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German Pages 280 Year 2016
Carolin Wiedemann Kritische Kollektivität im Netz
Digitale Gesellschaft
Carolin Wiedemann, geb. 1983, lebt in Berlin, wo sie als freie Journalistin für das Feuilleton der FAZ, Missy Magazine und analyse&kritik arbeitet. Sie ist Redakteurin von »Spheres. Journal for Digital Cultures« am Digital Cultures Research Lab der Universität Lüneburg.
Carolin Wiedemann
Kritische Kollektivität im Netz Anonymous, Facebook und die Kraft der Affizierung in der Kontrollgesellschaft
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Inhalt
Vorwort | 7 Kritische Kollektivität im Netz – Einleitung | 11 Facebook – Das Assessment-Center der alltäglichen Lebensführung | 77 „Greetings from the Dark Site of the Internet“ – Anonymous und die Frage nach Widerstand in Zeiten der Informatisierung | 103 Open Collectivity | 133 Between Swarm, Network, and Multitude – Anonymous and the Infrastructures of the Common | 147 Swarms, Memes and Affects – A New Materialist Approach to the Infrastructure of 4chan | 177 Kritische Kollektivität im Netz – Diskussion und Konklusion | 197
Vorwort
Zwei Fragen liegen den folgenden Auseinandersetzungen zu Grunde. Die eine stellt sich im Hinblick auf die Machtverhältnisse in den Zeiten der Informatisierung: Was lässt sich als subversiv beschreiben gegenüber den Logiken der Kontrolle und Kommodifizierung, wie lässt sich Überschuss, Unerwartetes konzipieren, das weder über Big Data vorausgesagt noch (selbst-)unternehmerisch angeeignet werden kann? Die andere Frage stellt sich angesichts der jüngsten Diskussionen scheinbar neuer dezentraler und spontaner Gruppenphänomene, von Flashmobs bis zur Occupy Bewegung: Wie konstituiert sich Kollektivität jenseits von Identitätslogiken; wie kann Gemeinschaft konzipiert werden, die nicht nach innen homogenisiert und nach außen abschließt? Im vorliegenden Band verbinde ich die beiden Fragen theoretisch über den Begriff des Affekts und diskutiere diese Zusammenführung an Anonymous, jenem Phänomen, das die Rolle der Technik an zentraler Stelle einbringt. Ein nötiger Einbezug, sind doch Macht- und Medientechnik immer schon verwoben. Der vorliegende Band basiert auf meiner kumulativen Doktorarbeit, die ich Anfang 2015 erstmals an der Universität Hamburg eingereicht und schließlich 2016 um einige Passagen in Einleitung und Schluss ergänzt habe. Die beiden Fragen, die diese Doktorarbeit leiteten, schlossen sich an meine Magisterarbeit an: Darin hatte ich 2010 untersucht, inwiefern sich in so genannten Sozialen Medien, speziell auf Facebook, Machtmechanismen spiegeln, die Foucault mit dem Konzept der Gouvernementalität erfasst hatte. Es blieb zu klären, wie jene Machtmechanismen eigentlich zu unterlaufen wären, wie es um die Frage von Subjekt und Subversion, um die der Kollektivität steht. Und genau da tauchte Anonymous in meinem Blickfeld auf.
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Nicht nur in meinem: 2012 beschäftigte das unfassbare Kollektiv die Medienlandschaft ebenso wie internationale Konferenzen, die Fragen nach Protest im Netz, durch das Netz und gegen bestimmte Netzstrukturen diskutierten, all jene, die hofften, das Internet könne uns doch noch ein bisschen befreien. Gerade weil Anonymous so aktuell war, schien auch eine wissenschaftliche Auseinandersetzung in Form einzelner Aufsätze sinnvoll. Anonymous schafft es mittlerweile nicht mehr ganz so oft in die Schlagzeilen, die Fragen aber, die sich durch den Band ziehen, werden aktuell bleiben. Für eine der Antworten, die Anonymous gibt, hätte es gar keine Doktorarbeit gebraucht: „Expect us“, heißt es am Ende jedes Anonymous-Statements. Was von Anonymous selbst noch zu erwarten ist, bleibt offen, sicher jedoch gilt: Mit Störung ist zu rechnen – und sie wird nicht berechenbar sein. Oder wie Foucault schon wusste: „Wo Macht ist, ist auch Widerstand.“ An dieser Stelle möchte ich mich bei den Herausgeber_innen der verschiedenen Publikationen, in denen die hier versammelten Aufsätze erschienen sind, sowie bei den anonymen Gutachter_innen, die zwei der vorliegenden Aufsätze kommentiert haben, bedanken für die inhaltliche Auseinandersetzung mit meiner Arbeit, für ihren Rat und ihre Hilfe. Meinen beiden Betreuer_innen Marianne Pieper und Urs Stäheli habe ich einen großen Teil der Inspiration zu den grundlegenden Fragen zu verdanken, die mich überhaupt zu dieser Dissertation motivierten. Die Lehre von Marianne Pieper hat mich von meinem ersten Semester an geprägt und den Blick auf Machtverhältnisse geschärft. Die Zusammenarbeit mit Urs Stäheli im Rahmen der Beantragung des Graduiertenkollegs Lose Verbindungen hat mich gerade in der ersten Phase der Dissertation in meiner Fragestellung bekräftigt und dazu angetrieben, eigene Konzepte zu entwickeln, sie aber doch immer wieder auf Klassiker der Soziologie zu beziehen. Darüber hinaus möchte ich mich ganz herzlich für Anregungen, Kommentare und Unterstützung insbesondere bei Ute Tellmann, Sven Opitz, Annika Stähle, Clemens Reichhold, Katherine Braun, Soenke Zehle, Sebastian Vehlken, Thomas Böwing, Clemens Apprich, Linnea Riensberg, Lena Kampf, Fritz Wiedemann und Maximilian Popp bedanken.
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Die fünf Aufsätze, die in diesem Band von einer Theorie-Diskussion in Einleitung und Konklusion gerahmt werden, sind bereits in folgender Form erschienen: Wiedemann, Carolin (2011): „Facebook: Das Assessment-Center der alltäglichen Lebensführung“, in: Oliver Leistert/Theo Röhle (Hg.), Generation Facebook. Über das Leben im Social Net, Bielefeld: transcript, S. 161-181. – (2014): „‚Greetings from the Dark Side of the Internet‘ – Anonymous und die Frage nach Widerstand in Zeiten der Informatisierung“, in: Tanja Carstensen/Tanja Paulitz (Hg.), Subjektivierung 2.0, Machtverhältnisse digitaler Öffentlichkeiten, Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Band 13, S. 143-162. – (2011): „Open Collectivity“, in: Ulrich Herb (Hg.), Open Initiatives: Offenheit in der digitalen Welt und Wissenschaft, Universitätsverlag des Saarlandes: Saarbrücken, S. 205-215. – (2014): „Between Swarm, Network, and Multitude. Anonymous and the infrastructures of the common“, Distinktion: Scandinavian Journal of Social Theory, Vol. 15, No. 3, S. 309-326. – (2015): „Digital Swarming and Affective Infrastructures“, in: Tobias Harks/Sebastian Vehlken (Hg.), Neighborhood Technologies. Media and Mathematics of Dynamic Networks, Zürich/Berlin: Diaphanes, S. 195-212.
Kritische Kollektivität im Netz Einleitung
„It’s hard to report on Anonymous. It’s a non-organization of pranksters-turned-activists-turned-hackers-turned-hit-mess-oflaw-erforcement-drama. […] They are unpredictable, […] a sea of voices, all experimenting with new ways of being in the world.“ QUINN NORTON 2012
Während Quinn Norton im US-amerikanischen Technologie-Magazin Wired öffentlich davor kapitulierte, über Anonymous zu berichten, schrieben andere Journalist_innen von Anonymous als „Hackergruppe“, „GeheimOrganisation“ und „cyber army“.1 Doch Norton hatte Recht: Keine der Beschreibungen passte zu jener neuen Erscheinung, die durch Aktionen zur Unterstützung von Wikileaks im Dezember 2010 und der arabischen Revolution im Frühjahr 2011 global für Aufsehen gesorgt hatte. Anonymous war keine Gruppe, die sich über Mitglieder oder Anführer_innen definieren ließ, war keine Organisation, kein Verein, hatte kein Impressum und keine
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So schreibt Lukas Köhler in der Süddeutschen Zeitung von der „HackerGruppe“ (2011), Johannes Jöcker in der Computer Bild von der „GeheimOrganisation“ (2011) und bei der internationalen Nachrichtenagentur Reuters wird Anonymous „cyber army“ genannt (2011).
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Anschrift. Es schienen viele zu sein, sicher war das aber nicht. „We are all anonymous“, lautete der Kampfruf, und alle, so Norton, die das neue Phänomen einordnen wollten, bekamen Kopfweh von Anonymous. Der vorliegende Band geht der Frage nach, was als subversiv gelten kann unter den Bedingungen der Informatisierung. In fünf Aufsätzen und einem theoretischen Rahmenteil erörtere ich Formen der Subversion, die sich jenseits eines Konzepts subjektiver Handlungsfähigkeit entwerfen lassen, und damit zusammenhängende Arten der Assoziierung und Kollektivierung, für die Anonymous ikonische Bedeutung besitzt.
A NONYMOUS – E INFÜHRUNG IN DAS F ORSCHUNGSINTERESSE
DAS
P HÄNOMEN
UND
2006 begann ich, angeregt durch ein Seminar bei Bernhard Pörksen, mich mit jenen 90er-Jahre-Utopien US-amerikanischer Medienwissenschaftler_innen auseinanderzusetzen, die sich den Cyberspace als Ort ohne Hierarchien vorstellten, der alle gleich und doch frei machen würde, in dem es keine Herrschaftsverhältnisse und keine Kontrolle gäbe: „Wir erschaffen eine Welt, die jeder betreten darf, […] in der jeder, an jedem Ort, seine oder ihre Überzeugungen ausdrücken darf, egal wie einzigartig sie sein mögen, ohne Furcht davor, zum Schweigen oder zur Anpassung gezwungen zu werden“, schrieb John Perry Barlow 1996 in seiner berühmten Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace.2 Howard Rheingold verkündete die Geburt der virtuellen Gemeinschaft: Menschen, die sich offline nie begegnen könnten, würden sich auf der Basis geteilter Interessen online-basiert zusammenfinden, sich gegenseitig Unterstützung bieten und untereinander freundschaftlich binden (vgl. Rheingold 1994). Und Sherry Turkle beschrieb in ihrem Buch Leben im Netz. Identitäten in Zeitalter des Internet, wie sich User_innen von fest gefügten Identitätsnormen lösen könnten, mit vervielfältigten „Patchworkidentitäten“ spielen, code- und genderswitchen und sich somit auch vom eigenen Selbst lösen könnten (vgl. Turkle 1998: 289).
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Die Quellenangaben für Einleitung und Schlussteil finden sich im Literaturverzeichnis nach der Konklusion.
