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German Pages [261] Year 2010
Harald Roth Kronstadt in Siebenbürgen
Harald Roth
Kr o nst adt i n S i e benbür ge n Eine kleine Stadtgeschichte
2010 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Magistris Coronensis
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagabbildung: Rekonstruktionszeichnung von Radu Oltean (Bukarest): Kronstadt im 17. Jahrhundert (www.historyarts.ro).
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Inhalt
227
Vorbemerkung
219
Corona entsteht (bis 1241)
233
Auf dem Weg zur Autonomie (1241–1377)
259
Das reiche Handelsemporium (1377–1530)
100
Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation (1530–1688)
159
Habsburgs langer Arm: Zerstörung und Peripherie (1688–1918)
204
Im geographischen Zentrum: Kronstadt in Rumänien (seit 1918)
230 232 234 235 237
Anmerkungen Auswahlbibliographie Abbildungsnachweis Namen der Gassen und Plätze Register der Personen und Orte
Vorbemerkung Im Jahre 2010 feiert die Stadt Kronstadt den 775. Jahrestag seit der ersten urkundlichen Erwähnung als „Corona“. Und 2011 kann das ganze Burzenland, der alte „Kronstädter Distrikt“, 800 Jahre seit der ersten Nennung und ersten Festlegung seiner Grenzen begehen. 1211 war das Jahr, in dem der ungarische König Andreas II. dieses Territorium, eine kleine geographische Einheit im Südosten Siebenbürgens, dem Deutschen Orden verlieh. Diese noch junge und kaum bekannte Gemeinschaft deutscher Kreuzritter sollte das westkirchliche, also katholische Ungarn hier gegen die heidnischen Kumanen verteidigen und der Krone wohl auch weiteren Landgewinn bringen. Auch wenn die Deutschordensritter nur kurz blieben, so überdauerte das Burzenland als besondere politische Einheit doch die Zeiten – davon über viereinhalb Jahrhunderte als Teil der „Sächsischen Nation“. Kronstadt setzte sich mit seiner Stadtwerdung als Hauptort des Burzenlandes durch. Ja, Name, Recht und Wappen der Stadt wurden beinahe zu Synonymen für die Provinz. Die Kronstädter Ratsherren regierten sie mit harter Hand. Sie waren Vertreter einer stolzen, reichen Stadtrepublik, die eine durchaus eigenwillige Politik betrieb, vor allem ihre Unabhängigkeit niemals aufzugeben bereit war. Dieser Freiheitswille, oft auch ein Hang zu Nonkonformismus, sollte langfristig zu einem Kennzeichen der Kronstädter werden, und zwar unabhängig von gesellschaftlichen und sprachlichen Gruppen. Kronstadt hat seit dem Mittelalter Namen in den Sprachen all jener Völker, die hier lebten oder vorbeizogen. Neben den deutschen, sächsischen, rumänischen, ungarischen und lateinischen auch türkische, griechische, bulgarische Namen – wir kennen wahrscheinlich nicht einmal alle Namensformen. Es ist bis heute ganz selbstverständlich, die Namensform in jener Sprache zu verwenden, in der man gerade schreibt oder spricht. Alles andere hieße, sein anderssprachiges Gegenüber nicht zu achten. Jede der Sprachgruppen hat nämlich ihren Anteil an der Geschichte und der Kultur der Stadt. Es gibt somit kein „früheres Kronstadt“. Das weiß auch der Kronstädter Stadtrat des 21. Jahrhunderts, der unbefangen mit den diversen Ortsnamenformen umgeht und neben Braşov auch Kronstadt und Brassó etwa an die Stadteinfahrten gesetzt hat. Diese kurze Darstellung soll die historische Entwicklung der Stadt in groben Zügen nachzeichnen und dabei bedeutende Momente herausVorbemerkung 7
greifen. Sie kann daher weder vollständig sein noch irgendeinen Proporz berücksichtigen, weder hinsichtlich der Epochen noch im Hinblick auf einzelne sprachliche oder ethnische Gruppen. Es ist keine volkskundliche Darstellung, sondern orientiert sich an der Verdichtung historischen Handelns, an dem niemals alle Einwohnersegmente einer Stadt in gleicher Weise beteiligt waren. Kronstadt besitzt seit der Zeit des Humanismus und der Reformation eine ausgeprägte Tradition chronikalischer Aufzeichnungen. Darauf baut eine sehr reiche Stadtgeschichtsschreibung auf. Die vorliegende kleine Stadtgeschichte kann daher nur der Versuch einer Synthese dessen sein, was zahlreiche verdienstvolle Autoren erarbeitet haben. Neben den frühneuzeitlichen Chronisten sind dies vor allem Thomas Tartler, George Michael Gottlieb von Herrmann, Joseph Trausch, Friedrich Philippi (sen.), Julius Gross, Erich Jekelius, Gustav Treiber, Franz von Killyen, Alfred Prox, Maja Philippi, Hellmut Klima, Paul Binder und Gernot Nussbächer. Für besonders fruchtbaren Austausch darf ich Thomas Şindilariu, dem Leiter des Archivs der Honterusgemeinde, danken, der mit vielerlei Informationen und Recherchen stets bereitstand. Schließlich habe ich auch der „Neuen Kronstädter Zeitung“ sehr herzlich dafür zu danken, dass sie die Anfertigung der beiden Stadtpläne ermöglicht hat, und natürlich dem Böhlau Verlag Köln, der den Vorschlag zu dieser kleinen Stadtgeschichte mit großem Interesse aufgenommen hat. H. R.
8 Vorbemerkung
Corona entsteht (bis 1241) Ein Mädchen von vier Jahren ging auf die Reise. Eine lange und beschwerliche Reise, aus dem Ungarland nach Thüringen. Aber es sollte gewissermaßen in der Familie bleiben. Ihre deutsche Mutter war mit den höchsten Familien Mitteleuropas verwandt und hatte die Verlobung eingefädelt. Das Mädchen Elisabeth, die älteste Tochter des ungarischen Königs, sollte die Einbindung des Arpadenhauses in den europäischen Adel festigen. Schon als Kleinkind wurde sie daher dem ältesten Sohn des Landgrafen von Thüringen, einem Ludowinger, versprochen. Am thüringischen Hof sollte sie wie ein Geschwisterkind mit ihrem künftigen Gatten erzogen zu werden. Es war ein sehr kultiviertes Haus, wo häufig Große des Reiches zu Gast waren und in dem sich oft namhafte Minnesänger aufhielten. Die Staufer gehörten zur näheren Verwandtschaft. Es ist nicht überliefert, ob König Andreas II. und seine Frau Gertrud von Andechs-Meranien die Tochter Elisabeth im Jahre 1211 auf dem Weg nach Thüringen begleiteten. Vielleicht kam auch eine thüringische Delegation mit dem Landgrafen an den ungarischen Hof, vielleicht traf man sich unterwegs. Jedenfalls dürfen wir annehmen, dass sich die Häupter der beiden Häuser zur Verlobung ihrer Kinder zusammenfanden, waren doch solche Anlässe die besten Gelegenheiten, Bündnisse zu schließen oder zu festigen, politische Gespräche zu führen, Pläne zu schmieden. Die im Reich ohnehin schon bedeutenden Ludowinger bauten ihren Einfluss beständig aus, und erst kurze Zeit vorher war ein Thüringer, Hermann von Salza, Hochmeister des Deutschen Ordens geworden. Überhaupt war das Haus Thüringen eng mit dieser jungen Vereinigung deutscher Adliger verbunden, die 1190 als ein Ergebnis der Kreuzzüge im Heiligen Land entstanden war. Landgraf Hermann I. von Thüringen gehörte selbst zu jenen, die diese »Brüder vom Hospital Sankt Mariens der Deutschen in Jerusalem« 1198 zu einem Ritterorden umgestalteten und um päpstliche Anerkennung ansuchten – man verstand sich nun ausdrücklich als Kampfgemeinschaft im Dienste des römischen Christentums. Der neue Orden musste sich aus Palästina zunächst zurückziehen. In den deutschen Ländern war er in den ersten Jahren des 13. Jahrhunderts noch nahezu unbekannt, fand aber besonders im mitteldeutschen Raum, etwa in den Ländern der Ludowinger, Thüringen und Hessen, zunehmend Anhänger. Wir wissen nichts darüber, ob es Landgraf Hermann war, der König Andreas 1211 mit dem Corona entsteht 9
Deutschen Orden vertraut machte. Die Annahme liegt freilich sehr nahe, zumal Hermann ein Interesse daran haben musste, für die gerade in seinen Ländern an Zulauf gewinnende Rittergemeinschaft ein Betätigungsfeld zu finden, und weil ihm selbst, als Kreuzritter, der Heidenkampf ein inneres Anliegen war. Die Nachbarn Ungarns im Osten und Südosten, die Kumanen, ein reiternomadisches Turkvolk, galten als kämpferische Heiden, und selbst innerhalb Ungarns gab es noch einzelne heidnische Gruppen. In Konstantinopel, der berühmten und reichen Hauptstadt des Byzantinischen Reiches, herrschten seit 1204 katholische Kreuzritter – sie hatten den vierten Kreuzzug kurzfristig umgeleitet und dort ein »Lateinisches Kaiserreich« errichtet. Dieses wurde in den Folgejahren von allen Seiten her bedrängt, auch von Norden her, von den Bulgaren und ihren Verbündeten, den Kumanen. Für den Deutschen Orden konnte es also in Ungarn eine doppelte Aufgabe geben: Einerseits den Kampf gegen die »ungläubigen« Kumanen und gegen andere Turkvölker, andererseits die Entlastung der Kreuzritter in Konstantinopel durch einen Zangenangriff von Norden. König Andreas selbst war von der Kreuzzugsidee begeistert. Er plante, an einem Kreuzzug teilzunehmen, und ohne Frage bewunderte er die Brüder des Deutschen Ordens, die kämpferisches Rittertum und Frömmigkeit vereinten. In Ungarn hatten die Deutschen um 1210 eine starke Stellung. Königin Gertrud war eine Deutsche, und in ihrem Gefolge kamen viele deutsche Adlige und Geistliche an den ungarischen Hof. Ihren Bruder Berthold brachte sie auf den Stuhl des Erzbischofs von Kalocsa; später wurde er auch Banus von Kroatien, damals bereits seit einem Jahrhundert eines der Länder der ungarischen Krone. Zwei andere Brüder, der Markgraf von Istrien und der Bischof von Bamberg, flüchteten sich zeitweilig nach Ungarn. Der durchsetzungsfähigen Königin wird daher an der Stärkung der deutschen Partei in Ungarn viel gelegen gewesen sein. Es ist schwer anders vorstellbar, als dass die Berufung des Deutschen Ordens nach Ungarn aus diesen Kontakten nach Thüringen hervorgegangen ist – vielleicht sogar am Rande der Verlobung der vierjährigen Elisabeth. Der neue Hochmeister Hermann von Salza ging mit Eifer daran, seinen jungen Orden zu festigen. Da er aber wegen der aktuell schwierigen Verhältnisse durch zwei Gegenkönige aus den Häusern der Staufer und der Welfen zunächst wenige Erfolge in den deutschen Ländern erhoffen konnte, kam ihm ein Einsatz in Ungarn sehr gelegen. Die Urkunde über die Berufung des Deutschen Ordens ist uns nur aus einer 10 Kronstadt bis 1241
späteren Abschrift bekannt, sie kann jedenfalls nicht vor Mai 1211 ausgestellt worden sein. In ihr wird übrigens erstmals die Entwicklung des Ordens seit seiner Gründung skizziert – teils wahrhaftig, teils wohl erdichtet, man wollte eben das Siegel des ungarischen Königs zur Legitimation des eigenen Gründungsmythos nutzen. Das eigene Territorium, das der Orden anstrebte, war jedenfalls in greifbare Nähe gerückt. Die Königstochter Elisabeth und der Deutsche Orden waren zu Beginn des 13. Jahrhunderts keineswegs die einzigen Bezüge Ungarns zu Thüringen. Archäologische Funde aus der Nähe Hermannstadts belegen, dass es deutsche Siedler gegeben haben muss, die aus jenem Raum stammten. Auch bestimmte Anteile in der deutschen Mundart Siebenbürgens, dem Siebenbürgisch-Sächsischen, belegen mitteldeutschen Einfluss – vielleicht gab es gar keine »Zwischenheimat« zwischen Magdeburg und Thüringen, wie die Sprachforscher für den Auswanderungsweg aus dem Rheinland nach Siebenbürgen hin annahmen, sondern doch einen größeren Anteil mitteldeutscher Zuwanderer. Und noch eines weist nach Thüringen: die metallenen Drachen am Haus Schwarzgasse 12 in Kronstadt. Die Legende weiß zu berichten, dass der Zauberer Klingsor diese Drachen rot erglühen ließ, wenn er auf die Kronstädter zornig war und sie erschrecken wollte – jener »Klingsor von Ungerlant«, der im ebenfalls legendären Sängerwettstreit auf der Wartburg kurz nach 1200 schlichten und entscheiden musste. Warum ihn die Sage wohl ausgerechnet ins Zinnnetal brachte? Und zwar noch vor der Ordenszeit?
Die Anfänge von Corona Die Ritter des Deutschen Ordens müssen sich unmittelbar nach ihrer Berufung durch König Andreas II. auf den Weg in den Osten Ungarns gemacht haben, wie uns Urkunden ab 1212 zeigen. Die Zahl der Ordensritter muss jedoch gering gewesen sein, zu Beginn schwerlich mehr als ein paar Dutzend. Wo aber kam der Orden hin? War es wirklich ein wüstes und unbewohntes Land, wie die Berufungsurkunde von 1211 glauben machen möchte? Die terra Borza soll nämlich deserta et inhabitata gewesen sein. Nein, das war sie keineswegs. Das Burzenland war bereits seit Längerem wohlbekannt. Die Urkunde der königlichen Kanzlei verrät durch die Beschreibung des verliehenen Gebiets intime Orts- und Namenskenntnis. Die Grenzen sollten, im Westen beginnend, Corona entsteht 11
wie folgt verlaufen: vom castrum Almagi (Halmagen) entlang des Wassers Alt zum castrum Niolgiant (Galt) – beides ungarische Grenzburgen einer früheren Grenzlinie – bis zu der Gemarkung von Nicolai (Miklósvár) und weiter bis zum Flüsschen Tertillou (bei Tartlau), schließlich vorbei an den Wassern Timis (Tömösch) und Borsa (Burzen) zurück nach Halmagen – das Burzenland war also im Reichszentrum aus eigener Anschauung wohlbekannt, denn benutzbare Karten gab es zu jener Zeit noch nicht. Die ungarischen Könige mussten nämlich ohne Frage schon im 12. Jahrhundert Vorsorge zur Grenzsicherung im Osten treffen. Es wäre undenkbar gewesen, das Grenzwächtervolk der Szekler aus dem Süden in den Osten Siebenbürgens und westeuropäische Siedler, sogenannte Hospites – Flamen, Rheinländer und andere Deutsche – im Süden anzusiedeln und dabei die Südostflanke des Reiches im Knick der Karpaten ungesichert zu lassen. Die Kumanen fielen nämlich seit dem Ende des 11. Jahrhunderts von jenseits der Karpaten immer wieder verheerend vor allem in die passnahen Grenzbereiche Ungarns, zumal Siebenbürgens ein. So deuten archäologische Funde auf Szekler, die im 11./12. Jahrhundert auch im Umfeld des Burzenlandes Verteidigungaufgaben übernahmen. Vor allem aber scheinen Petschenegen in diesem gefährdeten Grenzabschnitt eingesetzt worden zu sein. Auch die Petschenegen waren ein Turkvolk, das – aus Asien kommend – Ungarn zunächst bedrohte. Als sie aber schließlich selber von nachwandernden Volksverbänden bedroht wurden, fanden Teile der Petschenegen seit dem 11. Jahrhundert Zuflucht in Ungarn und übernahmen militärische Aufgaben in den verschiedensten Ecken des Reiches. Über Szekler und Petschenegen hinaus gab es ohne Frage auch ungarische Dienstleute des Königs, die einzelne Grenzposten versahen – diese dürften auch die Gewährsleute für die genaue Gebietsbeschreibung gewesen sein. Ob auch jene westlichen Siedler, die sich archäologisch ab der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts im Burzenland nachweisen lassen, militärische Aufgaben hatten, wissen wir nicht, wir dürfen es jedoch annehmen – in der Bedrohungssituation jener Zeit musste nahe der Grenze jedermann zur Abwehr gerüstet sein. So ließ sich für Marienburg eine wahrscheinlich deutsche Bewohnerschaft für die Zeit ab etwa 1160 nachweisen. Auch Funde in Tartlau deuten in die gleiche Zeit, an weiteren Orten des Burzenlandes werden ähnliche Belege vermutet. Die westliche Siedlungsbewegung, die ab etwa 1150 die sogenannte »Hermannstädter Provinz« erfasst hatte und sich ungeahnt schnell ausbrei12 Kronstadt bis 1241
tete, reichte also bis ins Burzenland, auch wenn dies urkundlich nicht überliefert ist. Neben diesen diversen Bevölkerungsgruppen ist zusätzlich von slawischen Siedlungen an einzelnen Orten auszugehen. Die Slawen hatten Siebenbürgen ab dem frühen 7. Jahrhundert von Osten her erreicht, etwa in der Zeit der Zugehörigkeit der Region zum awarischen Reich. Sie waren sehr allmählich und friedlich eingewandert, zumal der Südosten Siebenbürgens und das Burzenland wurden von ihrer Siedlung erfasst. Seither bildeten sie das einzige relativ kontinuierlich nachweisbare Element in der Region, auch wenn nur sehr dünn siedelnd. Auf die slawische Präsenz deuten vor allem Namen im Gelände hin, aber in gleicher Weise wirkten auch die Petschenegen gerade im Burzenland namenprägend. So werden etwa die zentralen Gewässernamen Burzen, Tatrang, Tömösch, Zajzon und andere den Petschenegen zugeschrieben – ein Zeichen, dass sie hier einige Zeit gelebt und die Landschaft genutzt haben. Barasu oder Brascho für ein nicht mit Gewissheit bestimmbares Gewässer wird sogar als eine Mischung aus turksprachigen und slawischen Anteilen interpretiert. Von Vlachen, jenen Wanderhirten, die eine balkanromanische Sprache sprachen, ist aus dieser Zeit, also aus der zweiten Hälfte des 12. und dem Beginn des folgenden Jahrhunderts, noch nichts bekannt. Ihr Lebensmodell, nämlich das der nomadisierenden Hirten, war jenem der Petschenegen strukturell durchaus ähnlich, so dass es mitunter schwer fallen mag, sie in Überlieferungen auseinanderzuhalten. Jedenfalls fällt auf, dass die nächsten Toponyme, die neben jenen der Turkvölker und der Slawen auftauchen, deutschen Ursprungs sind. Einige alte Chroniken kennen das Jahr 1203 als Gründungsdatum Kronstadts – also fast ein Jahrzehnt vor Eintreffen des Deutschen Ordens. Diese Überlieferung wurde stets als fehlerhaft, zumindest zweifelhaft abgetan – vor allem, da sie zeitlich nicht mit dem Wirken des Deutschen Ordens im Burzenland zusammenpasste. Heute wissen wir aber, wie gerade gezeigt, dass schon etliche Jahrzehnte vor den Ordensrittern Deutsche in den äußersten östlichen Winkel Ungarns zogen. Vielleicht kann also an diesem Jahr doch etwas dran sein? Vielleicht ist Kronstadt doch älter und alle haben das 800. Stadtjubiläum verpasst? Wir wollen uns die Sache einmal genauer ansehen und dabei zeitlich in beide Richtungen ausholen. Es fällt auf, dass die meisten Geschichtsschreiber, die unser Bild der städtischen Anfänge Kronstadts bis heute prägen, eine sehr wichtige Information noch nicht hatten. Die erste urkundliche ErCorona entsteht 13
wähnung der Stadt erfolgte nämlich im Zusammenhang mit einem Prämonstratenserkloster. Im Jahre 1234 oder 1235 führte der Abt eines rheinländischen Klosters eine Visitationsreise zu einer Vielzahl an Ordensniederlassungen der Prämonstratenser in halb Europa durch. Dabei kam dieser Fridericus von Hamborn – letzteres heute ein Ortsteil von Duisburg – bis ins ferne Ungarn. In seiner Übersicht der visitierten Klöster vermerkte er auch zwei siebenbürgische Niederlassungen: Corona und Villa hermanni, mit heutigen Namen: Kronstadt und Hermannstadt. Interessanterweise werden diese beiden sozusagen als Ergänzung gebracht – lange nachdem die ungarischen Klöster aufgeführt wurden, nach Bayern, Österreich, Spanien, Frauenklöstern der diversen deutschen Diözesen, nach Friesland. Warum der Schreiber diese beiden Klöster abhob, bleibt Spekulation: Ob es etwa die einzigen Frauenklöster in Ungarn waren, ob er um ihre abweichende Entstehungsgeschichte wusste – es bleibt offen. Wer aber waren die Prämonstratenser? Der Orden entstand 1120/21 aus dem Bemühen des Wanderpredigers Norbert von Xanten um eine Reform des religiösen Lebens. Das erste Kloster lag in Prémontré im Bistum Laon nordwestlich Reims. Der Orden breitete sich vor allem im kulturellen Übergangsgebiet von Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich schnell aus, also genau in jenen Gegenden, aus denen die meisten Flandrenses und Theutonici ab Mitte des 12. Jahrhunderts nach Siebenbürgen gekommen sein dürften. Die Prämonstratenser orientierten sich sehr stark an dem nur wenig älteren Reformorden der Zisterzienser, hatten aber in der Praxis meist größere Spielräume. So gründeten sie in der Anfangszeit meist Doppelklöster mit strikter Trennung von Mönchen und Nonnen, von Laienbrüdern und Laienschwestern. Sie legten großen Wert auf die Predigtbetreuung und die Übernahme von Pfarreien, auch solcher selbst gegründeter Orte, sie lebten von ihrer eigenen Hände Arbeit und waren bestrebt, dabei schweigend Vorbild zu sein. Mit ihrer Ausbreitung über Europa gehörten sie zusammen mit den Zisterziensern zu den wichtigsten Orden, die die deutsche Ostsiedlung voranbrachten und Mission unter den teilweise noch heidnischen Völkern im Osten betrieben. Überdies waren sie große Anhänger der Kreuzzugsbewegung. Und die Prämonstratenser errichteten ihre Klöster an entlegenen Orten, nicht immer abseits, aber kaum jemals im Umfeld größerer Siedlungen. Somit ist die Präsenz von Prämonstratensern im Allgemeinen kein Indiz für fortgeschrittene Urbanisierung, wie dies für die später auftauchenden Dominikaner oder Franziskaner galt, eher 14 Kronstadt bis 1241
im Gegenteil ein Hinweis auf Abgeschiedenheit oder auf Kleinstsiedlungen. Die Filiationen, also der Bezug eines Konvents zu seinem Gründungskloster, wurden bei den Prämonstratensern nicht so streng und deutlich verfolgt wie bei anderen Orden, so dass Gründungabfolgen oft nicht rekonstruierbar sind. Noch im 12. Jahrhundert, gegen dessen Ende an Vehemenz zunehmend, setzte innerhalb des Ordens ein Kampf gegen die Doppelklöster ein, die ursprünglich die Urkirche abbilden sollten. Dabei wurden meist die Nonnen und Laienschwestern ausgewiesen. Teilweise wechselten diese zu den Zisterziensern oder gründeten im günstigen Fall mit Hilfe von Stiftungen neue Konvente, teilweise aber widersetzten sich auch ganze Doppelklöster oder sie zogen um. Es war dies zugleich die Zeit der Vorbereitung zum vierten Kreuzzug, die auch diesmal ganze Landstriche vor allem in Frankreich, Flandern und westdeutschen Ländern in religiöse Aufregung versetzte. Alle Gesellschaftsschichten waren betroffen und spürten ein tiefes Bedürfnis, ihren Beitrag zum Kampf gegen die Ungläubigen in Palästina oder im östlichen Europa zu leisten. Es ist – wie bereits Karl Reinerth suggerierte – gut vorstellbar, dass sich dabei Prämonstratensernonnen oder auch Doppelklöster vor oder um 1200 ihren in den Osten Ungarns auswandernden Landsleuten anschlossen: Sie wichen damit dem anhaltenden Druck in ihren Heimatkonventen aus und sie erbrachten zugleich ihren Beitrag zum Kreuzzug – Ungarn und seine Nachbarschaft galten, wie wir oben gesehen haben, teilweise noch als Missionsgebiet. Etliche Konvente oder Teile zogen gegen Ende des 12. Jahrhunderts tatsächlich aus ihren Klöstern aus, ohne dass ihr Verbleib überliefert wäre. Die Überlegungen zu den Prämonstratensern werden durch den Ortsnamen gestützt, den uns das Verzeichnis von 1234/35 nennt: Corona. Durch die Messung der östlichen Ausrichtung der Schwarzen Kirche wie ihrer identisch ausgerichteten Vorgängerkirche haben Alfred Prox und Arnold Huttmann zweifelsfrei nachgewiesen, dass das Gotteshaus auf den Tag der Heiligen Corona ausgerichtet ist: Der Chor zeigt zu jener Stelle am Horizont, wo am 14. Mai die Sonne aufgeht – eine übliche Praxis im Mittelalter und für die meisten Kirchen des Burzenlandes angewandt. Der Corona-Kult aber war auch in jener Zeit sehr ungewöhnlich und im deutschen Sprachraum vor allem in Aachen bekannt. Im Aachener Dom lagen nämlich etwa seit dem Jahr 1000 die Gebeine der Heiligen Corona, die Kaiser Otto III. aus Italien hatte dorthin bringen lassen und wo sie sich auch heute noch befinden. Die HeiCorona entsteht 15
lige Corona, auch Heilige Stephana genannt, war eine frühchristliche Märtyrerin des 2. Jahrhunderts aus Ägypten oder Syrien. In der Umgebung von Aachen, in den flämischen und rheinischen Bistümern, war die Zahl der Prämonstratenserklöster besonders hoch. Dies alles zusammengenommen spricht mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit dafür, dass Ordensangehörige aus dieser Gegend nach Siebenbürgen zogen und in ihrer Neugründung dort einen aus der Heimat bekannten Kult aufnahmen. Somit erhält das überlieferte Gründungsjahr 1203 etwas mehr Fundierung, auch wenn es dabei freilich nur um ein ungefähres Datum gehen kann – jedenfalls geht es um die Zeit um 1200. Warum eine Ansiedlung der Prämonstratenser nicht zur Zeit der Burzenländer Deutschordensherrschaft zwischen 1211 und 1225 erfolgt sein kann, liegt auf der Hand. Der Deutsche Orden brauchte keine anderen Missionsorden in seinem Gebiet, zumal keine solchen, die seinen eigenen Methoden konträr entgegenstanden: Die Prämonstratenser missionierten ausschließlich friedlich und als stilles Vorbild. Dem Deutschen Orden hingegen gehörten Ritter an, die im Wesentlichen die Sprache des Schwertes kannten. Die Prämonstratenser waren zu jener Zeit offen für alle sozialen Gruppen, der Deutsche Orden bestand aus Angehörigen sozialer Oberschichten. Wie wir am Beispiel Nordosteuropas sehen können, trafen Zisterzienser und Prämonstratenser nur dort auf den Deutschen Orden, wo jene vor letzterem präsent waren – nachträglich kamen sie nicht. Auch im Falle Kronstadts dürfen wir nicht annehmen, dass die Prämonstratenser nach 1225, also nach dem Abzug des Deutschen Ordens kamen – zum einen war der Antrieb und der Elan der Jahre um 1200 vorbei, zum anderen hätten sie, wie wir noch sehen werden, in der kurzen Zeit bis 1241 im Zinnental kaum prägend wirken können. Wo, so möchte man vor dem Hintergrund des oben Gesagten fragen, mag das andere Prämonstratenserkloster gestanden haben? Villa hermanni oder Hermannsdorf war 1235 zwar keine große, aber für jene Zeit doch ansehnliche Siedlung. Ob das Kloster innerhalb der Ortschaft oder in der Nähe stand, ist nicht mehr feststellbar. Es wird im Mongolensturm 1241 so stark zerstört worden sein, dass sich der Konvent auflöste oder einem anderen Orden anschloss. Ob die Ansiedlung der Prämonstratenser im Zinnental durch eine Stiftung, gewissermaßen durch einen Grundherrn, erfolgte, muss offen bleiben – wir wissen darüber genauso wenig wie über die ersten deutschen Siedler im Burzenland. Der etwas abgelegene Ort im Tal, abseits der Straßen in der Ebene, zugleich an einem wasserreichen Bach gele16 Kronstadt bis 1241
gen, entsprach durchaus der Idealvorstellung für ein Kloster dieses Ordens. Zugleich scheinen zwei weitere Vorgaben erfüllt gewesen zu sein: Zum einen dürfen wir annehmen, dass im oberen Zinnental vielleicht Petschenegen oder andere Turkvölker, vielleicht auch Slawen siedelten; auch Vlachen sind denkbar, wenngleich Hinweise dafür fehlen. Jedenfalls waren diese Menschen potentielle Missionskandidaten der Prämonstratenser. Es waren zudem wohl eher kleine Gruppen. Für die Siedlung unterhalb des Rattenberges kann von sieben bis zehn Gehöften ausgegangen werden. Wir dürfen mit einiger Berechtigung annehmen, dass die Prämonstratenser Erfolg bei der Missionierung hatten. Hätten diese Siedlungen nämlich weiterbestanden, so wären sie als etwas Besonderes, als sprachlich und religiös andersartig wahrnehmbar gewesen und es hätte sich in irgendeiner Weise in den überlieferten Bezeichnungen niedergeschlagen. So haben sich zwar Geländebezeichnungen wie Rattenberg (für »Burgberg« von slaw. hrad) wohl aus dieser Zeit erhalten, aber keinerlei Namen für einen Ortsteil im oberen Talbereich – dies ist nur durch die Integration oder den Wegzug dieser Bervölkerungselemente zu erklären. Bei der Ansiedlung der Prämonstratenser im Zinnental wie auch bei einigen Burzenländer Gemeinden wäre eine Rolle der Zisterzienser im Übrigen nicht auszuschließen, da diese einerseits vielfach mit dem so ähnlichen Schwesterorden kooperierten, andererseits möglicherweise bei der frühen deutschen Siedlung im Südosten Siebenbürgens impliziert waren. Die Aufgaben, die die Zisterzienser in der Zeit nach dem Deutschen Orden an bestimmten Orten übernahmen, legen diesen Schluss nahe – dies würde auch die Bedeutung der Zisterziensergotik gerade in diesem Teil des Landes gut erklären. Die Zisterzienserabtei in Kerz am Alt war vermutlich während der letzten beiden Jahrzehnte des 12. Jahrhunderts gegründet worden und begann sehr rasch, durch Grunderwerb und Ortsgründungen auszustrahlen. Der Umstand, dass in der Verleihungsurkunde von König Andreas II. an den Deutschen Orden von niemand anderem, vielmehr von einem desertum im Burzenland die Rede ist, sagt nichts aus: Einerseits wollte der König mögliche Rechtsansprüche anderer dadurch ausschließen, andererseits mochte er dem Orden gegenüber vielleicht auch nicht zugeben, dass sein neues Land punktuell schon belebt war. Wir werden jedenfalls auf die Kerzer Zisterzienser noch wiederholt zu sprechen kommen. Warum aber kann nicht der Deutsche Orden der Gründer einer Stadtsiedlung im Zinnental sein, wird jetzt als Frage aufkommen, nachCorona entsteht 17
dem die Historiographie dies seit Generationen lehrt? Darauf gibt es vielfache Antworten. Der Ort der späteren »Inneren Stadt« von Kronstadt liegt für eine Stadtgründung denkbar ungünstig – hinten im Tal abseits der Verbindungsstraßen, nur auf schmalen Wegen zwischen sumpfigem Gebiet zu erreichen, die Zugänge dorthin schlecht zu sichern, im Kriegsfall – nach damaligem Verständnis – ohne Fluchtmöglichkeit wie in einer Mausefalle gefangen. Es war zudem ein strategisch ungünstiger Ort, im äußersten Süden des verliehenen Territoriums gelegen. Das ganze Burzenland von hier aus zu beherrschen und zu verwalten, wäre nicht denkbar gewesen, ganz abgesehen vom eingeschränkten Einblick in die Burzenländer Ebene. Zudem: Eine neue Siedlung in der relativen Nähe von »Schismatikern« – wir dürfen annehmen, dass die Slawen, von denen wir im oberen Zinnental ausgehen, Anhänger der Ostkirche waren –, also den damals aktuellen Gegnern der Kreuzritter am Bosporus? Unvorstellbar. Auch ein Patrozinium einer fast unbekannten Heiligen für die Kirche einer zentralen Siedlung ist mit den Vorstellungen des Deutschen Ordens, der sich der Muttergottes verschrieben hatte, nicht zu vereinbaren. Nein, der Deutsche Orden wählte ganz bewusst Marienburg als Hauptort – von diesem recht zentralen Standort hatte er einen guten Einblick in die Ebene, konnte raschen Informationsaustausch gewährleisten und nötigenfalls umgehend militärisch reagieren. Zudem bot die Lage am schiffbaren Alt die Möglichkeit des Gütertransports. Der Orden gründete keine Städte, ohne dabei unmittelbar integriert primär seine eigene Präsenz abzusichern, meist durch eine Burganlage direkt neben oder oft sogar in der Stadt. Auch hier hilft ein Blick ins spätere Deutschordensland an der Ostsee. Nichts dergleichen ist aus Kronstadt bekannt. Auch der Grundriss der Stadtkerns gleicht keinesfalls einem Schachbrettmuster, wie bei anderen Deutschordensstädten, obwohl das Gelände es ermöglicht hätte. Und bewusst eine Stadt, also eine Handels- und Handwerkersiedlung anzulegen, von der die Ordensritter aus deutschen Ländern wissen mussten, dass sie bald wohlhabend sein würde, ohne diese ausreichend abzusichern und vor allem ohne sich selber dort einzubringen, um den Reichtum abzuschöpfen, ist schlichtweg abwegig. Und als Letztes: Gleich von drei Stadtkernen – Bartholomä, Martinsberg/Altstadt, Corona/Innere Stadt – auszugehen, die der Orden in ziemlicher Entfernung voneinander angelegt haben soll, würde heißen, den Kreuzrittern nicht die geringste Verteidigungskompetenz zuzusprechen. Nochmals nein, der Orden hatte mit der Grün18 Kronstadt bis 1241
dung von Kronstadt, jedenfalls mit der späteren Inneren Stadt, nichts zu tun. Die Prämonstratenser dürften sich um 1200 im Zinnental niedergelassen haben. Ob es ein Doppelkloster war oder nur Nonnen, lässt sich nicht entscheiden. Das überlieferte Verzeichnis ist da keineswegs so eindeutig, wie die Literatur glauben machen möchte, schon Karl Reinerth zweifelte diese Angabe an. Die Wahl der Heiligen Corona als Kirchenpatronin, der Wegzug vor allem von Nonnen aus den Ländern entlang des Rheins, ferner der Umstand, dass man recht wenig von diesem Kloster hörte, macht ein Nonnenkloster allerdings etwas wahrscheinlicher. Neben den Nonnen und vielleicht Mönchen muss jedoch auch eine nennenswerte Anzahl an Laienschwestern und Laienbrüdern dabeigewesen sein, die in den Werkstätten und in der Landwirtschaft mitarbeiteten. Für sein Klosterquartier suchte sich der Orden ein weitgehend flaches Terrain auf der Talsohle aus. Da die durchs Tal fließenden Bäche als sehr wasserreich galten, dürfen wir annehmen, dass größere Teile des nur gering abschüssigen, teils auch ebenen Geländes sumpfig waren, so dass die Klosterleute an deren Trockenlegung schreiten mussten. Auch dies spräche für eine Herkunft aus dem flandrisch-westdeutschen Raum, wo es die besten Kenntnisse der einschlägigen Techniken gab – eine Voraussetzung für die spätere Besiedlung des Talgrundes. Prämonstratenser pflegten sich, wie erwähnt, vollständig selber zu versorgen, sie mussten also Ackerflächen bestellen. Diese dürften etwas oberhalb des Klosterbereichs, im Vorfeld der späteren Stadtmauern, und dabei im Besonderen in der nördlichen Hälfte gelegen haben, nämlich so, dass die Ost- und Südsonne sie über die Zinne noch halbwegs erreichte – also zumal in jenem Bereich, der später zur Katharinengasse gehören sollte. Das Klima war damals deutlich wärmer als heute, es hatte um 1000 angefangen, sich zu erwärmen und der Höhepunkt dauerte um 1200 noch an. Nicht zuletzt war dies einer der Gründe der Bevölkerungsexplosion in Mittel- und Westeuropa und somit einer der Auslöser für die Auswanderung nach Osten. Man konnte also bedenkenlos nicht nur erfolgreich Landbau, sondern sogar Weinbau unter der Zinne betreiben. Im späteren rumänischen Gassennamen După [V]Inişte steckt noch eine Erinnerung an den »Wingert«, den Weingarten, genau an einem jener Südhänge im oberen Zinnental. Die Klosteranlage wurde zunächst, wie alle Gebäude jener Zeit, aus Holz gebaut, als Blockbau oder Fachwerk, und mit einem rechteckigen Verhau oder Wall umgeben. Das Rechteck passte sich leicht dem GeCorona entsteht 19
lände an. Ein Ableger das Baches wurde etwas südlich umgeleitet und – dem Usus gemäß – direkt durchs Klosterrechteck geführt. Der erste Kirchenbau wird bescheiden gewesen sein, das Kloster musste sich erst etablieren, Schenkungen und Stiftungen erhalten. Ob dies während der Zeit des Deutschen Ordens ab 1211 möglich war, ist fraglich. Wahrscheinlich werden die Prämonstratenser in diesen Jahren still gewirkt haben. Denkbar wäre, dass sie die Initiatoren der deutschen Siedlung unter dem Gesprengberg waren. Dafür spräche die übliche Praxis der Prämonstratenser zu Ortsgründungen, jedenfalls im ostelbischen Raum, und die gute Erreichbarkeit des Ortes. Zudem mussten sie, um ihre Niederlassung zu stabilisieren, Zuarbeit und Abgaben erhalten, was etwa durch eigene Pfarrgemeinden möglich war – Siedlernachschub gab es laufend. Auf diese Annahme weist etwa folgendes Detail: Das Patrozinium der Kirche unter dem Gesprengberg war – wie ebenfalls Alfred Prox feststellen konnte – von Anfang an der Heilige Bartholomäus. Dieser lässt sich häufig als Kirchenpatron bei Prämonstratensern im Aachener-Lütticher Raum finden – er mag eine Erinnerung an jenen Bischof sein, der die erste Klostergründung dieses Ordens in Prémontré initiierte, Bischof Bartholomäus von Laon. Denn sonst ist dieser Heilige, wie Gustav Gündisch herausfand, als Kirchenpatron unter den Deutschen Siebenbürgens sehr selten gewesen. Freilich ist auch eine Gründung der Siedlung um St. Bartholomä durch den Deutschen Orden denkbar, obwohl es doch etwas eigenartig gewesen wäre, wenn dieser ausgerechnet den Prämonstratensern ein Dorf vors Tal gesetzt hätte; diese hätten leicht unliebsamen Einfluss auf die Siedler haben können. Auf und neben dem Gesprengberg gab es vor der Ankunft der deutschen Siedler zunächst Slawen, später Turkvölker. Als jedoch die Vorfahren der späteren Sachsen eintrafen, war dies längst Geschichte, da hier sonst nicht deutsche Gewässernamen (Gespreng, Weidenbach) auch für die anderen Sprachen prägend geworden wären.
Der Deutsche Orden Die wenigen Ordensritter, die vielleicht noch 1211, spätestens 1212 im Burzenland eintrafen, dürften einiges Gefolge gehabt haben. Wir können vermuten, dass der größte Teil aus den mitteldeutschen Ländern stammte. Die Ordensmitglieder kamen zu jener Zeit überwiegend aus dem Kreis der Ministerialen, also jener Dienstleute an Höfen, die gerade 20 Kronstadt bis 1241
den Aufstieg in den Ritterstand geschafft hatten, eine Art privilegierter »Mittelschicht«. Die Ordensbrüder konnten bei ihrer Ankunft in Ungarn auf eine deutschfreundliche Stimmung des Hofes setzen. So wären ein Empfang der Ritter an der Grenze oder am Königshof und ein Geleit in den Südosten des Reiches gut vorstellbar. Im Jahre 1212 kam dem Deutschen Orden ein weiterer Umstand entgegen: Der Bruder der Königin, Erzbischof und Banus Berthold, wurde auch zum Woiwoden von Siebenbürgen ernannt. Sein Mitwirken bei weiteren Privilegierungen zu Fragen des Münzrechts des Ordens (1212) sowie zum Besitz des Zehnten (1213), also des der Kirche zustehenden zehnten Teils der Erträge der Gläubigen, liegt sehr nahe – übrigens ein Hinweis darauf, dass es 1213 schon Steuerzahler im Burzenland gab und der Orden diese zumindest teilweise schon vorgefunden haben muss. Bertholds Einsatz für die deutsche Siedlergemeinschaft um Hermannstadt zeigte hingegen keinen Erfolg: Das Bestreben, die Hermannstädter Propstei zu einem eigenständigen Bistum unter seinem eigenen Patronat umzuwandeln, scheiterte am siebenbürgischen Bischof. Es lässt sich hier jedenfalls eine klare Strategie erkennen, deutsche Standorte innerhalb Ungarns zu vernetzen und zu festigen. Doch schon 1213 kam der große Einschnitt. Andreas und Gertrud hatten es zu weit getrieben, zu viele Deutsche waren begünstigt worden, zu stark wurde deren Einfluss. Der ungarische Adel fühlte sich übervorteilt und war empört. Sicher gehörte auch die Einführung des Deutschen Ordens nach Ungarn zu einem der Auslöser für das folgende Geschehen. Als der König auf einem neuerlichen Feldzug im Norden weilte, wo er sich das benachbarte Fürstentum Halitsch gefügig machen wollte, hatte er anstelle der beiden Führer des ungarischen Hochadels die Königin und deren Bruder, den Woiwoden Berthold, zu seinen Stellvertretern eingesetzt. Als diese zu Ehren Herzog Leopolds VI. von Österreich im September 1213 eine Jagd veranstalteten, überfielen Vertreter des ungarischen Adels die Gesellschaft, ermordeten, ja zerstückelten die Königin und ihr Gefolge. Leopold und Berthold konnten sich verletzt retten und flüchteten. Zwar nahm Andreas nach seiner Rückkehr blutige Rache an den Verschwörern, er zerstückelte sie wie jene es seiner Gemahlin angetan hatten. Doch der Einfluss der deutschen Partei in Ungarn war gebrochen. Es folgten keine Privilegierungen für den Deutschen Orden mehr. Auch im Heiligen Römischen Reich fehlte ihm vorerst noch der rechte Rückhalt. Er musste sich also im Burzenland behaupten, sicher unter der schützenden Hand des kreuzzugsbegeisterCorona entsteht 21
ten Königs. Dieser ehelichte 1215 die Tochter eines Kapetingers, eine Nichte der seit 1204 regierenden »lateinischen Kaiser« von Konstantinopel. Sein Schwiegervater sollte bald selbst zum Kaiser gewählt werden. Schließlich brach Andreas II. 1217 selber zum Kreuzzug ins Heilige Land auf. In ihrer Berufungsurkunde hatten sich die Deutschordensritter die Erlaubnis zusichern lassen, Burgen und Orte, urbes, aus Holz errichten zu dürfen – Steinbauten waren ein ausschließlich königliches Privileg. Bei allem, was sie ab 1211 im Burzenland konkret taten, sind wir jedoch auf Vermutungen angewiesen, kaum ein Detail ihres Handelns lässt sich urkundlich belegen. Namentlich kennen wir nur einen frater Theodoricus, einen Bruder Dietrich, der wohl der Landmeister des Ordens im Burzenland war. Auch die Zahl der Ordensbrüder wird für die ganze Zeit ihres Wirkens offen bleiben; es wird zu den besten Zeiten mit höchstens 200 bis 300 zu rechnen sein. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Orden seinen zentralen Niederlassungsort gleich zu Beginn in Marienburg einrichtete. Archäologisch lässt sich feststellen, dass der alte, etwa ab Mitte des 12. Jahrhunderts nachweisbare Friedhof ab der Ankunftszeit der Ordensbrüder nicht mehr genutzt wurde. Der Orden muss den Ort also in seinem Sinne umstrukturiert haben, im Bereich um die alte Kirche seine Ordensburg angelegt und die Bewohnerschaft oder doch den Friedhof ins Umfeld gewiesen haben. Das Patrozinium der Kirche und der Name des Ortes weisen eindeutig auf den Orden, die Kirche ist auf den Großen Marientag (Mariä Himmelfahrt) geostet. Ob der Orden ähnlich wie später in Preußen vorging und jährlich etwa eine Siedlung anlegte, muss ebenfalls offen bleiben. Jedenfalls scheint es einer gewissen Strategie entsprochen zu haben, in relativ gleicher Entfernung zum Alt, dem Grenzfluss des Ordensgebietes nach Osten, und in annähernd vergleichbarer Entfernung Orte anzulegen – im Norden bei Nussbach, vielleicht gar bei Geist beginnend und über Marienburg bis hin zu Tartlau unmittelbar vor dem Bodsauer Pass im Süden führend. Inwieweit etwa das wohl bereits damals an einer Verbindungsstraße liegende Zeiden oder Rosenau im Vorfeld des Törzburger Passes zu den Gründungen des Ordens gehörten, ist genauso wenig verbindlich zu sagen wie bei allen anderen Burzenländer Gemeinden. Die Gründung der Zinnentalsiedlung Corona durch den Deutschen Orden ist, wie wir oben gesehen haben, jedenfalls auszuschließen. Selbst im Falle des Dorfes um St. Bartholomä spricht mehr für eine Gründung durch die Prämonstratenser denn durch die Ordensritter. 22 Kronstadt bis 1241
Was feststeht, ist, dass es zum Zeitpunkt der Ordenherrschaft im Burzenland keine anderen Ackerbau treibenden Bewohner als die deutschen Siedler gab. Über deren Herkunft haben wir nur indirekte Zeugnisse. Jene, die der Deutsche Orden im Burzenland bereits angetroffen haben wird, dürften in den Siedlungskontext der Flandrenses und Theutonici gehören, die ab Mitte des 12. Jahrhunderts in die sogenannte Hermannstädter Provinz zogen. Die Siedler, mit denen die Ordensritter ihre Neugründungen aufbauten oder die vorgefundenen Orte stärkten, stammten im Wesentlichen aus jenem älteren Siedlungsland, lebten also bereits in zweiter oder gar dritter Generation in Siebenbürgen – spätere Mahnungen des Königs, keine weiteren königlichen Siedler abzuwerben, sprechen eine deutliche Sprache. Denkbar ist natürlich, dass die Ordensritter auch aus dem mitteldeutschen Raum – etwa Thüringen, Hessen, Sachsen – Siedlungsinteressenten anwarben, aber das bleibt alles Spekulation, auch wenn die Sprachforschung diese Überlegung durchaus zulässt. Alle anderen Bevölkerungsgruppen, die sich zur Zeit der Ankunft des Deutschen Ordens im Burzenland und vor allem an dessen bergigen Grenzen aufgehalten haben mochten, waren auf andere Weise Ziel der Ordenspolitik: Petschenegen oder auch Kumanen wurden ohne Frage unmittelbar und mit Zwang missioniert oder vertrieben, die anschließende Integration in ungarische oder auch in deutsche Gemeinden ist denkbar. Die der Ostkirche anhängenden Slawen oder auch die überaus mobilen Vlachen wurden vom Orden in der Regel nicht toleriert, vor allem eine unmittelbar benachbarte Koexistenz konnte aus Sicht von Kreuzrittern kaum in Frage kommen. Aber gerade entlegene Siedlungen oder Gruppen mit mobilen Lebensmodellen werden sich dem Zugriff des Ordens weitgehend entzogen haben. Durchaus denkbar sind für die Ordenszeit auch ungarische Siedler, die im 13. Jahrhundert keineswegs weniger Mobilität zeigten als die deutschen, allerdings auf dem Gebiet des Ordens von Anbeginn nicht die gleichen Rechte wie deutsche Siedler haben sollten. Für seine Orte hatte der Deutsche Orden bereits in der Verleihungsurkunde im Grunde alle jene Freiheiten erhalten, die den Hospites auch andernorts in Ungarn gewährt wurden: unter anderem freie Gerichtsbarkeit, eigene Verwaltung, Nutzung des Bodens, Abhaltung von Märkten. Die Geistlichen wird der Orden selbst eingesetzt haben. Dieser war gegenüber dem König steuerfrei, sein Gegendienst bestand im Schutz der Grenzen, in der Missionierung der Kumanen und der angestrebten Erweiterung des Reiches über die KarCorona entsteht 23
paten hinaus. Die Bewohner des verliehenen Gebiets hingegen schuldeten dem Orden den Zehnten – alles in allem kaum ein Unterschied zu den Verhältnissen in der Hermannstädter Provinz. Der einzige Ort, für den wir vermuten dürfen, dass der Orden ihn als Stadt geplant hatte, dürfte sein Sitz Marienburg gewesen sein – die Lage auf einem erhöhten Plateau über dem Alt lässt sich in ähnlicher Konstellation in Kulm, einer der ersten Ordensgründungen in Preußen, wiederfinden. Die in der Forschung bereits vielfach diskutierte Frage, welche Burgen des Burzenlandes auf den Deutschen Orden zurückgehen, soll hier nicht vertieft werden. Zu viele haben sich darüber bereits den Kopf zerbrochen und sind zu keinem allgemein anerkannten Ergebnis gekommen. Lediglich die vom König 1215 bestätigte Kreuzburg ist namentlich bekannt, aber nicht zuverlässig lokalisierbar. Insgesamt dürfte der Orden auf seinem siebenbürgischen Territorium fünf Burgen errichtet haben, wobei selbst die Definition des Quellen-Begriffs castrum als Höhenburg oder als befestigter Ort in der Burzenebene offen bleiben muss: Neben dem Hauptsitz Marienburg und der Schwarzburg bei Zeiden kommen eine ganze Reihe anderer Stätten sowohl in der Ebene, etwa Tartlau, oder im Gebirge in Frage: so die Rucăr-Burg im Törzburger Pass oder die vermutete Kreuzburg im Tatarenpass. Eine weitere Burg hat offenbar »jenseits des Schneegebirges«, also jenseits der Karpaten gelegen, wie es in einer späteren Urkunde heißt – auch dieses Castrum hat die Phantasie der Forscher nachhaltig angeregt, ohne sie einwandfrei identifizieren zu können. Keines dieser Bauwerke des Ordens lässt sich aufgrund von Urkunden, archäologischen Funden oder der Bauweise eindeutig bestimmen. Letztlich aber ist dies nicht entscheidend. Bedeutend war vielmehr, dass sich die Deutschordensbrüder nicht an die Bestimmungen der Verleihungsurkunde hielten. Statt Holzburgen bauten sie nämlich Steinburgen. Auch sonst übertraten sie die königlichen Bestimmungen und taten sich nicht durch Einfühlungsvermögen in die Gewohnheiten im Königreich Ungarn hervor. Ab etwa 1215 gewannen sie auch in den deutschen Ländern allmählich an Rückhalt, zumal sich der Staufer Friedrich II. auf dem deutschen Königsthron durchgesetzt hatte. Ein Auftrieb auch für die Burzenländer Ritter wäre vor diesem Hintergrund denkbar, ein bestimmteres Auftreten im Land und ein allmähliches Ausgreifen über die Karpaten. Die Abwesenheit König Andreas’ II. während seines Kreuzzugs 1217/18, der ihm den Beinamen »der Jerusalemer« einbrachte, wird dazu beigetragen haben. Überhaupt geriet fast 24 Kronstadt bis 1241
das ganze Königreich in dieser Zeit in Anarchie, und Andreas musste nach seiner Rückkehr für den Zusammenhalt des Reiches kämpfen. Dabei glich seine Politik einem Schlingerkurs. Bereits 1221 scheint er den Deutschen Orden abgestraft und kurzzeitig ausgewiesen zu haben, doch brauchte er ihn 1222 schon wieder. Er bestätigte dem Orden die alten und wichtige neue Rechte, etwa jenes, Steinburgen zu bauen, und er dehnte das Ordensgebiet ins Kumanenland jenseits der Karpaten bis zur Donau hin aus. Schließlich hatte der Orden gerade im Vorjahr, 1221, eine neue Stufe päpstlicher Anerkennung erhalten und wurde den anderen Ritterorden gleichgestellt: Er war künftig von jeder Bischofsgewalt exemt, er war somit papstunmittelbar – ein durchaus unkalkulierbares Risiko für den König. Doch dieser hatte ein anderes handfestes Problem, nämich mit dem einheimischen Adel, der ihm 1222 eine Goldene Bulle, also ein Rechtsdokument höchster Güte, abpresste: Andreas II. musste dem Adel neben Steuerfreiheit, Immunität und anderen Privilegien vor allem das Widerstandsrecht gegen die Krone gewähren, falls dieser sich in seinen Rechten verletzt sah – ein Gesetztesakt, der die ungarische Geschichte über ganze Zeitalter hinweg, bis ins 19. Jahrhundert hinein, prägen sollte und der mit der englischen Magna Charta verglichen wird. Dem zunehmenden Einfluss des Adels, aber auch dem sich immer selbstständiger gerierenden Deutschen Orden versuchte Andreas durch die Stärkung der deutschen Siedler ein Gegengewicht zu verleihen. Er gab dem Ansuchen der Hermannstädter Provinz nach und bestätigte die großteils bereits überkommenen Rechte der Saxones Ende 1224 in einem umfassenden Freibrief – auch dies ein Dokument, das bis ins 19. Jahrhundert eine der rechtlichen Grundlagen der Provinz bildete. Damit sollten die Deutschen zugleich an ihr Gebiet gebunden und eine weitere Abwanderung zum Deutschen Orden unterbunden werden. Des weiteren war für Andreas entscheidend, dass sich jene Gruppe in den späteren Sieben Stühlen, die rund die Hälfte seiner Einkünfte sicherte, nicht mit den deutschen Nachbarn im Osten solidarisierte. Ja, möglicherweise stand die Ausstellung des »Andreanums« sogar in unmittelbarem Zusammenhang mit einem sich anbahnenden Problem: Die Brüder des Deutschen Ordens griffen nämlich immer weiter aus, besetzten offenbar auch Königsland, gaben eroberte Stellungen jenseits der Karpaten nicht heraus, kurz: Sie verhielten sich wie ein Staat im Staate. 1223 hatte Papst Honorius III. das Land des Ordens aus der geistlichen Jurisdiktion anderer Bistümer gelöst und Anfang 1224 direkt Corona entsteht 25
unter den Schutz des Heiligen Stuhles gestellt. Der 1223 hier eingesetzte Dechant wurde mit bischöflichen Rechten ausgestattet – angesichts der zentralen Rolle der Kirche jener Zeit ein klares Zeichen einer angestrebten Loslösung aus dem Reichsverband. Beschwerden und gegenseitige Schuldzuweisungen des Ordens und des Königs gingen an den Papst. Der König hielt dem Orden vor, er verhalte sich wie »ein Brand im Busen, eine Ratte im Ranzen, ein Schlange im Schoß«.1 Der Heilige Vater erließ Mahnschreiben an beide Seiten und an ungarische Bischöfe und setzte eine Untersuchungskommission aus drei Zisterzienseräbten ein. Alles umsonst, Andreas musste sein ohnehin auseinanderdriftendes Reich zusammenhalten. Er griff die Ordensritter in der ersten Jahreshälfte 1225 an, setzte wohl auch einige fest, und vertrieb sie letztlich bis zum Herbst jenes Jahres. Die mit 500 Bewaffneten zum Kriegsdienst im Innern verpflichteten Sachsen der Hermannstädter Provinz mögen hier dabei gewesen sein, so sah es das ihnen gerade verliehene Privileg vor. Der Hochmeister des Ordens, Hermann von Salza, hätte offenbar nach Ungarn kommen sollen, um die Wogen zu glätten. Er ließ sich aber Anfang 1226 vom Papst entschuldigen – für ihn und für den Orden standen ganz offensichtlich wichtige Aufgaben in anderen Ländern an.
Das Zinnental und das neue Komitat Der Deutsche Orden räumte das Burzenland offenbar sehr schnell. Seine Jahre im Osten Ungarns verliefen nicht wirklich erfolgreich, und es winkten bereits die nächsten Herausforderungen. Ihr Hochmeister stand auf der Höhe seines Einflusses bei Papst und Kaiser, er war gerade dabei, die beiden zu versöhnen und einen Kreuzzug Kaiser Friedrichs II. ins Heilige Land vorzubereiten. Das brachte schon Jahre im Vorfeld Aufregung, zumal bei Kreuzrittern. Schon 1220 hatte der Orden ein Territorium im Heiligen Land erworben und trachtete danach, seinen Standort dort auszubauen, ja, dort sein Zentrum zu etablieren. Und fast zeitgleich, ab dem Winter 1225/26, bahnte sich eine ganz andere territoriale Option für die kampferprobten und streitbereiten Ritter des Deutschen Ordens an: Konrad von Masowien berief sie zur Missionierung der heidnischen Prussen an die Ostsee. Diesmal ließ sich der Orden aber Zeit, weil er aus der Erfahrung in Ungarn gelernt hatte – er wollte sein neues Land ohne Einschränkung beherrschen dürfen. Doch 26 Kronstadt bis 1241
entfernen wir uns mit dieser Thematik von unserem historischen Schauplatz. Festzuhalten gilt aber: Das Burzenland im südöstlichen Ungarn war nur einer von mehreren Schauplätzen des Ordens, der zeitgleich in Palästina, an der Ostsee, bald auch auf Zypern und durch seinen rührigen Hochmeister an allen Punkten der maßgeblichen Politik jener Zeit agierte. Wir wissen nicht, wieviele Orte der Orden im Burzenland wirklich angelegt hatte. Er fand sicher schon einige deutsche Siedlungen vor, er ließ weitere anlegen – welche, muss offen bleiben. Weitere Orte mögen gefolgt sein. Das Burzenland war auch ohne Orden gut lebensfähig. Die Orte prosperierten schnell, denn die guten Böden erbrachten bei dem günstigen Klima jenes Jahrhunderts hohe Erträge, weit mehr, als man für den eigenen Bedarf benötigte. So konnte an den begonnenen stattlichen Gotteshäusern weitergebaut werden. Die Geistlichen genossen weiter eine Sonderstellung, denn sie waren es, die 1223 mit einem eigenen Dechanten vom Papst aus der Zuständigkeit des Weißenburger Bischofs gelöst wurden. 1228 wurde das Burzenland dem Kumanenbistum zugeordnet, dessen Schwerpunkt wohl jenseits der Karpaten lag. Dieses war eine verheißungsvolle Missionseinrichtung, die sich des besonderen Schutzes der Krone und des Heiligen Stuhls erfreute, ja der Papst nahm dieses Bistum sogar unter seine unmittelbare Jurisdiktion und stärkte somit die Sonderstellung der Region. Auch im Verzeichnis des Abtes Fridericus von Hamborn kommt das Prämonstratenserkloster Corona als der Diözese Kumanien zugehörig vor. Die Geistlichen des Burzenlandes durften ihren Zehnten jedenfalls ungeschmälert behalten. Diese besonderen kirchlichen Rechte sollten in den kommenden rund eineinhalb Jahrhunderten eine der entscheidenden Grundlagen für den Kampf um die Selbstständigkeit der Gemeinden gegenüber dem benachbarten Adel und dem Komitatsgrafen sein – alle anderen verliehenen Rechte waren an den Deutschen Orden gebunden, den es in Ungarn nun nicht mehr gab. Falls es aber doch einige der Ordensritter, der Ordensgeistlichen, eher noch einige der Laienmitglieder und Angehörigen ihres Gefolges vorgezogen haben sollten, im Burzenland zu bleiben, vielleicht als Anführer und Organisatoren, als »Gräfen« der Siedler, dann ist das zumindest in keiner Weise überliefert. Das Burzenland wurde durch die Krone – entsprechend der allgemeinen administrativen Organisation des Königreichs – zu einem Komitat, zu einer Grafschaft umgestaltet. Lediglich einzelne Gruppen hatten im Reich einen rechtlichen Sonderstatus, etwa die Hermannstädter Corona entsteht 27
Provinz oder die Szekler. Allerdings fehlen uns über die genauen Vorgänge im Burzenland und über deren Zeitpunkt die Quellen. Lediglich aus späteren Angaben können wir folgern, dass wohl bald, vielleicht sogar Hand in Hand mit der Ordensvertreibung, ein königlicher Komitatsgraf eingesetzt wurde. Dieser gehörte in der Regel zum ungarischen Hochadel, lange Zeit etwa waren es Mitglieder der Familie Zsombor aus Nordsiebenbürgen. Das Burzenland dürfte in diesen Jahren in der ungarischen Politik eine gewisse Rolle gespielt haben. Andreas’ Sohn Béla, der noch zu Lebzeiten des Vaters als Thronfolger unter anderem Siebenbürgen regierte, unterhielt rege Verbindungen zu den Kumanen. Einer ihrer Stämme ließ sich christianisieren und in der südlichen Moldau ansiedeln. Von dem 1228 für diese Kumanen eingerichteten Bistum, dem auch das Burzenland angehörte, hörten wir bereits. Béla nahm daraufhin den Titel eines rex Cumaniae an. Am leichtesten war diese Region über die Pässe des Burzenlandes zu erreichen, das somit zu einem neuralgischen Punkt im neuen Machtgefüge wurde und schon deswegen gut organisiert sein musste. Das Komitat wurde in den Quellen Barasu (1252), Brasu (1271) oder Brasso (1327) genannt, gesprochen – soweit rückgeschlossen werden kann – »Brascho«. Dieser Name bezog sich ausdrücklich auf das ganze Burzenland und nicht auf einen Ort. Der königliche Komitatsgraf richtete sich offenbar recht bald seinen Sitz auf dem Gebiet des späteren Kronstadt ein – wahrscheinlich im Bereich des heutigen Martinsberges. Alles, was mit dem Grafensitz zusammenhängt, bleibt jedoch reine Vermutung, wir können nur von späteren Sachverhalten auf diese neu eingerichtete Örtlichkeit schließen. Dieser Standort, relativ geschützt, lag vor allem im Hinblick auf die Kontrolle der Bewegungen in und vor den Pässen zur Moldau und zur Walachei strategisch günstig. Die Kontrolle des Burzenlandes und vor allem eine denkbare Bedrohung aus dem benachbarten Szeklergebiet spielte in den Überlegungen nun nicht mehr eine so große Rolle wie vormals, als das Zentrum in Marienburg lag. Mit dem Sitz des Komitatsgrafen wird etwa die Mautstation in Verbindung gebracht, die direkt unterhalb des Martinsberges an der Talenge, oberhalb der heutigen Langgasse und Mittelgasse bestand: eine Quermauer mit zwei Tordurchfahrten, später »die zwei Porzen« genannt. In diesem Umfeld siedelten sich neue Einwohner an. Für den Anfang müssen wir mit Dienstleuten des Grafen rechnen, doch scheint die Siedlung rasch gewachsen zu sein. Ob der westlich benachbarte Schlossberg, der ursprüngliche »Martinsberg«, auch in den Kontext des Grafensitzes ge28 Kronstadt bis 1241
Blick auf Martinsberger Kirche und Pfarrhaus am angenommenen Standort des Sitzes des Komitatsgrafen (Aufnahme um 1900, hier zu beachten das schindelgedeckte Holzhaus rechts außen als ein Prototyp der historischen Häuser in Innerer Stadt und Vorstädten).
hört, ist mangels Quellen nicht zu sagen. Eine Stadtgründung weiter oben im Zinnental kann es zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegeben haben, sonst wäre ein Zuzug dorthin fraglos attraktiver gewesen. Die Nähe zum Kloster kann für den Komitatsgrafen aber ein weiterer Grund für seine Ortswahl gewesen sein. Wie aber sah es dort oben aus, im Umfeld des Prämonstratenserklosters? Die Nonnen – und Mönche? – und die Laienmitglieder bauten weiter an ihrem Kloster. Die Lage mochte sich nach dem Abzug des Deutschen Ordens für sie etwas entspannt haben. Wahrscheinlich stand bereits – wenn wir uns auf Berechnungen von Gustav Treiber aufgrund der ergrabenen ältesten Fundamente stützen – eine mittelgroße, beiläufig 40 Meter lange Basilika etwa auf der westlichen Hälfte der heutigen Schwarzen Kirche, zwischen Westfront mit Turm und Kirchenmitte. Sie war auf den Tag der heiligen Corona ausgerichtet. Dieses Gotteshaus stand mittig auf der nördlichen Seite eines eingefriedenen Vierecks, das sich bis heute an Straßenverläufen und Parzellengrenzen ablesen lässt: Es war eingefasst vom Rossmarkt im Norden (in der östlichen Hälfte allerdings entlang der Rückfront der späteren Parzellen zum Kirchhof hin verlaufend), vom Breiten Bach im Westen, der Waisenhausgasse im Corona entsteht 29
Süden und einer zwischen Häusern zwar verschwundenen Zeile im Osten, die entlang der Parzellengrenzen aber noch gut erkennbar ist – von der Waisenhausgasse her kommend entlang der östlichen Seite des alten Volksschulgebäudes hin zum Durchgang vom Kirchhof zum Marktplatz (vgl. die Kennzeichnung auf dem Stadtplan). Im Klosterbereich standen zunächst nur einfache Gebäude. Ob ein Kreuzgang angelegt wurde, lässt sich nicht sagen. Gut denkbar wäre – wenn Treiber mit seiner Berechnung des ersten Gotteshauses in der westlichen Hälfte der heutigen Kirche recht hat – eine Klausur zwischen dieser Kirche im Norden und dem Klostergebäude (vielleicht Refektorium?) genau gegenüber im Süden, an der Stelle des heutigen Hauptgebäudes des Gymnasiums. Seitliche Verbindungen würden einen Kreuzgang in den gängigen Maßen ergeben. Das muss aber Theorie bleiben, nur gründliche archäologische Grabungen am Kirchhof könnten hier vielleicht weiterhelfen. Die Prämonstratenser waren bei ihren Klosteranlagen nicht so strikt auf ein festes Grundrissschema festgelegt wie etwa ihr Schwesterorden, die Zisterzienser. Trotzdem findet man hier einige für Klöster charakteristische Erscheinungen. So beobachten wir einen bewusst in den Klosterbereich geleiteten Nebenarm des Graftbaches; er floss noch bis ins 19. Jahrhundert quer über die späteren Parzellen, was für reguläre Besiedlung unüblich wäre. Wir dürfen annehmen, dass der Name Graft (oder Gracht), niederdeutsch für Wasserkanal, auf diese Zeit zurückgeht – es wäre somit der älteste deutsche Geländename in Kronstadt. Weitere Klostergebäude, Werkstätten, Scheunen und Lager, Ställe für das Zugvieh, die Unterkünfte für die Laienbrüder und Laienschwestern kamen hinzu – Prämonstratenser lebten autark. Im Südost-Eck, etwa dort, wo die Graft aus dem Klosterbereich führte, muss das Bad- und Waschhaus vermutet werden – der Stadtplan von 1736 vermerkt den späteren Nachfolger, die obere Badstube, noch recht genau an dieser Stelle. Zumindest ein Teil der Klostergärten ist ebenfalls innerhalb der Umfriedung zu suchen, vermutlich gegenüber der Westfront der Kirche. Dieser rechteckige Klosterbereich, leicht ans Gelände angepasst, war stets jener Bereich, den sich die Siedlungsforschung nicht erklären konnte. Der Rest Kronstadts entstand – den anderen sächsischen oder vielen ostmitteleuropäischen Städten vergleichbar – wie eine Gründungsstadt der Ostsiedlungsbewegung. Aber dieser nach keinem bekannten Schema, ohne erkennbare Parzellenstruktur, in eigenartiger Weise bebaute Bereich blieb in der Stadtgeschichtsforschung stets rätselhaft. Auf der Suche nach Parallelen zu anderen sächsischen Städten 30 Kronstadt bis 1241
führte eine nur scheinbar ovale Anordnung der Häuser im Osten der Schwarzen Kirche auf den Irrweg, einen ovalen Bering um die erste Kirche anzunehmen – dabei ist hier alles aufs Viereck ausgerichtet. Und auf die alte Klosterstruktur geht schließlich auch die ausgesprochene Enge des Kirchhofs zurück – keine andere sächsische Stadt hat so ein beengtes geistliches Zentrum. Und genau das war der erste Klosterbereich der Gründungszeit über die ganzen Jahrhunderte hin: der Ansiedlungsort für alle mit der Kirche zusammenhängenden Institutionen, von späteren neuen Klostergründungen und Stiftungen abgesehen. Wie lange sich die Konturen dieses »geistlichen Vierecks« an den Gassennamen noch ablesen ließen, werden wir später sehen. Aus der Frühzeit, also aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, dürfte sich aber bestenfalls ein Teil des heutigen Stadtpfarrhauses erhalten haben, wobei schwer zu sagen ist, was sich damals hier befunden haben könnte. Neben der Kirche werden um 1234 oder 1235, als Abt Fridericus von Hamborn das Kloster aufsuchte, keine oder ganz wenige Gebäude aus Stein gebaut gewesen sein. Auch die Umfriedung wird als Verhau oder stärkerer Zaun zu sehen sein, der eher der Abwehr wilder Tiere denn echter Verteidigung dienen sollte. Es ist naheliegend, dass sich die Grundherren des Burzenlandes und seiner Umgebung, also der deutsche und ungarische oder auch szeklerische kleine und mittlere Adel, bereits um diese Zeit, also ab 1225 mit Stiftungen am Klosterausbau beteiligten. Auf so eine Stiftung deutet ein Wappenstein im nicht ausgebauten Nordturm der Schwarzen Kirche hin, der aus der Vorgängerkirche übernommen wurde. Aufgrund einer sehr vagen Vermutung wird er dem sächsischen Adligen Fulkun zugeschrieben, der mit seiner Familie im Mongolensturm 1241 ums Leben kam. Das Wappen selbst – ein aus einer Krone wachsender, von rechts mit einem Pfeil durchbohrter Bär – findet sich nachher jedoch jahrhundertelang bei der Familie Kálnoki im benachbarten Szeklerstuhl Sepsi. Gerade für die adligen Eliten war es wichtig und oft auch notwendig, sich durch die Unterstützung von Klöstern in mehrfacher Hinsicht abzusichern: Zum einen bestand das tiefempfundene religiöse Bedürfnis, für sein eigenes Seelenheil nach dem Tode Sorge zu tragen, Messen sollten die Erlösung der Seele befördern, die Strafen für die eigenen Sünden im Jenseits mindern. Doch es waren auch handfeste ökonomische Gründe, die die Wohlhabenden veranlassten, sich bei Klöstern durch Zustiftungen »einzukaufen«, und zwar zur Versorgung und Pflege im Alter oder für die potentielle Aufnahme unverheirateter oder hinterCorona entsteht 31
bliebener Familienangehöriger. Diese Möglichkeit bot lediglich eine Ordensgemeinschaft, kein Familiensitz und keine Pfarrei, auch wenn man selber das Patronatsrecht besaß. Und das einzige bekannte Kloster im gesamten südöstlichen Siebenbürgen war jenes der Prämonstratenser im Zinnental. Vor diesem Hintergrund wird es auch etwas verständlicher, warum wir in den bald folgenden Jahrzehnten an diesem Ort nicht nur vielen sächsischen Gräfen, also den kleinadligen Erbschulzen der Dörfer und Märkte, sondern auch einer ganzen Reihe ungarischer Namen unter den Comites, den Grafen, begegnen – neben der Nähe zum Sitz des Komitatsgrafen von Brascho und der Sicherheit im entlegenen Tal zog sie wohl nicht weniger die seelische und soziale Sicherung durch das Kloster an. Die Nonnen (und Mönche?) von Corona, von den Siedlern um St. Bartholomä und um den Grafensitz wohl schon bald Kron oder Krūnen genannt, dürften um 1240 – also rund vier Jahrzehnte nach ihrer angenommenen Ankunft – in der Region bereits gut bekannt gewesen sein.
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Auf dem Weg zur Autonomie (1241–1377) In diese Zeit eines durchaus verheißungsvollen Aufstiegs fällt eine der größten Katastrophen des Mittelalters in ganz Ostmitteleuropa: der Einfall der Mongolen 1241/42. Das Verhängnis hatte sich schon Jahre vorher angekündigt. Die aus Innerasien erobernd nach Westen vorrückenden Mongolen verdrängten bereits seit 1237 die östlichen Kumanen, eroberten die russischen Fürstentümer und im Herbst 1240 schließlich Kiew. König Béla IV. war eifrig bestrebt, sein Reich gegen die drohende Gefahr zu rüsten: Er ließ die Einfallstore, die Pässe, mit Verhauen verstärken, er nahm fliehende Kumanen in großer Zahl als Verbündete in Ungarn auf, er wies die Großen des Reiches an, sich für den Kriegsfall aufzustellen. Die Heeresmacht und die Brutalität der Mongolen wurden aber allgemein unterschätzt. Béla weigerte sich, die geflohenen Kumanen als ehemalige Untertanen der Mongolen an diese auszuliefern, und die Forderung der Mongolen, sich zu unterwefen, beantwortete er nicht. Mongolische Gesandte wurden Anfang Februar 1241 in Ungarn gedemütigt, ja erschlagen. Dies alles erregte nicht nur den Zorn der die Weltherrschaft beanspruchenden Mongolen. Es lieferte diesen zugleich den willkommenen Anlass zum gezielten Angriff auf das Stephansreich. Er wurde strategisch gut vorbereitet. Ein mongolisches Heer schnitt durch einen Angriff auf Schlesien jede Hilfe von Norden ab. Das Hauptheer und drei weitere mongolische Heere fielen in Ungarn ein. Innerhalb weniger Wochen sollte das ganze Königreich zusammenbrechen: Aus dem unterworfenen Fürstentum Halitsch im Norden Ungarns kommend, drang der Anführer Batu, ein Enkel Dschinghis-Khans, schon Mitte März durch das »Russische Tor« ins Land ein. Ende März zog ein Heer unter Qadan durch den Borgo-Pass auf die sächsische Bergbaustadt Rodenau. Zeitgleich fiel ein weiteres unter Bogutai durch den Ojtuz-Pass ins Burzenland ein, nur wenige Tage später gefolgt von einem weiteren unter Böjek, der durch den Rotenturmpass auf Hermannstadt zog. Die eigentliche Entscheidungsschlacht zwischen den Mongolen unter Batu und dem ungarischen Heer unter König Béla IV. fand am 11. April 1241 bei Mohi am Sajó, einem Zufluss der Theiß, im Norden der Tiefebene statt. Der König konnte sich nach einer vernichtenden Niederlage nur mit Mühe retten, er floh über Österreich und Kroatien schließlich an die dalmatinische Küste. Dem Heer des Bogutai, das ins Burzenland eindrang, stellte sich am 31. März 1241, dem Ostersonntag, ein Aufgebot unter dem siebenbürgiAuf dem Weg zur Autonomie 33
schen Woiwoden Pousa vor dem Ojtuz-Pass entgegen. Die Verteidiger waren den Mongolen jedoch hoffnungslos unterlegen – der Großteil fiel im Kampf, auch der Woiwode und führende Männer des Landes. Die Heerscharen der Mongolen verwüsteten die Umgebung und zogen durchs Alttal Richtung Hermannstadt und Weißenburg weiter. Welche Greueltaten sie im Burzenland konkret verübten, welche Orte sie eingeäschert haben, wissen wir nicht. Die zeitgenössischen Chroniken bleiben ungenau, sie erwähnen die Verwüstung einer Provinz »Burza«, andere die einer Stadt gleichen Namens. Diese Aussage auf eine bestimmte der damals bestehenden Siedlungen auf Kronstädter Gebiet zu beziehen, wäre verwegen. Eine »civitas Burza« könnte – wenn denn wirklich ein Ort damit gemeint war – genausogut Marienburg oder Tartlau gewesen sein, die 1241 durchaus größer gewesen sein mögen als die Kronstadt-Vorläufer und viel leichter einnehmbar waren. Fest steht, dass die Mongolen alles vernichteten, dessen sie ansichtig wurden, Menschen wie menschliche Ansiedlungen. Aus späteren Urkunden wissen wir vom kleinadligen Sachsen Fulkun, der ein Gebiet im Nordosten des Burzenlandes besaß und der mitsamt seiner ganzen Familie im Mongolensturm 1241 umkam. Aufgrund der folgenden Entwicklung Kronstadts können wir vermuten, dass Bartholomä und die Siedlung um den Martinsberg von den Mongolen heimgesucht wurde. Möglicherweise auch das Kloster im Zinnental. Doch über all dies haben wir keinerlei verlässliche Angaben. Die scheinbar gesicherte Information in der Geschichtsschreibung, »Kronstadt« sei im Mongolensturm zerstört worden, ist eine reine Interpretation; sie geht davon aus, dass »Corona« bereits der bedeutendste Ort der Region gewesen sei, den die Mongolen gezielt vernichteten. Wie wir aus den folgenden ein, zwei Jahrhunderten wissen, stritten mehrere Burzenländer Gemeinden – vor allem Marienburg und Zeiden – noch lange um die Vorherrschaft mit Kronstadt, ein klares Zeichen dafür, dass es vor dem Mongolensturm noch keinesfalls eine zentralörtliche Funktion gehabt haben konnte. Nach der Niederwerfung des ungarischen Staatswesens spätestens im Mai 1241 machten die Mongolen Anstalten, sich auf Dauer in Ungarn niederzulassen. Dabei kam die Pannonische Tiefebene ihrem nomadisierenden Lebensmodell entgegen. Sowohl während des Überfalls auf Ungarn wie auch anschließend verübten die Mongolen unvorstellbare Grausamkeiten und systematischen Terror, um jeden Widerstand zu brechen und die bedingungslose Unterwefung zu erreichen. Nur jene, die sich in die Wälder und in die Berge retten konnten, waren zunächst 34 Kronstadt 1241–1377
etwas sicherer, doch die mongolische Bedrohung hielt ein ganzes Jahr an. Dabei wandten die Mongolen immer wieder ihre Taktik eines Scheinrückzugs an, um anschließend die Verfolger oder die den vermeintlichen Sieg Feiernden zu überwältigen und niederzumachen. So sehr der mongolische Überfall auf Ungarn das christliche Europa überrascht und erschüttert hatte, so wenig waren Kaiser Friedrich II., die Fürsten und der Papst in der Lage und Willens, Ungarn zu Hilfe zu eilen. Der gegen die Mongolen ausgerufene Kreuzzug, bei dem wir Bélas Onkel Berthold genauso wieder begegnen wie dem regierenden Landgrafen von Thüringen, brachte es nicht bis nach Ungarn. König Béla IV., Anfang 1242 von den über die zugefrorene Donau setzenden Mongolen gehetzt, erhielt von den europäischen Höfen nichts als »leere Worte, weder Trost noch Hilfe«, wie er noch später klagen sollte. Lediglich ein damals nicht erklärbares fernes Ereignis sollte das Blatt bald wenden: Der Tod des Großkhans in der Mongolei im Dezember 1241 veranlasste die Heerführer – überwiegend Prinzen aus dem Hause Dschinghis Khans, die an der Wahl des neuen Großkhans auch zur Sicherung der eigenen Stellung teilnehmen mussten – im Frühjahr 1242, entlang der Donau über Bulgarien wieder nach Asien abzuziehen. Neben enormer Beute schleppten sie Menschenmassen an Gefangenen mit. Der Alptraum war damit für Ungarn aber noch nicht zu Ende. Es folgte eine nie gesehene Hungersnot, weil die Vorräte an die Mongolen abgegeben werden mussten oder vernichtet waren und die Felder 1241 und 1242 nicht bestellt werden konnten. Es kamen Seuchen hinzu, die die geschwächten Menschen scharenweise hinwegrafften. Von den rund zwei Millionen Einwohnern, die für Ungarn um 1240 geschätzt werden, überlebte nur wenig mehr als die Hälfte den Mongolensturm und seine mittelbaren Folgen. Dabei wurden die Regionen vor den Karpatenpässen in Siebenbürgen in besonderer Weise heimgesucht, also schwerpunktmäßig die sächsischen Siedlungsgebiete. Für das Burzenland können wir jedoch vermuten, dass das mongolische Grauen nur kurz währte: Nach dem Einfall Ende März und dem Wüten Anfang April 1241 wird nicht von Wiederholungen des Schreckens auszugehen sein, wie etwa in der Pannonischen Tiefebene östlich der Donau. Das Heer Bogutais zog im Frühjahr 1241 rasch weiter Richtung Westen, um sich dort mit den anderen Heeren zu vereinigen – die Mongolen nahmen nämlich an, dass Ungarn sehr viel schwerer zu erobern sein würde. Wenn wir uns den raschen Aufstieg Kronstadts in den nun folgenden Jahrzehnten ansehen, so liegt folgende Überlegung nahe: Die UmgeAuf dem Weg zur Autonomie 35
bung der Siedlungen vor dem Zinnental bot ihren Einwohnern die einzige denkbare Übelebenschance angesichts der mongolischen Bedrohung, nämlich die Flucht in die Wälder und in die Berge – dorthin, wohin die berittenen Steppenkrieger nicht folgen und ihre Kampftaktik nicht anwenden konnten. Die wenigsten Orte des Burzenlandes hatten diese Möglichkeit, zudem noch in unmittelbarer Nähe der Wohngebiete. Es spricht also einiges dafür, dass im und vor dem Zinnental verhältnismäßig mehr Menschen überleben konnten, die Siedlungen nach dem Mongolenterror demnach über eine deutlich bessere Ausgangsbasis verfügten als die Orte in der Burzenebene. Zugleich würde die Lage am Fuße der Berge auch künftig mehr Sicherheit versprechen und damit anziehend wirken – die latente Bedrohung durch die Mongolen, die sich auf Dauer als »Goldene Horde« nördlich des Schwarzen Meeres einrichteten, sollte nämlich bestehen bleiben. Das Prämonstratenserkloster im Zinnental sollte im Mongolensturm nicht untergehen, wie in der Literatur durch das wiederholte Abschreiben einer fehlerhaften Annahme immer wieder behauptet wird. Es ist bekannt, dass sich Prämonstratenserkonvente, zumal Nonnenklöster, in ganz Europa den Zisterziensern anschlossen, wenn sie in Notlagen gerieten, wenn sie von ihren eigenen Mutterklöstern ausgestoßen oder durch die Zeitläufte abgetrennt wurden. Diese Situation können wir für die Jahre nach dem Mongolensturm für Siebenbürgen und Ungarn annehmen: Das Prämonstratenserkloster in Hermannstadt verschwand von der Bildfläche, und das der »Zirkarie Ungarn« vorstehende Prämonstratenserkloster in Wardein muss durch die vollständige mongolische Einäscherung der Stadt stark zurückgeworfen, wenn nicht gar zeitweilig unterbrochen worden sein. Auch das Kloster Corona selbst mag Schäden zu verzeichnen gehabt haben. So ist eine Unterstellung unter die Zisterzienserabtei Kerz, die im Burzenland ja bereits vielfältig präsent war, sehr naheliegend. Deren Zuständigkeit für das Nonnenkloster am Kronstädter Kirchhof ist aus dem 14. und 15. Jahrhundert überliefert, der Anfang aber wird bereits ab Mitte des 13. Jahrhunderts zu vermuten sein. Das wiederholte Auftauchen von Zisterziensernonnen an dieser Stelle am Kirchhof belegt jedenfalls, dass die Prämonstratenser keinesfalls verschwunden waren, sondern lediglich einen neuen Ordensrahmen hatten. Der im Sommer 1242 in sein Reich zurückgekehrte König machte sich sofort an den Wiederaufbau des Landes. Er rief Siedler aus ganz Europa nach Ungarn; auch jene, die sich vor den Mongolen nach Un36 Kronstadt 1241–1377
garn geflüchtet hatten, durften bleiben, Slawen, Vlachen, Kumanen, Jassen gehörten dazu. Die Deutschen erhielten über die Binnensiedlung hinaus wieder starken Zuzug aus den deutschen Ländern. Die Klimaverhältnisse waren noch immer sehr vorteilhaft, die Erträge waren gut und ab Mitte des Jahrhunderts konnte ein allmählicher Aufschwung einsetzen. Dieser war auch dringend nötig, denn König Bélas eigentliches Anliegen war die militärische Neuorganisiation des Landes. Gab es vor 1241 nur wenige befestigte Plätze in Ungarn und nahezu keine Steinburgen, so sollte sich dieses nun ändern: Allerorten ließ Béla IV. Steinburgen errichten, die den Menschen im Falle neuer Bedrohung Schutz bieten sollten. Auch auf der Zinne entstand nun eine große Burg, jene, die man mangels überlieferten Namens »Braschovia-Burg« nennt – eine unhistorische Bezeichnung. Die Kronstädter dürften die Befestigung zwischen Zinnensattel und Zinnenspitze schlichtweg Schloss oder großes Schloss genannt haben, wie aus einigen Vermerken rückgeschlossen werden kann. Alle archäologischen Funde im Burgbereich deuten in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts, was sie eindeutig in die Familie der von Béla initiierten Befestigungen verweist.
