassischerweise mit dem Passalamm verbindet (Ex 12,21). Im biblischen Kontext handelt es sich bei der Schlachtung des Passalamms jedoch nicht um ein Opfer. Zur Zeit des zweiten Tempels gewinnt die Schlachtung der Passalämmer allerdings mehr und mehr die Züge eines Opfers – die Rabbinen sprechen vom xsp !brq und bezeugen die Verbindung der Schlachtung mit einem für Opfer typischen Blutritus (mPes 5,5ff), wenngleich der familiäre Charakter des Festes nie ganz verloren ging.103 Philo zeichnet die Schlachtung ebenfalls als Opfervorgang, der einmal im Jahr jeden Israeliten zum Priester werden lässt, und betont die kultische Reinheit der Feiernden (SpecLeg 2, 145–149).104 Vor diesem Hintergrund ist es möglich, dass Paulus bei der Wendung to. pa,sca h`mw/n evtu,qh ebenfalls an einen Opfervorgang gedacht hat. Damit könnte hier eine kultische Deutung des Todes Jesu vorliegen,105 mit der Paulus seine Forderung begründet.106 Wahrscheinlich ist, dass Paulus hier auf eine Tradition zurückgreift.107 In jedem Fall erläutert er sie nicht und wertet sie im Folgenden auch nicht weiter aus.108 Im Kontext geht es allein darum, den besonderen Status der Ge102
Vgl. OSTMEYER (2002), 41. Vgl. SAFRAI / SAFRAI (1998), 13ff. 104 Vgl. SCHLUND (2005), 186f. 105 So ZIMMERMANN (2005), 367f. Zimmermann übersetzt die Wendung konsequenterweise mit „Christus, unser Passa ist geopfert“. Vor dem alttestamentlichen Sprachgebrauch ist das jedoch nicht zwingend – „unser Passa ist geschlachtet“ wäre ebenfalls eine mögliche Übersetzung. 106 Vgl. W OLTER (2005), 306. 107 Vgl. MERKLEIN (2000), 40; SCHLUND (2005a), 397ff. 108 Das Bild vom Sauerteig wird nach Vers 8 nicht mehr aufgegriffen. Vgl. FREDERIKSEN (2005), 211: „Paul hardly exploits his Christological possibilities here at all“. 103
5. Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels: 1 Kor 5,1ff
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meinde als a;zumoi im Gegenüber zum Sauerteig zu begründen und daraus ethische Konsequenzen zu ziehen. Diese singuläre Beschreibung der Gemeinde spielt nach Vers 8 auch keine Rolle mehr. Damit stellt sich die Frage, was Paulus auf der Sachebene109 von der Gemeinde erwartet und welche Konsequenzen die anvisierte Maßnahme für das betroffene Gemeindeglied hat. Besonders Letzteres ist in der Forschung umstritten.110 Geht man von der paulinischen Wortwahl in 5,2.7 und 13 aus, so ist es wahrscheinlich, dass Paulus an einen Ausschluss aus der Gemeinde denkt:111 Der so genannte Unzuchtsünder muss aus dem Bereich der Gemeinde entfernt werden. Ostmeyers Hinweise zur Passatradition fügen sich bruchlos dazu: Die Welt außerhalb der Gemeinde lässt sich als Einflussbereich des Satans verstehen. Unsere Besprechung von Kap 6,1ff wird dies bestätigen: Der Raum außerhalb der Gemeinde ist für Paulus keineswegs neutrales Gebiet (siehe unten Abschnitt 6 und 7; vgl. auch 2 Kor 4,4; Röm 12,2f). Somit könnte Paulus bei der Übergabe an den Satan (5,5) durchaus an den Ausschluss aus der Gemeinde denken.112 Das erhoffte Resultat ist aber keineswegs nur negativ für den Ausgeschlossenen.113 Schließlich soll ja das „Pneuma“ am Tag des Herrn gerettet werden, während das „Fleisch“ vernichtet wird. Die Wendung eivj o;leqron th/j sarko,j könnte auf den Tod des Gemeindegliedes zielen. Wie passt 109
Der Bezug zur von Paulus anvisierten Sachebene könnte die Auslegung davor bewahren, das Bild vom Passalamm, das geschlachtet ist, überzuinterpretieren. Paulus geht es darum, mit Hilfe dieses Bildes die Gemeinde als einen – der ersten Passamahlgemeinschaft in Ägypten vergleichbaren – Schutzraum zu beschreiben. Damit – und mit der aus diesem Bild resultierenden Notwendigkeit, die von Paulus intendierten Trennungen zu motivieren – hat die Aussage ihre Funktion im Kontext erfüllt. Dass Paulus darüber hinaus eine Analogie zwischen Passa- und Herrenmahl herstellen oder gar eine Aussage über die sühnende Qualität des Todes Jesu machen will, lässt sich aus der Stelle und ihrem Kontext nicht herauslesen (gegen HOGETERP [2006], 9; 358). Dass das Passaopfer sühnenden Charakter hat, kann man den Quellen direkt nicht entnehmen, es gibt in tannaitischen Texten allenfalls die Tendenz, jedes Opfer als sühnendes Opfer zu interpretieren (vgl. ADERET [1990], 65). Einen Bezug zwischen Passa- und Herrenmahl stellt Paulus auch in 1 Kor 10 nicht her. Er spielt dort nicht auf das Passamahl, sondern auf die wunderbare Versorgung während der Wüstenwanderung an. Auch in 1 Kor 11 findet sich kein Hinweis auf Passatraditionen. 110 Vgl. KONRADT (2003), 313ff. 111 REGEV (2004) übergeht in seinem Aufsatz 1 Kor 5 völlig und kommt daher zu dem Schluss, dass das frühe Christentum keine Trennung von Sündern praktizierte: „In both Greece and Qumran, however, exclusion of the offender from the community was a frequent strategy for eliminating the threat posed by moral impurity. Early Christians adopted precisely the opposite strategy…“ (410). 112 Auch KONRADT (2003), 321 geht davon aus, dass es sich bei der Maßnahme zunächst um einen Gemeindeausschluss handelt, dass damit „aber sehr wahrscheinlich zugleich neue Aspekte eingebracht“ werden. 113 Hier bricht die Schärfe der Passatradition.
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
aber dazu die Rettung des Geistes? Gegen den Vorschlag, dass der Tod des Betroffenen sühnende Kraft haben könnte oder die Taufe die rettende Zugehörigkeit zum Herrn verbürgt, lassen sich gewichtige Gründe vorbringen: „Sühnende Kraft hat allein der Tod Jesu“114 und die Taufe hat keineswegs „automatisch“ rettende Funktion (vgl. 1 Kor 10,1ff). Wenn es stimmt, dass Unzüchtige keinen Anteil am Reich Gottes haben werden (6,9f), dann müsste vor der Rettung des Geistes eine Verhaltensänderung stehen.115 Das lässt sich in der Tat wahrscheinlich machen, wenn man sa,rx nicht auf den Leib des Unzüchtigen, sondern auf sein Verhalten bezieht:116 Durch die Vernichtung der durch pornei,a qualifizierten Verhaltensweise kommt es zur Rettung des Menschen. Vom Satzbau her ist es nicht zwingend, dass der Satan diese Änderung herbeiführt (und somit zum Heil des Sünders wirkt), es könnte auch der Unzüchtige selbst sein.117 Der Ausschluss aus der Gemeinde zielt demnach auf die Umkehr des Sünders: er soll sein Verhalten ändern und darf dann der Rettung gewiss sein. Für die Gemeinde ist diese Maßnahme überlebenswichtig, denn die Präsenz des Unzüchtigen bedroht die Reinheit und damit den Raum der Bewahrung, so wie Sauerteig beim Passafest die feiernde Gemeinschaft aus dem Schutzraum herausnimmt. Paulus achtet darum streng auf eine Trennung von innen und außen, weil schon „geringste Mengen von dem, was der Welt draußen angehört, die gesamte Innenwelt nach und nach [...] in Außenwelt verwandeln würde“.118 Den Gedanken, dass es keine Vermischung der (heiligen und reinen) Gemeinde mit dieser Heiligkeit zuwiderlaufenden Praktiken (und denen, die sie üben) geben darf, führen die folgenden Verse weiter aus. Paulus erinnert an seine Mahnung „mh. sunanami,gnusqai“ (5,9) und konkretisiert sodann, mit wem eine solche Vermischung nicht stattfinden darf: Unzüchtige, Habsüchtige, Räuber, Götzendiener, Lästerer, Trinker. Alle diese mögen in der Welt außerhalb der Gemeinde leben, in der Gemeinde haben sie aber keinen Raum.119 Kulttheologisch gesprochen: Vieles, was außerhalb 114
KONRADT (2003), 316. In diese Richtung denkt KONRADT (2003), der weitere Vertreter dieser Deutung nennt (Anm. 609). 116 Das passt zum paulinischen Sprachgebrauch z. B. in Gal 5,13ff (vgl. DUNN [2003], 65). MAY (2004), 77 hält es für wahrscheinlich, dass es sich bei o;leqroj th/j sarko,j um eine „conversion metaphor“ handelt. 117 Vgl. KONRADT (2003), 320. 118 OSTMEYER (2002), 41 und SCHLUND (2005), 190, die gegenüber Ostmeyer betont, dass dies der Fokus des Kapitels sei und nicht das Schicksal des Ausgeschlossenen (ebd.). 119 Paulus lässt hier ein Weltbild erkennen, in dem Welt und Gemeinde sich in konsequenter Trennung voneinander gegenüberstehen. Vgl. dazu MERKLEIN (2000), 45: „Sie 115
5. Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels: 1 Kor 5,1ff
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des heiligen Bereiches existiert,120 darf den heiligen Bereich nicht ohne weiteres betreten. Viele Verhaltensweisen, die außerhalb des Tempelbezirkes praktiziert werden, haben im Tempel keinen Platz, weil sie dessen Heiligkeit gefährden. Die konkrete Lebensrelevanz der paulinischen Mahnung zeigt sich am Schluss von 5,11: „mit einem solchen sollt ihr auch nicht zusammen essen“.121 Die Gemeinschaft der Heiligen wird im gemeinsamen Essen besonders augenfällig, so dass es nicht verwunderlich ist, dass Missstände in der Gemeinde sich in der Mahlpraxis der Gemeinde widerspiegeln (vgl. 11,17ff).122 Weil nun das Wesen und die aktuelle Beschaffenheit der Gemeinde sich im gemeinsamen Essen in besonderer Weise realisiert, ist hier auch besonders auf eine strikte Trennung von innen und außen zu achten. Wer durch sein Verhalten signalisiert, dass er in Wahrheit zur Außenwelt gehört, darf darum an den gemeinsamen Mahlzeiten der Gemeinde nicht teilnehmen, sonst würden sich innen und außen, Heiliges und Ungerechtes miteinander mischen, und die Heiligkeit der Gemeinde wäre in Gefahr.123 Hier ergibt sich wie schon beim Tempelmotiv eine Berührung mit Gedanken aus der Überlieferung von Qumran.
Die Konsequenz daraus zieht das abschließende Zitat aus Dtn 17,7, das vom Fortschaffen des Bösen aus der Gemeinschaft Israels spricht, ohne Reinheits- bzw. Heiligkeitsterminologie direkt zu verwenden (5,13). Dass Paulus als Schlussstein seiner Argumentation124 aber ausgerechnet ein Zitat aus dem Deuteronomium wählt, ist für den sakraltheologischen Grundtenor des 5. Kapitels sehr aufschlussreich, handelt es sich beim Deuteronomium doch um das Buch, das „die gesamte Weltwirklichkeit der Gesellschaft Israels ins Sakrale“125 hineinholt, und Israel als „heiliges Volk“ versteht (Dtn 7,6; 14,2; 26,19), in dessen Mitte Gott in seinem Namen gegenwärtig ist (Dtn 12,11; 14,23; 16,2 u.ö.).126 1 Kor 5 überblickend lässt sich zusammenfassen, dass Paulus den Gedanken der notwendigen Scheidungen, die die Gemeinde zu vollziehen hat, vor dem Hintergrund der Trennung der Bereiche des Heiligen und des als (sc. die Lasterkataloge) wollen nicht das sittliche Handeln nach der Vielfalt seines praktischen Vollzuges beschreiben, sondern bewusst undifferenziert und scharf die Grenzlinie zwischen der heiligen Gemeinde und der profanen Welt markieren“. Zum biblischjüdischen Kontext der Lasterkataloge 5,10f und 6,9f vgl. H OSSFELD (2003), 84ff. 120 Das heißt nicht, dass Paulus diese Verhaltensweisen dort für ethisch neutral hielte. Sie setzten das Sein im heillosen Bereich dort in die Tat um (vgl. Röm 1,24 im Kontext). 121 Vgl. dazu 1QS 5,14–16. Auch die Qumrangemeinschaft versteht sich als heilige Größe, die zum Schutz ihrer Heiligkeit Menschen mit ethisch deviantem Verhalten vom Mahl ausschließt (vgl. Kapitel 2, 2.1.2). 122 So scheinen die Spaltungen, von denen Paulus in den ersten Kapiteln des Briefes gesprochen hatte, auch beim gemeinsamen Essen wieder auf (11,18). 123 Vgl. STRACK (1994), 191. 124 Mit Vers 6,1 setzt ein neues Thema ein. 125 BRAULIK (2004), 150. 126 Vgl. HAYES (1999), 11.
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böse qualifizierten Unreinen entwickelt – ein Profanum scheint es für ihn hingegen nicht zu geben.127 Paulus argumentiert dabei mit Hilfe kulttheologischer Vergleiche unterschiedlicher Herkunft. Die in 1 Kor 5 konkret geforderte Trennung von einem Gemeindeglied wird also unter der in 3,16 explizit gemachten Voraussetzung verständlich, „dass die Gemeinde und ihre einzelnen Glieder Tempel des heiligen Geistes sind“.128
6. Die Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels (avdiki,a): 1 Kor 6,1ff 6. Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels: 1 Kor 6,1ff
Um die Trennung des „heiligen Bezirkes“ der Gemeinde von der (scheinbar) profanen Außenwelt, also um die Heiligkeit des Tempels Gottes, geht es auch 1 Kor 6,1–11. Diese Trennung sieht Paulus da aufgehoben, wo die Gemeindeglieder, also die „Heiligen“, solche über sich zu Gericht129 sitzen lassen, die eben nicht zu den Heiligen gehören.130 Grundsätzlich sollte es in der Gemeinde131 überhaupt keine Rechtsstreitigkeiten geben (6,7f), schlimmer als dies ist es aber, wenn die Heiligkeit der Gemeinde dadurch gefährdet wird, dass außergemeindliche Richter diese Streitigkeiten schlichten. Vielmehr müssten, wenn es denn schon Rechtsstreitigkeiten im heiligen Bereich gibt, solche für das Recht sorgen, die ebenfalls diesem heiligen Bereich angehören (vgl. 6,5). Die strikte Trennung von innen und außen, heilig und nichtheilig darf auch wegen juristischer Streitigkeiten nicht aufgehoben werden, vielmehr müssen die
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Vgl. GILLIHAN (2002), 728. HORN (1992), 240. So auch NEWTON (1985), der mit Recht betont, dass aus der Übertragung des Tempelkonzepts auf die Gemeinde folgt, dass auch die Reinheitsregeln, die traditionellerweise für Tempel gelten, auf die Gemeinde angewendet werden müssen (z. B. 55): „a standard of purity will be remained in the Churches and thus enable them to continue to enjoy God’s presence […]. They must not be allowed to defile the sacred precincts. If they do, steps have to be taken to restore the community’s purity.“ (60). Ähnlich HOGETERP (2006), 333: „…the concept of the community as God’s Temple is functional and far from coincidential”. Vgl. auch G ÄRTNER (1965), 55: Trennung von Unreinheit „is an intrinsic part of temple symbolism”. 129 Paulus spricht auch hier einen neuen konkreten Missstand an. Das Thema des Richtens hat er aber schon in 5,12 eingeführt, so dass dieser Abschnitt auch begrifflich eng mit dem vorangehenden Kontext verzahnt ist. 130 Vgl. zu 1 Kor 1,2. Dass die Heiligen mit Gott gemeinsam richten werden, ist in Texten wie äthHen 38,5; 48,9 oder 1QpHab 5,3–6 belegt. Hier dient die Aussage dazu, den Korinthern die Absurdität ihres Tuns vor Augen zu führen: Wie kann man denen ein Urteil über sich einräumen, über die man einmal selbst richten wird? 131 Dass es sich um Rechtsstreitigkeiten innerhalb der Gemeinde handelt, ergibt sich eindeutig aus der Formulierung avdelfo.j meta. avdelfou/ in 6,6. 128
6. Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels: 1 Kor 6,1ff
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juristischen Verhandlungen jeweils innerhalb des Bereiches ausgetragen werden, in den sie gehören. Auf Berührungen der paulinischen Ausführungen mit paganen Rechtsanschauungen hat K. Rosen hingewiesen. So begegnet der Gedanke, dass es besser sei, Rechtsstreitigkeiten innerhalb der Gruppe zu klären, zu der man unmittelbar gehört, als sich damit nach Rom zu wenden, unter anderem in einer in der Heimatstadt des Apostels, in Tarsus, zur Zeit Caesars angesiedelten Diskussion (Strabo 14,5,14 [C 674–C 675]).132 Auch die Empfehlung, auf die Durchsetzung des eigenen Rechts um jeden Preis zu verzichten, selbst wenn das bedeutet, dass man Unrecht erleidet, dürfte den griechisch sozialisierten Adressaten des Paulus vertraut gewesen sein (Dion Chrys. 3,45 und 43,47; Aristoteles, rhet. 1374 B).133 Gleiches gilt für die Vorstellung, dass jemand, der Unrecht tut, nicht mit dem Wohlgefallen der Götter rechnen darf (Plato, rep. 352 B). 134 Der Gesamtduktus der paulinischen Argumentation hat jedoch ein ganz eigenes Gefälle:
Die Argumentation in diesem Abschnitt liegt auf der Linie der um die Integrität des Heiligen besorgten Ausführungen der vorangehenden Passagen mit ihrem Interesse an einer strikten Trennung von innen und außen, rein und unrein. Darüber hinaus gewährt Paulus hier aber einen Blick auf die speziellen Konturen seiner Heiligkeitstheologie. Er teilt die gemeinantike Unterscheidung von heilig und profan und modifiziert sie zugleich gewichtig.135 Für Paulus ist die Welt nach 1 Kor 6,1 aufgeteilt in den Bereich der Heiligen (a[gioi) und den der Ungerechten (a;dikoi). Diese Gegenüberstellung ist insofern bezeichnend, als sie verdeutlicht, dass Paulus die beiden Bereiche nicht einfach neutral bewertet. Gegenbegriff zu heilig ist hier gerade nicht „profan“, sondern „ungerecht“. Entsprechend gestaltet sich das Verhältnis von heilig und nichtheilig auch nicht dynamisch, nämlich in der Weise, dass man den Aufenthaltsort zwischen beiden Bereichen beliebig wechseln könnte, so wie man einen Tempel nach entsprechender Vorbereitung betritt und dann wieder verlässt. Dem entspricht die Argumentation in 1 Kor 5: Wer den Tempel Gottes, wie Paulus ihn denkt, verlässt (oder aus ihm ausgeschlossen wird [vgl. 5,1ff]), der befindet sich nicht in der (ethisch) neutralen Profanität, sondern im Einflussbereich des Satans (5,5).136 Denkt man diesen Gedanken weiter, so folgt daraus, dass sich der Übertritt von der unter dem Paradigma „Ungerechtigkeit“ stehenden Welt in 132
Vgl. ROSEN (2003), 140; SCHRAGE (1991), 408 nennt entsprechende jüdische Be-
lege. 133
Vgl. ROSEN (2003), 140f (dort weiteres Material). Vgl. ROSEN (2003), 141. 135 Dies zeigte sich schon in 1 Thess 4,7 (vgl. Kapitel 4, 3). 136 Die paulinische Argumentation berührt sich in diesem Punkt mit dem Denken der Gemeinschaft, die sich in den Texten von Qumran zu Wort meldet. Auch diese nahm die sie umgebende Welt ausschließlich unter den Paradigmen Unreinheit und Ungerechtigkeit wahr (vgl. Kapitel 2, 2.1.2 und 2.1.4). 134
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
diesen Tempel als Akt der Heiligung vollzieht, der zugleich von der Ungerechtigkeit befreit, also rechtfertigenden Charakter hat. Christen werden der profanen Sphäre enthoben und Gott übereignet – also geheiligt. Sie verlassen den Bereich, der durch „Ungerechtigkeit“ gekennzeichnet ist, und werden Gerechte. Der Prozess des Zu-Gott-Kommens kann kulttheologisch und zugleich rechtfertigungstheologisch entfaltet werden. Damit erklärt sich, warum Paulus Heiligkeits- bzw. Reinheitsterminologie parallel zur Gerechtigkeitsterminologie verwenden kann (vgl. 1 Thess 2,10; 1 Kor 1,30 und 6,11). Weil Heiligung den Menschen aus dem Bereich der Ungerechtigkeit in die Gegenwart Gottes versetzt, hat sie rechtfertigenden Charakter. Weil Rechtfertigung den Menschen auf die Seite des heiligen Gottes versetzt, hat sie zugleich heiligenden Charakter. Beide Begriffsfelder beschreiben das gleiche Geschehen. Das Aufkommen von Rechtshändeln in der Gemeinde lässt Paulus folgern, dass Gemeindeglieder selbst Unrecht tun (avlla. u`mei/j avdikei/te [6,8]). Mit dem Einbruch von Ungerechtigkeit in den durch Gerechtigkeit gekennzeichneten heiligen Raum wird die Integrität der Gemeinde als Tempel Gottes erneut gefährdet.137 Schon in 3,17 hatte Paulus – dort im Blick auf die Gemeindeleitung – ausgeführt, dass Gott den nicht ungestraft lässt, der das Heiligtum verletzt. Hier variiert er den Gerichtsgedanken, indem er auf die traditionell geprägte Rede vom Reich Gottes138 zurückgreift, das man nicht erben kann, wenn man ungerecht handelt bzw. die Verhaltensweisen des folgenden Lasterkatalogs (6,9f)139 an den Tag legt.140 Die heiligkeitstheologische Explikation christlicher Existenz, die in den bisher besprochenen Texten vorherrscht, legt den Akzent auf die gegenwärtige Präsenz Gottes in der Gemeinde: Christen sind schon jetzt Gottes Tempel, sie sind schon jetzt Heilige.141 Das eschatologische Moment tritt dahinter zurück. Diesen Zukunftsaspekt betont nun eindringlich die Vorstellung vom noch ausstehenden Erben des Reiches Gottes: Das, was in
137 Blickt man auf 6,1 zurück, wird deutlich, dass avdikei/n Kennzeichen für die Welt außerhalb der Gemeinde ist. In den Leges Sacrae ist avdike,w – wie wir sahen (vgl. oben S. 78) – das zentrale Verb für Vergehen, die die Integrität eines Heiligtums gefährden. 138 Vgl. LUZ (1992), 490. 139 HOSSFELD (2003), 84ff befragt die Lasterkataloge 5,10f und 6,9f auf ihren alttestamentlichen Hintergrund hin und kommt zu dem Ergebnis, dass ihre Reihenfolge und Akzentuierung sich priesterlicher Tradition verdanke. 140 Die Frage „Oder wisst ihr nicht“ könnte, wie schon bei 3,16 erwogen wurde, darauf schließen lassen, dass das, was Paulus hier sagt, den Korinthern schon bekannt ist (so z. B. SCHRAGE [1991], 429). 141 HORN (1992), 126 spricht zutreffend vom „effektiv gedachten Heilsstand“. Jürgen B ECKER (2006), 16 bezeichnet die Gemeinde, die den Geist Gottes in ihrer Mitte gegenwärtig weiß, als „endgültigen Vollendungsort göttlicher Gegenwart“.
6. Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels: 1 Kor 6,1ff
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der Gegenwart gilt, ist noch nicht alles – und gegenwärtiges Handeln hat Konsequenzen für die noch ausstehende Vollendung des Heils.142
Entsprechend dem bisher erarbeiteten paulinischen Verständnisses von heilig und nichtheilig, lässt sich das Verhältnis von ungerechtem Handeln und Zugehörigkeit zur Gemeinde nur als ein unumkehrbares zeitliches Nacheinander beschreiben: Die im Lasterkatalog 6,9f genannten Verhaltensweisen gehören der Vergangenheit an (kai. tau/ta, tinej h=te).143 Zwischen dieser vergangenen Zeit und der Gegenwart der Gemeinde liegt das reinigende, heiligende und rechtfertigende Handeln Gottes: „ihr seid abgewaschen, geheiligt, gerecht gesprochen worden“ (avlla. avpelou,sasqe( avlla. h`gia,sqhte( avlla. evdikaiw,qhte). Diese Zusammenstellung erinnert an 1,30 – nur dass hier das Begriffsfeld „Loskauf“ zugunsten eines weiteren Wortes aus dem Begriffsfeld „rein und unrein“ weggelassen wurde. Neben einem primär juristischen Begriff stehen nun zwei kultische, die die gleiche Sache beschreiben, nämlich wie ein Mensch aus dem Zustand der Gottferne zu Gott kommt.144 Das erste Glied in dieser Reihe avpolou,w „begegnet im Alten Testament und im Frühjudentum vor allem im Zusammenhang mit der (rituellen) Reinheit“,145 wo es die (Wieder-) Herstellung der Kultfähigkeit, also des Status, in dem Menschen sich der Sphäre Gottes nähern können, zum Ausdruck bringt (vgl. Ex 40,12; Lev 8,6; 11,40 u.ö.). Diese Vorstellungswelt wird nun nicht nur für den mit dem biblischen Sprachgebrauch vertrauten Hörer evoziert, sie klingt auch für Hörer mit paganem Hintergrund an. Die Leges Sacrae kennen die Vorschrift, dass man nur als Gewaschener das Heiligtum betreten dürfe. Ja, der Ausdruck „Gewaschener“ (Syll³ 1159) wird geradezu zum Synonym für den Besucher eines Heiligtums (vgl. Kapitel 3, 3.2). Für die korinthischen Adressaten dürfte somit deutlich gewesen sein, worum es Paulus hier geht:146 Wer 142
Vgl. dazu KONRADT (2003), 343f. Die in 6,9f genannten Laster liegen schwerpunktmäßig im Bereich der Sexualität und dem des materiellen Besitzes. Das entspricht den Konkretionen, die Paulus in 1 Thess 4,3ff dem Konzept der Heiligung gegeben hat (vgl. Kapitel 4, 3). 144 Dass Paulus sich als Zeitpunkt dieses Statuswechsels die Taufe vorstellt, dürfte als wahrscheinlich gelten (vgl. M ERKLEIN [2000], 65). An eine vorpaulinische Tradition denkt HORN (1992), 143. 145 MERKLEIN (2000), 64 146 Der Akt, bei dem sich die Waschung sinnfällig vollzogen haben wird, dürfte die Taufe sein. So mit der Mehrheit der Ausleger KONRADT (2003), 342. Dafür sprechen auch die Wendungen am Schluss des Verses „evn tw/| ovno,mati tou/ kuri,ou VIhsou/ Cristou/ kai. evn tw/| pneu,mati tou/ qeou/ h`mw/n“. Durch den in der Taufe verliehenen Geist Gottes werden die Christen Gott übereignet und sind nun in der Lage, ihr Leben entsprechend zu führen. Damit verbindet sich in der paulinischen Argumentation die Aufforderung, das auch zu tun. 143
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„abgewaschen“ ist, darf sich in der Gegenwart Gottes aufhalten bzw. lebt schon in ihr. Der zweite Begriff ist bereits aus 1,2 und vor allem 1,30 vertraut, wo auch das letzte Glied der Aufzählung schon eingeführt worden war. Paulus beschreibt hier nichts weniger als einen „Existenzwechsel“:147 Aus den ehemaligen Sündern sind nun solche geworden, die „die Existenz des Sünders mit der des Heiligen und Gerechten“ vertauscht haben.148 Dieser Tausch erscheint als ein (einmaliges) von Gott ins Werk gesetztes149 Geschehen, das die Betroffenen aus der Gottesferne herausreißt und in die Gegenwart Gottes versetzt (vgl. 3,16f). Einen Schritt hinaus in die Profanität, der für das kultische Denken der Antike an sich ganz unproblematisch wäre, gibt es für Paulus nicht. Er wäre ein Schritt zurück in die (alte) Existenz in der Gottesferne, der Unreinheit und Ungerechtigkeit. Für die Gemeinde der Geheiligten und Gerechtfertigten150 erwächst aus dieser Wesensbestimmung die Aufgabe, ihren heiligen Status zu bewahren. Sie soll das Heiligtum, das sie als Gemeinde darstellt, vor dem Einbruch des Nicht-Heiligen schützen. Zu einem solchen Einbruch käme es, wenn im Raum der Gemeinde nicht zur Gemeinde gehörende – und damit automatisch als a;dikoi qualifizierte – Richter und solche Menschen geduldet würden, die sich wie in 6,9 beschrieben verhalten.
7. Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels (pornei,a): 1 Kor 6,12ff 7. Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels: 1 Kor 6,12ff
Nachdem Paulus in 6,11 den Statuswechsel der Christen beschrieben hat, aus dem sich die Notwendigkeit ergibt, den heiligen Status der Gemeinde durch strikte Trennung des Heiligen vom Unheiligen aufrechtzuerhalten, lotet er nun sehr kurz die Freiräume aus, die sich in diesem Status ergeben, um danach sogleich wieder eine deutliche Grenzziehung vorzunehmen. Er greift zunächst eine möglicherweise korinthische Parole auf,151 „Alles ist
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MERKLEIN (2000), 66. MERKLEIN (2000), 66. 149 Vgl. STRACK (1994): „Die passivischen Formulierungen in 1 Kor 6,11 stellen heraus, dass Gott im Sühnetod Christi der ist, der heiligt und gerecht macht und den Menschen so in seinen Heiligkeitsbereich zieht und zur Heiligung verpflichtet“ (208f). Den Bezug zum Sühnetod trägt Strack in den Text ein. Abgesehen davon trifft seine Zusammenfassung den paulinischen Argumentationsduktus genau. 150 Vgl. dazu oben 1 Kor 1,30 (Abschnitt 2). 151 Sie begegnet auch bei paganen Autoren, die sie in unterschiedlichen Zusammenhängen bieten (vgl. Dion Chrys. 3,10 [der König, der über den Gesetzen steht]; Philost. Ap. 5,36 [die Machtfülle des Kaisers Vespasian]; Cass. Dio 68.1.3 u.ö.). 148
7. Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels: 1 Kor 6,12ff
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mir erlaubt“ (6,12), um sie sogleich einzuschränken.152 Diese Einschränkung betrifft nicht die in Korinth diskutierte Frage erlaubter und unerlaubter Speisen (6,13). In dieser Hinsicht sind die Glieder der Gemeinde völlig frei (erst Kapitel 8 wird auch hier Begrenzungen vornehmen). In Variation eines in Mk 7,18f aufbewahrten Motivs verweist Paulus die Frage nach erlaubten Speisen – modern gesprochen – ins Reich der Biologie: Die Speisen sind ebenso vergänglich wie auch der Bauch, der sie aufnimmt, und beides wird einmal von Gott vernichtet werden (6,13a).153 Die Freiheit, die sich aus diesem Gedankengang ergibt, ließe sich im Prinzip ohne weiteres auf den Bereich der Sexualität übertragen: Sexualität betrifft den (vergänglichen) Körper, also gilt auch hier: „Alles ist mir erlaubt“.154 Aus sozialgeschichtlicher Perspektive könnte sich die Plausibilität dieser Schlussfolgerung ganz unmittelbar erschließen.155 Fragt man nach dem sozialen Ort, an dem sich die Freiheit, alle Speisen zu essen, die einem angeboten werden, konkret auswirkt, so sieht man sich in die Welt antiker Gastmähler versetzt. Zu den Gepflogenheiten eines Gastmahles gehörten aber nicht nur das gemeinsame Essen und Trinken. Ein guter Gastgeber sorgte auch für „erotische Wellness beim Gastmahl“. 156 Freie Speisen und freie Liebe liegen in der antiken Lebenswirklichkeit aufs engste beieinander. Für die Gemeindeglieder, denen Paulus im Prinzip erlaubt hatte, alles zu essen, was die Tafel anbietet, dürfte es nahezu selbstverständlich gewesen sein, dass auch erotische Vergnügungen, die man im Rahmen eines Gastmahles erwarten konnte, ganz unproblematisch waren. Das könnte zumindest für finanziell besser gestellte Gemeindeglieder (vgl. 1 Kor 11,21f) ein sozialer Kontext gewesen sein, in dem sich die Frage nach den Dimensionen des Erlaubten stellte.
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Auch diese Einschränkung hat Parallelen in der philosophischen Tradition (Musonius, fr. 27; Epiktet, Diss 1.28,5). Die Bezüge von 6,12 zur stoischen Philosophie veranlassen KONRADT (2003), 304, die Eingangsparole „Alles ist mir erlaubt“ nicht den Korinthern, sondern eher Paulus selbst zuzuschreiben. Paulus biete sich seinen Adressaten als Beispiel an, an dem sie sich orientieren sollten (305). Gut vorstellbar wäre, dass die Korinther dieses Schlagwort ursprünglich im Zusammenhang mit der Freiheit von Speisevorschriften kannten und dann auch auf die Sexualethik angewendet hätten. 153 Vgl. VAHRENHORST (2002), 395. 154 Vgl. HORN (1992), 300. 155 Einen Zusammenhang zwischen Speise- und Sexualgeboten findet man auch in der jüdischen Tradition. Beide dienen dazu, die Heiligkeit des Volkes in der Unterscheidung von anderen Völkern zu garantieren (vgl. Lev 11,43f und Lev 18 im Heiligkeitsgesetz). Im Blick auf Ex 34,15–16 formuliert Hannah K. Harrington treffend: „food laws reinforce marriage laws and thus keep Israel’s bloodline holy“ (HARRINGTON [2001], 170). Korinthische Gemeindeglieder hätten also aus der Tatsache, dass Paulus Speisegebote für Heidenchristen nicht für verbindlich hält, den Schluss ziehen können, dass für die Sexualität das Gleiche gilt. 156 Eine gute Übersicht über die einschlägigen Sitten speziell in Rom bietet WEEBER (2004), 133 aus dessen Buch auch das Zitat (133) stammt. Seine Beobachtungen decken sich mit denen, die FOTOPOULOS in seiner Studie (2003), 158ff speziell im Blick auf Korinth gesammelt hat.
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Diese Konsequenz wehrt Paulus aber mit aller Deutlichkeit ab, indem er eine Unterscheidung einführt, die diesen Schluss unmöglich machen soll: Der Bauch (koili,a) ist etwas anderes als der Leib (sw/ma).157 Der Bauch kann rein biologisch als Ort und Instrument der Verdauung verstanden und als solcher natürlich als vergänglich angesehen werden. Mit dem Leib meint Paulus aber den Menschen, über den mehr zu sagen ist, als dass er einmal vernichtet werden wird. Wenn Paulus vom Leib spricht, dann nimmt er den Menschen „als kommunizierende Existenz“158 in den Blick.159 Das bedeutet, dass der Mensch als Leib nicht in einem neutralen Raum existiert, sondern immer in einer so oder anders gearteten Beziehung. Die Art der Beziehung aber entscheidet über das Wohl und Wehe des Menschen. Die Beziehung, die Paulus sich positiv vorstellt, ist die zu Christus (6,13). Sie garantiert die Teilhabe an der eschatologischen Auferstehung.160 Die Art dieser Verbindung mit Christus verdeutlicht Paulus im Folgenden durch das Bild von den Gliedern Christi. Es ist für diese Verbindung charakteristisch, dass sie ausschließlichen Charakter hat. Die Verbindung mit Christus lässt keine anderen Verbindungen zu. Eine solche andere Verbindung entsteht aber beim Verkehr (kollw,menoj) mit einer Prostituieren,161 wie Paulus aus Gen 2,24 folgert. Für die Verbindung mit der Prostituierten gilt prinzipiell das Gleiche wie für die Verbindung mit Christus: Sie ist offenbar für die Identität des Menschen bestimmend. Die Gemeinschaft mit Christus garantiert den Status der Heiligkeit und Gerechtigkeit. Der Verkehr mit der Prostituierten macht den Christen hingegen zum po,rnoj (vgl. 6,9). Damit verliert er sein „Erbe“, das Reich Gottes (ebd.) – kulttheologisch gesprochen gewährt er der Porneia Einlass ins Heiligtum.162 Diesen kulttheologischen Argumentationsfaden greift Paulus 157
Vgl. HÜBNER (1993), 146. MERKLEIN (2000), 73. 159 Vgl. DUNN (2003), 56. 160 Die Formulierung von Vers 14 wirft ein aufschlussreiches Licht auf das paulinische Verständnis des Leibes. Nach Vers 13 würde man erwarten, dass Paulus sagt: „er wird auch den Leib auferwecken...“. Paulus schreibt stattdessen aber „er wird auch uns auferwecken...“. Damit wird deutlich, dass der Leib den ganzen Menschen repräsentiert. Vgl. MERKLEIN (2000), 74. 161 Die paulinische Argumentation bezieht sich hier m. E. auf den Umgang mit Prostituierten, für deren Vorhandensein Korinth in der Antike berühmt war, wie die Existenz des Verbs korinqia,zomai belegt (LSJ s. v.). Vgl. auch FOTOPOULOS (2003), 171. HOGETERP (2006), 336 behauptet, dass Paulus hier jegliche illegitime Sexualpraxis also auch inzestuöse Verhältnisse wie in 5,1ff im Blick habe. Die paulinische Argumentation erstreckt sich sicher auch auf diese Fälle, doch spricht die Tatsache, dass Paulus ausdrücklich von der Vereinigung mit einer po,rnh spricht, eindeutig dafür, dass hier konkret Prostitution im Blick ist. 162 Man kann durchaus fragen, ob die Bestimmung von Sexualität, die Paulus hier vornimmt, nicht in letzter Konsequenz zu totaler sexueller Abstinenz zwingt. Wenn die 158
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in Vers 19 wieder auf, indem er den Leib als Tempel (nao,j) des heiligen Geistes bezeichnet. Hier begegnet die Tempelterminologie, die in 3,16 die ganze Gemeinde im Blick hatte, in individualisierter Gestalt. Damit kommt die paulinische Aussage in der Nähe zeitgenössischer Philosophie zu stehen,163 die die Seele oder die Vernunft als Gottheit, die im Leib des Einzelnen wohnt, bezeichnen kann (vgl. Seneca, epist. 31,11 [„deum in corpore humano hospitantem“]; 66,12 [„Ratio autem nihil aliud est quam in corpus humanum pars divini spiritus mersa“]). Vor dem Hintergrund dieser Texte ist es fraglich, ob Paulus „in bewusstem Gegensatz zu der hellenistischen Vorstellung und ihrer Nichtachtung des Leibes gerade diesen als Tempel bezeichnet hat“.164 Es ist aber in jedem Fall wichtig, darauf hinzuweisen, dass die individualisierte Tempelvorstellung, die Paulus hier verwendet, in keiner Weise zu der kollektiven in Spannung steht, die sich in 1 Kor 3,16 und 2 Kor 6,16 findet. Das Bild vom individuellen Leib als Tempel „ist in besonderer Weise auf die Gemeinde hin ausgerichtet. Denn um deren Heiligkeit geht es, wie auch die Einbettung der Paränese in den Kontext zeigt“.165 Auch wenn Paulus vom einzelnen Christen spricht, hat er die Heiligkeit der Gemeinde im Blick, denn sie steht und fällt nicht zuletzt mit dem Verhalten ihrer einzelnen Mitglieder.166
Ein Tempel ist nun – wie Leserinnen und Lesern jüdischer wie nichtjüdischer Provenienz ganz deutlich war – Eigentum des Gottes, der darin wohnt. Er ist menschlichem Besitzrecht entzogen und vor der Entweihung167 zu schützen168 – und so verhält es sich nach Paulus auch mit dem Leib der Christen (6,19):169 „Zugehörigkeit zu Gott schließt den ganzen Bindung an Christus derart exklusiv ist, dürfte ihr keine Bindung an die Seite treten können. Dieser Gedanke scheint Paulus in der Tat nicht so fern gelegen haben, wie seine Argumentation in 1 Kor 7 zeigt (vgl. Abschnitt 8). Anders MERKLEIN (2000), 76. 163 Vgl. KLAUCK (1983), 108. 164 So KLINZING (1971), 184. 165 STRACK (1994), 248. Vgl. auch H OGETERP (2006), 340f. 166 Vgl. MCKELVEY (1969), 102: „The conception of the body (sw/ma) of the individual Christian believers as the temple of God in this text is best explained as a particularization of the conception of the church as the temple“. 167 Für Juden und Heiden ist in gleicher Weise deutlich, dass zu den verunreinigenden Faktoren in ganz besonderer Weise die Sexualität gehört (vgl. Kapitel 2, 1.3.1; 3, 4.2.1). Vom Textbefund der Leges Sacrae her ist HOGETERPs Schlussfolgerung: „Paul’s application of the metaphor of God’s Temple to the body that is free from sexual immorality cannot be explained from this Graeco-Roman context” (2006), 343 deutlich zu relativieren. 168 Vor dem Hintergrund griechischer Leges Sacrae, die kultische Reinheit zur Eintrittsbedingung machen, dürfte Böttrichs Vermutung „Die Forderung besonderer Reinheit dürfte indessen vor allem mit dem jüdischen Tempelkonzept verbunden sein“ (B ÖTTRICH [1999], 419) in ihrer Pointiertheit zu weit gehen. Das gilt ebenfalls für HOGETERP (2006), 342. 169 Der folgende Vers führt das Motiv vom Loskauf ein, um noch einmal zu einem besonnenen Umgang mit dem Körper zu mahnen. Die antike Sklavenfreilassung konnte ebenfalls sakrale Funktion haben, wenn die Freilassung eines Sklaven in der Weise dokumentiert wurde, dass er nun nicht mehr Sklave seines Herrn, sondern eines bestimmten
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
Menschen sowohl in seiner Leiblichkeit als auch in allen seinen Beziehungen ein.“170 Vor diesem kultischen Hintergrund wird erneut deutlich, warum Porneia in den Augen des Paulus eine solche Gefahr für Christen darstellt: Sie gefährdet die Verbindung der Gemeindeglieder mit Gott, die dieser durch Christus heiligend geschaffen hat.
8. Die Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels durch die Ehe: 1 Kor 7,1ff 8. Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels: 1 Kor 7,1ff
Paulus eröffnet diesen Abschnitt mit der These „es ist gut für den Mann, keine Frau zu berühren“. 171 Diese These erklärt sich aus der vorangehenHeiligtums war. Vgl. dazu SCHIEMANN (1998), 653; GRAF (1998), 536f (dort weitere Literatur). Wegen der terminologischen Unterschiede ist aber umstritten, ob die Erinnerung an diese Praxis für das Verständnis des Loskaufmotivs im NT vorauszusetzen ist (vgl. dazu KRAUS [1991], 177ff). 170 B ÖTTRICH (1999), 420. Diese Auffassung vom menschlichen Leib deckt sich auffällig mit der der frühen Rabbinen, die den Leib als Teil des Selbst wahrgenommen haben (vgl. REGEV [2000], 191). 171 Dass es sich dabei um ein Zitat aus dem Kreis der Gemeinde in Korinth handelt, ist möglich (vgl. SCHRAGE [2003], 280f [dort neuere Literatur]) aber nicht zwingend, wie jüngst D. ZELLER (2005), 62f gezeigt hat (vgl. auch CARAGOUNIS [2006], 191). Auch MAY (2004) wendet sich mit guten Gründen gegen die These, dass hinter der Formulierung eine asketische Richtung der korinthischen Gemeinde stehe: Er arbeitet heraus (180ff), dass mit der Einstellung zur Ehe in der Antike auch eine Einstellung zur Gesellschaft verbunden war. Wer Ehelosigkeit propagiere, stelle sich gegen die Gesellschaft. Für eine solche Haltung finden sich im Brief tatsächlich kaum Indizien (eher im Gegenteil: Paulus muss zu Trennungen von der Umwelt mahnen: 1 Kor 5,9ff). Die Vielfalt der Rekonstruktionsversuche einer asketischen Haltung der Korinther (156ff) mahnt ebenfalls zur Skepsis gegenüber der These, Paulus zitiere hier korinthische Asketen. In jedem Fall reagiert Paulus auf eine Anfrage (oder besser: mehrere Anfragen [vgl. TOMSON (1990), 76; und TOMSON (1996), 465]) aus der Gemeinde und formuliert eine These, die seiner eigenen Meinung entspricht. Zumindest „ziehen sich die persönlichen Urteile zugunsten der Ehelosigkeit durch das Kapitel“ wie ein „cantus firmus“ (ZELLER [2005], 66). Hinsichtlich des kulturellen Hintergrundes dieses Zitates halte ich die Hinweise von R. E. OSTER, Jr. (1992), 58ff für besonders interessant. Aufgrund des archäologischen Befundes in Korinth, der auf eine deutliche Präsenz ägyptischer Kulte in Korinth schließen lässt, vermutet er, dass die Vorstellung sexueller Enthaltsamkeit in kultischen Zusammenhängen (vor allem) im Umfeld dieser Kulte beheimatet ist. Oster erwähnt, dass auch andere antike Kulte diese Vorstellung geteilt haben, und folgert: „We must remind ourselves that this sacral celibacy was a pattern of religious devotion to these devotees and not just one of their ‚acts of pagan idolatry’. As such, it is the type of religious behaviour that is transferred so easily from one religion to another. Accordingly, it would be extreme to imagine that Paul required or expected his pagan converts to strip themselves of all of their cultural patterns of religious devotion at the waters of
8. Gefährdung und Bewahrung der Heiligkeit des Tempels: 1 Kor 7,1ff
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den Argumentation für Griechen und Juden zunächst von selbst: Sowohl der Duktus der Argumentation in 6,16 als auch der in 6,19 lassen sich auf jede Form sexueller Beziehungen172 übertragen – auch auf die eheliche.173 Spätestens die Bezeichnung des Leibes als Tempel legt die in Vers 1 ausgesprochene These als Schlussfolgerung nahe: Das Heilige ist grundsätzlich vor jeglicher sexueller Befleckung zu schützen,174 deshalb wäre es für Menschen, die ständig im Bereich des Heiligen leben, angebracht, sich in sexueller Hinsicht völlig abstinent zu verhalten.175 Da sexuelle Abstinenz nach Paulus aber nun anfällig für Porneia in ihren unterschiedlichen Ausprägungen176 macht (7,5),177 empfiehlt der Apostel – sozusagen als kleineres Übel – die dauerhafte sexuelle Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau (vgl. 1 Thess 4,3ff).178 Nur zum Zweck des Gebets – einmütig179 beschlossen und zeitlich begrenzt – sollen
initiation.” (64). Seine Überlegungen haben gegenüber den traditionellen exegetischen Erklärungsmodellen „Libertinisten / Asketen” den Vorteil, dass sie nicht allein aus dem Text rekonstruiert sind, sondern auch Anhalt an der archäologisch bezeugten Realität in Korinth haben. 172 „The expression gunaiko.j mh. a[pesqai in such a context is naturally euphemistic, and has the sense of ‚not having sexual realations with a woman’“ (CARAGOUNIS [2006], 192). 173 In diese Richtung denken auch HARNISCH (1999), 459, MERZ (2000), 143 (die Beziehung zu Christus ist „a structural rival to marriage“), M AY (2004), 105f („In the context of denouncing pornei,a Paul gives rationales, which if taken more generally, would serve also to prohibit marriage“); 146; 213 und ZELLER (2005), 63, der zusätzlich in Erwägung zieht, dass das Beispiel des ehelos lebenden Paulus in Korinth entsprechend gewirkt haben könnte. Ergänzend ist zu sagen, dass gerade der Rekurs auf Gen 2,24 – einen Schriftvers, der in der Tradition auf die eheliche Gemeinschaft hin gelesen wird – in 6,16 diese Übertragung nahe legt. 174 Vgl. Kapitel 2, 1.3.1; 3, 4.2.1. 175 Zu sexueller Enthaltsamkeit während der Kultvollzüge ermahnen Texte wie LSCG 151,40ff und LSCG 156 B, 30. Zu der in manchen Kulten vom Kultpersonal verlangten generellen Keuschheit vgl. die Hinweise bei STENGEL (1920), 37 und FEHRLE (1910), 98ff; 155ff. 176 Dass an unterschiedliche Ausprägungen dieses „Kardinallasters“ zu denken sein dürfte, legt der von der äußeren Bezeugung her zu bevorzugende Plural nahe. Zur Sache vgl. die Besprechung von 1 Thess 4,3b (Kapitel 4, 3). 177 Paulus ergänzt noch die Versuchungen des Satans, die die menschliche avkrasi,a als Einfallstor benutzen könnten. „Zügellosigkeit“ ist ein Laster, dessen positives Gegenüber (vgl. 7,9) in der griechisch-hellenistischen Philosophie eine große Rolle spielt (vgl. GRUNDMANN [1935], 338–340). 178 SCHRAGE (1995), 61 betont, dass Paulus gerade nicht mono.n dia. ta.j pornei,aj sagt – andererseits führt er aber auch keinen anderen Grund, der für die Ehe spräche, an. Vgl. HARNISCH (1999), 460ff. 179 Dass Paulus hier nach der androzentrisch formulierten These in Vers 1 ausdrücklich die Perspektive von Männern und Frauen ohne das in der Antike übliche Herr-
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
bzw. können die beiden Partner auf den sexuellen Umgang miteinander verzichten (7,5). Dass Paulus sich hier ganz in den Bahnen kultischen Denkens bewegt,180 betonen mit Recht John C. Poirier und Joseph Francovic: „prayer is an encounter with the sacred and must be undertaken in a state of purity – and contact with semen renders both men and women impure“.181 Dieser Gedanke findet sich ausdrücklich in jüdischen Texten (z. B. TestNaph 8,8).182 Die genannten Autoren ergänzen: „The ritual logic of 1 Cor 7:5 would not have been at all strange in a general first century context“.183 Die Untersuchung der Leges Sacrae bestätigt diesen Hinweis.184 Interessant wäre die Frage, ob Paulus irgendwelche Reinigungszeremonien vor solchen Gebetszeiten empfohlen hat. Leider schweigen die Texte darüber. Es wäre denkbar, dass es bestimmte Fristen einzuhalten galt, oder auch, dass man sich rituell gewaschen hat. 185 Eigentlich ist es kaum denkbar, dass die Adressaten der paulinischen Briefe alle Reinigungsriten mit ihrer Konversion zum Christentum aufgegeben haben sollten. Dagegen spricht nicht zuletzt die weitere Entwicklung in der Alten Kirche.186
Auf dem Hintergrund der bisher gemachten Beobachtungen, die christliche Existenz ganz im Bereich des Heiligen angesiedelt sahen, überrascht das Motiv besonderer sexueller Enthaltsamkeit vor dem Gebet.187 Ein Hin und schaftsgefälle berücksichtigt, betont völlig zu Recht SCHRAGE (2003), 283f. Allgemein zur „paritätischen(n) Behandlung von Mann und Frau“ in 1 Kor 7 SCHRAGE (1995), 51. 180 Dies bestreitet vehement SCHRAGE (1995), 68 – mit einem kleinen Zugeständnis: „Man mag zwar an die jüdische Gepflogenheit erinnern, zu bestimmten Gebetszeiten auf den Geschlechtsverkehr zu verzichten…“. Dieser Verzicht ist jedenfalls kulttheologisch motiviert. 181 P OIRIER / FRANCOVIC (1996), 4f. 182 In der Mischna mKet 5,6 diskutiert man sexuelle Abstinenz zum Studium der Tora. 183 POIRIER / FRANCOVIC (1996), 6. Ob man Poirier und Francovic in ihrer Bestimmung des Charismas, von dem in Vers 7 die Rede ist, als Gabe der Prophetie folgen sollte, sei dahingestellt (vgl. SCHRAGE [2003], 286). 184 Vgl. Kapitel 3, 4.2.1. 185 Vgl. P OIRIER / FRANCOVIC (1996), 8f. 186 Die Hauptlinien der Entwicklung des Reinheitsdenkens und der damit verbundenen Praktiken zeichnet D. Wendebourg detailreich nach (vgl. WENDEBOURG [1985], 149ff). 187 Die Forschung diskutiert, ob es sich dabei um das Zugeständnis handelt, von dem in Vers 6 die Rede ist (vgl. den Überblick bei SCHRAGE [2003], 285ff). Unklar ist, worauf sich das tou/to vor suggnw,mh genau bezieht. Hat Paulus die Eheschließung überhaupt im Blick, die dann als Zugeständnis gewertet würde? Dafür spräche sicherlich der folgende Vers 7a: Paulus möchte eigentlich, dass alle so leben wie er, also ohne eine Sexualpartnerin. Als Zugeständnis könnte aber auch die „Erlaubnis“ sexueller Enthaltsamkeit zum Gebet gewertet werden, die im Kontext näher am einleitenden Demonstrativpronomen von Vers 6 steht. Vgl. dazu ROSNER (1994), 151. P OIRIER / FRANCOVIC (1996), 2 schlagen vor, dass nur die am Ende von Vers 5 genannte Beendigung der Trennung gemeint sei. Die Trennung zum Zweck des Gebets sei hingegen geboten (evpitagh,). Zu Letz-
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Her zwischen der profanen und der heiligen Sphäre hält Paulus sonst für ausgeschlossen (vgl. zu 6,1ff [Abschnitt 6]). Hier scheint er es nun doch vorauszusetzen bzw. folgt den Voraussetzungen (einiger) seiner Adressaten.188 Wollte man versuchen, beide Vorstellungen zu systematisieren, so könnte man vermuten, Paulus kenne abgestufte Grade von Reinheit bzw. Heiligkeit – eine allgemeine Stufe, die mit ehelicher Sexualität kompatibel ist, und eine besondere, die sexuelle Enthaltsamkeit fordert. Verschiedene Gruppen des antiken Judentums kannten ebenfalls abgestufte Grade von Reinheit bzw. Heiligkeit. Zwar galt die grundsätzliche Unterscheidung von rein und unrein durchgehend, doch gab es zwischen unrein und rein auch Zwischenstufen.189 Umgekehrt ist die Sitte, dass auch kultisch reine Personen sich vor dem Gebet besonderen Waschungen zu unterziehen hatten, sowohl im Land Israel als auch in der Diaspora bezeugt (vgl. Arist 305f; Sib 3,591ff).190 Auf solche Tradition könnte der Apostel zurückgegriffen haben.
terem finden sich parallele Entwicklungen in der Halacha (vgl. ALON [1977], 199). Nur bleibt zu fragen: Wenn Paulus in Vers 2 die eheliche Gemeinschaft erlaubt hat, die in Vers 5 sogar mit mh. avposterei/te bekräftigt wurde (die Trennung wird außerdem nur auf Zeit zugestanden!), sollte er dann in Vers 5 als eigentliches Ideal die fortgesetzte Enthaltsamkeit beider Partner vor Augen haben, der er dann die Rückkehr in die Gemeinschaft „nur“ als Zugeständnis gegenüberstellt (so ähnlich MERKLEIN [2000], 110)? M. E. hat die erste Deutung (Ehe als Zugeständnis) die größte Wahrscheinlichkeit für sich, weil sie sich bruchlos in den Argumentationsduktus der Verse 1–7 einfügt (so jetzt auch ZELLER [2005], 64f). Die zweite Deutung (Enthaltsamkeit als Zugeständnis), für die sich z. B. W. SCHRAGE (1995), 71f ausspricht, passt nicht so recht zur Fortsetzung der Argumentation in Vers 7: Ich gestehe euch Enthaltsamkeit zu – wünsche (aber!) dass alle so sind wie ich, nämlich enthaltsam. Vers 6 lässt sich somit am leichtesten wie folgt verstehen: Ehe ist keine Pflicht, sondern ein Zugeständnis (vgl. auch MERKLEIN [2000], 111). 188 Vgl. dazu MERKLEIN (2000), 103. 189 Dies zeigt sich z. B. bei der innerjüdischen Diskussion um den „Tevul Yom“: Das ist jemand, dessen Reinheit eigentlich erst durch Waschung und das Abwarten bis zum Sonnenuntergang wieder hergestellt wird. In rabbinischen Texten gibt es die Regelung, dass man auch schon direkt nach der Waschung für bestimmte Vollzüge wieder rein sein kann. Der Mensch ist noch nicht wieder völlig rein – er ist aber auch nicht mehr völlig unrein. In Qumran hat man gegen diese Neuerung polemisiert (mPar 3,7f vs. 4Q394 fr. 3 I,17–19). Vgl. dazu STEMBERGER (1991), 74f. Trotzdem kannte man aber wohl auch in Qumran abgestufte Reinheitsgrade. Darauf deutet die Wendung „rtwy rwhj“ (4Q 274 fr. 3 2,4) oder die Regelung, dass man den Inhalt verschlossener Gefäße aus dem Haus eines Toten grundsätzlich zwar essen darf, dass es aber Menschen gibt – rwhj Xya genannt –, die das nicht tun (11QT 49,8). Vgl. dazu B AUMGARTEN (1999), 108 und HARRINGTON (2004), 75. Hinsichtlich der sexuell abstinenten Lebenspraxis des Apostels ergibt sich eine Berührung mit dem rabbinischen Grundsatz, dass man im Blick auf sich selbst halachisch erschwerend und im Blick auf andere erleichternd entscheiden soll (mBes 2,6; mEd 3,10; bBer 22a u.ö.). So handhabt es Paulus in Fragen der Ehe offenbar auch. 190 Weiteres bei REGEV (2000), 178ff.
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
In jedem Fall lässt Paulus den Gedanken der allgemeinen Heiligkeit und des besonderen Status anlässlich besonderer Gebetsperioden unverbunden nebeneinander stehen und verzichtet auf eine explizite Systematisierung. Seine eigene Präferenz191 ist in jedem Fall deutlich – und angesichts seines kultischen Verständnisses christlicher Existenz nur konsequent: Er wünscht, alle Menschen wären so wie er, und das kann wohl nichts anderes bedeuten, als dass sie so wie er nicht in einer sexuellen Beziehung leben.192 Paulus begründet seine Präferenz hier mit keinem Wort.193 Seine Leserinnen und Leser werden daher kaum anders gekonnt haben, als die Ausführungen aus 6,16f und 6,19 als Begründung mitzuhören: Sexualität kann prinzipiell in Spannung zur Gemeinschaft mit dem Herrn (6,15f) stehen, sie verträgt sich auch nicht mit der Existenz als leiblicher Tempel Gottes, in dem dieser durch den heiligen Geist wohnt. Die in der Forschung gerne herangezogene Denkfigur vom Konflikt zwischen eschatologischer Naherwartung und der Beziehung zu einem Ehegatten findet sich erst etliche Verse später (ab 7,25), sollte also hier noch nicht als Begründung vorausgesetzt werden.194
9. Die heiligende Dimension der Ehe: 1 Kor 7,14ff 9. Die heiligende Dimension der Ehe: 1 Kor 7,14ff
Nachdem Paulus den ersten Argumentationsgang dieses Kapitels in den Versen 8–11 auf Unverheiratete und Witwen und die Frage der Ehescheidung zugespitzt hat, kommt er ab Vers 12 auf das Problem solcher Ehen zu
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Selbst wenn die in Vers 1 zu lesende These aus dem Kreis der Gemeinde in Korinth stammen sollte gilt der Hinweis H ARNISCHs (1999), 457: „Paulus selbst will bei der Maxime von 7,1b behaftet sein“. CARAGOUNIS (2006), 191 betont: „kalo.n avnqrw,pw| ktl. sets forth Paul’s own position“. 192 Vers 7 ergibt nur dann einen Sinn, wenn die Korinther wissen, in welchen familiären Beziehungen Paulus lebt. Teile der altkirchlichen Ausleger haben Phil 4,3 dahingehend erklärt, dass Paulus zwar verheiratet war, aber um seines Dienstes willen nicht mit seiner Frau zusammen lebte (vgl. Clemens von Alexandrien, Stromateis III, 53,1; Origenes, Kommentar zu Röm 1,1). Auch 1 Kor 9,5 ließe sich als Indiz dafür lesen, dass Paulus verheiratet war. Zwingend ist das nicht, da Paulus nur von einem prinzipiellen Recht spricht (gemeint ist die Versorgung der Ehefrau), nicht von einem, das er aktuell in Anspruch nähme (überhaupt verzichtet er ja nach 1 Kor 9 auf die Rechte, die ihm als Apostel eigentlich zustünden). Selbst wenn man nicht mit der Mehrheit der gegenwärtigen Exegese davon ausgehen wollte, dass Paulus in der Tat unverheiratet war (auch für Phil 4,3 bieten sich andere Deutungen an [vgl. B OCKMUEHL (1998), 238]), so muss man zumindest zugestehen, dass Paulus aktuell in keiner ehelichen Beziehung gelebt hat. Analogien dafür sind bekannt (vgl. z. B. bShab 87a u.a.). 193 Vgl. LINDEMANN (2000), 161. 194 Vgl. dazu HARNISCH (1999), 457, Anm. 2.
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sprechen, in denen nur ein Partner zur christlichen Gemeinde gehört.195 Wäre es nicht besser, solche Ehen zu scheiden, damit nicht „der christliche (heilige) Ehepartner [...] durch den heidnischen in seiner Heiligkeit beeinträchtigt“196 wird? Paulus verneint diese Frage, wobei er sich anders als in „normalen“ Scheidungsfragen nicht auf ein Herrenwort berufen kann (vgl. 7,10f). Die Begründung, die Paulus für seine Entscheidung gibt, ist wiederum ganz in der Welt des Kultes zu Hause: Der ungläubige (und dadurch nicht zu Gott gehörende) Ehepartner wird durch die Gemeinschaft mit dem gläubigen „geheiligt“ (h`gi,astai) (und damit Gott übereignet).197 Wäre dem nicht so, dann wären die Kinder, die aus dieser Verbindung hervorgehen, unrein (7,14). An dieser Denkfigur wird deutlich, dass sich die Begriffsfelder heilig und rein im paulinischen Sprachgebrauch überlappen. Der Gegensatz zu heilig ist nicht profan, sondern unrein. Außerdem darf man annehmen, dass man in der korinthischen Gemeinde offenbar nicht daran gezweifelt hat, dass die Kinder, die einer Mischehe198 entstammen, zu Gott gehören, sonst könnte dieser Gedanke kein Argument sein, mit dem Paulus seine These begründen könnte. 195 „Mischehen werden in den frühchristlichen Gemeinden nicht selten gewesen sein, da die Bekehrung zum Christentum nicht immer von beiden Ehepartnern vollzogen wurde“ (MERKLEIN [2000], 118). 196 MERKLEIN (2000), 118. Im Judentum – besonders im Gefolge der Reformen Esras – sind Mischehen zwischen Juden und Nichtjuden immer wieder problematisiert worden (vgl. Kapitel 2, 2.2). Sie konnten als Form der Unzucht gelten, „a sin that generates a moral impurity that defiles the holy seed of Israel and indeed the entire house of Israel“ (HAYES [1999], 21). Ohne einen direkten Zusammenhang zwischen der korinthischen Fragestellung und der innerjüdischen Diskussion behaupten zu wollen, scheint hier doch ein analoges Problem vorgelegen zu haben, das zu analogen Schlussfolgerungen Anlass gab. 197 Formal kann man die paulinische Ausdrucksweise hier mit dem Sprachgebrauch der Rabbinen vergleichen, die Xdq (pi.) als Terminus technicus für heiraten verwenden (vgl. GILLIHAN [2002], 717ff [vgl. dazu den Exkurs unter Abschnitt 10]). Die Frage, welchen Status Nachkommen, die aus einer „problematischen“ Ehe hervorgehen, haben, wurde vor und nach Paulus breit diskutiert. Die generelle Tendenz ist dabei die, dass Nachkommen gesetzeswidriger Verbindungen unrein sind, und das Land bzw. den Tempel verunreinigen (vgl. GILLIHAN [2002], 719ff). Paulus nimmt an dieser Diskussion in der Weise Teil, dass er auf die Befürchtung, Ehen zwischen Christen und Nichtchristen könnten dazu führen, das Heiligtum (=die Gemeinde) zu verunreinigen (zur Unreinheit von Ungläubigen vgl. 2 Kor 6,14ff [Kapitel 6, 4]), reagiert, und darauf verweist, dass der Status der Kinder gerade nicht für problematisch gehalten wird. Also spricht auch nichts gegen eine solche Verbindung. 198 Was Paulus hier konkret im Blick hat (getaufte oder ungetaufte Kinder, Kinder aus Mischehen oder rein christlichen Ehen), wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Einen knappen Überblick bietet MERKLEIN (2000), 121. Es ist – jenseits der Alternative „getauft / ungetauft“ wahrscheinlich, dass Paulus einfach nur im Blick hat, dass Kinder in der Gemeinde – also im Bereich des Heiligen – präsent waren. Das konnten sie nur, wenn man sie nicht als „unrein“ ansah (vgl. G ILLIHAN [2002], 715).
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
Zunächst fällt auf, dass Paulus das Verhältnis von Heiligkeit und Ehe offenbar nicht nur so bestimmen kann, dass sexuelle Gemeinschaft Heiligkeit gefährdet und darum nur als Zugeständnis in Frage kommt (7,1ff). Ehe und Heiligung können auch positiv zusammengehen (vgl. schon 1 Thess 4,4).199 In kultischer Logik ist dies durchaus eine Denkmöglichkeit: Der Kontakt mit dem Heiligen kann nicht nur zu dessen Profanierung führen,200 sondern seinerseits heilig machen.201 Die Antike kennt nicht nur ein ausgrenzendes Verständnis von Heiligkeit, nach dem Heiligkeit zu schützen ist, sondern auch ein ausgreifendes, demzufolge Heiligkeit sozusagen ansteckend ist.202 Beide Aspekte liegen bei Paulus auch in solchen Kontexten vor, in denen er dazu ermahnt, den heiligen Bereich heilig zu halten, denn heilig ist die Gemeinde nur, weil sie von Gottes ausgreifender Heiligkeit durch die Gabe des Geistes geheiligt ist (vgl. zu 1 Thess 4,3ff [Kapitel 4, 3]). Wenn man diesen Aspekt der Heiligkeit betont, kann man verstehen, wieso die Heiligkeit des durch Christus geheiligten Partners (vgl. 1,2) auf den nichtchristlichen Partner und zugleich auch auf deren Kinder übertragen werden kann. Trotzdem fällt auf, dass Paulus das Wortfeld Heiligkeit hier in einer Weise gebraucht, die zu der sonstigen Verwendung im Corpus Paulinum in Kontrast steht.203 Heiligkeit ist ansonsten durch die Zugehörigkeit zu Christus definiert. Heilig ist geradezu ein Synonym für gläubig. Hier ist es nun gerade ein ungläubiger Mensch, einer, der nicht zu Christus gehört, der geheiligt wird. Paulus führt nicht aus, warum er hier so von ungläubigen Menschen sprechen kann.204 Von 6,14ff her könnte man analog folgern, dass die sexuelle Beziehung eine leibliche Verbindung schafft, die 199
SCHRAGE (1995), 104 bemerkt, dass Paulus „im Gegensatz zu einer Bunker- und Abwehrmentalität“ auf die heiligende Macht des Christus vertraut. Das fällt in der Tat auf, weil Paulus in 1 Kor 5f genau umgekehrt argumentiert. 200 Diesen Aspekt hatte Paulus bisher ins Zentrum seiner Ausführungen gerückt (vgl. oben zu 3,16; 5,1ff; 6,1ff). 201 So z. B. Ex 29,37; Lev 6,11.20 (vgl. V AHRENHORST [2002], 362). 202 K. Berger und M.J. Borg halten dieses Verständnis von Heiligkeit für ein Charakteristikum des irdischen Jesus: „No longer was holiness understood to need protection, rather, it was seen as an active force which overcame uncleanness“ (B ORG [1984], 136). Vgl. auch BERGER (1995), 167 und J. B ECKER (2006), 17. Diese Annahme vermag in der Tat Jesu Mahlpraxis und seinen Umgang mit moralisch fragwürdigen Personen zu erklären. 203 Vgl. MAY (2004), 225, der weitere Literatur nennt. 204 May sieht dies durch den Wunsch motiviert, Ehen nach Möglichkeit zu erhalten. Um dies zu erreichen „klassifiziere“ er den ungläubigen Partner um – entgegen seiner eigenen Logik (MAY [2004], 230). Paulus sei hier (und ebenso auch in 1 Kor 7,34) in gewisser Weise inkonsequent (so deutlich auf Seite 252). So weit muss man m. E. nicht gehen. Das kulttheologische Denken stellt sehr differenzierte Möglichkeiten bereit, Heiligung zu verstehen.
10. Heiligkeit an Leib und Seele durch Ehelosigkeit: 1 Kor 7,25ff
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ihrerseits Christusgemeinschaft vermittelt.205 Paulus äußert diesen Gedanken nicht. Das entspricht seiner vorsichtig offenen Formulierung in Vers 16:206 „Denn was weißt du, Frau, ob du den Mann retten wirst? Oder was weißt du, Mann, ob du die Frau retten wirst?“207 Die Heiligung, von der in Vers 14 die Rede ist, scheint noch nicht die rettende Christusgemeinschaft bzw. Zugehörigkeit zu Gott zu garantieren.208 Rettung ist eine realistische Möglichkeit, aber sie ist noch keine Realität.209
10. Heiligkeit an Leib und Seele durch Ehelosigkeit:1 Kor 7,25ff 10. Heiligkeit an Leib und Seele durch Ehelosigkeit: 1 Kor 7,25ff
Die Diskussion der Frage, ob Menschen, die Christen geworden sind, sich von ihren nichtchristlichen Ehegatten trennen sollen, veranlasst Paulus zu grundsätzlichen Ausführungen, die darauf zielen, dass jeder in dem Stand bleiben soll, „den ihm der Herr zugeteilt – wie Gott ihn berufen hat“ (7,17–24). Dieser Grundsatz (in Vers 24 leicht variiert aufgegriffen) lässt sich auch auf die Frage von Ehe oder Ehelosigkeit anwenden (7,25ff). Paulus wiederholt im Blick auf sexuell enthaltsame junge Frauen210 die These aus 7,1 (kalo.n avnqrw,pw| to. ou[twj ei=nai). Die Begründung, die er hier gibt, ist aber eine gänzlich andere, als die, die oben vorauszusetzen war: „wegen 205 Dieser Gedanke wird in 1 Kor 6,14ff allerdings gerade ausgeschlossen: Die Prostituierte wird nicht geheiligt – der Kontakt mit ihr trennt von Christus. 206 Zu optimistischen bzw. pessimistischen Auslegungstendenzen vgl. S CHRAGE (2003), 289. 207 Hier erscheinen Menschen als Retter – damit wird eine Aussage, die sonst von Christus gemacht wird (Röm 5,9), auf Menschen übertragen (vgl. 1 Kor 4,13; 9,22). 208 Nach MERKLEIN (2000), 120 ist sie insofern dinglich zu verstehen, als die Lebensgemeinschaft zwischen christlichen und nichtchristlichen Partnern nur möglich ist, wenn letzterer auf manche heidnische Gewohnheit zu verzichten bereit ist (vgl. allein die Möglichkeit der Tischgemeinschaft mit „Götzendienern“ [d. h. Nichtchristen] in 1 Kor 5,11; 10,20f). 209 Paulus kann den ansonsten soteriologisch eindeutig qualifizierten Begriff der Heiligkeit bzw. Heiligung also auch in einem Sinne gebrauchen, in dem er „nur“ als Vorstufe zur eigentlichen Rettung erscheint. Vgl. SCHRAGE (1995), 106 und GILLIHAN (2002), 716. 210 Gegen die Deutung dieser Wendung auf Verlobte spricht, dass es sich hierbei nicht um einen der gängigen Termini handelt (Weiteres nennt ZELLER [2005], 67f). Zum Ganzen SCHRAGE (1995), 152. Paulus könnte – so ZELLER (2005), 70 – sich wohl eher an den „Vorstellungen vom sakralen Wert jungfräulicher Unversehrtheit“ orientieren. Auffällig ist aber, dass Paulus zwar von Jungfrauen spricht – aber immer wieder auch Männer in den Blick nimmt (vgl. ZELLER [2005], 67 und W OLFF [2000], 155). Das entspricht der paritätischen Tendenz von 7,1ff.
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
der bevorstehenden Not“ (7,26). In Vers 27 beschreibt Paulus diese Not (avna,gkh) mit dem Begriff qli,yij, einem der Standardtermini für die Bedrängnisse der Endzeit (Mt 24,21.29).211 In die gleiche Richtung weist seine „Zeitansage“ in den Versen 29 und 31: „die Zeit ist zusammengedrängt“, „die Gestalt dieser Welt vergeht“. Die unmittelbar bevorstehende212 Endzeit mit ihren unvermeidlichen Leiden213 ist besser zu ertragen, wenn man ungebunden ist, scheint Paulus in 7,28b sagen zu wollen. Um seinen Adressaten diese Leiden erträglicher zu machen, empfiehlt er die Ehelosigkeit als günstigsten Lebensumstand in der Endzeit. Angesichts der Kürze der Zeit und des Vergehens dieser Weltgestalt legt Paulus seinen Leserinnen und Lesern ganz allgemein die Haltung des w`j mh, (als ob nicht) nahe. Allen wie auch immer gearteten Gegebenheiten und Befindlichkeiten (z. B. Ehe, Trauer, Freude, Besitz…) gegenüber sollen sich die Christinnen und Christen so verhalten, als gäbe es sie nicht. Ihre Existenz soll von all dem unbelastet sein. Vers 32 greift diese Gedanken auf, indem Paulus seinem Wunsch Ausdruck verleiht, seine Adressaten sollen ohne Sorge sein (vgl. Phil 4,6; Mt 6,25). Dieser Wunsch lässt sich einerseits als „Lebensmotto“ angesichts der bevorstehenden Endzeit lesen und damit als Zusammenfassung der Verse 25–31. Zugleich leitet Paulus aber zu einer neuen – christologischen – Akzentuierung seiner Argumentation214 für den prinzipiellen Vorzug der Ehelosigkeit über. Wer unverheiratet ist, kann sich uneingeschränkt darum sorgen, „dem Herrn zu gefallen“ (7,32), anders als derjenige, der verheiratet ist, und sich auch noch darum sorgt, „der Frau zu gefallen“. Paulus folgert lakonisch: „und er (der Verheiratete) ist zerteilt“.215 Ungeteilte Sorge um / für den Herrn ist das Idealbild, das Paulus vor Augen hat. Diesem können die Unverheirateten am besten entsprechen.216 211 Bei Paulus liegt der Ton aber auch sehr deutlich auf konkret sozial erfahrbaren Bedrängnissen, die sich in der Gesellschaft aus dem Christsein der Christen ergeben (1 Thess 3,3; 2 Kor 1,8; Röm 5,3; 12,12; Phil 4,14). 212 Die Spannung von bevorstehend und schon gegenwärtig ist im Partizip evnestw/san (7,26) enthalten, das sowohl „gegenwärtig“ als auch „bevorstehend“ bedeutet (vgl. MERKLEIN [2000], 138). 213 Vgl. zu diesem traditionellen Topos die synoptischen Apokalypsen Mk 13 parr. und andere jüdische Texte (äthHen 103,9ff; Jub 23,11ff; syrBar 10,13ff). 214 HARNISCH (1999), 467 interpretiert die eschatologische Passage im Lichte der folgenden christologischen. Dies ist m. E. nicht zwingend. Paulus gibt insgesamt drei Begründungen für den prinzipiellen Vorzug der Ehelosigkeit, die je für sich seine These zu stützen vermögen. Es ist m. E. nicht nötig diese Pluralität auf einen Nenner zu reduzieren. Vgl. NIEDERWIMMER (1998), 64f und jetzt ZELLER (2005), 70, Anm. 52. 215 Zugrunde liegt ein Wortspiel merimna,w (sorgen) – meri,zw (teilen). 216 Dass Paulus hier auch Männer im Blick hat, lässt sich daraus folgern, dass er in diesem Abschnitt zum einen allgemein vom Menschen spricht (avnqrw,pw| [V. 26]), zum anderen auch in den V. 32f von Männern gesprochen hat. Hier spricht er parallel dazu
10. Heiligkeit an Leib und Seele durch Ehelosigkeit: 1 Kor 7,25ff
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Paulus ergänzt nun aber noch einen Satz, mit dem er einen entscheidenden Schritt weiter geht, und den Bogen zur kulttheologischen Argumentation vom Anfang des Kapitels zurück schlägt: „damit sie (die Frau)217 sowohl am Leib als auch am Geist heilig sei“ (i[na h=| a`gi,a kai. tw/| sw,mati kai. tw/| pneu,mati). Unverheiratetsein lässt nicht nur die Leiden der Endzeit leichter ertragen, lässt nicht nur ungeteilte Sorge für den Herrn zu, sondern auch eine Lebensführung, die Heiligkeit realisiert. Der Finalsatz weist dies geradezu als Ziel und Zweck des sich um die Angelegenheiten des Herrn (ta. tou/ kuri,ou) Kümmerns aus, von dem ab Vers 32 die Rede war: „damit sie heilig sei“ – also ihre Zugehörigkeit zu Gott lebt. Heiligkeit in körperlicher und geistiger Hinsicht ist ein Zustand, der in der paganen Religiosität in einigen Inschriften wie auch im philosophischen Diskurs von Menschen gefordert wird, die einen Tempelbezirk betreten wollen (vgl. Kapitel 3, 4.1). Was den Körper betrifft, erreicht man diesen Zustand, in dem man sich von unterschiedlichen verunreinigenden Faktoren fernhält bzw. reinigt. Ganz zentral ist dabei der Bereich der Sexualität. Geistige Reinheit / Heiligkeit ist ein weitaus unschärferes Konzept. Auch in der jüdischen Welt hat diese Erweiterung des Reinheitsdenkens auf den Bereich des Geistes ihre Spuren hinterlassen (vgl. schon Ps 24,4; 73,13 [Kapitel 2, 1.3.2]). Für Leserinnen und Leser mit jüdischem und nichtjüdischem Hintergrund ist klar: Wenn der Mensch sich im Zustand körperlicher und geistiger Reinheit befindet, ist er in der Lage, im Kontakt mit dem heiligen Gott zu stehen. Paulus stellt für die christliche Existenz hier die gleichen Regeln auf: Die Menschen, die durch Christus geheiligt sind (1,2), die in ihrer Gemeinschaft Gottes Tempel sind (3,16), deren Leib ebenfalls als Tempel beschrieben werden kann, in dem Gott durch seinen Geist gegenwärtig ist (6,19), sollen an Leib und Geist heilig sein. Paulus bewegt sich ganz in den Bahnen des kultischen Denkens der Antike, wenn er diese Heiligkeit hier mit sexueller Enthaltsamkeit verbindet. Es zeigt sich wieder ein zweistufiges Verständnis von Heiligkeit, denn die Forderung, die von Gott gesetzte Heiligkeit im Leben zu realisieren, gilt grundsätzlich für alle Christen
von Frauen, die Aussage ist somit die gleiche (vgl. MERKLEIN [2000], 147). Vgl. zum Ganzen den Überblick bei SCHRAGE (2003), 292ff. 217 Vergleicht man die Verse 32–34 miteinander, so fällt auf, dass Paulus in 32f aus männlicher und in 34 aus weiblicher Perspektive spricht. Beide Sätze sind parallel gebaut – abgesehen von dem Zusatz i[na h=| a`gi,a kai. tw/| sw,mati kai. tw/| pneu,mati. Dieser im Blick auf Frauen formulierte Zusatz könnte nun ausführen, was selbstverständlich auch im Blick auf den Mann gilt. Es könnte auch sein, dass es in der korinthischen Gemeinde in besonderer Weise Frauen waren, die sexuell abstinent lebten, um in besonderer Weise heilig zu sein, so dass Paulus hier deren „Motto“ aufgriffe. Sachlich zwingt nichts dazu, den Gehalt dieses Satzes nur auf Frauen zuzuspitzen.
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
(und lässt sich nach 1 Thess 4,4 ja auch gerade in der Ehe verwirklichen) – anders als das Ideal völliger sexueller Enthaltsamkeit, die ja ein besonderes Charisma darstellt.
Die heiligkeitstheologische Begründung des Vorzugs der Ehelosigkeit, die diesem Kapitel seinen Rahmen gibt, muss bei den Leserinnen und Lesern den Gedanken wachgerufen haben, dass Eheschließung einen Bruch des Sexualtabus darstellt, mit dem die Heiligkeit der Christen und der Gemeinde – also ihre Zugehörigkeit zu Gott – gefährdet wird. Nach allem, was Paulus in den Kapiteln 5 und 6 ausgeführt hat, wäre das Sünde (vgl. 1 Kor 6,18). Dieser Vermutung tritt Paulus nun wiederholt entgegen: „Wenn du aber doch heiratest, sündigst du nicht“ (7,28.36).218 Paulus kann sogar sagen: „Wer seine eigene Jungfrau219 heiratet, handelt gut (kalw/j poiei/)“ – aber er muss doch ergänzen: „wer nicht heiratet, handelt besser (krei/sson poih,sei)“ (7,38 [vgl. auch 7,40 „seliger“ (makariwte,ra)]). Der Gesamtduktus dieses Kapitels ist damit deutlich: Paulus präferiert ganz eindeutig die Ehelosigkeit und kann dafür unterschiedliche Gründe anführen, von denen der heiligkeitstheologische mit Sicherheit nicht der geringste ist. Sexuelle Abstinenz entspricht dem heiligen Status der Christen, weil Sexualität und Heiligkeit sich in kultischer Logik ausschließen. Bevor die Ehelosigkeit aber zu einem größeren Übel (pornei,a) führt, sollte man sich lieber an einen Partner binden, auch wenn das im Hier und Jetzt (7,34) und in der anstehenden Endzeit (7,28) Nachteile mit sich bringt. Wer so handelt, darf sich sicher sein, dass er trotz allem nicht sündigt. Für einmal geschlossene Ehen gilt das Wort Jesu, dass man sich im Prinzip nicht voneinander scheiden soll. Paulus spricht sich auch dafür aus, Mischehen, wenn es irgend geht, bestehen zu lassen – mit dem überraschenden Akzent, dass Sexualität und Heiligkeit sich auch positiv beeinflussen können.
218 Paulus betont weiterhin, dass er mit seinen Ausführungen nicht beabsichtige, seine Adressaten zu belasten, er will ihnen vielmehr zu einem ungestörten / kontinuierlichen „ehrbar und beharrlich beim Herrn Bleiben“ verhelfen (7,35). Die Ehe würde demgegenüber eine Ablenkung darstellen. Damit kommt Paulus auf den in Vers 34 geäußerten Gedanken zurück, dass verheiratete Christinnen und Christen eben „gespaltene Persönlichkeiten“ seien, deren Sorge auf zwei Ziele gerichtet ist. Vor dem kulttheologischen Hintergrund des vorangegangenen Verses könnte man Vers 35 auch als Beschreibung eines sich kontinuierlich im Bereich des Heiligen Aufhaltens lesen. Insgesamt erinnert die Formulierung an eine durchaus kultisch konnotierte Passage bei Diodorus Siculus (40,3.7): Mose habe den Priestern größere Erbteile zuerkannt, „damit sie kontinuierlich / ungestört die (Ehren)dienste für Gott vollziehen“ (avperi,spastoi [...] prosedreu,wsi tai/j tou/ qeou/ timai/j). Vgl. auch Josephus, Ap 1,30. 219 In den Versen 39 und 40 führt Paulus das im Blick auf die Witwen aus.
10. Heiligkeit an Leib und Seele durch Ehelosigkeit: 1 Kor 7,25ff
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Exkurs: Ehe und Heiligkeit Die paulinischen Aussagen zur Ehe in 1 Kor 7 lassen diese als bloßes Zugeständnis an die menschliche Schwäche erscheinen. Paulus bevorzugt ganz eindeutig die Ehelosigkeit: Es ist nicht nur gut sondern sogar besser, unverheiratet zu bleiben (7,7f.38). Weil der Zustand der Ehelosigkeit aber nun für unterschiedliche Formen von pornei,a anfällig macht (7,2) – ebenso wie die dauerhafte sexuelle Enthaltsamkeit in der Ehe220 –, sollen Männer und Frauen in einer ehelichen Gemeinschaft leben, denn „es ist besser zu heiraten als (vor Begierde) zu brennen“ (7,9).221 Wir sahen, dass die paulinische Bevorzugung der Ehelosigkeit zweifach begründet ist. Eine Begründung liegt auf der Ebene kultischer Logik, die – so die These dieser Arbeit – für paulinisches Denken gerade im 1 Kor ganz zentral ist, eine andere berücksichtigt die Kürze der Zeit. Bleibt Paulus mit seinem „Zugeständnis“ da nicht hinter seinen eigenen Voraussetzungen zurück? Wieder ist es der Blick auf die heiligkeitstheologische Argumentationsstruktur, der hier weiterhilft. Sexuelle Gemeinschaft kann die Heiligkeit der Christen (ihre Zugehörigkeit zu Christus) nicht nur gefährden,222 sie kann auch zur Verbreitung von Heiligkeit beitragen. Nach 1 Kor 7,14 heiligt der gläubige Ehepartner den ungläubigen (h`gi,astai ga.r o` avnh.r o` a;pistoj evn th/| gunaiki. kai. h`gi,astai h` gunh. h` a;pistoj evn tw/| avdelfw/| ). Dass Sexualität und Heiligkeit eine positive Allianz eingehen können, sahen wir schon in 1 Thess 4: Heiligkeit soll das Miteinander in der Ehe auch in der Sexualität bestimmen. Hier geht Paulus noch einen Schritt weiter und führt aus, dass der eheliche Umgang mit einem zu Christus gehörenden Menschen den Partner, der nicht zu Christus gehört, heiligt – also in den Herrschaftsbereich Gottes überführt. Paulus thematisiert diesen Gedanken nur im Zusammenhang mit der Frage, ob gemischtreligiöse Ehen besser aufgelöst werden sollten, oder nicht. Der Seitenblick auf den 220 Nach 7,5 ist es wieder der Satan, der die Integrität der Gemeindeglieder bedroht. Vgl. dazu X.2.1.3. 221 Man muss es nicht extra erwähnen, dass dieser Zug paulinischen Denkens für theologisches Denken in der Gegenwart ausgesprochen sperrig ist. Diese Sperrigkeit könnte fast vergessen lassen, dass Paulus im Vergleich mit anderen sexualethischen Positionen in der Antike wieder sehr „modern“ argumentiert (vgl. zum Ganzen WINKLER [1997]). In 1 Kor 7 entwirft er ein geradezu paritätisches Partnerschaftsmodell (7,2ff), das sich als Explikation des in 1 Thess 4 eingebrachten timh, – Begriffs lesen lässt. Es lässt sich zeigen, dass Paulus in dieser Hinsicht ganz nah an rabbinischen Argumentationsmustern ist, die Sexualethik nicht ausschließlich aus männlicher Perspektive entwerfen. Auch im rabbinischen Denken kennt man die Vorstellung, dass die Frau ein (sogar einklagbares) „Recht“ auf den Körper ihres Mannes hat (z. B. mKet 5,6 vgl. dazu BOYARIN [1993], 142ff und VAHRENHORST [1997], 89f). 222 Im Fall des Verkehrs mit einer Prostituierten zerstört sie die Christusgemeinschaft sogar.