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Doch als ich diese Texte las, waren Angebote wie Facebook bereits dabei, sich zu etablieren – und sahen ganz anders aus als die Webvisionäre es sich ausgemalt hatten: Das Internet brachte keine befreite Parallelwelt hervor, sondern produzierte und reproduzierte bestimmte Machtverhältnisse, so dass heute jene Social Networking Sites am meisten Erfolg haben, auf denen User_innen sich zur Freude großer Konzerne und der NSA ‚authentisch‘ selbst vermessen. 2009 analysierte ich in meiner Magisterarbeit mit Bezug auf Foucaults späte Arbeiten und auf jene darauf aufbauenden Theorien zur Ökonomisierung des Sozialen Facebook als Teil einer neoliberalen Gouvernementalität im Postfordismus und zeigte dabei, dass der Befreiungsdiskurs zum Internet weder berücksichtigt hatte, dass die Entstehung der Technologien zu verorten ist in breiteren Kontexten und die Maschinen und ihre Funktionsweisen damit in historisch gewachsene Machtverhältnisse involviert sind, noch, dass auch diejenigen, die die Maschinen nutzen, keine Neugeborenen im Cyberspace sind. Während ich an dieser Arbeit schrieb, wurde die Frage immer dringender, wie denn Widerstand unter den Bedingungen jener Gouvernementalität möglich sei und wie er überhaupt mit den Konzepten Michel Foucaults und den Theorien in seiner Folge zu konzipieren wäre. Zu dieser Zeit interviewte ich auf der Social Media Konferenz republica 2009 in Berlin Chris Poole, den Gründer von 4chan, jener Plattform, auf der Anonymous zum ersten Mal auftauchte, für einen journalistischen Artikel, nachdem er im TIME Ranking zu den einflussreichsten Menschen weltweit den ersten Platz belegt hatte.3 Poole erzählte von seiner Seite, von 4chan, einer Plattform, auf der man anonym kommunizieren kann und nichts archiviert wird, auf der also niemand Spuren hinterlässt – und er erzählte von Anonymous: „Anonymous – so lautet das Pseudonym aller Nutzer, die sich namenlos einloggen – wohnt in Australien und Russland zugleich, schläft also nie und kann auf 43 verschiedenen 4chan-Rubriken parallel posten. 400 000 neue Beiträge erscheinen durchschnittlich pro Tag (auf 4chan), die überleben meist nicht länger als eine Stun-
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Ein Ergebnis, das auf eine Internetumfrage zurückging, die von Anonymous gehackt worden war, vgl. http://content.time.com/time/arts/article/0,8599, 1894028,00.html (aufgerufen am 12.06.2016).
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de. […] Wir archivieren nichts. Ideen bleiben nur dann länger präsent, wenn die Nutzer sie immer wieder aufgreifen.“4
Er berichtete davon, wie die anonyme 4chan-Masse sich Anfang 2008 abrupt als Reaktion auf ein Scientology-Werbe-Video von Tom Cruise, das auf YouTube verbreitet wurde, gegen die Sekte wandte, weltweit die Server von Mitgliedern angriff und gegen deren Steuervorteile in den USA protestierte. Und er erzählte von den Lolcats, einem Phänomen, das exemplarisch für jene Art der unvorhersehbaren Kooperation steht, die im Folgenden von Interesse sein wird: Für eine spontane Kooperation, die keinen Zweck hat, der hinausgeht über die spontane Erfahrung von Kollektivität im Sinne einer gemeinsamen Wirkmächtigkeit, über das Vergnügen des gemeinsamen Schaffens – und die es ohne das Internet so nicht gäbe.5 Bei diesem Gespräch mit Chris Poole erfuhr ich also zum ersten Mal von Anonymous und wurde neugierig: Ich musste an die großen Utopien zum Internet denken – und ja, war auch angesteckt von der Begeisterung und Überraschung, mit der Poole selbst verfolgte, was sich auf 4chan tat: „Welche Ideen auf meiner Plattform die breite Aufmerksamkeit finden und sich dann rasant im ganzen Netz verbreiten, das scheint mir so zufällig wie mein Leben selbst.“ Ende 2010, über ein Jahr, nachdem ich Poole getroffen hatte, wurden die Server von Visa, MasterCard und PayPal angegriffen, nachdem die Unternehmen sich geweigert hatten, Spenden für Wikileaks anzunehmen. Das sei die Rache für die Wikileaks-Ablehnung, hieß es in Texten und Videobotschaften von anonymer Quelle, die unter dem Namen Anonymous im Internet zirkulierten und schließlich in den Zeitungen zitiert wurden. Der Höhepunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit war ein paar Monate später
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Vgl. http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/29157/ (aufgerufen am 12.04.2016).
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Das TIME Magazine schrieb treffend über die Lolcats-Meme, dass es ein nichtkommerzielles, extrem seltenes Phänomen sei, das den Internet-Geist der 90er Jahre verkörpere. Es wird im Weiteren noch genauer um LolCats gehen. Sie sind eine von vielen sogenannten Memen, in denen Kommentare und Bilder zu einem bestimmten Thema zusammengefügt werden, die sich schnell verbreiten und dabei immer wieder verändert und angepasst werden. Vor allem in Digital Swarming and Affective Swarming komme ich darauf zurück: ebd.: 198ff.
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erreicht, als es 2011 hieß, Anonymous habe die Proteste des arabischen Frühlings mit Angriffen auf die Server der Diktatoren unterstützt. Doch, wie bereits bemerkt, irritierte Anonymous die Medienhäuser, die Mitglieder interviewen oder eine Zentrale kontaktieren wollten. Anonymous gab es schließlich nicht, Anonymous war flüchtig und immer im Werden, ein Kollektiv, das keines war, und doch immer wieder in scheinbar spontaner Kooperation gemeinsam etwas schuf – das war es, was mich daran so reizte. Als ich Ende 2010 begann, zu Anonymous zu recherchieren,6 ging es mir weniger um die Frage, ob Anonymous erneut den libertären CyberTraum anregen würde, genauso wenig um die DDoS-Aktionen, die Anonymous in den etablierten Medien zugerechnet wurden, oder darum, wer nun tatsächlich bei welcher Aktion dabei war. Vielmehr ging es mir um die Möglichkeit, anhand des Phänomens Anonymous, die Konzeptualisierung von Subversion im Anschluss an Foucault und in Bezug auf jenes Dispositiv zu diskutieren, das sich aus der Erweiterung der früheren Arbeiten zu Gouvernementalität mit Analysen zur Kybernetisierung und Biopolitik ergab. Ich hatte bereits in Bezug auf Facebook Einblick in die Ambivalenz der beweglichen Netzstrukturen erhalten, über die auch die neuen Machttechniken arbeiten. Meine Konklusion, dass aktuelle Social Media Angebote wie eben Facebook ein Regime der Sichtbarkeit und Konkurrenz förderten, dass sie also bereits bestehende Dispositive verstärken konnten, berücksichtigte aber noch nicht ausreichend, dass Technologien wiederum eigene Wirkungen haben, dass Social Media zwar nicht automatisch soziale Bewegungen stärken, dass sie aber deshalb als sozial gelten können, weil sie das Soziale mitkonstituieren (vgl. Zehle/Rossiter 2009: 14). Zu klären blieb die Frage, inwiefern über jene beweglichen Netzstrukturen auch anderes in Bewegung gerät, inwiefern sie an Prozessen des Werdens und Anderswerdens beteiligt sind. Die Perspektive auf die gegenwärtige Gestalt der wechselseitigen Konstitutionsbewegung von Macht- und Medientechniken bildet den Ausgangspunkt, von dem aus ich in diesem Band frage, inwiefern sich im Zusammenspiel mit den beweglichen Netzstrukturen Formen der Subversion entwickeln, inwiefern Formen der Kooperation entstehen können, neue Erfahrungen von Kollektivität, von kollektiver Wir-
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Das war zu diesem Zeitpunkt fast ausschließlich auf Basis journalistischer Artikel und von Internetforen möglich, weil noch keine Forschung dazu vorlag (siehe Forschungsstand).
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kungsmacht, die den Anrufungen als einzelne Unternehmer_innen effizienter Selbstdatierung entgegenstehen. Im Folgenden wird gezeigt, inwiefern sich der bereits angedeutete Zusammenhang von Subversion und Kollektivität in Bezug auf jenes Dispositiv ergibt, das in dieser Arbeit als Hintergrundfolie dient, und inwiefern er in diesem Bezug zur Auseinandersetzung mit neomaterialistischen Affekttheorien führt – wobei Anonymous für beide Schritte sowohl als Inspiration als auch zur Illustration dient. Zwei aktuelle Theorieentwicklungen sind für diese Vorgehensweise von besonderer Bedeutung, erstens die Debatte rund um dezentrale Kollektive, um Gemeinschaft jenseits von Repräsentation und zweitens der Material Turn in den Sozial- und Kulturwissenschaften. In der wieder belebten Debatte zum Gemeinschaftsbegriff werden Ideen zu einem neuen Verständnis des Verhältnisses von Singularität und Kollektivität diskutiert, zu einer radikaldemokratischen Assoziierung jenseits von Abschlussgesten nach außen und Homogenisierung nach innen (vgl. Gertenbach/Richter 2010: 120ff.), zu einer Form der Assoziierung, die auch als Figur des Widerstands in Kontrollgesellschaften gilt. Der Rolle der Technik schenken jene Gemeinschafts-Theoretiker_innen jedoch unzureichend Beachtung. Die Auseinandersetzung mit Anonymous bringt die beiden Ansätze zusammen: Sie verbindet die Frage nach dem Gemeinsamen und danach, wie eine nicht-repräsentative politische Praxis aussehen kann, mit der Frage nach dynamischen Konstellationen von technischen Programmen und sozialen Praktiken – und verdeutlicht dabei gleichermaßen deren (theorie-) politische Bedeutung für die Frage nach Subversion. Ich lege damit zwar keine empirische Studie zu Anonymous vor, aber auch keine reine Theoriearbeit, sondern versuche, die Theoriediskussion als Werkzeug in der Auseinandersetzung mit dem Phänomen kritischkonstruktiv zu nutzen, weniger um Anonymous adäquat zu repräsentieren, sondern um meine Einblicke in eine größere theoretische Debatte zu neuen Formen von Subversion und Kollektivität einzuordnen. Bevor jedoch die „Analytik des Werdens und Anderswerdens“ (Pieper et al. 2011: 18) als zentraler Bezugspunkt der folgenden Aufsatzsammlung eingeführt wird, soll eine „Analytik der Gegenwart“, wie Foucault sie beschrieb, als Ausgangspunkt dienen. Dafür werde ich – ähnlich wie im zweiten Aufsatz zur Frage nach der Subversion in Zeiten der Informatisierung – jenes Dispositiv der Informatisierung skizzieren, das sich, wie bereits be-
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tont, aus der Erweiterung meiner früheren Arbeiten zur Gouvernementalität mit Analysen zur Biopolitik und Kybernetisierung ergibt und der Frage nach der Subversion als Bezugsgröße dient. Schließlich erfordert jene Frage die Bestimmung der hegemonialen Logik, die unterlaufen wird, der Imperative, die nicht befolgt werden, und der Machtverhältnisse, die ich im Sinne Michel Foucaults verstehe. In dieser Einleitung werde ich damit als Erstes die Frage nach Subversion und schließlich jene nach Kollektivität situieren im Kontext eines kontrollgesellschaftlich-kybernetischen Dispositivs bzw. eines Dispositivs der Informatisierung, das ich ausgehend von Foucaults Arbeiten zur Gouvernementalität herleite. Dabei werde ich bereits den ersten Aufsatz einbeziehen, in dem sich die Perspektive auf die Machtverhältnisse in der Analyse der Gouvernementalität von Facebook fortsetzt. Daran knüpfen die Fragen an, die sich durch die weiteren Aufsätze ziehen, deren jeweilige Schwerpunkte ich aufeinander aufbauend skizzieren werde. Im Anschluss daran werde ich den Forschungsstand zur Auseinandersetzung mit Anonymous umreißen, meine theoretische Verortung erklären und schließlich die methodologischen Entscheidungen darlegen, die meiner Beschäftigung mit Anonymous zu Grunde liegen und dabei auch einen Überblick über das gesammelte empirische Material geben.