Die 1933 archäologisch freigelegten Fundamente der St. Leohards-Kapelle innerhalb der früheren Zinnenburg.
Als koordinierende und als Befehlsinstanz muss dabei der Komitatsgraf von Brascho als Vertreter des Königs vor Ort gesehen werden, keinesfalls die benachbarte Siedlergemeinschaft. Der nach 1241 als sicher erkannte Standort wird den Komitatsgrafen zusätzlich veranlasst haben, seine Präsenz hier auszubauen. Doch es war nicht nur dieser oberste Beamte der Region, durch den die Ansiedlung vor dem Zinnental an Bedeutung gewann. Dieser Ort versprach, wie wir oben gesehen haben, auch anderen Siedlern künftig mehr Sicherheit als andere Niederlassungen des Burzenlandes. Der König, das ganze Land rechnete laufend mit Auf dem Weg zur Autonomie 37
der Rückkehr der Mongolen. Nur feste Steinburgen, Wälder und Berge konnten vor dieser Heimsuchung schützen. Der neue Zuzug richtete sich nun allerdings in Richtung des verkehrstechnisch zwar nicht so günstig, dafür aber versteckter, sicherer gelegenen Zinnetals. Zugleich war man von hier im Kriegsfall deutlich näher an der neu entstehenden Zinnenburg. Neben den neu Hinzuziehenden mögen auch Altsiedler aus dem Bereich des Martinsberges und aus dem Dorf um St. Bartholomä ins obere Zinnental gewechselt haben, wie es die Überlieferung will. So erklärt sich nämlich der Begriff »Altstadt«, der in Kronstadt ganz ausdrücklich nicht für das langfristig maßgebliche Stadtzentrum, sondern bis zum 16. Jahrhundert hin für den Stadtteil um den Martinsberg und seitdem zunehmend für Martinsberg und Bartholomä gemeinsam verwendet wurde. In Martinsberg, dem Sitz des Komitatsgrafen von Brascho, müssen sich noch über längere Zeit die zentralen administrativen Einrichtungen der Stadt befunden haben. So wurde, wie Lucas Georg Marienburg noch 1813 berichtet, von einem Haus neben der Martinsberger Schule überliefert, dass es das erste Rathaus der Stadt gewesen sei. Gegenüber dieser Altstadt – die in den verschiedenen Sprachen ausdrücklich so benannt wurde und keinesfalls als »alte Stätte« oder ähnlich verstanden werden kann – entstand die »neue Stadt« ab etwa 1250 im Umfeld des Corona-Klosters. In den vorangegangenen rund fünf Jahrzehnten hatten sich bereits Wege hin zum Kloster ausgebildet. Man erkennt am Straßenverlauf der heutigen Klostergasse und der Purzengasse die alten Wege aus der Altstadt beziehungsweise aus dem Szeklerland über die spätere Blumenau hin zum Klostereingang. Dieser müsste sich an der Nordfront des Klostervierecks befunden haben, wohl unweit der Westfassade und damit beim Eingang der Kirche. Interessanterweise hat Gernot Nussbächer anhand verschiedener Kriterien gerade in dieser Nähe einen »Nullpunkt« für Corona berechnet. Diese Straßen und der Klosterbereich bestimmten nun die unterhalb der Zinne neu entstehenden Siedlungszeilen. Dies deckt sich in frappanter Weise mit den Ergebnissen des Siedlungsforschers Paul Niedermaier. Er sieht in der Nordseite des Rossmarktes, verlängert zum Marktplatz hin, die erste Siedlungszeile von Corona. Bald folgten dieser die Westzeile der Waisenhausgasse und die Westzeile des Marktplatzes. Es handelt sich somit genau um die dem Klosterbereich nördlich und südlich gegenüberliegenden Straßenzüge, schließlich weitere Siedlungsparzellen entlang der zum Klosterbereich führenden Straßen. Der spätere Stadt38 Kronstadt 1241–1377
kern war entstanden, wenn auch noch zweifellos als dörfliche Siedlung mit sehr einfachen, kleinen Holzhäusern, allerdings auf den klar abgesteckten, bis heute im Wesentlichen erhaltenen Parzellen. Die neuere Sozialgeschichtsforschung hat gezeigt, dass die Entwicklung dieses neuen Ortsteils aber keineswegs nur auf dem Gelände der späteren befestigten »Inneren Stadt« erfolgte. Vielmehr zeigen die wertvollen Studien von Maja Philippi, dass sich die Siedler in der Konsequenz des Rückzugs ins Zinnental vielmehr verstärkt nach oben hin, in die spätere Obere Vorstadt orientierten. Konsequent deswegen, weil sie dort versteckter, geschützter waren – näher an der Zinnenburg und näher an den Wäldern und Bergen. Dort lagen auch mehr Anbauflächen und nutzbare Südhänge. Die Straßen südlich und nördlich entlang des Klosterbereichs wurden nach oben, nach Westen, verlängert und trafen sich auf dem »Anger« – eine Bezeichnung, die für einen großen, freien Gemeinplatz steht, nutzbar etwa als Weide fürs Vieh. Somit stand das Kloster mit der Kirche nicht am westlichen oberen Rand der Siedlung, wie man dies restrospektiv immer wahrnimmt, sondern – wenn wir die weitere Ausdehnung auch nach Osten mit berücksichtigen – inmitten des neuen Ortsteils Corona. Die Obere Vorstadt war zunächst keineswegs, wie wir dies seit der Zeit der Reformation her immer wieder hören, ein bulgarisch-rumänischer Stadtteil. Nein sie war genauso besiedelt wie die Innere Stadt, die Altstadt oder Bartholomä, nämlich deutsch mit einem stets präsenten ungarischen Anteil. Noch für das Ende des 15. Jahrhunderts konnte Maja Philippi eine deutsche Mehrheit von etwa drei Fünfteln nachweisen. Über die soziale und sprachliche Separation nach Stadtteilen werden wir später noch hören. Festzuhalten gilt, dass sich Corona ab etwa 1250 zu einer weit ausgedehnten Siedlung zu entwickeln begann, in deren Mitte das alte Klosterrechteck stand. Dessen Terrain sollte sich noch jahrhundertelang an den Gassennamen erkennen lassen, die alle kirchliche Inhalte hatten: Der Rossmarkt hieß bis ins 15. Jahrhundert, genauso wie seine heutige Verlängerung nach Westen, mit großer Wahrscheinlichkeit »Katharinengasse« – womit der Bezug zum Kloster hergestellt war. Der Breite Bach im Westen wahrte die Bezeichnung »Katharinenhof« gar bis ins 19. Jahrhundert. Genauso die Heiligleichnamsgasse, die heutige Waisenhausgasse, die nach der Kirche zum Heiligen Leichnam Christi im hinteren Bereich des Stadtpfarrhofes benannt war – er reichte früher bis zur Waisenhausgasse. Im Osten schließlich hieß die heutige Hirschergasse ebenfalls über die Jahrhunderte hin »Fischmarkt«. Dessen PlatzieAuf dem Weg zur Autonomie 39
rung unmittelbar vor den Toren des Klosters ist naheliegend, da zunächst die Prämonstratenser einen hohen Bedarf an Fisch hatten; im 13. Jahrhundert aßen sie nämlich noch kein Fleisch, nachher aber benötigten die Nonnen wie auch die anderen kirchlichen Einrichtungen bis in die Reformationszeit und teils darüber hinaus reichlich Fisch zur Erfüllung religiöser Speisevorschriften– auch dies also ein nachvollziehbarer kirchlicher Bezug. Was aber passierte nach etwa 1250 im Klosterbereich? Für mehr als ein Jahrhundert verfügen wir nur über wenige Indizien und können Rückschlüsse ziehen, unmittelbare Belege fehlen jedoch. Auf eine zunehmende Rolle der Zisterzienser etwa deuten zwei Umstände hin: In einem zweiten Kirchenbau oder vielleicht besser Erweiterungsbau der Corona-Kirche in der östlichen Hälfte der heutigen Schwarzen Kirche – also etwa zwischen Südvorhalle und Chor – erkennt Gustav Treiber aufgrund der ergrabenen Fundamentreste zisterziensischen Einfluss. So wäre es gut denkbar, dass die Bauhütte der Kerzer Abtei ähnlich anderen Kirchen des Burzenlandes schon bald nach dem Mongolensturm auch hier tätig wurde. Die Kirche, die dabei entstand, hatte ähnliche Ausmaße wie die Kerzer Abteikirche. Nicht ganz auszuschließen ist jedoch auch ein Bau dieser großen Kirche bereits vor dem Mongolensturm. Die Größe spricht jedenfalls dafür, dass es sich hier tatsächlich um eine Klosterkirche handelte. Im oberen Zinnental bestand nämlich noch keine ausreichend große Siedlung, deren Bewohner einen Kirchenbau dieser Größe zuzüglich mehrerer Kapellen in unmittelbarer Nachbarschaft hätten errichten können. Für eine zunehmende Rolle der Zisterzienser im Kronstädter Klosterhof spricht auch der Wechsel des Patroziniums: Mit der geistlichen Betreuung und der Integration der Prämonstratenserinnen dürfte ein Wechsel von der Heiligen Corona zur Muttergottes stattgefunden haben: Die Zisterzienser richteten ausschließlich Marienpatrozinien ein. Wann dieser Wandel anzusetzen ist, muss offen bleiben. Er ist in der Folge einer weiteren Schwächung des Klosters durch die Mongoleneinfälle 1278 oder 1285 gut vorstellbar. Dabei dürften sich die verbliebenen Nonnen auch in jenen Teilbereich zurückgezogen haben, der langfristig Katharinenhof heißen sollte. Er umfasste das Kloster an der Stelle des heutigen Hauptgebäudes (B) des Gymnasiums, die Katharinenkapelle westlich anschließend an der Stelle des späteren Predigerhauses (heutiges C-Gebäude) und das Terrain dahinter bis zu Waisenhausgasse und Breitem Bach. Das Katharinen kloster, das seinen Namen nach der der Heiligen Katharina geweihten 40 Kronstadt 1241–1377
Kapelle erhielt, sollte bis ins 16. Jahrhundert hinein seinen Platz im Herzen der Stadt behalten. Die Kapelle wurde – wie spärliche Fundamentfunde vermuten lassen – sehr wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts gebaut und könnte eine Stiftungskapelle gewesen sein. Eine bildliche Darstellung des turmlosen gotischen Kirchenbaus wird im Marienfresko in der Südvorhalle der Schwarzen Kirche vermutet, wo die Heilige Katharina zur Rechten Mariens sitzt und die ihr geweihte Kapelle mit einem Teil der Stadt zu sehen ist. Das Katharinenkloster wirkt nicht nur mit der Katharinengasse, sondern auch mit dem Katharinentor zur Oberen Vorstadt hin, das direkt oberhalb des Klosterbereichs entstand, bis heute nach. Kapellen im näheren Umfeld einer Hauptkirche waren nichts Ungewöhnliches, eher die Regel. Im Nordosten der Schwarzen Kirche – noch innerhalb des alten Klosterhofs Darstellung der Hl. Katharina und, im Hintergrund, der Kronstädter Katharinenkapelle (Ausschnitt aus dem Marienfresko in der Südvorhalle der Schwarzen Kirche).
oder genau an dessen Begrenzung – stand die Laurentiuskapelle, von der bis ins 18. Jahrhundert Reste gesehen werden konnten. Wer aber war in der Lage, das Kloster und seine große Kirche, schließlich weitere Kapellen zu erhalten? Es wird noch lange dauern, bis wir die ersten Kronstädter namentlich kennenlernen. Wir sind zunächst auf Rückschlüsse angewiesen, die jedoch im Allgemeinen ein anschauliches Bild ergeben. Dabei stellen wir gleich zu Beginn einen wesentlichen Unterschied zu dem sächsischen Siedlungsgebiet der Hermannstädter Provinz fest. Nach dem Abzug des Deutschen Ordens wurde das Burzenland ein reguläres Komitat unter einem vom König eingesetzten Comes, einem Komitatsgrafen. Diesem Komitat fiel, wie wir gesehen haben, als sicherer Ausgangspunkt zum Kumanenbistum, ja zum Kumanenkönigreich Bélas IV. auch eine gewisse Bedeutung zu. Der Komitatsgraf, zeitweilig der gleiche wie der in Bistritz eingesetzte, Auf dem Weg zur Autonomie 41
brauchte eine nicht geringe Zahl an Dienstleuten und Beamten, die ihn vertraten, das Komitat verwalteten und es verteidigten. Dieses Gefolge bestand aus ungarischem Klein- und mittlerem Adel und aus Dienstmannen, die allmählich in privilegierte Stellungen aufrückten. Diese müssen überwiegend im Umfeld des Grafensitzes gesucht werden, also in den verschiedenen Siedlungen im und vor dem Zinnental. Wenn wir bei der Anlage der Siedlung um das Corona-Kloster Planmäßigkeit annehmen wollen, so käme in erster Linie der Komitatsgraf als Initiator in Frage. Zu den ungarischen Komitatsbeamten und Adligen, deren Namen uns noch im 14. Jahrhundert unter den Kronstädtern begegnen sollen, kam bald auch der sächsische Landadel hinzu. Das waren die »Gräfen«, also die Erbschulzen der umliegenden deutschen Gemeinden, und andere Grundbesitzer. Ob die Gräfen auf die Lokatoren der Deutschordenszeit oder auf die Jahre der Siedlungsergänzung nach dem Mongolensturm zurückgingen, ist nicht zu sagen. Zu Erhebungen von Burzenländer Sachsen in den Adelsstand kam es jedenfalls auch nach den kriegerischen Auseinandersetzungen von 1262–1265 zwischen König Béla IV. und seinem Sohn, Juniorkönig Stefan IV. Dieser verschanzte sich mit seinen Anhängern im Burzenland mit dem Zentrum in der Schwarzburg bei Zeiden. Treue Unterstützer belohnte er später durch Privilegierungen und durch Gütervergabe. Alle diese Comites – die meisten frühen Namen werden mit ComesTitel genannt – hielten sich oft in Kronstadt auf oder hatten hier einen Hof. Die besondere Attraktion des Ortes bestand somit in der Nähe zur politischen Macht, in der Nähe zum Kloster, das – wie weiter oben skizziert – selber darauf angewiesen war, Wohlhabenden soziale Dienste und Entlastungen im Jenseits anzubieten, schließlich in der Nähe zur Sicherheit versprechenden Zinnenburg. Die Konzentration einer größeren Zahl an Comites, Gräfen, Adligen verschiedener Stufen sowie von Burzenländer Grundbesitzern ausgerechnet unter der Zinne macht schließlich leichter verständlich, warum hier nahezu zeitgleich zwei größere Kirchenbauten entstehen konnten: Einerseits die Klosterkirche in Corona, deren Größe nur durch Zustiftungen der Adelsfamilien zu erklären ist – Reichtum gründete sich in Siebenbürgen im 13. und beginnenden 14. Jahrhundert noch auf Grundbesitz und nicht auf Handel. Andererseits die Pfarrkirche St. Bartholomä, die nach einer angenommenen Zerstörung 1241 schließlich um 1260 in den heutigen Ausmaßen von der ebenfalls prosperierenden Landbevölkerung errichtet wurde. Deren Siedlung dehnte sich einst weiter nach Norden in die Ebene, so 42 Kronstadt 1241–1377
Die St. Bartholomäus-Kirche (Aufnahme vom Gesprengberg um 1900).
dass die Kirche – wie in anderen Gründungsorten auch – in der Mitte und nicht am Siedlungsrand zu stehen kam. Die Aufbauleistung an diesen Kirchen und an verschiedenen Kapellen ist um so erstaunlicher, als zeitgleich ab etwa 1250 der Bau der gemauerten Zinnenburg stattgefunden hat. Sie hatte mit etwa 2,3 Hektar einen außergewöhnlich großen Umfang und zeigt deutlich, dass es sich um eine Fliehburg für eine große Bevölkerung gehandelt haben muss. Allerdings weist die Größe der Burg zugleich darauf hin, dass ihre Errichtung ohne Frage eine Angelegenheit des Komitats war, bei der der Komitatsgraf die treibende Kraft darstellte und der die Burzenländer Gemeinden wohl zu Hilfsleistungen verpflichtet haben muss. Die Burg war mit zahlreichen, teils sicher auch erst später errichteten Wohn- und Lagergebäuden versehen und wurde gewiss von einer zumindest kleinen Besatzung dauerhaft bewohnt. Auch Vorräte mussten hier untergebracht werden – alles in allem von Konzept und Aussehen her also der Rosenauer Burg vergleichbar. Denkbar wäre, dass Komitatsbeamte dort ihr Domizil hatten, doch lässt sich dies lediglich aufgrund von Rückschlüssen von anderen Burgen vermuten. Eines der ersten Gebäude in der Burg muss – wie das romanische Baukonzept zeigt – die LeonAuf dem Weg zur Autonomie 43
hardskapelle gewesen sein, die über einem kenntnisreich eingerichteten Brunnen errichtet wurde. Eine zweite, eher kleine steinerne Burganlage können wir für die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts auf dem Gesprengberg oberhalb der Bartholomäuskirche vermuten, zumindest ließe dies die Interpretation von Alfred Prox aufgrund seiner Grabungen in den 1930er Jahren zu. Allerdings erfahren wir erst rund 150 Jahre später zuverlässig etwas über deren Existenz. Über die unmittelbaren Auswirkungen der neuerlichen Mongoleneinfälle im Burzenland 1278 und 1285 wissen wir abermals nichts Konkretes. Ungarn war nun im Allgemeinen viel besser gerüstet als 1241, das Verteidigungskonzept König Bélas IV. war aufgegangen. Die Mongolen – oder Tataren (Tartaren), wie sie nach einem verbündeten Volk landläufig genannt wurden – richteten zwar abermals schreckliches Unheil an, aber es war auch nicht ansatzweise mit dem vernichtenden Feldzug von 1241 zu vergleichen. So müssen wir auch für Kronstadt zwar Zerstörungen annehmen, die Einwohner aber werden sich größtenteils gerettet und ihren Ort rasch wieder aufgebaut haben. Allerdings steht zu vermuten – wie bereits Paul Binder annahm –, dass als Folge einer dieser Einfälle das Kloster in Corona seine herausgehobene Position verlor. Entweder durch Zerstörungen der Gebäude und des Besitzes oder durch hohe Opfer im Konvent muss es in den Jahren vor oder um 1300 zu einem nachhaltigen Wandel gekommen sein: Das Kloster verlor seine Bedeutung, jene der Siedlung nahm hingegen zu. Die verbliebenen Konventsmitglieder zogen sich in den Katharinenhof, also in das südwestliche Viertel des alten Klosterbereichs zurück, die große Kirche wurde zur Pfarrkirche der neuen Gemeinde Corona. Ob dieser Prozess von Konflikten und Abmachungen begleitet war, kann nicht gesagt werden, er mag sich auch aufgrund nackter Tatsachen ergeben haben. In Corona hatten künftig jedenfalls die begüterten Familien das Sagen – ob nun Dienstadel oder Landadel, und wo dieser auch gelebt haben mochte, in der Zinnenburg, nahe des Grafensitzes unter dem Martinsberg oder in Corona. Die Entwicklung zur Stadt sollte nun mit Riesenschritten voranschreiten. Ob Corona oder der Grafensitz, auf den sich 1288 wohl erstmals »Brasso« als Ortsangabe bezog, über einen besonderen rechtlichen Status verfügten, wissen wir angesichts des Verlustes geschriebener Quellen nicht. Die deutschen Gemeinden des Burzenlandes behielten jedenfalls auch nach dem Abzug des Deutschen Ordens ihre politische Freiheit, also ihre Hospites-Rechte. In einer königlichen Urkunde von 44 Kronstadt 1241–1377
1252 werden sie »Saxones de Barasu« genannt, womit das von Deutschen bewohnte Burzenland als Territorium gemeint war. Wir dürfen annehmen, dass jene deutschen oder überhaupt mittel- und westeuropäischen Siedler, die nach dem Mongolensturm im Burzenland und auch in den Kronstädter Ortsteilen angesiedelt wurden, ebenfalls die üblichen Siedlerrechte besaßen – sonst hätten sie schwerlich angeworben werden können. Auch in kirchlicher Hinsicht hatte sich die überaus vorteilhafte Ausstattung des Burzenlandes aus der Ordenszeit verteidigen lassen, und diese erst definierte den Siedlerverband langfristig: Nach dem Untergang des Kumanenbistums – dem auch das Burzenland angehört hatte – durch die Mongoleneinfälle, vermochte die Burzenländer Geistlichkeit unter einem aus den eigenen Reihen gewählten Dechanten ihre Unabhängigkeit vom siebenbürgischen Bischof in Weißenburg zu wahren. Sie blieben letztlich direkt dem Erzbistum Gran unterstellt, genauso wie das älteste Siedlungsgebiet der Hermannstädter Provinz. Der Burzenländer Dechant konnte angesichts der großen Entfernung nach Gran in Zentralungarn, nordwestlich Ofen, fast wie ein Bischof auftreten. Und die Burzenländer Pfarrer wussten ihre Rechte, vor allem das auf den vollen Kirchenzehnten, gegenüber versuchten Übergriffen vehement zu verteidigen. Vor allem der Komitatsgraf und seine Vertreter, die für die militärische Sicherung des Burzenlandes immer wieder Geldmittel benötigten, griffen wiederholt auf den Kirchenzehnten zu. Dabei aber zeigte sich eine erstaunliche Solidarität der politischen Gemeinden mit ihren Geistlichen, denn die Wahrung dieses besonderen Rechts muss als Verteidigung der Burzenländer Gemeinschaft schlechthin gegolten haben. Innerhalb des Burzenländer Dekanats oder Kapitels, wie es später heißen sollte, nahm Marienburg am Alt eine herausgehobene Position ein, ein Hinweis auf den früheren Deutschordenssitz. Wo der Pleban, also der weltgeistliche Inhaber der Pfarrstelle von Kronstadt zunächst seinen Sitz hatte, ob es im 13. Jahrhundert etwa an St. Bartholomä war, lässt sich nicht sagen. Wir können die Kronstädter Plebane erst ab 1336 verfolgen, und für diese Zeit dürfen wir sie mit Sicherheit an der großen Kirche in Corona ansiedeln. Neben dem Pleban ist von einer steigenden Zahl an Kaplänen und anderen Hilfsgeistlichen auszugehen. Der erste namentlich bekannte Kronstädter Pleban, Michael, führt uns gleich mitten in die Geschichte eines lebendigen, aufstrebenden Gemeinwesens, in dem es natürlich auch vielerlei Konflikte gab. Und sein Fall zeigt uns zugleich, dass die mächtigen weltlichen Herren Auf dem Weg zur Autonomie 45
durchaus in kirchliche Belange eingriffen, um diese nach ihren Vorstellungen zu gestalten, ein weiterer Hinweis auf den anzunehmenden grundlegenden Wandel der Kirchenverhältnisse um 1300 in Kronstadt. In der Urkunde des Graner Erzbischofs von 1336 heißt es:
»Nicht nur, dass diese weltlichen Personen die Kirche nicht besuchen (…), sondern [mit ihrem] gottlosen Verhalten halten sie die Andächtigen ab und stören den Gottesdienst. (…) [Sie] verfolgen die Geistlichen, schlagen sie nieder, verletzen sie, nehmen sie gefangen und behandeln sie wie Räuber, (…) ja, sie dringen in ihre Häuser ein, besetzen sie und berauben sie ihrer Güter, nehmen diese mit Gewalt in Besitz und zerstreuen sie.« 2
Diese Situationsbeschreibung galt fürs Burzenland wie für die zum Erzbistum Gran gehörenden Kapitel der Hermannstädter Provinz. Die Spannungen zwischen weltlicher Macht und Geistlichkeit, bei denen es meist um Fragen der Gerichtsbarkeit und um Finanzquellen ging, sollten langfristig prägend bleiben. Sie nahmen in Kronstadt meist nur dann ab, wenn die politische Obrigkeit einen eigenen Vertreter als Pleban einzusetzen vermochte. Die Konflikte, die sich in der Urkunde von 1336 niederschlugen, können durchaus im Kontext des neuerlichen Tatareneinfalls im Vorjahr gesehen werden: Die Verheerungen scheinen Kronstadt diesmal besonders hart getroffen zu haben, selbst die spätere Wandchronik in der großen Pfarrkirche verzeichnete dieses Ereignis. Die Verteilungskämpfe beim Wiederaufbau der Stadt mögen auch den Konflikt zwischen geistlicher und weltlicher Macht zugespitzt haben.
Corona wird zur Stadt In den vorausgeganenen rund fünf Jahrzehnten – zwischen den Mongoleneinfällen des ausgehenden 13. Jahrhunderts und jenem von 1335 – hatte sich der Ort rasant in Richtung einer Stadt entwickelt. Dabei glich die hohe Konzentration an wohlhabenden Comites die mindere rechtliche Ausstattung des Ortes aus: Sie waren sich ihrer Stellung bewusst, ihre Familien waren teilweise verschwägert und im ganzen Burzenland begütert, sie wollten ihren Besitz wahren und ausbauen, vor allem aber wollten sie sich nicht von anderen in ihre Angelegenheiten hineinreden lassen. Der vom König von auswärts eingesetzte Komitatsgraf – oft in Personalunion zugleich Szeklergraf, also vom König eingesetzter obers46 Kronstadt 1241–1377
ter Richter und Heerführer des Standes der Szekler – wurde zunehmend zum Gegner. Die sich gerade herausbildende selbstbewusste Oberschicht von Kronstadt, die Cives oder Bürger, stellten die Kompetenzen des Königsgrafen bei Gericht in Frage, sie wollten die vielfältigen königlichen Nutzungsrechte – Wälder, Teiche, Mühlen – selbst wahrnehmen, sie wollten ihren Grundbesitz ausweiten. In dieser Oberschicht, aus der sicher schon um 1300 oder früher Einzelne als Vertreter der Gemeinschaft gewählt wurden, selbst wenn wir von ihnen erst um 1350 erfahren, in dieser Oberschicht setzte sich im 14. Jahrhundert das sächsische Element durch. Das mag einerseits an der zahlenmäßigen Überlegenheit gelegen haben, aber auch an der deutlich besseren Rechtsausstattung der deutschen Siedler. Es war für ursprünglich ungarischen Klein- und Beamtenadel vorteilhafter, sich auf die Seite der Saxones zu schlagen, die über freie Richter- und Pfarrerwahl verfügten, klare Steuer- und Militärpflichten besaßen – im Grunde genommen eine Art kollektiven Adel darstellten, jedenfalls deren Oberschicht. Das Beispiel Hermannstadts, aber auch anderer deutscher Städte, die seit 1224 über eine gesicherte Rechtsgrundlage verfügten, konnte die Vorteile sächsischen Rechts anschaulich vor Augen führen. Unter dem neuen ungarischen Königshaus der Angevinen vermochte man die Gunst der Stunde zu nutzen. Zwar wurde Karl I. Robert von Anjou bereits 1307 zum König von Ungarn gewählt, doch dauerte es sehr lange, bis er sich gegen die mächtigen Adelsgeschlechter des Landes durchgesetzt hatte. Diese hatten sich zumal Siebenbürgen fast wie Privatbesitz aufgeteilt, und auch das Burzenland war fest in der Hand der ungarischen Oligarchen. Hier im äußersten Osten des Reiches dauerte es mit am längsten, bis die Widersacher Karl Roberts aufgaben: 1331 starb der letzte, der widerstrebende Komitatsgraf Salomo auf der Schwarzburg. Diese Schwächung der großen Adelsfamilien brachte auch dem Burzenland merkliche Entlastung. Und Karl Roberts Interesse für das Städtewesen, das sicher auch auf seinem teilweise italienischen Hintergrund fußte und das er als Gegengewicht zum Adel nachdrücklich zu stärken bestrebt war, brachte Kronstadt die ersten Stadtprivilegien. Wann diese erteilt wurden, ist unbekannt, da sie kriegsbedingt verlorengingen – möglicherweise während des verheerenden Tatareneinfalls von 1335. Erst bei der Erneuerung rund zwei Jahrzehnte später sollte auf diese ersten Stadturkunden Bezug genommen werden. Kronstadt hatte also in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts tatsächlich städtischen Charakter erlangt. Auf dem Weg zur Autonomie 47
Auf diese Bedeutungszunahme und vor allem auf die Urbanisierung des Ortes deutet auch die Errichtung eines Klosters der Dominikaner, also eines ausdrücklich städtischen Ordens. Dieser erste mittelalterliche Bettelorden, der auf die Unterstützung durch eine größere Siedlung angewiesen war und sich der städtischen Seelsorge verschrieben hatte, war schon vor dem Mongolensturm in Siebenbürgen präsent und besaß um 1300 Niederlassungen in einer Vielzahl größerer Orte des Landes. Nach Kronstadt aber kam dieser Orden erst relativ spät: 1323 traf sich das Generalkapitel der Dominikaner in Barcelona und beschloss dort, in Kronstadt einen Konvent zu gründen. Die Errichtung des Klosters St. Peter und Paul muss relativ rasch erfolgt sein, denn schon 1327 empfahl es der Papst dem amtierenden Komitatsgrafen zum Schutz. Die Dominikaner ließen sich im Allgemeinen in geringer Distanz zu den jeweiligen Orten nieder, zu beobachten etwa in Hermannstadt, Mühlbach oder Klausenburg. So war es auch in Kronstadt: Etwas außerhalb des um 1330 besiedelten Bereichs platzierten sie ihr Kloster an jene Straße, die die Altstadt mit dem neuen Stadtkern verband – an die später nach dieser Anlage benannte Klostergasse. Dadurch waren sie nahe an den wohlhabenden Bürgern von Corona, auf deren Förderung sie angewiesen waren, aber auch in leichter Erreichbarkeit der talabwärts gelegenen Stadtteile. Das Kloster wurde schon bald mit reichen Stiftungen Kronstädter Bürger ausgestattet. Der Name Corona (oder auf deutsch Kron, Kronen, Krūnen) schien sich um diese Zeit bereits auf alle Siedlungsteile des Zinnentals ausgedehnt zu haben während Brascho (in seinen verschiedenen Erscheinungsformen) in seinem Bezug noch zwischen dem Burzenland und Kronstadt schwankte. An dieser Stelle könnten wir einen Blick auf das Aussehen der Stadt bei der Ankunft der Dominikaner um 1330 werfen, zu einer Zeit also, als sich absehen ließ, dass dieser Ort eine urbane, von den Nachbarorten verschiedene Entwicklung nehmen würde. Die äußere Gestalt Kronstadts war bereits zu diesem Zeitpunkt die einer weitflächigen, unzusammenhängenden Siedlung, die in keiner Weise als Ganzes befestigt und gesichert werden konnte. Neben dem wohl auf die BartholomäusKirche ausgerichteten Straßendorf, das noch weiter nach Norden reichte, folgte knapp eineinhalb Kilometer talaufwärts die »Altstadt« unterhalb des Martinsberges. Deren Begrenzung ist schwer auszumachen, sie dürfte oberhalb der Kreuzgasse anzusetzen sein und reichte bis zum kleinen Platz beim Zusammentreffen von Langgasse und Mittelgasse; oberhalb davon befand sich bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts das 48 Kronstadt 1241–1377
schon erwähnte doppelte Straßentor. Weiter talaufwärts kam man zunächst zur Baustelle des Dominikanerklosters und nach weiteren etwa 50 Metern zum Eingang des Siedlunsgkerns der späteren Inneren Stadt. Dieser reichte, vom Marktplatz her gesehen, etwa bis hinter den Rosenanger. Die Siedlung war wahrscheinlich mit einer Begrenzung – Wall und Palisaden – versehen. Der Rosenanger, ein gemeinschaftlich genutzter Weideplatz fürs Vieh, der Kühmarkt und vielleicht auch der Ansatz des Kotzenmarktes dürften somit bereits innerhalb der Siedlung gelegen haben. Im Stadtkern war die Kornzeile neu hinzugekommen, wodurch ein großer Marktplatz in Form eines spitzen Dreiecks entstand, im Westen begrenzt von großer Stadtkirche und Laurentiuskapelle – der alte Klosterhof, nun offenbar als Ganzes Katharinenhof genannt, verfügte über irgend eine Art von Abgrenzung, wenn wir von späteren Mauern und Torzugängen rückschließen dürfen. Die östliche Zeile des Marktplatzes wurde verlängert und bildete den Ansatz der Purzengasse. Im weiteren Vorfeld der Purzengasse, am späteren unteren Ende der Spitalsgasse, dürfte bereits um diese Zeit noch auf freiem Feld das erste Spital angelegt worden sein – zwar auf Distanz, aber in guter Erreichbarkeit etwa vom Katharinenhof. Beim Spitalshof, der neben Kranken auch Bedürftige, Alte und Reisende beherbergte, stand eine Antoniuskapelle. Zu vermuten ist, dass sich das Franziskanerkloster, von dem später noch die Rede sein wird, ebenfalls in Verlängerung dieser Straße in Richtung Blumenau befand; wann es errichtet wurde, ist unbekannt, wohl aber nicht vor jenem der Dominikaner. Ob zwischen der Kernsiedlung und ihrer Fortsetzung im oberen Zinnental auch eine Absperrung bestand, ist offen. Die Siedlung dürfte hier bis in die Nähe des Angers gereicht haben. Von ganz wenigen Ausnahmen gotischer Steinhäuser abgesehen, die wir für die reichsten Einwohner annehmen dürfen, unterschieden sich die Höfe äußerlich nicht von jenen der anderen Burzenländer Orte. Diese Siedlungsstruktur offenbart nicht nur ein ganz anderes Entstehungsmuster als es etwa Hermannstadt, Mühlbach oder Mediasch aufweisen, wo später der gesamte Ort umwehrt werden konnte. Sie weist zugleich auf einen großen Bevölkerungsreichtum hin und erklärt die Notwendigkeit der außergewöhnlichen Größe der Zinnenburg: Sie musste einer der größten Ortspopulationen Siebenbürgens Sicherheit bieten können. Ob König Karl I. Robert Kronstadt jemals besucht hat, ist urkundlich nicht überliefert, denkbar wäre dies jedoch im Zusammenhang mit seinen Kämpfen gegen den Woiwoden der Walachei. Südlich der KarpaAuf dem Weg zur Autonomie 49
ten hatte sich nämlich in den vorausgegangenen Jahrzehnten, vor allem während der fast schon anarchischen Zustände in Ungarn um 1300, allmählich eine neue politische Macht herausgebildet. Verbliebene Kumanen, hinzuziehende Vlachen und andere Volkssplitter nutzten das Machtvakuum zwischen der Goldenen Horde, also dem europäischen Teilreich der Mongolen, und Ungarn zu einer eigenen Herrschaftsbildung. Die Könige aus dem Hause Anjou waren schließlich bestrebt, die entstehende »Walachei« als Grenzmark zum Schutze Ungarns der eigenen Herrschaft einzugliedern. Ein ähnlicher Prozess erfolgte schließlich auch in der Moldau, wesentlich angestoßen durch die ungarische Krone. Von diesen Kämpfen in der Nachbarschaft wie längerfristig auch von den weiteren Kriegen jenseits der Karpaten sollte Kronstadt nachhaltig profitieren. Einerseits bot sich die Stadt den Königen Ungarns als stets zuverlässigen Partner und als zahlkräftige Stütze an. Sie lag an einem für die Militärstrategie neuralgischen Punkt vor mehreren Pässen. Der Dank der Krone waren der sukzessive Ausbau städtischer Rechte und die Einschränkung der Befugnisse all jener, die der Stadt im Wege standen. Andererseits wurde die Stadt bald auch zu einer wichtigen Waffenschmiede und zum Nachschublieferanten für Kriegsbedarf, was wiederum die Einnahmen vermehrte. Und schließlich vermochte die Stadt ihre Trümpfe zugunsten ihrer Kaufmannschaft einzusetzen, was langfristigen Reichtum bedeutete. Diese schon im frühen Stadtwerdungsprozess im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts erkannte günstige Position sollte Kronstadt für sich selbst und für das Burzenland über fast drei Jahrhunderte hin intensiv nutzen und dadurch die bis heute prägenden Strukturen schaffen. Als König Ludwig I. 1342 seine Regierung antrat, konnte er auf die umsichtige und solide Finanz- und Steuerpolitik, auf die neue Wehrstruktur und die Bündnisse seines Vaters aufbauen. Im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen mit der Goldenen Horde in der Moldau, die er zugunsten eines Vasallenwoiwodats zurückdrängen wollte, lernte er 1344 erstmals auch Kronstadt kennen. Ludwig setzte die gezielte Städteförderung seines Vaters fort – es gibt keine siebenbürgische Stadt, die während seiner Regentschaft nicht wichtige Impulse erfahren hätte. Kronstadt jedoch glückte während der vierzigjährigen Regierungszeit Ludwigs I., von der Nachwelt bald »der Große« genannt, der Durchbruch zu einem praktisch autonomen Gemeinwesen, zu einem für die siebenbürgische Geschichte maßgeblichen Machtfaktor. So stellte König Ludwig der Stadt im Jahre 1353 jene Urkunde aus, die als erstes 50 Kronstadt 1241–1377
großes Stadtprivileg angesehen wird. Dabei wird Brassow in einem doppeldeutigen Sinne benutzt, nämlich so, dass es in erster Linie auf die Stadt selbst, aber auch auf das gesamte Burzenland bezogen werden kann. Diese Zweideutigkeit mag der allmählichen Eingrenzung des ursprünglich weit gefassten Begriffs Brascho auf die Stadt, die die Oberherrschaft über das Burzenland an sich zu bringen bestrebt war, Vorschub geleistet haben. Die Urkunde nimmt jedenfalls ausdrücklich Bezug auf ältere Rechte. Weil die Kronstädter »der heiligen königlichen Krone die Treue unverletzt bewahrt haben und auch in Zukunft bewahren werden«3, bestätigte der König den »Bürgern und Einwohnern von Brassow« das Recht zur Wahl eines Richters oder eines Landgrafen (comes terrestris) – die Rolle des Stadtrichters als Leiter der ganzen Provinz war darin schon angedeutet. Schließlich gestattete der König den Bürgern und Einwohnern die gemeinsame Nutzung der Wälder, Gewässer und Fischteiche. Unter den Pflichten wird die zu entrichtende jährliche Steuer von 150 Silbermark nach Hermannstädter Gewicht und die Heeresfolge genannt: Bei einem Feldzug des Königs Richtung Osten mussten alle Bürger zu Pferd oder zu Fuß auf eigene Kosten in den Krieg ziehen, Richtung Westen mussten die Kronstädter 50 Lanzenträger stellen – alles in allem eine ähnliche rechtliche Regelung für das Burzenland wie sie das Andreanum von 1224 für die Hermannstädter Provinz bildete. Dieses erste große Privileg für Stadt und Distrikt Kronstadt – man sprach inzwischen vom »Stuhl« oder »Distrikt« Brascho – hatte der Kronstädter Hann, also der Stadtschaffner, comes Jacobus erwirkt. Dieser Jacobus gehörte zu jener Oberschicht, die sich aus deutschen und ungarischen Comites gebildet hatte; der Name seines Großvaters Sandur weist in diesem Falle auf ungarischen Hintergrund hin, aber schon bald gehörte die Familie Sander zu den maßgeblichen sächsischen Geschlechtern der Stadt. Jacobus selbst gehörte zu den Cives, zu den Bürgern. Dies waren die wenigen vermögenden Familien, die über volle Bürgerrechte verfügten, die in den Rat der Stadt gewählt werden und die höchsten Ämter besetzen konnten; sodann waren es die einzigen, die als Zeugen vor Gericht und bei Beurkundungen zugelassen waren – in Mitteleuropa als »ratsfähige Geschlechter« bekannt. Die »Einwohner« hingegen, in den Urkunden Hospites, bildeten die Mehrheit der Stadtbewohner und waren in den Anfangszeiten zwar auch an Wahlvorgängen beteiligt, wurden aber mit Erstarken der Cives allmählich aus Entscheidungsprozessen herausgedrängt. Sie waren jedoch politisch Auf dem Weg zur Autonomie 51
frei und konnten durchaus in den Kreis der Bürger aufsteigen, die Standesschranken waren überwindbar. Interessant ist aber die Begrifflichkeit im Privileg von 1353, wo ausdrücklich von sächsischen Bürgern und Einwohnern gesprochen wird, obwohl wir in beiden sozialen Gruppen von einem gewissen Anteil Ungarn ausgehen müssen. Die Bewohner beanspruchten also bewusst sächsisches Recht, weil ihnen dieses die größtmöglichen Freiheiten versprach – auch wenn man diese gegenüber den königlichen Beamten verteidigen musste. Diese hatten außer der Erweiterung ihrer Macht und dem Abschöpfen von Profiten wenige Interessen an der Region. Gerade aus diesen Jahren (1349) ist bekannt, dass der Komitatsgraf oder Königsrichter des Burzenlandes zugleich Szeklergraf, Graf der Marmarosch und von Sathmar war, sich also kaum um den eher entlegenen Südosten gekümmert haben wird. Ganz abgesehen von der Verbesserung der rechtlichen Situation füllen sich die Gassen und Plätze in Kronstadt für uns nun allmählich mit Leben: Die Bürger und Einwohner treten uns mit Namen, mit Taten und Problemen entgegen, bald auch gefolgt von den Incolae, den besitzlosen Unterschichten. Die Geschichte der Stadt wird für uns ferne Betrachter bunter und und ist nun viel weniger auf Rückschlüsse und Vergleiche angewiesen als während der ersten anderthalb Jahrhunderte. Aufgrund der gefährdeten geographischen Lage der Stadt, aber auch wegen der rechtlich zu Beginn noch ungefestigten Situation setzt die Urkundenüberlieferung in Kronstadt rund ein halbes Jahrhundert später ein als in Hermannstadt oder Schässburg: Die Bestätigung einer Stiftung des Nikolaus Cresche und seiner Gattin an das Dominikanerkloster von 1342 ist das älteste in Kronstadt erhaltene Schriftstück, heute verwahrt im Archiv der Honterusgemeinde. Ab der Mitte des 14. Jahrhunderts sind aber auch andere Phänomene zu beobachten, die die städtische Entwicklung nachhaltig beeinflussen sollten. Die Seuche des »Schwarzen Todes«, landläufig fälschlich Pest genannt, hatte Ungarn um 1350 erreicht. Ob und in welchem Umfang diese Pandemie, der rund ein Drittel der Bevölkerung Europas zum Opfer fiel, auch in Kronstadt wütete, lässt sich mangels Quellen nicht sagen. Gerade angesichts des damals bereits zunehmenden Handels – etwa ins Schwarzmeergebiet oder nach Dalmatien, die besonders stark befallen waren – kann man jedoch annehmen, dass auch Kronstadt und das Burzenland nicht verschont blieben. Ein weiterer, nur sehr allmählicher Wandel kommt hinzu, der tatsächlich auf Bevölkerungsverluste durch Epidemiewellen schließen lässt: Auch Siebenbürgen wurde näm52 Kronstadt 1241–1377
lich von der spätmittelalterlichen Agrarkrise erfasst, die einerseits durch den Mangel an Arbeitskräften, im letzten Viertel des Jahrhunderts schließlich durch sehr gute Ernten ausgelöst wurde. Durch das Überangebot verfielen nämlich sämtliche Preise landwirtschaftlicher Güter, was einerseits zur Verarmung des Landadels und der Gutsbesitzer, andererseits zu einer Landflucht der zunehmend bedürftigen Bauern in die Städte führte. Begünstigt wurde dieser Prozess von einer gleichzeitigen Zunahme der Preise für Handwerksprodukte, so dass sich Wohlstand künftig eher im urbanen Umfeld finden ließ. Beide Entwicklungen lassen sich im Falle Kronstadts beispielhaft beobachten: Die Bedeutung der Comites und der Gräfen nahm um 1400 und die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts hindurch laufend ab, bis sie schließlich entweder unter den Bürgern (den Cives) aufgingen, im auswärtigen ungarischen Adel verschwanden oder schlichtweg ausstarben. Gleichzeitig verdichtete sich die Siedlung in der Stadt, bis bereits um 1400 etwa die Ausmaße der späteren historischen Stadtteile erreicht waren.
Das Emporium Kronstadt Der Elitenwandel in der Stadt und letztlich auch im Burzenland von den Beamten des Komitatsgrafen hin zur Gemeinde der Cives vollzog sich in dieser Zeit ebenfalls ganz allmählich, das große Stadtprivileg von 1353 war ein anschaulicher Ausdruck dafür. Der comes Jacobus, der die genannte Urkunde noch als Hann (villicus) erwirkt hatte, soll uns in den kommenden Jahrzehnten wiederholt als erster bekannter Stadtrichter begegnen. Mit engangierter und langatmiger Zielstrebigkeit setzte er sich für die Wirtschaftsinteressen Kronstadts und seiner »Pertinenzien«, also des ganzen Burzenlandes, ein. 1364 erschien der Stadtrichter Jacobus vor König Ludwig I. an dessen Residenz Plintenburg und ließ sich von ihm für Kronstadt das Ofener Jahrmarktrecht bestätigen. Dies ist nicht nur ein Hinweis auf die Notwendigkeit zur Schaffung klarer Verhältnisse gegenüber den Vertretern des Königs im Burzenland, sondern auch auf die Bedeutungszunahme des Handels. Der Jahrmarkt sollte immer an den Tagen vor und nach Allerheiligen (1. November) stattfinden. Trotz der klaren rechtlichen Regelungen versuchten der Szeklergraf und seine Mannen, sich in Marktangelegenheiten einzumischen, über Maße und Gewichte an Markttagen zu urteilen, so dass der König ihnen dieses 1370 ausdrücklich verbieten musste. Wie wichtig die KronAuf dem Weg zur Autonomie 53
städter Märkte geworden waren, zeigte sich bereits im Jahr davor: Ludwig I. verlieh Kronstadt 1369 das Stapelrecht für Tuche. Dieses bedeutende Privileg – Hermannstadt erhielt erst 1382 ein Stapelrecht – zwang polnische, deutsche und Kaufleute aus weiteren Ländern, ihre Stoffe wenigstens einen Monat lang in Kronstadt zum Kauf anzubieten, bevor sie etwa Richtung Schwarzes Meer, Byzanz, Levante weiterziehen konnten. Die meisten verkauften die Waren vor Ort. Das brachte den Kronstädter Kaufleuten den außerordentlichen Vorteil, dass sie die Stoffwaren aus halb Europa vor der eigenen Haustüre einkaufen und mit dem weiteren Vertrieb Richtung Süden und Osten durch den sogenannten Transithandel eine hohe Gewinnspanne gegenüber den Endabnehmern einstreichen konnten. Dass der Handel inzwischen zum zentralen Anliegen der Kronstädter geworden war, zeigen auch die zahlreichen Handelsverträge mit der Walachei und bald auch mit der Moldau. Diese beiden Nachbarländer hatten im 14. Jahrhundert eine erfolgreiche Konsolidierung erfahren und waren seit Mitte des Jahrhunderts Ungarn mehr oder weniger verbunden. Eine neue Oberschicht bildete sich hier heraus, Handels- und Handwerkszentren mit teilweise deutschen Siedlern entstanden. Unmittelbar vor den Pässen nach Süden und Osten gelegen, war Kronstadt der geborene Partner für diese beiden Länder. Damit trat Kronstadt in echte Konkurrenz zu dem bereits etablierten Handelsplatz Hermannstadt, ein Wettbewerb, der die Beziehungen zwischen den beiden Städten für Jahrhunderte nicht nur im Bereich der Wirtschaft prägen sollte. Von 1358 ist das erste Handelsprivileg für Kronstädter Kaufleute für die Walachei bis zur Donaumündung hin erhalten, noch von König Ludwig I. als dem Lehnsherrn der regierenden Woiwoden ausgestellt. Schon zehn Jahre später, 1368, wurden diese Rechte vom Woiwoden selbst, Ladislaus oder Vlaicu, bestätigt und umfassend ergänzt – die erste erhaltene Urkunde aus der walachischen Woiwodenkanzlei überhaupt. Die Kronstädter Kaufleute erhielten dadurch eine Monopolstellung in der Walachei. Ihre Handelswege führten durch den Törzburger Pass zunächst nach Langenau, Câmpulung, mit einer bis in die frühe Neuzeit hinein bestehenden sächsischen Siedlung. Von hier führte ein Weg über Târgovişte und Buzău nach Brăila, wo die Handelsstraßen zur Moldau hin und weiter Richtung Donau- und Schwarzmeerhäfen, vor allem zu den genuesischen Kolonien Chilia und Akkerman, anschloss. Ein zweiter Weg führte von Langenau über Piteşti und Craiova nach Vidin jenseits der Donau und schließlich weiter nach Konstantinopel oder über 54 Kronstadt 1241–1377
Belgrad nach Dalmatien. In diesen Jahren eines wohl kaum geahnten Aufschwungs folgte ein Handelsprivileg dem nächsten. Die wichtigsten Handelsgüter jener Zeit waren etwa feine Tuche aus ganz Europa, selbst aus Frankreich, Flandern oder London, dann Messer oder Büchsen unter anderem aus Nürnberg, Prag oder der Steiermark, schließlich Salz, Getreide, aus dem Süden und Osten kamen »orientalische Waren«, zum Beispiel feine Wolle, Farbstoffe, Schmuck, Pfeffer, Donaufische oder edle Weine.
Das älteste bekannte Kronstädter Stadtsiegel (ab ca. 1378) und das Kronstädter Stadtwappen auf dem Schwert des Stadtrichters (1549).
An diesem schnellen Aufstieg Kronstadts zur Handelsstadt, zu einem echten Emporium, waren sowohl Nachkommen der Adelsfamilien, der Comites und Gräfen, beteiligt als auch neu Hinzugezogene, die es schnell in die Ränge der ratsfähigen Bürger schafften. Ihre Namen sollen uns ab der Jahrhundertwende oft in hohen Ämtern begegnen, etwa Seidenschwanz (Sydenswancz), Kylhau, Weyrauch, Reudel, Godfridi. Anders als in Hermannstadt können wir in Kronstadt nur schwer verfolgen, wo sie herkamen, genauso wie bei den vielen hinzuziehenden Handwerkern. Gewiss fand eine beträchtliche Binnenmigration innerhalb Siebenbürgens statt, und die genannten Phänomene im Agrarsektor werden einen gewichtigen Anteil am Wachstum der Stadt in den Jahrzehnten um 1400 gehabt haben. Aber ohne Frage wird der Zuzug aus Mitteleuropa wie auch in den anderen Städten des Landes ununterbrochen stattgefunden haben, zumal unter den kapitalkräftigen, nach Auf dem Weg zur Autonomie 55
neuen Märkten suchenden Kaufmannsfamilien. Die Bedingungen stellten sich in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts als ideal heraus: günstige Handelsoptionen bis hin zu konkurrenzverdrängenden Monopolen nach Süden und Osten, Rohstoff- und Agrargüterhandel nach Norden und Westen, eine lange Friedenszeit. Kronstadt wurde binnen kurzer Zeit sehr reich, was natürlich mit Neid und Missgunst verfolgt wurde: Die Beamten des Königs, immer noch präsent und Herren des Komitats (oder nun zunehmend des »Distrikts«, da es sich um eine alte Körperschaft des Grenzschutzes handelte), konnten an diesem Reichtum nicht partizipieren. Sie mischten sich nicht nur in Marktangelegenheiten ein, sondern versuchten auch wiederholt, Teile des Zehnten der Burzenländer Geistlichkeit an sich zu reißen, da sie die kostspielige Grenzsicherung unterhalten mussten. Die zunehmend selbstbewussten Bürger von Kronstadt aber grenzten sich nicht nur gegenüber dem Komitatsgrafen ab und wollten sich von ihm nirgends mehr hineinreden lassen. Sie waren gleichzeitig auch bestrebt, die Vormachtstellung Kronstadts gegenüber den Burzenländer Gemeinden zu festigen. Dabei kam ihnen entgegen, dass die Begrifflichkeit Brascho, Brassowiensis etc., die uns in den Urkunden begegnet, relativ schwammig war, sich jedenfalls von der Gesamtheit des Burzenlandes zunehmend auf die Stadt alleine beziehen lassen konnte. So begegnet uns dieser Name in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bereits gelegentlich als Synonym für Kronstadt selbst. Strukturell waren alle Cives der Burzenländer Gemeinden, also die Vertreter der jeweiligen Oberschicht, Mitglieder der Provinzialversammlung, unter denen sich der Stadtrichter von Kronstadt als Primus inter Pares etablieren musste. Und die meisten Urkunden, einschließlich des großen »Stadtprivilegs« von 1353, waren genau genommen für das ganze Burzenland erstellt worden. Im November 1377 bestätigte König Ludwig I. schließlich ausdrücklich den freien Verband der vierzehn sächsischen Orte des Burzenlandes, wobei der Stadt Kronstadt die Führungsrolle zukam. Dieser Verband der deutschen Siedler hatte sich zur etablierten Institution innerhalb des Komitats entwickelt und verwendete ein eigenes Siegel: S[igillium] civium et provincialium de Brascho, also »Siegel der Bürger und Provinzialen von Brascho«. Der Wappenschild des Siegels (vermutlich bereits 1368 benutzt, verbindlich 1380) zeigt eine Lilie, ohne Frage dem königlichen Wappen der Angevinen entlehnt. Das Wappen mit silberner Lilie, rechts und links zwei goldenen Sternen auf blauem Grund, sollte zum Provinzwappen werden, bis es vom Wappen Kronstadts ver56 Kronstadt 1241–1377
drängt wurde. Letzteres war ein sprechendes Wappen, zunächst ebenfalls nur im Stadtsiegel überliefert: Im ältesten erhaltenen Siegel von 1396 ist eine dreizinkige Lilienkrone zu sehen, die desgleichen mit Sicherheit auf Vorbilder der Angevinenkönige zurückgeht und wahrscheinlich bereits 1378 oder früher in Gebrauch war. Die Umschrift dieses Siegels, das zunächst nur die Stadtleitung allein benutzte, lautet: S[igillium] civium de Corona civit[as], also »Siegel der Bürger von KronStadt«, womit wir den frühesten Hinweis auf den späteren hochdeutschen Stadtnamen bekommen.
Die Törzburg um 1900, unterhalb die Gebäude der alten Grenz- und Zollstation (Blick von der Walachei-Seite).
König Ludwig I. hatte in den bald vier Jahrzehnten seiner Regentschaft eine erfolgreiche Expansionspolitik betrieben, er hatte sich die Krone Polens gesichert, erwarb Dalmatien für Ungarn und ließ sich von Bosnien und Serbien huldigen – Ungarn war eine ostmitteleuropäische Großmacht geworden, nicht zuletzt für den Fernhandel geradezu ideale Vorsaussetzungen. Gerade im Frühjahr 1377 hatten die königlichen Heere den vorrückenden Türken eine schwere Niederlage beigebracht, die sie für rund ein Jahrzehnt von einem weiteren Vormarsch abhielten. Dem König musste daher sehr daran gelegen sein, sich auf treue, ihn entlastende und zugleich regelmäßig unterstützende Verbündete ver Auf dem Weg zur Autonomie 57
lassen zu können. Das waren vor allem die Städte, die er und sein Vater groß und reich gemacht hatten. In der genannten Urkunde von November 1377 hielt Ludwig I. – vermittelt durch den Kastellan der Grenzburg Landskrone bei Hermannstadt, Johannes von Scharfeneck – fest, dass die Kronstädter und Burzenländer versprochen hätten, auf eigene Kosten auf dem Dietrichstein im Törzburger Pass eine Grenzburg zu errichten und die Wälder ringsum weitflächig zu roden: Hier sollte in Kürze die dem Pass letztlich den Namen gebende Törzburg entstehen. Zwar vom Provinzialverband unter Führung der Kronstädter errichtet, war es eine königliche Burg, die unter einem eigenen Kastellan stand. Dieser wurde nun zum Stellvertreter des Komitatsgrafen, der selber selten im Burzenland anwesend war. In die Zuständigkeit des Kastellans der Törzburg fielen jene Teile des Komitats Brascho, die nicht zu den vierzehn freien sächsischen Gemeinden gehörten; es waren gundherrliche Gebiete am Rande mit ungarischen oder rumänischen Gemeinden, etwa Tohan, die Orte der Siebendörfer, Geist oder Krebsbach. Mit dem Bau der Törzburg aber stärkten die Kronstädter nicht nur ihre Position gegenüber dem König und seinen Vertretern, sondern sie erhöhten zugleich die eigene Sicherheit im Vorfeld der Pässe und auf den Handelsrouten. Vor allem aber entledigten sie sich der königlichen Beamten in Kronstadt selbst. Diese saßen, mit dem Kastellan an der Spitze, nun auf der Törzburg, wahrscheinlich von einer kleinen Besatzung auf der Zinnenburg abgesehen. Kronstadt stand 1377 demnach auf seinem ersten Höhepunkt: Es war eine rechtlich bis auf wenige Fälle unabhängige Stadt, ihre Führungsposition innerhalb des Privonzialverbands war sanktioniert, sie verfügte über Monopole und über reiche Einnahmen aus dem Fernhandelsgeschäft, die Stadtführung war getragen von einer etablierten und weit vernetzten Bürgerschicht, die breite Einwohnerschaft nahm beständig zu.
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Das reiche Handelsemporium (1377–1530) Unruhen um die kirchliche Vorherrschaft
Die Kronstädter Stadtoberen strebten aber nicht nur auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet um die Vorherrschaft im Burzenland. Gerade die 1370er und 1380er Jahre sollten sich auch auf kirchlichem Gebiet als ausgesprochen bewegt erweisen. Die Burzenländer Geistlichkeit besaß, wie bereits verschiedentlich erwähnt, kirchenrechtlich eine Sonderstellung: Sie war nicht dem siebenbürgischen Bischof, sondern dem Erzbischof in Gran untergeordnet, sie verfügte über den gesamten Kirchenzehnten und ihr Dechant übte quasiepiskopale Rechte aus. Der Sitz dieses Dechanten wechselte mit dem Pleban, der gerade die Würde innehatte. Der Dechant wurde von den anderen Geistlichen des Burzenlandes gewählt. Traditionell kam allerdings dem Marienburger Pfarrer und damit dem Ort eine Vorrangstellung in der Burzenländer »Diözese« zu. Das war für die Kronstädter Oberschicht, die in den vergangenen Jahrzehnten bereits so viele Erfolge erzielt hatte, so nicht hinnehmbar. Aus einem Streit um die Dominanz in geistlichen Dingen sind uns auch die ersten Unruhen in Kronstadt bekannt, leicht nachvollziehbar vor dem Hintergrund des raschen sozialen Wandels in der Stadt aufgrund laufenden Zuzugs. Der erste bekannte Pleban – also »Leutpriester« oder Stadtpfarrer – von Kronstadt war um 1336 Michael, der bereits erwähnt wurde, über dessen Hintergrund wir aber nicht viel wissen. Über Nicolaus, der 1351 Pleban wurde, wissen wir bereits mehr. Er kam aus dem Burzenländer sächsischen Landadel, wusste seine Interessen durchzusetzen und den Besitz seiner Familie zu mehren. Er stieg schließlich zum Bischof von Tschanad auf, setzte sich aber weiterhin fürs Burzenland ein und erwirkte 1374 ein Privileg für Stadt und Provinz. Um 1375, nach dem Tod von Nicolaus’ Nachfolger im Amt des Kronstädter Plebans, brach in der Stadt – wie Maja Philippi anschaulich nachzeichnet – ein heftiger Streit zwischen den führenden Familien und der Geistlichkeit aus. Dabei war die städtische Obrigkeit mit dem – wohl nach Siedlerrecht von der Gesamtgemeinde – gewählten Pleban Nicolaus, der auch die Unterstützung der anderen Pfarrer hatte, nicht zufrieden. Offenbar hatten die Cives-Familien Größeres in der Stadt vor. Sie wählten daraufhin einen Das reiche Handelsemporium 59
Kadidaten aus ihren eigenen Reihen: Thomas de Santa Agatha, auch er Mitglied des Burzenländer Landadels und viel zu jung für eine so hohe geistliche Würde. Nun brach der Streit los, bei dem die Geistlichen offensichtlich breite Teile der Bevölkerung gegen die Stadtoberen mobilisierten. Dabei hören wir zum ersten Mal von den Stadtarmen, die wir uns als Ergebnis einer boomenden Stadt und der damals einsetzenden Landflucht gut vorstellen können. Der weltlichen Obrigkeit aber gelang es, ihren Willen zunächst durchzusetzen. Sicher spielten dabei die guten Beziehungen zu höchsten Kreisen des Klerus und des Reiches eine Rolle. Der Erzbischof von Gran ließ schließlich Thomas – spätestens 1375 – in sein Amt als Pleban einführen. Doch offenbar vergebens, der zuerst gewählte Nicolaus schien sich, unterstützt vom Volk und den anderen Geistlichen, durch die erfolgverwöhnten Cives nicht einschüchtern zu lassen. Schließlich musste der Papst eingeschaltet werden, das einzige Mal in der Geschichte der Kronstädter Stadtpfarrerwahlen: Gregor XI. bestätigte die Wahl von Thomas im Jahr 1377, wieder hatten die guten Beziehungen geholfen. Aber noch hatten sich die herrschenden Familien der Stadt nicht durchgesetzt, mehr noch, die Burzenländer Geistlichkeit stärkte Pleban Nicolaus den Rücken, indem sie ihn zum Dechanten wählte. In diesem Amt aber konnte Marienburg als geistlicher Vorort eine Alternative zu dem heißen Pflaster in Kronstadt sein, und Nicolaus zog sich 1379 auf die Pfarrstelle dorthin zurück. Der Streit in Kronstadt schien damit beigelegt. Aber den vornehmen Herrschaften reichte dieser Sieg nicht. So, wie sie die Wirtschaft kon trollierten, so wollten sie auch in den geistlichen Angelegenheiten des Burzenlandes die Fäden in der Hand halten. Sie zeigten Dechant Nicolaus beim Erzbischof in Gran mit allerlei Anschuldigungen an, weil er zugleich den Dekanatssitz nach Marienburg verlegt hatte. Doch erst eine vom Erzbischof im Jahr 1380 angeordnete Visitation das Burzenländer Kapitels durch den Ofener Propst führte zum Vergleich und zur Beilegung des Streits. Die Geistlichen, von der Exkommunikation bedroht, mussten sich verpflichten, ihre Kapitelsversammlungen künftig nur noch in Kronstadt abzuhalten. Des weiteren wollten beide Seiten das jeweils andere Gericht, das weltliche bzw. das geistliche, in ihren jeweiligen Zuständigkeiten anerkennen, und die weltliche Obrigkeit würde künftig für die rechtzeitige Ablieferung des Kirchenzehnten sorgen. Dieses Ergebnis war ein umfassender Sieg der Kronstädter Cives: Diese hatten ihren Pleban durchgesetzt, der bald auch als Dechant aufscheinen sollte. Und sie hatten erreicht, dass Kronstadt künftig der Sitz 60 Kronstadt 1377–1530
des Burzenländer Kapitels sein sollte. Die Führungsrolle der Stadt war somit in allen Bereichen etabliert, die civitas Corona, wie Kronstadt nun in den Urkunden erscheint, war anerkannter Vorort des Burzenlandes.
Kirchen, Kapellen und Geistliche Diese Vormachtstellung musste nun allerdings auch ihr äußeres Zeichen finden, und das mag auch ein Grund für die Beharrlichkeit der führenden Familien gewesen sein, mit der sie für die Plebanswürde ihres Kandidaten Thomas stritten. Die Kronstädter Stadtkirche, im Verlaufe des 13. Jahrhunderts entstanden, wird zwar, wie aus ganz wenigen Resten zu schließen ist, über manche kunstfertigen Ausstattungen verfügt haben. Sie wird aber ansonsten kaum repräsentativ gewesen sein, möglicherweise – aufgrund späterer Erweiterungen – auch eigenartige Proportionen gehabt haben. Ja, wir wissen nicht einmal, ob diese Kirche über einen Turm verfügte oder aus Klosterzeiten, was naheliegt, noch turmlos war. Dass diese Kirche nicht mit den gleichen Rechten ausgestattet war wie andere große Kirchen, etwa die Marienburger, und so nicht über das Asylrecht verfügte, ist ein weiterer Hinweis auf die ursprünglich wenig prominente Stellung Kronstadts. Gerade die einflussreichen Kaufleute aber waren es, die viel im ganzen Reich und auch in Mitteleuropa umherkamen und dort die stolzen neuen gotischen Kirchenbauten sahen. In Hermannstadt waren die Arbeiten am neuen, hochgotischen Chor und Querhaus der Stadtkirche kurz nach 1370 bereits abgeschlossen, in Mühlbach waren die Arbeiten am neuen Chor seit etwa 1360 in vollem Gange, ähnlich bei der Bergkirche in Schässburg. Die Kronstädter Stadtkirche hingegen musste selbst gegenüber anderen Burzenländer Kirchen, etwa in Marienburg, Zeiden oder gar Bartholomä, zurückstehen. Alles in allem ein für die Kronstädter Cives wohl kaum erträglicher Zustand: Sie dürften den Hermannstädter Oberen an Reichtum kaum nachgestanden, ja, sie vielleicht inzwischen sogar überflügelt haben, von anderen Städten gar nicht zu reden. Ihre wirtschaftliche, politische und jetzt sogar kirchliche Vormachtstellung sollte ihren Ausdruck in einem neuen beeindruckenden Kirchenbau finden. In einer bei allem Machtstreben von Frömmigkeit und Jenseitserwartung geprägten Zeit erfolgte Selbstdarstellung in erster Linie nicht in eigenen, privaten Palästen, sondern in Stiftungen für den dreieinigen Gott, die Gottesmutter und die Heiligen. Es waren Das reiche Handelsemporium 61
dies als notwendig angesehene Werke als Buße für die eigenen Sünden. So war es denn auch tatsächlich der Bau einer neuen Stadtkirche, den Pleban Thomas schon kurz, nachdem er sein Amt unbestritten ausüben konnte, in Angriff nahm. Für diese Zeit können wir übrigens auch schon annehmen, dass der Pfarrhof als gemauertes Gebäude an seiner heutigen Stelle bestand. Der zu Beginn der 1380er Jahre einsetzende Bau der neuen Kirche sollte viel in der Stadt verändern, nicht nur ihr äußeres Erscheinungsbild. Es setzten nun Jahrzehnte ununterbrochener Bautätigkeit ein. Für den Kirchenbau musste eine eigene Bauhütte eingerichtet werden. Man benötigte unablässig Arbeitskräfte, und zwar sowohl für die Kirche wie auch für die bald parallel laufenden Arbeiten an den Stadtbefestigungen. Wahrscheinlich konnte man dabei auf die Stadtarmen als Tagelöhner zurückgreifen, von denen wir in der kommenden Zeit nichts mehr hören. Doch selbst diese reichten nicht aus, so dass Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet mit den Osmanen im Süden, Bulgaren genannt, als Arbeitskräfte gerne aufgenommen wurden. Doch der Reihe nach. Die Überlieferung nennt das Jahr 1383, als die neue Marienkirche »so großartig und kostspielig zu bauen begonnen wurde«4, und schon von 1385 ist verbürgt, dass die Bauarbeiten in vollem Gange waren. Zunächst wurde der alte Chor vollständig abgetragen, so dass der neue, größere unmittelbar außerhalb der alten Fundamente errichtet werden konnte. Die Ostung des Chors wurde dabei beibehalten. Diese Arbeiten gingen trotz der Dimensionen des Baues recht zügig voran, denn schon 1408 wurde der Lettner erwähnt, also jenes Element, das den Chor der Geistlichkeit vom Langschiff der Kirchengemeinde trennte. Und im Laufe des zweiten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts muss das Kirchenschiff, deutlich breiter als der Vorgängerbau, gestanden haben; dies können wir aus dem Grabstein des Plebans Thomas Sander, wie er nach einem seiner Vorfahren genannt wurde, schließen. Als die Türken die Stadt 1421 einnahmen wird die Marienkirche als sein Lebenswerk mit Ausnahme der Türme und vielleicht der Westfassade vollendet gewesen sein. Diese immense Leistung innerhalb von nur vier Jahrzehnten wurde in erster Linie durch die Opferbereitschaft der Kronstädter Bürger ermöglicht. Für nachhaltige Stimulation sorgte die Kirche selbst: Hohe geistliche Würdenträger schrieben wiederholt Ablässe für die Unterstützung des Kirchenbaues aus, so der Erzbischof von Gran, der 1385 62 Kronstadt 1377–1530
einen Ablass, also Sündenerlass im Jenseits, von einem Jahr und 100 Tagen, oder der Papst 1399, der im gleichen Kontext für die Bekehrung von Orthodoxen gar vier Jahre und vierzig Tage gewährte. Doch es gab noch mehr Bestrebungen, den großartigen Bau zu fördern. So entstand in der Zeit um 1400 die Bruderschaft des Heiligen Leichnams Christi, die durch ihr Wirken zu Unterstützungen für die Marienkirche anregen und ihren Mitgliedern und Förderern zusätzliche Erlösung im Jenseits sichern sollte. Ob diese Vereinigung bereits vorher bestanden hat, lässt sich nicht feststellen, sie fällt uns erst durch Zustiftungen ab der Jahrhundertwende auf und wurde von Pleban Thomas offenbar bewusst für seinen Kirchenbau eingesetzt. In dieser Bruderschaft fanden sich Laien, nicht selten Honoratioren, angesehene Bürger und Einwohner, zur religiösen Gemeinschaftspflege zusammen, führten Prozessionen durch, gestalteten Altäre, hielten Fürbitten. Ihr Vermögen setzten sie für religiöse Zwecke ein, im Kronstädter Fall für die Marienkirche. Pleban Thomas selbst vermachte der Heiligleichnamsbruderschaft 1413 die Hälfte seiner Besitzungen in Tohan und Zernescht. Dieser Bruderschaft gehörte auch ein Haus auf dem Kirchhof, etwa in der westlichen Hälfte des heutigen Stadtpfarrhauses; Ende des 15. Jahrhunderts sollte dort der Sitz des Burzenländer Kapitels eingerichtet werden. Während sich den Kronstädtern und den zahlreichen Besuchern der Stadt, zumal an Markttagen, über Jahrzehnte hin auf der Kirchenbaustelle ein spannendes Schauspiel bot – im Vergleich zu den allgemein noch sehr niedrigen Gebäuden musste die neue Kirche den Eindruck vermitteln, regelrecht in den Himmel zu wachsen –, existierte noch eine Vielzahl anderer Kirchen und Kappellen, um die geistlichen Bedürfnisse zu stillen. Die Kronstädter unterschieden sich nicht von anderen Bewohnern mitteleuropäischer Städte, tägliche Besuche von Messen zu allen nur denkbaren Uhrzeiten, Prozessionen durch die Stadt, Heiligenstatuen und Kreuze allerorten, vielleicht auch Predigten auf öffentlichen Plätzen gehörten zum Bild und zum Alltag dieser durch Frömmigkeit und Endzeiterwartung geprägten Zeit. Alle Bevölkerungsschichten waren impliziert und hatten ihre je eigenen drängenden Glaubensnöte, immer wieder auch befördert durch die seit der Mitte des 14. Jahrhunderts wiederkehrenden Seuchen, denen alle schutzlos ausgeliefert waren. Den wohlhabenden Bürgern aber war es ein Bedürfnis, ihrer Verpflichtung zur Caritas, zur Fürsorge für die Mittellosen nachzukommen. Über die meisten Kapellen können wir nicht sagen, wann sie errichtet wurden und wer ihre Stifter waren, ja, in einigen Fällen ist selbst ihre Das reiche Handelsemporium 63
Lokalisierung schwierig oder die Existenz kann nur vermutet werden. Die zwei Kapellen auf dem Kirchhof oder Katharinenhof hatten wir bereits erwähnt, die Katharinenkapelle des Nonnenklosters und die Laurentiuskapelle unmittelbar nordöstlich des Chors der Marienkirche, zum Marktplatz hin. Eine weitere kleine Kapelle, die im ehemaligen Erdgeschoss des Stadtpfarrhauses bis heute erhalten geblieben ist, ist schwer deutbar; es mag eine Hauskapelle eines der Plebane sein. Eine Kapelle, deren Errichtung wir um oder kurz vor 1400 vermuten können, ist jene des Heiligen Leichnams Christi. Sie wurde von der gleichnamigen Bruderschaft wohl im hinteren Bereich des Stadtpfarrhofes zur Waisenhausgasse hin – vielleicht direkt an dieser – errichtet. Die Gasse wurde nach dieser Kapelle bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Heiligleichnamsgasse (oder Lechmeßgass), das südwestliche Stadtviertel in Verwaltungsbelangen »Quartale Corporis Christi« genannt. Ob es im Bereich der Neugasse, die im Mittelalter Sent Lasselsgass hieß, eine St. Ladislaus-Kapelle gab, lässt sich nicht mehr ausmachen. Denkbar ist natürlich auch, dass es sich bei solchen Kapellen um private Andachtsräume in Wohnhäusern handelte. Die St. Leonhards-Kapelle in der Zinnenburg sei ebenfalls in Erinnerung gerufen. Schließlich sei noch angemerkt, dass um oder kurz vor 1400 die Existenz eines hölzernen Bethauses für die Orthodoxen der Oberen Vorstadt anzunehmen ist. Kronstadt Anfang des 18. Jahrhunderts: Rechts der Rathausturm, nach dem Brand lediglich mit einem einfachen Pyramidendach versehen, mittig die Peter- und Paulskirche, rechts der Torturm des Klostertores mit Torbastei; im Hintergrund die Martinsberger Kirche (Ausschnitt aus dem Stich nach Johann Conrad von Weiss von 1736).
Vom Kloster der Dominikaner mit der turmlosen Peter- und PaulsKirche an der Klostergasse hin hatten wir bereits gehört. Eine im Kontext dieses Klosters schon 1342 genannte Jakobskapelle, eine Stiftung, lässt sich nicht verorten; denkbar aber ist stets auch, dass sich Kapellen in den Seitenschiffen größerer Kirchen wie jener der Dominikaner oder im Klosterbereich befunden haben. Das dem Kloster gegenüberliegende 64 Kronstadt 1377–1530
Gelände, etwa zwischen der heutigen Michael-Weiss-Gasse und der späteren Stadtmauer, befand sich in irgend einer Weise in der Verfügung oder gar im Besitz des Königs. Hier wird die Allen Heiligen geweihte Kapelle vermutet. Wann das Nonnenkloster errichtet wurde, dessen St. Johannis-Kirche später der Johannis(neu)gasse den Namen gab, ist unbekannt. Es lässt sich noch nicht einmal mit letzter Bestimmtheit sagen, ob die Dominikanerinnen oder die Fraziskanerinnen (Klarissen) hier saßen; beide Gemeinschaften besaßen einen Konvent in Kronstadt. Das schon erwähnte Franziskanerkloster lag außerhalb der Stadtmauern Richtung Blumenau. In allen diesen Fällen dürften wir nicht fehl gehen, ebenfalls auf das 14. Jahrhundert mit seinen explodierenden Bewohnerzahlen, dem zunehmenden Wohlstand und den religiösen Bedürfnissen einer großen Stadtgemeinde als Gründungsdaten zu setzen. Etwas südlich des Nonnenklosters, nach dem die MichaelWeiss-Gasse bis Ende des 19. Jahrhunderts Nonnengasse hieß – der Bereich bis zum Kloster hin war lange Zeit nicht bebaut –, befand sich das schon erwähnte alte Spital mit der Antonius-Kapelle. Für die am Aussatz, an der Lepra Erkrankten aber befand sich weiter außerhalb in der Blumenau ein Siechhof mit einer der Heiligen Barbara geweihten gotischen Kapelle; den Siechhof datierte Gustav Treiber aufgrund seiner Grabungen gar auf das Ende des 13. Jahrhunderts. Hier lebten die »Aussätzigen«, die zwar als ehrliche, anständige Leuten angesehen wurden, aufgrund ihrer als unheilbar geltenden Krankheit aber nicht mehr in der Stadt wohnen durften. Die Heilige Barbara findet sich zur Linken der Muttergottes im Marienfresko in der Südvorhalle der Schwarzen Kirche wieder, im Hintergrund wohl die Siechhofkapelle, an deren Stelle heute die Blumenauer evangelische Kirche steht. Ungeklärt sind die Ursprünge der St. Martins-Kapelle, später auch Bergkirche genannt. 1395 machte König Sigismund eine Stiftung für deren Errichtung, wobei auf dem Bergkegel ihres Standortes auch der Sitz des Komitatsgrafen vermutet wird. Sigismund bedachte die Kapelle auch später, so dass wohl von einer besonderen Beziehung zu diesem Standort – vielleicht sein Wohnort während der Aufenthalte in Kronstadt? – auszugehen ist. Schließlich sei am nördlichen Ende der Langgasse die St. Bartholomäus-Kirche erwähnt, die um 1400 bereits das älteste Gotteshaus der Stadt war und zunehmend in den Schatten der neuen Marienkirche trat. Ihr Kaplan war dem Kronstädter Pleban untergeordnet. Das Wissen um die Stifter, das Aussehen und die Funktionen dieser vielen Kapellen ging mit deren Bedeutungsverlust nach der Reformation leider Das reiche Handelsemporium 65
verloren, selbst die Chronisten der Frühen Neuzeit wussten nur noch wenig darüber zu berichten. Über die Anzahl der Geistlichen, die diese zahlreichen Gotteshäuser, die frommen Kronstädter und die zahlreichen Durchreisenden betreut haben, wissen wir wenig. Dem Stadtpfarrer oder Pleban standen ein Vizepleban, ein Prediger und vier Kaplane zur Seite, die aber offenbar auch andere Kirchen wie St. Martin und St. Bartholomä zu betreuen hatten. St. Katharina wurde bekanntlich von einem Zisterzienserpater aus Kerz betreut. Sicher wird, über die Ordensangehörigen hinaus, noch mit weiteren Hilfsgeistlichen zu rechnen sein, etwa für die beiden Spitäler, die auch über eigene reichhaltige Stiftungen verfügten. Vor der Reformation waren es über ein Dutzend Geistliche, die die Kronstädter betreuten. Über die Kronstädter Geistlichkeit gibt ein bemerkenswerter Fall Aufschluss, der uns in einer Papsturkunde des Jahres 1406 überliefert ist. Darin wird berichtet, dass sich fromme Frauen, »vom Wunsche beseelt, dem Herrn zu dienen«, im Katharinenhof auf eigene Kosten ein Haus gebaut hätten und darin nach der Ordensregel der Zisterzienser lebten. Die Zugehörigkeit zur Kerzer Abtei und die Zuständigkeit von Ordenspatres erkannten diese Frauen an. Wer aber mögen diese Laienschwestern gewesen sein? Die kurze Schilderung und auch die bekannten Namen sprechen dafür, dass auf dem engeren Katharinenhof, also im südwestlichen Viertel des alten Klosterbereichs, ein Beginenhof entstanden war. Beginenhöfe gab es nur in oder bei größeren Orten, im urbanen Umfeld. Hier fanden sich Frauen zusammen, die entweder als Witwen, als ledig Gebliebene oder als noch nicht Verheiratete in einem rechtlich gesicherten Rahmen und fromm leben wollten, also Ausgrenzung, Bevormundung oder Ausbeutung vorbeugen oder ihren Lebensabend mit gottesfürchtigem Wirken verbringen wollten. Oft kamen sie aus dem gehobenen Milieu und brachten eigenen Besitz mit, was sich im Falle Kronstadts etwa an den Namen, die auf Burzenländer Landadel hinweisen, und an der Errichtung eines eigenen Hauses ersehen lässt. Zugleich ergänzt dieses Detail des Hausbaues unser Bild vom alten Klosterhof als nicht in die alte Siedlung einbezogenen und teilweise noch freien Grund. Dass sich die Beginen am Ort des alten Nonnenklosters niederließen, das mitunter noch aktiv war, ist naheliegend, gab es doch hier die erforderliche »Infrastruktur«: eine Ordensregel und geistliche Betreuung. Diesen Beginen gegenüber, deren Ansiedlungszeitpunkt unbekannt ist, aber erhoben die Zisterziensermönche, mit 66 Kronstadt 1377–1530
Zustimmung ihres Abtes in Kerz, allerhand Forderungen. Sie wollten, dass die Frauen für sie kochten, ihnen die Wohnungen auskehrten und derlei mehr Dienste verrichteten. Dem aber widersetzten sich die Frauen – was gut vorstellbar ist, wenn es sich hier tatsächlich um Witwen und Töchter aus gutem Hause handelte, die sich auch ein eigenes Haus leisten konnten. Der Kerzer Abt ließ die Frauen daraufhin aus ihrem Haus vertreiben und einen Teil des Besitzes wegnehmen. Selbst Pleban Thomas spielte mit: Er exkommunizierte die Frauen, nachdem sie die Benediktsregel angenommen hatten. Warum er sich gegen die Frauen seines eigenen familiären Umfelds entschied, bleibt offen, vielleicht mag es auch hier hintergründig um Finanzierungsfragen der großen Marienkirche gegangen sein. Doch die Beginen waren selbstbewusst, sie müssen hohe und wohl auch wohlhabende Fürsprecher gehabt haben, denn sie riefen den Papst um Hilfe an. Und dieser entschied 1406 schließlich, dass die Beginen ihr Haus auf dem Katharinenhof, ihren Besitz und die Ordensregel der Zisterzienser behalten sollten. Weiter erfahren wir leider nichts über den Kronstädter Beginenhof, auch wenn die Forschung annimmt, dass er bis zur Reformation in der einen oder anderen Form fortbestanden hat. Die Zuständigkeit der Zisterzienser für die Katharinenkapelle erbte nach der Auflösung der Kerzer Abtei 1474 teilweise der Hermannstädter Stadtrat, der einen Kaplan in Kronstadt unterhalten musste, teilweise der Kronstädter Stadtpfarrer. Mit der Dichte der geistlichen Betreuung in Kronstadt und mit jenen Mönchsorden, die auch Gelehrsamkeit zu ihren Tugenden zählten, sodann mit den engen Kontakten zu den mitteleuropäischen, zumal oberdeutschen Städten zog ein weiterer Aspekt in die Stadt ein: die Schulbildung. Die erste Erwähnung einer Kronstädter Schule verdanken wir einem eher eigenartigen Zwischenfall aus dem Jahr 1388. Daraus lässt sich schließen, dass es hier mindestens drei Lehrer und demnach auch mehrere Klassen gegeben haben muss. Gerade drei Jahre vorher, 1385, wurde der erste bekannte Kronstädter, ein Johannes Philippi, an der Universität Wien inskribiert, weitere Studenten sollten bald folgen. Es muss also schon seit geraumer Zeit Schulbildung in Kronstadt gegeben haben. Die Annahme, dass deren Initiierung mit dem Aufbruch der 1350er und 1360er Jahre zusammenhängt, wird nicht von der Hand zu weisen sein. Nicht allein Geistliche benötigten einen immer höheren Bildungsstand, auch die international und auf hohem ökonomischem Niveau agierende Stadt hatte steigenden Bedarf an gut ausgebildeten Das reiche Handelsemporium 67
Beratern und Beamten. Allein an der Universität Wien sollten bis zur Mitte des 15. Jahrhundetrs 77 Kronstädter immatrikuliert werden.