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
1 Thess lässt aber vermuten, dass dieses Motiv für Paulus auch über diesen Spezialfall hinaus Geltung beanspruchen konnte. Dass legitim gelebte Sexualität und Heiligkeit einander nicht ausschließen, ist ein Gedanke, der sich im rabbinischen Judentum häufig findet. Die Halachot zur Eheschließung stehen in Mischna und Tosefta unter der Überschrift „!yXwdq“ – „Heiligungen“, und die Formel „yl tXdwqm ta“ (du bist mir geheiligt) gehört bis heute zu jüdischen Trauungen. Daraus ergibt sich eine Assoziation von ehelicher Gemeinschaft und Heiligkeit, auch wenn die Begrifflichkeit zunächst eine zwischenmenschliche Dimension hat. Sie beschreibt das Verhältnis, das durch Heirat zwischen Mann und Frau entsteht.223 Außerdem wird damit deutlich, dass die Frau für andere Männer als den eigenen tabu ist. Sie ist „verboten wie eine Weihegabe“ (bQid 2b).224 Neben dieser etymologischen Brücke gibt es aber in der rabbinischen Literatur noch andere Hinweise dafür, dass Sexualität und Heiligkeit zusammengehen können. Der Königsweg der Heiligung ist in diesem Kontext das Studium der Tora. Die rabbinische Tradition kennt Gestalten, die der Meinung waren, sexuelle Abstinenz sei die beste Voraussetzung für die Verwirklichung der Heiligung in diesem Leben (z. B. Ben Azzai nach tYev 8,7,225 bShab 118b226). Dieser Auffassung steht das Gros der Texte gegenüber, die ausdrücklich für die Ehe – als Erfüllung des göttlichen Gebots – plädieren und sie als Voraussetzung für die Heiligung ansehen, denn „wer mit zwanzig immer noch unverheiratet ist, dessen Tage sind allesamt voll von Sünde“ (bQid 29b). Dieses Urteil verlangt nach einer Erklärung, die darin besteht, dass ein solcher Mensch voll sündiger Gedanken sei – Paulus würde sagen: „Er brennt“ (1 Kor 7,9).227 Ein Zweig der rabbinischen Anthropologie führt den Impuls zum Studium der Tora und die sexuelle Begierde auf den gleichen „Trieb“ ([rh rcy [der böse Trieb]) zurück – der darum zum Guten, ja zur Heiligung dient.228 223
So deutet die traditionelle Mischnaauslegung diese Wendung (z.B. Tosfot Yom Tov zur Stelle). 224 Vgl. ALBECK (1988) Band 3, 308 z. St.. 225 Ben Azzai propagiert im Kontext selbst Sexualität zum Zweck der Zeugung von Nachkommen und wird daraufhin als jemand kritisiert, dessen Leben nicht mit seiner Lehre im Einklang stehe, weil er selbst nicht verheiratet war. Er rechtfertigt seine zölibatäre Lebenspraxis mit den Worten: „Was soll ich machen, ich sehne mich nach der Tora, sollen andere sich um den Fortbestand der Welt kümmern“. 226 Weiteres bei HARRINGTON (2001), 197. 227 Dieses Argumentationsmuster lässt die Ehe zunächst als Zugeständnis an die conditio humana erscheinen, aber sie ist zugleich mehr: Sie ist Voraussetzung für das Vollbringen „heiliger“ Handlungen wie dem Studium der Tora (bTaan 16a) (vgl. B OYARIN [1993], 139; HARRINGTON [2001], 195). 228 Vgl. B OYARIN (1993), 63; 65.
10. Heiligkeit an Leib und Seele durch Ehelosigkeit: 1 Kor 7,25ff
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Und schließlich kennt man den an 1 Thess 4,4 erinnernden Gedanken, dass man Sexualität in Heiligkeit leben kann (wmc[ ta Xdqm XymXt t[Xb [in der Stunde des Geschlechtsverkehrs heiligt er sich] bShevu 18b). Nach bYev 20a soll und kann man sich heiligen, indem man Sexualität in einem legitimen Verhältnis lebt ($l rtwmb $mc[ Xdq [heilige dich mit dem, was dir erlaubt ist]). „The idea that one could sanctify oneself through engaging in permitted sexual intercourse with a correct religious intention is […] unique among the varieties of ancient Judaism“,229 schreibt S. Fraade im Blick auf das rabbinische Judentum. Von 1 Thess 4,4 und 1 Kor 7,14 her könnte man dies in gewisser Weise auch für Paulus gelten lassen. Paulus hätte also durchaus ein Sachargument zur Verfügung gestanden, um seine korinthischen Adressaten dahingehend zu beruhigen, dass Heiraten keine Sünde ist (7,28). Auffälligerweise macht er davon keinen expliziten Gebrauch, er empfiehlt die Ehe im 1. Korintherbrief nicht als Weg zu gegenseitiger Heiligung, sondern nur als zweitbeste Lösung, die der Heiligkeit des Einzelnen keinen Abbruch tut, auch wenn derjenige, der sexuell enthaltsam lebt, „an Körper und Seele heilig bleibt“ (7,34).230 Wir dürfen sicher voraussetzen, dass das Modell ausgreifender Heiligkeit es Paulus überhaupt ermöglicht hat, Sexualität und Ehe nicht rundheraus zu verdammen. Dass er diese Denkvoraussetzung aber nicht explizit macht, lässt die Spitze der paulinischen Argumentation – und seine eigene Einstellung – in besonderer Schärfe zutage treten. Etwas abmildern könnte sich dieser Eindruck, wenn man die paulinischen Aussagen darauf zurückführt, dass der Apostel auf eine konkrete Gesprächslage in Korinth reagiert, die eben gerade die Aussagen nahe legt, die er in 1 Kor 7 macht. Bei anderer Gesprächslage hätte er vielleicht weniger pointiert geantwortet. Wie oben herausgearbeitet, liegt die paulinische Argumentation in diesem Kapitel jedoch ganz auf der Linie von 1 Kor 6,12ff, so dass der Einfluss der Gesprächslage in Korinth wohl nicht als entscheidender Faktor in Anschlag zu bringen sein dürfte. (Exkurs Ende)
Fasst man zusammen, so erweist sich die Sorge um die Heiligkeit der Gemeinde und ihrer Glieder als Klammer, die die Kapitel 5 bis 7 inhaltlich
229
FRAADE (1986), 275. Auch diese Aussage hat Parallelen im rabbinischen Judentum (s.o.). Vergleicht man die paulinischen Aussagen zur Ehe und der damit verbundenen Sexualität (1. Es ist besser nicht zu heiraten; 2. Ehe führt zur Heiligung; 3. Ehelosigkeit führt zur Heiligkeit) mit dem Spektrum einschlägiger Aussagen in den rabbinischen Quellen, so gewinnt man den Eindruck, Paulus vertrete in 1 Kor 7 in nuce nahezu alles, was die Rabbinen nach ihm in diesen Fragen gedacht und gelehrt haben. Nur eine Ausnahme fällt ins Auge: Für die rabbinische Wahrnehmung der Sexualität spielt die Fortpflanzung eine gewichtige Rolle. Darüber schweigen die paulinischen Texte. 230
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
zusammenhält.231 In Kapitel 5 wird diese Sorge konkret angesichts der von der Gemeinde geduldeten sexuell devianten Lebenspraxis eines Gemeindegliedes, die die Heiligkeit der gesamten Gemeinde gefährdet, indem sie gleichsam einen Einbruch des Unheiligen ins Heiligtum darstellt. In Kapitel 6 begegnete die gleiche Gefahr in Gestalt von nichtchristlichen Richtern, die im Raum der Gemeinde als Rechtsprechungsinstanz angerufen werden. Die Heiligkeit der Christen – eben ihre Zugehörigkeit zu Gott – wird auch durch den Verkehr mit Prostituierten gefährdet. In beiden Fällen (und in einigen anderen, die in den so genannten Lasterkatalogen nur kurz erwähnt werden) plädiert Paulus für eine strikte Trennung von innen und außen – von heilig und nichtheilig. Letzteres qualifiziert Paulus nicht als profan sondern als ungerecht. Auf dem Hintergrund dieser Ausführungen läge nun die Annahme nahe, dass Sexualität überhaupt mit dem Leben von Christinnen und Christen, die sich ja nicht nur ab und zu in einem Tempel aufhalten, sondern dauerhaft in einem solchen bzw. als solcher leben, nicht kompatibel ist. In Kapitel 7 lässt Paulus wiederholt erkennen, dass er diese Ansicht im Prinzip teilt. Weil Menschen, die dauerhaft enthaltsam leben, aber besonders anfällig für „Porneia“ sind, gesteht er die Ehe als „kleineres Übel“ zu. Ja mehr noch, die eheliche Gemeinschaft kann sogar heiligenden Charakter haben. Besser aber wäre es, wenn man die Gabe hätte, kontinuierlich an Geist und Leib heilig zu sein (7,34). Paulus kann vor allem in Kapitel 7 auch andere als kulttheologische Argumente verwenden – aber letztere sind insgesamt so dominant, dass man 1 Kor 5–7 geradezu eine Lex Sacra für den Tempel Gottes in Korinth nennen könnte.
11. Das befleckte Gewissen:1 Kor 8,7 11. Das befleckte Gewissen: 1 Kor 8,7
Mit 1 Kor 8 beginnt ein neuer Abschnitt im Korintherbrief, der das Thema des 1 Korintherbriefes (die Integrität der Gemeinde nach außen und innen) anhand der „Stellung der Gemeinde zum heidnischen Kult“ diskutiert.232
231
In der Literatur wird diese Klammer meist nur die Kapitel 5 und 6 umfassend gesehen. Als Beispiel verweise ich auf H. Merklein, der Kapitel 7 deutlich von den beiden vorangegangenen abhebt. Mit 7,1 sei eine gravierende „pragmatische Zäsur“ gesetzt (MERKLEIN [2000], 24) und dieses Kapitel reagiere „auf eine völlig andere Fragestellung“ (ebd.). Den dem Korrespondenzcharakter des Briefes verdankten Neueinsatz möchte ich gar nicht bestreiten, nur meine ich, dass der rote Faden hier immer noch der gleiche ist wie in den vorangegangenen Kapiteln, nämlich die Sorge um die Heiligkeit der Gemeinde. Um sie geht es Paulus – nur sieht er sich hier zu Zugeständnissen genötigt, die aber letztlich auch wieder dem Schutz der Gemeinde vor Porneia dienen sollen. 232 Vgl. MERKLEIN (2000), 162.
12. Der Apostel als Diener am Altar: 1 Kor 9,13
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Paulus betont zunächst, er teile die Auffassung,233 dass an den Götzen nichts dran ist (8,4–6), so dass es eigentlich unproblematisch ist, Fleisch, das einer heidnischen Gottheit geweiht wurde,234 zu essen (8,10). Zum Problem wird das erst, wenn Mitchristen, die in dieser Auffassung nicht gefestigt sind, dazu verleitet werden, solches Fleisch „als Götzenopfer“ zu essen. Dadurch werde ihr Gewissen „befleckt“. Paulus beschreibt den Zustand eines solchen Gewissens mit einem Wort, das auch in der Welt des Kultes begegnet (molu,netai). Dieses Verb kann ganz profan die Verschmutzung eines Kleidungsstückes bezeichnen (vgl. z. B. Gen 37,31 und Plato, rep. 535 E). Religiöse Dimension gewinnt es, wenn es um sexuelle Befleckung geht, die die Kultfähigkeit des Befleckten beeinträchtigt. 235 Diese kann dann auch dem Heiligtum gefährlich werden, und muss entsprechend gesühnt werden. In diesem Sinn begegnet das Wort in Beichtinschriften: „Nach meiner Bestrafung habe ich […], da ich bereit war und mir die göttliche Verlautbarung vorlag ‚Du bist besudelt’ (memolume,noj ei=) auf ein Gelübde hin die Weihung dargebracht (Petzl, Nr. 98; vgl. Nr. 107).236 Auf innere Realitäten (Seele, Gewissen) übertragen begegnet diese Vorstellung z. B. TestAss 4,4.
Paulus könnte dieses Verb in seiner profanen Bedeutung verwenden. Behalten wir jedoch im Auge, dass Paulus die Gemeindeglieder an Leib, Seele und Geist für heilig erachtet, gewinnt ein kultisches Verständnis von molu,netai an Plausibilität: Nur ein reines Gewissen237 ist der Gemeinschaft mit dem heiligen Gott angemessen.238 Umgekehrt gefährdet ein beflecktes Gewissen die Integrität des Gottesverhältnisses (vgl. Röm 14,14).
12. Der Apostel als Diener am Altar: 1 Kor 9,13 12. Der Apostel als Diener am Altar: 1 Kor 9,13
Im Kontext dieses Verses wird die Frage verhandelt, ob diejenigen, die das Evangelium verkündigen, von dieser Tätigkeit leben dürfen. Dies ist grundsätzlich klar zu bejahen, wie Paulus in einem geschickt aufgebauten 233
Es ist gut möglich, dass Paulus in 8,4 ein korinthisches Argument aufgreift (vgl. HOPPE [2004], 31), um es in den folgenden Versen (5.6) korrigierend zu modifizieren: Es stimmt, dass es keine Götzen gibt, sondern nur (den) einen Gott. Paulus ergänzt dann einen schöpfungstheologischen und einen christologischen Akzent, um den Korinthern die Grenzen der Freiheit, die aus ihrem Verständnis des Monotheismus erwächst, deutlich zu machen. Weil Gott der Schöpfer und das Ziel der Schöpfung ist, und die Gemeinde Teil dieser Schöpfung ist, kann man bei der Gestaltung der eigenen Freiheit nicht von den Mitgeschöpfen absehen (vgl. H OPPE [2004], 39). 234 Vgl. dazu FOTOPOULOS (2003), 210ff. 235 Belege bei HAUCK (1942), 744. 236 Vgl. die Auswertung kleinasiatischer Beichtinschriften durch K LAUCK (1996), 67ff. 237 Dieser Ausdruck begegnet bei Philo, SpecLeg 1,203 (in kultischem Kontext). 238 Vgl. MERKLEIN (2000), 194.
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
Argumentationsgang herausarbeitet. Die Argumentation „schürt die Erwartung einer conclusio, in der Paulus auf der Basis des nachgewiesenen Rechts nun von den Korinthern die Sicherung seines Lebensunterhalts einfordert“239. Überraschenderweise betont Paulus dann, dass er von diesem Recht keinen Gebraucht gemacht hat und machen wird (9,15). Die Erinnerung an die Gepflogenheiten im Kult haben in diesem Zusammenhang die Funktion, den Rechtsanspruch, den der Apostel nachweist, zu begründen:240 Diejenigen, die am Heiligtum Dienst tun (oi` ta. i`era. evrgazo,menoi), ernähren sich davon (Îta.Ð evk tou/ i`erou/ evsqi,ousin), diejenigen, die sich eifrig um den Altar kümmern (oi` tw/| qusiasthri,w| paredreu,ontej), haben Anteil daran (bzw. an den Opfern, die dort dargebracht werden [tw/| qusiasthri,w| summeri,zontai]). Dies war im Kult Israels ebenso selbstverständlich wie in den Kulten, die die Korinther tagtäglich vor Augen haben konnten.241 Die Funktion dieses Verses in der paulinischen Argumentation ist damit deutlich: Er appelliert an die Anschauung der Korinther, um das Recht, das Paulus auch mit jesuanischer Autorität begründet, noch plausibler zu machen. Nun stellt sich die Frage, ob es Paulus lediglich um einen Vergleich geht, oder ob er sein Tun tatsächlich als priesterlichen Dienst versteht.242 In späteren Briefen kann er sein apostolisches Wirken ohne weiteres so beschreiben (vgl. Röm 15,16 und eventuell auch Phil 2,17). In 1 Thess 2 und 1 Kor 4 greift Paulus zumindest auf kultische Vorstellungen zurück, um seinen Leserinnen und Lesern etwas über sich und seinen Dienst mitzuteilen (vgl. auch Röm 1,1.9). Von daher ist es nicht ausgeschlossen, dass Paulus auch hier mit den kultischen Termini mehr sagt, als dass er prinzipiell ein Anrecht darauf hätte, für den Dienst der Verkündigung materiell entlohnt zu werden. Paulus hat dieses Recht nicht nur wie ein Mitarbeiter bei einem kultischen Vorgang, sondern als Mitarbeiter eines kultischen Dienstes. Denn er tut nichts anderes, als das, was zum Wesen priesterli239 240
HARNISCH (2007), 35. Vgl. zur argumentativen Struktur H ARNISCH (2007), 34; ZIMMERMANN (2007),
279. 241
Für den jüdischen Bereich vgl. nur Lev 7,1ff. Die pagane Religiosität nennt die Anteile der Opfer, die zum Lebensunterhalt der Priester bestimmt sind, ge,raj. Dieses Wort findet sich naturgemäß häufig in Leges Sacrae (z. B. LSAM 48,7.16; LSCG 151 A 21). Die Übersetzer des Pentateuch verwenden es nur einmal (Num 18,8). 242 Letzteres ist keineswegs selbstverständlich, vor allem nicht, wenn man – mit einem Augenzwinkern – bemerkt, dass Paulus im Kontext einen Schriftvers (Dtn 25,4) zitiert, bei dem auch niemand auf die Idee käme, dass Paulus sich tatsächlich für einen Ochsen (1 Kor 9,9) hält. Wie dem auch sei: Paulus bezeichnet sich nie als Priester. Ein solcher hätte er als Benjaminit (Phil 3,5) auch nicht sein können. Häufig sind es – wie hier – kultisch konnotierte Verben, mit denen er sein Tun beschreibt (latreu,w , i`erourge,w). Allenfalls ist er ein leitourgo,j, aber auch diese „Wesensaussage“ erweist sich als Funktionsbeschreibung (Röm 15,16).
12. Der Apostel als Diener am Altar: 1 Kor 9,13
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chen Handelns gehört, nämlich Opfergaben – in seinem Fall Menschen – in die Sphäre des Heiligen zu überführen.243 Ergibt sich aus der Untersuchung kultischer Begrifflichkeit damit eine Antwort auf die Frage „Who did Paul think he was“?244 Sie könnte in jedem Fall dazu beitragen, die Frage zu präzisieren. Wenn Paulus von sich selbst in kultischer Sprache spricht, dann beschreibt er nicht einfach seine Identität. Er sagt nicht, wer er ist, sondern welche Funktion er hat. Kultische Terminologie antwortet daher eher auf die Frage: „What did Paul think he was doing?“.245
Richtet man das Augenmerk nun auf die Frage, wie Paulus kultische Terminologie in der Kommunikation mit Nichtjuden einsetzt, so ist die Wahl der Begriffe in diesem Vers besonders interessant. Paulus verwendet einen Begriff, den die Übersetzer der LXX neu gebildet haben, um den Altar des Gottes Israels von allen anderen Altären zu unterscheiden, nämlich qusiasth,rion.246 Alle anderen Termini entnimmt Paulus nicht den heiligen Schriften Israels – sie sind aber breit in paganen Kulten belegt. Die in nichtjüdischen Texten unzähligen Ableitungen vom Stamm i`ero- werden im Pentateuch gemieden, sind aber für die späteren Bücher der LXX ebenso unproblematisch wie für Philo und Josephus.247 Paredreu,w in kultischer Bedeutung ist u. a. inschriftlich belegt (LSAM 33 A 27),248 fehlt aber in der jüdischen Tradition. Zumindest dieser letzte Begriff macht es also wahrscheinlich, dass Paulus hier die Kultsprache seiner mit heidnischen 243
Anders urteilt bei allem Gespür für die kultische Dimension des paulinischen Denkens, das sich auch gerade bei der Besprechung dieses Verses zeigt, MERKLEIN (2000), 224: „Im übrigen geht es hier nur um den Vergleich, nicht um eine sachliche Typologie“. So auch STRACK (1994), 116f. Demgegenüber halte ich es – aufgrund der später zu besprechenden Texte (z. B. zu Röm 15,16 Kapitel 9, 11) – für möglich, dass der Vergleich einen Überschuss enthält, den man auch sachlich im Hinblick auf das paulinische Selbstverständnis auswerten darf. Diese Möglichkeit ergibt sich allerdings nur, wenn man die einschlägigen Stellen im Zusammenhang liest. Liest man 1 Kor 9,13 allein in seinem Argumentationszusammenhang, dann bleibt Paulus (auch vor dem Hintergrund der vielfältigen Bilder in 9,7ff) beim Vergleich. 244 Die Formulierung orientiert sich an DUNN (1999), 174ff, der diese Frage allerdings mit einer ganz anderen Zielrichtung stellt, als ich es hier tue. 245 Einen ähnlichen Ansatz verfolgt C. Gerber, wenn sie nach „Metaphern zur Beschreibung der Aufgabe des Apostels“ fragt (vgl. GERBER [2005], 153ff). 246 Der Begriff ist außerhalb biblisch jüdischer Texte nicht belegt. Allerdings fällt auf, dass in späteren Schriften der LXX die im Pentateuch eingeführte Unterscheidung zwischen qusiasth,rion und bwmo,j nicht mehr konsequent durchgehalten wird (vgl. STRACK [1994], 115). Qusiasth,rion wird zu einem Allgemeinbegriff für Altäre jeglicher Provenienz. Von daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass Paulus, wenn er diesen Begriff gebraucht, auch an nichtjüdische Altäre denkt. 247 Zu i`era, und i`ero,n vgl. VAHRENHORST, Exkurs zur Opferterminologie im Begleitband zu LXX.D. 248 Vgl. auch Diod. 4,3,3; Vettius Valens 210,3. Vgl. auch STARCK (1994), 115.
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Kulten vertrauten Adressaten spricht, um seine Argumentation und wohl auch das Wesen seines Dienstes zu verdeutlichen.249
13. Gemeinschaft mit den Götzen: 1 Kor 10,14ff 13. Gemeinschaft mit den Götzen: 1 Kor 10,19ff
In seiner Warnung vor dem Götzendienst (10,14ff) bemüht Paulus eine weitere Assoziation aus der Welt des Kultes – diesmal explizit aus dem Kult Israels (VIsrah.l kata. sa,rka [10,18]): „Befinden sich die, die die Opfer essen, nicht in der Gemeinschaft des Altars?“ (ouvc oi` evsqi,ontej ta.j qusi,aj koinwnoi. tou/ qusiasthri,ou eivsi,nÈ). Paulus erwartet, dass seine Adressaten diese Frage bejahen. Opfer stiften eine Form von Gemeinschaft mit den Göttern, denen der Altar geweiht ist – die also das Opfer empfangen.250 Im Fall des legitimen Kultes Israels wird eine Gemeinschaft mit Gott hergestellt, im Fall des Götzendienstes – so könnte man im Blick auf 10,20 folgern – eine mit den Götzen.251 Diese Deutung setzt voraus, dass das „Israel nach dem Fleisch“ sich auf das „real existierende“ Israel und seinen Kult bezieht. Es besteht jedoch ebenfalls die Möglichkeit, das kata. sarka, auf die Verse 1–11 zu deuten. Dann wären mit denen, die die Opfer essen, die Verehrer des Goldenen Kalbes gemeint (Ex 32,6 und 1 Kor 10,7). Vers 18 illustrierte dann weniger Vers 17, sondern rückte eher in die Nähe von Vers 19f – und zwar mit einem warnenden Unterton:252 So wie die Verehrer des Goldenen Kalbes umgekommen sind, werden auch die umkommen, die wie sie Dämonen Opfer bringen. Beide Deutungen ergeben im Kontext einen Sinn. Etwas mehr Wahrscheinlichkeit für sich hat m. E. die erste, weil Paulus, wenn er von „Israel nach dem Fleisch“ spricht, durchaus die zu seiner Zeit lebenden Juden meinen kann (vgl. Röm 9,3).253 Außerdem ist der Vers 18 durchweg im Präsens gehalten – er beschreibt also gerade keinen Vorgang der Vergangenheit, sondern die Gegenwart des Apostels (anders als Vers 7).254
249
So auch KLAUCK (1983), 110. MERKLEIN (2000), 223 hält es ebenfalls nicht für ausgeschlossen, „dass Paulus ganz allgemein vom Kult spricht, d. h. den heidnischen Kult mit einbezieht“. HOGETERP (2006), 350 betont auch hier wieder, dass Paulus nicht auf heidnische Kulte in einer Weise Bezug nehmen könne, die seine Argumentation unterstützt. Er sammelt zahlreiche pagane Belege für i`era, (Anm. 151) und i`ero,n (Anm. 153), die aber auch beide in jüdischen Schriften insbesondere bei Josephus belegt sind (Anm. 152 und 154). Da er die Vokabel paredreu,w nicht untersucht, entgeht ihm die speziell pagane Färbung dieses Begriffs und damit die religionsübergreifende Aussagekraft des ganzen Abschnitts. 250 Vgl. z. B. B URKERT (1977), 174ff. 251 Vgl. HAHN (1998), 30: „Denn wo Opfer dargebracht werden, entsteht eine Form von Anerkennung und Zugehörigkeit“. 252 Vgl. MERKLEIN (2000), 264f, der weitere Vertreter dieser Auslegung nennt. 253 So auch W OYKE (2005), 242f. 254 Vgl. auch HOGETERP (2006), 356, der darauf hinweist, dass das einleitende ble,pete nicht notwendigerweise einen warnenden Ton anschlägt, so dass der Vers – anders als
13. Gemeinschaft mit den Götzen: 1 Kor 10,19ff
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Nun weiß Paulus ebenso wie einige seiner Adressaten, dass Götzen de facto nicht existieren (vgl. 8,4; 10,19f). Daraus folgt aber nicht, dass die Teilnahme an heidnischen Opfermahlen darum unproblematisch sei. Hinter den nichtigen Götzen verbirgt sich nicht einfach „nichts“.255 Es sind Dämonen, die die Götzen „beleben“. Dieser Gedanke findet sich in der Polemik der Apologeten gegen die Fremdkulte später häufig.256 Die Frage ist, ob auch Paulus schon so gedacht hat. Denkbar wäre auch, dass er im Licht von Dtn 32,17 (LXX) die Dämonen als Empfänger der Opfer sieht. In jedem Fall entsteht eine Gemeinschaft zwischen Gebern und Empfängern. Ähnlich wie bei der Argumentation gegen den Besuch bei der Prostituierten (1 Kor 6,12ff) betont Paulus auch hier die Ausschließlichkeit der Beziehung zu Christus: Man kann nicht beides haben, eine Beziehung zu Christus und eine zu den Dämonen. Teilnahme am Tisch des Herrn schließt Teilnahme am Tisch der Dämonen aus.257 Der Begriff koinwni,a, der für Paulus hier theologisch im Zentrum steht, könnte, wie in der Forschung immer wieder erwogen wird,258 vor allem bei nichtjüdischen Leserinnen und Lesern259 kultische Assoziationen wachgerufen haben. So vermutet beispielsweise H.-J. Klauck, dass das Wort koinwni,a in der hellenistischen Religiosität verwendet wird, „um das ideale Ziel des festlichen Gemeinschaftsmahles oder des Opfermahles anzugeben. Es umschreibt die Teilnahme an den Mysterien und die Gemein-
z. B. SCHRAGE (1995), 442ff zur Stelle schreibt – die Adressaten schlicht dazu aufruft, das zeitgenössische Israel als Vergleichsgröße heranzuziehen. 255 Vgl. HAHN (1998), 30: „es können dämonische Mächte im Spiel sein“. 256 Vgl. Athenagoras, Legatio 22,ff; Minucius Felix, Octavius. 27,1ff; Tertullian, Apologeticum 21ff. Weiteres bei LIETZMANN (1953), 178ff und WOYKE (2005), 234f. 257 Die Analogie zu 1 Kor 6 sehen auch MERKLEIN (2000), 262 und W OYKE (2005), 249. Mit Merklein wird man die Gemeinschaft, von der Paulus spricht, als „personale Partizipation“ beschreiben können. Die Teilhabe an Leib und Blut Christi „be-wirkt und bestärkt, was der Christ und die Christin immer schon sind und je immer werden müssen: ein alter Christus“ (MERKLEIN [2000], 263). Damit ist gemeint, dass die Art, in der Christus die Identität der Glaubenden ohnehin bestimmt (vgl. Gal 2,19–20; Röm 6,4f), im Herrenmahl bestätigt und bestärkt wird. Ähnlich formuliert es HOFIUS (1998), 329: „Es geht um ‚persönliche Vergewisserung’“. Gegenstand der Vergewisserung ist, dass die zum Abendmahl Versammelten „Anteil haben an dem am Kreuz in den Tod gegebenen Leib und dem da vergossenen Blut Jesu Christi. Das aber bedeutet: Sie haben Anteil an ihm, dem Gekreuzigten, selbst und an dem Heil, dass in ihm und seiner Dahingabe in den Tod beschlossen liegt.“ (ebd.). 258 Vgl. HAUCK (1938), 800, der die wesentlichen, seit dem immer wieder als Belegstellen herangezogenen Quellen nennt. 259 Für das Judentum dürfte W. P OPKES (1997), 717 zuzustimmen sein: „Allerdings vertreten weder AT noch Judentum (einschließlich Philo […]), dass beim Opfermahl Tischgemeinschaft zwischen Gott und Mensch entstehe“.
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schaft mit der Mysteriengottheit“.260 Paulus – oder seine Adressaten – würden demnach das Herrenmahl hier im Licht hellenistischer Opfermahlfeiern interpretieren, bei denen Gottheiten und Menschen durch das Essen Gemeinschaft hätten. Gemeinschaft ist in der Tat ein hohes Ideal im Blick auf griechische Mähler. Besonders aussagekräftig sind hier Plutarchs Tischgespräche, deren Teilnehmer intensiv über Formen diskutieren, durch die der koinwni,aCharakter des gemeinschaftlichen Essens besonders gut zur Geltung kommt (mor. 643 A–F). Die Gäste, die darüber nachdenken, nehmen an einem Mahl teil, das im Anschluss an ein Opfer stattfindet. Die koinwni,a, um die es geht, ist aber immer die der Mahlteilnehmer untereinander und nicht die Gemeinschaft mit einer Gottheit. Ähnlich verhält es sich mit den anderen Stellen in den Tischreden, die Klauck als Belegstellen für seine oben zitierte These nennt. Plutarch, mor. 614 E / 615 A handelt von der gemeinschaftlichen Unterhaltung, 618 A von der gemeinschaftlichen Verbindung, die dort mit der Verbindung unterschiedlicher Baustoffe verglichen wird, und 726 E beantwortet die Frage, warum die Römer das Abendessen „cena“ nennen, mit dem Hinweis darauf, dass cena sprachlich von koinwni,a abstamme und die Römer das Abendessen gemeinsam mit ihren Freunden einzunehmen pflegen. Gemeinschaft von Gott und Mensch ist hier nirgends im Blick. Die von B. Kollmann zusätzlich genannten Texte Demosthenes, De falsa legatione 19,280 und Euripides, El. 637 sprechen zwar davon, dass bestimmte Heroen an Trankopfern teilhaben, die in Tempeln gespendet werden, oder davon, dass Menschen an Opfermahlfeiern teilhaben – aber unmittelbare Kommunikation zwischen Gottheiten und Menschen ist auch hier nicht eindeutig vorausgesetzt, die Heroen haben vielmehr Teil an dem, was den Göttern dargeboten wird. Dass der Teilnehmer am Opfermahl mit der Gottheit isst, überdehnt die Aussage des Euripides.261 Trotz allem finden sich Quellen, die von der Gemeinschaft von Göttern und Menschen bei den Opfern (qusi,ai) sprechen. Deutlich ist dies bei Plato, symp. 188 B: „Dies ist die Gemeinschaft von Göttern und Menschen untereinander“ (tau/ta d’ evsti.n h` peri. qeou,j te kai. avnqrw,pouj pro.j avllh,louj koinwni,a), heißt es im Blick auf Opfer (und mantische Praktiken 260 KLAUCK (1982), 260 (dort auch Hinweise auf ältere Literatur). B. KOLLMANN (1990), 59 formuliert zustimmend: „Bei dem Vorstellungskomplex einer im Kultmahl stattfindenden Koinonia mit der Gottheit ist ein Einfluss hellenistischer Opfermahl- bzw. Mysterienterminologie zu veranschlagen“. 261 LSCG, Suppl 20,5 und LSCG 177, 7.81.87 besagen auch nicht, dass es beim Verzehr der Opferteile zur Gemeinschaft zwischen Göttern und Menschen kommt. Im Blick sein könnte genauso gut die gemeinsame Verantwortung, die eine bestimmte Gruppe von Menschen für die Durchführung bestimmter Opfer trägt. Gleiches gilt m. E. für Plutarch, Theseus 23,4.
13. Gemeinschaft mit den Götzen: 1 Kor 10,19ff
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[mantikh,]). Im 2. Jh. n. Chr. greifen Einladungen zu Mysterienmählern dieses Motiv wieder auf: „Alle Menschen lädt der Gott zum Mahl, und er bereitet allen einen gemeinschaftlichen Tisch unter Gleichgestellten (koinh.n kai. ivso,timon […] tra,pezan), woher auch immer sie kommen“ (SEG V 247).262 Die Gottheit kann dabei selbst als Einladende auftreten. Sie ruft den Gast auf ihre kli,nh, so dass Gottheit und Mensch am gleichen Mahl teilnehmen.263 Überblickt man die Belege, so wird man sich den vorsichtigen Äußerungen Klaucks anschließen, der im Blick auf die Konzeption des Kommunio-Opfers schreibt: „Die Einsicht in die Belege stimmt skeptischer“.264 Koinwni,a ist nur sehr selten die Gemeinschaft zwischen Göttern und Menschen beim Mahl, oft sind die Gemeinschaften anders konstituiert. Damit weist dieser Begriff nur sehr uneindeutig in die Welt des Kultes. Was bedeutet nun die paulinische Argumentation, die Teilnahme an Opfermählern kategorisch ausschließt, für die sozialen Kontakte der Gemeindeglieder in Korinth? Es könnte bedeuten, dass sie auf Fleischgenuss gänzlich zu verzichten hätten und dass es ihnen unmöglich wäre, Einladungen von Nichtjuden bzw. Nichtgemeindegliedern anzunehmen. Diesen Schluss zieht Paulus aber nicht. Fleisch, das auf dem Markt verkauft wird (und das war bekanntlich zum größten Teil Fleisch, das in einem kultischen Ritual geschlachtet wurde) und solches, das man bei Einladungen zu essen bekommt, darf man ohne weiteres essen (10,25.27) – es sei denn, es würde expressis verbis gesagt, dass es sich dabei um Opferfleisch (i`ero,quton) handelt, oder es würde im Rahmen einer Opferfeier serviert (10,28). Wie schon in 1 Kor 8 geht es um die Rücksicht auf das Gewissen des anderen, der am Verhalten des Essenden keinen Anstoß nehmen soll (10,32). Damit bleibt Paulus streng genommen hinter seiner eigenen Argumentation zurück, denn die Gemeinschaft mit den Dämonen spielt hier keine Rolle mehr. Paulus differenziert offensichtlich zwischen der Teilnahme an heidnischen Kulten, in denen gegessen wurde, und dem privaten Essen, das nicht
262 Zitiert nach KLAUCK (1982), 156, wo sich auch weitere Hinweise auf solche Texte finden. 263 Vgl. dazu KLAUCK (1982), 134f. Es handelt sich dabei um Texte aus dem Sarapiskult, von dem Aristides aussagekräftig schreibt: „Und ferner feiern die Menschen mit diesem Gott allein in besonderer Weise die Opfergemeinschaft im wahren Sinn des Wortes: Sie laden ihn zu ihrem Herd, geben ihm als Tischherrn und Gastgeber den besten Platz. Während an den anderen Festmahlen bald der, bald jener Gott teilnimmt, bedeutet Sarapis gleicherweise bei allen die ehrende Krone, indem er als Symposiarch waltet inmitten derer, die sich in seinem Namen versammeln“ (Aelius Aristides, 8,54 (An Sarapis) [zitiert nach KLAUCK (1982), 133]). 264 KLAUCK (1982), 48.
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
im Rahmen einer Opferfeier stattfand.265 Letzteres wird nur im Blick auf das Gewissen der anderen zu einem Problem, Ersteres ist hingegen ganz ausgeschlossen. Exkurs: Herrenmahl und Kult Fragt man von der Untersuchung der kultischen Terminologie her nach dem Verhältnis von Herrenmahl und Kult266 bei Paulus, so fällt vor allem auf, dass kultische Terminologie dort, wo Paulus explizit auf das Herrenmahl zu sprechen kommt, nicht begegnet. Das mahnt von vorneherein dazu, bei kultischen Deutungen des Herrenmahls sehr zurückhaltend zu sein.267 Der zentrale Text 1 Kor 11,17–34 weist keinerlei kultische Terminologie auf – sieht man vom umstrittenen koinwni,a einmal ab –, und in 1 Kor 10 entsteht eine Verbindung zwischen der Welt des Kultes und dem Herrenmahl nur indirekt: Paulus beschreibt das Herrenmahl unter dem Aspekt der Gemeinschaft mit Blut und Leib Christi (V.16).268 Durch diesen Aspekt der Gemeinschaft ergibt sich eine Analogie zu den Gemeinschaften, die durch die Teilnahme an Kultmählern entstehen.269 In dieser Hinsicht – und nur in ihr – wird das Herrenmahl mit den Opfermählern in Jerusalem und paganen Opferfeiern verglichen. Paulus beschreibt also das Herrenmahl selbst nicht als „heilige Handlung“ oder gar als Opfermahl.270 265
Vgl. MERKLEIN (2000), 227; RÖHSER (2005), 184. Zur Diskussion um die kultische Dimension des Herrenmahls vgl. KARRER (1998), 283, wo sich auch wesentliche Literatur findet. 267 Das Herrenmahl lässt sich vor dem Hintergrund hellenistischer Kultmähler (so Klauck) und in ritualtheoretischer Sicht (so Betz) natürlich durchaus als Kulthandlung beschreiben – nur nennt es Paulus selbst nicht „heilige Handlung“ (vgl. BETZ [2001], 420) und verwendet auch sonst keinen der ritualtheoretischen Begriffe (drw,mena; deiknu,mena; lego,mena [vgl. B ETZ (2001), 414f]). Für KLAUCK (1982) und KOLLMANN (1990), 59 gewinnt das Herrenmahl eine kultische Dimension dadurch, dass koinwni,a „traditionellerweise der Umschreibung einer im Opfermahl sich konstituierenden Beziehung zwischen Gott und Mensch dient“. Wir haben oben gesehen, dass dies nicht so selbstverständlich der Fall war, wie behauptet wird. 268 Die Zentralität des Gemeinschaftsmotivs betont zu Recht HAHN (1998), 30. Diese Art von Gemeinschaft bedeutet „Teilhabe an Leib und Blut Christi in dem Sinn, dass die heilstiftende Kraft seines Todes in den Gaben wirksam und der erhöhte Herr darin gegenwärtig wird. (So zutreffend HAHN [1998], 31. Vgl. auch LUZ [2002], 6f). 269 Vgl. die zutreffende Auswertung des Textes bei KOLLMANN (1990), 67: „Insgesamt ist anhand des Textbefundes von 1 Kor 10,14–22 eine pln Parallelisierung von Herrenmahl und heidnischen Kultmahlzeiten zu konstatieren, wobei das tertium comparationis in der hier wie dort involvierten Koinonia mit der jeweiligen Gottheit liegt, ohne dass sich die Analogien auf sämtliche Einzelzüge, und dies gilt explizit für im pln Herrenmahl nicht nachweisbare Opferaspekte, erstrecken würde.“ So schon K LAUCK (1982), 271 ähnlich KRAUS (1996), 188, Anm. 220. 270 Etwas weiter geht bei aller Vorsicht (vgl. vor allem K LAUCK [1982], 285!) KLAUCK (1982), 271: „Der Konsequenz, dass er das Herrenmahl indirekt in den Typus 266
14. Zusammenfassung
195
Was M. Karrer im Blick auf die Gesamtproblematik der kultischen Dimensionen des Herrenmahls ausführt, gilt erst recht im Blick auf die paulinischen Aussagen: „Kultanspielungen sind in der Überlieferung lange unbestimmt. Erst Did 14,1 heißt das Mahlgebet oder die christliche Mahlfeier ausdrücklich Opfer (vgl. 1 Clem 36,1; 44,4).“ (Exkurs Ende)271
14. Zusammenfassung 14. Zusammenfassung
Überblickt man die Stellen, an denen Paulus im 1 Kor kultische Begrifflichkeit verwendet, so ergibt sich folgendes Gesamtbild: Kultische Terminologie dient in hohem Maße dazu, das Wesen der Gemeinde in ihrer Relation zu Gott und zur Welt zu beschreiben. Christen sind Heilige, weil sie durch bzw. in Christus Gott übereignet worden sind. Ihm gehören sie nun. In der Gemeinde ist Gott durch seinen Geist gegenwärtig, so dass diese selbst zu einem Ort der Gegenwart Gottes geworden ist, zu einem Tempel. Anders als in der kultischen Anschauung der Antike meist üblich, sieht Paulus diesen Tempel nicht von einem profanen Bereich umgeben, der in des Opfermahls einordnet, wird man nicht entgehen können“. Je nach der Bewertung des Begriffs koinwni,a kann man diese Konsequenz nahezu ausschließen – in jedem Fall muss man sehen, dass Paulus selbst diese Konsequenz nicht zieht. Das Fehlen eindeutig kultischer Terminologie im Kontext des Herrenmahls spricht hier eine deutliche Sprache. Noch weiter geht M. Klinghardt. Er fragt danach, wie die koinwni,a, um die es Paulus geht, entsteht. In den Opfermählern stelle diese die durch „Libation ausgedrückte Übereignung der Speise an die Gottheit“ her (K LINGHARDT [1996], 309). Gleiches schaffe der Segen über dem Becher beim Herrenmahl. Dieser entspreche dem Paian. Der Segen dient aber sonst m. W. nirgends dazu, etwas Gott zu übereignen. Im Kontext des Essens ist sogar das Gegenteil der Fall: Der Segen „desakralisiert“ die Speise (vgl. dazu Kapitel 9, 8). Das, was eigentlich der Gottheit gehört, wird der menschlichen Nutzung überlassen. Ich verweise auf KOLLMANNs Hinweis ([1990], 60), den Klinghardts Argumentation nicht widerlegt hat: „Teilhabe“ basiert „nicht auf einer Darbringung von Trank- oder Speiselibation“. Gleiches gilt für G. Röhser: „Das zu schlachtende Opfertier bzw. die Speisen des Abendmahls werden durch bestimmte kultische Handlungen bzw. Gebete der jeweiligen Gottheit […] übereignet“ (RÖHSER [2005], 184). Das ist deutlich mehr, als der Text selbst hergibt. Mit keinem Wort sagt Paulus, dass „die Speisen des Abendmahls“ der Gottheit übereignet werden! Dieser Gedanke ist allen Abendmahlstexten des NT völlig fremd. Man kann ihn dort nur dann finden, wenn man die Analogie, die Paulus zieht, über ihren eigentlichen Aussagezweck hinaus ausdeutet. 271 KARRER (1998), 283f. Zu Did 14 und dem dort vorausgesetzten Opferbegriff vgl. W ENGST (1984), 53ff. Did 14,1ff ist als Kontrasttext zu den paulinischen Abendmahlstexten sehr aufschlussreich, weil dort kultische Sprache im Kontext des Herrenmahls ganz explizit begegnet. Nicht nur soll das Opfer (qusi,a) rein sein (kaqara,), es soll darüber hinaus auch nicht entweiht werden (mh. koinwqh/|). 1 Clem 36,1 spricht von „unseren Opfergaben“ (tw/n prosforw/n h`mw/n) wohl im Blick auf das Herrenmahl (44,1: ta. dw/ra). Davon sind die paulinischen Texte weit entfernt.
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Kapitel 5. Kultische Sprache im 1. Korintherbrief
gewisser Weise (ethisch) neutral wäre, sondern von dem Bereich, der durch Ungerechtigkeit (und den Einfluss Satans) qualifiziert wird. Aus diesem ungerechten und unheiligen Bereich sind die Glieder der Gemeinde in der Vergangenheit herausgenommen und in den Eigentumsbereich Gottes überführt worden. Sie wurden so gerecht und heilig gemacht. Deshalb lässt sich dieses Geschehen mit Gerechtigkeits- und Heiligkeitsterminologie beschreiben. Weil der Bereich außerhalb der Gemeinde nicht einfach nur neutral bzw. profan ist, darf es für die, die zu Christus gehören, keinen Wechsel zwischen diesen Bereichen geben. Jeder Schritt in die vermeintliche Profanität wäre ein Rückschritt in den Unheilsbereich der Gottesferne. Die Gemeinde hat stattdessen ihren Status durch strikte Trennung der beiden Bereiche zu bewahren, wie Paulus in 1 Kor 5–7 – der Lex Sacra für den Tempel Gottes in Korinth – entfaltet. Diese Trennung wird beispielsweise da aufgehoben, wo nichtchristliche Richter zwischen Christen Recht sprechen und die Heiligen selbst Unrecht tun. Sie wird vor allem aber durch pornei,a gefährdet. Damit meint Paulus konkret den Verkehr mit Prostituierten und das Leben in illegitimen Sexualbeziehungen. Beides bedroht die Heiligkeit der Gemeinde. Die eindringliche Warnung vor der pornei,a, die in 6,16 ausgerechnet mit dem traditionell auf die Ehe bezogenen Vers Gen 2,24 begründet wird, wirft nun die Frage auf, ob der Heiligkeit der Gemeinde nicht völlige sexuelle Enthaltsamkeit am ehesten entsprechen würde (1 Kor 7). Dies bejaht Paulus prinzipiell, da er aber weiß, dass völlige Enthaltsamkeit anfällig für pornei,a macht, empfiehlt er die Ehe als zweitbesten Weg. Hinter diesen Überlegungen steht der in der gesamten Antike verbreitete Gedanke, dass Sexualität und Heiligkeit voneinander getrennt werden müssen. Neben diesem Verständnis von Heiligkeit, das das Heilige als prinzipiell gefährdet ansieht, finden sich aber auch Spuren eines „ausgreifenden“ Verständnisses von Heiligkeit. Die Heiligkeit des christlichen Ehepartners geht – „ansteckend“ – auf den nichtchristlichen Partner über. Greift man auf die traditionelle theologische Terminologie zurück, so kann man sagen, dass Paulus im 1. Korintherbrief kultische Begrifflichkeit zur Ausarbeitung seiner Ekklesiologie und Soteriologie sowie seiner Ethik verwendet. Noch ein weiterer Bereich ist zu ergänzen: Paulus beschreibt auch sein eigenes Wirken mit Begriffen aus der Welt paganer und jüdischer Kulte. Sein Wirken gerät in die Nähe priesterlichen Handelns (1 Kor 9,13) oder ist zumindest mit einem solchen vergleichbar. Die positiven Auswirkungen seiner – an gesellschaftlichen Konventionen gemessen wenig ehrenvollen – apostolischen Existenz expliziert er vor dem Hintergrund antiker Sündenbockriten (1 Kor 4,13).
14. Zusammenfassung
197
Paulus zeigt keinerlei Berührungsängste im Umgang mit kultischer Sprache, wobei er manchmal die Grenzen jüdischer Begrifflichkeit überschreitet. Dies ist besonders bedeutsam für die Kommunikation mit Adressatinnen und Adressaten, die nicht aus einem jüdischen Milieu stammen. Ohne den Boden des Judentums zu verlassen, kann Paulus auf diese Weise auch ihnen verständlich machen, was „die in Christus erreichte und geschenkte Unmittelbarkeit zu Gott“272 für Identität und Ethos der Gemeindeglieder bedeutet.
272
MERKLEIN (2000), 224.
Kapitel 6
Kulttheologische Perspektiven auf Apostel und Gemeinde: Der 2. Korintherbrief Die Grundstimmung des 2. Korintherbriefes ist so ambivalent, dass schon seit dem 18. Jahrhundert diskutiert wird, ob man überhaupt von einem Brief, geschweige denn von einer Grundstimmung sprechen kann.1 Trotz aller vermeintlichen Brüche hat der Brief doch ein Hauptthema, das alle seine Teile miteinander verbindet: Das Amt des Paulus und sein Verhältnis zur Gemeinde. „Legitimität und Wesen des paulinischen Apostolats sind die durchgängigen Themen des Briefes“.2 Zwischen der Abfassung des 1 Kor und der des wohl gegen Ende des Jahres 55 zu datierenden 2 Kor ist das Verhältnis zwischen Apostel und Gemeinde offenbar schwer erschüttert worden, weshalb Paulus sich genötigt sieht, mit allen ihm zu Gebote stehenden rhetorischen Mitteln um die Gemeinde und für ihr Heil zu kämpfen.3 Wie schon im 1. Korintherbrief grüßt Paulus seine Adressaten auch in diesem Schreiben als Heilige (1,1). Der Apostel knüpft zudem an die aus dem 1 Kor bekannte Wesensbestimmung der Gemeinde als Tempel an (6,14ff),4 stellt sie und die Konsequenzen, die die Gemeinde zur Reinerhaltung dieses Tempels ziehen soll, aber fast ausschließlich in den Dienst seines Anliegens, die Gemeinde ganz an sich zu binden und sie zur Trennung von seinen Widersachern aufzurufen. Daran hängt – so stellt es Paulus dar – für die Gemeinde nichts weniger als ihr Wesen und ihre Zukunft. Das 1
J.S. Semler gilt als der erste, der die Einheit des Briefes infrage gestellt hat (vgl. THRALL [1994], 3). Die Textbefunde sind in der Forschung seit langem bekannt (vgl. die gründliche Übersicht bei HARRIS [2005], 8-51). In den letzten Jahren wird aber zunehmend versucht, diesen Befund nicht durch Teilungshypothesen zu erklären, sondern an der Einheitlichkeit des Schreibens festzuhalten (vgl. HALL [2003], 86ff; SCHNELLE [2003], 253ff; SCHMELLER [2004], 5ff; HARRIS [2005], 50ff). An der Möglichkeit, den 2 Kor als Briefkompilation zu verstehen, hält hingegen E.-M. BECKER (2002 und 2004) fest. Ihr Beitrag bereichert die Diskussion um kommunikationstheoretische Aspekte und berücksichtigt vorbildlich die materiale Seite der antiken Briefkommunikation. Sie begründet m.E. aber nicht, warum man den 2 Kor nicht als einheitliches Schreiben lesen kann. 2 SCHNELLE (2005), 108. 3 Zur Rekonstruktion der Ereignisse vgl. SCHNELLE (2005), 94f. 4 Vgl. B ÖTTRICH (1999), 417 und S CHNELLE (2003), 262.
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Kapitel 6. Kultische Sprache im 2. Korintherbrief
schärft auch die paulinische Selbstbeschreibung als Mitgeführter in einem kultisch konnotierten Triumphzug ein (2,14f): Nur wenn die Gemeindeglieder das, was dort geschieht – gemeint ist die paulinische Mission – als von Gott her qualifiziertes Geschehen (als göttlichen Wohlgeruch) wahrnehmen, haben sie eine Zukunft. An ihrer Stellung zu Paulus entscheidet es sich, ob die Gemeinde kultisch rein (a`gno,j [7,11]) und jungfräulich (a`gnh, – hier wechselt Paulus das Bildfeld, bewahrt aber einen kultischen Bezug [11,2]) und damit in Verbindung mit Gott bleibt oder nicht.
1. Christen als Heilige: 2 Kor 1,1 und 2 Kor 13,12 1. Christen als Heilige: 2.Kor 1,1 und 2 Kor 13,12
Paulus bezeichnet wie schon im 1 Kor die Adressaten seines Briefes als Heilige. Parallel dazu steht in Analogie zu 1 Kor 1,2 der Begriff evkklhsi,a. An diesem Sprachgebrauch fällt im Vergleich zum 1 Kor lediglich auf, dass der Adressatenkreis nicht völlig identisch zu sein scheint. Die Ekklesia befindet sich in der Stadt Korinth, die angesprochenen Heiligen hingegen im Umland.5 Vermutlich ist „su.n toi/j a`gi,oij pa/sin“ aber im Sinne von „mit allen übrigen Heiligen“ zu verstehen. Wie schon im 1. Korintherbrief verbindet sich mit dieser Benennung – wie auch mit der Wendung evkklhsi,a qeou/ – die Vorstellung, dass Gott ein „Eigentumsrecht“ an der Gemeinde hat.6 Aus diesem Eigentumsrecht ergeben sich für die Gemeinde kultisch und ethisch zu beschreibende Konsequenzen. Heiligkeit ist dabei niemals als Resultat menschlichen Tuns gedacht, sondern ist „durch Christus ermöglichte Teilhabe am Heilstun Gottes“.7 Die Heiligen sind alle Getauften. Von ihnen gilt: „they have been summoned […] to the God of Jesus Christ“.8
Am Schluss des Briefes übermittelt Paulus die Grüße der Mitchristen am Abfassungsort des Briefes. Auch diese gelten als Heilige. Als sichtbares Zeichen der gegenseitigen respektvollen Verbundenheit gilt der „heilige Kuss“, mit dem sich die Glieder der Gemeinde untereinander grüßen sollen (vgl. 1 Thess 5,26; 1 Kor 16,20; Röm 16,16). Bei ihm handelt es sich nicht einfach um ein in der Umwelt übliches Zeichen des Respekts oder der Verbundenheit.9 Weil er dem Wesen der Gemeinschaft, die er zum Ausdruck bringt, entsprechen soll, gilt auch er als „heilig“.
5
RETT 6 7 8 9
Korinth dürfte als deren „Ursprung und Zentrum“ gelten (W OLFF [1989], 17; B AR[1997], 55). Vgl. GERBER (2005), 47. GRÄßER (2002), 48. FURNISH (1984), 100. Vgl. STÄHLIN (1973), 138; KLAUCK (1982), 352ff.
2. Christen als Gesalbte: 2 Kor 1,21
201
2. Christen als Gesalbte: 2 Kor 1,21 2. Christen als Gesalbte: 2 Kor 1,21
Paulus reagiert im Kontext dieses Verses auf den Vorwurf der Unwahrhaftigkeit, der erhoben wird, weil er seine Ankündigung, die Gemeinde in Korinth zu besuchen, nicht wahr gemacht hat (1,15ff). Die Änderung der Reisepläne hat in der Selbstwahrnehmung des Apostels jedoch nichts mit Leichtfertigkeit zu tun (evlafri,a|) (1,17). Paulus beansprucht für sein Planen und Tun vielmehr die Treue und Verlässlichkeit Gottes, der Paulus „fest macht“ (bebaiw/n) an Christus (1,21). Wegen dieser festen Verbindung ist Paulus nicht Herr seines Wollens und Vollbringens, und darum kann man es ihm nicht zur Last legen, wenn er seine Ankündigung nicht eingehalten hat. Neben diese theologische Aussage, die das Verhalten des Apostels rechtfertigt, treten weitere, die das Handeln Gottes beschreiben, auf dessen Zuverlässigkeit sich Paulus beruft. Dazu gehört auch die auf kultischem Hintergrund verständliche Wendung „er hat uns gesalbt“ (cri,saj h`ma/j). Durch Salbungen wurde in der jüdischen und nichtjüdischen Antike die Verbindung zur göttlichen Welt hergestellt bzw. sichtbar gemacht. In diesem Vers ist es speziell die Verbindung mit Christus, um die es geht. Das eigene Gesalbt-Sein durch Gott steht für diese Verbindung.10 Die in Vers 22 folgenden Aussagen lassen an die Taufe als dem Ort denken, an dem sich dieses Mit-Gott-verbunden-Werden erfahrbar ereignet hat.11 Die Frage, ob Paulus eine Verbindung zwischen (realer?) Salbung und Taufe gesehen hat, können wir im Rahmen unserer Untersuchung offen lassen. Wichtig ist nur, dass sich mit der Salbung die Vorstellung der Zugehörigkeit zum Heiligen verbindet.12 Diese Vorstellung ist Leserinnen und Lesern mit jüdischem und heidnischem Hintergrund gleichermaßen vertraut.
3. Paulus als göttlicher Wohlgeruch im kultischen Triumphzug: 2 Kor 2,14f 3. Paulus als göttlicher Wohlgeruch: 2 Kor 2,14f
Diese Verse, mit denen ein eigener Argumentationsabschnitt im 2 Kor beginnt, der sich bis 7,4 erstreckt,13 scheinen auf die Wendung „Duft des Wohlgeruchs“ (ovsmh. euvwdi,aj) aus dem Kultvokabular der LXX (ab Gen
10 Vgl. KARRER (1991), 236. Bei Karrer ist der religionsgeschichtliche Hintergrund der Salbungsvorstellung im jüdischen und im paganen Kontext umfassend aufgearbeitet. 11 Die Alte Kirche kennt die Salbung als separaten Ritus unmittelbar nach der Taufe (Belege bei LIETZMANN [1949], 103f). 12 Die Nähe dieses Gedankens zur Heiligkeitstheologie deutet D UNN (2003), 330 an. 13 Vgl. CLARK W IRE (2001), 263ff.
202
Kapitel 6. Kultische Sprache im 2. Korintherbrief
8,21) zurückzugreifen.14 Paulus dankt Gott dafür, dass dieser ihn allezeit wie ein Feldherr in seinem Triumphzug mitführt, und beschreibt ihn als den, der den „Duft seiner Erkenntnis durch uns an jedem Ort offenbar macht“.15 Die Verse 15 und 16 führen den Gedanken begründend weiter, „denn wir sind Christi Wohlgeruch für Gott unter denen, die gerettet werden…“. Diese Paraphrase des Textes lässt kaum erahnen, mit welchen Ungewissheiten seine Auslegung behaftet ist. Zunächst ist umstritten, was Paulus meint, wenn er Gott als dem Subjekt des Partizips qriambeu,onti dankt.16 Qriambeu,w bedeutet „triumphieren, als Triumphator einziehen“.17 LSJ ergänzt noch „lead in triumph, of conquered enemies“ und „lead in triumph, as a general does his army”. 18 Während für die erste Bedeutung im LSJ noch Belege aus der nichtchristlichen Literatur angeführt werden, erscheint als Beleg für die zweite nur die hier zu besprechende Stelle. Setzt man den üblichen Sprachgebrauch voraus, dann erschiene Paulus in der Rolle des besiegten Feindes, den Gott als der Sieger in seinem Triumphzug19 mitführte. Dieser Gedanke bereitet in mehrfacher Hinsicht Schwierigkeiten. Ist es wirklich vorstellbar, dass Paulus sich in seiner Rolle als Missionar mit dem Bild des besiegten Feindes Gottes beschreibt? Wie sollte dies zur Fortsetzung passen, die Paulus ja eine außerordentlich positive Funktion beimisst?20 Wahrscheinlich sind es solche Bedenken, die in der Tradition von Calvin und Bengel nicht wenige Exegeten dazu bringen, die zweite Deutung zu bevorzugen: Gott ist der Triumphator und Paulus nimmt als Glied seiner Armee am Zug teil.21 Dieses Bild fügt sich zwar wesentlich glatter in den Kontext, setzt aber eine Wortbedeutung voraus, die – wie gesagt – so nicht belegt ist.22 Aus diesem Dilemma könnte eine Beobachtung herausführen, die den Triumphzug weniger als militärisches, sondern als kultisches Geschehen in den Blick nimmt – der 14 Vgl. KLAUCK (1983), 112. Auch wenn Paulus sie nicht wörtlich zitiert, so liegt es von Phil 4,18 her doch nahe, dass Paulus an dieses Syntagma erinnert. ATTRIDGE (2003), 83 mahnt demgegenüber zur Vorsicht, da Paulus die Wendung im Vergleich zum Sprachgebrauch der LXX eigentümlich auseinander reißt und Sir 24,15 sie auch ohne kultische Anklänge verwendet. 15 GRÄßER (2002) betont, dass die Geruchsmetaphorik dazu beiträgt, „die Wahrnehmung des Göttlichen als Sinneserfahrung“ zu beschreiben (110). Damit reagiert Paulus nach GRÄßER (2002), 109 offenbar auf etwas, das die Kontrahenten des Paulus sich selbst auf ihre Fahnen geschrieben haben (fanero,w ist im 2 Kor besonders häufig). 16 Vgl. die Diskussion der in der Forschung vorgetragenen Lösungsvorschläge bei FURNISH (1984), 174f; B ULTMANN (1976), 66 und besonders gründlich bei KÜGLER (1998), 165ff 17 So BENSELER, s.v. 18 LSJ, s.v. 19 Vgl. CLARK W IRE (2001), 265, die auf Josephus, Bell 7,122ff verweist. KÜGLER (1998), 159ff stellt Informationen zur „Struktur und Bedeutung des Triumphzuges“ zusammen. Dabei wird deutlich, dass der Triumphzug ein eminent kultisches Geschehen ist, in dem der Triumphator sich geradezu als „Träger göttlicher Kraft“ offenbart (vgl. 160). 20 Vgl. dazu vor allem K ÜGLER (1998), 170f. 21 So B ARRETT (1997), 98; GRÄßER (2002), 108. 22 Vgl. die entsprechenden Einwände von WOLFF (1989), 54.
3. Paulus als göttlicher Wohlgeruch: 2 Kor 2,14f
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imperatorische Triumphzug in Rom führte nicht umsonst zum Jupitertempel. Speziell religiöse Triumphe kennen die Kulte des Dionysos, der „Mutter der Götter“ und der Isis.23 Einen Isis-Zug (pompa) schildert eindrucksvoll Apuleius (met. 9ff). Vom Zug (pomph,) für die Mutter der Götter berichtet Herodian (Ab excessu divi Marci 1,10,5–7). Paulus zeichnete sich vor dem Hintergrund der genannten Texte dann als Teilnehmer (vielleicht sogar als Herold der Gottheit) an einem religiösen Umzug. 24 Diese Deutung hat den Vorteil, dass sie eine in den Quellen tatsächlich bezeugte Situation im Leben der Antike als Hintergrund für die Bildsprache dieses Verses voraussetzt, ohne den Apostel zugleich als militärisch besiegten Feind Gottes erscheinen zu lassen. Allerdings begegnet in den genannten Texten kein Wort vom Stamm qriamb-, der eben doch eher an einen militärischen Zusammenhang denken lässt.25 Eine solche militärische „pompa“ setzt nun Ovid voraus, wenn er den Verliebten zum Liebesgott sagen lässt: „Auf dem Wagen stehst du dann, während das Volk hurra schreit, […] und führst Jünglinge und Mädchen als Gefangene mit dir; dieser Zug wird ein prächtiger Triumph (pompa triumphans) für dich sein. Als deine neueste Beute bin ich dann selbst dabei mit meiner frischen Wunde und trage die Fesseln mit Ergebenheit.“26 Hier stellt sich das lyrische Ich, das sich dem Verliebtsein überlässt, als Gefangener im Triumphzug des Liebesgottes dar. Auf diesen Text hat Joachim Kügler hingewiesen, um zu zeigen, dass das Bild vom Mitgeführtwerden in einem Triumphzug nicht notwendig Feindschaft gegenüber dem Herrn des Zuges impliziert.27 Damit wäre die oben angezeigte Schwierigkeit beseitigt. Paulus könnte sich als Teilnehmer des Zuges darstellen, ohne dass er zugleich ein (besiegter) Feind Gottes wäre.28
Wie man sich auch entscheidet: Betont werden in jedem Fall der Öffentlichkeitscharakter des Verkündigungsgeschehens und die Tatsache, dass Paulus nicht in eigener Verantwortung oder aus eigenem Antrieb unterwegs ist.29 Er weiß sich geführt von Gott, der sich in seinem Triumphzug als Gott vor den Menschen offenbart. Bei Triumphzügen spielte Weihrauch eine große Rolle. Wer einem Triumphzug beiwohnte, bekam nicht nur et-
23
Vgl. ATTRIDGE (2003), 79ff. Vgl. ATTRIDGE (2003), 83f. 25 Vgl. Breytenbachs Analyse des Wortfeldes (BREYTENBACH [1990], 259–264). 26 Ovid, am. 1,2,25ff. 27 Vgl. KÜGLER (1998), 159. 28 BREYTENBACH (1990), 269 zeigt, dass aber auch dieser Gedanke im Kontext durchaus sinnvoll ist. 29 Vgl. WOLFF (1989), 54. Den zuletzt genannten Aspekt betont FURNISH (1984), 175 unter Berufung auf Seneca, benef. 2.11.1 (hier geht es konkret darum, dass der Mensch, der von einem Wohltäter dauernd an die empfangene Wohltat erinnert wird, im Grunde nicht mehr Herr seiner selbst ist. Dieses „Herumgeführtwerden“ vergleicht Seneca mit einem Triumphzug [in triumpho]). Sollte Paulus zusätzlich daran gedacht haben, seine Rolle als schmachvoll zu beschreiben, entstünde eine interessante Parallele zu 1 Kor 4,9 (vgl. B ARRETT [1997], 98; FURNISH [1984], 187). Die Rolle des Paulus ist wenig ehrenvoll – aber in dieser Rolle vollbringt er Gutes. 24
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Kapitel 6. Kultische Sprache im 2. Korintherbrief
was zu sehen, sondern auch zu riechen.30 Etwas Göttliches teilt sich dort mit. Dieses Bild beschreibt auf der Sachebene die missionarische Tätigkeit des Apostels. Die Leserinnen und Leser erfahren, dass Gott Paulus wie unter Zwang „führt“ und dass dies der Offenbarung Gottes dient.31 Das Forum, vor dessen Augen (und Nase) sich das alles abspielt, ist zunächst ein rein menschliches. Vers 15 spannt den Bogen nun weiter: Gott und die Menschen, die gerettet werden, nehmen den angenehmen Duft wahr. Dass Menschen etwas Angenehmes riechen, wenn sich eine Gottheit offenbart, ist eine in der Antike von Homer bis in die römische Literatur hinein häufig anzutreffende Vorstellung.32 Auf sie scheint Paulus in Vers 14 zurückzugreifen: Wo das von Paulus verkündigte Evangelium sich durchsetzt,33 breitet Gott den (angenehmen) Geruch „der Erkenntnis“ Gottes aus.34 Die Erkenntnis Gottes35 gewinnt vor dem Hintergrund der angesprochenen Vorstellung dann so etwas wie einen Vergegenwärtigungscharakter: in diesem Wissen ist Gott selber präsent – darum „riecht es gut“. In Vers 15 wendet Paulus dieses Motiv nun auf sich selber an: Er ist der Wohlgeruch, der durch Christus qualifiziert ist. Botschaft (V.14) und Bote (V.15) verbinden sich untrennbar miteinander.36 Neu gegenüber Vers 14 ist der Gedanke, dass auch Gott diesen Wohlgeruch riecht. Dass Gott die Opfer „riecht“, entspricht der biblischen Opfertheorie und Praxis, ist aber auch in paganen Riten bezeugt.37 Paulus erscheint hier somit als Opferduft, an dem Gott Gefallen hat.
30
Das entspricht dem Charakter des Triumphzuges als einem epiphanen Geschehen (vgl. Dion.Hal.ant. 7,72,13; Ovid, fast. 3,731; BREYTENBACH [1990], 269; KÜGLER [1998], 162ff). 31 Das ist im Argumentationszusammenhang des 2. Korintherbriefes das, was Paulus seinen Leserinnen und Lesern immer wieder vor Augen führen möchte. 32 Vgl. dazu LOHMEYER (1919) und jetzt KÜGLER (1998), 162ff und (2000). 33 Dies scheint mit dem aus der Militärsprache stammenden Bild vom Triumphzug gemeint zu sein. Davon dass Paulus – und damit letztlich Gott – mit seiner Verkündigung erfolgreich war, spricht im Kontext schon Vers 12. 34 Dass Gott Adressat dieses Vorganges ist, setzt die anregende Deutung H. L IETZMANNs (1949), 108 voraus, der diese Stelle mit Röm 15,16 zusammen liest, so dass Paulus als Priester erscheint. Diese Deutung ist aber deswegen wenig wahrscheinlich, weil Gott ja selbst – und nicht der Apostel – Subjekt des beschriebenen Geschehens ist. Dass Gott sich selbst ein Opfer darbringt, ist aber eine etwas seltsame Vorstellung. 35 W OLFF (1989) denkt an die „Anerkenntnis jenes Gottes, der in Jesus Christus heilschaffend gehandelt hat“ (55). 36 Vgl. W OLFF (1989), 56. 37 Vgl. VAHRENHORST, Exkurs zur Opferterminologie im Begleitband zu LXX.D.
3. Paulus als göttlicher Wohlgeruch: 2 Kor 2,14f
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Diese Deutung ist nicht unumstritten.38 Sie kann sich darauf stützen, dass der Dativ tw/| qew/| biblisch geschulte Leserinnen und Leser (und evtl. auch den Verfasser) an den Sprachgebrauch der LXX erinnert, die Gott im Dativ als Empfänger des Wohlgeruchs darstellt. Aber auch in nichtjüdischen Quellen steht die Gottheit, die etwas empfängt, ganz selbstverständlich im Dativ. Dieses Verständnis des Textes kann sich weiterhin darauf berufen, dass Paulus in Phil 4,18 menschliches Tun und Leben als Wohlgeruch beschreibt (ebenfalls mit tw/| qew/|). Sie hat drittens den Vorzug, dass sie zwischen den Dativen dieses Verses keinen Bedeutungswandel annehmen muss. 39
Die Menschen, die zu den Geretteten gehören (toi/j sw|zwme,noij), nehmen diesen Wohlgeruch als Begleitumstand göttlicher Offenbarung wahr. Denen, die verloren gehen (toi/j avpollume,noij), schlägt er als Verwesungsgeruch entgegen.40 Vers 16 kontrastiert beide „Rezeptionsweisen“ – sachlich ist damit die positive bzw. negative Einstellung dem Apostel gegenüber gemeint – abschließend miteinander: Die Wahrnehmung des Apostels führt entweder zum Leben oder zum Tod. Weil Paulus seine Botschaft so eng mit seiner Person verbunden sieht, entscheidet sich an der Haltung ihm gegenüber Heil und Unheil der Menschen.41 Paulus scheint die Kühnheit dieses Gedankens selbst empfunden zu haben, wenn er fragt: „Und wer ist für eine solche Aufgabe befähigt? (kai. pro.j tau/ta ti,j i`kano,j)“.42 Er beantwortet diese für den ganzen Brief zentrale Frage im Verlauf seiner Argumentation, indem er darauf verweist, dass Gott selbst ihn dazu fähig gemacht hat (z. B. 10,18).43 Dieser kleine Abschnitt entfaltet in Juden wie Nichtjuden gleichermaßen verständlicher kultischer Begrifflichkeit einen zentralen Gedanken des 2. Korintherbriefes: Paulus ist in besonderer Weise von Gott zum Werkzeug der Verkündigung des Evangeliums ausersehen. Darum ist es für die Gemeinde heilsnotwendig, in der Gemeinschaft mit Paulus zu bleiben, und
38
Vgl. die Diskussion bei BULTMANN (1976), 70. Vertreten werden folgende alternative Deutungen des tw/| qew/|: „zu Gottes Ehre“ / „in Gottes Dienst“ (BULTMANN [1976], 70); „for God“ (FURNISH [1984], 177 – ohne dass Opferterminologie angenommen wird); 39 Auch das evn, das vor dem zweiten Dativ steht, zwingt nicht dazu. Es kann als Signal gewertet werden, dass es ermöglicht beide Glieder nebeneinander stehen zu lassen: Der Wohlgeruch steigt auf zu Gott und breitet sich zugleich unter den Menschen aus, die gerettet werden. Vgl. B ARRETT (1997), 99 (dass Christus hier als Opfer verstanden wird, von dem der Wohlgeruch ausgeht, scheint mir das Bild doch zu sehr zu pressen). 40 Vgl. dazu B ECHMANN (2000), 60. 41 Vgl. SCHRÖTER (1993), 32: „Die Duftmetapher bezeichnet […] die völlige Identität von Boten und Botschaft“. Die enge Bindung von Botschaft und Person führt sogar dazu, dass Paulus in 6,14ff seine Gegner schlicht als „Ungläubige“ bezeichnen kann. Wer gegen Paulus ist, der ist auch gegen Christus – und darum kann er nicht zu den Gläubigen gehören (Kapitel 6, 4). 42 Übersetzung nach L IETZMANN (1949), 108. 43 Vgl. GRÄßER (2002), 113.
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Kapitel 6. Kultische Sprache im 2. Korintherbrief
sich nicht mit so genannten Aposteln, die sich vor allem selbst empfehlen, zu verbinden.
4. Die Gemeinde als Tempel: 2 Kor 6,14ff 4. Die Gemeinde als Tempel: 2 Kor 6,14ff
Die hier zu untersuchenden Verse 6,14–7,144 werden gerahmt von dem Appell an die Korinther, Paulus gegenüber eine positive Haltung einzunehmen.45 Der Apostel wirbt intensiv um die Sympathie seiner Leserinnen und Leser. Der Eindruck einer bewussten Rahmung entsteht dabei vor allem bei der Lektüre der Lutherübersetzung: „…macht auch ihr euer Herz weit“ (6,13b) – „Gebt uns Raum in euren Herzen“ (7,2a). Im griechischen Text sind die Bezüge weniger deutlich, da dort das Objekt Herz, das im Deutschen die enge Verbindung der beiden Verse suggeriert, nicht im Text steht: „plantu,nqhte kai. u`mei/j“ – „cwrh,sate h`ma/j“.46 Diese Syntagmen sprechen davon, dass etwas erweitert bzw. weit gemacht wird, so dass Raum für etwas entsteht.47 Sachlich ist damit nichts Anderes gemeint, als dass die Korinther sich dem Apostel und seiner Verkündigung wieder vertrauensvoll zuwenden sollen. Es ist im griechischen wie im deutschen Text möglich 7,2 als direkte Fortsetzung von 6,13 zu lesen.48 Das spräche neben dem auffälligen Vokabular der Verse 6,14–7,1 dafür, diesen Text für einen Einschub zu halten, der sich einer anderen Feder als der des Apostels verdankt.49 Zwingend 44
Zur Struktur dieses Abschnittes vgl. FURNISH (1984), 371; SCOTT (1994), 75 und 97; GRÄßER (2002), 257. Eine knappe Übersicht über die in der Forschung vertretenen Positionen hinsichtlich der paulinischen Verfasserschaft bzw. der Stellung im Kontext bietet W ALKER (2002), 142. 45 Vgl. LIETZMANN (1949), 131. 46 In beiden Fällen ist das Objekt „Herz“ in der Übersetzung ergänzt. In 6,13 hat das Anhalt an der analogen Wendung in 6,11 (h` kardi,a h`mw/n pepla,tuntai). In Vers 7,2 braucht die wörtliche Übersetzung „gebt uns Raum“ eine solche Ergänzung (wie sie auch die Einheitsübersetzung und die revidierte Elberfelder vornehmen) nicht. 47 Der bildliche Ausdruck meint nach B ULTMANN (1976), 177 Offenheit und Vertrauen. 48 SCHRÖTER (1993), 339 sagt zu Recht, dass der Übergang von 6,13 zu 7,2 „nicht so glatt“ ist, „wie es oft behauptet wird“. Anders W ALKER (2002), 143f. Der von ihm beobachtete Chiasmus bliebe aber auch dann erhalten, wenn die zur Debatte stehenden Verse ursprünglich in den Kontext gehörten. 49 Die Problematik, die sich mit 2 Kor 6,14-71 verbindet, stellt SCHMELLER (2006), 220ff präzise dar (besonders auch S. 220, Anm. 2). Zur These, der Text sei un- oder gar antipaulinisch (so BETZ [1994]) vgl. SCHNELLE (2003), 258 und Kraus (1996), 261f, der eindeutig für paulinische Verfasserschaft votiert (vgl. auch KRAUS [1996], 268). Die Argumente, die jetzt GRÄßER (2002), 264f für den unpaulinischen Charakter dieses Textes vorbringt, bleiben hinter dem von SAß (1994) markierten Diskussionsstand deutlich
4. Die Gemeinde als Tempel: 2 Kor 6,14ff
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nötig ist dieser Schluss nicht.50 Die paulinischen Hapaxlegomena51 können sich traditionell geprägter Sprache, die Paulus hier aufgreift, verdanken.52 Die zentrale Vorstellung von der Gemeinde als Gottes Tempel hat Paulus schon im 1 Kor zweimal entfaltet.53 Vor allem aber fügt sich dieser Abschnitt auch inhaltlich gut in den Argumentationsduktus ein: Paulus wirbt um die Herzen seiner Adressaten – das bedeutet zugleich, dass er sie dazu bringen muss, sich von seinen Konkurrenten54 abzuwenden und mit ihnen keine gemeinsame Sache zu machen.55 Genau dies ist die Aussage des Imperativs von Vers 14: „Zieht nicht mit den Ungläubigen am fremden Joch…“. Schon in dem Verb e`terozuge,w steckt die Vorstellung, dass die beiden Zugtiere, die unter einem Joch ziezurück. Gleiches gilt im Prinzip für HULTGREN (2003), 40f, der ebenfalls nicht überzeugend darlegt, warum der Text nicht von Paulus stammen kann. Die inhaltlichen Differenzen zu paulinischen Aussagen, die Hultgren ausmacht (vor allem die strikte Abgrenzung nach außen [41]), erscheinen weniger streng, wenn man das gesamte Aussagegefälle 1 Kor 5–6 berücksichtigt, und nicht nur 1 Kor 5,9–10. Dass 2 Kor 6,14–7,1 „the flow of thought between 6.13 and 7.2“ unterbricht (HULTGREN [2003], 39 ist keineswegs ausgemacht. 50 Zur vermeintlich harten Unterbrechung des Zusammenhanges von 6,13 und 7,2, die keineswegs gegen die paulinische Verfasserschaft sprechen muss vgl. schon LIETZMANN (1949), 130f. 51 Sie nennt und bespricht SAß (1994), 38f mit dem Ergebnis, dass unter dem Strich von zehn genannten nur eines übrig bleibt. SAß (1994), 39–42 vermag auch die anderen vermeintlich unpaulinischen Charakteristika dieser Passage befriedigend zu erklären. Vgl. auch HOGETERP (2006), 366ff. 52 SCHNELLE (2003), 258 verweist auf eine Nähe dieses Abschnitts zu Texten aus Qumran, den Testamenten der XII Patriarchen und dem Jubiläenbuch (dazu SAß [1994], 45, der auf Jub 1,15–26 verweist). Vgl. auch KRAUS (1996), 264. Die besondere Nähe dieses Abschnitts zu Qumrantexten ist schon lange bekannt (vgl. dazu KLINZING [1971], 172ff). Bedeutsam ist in dieser Hinsicht die dualistische Färbung der Verse 14–16 (vgl. 1QS 3,19–21; 1QM 13,10f), das Motiv von der Gemeinde als dem Tempel Gottes (diskutiert wird seit FITZMYER [1961] und GÄRTNER [1965] vor allem 4Q174) und die daraus resultierende Forderung zur Trennung von Nichtgemeindegliedern (1QS 9,5f) (vgl. KLINZING [1971], 174). 53 Vgl. HORN (1992), der seine Besprechung von 2 Kor 6,14–7,1 wie folgt abschließt: „Dies (d.h. die „neue Wirklichkeit“, die mit der „Einwohnung […] in der Gemeinde als Tempel Gottes gegeben“ ist [M.V.]) und die Verpflichtung, diese neue Tempelexistenz ethisch in Heiligkeit zu bewahren (7,1), stellt 6,14–71 in deutliche Nähe zu 1 Kor 3,16 und 6,19 und lässt davon absehen, den Text in eine völlig andere Situation als die der frühpl Verkündigung zu verlagern“. SAß (1994), 48 verweist unter Berufung auf B ERGER ([1984], 130) auf 1 Thess 4,3ff; 1 Kor 6,9ff und Röm 6,17ff, die mit 2 Kor 6,14ff vor allem folgende Motive gemeinsam haben: „Oppositionen“, „Zusammenhang von Reinigung und Heiligung“. Auch diese Beobachtung spricht dafür, unseren Text dem Apostel nicht abzusprechen. 54 Dabei handelt es sich um Menschen, die nicht aus der Mitte der Gemeinde, sondern von außen kommen (vgl. BÖTTRICH [1999], 417). 55 Vgl. dazu WOLFF (1989), 148, Anm. 24.
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Kapitel 6. Kultische Sprache im 2. Korintherbrief
hen, nicht zusammenpassen, oder dass das Joch, an dem sie ziehen, ein falsches ist.56 Beachtung verdient der Vorschlag Woykes, das e`terozugei/n im Licht von Lev 19,19 zu lesen. Das Wort begegnet in der LXX nur an dieser Stelle und wird „nur in Auslegung ebendieses Gesetzes“ verwendet (SpecLeg 4,203). Der Sache nach geht es in Lev 19,19 um das Verbot verschiedene Tierarten miteinander zu kreuzen. Paulus könnte dieses Gesetz hier „paränetisch“ anwenden. Er hätte damit Vorläufer im hellenistischen Judentum, die dieses Gebot wegen seiner sexuellen Konnotationen auf menschliches Verhalten gedeutet haben.57 Dass Paulus davor warnt, etwas zusammenzubringen, das nicht zusammengehört, konnten seine Leserinnen und Leser aber auch verstehen, ohne Lev 19,19 vor Augen zu haben.
Wenn die Korinther sich auf die Seite der Gegner des Paulus schlagen, kommt es also zu einer Verbindung von zwei Größen, die nicht zueinander passen. Darauf legen nun die rhetorischen Fragen der folgenden Verse den Akzent.58 Dass Paulus an seinen Gegnern kein gutes Haar lässt, ist eine Beobachtung, die sich nicht nur bei der Lektüre des 2. Korintherbriefes aufdrängt. In diesem Brief nennt Paulus seine Konkurrenten „falsche Apostel“ und „betrügerische Arbeiter“, deren wahrer Herr und Auftraggeber der Satan selber sei (11,13ff). Er unterstellt ihnen, sie predigten einen anderen Christus und ein anderes Evangelium (11,4) und fälschten letztlich das Wort Gottes (4,2). Von daher überrascht nicht, dass Paulus in diesen Versen seine Kontrahenten als „Ungläubige“59 hinstellt und sie mit allem assoziiert, 56 Vgl. die Belege bei B AUER / ALAND s.v.; W OLFF (1989), 149; GRÄßER (2002), 257f. BETZ (1994), 21 versteht diese Wendung im Licht des rabbinischen Syntagmas „hrwth lw[“ (Joch der Tora). Mit den Ungläubigen am Joch zu ziehen, sei gleichbedeutend mit „to throw off the yoke of heaven“. Diese Deutung hängt von der Vorentscheidung ab, den ganzen Abschnitt als antipaulinisches Fragment zu lesen. Sonst ist eine Schlussfolgerung wie „it seams clear from the following that the ‚yoke’ of the pistoi, must be identical with the Tora“ schlicht aus der Luft gegriffen. 57 Vgl. z. B. Philo, SpecLeg 4,203 (Zoophilie); SpecLeg 4,205 (Rechtsschutz für den Schwachen). Weiteres bei WOYKE (2005), 294f. 58 In mehreren Variationen fragt Paulus nach der Gemeinschaft, dem Zusammenklang, der Anteilhabe und der Übereinstimmung von dem, was die Gemeinde qualifiziert bzw. qualifizieren sollte und dem, was die Gegner des Paulus in seinen Augen repräsentieren. Die Leserinnen und Leser müssen Paulus zustimmen und antworten, dass es da eben keine Übereinstimmung gibt (vgl. B ARRETT [1997], 198f; GRÄßER [2002], 258). 59 Diese Benennung für christliche Gegner ist ungewöhnlich. Im 1 Kor sind damit immer Menschen gemeint, die nicht zur Gemeinde gehören (vgl. SCHMELLER [2006], 223). Dass diesen gegenüber bestimmte Trennungslinien aufrechterhalten werden müssen, um die Heiligkeit der Gemeinde zu schützen, sahen wir bei unserer Besprechung von 1 Kor 5f (Kapitel 5, 5 und 6). B ÖTTRICH (1999), 417f vermutet nun, dass diese Polemik in 6,14f darauf schließen lässt, dass Paulus hier eine Tradition zitiert, die ursprünglich einen anderen (vielleicht dem 1 Kor vergleichbaren) Sitz im Leben hatte (ähnlich auch FURNISH [1984], 372). Das kann nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden. Nur sei
4. Die Gemeinde als Tempel: 2 Kor 6,14ff
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was dem, wofür Paulus steht, diametral entgegengesetzt ist: Gesetzlosigkeit (avnomi,a), Finsternis (sko,toj), Beliar (Belia,r), Götzen (ei;dwla), Unreines (avka,qartoj), Befleckung des Fleisches und des Geistes (molusmo.j sarko.j kai. pneu,matoj). Die letzten drei Negativbegriffe geleiten in die Welt des Kultes. Gleiches gilt für das positive Zentralmotiv dieses Abschnittes, mit dem Paulus das Wesen der Gemeinde beschreibt: Tempel des lebendigen Gottes (nao.j qeou/ zw/ntoj)60.61 Neben diesem zentralen Motiv finden sich auch noch andere positive Qualifikationen der Gemeinde bzw. ihres Verhaltens, nämlich dikaiosu,nh und das Adjektiv pisto,j. Vor allem das erste Glied verdient unser Augenmerk, weil Paulus im gesamten Abschnitt 6,14–7,1 wieder eine Parallelisierung von gerechtigkeits- und kulttheologischer Begrifflichkeit vornimmt, wie sie uns schon mehrfach aufgefallen ist (1 Thess 2,10; 1 Kor 1,30; 6,11).62 Dass die Gemeinde die Gerechtigkeit geradezu personifiziert, weist auf 2 Kor 5,21 zurück.63 Schon im 1 Kor hatte Paulus die Gemeinde (bzw. den Leib des einzelnen Gemeindegliedes) als Tempel Gottes64 bezeichnet und die notwendigen Konsequenzen, die zum Schutz der Heiligkeit dieses Tempels zu ziehen sind, dargestellt. Dazu gehörten deutliche Trennungen von innen und außen (in 1 Kor 5ff wird das „Außen“ u. a. durch pornei,a und nichtchristliche Richter repräsentiert). Um notwendige Trennungen geht es auch hier. Über das uns schon bekannte Material aus dem 1 Kor hinaus entwickelt Paulus seine These von der Gemeinde als Tempel in 2 Kor 6,16 aus der darauf hingewiesen, dass diese Benennung angesichts dessen, was Paulus sonst in diesem Brief über seine Gegner zu sagen hat, keineswegs aus dem Rahmen fällt. Vor allem ihre Assoziation mit dem Satan in 11,14 gibt m. E. den Ausschlag, dass Paulus hier an seine Gegner denkt (das berücksichtigt GRÄßER [2002], 259 nicht genug). Dass Paulus für seine Kontrahenten kein seliges Ende erwartet, dürfte klar sein, also können sie auch mit den Ungläubigen in 4,4 gemeint sein (vgl. WOLFF [1989], 148). HOGETERP (2006), 377 deutet diese Wendung ebenfalls auf diejenigen, die dem paulinischen Evangelium nicht glauben, ja ihm sogar Widerstand leisten. Ob Paulus in der hochpolemischen Situation, die der 2 Kor spiegelt, wirklich damit rechnet, dass „selbst gegnerische Christen nicht“ verloren gehen, was man mit SCHMELLER (2006), 223 1 Kor 3,15 entnehmen könnte, bleibt fraglich (vgl. auch oben Anm. 41). 60 Sprachlich erinnert der Ausdruck an Dan 5,23 (vgl. F URNISH [1984], 363). 61 Dass diese Aussage auch formal den „Dreh- und Angelpunkt“ des ganzen Abschnittes bildet, zeigen SAß (1994), 55 und KRAUS (1996), 262f. 62 Vgl. Kapitel 5, 2 und 7. 63 Auch diese Beobachtung spricht dafür, dass die zur Debatte stehenden Verse in den Kontext gehören, in dem sie heute stehen. Vgl. SAß (1994), 51 64 Nach GRÄßER (2002), 261 verbindet sich mit dieser Benennung zum einen die Vorstellung, dass Gott der Eigentümer der Gemeinde ist, zum anderen, dass er dort wohnt. Gottes „unantastbare Heiligkeit überträgt sich auf“ die Gemeinde.