D ISPOSITIV
DER I NFORMATISIERUNG
Ich verorte den Prozess der Informatisierung in einem größeren Transformationsprozess zu Kontrollgesellschaften und biopolitischem Kapitalismus, der mit einer Ökonomisierung und Kybernetisierung des Sozialen einhergeht. Zur Erläuterung dieses größeren Transformationsprozesses orientiere ich mich an den Diagnosen der AnalytikerInnen der Gouvernementalität der Gegenwart (Bröckling/Krasmann/Lemke 2000) im Anschluss an Michel Foucault. So werde ich Foucaults Analyse der spezifischen Regierungsform in modernen Gesellschaften und ihre Plausibilität für die Beschreibung gegenwärtiger Rationalitäten skizzieren, sowie Foucaults Begriff der Biopolitik aufgreifen, der in den letzten Jahren ebenfalls diverse Arbeiten zu einer kritischen Analytik der Gegenwart angeregt hat. Den Begriff der Kontrollgesellschaft verwende ich in Anlehnung an Gilles Deleuze (1993), der im Text Postscriptum über die Kontrollgesellschaft Foucaults
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Analyseverfahren mit Blick auf die Gegenwart weiterführt, indem er zeigt, inwiefern die biopolitische Gouvernementalität mit dem Übergang in ein postfordistisches Akkumulationsregime durch Praktiken der Kontrolle jenseits von Mechanismen der Disziplin erweitert wird und wie sich die Machtwirkungen innerhalb der Kontrollgesellschaften auch jenseits hierarchischer Topologien entfalten. Diese Weiterführung wird gerade im Hinblick auf die Frage nach der Informatisierung, nach der Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechniken wie des Internets interessant. Im Folgenden skizziere ich einige Aspekte jenes Dispositivs, die in den Analysen und Konzepten des Übergangs zu Kontrollgesellschaften und dem biopolitischen Kapitalismus relevant sind, um anschließend die neuen Formen der Machtausübung in Beziehung zur Ausbreitung neuer Kommunikationstechniken setzen zu können. Damit wird das Terrain bereitet, um in meinen Artikeln ein Konzept von Subversion entwickeln und es an Anonymous diskutieren zu können. Gouvernementalität und Biopolitik Mit dem Begriff der Gouvernementalität taucht in Foucaults späten Arbeiten eine neue theoretische Problemstellung auf, die sich in grundlegender Form mit den Methoden der „Lenkung der Menschen untereinander“ (Foucault 1996: 119) befasst. In zwei Vorlesungen am Collège de France von 1977/78 und 1979/80 wendet er sich den Regierungstechniken zu, die der Bildung des modernen Staates unterlegt sind, die sich im 18. Jahrhundert mit der Ausbreitung des Liberalismus und der Etablierung eines Bürgertums durchsetzten und deren Wissensformen und Verhaltenstechnologien bis in zeitgenössische Gesellschaften hinein Bestand haben würden (ebd. 2004a: 164). Das Dispositiv, das sich dabei entwickelt, stützt sich laut Foucault auf zwei Mechanismen: Sicherheit und Markt, und operiert über die sich herausbildende neoliberale Rationalität, die wiederum mit dem Aufkommen der Biopolitik zusammenhängt, jener Machttechnologie, die das Leben zum Objekt nimmt (vgl. Terranova 2007). Die Begründung von Foucaults Ansatz der Gouvernementalität liegt zunächst in einer Ausdifferenzierung des Regierungsbegriffs, zu der er über eine historische Auseinandersetzung gelangt, die er in seinen zwei Vorlesungsreihen präsentiert. Dabei geht er davon aus, dass der moderne (westliche) Staat aus einer komplexen Verbindung politischer und pastoraler
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Machttechniken hervorging (Foucault 2004a: 173ff.; vgl. Lemke 2001: 109). Die politische Macht, die ihren Ursprung in der griechischen Polis hat, dient dem Erhalt des Gemeinwesens, die pastorale Macht, die sich aus dem vorchristlichen Orient herleitet, konzentriert sich dagegen auf die Führung der Individuen und ihrer Seelen und operiert über eine ständige Wissens- und Wahrheitsproduktion über die Individuen (Foucault 2004a: 188). Nachdem sich die pastoralen Führungstechniken, Foucault zufolge, mit dem Verfall der feudal-ständischen Gesellschaftsordnung und der religiösen Reformations- und Gegenreformationsprozesse aus ihren kirchlichreligiösen Rahmenbedingungen lösten, entfalteten sich spezifische Subjektivierungsformen im gesamten gesellschaftlichen Bereich, auf denen der moderne Staat und die kapitalistische Gesellschaft aufbauten. So entwickle sich eine liberale Gouvernementalität, wobei der Begriff der Regierung, der im Neologismus Gouvernementalité steckt, sich damit auf die „Art und Weise, mit der man das Verhalten der Menschen steuert“ (Foucault 2004b: 261) bezieht. Diese Steuerung ist nicht dem Staat vorbehalten, sondern bezieht sich auf eine „Gesamtheit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und Taktiken, die es gestatten, diese recht spezifische und doch komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als wichtigste Wissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat.“ (Foucault 2004a: 162f.)
Die Entwicklung jener liberalen Gouvernementalität und ihrer spezifischen Rationalität ist verbunden mit der Herausbildung einer politischen Ökonomie, die sowohl übergeordnete moralisch-religiöse Prinzipien als auch ein Bild des Staates als notwendiges Gegenüber eines chaotischen und barbarischen Urzustands aufgibt zugunsten der Idee einer spontanen und vermeintlich natürlichen Selbstregulation der Gesellschaft auf der Basis eines freien Marktes (wobei die Sicherheitsdispositive überhaupt die Grundlage und damit Einschränkung des ‚natürlichen‘ Gleichgewichts darstellen, ein Aspekt, der noch weiter ausgeführt wird). Diese Idee verbindet sich wiederum mit der Entdeckung, dass die Bevölkerung intrinsischen Gesetzen folge (Foucault 2004a: 490), also beispielsweise mit der sich entwickelnden Demographie, in deren Rahmen die ‚Bevölkerung‘ als Kulminationspunkt statistisch aggregierter Größen überhaupt erst in Erscheinung tritt. Proble-
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me infrastruktureller, medizinischer oder ökonomischer Art lassen sich erstmals adressieren und lösen, indem Lebensprozesse aufgezeichnet und analysiert werden – im Rahmen einer „Statistik der Bevölkerung“ (ebd.: 152). Den zweiten Teil seiner Vorlesungsreihe zur Geschichte der Gouvernementalität nennt Foucault „Die Geburt der Biopolitik“ und verweist damit bereits auf den engen Zusammenhang der Entwicklung der liberalen Gouvernementalität mit der Entstehung eines neuen Machttyps, der Biomacht oder der „Biopolitik der Bevölkerung“, den er bereits in der Wille zum Wissen (1977) und in In Verteidigung der Gesellschaft (1999) herausgearbeitet hatte. So gilt es, wie Foucault schreibt, „den Liberalismus als allgemeinen Rahmen der Biopolitik zu untersuchen“ (ebd. 2004b: 43). Mit den Begriffen Biomacht und Biopolitik bzw. biopolitische Techniken7 bezeichnet Foucault eine zweite genealogische Linie, die sich auf der grundlegenden Achse der Disziplinarmacht entwickelt (vgl. auch Pieper et al. 2011: 10). Anders als die Disziplinarmacht nimmt die Biomacht nicht die individuellen Körper ins Visier, sondern einen „multiple[n] Körper mit zahlreichen Köpfen“ (Foucault 1999: 283): „die Population“. Schon die Disziplinarmacht wirkt auf die Individuen ein, um sie nützlich und produktiv zu machen, z.B. in Schulen oder Fabriken (Foucault 1976: 267). Die Biomacht weitet das Prinzip der Nützlichkeit und Produktivität auf das gesamte Leben und Zusammenleben aus, über die Verwaltung des gemeinsamen und jedes individuellen Lebens: Foucaults Biopolitik ist „[…] eine Technik der Macht, die durch Förderung, Steigerung und Unterstützung des Lebens das-
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Foucault unterscheidet nicht systematisch zwischen Biomacht und Biopolitik, meist setzt er die beiden Begriffe gleich oder verwendet den Begriff Biopolitik als komplementär zu Biomacht. Petra Gehring will dagegen „Beschreibungsund Reflexionsebene“ (2011: 178) auseinanderhalten: Biomacht sei die Machttechnologie, „Biopolitik hingegen findet auf der Ebene politischer Maßnahmen statt“ (ebd.). Post-operaistische Theoretiker_innen schlagen wiederum vor, zwischen Biomacht und Biopolitik zu unterscheiden, um mit dem Begriff der Biopolitik das Terrain der Kämpfe zu bezeichnen, die im gegenwärtigen Transformationsprozess hin zu einem „biopolitischen“ Kapitalismus an Bedeutung gewinnen (vgl. Pieper et al. 2011: 17). Diesen Punkt werde ich später noch einmal aufgreifen.
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selbe regiert“ (Muhle/Thiele 2011: 13). Diese neue Macht wendet sich auf zwei Ebenen der Verwaltung des Lebens zu, sie richtet sich darauf, sowohl den menschlichen Körper, der in den Anstalten des Humanismus (Klinik, Schule, Armee, usw.) mobilisiert und normiert wird, als Maschine zu disziplinieren8 als auch die Bevölkerung zu regulieren, indem sie neue totalisierende Interventionsstrategien und Wissensformen hervorbringt. „Jene BioMacht war […] ein unerläßliches Element bei der Entwicklung des Kapitalismus, der ohne kontrollierte Einschaltung der Körper in die Produktionsapparate und ohne Anpassung der Bevölkerungsphänomene an die ökonomischen Prozesse nicht möglich gewesen wäre“, resümiert Foucault (1977: 168). Das ökonomische Kalkül hängt mit dem Sicherheitsregime zusammen: In dieser Marktwirtschaft gilt nicht das Prinzip des laissez faire – Stabilität und Wachstum des Marktes werden garantiert durch die Politik „einer Wachsamkeit, einer Aktivität, einer permanenten Intervention“ (Foucault 2004b: 188) in die gesellschaftlichen Prozesse (vgl. Terranova 2007). So zielt dieses neue Machtsystem, in dem sich das biopolitische Dispositiv mit der Herausbildung einer (neo)liberalen politischen Ökonomie verbindet, seit Mitte des 20. Jahrhunderts in umfassender Weise auf die Optimierung des Lebens und der sozialen Produktivität.9
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Ich werde später noch kurz auf den Aspekt eingehen, dass sich die unterschiedlichen Machtformen in der Foucault’schen Analyse nicht ablösen, sondern einander ergänzen oder auch trotz Widersprüchen parallel bestehen.