Die Schaffung der »Inneren Stadt« Die Kronstädter begannen relativ spät mit dem Bau ihrer Stadtmauern. Sicher hätten sie – wie andere Städte – bereits ab Mitte des 14. Jahrhunderts, als sie ihre Stadtrechte gefestigt hatten, die Erlaubnis dazu erhalten können. Selbst die Mittel dafür werden vorhanden gewesen sein. Doch es mögen mehrere Gründe gewesen sein, die sie davon abhielten. Zum einen müssen wir annehmen, dass keinesfalls alle Cives, also alle führenden Bürger, konzentriert im neuen Stadtzentrum um die Stadtkirche und den neuen großen Marktplatz wohnten. Eine ganze Reihe von ihnen, zumal der Landadel, mag noch im Bereich des Grafensitzes in der Altstadt oder andernorts im Stadtgebiet, vielleicht in Bartholomä, Höfe gehabt haben. Gleichzeitig vermittelte die geräumige Zinnenburg ein Gefühl der Sicherheit. Die lange Friedenszeit seit dem letzten Tatareneinfall und die sicheren Verhältnisse unter den angevinischen Königen mögen diesen Eindruck verstärkt haben. So begnüngte man sich mit Wällen und Pallisaden, vielleicht auch schon mit ersten Vorgängerbauten, wobei wir über deren Verlauf, Standort und Aussehen nur Vermutungen anstellen können. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts wurde die Lage jedoch kritisch. König Sigismund aus dem Hause Luxemburg, der sich als Schwiegersohn Ludwigs I. zunächst nur mit Mühe in Ungarn durchzusetzen vermochte, hielt sich im Februar und März 1395 erstmals in Kronstadt auf. Er organisierte von dort aus seine Feldzüge gegen die vordringenden osmanischen Türken. Zugleich schloss er hier einen Bündnisvertrag mit dem von den Osmanen vertriebenen walachischen Woiwoden Mircea dem Alten. Schließlich ermahnte er die Kronstädter, ihre Stadt mit Mauern zu befestigen, und wies die Burzenländer Gemeinden an, die Stadt dabei zu unterstützen. Wie dringlich dies war, wurde der stolzen Stadt und dem Burzenland als den Ersten in Siebenbürgen überhaupt vor Augen geführt: Raubscharen, Chaos und Verwüstung verursachende »Renner und Brenner« der Osmanen und des walachischen Gegenfürsten stießen noch 1395 über die Karpaten ins Burzenland vor. Ein eilig zusammengestelltes Aufgebot warf sich den Eindringlingen entgegen und konnte sie zurückschlagen. Es müssen im Wesentlichen die 68 Kronstadt 1377–1530
waffenfähigen Männer der Burzenländer Orte gewesen sein. Unter ihnen war auch der Kronstädter Geistliche Johannes Jacobi, der offenbar Gegner im Kampf erschlug. Für dieses kirchenrechtliche Vergehen ersuchte er später beim Heiligen Stuhl um Dispens, so dass wir dadurch von diesem ersten Türkenfeldzug überhaupt erst erfahren. Der Fall zeigt zugleich, dass die Türkenbedrohung nicht abstrakt war, sondern alle ganz unmittelbar betraf. Der Bau der Stadtmauern wurde nun zu einer vordringlichen Aufgabe. Die Befestigungsanlagen traten damit in unmittelbare Konkurrenz zum Bau der Marienkirche, denn beide Großvorhaben beanspruchten die Kräfte und Mittel der gleichen Bürger und Einwohner. So lassen sich die Alternativkonzepte, die sich wohl Pleban Thomas mit der Heiligleichnamsbruderschaft für seine Kirche einfallen ließ, gut nachvollziehen. Vor dem Bau der Stadtmauern musste bei der außerordentlichen Ausdehnung der Stadt überhaupt erst festgelegt werden, wo die Verteidigungslinie verlaufen sollte. Man konnte unmöglich alle Wohngebiete sichern, das war angesichts der topographischen Verhältnisse ausgeschlossen. Selbst die Befestigung der gesamten Siedlung im Zinnental war unrealistisch. Wir wissen leider nichts über den Klärungsprozess, der der Festlegung des endgültigen Mauerverlaufs vorausging. Wir können aber vermuten, dass Ausgleiche zumindest für die einflussreichen Kronstädter geschaffen werden mussten, deren Wohnungen und Besitze außerhalb der künftigen Inneren Stadt lagen. Der Mauerverlauf an den beiden Bergseiten im Norden und Süden stand außer Frage, zumal sich die Siedlung – etwa mit der Burggasse – inzwischen bis zum Fuß der Zinne ausgeweitet hatte. Nach Westen, also zum oberen Zinnental hin, aber musste ein schmerzlicher Einschnitt erfolgen: Hier wählte man die topographisch günstigste Stelle, die engste Verbindung zwischen dem Felsvorsprung im Norden und der Zinne im Süden. Die oberhalb liegenden Straßen wurden abgeschnitten. Und angesichts der in den ältesten Plänen zu erkennenden geraden Begrenzung und dem genauen Abstand der Obervorstädter Gassen zur Stadtmauer hin will es scheinen, dass hier Höfe auf einem genau festgelegten Streifen bewusst geschleift wurden, um einen Sicherheitsabstand zu schaffen. Kritischer wurde die Sicherung des breiten Talausgangs zwischen Nordosten und Südosten. In diese Richtung wurden die Gassen das ganze 14. Jahrhundert hindurch für die zahlreichen Zuzügler fortgesetzt, es gab kein wirkliches Ende. Mit dem Dominikanerkloster, dem wohl Das reiche Handelsemporium 69
schon existenten Nonnenkloster und größeren Freiflächen im Umfeld, dem Spital und der Antoniuskapelle sowie den immer weiter wachsenden Gassen franste dieser Stadtteil hier regelrecht aus. An dieser Front würde die befestigte Stadt von Angreifern am leichtesten verwundbar sein. So entschloss man sich, die nahegelegenen Gebäudeensembles der beiden Klöster und des Spitals noch in den zu sichernden Bereich mit einzubeziehen, dabei zu Beginn möglicherweise die Mauern dieser Anlagen selbst noch nutzend. Auf lange Sicht sollte dieser lange Mauerabschnitt am stärksten befestigt werden. Doch gerade hier bestanden noch rund zwei Jahrhunderte zusätzlich hohe Erdwälle mit Palisaden. Um 1416 soll die innere Stadtmauer gestanden haben, so dass der Ordnungsprozess um diese Zeit abgeschlossen gewesen sein muss. Der Rückzug in die Innere Stadt wird auch an folgendem Vorgang deutlich. Im Jahre 1420 schlossen der Stadtrat und die Provinzialvertreter mit der Zunft der Kürschner eine Vereinbarung über die Errichtung einer Ratsstube über deren Gewölbe auf dem Marktplatz. Es war dies ein gemauerter Raum mit Keller, den die Kürschner als Warenlager nutzten und an Markttagen hier ihre Verkaufsstände einrichteten. Felle und Leder gehörten zu den wichtigsten Handelsgütern vor allem mit dem Westen und Norden. In der Stube über dem Kürschnergewölbe sollten künftig Gerichtssachen verhandelt werden. Die Errichtung des Daches über dem Gebäude sollte Sache der Stadt sein, wodurch die Kürschner entlastet wurden. Unmittelbar daneben befand sich ein älterer Wachtturm, wahrscheinlich für den Marktrichter. Der vormalige Ort, der der Rechtsprechung diente, lag entweder außerhalb der Inneren Stadt, etwa im erwähnten Rathaus in der Altstadt, oder entsprach nicht mehr den gestiegenen Bedürfnissen der gewachsenen Stadt. Aus der neuen Ratsstube mitten auf dem großen Marktplatz und aus dem benachbarten Turm sollte sich durch Erweiterungen allmählich das Rathaus entwickeln.
Die Stadtviertel Die Bezeichnung »Innere Stadt«, die sich für den befestigten Teil Kronstadts etablieren sollte, veranschaulicht einprägsam, dass es hier um den Stadtteil innerhalb der Mauern ging, aber auch, dass es eben nur ein Teilbereich war und sich die Stadt ansonsten nach allen Seiten hin fortsetzte. Allerdings sollte sich der ummauerte Bereich schon rasch zu ei70 Kronstadt 1377–1530
nem Raum besonderen Rechts entwickeln. Nur die Bewohner und Hausbesitzer der Inneren Stadt verfügten über Bürgerrechte, durften an den Wahlen zu den politischen Vertretungskörperschaften oder der Pfarrer teilnehmen, nur diese hatten die Möglichkeit zu echtem sozialen und rechtlichen Aufstieg. Jene, die außerhalb verblieben, waren minderberechtet, und zwar ganz unabhängig davon, ob sie Sachsen, Ungarn oder Rumänen waren. Die Sachsen bzw. allgemein die Deutschen, denn die Begriffe wurden synonym benutzt, hatten jedoch ab der Zeit um etwa 1500 den Vorteil, dass sie zum Hauserwerb und damit zum Bürgerrecht in der Inneren Stadt zugelassen waren. Anderssprachigen war diese Möglichkeit verschlossen, da man – aufgrund der Erfahrungen mit Adel oder mit Grundhörigen in anderen Orten – eine Aushöhlung der eigenen Freiheiten fürchtete. Bis einschließlich dem 15. Jahrhundert siedelten sich jedoch auch immer wieder ungarische Handwerker in der Inneren Stadt an, wenn auch gering an Zahl; in den Steuerregistern von 1489 etwa lassen sich hier neben 743 sächsischen auch 8 ungarische Hausbesitzer ausmachen. Zu dieser Zeit waren übrigens auch Mischehen zwischen den Sprachgruppen keine Seltenheit. In der Inneren Stadt verdichtete sich die Siedlung nun allmählich. Durch die Parzellierung freier Flächen und die rückwärtige Verkürzung von hinten aneinanderstoßenden Parzellen entstanden neue Gassen: so die Spitals(neu)gasse zwischen den schon bestehenden Parzellen der Purzengasse und der Schwarzgasse, oder die Neugasse zwischen der Waisenhausgasse und der Oberen Burggasse, die Johannis(neu)gasse wurde bereits erwähnt – das bis ins 19. Jahrhundert übliche »neu« im Gassennamen verweist auf diese spätere Anlage. Durch die Abschottung der Inneren Stadt kam es allmählich zur Ausprägung besonderer Charakteristika der einzelnen Stadtviertel. Die Innere Stadt selbst war der Wohnort der Kaufleute und Handwerker, wobei es gerade unter letzteren durch die Jahrhunderte hin noch zahlreiche Ackerbürger gab. Auch die Wohnhäuser darf man sich hier wie in den anderen Stadtteilen nicht anders vorstellen als Bauernhöfe auf dem Land, nur dass noch die Werkstätten und Lager untergebracht werden mussten. Lediglich am Marktplatz und in den Hauptgassen, vor allem in der Klostergasse, der Purzengasse und am Rossmarkt fingen die wohlhabenden Bürger im Laufe des 15. Jahrhunderts allmählich an, ihre Häuser in Stein zu bauen. Die Altstadt unterhalb des Martinsbergs sowie Bartholomä waren mit der Ausnahme weniger Ungarn von Sachsen bewohnt und ländlich geprägt. Auch zahlreiche innerDas reiche Handelsemporium 71
städtische Sachsen unterhielten hier Meierhöfe. Schließlich hatte sich Kronstadt die größte Gemarkung im Burzenland gesichert. Die Vorstadt Blumenau, wo sich der Siechhof befand und die an der Straße zum Szeklerland hin gelegen war, war am dünnsten besiedelt. Hier befanden sich zunächst nur Gärten der Kronstädter, doch dann siedelten sich neben Sachsen vor allem Szekler und Ungarn an; für 1489 lassen sich hier neben 73 Sachsen bereits 106 Ungarn als Hausbesitzer feststellen. Die sicherste Vorstadt war die durch den Stadtmauerbau abgeschnittene »Obere Vorstadt« im Zinnental zu den Bergen hin. Sie war, wenn die Innere Stadt vollständig gesperrt war, nur durch Überwindung der umgebenden Berge erreichbar. Dieses Viertel sollte sich langfristig zur wohl interessantesten Vorstadt entwickeln. Wie bereits skizziert, hatten die Hauptstraßen der Inneren Stadt hier ihre Fortsetzung; dass sie ursprünglich zu einer geschlossenen Siedlung gehörten, lässt sich etwa an den teilweise gleichen Gassennamen sowie daran erkennen, dass diese Straßen bis zum Anger hin noch Ende des 15. Jahrhunderts überwiegend von Sachsen bewohnt wurden. So standen 1489 in der gesamten Oberen Vorstadt 304 sächsische Hausbesitzer 116 rumänischen und 86 ungarischen gegenüber. Die Ungarn hatten einen Schwerpunkt in der Heiligleichnamsgasse, die allmählich zur Ungergass und schließlich aufgrund eines Missverständnisses zur Angergasse wurde, obwohl ihr Name nicht vom Anger herrührt. Die Rumänen hingegen siedelten relativ kompakt oberhalb des Angers, in den sich den Bergen zuziehenden Tälern. Um 1500 galten die beiden »Belgereyen« als den Rumänen zugehörig, für diese aber hatte sich der Begriff »Bulgari« durchgesetzt. Die Überlieferung der Kronstädter rumänischen Gemeinde berichtet, dass die ersten Bulgaren im Jahre 1392 in der Vorstadt angesiedelt wurden und als Arbeiter beim Bau der Marienkirche eingesetzt wurden. Auch wenn das Jahr vielleicht nicht absolut gesetzt werden kann, so scheint diese Nachricht doch gut begründet zu sein: Es war genau die Zeit, in der die Osmanen das Bulgarische Reich eroberten und ihrer Herrschaft eingliederten; Flüchtlingswellen wichen unter anderem Richtung Norden aus. Ob es tatsächlich ethnische Bulgaren waren oder nicht andere Volksangehörige, die aus dem Bulgarischen Reich stammten, muss offen bleiben, lediglich die Zugehörigkeit zur griechischen Kirche ist gewiss. Der Kronstädter Stadtrat siedelte die Flüchtlinge aus Bulgarien am Abhang des Rattenberges an. Bemerkenswert ist, dass dies genau jene Gegend ist, die als früheste, wohl vor-sächsische Sied72 Kronstadt 1377–1530
lung identifiziert wurde; Ende des 14. Jahrhunderts war sie ganz offensichtlich nicht bewohnt. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich in den oberen Talsohlen oberhalb des Angers wahrscheinlich schon erste Rumänen (Vlachen) als Hirten und Waldarbeiter niedergelassen. Die Begriffe, die sich für die von Rumänen bewohnten Straßenzüge in allen drei Sprachen der Stadt durchsetzen sollten, stimmen inhaltlich überein: Im Deutschen wurden die Straßenzüge der Neusiedler »Belgerey« genannt, im Ungarischen »Bolgárszeg«, also Bulgarenviertel, im Rumänischen aber »Schei« oder »Şchei«, was allgemein Slawenort, spezifischer Bulgarenort heißt. Die Ansiedlungszeit passt unmittelbar mit dem hohen Bedarf an Arbeitskräften in der Stadt zusammen, nachdem neben der Marienkirche spätestens seit 1395 mit Hochdruck an den Stadtbefestigungen gebaut wurde. Es sollte jedoch noch weit über ein Jahrhundert dauern, bis sich der Begriff Belgerey oder Walachische Vorstadt auf die Obere Vorstadt als solche bezog. Parallel zum Rückzug der sächsischen Einwohner aus diesem Stadtteil – wobei sie niemals ganz verschwanden –, nahm der Anteil der Rumänen zu, so dass sich im 16. Jahrhundert die Wahrnehmung dieses Stadtteils als eines rumänischen wandelte. So lassen sich hier 1600 neben 183 sächsischen und 22 ungarischen bereits 384 rumänische Hausbesitzer verzeichnen. Die in der rumänischen Geschichtsschreibung zuweilen geäußerte Ansicht, die Kronstädter Sachsen hätten im 15. und 16. Jahrhundert ganz bewusst von Bulgaren und Belgerey gesprochen, um die angeblich ältere und dauerhafte rumänische Siedlung an diesem Ort zu vertuschen, entbehrt jeder Kenntnis der Denkkategorien des Mittelalters. Ethnische Herkunft war – wie man auch an zahlreichen Mischehen jener Zeit sehen kann – vollkommen irrelevant, Konfession, sozialer und rechtlicher Stand waren die maßgeblichen Kriterien. Gleichwie, die bald nachhaltig von Orthodoxen durchaus unterschiedlichen ethnischen Hintergrunds geprägte Obere Vorstadt sollte sich im Verlaufe des 15. und 16. Jahrhunderts zu einem für Kronstadt bedeutenden wirtschaftlichen Standort und zu einem Zentrum der rumänischen Kultur in Siebenbürgen entwickeln. Wir werden noch häufig darauf zurückkommen. Anzumerken gilt an dieser Stelle noch, dass die Einwohner der verschiedenen Stadtviertel Kronstadts zwar nicht die gleichen politischen Rechte hatten; allerdings galten die wirtschaftlichen Privilegien, die vom König oder von den Woiwoden der Nachbarländer verliehen wurden, ausnahmslos für alle Bewohner der Stadt wie auch des Burzenlandes, unabhängig von Wohnort, Sprache oder Konfession. Das reiche Handelsemporium 73
Eine weitere Gruppe, die an den Abhang des Rattenbergs in die Obere Vorstadt verwiesen wurde, waren die Zigeuner, meist Ägypter oder Pharaonen genannt. Sie kamen spätestens um 1500 zum Stadtbild hinzu, hatten zwar den Status von Grundhörigen gegenüber der Stadt, andererseits aber einen eigenen, ungarnweit anerkannten Rechtsstatus. Sie nahmen vielfältige Dienste für die Stadt wahr: etwa in der Metallverarbeitung, beim Beschlagen von Pferden, bei der Reinhaltung der Gassen und Plätze, als Abdecker, als Hundejäger oder als Henker – überwiegend »unehrliche«, verachtete Tätigkeiten. Wenn Ratsherren auf Reisen gingen, war im Gefolge meist ein Zigeuner als Betreuer der Pferde dabei.
In großer Türkennot Im Türkenkampf konnte König Sigismund nur geringe Erfolge erzielen, in der Schlacht von Nikopolis 1396 erlitt er eine große Niederlage. Während der folgenden zwei Jahrzehnte waren die Osmanen an anderen Grenzen ihres Reiches und durch innere Wirren gebunden, Sigismund musste sich hingegen gegen den aufbegehrenden Adel in Ungarn durchsetzen. Dass die sächsischen Städte und allen voran Kronstadt dabei stets treu zu ihrem König hielten, sollte er ihnen später niemals vergessen. Er ermahnte die Stadt schließlich im November 1420 von Böhmen aus – Sigismund war 1410 deutscher König geworden und versuchte seit 1419, sich den böhmischen Thron zu sichern – »keine Mühen und keine Nachtwachen zu scheuen«5 und die Stadtbefestigungen, die Mauern und Türme, fertigzustellen. Kurz vorher war nämlich etwas Schreckliches passiert. Die Türken waren durch den EisernenTor-Pass in Siebenbürgen eingefallen, vernichteten ein Heer unter dem siebenbürgischen Woiwoden, der dabei fiel, und verwüsteten anschließend den Südwesten des Landes. Die sächsische Stadt Broos, im äußersten Westen der Sieben Stühle, also der alten Hermannstädter Provinz, gelegen, wurde zerstört, die Bewohner wurden in die Sklaverei verschleppt. Sigismund ermahnte ausdrücklich auch die Bewohner der Kronstadt am nächsten gelegenen und nicht über eigene Befestigungen verfügenden Orte Honigberg, Petersberg, Brenndorf und Weidenbach, die Stadt beim Bau der Mauern zu unterstützen, damit sie im Notfalle dort Zuflucht fänden. Die Verwüstungen durch eindringende Heerscharen waren nicht zu verhindern, aber die Menschenleben sollten in je74 Kronstadt 1377–1530
dem Falle gerettet werden. Die Zeiten des Bevölkerungsüberschusses in West- und Mitteleuropa waren spätestens seit dem Schwarzen Tod Mitte des 14. Jahrhunderts vorbei, das Klima hatte sich ab etwa 1300 bereits etwas abgekühlt, große Möglichkeiten der Nachbesiedlung gab es also nicht mehr. Auch wenn gerade die Städte laufend Zuzug, vor allem Handwerker, erhielten, so war der Schutz der Menschen doch die oberste Maxime des Landesherrn. Denn nur so war anschließender Wiederaufbau und künftige Landesverteidigung möglich. Daher auch das wiederholte Drängen Sigismunds, Kronstadt gewissermaßen als größte Burg der Region auszubauen, um großen Menschenmengen im Belagerungsfall Schutz zu bieten. Die Ermahnung Sigismunds kam jedoch zu spät. Der gerade an die Macht gekommene Sultan Murad II. brach nämlich bereits im folgenden Frühjahr ins Burzenland ein. Ein eilig aufgestelltes Aufgebot der Sieben Stühle und der Szekler warf sich den Türken am 3. April 1421 entgegen. Es wurde jedoch aufgerieben, wobei das Hermannstädter Stadtbuch als Grund dafür die Flucht der Szekler angibt. Anschließend verwüsteten die Türken die Hälfte der Burzenländer Dörfer und standen vor Kronstadt. Der genaue Ablauf des Geschehens ist uns leider nicht bekannt. Die Kronstädter Wandchronik berichtete, dass sich die ansässige Bevölkerung in die Zinnenburg retten konnte. Ob sie von Anbeginn dorthin flüchtete, weil sie in die neuen Stadtmauern noch nicht genügend Vertrauen hatte, oder erst später, als diese nicht mehr zu halten waren, bleibt offen. Die Türken brachen jedenfalls in die Innere Stadt ein, zerstörten mehrere Kirchen und einen Teil der Gebäude, wie wir aus späteren Urkunden wissen. Auch zahlreiche Menschenopfer waren zu beklagen. Die nördlichen Vorstädte werden sie – wie auch später oft – niedergebrannt haben. Bemerkenswert ist der Umstand, dass sich der Stadtrat in die Burg auf dem Gesprengberg geflüchtet hatte – vielleicht kam er von der gescheiterten Entsatzschlacht zurück, vielleicht wollte er von dort aus die Abwehr organisieren, vielleicht sogar mit den Angreifern verhandeln, wir wissen es nicht. Diese Burg wurde jedenfalls erstürmt und der gesamte Stadtrat einschließlich des Stadtrichters Nicolaus Weyrauch und noch mehr Volk, aus Kronstadt und den überfallenen Gemeinden, in die Gefangenschaft abgeführt – der Sklavenhandel im Orient und im Mittelmeerraum blühte zu jener Zeit. Die Brand- und Zerstörungsspuren von 1421 an dieser kleinen Burg einschließlich eines verlorenen Gegenstands eines türkischen Soldaten wurden bei Ausgrabungen im 20. Jahrhundert entdeckt. Das reiche Handelsemporium 75
König Sigismund gab seiner Erschütterung über diese Ereignisse schon im Herbst Ausdruck:
»Aufgewühlt in Unserem Herzen haben wir von Euren Nöten vernommen, von der Beraubung eurer Güter, der Verschleppung von euch und euren Frauen und Kindern, von der Peinigung, Verstümmelung, Ermordung, Entführung sowie von anderen Verbrechen und ruchlosen Freveltaten, die ihr vor Kurzem von den grausamen Türken erleiden musstet, den Feinden des Kreuzes Christi, die Unser Königreich Ungarn und vor allem jene Gegenden Siebenbürgens wie reißende Wölfe überfallen haben.«6
Er befreite die Stadt und sechs der Burzenländer Dörfer zunächst für ein, im Folgejahr für weitere zehn Jahre von der Zahlung des Martins zinses, also der jährlichen Steuer für die Krone. Dies sollte die Bewohner in die Lage versetzen, ihre Anwesen wieder aufzubauen und vor allem, die Stadt weiter zu befestigen. Die Angst aber saß manchem Kronstädter noch lange in den Knochen. Nicht wenige verließen ihre Höfe in der Stadt, ohne sie zu verkaufen, um in sichereren Gegenden des Landes zu leben; sie mussten schließlich zum Verkauf gezwungen werden, um Neusiedlern Platz zu machen. Der Wiederaufbau der Stadt setzte unmittelbar ein. So etwas sollte den Kronstädtern nicht noch einmal passieren. Mehr als ein Vierteljahrtausend sollte die Türkengefahr nun andauern, doch die Innere Stadt sollte kein zweites Mal eingenommen werden. Die nahezu fertiggestellte Marienkirche war im April 1421 stark in Mitleidenschaft gezogen worden, offenbar wurde das Hauptschiff und ein Großteil der Inneneinrichtung zerstört. Doch der Wiederaufbau der großen Stadtkirche war nun keine vordringliche Aufgabe, es gab andere Prioritäten. Das mag auch damit zu tun gehabt haben, dass Pleban Thomas, der eifrigste Betreiber des Kirchenbaues, wohl während des Türkenangriffs 1421 nach sehr langer Amtszeit den Tod fand. Der kritische Bereich war und blieb der breite Mauerabschnitt zur ebenen Fläche vor dem später sogenannten Schlossberg, also zu jenem Streifen hin, der auch heute noch als Park weitgehend unbebaut ist. Neben der Verstärkung der Eckbasteien wurden hier vor allem die Toranlagen erweitert und ausgebaut. Die Bedeutung Sigismunds für den Ausbau der Stadtbefestigungen schlägt sich in dem Bildnis des Königs am Torturm des Klostertores nieder, das hier über Jahrhunderte hin zu sehen war. Durch die Verdoppelung, bald Verdreifachung der Stadtmau76 Kronstadt 1377–1530
ern an dieser Front entstanden Zwinger, also zusätzliche Fallen für die Angreifer. Eine in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzende Einrichtung waren die Teiche vor den Stadtmauern, die den Angreifern ein Heranrücken erschweren sollten; im Belagerungsfall wurden die Deiche und Schleusen zwischen den Teichen geöffnet. Eine Besonderheit war die Absperrung des Pfades hinter der Stadtmauer an der Graft: Hier wurde zwischen dem Felsen unterhalb des Schwarzen Turmes und der Schmiedebastei eine große, eine Drittel Tonne schwere Kette gespannt, um unkontrollierten Lastentransfer aus der Oberen Vorstadt zu unterbinden. Dies führte zu einem der in der Frühen Neuzeit beliebten Frage-Antwort-Scherze: Welches ist die wildeste Stadt Siebenbürgens? Kronstadt, weil es an einer eisernen Kette liegt. Als die Türken im Verein mit dem walachischen Woiwoden Alexander Aldea im Juni 1432 wieder ins Burzenland einfielen und bis hin zum Szeklerland und zum Repser Stuhl alles verwüsteten und die Bewohner gefangennahmen, konnte Kronstadt dem Ansturm bereits widerstehen. Die Abwehr von den Zinnen und Türmen der Stadt fand in den Urkunden ihren Niederschlag. In der Regel waren die Einfälle der Türken und ihrer Verbündeten über die Karpaten nur Aktionen relativ kleiner Truppenkontingente, die die Grenzregionen zermürben und gleichzeitig schnelle Beute machen sollten. Hierfür waren die sächsischen Orte in ganz Südsiebenbürgen besonders geeignet, da sie einerseits recht wohlhabend, andererseits in den Ebenen und Hügellandschaften leicht einnehmbar waren. Es ist dies die Zeit, in denen die Dörfer anfingen, ihre Kirchen zu befestigen, zunächst als Wehrkirchen, dann als Kirchenburgen. Auch die Bartholomäer Kirche wurde wehrhaft gemacht. Den schnell agierenden Scharmützeltruppen konnte man oft nicht mehr in die etwas abseits liegenden Fliehburgen ausweichen. Hingegen konnten die kleinen Kirchenburgen schnell erreicht werden, sie boten Vorräten Schutz und hielten kleineren Heeren durchaus stand. Was sich aber 1438 durch den Süden Siebenbürgens wälzte, war etwas ganz anderes. Es war das Heer eines osmanischen Sultans, vielleicht das größte Heer, das das Land seit dem Mongolensturm 1241 gesehen hatte. Nur zwei Orte widerstanden den Osmanen zwischen dem Eisernen-Tor-Pass, wo sie einfielen, und den Pässen aus dem Burzenland hinaus, wo sie das Land verließen. Es waren Hermannstadt, das acht Tage lang vergeblich belagert wurde, und Kronstadt, wobei sie sich hier, bereits beladen mit Beute und gefangenen Menschenmassen, mit der Verheerung der Vorstädte begnügten, eine Belagerung der InneDas reiche Handelsemporium 77
ren Stadt lohnte nicht. Die Schneise der Verwüstung, die das türkische Heer hinterlassen hatte, war noch zwei Jahrzehnte später sichtbar. Auch Mühlbach wurde eingenommen und die Bevölkerung verschleppt. Kronstadt war hingegen zwischenzeitlich so stark befestigt, dass die Stadt auf die Zinnenburg nicht nur verzichten konnte, vielmehr gingen von ihr sogar Gefahren aus: Wenn sie, da von den in der Stadt selbst benötigten Männern nicht ausreichend verteidigt, von Belagerern eingenommen worden wäre, wäre die Innere Stadt nachhaltig bedroht worden. Eine Gefährdung anderer Art hätte von der Vergabe der Burg an Adlige ausgehen können, entsprechende Aspirationen bestanden. So waren die Kronstädter bestrebt, die Erlaubnis zur Schleifung der Burg zu erhalten, was zu Beginn der 1450er Jahre erfolgt sein muss; 1455 erlaubte der Graner Erzbischof schließlich auch die Abtragung der Leonhardskapelle, wenn dafür in der Marienkirche ein Altar für diesen Heiligen eingerichtet würde.
Kronstadt in der großen Politik Schon im Jahr nach der türkischen Einnahme der Stadt kam es zu einer weitreichenden Entscheidung der Kronstädter. Ob der Stadtrat und der Stadtrichter aus der türkischen Gefangenschaft bereits freigekommen und zurückgekehrt waren, wissen wir nicht; ein Hinweis deutet dafür auf das Jahr 1424. Jedenfalls gab es 1422 einen amtierenden Stadtrat, der »nach reifer Verhandlung und ausführlicher Beratung« König Sigismund darum ansuchte, sich künftig in allem nach den Gesetzen, Gewohnheiten und Rechten der Sieben Stühle richten, also Hermannstädter Recht annehmen zu dürfen. Der König gab diesem Ansuchen anstandslos statt. Es hört sich alles so an, als ob die Kronstädter diesen Status schon längst hätten erhalten können. Die Hermannstädter Provinz besaß ihre vorteilhaften Freiheiten seit 1224, wir hörten im Zusammenhang mit der Vertreibung des Deutschen Ordens davon. Bereits 1315 hatten die Zwei Stühle mit Mediasch und 1366 das Nösnerland mit Bistritz Hermannstädter Recht erhalten. Kronstadt war aber nicht nur topographisch etwas abgeschlagen – das Burzenland wurde auch damals oft als eigenständige Landschaft angesehen –, die kleine Provinz war unter der Führung der Stadt so selbständig und so mächtig geworden, auch so königsnah, dass sie sich aus der wirtschaftlichen Konkurrenzsituation zu Hermannstadt heraus nicht zu diesem Schritt überwinden konnte. Die 78 Kronstadt 1377–1530
türkische Einnahme der Stadt, die unmittelbare Erfahrung der Existenzbedrohung, vielleicht auch die Abwesenheit des alten Stadtrates brachte die amtierenden Stadtoberen dazu, die Einbindung in den größeren Verband zu suchen. Auch der Einsatz des Aufgebots der Sieben Stühle beim Versuch, die Türken zurückzuschlagen, mag eine Rolle gespielt haben. Die enorm angespannte Situation zwischen Hermannstadt und Kronstadt, die fast schon als Handelskrieg bezeichnet werden konnte, war schon 1412 durch einen Vergleich vor dem siebenbürgischen Woiwoden auf eine ausgeglichene Basis gestellt worden. Der Beitritt zum Hermannstädter Rechtskreis, der schon bald als eigene »Natio«, als Landstand auftreten sollte, war die auf lange Sicht weitreichendste Entscheidung der Stadt Kronstadt. Die Oberen Kronstadts und des Burzenlandes konnten in ihrer Politik auf eine sehr gute, wohl schon direkt freundschaftliche Beziehung zu König Sigismund bauen. Er hatte die Stadt schon früh als entscheidenden strategischen Standort im Kampf gegen die Türkenbedrohung, als absolut zuverlässigen Partner und als Waffenschmiede kennengelernt, immer wieder kehrte er hierher zurück. 1427 hielt er sich über ein halbes Jahr mit seinem Hofstaat hier auf, um die Türkenabwehr im Südosten zu organisieren. Dass die Stadt den König bei solchen Gelegenheiten zu vielerlei Zugeständnissen bewegen konnte, ist naheliegend und zeigt sich an den zahlreichen vorteilhaften Urkunden, die er Kronstadt oder einzelnen seiner Bürger ausstellte. Die im Burzenland kaum noch anfechtbare Stadt konnte sich auf diesem Wege selbst umstrittenen Besitz wie die Schulerau und das Schulergebirge sichern, die vorher offenbar Neustadt gehört hatten. Zur Zeit Sigismunds verschwindet der Komitatsgraf ganz aus den Quellen, an seine Stelle waren einerseits der Szeklergraf und der Törzburger Kastellan, andererseits der sächsische Provinzialverband getreten. Von Gerichtstagen eines Vertreters des Königs in Kronstadt hören wir allerdings nichts mehr. Kronstadt trat durch seine vornehmen Bürger aber nicht nur gegenüber dem König selbstbewusst auf. Auch gegenüber den beiden Nachbarländern agierte die Stadt nahezu wie eine souveräne Macht. Das erste Handelsprivileg mit der Walachei rührte, wie wir hörten, von 1368 her, und seither folgte mit dieser und mit der Moldau eine nahezu unübersehbare Zahl an Abkommen. Kronstadt verfügte letztlich über mehr Handelsprivilegien als alle anderen siebenbürgischen Städte zusammengenommen. In den immer unruhiger werdenden Zeiten ab dem Ende des 14. Jahrhunderts baute die Stadt, ähnlich Hermannstadt, Das reiche Handelsemporium 79
ein breit agierendes Netz an Informanten in den beiden Nachbarprovinzen aus. Diese lieferten laufend Meldungen über Gefahren, etwa Kriegszüge der Türken, Umsturzversuche an Woiwodenhöfen, Beeinträchtigungen der eigenen Kaufleute, kurz: Die Stadt wollte ihren Handel bestmöglich schützen. Gegenüber dem 14. Jahrhundert war nämlich ein mehrfacher Wandel festzustellen. Einerseits wurden die Herrscher der Nachbarprovinzen, vor allem in der seit der Jahrhundertwende meist der Hohen Pforte tributpflichtigen Walachei, immer wieder von den Osmanen oder von dem ungarischen König nahestehenden Parteiungen ab- und eingesetzt, häufig gab es mehrere Woiwoden, die um die Macht stritten. Sowohl diese Fürsten wie auch deren jeweiliger Adel, die Bojaren, suchten, wenn sie gerade unterlegen waren, jenseits der Karpaten in den festen sächsischen Städten Schutz. Kronstadt war aufgrund seiner Beziehungen eine der ersten Anlaufstellen, doch auch Hermannstadt oder Schässburg waren solche Exilstätten. Dadurch und durch ihre eigenen Handelsinteressen gerieten die Städte oft zwischen die Fronten. Aber auch im Handel veränderten sich die Bedingungen. Seit der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts hatten sich etwa in der Walachei ganz allmählich Städte und Märkte entwickelt. Den Woiwoden lag nun natürlich viel daran, auch die eigenen Orte und Kaufleute mit vorteilhaften Privilegien auszustatten. Das wiederum stieß auf den entschiedenen Widerstand der Kronstädter, die ihre Politik entsprechend gestalteten: Sie unterstützten jene Thronprätendenten mit Waffen, Geld und Truppen, die ihnen die Sicherung ihrer alten Vorrechte versprachen. Dass sie dabei nicht immer eine glückliche Hand hatten und dass stets auch die unkalkulierbare Macht der Osmanen mitspielte, soll am Beispiel eines des bekanntesten Fürsten der Walachei gezeigt werden. Der walachische Woiwode Vlad III., später genannt »der Pfähler« (Ţepeş), kam selber während der Flucht seines Vaters wahrscheinlich in Schässburg zur Welt, war später zeitweilig als Geisel bei den Osmanen und konnte sich den Thron der Walachei 1456 erst mit Hilfe Ungarns sichern. Noch im September jenes Jahres kam es zu einem Abkommen der Kronstädter und Burzenländer mit Vlad, alte Rechte wurden vom Woiwoden bestätigt, die Stadt sagte Zuflucht in der Not und Waffenhilfe gegen die Türken zu. Doch dem jungen König Ladislaus, der nicht mehr auf den gerade verstorbenen vormaligen Reichsverweser Johannes Hunyadi Rücksicht nehmen musste, passte Vlad nicht. Er unterstützte einen Gegenfürsten, Dan. Diesem schlossen sich auch die Kron80 Kronstadt 1377–1530
städter an, denn Vlad hatte Städten in der Walachei das Stapelrecht verliehen, was den Kronstädter Handel im Süden unmittelbar in eine Sackgasse führte: Die Kaufleute kamen nicht weiter als bis zu jenen Orten. Die Front war klar, doch Vlad setzte sich durch und unternahm schon 1457 einen Vergeltungszug ins Burzenland, Brenndorf wurde vernichtet. Noch gegen Ende des Jahres kam es zur Aussöhnung, wohl weil beide Seiten sahen, dass von einem dauerhaften Konflikt keiner profitierte: Der Waffenstillstand zwischen Vlad und Kronstadt wurde im November 1457 in Schässburg geschlossen und der Gegenfürst Dan aus der Stadt, wo er Zuflucht gefunden hatte, entfernt. Der Schlagabtausch ging aber weiter. Anfang 1458 wurde Matthias (Corvinus), der Sohn Johannes Hunyadis, zum ungarischen König gewählt, und dieser favorisierte den Sohn des inzwischen verstorbenen Dan gleichen Namens als Woiwoden der Walachei. Desgleichen taten die Kronstädter, nicht nur aus Treue zu ihrem König, der ihnen schon im Sommer nach seinem Regierungsantritt alle Rechte bestätigte, sondern weil man mit der Walachei unter Vlad nicht recht Geschäfte machen konnte. Also holte dieser bereits im Frühjahr 1459 wieder zu einem Vergeltungsfeldzug gegen das Burzenland aus. Doch damit nicht genug. Vlad hatte 41 Kronstädter und Burzenländer Kaufleute in der Walachei ausgeraubt und gepfählt. Desgleichen ließ er über 300 junge Männer aus dem Burzenland, die sich zum Erlernen des Rumänischen in der Walachei aufhielten, pfählen und verbrennen. Dan, von Matthias unterstützt, hatte sein Feldlager bei Marienburg aufgeschlagen, fast ein Jahr blieb er im Burzenland. Ein Waffenembargo gegen die Walachei, von Matthias verhängt, und gegenseitige Warenbeschlagnahmen schädigten die Kronstädter massiv. Erst als Dan bei einem Feldzug gegen Vlad im März 1460 den Tod fand, verbesserten sich die Beziehungen zu Vlad wieder, ja es kam zu einem neuerlichen Friedensvertrag mit ihm. Die Festgesetzten der jeweils anderen Seite sollten freigelassen werden, und Kronstadt sollte jene Bojaren, die Vlad feindlich gesinnt waren und in der Stadt Zuflucht gefunden hatten, ausweisen. Anschließend muss es zu einem Abkommen zwischen Vlad mit den Sachsen und den Szeklern gekommen sein, denn über zwei Jahre hin sind keine weiteren Konflikte mehr verzeichnet. Als Vlad im Herbst 1462 wegen neuerlicher Thronkämpfe in der Walachei nach Siebenbürgen flüchtete, ließ ihn König Matthias festnehmen – gefälschte Briefe bezichtigten Vlad der Kooperation mit den Osmanen. Es spricht einiges dafür, dass sich dieser Vorgang in Kronstadt abspielte, da König Matthias gerade im November 1462, als Vlad für Das reiche Handelsemporium 81
rund vierzehn Jahre festgesetzt wurde, in der Stadt weilte. Als Vlad 1476 noch einmal kurz die Macht in der Walachei zu erringen versuchte, knüpfte er umgehend an seine Beziehungen zu Kronstadt an, da er Kaufleute und Handwerker benötigte. Er wurde aber schon nach wenigen Wochen getötet. Ähnlich wie die Herrschaftsjahre Vlad des Pfählers lief für die Kronstädter fast das ganze 15. Jahrhundert ab: Ein stetes Wechselbad der Gefühle, das die Stadtführung Pragmatismus lehrte, um ihre Handelsinteressen halbwegs zu wahren, das aber zugleich die überragende Stellung der Handelsherren allmählich relativierte. Im Falle Vlads III. muss aber noch ein besonderes Phänomen erwähnt werden. Der zu bestialischer Grausamkeit neigende Fürst wurde in späteren Jahrhunderten nämlich zur mehr oder weniger bekanntesten Gestalt der rumänischen Geschichte, nämlich zum Vorbild für den blutsaugenden Vampir »Dracula«. Den Auslöser dieser zweifelhaften Karriere sehen viele in zeitgenössischen verunglimpfenden und übertriebenen Informationen der sächsischen Städte, vor allem Kronstadts und Hermannstadts. Mit diesen Nachrichten seien Flugblätter, Schmähschriften, Gedichte über Vlad III. entstanden, die ihn als unmenschlichen Wüterich darstellten. Auch wenn als Ursprung solcher Nachrichten durchaus sächsische Quellen in Frage kommen – schließlich mussten die Fernhändler, wenn sie in Mittel- und Westeuropa unterwegs waren, nur über die eigenen Erfahrungen oder jene in der Familie und in der Nachbarschaft berichten –, so kann Vlad gegenüber nicht von einer ausgeprägteren Feindschaft gesprochen werden als gegenüber anderen Woiwoden, deren Politik zwischen den Machtinteressen der Osmanen und jenen Ungarns sowie wegen interner wechselnder Parteiungen als unstet erscheinen mag. Eine besondere Beziehung dieses walachischen Woiwoden etwa zur Törzburg, mit der er heute in Verbindung gebracht wird, besteht nicht: Die Törzburg war die ganze Zeit über in der Hand des Kastellans und Stellvertreters des Szeklergrafen als oberstem königlichen Richter für das Burzenland. Vlad mag mit seinen Truppen oder auch auf der Flucht hier durchaus vorbeigekommen sein, dass er aber zumindest einmal in der Grenzburg übernachtet hätte, ist nicht überliefert. Innerhalb Ungarns fand Kronstadt nach wechselvollen Jahrzehnten in Matthias I. Corvinus wieder einen König, auf den es fest bauen konnte. Die gute Beziehung wurde bald noch vertieft, als sich Kronstadt einem Aufstand weiter Teile der Elite des Landes, also vor allem des Adels und auch eines guten Teils der sächsischen Gräfen, gegen den 82 Kronstadt 1377–1530
König 1467 nicht anschloss. Die Stadtbürger ließen sich von ihrem alten Stadtpfarrer Johannes Reudel beraten, der während seiner langen Amtszeit schon oft in diplomatischer Mission für Kronstadt unterwegs war. Er ermahnte die Stadt zur Treue gegen den König, und da die alten Gräfenfamilien in Kronstadt wie auch im Burzenland bereits um die Mitte des Jahrhunderts ihren Einfluss gänzlich eingebüßt hatten, bestand Konsens: Kronstadt hielt zu Matthias. In Hermannstadt verlief der Aufstand ganz anders: Etliche Mitglieder der Stadt- und Stuhlsführung schlossen sich der Empörung an. Matthias aber zögerte nicht, er zog in die Stadt ein und ließ die Untreuen hinrichten: Der Kopf des Königsrichters rollte auf dem Großen Ring, der Bürgermeister war nach Polen geflohen. Matthias erwies sich Kronstadt gegenüber dankbar für die erwiesene Treue. Er schränkte die Rechte der Törzburger Kastellane gegenüber der Stadt weiter ein, er erweiterte das Kronstädter Stapelrecht, schließlich nahm er Kronstadt gegenüber dem siebenbürgischen Münzkammergrafen in Schutz. Dies waren zugleich Unterstützungen im Konkurrenzkampf mit Hermannstadt und mit den Sieben Stühlen. Denn das Burzenland mag zwar das gleiche Recht wie die anderen sächsischen Gebietskörperschaften gehabt haben, aber man zog noch lange nicht an einem Strang. Vielmehr gab es mancherlei Auseinandersetzungen zwischen den beiden Seiten, die etwa den Handel auf den Gebieten des jeweils anderen betrafen und die nicht selten vom König geschlichtet wurden. Gleichzeitig erkannte Matthias als Konsequenz aus dem Aufstand von 1467 die Notwendigkeit, die sächsischen Städte in ihren Freiheiten zu schützen, um sie als treue und für den König opferbereite Stützen zu erhalten. Für die Städte selbst gab es durchaus Grund zur Sorge, denn Mühlbach war vom König verpfändet worden und Bistritz noch eine Erbgrafschaft anderer Verwandter Hunyadis. Um diese Zeit erst begann sich eine tragfähige Solidarität der sächsischen Städte herauszubilden, denn gerade die größeren waren noch durchaus eigenwillig, allen voran Kronstadt. Dem politisch weitsichtigen Hermannstädter Bürgermeister Thomas Altemberger, der zwischen 1481 und 1486 auch das Amt des Hermannstädter Königsrichters übernahm, gelang ein Meisterstück: Er brachte die Stadtführungen zu gemeinsamem Handeln zusammen. Es ging im Wesentlichen darum, adlige Vorrechte der Erben von Gräfen auf dem Gebiet städtischer Freiheiten auszuschließen. 1481 wurde ein »Anbringen an unser allergnedigsten herren den König der stet [Städte] und aller Teutschen aus Sybenbürgen« vorgelegt. Damit war vorweggenommen, was Das reiche Handelsemporium 83
ab 1484 einen eigenen Namen bekommen und 1486 von König Matthias ausdrücklich anerkannt werden sollte: die universitas Saxonum, die Sächsische Nationsuniversität, als Vertretung der »Gesamtheit der Sachsen« der Sieben und Zwei Stühle, des Nösnerlandes und des Burzenlandes. Die führenden Kräften waren und blieben die Städte, so dass diese universitas mit Konrad Gündisch zu recht als Städtebund angesehen werden kann. Kronstadt war mit seinem Distrikt das jüngste Mitglied in diesem Kreis. Der Kronstädter oder Burzenländer Distrikt sollte sich nun, angeführt vom Kronstädter Stadtrichter, als zuverlässiges Glied der sächsischen »Nation« etablieren. Die Entstehung der Nationsuniversität als politischer Interessensvertretung war auch Ausdruck eines nachhaltigen Wandels in der Sozialstruktur der Städte. Rund 300 Jahre nach der Einwanderung war der Einfluss der alten Gräfenfamilien, also des sächsischen Kleinadels, gebrochen, die Kaufleute und Unternehmer hatten in allen Bereichen die Führung übernommen. In Kronstadt war dieser Prozess bereits etwas früher abgeschlossen, nämlich um die Mitte des 15. Jahrhunderts. Das fand seinen Ausdruck auch darin, dass der Einfluss der Burzenländer Gemeinden – vor allem von Tartlau, Marienburg, Zeiden und Rosenau, die eigene Gerichtsbezirke bildeten und über Marktrecht verfügten – in der Provinzialversammlung schwand und die Stadt die alleinige Führung übernahm. Der letzte betagte und erbenlos gebliebene Nachkomme einer dieser alten Familien, nämlich der Sander de Santa Agatha, vermachte seine Burzenländer Besitzungen Neudorf und Hopsiefen 1462 in Anwesenheit von König Matthias der Stadt Kronstadt. Die Stadtobrigkeit wurde nun überwiegend von den erfolgreichen Kaufleuten gestellt, deren Familien sich seit Mitte des 14. Jahrhunderts in Kronstadt etabliert hatten. Sie hießen nun Benkner, Schirmer, Schunkabunk, bald auch Hirscher oder Fuchs. Allerdings konnten diese Bürger die Politik der Provinz und der Stadt nun nicht mehr allein untereinander ausmachen, neue gesellschaftliche Kräfte kamen hinzu. Der Stand der Handwerker hatte sich nämlich im Verlaufe des 15. Jahrhunderts zu einem Teil der Stadtbevölkerung entwickelt, der nicht mehr übergangen werden konnte und Mitsprache einforderte. Die Handwerker wurden zunehmend zu wichtigen Partnern und Lieferanten für die Kaufleute. Zudem waren sie es, auf denen die Bedeutung der Stadt etwa als Waffenschmiede fußte – gerade in der Türkenabwehr und in den Kämpfen mit den Nachbarländern von den Herrschern und Feldherren beiderseits der Karpaten sehr geschätzt. In der Walachei 84 Kronstadt 1377–1530
entstand für Kronstädter Handwerksprodukte ein eigener Begriff, es waren die braşovenie. Es war auch durchaus möglich, dass Handwerker zu Wohlstand kamen, vielleicht auch am Handel partizipierten und den Aufstieg in die Gruppe der »rathmäßigen Männer«, also der Ratsfamilien schafften – die sozialen Grenzen waren keineswegs starr. In einer Bestätigung der städtischen Freiheiten durch König Sigismund war 1428 die Rede von der communitas als der Gesamtgemeinde, und der universitas civium, der Gesamtheit der ratsfähigen Familien. Die Gesamtgemeinde war es, die wählen durfte: den Stadtrichter, den Hannen und die Ratsgeschworenen oder Stadträte, später auch Senatoren genannt – zunächst sechzehn, später wurde die Zahl auf zwölf reduziert. Ferner fiel die Wahl des Plebans, des Stadtpfarrers, in ihre Kompetenz. Anders als die Städte in den Sieben und Zwei Stühlen hatten Kronstadt und das Burzenland, ähnlich Bistritz, keinen Königsrichter und keinen Bürgermeister, sondern einen Stadtrichter als obersten politischen und judikativen Vertreter auf dem Distriktsgebiet. So wie im 14. Jahrhundert die erfolgreichen Kaufleute in den Kreis der bis dahin vom Klein- und Landadel gebildeten Ratsfamilien drängten, so waren es im 15. Jahrhundert wohlhabende Handwerker, die zunehmend Zugang zu dieser Gruppe erhielten. Es war ein allmählicher, sehr wahrscheinlich friedlich ablaufender Prozess, bei dem sich der Vorteil des durchaus offenen Siedlerrechts gegenüber starren Standesschranken zeigte: Erfolgreiche, »innovative«, zur Übernahme von Verantwortung bereite Männer wurden in den Kreis der obersten Stadtbürger kooptiert. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts waren zuweilen bis zur Hälfte der Stadträte Handwerker, freilich alle mit Hausbesitz in den guten Gassen der Inneren Stadt. Nicht nur die Bedeutung des Handwerks hatte gegenüber dem immer noch sehr profitablen Handel zugenommen. Auch die Zahl der Einwohner und dabei vor allem jene der Handwerker wuchs beständig. So entstand im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts eine repräsentative Zwischenebene. Allerdings muss dieser »Äußere Rat« – auch hier folgen wir der Interpretation von Maja Philippi – eher als ein Instrument des Stadtrates und der Ratsfamilien gesehen werden, die Wahlen der Stadtführung besser zu kontrollieren und Unwägbarkeiten, die eine zu große Wahlgemeinde hätte mit sich bringen können, zu vermeiden. Es war nämlich der Stadtrat selbst, der die Mitglieder des äußeren Rates oder der »Hundertmannschaft«, benannt nach der Mitgliederzahl, ernannte. Im Falle Kronstadts waren dies 25 Mitglieder aus jedem der vier »Quartale«. Es war auch zunächst Das reiche Handelsemporium 85
keinesfalls eine Einrichtung der Handwerker wie etwa in späteren Zeiten, auch wenn sie die größte Einzelgruppe ausmachten, sondern eine Einrichtung der führenden und wohlhabendsten Männer der Stadt, auch der Ratsfamilien. Jedes Mitglied des Stadtrates musste vorher Mitglied der Hundertmannschaft gewesen sein, jeder Stadthann musste vorher Ratsherr gewesen sein, jeder Stadtrichter vorher Stadthann – so der Cursus honorum in Kronstadt. Die Hundertmannschaft wählte jährlich am zweiten Weihnachtstag den Stadtrichter und den Stadthannen. Die neuen Mitglieder des inneren Rates aber wurden in einem eigenartigen, klüngelhaften Zusammenspiel von alten Ratsherren, neuem Richter und Hann sowie der am Rande beteiligten Hundertmannschaft berufen – ein für uns heute intransparentes Verfahren, das zeigt, dass von demokratischen Prozessen nach modernem Verständnis in den sächsischen Städten des späten Mittelalters keine Rede sein kann. Die einzelnen Ratsherren hatten je eigene Aufgaben, etwa Steuereinhebung in den vier Quartalen, Brücken- und Brunnenbetreuung, Verwaltung der Stadtgüter, Eintreiben und Verwaltung der Zölle usw. Die Ernennung in die Hundertmannschaft war hingegen auf Lebenszeit. Starb ein Mitglied, nominierte der innere Rat eine zwischenzeitlich aufgestiegene Persönlichkeit aus dem jeweiligen Quartal nach, vom Prinzip durchaus heutigen Stiftungsräten vergleichbar. Die Hundertmannschaft wurde 1491 und 1495 erstmals erwähnt, muss aber schon einige Zeit vorher bestanden haben. Hier wurden die dem Rat genehmen Persönlichkeiten immer wieder prominent eingebunden und blieben in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zur Stadtführung, zumal dann, wenn sie in den inneren Rat strebten. Die breite Masse der innerstädtischen Einwohner aber hatte zumindest die Illusion der Partizipation, in Wahlvorgänge aber waren sie nur in Zünften oder Gesellenbruderschaften eingebunden. Sinnfällig spiegelte sich diese Leitungs- und Sozialstruktur der Stadt in der Kronstädter Wehrordnung von 1491 wider. Das Burzenland hatte von einer langen Friedenszeit ohne Türkeneinfälle profitiert, diese richteten sich gegen andere Teile des Karpatenraumes. Die Befestigungen wurden unablässig ausgebaut, zu den Basteien an den vier Ecken der Stadt und jeweils in der Mitte der Mauerseiten kamen in regelmäßigen Abständen Türme hinzu – insgesamt 32 an der Zahl. Gegen Ende des Jahrhunderts mussten der Weiße und der Schwarze Turm auf den Raupenberg gebaut werden, um der neuen Technik der Feuerwaffen Rechnung zu tragen. Die Mauern selbst – ihr Gesamtumfang betrug rund 86 Kronstadt 1377–1530
drei Kilometer – wurden auf etwa 12 Meter Höhe gebracht und durch weitere Mauerringe verstärkt: Gegen die Obere Vorstadt und gegen den Raupenberg wurden sie verdoppelt, die breite und gefährdetste Seite gegen die Altstadt und die Blumenau erhielt hinter dem äußeren Erdwall mit Palisaden eine dreifache Sicherung. Am beeindruckendsten aber waren die alten Torbasteien: Vor die eigentlichen Tore in der inneren Stadtmauer wurden, da die Öffnungen natürlich die neuralgischen Punkte der Verteidigung waren, weit vor die Mauern und zwischen die Stadtgräben ausholende Basteianlagen gebaut. Wollte man die Innere Stadt betreten, musste man zunächst über eine Fallbrücke, die über den Wassergraben führte, zum äußeren Tor, dann sich durch die eigentlich geräumige Bastei einen Weg bahnen, wo sich neben den Wachen und Stadttrabanten, also den städtischen Söldnern, zahlreiche Wägen, Warenballen und Warenfässer befanden, an Markttagen überall Gewusel, Geschacher, Geschrei. Es folgten weitere Tore durch die äußere Stadtmauer, mitunter dunkle Gewölbe und lange Gänge, schließlich der Torturm durch die innere Stadtmauer. Die Umrisse der Fundamente eines dieser Tore, jenes zur Purzengasse, war lange Zeit seit den 1980er Jahren in der Straßenpflasterung gekennzeichnet, bis sie vor ein paar Jahren durch unkundige Belagserneuerung großteils verschwanden. Dieses Tor gab der Gasse ihren Namen: platea porticae, Torgasse oder im Sächsischen eben Purzengasse. Und nach diesem kennzeichnenden Tor mit seinem Turm wurde eines der vier administrativen Viertel der Stadt benannt, nämlich das Quartale Portica im Südosten der Inneren Stadt mit der Blumenau. Die anderen Viertel hießen Quartale Corporis Christi nach der Heiligleichnamskapelle, Quartale Catharina nach dem Katharinenhof und Quartale Petri nach dem Dominikanerkloster. Neben dem Purzengässer Tor gab es das schon erwähnte Klostertor unmittelbar vor dem Dominikanerkloster. Kurzzeitig bestand im 15. und beginnenden 16. Jahrhundert auch ein Tor vor der Schwarzgasse, das aber dann – wohl aus Sicherheitsgründen – wieder geschlossen und nur als Bastei beibehalten wurde. An der Schmalseite zum oberen Zinnental bestand, wie schon erwähnt, das Obere Tor, das im 16. Jahrhundert noch weiter ausgebaut werden sollte. Doch zurück zur Wehrordnung von 1491, von der wir ausgingen. Die Festung Kronstadt – denn das war nach dem Verständnis der Zeit aus der Stadt geworden – musste auch verteidigt werden. Dazu waren alle Einwohner verpflichtet, auch jene, die sich von außerhalb hinter die Stadtmauern flüchteten. Die Bestimmungen der Wehrordnung zeigen, Das reiche Handelsemporium 87
Rekonstruktionszeichnung des Purzengässer Tores mit Torbastei und hohem Torturm (die Zufahrt müsste als Zugbrücke dargestellt werden); rechts im Bild die Goldschmiedbastei und die Johanniskirche; links fehlt am unteren Ende der Spitalsgasse das Spital mit Spitalskapelle (Ausschnitt aus der Zeichnung von Radu Oltean, die auch auf dem Buchumschlag benutzt wurde).
dass die Menschen in ständiger Verteidigungsbereitschaft lebten, also immer mit einem Angriff zu rechnen gelernt hatten. So wurde als erstes bestimmt, dass sich alle mit Korn, Mehl, Salz und Holz stets ausreichend zu bevorraten hatten, um im Belagerungsfalle keine Engpässe aufkommen zu lassen. Auch eigene Waffen waren zu halten, Gewehre, Büchsen, Schwerter, Bogen, Stangen, Schweine- und Bärenspieß gehörten dazu. Die Bewohner waren, nach Zehntschaften gegliedert, zu bestimmten Aufgaben bei der Verteidigung der Befestigungen eingeteilt; die Zuordnung bestimmter Anlagen und Mauerabschnitte an einzelne Zünfte bildete sich erst allmählich heraus. Der Oberbefehl lag im Verteidigungsfall beim Stadtrichter, dem vier erfahrene Stadträte aus den vier Stadtvierteln als Berater zur Seite standen. Den Mitgliedern des Rates kamen aber noch weitere wichtige Aufgaben an zentralen Punkten zu: Je einer übernahm die Leitung der Verteidigung der Toranlagen und der Eckbasteien, da diese in der Hand der vertrauenswürdigsten Männer liegen musste – jede Schwäche wie auch jeder Verrat an diesen Punkten hätte im Kriegsfall die Existenz der Stadt in Frage stellen können. Die Tore mussten mit je 50 »mannhaftigen Männern«, die Basteien mit je zehn 88 Kronstadt 1377–1530
»beherzten« und die Türme mit je sechs »streitbaren Männern« besetzt werden, alle ausgerüstet mindestens mit einem Gewehr und einer großen Axt. Alle weiteren verteilten sich auf die Stadtmauern, die innen mit Laufebenen ausgestattet waren. Den Besatzungen der Tore und Basteien musste je ein erfahrener Büchsenmeister zugeteilt werden. Doch nicht nur Verhalten und Aufgaben der wehrfähigen Männer wurden geregelt, auch für Frauen und Kinder gab es Vorschriften: Sie durften nicht umherlaufen, mussten sich ruhig in ihren Häusern aufhalten und durften nicht schreien oder klagen, vielmehr sollten sie Gott betend um Beistand anrufen. In den Häusern sollten alle Gefäße mit Wasser angefüllt werden und feuchte Lösch-Decken bereitgehalten werden. Hunde mussten zur Ruhe gebracht oder totgeschlagen werden, die Kirchenglocken durften nicht läuten – im Belagerungsfalle unter Umständen eine beängstigende, bleiernde Ruhe, die sich über die sonst so geschäftige Stadt legte. Die Stadtbürger, die sonst ganz anderen Beschäftigungen nachgingen, übten sich regelmäßig in der Benutzung der Waffen, in Zeiten großer Gefahr sogar wöchentlich. Für diese Übungen lobte der Stadtrat Preise aus. Eine dieser Schießstätten, die »Cylstatt«, befand sich im Stadtgraben neben dem Klostergässer Tor, eine weitere wohl oberhalb der Inneren Stadt auf den Freiflächen zwischen Stadtgraben und Oberer Vorstadt.
Die Vollendung der städtischen Autonomie König Matthias hatte noch drei Tage vor seinem Tod 1490 sämtliche Freiheiten und Rechte für das ihm stets treu ergebene und bis zur Grenze seiner Belastbarkeit Steuern zahlende Kronstadt bestätigt. Mit seinem Tod aber brachen in Ungarn wieder unruhige, unsichere Zeiten an, schwache Könige und starke gesellschaftliche Spannungen sollten folgen. Auch dies mag ein Hintergrund für das Entstehen der eben skizzierten Wehrordnung gewesen sein, die rund zwei Jahrhunderte Bestand haben sollte. Jedenfalls wurde Kronstadt wieder von vielerlei Seiten angefeindet, vor allem vom Törzburger Kastellan. Diesem standen nur mehr wenige Kompetenzen im Burzenland zu – einige Gerichtsgebühren, wenige Mühlen- und Salzsteuern – und er verfügte nur über wenige Güter, neben der halb verfallenen Törzburg etwa die Siebendörfer, Krebsbach und Geist. Die Grenzzölle hatte Kronstadt – ähnlich Hermannstadt für den Rotenturmpass – von der Krone gepachtet, das heißt, Das reiche Handelsemporium 89
die Stadt oder einer ihrer kapitalstarken Vertreter zahlte eine festgesetzte jährliche Summe an den Fiskus und konnte dafür die Zölle selber einheben und verwalten. Der daher kaum noch über profitables Einkommen verfügende Törzburger Kastellan ließ die Stadt, zumal in Zeiten könig licher Schwäche, seine ganze Missgunst spüren. So schickanierte er etwa die Händler aus der Walachei und nahm sie aus, so dass die Kronstädter Kaufleute im Gegenzug die Rache dafür in der Walachei zu spüren bekamen. Oder indem es laufend zu Übergriffen von den wenigen verbliebenen Gütern des ehemaligen Komitats Brascho auf die freien sächsischen Gemeinden kam. Wenn der Kastellan und seine Leute in der Stadt erschienen, war es im Laufe des Jahrhunderts schon wiederholt zu Zwist und Handgreiflichkeiten, ja auch zu Festsetzungen gekommen. Noch in den letzten Jahren von Matthias’ Regentschaft versuchte Kronstadt, das Problem Törzburg zu lösen. Doch es sollte noch bis 1498 dauern, bis sich König Wladislaw II. dazu durchringen konnte, die Törzburg mit den zugehörigen Gütern an die Stadt zu verpfänden. Die Grenzburg und der Grenzschutz im Südosten kosteten die Krone mehr als sie aus den Besitzungen und aus den Zöllen einnahm. Die Burg war in einem katastrophalen Zustand und es kam andauernd zu Zwischenfällen zwischen den beiden Parteien, die zu schlichten waren. Der wenig durchsetzungsstarke König litt mangels zuverlässiger Steuereinhebung dauernd an Mittelknappheit, so dass eine Verpfändung der Törzburg für 1000 Gulden auf zehn Jahre an den Kronstädter Distrikt eine rasche Geldeinnahme bedeutete und den König zugleich der Sorge des Erhalts dieses wichtigen Objekts enthob. Die Pfandsumme wurde noch im gleichen Jahr auf 3000 Gulden erhöht und nach dem Ablauf von zehn Jahren, 1508, kamen weitere 3300 Gulden hinzu. Der neue Pfandvertrag wurde jedoch auf 25 Jahre geschlossen, und wenn die Pfandsumme nicht zurückgezahlt würde, sollte die Törzburg endgültig Kronstadt gehören. Nach Ablauf dieser Frist aber gab es das alte Königreich Ungarn nicht mehr und die Törzburg mitsamt ihren Gütern verblieb bis auf weiteres beim Distrikt. Allerdings ging es hier nicht einfach nur um den Erwerb einer Burg. Mit der Törzburg gingen nämlich auch sämtliche Kompetenzen des Kastellans auf den Distrikt über, kein Auswärtiger konnte sich nun in Gerichtsbelange einmischen, Gebühren, Steuern oder Zölle beanspruchen. Die Kronstädter Truppen standen nur noch unter dem Befehl und der Gerichtsbarkeit der eigenen Offiziere, in der Regel des Stadtrichters. Ein im wahrsten Sinne des Wortes jahrhundertelanger Kampf 90 Kronstadt 1377–1530
ging zu Ende, die letzten Reste der Aufgaben und Rechte des Komitatsgrafen von Brascho waren damit auf den Distrikt übergegangen, in dem die Stadt Kronstadt das fast alleinige Sagen hatte. Zugleich wurde der Territorialbesitz abgerundet. Ähnlich Hermannstadt und Bistritz hatte auch Kronstadt nach und nach grundhörige Gebiete erworben, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Gemarkungen der freien sächsischen Gemeinden lagen. Dies geschah durch königliche Vergabe oder durch Übereignung, einige Besitze befanden sich auch noch in der Hand der Heiligleichnamsbruderschaft. Diese kleinen Grundherrschaften, die etwa Geist und Krebsbach im Norden, zeitweilig Schirkanyen im Osten, Tohan, Zernescht und die Siebendörfer im Süden umfassten, zusammen rund zwanzig Orte, wurden zum Törzburger Dominium zusammengefasst und als solches vom Kastellan verwaltet. Der Kastellan mit Sitz in der Törzburg war meist ein Kronstädter Ratsherr, der diese Aufgabe für eine bestimmte Zeit, meist für ein bis zwei Jahre, übernehmen musste – es war eine schwer auszuschlagende Ehre und eine notwendige auf der Leiter der Kronstädter Würden. Die Kronstädter mussten also nun für die Instandsetzung und Unterhaltung der Burg, der Burgmannschaft sowie der Mautstelle unterhalb der Burg sorgen. Sie mussten die Stadtgüter, das »Dominium«, verwalten und die Aufgaben des Grundherrn übernehmen, Recht sprechen, Kirchenbelange regeln. Kronstadt war wahrhaftig unabhängig geworden, die Autonomie vollendet. Außer Krieg von außen musste es zu Beginn des 16. Jahrhunderts keine unliebsamen Einmischungen fürchten. Aber die Aufgaben der Stadt und ihrer Würdenträger nahmen sehr stark zu, die Verwaltung wurde komplex und erforderte hohen Einsatz und Sachverstand. Kronstadt war mit etwa 10.000 bis 12.000 Einwohnern um 1500 nicht nur die bevölkerungsreichste Stadt Siebenbürgens. Die Stadt dürfte zu jener Zeit Hermannstadt auch an Reichtum ebenbürtig gewesen sein und konnte nun dem Haupt der Nation auch in poltischer Hinsicht von gleich zu gleich gegenüberstehen. Die res publica Coronensis, wie die Kronstädter ihre Stadt stolz nannten, war eine in jeder Hinsicht etablierte siebenbürgische Macht.
Eine Welt zerbricht Kaum drei Jahrzehnte konnte sich Kronstadt seiner Autonomie erfreuen, da es neuen, wahrhaftig existentiellen Herausforderungen Das reiche Handelsemporium 91
g egenüberstand. Die Jahre um die Jahrhundertwende 1500 verliefen äußerlich ruhig, lediglich die innerungarische Politik war von Unrast und Instabilität geprägt. Dafür steht etwa der große Bauernaufstand unter Führung von Georg Dózsa 1514, der das Burzenland aber weiter nicht tangierte. Die Stadt befand sich vielmehr auf einem Höhepunkt ihrer politischen und wirtschaftlichen Macht, was auch den Künsten und Wissenschaften zunehmend mehr Raum schaffen sollte. In diese Zeit prosperierender Entfaltung fiel jener Schwertstreich, der dem mittelalterlichen Königreich Ungarn den Untergang brachte: In der Schlacht bei Mohács an der Donau im südlichen Ungarn vernichteten die Osmanen unter Sultan Süleyman I. am 29. August 1526 das ungarische Heer. Der junge König Ludwig II. starb auf der Flucht, ein großer Teil der führenden Vertreter des Reiches blieb auf dem Schlachtfeld. Nicht, dass man dieses nahende Unheil nicht hätte absehen können. 1521 erst war mit Belgrad eine der wichtigsten Festungen im Süden Ungarns an die Osmanen gefallen. Aber Ungarn war zu schwach, in sich zu sehr zerstritten, die Eigeninteressen des Adels und einzelner Stände verdrängten den Einsatz fürs Staatsganze. Die Osmanen pflegten militärisch unterlegene Gebiete nicht immer gleich zu besetzen. Sie überließen sie den meist folgenden inneren Konflikten und halfen mit ununterbrochenen Scharmützeln nach, die Regionen zu destabilisieren. Ungarn war für den Sultan vor allem als Aufmarschgebiet gegen Wien wichtig, das war nämlich sein eigentliches Ziel – die Eroberung des »Goldenen Apfels«. Der Jagiellone Ludwig II. war König von Ungarn und von Böhmen. Aufgrund von Erbschaftsverträgen sollten die Kronen beider Länder an das Haus Habsburg übergehen, wenn der König ohne Nachkommen starb. Doch noch ehe Erzherzog Ferdinand von Habsburg seine Erbansprüche in Ungarn geltend machen konnte und sich im Dezember 1526 in Pressburg zum König wählen lassen konnte, hatte ein ungarischer Reichstag bereits im November 1526 in Stuhlweißenburg den Kandidaten aus den eigenen Reihen, den siebenbürgischen Woiwoden Johann Szapolyai, einen der größten Grundherren des Reiches, zum König gewählt und am richtigen Ort mit der richtigen Krone gekrönt – eine wichtige Voraussetzung, um sich als legitimer Herrscher im Stephansreich Geltung zu verschaffen. Ungarn hatte nun zwei Gegenkönige, und das Verhängnis nahm seinen Lauf. Szapolyai dominierte das Land und zumal Siebenbürgen, so dass die Stände sich ihm unterwarfen – auch die sächsischen Städte. Kronstadt war bei seiner Krönung mit einer ei92 Kronstadt 1377–1530
genen Abordnung vertreten. Doch Ferdinand rüstete 1527 zum Gegenschlag, militärisch wie diplomatisch. Zu Beginn des Sommers entsandte er einen seiner Hofsekretäre, den gebürtigen Hermannstädter Georg Reicherstorffer, zunächst in die Moldau, wo er den soeben zur Macht gelangten Petru Rareş für Ferdinands Sache gewinnen sollte. Aus der Moldau reiste Reicherstorffer im August nach Kronstadt weiter, wo er Gespräche mit der politisch ohnehin unglücklichen Stadtobrigkeit aufnahm. Schon im Frühjahr war die Distanz der Kronstädter aufgefallen, als sie Anweisungen König Johanns nicht recht umsetzen wollten. So scheint der Agent König Ferdinands in der Stadt leichtes Spiel gehabt zu haben, schon Anfang September waren Stadtrat und Hundertmannschaft umgekrempelt: Am 8. September 1527 übergab die Stadt Reicherstorffer ihre Unterwerfungsurkunde an Ferdinand von Habsburg. Es war damit die erste Stadt und überhaupt der erste politische Machtfaktor Siebenbürgens, der sich auf die Seite des Habsburgers stellte. Die Gründe dafür mögen vielfältig gewesen sein: Johann Szapolyai stand für den ungarischen Adel, der der Stadt seit jeher zugesetzt hatte und sie bei jeder Gelegenheit in ihrer Entfaltung zu behindern trachtete. Es waren immer die starken Könige, die Kronstadt und seinen Distrikt gegen die Adelswillkür schützten und den allmählichen Aufstieg zur Autonomie ermöglichten. Sich nun einem Vertreter dieser Adelsfraktion zu unterwerfen, während gleichzeitig ein König zu erkennen war, der stark zu werden versprach und die Deutschen als Erste in Siebenbürgen aufsuchte? Ein König, den zudem noch ein sehr beredter Landsmann vertrat und der allerlei Versprechungen auf Unterstützung gegen den »Grafen Johann« machte? Ein König schließlich, der seit Juli mit großer Streitmacht von Westen her angefangen hatte, Ungarn einzunehmen. Die Entscheidung mag den Kronstädtern, die sonst politisch ungebunden waren, daher nicht schwer gefallen sein. Mit dem Einmarsch Ferdinands in Ungarn begann ein etliche Jahre währender Bürgerkrieg in Ungarn und Siebenbürgen, angestoßen und angeheizt von außen, gespeist von Intrigen, persönlichen Gegensätzen und leeren Versprechungen. Es war der Anfang einer zweifelhaften, über weite Strecken unheilvollen, letztlich fast vier Jahrhunderte währenden Verbindung des Hauses Habsburg mit diesem Raum. Reicherstorffer, der aus Sicherheitsgründen zunächst nicht nach Hermannstadt weiterreisen konnte, benutzte nun Kronstadt als seine Agitationsbasis. Nachdem er seine Mission nicht wie geplant fortsetzen konnte, gelang es ihm, eine Truppe von 300 Bogenschützen und 32 Reitern zusamDas reiche Handelsemporium 93
menzustellen. Die Kronstädter halfen dabei. Diese Bewaffneten erhielten den Auftrag, die Weisung König Ferdinands in den sächsischen Städten und Gemeinden in deutscher Übersetzung bekannt zu machen und »das gemeine Volk überall teils durch vernünftiges Zureden, teils durch Drohungen und Kriegsschrecken«7 davon zu überzeugen, sich König Ferdinand zu unterwerfen. Während dieses »Terrorfähnchen«, wie man die Truppe wohl nennen darf, seine Arbeit zunächst im Repser Stuhl aufnahm, machte sich Reicherstorffer im Oktober im Schutze von über 2.000 Bewaffneten auf den Weg nach Hermannstadt. Es waren wohl überwiegend Kronstädter oder doch Söldner der Stadt, die Kosten für dieses Geleit schlugen in den Stadtrechnungen nämlich mit enormen 4.500 Gulden zu Buche. Klarer konnte die Position Kronstadts in diesem Thronstreit nicht ausfallen. Hermannstadt, dessen Königsrichter und Rat die Kronstädter im Namen der Nation in den vergangenen Wochen wiederholt zur Wahrung der Einheit auf Johanns Seite ermahnt hatten, war inzwischen selber umgefallen. Johann Szapolyais Truppen wurden nämlich bereits Ende September von den Ferdinandisten vernichtend geschlagen, und in Hermannstadt setzte sich – endgültig nach dem Eintreffen Reicherstorffers in der Stadt – etwa um den 20. Oktober die habsburgfreundliche Partei unter dem Königsrichter Markus Pempfflinger durch. Auch der Adel und die Szekler wechselten unter dem Druck der Ereignisse allmählich die Seiten. Anfang November huldigten alle siebenbürgischen Stände König Ferdinand schließlich bei einem Landtag in Szekler-Neumarkt, und fast zeitgleich wurde er in Stuhlweißenburg rechtmäßig zum König gekrönt. Die Linie Kronstadts schien sich also zu bestätigen. Der Gegenkönig Johann aber blieb nicht untätig. Er flüchtete zwar nach Polen, nahm jedoch Kontakt mit der Hohen Pforte auf. Er wollte die Möglichkeiten sondieren, sich mit Hilfe der Osmanen die Macht in Ungarn zu sichern, was ihm überraschenderweise rasch glückte. Ferdinand hingegen war schon sehr bald gezwungen, sich wieder seinen westlichen Ländern zuzuwenden, weder Truppen noch Geld reichten aus, auch nur Teile Ungarns dauerhaft zu sichern. Sein Bruder, Kaiser Karl V., war zudem durch Fragen des Religionsstreites in den deutschen Ländern und durch dynastische Interessen gebunden, Hilfe war von ihm nicht zu erwarten. So begannen für Ferdinands Anhänger in Ungarn und Siebenbürgen Jahre leerer Versprechungen ihres Herrschers, die sich mit königlichem Lob für erwiesene Treue, Mitgefühl für erlittenes Leid und Dank für opferwillige Einsatzbereitschaft abwechselten – 94 Kronstadt 1377–1530
alles nur schriftlich. Noch im Frühjahr 1528 reiste eine Kronstädter Delegation unter dem Stadtrichter Lukas Hirscher in städtischen Angelegenheiten an den Hof Ferdinands nach Prag. Aber schon in der zweiten Jahreshälfte schwand dessen Machtbasis in Ungarn rapide. Bei den einsetzenden Kämpfen beteiligten sich Kronstadt und das Burzenland unter anderem mit einem aufwendig ausgestatteten Fähnlein von 190 Mann an der Belagerung von Fogarasch, 74 Mann und die Geschütze stellte die Stadt, 116 Mann die Gemeinden. Der Zulauf zu Johann Szapolyai aber war außerhalb der sächsischen Territorien sehr groß, und nachdem 1528 zunächst die Moldau die Seiten wechselte und auf Geheiß des Sultans in Siebenbürgen einfallen sollte, kam Anfang 1529 auch in der Walachei ein Marionettenfürst der Osmanen an die Macht. Schon im Januar 1529 fiel der Moldauer Woiwode Petru Rareş in die Drei Stühle des Szeklerlandes ein und ließ sich nur mit einer hohen Abfindungssumme von der Brandschatzung des Burzenlandes abbringen. Die Anhänger Ferdinands waren nun aufs Höchste alarmiert, sie flehten ihn inständigst um militärische Hilfe an. Die sächsischen Städte und Stühle drohten im Kampf für den Habsburger alleine dazustehen, doch selbst hier rumorte es im Volke bereits. Die letztlich entscheidende Wendung kam von außerhalb. Sultan Süleyman strebte danach, Wien zu erobern. Die – wenn auch begrenzten – militärischen Interventionen König Ferdinands in Ungarn und dessen Einnahme Ofens gaben dem Sultan auch die rechtliche Handhabe dafür, einen Straffeldzug gegen ihn zu unternehmen. Am 10. Mai 1529 brach er mit seinem Heer in Richtung des südlichen Ungarn auf, die Bündnistruppen seiner Vasallen schlossen sich nach und nach an. Zeitgleich rüstete sich auch der Woiwode der Moldau zum Kampf: In einem Abkommen zwischen König Johann und Petru Rareş sollte letzterem die Aufgabe zukommen, die Sachsen niederzuringen. Die moldauischen Truppen setzten sich Richtung Burzenland in Bewegung, so dass auch die Ferdinandisten ihre Kräfte bündelten: Die verbliebenen Anhänger Ferdinands unter Stephan Mayláth und Bischof Gerendi zogen statt zum Kampf mit König Johann nun ins Burzenland, desgleichen die Truppen der Sieben Stühle und des Kronstädter Distrikts. Auch das Aufgebot der Szekler zählte noch zur Seite Ferdinands. Die Kronstädter hatten ihre gesamten Geschütze zum Kampf mitgeschickt. Am 22. Juni kam es schließlich bei Marienburg zur Schlacht. Sie dauerte aber nicht lange. Gleich zu Beginn wechselten die Szekler Truppen die Seiten und brachten das Treffen dadurch rasch zum Kippen: Die Ferdinandisten Das reiche Handelsemporium 95
einschließlich der Burzenländer wurden dabei »wegen Verräterei der Zekeli bis aufs Haupt geschlagen«8, wie der Kronstädter Chronist Hieronymus Ostermayer notiert. In »schimpflicher Flucht« mussten die Sachsen fliehen, alle Geschütze und ein Großteil des Kriegsvolks gingen verloren, die Moldauer schleppten alles als Beute mit. Wenige Tage später brannten die Vorstädte Kronstadts, sicher auch die meisten Burzenländer Gemeinden, selbst die Spitalsneugasse und die Schwarzgasse wurden ein Raub der Flammen. Diese Niederlage war nicht nur ein Schlag für Kronstadt und das Burzenland, sondern für König Ferdinand schlechthin. Dieser sah währenddessen die Osmanen mit einem Riesenheer auf Ungarn und letztlich auf Wien zumarschieren. Unterwegs ließ sich Sultan Süleyman bei Mohács, auf dem Schlachtfeld von 1526, von König Johann huldigen, für den er Anfang September Ofen eroberte und dann weiter donauaufwärts zur Belagerung Wiens zog. Gerade in dieser Situation existentieller Bedrohung freilich konnte sich Siebenbürgen oder gar Kronstadt keine Hilfe vom fernen Habsburger erhoffen. Trotz des Verrats der unmittelbaren Nachbarn, trotz der vernichtenden Niederlage, trotz des Seitenwechsels beider Woiwoden jenseits der Karpaten hielten die Sachsen an Ferdinand fest. Zu stark waren offenbar die Bande, die unter Reicherstorffers Einfluss zum Haus Österreich geknüpft worden waren, zu groß das Misstrauen gegenüber dem ungarischen Adel. Und weiterhin kamen nur Versprechungen vom Hofe Ferdinands. In Kronstadt befürchtete man schon bald einen neuen Angriff des moldauischen Woiwoden. Es setzte nun unverzüglich ein Rüsten ein, wie es die Stadt noch nicht gesehen hatte. Friedrich Wilhelm Seraphin hat diese Zeit anhand der städtischen Rechnungsbücher anschaulich nachgezeichnet. Es wurde über vier Monate hin gleichzeitig an allen Ecken und Enden der Inneren Stadt und darüber hinaus gearbeitet, der reguläre Alltag muss zum Erliegen gekommen sein. Nach den Verlusten der Schlacht bei Marienburg mussten neue Geschütze gegossen und alte repariert werden. Hackenbüchsen, Karrenbüchsen, Handbüchsen, Armbrüste mit Pfeilen wurden in großer Zahl angeschafft, 420 Fässchen Pulver wurden in der neuen Pulvermühle hergestellt. Die Stadtmauern wurden ausgebessert und erhöht, die Schießscharten erneuert. Die mächtigen, steinbeladenen Kästen zum Verrammeln der Tore wurden bereitgehalten bis die Tore ganz zum Schluss auch zugemauert wurden; wahrscheinlich blieb das Schwarzgässer Tor seit diesem Jahr bis zum Ende des 18. Jahrhunderts verschlossen und wurde als Bastei umgerüs96 Kronstadt 1377–1530
tet. Innerhalb der Toranlage des Oberen Tores ließ der Stadthann Johannes Fuchs während rund zweieinhalb Monaten eine Mühle bauen, betrieben von einem dort durchfließenden Nebenarm des Graftbachs – sie sollte bei längeren Belangerungen die Versorgung mit Mehl gewährleisten. Korn war in den großen städtischen Korngruben unter Gassen und Plätzen eingelagert. Um dem Feind nicht die Möglichkeit zu geben, sich im Vorfeld der Stadtmauern zu verschanzen, wurde das Franziskanerkloster abgerissen – ein Hinweis darauf, dass es den Mauern recht nahe gewesen sein muss. Doch damit nicht genug. Selbst das hohe Turmdach der Marienkirche trug man ab; man wollte wohl die Möglichkeit verringern, dass die Belagerer dieses weit herausragende Bauwerk treffen und dadurch weiteren Schaden anrichten, möglicherweise aber auch, um von dort aus Belagerer auf dem Raupenberg abzuwehren. Im Oktober schließlich, als ein Einfall der Moldauer immer wahrscheinlicher wurde, errichteten die Kronstädter in aller Eile auf den wenigen noch bestehenden Ruinen der alten Burg auf dem Gesprengberg, die 1421 zerstört worden war, eine Holzbefestigung. Der Stadtschreiber vermerkte hierzu: »Wir wollten von da den Feind in der Ferne, ja während er noch in Tartlau stand, mit unseren Geschützen niederstrecken«9. Zwanzig Mann Besatzung und zwei Geschütze wurden hier untergebracht, um den aus der Ebene herannahenden Feind frühzeitig abzuwehren. Die auf dem heutigen Schlossberg befindliche und erst 1524 aus Steinen und Ziegeln errichtete Bastei, ein großer halbrunder Turm, wurde reichlich mit Proviant und Munition versehen. Am 25. Oktober, am Tag, nachdem die letzten Arbeiten an der Holzbastei auf dem Gesprengberg durchgeführt und der Proviant für die Besatzung herbeigeschafft worden war, stand Petru Rareş bereits in Tartlau. Von dort ermahnte er die Kronstädter noch einmal, sich König Johann zu unterwerfen, andernfalls drohte er mit dem Schlimmsten. Am 29. Oktober setzte der Sturmangriff der Moldauer auf die Stadtmauern ein. Die Vorbereitungen hatten ihre Wirkung offenbar nicht verfehlt. Petru Rareş erkannte rasch, dass er nicht viel würde ausrichten können, außer der Plünderung der ohnehin schon halbverwüsteten Vorstädte vermochte er am 1. November lediglich die Holzbastei auf dem Gesprengberg niederzubrennen und die Besatzung gefangen zu nehmen. So trat er schon nach wenigen Tagen mit den Kronstädtern in Verhandlungen und ließ sich für ein Lösegeld von 5.000 Gulden und eine weitere Ehrengabe von 600 Gulden dazu bewegen, aus dem BurDas reiche Handelsemporium 97
zenland abzuziehen und die Gefangenen freizugeben. Ja, der Woiwode Peter einigte sich mit den Kronstädtern am 3. November sogar auf einen gemeinsamen Rechtsstandpunkt hinsichtlich des legitimen Königs von Ungarn, und er gestattete den Kronstädtern wieder freien Handel in der Moldau. Die beiden Geschütze aus der Holzbastei nahm er als Beute mit. Der Spuk war für Kronstadt wie auch für den Kronstädter Distrikt aber noch nicht ganz vorbei. Im November belagerten Truppen des walachischen Woiwoden die Törzburg, was auch erst durch einen Vergleich mit der Sächsischen Nation beendet werden konnte. Die Kronstädter hatten ihre Lektion nun allmählich gelernt. Die Opfer, die sie seit 1527 bringen, und die Verluste, die sie zu beklagen hatten, waren so hoch, dass selbst eine so reiche und bevölkerungsstarke Stadt wie Kronstadt an die Grenzen ihrer Belastbarkeit kam. Ferdinand, dessen Hauptund Residenzstadt Wien wenige Wochen vorher nur mit Not der türkischen Einnahme entging, konnte seinen Anhängern auch im folgenden Jahr nicht helfen. Seine in Pressburg am 24. April 1530 versammelten Anhänger resümierten, nachdem sie ihre freiwillige Unterstellung unter den Habsburger, ihre Opfer und die königlichen Vertröstungen aufführten: »Und nun sehen wir, dass uns Eure Majestät als nichts mehr denn als Schatten und Schemen erachtet.« Und die in Hermannstadt versammelten siebenbürgischen Anhänger Ferdinands brachten es am 1. Mai auf den Punkt: »Eure Majestät will uns nicht haben.«10 Einen letzten Versuch unternahmen die Kronstädter, als sie im Mai eine Delegation unter dem Stadthannen Johannes Fuchs zu König Ferdinand entsandten, der ihm durch halb Mitteleuropa bis zum Reichstag nach Augsburg folgen sollte. Währenddessen kam es in der Stadt zu einer Entscheidung. Im September zogen zunächst türkische, dann walachische Truppen vor die Stadt, schließlich kamen auch Soldaten des von König Johann neu ernannten siebenbürgischen Woiwoden. Die Stadt war eingeschlossen, in ihren Mauern wütete gerade die Pest. Und unter den Gefangenen der belagernden Türken befand sich genau jener Stephan Mayláth, der noch im Oktober des Vorjahres die Verteidigung der Stadt als Hauptmann geleitet hatte, einer der führenden Ferdinandisten Siebenbürgens. Aus Hermannstadt kamen Durchhalteparolen, Kronstadt wurde an seine Verantwortung als erste ferdinandische Bastion Siebenbürgens erinnert. In der eingeschlossenen, von der Seuche gezeichneten Stadt aber vollzog sich der Abfall von Ferdinand umgehend: Am 16. September 1530 erklärte die Kronstädter Bürgerschaft 98 Kronstadt 1377–1530
ihre Unterstellung unter König Johann und steckte sein Banner aus. Die allseitige Bedrohung für die Stadt und für den Distrikt war aufgehoben, ein neues Zeitalter in einem ganz neuartig definierten Reich begann.