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Kapitel 6. Kultische Sprache im 2. Korintherbrief
Schrift.65 Eine Kombination von Zitaten bzw. Anspielungen aus unterschiedlichen Zusammenhängen66 wird herangezogen, um diese These und die sich daraus ergebenden Folgen für das Handeln der Gemeinde zu untermauern. So rekurriert Vers 16bb auf Lev 26,12:67 „Und ich werde unter euch umhergehen und ich werde euer Gott sein, und ihr68 werdet mein Volk sein“.69 Vers 16ba (evnoikh,sw evn au,toi/j) findet sich in der LXX so nicht.70 Inhaltlich dürften Stellen wie Ex 29,45 (MT) oder Ez 37,27 hier Pate gestanden haben,71 Texte, die das Wohnen Gottes bei72 seinem Volk ankündigen.73 Das Verb evmperipaqei/n kann „God’s indwelling in his faithful“ bezeichnen.74 Das lässt sich dem philonischen Sprachgebrauch entnehmen (Som 1, 148; Mut 265f). Bei Philo ist 65 Zur Struktur der Verse 16–18 vgl. A LETTI (2002), 161. HOGETERP (2006), 375 geht m. E. zu weit, wenn er aus der Tatsache, dass Paulus hier mit Schriftzitaten argumentiert, folgert: „the search for any substantial parallels on the pagan Hellenistic side can therefore be dismissed beforehand“. Auch wenn Paulus seine Gedanken aus biblisch / jüdischer Perspektive heraus entwickelt, können sie pagane Entsprechungen haben, die ihre Rezipierbarkeit für Nichtjuden erhöht. 66 Manche Ausleger vergleichen die Zusammenstellung der Schriftstellen hier mit Testimonien aus Qumran (vgl. F ITZMYER [1961], 271ff und GÄRTNER [1965], 50ff nehmen sogar an, dass Paulus direkt Qumrantraditionen zitiert. Dass diese Annahme nicht zwingend ist, zeigt schon M CKELVEY [1969], 97). SCOTT (1994), 77 betont, dass die Qumranüberlieferungen die Komplexität des hier zur Debatte stehenden Textes nicht erreichen. Scott verweist zum Vergleich auf Röm 3,10–18 und folgert daraus, dass so wie der eine Text von Paulus stammt, auch der andere von Paulus selbst entworfen ist. 67 Auch auf Ez 37,27 könnte hier angespielt sein (vgl. SCOTT [1994], 78f). „Both texts refer to God’s dwelling among Israel, and both contain a version of the covenant formula” (SCOTT [1994], 79). Ich halte es aber für fraglich, ob man auf eine so vage Anspielung ein theologisch so gewichtiges Konstrukt aufbauen sollte, wie Scott das tut. Vom neuen Bund ist hier – anders als in Kapitel 3 – nicht die Rede. Auch der Bezug zu Ez 37,27 ergibt sich nur durch den Wechsel von der 2. Person Plural zur 3. Person Plural. Angesichts der Tatsache, dass Paulus aber auch sonst Zitate verändert (vgl. schon Vers 17f) halte ich es für fraglich, ob man hier überhaupt auf Ez 37 angespielt sehen sollte. 68 Vgl. ALETTI (2002), 164. 69 An dieser Stelle könnte man KRAUS (1996), 264f sicherlich darin Recht geben, „dass das Tempelmotiv in seiner Anwendung auf die Gemeinde in den Rahmen des Gottesvolkthemas […] gehört“. Ich möchte aber fragen, ob man dies auch für 1 Kor 3,16 einfach so voraussetzen darf, denn dort macht Paulus diesen Zusammenhang nicht explizit (vgl. Kapitel 5, 3). 70 Von den 40 Belegen für das Wort evnoike,w bezieht sich keiner auf das Wohnen Gottes (vgl. FURNISH [1984], 363; B ARRETT [1997], 200). 71 Vgl. MCKELVEY (1969), 95. 72 Vgl. dazu den Exkurs in Kapitel 5, 3. 73 HAFEMANN (1997), 187 weist auf 4Q 174,1,1–7.10f (gemeint sein muss 4Q174 3 fr. 1) und 11QT 29,7f als Parallelen hin, in deren Licht Paulus und die Qumrangemeinde – wie er sich ausdrückt – als Cousins erscheinen (vgl. HAFEMANN [1997], 186). 74 BETZ (1994), 27.
4. Die Gemeinde als Tempel: 2 Kor 6,14ff
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es der Verstand, in dem Gott wie in einem Palast „umhergeht“, so dass dieser zu Gottes Haus wird (Praem 123). „On the basis of the Philonic interpretation we can conclude that evnoikh,sw evn auvtoi/j interprets evmperipatei/n as God’s indwelling in his faithful and that this interpretation has become part of the quotation itself“.75
Paulus versteht diese Texte so, als kündigten sie das Wohnen Gottes in seinem Tempel an, und bezieht sie auf die Gemeinde: Sie ist Ort der Gegenwart Gottes – also sein Tempel.76 Paulus zeichnet die Identität der Gemeinde hier also in die Geschichte des Wohnens Gottes bei seinem Volk77 ein und versteht ihr Wesen aus dieser Geschichte heraus.78 Die Konsequenzen, die sich aus dieser Wesensbestimmung79 ergeben (dio,), entfaltet Paulus ebenfalls aus der Schrift (6,17f): „The presence of God requires the purity of his people“.80 Dabei verwendet Paulus Elemente aus Jes 52,11: „evxe,lqate evk me,sou auvtw/n (evxe,lqate evk me,sou auvth/j)“; „kai. avfori,sqhte (avfori,sqhte)“; „kai.
75
BETZ (1994), 27. Dieses Motiv sollen die Schriftzitate in der Tat unterstreichen (vgl. ALETTI [2002], 165). Die Wendung „Volk Gottes“ ist aber nicht identisch mit „Tempel Gottes“, sondern letzterem argumentativ untergeordnet (ALETTI [2002], 166). 77 Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund dieses Motivs vgl. KRAUS (1996), 265, der auf Bernd Janowskis Untersuchungen zur Schechina Tradition verweist (vgl. J ANOWSKI [2000], 165ff). 78 Über den Tempel in Jerusalem und andere Stationen dieses Wohnens Gottes in Israel sagt Paulus nichts, und es ist fraglich, ob wir dieses Schweigen in eine Kritik am bestehenden Tempel umformen dürfen. Wie schon anlässlich von 1 Kor 3,16 ist wieder zu fragen, ob wir Paulus Konsequenzen unterstellen sollten, die sich zwar aus seinen Gedanken logisch entwickeln lassen, die er aber selbst nicht ausdrücklich zieht – so wie z. B. KRAUS (1996), (bes.) 266 dies tut (vgl. dazu grundsätzlich A LETTI [2002], 156f). Im hier zur Debatte stehenden Kontext geht es nicht um das Verhältnis von Gemeinde und Israel, sondern nur um das Wesen der Gemeinde. Nur darüber spricht Paulus – und mehr sollten wir m. E. nicht hören (wollen). 79 Dass diese Wesensbestimmung im Zentrum des ganzen Abschnitts steht, arbeitet W OYKE (2005), 319 heraus. Vers 16b beschreibt nun in der Tat das aktuelle Wesen der Gemeinde (evsmen). Von daher ist es schwierig unter Berufung auf 7,1 mit KRAUS (1996), 267 den Gottesvolkbegriff als „Verheißung“ für die Gemeinde zu verstehen. Das, wovon Paulus hier spricht ist Realität (vgl. BETZ [1994], 28) – 7,1 würde ich von daher so paraphrasieren: „wenn wir diese Verheißungen haben, d. h. auf uns beziehen dürfen…“. Paulus lässt die Schrift hier nicht von einer Zukunft sprechen, die die Gemeinde noch vor sich hat, er liest die Zukunftsansagen der Schrift vielmehr so, dass sie die Gegenwart der Gemeinde beschreiben und zu einem entsprechenden Tun auffordern. Zum Gegenwartscharakter der Tempelekklesiologie vgl. Anm. 141 in Kapitel 5, 6. 80 So B ARRETT (1997), 200. Vgl. auch SCOTT (1994), 84. Um diesen Gedanken zu unterstreichen, führt Paulus das Motiv vom Volk Gottes ein. Die Gemeinde ist Tempel und nicht Volk, aber wie das Volk soll sie rein und heilig sein. Ähnlich ALETTI (2002), 154. Die Erwähnung des Volkes hat die Funktion, „de signifier une transformation rendant le groupe des élus digne de la présence et de la sainteté divine“. 76
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Kapitel 6. Kultische Sprache im 2. Korintherbrief
avkaqa,rtou mh. a[ptesqe (kai. avkaqa,rtou mh. a[ptesqe)“.81 Dieser Vers ruft in seinem biblischen Kontext diejenigen, die Gottes (Kult-)Geräte tragen, dazu auf, sich von Unreinheit fernzuhalten bzw. abzusondern, um so zum Kontakt mit den heiligen Dingen fähig zu sein. Indem Paulus diesen Text auf die Gemeinde anwendet, unterstreicht er seine in Vers 14 ausgesprochene Mahnung zur Trennung von den falschen Aposteln (das erklärt den Wechsel zum Plural auvtw/n im Zitat).82 Heiliges muss von Unreinem getrennt werden, um es vor der Entweihung zu schützen. So muss sich auch die als heilig qualifizierte Gemeinde von denen trennen, die in der Wahrnehmung des Apostels inhaltlich und formal etwas verkündigen, was zum eigentlichen Wesen der Gemeinde nicht passt. Nur so kann es der Gemeinde gelingen, ihren Status und die damit verbundene Zusage der Gegenwart Gottes zu bewahren (Vers 16). Nichts weniger als dieser Status – und damit ihr Heil – steht für die Gemeinde auf dem Spiel.83 Dies verdeutlicht Paulus wiederum mit biblisch inspirierten Worten.84 Der Schluss von Vers 17 (kavgw. eivsde,xomai u`ma/j) ruft das in biblischen Heilsverheißungen weit verbreitete Motiv von der Sammlung der Zerstreuten wach (vgl. nur Hos 8,10; Mi 4,6; Zef 3,19; Sach 10,8.10; Jer 23,3; Ez 11,17; 20,23; 22,20). Mit eivsde,comai (LEH: to receive) gibt die LXX regelmäßig das hebräische #bq (sammeln) wieder. Damit gewinnen die biblischen Texte im Griechischen die Bedeutungsnuance „annehmen / aufnehmen“ hinzu.85 Wenn die Gemeinde sich so verhält, wie Paulus es von ihr erwartet, kann sie damit rechnen, dass Gott sie annehmen und eine VaterKind Beziehung zu ihr pflegen wird. Letzteres stellt Vers 18 – eventuell auf 2 Sam 7,14; 1 Chr 17,13; 22,1086 anspielend – in Aussicht.87 Verbürgt wird all das von Gott selbst, der im Corpus Paulinum nur an dieser Stelle 81
Der Text in Klammern ist der LXX Text von Jes 52,11. Vgl. SCOTT (1994), 83. GRÄßER (2002), 263 nennt dies „exegetisches Wunschdenken“. Es fällt aber schon auf, dass Paulus mit dem Zitat das Bild vom Auszug verwendet, während man sich den Vorgang in der Realität eher als Ausschluss vorstellen dürfte. Das Zitat muss der Realität allerdings nicht 1:1 entsprechen. Es geht um die Aufforderung zur Trennung, und diese wird biblisch begründet. 83 Vgl. oben zu 2 Kor 2,14f. 84 Um direkte Zitate handelt es sich nicht (vgl. BETZ [1994], 31). 85 In paganen Texten bedeutet dieses Wort „aufnehmen“ im Sinne von „zulassen“ (Herodot 1,144 von der Zulassung zu einem Heiligtum) oder „empfangen“ (vgl. LSJ, s.v.). Die möglichen kultischen Assoziationen dürfen wir mithören – dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die Gemeinde nicht erst in das Heiligtum eingelassen werden muss. Sie ist – um im Bild zu bleiben – schon in Gottes Gegenwart angekommen. 86 Sprachlich steht 2 Kor 6,18 diesen Versen, die allerdings von Davids Nachkommen sprechen, besonders nahe. 87 Die ausdrückliche Erwähnung der Töchter lässt an Jes 43,6 denken (Weiteres bei KRAUS [1996], 265, Anm. 63). 82
4. Die Gemeinde als Tempel: 2 Kor 6,14ff
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als Pantokrator erscheint.88 Gott als Allesbeherrscher und Alleserhalter89 garantiert die Wirklichkeit seiner Zusage. Damit endet die biblische Textkollage, mit der Paulus der Gemeinde in Korinth ihre Identität und die sich daraus ergebende Notwendigkeit zur Trennung von den Kontrahenten des Paulus verdeutlicht hat. Der zusammenfassende Appell (7,1) erinnert an die zuvor genannten Zusagen (evpaggeli,ai)90 und fordert abschließend zur Reinigung und Heiligung auf: „Lasst uns von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes uns reinigen und die Heiligung vollenden in Gottesfurcht“. Hier steht die kultische Dimension paulinischer Paränese wieder im Vordergrund.91 Sie wird noch einmal deutlich in 12,21. Hier erörtert Paulus die Möglichkeit, dass die Gemeinde bzw. einige ihrer Glieder seinen Mahnungen nicht nachkommen, bzw. wie es von 7,9ff her zu formulieren wäre, nicht „umkehren“ (vgl. Kapitel 6, 5). Sie verbleiben in dem Status, der dem heiligen und reinen Wesen der Gemeinde widerspricht. Diesen Status beschreibt Paulus konsequent mit den Stichworten avkaqarsi,a, pornei,a und avselgei,a (Ausschweifung). Man muss nicht vermuten, dass die Korinther, die Paulus hier im Blick hat, sich – trotz 1 Kor 5f – tatsächlich so verhalten haben. Im unmittelbaren Kontext der Kapitel 10–13 spricht zumindest nichts dafür. Berücksichtigt man, wie Paulus im gesamten Brief über seine Gegner spricht (er nimmt sie als solche wahr, die nicht [mehr] zur Gemeinde gehören – und damit ein Stück „Außenwelt“ repräsentieren, das von der heiligen Innenwelt der Gemeinde separiert werden muss), und dass er die Abkehr von ihnen in 6,14ff in kultischer Terminologie beschreibt, dann können wir vermuten, dass diese „Laster“92 Chiffren für die Loyalität bestimmter Kreise der Gemeinde gegenüber den Kontrahenten des Paulus sind.
Beziehen wir die Aussage von 7,1 auf den Kontext, in dem sie steht, dann erscheint der Kontakt, der zwischen den Gegnern des Paulus und der korinthischen Gemeinde bestanden hat, als etwas, das Geist und Fleisch – also den ganzen Menschen – verunreinigt. Der entsprechende Terminus molusmo,j (Befleckung) findet sich in der LXX nur sehr selten.93 88
Die Wendung le,gei ku,rioj pantokra,twr findet sich über 60 Mal in der LXX. Zum Sinngehalt dieses Gottesprädikates vgl. B AUKE-RUEGG (2000), 51ff. 90 Mit diesen „Verheißungen“ spielt Paulus auf eine Fülle biblischer Heilstraditionen an: priesterliche Tempeltheologie, deuteronomische Volk-Gottes-Theologie und demokratisierte Jerusalemer Königsideologie werden aufgeboten, um das heilvolle Gottesverhältnis, in dem sich die Gemeinde befindet, zu illustrieren – und darauf aufbauend zum richtigen Handeln zu motivieren. 91 FURNISH (1984), 375 trennt die Weisungen in 7,1 m. E. unzulässig von der Beschreibung der Gemeinde als Tempel. Dazu nötigt im Kontext nichts – und auch für antike Leserinnen und Leser dürfte klar gewesen sein, dass Tempel und Reinheit zusammengehören (vgl. B ARRETT [1997], 202 und SAß [1994], 60). Vgl. zur Sache oben Anm. 128 (Kapitel 5, 5). 92 Sie begegnen einzeln oder nebeneinander in den paulinischen Lasterkatalogen in Röm 13,13 und Gal 5,19. 93 Jer 23,15; Esra 8,80; 2 Makk 5,27. FURNISH (1984), 365 bemerkt, dass an diesen Stellen Unreinheit durch Götzendienst im Blick ist. Mit 20 Belegen gehört das dazugehö89
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Kapitel 6. Kultische Sprache im 2. Korintherbrief
Nichtbiblische Texte jüdischer und paganer Provenienz kennen ihn als Ausdruck für verschiedene Befleckungen, die auch kultische Konsequenzen haben.94 Als solcher erscheint er gehäuft in Beichtinschriften, wo er das Vergehen beschreibt, dass Menschen in „beflecktem“ Zustand in Kontakt mit heiligen Dingen gekommen sind.95 Ebenfalls in jüdischen und heidnischen Kontexten ist die Vorstellung beheimatet, dass Körper und Geist96 rein bzw. unrein sein können.97 Paulus greift auf diese Vorstellungen zurück, um seinen Leserinnen und Lesern erneut die Notwendigkeit der völligen98 Abkehr von seinen Konkurrenten vor Augen zu stellen. Die Aussage liegt dabei genau auf der Linie von 6,17. Gleiches gilt für das positive Pendant, die Vollendung der Heiligung. Heiligung und Reinigung können als Seiten der gleichen Medaille erscheinen.99 Es lässt sich also zeigen, dass die Verse 6,14–7,1 mit ihrer für Juden und Nichtjuden verständlichen Kultsprache durchaus eine sinnvolle Funktion im Argumentationsgang des Kontextes erfüllen. Zum positiven „Umwerben“ der Gemeinde gehört zugleich das „Abwerben“ der Adressaten von den Kontrahenten.100 Letzteres tun diese Verse, indem sie die Gemeinde bei ihrem Wesen behaften und die Trennung von den „Anderen“ als notwendige Konsequenz daraus erscheinen lassen.101 Die hier vorgetragene Deutung plädiert damit für den von Th. Schmeller so genannten „komplementären Kontextbezug“ von 2 Kor 6,14-7,1.102 rige Verb molu,nw sicher nicht zu den Hauptvertretern der Reinheitsterminologie der LXX. Im Pentateuch begegnet es nur in Gen 37,31 – hier allerdings ohne jegliche kultische Konnotation. Paulus selbst verwendet das dazugehörige Verb in 1 Kor 8,7 (vgl. Kapitel 5, 11) 94 Vgl. z. B. Jer 23,15 (LXX); 2 Makk 5,27; 6,2. Weiteres bei HAUCK (1942), 744– 745. 95 Ausgewählte Belege bietet KLAUCK (1996), 67. Vgl. auch PETZL (1994), 12. 96 Bei Paulus begegnete dieser Gedanke schon in 1 Kor 7,34 (vgl. Kapitel 5, 10). Es nötigt also nichts zu der Annahme, dass hier eine nichtpaulinische Interpolation vorliege (vgl. B ARRETT [1997], 202). 97 Vgl. Kapitel 2, 1.3.2; 3, 4.1; 5, 10. 98 Körper und Geist meinen den Menschen in seiner Gesamtheit (vgl. FURNISH [1984], 365; W OLFF [1989], 152). 99 Vgl. z. B. 1 Thess 2,10; 1 Kor 1,39; 6,11. 100 So auch KRAUS (1996), 263, der weitere Literatur nennt. 101 Vgl. B ÖTTRICH (1999), 418f. 102 Th. Schmeller vermutet, dass 2 Kor 6,14-7,1 ursprünglich 2 Kor 9 und 2 Kor 10 miteinander verbunden hat (vgl. SCHMELLER [2006], 226ff). Diese Verse seien dann bei der Abschrift ausgelassen „aber separat aufgeschrieben, aufbewahrt und nach einiger Zeit wieder eingefügt“ worden (235). Grund für die Auslassung könnte das Sinnpotenzial des Textes gewesen sein, das eher zur Auffassung der Gegner des Paulus im Galaterbrief passt (vgl. Kapitel 8, 3). Bei der Herausgabe der Paulusbriefe wurde der Text dann an der falschen Stelle (allerdings nicht ohne Sinn und Verstand, wie sich am Deutungsmodell
4. Die Gemeinde als Tempel: 2 Kor 6,14ff
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Dass diese Verse eine eindeutige argumentative Funktion wahrnehmen, muss nun nicht zugleich heißen, dass sie eigens für den argumentativen Zusammenhang, in dem sie stehen, geschaffen wurden. Die einzelnen Aussagen enthalten einen Überschuss, der auch jenseits der konkreten Argumentation von Belang ist bzw. sein kann.103 Das gilt für die Wesensbestimmung der Gemeinde als Tempel wie auch für die reinheitstheologische Entfaltung der sich daraus ergebenden Handlungskonsequenzen. Schon bei der Besprechung von 1 Kor 3,16 und 6,19 fiel auf, dass Paulus das Motiv von der Gemeinde bzw. den Christen als Tempel Gottes möglicherweise als ein schon bekanntes voraussetzt. Das suggeriert die Frage „Wisst ihr nicht?“ (ouvk oi;date).104 Die eigentümliche, traditionell geprägte Sprache dieses Abschnitts und die inhaltlichen Überschüsse105 legen die Vermutung nahe, dass Paulus hier tatsächlich auf eine Tradition oder mehrere Traditionen zurückgreift, die er bei seinem Missionsaufenthalt106 in Korinth selbst vermittelt hat.107 Wie schon bei der Besprechung der analogen Aussagen im 1. Korintherbrief bemerkt wurde, ist der Gehalt dieser Tradition für Juden und Nichtjuden gleichermaßen zugänglich. Die Rückbindung an die Schrift ist jüdisch. Paulus mutet sie hier wie anderswo seinen nichtjüdischen Adressaten ganz selbstverständlich zu.
des komplementären Kontextbezuges ja zeigen lässt) wieder eingefügt (236). Diese Deutung wäre in der Tat völlig plausibel, wenn man denn Schmellers Einschätzung der Schwierigkeiten, die sich mit 2 Kor 6,14-7,1 in ihrem jetzigen Kontext verbinden, teilte. Wenn man – wie hier getan – diese Verse in ihrem Kontext verstehen und belassen kann, nötigt nichts dazu, dieses Erklärungsmodell zu übernehmen. 103 Vgl. dazu SAß (1994), 54. 104 Vgl. oben zu 1 Kor 3,16. 105 Vor allem 7,1 lässt sich so lesen, als handele es sich um eine ganz allgemeine, das ganze Leben des Christen im Blick habende Anweisung (vgl. B ETZ [1994], 32: The whole task of the Christian existence in this world can be subsumed under this appeal“). 106 Die Abkehr von den heidnischen Gottheiten, die Vers 16 explizit in den Blick nimmt (nach FURNISH [1984], 365 könnte auch 7,1 darauf anspielen), gehörte jedenfalls ins Zentrum der paulinischen Missionspredigt (vgl. z. B. 1 Thess 1,9 [Weiteres bei FURNISH (1984), 363]). HORN (1992), 73 vermutet ebenfalls, dass die tempeltheologischen Texte „einen Teil der frühpl Predigt, auf jeden Fall ausschnitthaft sein frühes Verständnis des Geistes“ reflektieren könnten. Dieses bezeuge vor allem 1 Thess: „Mit der Gabe des Geistes ist die Gemeinde in den Stand der Heiligkeit versetzt, was sie einerseits von der ungläubigen Welt trennt, andererseits von ihr verlangt, in dieser letzten Zeit vor der Parusie die mit dem Geist gesetzte Heiligkeit zu bewahren“ (HORN [1992], 76) Weiteres dazu unter Kapitel 4, 3. Auch für S Aß (1994), 56 weist das Bild vom Tempel mit der damit verbundenen Vorstellung von der Einwohnung des Geistes in die „katechetische Anfangsunterweisung“ des Apostels. 107 Erwogen wird, ob die Traditionen im Umkreis der Taufe von Bedeutung gewesen sein könnten (vgl. K LINZING [1971], 180ff; WOLFF [1989], 148).
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Kapitel 6. Kultische Sprache im 2. Korintherbrief
Exkurs: Zur Herkunft des Tempelmotivs und der kultischen Begrifflichkeit bei Paulus Nikolaus Walter hat einen bedenkenswerten Vorschlag zur Herkunft des Tempelmotivs in der paulinischen Ekklesiologie vorgelegt. Er vermutet, dass 1 Kor 3,16 und Mt 16,18 auf das in Antiochia überlieferte Kefas-Wort zurückgehen. Dieses Wort habe in seiner ursprünglichen Fassung aber nicht von der evkklhsi,a, die auf dem Felsen erbaut werden soll, gesprochen.108 Es sei vielmehr „auf den Bau eines oder des ‚neuen Tempels’ ausgerichtet gewesen“.109 In die gleiche Richtung legen Davies und Allison den matthäischen Vers aus: „the image behind Mt 16.18 is of a temple being constructed“.110 Hinter der Tempelmetaphorik in 1 Kor 3,16 verberge sich dann eine implizite aber deutliche Kritik an der bedeutenden Stellung, die Petrus in der antiochenischen Tradition innehatte und die auch Paulus und den paulinischen Gemeinden bekannt wurde: Nicht er ist der Fels, auf dem der Tempel erbaut wird, der Grund und das Fundament ist vielmehr Christus selbst (vgl. 1 Kor 3,11).111 Die Argumentation Walters wie auch die von Davies und Allison ist in sich schlüssig aber insofern nicht lückenlos, als es keinen eindeutigen Hinweis darauf gibt, dass im Kefas-Wort ursprünglich vom Bauen eines Tempels die Rede gewesen ist. Allein die Tatsache, dass die evkklhsi,a wohl erst „von Mt selbst oder in einer vormatthäischen“ Fassung in den Text geschrieben worden ist, fordert nicht zwingend den Tempel als ursprüngliches Objekt. Nun gibt es in der Jesustradition allerdings Hinweise darauf, dass Jesus von der Errichtung eines Tempels gesprochen hat (Mt 26,61 [Mk 14,58], vgl. 27,40; Joh 2,19ff). Von daher ist es denkbar, dass das Kefas-Wort in der Tat ursprünglich vom Tempelbau gehandelt hat.112 Auch wenn es also nicht zwingend nachweisbar ist, so spricht doch einiges dafür, dass es sich beim Bild von der Gemeinde als Tempel im Corpus Paulinum um ein „Mitbringsel aus Antiochia“113 handelt. Lässt sich dies auch von der kulttheologischen Beschreibung der Gemeinde und ihres heilvollen Zustandekommens sagen? Die Textbasis, auf der sich die historische Rekonstruktion bewegen könnte, ist diesbezüglich noch dünner, als sie es bezüglich des Tempelmotivs war. Wie sich bei der 108
W ALTER (1999), 191 stellt zu Recht heraus, dass sich von der Wortgeschichte des Begriffs evkklhsi,a her der Gedanke an ein Gebäude überhaupt nicht nahe legt. 109 W ALTER (1999), 191. 110 DAVIES / ALLISON (1994), 626. 111 Vgl. W ALTER (1999), 193. 112 Allerdings wird der Tempel der expliziten Tempelworte nicht auf Kefas gebaut. 113 So der Untertitel des hier referierten Aufsatzes von Nikolaus Walter.
4. Die Gemeinde als Tempel: 2 Kor 6,14ff
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Besprechung von 2 Kor 8 und 9 zeigen wird, weist zumindest die Bezeichnung der Christen als „Heilige“ nach Jerusalem – bzw. ins Land Israel. Allerdings unterscheidet sich der paulinische Gebrauch dieses Begriffsfeldes deutlich von der im Land Israel beheimateten Tradition: Für Paulus sind eben nicht nur die im Land Israel lebenden jesusgläubigen Juden „die Heiligen“, sondern alle, die durch Christus geheiligt sind (vgl. 1 Kor 1,2), also auch christusgläubige Menschen aus der Völkerwelt. Wertet man die Auskünfte der Apostelgeschichte über die Gemeinde im syrischen Antiochia behutsam aus, so entsteht der deutliche Eindruck, dass sich mit diesem Ort die Erinnerung an den „Übergang zu einer programmatischen ‚offenen Heidenmission’“ verbindet.114 Dass der Weg in den vom Gott Israels durch Christus eröffneten Heilsraum nicht mehr über die Beschneidung und damit über den Übertritt zum Judentum führt, dürfte zu den Überzeugungen der Gemeinde in Antiochia gehört haben. Dafür spricht die Tatsache, dass die Apostelgeschichte Paulus ein Jahr in Antiochia leben und lehren lässt, bevor er zu seiner ersten Missionsreise aufbricht (Apg 11,26), und dass sie ihn danach wieder in den Schoß dieser Gemeinde zurückkehren lässt. Auch zum Apostelkonzil, auf dem die von Paulus repräsentierte Missionspraxis zur Diskussion steht, werden Paulus und Barnabas von Antiochenern begleitet (Apg 15,2ff). Dass der so genannte antiochenische Zwischenfall, bei dem die volle Gemeinschaft von Christen jüdischer und heidnischer Herkunft auf dem Spiel stand (vgl. Gal 2,1ff),115 ausgerechnet an diesem Ort stattfand, untermauert das Bild von Antiochia als einer Gemeinde, die wie oder mit Paulus von der vollen Zugehörigkeit von Menschen aus der Völkerwelt zum Gott Israels ausging. Zumindest der Gedanke, den Paulus mit Hilfe der kultischen Terminologie zur Sprache bringt, dass nämlich die vorwiegend heidnischen Adressaten seiner Briefe als Heilige ganz und gar auf die Seite Gottes gehören, entspricht also der (auch) in Antiochia angesiedelten Tradition. Das bedeutet sicher nicht automatisch, dass dort die von Paulus verwendete Begrifflichkeit schon in Gebrauch war. Allerdings ist das auch nicht unmöglich: Berücksichtigt man, dass dort mit dem Bild von der Gemeinde als Tempel kultische Sprache zur Beschreibung des Wesens der Gemeinde verwendet worden sein könnte, dann kann man sich leicht vorstellen, dass auch andere kultische Termini – so z. B. das Wortfeld heilig / Heiligkeit – entsprechend genutzt wurden. Eine Beobachtung schränkt die Wahrscheinlichkeit dieser Vermutung allerdings ein wenig ein: Paulus setzt die kulttheologische Begriffswelt schon in seinem frühesten Brief voraus, allerdings noch 114 KRAUS (1999), 64. Vgl. auch HENGEL / SCHWEMER (1998), 300ff. Die Analyse der kultischen Terminologie bei Paulus lässt allerdings von einer Gesetzeskritik, wie Hengel und Schwemer sie für Paulus veranschlagen, nichts erkennen. 115 Vgl. KRAUS (1999), 157ff.
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Kapitel 6. Kultische Sprache im 2. Korintherbrief
nicht so geprägt, wie das ab dem 1. Korintherbrief der Fall ist. So findet sich die sonst typische Bezeichnung der Christen als Heilige im 1 Thess gerade nicht. Wenn es sich bei dieser Bezeichnung um eine antiochenische Gemeindetradition gehandelt hätte, dürfte man erwarten, dass Paulus sie im 1 Thess ebenso selbstverständlich verwendet hätte wie später auch.116 Wenn die antiochenische Gemeinde kultische Terminologie über das Tempelmotiv hinaus benutzt haben sollte, dann offenbar noch nicht so, dass man dies als „Tradition“ bezeichnen könnte. Dieser Einwand trifft auch die Verortung dieser „Tradition“, die Jürgen Becker vornimmt. Weil abgesehen von der Literatur der im Land Israel ansässigen Essener niemand in der Antike eine Gemeinschaft als Tempel bezeichnet habe, weise das Motiv ebenfalls ins Land Israel.117 Zwei weitere Beobachtungen sollen Beckers These stützen: Zum einen gehöre das Bild der Säulen in Gal 2,9 in den Kontext der Tempelmetaphorik,118 zum anderen spreche die Bezeichnung der Jerusalemer Christen als Heilige dafür, dass diese Gemeinschaft in kultischen Kategorien von sich selbst gedacht und gesprochen habe, so dass die in 1 Kor 3,16 erhaltene Tradition das Selbstverständnis dieser Gemeinde spiegele. Zunächst ist zu fragen, ob in 1 Kor 3,16f tatsächlich eine Tradition vorliegt.119 Dazu ist zu sagen, dass das Bild der Säule in der römisch-griechischen Antike auch ohne Bezug auf den herodianischen Tempel verständlich ist, wie die vielen erhaltenen Ehrensäulen zeigen. Außerdem zeigt die Verwendung kultischer Sprache bei Paulus, dass die Anwendung kultischer Kategorien auf die Gemeinde weder notwendigerweise mit dem Tempelmotiv verbunden ist, noch eine Konkurrenz zu einem bestehenden Tempel aufbaut.120 Mehr als die Bekanntschaft mit dem Tempelmotiv setzen auch die paulinischen Erinnerungen in 1 Kor 3,16 und 6,19 bei den Adressaten des 1 Kor nicht voraus. Wir können nur vermuten, dass dieses Motiv bei der Mission in Korinth eine Rolle gespielt haben dürfte.121 Die Frage, ob Paulus seine kulttheologischen Vorstellungen um dieses antiochenische „Mitbringsel“ herum entwickelt hat – gegebenenfalls in Auseinandersetzung mit der Heiligkeitskonzeption der Gemeinden im Land Israel – , ob die antiochenische Gemeinde hier doch mehr Vorarbeit geleistet hat, oder ob Paulus sie unabhängig von beidem entworfen hat, müssen wir redlicher116 Dass auch der wohl später verfasste Galaterbrief diese Titulatur vermissen lässt, darf nicht als Gegenargument ins Feld geführt werden, weil der weitgehende Verzicht auf kultische Sprache in diesem Brief aus der polemischen Situation heraus erklärt werden kann, in der er verfasst wurde. Vgl. dazu Kapitel 8, 1. 117 Vgl. J. BECKER (2006), 11f. 118 Vgl. J. BECKER (2006), 15. 119 Vgl. dazu Kapitel 5, 3. 120 Diese betont J. B ECKER (2006), 20. 121 Vgl. oben zu Kapitel 5, 3 und 6, 4.
5. Die unschuldige und kultfähige Gemeinde: 2 Kor 7,11
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weise offen lassen. Die Tatsache, dass Paulus in seinem ersten Brief noch nicht das ganze Repertoire kultischer Begrifflichkeit zum Einsatz bringt, obwohl er es von der Sache her gut hätte tun können, spricht eher gegen die These, dass eine Gemeinde in Antiochia oder Jerusalem hier schon ein festes Traditionsrepertoire ausgebildet hat. (Exkurs Ende)
5. Die unschuldige und kultfähige Gemeinde: 2 Kor 7,11 5. Die unschuldige und kultfähige Gemeinde: 2 Kor 7,11
Dieser Vers weist mit der Vokabel a`gno,j einen der wichtigsten paganen griechischen Begriffe zur Bezeichnung kultischer Reinheit bzw. Heiligkeit auf. Nur wer a`gno,j ist, darf sich in der Gegenwart des Heiligen aufhalten.122 Ganz ohne weiteres dürfen wir den vollen kultischen Klang dieses Begriffs aber nicht voraussetzen, weil a`gno,j auch so gebraucht werden kann, dass „sittliche Tadellosigkeit“ damit gemeint ist (a`gno,j wird dann zu einem Parallelbegriff für di,kaioj).123 In diese Richtung scheint der paulinische Ausdruck hier tatsächlich zu gehen: „in allem habt ihr euch selbst als heilig-rein in der Angelegenheit erwiesen“. Paulus hätte – so scheint es – ebenso gut schreiben können: „in allem habt ihr euch selbst als gerecht in der Angelegenheit erwiesen“.124 Fragen wir zunächst danach, was Paulus konkret meint. Ab Vers 8 blickt er darauf zurück, welche Wirkung ein früherer Brief an die Gemeinde gehabt hat. Er hat die Gemeinde traurig125 gemacht – aber so, dass sie dies zum Anlass genommen hat, ihr Verhalten in der von Paulus gewünschten Weise zu ändern (eivj meta,noian).126 Dieses Ergebnis tröstet und freut nicht nur den Apostel, sondern trägt auch – und das wundert nach allem, was Paulus bisher ausgeführt hat, nicht mehr – zum eschatologischen Heil der Gemeinde bei (7,10.13). Das Ergebnis dieser Verhaltensänderung konstatiert Paulus mit dem hier zur Debatte stehenden Satz (7,11b). Die unmittelbar vorangehende Aussage weist mit den Begriffen avpologi,a (Verteidigung) und evkdi,khsij (Bestrafung) in die Welt des Rechtslebens. 122
Vgl. Kapitel 3, 3.1.1. Vgl. dazu Kapitel 4, 1. Pagane Parallelen nennt W ILLIGER (1922), 66 (Weiteres Kapitel 3, 3.1.1 Anm. 58). Man kann fragen, ob es wirklich angemessen ist, hier von einem „übertragenen Gebrauch“ zu sprechen. Vielleicht ist es eher so, dass der ursprüngliche religiöse Gehalt des Begriffs für antike Hörer, die in einem kultischen Universum lebten, auch da noch mitschwingt, wo der Sprachgebrauch für unseren Geschmack ganz uneigentlich geworden zu sein scheint. Vgl. dazu Kapitel 4, 1 und 3, 3.1.1. 124 Vgl. W OLFF (1989), 154 und 159 spricht von Lauterkeit und Tadellosigkeit. 125 Zu den emotionalen Begriffen dieses Abschnitts vgl. WELBORN (2001), 31ff. 126 Vgl. W OLFF (1989), 159. GRÄßER (2002), 275 nennt antike Parallelen für die Vorstellung vom „heilsamen Schmerz der Reue“. 123
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Kapitel 6. Kultische Sprache im 2. Korintherbrief
Von daher könnte man unseren Satz ganz als juristische Feststellung der Unschuld lesen.127 Berücksichtigt man aber, dass Paulus nur wenige Verse vorher die von der Gemeinde zu vollziehende Änderung ihres Verhaltens mit kultischen Begriffen als Reinigung und Heiligung beschrieben hat (7,1), so erscheint 7,11b ebenfalls in kultischem Licht: Paulus stellt nichts weniger fest, als dass die Gemeinde die Reinigung und Heiligung vollzogen hat und nun rein und heilig – eben a`gno,j – ist. Sie befindet sich wieder in dem Status, der ihrem Wesen (6,16) entspricht und kann nun in der zugesagten Gegenwart Gottes leben.128 Wie sich schon bei der Besprechung von 1 Thess 2,3 und 10 zeigte, verweigert sich die paulinische Gedankenführung der (modernen) Alternative von Kultus und Ethos, von übertragenem und eigentlichem Gebrauch eines kultischen Begriffs. Wenn Paulus einen kultischen Begriff in vermeintlich ethischer Bedeutung – also „übertragen“ – verwendet, zeigt sich unversehens, dass er ihn zugleich im eigentlichen Sinne gebraucht, um nämlich etwas über das Gottesverhältnis der Gemeinde zu sagen.
6. Die Kollekte für die Heiligen im Land Israel: 2 Kor 8,4; 9,1.12 6. Die Kollekte für die Heiligen im Land Israel: 2 Kor 8,4; 9,1.12
In den Kapiteln 8 und 9 widmet sich Paulus der Kollekte für die „Heiligen“. Damit sind nun nicht wie in 1,1 und 13,12 alle Christen gemeint, sondern speziell die Christen in Jerusalem.129 Handelt es sich bei dieser Bezeichnung also um einen Titel, der in besonderer Weise von der Gemeinde in Jerusalem gebraucht wurde?130 Dafür spräche die Tatsache, dass Paulus die Christen in Jerusalem auch im Römerbrief so nennt (Röm 15,25.26.31). Der Sprachgebrauch der Apostelgeschichte scheint dies zunächst zu bestätigen, denn auch in 9,13 und 26,10 sind mit den Heiligen Jerusalemer 127
Vgl. B ULTMANN (1976), 61, der a`gno,j und pra/gma als juristische Termini versteht (so im Blick auf a`gno,j auch FURNISH [1984], 389; B ARRETT [1997], 212 und GRÄßER [2002], 276). Dazu ist anzumerken, dass die in den Lexika verzeichnete Bedeutung „schuldlos“ (B AUER / ALAND, s.v.) bzw. „guiltless“ (LSJ, s.v.) erst in zweiter Linie ins Rechtsleben weist. Die Schuldlosigkeit, die die als Referenz herangezogenen Autoren meinen, ist nämlich die Freiheit von Blutschuld. Blutschuld ist aber ein vor allem für das antike Reinheitsdenken bedrohlicher Zustand. Zur Bedeutung des Wortes a`gno,j vgl. oben Kapitel 3, 3.1.1. 128 Der Duktus von 6,14ff zu 7,11 entspricht der Logik, die auch den Leges Sacrae zugrunde liegt: a`gno,j wird man, indem man sich reinigt bzw. rein hält. 129 Vgl. FURNISH (1984), 402. 130 Vgl. ROLOFF (1993), 82. So schon HOLL (1928), 59f.
6. Die Kollekte für die Heiligen im Land Israel: 2 Kor 8,4; 9,1.12
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Christen gemeint. Dieses geschlossene Bild wird nun durch die Tatsache gestört, dass nach Apg 9,32 und 41 auch die Christen in Lod und Jaffo als „Heilige“ gelten. Der also nicht ganz eindeutige Befund veranlasst W. Wiefel zu der Schlussfolgerung: „Das gehäufte Vorkommen der Bezeichnung Heilige für die Gemeinde dürfte weniger damit zusammenhängen, dass diese den Jerusalemer Christen in besonderer Weise eigen war, sondern mit dem communio-Charakter, der zum Anliegen der Kollekte stimmt, zu tun haben.“131 Wiefels Deutung könnte den Vorzug haben, dass sie auch die anderen Stellen, an denen Paulus seine Adressaten oder Mitchristen als Heilige anspricht, zu integrieren vermag. Paulus spräche dann recht einheitlich von den Heiligen. Was aber soll mit dem „communio-Gedanken“ eigentlich gemeint sein, und warum soll er sich gerade mit diesem Begriff verbinden? Unsere bisherige Durchsicht der Stellen in den Paulusbriefen, die die Christen als heilige Größe qualifizierten, ließ erkennen, dass Heiligkeit in der Tat ein „communio-Begriff“ ist – aber einer, der die Gemeinschaft der Christen mit Gott betont, nicht ihre Gemeinschaft untereinander. Der communio-Aspekt, um den es Wiefel hier geht, hat weniger mit der Heiligkeitstheologie zu tun, als damit, dass Paulus zusätzlich die Gemeinschaft betont (koinwni,a: 8,4 und 9,13). Heiligkeit hat vor allem eine vertikale Dimension (Zugehörigkeit zu Gott), die horizontale Dimension tritt hinzu und bestimmt – wie wir sahen – weniger das Miteinander der Christen als viel mehr deren Abgrenzung nach außen.132 Wenden wir uns noch einmal dem Befund in der Apostelgeschichte zu, so fällt auf, dass es ausschließlich Christen im Land Israel sind, die Heilige genannt werden. Vielleicht dürfen wir also doch – wenn schon nicht mit einer Jerusalemer – mit einer im Land Israel beheimateten Tradition rechnen, deren Sprachkonvention Paulus übernimmt: Christen im Land Israel heißen nun einmal „Heilige“. Dass damit tatsächlich etwas von deren theologischem Selbstverständnis eingefangen sein könnte, lässt sich anhand der Verhältnisbestimmung von judenchristlichen Gemeinden und Christen aus den Völkern im Land Israel deutlich machen. Hierzu verweise ich auf neuere Studien zum Apostelkonzil bzw. Aposteldekret wie sie J. Wehnert und im Anschluss an ihn W. Kraus vorgelegt haben. Nach Apg 15,20 sollen Christen aus den Völkern sich von der „Befleckung durch Götzen und von Unzucht und vom Erstickten und vom Blut“ fernhalten (avpe,cesqai tw/n avlisghma,twn tw/n 131
W IEFEL (1991), 31. Vgl. BERGER (1994), 356: „Wenn von ‚den Heiligen’ die Rede ist, wird die christliche Gruppe von außen betrachtet, in ihrer Relation zu anderem, was draußen steht. Ihre eigene innere Ermahnungsbedürftigkeit steht ebenso wenig im Blick wie die Binnenstrukturen der Gruppe.“. 132
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Kapitel 6. Kultische Sprache im 2. Korintherbrief
eivdw,lwn kai. th/j pornei,aj kai. tou/ pniktou/ kai. tou/ ai[matoj). Apg 15,29 variiert ein Glied dieser Aufzählung durch den Begriff „Götzenopfer“ (avpe,cesqai eivdwloqu,twn). Diese Bestimmungen haben ihren traditionsgeschichtlichen Hintergrund in der Fremdengesetzgebung in Lev 17f. „Das entscheidende Auswahlkriterium liegt […] darin, dass das Aposteldekret jene Tora-Gebote enthält, die (1) auch für Fremde gelten und (2) der Vermeidung von Unreinheit dienen, also auf ein gewisses Maß an ritueller Reinheit der Fremden abzielen.“133 Das Aposteldekret behandelt die nichtjüdischen Christen also in Analogie zu den Fremden (~yrg, prosh,lutoi) aus dem biblischen Heiligkeitsgesetz. Das ergibt nur dann einen Sinn, wenn die Jerusalemer Gemeinde sich ihrerseits an die für Juden geltenden Gebote der Tora gehalten hat.134 Das wiederum lässt darauf schließen, dass sie sich – dem Heiligkeitsgesetz entsprechend (Lev 19,2) – als heilig verstanden hat. Die „Heiligkeit der Gemeinde“135 muss vor der Profanierung geschützt werden, und darum haben Christen aus den Völkern die genannten Bestimmungen zu beachten, wenn sie mit Judenchristen im Land Israel zusammenleben.136 Hinter den Bestimmungen des Aposteldekrets steht also die Überzeugung, dass die judenchristliche Gemeinde, die im heiligen Land lebt, eine heilige Größe ist. Ihre Glieder sind „die Heiligen“.137 Vor diesem Hintergrund halte ich es für wahrscheinlich, dass Paulus sich hier an den Sprachgebrauch hält, der hinter der Tradition des Aposteldekrets steht – auch wenn er selbst eine Heiligkeitstheologie vertritt, die auch heidenchristliche Gemeinden vollgültig als „Heilige“ und nicht nur als christliche Beisassen ansieht.
7. Die Kollekte als kultischer Dienst: 2 Kor 9,12 7. Die Kollekte als kultischer Dienst: 2 Kor 9,12
Paulus bezeichnet die Kollekte, für die er im Kontext bei seinen Adressaten wirbt, als leitourgi,a. Die LXX übersetzt damit in der Regel hdwb[, vor allem dann, wenn damit kultische Dienstleistungen gemeint sind wie z. B. der Dienst der Leviten und Priester an der Stiftshütte (vgl. Ex 38,21; Num 4; Num 7,5).138 Im außerbiblischen Griechisch kennt man das Wort eben133
KRAUS (1999), 147. Details bei W EHNERT (1997), 241ff. Vgl. WEHNERT (1997), 245. 135 KLINGHARDT (1988), 188. 136 Vgl. KRAUS (1999), 152ff. 137 Erwähnung verdient noch Wehnerts Analyse von Eph 2,11–22. WEHNERT zeigt auf, dass mit den Heiligen in 2,19 „die Judenchristen Palästinas, speziell Jerusalems“ gemeint sein müssen ([1997], 248). Eph 2 beschreibt demnach die Überwindung der Gemeindeauffassung, die hinter dem Aposteldekret steht. 138 Auch außerhalb des Pentateuch bleibt diese Tendenz vorherrschend (vgl. 2 Makk 3,3; 4,14; Weish 18,21). 134
7. Die Kollekte als kultischer Dienst: 2 Kor 9,12
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falls als Begriff für den kultischen Dienst (vgl. Dion.Hal.ant. 2,22,2; 10,53,6; Plutarch, mor. 792 F; LSCG 48 A 3; LSAM 53,20).139 Dort bezeichnet es aber zunächst jede Dienstleistung, die in öffentlichem Auftrag oder Interesse geschieht. Dabei konnte es sich z. B. um finanzielle Beiträgen handeln, die Bürger oder Beisassen zu leisten hatten.140 Anders als bei anderen Ausdrücken, die im Griechischen eine kultische und eine profane Bedeutung haben, herrscht bei der Beurteilung dieses Verses in der neueren Exegese weitgehende Einigkeit:141 Paulus spricht von der Kollekte für die Heiligen in Jerusalem nicht einfach als einem „öffentlichen Dienst“,142 sondern versteht sie als „gottesdienstliches Handeln“.143 Das, was die Geber mit ihrer Gabe leisten, spielt sich nicht (nur) auf der rein zwischenmenschlichen Ebene ab, es hat auch – und vor allem – eine theologische Dimension.144 Der Dienst (diakoni,a), den die heidenchristlichen Gemeinden den Christen in Jerusalem leisten, ist letztlich ein Dienst für Gott. Für diese Deutung werden unterschiedliche Argumente ins Feld geführt. Zum einen ist es der theologisch aufgeladene Kontext, der eine Einschränkung der Bedeutung auf „Dienstleistung“ nicht angemessen erscheinen lässt.145 Zum anderen sind es analoge Formulierungen in den übrigen Paulusbriefen, die eine kultische Deutung auch in diesem Vers nahe legen (vgl. Phil 2,17 [Kapitel 7, 3]).146 Vor allem bei der Besprechung von Phil 4,18 wird sich auch eine sachliche Parallele zeigen, die eine finanzielle Unterstützung, die Menschen einander leisten, ebenfalls theologisch – sogar als Opfergabe – interpretiert. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, wenn der Apostel der Kollekte für Jerusalem nicht nur eine vertikale Dimension beimisst, sondern diese auch in der Sprache beschreibt, die sich in der Antike in besonderer Weise zur Darstellung der Interaktion zwischen Mensch und Gott eignete, nämlich der Sprache des Kultes.
139
Weiteres nennt STRATHMANN (1942), 225. Vgl. dazu STRATHMANN (1942), 223f. 141 Natürlich wird in der Forschung auch die profane Deutung des hier zur Debatte stehenden Wortes vertreten. W OLFF (1989), 188, Anm. 170 nennt entsprechende Literatur. 142 Gerade im Kontext finanzieller Leistungen kann leitourgi,a geradezu die Bedeutung von „Steuer“ annehmen (vgl. STRATHMANN [1942], 223f). 143 So GRÄßER (2005), 62. 144 Vgl. B ARRETT (1997), 240. 145 Vgl. W OLFF (1989), 187. 146 Vgl. FURNISH (1984), 443. In Röm 15,16 beschreibt Paulus sein eigenes Tun als leitourge,w – und zwar mit eindeutig kultischer Ausrichtung (vgl. Kapitel 9, 11). 140
224
Kapitel 6. Kultische Sprache im 2. Korintherbrief
8. Die jungfräuliche Gemeinde: 2 Kor 11,2 8. Die jungfräuliche Gemeinde: 2 Kor 11,2
Paulus stellt sich in diesem Vers147 in der Rolle des Brautführers148 oder besser wohl der des Brautvaters149 dar, dessen Aufgabe es ist, Christus, dem „Bräutigam“, die Gemeinde als „Braut“150 an die Seite zu stellen.151 Bevor er das tun kann, hat er zwischen den beiden Brautleuten eine „Verlobung“152 zustande gebracht (h`rmosa,mhn). Der für diesen Vorgang gebräuchliche Terminus technicus153 findet sich im gesamten biblischen Schrifttum nur in Prv 19,14 (LXX). Dort ist es Gott, der dem Mann eine Frau als Ehegattin auswählt. Der Sache nach kann an unserer Stelle eigentlich nur das Geschehen der Missionsverkündigung gemeint sein, der auf Seiten der Korinther das Zum-Glauben-Kommen entspricht. Die Verbindung, die dadurch entstanden ist, beschreibt Paulus als Verlobung. Der endgültige Vollzug dieser Verbindung – die Hochzeit – steht hingegen noch aus.154 Für die Fragestellung dieser Arbeit von Bedeutung ist die Art und Weise, in der Paulus den Zustand der Gemeinde bis zur Parusie beschreibt. Als Verlobte Christi hat die Gemeinde den Status einer „reinen jungen Frau“ (parqe.noj a`gnh,)155 zu wahren. Hier begegnet das schon aus 2 Kor 7,11 bekannte Adjektiv a`gno,j, dessen Bedeutung wir oben mit heilig / rein bestimmt haben. Weil zum Status der Kultfähigkeit sexuelle Enthaltsamkeit in der Regel unabdingbar dazu-
147
Zur Struktur der Verse 1–4 vgl. Z IMMERMANN (2001), 301f. Vgl. GRÄßER (2005), 118. 149 Vgl. MERZ (2000), 141. Vgl. die Diskussion bei ZIMMERMANN (2001), 315, der für die Deutung Brautvater votiert, weil Paulus sich auch sonst als Vater seiner Gemeinden verstanden habe (so 1 Kor 4,14f; 2 Kor 6,13; 12,14), und weil der Ton des Verbs pari,sthmi nicht auf „zuführen“, sondern auf „bereitstellen“ liege. Der Brautvater habe außerdem in besonderer Weise für die „Reinheit der Braut Sorge zu tragen“ (316). 150 Paulus greift hier auf das „Bildfeld der Jhwh-Israel-Ehe zurück“ (Z IMMERMANN [2001], 311). Beachtung verdient Zimmermanns vorbildlich behutsamer Umgang hinsichtlich der theologischen Auswertung der Motive: Paulus reflektiert eine aktuelle Problematik mittels der Sprache der jüdischen Tradition. „Die metaphorische Konstruktion soll jedoch hier gewiss keine onto-theologischen Aussagen über ‚die Kirche’ oder ‚den Christus’ formulieren, sondern erfüllt im Duktus des Briefes argumentative Funktion“. 151 Nach GERBER (2005a), erscheint Paulus in einer Doppelrolle, nämlich als Brautvater und als Freund des Bräutigams. 152 Zur rechtlichen Bedeutung und der Relevanz der während der Verlobung zu wahrenden Virginität vgl. ZIMMERMANN (2001), 303ff. 153 Vgl. schon Herodot 3,137; 9,108; Pindar, P. 9,13.117. 154 Vgl. GRÄßER (2005), 118: „Noch ist Brautzeit, nicht Hochzeit (eschatologischer Vorbehalt!)“. Zur Hochzeit als Bild für die Parusie vgl. MERZ (2000), 142, Anm. 27. 155 Vgl. zum Begriff JosAs 15,1.8; Philo, SpecLeg 1,101. 148
9. Zusammenfassung
225
gehörte, konnte a`gno,j auch einfach keusch / enthaltsam meinen.156 Dieser Gebrauch ist im paganen Griechisch breit belegt (biblisch nur 4 Makk 18,7f; vgl. aber Philo, Praem 159; Cher 50).157 Paulus übernimmt ihn für die Beschreibung der Gemeinde, so wie sie sein soll. Nur für Christus soll sie existieren.158 Vor dem Hintergrund der Aussagen dieses Briefes, in denen die Gemeinde als heilige Größe erscheint (6,14ff; 7,11), ergibt sich ein geschlossenes Bild: Die Gemeinde, sei sie nun als Gottes Tempel oder als Christi Braut gedacht, soll sich von jeglicher Befleckung rein halten. Auch sachlich liegt das hier Gesagte auf der Linie der bisherigen Argumentation: Der dem Wesen der Gemeinde entsprechende heilige Status wird in Gefahr gebracht, wenn sich die Gemeinde mit den Kontrahenten des Apostels und dem, was sie lehren, einlässt. Das zeigt eindeutig die Fortschreibung des Bildes im Licht von Gen 3 in 11,3f: So wie Eva sich von der Schlange hat verführen lassen, lässt sich auch die Gemeinde verführen – und zwar von denen, die etwas Anderes und anders predigen als Paulus.159 Die sprachliche und inhaltliche Verzahnung mit den übrigen Aussagen dieses Briefes legt es nahe, die heiligkeitstheologische Dimension von a`gno,j mitzuhören:160 Nur wenn die Gemeinde a`gno,j ist und bleibt (mit anderen Worten: wenn sie der paulinischen Verkündigung treu bleibt),161 ist sie in Gegenwart und Zukunft zur Gemeinschaft mit Christus und so vermittelt auch mit Gott fähig.
9. Zusammenfassung 9. Zusammenfassung
Überblickt man die kulttheologisch geprägten Aussagen dieses Briefes, so lässt sich Folgendes festhalten: Paulus verwendet kultische Terminologie, um seinen Adressatinnen und Adressaten das Wesen seines Dienstes vor Augen zu führen: Er ist das Werkzeug dessen sich Gott bedient, um sich 156
Vgl. dazu W ILLIGER (1922), 47. Vgl. die Ausführungen zu a`gno,j in Kapitel 3, 3.1.1. 158 In den konkreten Auseinandersetzungen, in denen Paulus steht, bedeutet das „für Christus – so wie Paulus ihn verkündigt“. 159 In Vers 3 wird die Haltung der Gemeinde Christus gegenüber mit den Stichworten a`plo,thj und a`gnoth,j qualifiziert. Letzteres unterstreicht noch einmal das schon in Vers 2 Gesagte. Textkritisch ist diese Aussage umstritten. Sie ließe sich leicht als spätere von Vers 2 beeinflusste Ergänzung verstehen. Auf der anderen Seite bezeugen die bedeutendsten Handschriften diese Worte. 160 Vgl. auch MERZ (2000), 142: „This ecclesiological metaphor of the parqe,noj is also in harmony with Paul’s striking tendency to employ the language of purity and holiness both in the context of ecclesiology and in the field of individual ethics“. 161 Vgl. MERZ (2000), 142. 157
226
Kapitel 6. Kultische Sprache im 2. Korintherbrief
von Ort zu Ort zu vergegenwärtigen. Für diese Gottesgegenwart verwendet Paulus das jüdisch und pagan bekannte Motiv vom göttlichen Wohlgeruch. Paulus identifiziert sich so sehr mit seiner Botschaft, dass er selbst zum (göttlichen) Wohlgeruch für Gott und die Menschen wird. Wer diesen nicht wahrnimmt – so wie die Gegner des Paulus, die dessen Mission in Zweifel ziehen, – gehört zu denen, denen Gottes Offenbarung nicht zum Heil dienen wird. Der hier aufbrechende scharfe Dualismus zwischen einer Haltung pro bzw. contra Paulus hält sich auch an den Stellen durch, an denen Paulus nicht direkt von sich, sondern von der Gemeinde spricht. Diese gilt ihm wie schon im 1 Kor als heilige Größe. Das lassen Briefanfang und Briefschluss deutlich erkennen. Aus dem 1 Kor ist auch das Denkmodell von der Gemeinde als einem Tempel Gottes vertraut. Dort lasen wir, dass der heilige Status der Gemeinde durch die strikte Beachtung bestimmter Trennungslinien zwischen Innen- und Außenwelt bewahrt werden muss. In 2 Kor 6,14ff wendet Paulus diese Argumentationsfigur auf die Trennung von den Kontrahenten des Paulus an, die die Gemeinde zu vollziehen hat, wenn sie ihren heiligen Status als Ort der Gegenwart Gottes nicht verlieren will. Wieder ist es die jüdisch und pagan gleichermaßen rezipierbare kultische Terminologie, die den Adressatinnen und Adressaten das eigentliche Wesen der Gemeinde und die daraus resultierenden Herausforderungen verdeutlichen soll. Wenn die Gemeinde den sich aus ihrem Tempelsein ergebenden Standards entspricht, und das bedeutet im 2 Kor, wenn sie sich von den Gegnern des Apostels ab- und Paulus wieder zuwendet, dann kann ihr Status wieder als kultisch integer (a`gno,j) festgestellt werden (7,11). Tut sie das nicht, dann sind dieser Status und die Zugehörigkeit zu Gott gefährdet (11,2ff). An der Stellung zu Paulus und seinem Evangelium hängt also das Heil der Gemeinde. Einem anderen argumentativen Zweck als die bisher genannten Passagen dienen die Kapitel 8 und 9. Sie rufen die Adressatinnen und Adressaten dazu auf, durch ihre Gabe zur Unterstützung der Jesusanhänger in Jerusalem und im Land Israel beizutragen. Diese gelten in traditioneller Terminologie als „die Heiligen“. Bei der Kollekte handelt es sich daher nicht einfach nur um eine karitative Maßnahme, die die Verbundenheit von heidenchristlichen und judenchristlichen Gemeinden zum Ausdruck bringen soll. Dieser Aspekt, der auf der zwischenmenschlichen Ebene sicher eine Rolle spielt, wird ergänzt um die theologische Dimension: Die Kollekte ist auch und vor allem leitourgi,a – ein gottesdienstlicher Akt. Alles in allem kann man also sagen, dass kultische Terminologie auf allen argumentativen Ebenen des 2. Korintherbriefes eine bedeutende Rolle spielt, was diesen Brief zumindest hinsichtlich seiner Verwendung kultischer Begrifflichkeit als erstaunlich einheitliches Dokument erscheinen
9. Zusammenfassung
227
lässt. Mit kultisch geprägter Sprache illustriert Paulus – in für Juden und Nichtjuden verständlicher Weise – sein Amt, das Wesen der Gemeinde und die sich daraus ergebenden ethischen Konsequenzen.
Kapitel 7
Lebensführung als Opferdienst: Der Philipperbrief Dass die Besprechung des Philipperbriefes zwischen der des 2. Korintherbriefes und der des Galaterbriefes erfolgt, bedarf einer kurzen Begründung. In der Forschung ist umstritten, ob es sich bei der Gefangenschaft, aus der heraus dieser Brief geschrieben wurde, um die in Rom handelt, ob also der Philipperbrief nach dem Römerbrief verfasst wurde, oder ob er eine andere (frühere) Situation im Leben des Apostels voraussetzt (Gefangenschaft in Ephesus oder Caesarea). In kaum einer Debatte halten sich die Argumente so sehr die Waage wie in der um den Abfassungsort und die Abfassungszeit des Philipperbriefes.1 Ich nenne kurz die Aspekte, die aus meiner Sicht bei aller Vorsicht eher dafür sprechen, den Philipperbrief dem Römerbrief zeitlich vorzuordnen: 1. Die Schärfe der Polemik der Verse 3,2ff überrascht nach den ausgewogenen Ausführungen im Römerbrief.2 „The battles that Paul fights in Philippians 3 are the battles of Galatians and 1 Corinthians“.3 2. Die gerechtigkeitstheologische Begrifflichkeit des Philipperbriefes unterscheidet sich von der sehr einheitlichen im Römerbrief.4 Das lässt sich leichter erklären, wenn man die begriffliche Klärung, die im Römerbrief erfolgt ist, zur Abfassungszeit des Philipperbriefes noch nicht voraussetzt. Gleiches lässt sich übrigens auch im Blick auf die Verwendung der kultischen Begrifflichkeit in beiden Briefen sagen. Wie sich zeigen wird, ist sie im Philipperbrief zuweilen etwas unschärfer als im Römerbrief. Von daher tendiere ich bei aller Vorsicht dazu, die Entstehung des Philipperbriefs zeitlich vor der des Römerbriefs anzusetzen.
1 Die Argumente, die für oder gegen die Abfassung des Philipperbriefes nach dem Römerbrief sprechen, sind leicht zugänglich bei SCHNELLE (2003), 408–411; vgl. auch SCHNELLE (2005), 153ff und B ORMANN (2006), 223ff. 2 Vgl. MÜLLER (1999), 170. Sie lässt sich natürlich leicht aus einer gegenüber dem Römerbrief veränderten Frontstellung heraus erklären (vgl. SCHNELLE [2003], 410). 3 THIELMAN (2003), 223. 4 Paulus spricht nicht von der Gerechtigkeit Gottes (dikaiosu,nh qeou/), wie er es im Römerbrief durchgängig tut, sondern in Phil 3,9 von der Gerechtigkeit aus Gott (evk qeou/). Zur kultischen Sprache vgl. Kapitel 9, 12 (Anm. 285).
230
Kapitel 7. Kultische Sprache im Philipperbrief
Mit der Frage nach der Abfassungszeit verbindet sich die nach dem Abfassungsort.5 Paulus schreibt den Brief als Gefangener (1,7.13.17). Aus der Apostelgeschichte wissen wir von einer Gefangenschaft in Caesarea maritima (Apg 23,23-27,2 [24,27]) und einer in Rom (Apg 28,30f). Außerdem könnte Paulus während seines relativ langen Aufenthaltes in Ephesus gefangen gewesen sein (Apg 19,10; 20,31) – allerdings ohne dass die Apostelgeschichte davon berichtete. Damit wären die drei Orte benannt, die in der Forschung als Abfassungsort erwogen werden. Für Rom als Abfassungsort werden bekanntlich die Erwähnung des Praetoriums (1,13) und die Grüße von den Glaubensgenossen aus dem Haus des Kaisers (4,22) ins Feld geführt. Allerdings hat schon A. Deissmann darauf hingewiesen, dass es auch in anderen Städten des römischen Reichs Praetorien6 (vgl. z. B. auch Mt 27,27; Apg 23,35) und kaiserliche Sklaven gab. 7 Damit kommen alle genannten Orte als mögliche Abfassungsorte in Frage.8 Den Ausschlag für Ephesus kann letztlich nur die vorsichtige Auswertung des Briefinhalts geben.
Der Brief zeugt von einem ausgesprochen guten Verhältnis zwischen dem Apostel und der Gemeinde in der römischen Kolonie Colonia Iulia Augusta Philipensis.9 Sie unterstützt Paulus materiell (4,15ff), interessiert sich für sein Schicksal (1,12) und teilt es in gewisser Weise sogar (1,28ff).10 Zugleich mahnt Paulus seine Adressaten zur Einheit und zu einem Lebensstil, der der Zugehörigkeit zu Christus entspricht (z. B. 2,3ff).11 Die kultische Begrifflichkeit steht auch in diesem Brief im Dienst dieses Anliegens. Wie wir es aus den Korintherbriefen schon kennen, werden auch die Adressaten dieses Briefes zuallererst auf ihre Zugehörigkeit zu Gott angesprochen und Heilige genannt (1,1). Kultische Begrifflichkeit dient in diesem Brief sodann vor allem zur Beschreibung der Lebensführung der Gemeinde und des Apostels. An zwei Stellen stellt er sein und der Gemeinde Handeln als Opfervorgang dar. Einmal gilt dies ganz allgemein 5
Die in der Forschung für den einen oder anderen Ort vorgebrachten Argumente sind umfassend aufgearbeitet bei THIELMAN (2003), 205ff. 6 Dass Paulus das lateinische Praetorium graezisiert, muss nicht als Indiz dafür gewertet werden, dass er den Terminus technicus für den Sitz der Praetorianergarde verstanden hat, die es in Ephesus wohl nicht gegeben hat. Das Wort hat durchaus eine breitere Bedeutung (vgl. T HIELMAN [2003], 222). 7 DEISSMANN (1925), 166. 8 Gegen Rom als Abfassungsort kann jedenfalls nicht das Argument in Feld geführt werden, dass die Entfernung zwischen Rom und Philippi einen so regen Kontakt, wie ihn der Brief voraussetzt, unwahrscheinlich macht (vgl. T HIELMAN [2003], 209f; SCHNELLE [2005], 155f). 9 Zur Stadt, ihrer sich aus römischen Veteranen, Griechen und Thrakern zusammensetzenden Bevölkerung und der damit verbundene kultischen Vielfalt vgl. P ILHOFER (2005), 163ff; SCHNELLE (2005), 156 und HELLERMAN (2005), 64ff. 10 Einen Eindruck von den Widrigkeiten, denen die junge Gemeinde in ihrem Umfeld ausgesetzt gewesen sein könnte, bietet OAKES (2005), 301ff. 11 In diesem Brief lässt sich eine besondere Nähe zur antiken Freundschaftsthematik und darüber hinaus zur „Homonoia-Topik“ beobachten. Vgl. dazu VOLLENWEIDER (2006), 460f.
1. Die Christen als Heilige: Phil 1,1 und 4,21
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(2,17), im zweiten Fall wird es konkretisiert an der finanziellen Unterstützung, die Paulus von den Philippern erhalten hat (4,18).
1. Christen als Heilige: Phil 1,1 und 4,21f 1. Die Christen als Heilige: Phil 1,1 und 4,21
Die aus anderen Paulusbriefen inzwischen bekannte Bezeichnung der Christen als Heilige – also als solche, die in der „Ausschließlichkeit des vollen Gebundenseins an Gott“ zu Gott gehören12 – gibt dem Philipperbrief seinen Rahmen. Schon im ersten Vers nennt Paulus seine Adressaten die „Heiligen in Christus Jesus“ (evn Cristw/| VIhsou/).13 Am Schluss des Briefes (4,21f) fordert Paulus seine Adressaten nun dazu auf, „jeden Heiligen in Christus Jesus“ zu grüßen und übermittelt ihnen seinerseits Grüße von „allen Heiligen, besonders denen aus dem Haus des Kaisers“ – also den Christen am Ort, an dem Paulus sich zur Abfassungszeit des Briefes aufgehalten hat. Vergleicht man die entsprechenden Grußformulierungen der Paulusbriefe miteinander, dann fällt auf, wie zentral der Begriff Heilige für das paulinische Gemeindeverständnis ist: Was in 2. Kor 13,12 und in Phil 4,22 die Heiligen sind, sind in 1 Kor 16,19 und Röm 16,16 die Gemeinden bzw. die Brüder (1 Kor 16,20). 14
Diese heiligkeitstheologische Rahmung um den Philipperbrief,15 die sich auch schon im 2 Kor zeigte, wirft nicht nur ein Schlaglicht auf das Gottesverhältnis der einzelnen Gemeinden und ihrer Glieder, er vermag auch zu zeigen, wie sich die Beziehung der Gemeinden zueinander gestaltet. Die Christen sind im Rahmen ihrer Ortsgemeinde die Heiligen, also die, die zu Gott gehören. In ihrem Verhältnis zu Gott stehen sie jedoch nicht allein. Die Christen an anderen Orten sind in gleicher Weise – und in gleicher Unmittelbarkeit – Gott eigen. Eine Hierarchie oder organisatorische Vernetzung gibt es also nicht.16
12
W ALTER (1998), 32. Vgl. dazu unter 1 Kor 1,2 (Kapitel 5, 1). 14 Vgl. dazu MÜLLER (1993), 35: „die Ausdrücke ‚berufene Heilige’ und ‚in Christus Jesus Geheiligte’“ entfalten „den Ekklesia-Begriff in 1 Kor 1,2“ und G NILKA (1987), 31, der zum Verhältnis von Heilige und Ekklesia schreibt: „es darf aber nicht übersehen werden, dass mit pa,ntej oi`` a[gioi faktisch dasselbe gemeint ist. Nur ist die Gemeinde in ihren einzelnen Gliedern angeredet.“ 15 Vgl. B OCKMUEHL (1998), 268. 16 Vgl. DUNN (2003), 540. 13
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Kapitel 7. Kultische Sprache im Philipperbrief
2. Die makellose Gemeinde: Phil 2,15 2. Die makellose Gemeinde: Phil 2,15
Phil 2,15 weist mit a;mwmoj ein Adjektiv auf, dem vor allem in der LXX kultische Konnotationen eigen sind. Nachdem Paulus in Phil 2,12 die Gemeinde ermahnt hat, mit „Furcht und Zittern“ an ihrer eigenen Rettung zu arbeiten (nicht ohne sie zugleich daran zu erinnern, dass es bei aller Betonung der menschlichen Verantwortung Gott selber ist, der Wollen und Vollbringen bewirkt [2,13]),17 setzt Paulus mit einer neuen Ermahnung ein, die allgemeiner kaum gehalten sein kann: „Alles tut ohne Murren und Bedenken“. Das Wort pa,nta dürfte wohl in der Tat die ganze Breite menschlichen Tuns bezeichnen18 – ein Rückbezug zu den Mahnungen zu einem Verhalten, das sich an Wohl und Wert des anderen orientiert, wird jedenfalls nicht expressis verbis hergestellt.19 Die Zielvorgabe, auf die hin sich dieses Tun orientieren soll, macht nun der folgende Vers deutlich: „damit ihr untadelig und unverdorben werdet, Gottes makellose Kinder inmitten eines krummen und verdrehten Geschlechtes“ (2,15). Die erste Vokabel (a;memptoj) erinnert an biblische Gestalten wie Abraham (Gen 17,1) oder Hiob (Hi 1,1). Leser und Leserinnen mit paganem Hintergrund könnten das Adjektiv aus Grab- oder Ehreninschriften kennen, die die untadelige Lebens- und Amtsführung eines Menschen preisen (vgl. IG XII 7 401,9; 479,3; IK (Prusias ad Hypium 8,11; 11,18). Das zweite Adjektiv (avke,raioj) ist in der LXX selten (nur Stücke zu Ester 6,6) und bezeichnet in der paganen Gräzität, „was sich in dem ursprünglichen Zustand von Unversehrtheit, Ganzheit, sittlicher Unschuld befindet“.20 Die Gotteskinder (vgl. Röm 8,16) nun sollen a;mwmoj (makellos) sein. Dieses Wort hat eine deutliche kultische Dimension, benennt es doch in der LXX den Zustand, in dem sich Opfertiere befinden müssen (Lev 1,3; 4,3 u.ö.). Die LXX kennt aber auch die Anwendung auf Menschen und ihr einwandfreies Verhalten (z. B. David: 2 Sam 22,24) jenseits des Kultes oder auf den Menschen, der sich in der Gegenwart Gottes im Tempel aufhalten will (Ps 15,2). In diesem weiten – auch inschriftlich belegten (vgl. CIG 1974; IG IX 1 163,4) – Sinn dürfte es auch von griechischen Leserinnen und Le-
17
Zur kontroverstheologischen Wirkungsgeschichte dieser Verse vgl. BARTH (1947), 70f. U.B. Müller dürfte zuzustimmen sein, wenn er das Gefüge der beiden Verse wie folgt paraphrasiert: „An Gottes Ratschluss hängt alles – darum kann der Mensch nur in Gehorsam und Ehrfurcht vor Gott als Christ leben und sein Christsein zu bewähren suchen“ (MÜLLER [1993], 119). Vgl. auch K ONRADT (2003), 495, Anm. 92. 18 So auch B OCKMUEHL (1998), 155. 19 Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass die vorangehenden Mahnungen nun aus dem Blick geraten wären, sie sind weiterhin mitzuhören, nur erweitert Paulus jetzt den Horizont. 20 KITTEL (1933), 209.
2. Die makellose Gemeinde: Phil 2,15
233
sern verstanden worden sein, die a;mwmoj wohl nicht als kultische Vokabel gekannt haben werden.21 Dass dieser Vers „als Ziel einen Zustand der (kultischen) Reinheit und Lauterkeit“ im Blick habe, unterstreicht N. Walter. „So wird das aktive Leben der Christen wie eine Opferdarbringung verstanden“.22 Diese Schlussfolgerung könnte sich explizit auf das Adjektiv a;mwmoj berufen. Die übrigen Adjektive lassen eine Verortung im Kult jedoch nicht in gleicher Weise erkennen, was eine kulttheologische Lektüre dieses Verses (etwa auf der Linie von Röm 12,1f) zwar nicht unmöglich macht, aber doch erschwert.23
Dass für Paulus selbst wohl der biblische Sprachgebrauch – mit seinen kultischen Implikationen – maßgeblich gewesen ist, machen die folgenden Wendungen des Verses wahrscheinlich, die auf zwei Stellen in der LXX anspielen. Die Worte genea. skolia. kai. diestramme,nh finden sich so in Dtn 32,5. Indirekt von dort stammt – nun freilich als positives Gegenbild24 – auch die Rede von den makellosen Kindern, denn dort gehören zum krummen und verdrehten Geschlecht auch die te,kna mwmhta, (makelbehafteten Kinder). Paulus nutzt die Elemente dieses Verses, um die Christen ihrer Umwelt positiv gegenüberzustellen.25 Diesem Zweck dient auch das folgende Bild, das die Christen mit den Lichtern aus Gen 1,14 vergleicht (fwsth/rej), die sich hell von der Umwelt absetzen.26 Zwei der von Paulus herangezogenen Adjektive haben nun ein gleiches hebräisches Äquivalent, denn sowohl a;memptoj als auch a;mwmoj dienen zur Übersetzung von ~ymt (vollkommen, ungeteilt [Gen 17,1; Ps 15,2]). Damit wird ein Verhalten bezeichnet, das sich durch „die Ungeteiltheit des Herzens und Ganzheitlichkeit des Gehorsams“ auszeichnet.27 Wenn wir diesen Ton hier mithören dürfen – von den griechischen Vokabeln her spricht nichts dagegen –, entwirft Paulus ein Bild christlichen Verhaltens, das dem in Vers 14 beschriebenen genau entgegengesetzt ist, denn etwas mit Murren und Bedenken zu tun, bedeutet ja, dass man etwas zwar tut, jedoch ohne innerlich davon völlig überzeugt zu sein. Was Paulus von seinen Adressaten hier fordert, geht in die Richtung einer Übereinstimmung von in21 Die Forderung, dass Opfertiere makellos sein sollen, wird in paganen Inschriften mit der Vokabel te,leioj ausgedrückt (LSAM 40,67 A 4; LSCG, Suppl 44,5). 22 Beide Zitate WALTER (1998), 66. 23 Von 2,17f her gelesen gewinnt diese Deutung jedoch deutlich an Wahrscheinlichkeit. Vgl. dazu Kapitel 9, 4. 24 Vgl. FEE (1995), 245: „He thus converts the whole phrase into its opposite with regard to the Philippians“. 25 Diese dualistische Weltsicht erinnert an 1 Kor 5f (vgl. Kapitel 5, 5 und 6). 26 Wie B OCKMUEHL (1998), 157 zu Recht bemerkt, spricht allein diese universale Wendung gegen die These, dass Paulus hier von einer Verwerfung des nicht an Christus glaubenden Judentums spricht. Auch MÜLLER (1993), 120 sieht diese LXX-Anspielung „auf die ganze nichtchristliche Welt übertragen“, ähnlich FEE (1995), 246. 27 So LUZ (1992), 313 im Blick auf Mt 5,48.
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Kapitel 7. Kultische Sprache im Philipperbrief
nen und außen, die Matthäus (5,48) und Jakobus (1,4) einige Jahrzehnte später auf den Begriff der Vollkommenheit bringen werden.28 Die Annahme, dass Paulus dies tatsächlich bewusst mit opfertheologischer Begrifflichkeit tut, gewinnt über die Begriffsgeschichte von a;mwmoj in der LXX hinaus an Wahrscheinlichkeit, wenn man auf den Fortgang der Argumentation in 2,17 achtet.
3. Das Leben als Opfer – Paulus und die Gemeinde im Gleichtakt: Phil 2,17 3. Das Leben als Opfer: Phil 2,17
Mit diesen Versen beschließt Paulus den ersten paränetischen Teil des Briefes (1,27ff), der eine „dem Evangelium würdige“ Lebensführung entworfen hatte. Diese zeichnet sich durch Einmütigkeit und Standhaftigkeit aus, vor allem aber durch eine Haltung, die den anderen höher schätzt als sich selbst und darum auf dessen Wohl bedacht ist (2,1–4 exemplifiziert am Beispiel Christi 2,5–11). Nachdem er die Argumentation in 2,15 auf ein Ziel hat zulaufen lassen, macht Paulus nun (2,16) den Erfolg seines gesamten Wirkens daran fest, ob seine Adressaten sich seinen Ausführungen entsprechend verhalten, nur dann wäre er nicht „vergeblich gelaufen“. Nach 2,12 dürfte ein solches Scheitern aber eher eine hypothetische Möglichkeit gewesen sein, denn Paulus ist in der Lage, die Philipper an ihren ohnehin schon vorhandenen Gehorsam zu erinnern,29 d. h. er kann sich relativ sicher sein, dass seine Mahnungen nicht ins Leere gesprochen sein werden. Dazu passt die freudige Gewissheit der Verse 17b und 18, die zwei Zentralmotive des Briefes wieder aufgreifen, nämlich die Freude (vgl. 1,18; 2,2; 3,1; 4,2) und die Gemeinschaft zwischen Gemeinde und Apostel (1,5.7; 4,14), so dass am Ende dieses Briefteiles das gemeinsame SichFreuen steht (cai,rw kai. sugcai,rw pa/sin u`mi/n to. de. auvto. kai. u`mei/j cai,rete kai. sugcai,rete, moi). Unmittelbar zuvor begibt sich Paulus nun auf die Sprachebene des Kultes. Mit dieser Beobachtung endet aber auch schon der Konsens der Forschung zu Vers 17. Paulus spricht hier zunächst davon, dass er „als Trankspende ausgegossen wird“ (spe,ndomai). Damit spielt Paulus auf das Trankopfer an, dass in paganen Kulten ebenso geläufig ist wie im jüdischen.30 Was aber ist mit diesem Bild gemeint? Viele Exegeten deuten es so, wie es 28
Vgl. dazu VAHRENHORST (2002), 250f und (2007), 128ff. Vgl. B OCKMUEHL (1998), 150f („affirming vote of confidence“). 30 Schon B ARTH (1947), 80 betonte die religionsübergreifende Verständlichkeit dieses Bildes. In der LXX begegnen Trankspenden in Gen 35,14; Ex 29,40f u. ö. Zu heidnischen Kulten vgl. STENGEL (1920), 103f. 29
3. Das Leben als Opfer: Phil 2,17
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wohl schon in 2 Tim 4,6 (und später z. B. von Ignatius, Röm 2,2) verstanden wurde, nämlich als Hinweis auf den bevorstehenden Tod des Apostels.31 Diese Deutung wirft aber einige Fragen auf: So ist zum Bild der Trankspende zu bemerken, dass Trankspenden in der Regel aus Wein, Honig oder Wasser32 bestehen. Damit ruft das Bild also noch nicht einmal über die Assoziation vergossenen Blutes den Gedanken an den Tod wach.33 Auch der Kontext des Verses stellt diese Deutung in Frage, denn Paulus rechnete nach 1,26 und 2,24 eher damit, die Gemeinde noch einmal wieder zu sehen, als mit einem Todesurteil. Zumindest aber war der Ausgang des Prozesses offen (vgl. 1,20; 2,23),34 Leben und Tod standen Paulus gleichermaßen vor Augen. Man könnte unseren Vers mit E. Käsemann also so lesen, dass Paulus hier die in 1,20ff „offen gelassene Möglichkeit, dass statt der Freiheit das Martyrium auf den Apostel wartet“,35 bedenkt. Der weitere Kontext des Briefes erlaubt es, das Bild vom Trankopfer als Bild für den für möglich gehaltenen Tod des Apostels zu deuten. Wie aber steht es mit dem unmittelbaren Kontext? Neben dem Trankopfer gibt es ja noch ein weiteres Opfer, dessen genauere Deutung ebenfalls schwierig ist. Die Zeichensetzung im Nestle-Aland27 legt es nahe, das Trankopfer als ein die qusi,a begleitendes Opfer zu verstehen: spe,ndomai wäre dann durch die Präposition evpi, mit dem Opfer verbunden: „ich werde als Trankspende beim Opfer […] ausgegossen“. Wenn diese Lektüre den Sinn des Textes träfe, dann stünden das Opfer des Paulus und das der Gemeinde parallel zueinander. Ebenso wenig wie qusi,a der Gemeinde an den Tod denken lässt, müsste man dann die begleitende Trankspende als Bild für den Märtyrertod des Apostels deuten.36 Paulus brächte mit dem kultischen Bild lediglich den Gleichtakt, der zwischen ihm und der Gemeinde besteht, zum Ausdruck. Von diesem Gleichtakt ist der gesamte Brief durchzogen (1,7.30; 4,14f) – ihm entspricht nicht zuletzt die diesen Abschnitt beschließende gemeinsame Freude.
31
So z. B. G. B ARTH (1979), 51; GNILKA (1987), 154; MÜLLER (1993), 122; W ALTER (1998), 67; KÄSEMANN (1960), 297; GERBER (2005), 167. 32 Blut kommt als Trankspende in der LXX nur in Sir 50,15 vor. In nichtjüdischen Texten wird nur „in seltenen Fällen […] das Ausgießen von Blut durch spe,ndw ausgedrückt“ (MICHEL [1964], 531 [dort Belege]). 33 Vgl. B OCKMUEHL (1998), 161: „there is in any case no literal allusion to martyrdom“ (dort Literatur) und FEE (1995), 252. 34 Selbst Exegeten, die davon ausgehen, dass Paulus hier von seinem Tod spricht, fragen aber, wieso Paulus gerade hier darauf zu sprechen kommt. So G. B ARTH (1979), 50 und GNILKA (1987), 154. 35 KÄSEMANN (1960), 297. 36 Vgl. FEE (1995), 254.
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Kapitel 7. Kultische Sprache im Philipperbrief
Nun ist aber auch die soeben vorgestellte Zuordnung von spe,ndomai zu evpi. th/| qusi,a| nicht unumstritten. Es ist nämlich auch möglich, evpi. th/| qusi,a| zu cai,rw kai. sugcai,rw pa/sin u`mi/n zu ziehen: „über das Opfer […] freue ich mich…“.37 Damit wäre die Parallelität der beiden Opferhandlungen nicht mehr gegeben. Grammatikalisch sind beide Lesarten möglich.38 Der Blick in die Kultsprache der Umwelt könnte nun doch den Ausschlag geben, spe,ndomai und evpi. th/| qusi,a| zusammen zu lesen. Seit Homer konstruiert man das Ausgießen der Trankspende auf das Hauptopfer nämlich mit evpi,: Hom. Il. 1,462; 11,775; Od. 3,459 (vgl. auch Arr. an. 6,19,5).39 Auch die LXX kennt diesen Sprachgebrauch (Gen 35,14; Ex 30,9), allerdings in einem etwas anderen Sinn (ein Trankopfer auf etwas [Stein bzw. Altar] gießen). Vor allem für Leserinnen und Leser mit paganem Hintergrund dürfte es also nahe gelegen haben, diesen Vers wie folgt zu lesen: „ich werde als Trankspende über eurem Opfer […] ausgegossen“. Diese Übersetzung entspricht der in der Forschung üblichen passivischen Deutung von spe,ndomai. Paulus ist dann derjenige, der etwas erleidet. Diese Lesegewohnheit fügt sich nicht allein zu dem Gedanken, dass Paulus hier von seinem bevorstehenden Tod spricht. Auch wenn wir hier eher ein Bild für Leben und Werk des Apostels sehen, passt spe,ndomai als Passiv.40 Nun könnte es sich bei der Form aber auch um ein Medium handeln. Dann wäre Paulus derjenige, der etwas an sich selbst vollzieht, der sich also selbst als Trankspende opfert.41 Diese Aussage könnte dann gut auf der Linie von Röm 12,2 gelesen werden.42 Ist es dort das Leben seiner Adressaten, das als Opfer beschrieben wird, so spräche Paulus hier von seiner eigenen Lebensführung bzw. seinem apostolischen Wirken als einem Opfer. Entscheidet man sich also aufgrund der Stellung der Aussage in ihrem Kontext, wegen der religionsgeschichtlichen Parallelen und der Möglichkeit, spe,ndomai als mediale Form zu lesen, dafür, Paulus hier von seinem
37
So z. B. GNILKA (1987), 154f; M ÜLLER (1993), 122. Das, worüber Paulus sich freut, kann auch sonst mit evpi, und dem Dativ angeschlossen werden: Röm 16,19; 1 Kor 13,6; 16,17; 2 Kor 7,13. Außer in Röm 16,19 ist das Objekt der Freude jedoch nachgestellt. 39 Weiteres nennt GNILKA (1987), 155, Anm. 61. 40 Vgl. etwa FEE (1995): „I am currently being poured out“ (253). 41 Zum reflexiven Gebrauch des Mediums vgl. SCHWYZER (1959a), 229ff. Damit entfiele auch die Frage nach dem Subjekt des Opferns, die sich bei einer passivischen Interpretation von spe,ndomai ergibt, wenn man das Verb auf das Leben des Apostels deuten möchte. Es wäre dann ganz selbstverständlich Paulus selbst, der das Opfer vollzieht. 42 Vgl. Kapitel 9, 4. 38
3. Das Leben als Opfer: Phil 2,17
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Leben43 als einer das Opfer der Gemeinde begleitenden Trankspende sprechen zu hören, bleibt nur noch zu klären, was genau Paulus mit der Wendung qusi,a kai. leitourgi,a th/j pi,stewj u`mw/n meint. Hier ist die Exegese uneins über die Frage, wer das genannte Opfer bringt und den (kultischen)44 Dienst tut. Ist es die Gemeinde selbst, deren Lebensführung im Glauben als Opfer und kultischer Dienst bezeichnet wird (vgl. Röm 12,1)?45 Oder ist es der Apostel, von dessen Dienst am Glauben der Gemeinde hier die Rede ist,46 bzw. der „seinem Herrn die gläubige Gemeinde“ als Opfer darbringt (Röm 15,16)?47 Die Philologie hilft hier nicht unmittelbar weiter, denn der Genitiv th/j pi,stewj u`mw/n kann sowohl als Genitivus Subjectivus (Opfer und Dienst eures Glaubens) als auch als Genitivus Objectivus (Opfer und Dienst an eurem Glauben)48 verstanden werden. Zu beiden Lesarten gibt es Parallelen in den paulinischen Briefen: Paulus stellt sein Tun als Opferdienst (Röm 15,16) dar – wie auch das Leben der Gemeinde (Röm 12,1). Im Philipperbrief selbst ist es nun das unterstützende Tun der Gemeinde, das vor Gott als wohlgefälliges Opfer gilt (4,18). Außerdem verwendet Paulus in diesem Brief noch an zwei anderen Stellen Nominative vom Stamm leitourg-. In beiden Fällen geht es um den Dienst des Epaphroditos, eines Gemeindegliedes aus Philippi, das Paulus stellvertretend für die ganze Gemeinde dient (2,25.30). Die drei Stellen, an denen Paulus in diesem recht kurzen Brief vom Opfer und vom Dienst spricht, weisen also alle in die gleiche Richtung. Damit wird es sehr wahrscheinlich, dass Paulus auch in 2,17 mit qusi,a und leitourgi,a das Tun der Gemeinde im Blick hat. Fasst man den Ertrag dieser Diskussion zusammen, so schreibt Paulus in diesem Vers auf der Bildebene von einer Trankspende, die bei einem Opferritual ein Hauptopfer begleitend dargebracht wird. Auf der Sachebe43 Ein weiteres Argument nennt B OCKMUEHL (1998), 161. Er weist darauf hin, dass spe,ndomai nicht im Futur, sondern im Präsens steht, so dass Paulus nicht von einem in der Zukunft zu erwartenden Ereignis (z. B. seiner Verurteilung zum Tode) spricht, sondern von seiner weitergehenden Mission („ongoing ministry“). 44 In der LXX bezeichnet leitourgi,a u. a. den Dienst der Leviten und Priester an der Stiftshütte. Auch im außerbiblischen Griechisch kennt man das Wort nicht nur im Sinne einer Dienstleistung für das Gemeinwesen, sondern auch als Begriff für den kultischen Dienst (Belege bei STRATHMANN [1942], 225). Vgl. auch Kapitel 9, 11. 45 So GNILKA (1987), 154f; FEE (1995), 254; B OCKMUEHL (1998), 161. 46 So G. B ARTH (1979), 51; MÜLLER (1993), 123. 47 KÄSEMANN (1960), 297. 48 Die LXX kann leitourgi,a mit dem Genitiv konstruieren, wenn sie z. B. vom Dienst in der Stiftshütte spricht (leitourgi,aj th/j skhnh/j kuri,ou [Num 16,9; 18,4; 1 Chr 6,33 u. ö]). Aber selbstverständlich gibt es auch den subjektiven Gebrauch (Num 4, 24; 1 Chr 24,3 u. ö.).