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Die Frage, inwiefern Biopolitik und Liberalismus in Foucaults Analysen als wechselseitig aufeinander verwiesen dargestellt werden und inwiefern diese Darstellung plausibel wäre, ist umstritten. Tiziania Terranova (2007) schreibt dazu beispielweise: Foucault habe „gezeigt, dass der Zeitpunkt, an dem das Leben zum neuen Machtobjekt wird, auch der Zeitpunkt der Bestätigung von neuen potenten Machttechnologien ist, auch derjenigen, die von liberalen und neoliberalen politischen Ökonomen beschrieben wurden.“ Petra Gehring (2011: 182) merkt dagegen an, der Bezug des Liberalismus zur Biopolitik werde nur im Rahmen von Foucaults Beschreibung der Verwertungslogiken, die das gesamte menschliche Leben erfassen deutlich. Ute Tellmann (2011) erläutert zwar, inwiefern Foucaults eigene Darstellung des Zusammenhangs unklar bleibt, begründet letzteren dann aber unter Berücksichtigung der Genealogie der Bevölkerungsdiskurses und resümiert: „Die liberale Regierung ist […] insofern biopoli-
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Die gouvernementale Führung funktioniert dabei jedoch kaum über Zwang sondern über die Selbststeuerung der Individuen und damit gleichermaßen der Bevölkerung. Die Analyse jener Regierungstechniken führt in Foucaults Kartographie der Macht die Dimension der Subjektivierung ein, eine „Subjektivierungslinie“ (Deleuze 1992: 157). Im Rahmen der Gouvernementalitätsstudien rücken für Foucault Prozesse der Subjektivierung in den Vordergrund, in denen sich Machtformen mit Formen der Selbstführung koppeln. Die grundlegende Annahme: „Es ist eine Machtform, die aus Individuen Subjekte macht“ (Foucault 1994: 246) gilt zwar auch im Spätwerk. Doch rückt die Verwobenheit von Macht und Subjekt stärker in den Vordergrund: „Das Subjekt ist zugleich Wirkung und Voraussetzung, Schauplatz, Adressat und Urheber von Machtinterventionen.“ (Bröckling 2007: 21) Der Prozesses der Subjektivierung, der sich damit in einem andauernden Kraftfeld vollzieht, ist ein „paradoxer Vorgang, bei dem aktive und passive Momente, Fremd- und Eigensteuerung unauflösbar ineinander verwoben sind“ (ebd.: 19). Mit dem Begriff der Eigen- bzw. Selbstführung taucht bereits die Frage danach auf, was jenseits der Determinierung der Individuen liegt, und damit die Frage nach Widerstand – eine Frage, die für die vorliegende Arbeit zentral ist. Wie Foucault dieser Frage begegnet und inwiefern sein Ansatz geeignet ist, um Subversion in Zeiten der Informatisierung zu erörtern, werde ich gleich erläutern. An dieser Stelle sei mit Foucault bereits festgehalten, dass die neue Rationalität der Regierung sich auf staatliche Regierungspraxen sowie Selbstregierungspraxen jeder einzelnen Person bezieht. Die Regierung der Individuen besteht dann darin, deren Freiheit zu garantieren, Möglichkeiten aufzuzeigen und Verfahrensweisen nahe zu legen, diese Freiheit auf eine ganz bestimmte Weise zu nutzen, die sich, so analysiert Foucault vor einer „Art ständigem ökonomischen Tribunal“ (Foucault 2004b: 342) behaupten muss. Diese neue Rationalität ist Foucault zufolge konstitutiv für eine „neue Aushöhlung, eine neue Art von Mensch“ (Terra-
tisch, als sie die Regierung der Subjekte als eine Zivilisationsanstrengung gegen eine Figur des katastrophischen Lebens fasst.“ (79) Foucault arbeitet diesen Zusammenhang selbst zwar nicht in detaillierter Weise aus, sein Konzept der Sicherheitsdispositive verweist meiner Lesart nach allerdings bereits auf die „katastrophische Natur der Bevölkerung“ (73).
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nova 2007):10 den homo oeconomicus, „ein Subjekt, das, streng genommen, unter allen Bedingungen seinen Profit zu maximieren, das Verhältnis zwischen Gewinn und Verlust zu optimieren versucht; im weiteren Sinn: ein Subjekt, dessen Verhalten durch die Gewinne und Verluste beeinflusst wird, die ihm entsprechen.“ (Foucault 2004b: 358) Viele Analysen, die sich an Foucaults Arbeiten zur neoliberalen oder biopolitischen Gouvernementalität orientieren, erweitern ihre Perspektive durch den Blick auf den Wandel der Produktionsverhältnisse (Postfordismus). Jener Zusammenhang spielt auch in meinen Artikeln eine Rolle für die Frage nach subversiven Bewegungen vor dem Hintergrund gegenwärtiger Formen der „Ökonomisierung des Sozialen“ (Bröckling/Krasmann/ Lemke 2000) oder auch des „Empire“ (Hardt/Negri 2002). Foucault selbst hat sich nicht explizit auf die Veränderungen in der Arbeitswelt und die Entwicklungen der Produktionsverhältnisse bezogen, als er das Konzept der Biopolitik Mitte der 1970er erarbeitet hat, genau zu der Zeit, in welcher der Übergang vom fordistischen Disziplinarregime zur postfordistischen Kontrollgesellschaft begann – wie sich rückblickend feststellen lässt (vgl. Pieper et al 2011: 11). Einige Analysen der bereits erwähnten governmentality studies (z.B. Rose 1996; Bröckling/Krasmann/Lemke 2000; Pieper/Gutiérrez Rodríguez 2005; Opitz 2004; Krasmann/Opitz 2007) und auch postoperaistische Theoretiker_innen (z.B. Hardt/Negri 2002, 2004; Lazzarato 1998; Mezzadra 2007) konnten die Zusammenhänge zwischen den fundamentalen Veränderungen in der Organisation der Arbeit in den letzten Jahrzehnten und der Etablierung biopolitischer Techniken sowie neoliberaler Gouvernementalität plausibel ergänzen – was Deleuze mit seinem Postscriptum über die Kontrollgesellschaft bereits skizziert hatte – und darlegen, inwiefern damit das Leitbild des unternehmerischen Selbst gefördert wird, das sein Denken und Handeln kalkulatorischen Prinzipien unterwirft (v.a. Bröckling 2007). Wie gezeigt wurde, gehört es zu den zentralen Entwicklungen im Rahmen einer biopolitischen Gouvernementalität, sowohl Einzelne, als auch die ‚Bevölkerung‘ als statistische Größe zu konzipieren, die sich selbst organisieren und in ein ‚natürliches Gleichgewicht‘ bringen, die es gleichzeitig
10 Wenn in der Quellenangabe zu einem Zitat keine Seitenzahl genannt wird, bezieht sich die Angabe auf eine Webseite oder einen Blogbeitrag, der nicht in Seiten gegliedert ist.
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aber kalkulatorisch zu verwalten gilt. Jene Entwicklung scheint in engem Zusammenhang mit Technologien zur Erfassung und Berechnung zu stehen, die ein entsprechendes Selbstmanagement sowie die (Selbst)Steuerung der ‚Bevölkerung‘ erst möglich machen. Der Zusammenhang zwischen der Entwicklung bestimmter Technologien und spezifischen Disziplinierungs- und Regierungsweisen ist für Foucault zentral. Sein Konzept des Dispositivs ist in diesem Band wegweisend für das Verständnis jenes Zusammenhangs. Es dient als Ausgangspunkt für die Annäherung an Prozesse der Informatisierung. Für das Verständnis der subversiven Bewegungen und somit für die Diskussion eines Phänomens wie Anonymous muss es jedoch, wie ich vor allem in „Greetings from the Dark Side of the Internet“ – Anonymous und die Frage nach Widerstand in Zeiten der Informatisierung zeige, erweitert werden. Dispositiv und Medientechnik Obwohl sich Foucault zwar kaum Prozessen widmet, die alltagssprachlich als technisch verstanden werden, also zum Beispiel Bereichen der Mechanik oder Elektronik, tauchen die Begriffe ‚Technologie‘ und ‚Technik‘ in seinem Werk durchgängig auf (vgl. Seibel 2010: 26ff.). Vor allem in Überwachen und Strafen erweitert er die Machtanalytik um eine Ebene, die an vielen Stellen mit dem Begriff der Technologien über die der Analyse der Episteme hinausgeht (Foucault 1976: z.B. 34ff.). Eine spezifische Technik wird damit immer schon als Bestandteil von mehrdimensionalen Beziehungsnetzen, von so genannten Dispositiven verstanden, die Wissen und Macht in Beziehung zueinander organisieren. Das Foucaultsche Dispositiv ist ein „Netz, das zwischen […] Elementen geknüpft werden kann“ (Foucault 1978: 120), zwischen „Strategien von Kräfteverhältnissen, die Typen von Wissen stützen und von diesen gestützt werden.“ (Foucault 1978: 123) Dispositive sind damit analytische ‚Konstrukte‘, die jedoch genauso wenig wie die von ihnen konstituierten Gegenstände und Mechanismen bloß als immaterielle Formeln existieren. Dieses Dispositiv-Verständnis bildet damit im vorliegenden Band die Grundlage für ein Verständnis von Materialität, die ich mit Theorien des Material Turn ergänzen werde – wie später zu zeigen sein wird. Mit dem Dispositiv de-naturalisiert Foucault Gegenstände zwar durch die Betonung ihrer Relationalität und Heterogenität, er betont aber die Materialität der Verbindung. Deren Effek-
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te zeigen sich sowohl in der Ordnung von Praktiken, Diskursen, Institutionen als auch im Verhalten, Denken und Wissen der Individuen. „In gewissem Sinne wird damit der Begriff der Materialität selbst de-naturalisiert: Er lässt sich nicht mehr auf das scheinbar evidente, anfassbare und gegenständliche Material beschränken; zumindest wird infrage gestellt, ob ein eindeutiger Unterschied zwischen der Materialität von Dingen und der Materialität von Prozessen, Strukturen etc. zu machen ist.“ (Stauff 2004: 140)
Die Annahme der Wechselwirkungen zwischen technischen Artefakten und einer Vielzahl anderer Elemente macht den Begriff des Dispositivs auch für medientheoretische Überlegungen wichtig: „Das Dispositiv ist ein Konstrukt oder ein Denk- und Beschreibungsansatz gerade medialer Phänomene, in dem materielle Gegebenheiten und Beschaffenheiten apparativer, technischer Objekte mit physiologischen, psychologischen, epistemologischen und soziologischen Strukturen verschränkbar gemacht werden.“ (Engell 2001: 41)
Verschiedene Medienwissenschaftler_innen verwenden das Konzept des Dispositivs zum Teil auf unterschiedliche Weise. Die meisten beziehen sich zwar auf Foucault, unterscheiden sich aber vor allem in einer Hinsicht: Die einen setzen einzelne Medien mit Dispositiven gleich – der Film oder das Fernsehen als Dispositiv; damit geht in der Regel eine Betonung der Differenzen zwischen unterschiedlichen Medien einher (z.B. Hickethier 1991).11 Demgegenüber suchen Modelle, die einzelne Medien eher als Bestandteile umfassender Dispositive betrachten, nach Überschneidungen zwischen Medien und anderen kulturellen oder gesellschaftlichen Mechanismen. So
11 Doch auch die Perspektivierung von Medien als Dispositiven erlaubt sehr unterschiedliche Akzentsetzungen und schließt – angesichts der Flexibilität des Dispositivbegriffs – den Bezug auf umfassendere Dispositive keineswegs aus. Exemplarisch hierfür ist Siegfried Zielinskis Studie Audiovisonen, die die Entwicklung der Medien seit Mitte des 19. Jahrhunderts nachvollzieht. Das gesamte Feld der audiovisuellen Medien bezeichnet er als einen „Spezialdiskurs“, insofern sich dieses als „immer stärker normierter institutionalisierter Ausdrucksund Handlungsbereich etabliert“ (Zielinski 1989: 13).