Das reiche Handelsemporium 99
Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation (1530–1688) Kronstadt hatte die Reißleine gezogen. Ein weiteres Verharren als Bastion eines fernen und skrupellosen Königs hätte die Stadt und ihre Provinz, umgeben von Feindesland, ausbluten lassen. So konnte sie zumindest hoffen, im Rahmen des neuen Machtgefüges ihre Stellung weitestmöglich zu wahren. Tatsächlich zeigte sich König Johann – froh, eine der beiden größten Festungen Siebenbürgens auf seiner Seite zu wissen – als vergebender Herrscher. Er bestätigte im April 1531 alle wichtigen Freiheiten Kronstadts und der Kronstädter Provinz, ja, er ergänzte sogar die Stadtgüter. Kein geringerer als der moldauische Fürst Petru Rareş, der dem Burzenland so arg zugesetzt hatte, setzte sich für die Kronstädter ein, wohl eine Frucht der Verständigung über Rechtsstandpunkte nach der Belagerung im Oktober/November 1529. Die Ferdinandisten hatten in der Stadt künftig einen schweren Stand, man war mit allen Konsequenzen auf die Seite von König Hans gewechselt. Die Gewissensqualen mögen dabei nicht gering gewesen sein. Denn Johann Szapolyai stand nicht mehr fürs alte Reich der Stephanskrone. Er hatte sich dem Sultan unterworfen, der nun der Oberherr eines neuen Ungarn sein sollte – kein christlicher Herrscher, sondern ein Muslim, nach dem Selbstverständnis westkirchlicher Christen jener Zeit kein »geschäftsfähiger« Partner. Aber der christliche Habsburger bot weder Schutz noch Schirm. Kronstadt fielen nun für geraume Zeit ganz neue Aufgaben zu. Gleich nach dem Burzenland schlossen sich nämlich auch Schässburg und fast alle sächsischen Stühle König Johann an, Bistritz stand bereits unter der Herrschaft des moldauischen Woiwoden, Mühlbach gab den Widerstand 1531 auf. Das Haupt der Sächsischen Nation aber, Hermannstadt, blieb als einziger Ort Siebenbürgens auf der Seite Ferdinands. Der Königsrichter Pemfflinger zog aus, um am Hofe des Habsburgers Hilfe für seine Stadt und für Siebenbürgen zu erlangen, doch vergebens. Die Stadt igelte sich ein und zehrte vorerst noch von ihrem alten Reichtum. Dessen Quellen aber brachen nach und nach weg, das Edelmetallgeschäft, die Zollpachten, der Fernhandel. Hermannstadt verharrte in einsamer Treue zu einem gewissenlosen, aber deutschen König. Die Nation war kopflos. In dieser Situation übernahm Kronstadt wie selbstverständlich deren Führung, versammelte die Großen der 100 Kronstadt 1530–1688
Städte und Stühle und beriet über notwendige politische und militärische Schritte. Sicher beteiligten sich auch sächsische Truppenkontingente an der jahrelangen Belagerung Hermannstadts, doch wann und in welchem Umfang ist schwer zu sagen – es war keine Zeit, die die Nachkommen später gerne erforschten. Erst im November 1535 erzwangen die völlig entkräftete Bevölkerung und die Hundertmannschaft gegen ihren Stadtrat die Kapitulation Hermannstadts, rund fünf Jahre später als das Burzenland. Während dieser Zeit konnte sich Kronstadt wieder erholen, die Befestigungen sichern und die Kriegsschäden beheben, den Handel wieder aufnehmen, ja nach Erdbeben selbst größere Reparaturen an der Marienkirche durchführen. Nachdem sich das öffentliche Leben in Hermannstadt 1536 allmählich wieder ordnete und am Katharinentag, dem 25. November, die Nationsuniversität nach Jahren erstmals wieder dort zusammentrat, gab Kronstadt seine zeitweilige Führungsrolle wieder ab. Es hatte die ganze Zeit unter dem diplomatisch wie wirtschaftlich versierten Stadtrichter Lukas Hirscher gestanden. Gerade aus dieser Zeit seines höchsten Einflusses, von 1535, ist sein Porträt mit der Martinsberger Kirche im Hintergrund erhalten – die erste erhaltene Porträtmalerei Siebenbürgens überhaupt und ein Zeichen dafür, dass in Kronstadt auch die schönen Künste wieder blühten.
Eine Stätte des Humanismus Es war schon seit Langem gang und gäbe, dass Kronstädter und Burzenländer Pfarrer über Universitätsstudien verfügten, auch Ratsmitglieder, Stadtbeamte und andere Bürger hatten oft hohe Schulen im Ausland besucht. Von 1524 ist der erste Kronstädter Stadtarzt bekannt, ein zugezogener Zipser. Bis 1525 sind 213 Kronstädter und weitere 145 Burzenländer Studenten allein an der Wiener Universität bekannt, ein im Verhältnis zur Einwohnerzahl für damalige Zeiten sehr hoher Wert. Ihre Ausbildung erhielten jene Jünglinge, die anschließend nach Wien, Krakau oder nach Italien zum Studium gingen, in der Stadtschule, über die wir allerdings kaum etwas wissen, oder etwa bei den Dominikanern. Diese hatten sich in Kronstadt den Wissenschaften verschrieben, nahmen wiederholt qualifizierte Aufgaben in der Stadt wahr und führten eine offenbar reichhaltige Bibliothek. Hier hatte wohl auch jener Mann seine erste Ausbildung genossen, Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 101
der zu einer der prägenden Gestalten nicht nur seines Jahrhunderts, sondern der Kronstädter Geschichte schlechthin werden sollte: Johannes Honterus. Er war der Sohn eines erfolgreichen Handwerkers, eines Lederers, der es unter die ersten Familien der Stadt gebracht hatte. Seine Biographen vermuten, dass ihn sein Vater auf Handelsreisen durch Siebenbürgen, die Moldau und die Walachei mitgenommen hat und der junge Honterus so schon früh die Grundlagen für seine späteren kartographischen und kosmographischen Arbeiten legte. Zwischen 1520 und 1525 studierte er in Wien und muss sich anschließend einige Zeit in Kronstadt aufgehalten haben – und zwar in jener Zeit, als die Stadt auf der Seite Ferdinands stand und 1529 in größte Bedrängnis geriet. Im Herbst jenes Jahres, zeitgleich zur Berennung Kronstadts durch den moldauischen Woiwoden, finden wir Honterus nämlich als »Flüchtling« bei einem Gelehrten in Regensburg wieder. Möglicherweise aber war er als ein Vertreter der Ferdinandisten auch abgesandt, Hilfe für Kronstadt zu organisieren. Darauf deutet seine Vorrede zur Erstausgabe seiner Kosmographie, der Weltbeschreibung, die ein weithin berühmtes Lehrwerk werden sollte und die 1530 in Krakau erschien:
»Nachdem wir fern dem Vaterland, auf vielen Irrfahrten hin und her geworfen, meine teuersten Siebenbürger, die Pflicht, die wir den Freunden schulden, bisher nicht wunschgemäß erfüllen konnten, erschien es uns als ein der Mühe werter Preis, wenn wir wenigstens in unseren Schriften jene sähen, zu denen wir bei so leidenschaftlicher Wut von Feindschaften nicht gelangen konnten, nicht so sehr, um die Mühsal der Fremde dadurch zu vergessen, als um unseren guten Willen gegen euch zu beweisen.«11
Honterus, der seinen Magistergrad in Wien erworben hatte, unterrichtete an der Universität Krakau und veröffentlichte hier seine ersten Werke. Seine Landsleute in Siebenbürgen, zu denen er sich verlangend hingezogen fühlte, waren auch die Adressaten seines Wirkens in Basel. Hier betätigte er sich als Holzschneider, als Schriftsetzer und Drucker – Kunstfertigkeiten, für die er berühmt werden sollte. Neben exzellenten Sternkarten erschien hier 1532 seine Siebenbürgen-Karte, die erste dieses Landes überhaupt. Er versah sie mit den Wappen der beiden großen Städte: Hermannstadt und Kronstadt, die sich zu jenem Zeitpunkt bereits feindlich gegenüberstanden. Und er widmete sie »dem an Ehren reichen Rat der Stadt Hermannstadt« – wohl ein Bekenntnis zur Standhaftigkeit der Hermannstädter in ihrer Treue zu Ferdinand? Oder 102 Kronstadt 1530–1688
eine Ermahnung zur Einigkeit der Nation? Es ist schwer zu sagen, viele Forscher haben sich bereits den Kopf über die mögliche Deutung der Karte und ihrer deutschen und lateinischen Verse zerbrochen. Jedenfalls läuterte sich der junge Humanist, er sah die Notwendigkeit der Unterstellung unter König Johann ein und konnte 1533 nach Kronstadt zurückkehren. Vier Jahre vorher hatte er wohl zu jenen »jungen Hitzköpfen« gehört, die den Widerstand Kronstadts gegen die »Johannisten« mitgetragen hatten und die dann weichen mussten, offenbar die akademische Jugend der städtischen Oberschicht. Porträtzeichnung von Johannes Honterus (von Radu Oltean) auf einer aktuellen rumänischen Briefmarke (2007), im Hintergrund die Siebenbürgen-Karte von 1532.
Nach seiner Rückkehr nach Kronstadt wirkte Honterus mit großer Wahrscheinlichkeit als Lehrer, um die jungen Studiosi für den Wechsel an eine Universität vorzubereiten. Er wurde nach seiner Rückkehr umgehend in die Hundertmannschaft aufgenommen. Seine Kompetenz war offenbar dringend gefragt, denn durch den Parteienzwist in den Bürgerkriegsjahren und die währenddessen grassierende Pest fehlte es der Stadt an gut ausgebildeten Lehrkräften. Honterus hatte bereits Lehrerfahrung, hatte mit seiner lateinischen Grammatik und der Weltbeschreibung Lehrbücher vorgelegt und war gerade dabei, sich in der Welt der Humanisten einen Namen zu machen – auch seine Gegner in der Stadt mögen daher von Bedenken Abstand genommen haben, denn Bildung war dem aufstrebenden Bürgertum der Renaissance durchaus ein wichtiges Gut. So wurde Honterus 1536 in den Stadtrat aufgenommen, genauso ein Zeichen seines wachsenden Einflusses wie die zahlreichen Ehrengaben des Rates an ihn bereits ab der Jahreswende 1533/34. Gleichzeitig setzte Honterus seine humanistischen Korrespondenzen und seine Studien fort. Sie mündeten schließEine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 103
lich in die Gründung und Einrichtung einer Druckerei – zwar nicht der ersten des Landes, aber doch jener, die für die Deutschen, aber auch für die Rumänen Siebenbürgens in der Frühen Neuzeit die größte Strahlungskraft haben sollte. Wir wissen nicht, wo der erste Standort der Druckerei war: Vielleicht am Rossmarkt, wo Honterus’ Wohnort 1535 nachgewiesen ist. Honterus scheint überwiegend von eigenem ererbten Vermögen gelebt zu haben, ergänzt durch gelegentliche Ehrengaben. Auch die Druckerei schaffte er aus eigenen Mitteln an. Deren Wirken setzte 1539 ein, als mit acht Druckschriften – Grammatiken, Büchern zu Dialektik, Rhetorik und Recht sowie Werken klassischer Autoren – ein vollständiger Lehrgang des »Triviums« vorgelegt wurde. Honterus schuf mit diesen Lehrmitteln, die er teils selbst verfasste, teils für den Druck aufbereitete und einleitete, die Grundlage für seinen höheren Schulunterricht. Dabei ging es, dem Verständnis der Zeit entsprechend, nur um die männliche Jugend. Weitere Titel folgten in den kommenden Jahren. Fraglos setzte er diese Bücher im Unterricht selbst ein, auch wenn uns über die näheren Verhältnisse des Schulwesens aus diesen Jahren nichts überliefert ist. Die Planungen für den Bau eines neuen Schulgebäudes dürften ebenfalls in die enddreißiger Jahre zurückgehen. Denn im Frühjahr 1541 begannen bereits die Ausschachtungsarbeiten an jener Stelle, wo vorher das Gebäude des Katharinenklosters stand. Es muss also schon vor der Reformation keine Nonnen mehr gegeben haben. Bis zum Herbst 1541 entstand hier als Vorgänger des heutigen Hauptgebäudes des Honterus-Gymnasiums der erste bekannte Schul-Zweckbau der Stadt. Das stattliche Geldgeschenk, das »Magister Johannes« am 3. Oktober jenes Jahres für seine »eifrige Mühe für die Jugend dieser Stadt, um sie in den edlen Wissenschaften und in der Kenntnis der christlichen Religion zu unterrichten«12 zuerkannt bekam, muss mit diesen Bauarbeiten im Zusammenhang stehen. Dass der Unterricht nach neuen Methoden hier unmittelbar eingesetzt haben muss, zeigt sich schon daran, dass ab 1542 Theateraufführungen der Schüler vor dem Stadtrat im Rathaus bezeugt sind – ein pädagogischer Aspekt, der durch die Constitutio Scholae Coronensis, die Kronstädter Schulordnung von 1543, zur Regel werden sollte. Damit wurde die Grundlage für eine »Reformschule« nach humanistischen Grundsätzen gelegt, orientiert an Vorbildern aus den deutschen Ländern. Im ersten Teil wurden die Aufgaben der Lehrer und die Fächer definiert, der zweite Teil enthielt Regeln, die die Schüler einzuhalten hatten, und der dritte Teil behandelte die »Schülerselbstverwaltung«, den sogenann104 Kronstadt 1530–1688
ten Coetus. Als Gründungsdatum des Kronstädter Gymnasiums, das zum Studium an jeder Universität befähigen, ja sogar schon grundlegende universitäre Kenntnisse vermitteln sollte, gilt das Jahr 1543. Die Kronstädter Schule wurde nicht nur zum Vorbild für die anderen sächsischen Stadtschulen, sondern auf Jahrhunderte hinaus zu einer weithin bekannten Bildungsstätte, die Schüler – »Studenten« in der Begrifflichkeit der Zeit – aus vielen Ländern anzog. Nicht umsonst zeigt das Standbild von Honterus bereits seit mehr als einem Jahrhundert genau auf jene Stelle, wo er 1541 statt des alten Klosters, vielleicht des ersten Gebäudes der Stadt schlechthin, seine Schola Coronensis errichten ließ.
Das »Licht des Evangeliums« erstrahlt Zeitlich parallel zum Aufbau des Gymnasiums lief in Kronstadt eine weitere umwälzende Entwicklung ab. Im April 1541 starb der langjährige Stadtrichter Lukas Hirscher, der Kronstadt durch die Wirren des Bürgerkriegs seit 1527 fast durchgehend geführt hatte. Sein Nachfolger im Amt wurde der Ratsherr und Goldschmied Johannes Fuchs, ein enger Vertrauter und Gönner von Honterus. Dieser hatte sich bis dahin zu theologischen Themen nur selten geäußert, auch wenn er auf seinen Reisen und vor allem in Basel fraglos mit Belangen der Kirchenreform in enge Berührung gekommen war. In den Vorreden zu seinen Drucken ließ Honterus jedoch klar erkennen, dass er reformatorischen Gedanken anhing. Dennoch kann man nicht sagen, dass Kirchenbelange zu seinen prioritären Interessen gehörten – er lebte in der geistigen Welt der Humanisten außerhalb des Pfaffengezänks. In der Kronstädter Stadtpfarrerstelle gab es in den dreißiger Jahren mehrfache Wechsel, die auf Richtungsstreitigkeiten zwischen altkirchlichen und reformatorischen Kräften deuten. Im Allgemeinen aber waren die Kronstädter in Kirchendingen eher bedächtig abwartend, auch an die Auflösung der Klöster hatte noch niemand gedacht wie in anderen siebenbürgischen Städten – ja, die Dominikaner waren bei der Rüstung der Stadt gegen die Belagerung 1529 mit ihrer Fachkompetenz sogar prominent eingebunden. Unter dem Pleban Jeremias Jekel, 1536 gewählt, kam es zu ganz allmählichen kirchlichen Reformen. 1539 etwa ließ er im Konsens mit seinen Burzenländer Pfarrbrüdern die Fastengebote aufheben. Er wäre wohl noch weitergegegangen, doch die bedächtige Stadtführung hielt ihn zurück. Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 105
Erst 1541, als sich auch die politische Bühne abermals veränderte, scheint sich in Kronstadt eine klare Linie durchgesetzt zu haben. Die vielleicht noch unterschwellig vorhandene Hoffnung, man könne sich der türkischen Oberhoheit entledigen und müsse deswegen möglichen kirchlichen Streit vermeiden, schwand mit der osmanischen Besetzung Zentral- und Südungarns. Ende August 1541 besetzte Sultan Süleyman die Hauptstadt Ofen und wies der Witwe König Johanns, Isabella, und deren Sohn Johann Sigismund Siebenbürgen als Regnum zu. Schon im Oktober fanden sich die Nationen, darunter auch jene der Sachsen, zum ersten Landtag zusammen – das eigenständige Fürstentum Siebenbürgen war entstanden. In diesen Monaten Ende 1541/Anfang 1542, sicher auch begünstigt durch den Wechsel in der Stadtführung, fiel in Kronstadt die Richtungsentscheidung: Die Reformation der Kirche nach Wittenberger Vorbild sollte durchgeführt werden. Dabei behielt der Rat als die alle Lebensbereiche, auch die Kirche, in der Stadt wie in der Provinz beherrschende Instanz das Heft des Handelns in der Hand. Wahrscheinlich wurde nun ein Reformationsplan, eine »Formula reformationis« entworfen, der uns jedoch nicht überliefert ist. Anfang Oktober 1542 wurde in der Marienkirche die erste »evangelische Mess« gelesen, und bereits einen Monat später beschloss die Burzenländer Gauversammlung die Einführung der reinen Predigt des Evangeliums. Mit dem Beginn der Visitation der Burzenländer Gemeinden durch geistliche und weltliche Würdenträger am 5. Dezember 1542 kann das Burzenland als evangelisch bezeichnet werden. Mit Hilfe der nun erfolgenden Beauftragung von »Magister Johannes« durch Stadtrichter Fuchs, eine Schrift über die Durchführung der Reformation im Burzenland zu verfassen, kann die gestaltende Persönlichkeit hinter den vorangehenden Vorgängen erschlossen werden: Der unmittelbare Einblick in die Zwänge und Möglichkeiten der Politik, der Weitblick des Humanisten und die Nutzung des neuen Mediums des Drucks trafen sich in der Person von Johannes Honterus in idealer Weise. 1543 erschien sein »Reformationsbüchlein« für Kronstadt und das ganze Burzenland im Druck. Ob ihm bereits 1542 eine andere Druckfassung vorausging, muss Vermutung bleiben. Jedenfalls äußerten sich die Wittenberger Reformatoren voll anerkennenden Lobes über das Werk, ja, Philipp Melanchthon ließ es seiner Vorbildlichkeit wegen sogar nachdrucken. In Kronstadt aber musste man vielerlei Rücksicht nehmen. Der Kanzler der Regentin Isabella, Kardinal Martinuzzi, war ein vehementer 106 Kronstadt 1530–1688
Verteidiger der alten Kirche, der alle Neuerungen am liebsten mit Gewalt unterdrückt hätte. Er musste sich freilich im Falle der sächsischen Städte als einem der Landstände und vor allem als dem zahlungskräftigsten zurückhalten. Dennoch war man bemüht, Anhänger der alten Kirche nicht zu reizen, und so findet sich im Reformationsbüchlein auch keinerlei Angriff auf die alte Kirche und auf die Obrigkeit, auch kein ausdrücklicher Bezug auf Wittenberg. So war es schließlich auch den Hermannstädtern, wo die Kräfte der beiden Lager noch unentschieden wogten, möglich, sich der Kronstädter Reformation noch binnen Jahresfrist grundsätzlich anzuschließen, und im Frühjahr 1544 setzte auch im Hermannstädter Kapitel die erste Visitation ein. Als Grundlage diente auch dort das Reformationsbüchlein, der Stadtrat hatte es aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzen lassen. Doch währenddessen überschlugen sich die Ereignisse in Kronstadt. Die kirchlichen Neuerungen im Burzenland hatten sich herumgesprochen und im Mai 1543 lud die Regentin Isabella eine ganze Reihe Burzenländer Geistliche vor den Landtag, um über ihr Handeln Rechenschaft abzulegen. Auch Honterus hätte kommen sollen, doch dies ließen die Herren des Rates nicht zu. Zu groß war die Angst, dem geistigen Kopf des Reformwerkes könne etwas zustoßen. Zu unberechenbar war Martinuzzi, der Schatzkanzler Isabellas, der die Neuerer am liebsten vernichtet sehen wollte. Die beiden mächtigsten Männer der Sächsischen Nation, der Hermannstädter Bürgermeister Petrus Haller und der Kronstädter Stadtrichter Johannes Fuchs, gehörten dem königlichen Rat an und konnten so für die Sicherheit der Vorgeladenen sorgen. Honterus fertigte eine »Apologie«, eine Erklärung und Verteidigung des Reformationsbüchleins an, die der Delegation mitgegeben wurde. Diese trat irgendwann im Juni 1543 vor die Königin und den Landtag. Mit dabei waren der Rosenauer Pfarrer, der Kronstädter Stadtpfarrer Jekel, das Wort führte Pfarrer Matthias Glatz, ein enger Vertrauter von Honterus. Es wurde ein Religionsgespräch, bei dem die Burzenländer Geistlichen, gerüstet mit den stringenten biblischen Argumentationen von Magister Johannes, eines Laien, den Sieg davontrugen.
»Weil aber bemeldte Herren durch Gottes Hilf wohl bestanden wider die papistischen Gesellen, sein sie glücklichen heimkommen, und also das Evangelium je mehr im Land ausgebreitet. Gott sei Ehr, Lob und Dank. Amen«13
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vermerkt der Kronstädter Organist Hieronymus Ostermayer in seinen Annalen. Zugleich zeigte die Apologie, dass die Kirchenerneuerung nur eine sehr begrenzte war: Das Abendmahl in beiderlei Gestalt, also mit dem Laienkelch, wurde gereicht, die volkssprachliche Predigt kam in den Mittelpunkt, die Winkelmessen verschwanden – sonst änderte sich aber nicht viel, und selbst Honterus musste in der Apologie zugeben, dass viele die Veränderungen kaum bemerkten. Die die alte Kirche kennzeichnenden Äußerlichkeiten waren in Kronstadt zu diesem Zeitpunkt, im Sommer 1543, noch präsent: Heiligendarstellungen, zahlreiche Altäre, Messgewänder, Monstranzen und vieles mehr. Doch genau dies sollte nun bald zu Wirren führen. Schon seit 1542 war zu beobachten, dass Theologen und Reisende unterschiedlicher Couleur Kronstadt besuchten. Die Entwicklungen religiöser Fragen in Mitteleuropa bewegten die Menschen sehr: Ob es um die Annäherungen zwischen Protestanten und alter Kirche auf dem Reichstag in Regensburg 1541 ging, um die Differenzen zwischen den Wittenberger und den Schweizer Reformatoren oder um die Wiedertäufer und Schwärmer – das Bürgertum siebenbürgischer Städte war für diese Belange sensibilisiert. Die Stadtführung und Honterus aber wussten, dass sie Neuerungen nur in einem begrenzten Umfang zulassen durften, um in der labilen politischen Situation zwischen Hoher Pforte, den Nachbarwoiwodschaften und dem noch nicht gefestigten Regime in Siebenbürgen nicht zwischen die Fronten zu geraten. Honterus drängte daher darauf, die neugewählten Kronstädter Ratsherren vor dem Stadtrat und der Hundertmannschaft am dritten Weihnachtstag 1543 auf das Reformationsbüchlein feierlich zu vereidigen, um dessen Zielsetzung künftig und allezeit zu verteidigen und zu bewahren. Die Reformation der Kirche nach Wittenberger, also nach lutherischem und melanchthonischem Vorbild, sollte gefestigt werden. Es war jene Kirchenerneuerung, die am nächsten an der alten, der römischen Kirche blieb und die meisten Verständigungs- und Einigungsmöglichkeiten mit dieser bot. Schon 1542 hatte Honterus einen seiner engsten Mitarbeiter, Valentin Wagner, nach Wittenberg zum Studium geschickt. Auch als in Kronstadt Schwärmereien oder kirchliche Praktiken nach Schweizer Vorbild aufkamen, war es Honterus wichtig, sich gegenüber den Wittenberger Reformatoren davon zu distanzieren. Dies muss um die Jahreswende 1543/44 der Fall gewesen sein, und Stadtpfarrer Jekel schien damit nicht umgehen zu können. Am 16. Februar 1544 ließ er sich – unter näher nicht bekannten Umständen – ins 108 Kronstadt 1530–1688
Pfarramt nach Tartlau wählen und machte daher in Kronstadt den Weg frei für eine neue Lösung. Der Stadtrat nahm nun einen ungewöhnlichen Schritt vor. Er ließ nicht einen Geistlichen wählen. Er griff weder auf den beim Weißenburger Religionsgespräch bewährten Matthias Glatz zurück noch etwa auf Valentin Wagner, bei dem man wohl vermuten könnte, dass der Wittenberg-Aufenthalt ihn für dieses wichtige Amt rüsten sollte. Die Neubesetzung erfolgte auch nicht sofort, sondern erst am 22. April 1544. In diesen zwei Monaten könnte die Entfernung der Bilder aus den Kronstädter Kirchen und der Abbruch des großen Altars in der Marienkirche stattgefunden haben, »mit Willen der Obrigkeit«, wie der Chronist festhält. Es muss wohl ein geordneter Bildersturm gewesen sein, um dem Drängen des Volkes nachzugeben. Wie es letztlich zum Entschluss kam, einen Ratsherrn zum Stadtpfarrer einzusetzen, zudem noch einen nicht-ordinierten Laien, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Aber offensichtlich mussten die Wogen geglättet, die erhitzten Gemüter beruhigt werden. Und genau das vermochte Johannes Honterus zu tun. Er war die anerkannte geistige Instanz in der Stadt und in der Provinz, die nun die Kirche zu führen hatte: Er wurde zum Stadtpfarrer inthronisiert, also durch feierliche Erhebung auf den Altar gewählt. Die Wahl muss durch Stadtrat und Hundertmannschaft erfolgt sein, die er erst vier Monate vorher auf die grundlegende Reformationsschrift festgelegt hatte. Von reformatorischer Schwärmerei war nun nicht mehr die Rede, es gibt sogar Hinweise darauf, dass der große Altar in der Marienkirche wieder aufgerichtet wurde. Der Humanist Honterus war nun unversehens höchster Geistlicher der Stadt. Nichts deutet darauf hin, dass er ein geistliches Amt jemals angestrebt hätte. Er hat sich dieser Aufgabe zu einem Zeitpunkt gestellt, als das Geschehen dem Stadtrat zu entgleiten drohte und die Stadtrepublik wieder auf festen Kurs kommen musste. Es war ziemlich genau der Zeitpunkt, als im Hermannstädter Kapitel die erste evangelische Visitation begann, und eine Zunahme schwärmerischer Strömungen hätte für die ganze Nation unabsehbare Folgen gehabt. Seine zentrale Rolle bei der Kirchenneugestaltung ließ die Wittenberger Reformatoren in ihm den Superintendenten der Deutschen Siebenbürgens sehen. Mit der Erhebung von Honterus zum Kronstädter Stadtpfarrer war das Reformationswerk im Burzenland im Wesentlichen abgeschlossen. Es waren nun Hermannstadt und die Nationsführung, die das Heft in die Hand nahmen und die Kirchenreform für alle Deutschen des Landes Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 109
vorzubereiten begannen. In Kronstadt konnte nun in enger Kooperation mit dem neuen Stadtpfarrer eine geregelte Übernahme des Kirchenvermögens erfolgen. Im November 1544 wurde schließlich der größte Teil des wertvollen Kirchenschatzes in Anwesenheit des neuen Stadtpfarrers dem Stadtrat ins Rathaus übergeben. Zum »silbernen Geschmeide« gehörten 32 Kelche mit Patenen, ein großes Marienbild aus knapp 7 kg Silber und ein Kruzifix aus über 10 kg Silber, vier Monstranzen, sechs silberne Kreuze, zwei Brustbilder, vier silberne Hände, vier Leuchter, ein Rauchfass, vier paar Ampullen, ein Heftel, fünf Kommunikanten-Büchsen, ein silberner Stab und ein großer Beutel mit »silberen Gerömpel« – alles in allem 387,5 Mark Silbers, etwa 91 kg. Stellt man die im Vergleich bescheidenen Reste des noch immer beeindruckenden und reichhaltigen heutigen Kirchenschatzes in Gedanken daneben, wird man sich der außerordentlichen Werte bewusst, die die Marienkirche angehäuft hatte. Der Stadtrat sollte die übernommenen Schätze noch über Jahrzehnte hin dafür verwenden, »Ehrengeschenke« anfertigen zu lassen – meist mit dem Zweck, die Unabhängigkeit und die Freiheiten der Stadt zu bewahren und sich bei Belagerungen freizukaufen. Erst im August 1542 war es nötig gewesen, den Moldauer Woiwoden mit einer hohen Geldsumme davon abzuhalten, das Burzenland zu verwüsten. Die zahlreichen kirchlichen Gebäude, die künftig nicht mehr religiösen Zwecken dienen würden, nahm ebenfalls der Rat in seine Verwaltung. Politische und kirchliche Gemeinde sollten nämlich noch lange Zeit identisch sein. Das Katharinenkloster war bereits einem Schulneubau gewichen, doch auch anstelle der alten Kapellen sollten in den kommenden Jahren neue Gebäude errichtet werden. Das genaue Datum, zu dem die Mönche und Nonnen ihre Klöster verlassen mussten, ist nicht überliefert. Es muss jedoch im Zuge der Umsetzung der Reformation 1542/43 gewesen sein, denn um 1540 waren die Dominikaner noch in der Stadt und 1545 stand ihr Kloster leer. Die Dominikanernonnen zogen es der Überlieferung gemäß meist vor, in der Stadt zu bleiben und zu heiraten. Die dem Orden treu bleibenden Mönche und Nonnen zogen wohl überwiegend ins Szeklerland ab. Über die Franziskaner erfahren wir nach der rüstungsbedingten Abtragung ihres Klosters 1529 nichts mehr. Große Teile des weitläufigen Dominikanerklosters wurden künftig als städtische Lagerräume genutzt, ein Teil als Zeughaus eingerichtet, lediglich der Chor der Kirche behielt seine Funktion als Gotteshaus: Hier hielten nun die ungarischsprachigen Lutheraner ihren Got110 Kronstadt 1530–1688
tesdienst, ein Zeichen dafür, dass die Ungarn auf Stadtgebiet der Reformation genauso folgten und sie in der Stadt stets präsent waren; später (1562) wurde an dieser Stelle auch eine ungarische Schule erwähnt, die der Stadtrat unterhielt. Kloster und Kirche in der Johannisgasse wurden ebenfalls profaniert – die Kirche wurde zum Getreidemagazin, das Kloster als Spital genutzt. Wann die verschiedenen Kapellen, etwa die Laurentiuskapelle zwischen Kirchhof und Marktplatz oder die Allerheiligenkapelle, ihre Rolle als Gotteshäuser verloren, kann jedoch niemand sagen. Dass die großen Aufgaben der Reformation vollbracht waren, lässt sich auch daran ersehen, dass sich Johannes Fuchs aus der unmittelbaren Stadtführung ab 1545 zurückzog. Als Stadtpfarrer vermochte sich Honterus nicht wie bisher um seine Schule zu kümmern – das Gebäude stand, die Schulordnung war erstellt und genehmigt, die Lehrmittel vorhanden. Am 1. Dezember 1544 übernahm Valentin Wagner das Amt eines Rektors an der Schola Coronensis – er wird als erster Rektor gezählt und er legte auch die erste Schulmatrikel an. Seit seinem Wittenberg-Aufentahlt mit den dortigen Theologen in regem Austausch, nahm Wagner künftig aber nicht nur in der Schule eine besondere Stellung ein. Er wurde Hundertmann und ab 1547 Kronstädter Ratsherr. Als Vertreter von Honterus, der sich nicht mehr auf Reisen begab und wahrscheinlich auch eine Berufung zum Hermannstädter Stadtpfarrer ausschlug, wirkte er an der Erarbeitung der »Kirchenordnung aller Deutschen in Siebenbürgen« mit. Dazu hatte die Nationsuniversität nach Hermannstadt eingeladen und übernahm somit – wie der Kronstädter Stadtrat für das Burzenland – als politische Obrigkeit die Leitung der Reformation. Die neue Kirchenordnung, die während mehrerer Wochen im Frühjahr 1547 von führenden sächsischen Geistlichen erarbeitet wurde, fusste ganz wesentlich auf dem Kronstädter Reformationsbüchlein, ja übernahm einige Passagen sogar wörtlich. Sie erschien noch im gleichen Jahr in lateinischer und deutscher Fassung in der Druckerei von Honterus. Damit war der neuerliche Dienst Kronstadts für die Nation – von der ersten Initiative einer planmäßigen Reformation bis hin zur rechtlich-organisatorischen Grundlage der Gesamtheit – erfolgreich abgeschlossen, alles weitere oblag nun der Hermannstädter Obrigkeit. Den Beschluss zur Umsetzung der Kirchenordnung sollte die Nationsuniversität schließlich 1550 fassen. Auch als Stadtpfarrer aber konnte Honterus noch maßgebliche kulturpolitische Initiativen ergreifen. 1545 wurde auf seine Anregung hin Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 111
eine Papiermühle in den Biengärten gebaut, um den steigenden Papierbedarf der Druckerei, der Schule und Verwaltung zu decken – das erste Unternehmen dieser Art in Siebenbürgen. Der erste Meister der Papiermühle kam aus Krakau und konnte dem Stadtrat im März 1546 das erste in Kronstadt geschöpfte Papier überreichen. Doch dabei blieb es nicht. Schon 1547 folgte das nächste Großprojekt: das Kronstädter Bibliotheksgebäude oder die »Liberei«, wie sie (nach lat. liber für Buch) im Volksmund genannt wurde. Sie stand gegenüber der Westfassade der Marienkirche, an der Stelle der alten Stadtschule und in unmittelbarer Nähe des neuen Schulgebäudes. Über diese Bibliothek schrieb Honterus an den Kosmographen Sebastian Münster in Basel: »In dieser Stadt befindet sich eine jüngst erbaute Bibliothek, wie in Pannonien nach der Zerstörung der Bibliothek von Matthias Corvinus nirgendwo eine ist.«14 Die Bibliothek selbst war bereits einige Jahre früher entstanden, denn es heißt bereits im Reformationsbüchlien 1543:
»auf dass kein Hilfsmittel zur Bewahrung der Religion fehle, haben wir für das Bedürfnis der Studierenden eine öffentliche Bibliothek errichtet und mit allerlei guten Schriftstellern, theologischen, medizinischen, juristischen und was es sonst an geschmackvollen Schriften gibt (…) versehen.«15
Die Verwaltung und Benutzung war in der Schulordnung genau geregelt. Neben Neuerwerbungen – etwa 1543 für den ansehnlichen Betrag von 312 Gulden, den Wert eines mittleren Hauses – und den im Pfarrhause und der alten Schule überlieferten Büchern fanden hier die Bestände des Dominikanerklosters Eingang. Im ältesten erhaltenen Katalog von 1575 waren über 600 Bände verzeichnet einschließlich rund 70 überwiegend liturgischen Handschriften – die ausgedienten Mess- und Gebetbücher der Kronstädter Kirchen waren also hier gesammelt worden. Doch offenbar ließen Honterus und Wagner auch in den Nachbarländern im Süden Bücher und Handschriften aufkaufen, die durch die unruhigen Zeiten ihren ursprünglichen Standorten entfremdet worden waren. Die Druckwerke der Honterus-Presse kamen jedoch erst durch spätere Schenkungen von Kronstädter Bürgern in die schon bald berühmte Bibliothek. Als Magister Johannes im Januar 1549 – knapp 51jährig, wenn sein überliefertes Geburtsjahr stimmt – in Kronstadt starb, hinterließ er ein abgeschlossenes Werk: ein methodisch gut strukturiertes Schulwesen mit den bestmöglichen Lehrmitteln und eine festgefügte evangelische 112 Kronstadt 1530–1688
Kirche unter der Aufsicht einer Obrigkeit, die auf klare religiöse und moralische Grundsätze vereidigt war. Seiner Vaterstadt hinterließ er den europaweiten Ruf, eine Heimstätte des Humanismus und der Bildung zu sein, der weit über seinen Tod hinauswirkte und von dem viele Studentengenerationen zehren sollten. Seine Gemeinde bettete ihn vor dem Altar im Chor der Marienkirche zur letzten Ruhe. Auch wenn es noch Jahrhunderte dauern sollte, bis diverse Institutionen der Stadt nach ihm benannt wurden, so war seinen Zeitgenossen wie den nachfolgenden Generationen die zentrale Rolle, die diese Persönlichkeit für die Stadt gespielt hatte, durchaus bewusst. Ein weiteres Erbe, das diese fortführten, möglicherweise aber gar nicht bewusst auf Honterus zurückführten, ist das neuzeitliche Stadtwappen: die Krone auf der Baumwurzel. Bis dahin galt stets die Krone selbst als redendes Wappen der Stadt, die im Deutschen meist schlicht als »Kron« bezeichnet wurde – in den Büchern der Honterus-Presse etwa stand oft »Gedruckt zu Cron in Sybembürgen«. Honterus aber verwendete als Druckerzeichen und im Rahmen der kunstvollen Holzschnitte seiner Titelblätter die Krone auf der Baumwurzel. Diese Darstellung lässt sich erstmals zu Beginn des Jahrhunderts bei den Kronstädter Dominikanern feststellen, von denen sie Honterus wahrscheinlich übernommen und durch das Medium des Buchdrucks populär gemacht hat. Auch das erste Wasserzeichen der Kronstädter Papiermühle führte bereits diese Wappenvariante. Die künftig so häufige Verwendung dieses Wappens – etwa an Portalen, aber bald über Standesschranken hinweg bei jeder Gelegenheit – sollte die Identifikation der Kronstädter mit ihrer Stadt nachhaltig stärken. Die Deutung der Baumwurzel ist nicht einfach, vieles spricht jedoch dafür, dass damit die Rolle der Stadt innerhalb der Burzenländer Provinz und die Bedeutung der freien Gemeinden als Stütze der »Kron« symbolisiert werden sollte. Als Nachfolger von Honterus im Stadtpfarramt wählten die Kronstädter Valentin Wagner. Theologisch vertrat er einen strikt wittenbergischen Standpunkt. Er stand in intensivem Kontakt mit Melanchthon und brachte eine Reihe von dessen Werken in der Kronstädter Druckerei heraus, die er bald selbst übernahm. Hier erschienen auch weiterhin Lehrbücher humanistischer Autoren für die Schola Coronensis, so etwa 1551 das Sanitatis Studium, die Gesundheitslehre des Kronstädter Stadtarztes Paulus Kyr. Von Wagners weitem Horizont zeugt ein eigenes Werk. 1550 brachte er einen umfangreichen Katechismus in griechischer Sprache heraus, ein eigenständiges theologisches Werk, das ein Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 113
beredtes Zeugnis der Kronstädter Humanisten für ihre Vermittlungsbemühungen zwischen Ost- und Westkirche ist. Durch den unmittelbaren Kontakt mit der kulturell entwickelten rumänischen Gemeinde in der Oberen Vorstadt, aber auch mit den Nachbarfürstentümern erkannte man in Kronstadt früh die Chance und auch die Notwendigkeit, über die reformatorische Theologie Wege der Annäherung zu suchen. Diese Initiative nahmen die Stadtrichter auf, nachdem Wagner 1557 deutlich vor der Zeit starb, und unterstützten Übersetzungen in die damalige rumänische Sprache. Diese Aufgabe übernahm ein aus Târgovişte stammender orthodoxer Diakon namens Coresi, der das Druckerhandwerk an der dortigen Hofdruckerei erlernt hatte. Von dem wahrscheinlich ersten Druck dieser Art, einer auf Veranlassung des Stadtrichters Johannes Benkner 1559 erfolgten rumänischen Übersetzung von Luthers Kleinem Katechismus, ist kein Exemplar erhalten. Doch schon 1560 und 1562 ließ Benkner durch Coresi weitere religiöse Schriften auf Rumänisch verlegen. Dabei wurden die Druckplatten wie bei Inkunabeln in Holz geschnitzt. Der Druck erfolgte »in der Burg Kronstadt« (în cetatea Braşovului), also in der Inneren Stadt und somit in der Honterusdruckerei. Noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts befanden sich einige der Druckstöcke und Lettern von Coresi im Bestand der damaligen Besitzer der Honterus-Presse. Eine eigene rumänische Druckerei, wie man zuweilen lesen kann, gab es nicht, vielmehr haben wir es hier mit einer erfolgreichen Kooperation der geistigen Eliten der Rumänen und der Sachsen auf Stadtgebiet zu tun. Die Coresi-Drucke, in denen die rumänischen Mundarten der nördlichen Walachei und des südlichen Siebenbürgen deutlich durchscheinen, sollten die spätere rumänische Hochsprache maßgeblich beeinflussen.
Zur Schau getragener Stolz Das Mittelalter sollte in Kronstadt aber nicht nur für die Bereiche der Kirche und der Bildung überwunden werden. Auch äußerlich wollten die Bürger der Stadt zeigen, dass sie wohlhabend und fortschrittlich waren, dass sie eine autonome Stadtrepublik vertraten. Noch aber war das größte Bauwerk, also die Stadtbefestigungen, nicht abgeschlossen. Die Krone schenkte der Stadt noch selbst in den Jahren vor Mohács immer wieder Anteile der Steuer für deren Bau. Zudem war es an der Zeit, das Vorhandene wesentlich zu verstärken. Die Feuerwaffen und vor allem 114 Kronstadt 1530–1688
die immer ausgefeilteren Geschütze machten es nämlich notwendig, zusätzliche Basteien vor die Tore und Mauern zu bauen und die Wassergräben im Vorfeld anzulegen oder zu erweitern: Der Feind musste wirksam davon abgehalten werden, sich den Mauern zu nähern. Nach Arbeiten am Klostertor 1521 entstand zwischen 1522 und 1524 das Vorwerk des Purzengässer Tores in Form eines Rondells, das über den eigentlichen Stadtgraben hinausreichte und so einen leichteren Beschuss von sich nähernden Belagerern ermöglichte. Das Gegenstück dazu war die zeitgleich auf dem Schlossberg anstelle eines alten Wachtturmes errichtete Bastei, deren Besatzung von hinten auf die Aggressoren zielen konnte. Aber auch die Bastei des Oberen Tors, des Katharinentors, wurde 1525/26 wesentlich verstärkt, nicht zuletzt, nachdem es bei einem Wolkenbruch durch die durchfließenden Bäche genauso wie benachbarte Mauern und Zwinger zerstört wurde. Auch die Stadtgräben mussten wesentlich vergrößert werden. So arbeiteten zwischen 1535 und 1537 über 200 Tagelöhner von März bis November drei Jahre lang daran, den Graben vor dem Klostertor herzustellen; es kostete die Stadt die ungeheure Summe von fast 6.300 Gulden – ihre eigene Sicherheit war den Kronstädtern sehr viel wert und führte sie nicht selten an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Doch es waren nicht allein die Befestigungsbauten, die den Stadtbürgern wichtig waren. Die eigene Repräsentation, das Zurschaustellen der eigenen Würde erreichte auch in Kronstadt einen neuen Stellenwert. Abgesehen von der alles in den Schatten stellenden Marienkirche verfügte Kronstadt zu Beginn des 16. Jahrhunderts über keine herausragenden Gebäude. Die großen Torbasteien waren noch im Entstehen, das Rathaus war ein eher bescheidener Bau, der Großteil der Häuser war aus Holz gebaut. Auch unter den Steinhäusern um den Marktplatz, wovon wohl die meisten mit Laubengängen ausgestattet waren, und in den vornehmen Gassen, ragten wenige hervor. Doch auch diese Zurückhaltung sollte ganz allmählich einem gesteigerten Repräsentationsbedürfnis weichen. Das ließ sich etwa an dem Bemühen erkennen, einen neugestalteten Ratsturm zu errichten, der die Wohlhabenheit der Stadt zum Ausdruck brachte: 1515 begannen die Arbeiten zur Erhöhung des Turmes, der bis dahin bescheidene Ausmaße gehabt haben muss. Bis 1528 wurde ununterbrochen weitergebaut, in den letzten fünf Jahren offenbar forciert. Der Turm erhielt nun ein hohes Spitzdach mit vier Ecktürmchen, mit Schindeln gedeckt und mit vergoldeten Turmknöpfen versehen; in den großen oberen Knopf wurde eine Schrift des Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 115
Stadtschreibers über das politische Zeitgeschehen gelegt – ein Brauch, den die Kronstädter bis ins 20. Jahrhundert beibehalten sollten. Seit 1520 schon arbeitete ein Schässburger Meister an der Turmuhr, unterstützt von weiteren Schlossern und Künstlern. Bei der Fertigstellung des Turmes 1528 stellte sich die Turmuhr prächtig dar: Die Zeiger waren aus Kupfer geschmiedet, an den Spitzen mit zeigenden Händen, an den Enden mit Sternen versehen. Die bunt gemalten Zifferblätter auf allen vier Seiten waren mit Wappen, mit vergoldetem Mond und Sternen verziert. Über dem Zifferblatt – wohl an der Seite zum Rossmarkt hin – stand eine geschnitzte und bemalte Mannsfigur, die die Stunden mit einem Eisenhammer auf einem großen Kupferbecken anschlug. Unterhalb der Uhr war die Jahreszahl 1528 auf allen vier Seiten vermerkt. Zifferblätter und Uhrwerk wurden durch Dächlein vor der Witterung geschützt. Der Tramiterturm – benannt nach den Trompetern, die künftig hier über Jahrhunderte hin ihren Dienst versehen sollten – strahlte nun weithin sichtbar und ließ erkennen, dass die weltliche Macht in der Stadt das Sagen hatte. Das Rathaus selbst war damals von seiner neuzeitlichen Größe noch weit entfernt, zumal Teile des Gebäudes noch bis ins 19. Jahrhundert hinein von den Kürschnern genutzt wurden. Auch die Rekonstruktionszeichnung auf dem Umschlag dieses Buches sieht es wohl etwas größer als es wirklich war. Es gab einen größeren Versammlungsraum, wo sich Stadtrat und Hundertmänner zu gemeinsamer Sitzung versammelten. Im Übrigen nutzte man selbst die engen, übereinander liegenden Räume des Turmes für die Amtsgeschäfte. Als eines der ersten Bauwerke der Stadt verfügte das Rathaus über Fenster mit Butzenscheiben. Bis zur Errichtung des Tramiterturms hatte der Kirchturm der Marienkirche keinerlei Konkurrenz; er war schon länger mit einem Uhrwerk ausgestattet und wird zu jener Zeit ebenfalls vier Ecktürmchen besessen haben. Die Innovationen sollten jedoch fortgesetzt werden. Mit der Errichtung ausreichend hoher Türme der beiden großen Tore im Osten konnten auch dort Turmuhren angebracht werden: 1547 im Purzengässer und 1548 im Klostergässer Torturm, so dass nun gewissermaßen alle vier »Quartale« ihre eigene Uhr zur zuverlässigen Einteilung des Tages hatten. In diesen Jahren sollten aber noch weitere Bauwerke entstehen, die das Stadtbild teilweise bis heute prägen. Die Witwe des Stadtrichters Lukas Hirscher, Apollonia Hirscher, die das Handelsunternehmen nach dem Tod ihres Mannes erfolgreich weiterführte, ließ 1545 auf dem unbebauten südöstlichen Teil des Fischmarktes das soge116 Kronstadt 1530–1688
nannte »Gebäu(de)«, das Kaufhaus errichten. Es sollte Handwerkern der Stadt dienen, die ihre Produkte an Markttagen hier zum Kauf anbieten konnten. Es verfügte über ein großes Kellergewölbe, das die Stadt zur Einlagerung des städtischen Weines nutzte. Im Erdgeschoss zur heutigen Hirschergasse lassen sich noch gut die Laubengänge erkennen, die früher dem Handel dienten. Um den Marktplatz erneuerten um die Jahrhundertmitte zahlreiche Bürger ihre Häuser, renaissancezeitliche Gestaltung wurde sichtbar; heute lässt sich dies nur mehr an wenigen steinernen Türstöcken im Inneren von Häusern erkennen. Wohnpaläste aber, wie sie etwa für das Hermannstädter Bürgertum im Umfeld des Großen Rings üblich waren, ausgestattet mit Türmen, Sälen und Kapellen, sind aus Kronstadt nicht bekannt. Die wiederholten Brände ließen die Stadtführung 1558 zu drastischen Maßnahmen greifen: Es wurde verfügt, dass in der Inneren Stadt künftig nur noch Steinhäuser zu errichten seien, und wenn die Bauherren dafür nicht die nötigen Mittel aufbrächten, so wurden ihnen Darlehen auf zehn Jahre gewährt. Wie um die Notwendigkeit dieser städtischen Regel zu bestätigen, brannten schon im Folgejahr 60 Holzhäuser ab, und 1560 wurden sämtliche hölzernen Rauchfänge und hohen Schindeldächer abgetragen. Während in den Vorstädten schon allein wegen der häufigen Verheerungen noch lange ganz überwiegend Holzhäuser standen, begann sich der Baubestand in der Inneren Stadt schon im Verlaufe des 16. Jahrhunderts zu wandeln. Doch dies war der äußeren Umgestaltung nicht genug, und man erkennt, dass Kronstadt trotz der Sorgen der vergangenen Jahrzehnte materiell deutlich besser dastand als das vormals mindestens so wohlhabende Hermannstadt. Während dieses durch das rund acht Jahre währende Verharren auf der Seite König Ferdinands seine Ressourcen aufbrauchte, Privilegien und Handelskontakte verlor, konnte Kronstadt seine Positionen im Wesentlichen wahren, teils sogar weiter ausbauen. Das äußerte sich dann, wenn notwendige Neubauten architektonisch aufwendig gestaltet wurden wie etwa der äußere Torturm des recht anfälligen Oberen Tores, also jener Rest der Toranlage, den wir heute als »Katharinentor« kennen: Stadtrichter Johannes Benkner ließ es 1559 renaissancezeitlich modisch errichten und mit vier Seitentürmchen versehen. Im gleichen Jahr wich die alte Katharinenkapelle am Kirchhof einem Bau für die »kleine Schule«, in der die älteren »Studenten« des Gymnasiums wohnten und die kleineren Schüler unterrichteten. Auch die Kapelle der Bruderschaft des Heiligen Leichnams Christi wird sehr Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 117
wahrscheinlich zeitgleich abgebrochen worden sein, denn 1560 wurden entlang der Front der großen Pfarrhofs zur Waisenhausgasse hin ganz schmale Parzellen bebaut. Ob auch Seitenkapellen der Marienkirche, von denen wir lediglich wissen, dass sie wohl bestanden haben, in diesen Jahren verschwanden, bleibt eine Vermutung. Der Bau der Vorhalle des Südportals wie auch des Stützpfeilers des Triumphbogens dürfen aber als wohl notwendige Folgen angesehen werden. Dauernde Baustellen waren schließlich zwei weitere öffentliche Einrichtungen, nämlich die Badestuben. Man ging regelmäßig zum Baden, war es doch unmöglich, Badeeinrichtungen in Wohnhäusern und Werkstätten einzurichten. Neben hölzernen Badewannen gab es Vorrichtungen für Schwitzbäder, hier konnten die Haare geschnitten und der Bart rasiert oder medizinische Behandlungen vorgenommen werden. Die Stadtrechnungen geben vielfältige Auskunft über die laufende Instandhaltung der Anlagen, über Kesselausbesserungen, die Anschaffung großer Mengen Holzschäffchen oder der steinernen Bänke für das SchuhHaus, wo man sich umkleidete. Die untere Badestube war Teil des Spitals und befand sich in der Nähe der Stadtmauer zwischen Purzengasse und Spitalsgasse. Die obere Badestube lässt sich lediglich aufgrund eines Vermerkes im Stadtplan von 1736 lokalisieren, und zwar im Obertgässchen südlich des Kirchhofs, etwa dort, wo der alte Kanal die Gasse querte. Für die Herrichtung dieser Badestube wurde 1550 besonders viel investiert: über 407 Gulden, während das Jahresgehalt des Bademeisters zwölf Gulden betrug. Dass diese Zeit der Innovation, in der alte Gewohnheiten auch sichtbar weichen mussten und der Fortschritt nicht nur durch die Reformation in der Kirche, sondern durch mancherlei Technik, neue öffentliche Gebäude oder die Intensivierung der Gesundheitspflege erkennbar war, auch Schattenseiten gehabt haben muss, lässt ein Zwischenfall aus den Jahren 1556 und 1557 erkennen. Nein, es war mehr als nur ein Zwischenfall, es waren wohl regelrechte Unruhen, die die Stadt erschütterten. Ein Kronstädter Ratsherr, der Kürschner Georg Pellio, wurde im März 1556 aus dem Rat ausgeschlossen, »die Ursach ist mancherlei« wie Ostermayer geheimnisvoll andeutet. Dieser Georg gehörte nicht zu den vornehmen Familien der Stadt, sondern hatte es als Handwerker vermocht, zunächst Hundertmann (erstmals erwähnt 1532) und bald auch Ratsherr zu werden. Ab Mitte der 1540er Jahre hatte er als solcher immer wieder wichtige Ämter inne und war als Vertreter der Stadt wiederholt in wichtigen Missionen unterwegs. 1553 war er Stadthann und 118 Kronstadt 1530–1688
1555 Kastellan auf der Törzburg, mit Ausnahme des Stadtrichteramts hatte er also alle Stufen erklommen. Nun wurde dieser verdiente Mann im März 1556 aus dem Rat ausgeschlossen. Man ist geneigt zu vermuten, gerade wenn wir die Folgeentwicklung betrachten, dieser Ausschluss sei eine Parallelerscheinung zu den Unruhen, die genau zeitgleich in Hermannstadt ausbrachen. Dort entluden sich Spannungen zwischen der breiten Bevölkerung und dem Stadtrat in einem Aufstand Anfang April 1556. Der Königsrichter wurde gelyncht und die Aufständischen übernahmen für mehrere Tage das Regiment in der Stadt. Diesen Verwerfungen gingen wechselvolle Jahre voraus, nachdem der Habsburger Ferdinand Siebenbürgen von seinem General Gianbattista Castaldo 1551 wieder in Besitz nehmen ließ. Die unsäglichen bürgerkriegsähnlichen Wirren, die man noch aus den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren kannte, kehrten wieder. Auch Kronstadt blieb nicht verschont. 1551 und 1552 waren mehrere Fähnlein kaiserlicher Landsknechte in der Stadt einquartiert, es kam deswegen sogar zu einer Belagerung durch den moldauischen Woiwoden. 1553/54 ließen kaiserliche Militärarchitekten die Bastei auf dem Schlossberg zu einem neuen großen Befestigungskomplex umbauen, es hieß nun »Neues Schloss«. Als die Kaiserlichen abzogen, hinterließen sie viele Schulden in der Stadt. Erst 1556 riefen die Stände ihre alte Landesherrin, die Regentin Isabella, wieder zurück, nachdem die Habsburger ein weiteres Mal zeigten, dass sie weder willens noch in der Lage waren, Siebenbürgen zu sichern und zu halten. Diese Kriege, das mehrfache Hin und Her in der Politik und der Oberhoheit des Landes waren die mittelbare Ursache für die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in Hermannstadt, und für Kronstadt dürfen wir dies ebenfalls vermuten. Ein Jahr nach seiner Entfernung aus dem inneren Rat und nachdem sich in Hermannstadt die Wogen wieder geglättet hatten, vermochte es Georg Pellio, namhafte politische Repräsentanten der Sächsischen Nation – bei Ostermayer heißt es »die 7 Königsrichter« – zu mobilisieren und im März 1557 nach Kronstadt zu holen: Sie sollten ihm helfen, seine Rechte wiederzuerlangen. In der Stadt hatte offenbar zeitweilig Anarchie geherrscht, denn die Stadtführung wandte sich um Unterstützung an Königin Isabella. Pellio hatte anscheinend weite Teile der Einwohnerschaft gegen die dominanten Patrizierfamilien aufgebracht, was – wenn wir die Entscheide Isabellas richtig verstehen – sogar zu zeitweiligen Neubesetzungen von Stadtämtern führte. Dem Spuk wurde durch die Verhaftung Pellios auf Befehl Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 119
der Königin rasch ein Ende bereitet. Das Todesurteil an ihm wurde jedoch trotz aller Vorbereitungen dafür nicht vollstreckt, weil sich die Vertreter des Burzenlandes und die Einwohnerschaft der Stadt mit den Hundertmännern vehement für ihn einsetzten – eine abermalige Erhebung der breiten Massen gegen die Familien der Stadtführung. Um die Gemüter zu beruhigen, bemühte sich der Stadtrat um eine Abwandlung des Urteils, was sich bis zum Jahresende hinzog, als Pellio aus dem Gewahrsam auf einem Schloss Isabellas befreit werden konnte. Auch wenn wir über diesen eigenartigen Fall leider nur bruchstückhafte Informationen haben, so zeigt er doch, dass es nicht unerhebliche Spannungen zwischen der breiten Bevölkerung und den wenigen führenden Familien gegeben haben muss. Sicher auch, um soziale Spannungen gar nicht erst aufkommen zu lassen und das Volk zu disziplinieren, legte der Stadtrat sehr großen Wert auf regelmäßige Visitationen der Gemeinden und auf die Einführung von verbindlichen Regelungen fürs kirchliche Leben. 1550 wurde eine neuerliche Visitation sämtlicher Burzenländer Gemeinden unter Leitung des Stadtrichters Johannes Benkner durchgeführt. Sechs Jahre später wies der Rat alle führenden Geistlichen und Beamten des Burzenlandes an, für eine angemessene Unterbringung der kirchlichen Mitarbeiter zu sorgen und den Bau von Schulen voranzutreiben. 1578 schließlich fanden sich der Rat und die Pfarrer des Kapitels zusammen, um Artikel über die reine Lehre, die Sakramente, Sitten, Kirchengüter, Festtage und andere Alltagsfragen festzulegen. Ein neuralgischer Punkt blieb die Wahl des Kronstädter Stadtpfarrers, da seine Lehrmeinung auf die Bevölkerung prägend wirkte. So blieb die Stelle etwa nach Valentin Wagners Tod vier Jahre lang vakant, der neue Pfarrer aber wurde anschließend wegen calvinistischer Ausrichtung schon nach wenigen Wochen von den Bürgern verjagt. Ein paar Jahre später wurde ein nichtordinierter Jurist Stadtpfarrer und versah seinen Dienst sechs Jahre lang in bürgerlicher Kleidung – die Kronstädter waren bei der Wahl ihres Stadtpfarrers, den sie wohl noch lange an der Größe von Johannes Honterus maßen, recht eigen. Im Allgemeinen aber profitierte man im Burzenland von den weitgehend friedlichen Zeiten, das Handwerk florierte und die Geschäfte vor allem mit den Nachbarprovinzen liefen leidlich gut, die Kronstädter Schule fand Zuspruch und selbst die Druckerei behielt eine gewisse Strahlungskraft. So konnte hier 1583 das vom Kronstädter Ratsherrn – oder Senator, wie es nun hieß – Matthias Fronius bearbeitete »Eigen120 Kronstadt 1530–1688
Markttag in Kronstadt um 1900, hier zwischen Rathaus und Kornzeile.
Landrecht der Sachssen in Siebenbürgen« erscheinen, jenes maßgebliche Rechtsbuch, das für die Sächsische Nation 270 Jahre lang Rechtskraft behalten sollte. Es waren in diesen Jahrzehnten vor allem die wiederkehrenden Pestepidemien, die Kronstadt in seiner Entwicklung zurückwarfen: 1553/54, 1572, 1588 starben jedes Mal viele Tausend Menschen auf Stadtgebiet. Es ist erstaunlich, in welch kurzer Zeit sich die Stadt jedes Mal wieder erholte. Neue Einwohner kamen vor allem aus den Burzenländer Gemeinden, laufend aber auch aus den deutschen Ländern. Bevölkerungszahlen aus dieser Zeit anzugeben ist daher sehr fragwürdig, man müsste sie immer in ein Verhältnis zur vorangehenden Epidemie setzen, die manchmal bis zu einem Drittel oder gar der Hälfte der Einwohnerschaft das Leben gekostet hatte.
Vorweggenommene Verhältnisse des Dreißigjährigen Krieges Nach rund vier Jahrzehnten relativer Ruhe sollte Siebenbürgen gegen Ende des 16. Jahrhunderts in einen bis dahin nicht gekannten Strudel aus Gewalt und Zerstörung schlittern. Die labile Lage in einer Pufferzone zwischen zwei Machtblöcken erwies sich als schicksalsträchtig, da Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 121
sich keines der Nachbarreiche an der jeweiligen Peripherie durchzusetzen vermochte. Hinzu kam ein junger und viel zu wankelmütiger siebenbürgischer Fürst, dessen Politik richtungslos war. Nach Kronstadt kam der »Lange Türkenkrieg« erst relativ spät, war dafür aber nicht weniger zerstörerisch und grausam. Aus den dauernden Scharmützeln an den Grenzen hatte sich ab 1593 ein regelrechter habsburgisch-osmanischer Krieg entwickelt, wobei sich immer mehr christliche Mächte einer vom Papst initiierten Liga anschlossen. Auch der siebenbürgische Fürst Sigismund Báthory. Er brachte den ansonsten mehrheitlich »osmanenfreundlichen«, also den Staus quo bewahrenden Landtag nach erfolgreichem Intrigenspiel dazu, der Liga beizutreten. Die Sächsische Nation fand sich ebenfalls auf Seiten der Habsburger wieder, ja, sie war mit zwei Repräsentanten maßgeblich an einem Abkommen mit Kaiser Rudolf II. in Prag beteiligt: Neben dem Hermannstädter Königsrichter Albert Huet war dies der Vertreter Kronstadts, der Hundertmann Michael Weiss. Anfangs ließ sich die Sache auch gut an, die siebenbürgischen Truppen brachten den Osmanen zusammen mit jenen des walachischen Woiwoden Michael bei Giurgiu an der Donau 1595 eine vernichtende Niederlage bei. Der Heerbann des Burzenlandes war mit dabei, auch Michael Weiss. Nun aber kam die Führungsschwäche Fürst Sigismunds zum Tragen, auch sein Hochmut sollte sich rächen, denn er hatte in jenem Jahr die Woiwoden der Moldau und der Walachei gezwungen, seine Oberhoheit anzuerkennen. Es setzten innersiebenbürgische Konflikte des Fürsten mit dem Adel und den Szeklern und zwischen diversen Fraktionen ein, und die düpierten Osmanen ließen sich ab 1596 kein weiteres Mal überwinden. Der windige Fürst dankte vier Mal ab und kam mehrmals wieder. Der Woiwode der Walachei Michael mischte sich in die unübersichtliche Situation ein, die Stände riefen den Kaiser im fernen Wien um Hilfe an – vollkommen unübersichtliche Verhältnisse, fast ein Bürgerkrieg, bei dem die sächsischen Städte immer wieder zwischen die Fronten gerieten. Da wiederholt auch die Walachei und die Moldau impliziert waren, sollte das Burzenland in besonderer Weise unter diesem Krieg leiden. Es war nämlich immer wieder Ausgangspunkt militärischer Kampagnen, und somit auch Feldzugsziel entsprechender Gegenparteien. So kam es auch, dass Kronstadt in diesen Konflikten wiederholt Schauplatz entscheidender Ereignisse wurde. Es ist kaum möglich, die für Kronstadt schlimmsten Jahre zwischen 1599 bis 1605 in wenigen Sätzen zu skizzieren. Ein wesentliches Mo122 Kronstadt 1530–1688
ment für die Stadt und die Provinz sollte in diesen Auseinandersetzungen die Diplomatie werden: Viele Male musste eine Abordnung der Stadt hinaus ziehen und mit jenen verhandeln, die das Burzenland, seine Dörfer und die Vorstädte Kronstadts niederzubrennen drohten. Oder es stand die Aufgabe an, Abmachungen mit den benachbarten Woiwoden zuwege zu bringen, zuweilen war gar über die Parteinahme der ganzen Nation zu verhandeln. Es gab jedoch auch eine Kriegspartei, mit der nicht zu sprechen war. Das waren die Truppen des Kaisers, die bestialisch hausende Soldateska unter dem Befehl skrupelloser Tyrannen, die das Land durch gezielte Vernichtung, durch Terror und folgende Hungersnöte an den Rand des völligen Zusammenbruchs brachten. Alles in allem kann man die Jahre um 1600 ohne Frage mit den Verhältnissen während des Dreißigjährigen Krieges in Mitteleuropa vergleichen: Dezimierung der Bevölkerung durch Kriege, Seuchen und Hungersnöte, Zerstörung der Dörfer, Städte und Burgen, Raub sämtlicher Vorräte und materieller Werte, Verfall der Moralvorstellungen. Von Berggegenden abgesehen gab es keinen Ort, der in diesen Jahren nicht mehrmals ein Raub der Flammen und der Söldner geworden wäre. Die Innere Stadt Kronstadts konnte diesem Schicksal zwar entgehen, aber während der großen Pestepidemie im Frühjahr und Sommer 1603 wurden auch ihre Einwohner hinweggerafft, nur ein Viertel überlebte. Es war eines der schlimmsten Jahre in der bisherigen Geschichte der Stadt. Wir wollen es hier beispielhaft für diese Höllenzeit darstellen und dabei nur schlaglichtartig bis 1600 ausgreifen. Zunächst aber muss ein Name erwähnt werden, der uns in diesen Jahren laufend begegnet: Michael Weiss. Aus Mediasch gebürtig, ließ er sich 1590, erst 21jährig, bewusst in Kronstadt nieder, weil sich ihm hier die bestmöglichen Betätigungsaussichten boten. Schon ein Jahr später – Maja Philippi hat seine Biographie kenntnisreich nachgezeichnet – war er Mitglied der Hundertmannschaft, und ab 1594 finden wir ihn ununterbrochen mit wichtigen Vertretungsaufgaben der Stadt betraut, etwa auf dem Landtag oder am Prager Hof. Dass ein Hundertmann, zudem so jung und nicht aus alter Kronstädter Familie stammend, mit solch herausragenden Aufgaben betraut wurde, war sehr außergewöhnlich. Es zeigt, dass Weissens außergewöhnliches politisches und rhetorisches Talent, seine Sprachkenntnisse und höfisch-diplomatische Art rasch erkannt wurden – und es zeigt, dass es in der bürgerlichen Res publica bei aller Starrheit der sozialen Stände doch auch Mobilität geben konnte. Nachdem Weiss im Jahr 1600 in den Stadtrat gewählt wurde, fiel ihm die Leitung der Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 123
Stadt mehr und mehr zu, auch wenn es noch viele Jahre dauern sollte, bis er Stadthann und schließlich Stadtrichter werden sollte. Nachdem Fürst Sigismund wieder einmal abgedankt hatte, diesmal zugunsten eines Vetters, beauftragte Kaiser Rudolf II. den Woiwoden der Walachei, Michael, Siebenbürgen für ihn zu sichern. Kronstadt erkannte Michael, mit dem bereits enge Beziehungen bestanden, gleich nach seinem Sieg über die Truppen des siebenbürgischen Fürsten bei Schellenberg (28. Oktober 1599) als neuen Landesherrn an und gewährte ihm hohe zusätzliche Steuern. Im Frühjahr 1600 machte Michael Kronstadt schließlich zum Ausgangspunkt seiner weiteren Planungen: Er zog im März mit 7.000 Mann in die Stadt ein, empfing dort zunächst eine kaiserliche Gesandtschaft und dann den Pascha von Temeswar. Es war eine beeindruckende Inszenierung, bei der Michael mit den Insignien der Hohen Pforte für die Herrschaft über Siebenbürgen ausgestattet wurde – ein Fürst also, der von beiden Großmächten als Landesherr anerkannt wurde. Als solcher hielt er am 14. und 15. März 1600 in Kronstadt einen Landtag ab, der einzige in der Geschichte übrigens, da sich die periphere Lage der Stadt dafür sonst nicht anbot. An sich hätten damit gute Voraussetzungen für eine Stabilisierung der Verhältnisse bestanden, doch Michael strebte weiter: Von Kronstadt zog er zur Eroberung der Moldau aus, so dass er sich im Sommer in Weißenburg zum »Fürsten der Walachei, Siebenbürgens und der ganzen Moldau« ausrufen ließ. Damit nahm das Verhängnis seinen Lauf, der siebenbürgische Adel fiel von ihm ab, der Kaiser ging auf Distanz, und auch die sächsischen Städte wechselten im Herbst 1600 die Seiten – Kronstadt zögernd und als letzte. Gleichgültig, für welche Partei sich die Stadtführung in den folgenden Jahren entschied, es war bei den vielen Wechseln der Machtverhältnisse immer die falsche Seite. Die Stadtführung Kronstadts plädierte realpolitisch immer für die Unterstützung des eigenen Landesfürsten – anders als Hermannstadt, das sich nur unter Zwang von der Anhänglichkeit an das Haus Habsburg abbringen ließ. Als Kaiser Rudolfs General Giorgio Basta 1602 wieder die Oberhand im Land gewann, ließ er seine Rache an Kronstadt und dem Burzenland aus: Er drohte der Stadt mit Vernichtung, forderte eine hohe Strafe und legte 12.000 ungebändigte wallonische Söldner ins Burzenland ins Quartier, die die Provinz völlig aussogen. 1603 sollte sich dieses Szenario wiederholen. Basta musste sich vor den Truppen von Moses Székely, der mit osmanischer Hilfe ins Land einfiel, zurückziehen. Székely wurde Landesfürst und 124 Kronstadt 1530–1688
operierte vom Burzenland aus. Anfang Juli 1603 lag er mit seinem Heer – neben 4.000 Hußaren auch 4.000 Tataren und 1.000 Türken – bei Heldsdorf und drohte mit der Vernichtung der Dörfer, der Vorstädte und der Äcker, wenn Kronstadt ihm nicht huldigte und ihn unterstützte. Wie schon bei Sigismund Báthory und bei Basta führte auch diesmal Michael Weiss die Verhandlungen mit dem Fürsten. Mit seinem diplomatischen Geschick erreichte er, dass die Stadt nur etwas Munition, Proviant und 150 Söldner stellen musste, ansonsten aber eine nur bedingte Unterstellung zusagte. Sowohl Verheerungen des Burzenlandes, wo bald die Ernte anstand, wie auch eine Belagerung der Inneren Stadt, wohin sich viele Menschen geflüchtet hatten und wo die Vorräte knapp zu werden drohten, mussten verhindert werden. Zur gleichen Zeit kam der neue Woiwode der Walachei, Radu Şerban, über den Törzburger Pass und lagerte bei Zernescht. Er stand im Bunde mit Kaiser Rudolf II. und sollte Moses Székely für diesen vertreiben. Doch die beiden Fürsten nahmen Verhandlungen auf und waren auf dem besten Wege einer Verständigung unter der Oberhoheit der Hohen Pforte, doch das »Kriegsgesindel, welche unaussprechliche Bluthunde«16, so Michael Weiss in seinem Tagebuch, und deren Hauptleute trieben in beiden Lagern zum Krieg. Bei den Truppen Radu Şerbans befanden sich neben deutschem Kriegsvolk zahllose Szekler, die ihre Adligen im Heer des Moses Székely bekämpften und keinesfalls einen Verständigungsfrieden wollten. Diese Aufstellung mit Türken, Tataren und Adel auf der siebenbürgischen und Szeklern, Kaiserlichen und Rumänen auf der walachischen Seite zeigt, dass es hier kein klares Feind-Freund-Schema geben konnte und dass es auf diesem unübersichtlichen Kriegsschauplatz keine wirklich tragfähige Parteinahme geben konnte. Es kam schließlich am 17. Juli 1603 bei der Kronstädter Papiermühle in den Biengärten zur Schlacht zwischen den beiden Heeren. Die Truppen des siebenbürgischen Fürsten wurden vernichtend geschlagen, neben einer großen Zahl an Mannschaft fielen zahlreiche ungarische Adlige. Etliche gefangengenommene Adlige ließen sich für hohe Summen auslösen und flohen in die Innere Stadt. Moses Székely fiel in der Schlacht; sein Haupt wurde von deutschen Landsknechten in die Stadt gebracht und auf dem Marktplatz den Hunden zum Fraß vorgeworfen. Die marodierenden Truppen von Radu Şerban, die unter anderem Wolkendorf und Rothbach vollständig ausraubten und niedermachten, mussten beschwichtigt und versorgt und schließlich mit 20.000 Gulden zum Abzug gebracht werden. Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 125
Kaum drei Wochen später aber war der kaiserliche General Basta mit großen Truppen wieder im Land, das er vorher schimpflich verlassen hatte. Er wollte nun Rache nehmen an jenen, die sich der Übermacht der Kriegsherren gebeugt und nicht auf des Kaisers Seite verblieben waren. Seine Maßnahmen der materiellen Auspressung, der Bestrafung und Elimination der Eliten, schließlich des militärischen Terrors und der versuchten Rekatholisierung erinnern an die Vergewaltigung und brutale Neuformung Böhmens durch die Habsburger etwa zwei Jahrzehnte später. Kronstadt hatte sich Bastas Hass in besonderer Weise zugezogen. Er kam am 18. September in der Stadt an. Sie musste mit 80.000 Gulden die höchste Strafsteuer schlechthin zahlen. Der Stadtrichter Valentin Hirscher, der für die Huldigung an Moses Székely verantwortlich gemacht wurde, wurde zum Tode verurteilt, er starb jedoch wenige Tage vor der Vollstreckung an der Pest. Ein hoher ungarischer Adliger wurde auf dem Marktplatz enthauptet, andere wurden am eigens errichteten Galgen vor dem Klostertor gehenkt. Gegen Ende September setzte er einen Gouverneur in der Stadt ein, einen wallonischen Offizier, einen der Mörder des Woiwoden Michael – Basta hatte ihn im Sommer beseitigen lassen. Basta erkannte Kronstadt alle städtischen Freiheiten ab. Die wallonischen und deutschen Söldner, die nun in der Stadt und auf den Dörfern lagen, richteten enormes Unheil an, von den Kosten für die Stadt und für die Orte gar nicht zu sprechen. In einem Punkt aber kam Basta nicht weiter: Die Kronstädter waren nicht bereit, Einzelne als Verantwortliche für den Abfall vom Kaiser auszuliefern. Der Stadtrat schrieb im Namen sämtlicher Einwohner, dass »alle Bürger die Schuld einmütig auf sich nehmen und dass niemand im Einzelnen als schuldig genannt werden könne«17. Anfang 1604, als Michael Weiss die Stadt auf dem Landtag vertrat, wies er Basta mutig nach, dass »nicht wir von den Kaiserlichen abgefallen, sondern die Kaiserlichen von uns abgefallen waren«18. Weiss erreichte tatsächlich eine gewisse Verringerung der Strafzahlung und eine Rückerstattung der städtischen Freiheiten. Die das Burzenland malträtierenden Wallonen und sonstigen kaiserlichen Söldner aber sollten noch bis Ende 1604 im Land bleiben. Als 1605 endlich Hoffnung auf Frieden aufkam, war es wieder Michael Weiss, der diesmal sogar für die Sächsische Nation die Verhandlungen leitete. Anfang des Jahres kam mit Stephan Bocskay ein Heerführer auf den Fürstenthron, der die Gegensätze im Land und jene zwischen Habsburgern und Osmanen zu überbrücken vermochte. 126 Kronstadt 1530–1688
Doch die sächsischen Städte waren nach den elf Herrschaftswechseln seit 1598 zurückhaltend geworden, zudem rechneten sie noch immer mit der Rückkehr und somit mit der brutalen Rache der Kaiserlichen. Weiss erkannte schon früh im Jahr 1605, dass eine Einigung der Nation und deren Anschluss an die anderen Stände dringend geboten war. Über Wochen hin versuchte er, die in Hermannstadt versammelte Nationsuniversität von diesem Schritt zu überzeugen. Die habsburgtreue Stadt und ihr Königsrichter Albert Huet waren nicht dazu zu bewegen, und so musste Weiss vor die Vertreter des Fürsten reisen und die Unentschlossenheit der Nation entschuldigen und erklären. Erst als er im Juni 1605 zum zweiten Mal am fürstlichen Lager weilte, um den Adel von einem Kriegszug auf Hermannstadt abzuhalten, lenkte die Nationsführung ein. Die Abgeordneten Hermannstadts überbrachten schließlich die Vollmacht, Fürst Bocskay zu huldigen, und sie überbrachten Weiss ein Schreiben Huets, mit dem dieser dem Kronstädter Ratsherrn die Leitung der Verhandlungen mit den anderen Ständen im Namen der Sächsischen Nation übertrug. Weiss nutzte das endlich hergestellte einheitliche Auftreten der Nation, um sich deren umfassende Rechte sichern zu lassen. Die Sächsische Nation war also wieder in Siebenbürgen angekommen. Doch die Einigung kam zu spät, zu lange hatten die anderen Städte gezögert. Ausgerechnet Kronstadt musste die Rechnung dafür bezahlen. Gerade zurückgekehrt, musste Weiss wieder im Namen des Stadtrats in ein feindliches Lager zu Verhandlungen ziehen. Ein moldauischtürkisches Heer war mit 12.000 Mann ins Burzenland eingefallen und lagerte bei Tartlau. Es war vom Sultan beauftragt worden, die Sachsen abzustrafen, weil sie mit der Anerkennung des neuen Fürsten so lange gezögert hatten, und Kronstadt selbst sollte zerstört werden. Weissens offensive Verhandlungsführung machte auf den türkischen Pascha Eindruck, desgleichen die wertvollen Geschenke der Kronstädter. Drei Tage lang brachten sie nun Lebensmittel ins Feindeslager, um Plünderungen der Truppen zu verhindern und um sie zum Abzug zu bewegen. Doch auch damit nicht genug. Der Woiwode der Walachei Radu Şerban fühlte sich noch dem Bündnis mit Kaiser Rudolf II. verpflichtet und drohte dem ganzen Land mit Krieg. So war es wieder Weiss, der noch Ende Juli nicht allein im Auftrage der Stadt und der Nation, sondern gleich im Namen der drei Stände an den Woiwodenhof in Târgovişte zog, um ein Bündnis zwischen Bocskai und Radu Şerban zu Wege zu bringen. Auch dieses glückte rasch und festigte die guten BeEine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 127
ziehungen vor allem Kronstadts zum Woiwoden. Das große diploma tische Geschick von Michael Weiss, der innerhalb eines guten Monats an drei verschiedenen Schauplätzen erfolgreiche Verhandlungen geführt hatte, war nun allgemein anerkannt. In der Stadt war er die anerkannte Führungspersönlichkeit, doch auch auf Landesebene versah er wiederholt Gesandtschaftsdienste. Es folgte eine kurze Zeit des Friedens, des Verschnaufens. Die laufenden öffentlichen Ausgaben von Kronstadt und der Provinz halbierten sich von einem Jahr zum anderen. Als 1606 auch ein allgemeiner Friedensschluss zwischen den Habsburgern und den Osmanen folgte, von Bocskay vermittelt, sah man zwar hoffnungsvoll in die Zukunft. Die Zahl der Einwohner aber war teilweise auf ein Viertel oder gar ein Fünftel der Bewohnerschaft vom Ende des 16. Jahrhunderts gesunken. Die Kriege und Verheerungen, vor allem aber die Pestwellen in deren Folge hatten die Menschen zu Tausenden hinweggerafft. Kronstadt war davon in gleicher Weise betroffen. Seine Ausgangsposition war angesichts der umfassenden Stadtrechte und umfänglichen Stadtgüter im Verhältnis zu anderen Orten vorteilhaft. Dennoch ließen sich die gebrochenen Kräfte der Stadt vielerorts erkennen. Michael Weiss hatte früh erkannt, dass der Schwachpunkt der Stadtbefestigung zwischen Purzengässer Tor und Klostertor mit einer zusätzlichen Mauer und einer Bastei ergänzt werden muss. Seine Pläne ließen sich aber erst in den 1630er Jahren verwirklichen, vorerst blieb es lediglich bei notwendigen Reparaturen. Die Honterusdruckerei stellte ihr Wirken gegen Ende des 16. Jahrhunderts ganz ein und wurde erst 1625 wiederbelebt. Doch noch ehe sich die Stadt – genauso wie das ganze Land – erholen konnte, kündigte sich bereits eine neue Schreckenszeit an. Fürst Bocskay, auf dem so viele Hoffnungen geruht hatten, überlebte die Friedensschlüsse zwischen Wien und der Hohen Pforte nur um wenige Wochen, Gift bereitete ihm ein jähes Ende. Nach einer labilen Übergangszeit folgte im März 1608 der letzte Spross des Hauses Báthory auf dem Fürstenthron: Gabriel, gerade 19 Jahre alt, herrschsüchtig, machtbesessen, sittlich verderbt, hasserfüllt gegen die sächsischen Städte, eine Schande für sein Geschlecht und für seinen Stand. Von einem den europäischen Absolutismus kopierenden Princeps, wie ihn die neuere Historiographie zuweilen darstellt, kann keine Rede sein, wenn man die Zeugnisse seiner Zeitgenossen, selbst jene des Adels liest. Dieser letzte Báthory trachtete nach der Vernichtung der Landesverfassung, nach Ausschaltung aller Sonderrechte und nach Unterwerfung 128 Kronstadt 1530–1688
der Nachbarfürstentümer. Während der nun folgenden fünf Jahre fürstlichen Wütens sollte Kronstadt abermals eine führende Rolle nicht nur der Sächsischen Nation, sondern letztlich des ganzen Landes übernehmen. Schon im Juli 1608 konnte man in Kronstadt einen ersten Eindruck vom jungen Fürsten bekommen, als er mit einem Gefolge von 700 Mann in der Stadt Gelage feierte. Weiss wurde von Báthory immer wieder zu diplomatischen Missionen herangezogen. Einige unkluge Vorhaben konnte er dem Fürsten und dessen Rat ausreden, andere musste er widerstrebend ausführen, konnte dabei aber oft Schlimmstes verhindern. Schon nach zwei Jahren hatte Báthory große Teile des Adels, die beiden Nachbarfürstentümer, den Kaiser gegen sich aufgebracht, die Sächsische Nation wahrte skeptische Distanz. Nach einem missglückten Attentat ungarischer Adliger auf Báthory 1610 entfesselte dieser einen Kampf gegen alle denkbaren Gegner. Aus seiner Abneigung gegenüber den Sachsen machte er keinen Hehl. Als er im Januar jenes Jahres bei einem Gelage in Kronstadt weilte, verhöhnten er und seine adligen Spießgesellen offen die Sachsen. Nur Weiss hielt ihm die Ursachen der Einwanderung und die Verdienste der Sachsen ernst entgegen, woraufhin Báthory erbost die Tafel aufhob.