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Kapitel 7. Kultische Sprache im Philipperbrief
ne handelt es sich um eine Aussage über das Leben und Tun des Apostels und der Gemeinde. Ihre deutlichste Parallele findet sie in Röm 12,1f. Wie dort entwirft Paulus auch hier ein Bild gelingenden christlichen Lebens in kultischer Sprache. Zugleich betont er den Gleichtakt, der zwischen ihm und der Gemeinde besteht. Beide leben ihr Leben als ein Opfer, das Gott geweiht ist. Darum – und damit schlagen wir den Bogen zu Vers 17b und 18 – haben auch beide in gleicher Weise Grund zur Freude. Als Abschluss der Paränese stellen diese Verse die positive Alternative zur in Vers 16 angesprochenen Möglichkeit des Scheiterns dar: Wenn die Adressaten nicht in der von Paulus entworfenen Weise lebten – was bedeuten würde, dass ihr Leben auch nicht als Opfer gelten könnte –, hätte Paulus sich vergebens gemüht. Andernfalls49 aber leben beide so vor Gott, wie es ihrem Status als Gottes Eigentum50 entspricht: Paulus in seinem Dienst als Apostel, die Gemeinde als Gemeinde Christi, die mit Paulus in besonderer Weise Gemeinschaft hat. Dass dabei sein Opfer „nur“ begleitenden Charakter hat, passt nicht nur gut zur Argumentation ab 2,3,51 sondern fügt sich auch sonst zu der Art, in der Paulus sein Verhältnis zu seinen Gemeinden – speziell zu der in Philippi – beschreibt.52 Paulus verwendet also die Juden wie Nichtjuden gleichermaßen verständliche Sprache des Kultes, um das Ziel53 seiner in 1,27 begonnenen Paränese hier gleichsam auf den Punkt zu bringen.
4. Leben als Gottesdienst durch den Geist: Phil 3,3 4. Leben als Gottesdienst durch den Geist: Phil 3,3
In Phil 3,2 beginnt ein neuer Gedankengang, der bis Phil 4,1 verfolgt wird.54 Gegenwärtig mehren sich die Stimmen derer, die diesen Passus, der mit der scharfen Polemik gegen die Beschneidung von Jesusanhängern aus der Völkerwelt formal und inhaltlich einen Ton anschlägt, der sich vom 49
Es passt gut zum Gang der Argumentation, dass Paulus hier mit avlla, einen adversativen Anschluss wählt (vgl. B OCKMUEHL [1998], 160). Die folgende Präposition eiv könnte man konditional verstehen (für den Fall, dass…). Das spräche gegen die hier favorisierte Deutung auf das Leben des Apostels (ebd.). Eiv kann jedoch auch „einen wirklichen Fall z(ur) Voraussetzung“ (B AUER / ALAND, 442) haben (man müsste dann lesen: „wenn [wie es tatsächlich der Fall ist]…“). So auch FEE (1995), 253. 50 Dies meint ja die Rede von den Heiligen, die den Brief wie eine Klammer umschließt. 51 Vgl. B OCKMUEHL (1998), 162. 52 Vgl. z. B. 1 Thess 2,7ff; 1 Kor 3,5ff; 9,19ff. 53 Dies wird in 2,15 schon vorbereitet. Dort greift Paulus – noch nicht ganz eindeutig – kultisches Vokabular auf, um das Ziel seiner Ausführungen zu markieren. 54 Mit 3,1 war wohl „ursprünglich der Schluss des Briefes anvisiert“, während 4,1 eine „zusammenfassende Schlussmahnung“ bildet (KRAUS [1996], 337).
4. Leben als Gottesdienst durch den Geist: Phil 3,3
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Rest des Briefes deutlich unterscheidet, im Brief belassen möchten.55 Als Indiz dafür kann die Wendung „oi` pneu,mati qeou/ latreu,ontej“ (Phil 3,3) gewertet werden, mit der Paulus christliche Lebensführung in Analogie zu Phil 2,17 und 4,18 als kultisches Handeln beschreibt. Nach der schroffen Warnung Phil 2,2 formuliert Paulus eine Parole, die er seinen Gegnern entgegenhält: „Wir sind die Beschneidung“.56 M. Bockmuehl weist mit Recht darauf hin, dass es hier nicht um einen Konflikt zwischen Israel und Kirche geht, sondern um einen Konflikt, der innerhalb der Jesusanhängerschaft ausgetragen wird. 57 Paulus polemisiert hier gegen Gegner, die die Zugehörigkeit zu Christus an die Beschneidung binden wollen.58
Ähnlich wie in 2 Kor 5,21 wendet Paulus auch hier wieder einen Abstraktbegriff auf die Gemeinde an. Damit wird ausgesagt, dass die Gemeinde, so wie Paulus sie gegründet hat, das repräsentiert, was sich mit dem Stichwort „Beschneidung“ verbindet: „Faith in Christ places Gentile believers on the same footing before God as Jewish believers, co-opting them into the Abrahamic covenant which circumcision symbolizes“.59 Das, was die Kontrahenten des Apostels für die nichtjüdischen Jesusanhänger erst noch erreichen wollen, nämlich die Zugehörigkeit zum Gott Israels, ist in der Gemeinde in Wirklichkeit schon Realität. Diese Realität bestimmt Paulus nun mit zwei Partizipialkonstruktionen näher, von denen im Rahmen dieser Arbeit besonders die erste von Interesse ist: „oi` pneu,mati qeou/ latreu,ontej“. Das Verb latreu,w begegnet im Corpus paulinum nur noch in Röm 1,9 und 1,25. Dort hat es jeweils ein Objekt im Dativ, nämlich Gott oder Götzen. Das ließe vermuten, dass auch hier der Dativ pneu,mati qeou/ das Objekt benennt. Das wäre allerdings eine singuläre Formulierung in den paulinischen Briefen. Von daher liegt es näher, dass latreu,w wie andernorts auch (vgl. z. B. Lk 2,37; Hebr 8,5) absolut gebraucht wird, während der Dativ den Modus (im Geist Gottes) oder das Movens (durch den Geist Gottes) der Handlung benennt.60 Dadurch dass Paulus den Geist als Geist Gottes qualifiziert, beugt er dem Missverständnis vor, hier ginge es um eine Gegenüberstellung von
55
Vgl. SCHNELLE (2005), 158ff. Vorsichtig urteilt BORMANN (2006), 226f. Das betonte h`mei/j ga,r evsmen lässt erkennen, dass es hier um eine Selbstbeschreibung geht, die zugleich eine Distanzierung von den Konkurrenten vornimmt. 57 B OCKMUEHL (1998), 191f. 58 Vgl. SCHNELLE (2003), 418. 59 B OCKMUEHL (1998), 191. 60 Das entspricht dem paulinischen Sprachgebrauch (vgl. Röm 8,13f; 1 Kor 14,2; Gal 5,16; Phil 2,1 u.ö.). 56
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Kapitel 7. Kultische Sprache im Philipperbrief
Geist und Buchstabe oder ähnlichem. Gottes Geist ist das, was den Gottesdienst der Gemeinde bestimmt: „Gott selbst macht uns fromm“.61 Mit dem Verb latreu,w (vgl. Phil 3,3 und Röm 1,28; latrei,a Röm 9,4 und 12,1) beschreibt Paulus das Verhältnis der Gemeinde zu Gott als Dienst. In der LXX sind das Verb und das Nomen (latrei,a) sehr häufig zu finden und fungieren fast ausschließlich als Standardäquivalente für db[ bzw. hdwb[, der zentralen hebräischen Wortfamilie für den Gottesdienst. Dass es sich dabei um einen kultischen Dienst handelt, zeigen erläuternde Hinweise auf Opfer und die entsprechenden Kontexte (vgl. z. B. Ex 8,4 und 10,26).62 Das Subjekt dieses Dienstes ist dabei das ganze Volk, und anders als bei leitourge,w nicht nur das Kultpersonal.63 In der paganen Literatur ist latreu,w nicht sehr verbreitet. In einzelnen Fällen bezieht es sich auf den „kultischen Dienst“ an den Göttern (Euripides, Ion 152; Plutarch, mor. 407 E; Epiktet, Diss III 22,56), während es sonst jegliches Dienstverhältnis meinen kann. Für das Nomen latrei,a gilt das Gleiche.64 Es bringt ebenfalls manchmal den Dienst an den Göttern zur Sprache (Plato, apol. 23 C; Phaidr. 244 E; Plutarch, mor. 56 E; Is. 352 A). Vergleicht man den Sprachgebrauch der LXX mit dem der paganen Texte, so fällt auf, dass die Übersetzer der biblischen Bücher nur die religiöskultische Sprachtradition von latreu,ein übernommen haben. Damit schränken sie das Bedeutungsspektrum dieses Wortes in der Weise ein, dass es den Platz einnimmt, der in paganen Texten der Wortfamilie qerapeu,w / qerapei,a zukommt. Diese Wortfamilie, die klassischerweise den kultischen Dienst an den Göttern zum Ausdruck bringt, erscheint in der LXX fast ausschließlich (Jes 54,17; Dan 7,10) in profaner Bedeutung („heilen, pflegen, betreuen“).65 Ein weiteres Äquivalent von db[, douleu,w wird – wohl wegen der damit verbundenen negativen Konnotationen – eher seltener für den Gottesdienst verwendet (Ps 2,11; 99,2 [LXX]); 101,23 [LXX]), sondern vornehmlich nur für den Dienst an Menschen.66 Paulus verwendet also ein deutlich kultisch konnotiertes Verb, um das Gottesverhältnis und die Lebensführung der Gemeinde zu beschreiben. Im unmittelbaren Argumentationskontext bedeutet das: Alles, worauf die Beschneidung zielt, nämlich auf ein Leben im Angesicht Gottes, realisiert die Gemeinde schon durch den Geist Gottes, indem sie ihr Leben als latrei,a 61
B ARTH (1947), 93. Zum Ganzen vgl. STRATHMANN (1942a), 60f. 63 Nur in 1. Esdras 4,54 bezieht sich latreu,w speziell auf die Priester. 64 Vgl. STRATHMANN (1942a), 59. 65 STRATHMANN (1942a), 62. Die Übersetzer der LXX schaffen damit eine Differenz zwischen dem Kult Israels und dem der Völker. Zum Umgang der Pentateuchübersetzer mit der kultischen Begrifflichkeit ihrer Umwelt vgl. VAHRENHORST, Exkurs zur Opferterminologie im Begleitband zu LXX.D. 66 Vgl. STRATHMANN (1942a), 59. 62
5. Die Gemeinde und das, was den anderen heilig ist: Phil 4,8
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lebt. Diese Beschreibung fügt sich sehr gut zu den übrigen Passagen des Briefes, die das Leben der Gemeinde und das des Apostels, der an dieser Stelle ja auch über sich selbst spricht, als kultische Handlung darstellen (vgl. Phil 2,17; Phil 4,18). Im Blick auf die Verwendung kultischer Sprache zur Charakterisierung gemeindlicher Lebensführung ist der Brief also durchaus recht einheitlich.
5. Die Gemeinde und das, was den anderen heilig ist: Phil 4,8 5. Die Gemeinde und das, was den anderen heilig ist: Phil 4,8
Mit der Wendung „im Übrigen“ (to. loipo,n) leitet Paulus wie schon in 3,1 eine neue Ermahnung ein.67 Wieder möchte er herausstreichen, worauf die Gemeinde bedacht sein soll (tau/ta logi,zesqe).68 Paulus stellt seinen Adressatinnen und Adressaten eine Liste von Werten vor Augen. Dazu gehören u.a. das, was heilig/rein (o[sa a``gna,) ist, und das, was gerecht (o[sa di,kaia) ist. Erneut steht ein kultischer Terminus69 neben ethischen Termini, wieder erscheinen das Gerechte und das Heilig-Reine als zwei Seiten einer Medaille (vgl. 1 Thess 2,10; 1 Kor 1,30; 6,11; 2 Kor 6,14ff). Solche Zusammenstellungen dürften Leserinnen und Leser mit griechischrömischem Hintergrund an Ehreninschriften erinnert haben, die positiv gewertetes Verhalten ebenfalls als a``gno,j und di,kaioj rühmen.70 Auch andere Begriffe dieser Liste begegnen in solchen Texten. Neben Formen von se,mnoj findet man in entsprechenden Inschriften Worte, die die Menschenfreundlichkeit oder Güte mit Worten mit der Vorsilbe fil- preisen (TAM 2,1–3 138
67
Anders akzentuiert B OCKMUEHL (1998), 249, der diese Wendung so versteht, dass sie locker an die Verheißung des Friedens Christi anknüpfend Hinweise zum christlichen Leben im römischen Philippi einleitet. Ähnlich sieht es Markus M ÜLLER (1997), 146, der to. loipo,n als „konjunktive Klausel“ interpretiert, mit der 4,4ff ein letztes Glied zugefügt werde. U. B. Müller betont hingegen den „durchaus selbstständig wirkenden Eigencharakter“ dieser Verse, die gut zu einer Schlussparänese passen (MÜLLER [1993], 199). Die Verwendung von loipo,n in den paulinischen Briefen (vergleichbar sind 2 Kor 13,11 und 1 Thess 4,1) zeigt nun, dass damit inhaltlich Neues eingeleitet werden kann, das aber selbstverständlich nicht beziehungslos im Raum steht (das Leitwort der Paränese 1 Thess 4,3 greift beispielsweise 1 Thess 3,13 auf). 2 Kor 13,11 lässt sich so lesen, dass die Mahnungen, die in Kapitel 13 enthalten sind, anschließend zusammengefasst werden. 68 In Phil 2,2–4 wählt Paulus dafür die Verben frone,w; h``ge,omai; skope,w. 69 Vgl. FEE (1995), 418. 70 Dass die Aufzählung sich an traditionelle Begrifflichkeit anlehnt, wird allein schon dadurch deutlich, dass sie zahlreiche neutestamentliche Hapaxlegomena enthält (vgl. MÜLLER [1993], 200). „The six adjectives and two nouns that make up the sentence are as uncommon in Paul as most of them are common stock to the world of Greaco-Roman moralism” (FEE [1995], 415). Vgl. auch die Hinweise bei G NILKA (1987), 221f.
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Kapitel 7. Kultische Sprache im Philipperbrief
II 4; IG 12,3 280,5), avreth, (Schindler, Inschriften von Boubon 10,7; CIG 2817), di,kaioj (IOSPE 1 (2) 42 fr. a–e 15; MAMA VIII 33,7).71
Inhaltlich fordert Paulus seine Adressaten also dazu auf, die Werte, die in ihrer Umwelt für achtenswert gehalten werden, ebenfalls zu achten. Eine Differenz zur Umwelt, wie sie in 2,15ff angedeutet wird (und im Kontext auch der Sache nach vorliegt),72 findet sich hier nicht mehr. Insgesamt hat es den Anschein, als ginge es Paulus hier anders als in Phil 1,27–2,18 nicht um das Verhalten der Christen untereinander (evn u``mi/n [2,5]), sondern als lenke Paulus den Blick nun bewusst über die Gemeindegrenzen hinweg auf die Außenwelt – mit den Worten Karl Barths: „In der Tat, Paulus gebietet hier den Christen Respekt, wie in Röm 13 vor dem Staate, so hier vor allem, was menschlich, wahr und gut ist, vor dem, was auch das Leben der Heiden […] in Zucht hält oder von ihnen als Zucht und Richtung schaffend verehrt wird.“73 So gesehen verwundert es nicht, dass Paulus seine Werteliste so formuliert, als stünde sie auf einer heidnischen Grab- oder Ehreninschrift.74 Bleibender Maßstab für all dieses bleibt aber trotz allem die Überlieferung des Apostels, wie der folgende Vers betont (4,9).75
6. Das Leben als Opfer – Die Gabe für Paulus: Phil 4,18 6. Das Leben als Opfer – Die Gabe für Paulus: Phil 4,18
Nachdem Paulus in Vers 9 eine an einen Briefschluss erinnernde Formulierung gebraucht hat, setzt er in Vers 10 zu einem neuen Dank an die Gemeinde an, in dem er für die finanzielle Unterstützung dankt, die er von 71
In der exegetischen Literatur wird auf Cicero, Tusc. 5, 23,67 oder Seneca, De tranquilitate animi 3,4 verwiesen. 72 Die Begrifflichkeit für das Verhalten, das Paulus den Christen ab 2,3 nahe legt, ist in der paganen Umwelt äußerst negativ konnotiert. Vgl. dazu W ENGST (1987), 15ff. Der Weg Christi in Phil 2,6ff erscheint vor diesem Hintergrund geradezu als „Antikarriere“ (WENGST [1987], 92). Dies bemerkt auch B OCKMUEHL (1998), 250 der im Blick auf 2,1ff schreibt: „…qualities that would be alien and contrary to the moral and cultural heritage of a ‚good pagan’. Christ and pagan culture are at odds in many respects“. Zugespitzt auf die Gegebenheiten in Philippi bestätigt die Studie von J.H. HELLERMAN (2005) diesen Befund (vgl. zusammenfassend 165; zur Bedeutung des cursus honorum Gedankens in Philippi vgl. 108f). 73 B ARTH (1947), 125. Vgl. auch N. W ALTER, 94: „Was jedermann für anständig und erfreulich an seinen Mitmenschen halten wird, das ist auch für Christen weder zu banal noch zu hoch gegriffen“. 74 Unter Berufung auf die traditionelle an die Stoa gemahnende Formulierung dieses Verses schreibt B OCKMUEHL (1998), 250: „Paul now offers a cross-cultural Christian exhortation in the language of Philippi” 75 Vgl. MÜLLER (1993), 199; FEE (1995), 414.
6. Das Leben als Opfer – Die Gabe für Paulus: Phil 4,18
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den Philippern erhalten hat. Schon zu Beginn seiner Wirksamkeit in Europa in Philippi war es diese Gemeinde, von der Paulus eine solche Unterstützung bekommen und angenommen hat (4,15f). In seiner aktuellen Lebenslage hat diese Gemeinde wiederum seinem Mangel abgeholfen (4,10). In zwei Anläufen scheint Paulus dem Missverständnis vorbeugen zu wollen, er sei auf Unterstützung angewiesen bzw. lege es bewusst darauf an. Zum Ersten betont er seine prinzipielle Unabhängigkeit (auvta,rkeia),76 zu der ermächtigt77 er jede finanzielle Lage gut ertragen kann (4,11–13). Zum Zweiten führt er aus, dass die Gemeinde, indem sie Paulus unterstützt, etwas für sich selbst tut (4,17):78 Ihre Gabe für Paulus wird letztlich ihrem eigenen Konto gutgeschrieben.79 Beide Gedankengänge verbindet das Motiv, dass die Gemeinde durch ihre Gabe Gemeinschaft mit Paulus hat bzw. an seinem Ergehen in Vergangenheit und Gegenwart teilnimmt (4,14– 17).80 Abschließend (4,18) „quittiert“ Paulus den Empfang der Gabe, indem er erklärt, dass diese nicht nur eine horizontale Dimension hat (Gemeinschaft zwischen Geber und Empfänger), sondern auch eine vertikale (Gemeinschaft zwischen Geber und Gott).81 Zu diesem Zweck greift er auf kultische Sprache – insbesondere die Opferterminologie der LXX – zurück: Das, was Paulus vermittelt durch Epaphroditos bekommen hat, ist „ein Duft von Wohlgeruch“ (ovsmh. euvwdi,aj), „ein angenommenes Opfer“ (qusi,a dekth,), „Gott wohlgefällig“ (euva,reston tw|/ qew|/).82 Die erste Wendung findet sich zuerst in Gen 8,21 und bezeichnet ein Opfer, das Gott „gut riechen kann“.83 Dekto,j ist in Opferzusammenhängen ebenfalls sehr geläufig (Lev 1,3f u.ö.). Qusi,a qualifiziert es in Lev 19,5; Sir 35,6; Jes 56,7. Ein Opfer, das annehmbar ist,
76
Auch dieser Begriff steht in philosophischer Tradition (vgl. den kurzen Überblick bei M. MÜLLER [1997], 149ff), wenngleich er auch alltagssprachlich belegt ist. 77 K. B ARTH (1947), 128 betont zurecht, dass Paulus mit den Verben in den Versen 11 und 12 betont: „ich habe es nicht aus mir selbst“. 78 Vgl. KÜGLER (2000a), 125: „Was die Gemeinde für Paulus tut, hat direkte Auswirkung auf ihre Gottesbeziehung“. 79 Paulus verwendet hier Termini der antiken Banksprache (vgl. B OCKMUEHL [1998], 265). 80 Markus Müller betrachtet den Gedanken der Gabe als eines „gemeinschaftserhaltenden- und bezogenen Aktes“ als Kern von Phil 4,10–20 (MÜLLER [1997], 153f). 81 Vgl. KÜGLER (2000a) 125: „Paulus dankt nämlich der Gemeinde gar nicht explizit, sondern drückt vielmehr seine Dankbarkeit indirekt aus, und zwar durch eine theologische Deutung der Spende“. 82 Man geht sicher nicht zu weit, wenn man diesen Passus mit einem positiven Kultbescheid vergleicht. Dessen alttestamentliches Gegenbild findet sich in Am 5,21ff: Dort will Gott die Opfer nicht riechen und auch nicht annehmen. Vgl. dazu W ÜRTHWEIN (1947), 146ff und W OLFF (1969), 305. 83 Vgl. M. MÜLLER (1997), 162ff (dort Literatur) und RENDTORFF (2004), 68.
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Kapitel 7. Kultische Sprache im Philipperbrief
bewirkt das, wofür es gedacht ist. Es macht den Geber Gott genehm.84 Dass etwas Gott wohlgefällig ist (euva ,restoj qew/|)85 wird so nur in Weish 4,10 gesagt.86 Das Verb ist etwas geläufiger, doch sind es in der Regel Menschen, auf die es angewendet wird (z. B. Henoch [Gen 5,22]; Noah [Gen 6,9]; Abraham [Gen 17,1]), deren Lebenswandel Gott gefällt. Kultische Dimensionen hat das Adjektiv im biblischen Sprachgebrauch nur ohne die Vorsilbe (avresto,j) in Lev 10,19. Philo wendet es allerdings zur qualifizierenden Beschreibung von Opfern an (Quest in Gn 1,63 [vom Opfer Kains]; SpecLeg 1,201 [vom Verstand als Opfer]).
Paulus selbst gebraucht diese Wendung in Röm 12,1, also an einer der Stellen, an denen er das Leben der Christen mit kultischer Begrifflichkeit beschreibt (vgl. Kapitel 9, 9). Von dieser Stelle her lässt sich der hier zu besprechende Vers so lesen, als lösten die Philipper mit ihrer Gabe das Programm von Röm 12,1 ein.87 Innerhalb des Philipperbriefes ergibt sich ein Bogen zu 2,15 und 17 zurück. Die makellose Gemeinde vollzieht mit ihrem Tun ein Opfer, hieß es dort. Hier wird einmal eine konkrete Erscheinungsform eines solchen Opfers sichtbar. Der opferterminologische Passus 4,18 dient Paulus natürlich dazu, den Philippern seine Dankbarkeit zu bezeugen.88 Er macht ihnen aber zugleich die wirklichen Dimensionen ihrer Unterstützung deutlich.89 Außerdem lässt er sich auch so lesen, dass er etwas darüber verrät, wie Paulus seine eigene Rolle versteht: „He views his own role as that of the Israelite priest who received and benefited from the offerings of the people“.90 Mit diesen Worten weist M. Bockmuehl indirekt auf eine weitere priesterliche Dimension in der paulinischen Selbstdarstellung hin, auf die auch M. Newton unter Berufung auf K. Weiß aufmerksam gemacht hat. Newton vermutet, dass das Wort do,ma in 4,17 zur Bezeichnung der Abgaben und Opferanteile diene, von denen die Priester ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die LXX wählt do,ma in der Tat zur Bezeichnung solcher Abgaben (Lev 7,30; Num 18,11.29),91 die den Priestern selbst zukommen. Wenn man dieses Verständnis auch hier voraussetzen dürfte, dann würde Paulus sich in zwei priesterlichen Funktionen darstellen. Er wäre der Priester, der Gott Gaben übereignet und er wäre der Priester, der selbst Gaben empfängt. Beide Aussagen passen hervorragend in den Kontext. Nun ist es aber so, dass do,ma in der LXX ein deutlich weiteres Bedeutungsspektrum hat. Do,ma übersetzt meist hntm (Gabe / Geschenk) und bezeichnet so das profane Geschenk (Gen 25,6),
84
Vgl. RENDTORFF (2004), 31f. Vgl. aber SpecLeg 1,201; Quaest Gen 1,63. Weiteres bei Röm 12,1 (Kapitel 9, 9). 86 Der zweite Beleg für dieses Adjektiv findet sich in Weish 9,10. In griechischen Inschriften begegnet es hingegen recht häufig (vgl. FOERSTER [1934], 454). 87 So M. MÜLLER (1997), 167, der allerdings davon ausgeht, dass der Philipperbrief nach dem Römerbrief verfasst wurde. 88 Vgl. FEE (1995), 451. 89 Vgl. MÜLLER (1993), 209. 90 So B OCKMUEHL (1998), 266, der Röm 15,16 vergleichend heranzieht. 91 NEWTON (1985), weist noch auf Sir 7,31 (do,sij) und die Textüberlieferung des Codex Alexandrinus zu Dtn 12,11 hin, wo ebenfalls do,mata erwähnt werden. 85
7. Zusammenfassung
245
die Opfergabe (Lev 23,8)92 bis hin zum Anteil, den die Priester (an den Opfern) haben. Das hebräische Äquivalent für do,ma in Lev 7,30 hpwnt wird auf ganz unterschiedliche Weise übersetzt, so dass man kaum eine Traditionslinie von hpwnt hin zu do,ma ausmachen kann.93 Damit wird es fraglich, ob Paulus do,ma in 4,17 tatsächlich in der Spezialbedeutung „Abgabe für den Priester“ verwendet.94
Die Betonung des biblisch-jüdischen Profils der paulinischen Sprache und Vorstellungswelt in diesem Abschnitt darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass „solche bildliche Sprache […] auch ‚heidnischen‘ Menschen von ihrer kultischen Praxis her ohne weiteres verständlich“ ist, wie N. Walter bemerkt,95 sowohl die Vorstellung vom besonderen Duft der Opfer wie auch die, dass etwas, das der Priester in Empfang nimmt, in Wahrheit für die Gottheit bestimmt ist, und ihm von ihr zur Nutzung überlassen wird, ist biblisch und pagan breit belegt (vgl. auch 1 Kor 9,13).96 So kann die Kommunikation des Apostels mit seinen Adressaten auch in diesem Abschnitt gut gelingen.
7. Zusammenfassung 7. Zusammenfassung
Es fällt auf, dass Paulus im Philipperbrief gerade an den Eckpunkten seiner Argumentation kultische Begrifflichkeit verwendet. Sie gibt dem Brief seinen Rahmen (1,1; 4,21f), indem Paulus die Leserinnen und Leser dort als Heilige anredet. Die Paränese (1,27–2,18) expliziert – ohne den Begriff der Heiligkeit ausdrücklich aufzugreifen –, wie eine Lebensführung aussieht, die dem Evangelium (und damit auch dem Status der Heiligkeit) würdig ist. Sie zielt auf kultisch konnotierte Makellosigkeit (2,15). Ihr Gelingen fasst Paulus konsequenterweise mit einem kultischen Bild zusammen: Die Gemeinde und er selbst vollbringen mit dem, was sie im Glauben tun, einen Opferdienst (2,17). Paulus bedient sich der kultischen Sprache auch in der polemischen Auseinandersetzung mit Missionaren, die Christen aus der Völkerwelt durch Beschneidung zum Gott Israels und seinem Gesalbten bringen wollen. Ihnen gegenüber betont er, dass das, worauf die Beschneidung zielt, im Raum der Gemeinde schon Wirklichkeit ist: Ihr Leben ist Gottesdienst durch den Geist Gottes (Phil 3,3). 92
Hier würde ich auch Dtn 12,11 einordnen. Auch in der paganen Kultsprache ist do,ma in diesem Sinn nicht gebräuchlich. 94 G.T. T ATUM (2007) hat darauf hingewiesen, dass Paulus im Philipperbrief auch „technical financial language“ verwendet. Zu diesem Wortfeld kann auch das Wort do,ma gerechnet werden (451ff). 95 W ALTER (1998), 99. 96 Entsprechende Regelungen sind in Leges Sacrae sehr häufig (LSAM 1; 22; 7; 11,5; 13,12ff u.ö. [vgl. Kapitel 3, 2]). 93
246
Kapitel 7. Kultische Sprache im Philipperbrief
Ein nicht geringer Teil des Briefes reagiert auf die Unterstützung, die die Gemeinde (repräsentiert durch Epaphroditus) Paulus hat zuteil werden lassen (2,25–30; 4,10–18). Auch hier spricht Paulus die Sprache des Kultes, um seinen Adressatinnen und Adressaten die wahre Dimension ihres Handelns vor Augen zu führen. Das, was sie für Paulus tun, ist in Wahrheit ein Opfer, das sie Gott selbst darbringen.
Kapitel 8
Das Zurücktreten kultischer Sprache im Galaterbrief
1. Die Problemlage 1. Die Problemlage
Die Datierung des Galaterbriefs ist trotz jahrzehntelanger Diskussion nach wie vor umstritten. Gleiches gilt für die Verortung seiner Adressaten.1 Die beiden großen Hypothesen, die die galatischen Gemeinden entweder in der sich bis zur Südküste der heutigen Türkei erstreckenden Provinz Galatia lokalisieren oder aber in der weiter nördlich gelegenen Landschaft, sind seit langem bekannt.2 Die Gemeinden wären dann entweder schon auf der ersten oder auf einer späteren Missionsreise gegründet worden. Mit der Lokalisierung verbindet sich eine Früh- oder Spätdatierung des Briefs. Das Spektrum der vorgeschlagenen Datierungen erstreckt sich von einer Ansetzung vor dem 1. Thessalonicherbrief3 bis hin zu einer nach dem Römerbrief.4 Die engen thematischen Bezüge zwischen dem Galater- und dem Römerbrief veranlassen die Mehrheit der Forschung zu einer Datierung unmittelbar vor dem Römerbrief.5 Zur Vorsicht mahnt J. Frey, der nach umsichtiger Abwägung der Argumente schreibt: „Eine präzise Datierung des Gal innerhalb des Zeitraums von 50-55/56 n. Chr. und im Verhältnis zu 1/2 Kor und Röm ist nicht wirklich zu begründen“.6 Gewichtet man die inhaltliche Nähe zum Römerbrief hoch und führt die Differenzen zwischen beiden darauf zurück, dass Paulus im Römerbrief Aussagen korrigiert, die er in der polemischen Situation des Galaterbriefs gemacht hat, so wird man die Abfassung des Galaterbriefs vor der des Römerbriefs ansetzen. Berücksichtigt man außerdem, dass das Thema der Rechtfertigung außer im Gal und Röm in den paulinischen Briefen nicht prominent vertreten ist, wird man den Gal zeitlich nach den anderen Paulusbriefen einordnen. Sollte der Philipperbrief in der ephesinischen Gefangenschaft entstanden sein, so 1 Die wesentlichen Argumente und Textindizien sind übersichtlich zusammengestellt bei FREY (2006a), 200ff. 2 Gegenwärtig „scheint in der Forschung die Tendenz zugunsten einer Lokalisierung der Adressaten in den Missionsgebieten an der kleinasiatischen Südküste zu wachsen“ (FREY [2006a], 205). 3 Vgl. BREYTENBACH (1996), 172 4 Vgl. VOUGA (1996), 243ff. 5 So exemplarisch SCHNELLE (2003), 292ff. 6 FREY (2006a), 207.
248
Kapitel 8. Kultische Sprache im Galaterbrief
wäre der Gal nach der „(unerwarteten) Haftentlassung oder sogar Flucht aus (lebensbedrohender) Gefangenschaft“7 entstanden.8
Die Lage, in die der Brief hineinspricht, ist hingegen ziemlich klar bestimmbar: Die von Paulus gegründeten Gemeinden sehen sich einer Nachmissionierung9 gegenüber, die von den Gemeindegliedern verlangt, sich beschneiden zu lassen. Diese Problemkonstellation und die Argumentation gegen diese Forderung durchziehen den gesamten Brief. Während kultische Terminologie sich in allen Paulusbriefen findet, tritt sie im Galaterbrief deutlich zurück. Weder die bekannte Bezeichnung der Christen als Heilige noch irgendein anderes kultisches Motiv, das wir bisher besprochen haben, findet sich dort. Ein möglicher Bezug zur kultischen Begrifflichkeit könnte sich in Gal 3,13 ergeben: „evpikata,ratoj pa/j o` krema,menoj evpi. xu,lou“. Dabei handelt es sich um eine Anspielung auf Dtn 21,23. Dieser Vers führt aus, dass der Leichnam des am Holz aufgehängten Gesteinigten nicht über Nacht dort hängen bleiben soll, damit „ihr das Land nicht verunreinigt“ (kai. ouv mianei/te th.n gh/n). Die Vorstellung, die hinter dieser Bestimmung aus dem Deuteronomium steht, ist der uns schon bekannte Gedanke, dass von einem Leichnam Unreinheit ausgeht (vgl. Kapitel 2, 1.3.1). Hier ist es das Land, das davon betroffen wäre. Paulus geht auf diesen Zusammenhang nicht näher ein, er deutet – wohl in Reaktion auf eine antichristliche Polemik – den Tod Jesu ohne auf Unreinheit abzuheben.10 Kultische Sprache begegnet außerdem in Gal 5,19ff. Diese Verse stellen einen einzigen, sehr umfangreichen „Lasterkatalog“ dar, in dem auch Unreinheit (avkaqarsi,a) genannt wird. Sie ist – neben der pornei,a – eines der dort aufgezählten „Werke des Fleisches“. Diejenigen, die diese Werke tun, werden das Reich nicht erben (5,21 [vgl. 1 Thess 2,12; 1 Kor 6,9; 15,50]). Dem gegenüber steht die „Frucht des Geistes“. Zu den dort aufgezählten „Tugenden“ gehören keine, die mit kultischen Termini bezeichnet werden. Dieser Befund fällt gegenüber ähnlichen Kontrastierungen von Tugenden und Lastern (1 Kor 5,11; 6,9) auf. Entsprechend ergänzen einige Handschriften die „heilige Reinheit“ (a`gnei,a). In den besten Handschriften fehlt sie jedoch, und so können wir davon ausgehen, dass Paulus sie hier – wie im ganzen Brief – nicht erwähnt hat. Im gleichen Abschnitt findet sich noch ein weiteres Element kultischer Sprache, nämlich die eivdwlolatri,a (Götzendienst [5,20]). Mit dem Begriff ei;dwlon, der eigentlich Bild, Nachbildung, Schatten- oder Trugbild meint, 7
MELL (2006), 379. Die Kollektennotizen in 1 Kor 16,1 und Gal 2,10 lassen sich ebenfalls in diesem Sinn auswerten (vgl. SCHNELLE [2003], 293; vorsichtiger urteilt FREY [2006a], 206f). 9 MELL (2006), 379. 10 Vgl. zum Ganzen SÄNGER (1994), 279ff und BECKER (1998), 51f. 8
1. Die Problemlage
249
werden in der LXX ab Gen 31,19 Götzenbilder bezeichnet. Ihnen zu dienen (latreu,w)11 ist nach Ex 20,5 verboten. In 1 Kor 10,14 warnt Paulus vor der eivdwlolatri,a. Um Dienst an Göttern, die eigentlich keine sind, geht es auch in Gal 4,8. Diesmal verwendet Paulus das Verb douleu,w. Er verdeutlicht seinen Adressaten damit den Unterschied zwischen ihrem vorchristlichen Lebenswandel und dem Status, in dem sie sich jetzt befinden: „Damals“ (to,te), dienten sie Göttern, die keine waren, „jetzt aber“ (nu/n de,) kennen sie Gott (4,9). Sowohl in Gal 5,19ff als auch in Gal 4,8ff baut Paulus einen Kontrast auf, der nicht nur alte und neue Lebensweisen einander gegenüberstellt, sondern auch transparent für die Haltung zur Beschneidung ist: Wer sich beschneiden lässt, obwohl er schon zu Christus gehört, fällt aus der neuen durch Gnade (ca,rij) geprägten Existenzweise heraus (Gal 5,4). Das kann Paulus als Rückfall in die vom Fleisch bestimmte Lebensweise beschreiben (5,16ff) – oder auch als Rückfall in den vorchristlichen Lebensstil (4,8). Kultisch konnotierte Sprache findet in beiden Fällen bei der Beschreibung der negativen Alternative Verwendung. In Phil 3,3, im Rahmen eines Abschnitts, der in eine ähnliche Konfliktsituation hineinspricht, greift Paulus das Verb latreu,w hingegen positiv auf, um seine eigene Position zu umschreiben: „Wir sind die Beschneidung, die wir im bzw. durch den Geist Gottes (Gott) dienen“.12 Im Galaterbrief wird dieses Wortfeld, soweit ich sehe, nicht positiv reklamiert. Kultische Begrifflichkeit findet sich im Galaterbrief also nur zur Schilderung menschlichen Fehlverhaltens im Status der Gottesferne (Gal 5,19). Zur Beschreibung des heilvollen Status oder des Weges dorthin dient sie nicht. Dafür gewinnt die Rechtfertigungsterminologie in diesem Brief im Vergleich zu früheren Paulusbriefen deutlich an Gewicht.13 Was Paulus über das Verhältnis von Gott und Menschheit aus Juden und Heiden zu sagen hat, sagt er nun mit diesem Begriffsfeld und nicht in kultischer Sprache. Die Begriffsgeschichte von hqdc bzw. dikaiosu,nh in der biblisch jüdischen Tradition ist gut aufgearbeitet, so dass ich mich hier auf wenige Hinweise beschränken kann. Von den biblisch/jüdischen Texten her empfiehlt sich dieses Wortfeld zur Beschreibung eines der Gemeinschaft gemäßen, treuen und zugewandten Verhaltens.14 Wenn damit Gottes Wesen und Verhalten qualifiziert wird, geht es um Gottes „tätige Zuwendung zu
11
Vgl. dazu bei Phil 3,3. Vgl. dazu Kapitel 7. 4. 13 Vgl. die Übersicht bei SCHNELLE (2003), 528. 14 So KARRER (2000), 130, der die wesentlichen Texte dieses Begriffsfeldes kurz und instruktiv bespricht. 12
250
Kapitel 8. Kultische Sprache im Galaterbrief
den Seinen und das selbst über ihre Schuld und Gottesferne hin“.15 Gottes Gerechtigkeit zeigt sich als „Gabe und Macht, in der Gott sich kraftvoll und verwandelnd bekundet“.16 Sie schafft und verbürgt also Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Im Rahmen dieser Arbeit konnten wir immer wieder beobachten, dass Paulus kultisch konnotierte Sprache und Gerechtigkeitsterminologie parallel zueinander gebraucht. In 1 Thess 2,10 beschreibt Paulus sein eigenes Verhalten der Gemeinde gegenüber als o`si,wj kai. dikai,wj. Dabei zeigte sich hinsichtlich der Begrifflichkeit und des speziellen Gebrauchs an dieser Stelle eine deutliche Nähe zur Sprache griechischer Ehreninschriften. In Phil 4,8 verhält es sich ähnlich. Das Gerechte und das Heilige gehören zu den Werten, die Christen und die Anhänger anderer Kulte gemeinsam in Ehren halten. In 1 Kor 1,30 erscheint dikaiosu,nh neben a`giasmo,j (und avpolu,trwsij) nun als Begriff, der den Statuswechsel des Menschen vor Gott beschreibt. Gleiches gilt für 1 Kor 6,11: als Abgewaschene, Geheiligte und Gerechtfertigte gehören Menschen auf die Seite Gottes. Auch hier geht es um die Beschreibung eines Geschehens, in dem Gott Gemeinschaft mit Menschen herstellt, die zuvor von ihm getrennt waren. Röm 6,19 setzt Gerechtigkeit und Heiligkeit als Gegenbegriffe zur a`marti,a ein (ähnlich Röm 7,12 im Gegenüber zu 7,7). Der Trennung von Gott steht die Zugehörigkeit zu ihm gegenüber. Damit entsprechen sich kultisch konnotierte Sprache und Gerechtigkeitsterminologie recht genau. Mit beiden kann der Übergang aus der Gottesferne hin zu Gott beschrieben werden. Mit beiden illustriert Paulus den Status der Gläubigen auf der Seite Gottes. Dies zeigte sich vor allem bei der Besprechung von 1 Kor 6: Wenn die Welt außerhalb der Gemeinde als Ort der Gottesferne, der Unreinheit und der Ungerechtigkeit wahrgenommen wird (vgl. Kapitel 5, 6), dann stellt sich der Weg aus diesem Bereich heraus in die Gemeinde, dem Ort der Gegenwart Gottes, sowohl als Heiligungs- als auch als Rechtfertigungsgeschehen dar. Paulus denkt dabei in Gegensätzen. Es gibt nur Licht oder Finsternis, Gut oder Böse, Gott oder Satan. Graustufen werden hier nicht sichtbar. Das wird in auch in Röm 6,17f ganz deutlich: Entweder der Mensch ist Sklave der Sünde oder Sklave Gottes, entweder er wird von der Macht der Sünde beherrscht oder von Gott, tertium non datur.17 Kultisches Denken entspricht diesem Denkansatz in der Weise, in der es grundsätzlich streng zwischen den beiden Bereichen heilig und profan und 15
KARRER (2000), 134. KARRER (2000), 135. 17 Dazu fügt sich die Beobachtung, dass dem paulinischen Denken eher ein „iustus contra peccatum“ als das „simul iustus et peccator“ entspricht. Vgl. KARRER (2000), 152. 16
1. Die Problemlage
251
natürlich auch zwischen rein und unrein unterscheidet. Ein besonderer Akzent der paulinischen Heiligkeitstheologie liegt nun, wie wir schon mehrmals beobachten konnten (vgl. z. B. 1 Thess 4,7; 1 Kor 5 und 6), darin, dass die Profanität bei Paulus als Raum des Unheils erscheint. Der von Gott in Christus ins Werk gesetzte Weg aus diesem Raum heraus ist der Weg der Heiligung. Parallel ereignet sich der Transfer als Rechtfertigungsgeschehen.18 Letzteres arbeiten vor allem der Römer- und der Galaterbrief heraus. Der Römerbrief weist, wie wir noch sehen werden, daneben ein reichhaltiges kultisches Vokabular auf, das die Botschaft des Briefes ebenso transportiert wie die Rechtfertigungsterminologie. Das wirft die Frage auf, warum dies im Galaterbrief nicht der Fall ist. Will man nicht annehmen, dass es sich dabei um einen Zufall handelt, so bleibt zu vermuten, dass das auffällige Zurücktreten der kultischen Sprache seinen Grund in der Auseinandersetzung hat, in der Paulus in diesem Brief steht. Im Galaterbrief führt Paulus den Nachweis, dass Menschen aus der Völkerwelt sich nicht erst beschneiden lassen und damit Juden werden müssen, um in Christus auf die Seite des Gottes Israels zu gehören.19 Sie müssen nicht erst in den Heilsraum der Tora eintreten und in ihm leben, um von Gott in Christus gerettet werden zu können. Nach unserer Analyse der Funktion der Heiligkeits- und Reinheitsterminologie ist deutlich, dass Paulus den Galatern mit Hilfe dieses Begriffsfeldes – ähnlich wie in Phil 3,3 – durchaus hätte erklären können, dass Gott in Christus nichtjüdische Menschen geheiligt hat, dass diese als Heilige also längst schon da sind, wo sie die Gegner des Paulus durch die Beschneidung erst noch hinführen wollen.20 Möglicherweise fehlte diesem Vorstellungsbereich aber die argumentative Durchschlagskraft, um die zur Debatte stehende These so zu begründen, dass sie auch Skeptiker wirklich überzeugen konnte. Diese Vermutung gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass die Beschneidung in einigen Quellen geradezu als Synonym oder Voraussetzung für Reinheit und daraus resultierend für die Zugehörigkeit zu Gott erscheint.
18
Daneben verwendet Paulus selbstverständlich noch andere „metaphors of salvation“ (vgl. dazu DUNN [2003], 328ff). 19 Vgl. KRAUS (2005), 338ff; Weiteres bei SCHNELLE (2003), 296ff. 20 Die Differenzen zwischen Paulus und den Befürwortern der Beschneidung lassen sich präzise an der Verwendung des Begriffs der Heiligen bei Paulus und in der Apostelgeschichte (aber auch 2 Kor 8f) aufzeigen: Paulus hält alle, die zu Christus gehören, für Heilige. Die im Land Israel beheimatete Tradition denkt dabei nur an die Judenchristen. Die Heidenchristen ordnen sich um diese herum an wie die Beisassen, die der Pentateuch vor Augen hat (vgl. Kapitel 6, 6). Heilige könnten sie nur werden, wenn sie die Beschneidung vollziehen und Juden werden.
252
Kapitel 8. Kultische Sprache im Galaterbrief
2. Heiligkeit, Reinheit und Beschneidung 2. Heiligkeit, Reinheit und Beschneidung
Die Verbindung zwischen kultischen Kategorien wie rein und unrein, heilig oder nichtheilig und der Beschneidung schimmert in verschiedenen Texten auf. Ich beginne mit einem Blick auf Apg 15: Lukas berichtet in Apg 15,5 von jesusgläubigen Pharisäern, die die Forderung stellen, dass Heidenchristen beschnitten und verpflichtet werden sollten, das Gesetz des Mose zu halten. Nach lebhafter Diskussion dieser Angelegenheit, ergreift Petrus das Wort. Er verweist auf seine Erfahrung, dass Gott Heiden wie Juden gleichermaßen mit dem heiligen Geist begabt habe (15,8). Gott mache zwischen beiden keinen Unterschied, „nachdem er durch den Glauben ihre (der Heiden) Herzen gereinigt hat“ (th/| pi,stei kaqari,saj ta.j kardi,aj auvtw/n [15,9b]). Daher sei die Forderung der Beschneidung eine unnötige Last. Die Reinigung der Herzen tritt in dieser Argumentation an die Stelle der Beschneidung. Wer im Herzen gereinigt ist, steht vor Gott nicht anders da, als der, der beschnitten ist (15,9a). Diese Schlussfolgerung wirft ein interessantes Licht auf die Funktion der Beschneidung: Wenn die Reinigung der Herzen durch den Glauben zum gleichen Ergebnis führt wie die Beschneidung, dann ist anzunehmen, dass die Beschneidung ihrerseits reinigende Funktion hat.21 Dieser Verbindung von Beschneidung und Reinigung gilt es im Folgenden nachzugehen. Die hebräische Bibel kennt einen übertragenen Gebrauch des Begriffs Beschneidung. So spricht sie von beschnittenen bzw. unbeschnittenen Ohren (Jer 6,10) und Lippen (Ex 6,12.30), vor allem aber von der Beschneidung des Herzens (Lev 26,41; Dtn 10,16; 30,6; Jer 4,4; 9,25). Otto Betz wertet diese Texte dahingehend aus, dass sie Beschneidung „als einen Akt der Reinigung und Weihe“ verstehen.22 Gleiches zeige sich auch an der Forderung, heidnische Knechte vor der Teilnahme am Passamahl zu beschneiden (Ex 12,44.48). Diese nahe liegende Schlussfolgerung wird allerdings von den Texten selbst nicht expressis verbis gezogen. Der Blick in die LXX hilft weiter. Der hebräische Text von Lev 19,23 fordert die Israeliten auf: „Wenn ihr in das Land kommt und einen Fruchtbaum pflanzt, sollt ihr seine Früchte behandeln, als ob sie seine Vorhaut wären. Drei Jahre lang sollen sie für euch etwas Unbeschnittenes sein, das man nicht essen darf.“ Die von mir zitierte Einheitsübersetzung hält sich eng an den schwierigen hebräischen Text (lkea'yE al{ ~ylire[] ~k,l' hyPi ta, Atl'r>[' ~T,l.r;[]w ). In der Lutherübersetzung (1984) lautet der Satz hingegen wie folgt: „so lasst ihre 21
Der Zusammenhang von Unreinheit und Unbeschnittensein findet sich nach B LASCHKE (1998), 453 auch in Apg 11,3 und 10,28. 22 BETZ (1980), 717.
2. Heiligkeit, Reinheit und Beschneidung
253
ersten Früchte stehen, als wären sie unrein wie Unbeschnittene. Drei Jahre lang sollt ihr die Früchte als unrein ansehen, dass ihr sie nicht esst“.23 Hier wird über den hebräischen Text hinaus das Motiv der Unreinheit erklärend eingefügt. Dies dürfte sich der Tradition der LXX verdanken, die wie folgt übersetzt: „kai. perikaqariei/te th.n avkaqarsi,an auvtou/ o` karpo.j auvtou/ tri,a e;th e;stai u`mi/n avperika,qartoj ouv brwqh,setai“ (dann sollt ihr seine Unreinheit rundherum reinigen; drei Jahre lang soll seine Frucht für euch ungereinigt sein; sie soll nicht gegessen werden). Die LXX ersetzt das komplizierte Bild von einer unbeschnittenen Baumfrucht durch den leichter verständlichen Ausdruck unreine / ungereinigte Frucht. Für die ersten Übersetzer bestand also offenbar ein Zusammenhang zwischen Unbeschnittensein und Unreinheit,24 so dass sie den Vers in dieser Weise erklärend übersetzen konnten. Die Spezialvokabel, die sie dazu verwenden (perikaqari,zw), begegnet in Dtn 30,6 wieder. Dort heißt es im hebräischen Text: „Der Herr, dein Gott, wird dein Herz und das Herz deiner Nachkommen beschneiden“ (^[,r>z: bb;l. ta,w> ^b.b'l. ta, ^yh,l{a/ hw"hy> lm'W ). Die LXX versteht die Beschneidung des Herzens,25 von der hier die Rede ist, wiederum als einen Reinigungsvorgang: „kai. perikaqariei/ ku,rioj th.n kardi,an sou kai. th.n kardi,an tou/ spe,rmato,j sou“ (und der Herr wird dein Herz und das Herz deiner Nachkommenschaft rundherum reinigen). Das beschnittene Herz des hebräischen Textes wird zu einem gereinigten Herz in der LXX. Der Zusammenhang von Beschneidung und Reinigung ist wieder deutlich. Das Vorkommen von perikaqari,zw in den besprochenen Versen wirft die Frage auf, in welchem Buch dieses Äquivalent zum ersten Mal geprägt wurde. Stellt man sich vor, dass die Bücher des Pentateuch in der heute vorliegenden Reihenfolge übersetzt worden sind, dann handelte es sich bei der Wahl des Äquivalentes um eine Leistung des Levitikusübersetzers. Er hätte den seltsamen Gedanken, dass Baumfrüchte eine Vorhaut haben, selbstständig dahingehend gedeutet, dass Baumfrüchte der Reinigung bedürfen. Den Zusammenhang von Reinheit und Beschneidung hätte er – wenn nicht selbst entwickelt – aus der Tradition gekannt. Leichter erklärt sich der Befund, wenn man mit Cornelis G. den Hertog vermutet, dass das Deuteronomium vor dem Levitikusbuch übersetzt wurde.26 Der Übersetzer von Dtn 30,6 hätte aus der biblischen Tradition das Motiv des reinen Herzens kennen können (Ps 51,12; 73,13) und sich an dieser Stelle entschieden, die zwar nicht ungebräuchliche aber doch seltsame Wendung von der Beschneidung des Herzens erklärend als Reinigung des Herzens wiederzugeben. Der Levitikusübersetzer hätte sei23 Luther selbst übersetzte: „Wenn jr ins Land kompt / vnd allerley Bewme pflantzet / da von man isset / Solt jr der selben vorhaut beschneiten vnd jre früchte. Drey jar solt jr sie vnbeschnitten achten / das jr sie nicht esset.“ 24 Ein solcher Zusammenhang dürfte auch in Jes 52,1 (masoretischer Text = LXX) gegeben sein, wo unbeschnitten und unrein nebeneinander stehen. 25 Als Standardäquivalente für das hebräische lwm und seine Derivate dienen in der LXX Formen von perite,mnw (vgl. SEEBASS [1997], 153). 26 Vgl. DEN HERTOG (2004), 216ff.
254
Kapitel 8. Kultische Sprache im Galaterbrief
nerseits bei seiner Arbeit an der Formulierung von Lev 19,23 auf die Entscheidung des Dtn zurückgreifen können. Dieses Modell könnte leichter erklären, wie die Übersetzung in Lev 19,23 zustandegekommen ist.
Wie die Übersetzer der Bücher Deuteronomium und Levitikus vor ihm, wählt auch der Übersetzer des Josuabuches in Jos 5,4 perikaqari,zw als Übersetzungsäquivalent für das hebräische lwm: „o]n de. tro,pon perieka,qaren VIhsou/j tou.j ui`ou.j Israhl“ (Auf diese Weise reinigte Josua die Kinder Israels ringsherum). Nach dem hebräischen Text beschneidet Josua das Volk (~['h' lK' [;vuAhy> lm' rv,a] rb'D'h; hz). Diese Tendenz der Übersetzer, Beschneidung als Reinigung respektive Unbeschnittensein als Unreinheit zu verstehen, wird Jahrhunderte später in anderer Weise von Symmachus geteilt. Er unterscheidet allerdings ganz konsequent zwischen Beschneidung im eigentlichen Sinn (Entfernung der Vorhaut) und Beschneidung im übertragenen Sinn. Stellen, an denen es um letzteres geht, übersetzt er konsequent mit „reinigen“.27 Auch jenseits der LXX ist der Zusammenhang von Reinigung und Beschneidung zu beobachten: Nach der Darstellung des Jubiläenbuches verheißt Gott Mose, was er am Volk Israel zu tun gedenkt: Er wird die Vorhaut des Herzens beschneiden, einen heiligen Geist schaffen und das Volk schließlich reinigen (Jub 1,23). Diese Taten stehen parallel zueinander – und damit eben auch die Reinigung und die Beschneidung.28 Es sei hier schon erwähnt, dass wenige Verse vorher (Jub 1,17f) auf Lev 26,12 und die Vorstellung, dass Gott sein Heiligtum in der Mitte des Volkes errichten will, angespielt wird. Diese Tradition findet sich in 2 Kor 6,14–7,1 ebenfalls,29 einem Text, der für die Rekonstruktion der Theologie der Gegner des Paulus im Galaterbrief von Bedeutung sein könnte.30
Noch deutlicher als im Jubiläenbuch zeigt sich bei Philo von Alexandrien, dass Beschneidung etwas mit Reinheit zu tun hat. Philo geht in zwei Zusammenhängen ausführlich auf die Beschneidung und ihre Bedeutung ein. Er reagiert damit auf die in der Antike übliche Polemik gegen den als typisch jüdisch wahrgenommenen Brauch, und stellt dem eine Erörterung über die Bedeutung der Beschneidung entgegen. Von den vier Bedeutungsebenen, die die Beschneidung für ihn hat, interessiert in unserem Zusammenhang vor allem eine. In den in armenischer Sprache erhaltenen Fragen und Antworten zur Genesis schreibt Philo: „In the third place (Scripture) says that it is also for the sake of purity in the sacred offerings, for those who enter the courts of the sacred precinct are purified by ablutions and
27 28 29 30
Vgl. MEYER (1959), 73. Vgl. B LASCHKE (1998), 133. Vgl. dazu B ETZ (1994), 28. Vgl. dazu unten S. 256f.
2. Heiligkeit, Reinheit und Beschneidung
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sprinklings. And the Egyptians shave the whole body, in order that it may appear shining and bare. [...]“ (3,48, zitiert nach R. Marcus). Ähnlich äußert sich Philo in SpecLeg 1,5:„deu,teron de. th.n di’ o[lou tou/ sw,matoj kaqario,thta pro.j to. a`rmo,tton ta,xei i`erwme,nh|, paro. kai. xurw/ntai ta. sw/mata prosuperba,llontej oi` evn Aivgu,ptw| tw/n i`ere,wn\ u`posulle,getai ga.r kai. u`poste,llei kai. qrixi. kai. posqi,aij e;nia tw/n ovfeilo,ntwn kaqai,resqai“ (Zweitens der Gedanke an die einem Priestervolke zukommende Reinheit des ganzen Körpers, wie sich aus demselben Grunde die ägyptischen Priester ja sogar völlig den Körper scheren; denn unter den Haaren und unter der Vorhaut sammelt sich versteckt Schmutz an, der eine Reinigung erforderlich macht [zitiert nach I. Heinemann])
Beschneidung hat für Philo also zumindest unter anderem etwas mit Reinheit zu tun, sie geschieht um der kultischen Reinheit des ganzen Körpers willen. Das scheint Philo ganz handgreiflich verstanden zu haben: Das beschnittene Glied ist leichter von Miasmen zu reinigen, als das unbeschnittene. In nachneutestamentlicher Zeit stellen zwei Passagen in den aggadischen Midraschim eine Verbindung zwischen Beschneidung und Reinheit her. In ShemR 23,12 heißt es: „Die Beschneidung legt Zeugnis dafür ab, dass wir rein sind“ (~yrwhj wnav wnyl[ hdy[m hlymh), während PRE 28 behauptet, dass die Vorhaut unreiner als alles andere sei („Die Vorhaut / das Unbeschnitten-Sein ist unreiner als alle Unreinheiten“ [ayh hamj hlr[h twamjh lkm]). Der kurze Durchgang durch die Texte, die Beschneidung und Reinheit in Beziehung zueinander setzen, lässt erkennen, dass Petrus in Apg 15,9 mit der Verbindung von Beschneidung und Reinigung (der Herzen) im antiken Judentum nicht alleine steht. Er findet seine Vorläufer in der LXX, die (Herzens-) Beschneidung als Vorgang der Reinigung begreift und umgekehrt Unbeschnittensein als Unreinheit empfindet. Die Argumentation des Petrus ist eigentlich nur dann sinnvoll, wenn diejenigen, die die Beschneidung gefordert haben, ihre Forderung mit dem Hinweis, dass nur solche Menschen, die beschnitten sind, rein sein können, verbunden haben. Ihnen hält Petrus entgegen: Auch als Unbeschnittene sind sie rein, weil Gott durch den Glauben ihre Herzen gereinigt hat. Betrachtet man das Erzählgefälle von Apg 15, dann gewinnt diese Vermutung weiter an Wahrscheinlichkeit. Bei unserer Besprechung der (Selbst-) Bezeichnung der Christen im Land Israel als Heilige (vgl. zu 2 Kor 8,4; 9,1.12) haben wir auch Apg 15 kurz gestreift und gesehen, dass das Aposteldekret die Christen aus der Völkerwelt in Analogie zu den Beisassen nach Lev 17f behandelt. Die Verhaltensregeln, die den nichtjüdischen Christen dort auferlegt werden, dienen dazu, die Reinheit und Heiligkeit der Judenchristen zu bewahren. Diese stand also für diejenigen, denen das Aposteldekret entgegen kommen soll, offenbar zumindest mit auf dem Spiel. Ihre Argumentation könnte wie folgt ausgesehen haben:
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Kapitel 8. Kultische Sprache im Galaterbrief
„Wenn jesusgläubige Heiden mit uns, den Heiligen, Gemeinschaft haben, dann gefährden sie unsere Heiligkeit, denn als Unbeschnittene sind sie natürlich unrein. Abgesehen davon machen sie sich hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zu Gott Illusionen. Gott ist der Gott Israels, und wer zu ihm gehören will, muss folglich auch zu Israel gehören. Darum ist es nötig, die Heiden zu beschneiden.“ Auf beide Argumente reagiert Petrus in Apg 15.
3. Von der Heiligung zur Rechtfertigung: Ein Lösungsvorschlag 3. Von der Heiligung zur Rechtfertigung
Was bedeutet dies nun für unsere Frage nach der kultischen Terminologie im Galaterbrief? Halten wir zunächst fest, dass es einen traditionsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen Reinheit bzw. Heiligkeit und Beschneidung gibt. Hätte Paulus nun wie in seinen anderen Briefen Christen aus der Völkerwelt als Heilige bezeichnet, als solche, die durch Christus gereinigt und geheiligt sind, dann hätten seine Gegner diesen Zusammenhang als Einfallstor für ihre Argumentation nutzen können. Sie hätten Paulus entgegenhalten können, dass nur der überhaupt als heilig gelten könne, der rein ist, und das sei ohne Beschneidung grundsätzlich nicht möglich. Sie hätten Paulus fragen können: „Jeder weiß doch, dass Beschneidung die Voraussetzung für Reinheit und damit auch für Heiligkeit ist. Wie kannst du auf die reinigende Beschneidung verzichten, wenn es dir doch darum geht, Heiden auf die Seite Gottes zu bringen – also zu Heiligen zu machen, wie du selbst sagst?“ Vermeidet Paulus die kultische Terminologie in diesem Brief vielleicht bewusst, um seinen Gegnern keine argumentative Steilvorlage zu liefern? Diese Rekonstruktion gewinnt durch folgende Beobachtung an Wahrscheinlichkeit. Ich verweise dazu noch einmal auf den Vorschlag von H.D. Betz, den vor Heiligkeits- und Reinheitsterminologie geradezu überbordenden Text 2 Kor 6,14–7,1 als antipaulinische Interpolation zu lesen, die der Theologie der Gegner des Paulus im Galaterbrief genau entspricht.31 Die Gemeinde wird dort wie wir sahen als heilige Größe, als Tempel Gottes beschrieben. Aus dieser Wesensbestimmung ergeben sich als Konsequenzen die Notwendigkeit der Reinigung von Körper und Geist, die Heiligung und die Trennung von Ungläubigen und von Unreinheit. Mit H.D. Betz kann man fragen: „How else could the Galatians obtain the state of ‚holiness’ which is required for the acceptance by God? Since ‚flesh and spirit’ would not be cleansed from pollution, they would in fact be ‚excluded’ from salvation. Their (sc. gemeint sind die Konkurrenten des Pau31
Vgl. Kapitel 6, 4.
3. Von der Heiligung zur Rechtfertigung
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lus) recommendation can only have been: evpitelei/n a`giwsu,nhn evn fo,bw| qeou/ (2 Cor 7:1)“.32 Heiligkeit und die Gegenwart Gottes sind ohne Beschneidung nicht zu haben, also sollen die Galater die Heiligung vollends durch Beschneidung vollziehen. Auch wenn man den literarkritischen Schlussfolgerungen, die Betz anstellt, nicht folgen möchte, weil man den Text auch als schlüssigen Bestandteil der paulinischen Argumentation verstehen kann, so wird doch deutlich, dass es möglich ist, diese kulttheologisch konzipierten Verse als Ausdruck der Theologie der Gegner des Apostels in Galatien zu lesen. Alles, wogegen Paulus im Galaterbrief polemisiert, lässt sich, wie H.D. Betz gezeigt hat, mit diesen Zeilen auf den Punkt bringen und theologisch sehr schlüssig einordnen. Das bedeutet aber, dass Paulus, wenn er sich im Galaterbrief des kultischen Begriffsfeldes bedient hätte, das die Argumentation in 2 Kor 6,14ff dominiert, seinen Gegnern eine offene Flanke dargeboten hätte. Wenn er die Christen wie sonst üblich als Heilige angesprochen hätte, dann hätten die Befürworter der Beschneidung ihm eine Argumentationskette entgegen halten können, die der von 2 Kor 6,14–7,1 wohl nicht unähnlich gewesen wäre. Paulus musste also auf ein anderes Begriffsfeld ausweichen, um seine Überzeugung, dass Gott Menschen aus den Völkern, ohne dass diese zuvor Juden werden müssten, auf seine Seite gestellt hat, zur Sprache bringen und argumentativ vertreten zu können. Dazu eignete sich die Rechtfertigungsterminologie aus verschiedenen Gründen.33 Sie beschreibt – wie wir sahen – in genauer Parallele zur Heiligungs- und Reinheitsterminologie den Transfer von Menschen auf die Seite Gottes und ihren Status bei ihm. So hat Paulus sie en passant schon im 1 Korintherbrief verwendet. Im Galaterbrief konnte er darauf zurückgreifen und dies ausbauen. Die Rechtfertigungsterminologie hat außerdem den Vorteil, dass sie anders als die Reinheits- und Heiligkeitsterminologie die Beschneidung (wegen ihrer Nähe zur Reinigung) nicht so unmittelbar nahelegt, im Gegenteil: Mit Abraham findet Paulus sogar ein Beispiel für einen Menschen, der auf einer anderen Grundlage als der Beschneidung von Gott gerechtfertigt und so in die Gemeinschaft mit ihm aufgenommen worden ist (Gal 3,6ff). Der Eintritt in die Abrahamskindschaft vollzieht sich, wie Paulus aus Gen 15,6 und dem Erzählduktus von Gen 15 zu Gen 17 hin folgern kann, nicht durch 32
BETZ (1994), 37. Wie KARRER (2000), 130ff gezeigt hat, beschreibt das rechtfertigungstheologische Wortfeld in der biblisch-jüdischen Tradition zunächst nur die Beziehung zwischen Gott und Israel. Der Gedanke einer Öffnung dieser Beziehung über Israel hinaus ist damit in keiner Weise verbunden. 33
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Kapitel 8. Kultische Sprache im Galaterbrief
Beschneidung, sondern durch Zugehörigkeit zum Nachkommen Abrahams, Christus: „Gehört ihr Christus an, so seid ihr Abrahams Kinder und nach der Verheißung Erben“ (3,29).34 Das Begriffsfeld der Rechtfertigung bietet Paulus also die Möglichkeit, davon zu sprechen, dass Gott Menschen auf seine Seite stellt. Zugleich konnte er verdeutlichen, dass die Beschneidung keine notwendige Bedingung für die Gemeinschaft mit Gott ist. Das Zurücktreten kultischer Terminologie zugunsten des Wortfeldes Gerechtigkeit könnte jedoch auch auf andere Weise erklärt werden. Eine in bShabb 137b aufbewahrte tannaitische Tradition, die bis auf den heutigen Tag nach jeder Beschneidung rezitiert wird, stellt eine Verbindung von Heiligkeit und Beschneidung her: „Gelobt seist du, Herr unser Gott, König der Welt, der den Freund vom Mutterleib an geheiligt hat ( !jbm dydy Xdq). Eine Satzung hat er an sein Fleisch gesetzt und seine Nachkommen hat er mit dem Zeichen eines heiligen Bundes versiegelt…“. In der traditionellen Talmudauslegung ist umstritten, wer mit dem Wort „Freund“ ( dydy) gemeint ist. Raschi deutet dieses Wort im Licht von Gen 22,2 auf Isaak. Die Tosafisten beziehen es unter Berufung auf ältere Deutungen auf Abraham. Wenn letztere Deutung richtig ist, werden Heiligung und Beschneidung im Fall von Abraham nicht in eins gesetzt.35 Gott hatte Abraham vom Mutterleib an geheiligt, also noch lange, bevor Abraham sich beschnitten hat. David Flusser und Shmuel Safrai haben die Vermutung geäußert, dass Paulus diese Tradition gekannt und für seine Abrahamdeutung fruchtbar gemacht haben könnte.36 Wenn das so wäre, hätte Paulus durchaus die Möglichkeit gehabt, mit kultisch konnotierter Sprache für sein Anliegen zu streiten. Auffällig ist in jedem Fall, dass Paulus immer dann auf Abraham zu sprechen kommt, wenn es um die Beschneidung geht. 37 Das lässt vermuten, dass seine Gegner die Einheit von Beschneidung und Glauben an Abraham demonstrieren konnten, und dass darum in ihrer Argumentation Abraham eine entscheidende Rolle spielte.38 Das Zurücktreten kultisch konnotierter Gedankengänge im Galaterbrief könnte also auch dadurch motiviert sein, dass die gegnerischen Missionare die Trias von Gerechtigkeit, Beschneidung und Glauben an die Abrahamsgestalt gebunden haben, so dass Paulus sich gezwungen sah, ihnen auf dem von ihnen abgesteckten Feld entgegenzutreten. In jedem Fall scheint das Zurücktreten der kultischen Sprache im Galaterbrief der aktuellen Diskussionslage, in die hinein dieser Brief spricht, geschuldet zu sein.
34
Ob Paulus durch die Argumentation seiner Gegner auf die Gestalt Abrahams aufmerksam geworden ist (so SANDERS [1995], 74) oder ob er von sich aus anhand der Abrahamsgeschichte entwickelt, dass die Beschneidung keine Bedingung für die Gemeinschaft mit Gott ist, können wir hier offen lassen. Deutlich ist in jedem Fall, dass das argumentative Ineinander von Rechtfertigung und Beschneidungsfreiheit ganz wesentlich an der paulinischen Lektüre der einschlägigen Texte der Genesis hängt. Vgl. KREUZER (2002), 208ff. 35 Wobei die Heiligung vom Mutterleib eine Ausnahme darstellt. Aus der Formulierung des Segensspruches könnte man folgern, dass alle Nachkommen Abrahams durch die Beschneidung geheiligt werden. Das entspräche genau der Argumentation der Befürworter der Beschneidung. 36 FLUSSER / SAFRAI (1979), 172ff. 37 Vgl. SCHNELLE (2003), 312. 38 So BERGER (1994), 457.
4. Zusammenfassung
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4. Zusammenfassung 4. Zusammenfassung
Die Rechtfertigungsterminologie dürfte in der Auseinandersetzung um die Notwendigkeit der Beschneidung schlicht und ergreifend eine schärfere Waffe gewesen sein als die kultische Begrifflichkeit, die Paulus sonst vorwiegend gebraucht hat bzw. gebraucht, um zu beschreiben, wie Menschen auf die Seite Gottes gelangen. Die hier vorgetragenen Überlegungen stützen damit die These, dass Paulus die Rechtfertigungslehre in einem „ganz konkreten Kontext“ entwickelt hat.39 Sie hat im Galaterbrief in der Tat die Funktion einer Kampfparole.40 Das ändert sich im Römerbrief, in dem Paulus grundsätzlicher und weniger polemisch weiterdenkt, was er im Galaterbrief entworfen hat. In diesem Brief findet sich dann auch wieder ein reichhaltiges kulttheologisches Vokabular einschließlich der damit verbundenen Vorstellungen, die zum Teil schon aus den früheren Paulusbriefen vertraut waren. Im Römerbrief beschreibt Paulus den Transfer sowohl als Rechtfertigungs- als auch als Heiligungsgeschehen. Im Galaterbrief war das vielleicht nicht möglich. Hier musste um der Auseinandersetzung willen die „Heiligung“ zugunsten der „Rechtfertigung“ zurücktreten. Die hier vorgetragenen Überlegungen fügen sich besonders plastisch zu einer Spätdatierung des Galaterbriefes.41 Nimmt man an, dass der Galaterbrief nach den anderen Paulusbriefen und vor dem Römerbrief entstanden ist, kann man leicht erklären, warum in den früheren Paulusbriefen das rechtfertigungstheologische Begriffsfeld zugunsten des heiligkeitstheologischen zurücktritt. Es stand Paulus einfach noch nicht so ausgefertigt zur Verfügung. Bei einer Frühdatierung des Galaterbriefs müsste man die Frage beantworten, warum Paulus in der Korintherkorrespondenz so wenig aus diesem Begriffsfeld macht, wenn er es doch im Galaterbrief schon so ausgiebig durchdacht hat. Eine Antwort auf diese Frage lässt sich aber leicht finden, wenn man berücksichtigt, dass Paulus auch im Philipperbrief nur dort auf die Rechtfertigungsterminologie zurückgreift, wo er durch die Beschneidungsthematik dazu genötigt wird (Phil 3,9). Da es in den übrigen Briefen, sieht man vom Gal und Röm einmal ab, keinen Anlass gibt, auf die Beschneidung zu sprechen zu kommen, muss Paulus auch nicht rechtfertigungstheologisch argumentieren. Die Tragfähigkeit des hier vorgeschlagenen Modells zur Verhältnisbestimmung von kultischer Begrifflichkeit und Rechtfertigungsterminologie ist also von den umstrittenen Datierungsfragen unabhängig.
39 40 41
Vgl. dazu KRAUS (2005), 336. Vgl. dazu KARRER (2000), 138 und KRAUS (2005), 334. Vgl. dazu oben S.247f.
Kapitel 9
Heiligung und Rechtfertigung: Der Römerbrief Der Römerbrief gilt weithin als das ausgewogenste Schreiben des Apostels.1 Mit diesem Brief stellt sich Paulus einer Gemeinde vor, die bisher keinen persönlichen Kontakt mit ihm hatte,2 zugleich korrigiert er mögliche Missverständnisse, die sein Wirken an unterschiedlichen Orten hervorgerufen haben könnte.3 Kultische Sprache begegnet in diesem Brief in zentralen Kontexten. Wie eine Klammer umschließt sie den gesamten Brief, wenn Paulus der Gemeinde in Rom sein Wirken als kultischen Dienst, zu dem er ausgesondert ist (1,1.9), präziser noch als Opferdienst beschreibt: Er überführt Menschen in den Eigentumsbereich Gottes, so wie Priester es mit Opfergaben tun (15,16). Daraus ergibt sich nicht nur eine Selbstvorstellung des Apostels, sondern auch eine kultische Beschreibung der Gemeinde: Christen sind geheiligt und damit so etwas wie Opfergaben. Diese Wesensbestimmung prägt die Ethik des Römerbriefes, die daraus die Konsequenz zieht, dass sich das ganze Leben der Christen – dieser Botschaft gemäß – als Opferdienst zu gestalten hat (12,1f). Auch zwischen diesen Eckpunkten finden sich immer wieder kultisch konnotierte Passagen in wesentlichen Argumentationskontexten: So wird der gottferne Zustand, in dem sich die Menschheit befindet, konkret als Unreinheit, die sich in sexuell deviantem Verhalten manifestiert, beschrieben (1,24). Als Gegenbild zu dieser unheilvollen Unreinheit entwirft Paulus einen heilvollen Status, der durch die Begriffe Heiligung und Gerechtigkeit charakterisiert ist (Röm 6,19ff). Seiner emotionalen Beziehung zu Israel verleiht Paulus mit kultischer Sprache Ausdruck (9,3), und auch seine Hoffnung für dieses Volk formuliert er mit Begriffen, die aus der Welt des Kultes – und zwar des Kultes Israels und dem der Völker – stammen (11,16). Ganz in der Gedanken- und Sprachwelt jüdischer Halacha verbleibt Paulus, wenn er sich über die Reinheit und Unreinheit von Speisen äußert (14,14). Das verwundert nicht,
1 2 3
Vgl. KRAUS (2004), 74f. Vgl. SCHNELLE (2005), 130. Vgl. HAACKER (1999), 13.
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Kapitel 9. Kultische Sprache im Römerbrief
wenn man sich vor Augen hält, an wen sich seine Argumentation hier richtet.
1. Der Römerbrief in nuce – Paulus und die Gemeinde: Röm 1,1ff 1. Der Römerbrief in nuce – Paulus und die Gemeinde: Röm 1,1ff
Praescript und Prooemium des Römerbriefes weisen verschiedene Begriffe auf, die in der Welt des Kultes beheimatet sind oder doch wenigstens aus ihr heraus verstanden werden können. Diese Beobachtung ist in besonderer Weise von Gewicht, wenn man, wie es in der Forschung weitgehend geschieht, die Einleitung des Briefes als Römerbrief in nuce, also als Zusammenfassung des Ganzen versteht.4 Wie schon in der Korintherkorrespondenz und im Philipperbrief spricht Paulus seine Adressatinnen und Adressaten als „Heilige“ an (1,7). Er nennt sie „berufene Heilige“ und verbindet damit wie schon im 1 Thess angelegt und in 1 Kor 1,2 auf den Begriff gebracht Berufungs- und Heiligungsterminologie. Auch die Gemeinde in Rom soll sich nicht als profane Gruppierung unter anderen, sondern als Gottes Eigentum begreifen, und – wie wir sehen werden – ihre Lebensführung entsprechend gestalten (vgl. zu Röm 6,19 und 22; 12,1f).5 Der volle Gehalt der in der Briefeinleitung verwendeten Begrifflichkeit erschließt sich den Leserinnen und Lesern erst vom Ende des Briefes her (15,16), denn dort wird der Transfer auf die Seite Gottes in besonderer Weise illustriert. Zugleich wird dort deutlich, welche Funktion der Apostel sich bei diesem Transfer selbst zuschreibt. Dies deutet Paulus in Röm 1 aber schon an, wenn er sich als jemand vorstellt, der für das Evangelium Gottes, dem er (kultisch) dient (1,9), ausgesondert ist (1,1). Mit zu den ersten Dingen, die die Leserinnen und Leser des Briefes über Paulus erfahren, gehört es, dass er als berufener Gesandter6 zu einem be4
Vgl. HAACKER (2003), 21ff; LOHSE (2003), 58; LOHSE (1998), 65ff. Von daher wird man das Fehlen von evkklhsi,a nicht als Indiz dafür werten dürfen, dass Paulus die Gemeinde in Rom als defizitär angesehen habe, wie von G. K LEIN (1969), 129ff erwogen wurde. Der Terminus Heilige zeigt die volle Zugehörigkeit der Angesprochenen zu Gott an. Paulus sieht es als seine Aufgabe an, Menschen in dieses Verhältnis zu überführen – bei den Christinnen und Christen in Rom kann er feststellen, dass das schon geschehen ist. 6 Selbst wenn die Römerinnen und Römer mit der christlichen Gesandtenterminologie nicht vertraut wären, so könnten sie dieser Wendung doch entnehmen, dass Paulus von einer ihm übergeordneten Macht (Plato, leg. 937 A; Phaid. 115 A; Aristoteles, pol. 1322 B) dazu aufgefordert ist, als Botschafter bzw. Gesandter (Herodot 1,21; 5,38) zu fungieren. Zum Apostelbegriff vgl. GERBER (2005), 119ff. 5
1. Der Römerbrief in nuce – Paulus und die Gemeinde: Röm 1,1ff
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stimmten Zweck „ausgesondert“ (avfwrisme,noj) ist. Das Verb avfori,zw ruft zunächst nicht zwingend kultische Assoziationen wach. Blickt man aber in die LXX, so stellt man fest, dass damit „vor allem kultische Ausdrücke“ übersetzt werden.7 In der Tat steht das Verb „in der LXX in der Nähe von a`gia,zein im Sinne kultisch-religiöser Aussonderung bzw. Heiligung für Jahwe, als ein ‚Absondern zu einem heiligen Zweck’“.8 Im Sinne des Aussonderns „als ‚heilig’ im Gegensatz zum ‚Profanen’“ wird es „auch in der griechischen Literatur oft gebraucht“.9 Nun muss man allerdings zugestehen, dass die LXX avfori,zw auch in ganz profanen Zusammenhängen verwenden kann (Gen 2,10; 10,5; Ps 67,10 [LXX]). Jüdischen und heidnischen Rezipienten eröffnet das Verb avfori,zw also eine kultische und eine nichtkultische Interpretation. Gleiches gilt für latreu,w. Beim ersten Lesen des Textes ist es nahezu unmöglich, zwischen beiden Interpretationsmöglichkeiten eine begründete Wahl zu treffen. Überblickt man aber den gesamten Brief und liest seinen Anfang im Licht eindeutig kultisch konnotierter Passagen wie vor allem Röm 15,16, dann gewinnt auch die paulinische Selbstvorstellung am Briefanfang ein deutliches kultisches Gefälle: Paulus ist nicht von einer weltlichen Instanz für eine weltliche Aufgabe ausgesucht und bestimmt worden. Sein Dienst lässt sich als kultischer Dienst begreifen, und die Instanz, die ihn dazu ausgesondert hat, ist Gott selbst. Das Verb latreu,w begegnete schon in Phil 3,3.10 In Röm 1,28 wird Paulus es wieder aufgreifen, um damit den Götzendienst des Menschen zu bezeichnen. Das Substantiv latrei,a findet sich noch in Röm 9,4 und 12,1. Paulus beschreibt in Vers 9 sein Verhältnis zu Gott mit einem Verb, das von seiner Verwendung in der LXX und eingeschränkt auch in nichtjüdischen Texten her eine kultische Dimension hat. Berücksichtigt man nun die zum Verständnis von avfori,zw vorgetragene Argumentation, andere Selbstbeschreibungen (so z. B. Röm 12,1; Phil 2,17; 4,18; 2 Kor 9,12) oder Beschreibungen des christlichen Lebens mit kultischer Begrifflichkeit, so darf man bei aller Vorsicht davon ausgehen, dass der Apostel auch hier sein Leben als kultischen Dienst darstellt.11 Der Blick auf den engeren Kontext könnte hier weitere Klarheit schaffen: Paulus qualifiziert seinen Dienst an Gott mit zwei näheren Bestim7 SCHMIDT (1954), 455. K.L. Schmidt vermutet außerdem unter Berufung auf Th. Zahn, dass Paulus hier auf sein Pharisäersein anspiele, da „avfwrisme,noj […] die gängige Übersetzung von hebräisch Xwrp“ sei (ebd.). Sollte Paulus daran gedacht haben, so würde das gut zu seinem Selbstzeugnis in Phil 3,5 und in den Reden der Apostelgeschichte passen (vgl. dazu VAHRENHORST [2005], 55ff). 8 STRACK (1994), 100. 9 BETZ (1988), 141 nennt außer Aristoteles, pol. 1322 B noch Plato, Tim. 24 A. 10 Vgl. Kapitel 7. 4. 11 Vgl. W ITHERINGTON / HYATT (2004), 43.
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Kapitel 9. Kultische Sprache im Römerbrief
mungen: evn tw/| pneu,mati, mou und evn tw/| euvaggeli,w| tou/ ui`ou/ auvtou/. Beginnt man mit dem zweiten Glied, so scheint es die missionarische Tätigkeit des Apostels zu sein, auf die Paulus hier verweist. Das entspräche Röm 15,16.12 Was aber bedeutet dann die Wendung „in meinem Geist“?13 Die Fragen, die dieses Syntagma in der Forschung aufwirft, formulierte exemplarisch schon H. Strathmann: Will Paulus sagen, dass „der religiöse Dienst sich vollziehe ‚durch seinen Geist’ und versteht er dies so, dass ‚sein Geist’ der ihm verliehene heilige Geist, ‚sein Geist’ vielmehr der ‚Geist Gottes’ ist? Warum sagt er es dann nicht? […] Oder will er sagen, dass er mit ganzem Herzen diese Arbeit treibe? Aber war das so auszudrücken? Oder liegt eine Vermischung von zwei Gedanken vor […] (so dass) der Gottesdienst sich einmal in seiner missionarischen Verkündigung, zugleich aber in seinem inneren Gebetsleben vollzieht…“?14 Damit wären die in der Forschung bis heute vertretenen Auslegungstendenzen benannt.
Der Gottesdienst des Paulus ist also entweder seine Missionstätigkeit oder sein Gebet (für die Gemeinden) oder beides zugleich. Für die Zuspitzung auf das Gebet spricht zunächst der Kontext, in dem Paulus seinen Gebetswunsch, die Gemeinde in Rom besuchen zu dürfen, erwähnt (1,10). In die gleiche Richtung weist der Befund, dass für Paulus der Geist das Subjekt des Gebetes ist – und zwar sowohl der eigene Geist (1 Kor 14,14) als auch der Geist Gottes (Gal 4,6; Röm 8,15;15 8,26f). Ein drittes Indiz, das diese Auslegung unterstützen könnte, wäre das vor allem in der rabbinischen Tradition bezeugte Verständnis des Gebets als Gottesdienst (vgl. z. B. SifDev § 41). Dass Paulus nun seine Verkündigung des Evangeliums unter den Völkern als gottesdienstlichen Akt versteht, geht klar aus Röm 15,16 hervor. K. Haacker verweist darüber hinaus auf zwei Beispiele aus der paganen Literatur, die latreuei/n als Verb für „Verkündigung im Gottesdienst“ verwenden (Plut, mor. 512 E und Epiktet, Diss III 22,56).16 Paulus sieht in seiner Verkündigung auch sonst durchaus den Geist am Werk (vgl. 1 Kor 2,4; 2 Kor 4,13; 1 Thess 1,5), nur ist es – wie Strathmann schon angemerkt hat – eigentlich der Geist Gottes und nicht der des Apostels. Dunn weist darauf hin, dass es im Corpus Paulinum nicht immer möglich ist, den Geist Gottes vom Geist des Menschen eindeutig zu unterscheiden. Auch wenn Dunn selbst dazu neigt, Röm 1,9 vom menschlichen Geist sprechen zu hören, rechnet er diese Stelle zu denen, an denen eine sichere Entscheidung schwierig sei.17 Diese Schwierigkeit hat ihren sachlichen Grund in der paulinischen Pneumatologie, die den heiligen Geist zuwei-
12 13 14 15 16 17
Vgl. dazu W ILCKENS (1987), 78, bes. Anm. 75. Ebd. So STRATHMANN (1942a), 64f. Vgl. dazu VOLLENWEIDER (1996), 176f. HAACKER (1999), 32. Vgl. DUNN (2003), 76, Anm. 117.