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sprechen Parr und Thiele zum Beispiel von einem „Normalitätsdispositiv“, das „ohne die massenmediale Basis von Rundfunk und Fernsehen kaum so wirkungsvoll hätte werden können.“ (Parr/Thiele 2007: 95) Innerhalb eines Dispositivs gehen heterogene Elemente eine strategische Verbindung ein. Die Strategien eines Dispositivs lassen sich auch in der Funktionsweise der Techniken zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt selbst wiederfinden, denn es „stecken gerade auch in den kleinen, im engeren Sinne ‚technischen‘ Techniken ähnlich wie in der Aussage die Spuren der spezifischen Formensprache der Macht einer Zeit“ (Gehring 2004: 124). In dieser Perspektive gelten Praktiken und Diskurse, die in vielen konventionellen Modellen das Gegenüber der Medien bilden, als konstitutive Teilelemente des heterogenen Ensembles und seiner immanenten Rationalität. So analysiert Foucault in Bezug auf das gouvernementale Dispositiv eine Ordnung, „die den Menschen, den Körpern, den Dingen nicht nur aufgezwungen wird, sondern von der sie gleichzeitig aktiver Teil sind“ (Lorey 2006). Foucaults Konzept von Praktiken, die er als konstitutiven Teil von Dispositiven erachtet, macht es damit möglich, auf ein gegebenes, handlungsfähiges Subjekt zu verzichten und dennoch eine strukturfunktionalistische Perspektive zu überwinden (vgl. Stäheli 2004a: 155f.). Das ist die Grundlage, von der aus in den folgenden Artikeln nach der Möglichkeit von Subversion und Kollektivität gefragt wird. Analog zu Foucaults Machtanalyse verweisen auch die Rationalitäten der jeweiligen technischen Apparate nicht auf die „List irgendeines metaoder transhistorischen Subjekts“ (Foucault 2000: 393). Die historische Entwicklung der Dispositive verläuft in der Foucaultschen Perspektive zwar nicht kontingent, ihre entsprechenden Strategien gehen aus den historisch jeweils spezifischen Kräfteverhältnissen hervor, die sich jedoch nicht auf einen gemeinsamen Ursprung zurückführen lassen. So widmet sich Foucault einer Vielfalt von Disziplinierungs- und Regierungspraktiken, „die allenfalls nachträglich als von einer hegemonialen Logik (einer nichtintentionalen Strategie im Foucault’schen Sinne) durchdrungen beobachtet, nicht aber von einer übergeordneten Logik abgeleitet werden kann“ (Stäheli 2004a: 156). So will ich hier auch keine teleologische Erzählung der Geschichte der Informatisierung präsentieren, in der eins zum anderen kommen muss. Ich will nicht behaupten, dass nicht gleichzeitig andere Machtformen wirken. Im Fokus meiner Perspektive auf die Informatisierung steht allerdings das Dispositiv, das in der Beziehung zwischen der Entwicklung
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der Kybernetik und der biopolitischen Gouvernementalität zum Ausdruck kommt. Kybernetische Kontrollgesellschaft Die gouvernementale Führung ist der Kybernetik schon namentlich verwandt: jener Lehre des Steuerns, unter die jene interdisziplinären Ansätze fallen, die bestrebt sind „die Grundstrukturen unseres Denkens und Handelns in Begriffen der Informationsverarbeitung zu beschreiben und zu erklären“ (Keil 1993: 145). Die Kybernetik verheißt eine Erfass- und Verfügbarkeit aller Lebensäußerungen, die eine „rechnerische Planung des Lebens“ (Foucault 1977: 167) ermöglichen soll – wie sie der bereits beschriebenen biopolitischen Gouvernementalität entspricht.12 In Orientierung an Tiqquns Analyse des Zusammenhangs von Kybernetik und Kontrolle lässt sich das Buch Politische Kybernetik: Modelle und Perspektiven des amerikanischen Sozialwissenschaftlers Karl Deutsch als einschlägig für die Anwendung der kybernetischen Hypothese gerade auf die Bereiche des Regierens von Menschen betrachten. Deutsch plädiert für eine Ablösung alter, auf Souveränität bezogener Konzeptionen der Macht zugunsten einer Form der Regierung über die „rationelle Koordination von Informations- und Entscheidungsströmen, die im Gesellschaftskörper zirkulieren“, wie Tiqqun resümieren (2007: 18). Dazu müssten „Empfangsorga-
12 Als konstitutiv gelten die Macy-Konferenzen, auf denen die Kybernetik 1946 durch die Verknüpfung des logischen Kalküls von Warren McCulloch, der Informationstheorie Claude Shannons und den Feedback-Konzepten von Norbert Wiener, Julian Bigelow und Arturo Rosenblueth begründet wurde. Während deren Anliegen zunächst eher das einer Kritik an bestehenden Denksystemen war – gar ähnlich wie Foucault selbst es formulierte –, die Auflösung der ‚anthropologischen Illusion‘, ein „Versuch, Wissensordnungen zu entwerfen, innerhalb derer heterogene und differente Elemente versuchsweise arrangiert werden und in denen die Grenzen zwischen Mensch und Natur, Mensch und Apparat, Subjekt und Objekt, psyche und techne probehalber aufgehoben werden“, wie Pias zusammenfasst (2004a: 17). Ein Versuch, der jedoch nach den MacyKonferenzen immer mehr ins Hintertreffen geriet und einer anderen Gestalt der Kybernetik Platz machte: „einer trivialisierenden oder naturalisierenden Gewissheit universaler Erklärungsmuster“ (ebd.).
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ne“ installiert werden, die alle „Informationen jeder lebenden Gemeinschaft“ und ihrer einzelnen Mitglieder erfassen und jene Informationen durch Vergleichung und Verknüpfung verarbeiten könnten (ebd.). Damit zeigt sich, wie sehr die Behauptungen der Kybernetik mit der Entwicklung jener Maschinen zusammenhängen, die überhaupt die Erhebung, Darstellung, Übertragung und Speicherung von Informationen möglich machen (Vogl 2004: 71). Wie es die biopolitische Gouvernementalität vorsieht, geht es bei der Erfassung und Verknüpfung all dessen, was im Gesellschaftskörper passiert, darum, die Abläufe innerhalb jenes Gesellschaftskörpers zu optimieren, ihn produktiver zu machen. Ein zentrales Prinzip der Kybernetik ist insofern, Abweichungen aufzufangen und produktiv in ein dynamisches Gleichgewicht umzusetzen (Pias 2004b: 325). Doch nicht alle Abweichungen lassen sich für das System effizient machen. Merkmale zur Unterscheidung zwischen „guten“ und „schlechten“ Abweichungen etablieren sich in einem Netz des sich selbst kontrollierenden Systems über Knoten eines Herrschaftswissens, das zum Beispiel weiterhin rassistische und ethnisierende Rationalitäten vereint (Teigeler 2011: 209ff.) und für Ausschlüsse sorgt. So lässt sich Tiqqun zufolge (ebd.: 48) verstehen, dass die Verstärkung der repressiven Funktion des Staates nicht in Widerspruch mit einem neoliberalen wirtschaftlichen Diskurs gerät. Auch in den kybernetischen Kontrollgesellschaften wirken disziplinartechnologische Mechanismen fort: „In ihnen koexistiert die Strafmaßnahme der Sicherheitsverwahrung mit der des elektronischen Halsbandes, die PostTrauma-Therapie mit der Internierung von Flüchtlingen. Erst das macht historische Kontingenz und die Gleichzeitigkeit verschiedenster Machtformen denkbar.“ (Diefenbach 2006). Die liberale Gouvernementalität muss, wie vorhin bereits beschrieben, eine bestimmte Freiheit schaffen, um einen funktionierenden Markt zu gewährleisten (Foucault 2004b: 97f.), und dafür Sicherheitsstrategien einsetzen, die Foucault als Kehrseite und „Kostenrechnung“ der Freiheitsproduktion bezeichnet (ebd.: 99). Die Freiheit müsse „[…] mit einer Hand […] hergestellt werden, aber dieselbe Handlung impliziert, dass man mit der anderen Einschränkungen, Kontrollen, Zwänge, auf Drohungen gestützte Verpflichtungen usw. einführt“ (ebd.: 98). Die Menschen sind damit permanent mit einer Sicherheitstechnologie konfrontiert, die vorgibt, die Freiheit der Menschen zu sichern und dafür Daten über die Bevölkerung erhebt und speichert, über das Leben einer Bevölkerung, „das eine unauflösliche
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Vielheit von Ereignissen produziert und ihr ausgesetzt ist“ (Terranova 2007). Dabei geht es nicht darum, Ereignisse wie Verbrechen, also Abweichungen auszulöschen, sondern sie produktiv zu integrieren, also so zu regieren, dass zum Beispiel bestimmte Verhaltensweisen teurer werden oder finanzieller Anreiz für andere geschaffen wird: So kooperiert etwa google seit 2014 mit dem Hersteller des Armbands Jawbone, mit dem einzelne User_innen sich permanent selbst überwachen können – zu den Partnern von Jawbone gehört auch Alfa Bank, eine russische Firma, die ihren Kunden höhere Kredite gibt, wenn deren Armband zeigt, dass sie sich effizient disziplinieren (vgl. Wiedemann 2014b). Die dystopische Variante einer solchen Entwicklung hat Dave Eggers in seinem letzten Roman gezeichnet (2013): Das Internet-Unternehmen The Circle hat mit dem Social-Media-Konzept ‚TrueYou‘ alle Konkurrenten überflüssig gemacht, das Motto lautet: „ein Konto, eine Identität, ein Passwort, ein Zahlungssystem pro Person. Schluss mit mehrfachen Identitäten. Ein einziger Button für den Rest deines Onlinelebens.“ Aus Eggers Circle gibt es kein Entkommen: Unter den Leitlinien ‚Leidenschaft, Partizipation, Transparenz‘ wird aus Freiwilligkeit Zwang, aus Aufklärung Despotismus, aus Einzigartigkeit Konformität, und wer sich widersetzt, muss sterben. Ein realistischeres Szenario schlägt der Physiker und Sozialwissenschaftler Dirk Helbing gemeinsam mit einer Forschungsgruppe der ETH Zürich vor: Er will einen Weltsimulator bauen, das FuturICT, das über einen Living Earth Simulator alles, was passieren könnte, voraussagen soll. Über ein Planetary Nervous System will die Forscher_innen-Gruppe dafür bereits existierende und neue ‚Informationen‘ zusammenführen, etwa demographische Daten, Daten über Finanzströme und Wirtschaftsentwicklungen oder epidemiologische Statistiken, und über die Global Participatory Platform, eine weltweite „Beteiligungsplattform“ sollen Privatpersonen, Unternehmen und Organisationen selbst Informationen abrufen und Handlungsmöglichkeiten durchspielen können (vgl. Wiedemann/Seibel 2013). Über dieses Netzwerk an Daten, das Helbing sich allumfassend, also ohne ein Außen vorstellt, sollen abweichende Ereignisse vorhersehbar gemacht werden (vgl. ebd.), es greift, wie Tiziana Terranotva in Bezug auf die neoliberale, biopolitische Gouvernementalität analysiert, „[…] als produktive Maschine und als prophetisch/präventive Simulation in dieses Kalkül ein“ (Terranova 2007).