»Alles begehrte er, alles verlangte er, alles riss er an sich, so dass nichts in der Stadt vor seinen Gelüsten sicher war. Viel fressend und viel saufend, viel Schlechtes redend, war Gabriel ein wahrer Saradanapalus«19
vermerkte Weiss lateinisch in seinem Tagebuch. Im Dezember 1610 bemächtigte sich Gabriel Hermannstadts und errichtete eine echte Tyrannis. Auf dem Landtag, den er anschließend in Hermannstadt abhalten ließ, war der einzige Tagesordnungspunkt, die Stadt des Hochverrats anzuklagen. In einem grotesken Prozess wurden erst alle Hermannstädter Bürger zum Tode verurteilt, dann begnadigt und enorme Strafsummen festgelegt. Báthory versuchte auch Michael Weiss, der als Vertreter Kronstadts beim Landtag weilte, unter Drohungen zu Falschaussagen zu bringen. Hier erkannte Weiss, dass den anderen Städten das gleiche Schicksal drohte, dass der Hass eines großen Teils des ungarischen Adels auf die Sachsen unüberbrückbar war. Hermannstadt wurde zur Residenz des Tyrannen. Er trieb die Bürger in mehreren Schüben aus, presste vorher aber noch sämtliche Reichtümer ab. Báthory und seine Adelskumpane hausten in der Stadt wie die Barbaren. Das Haupt der Sächsischen Nation, das stolze und eigentlich unEine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 129
einnehmbare Hermannstadt, war ausgelöscht. Ohne dass es dafür eine verfassungsmäßige Regelung gegeben hätte, fiel die Aufgabe der Nationsführung nun Kronstadt zu. Als nächstes einen Schlag gegen diese Stadt ahnend, bemühte sich Weiss im Frühjahr 1611 um Bündnispartner, die er in Konstantinopel und in Wien zu finden hoffte. Auch der von Báthory zeitweilig vertriebene Woiwode Radu Şerban, der sein Leben nur aufgrund einer rechtzeitigen Warnung durch Weiss hatte retten können, stand als Bundesgenosse bereit, desgleichen die Moldau. Kronstadt war auf Verbündete tatsächlich angewiesen, denn der materielle und demographische Aderlass der Jahre 1598–1605 war noch lange nicht überwunden. Anfang Juni 1611 schickte Báthory ein großes Haiduckenheer ins Burzenland mit dem Ziel, Kronstadt durch List zu einzunehmen. Dem Haiduckenführer wurde nur mit 50 Mann Einlass in die Stadt gewährt. Den Rest seiner Truppen postierte er in der Altstadt und hinter der Graft. Am Sonntagvormittag, während des Gottesdienstes in der großen Pfarrkirche, sollten die Wagen der Eingelassenen durch das Klostertor die Stadt verlassen. Dabei hätte auf der Zugbrücke ein Rad brechen sollen, um das Tor zu blockieren und so den im Versteck Wartenden das Eindringen zu ermöglichen. Doch die Kronstädter waren auf der Hut und wiesen die Wägen zum Purzengässer Tor. Damit vereitelten sie den heimtückischen Plan, die List wurde erkannt und die Stadt umgehend in Abwehrstellung gebracht. Báthory erschien schon wenige Tage später mit neuen Truppen bei Zeiden, doch seiner Abordnung wurde der Einlass in die Stadt erstmals verweigert. Kronstadt stand mit dem Landesfürsten im Krieg. In der Stadt befanden sich inzwischen viele Sachsen aus anderen Städten, die Báthory verfolgte, und eine große Zahl Adliger aus den Komitaten und aus dem Szeklerland mit ihren Familien, die sich der Willkürherrschaft des irren Fürsten nicht zu beugen bereit waren. So wurde Kronstadt im Sommer 1611 zum Zentrum des Widerstands – der letzte wirklich freie Ort des Landes. Nachdem sich der Kronstädter Senat zum Widerstand gegen Báthory entschlossen hatte, hielt Michael Weiss in dessen Auftrag eine flammende Rede vor der Hundertmannschaft. Sie ist ein beeindruckendes Zeugnis nicht nur seiner Redegewandtheit, sondern vor allem seiner Weitsicht, seiner moralischen Festigkeit und seiner Freiheitsliebe. In Maja Philippis Übersetzung aus dem Lateinischen lesen wir einige Auszüge: 130 Kronstadt 1530–1688
»Nun aber, da wir das allgemeine Unglück der Gesamtheit der Sachsen und die unerträglichen Rechtsverletzungen, deren ich nicht ohne Tränen gedenken kann, beraten müssen, erachte ich, dass es meines Amtes ist, wenn ich dafür Sorge trage, was wir zum Wohle unserer Republik machen müssen. Euer Haupt ist Euch abgeschlagen worden, Hermannstadt, Eure Waffenkammer, die reiche Schatzkammer der Sachsen ist Euch vom Fürsten Báthory, dem Zerstörer Eurer Rechte und Gesetze, geraubt, mit Betrug besetzt, feindselig zerstört worden. (…) von einem einheimischen Fürsten (…) ist die blühende Stadt der zügellosen Begierde und der Raubgier der feindseligen Soldaten preisgegeben, die Bürger der Waffen beraubt, das Gold und was sie noch an Silber hatten, den habgierigen Soldaten zur Beute hingeworfen worden; von dem maßlosen Räuber sind die Jungfrauen und die ehrenhaften Bürgerinnen geschändet worden, (…) alle Bürger mit ihren Frauen und kleinen Kindern sind im schneidendsten und schrecklichsten Winterfrost von den Haus- und Schutzgöttern ihres Herdes verstoßen, ihrer Kleidung auf das schändlichste beraubt und ins Exil geschickt worden. (…) Deshalb, bevor Eure ganze Nation dem Untergang entgegengeht, ist es notwendig, dem bewaffneten Tyrannen mit Waffen entgegenzutreten, und besser, ein einziges Mal durch einen ehrenhaften Tod zugrunde zu gehen als sein ganzes Leben in Angst und Ehrlosigkeit zu leben. Denn es ist nicht zu erwarten, dass jener mit Euch gnädiger umgehen wird, dass sein Betrug, seine Vermessenheit, sein Hochmut und seine Habsucht etwas von dem übriglassen werde, was Euch heilig und geehrt ist.«
Es ging Weiss nicht um Kronstadt allein, sondern er wollte mehr, er wollte die Wiederherstellung der Nation: »da nur durch Euren Rat und Eure Waffen die Tempel des unsterblichen Gottes, die Gräber der Vorfahren und die goldenen Freiheiten Eures Volkes in ihrem früheren Glanze wiederhergestellt werden können«20 hieß es bei ihm weiter. Er schwor die Kronstädter damit auf das erste große Kräftemessen ein, das unmittelbar bevorstand. Báthory hatte mit seinen Truppen inzwischen mehrere Passwege zur Walachei besetzt. Radu Şerban wurde mit seinen Truppen, ergänzt durch Moldauer und Kosaken, von Kronstädter Spähern heimlich über den Altschanzpass geleitet. Sein Einfall überraschte Báthory. Im Gegensatz zu diesem gewährte die Stadt dem Woiwoden vielerlei Hilfen, neben Lebensmitteln vor allem Geschütze. Am 9. Juli kam es abermals bei der Papiermühle in den Biengärten zur Schlacht. Die zahlenmäßig überlegenen Truppen Báthorys konnten Radu Şerbans Armee zunächst zurückdrängen. Doch dann bot die Undiszipliniertheit von Báthorys Haiducken den Truppen des Woiwoden die Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 131
Gelegenheit, zurückzuschlagen und einen vollständigen Sieg zu erringen. Báthorys Haufen wurden niedergemetzelt, sie flohen oder wurden gefangengesetzt, auch ein großer Teil seiner adligen Hauptleute. Dass er selber entkam, merkte zunächst niemand. Er floh auf Reps zu, wo ihm der sächsische Königsrichter Unterschlupf gewährte, und tauchte dann unversehens in Hermannstadt wieder auf. Auf der Walstatt in Sichtweite der Stadt aber blieben 10.000 Tote liegen, viele weitere starben bald an ihren Verletzungen. Ihre Gräber wurden zu Hügeln in der Ebene. Auch Radu Şerbans Truppen waren stark dezimiert und geschwächt, so dass er sich erst nach langem Drängen und nach Übernahme des Soldes durch die Kronstädter bereit erklärte, Báthory zu verfolgen und Hermannstadt zu belagern. Zu den Belagerern stießen aus Kaschau herangerückte kaiserliche Truppen, doch erwiesen sich diese als so zuverlässig wie eh und je: Sie meuterten bald und liefen teils gar zu Báthory über. Dieser festigte sich in Hermannstadt erneut und nahm bestialisch grausame Rache an seinen Kriegsgefangenen, selbst den hartgesottenen Zeitgenossen fehlten die Worte zur Beschreibung. Mit Ausnahme von Bistritz und Reps sagten sich alle sächsischen Städte und Stühle vom Tyrannen los, und zwar mit der Folge, dass Báthory sie alle des Hochverrats verurteilte. Kronstadt musste den Kampf aber alleine weiterführen, denn weder die Hohe Pforte noch Wien durchschauten die siebenbürgischen Verhältnisse und sandten Hilfe. Ja, die Osmanen schickten im September 1611 gar ein türkischtatarisches Heer ins Burzenland, das sich in der Altstadt lagerte. Báthory hatte inzwischen weitere Haiducken und Szekler sammeln können und dachte, mit dieser Schützenhilfe der Stadt endlich den vernichtenden Schlag versetzen zu können. Doch der osmanische Pascha ließ sich von Weiss über den tatsächlichen Stand der Dinge belehren und zog mit seinen Truppen wieder ab. Báthory, der nun nichts mehr ausrichten konnte, wütete mit seinen Haufen wie wahnsinnig und verwandelte das Burzenland in eine Wüstenei: In Wolkendorf überlebten nur sechs Männer, die rund 300-köpfige Bewohnerschaft verbrannte mit Frauen und Kindern in der Kirchenburg. Marienburg, Brenndorf, Honigberg und Tartlau ergaben sich Báthory, sie hielten die Bedrohung nicht mehr aus. In der Altstadt blieben nicht mehr als zehn Häuser stehen. Nach Báthorys Abzug blieben 300 Haiducken im Burzenland, die ihren Terror fortsetzen sollten. Zudem fielen die Szekler aus ihren Stühlen andauernd ins Burzenland ein, verwüsteten die sächsischen Dörfer und raubten sie aus. Die Nachschubwege in die Walachei waren versperrt. 132 Kronstadt 1530–1688
Die Standfestigkeit der Kronstädter, ihre entschlossener Wille, ihre Freiheiten zu behalten, drückte sich darin aus, dass sie in dieser außerordentlich bedrohlichen Lage jenen Mann zum Stadtrichter wählten, der schon bisher ihr Wortführer und die Seele des Widerstands war: Am zweiten Weihnachtstag 1611 wurde Michael Weiss in das höchste Amt der Stadt gewählt und hatte damit auch die höchste militärische Gewalt der Res publica Coronensis. Es ging Weiss nun in erster Linie darum, eine Koalition gegen Báthory zustande zu bringen und die Abwehrkräfte der Stadt zu stärken. Das war ein schwieriges Unterfangen und glückte nur zum Teil. Die Beziehungen zum neuen Woiwoden der Walachei konnten mit Hilfe der Hohen Pforte entspannt werden, und Kronstadt konnte sich wieder mit Lebensmitteln versorgen und neue Söldner anwerben. Immerhin wusste sich Kronstadt von den Nachbarfürstentümern und von der Walachei her nicht bedroht, als Báthory im Februar 1612 abermals mit Haiducken und Szeklern ins Burzenland rückte. Doch an die Stadt traute er sich nicht heran, er nahm sich die noch verbliebenen freien Orte vor. Weiss hatte die Ortsrichter vorher gewarnt, dass sich Báthory an keine seiner Zusagen halten würde, dennoch ergaben sich bis auf Honigberg alle Burzenländer und wurden trotz Versprechungen ausgeraubt, niedergehauen, geschändet. Die Rosenauer hatten ihre Burg so lange verteidigt bis ihnen die Wasservorräte ausgingen, dann mussten sie aufgeben. Die Törzburger Besatzung übergab, eingeschüchtert, die Burg und wurde anschließend von Weiss als Strafe brutal hingerichtet – die Grenzburg wäre eigentlich uneinnehmbar gewesen, und so war nun die Lebensader der Stadt nach Süden unterbrochen. Als Báthory nach zwei Wochen wieder abzog, hinterließ er ein Haiduckenfähnchen im Burzenland, um Terror und Mord beständig fortzuführen und die Stadt auszuhungern. Doch auch als die Königsrichter von Reps und Bistritz als Abgesandte des Despoten und des Landtags im Juni nach Kronstadt reisten, um die Stadt zur Aufgabe zu bewegen, blieb sie standhaft: Die von Weiss in der großen Pfarrkirche versammelten sämtlichen Stadtbürger erklärten einmütig, dass sie unnachgiebig bleiben und die Stadt weiter verteidigen wollten. In Kronstadt selbst kam der reguläre Alltag zum Erliegen. Dem Handwerk konnte nur noch bedingt nachgegangen werden, da Rohstoffe, Auftraggeber und Käufer fehlten, der Handel wurde fast vollständig eingestellt. Die Vorstädte, auch die »Belgerey«, waren niedergebrannt, deren Bewohner hielten sich – soweit sie nicht geflohen waren Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 133
– in der Inneren Stadt auf, es muss dort chaotische Zustände gegeben haben. Die Versorgung mit Lebensmitteln wurde zur Herausforderung, da die Burzenländer Orte bis auf das tapfere Honigberg in der Hand Báthorys waren und weil die marodierenden Haiducken den Landbau unterbanden. Verbindungen in die Walachei hingegen bestanden nur auf unwegsamen Pfaden. Die Hoffnungen auf Truppenhilfe durch die Hohe Pforte, die einen früheren Kosakenführer zum Fürsten Siebenbürgens einsetzen wollte, erfüllten sich nicht. Walachische Söldner, die dieser nach Kronstadt mitgebracht hatte, verschwanden wieder, nachdem sie von der Stadt ihren ersten Sold erhalten hatten. Dennoch konnten die Kronstädter einige Erfolge erzielen, Brenndorf und Zeiden zurückerobern, die fürstlichen Besatzungen in Weidenbach und Neustadt ergaben sich, Tartlau und Petersberg schlossen sich wieder Kronstadt an. Einen Haiduckenangriff durch die Berge auf die Obere Vorstadt konnten die Kronstädter erfolgreich abwehren und rund zwei Drittel der Marodeure ausschalten. Marienburg, Rosenau und die Törzburg aber konnten die Kronstädter nicht zurückgewinnen – wie auch im Falle Hermannstadts wehrten die stärksten sächsischen Festungen nun ihre eigenen Erbauer ab. Doch kam im September ein Bündnis mit dem walachischen Woiwoden zustande, und die Stadt vermochte vielerlei Volk in Sold zu nehmen. Weiss ließ nun hochrüsten. Walachen, Türken, Tataren, übergelaufene Haiducken, Szekler, die Stadtbürger und die Bauern der sächsischen Dörfer, die »Studenten« des Gymnasiums kamen unter Waffen. Diese Armee, etwa 3.000 Mann, rückte am 8. Oktober 1612 aus. Weiss wollte noch vor dem bevorstehenden Winter eine Entscheidung herbeiführen. Er und der frühere Haiduckenführer mit Fürstenambition befehligten die buntgemischten Truppen. Der nun einsetzende Feldzug ins Szeklerland sollte eine potentielle Bedrohung ausschalten, zugleich war er eine Vergeltung für die dem Burzenland über Jahre hin angetane Unbill. Doch die Kronstädter plünderten und verwüsteten das Land in gleicher Weise wie vorher ihre Gegner. Damit trieben sie die Szekler noch mehr in die Arme Báthorys. Dessen Streitmacht, deutlich größer als jene der Kronstädter, rückte denn auch nach wenigen Tagen auf Marienburg vor. Den Ort und die Burg hatten die Kronstädter Truppen bereits am 10. Oktober wieder eingenommen. Am 16. Oktober kam es hier zur Schlacht. Die Truppen standen sich zwischen Alt und Burzen gegenüber. Als die Reiterei Báthorys die Reiter aus der Walachei angriffen, wichen diese zurück und brachten die Kronstädter Reihen in Unordnung. Die am wenigsten kriegserfahrenen 134 Kronstadt 1530–1688
Bürger und Bauern, in der Mitte postiert, waren dem feindlichen Angriff nun preisgegeben. Eine allgemeine Flucht setzte ein, der Michael Weiss Einhalt gebieten wollte. Er selber floh zu spät. Auf der Flucht kam er ums Leben, wie genau, ist schwer zu sagen, da wohl alle aus seiner Umgebung umkamen. Es heißt, sein Pferd sei in der Burzen gestrauchelt, verfolgende Haiducken hätten ihn erschlagen. »Also starb der treue Vorsteher und Beschützer des Vaterlandes« vermerkte jener Schreiber, der sein Tagebuch später ergänzte. Etwa 300 Kronstädter Bürger fanden den Tod, alle ausgezogenen Schüler des Gymnasiums, wohl 22, desgleichen. Viele der gefangengenommenen Bürger und Bauern wurden anschließend für hohes Lösegeld wieder freigekauft. Trotz des großen Jammers, der am nächsten Morgen in der Stadt einsetzte, schloss sie ihre Tore. Marcus Fuchs, der Kronstädter Stadtpfarrer und ein enger Freund von Weiss, schrieb:
»Nach diesem unserem großen Unglück, als eine große Menge von Feinden zur Eroberung der Stadt heranzog, hegten wir, obwohl wir ganz und gar entwaffnet und von allen Kräften entblößt waren, dennoch neue Hoffnung. Als daher Farkas Allya, der oberste Führer in der Schlacht, mit Briefen an die Stadt geschickt wurde und uns mit Ermahnungen und Drohungen zur Übergabe überreden wollte, war niemand so gebrochen und schwachen Mutes, dass er ihn angehört hätte.«21
Kronstadt sollte also weiter standhalten und den Krieg mit Báthory fortführen. Mit dem Befehlshaber von Báthorys Truppen in der Schlacht bei Marienburg am 16. Oktober, den Fuchs gerade erwähnte, hatte es seine besondere Bewandtnis. Dieses war nämlich jener Adlige, den Weiss nach der Schlacht zwischen Moses Székely und dem auf Seiten des Kaisers stehenden Radu Şerban vor Kronstadt 1603 mit eigenem Geld freikaufte und ihn vor Basta versteckte. Weiss rettete damals sein Leben und verhalf ihm vor Bastas Schergen zur Flucht aus der Stadt. Zehn Jahre später stand er Weiss als Anführer der Feinde gegenüber. Ein sinnfälligeres Bild eines moralisch verrohten, orientierungslosen und zu Verantwortung nicht fähigen Standes ist kaum denkbar. Der Körper von Weiss konnte auf dem Schlachtfeld nicht gefunden werden. Seine Mörder schlugen ihm den Kopf und die rechte Hand ab und brachten sie Báthory nach Hermannstadt. Dieser ließ Weissens Kopf auf dem Pranger an einem Stecken zur Abschreckung anbringen. Seine treue Stadt aber prägte zu seinem Andenken Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 135
eine Münze mit der lateinischen Aufschrift »Er tat, was er dem Vaterlande schuldig war«. Die Kronstädter indes verzagten nicht. Schon am 19. Oktober sandten sie Johannes Benkner, den Vertrauten Weissens im Stadtrat, an die Hohe Pforte mit der Bitte um Hilfe. Mit den verbliebenen Söldnern unternahmen die Bürger immer wieder Ausfälle in die Umgebung, um die marodierenden Banden zu bekriegen. Von den Szeklern konnten immer wieder Vorräte geraubt werden, für die ansonsten eingeschlossene Stadt eine wichtige Versorgungsquelle. Indessen hatten die auf mehreren Wegen erfolgenden Interventionen an der Hohen Pforte Erfolg. An Báthory erging im Januar 1613 von dort der Befehl, mit Kronstadt Frieden zu schließen. Bald sollten Sultan und Großwesir auch beschließen, einen neuen Fürsten in Siebenbürgen einzusetzen. Die Verhandlungen zwischen Kronstadt und Báthory hatten zunächst keinen Erfolg, weil die Kronstädter auf der Herausgabe Hermannstadts bestanden. Erst die äußeren Umstände – die zunehmende Schwächung Báthorys und osmanischer Druck – zwangen beide zu einer Verständigung. Báthory bestätigte am 14. Mai sämtliche Freiheiten Kronstadts und gab für einen vergleichsweise geringen Betrag die Festungen Rosenau und Törzburg heraus – das selbstständige Burzenland war wiederhergestellt, auch wenn es nun Báthory Treue schwören musste. Doch das eigentliche Ziel war nicht vergessen, Kronstadt sah sich als Wahrerin der Nation und verfolgte die Freigabe Hermannstadts weiter. Schon am 27. Mai schloss es daher mit Schässburg ein Bündnis. Die beiden Städte wollten Gut und Blut wagen und im Glück und Unglück zusammenstehen, um Hermannstadt zu befreien und die Nation wiederherzustellen:
»So helfe Gott, unser Schutz und Schirm, solchem unserm Fürnehmen zu seinen heiligen Ehren, zur Erhaltung seiner christlichen Kirche und Beförderung aller gemeinen sächsischen Rechte, Freiheiten und Privilegien, die da durch Treue, durchs Gesetz und durch Blut von unseren Vätern erworben sind.«22
Auch wenn der Kronstädter Rat aufgrund eines Eides im Sommer und Herbst 1613 an Gabriel Báthory als Fürst festhielt und sich deswegen von der Belagerung durch ein osmanisches Bündnisheer freikaufen musste, so waren die Tage des Despoten doch gezählt. Der von der Hohen Pforte im Mai zum Fürsten Siebenbürgens eingesetzte Gabriel Bethlen setzte sich mit osmanischer Hilfe rasch durch, und schon im 136 Kronstadt 1530–1688
Oktober 1613 bestätigten die Stände durch ihre Wahl den neuen Landesfürsten. Hier trat nun noch am Tag der Wahl die Sächsische Nation unter Führung Kronstadts vor den neuen Landesherrn und überreichte ihre zwölf Forderungen, darunter auch die Herausgabe Hermannstadts. Nach der Flucht Báthorys war die Stadt von Bethlens Leuten übernommen worden. Der fürstliche Wüstling wurde nur wenige Tage nach Bethlens Wahl auf der Flucht bei Wardein von gedungenen Haiducken ermordet. Als die Nachricht vom Tod Báthorys am Martinstag 1613 in Kronstadt eintraf, brach hier Freudentaumel aus: »Ist allhier zu Cronen wegen der Erwählung des Bethlen Gabor, viel mehr aber wegen des anderen Gabors (…) Freud geschossen, also dass (…) stattlicher nit ist abgegangen.«23 Zu wiederholten Malen wurden mit den Geschützen Freudenschüsse abgefeuert und die Glocken aller Kirchen geläutet. Die Schüler und die Stadtjugend ging in weißen Chorgewändern durch die Stadt und sang vor den Häusern der Senatoren Motetten. Stadtrat und Hundertmänner feierten und ließen Salut schießen. »Gott geb’s uns zu Gesund, zum Heil aber unser Nation!« vermerkt der Ratsherr und Trabantenkapitän Andreas Hegyes in seinem Tagebuch weiter.
Goldenes Fürstenzeitalter und Türkennot Für Kronstadt war die Zeit der Plagen, der existentiellen Bedrohung, der Kriege, der Einschränkung ihrer Geschäftigkeit vorerst beendet. Die Stadt war nicht überwunden, Rechte, Freiheiten und Würde waren gewahrt worden. Ja, selbst die Freiheiten der Sächsischen Nation blieben nur hier durchgehend erhalten. Doch für Hermannstadt und die Gesamtheit der Sachsen war die Bedrückung noch nicht zu Ende. Die Nation verweigerte dem neuen Fürsten den verfassungsmäßig notwendigen Eid, bis er Hermannstadt nicht geräumt und die Rechte nicht wiederhergestellt hatte. So kamen am 10. Dezember 1613 die Vertreter sämtlicher sächsischer Stühle und Distrikte in Schässburg zusammen, um die Union der Nation zu erneuern und um dabei zu bekräftigen, dass sie zu allem entschlossen seien, um die Rechte der Gesamtheit zu verteidigen. Die Demütigung durch Báthory und die weitgehende Entrechtung hatte die sächsischen Stühle und Städte stärker zusammengeschweißt als es jemals vorher der Fall war. Auch Kronstadt und das Burzenland zeigten sich hier uneingeschränkt als Glied eines Ganzen. So sehr ihr Eigenbewusstsein auch künftig fortbestehen sollte und so Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 137
stolz sie auch auf den Erfolg ihrer Beharrlichkeit waren, so passte sich die Stadt in ihrer äußeren Politik doch weitestmöglich an jene der Nation an. Als Bethlen im Februar 1614 Hermannstadt endlich räumte, lebten dort nicht mehr als 53 sächsische Bürger. Das Haupt der Sächsischen Nation war entvölkert und vollkommen ausgeplündert, es musste von Neuem anfangen. Wie aber sah Kronstadt um diese Zeit aus? Auch hier wird die Einwohnerzahl nach der Pestepidemie vor einem Jahrzehnt und den Kriegsereignissen auf einem Tiefpunkt angekommen sein. Nach einem ersten Höhepunkt um 1500 mit etwa 10.000, höchstens 12.000 Einwohnern dürfte deren Zahl 1613 zwischen 3.000 und 4.000 gelegen haben, zuverlässige Zahlen besitzen wir nicht. Die unmittelbare Folgezeit nach 1612/13 war von Hunger und Lebensmittelteuerung gekennzeichnet, da die Äcker des Burzenlandes in den vorausgegangen Jahren entweder zerstört worden waren oder nicht bebaut werden konnten. Hinzu kam, dass sich noch einige Zeit Reste der Söldnertruppen in Kronstadt aufhielten, selbst Tataren und Türken; sie dürften wohl in wüst liegenden Höfen oder anderen Gemäuern der Inneren Stadt untergebracht gewesen sein. Zunächst also keine vorteilhaften Verhältnisse für einen Neuanfang, zumal auch die Burzenländer Gemeinden stark entvölkert waren und gutteils wieder aufgebaut werden mussten. Viele Kirchen und Kirchenburgen lagen noch lange Zeit in Trümmern, Wolkendorf etwa gar bis 1665 – das Dorf musste zudem fast vollständig neu besiedelt werden. Während die Landbevölkerung neben natürlichem Wachstum lediglich durch innersiebenbürgische Migration anwuchs, hatten die Städte den Vorteil, Zuzügler aus vielerlei Gegenden Mitteleuropas anzuziehen. Gerade aus Ländern unter habsburgischer Regentschaft mussten oft Evangelische weichen, da die Gegenreformation immer unduldsamer wurde. Es waren daher nicht nur Handwerksburschen, die auf ihrer Wanderschaft etwa in Kronstadt hängen blieben, weil sich ihnen hier viel bessere Aufstiegschancen boten als zu Hause, sondern auch Kaufleute und vor allem Studierte wie Lehrer, Ärzte, Pfarrer und Künstler. Für deutschsprachige Zuwanderer war die Kronstädter Gesellschaft – wie die sächsische überhaupt – sehr offen, sie mussten aber der Augsburgischen Konfession angehören, also lutherisch sein, und sich auch sprachlich anpassen. In Einzelfällen schafften es solche Neukronstädter selbst in die höchsten Stadtämter, doch zu dieser Thematik kommen wir später noch. Die katastrophalen Erfahrungen mit dem ungarischen Adel zum Jahrhundertbeginn durch den heimtückischen Raub und die anschlie138 Kronstadt 1530–1688
ßende Vertreibung der Bürger zunächst in Schässburg (1602), dann in Hermannstadt (1610–1613) hatte eine kompromisslose Haltung der sächsischen Städte zur Folge: Ausschließlich Deutsche konnten hoffen, hier das Niederlassungs- und das Bürgerrecht zu erwerben. Sie mussten dabei auf alle anderen etwaigen Rechtstitel verzichten und sich bedingungslos dem sächsischen Recht unterwerfen. Der ungarische Adel, der immer wieder Hausbesitz in den sicheren sächsischen Städten anstrebte, hätte nämlich niemals auf seine Vorrechte verzichtet, hätte sich der städtischen Gerichtsbarkeit und der Besteuerung entzogen – wie an anderen Orten in Siebenbürgen deutlich zu erkennen war. Dieser rigorosen Bestimmung auf sächsischem Nationsgebiet lag noch lange keinerlei ethnisch-nationale Vorstellung zugrunde, sondern sie war ein als notwendig erachteter Rechtsschutz. Orthodoxe waren von der Partizipation an politischen Rechten in Siebenbürgen grundsätzlich ausgenommen. Das strikte Festhalten an alten Rechtstiteln stellte sich aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht als zwingend heraus. Zwar war Kronstadt ein etablierter Handelsplatz und konnte, sobald die Zeiten wieder friedlicher wurden, in beträchtlichem Umfang von seiner günstigen Lage, von den Marktzöllen und Mauten profitieren. Aber die Handelstätigkeit der eigenen Kaufmannschaft nahm stetig ab. Der Radius verringerte sich im Laufe des Jahrhunderts zunehmend und umfasste neben Siebenbürgen bald nur noch die Moldau und Walachei, schließlich auch diese nur noch bedingt. Der Fernhandel ging hingegen zunehmend in die Hand anderer Gruppen über, die schon seit dem Mittelalter mit Kronstadt in Handelsbeziehungen standen: Armenier, Griechen, Walachen, Moldauer, Mazedo-Rumänen, Bulgaren waren es, die nun die Versorgung mit Fernhandelsgütern übernahmen. Auch diese, die sich von den siebenbürgischen Rumänen in der Regel strikt unterschieden wissen wollten, strebten mit ihren Handelsniederlassungen in die Innere Stadt. Aber auch ihnen wurde jeder Hauserwerb verwehrt, sie blieben Mieter. 1678 musste die Stadt ihrem Drängen nachgeben und der Gründung einer »Griechischen Handelskompagnie« zustimmen, einem Interessenverband dieser Kaufleute, die vor allem ihre orthodoxe, die »griechische« Konfession einte. Sie sollten später in der Stadtgeschichte noch eine gewisse Rolle spielen. Währenddessen hatte auch die noch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts herausragende und zeitweilig mit den sächsischen Kaufleuten gleichauf ziehende Handelstätigkeit der Obervorstädter Rumänen stark abgenommen, auch wenn ihnen gerade Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 139
im Austausch mit der Walachei nach wie vor eine wichtige Rolle zufiel. Der starke demographische Einbruch um 1600 und die mehrfachen Vernichtungen der Vorstädte dürfte auch in diesem Stadtteil weitreichende Folgen gehabt haben: Zum einen dürfen wir annehmen, dass spätestens ab diesem Zeitpunkt kein Unterschied mehr zwischen »Bulgaren« und »Walachen« gemacht wurde, es sich hier also um eine weitgehend einheitliche ethnische Gruppe handelte. Zum anderen dürfte die Zahl der sächsischen Einwohner, auch wenn sie niemals ganz verschwanden, inzwischen sehr gering geworden sein. Die Nikolauskirche war gerade erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts mit Hilfe von Stiftungen walachischer Woiwoden erweitert worden. Die führenden Familien der Stadt, die »Patrizier«, die sich ab dem Ende des 15. und im 16. Jahrhundert als Nachkommen der Fernkaufleute und erfolgreichen Handwerker etabliert hatten, setzten sich nun an den Fleischtöpfen der Stadt fest. Aus dem Kaufherrenstand wurde ein Beamtenstand. Eine Handvoll Familien teilten sich die Senatorenämter und Beamtenstellen und sorgten dafür, dass nur selten ein Hundertmann aus dem Handwerkerstand in den Stadtrat aufstieg. Vetternwirtschaft und Korruption nahmen im Laufe des Jahrhunderts stetig zu. Michael Weiss, der ursprünglich von außen kam und aufgrund seines Horizonts die negativen Folgen solchen Treibens erkannte, hatte bereits zu Beginn des Jahrhunderts versucht, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Während ähnliche soziale Verhältnisse in Hermannstadt 1645/46 zu einem Bürgeraufstand und zur zeitweiligen völligen Umwälzung der öffentlichen Ordnung führten, blieb dies Kronstadt erspart. Es gärte jedoch beständig, und gerade in der zweiten Jahrhunderthälfte gab es zahlreiche Beschwerden der Hundertmannschaft an den Stadtrat, da die Herren Senatoren die Hundertmänner systematisch übergingen. Dabei waren es gerade die Handwerker, die zunehmend die Potenz der Stadt ausmachten. Sie nahmen sowohl an Zahl wie auch an Produktionskraft beständig zu, sie unterhielten die Zünfte, sie belieferten nicht nur Siebenbürgen, sondern auch die Nachbarfürstentümer laufend mit Gewerbeprodukten, und sie bauten unablässig die Stadtbefestigungen weiter aus. Das Wachstum der Einwohnerschaft wie auch des Wohlstands lässt sich an der Notwendigkeit der Einrichtung einer weiteren Kirche ersehen: 1644 wurde die Johanniskirche des ehemaligen Nonnenklosters nach einhundertjähriger Nutzung als städtisches Magazin wieder hergerichtet und als Kirche geweiht – neben der großen Pfarrkirche, der Spitalskirche und der ungarischen Kirche, also des 140 Kronstadt 1530–1688
Chors der Peterskirche, das vierte evangelische Gotteshaus in der Inneren Stadt. Deren Handwerker waren zu einem zunehmend selbstbewussten Stand geworden, wurden aber von der politischen Mitwirkung stärker als noch im 16. Jahrhundert ausgeschlossen. Sie waren es schließlich auch, die die Idee der städtischen Freiheiten mit Leben füllten. Sie bewahrten eine tief sitzende Skepsis gegenüber den Landesfürsten und gegenüber jeder Art von auswärtigem Militär. Diese distanzierte Einstellung konnte auch das freundschaftliche Verhältnis zu Fürst Gabriel Bethlen nicht überwinden. Die Zeit seiner Regentschaft brachte dem ruinierten und entvölkerten Land die nötige Ruhe zum Wiederaufbau. Nachdem die Kronstädter auch gegenüber diesem Fürsten zunächst fremdelten, war er bereits seit April 1614 wiederholte Male in der Stadt und wurde feierlich empfangen. Allerdings war Bethlen der Sächsischen Nation auch tatsächlich sehr wohlgesonnen. Später schaltete er sich wiederholt auf Seiten der protestantischen Mächte in den europäischen Glaubenskrieg, den »Dreißigjährigen Krieg« ein. Als Bethlen im April 1626 kurz nach seiner Heirat mit Katharina von Brandenburg Kronstadt mit großem Gefolge besuchte, befand sich darunter auch ein Organist: Michael Herrmann, aus der Zips und Österreich stammend. Er sollte in der Stadt bleiben, zunächst an der großen Pfarrkirche wirken und bald die Honterusdruckerei übernehmen. Deren Wiederbelebung ab den ausgehenden 1620er Jahren kann sinnbildlich stehen für den wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung in der Stadt nach über drei Jahrzehnten. Herrmann heiratete in die angesehensten Familien ein und erhielt so Zugang zum inneren Kreis der Stadtführung. Ab Ende 1646 wurde er schließlich sieben Mal zum Stadtrichter gewählt. Neben wichtigen Arbeiten in der Stadt wie einer Erweiterung des Rathauses und Erneuerungen am Purzengässer Tor fällt in seine Amtszeit die endgültige Sicherung der Törzburg und des Törzburger Dominiums für die Stadt. Deren juristisch einwandfreies Eigentum war nach der Schlacht von Mohács 1526 offen geblieben, und in den nun ruhigen Zeiten, die zum Geldausgeben einluden, erinnerten sich die Fürsten dieses Umstands. So presste Bethlen bereits 1625 der Stadt hohe Opfer ab. Doch Mitte des Jahrhunderts war es abermals so weit, und Stadtrichter Herrmann musste beim Fürsten Georg II. Rákóczi und beim Landtag für diese wichtigste Besitzung der Stadt – neben der Grenzburg gehörten neun Dörfer dazu – streiten. Für eine Zahlung von 11.000 Gulden, der Abtretung mehrerer grundEine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 141
herrlicher Ortschaften und eine ganze Reihe an Zusicherungen vor allem militärischer Art wurde das Törzburger Dominium 1651 schließlich uneingeschränktes Eigentum Kronstadts und wurde zwei Jahre später in der neuen Gesetzessammlung des Landes verankert. Nicht einmal die Gier des österreichischen Fiskus sollte diesen Besitz im 18. Jahrhundert in Frage stellen können. Doch die Beziehungen zum Landesfürsten waren nicht immer ungetrübt. So stand die Stadt mit dem Vater des eben Erwähnten, mit Georg I. Rákóczi, in ernstlichem Konflikt. Als dieser sich im Februar 1637 anschickte, Kronstadt zu besuchen, kam das Gerücht einer beabsichtigten Plünderung der Stadt durch sein Gefolge auf. Die Einwohner und die Hundertmänner gerieten in Aufregung und ließen ihn bei Zeiden durch eine Abordnung bitten, von einem Besuch der Stadt abzusehen, sie seien »ganzlich entschlossen, Ihre Fürstliche Gnaden nicht in die Stadt zu lassen«. Der Stadtrat aber setzte sich durch und Rákóczi sollte schließlich unter dem Schutz zweier Senatoren die Stadt mit Gefolge betreten. Als er aber die Zugbrücke des Klostertores passiert hatte, ließ die Wache den Schlagbaum herunter und schloss sein Gefolge aus. »Darüber ist ihre Fürstliche Gnaden dermaßen ergrimmet, dass er den anderen Tag nach dem Essen wiederumb ausgezogen.«24 Die Stadt sollte als Quittung für dieses selbstbewusste Auftreten die ganze Fürstenwillkür zu spüren bekommen: Auf dem schon nach wenigen Wochen in Mediasch folgenden Landtag wurde sie mit einer Strafe von 6.000 Gulden und 200 Stück Tuch belegt, zudem mussten Rat und Hundertmannschaft bei Verlust der städtischen Freiheiten versichern, niemals wieder einem Fürsten vorzuschreiben, wann und wie er die Stadt betreten wolle. Doch damit nicht genug, die Rache des Fürsten hielt an: Vier Jahre später nahm er der Stadt zwei untertänige Gemeinden, Schirkanyen und Mikesdorf, sowie die Mauteinnahmen weg. Auch wenn diese letztgenannten Strafen nach einigen Jahren wieder rückgängig gemacht wurden, so mussten sich die Kronstädter durch dieses Verhalten in ihrer ablehnend-skeptischen Haltung gegenüber den adligen Herren doch bestätigt sehen. Nicht zuletzt versuchte der Adel stets aufs Neue, so etwa nach 1652, ein Niederlassungsrecht innerhalb der befestigten Städte durchzusetzen. Im Allgemeinen entwickelten sich Kronstadt und das Burzenland in der langen Friedenszeit seit 1613, die die ungarische Geschichtsschreibung das »Goldene Fürstenzeitalter« nennt, recht verheißungsvoll, wenn auch der Reichtum des 15. und 16. Jahrhunderts mit Abstand 142 Kronstadt 1530–1688
nicht mehr erreicht werden konnte. Die Grenzscharmützel mit Türken und Tataren waren weit weg, lediglich Pestepidemien wie etwa 1635 brachten wiederholt Rückschläge. Die Prosperität des städtischen Lebens lässt sich etwa daran erkennen, dass die alte Honterus-Druckerei im Besitz Michael Herrmanns nicht nur umfänglich erneuert wurde, sondern auch ein erstes Periodikum herausbrachte: Der erste Kronstädter »Newe und Alte Calender« ist von 1643 überliefert, er muss jedoch schon etliche Jahre früher erschienen sein. Ansonsten lag der Schwerpunkt der Druckerei auf Schulbüchern, für die am Gymnasium reichlich Bedarf bestand. Unter mehreren herausragenden Rektoren – etwa Petrus Mederus und Matthias Wermerus in den 1640er Jahren – hatte dieses seinen Ruf als höhere Lehranstalt gefestigt und pädagogische Reformen durchgeführt, ein Schülerzustrom war die Folge. Am 1. Dezember 1644 feierte die Schule ihren einhundertsten Gründungstag und gedachte dabei zugleich der Verdienste der Reformatoren. Neben der »Kleinen Schule« am Kirchhof und wohl jener der Ungarn bei der Peterskirche gab es – mit ersten Vorläufern wohl schon ab Ende des 15. Jahrhunderts – auch eine Schule bei der orthodoxen Nikolauskirche in der Oberen Vorstadt; ihre Aufgabe dürfte in der Ausbildung von Predigern bestanden haben, wobei sowohl Gründungszeit wie auch Ausrichtung dieser »ersten rumänischen Schule« sehr umstritten und nur bruchstückhaft belegt sind. Im Zusammenhang mit dem Schulwesen sei noch ein Detail erwähnt, das als durchaus charakteristisch angesehen werden kann. 1650 besuchte der Bischof der evangelisch-sächsischen Kirche, Christian Barth, Kronstadt – wohl der erste Besuch eines Superintendenten in der Stadt. Sein Ansinnen war, eine Visitation im Burzenland durchzuführen. Das war für die Kronstädter aber zuviel, seit Jahrhunderten hatte sich kein Bischof mehr in die Burzenländer Angelegenheiten eingemischt und so sollte es auch bleiben. Bischof Barth wurde klar gemacht, dass im Burzenland lediglich der Stadtrichter und der Kapitelsdechant das Visitationsrecht besaßen, so dass er es bei einer Predigt bewenden lassen musste. Die friedlichen Zeiten sollten sich leider bald dem Ende zuneigen. Es war wieder ein junger, ungestümer Landesherr, der Verderben über das Land brachte. Die Enttäuschung darüber war um so größer, als er der erste war, der tatsächlich für dieses Amt erzogen und ausgebildet worden war: Georg II. Rákóczi – 17jährig im Jahre 1648 zur Regentschaft gekommen, strebte auch er nach mehr. Nach fünf Jahren zwang er die Woiwoden der Walachei und der Moldau, seine Oberhoheit anzuerkenEine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 143
nen, und 1657 fiel er zusammen mit Schweden in Polen ein: Er strebte nach dessen Krone. Doch dabei hatte er einen entscheidenden Fehler begangen. Die siebenbürgischen Fürsten hatten innenpolitisch weitreichende Freiheiten, doch die Außenpolitik musste abgestimmt und genehmigt sein. Das war nicht der Fall, im Gegenteil, Rákóczi handelte gegen die osmanischen Anweisungen. Damit begannen die Kriegsgreuel von Neuem, wie sie Siebenbürgen vom Beginn des Jahrhunderts kannte. Vier weitere Kriegsjahre sollten das gerade wieder zu Kräften gekommene Land abermals an den Rand des Abgrundes bringen. Nachdem Rákóczi in Polen kläglich scheiterte und von den Osmanen für abgesetzt erklärt wurde, setzten 1658 die Auseinandersetzungen zwischen sich bekämpfenden Gegenfürsten ein. Diese innersiebenbürgischen Querelen erzürnten die Hohe Pforte so sehr, dass der Großwesir und der Khan der Tataren mit riesigen Heeren Siebenbürgen in die Zange nahmen. Als östliche Flanke trafen ab dem 8. August zunächst die Truppen des walachischen Woiwoden im Burzenland ein. Eine Woche darauf folgte das Heer des Tatarenkhans, hinzu kamen Truppen des Moldauer Woiwoden und des Paschas von Silistria in Bulgarien. Während die Heerhaufen bereits über die Dörfer auf Stadtgütern und über die Burzenländer Gemeinden herfielen, schlugen der Khan und die anderen Heerführer ihre Lager in der Blumenau auf. Am 20. August zog der erfahrene Altrichter Michael Herrmann, der in diesem Jahr des Regierungsnotstands auch Aufgaben als Landesverweser übernommen hatte, mit zwei Begleitern in die feindlichen Lager. Mit silbernen Kannen und 1.600 Talern sollte ausgekundschaftet werden, ob die Belagerer zu Verhandlungen bereit waren. Der Freikauf Kronstadts und des Burzenlandes aber sollte viel teurer sein: In der folgenden Nacht musste Herrmann dafür 20.000 Taler erlegen. Dadurch gelang es, die Innere Stadt und einen Teil der Vorstädte zu schützen. Doch trotz Beteuerungen bei einer weiteren Unterredung am 24. August, die Burzenländer Gemeinden zu schonen, wurden fast alle niedergebrannt: Tartlau, Honigberg und Petersberg waren bereits eingeäschert, es folgten Neustadt, Weidenbach, Zeiden und Rosenau, schließlich das Fogarascher Land. Selbst an der Altstadt vergriffen sich die entfesselten Kriegshorden und brannten sie nieder. Die Kirchenburgen der Gemeinden hielten den Belagerungen – offenbar nur durch einzelne Truppen – stand, doch die Menschen, die außerhalb aufgegriffen wurden, erlitten ein hartes Schicksal, sie wurden niedergemacht oder versklavt. Am schlimmsten traf es Wei144 Kronstadt 1530–1688
denbach. Die Kirchenburg wurde freiwillig übergeben, in der Folge aber wurden bis auf wenige alle Einwohner verschleppt und der gesamte Ort eingeäschert. Bei der steinernen Brücke in der Blumenau und vor dem Klostergässer Tor kam es nun zum Menschenmarkt, die Tataren und Walachen boten ihre Gefangenen feil: Erwachsene kosteten 10 Taler, kleine Kinder gab es für zwei Taler oder gar nur für vier Hufeisen. Rund 150 Weidenbacher konnten ausgelöst werden, so dass letztlich wohl ein Fünftel des Ortes überlebte. Für alle Gefangene aus allen denkbaren Orten reichte das ohnehin schon knappe Geld der Kronstädter nicht; die Verbliebenen wurden an Ort und Stelle niedergehauen, die Kräftigeren als Beute verschleppt. Ein anrührendes Beispiel wollen wir hier herausgreifen. Die Kronstädter Familie Bell löste bei einem dieser Menschenmärkte einen etwa zweieinhalbjährigen Jungen aus. Man konnte von ihm lediglich sagen, dass er aufgrund seiner Kleidung aus gutem Hause gestammt haben musste. Der nun Michael Bell genannte Junge wuchs bei der Familie an Kindes statt auf, wurde später angesehener Geistlicher in Kronstadt, sein Sohn wiederum Pfarrer an der Bartholomäer Kirche. Erst gegen Ende des Monats, als das Burzenland völlig verwüstet war, verließen die Strafheere der Osmanen die Provinz Richtung Westen und Norden, weiter Unheil verbreitend. Bis auf kleinere Scharmützel sollte dem Burzenland in den folgenden Monaten eine weitere Heimsuchung erspart bleiben. Allerdings musste auch Kronstadt unter dem Druck der Verhältnisse mehrfache Seitenwechsel mitmachen. So etwa im Januar 1660. Während Rákóczi mit einem Teil seiner Truppen Hermannstadt belagerte, in das sich der von den Osmanen gestützte Gegenfürst samt zahlreicher Janitscharen zurückgezogen hatte, überfiel einer seiner Generäle das Burzenland und eroberte die unvorbereitete Törzburg im Handstreich. Seit 1659 war Michael Herrmann wieder Stadtrichter; wie seinerzeit bei Michael Weiss entschieden sich die Kronstädter in Zeiten der Gefahr für den erfahrensten und bekanntesten Mann im höchsten Amt. Er musste wieder Verhandlungen mit den Belagerern führen, auch diesmal in der Blumenau bei der Richtstätte. Für die Anerkennung Rákóczis als Landesherr und für die Unterstützung seines Lagers wollten die Truppen das Burzenland und die Stadt verschonen, die alten Rechte anerkennen und die Törzburg zu gegebener Zeit wieder räumen. Die Stadt war jedoch nicht bereit, die ungarischen Adligen, die sich der Bedrohung wegen hinter ihre Mauern geflüchtet hatten, auszuliefern, Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 145
»weil es nicht allein wider gegebene bürgerliche Treue und Zusage, sondern auch wider die gemeinen Landes-Articul, wider die adelige Freiheit, ja wider aller Völker Rechte sein würde, und die Stadt heut oder morgen der immerwährenden Schmachrede, so sie auf sich läde, große Verantwortung und Anstöße dadurch haben würde.«25
Die Kämpfe in Siebenbürgen waren eigentlich Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Fraktionen des Adels, und durch das rechtlich zugesicherte Refugium in den stark bewehrten sächsischen Städten brachten sie diese selbst zwischen die Fronten. Die Rákóczi-Truppen hielten sich natürlich nicht an die Abmachungen und verwüsteten Teile des Burzenlandes. Die rumänischen Dörfer Tohan und Zernescht hatten sich von Anbeginn auf deren Seite gestellt. Noch im gleichen Jahr, im Juni, sollten die Kronstädter auf einen weiteren Landesfürsten schwören müssen. Rákóczi hatte seine monatelange Belagerung Hermannstadts nämlich aufgeben müssen und wurde von den Osmanen vernichtend geschlagen, er selber fiel. Die türkischen und tatarischen Truppen, die Weißenburg bereits niedergebrannt hatten, zogen bald weiter auf Wardein, auch dies wurde zum Großteil vernichtet. Bei allem Elend blieb den sächsischen Städten dieses Schicksal doch erspart, da sie eine grundsätzlich pfortenfreundliche Politik trieben. Für den 15. Juni wurde in Kronstadt angeordnet, von allen Basteien, Türmen und vom Schloss, in allen Märkten und Gemeinden des Burzenlandes »Freud zu schießen über den Undergang des Rakoczy« – was auch immer kommen mochte, dieser Despot war bezwungen. Der ungarische Adel zog nun aus. Einzug hielt indes alsbald – wie so oft nach den Kriegen im Lande, als am Wegesrand, auf Feldern, auf Misthaufen, ja selbst in den Städten Leichen und Leichenteile herumlagen – der sogenannte »Sterb«, die Pest. Sie wütete zunehmend heftiger, ihren Höhepunkt erreichte sie im August. Zunächst waren es 5, 6 oder 11 Tote am Tag, am 8. August waren es 22, bald sollten es 56 sein. Die Seuche erfasste alle Bevölkerungsteile, allmählich kam sie in jedem Haus an. Mitte August vermerkte ein Chronist:
»Ach wie schmerzlich, du wohl gebautes Haus Siebenbürgen, voraus du schönes Städtlein Cronen, wie müsse itzt so traurig stehen, klagen und weinen, indem du mit Ach und Weh erfahren musst den rechten brennenden Zorn Gottes deines Frevels, daß die drei Landesstrafen zugleich über unsers armes Vaterland ergehen, als Krieg und Blutvergießen, da der grimmige Türk nach unserm Blut
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dürstet und uns zu verschlingen trachtet Tag und Nacht. Das ander [zweite] sehen wir, daß der getreue Gott den Segen an Früchten uns entzeiget [verwehrt] und nicht so wohl geraten lässt, wie vormals, daß manch armer Vater, Mutter mit seinen kleinen Kindren dieses Jahrs, so auch bis auf den dritten Tag kein Brot gesehen, sehr schmerzlich jetz müssen erfahren. Drittens die große wütende und grausame Pestilenz, welche mit ihren giftigen Pfeilen viel betrübte Elter verwundet hat, indem in einer geringer Zeit etliche hundert junger roter und schöner Mund Todes verblichen ist. Sein das nicht 3 zörnige Ruten Gottes? Ich vermein, größer nicht zu sein. Gott wolle sie aus Gnaden von uns wenden.«26
Rund 1.500 Tote verzeichneten die Chronisten in diesen Wochen. Am 28. August raffte die Pest auch den höchsten Vertreter der Stadt und der Provinz, den Stadtrichter Michael Herrmann, dahin. Im Juli und August war er noch mehrfach in Vertretung Kronstadts in Siebenbürgen unterwegs, dann widmete er sich energisch den gegen die weitere Ausbreitung der Pest eingeleiteten Maßnahmen, bis zur letzten Konsequenz. Ja, er sorgte sogar noch dafür, dass der Stadtrat bei der Aufbringung der neuen hohen Landessteuer zur Beschwichtigung der Osmanen mit gutem Beispiel voranging. Siebenbürgen fand noch immer keine Ruhe. Neue Fürsten kamen auf, neue Schlachten wurden geschlagen, weiter westlich gerieten gar Habsburger und Osmanen nach langer Friedenszeit wieder in verheerende Kriege miteinander. Für das Burzenland konnte man trotz allen erlittenen Leids von einer glücklichen Fügung sprechen, dass es von alldem nur mehr gestreift wurde. Der Hohen Pforte riss mit Siebenbürgen 1661 der Geduldsfaden. Sie setzte mit Michael Apafi einen Fürsten aus siebenbürgischem Geschlecht ein, einen friedliebenden Schöngeist. Das Land wurde im Westen wesentlich beschnitten, der Tribut um ein Vielfaches erhöht. Siebenbürgen war mehr oder weniger zu einem osmanischen Vasallenstaat herabgesunken, behielt aber seine innere Verfassung. Das Land war geschlagen und abermals ruiniert, aber es kam endlich wieder innerer Frieden. Apafi hatte keinerlei militärischen oder machtpolitischen Ehrgeiz, die Stände, die Städte und Stühle konnten sich ihrer neuerlichen Konsolidierung zuwenden. Die folgenden Jahrzehnte sollten auch in Kronstadt arm an großen Ereignissen sein. Sie boten dafür aber Raum etwa für moralisch-sittliche Besinnung, von der wiederaufgenommenen Pflege und Erweiterung der Stadtbefestigungen einmal zu schweigen. Der während der Pestzeit 1660 eingeführte BußEine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 147
tag am Mittwoch und die tägliche Betstunde wurden zugunsten eines Fastentages am Donnerstag abgeändert und dabei die gottesdienstlichen Zeremonien für alle Kirchen neu geregelt. Häufig feststellbare sittliche Vergehen wie Kindsmord und Ehebruch oder »Hurerei« führten nicht nur zu drakonischen Strafen, meist durch das Schwert oder auch durch Begraben bei lebendigem Leib, sondern auch zu Maßnahmen der Sozialdisziplinierung: So führte Stadtpfarrer Petrus Mederus 1674 für die männliche und weibliche Jugend eine Samstagsbeichte ein. Die Kleiderordnung des Vorjahres sollte den äußeren Überschwang zügeln. Um den Kirchgang zu befördern und ihn nicht zur Präsentation von Eitelkeiten werden zu lassen, wurde 1680 verfügt, dass auch Frauen Sitzgelegenheiten erhalten sollten, und es wurde eine Beschränkung der Kirchentracht der weiblichen Jugend vorgenommen. An der Reparatur und Aufrichtung von Orgeln (1664, 1674), am Bedarf eines neuen Gesangbuches (1677) oder an der Erregung der Gemüter wegen eines von den Bekenntnisgrundsätzen abweichenden Predigers (1677) lässt sich die zentrale Rolle des kirchlichen Lebens im Alltag der Stadt genauso ablesen wie an folgendem bedenkenswerten Ereignis. Der Chor der Peterskirche wurde zwar für den Gottesdienst der auf Stadtgebiet lebenden Ungarn genutzt, jedoch nur für die lutherischen. Die ungarischen Gemeinden auf den Stadtgütern wie etwa Geist, Neudorf oder die Siebendörfer, waren zusammen mit der Stadt Anhänger der Augsburgischen Konfession. Inzwischen hatten sich aber, vor allem in der Blumenau, auch etliche reformierte Ungarn und Szekler niedergelassen. Das reformierte (calvinistische) Bekenntnis war neben Luthertum, Katholizismus und Unitarismus, der die Dreifaltigkeit ablehnte, eine der vier anerkannten Religionen des Landes, und gerade zu Zeiten Fürst Apafis erfreute sie sich als Konfession des Landesherrn einer gewissen Förderung. Dieser war es denn auch, der ab 1680 mehrfach bei der Stadt dafür intervenierte, eine reformierte Kapelle errichten zu dürfen, selbst der Landtag fasste einen entsprechenden Beschluss. Der Fürst stellte einen Prediger und das Baumaterial bereit. Die Kronstädter wollten sich jedoch keine andere Konfession in die Stadt setzen lassen. 1684 steckten die Reformierten, letztlich vom Senat gutgeheißen, den Bauplatz der Kirche in der Blumenau mit Pfählen ab. Eine aufgebrachte Menge sächsischer Bürger zog hingegen hinaus, riss die Baupfähle wieder aus und warf das Bauholz in den Bach. Religionsfreiheit wurde ganz anders verstanden, nämlich so, dass die Rechtsträger der Stadt selber entscheiden konnten, welche Konfession sich hier niederlassen dürfe; 148 Kronstadt 1530–1688
zugleich zeigt dieses Ereignis ein weiteres Spannungsmoment zwischen Rat und Bürgerschaft. Es sollte den Reformierten erst rund 140 Jahre später glücken, ein eigenes Bethaus in Kronstadt einzurichten, auch wenn sie wohl durchgehend in der Stadt präsent waren. In den Stadtbeschreibungen aus diesen Jahren entsteht fast schon ein biedermeierliches Bild von Kronstadt, so etwa, wenn Johann Tröster 1666 schreibt:
»Die Stadt Cronen aber ist zwischen hohen und lustigen Bergen gelegen, auf welchen starcke Thürne, der Stadt zum Schutz herfür stehen; voraus hats von Morgen ein stattliches Schloß, davon die ganze Stadt beschüzet wird. Sie hat einen doppelten und sehr tieffen Wasser-Graben um die Stadt-Maur, welche ebenmäßig mit starcken Türnen und Pasteyen stattlich verschanzet ist. Ist von wegen der schönen Häuser und frischen Quellen und in allen Gassen hellfließenden Bächlein, Annehmlichkeit der schönen Gärten und Spazier-Wiesen ein sehr belobtes und gesundes Luft-Haus: von allerley Nationen, Türcken, Wallachen, Griechen und Teutschen Handels-Leuten, ein (…) Niederlag der Kauffmannschafft. Welche in gemeldte Stadt dermaßen blühet, daß sie nicht nur in die benachbarte Länder, sondern gar auf Wien und Leipzig heraus überaus herrliche Handlungen führen. (…) Es ist alles in dieser Stadt wohlfeil, weil von allen Orten dahin gehandelt und von dem Landvolck alles überflüssig [im Überfluss] zugeführet wird. (…) Die Burgerschaft hat ihre Nahrung von Handwerckern, Handlungen und Schencken. Welche ein verständiger Rath gleich anderen Städten regieret. Es ist aber dieser Leute Gemüth überaus auf Ehr und Reichthum gerichtet, welches zu erhalten sie die größte Gefahr nicht scheuen.«27
Die Kriegserklärung an den Kaiser Über die Verständigkeit des Stadtrates hatten die Hundertmänner und die breite Masse der Bürger allerdings eine andere Meinung. Die Entfremdung gegenüber der Obrigkeit nahm durch die Selbstherrlichkeit und Vetternwirtschaft der Senatoren in der zweiten Jahrhunderthälfte immer mehr zu. Dies offenbarte sich in eklatanter Weise, als sich die Heere des habsburgischen Kaisers ab 1686 in raschem Schritt näherten. Nach der zweiten osmanischen Belagerung Wiens 1683, die erfolgreich zurückgeschlagen wurde, hatte sich nämlich eine »Heilige Liga« europäischer Mächte gebildet, die auf die Verdrängung der Osmanen aus Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 149
Europa zielte. Ihre größten Erfolge waren die Eroberung Ofens und anderer ungarischer Städte 1686, schließlich eine entscheidende Schlacht in der Nähe von Mohács 1687. Fürst Apafi lavierte noch, weil den Habsburgern – aus den historischen Erfahrungen heraus – keiner so recht zutraute, Siebenbürgen nach einer Unterstellung wirklich auf Dauer gegen die Osmanen zu sichern. Diese hingegen gewährten dem Land inneren Frieden und vor allem Religionsfreiheit, was man von den Kaiserlichen in keiner Weise erwarten durfte. So waren es ab 1686 zunächst Geheimverhandlungen, die Apafi mit dem Wiener Hof aufnahm. Doch es flossen bereits hohe Kontributionszahlungen des ganzen Landes für die im Westen und Norden lagernden kaiserlichen Truppen: Das lässt sich etwa am Jahreshaushalt Kronstadts ablesen, der 1686 bereits doppelt so hoch war wie noch im Vorjahr, und an der gegen Jahresende auf alle Bürger umgelegten hohen Sondersteuer. Doch das sollte erst der Anfang sein. Nach den großen Erfolgen der kaiserlichen Heere im vormals osmanisch besetzten Teil Ungarns standen sie im Herbst 1687 überraschend in Siebenbürgen. Die Zahlungen, die des Kaisers Abgesandte dem zwar wieder gekräftigten, aber keinesfalls wohlhabenden Land abpressten, waren enorm. Allein auf den Kronstädter Distrikt entfielen 91.000 Gulden, fast das Dreifache eines vormals regulären Jahreshaushalts, und große Mengen Lebensmittel für Mensch und Tier. In Kronstadt war man nicht in der Lage, diese Leistungen aufzubringen. Zudem wurde der Distrikt durch qualitativ minderwertige Lieferungen adliger Grundherren in ein zusätzliches Desaster gestürzt. Bereits zu Beginn des Jahres 1688 hatten Stadt und Distrikt 100.000 Gulden Schulden angehäuft – ein für das selbstständige und stolze Gemeinwesen bis dahin unbekannter Zustand. Doch damit nicht genug. Die Stadtführung ging mit dieser neuen Lage sehr ungeschickt um, ihr »Krisenmanagement« war miserabel. Das Verhältnis zwischen den Mitgliedern des Rates, den Senatoren und den Stadtbeamten, und jenen der Hundertmannschaft und der Bürgerschaft war ohnehin schon sehr angespannt. Bei der Besetzung der Senatorenstellen wurden die Hundertmänner nicht nur übergangen, sondern es wurde auch oft von der Regel abgewichen, dass man nur über die Mitgliedschaft im äußeren Rat auch in den inneren kommen konnte. Die Senatorensitze wurden erhöht – es waren inzwischen 18 –, neue Beamtenstellen geschaffen, um die eigenen Familienmitglieder zu versorgen. Denn alle diese Stellen waren nicht nur mit einträglichen Einnahmen, sondern seit jeher auch mit Steuerfreiheit verbunden. Als diese 150 Kronstadt 1530–1688
Ämter im 14. und 15. Jahrhundert entstanden, waren es unbesoldete Ämter neben den eigentlichen Hauptberufen der Inhaber, die Steuerfreiheit also eine Kompensation für die Aufwendungen und Einkommensverluste während der oft nur einjährigen Amtsdauer. Inzwischen aber hatte sich dies umgedreht, die Berufe wurden nicht oder kaum mehr ausgeübt, die Ämter hingegen wurden nahezu erblich und die zahlreichen Aufgaben und Rechtstitel der Stadt luden zu Mauschelei und Korruption direkt ein. Kritische Stimmen aus dem Kreise des selbstbewussten Handwerkerstandes wurden verdrängt, etwa durch den Anschluss zweier angesehener Hundertmänner 1687 aus dem äußeren Rat. Als nun der Befehlshaber der kaiserlichen Truppen, Antonio Caraffa, im Februar 1688 in Hermannstadt eintraf, wurden mit Drängen und Drohen weitere Abgaben von Kronstadt gefordert: Abermals 50.000 Gulden und 850 Stück Schlachtvieh sollten es diesmal sein. Stadt und Distrikt waren zahlungsunfähig. Der Rat schlug daher der Hundertmannschaft im März vor, die Bürger mit einem Zehntel ihres Besitzes zu besteuern. Da sich die Ratsmitglieder aber mit Hinweis auf ihr Privileg der Steuerfreiheit weigerten, selbst einen Beitrag zu dieser Sondererhebung zu leisten, gingen die Wogen hoch und es passierte zunächst nichts. Erst nach weiteren Drohungen Caraffas kam Bewegung in die Sache. Dabei verfiel der gewissenlose Rat, der selbst nichts von seinem Vermögen opfern wollte, auf die infame Idee, das Gerücht zu streuen, die neue Abgabe solle die Stadt vor Besetzung und Plünderung durch die Kaiserlichen bewahren. Das zog. Denn es war nicht nur die kaiserliche Soldateska, von der Furcht und Schrecken ausgingen, es war auch der Name Caraffa, der die Menschen erzittern ließ. Der Neapolitaner hatte in den Vorjahren eine Schreckensherrschaft in Oberungarn errichtet, und im Bestreben, den Absolutismus und den Katholizismus zu etablieren, protestantisches Bürgertum und protestantischen Adel dieser Region in brutaler Weise unterdrückt. Selbst moderne Horrorfilme würden vor den Perversitäten seines »Blutgerichts« in der Stadt Eperies vom Herbst 1687 erblassen. Diese Bilder, inzwischen nach Siebenbürgen vorgedrungen, hatten die Kronstädter Bürger vor Augen, als ihnen die Heimsuchung durch Caraffas Truppen suggeriert wurde. Als die Ratsherren – vier »Zinsherren« waren für jeweils eines der Quartale zuständig – mit Billigung der Hundertmannschaft schließlich an die Eintreibung der Abgaben gingen, verhielten sie sich gegenüber den Bürgern sehr unschicklich. Sie beschimpfen sie als Lumpengesindel und Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 151
verfluchten sie, wenn die geforderten Beträge nicht aufgebracht werden konnten. Die Stimmung war demnach sehr gereizt, als der Stadtrichter Michael Filstich als Bevollmächtigter der Stadt Anfang Mai zunächst zur Versammlung der Stände nach Hermannstadt fuhr. Die Spannung wurde auch dadurch erhöht, als die Kaiserlichen nicht nur mit Verheerungen durch die Szekler gedroht hatten, wenn Kronstadt nicht zahlen würde, sondern weil es im Frühjahr auch tatsächlich immer wieder Einfälle von Szekler Truppen ins Burzenland gab. Hermannstadt, wo sich die Vertreter der Stände einfinden sollten, war bereits seit dem Herbst 1687 von kaiserlichen Truppen besetzt, der kommandierende General für Siebenbürgen hatte hier seinen Sitz. Fürst Apafi, der sich mit seiner Familie und zahlreichen Adligen der unruhigen Verhältnisse wegen seit 1685 in Hermannstadt einquartiert hatte, musste vorher aus der Stadt ausziehen; er hatte die Kronstädter ersucht, ihm Quartier zu gewähren, doch diese wiesen ihn ab, und so musste er mit seinem eigenen, aber unbequemen Schloss Fogarasch vorlieb nehmen. In Hermannstadt nun hatte Caraffa die Ständevertreter unter seiner Kontrolle. Mit Druck und Drohen zwang er sie am 9. Mai 1688 zur Unterzeichnung eines Vertrages, mit dem sich Siebenbürgen vollständig unter die Herrschaft Leopolds I. als König von Ungarn begab und der Hohen Pforte die Treue aufkündigte. Sie gelobten Heeresfolge und erklärten sich bereit, Besatzungen an festen Orten auch im östlichen Grenzbereich aufzunehmen – im Westen und Süden des Landes lagen die kaiserlichen Truppen bereits seit 1687. Im Grunde genommen waren die Kaiserlichen bereits überall präsent, nahezu das gesamte historische Ungarn war in ihrer Hand und sie drangen zu diesem Zeitpunkt auch noch weiter erfolgreich vor. Caraffa rüstete sich bereits, mit seinen Truppen von Hermannstadt aus über Lippa auf das noch osmanische Serbien zu ziehen. Die Osmanen hatten dem Vorstoß der Heiligen Liga bislang wenig entgegenzusetzen gehabt, ihre Schwäche war offensichtlich. Unter den zu besetzenden festen Orten war laut Vertrag vom 9. Mai allerdings auch Kronstadt, das bisher in der südöstlichsten Ecke verschont worden war. Caraffa hatte den Beschluss der Stände und den unmittelbar anschließenden Landtag in Fogarasch aber gar nicht erst abgewartet und bereits ein Fähnchen vorgeschickt, das die Stadt übernehmen sollte. Es erschien am 10. Mai vor den Toren Kronstadts und forderte die Übergabe der Stadtbefestigungen und des Schlosses. Die Bürger waren völlig konsterniert und befürchteten, die Kaiserlichen 152 Kronstadt 1530–1688
Die Kerngebäude des Schlosses auf dem Schlossberg, mittig zu erkennen die ursprüngliche halbrunde Bastei (Zeichnung József von Sebestyén).