1. Der Römerbrief in nuce – Paulus und die Gemeinde: Röm 1,1ff
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len als „Subjekt der Gläubigen“ erscheinen lässt.18 Wenn nun Gottes Geist das „Selbst der Glaubenden“ ist, und zwar in der Weise, dass der Geist nicht „anstelle unser selbst, sondern als unser Selbst“19 handelt, verwundert es nicht, dass auch die Sprache dem Inund Miteinander von göttlichem und menschlichem Geist entsprechend oszilliert.20 Gottes Geist bestimmt den Glaubenden so, dass er gleichsam zu dessen eigenem Geist geworden ist.21
Überblickt man zusammenfassend die Argumente, die für eine Beschreibung des paulinischen Gottesdienstes als Mission oder als Gebet ins Feld geführt werden, so kann man m. E. kaum umhin, diesen Vers für inhaltlich nicht sicher bestimmbar zu halten.22 Beide Akzentuierungen sind möglich. Die strenge Alternative Gebet oder Verkündigung verflüchtigt sich allerdings, wenn man bedenkt, was immerwährendes Gebet bei Paulus eigentlich bedeutet. Spricht Paulus vom immerwährenden Gebet, dann meint er damit nämlich nicht einen bewussten, ausformulierten Sprechakt im heutigen Sinne.23 Paulus geht es dabei vielmehr um die Grundhaltung der permanenten Bindung an Gott in Christus. In diese Beziehung nimmt Paulus seine Gemeinden hinein. Er betrachtet sie und sein Verhältnis zu ihnen nicht außerhalb der Existenzsphäre, die durch die Zugehörigkeit zu Gott in Christus gesetzt ist.24 Damit entspricht das immerwährende Gebet präzise dem paulinischen Verständnis der Heiligkeit und des In-Christus-Seins (vgl. Kapitel 5, 1). Auf die gleiche dauerhafte Beziehung zu Gott, die alle Lebensvollzüge der Glaubenden bestimmen soll, zielt Paulus, wenn er das Leben der Christen dauerhaft im heiligen Bereich ansiedelt (vgl. Kapitel 4, 3 und 5, 6) oder wie in Röm 12,1 als Opferdienst beschreibt und seinen Leserinnen und Lesern nahe legt, das ganze Leben als latrei,a – als Gottesdienst – zu verstehen und entsprechend zu gestalten. Was den Fragehorizont dieser Arbeit anbelangt, sei festgehalten, was für alle Detaillösungen gleichermaßen gilt: Paulus verwendet ein kultisches Konzept, um seinen Adressaten Grundsätzliches über sich selbst mitzuteilen,25 nämlich dass er in einem immerwährenden Dienstverhältnis zu Gott steht. 18 So VOLLENWEIDER (1996), 173 unter Verwendung eines Zitates aus Bultmanns Theologie des Neuen Testaments (B ULTMANN [1958], 209). 19 VOLLENWEIDER (1996), 183. Paulus hält an der Unterscheidung von Gottes Geist und dem Geist des Menschen trotz allem fest. Der Geist Gottes bleibt Gabe (vgl. DUNN [2003], 429, Anm. 90; SCHNELLE [2003], 558). 20 DUNN (2003), 429 schreibt im Blick auf dieses In- und Miteinander: „(It) is precisely the character of pneuma as experienced in the innermost being, where conceptual distinction between Spirit and spirit is not of primary importance“. 21 Vgl. SCHNELLE (2003), 557f. 22 So HAACKER (1999), 33. 23 Vgl. dazu OSTMEYER (2002), 282. 24 Vgl. OSTMEYER (2002), 280ff. 25 Vgl. HAACKER (1999), 31.
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Kapitel 9. Kultische Sprache im Römerbrief
2. Unreinheit als Inbegriff der Entfremdung von Gott: Röm 1,24 2. Unreinheit als Inbegriff der Entfremdung von Gott: Röm 1,24
Im großen Schuldaufweis, in dem Paulus begründet, warum der „Zorn Gottes vom Himmel her offenbar wird“ (1,18), findet sich an besonders herausgehobener Stelle ebenfalls ein Begriff, dessen argumentative Bedeutung im Kontext sich vor allem dann erschließt, wenn man ihn vor dem Horizont der paulinischen Heiligkeitsterminologie versteht. Gemeint ist die avkaqarsi,a (Unreinheit), von der Paulus in Röm 1,24 spricht. Diese erschien schon in 1 Thess 4,7 als Gegenbegriff zur Heiligkeit, also dem intakten Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Nachdem Paulus zunächst die große Verwechslung von Schöpfer und Geschöpf beschrieben hat (1,19–23), kommt er ab Vers 24 auf deren Folgen zu sprechen. Gott reagierte auf die (schuldhafte) Hinwendung des Menschen zu anderen Göttern so, dass er die Menschen ihrem Tun und Treiben übergab (pare,dwken).26 Die konkreten Ausprägungen im menschlichen Verhalten bekommen nahezu den Charakter eines Verhängnisses. Streng genommen sind die Menschen an dem Negativen, was sie nach 24– 31 tun, nicht (mehr) schuld – es ist vielmehr Folge der einen Schuld, dass „sie Gott nicht als Gott verehrt haben“.27 Für die Bewertung dieses Abschnitts ist es wichtig, diese argumentative Funktion im Kontext vor Augen zu haben: „The aim is not to prove the evils of sexual behaviour […]. The aim is to develop a thesis about the manifestation of divine wrath in the human experience of Paul’s time.“ Für alles, was Paulus im Kontext über konkrete Formen menschlicher Sexualpraxis sagt, gilt: „Sexual perversion is in Paul’s view ‚the result of God’s wrath, not the reason for it’“.28
Gott liefert die Menschen der Unreinheit (avkaqarsi,a) aus, und zwar „durch die Begierden ihrer Herzen“. Mit evpiqumi,a (Begierde) greift Paulus einen im antiken philosophischen Diskurs vorwiegend negativ besetzten Begriff auf (vgl. schon 1 Thess 4,5). Die Begierde gilt in der Stoa als „unvernünftiges Streben“ (nach Diogenes Laertius 7,113), das es zu bekämpfen gilt 26
Die aktive Rolle Gottes dabei darf nicht übersehen werden. Vgl. dazu JEWETT (2000), 224 und HAACKER (1999), 52. 27 Überblickt man die Verse 24ff, so möchte man an den bekannten Satz aus Adornos Minima Moralia denken: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“. Weil das menschliche Leben insgesamt unter dem falschen Vorzeichen steht (1,19ff), können seine konkreten Vollzüge nicht richtig sein. Für Paulus zeigt sich das vor allem am Phänomen der widernatürlichen Sexualität. Ab Vers 28 kommen aber auch andere Aspekte menschlichen Miteinanders in den Blick, die u. a. das Familien- und Wirtschaftsleben betreffen (beide stehen schon in 1 Thess 4,3ff nebeneinander vgl. Kapitel 4, 3). K. HAACKER (1999), 52, Anm. 56 nennt römische Parallelen, die die Rezeption der paulinischen Argumentation erleichtert haben dürften. 28 So JEWETT (2000), 231.
2. Unreinheit als Inbegriff der Entfremdung von Gott: Röm 1,24
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(Epiktet, Diss II, 16,45), weil jeder, der „begehrt, sich verfehlt“ ([pa/j o` […] evpiqumw/n a`marta,nei] Plutarch, mor. 449 D). Bei den philosophisch Gebildeten unter seinen Adressaten dürfte Paulus mit seiner negativen Bewertung der Begierde an dieser Stelle auf offene Ohren gestoßen sein.29 Zum Wesen der evpiqumi,ai gehört es nun, dass sie für erstrebenswert halten, was in Wirklichkeit nicht erstrebenswert ist, und so den Menschen seine wahre Bestimmung verfehlen lassen.30 In paulinischer Wahrnehmung wirken die evpiqumi,ai in einer Weise, dass sie auf Unreinheit zielen. Dieser Begriff begegnete schon in 1 Thess 4,7 als Gegenbegriff zu dem, worauf Gottes Berufung zielt, nämlich auf Heiligung. Heiligung ist, wie wir im Laufe dieser Arbeit immer wieder sehen konnten, ein Konzept, mit dem Paulus den Übergang des Menschen aus der Sphäre des Unheils in die Sphäre des Heils beschreibt. Damit gewinnt die Unreinheit den Charakter eines Unheilsbegriffs, was in kultischer Logik nicht unbedingt zwingend ist.31 Nach den Modifikationen des kultischen Denkens, die wir in den paulinischen Ausführungen in 1 Kor 5 und 6 beobachten konnten, ist dies aber nicht verwunderlich: Für Paulus gibt es keine profanen Räume mehr, die ethisch neutral wären (vgl. Kapitel 4, 3; 5, 6). Was nicht zum Bereich des Heiligen gehört, ist automatisch a;dikoj und fern von Gott. 32 Wer nun unrein ist, hat zum Heiligen keinen Zugang, er lebt also im Zustand der Gottesferne. Nur konsequent ist es daher, wenn Paulus den Transfer aus dem negativen in den positiven Status als Reinigung bzw. Waschung beschreibt (so 1 Kor 6,11) und die einmal Gereinigten dazu aufruft, in ihrem Leben daraus die Konsequenzen zu ziehen (2 Kor 7,1).
Die Begierden, durch die Gott den Menschen an die Unreinheit – also an die Entfremdung von Gott – ausliefert, treiben den Menschen immer weiter in die offenkundige Unmoral hinein. Das konkretisiert sich für Paulus zuallererst auf dem Feld der Sexualität. In der Forschung ist umstritten, wie der Anschluss von tou/ avtima,zesqai an avkaqarsi,an genau zu verstehen ist. Erwogen wird eine finale Deutung („damit“ die Menschen ihre Körper [d.h. sich selbst]33 entehren),34 oder eine konsekutive bzw. epexegetische, die die Unreinheit entweder als Folge oder als Inhalt des entehrenden Handelns in den Blick 29 Paulus spricht von Begierden jedoch im Plural. Dieser Sprachgebrauch schafft eine gewisse Distanz zur philosophischen Kritik an der evpiqumi,a. Vgl. JEWETT (2000), 224. Paulus selbst definiert den Begriff nicht ausschließlich negativ. In Phil 1,23 spricht er von seiner „Begierde“ zu sterben und bei Christus zu sein. 30 Vgl. B ÜCHSEL (1938), 169. 31 Kultische Unreinheit an sich ist weder in biblischer noch in paganer Perspektive ein unheilvoller Zustand. Sie ist, wie wir sahen (vgl. Kapitel 2, 1.3.1 und 3, 4.2), zuweilen sogar unvermeidlich. 32 Der Symmetrie von Heiligung und Rechtfertigung im paulinischen Denken entspricht es, dass Paulus im zweiten Argumentationsgang 1,28ff an erster Stelle die Ungerechtigkeit nennt (29). 33 Vgl. dazu die Hinweise in Kapitel 5, 7. 34 So z. B. ZAHN (1910), 97.
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nimmt.35 Die zuletzt genannten Deutungsmöglichkeiten haben etwas mehr Wahrscheinlichkeit für sich, da Unreinheit – wie wir sehen werden – die zwangsläufige Konsequenz sexuell devianten Verhaltens ist, nicht aber deren Ziel.
Paulus wählt den Bereich der Sexualität wohl aus mehreren Gründen zur Konkretisierung. Schon in 1 Thess 7 und 1 Kor 7 konnten wir beobachten, dass Heiligkeit und Sexualität sich nur unter ganz bestimmten Bedingungen nicht völlig ausschließen. Texte jüdischer und nichtjüdischer Provenienz kennen diesen Gedanken ebenfalls. Darum könnte sich diese Lebensäußerung besonders gut dazu eignen, den unheiligen (und damit für Paulus zugleich heillosen) Status des Menschen zu beschreiben. Außerdem ist es vor dem Hintergrund antiker Konventionen gut möglich, die Konsequenzen einer falschen Grundeinstellung durch „falsche“ Sexualpraxis zu illustrieren. Die Verse 26 und 27 sprechen höchst wahrscheinlich von homoerotischen Praktiken. Für Vers 26 wird auch eine Deutung erwogen, die auf „inordinate desire within marriage“, näherhin auf gesellschaftlich nicht akzeptierte sexuelle Aktivität von Frauen in der Ehe zielt.36 Der Anschluss von Vers 27 mit o`moi,w j te lässt aber erwarten, dass der gleichgeschlechtliche Verkehr, von dem dort die Rede ist, unter männlichen Vorzeichen ausführt, was Vers 26 unter weiblichen gesagt hat. Das würde dann aber bedeuten, dass auch in Vers 26 von gleichgeschlechtlich praktizierter Sexualität die Rede ist.37 Zwingend ist das nicht, denn das o`moi,wj te stellt nicht unbedingt eine Parallele zwischen den Praktiken her, sondern weist beide als para. fu,sin aus. Was den Verkehr zwischen Männern anbelangt, ist dieser spätestens seit Plato Gegenstand der Kritik.38 In den Gesetzen legt Plato den Geschlechtsverkehr grundsätzlich auf den Zweck der Kinderzeugung fest (leg. 838 D–839 D [vgl. 636 C]) und kritisiert an gleichgeschlechtlichem Verkehr außerdem, dass er den passiven Partner „feminisiere“ (836 D und E).39 35
So J EWETT (2000), 225f, der weitere Vertreter dieser Auslegung nennt. Der Offenheit des Griechischen entspricht die Übersetzung K. Haackers, dessen „so dass“ mehrere Deutungen ermöglicht (Vgl. HAACKER [1999], 45). 36 So FREDRICKSON (2000), 201, Anm. 15. 37 Alternativ läge der Ton auf mangelnder Kontrolle der Leidenschaften (so FREDRICKSON [2004], 204 unter Berufung auf Epiktet, Diss III.3.2). Möglich wäre auch, dass Paulus in 1,26 von Zoophilie spricht. Diese wird in Lev 18,23 direkt nach der „Verurteilung des Verkehrs zwischen Männern“ genannt (so H AACKER [1999], 53). Möglicherweise argumentiert Paulus hier bewusst mehrdeutig. In jedem Fall kann er sicher sein, dass seine Leserinnen und Leser alle Praktiken, die man aus Vers 26 herauslesen kann, verurteilen. Das gilt für sexuelle Aktivität von Frauen, die deren traditioneller Rolle als Objekte sexuellen Handelns nicht entspricht. Das gilt sicher für Zoophilie. Dass es auch für weibliche Homosexualität gilt, macht JEWETT (2000), 231 (dort Literatur) wahrscheinlich. 38 Vgl. SCHOEDEL (2000), 44ff. Vgl. auch W ALTER (1990), 223. 39 Pagane Kritik an homosexuellem Verkehr unter erwachsenen und freien Männern zielte darauf, dass das als natürlich empfundene Gefälle von Mann und Frau in widernatürlicher Weise auf Männer Anwendung findet, indem der penetrierte Mann sozusagen zu einer Frau degradiert wird.
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Philo greift beide Motive auf (vgl. VitCont 62; 60 und 61 [im Blick auf den aktiven Partner ergänzt er den Gedanken, dass dieser sein körperliches Potenzial verschwende]). Plato und Philo bezeichnen diese Art des Geschlechtsverkehrs als un- oder widernatürlich (Plato, leg. 636 C; 838 E; Philo, VitCont 59; SpecLeg 3,37ff). Auf diese Tradition scheint Paulus hier zurückzugreifen, und er rechnet damit, dass seine Leserinnen und Leser seine Einschätzung teilen.40
Schließlich gelten im Levitikusbuch homoerotische Praktiken unter Männern als mit der – der Heiligkeit Gottes entsprechenden – Heiligkeit des Volkes nicht vereinbar (Lev 18,22 [vgl. Lev 20,13]).41 Konkret bezeichnet Lev 18 nur bestimmte Sexualpraktiken als verunreinigend und zwar in einem mehr als kultischen Sinn: Ehebruch und Zoophilie (Lev 18,20.23). Im Licht der Schlussmahnung Lev 18,24ff gelten aber auch alle zuvor genannten sexuellen Devianzen als Sünden, die das Land verunreinigen.42 Die Unreinheit, die auf diese Weise entsteht, kann nicht durch Waschung oder das Verstreichen von Zeit beseitigt werden. Sie ist nach Lev 18,29 nur durch Ausrottung des Täters zu bereinigen. Einen ausdrücklichen Zusammenhang zwischen gleichgeschlechtlicher Sexualität und Unreinheit stellt Philo her, der Menschen, die solches tun, als mi,asma bezeichnet (SpecLeg 3,42).43 Plato scheint in eine ähnliche Richtung gedacht zu haben – allerdings ohne Reinheitsterminologie im strengen Sinne zu verwenden: Er vergleicht die sexuelle Beziehung eines Mannes zu einem Knaben mit dem Inzest und führt dazu aus, dass „so etwas gar nicht fromm (o[sia), sondern von Gott gehasst und vom Schändlichen das Schändlichste ist“ (leg. 838 B). Deutlicher wird Aischines, der in seiner Rede gegen Timarchus ausführt, dass ein männlicher Prostituierter (wörtlich: „Irgendein Athener, der als Hetäre tätig ist [eva.n tij vAqhnai/oj e`tairh,sh]“) kein Priesteramt (i`erwsu,nh) übernehmen darf, weil er körperlich unrein ist (ouvk w'n […] kaqaro.j to. sw/ma [19; 188]). Entsprechend darf ein solcher Mensch auch nicht den Bereich der Agora betreten, der sich hinter den periranqh,ria befindet (21), der also jenseits des Profanen liegt.44 Auch außerhalb des Judentums finden sich also Traditionen, die – zumindest gewisse – homoerotische Praktiken
40
Vgl. J EWETT (2000), 232: „Paul’s description […] employs philosophical language that originated with Plato and gained particular prevalence among stoics“. 41 Zur aktuellen Diskussion um die Bewertung der Homosexualität in diesen Texten vgl. GAGNON (2005), 378ff. 42 Vgl. dazu Kapitel 2, 1.3.2. 43 Vgl. dazu SCHOEDEL (2000), 52. 44 Vgl. dazu Kapitel 3, 4.2.2. Aeschines zitiert hier ein Gesetz, das noch weitere Beschränkungen nennt, die darauf hinauslaufen, dass dieser Mensch kein öffentliches Amt übernehmen darf. Nach dem, was wir oben zum religiösen Charakter der Polis ausgeführt haben, überrascht das nicht. Vgl. Anm. 58 in Kapitel 3, 3.1.1.
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mit Unreinheit assoziiert und darum für unvereinbar mit der Welt der Götter gehalten haben. Vor diesem traditionsgeschichtlichen Hintergrund wird verständlich, warum Paulus gerade den Bereich der als illegitim empfundenen Sexualität wählt, um seinen Leserinnen und Lesern die Unreinheit, die für ihn ein Inbegriff heilloser Gottesferne ist, vor Augen zu malen.
3. Christus, die Sühnestätte: Röm 3,25f 3. Christus, die Sühnestätte: Röm 3,24ff
Wegen der Erwähnung des i`lasth,rion ist auch für diese Verse in der Forschung ein kultischer Hintergrund erwogen worden. Die LXX verwendet diesen Begriff zur Übersetzung unterschiedlicher Gegenstände im Heiligtum: Im Pentateuch ist damit die Deckplatte der Bundeslade gemeint (trpk: Ex 25,17ff), der Ort, an dem Gott erscheint (Lev 16,2) und von dem aus er mit Mose spricht (Ex 25,22; Num 7,89). Am Yom Kippur wird an der trpk ein besonderer Blutritus vollzogen (Lev 16,14f). Im Tempelentwurf Ezechiels wird mit dem Wort i`lasth,rion die hrz[ bezeichnet, die Einfassung des Altars (Ez 43,14.17.20). In Am 9,1 übersetzt i`lasth,rion orwtpk (Säulenkapitell).45 Damit weist die Mehrzahl der LXX Belege eindeutig in die Welt des Kultes. Im Rahmen der Septuagintaüberlieferung stellt 4 Makk 17,22 eine Besonderheit dar. Dort ist vom i`lasthri,ou qana,tou auvtw/n, vom sühnenden Tod der Märtyrer die Rede.46 Damit ist der biblische Befund im Wesentlichen vorgestellt. Zugleich sind damit zwei Hauptlinien der Interpretation dieses Wortes in Röm 3,25 angerissen: Entweder deutet diese Stelle Jesu Tod im Licht des sühnenden Sterbens der Märtyrer, oder sie erinnert an einen Ort im Heiligtum und die damit verbundenen Kultvollzüge. Die wenigen paganen Belege von i`lasth,rion hat W. Kraus ausgewertet. Sie lassen sich allesamt mit „Weihegeschenk“ übersetzen.47 Damit ist ein dritter Auslegungsweg zum Verständnis von Röm 3,25 benannt.48 In Röm 3,24ff ist jedoch nicht nur die Deutung und der Verstehenshorizont von i`lasth,rion umstritten. Neben der Frage, ob Paulus hier eine ältere Tradition aufgreife – und wie diese dann genau abzugrenzen sei –, ist auch hinsichtlich des Verständnisses der Begriffe pare,sij und avnoch, kein 45
Der Übersetzer las statt rwtpk wohl trpk (vgl. dazu W OLFF [1969], 386). Damit setzt die LXX voraus, dass Gott auf den Deckel auf der Bundeslade schlägt. 46 Ich folge hier der von KLAUCK (1989), 753 bevorzugten Lesart. 47 Vgl. KRAUS (1991), 27f. 48 Ihn hat jüngst Stefan SCHREIBER (2006), 88ff beschritten, der Paulus an dieser Stelle von einem Weihegeschenk sprechen hört, das Gott für sich selbst zugunsten der Menschen aufgestellt habe.
3. Christus, die Sühnestätte: Röm 3,24ff
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Konsens auszumachen. Die disparate Auslegungssituation ist – ebenso wie die unüberschaubare Literaturflut zur Stelle – oft beklagt worden49 und mahnt zur Vorsicht bei eindeutigen Festlegungen. Konzentrieren wir uns zunächst auf die Deutung des Wortes i`lasth,rion: Möchte man Röm 3,25 auf der Linie von 4 Makk 17,22 im Lichte der Märtyrertraditionen deuten,50 muss man damit umgehen, dass das 4. Makkabäerbuch wohl erst gegen Ende des 1. Jh. n. Chr. entstanden ist. Möglicherweise reagiert es auf die Zerstörung des Tempels nach 70 und bietet den Tod der Märtyrer als Ersatz für die Sühne im Tempel an.51 Vielleicht antwortet es sogar schon auf christliche Überlieferungen.52 Damit fiele diese Stelle als Hintergrund für das Verständnis von Röm 3,25 aus. Man müsste dann im Blick auf Röm 3,25 allgemeiner mit den Traditionen der stellvertretenden Lebenshingabe der Märtyrer 53 rechnen, ohne dass man diese begrifflich präzise mit i`lasth,rion verbinden könnte. Gegen die Deutung des i`lasth,rion als Weihegeschenk spricht m. E. vor allem die Spärlichkeit der Bezeugung. W. Kraus fragt zu Recht, warum Paulus auf diesen äußerst seltenen Begriff zurückgreift, wenn doch avna,qhma viel näher gelegen hätte, das Paulus in Röm 9,3 in genau dieser Bedeutung verwendet. Bleibt noch, i`lasth,rion vor dem Hintergrund der biblischen Traditionen als „Ort der Sühne, Gottespräsenz und Gottesbegegnung“ zu interpretieren.54 Versteht man i`lasth,rion in diesem Sinne, dann kann man sich die Rezeptionsleistung, die die Empfänger des Römerbriefes an dieser Stelle erbracht haben müssen, wenn man denn davon ausgeht, dass sie Paulus verstanden haben, in der Tat am leichtesten vorstellen: Für sie wird i`lasth,rion vermutlich ein Fremdwort gewesen sein. 55 Ihnen könnte aber vertraut gewesen sein, dass mit der Endung -thrion meistens ein Ort bezeichnet wird.56 Damit hätten sie i`lasth,rion als Ort auffassen können, an dem sich das vollzieht, was mit dem Stamm i`lask- bezeichnet wird, das „Gnädig-geneigt-machen“ der Gottheit. Als Weihegeschenk oder Sühne durch Märtyrer hätten sie dieses Wort nur dann deuten kön-
49 Vgl. die Einleitung des Aufsatzes von Wolfgang KRAUS, Erweis der Gerechtigkeit Gottes im Tod Jesu nach Röm 3,21-26 (Anm. 1 und 2). Dieser Beitrag, dessen Manuskript mir der Verfasser dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat, arbeitet die mit diesen Versen verbundenen Probleme und die in der Forschung vorgeschlagenen Auslegungen in vorbildlicher Klarheit heraus. 50 So HAACKER (1999), 91 und LOHSE (2003), 134f. 51 Vgl. STÖKL B EN EZRA (2003), 115f. 52 Vgl. VAN HENTEN (2005), 145. 53 Dazu und zu Analogien im paganen Denken vgl. H AACKER (1999), 91; FREY (2005), 35; VERSNEL (2005), 213ff. 54 So KRAUS, Erweis der Gerechtigkeit, Manuskriptseite 16 (vor Anm. 78). 55 Die Inschriften, in denen es sich findet, stammen aus Kos und Lindos. 56 Vgl. BDR § 109 Nr. 8.
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nen, wenn ihnen diese Traditionen schon vertraut gewesen wären. Das ist angesichts der wenigen Belege zwar nicht unmöglich aber doch eher unwahrscheinlich.
Geht man davon aus, dass Paulus i`lasth,rion auf der Linie der biblischen Tradition als Sühnestätte, als Ort, an dem Gott sich zeigt, aufgefasst hat, bleibt zu fragen, wie sich die anderen Elemente von Röm 3,24ff dem zuordnen lassen. Paulus – oder die vorpaulinische Tradition – formuliert, dass Gott Jesus als Sühnestätte vorgestellt hat (proe,qeto) „evn tw/| auvtou/ ai[mati“, durch sein Blut. Blut und Sühnestätte werden in der der biblischen Tradition zunächst in der Beschreibung des Yom Kippur miteinander verbunden. Nach Lev 16,14 soll der Hohepriester zuerst vom Blut des Jungstiers an die Sühnestätte – an den Deckel auf der Bundeslade – sprengen. In einem zweiten Ritus soll das Gleiche mit dem Blut des Bockes geschehen, auf den das Los „für den Herrn“ gefallen ist (Lev 16,9). Worauf dieses Ritual zielt, formuliert Lev 16,16: „und er soll Sühne schaffen für das Heiligtum von den Unreinheiten der Kinder Israels und ihrer Unrechtstaten…“. Das Ritual zielt also nicht auf Sühne, die am Volk vollzogen wird, sondern auf die Reinigung des Heiligtums.57 Auch in Ez 43,20, der zweiten biblischen Belegstelle, die Blut und i`lasth,rion kombiniert, hat der Blutritus an der Einfassung des Altars die Funktion, für diesen Sühne zu schaffen. Paulus – oder schon die vorpaulinische Tradition – deuten den Tod Jesu also als Tat Gottes, mit der Jesus als Ort der Gegenwart Gottes vorgestellt und eingesetzt wird. Hält man sich eng an die genannten biblischen Bezüge, so wird Jesu Tod hier nicht als Sühne für die Menschen verstanden, sondern als Einsetzung eines (neuen) Sühneortes, eines Ortes, an dem Gott sich zeigt, und an dem Sühne möglich wird. Jesu Tod ist dabei kein Opfer für die Sünden.58 Schwierig an dieser sehr textnahen Deutung ist, dass Jesus als Ort erscheint, der mit seinem eigenen Blut besprengt wird.59 Um diese Schwierigkeit zu vermeiden, schlagen manche vor, dass hier auf den Yom Kippur insgesamt und nicht auf ein bestimmtes Ritual angespielt werde. Blut und i`lasth,rion erinnern an den Yom Kippur und seine sühnende Wirkung für das Volk.60 Jesus ist das i`lasth,rion und schafft als solches Sühne. Diese 57
Das betont KRAUS (1991), 69: „In Lev 16 geht es wie auch in Ez 43 (45) bei der Durchführung des Blutritus […] um die Entsühnung bzw. Weihe des Heiligtums“. Die Texte vollziehen eine „fundamentale Unterscheidung von Personsühne und Heiligtumssühne“. 58 Vgl. BREYTENBACH (1989), 166. 59 Vgl. HAACKER (1999), 91. Das spricht im neutestamentlichen Kontext aber nicht unbedingt gegen diese Deutung. Der Hebräerbrief stellt seinen Adressaten Jesus als Hohenpriester vor, der sein eigenes Blut in das himmlische Heiligtum hineinträgt (Hebr 9,11ff [vgl. KARRER (2008), 153ff]). 60 Vgl. STÖKL BEN EZRA (2003), 202ff.
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Deutung ist ebenfalls nicht einfach von der Hand zu weisen.61 Wir können nicht wissen, ob Paulus – oder die Tradition, die ihm vorausging – alle Aspekte, die in diesem Bild enthalten sind, gedeutet wissen wollte. Versteht man den Text aber vor seinem wahrscheinlichen traditionsgeschichtlichen Hintergrund, und wird so den Details des Textes und der biblischen Tradition zugleich gerecht,62 so kann man mit W. Kraus formulieren: „Jesus wurde aufgrund seiner Lebenshingabe als i`lasth,rion, als Ort, an dem Gott anzutreffen ist, inauguriert“.63 Hält man das fest, so ist nach dem Sinn dieser Aussage im paulinischen Kontext zu fragen. Es ist im Rahmen einer Arbeit, die untersucht, wie Paulus kultische Sprache in seinen Briefen einsetzt, nicht nötig, die Gestalt vorpaulinischer Überlieferungen zu rekonstruieren. Andererseits kann es aufschlussreich sein, zu sehen, wie Paulus solche Traditionen in seinem Sinne adaptiert. Dabei können wir uns auf die plausible64 Analyse von W. Kraus stützen.65 Ihr zufolge könnte die vorpaulinische Überlieferung wie folgt ausgesehen haben: o]j proeqe,th i`lasth,rion evn tw/| auvtou/ ai[mati dia. th.n pa,resin tw/n progegono,twn a`marthma,twn evn th/| avnoch/| tou/ qeou/
Für die Deutung dieser Verse ist entscheidend, dass wohl weder pa,resij noch avnoch, einfach auf Sündenvergebung zielen. Pa,resij meint ein „vorläufiges Hingehenlassen“66 – Gott hat die zuvor geschehenen Sünden nicht vergeben, er hat sie aber auch nicht bestraft. Dazu passt, dass avnoch, Gottes Zurückhaltung bezeichnet,67 „die dem Sünder vor dem drohenden Gericht noch eine Gnadenfrist zur Umkehr öffnet“.68 Die vorpaulinische Überlieferung hätte dann ausgesagt: „Wegen des Hingehenlassens der früheren, in der Zeit göttlicher Zurückhaltung“ geschehener Sünden, hat Gott Jesus als 61 Zur Kritik an diesen Ansätzen vgl. KRAUS, Erweis der Gerechtigkeit, Manuskriptseite 19ff. 62 Das ist insofern möglich, als hier ja kein wirkliches Ritual geschildert wird, sondern Elemente eines Rituals kombiniert werden, um eine metaphorische Aussage zu machen. 63 So KRAUS, Erweis der Gerechtigkeit, Manuskriptseite 27 (vor Anm. 145). 64 Ob man von den Indizien des paulinischen Textes her gezwungen ist, den Text in seinem Grundbestand dem Apostel abzusprechen, wird von Klaus H AACKER (1999), 89 scharfsinnig infrage gestellt. 65 Vgl. KRAUS (1991), 15ff und KRAUS, Der Erweis der Gerechtigkeit, Manuskriptseite 4ff. 66 Vgl. KRAUS (1991), 95ff und J EWETT (2007), 290: „left unpunished and passed over but not pardoned“. 67 Vgl. KRAUS (1991), 149. 68 HAACKER (1999), 92.
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Kapitel 9. Kultische Sprache im Römerbrief
durch seine Lebenshingabe als Ort der „Gottespräsens und Gottesbegegnung“69 eingesetzt. Durch die Einsetzung dieses Sühneortes werden die Sünden, die bisher weder vergeben noch bestraft worden waren, beseitigt.70 Wie bearbeitet Paulus diese Tradition? Vergegenwärtigen wir uns, was er ergänzt: o]n proe,qeto o` qeo.j i`lasth,rion dia. Îth/jÐ pi,stewj evn tw/| auvtou/ ai[mati eivj e;ndeixin th/j dikaiosu,nhj auvtou/ dia. th.n pa,resin tw/n progegono,twn a`marthma,twn evn th/| avnoch/| tou/ qeou/( pro.j th.n e;ndeixin th/j dikaiosu,nhj auvtou/ evn tw/| nu/n kairw/|( eivj to. ei=nai auvto.n di,kaion kai. dikaiou/nta to.n evk pi,stewj VIhsou/Å
Paulus interpretiert diese Aussage nun, indem er die Rolle des Glaubens betont und zweimal e;ndeixij ergänzt: Jesu Einsetzung zum i`lasth,rion zielt auf den Erweis von Gottes Gerechtigkeit in der Gegenwart. Damit lenkt er den Blick weg von der Bedeutung des Todes Jesu für die Sünden der Vergangenheit hin zu Gottes Heilshandeln in der Gegenwart: „Im Todesgeschick Jesu ist der Ort zu finden, an dem Gott sich endgültig zeigt, an dem vollkommene Sühne geschieht und an dem Gott präsent ist.“71 Der Tod Jesu ist der Vollzug der „‚doppelten Tatsache’, dass Gott gerecht ist und den an Jesus Glaubenden geschenkweise rechtfertigt“.72 Wenn es richtig ist, dass Paulus hier auf eine Tradition zurückgreift, so bedient er sich einer kultischen Deutung des Todes Jesu und nimmt ihr zugleich ihre kultische Spitze: Es geht ihm nicht mehr um die Weihe eines neuen Heiligtums, sondern darum, dass Gott seine Gerechtigkeit darin erweist, dass er den Gottlosen gerecht macht.
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So KRAUS, Der Erweis der Gerechtigkeit, Manuskriptseite 27 (vor Anm. 146). Vgl. KRAUS (1991), 163. Bleibt man auf der Linie der Auslegung, die Kraus im Blick auf das i`lasth,rion vertreten hat, so müsste man sagen, dass diese Einsetzung streng genommen nur dem Heiligtum zugute kommt. Eine Personsühne findet ja gerade nicht statt. Kraus umgeht diese Schwierigkeit, indem er Ez 43 im Vergleich zu Lev 16 relativ hoch gewichtet: Dort wird von der Weihe eines neuen Heiligtums berichtet. So kann er sagen: „Die bisher aufgeschobenen Sünden werden bei der Errichtung des endzeitlichen Heiligtums endgültig getilgt.“ Auch Ez 43,20 spricht aber nur von einer Sühnewirkung, die dem Altar zugute kommt – wie genau die Sünden der Vergangenheit dann gesühnt werden, bleibt offen. 71 KRAUS (1991), 189. 72 KRAUS (1991), 190. KRAUS (1991), 188 geht davon aus, dass Paulus durch seine Interpretation der Formel eine „personale Zuspitzung“ gegeben hat. „Paulus geht es nicht mehr um die Frage nach dem endzeitlichen Sühneort…“. Damit wäre Paulus eigentlich der erste für uns greifbare Ausleger der Formel, der die Differenzierung von Person- und Heiligtumssühne, verwischt. 70
3. Christus, die Sühnestätte: Röm 3,24ff
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Exkurs: Kultische Deutungen des Todes Jesu bei Paulus? Der in Röm 3,24ff zu beobachtende Umgang mit einer Paulus evtl. schon vorgegebenen kultischen Deutung des Todes Jesu lädt zu der Frage ein, wie sich Deutungen des Todes Jesu überhaupt zur kultischen Begrifflichkeit in den Paulusbriefen verhalten. Deutet Paulus den Tod Jesu in kultischen Kategorien oder bindet er die kultischen Beschreibungen des Statuswechsels, des Wesens und der Aufgabe der Gemeinde an Deutungen des Todes Jesu zurück? Bei unserer Besprechung der kultischen Begrifflichkeit in den paulinischen Briefen fand sich bisher außer möglicherweise in 1 Kor 5,773 kein Bezug auf das Kreuzesgeschehen. Andere Transfermodelle stellen diesen Bezug sehr deutlich her (vgl. z. B. Gal 2,19f; Röm 4,25; 6,3f), das kulttheologische Transfermodell verzichtet darauf. Röm 3,24ff zieht aus der Erwähnung des kultisch konnotierten i`lasth,rion seinerseits keine Konsequenzen, die in kultischer Sprache entfaltet würden. Dieser Befund warnt vor Systematisierungen, wie sie sich gelegentlich in der Forschung finden.74 Als Heilsereignis, das den Transfer von Menschen aus der Gottesferne auf die Seite Gottes inauguriert, erscheint in Passagen, die sich kultischer Sprache bedienen, die Begabung mit dem heiligen Geist (z. B. 1 Thess 4,8; 1 Kor 3,16; Röm 8,9ff u.ö.). Der Tod Jesu – geschweige denn sein Sühnetod – findet hier zumindest keine Er-
73
Vgl. dazu Kapitel 5, 5. Ich nenne exemplarisch M. Newton: „Linking the concept of the Church as Temple, and Paul and the believers as priests and sacrificial offering, is the idea that Christ is also both a sacrificial offering and the place of offering“ (NEWTON [1985], 75). Weder erscheint aber der Tempel als Opferort bei Paulus, noch schafft Paulus eine Verbindung von Röm 3,25 und kultischen Beschreibungen der Gemeinde. Es handelt sich dabei um Systematisierungen, die über das, was Paulus selbst sagt, deutlich hinausgehen. Ähnlich verhält es sich mit der These W. Stracks, dass Paulus kultische Terminologie auf die Gemeinde anwenden konnte, weil im „Kreuzesgeschehen“ das „Anliegen des Kultes“ zu seiner Erfüllung gekommen sei (STRACK [1994], 401 [vgl. auch S. 69]). Jüngst hat S. F INLAN (2004) versucht, das kultische Element bei der Deutung des Todes Jesu stark zu machen: „Paul discribes the saving event itself (the death of Jesus) with cultic and redemption metaphors, and its beneficial aftereffects with social metaphors. Thus, Christ died as a purification offering (Rom 8:3), as a covenant-establishing sacrifice (1 Cor 11:25), as our redemption and place of atonement (Rom 3:24-25), as a sin-bearer (2 Cor 5:21; Gal 3,13), or a Paschal lamb (1 Cor 5:7). The result for believers is that they are justified, adopted, or reconciled“ (225). Unser Durchgang durch die Texte, in denen kultische Sprache begegnet, führt zu einem gegenteiligen Ergebnis: Das Ergebnis des Heilsereignisses kann auch in kultischer Begrifflichkeit ausgesagt werden, der Kreuzestod Jesu erscheint hingegen nirgends ausdrücklich als Basis für die Verwendung kultischer Terminologie. 74
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wähnung. Das hat wahrscheinlich seinen Grund darin, dass der Tod Jesu ein unkultisches Geschehen war.75 Spätere neutestamentliche Schriften, die Christsein und Christwerden in kultischer Sprache beschreiben, verfahren hier anders.76 Ich verweise kurz auf Hebr 9,14 (vgl. 1 Joh 1,7; Apk 7,14). Nach Hebr 9,14 ist es „das Blut des Christus, der sich selbst durch den ewigen Geist (als Opfer) ohne Fehler Gott dargebracht hat“, das die Gewissen reinigt „von toten Werken, damit ihr dem lebendigen Gott dient!“. 77 Die Denkfigur ist im Grunde ähnlich der paulinischen: Aus dem beschriebenen Heilsgeschehen, das das neue Sein der Christen ins Werk setzt, erwächst als Konsequenz eine Ethik, die dem Sein entspricht. Anders als bei Paulus, wird hier expressis verbis auf den Tod Jesu verwiesen.
In der Forschung ist umstritten, ob Paulus den Tod Jesu überhaupt mit kultischen Kategorien gedeutet hat.78 In dieser Arbeit wird die Auffassung vertreten, dass er das kaum – oder zumindest nicht vorrangig – getan hat. Die Stellen, an denen dies der Fall sein könnte (1 Kor 5,7 und Röm 3,25) lassen in jedem Fall kein größeres Interesse an diesem Deutungsmodell erkennen. An keiner der beiden Stellen zieht er aus der kultischen Deutung weitergehende ebenfalls in kultischer Sprache entfaltete Konsequenzen.79 Nicht für eine kultische Deutung in Frage kommen m. E. die so genannten u`pe,r-Formeln (z.B. 1 Kor 15,3).80 Blickt man von der Terminologie der LXX auf diese Texte, so fällt zunächst auf, dass die Präposition u`pe,r im Levitikusbuch, das die Kultsprache der LXX entscheidend geprägt hat, nicht ein einziges Mal vorkommt. Das macht es recht unwahrscheinlich, dass die u`pe,r-Formeln um die Vorstellung eines kultischen Sühnegeschehens herum entstanden sind. Hier werden wohl andere Denkmodelle wie die jüdisch und pagan bekannten Vorstellungen von der stellvertretenden Lebenshingabe Pate gestanden haben.81 Die Sühneterminologie ist im Levitikusbuch sehr einheitlich. Immer wieder heißt es dort „Und der Priester wird für sie / ihn Sühne schaffen und ihnen / ihm wird vergeben werden“ (kai. evxila,setai peri. auvtw/n o` i`ereu,j kai. avfeqh,setai auvtoi/j / auvtw/|) [4,20
75 Vgl. KARRER (2000), 140. Überhaupt steht der Tod des Opfertieres für die antike Wahrnehmung von Opferritualen nicht unbedingt im Vordergrund: „In sacrifice, consumption is probably a better metaphor to describe what is happening than death; the passing of the victim rarely arouses interest, while its preparation and its disposal, to the advantage of people or the gods, are specified“ (CHILTON [1992], 41). 76 Zu kultischen Deutungen des Todes Jesu jenseits der paulinischen Briefe vgl. SCHRÖTER (2005), 57 und ZIMMERMANN (2005), 365ff. 77 Vgl. dazu KARRER (2008), 157f. 78 Vgl. dazu KARRER (1998), 119ff. 79 Im Kontext von 1 Kor 5,6-8 ist das Passamotiv nur ein Nebenmotiv im bestimmenden Bild von der Gemeinde als Tempel (1 Kor 3,16 und 6,19). 80 Vgl. auch SCHRÖTER (2005), 63. 81 Vgl. dazu KARRER (1998), 106ff; VERSNEL (2005), 226ff.
3. Christus, die Sühnestätte: Röm 3,24ff
277
u. ö.]. Wenn Sühne für jemanden geschieht, dann wird das dort mit der Präposition peri, zum Ausdruck gebracht. 2 Kor 5,21 spricht davon, dass Gott Christus zur Sünde gemacht hat (a`marti,an evpoi,hsen). Man könnte dies als Rekurs auf die Terminologie des Levitikusbuches auffassen.82 Von Lev 4,21.24 und 5,12 her könnte man diesen Vers übersetzen: „den, der Sünde nicht kannte, hat er zu einem Opfer „Für-die-Sünde“ gemacht“. Dazu ist zu bemerken, dass das absolut stehende a`marti,a im Sprachgebrauch des Levitikusbuches eine vergleichsweise seltene Übersetzung des hebräischen tajx ist. tajx meint einerseits die problematische Tat (vor allem, wenn als Ergänzung ajx rva „die er gesündigt hat“ steht [Lev 4,3.23.28 u.ö.]), andererseits das Mittel, Sühne dafür zu schaffen.83 Im zweiten Fall bemüht sich die LXX um eine einheitliche Terminologie. Sie wählt peri. th/j a`marti,aj (z.B. Lev 4,3.14; 5,8.9;) oder schlicht th/j a`marti,aj (4,8.20.25), seltener peri. a`marti,aj (5,11; 7,37). Manchmal differenziert sie nicht zwischen Tat und Sühnemittel und schreibt a`marti,a (4,21.24.32; 5,9.12).84 Abgesehen davon, dass die einzelnen Stellen, an denen a`marti,a als Opferbezeichnung gebraucht wird, textkritisch umstritten sind,85 muss der, der 2 Kor 5,21 im Licht dieser Stellen lesen möchte, der Tatsache Rechnung tragen, dass die Anspielung auf das Opfer „Für-die-Sünde“ denkbar uneindeutig ist.86 Erschwert wird diese Lektüre des Verses außerdem dadurch, dass der Kontext den Bezug zum Sündopfer nicht nahe legt. Der Gegenbegriff zu a`marti,a – dikaiosu,nh – kommt im Levitikusbuch nur in 19,15 also in einem nichtkultischen Kontext vor.87 Im weiteren Kontext von 2 Kor 5,21 spricht Paulus außerdem von der Versöhnung, einem ebenfalls unkultischen Geschehen.88 Auch die Gedankenführung innerhalb des Verses legt eine Beziehung zum Kult nicht nahe. Sie stellt der personifizierten Sünde die personifizierte Gerechtigkeit gegenüber: „Christus wurde für und zur Sünde gemacht, nahm also die Stelle von uns Sündern ein, damit wir Gerechtigkeit (= zu Gerechten) würden“.89 82
So u.a. GESE (1977), 85ff; H ENGEL (1980), 1ff; STUHLMACHER (1992), 195. Vgl. dazu EBERHART (2002), 113ff. 84 Damit gelingt ihr im Großen und Ganzen eine Unterscheidung, die der Sache nach auch schon im hebräischen Text zu finden ist (vgl. RENDTORFF [2004], 148). 85 Vgl. dazu WEVERS (1997), 45, der den Genitiv a`marti,aj anders als noch in der Göttinger Textausgabe für besser bezeugt hält. 86 Auch dass jemand ein Opfertier zu einem Sündopfer macht, wird im Levitikusbuch so nicht gesagt. 87 Weiteres bei GRÄßER (2002), 233. 88 Vgl. BREYTENBACH (1989), 137ff. 89 SCHRÖTER (2005), 68, der 2. Kor 5,21 als Beispiel für die „Stellvertretungsvorstellung“ bespricht. 83
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Kapitel 9. Kultische Sprache im Römerbrief
Die eben erwähnte Wendung peri. a`marti,aj begegnet auch in Röm 8,3, einer Stelle zu der Th. Söding mit Recht sagt: „Die abbreviatorische Kürze fordert die Kunst der Interpretation“.90 Spielt Paulus hier auf das biblische Sündopfer an und schreibt Jesus dessen Funktion zu?91 Dagegen spricht zum einen die schon erwähnte Tatsache, dass peri. a`marti,aj vergleichsweise selten als Übersetzung von tajx fungiert. Zum anderen ist es der Kontext, in dem das Syntagma steht, der einer kultischen Deutung widerrät: Im Rahmen der Sendungsaussage müsste man den Text so lesen, als hätte Gott seinen Sohn als Opfer „Für-die-Sünde“ gesandt (pe,myaj). Das ist ein in der Opfersprache zumindest ungewöhnliches Verb, hätte Paulus eine Form von di,dwmi oder ti,qhmi gewählt, wäre der Bezug zum Opferkult deutlicher erkennbar gewesen. Paulus würde außerdem zwei ganz unterschiedliche Motive vom gleichen Verb abhängig machen, nämlich den Gedanken der Sendung ins Fleisch und den des Opfers. Das ist schwer vorstellbar. Einen weiteren, üblicherweise nicht mit der Welt des Kultes assoziierten Gedanken formuliert der Hauptsatz in Vers 3b: Gott hat die Sünde verurteilt (kate,krinen).92 Das ist aber nicht die Wirkung eines Opfers „Fürdie-Sünde“. Der Terminus peri. a`marti,aj ist so allgemein, dass er seine Bedeutung im Kontext gewinnen muss.93 Dieser Kontext legt einen kultischen Bezug zumindest nicht nahe. Mit Klaus Haacker wird man festhalten können: „Viele Ausleger sehen in der Wendung eine Anspielung auf das alttestamentliche Sündopfer, wobei man die Kürze der Andeutung als Anzeichen nehmen muss, dass dem Apostel an der Entfaltung des Gedankens hier nichts gelegen ist“.94 Relativ wahrscheinlich greifen also nur 1 Kor 5,7 und Röm 3,25 auf Deutungen des Todes Jesu in kultischer Sprache zurück. In beiden Fällen handelt es sich wohl um Traditionen, die Paulus vorgefunden hat. An keiner der beiden Stellen veranlasst das Paulus, eine Verbindung zu kulttheologischen Gemeinde- oder Selbstbeschreibungen bzw. zu kulttheologischen Transfermodellen herzustellen. Ich werte diesen Befund als Indiz dafür, dass Paulus sich verschiedener „Sprachspiele“ bedient, um den Status des Menschen auf Gottes Seite, seinen Weg dorthin und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu beschreiben. Das kulttheologische ist eines
90
SÖDING (2005), 391. So KRAUS (1995), 191ff; SÖDING (2005), 390ff; 92 Vgl. BREYTENBACH (1989), 163f. 93 Selbst im Levitikusbuch ist nicht jedes peri. (th/j) a`marti,aj ein Opfer (vgl. Lev 4,3.28.32.35; 5,8 u.ö.). 94 HAACKER (1999), 152. 91
4. Heiligung als Ziel des neuen Handelns: Röm 6,19 und 22
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davon. Bei der Deutung des Todes Jesu spielt es für Paulus keine große Rolle.95 (Exkurs Ende)
4. Heiligung als Ziel des neuen Handelns: Röm 6,19 und 22 4. Heiligung als Ziel des neuen Handelns: Röm 6,19 und 22
Im Rahmen dieser Arbeit ist vor allem die Verwendung des Begriffs „Heiligung“ (a`giasmo,j) in Röm 6,19 und 22 von Interesse. Er erscheint geradezu als Zielpunkt der Argumentation des gesamten Kapitels.96 Dieses wendet sich zunächst der rhetorischen Frage zu, ob und wie das Beharren in der Sünde (6,1) zur neuen Existenz unter der Herrschaft der Gnade (5,21) passe, um dies sogleich vehement zu verneinen (mh. ge,noito). Zwischen Sünde und Gnade gibt es einen „radikalen Bruch“.97 Die Unvereinbarkeit von Sünde und Gnade erläutert Paulus sodann anhand der Taufe.98 Dazu deutet er die Taufe als Hineingenommenwerden in Christi Tod und Begräbnis.99 Menschen, die getauft werden, sterben mit Christus und werden mit ihm begraben. Der letzte Schritt auf diesem Weg – nämlich das Auferweckt-Werden – bleibt bis auf weiteres allein Christus vorbehalten und wird damit zum Gegenstand christlicher Hoffnung (6,5).100 Für die Gegenwart der Getauften lässt sich christliche Existenz aber bereits als „Wandel in einem neuen Leben (evn kaino,thti zwh/j)“ beschreiben (6,4). Diese neue Lebenssituation, die Teil der Bewegung vom Sterben hin zur Auferstehung ist, stellt sich Paulus zugleich als Resultat eines unumkehrbaren Herrschaftswechsels vor: Mit Christus gestorben zu sein bedeutet zugleich, von der Macht der Sünde befreit zu sein.101 Wer gestorben ist, ist tot für die Sünde (6,2.6.10.11) – und lebt für Gott (tw/| qew/|).102 So wie nun der Sterbeprozess unumkehrbar ist, so kann es für die Menschen, die „Gott (tw| qew/|) in Christus Jesus leben“ (6,11), eigentlich kein Zurück mehr in das alte
95
Vgl. FREDERIKSEN (2005), 211. In beiden Versen fungiert die Heiligung als Ziel des neuen Lebenswandels (eivj a`giasmo,n). 97 Vgl. HAACKER (1999), 126. 98 Vgl. SCHNELLE (2003), 362. 99 Ausgewähltes religionsgeschichtliches Vergleichsmaterial aus dem Bereich der Mysterienkulte nennt SCHNELLE (2003), 364f. Eine genealogische Abhängigkeit der paulinischen Vorstellungen von den Mysterien ist damit nicht gegeben, „wohl aber zeigen die Texte das geistige Umfeld an, in dem die in Röm 6,3f enthaltenen Vorstellungen gedacht und rezipiert werden konnten“ (365). 100 Zur Diskussion der Frage, ob und in welcher Weise Paulus in Röm 6,3f eine gemeindliche Tradition aufgreift und durch die Einführung eines eschatologischen Vorbehaltes korrigiert, vgl. UMBACH (1999), 239ff. 101 Vgl. UMBACH (1999), 249: „der Getaufte ist wirklich gestorben, durch die Taufe ‚in Christus’ lebt er bereits in einem Herrschaftsbereich, der sich dadurch ausdrückt, dass die Hamartia keine reale Macht mehr für den Getauften besitzt, so dass der Getaufte wirklich tw/| qew/| leben kann, seit er evn cristw/| ist“. 102 Zur kultischen Dimension dieser Wendung vgl. zu 2 Kor 2,15. 96
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Kapitel 9. Kultische Sprache im Römerbrief
Leben geben, es sei denn man begäbe sich wieder unter die Macht der Sünde und damit aus dem Bereich des Heils heraus. Diese Beschreibung des Machtwechsels eröffnet nun ethische Konsequenzen,103 die vor allem darin bestehen, dass diejenigen, die nicht mehr unter der Macht der Sünde leben, auch nicht mehr so handeln sollten, als täten sie es: Die Glieder des Leibes sollen nun nicht mehr der Sünde als Waffen der Ungerechtigkeit, sondern Gott als Waffen der Gerechtigkeit zur Verfügung gestellt werden (parasth/sai) (6,13). Für Paulus ergibt sich aus dem Vorgang des Zur-Verfügung-Stellens ein Dienstverhältnis (6,16): Wer sich der Sünde zur Verfügung stellt, macht sich zu ihrem Sklaven.104 Für Christen gilt aber: „Ihr seid von der Sünde befreit und zu Sklaven der Gerechtigkeit geworden“ (6,18).
In Vers 19 setzt Paulus erneut an, aus der soteriologischen Tatsache des erfolgten Herrschaftswechsels ethische Konsequenzen zu ziehen. Dabei betont er in zwei kurzen Argumentationsgängen den Unterschied zwischen Einst und Jetzt: Es gehört der Vergangenheit an, seine Glieder „der Unreinheit und Ungerechtigkeit“ als Sklaven zum Zweck der Gesetzlosigkeit (eivj th.n avnomi,an) zur Verfügung zu stellen. Jetzt – im neuen Leben (vgl. 6,4) – gilt: „Stellt eure Glieder der Gerechtigkeit zum Zweck der Heiligung (eivj a`giasmo,n) als Sklaven zur Verfügung“ (6,19). Insgesamt verwendet Paulus im gesamten Abschnitt fünf Mal das Verb parasth/sai, um die Christen zum praktischen Nachvollzug dessen aufzufordern, was von Gott her schon an ihnen geschehen ist: Sie leben für Gott – also sollen sie ihr konkretes Handeln auch in seinen Dienst stellen.105 Pari,sthmi hat dabei zunächst ganz profane Bedeutung, meint es doch schlicht, eine Person oder Sache jemandem für eine bestimmte Aufgabe zur Verfügung zu stellen (vgl. Mt 26,53 oder Apg 23,24). Dass dieses Verb auch eine kultische Dimension hat, wird in Röm 12,1 deutlich zutage treten. Hier steht sie sicherlich noch nicht im Vordergrund – auch wenn der Begriff der Heiligung schon in die Welt des Kultes überleitet. Man wird aber sicherlich sagen können, dass Röm 6 und Röm 12 sich gegenseitig erläutern. Was Röm 6 mit Begriffen aus dem „Dienstleistungsbereich“ sagt, erläutert Röm 12 anhand kultischer Termini. In beiden Fällen geht es um eine Entsprechung von Sein und Handeln.
Zielte das Handeln unter der Macht der Sünde auf Gesetzlosigkeit, so zielt es nun auf „Heiligung“ (a`giasmo,j) (6,19). Diese Zielformulierung ist in ihrem Kontext ebenso folgerichtig wie aufschlussreich: Die Menschen, die Gott gehören (das hat Paulus bisher mehrfach betont [6,10.11]), sollen so
103
Nach SCHNELLE (2003), 366 findet sich in Röm 6,11 der erste Imperativ des Brie-
fes. 104
Diese Aussage setzt die antike Praxis voraus, nach der man sich selbst in die Sklaverei verkaufen konnte (Belege dafür bei HAACKER [1999], 132). 105 Das meint die Rede von den Gliedern des Leibes: Sie sind es, womit der Mensch konkret handeln kann. B ARTH (1922), 191 spricht zutreffend vom „psychischphysischen“ Organismus des Menschen (vgl. auch HAACKER [1999], 130).
4. Heiligung als Ziel des neuen Handelns: Röm 6,19 und 22
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handeln, dass sie umsetzen, was ihrem Status entspricht (6,13).106 Ihr Handeln zielt darum auf „Heiligung“, weil sie schließlich Gott gehören, m. a. W.: weil sie heilig sind. Die Verse 20ff legen nun noch einmal den Akzent auf den schon genannten Aspekt des Dienst- bzw. Eigentumsverhältnisses: Die Adressaten waren früher Sklaven der Sünde und sind jetzt Sklaven Gottes. Da sich der Übergang von einem in das andere Dienstverhältnis als Akt der Befreiung ausnimmt, lässt er sich auch unter dem Vorzeichen der Freiheit beschreiben. Das bedeutet im Blick auf den vergangenen Status der Adressaten, dass sie früher frei waren von der Gerechtigkeit. Jetzt aber sind sie frei von der Sünde. Auch den Bogen zur Ethik schlagen diese Verse, indem sie nach dem Resultat des sich aus dem jeweiligen Status ergebenden Handelns fragen: In der Vergangenheit zeitigte das Tun Ergebnisse, derer sich die Angesprochenen jetzt schämen, in der Gegenwart tragen die Resultate des Tuns zur Heiligung bei – also zur tätigen Übereignung des Lebens an Gott. Damit ist aber noch nicht alles gesagt, denn auch für die Zukunft der Handelnden hat ihr Tun in der Gegenwart Konsequenzen. Unter den Vorzeichen der – für Christen vergangenen – Herrschaft der Sünde war die letzte Konsequenz des Handelns der Tod, in der Gegenwart ist es das ewige Leben. Das bringt Vers 23 zusammenfassend auf den Punkt. Dabei ist es für die paulinische Argumentation bezeichnend, dass er die Sünde und Gott, als die jeweiligen Herren und Besitzer des Menschen nicht einfach parallel setzt: Es ist nicht so, dass die Sünde und Gott in gleicher Weise einen Lohn auszahlen. Um verdienten Lohn bzw. Sold (ovyw,nion) handelt es sich bei dem, was der Mensch empfängt, der in einem Dienstverhältnis zur Sünde steht. Wer aber Gott dient, empfängt gerade keinen Lohn, sondern ein Geschenk (ca,risma). Damit trägt Paulus zum einen der Tatsache Rechnung, dass er die Rettung des Menschen allein auf das Gnadenhandeln Gottes in Christus zurückgeführt hat (ab 3,24).107 Zum anderen entspricht diese Formulierung genau der Argumentation im AdamChristus Vergleich (Röm 5,12ff). Hier ist es ja auch nicht so, dass Adam und Christus sich gleichgewichtig gegenüberstünden. Mit Christus und den Folgen des mit ihm verbundenen Geschehens verbindet sich vielmehr ein Überschuss: Menschen empfangen keinen Lohn, sondern „die Übermacht der Gnade und das Geschenk des Lebens“ (5,17).108 Bei der Gnade handelt es sich um eine „überreiche Gabe“, die sich nicht nur
106
Auch hier zeigt sich eine Entsprechung zwischen der Argumentation in Röm 6 und Röm 12,1f. 107 Vgl. HAACKER (1999), 135: „Es geht bei aller Betonung der ethischen Dimension des Christseins nicht darum, das ewige Leben nun doch (gegen das in 4,3 Gesagte) zu verdienen…“. 108 Übersetzung K. HAACKER (1999), 117.
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Kapitel 9. Kultische Sprache im Römerbrief
nicht in menschlichen Dimensionen von Tun und Ergehen einfangen lässt,109 sondern die auch stärker als diese sein muss, um sie zu überwinden.110
Im Rahmen dieser Arbeit haben wir mehrmals beobachten können, dass Paulus Heiligungs- und Gerechtigkeitsterminologie parallel zueinander gebraucht (so z. B. in 1 Thess 2,10; 1 Kor 1,30; 6,11; 2 Kor 6,14ff). Das ist auch in diesem Abschnitt wieder der Fall, weshalb ich die Verse 19ff unter diesem Aspekt noch einmal in den Blick nehmen möchte. In Vers 19 kontrastiert Paulus zunächst in nahezu identischen Formulierungen Unreinheit und Gesetzlosigkeit auf der einen Seite mit Gerechtigkeit und Heiligung auf der anderen:111 VAnqrw,pinon le,gw dia. th.n avsqe,neian th/j sarko.j u`mw/nÅ w[sper
ga.r paresth,sate ta. me,lh u`mw/n dou/la th/| avkaqarsi,a| kai. th/| avnomi,a| eivj th.n avnomi,an(
ou[twj
nu/n parasth,sate ta. me,lh u`mw/n dou/la th/| dikaiosu,nh| eivj a`giasmo,nÅ
Vers 19ba stellt einen Zusammenhang zwischen Unreinheit (vgl. dazu auch 1,24 [Abschnitt 2]) und Sünde her, wie man ihn auch in Qumran hätte aufzeigen können.112 In Entsprechung dazu verbindet 19bb Gerechtigkeit und Heiligung so miteinander, dass die Knechtschaft im Dienst der Gerechtigkeit auf Heiligung zielt. Kultische und ethische Begrifflichkeit ergänzen und erläutern sich so gegenseitig. Die folgenden Verse sind ähnlich parallel gebaut: o[te ga.r dou/loi h=te th/j a`marti,aj(
evleu,qeroi h=te th/| dikaiosu,nh|Å
ti,na ou=n karpo.n ei;cete to,teÈ evpaiscu,nesqe( to. ga.r te,loj evkei,nwn qa,natojÅ
*
evfV
oi-j
nu/n
nuni. de. evleuqerwqe,ntej avpo. th/j a`marti,aj doulwqe,ntej de. tw/| qew/| e;cete to.n karpo.n u`mw/n eivj a`giasmo,n( * to. de. te,loj zwh.n aivw,nionÅ 109
Vgl. ZELLER (1990), 157. Vgl. HAACKER (1999), 120f. Zur Illustration schreibt er (121): „Dass ein einziger Mensch viele andere ins Verderben reißen konnte, ist für Paulus offenbar leichter vorstellbar, als die Umkehrung dieses Prozesses, die Überwindung der Breitenwirkung der Sünde (so wie die Ausrottung einer Seuche schwerer ist als ihre Entstehung und Ausbreitung oder die Beseitigung einer Ölpest schwerer als ihre Verursachung)“. 111 Es zeigt sich wieder deutlich, dass Paulus keine Profanität mehr kennt. 112 Vgl. Kapitel 2, 2.1.3. 110
4. Heiligung als Ziel des neuen Handelns: Röm 6,19 und 22
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Knechtschaft und Freiheit bzw. Befreiung und Versklavung werden hier chiastisch einander gegenüber gestellt: Entweder man ist Sklave Gottes oder Sklave der Sünde, entweder man ist befreit von Sünde oder frei von Gerechtigkeit.113 Noch eine weitere Beziehung wird in diesem Geflecht sichtbar, nämlich das Gegenüber von Beschämung und Heiligung.114 Syntaktisch handelt es sich dabei um keine direkte Antithese: Angesichts der Ergebnisse, die das Tun des Menschen unter der Macht der Sünde zeitigte, empfindet der Mensch, der inzwischen im Machtbereich Gottes lebt, nur Scham. Wir erfahren nicht, welche Empfindungen der Mensch im Machtbereich Gottes angesichts seines Tuns verspürt, dafür nennt Paulus das Ziel dieses Tuns, nämlich die Heiligung. Umgekehrt schweigt Paulus hier über das Ergebnis des menschlichen Handelns in der Vergangenheit. Den ersten Leserinnen und Lesern des Briefes wird es leicht möglich gewesen sein, diese (im Text mit * markierten) Leerstellen auf dem Hintergrund der Informationen, die der Brief selbst liefert, auszufüllen.115 In Röm 1,24 war Unreinheit Konsequenz menschlichen Begehrens und Ergebnis des konkreten Handelns (vgl. auch V.19). Dafür schämt sich der Mensch, dessen Handeln nun auf Heiligung zielt. Nach antiker Logik wäre der Gegenbegriff zur Scham die Ehre.116 Diese fehlte dem Menschen vor seiner Existenzwende (vgl. 3,23). Wir dürfen voraussetzen, dass Menschen, die nicht mehr unter den früheren Bedingungen leben, ihr gegenwärtiges Verhalten 113 Hier zeigt sich wieder die Unvereinbarkeit von Sünde und Zugehörigkeit zu Gott, um die es seit der Eingangsfrage 6,1 ging. Sie entspricht den scharfen Grenzziehungen zwischen heiligem und ungerechtem Bereich, die Paulus im 1 Kor vorgenommen hat (vgl. Kapitel 5, 5 und 6). Im Blick auf den vorliegenden Text fällt auf, dass Gott und Gerechtigkeit jeweils Gegenbegriffe zur Sünde sind (vgl. 6,13.22.23 Gegensatz Sünde / Gott; 6,18.20 Gegensatz Sünde / Gerechtigkeit). Diesen Befund wertet KÄSEMANN (1973), 174 dahingehend aus, dass Gerechtigkeit als Gabe nicht vom Geber getrennt werden dürfe. Für UMBACH (1999), 257 sind beide Synonyme: „Gott, der sich als dikaiosu,nh erweist, indem er den Getauften gnädig von der Macht der Hamartia befreit und in den Machtbereich seiner dikaiosu,nh gestellt hat, ist der Gegenbegriff zu h` a`marti,a, die damit ihrerseits als widergöttliche Macht, ja Gegenspielerin Gottes erscheint […]“. 114 Dies ist vor dem Hintergrund der von uns gesichteten Texte aus den religiösen Kontexten des Paulus und seiner Adressaten eine singuläre Verbindung. Heiligkeit und Scham sind üblicherweise keine Antonyme und werden auch nicht miteinander in Verbindung gebracht. Paulus spricht vom „Mangel an Ruhm / Ehre“ in 3,23 als der Konsequenz des Sündigens. Er bezeichnet damit also den Status des Unheils und Von-Gottgetrennt-Seins. Damit entsteht eine strukturelle Parallele zur Unreinheit, die den gleichen Sachverhalt benennt. Beide „Konzepte“ stehen aber (anders als Heiligung und Rechtfertigung) nicht direkt beieinander. 115 Der Aussageduktus wäre dann folgender. Früher: Frucht zielt auf Unreinheit – Heute Scham. Jetzt: Frucht zielt auf Heiligung – Heute Ehre. 116 Vgl. zum Stand der Diskussion um dieses von Bruce Malina entworfene Modell LAWRENCE (2003), 7ff.
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Kapitel 9. Kultische Sprache im Römerbrief
als ehrenvoll erfahren (vgl. Röm 13,13; 1 Kor 14,40; Phil 4,8; 1 Thess 4,12).
5. Die heilige und gerechte Tora: Röm 7,12 5. Die heilige und gerechte Tora: Röm 7,12
Im Konzert der vielfältigen Aussagen des Apostels zur Tora,117 auf die ich im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingehen kann, gilt diese neben 7,14 gemeinhin als die positivste. Paulus weist mit allem Nachdruck den Gedanken zurück, die Tora könne mit der Sünde identifiziert werden, weil es einen Zusammenhang zwischen den wie schon in 1,24 negativ bewerteten Begierden und den Geboten der Tora gebe. Paulus hält vielmehr fest, dass das Gesetz „heilig“ und das Gebot „heilig, gerecht und gut“ sei. Die Tora gehört also ganz auf die Seite Gottes.118 Vor dem Fragehorizont dieser Untersuchung fällt besonders auf, dass die Adjektive „heilig“ und „gerecht“ wieder einmal nebeneinander stehen (vgl. so z. B. auch in 1 Thess 2,10; 1 Kor 1,30; 6,11; 2 Kor 6,14ff; Röm 6,19ff). Gemeinsam mit den Adjektiven avgaqo,j und pneumatiko,j (7,14) weisen sie die Tora als uneingeschränkt positiv und auf die Seite Gottes gehörend aus.
6. Die Einwohnung des heiligen Geistes: Röm 8,9ff 6. Die Einwohnung des heiligen Geistes: Röm 8,9ff
In diesen Versen findet sich gleich mehrfach das Wohnmotiv, das uns in 1 Kor 3,16 als sachlicher Grund für die Anwendung des Tempelmotivs auf die Gemeinde begegnet ist.119 Der Aussage „wenn denn der Geist Gottes in euch wohnt (oivkei/ evn u`mi/n)“ kommt im Argumentationsgang von 8,1–11 größte Bedeutung zu. Nur wenn die darin genannte Bedingung zutrifft, wovon Paulus ausgeht,120 117
Vgl. dazu SANDERS (1995), 110ff; DUNN (2003), 128ff; SCHNELLE (2003), 579ff. Vgl. GIESEN (2005), 202ff. 119 Vgl. den Exkurs in Kapitel 5, 3. 120 Die Konjunktion ei;per leitet in Röm 3,30 und 8,17 jeweils einen Konditionalsatz ein, dessen Bedingung ein hoher Grad an Gewissheit eigen ist. Gleiches gilt auch von den Belegen in den anderen paulinischen Briefen: Es gibt gewiss viele, die Götter genannt werden (1 Kor 8,5). Wir sind Lügner, wenn es denn gewiss ist, dass die Toten nicht auferstehen (1 Kor 15,15). Die Adressaten werden also in Röm 8,9 auf eine ihnen gewisse Tatsache angesprochen (so auch 1 Kor 3,16 und 1 Kor 6,19). Sie wissen, dass der Geist Gottes in ihnen wohnt, und darum gelten ihnen die davon abhängigen Aussagen. U. W ILCKENS (1987), 131 weist darauf hin, dass der Geistempfang im Urchristentum „integrales Element der Taufe“ ist. So gewiss also den Adressaten ihr Getauftsein ist, so gewiss ist es ihnen bzw. kann es ihnen sein, dass der Geist in ihnen wohnt, und sie darum zu Chris118
6. Die Einwohnung des heiligen Geistes: Röm 8,9ff
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dürfen die Adressaten die im Vorangehenden gemachten positiven Aussagen auf sich beziehen, sonst gelten ihnen dem streng dualistischen Aufbau des Textes entsprechend die negativen.121 Das Wohnen des Geistes Gottes erscheint überhaupt als positives Gegenbild zum Wohnen der Sünde (Röm 7,17.20). Wenn also der Geist Gottes in den Gläubigen wohnt, leben sie tatsächlich nicht mehr „im Zeichen des Fleisches“.122 Stattdessen leben sie in einem intakten Verhältnis zu Gott, sie gefallen ihm (8,8), können dem Gesetz gehorsam sein und sind nicht mehr Gottes Feinde (8,7). Ihre Zugehörigkeit123 zum Geist bringt Leben und Frieden (8,6). Christologisch gewendet heißt das, dass sie zu Christus gehören (8,9) und Christus in ihnen ist (8,10). Dass es sich beim Wohnmotiv in 8,9 tatsächlich um den Dreh- und Angelpunkt der gesamten Argumentation handelt, zeigt sich, wenn man ihren Abschluss in Vers 11 betrachtet. Hier wird das gleiche Motiv wieder aufgegriffen und zum Grund der Hoffnung auf die Auferweckung gemacht: „Wenn aber der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, dann wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt“. Paulus verbindet das Motiv vom Wohnen des Geistes Gottes in den Glaubenden hier nicht mit dem Tempelmotiv, wie er es in 1 Kor getan hat. Das zeigt, dass beide Motive unabhängig voneinander gebraucht werden können. Im Vordergrund steht hier die Antithese vom Wohnen der Sünde (7,17ff) und vom Wohnen des Geistes. Von daher ist es fraglich, ob das Wohnmotiv hier überhaupt kultische Konnotationen trägt. Abgesehen davon verbanden sich mit dem Tempelmotiv in stärkerem Maße ethische Impulse,124 die in Röm 8 zunächst nicht so sehr im Vordertus gehören. Nach Apg 8,15ff und 10,44ff ist der Geistempfang jedoch eine eigenständige Erfahrung, die nicht an die Taufe gebunden ist. Der Verweis auf die Taufe ist also nicht unbedingt nötig. 121 Diese zielen letztlich auf den Tod (8,6). Sachlich setzen sie fort, was Paulus in Röm 7 beklagt hat (zum Verhältnis von Röm 7 und 8 vgl. K RAUS [1991], 191 und ausführlich W ILCKENS [1987], 118f). Wer also nicht von sich sagen kann, dass der Geist Gottes in ihm wohnt, ist noch in dem Problemgeflecht gefangen, das Röm 7 aufgezeigt hat. 122 Die Übersetzung stammt von K. H AACKER (1999), 149, der sie u.a. damit begründet, dass die Wendung evn sarki, formal astrologischen Aussagen entspreche. „Dabei kann es sowohl um Schicksale als auch um Begabungen oder ‚Tugenden’ gehen, die sich aus der Zugehörigkeit zu einem Sternzeichen […] ergeben.“ 123 „Fronei/n ta, tinoj bedeutet ‚in einem Konflikt auf jemandes Seite stehen’“ (HAACKER [1999], 153 unter Berufung auf B AUER / ALAND, 1727). 124 In antiker kultischer Logik ist das konsequent. Wo es einen Tempel gibt, stellt sich automatisch die Frage, wie man sich dort verhalten soll und wie dieser vor der Profanierung zu schützen ist.
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Kapitel 9. Kultische Sprache im Römerbrief
grund stehen.125 An allen Stellen, an denen Paulus das Tempelmotiv auf die Gemeinde oder auf den Leib der Christen anwandte, zog er daraus Konsequenzen für das Verhalten.
7. Paulus als Weihegabe zugunsten Israels: Röm 9,3 7. Paulus als Weihegabe zugunsten Israels: Röm 9,3
Der feierliche Wunsch, den Paulus in Röm 9,3 äußert („huvco,mhn ga.r avna,qema ei=nai auvto.j evgw. avpo. tou/ Cristou/“), hat schon den altkirchlichen Auslegern Schwierigkeiten bereitet. Kein geringerer als Johannes Chrysostomos fragt: „Was sagst du, Paulus? Von Christus, den du so sehr liebst, von dem dich (wie du sagtest) weder Himmel noch Hölle, weder Sichtbares noch Geistiges noch irgend etwas Anderes soll scheiden können, von dem wünschest du nun weg anathema zu sein? Was ist da geschehen? Bist du anderen Sinnes geworden? Hast du deine frühere Liebe aufgegeben?“.126 Im Rahmen dieser Arbeit kann es nicht darum gehen, die von Chrysostomos aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Es könnte aber sein, dass sich aus der kulttheologischen Perspektive, die hier durchgehend verfolgt wird, die Vorstellungswelt, die hinter der Wendung „avna,qema ei=nai […] avpo. tou/ Cristou/“ steht, erschließt. Der Begriff avna,qema ist in der Welt des Kultes beheimatet. Es meint im allgemeinen Griechisch das im Tempel aufgestellte Weihgeschenk (z. B. Herodot 1,14 [vgl. auch Lk 21,5]). In der LXX hat es zunächst die gleiche Bedeutung (Lev 27,28).127 Da die im hebräischen Text als Äquivalent vorliegende Wurzel ~rx aber sehr häufig in der Bedeutung „einen Bann vollstrecken“ – also vollständig vernichten – begegnet (Num 21,3; Jos 6,21 [ausgeführt in 6,24] u. ö.), erfährt die griechische Übersetzung eine Bedeutungserweiterung (das Verfluchte [vgl. Bauer / Aland s.v.]), die allerdings auf die unter dem Einfluss der LXX stehende Literatur beschränkt bleibt.128 125
Die ethische Dimension ist auf der Makroebene allerdings deutlich präsent, wenn denn Röm 8 „die Frage nach dem Ethos“ aufnimmt, „das sich aus dem Evangelium (in seiner paulinischen Deutung von der Rechtfertigung sola fide/sola gratia) ergibt (vgl. 6,1–7,6)“ (HAACKER [1999], 150). Auf das Verhalten zielt 8,4 (peripatei/n), aber auch das Verb frone,w (8,5f) hat eine Gesinnung im Blick, die dem Handeln Orientierung gibt. Auf das Tun, das sich aus dem neuen Sein ergibt, zielen auch die Verse 12ff. 126 Johannes Chrysostomos, Kommentar zum Römerbrief, 17. Homilie (Übersetzung J. Jatsch). 127 Das dazugehörige Verb avnati,qhmi hat die eigentliche Bedeutung „in einem Heiligtum aufstellen“ deutlicher bewahrt (vgl. 1 Sam 31,10; 2 Sam 6,17). 128 Bei Paulus findet sich das Wort in 1 Kor 12,3; 16,22; Gal 1,8.9. Die Erklärung des Chrysostomos nimmt ihren Ausgang bei den paulinischen Stellen und definiert avna,qema
7. Paulus als Weihegabe zugunsten Israels: Röm 9,3
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In der Auslegung von Röm 9,3 herrscht nun ein großer Konsens hinsichtlich der Überzeugung vor, dass sich Paulus, wenn er von avna,qema spricht, an der Spezialbedeutung des Wortes in der Tradition der LXX orientiert: „Paulus knüpft an den Sprachgebrauch der Septuaginta an und erklärt seine Bereitschaft, dem Vertilgungsfluch zu verfallen, wenn er dadurch sein Volk retten kann“.129 Als Bedeutung wird dann „verflucht“ bzw. „verbannt“ angenommen.130 Der Ausdruck „avna,qema ei=nai auvto.j evgw.“ erfährt Röm 9,3 nun durch „avpo. tou/ Cristou/“ eine nähere Bestimmung. Diese wird zumeist so gedeutet, dass mit avpo, „der Bereich angegeben“ wird, „aus welchem Paulus verbannt zu sein wünschte“.131 Einen weiterführenden Hinweis auf den hier vorausgesetzten Gebrauch der Präposition bietet Fitzmyer: „apo is used to express separation or alienation“,132 wobei er sich auf einen Eintrag in der Grammatik des neutestamentlichen Griechisch von Blass / Debrunner / Rehkopf beruft. In § 211.2 heißt es dort im Blick auf Röm 9,3: „Die Abwendung bezeichnet avpo, in manchen nicht unmittelbar aus der klass(ischen) Sprache belegbaren Redeweisen namentlich des Paulus.“ Auf dem Hintergrund des klassischen (und man darf vorgreifend ergänzen: des üblichen) Griechisch erschließt sich der Sinn des Satzes also nicht unmittelbar, denn „verflucht / verbannt sein von / weg“ wird sonst nirgends so gesagt. Das Problem verschärft sich, wenn man die Stellen in der griechischen Literatur untersucht, an denen das Verb avnati,qhmi bzw. das Nomen avna,qema zusammen mit der Präposition avpo, begegnet. Mit avpo, wird dort nämlich in aller Regel die Größe bezeichnet, aus der heraus eine Weihegabe dargebracht wird. Zumeist handelt es sich dabei um im Krieg erbeutetes Gut (vgl. Pausanias, 5.24.7; Herodot 1.51; 5.59; Dion.Hal.ant. 2.54.2; Demosthenes, In Neaeram 97.4) oder um die finanziellen Mittel, die die Errichtung z. B. eines Tempels ermöglichen (Appian, civ. 2.4.26). Damit stellt sich aber die Frage, ob die Leserinnen und Leser des Paulus – oder gar Paulus selbst – diese Wendung so eindeutig im Sinne des oben beschriebenen Forschungskonsenses verstanden haben. Schließlich ist die Nuance „verflucht“ oder „verbannt“ dem üblichen Griechisch fremd und die Präposition avpo, lenkt das Verständnis in eine völlig andere Richtung. als Isolierung aus der Gemeinde. Er fährt dann fort: „So wie es bei einer für Gott aufgestellten Weihegabe niemand wagen würde, sie einfach mit den Händen zu berühren oder ihr nahe zu kommen, so verhält es sich auch mit dem, der von der Kirche getrennt ist“. 129 MICHEL (1978), 293. 130 So ZAHN (1910), 429; LIETZMANN (1971), 88; KÄSEMANN (1974), 247; LOHSE (2003), 266. 131 ZAHN (1910), 429 und die in der vorangehenden Anmerkung genannten Kommentatoren. 132 FITZMYER (1993), 544.
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Ein gewisses Unbehagen angesichts der gängigen Interpretation der hier zur Debatte stehenden Wendung merkt man den Kommentaren von O. Michel und J.D.G. Dunn an, die mehr oder weniger vorsichtig für beide Elemente eine eigenständige Interpretation vorschlagen: „Das paulinische Angebot spricht sowohl vom Verbanntsein […] als auch von der Trennung vom Messias“.133 Paulus mache also zwei Aussagen, die grammatikalisch nicht miteinander verbunden seien. Damit wäre das Problem, das die von Blass / Debrunner / Rehkopf als nicht klassisch bezeichnete Verbindung von avna,qema und avpo, stellt, in gewisser Weise umgangen. Die Schwierigkeit, dass wir Paulus und vor allem seinen nichtjüdischen Leserinnen und Lesern eine sehr spezielle Verwendung eines sonst völlig eindeutigen Begriffs zutrauen müssen, bleibt allerdings bestehen.134 Sie kann man vermeiden, wenn man, wie in jüngster Zeit K. Haacker vorgeschlagen hat, avna,qema in seinem klassischen Sinn als Weihegabe versteht. Haacker übersetzt: „selbst als Person hingeopfert zu werden von Christus für meine Brüder“.135 Es gehe Paulus um eine stellvertretende „Lebenshingabe […], deren Logik mit dem Sühnetod Christi vergleichbar“ sei.136 Die Vorstellung, dass der Tod eines Menschen für andere positive Auswirkungen haben kann, ist sowohl jüdisch als auch griechisch-römisch bezeugt. Für das Judentum sei auf die Traditionslinie von 2 Makk 7,38 hin zu bMQ 28a verwiesen. In der nichtjüdischen Antike galten u. a. Herakles, die Töchter des Erechtheus oder Iphigenie als Menschen, die in den Tod gegangen sind, um für ihr Gemeinwesen Gutes zu bewirken (vgl. Cicero, Tusc. 1,32.89.101.116).137 In Rom überlieferte man ähnliches von Cato („Mein Blut erlöse die Bürgerschaft, mit meinem Tod sei alles abgebüßt, was Roms Entartung an Strafen verdiente“),138 oder den Deciern: „Ein Decius weihte sein Leben dem Vaterlande (se pro re publica devovit): er gab seinem Pferd die Sporen, suchte den Tod und stürzte sich mitten unter die Feinde. Der junge Decius, dem Vater gleich an Tapferkeit, sprach die fei-
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MICHEL (1978), 293 (Hervorhebung von mir). Vgl. auch DUNN (1988), 531. Auch diese Schwierigkeit ist nicht unüberwindbar. Die übrigen Stellen, an denen Paulus avna,qema gebraucht, stehen alle in der Tradition des LXX Gebrauches. Ein Satz wie „Wer den Herrn Jesus nicht lieb hat, der sei eine Weihegabe“ dürfte sich griechischen Hörerinnen und Hörern nicht unmittelbar erschlossen haben. Aus dem Kontext geht aber immer eindeutig hervor, dass Paulus eine ausgesprochen negative Aussage macht. 135 HAACKER (1999), 179. 136 HAACKER (1999), 181. Dass Paulus hier in kultischen Kategorien denkt, wird für Haacker durch den Gebrauch des Verbs eu;comai (geloben) noch wahrscheinlicher. 137 Weiteres bei KARRER (1998), 111ff. 138 Lucan. 2,312f (zitiert nach HAACKER [1999], 91, Anm. 40). 134
7. Paulus als Weihegabe zugunsten Israels: Röm 9,3
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erliche, familienhaft vertraute Weiheformel (verbis) und stürzte sich in das dichteste Kampfgewühl“ (Seneca, epist. 7,67,9).139 Jüdischen und römischen Leserinnen und Lesern wäre also der Gedanke ohne weiteres nachvollziehbar, dass Paulus zugunsten seiner jüdischen Stammesgenossen auf sein Leben verzichten will, und es darum Gott als Weihegabe übereignet.140 Diese Deutung hat den Vorteil, dass sie der Grundbedeutung des Wortes avna,qema gerecht zu werden vermag. Wie aber fügt sich dazu die folgende Wendung avpo. tou/ Cristou/? Folgte man dem üblichen Sprachgebrauch, wie er sich in den oben genannten paganen Texten spiegelt, so wäre Christus die Größe, aus der heraus Paulus als Weihgabe herausgenommen würde. Ist eine solche Auslegung vorstellbar? Dies versuche ich im Folgenden zu zeigen, indem ich einmal einen eher ekklesiologischen und einmal einen eher christologischen Akzent setze: Für Paulus stellt die Gemeinschaft aller, die zu Christus gehören, nach 1 Kor 12,12ff Christus dar: Mit Christus verhält es sich wie mit einem Leib, der viele Glieder hat und doch einer ist (1 Kor 12,12). Menschen mit unterschiedlichen Charismen und unterschiedlicher Herkunft sind in einen Leib hinein getauft (V.13), ja sie sind „Leib Christi“. J. Roloff hat sicherlich Recht, wenn er davor warnt, in 1 Kor 12 „die fertige Vorstellung von der Kirche als Christusleib“ vorausgesetzt zu finden. Die Beschreibung dient ja in der Tat nicht in erster Line dazu, eine Aussage über das Wesen der Kirche zu machen, sondern dazu, unterschiedliche Charismen im Blick auf das Ganze der Gemeinde zu würdigen.141 Aber um dies zu erreichen, macht Paulus eben doch eine Aussage über die Gemeinde und ihr Verhältnis zu Christus. Man darf davon ausgehen, dass Paulus hier das Motiv vom „InChristus-Sein“ aufgreift, und es weiterführt. In Röm 12,5 ist dies noch deutlicher, dort sind die Christen „ein Leib in Christus“.142 Das könnte man als Indiz dafür werten, dass dieser Vorstellungsbereich für Paulus bedeutsamer war, als die expliziten einschlägigen Äußerungen vermuten lassen. Selbst wenn „die für alle ekklesiologischen Aussagen grundlegende Gleichsetzung der Gemeinde mit dem Leib Christi […] sich explizit nur in 1 Kor 12,27“ findet,143 könnte sie auch anderen Texten zugrunde liegen.144 139 Zitiert nach der Übersetzung von Glaser-Gerhard. Zu jüdischen und paganen Vorstellungen von der stellvertretenden Lebenshingabe vgl. VAN HENTEN (2005), 139ff und VERSNEL (2005), 213ff. 140 Schon die altkirchliche Auslegung sieht hier eine Parallele zu Ex 32,32 und der Bitte des Mose (vgl. Origenes, Römerbriefkommentar z. St.). 141 Vgl. ROLOFF (1993), 108. 142 DUNN (2003), 549 weist darauf hin, dass die Terminologie noch frisch und nicht festgelegt war. 143 SCHNELLE (2003), 649.