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Prozesse der Subjektivierung vollziehen sich demnach weiterhin im Rahmen eines normierenden Regimes, das allerdings anders als das Disziplinarregime auf der ‚Freiwilligkeit‘, auf der Partizipation der Individuen basiert.13 So operiert die gegenwärtige Gouvernementalität zunehmend über Kontrollmechanismen freiheitlichen Aussehens, die nicht über Repression, sondern über Modulation wirken – über sich selbst modulierende Subjekte, die sich anpassen und damit die Selbststeuerung des Systems optimieren – wie es Deleuze (1993) im Postscriptum über die Kontrollgesellschaft beschreibt. Die Etablierung des kybernetischen Denkens ist nicht nur auf funktionaler Ebene bedeutsam für den Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft, ihre Logik erfordert auch Veränderungen auf der räumlichen Ebene. Wie gezeigt wurde, impliziert die Kybernetik die Möglichkeit und Notwendigkeit der andauernden Kommunikation zwischen allen Elementen eines Systems. Die Analogie zwischen Mensch und Computer, welche die Kybernetik implizit vornimmt (Menschen lassen sich berechnen und codieren wie Computer), wird damit erweitert durch eine zweite zwischen Kollektiven und Netz(werk)en (vgl. Tiqqun 2007: 24). Das sich selbst erhaltende und steuernde System funktioniert in der Form nur als verteiltes Netzwerk, als Kollektiv, das alle vernetzten Individuen kommunikativ erschaffen. Damit wird auch der topologische Wandel deutlich, mit dem der Übergang vom Dispositiv der Disziplin zu dem der Kontrolle und der Kybernetik einhergeht: „In control societies, the form of content, the machinic form, is the distributed network, whose model supplants the Panopticon as a diagram of control“ (Bogard 2009: 18f.).
13 Wie bereits betont, geht es Foucault nicht darum, Ablösungen verschiedener Machttypen zu zeigen: Foucaults Ziel ist schließlich nicht die Herstellung einer geschichtlich-übergreifenden Regierungstheorie, d.h. einer linearen Abfolge von analysierten Machtökonomien nach einer sich andeutenden Folge: Souveränitätsmacht – Disziplinarmacht – Biomacht (vgl. Saar 2007: 28). Statt Ablösungen gibt es unter den von ihm analysierten Unterschieden historischer Machtmechanismen eher Mischungsverhältnisse. Auch wenn für Foucault feststeht, dass jeweils ein Machttypus in den unterschiedlichen Episoden seiner Analysen vorherrscht (ebd.: 24), lässt er nicht daran zweifeln, dass die gouvernementale Führung sowohl auf der Disziplinarmacht wie auch auf der Bio-Macht basiert.
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Ein verteiltes, horizontales Kommunikationsnetzwerk, dessen Knoten andauernd im Austausch stehen – leicht lässt sich in einem solchen Modell die Grundidee des Internets erkennen. Die Idee, Computer so miteinander zu vernetzen, dass sie ihre Zeit und Kapazität zwischen vielen User_innen aufteilen, um eine Echtzeit-Interaktion zu ermöglichen, formulierte bereits in den 50er Jahren unter anderen J.C.R. Licklider mit seinem Entwurf eines Time-Sharing-Systems (vgl. Grassmuck 2010: 10f.). 1962 begann Licklider für das Advanced Research Projects Agency (ARPA) des US-Vertei– digungsministeriums zu forschen, wo er Leiter des Command and Control Research wurde, das er in Information Processing Techniques Office (IPTO) umbenannte. Auf der Basis der Erfahrungen mit Time-SharingSystemen erweiterte dieser ARPA-Forschungsbereich die Definition des Computers als Rechen- um die der Kommunikationsmaschine (ebd.). Der Computer wurde somit immer mehr als Medium begriffen (vgl. Friedewald 2000: 9): „Creative, interactive communication requires a plastic or moldable medium that can be modelled, a dynamic medium in which premises will flow into consequences, and above all a common medium that can be contributed to and experimented with by all. Such a medium is at hand – the programmed digital computer. Its presence can change the nature and value of communication even more profoundly than did the printing press and the picture tube, for, as we shall show, a well-programmed computer can provide direct access both to informational resources and to the processes for making use of the resources.“ (Licklider/Taylor 1968: 22)
In diesem Zitat wird der Tenor aus der Anfangszeit der Digitalisierung deutlich, jener Tenor, den die bereits zitierten Barlow, Rheingold und Turkle in den 90ern stärkten und der noch immer fortwirkt: Die Vernetzung der Menschen durch digitale Computer würde die Natur und den Wert der Kommunikation tiefgreifender verändern als die Etablierung anderer Medien zuvor. Das ‚Computernetz‘ sei ein gemeinsames Medium, zu dem alle etwas beitragen und vom dem alle profitieren können über den Zugang zu Informationen und der gleichzeitigen Möglichkeit, die Informationen zu nutzen/verarbeiten/verwerten. In dieser Perspektive wird der Computer als neutrales Instrument gesehen, er dient als Werkzeug zur reibungslosen Kodierung und Dekodierung von zeitlich oder räumlich verteilten Informationen – eine Perspektive, die den User_innen vermittelt, sie würden direkt
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miteinander kommunizieren (vgl. Friedewald 2000: 10). Diese Perspektive impliziert außerdem, der Computer vernetze ähnlich ausgestattete Individuen, Bedingung für das Funktionieren dieses Kommunikationsnetzwerks sei einzig die gleichmäßige und horizontale Vernetzung aller Angeschlossener. Das Zitat offenbart damit, wie sehr der Befreiungsdiskurs zum Internet von Anfang an zweierlei außen vor lässt: Dass sowohl die Maschinen, die Technologie und die Programme als auch die Nutzer_innen in bestimmten historischen Machtverhältnissen zu situieren, also als Teil größerer Dispositive zu begreifen sind. Die technizistische Ansicht, die Computer und deren Vernetzung würde etwas grundlegend ändern, zum Beispiel die Menschen einander näher bringen, berücksichtigt weder, wie bereits beschrieben, die Situiertheit der Technologie sowie derjenigen, die die Maschinen nutzen, in historisch gewachsenen Machtverhältnissen. Jene Ansicht verbindet sich mit der neoliberalen Perspektive auf die User_innen, die ihnen die Möglichkeit und damit auch die Verantwortung zu partizipieren zuschreibt. Das führt zur Botschaft: Wer an einer besseren Welt und an einem besseren Leben interessiert ist, der muss eben einfach nur die entsprechenden Geräte nutzen und sich beteiligen. Wer es nicht macht, ist selber schuld – und bringt sich auch in den Verdacht, nicht genügend am Gemeinwohl, an der Vernetzung, an „Freunden“, wie es auf Facebook heißt, interessiert zu sein. Diese Botschaft bestimmt auch den Diskurs rund um Social Networking Sites, um jene zentralen Angebote des Web 2.0, der so genannten Social Media. Der Gründer der erfolgreichsten Social Networking Site, Mark Zuckerberg spricht gern von der neuen Nähe zwischen den Menschen, vom Teilen. Und sagt: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“14 ‚Teilen‘ bedeutet auf Facebook nämlich, sich und alles, was man tut, sichtbar, erfassbar, berechenbar zu machen. Und das machen die User_innen freiwillig – wie es der biopolitischen Gouvernementalität und der kybernetischen Kontrollgesellschaft entspricht.
14 So berichtet Vorstandsvorsitzender des Axel Springer Konzerns Mathias Döpfner (2014) in einem offenen Brief an den Aufsichtsratschef von Google Eric Schmidt, von der Sun-Valley-Konferenz, auf der Zuckerberg auf die Frage, wie es Facebook mit der Speicherung von Daten und dem Schutz der Privatsphäre halte, sagte: „Ich verstehe Ihre Frage nicht. Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“
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An diesem Punkt setzen die folgenden Aufsätze ein. Was bis hierhin zu lesen war, dient als Hintergrundfolie für die Überlegungen und Diskussionen, die sich durch die Aufsätze ziehen, in denen schließlich die Frage fokussiert wird, wie vor dem Hintergrund der beschriebenen Dispositive Subversion konzipierbar ist und welche Rolle Anonymous dabei spielt. Im Folgenden werde ich sie versuchsweise chronologisch zusammenfassen und dabei jeweils ihren Bezug auf vorhergehende Überlegungen skizzieren. Social Media (Facebook) und Gouvernementalität Der erste Aufsatz Facebook: Das Assessment-Center der alltäglichen Lebensführung greift die Perspektive auf die beschriebenen Machtverhältnisse am explizitesten auf. Die Social Networking Site Facebook wird darin unter der gouvernementalitätsanalytischen Perspektive als ein Regierungsprogramm untersucht, das die User_innen dazu anleitet, sich auf eine ganz bestimmte Art und Weise zu verhalten. Mit dieser Analyse des Interface von Facebook kann gezeigt werden, welches Leitbild es (re)produziert, welche Wissenstechniken in den Dokumentationstools und Feedbackschleifen liegen, die Handlungen erwartbar machen und normalisieren. Dabei geht es nicht um empirisch beobachtbares Verhalten, sondern um die Rationalität von Facebook, die sich in den Anleitungen der User_innen ausdrückt. Ich arbeite dabei heraus, inwiefern jene weltweit etablierte Social Media Plattform die User_innen permanent dazu anruft, sich selbst und das eigene Leben möglichst sichtbar zu machen, zu vermessen, zu evaluieren und zu vergleichen. Facebooks Anrufungen von unternehmerischen User_innen, die aktiv und ihrer Konkurrenz stets einen Schritt voraus sein müssen, lassen sich als Teil jener „Ökonomisierung des Sozialen“ (Bröckling/Krasmann/ Lemke 2000) auffassen, die ich bereits beschrieben habe. Die offenbare Normalität, sich permanent mitzuteilen, das eigene Leben zu dokumentieren, entspricht dem flexiblen Normalismus von Kontrollgesellschaften, der die User_innen ganz zwanglos zum ebenso verinnerlichten wie vorauseilenden Gehorsam gegenüber den Evaluationsnormen und Visibilitätszwängen verpflichtet (vgl. Reichert 2008: 13). Dass Facebook ein Geschäft macht mit den Datensätzen über die Vorlieben, Lebensweisen und Beziehungsarten der User_innen, die an andere Firmen weiter verkauft werden, verweist darauf, wie sehr jene Plattform in die Verwertungslogiken des biopolitischen Kapitalismus verwoben ist. Dass das Programm dabei nicht
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über Zwang funktioniert, sondern die User_innen sich und ihr Leben in gewisser Weise freiwillig informatisieren, also in Datensätzen darstellen und dokumentieren und diese Darstellung dabei nach dem Vorbild kybernetischer Regelkreisläufe selbst optimieren, entspricht den Regierungsweisen eines kybernetischen Kontrolldispositivs, „die in ihrer Funktionalität wesentlich von der aktiven Teilnahme der Subjekte als Informationsproduzenten abhängig sind“ (Seibel 2007: 119). Die Plattform würde gar nicht existieren, würde sie nicht derart genutzt werden. Auf das Verhalten der User_innen gehe ich in jenem Aufsatz noch nicht weiter ein. Ich konzentriere mich darin auf die Gouvernementalitätsanalyse, nehme also nicht in den Blick, inwiefern den Anrufungen zum Teil nicht entsprochen wird, inwiefern sie geahndet werden oder Prozesse der Modifikation des Programms in Gang setzen (beides kommt vor). Dennoch verweise ich dabei bereits auf Foucaults Konzept der „Technologien des Selbst“, das für eine Analyse relevant ist, die mehr als die Regierungsweisen in den Blick nehmen will. Im Aufsatz „Greetings from the Dark Side of the Internet“ – Anonymous und die Frage nach Widerstand in Zeiten der Informatisierung, der genau das zum Ziel hat, werden Foucaults Ideen zur Frage nach Widerstand wieder aufgegriffen, um schließlich zu entscheiden, Foucault als theoretische Referenz zu ergänzen. Diese Entscheidung ist wegweisend für die Erörterung der zentralen Fragestellung des vorliegenden Bandes, der Frage nach Formen von Kritik und Kollektivität. Deshalb will ich hier kurz ein paar Gedanken anführen, die über die Begründung im zweiten Aufsatz hinausgehen.