würden sich im Verbund mit Szeklern und Adel in den Besitz der Stadt bringen wollen. Von den Hermannstädter Beschlüssen konnten sie noch nichts wissen. Sie hielten die Tore fest verschlossen. Damit begann das, was in die Geschichte als »Kronstädter Bürgeraufstand« einging, landläufig auch »Schusteraufstand« genannt. Diese Erhebung sollte nicht nur ein Zeugnis vom bereits damals lebendigen Bewusstsein bürgerlicher Freiheit werden, sondern sie sollte zugleich schwere soziale Verwerfungen innerhalb der Gesellschaft Kronstadts und ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber der Politik eines fernen deutschen Kaisers und seiner skrupellosen Vertreter offenbaren. Auch für dieses Ereignis verdanken wir Maja Philippi, sicher der besten Historikerin dieser Stadt, die detaillierteste Analyse. Der Stadtrichter reiste über Fogarasch, wo der Landtag zu tagen begonnen hatte, zurück nach Kronstadt und traf am Abend des 10. Mai ein. Die aufgeregten Bürger wurden über den Stand der politischen Beschlüsse aber auch am Folgetag noch nicht aufgeklärt, so dass sie – nachdem Gerüchte aufkamen, die Kaiserlichen würden aufs Schloss ziehen – anfingen, dieses zu besetzen und zu sichern. An dieser Stelle sei kurz eingefügt, dass das »Schloss« von Anbeginn ausschließlich eine Verteidigungseinrichtung war und niemals etwa im modernen Verständnis des Begriffs der noble Sitz von Adligen. Es war eine Einrichtung der Stadt wie alle anderen Basteien und Türme auch, es verfügte über keinen einzigen Repräsentationsraum. Nachdem große Teile der in den 1550er Jahren erweiterten Anlage 1618 aus Unachtsamkeit der Wächter abbrannten, wurde sie in den 1620er Jahren mit Eckbasteien und weiteren Mauern verstärkt wieder aufgebaut und erstmals ein Brunnen gegraben. Dem Schloss auf dem vollständig kahlen und teilweise von Weingärten bestandenen Schlossberg kam eine zentrale strategische Bedeutung zu, da es die beiden Zugangswege zur Inneren Stadt über die Altstadt und die Blumenau sicherte. Andererseits aber konnte von Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 153
dort aus mit Hilfe der neuen Waffentechnik auch die befestigte Stadt selbst bedroht werden. Es war daher naheliegend, dass die aufgebrachten Bürger zuerst dieses Objekt vor dem Zugriff der kaiserlichen Truppen sichern wollten. Als der Rat und die Hundertmannschaft am 12. Mai endlich zusammenkamen, um den Bericht des Stadtrichters zu hören und drei Briefe – vom Fürsten, von dessen Räten und von Caraffa – vorgelegt zu bekommen, die alle auf Aufnahme einer Besatzung drängten, letzterer wieder verbunden mit Drohungen, begann die Lage zu eskalieren: Die vor dem Rathaus versammelte Menge ließ sich von den Ratsherren und jenen Hundertmännern, die sich in die Notwendigkeit zu fügen bereit waren, nicht mehr beruhigen. In Scharen zogen sie zu den Toren, Basteien, Türmen und zum Schloss, um alle strategisch wichtigen Punkte zu besetzen. Die Verteidigungsanlagen befanden sich mit Ausnahme des Zeughauses alle in der Hand der Zünfte, so dass die Handwerker, die ja stets auch ihre eigenen Waffen vorhalten mussten, nun ohne Verzug die Stadt in Verteidigungszustand versetzen konnten. Die Versuche der Senatoren und einiger weniger Hundertmänner am 13. Mai und auch noch danach, die Aufständischen mit guten Worten doch noch zu beruhigen, fruchteten nichts. Die Rebellion hatte nahezu die gesamte Einwohnerschaft der Inneren Stadt erfasst. Viele angesehene Bürger waren dabei, die Vorsteher der Zünfte etwa, alle auch unterstützt und teils angefeuert von ihren Frauen. Nur die »Patrizier« und die Pfarrer standen abseits. Auf deren Versuche, die Aufständischen doch noch zu beruhigen, erhielten sie zur Antwort:
»Ei warumb haben unsere Voreltern das Schloss mit so vielen Unkosten erbauet, mit so vielen groben und kleinen Geschützen, mit Wehr und Waffen versehen? Freilich darumb, daß man sich zur Zeit der Not wehren solle.« 28
Die Kronstädter Bürger sahen sich mit gutem Recht selber als Eigentümer ihrer Stadt und all ihrer Wehreinrichtungen, hatten sie sie doch nicht nur unmittelbar ererbt, sondern auch mit eigenem Geld und eigener Hand erhalten und erweitert. Dass nun eine fremde Armee, auch noch die des unzuverlässigen deutschen und aggressiv-katholischen Kaisers, hier einziehen und einfach so alles übernehmen solle, war für sie unvorstellbar. Selbst zu Bastas unseligen Zeiten war so etwas nicht passiert, und die Türken hatten schon gar nicht solche Ansprüche. Und ob die Kaiserlichen dann nicht womöglich den Adel einziehen und so154 Kronstadt 1530–1688
mit den Sachsen die Stadt ganz wegnehmen würden, blieb als drohende Frage offen. Zudem hatten die Bürger ja gerade vor wenigen Wochen ihre letzten Barschaften und Wertsachen abgegeben, abgepresst unter dem ergaunerten Vorwand, dadurch eine Besetzung der Stadt zu verhindern. Nun passierte das Gegenteil. Das Vertrauen der Bürger zu ihrem Stadtrat war tief erschüttert, sie glaubten dem Stadtrichter kein Wort. Sie nahmen an, er habe die Stadt für ein hohes Bestechungsgeld an die Kaiserlichen ausgeliefert oder das Schloss verkauft. Ähnliche Fälle waren aus den deutschen Ländern bekannt. Da half keine Beteuerung der Senatoren, ihr Wort galt nichts mehr. Die Kronstädter Bürger hatten dem Kaiser den Krieg erklärt. Sie waren fest entschlossen, Eigentümer ihrer eigenen Stadt zu bleiben. Es war natürlich keine förmliche Kriegserklärung. Aber ihr Bestreben, militärische Unterstützung vom Fürsten der Walachei zu erhalten, liegt in der Konsequenz jener selbstständigen Wehrhaftigkeit, die in der Stadt aus früheren Zeiten noch präsent war. Einer der Anführer des Aufstandes, der alte Stefan Stenner, lebte während des trotzigen Kampfes von Michael Weiss gegen den irren Fürsten schon als Kind in der Stadt. Etliche andere erlebten in ihrer Jugend mit, wie der Fürst Georg I. Rákóczi nicht eingelassen wurde. Und die Weigerung, Fürst Apafi aufzunehmen, war gerade erst ein paar Monate her. Die Stadt musste sich also nicht beugen, sie war eine selbstständige Res publica. Dass die Heere und Waffen des Kaisers alles in den Schatten stellen würden, was die Kronstädter jemals von ihren Mauern und Türmen zu sehen bekommen hatten, und dass sich das Kräftegleichgewicht zwischen beiden Großmächten grundlegend verändert hatte, konnten die ehrlichen und biederen Handwerker freilich nicht wissen. Um die kaiserlichen Truppen, die sich im Norden des Burzenlandes einquartiert hatten, von einem Angriff auf die Stadt abzuhalten, schickte ihnen der Rat große Mengen Lebensmittel und Wein entgegen. Der alte Stadtrat und der neue Rat der Aufständischen wirkten etliche Tage nebeneinander in der Stadt, ja der Stadthann trug die Ausgaben beider Parteien säuberlich in sein Rechnungsbuch ein – auch die großzügige Bewirtung einer Abordnung des Fürsten, die vom 15. bis 19. Mai mit der Aufgabe in der Stadt weilte, die Erhebung zu beruhigen, aber doch nichts auszurichten vermochte. Inzwischen war ein größeres kaiserliches Heer Richtung Kronstadt aufgebrochen. Hier aber hatten sich die Bürger in Zehntschaften organisiert, also das allgemeine Aufgebot aufgestellt und eine neue StadtfühEine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 155
rung gewählt: Stadthauptmann wurde der Goldschmied Kaspar Kreisch, als Räte standen ihm zur Seite der Hutmacher Stefan Stenner, die beiden Schuster Stefan Beer und Jakob Gaitzer, der Fleischer Andreas Lang sowie der Lederer Martin Rothenbächer – führende Vertreter ihrer Zünfte, drei von ihnen waren gar Hundertmänner. »Nicht die geringsten Bürger«, wie einer der Chronisten später vermerkte, die meisten erfreuten eines hohen Ansehens in der Bürgerschaft. Die Zehntschaften wurden auf die neue Stadtobrigkeit vereidigt. Von Interesse mag an dieser Stelle sein, dass es ausgerechnet Kreisch und Beer waren, die erst 1687 vom Senat aus der Hundertmannschaft ausgeschlossen worden waren. Zentraler Anlaufplatz der Aufständischen war das Schloss. Stadt und Schloss wurden eifrig hochgerüstet, verproviantiert, neue Wälle errichtet, Befestigungen ausgebessert. Eine Zehntschaft wurde zur Übernahme der Törzburg ausgeschickt, was ohne größere Probleme glückte. Für die erwartete Hilfe aus der Walachei war die Sicherung des Passes unerlässlich. Die Aufständischen standen zur Verteidigung bereit, als General Veterani mit seiner Vorhut am 21. Mai vor Kronstadt erschien und die Übergabe der Stadt forderte. Dieses wurde von den Aufständischen abgelehnt, und sogar Veterani selbst, der sich ein Bild von der Stadt machen wollte, wurde angegriffen. Nach weiteren drei Tagen war das Belagerungsheer vollständig angerückt, rund 3.000 Mann im kaiserlichen Heer und 5.000 in jenem des Fürsten verstärkt um das Szekler Aufgebot. In der Zwischenzeit hatte sich aber die Lage in der Stadt deutlich verändert. Verlief die Erhebung bis etwa zum 22. Mai unter der Leitung der angesehenen Handwerker in weitgehend geordneten Bahnen, so brach nun ein anderes gesellschaftliches Element durch, das bis dahin in der Stadtgeschichte nur selten greifbar wurde: die Unterschichten. Einige dieser Besitzlosen, die es als Tagelöhner, Knechte und Mägde, als Stadtarmut natürlich auch in Kronstadt gab und die mindestens ein Zehntel der Einwohnerschaft ausgemacht haben dürften, nutzten die sich auflösende feste Ordnung und wollten am Wohlstand anderer teilhaben. Sie fingen an, einzubrechen, zu rauben, ja andere zu bedrohen und zu misshandeln:
»Da sahe man, wie die allerliederlichste und nichts werteste Lotterbuben, mit leibhaftigen Teufels-Mienen, mit angenommenen scheußlichen Gesichte, mit dräuenden fluchenden Schelt- und Lästerworten, in vollem Gewehr und Harnisch wohl bezecht nicht anders als die höllische Furien herumbliefen, abzufordern bald einen, bald den anderen Ratsgeschworenen.«29
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Während des Aufbaus des Belagerungsheeres radikalisierte sich aber auch die neue Stadtführung, in vielfacher Weise von den aufständischen Bürgern dazu gedrängt. So begann am 24. Mai die Festsetzung der alten Stadtführung im Schloss. Dort begannen strenge und lange Verhöre, denn die Aufständischen bezichtigten den alten Stadtrichter noch immer, die Stadt verraten und das Schloss an die Kaiserlichen verkauft zu haben. Am 26. Mai sprach die neue Stadtführung das Urteil: Der alte Stadtrichter Michael Filstich und sechs oder sieben Ratsherren wurden zum Tode verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die gewählte Führung des Aufstands wahrscheinlich die Zügel des Handelns aus der Hand verloren. Die radikalen Elemente sowohl unter den Handwerkern wie auch unter den »schlechtesten Leuthen, so wenig zu verlieren gehabt«, zusätzlich animiert durch die wachsende Zahl der Belagerer, bestimmten das Tun. Wahrscheinlich verhinderten sie auch, dass bei einem letzten Verhandlungsversuch am 24. Mai durch Vermittlung des Rosenauer Pfarrers und angesehenen früheren Rektors des Gymnasiums, Martin Albrich, der Aufstand doch noch friedlich beigelegt wurde. Am 25. Mai begann General Veterani mit dem Angriff auf Schloss und Stadt. Der Aufstand brach keinesfalls binnen kürzester Zeit zusammen, wie dies oft zu lesen ist. Um den Belagerungstruppen das Herannahen zu erschweren, wurden die Altstadt und die Blumenau angezündet. 300 Mann der Schlossbesatzung griffen die deutschen Truppen in der Altstadt an, freilich vergebens. Eine von den Aufständischen auf dem Schneckenberg eilig aufgeworfene Schanze konnte von den Kaiserlichen rasch eingenommen werden. Als die Belagerer am 26. Mai schon ab drei Uhr morgens anfingen, sich dem Schloss und der Inneren Stadt durch die Vorstädte allmählich zu nähren, wurden sie von den Aufständischen ununterbrochen stark beschossen. Die Kaiserlichen nahmen den Martinsberg und näherten sich dem Schloss auch von der Blumenau her. Da bat der Stadtkommandant Kreisch sowohl den kaiserlichen General wie auch den Führer der fürstlichen Truppen, Teleki, um Verhandlungen. Eine zweistündige Waffenruhe wurde vereinbart. Kreisch beteuerte gegenüber dem Vertreter des Fürsten, dass die Stadt auch weiter ihren Verpflichtungen dem Land gegenüber nachkommen wolle, nur mögen ihre alten Rechte erhalten bleiben und sie nicht zur Aufnahme einer Besatzung gezwungen werden. Man muss wohl davon ausgehen, dass Kreisch die Aussichtlosigkeit der Lage erkannt hatte und das Schloss übergeben wollte. Doch die fanatisierten Aufständischen dachten nicht daran. Sie fingen gleich nach seiner Rückkehr an, die Eine verlässliche Stütze der Sächsischen Nation 157
deutschen und ungarischen Truppen wieder heftig zu beschießen, schließlich auch mit schwerem Geschütz. Diese waren während der Waffenruhe unmittelbar an den Schlossberg herangerückt. Veterani ließ das Schloss nun seinerseits – es war bereits gegen 7 Uhr abends – mit Kanonen und einer Brandbombe beschießen. Zwar hatte noch keiner der Schüsse größeren Schaden am Schloss angerichtet, als plötzlich ein weißes Tischtuch als Friedensfahne auf dem Schloss gehisst wurde. Auch hier verdanken wir Maja Philippis Rekonstruktion Einblick in das zeitgleiche Geschehen im Schloss: Dort war die aufgebrachte Menge daran gegangen, das im Laufe des Tages gefällte Todesurteil am Stadtrichter zu vollstrecken. An diesem Punkt kulminierte der Aufstand und brach zusammen. »Gnad! Gnad! Wir wollen das Schloss übergeben!«30 rief Stefan Beer, einer der Führer des Aufstandes, von den Mauern des Schlosses. Im letzten Moment wollten jene, die die militärische Aussichtlosigkeit erkannt hatten, eine weitere Eskalation verhindern. Es muss eine überstürzte Entscheidung gewesen sein, die genauen Hintergründe sind nicht überliefert. Die Übergabe des Schlosses zu diesem Zeitpunkt muss aber in der inneren Situation unter den Aufständischen und nicht in der militärischen Lage des Augenblicks gesucht werden. Am stark gesicherten Katharinentor wurde weiter gekämpft, die dortige Besatzung konnte noch nichts von der Übergabe des Schlosses wissen. Der General ließ die Kanonen nun auf die Stadt richten. Es bedurfte nur eines Kanonenschusses vom Schloss her, bis auch diese sich ergab. Außer Kaspar Kreisch und Franz Czak, dem früheren Hauptmann der Stadttrabanten, wurden alle Bürger, auch die befreiten Ratsherren, aus dem Schloss in die Stadt geschickt. Der alte Stadtrichter war dem General gleich zu Beginn mit der Bitte um Gnade für die Stadt entgegengeschickt worden. Das Schloss wurde umgehend von kaiserlichen Truppen besetzt, desgleichen die drei Stadttore. Am späten Abend des 26. Mai schlossen die Soldaten die Tore und ließen niemanden mehr herein. Die Geschichte der stolzen und selbstständigen Stadtrepublik hatte ein Ende gefunden, aber nicht ohne noch ein letztes Mal das Licht der alten Stadtfreiheiten auflodern zu lassen.
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Habsburgs langer Arm: Zerstörung und Peripherie (1689–1918) Der 27. Mai 1688 war Christi Himmelfahrt. Der alte Stadtrichter und einige Ratsherren gingen zu General Veterani und übergaben ihm die Stadtschlüssel. Es war ein Glück, dass es dieser war, der hier das Kommando führte, und nicht Caraffa. Er verwehrte den fürstlichen Truppen unter Führung ungarischer Adliger den Einzug in die Stadt, und auch die eigenen Soldaten ließ er lediglich in den ohnehin schon zerstörten Vorstädten plündern. Die Bürger und die Zünfte wurden vollständig entwaffnet. Der General ordnete an, dass alle männlichen Bürger der Stadt in Zehntschaften geordnet den Eid auf den Kaiser und König im Rathaus ablegen mussten. Ein Vertreter des Fürsten schließlich setzte den alten Stadtrat und die Oberbeamten wieder in ihre Ämter ein. Veterani musste schon nach wenigen Tagen mit dem Gros seiner Truppen abziehen, auf dem Schloss verblieb lediglich eine 600-Mann-Besatzung. Caraffa war ohnehin äußerst wütend und bereit, den Kronstädtern die Schuld zuzuschieben, falls die Eroberung Lippas und mittelbar Belgrads ihretwegen scheitern würde. So ließ er die Abordnung aus Ratsherren und Hundertmännern, die schon nach wenigen Tagen in Hermannstadt eintraf, um für die Stadt um Vergebung anzusuchen, in übelster Weise einkerkern – dass rund die Hälfte dieser Abgesandten noch kurz vorher von den Aufständischen zum Tode verurteilt worden waren, interessierte den jähzornigen General nicht. Er zog währenddessen auf Lippa, das er am 12. Juni auch zur entlastenden Freude der Kronstädter einnahm. Sein kriegerisches Engagement ließ ihn über das Banat und die Schlacht um Belgrad von Siebenbürgen wegziehen, wo Veterani das vorübergehende Kommando übernahm. In der Zwischenzeit wurden in Kronstadt die Untersuchungen zum Hergang des Aufstandes aufgenommen. Bereits am 30. Mai wurden zwanzig Bürger verhaftet und aufs Schloss ins Gefängnis gebracht. Nur wenige der Anführer und Beteiligten waren vorher entwichen. Die Beweisaufnahme sollte rund eineinhalb Jahre dauern. Währenddessen zeigte der Alltag, dass die Kronstädter mit ihren Befürchtungen hinsichtlich der kaiserlichen Soldaten recht hatten. Da es keine Kasernen gab, musste die Mannschaft in den Bürgerhäusern in Quartier liegen. Das wurde als Bedrückung besonderer Art empfunden, weil die ungehobelten Soldaten ihre Wirte, deren Familien und Mitarbeiter unablässig schikanierten, ausnahmen und anzeigten, sich über die Konfession Habsburgs langer Arm 159
und selbst über die Sprache der Sachsen lustig machten. Nach eigenem Verständnis sprachen diese nämlich Deutsch, was aber nicht hieß, dass sie sich mit den »Teutschen« wirklich gut zu verständigen vermochten. Schließlich kam es zu vielerlei Rechtsbeugung durch das kaiserliche Militär, zu Verurteilungen oder Beschlagnahmen aufgrund fingierter Anschuldigungen. Die deutschen Soldaten beschwerten sich über den sauren Wein, und schließlich forderten sie auch einen Raum für katholischen Gottesdienst. Nach langen Diskussionen räumte ihnen die Stadt jene Gewölbe im Kaufhaus am Marktplatz ein, die bis dahin den Schneidern und Wollwebern als Verkaufsräume dienten: Am Heilig dreikönigstag 1689 fand hier erstmals seit der Reformation wieder ein katholischer Gottesdienst statt. Um die gleiche Zeit wurde die Besatzung deutlich erhöht und die Kaiserlichen forderten, sechs Basteien ihren Musketieren zu übergeben. Vertrauen in diese Soldaten, die ja schon mit größter Distanz und Ablehnung empfangen worden waren, konnte solcherart gar nicht erst entstehen. Die Stimmung in der Stadt war gereizt. Hinzu kam seit Jahresbeginn 1689 das wiederholte Drängen und Drohen vom Fürsten und vom Adel, die Steuern und die Schulden zu immer enger gezogenen Fristen zu zahlen – die Forderungen waren nicht zu erfüllen, keiner wusste weiter.
Aller Glanz geht unter Am 21. April 1689, einem Donnerstagnachmittag, gegen 16 Uhr, nahm das größte Unglück, das die Stadt jemals gesehen hatte, seinen Anfang. Im Bereich der unteren Burggasse und der unteren Schwarzgasse wurde das erste Feuer wahrgenommen. Doch nahezu zeitgleich loderte es auch an anderen Stellen der Inneren Stadt auf, vom Oberen Tor etwa in Richtung des unteren Feuers und des Rossmarkts. Ein kräftiger Wind sorgte dafür, dass es sich rasch ausbreitete. Bald stand fast die gesamte Innere Stadt und ein Teil der Oberen Vorstadt in Flammen. Die Holzhäuser, die Schindeldächer und die Dachkonstruktionen gaben dem Feuer reiche Nahrung. Die Menschen, die anfangs noch zu löschen versuchten, sorgten bald nur noch dafür, Teile ihrer Habe und sich selber in Sicherheit zu bringen. Ohnmächtig und voller Entsetzen mussten sie zusehen, wie der äußere Glanz ihrer Stadt, gegen alle Fährnisse über Jahrhunderte hin gewahrt, binnen Stunden schwand. Auch das auf dem Marktplatz freistehende Rathaus fing Feuer. Und als sich der Brand ge160 Kronstadt 1689–1918
gen Abend weitgehend gelegt hatte, passierte etwas Eigenartiges: Der Dachstuhl der bis dahin unversehrt gebliebenen großen Stadtkirche fing zu brennen an, bald auch ihr Inneres. Als sich die Kronstädter in der Nacht und am nächsten Morgen wieder in ihre Stadt trauten, war sie nicht wiederzuerkennen. Nur wenige Häuser und der Bereich des alten Klosters waren vom Feuer nicht erfasst worden. Doch es sollte noch schlimmer kommen. In den Steinhäusern hatten zumindest die Mauern und Gewölbe gehalten, oft waren nur Dächer, Vorräte und Inneneinrichtungen vernichtet. Doch in den folgenden Tagen setzte ein Wetterumschwung ein: Ein Sturm, eisig kalte Wolkenbrüche und selbst Schnee zerstörten das, was das Feuer übriggelassen hatte, weil die schützenden Dächer fehlten. Der Inneren Stadt war es nun so ergangen, wie oft den Vorstädten – zum letzten Mal im Mai 1688 – bei Kriegen und Belagerungen. Nur bestand der entscheidende Unterschied darin, dass hier das Herz der Stadt schlug, hier das Gewerbe untergebracht war, hier sich Reichtum und Kultur konzentrierten. Brände waren auch für die Innere Stadt nichts Unbekanntes, doch ließen sie sich stets eindämmen, sie erfassten höchstens Teile von Straßenzügen. Der 21. April 1689 aber war anders. Fast alles in der Inneren Stadt brannte. Knapp 300 Menschen kamen ums Leben. Sie wurden von herabstürzenden brennenden Gebäudeteilen erschlagen und bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, sie erstickten im Rauch oder verkohlten in den Flammen. Einige Familien waren vollständig ausgelöscht. Es traf die Menschen unbesehen ihres Standes. Die allermeisten freilich konnten sich retten, die Einwohnerzahl dürfte um diese Zeit bei etwa 12.000 gelegen haben. So beklagenswert diese Toten waren, so war es doch kein Vergleich zu den Opfern, die eine Pestwelle forderte. Aber fast alle Vorräte der Stadt waren vernichtet – alle Gassen und Wege waren in den Tagen nach dem Brand voll verkohlten und ausgeschütteten Getreides. Hinzu kamen die unabschätzbaren Verluste an Kulturgütern. Marcus Fronius, der spätere namhafte Kronstädter Stadtpfarrer, hatte den Brand als junger Mann miterlebt. Aus seinem ausführlichen Bericht spricht der Schmerz des Gelehrten über die Verluste an Schriftgut: Es waren
»die Johanniskirche und das Spital in Flammen aufgegangen und das Rathaus mit dem danebenstehenden Turm und die öffentliche, hochberühmte Bibliothek mit einem Teil der Schule und das Pfarrhaus wie auch die Häuser der Lektoren und Diakone [Lehrer und Prediger] und was es sonst noch an öffentlichen sakHabsburgs langer Arm 161
ralen und profanen Gebäuden gab, ausgenommen allein das Kloster und die Kirche der Ungarn (…) sowie ein Teil desjenigen Gebäudes, das die Kaiserlichen für ihre Messgottesdienste geweiht haben. Ferner entbehrt es nicht einer Vorbedeutung, dass so gut wie alles an bedeutenden Schriften von diesem Brand dahingerafft worden ist. Ich hatte meine Bibliothek nach bestem Vermögen und möglichst praktisch aufgestellt. Bestände meines Vaters und meines Großvaters hatten sie nicht unbeträchtlich vergrößert. Auch meine drei Brüder und sogar meine Mutter besaßen reichhaltige Bibliotheken. Hinzu kamen Handschriften aus den Gebieten der Physik, Chemie, Medizin, Geschichte, Theologie (…). Meine Bücherschätze wie auch die meiner Mutter und meiner Brüder gingen zugrunde; so auch die des Albelius, so die Schriftdenkmale gerade der berühmten Männer. Ebenso sind die Bibliotheken von drei Diakonen und von drei Lektoren und die recht gut eingerichtete des Herrn Mankesch und von anderen durch den gleichen Schicksalsschlag zu Asche geworden.«31
Wenn wir nach dieser Schilderung bedenken, wie viele Quellen aus den Jahrhunderten vor dem Brand doch erhalten geblieben sind, so wird uns erst richtig bewusst, welch eine ausgeprägte Schriftkultur sich in Kronstadt spätestens seit der Honterus-Zeit herausgebildet hatte. Es dürfte kaum ein Haus gegeben haben, das nicht eine Chronik oder ein Hausbuch führte, kaum eine der älteren Familien, die nicht Bibliotheken über mehrere Generationen hin angesammelt hatte. Auch eine Orgel, eine Harfe und ein Klavichord verbrannten im Hause Fronius – und gewiss nicht nur hier. Zugleich wird durch diesen Brand verständlich, weshalb sich von den zahlreichen Kronstädter Drucken des 16. und 17. Jahrhunderts oft kein einziges Exemplar erhalten hat – und warum wir keine einzige bildliche Darstellung der Stadt von vor 1700 besitzen. Noch während des Brandes kam die Frage auf, wie es zu dieser Katastrophe kommen konnte. Mancherlei Gerüchten im Vorfeld und Äußerungen kaiserlicher Soldaten im Suff war keine Beachtung geschenkt worden. Als das Feuer ausbrach, war von der Besatzung auf dem Schloss mit den Geschützen geschossen worden. Während des Brandes wurden vielfach Kaiserliche beobachtet, wie sie sowohl ins Feuer wie auch auf die Dächer nicht-brennender Häuser schossen. Unter dem Vorwand, beim Löschen helfen zu wollen, kamen Kaiserliche hinzu, behinderten die Eigentümer beim Bergen ihrer Habseligkeiten, stahlen und trugen hinweg, was diese ins Freie gerettet hatten, bedrohten und beschimpften die entsetzten Bürger. Größtes Erstaunen musste nicht 162 Kronstadt 1689–1918
nur der Umstand erwecken, dass das Feuer zeitgleich an mehreren Stellen ausbrach, sondern auch, dass es freistehende Gebäude ergriff. Dass die große Stadtkirche, das Gotteshaus der Lutheraner, zunächst nicht Feuer fing, werden die katholischen Soldaten als besondere Herausforderung betrachtet haben. Es hätte als Zeichen interpretiert werden können, dass Gott seine schützende Hand über die rechte Konfession gehalten habe. Es war bereits dunkel, als schließlich auch dieses Bauwerk hell lodern sollte. Mehrere Augenzeugen berichteten unabhängig voneinander, dass sie Brandbomben (»Feuerkugeln«) auf die Kirche hätten fliegen sehen. Deren Gewölbe hielten dem Brand stand, es brannte lediglich das Dach oben weg. Trotzdem fing schließlich auch die Inneneinrichtung Feuer, auch hier fand man nachher Spuren von Brandlegung. Währenddessen drangen die Soldaten in die verschont gebliebenen Keller ein und plünderten nach Kräften. Zurückkehrende Hauswirte mussten um ihr Leben fürchten. Die kaiserlichen Truppen gaben natürlich niemals zu, die Urheber dieses Infernos gewesen zu sein. Es waren auch sicher nicht ihre obersten Befehlshaber. Es werden eher die unteren Chargen und die Mannschaft gewesen sein, die hier ihr Mütchen kühlen wollten. Das Verhältnis zu den Kronstädtern, die noch im Vorjahr durch ihren Aufstand gezeigt hatten, dass sie nichts von den Kaiserlichen hielten, war schlichtweg miserabel. Zudem konnten die Soldaten nicht wissen, ob sie in dem wogenden Hin und Her der Kräfteverhältnisse nicht bald wieder an anderer Front kämpfen mussten. Eine längerfristige Substanzerhaltung der renitenten protestantischen Stadt war für sie kein Anliegen. So klar der Ursprung der Zerstörung für die Zeitgenossen auch war, so wenig konnten sie für dessen Feststellung tun. Die Kronstädter wussten von Anbeginn, dass von den Truppen des Kaisers nichts Gutes ausgehe, der 21. April war nur die Bestätigung dieser Überzeugung. Kronstadt war am Ende. Der Stolz der Stadt war gebrochen. Ihr Reichtum war zerstört, nicht allein der äußere Glanz. Die Vernichtung der materiellen Güter, für die Generationen gearbeitet hatten, war nicht wie bisher binnen weniger Jahre wettzumachen. Hinzu kam die rechtliche Unsicherheit. Noch hielt nämlich die Siegesserie der Heiligen Allianz an, so dass der Status des Landes wie der Nation oder des Distrikts in der Schwebe blieb – die Stände hatten bislang ja nur untertänige Bitten an Kaiser und König Leopold I. richten können, die alte Landesverfassung mit den Rechten der drei Stände und den Freiheiten der vier Konfessionen anzuerkennen. Schließlich kam das schlechte Verhältnis Habsburgs langer Arm 163
zwischen der Mehrheit der Kronstädter Einwohnerschaft und den Patrizierfamilien hinzu. Und dann die allerorten zu gewärtigenden Anfeindungen der Lutheraner. Alles denkbar schlechte Voraussetzungen für einen Neuanfang nach dieser Heimsuchung. Auch wenn Kronstadt die volkreichste Stadt des Landes bleiben sollte, so musste es doch etliche Generationen dauern, bis es seine frühere wirtschaftliche Bedeutung wiedererlangen konnte. Die alte politische Bedeutung hatte es endgültig verloren. Und bis die äußeren Wunden der Stadt verheilt waren, bis keine Brandschäden mehr zu sehen waren, sollte es ein ganzes Jahrhundert dauern. Doch nein, der 21. April 1689 blieb stets gegenwärtig, nämlich durch die geschwärzten Außenmauern der großen Stadtkirche. Im Volksmund wurde sie so zur »Schwarzen Kirche«, ein Name, der sich im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert schließlich auch offiziell durchgesetzt hatte, in allen Sprachen. Ein Ehrenname gewissermaßen, der in Erinnerung an die schlimmste Katastrophe der Stadt als geistiges Denkmal auch bestehen bleiben sollte.
Das Urteil über die Rebellen Vor der Kulisse der zerstörten Stadt fand zwischen dem 13. und 17. September 1689 der erste Teil des Prozesses gegen die Anführer des Bürgeraufstands vom Vorjahr statt. Sie hatten seit dem Mai 1688 auf dem Schloss in Ketten gelegen. Neben dem Stadtrichter und dem Senat gehörten dem Gericht – neben Beobachtern seitens der Kaiserlichen – auch Vertreter des Fürsten, der Szekler Stühle und der sächsischen Nationsuniversität an. Die Kronstädter Hundertmänner aber blieben ausgeschlossen – aus ihren Kreisen kamen schließlich etliche der Aufständischen. Wie man noch sehen sollte, sympathisierten die meisten Kronstädter nach wie vor mit den Angeklagten. Der Senat ließ daher die Stadttore für die Dauer des Prozesses schließen, weitere Unruhen sollten verhindert werden. Beim Verhör der Angeklagten und der zahlreichen Zeugen ging es vor allem um die Klärung der Frage nach den Anführern des Aufstands und darum, wer den Stadtrichter und die Senatoren verhaftete und wer darauf drängte, sie abzuurteilen. Der Widerstand gegen die Kaiserlichen stand gar nicht im Mittelpunkt der Untersuchung. Der Prozess reflektierte also anschaulich den ausgeprägten Gegensatz innerhalb der städtischen Gesellschaft und weniger die unmittelbaren Gründe für die Erhebung. Als für die Hauptangeklagten 164 Kronstadt 1689–1918
klar wurde, dass ihr Leben auf jeden Fall verspielt war, versuchten sie, alle Schuld auf sich zu nehmen. Denn der Senat klagte die ganze Hundertmannschaft, die Zünfte und zumal die Schusterzunft, schließlich die ganze Bürgerschaft an. Das Urteil des Senats gegen die fünf Anführer lautete auf Rad und Spieß, einer der grausamen Foltertode jener Zeit. Die Rache der Senatoren für ihre eigene Aburteilung im Vorjahr spiegelt sich darin wieder. Die ungarischen und kaiserlichen Prozessteilnehmer aber setzten sich dafür ein, dass die Verurteilten enthauptet würden. So wurde der Richtbock des Henkers am 19. September 1689 auf dem Marktplatz aufgestellt. Die ganze Einwohnerschaft, so viele der Platz fassen konnte, strömte herbei. Die Verurteilten kamen in Begleitung der Schüler und der Prediger, Sterbelieder singend. Jeder von ihnen sprach noch einmal zur Menge auf dem Marktplatz. Als erster schritt der greise Stefan Stenner zur Vollstreckung, ein in der Bürgerschaft hochangesehener Mann. Sein Kopf, so die Augenzeugen übereinstimmend, blieb nach dem Herunterrollen mit dem Gesicht zum Rathaus stehen und fiel dann von selber um. In einer Zeit, in der alle Zeichen gedeutet wurden, sahen das die Kronstädter – anders als der Senat – als einen »Vorwurf der Tyrannei und der Grausamkeit, schweigend ausgesprochen durch das weiße Haupt des über Achtzigjährigen«32, so Marcus Fronius. Es folgten nun Kaspar Kreisch, Jakob Gaitzer, Andreas Lang und Stefan Beer auf dem Richtbock. Doch damit war die Vorgabe des Urteils noch nicht erfüllt. Die Köpfe der Hingerichteten wurden nun auf lange Spieße gesteckt und an prominenten Stellen zur drohenden Mahnung an die Bürgerschaft angebracht: Stenners Kopf auf dem Pranger am Marktplatz, Langs auf dem Schloss, die anderen am Klostertor, am Purzengässer und am Oberen Tor. Welch ein Hass muss zwischen den mächtigen Senatoren und der Bürgerschaft geherrscht haben! Die Köpfe blieben über Jahrzehnte hin aufgesteckt sichtbar, Stenners etwa bis 1718. Die feindselige Stimmung zwischen der breiten Masse und den Stadträten wurde durch die weiteren Urteile nur noch vertieft. Für fünf Angeklagte, denen besonders schwere Vergehen zur Last gelegt wurden, etwa die Bereitschaft zur Hinrichtung des Stadtrichters, hat sich das Urteil nicht überliefert, sie dürften aber nicht mit dem Leben davongekommen sein. Gegen zwölf weitere Beteiligte wurden teils hohe Geld-, Arbeits- oder Prügelstrafen verhängt. Besonders perfide aber war eine kollektive Strafe, die deutlich zum Ausdruck bringt, dass der allergrößte Teil der Kronstädter Bevölkerung am Aufstand beteiligt war. Habsburgs langer Arm 165
Und zwar wurde die Schusterzunft als Ganze abgestraft, weil sich deren Angehörige in den Augen des Senats besonders hervorgetan hätten: Eine Mühle der Zunft wurde konfisziert und ihre Mitglieder sollten künftig nicht mehr zur Hundertmannschaft zugelassen sein – beides demütigend und ein Quell langandauernder Verachtung der Handwerkerschaft gegenüber den oft korrupten Senatoren. Erst nach rund eineinhalb Jahrzehnten konnten die Schuster ihre Mühle wiederkaufen und erst nach dreißig Jahren, nach einer ganzen Generation, vermochten sie sich durch Geschenke an die richtigen Stellen wieder den Zugang zur Hundertmannschaft zu verschaffen. Die Kronstädter Patrizier hatten in diesem Streit gesiegt. Da sie sich, im Besitz der Schlüsselstellungen der Stadt und des Distrikts, an die künftigen Verhältnisse unter der Habsburger Herrschaft anzupassen wussten, blieben sie die unbestrittenen Herren der Stadt. Und zwar für über ein weiteres Jahrhundert. Die sächsischen Handwerker der Inneren Stadt blieben genauso am Gängelband des Senates – oder, wie es bald heißen sollte, des »Magistrates« – wie die Obervorstädter Rumänen, obwohl es diese beiden Gruppen waren, die ein neues Aufblühen der Stadt überhaupt erst ermöglichen sollten. Nachdem ein weiterer Bürgerkrieg, abermals ausgelöst von eigensinnigem ungarischem Adel und von absolutistischen, sich in die Besonderheiten des Landes nicht einfühlenden Wiener Herrschern, das Land ein letztes Mal in den Ruin treiben sollte, war die Geschichte Kronstadts über lange Zeit hinweg frei von großen Ereignissen. Sie war bestimmt von drei Faktoren: dem beschriebenen sozialen Gegensatz der Senatoren gegen den Rest der Stadt, vom Wiederaufbau nach dem Brand von 1689 und von der aggressiven Gegenreformation der neuen katholischen Machthaber.
Gescheiterte Herrschaftsetablierung So absolut und fordernd Habsburgs Generäle seit 1687 in Siebenbürgen und Ungarn auch aufgetreten waren, sie konnten das Land abermals nicht wirklich schützen. Noch im Herbst 1688 und ehe Belgrad erobert war, eröffnete sich im Westen mit dem Pfälzischen Erbfolgekrieg eine neue Front. Leopold I. musste seine Kräfte nun für fast ein Jahrzehnt auch Richtung Frankreich wenden, das sich wesentliche Gebiete des Reiches einzuverleiben gedachte, während die Unternehmungen auf dem südosteuropäischen Kriegsschauplatz zunehmend missglückten. 166 Kronstadt 1689–1918
Dies machte sich auch in Siebenbürgen bemerkbar. Der zu den Osmanen geflohene Führer der oberungarischen antihabsburgischen Bewegung, Emmerich Thököly, gewann Oberwasser und drang mit Unterstützung der Hohen Pforte durch den Törzburger Pass ins Land. Am 21. August 1690 stellte er sich bei Zernescht den kaiserlichen und siebenbürgischen Truppen und errang einen großen Sieg: Der Kommandierende General Heisler wurde gefangen und kam erst nach zwei Jahren wieder frei, der siebenbürgische Kanzler Teleki, der 1688 Kronstadt mit belagert hatte, fiel in der Schlacht. Die überlebenden Kaiserlichen flüchteten in die Gemeinden, in die Wälder und aufs Kronstädter Schloss. In der Stadt aber musste man den neuen Machtverhältnissen Rechnung tragen, und so zog wieder, wie schon so oft, eine Delegation mit reichlich Proviant ins Feldlager, um Thököly seine Aufwartung zu machen. Er versprach, »sich als ein Vater gegen die Croner zu erweisen«33, währenddessen aber litten die Burzenländer Orte unter den Kriegsscharen entsetzlich. So sollte das Burzenland kurzzeitig wieder in den politischen Mittelpunkt rücken. Der bald schon legendär werdende »Türkenlouis«, Markgraf Ludwig von Baden, gab nämlich lieber das gerade von den Osmanen berannte Belgrad denn Siebenbürgen preis. Er eilte ins Burzenland und jagte mit seinem Hauptheer Thököly und seine Truppen Ende Oktober durch den Bodsauer Pass aus dem Land – und zwar für immer, Thököly sollte niemals wiederkehren. Und wieder zogen die Stadtoberen Kronstadts in ein Feldlager, diesmal zu Markgraf Ludwig. Er lag in der Nähe von Marienburg, und seine Truppen malträtierten jene Dörfer übel, die den fliehenden kaiserlichen Soldaten im August nicht beigestanden hatten. Bei den nachfolgenden Grenzscharmützeln fiel auf Seiten der Kaiserlichen selbst ein welfischer Prinz, Friedrich August von Hannover, wieder bei Zernescht; sein Leichnam wurde nach Kronstadt gebracht, hier einbalsamiert und schließlich nach Hannover überführt. Die kaiserliche Einquartierung blieb in der Stadt durchgehend bestehen, ja es begann in den folgenden Monaten ein stetes Kommen und Gehen, ein Aufstocken, Teilen und Verlegen aller nur denkbaren Regimenter, so dass sich die Stadt wie eine große Kaserne vorkommen musste. In dieser Lage im Herbst 1690 wussten die siebenbürgischen Stände die Gunst der Stunde, die Wirrnisse im Südosten und die zeitweilige Schwäche des Kaisers, zu nutzen und Leopold I. einen Verfassungsakt abzutrotzen. 1691 wurde dieser als »Leopoldinisches Diplom« bestätigt, Siebenbürgens überkommene Verfassung blieb prinzipiell erhalten. Die kaiserlichen Zügel Habsburgs langer Arm 167
wurden eine Zeitlang lockerer, und auch für die Kronstädter rückten nun wieder Belange des Alltags in den Vordergrund. So musste sich die Stadtführung darum bemühen, die aus der zerstörten Stadt wegstrebenden Menschen mit Unterstützungen zu halten. Man fing an, die Gebäude notdürftig zu decken, wobei sich wieder die sozialen Verwerfungen zeigten: Das für die große Stadtkirche gelieferte Bauholz wurde auf andere Dächer »umgeleitet«. Jedenfalls blieben die städtischen genauso wie die Rechte der Sächsischen Nation gewahrt, und Kronstadt kam auch rasch wieder mit der Nationsführung über juristische Kompetenzen in Streit. Der habsburgisch-osmanische Friede von Karlowitz von Anfang 1699, zu dessen Feier am Abend des 24. Februar vor allen Häusern Laternen aufzuhängen waren, brachte aber nicht die ersehnte langfristige Ruhe. Ungarn und Siebenbürgen standen nun rechtmäßig unter dem jeweils regierenden Habsburger, der zugleich den Titel eines Landesfürsten übernahm, aber die Grauen der altbekannten Bürgerkriege sollten wiederkommen. Der Wiener Hof, seine Offiziere und Beamten machten wieder fast alles falsch, was nur falsch zu machen war. Sie waren bestrebt, das Land absolutistisch zu vereinnahmen, sie ignorierten und verachteten die alten, oft noch mittelalterlich verfassten Strukturen und Rechte, sie verschafften der katholischen Kirche mit unfeinen Mitteln großen Machtgewinn zu Lasten der protestantischen Konfessionen. Und sie zogen ihre militärischen Kräfte seit 1701 zunehmend ab, um ihre Ansprüche im Spanischen Erbfolgekrieg im Westen des Kontinents durchzusetzen. Die Unzufriedenheit unter ungarischen Bauern und Adel gleichermaßen führte währenddessen in Ungarn und Siebenbürgen ab 1703 für rund acht Jahre zu einem Flächenbrand, der den (Bürger-)Kriegen um 1530, um 1600 und um 1660 in nichts nachstand. Diese »Kuruzzenunruhen«, die in der ungarischen Geschichtsschreibung die euphemistische Bezeichnung »Unabhängigkeits-« oder »Freiheitskrieg« haben, brachten das gesamte alte Reichsgebiet nicht nur ein weiteres Mal an den Rand des Abgrundes. Vielmehr bewirkte die unbeschreibliche Vernichtung an Menschenleben und Gütern, dass die demographischen Verhältnisse endgültig und unumkehrbar kippten. Die sächsischen Städte und Stühle standen dabei wieder zwischen den Fronten. Die Szekler und ein Großteil des Komitatsadels hatte sich nämlich den Kuruzzen angeschlossen. Die sächsischen Städte wechselten nicht allein wegen des Eides auf den Kaiser, sondern auch wegen der kaiserlichen Besatzungen in ihren Mauern nicht zu den Kuruzzen. Sie wurden daher bald das Ziel der 168 Kronstadt 1689–1918
marodierenden Banden, zumal die Szekler zog es zu Raub und Verwüstung in die wohlhabenden sächsischen Dörfer. Auch in Kronstadt wurden Vorkehrungen getroffen, wobei sich die strategisch bedeutende Lage des Schlosses zum Schutz der Inneren Stadt bestätigte: Um die Besatzung des Schlosses auch in kritischen Situationen mit Nachschub versorgen zu können, wurde 1704 ein Palisadengang vom Klostertor bis zum Schloss gebaut. Im Vorfeld der Blumenau, der Ebene zu, wurde ein Retranchement, eine weiträumige zackenförmige Verschanzung angelegt, auf späteren Plänen »KurutzenSchantze« genannt. So konnte der modernen Militärtechnik Rechnung getragen werden. Der Schutz durch die Kaiserlichen reichte jedoch nicht aus. Die Bürger richteten eine »Frei-Compagnie« unter einem eigenen Hauptmann ein, die sich in den kommenden Jahren zumindest für das Stadtgebiet, aber teils auch auf den Dörfern sehr bewähren sollte. Die Kuruzzen hatten nämlich schon seit Februar 1704 angefangen, das Burzenland zu terrorisieren, Vieh und Vorräte zu rauben, zu brennen und zu morden, kurz: »vielfältig Tyrannei den Tattern gleich«34 – doch es waren überwiegend die siebenbürgischen Mit-Nationen, vor allem die Szekler. In der Altstadt brannten im März alle drei großen Gassen fast ganz nieder. Da sie sich der Inneren Stadt nicht nähern konnten, verfolgten die Kuruzzen ein anderes Ziel: sie zu blockieren und auszuhungern. Jene Burzenländer Orte und Bauern, die sich diesem Befehl widersetzten, wurden in übelster Weise verfolgt und bestraft. 1705 wurden die Weidenbacher und Neustädter gar vollständig aus ihren Orten vertrieben. In diesem Jahr blieben wegen der Blockade auch sämtliche Kronstädter Äcker unbebaut. Dafür brachten die Kaiserlichen von ihren Ausfällen gegen die Kuruzzen oft reiche Beute an Vorräten mit, die sie vor dem Klostertor dann für Spottpreise verkauften. Bei den Jahrmärkten blieben die Kronstädter unter sich, kein Fremder wagte sein Leben, um in der Stadt Geschäfte zu machen. Die Folgejahre wurden etwas ruhiger, doch blieb eine latente Unsicherheit im Burzenland bestehen, da Kuruzzenscharen jederzeit auftauchen, rauben, morden oder verschleppen konnten. So sicher die Stadt im Vergleich zum Umland auch war, es fand kein profitabler Handel statt, es wurden keine Abgaben und Zölle eingehoben, es wurde wenig Ernte eingefahren, es kamen kaum Rohstoffe fürs Gewerbe an – es ging also ums schiere Überleben, wenn auch an einem der ganz wenigen Orte des Landes, die die Aufständischen niemals einnehmen konnten. Habsburgs langer Arm 169
Als 1711 mit einem Unterwerfungsfrieden der Kuruzzen unter die Habsburgerherrschaft wieder Ruhe und Sicherheit ins ruinierte und entvölkerte Land einkehrten, hatten die Kronstädter gelernt, mit den »Teutschen« zu leben. Dankbar entließen sie einen General, der nach etlichen Jahren nach Kaschau verlegt wurde; er hatte Stadt und Distrikt gegen die Kuruzzen verteidigt, »welches ihm auch zum unsterblichen Ruhm bei unsern Kindern noch bleiben wird«35. Die Frei-Compagnie war sogar dankbar, als sie Ende 1709, nach knapp sechs Jahren, die belastenden Wachdienste wieder an die Soldaten abgeben konnte. Die Aufgabenverteilung zwischen Stadtgemeinde und Besatzung hatte eine gewisse Ordnung gefunden. Nicht zuletzt ließen sich auch manche Soldaten in der Stadt nieder. Mit dem dauerhaften Frieden aber erlangte Habsburg abermals die Kraft, sein wahres Gesicht zu zeigen.
Der Einzug der Gegenreformation Auch wenn die Landesverfassung im Leopoldinischen Diplom im Wesentlichen bestätigt worden war, so waren die alten ständischen Rechte und die Freiheiten der Bekenntnisse dem Wiener Herrscher und seinen Behörden doch ein Dorn im Auge – nirgends sonst bestand Ende des 17. Jahrhunderts in Europa eine vergleichbare konfessionelle Vielfalt. Dem Ansinnen, der katholischen Kirche mehr Einfluss zu verschaffen, diente die Schaffung einer »unierten« oder griechisch-katholischen Kirche: Dabei erkannten die Orthodoxen den Papst und einige Rahmenbedingungen an, behielten ihre Riten aber ansonsten bei. Nachdem sich führende orthodoxe Geistliche dieser Union angeschlossen hatten, betrachtete man die Rumänen Siebenbürgens überwiegend als uniert – stets mit einer Ausnahme: Die Obervorstädter Rumänen weigerten sich von Anbeginn, diese Union anzuerkennen. Auch als später von Wien entsandte Geistliche in die Obere Vorstadt zogen, wurden sie von den dortigen Rumänen rasch verdrängt, so dass die Gemeinde um die Nikolauskirche der stabilste Anker der Orthodoxie in Siebenbürgen blieb. Leichteres Spiel hatte die Konfession des Herrscherhauses in der Inneren Stadt. Hierzu muss angemerkt werden, dass sich die Evangelischen Augsburger Bekenntnisses in Siebenbürgen in ihren Äußerlichkeiten damals nur wenig von der katholischen Kirche unterschieden; die Lehren und Predigten, also die theologischen Inhalte und die Abendmahlspraxis machten die Unterschiede aus. So ist es auch erklär170 Kronstadt 1689–1918
lich, weshalb sich in Kronstadt allen widrigen Zeitläuften zum Trotz einer der größten Bestände an vorreformatorischen Messgewändern und Kaseln in Europa erhalten hat – schließlich wurden sie bis ins 19. Jahrhundert hinein in wichtigen Gottesdiensten benutzt. Viele lateinische Messgesänge und Liturgien wurden erst jetzt abgeschafft, um sich von den Katholiken abzugrenzen. Die Wiederherstellung der 1689 niedergebrannten Gotteshäuser bot zudem die Möglichkeit, auch in der Innengestaltung die bis dahin kaum kenntlichen Unterschiede sichtbar zu machen – in anderen Städten wie etwa in Schässburg hätten die evangelischen Stadtkirchen äußerlich für katholisch gelten können. Die Evangelischen rüsteten aber auch moralisch und pädagogisch: So führte Marcus Fronius kurz nach seiner Wahl zum Stadtpfarrer im schlimmsten Kuruzzenjahr 1704 die geistliche Unterweisung der Jugend und den Kindergottesdienst ein, um den Nachwuchs gegenüber möglichen Verlockungen der katholischen Kirche zu festigen. Diese holte sich, gestützt auf die Macht des Militärs, nach 1711 zunehmend vorreformatorische Positionen zurück. Seit 1689 hatten die Katholiken, wie schon erwähnt, ein Gewölbe im zentral gelegenen Kaufhaus als Kirchenraum geweiht; den Pfarrdienst versahen Jesuiten als Regimentspatres. 1712 gab es zum ersten Mal wieder eine Fronleichnamsprozession in der Inneren Stadt. Mit der Friedhofskapelle vor dem Purzengässer Tor und einer kleinen Kapelle auf der Zinne, nach der diese zeitweilig »Kapellenberg« genannt wurde, entstanden im gleichen Jahr auch die ersten neuen katholischen Kirchenbauten Kronstadts. Die steigenden Ansprüche der Katholiken, ihrer Orden und Priester sollten die öffentliche Stimmung über etliche Jahre hin bestimmen. Treibende Kraft waren dabei die Jesuiten, die ab 1713 tönten, sie würden bald auch in der großen Pfarrkirche Gottesdienst halten. Vorerst aber nahmen sie mit der Johanniskirche Vorlieb; diese war von den Evangelischen nach dem großen Brand wiederhergestellt worden, während das angrenzende Kloster als Ruine stehenblieb. Im Jahre 1716, als auch das katholische siebenbürgische Bistum wiedererrichtet und der alte Dom den Reformierten in Weißenburg, nun Karlsburg, weggenommen wurde, wurde auch diese Kirche unter dem Schutz des in Kronstadt residierenden Generals von den Jesuiten besetzt. Als die Johanniskirche aber nach zwei Jahren abbrannte, beanspruchten die Jesuiten das alte Dominikanerkloster in der Klostergasse. Im Magistrat gab es bereits etliche Konvertiten und die Evangelischen waren eingeschüchtert, so dass es dem Orden ohne größere Widerstände übergeben wurde. Die zahlreichen Lager im Habsburgs langer Arm 171
Kirchenschiff und in den Klostergebäuden mussten geräumt werden. Die ungarischen Lutheraner, die seit der Reformation im Chor ihre Gottesdienste gefeiert hatten, wurden in die Blumenauer Kapelle verlegt. Als die Dominikaner 1738 ihr altes Kloster zurückforderten, wiesen die mächtigen Jesuiten sie ab, »diese schwarzen Vögel sind nicht aus dem Neste zu bringen, sie bleiben in Possession«36 notierte Thomas Tartler. Die Johanniskirche nahmen, nachdem sie sechs Jahre als ausgebrannte Ruine ungenutzt stand, schließlich die Franziskaner samt dem alten Klosterbereich in Besitz; sie richteten es mit Hilfe des Generals der Kronstädter Truppen wieder her und schlossen die benachbarten Gründe teils durch Kauf, teils durch Besetzung an. So hatten zwei katholische Orden binnen weniger Jahre den Nordosten der Inneren Stadt wieder in Beschlag genommen und sollten nun von hier aus der Konfession des Herrscherhauses mit Beharrlichkeit mehr Geltung zu verschaffen trachten. So verhinderten sie etwa den Wiederaufbau der Spitalskirche (Antoniuskapelle) in der Spitalsneugasse, nachdem auch diese beim Brand vom August 1718 vollständig zerstört wurde. Es war dies gerade die Zeit, als die Pest in Kronstadt wieder Einzug gehalten hatte und noch das ganze kommende Jahr hindurch wüten sollte. Mit über 4.000 Opfern in allen Stadtteilen verlor Kronstadt rund ein Viertel seiner Einwohnerschaft; im ganzen Kronstädter Distrikt waren es über 17.000 Opfer. Nur langsam erholte sich die Stadt von diesem Schlag. Als 1722 Arbeiten für einen Neubau der Spitalskirche begannen, intrigierten Jesuiten und General mit Erfolg gegen ein angeblich neues protestantisches Gotteshaus. Der Bau musste unterbleiben, so dass die Stadtpfarrkirche als einzige evangelische Kirche der Inneren Stadt – von vormals vier – verblieb. Erst 1760 konnte an der Stelle der früheren Spitalskirche ein Bethaus errichtet werden. Eine stetige innergesellschaftliche Belastung aber bildete das Konvertitentum. Immer wieder ließen sich Angehörige der Ratsfamilien dazu verleiten, zum katholischen Glauben überzutreten. Mit Rückendeckung und bei Bedarf mit nachhaltigem Druck der Militärbehörden konnten sie dadurch mehrere Sprossen auf der Leiter der städtischen Beamtenhierarchie überspringen – selbst gegen den ausdrücklichen Willen von Magistrat und Hundertmannschaft. Zu dem ohnehin schon angespannten Verhältnis zwischen der breiten Bürgerschaft und den Patrizierfamilien kam somit noch ein weiteres Korruptionselement hinzu. Denn die Konvertiten suchten ihre Stellung nun durchaus auch dazu zu nutzen, ihren evangelischen Verwandten Vorteile zu verschaffen, also den Klün172 Kronstadt 1689–1918
gel mit neuen Mitteln fortzuführen. Doch auch andere Zeitgenossen strebten über einen Religionswechsel zu raschem, mühelosem Aufstieg. 1767 berichtete der Kommandierende General für Siebenbürgen nach Wien, dass sich in Kronstadt oft »liederliche Elemente« zur Konversion entschlössen, die der Religion des Herrscherhauses nicht zu Ehre gereichten und die ihren Pflichten nicht nachkämen. Damit lieferte er zugleich die Begründung, warum der Stadtrat die Katholiken zurückzudrängen bestrebt sei und er ihn ermahnen müsse, unparteiisch zu sein. Die sich aus dieser Konstellation ergebenden vielfachen Intrigen und Verwerfungen sollten der Stadt sehr zum Nachteil gereichen. Ein besonders schwerwiegender Fall ist jener von George Michael Gottlieb von Herrmann, einem hochgebildeten und weitsichtigen Stadtbeamten, der nach einer langen Karriere 1795 und 1796 zum Stadtrichter gewählt wurde. Aber wie bereits bei seinem Vater 1757 blieb die Bestätigung vom Hof aus, da er an seiner lutherischen Konfession festhielt – und weil Kronstädter Konvertiten zum eigenen Vorteil gegen ihn intrigierten. Ja, er wurde 1799 sogar sämtlicher städtischer Ämter und Würden enthoben. Diesem zwangsweisen Ruhestand verdanken wir die erste umfassende, dreibändige Geschichte Kronstadts, die Herrmann als damals bester Kenner des Kronstädter Archivs verfasste. Doch die Zahl der Katholiken nahm auch durch laufende Zuwanderung stetig zu. Ausgemusterte Soldaten, Angehörige der Militäradministration, Militärmusiker und vielerlei andere Zuwanderer aus den Ländern der Habsburger ließen sich in Kronstadt nieder. Ihr verhältnismäßiger Anteil war nicht so groß wie etwa in Hermannstadt, und sie siedelten sich auch nicht geschlossen an, so dass sich etwa eine neue Subkultur entwickelt hätte; wohl aber behielten sie ihr österreichisches Deutsch bei und passten sich nicht mehr wie bis dahin auch sprachlich an. In einer Einwohnerzählung von 1839 ließen sich in der Inneren Stadt neben 3.822 Evangelischen bereits 2.337 Katholiken feststellen. Dass es unter diesen bald Persönlichkeiten gab, die sich mit den Sachsen und ihren kollektiven Anliegen identifizierten, zeigt das Beispiel von Joseph Carl Eder: In Kronstadt 1760 als Sohn eines ins bürgerliche Leben gewechselten österreichischen Militärbeamten geboren, wurde er katholischer Priester und Lehrer; um 1800 gehörte er zu den besten Kennern der sächsischen Quellen und war ein eifriger Verfechter der sächsischen Rechte. Es gab jedoch noch eine weitere Zuwanderergruppe, die ebenfalls – wenn auch an Zahl gering – unmittelbar mit der selbstzerstörerischen Habsburgs langer Arm 173
Rekatholisierungspolitik der Habsburger zusammenhängt. Unter Vorwegnahme neuzeitlicher Deportationen ließ der Wiener Hof ab 1733 konversionsunwillige Kryptoprotestanten aus Kärnten und anderen Erblanden zwangsweise nach Siebenbürgen verbringen, wobei die Kinder nicht selten ihren Familien entrissen und an Katholiken gegeben wurden. Als diese frommen, glaubenstreuen Vertriebenen – nach der Herkunft späterer Gruppen »Landler« genannt – in Siebenbürgen eintrafen, war ein eigenartiges Phänomen zu beobachten: Während sich die Nationsführung in Hermannstadt sträubte, diese »odiösen Emigranten« zu empfangen, weil man ja dadurch in den Augen der Wiener Adelsbürokratie als auf der gleichen niedrigen Stufe wie die ungeliebten Ausgewiesenen erscheinen musste, wurden sie im Burzenland würdig begrüßt – hier war man nicht nur geographisch, sondern auch ideologisch weiter von Wien entfernt. Es war nur eine Gruppe von 85 Personen, die der Distrikt 1736 übernahm. Nach einer Zwischenstation in Heldsdorf wurden sie in Kronstadt von den Honoratioren abwechselnd bewirtet. Es wurden für sie Lesungen und Gottesdienste in hochdeutscher Sprache gehalten; nur wenige sächsische Pfarrer und Lehrer waren dazu überhaupt in der Lage, da sonst stets die Mundart benutzt wurde. Nachdem sich etwa die Hälfte auf den Meierhöfen der Vorstädte und die anderen überwiegend in Honigberg niedergelassen hatten, wurde für »diese armen Exulanten« künftig in der Stadtpfarrkirche regelmäßig Hochdeutsch gepredigt. Somit kennen wir bereits zwei Gründe, die schon ab dem 18. Jahrhundert dazu führten, dass das Hochdeutsche in Kronstadt – anders als in anderen sächsischen Städten – ganz allmählich eine starke Stellung einzunehmen begann und die Mundart immer mehr verdrängte. Die Ankunft der deportierten Kärntner fällt in eine Zeit, in der die sozialen Spannungen innerhalb der Stadt wieder zunahmen. Nur selten nahmen die Ratsfamilien neue Mitglieder, etwa durch Einheirat, in ihre Kreise auf. Sie betrieben ihre eigenen, intransparenten Geschäfte und Machenschaften, sie waren oft Schmarotzer, nicht Diener des städtischen Gemeinwesens. 1744 mussten sich unzufriedene Bürger sogar beim Stadtkommandanten über ihren Magistrat beklagen, der in einem Schreiben an die Herrscherin in Wien feststellte, dass die Senatoren »Unfug« zum Schaden der Gesamtheit betrieben. 1750 kam es schließlich dazu, dass die Königsrichter von Hermannstadt und von Mediasch diese Klagen in Kronstadt und im Burzenland untersuchen und vielerlei Anordnungen zur Abstellung der Missstände treffen mussten. 174 Kronstadt 1689–1918
Äußere Torbastei des Schwarzgässer Tores vor dem Abriss 1873.
Doch der Stadtrat hatte nicht allein mit der sächsischen Bürgerschaft Konflikte auszutragen. Die Obervorstädter Rumänen wurden zunehmend selbstbewusst. Sie ließen sich nicht nur von der neuen unierten Kirche nichts vorschreiben – erst 1733 hatten sie deren einflussreichen Bischof Inochentie Micu-Klein bei einem Besuch verprellt –, sie wollten sich auch vom Stadtrat emanzipieren. Der größte Anteil des Kronstädter Handels lag inzwischen in ihren Händen – von 122 Kaufleuten stellten sie 80 und 31 gehörten zur griechischen Compagnie (1769) – und sie wollten sich nicht damit zufrieden geben, nur die gleichen wirtschaftlichen Rechte zu haben. 1735 reichten sie eine erste Beschwerdeschrift gegen die Bevormundungen des Magistrats an den Wiener Hof ein, doch schon 1738 gingen sie deutlich weiter: Sie forderten eine direkte Unterstellung unter den Hofkriegsrat, um vom Magistrat unabhängig zu werden und einen eigenen Stadtrat mit eigenem Richter bestimmen zu können – sie wollten also nichts weniger als die Loslösung von Kronstadt und die Etablierung einer eigenen, rechtlich unabhängigen Stadt. Trotz Vermittlungsversuchen des Hermannstädter Königsrichters und somit Vorsitzenden der Sächsischen Nation, der auf Befehl des Hofes nach Kronstadt kam, ließ sich kein Erfolg verzeichnen: Die Rumänen rückten von ihren Forderungen nicht ab. Im Hintergrund schwelte ein Habsburgs langer Arm 175
Streit um den Hauptpfarrer der Nikolauskirche, der in dieser Sache wohl auch der entscheidende Agitator war. Bald wurden die Forderungen bescheidener, denn 1751 forderten die Obervorstädter Rumänen nur noch das Recht auf Mitgliedschaft in der Hundertmannschaft, sie wollten sich also aktiv an der Stadt in ihrer existierenden Form beteiligen. Doch diesmal war es das Gubernium in Hermannstadt, also die von den drei Nationen gestellte Landesregierung, das die Forderung zurückwies, da die orthodoxen Rumänen keinem staatsrechtlich anerkannten Stand angehörten. Die zurückgesetzte politische Stellung der Kronstädter Rumänen sollte also genauso wie eine latente Spannung zwischen Oberer Vorstadt und Innerer Stadt auf lange Sicht erhalten bleiben. Der verhältnismäßige Anteil der Rumänen war seit dem 15. Jahrhundert beständig gewachsen: Von 144 rumänischen Hausbesitzern im Jahr 1480 über 424 im Jahr 1580 stieg deren Zahl auf 887 um die Mitte des 18. Jahrhunderts (1752). Bei den Sachsen gingen die Zahlen in der gleichen Zeit von 1.621 auf 1.312, bei den Ungarn von 206 auf 105 zurück (die Multiplikation mit 5 ergibt eine ungefähre Bevölkerungszahl, wobei hier die Einwohner ohne Hausbesitz nicht enthalten sind). Kronstadt galt zu Beginn des 18. Jahrhunderts als mit Abstand größte Stadt Ungarns, trotz der hohen Opferzahlen bei der Pestepidemie von 1718/19. So zählte Kronstadt 1720 mit 16.816 deutlich mehr Einwohner als etwa Pressburg oder Ofen mit etwa 11.000 bzw. 12.000, Hermannstadt und Klausenburg lagen beide bei etwas über 10.000. Doch wuchs Kronstadt im 18. Jahrhundert nur sehr langsam, was sicher auch mit den eingeschränkten wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten und den starren Strukturen zu tun hatte. Als die Schwarzgässer Bastei im Jahr 1784 wieder als Tor geöffnet wurde, um es – wie es in der Inschrift heißt – dem Handel wiederzugeben, wurde hier weiter vermerkt, dass die Stadt zu diesem Zeitpunkt 17.671 Einwohner hatte.
Langwieriger Wiederaufbau Als das Schwarzgässer Tor knapp hundert Jahre nach dem großen Brand geöffnet wurde, hatte Kronstadt sein äußeres Gesicht verändert. Zwar hatte die notdürftige Sicherung der Gebäude, selbst der großen Stadtkirche, bereits 1689 eingesetzt. Die meisten größeren Arbeiten blieben aber bald stecken. Das Rathaus hatte ein einfaches Pyramiden176 Kronstadt 1689–1918
dach erhalten, das Kaufhaus blieb über Generationen hin in einem ruinösen Zustand. Am dringlichsten war die Wiederherstellung der Wohnhäuser und der Stadtbefestigungen, sofern sie beschädigt waren. Die Schmiedbastei etwa wurde 1709 wieder aufgebaut. Die Häuser entstanden in bescheidenen Formen wieder, meist ebenerdig, lediglich in den Hauptgassen zuweilen zweigeschossig und mit barockem Fassadenschmuck versehen. Gestaltungselemente der Gotik und der Renaissance verschwanden – mit Ausnahme der Kirchen – vollständig aus dem Stadtbild. Auch alte Baustrukturen wurden überdeckt: So wurden Stadtpfarrhaus und Kapitelsgebäude, die vormals gegenüber der Südfront der Stadtkirche lagen, beim Wiederaufbau 1706 vereinigt und mit einer einheitlichen Fassade versehen, nur der Standort des »Kapitelszimmers« erinnerte noch an die jahrhundertlange Trennung. An der großen Stadtkirche wurde, unterschiedlich intensiv, laufend gearbeitet. Bis 1694 war die Kirche, nachdem durch Unterlassung zunächst viel Schaden entstanden war, neu gedeckt. Schon ab 1691 aber wurde ein neuer barocker Altar gefertigt, der sich an der Struktur seines vernichteten Vorgängers orientierte; er steht heute in der Obervorstädter evangelischen Kirche. Nach und nach wurden neue Glocken gegossen. Einzelne Gemeindeglieder ließen die wichtigsten Ausstattungsgegenstände fertigen, so ein Fleischermeister 1696 die heute noch stehende Kanzel, zwei andere Bürger 1698 zwei der Portale. Dabei konnte freilich nicht der künstlerische Stand des alten Gebäudes erreicht werden, dazu fehlten die Mittel und die Fachkräfte von europäischem Rang. Ein einziges Objekt des Inventars hatte den Brand überstanden: das 1472 von dem auch politisch bedeutsamen Pleban Johannes Reudel gestiftete Bronzetaufbecken. Zwischen 1710 und 1715 folgte bereits der Einbau der Seitenemporen, womit neben der Verstärkung der Pfeiler zugleich dem Bevölkerungsanstieg Rechnung getragen wurde. Die Neuerrichtung der stark beschädigten sechs schlanken Säulen im Chor waren 1728–1730 für lange Zeit die letzten Arbeiten an der Kirche. Schäden durch ein großes Erdbeben 1738 an den Stadtbefestigungen, der Neubau des Gymnasiums 1743, das als Folge des Bebens ebenfalls baufällig geworden war, oder der Absturz der großen Glocke durch sechs Stockwerke 1750 sind nur einige Hinweise auf die Auslastung der Gemeinde. Als Folge des nach dem Brand fehlenden Dachstuhles der Kirche hatten sich bei den zunächst noch intakten gotischen Gewölben durch Witterungseinflüsse Brüche ergeben; diese mussten dringend behoben werden, um einem Einsturz zuvorzukommen. So ergriffen der StadtHabsburgs langer Arm 177
Eines der typischen Kronstädter Häuser aus der Zeit nach dem Brand, hier an der Ecke Waisenhausgasse/Obertgässchen, im Hintergrund Stadtpfarrhaus und Schwarze Kirche (zweite Hälfte 19. Jahrhundert).
pfarrer Peter Cloos und der Stadtphysikus Stephan Closius 1760 die Initiative; in einer Eingabe an den Stadtrat aus diesem Jahr hieß es:
»Aller Einwohner dieses Ortes ihre Häuser sind von dem Ruin des ehemaligen gerechten Zorn-Feuer wieder erhoben und der Reichen ihre Wohnungen sind prächtigen Palästen gleich gezieret, einzig und allein das Haus des Herrn muss wüste bleiben und allen Nation und Religionen zum Spectacel und Ärgernis stehen.«37
Es sollten die teuersten und langwierigsten Wiederherstellungsarbeiten an der Stadtpfarrkirche werden. Bis 1772 erhielt das Langhaus jene Tonnengewölbe mit Stichkappen und der Chor Kreuzgewölbe, die wir auch heute kennen und die dem Kirchenraum zusammen mit den Seitenemporen sein teilweise barockes Gepräge verleihen. Es hatte also über acht Jahrzehnte gedauert, bis die Stadtpfarrkirche, umgangssprachlich »Schwarze Kirche«, wieder hergestellt war, wenn auch gewiss nicht in ihrer alten Pracht. Bei der Neueinwölbung verschwanden auch die letzten mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Inschriften, etwa die alte Wandchronik und die Wappen der Burzenländer Gemeinden im Chor. 178 Kronstadt 1689–1918
Diese Arbeiten an der Schwarzen Kirche waren zugleich der Auftakt zu einer regen Kirchenbautätigkeit in der ganzen Stadt. Der Magistrat hatte nämlich mit der Förderung der evangelischen Pfarrkirche zugleich auch für die Katholiken Mittel in Aussicht gestellt. Die alte Klosterkirche, schon vor Jahren als dem Verfall nahe bezeichnet, wurde ab 1776, drei Jahre nach Aufhebung des Jesuitenordens, als Pfarrkirche der Kronstädter Katholiken vollständig neu errichtet. Die alten Klosteranlagen wurden abgetragen. Bis 1782 entstand eine sich in die Straßenfront einfügende, nicht mehr geostete Barockkirche, im Umfeld Pfarr- und Schulgebäude. Auch in der Blumenau verschwanden die Reste der Gotik. Dort hatten sich die deutschen und die ungarischen Lutheraner seit 1716 die alte Barbarakapelle und ein danebenstehendes hölzernes Bethaus geteilt. Statt des Holzgebäudes entstand dort 1777 für die deutsche Gemeinde eine kleine Kirche mit barocken Elementen. Die Ungarn errichteten einige Jahre später, 1783, eine eigene Kirche an der Zufahrt zur Blumenau gegenüber dem Purzengässer Tor. Die alte gotische Barbarakapelle, die während der häufigen Heimsuchungen dieses Stadtteiles ohne Frage viel gelitten hatte, wurde vollständig abgetragen. Als die katholische Pfarrkirche in der Klostergasse und die ungarische Kirche in der Blumenau fertig wurden, hatten sich die politischen Rahmenbedingungen grundlegend gewandelt. Als Kaiser Joseph II., auch nichtgekrönter König Ungarns, 1780 seine Alleinherrschaft antrat, war eine seiner ersten Maßnahmen für Siebenbürgen ein Schlag gegen die besonderen Rechte der Sächsischen Nation: Diese hatte seit dem ausgehenden Mittelalter im Kampf gegen den Adel den Grund- und Hauserwerb von Nichtdeutschen in ihren Orten zunehmend unterbunden. Später wurde diese Restriktion vor allem zur Wahrung wirtschaftlicher Interessen streng gewahrt. Joseph II. hob dieses Recht mit seinem »Konzivilitätsreskript« von 1781 auf, und auch in Kronstadt waren die Folgen unmittelbar zu erkennen. Es waren nun vor allem die Angehörigen der wohlhabenden griechischen Compagnie, die ihre Wohnungen und Lager bis dahin mieten mussten und die nun zum Hauserwerb in der Inneren Stadt drängten. Ein bis heute sichtbarer Ausdruck dieser Entwicklung ist die ansprechende Kapelle im rückwärtigen Teil zweier Höfe auf dem Rossmarkt; der Bau dieser »griechischen Kirche«, durch reiche orthodoxe Kaufleute finanziert, war 1787 abgeschlossen. Schon 1783 war ein kleiner Kirchenbau der in der Altstadt lebenden Rumänen errichtet worden. Weitere orthodoxe Kirchenbauten sollten erst im 19. Jahrhundert folgen – 1813 die Dreifaltigkeitskirche im oberen Zinnental Habsburgs langer Arm 179
zunächst als Holzbau, und 1833 das Bethaus in einem Hinterhof der Kornzeile für die innerstädtischen rumänischen Kaufleute. Doch auch die Zahl der Sachsen war in der Oberen Vorstadt inzwischen wieder erheblich gestiegen, so dass sie einen Kirchenraum benötigten. In der durch die Stadtmauern strikt begrenzten Inneren Stadt gab es nämlich keine Ausbreitungsmöglichkeiten, so dass sich Zuziehende oder Kinder von Kronstädtern in die Vorstädte hin orientierten: Während in der Inneren Stadt zwischen 1777 und 1830 die Zahl der Häuser von 588 lediglich auf 634 steigen konnte, verdoppelten und verdreifachten sich die Zahlen in den Vorstädten in diesen langen Friedenszeiten: in der Oberen Vorstadt von 830 auf 1.724, in der Altstadt von 293 auf 647 und in der Blumenau gar von 160 auf 543. So entstand nur ein kurzes Stück jenseits der Teiche vor der oberen Stadtmauer 1792–1794 die Obervorstädter evangelische Kirche. Man konnte durchaus den Eindruck erhalten, die Konfessionen würden miteinander um Einfluss und Repräsentation wetteifern. Von den anerkannten Bekenntnissen des Landes hatten die Reformierten noch immer keine eigene Kirche; erst 1822 richteten sie sich auf dem Fischmarkt, der späteren Hirschergasse, ein Bethaus ein. Die Unitarier sollten in Kronstadt genauso wie die griechisch-katholische Kirche noch lange keine Gemeinden bilden. Hingegen siedelte sich 1807 eine weitere Religion in Kronstadt an: Die ersten jüdischen Familien ließen sich hier nieder, eine eigene Gemeinde konnten sie jedoch erst 1827 bilden. Nach verschiedenen Notlösungen erhielten sie 1862 von der Stadt die ehemalige Spitalskirche in der Spitalsgasse als Betraum zugewiesen, bis um die folgende Jahrhundertwende schließlich die eigene Synagoge entstand. Eine zweite jüdische Gemeinde orthodoxer Richtung entstand 1877; sie hatte ihr Bethaus in der mittleren Burggasse. Die allmähliche wirtschaftliche Erholung der Stadt ließ sich äußerlich aber nicht nur an den neuen oder erneuerten Kirchen erkennen. Auch die öffentlichen Gebäude wurden nach jahrzehntelangem Dahindümpeln wieder in Angriff genommen. Das Dach des Kaufhauses war 1759 wiederhergestellt worden. Gleich nach der Fertigstellung der Schwarzen Kirche wurden die Schulgebäude hergerichtet und die Rektorswohnung an der Stelle der alten Bibliothek errichtet. Besondere Aufmerksamkeit erfuhr das Rathaus, das nach dem Brand nur provisorisch gesichert worden war. Es wurde ab 1774 deutlich erweitert; der bis dahin in geringem Abstand stehende Turm wurde einbezogen, neue Amtsräume entstanden. Erst jetzt erhielt das Gebäude seine charakte180 Kronstadt 1689–1918
ristische Loggia mit dem Stadtwappen, ferner das barocke Mansardwalmdach. Am Rathausturm verschwand die bis dahin lesbare Jahreszahl 1528, er erhielt eine neue Turmuhr mit Viertelstundenglocke und kunstvoll gemalten Ziffernblättern. Die Zeitmode wurde, als das Rathaus 1778 in neuem Glanz erstrahlte, durch das blechverkleidete Zwiebeldach ausgedrückt. Aber auch hier zeigten die schlichten, manchmal fast derben barocken Formen, dass die Stadt keinesfalls mehr aus dem Vollen schöpfen konnte wie noch rund zweieinhalb Jahrhunderte vorher. Auf Zweckmäßigkeit waren auch andere öffentliche Gebäude aus, die durchaus große Fortschrittlichkeit verrieten. So das geräumige neue Zuchthaus in der oberen Burggasse (1772), das mancherlei Missständen Abhilfe schaffte. Eine Errungenschaft besonderer Art war 1791 die Errichtung einer Kaserne für sechs Kompanien in der unteren Schwarzgasse und eines Militärspitals in der Purzengasse. Beides geschah auf Kosten der Stadt und bedeutete für die Bürger eine außerordentliche Entlastung. Sie waren nämlich für die Unterbringung der Besatzung verantwortlich und mussten sie in den eigenen Wohnhäusern einquartieren. Je größer die Anwesen waren, desto mehr Soldaten mussten aufgenommen werden – eine nachhaltig wirkende Entwicklungsbremse für den Baubestand der Stadt. Erst jetzt waren die Kronstädter die Einquartierungslast weitgehend los und konnten ihre Häuser ungehindert erneuern und erweitern. Als Kaiser Joseph II. im Juni 1773 Kronstadt und das Burzenland zum ersten Mal besuchte, war er von der Stadt durchaus angetan, nicht allein wegen deren Schuldenfreiheit: »Die Stadt Cronstadt liegt zwar noch etwas zwischen den Gebürgen, siehet aber sehr volkreich aus, wohlgebaut und hat einen hübschen Platz« notierte er38. Das gerade fertiggestellte Zuchthaus hatte es ihm wegen seiner Funktionalität und Menschenfreundlichkeit besonders angetan. Der Monarch inspizierte die Karpatenpässe, sah sich die Dörfer und Märkte des Burzenlandes an und befasste sich eingehend mit den Finanzen und der Verwaltung des Distrikts. Mit einigen Ausnahmen war er über die sächsische Beamtenschaft allgemein nicht begeistert, in Kronstadt schien er aber manchen Gesprächspartner zu schätzen. Allerdings bemängelte er, dass in den Kronstädter Magistrat zu viele junge unerfahrene Leute aufgenommen würden – und zwar ihrer katholischen Konfession wegen. Als Joseph II. auf den Tag genau zehn Jahre später wieder nach Kronstadt kam, erregte er dadurch ein gewisses Auf sehen, als er nach dem Besuch der katholischen Messe in den evangeHabsburgs langer Arm 181
lischen Pfingstgottesdienst in der Schwarzen Kirche ging und dort eine Weile zuhörte. Er besuchte schließlich die Nikolauskirche und die diversen militärischen Einrichtungen und verfügte eine Reparatur des Kronstädter Schlosses. Schon bald nach diesem zweiten Besuch Josephs II. sollte es für Kronstadt und das Burzenland zu einer einschneidenden Veränderung kommen: Der sein Reich mit bis dahin unbekannter Radikalität von oben reformierende Monarch hatte die alten Verwaltungsstrukturen Siebenbürgens 1784 einschließlich der mittelalterlichen »Nationen« aufgelöst und das ganze Großfürstentum in elf neue Komitate eingeteilt. Der Kronstädter Distrikt wurde Teil des Komitats »Drei Stühle« (Háromszék) mit Sitz in Sankt Georgen, sollte also künftig vom Szeklerland aus verwaltet werden, mit dem man seit Jahrhunderten in aufreibendem, über lange Zeiten hinweg auch recht blutigem Kampf stand. Schon drei Jahre später aber gab es eine weitere Umstellung, indem mehrere Komitate zu Distrikten zusammengefasst wurden und das Burzenland nun nach Fogarasch hin zuständig war. Die sich überstürzenden Reformversuche und Verfügungen des Kaisers legten, zumal sich die Landesbewohner diesen Maßnahmen nur sehr widerwillig oder auch gar nicht fügten, nahezu das ganze öffentliche Leben lahm. So wurde die Rücknahme fast aller Reformen 1790 ganz überwiegend mit großer Erleichterung aufgenommen, und auch der Kronstädter Distrikt erhielt seine Zuständigkeiten aus der vorjosephinischen Zeit wieder.