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Kapitel 9. Kultische Sprache im Römerbrief
Das gilt umso mehr, wenn man die Abhängigkeit vom Motiv des „InChristus-Seins“ in Rechnung stellt, das bei Paulus zu den zentralen Beschreibungen christlicher Existenz gehört.145 Was Gemeinde ist und wie ihre Glieder interagieren sollen, bestimmt Paulus also christologisch. Umgekehrt bekommt die Christologie dadurch auch ein ekklesiologisches Gefälle:146 Christus nimmt Gestalt auf die Gemeinde hin an. Die christologisch akzentuierte Auslegung ist noch einfacher zu beschreiben. Christus ist der Lebensraum, in dem Paulus – wie die übrigen Christen auch – existiert (evn cristw|/).147 Aus diesem Lebensraum heraus würde Paulus dann als Weihegabe genommen werden. Wenn dieser in aller Kürze dargestellte Grundzug in der paulinischen Verhältnisbestimmung von Christus und den Gläubigen zutrifft, dann ließe sich die Wendung „avna,qema ei=nai […] avpo. tou/ Cristou/“ tatsächlich so verstehen, dass Paulus aus (dem als Gemeinde existierenden) Christus herausgenommen148 und als Weihegabe Gott übereignet zu werden wünscht, mit der Perspektive, dass dieser Opfervorgang positive Konsequenzen für Israel hätte. Auf dem Hintergrund des gemeinantiken Sprachgebrauchs von avna,qema mit avpo, lässt sich also der gesamte Vers 9,3 verhältnismäßig bruchlos deuten. Paulus verwendet ein Bild aus der (paganen) Kultsprache um seinem Wunsch nach Heil auch für die Juden, die nicht an Christus glauben, Ausdruck zu verleihen. Die hier vorgeschlagene Deutung vermeidet auch die Schwierigkeiten, mit denen andere Auslegungen des avpo. tou/ Cristou/ behaftet sind. Ich bespreche sie kurz: Das avpo, ließe sich als Bezeichnung des Urhebers der Handlung deuten, dann wäre Christus derjenige, der Paulus als Weihegabe darbringt.149 Diese Deutung wird möglicherweise von einem Teil der Handschriften vorausgesetzt, denn im Codex Claromontanus und im Codex Boernerianus findet sich anstelle des avpo, ein u`po,, das recht eindeutig auf den Urheber der Handlung verweist. Dieser Gedanke wäre im Corpus Paulinum allerdings singulär. Zwar versteht sich Paulus auch sonst als Opfer (vgl. zu Phil 2,17ff), aber Christus ist nirgends derjenige, der dieses Opfer bringt. Es ist vielmehr Paulus, der seine Lebensführung und seinen apostolischen Dienst als Opferhandlung beschreibt, die er selbst vollzieht (vgl. Röm 12,1f; 15,16). Bliebe noch die Möglichkeit, avpo. tou/ Cristou/ zu isolieren. Paulus würde dann in Erwägung ziehen, auf seine Bindung an Christus um seiner jüdischen Blutsverwandten 144
SCHNELLE (2003), 649 nennt: 1 Kor 1,13; 6,15f; 10,17; Röm 12,4. Vgl. DUNN (2003), 397f. 146 SCHNELLE trifft wahrscheinlich das Richtige, wenn er schreibt: „Es gibt den erhöhten Christus nicht ohne seinen Leib“ (650). 147 Vgl. dazu Kapitel 5, 1. 148 Den Gedanken der Trennung betont auch Chrysostomos (vgl. oben Anm. 74 und 76). 149 In diese Richtung scheint Haackers Auslegung zu gehen (HAACKER [1999], 179). 145
8. Der heilige Teig – Eine Spur pharisäischen Denkens: Röm 11,16
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willen zu verzichten: „Ich wünschte selbst eine Weihegabe (und) von Christus (getrennt) zu sein zu Gunsten meiner Brüder…“.150 Das Problem, das diese Deutung aufwirft, zeigt sich in den von mir in Klammern zugefügten Ergänzungen einer Konjunktion und eines Verbs. Paulus selbst trennt die beiden Ausdrücke avna,qema ei=nai auvto.j evgw. und avpo. tou/ Cristou/ nicht voneinander. Beide Wendungen gehören also syntaktisch zusammen und sollten auch zusammen erklärt werden können.151
Im Blick auf diesen Vers wird man also festhalten können, dass in der Forschung im Prinzip nur eins unumstritten ist: Paulus ersehnt etwas Positives für die Juden, die nicht zu Christus gehören. Das ergibt sich aus der mit der Präposition u`pe,r eingeleiteten Wendung. Welches Geschehen nun genau dazu führt, ist Gegenstand der Diskussion: Denkt Paulus an eine stellvertretende Lebenshingabe seinerseits, die ihn gleich einer Weihegabe aus (dem kollektiven) Christus herausnimmt? Oder ist es vielleicht sogar Christus selbst, der diese Weihegabe darbringt? Denkt Paulus an eine Trennung von Christus oder an einen Bann? Diese Rezeptionsmöglichkeiten eröffnet der Wortlaut des Textes. Zugunsten der hier favorisierten Deutung (avna,qema = Weihegabe, avpo, = Entität, aus der heraus die Weihegabe dargebracht wird) kann aber doch soviel gesagt werden, dass sie dem üblichen griechischen Sprachgebrauch entspricht und den syntaktisch zusammenhängenden Satz auch als solchen zu erklären vermag: Paulus denkt an ein (fiktives) Herausgenommen-und-geopfert-Werden aus dem Heilsraum der Gemeinde bzw. aus Christus heraus. Dieses Opfer kommt den Juden zugute, die nicht an Christus glauben.
8. Der heilige Teig – Eine Spur pharisäischen Denkens: Röm 11,16 8. Der heilige Teig – Eine Spur pharisäischen Denkens: Röm 11,16
In diesem Vers verwendet Paulus mit avparch, und a[gioj kultische Termini, um in zwei parallel gebauten Sätzen Aussagen über das Schicksal der Juden zu machen, die nicht an Christus glauben. Zunächst behauptet er: „Wenn der Erstling heilig ist, dann (ist es) auch der (ganze) Teig“. Nähern wir uns der Bildwelt von Vers 16a, indem wir zunächst danach fragen, wie Paulus den Begriff avparch, jenseits unserer Stelle gebraucht. Er begegnet noch in Röm 8,23; 16,5; 1 Kor 15,20.23; 16,15: 150 Zur Beurteilung des Realitätsgehaltes der paulinischen Aussage vgl. HAACKER (1999), 181; W ILCKENS (1987), 186. 151 Die eingangs von Chrysostomos benannte Schwierigkeit, die sich aus der Spannung von 9,3 zu 8,38f ergibt, kann auch diese Deutung nicht lösen. Man wird sie am besten so auswerten, dass der Wunsch, den Paulus hier äußert, insgesamt einen irrealen Charakter hat: „Ich wünschte – was freilich nicht möglich ist – eine Weihegabe zu sein…“. Den einzig möglichen Weg zur Rettung Israels entwickelt Paulus im Verlauf von Röm 9–11 (vgl. zum Argumentationsduktus H OFIUS [1989], 178ff).
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Kapitel 9. Kultische Sprache im Römerbrief
In 1 Kor 15 ist Christus der „Erstling der Entschlafenen“. Er ist der erste, an dem sich das vollzogen hat, was den übrigen Verstorbenen noch bevorsteht, nämlich die Auferweckung. Die avparch, hat also den Charakter eines Modells, an dem man repräsentativ ablesen kann, was für eine größere Bezugsgröße gilt. In gleicher Weise bezeichnet Paulus in 1 Kor 16,15 die Angehörigen des Hauses des Stephanas als avparch, der Landschaft Achaias (von Paulus nach 1,16 getauft). Sie sind die ersten, die dort zum Glauben gekommen sind (vgl. 2 Kor 1,1). In diesem Text schimmert zusätzlich die kultische Bedeutung des Begriffs durch, handelt es sich bei der Erstlingsgabe sowohl im Judentum als auch in paganen Kulten doch um ein Opfer: In der LXX begegnet avparch, ab Ex 22,28 sehr häufig als Übersetzung unterschiedlicher hebräischer Begriffe (tyvar, hmwrt, blx). Die pagane Religiosität kennt die avparch, als eröffnendes Ritual einer Opferhandlung, als Spende vor einer Mahlzeit oder auch als Abgabe von den Erträgen der Ernte.152 Das in 1 Kor 16,15 gebrauchte Bild mit seiner kultischen Dimension erschließt sich also sowohl vor biblischem als auch vor heidnischem Hintergrund.
Dass Paulus das Zum-Glauben-Kommen von Menschen als Opfervorgang darstellen kann, bestätigt der Blick auf Röm 15,16 (s.u.). Was Paulus dort in aller Deutlichkeit ausführt, findet sich der Sache nach und auf einen Begriff gebracht schon im 1. Korintherbrief, denn auch dort sind Christen eine geheiligte Größe (1,2). Im Römerbrief wird die gleiche kulttheologische Aussage auch noch im Blick auf ein einzelnes Gemeindeglied gemacht (16,5): Epainetus ist der Erstling der Provinz Asien, also einer der ersten „Heiligen“ in dieser Provinz. Auch in Röm 8,23 begegnet die avparch,. Dort ist die Rede von der Erstlingsgabe des Geistes, die Christen schon in dieser Welt haben. „Die Gabe des Geistes ist Angeld eines Geschehens, welches erst im Eschaton zur Erfüllung kommt.“153 Die avparch, ist hier also als eine Art Vorschuss zu verstehen, der ein noch ausstehendes (größeres) Ganzes vertritt. Überblickt man die Belege, so haben sie den Aspekt des Anfangs und der Repräsentanz gemein. Zuweilen wird damit außerdem auf ein Opfergeschehen angespielt. Blickt man von diesen Belegen auf Vers 16a, so ist die Logik eindeutig: Was von der repräsentativen Anfangsgabe gilt, gilt auch von der Größe, die sie repräsentiert. Nun spielt Vers 16a inhaltlich auf Num 15,17–21 an. Dort findet sich das Gebot, dass die Israeliten vom Brotteig eine Erstlingsgabe (avparch.n fura,matoj) entrichten sollen. Für kultisches Denken ist es selbstverständlich, dass der Teil, der der Gottheit dargebracht wird, dadurch heilig ist. 152
Für die Leges Sacrae sei auf LSCG, Suppl 13,10.12.13.26 verwiesen. Weitere Belege aus anderen Textbereichen finden sich bei RUDHARDT (1992), 219–222. 153 HORN (1992), 393.
8. Der heilige Teig – Eine Spur pharisäischen Denkens: Röm 11,16
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Wie aber steht es mit der paulinischen Schlussfolgerung, dass durch die Weihe eines Teils der ganze Teig, von dem die Gabe genommen wurde, heilig wird? Dieser Gedanke ist insofern verwunderlich, als das, wovon die Erstlingsgabe gegeben wird, dem Menschen zur Nutznießung überlassen bleibt – und damit gerade nicht heilig ist.154 Nach halachischer Logik ist der gesamte Teig der menschlichen Nutzung entzogen, bevor man davon den Chala genannten Anteil abgenommen hat.155 Erst wenn dieser Teil geheiligt ist, darf der Rest zu profanen Zwecken genutzt werden. Bei der Abgabe der Teighebe steht aber wahrscheinlich nicht so sehr der Gedanke der Darbringung im Vordergrund, als vielmehr die Vorstellung, dass die Nahrung, die der Mensch essen möchte, eigentlich Gott gehört – also heilig ist. Bevor der Mensch nun davon essen darf, muss er sie „desakralisieren“. Das geschieht üblicherweise durch eine Benediktion, einen Segensspruch, der über dem Essen gesprochen wird. Wer ohne den Segensspruch gesprochen zu haben von der Nahrung isst, der begeht – wie Johann Maier ausführt – ein Sakrileg, eine unzulässige Aneignung von Heiligem (hly[m). Maier schreibt weiter: „Das entspricht in einem engen Blickfeld dem Konzept, dass der Genuss von Nahrungsmitteln, von denen die vorgeschriebenen kultischen Abgaben nicht entrichtet worden sind, ein Sakrileg darstellt, wie eine Stufe weiter auch der unberechtigte Genuss von kultischen Abgaben, die als solche rituell geheiligt worden sind“.156 Im Vergleich mit der paulinischen Argumentation sticht in jedem Fall der Gedanke ins Auge, dass der für die menschliche Nutzung vorgesehene Teil der Nahrung desakralisiert wird, damit das Essen nicht zu einem sakralrechtlichen Vergehen wird. Paulus setzt demgegenüber eine Argumentation voraus, die auch den Teig, der nach Abgabe der Teighebe verarbeitet und gegessen wird, für heilig hält. Die Nahrung, die der Mensch zu sich nimmt, wäre demnach nicht desakralisiert und profan, sondern heilig.157 Dunn vermutet, dass hier etwas vom pharisäischen Erbe des Paulus sichtbar wird: „for one of the 154 Ein „geheiligter“ Teig dürfte vom Menschen nur dann genutzt werden, wenn er ihn nach den Regeln von Lev 27 ausgelöst hat. Einen solchen Fall bespricht mHal 3,3f. Meines Wissens ist von allen Kommentatoren bisher allein J. D UNN diese kultische Inkonsequenz aufgefallen: „The deducation drawn by Paul (‚so also is the mixture’) would be less obvious however, since the point of dedicating something to God was to make the rest availabe for ordinary use.“ (DUNN [1988], 671 und 658: „The idea of this cultic holiness extending to the rest of the dough / harvest etc. is not present in the OT and can hardly be read from Philo, SpecLeg 1,131–144”). 155 Das zeigt sich an den Ausführungsbestimmungen in mHal 3,1: Wer davon isst, wird (vom Himmel her) getötet werden. 156 MAIER (2004), 389. 157 Vgl. ZAHN (1910), 513f: „…es dient diese Handlung auch dazu, den weiteren Gebrauch des Brotteigs in Beziehung zu Gott zu setzen und damit zu weihen“.
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Pharisees’ chief aims was precisely to break down the distinction between sacred and secular […], and to extend the sphere of cultic purity as expressed in the temple ritual to the whole of life“.158 Wie wir oben sahen, gehört es zu den Kennzeichnen der pharisäischen Bewegung, dass sie den häuslichen Tisch und den Altar im Tempel miteinander in Beziehung gesetzt und so ein Leben in Heiligkeit auch jenseits des Tempels etabliert haben. Die eigentlich profane Mahlzeit gewinnt kultischen Charakter, profane Speisen werden in gewissem Grad heilig.159 Diese Denkvoraussetzungen scheint Paulus in Röm 11,16a zu teilen: Auch eigentlich profane Speisen haben an der Heiligkeit der avparch, teil und sind darum heilig. Der Pharisäer Paulus hält – entgegen den Vorgaben von Num 15,17ff – auch den Teil des Teiges für heilig, der im Alltag gegessen wird. Wenn die vorgeschlagene Interpretation zutreffend sein sollte, so würde dieser Gedankengang bestätigen, dass im Judentum des 1. Jh. profane Speisen als heilig angesehen werden konnten. Nur von dieser Voraussetzung her ist die paulinische Argumentation in 11,16b nachvollziehbar. In die gleiche Richtung argumentiert der zweite Satz (11,16b): Wenn die Wurzel heilig ist, so sind es auch die Zweige, wenn die Wurzel zu Gott gehört, dann gehören auch die Zweige Gott. Die Heiligkeit der Wurzel strahlt aus und bestimmt auch den Status der Zweige. Welche Sachaussage vermittelt Paulus mit dem recht eindeutigen Bild? Wen meint er mit der Erstlingsgabe und dem Teig, wen mit den Zweigen und der Wurzel? Die Deutung des Bildes ist von seiner Fortsetzung in den folgenden Versen her möglich: Paulus wendet sich dort direkt an die „Zweige“. Bei ihnen handelt es sich also um die Adressaten des Briefes. Sie hatten eigentlich mit dem Ölbaum160 nichts zu tun, sind vielmehr künstlich in diesen eingepfropft worden, nachdem von Natur aus dazugehörende Zweige heraus gebrochen worden sind. Wenn es sich bei den eingepfropften Zweigen also um Menschen aus der Völkerwelt handelt, so dürfte Paulus mit den Zweigen, die nun – vorübergehend – am Boden liegen, Juden im Blick haben, die nicht an Jesus als den Christus glauben (vgl. 11, 20.23). Die Menschen aus der Völkerwelt, die Paulus als Glaubende bezeichnet (11,20), gelten im Bild als heilig, gehören also Gott. Diese Aussage fügt 158
DUNN (1998), 671. Vgl. dazu den Exkurs in Kapitel 2, 2.2. 160 Der Ölbaum ist nach Jer 11,16 ein Bild für das Volk Israel. N. Walter hat darauf hingewiesen, dass Paulus das Bild nicht unbedingt in gleicher Weise gebraucht, da die Zweige, die jetzt aus dem Ölbaum entfernt sind, schon Israel repräsentieren (vgl. WALTER [1984], 180). Ob man aus diesem Grund aber so weit gehen sollte, den Ölbaum mit Gott gleichzusetzen (der doch am ehesten die Funktion des Gärtners hat, der ausbricht und einpfropft), halte ich für fraglich. 159
8. Der heilige Teig – Eine Spur pharisäischen Denkens: Röm 11,16
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sich sehr gut zu einschlägigen Aussagen im Römerbrief und in früheren Paulusbriefen, in denen die Gemeindeglieder als Heilige beschrieben werden (vgl. Kapitel 5, 1; 6, 1; 7, 1).161 Neu ist, dass Paulus damit nun nicht mehr nur die Zugehörigkeit von jesusgläubigen Nichtjuden (und Juden162) zum Gott Israels beschreibt, sondern diese Menschen zugleich einer anderen Größe zuordnet, von der sich die Heiligkeit der Christen ableitet. Damit stellt sich erneut die Frage, wer der heilige Wurzelstock163 ist. Von Texten wie Jub 16,24; äthHen 93,8 und TestJud 24,5, in denen Abraham als Wurzel erscheint, lässt sich diese Frage mit einem breiten Strom der Forschung beantworten: Paulus denkt beim Bild vom Wurzelstock an Abraham bzw. die Erzväter.164 An Abrahams bzw. der Erzväter Zugehörigkeit zu Gott haben die zu Christus gehörenden Menschen aus der Völkerwelt also Anteil bekommen, indem sie Teil des Ölbaums geworden sind, also Teil der Gemeinschaft, die von Abraham ausgeht165 und glaubende Juden und Nichtjuden umfasst (vgl. Röm 4,11f).166 161 KRAUS (1996), 314 betont mit Recht, dass der Text nicht primär die Funktion hat, über den Status der Heidenchristen zu informieren und dass es auch nicht in erster Linie um eine Verhältnisbestimmung von „Israel-Heidenchristen“ geht. Gegenstand der Überlegung ist die Zukunft Israels. Auf der anderen Seite muss aber auch gesagt werden, dass Paulus ab 11,11 das Schicksal Israels mit einer positiven Perspektive für die Heiden verbindet. Die Hauptfrage ist immer noch die von 11,1 („Hat Gott sein Volk verstoßen?“). Sie wird in 11,25ff endgültig beantwortet. Aber da Israels Zukunft in paulinischer Perspektive untrennbar mit dem Geschick der Heiden verbunden ist, geht es eminent auch um „die Frage nach dem Verhältnis von Israel und den Völkern“ (so H AACKER [1999], 231). 162 So die traditionelle Terminologie in 2 Kor 8,4; 9,1; Röm 15,25. 163 Vgl. dazu HAACKER (1999), 233. 164 Vgl. HOFIUS (1989), 187; T HEOBALD (1992), 299; KRAUS (1996), 315; DUNN (2003), 524f. Es werden freilich auch andere Deutungen vorgeschlagen: Gemeint sei nicht nur Abraham, sondern Israel als Ganzes (MUSSNER [1979], 69f), das auch das „sich dem Evangelium verschließende Mehrheits-Israel mit umschließt“ (K LAPPERT [1982], 92). Diese Deutungen erzeugen aber nahezu unüberwindliche Spannungen in der Auslegung des gesamten Gleichnisses, denn wie könnte das „sich dem Evangelium verweigernde Mehrheits-Israel“ zugleich Wurzel und Stamm und abgehauener Zweig sein? Vgl. immer noch HOFIUS (1989), 187, Anm. 43. 165 In bYeb 63a findet sich ebenfalls das Motiv, dass nichtjüdische Menschen in Abraham eingepfropft werden können. Diese Stelle legt Gen 12,3 aus und setzt die Bedeutungen von $rb (segnen) und $rb (einpfropfen) miteinander in Beziehung (vgl. RASTOIN [2007], 73ff). 166 Zwei Denkmodelle, mit deren Hilfe Paulus den Status des Menschen vor Gott beschreiben kann, berühren sich hier: Nach Röm 4 kommen Menschen zu Gott, wenn sie wie Abraham dem Gott vertrauen, der Gottlose gerecht spricht (Röm 4,5). Auf diese Weise erweisen sie sich als Nachkommen Abrahams. Das andere Modell ist das heiligkeitstheologische, auf das sich unser Hauptaugenmerk in dieser Arbeit richtet.
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Die letzte Aussage lässt sich allerdings erst dann machen, wenn man Röm 11,16b von der folgenden Ölbaumallegorie (11,17ff) her deutet.167 Das Aussagegefälle des Verses selbst bleibt zunächst ganz auf Israel bezogen: Paulus führt im ersten Argumentationsgang in Röm 9,6–11,10 eine Unterscheidung in der Größe Israel ein, um zu begründen, dass „Gottes Wort nicht hinfällig geworden“ ist (Röm 9,6).168 Im zweiten Argumentationsgang fragt Paulus speziell nach dem Schicksal der Juden, die nicht an Christus glauben,169 die damit zu denen gehören, die im ersten Argumentationsgang nicht positiv gewürdigt werden können. Paulus stellt in drei Sätzen fest, dass die Ablehnung des Evangeliums in weiten Teilen des Judentums nicht auf dessen Untergang zielt, sondern Platz schafft zum Hinzukommen der zum Glauben an Jesus gekommenen Nichtjuden. Sobald nun dieses Ziel erreicht ist, erfolgt die Wiederaufrichtung und Annahme der Juden, die Paulus in Vers 11 als „Gestrauchelte“ bezeichnet hat. Paulus begründet diesen Gedanken170 in Vers 16 mit der bleibenden Heiligkeit der Juden, die sich dem Evangelium nicht angeschlossen haben. Sie sind als Ganzes heilig, weil Erstlingsgabe und Wurzel heilig sind. Darum können sie nicht völlig aus dem Heilsbereich Gottes herausfallen. Paulus führt diesen Gedanken dann in der Ölbaumallegorie aus, wenn er im Indikativ feststellt, dass die ausgebrochenen Zweige in Zukunft wieder eingepfropft werden (11,24).171 Zusammenfassend sei festgehalten, dass der kulttheologisch argumentierende Vers 16 eine doppelte Funktion in Röm 11 wahrnimmt. Er begründet zunächst, warum von Gott her auch für die Juden, die nicht an Christus glauben, rettende Annahme zu erwarten ist: Sie sind von der Wurzel bzw. der avparch, her heilig und gehören damit prinzipiell bleibend zu Gott.172 Liest man den Vers 16 von der Ölbaumallegorie her, so erscheinen auch die gläubig gewordenen Nichtjuden passend zu analogen Aussagen in den Paulusbriefen als Heilige.
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Darin ist KRAUS (1996), 314 zuzustimmen. Vgl. zur Gliederung H OFIUS (1989), 178. 169 Vgl. HOFIUS (1989), 184. 170 MICHEL (1978), 347 bemerkt die Sonderstellung, die dieser Vers im Kontext hat. „Eine Anknüpfung an den Kontext fehlt, ebenso auch eine Deutung“. Diese Sonderstellung erklärt sich, wenn man den begründenden Charakter dieses Verses in Anschlag bringt. 171 Damit ist das Gefälle zur Aussage über die Rettung ganz Israels in 11,26 vorgezeichnet. 172 Vgl. MICHEL (1978), 347; KRAUS (1996), 316. 168
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9. Das Leben als botschaftsgemäßer Gottesdienst: Röm 12,1 9. Das Leben als botschaftsgemäßer Gottesdienst: Röm 12,1
Paulus eröffnet den paränetischen Teil seines Briefes an die Gemeinde in Rom mit zwei Versen, die wie eine Überschrift oder eine Präambel173 über den konkreteren ethischen Weisungen der folgenden Kapitel stehen. Beachtung verdient dabei die Perspektive, in die Paulus seine Weisung hineinstellt. Schon in Röm 1,1 hatte Paulus betont, dass er nicht aus eigener Vollmacht spricht, sondern als Sklave Christi Jesu. Auch seine ethischen Weisungen ergehen nach 12,1 nicht aus eigener Einsicht, sondern dia. tw/n oivktirmw/n tou/ qeou (durch das mitleidende Erbarmen Gottes).174 In der LXX entspricht der Plural oivktirmoi, (von oivktirmo,j [mitleidige Klage, Mitleid, Erbarmen]) von einer Ausnahme abgesehen dem ebenfalls pluralisch gebildeten hebräischen ~ymxr (z. B. 2 Sam 24,14; 1 Kön 8,50; Ps 25,6; 40,12; 51,3).175 Paulus beruft sich hier also auf eine der charakteristischen Eigenschaften des biblischen Gottes, nämlich sein Erbarmen. Vor dem Hintergrund der Sprache der LXX verzahnt Paulus zudem den argumentativen und den paränetischen Teil des Briefes miteinander: Das letzte Wort der Argumentation in 11,32 ist „damit er sich aller erbarme (i[na tou.j pa,ntaj evleh,sh|)“, und seine Paränese beginnt mit der Berufung auf Gottes Mitleid / Erbarmen. Gottes Mitleid und sein Erbarmen stehen damit hier ähnlich eng zusammen wie in der Formel Ex 34,6; 2 Chr 30,9; Ps 86,15; Ps 103,8. In Zuspruch und Anspruch erscheint der Römerbrief damit als eine Auslegung des biblischen „gnädig und barmherzig ist der Herr“.176
Besonders der erste Vers dieser Präambel weist ein reiches kultisches Vokabular auf. Paulus fordert seine Adressaten zunächst dazu auf, dass sie ihre „Leiber als lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer hinstellen bzw. darbringen“ mögen. Der Leib ist für Paulus, wie wir sahen (vgl. Kapitel 5, 7), mehr als nur der Körper, sondern der Mensch in seinen sozialen Bezügen, der Mensch als Wesen, das mit seiner Umwelt in Kontakt treten kann. Um den ganzen Menschen geht es also in den Mahnungen des Paulus. Diesen soll er als Opfer (qusi,a)177 „hinstellen“. Pari,sthmi (vgl. schon Röm 6,13.16.19) ist kein Terminus der Opfersprache der LXX. Wenn sie dieses Verb in kultischen Kontexten ge173
Vgl. HAACKER (1999), 252 und die Übersicht bei REICHERT (2001), 228. Vgl. THEOBALD (1993), 15. 175 Vgl. auch B ULTMANN (1954), 161f. 176 Eine Anspielung „der Sache nach“ sieht auch H AACKER (1999), 252. Eine solche lässt sich im Licht von Ex 34,6 u.a. auch sprachlich wahrscheinlich machen. H.D. Betz macht darauf aufmerksam, dass die Beschreibung von Gottes gnädiger Zuwendung im ersten Teil des Briefes nahezu von selbst zur kultischen Vorstellungswelt, die Röm 12,1f zugrunde liegt, überleitet: „nach antiker Vorstellung“ habe die Reaktion auf erfahrene Wohltaten „auf jeden Fall in der Form eines Dankgottesdienstes“ zu geschehen. „Diese antiken Vorstellungen sind es, die den Apostel veranlasst haben, die Opfersprache in Anwendung zu bringen, wenn er auf den Imperativ zu sprechen kommt“ (B ETZ [1994a], 197). 177 Zu diesem in der Welt der LXX ebenso wie in paganen Kulten geläufigen Terminus vgl. VAHRENHORST, Exkurs zur Opferterminologie im Begleitband zu LXX.D. 174
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braucht, so tut sie das, um damit vom Dienst der Priester und Leviten am Heiligtum zu sprechen (vgl. Num 16,9; Dtn 10,18; 17,12; 18,5.7; 21,5). Im nichtbiblischen Griechisch ist das anders. Dort bringt pari,sthmi den Akt der Opferdarbringung selbst zum Ausdruck (vgl. Xenophon, an. 6.1.22; vgl. aber auch Josephus, Ant 4,113).178 Dies lässt sich besonders in den Leges Sacrae beobachten, wo die Darbringung von Weihrauch (LSCG 65,65 [Adania 92 v. Chr.]), Gefäßen (LSCG 3,5 [Athen 485–4 v. Chr.]), oder ganz allgemein von Opfern (LSAM 32,46 [Magnesia 197–6 v. Chr.]; LSAM 60 A 24–25 [Iasos Kaiserzeit]) mit diesem Verb angeordnet wird. Mit unserem Text ist besonders eine Inschrift aus Pergamon zu vergleichen: „parasta[qh/n]ai de. kai. qusi,an“ (LSAM 15,48 [Pergamon 129 v. Chr.] ). Paulus bedient sich hier also einer Ausdrucksweise, die (vor allem) in der paganen Kultsprache zu Hause ist – und die seinen Adressatinnen und Adressaten entsprechend geläufig gewesen sein könnte.179 Seine Leserinnen und Leser werden bei dem Verb parasth/sai aber auch an dessen mehrmaliges Vorkommen in Röm 6,13.16.19 gedacht haben.180 Sie wissen schon aus Röm 6, dass sie die Glieder ihres Leibes (also sich selbst) Gott zur Verfügung stellen sollen. Hier finden sie diese Vorstellung eindeutig ins Kultische gewendet wieder: Ihre Leiber sollen sie Gott als Opfer darbringen. Das Opfer, von dem Paulus spricht, wird im Folgenden nun noch weiter qualifiziert durch die Adjektive „lebendig, heilig, wohlgefällig“. Dass ein Opfer Gott gefallen soll,181 ist in kultischer Logik ebenso selbstverständlich wie die Tatsache, dass es heilig ist.182 Auffällig in dieser Reihe ist nun allerdings das Adjektiv „lebendig“ (zw/san).183 Es korrespondiert in der paulinischen Argumentation der Tatsache, dass es sich bei dem, was Paulus von seinen Adressaten verlangt, ja nicht um ein Opfer handelt, bei dem z. B. ein Tier getötet wird, sondern um ein Opfer, bei dem der Mensch sich 178
Weiteres bei LIETZMANN (1971), 107f. Hier sei noch einmal darauf hingewiesen, dass die Sprache der Inschriften im Mittelmeerraum sich als erstaunlich einheitlich und über Jahrhunderte hinweg stabil erweist. So haben wir in diesem konkreten Fall Belege von Athen bis nach Kleinasien und vom 3. Jh. v. Chr. bis hin zur Kaiserzeit. 180 Vgl. REICHERT (2001), 233, B LANK (1971), 39. 181 Vgl. zu Phil 4,18 (Kapitel 7, 5). 182 Von heiligen Opfern sprechen Isokrates 10,63; Diodorus Siculus, 5,72,4. 183 Das gleiche Syntagma findet sich noch in Sib 8,408, einer Stelle, die aber wahrscheinlich christlichen Ursprungs ist (vgl. COLLINS [1983], 417). J. B LANK (1971), 40f trifft sicher das Richtige, wenn er anmerkt: „Dagegen hat die Bestimmung ‚lebendig’ in der überlieferten Opferterminologie keine Parallele. […] Gehörte zum Opfer früher dessen Vernichtung […] als Zeichen der Übereignung an die Gottheit, so hat sich hier ein grundlegender Wandel vollzogen. Der Mensch in seiner […] Lebendigkeit […] soll jetzt als Opfer verstanden werden“. 179
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selbst in allen seinen Lebensvollzügen Gott übereignet. Deswegen ist das Opfer ein lebendiges. Ohne direkten syntaktischen Bezug184 folgt nun ein weiterer Akkusativ, der das bisher Gesagte auf einen Nenner bringt: th.n logikh.n latrei,an u`mw/n. Die Wortfamilie latreu,w / latrei,a ist im Römerbrief bereits eingeführt – und zwar im Sinne von Gottesdienst als kultischem Dienst bzw. als Verb „einen kultischen Dienst tun“ (vgl. Röm 1,9 und 9,4). Damit bleibt dieser Versteil eindeutig in der Sprachwelt des Kultes. Welche Bedeutung hat nun das Adjektiv logikh, in dieser Wendung? Wie die in Anm. 184 zitierten Übersetzungen schon in Ansätzen erkennen lassen, ist das genaue Verständnis dieses Adjektivs umstritten.185 Nach A. Reichert werden in der Literatur folgende Übersetzungsmöglichkeiten diskutiert: „vernünftig“, „geistlich“, „wahr“ und „eigentlich“.186 Befragt man das „Greek-English-Lexicon“ von Liddell, Scott und Jones nach der Bedeutung von logiko,j, so findet man zunächst Übersetzungsvorschläge, die sich auf das Sprechen beziehen: 1. „of or for speaking or speech“ z. B. für die Organe des Sprechens (Plutarch, Marcius Coriolanus 38); 2. „of or in eloquence“ z. B. für Wettkämpfe in Beredsamkeit (Philostrat, soph. 1.22.1); 3. „suited for prose“ z. B. für Autoren, die in Prosa schreiben (Diogenes Laertius, 5,85). Im Folgenden nennen die Herausgeber Übersetzungen, die einen Bezug zur Vernunft aufweisen: 1. „possessed of reason, intellectual“ z. B. zur Bezeichnung des vernunftbegabten Lebewesens (Chrysipp 3,95); 2. „dialectical, argumentative“ z. B. als Beschreibung platonischer Dialoge (Diogenes Laertius, 3,58) und 3. „of the ‚dogmatic’ school of the physicians“.187 Das Adjektiv logiko,j hat demnach zwei Bedeutungsspektren: Es qualifiziert Dinge, die mit Sprache und Sprechen zu tun haben, und solche, die 184
Die neueren Kommentare schließen diesen Satzteil dann auch unterschiedlich an: W ILCKENS (1989), 2: „ – (das ist) euer ‚geistiger Gottesdienst’“; HAACKER (1999), 205: „das ist der sinngemäße Gottesdienst, zu dem ihr berufen und fähig seid“; T HEOBALD (1993), 17 leitet seine Übersetzung wie folgt ein: „und er fügt mit einem Ausrufezeichen hinzu: ‚(das sei) euer vernünftiger Gottesdienst’“. 185 Der Blick in die jüdische Literatur vor und neben Paulus führt hier nur wenig weiter, weil das Wort sich außer in TestLev 3,6 (Die Erzengel bringen Gott „Räucherwerk als ein vernünftiges und unblutiges Opfer dar“ [zitiert nach J. Becker]) nur noch im philonischen Schrifttum findet. In Auslegungen von Röm 12,1 wird immer wieder auf die hermetische Literatur hingewiesen, die das Syntagma logikh. latrei,a ebenfalls kennt (Belege bei STRACK [1994], 297). Da diese Texte aber nicht nur aus dem „2. Jh. oder eher aus dem 3. Jh.“ stammen (KLAUCK [1996], 152), sondern auch sonst christlichen Einfluss aufweisen, rechne ich sie nicht zu den religionsgeschichtlichen Vorgaben des Paulus, sondern zu seiner Wirkungsgeschichte. 186 Vgl. REICHERT (2001), 240. 187 Vgl. LSJ, 1056.
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einen Bezug zur Vernunft, zum Logos, aufweisen. Das zweite Bedeutungsspektrum dominiert die Auslegung von Röm 12,1 ganz überwiegend.188 Dabei zeichnet sich folgender Argumentationsduktus ab: Paulus erscheint in besonderer Nähe zu Gedanken der stoischen Philosophie, in deren Weltdeutung logiko,j „zentrale Bedeutung hat, und zwar gerade auch im Zusammenhang philosophischer Kultdeutung.“189 Diese zog – nach der präzisen Darstellung von U. Wilckens190 – aus dem Gedanken, dass es nur einen Gott in der Welt gebe, nämlich den Logos, an dem alle Menschen teilhätten, die Konsequenz, dass man diesem Gott nur „logosgemäß“ dienen könne: „Nicht durch Opferhandlungen und viel Blut ist Gott zu verehren […], sondern mit der reinen Vernunft und sittlich gutem, anständigem Vorsatz“ (Seneca, fr. 123, bei Laktanz, De ira 21,10).191 Im Judentum ist diese Denkfigur von Philo im Licht der vor allem in der Prophetie formulierten Kultrelativierung192 aufgegriffen worden. Bei der Beschreibung des goldenen Weihrauchaltars im Heiligtum erwähnt Philo u. a., dass man das tägliche Ganzbrandopfer erst opfert, nachdem auf dem Weihrauchaltar ein Rauchopfer dargebracht worden ist. Das hat symbolische Bedeutung (su,mbolon), die Philo wie folgt darlegt: „Bei Gott wird nicht die Menge der Opfer wertgeachtet, sondern der völlig reine vernünftige Geist (pneu/ma logiko,n)193 des Opfernden“ (SpecLeg 1,277).194 Hier wird – wohlgemerkt – nicht der als logiko,j qualifizierte Geist als Opfer
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Das zeigt sich allein schon daran, dass das Wörterbuch von W. Bauer und K. Aland das erste Bedeutungsspektrum mit keinem Wort erwähnt und als Übersetzungen angibt: „vernünftig, wahr, geistig“ (967). 189 So W ILCKENS (1989), 5. 190 Ebd. 191 Vgl. Seneca epist. 95,47ff. Hier relativiert Seneca kultische Gebräuche seiner jüdischen und römischen Zeitgenossen. Wer sich allein darauf konzentriere, werde in seiner Götterverehrung keine Fortschritte machen (48). Stattdessen komme es auf die rechte Vorstellung von den Göttern an, und darauf, „gut“ zu sein: „Willst du sie gnädig stimmen? Sei gut! Wer ihnen nachfolgt, der ehrt sie genug“ (Vis deos propitiare? bonus esto. Satis illos coluit quisquis imitatus est. [50] [Übersetzung: E. Glaser-Gerhard]). Auf der gleichen Linie liegt benef. 1,6,3: „Nicht in Opfern, und seien es die reichsten und glänzten sie vor Gold, besteht die Verehrung der Götter, sondern in der frommen und rechten Gesinnung der Verehrenden“ (pia et recta voluntate venerantium [ÜS zitiert nach Theobald (1993), 17]). 192 Besondere Wirkung hatte Hos 6,6 (vgl. dazu H AACKER [1999], 253 und VAHRENHORST [2002], 343). 193 Nach SpecLeg 1,171 dient das Weihrauchopfer dazu, Gott für diesen vernünftigen Geist zu danken. 194 Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Philo damit nicht das tatsächliche Weihrauchopfer substituiert. Er deutet es lediglich und sagt dabei – ganz auf der Linie der biblischen Kultkritik –, was beim Opfern das Wesentliche ist. Weiteres zu Philo bei STRACK (1994), 295f.
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dargebracht, Philo hebt vielmehr auf die Gesinnung des Opfernden ab.195 Gott – der in sich selbst „autark“ ist – benötigt eigentlich nichts von dem, was geschaffen ist (SpecLeg 1,277 [Zeile 7]).196 Darum kommt es auch nicht so sehr auf den Zustand des Opfertieres, sondern auf den des Opfernden an, nämlich darauf, dass sein Verstand „gänzlich unversehrt (o`lo,klhroj) und vollkommen (pantelh,j)“ ist (SpecLeg 1,283). Einen Schritt weiter ist Philo jedoch schon vorher gegangen, wenn er, nachdem er in SpecLeg 1,271 ausgeführt hat, dass Gott sich am Willen, ihn zu lieben und an Menschen, die Heiligkeit üben, erfreut (cai,rei de. filoqe,oij gnw,maij kai. avndra,sin avskhtai/j o`sio,thtoj),197 sagt: „Indem diese sich selbst darbringen (auvtou.j fe,rontej), bringen sie die Fülle des Guten und Schönen (plh,rwma kalokavgaqi,aj),198 das vollkommenste und beste Opfer dar.“ Hier ist der Gedanke, dass der Mensch sich selbst als Opfer bringt, indem er gut und richtig – ja sogar heilig – lebt, in einer Weise ausgesprochen, dass die Nähe zu Paulus mit Händen zu greifen ist. Einen anderen Auslegungsweg, der sich nicht am philosophischen Sprachgebrauch orientiert, schlägt A. Reichert vor. Sie geht von folgender Beobachtung aus: „Die leibliche Selbstübereignung der Adressaten (V. 1b) ist das Thema, zu dem V. 1c eine (Definitions-) Aussage formuliert“.199 Daher müsse der Gehalt der Wendung logikh. latrei,a von 1b her bestimmt werden. Die Übersetzung „vernünftiger Gottesdienst“ müsse sich dann fragen lassen, was an der völligen „Übereignung der irdischen Existenz an Gott“ denn vernünftig (also logosgemäß) sein soll, denn schließlich sei diese „keine Angelegenheit der Vernunft, sondern Konsequenz der durch die Teilhabe an Tod und Auferweckung Christi bewirkten Befreiung aus der Sündenherrschaft (Röm 6,1–11)“.200 Auch werde das Wort lo,goj im Römerbrief ansonsten nicht so gebraucht, dass es die Assoziation mit dem Logos im Sinne der (Welt-) Vernunft nahe lege.201 195 Dazu gibt es sachliche Parallelen in der griechischen Philosophie aber auch in den Leges Sacrae (vgl. Kapitel 3, 4.1). 196 In eine ähnliche Richtung äußert sich Apollonius von Tyana (in Eus. Pr. Ev. 4,13). Weiteres bei B LANK (1971), 44ff. 197 Dass Philo damit nicht die wirklichen Opfer abschafft, zeigt sich an der Fortsetzung des Gedankens, dass Gott von diesen Menschen auch weniger wertvolle Gaben gerne annimmt. 198 F. H. Colson übersetzt mit Recht „they offer the best of sacrifices, the full and truly perfect oblation of noble living“, denn Kalokagathie ist ja das Ideal der perfekten Lebensführung. 199 REICHERT (2001), 240. 200 REICHERT (2001), 240. 201 Vgl. REICHERT (2001), 241. Tatsächlich ist dies in 3,4; 9,6.9.28; 13,9 und 14,12 nicht der Fall. Röm 14,12 spricht vom Rechenschaft geben, alle anderen Stellen weisen einen klaren Bezug zum Wort bzw. zur Rede auf.
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Aus diesen Gründen nähert Reichert sich der Wendung von der ersten im Wörterbuch verzeichneten Bedeutung, nämlich „sprechend“202 her: Die logikh. latrei,a sei der „sprechende Gottesdienst“.203 Damit sei im Kontext konkret gemeint, dass die Selbstübereignung des Menschen an Gott sich „nicht stillschweigend und unmerklich vollzieht“,204 sondern von Außenstehenden beobachtet werden kann. Röm 12,1f spricht also von der „der Welt kommunikativ zugewandte(n) Seite gemeindlicher Existenz“.205 Vers 2 schließt sich dann bruchlos an, indem er die wahrnehmbare Veränderung konkret beschreibt.206 Reicherts Vorgehensweise besticht dadurch, dass sie es vermeidet, außertextliche Konzepte an den Römerbrief heranzutragen. Stattdessen erhebt sie den Sinn der Aussage aus ihrem Kontext und berücksichtigt dabei die sonstige Verwendung der Wortfamilie. Folgt man diesem Ansatz, so ergibt sich nach meinem Dafürhalten aber noch eine weitere Möglichkeit, die Wendung logikh. latrei,a zu deuten: Wie wir sahen, verwendet Paulus die Wortfamilie lo,goj im Römerbrief von 14,12 abgesehen im Blick auf das Sprechen Gottes, auf sein Wort. Gottes Verheißung und sein Gebot bezeichnet Paulus mit diesem Begriff. In dieser Bedeutung findet er sich auch in anderen Paulusbriefen (vgl. 1 Kor 14,36; 15,54; 2 Kor 2,17; 4,2; Gal 5,14; Phil 1,14). Die Botschaft, die Paulus zu verkündigen hat, nennt er ebenfalls lo,goj (1 Kor 1,18; 2,4; 2 Kor 1,18; 5,19; 1 Thess 1,6). Dass zwischen beidem – dem Wort Gottes und seiner Verkündigung – für Paulus ein untrennbarer Zusammenhang besteht, zeigt sich bereits in 1 Thess 2,13: Die Verkündigung des Apostels ist in Wahrheit kein Menschenwort, sondern Gottes Wort.207 Dieser kurz skizzierten paulinischen Verwendung des Wortes, von dem sich das Adjektiv logiko,j herleitet, würde die Übersetzung „dem Wort gemäß / der Botschaft gemäß“ sehr gut entsprechen. Die latrei,a, die Paulus in Röm 12,1 entwirft, also die Selbstübereignung des Menschen in al202
Ein Blick in andere Paulusbriefe bestätigt, dass Paulus das Wort lo,goj durchaus im Sinn von Rede, und Beredsamkeit verwendet (vgl. z. B. 1 Kor 1,17; 2,1.13; 2 Kor 6,7; 10,10f; 1 Thess 1,5; 2,5). 203 Vgl. REICHERT (2001), 244. 204 REICHERT (2001), 244. 205 REICHERT (1998), 94. 206 Auch zu 1,9 lassen sich Bezüge ausmachen, denn dort bestand der kultische Dienst des Apostels (u.a.) in der öffentlich wahrnehmbaren Verkündigung des Evangeliums. In gleicher Weise soll der Gottesdienst der Adressaten öffentlich wahrnehmbar sein (REICHERT [2001], 245f). Ihre praktische Selbstübereignung ist zudem Resultat und Teil des Geschehens, in dem Paulus die Heiden Gott als Opfergabe übereignet (15,16). 207 Vgl. auch Röm 15,18. Hier setzt Paulus seine Worte mit denen Christi gleich: Alles, was er im Römerbrief bisher ausgeführt hat, hat in Wahrheit Christus selbst durch Paulus gesagt.
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len seinen Lebensbezügen an Gott, könnte man von daher mit „botschaftsgemäß“ bzw. „wortgemäß“ wiedergeben. Diese Übersetzung ist auch inhaltlich sinnvoll: Paulus hatte im Römerbrief bisher beschrieben, wie Menschen aus dem Zustand der Gottesferne auf die Seite Gottes kommen. Dies hat er überwiegend mit rechtfertigungstheologischer Begrifflichkeit (ab 1,17) getan. Parallel dazu hat er den heilvollen Übergang aber auch kulttheologisch illustriert. Dies wird Paulus in Röm 15,16 mit kräftigen Farben fortsetzen. Für das Verhältnis der ethischen Präambel in 12,1 zum argumentativen Teil des Briefes bedeutet das nun, dass Paulus eine Ethik entwirft, die die Angesprochenen dazu auffordert, das, was Gott an ihnen getan hat, in ihrem eigenen Handeln umzusetzen: Die römischen Christen sind Heilige – durch den heiligen Geist geheiligt, wie Röm 15,16 ausführt. Sie gehören Gott und sollen nun ihrem Status entsprechend handeln, nämlich so, dass sie ihr Leben im praktischen Vollzug ihrerseits Gott übereignen.208 Zwischen der als Gottesdienst beschriebenen Lebensführung der Adressaten und der paulinischen Botschaft besteht also eine deutliche Korrespondenz: Dem, was Paulus in seiner Verkündigung argumentativ entfaltet hat, soll das Handeln entsprechen – es soll „botschaftsgemäß“ oder „wortgemäß“ sein. Für die Selbstübereignung der Angesprochenen an Gott gilt: „das ist euer botschaftsgemäßer Gottesdienst“.209 Im Verlauf dieser Untersuchung konnten wir wiederholt bemerken, dass kulttheologische Beschreibungen christlicher Existenz Abgrenzungen der Gemeinde (dem heiligen Raum) von der sie umgebenden Umwelt nach sich zogen (vgl. Kapitel 5, 5 und 6; 6, 4). Der gleichen Logik folgt die Fortsetzung unseres Textes in Röm 12,2,210 wenn sie die Adressaten dazu auffordert, sich in ihrem Verhalten von dem der Umwelt abzugrenzen: Zu einer Lebensführung, die dem Status der Zugehörigkeit zu Gott entspricht, passt es nicht, wenn sie sich „diesem Äon“ gleichgestaltet. Welche Vorstellungen und Wertungen Paulus mit diesem aivw,n verbindet, wird in seinen übrigen Briefen sehr deutlich: Die gegenwärtige Welt 208 Das Verhältnis zwischen argumentativer Ausführung einerseits und ethischer Weisung andererseits wird in der Forschung gerne mit den Stichworten „Indikativ“ und „Imperativ“ beschrieben (vgl. dazu ZIMMERMANN [2007], 260ff). Noch besser eignet sich m. E. ein Vorschlag, den K. Haacker in seinem Römerbriefkommentar gemacht hat: „Christliche Ethik ist konsekutive Ethik im Zeichen der Vorgaben Gottes in der Sendung seines Sohnes Jesus Christus“ (HAACKER [1999], 252). Der Begriff konsekutive Ethik beschreibt noch deutlicher als das Wortpaar Indikativ und Imperativ, dass die paulinische Ethik die praktischen Konsequenzen aus dem Handeln Gottes am Menschen zieht, und dass zwischen beidem eine inhaltliche Korrespondenz besteht. 209 Der Sache nach trifft B ARTH (1967), 149 das Richtige: „Es ist nichts als logisch, nichts als folgerichtig: das Leben dessen, dem Gottes Barmherzigkeit widerfahren ist, ist als solches ein zur Dahingabe an ihn bestimmtes Leben“. 210 Vgl. HAACKER (1999), 253.
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bzw. Weltzeit ist böse (Gal 1,4), in ihr herrscht der Gegenspieler Gottes (der Gott dieses Äons 2 Kor 4,4), weshalb sie auch nicht in der Lage ist, den von Gott gewählten und ins Werk gesetzten Weg zum Heil zu erkennen, geschweige denn zu bejahen (1 Kor 1,20; 2,6.8; 3,18). Die genannten Stellen zeigen, dass das, was in dem gegenwärtigen Äon als Weisheit gilt, der Weisheit Gottes diametral entgegengesetzt ist. Man ginge sicher nicht zu weit, wenn man allgemein sagte, dass die gegenwärtige Welt / Weltzeit alles Widergöttliche verkörpert.211 Vor diesem Hintergrund überrascht es dann nicht, wenn Paulus vor der Anpassung an diese Welt nur warnen kann: wer sich nach ihrem Modell formt,212 macht sich damit dem Widergöttlichen gleich. Das widerspricht dem Wesen christlicher Existenz, das ja in der Zugehörigkeit zu Gott besteht. Positiv muss Paulus konsequenterweise dazu auffordern, die Denk- und Verhaltensmuster, die nach den Regeln dieser Welt / Weltzeit geformt sind, zu ändern. Von einer solchen „Metamorphose“213 des Menschen – durch Erneuerung des nou/j spricht der Vers im Folgenden. Der nou/j – die Vernunft – ist das Organ im Menschen, das nach Röm 7,23 und 25 zu ethischer Urteilsbildung in der Lage ist. Im Zustand der Gottesferne, den Röm 7 vor Augen hat, ist der Mensch, weil er unter der Macht der Sünde steht, aber nicht fähig, das unter Umständen (vgl. Röm 1,28) als gut Erkannte auch zu tun. Wenn Paulus seine Adressaten nun dazu auffordert, ihre Vernunft zu erneuern, dann bedeutet das nichts anderes, als dass sie die Befreiung aus der Knechtschaft der Sünde, die Gott vollzogen hat, nun auch ihrerseits nachvollziehen. In anderen Briefen spricht Paulus ausdrücklich davon, dass Christen eine „neue Kreatur“ sind (vgl. 2 Kor 5,17; Gal 6,15). Hier scheint er etwas Ähnliches vorauszusetzen.214 Diejenigen, die Gott zu einer neuen Kreatur gemacht hat, sollen dieser Erneuerung in ihrem Leben entsprechen und darum die Bindung an die alte Welt hinter sich lassen. Diese erneuernde Umwandlung weg von den Formprinzipien dieser gottfeindlichen Welt / Weltzeit zielt darauf, die Menschen in die Lage zu
211 Das entspricht der Wahrnehmung der die heilige Größe der Gemeinde umgebenden Welt in 1 Kor 5f, die ja nicht einfach ethisch neutral profan ist, sondern eben ungerecht (vgl. Kapitel 4, 3; 5, 5 und 6). 212 Für Paulus ist das sch/ma mehr als nur die äußere Gestalt, die von ihrem inneren Wesen getrennt werden könnte. Vielmehr manifestiert sich in der Gestalt das Wesen selbst (vgl. W ILCKENS [1989], 7). So ist Christus in Phil 2,7 nicht nur scheinbar ein Mensch, sondern seinem wirklichen Wesen und seinem Aussehen nach – also ganz – Mensch (vgl. BOCKMUEHL [1998], 137f). 213 Für die Wortfamilie morfh, gilt das oben zu sch/ma Gesagte. Auch dieses Wort meint mehr als nur das äußerliche Erscheinungsbild. 214 Vgl. auch HAACKER (1999), 254.
9. Das Leben als botschaftsgemäßer Gottesdienst: Röm 12,1
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versetzen, zu prüfen und auch umzusetzen (dokima,zein),215 was Gottes Wille ist.216 Unter den Bedingungen der gegenwärtigen Welt / Weltzeit ist das nicht möglich (vgl. 1 Kor 1,21), denen, die auf die Seite Gottes versetzt sind, sollte es aber möglich sein, allerdings nur dann, wenn sie hinter den Standards, die mit ihrem neuen Status verbunden sind, nicht zurückbleiben und wieder in alte Denk- und Verhaltensmuster zurückfallen. Mit drei Begriffen, die das, was dem Willen Gottes entspricht, näher beschreiben, schließt Paulus die Präambel des paränetischen Briefteils. Dabei sind „das Gute, das Wohlgefällige und das Vollkommene“ natürlich in gewisser Weise Synonyme – aber sie erwecken doch unterschiedliche Konnotationen. So sind to. euva,reston (vgl. schon 12,1) und to. te,leion wiederum, wenn auch nicht ausschließlich, in der Welt des Kultes beheimatet, wo sie Opfergaben qualifizieren, die von der Gottheit angenommen werden (Ex 12,5; LSCG, Suppl 44,5; LSCG 80,49; LSCG 58,6; 59,12). Im Gesamtkontext dieser beiden Verse dürfte die kultische Konnotation durchaus mitzuhören sein, denn Vers 2 führt ja nichts anderes aus, als das, was Vers 1 in kultischer Terminologie als „lebendiges Opfer“ beschrieben hatte. Wie wir oben sahen, findet das paulinische Konzept vom Leben als Gottesdienst Analogien217 in der zeitgenössischen Philosophie und auch im jüdischen Denken. Weniger eindeutig als beispielsweise Philo hat die pharisäische Bewegung dem Gedanken Ausdruck verliehen, dass das alltägliche Leben selbst als Gottesdienst (und das heißt in der Antike immer auch Opfergottesdienst) zu begreifen sei. Viele von den damaligen Autoren als pharisäisch wahrgenommene Besonderheiten im Leben und Denken lassen
215 Das Prüfen des Willens Gottes war auch schon in Röm 2,18 Thema – unter der Maßgabe, dass das als Gottes Willen Erkannte doch nicht in die Tat umgesetzt wird. Phil 1,10 formuliert eine ganz ähnliche Zielaussage im Blick auf Menschen, die schon zu Christus gehören. 216 Der Wille Gottes erscheint auch in 1 Thess 4,3 als ethischer Leitbegriff, der zusammenfasst, was Gott von den Menschen will. Dort besteht er ausdrücklich in der Heiligung (vgl. Kapitel 4, 3). In Gal 1,4 fungiert er als soteriologischer Leitbegriff, der zusammenfasst, was Gott für die Menschen will (vgl. auch Röm 1,10; 15,32). 217 Diese Analogien bleiben auch dann bestehen, wenn man – wie hier geschehen – das Syntagma logikh. latrei,a nicht als rezipierten und ggf. korrigierten philosophischen Terminus versteht. Paulus entwirft unabhängig von diesem Begriff einen Gottesdienst, der sich im „Alltag der Welt“ (KÄSEMANN [1964a], 198ff) und nicht (primär) in einem Tempel vollzieht, der also ethisch qualifiziert ist. Dabei könnte diese Formulierung zu dem Missverständnis verleiten, dass Paulus einen alternativen Gottesdienst entwirft, der den Gottesdienst im Tempel ersetzt. Das ist möglicherweise eine Konsequenz, die sich aus seinem Denken ergibt, aber es ist nicht seine Intention. Paulus konzipiert keinen Kult, den er ethisch qualifiziert, sondern eine Ethik, die er kultisch beschreibt.
Kapitel 9. Kultische Sprache im Römerbrief
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sich aber recht eindeutig als Ausdruck des Versuches verstehen, das Leben im Angesicht des Gottes Israels als heiliges Leben zu führen.218 Im Judentum im Land Israel und in der Diaspora, aber auch in der paganen Religiosität scheint zu der Zeit, in der Paulus sich an die Gemeinde in Rom wendet, immer wieder der Gedanke auf, dass der Gottesdienst nicht (allein) im korrekten Vollzug der Opferriten bestehen kann. Mindestens ebenso wichtig, manchen auch noch wichtiger, ist eine Lebensführung, die auch in den alltäglichen Lebensvollzügen Gott entspricht und ihm gefällt.219 In der Nachbarschaft der Menschen, die diesen Gedanken geäußert haben, ruft Paulus seine Adressaten dazu auf, sich selbst als Opfer Gott zu übereignen und ihr Leben als logikh. latrei,a zu leben.
10. Paulus im halachischen Diskurs über reine und unreine Speisen: Röm 14,14 und 20 10. Paulus im Diskurs über reine und unreine Speisen: Röm 14,14 und 20
Zu Beginn des vierzehnten Kapitels ruft Paulus zu einer Haltung auf, die unterschiedliche Lebensweisen in der Gemeinde nebeneinander akzeptiert (proslamba,nesqe). Konkret geht es dabei um Unterschiede hinsichtlich der Speisegewohnheiten und um Kalenderfragen. Wie diese Differenzen motiviert sind, lässt Paulus offen, auf der Linie seiner Argumentation ist diese Frage im Prinzip auch nicht von Belang. Sowohl im Judentum als auch in bestimmten paganen Kulten gab es die Vorstellung, dass man manche Dinge essen darf und andere nicht,220 dass bestimmte Tage in religiöser Hinsicht eine andere Qualität haben als andere (vgl. nur die beeindruckende Übersicht über römische Feiertage bei Ovid, fast.). Von daher lässt sich die paulinische Maxime sowohl auf das Zusammenleben von Juden und Nichtjuden als auch auf das Miteinander unterschiedlich geprägter Christen nichtjüdischer Herkunft anwenden. Dass Paulus aber vor allem das Zusammenleben von Juden und Nichtjuden im Blick hat, ergibt sich aus folgenden Beobachtungen. 1. Die Argumentation des gesamten Briefes läuft auf 15,7ff zu und zielt damit auf das gemeinsame Gotteslob von Juden und Nichtjuden. 15,7 greift mit der Aufforderung proslamba,nesqe direkt auf 14,1 zurück, so dass man auch von der Terminologie her vermuten kann, dass Paulus an beiden Stellen das
218
Vgl. den Exkurs in Kapitel 2 2.2; zu Röm 11,16 (Abschnitt 8). Weiteres bei VAH(2005), 64f. 219 Vgl. dazu Kapitel 3, 4.1. 220 Besonders den Pythagoräern werden entsprechende Regelungen zugeschrieben vgl. Plutarch (mor. 286 D; 727 B; 728 C ff); Diogenes Laertios, 8,19. In den Leges Sacrae sind Regelungen geläufig, die vor dem Besuch eines Heiligtums den Verzehr bestimmter Speisen untersagen (vgl. Kapitel 3, 3.2. Weiteres bei M ICHEL [1978], 419f). RENHORST
10. Paulus im Diskurs über reine und unreine Speisen: Röm 14,14 und 20
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Gleiche meint. 2. Die Differenzierung von Speisen in „rein und unrein“ ist typisch für das Judentum. In paganen Texten werden verbotene Speisen nicht unrein genannt.221
Paulus formuliert im Indikativ, was als Beurteilungskriterium in diesen Fragen in Anschlag zu bringen ist, nämlich der Bezug zum Herrn,222 der sich daraus ergibt, dass Christen dem Herrn gehören (14,8: tou/ kuri,ou evsme,n).223 Die aktuell zur Debatte stehenden Lebensvollzüge – ja Leben und Sterben überhaupt – sollen aus der Zugehörigkeit zu Christus heraus vollzogen werden,224 der Herr über Tote und Lebende ist (14,7–9). Mit Vers 10 setzt ein zweiter Argumentationsgang ein: Vor der bh/ma Gottes „werden wir uns alle aufstellen“, um vor Gott niederzufallen und ihn als Gott zu bekennen, wie Paulus vor dem Horizont der Schrift225 erwartet. Inhaltlich entsteht ein Bezug zu Röm 15,7ff, dem Text, der zentral das Miteinander von Juden und Nichtjuden vor Gott in den Blick nimmt.226 Wenn nun das gemeinsame Bekenntnis aller vor dem Angesicht Gottes das Ziel aller Wege Gottes mit den Menschen ist, dann verbieten sich innergemeindliche Diskriminierungen von selbst. Das Argument gewinnt von Vers 12 her die Dimension des Endgerichtes hinzu: Vor Gott und – so darf man ergänzen – niemandem sonst haben sich die Menschen zu verantworten.227 Weil sie Gott Rechenschaft schuldig sind, haben die Glieder der Gemeinde nicht über ihre Lebensführung zu richten.228 Auf der Linie von 1 Kor 8,9.13 setzt Paulus nach diesen grundsätzlichen Ausführungen seine Argumentation nun fort, indem er dazu auffordert, das eigene Verhalten liebevoll so zu gestalten, dass es dem „Bruder“ nicht zum Verhängnis wird (14,13ff). Hatte Paulus in der Götzenopferfleischfrage im 221 Vgl. auch DUNN (1988), 799ff. Begrifflich spricht Paulus eigentlich nur von „reinen“ Speisen (14,20). Der Gegenbegriff, den er verwendet, ist koino,j (14,14). 222 Der Dativ kuriw/| wird von der Lutherübersetzung (1984) mit „im Blick auf“, von der Einheitsübersetzung mit „zur Ehre des“ (so auch NRSV und die niederländische Nieuwe Bijbelvertaaling) übersetzt. Die revidierte Elberfelder gibt den Dativ so offen wieder, wie er auch im Griechischen verstanden werden kann. 223 Vgl. Röm 6,11.22 u.ö. 224 In Röm 12,1f hatte Paulus den gleichen Gedanken in kultischer Terminologie formuliert (vgl. Abschnitt 9). 225 Paulus untermauert seine Argumentation mit einer Zitatenreihe, die die nichtjüdischen Völker den Gott Israels loben lässt. Besondere Erwähnung verdient Dtn 32,43, ein Vers, den Paulus in der Fassung der LXX zitiert. Der masoretische Text gibt den Gedanken des gemeinsamen Gotteslobes von Juden und Heiden nicht her. Hier erscheint das Volk als Gegenstand des Lobpreises. 226 Vgl. dazu KRAUS (1996), 326ff. Ein weiterer Bezug ist sicherlich Röm 11,32. 227 Dies implizierte schon die Verwendung des Begriffs bh/ma in Vers 10 (bei Paulus nur noch in 2 Kor 5,10). Dieses Wort begegnet in der LXX nur in der Bedeutung „Schritt“ oder „Rednertribüne“. In der paganen Literatur bezeichnet es aber auch den Richterstuhl (vgl. Aristophanes, Ekkl.677; Plut 382). 228 In 1 Kor 5f hat Paulus sich deutlich anders geäußert (vgl. Kapitel 5, 5).
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1. Korintherbrief so argumentiert, dass es gar keine Götzen gebe (8,4ff) und darum allein das Gewissen des Nächsten Richtschnur des Handelns sein sollte (8,10), so argumentiert Paulus hier ähnlich, indem er zunächst die sachliche Basis der Unterscheidung reiner und unreiner Speisen in Frage stellt: „nichts ist an sich unrein (ouvde.n koino,n di’ e`autou/) – außer für den, der es für unrein hält“ (14,14). Das Wort koino,j ist vor profangriechischem Hintergrund mit der Bedeutungsnuance, in der Paulus es verwendet, völlig unverständlich. Nur in jüdischen Texten (einschließlich der neutestamentlichen Belege [s.u.]) begegnet es in der Bedeutung „profan“ oder „unrein“.229 In der LXX wird es nur in 1 Makk 1,47.62 (unreine Tiere / Speisen) in diesem Sinn gebraucht. Im Aristeasbrief wird von dem Schriftsteller Theopomp berichtet, der in seine Geschichtsdarstellung etwas aus einer Vorläuferübersetzung der LXX einfließen lassen wollte. Er wurde von Gott mit dem vorübergehenden Verlust des Verstandes bestraft, weil er versucht habe, heilige Wahrheiten an „koinou.j avnqrw,pouj“ zu vermitteln (315). Ob damit „normale“ Menschen oder unreine gemeint sind, lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden. Josephus benennt mit koino,j und verwandten Wörtern das Essen unreiner Speisen (Ant 11,346), die Entweihung des Tempels (12,320) und die nichtjüdische Lebensweise von Juden (13,4). Wenn der Eindruck richtig ist, dass die in 1 Makk genannten Stellen am Beginn der sprachlichen Entwicklung in den jüdischen Texten stehen, so ist K. Haackers Beobachtung von besonderem Gewicht: „Die Wortgruppe koino,j hat in der gesamten Profangräzität einen positiven, zuweilen sogar hohen Klang. Seine negative Füllung bekommt koino,j nur im Judentum durch den Versuch der seleukidischen Religionspolitik, die Juden in religiöser Hinsicht an die hellenistische ‚Allgemeinheit’ anzupassen.“230 Während Philo das Wort nicht in dieser Weise gebraucht, ist es im Neuen Testament in verschiedenen Schriften verbreitet (vgl. Apg 10,14.28; 11,8 zur Bezeichnung von Speisen oder Menschen immer parallel zu avka,qartoj; Hebr 10,29; Apk 21,27). In Mk 7 findet man es und das dazugehörige Verb insgesamt sechs Mal. Paulus dürfte diese jesuanische Tradition231 vor Augen haben, wenn er sich in Röm 14,14 ausdrücklich auf den Herrn Jesus beruft.
Paulus setzt also sehr eindeutig den jüdischen Sprachgebrauch voraus.232 Inhaltlich hebt er hier nun keineswegs den Unterschied zwischen reinen und unreinen Speisen oder gar den zwischen heilig und profan auf.233 Vielmehr bindet er Reinheit und Unreinheit an die Einschätzung des Men229
Vgl. HAACKER (1999), 286 im Anschluss an P ASCHEN (1970), 166ff. HAACKER (1999), 286. 231 Vgl. VAHRENHORST (2002), 394, Anm. 4. Zur Abschlussformulierung gibt es eine Parallele in BemR 19,1. Dort werden weitere „kurios“ anmutende Details der Reinheitshalachot in Frage gestellt. Die Lösung ist die gleiche, die in PesR Jochanan ben Zakkai in den Mund gelegt wird (s. u.). 232 In gleicher Weise verfährt Josephus, der ja ebenfalls für eine nichtjüdische Leserschaft schreibt (vgl. HAACKER [1999], 286). 233 So sieht es die ältere Forschung. Ich verweise exemplarisch auf MICHEL (1978), 431 und KÄSEMANN (1973), 362. 230
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schen: „für den, der etwas für unrein hält, ist es unrein“ (tw|/ logizome,nw| ti koino.n ei=nai( evkei,nw| koino,n). An dieser Stelle sei ausdrücklich daran erinnert, dass Paulus und Jesus nicht die einzigen Juden sind, die den Gedanken aussprechen, dass die Unterscheidung von rein und unrein keine objektive Basis hat. Oben haben wir den Rabban Jochanan ben Zakkai in den Mund gelegten Ausspruch: „Der Tote verunreinigt nicht, und das Wasser reinigt nicht“ (PesR 14 / PesK 4,7 [ed. Mandelbaum, 74]) besprochen. Damit wird im Namen der Gründungsgestalt des sich neu formierenden Judentums die Basis des biblischen Systems von rein und unrein in Frage gestellt, denn es gibt keine gravierendere Form der Unreinheit in der Tora als die Totenunreinheit (dazu Kapitel 2, 1.3.1 und den Exkurs unter 2.2 und 2.3), und man wird folgern dürfen: „Wenn schon da nichts dran ist, was ist dann erst mit allen anderen Unreinheiten, von denen die Tora spricht?“ Jochanans Schlussfolgerung unterscheidet sich nun von der Jesu nach Mk 7 oder der des Paulus (die sich untereinander [geschweige denn mit dem matthäischen Jesus] auch nicht einig sind!): „Es handelt sich dabei aber um ein Dekret des Ortes (= Gottes). Der Heilige, gelobt sei er, hat gesagt: „Eine Satzung habe ich gesetzt und ein Dekret dekretiert – und du bist nicht befugt, mein Dekret zu übertreten“.234 Jochanan entscheidet sich also dafür, die sachlich unbegründete Unterscheidung als göttliche Vorgabe zu respektieren.
Der Gedanke, dass die Unterscheidung von rein und unrein in der Sache eigentlich substanzlos ist, ist also keinesfalls „unjüdisch“,235 er ist vielmehr im Denken der Pharisäer vorbereitet, die – wie es sich oben darstellte – die Unterscheidung von heilig und profan bzw. rein und unrein in gewisser Weise deobjektiviert haben. Die Art, wie Paulus mit diesem Gedanken umgeht, mag sich von der des Jochanan ben Zakkai unterscheiden, hat ihrerseits aber auch Parallelen in der rabbinischen Halacha. Exkurs: Der halachische Kontext von Röm 14,14 Studiert man tannaitische Texte zur Problematik von rein und unrein, so fällt sehr bald auf, dass Reinheit und Unreinheit dort nicht einfach nur technische Kategorien sind, die sozusagen automatisch wirken. Das wäre der Fall, wenn z. B. ein Mensch, der etwas Unreines berührt, in jedem Fall „ex opere operato“ unrein würde. Dann wäre Unreinheit etwas Substanz-
234
Vgl. dazu VAHRENHORST (2002), 401. P. B ILLERBECK (Bill II702f), erwähnt bei Apg 10,11 eine Stelle aus dem MTeh zu Ps 146,7. Dort wird die Erwartung geäußert, dass Gott in der Zukunft unreine Tiere für rein erklären wird. Dieser Midrasch basiert auf den Worten ~yrwsa rytm (der die Gefangenen befreit [so auch LXX]). Wenn man das zweite Wort anders vokalisiert, liest man „der Verbotenes erlaubt“. Im gleichen Paragraphen werden noch andere Verbote, die Gott in Zukunft aufheben könnte, in Erwägung gezogen (Menstruationsbestimmungen und Regelungen, die Sexualität und Heiligkeit betreffen). Salomon Buber schreibt diesen Midrasch in seinem Kommentar zu MTeh dem mittelalterlichen Exegeten Moshe HaDarschan (11. Jh.) zu. 235
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haftes, das sich wie eine ansteckende Krankheit bei dem geringsten Kontakt ausbreitet. 236 Dass dem in der tannaitischen Literatur nicht so ist, lässt sich anhand folgender Mischna gut erläutern: „Einer der sagt: ‚Ich habe dies berührt, aber weiß nicht, ob es unrein war oder ob es rein war’, [oder] ‚Ich habe [dies] berührt, aber weiß nicht, welches von beiden ich berührt habe’, erklärt Rabbi Akiba für unrein, aber die Gelehrten für rein…“ (mToh 5,2237).
Die erste Beobachtung, die man an dieser Mischna machen kann, ist: Reinheit und Unreinheit müssen von (sachkundigen) Menschen festgestellt werden. Schon daraus ergibt sich, dass Unreinheit nicht von allein wirkt oder sich ausbreitet. Es gibt zweitens mehrere Möglichkeiten, mit Zweifelsfällen umzugehen. Man kann – wie Rabbi Akiba in dieser Mischna – sagen: Im Zweifelsfall erklären wir für unrein. Man kann auch so wie die anonyme Mehrheitsmeinung verfahren und im Zweifelsfall für Reinheit votieren. Wäre Unreinheit in jedem Fall und automatisch kontaminierend, wäre das eine sehr gefährliche Entscheidung, denn dann würden die Rabbinen riskieren, dass jemand, der mit Unreinheit behaftet ist, diese weiter verbreitet. Man kann eine solche Entscheidung also nur treffen, wenn man zumindest bis zu einem gewissen Grad die Rabban Jochanan ben Zakkai zugeschriebene Auffassung teilt, dass „der Tote nicht verunreinigt, und das Wasser nicht reinigt“ – dass also rein und unrein keine automatisch wirksamen Faktoren sind. Noch ein dritter Aspekt wird in dieser Mischna sichtbar, der im Zusammenhang mit Röm 14,14 von besonderer Bedeutung ist: Reinheit und Unreinheit hängen auch von der Wahrnehmung bzw. Wahrnehmungsfähigkeit des Betroffenen ab. Wäre der Betroffene sich im Klaren darüber, ob er etwas Reines oder etwas Unreines berührt hat, so bedürfte es keiner Diskussion – es wäre so, wie er meint (logi,zomai).238 Die hohe Bedeutung des Bewusstseins für das Zustandekommen der Unreinheit kann man aus mToh 3,6 ersehen: „Ein Taubstummer, ein Geisteskranker oder ein Minderjähriger, die in einer Sackgasse angetroffen werden, in der eine Unreinheit ist, sind im Zustand der Reinheit, aber jeder
236 Dieses „technische“ Konzept von rein und unrein vertreten die Qumrantexte (vgl. OTTENHEIJM [2000], 135f). Nach der oben vorgestellten Analyse von E. Regev lag es auch der sadduzäischen Halacha zugrunde (vgl. den Exkurs in Kapitel 2, 2.2). 237 Übersetzung von D. Correns. 238 Die Rabbinen würden ihn auch dann für unrein erklären, wenn er nur glaubt, er hätte etwas Unreines berührt, in Wirklichkeit aber gar nicht mit Unreinheit in Kontakt gekommen ist. Die Rabbinen vertrauen der Wahrnehmung der in ihrem Einflussbereich lebenden Juden in der Regel. Nur beim #rah ~[ entscheiden sie genau anders (vgl. mToh 10,1.3).
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Verständige ist im Zustand der Unreinheit. Und jeder, der keinen Verstand hat, dass man ihn befragen könnte, ist im Zweifelsfall rein“.
Diese Mischna könnte man auf die kurze Formel bringen: Wer nicht weiß, dass er unrein werden kann bzw. unrein ist, ist auch nicht unrein. Alleiniges Kriterium ist hier der Verstand bzw. das Wissen oder Bewusstsein (t[d) des betroffenen Menschen. Diese Beobachtungen lassen sich mit Hilfe eines Zitates von Peter J. Tomson in die allgemeine Entwicklung der Halacha im ersten Jahrhundert einordnen: „The concept of individual responsibility came to constitute an important and independent factor in the evaluation of human actions. This implied that the halakhic quality of ceremonial acts and legal or economic transactions, as well as the halakhic status of the objects involved, depended to a large extent on the conscious intention of the acting person. In this respect, significantly, there was a difference in emphasis between the schools of Shammai and Hillel. The basic attitude of the Hillelites was more rational and less conservative, and it was they who attached more importance to the factor of intention“239
Die von Tomson beschriebene zunehmende Bedeutung des Bewusstseins bei der Erfüllung der Gebote lässt sich an der den Hilleliten zugeschriebenen Auffassung ablesen, dass es nicht genügt, eines der so genannten Pflichtgebete „pflichtgemäß“ zu sprechen. Es kommt ganz wesentlich darauf an, woran man beim Sprechen gedacht hat (vgl. tBer 2,2; tBer 3,5; mBer 5,1). Die Schammaiten entscheiden hier anders: Wer das Schema gesagt hat, hat das Gebot erfüllt – ganz gleich ob er mit dem Herzen bei der Sache war oder nicht. Auch bei der Abgabe der Priesterhebe ist es für die Hilleliten von Bedeutung, was man dabei eigentlich im Sinn hat (tTer 3,7). Die Intention spielt sogar beim Vollzug der Opfer eine Rolle, so detailliert ihre Ausführung beschrieben und geregelt wird, sie wirken keineswegs „ex opere operato“ (mZev 1,2; mHul 2,10; tPes 4,3 u.ö.). Gerade auf dem Feld der Unterscheidung von rein und unrein ist nun die Intention von ganz eminenter Bedeutung. So entscheidet der „Gedanke“ (hbXxm) über die Verunreinigungsfähigkeit eines Gefäßes (mKel 25,9). Ein klassisches Beispiel diskutiert mKel 22,2: „Ein (dreibeiniger M.V.240) Tisch, dem einer der Füße fehlt ist rein, fehlt ein zweiter, ist er rein, fehlt ein dritter, ist er verunreinigungsfähig, denn man kann beabsichtigen, [die Platte allein zu benutzen]“.241 Im Fortgang des Kapitels werden weitere Gegenstände genannt, die nicht „automatisch“ verunreinigungsfähig sind,
239 T OMSON (1990), 213. Tomsons Studie behandelt Röm 14,14 nicht. Weitere Literatur zur Bedeutung der Intention in der Halacha nennt O TTENHEIJM (2000), 142. 240 Vgl. den Kommentar von Ch. ALBECK z. St. 241 Übersetzung D. Correns.
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sondern nur, wenn man sie für einen bestimmten Zweck zu nutzen beabsichtigt.242 Reinheit ergibt sich ebenfalls nicht allein aus dem Vollzug des Tauchbades: „Wenn er untertaucht und das nicht beabsichtigt war, ist es, als ob er nicht untergetaucht hätte“, fasst man in mHag 2,6 zusammen, nachdem man die Reinheit für unterschiedlich heilige Nahrung von der Intention des Menschen abhängig gemacht hat, der das Tauchbad nimmt.243 In gleicher Weise legt man fest, dass es sich bei einer Erdgrube nur dann um ein Grab handelt, wenn sie in der Absicht ausgehoben wurde, dort einen Toten zu begraben (mOhal 16,5). Mischna Ohalot 16,2 diskutiert den Status von Erdhügeln in der Nähe einer Siedlung. Folgende Regeln gelten: „Erdhügel, die nahe einer Stadt oder einer Straße sind, ob frisch [aufgeworfen] ob alt, sind unrein; [liegen sie] fern, sind frisch [aufgeworfene] rein, aber alte unrein. Was ist ‚nahe’? Fünfzig Ellen, und ‚alt’? Sechzig Jahre sind die Worte des Rabbi Me’ir. Rabbi Jehuda sagt: ‚Nahe’, dass kein anderer näher ist, und ‚alt’, wenn sich kein Mensch an seine Entstehung erinnert.“244
Besonders interessant ist für uns die Antwort Rabbi Jehudas, der – anders als Rabbi Me’ir den Status des Erdhügels nicht „mechanisch“ festlegt, sondern daran bindet, ob sich jemand an seine Entstehung erinnert. Der Hügel ist also nicht automatisch rein oder unrein. Letztlich entscheidet darüber die menschliche Wahrnehmung. Auch unreine Speisen sind nicht automatisch unrein – so wird das Aas eines reinen bzw. unreinen Vogels erst in dem Moment unrein, in dem man beabsichtigt, es zu essen (mOhal 13,5 [vgl. auch 13,6; mToh 1,1.3]).245 (Exkurs Ende) Die „grundsätzliche Lehraussage“,246 die Paulus in Röm 14,14 macht, passt also sehr gut ins Spektrum der Entwicklung der halachischen Diskussion 242
Weiteres bei SAFRAI (1987), 190f. Vgl. auch die anschließende Diskussion im Jerushalmi (yHag 2,6 78b–c). Auch dort geht es um die Notwendigkeit der Intention. 244 Übersetzung D. Correns. 245 Die Bedeutung der Intention für das Zustandekommen der Verunreinigungsfähigkeit durch den Kontakt mit Flüssigkeiten arbeitet Eric O TTENHEIJM (2000) anhand ausgewählter Abschnitte aus dem Traktat Makhshirin deutlich heraus. Die Schule Hillels argumentiert dort so: „Intention can classify a future process, but it can also in retrospect classify a process as wanted, thus establishing susceptibility to uncleanness afterwards” (139). Ingesamt lassen sich die Diskussionen zwischen der Schule Hillels und der Schammais in mMakh 1,1ff und tMakh 1,2f wie folgt auf den Punkt bringen: „One could say that this was a dispute between susceptibility by moistening (Beth Shammai) versus susceptibility by will power (Beth Hillel)” (141). Auch Ottenheijm sieht einen Zusammenhang mit dem oben zitierten Ausspruch Jochanan ben Zakkais (144f). 246 HAACKER (1999), 285. 243
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im ersten Jahrhundert nach der Zeitenwende, so wie sie sich in den tannaitischen Quellen darstellt. Das gilt sowohl für die Grundannahme, dass nichts an sich unrein ist, als auch für die Schlussfolgerung, dass es bei der Bestimmung des Status einer Speise auf die Wahrnehmung bzw. das Bewusstsein des Essenden ankommt.247 Erstere erwies sich als unausgesprochene zum Teil aber auch ausgesprochene Voraussetzung rabbinischer Diskussionen über Zweifelsfälle. Letztere gehört zu den ausschlaggebenden Kriterien bei der Feststellung von Reinheit oder Unreinheit bzw. zu den Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit eine Speise oder ein Gegenstand überhaupt unrein werden kann. Die Grundannahme „alles ist rein“ wiederholt Paulus in 14,20. Sie umschließt die Verse 14–20 also wie eine Klammer, denn sie ist es, die dazu nötigt, den Umgang mit Speisefragen in der Gemeinde zu regeln. Paulus gibt den so genannten Starken Recht (vgl. Röm 15,1)248 – zieht daraus aber andere Konsequenzen als sie. Wenn es zwar grundsätzlich keine unreinen Speisen gibt, sie aber von den so genannten Schwachen als unrein wahrgenommen werden (und damit nach 14b tatsächlich unrein werden!), dann müssen zum Schutz der Schwachen bestimmte Maßnahmen getroffen werden. Paulus bleibt ganz auf der Linie seiner Ausführungen in 1 Kor 8ff:249 Alles, was dem Nächsten einen Anstoß bieten könnte, soll unterlassen werden. Zusammenfassend ist zu sagen, dass Paulus seinen Appell zu gegenseitiger Akzeptanz in Röm 14, die die (Tisch-) Gemeinschaft von Juden und Nichtjuden in der Gemeinde garantiert, also mit drei Gedanken untermauert: 1. Es kommt darauf an, dass alle Lebensvollzüge die Zugehörigkeit zu Christus und damit zu Gott realisieren. 2. Einzige Urteilsinstanz ist Gott im Endgericht. 3. Auch wenn die Unterscheidung von reinen und unreinen Speisen keinen objektiven Grund hat, so hat sie sehr wohl einen subjektiven. Dem haben alle in der Gemeinde Rechnung zu tragen, auch wenn das Verzicht mit sich bringt.
247
Das evk pi,stewj aus 14,23 könnte man geradezu mit „bona fide“ übersetzen. Damit wird die paulinische Argumentation auch in einem römischen Kontext verständlich (HAACKER [1999], 291 verweist auf Seneca, Ep. Mor. 10.82.18 und Cicero, Off. I (9) 30). 248 So urteilt die Mehrzahl der Kommentare vgl. z. B. WILCKENS (1989), 90; DUNN (1988), 833; LOHSE (2003), 377. 249 Dort war die Frage eine andere. Es ging nicht um reine oder unreine Speisen, sondern um Götzenopferfleisch. Wollte man das ganz grob den Ordnungen der Mischna zuordnen, so bewegt sich 1 Kor 8ff in der Ordnung „Sanhedrin“, während Röm 14 Fragen verhandelt, die in der Ordnung „Reinheit“ besprochen werden.
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Kapitel 9. Kultische Sprache im Römerbrief
11. Der Apostel als Opfernder und die Christen als Opfergabe: Röm 15,16 11. Der Apostel als Opfernder und die Christen als Opfergabe: Röm 15,16
Dieser Abschnitt hat für die Frage nach der Abfassungsabsicht des Römerbriefes eine kaum zu überschätzende Bedeutung. Nach den inhaltlichen Ausführungen, die der Apostel in Röm 15,13 zum Abschluss gebracht hat,250 blickt er nun zurück auf das gesamte Schreiben an die Gemeinde in Rom und gibt Auskunft, warum er sich brieflich an eine Gemeinde wendet, die er nicht selbst gegründet hat. In einer an eine captatio benevolentiae erinnernden Einleitung bescheinigt Paulus der Gemeinde vollkommene Mündigkeit:251 Sie ist voll aller Güte, erfüllt mit aller Erkenntnis und darum in der Lage, (ethisch und noetisch) selbst zu lehren und zu ermahnen (V.14). Eine solche Gemeinde hätte es eigentlich nicht nötig, einen Brief wie den Römerbrief zu empfangen.252 Daher kann der Zweck seines „teilweise sehr gewagten“ Schreibens (V.15) – wie Paulus seinen Brief rückblickend charakterisiert253 – nicht darin bestehen, die Empfänger über etwas zu belehren, das sie nicht schon wüssten – es geht, wie Paulus in aller Bescheidenheit ausführt, lediglich darum, sie daran zu erinnern.254 Vers 16 gibt nun in kultischer Sprache das Ziel an (eivj to.), auf das diese Erinnerung – also der Römerbrief insgesamt255 – hingearbeitet hat: Pau250
Vgl. zur Abgrenzung dieses Briefteils W ILCKENS (1989), 117; T HEOBALD (1993), 199; HAACKER (1999), 302. 251 HAACKER (1999), 303 spricht von einer „seelsorglich ‚autarken’ Gemeinde“, weist aber zugleich darauf hin, dass die inhaltliche Füllung der lobenden Ausführungen doch recht unbestimmt bleibt. Das Lob entspricht aber der oben (Anm. 5) getroffenen Feststellung, dass Paulus die Gemeinde in Rom keinesfalls als defizitär wahrgenommen hat. 252 Das e;graya in 15,14 hat keinen unmittelbaren Bezug im Kontext und dürfte sich daher auf den ganzen Brief beziehen. Das unterstreicht die grundsätzliche Bedeutung, die diese Verse für den Römerbrief insgesamt haben. 253 Darin kann man sich nur K. B ARTH (1922), 512 anschließen: „Der Standpunkt des Römerbriefs ist in der Tat ein ‚teilweise etwas kühner’ Standpunkt. Friedlicher lebt es sich in anderen Hürden, als im Schatten dieser Möglichkeit…“. 254 Das ist der Sache nach natürlich ein kräftiges Understatement, selbst wenn man berücksichtigt, dass „Erinnern“ biblisch einen volleren Klang hat, der auch die Aspekte „Beachtung, Beherzigung, Zuwendung“ mit einschließt (H AACKER [1999], 303). 255 Dass Paulus hier tatsächlich das ganze Schreiben im Blick hat, kann man daran ablesen, dass er in den Versen 15–18 mehrfach auf Begriffe zurückgreift, die er schon im Praescript eingeführt hatte. Wirkendes Prinzip seines kommunikativen Handelns an den Römerinnen und Römern ist die „Gnade, die ihm gegeben ist“ (vgl. 1,5). „Gnade und Apostelamt“ hatte er nach Röm 1,5 empfangen und das Wesen dieses Apostelamtes wird nun in 15,16–21 entfaltet. Aus dem Praescript wissen wir, dass das Evangelium Gottes Gegenstand dieses Amtes ist und dass es auf die Heiden, näherhin auf ihren Gehorsam zielt. All dies erwähnt Paulus hier erneut, sodass es den Anschein hat, als schlösse er mit diesen Versen eine Klammer, die er im Praescript geöffnet hatte. Ähnlich bewertet es auch T HEOBALD (1993), 200, der 1,1–17 und 15,14–33 als „gezielte Rahmung des Brie-
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lus möchte „Liturg Christi“ sein „auf dem Weg zu den bzw. für die Menschen aus der Völkerwelt, ‚um die heilige Handlung des Evangeliums das Evangelium Gottes zu verrichten’256, damit die Gabe der Menschen aus der Völkerwelt wohlgefällig sei, geheiligt durch den heiligen Geist“. Dies zu tun bezeichnet er als seine Lebensaufgabe (15,17), auf die er zu Recht stolz sein kann257 und zu der er letztlich von Christus selbst legitimiert ist, den Paulus in 15,18 als eigentliches Subjekt seines Sprechens einführt: Paulus spricht – und tut258 – nichts anderes als das, was Christus durch ihn spricht und tut.259 Diese Rückbindung an Christus – als dessen Sklave und Gesandter Paulus seit Röm 1,1 das Wort führt – gilt auch für den Grundsatz seiner missionarischen Tätigkeit, den Paulus in 15,19–21 entfaltet: Auf seinem Weg von Jerusalem bis auf den Balkan hat Paulus im Prinzip260 niemals dort missioniert,261 wo schon andere Missionare vor ihm am Werk gewesen waren. Diese Beteuerung dürfte bei seinen Adressaten die Frage wachgerufen haben, warum Paulus sich dann überhaupt an sie wendet. Diese Frage beantwortet er, indem er seinen Leserinnen und Lesern einen Einblick in seine Reisepläne gewährt: Er will im Westen des Imperium Romanum, in Spanien missionieren und braucht dazu die Unterstützung der Gemeinde in Rom (15,22–24). Dieser knappe Durchgang durch die Argumentation unseres Abschnittes zeigt, dass Paulus hier Wesentliches über seinen Apostolat und das Ziel seines Schreibens an die Römerinnen und Römer zur Sprache bringt. Die argumentative Mitte liegt dabei in Vers 16. Auf ihn laufen die Verse 14 und 15 zu, indem er den Zweck benennt, den Paulus mit seiner „Erinnefes“ versteht. Trotzdem plädiert T HEOBALD (1993), 202 dafür, dass Paulus hier nur auf den in 12,1 begonnenen Briefteil verweise. Das zeige sich u. a. an der Verwendung kultischer Terminologie, die ja auch in 12,1 vorliege. Dazu würde ich hingegen auf das Praescript verweisen, das wie auch einzelne Passagen in den Kapiteln 1–11 ebenfalls in kultischer Sprache spricht. Des Weiteren geht es im paulinischen Lob der Gemeinde um Ethik und Erkenntnis, was schließlich dem Inhalt des gesamten Briefes entspricht. Vgl. auch B ARTH (1967), 174. 256 Übersetzung nach HAACKER (1999), 301. 257 Vgl. 1 Kor 9,15f; 2 Kor 1,14; Phil 2,16. Bezeichnend für das Selbstverständnis des Apostels ist, dass er „in Christus“ – also nicht „in sich selbst“ – stolz auf sein Tun ist (vgl. T HEOBALD [1993], 207). 258 Das führt der folgende Vers 19 aus. 259 Vgl. dazu die Beobachtungen S TARNITZKES (2004), 447ff. 260 Es geht Paulus hier „um ein persönliches Ideal“ (H AACKER [1999], 309) und nicht um eine rechtliche oder tatsächliche Regel. 261 Die Wendung „das Evangelium erfüllen“ bereitet der Auslegung Schwierigkeiten (vgl. HAACKER [1999], 307). Dass sie die Verkündigung des Evangeliums meint, könnte die Fortsetzung in Vers 20 nahe legen, die ja ausdrücklich vom euvaggeli,zesqai spricht.