S UBJEKTIVIERUNG
UND
S UBVERSION
Während Foucault in seinen frühen Arbeiten sein Anliegen, „eine Geschichte der verschiedenen Verfahren zu entwerfen, durch die in unserer Kultur Menschen zu Subjekten gemacht werden“ (Foucault 1994: 243) in die Frage übersetzt, wie das Subjekt am Knotenpunkt von Macht- und Wissenstechniken entsteht (ebd. 1976: 39f.),15 werden Subjekte in seinen Un-
15 In diesen Arbeiten, deren Fokus auf der Machtanalytik liegt, möchte Foucault die humanistische Reflexion der Macht von dem lösen, was verspricht, das Sub-
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tersuchungen zur Gouvernementalität, wie bereits erwähnt, immer mehr als „aktive, Macht ausübende und zur Selbstführung fähige Subjekte“ (Pieper 2007: 219) konzipiert. So gilt es, wie Foucault in einem Vortrag von 1978 sagt, „sie (die Subjekte) stets als eine Beziehung in einem Feld von Interaktionen zu betrachten, sie in einer unlöslichen Beziehung zu Wissensformen zu sehen und sie immer so zu denken, dass man sie in einem Möglichkeitsfeld und folglich in einem Feld der Umkehrbarkeit, der möglichen Umkehrung sieht“ (Foucault 1992: 40). Diese Umkehrung verweist auf das, was Foucault als Kritik versteht. In seinem 1978 gehaltenen Vortrag Was ist Kritik? parallelisiert er das Aufkommen der neuzeitlichen Regierungskünste, der gouvernementalen Machtmodi, mit dem Aufkommen einer „Haltung der Kritik“, die danach fragt, wie es möglich sei, „nicht dermaßen regiert zu werden“ (ebd.: 12): „Wenn man die Bewegung der Regierbarmachung der Gesellschaft und der Individuen historisch angemessen einschätzt und einordnet, dann kann man ihr, glaube ich, das zur Seite stellen, was ich die kritische Haltung nenne. Als Gegenstück zu den Regierungskünsten, gleichzeitig ihre Partnerin und ihre Widersacherin, als Weise ihnen zu misstrauen, sie abzulehnen, sie zu begrenzen und sie auf ihr Maß zurückzuführen, sie zu transformieren, ihnen zu entwischen oder sie immerhin zu verschieben zu suchen […].“ (Ebd.)
In der biopolitischen Gouvernementalität vollzieht sich damit Subjektivität „als unablässiger Prozess des Kampfes, der Auseinandersetzung oder des Ausgleiches mit den Machtverhältnissen und Wissensbeziehungen“ (Pieper et al. 2011: 12). Doch bleibt in Foucaults Werk wage, wie dieser Kampf abläuft, wie die Auseinandersetzung und damit überhaupt Veränderung, sowohl auf der Ebene der Dispositive als auch auf der Ebene der Subjekte vorstellbar wäre. Wie Pieper et al. anmerken (ebd.: 14), ist die Unabgeschlossenheit und Fragmentierung von Foucaults Überlegungen zum Verhältnis von Biopolitik, Subjekt und Dissidenz auf seinen frühen Tod zurückzuführen und so
jekt von der Macht zu befreien – nämlich von der Vorstellung eines der Macht vorgängigen, natürlichen und selbstidentischen Subjekts, welches von der Macht unterdrückt und von sich selbst entfremdet sei.
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bleiben die Fragen danach, was die Transformation ausmacht, wie sie abläuft und worin sie sich begründet, ungeklärt. 1982 erklärt Foucault in einem Vortrag das Hauptziel der zeitgenössischen Kritik: „Wir müssen nach neuen Formen von Subjektivität suchen“ (1994: 251). Doch was ist das „Neue“? Und ist es gleich subversiv? Ist es auch subversiv, wenn es an bestehende Ordnungen anschließt? Also den Macht und Wissensordnungen entspricht, die es überhaupt erst sicht- und sagbar machen? Dieser Punkt deutet bereits auf die Problematik des Beobachtens, des Wahrnehmens, des analytischen Erschließens von Subversion sowie des Forschens über das Werden hin, auf die ich später zurückkommen werde. Das, was subversiv ist, ist jeweils auch an die jeweiligen Dispositive gebunden und wenn jene gerade über die Einverleibung von Abweichung operieren, scheint Foucaults Forderung der Suche nach neuen Subjektivitätsformen, an ihre subversiven Grenzen zu stoßen. Sind doch schließlich, und das ist der Ausgangspunkt des zweiten Aufsatzes, Transformationen eine essenzielle Qualität des gouvernementalen Settings: Abweichungen werden im kybernetischen Kontrollregime produktiv gemacht und eingepflegt, kulturelle Codes, die gestern einen alternativen Lebensstil und Widerspruch gegenüber dem Establishment vermittelten, lassen sich heute über ein neues Label im Internet als modische Accessoires bestellen. Wenn jedoch diese Transformationsprozesse nicht im allgemeinsten Sinn zu verstehen sind, sondern nur jene Prozesse darunter fallen, die einen emanzipatorischen Charakter aufweisen, wie Gerald Raunig (2006) formuliert, was ich vielmehr als einen subversiven Charakter bezeichnen würde, muss der Begriff der Subversion weiter präzisiert werden. Er ist gerade kein Synonym für Emanzipation, weil letztere eine Form von Befreiung assoziieren lässt, die ein Außen der Machtverhältnisse voraussetzen würde. Bei subversiven Transformationen geht es also darum, „den Regierungskünsten zu entwischen“ (Foucault 1992: 12). Als subversiv lässt sich all das bestimmen, was bestehende Wissens- und Machtordnungen piekt, sie ins Wanken bringt, destabilisiert. Wie Isabell Lorey in Orientierung an Foucaults Kritik-Begriff vorschlägt, bedeutet dies, „jenes zu fokussieren, das sich der Grenze der Ordnung verweigert und entzieht und so selbst andere Grenzen setzt. Eine solche Kunst, Kategorien zu entgehen, entspricht einer Un-Ordnung, die nicht unabhängig von Ordnung zu verstehen ist. UnOrdnung meint eher ein Gefüge, das nicht dermaßen gerastert wird, ein Ge-
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füge, das der Ordnung entgeht, das durch die Ordnung gerade deswegen unentwegt zu kategorisieren, zu rastern und zu kontrollieren versucht wird“ (Lorey 2010a: 53).16
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In diesem Sinne erkläre ich im zweiten der vorliegenden Aufsätze, inwiefern vor dem Hintergrund der vorhin besprochenen Ordnung, der kontrollgesellschaftlichen Settings und der damit einhergehenden Kommodifizierung und Kybernetisierung des Lebens und Zusammenlebens, zwei Momente als subversiv zu begreifen sind, die sich beide anhand des Phänomens Anonymous illustrieren lassen: 1. das Unberechenbare, das Ereignishafte, das sich nicht zuordnen lässt und 2. Formen von Kooperation, die auf der Möglichkeit des spontanen, anonymen Austauschs im Netz basieren, sich also jenseits von Repräsentations- und Identitätslogiken formieren. Mit dem Begriff der „emergenten Solidarität“ fasse ich das Ineinandergreifen jener subversiven Elemente und beschreibe Anonymous schließlich als eine spezielle Politik-Form, eine Politik- und Kollektivitätsform, die sich als Ereignis transindividuell niederschlägt, und dabei die Spuren im Netz verwischt. Dabei wird die Bedeutung anonymer Politiken (im Netz) für die Frage nach der Subversion von Kontroll- und Kommodifizierungsmaßnahmen deutlich, was bereits Cunningham (2010) und Tsianos et al. (2008) beschreiben: Die Anonymität als Taktik, um keine Daten zu hinterlassen, die Verweigerung der Identität, um deren Logiken der Ausbeutung und Hiera-
16 Dabei geht es nicht um die Rehabilitation eines handlungsfähigen Subjekts, dessen Konzept z.B. in der Butlerschen Idee einer Diskontinuität zwischen zwei Modalitäten von Machtwirkungen fortwirkt, zwischen Macht „als [dem], was das Subjekt ermöglicht, als Bedingung seiner Möglichkeit und Gelegenheit seiner Formung und zweitens, als [dem], was vom Subjekt aufgenommen und im ‚eigenen‘ Handeln wiederholt wird“ (Butler 2001: 18). Diese Konzeption fällt hin und her zwischen der Annahme, dass das Subjekt nicht vollständig normiert sei, dass immer ein Rest bleibe, auf der einen Seite und auf der anderen Seite der Konzeption, dass dieser Rest unbewusst sei, dass er die Grenze dessen markiere, was für das Subjekt perfomierbar oder bewusst zu machen sei (vgl. Diefenbach 2001a).
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chisierung der Individuen (vgl. u.a. Seibert 2011) zu überwinden. Um Anonymous als eine solche Kollektivitäts- und Politikform zu erfassen, führe ich das Konzept des Agencements ein (Deleuze 1996; Deleuze/Guattari 1992) und zeige, inwiefern sich so das Konzept des Dispositivs genau wie Foucaults Ausführungen zu Kritik für meine Fragestellung gewinnbringend erweitern lässt: Mit dem Begriff des Agencements lässt sich Subversion jenseits von Subjektivierungsprozessen theoretisieren und auf Interaktionsformen jenseits nur zwischenmenschlicher Interaktionen beziehen, die auf Prozessen eines nicht-linearen wechselseitigen Affizierens und AffiziertWerdens basieren (vgl. Seyfert 2011: 76). So lassen sich mit dem Konzept des Agencements Medien als Akteure im Prozess bestimmter Konstitutionsprozesse, als Akteure im Prozess des Anders- und Kollektiv-Werdens begreifen, und gleichzeitig ihre Verwobenheit in die verzweigten Machtverhältnisse der Kontrollgesellschaft in den Blick nehmen, indem die Ebenen der Verfestigung und Kristallisation, zum Beispiel der algorithmischen Codes genauso berücksichtigt werden wie die Ebene der Affizierung, von der die transformatorischen Kräfte innerhalb eines Agencements ausgehen. Die Frage nach den Momenten des Gemeinsam-Werdens, eines Gemeinsamen, das traditionelle Repräsentationslogiken überwindet, also nicht homogenisiert, das Identität weder voraussetzt noch erschafft, lenkt den Blick in Open Collectivity17 dann auf weitere poststrukturalistische Modelle zu Subversion, wie Exodus oder escape, auf jene Figuren, die Deleuze’ Fluchtlinien aufgreifen, dabei aber nicht esoterisch-eskapistisch werden, sondern neue Perspektiven auf Konstitution und Emergenz ermöglichen, denen es um die Durchkreuzung von Dichotomien wie jener von Individuum und Kollektiv geht, „um die offensive Theoretisierung neuer Formen des Gemeinsamen, zugleich Singulären“ (Raunig 2006). Als ein Konzept von nicht-repräsentativer Kollektivität findet sich eine solche Figur bei Michael Hardt und Antonio Negri (2002, 2004) sowie bei Paolo Virno (2008) mit der Theorie der Multitude. Der dritte Aufsatz geht der Frage nach, inwie-
17 Diesen Aufsatz habe ich eigentlich vor demjenigen geschrieben, den ich als zweiten Aufsatz eingeordnet habe. Da der Open Collectivity-Aufsatz inhaltlich für die Entwicklung des roten Fadens durch alle Aufsätze hindurch besser an die dritte Stelle passt, habe ich ihn nach hinten gestellt – auch wenn er sowohl in der theoretischen als auch in der empirischen Auseinandersetzung noch nicht so weit ist wie der vorige Artikel.