Neubesinnung im Biedermeier So bewegt das ausgehende 18. Jahrhundert etwa mit seiner regen Bautätigkeit und dem Wettbewerb der Konfessionen auch scheinen mag, so war es doch nur ein allmähliches, eher beschauliches Dahinplätschern verglichen mit dem Aufbruch, der folgen sollte. Im 18. Jahrhundert hatte die periphere Lage Kronstadts innerhalb des Riesenreiches der Habsburger voll durchgeschlagen. Siebenbürgen sollte nur Rohstofflieferant und Konsument sein, sowohl Handel wie Handwerk der Städte passten nicht ins Wirtschaftskonzept Wiens. Zwei Zollgrenzen, die siebenbürgische und die ungarische, trennten das Land von Mitteleuropa, und die jahrhundertealten Absatzmärkte und Lieferanten in der Nachbarschaft jenseits der Karpaten waren nun feindliches Ausland, ein Austausch wurde von beiden Seiten behindert. Die Erholung 182 Kronstadt 1689–1918
Kronstadts und dessen allmählicher Wiederaufbau im 18. Jahrhundert erfolgten daher mit sehr bescheidenen Mitteln, keine Rede mehr von profitablem Handel oder goldenem Handwerk. Die förmliche Aufhebung des alten Stapelrechts 1766 war nur noch der äußere Ausdruck dieser Entwicklung. »Der frühere Unternehmergeist war einer Resignation und Passivität in allen Fragen der Wirtschaft gewichen, eine kleinbürgerliche, durch die veralteten Zunftschranken noch verstärkte Mentalität erfasste die Kronstädter Bürger«39 resümiert Maja Philippi. Doch nun sollten die Anfänge für einen ganz neuen Aufschwung gemacht werden – ein langfristiger Aufschwung, freilich mit zeitweiligen Rückschlägen, der sich bestenfalls noch mit dem 14. Jahrhundert vergleichen lässt. Dieser Prozess wurde abermals von einem neuen Elitenwechsel begleitet. Während der Kreis der führenden Familien vom 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts doch recht konstant, fast starr geblieben war, so kamen nun neue soziale Gruppen zur Geltung. Die Anfänge dieses Aufschwungs, der letztlich zum modernen Kronstadt führte, wurden zunächst von kapitalkräftigen rumänischen Kaufleuten und von unternehmungsfreudigen sächsischen Handwerkern getragen. Während das »Biedermeier« in Mitteleuropa als eine Zeit der Bedächtigkeit, des Rückzugs ins Private und Bürgerliche gesehen wird, fand in Kronstadt gleichzeitig eine offensive Suche nach neuen Wegen statt. Bald nach der Neuordnung Europas im Wiener Kongress besuchte Kaiser Franz I. seine Länder. Im Jahr 1817 reiste er mit Gemahlin und Hofstaat durch Siebenbürgen und kam im September für eine Woche nach Kronstadt. Beim Einzug des Kaisers, von Weidenbach durch die Altstadt kommend, boten die Kronstädter alle Stände und Körperschaften in den schönsten Festgewändern auf, schmückten ihre Häuser und Straßen und bauten eine Festpyramide, durch die die hohen Gäste vor dem Klostertor durchfuhren. Und auch hier vermochten die evangelischen Geistlichen in ihren uralten Messgewändern in der Schwarzen Kirche eine Andacht zu zelebrieren, die sich von einer katholischen Messe kaum unterschied. Nachhaltigen Eindruck hinterließ der Besuch des ersten österreichischen Kaisers in Kronstadt jedoch nicht. Eher noch galt dies für den Gottesdienst kurz vor Weihnachten 1817 zum Gedenken an den 300. Jahrestag des Beginns der lutherischen Reformation – es war ein wahrnehmbares Signal für den inzwischen entspannteren Umgang der Zentralmacht mit Konfessionsfragen. Das Toleranzpatent war schließlich eine der ganz wenigen Reformen, die Joseph II. Habsburgs langer Arm 183
nicht zurückgenommen hatte, und längerfristig wirkte sich dies auch in Siebenbürgen aus. In dieser Zeit erfolgten nun Schlag auf Schlag jene Gründungen, die das 19. Jahrhundert in steigendem Maße prägen sollten. Schon 1798 war die sächsische Handelssocietät gegründet worden, und ab dem Jahr 1817 kennen wir eine »Societät der Handlungs-Comis«, aus der später der Fortschrittsverein junger Kaufleute werden sollte – alles zur Belebung und Weiterentwicklung des Handels. Dieser lag inzwischen fast gänzlich in der Hand der Kronstädter Rumänen. Als 1822 das Levante handelsgremium ins Leben gerufen wurde, hatte es allein 145 Gründungsmitglieder während die sächsische Kaufmannschaft nicht mehr als 16 bis 18 Mitglieder ausmachte. Um 1830, als auch eine rumänische Handelskompanie ins Leben gerufen wurde, brachten die rumänischen und die wenigen verbliebenen griechischen Kaufleute fast das Zehnfache an Zollgebühren der sächsischen Händler auf. Während sich das Kapital somit vor allem bei wohlhabenden Rumänen befand, die 1827 abermals um Aufnahme in Hundertmannschaft und Magistrat ansuchten, regten sich auf sächsischer Seite vor allem die Handwerker. Es entstanden jene Handwerksbetriebe, die über den Weg von Manufakturen ab der Jahrhundertmitte allmählich zu Fabriken wurden. Dies nahm 1823 mit dem Tuchmachermeister Michael Scherg seinen Anfang, 1827 folgte Georg Dück mit dem Vorläufer der ersten Lederfabrik am Tömöschkanal, 1833 die Eisengießerei Teutsch, aus der die Erste Kronstädter Maschinenfabrik wurde, 1836 die Zuckerfabrik von Gottlieb Simon Römer. Der 1841 gegründete sächsische Gewerbeverein sollte schließlich eine kollektive Wahrnehmung der Interessen ermöglichen. Zeitgleich erfolgten weitere maßgebliche Weichenstellungen, etwa 1834, als der aus dem Hessischen zuwandernde Buchdrucker Johann Gött die Honterus-Druckerei erwarb, oder als 1835 mit der »Kronstädter Allgemeinen Sparkasse« das erste Geldinstitut ganz Ungarns gegründet wurde. Die »Gründerzeit«, die gegen Ende des Jahrhunderts natürlich noch eine neue Dimension erreichen sollte, hatte in Kronstadt also bereits im Vormärz, in den Jahrzehnten vor der bürgerlichen Revolution von 1848/49 eingesetzt. Dabei fiel ein ganz neues Phänomen auf: die enge Zusammenarbeit zwischen Sachsen und Rumänen. Zu erkennen war dies etwa an der 1850 gegründeten Kronstädter Handelskammer, die im Gegensatz zu den früheren national organisierten Gremien alle Kaufleute vereinigte, also primär die beiden letztgenannten Gruppen zusammenbrachte. Von 184 Kronstadt 1689–1918
den reichen rumänischen Unternehmern sollten während der schlimmen Krisen in der zweiten Jahrhunderthälfte nur jene ihr Vermögen retten, die in die aufstrebenden sächsischen Industriebetriebe investiert hatten. Noch anschaulicher aber wurde diese Kooperation im Umfeld des Göttschen Druckhauses. Hier fanden sich schon bald die fortschrittlichen Geister Siebenbürgens zusammen, Kronstadt übernahm – ähnlich wie dreihundert Jahre vorher – die Meinungsführerschaft von Hermannstadt. Mit dem »Siebenbürger Wochenblatt« begründete Gött 1837 die zweite Zeitung Siebenbürgens, und es sollte die einzige bleiben, die bis zu ihrer Einstellung 1944 als unabhängiges, oft unbequemes, stets Alternativen aufzeigendes Periodikum fortbestand. Schon ab 1838 erschien in der gleichen Druckerei mit der »Gazeta Transilvaniei« eine der langfristig einflussreichsten rumänischen Zeitungen. Die Parallelität der Titel zweier anderer Zeitschriften – »Blätter für Geist, Gemüth und Vaterlandskunde« und »Foaie pentru minte, inimă şi literatură« – verrät nicht nur ein geistiges Konzept, sondern vor allem regen Austausch zwischen den Intellektuellen der beiden Sprachgruppen. So fanden sich hier mit George Bariţiu und Stephan Ludwig Roth zwei der prägenden Figuren des Vormärz zusammen, die neue Wege für das Weiterbestehen eines plurikulturellen Siebenbürgen suchten. Die wegweisenden Schriften Roths, »Der Sprachkampf in Siebenbürgen« sowie »Der Geldmangel und die Verarmung«, erschienen 1842 und 1843 bei Gött in Kronstadt. Der intensive Austausch mit den Kronstädter Rumänen, deren wirtschaftlicher und sozialer Aufstieg – viele ihrer Kaufleute wohnten inzwischen in der Inneren Stadt – und der Zuzug herausragender Geistesgrößen dieser Sprachgruppe hatte schließlich bei den Sachsen zu einem Umdenkprozess geführt. Noch waren sie die alleinigen Inhaber politischer Rechte auf dem Königsboden, auch wenn durch die österreichische Administration vielfach ausgehöhlt. Im November 1847 beschloss die Kronstädter Hundertmannschaft als erste sächsische Körperschaft überhaupt, die Rumänen an der politischen Vertretung und Verwaltung der Stadt partizipieren zu lassen. Die Hundertmänner stellten fest, dass
»die Zeit der abgeschlossenen Bevorzugung des einen Volkes vor dem anderen vorüber sey, und daß die Forderungen der Gegenwart die sächsische Nation verpflichteten, die Rumänen auf Sachsenboden als vollbürtige Brüder in ihrer Mitte aufzunehmen.«40 Habsburgs langer Arm 185
Die Kronstädter ersuchten die Nationsuniversität, diesen Beschluss auch für das Rechtsgebiet der gesamten Sächsischen Nation zu fassen. Das geschah zu einem Zeitpunkt, als das Gedankengut der Revolution zwar schon präsent war, als aber die Ereignisse des kommenden Frühjahrs noch nicht einmal zu erahnen waren. Die Kronstädter hatten den Anliegen der Rumänen zwar erst ein Jahrhundert nach deren erstem Antrag entsprochen, aber noch bevor sie von den Umwälzungen des Jahres 1848 dazu genötigt wurden. Anfang April 1848, als sich bereits ganz Ungarn im Revolutionsfieber befand, hatte auch die Nationsuniversität die Bürgerrechte der Rumänen auf Königsboden anerkannt. Gegenüber diesen zukunftweisenden Entwicklungen sollte die Märzrevolution jedoch rasch einen Vorgeschmack jenes Giftes bringen, das das neuzeitliche Verständnis von »Nation« enthielt. Und wieder hatte Kronstadt eine den Hermannstädter Ansichten konträr gegenüberstehende Haltung. Eine der Hauptforderungen der ungarischen Revolution war die Union, die Vereinigung Siebenbürgens mit Ungarn. Das liberale und seit jeher Habsburg-skeptische Kronstadt sah darin einen erstrebenswerten Fortschritt, vergleichbar den Bestrebungen in den deutschen Ländern zur Schaffung eines vereinigten Deutschland – dies war bereits das große Vorbild, das man laufend im Auge hatte. Folgerichtig wurde im April auf dem Kronstädter Rathaus eine Fahne in den ungarischen Nationalfarben gehisst, sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit zu einem von Wien unabhängigen und freiheitlichen Ungarn. Und so gehörten die Kronstädter zu jener Minderheitsfraktion, die sich auf dem Unionslandtag im Mai 1848 in Klausenburg innerhalb der sächsischen Delegation durchsetzte, die letztlich für die Durchführung der Union stimmte. Nachher stellte sich lediglich der Kronstädter Distrikt hinter die Entscheidung seiner Abgeordneten, die anderen sächsischen Städte und Stühle stellten die Union umgehend in Frage. In einem Punkt hatten die Kronstädter und Burzenländer tatsächlich geirrt: Sie gingen davon aus, dass die ungarischen Revolutionäre ein ähnlich liberales Menschenbild wie sie selber hätten; tatsächlich aber regierte bereits der intolerante moderne Nationalismus, der keinen Platz für anderssprachige Gruppen oder überhaupt für Sonderinteressen vorsah. Die ungarische Revolution kannte nur Ungarn, weder Sachsen noch Rumänen oder andere Völker, und verschreckte so selbst anfangs glühende Anhänger. Doch in der anderen Hinsicht irrten die Kronstädter nicht: Das Haus Habsburg setzte sich auf lange Sicht keinesfalls für die Deutschen Siebenbürgens ein – wie schon im 16. Jahrhundert gab es 186 Kronstadt 1689–1918
vor allem salbungsvolle Worte, und die erst spät folgenden Taten sollten nur der eigenen Machtsicherung dienen. Nachdem sich die kaiserlichen Kräfte wieder etwas festigten, brach im Oktober 1848 in Ungarn und Siebenbürgen ein Bürgerkrieg aus, in dem sich die nationalistisch fanatisierten Ungarn und Szekler auf unabsehbare Zeit an ihren jahrhundertealten Mit-Völkern in blutiger Weise versündigen sollten. Die an Zahl nicht geringen liberalen Intellektuellen unter Rumänen und Sachsen, die in der bürgerlichen Revolution die Chance für einen Neuanfang sahen, resignierten oder wechselten notgedrungen in eigene nationale Lager. Das Burzenland sollte bei Revolutionskämpfen in besonderer Weise leiden müssen, auch wegen der unmittelbaren Nähe zum Szeklerland. Anfang Dezember 1848 kam es bei Honigberg zu einem heftigen Gefecht zwischen revolutionären Szeklern auf der einen sowie kaiserlichen Truppen, sächsischen und rumänischen Freischärlern auf der anderen Seite. Die Freischärler wurden geschlagen, nicht wenige getötet oder gefangen, die anderen flohen in die Stadt. Die Maßlosigkeit der Revolution trieb auch Kronstadt auf die schwarz-gelbe Seite, jene des Kaisers. Dieser – seit Ende 1848 in der Person des jungen Franz Joseph – hatte das »Sachsenland« als eigenes Kronland direkt der Krone unterstellt und somit einen Rechtszustand des Mittelalters wieder aufgegriffen, dadurch den Hass der Ungarn nur noch steigernd. Um sich der ungarischen Revolution zu erwehren, musste Franz Joseph aber die Truppen des russischen Zaren als Unterstützung anrufen; sie zogen als Verbündete, aus der Walachei kommend, im Februar 1849 auch in Kronstadt ein. Durch die Novelle »Der baltische Graf« von Heinrich Zillich sind diese Wochen einem breiteren Publikum als Bild präsent. Doch die Soldaten des Zaren sollten keinen dauerhaften Schutz bieten können, denn schon Ende März zogen sie sich zusammen mit der übernational konzipierten Bürgerwehr und zahlreichen Kronstädter Bürgern in die Walachei zurück. Kampflos übergab der Stadtrichter die Stadt dem Revolutionsheer unter General Jozef Bem, der kurz vorher beim dritten Anlauf Hermannstadt erobert hatte. Unter einer weißen Flagge sollten dem unzureichend gesicherten Kronstadt Kämpfe erspart werden. General Bem, selber Pole und für die Revolution, nicht für eine Nation streitend, schützte die Stadt und ihre Bewohner. Die liberalen Kräfte erhielten wieder Aufwind und wenige Tage nach der Besetzung änderte das Wochenblatt seinen Namen in »Kronstädter Zeitung« mit einem geschärften freiheitlichen Profil. Doch Habsburgs langer Arm 187
als Bem die Stadt verließ war sie den ungarischen Offizieren preisgegeben, es kam zu vielfältigen Plünderungen und Bedrückungen, selbst zu Verhaftungen von Sympathisanten der Revolution, eine immense Kriegssteuer war fällig – wie in Zeiten der Türkenherrschaft. Die Entthronung des Hauses Habsburg durch das ungarische Parlament im April und der unversöhnliche Hass der ungarischen Revolutionäre vereitelten jegliche Ausgleichsbemühungen mit den Nationalitäten des Landes. Durch zahlreiche Hinrichtungen wurden Märtyrer geschaffen und generationenlanger Unfrieden gesät. Wieder kam es mit dem Begriff des »Freiheitskampfes« zu einem in der ungarischen Geschichtsschreibung bis heute gepflegten Missverständnis. Im Juni marschierten russische und bald auch österreichische Truppen in Siebenbürgen ein. Sie sollten dem Revolutionsheer binnen weniger Wochen bei Schlachten auf sächsischem Gebiet und im Banat die entscheidenden Niederlagen beibringen. Am 20. Juni wurden die Revolutionstruppen zunächst im Tömöscher Pass unweit Kronstadt in die Flucht geschlagen. In wilder Flucht verließen die Revolutionäre daraufhin die Stadt, lediglich das Schloss musste am 22. Juni noch von russischen Einheiten beschossen werden bis sich die Besatzer ergaben. Am 23. Juni zog der russische General Lüders mit seinen Truppen feierlich in Kronstadt ein – rund drei Monate nachdem sie ausgezogen waren. Für das Burzenland und für Kronstadt war die Revolution vorbei, an anderen Stellen des Landes ging das Kräftemessen noch rund zwei Monate weiter. Wie hatten die vergangenen Monate das Leben verändert, wie groß wären die Chancen für eine Schweiz des Ostens gewesen! Die ursprünglichen liberalen Vorstellungen der Kronstädter vertrugen sich aber nicht mit der verhängnisvollen Interpretation der modernen Nation. Die Zukunft sollte ihnen in ihrer skeptisch-ablehnenden Haltung gegenüber dem Haus Habsburg und der Wiener Politik recht geben.
Die Stadt der drei Völker Dem jungen Kaiser und seinen Beratern fiel nämlich nichts anderes ein, als sein Imperium ohne Verfassungen und neoabsolutistisch zu regieren. Keine Rede von einem sich selbst verwaltenden Kronland Sachsenland, vielmehr waren sächsische Administration und Justiz noch nie so eingeschränkt wie nach 1850. Selbst das Eigen-Landrecht wurde 1853 aufgehoben – ohne Frage ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu einer 188 Kronstadt 1689–1918
Modernisierung des öffentlichen Lebens, aber doch ganz anders als es sich die Kaisertreuen erträumt hatten. Der Besuch des noch immer blutjungen Kaisers in Kronstadt 1852 hinterließ keinen bleibenden Eindruck. Die Kronstädter aller Sprachen hatten bereits begonnen, ihre Energien auf andere Bereiche zu richten, auf Bildung und Wirtschaft. Es sollten nun Schulbau auf Schulbau und Firmengründung auf Firmengründung folgen. Die 1851 gegründete Kronstädter Handels- und Gewerbekammer sollte nicht nur zu einer der bedeutendsten Einrichtungen dieser Art im Lande werden, sondern neue Rahmenbedingungen für die sich grundlegend veränderten Verhältnisse schaffen. Das sich auflösende Zunftwesen musste geordnet umgebaut werden, der Umgang mit neuen Zöllen musste geregelt und die Absatzmärkte mussten sichergestellt werden. Dabei setzte ein rund zwei Jahrzehnte dauernder Kampf zwischen Hermannstadt und Kronstadt um die Streckenführung der Eisenbahn ein: Während Hermannstadt für eine Verlängerung der Linie von Arad stritt, die dann über den Rotenturmpass weiterführen sollte, suchte Kronstadt nach einer Lösung von Großwardein über Klausenburg und weiter durch den Predealpass (Tömöscher Pass). Dass sich Kronstadt in diesem Kampf durchsetzte hatte einerseits mit seiner günstigen Positionierung, andererseits aber auch mit der Unterstützung durch den ungarischen Großgrundbesitz in Siebenbürgen und durch die Bojaren und Fürsten in dem sich gerade aus Walachei und Moldau vereinigenden Fürstentum Rumänien zu tun. Der 1. Juni 1873, als der erste Eisenbahnzug im neuen Bahnhof in der Blumenau einfuhr, war demnach ein Festtag für die Stadt und das Burzenland. So wurden die jungen Kronstädter Industrien in die Lage versetzt, den Wettbewerb mit den billigen Massenwaren, die aus Westeuropa in den Donauraum strömten, aufzunehmen. Der Erfolg der Kronstädter Industriebetriebe lässt sich an der Bevölkerungsentwicklung gut ablesen: Von rund 20.000 Einwohnern um 1850 schnellte deren Zahl mit 41.056 bis 1910 auf mehr als Doppelte hoch. Neben dem natürlichen Wachstum einer prosperierenden Stadt mit zunehmend besserer medizinischer Versorgung war vor allem die Zuwanderung der dringend benötigten Arbeiter in die neuen Betriebe der Grund für diese rasche Expansion. Dabei wandelten sich auch die Anteile der Sprachgruppen an der Gesamtbevölkerung grundlegend. Von einer absoluten Bevölkerungsmehrheit um 1800 war der Anteil der Deutschen bis 1860 mit rund 40% bereits auf eine relative geschrumpft. Zwei Jahrzehnte später hingegen hatten die drei Gruppen der DeutHabsburgs langer Arm 189
schen (1880: 9.599), Ungarn (9.508) und Rumänen (9.079) nahezu demographischen Gleichstand (Gesamteinwohner 1880: 29.584) – vielleicht hätte dies eine gute Basis für ein ausgeglichenes Auskommen der drei siebenbürgischen Völker in einer Beispielstadt sein können. Doch die Entwicklung verlief anders, die Zahl der Ungarn verdoppelte sich binnen dreier Jahrzehnte nahezu (1910: 17.831) während jene der Rumänen (11.786) und Deutschen (10.841) nur mäßig anstieg. Was war geschehen? Während Wien sein Reich zunächst mit harter Hand zu regieren versuchte, folgten ab 1859 verschiedene, letztlich glücklose Experimente. Die Rechte Ungarns wurden nach der Revolution und der Absetzung des Hauses Habsburg als »verwirkt« angesehen und bewusst ignoriert. In Kronstadt schien man etwas sensibler für den ungarischen Puls als andernorts, vielleicht wegen der eher vermittelnden Position während der Revolution, wohl auch wegen der zahlreichen Ungarn in der Stadt. Die sächsichen Politiker mahnten daher eine Verständigung, Aussöhnung mit den Ungarn an. Die beste Illustration für die liberale Haltung des deutschen Bürgertums dieser Stadt bot der Präsident der Kronstädter Handels- und Gewerbekammer Karl Maager, der 1860 in den erweiterten österreichischen Reichsrat nach Wien zog. Dort trat er mutig, selbstbewusst und beredt für liberale bürgerliche Rechte ein und wurde dank der neuen Druckmedien binnen Tagen monarchieweit zum gefeierten Politiker des städtischen Bürgertums. Um eine Gesundung des Kaiserstaates Österreich zu erreichen, forderte er unter anderem die Beendigung der Vorherrschaft der katholischen Kirche und die Einführung einer Verfassung. Maagers Bild war bald in allen Auslagen zu sehen, Maager-Hüte und Maager-Krawatten waren modern, zahlreiche Städte und Gemeinden verliehen ihm die Ehrenbürgerschaft. Der Kronstädter Kaufmann hatte erstmals klar ausgesprochen, wonach das Bürgertum dürstete. Die Verfassungsreformen Wiens 1860/61 führten unter anderem zur Wiederherstellung der sächsischen Territorialautonomie, also auch des Kronstädter Distrikts, aber auch dies sollte keine dauerhafte Lösung sein. Der Kaiser war zu schwach, zu viele äußere und innere Konflikte zerrieben das Riesenreich, so dass Franz Joseph – nachdem 1863/64 noch ein letztes Mal kurz die Hoffnung auf ein ausgeglichenes, selbstständiges Siebenbürgen aufkam – den ungarischen Politikern nachgeben und das Reich teilen musste. Die ungarische Reichshälfte, die mit der Gesamtmonarchie nur mehr den Herrscher, die Außenpolitik und 190 Kronstadt 1689–1918
das Militär gemeinsam hatte, sollte nun sehr rasch zu einem modernen Nationalstaat ausgebaut werden. Dazu gehörte auch eine grundlegende Verwaltungsreform einschließlich der Auflösung der historischen Gebietskörperschaften der Szekler und Sachsen. Dabei war es ausgerechnet ein Kronstädter Reichstagsabgeordneter, der, zunächst aus einer vermittelnden Position heraus, schließlich zum schärfsten Verfechter der Aufhebung des Königsbodens und zum Handlanger der nationalungarischen Machthaber wurde. Dass dies über Jahre hinweg zu Zerwürfnissen innerhalb der Kronstädter politischen Landschaft führte, liegt auf der Hand. Die Politik der Budapester Parteien driftete nach anfänglichem Liberalismus zunehmend in Richtung einer aggressiven Magyarisierung, wobei sich gerade Städte wie Kronstadt mit einem starken ungarischen Anteil als aussichtsreiche Ansatzpunkte anboten. Nach der Verwaltungsreform 1876 wurde ein – wenn auch verhältnismäßig kleiner – Komitat Kronstadt eingerichtet, der dem vormaligen Distrikt entsprach. Kronstadt erhielt den Status einer Stadt mit geregeltem Magistrat, wurde also nicht eine aus der Komitatsverwaltung gelöste Munizipalstadt, auch wenn sie alle Voraussetzungen dafür besessen hätte; diese Lösung war für die Stadt und zumal für die sächsische Bevölkerung insoweit vorteilhafter, weil dadurch das Umland nicht von Kronstadt abgekoppelt wurde. Mit einer weitverzweigten Komitatsverwaltung zog eine zahlreiche ungarische Beamtenschaft zu. Auch sonst wurden der ungarische Zuzug genauso wie Namens- und Sprachgruppenwechsel nachhaltig gefördert. Bei den alteingesessenen Sachsen und Obervorstädter Rumänen mit ihren ausgeprägten Identitätsstrukturen hatten diese Bestrebungen praktisch keinen Erfolg. Im Gegenteil, die Magyarisierungspolitik führte vielmehr zur verstärkten Abgrenzung der Gruppen voneinander. Diesem Prozess einer kollektiven Identitätsstärkung dienten vielfältige Vereine, deren erste noch im Vormärz gegründet worden waren und deren Zahl zumal unter den Sachsen, aber deren Beispiel folgend bald auch unter Rumänen unübersehbar werden sollte. Sie dienten der Gesellschaftspflege, der Bildung, karitativen und kulturellen Zwecken. In diesen Kontext gehörte auch die Einrichtung einer Vielzahl neuer Schulen und die Erneuerung oder Erweiterung von Schulgebäuden, weil alle Sprachgruppen in einer profunden Bildung der Jugend eine der wichtigsten Herausforderungen sahen. Ein ungarisches Jungengymnasium war bereits 1837 beim katholischen Pfarrhof in der Klostergasse eingerichtet worden, das seine Unterrichtssprache 1861 von Latein und Habsburgs langer Arm 191
Deutsch auf Ungarisch umstellte. 1850 wurde der evangelische Schulfondsverein gegründet und schon 1851/52 entstand die innerstädtische sächsische Turnschule am oberen Ende der Waisenhausgasse. Im Jahr 1854 eröffnete des monumentale Gebäude des rumänischen Gymnasiums (seit 1865 Schaguna-Lyzeum) gleich zu Beginn der Oberen Vorstadt; von dieser Schule, der 1869 eine Handelsschule angegliedert wurde, sollten über Generationen hin entscheidende Impulse für die rumänische Kultur schlechthin ausgehen. Bald wurden die Schulgebäude am Kirchhof erweitert, und etwas später ermöglichte ein weiterer Verein den Bau der evangelischen Mädchenschule im aufgeschütteten Stadtgraben neben dem Katharinentor (1874–1876). Der nächste Entwicklungsschub im Schulwesen folgte für fast alle diese Einrichtungen um die Jahrhundertwende, wobei sich zu den konfessionellen Schulen (1901 katholisches Gymnasium an der Graft, 1902 israelitische Volksschule mit Synagoge in der Waisenhausgasse, 1913 neues Honterusgymnasium neben der Schmiedbastei) zahlreiche staatliche Neugründungen fügten (1888 Oberrealschule, 1891 Handelsakademie, 1892 Gewerbeschule, Knabenschule und Mädchenschule – alle entlang des aufgeschütteten Stadtgrabens im Osten). Diese Entwicklung im Schulwesen fügt sich ein in ein insgesamt grundlegend gewandeltes Stadtbild. Nach dem großen Brand war Kronstadt ganz allmählich in bescheidenen Formen wiedererstanden. Am Ende des 19. Jahrhunderts aber sollte man die Stadt nicht wiedererkennen. Schon in der ersten Jahrhunderthälfte hatten die Kronstädter erkannt, dass die alten Stadttore nicht mehr den Zeiterfordernissen entsprachen und den stark zunehmenden Handelsverkehr behinderten. Als erstes wurde der komplizierte und noch auf die Verkehrsverhältnisse um 1400 eingestellte Stadtzugang von Westen her, und zwar auf Betreiben der Vorstädter rumänischen Kaufleute, dem modernen Straßenverlauf angepasst: Das Katharinentor wurde zugemauert, stattdessen entstanden zwei Durchbrüche in der alten Stadtmauer für neue klassizistische Tore vor dem Rossmarkt (1820) und vor der Waisenhausgasse (1828). Die große und im Verlaufe der Stadtgeschichte so wichtige Toranlage des Klostertores wurde 1836 abgetragen. Zwei Jahre später stand hier ein neues Tor mit zwei großen Bogendurchfahrten, errichtet nach dem Vorbild eines Wiener Burgtores. Einen schwerwiegenden Eingriff ins Stadtbild bedeutete die Abtragung des Purzengässer Tores 1857, war dessen hoher Turm doch einer der Orientierungspunkte in der Stadt. Zu diesem Zeitpunkt aber stellte sich die Frage neuer Stadt192 Kronstadt 1689–1918
Das neue Klostertor und die ersten Nachfolgebauten entlang der ehemaligen Stadtmauern und Zwinger vom Schlossberg aus gesehen; auf der Wiese im Vordergrund die während eines Markttages abgestellten Fuhrwerke der Marktbesucher (Aufnahme um 1867).
tore schon nicht mehr, spätestens die Revolutionskämpfe von 1848/49 hatten gezeigt, dass Stadtbefestigungen keine Sicherungsfunktion mehr besaßen. Als letztes der Stadttore blieb jenes vor der Schwarzgasse stehen, da dort der geringste Verkehr durchführte; als dieses kleinste Tor 1873 abgetragen wurde, konnten noch Fotoaufnahmen gemacht werden, die erst verdeutlichen, welche Ausmaße die anderen Tore gehabt haben müssen. 1895 wurde schließlich auch die Burggasse zur Blumenau hin geöffnet. Der größte Teil der Stadtmauern stand in der zweiten Jahrhunderthälfte noch, die Bürger hatten ihre Gärten bis zum inneren Mauerring erweitert und Lauben daran gebaut, und in den Zwingern hielten die Zünfte und Vereine ihre geselligen Zusammenkünfte ab. Doch werden ohne Frage die meisten Kronstädter der Fortschrittsgläubigkeit des Kronstädter Stadtarztes Eduard Gusbeth zugestimmt haben, der für die alten Bauwerke nicht das geringste Verständnis hatte und 1892 schrieb:
»Der wichtigste Fortschritt aber bestand in dem Niederreißen der alten Befestigungswerke zwischen Purzen-, Klostergasse und Graft sowie im Ausfüllen der alten Stadtgräben.« Und zu den Toren sagt er weiter: »Das letzte noch stehende, jetzt Waisenhausgässerthor genannt, wird hoffentlich das Ende dieses [19.] Jahrhunderts auch nicht mehr erleben.«41 Habsburgs langer Arm 193
So fielen bald weitere Teile der Stadtmauer, und zwar zur Altstadt und Blumenau hin vollständig, zur Oberen Vorstadt teilweise. Schließlich verschwand mit der Riemerbastei an der Graft 1887 eines der vier großen Eckbollwerke der Inneren Stadt. Nur die Befestigungen zu den Bergabhängen im Norden und Süden blieben erhalten, da sich die Stadt hier nicht weiter ausdehnen konnte. Das neue Klostertor musste aber 1891 der Trambahn weichen, jenes am Rossmarkt war bereits 1876 verschwunden – die Innere Stadt stand also nach allen Seiten hin der weiteren Entwicklung offen. Sowohl im privaten wie im öffentlichen Bereich fand im 19. Jahrhundert ein zunehmendes Wetteifern um neue Formen statt. Das erste zweistöckige Haus Kronstadts war 1786 auf der Kornzeile gebaut worden. Bei den weiteren Neubauten setzten sich klassizistische Formen jedoch nur zaghaft durch (etwa beim Hauptgebäude der Honterusschule 1834), ja, in Einzelfällen wurde noch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts auf barocke Gestaltung Wert gelegt. Mehrstöckige »Zinshäuser« mit aufwendig gestalteten Fassaden, manchmal anstelle mehrerer kleiner Häuser, sollten dem Bevölkerungswachstum Rechnung tragen. Bauherren waren nicht selten rumänische und griechische Kaufleute, die über das notwendige Kapital und ein starkes Repräsentationsbedürfnis verfügten, aber schon bald gefolgt von den »Palais« der ersten zu Reichtum gekommenen sächsischen und schließlich auch jüdischen Industriellen. Die meisten dieser heute die Hauptgassen der Inneren Stadt kennzeichnenden Bauten sind in einer Mischung mehrerlei Stilrichtungen, eben eklektizistisch errichtet worden. Als mit dem Jugendstil um und nach 1900 wieder klarer definierte Formen gefunden wurden, so fand sich dieser – mit einigen wenigen Ausnahmen an Bürgerhäusern – in zurückhaltender Ausführung vor allem an Gemeinschaftsbauten wieder (etwa dem neuen Hotel »Krone« in der Purzengasse 1910, dem »Burzenländer Hof« in der Klostergasse 1911 oder der neuen Honterusschule 1913). In der Zwischenzeit hatte sich auch die ungarische Komitatsadministration auf dem Platz vor der Purzengasse ein neues Zentrum geschaffen: 1898 war das Finanzpalais entstanden (heute Rathaus), 1900 gefolgt vom monumentalen Justizpalast und vom Postpalais. Nur die Zeit um 1400, als zeitgleich an den Stadtbefestigungen und an der Marienkirche gebaut wurde, dürfte noch eine ähnlich geschäftige Bautätigkeit hervorgebracht haben. Auch die Stadt selbst hatte ein neues, zweckmäßigeres Magistratsgebäude errichten lassen, so dass die gesamte Stadtverwaltung 1878 in die untere Purzengasse umzog und nur 194 Kronstadt 1689–1918
mehr das Stadtarchiv im alten Rathaus auf dem Marktplatz verblieb. Die Leitung der Stadt, seit 1876 unter Bürgermeistern, sollte noch lange Zeit in sächsischer Hand bleiben. Die Administration als solche aber war durchweg dreisprachig. Der langjährige (1911–1926) Kronstädter Bürgermeister Karl Ernst Schnell schrieb über diesen Pragmatismus, der im übrigen dem sonst kaum je angewandten ungarischen Nationalitätengesetz entsprach:
»In den Sitzungen des Gemeinderates konnte jedermann in seiner Muttersprache sprechen, vorausgesetzt, dass es eine der drei Landessprachen war. Die Sachsen sprachen deutsch, die Rumänen rumänisch, die Magyaren magyarisch, obgleich die Amtssprache der Stadt im Sinne des Gesetzes die deutsche war. Jede Eingabe, die bei dem Stadtmagistrat einlangte, wurde in der Sprache der Eingabe erledigt. (…) Es konnte niemand zum Beamten der Stadt gewählt werden, der nicht die Kenntnis der drei Landessprachen nachzuweisen in der Lage war. Die Verhandlungsberichte über die Sitzungen des Gemeinderates wurden in drei Sprachen geführt.«42
Seinen äußeren Ausdruck fand diese Dreisprachigkeit unter anderem in den Schildern, die jedes Haus nach Einführung der Nummerierung nach Straßen 1887 erhielt: Unterhalb der Hausnummer waren hier die Namen der Gassen und Plätze auf deutsch, ungarisch und rumänisch eingeprägt. Nur wenige dieser Schilder haben sich bis heute erhalten. Gleichzeitig mit der Einführung der neuen Hausnummern – vorher bestand seit 1777 eine Durchnummerierung sämtlicher Häuser der Stadt, was mit den zahlreichen Neubauten nicht mehr handhabbar war – erfolgte auch eine Reform der Gassennamen: Manch alte Bezeichnung, deren Entstehungszusammenhang nicht mehr erkennbar war, musste neuen Bezeichnungen weichen. Dabei wurde – einer Zeitmode folgend, aber doch zurückhaltend – auch historischer Persönlichkeiten gedacht. Es verschwanden unter anderem Namen, die auf die vorreformatorische Zeit verwiesen, etwa Heiligleichnamsgasse (jetzt Waisenhausgasse), Katharinenhof (jetzt Breiter Bach), Nonnengasse (jetzt MichaelWeiss-Gasse) oder Fischmarkt (jetzt Hirschergasse in Erinnerung an die Erbauerin des Kaufhauses Apollonia Hirscher). Der Kirchhof wurde zum Honterushof. Bei der Wahl der zu ehrenden Persönlichkeiten hatte man eine glückliche Hand, und – erstaunlich genug, wenn man andere Städte jener Zeit betrachtet – die Stadtführung konnte tatsächlich verhindern, auch nur einen nationalungarischen Namen berücksichtigen Habsburgs langer Arm 195
zu müssen. Mit dem Rudolfsring für die Promenade anstelle des alten Stadtgrabens wurde aber der hoffnungsvoll erwartete, ausgleichende Thronfolger geehrt. Eines der 1887 eingeführten dreisprachigen Hausnummern schilder.
Damit ist zugleich die neue Tendenz angesprochen, mit Namen Orte des Gruppenbewusstsein, sozusagen kollektive »Erinnerungsorte« zu schaffen. Die Rumänen hatten dies mit der Bennenung ihrer stolzen neuen Schule nach dem bedeutenden orthodoxen Metropoliten Siebenbürgens Andrei Schaguna 1865 getan. Die Sachsen hatten bereits in den 1840er Jahren begonnen, Honterus als Leuchtgestalt ins Bewusstsein zurückzurufen: Mit der 300-Jahr-Feier des Gymnasiums 1843 wurde die rasch etablierte Tradition eines jährlichen »Honterusfestes« als Schuljahresabschlussfeier begründet. Es folgte bald die Anbringung einer Tafel an seinem Geburtshaus in der Schwarzgasse, und bereits in den 1880er Jahren setzten die Planungen zur Feier seines 400. Geburtstages ein. Sie kulminierten in den 1898 in Kronstadt abgehaltenen siebenbürgischsächsischen Vereinstagen und der feierlichen Enthüllung des bronzenen Honterusdenkmals auf dem Honterushof – des ersten und einzigen sächsischen Denkmals dieser Art in Kronstadt. Man ließ es vom bekannten Berliner Künstler Harro Magnussen fertigen, der bereits viele monumentale Standbilder hergestellt hatte. Kurz nach der Jahrhundertwende sollte auch das Gymnasium den Namen »Honterusschule« annehmen, später folgte die evangelische Stadtpfarrgemeinde als »Honterusgemeinde« – alles Begriffe, die bis ins 21. Jahrhundert als Institutionen weiterbestehen. 196 Kronstadt 1689–1918
Mit einem überdimensionalen Denkmal des landnehmenden ma gyarischen Fürsten Árpád hatte sich die Staatsnation anlässlich der Tausendjahrfeierlichkeiten Ungarns 1896 auf der höchsten Spitze der Zinne bereits ein Identifikationssymbol geschaffen – allerdings mit gesamtstaatlich-ideologischem Hintergrund ohne regionale Bezüge. Das Árpád-Denkmal wurde genau an jenem Platz aufgestellt, wo nach der Revolution eine Pyramide zum Gedenken an den Sieg über die ungarische Revolution aufgestellt worden war – ein Hassobjekt für die Ungarn, das 1861 durch einen Blitzeinschlag zerstört worden war. Die weithin sichtbare neue Stele, bewusst im äußersten Südosten des Stephansreiches platziert – insgesamt wurden sieben Denkmäler dieser Art überwiegend an der Peripherie errichtet –, stellte vor allem für die Rumänen Kronstadts, teils aber auch für die Sachsen eine besondere Provokation dar. Kronstadt sollte dadurch endlich zur ungarischen Stadt werden. »Die Errichtung dieses Árpáddenkmals in Kronstadt ist ein Nonsens, eine historische Lüge, eine beabsichtigte Beleidigung des herrschenden deutschen Elements im Burzenland« schrieb die Kronstädter Zeitung kurz vor der Enthüllung. Und von rumänischer Seite hieß es im Nachgang:
»Das Gesicht Kronstadts veränderte sich während nur eines Tages, es wurde magyarisch. Aus einer ruhigen deutsch-rumänischen Stadt wurde ein magyarisches Nest, durch eine mongolische Figur, die auf der Spitze der Zinne stand und die nie nach Kronstadt kam.«43
Nach wiederholten Verunstaltungen wurde der Sockel des Denkmals bei einem Sprengstoffanschlag 1913 so stark zerstört, dass es bei einem bald folgenden Sturm zerbarst. Vor Ausbruch des Krieges kam es nicht zu einer Wiederherstellung. Die Wahl Kronstadts als Standort des Árpád-Denkmals verrät zugleich, dass Kronstadt ins äußerste Abseits des Reiches gerückt war, weitestmöglich von der Hauptstadt Budapest entfernt. Außer der Aufgabe, auch hier hartnäckig den Anspruch des ungarischen Primats zu behaupten, gab es keine wirkliche Vision für diesen in den Karpaten halbversteckten Ort. Nach dem Zollkrieg Österreich-Ungarns mit Rumänien 1886–1891, der nicht nur das sächsische Handerk bis ins Mark traf, sondern auch die rumänischen Kaufleute einen großen Teil ihres Kapitals verlieren ließ, hatten sich die Wirtschaftsbeziehungen mit dem jungen Königreich Rumänien wieder normalisiert. Vor allem die IndusHabsburgs langer Arm 197
triebetriebe, die Fabriken, die inzwischen aus der Inneren Stadt in die Blumenau, in die Dirste und Noa gegen die Siebendörfer zu, zum kleineren Teil in die Altstadt und in die Biengärten gezogen waren, sollten künftig der Motor der Stadt sein. Auf staatliche Förderungen war dabei nicht zu setzen, trotz einer inzwischen relativen Mehrheit der Ungarn war die Stadt doch nicht ungarisch genug. Trotzdem blieb Kronstadt der größte Industriestandort Siebenbürgens, unter anderem mit der Folge, dass sich hier recht früh eine Arbeiterschicht bildete. Schon 1890 enstand hier ein sozialistischer Arbeiterklub, sieben Jahre später gefolgt von einer sozialdemokratischen Partei. Als sich am 1. Mai 1903 Tausende Arbeiter auf dem Anger zu einer Kundgebung versammelten und eine rote Fahne hissten, schritt die Polizei ein und zertreute die Demonstranten gewaltsam. Noch gab es wenig Verständnis für diese neue soziale Gruppe, in der alle Sprachen und Konfessionen vertreten waren. Sie forderten unter anderem das allgemeine Wahlrecht – der Wahlzensus orientierte sich in Ungarn an Steuerleistung und Bildungsstand – und vermochten 1907 durch einen Generalstreik alle Kronstädter Fabriken und Betriebe stillzulegen. Durch Zuwanderung vom Lande wie auch aus den Ende des 19. Jahrhunderts verarmenden Kleinstädten gab es in der Arbeiterschaft einen durchaus beachtlichen sächsischen Anteil; so kamen die einzigen sächsischen Sozialdemokraten des Schässburger »Sachsentages« von 1919 aus Kronstadt. Die große Dynamik in der Bevölkerungsentwicklung spiegelte sich auch in der teilweisen Auflösung der überkommenen sozialen und sprachlichen Strukturen der Stadt. Auch wenn die Innere Stadt und die Altstadt noch bis zum Ende der Zwischenkriegszeit überwiegend deutsch und die Obere Vorstadt rumänisch bewohnt sein sollten, so lockerten sich die Bezüge doch zusehends. Die wohlhabenden Bürger bauten sich ihre Villen nun auf der Postwiese, am Schlossberg, am Schneckenberg oder andernorts in den Vorstädten. In den neuen Arbeitersiedlungen siedelten alle Sprachgruppen durcheinander. Für einen sichtbaren Wandel, für das Verlassen der Hinterhöfe steht die 1895/96 an der vorderen Hausfront angebrachte byzantinische Kirchenfassade mit Kuppel der orthodoxen Kirche auf der Kornzeile. Auch die reformierten Ungarn wurden nach mehr als zweihundertjährigem Anlauf im Stadtbild sichtbar: Anstelle alter Zwinger und unweit der erst 1886 abgetragenen Goldschmiedbastei entstand 1891 eine hübsche historistische Kirche, die von den auf den alten Stadtwällen eingerichteten Promenaden weithin sichtbar war. Selbst die griechisch-katholischen 198 Kronstadt 1689–1918
Rumänen nahmen durch die Zuwanderung so weit zu, dass sie um die Jahrhundertwende eine eigene Gemeinde bilden konnten; ihre eigene, im neobyzantinischen Stil neben dem innerstädtischen evangelischen Friedhof errichtete Kirche wurde jedoch erst 1937 fertiggestellt. Selbst die Unitarier konnten 1910 eine eigene Gemeinde bilden; ihre Kirche im Bauhaus-Stil in der Galgweihergasse entstand etwa 1936. Dieser konfessionelle Ausdifferenzierungsprozess wurde jedoch auch von Abspaltungen begleitet. Und zwar glückte der Bartholomäer evangelischen Filialgemeinde 1862 nach längerem Bemühen die Loslösung von der Stadtgemeinde, der sie seit Menschengedenken angehört hatte; sie bildete nun auch innerhalb des Kapitels (bzw. nun Bezirks) eine selbständige Gemeinde, womit dem ausgeprägten Eigenbewusstsein der Bewohner dieses Stadtteils, der ja stets im Schatten der Inneren Stadt stand, Rechnung getragen wurde. Der Begriff »Mexikaner«, den die anderen Kronstädter zunächst wohl eher spöttisch für die Bartholomäer Sachsen aufbrachten und der sich auf lange Sicht halten sollte, ist wohl eine Anspielung auf den zeitgleich ablaufenden Reformkrieg in Mexiko, in dem es um die letztlich erfolgreiche Zurückdrängung des Kircheneinflusses ging. Doch es sollte noch mehr Abspaltungen geben: Während die ungarische evangelische Gemeinde noch 1876 erklärte, keine Veranlassung für eine Trennung von der Stadtgemeinde zu sehen, hatte sich die Position bis 1883 deutlich gewandelt, sicher auch durch den starken nationalungarischen Druck. 1886 wurde sie genauso wie zehn weitere Gemeinden der Burzenländer ungarischen Lutheraner ausgegliedert und gehörte künftig dem ungarischen lutherischen Kirchenverband an.
Der Krieg und die »Rumänenzeit« Als im Sommer 1914 der große Krieg ausbrach, war Kronstadt eine moderne Stadt geworden. Nicht nur die zahlreichen Bauten, von denen die Rede war, sondern auch die gesamte Infrastruktur der Stadt war erneuert worden. Die letzten offenen Kanäle waren in der Inneren Stadt 1896 abgedeckt worden. Die Wasserversorgung, die während des 19. Jahrhunderts über ein ausgeklügeltes System mit Holzröhren aus Obervorstädter Quellen erfolgt war, wurde vollständig umgestellt und für die aus dem Burggrund jenseits der Zinne gelegten Leitungen 1895 ein großes Wasserreservoir auf der Burgpromenade am Fuße der Zinne errichHabsburgs langer Arm 199
tet. Die Kanalisation für die Abwässer wurde 1907/08 geschaffen. Zahlreiche Gassen und vor allem die freien Plätze vor den früheren Stadtbefestigungen konnten nun reguliert, die Straßen gepflastert werden. Der Müll, der noch bis vor kurzem in die Kanäle in den Gassen gekippt worden war, wurde nun einmal wöchentlich abgeholt. Dank des in den 1860er Jahren von einer englischen Firma vor der Schwarzgasse errichteten Gaswerkes konnten die Gassen abends gut beleuchtet werden; der elektrische Strom wurde in Kronstadt hingegen erst recht spät, während der Zwischenkriegszeit, eingeführt. So verkehrte auch die Trambahn zwischen Marktplatz, Altstadt und den Siebendörfern seit 1892 als Dampfbahn. Der Krieg war von Anbeginn in der Stadt präsent. Schon in den ersten Kriegswochen fielen eingerückte Kronstädter an verschiedensten Fronten. Jede Euphorie, wenn sie denn überhaupt vorhanden war, verflog beim Verlust des Ehemanns, des Vaters oder des Sohnes. Viele der Obervorstädter Rumänen hatten – tendentiell anders als viele Rumänen Siebenbürgens – von Anbeginn einen Loyalitätskonflikt, nicht wenige entzogen sich der Einberufung durch Flucht über die Karpaten. Was bei diesen Erwartung war, das war bei Sachsen und Ungarn Befürchtung und dauernde Unsicherheit: Zwar hatte das Königreich Rumänien, auch aufgrund alter Bündnisse, unter König Carol I. zu Kriegsbeginn seine Neutralität erklärt, doch traute man dem Frieden in der unmittelbaren Nachbarschaft nicht. Sein Nachfolger Ferdinand sollte sich von den Alliierten dann auch tatsächlich bald locken lassen: Gegen die Zusage hoher Territorialgewinne erklärte Rumänien am 27. August 1916 Österreich-Ungarn den Krieg. Die Karpatenpässe und die Gebirgsgrenzen waren militärisch praktisch nicht gesichert, niemand war auf diesen Fall vorbereitet. Im Burzenland lag lediglich ein Infanterieregiment. Dieses hielt die mit stärkeren Kräften rechnenden und daher nur vorsichtig im Tömöschpass vorrückenden rumänischen Truppen bis zum Folgetag erfolgreich zurück. Währenddessen entstand in der Stadt hektische Unruhe. Aus dem überraschten Budapest war die Weisung gekommen, dass alle Ungarn und Deutschen, vor allem aber die waffenfähigen Männer die Stadt verlassen sollten. Die Rumänen wurden nicht zum Abzug aufgefordert. Es folgte nun eine organisatorische Meisterleistung: Binnen weniger als 48 Stunden verließen rund vier Fünftel der deutschen und ungarischen Bewohner Kronstadts die Stadt, zudem die Behörden, die Bankinstitute, Firmenleitungen, Redaktionen – zusammen rund 20.000 Personen. In 200 Kronstadt 1689–1918
Sonderzügen, auf Fuhrwerken und zu Fuß strebten die Kronstädter und Burzenländer ins Landesinnere. Bürgermeister Schnell, der die Evakuierung der ganzen Stadtverwaltung organisiert und die Obsorge für manche städtische Einrichtung rumänischen Mitbürgern übergeben hatte, hielt in seinen Erinnerungen über die Abfahrt aus Kronstadt fest:
»Den Schmerz, der damals mein Herz durchwühlte, kann ich gar nicht beschreiben. Seine Vaterstadt auf der Flucht vor dem Feinde verlassen zu müssen, ist ein hartes Los. Wir fuhren hinaus in eine ganz ungewisse Zukunft mit dem bangen Gefühl, als hätten wir den Boden unter den Füßen, als hätten wir jeden Halt verloren. Die Heimat, in der wir uns, eingeordnet in die sicheren Verhältnisse, so wohl gefühlt hatten, die Heimat, in der wir noch unsere Kinder und Kindeskinder geborgen geglaubt hatten, sie war nun verloren, vielleicht für immer.«44
Der Großteil der Kronstädter sammelte sich in Budapest. Dort richtete der Stadtmagistrat eine Kanzlei ein und nahm sein Wirken für die Geflüchteten auf, vermittelte Arbeit, gewährte Unterstützungen, brachte Angehörige zusammen. Die Kronstädter Allgemeine Sparkasse kam in Raab provisorisch unter. Währenddessen besetzten rumänische Truppen am 29. August Kronstadt. Statt der verbliebenen Stadtleitung wurde umgehend ein Kronstädter rumänischer Arzt als Bürgermeister eingesetzt. Die in der Stadt verbliebene deutsche und ungarische Bevölkerung, die sich schnell rumänische Trikolore zur Beflaggung hatte fertigen lassen, musste dem rumänischen Militärkommando Geiseln stellen; dieses wollte sich dadurch den Rücken freihalten, da die Besetzung Siebenbürgens fortschritt. Zu den Geiseln gehörte neben anderen sächsischen Pfarrern und Lehrern auch der evangelische Stadtpfarrer Franz Herfurth, der überdies Mitte September noch nach Bukarest verbracht wurde. Kronstadt wurde als dem Königreich Rumänien einverleibt erklärt. Die neuen Besatzer regelten den Alltag streng, führten Ausgangssperren und Zensur ein, versuchten aber, die Ordnung sicherzustellen und Plünderungen der leerstehenden Objekte möglichst zu vermeiden. Am 13. September gelang es dem rumänischen Militär nach mehreren Versuchen, das Árpád-Denkmal auf der Zinne zu sprengen. Als einzige Zeitung erschien die »Gazeta de Transilvania«. Schon ab Mitte September setzten Gegenoffensiven reichsdeutscher und österreichisch-ungarischer Verbände gegen die rumänischen Besatzer ein, von südlich der Donau her zusätzlich von bulgarischen, Habsburgs langer Arm 201
türkischen und weiteren deutschen Einheiten verstärkt. Während Hermannstadt bereits in den Tagen nach dem 26. September durch eine große Schlacht vor der drohenden Besetzung bewahrt wurde, wurden zwei Tage später von Flugzeugen über Kronstadt Flugblätter abgeworfen, die die bevorstehende Rückeroberung ankündigten. Ab dem 5. Oktober hörte man in Kronstadt Geschützfeuer aus Richtung Zeiden. Die rumänische Fahne von der Zinnenspitze verschwand und man bemerkte Fluchtvorbereitungen der Rumänen. Am 8. Oktober kam es schließlich bei Bartholomä, dann sich allmählich in die Stadt hinein fortsetzend zu heftigen, teils verlustreichen Gefechten zwischen rumänischen Truppen und ungarischer Landwehr. Am späten Nachmittag waren die rumänischen Soldaten in die Flucht geschlagen, die österreichisch-ungarischen und deutschen Truppen unter General Erich von Falkenhayn marschierten in die Stadt ein. Die rund fünf Wochen rumänischer Herrschaft waren beendet, Kronstadt war wieder Teil Ungarns. Die Evakuierten, die ihre Kinder an den Fluchtorten teils hatten zur Schule gehen lassen, kehrten ganz allmählich aus den Städten im Inneren des Landes zurück. Nicht wenige fanden ihre Wohnungen, Häuser und Höfe ausgeplündert vor, auch große Mengen an Rohstoffen und selbst Maschinen aus Fabriken waren verschwunden. Das Verhältnis zwischen den Völkerschaften, durch die Magyarisierungspolitik ohnehin schon sehr belastet, verschlechterte sich durch diese Vorfälle weiter. Nach ihrer Rückkehr nahmen Bürgermeister und Stadtbeamte ihre alten Stellen wieder ein, die Budapester Kanzlei aber arbeitete noch bis Anfang Dezember weiter. Jene aber, die Ende Dezember 1916 noch in Budapest waren, erlebten dort die Krönungsfeierlichkeiten für König Karl IV. mit. Der greise Kaiser und König Franz Joseph war Ende November nach einer fast sieben Jahrzehnte währenden glücklosen Herrschaft gestorben. Doch auch sein Großneffe und Nachfolger vermochte es nicht, baldigen Frieden zu schaffen. Als der deutsche Kaiser Wilhelm II. im Herbst 1917 die von deutschen Truppen besetzte Walachei besuchte und auf der Rückreise am 24. September Kronstadt und die Schwarze Kirche zu einer vielbeachteten Stippvisite aufsuchte, war noch kein Kriegsende abzusehen. Kronstadt war von Mangelwirtschaft und unzulänglicher Versorgung nachhaltig gezeichnet, wie überall im Lande machte sich Verzweiflung breit. Noch im August 1918 leistete Kronstadt, nachdem schon alle Kirchen mehrere Glocken hatten abgeben müssen, mit zinnernen Prospektpfeifen aus der Obervorstädter 202 Kronstadt 1689–1918
evangelischen Kirche einen Beitrag für die Fortführung der Kämpfe. Doch diese waren schon verloren. Die Verfügung aus Budapest, eine neuerliche Evakuierung vorzubereiten, kam zu einem Zeitpunkt, als für die Kronstädter bereits klar war, dass sich die politischen Rahmenbedingungen in Kürze grundlegend wandeln mussten. Die Stadtführung bereitete die Räumung zwar weisungsgemäß vor, hätte ihr aber selber nicht Folge geleistet. Dazu sollte es auch nicht mehr kommen. Auch die in anderen Städten der zerfallenden Monarchie üblichen schlimmen Randale, Plünderungen und Schießereien der von der Front zurückkehrenden Truppen wusste ein kluger Bürgermeister zu vermeiden, er mag wohl die Chroniken der Frühen Neuzeit gelesen haben: Als die Züge mit den ausgehungerten Soldaten im Bahnhof einfuhren, wurden diese sofort der langen Tafeln mit frischem Brot und Fleischkonserven ansichtig. Sie stürzten sich aufs Essen und ließen sich bei dieser Gelegenheit fast ausnahmslos entwaffnen – alles ging glimpflich ab. Im Laufe des Jahres 1918 hatten die Völker der beiden Reichshälften begonnen, allmählich auseinanderzudriften. Auch das Völkermanifest Kaiser und König Karls vom 16. Oktober, das auf einen Bund selbständiger Nationalstaaten zielte, konnte nichts mehr ausrichten. Abspaltungen und Revolutionen ließen das Reich zerfallen. Am 11. November verzichtete Karl als österreichischer Kaiser und am 13. November auch als ungarischer König auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften. Das Haus Habsburg hatte endgültig ausgedient.
Habsburgs langer Arm 203
Im geographischen Zentrum: Kronstadt in Rumänien (seit 1918) Als am 7. Dezember 1918 die königlich-rumänischen Truppen in Kronstadt einmarschierten, hieß sie Bürgermeister Karl Ernst Schnell auf dem Marktplatz willkommen – auf Deutsch, der Amtssprache der Stadt. Eine Woche vorher hatten Rumänen aus allen Teilen des östlichen Ungarn in einer großen Versammlung in Karlsburg den Anschluss Siebenbürgens, des Banats und weiterer Komitate an das Königreich Rumänien beschlossen. Damit verbunden war ein politisches Programm, das auch weitreichende Zusagen für die nicht-rumänischen Nationalitäten enthielt. Kurz danach begann der Einmarsch aus dem rumänischen Altreich in Siebenbürgen – es sollten Fakten geschaffen werden, denn die Alliierten hatten noch nicht zugestimmt und die Friedenskonferenz in Paris hatte noch nicht begonnen. Die Deutschen Siebenbürgens hatten bereits im November erkannt, dass es auf einen Anschluss an Rumänien hinauslaufen würde, und für Kronstadt war klar, dass es wohl als erste Stadt rumänische Truppen begrüßen würde. Für die Ungarn lag dieses Szenario meist außerhalb der eigenen Vorstellungskraft. So fügte es sich wohl gut, dass die Stadtleitung im Wesentlichen in deutschen Händen lag. Die Deutschen der Stadt nahmen ihr Schicksal bewusst und offen an. Schon jetzt zeichneten sich neben dem ersehnten Frieden auch vielerlei Chancen ab. Die Rumänen der Stadt jubelten. Als die Reiter der »Junii« – in einem alten Osterbrauch der Obervorstädter Rumänen, der in einem Ritt vors Katharinentor kulminierte – im kommenden Jahr wieder unterwegs waren, ritten sie erstmals weiter, in die Innere Stadt und drei Mal ums Rathaus. Seit Menschengedenken hieß es, dass die Stadt dann ihnen gehöre, wenn ihnen dies gelingen würde. Noch am 7. Dezember 1918 beanspruchte eine rumänische Abordnung im Bürgermeisteramt künftig eine Beteiligung an der Stadtverwaltung. Die Stadtführung ging darauf bereitwillig ein. Der Bürgermeister verwies darauf, dass diese Möglichkeit den rumänischen Mitbürgern schon lange offengestanden habe, jedoch nur selten Interesse daran gezeigt worden sei. Nach wenigen Wochen war jener Kronstädter Arzt, Gheorghe Baiulescu, der in den Wochen der rumänischen Besetzung 1916 zum Bürgermeister eingesetzt worden war, zum Präfekten des Komitates – also zum Vertreter der Regierung auf Kreisebene – ernannt worden. Bei diesem erfolgte nun die Vereidigung des Magistrates auf den König und die Verfassung Rumäniens. Der Wandel hatte somit in 204 Kronstadt seit 1918
Die Obervorstädter rumänischen Reiter (»Junii«), hier noch in ihrer alten Tracht (Aufnahme zweite Hälfte 19. Jahrhundert).
Kronstadt vollkommen friedlich und geordnet, zunächst ohne irgendwelche Umbrüche stattgefunden. Diese sollten sich erst sehr allmählich einstellen, als die Positionen der Bukarester Politiker immer dominanter werden und die Zusagen der Karlsburger Beschlüsse von 1918 immer mehr in den Hintergrund geraten sollten. Trotz allen Wandels blieb die Törzburg, für die die Kronstädter zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert so hart gestritten hatten, im Besitz der Stadt. Seit dem russisch-rumänisch-türkischen Krieg 1877/78, als sie noch einmal in die Abwehrplanung einbezogen wurde und dabei unter anderem alle Dächer abgetragen wurden, hatte sie ihre militärische Bedeutung vollständig eingebüßt. Mit der Einrichtung der Bahnlinie durch den Predealpass nach Bukarest 1879 spielte auch der Törzburger Pass keine Rolle mehr. Die Burg war inzwischen eine Belastung für die Stadt, so dass sich die Stadtvertretung nach der Thronbesteigung König Karls 1916 überlegt hatte, diesem die Törzburg als Geschenk darzubringen. Es kam im Mai 1918 in Budapest auch tatsächlich zur Überreichung der prachtvollen Schenkungsurkunde an den Landesherrn, die Inbesitznahme und Grundbuchübertragung sollte jedoch nach dem Krieg erfolgen. Doch dann verlor der König seinen Thron, und das Reich ging unter. Kronstadt blieb gewissermaßen auf seiner Törzburg sitzen. Bald tat sich jedoch eine noch bessere Lösung auf. Nachdem alle Friedensabkommen geschlossen und Siebenbürgen auch völkerrechtlich Teil Rumäniens war, beschloss der Kronstädter Magistrat am 1. Dezember Im geographischen Zentrum von Rumänien 205
1920 – nicht ohne Hintersinn am zweiten Jahrestag der Karlsburger Versammlung –, die Törzburg Königin Maria von Rumänien zu schenken. Eine neue Urkunde wurde kunstvoll gestaltet und im Juni 1921 in Bukarest feierlich überreicht. Königin Maria, eine englische Prinzessin, nahm dieses Geschenk dankbar an, bot sich ihr doch dadurch die Möglichkeit, sich nicht zu weit entfernt von der Residenzstadt ein Refugium zu schaffen. Sie ließ die Törzburg herrichten, teilweise historistisch umgestalten und einrichten. Sie wurde ein beliebter Aufenthaltsort der königlichen Familie in den Sommermonaten – und Kronstadt hatte bei Hofe auf lange Sicht ein Stein im Brett. Über die Urkundenüberreichung in Bukarest 1921 schreibt Karl Ernst Schnell unter anderem:
»Auf die scherzhafte Bemerkung des Königs, ob sie, die Königin, die Einwilligung zur Annahme der Schenkung von ihrem Manne erhalten habe, da doch die rumänischen Gesetze die Frau Eigentum an unbeweglichem Vermögen nur mit Einwilligung des Ehegatten erwerben könne, antwortete sie schlagfertig, daß die Törzburg in Siebenbürgen liege und dass nach dem dort auch heute geltenden Gesetz eine solche Einwilligung nicht nötig sei.«45
Diese Marginalie verweist auf ein grundlegendes Problem der neuen Zeit: Die vollkommene Unterschiedlichkeit der Verhältnisse diesseits und jenseits der Karpaten. Die Abweichungen im Rechtsbereich, in der politischen Kultur, im Sozialen, im Kulturleben ließen sich nicht ohne weiteres überbrücken. Da aller Einfluss recht bald an die Politiker des rumänischen Altreiches überging, die für die neuen Provinzen des vom Umfang her verdoppelten Großrumänien kein Verständnis hatten, waren vielfältige Konflikte unausweichlich. Auf die anfängliche hoffnungsvolle Erwartung folgten bei den Deutschen bald Enttäuschung und Frustration, aber auch bei nicht wenigen Rumänen. Als anschauliches Beispiel sei das Vorgehen der Bukarester Zentralbehörden bei der Bürgermeisterwahl 1926 angeführt. Schnell hatte im Vorfeld nach fünfzehnjähriger Amtszeit um seine Pensionierung angesucht. Nachdem der Bukarester Regierung die drei möglichen Bürgermeisterkandidaten nicht passten, erklärte sie kurzerhand die Konstituierung des Gemeinderates und die Kandidaturen für ungültig, es musste ein ganz neuer Vorschlag erfolgen. Das Amt des Bürgermeisters sollte sich künftig ähnlich den Verhältnissen in Altrumänien entwickeln. Während bis dahin Wert auf Kontinuität und als Folge auch Solidität gelegt wurde, gab es 206 Kronstadt seit 1918
nun fliegende Wechsel in der Stadtführung: Bis 1938 sollte es dreizehn Änderungen in diesem wichtigen Amt geben. Die Rumänisierung der Verwaltung – nach dem Bürgermeisterwechsel wurde auch die Amtssprache der Stadt ausschließlich Rumänisch – und des öffentlichen Lebens schritt nun rasch voran. Die Bukarester Gesetzgebung schränkte die Selbstständigkeit der Städte immer mehr ein und machte sie zu Ausführungsorganen zentraler Weisungen, so dass die lokale Eigenentwicklung stetig abnahm. Politisches Geschehen hatte nun keine Namen mehr, es wurde inhaltlich und regional zunehmend austauschbar. Rumänische Beschilderungen wurden, auch als Reaktion auf die Unduldsamkeit der vormaligen ungarischen Politik, gleich ab 1919 eingeführt. Allerdings vermochte der noch sächsisch dominierte Stadtmagistrat eine radikale Umbenennung der Straßen zu verhindern, so dass zwar allmählich die Hauptgassen und Plätze nach Angehörigen des Königshauses oder Ereignissen benannt wurden, die historischen Benennungen aber, die es ja auch auf Rumänisch schon lange gab, überwiegend erhalten blieben. Im Alltag zumindest der Deutschen blieben allerdings die überkommenen Namen in Gebrauch, gleichgültig, was an den Häusern stand – ein Pragmatismus, der sich angesichts der im 20. Jahrhundert folgenden häufigen Namenswechsel als sinnvoll erweisen sollte. Für die Wirtschaft waren die neuen Rahmenbedingungen hingegen vom Grundsatz her ideal: Kronstadt lag nun ziemlich genau im geographischen Zentrum des Landes, verfügte über gut ausgebaute Industrien sowohl für alle Bereiche des täglichen Bedarfs wie auch als Zulieferer für andere Betriebe. Etliche Kronstädter Firmen, die bereits um die Jahrhundertwende unmittelbar jenseits der Grenzen auf rumänischer Seite aufgebaut worden waren, lagen nun im nahen Inland. Die Märkte in der Walachei, der Moldau und in Bessarabien waren ohne Hindernisse zugänglich, mussten aber die Verluste durch die Einschränkung des Auslandsgeschäfts ausgleichen. Zu den ganz überwiegend in sächsischer Hand befindlichen Betrieben kamen wichtige Neugründungen hinzu – etwa Werke für Flugzeug- und Lokomotivenbau –, wobei das Kapital aus der Walachei dominierte. Im Verlaufe der 1930er Jahre überflügelten die rumänischen Unternehmen Kronstadts quantitativ allmählich die sächsischen. Letztere waren die treibenden Kräfte bei der Schaffung von Interessenverbänden wie dem »Bund der Siebenbürgischen Indus triellen« oder dem »Verband deutscher Handelsgremien Siebenbürgens«. Bis zu einem gewissen Grade konnten diese Verbände auch der Rumänisierungspolitik der Bukarester Regierung entgegenwirken, die Im geographischen Zentrum von Rumänien 207
eine gezielte Zurückdrängung der Minderheiten und eine Stärkung des rumänischen Elements zum Ziel hatte. Während der Zwischenkriegszeit wurde wegen der zentralen Lage der Stadt auch immer wieder die Idee öffentlich diskutiert, die Hauptstadt Rumäniens nach Kronstadt zu verlegen – es blieb allerdings bei einer kontroversen Diskussion. Als eine Folge dieser Wirtschaftsexpansion ließ sich – mit 59.232 – bereits 1930 eine Zunahme der Bewohnerschaft um beinahe 50% gegenüber 1910 beobachten. Dabei nahmen alle Sprachgruppen an Zahl deutlich zu, verhältnismäßig am stärksten die Rumänen (19.372). Die Ungarn stellten jedoch nach wie vor die relative Mehrheit (23.269), es erfolgte also auch nach 1918 ungarischer Zuzug in die Stadt. Die Zahl der Juden war auf 2.267 angestiegen. Auch die Zahl der Deutschen war gestiegen (13.014), doch waren sie bereits deutlich hinter die anderen Sprachgruppen zurückgefallen. Noch deutlicher werden Bevölkerungsexplosion und Verschiebung der Sprachanteile bei einem Vergleich mit 1941: Die Einwohnerzahl stieg auf 84.557, hatte sich also gegenüber 1910 mehr als verdoppelt. Dabei lag der rumänische Anteil bei 49.463, was einem Zuwachs von rund 150% in gut zehn Jahren entspricht; die Rumänen müssen somit etwa um 1938 die absolute Bevölkerungsmehrheit in der Stadt errungen haben. Die Ungarn fielen auf 15.114 stark zurück, während lediglich bei den Deutschen ein relativ konstanter Zuwachs auf jetzt 16.210 verzeichnet werden konnte. Der Zuzug erfolgte in der Zwischenkriegszeit zunächst vor allem aus den Orten des Burzenlandes und aus dessen näherer Nachbarschaft, im Falle der Deutschen auch aus der Bistritzer Gegend. Allmählich sollte jedoch auch die Zuwanderung aus dem Rest Siebenbürgens und zu geringeren Anteilen aus dem rumänischen Altreich zunehmen. Besondere Präferenzen einzelner Sprachgruppen waren bei der Ansiedlung nicht mehr auszumachen. Neue Wohnviertel – meist kleinere und mittelgroße Mietshäuser sowie Einfamilienhaussiedlungen – entstanden vor allem in der Blumenau, im Umfeld der Industriegebiete Richtung Siebendörfer oder jenseits der Bahnlinie in der Altstadt, bald auch im Burggrund.
Kronstadt als ein Zentrum sächsischer Politik Stadtgeschichtliche Charakteristika lassen sich nun, nachdem auch Stadtpolitik zunehmend zentral ferngesteuert wurde, vor allem an den Entwicklungen der Minderheitengruppen ausmachen. Denn erst jetzt 208 Kronstadt seit 1918
begannen sich auch die Deutschen Kronstadts tatsächlich als Minderheit zu fühlen; bis dahin hatte ihr politischer und wirtschaftlicher Einfluss den anteilmäßigen Rückgang an der Stadtbevölkerung weitgehend ausgeglichen, ein echtes Minoritätenbewusstsein kam nicht auf. Dabei entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass sich Kronstadt ausgerechnet in jenen Jahren als ein sächsisches politisches Zentrum herauszubilden begann, als die Deutschen sowohl in die zahlenmäßige wie auch in die ökonomische Minderheit abgedrängt wurden. Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg entstand auf der Grundlage der alten Wahlkreise der »Burzenländer sächsische Kreisausschuss« als Teil der politischen Organisation der Deutschen Siebenbürgens, des »Deutsch-sächsischen Volksrats«. Der Sitz des Kreisausschusses war zwar in Kronstadt, aber alle Burzenländer Orte waren aktiv und durchgängig eingebunden, was ihm gegenüber den anderen sächsischen Ausschüssen eine viel stabilere Position verschaffte. Unter dem Vorsitz des Kronstädter Chirurgen Wilhelm Depner setzte eine intensive politische Arbeit ein. Unter anderem übernahm der Kreisausschuss die »Kronstädter Zeitung« in seine Trägerschaft. Er war übrigens der einzige, der bereits 1919 das Frauenwahlrecht für seine Gremien einführte und auch beibehielt – sowohl beim Volksrat wie überhaupt auf Landesebene erfolgte dies erst Jahre später. Eine Herausforderung bildete die Integration der zugewanderten Industriearbeiterschaft in die ansonsten recht fest gefügte städtische Gemeinschaft, immerhin rund ein Sechstel der deutschen Bevölkerung der Stadt. Der »Deutsch-Sächsische Arbeiterbund« oder die »Sächsische Bürgerpartei«, beides Kronstädter Gründungen, nahmen sich dieser Gruppe besonders an und versuchten, Alternativen zur übernational ausgerichteten Sozialdemokratie aufzuzeigen. Nach dem Tod des langjährigen Vorsitzenden Adolf Schullerus hatte der Kronstädter Altbürgermeister Schnell 1928 den Vorsitz im Deutschsächsischen Volksrat übernommen – gegen anfängliche Reserven der Hermannstädter, da es seit Entstehung der »Nation« nicht vorgekommen war, dass deren oberster politischer Vertreter nicht in Hermannstadt ansässig war. Doch es sollte sich weiter zuspitzen: Da außer dem Burzenländer Kreisausschuss kein anderer seinen finanziellen Verpflichtungen für den Gesamtverband vollständig nachkam, mussten die Tätigkeiten des Volksrats nach und nach abgebaut werden: Zunächst musste die Bukarester Kanzlei aufgelassen, dann das Personal und schließlich auch die Kanzlei in Hermannstadt aufgegeben werden. Die verbliebenen Aktivitäten führte der Vorsitzende schließlich über seine Im geographischen Zentrum von Rumänien 209
eigene Anwaltskanzlei – aus Kronstadt. Und dieser war es denn auch, der die Initiative ergriff, um den 1921 gegründeten und schon lange eingeschlafenen »Verband der Deutschen in Rumänien« wieder mit Leben zu füllen, also die gemeinsame Interessenvertretung für alle Deutschen der recht disparaten Provinzen des Landes. Aus Kronstadt zogen auch ganz neue demokratische Methoden ins Land, als es 1932 darum ging, einen neuen Bischof zu wählen. Die Kandidatur des Kronstädter Stadtpfarrers Viktor Glondys wurde dabei von den wohlhabenden Unternehmern der Stadt unterstützt, die eine regelrechte Wahlpropaganda in den evangelischen Siedlungsgebieten finanzierten. Glondys gewann die Bischofswahl, und das sächsische Siebenbürgen war um die Erfahrung eines Wahlkampfes reicher, in dem nicht nur auf hintergründige Konsensfindung gesetzt werden konnte. Leider aber war Kronstadt auch die Stadt, wo jene Gruppen am radikalsten waren, die bald alles Überkommene in Frage stellten. Die politisch führenden Köpfe Kronstadts – Depner, Schnell, aber auch der Kreisanwalt Michael Zerbes – waren Vertreter einer konservativen, durchaus deutschnationalen, zugleich aber realpolitischen Richtung. Den von jungen Heißspornen propagierten, unmittelbar aus dem Deutschen Reich importierten Nationalsozialismus betrachteten sie mit allergrößter Skepsis, ja, je nach Ausprägung sogar mit ausdrücklicher Ablehnung. Als letzte funktionierende und unabhängig gebliebene politische Institution sollte der Burzenländer Kreisausschuss (1935)
»die große Aufgabe haben, das sächsische Volk vor der Nivellierungssucht und schablonenhaften Gleichmacherei, die sich heute von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer geltend machen will, zu bewahren. Wir wollen eigenständig und selbständig unsere Art behaupten (…). So wird Kronstadt zum dritten Mal im Laufe der Geschichte Retter der sächsischen Freiheit und Unabhängigkeit werden.«46
Frappant ist allerdings, dass Kronstadt sowohl die standhaftesten Bewahrer der alten Selbständigkeit wie auch die fürs ideologische Gift Anfälligsten hervorbrachte. So prallten hier bald zwei oder gar drei Strömungen aufeinander: Neben den bedächtigen Konservativen gab es zunächst den Kreis der jungen Intellektuellen, die sich um die Kulturzeitschrift »Klingsor« unter Leitung von Heinrich Zillich scharten. Diesen beiden gegenüber stand die nationalsozialistisch ausgerichtete »Erneuerungsbewegung«, deren radikaler Flügel unter Waldemar Gust in 210 Kronstadt seit 1918
Kronstadt beheimatet war. Letztere setzten sich in der Folge des fünften »Sachsentages« im Oktober 1933 in Hermannstadt im Wesentlichen durch, und Schnell wurde als Volksratspräsident abgelöst. Als die politischen Auseinandersetzungen 1935 auch in Kronstadt eskalierten, legte die Kreisausschussleitung unter Wilhelm Depner ihr Amt nieder. Dabei kam die »Kronstädter Zeitung«, um auch weiter unabhängig zu bleiben, wieder in den Besitz der Familie Gött. Die neuen politischen Vertreter aber kümmerten sich nicht mehr um zentrale Belange wie Sprachenfreiheit, Gemeindeautonomie, Staatsbeitrag für die Schulen oder Minderheitengesetz. Sie rieben sich vielmehr in internem Zwist, ideologischen Flügel- und Parteikämpfen auf, während die aus Bukarest zentral gelenkte rumänische Politik die Minderheiten immer weiter marginalisieren konnte. Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet in diesen Jahren ein neues rumänisches Denkmal geschaffen wurde: Auf dem Anger, also inmitten des alten rumänischen Stadtteils, wurde 1937 das Standbild eines mit Bajonett im Sturm zur Inneren Stadt strebenden Landwehrsoldaten aufgerichtet – eine Symbolik, die die Zeitgenossen aller Sprachen sehr wohl zu interpretieren wussten. Nachdem die konkurrierenden Flügel der Nationalsozialisten mit Hilfe reichsdeutscher Stellen ausgeschaltet und 1940 unmittelbar von Berlin ein »Volksgruppenführer« für alle Deutschen Rumäniens oktroyiert worden war, sollte Kronstadt zu recht zweifelhaften Ehren kommen: Die neue Volksgruppenführung wählte bewusst diese Stadt als ihren neuen Sitz, da sie sich von dem in ihren Augen verfilzten Hermannstadt distanzieren wollte. In Kronstadt war überdies eine breitere deutsche Arbeiterschaft mit der NS-Ideologie ansprechbar als in anderen Städten. Neben dem Führungsstab der »Volksgruppe der Deutschen in Rumänien«, die durch ein rumänisches Gesetz von 1940 quasi Autonomie-Status für ihre Mitglieder erhalten hatte, zogen nun auch allerlei straff durchorganisierte Ämter in Kronstadt ein. Die neuen Strukturen erfassten alle Lebensbereiche und drangen bis in den Alltag der Familien, bis in Block und Zelle, in direkter Kopie reichsdeutscher Verhältnisse sollte nichts unkontrolliert bleiben. Mit alten Traditionen wurde gebrochen, etwa der Coetus der Honterusschule abgeschafft, das Honterusfest eingestellt. Es sollte keine Sachsen und Schwaben mehr geben, nur noch Deutsche, so dass selbst das »Burzenländer Sächsische Museum« zum »Burzenländer Museum« werden musste.