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rung“ verfolgt. Die Verse 18–21 entfalten danach zwei Grundsätze, die für die paulinische Missionsarbeit konkret gelten. Untersuchen wir daher zunächst die Begrifflichkeit von Vers 16 genauer:262 Paulus möchte leitourgo.j Cristou/ vIhsou/ eivj ta. e;qnh sein. Dass der Apostel sich mit seiner Verkündigung an nichtjüdische Menschen wendet, wissen seine Adressaten seit 1,5. Dass er dazu ausgesondert ist, das in der Rolle eines leitourgo,j263 – also in kultischer Funktion – zu tun, könnte sie an Röm 1,9 erinnert haben, wo Paulus seine Verkündigung und sein Gebet, ja sein ganzes Leben ebenfalls als kultischen Dienst darstellt.264 Vom Sprachgebrauch der LXX her kann es sich bei einem leitourgo,j aber auch um einen Diener handeln, der in profanen Kontexten seinen Dienst tut (am Königshof [z. B. 2 Sam 13,18] oder im Gefolge eines Propheten [2 Kön 4,42; 6,15]). In diesem Sinn hat Paulus selbst diese Vokabel wenige Kapitel zuvor (13,6) im Blick auf die Steuereinnehmer des römischen Staates angewendet, denn sie versehen ihren Dienst in der Wahrnehmung des Apostels als „Diener Gottes“.265 An Kultfunktionäre denkt die LXX hingegen in Esra 7,24, an Dienst tuende Priester in Neh 10,40 und Jes 61,6.266 Das Bedeutungsspektrum, das dieser im paganen Griechisch hauptsächlich inschriftlich belegte Begriff hat, entspricht dem der LXX recht genau. Auch hier kann damit jemand gemeint sein, der „im Auftrag einer öffentlichen Dienstleistung steht“.267 In paganen Kulten begegnet der leitourgo,j ebenfalls (LSCG 65,74.98268). Isoliert man den Begriff von seinem Kontext, dann ist er also sowohl für profane als auch für kultische Konnotationen offen. Die Fortsetzung des Verses gibt ihm jedoch ein – Juden und Nichtjuden gleichermaßen verständliches – kultisches Gefälle, spricht sie doch davon, dass Paulus das Evangelium zum Gegenstand einer opfernden bzw. heiligen Handlung269 machen will (i`erourgou/nta to. euvagge,lion tou/ qeou/).270 262 Die biblisch-jüdische Begriffsgeschichte der einzelnen Termini hat W. STRACK (1994), 44–65 zusammengestellt. 263 Zur Bedeutung von leitourgi,a vgl. zu 2 Kor 9,12. 264 So auch HAACKER (1999), 304. 265 Interessant ist, dass Paulus mit dieser Bezeichnung dem Sprachgebrauch der Papyri recht nahe kommt, die die zu leistenden Steuern und Abgaben leitourgi,a nennen können (vgl. STRATHMANN [1942], 224). 266 Unspezifischer bleiben Ps 103,21 und Ps 104,4. 267 STRACK (1994), 45. Exemplarische Belege erschließt S TRATHMANN (1942), 236. 268 Weiteres bei STRATHMANN (1942), 237. 269 Vgl. LSJ s.v. 270 Als Gegenstand einer Opferhandlung erscheint euvagge,lion, allerdings im Plural, bei Diodorus Siculus (15,74,2): Der Tyrann Dionysios von Syrakus opfert nach dem Empfang einer guten Nachricht ein Opfer dafür: toi/j qeoi/j euvagge,llia qu,saj und veranstaltet danach ein Festmahl (vgl. HAACKER [1999], 304).
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Das Verb i`erourge,w findet sich abgesehen von unserer Stelle weder im NT noch in der LXX. 271 Auch in der paganen Literatur ist es eher selten. Wo es sich findet, bezieht es sich auf „heilige Handlungen“.272 Dazu gehört z. B. eine geheimnisvolle nächtliche Zeremonie, die Alexander vor einer Schlacht vollzogen haben soll. Im unmittelbaren Kontext ist von einem Opfer an den Gott Phobos (Plutarch, Alexander 31,9) die Rede, doch ist es unklar, ob i`erourge,w hier selbst opfern meint. Eine gewisse Nähe zum Opfer weist auch das Ausrichten einer Göttermahlzeit auf, bei der Götter durch ihre Bilder vertreten werden (CIG Addenda zu 4528). Philo und Josephus denken bei der Verwendung von i`erourge,w in der Regel an einen Opfervorgang.273 Der pagane Sprachgebrauch ist demgegenüber offener.274 Deutlich ist in jedem Fall, dass dieses Verb ausschließlich in kultischen Zusammenhängen begegnet, wodurch dem Verständnis von Röm 15,16 insgesamt der Weg gewiesen wird. Da das Wort selbst sich in seiner Bedeutung nicht genauer eingrenzen lässt, können wir nur sagen, dass Paulus seinen Umgang275 mit dem Evangelium als kultische Handlung (vgl. 1 Kor 9,13: oi` ta. i`era. evrgazo,menoi) verstanden hat und dass er sich in dieser Weise seinen Adressaten vorstellt. Im Folgenden präzisiert Paulus nun den Zweck seiner Verkündigung: „i[na ge,nhtai h` prosfora. tw/n evqnw/n euvpro,sdektoj“. Sein Dienst am Evangelium geschieht, „damit die Gabe der Menschen aus der Völkerwelt angenehm werde“. Prosfora, ist kein Opferterminus des LXX-Pentateuch, begegnet aber jenseits davon sechzehn Mal. Er übersetzt einmal das hebräische hxnm in Ps 40,7 und ~ynp in der Wendung „Schaubrote“ (1 Kön 7,34). Ansonsten begegnet er parallel zu anderen Opfertermini, so dass die Bedeutung „Opfergabe“ für die LXX als gesichert angenommen werden kann.276 Wirft man einen Blick auf die Verwendung des dazugehörigen Verbs prosfe,rw, so verstärkt sich dieser Eindruck, denn dieses ist im Pentateuch die Standardübersetzung von brq (hi.) „darbringen“ und damit einer der geläufigsten Opfertermini überhaupt.277 Auch in nichtjüdischen 271 In 4 Makk 7,8 begegnet es als Varia lectio mit to.n no,mon als Objekt. Dort könnte es „priesterlich verwalten“ bedeuten (vgl. SCHRENK [1938], 252). 272 STRACK (1994), 48. 273 Belege bei SCHRENK (1938), 252. 274 Ein breiteres Bedeutungsspektrum hat das Nomen i`erourgi,a, das allgemein für Gottesdienst, Kult und Tempeldienst stehen kann. 275 Der Sache nach kann es nur um die Verkündigung des Apostels gehen, denn etwas anderes macht er mit dem Evangelium nicht. 276 Vgl. STRACK (1994), 49 und 51. Gleiches gilt für die frühjüdischen Schriften – abgesehen von Philo und Josephus, die auch einen nicht kultischen Gebrauch des Wortes kennen (STRACK [1994], 52). 277 Vgl. dazu VAHRENHORST, Exkurs zur Opferterminologie im Begleitband zu LXX.D.
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Kontexten ist er in diesem Sinn verbreitet (vgl. nur LSAM 9,21; LSCG, Suppl 25 A 13.15; LSCG, Suppl 79,2; LSCG 55,19). Wie aber ist der Genitiv tw/n evqnw/n aufzufassen? Handelt es sich um eine Opfergabe, die die Nichtjuden darbringen, oder werden die Nichtjuden als Opfergabe dargebracht? Blickt man auf vergleichbare Aussagen in anderen Paulusbriefen, so bringen die nichtjüdischen Gemeindeglieder ja in der Tat eine Gabe dar, nämlich die Kollekte für die Heiligen in Jerusalem. Diese nennt Paulus zwar nirgends prosfora,, aber dass es sich bei ihr um mehr handelt, als um eine rein zwischenmenschliche Transaktion, wird aus Stellen wie 2 Kor 8,19 und 9,12 deutlich.278 Vor diesem Hintergrund wäre es möglich, auch unseren Vers davon reden zu hören. Die Adressaten des Paulus wissen von einer solchen Kollekte (aus dem Römerbrief!) bisher aber nichts. Erst die Verse 15,26ff werden sie darüber in Kenntnis setzen. Für das Verständnis unserer Stelle besagt das, dass wir nicht davon ausgehen können, dass Paulus hier von einer Gabe spricht, die die nichtjüdischen Gemeindeglieder selbst darbringen, wenn er sich denn seinen Adressaten verständlich machen wollte. Außerdem wäre eine Zuspitzung seines ganzen apostolischen Wirkens auf diesen einen Zweck, dass die Kollekte der Völker Gefallen finden möge, doch etwas überzogen.279 Wenn wir diese Deutung also ausschließen können, dann müssen es die nichtjüdischen Gemeindeglieder selbst sein, die als Opfergabe dargebracht werden280 – und zwar von Paulus, wie aus den vorangegangenen Prädikaten ersichtlich wird. Eine Opfergabe erfüllt nur dann ihren Zweck, wenn sie von der Gottheit auch wohlwollend in Empfang genommen wird. Die Übersetzer des LXXPentateuchs wählen dafür die Wortgruppe dekto,j, zu der auch das euvpro,sdektoj unseres Verses gehört.281 Diese Näherbestimmung würde 278
Vgl. dazu Kapitel 6, 6 und 7. DUNN (1988), 860 zieht unter Berufung auf ROBINSON (1974), 231 vorsichtig in Erwägung, dass die Heiden tatsächlich eine Gabe darbringen, aber nicht die Kollekte, sondern sich selbst – auf der Linie von Röm 12,1. Dazu ist aber zu bemerken, dass die Begrifflichkeit in beiden Versen doch sehr unterschiedlich ist, was einen direkten Bezug auch für die ersten Leserinnen und Leser schwierig gemacht haben dürfte. 280 Vgl. CRANFIELD (1986), 756 „sacrifice consisting of the Gentiles“; so auch M ICHEL (1978), 457; LOHSE (2003), 394; G IGNAC (2006), 403. In Jes 66,20 sind es die in der Diaspora lebenden Israeliten, die als eine „Opfergabe für den Herrn“ ( hxnm) nach Jerusalem gebracht werden. Die LXX übersetzt diesen Begriff (der in Ps 39,7 [LXX] ausnahmsweise mit prosfora, wiedergegeben wurde) hier mit dw/ron (Gabe). Damit ist die Bezeichnung einer Menschengruppe als Opfergabe in der biblischen Sprachwelt vorbereitet. 281 Vgl. Kapitel 7, 5; STRACK (1994), 56. 279
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auch dann einen Sinn ergeben, wenn die Menschen aus der Völkerwelt selbst eine Opfergabe darbrächten. Dass sie aber nicht Geber, sondern Gabe sind, wird eindeutig durch eine weitere Qualifizierung dieser Gabe am Ende des Verses gestützt. Dort heißt es „sie [d.h.: die Gabe] ist geheiligt durch den heiligen Geist (h`giasme,nh evn pneu,mati a`gi,w|)“. Damit greift Paulus auf eine Wesensbestimmung der Christen zurück, die seit dem 1 Kor begrifflich ausgebildet ist (vgl. Kapitel 5, 1). Von dieser schon bekannten Denkfigur her, lässt sich nun auch die Redewendung von der Opfergabe der Völker deuten: Sachlich geht es darum, dass die Menschen aus der Völkerwelt zu Gott kommen. Das kann Paulus mit dem Verb a`gia,zein zur Sprache282 bringen oder mit dem Titel a[gioi verdeutlichen: Bei den Gläubigen handelt es sich um solche, die in einem Eigentumsverhältnis zu Gott stehen, sie sind ihm geweiht.283 In Röm 15,16 verwendet Paulus zusätzlich das Juden und Nichtjuden in der Antike völlig verständliche Bild von einer Opfergabe, deren Wesen es ja ist, Gott übereignet zu werden. Gegenüber dem uns schon bekannten Gebrauch von a`gia,zein transportiert die Beschreibung der Heiden als Opfergabe aber nicht nur den Gedanken, dass Menschen – durch den Geist Gottes284 – auf die Seite Gottes gestellt werden, sie ermöglicht es zudem auch, die Rolle, die Paulus in diesem Prozess spielt, präzise zu beschreiben. Indem Paulus das Evangelium unter den Heiden verkündigt, bringt er Menschen aus den Völkern zum Gott Israels – so wie ein Priester oder ein anderer Mitwirkender am Kult eine Opfergabe zu Gott bringt. Von dieser Denkfigur her ergibt sich die Anwendung anderer kultischer Termini auf den Apostel und sein Wirken von selbst (vgl. 1 Thess 2,10; 1 Kor 4,13; 1 Kor 9,13; 2 Kor 2,14; Phil 2,17; Röm 1,9): Weil Menschen, die Christen werden, aus der Gottesferne in die (Macht-) Sphäre Gottes versetzt, Gott übereignet und damit selbst heilig werden, kann derjenige, der diesen 282 Vgl. auch STRACK (1994), 65, der a`gia,zein zutreffend als „Relationsbegriff“ beschreibt, der den Gedanken der „Gottesgemeinschaft“ und exklusiven „Erwählung durch Gott“ unmittelbar impliziert. K. HAACKER (1999), 305 spricht von einem „grundsätzlichen Frontwechsel von der Feindschaft gegen Gott unter der Herrschaft der Sünde zu einem Leben vor den Augen und nach dem Herzen Gottes“. Damit fängt er zugleich den Aspekt ein, dass die Gabe, die die Heiden darstellen, Gott gefallen soll (euvpro,sdektoj) und macht deutlich, dass der Status der Heiligkeit notwendigerweise deren Bewahrung fordert – also zur Ethik überleitet. „Frontwechsel“ entstammt aber einem anderen Begriffsfeld als dem des Kultes. 283 Vgl. Kapitel 2, 1.2. 284 Die pneumatologische Komponente dieses Vorgangs zeigte sich schon im frühesten heiligkeitstheologischen Text im Corpus Paulinum, in 1 Thess 4,8. Sie begegnete breit im 1 Kor. Die Übereignung des Menschen an Gott ereignet sich mit der Begabung mit dem Geist Gottes. Darum kann der Heilige Geist als die Kraft beschrieben werden, die Menschen heiligt.
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Schritt ermöglicht und fördert, auch als jemand beschrieben werden, der die heilige Handlung einer Gabendarbringung vollzieht.
12. Zusammenfassung 12. Zusammenfassung
Der Römerbrief darf auch hinsichtlich seiner Verwendung kultischer Terminologie als die wohl durchdachteste Schrift des Apostels gelten. Sie umschließt den Brief wie eine Klammer und verdeutlicht den Leserinnen und Lesern in Rom zunächst Grundsätzliches über das paulinische Wirken: Paulus steht in einem kultisch qualifizierten Dienstverhältnis zu Gott (1,1 [avfwrisme,noj]; 1,9 [latreu,w]). Seine spezielle Aufgabe ist es, Menschen als Gott wohlgefällige Gabe (prosfora,) aus der Gottesferne heraus auf die Seite Gottes zu überführen (15,16). Aus dieser Selbstvorstellung ergibt sich zugleich eine Beschreibung der Gemeinde. Lebten die Menschen zuvor im Zustand der Gottesferne (in kultischer Logik konsequent als Unreinheit beschrieben [avkaqarsi,a: 1,24; 6,19]), so sind sie als Christen nun Gott übereignet, also geheiligt (1,7 [a[gioi]; 15,16 [h`giasme,nh]). Aus diesem neuen Status ergeben sich ethische Konsequenzen, die Paulus ebenfalls mit Begriffen und Bildern aus der Welt des Kultes aufzeigt: Wer einmal aus dem Status der Unreinheit herausgeholt wurde, dessen Handeln soll auf Heiligung zielen (6,19.22 [eivj a`giasmo,n]), weil er eben nun heilig ist. Besonders prägnant zeigt sich die Verbindung von neuem Status und neuem Handeln in Röm 12,1f. Wenn die Christen als Opfergabe Gott übereignet worden sind, sollen sie diesem Geschehen in ihrem Leben Gestalt geben, indem sie sich in all ihren Bezügen Gott übereignen und selbst als Opfer leben.285 Das ganze Leben wird so zum Gottesdienst. Wie schon in früheren Briefen eignet sich die kultische Begrifflichkeit in besonderer Weise zur Illustration des Verhältnisses von Sein und Sollen, von Ekklesiologie und Ethik.286 Ebenfalls aus früheren Briefen vertraut ist die Parallelität von Rechtfertigung und Heiligung. Im Römerbrief entfaltet und durchdenkt Paulus den Statuswechsel aus der Gottesferne hin zu Gott bekanntermaßen hauptsäch285
Dieses Motiv findet sich ebenfalls im Philipperbrief (Kapitel 7, 2; 3; 5), ist dort allerdings viel schwieriger zu durchschauen und einzuordnen als im Römerbrief. Das zeigen nicht zuletzt die Diskussionen, die in der Auslegung zu den einschlägigen Texten geführt werden. Wenn man nicht annehmen möchte, dass Paulus nach den begrifflichen Klärungen in Röm 6 und vor allem in Röm 12 die Bilder im Philipperbrief wieder unschärfer einsetzt, legt es sich nahe, den Philipperbrief vor den Römerbrief zu datieren. Was Paulus dort noch unscharf formuliert hat, erscheint dann im Römerbrief in gedanklicher Klarheit. 286 Die Gerechtigkeitsterminologie wird im ethischen Teil des Briefes nur noch in 14,17 wieder aufgegriffen. Sie bestimmt die Ethik zumindest begrifflich nicht.
12. Zusammenfassung
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lich rechtfertigungsterminologisch (1,16f; 3,21ff). Der Sache nach sagt er damit aber nichts anderes als das, was er auch mit Hilfe der Heiligkeitsterminologie zur Sprache bringt: Gott baut eine Beziehung zu den Menschen auf, indem er den Gottlosen rechtfertigt (4,5) und indem er Menschen heiligt und seinen Geist in ihnen wohnen lässt (15,16; 8,9). In enger Verbindung erscheinen beide Begriffsfelder in 6,19ff. Unreinheit und Sünde werden dort der Gerechtigkeit und Heiligkeit gegenübergestellt. Abgesehen von den genannten Passagen begegnet kultische Begrifflichkeit noch in weiteren Zusammenhängen. In Röm 3,25 greift der Apostel vermutlich auf eine Formel zurück, die den Tod Jesu als Einsetzung einer neuen Sühnestätte deutete. Das darin angelegte Verständnis des Todes Jesu in kultischen Kategorien baut Paulus aber nicht weiter aus, so wie er auch sonst an kultischen Deutungen des Todes Jesu nicht weiter interessiert ist. Paulus formuliert in kultischer Sprache seine persönlichen Wünsche und Hoffnungen für die Juden, die nicht zu Christus gehören (9,3). Als Weihegabe möchte er aus Christus herausgenommen werden, um für seine Stammverwandten etwas Gutes zu bewirken. Schließlich verwendet er den auch in nichtjüdischen Kulten geläufigen Begriff der avparch,, um in pharisäischer Logik (die Erstlingsgabe desakralisiert den Teig nicht, sondern heiligt ihn) die bleibende Heiligkeit Israels theologisch zu entfalten (11,16). Im Rahmen des halachischen Diskurses im Judentum bewegt sich Paulus, wenn er seine Adressatinnen und Adressaten über die Frage reiner und unreiner Speisen aufklärt (14,14.20): unrein ist eine Speise nur dann, wenn man sie auch für unrein hält.
Kapitel 10
Auswertung Die vorliegende Studie untersuchte die Verwendung kultischer Begrifflichkeit in den Paulusbriefen vor dem Hintergrund ihrer jüdischen und nichtjüdischen Kontexte. Gegenstand der Untersuchung waren solche Texte, in denen entweder Reinheits- bzw. Heiligkeitsterminologie oder andere Begriffe aus der Welt des Kultes Verwendung fanden. Blickt man auf die Besprechung der einzelnen Texte zurück, so zeigt sich, dass Paulus in all seinen Briefen mit Ausnahme des Galaterbriefs zentrale Aspekte seines Denkens mit kultischer Begrifflichkeit zur Sprache bringt: Wie kommen Menschen auf die Seite Gottes? Wer ist die Gemeinde vor Gott und wie sollen sich ihre Glieder verhalten? Welche Funktion nimmt Paulus gegenüber der Gemeinde und gegenüber Gott wahr? Wie steht die Gemeinde zu der sie umgebenden Welt und welchen Umgang darf sie mit ihr pflegen? Auf alle diese Fragen gibt Paulus seine Antworten auffallend häufig in kultisch geprägter Sprache.
1. Kultische Sprache in den Kontexten der Paulusbriefe 1. Kultische Sprache in den Kontexten der Paulusbriefe
Immer wieder konnten wir beobachten, dass die kultische Begrifflichkeit, die Paulus wählt, um seinen vorwiegend nichtjüdischen Adressatinnen und Adressaten Wesentliches über sie und über sich selbst mitzuteilen, Berührungen mit den kultischen Vorstellungen und Begriffen der Welt aufweist, aus der die Leserinnen und Leser stammen, der Welt der mittelmeerischen Kulte des ersten Jahrhunderts. Wie die religionsgeschichtlichen Ausführungen zu Beginn der Arbeit gezeigt haben, verbindet kultisches Denken die jüdische und die nichtjüdische Welt mehr, als dass es sie trennt. Das gilt sowohl im Blick auf die großen Linien der kultischen Systeme als auch für zahlreiche Details, wie im Folgenden überblicksartig gezeigt werden soll:
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Kapitel 10. Auswertung
1.1 Gemeinsamkeiten Die jüdische und die nichtjüdische Welt unterscheidet profane und heilige Bereiche. In der Profanität vollzieht sich der Alltag der Menschen. Dies geschieht zwar nicht ohne Bezug zur Welt Gottes bzw. der Götter, aber doch in gewisser Distanz davon. Im Raum des Heiligen, im Tempel, kommt es hingegen zum unmittelbaren Kontakt zwischen Gott / den Göttern und den Menschen, darum gelten dort andere Gesetze als im Profanen. Beide Bereiche dürfen nicht miteinander vermischt werden, vor allem darf das Heilige nicht profaniert werden. Das bedeutet nun aber nicht, dass es zwischen beiden Bereichen keinerlei Berührungen gibt. Menschen können den Raum des Heiligen betreten, wenn sie einen Tempel besuchen, und sie können der Gottheit, die in diesem Tempel präsent ist, Gaben übereignen. Damit solche Begegnungen mit dem Heiligen in lebensförderlicher Weise gelingen können, müssen bestimmte Regeln befolgt werden, die das Heilige vor der Entweihung schützen. Zu einer solchen Entweihung käme es, wenn Unreines mit dem Heiligen in Kontakt käme. Die Unterscheidung von heilig und profan nötigt also zu einer weiteren Unterscheidung, der von rein und unrein. Sowohl in Israel als auch in den Kulten der griechischsprachigen Umwelt gehört es zu den normalen Lebensvollzügen, dass Menschen von Zeit zu Zeit unrein werden, denn es sind natürliche Vorgänge wie z. B. Sexualität, Menstruation,1 Geburt und Tod (in Israel auch bestimmte Krankheiten), die den Menschen, der mit ihnen in Berührung kommt, unrein machen. Wer sich im Status der Unreinheit befindet, darf nicht mit dem Heiligen in Kontakt treten, er oder sie muss zuvor wieder rein werden. Dies geschieht in erster Linie durch Waschungen und das Verstreichen von Zeit.2 Im jüdischen Kontext werden diese Zusammenhänge von der Tora geregelt, in der Welt der griechischen Kulte sind es die Leges Sacrae, die den Menschen solche Regeln vermitteln. Beide Quellencorpora kennen neben den „natürlichen“ Unreinheiten, die nur dann problematisch werden, wenn man sie nicht vorschriftsmäßig beseitigt, noch eine zweite Form der Unreinheit, die „an sich“ negativ ist. Sie resultiert aus Verhaltensweisen, die in ethischer Hinsicht als verwerflich gelten. Diese Unreinheit wird mit Sünde und Ungerechtigkeit assoziiert, denn es sind sündhafte oder ungerechte Taten, die verunreinigende Qualität haben.
1 Die Menstruation wird in den Leges Sacrae allerdings vergleichsweise selten thematisiert. In Israel war (und ist) die damit verbundene Unreinheit weitaus bedeutsamer. 2 Die Tora sieht zur Vollendung einiger Reinigungsrituale aber auch ein Opfer vor (Lev 12,6–6; 14,18f). Dies findet sich in den Leges Sacrae so nicht.
1. Kultische Sprache in den Kontexten der Paulusbriefe
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Einige Traditionsströme im Judentum und im griechischen Denken definieren die Reinheit, die zur Begegnung mit dem Heiligen fähig macht, also auch ethisch. Wer mit dem Göttlichen kommunizieren will, muss nicht nur körperlich, sondern auch ethisch rein sein. Man spricht in diesem Fall von einer Reinheit des Herzens, des Geistes oder der Seele. Reinheit, Gerechtigkeit und die der Gottheit entsprechende Heiligkeit werden so zu synonymen Begriffen. Zugleich erscheint alles, was diesem Status nicht entspricht, als negativ und gottfeindlich. Kultus und Ethos greifen ineinander.
1.2 Unterschiede In diesem gemeinsamen Rahmen lassen sich aber auch Differenzen feststellen. Dies gilt zunächst innerhalb der jüdischen Kontexte: In manchen Traditionen verbindet sich mit der Unterscheidung von rein und unrein die von Israel und den Völkern. Das ist in der Tradition des Heiligkeitsgesetzes deutlich der Fall, das Taten für verunreinigend hält, die es mit fremden Völkern in Zusammenhang bringt (illegitime Sexualität [vor allem in Lev 18] und Götzendienst). Die Unterscheidung von rein und unrein gewinnt somit Relevanz für die Identität der Gruppe.3 Ein zweiter Faktor geht damit einher: Da es sich bei den für verunreinigend gehaltenen Taten nicht um unvermeidliche Faktoren handelt, erhält die Unterscheidung von rein und unrein eine ethische Komponente. Das, was verunreinigt, ist auch ethisch verwerflich – das, was ethisch verwerflich ist, kann auch verunreinigen. Beides spielt in den Qumrantexten eine große Rolle. Während der Pentateuch kultische und ethische Unreinheit unterscheidet, lassen die Qumrantexte beides zusammenfallen. Sie harmonisieren die unterschiedlichen Tendenzen in der Tora so miteinander, dass Sünde (kultisch) verunreinigt und Unreinheit Sünde ist. Zugleich nutzen die Kreise, die hinter den Qumrantexten stehen, die Unterscheidung von rein und unrein, um sich als heilige Größe von der feindlichen, unheiligen Umwelt abzugrenzen. Reinigung gehört darum ebenso wie die Umkehr zu den Aufnahmebedingungen. Die Verbindung von Kultus und Ethos teilen die Qumrantexte also mit einzelnen Quellen aus der nichtjüdischen Umwelt. Die Motivation ist jedoch verschieden. Andere jüdische Quellen verbinden Sünde und Unreinheit ebenfalls eng miteinander, haben dafür aber andere Gründe. Der Aristeasbrief und Philo 3
Diese an den Texten selbst zu machende Beobachtung berührt sich mit Vermutungen der Sozialanthropologie, die die soziale Dimension der Unterscheidung von rein und unrein betonen. Vgl. dazu den Exkurs Kapitel 3, 4.3.
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Kapitel 10. Auswertung
legen im Gespräch mit der griechischen Geisteswelt die Reinheitsgebote der Tora allegorisch aus, so dass sie eine körperliche und eine geistig / ethische Dimension bekommen. Nur wenn beide Dimensionen zusammengehalten werden, kann der Mensch die einschlägigen Gebote im umfassenden Sinn erfüllen. Dabei zeichnen die Gebote Israel vor den Völkern aus – aber sie tun das anders als in Qumran ohne einen negativen Impetus. In den Leges Sacrae haben die Reinheitsgebote hingegen keinen identitätsstiftenden Charakter. Sie gelten prinzipiell für alle Besucher des Heiligtums. Wenn überhaupt Gruppengrenzen gezogen werden, dann nicht durch Reinheitsvorschriften, sondern durch den in einigen Inschriften zu lesenden Hinweis, dass „Fremde“ zu einem bestimmten Heiligtum keinen Zutritt haben.4 Die Leges Sacrae kennen auch keine Anwendung des Tempelmotivs auf Menschen. In der philosophischen Tradition können Menschen zwar mit einem Tempel verglichen werden5 – aber Gruppen als Tempel gibt es dort nicht. Dies ist eine Besonderheit der Texte aus Qumran.6 Trotz der genannten Differenzen lassen die Berührungen zwischen jüdischem und griechischem Denken dieses kultische Koordinatensystem als Basis für eine religionsübergreifende Verständigung erscheinen. Dies im Blick auf die Kommunikation zwischen dem Juden Paulus und seinen vorwiegend nichtjüdischen Adressatinnen und Adressaten zu überprüfen, war ein Ziel der vorliegenden Studie.
2. Kultische Sprache in den Paulusbriefen 2. Kultische Sprache in den Paulusbriefen
Was wir in den Kapiteln 4 bis 9 anhand der einzelnen Texte erarbeitet haben, soll nun zusammenfassend thematisch gebündelt und soweit möglich systematisiert werden.
2.1 Kultische Beschreibungen der Gemeinde Kultische Terminologie dient Paulus zur Beschreibung der Gemeinde, ihres Weges auf die Seite Gottes (Soteriologie) und ihres Status bei Gott (Ekklesiologie). Der Grundstruktur paulinischer Ethik entspricht es, dass Paulus aus der Wesensbeschreibung der Gemeinde Konsequenzen für ihr Verhalten entwickelt. 4 5 6
Vgl. LSCG 96; 110; SEG XLIV 678. Vgl. die Hinweise im Exkurs Kapitel 5, 3. Vgl. Kapitel 2, 2.1.4.
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2.1.1 Das Wesen der Gemeinde und ihr Weg auf die Seite Gottes Die Gemeinde ist für Paulus in erster Linie eine aus der Umwelt herausgehobene Größe. Ihr Wesen erschließt sich nicht, wenn man sie als Zusammenschluss von Gleichgesinnten versteht. Der horizontalen Dimension, die das Miteinander der Gemeindeglieder beschreibt, ist die vertikale Dimension im Sinne des Verhältnisses zu Gott immer vorgeordnet. Die Gemeinde ist Gottes Eigentum, das macht ihre Heiligkeit aus. Sie ist ein Raum, in dem Gott selbst gegenwärtig ist, darum ist sie sein Tempel. Schon im 1. Thessalonicherbrief machte Paulus dies daran deutlich, dass er seine Adressatinnen und Adressaten als diejenigen ansprach, in die hinein Gott seinen Geist gegenwärtig gibt (4,8). Die Gabe des Geistes garantiert nun nichts weniger als Gottes Anwesenheit in der Gemeinde und die Verbindung ihrer Glieder mit Gott. Der 1. Korintherbrief brachte diese Denkfigur auf den Begriff: Die Gemeinde ist Gottes Tempel, denn der Geist Gottes wohnt in ihr (3,16). Da die Gemeinde sich aus einzelnen Individuen zusammensetzt, hat die Anwesenheit Gottes auch eine individuelle Dimension, so dass der Leib des einzelnen Menschen als Tempel des heiligen Geistes in den Blick gerät (6,19). Der 2. Korintherbrief greift die Tempelbegrifflichkeit wieder auf: Die Gemeinde ist Tempel des lebendigen Gottes (6,16) und damit Ort seiner Gegenwart. Im Römerbrief findet sich die Tempelterminologie in dieser direkten Form nicht. Dieser Brief verwendet aber an zentraler Stelle das Motiv, das der Tempelvorstellung ihren sachlichen Grund gab, indem er in Antithese zum Wohnen der Sünde (7,17) davon spricht, dass Gottes Geist in den Gläubigen wohnt (8,9.11). Dem Kult nahestehende Begrifflichkeit dient also dazu, die Verbundenheit der Gemeinde mit Gott, ja mehr noch, ihr völliges Bestimmtsein durch Gott als sein Eigentum zur Sprache zu bringen. Dass die Gemeinde ganz handgreiflich Gott gehört, fasst der 1. Korintherbrief präzise zusammen, indem er die Glieder der Gemeinde als Heilige anspricht. Diese Bezeichnung zieht sich in der Folgezeit durch alle Paulusbriefe (sieht man vom Galaterbrief einmal ab): Christen sind geheiligt, also Gott übereignet, Christen sind Heilige, das bedeutet, dass sie auf die Seite Gottes gehören und sein Eigentum sind. Die so beschriebene kulttheologische Qualifikation der Gemeinde hat zur Folge, dass einige sakralrechtlich anmutende Bestimmungen auf sie angewendet werden. Das kann Paulus in der Weise entfalten, dass er die Gemeinde als Gottes Tempel unter Gottes persönlichem Schutz sieht, so dass diejenigen, die innergemeindlich Verantwortung tragen, dem Eigentümer des Tempels, nämlich Gott, Rechenschaft schuldig sind (1 Kor
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Kapitel 10. Auswertung
3,17). Vor allem aber hat diese Gemeindekonzeption ethische Konsequenzen, wie weiter unten zu entfalten sein werden. Bevor wir uns der Ethik zuwenden, sei aber noch darauf hingewiesen, dass Heiligkeitsterminologie nicht nur eine statische Dimension hat, mit deren Hilfe die gegenwärtig bestehende Gottesbeziehung der Gemeinde zum Ausdruck gebracht werden kann. Heiligkeit bzw. Heiligung ist auch ein soteriologischer bzw. Transferbegriff. In kultisch konnotierter Sprache beschreibt Paulus, wie Menschen auf die Seite Gottes kommen. Dieser Transfer ereignet sich, indem Christen „in Christus“ geheiligt werden (1 Kor 1,2). Sie sind „abgewaschen, geheiligt und gerechtfertigt“ (1 Kor 6,11). In der kultischen Logik der jüdischen und nichtjüdischen Antike ist deutlich, was das bedeutet: Wenn etwas geheiligt wird, wird es Gott übereignet. Es wird aus seinem bisherigen Lebenszusammenhang herausgenommen und dem Heiligen zugeführt. Diesen Gedanken spricht Paulus in Röm 15,16 in beeindruckender Klarheit aus: Der Weg der Völker zu Gott ist der einer Opfergabe in die Sphäre des Heiligen. Die Menschen aus der Völkerwelt, die Paulus mit seiner Verkündigung erreicht hat, stellen selbst eine Opfergabe dar, die geheiligt, also in den heiligen Bereich transferiert wird. Menschen kommen zu Gott und werden sein Eigentum, so wie Opfergaben zu Gott gebracht werden. Diesen Weg zu Gott wie auch das Sein bei Gott illustriert Paulus in kultischer Begrifflichkeit. Fragt man nach dem realen Ort, an dem sich dieser Statuswechsel ereignet hat, so legt es sich nahe, an die Taufe zu denken. Bei unserer Besprechung von 1 Kor 1,2;7 1,30 und 6,118 fiel dieser Bezug immer wieder auf. In der Taufparänese verorten manche Forscher auch die Rede von der Gemeinde als Tempel.9 Röm 6 entwirft die heiligkeitstheologische Implikation des Statuswechsels gerade unter Hinweis auf die Taufe.10 Und nicht zuletzt ist es die pneumatologische Dimension der paulinischen Heiligkeitstheologie (1 Thess 4,8; 1 Kor 3,16; 6,19; Röm 8,9), die auf die Taufe verweist, denn mit dem Geistempfang ist im paulinischen Denken die Taufe untrennbar verbunden.11 In der Taufe könnte sich für Paulus also der Transfer auf die Seite Gottes real vollzogen haben.12 Auf der anderen Seite muss man sagen, dass Paulus selbst an keiner Stelle kultische Begrifflichkeit und Taufe ausdrücklich miteinander verbindet. 2 Kor 1,21 erwähnt die kultisch konnotierte Salbung der Christen, und die im folgenden Vers genannte Bega-
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Vgl. Kapitel 5, 1 (Anm. 7). Vgl. zu 1 Kor 1,30 Kapitel 5, 2 (Anm. 19); zu 6,11 Kapitel 5, 6 (Anm. 129). 9 Vgl. zu 2 Kor 6,14ff Kapitel 6, 4 (Anm. 103). 10 Vgl. Kapitel 9, 4. 11 Vgl. KONRADT (2003), 342 und W ILCKENS (1987), 113. 12 Vgl. SCHNELLE (2003), 546f: „Im Ritual vollzieht sich die theologische und soziale Konstruktion des neuen Menschen ‚in Christus’. Die Taufe ist nicht das Heil, wohl aber heilstatsächlich, weil Gott sie als Ort seines real-geschichtlichen Handelns an den Menschen gewählt hat“ (Hervorhebung im Original). 8
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bung mit dem heiligen Geist lässt vermuten, dass hier ein Zusammenhang mit der Taufe besteht, von bapti,zw oder ba,ptisma ist jedoch nicht die Rede. In 1 Kor 6,11 erscheint die kultische Waschung neben der Heiligung und der Rechtfertigung. Auch das lässt an die Taufe denken – allerdings wieder ohne begriffliche Eindeutigkeit. Macht man die Gegenprobe und fragt nach den Stellen, an denen Paulus näher auf die Taufe eingeht, so stellt man fest, dass er das ebenfalls ohne einen Bezug zur Welt des Kultes tut. Mit der Taufe ereignet sich ein Herrschaftswechsel (Röm 6,3ff; Gal 3,27) – aber dieser wird nicht direkt als kultisches Geschehen beschrieben, sondern als Hineingenommenwerden in den Tod Christi oder als Anlegen eines Gewandes. Man wird sicherlich sagen können, dass kultische Begrifflichkeit und Tauftheologie auf die gleiche Sache zielen, nämlich auf die Herstellung der Verbindung mit Christus. Aber begrifflich bleibt doch eine gewisse Distanz, die davor warnt, alle Stellen, an denen Paulus den Transfer auf die Seite Gottes beschreibt, auf die Taufe zu beziehen.
Diese Wesensbestimmung der Gemeinde in ihrem Verhältnis zu Gott wirft nun die Frage auf, was die Gemeinde für die Zukunft eigentlich noch erwarten soll. Gott ist schon in ihr gegenwärtig (1 Thess 4,8 bis Röm 8,9.11), sie ist schon Gottes Tempel (1 Kor 3,16; 6,19). Das, was biblische Verheißungen als Hoffnungsgut beschreiben, ist für sie schon Realität (2 Kor 6,16). Kultische Terminologie benennt etwas, was für die Gemeinde in der Gegenwart schon gilt. Sie ist an sich nicht auf eine zukünftige Erfüllung gerichtet. Nicht umsonst muss Paulus die Begriffswelt des Kultes von Zeit zu Zeit hinter sich lassen, um die Gemeinde auf das hinzuweisen, was sie noch zu erwarten hat (vgl. 1 Kor 6,9). Paulus kann in dieser Begrifflichkeit sehr wohl die Verantwortung der Gemeinde zur Sprache bringen (1 Thess 3,13; 1 Thess 4,3ff; 1 Kor 3,16f u. ö.). Kultische Terminologie verbindet sich bruchlos mit der Erwartung eines Gerichts, in dem die Menschen über ihren Umgang mit dem Heiligen Rechenschaft ablegen müssen (1 Kor 3,16f). Zur Beschreibung eschatologischer Hoffnung verwendet er sie nicht. Paulus erwartet – anders als die Qumrantexte – keinen neuen Tempel. In diesem Punkt zeigt sich noch eine weitere Differenz zur qumranischen Tempeltheologie: Paulus konstruiert nirgends einen erkennbaren Gegensatz zwischen dem Tempel in Jerusalem und dem Tempel, den die Gemeinde darstellt. Die paulinische Tempeltheologie ist im Blick auf den Jerusalemer Tempel völlig unpolemisch. Im Gegenteil gerade der Kult zeichnet Israel bleibend aus (Röm 9,4).
2.1.2 Die ethischen Konsequenzen Wie schon angedeutet, hat das kulttheologische Gemeindeverständnis ethische Konsequenzen. Paulus spricht seine Adressatinnen und Adressaten auf ihren Status hin an und fordert sie auf, diesem Status gemäß zu leben.
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Kapitel 10. Auswertung
Diese Denkfigur zeigt sich besonders deutlich im Römerbrief. Der paulinischen Botschaft, dass Menschen Gott wie eine Opfergabe übereignet werden, entspricht es, dass sie auch als Eigentum Gottes leben sollen (Röm 14,8f [vgl. auch 1 Kor 6,19]). Dieser Botschaft entspricht es aber vor allem, dass diejenigen, die als Opfergabe Gott übereignet worden sind (15,16), dies in ihren Lebensvollzügen realisieren und sich selbst als Opfer Gott zur Verfügung stellen (Röm 12,1 [vgl. 6,13.16.19]): „Das sei euer botschaftsgemäßer Gottesdienst (logikh. latrei,a), dass ihr eure Leiber als Opfer hinstellt…“. Was das konkret bedeutet, führt Paulus in den auf die Präambel Röm 12,1f folgenden Kapiteln aus. Die Grundbewegung der paulinischen Ethik, die das Tun der Gemeinde aus ihrem Wesen ableitet, wird so in Röm 12–15 besonders deutlich. Sie ist aber auch in anderen Paulusbriefen sichtbar, in denen Paulus die Lebensäußerungen der Gemeinde (und seine eigenen) als Opfer beschreibt. Dieses Motiv findet sich noch in Phil 2,15.17f und mit konkretem Bezug auf die Gabe der Gemeinde an Paulus bzw. an die Christen im Land Israel in Phil 4,18 und 2 Kor 8 und 9. Schon im frühesten Paulusbrief, dem 1. Thessalonicherbrief, konnten wir den Gedanken verfolgen, dass sich aus dem Wesen der Gemeinde Konsequenzen für ihr Verhalten ergeben: Gott gibt seinen heiligen Geist (pneu/ma a[gion) in die Gläubigen (4,8). Daraus folgt für die Christen, dass sie ihr Leben auch so leben sollen, wie es der Gegenwart des Heiligen entspricht, nämlich in Heiligung (4,3.4.7 [a`giasmo,j]; 3,13 [a`giwsu,nh]). Diese besondere ethische Pointe des kulttheologischen Gemeindeverständnisses wird in den folgenden Briefen breit entfaltet. Für Juden und Heiden war es in der Antike – wie wir sahen – selbstverständlich, dass das Heilige vor der Entweihung durch den Kontakt mit verunreinigenden Faktoren geschützt werden muss. Wir haben dies anhand jüdischer Texte und griechischer Leges Sacrae zu Beginn dieser Arbeit ausführlich erläutert (vgl. die Zusammenfassung Kapitel 3, 5). Nahezu alle einschlägigen Quellen nennen als einen die Integrität des Heiligen besonders bedrohenden Faktor menschlichen Lebens die Sexualität. In manchen Tempelinschriften kann man dabei zwar zwischen ehelicher und außerehelicher Sexualität unterscheiden. Letztere verunreinigt stärker, selbst wenn sie (anders als in Israel) gesellschaftlich akzeptiert zu sein scheint. Aber von der Tendenz her gilt, dass die Sphäre des Heiligen vor dem verunreinigenden Kontakt mit Sexualität zu schützen ist. Dieses Anliegen vertritt Paulus in 1 Thess 4,3: Die Gegenwart des Geistes Gottes verträgt sich nicht mit pornei,a,13 darum besteht der aus dem Status der Gemeinde folgende Vollzug der Heiligung ganz elementar im Verzicht auf diese Reali13 Diese konkretisiert Paulus als jegliche sexuelle Praxis außerhalb der Ehe aber auch als inzestuöses Verhältnis (vgl. Kapitel 4, 3 und 5, 5 und 7).
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sierung menschlicher Sexualität. Damit sexuelle Vollzüge für die Menschen, die durch den Geist zu einer heiligen, gotteigenen Größe geworden sind, überhaupt in Frage kommen können, bedarf es besonderer Maßnahmen. Sexualität muss „geheiligt“ werden, um „im Heiligtum“ (der Gemeinde) stattfinden zu können. Sie soll darum selbst von Heiligkeit geprägt sein (1 Thess 4,4: evn a`giasmw|/). Dieses Motiv ist vor dem Hintergrund der besprochenen sakralrechtlichen Inschriften ein Novum. Der Gedanke, dass Sexualität als spezifische Gestaltung der Heiligung gelebt werden kann und soll, findet sich dort nicht. Hier zeigt sich eine besondere Pointe des paulinischen Verständnisses von Heiligkeit, auf die wir weiter unten noch zu sprechen kommen. Ganz auf der Linie des antiken Sakralrechts kann die paulinische Argumentation in 1 Kor 5 und 6,12ff verstanden werden. Dort reagiert Paulus auf zwei konkrete Ausprägungen der pornei,a. Einmal geht es um sexuelle Beziehungen von zwei Menschen, die in einem als inzestuös wahrgenommenen Verhältnis zueinander stehen. Im anderen Fall handelt es sich um den Verkehr mit Prostituierten. Beides bedroht die Integrität der Gemeinde in ihrem Verhältnis zu Gott bzw. zu Christus (1 Kor 6,15ff), weil die Gemeinde eben eine heilige Größe ist. Paulus fordert daher vehement dazu auf, jegliche Präsenz von pornei,a im heiligen Bereich zu unterbinden, denn sie gefährdet den Kontakt mit Christus. Die Tatsache, dass Paulus seine Forderung ausgerechnet unter Heranziehung von Gen 2,24 begründet (1 Kor 6,16ff), legt den Gedanken nahe, dass jegliches Ausleben menschlicher Sexualität in der heiligen Gemeinschaft, im Tempel Gottes, zu unterlassen ist. Diesen Gedanken bejaht Paulus im Prinzip in 1 Kor 7,1.38.40, gesteht aber die Ehe als Konzession zu. Bei der Besprechung der Argumentation von 1 Kor 7 zeigte sich, dass die paulinischen Vorbehalte gegenüber der Ehe nicht primär eschatologisch motiviert sind, wie vielfach angenommen wird. Die Naherwartung, in der Paulus lebte, ist nur ein Argument unter anderen, die gegen die Ehe sprechen. Die Ansicht des Apostels, dass es besser sei, unverheiratet zu bleiben, hängt vielmehr direkt mit der Wesensbestimmung der Gemeinde zusammen: Christusgemeinschaft und Heiligkeit werden beide durch sexuelle Vollzüge gefährdet, darum ist es besser, wenn man abstinent lebt, so man es denn vermag. Auch wenn die Naherwartung die paulinische Einstellung zur Ehe wohl nicht sachlich begründet hat, so wird man nicht fehlgehen, in ihr eine wesentliche Voraussetzung dafür zu sehen. Wenn mit der unmittelbaren Ankunft des Herrn zu rechnen ist, dann ist die im antiken sexualethischen Diskurs immer zentrale Frage der Kinderzeugung nicht mehr relevant, weshalb Paulus sie (abgesehen von 7,14) auch übergehen kann. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass Paulus Christen zwar generell als Heilige bezeichnet, in 1 Kor 7 aber offenbar eine Gestalt der Heiligkeit kennt, die nicht „allgemein“ gilt. Dabei handelt es sich um die zeitweilige sexuelle Enthaltsamkeit zum Gebet (7,5) und die permanente geistige und körperliche Heiligkeit sexuell abstinent lebender Menschen (7,34). Paulus systematisiert dies nicht. Beide Konzeptionen von Heiligkeit bleiben unverbunden nebeneinander stehen.
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Aus dem heiligen Status der Gemeinde ergibt sich also die Notwendigkeit, diesen Status vor dem Einbruch verunreinigender Faktoren, die das (durch sie gebildete) Heiligtum entweihen könnten, zu schützen. Das impliziert eine Trennung von Innenwelt und Außenwelt. Paulus konkretisiert das wie folgt: „Ungerechte“ (= Vertreter der Außenwelt) dürfen nicht in innergemeindlichen Rechtsangelegenheiten Recht sprechen (6,1ff), und die Tischgemeinschaft mit bestimmten Personen, deren Verhalten nicht den Standards entspricht, die im Heiligtum gelten, ist zu meiden (5,11). Die Gemeinde besteht aus Menschen, die Gott zu seinem Eigentum gemacht hat, und daraus erwächst für sie die Aufgabe, auf ihre Integrität als einem Ort der Gegenwart Gottes zu achten. Diesen Gedanken entwickelt Paulus mit kultischer Terminologie (vgl. Röm 6,19ff). Dass jenseits des Raums der Gemeinde der Kontakt mit Menschen, die sich nicht an die Regeln halten, die im Raum der Gemeinde gelten, unvermeidlich ist, ist Paulus bewusst. Der Weg der Gemeinde in der Welt vollzieht sich auf dem schmalen Grad von Kontakt zur Welt (1 Kor 5,10.12) und Distanz zu den dort herrschenden Gepflogenheiten (Röm 12,2).
2.1.3 Gemeinde und Welt – Besondere Akzente des paulinischen Heiligkeitsverständnisses Die zuletzt besprochenen Passagen ließen erkennen, dass Paulus um der Integrität des heiligen Raumes willen vor einer Verwischung der Grenzen von innen und außen warnt. Darin zeigt sich ein besonderer Akzent seiner Heiligkeitstheologie. Für ihn ist das Gegenteil von heilig nicht profan, sondern unrein (1 Kor 7,14) bzw. ungerecht (1 Kor 6).14 Unreinheit erscheint geradezu als Synonym für die Entfremdung von Gott – zumindest bringt Paulus diese in Röm 1,24 als avkaqarsi,a zur Sprache (vgl. auch Röm 6,19ff).15 Außerhalb des Heiligtums, das die Gemeinde darstellt, wartet nicht die alltägliche ethisch so oder anders zu gestaltende Profanität, sondern der Bereich der Gottesferne. Wer aus dem Eigentum Gottes heraustritt oder aus ihm ausgeschlossen wird, findet sich nicht in der Profanität wieder, sondern in der als unrein und ungerecht qualifizierten Welt, in der der Satan16 Macht hat (1 Thess 4,7; Röm 1,24; 1 Kor 5,5; 6,1). 14
Vgl. Kapitel 4, 3 und 5, 5 und 6. Dass diese Unreinheit für Paulus mit Sexualität zu tun hat, ist vor dem kulttheologischen Hintergrund, den wir hier annehmen dürfen, nicht verwunderlich. 16 Paulus erwähnt den Satan an verschiedenen Stellen in seinen Briefen: In 1 Kor 5 erscheint er als Größe, die in der nicht zur Gemeinde gehörenden Welt Macht ausübt. Der Ausschluss aus der Gemeinde kommt darum einer Übergabe an den Satan gleich. Auch in 15
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Deshalb gibt es für Paulus grundsätzlich auch keine zeitlich befristete Heiligkeit, denn wenn die Christen aufhörten, im heiligen Bereich zu leben, dann würden sie zugleich aufhören, zu Gott zu gehören. Auch ein Hin und Her zwischen den Bereichen kann es nicht geben. Für Paulus ist der Weg ins Heiligtum unumkehrbar: wer einmal „abgewaschen, geheiligt und gerechtfertigt“ worden ist (1 Kor 6,11), kann das Heiligtum nur so verlassen, dass er in die Gottesferne, aus der er durch die Heiligung herausgeholt wurde, zurückfällt (vgl. Röm 6). Ein klarer Gegensatz von Gemeinde und Welt zeigte sich auch in Röm 12,1f. Wenn Christen Opfergaben gleich auf die Seite Gottes transferiert worden sind und ihr Leben nun als solche Opfergaben leben sollen, dann bedeutet das zugleich, dass sie „dieser Welt (aivw,n)“ nicht gleichförmig sein dürfen. Im Bereich des Heiligen gelten andere Regeln als im Bereich der nichtheiligen und damit negativ qualifizierten Welt, entweder man folgt diesen oder jenen, beides zugleich ist nicht möglich. 2 Kor 6,15 stellt Paulus ihn unter dem Namen Belia,r als Gegenüber Christi dar. Gemäß der streng dualistischen Grundstruktur von 6,14–7,1 kann der Menschen entweder nur zu Christus oder nur zum Satan gehören. Ein dritter Text, der zumindest implizit eine diabolische Gegenmacht zu Gott und Christus voraussetzt, ist Röm 12,2: Die Christen sollen ihr Denken und Handeln nicht nach dem Muster dieses Äons formen. Dieser Äon wird nämlich – so wissen wir aus 2 Kor 4,4 – von seinem eigenen Gott beherrscht. Nach 1 Kor 7,5 stehen abstinent lebende Christen in der Gefahr, vom Satan versucht zu werden. Gäben sie dieser Versuchung nach, so würden sie das Heiligtum, in dem sie leben und das sie selbst darstellen, verunreinigen und damit sein Wesen gefährden. Lassen sich diese Aussagen dahingehend systematisieren, dass der Welt Gottes in ihrer Reinheit und Heiligkeit die des Satans in ihrer Unreinheit und Widergöttlichkeit gegenübersteht? Diese Annahme gewönne an Wahrscheinlichkeit, wenn man zeigen könnte, dass die Gestalt des Satans in besonderer Weise mit Unreinheit assoziiert wird. In der synoptischen Tradition findet sich das Motiv, dass Beelzebul als satanische Gestalt über die Dämonen herrscht (Mk 3,22 parr.). Anders als in anderen Zusammenhängen werden diese aber hier nicht als unreine Geister beschrieben (Mk 1,27 u.ö.), sondern als böse. Eine Ausnahme stellt das Freer-Logion in Mk 16,14 dar, das die unreinen Geister mit dem Satan assoziiert. In der jüdischen Tradition erscheint der Satan nicht als Herr der unreinen Geister (vgl. WAHLEN [2004], 43ff). Die Assoziation von Unreinheit und Satan ergibt sich also eher aus der Gegenüberstellung von göttlicher und nichtgöttlicher Welt. Wenn die eine in kultischer Logik mit Reinheit verbunden wird, dann muss die andere fast automatisch als unrein gedacht werden. Paulus selbst führt eine solche Systematik nicht aus. Es hat vielmehr den Anschein, als sei die Gestalt des Satans nur eine von mehreren Möglichkeiten, um konkret von der nicht zum Herrschaftsbereich Gottes gehörenden Welt zu sprechen. Andere Konkretisierungen erscheinen z. B. in 2 Kor 6,14: Unglaube, Gesetzlosigkeit, Finsternis. Aus 1 Kor 6 könnte man Ungerechtigkeit und aus dem Römerbrief die Sünde (vgl. vor allem Röm 6f) und die Unreinheit (Röm 1,24 und Röm 6,19ff; vgl. auch 2 Kor 6,17) ergänzend nennen. Die einzelnen Größen dieser unvollständigen Übersicht werden aber nicht in einen hierarchischen Zusammenhang gebracht, so dass z. B. der Satan an der Spitze einer widergöttlichen Machtpyramide stünde.
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Kapitel 10. Auswertung
Ein Stück Außenwelt repräsentieren auch die Gegner des Paulus im 2. Korintherbrief. Liest man 2 Kor 6,14–7,1 im Kontext der Auseinandersetzungen, in denen Paulus steht, so erscheinen seine Kontrahenten als Faktoren, die die Heiligkeit der Gemeinde bedrohen. Darum muss die Gemeinde, will sie weiterhin Tempel des lebendigen Gottes sein, sich von diesen trennen und sich wieder Paulus zuwenden. Wir haben oben gesehen, dass die ausgewerteten jüdischen und nichtjüdischen Quellen ein System von rein und unrein bzw. heilig und profan voraussetzen, in dem die Gegensätze unrein und rein bzw. profan und heilig nicht deckungsgleich sind. Profanes kann rein oder unrein sein, Reines kann profan oder heilig sein. Nur Unreinheit und Heiligkeit passen nicht zusammen.17 Bei Paulus erscheint dieses System gewichtig modifiziert: Die profane Dimension ist völlig ausgefallen. Es gibt nur noch die Alternative der Zugehörigkeit zu Gott oder eben der völligen Trennung von ihm.18 Anders als im herkömmlichen System, in dem rein und unrein einen Zustand und keine Beziehung beschreiben, sind rein und unrein bei Paulus zu Relationsbegriffen geworden. Unreinheit impliziert automatisch Trennung von Gott – Zugehörigkeit zu Gott automatisch Reinheit. Auffällig ist weiter, dass Paulus die Begriffe fast ausschließlich in personalen Relationen verwendet. Rein oder unrein sind Personen aber nicht Gegenstände. Nur Personen und ihre Taten können verunreinigen. Eine Ausnahme von dieser Regel hat sich im Römerbrief erhalten, wo Paulus in Analogie zu hillelitischem Denken die Unreinheit von Speisen vom Bewusstsein dessen abhängig macht, der sie essen bzw. nicht essen will (Röm 14,14). Ob Paulus – abgesehen von der Sexualität – auch noch andere eher als „dinglich“ zu beschreibende Quellen der Unreinheit kennt, werden wir weiter unten diskutieren.
2.1.4 Ausgreifende Heiligkeit Die bisherigen Ausführungen betonen den Gedanken, dass Heiligkeit etwas ist, das vor der Entweihung geschützt werden muss. So wichtig dieser Aspekt vor allem im 1. Thessalonicherbrief und in der Korintherkorres17
Vgl. Kapitel 1, 2 und 3, 5. Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als wäre das paulinische System mit dem der Qumrantexte identisch, die ja gemeindliches Leben ebenfalls als Leben im Bereich des Heiligen verstanden haben. Bei näherem Hinsehen gibt es aber eine bedeutende Differenz. So dualistisch die Qumrantexte auch denken, sie kennen Formen der Unreinheit, die den Menschen nicht völlig aus der Gottesbeziehung und der Zugehörigkeit zum Heiligen herausreißen. Er mag zum gemeinsamen Essen keinen Zugang haben, aber er ist dennoch nicht „draußen“. Diese Konsequenz ziehen die Texte nur bei Sündern, die nicht umkehren wollen, und daher aus der Gemeinde ausgeschlossen werden (vgl. 1 Kor 5). 18
3. Kultische Beschreibungen des Apostels und seines Tuns
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pondenz ist, so darf man doch nicht verschweigen, dass Paulus Heiligkeit nicht nur als etwas Ausgrenzendes und Schutzbedürftiges versteht. Der Kontakt zwischen einer heiligen und einer nichtheiligen Größe kann nicht nur so ausgehen, dass das Heilige dadurch seinen Status verliert, es kann auch geschehen, dass das Heilige etwas von seiner Heiligkeit überträgt und die bisher nicht heilige Größe heiligt – also in die Sphäre Gottes überführt. Heiligkeit kann sich ausbreiten – sie kann „ansteckend“ wirken. Paulus wendet diesen Gedanken in 1 Kor 7 mit gewissen Einschränkungen auf die Ehe von Christen und Nichtchristen an.19 Für andere Kontakte wie den zwischen den Heiligen und Prostituierten gilt er nicht! Einen Automatismus dürfen wir nicht voraussetzen.20 Es gibt aber noch mindestens einen weiteren Zusammenhang, in dem wir Paulus dieses ausgreifende Verständnis von Heiligkeit unterstellen dürfen: Wenn es nämlich so ist, dass die Gabe des heiligen Geistes die Gemeinde zu einer heiligen Größe macht (1 Thess 4,8 und 1 Kor 3,16 u.ö.; Röm 8,9.11), dann ist es auch hier so, dass Heiligkeit sich ausbreitet: Der Geist Gottes wird in der Verkündigung des Evangeliums an die Völker nicht profaniert, vielmehr werden Menschen aus der Gottesferne heraus in die Sphäre des Heiligen transferiert. Gottes Heiligkeit greift also aus und verbreitet sich.21
3. Kultische Beschreibungen des Apostels und seines Tuns 3. Kultische Beschreibungen des Apostels und seines Tuns
Das kulttheologische Modell, das Paulus in Röm 15,16 verwendet, ermöglicht es nicht nur, den Weg der Heiden auf die Seite Gottes zu verstehen, es eröffnet zugleich einen Blick auf die Funktion, die Paulus sich selbst in diesem Transfergeschehen zuschreibt. Der Völkerapostel ist derjenige, der als Kultdiener (leitourgo,j) Christi Menschen aus der Völkerwelt als Opfergabe in den Bereich des Heiligen überführt. Er nimmt damit die Funktion eines Priesters oder eines anderen kultischen Funktionärs wahr. Liest man 1 Kor 9,13 im Licht von Röm 15,16, dann begründet dieser Vers nicht nur durch einen Vergleich, warum Paulus als Verkündiger des Evangeliums einen Anspruch hat, für diese Tätigkeit alimentiert zu werden. Er 19 Heiligung bedeutet hier nicht automatisch Rettung. An den Transfer auf die Seite Gottes, der sonst als Heiligung beschrieben wird, ist hier nicht gedacht. 20 Dass Paulus aber überhaupt Sexualiät und Heiligkeit in ein positives Verhältnis zueinander setzen konnte (vgl. schon 1 Thess 4,4) dürfte in diesem besonderen Verständnis von Heiligkeit seinen Grund haben (vgl. den Exkurs Kapitel 5, 10). 21 Mit negativen Konsequenzen wird dies in Lev 6,11 beschrieben (vgl. dazu die Erläuterung zu Lev 6,19 im Begleitband LXX.D). Positiv gewendet beschreibt dieser Gedanke schon in Lev 22,32 die Aufrichtung des Verhältnisses zwischen Gott und seinem Volk: „Ich bin der Herr, der euch heiligt.“
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Kapitel 10. Auswertung
macht eine weitergehende Aussage über die Funktion des Apostels, denn auch der Sache nach erscheint die missionarische Tätigkeit des Apostels als Dienst eines Kultfunktionärs am Altar, denn er tut ja tatsächlich das, was dessen ureigene Aufgabe ist, nämlich Opfer darbringen. Mit kultischen Kategorien hatte Paulus sich seinen römischen Leserinnen und Lesern vorgestellt. Er ist ausgesondert (avfori,zw) für das Evangelium und dient (latreu,w) Gott mit allem, was er tut (vgl. Röm 1,1.9). Auch in den früheren Briefen hat Paulus sein Verhalten als Verkündiger des Evangeliums mit kultischer Begrifflichkeit beschrieben: sein Handeln ist nicht durch Unreinheit, sondern durch Heiligkeit bestimmt (1 Thess 2,3.10). Besonders deutlich wird dies in 2 Kor 2,14f: Paulus ist der göttliche Wohlgeruch und vergegenwärtigt Gott durch sein Tun und Reden. Bei der Besprechung der einschlägigen Texte konnten wir feststellen, dass die Begriffe, die Paulus zur Beschreibung seines Tuns verwendet, zunächst nicht immer eindeutig in die Welt des Kultes weisen. Einige von ihnen kommen in paganen Texten durchaus auch in profaner Bedeutung vor, z. B. als Terminus der Beamtensprache. Allerdings war die politische Dimension eines öffentlichen Amtes in der Antike von der religiösen nicht zu trennen (vgl. Kapitel 3, 3.1.1; 4, 1). Berücksichtigt man dies und überblickt den Gesamtbefund kultisch konnotierter Begriffe, die Paulus auf sich und sein Tun anwendet, so könnte sich die Waagschale auch an den vorderhand nicht zwingend kultisch zu lesenden Stellen zugunsten eines kultischen Verständnisses neigen. Wenn Paulus sein Tun wiederholt mit eindeutig kultischer Begrifflichkeit beschreiben kann, dann ist es zumindest möglich, dass er es auch an den weniger eindeutigen Stellen so hält. Dies ergäbe sich übrigens auch aus dem paulinischen Verständnis christlicher Existenz überhaupt, die Paulus ja auch unabhängig von seiner Person kultisch qualifiziert. Wenn sich nun christliches Leben allgemein in kultischen Kategorien beschreiben lässt (z. B. Röm 12,1; Phil 2,17), dann dürfte das vom Leben des Apostels erst recht gelten. Damit ist nicht gesagt, dass Paulus seinen Dienst immer und ausschließlich in kultischen Dimensionen gesehen hätte. Er verwendet durchaus auch andere Vorstellungsbereiche, um seinen Adressatinnen und Adressaten etwas Wesentliches über seinen Auftrag mitzuteilen (Familie [1 Thess 2,7.11; 1 Kor 4,14; 2 Kor 12,14], Hochzeit [2 Kor 11,2], Krieg [2 Kor 10,4], Sport [1 Kor 9,26; Phil 2,16]).22 An dieser Stelle ist noch eine kurze Bemerkung zur Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit der Verwendung kultischer Begrifflichkeit am Platz: Eingangs wurde behauptet, dass die paulinischen Aussagen sich der Zuordnung zu einer der beiden Kategorien eigentlich / uneigentlich entziehen (vgl. Kapitel 1, 6.1). Unsere Durchsicht der Texte bestätigt diese Vermutung: Die Gemeinde ist nicht eigentlich ein Tempel, weil sie eben eine Gruppe und 22
Vgl. dazu GERBER (2005), 153ff.
4. Heiligung und Rechtfertigung
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kein Gebäude ist. Andererseits ist diese Beschreibung der Gemeinde aber auch nicht uneigentlich gemeint, denn die Gemeinde ist tatsächlich ein Tempel, weil sie tatsächlich Ort der Gegenwart Gottes ist und weil darum in ihr Regeln gelten, die dem Schutz der Heiligkeit des Tempels dienen. Die Gemeindeglieder sind auch nicht eigentlich Opfergaben, denn sie werden nicht an einem Altar dargebracht. Und doch sind sie Opfergaben im eigentlichen Sinn – sie sind ein lebendiges Opfer, das Gott tatsächlich übereignet wird. Für die paulinischen Selbstbeschreibungen gilt das Gleiche. Nach den Regeln der Halacha kann Paulus kein Priester sein23 – und doch tut er, was Priester tun, wenn er Opfergaben in die Sphäre Gottes überführt. Paulus verwendet kultische Begrifflichkeit also in der Tat als „ursprüngliche und unersetzbare Sprachform“. 24
4. Der Transfer auf die Seite Gottes – Heiligung und Rechtfertigung 4. Heiligung und Rechtfertigung
Schon im 1. Thessalonicherbrief stehen kultische Begrifflichkeit und Gerechtigkeitsterminologie nebeneinander (2,10). Paulus beschreibt damit sein eigenes Verhalten als eines, das seiner Zugehörigkeit zu Gott entspricht. Der 1. Korintherbrief nennt Heiligung, Rechtfertigung und Erlösung als soteriologische Begriffe, die in gleicher Weise das Christusgeschehen erläutern (1,30). Auf diese Verwendung greift 1 Kor 6,11 zurück. Dieser Vers bringt den Transfer aus dem Bereich der Unreinheit und Ungerechtigkeit hin zu Gott mit der Trias: „ihr seid reingewaschen, geheiligt, gerechtfertigt“ zur Sprache. In 1 Kor 6 konnten wir die sachliche Verwandtschaft der beiden Begriffsfelder besonders gut beobachten: Paulus beschreibt die Vergangenheit der Christen als Leben in Unreinheit und Ungerechtigkeit. Beides sind für ihn in gleicher Weise Begriffe, die für die Trennung von Gott stehen. Die Aufhebung dieser Trennung kann darum als Herausgenommenwerden aus dem Status der Ungerechtigkeit (Rechtfertigung), Beseitigung der Unreinheit (Waschung) und Übereignung an Gott (Heiligung) ausgesagt werden. In jedem Fall geht es um den gleichen Sachverhalt, nämlich um den Transfer des Menschen auf die Seite Gottes. Der Römerbrief entwickelt seine Soteriologie vor allem mit Hilfe des Rechtfertigungsmotivs. Er verwendet parallel dazu aber auch kultisch konnotierte Sprache. Beides erscheint in Verbindung in Röm 6,19ff. Die Welt des Kultes dient Paulus, wie wir sahen, schon in der Korintherkorrespondenz zur Illustration des Transfers und ist somit wesentlicher Teil der soteriologischen Vorstellungswelt des Apostels. Die Rechtfertigungsterminologie entwickelt sich im Vergleich dazu vor allem in den späteren Briefen. Im Galaterbrief ersetzt sie die kultische Begriffswelt völlig, 23 24
Vgl. dazu Kapitel 5, 12. ZIMMERMANN (2003), 8.
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Kapitel 10. Auswertung
was, wie sich begründet vermuten ließ, mit der Konfliktkonstellation, in der der Galaterbrief argumentiert, zusammenhängt. Auch in den einschlägigen Passagen des Philipperbriefes wird der Weg der Menschen zum Heil nicht kultisch beschrieben (3,2ff.). In kultischer Sprache stellt Paulus dort aber das Leben als Gottesdienst dar (Phil 3,3). Im Römerbrief erscheinen beide Begriffsfelder dann ausgearbeitet nebeneinander. Pointiert könnte man also sagen, dass der Weg des soteriologischen Nachdenkens Paulus von der Heiligung zur Rechtfertigung geführt hat, bevor er im Römerbrief beide Sprach- und Vorstellungscluster verwendet als das, was sie sind, als zwei Seiten der gleichen Medaille.
5. Kultische Sprache in der Kommunikation mit Nichtjuden 5. Kultische Sprache in der Kommunikation mit Nichtjuden
Wir haben gesehen, dass kultische Begrifflichkeit sich als Basis der Kommunikation zwischen Paulus und seinen ersten Leserinnen und Lesern in besonderer Weise anbot. Hier soll nun gebündelt dargestellt werden, welche Aspekte in dieser Hinsicht besonders ins Auge fallen.
5.1 Anknüpfungen Die Ergebnisse unserer Untersuchung geben zu der Vermutung Anlass, dass die Verwendung kultischer Terminologie der Rezeption der paulinischen Argumentation einen großen Dienst erwiesen hat. Paulus denkt und schreibt ganz im jüdischen Referenzrahmen und bindet seine nichtjüdischen Adressatinnen und Adressaten in „jüdisches Wirklichkeitsverständnis“ ein.25 Darüber hinaus muss aber auch gesagt werden, dass Paulus dies erreicht, indem er zugleich an heidnisches Wirklichkeitsverständnis anknüpft, denn gerade die Sprache und Welt des Kultes verbinden jüdische und heidnische Religiosität bei allen Unterschieden. Anders als bei anderen Denkmodellen (Erwählung, Abrahamskindschaft, Volk Gottes) konnte Paulus hier davon ausgehen, dass sein Gegenüber ganz unmittelbar versteht, was er sagen möchte. Dazu bedarf es nicht notwendig einer biblisch-jüdischen Vorbildung. Wenn sich Paulus und seine Leserinnen und Leser auf dieser gemeinsamen Argumentationsbasis getroffen haben, so führt Paulus sie weiter und mutet ihnen Gedanken zu, die nun nur noch im „jüdischen Wirklichkeits-
25
KONRADT (2003), 459.
5. Kultische Sprache in der Kommunikation mit Nichtjuden
339
verständnis“ beheimatet sind, wie z. B. die Vorstellung eines Gottes, der Menschen erwählt und beruft. Kommunikationstheoretisch betrachtet handelt es sich dabei um eine Selbstverständlichkeit: „Eine Sinnwelt kann nur dann zur Realität werden, wenn sie an der Wirklichkeit der Gesellschaft / einer Gruppe / eines Individuums anzuknüpfen vermag. [...] Betrachtet man die Vermittlung einer Sinnwelt kommunikationstheoretisch, kann sich die neue Sinnwelt (als Botschaft oder Information) zwischen den Polen der Innovation und Redundanz bewegen. Bei einem hundertprozentigen Innovationsgrad wäre die Sinnwelt für den Rezipienten unverständlich. Die Botschaft oder Weltdeutung muss die Adressaten dort abholen, wo sie stehen.“26 Im Laufe dieser Arbeit konnten wir immer wieder beobachten, dass gerade die kultische Terminologie die Funktion hat, die Leserinnen und Leser „dort abzuholen, wo sie stehen“. Wir konnten auch beobachten, dass Paulus seinen Adressatinnen und Adressaten dabei keineswegs etwas vorenthält: Alles, was sie über sich selbst und ihr Verhältnis zu Gott wissen müssen, lässt sich in kultisch konnotierter Sprache vermitteln.27 Dass sich auch im Detail Berührungen zwischen den Leges Sacrae und den paulinischen Ausführungen feststellen lassen, wurde wiederholt sichtbar.
5.2 Differenzen Neben den Korrespondenzen zwischen der Begrifflichkeit und Vorstellungswelt nichtjüdisch-mittelmeerischer Kulte und paulinischen Texten zeigen sich aber auch Differenzen, die das Profil des paulinischen Denkens besonders deutlich zutage treten lassen: Im Blick auf die Leges Sacrae fällt auf, dass Paulus, wie schon gesagt, kein Hin und Her zwischen profanen und heiligen Räumen kennt. Genau diese Übergänge versuchen die Leges Sacrae in einer Weise zu regeln, dass sie für die Menschen heilvoll und für das Heiligtum ungefährlich sind. Leges Sacrae organisieren den Zugang zum Heiligtum und den Aufenthalt dort – aber sie gehen davon aus, dass dieser Aufenthalt zeitlich befristet ist. Diese Annahme teilt Paulus nicht. Leben in der Sphäre des Heiligen ist für ihn keine Ausnahme, sondern die Regel.28
26
B ÖRSCHEL (2001), 97. Dass auch im inhaltlichen Detail Überscheidungen zwischen den paulinischen Paränesen und den Leges Sacrae bestehen, haben wir wiederholt zeigen können. 28 Dem entspricht der paulinische Sprachgebrauch, wenn er in der Tradition des LXX Pentateuch vorwiegend a[gioj und nicht a`gno,j verwendet, um das Gottesverhältnis des 27
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Kapitel 10. Auswertung
Leges Sacrae haben einen besonderen Aufstellungsort am Eingang zum heiligen Bezirk. Das hat seinen Grund darin, dass sie beschreiben, welche Bedingungen der erfüllen muss, der das Heiligtum betreten und in Kontakt mit der Gottheit kommen will. Wenn Paulus sakralrechtliche Bestimmungen auf die Gemeinde anwendet, dann tut er dies aber nicht, um irgendwelche Zugangsbedingungen aufzustellen. Diese Bestimmungen sollen vielmehr dafür sorgen, dass der heilige Status derer, die sich im Raum der Gegenwart Gottes befinden, erhalten bleibt. Sie organisieren nicht den Eintritt, sondern sichern den Aufenthalt im heiligen Bereich. Die Heiligung, die Paulus von seinen Adressatinnen und Adressaten erwartet (vgl. z. B. 1 Thess 4,3ff), steht darum auch nicht am Anfang der Beziehung zwischen Mensch und Gott und sie stellt auch keine Bedingung für die Aufnahme dieses Kontaktes dar. Sie ergibt sich vielmehr als Konsequenz aus der von Gott inaugurierten Kontaktaufnahme und seiner bleibenden Gegenwart bei den Gläubigen. Insofern könnte man allenfalls sagen, dass Heiligung eine Bedingung für das Bleiben Gottes und das Bleiben bei Gott ist. Differenzen fallen aber auch in inhaltlicher Hinsicht auf: Vergleicht man die Lebensbereiche, die in den Leges Sacrae angesprochen werden, mit dem, was Paulus seinen Leserinnen und Lesern ans Herz legt, so merkt man sehr bald, dass beide von Sexualität und allgemeiner Ethik handeln. Beide wissen darum, dass ehelich und nichtehelich gelebte Sexualität den Kontakt zum Heiligen gefährden bzw. unmöglich machen kann. Neu dürfte den Leserinnen und Lesern der Paulusbriefe allerdings der Gedanke gewesen sein, dass Sexualität auch in Heiligkeit gelebt werden kann und damit das Heilige nicht gefährdet. Zwei Aspekte, die in den Inschriften und auch in den jüdischen Quellen breiten Raum einnehmen, bleiben in der paulinischen Korrespondenz allerdings unerwähnt, nämlich die Unreinheit, die mit der Geburt und vor allem dem Tod zusammenhängt. Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang immerhin 1 Kor 15,29. Dieser Vers bereitet der Auslegung seit frühester Zeit Schwierigkeiten, weil das Ritual der Vikariatstaufe für die älteste Zeit ansonsten unbekannt ist und die Formulierung des Verses davon abgesehen Raum für unterschiedliche Lektüren bietet.29
Menschen zu beschreiben, denn mit a`gno,j ist dort – wie in den Leges Sacrae auch – nur eine zeitlich befristete Weihe oder Reinigung gemeint (vgl. Kapitel 2, 1.1.2). 29 Vgl. dazu N.H. T AYLOR (1992), 111: „By some accounts over two hundered explanations have been proffered, but none has found wide acceptance“.
5. Kultische Sprache in der Kommunikation mit Nichtjuden
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M. Newton30 hat unter Berufung auf J.M. Ford31 vorgeschlagen, den Vers als Anspielung auf die Sitte zu lesen, sich nach dem Kontakt mit einem Toten von Totenunreinheit zu reinigen: „Otherwise, what will they gain, those who practise purificatory rites after defilement from corpses…?“. Mehrere exegetische Entscheidungen liegen dieser Übersetzung zugrunde: 1. baptizo,menoi bedeutet nicht „die, die sich taufen lassen“. Das Präsens und – so kann man ergänzen – das Medium32 legen keinen zwingenden Bezug auf den einmaligen Akt des Sich-taufen-Lassens nahe, sondern können auch ein wiederholbares Tauchbad zur kultischen Reinigung im Blick haben. 2. u`pe,r bedeutet nicht „für“, sondern „wegen“. 3. oi` nekroi, sollte nicht mit „die Toten“, sondern „die Leichname“ übersetzt werden.33 Lexikalisch ist gegen diese Entscheidungen zunächst wenig einzuwenden.34 Fragen ergeben sich allerdings aus dem Kontext: Im ganzen Kapitel ist von der Auferstehung der Toten die Rede. Wie soll der Leser merken, dass jetzt nicht mehr von Toten, sondern speziell von Leichen die Rede ist? Vor allem aber, welchen Sinn ergibt dieser Hinweis auf diese Reinigungssitte im Kontext der paulinischen Argumentation? Paulus unterstellt, dass dieser Ritus nur dann sinnvoll ist, wenn man auch an die Auferweckung der Toten glaubt. Nun lehrt der Blick in die Religionsgeschichte, dass Menschen sich jahrhundertelang von Totenunreinheit gereinigt haben, ohne dass sie damit den Glauben an die Auferstehung verbunden hätten.35 Das Schicksal der Toten ist für die Frage nach der Verunreinigung der Lebenden im Judentum und darüber hinaus völlig unerheblich.36 Damit würde dieser Vers für das Ziel der paulinischen Argumentation nichts austragen. Das ist anders, wenn man den Vers so liest, dass der Ritus, von dem dort die Rede ist, den Verstorbenen selbst zugute kommt (u`pe,r wird dann mit „für“ zu übersetzen sein). Die Tatsache, dass Paulus in diesem Kapitel sonst sehr stringent argumentiert, lässt es also wahrscheinlich erscheinen,
30
Vgl. NEWTON (1985), 109f. Vgl. FORD (1968), 400ff. 32 Im Präsens kann man zwischen Medium und Passiv nicht unterscheiden. 33 Vgl. NEWTON (1985), 109. 34 In den Leges Sacrae kommt die Wortfamilie bapti,zw nicht vor. Die LXX verwendet das Wort an drei von vier Stellen zur Bezeichnung von Reinigungsritualen (2 Kön 5,14 [Reinigung von Aussatz]; Jdt 12,7 [Judit badet vor dem Gebet]; Sir 34,25 [Reinigung von Totenunreinheit]). 35 Vgl. Kapitel 2, 1.3.1 und 3, 4.2.2. 36 Das von Newton referierte Argument, Totenunreinheit resultiere aus der dem Körper innewohnenden Heiligkeit, geht an den religionsgeschichtlichen Befunden vorbei. Vgl. dazu Kapitel 2, 1.3.1. 31
342
Kapitel 10. Auswertung
dass hier auf eine Taufe37 zugunsten der Verstorbenen angespielt wird. In Korinth gab es offenbar Christen, die sich für verstorbene ungetaufte Christen oder gar für Nichtchristen, denen sie sich verbunden wussten, taufen ließen. Diese Taufe ist nur dann sinnvoll, wenn die Toten tatsächlich auferstehen.38 Sollten dabei Reinigungsaspekte überhaupt eine Rolle gespielt haben, dann nicht im Bezug auf Totenunreinheit, sondern auf die Unreinheit, die alle betrifft, die nicht zur Gemeinde gehören. Einige Verse vorher (1 Kor 15,8) bezeichnet Paulus sich selbst als „e;ktrwma". Hinter diesem Begriff könnte sich ein Hinweis darauf verbergen, dass Paulus mit der Totenunreinheit und ihren halachischen Konsequenzen vertraut war. K. Haacker deutet dieses Wort, das für gewöhnlich mit „Fehlgeburt“ oder „Frühgeburt“ übersetzt wird, als Reflex des hebräischen !pwd acwy. Damit ist in der rabbinischen Halacha ein Kind gemeint, „dessen Mutter über der Geburt schon gestorben war“.39 Diese Deutung fügt sich in der Tat besser in den argumentativen Zusammenhang von 1 Kor 15,5–10 ein als die sonst üblichen Erklärungen. Warum sollte sich Paulus als Frühgeburt bezeichnen, wenn er doch später als alle anderen Apostel berufen wurde? Welchen Sinn sollte es in diesem Argumentationszusammenhang haben, von sich selbst als einer Totgeburt zu sprechen? Paulus (wörtlich: der Kleine) betont, dass er der Geringste unter den Aposteln sei, der es nicht wert sei, den Aposteltitel zu tragen. Dazu würde es gut passen, wenn er sich als in halachischer Hinsicht mit einem Makel behaftet darstellte. Bleibt als Problem nur die Frage, ob e;ktrwma griechischsprachigen Leserinnen und Lesern in dieser Bedeutung geläufig war. Der Sprachgebrauch der Leges Sacrae ist in dieser Hinsicht nicht ganz eindeutig. In LSCG 154 A 21ff kommt das dazugehörige Verb mehrmals vor. Ebenso in LSCG 156 A 13. Es wird immer neben dem Verb für gebären (ti,ktw) erwähnt, könnte also die Fehlgeburt im Unterschied zur Geburt bezeichnen. In LSCG, Suppl 119,5 ist dies hingegen nicht wahrscheinlich, denn dort wurde die Fehlgeburt schon eine Zeile vorher erwähnt (wenn es nicht um eine bewusst herbeigeführte Abtreibung geht).40 Es könnte also durchaus sein, dass mit e;ktrwma etwas anderes als die Fehlgeburt bezeichnet werden soll. Für diese verwenden die Leges sacrae in der Regel Formen von fqei,rw. Wie dem auch sei: Paulus bezieht sich auf dieses Wort und die damit verbundene Unreinheit in einem sehr begrenzten argumentativen Kontext. 37
Paulus verwendet bapti,zw sonst auch in dieser speziellen Bedeutung. 1 Kor 10,2 ist von der vorausgesetzen Analogie zur Taufe her formuliert. 38 Vgl. T AYLOR (2002), 118f. 39 HAACKER (1997), 21. 40 Vgl. SOKOLOWSKI (1962), 202.
5. Kultische Sprache in der Kommunikation mit Nichtjuden
343
Dennoch lässt diese Stelle erkennen, dass Paulus die mit dem Tod beim Geburtsvorgang – betreffe er nun die Mutter oder das Kind – zusammenhängende Unreinheit gekannt haben dürfte und damit rechnen konnte, dass seine Leserinnen und Leser damit ebenfalls vertraut waren. Dass Paulus sich nicht grundsätzlich über die verunreinigende Kraft von Geburt und Tod äußert, kann verschiedene Gründe haben: Die paulinischen Briefe stellen keine systematischen Schreiben dar, sondern sie reagieren auf konkrete Problemstellungen in den Gemeinden ihrer Adressatinnen und Adressaten. Wenn Paulus also über die Unreinheit, die durch den Kontakt mit Toten oder mit einer Frau im Kindbett entsteht, schweigt, dann könnte das einfach daran liegen, dass seine Gemeinden ihm keinen Anlass geboten haben, sich dazu positiv oder negativ zu äußern. Man könnte sich weiter vorstellen, dass Paulus hier keinen Regelungsbedarf sah, weil er sicher davon ausgehen konnte, dass Christen jüdischer wie nichtjüdischer Herkunft die Reinheitsregeln, die in einem Todesfall oder nach einer Geburt gelten, selbstverständlich beachteten. Es wäre dann so, wie der Verfasser des Diognetbriefes glauben machen will, dass Christen schlicht „die landesüblichen Sitten befolgen in Kleidung und Kost sowie im übrigen Lebensvollzug“ (Diog 5.1.4). Es ist ja in der Tat nur schwer vorstellbar, dass Menschen, die Christen werden, plötzlich alle Reinheits- und Unreinheitsvorstellungen, die sie aus ihrer Herkunftstradition kennen, ablegen und die damit verbundenen Reinheitspraktiken von einem Tag auf den anderen nicht mehr üben. Ein solches Verhalten wäre darüber hinaus in antiken Gesellschaften derart deviant, dass Kritiker des Christentums sich sicher dazu geäußert hätten. Es könnte aber auch sein, dass für Paulus der Tod nicht nur seinen Stachel (1 Kor 15,55), sondern auch seine verunreinigende Macht verloren hat. Wenn es so ist, dass der Tod nicht mehr von Gott trennt (Röm 8,38f), dann muss man auch nicht mehr davon ausgehen, dass er die Menschen verunreinigt, die mit dem Toten in Kontakt kommen, denn was ist Unreinheit – gerade im paulinischen Denken – anderes als ein Zustand, der von Gott trennt? Dazu würde auch gut passen, dass Paulus wenige Verse nach 1 Thess 4,3ff davon spricht, dass Gott die Entschlafenen mit sich führen wird (4,14).41 Dass der Tod nicht mehr verunreinigt, ist ein Gedanke, der in der altkirchlichen Tradition verschiedentlich zur Sprache gebracht wird: „Es ist klar, dass wer einmal gereinigt ist durch die Wiedergeburt, sich durch 41
Auf der Linie dessen, was zur avparch, Vorstellung in Röm 11,16 ausgeführt wurde, könnte man die Wendung aus 1 Kor 15, 20, nach der Christus der Erstling der Entschlafenen ist, in dem Sinne verstehen, dass der auferstandene Christus modellhaft und repräsentativ abbildet, was für alle Verstorbenen gilt. Auch sie werden auferstehen und gehören nicht nur in „diesem Leben“ (15,19) zu Gott (vgl. Kapitel 9, 8).