Im geographischen Zentrum von Rumänien 211
Zweiter Weltkrieg und politischer Umbruch Rumänien galt ab September 1940 als Verbündeter Hitlerdeutschlands. Noch bevor der Krieg auch hier einzog, erlebte das Land tiefgreifende Erschütterungen. Zunächst musste Rumänien Bessarabien und die nördliche Bukowina an die Sowjetunion abtreten, und im Zweiten Wiener Diktat vom 30. August 1940 wurden das Sathmarer Gebiet, Großwardein, Nordsiebenbürgen und das Szeklerland Ungarn zugeschlagen. Kronstadt wurde damit praktisch über Nacht zur Grenzstadt: Die neue Grenze zum Szeklerland war kaum 20 km vom Stadtzentrum entfernt. Die Rumänen waren schockiert, am 1. September protestierten sie auf dem Marktplatz gegen die Zerstückelung des Landes. Die folgenden Ereignisse der Abdankung von König Carol II., der Errichtung eines Legionärsstaates und des Rückzugs der rumänischen Institutionen aus den zwangsweise abgetretenen Gebieten hielten die Menschen in Atem. Mit der aus Klausenburg verlegten Handelsakademie erhielt Kronstadt zu seinen zahlreichen Schulen erstmals auch eine höhere Lehranstalt. Als Rumänien im Sommer 1941 an der Seite des Deutschen Reiches in den Krieg gegen die Sowjetunion eintrat, machte sich dies in Kronstadt zunächst vor allem am Arbeitskräftemangel in den Industriebetrieben bemerkbar. Bei der Rekrutierung der waffenfähigen Männer zum Kriegsdienst ist auf eine Besonderheit hinzuweisen. Dabei kommt Kronstadt insoweit eine tragische Rolle zu, als die deutsche Volksgruppenführung von hier aus agierte. 1943 war es ihr nämlich gelungen, die Erlaubnis zur Rekrutierung von Angehörigen ihrer Volksgruppe für die »Wehrmacht SS« zu erhalten – also um rumänische Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit für die Truppen eines anderen Landes, des Deutschen Reiches, auszuheben. Die genaue Verwendung der Rekruten blieb offen, die meisten aber kamen – überwiegend nichtsahnend – zur kämpfenden Truppe der Waffen-SS, andere in Wehrmachtseinheiten. Im Frühjahr 1943 ging von der Zentrale in Kronstadt eine bis dahin nicht gekannte Mobilisierungsaktion an alle Untergliederungen des Volksgruppenapparates aus – ein erschütterndes Beispiel einer organisatorischen und propagandistischen Meisterleistung. Tiefe Enttäuschung über die rumänische Armee, Diskriminierungen als Nichtrumänen, deutsche Propaganda, aber auch sozialer Druck und gezielter Terror führten dazu, dass die erwartete Rekrutenzahl um weit über 100%, möglicherweise um fast 200% übertroffen wurde – Anfang 1944 wurde allein in der Waffen-SS mit über 60.000 212 Kronstadt seit 1918
Deutschen aus Rumänien gerechnet. Mit dieser verantwortungslosen Aktion einer blutjungen, verblendeten Garde, einer bewusst und in großem Stil begangenen Illoyalität, wurde der Anfang für die allmähliche Auflösung der gesamten Minderheit gemacht. Währenddessen erlebte eine andere Minderheit Jahre des Schreckens in der Stadt: die Juden. Im Legionärsstaat waren sie ab 1940 vielfältigen Entrechtungen ausgesetzt. Die Synagogen in der Burggasse und in der Waisenhausgasse wurden entweiht und die Gemeindegebäude konfisziert. Viele Juden mussten Arbeitsdienst leisten. In der Gesellschaft wurden sie verdrängt, stigmatisiert, Kinder wurden aus den Schulen gewiesen. Sie wurden im südlichen Siebenbürgen jedoch nicht interniert oder gar deportiert. So scheint sich ihre Zahl zu Beginn der vierziger Jahre, ähnlich Hermannstadt, auch erhöht zu haben, offenbar durch Zuzug aus den Verfolgungsgebieten in der Moldau und in Ungarn – wirklich zuverlässige Daten dazu fehlen aber noch. Mit den amerikanischen Bombardierungen Kronstadts im April und Mai 1944 erreichte der Krieg hier seinen Höhepunkt. In der Stadt befanden sich etliche kriegswichtige Industriebetriebe; doch es wurden weniger diese, sondern überwiegend Wohngebiete getroffen, etwa in der Purzengasse, entlang der Burgpromenade oder in der Blumenau, aber auch der Bahnhof und die umliegenden Betriebe. Unmittelbare Kampfhandlungen blieben der Stadt erspart. Während der Wirren in Folge des Seitenwechsels Rumäniens am 23. August 1944 wurde es jedoch noch einmal kritisch. In Kronstadt befanden sich zu jenem Zeitpunkt eine ganze Reihe reichsdeutscher Einheiten und Militärangehöriger, hinzu kam die Kommandozentrale der Volksgruppe. Beide hatten ihre Befehlsstellen in der neuen Honterusschule. Auf Veranlassung der anwesenden Mitglieder der Volksgruppenführung – der Volksgruppenführer selbst weilte in Berlin und mahnte telegrafisch zum Ausharren – wurde am 24. August eine »Kompanie Kronstadt« zusammengestellt, der Schüler des Honterusgymnasiums, Fronturlauber und Mitarbeiter der Volksgruppe angehörten – ein aberwitziges Unternehmen, das bald mit einem hohen Blutzoll junger, unerfahrener Menschen bezahlt werden musste. Das rumänische Militär verhielt sich in diesen ersten Tagen noch zurückhaltend, verhinderte aber eine deutsche Besetzung des Rundfunksenders in Brenndorf. Auch der Rückzug der deutschen Truppen auf ungarisches Gebiet im »Szeklerzipfel« aufgrund eines Befehls vom 26. August verlief noch kampflos. Manche Kronstädter und Burzenländer Sachsen schlossen sich den zurückziehenden Truppen an. Im geographischen Zentrum von Rumänien 213
Am 26. August erschien auch die letzte Nummer der »Kronstädter Zeitung«, die bis zum Schluss als einziges deutsches Blatt des Landes unabhängig blieb und nicht gleichgeschaltet werden konnte. Tage beklemmender Ungewissheit und ohnmächtiger Angst vor den erwarteten Greueltaten der Roten Armee folgten. Diese erreichte Kronstadt ab dem 4. September. Viele Kronstädter nahmen angesichts der schlechten Ausstattung der sowjetischen Truppen an, dass diese schon bald wieder von den Deutschen zurückgeschlagen würden. Aber dazu sollte es nicht kommen. Die befürchteten Übergriffe der Sowjets hielten sich in Grenzen, sie besetzten für ihren Bedarf jedoch zahlreiche Gebäude. Eine Evakuierung der deutschen Bevölkerung, am 2. September von reichsdeutschen Stellen genehmigt, war nun nicht mehr durchführbar; die Sowjets sprachen sich dagegen aus, und auch die sich wieder zu Wort meldenden alten bürgerlichen Politiker der Sachsen riefen zu Ruhe und Besonnenheit und zum Verbleib an den Wohnorten auf. Exponierte Vertreter der Volksgruppenorganisation oder auch der rumänischen Politik wurden schon kurz nach dem Umsturz verhaftet. In große Gefahr begaben sich jene, die flüchtenden deutschen Soldaten Unterschlupf gewährten – die bisherigen engsten Verbündeten hätten nun ausgeliefert werden müssen, was den Menschen schlichtweg nicht vermittelbar war. Vor Weihnachten sahen sich daher zusammen mit Wilhelm Depner mehrere integre Persönlichkeiten dazu veranlasst, ihre Landsleute zu gesetzeskonformem Verhalten aufzurufen, um sich selber und die ganze Gruppe nicht zu gefährden. Doch es waren nicht allein die Deutschen, die zu Widerstandshandlungen gegen die neuen Besatzer neigten. Zahlreiche Rumänen, teils Anhänger alter Parteien, teils Legionäre oder Antikommunisten, konnten die Besetzung durch die Sowjets nicht akzeptieren und gingen in den Untergrund. Viele wichen in die Berge und ins Hochgebirge aus, aus der Stadt leicht erreichbar, und führten von dort einen Widerstandskampf gegen das sich etablierende Regime. Einige konnten sich dem Zugriff der Sicherheitskräfte über Jahre hin entziehen, erst zu Beginn der 1950er Jahre ebbte das Phänomen ab. Die anbrechende Jahreszeit nach dem Einmarsch der Sowjets 1944 entsprach durchaus der düsteren Stimmung, die sich breitzumachen begann. Der Willkür der Besatzer und der rumänischen Behörden war wenig entgegenzusetzen, und sie traf Minderheitenangehörige eher, da oft noch offene Rechnung zu begleichen waren und deren Mutterländer noch über Monate hin auf der Seite der Kriegsgegner stehen sollten. Die 214 Kronstadt seit 1918
Deutschen galten kollektiv als »Hitleristen«. Bereits kurz nach dem Umsturz begann eine behördliche Registrierung aller Deutschen. Die Hoffnung, dass sich trotz der Gründung der National-Demokratischen Front, die im November 1944 auch in Kronstadt erfolgte, eine Demokratisierung der Verhältnisse unter Einbeziehung der alten Parteien stattfinden würde, zerschlug sich rasch. Die Kommunisten waren bald auf allen Ebenen die maßgebliche Kraft, so dass Rumänien zu einem willfährigen Werkzeug der Sowjetunion wurde und alle Gesellschaftsbereiche einem radikalen Wandel unterworfen werden sollten. Am stärksten spürten das die Deutschen des Landes, weil deren arbeitsfähige Männer und Frauen aufgrund der seit August 1944 angefertigten Listen im Januar 1945 für sogenannte Wiederaufbauarbeiten in die Sowjetunion deportiert wurden. In Kronstadt betraf das 1.785 Personen, so dass – rechnet man die in die deutschen und rumänischen Armeen eingerückten Soldaten sowie die Flüchtlinge ab – fast nur noch alte und kranke Menschen sowie Kinder zurückblieben, viele der letzteren von ihren Großeltern aufge zogen. Erst nach rund einem Jahr durfte man Post austauschen; als die erste Postkarte der Deportierten Kronstadt erreichte, wurde diese sogar von der Kanzel der Schwarzen Kirche verlesen. Die Kirchengemeinden hatten die Schulen im Herbst 1944 – nachdem sie seit 1941/42 der »Volksgruppe« zugehörten – wieder über nommen und führten sie im Rahmen der Möglichkeiten weiter. Erst im Jahr 1948, nachdem die Monarchie gestürzt und Rumänien Volks republik geworden war, wurde das gesamte Schulwesen verstaatlicht, umstrukturiert und unter den Primat der sozialistischen Ideologie gestellt. Für die deutschen Schulen begann eine Zeit der Wanderschaft, da ihre eigenen Schulgebäude von anderen Einrichtungen belegt waren; die neue Honterusschule etwa wurde zum Lazarett und dann als Krankenhaus genutzt, im Mädchengymnasium wurde die 1948 neu gegründete Forstakademie untergebracht. Es sollte noch bis 1956 dauern, bis die historischen Schulgebäude am Honterushof die deutschen Schulklassen wieder dauerhaft zusammenführten. 1948 war auch das Jahr, in dem die griechisch-katholische Kirche mit der orthodoxen auf staatlichen Druck hin zwangsvereinigt und deren Kirchengebäude samt Besitz von den Orthodoxen übernommen wurden; seither ist die Kirche an der Jorgazeile neben dem evangelischen Friedhof eine rumänischorthodoxe. Bereits kurz nach dem Einmarsch der Sowjets hatten diese begonnen, ganze Produktionsanlagen, Maschinen, Rohstoffe und andere GüIm geographischen Zentrum von Rumänien 215
ter als Wiedergutmachung für erlittene Kriegsschäden abzubauen und abzutransportieren. Etliche kleinere Betriebe, zumal solche in sächsischem Besitz, hatten wegen Einberufung ihrer Mitarbeiter und Eigentümer zum Kriegsdienst schon früher ihre Tätigkeit eingestellt. Nun kam ab 1945 bis 1948 schrittweise die Verstaatlichung aller Bereiche der Wirtschaft hinzu, nach der Landwirtschaft zunächst die Großbetriebe auf Aktiengrundlage, dann Banken und Handel, schließlich auch kleinere Unternehmen, das Verkehrswesen und andere private Bereiche. Die sowjetische Ausbeutung zusammen mit der allmählichen Übernahme aller Produktionszweige durch den seit März 1945 kommunistisch regierten Staat führte zu seit Jahrhunderten nicht mehr gekannten Versorgungsengpässen, teilweise gar zu Hungersnöten. Zeitgleich begann die Forcierung der Schwerindustrie. Schon 1946 wurde aus den Resten der Flugzeugfabrik ein Traktorenwerk geschaffen; der erste Traktor lief am 1. Mai 1947 vom Band. Die Maschinenfabrik der Brüder Schiel wurde 1948 zur »Uzina Strungul« (später »Hidromecanica«) mit einem neuen Schwerpunkt für die Erdölförderung in Altrumänien. Weitere Großbetriebe sollten bald folgen, so 1953 das Lkw-Werk »Steagul Roşu« auf der Grundlage der alten Waggonfabrik. Die Verstaatlichungen im landwirtschaftlichen Sektor richteten sich schon ab 1945 vor allem gegen die als kollektiv schuldig betrachteten Deutschen, so dass 90% des sächsischen Grundbesitzes enteignet wurden; die tendentiell größeren Besitze der Burzenländer Bauern waren daher in besonderer Weise betroffen. Das führte nicht nur zu einer Schwächung und wirtschaftlichen Umgestaltung der Gemeinden des Burzenlandes, sondern auch zu zunehmenden Zuzug in die expandierenden Industriebetriebe der Stadt.
»Stalinstadt«, Regionshauptstadt Bei der sozialistischen Umgestaltung Rumäniens nahm Kronstadt nicht nur als Industriestandort mit starker Arbeiterschaft eine prominente Stellung ein. Bei der Verwaltungsreform wurde das ganze Land 1950 nach sowjetischem Modell in Großregionen eingeteilt. Kronstadt wurde der Sitz einer solchen Region, die rund ein Viertel Siebenbürgens umfasste. Sie reichte bis Mühlbach, Mediasch und Schässburg und umfasste somit neben dem Burzenland und dem Fogarascher Land fast das gesamte alte sächsische Siedlungsgebiet Südsiebenbürgens. Kronstadt? Ja, 216 Kronstadt seit 1918
so sagte man umgangssprachlich zur Region und auch zur Stadt, auch Braşov oder Brassó, je nach Sprache. Offiziell aber erhielt die Stadt im gleichen Jahr einen neuen Namen. Es war die Zeit inniger Anbiederung Rumäniens an die Sowjetunion, alles war auf diese ausgerichtet. Um deren vermeintlich großen Führer zu ehren wurde die expandierende Arbeiter- und Industriestadt im Zentrum des Landes zur Stalinstadt, Oraşul Stalin, Sztálinváros. Die Region erhielt den Namen »Stalin«. Und Kronstadt wurde um ein Denkmal reicher: Eine überdimensionierte Stalinstatue zog auf einen hohen Sockel vor den früheren Justizpalast. Dort war inzwischen die Zentrale der einzigen verbliebenen Partei, der »Rumänischen Arbeiterpartei«, eingezogen, die bereits alle Bereiche der Politik, der Wirtschaft, fast des gesamten Alltags beherrschte und kontrollierte. Der die ganze Gesellschaft perfide untergrabende und ausspionierende Geheimdienst, die Securitate, hatte sich in einer Villa in der Angergasse festgesetzt. Die einzigen Nischen, die den Deutschen verblieben, waren ihre Kirchengemeinden. Viele der Deportierten waren erst Ende der vierziger Jahre entlassen worden, nicht wenige verblieben aber auf dem Rückweg in den deutschen Besatzungszonen. Auch die in deutsche Kampfverbände eingerückten Männer blieben nach Krieg und Kriegsgefangenschaft meist in Deutschland, lange Zeit war ihnen eine Rückkehr ohnehin verwehrt. In geringem Umfang fanden noch in den vierziger Jahren mit Hilfe des Roten Kreuzes Familienzusammenführungen Richtung Westen statt. All dies begründete die Teilung der alten Kronstädter deutschen Gesellschaft in ein »oben« und ein »unten«. Unten, also im stalinistischen Kronstadt, sollte ein Schicksalsschlag dem nächsten folgen. Zwar hatte die deutsche Minderheit seit 1950 ihre Rechte als Staatsbürger wiedererlangt, dennoch waren sie der Willkür des Systems stärker als andere ausgeliefert. 1952 etwa fanden großangelegte »Evakuierungen« statt – ein Euphemismus, bei dem es schlicht darum ging, schöne Wohnungen und Häuser für Angehörige des Staats- und Parteiapparates zu beschlagnahmen. Diese Maßnahme gegen sogenannte »Klassenfeinde« richtete sich nicht allein gegen Deutsche, traf sie aber aufgrund ihres sozialen Hintergrunds und ihrer im Verhältnis geringen Zahl in ungleich größerem Umfang als andere Gruppen. Warum ein Schwerpunkt dieser landesweit durchgeführten Deportationen im Burzenland lag, ist ungeklärt. Schätzungsweise 1.500 bis 2.000 Personen aus Kronstadt und den sächsischen Gemeinden mussten ihren Zwangsaufenthalt binnen 72 Stunden weitab von zu Hause nehmen, viele etwa in Im geographischen Zentrum von Rumänien 217
Elisabethstadt, und durften ihre Heimatorte von dort nicht besuchen. Mindestens zwei, drei Jahre der Demütigung an fremden Orten mit unqualifizierten Arbeitsmöglichkeiten und schlechten Schulen sollten folgen. Nicht wenige sollten mangels Alternativen noch für viele Jahre am Ort ihrer Verbannung bleiben. Als die Evakuierungsbefehle erfolgt waren, hatte der damalige Direktor der Honterusschule, Franz Killyen, den Oberschülern erlaubt, den verzweifelten Betroffenen beim Packen ihrer Wagen und Fuhrwerke zu helfen. Als Folge wurde er seines Amtes enthoben und zu unqualifizierter Arbeit abkommandiert. Auf eine Demoralisierung der deutschen Minderheit Siebenbürgens zielten auch zahlreiche politisch motivierte Schauprozesse, die allesamt in Kronstadt als dem Hauptort der Region stattfanden. In der Honterusgemeinde, wie sich die evangelische Stadtpfarrgemeinde seit Jahrhundertbeginn nannte, hatte sich um den glaubensstarken und engagierten Stadtpfarrer Konrad Möckel ein aktiver Kreis Heranwachsender zu vielfältiger Gemeindearbeit gebildet – der einzigen Möglichkeit anspruchsvoller kultureller Betätigung. Im sogenannten »Schwarze-Kirche-Prozess« wurden im November 1958 gegen diese zwanzig Personen Anklagen wegen angeblicher staatsfeindlicher Umtriebe erhoben. Besonders widerwärtig war die Gerüchtestreuung durch den Geheimdienst, wonach sich diese Gruppe als »Edelsachsen« bezeichnet habe – es sollte dadurch suggeriert werden, dass sie sich als etwas Besseres über die anderen gestellt hätten. Neun Urteile zu lebenslänglicher Haft und weitere zu mehrjährigem Kerker als Lohn für gute Jugendarbeit waren das Ergebnis. Andere Gruppen Jugendlicher, die auf einer Wanderung Volkslieder sangen oder die zusammen zum Skilaufen gingen, wurden wegen Staatsgefährdung angeklagt und zu langen Haftstrafen verurteilt. Eine herausragende Rolle nahm 1959 auch der »SchriftstellerProzess« ein, in dessen Vorfeld den angeklagten fünf Autoren – Wolf von Aichelburg, Hans Bergel, Andreas Birkner, Georg Scherg und Harald Siegmund – auch von sächsischen »Freunden« übel mitgespielt worden war. Der Securitate-Terror, dem sie alle ausgeliefert waren, stellt jenen späterer Zeiten in tiefen Schatten. Die Urteile reichten bis zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit. Diese Vorgänge, die in erster Linie die Kronstädter Deutschen ihrer führenden geistigen Köpfe und vieler hoffnungsvoller junger Menschen beraubten, hatten verheerende Auswirkungen auf die Stimmung in der Stadt. Auch die seit 1957 erscheinende deutschsprachige »Volkszeitung« als Kronstädter Wochenschrift (ab 1968 »Karpatenrundschau«), die zwi218 Kronstadt seit 1918
schen 1955 und 1958 als Schulfeiern abgehaltenen »Honterusfeste« oder die endlich erlaubte Rückkehr mancher Weltkriegssoldaten konnten nur wenig Aufhellung bringen. Kronstadt war eine rumänische Industriemetropole geworden, in der die alten Bevölkerungsgruppen marginalisiert wurden. Auch die Obervorstädter Rumänen waren nur noch eine kleine Minderheit angesichts des Zuzugs aus allen Teilen des Landes, vor allem aber aus der Moldau. Die großen Industriebetriebe, laufend erweitert und durch Neugründungen ergänzt, brauchten ununterbrochen neue Arbeitskräfte. Historische Namen und Begriffe, seit Generationen und Jahrhunderten tradiert, gingen im Rumänischen am frühesten verloren, weil die Masse der Zuziehenden nur noch die neuen, ideologisch motivierten Benennungen für Straßen, Stadtviertel, Gebäude oder Ereignisse kennenlernte. In den sechziger Jahren war wohl nur noch jeder vierte Einwohner tatsächlich in Kronstadt geboren. Das Bewusstsein, in einer Vielvölkerstadt oder gar in einer »sächsischen« Stadt zu leben, was bis zum Beginn der Zwischenkriegszeit trotz des verhältnismäßigen Rückgangs der Deutschen noch Allgemeingut war, konnte sich gar nicht erst entwickeln. Die Geschichte wurde als Ganzes völlig umgedeutet, die Deutschen als die Usurpatoren gegenüber den behauptetermaßen schon immer präsenten Rumänen dargestellt, oder aber bald ganz totgeschwiegen. Bis 1956 hatte sich die Gesamteinwohnerzahl auf 123.834 erhöht, eine weitere Steigerung von rund 50% gegenüber 1941. Davon waren 88.329 Rumänen und 22.742 Ungarn gegenüber 10.127 Deutschen. Letztere hatten sich, nachdem sie 1948 auf 8.480 und somit auf gut 50% der Zahl von 1941 gefallen waren, vor allem durch den Zuzug vom Land wieder etwas erholt, wobei es eine große Herausforderung bedeutete, diese in die Gemeinden zu integrieren. Auch von den Juden, deren Zahl 1956 mit 1.759 angegeben wird, waren bereits viele verdrängt und zwangsumgesiedelt worden, doch auch die Abwanderung nach Israel hatte bereits eingesetzt. Ihre Synagogen waren ihnen nach dem Krieg rückerstattet worden, jene in der Burggasse wurde aber offenbar nicht weiter genutzt. Für die zahlreichen Neukronstädter entstanden neue Wohnviertel mit Blockbauten, bald auch in Plattenbauweise. Diese über mehrere Jahrzehnte hin in einem breiten Band zwischen den Wiesen Richtung Dirste über die Industriegebiete an den Ausfallstraßen nach Osten und Norden, den Burggrund, das neue Bahnhofsviertel – der neue große Bahnhof wurde 1961/62 weiter nordöstlich errichtet – und die freien Im geographischen Zentrum von Rumänien 219
Flächen jenseits von Mühlberg und Altstadt sollten das Bild und die Struktur der Stadt vollständig verändern. Die alten, den Charakter der Stadt ausmachenden Viertel wurden zu Anhängseln der Blocksiedlungen. Im Allgemeinen ist in den historischen Kernbereichen das alte Stadtbild erhalten geblieben. Die Obere Vorstadt blieb, von den Bauten der Zwischenkriegszeit im neurumänischen Stil abgesehen, unverändert, sie wurde vielmehr zu einem Ort kollektiver Identitätsstiftung nicht allein für die Rumänen Kronstadts stilisiert. Die Innere Stadt blieb bis auf die geschmacklose Auffüllung einer Baulücke am Kotzenmarkt unverändert. Ab Ende der 1960er Jahre setzten vielmehr Restaurierungsmaßnahmen an historischen Bauwerken ein, so am Kaufhaus am Marktplatz, das nach einem Brand einschließlich der schon lange zugemauerten Laubengänge wiederhergestellt wurde. Weitere Neubauten erfolgten nur entlang des Rudolfsrings, und zwar in Fortsetzung des bereits 1939 im Stil amerikanischer Hochhäuser errichteten »ARO«-Gebäudes: Dessen Erweiterungsbau von 1965 musste die reformierte Kirche weichen; die Gemeinde erhielt später ein Turnhallengebäude unweit des Schaguna-Lyzeums als Ersatz. Der Blick auf die Innere Stadt vom Schlossberg aus aber wurde weiter zugebaut. So entstand zwischen 1970 und 1972 am Ende der Purzengasse als Rund-Hochhaus das »Modarom«-Gebäude und in der einzigen verbliebenen Lücke des Rings 1974 das Hotel »Capitol« – die Funktions- und Monumentalarchitektur der k.u.k.-Zeit und die sozialistische Betonarchitektur fügten sich hier zu einem neuen Boulevard. In den letzten Tagen des Jahres 1960 erhielt Kronstadt seine alten Namen wieder. Das Stalin-Denkmal vor der Purzengasse war schon 1956 über Nacht verschwunden. Auch die nicht-rumänischen Ortsnamen durften öffentlich und in Publikationen durchaus benutzt werden. Die allgemeinen politischen Rahmenbedingungen begannen sich in den sechziger Jahren nur sehr allmählich und erst gegen Ende des Jahrzehnts zusehends zu entspannen. Durch die Verwaltungsreform des Jahres 1968 wurde das Land wieder in kleinräumigere Kreise eingeteilt. Der neue Kreis Kronstadt umfasste im Wesentlichen das Burzenland, das Repser und das Fogarascher Land. Kronstadt als dessen Verwaltungssitz wurde zum »Munizipium«, also kreisfrei. 1960 war in Kronstadt ein Pädagogisches Institut gegründet worden. Durch dessen Vereinigung mit dem Polytechnischen Institut, 1953 unter Einbeziehung der Forstakademie geschaffen, entstand 1971 die Universität Kronstadt. Ihr Standort wurde auf dem Plateau des Mühlbergs ausgebaut, doch ist sie 220 Kronstadt seit 1918
seither an vielen Stellen in der Stadt präsent; das Rektorat der Universität, seit 1991 »Universitatea Transilvania«, befindet sich im repräsentativen Neorenaissance-Gebäude am Rudolfsring, das 1881–1884 für die Kronstädter Allgemeine Pensionsanstalt gebaut worden war. Überwiegend auf technische und naturwissenschaftliche Fächer ausgerichtet, ist die Universität mit heute 18 Fakultäten zu einem wichtigen gesellschaftlichen und selbst ökonomischen Faktor in der Stadt geworden. Ein herausragendes Ereignis im Leben der deutschsprachigen Kronstädter war der feierliche Abschluss der Innenrestaurierung der Schwarzen Kirche 1984. Das monumentale Bauwerk war bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts dringend sicherungsbedürftig, der Erste Weltkrieg ließ die Arbeiten über erste Schritte aber nicht hinauskommen. Nach intensiven Restaurierungs- und selbst Um- sowie Rückbaumaßnahmen in den Jahren 1937–1944 aus eigener Kraft der Gemeinde waren die Arbeiten erst während der politischen Tauwetterperiode 1969 von rumänischen Denkmalbehörden wieder aufgenommen worden. Kronstadt entwickelte sich nämlich, verstärkt durch den Ausbau der Schulerau als Wintersportort, zu einem Touristenmagneten, für Inländer wie für Ausländer gleichermaßen. Dabei war die Schwarze Kirche einer der Anziehungspunkte. Vor der Nordseite wurde eine Bauhütte eingerichtet und ein Teil des Kirchhofes abgesperrt. Bei Beginn der Arbeiten im Chor wurde dieser durch eine Bretterwand vom Hauptschiff abgetrennt und war für fast eineinhalb Jahrzehnte nicht mehr zugänglich. Nun wurden Pfeilerfundamente verstärkt, der Dachstuhl saniert, die Südfront restauriert. Aber nach dem starken Erdbeben 1977 löste der Staats- und Parteichef kurzerhand das Denkmalamt auf und alle Arbeiten wurden eingestellt. So rief die Honterusgemeinde die Kronstädter in aller Welt auf, dieses große Vorhaben zu unterstützen. Zusammen mit Hilfen deutscher evangelischer Landeskirchen und Hilfswerken konnten nun doch die Gewölbe konsolidiert, die Fenster neu verglast, das Innere wieder hergerichtet werden. Sonntag, der 26. Mai 1984, war der große Tag, an dem die Kronstädter in großer Zahl, teils in Tracht, mit Bischof und zahlreichen Ehrengästen die Fertigstellung des Kircheninneren mit dem wieder geöffneten Chor in einem Festgottesdienst feierten – ein wichtiges Zeichen der Ermutigung in der durch Auswanderung immer kleiner werdenden Gemeinde. In den vergangenen Jahren, 1972 und 1973, waren in Kronstadt auch zwei Restaurierungswerkstätten eingerichtet worden: eine für Altäre, wo etwa sämtliche vorreformatorischen Flügelaltäre der Landeskirche restauriert wurden, und eine für Textilien. Hier Im geographischen Zentrum von Rumänien 221
wurde ein großer Teil der anatolischen Teppiche der Schwarzen Kirche gesichert und ausgebessert – es ist eine der größten Sammlungen dieser Art in ganz Europa. Doch die Restaurierungsarbeiten an der Schwarzen Kirche waren noch lange nicht abgeschlossen. Es sollte noch weitere fünfzehn Jahre dauern bis auch die Nord- und die Westfassade saniert und vor allem gegen die zunehmende Luftverschmutzung gesichert wurden. Als eine der letzten Arbeiten wurden die Zifferblätter am Turm neu gemalt. Im Herbst 1999 sollte die Restaurierung schließlich als abgeschlossen gelten, und nach drei Jahrzehnten wurde die Schwarze Kirche wieder vollständig zugänglich.
»Die Kronstädter in der Welt« Als Hans Meschendörfer unter diesem Titel vor einigen Jahren jenen nachging, die aus Kronstadt im Laufe der Jahrhunderte in die Welt hinauszogen, fragte er:
»Was hat sie wohl hinausgetrieben? War es der beengte Blick, der im schmalen Tal der Stadt tagaus, tagein an die bewaldeten Berge stieß? Bestiegen sie aber die Zinne, sahen sie rings ums Burzenland nichts als wieder Berge. Viele hat die Sehnsucht gepackt, der Enge zu entrinnen und die Welt draußen kennenzulernen.«47
Schon seit dem Mittelalter treffen wir die Kronstädter überall in Europa an, als Studenten, Händler und Handwerker, als Gelehrte, Künstler oder Abenteurer. Nicht wenige verschlug es auch nach Übersee, wie es scheint an Zahl tatsächlich mehr als aus anderen siebenbürgischen Städten. Doch hier geht es uns nicht um die, die in früheren Zeiten einzeln und freiwillig die Stadt verließen, um schließlich, von Sehnsucht oder Nöten geplagt, dann meistens doch wieder zurückzukehren. Es geht um jene, die die misslichen Zeitläufte aus der Stadt trieben. Die durch Kriegseinsatz und Deportation nach Deutschland Verschlagenen wurden schon erwähnt. Die erste Gruppe, die nach dem Krieg fast vollständig verschwand, waren die Juden. Sobald sich ihnen die Möglichkeit dazu eröffnete, emigrierten sie nach Israel oder in westliche Länder. In den achtziger Jahren lebten nur noch wenige hundert in der Stadt, 2002 waren es noch 138. Die Auswanderung der Deutschen fand seit den 1960er Jahren laufend in recht geringem Umfang statt, erst ab Ende 222 Kronstadt seit 1918
der siebziger Jahre nahmen die Kontingente aufgrund eines Abkaufabkommens mit der Bundesrepublik Deutschland deutlich zu. So sank die Zahl der Deutschen in Kronstadt von knapp 7.000 Ende der sechziger Jahre auf etwa 4.000 kurz vor der politischen Wende – belastbare Zahlen fehlen. Noch weniger wissen wir über die Rumänen, die die Stadt verließen: Gerade die gut ausgebildeten Nachkommen der alten Kronstädter Familien, die auch noch einen Begriff von den bürgerlichen Freiheiten hatten, trieb es aus dem Land. Die größte Gruppe deutscher Kronstädter hatte sich in München eingefunden, aber auch andere süddeutsche Städte bildeten Schwerpunkte, etwa Nürnberg oder Stuttgart. Einzelne verschlug es weiter weg nach Dänemark, Schweden oder England, nach Frankreich, Kanada oder in die Vereinigten Staaten, ja selbst nach Japan und nach Australien. Die Kronstädter in Süddeutschland fanden sich bereits 1953 zu einem ersten Treffen zusammen, und seit 1958 veranstalten sie regelmäßig ein »Honterusfest« – ein lockeres, unpolitisches Ereignis, nicht zu vergleichen mit Heimattreffen von Vertriebenenverbänden. Die 1985 in München gegründete »Neue Kronstädter Zeitung« wollte, ohne jeden Verbandshintergrund, nicht nur mit dem Schriftzug an ihre namhafte Vorläuferin anknüpfen, sondern bewusst einen Kontrapunkt zu anderen sächsischen Medien in Deutschland setzen und vor allem die Stadt selbst im Auge haben. Erst spät entstanden »Heimatortsgemeinschaften«, 1984 für Bartholomä und 1991 für Kronstadt, die sich vor allem der in Kronstadt lebenden Landsleute und deren Anliegen annehmen.
Kronstädter Freiheit Man ist versucht zu behaupten, der Freiheitsdrang der Kronstädter sei über all die Generationen, Sprachen und Brüche hinweg lebendig geblieben. Hier zeigte sich am frühesten, dass das nationalkommunistische System am Ende war. In den achtziger Jahren wurde das Alltagsgrau von Jahr zu Jahr trister, die Versorgungslage immer schlimmer, Energie – Gas, Strom, Benzin – immer schlechter verfügbar und somit die Winter immer kälter, der Personenkult um den »Conducător« immer absurder. Als Arbeiter des Lkw-Werkes »Steagul Roşu« am Abend des 14. November 1987 ihre Lohnzettel erhielten und die aktuellen Kürzungen bemerkten, die bis zur Hälfte des Betrags reichten, legten sie Im geographischen Zentrum von Rumänien 223
ihre Arbeit nieder. Ein Streik begann, unvorstellbar im Kommunismus. Die Behörden verweigerten ein Gespräch, und am folgenden Morgen, einem Sonntag, begann ein Marsch Richtung Innenstadt zur Parteizentrale. An diesem Tag sollte eine der üblichen Alibi-Wahlen mit schon vorher bekanntem Ergebnis stattfinden, Straßen und Gebäude waren beflaggt. Die Passanten trauten ihren Augen nicht. Zunehmend mehr Menschen schlossen sich dem Marsch an, auch Schüler und Studenten. Busfahrer ließen ihre Busse stehen und marschierten mit. Auf der Höhe des Kreiskrankenhauses ertönte erstmals das verbotene Lied »Erwache Rumäne« (Deşteaptă-te române) und bald auch die Rufe »Nieder mit Ceauşescu«, »Nieder mit dem Kommunismus« – aus einem Protest einiger Arbeiter gegen radikale Lohnkürzungen war eine politische Demonstration einer ganzen Stadt geworden. Gegen zehn Uhr kam eine nach Tausenden zählende Menge vor dem Kreisparteikomitee an, dem alten Justizpalais. Die wütende Menge stürmte dieses Gebäude und das benachbarte Bürgermeisteramt, die Bilder des Staats- und Parteichefs wurden heruntergerissen und verbrannt. Partei, Miliz und Geheimdienst waren von dieser Arbeiterrevolte völlig überrascht worden. Erst gegen Mittag fuhren zunächst Fahrzeuge um die Menge herum, aus denen heraus fotografiert wurde – für die spätere Anklage. Dann ging die Hatz der Sondereinheiten auf die Demonstranten los. Am 15. November und während der folgenden Tage wurden rund 300 Personen verhaftet. Die meisten wurden in Bukarester Gefängnisse verlegt. Sie wurden von der vernehmenden Securitate täglich verprügelt, misshandelt und terrorisiert, eines der Mittel war Schlafentzug. Bereits am 3. Dezember fand in Kronstadt der Prozess statt. Er dauerte nur eineinhalb Stunden. Die Behörden hatten für die Angeklagten Höchststrafen erwogen, selbst die Todesstrafe oder im günstigeren Falle bis zu 25 Jahren Haft. Doch das Interesse, das überall im westlichen Ausland an der Kronstädter Arbeiterrevolte aufkam, und die diplomatischen Proteste hatten den Staatsapparat erschreckt. 61 Personen wurden verurteilt und mussten mit ihren Familien unverzüglich in weit entlegene Orte umziehen, wo ihnen neue Arbeitsstellen zugewiesen wurden. Andere mussten ihre Arbeitsstellen innerhalb der Stadt wechseln. Mehrere starben schon bald an den Folgen der Misshandlungen während der Haft. Die Kronstädter hatten ihrem Unmut über das menschenverachtende System spontan Luft gemacht, zu jenem Zeitpunkt noch chancenlos. Als beim üblichen, von oben verordneten Defilee zum Nationalfeiertag 1988 jene Abteilung an der Parteitribüne vorbeimarschierte, von der 224 Kronstadt seit 1918
die Proteste im Herbst des Vorjahres ausgingen, unterbrachen Musik und Ansage. Ansonsten wurde dieses Ereignis totgeschwiegen. Am 21. April 1989 gegen 16 Uhr läuteten die Glocken der Schwarzen Kirche. Ungewöhnlich für einen Freitagnachmittag. Nur wenige wussten es zu deuten. Kronstadt gedachte dadurch auf die Stunde genau des 300. Jahrestages des großen Brandes, Gedenken an eine längst vergangene Katastrophe in immer trister werdenden Zeiten. Doch es sollte nicht mehr lange dauern, bis diese Glocken wieder unvermittelt läuteten. Nachdem im Herbst 1989 in Europa ein kommunistisches Regime nach dem anderen gefallen war, begannen auch in Rumänien Unruhen. Den Beginn machte Temeswar, dann folgte Hermannstadt, am 22. Dezember war die Erhebung auch in Kronstadt angekommen. Es war der Tag, an dem der Diktator in Bukarest mit dem Hubschrauber floh. Tausende Demonstranten hatten sich auf dem Marktplatz ums Rathaus versammelt, die Stimmung war zum Bersten gespannt. Jede Unvorsichtigkeit hätte die Kräfte des sterbenden Systems zu einem Blutbad wie in anderen Städten provozieren können. Da erklangen die Glocken der Schwarzen Kirche. Der evangelische Stadtpfarrer Mathias Pelger konnte die Demonstranten dazu bringen, mit ihm für den Frieden in der Stadt zu beten, auf dem Marktplatz kniend, über alle Konfessionen hinweg. Hier blieb es ruhig. Aber am Folgetag sollte es vor allem im Umfeld der Parteizentrale, also dort, wo die Arbeiterrevolte vor zwei Jahren ihren Höhepunkt gefunden hatte, zu Schießereien kommen – genau genommen waren es nur die alten Sicherheitskräfte, die hinterrücks in die Menge der Demonstranten und auf die sich mit diesen solidarisierenden Soldaten schossen. Insgesamt 84 Menschen mussten in diesen Tagen in Kronstadt ihr Leben lassen, 236 wurden verletzt. Bis heute künden die Einschusslöcher an manchen Gebäuden von diesen traurigen Momenten. Bald sollte Kronstadt den Titel einer »Märtyrerstadt« erhalten. Dann ging alles sehr schnell. Die alten Kader und ihre Schergen versteckten sich in ihren Rattenlöchern, die hinteren Reihen des unseligen Regimes drängten vor. Die Medien boten den Menschen endlich Foren für eine freie Meinung, auch die historisch bedeutsame »Gazeta de Transilvania« begann wieder zu erscheinen. Eine allgemeine Aufbruchstimmung setzte ein. Die Menschen waren nun frei, überall hin, auch ins Ausland zu reisen. Das nutzten auch jene Deutschen, denen die Ausreise bislang verwehrt worden war. In absoluten Zahlen zogen gewiss wenigere weg als Rumänen oder Ungarn. Es traf die Sprachgruppe Im geographischen Zentrum von Rumänien 225
jedoch viel härter, denn nach diesem Exodus blieben nur mehr 1.717 Personen übrig (2002), davon etwa 1.300 Evangelische. Der Anteil der Rumänen lag bei der Volkszählung von 2002 bei 90,66%, jener der Ungarn bei 8,54% und der Deutschen bei 0,60%. Die Stadt hatte ihre Einwohnerzahl in den siebziger und achtziger Jahren noch einmal verdoppelt: In der Wendezeit lebten rund 350.000 Menschen in Kronstadt. Der allmähliche Zusammenbruch der großen Industriebetriebe, die in den meisten Fällen nur mehr ein Schatten ihrer früheren Größe waren, oft aber auch gar nicht mehr existieren, und die allgemeine demographische Entwicklung führten zu einem Rückgang um 20%: Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts hat sich die Bevölkerungszahl bei knapp 280.000 eingependelt, womit Kronstadt vom zweiten auf den achten Platz unter den Städten Rumäniens gefallen ist. Dennoch ließ sich bereits ab Mitte der neunziger Jahre feststellen, dass die Stadt mit den neuen marktwirtschaftlichen Verhältnissen besser zurecht kam als viele andere Orte des Landes. Das Abrissprogramm für die alten Wohnviertel in den Vorstädten wurde gestoppt, und nach einigen Jahren wurden auch die sozialistischen Bauruinen fertiggestellt, etwa im neuen Zentrum (Centrul Civic) jenseits der Blumenau. Allerdings dominierten nun Banken- und Firmensitze. Hinzu kam ein großer Nachholbedarf an Kirchengebäuden: Es entstanden und entstehen vor allem orthodoxe Gotteshäuser unterschiedlichster Stilrichtungen, aber auch die Freikirchen zeigen eine starke Präsenz. Andere Gemeinden wie die Reformierten konnten ihre Einrichtungen ausbauen, während die Evangelischen, zumal die Honterusgemeinde, große Teile ihres früheren Immobilienbesitzes nach und nach rückerstattet bekam. Eine durchaus positive Einstellung zur Stadtgeschichte zeigte der Stadtrat durch eine ganze Reihe von Umbenennungen: Ideologisch orientierte Namen verschwanden, selbst das Viertel »Steagul Roşu« (Rote Fahne) wurde nun zu »Astra«, auch wenn sich dies im Volksmund kaum durchsetzt. Bei den Namen der Straßen und Plätze kehrten einige alte wieder wie jene für den Marktplatz, für den Honterushof oder für die Michael-Weiss-Gasse, bei vielen anderen wurde die rumänische, aber auch die deutsche Geschichte der Stadt berücksichtigt: Mit der Strada Mureşenilor für die Klostergasse wird einer die rumänische Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts prägenden Familie gedacht, in anderen Gässchen aber finden sich auch die Namen von Johann Gött, Johannes Benkner oder Stefan Ludwig Roth. Der »Heldenboulevard« für den Rudolfsring gedenkt der Umsturzopfer vom 226 Kronstadt seit 1918
Dezember 1989, und der »15. November« (1987) ist entlang der Strecke des damaligen Demonstrationszuges als Bezeichnung der Brunnengasse bis hin zum neuen Bürgerzentrum präsent. Das Denkmal für die So wjetsoldaten, lange Zeit gegenüber dem Armeehaus im Stadtpark vor der Klostergasse aufgestellt, ist deplatziert worden. Neben Büsten literarischer und künstlerischer Größen stellt neuerdings lediglich die römische Löwin unweit des heutigen Rathauses ein ideologisches Element dar. Auch aus dem Stadtwappen wurden alle sozialistischen Zutaten beseitigt: Es ist wieder die historische Form mit der Lilienkrone auf dem Baumstumpf. Das Kreiswappen hingegen ist dreigeteilt und zeigt zusätzlich zum Stadtwappen (unten mittig) die stilisierte Nikolauskirche aus der Oberen Vorstadt (oben rechts) und ein dreiteiliges Edelweiß (oben links, jeweils heraldisch gesehen). Seit der Wende konnte Kronstadt zehn Partnerstädte in ganz Europa und Israel gewinnen, lediglich mit Deutschland sind entsprechende Bestrebungen noch nicht zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen. 2010 – die Beflaggung der gesamten Stadt 775 Jahre nach der ersten Ortserwähnung.
Die schrumpfende deutsche Minderheit fand schon wenige Wochen nach der Wende im »Demokratischen Forum« eine politische Vertretung, wobei die Besonderheit – wie schon in früheren Zeiten – darin bestand, dass die Repräsentanz der gesamten Region und nicht allein der Stadt im Vordergrund stand. Zeitweilig wurden Vertreter des Forums in den Stadtrat und in den Kreisrat gewählt. Über drei Legislaturperioden war mit Wolfgang Wittstock 1992–2004 (mit einer kurzen Unterbrechung) ein Kronstädter als Vertreter der deutschen Minderheit im Bukarester Im geographischen Zentrum von Rumänien 227
Abgeordnetenhaus. Die Honterusgemeinde konnte sich durch gutes Wirtschaften so weit konsolidieren, dass sie bis 2002 eine umfassende Sanierung mit Neubau des Altenheims auf dem Gelände des alten Siechhofes in der Blumenau vornehmen konnte – ein weiteres Zeichen für Kronstädter Kontinuitäten nicht nur unter seinen Bewohnern, sondern auch bei Institutionen vom Mittelalter bis heute. Neue Gemeinschaftsformen entstanden etwa mit der Wiederbelebung eines Bartholomäusfestes am Tag des Schutzpatrons der Pfarrkirche in der Altstadt, an dem sich auch die sächsischen Gemeinden des Burzenlandes beteiligen. Von der Honterusschule wird hingegen seit 1992 wieder ein Honterusfest zum Schuljahresende in der Schulerau gefeiert. Der 500. Geburtstag des Humanisten und Reformators wurde 1998 von Gemeinde und Schule gemeinschaftlich begangen, trotz des relativ bescheidenen Rahmens von der rumänischen Öffentlichkeit skeptisch beobachtet. Die Einstellung der heutigen Mehrheitsgesellschaft zur Geschichte der Stadt, zumal zu deren sächsischem Anteil, hat sich seit der Jahrtausendwende deutlich entspannt. Statt Polemik oder Totschweigen ist überwiegend sachliche Information zu finden, zuweilen gar freundschaftlich oder wehmütig formuliert. Die Jugend ist sehr neugierig. Zahlreiche Publikationen zeigen das Interesse an den eigenen städtischen Wurzeln, wobei der Schwerpunkt naheliegenderweise auf dem 19. und 20. Jahrhundert liegt. Auch vielfältige Restaurierungen der Stadtbefestigungen, etwa des 1991 eingestürzten Schwarzen Turmes, aber auch der Stadtmauern und der Türme unterhalb von Zinne und Raupenberg, dokumentieren die Identifikation der heutigen Kronstädter mit dem Erbe der Stadt. Einen unvoreingenommenen Umgang mit der Vergangenheit wie auch mit einer teilweise noch immer mehrsprachigen Gegenwart verraten etwa Wegweiser auf den Zufahrtsstraßen oder Sonnenschirme der inzwischen zahlreichen Straßencafés mit dem Stadtnamen in allen drei Sprachen. Diese Offenheit dokumentiert auch die 2010 im Stadtbild allgegenwärtige Erinnerung an das 775. Gedenkjahr seit der ersten Nennung der Stadt 1235: »Corona – Kronstadt – Brassó – Braşov« ist für die Kronstädter wie für die unzähligen Besucher – 2008 wurden im Kreis weit über eine halbe Million allein auswärtiger Touristen mit über 1,1 Millionen Übernachtungen gezählt –, die hier jährlich aus aller Welt einkehren, ein Beleg für sprachliche Vielfalt und kulturellen Reichtum, wie sie für Ostmitteleuropa seit jeher charakteristisch sind. Ein überzeugendes Bild des lebendigen Kulturlebens der Stadt war die Aufführung der 228 Kronstadt seit 1918
»Carmina burana« durch fünf Kronstädter Chöre unter Leitung des Organisten der Schwarzen Kirche im Sommer 2010 auf dem Marktplatz – einer der Höhepunkte der 775-Jahr-Feiern. Zu Beginn des neunten Jahrhunderts der Stadtgeschichte sind sich die heutigen Kronstädter des reichen Fundus, aus dem sie zu schöpfen vermögen, in erfreulicher Weise bewusst. Möge auch das Wissen um die städtischen bürgerlichen Freiheiten als einem über die Jahrhunderte hin angesammelten Erfahrungsschatz Kronstadts dazugehören.
Im geographischen Zentrum von Rumänien 229
Das alte Kronstädter Rathaus (vom Rossmarkt gesehen).
Das Wappen von Kronstadt über der Loggia des Rathauses.
Kronstädter Türme (von links): der Rathausturm, drei Kuppeln der orthodoxen Kirche auf der Kornzeile, der Turm der katholischen Stadtpfarrkirche, im Hintergrund die evangelische Kirche auf dem Martinsberg.
Blick auf die evangelische Schwarze Kirche von der Burgpromenade, im Hintergrund der Weiße Turm.
Portal der Südvorhalle der Schwarzen Kirche.
Die katholische Stadtpfarrkirche in der Klostergasse.
Die katholische Johanniskirche (Franziskanerkirche) in der Johannisgasse.
Blick ins Innere der neologen Synagoge in der Waisenhausgasse.
Die orthodoxe Nikolauskirche in der Oberen Vorstadt.
Außenfassade der griechischen (orthodoxen) Kirche am Rossmarkt.
Westportal der evangelischen Bartholomäer Kirche.
Der Torturm des Katharinentores gegen die Obere Vorstadt.
Das Waisenhausgässer Tor von der Vorstädter Seite mit Blick in die Waisenhausgasse.
Der Weiße Turm auf dem Raupenberg.
Die Graftbastei zwischen Stadtmauer und Raupenberg.
Die Tuchmacherbastei im Südosten der Inneren Stadt.
Die Weberbastei im Südwesten der Inneren Stadt.
Eines der letzten alten Kronstädter Häuser in der mittleren Burggasse mit einem aktuellen Phänomen der Inneren Stadt: vollkommen zugeparkte Straßen.
Überbordender Jugendstil in der Purzengasse (Schuhhaus Bahmüller).
Das Justizpalais vor der Purzengasse aus ungarischer Zeit.
Die Handels- und Gewerbekammer an der Graft (heute Kreisbibliothek) aus rumänischer Zeit (1927–1929).
Blick auf die Anlage des Schaguna-Lyzeums am Beginn der Oberen Vorstadt.
Denkmal des rumänischen Landwehrsoldaten auf dem Anger.
Das Kronstädter Theater am oberen Ende der Brunnengasse (1956–1959).
Blick auf die Innere Stadt von der Zinne, im Hintergrund Altstadt, Schlossberg und Teile der Blumenau.
Anmerkungen 21 Zitiert nach Harald Zimmermann: Der Deutsche Orden im Burzenland. Köln u.a. 2000, S. 135. 22 Maja Philippi: Die Bürger von Kronstadt im 14. und 15. Jahrhundert. Köln, Wien und Bukarest 1986, S. 145. 23 Zitiert nach Quellenbuch zur vaterländischen Geschichte. Hg. Robert Csallner. Hermannstadt ²1922, S. 21f. 24 Zitiert nach Philippi, Die Bürger, S. 154. 25 Ebenda, S. 54. 26 Ebenda, S. 55. 27 Roderich Gooß: Die Siebenbürger Sachsen in der Planung deutscher Südostpolitik. Wien 1940, S. 113. 28 Quellen zur Geschichte der Stadt Kronstadt [zeitw. Brassó]. Hg. Stadtverwaltung. Bde. I–VIII/I. Kronstadt 1885–1926 [künftig: Quellen Kronstadt], hier Bd. IV, S. 498. 29 Ebenda, Bd. II, S. 160 (Übersetzung Friedrich Wilhelm Seraphin). 10 Zitiert nach Gooß: Die Siebenbürger Sachsen, S. 171. 11 Zitiert nach Karl Reinerth: Die Gründung der evangelischen Kirchen in Siebenbürgen. Köln, Wien 1979, S. 51. 12 Zitiert nach Gernot Nussbächer: Johannes Honterus. Sein Leben und Werk im Bild. Bukarest ³1978, S. 65. 13 Quellen Kronstadt, Bd. IV, S. 504. 14 Zitiert nach Nussbächer: Honterus, S. 101. 15 Zitiert nach Julius Gross: Katalog der von der Kronstädter Gymnasialbibliothek (…) ausgestellten Druckwerke (…). Kronstadt 1883, S. VII. 16 Deutsche Fundgruben zur Geschichte Siebenbürgens. NF, hg. Eugen von Trauschenfels. Kronstadt 1860, S. 158. 17 Zitiert nach Maja Philippi: Michael Weiß. Sein Leben und Wirken in Wort und Bild. Bukarest 1982, S. 39. 18 Ebenda, S. 40. 19 Deutsche Fundgruben, S. 208 (Übersetzung Maja Philippi). 20 Zitiert nach Philippi: Weiß, S. 116–118. 21 Ebenda, S. 91. 22 Zitiert nach Georg Daniel Teutsch: Geschichte der Siebenbürger Sachsen. Bd. I. Hermannstadt 41925, S. 396. 23 Quellen Kronstadt, Bd. V, S. 481. 24 Historische Anmerkungen, Quellen Kronstadt, Bd. VI, S. 50. 230 Anmerkungen
25 Trostfried Hegenitius, Quellen Kronstadt, Bd. VI, S. 215. 26 Daniel Nekesch-Schuller, Quellen Kronstadt, Bd. IV, S. 258. 27 Johannes Tröster: Das Alte und Neu-Teutsche Dacia. Nürnberg 1666 (Ndr. Köln, Wien 1981), S. 396-400. 28 Martin Seewaldt, Quellen Kronstadt, Bd. VI, S. 573. 29 Ebenda. 30 Merten Schuller, Quellen Kronstadt, Bd. VI, S. 75. 31 Magistri Marci Fronii Fatalis Urbis Exustio Anno 1689. Übersetzung Lore Wirth-Poelchau. In: Siebenbürgische Semesterblätter 3 (1989), S. 146. 32 Quellen Kronstadt, Bd. VI, S. 439 (Übersetzung Maja Philippi). 33 Joseph Teutsch, Quellen Kronstadt, Bd. IV, S. 112. 34 Lucas Seyberger/Simon Blasius, Quellen Kronstadt, Bd. VII, S. 449. 35 Ebenda, S. 457. 36 [Julius Gross:] Aus der Vergangenheit Kronstadts. SA Kronstädter Zeitung 1918, S. 26. 37 Zitiert nach Hellmut Klima: Daten zur Geschichte der evang. Kirchengemeinde A.B. Kronstadt. Typoskript 1984, S. 91. 38 Georg Adolf Schuller: Samuel von Brukenthal. Bd. I. München 1967, S. 297. 39 Maja Philippi: Kronstadt – Braşov. Das Bild einer siebenbürgischen Stadt im 19. Jahrhundert. In: Probleme des Städtewesens im industriellen Zeitalter. Hg. Helmut Jäger. Köln, Wien 1978, S. 275f. 40 Zitiert nach Klima: Kronstadt, S. 99. 41 Eduard Gusbeth: Die Gesundheitspflege in Kronstadt im 19. Jahrhundert. In: Beiträge zu einer Monographie der königl. freien Stadt Kronstadt. Kronstadt 1892, S. 15f. 42 Karl Ernst Schnell: Städtische Verwaltung in alter und neuer Zeit. In: Kronstädter Zeitung, Festgabe zum hundertjährigen Bestehen, 24. Mai 1936 (Ndr. 1990), S. 44. 43 Andrei Popovici zitiert nach Bálint Varga-Kuna: Árpád auf der Zinne. In: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 31 (2008), S. 56. 44 Karl Ernst Schnell: Aus meinem Leben. Kronstadt [1935], S. 152. 45 Ebenda, S. 202. 46 Ebenda, S. 242. 47 Hans Meschendörfer: Die Kronstädter in der Welt. In: Kronstadt. Eine siebenbürgische Stadtgeschichte. Hg. Harald Roth. München 1999, S. 253. Anmerkungen 231
Auswahlbibliographie Beiträge zur Geschichte von Kronstadt in Siebenbürgen. Hg. Paul Philippi. Köln, Wien 1984 [mit Beiträgen von Alfred Prox, Franz Killyen und Maja Philippi]. Pál Binder: Brassói magyar krónikások és barcasági evangélikus egyháztörténészek (1550–1800). [Kolozsvár 2000]. Hartmut Boockmann: Der Deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte. München ³1989. Das Burzenland, Bd. III, 1: Kronstadt. Hg. Erich Jekelius. Kronstadt 1928. Ion Dumitraşcu, Mariana Maximescu: O istorie a Braşovului. Braşov 2001. [Julius Gross:] Aus der Vergangenheit Kronstadts. SA Kronstädter Zeitung 1918. Konrad Gündisch: Das Patriziat siebenbürgischer Städte im Mittelalter. Köln u.a. 1993. George Michael Gottlieb von Herrmann: Das alte Kronstdt. Eine siebenbürgische Stadt- und Landesgeschichte bis 1800. Hgg. Bernhard Heigl, Thomas Şindilariu. Köln u.a. 2010. Kurt Horedt: Zur deutschen Kolonisation in Südsiebenbürgen in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. In: Korrespondenzblatt des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde 5 (1975), S. 1–6. Arnold Huttmann, Alfred Prox: Corona – Zur Entstehungsgeschichte von Kronstadt. In: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 9 (1986), S. 1–13. Istoriía beséreceí Şchéilor Braşovului. Hg. Sterie Stinghe. Braşov 1899. Karl Kurt Klein: Der Humanist und Reformator Johannes Honter. Hermannstadt, München 1935. Hellmut Klima: Daten zur Geschichte der evang. Kirchengemeinde A.B. Kronstadt. Typoskript 1984 [Siebenbürgen-Institut Gundelsheim]. Kronstadt. Eine siebenbürgische Stadtgeschichte. Hg. Harald Roth. München 1999. Georg Eduard Müller: Die Grafen des Kronstädter Distriktes bzw. des Kronstädter Provinzialverbandes. In: Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde NF 42 (1925), S. 307–380. Paul Niedermaier: Der mittelalterliche Städtebau in Siebenbürgen, im Banat und im Kreischgebiet. Bd. I (bis 1241). Heidelberg 1996; Bd. II (1242–1347). Köln u.a. 2002; Bd. III (1348–1541). Köln u.a. 2004. 232 Auswahlbibliographie
Gernot Nussbächer: Aus Urkunden und Chroniken. Beiträge zur siebenbürgischen Heimatkunde. Bisher 9 Bde. Bukarest, Kronstadt, Heidelberg 1981–2010. Gernot Nussbächer: Johannes Honterus. Sein Leben und Werk im Bild. Bukarest ³1978. Friedrich Philippi: Aus Kronstadts Vergangenheit und Gegenwart. Kronstadt 1874. Maja Philippi: Die Bürger von Kronstadt im 14. und 15. Jahrhundert. Untersuchungen zur Geschichte und Sozialstuktur einer siebenbürgischen Stadt im Mittelalter. Köln, Wien und Bukarest 1986. Maja Philippi: Kronstadt. Historische Betrachtungen über eine Stadt in Siebenbürgen. Aufsätze und Vorträge. Bukarest, Heidelberg 1996. Maja Philippi: Kronstadt – Braşov. Das Bild einer siebenbürgischen Stadt im 19. Jahrhundert. In: Probleme des Städtewesens im industriellen Zeitalter. Hg. Helmut Jäger. Köln, Wien 1978. Maja Philippi: Michael Weiß. Sein Leben und Wirken in Wort und Bild. Bukarest 1982. Quellen zur Geschichte der Stadt Kronstadt [zeitw. Brassó]. Hg. Stadtverwaltung. Bde. I–VIII/I. Kronstadt 1885–1926; Hg. Staatsarchiv & AKSL. Bde. 8/II, 9. Kronstadt 1999-2002. Karl Reinerth: Ein bisher unbeachtet gebliebenes Verzeichnis der Klöster des Prämonstratenserordens in Ungarn und Siebenbürgen in der Zeit vor dem Mongolensturm. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 3/4 (1966), S. 268-287. Violette Rey: Braşov. Une vocation urbaine. Paris 1975. Das Sächsische Burzenland einst und jetzt. Hg. Johannes Reichart. Kronstadt 1925. Fritz Schuster: Die alten deutschen Gassennamen Kronstadts. In: Siebenbürgische Vierteljahrsschrift 62 (1939), S. 323-348. Friedrich Wilhelm Seraphin: Kronstadt zur Zeit des Honterus. In: Aus der Zeit der Reformation. [Hg. Julius Groß.] Kronstadt 1898, S. 293–380. Ioan Vlad: Braşovul şi Marea Unire. [Braşov] 1996. Anca-Maria Zamfir, Gruia Hilohi: Braşov. Un secol de arhitectură 1885–1984. Braşov 2009. Harald Zimmermann: Der Deutsche Orden im Burzenalnd. Eine diplomatische Untersuchung. Klön, Weimar, Wien 2000.
Auswahlbibliographie 233
Abbildungsnachweis Tafelteil Fotos Tafeln 1–7, 9–11, 12/unten, 13–15: Harald Roth Fotos Tafeln 8, 12/oben, 16: Heide Roth Sämtliche Abbildungen des Tafelteils wurden im Jahr 2010 aufgenommen.
Abbildungen im Text S. 29, 43, 121, 175, 178, 193, 205: Sammlung Albert Eichhorn im Bestand des Burzenländer Sächsischen Museums, heute im Staatsarchiv Kronstadt. S. 37: Foto Josef Glatzl (1933) im Foto-Archiv Siebenbürgen-Institut, Gundelsheim/Neckar. S. 41: Foto Thomas Şindilariu. S. 55, 153: Mitteilungen des Burzenländer Sächsischen Museums 2 (1937), S. 11 (Siegel), S. 16 (Schwert), S. 34 (Schloss). S. 64: Andor Borbély: Erdély városok képeskönyve 1736–ból. In: Erdély Múzeum 48 (1943), Heft 2. S. 88: Ausschnitt aus dem Aquarell der Inneren Stadt von Kronstadt von Radu Oltean (Nachweis siehe Impressum). S. 103: Briefmarkensammlung Siebenbürgen-Institut, Gundelsheim/ Neckar. S. 196, 227: Foto Harald Roth.
234 Abbildungsnachweis
Namen der Gassen und Plätze Aktuelle rumänische Entsprechungen der im Text verwendeten heute üblichen deutschen Namen (in Klammern historische rumänische Namen): Anger Angergasse Breiter Bach Brunnengasse Burggasse După Inişte Fischmarkt Flachszeile Galgweiher Heiligleichnamsgasse Hinter der Graft Hirschergasse Honterushof Jorgazeile Johannis(neu)gasse Katharinengasse Katharinenhof Kirchgässchen Kirchhof Klostergasse Kornzeile Kotzenmarkt Kreuzgasse Kühmarkt Langgasse Marktplatz Michael-Weiss-Gasse Mittelgasse
Piaţa Unirii (Prund) Strada Prundului (Uliţa Mare) Strada Paul Richter (Strada Valea Lată) Bulevardul 15 Noiembrie (Strada Cizmarilor) Strada Castelului (Uliţa Fînarilor) dt. früher Ruckesgässchen siehe Hirschergasse Piaţa Sfatului (Târgul Inului) Strada Alexandru Ion Cuza (Măierele den Gaci) siehe Waisenhausgasse După Ziduri Strada Apolonia Hirscher Curtea Johannes Honterus Strada Nicolae Iorga Strada Sfântu Ioan Strada Constantin Brâncoveanu (Uliţa Furcoaie) siehe Breiter Bach siehe Obertgässchen siehe Honterushof Strada Mureşenilor (Uliţa Vămii) Piaţa Sfatului (Târgul Grâului) Strada Apolonia Hirscher (Târgul Straielor) Strada Bisericii Române Strada Diaconu Coresi (Târgul Boilor) Strada Lungă Piaţa Sfatului Strada Michael Weiss Strada de Mijloc Namen der Gassen und Plätze 235
Neugasse Nonnengasse Obertgässchen Postwiese Purzengasse Rosenanger Rossmarkt Rudolfsring Schwarzgasse Spitals(neu)gasse Waisenhausgasse
236 Namen der Gassen und Plätze
Strada Cerbului (Uliţa Nouă) siehe Michael-Weiss-Gasse Strada Stefan Ludwig Roth Şirul Livezii Strada Republicii (Uliţa Porţii) Piaţa George Enescu (Piaţa sub Bucium) Strada George Bariţiu (Târgul Cailor) Bulevardul Eroilor Strada Nicolae Bălcescu (Uliţa Neagră) Strada Postăvarului (Uliţa Spitalu- lui) Strada Poarta Schei (Uliţa Scheilor)
Register der Personen und Orte Kronstadt und seine Stadtteile wurden hier nicht berücksichtigt. Aachen 15, 16 Aichelburg, Wolf von 218 Akkerman (ukr. BilhorodDnistrovs’kyj, rum. Cetatea Albă) 54 Alba Iulia siehe Weißenburg Albrich, Martin 157 Alexander Aldea, wal. Woiw. (1431–1436) 77 Allya, Farkas 135 Altemberger, Thomas 83 Andreas II., ung. Kg. (1205–1235) 7, 9–1, 17, 21, 22, 24–26, 28 Apáca siehe Geist Apafi siehe Michael Apafi Apaţa siehe Geist Arad (rum./ung. Arad) 189 Árpád, ung. Fst. 197 Augsburg 98 Baiulescu, Gheorghe, Bgm. (1916) 204 Barbara, Hl. 65 Barcaszentpéter siehe Petersberg Barcaújfalu siehe Neudorf Barcelona 48 Bariţiu, George 185 Barth, Christian 143 Bartholomäus, Bf. v. Laon 20 Bartholomäus, Hl. 20 Basel 102, 105, 112 Basta, Giorgio 124–126, 135 Báthory siehe Sigismund und Gabriel Báthory Batu 33
Beer, Stefan 156, 158, 165 Béla IV., ung. Kg. (1235–1270) 28, 33, 35–37, 41, 42, 44 Belgrad (serb. Beograd) 55, 92, 159, 166, 167 Bell, Michael 145 Bem, Jozef 187 Benkner, Fam. 84 Benkner, Johannes 136 Benkner, Johannes, Stadtrichter (1547–/–1560) 114, 117, 120, 226 Beograd siehe Belgrad Bergel, Hans 218 Berlin 211, 213 Berthold v. Andechs-Meranien 10, 21, 35 Besztercze siehe Bistritz Bethlen, Gabriel, siebg. Fst. (1613–1629) 136–138, 141 Biengärten (rum. Stupini, ung. Méhkertek) 112, 125, 131 Bilhorod-Dnistrovs’kyj siehe Akkerman Binder, Paul 8, 44 Birkner, Andreas 218 Bistriţa siehe Bistritz Bistritz (rum. Bistriţa[-Năsăud], ung. Besztercze) 41, 78, 83, 85, 91, 100, 132, 133 Bocskay, Stephan, siebg. Fst. (1604–1606) 126–128 Bod siehe Brenndorf Bogutai 33, 35 Böjek 33 Register der Personen und Orte 237
Botfalva siehe Brenndorf Brăila 54 Bran, Castelul siehe Törzburg Bratislava siehe Pressburg Brenndorf (rum. Bod, ung. Botfalva) 74, 81, 132, 134, 213 Broos (ung. Orăştie, ung. Szászváros) 74 Bucureşti siehe Bukarest Buda siehe Ofen Budapest (bis 19. Jh. siehe auch Ofen) 197, 200–203, 205 Bukarest (rum. Bucureşti) 205, 206, 225 Buzău 54 Câmpulung siehe Langenau Caraffa, Antonio 151, 154, 159 Carol I., rum. Fst./Kg. (1866– 1914) 200 Carol II., rum. Kg. (1930–1940) 212 Cârţa siehe Kerz Castaldo, Gianbattista 119 Ceauşescu, Nicolae 221, 223–225 Cenad siehe Tschanad Cetatea Albă siehe Akkerman Chełmno siehe Kulm Chilia (ukr. Kiliia) 54 Cluj siehe Klausenburg Codlea siehe Zeiden Coresi, Diakon 114 Corona, Hl. 15, 16, 29, 40 Craiova 54 Cresche, Nikolaus 52 Cristian siehe Neustadt Crizbav siehe Krebsbach Csanád siehe Tschanad Czak, Franz 158 238 Register der Personen und Orte
Dan, wal. Gegen-Woiw. 80, 81 Dârste siehe Dirste Depner, Wilhelm 209–211, 214 Derestye siehe Dirste Dietrich siehe Theodericus Dirste (rum. Dârste, ung. Derestye) 198 Dózsa, Georg 92 Dracula siehe Vlad III. Dschinghis-Khan 33, 35 Dück, Georg 184 Duisburg 14 Dumbrăveni siehe Elisabethstadt Eder, Joseph Carl 173 Elisabeth, Landgfn., Hl. 9–11 Elisabethstadt (rum. Dumbrăveni, ung. Erzsébetváros) 218 Eperies (slow. Prešov, ung. Eperjes) 151 Erzsébetváros siehe Elisabethstadt Esztergom siehe Gran Făgăraş siehe Fogarasch Falkenhayn, Erich von 202 Feketehalom siehe Zeiden Feldioara siehe Marienburg Ferdinand I., rum. Kg. (1914–1927) 200, 206 Ferdinand I., ung Kg./röm. Ks. (1526/58–1563) 92–96, 98, 100, 102, 117, 119 Filstich, Michael, Stadtrichter (1686–/–1693) 152, 157–159 Fogarasch (rum. Făgăraş, ung. Fogaras) 95, 152, 153, 182 Földvár siehe Marienburg Franz II./I., ung. Kg./röm./öst. Ks. (1792–1835) 183
Franz Joseph I., ung. Kg./öst. Ks. (1867/1848–1916) 187, 188, 190, 202 Fridericus von Hamborn 14, 27, 31 Friedrich August von Hannover 167 Friedrich II., röm. Ks. (1212/20– 1250) 24, 26, 35 Fronius, Marcus, ev. Stpfr. (1703– 1713) 161, 165, 171 Fronius, Matthias 120 Fuchs, Fam. 84 Fuchs, Johannes, Stadtrichter (1541–1544) 96, 98, 105–107, 111 Fuchs, Marcus, ev. Stpfr. (1605– 1619) 135 Fulkun 31, 34 Gabriel Báthory, siebg. Fst. (1608–1613) 128–137, 155 Gaitzer, Jakob 156, 165 Galt (rum. Ungra, ung. Ugra) 12 Geist (rum. Apaţa, ung. Apáca) 22, 58, 89, 91, 148 Georg I. Rákóczi, siebg. Fst. (1630–1648) 142, 155 Georg II. Rákóczi, siebg. Fst. (1648–1660) 141, 143–146 Gerendi, Nicolaus, siebg. Bischof (1528–1540) 95 Gertrud v. Andechs-Meranien, ung. Kgn. 9, 10, 21 Ghimbach siehe Weidenbach Giurgiu 122 Glatz, Matthias 107, 109 Glondys, Viktor, ev. Stpfr. (1922– 1933) 210
Godfridi, Fam. 55 Gött, Johann, Bgm. (1876–1879) 184, 185, 211, 226 Gran (ung. Esztergom) 45, 46, 59, 60, 62 Gregor XI., Papst (1227–1241) 60 Gross, Julius 8 Großwardein siehe Wardein Gündisch, Gustav 20 Gündisch, Konrad 84 Gusbeth, Eduard 193 Gust, Waldemar 210 Győr siehe Raab Gyulafehérvár siehe Weißenburg Hălchiu siehe Heldsdorf Haller, Petrus 107 Halmagen (rum. Hălmeag, ung. Halmágy) 12 Halmágy siehe Halmagen Hălmeag siehe Halmagen Hannover 167 Hărman siehe Honigberg Hegyes, Andreas 137 Heisler, Johann Donat 167 Heldsdorf (rum. Hălchiu, ung. Höltövény) 125, 174 Herfurth, Franz, ev. Stpfr. (1907– 1922) 201 Hermann I., Landgf. (1190–1217) 9, 10 Hermann von Salza, Hochmeister (1210–1239) 9, 10, 26, 27 Hermannstadt (rum. Sibiu, ung. Nagyszeben) 11, 14, 16, 33, 34, 47–49, 54, 55, 58, 61, 77–80, 82, 83, 89, 90, 93, 94, 98, 100, 102, 109, 111, 117, 119, 124, 127, 129, 131, 132, 135–140, 145, 151, 152, Register der Personen und Orte 239
159, 173, 174, 176, 187, 189, 202, 209, 211, 213, 225 Herrmann, George Michael Gottlieb von 8, 173 Herrmann, Michael, Stadtrichter (1647–/–1660) 141, 143–145, 147 Hétfalu siehe Siebendörfer Hirscher, Apollonia 116, 195 Hirscher, Fam. 84 Hirscher, Lukas, Stadtrichter (1528–/–1541) 95, 101, 105, 116 Hirscher, Valentin, Stadtrichter (1596–1603) 126 Höltövény siehe Heldsdorf Honigberg (rum. Hărman, ung. Szászhermány) 74, 132–134, 144, 174, 187 Honorius III., Papst (1216–1227) 25, 26 Honterus, Johannes, ev. Stpfr. (1544–1549) 102–108, 111–113, 120, 195, 226, 228 Hopsiefen (Wüstung in der Nähe von Neudorf ) 84 Huet, Albert 122, 127 Hunyadi siehe Johannes Hunyadi Huttmann, Arnold 15 Isabella, Regentin (1556–1559) 106, 107, 119, 120 İstanbul siehe Konstantinopel Jacobus, comes 51, 53 Jekel, Jeremias, Pleban (1536– 1544) 105, 107, 108 Jekelius, Erich 8 Jerusalem 9
240 Register der Personen und Orte
Johann I., Szapolyai, ung. Kg. (1526–1540) 92–95, 97–100, 103, 106 Johann II. Sigismund, ung. Kg. (1540/59–1570) 106 Johannes Hunyadi, ung. Reichsverw. (1446–1453) 80, 81 Johannes Jacobi 69 Johannes Philippi 67 Johannes von Scharfeneck 58 Joseph II., ung. Kg./röm. Ks. (1780–1790) 179, 181–183 Karl I. Robert, ung. Kg. (1301/07– 1342) 47, 49, 58 Karl IV./I., ung. Kg./öst. Ks. (1916–1918) 202, 203, 205 Karl V., röm. Ks. (1519/30–1556) 94 Karlóca siehe Karlowitz Karlowitz (serb. Sremski Karlovci, ung. Karlóca) 168 Karlsburg siehe Weißenburg Kaschau (slow. Košice, ung. Kassa) 132, 170 Kassa siehe Kaschau Katharina von Brandenburg 141 Katharina, Hl. 40, 41 Keresztényfalva siehe Neustadt Kerz (rum. Cârţa, ung. Kerc) 17, 36, 67 Kiliia siehe Chilia Killyen, Franz (von) 8, 218 Klausenburg (rum. Cluj[-Napoca], ung. Kolozsvár) 48, 176, 186, 189, 211 Klima, Hellmut 8 Klingsor 11 Kőhalom siehe Reps
Kolozsvár siehe Klausenburg Konrad v. Masowien 26 Konstantinopel (türk. İstanbul) 10, 22, 54, 130 Košice siehe Kaschau Krakau (poln. Kraków) 101, 102, 112, Kraków siehe Krakau Krebsbach (rum. Crizbav, ung. Krizba) 58, 89, 91 Kreisch, Kaspar 156–158, 165 Kreuzburg 24 Krizba siehe Krebsbach Kulm (poln. Chełmno) 24 Kylhau, Fam. 55 Kyr, Paulus 113 Ladislaus siehe Vlaicu Ladislaus V., ung. Kg. (1446–1457) 80 Landskrone 58 Lang, Andreas 156, 165 Langenau (rum. Câmpulung) 54 Laon 14 Leipzig 149 Leopold I., ung. Kg./röm. Ks. (1655–1705) 152, 159, 163, 166, 167 Lipova siehe Lippa Lippa (rum. Lipova, ung. Lippa) 152, 159 London 55 Lüders, Alexander von 188 Ludwig I., ung. Kg. (1342–1382) 50, 53–58, 68 Ludwig II., ung. Kg. (1516–1526) 92 Ludwig von Baden 167 Luther, Martin 114
Maager, Karl 190 Magdeburg 11 Magnussen, Harro 196 Măieruş siehe Nussbach Mankesch (wohl Johannes, Stadtrichter 1694–1699) 162 Maria Theresia, ung. Kgn. (1741– 1780) 174 Maria, Muttergottes 41 Maria, rum. Kgn. 206 Marienburg (rum. Feldioara, ung. Földvár) 12, 18, 22, 24, 28, 34, 45, 59, 60, 61, 81, 84, 95, 96, 132, 134, 135, 167 Marienburg, Lucas Georg 38 Marosvásárhely siehe Szekler-Neumarkt Martinuzzi, Georg Untiešenović, Statthalter (1541–1551) 106, 107 Matthias I., Corvinus, ung. Kg. (1458–1490) 81–84, 89, 90, 112 Mayláth, Stephan, siebg. Woiw. (1534–1540) 95, 98 Mederus, Petrus, ev. Stpfr. (1654– 1678) 143, 148 Mediaş siehe Mediasch Mediasch (rum. Mediaş, ung. Megyes) 49, 78, 123, 142, 174, 216 Megyes siehe Mediasch Méhkertek siehe Biengärten Melanchthon, Philipp 106, 113 Meschendörfer, Hans 222 Michael I. Apafi, siebg. Fst. (1661– 1690) 147, 148, 150, 151, 152, 154, 155, 156 Michael, der Tapfere, wal. Woiw./ siebg. Fst. (1593/1599–1600) 122, 124, 126, 129 Register der Personen und Orte 241
Michael, Pleban (1336–1342) 45, 59 Micloşoara siehe Miklósvár Micu-Klein, Inochentie 175 Mikesdorf 142 Miklósvár (rum. Micloşoara) 12 Mircea der Alte, wal. Woiw. (1386–1418) 68 Möckel, Konrad, ev. Stpfr. (1933– 1958) 218 Mohács 92, 96, 114, 141, 150 Mohi/Sajó 33 Moses Székely, siebg. Fst. (1603) 124, 125, 126, 135 Mühlbach (rum. Sebeş[ul Săsesc], ung. Szászsebes) 48, 49, 61, 78, 83, 100, 216 München 223 Münster, Sebastian 112 Murad II., osm. Sultan (1421– 1451) 75 Mureşianu, Fam. 226 Nagyszeben siehe Hermannstadt Nagyvárad siehe Wardein Neudorf (rum. Satu Nou, ung. Barcaújfalu) 84, 148 Neustadt (rum. Cristian, ung. Keresztényfalva) 79, 134, 144, 169 Nicolaus, Pleban (1351–1366) 59 Nicolaus, Pleban (1366–1375) 59, 60 Niedermaier, Paul 38 Nikopolis (bulg. Nikopol) 74 Noa (rum. Noua, ung. Noa) 198 Norbert von Xanten, Hl. 14 Noua siehe Noa Nürnberg 55, 223
242 Register der Personen und Orte
Nussbach (rum. Măieruş, ung. Szászmagyaros) 22 Nussbächer, Gernot 8, 38 Ofen (ung. Buda) 45, 96, 106, 150, 176 Oltean, Radu 88, 103 Oradea siehe Wardein Orăştie siehe Broos Ostermayer, Hieronymus 96, 108, 118, 119 Otto III., Ks (996–1002) 15 Paris 204 Pelger, Mathias, ev. Stpfr. (1977– 2001) 225 Pellio, Georg 118, 119, 120 Pempfflinger, Markus 94, 100 Petersberg (rum. Sânpetru, ung. Barcaszentpéter) 74, 134, 144 Petru Rareş, mold. Woiw. (1527– 1538) 93, 95, 97, 98, 100 Philippi, Friedrich (sen.) 8 Philippi, Maja 8, 39, 59, 85, 123, 130, 153, 158, 183 Piteşti 54 Plintenburg (ung. Visegrád) 53 Poiana siehe Schulerau Pousa, siebg. Woiw. (1235–1241) 34 Pozsony siehe Pressburg Prag (tsch. Praha) 55, 95, 122 Praha siehe Prag Prázsmár siehe Tartlau Prejmer siehe Tartlau Prémontré 14, 20 Prešov siehe Eperies Pressburg (slow. Bratislava, ung. Pozsony) 98, 176
Prox, Alfred 8, 15, 20, 44 Qadan 33 Raab (ung. Győr) 201 Radna siehe Rodenau Radu Şerban, wal. Woiw. (1602–/ 1620) 125, 127, 130, 131, 132, 135 Rákóczi siehe Georg Rákóczi Rareş siehe Petru Rareş Râşnov siehe Rosenau Regensburg 102, 108 Reicherstorffer, Georg 93, 94, 96 Reims 14 Reinerth, Karl 15 Reps (rum. Rupea, ung. Kőhalom) 132, 133 Reudel, Fam. 55 Reudel, Johannes, Pleban (1446– 1499) 83, 177 Rodbav siehe Rothbach Rodenau (rum. Rodna, ung. Radna) 33 Rodna siehe Rodenau Römer, Gottlieb Simon 184 Rosenau (rum. Râşnov, ung. Rozsnyó) 22, 84, 133, 134, 136, 144 Roth, Stephan Ludwig 185, 226 Rothbach (rum. Rodbav, ung. Veresmárt) 125 Rothenbächer, Martin 156 Rozsnyó siehe Rosenau Rucăr-Burg 24 Rudolf II., ung. Kg./röm. Ks. (1572–1608) 122, 124, 125, 127 Rudolf von Habsburg-Lothringen, Kronprinz 196 Rupea siehe Reps
Săcele siehe Siebendörfer Şaguna siehe Schaguna Salomo, Kom.gf. 47 Sander de Santa Agatha, Fam. 84 Sander, Fam. 51 Sandur siehe Sander Sankt Georgen (rum. Sfântu Gheorghe, ung. Sepsiszent györgy) 182 Sânpetru siehe Petersberg Sárkány siehe Schirkanyen Satu Nou siehe Neudorf Schaguna, Andrei von 192, 196 Schässburg (rum. Sighişoara, ung. Segesvár) 52, 61, 80, 81, 100, 136, 137, 139, 171, 216 Schellenberg (rum. Şelimbăr, ung. Sellenberk) 124 Scherg, Georg 218 Scherg, Michael 184 Schiel, Brüder 216 Schirkanyen (rum. Şercaia, ung. Sárkány) 91, 142 Schirmer, Fam. 84 Schlandt, Steffen 229 Schnell, Karl Ernst, Bgm. (1911– 1926) 195, 201, 204, 206, 209, 210, 211 Schulerau (rum. Poiana) 79, 221, 228 Schullerus, Adolf 209 Schunkabunk, Fam. 84 Schwarzburg 24, 42 Sebeş siehe Mühlbach Sebestyén, Josef von 153 Segesvár siehe Schässburg Seidenschwanz, Fam. 55 Şelimbăr siehe Schellenberg Sellenberk siehe Schellenberg Register der Personen und Orte 243
Sepsiszentgyörgy siehe Sankt Georgen Seraphin, Friedrich Wilhelm 96 Şerban siehe Radu Şerban Şercaia siehe Schirkanyen Sfântu Gheorghe siehe Sankt Georgen Sibiu siehe Hermannstadt Siebendörfer (rum. Săcele, ung. Hétfalu) 58, 89, 91, 148, 198, 200 Siegmund, Harald 218 Sighişoara siehe Schässburg Sigismund Báthory, siebg. Fst. (1588–1598/1599/1601–1602) 122, 124, 125 Sigismund, ung. Kg./röm. Ks. (1387/1411–1437) 65, 68, 74, 75, 76, 78, 79, 85 Silistria (bulg. Silistra) 144 Şindilariu, Thomas 8 Sremski Karlovci siehe Karlowitz Stalin, Josef 217 Stefan IV., ung. Kg. (1257/70– 1272) 42 Stenner, Stefan 155, 156, 165 Stephana, Hl. siehe Corona, Hl. Stuhlweißenburg (ung. Székesfehérvár) 92, 94 Stupini siehe Biengärten Stuttgart 223 Süleyman I., osm. Sultan (1520– 1566) 92, 95, 96, 106 Szapolyai siehe Johann I. Szászhermány siehe Honigberg Szászmagyaros siehe Nussbach Szászsebes siehe Mühlbach Szászváros siehe Broos Szászvolkány siehe Wolkendorf 244 Register der Personen und Orte
Székely siehe Moses Székely Székesfehérvár siehe Stuhlweißenburg Szekler-Neumarkt (rum. Târgu Mureş, ung. Marosvásárhely) 94 Târgovişte 54, 114, 127 Târgu Mureş siehe Szekler-Neumarkt Tartlau (rum. Prejmer, ung. Prázsmár) 12, 22, 24, 34, 84, 97, 109, 127, 132, 134, 144 Tartler, Thomas 8, 172 Teleki, Mihály 157, 167 Temesvár siehe Temeswar Temeswar (rum. Timişoara, ung. Temesvár) 124, 225 Teutsch, Josef 184 Theodericus, Landmeister 22 Thököly, Emmerich, siebg. Fst. (1690–1691) 167 Thomas Sander de Santa Agatha, Pleban (1375–1421) 60, 62, 63, 67, 69, 76 Timişoara siehe Temeswar Tohan (rum. Tohanu Vechi) 58, 63, 91, 146 Törzburg (rum. Castelul Bran) 57, 58, 82, 89, 90, 91, 98, 119, 133, 134, 136, 141, 145, 156, 205, 206 Trausch, Joseph 8 Treiber, Gustav 8, 29, 30, 40, 65 Tröster, Johann 149 Tschanad (rum. Cenad, ung. Csanád) 59 Ugra siehe Galt Ungra siehe Galt
Veresmárt siehe Rothbach Veterani, Friedrich Ambros 156, 157, 158, 159 Vidin 54 Vidombák siehe Weidenbach Villa hermanni siehe Hermannstadt Visegrád siehe Plintenburg Vlad III., Ţepeş, wal. Woiw. (1456–1462, 1476) 80, 81, 82 Vlaicu, wal. Woiw. (1364–1377) 54 Vulcan siehe Wolkendorf Wagner, Valentin, ev. Stpfr. (1549–1557) 108, 109, 111, 112, 113, 114, 120 Wardein (ab 19. Jh. Großwardein, rum. Oradea, ung. [Nagy-] Várad) 36, 137, 146, 189, 211 Wartburg 11 Weidenbach (rum. Ghimbav, ung. Vidombák) 74, 134, 144, 145, 169, 183 Weiss, Johann Conrad von 64 Weiss, Michael, Stadtrichter (1612) 122, 123–128, 130–135, 140, 145, 155, 195, 226 Weißenburg (ab 18. Jh. Karlsburg, rum. Alba Iulia, ung. Gyulafehérvár) 34, 124, 146, 171, 204
Wermerus, Matthias 143 Weyrauch, Fam. 55 Weyrauch, Nicolaus 75 Wien 67, 92, 95, 96, 98, 101, 102, 122, 128, 130, 149, 170, 173, 174, 182, 186, 190 Wilhelm II., dt. Ks. (1888–1918) 202 Wittenberg 107, 108, 109, 111 Wittstock, Wolfgang 227 Wladislaw II., ung. Kg. (1490– 1516) 90 Wolkendorf (rum. Vulcan, ung. Szászvolkány) 125, 132, 138 Zărneşti siehe Zernescht Zeiden (rum. Codlea, ung. Feketehalom) 22, 24, 34, 42, 61, 84, 130, 134, 142, 144, 202 Zerbes, Michael 210 Zernescht (rum. Zărneşti, ung. Zernest) 63, 91, 125, 146, 167 Zillich, Heinrich 187, 210 Zsombor, Fam. 28, 47
Register der Personen und Orte 245