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Kapitel 10. Auswertung
nichts im Gesetz Genanntes, das heißt durch einen Toten oder das Bein eines Toten oder durch einen anderen (etwas anderes) verunreinigt“ (Methodius, Über die Unterscheidung 5,3). Einen weiteren Hinweis könnte man Röm 14,14 entnehmen. Bei der Besprechung dieses Verses konnten wir feststellen, dass die paulinische These „nichts ist an sich unrein“ an das dem nur wenige Jahre nach Paulus lebenden Rabban Jochanan ben Zakai zugeschriebene Diktum „der Tote verunreinigt nicht, und das Wasser reinigt nicht…“ erinnert. Wenn Paulus ähnlich gedacht hätte (was wir oben für wahrscheinlich gehalten haben), so könnte er in Fragen von Leichenunreinheit tatsächlich der Auffassung gewesen sein, dass Tote nicht verunreinigen. Er hätte daraus wie hinsichtlich der Frage unreiner Speisen die Konsequenz ziehen können, dass die Vorstellung, dass Tote verunreinigen, keinen sachlichen Grund hat und dass der Kontakt mit einem Leichnam darum allenfalls den verunreinigt, der Tote für verunreinigend hält. Das Schweigen der Texte lässt hier nur Vermutungen zu, es ist aber nicht ausgeschlossen, dass Paulus – aufgrund der Erfahrung der Auferweckung des Gekreuzigten – in diesen Fragen andere Wege beschreitet als seine Kollegen im pharisäischen Judentum und die Leges Sacrae.42
6. Pharisäisches Denken bei Paulus 6. Pharisäisches Denken bei Paulus
Im zweiten Kapitel dieser Arbeit haben wir versucht, den Beitrag der Pharisäer zur Entwicklung des kultischen Denkens im antiken Judentum trotz aller Schwierigkeiten hinsichtlich der Quellenlage wenigstens in Ansätzen zu umreißen.43 Die erhaltenen Debatten zwischen Pharisäern und Sadduzäern in der rabbinischen Literatur und die Zeugnisse des Neuen 42
Ein nachpaulinischer Text bringt allerdings Geburt und Heiligkeit miteinander in Zusammenhang. In 1 Tim 2,15 ist die Rede davon, dass die Frau durch die Geburt oder durch die Geburt hindurch gerettet wird. Man wird diese Aussage auf dem Hintergrund von Gen 3 am besten so verstehen, dass das „Kindergebären […] nicht selbst als Heilsmittel oder Heilsweg verstanden wird, sondern als Geschehen, durch das hindurch der Weg der Frau zur Rettung führt“ (ROLOFF [1988], 141f). Wenn – was wahrscheinlich ist – sich der folgende Plural „wenn sie in Glaube, Liebe und Heiligung bleiben mit Besonnenheit“ auf alle Frauen nach Eva und nicht auf die Kinder bezieht (so ROLOFF [1988], 142), dann verbindet der Paulusschüler, dem wir diesen Brief verdanken, Heiligung und Geburt zumindest indirekt in der gleichen Weise, in der Paulus in 1 Thess 4,3ff Sexualität und Heiligung verbunden hat. Für die Unreinheit infolge einer Geburt wäre damit eine analoge Lösung zur Unreinheit infolge legitim gelebter Sexualität gefunden: Beide Vorgänge werden „geheiligt“, so dass sie nicht im Konflikt stehen mit der dauernden Präsenz im Heiligtum. Ob wir es hier mit einer paulinischen oder nachpaulinischen Lösung zu tun haben, müssen wir offenlassen. 43 Vgl. dazu S.57ff.
6. Pharisäisches Denken bei Paulus
345
Testaments ließen sich dahingehend auswerten, dass die Pharisäer – im Unterschied zu den Sadduzäern – ein Heiligkeitsverständnis vertraten, das Heiligkeit „deontologisiert“ oder „entdynamisiert“. Die Sadduzäer verstanden Heiligkeit vermutlich als Realität, die aus der Gegenwart des heiligen Gottes im Jerusalemer Tempel resultiert. An diesen Ort ist sie gebunden, und nur wenn die Heiligkeit dieses Ortes nicht beschädigt wird, kann Gott im Tempel bei seinem Volk gegenwärtig sein. Heiligkeit stellt sich als bewegliche Größe dar, die durch Faktoren, die in der Verantwortung des Menschen liegen, beeinflusst, beeinträchtigt oder sogar zum Verschwinden gebracht werden kann. Die pharisäischen Positionen in den untersuchten Debatten weisen auf ein anderes Verständnis von Heiligkeit hin. Heiligkeit scheint wohl eher als Bezeichnung eines Status verstanden worden zu sein („for the Pharisees and rabbis the holy was mainly a status, not an entity“44). Heiligkeit bezeichnet die Zugehörigkeit zu Gott. Als solche Bezeichnung ist sie nicht ausschließlich an den Tempel gebunden, sondern kann auch jenseits davon verortet werden. Als Statusbezeichnung ist Heiligkeit zugleich weniger „schutzbedürftig“ als im Denken der Sadduzäer. Laien können stärker damit in Kontakt kommen. Für die Pharisäer ergibt sich daraus, dass Heiligkeit auch in räumlicher Entfernung vom Tempel und unabhängig von priesterlicher Vermittlung vom ganzen Volk im Alltag gelebt werden kann, zum Beispiel beim Essen. Zugleich verbindet sich damit eine weitere Modifikationen im kultischen Denken: Ebenso wenig wie Heiligkeit eine einfache Realität ist, sind Reinheit bzw. Unreinheit einfache Realitäten, die ex opere operato entstehen und wirken. Die Intention des Menschen gewinnt entscheidende Bedeutung. Paulus hat in gewisser Weise Anteil an diesem Denken: Auch für ihn ist Heiligkeit nicht an einen Ort gebunden. Darum können Christen in Philippi, Korinth und Rom gleichermaßen heilig sein. Auch für Paulus ist Heiligkeit eine Bezeichnung, die die Zugehörigkeit zu Gott zur Sprache bringt. Für die Pharisäer folgte aus der Deontologisierung und Demokratisierung der Heiligkeitsvorstellung nicht etwa eine ethische Laxheit. Auch wenn menschliches Verhalten nicht unmittelbar die Heiligkeit des Tempels und die Gegenwart Gottes dort bedroht, so muss es der Heiligkeit Gottes, der sein Volk geheiligt hat, doch entsprechen. Deshalb haben gerade die Pharisäer auf die Einhaltung von Reinheitshalachot geachtet. In gleicher Weise – wenn auch mit anderen Akzenten – zieht auch Paulus ethische Konsequenzen aus der Überzeugung, dass Christen von Gott geheiligt sind. Andererseits ist Heiligkeit für Paulus doch nicht einfach nur eine Bezeichnung. Sie hat ihren Realitätsgehalt darin, dass Gott durch den heili44
REGEV (2006), 137 (vgl. oben S.60f).
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Kapitel 10. Auswertung
gen Geist in den Gemeinden real gegenwärtig ist. Aus dieser Präsenz ergeben sich ethische Konsequenzen, die dem Status des geheiligt Seins entsprechen, sonst ist die Gemeinde als Ort der Gegenwart Gottes in ihrer Integrität gefährdet. Weitere Berührungen mit pharisäischem Denken zeigten sich hinsichtlich der Unreinheit von Gegenständen, die Paulus ebenso wie pharisäische und rabbinische Kreise von menschlicher Intention abhängig macht (Röm 14,14). Röm 11,16 versteht sich im Licht der pharisäischen Annahme, dass auch profanen Speisen ein gewisser Grad an Heiligkeit eignet. Die genannten Elemente im paulinischen Denken ergänzen sein Selbstzeugnis in Phil 3,5 und sind dazu angetan, ihm inhaltliches Profil zu geben. Auch nach seiner Lebenswende bleibt Paulus der Struktur nach Pharisäer. Im Zentrum seines Denkens steht aber nun die Erfahrung, dass Gott Menschen durch Christus im Geist heiligt.
7. Ein Kontinuitätsmoment im paulinischen Denken 7. Ein Kontinuitätsmoment im paulinischen Denken
Kultische Begrifflichkeit dient Paulus unter anderem dazu, den Statuswechsel des Menschen zu beschreiben, der aus der Gottesferne herausgeholt und auf die Seite Gottes versetzt wird. Die Rechtfertigungsterminologie bringt das ebenfalls zur Sprache. Beiden Begriffsfeldern liegt also der gleiche sachliche Zusammenhang zugrunde. Er durchzieht alle Paulusbriefe vom 1. Thessalonicherbrief bis zum Römerbrief und bietet sich damit als Kontinuitätsmoment an, das bei aller Situationsbezogenheit der einzelnen Briefe als paulinisches Proprium gelten darf.45 Gott hat in und an Christus in einer Weise gehandelt, dass Menschen, die zuvor in keinem positiven Verhältnis zu Gott standen, sich nun in einer heilvollen Beziehung zu ihm vorfinden. Diesen Statuswechsel kann Paulus mit unterschiedlichen Begriffen aus unterschiedlichen Lebensbereichen beschreiben. Die Sache bleibt gleich. Ihre Konsequenzen entfaltet Paulus in den verschiedenen Argumentationskontexten seiner Briefe.46 Bei allen kontextbedingten Unterschieden geht es Paulus also immer darum, seinen Leserinnen und 45
Zur Diskussion vgl. Kapitel 1, 6. Diese Beschreibung des Kontinuitätsmomentes in den Paulusbriefen berührt sich mit einem Vorschlag, den Udo Schnelle in einem Beitrag aus dem Jahr 2001 gemacht hat. Seines Erachtens stehen im Zentrum des paulinischen Denkens die Grundgedanken der Transformation und Partizipation. (SCHNELLE [2001], 60). Die Übereignung an Gott, als die die kultische Begrifflichkeit das Heilsereignis entfaltet, lässt sich als Transformationsgeschehen oder als Transfer beschreiben. Gleiches gilt für die Rechtfertigung, die den Gottlosen in ein intaktes Gottesverhältnis versetzt. Der neue Status erscheint in kultischer Begrifflichkeit als Teilhabe an der Heiligkeit Gottes. Dies lässt sich rechtfertigungstheologisch und heiligkeitstheologisch entfalten. 46
8. Ausblick
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Lesern vor Augen zu führen, in welchem Verhältnis sie zu Gott stehen, wie sie in dieses Verhältnis hineingekommen sind und welche Folgen das für ihre Lebensführung haben soll. Darin könnte man in der Tat ein Kontinuitätsmoment sehen, das die paulinischen Briefe miteinander verbindet. Dieses Kontinuitätsmoment liegt weder in der Rede von der Rechtfertigung des Gottlosen noch in der Entfaltung des In-Christus-Seins. Auch kultische Begrifflichkeit macht nicht das Zentrum paulinischer Theologie aus. Die Kontinuität liegt vielmehr in dem Gedanken, dass Menschen auf die Seite Gottes gehören. Diesen Sachverhalt bringt Paulus mit unterschiedlichen „metaphors of salvation“ (Dunn)47 zur Sprache. Die Begriffsfelder können wechseln, aber das, was sie aussagen, bleibt doch gleich. Dieses Zentrum lässt sich bei aller Situationsbezogenheit der einzelnen Aussagen recht deutlich benennen. Wie könnte man das schöner sagen als mit dem Schlusschor des Bach’schen Weihnachtsoratoriums: „bei Gott hat seine Stelle das menschliche Geschlecht“.
8. Ausblick 8. Ausblick
Am Anfang unserer Untersuchung stand die Beobachtung, dass in der Theologie, aber auch darüber hinaus, eine „Wiederkehr des Heiligen“ festzustellen ist. Die vorliegende Arbeit hat versucht, die Dimension des Heiligen in den paulinischen Briefen zu entdecken. Dabei wird deutlich: Die Welt des Heiligen und der kultisch vermittelten Begegnung mit ihr ist trotz aller Faszination, die von ihr ausgeht, nicht die Welt, in der wir leben. Zumindest im Blick auf den mitteleuropäischen Kulturkreis wird man sagen können, dass die Unterscheidungen von profan und heilig bzw. rein und unrein unsere Weltwahrnehmung nicht mehr strukturieren. Darin unterscheiden wir uns in gleicher Weise von Paulus wie von seinen Adressatinnen und Adressaten. Was für diese selbstverständlich war, müssen wir aus Texten und archäologischen Überresten erschließen. Was für diese alltäglich war, stellt sich uns lediglich als Gedankengebäude dar. Dieses Gedankengebäude ist faszinierend und befremdlich zugleich. Faszinierend ist die Geschlossenheit, mit der es vom Sein und Sollen des Lebens in der Gegenwart des heiligen Gottes spricht. Befremdlich sind die rigorosen Konsequenzen, die sich nahezu selbstverständlich daraus ergeben. Am augenfälligsten ist das hinsichtlich der Bewertung der Sexualität, die als Gefährdung des Heiligen angesehen 47
Vgl. DUNN (2003), 328.
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Kapitel 10. Auswertung
wird, oder die doch zumindest mit ihm konkurriert. Wie wir sahen, ist die vorwiegend negative Einstellung des Apostels zur Sexualität kein Versehen, sondern vor seinem kultischen Denkhorizont selbstverständlich und nahezu unvermeidlich. Gleiches gilt für die dualistische Grundstruktur des paulinischen Denkens, die nicht nur aber auch auf der Linie kultischer Logik liegt. In einem Lebenskontext, der darum bemüht ist, die Zwischentöne zwischen Schwarz oder Weiß zu erkennen, der zu ahnen beginnt, dass mit Paul Celan derjenige „wahr spricht, wer Schatten spricht“ und „das Ja nicht vom Nein“ scheidet,48 irritiert die rigorose Eindeutigkeit des Ja oder Nein, Gott oder Sünde, heilig oder ungerecht. Bemühten sich die evangelischen Kirchen in den vergangenen Jahren darum, Kirche als „Kirche bei Gelegenheit“ schätzen zu lernen oder Modelle „abgestufter Mitgliedschaft“ zu entwickeln, kennt Paulus nur ein „Drinnen oder Draußen“, entweder man gehört zur Gemeinschaft derer, die Gott in Christus geheiligt sind, oder man lebt in der Sphäre der Unreinheit – also der Gottesferne. Verabschieden sich evangelische Kirchen mit guten Gründen vom Instrument der Kirchenzucht, ruft Paulus rigoros dazu auf, „den Bösen aus eurer Mitte fortzuschaffen“ (1 Kor 5,13), damit die geheiligte Gemeinschaft nicht durch dessen Gegenwart kontaminiert wird. Statt einer offenen Abendmahlspraxis, die niemanden ausschließen möchte, hören wir bei Paulus: „mit so einem sollt ihr auch nicht essen“ (1 Kor 5,11). Liegt für eine evangelische Ethik und Seelsorge im „simul iustus et peccator“ ein immenses Potenzial, so mussten wir entdecken, dass Paulus die Gemeinde vorwiegend als sündenfreien Raum denkt und statt des „simul“ ein „contra“ setzt (iustus contra peccatum).49 Kurz gesagt, nicht nur die Logik der Unterscheidung von rein und unrein, heilig und nichtheilig ist uns fremd, fremd sind uns auch die Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Diese Fremdheit des paulinischen Denkens gilt es wahrzunehmen und auszuhalten. Bestehen dennoch Chancen, dass Paulus uns nahekommt und wir ihm in aller Fremdheit nahekommen? Wir konnten beobachten, dass Paulus kultische Begrifflichkeit dazu verwendet hat, das Evangelium zur Sprache zu bringen: Gott hat Menschen aus der Völkerwelt, die ursprünglich von ihm getrennt lebten, auf seine Seite gestellt. Diesen Sachverhalt illustriert er mit unterschiedlichen Bild- und Sprachwelten. Für uns ergibt sich daraus die Aufgabe, diese Bild- und Sprachwelten überhaupt erst wieder zu erschließen und nachvollziehbar zu machen, welche Botschaft darin enthalten ist. Folgende Aspekte können diesem Nachdenken Orientierung geben:
48 49
CELAN (1986), 135. Vgl. KARRER (2000), 152.
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8. Ausblick
Am Anfang des Christseins steht nicht die menschliche Initiative. Folgt man Paulus, ist es Gott, der die Beziehung zu Menschen herstellt, der sie beruft, heiligt und rechtfertigt. Dieses Geschehen hat Machtcharakter. Es überwältigt den Menschen. Ob jemand Christ wird, liegt somit nicht an seiner Entscheidung und seinem Handeln, sondern an Gottes Tun. Menschliche Initiative gewinnt hingegen Raum, wenn es darum geht, Christ zu bleiben. Paulus sieht die Gemeindeglieder vor der Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sie nicht wieder aus ihrem Status als Geheiligte herausfallen. Es ist nicht egal, wie man als Christ oder Christin handelt. Heiligung wird zur bleibenden Aufgabe, die sich als Konsequenz aus dem Wesen des Christseins ergibt. Paulus ruft das immer wieder in Erinnerung. Hier liegt das tiefe Recht des reformatorischen Zusammenhangs von Rechtfertigung und Heiligung.50 51
Karl Barth betont in § 66 der Kirchlichen Dogmatik („Des Menschen Heiligung“) , dass es sich bei Rechtfertigung und Heiligung „um zwei verschiedene Aspekte des einen Heilsgeschehens handelt“.52 „Heiligung ist nicht Rechtfertigung […] Rechtfertigung ist aber auch nicht Heiligung“. 53 Bei Paulus stellte sich das in gewisser Weise anders dar: Heiligung und Rechtfertigung sind beide „metaphors of salvation“54, beschreiben also beide, wie der Mensch auf die Seite Gottes kommt. Unterschieden sind sie darin, dass Heiligung bei Paulus auch das menschliche Tun umschreibt, das als Konsequenz aus dem von Gott initiierten Statuswechsel folgt. Daraus ergibt sich kein ordo salutis von Rechtfertigung und Heiligung (bzw. Heiligung und Heiligung), wohl aber eine Abfolge von Gottes Tat und menschlichem Tun, die sich dann systematisch theologisch mit Stichworten wie „Gehorsam“, „novitas vitae“, „Nachfolge“55 entfalten lässt.
Aus dem kultischen Denken ergeben sich für Paulus hohe ethische Anforderungen. Dabei sieht Paulus die Gemeinde sich aber nicht selbst überlassen. Schon der 1. Thessalonicherbrief begreift Heiligung nicht nur als menschliche Aufgabe (4,3ff). Gottes heiligendes Handeln umgreift und bewahrt menschliches Bemühen und Tun (5,23). Mit Martin Buber gilt beides: „Ich bin anheimgegeben.“ und „Es kommt auf mich an.“.56 Paulus denkt die Gemeinde zwar als sündenfreien Raum, weiß aber doch darum, dass seine Adressatinnen und Adressaten de facto immer wieder hinter diesem Anspruch zurückbleiben. In diesem Spannungsfeld entwirft er seine Briefe als „Paraklese“, als tröstende Ermahnung und mahnenden Trost.
50 51 52 53 54 55 56
Vgl. dazu RICHES (1985), 725ff. Vgl. B ARTH (1955), 565ff. B ARTH (1955), 569. B ARTH (1955), 570. DUNN (2003), 328. Vgl. B ARTH (1955), 573; 603. Vgl. B UBER (1984). 97.
350
Kapitel 10. Auswertung
Paulus entwickelt seine Gemeindekonzeption vorwiegend in „vertikaler“ Perspektive: Die Gemeinde ist wesentlich Gottes Eigentum. Die horizontale Perspektive der gemeindlichen Strukturen ergibt sich daraus und ist der vertikalen nachgeordnet. Kirche ist weniger ein Zusammenschluss von Gleichgesinnten, sondern Gemeinschaft der Geheiligten. Paulus kennt nicht nur ein abgrenzendes Verständnis von Heiligkeit, sondern auch ein ausgreifendes. Heiligkeit ist nicht nur etwas, das geschützt werden muss, sie kann sich auch ausbreiten. Die Erinnerung daran kann dazu ermutigen, die Grenzen der Gemeinde nicht ganz so scharf zu ziehen, wie Paulus das in der Theorie getan hat (in der Praxis hat er ja auch Nichtchristen im engen Umkreis der Gemeinde geduldet [vgl. 1 Kor 7,12– 16]). Paulus entwirft seine Botschaft gerade auch in kultischer Begrifflichkeit als Zuspruch und Anspruch. Die konkrete Gestalt, in der Paulus diesen Anspruch formuliert, ist dabei abhängig von der Logik kultischen Denkens in der Antike. Das macht es schwierig die paulinischen Mahnungen z. B. hinsichtlich der Gestaltung menschlicher Sexualität einfach in eine Gegenwart hineinzusprechen, die die Logik des Kultes nicht mehr teilt. Es könnte sein, dass Heiligung heute auf ganz anderen Feldern zu entwerfen ist, nicht umsonst haben die paulinischen Mahnungen auch wirtschaftsethische Dimensionen (1 Thess 4,6; 1 Kor 6,1–11). Andererseits setzt Paulus für antike Maßstäbe gerade in der Sexualethik überraschende Akzente, indem er sie in Ansätzen egalitär entwirft (1 Kor 7,3f) und den Konflikt mit dem Heiligen in einer Weise entschärft, dass Sexualität in Heiligkeit gelebt werden kann (1 Thess 4,4). Auch in anderen ethischen Bereichen ergeben sich aus dem kultischen Denken überraschende Perspektiven: Im Blick auf aktuelle ethische Debatten um menschliches Handeln am Beginn oder Ende des Lebens erwächst aus dem kultischen Denken eine klare Option für den Schutz des Lebens in all seinen Phasen. Darauf hat jüngst Klaus Berger hingewiesen, der Elemente einer „kultisch-priesterlichen Ethik“ gerade im Gespräch mit Paulus entwickelt: „Die Einsicht in die Nichtverfügbarkeit des Menschen gehört auch zu den Konsequenzen“57. Diese Konsequenz ergibt sich aus der Vorstellung, dass Menschen Gott gewissermaßen übereignet worden sind. Sie gehören nun sonst niemandem und auch nicht sich selbst (Röm 14,7-9). „Und wenn das Machtmonopol bei Gott liegt, worauf der Kult gleichfalls hinweist, dann verbietet sich Gewaltausübung (im Sinn unberechtigter Gewalteingriffe) gegen Menschen“.58 Bei aller ethischen Klarheit und Rigorosität, die wir im Laufe dieser Arbeit immer wieder beobachten konnten, gilt es, stets vor Augen zu ha57 58
BERGER (2006), 160. BERGER (2006), 161.
8. Ausblick
351
ben, in welcher Perspektive Paulus auch seine ethischen Weisungen erteilt: Er spricht „dia. tw/n oivkirmw/n tou/ qeou/“ (Röm 12,1). Gottes mitleidende Barmherzigkeit hat auch in der Ethik das erste und das letzte Wort.
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Stellenregister Hebräische Bibel und Septuaginta Genesis 1,14 1,28 2 2,10 2,24 3 4,1 5,22 6,1-4 6,9 8,21 10,5 12,3 12,5 15,6 17,1 20,5 20,5f 24,8 25,6 25,10 28,22 31,19 31,54 35,14 37,31 41,45 41,50 44,10 46,20 Exodus 6,12 6,30 8,4 10,26 12,5 12,15 12,19 12,21
233 32 50 263 196, 170 225 125 244 53 244 201, 243 263 295 125 257 232f, 244 20 19 19 244 125 76 249 160 234, 236 187, 214 52 52 20f 52
252 252 240 240 76, 305 159 159 160
12,44 12,48 13,2 13,7 19,6 19,10 19,15 20,5 20,7 21,8 23,18 25,8 25,17ff 25,22 27,20 28,38 29,36 29,37 29,40f 29,45 30,9 30,10 32,6 32,32 34,6 34,7 34,15–16 38,21 40,12
252 252 134 159 48 22, 23 39, 04 249 20 145 159 148, 150 270 270 19 134 20 20, 178 234 149, 210 236 20 190 290 297 20 169 222 167
Levitikus 1,3f 1,4 2,1 3 4,3 4,8 4,14 4,20ff 4,31 4,32
232, 243 20 97 76 45, 277f, 232 277 277 20, 276, 277f 20 277f
389
Stellenregister 4,35 5,8 5,11f 6,11 6,20 7,1ff 7,11ff 7,30 7,37 8,6 8,11 8,12 8,15 8,30 9,4 9,6 10,10 10,12ff 10,19 11,27ff 11,38 11,39f 11,40 11,43ff 11,44f 11–15 12 12,4f 12,6ff 12,7f 13,3ff 13,46 13 13–15 14 14,7 14,18f 14,20 14,31 14,33ff 14,37 15 15,5–10 15,15 15,16–17 15,19ff 15,20ff 15,24 15,31 16
278 277, 278 277 178, 335 178 188 76 244f 277 167 24, 134 24 20, 24 29 25 25 25, 28 29 244 30 40, 42 30 167 70, 169 24, 136 67 29f, 50 30, 104 324 29, 45 29 31, 40 31, 40 104 23, 30 87 29 45 39 40 30f, 104 41 45 29 30 31 67 29, 30 274
16,2 16,14f 16,16 16,34 17–26 17f 18 18,2ff 18,7f 18,8 18,19 18,20ff 18,24f 18,25 18,28 18,29 19 19,1 19,2 19,5 19,15 19,19 19,23 19,28 19,31 20,1–3 20,8 20,11 20,13 20,24f 21,1–3 21,4 21,6 21,8 21,10 21,11f 21,15 21,23 23,8 24,2–7 26,12 26,41 27 27,28
25, 270 270 272 20 33 159, 222 32f, 169, 325 107 157 124 67 32, 268, 269 32, 158, 269 33 158 32, 159, 269 33 33 26, 63, 69, 222 243 277 208 252ff 107 32, 33 32f 24, 33, 134 157 269 107 31, 32 104 24, 122 24, 33 32 24, 31 33 33 245 19 210, 254 252 293 286
Numeri 4 4,24 5,2 5,3
222 237 31 150
390 5,6 5,17 6,2f 6,5 6,6f 6,8 6,21 7,5 7,89 8 8,14ff 8,21 8,24f 8,6f 11,18 12,10 12,12 14,18 15,17–21 16,9 18,4 18,8 18,11 18,18 18,29 19
Stellenregister
19,9 19,11 19,12 19,13 19,14 19,15 19,17 19,18 19,19 19,20 19,21 21,3 23,9 30,6 30,9 30,13 31,19f 31,23 35,33ff
24 19 21, 23f, 82 23 24 24 23 222 270 21, 24 24 21ff 25 21ff 21ff 32, 44 31 20 292, 295 237, 298 237 188 244 76 244 21, 30, 34, 40, 46, 110 23 30 23 23, 30, 104 30 39 23 39 22, 23 23, 158 87 286 150 20 20 20 21f 22f 32, 33, 150
Deuteronomium 5,11
20
7,6 10,16 10,18 12,11 12,15 12,21 12,5 13,7 14,2 14,22 14,23 16,2 17,7 17,12 18,5ff 19,13 21,23 21,5 23,13ff 25,4 26,19 30,6 32,5 32,17 32,43
132, 163 252 298 39,163, 245 160 160 150 125 132, 163 50, 76 163 163 163 298 298 20 248 298 37 188 163 252f 233 191 307
Josua 5,4 6,21 6,24
254 286 286
Richter 12,6
160
1. Samuel 21,6 28,24 31,10
124f 160 286
2. Samuel 6,17 7,5 7,14 13,18 22,24 24,14
286 150 212 316 232 297
1. Könige 6,13
149
391
Stellenregister 7,34 8,12f 8,27 8,50 9,3
317 148,150 150 297 150
2. Könige 4,42 6,15 21,7
316 316 150
1. Chronik 6,33 17,13 22,10 23,25 24,3
237 212 212 149f 237
2. Chronik 6,1 26,16ff 29,5 30,9
150 44 44 297
Esra 7,24 8,80
316 213
Nehemia 10,40
316
1. Esdras 4,54
240
Hiob 1,1
232
Psalmen 2,11 15 15,2 24 24,4 25,6 26,8 39,7 (LXX) 40,7 40,12 51
240 35 232f 97 35, 181 297 150 318 317 297 45
51,3f 51,9–11 51,3 51,12 51,12 67,10 (LXX) 68,17 73,13 74,2 74,7 86,15 99,2 (LXX) 101,23 (LXX) 103,21 103,8 104,4 132,13f 135,21 136,3 (LXX)
34 34 297 253 35 263 149f 181, 253 150 150 297 240 240 316 297 316 148 149 76
Sprüche 19,14 (LXX)
224
Jesaja 1,16 5,7 8,18 33,14ff 33,16 34,11 43,6 43,22ff 52,1 52,11 54,17 56,7 57,15 60,21 61,6 66,20
35 146 150 35 150 150 212 35 253 211f 240 243 150 146 316 318
Jeremia 4,14 4,4 6,10 7,3ff 9,25 11,16 23,15 23,3
35 252 252 150 35, 252 294 213f 212
392
Stellenregister
31,28 (LXX) 33,8
150 35
Hesekiel 11,17 14,11 20,23 22,20 29,45 29,46 36,17 36,25ff 36,33 37,23 37,27 43,14ff 43,20 43,7 43,9
212 35 212 212 150 150 44 35 35 35 210 270 272 150 150
Daniel 5,23 7,10
209 240
Hosea 6,6 8,10
300 212
Joel 4,17 4,21
148, 150 150
Amos 5,21ff 9,1
243 270
Micha 4,6
212
Zefanja 3,19
212
Sacharja 10,8ff 2,14f 8,3 8,8
212 149, 150 150 149f
Judith 9,9
150
1. Makkabäer 1,47 1,62f 14,36 4,36 4,43ff 7, 34
53, 308 53, 308 53 53 53 53
2. Makkabäer 1,18 10,3ff 12,38 14,35 2,19 3,3 4,14 5,27 7,38
53 53 53 150 53 222 222 213f 288
4. Makkabäer 7,40 17,22 18,7f 7,8
53 270f 225 317
Psalmen Salomos 1,8 2,3 2,13 3,8 8,11 8,22 9,3 9,6 10,1 10,5 13,10 15,3 17,22 17,30 17,36 18,5
54 53 54 54 54 54 54 54 54 54 54 54 53 53 54 54
Jesus Sirach 7,31 24,15 35,6 36,24 50,15
244 202 243 126 235
393
Stellenregister Weisheit Salomos 14,12–31 14,24 18,21 4,10 9,10
124 126 222 244 244
9,1–18 9,17
148 148
Neues Testament Matthäusevangelium 5,48 233f 6,25 180 15 58 16,18 216 23,25 62 23,25f 58 24,21 180 24,29 180 26,53 280 26,61 216 27,27 230 27,40 216 Markusevangelium 1,27 3,22 7 7,3-4 7,4 7,18f 7,21 13 14,58
333 333 62f, 308f 58 62 169 127 180 216
Lukasevangelium 2,37 11,38 21,5
239 62 286
Johannesevangelium 2,6 62 2,19ff 216 Apostelgeschichte 8,15ff 9,13 9,32 9,41 10,11
285 220 221 221 309
10,14 10,28 10,44ff 11,3 11,8 11,26 15,2ff 15,5 15,8f 15,9 15,20 15,29 17,1-9 17,4 18,1ff 19,10 20,31 21,26ff 23,23-27,2 23,24 23,35 24,27 26,10 28,30f Römerbrief 1,1–17 1,1 1,5 1,7 1,9 1,10 1,16f 1,17 1,18 1,19–23 1,24
308 252, 308 285 252 308 217 217 252 252 255 124, 221f 124 136 137 146 230 230 155 230 280 230 230 220 230
314 188, 261f, 297, 315, 320 314, 316 262, 320 188, 239, 261f, 264, 299, 316, 319f 264, 305 321 303 266 266 126, 163, 261, 266, 283f, 320
394 1,25 1,26f 1,28 1,28ff 2,18 3,4 3,10–18 3,21ff 3,23 3,24 3,24ff 3,25 3,30 4,3 4,5 4,11f 4,25 5,3 5,9 5,12ff 5,17 5,21 6,1–11 6,1–7,6 6,1 6,2 6,3f 6,5f 6,10f 6,11 6,13 6,16 6,17f 6,17ff 6,18 6,19 6,19ff 6,20ff 6,22 6,23 7,7 7,12 7,14 7,17 7,20 7,23ff 8,1–11 8,3 8,4
Stellenregister 239 268 240, 304 266, 267 305 301 210 321 283 281 270ff 270ff, 275f, 278, 321 284 281 295, 321 295 275 180 156, 179 281 281 279 301 286 279, 283 279 191, 275, 279f, 329 279 279f 307 297f, 280f, 283 280, 297f 250 207 280 250, 262, 279ff, 297, 320 282ff, 261, 321 281 262, 307, 320 281 250 250, 284 284 285, 327 285 304 284 275, 278 286
8,5f 8,6 8,8 8,9–11 8,9 8,13f 8,15 8,16 8,17 8,23 8,26f 8,38f 9,3 9,4 9,6 9,6–11,10 9,9 9,28 11,11 11,16 11,20 11,23 11,24 11,25ff 11,26 11,32 12,1 12,1f 12,2 12,2 12,4 12,5 12,12 13 13,6 13,9 13,13 14,1 14,7ff 14,10 14,12 14,13ff 14,14 14,17 14,20 14,23
286 285 285 148, 275, 284ff, 327ff 284, 321, 328 239 264 232 284 291f 264 291, 343 156, 190, 261, 286ff, 291, 321 155, 240, 299, 329 301 296 301 301 295f 261, 291ff, 294, 296, 306, 321 294ff 294ff 296 295 296 297, 307 237f, 240, 244, 263, 265, 280, 297ff, 318 233, 261f, 281, 290, 307, 320, 330 236, 303 161, 303 290 289 180 242 316 301 213, 284 306 307, 330 307 301, 302, 307 306ff 187, 261, 321 320 321, 306 313
Stellenregister 15,7ff 15,10 15,13f 15,16
15,17 15,18–21 15,18 15,19ff 15,22–24 15,25 15,26ff 15,32 16,5 16,16 1. Korintherbrief 1–3 1–4 1,10ff 1,13 1,17f 1,2
1,20f 1,27ff 1,30
1,39 2,1 2,4 2,6 2,8 2,13 3,4ff 3,5ff 3,9ff 3,11 3,15 3,16
3,16f 3,17 3,18
306f 307 314 119, 188f, 204, 223, 237, 244, 261ff, 290, 302f, 314ff, 320f, 328, 330 315 316 302 315 315 220, 295 318 305 291f 200, 231, 236
147 157 141, 146 290 302 134, 231, 142, 164, 168, 178, 181, 217, 262, 328 304f 144 142ff, 166ff, 209, 241, 250, 282, 284, 328 214 302 264, 302 304 304 302 146, 238 238 145f, 147f 216 209 142, 146, 148, 157, 164, 166, 171, 178, 181, 207, 210f, 215f, 275f, 284, 327, 328f 145, 168 153, 147, 166, 328 304
4,1–5 4,6 4,9 4,13 4,14f 4,18 5 5–6 5–7 5,1 5,1ff 5,2 5,5 5,6f 5,6-8 5,7 5,7f 5,9 5,9–10 5,10f 5,11 5,12 5,13 6 6,1 6,1ff 6,2f 6,5ff 6,8 6,9 6,11
6,12 6,12ff 6,13 6,14 6,14ff 6,15f 6,16 6,18 6,19
395 147 158 155f, 203 155, 157, 179, 196, 319 188, 224 158 159, 251 207f, 233, 213, 267, 304, 144, 157, 185f, 196, 209 124, 141, 157, 165, 178 161, 158 159, 161, 165 146, 160 276 161, 275f, 278 159 127, 162 172, 207 127, 163, 166, 179 248 164 161, 163 191, 250f 127, 163, 165f 128, 175, 161, 164, 178, 328 146 164 166 127, 146,162f, 166f, 168, 170, 248, 329 87, 134, 142, 166, 168, 168, 241, 250, 267, 282, 284, 328f 158, 169 127, 168, 185, 191 169f 170 178, 179 146, 176, 290 176, 196 158, 182 127, 276, 142, 146, 146, 148, 171, 171, 176, 181, 207, 15, 284, 327ff
396 7 7,1 7,1ff 7,2 7,2 7,5 7,5ff 7,7f 7,8ff 7,9 7,10f 7,12 7,14 7,14ff 7,16ff 7,17ff 7,24 7,25 7,26f 7,28 7,29 7,31f 7,34 7,36 7,38 7,39f 8 8,1 8,4 8,5 8,7 8,9 8,10 9,1 9,5 9,7ff 9,9 9,13
9,13ff 9,15 9,15f 9,19ff 9,22 9,24 10,1–11 10,1ff 10,7 10,8
Stellenregister 126, 183, 196, 268 141, 176, 178f 172ff 175 183 174 175f 183 176 183f 177 176 177, 179, 183, 185 176ff 179 285 179 141, 176, 179f 180 180, 182, 185 180 180f 178, 182, 185f 182 183 182 193 141, 158 141, 187, 191, 308 284 186f, 214 307 141, 187, 308 295 176 189 188 119, 146,187, 189, 196, 245, 307, 317, 319, 335 142 188 315 156, 238 156, 179 146 190 162 190 158
10,14 10,14–22 10,14ff 10,14ff 10,20f 10,21 10,25ff 10,28 10,32 11,17–34 11,21f 11,25 12,1 12,3 12,12ff 12,27 13,4 13,6 14,2 14,14 14,36 14,40 15,3 15,8 15,15 15,20 15,23 15,29 15,50 15,54 15,55 16,1 16,5ff 16,8 16,12 16,15 16,17 16,19 16,20 16,22
249 194 142, 190ff, 290 190ff 179, 190 141 141, 193 193 193 163, 194 141, 169 275 141 286 289 289 158 236 239 264 302 284 276 342 284 291f 291f 340ff 248 302 343 141, 248 141 141 141 141f, 291f 236 231 200, 231 286
2. Korintherbrief 1,1f 1,8 1,14 1,15ff 1,17 1,18 1,21 2,12
199, 200, 220 180 315 201 201 302 201, 328 204
397
Stellenregister 2,14 2,14f 2,15 2,16 2,17 4,2 4,4 4,7ff 4,13 5,10 5,17 5,19 5,21 6,7 6,11 6,13 6,14–7,1 6,14ff 6,16 6,17f 6,18 7,1 7,2 7,8ff 7,9ff 7,11 7,13 7,14 7,17f 7,9ff 8–9 8,4 8,19 9 9,1 9,12 9,13 10 10–13 10,10f 10,18 11,1–4 11,2f 11,3f 11,13ff 12,14 12,21 13,11
319 200ff, 212 202,279 205 302 208, 302 161, 209, 304 156 264 307 304 302 209, 239, 275, 277 302 206, 209, 214 206f, 224 206ff, 214, 254, 256f 177, 199, 205, 220, 225, 241, 282, 284 146, 171, 209f, 220, 327 211f 212 213, 215, 267 206f 219 213 200, 219f, 224f 236 212 212 213 217, 251 220f, 295 318 214 220 220ff, 263, 316, 318 221 214 213 302 205 224 200, 224f 208, 225 208f 224 213 241
13,12
200, 220, 231
Galaterbrief 1,4 1,8f 2,1ff 2,10 2,19f 3,13 3,27 3,28 3,29 3,6ff 4,6 4,8 5,4 5,13ff 5,14 5,16 5,19 5,19ff 6,15
304f 286 217 248 191, 275 248, 275 329 120 258 257 264 249 249 162 302 239 213 248f 304
Epheserbrief 2,11–22 2,19
222 222
Philipperbrief 1,1 1,5ff 1,7 1,7 1,10 1,12 1,13 1,14 1,17 1,18 1,20ff 1,23 1,26 1,27 1,27–2,18 1,28ff 1,30 2,1 2,1ff 2,2 2,2–4 2,3
143, 230f, 245 234 230 235 305 230 230 302 230 234 235 267 235 238 242, 245, 234 230 235 239 242 234, 239 241 238, 242
398 2,3ff 2,5 2,5–11 2,6ff 2,7 2,15ff 2,23f 2,25 2,25–30 2,30 2,11f 2,12ff 2,14 2,15 2,15ff 2,16 2,16ff 2,17
Stellenregister
4,21f 4,21f
230 242 234 242 304 330 235 237 246 237 243 232 233 232, 241, 245 234, 244, 242 315 238 188, 223, 230, 234, 237, 239, 241, 245, 263, 319 290 234, 238 238 229 238ff, 240, 245, 249, 251, 263 188, 263 229 238 234 176 241 180 241f, 250, 284 242 246 243 180, 234f, 230 244f 202, 205, 223, 231, 237, 239, 241, 242f, 263, 298, 330 230f 245
Kolosserbrief 1,24
156
2,17ff 3,1 3,2 3,2ff 3,3 3,5 3,9 4,1 4,2 4,3 4,4ff 4,6 4,8 4,9f 4,10–18 4,10–20 4,14 4,15ff 4,17f 4,18
1. Thessalonicherbrief 1,2 115 1,4 130f, 135 139 1,5 135, 264, 302 1,6 115, 120f, 302 1,9 115, 120, 137, 215 1,10 128 2,1 116 2,1-12 116, 119 2,3 116f, 119f, 121, 129, 157, 220 2,3ff 138 2,4 117, 119 2,5 116, 302 2,6–8 117 2,7ff 156, 238 2,9 116f 2,10 116f, 119 ,121f, 129, 157, 166, 188 , 209, 214, 220, 241, 250, 282, 284, 319 2,10ff 117f, 121, 134 2,12 129f, 248 2,13 115, 302 2,14 119f 2,14ff 115 3,3 180 3,9 115 3,11ff 121 3,13 115ff, 121f, 134f, 241, 329, 4 183 4,1 121, 241 4,1–2 123 4,3 121, 123, 126f, 241, 305 4,3–8 123 4,3a 128 4,3b–6a 123 4,3ff 116, 135ff, 157f, 167, 178, 207, 266, 329 4,4 124ff 4,4 178, 182, 185 4,5 115, 126f, 266 4,6 123, 127 4,6b–8 123, 128 4,7 128, 131, 139, 165, 251, 266f
399
Stellenregister 4,8
4,12 4,13ff 4,17 5,6ff 5,7 5,9 5,23 5,24 5,26
116, 129, 131, 135, 139, 275, 319, 327, 328f 284 115 134 115 115 133, 134 116, 122, 134f, 139 130 200
2. Thessalonicherbrief 3,7–9 121 2. Timotheusbrief 4,6
235
1. Petrusbrief 3,7
125
1. Johannesbrief 1,7
276
Hebräerbrief 8,5 9,11ff 9,14 10,22 10,29 13,4
239 272 276 87 308 126
Jakobusbrief 1,4
234
Offenbarung des Johannes 3,4f 97 4,4 97 7,9ff 97 7,14 276 21,27 308
Jüdisch Hellenistische Literatur Assumptio Mosis 2,7f 5,3ff 8,5
53 53 53
Äthiopischer Henoch 9,9 53 10,11 53 10,20ff 53 12,4 53 15,3 53 38,5 164 39,6f 132 48,9 164 56,1ff 132 91,7 53 93,8 295 103,9ff 180 Aristeasbrief 2 106 139
54 55 54
165f 234 292 305f 306 315
54 54 54 175 55 308
Griechischer Baruch 5,4f 53 4. Esra 7,88
125
Leben Adams und Evas 6,2 53 Josef und Aseneth 15,1 52, 224 15,8 52, 224 12,5 52 Jubiläenbuch 1,9
51
400
Stellenregister
1,15–26 1,17f 1,21 1,23 3,8ff 4,22 7,20 9,15 10,8 10,11 11,16 16,5 16,24 20,3ff 20,6f 20,7 21,16 22,14ff 23,11ff 23,15ff 25,1 31,1 30,7ff 32,10ff 33,8ff 41,25f 49,2 50,5
207 254 51f 51, 254 50 51 50f 50f 159 159 51 51 295 51 50 51 50 50f 180 51 51, 124 50 51 50f, 124 51 51 159 50
Pseudo Philo 2,8 5,1 9,2 26,4
52 52 51 51
Pseudo Phokylides 179 124 194 126
Sibyllinen 3,591ff 3,764 8,408
175 124 298
Syrischer Baruch 10,13ff
180
Testament Salomos 6,10 50 Testamente der 12 Patriarchen Ass 4,4f 52, 187 Benj 6,4 151f Benj 6,6 52 Dan 5,1 150 Iss 8,1ff 52 Iss4,4 52 Jos 10,2f 52, 150 Jos 4,6 52 Jos 7,8 126 Jud 24,5 295 Lev 3,6 298f Lev 9,9 52 Lev 14,1ff 52 Lev 14,5 127 Lev 15,1 52 Lev16,1f 52 Naph 2,2 125 Naph 3,1 52 Naph 8,6 125 Naph 8,8 174 Rub 6,1 52 Testament Hiobs 3,6 43,17
53 53
Texte aus Qumran CD 5,6ff 6,11–17 6,17 6,18 7,3f 11,19–21
1, 46 41 46 46 129 41
12,1–2 14,12f 12,15–18 38, 16,14–17
39 36 40 45
401
Stellenregister 1QS 11,14f 11,8 2,25ff 3,4–9 3,19–21 4,6 4,20–22 5,5–6 5,13–14 5,14–20 6,24ff 7,2ff 7,17 8,4–10 8,5f 8,17 8,21 9,3–6 9,4f 9,5f 9,6ff
43 48, 146, 149 43f 43f, 44 207 47 44 149 43 43, 163 43 43 43 149 38, 47f 47 47 149 48 207 47
1QSa 1,9 1,12 1,25f 2,3 2,3–10 2,8f
49 49 39 49 43 49
1QSb 4,27–28
49
1Q34 3 2,6
47f
1QH 4 (17),19 4 (17),9
43 125
1QM 6,6 10,8ff 12,1–4 13,5 13,10f 14,12
47 132 132 43 207 47
1QpHab 1,5 5,3–6 8,3 8,8f 12,7ff
41 164 41 41 41
4Q174 1,1–7 1,10f 1,2f 3 1,2ff 3 1,6
210 210 149 46 46, 48
4Q171 3 fr.1
210
4Q265 6,2
37
4Q266 6 2,10–11
41
4Q270 9 2,12 11 1,13
44 39
4Q274 1 1,1ff 1 1,3ff 1 1,4–6 1 1,7–8 2 1,3 2 1,9 32 3 2,4
40, 42 42 39, 41 41 42 42 39 175
4Q277 1 2,9
40
4Q284 1 2f 2 1,1 2 2,3
46 42 42
4Q297 9 2,2–4
41
4Q394 1–2
46
402
Stellenregister
1 17–19 3 1,8ff 3 1,13 3 1,16ff 5 16ff 8 4,10–12 8 4,10ff 8 4,5–8
175 46 46 46 39 38 39 42, 59
4Q397 6 14
38
4Q398 14–21 7
69
4Q414 78
42
4Q416 2 2,21 2 4,5 4 5,13
124f 125 125
4Q511 35
48
4Q512 11,4 15 1,1ff 16 4ff 30 7ff 34 15ff 39 2,1f
42 45 45 45 45 45
11QT 29,7f 29,9 35,8–9 45,7–12 45,11–12 45,12ff 45,17 46,15 46,16–18 47, 3–4 49,11–14 49,12 48,13–17 49,17ff 49,5–7 49,8 50,11
210 46 38 39 39 40 39 37 40f 39 40 39f 39ff 40 38f 39, 175 41
Philo von Alexandrien Legum allegoriarum 2,29 54f 3,8 124 3,127 54 2,29 55 De Providentia 2,64 De decalogo 58 65 93 98
De agricultura 127 Quaestiones in genesim 1,63 119, 122, 244 3,48 254f
55
56 56 55 56
De migratione Abrahami 93 56
De specialibus legibus 1,5 106 1,66f 55 1,101f 57, 224 1,102 55 1,131–144 293 1,138 119 1,150 55f 1,171 300 1,201 55, 244
403
Stellenregister 1,203 1,243 1,257 1,271 1,277 1,283 2,6 2,145ff 2,148 2,163 2,258 3,123 3,37ff 3,42 3,54 3,62 3,134–136 4,59 4,203ff
187 55 55 301 55, 300f 301 55 160 55 56 56 55 269 269 57 57 55 54 208
De cherubim 50
225
De mutatione nominum 265f 210f De praemiis et poenis 123 151, 211 159 225 Quaestiones in Exodum 2,14 159 De sobrietate 62
151
De somniis 1,148 2,251
151f, 210f 151
De virtutibus 74 188
156 152
De vita contemplativa 59ff 269 De vita Mosis 1,300
124
Josephus Antiquitates 1,342 2,22 3,78 3,180ff 3,275 3,278f 3,279 4,80 4,113 6,307 7,168 8,114 10,194 11,346 12,320 13,4 15,418 16,39
56 57 56 56 57 122 119 56 298 57 57 148 57 308 308 308 56 57
20,166
57
Bellum 1,39 1,500 1,506 2,7 2,31 2,129 2,147–149 3,374 4,241 4,562 5,212f 5,218 5,227 6,95 6,99 7,122ff
57 57 57 57 57 49 37 57 156 57 56 56 56 57 56 202
404
Stellenregister
7,228
57
Contra Apionem 1,30 1,266
182 57
1,294 2,203 2,205
57 31 57
Rabbinisches Schrifttum Mischna AZ 3,6 Ber 5,1 Bes 2,6 Dem 2,3 Ed 3,10 Hag 2,6 Hag 2,7 Hag 3,7-8 Hal 3,1ff Hul 2,5 Hul 2,10 Kel 1,1–4 Kel 1,8f Kel 22,2 Kel 25,9 Ket 5,6 Makh 1,1ff Makh 5,9 Naz 7,1 Nid 4,1 Nid 10,6f Ohal 13,5f Ohal 16,2 Ohal 16,5 Par 3,7-8 Par 3,7f Par 4,4 Par 11,5 Pes 5,5ff Qid 1,1 San 7,4 Shevu 1,4–6 Toh 1,1 Toh 1,3 Toh 3,6 Toh 4,12 Toh 5,2 Toh 8,9 Toh 10,1 Toh 10,3
65 311 175 62 175 312 69 60 293 62 311 65 66f 311 311 183 312 59 67 59 62 312 312 312 59 175 67 62 160 125 157 67 312 312 310f 62 310 59 310 310
Toh 10,4 Yad 4,6 Yad 4,7 Yev 6,6 Zav 3,2 Zev 1,2
62 60, 65 59 67 62 311
Tosefta Ber 2,2 Ber 3,5 Dem 2,2 Dem 2,20–22 Makh 1,2f Par 3,8 Pes 4,3 Ter 3,12 Ter 3,7 Yev 8,7
311 311 62 62 312 59 311 62 311 184
Sifra zu Lev 13,10 zu Lev 12
110 66
Sifre Devarim § 41
264
Babylonischer Talmud Ber 22a 175 Ber 47b 69 BM 84b 125 Er 17b 67 Meg 12b 125 Meg 29a 68 MQ 28a 288 Qid 2b 184 Qid 29b 184 Shab 13a 69 Shab 81a 38 Shab 87a 176 Shab 118b 184 Shabb 137a 258
405
Stellenregister Shevu 18b Taan 7a Taan 16a Yeb 63a Yev 20a
185 125 184 295 185
Jerusalemer Talmud Hag 2,6 78b–c 312 Shemot Rabba 23,12
255
BaMidbar Rabba 19,1
308
Pirke de Rabbi Elieser 28 255 Pesikta Rabbati 14
309
Pesikta de Rav Kahana (Mandelbaum) 74 110, 309 118 65 Midrasch Tehillim zu Ps 146,7 309
Alte Kirche 1. Clemensbrief 36,1 44,4 Basilius Psalmhomilien XXIX, 381
195 195
157
Clemens von Alexandrien Strom. 5,1.13.3 95 Strom. 3,53.1 176 Chrysostomos Röm, 17. Homilie
286
Didache 14,1
195
Diognetbrief 5.1.4
Ignatius Röm 2,2 235 Laktanz De ira 21,10
300
Minucius Felix 27,1ff
191
Origenes Cels. 3,59 Com. in Rom 1,1 Com. in Ioh 6,284 Com. in Ioh, 28,161
157
Tertullian Apol. 21ff
191
93 176 157
343
Klassische Autoren Achilleus Tatios 1,3,2
133
Aelius Aristides An Sarapis 8,54
193
Aelian nat. 17,11
124
Aischines Ctes. 157 Tim. 19
133 269
406
Stellenregister
Tim. 21 Tim. 188
269 269
Aischylos Pers. 628 Choeph. 72–74 Eum. 651 Prom. 510ff Suppl. 223
81 99 133f 132f 27, 82
Anthologia Graeca 16,243 124 14,71 99 14,74 99
Antiphanes fr. 147,7
287
Apuleius met. 9ff
203
Aristophanes Av. 522 Ekkl.677 Lys. 912f Plut 382 Ran. 354f Aristoteles gen. an. 728 A mir. 834 B pol. 1322 B pol. 1322 B rhet. 1374 B somn. 459 B– 460A
168
Chariton 1,3,5 1,10,2
133 133
Chrysipp 3,95
299
Cicero Tusc 1,32 Tusc 1,89 Tusc 1,101 Tusc 1,116 Tusc 5, 23 Tusc 5,67
288 288 288 288 242 242
84
Appian civ. 2.4.26
Aristonicus De Signis Iliadis zu Il 4,307
Cassius Dio 68.1.3
Demosthenes De falsa legatione 19,280 In Neaeram 77,1 In Neaeram 97.4 De corona 18,266
192 84 287 133
120
84 307 98 307 93
104 85 262 263 165 104
Arrian an. 6,19,5
236
Athenagoras Legatio 22,ff
191
Diodorus Siculus 4,3,3 5,72,4 15,74,2 40,3,7
189 298 316 182
Diogenes Laertios 3,58 5,85 7,113 8,33 8,43 8,31 8,33 8,19 14,20
299 299 266 103 99 94 94 306 306
Dion Chrysostomos 3,10 168 3,45 165 43,47 165
407
Stellenregister Dionysos von Halicarnassos ant 2,22,2 223 ant 2,54,2 287 ant 7,72,13 204 ant 10,53,6 223 Epiktet Diss I 14,14f Diss I 28,5 Diss II 8,11f Diss II 16,45 Diss III 22,56 Diss III 22,78 Diss III 3,2
152 169 151 267 240, 264 156 268
Euripdes Iph. T. 382 Alc. 22f Alc. 828 Andr. 253 El. 637 El. 812 El. 835 El. 835 Hipp. 1437ff Hipp. 316f Ion 152 Iph. T. 381ff Iph. T. 972 Or 1491 Or 381ff Or. 1357 Or. 1604 Suppl. 32
102 102 101 82 192 82 82 85 102 94 240 104 82, 85 91 94 91 94 82
Herodian 1,10,5–7
203
Herodot 1,14 1,21 1.51 1,144 2,36 2,41 2,44 2,64 3,137 5,38 5,59
286 262 287 212 101 84f 84 100, 108 224 101, 262 287
9,108 9,117ff
224 100
Hesiod erg. 733f theog. 21
98 26
Hipponax fr. 5–11
156
Homerische Hymnen in Mercurium 250 26 in Apolinem 262 26 in Cererem 203 82 in Cererem 337 82 in Cererem 439 82 in Demeter 203 81 in Demeter 337 81 in Demeter 439 81 in Mercurium 187 82 in Vestam 1 26 Homer Il. 1,21 Il. 1,462 Il. 5,156 Il. 9,276 Il. 11,775 Il. 21,122f Od. 3,234ff Od. 3,459 Od. 4,561ff Od. 8,465 Od. 8,579f Od. 14,135f Od. 17,401 Od. 21,259 Od. 24,290f
81 236 101 100 236 78 132 236 132 134 132 78 81 82 78
Iamblich de myst. 4,181 v. P. 27.132 v. P. 3.13.5 v. P. 16.68.2 v. P. 16.70.16 v. P. 17.75.9f v. P. 24.106.13 v. P. 24.107.3
85 99 94 94 94 94 94 94
408
Stellenregister
Isocrates 10,63 11,25
298 85
Libanios Declamatio 13,52
93
Lucan 2,312f
288
Lukian De sacr. 13
75
Menander fr. 714
133
Musonius 12 27
99f 169
Ovid ars. 3,549f am. 1,2,25ff fast. 3,731
151 203 204
Pausanias 2.4.5ff 7.25.1 5.24.7
153 82 287
Philemon fr. 10 fr. 137
133 133
Philostrat Ap. 5,36 soph. 1.22.1
168 299
Pindar O. 7,60 P. 4,112 P. 4,204 P. 9,13 P. 9,64 P. 9,117
27 101 27, 82 224 27, 81 224
Plato apol. 23 C epist. 331 B–C
240 118
Eutyphr. 11 D Eutyphr. 12 E leg. 838 E leg. 636 C leg. 716 E leg. 716 Eff leg. 759 C leg. 836 D–E leg. 838 B leg. 838 Dff leg. 919 A leg. 937 A Phaid. 115 A Phaidr. 244 E rep. 352 B rep. 451 B rep. 463 C–D rep. 535 E soph. 249 A symp. 188 B Tim. 24 A
118 118 269 268f 19 94 82 268 269 268 144f 262 262 240 165 82 118 187 84 192f 263
Plutarch mor. 56 E, mor. 144 B mor. 286 D mor. 289 E mor. 407 E mor. 449 D mor. 512 E mor. 614 E mor. 615 A mor. 618 A mor. 643 A–F mor. 655 C mor. 726 E mor. 727 B mor. 728 C ff mor. 792 F Is. 352 A. Alexander 31,9 Marcius Camillus 31,3 Coriolanus 38 Pompeius 24 Theseus 23,4
84 299 145 192
Polybios 23.10.8
118
240 100 109f, 306 159 240 267 264 192 192 192 192 100 192 306 306 223 240 317
409
Stellenregister Semonides fr. 1,2,
134
Seneca benef. 1,6,3 benef. 2,1,1 epist. 7,67 epist. 31,11 epist. 41,2 epist. 66,12 epist. 95,47ff dial. 9,3,4 Phaedra 165ff
300 203 288f 171 151f 171 300 242 157
Sophokles OT 830 Ant. 1016ff Trach. 26
81 106 134
Thespis fr. 4,5
84
Vettius Valens 210,3
189
Xenophon an. 5.3.13 an. 6.1.22 symp. 2,10
75 298 126
Inschriften CIG 1149 1974 2817 3415 Addenda zu CIG 4528
317
IG II² 1035,10f V 1 599,6 IX 1 163,4 XII 479,3 XII, 2 505,18 XII 3 280,5 XII 7 401,9 XII 7 479,3 XII 7 233 I 7 XII 7 372,2 XII Suppl. 141,8f
103 28 232 119 120 242 232 232 118 119 118
IGUR II 1137
84
IK 11,18 8,11
232 232
28 232 242 84
IOSPE 1 (2) 42 fr. a–e 15 242 2, 40, 25 119
LSAM 4,3 9,3 9,21 11,2 11,5f 12 12,3 12,5 12,6 12,8 12,10 12,12ff 13,25 14 14,3 14,9 15,48 16,9 17 17,4f 18 18, 7–9 18,12 18,13–15 18,13ff 20,14–32 20,14ff 20,27 28,7 29
87 118 318 97 76 90f, 102ff 88 98 87, 101 87 73 76 118 98 89 97 298 97 77f 79 98 102 87 100 89, 98 96 152 101 76 98, 101, 126
410
Stellenregister
29,10ff 29,2 29,4–7 29,4f 32,46 33 A 27 33 A 29 35,3ff, 35,5 40,67 A 4 48,16 48,7 51,6–10 51,9 53,20 53,26 60 A 24–25 61,13 68 74,1ff 75,7 75,9 75,10 77 82 II 5ff 84 129, 9 129,27
78 101 89 98 298 189 76 87f 97 233 188 188 103 87 223 79 298 78 79 79 78 78 78 80 87 79, 103 145 145
LSCG 2,4 3,5 5,6 18 B 18f 37 37,9ff 39,23 44,13 44,17 48 A 3 53 54 55 55,4f 55,16 55,19 58,6 59,12 65,4 65,8
118 298 80 76 74 78 105 145 145 223 103 77 88, 98, 101, 104 87 99 318 305 305 78 118
65,37 65,44 65,65 65,74 65,91 65,98 68 69,9 73 A 8f 78,35 80,49 82 83,61 86,7 89,6 94 95 96 97 A 30 97 A 30 97 B 9ff 110 114 A 1f 124 124,2–4 124,7 124,18ff 129,2 130,1f 136,23ff 139 139,13 139,15 145 A 9 151 A 21 151 A 42 152 152,8 154 154 A 21ff 154 A 29ff 154 B 2ff 154 B 22 156 B 29ff 156 B 30 161 A 6 163,4 163,12ff 166,8ff 171, 15
87 78 298 316 145 316 78 78 78 145 305 80 79 145 76 88 89 80, 326 87 87 101 80, 326 76 79, 93, 98 101 103 80 74 89 105 88, 92, 98 101 87 73 188 101 77 105 105 105 87 87 105 105 101 118 118 105 105 89
411
Stellenregister 171,17 177,7 177,81 177,87 180,1 LSCG Suppl 3,14 13,10ff 13,26 19,84 20,5 25 A 13ff 35 44,5 44,5 50 54 54,1 54,3f 54,4 54,5 59,21–23 59,10–14 59,13 59,16 75 79,2 81 82 82,1 82,2 88 A 5 88 B 6 91 91,1 91,2 91,3 91,4f 91,11ff 91,13 91,17 106,6 108,4 108,6f 115 A 1 115 A 11 119 119,1f 139
98 192 192 192 74
78 292 292 76 192 318 78 233 305 77 88, 90f, 103f 88 87, 89 98 89 97 93 97 98 80 318 79 93 89 118 118 118 99, 103, 126 89 87 118 93, 97 97 101 87 89 89 93 74 98 98,101, 104 88 103
155 A 24
118
MAMA VIII 33,7
242
OGIS 262,25 378,1 590,1
28 28 28
Kleinasiatische Beichtinschriften (Petzl) 1 79 5 79 7 79 9 79 10 79 19 79 22 79 36 79 37 79 50 79 64 79 68 79 69 79 72 79 76 79 98 79, 187 107 187 110 79 114 79 115 79 116 79, 105 120 79 123 79 SEG IV 264 V 247 XXIV 195,86 XXVI 784 XXVI 1225 XXVI 1475 XXVI 1826 XXVII 113 XXVII 745A XXVII 930 XXVIII 22 XXVIII 421 XXVIII 750 XXVIII 856
84 193 81 27 80 27 27 102 28 79 102 84, 90f 76 94
412 XXVIII 899 XXVIII 913 XXVIII 1117 XXVIII 1118 XXVIII 1213 XXVIII 1318 XXIX 135,10 XXIX 459 XXIX 1088 XXX 82 XXX 1277 XXX 1349 XXXI 415 XXXI 416,19 XXXI 416,8 XXXI 731 XXXI 731,4 XXXI 905 XXXI 960 XXXII 218 XXXII 405 XXXII 1167,10 XXXII 1267 XXXII 1388 XXXII 1551 XXXIII 692 XXXIII 939 XXXV 470 XXXV 887 XXXV 1305 XXXV 1416 XXXV 1488 XXXVI 206 XXXVI 267 XXXVI 659 XXXVI 740 XXXVI 923 XXXVI 1039,8f XXXVI 1198 XXXVI 1221 XXXVI 1288 XXXVI 1289 XXXVI 1354 XXXVII 629 XXXVII 1006 XXXVIII 786 XXXVIII 853 XXXVIII 1079 XXXVIII 1234 XXXIX 973
Stellenregister 26 79 27 27 87 73 152 102 76 27 84 27 77 78 78 81 152 83 28 81 102 73 84 28 28 83 28 102 81 84 83 28 76 74 27 81 28 152 83 78 28 28 83 27 27 76 76 27 79 52
XXXIX 1208 XL 418 XL 1133 XL 1159 XL 1416 XL 1710 XLI 774 XLI 1064 XLI 1174 XLIII 719 XLIII 782 XLIII 1131 XLIV 678 XLIV 904 XLV 1508 XLV 1612 XLV 1708 XLV 910 XLVI 1450 XLVII 1310 XLVII 1603,8 XLVII 1761 XLVII 1770 A 7 XLVII 1809 XLVII 1855 XLVII 2076 XLVIII 1037,2ff XLVIII 1428,7 XLVIII 1472,10 XLIX 454 XLIX 817,6 XLIX 1996 XLIX 1999 L 1109,13ff L 1130 L 1195,27 LI 1105 B 11 LI 1684 LI 1705 LI 1823
83 102 83 81 28 81 81 26 83 28 28 101 80, 326 82 76 81 28 81 76 26 83 81 83 81 28 28 78 84 83 80 28 28, 83 28 83 83 26 94 84 28 28
Syll³ 1159
87, 167
Autorenregister Aderet, A. 67, 69, 161 Albeck, H. 50, 184, 311 Aletti, J.N. 210f Allison, D.C. 216 Alon, G. 17, 175 Ascough, R.S. 124, 136 Attridge, H.W. 202, 203 Avemarie, F. 42 Bach, R. 146 Baltensweiler, H. 86 Barrett, C.K. 200, 202f, 205, 208, 210f, 213f, 220, 223 Barth, G. 235, 237 Barth, K. 232, 234, 240, 242f, 280, 303, 314f, 349 Bauke-Ruegg, J. 213 Baumgarten, J. 40, 42, 69, 175 Bechmann, U. 205 Becker, E.-M. 199 Becker, J. 147ff, 166, 178, 218, 248 Bendlin, A. 107, 108 Berger, K. 50f, 146, 153, 178, 207, 211, 350 Betz, H.D. 129, 194, 206f, 210ff, 215, 252, 254, 256f, 297 Betz, O. 263 Billerbeck, P. 309 Blank, J. 298, 301 Blaschke, A. 252, 254 Bockmuehl, M. 143, 176, 231ff, 237ff, 241ff, 304 Borg, M.J., 178 Bormann, L. 229, 239 Börschel, R. 137ff, 339 Böttrich, C. 13f, 145, 148, 154f, 171f, 199, 207f, 214 Boyarin, D. 183f Braulik, G. 163 Breytenbach, C. 203f, 247, 272, 277f Brooke, G.J. 46ff Büchler, A. 17 Büchsel, F. 267 Bultmann, R. 202, 205f, 220, 265, 297
Burchard, C., 52 Burkert, W. 156, 190 Busolt, G. 84 Cancik, H. 112 Caragounis, C.C. 125,172f, 176 Cazelles, H. 18 Chaniotis, A., 73ff, 88, 93, 97 Charlesworth, J.H. 54 Chilton, B. 276 Ciampa, R., 141 Clark Wire, A. 201f Cole, S.G. 73ff, 77, 79f, 88, 92, 98, 103f Collins, J.J. 52, 298 Collins, R.F. 115, 129f Coulot, C. 116, 118 Cranfield, C.E.B. 318 Daniel, S. 17 Davies, W.D. 154, 216 de Jonge, M. 52 Deines, R. 10, 58, 61ff, 69 Deissmann, A. 14, 230 Delling, G. 127 Den Hertog, C.G. 253 Dihle, A. 28, 81f, 85 Dimant, D. 46, 149 Dorival, G. 17 Douglas, M. 106f Drijvers, H.J.W. 53f Dunn, J.D.G. 9, 143, 145, 162, 170, 189, 201, 231, 251, 264f, 284, 288ff, 293f, 307, 313, 318, 347 Ebel, E. 119, 120, 137 Eberhart, C. 1, 20, 277 Eggs, E. 12 Ehrenberg, V. 84 Elgvin, T. 124 Errington, M. 95 Eshel, E. 40 Faßbeck, G. 10,13 Fauth, W. 133 Fee, G.D. 143, 233ff, 241f, 244 Fehrle, E. 173 Finlan, S. 155, 275
414
Autorenregister
Finlan, S. 275 Fitzmyer, J.A. 207, 210, 287 Flusser, D. 54; 258 Foerster, W. 244 Ford, J.M. 341 Fotopoulos, J. 99, 141, 153, 169, 170, 187 Fraade, S.D. 185 Francovic, J. 174 Fredrickson, D.E. 268 Fredriksen, P. 13f, 279 Frenschkowski, M. 40 Frey, J. 8, 247, 248, 271 Fridrichsen, A. 26, 28, 81, 84 Frymer-Kensky, T. 17 Furnish, V. 200, 202ff, 208ff, 213ff, 220, 223 Gagnon, R.A.J. 269 García Martínez, F. 125 Gärtner, B. 13, 46ff, 146, 154, 164, 207, 210 Gehman, H.S. 25 Gerber, C. 12, 116f, 119, 121, 127, 189, 200, 224, 235, 262, 336 Gese, H. 277 Giesen, H. 284 Gignac, A. 318 Gillihan, Y.M. 163, 177, 179 Gnilka, J. 143, 231, 235ff, 241 Godel, W. 1 Graf, F. 172 Gräßer, E. 200, 202, 205ff, 209, 212, 219f, 223f, 277 Grundmann, W. 173 Grünwaldt, K. 24, 27, 81, 85 Guarducci, M., 73ff, 78, 80, 88 Haacker, K. 7f, 53, 139, 148, 261f, 264ff, 268, 271ff, 278ff, 285f, 288, 290f, 295, 297, 299f, 303f, 308, 312ff, 319, 342 Hafemann, S.J. 46, 210 Hahn, F. 190f, 194 Hall, D.R. 199 Harlé, P. 19 Harnisch, W. 173, 176, 180, 188 Harrington, H.K. 26, 30f, 36ff, 46, 49, 63, 65, 67ff, 149, 169, 175, 184 Harris, M.J. 199 Hartog, P., 157 Hauck, F 81, 187, 191, 214 Haufe, G. 125, 126, 127
Hayes, C.E. 51, 65, 163, 177 Heimbrock, H.-G. 1 Hellerman, J.H. 230, 242 Hengel, M. 62f, 217, 277 Henninger, J. 3 Herrmann, K. 53 Himmelfarb, M. 30, 32, 38, 41ff, 51 Hirschfeld, Y. 36f, 46 Hofius, O. 191, 291, 295, 296 Hogeterp, A.L.A. 10, 15, 148f, 152, 154, 161, 164, 170f, 190, 207, 209f Holl, K. 220 Holtz, T. 115, 120ff, 127f, 136 Hoppe, R. 119, 121, 130, 187 Horn, F.W. 46, 123, 127, 146, 148, 151f, 164, 167, 169, 207, 215, 292 Hossfeld, F.L. 163, 166 Hübner, H. 14, 147, 170 Hultgren, S. 207 Hyatt, D. 263 Ilan, T. 52 Isaac, E., 53 Janowski, B. 1, 211 Jewett, R. 266ff, 273 Josuttis, M. 1 Karrer, M. 9, 143, 152, 156, 194f, 201, 249f, 257f, 272, 276, 288, 348 Käsemann, E. 153, 235, 237f, 287, 305, 308 Kazen, T. 17, 34 Kee, H.C., 52 Kellermann, U. 26 Kertelge, K. 145 Kim, S. 121 Kirchhoff, R. 124 Kirchhoff, R. 99f Kister, M. 125 Kittel, G. 232 Kiuchi, N. 20 Klaiber, W. 154 Klappert, B. 295 Klauck, H.-J. 14f, 79, 151, 159, 171, 187, 190ff, 200, 202, 214, 270, 299 Klawans, J. 1, 7, 10, 17, 29, 32ff, 37, 42f, 47, 49, 55f, 63ff, 69, 106, 109 Klein, G. 262 Klinghardt, M. 195, 222 Klinzing, G. 12, 146, 171, 207, 215 Knohl, I. 33 Koch, D.-A. 141
Autorenregister Kollmann, B. 192ff Konradt, M. 123ff, 127f, 146f, 153, 157f, 161f, 167f, 232, 328, 338 Kranz, W. 84 Kraus, W. 119, 129ff, 142, 145ff, 159, 172, 206ff, 214, 217, 222, 238, 251, 258, 261, 270ff, 278, 285, 295f, 307 Krauter, S. 78, 80, 107 Kügler, J. 202, 203, 204, 243 Kuhn, H.-W. 149 Lanci, J.R. 11, 13f, 46f, 146, 149, 154f Lawrence, L.J. 283 Lichtenberger, H. 136 Lietzmann, H. 147, 157, 191, 201, 204ff, 287, 298 Lindemann, A. 8, 54, 142f, 153ff, 158, 176 Lohmeyer, E. 204 Lohse, E. 73ff, 91, 104, 262, 287, 313, 318 Luz, U. 166, 194, 233 Maier, J. 39, 47f, 293 Malherbe, A.J. 121, 129 Martin, M. 121 Maurer, C. 120, 124, 127 May, A.S. 157, 162, 172, 178 McKelvey, R.J. 13, 46, 146, 148, 171, 210 Meding, W. von 145 Mell, U. 248 Merk, O. 123, 126f Merklein, H. 12, 143ff, 153, 155ff, 160, 162, 167f, 170f, 175, 177, 179, 180f, 186f, 189f, 194, 197 Merz, A. 173, 224f Meyer, R. 254 Michel, O. 287f, 295, 306, 318 Milgrom, J. 1, 3, 18ff, 24, 31ff, 38, 107 Moll, P. 1 Müller, C.G. 146ff, 149 Müller, M. 241, 243f Müller, U.B. 229, 231ff, 237, 241ff Mussner, F. 295 Naudé, J.A. 38, 47, 49 Naudé, J.A. 4 Neusner, J. 17, 31, 62, Newton, M. 42, 45, 49, 154, 164, 12, 244, 275, 341 Nickelsburg, G.W.E. 51, 53 Niebuhr, K.-W. 124, 127f Niederwimmer, K. 180
415
Nigdelis, P.M. 136 Nilsson, M.P. 102, 132, 133 Oakes, P. 230 Oepke, A. 87 Oster, R.E. 172 Ostmeyer, K.-H. 159f, 162, 265 Ottenheijm, E. 310ff Otto, R. 26 Overman, J.A. 7 Parker, R. 101ff, 106, 108 Paschen, W. 18, 308 Petzl, G. 79, 214 Pfeifer, H. 35 Pilhofer, P. 230 Poirier, J.C. 62, 174 Pola, Th. 149 Popkes, W. 191 Pötscher, W. 133 Pralon, D. 19 Procksch, O. 85 Rastoin, M. 295 Regev, E. 41, 58ff, 68f, 161, 172ff, 310, 345 Reich, R. 68 Reichert, A. 297ff, 301f Reinmuth, E. 125 Reinmuth, E. 51 Reinsberg, C. 99 Reißer, H. 124, 127 Rendtorff, R. 243f, 277 Rhodes, P.J. 84 Riches, J. 349 Robinson, D.W.B. 318 Röhser, G. 194f Roloff, J. 12, 146, 149, 153, 220, 289, 344 Rosen, K. 165 Rosner, B. 141, 174 Rudhardt, J. 26, 27, 82ff, 118, 152, 292 Safrai, Ch. 69 Safrai, S. 160, 258; 312 Safrai, S. 312 Safrai, Z., 69, 160 Sanders, E.P. 62, 258, 284 Sänger, D. 248 Saß, G. 206f, 209, 213, 215 Schenker, A. 25 Schiemann, G. 172 Schiffman, L. 36, 40, 42, 46 Schimanowski, G. 136
416
Autorenregister
Schlund, C. 157, 159f, 162 Schmeller, Th. 199, 206ff, 214 Schmidt, K.L. 263 Schnelle, U. 8ff, 54, 115, 130, 141, 143ff, 199, 206f, 229f, 239, 247ff, 251, 258, 261, 265, 279f, 284, 289f, 328, 346 Schoedel, W.R. 268, 269 Schrage, W. Schrage, W. 124, 127f, 143ff, 156, 165f, 172ff, 178f, 181, 191 Schreiber, S. 270 Schrenk, G. 317 Schröter, J. 205f, 276f Schüssler Fiorenza, E. 12 Schwartz, B.J. 132 Schwemer, A. 217 Scott, J.M. 206, 210ff Seebass, H. 24,27, 81, 85, 253 Seidl, T. 17, 31 Siegert, F. 19 Smend, R. 33 Smit, J. 157 Söding, Th. 278 Sokolowski, F., 73, 91, 118, 342 Stählin, G. 156 Stählin, G. 200 Starnitzke, D. 315 Stausberg, M. 3 Stegemann, W. 11, 12 Stemberger, G. 8, 58, 175 Stengel, P. 76, 105, 152, 173, 234 Still, T.D. 124 Stökl Ben Esra, D. 271f Strack, W. 10ff, 15f, 24, 148f, 153, 163, 168, 171, 189, 263, 275, 299f, 316ff Strathmann, H. 223, 237, 240, 264, 316 Strugnell, J. 125 Stuhlmacher, P. 277 Talmon, S. 36 Tatum, G.T. 245 Taylor, N.H. 120, 340, 342 Te Riele, G.-J.-M.-J. 89, 91 Theobald, M. 295, 297, 299, 314f Thielman, F.S. 229f Thrall, M.E. 199 Tomson, P.J. 172, 311 Umbach, H. 279, 283 Vahrenhorst, M. 7f, 17, 20, 45, 50, 58, 62ff, 69, 78, 123, 169, 178, 189, 204, 234, 240, 263, 297, 300, 306ff, 317
van der Horst, P. W. 51 van Henten, J.W. 271, 289 Versnel, H.S. 271, 276, 289 Vian, G.M. 54, 55 Vollenweider, S. 151, 152, 230, 264, 265 vom Brocke, C. 115, 124, 125, 136, 137 Vouga, F. 247 Wächter, Th. 101, 104, 106 Walker, W.O. 206 Walter, N. 216, 231, 233, 235, 245, 268, 294 Wahlen, Ch. 333 Wanamaker, C.A. 121 Wandrey, I. 51 Weber, M. 108 Weeber, K.-W. 169 Wehnert, J. 159, 222 Weinfeld, M. 35, 96 Welborn, L.L. 219 Wendebourg, D. 174 Wengst, K. 195 Wengst, K. 242 Wenschkewitz, H., 10 Wevers, J.W. 277 Wide, S. 102 Wiefel, W. 221 Wilckens, U. 264, 284f: 291, 299f, 304, 313f, 328 Williger, E. 27, 81ff, 118f, 219, 225 Winkler, J.J. 183 Winninge, M. 53, 54 Wintermute, O.S., 50 Wischmeyer, O. 141, 142 Witherington, B. 263 Wolff, C. 179, 200, 202ff, 207ff, 214f, 219, 223 Wolff, H.W. 243, 270 Wolter, M. 124, 157, 160 Woyke, J. 152, 190f, 208, 211 Wright, D.P. 18, 31, 106 Wright, R.B., 53 Würthwein, E. 243 Zahn, Th. 267, 287, 293 Zangenberg, J. 36f, 39 Zeller, D. 172ff, 179f, 282 Zenger, E. 33 Zimmermann, R. 12, 160, 188, 224, 276, 337
Sachregister Abraham 257ff Allegorese 55 Altar 20, 50, 63, 68, 187ff, 190, 236, 270, 336f Alte Kirche 174, 286, 289 Antiochia 216ff Antiochos Epiphanes 53 Aposteldekret 159, 221 Apostolat 116, 155ff, 199, 201ff, 207ff, 224f, 263, 314ff Aristeasbrief 54 Auferstehung 170, 279, 284f, 292, 301, 341f Außenwelt 162ff, 209, 213, 221, 348 Benediktion 293 Berufung 48, 128f, 131, 231, 339 Beschneidung 51, 238ff, 249ff – der Herzen 51, 252 Caesarea 229f Desakralisierung 293 Dualismus 207, 226, 285, 333, 348 Ehe 51, 71, 126, 172ff, 224f, 331 Einlassbestimmungen 80ff, 339f Entweihung / Profanierung 30, 46, 53 Ephesus 229f, 247 Erstlingsgabe 291ff Erwählung 48, 130ff, 143f, 319 Eschatologie 166, 176, 180, 196, 279, 292, 329, 331 Essen 41f, 58f, 62f, 67, 187, 190, 294, 306ff, 334, 344, 346 Essener 49 Ethik 123ff; 135, 139, 161, 165, 196, 200, 276, 280f, 297, 303, 326, 330 – ethische Reinheit 32ff, 52, 55, 95f, 112 Geist 129ff, 135, 148, 171, 176, 178, 209, 215, 245, 238f, 303, 319, 327
Gerechtigkeitsterminologie 54, 79, 83, 95, 118, 135, 144f, 166, 209, 229, 241, 250, 274, 277, 280, 282, 337 Gericht 128, 147, 166, 273, 307, 313, 329 Gewissen 55, 186f, 276, 308 Götzen 50ff, 65, 70, 120, 187, 190f, 209, 213, 221f, 325 Heilig 2ff, 21ff, 84f Heilige 142f, 200, 231, 262 Heil 145, 219, 226, 290, 304, 338 Heiligkeit – ausgreifende 178, 185, 334f Heiligkeitsgesetz 33f, 43, 70 Heiligung 122, 123ff, 138, 144, 207, 213, 263, 267, 279ff, 328, 330f, 333, 337 Herrenmahl 192, 194 Homosexualität 70, 101, 268f Identität 107, 325 Integrität 157, 165f, 186, 330ff, 346 Intention 311ff, 346 Jochanan ben Zakkai 110, 308f Josef und Aseneth 52f Josephus 56f Jubiläenbuch 50 Judenchristen 217, 313 Kollekte 222f, 226, 318 Korinth 141, 169f Land Israel 32f, 51, 159, 175, 159, 177, 217, 269, 330 Leges Sacrae 73ff, 154, 167, 171, 174, 220, 245, 292, 298, 301, 306, 324ff Liber Antiquitatum Biblicarum 51f Mission 188, 200, 202, 204, 224, 226, 336 – Erstverkündigung 137, 146, 215 Naherwartung 176 Nasiräer 23ff Nichtchristen 178f, 186
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Sachregister
Ölbaumgleichnis 294ff Opfer 25, 29, 55, 75f, 234ff, 242ff, 314ff – Ersatz für Opfer 46, 48, 65 Passa 159ff Pharisäer 57ff, 291ff, 305, 309, 344f Philo 55f Philippi 229f Pompeius 53 Profan 2ff, 138, 164, 339f Prostitution 99f, 124, 168ff Psalmen Salomos 53, 54 Pythagoras / Pythagoräer 94f, 99, 103, 109 Qumran 36ff, 207, 325f, 329, 334 Rechtfertigung 274, 303, 337ff, 349 Reich Gottes 162 Reinheit 18ff, 252ff, 325ff – gestuft 59; 175, 334 – des Herzens 35, 50f, 54, 94f, 252 Rote Kuh / Reinigungswasser 40, 56, 59, 66 Sadduzäer 58ff Salbung 201 Satan 159, 161f, 208f, 332, 333 Sexualethik 126f, 350 Soteriologie 144, 196, 280, 326, 328, 337f Sozialanthropologie 105ff Strafe 77, 79, 95, 105 Steingefäße 63, 69 Stoa 151, 266, 300 Sühne 20, 34, 45, 47, 68, 324f Sühnestätte 270ff Sünde 34f, 37, 40, 43f, 53, 55, 65, 168, 272, 274, 277f, 279ff Sündenbock 155ff Speisevorschriften 88, 90ff, 107f, 307, 334 Spiritualisierung 10ff (s. auch Allegorese) Synagoge 115, 120, 136f Taufe 143, 162, 167, 279, 285, 328f Tempel – in Jerusalem 21, 25, 30, 41, 46, 55f, 58ff, 67f, 149, 152, 155, 329 – pagane Tempel 75, 78, 80, 82f, 88f, 97, 100f, 154, 203
– Gemeinde als Tempel 145ff, 206ff, 215, 216ff, 221, 326ff – Leib als Tempel 171ff Tempelinschriften s. Leges Sacrae Testamente der XII Patriarchen 52 Tannaiten 64ff, 69 Tauchbad 36, 64, 59 Tevul Yom 59, 175 Thessaloniki 115, 119 Tod Jesu 156, 160, 248, 253, 270ff, 275ff Tora 18ff, 284, 324 Triumphzug 201ff unreine Geister 333 Unreinheit 117f, 128f, 212f, 248, 266ff – der Hände 55, 58ff – durch Aussatz 22, 29, 31f, 37, 40 – durch Exkremente 37 – durch Geburt 67, 70, 101,103 – durch Menstruation 29, 31f, 37, 43, 59 – durch Sexualität 32, 37, 50ff, 67, 70f, 90,98ff, 122f, 182 – durch Sünde 32ff, 43ff – durch Tod 21, 30f, 39f, 67, 70 Verfolgung 120 Vernunft 299ff Verschärfung 41, 44, 71 Volk Gottes 152, 210 Vollkommenheit 301, 305 Waschung 33f, 40, 42, 50, 79, 87, 167 Weihe 23ff, 78 – auf Zeit 23ff – auf Dauer 21ff Weihegabe 286ff Wirtschaftsethik 136, 350 Wohnmotiv 151, 207, 209, 210f, 284ff, 327
Ausgewählte griechische Begriffe a[gioj 25ff, 84ff, 151, 181, 200, 220ff, 231, 262, 284, 291ff a[gion 25, 56 a`gia,zw 21ff, 142f, 167, 183, 319 a`giasmo,j 123ff, 128, 144f, 250, 279ff a`giwsu,nh 122, 257 a``gnei,a 23, 52, 56, 248 a`gneu,w 22, 88 a`gni,zw 19, 22ff, 53, 56 a`gno,j 21ff, 52, 54, 79, 81ff, 85f, 88f, 219f, 224f, 241f avdike,w 78f, 166 avdiki,a 164ff a;dikoj 57, 78f, 165, 267 avkaqarsi,a 117, 128, 253, 266ff, 282 avka,qartoj 18ff, 57, 94, 212 a`marti,a 99, 282 a;memptoj 117ff, 122, 232f a;mwmoj 232f avna,qema 286ff a,parch, 291 (evu)-a,restoj 243f, 298, 305 avfori,zw 263 bdelu,ssw 32
i`ereu,j 26, 80 i`ero,n 25 i``ero,j 25 i``erourge,w 316f i`lasth,rion 270ff kaqari,zw 20, 34f, 252ff kaqaro,j 18ff, 52, 56f, 82, 89, 99, 119 koino,j 53, 308 koinwni,a 191ff latrei,a 13, 240, 299 latreu,w 239f, 249, 263f leitourgi,a 222f, 237f leitourgo,j 316 logiko,j 55, 299ff lou,w 79, 87, 89, 103, 167f miai,nw 19, 52ff miaro,j 57 mi,asma 55, 94, 103, 269 molu,nw 53, 79, 186f molusmo,j 54, 209, 213 nao,j 75, 80, 145ff, 153f, 171, 209 nou/j 52, 55, 93, 304
ge,raj 76 (euvpro,s)-dektoj 243f, 318 dia,noia 54, 94, 151 di,kaioj 95, 117f, 219f dikaiosu,nh 83, 144f, 249f, 282 dikaio,w 167 do,ma 244f evpiqumi,a 123ff, 266ff qriambeu,w 202ff qusi,a 55, 76, 192, 235ff, 243, 297f qusiasth,rion 188f, 190 qu,w 55, 160
(evn)-(kat)-oike,w 150ff, 210f, 284ff o[sioj 54, 80, 93, 117ff, 159, 269 ovsmh. euvwdi,aj 201ff, 243 paredreu,w 189f pari,sthmi 280, 297f perika,qarma 155ff perirrai,vnw 87, 92, 102, 103 peri,yhma 155ff pornei,a 52, 124, 157, 168ff, 209, 222 prosfora, 317 skeu/oj 124ff spe,ndw 234ff sumfule,thj 120 sw/ma 54, 93, 97, 170, 181
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te,leioj 76, 151, 305 u`pe,r 276 cri,w 201 yuch, 54, 93f, 97, 99
Griechische Begriffe