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fern sich das Konzept der Multitude im Hinblick auf Anonymous auf spezifische Weise materialisiert, ist Anonymous doch eine Kollektivität, die auf Kommunikationstechnologien basiert. Die typische Multitude-Frage, jene Frage danach, wie eine nicht-repräsentative politische Praxis aussehen kann, die aus der Bewegung der Produktion des Gemeinsamen, aus dem Überschuss an Soziabilität in der biopolitischen Gouvernementalität im Postfordismus erwächst, stellt sich angesichts von Anonymous anders: Als eine Frage nach der Rolle von Medien, nach der Unterscheidung zwischen orgischer und organischer Repräsentation18 und damit nach den „Technologien des Gemeinsamen“ (Zehle/Rossiter 2009: 239). Es zeigt sich, dass Anonymous nicht nur als eine Bewegung im Internet, sondern als eine Kollektivität, an der die Internetinfrastrukturen selbst konstituierend mitwirken, tatsächlich kurzfristig jenseits von Repräsentationslogiken Handlungs- und Artikulationsfähigkeit erreicht und Formen der Steuerung einer dezentralen, offenen Kollektivität emergieren. Jene werden zwar immer wieder eingeholt von individualisierenden Profitlogiken, Konkurrenzdynamiken und Herrschaftsverhältnissen, deren Zusammenspiel in der gegenwärtigen Gouvernementalität das konstitutive Außen der Kollektivität bildet, das durch eine Bewegung wie Anonymous jedoch andauernd verschoben wird. Dieser Aufsatz lässt allerdings einige Fragen offen: Das Modell der Multitude übernehme ich darin rein affirmativ, ohne die kritische Diskussion dazu aufzugreifen; neomaterialistische Ideen klingen an, werden aber nicht ausgeführt; Anonymous wird als Schwarm und Netzwerk bezeichnet, ohne dass jene Modelle von dezentraler Kollektivität im Netz erläutert werden. Jene Leerstellen bearbeite ich im folgenden, im vierten Aufsatz mit dem Titel Between Swarm, Network, and Multitude. Anonymous and the Infrastrcutures of the Common, der den Aspekt nicht-repräsentationaler Kollektivität in Zeiten der Informatisierung fokussiert. Wobei hier zunächst eine andere, bis dahin nicht aufgeworfene Frage den Einstieg bildet: Ausgehend von der Annahme, dass Anonymous sich nicht primär über Repräsentationslogiken konstituiert, werden zunächst jene soziologischen Theorien beleuchtet, die ebenfalls kollektives Verhalten jenseits von geteilten kollektiven Identitäten thematisieren. Herbert Blumers Konzept der zirkulären Reaktion (1946) eignet sich zur Beschreibung jener Prozesse der Herstel-
18 Eine Unterscheidung, die Gerald Raunig (2007) in Anlehnung an Gilles Deleuze vornimmt, wie im Aufsatz Open Collectivity ausgeführt.
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lung von Kollektivität, die ich schon in den vorigen Aufsätzen zu Anonymous skizziert habe. Dabei wird hier schließlich auch eine Definition von Kollektivität vorgeschlagen: in der Verbindung, in dem Moment, in dem sich Elemente zusammenfügen, haben sie gemeinsam Agency, also die Fähigkeit, eine Handlung zu initiieren, die einen transformatorischen Effekt hat (Latour 2005: 53).19 Während Blumer jedoch Formen der zirkulären Reaktion zwischen aufeinandertreffenden Körpern behandelt, lassen sich die wechselseitigen Affizierungen im Fall von Anonymous nicht ohne die Berücksichtigung der Internet-Infrastruktur nachvollziehen. Deshalb nähere ich mich in diesem Aufsatz dem Phänomen Anonymous mit Gabriel Tarde’s Theorie zum Publikum ([1901]1969), der anders als Blumer nicht nur im Aufeinandertreffen menschlicher Körper, sondern beispielsweise auch in der Lektüre der Zeitung ein Moment erkennt, das Kollektivität konstituiert. Tarde, oft als Pionier des Neomaterialismus eingeordnet (vgl. Sampson 2012: 59), gibt damit bereits einen Hinweis auf die konstitutive Rolle von ‚Dingen‘, die zum Beispiel im Fall des Publikums/der Leser_innenschaft als Mediatoren, also als jene Elemente gelten können, die eine Zustandsveränderung produzieren, die eine Transformation in Gang setzen können,
19 Wie Erwin Schüttpelz (2013: 10) darlegt, lässt sich das für die Actor Network Theory (ANT) (z.B. Latour 2005) zentrale Konzept am besten mit dem englischsprachigen Term Agency fassen, das auf deutsch am ehesten als „Handlungsintitiative“ übersetzt wäre (ebd.). In diesem (neo-materialistischen) Sinn verwende ich den Begriff in den vorliegenden Aufsätzen, um die Agency diverser an Anonymous beteiligter Größen und deren Kollektivierung als Entstehung einer gemeinsamen Agency zu verstehen. Dabei handelt es sich aber nicht um handlungstheoretische Ideen, im Fokus steht vielmehr die Fähigkeit aller beteiligten Größen, andere Größen in Aktion treten zu lassen, Handlungen zu initiieren oder zu delegieren: „Die Handlungstheorie selbst ist eine andere, denn uns interessieren Mittler, die andere Mittler dazu bringen, Dinge zu tun“ (Latour 2007: 374). Das, was Latour hier als „Mittler“ bezeichnet, fasse ich mit dem Begriff, den er in der englischsprachigen Ausgabe verwendet: Mediator (2005: 37f.; siehe FN 21). Inwiefern die Konzepte von Agency und Tätigkeitsvermögen zusammenhängen und darauf, dass jene neo-materialistischen Theorien, an denen ich mich orientiere, keine Handlungstheorien sind und in der hier gewählten Perspektive vielmehr Prozesse der Affizierung relevant werden, gehe ich im Schlussteil dieser Arbeit ein.
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die Konnektivität zu Kollektivität machen.20 Dabei wird auch klar, dass „zirkuläre Reaktion“ und „wechselseitige Affizierung“ nicht in eins gesetzt werden können – letzteres produziert etwas Neues, nicht die Wiederholung oder Nachahmung, worauf ich im Schlussteil dieser Arbeit noch genauer eingehe. Um jene Mediatoren in den Blick zu nehmen, die im Fall von InternetKollektiven als konstitutive Größen wirken, also Teil der Kollektivität sind, adressiert der Aufsatz die Frage, wie überhaupt dynamische Konstellationen heterogener Elemente konzeptualisiert werden können, die als solch neue Kollektivität gelten können. Dafür reflektiere ich das Phänomen Anonymous anhand der beiden primären Denkfiguren, die in Zusammenhang mit Netzkollektiven verwendet werden: Schwarm und Netzwerk. Aus diesen beiden Figuren lassen sich jeweils Kriterien zur Beschreibung und Analyse dieser neuen Form von Kollektivität ableiten, ohne dass Anonymous in einem der beiden Konzepten aufginge. Um schließlich die politische Dimension jener dezentralen Kollektivität im Netz zu thematisieren, greife ich auch in diesem Aufsatz erneut das Modell der Multitude auf. Der Fokus, der hier auf dem Zusammenspiel von Internet-Infrastrukturen und Prozessen wechselseitiger Affizierung liegt, inspiriert eine kritischere Auseinan-
20 Ich verwende den Begriff Mediator genau wie Agency, den anderen relevanten Term aus der ANT, in der englischsprachigen Form, denn im deutschsprachigen Begriff des Mittler gehen beide englischsprachigen Konzepte auf, deren Unterscheidung für die Theorie zentral ist: Mediator und Intermediary (Latour 2005: 37ff.) (siehe FN 19). Dadurch dass ich Mediator in der englischsprachigen Form verwende, fasse ich ihn als geschlechtsneutral. Zur Beziehung von Actor und Mediator in der ANT: Latour definiert das „Akteur-Netzwerk“ als „das, was zum Handeln gebracht wird durch ein großes sternförmiges Geflecht von Mittlern, die in es und aus ihm herausströmen. Es wird durch seine vielen Bande zum Existieren gebracht: Zuerst sind die Verknüpfungen da, dann folgen die Akteure“ (ebd. 2007: 374). Die Unterscheidung von Mediatoren und Akteur_innen ist dabei nicht konsequent. Vielmehr geht der Begriff der Akteur_in in dem des Mediators auf. Um einer Verwirrung mit Praxistheorien vorzubeugen, verwende ich hauptsächlich den Term Mediator. Auf die Unterscheidungen, die ich mit Begriffen wie Individuum, Körper, Mediator und Subjekt auf Basis einer von Foucault und schließlich Deleuze ausgehenden Affekt-Theorie mache, gehe ich in der theoretischen Diskussion in der Konklusion genauer ein.
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dersetzung mit dem Modell der Multitude als im Aufsatz zuvor: Anonymous als jenes Zusammenspiel aus Infrastruktur und Affizierung einzuordnen, das wiederum Erfahrungen des Gemeinsamen produziert und damit Kollektivität konstituiert, stellt die Unterscheidung zwischen Mediation und Emergenz in Frage, die im Modell der Multitude grundlegend ist. In Bezug auf William Mazzarella (2010) und Christian Borch (2012) wird das konzeptuelle Problem der Multitude, ihre „Reinheit“, die Vorstellung ihrer Unvermitteltheit, besprochen, wobei sich offenbart, wie sehr jenes Problem auch die unlösbare Frage nach der Handlungsfähigkeit der Multitude aus dem vorigen Aufsatz betrifft. Im Fall der Anonymous Schwärme übernimmt die Infrastruktur quasi jene Funktion, die in Tardes Massentheorie ([1901] 1969) der Führer innehat. Anonymous lässt sich letztlich als eine Mischform aus den drei Modellen, aus Netzwerk, Schwarm und Multitude beschreiben, das neue ästhetische und politische Praktiken hervorbringt: das gemeinsame und gleichzeitige Verfassen von Texten innerhalb von Infrastrukturen, die beliebig vielen die Mitwirkung ermöglichen, die spontane Formulierung einer Agenda, die Effekte der spontan getroffenen Entscheidungen, die neue Geschwindigkeit und Reichweite der Mobilisierung, für die eben Prozesse der Affizierung innerhalb und durch die neuen Infrastrukturen ausschlaggebend sind. Jenes „Ereignis des Gemeinsamen“ (Wiedemann 2014a: 365),21 das ohne die ambivalenten Möglichkeitsbedingungen beweglicher Infrastrukturen – ihrer gleichermaßen kontrollierenden wie freisetzenden und affizierenden Eigenschaften – nicht zu haben ist. Wie auch schon im ersten Aufsatz zur Frage nach der Subversion benenne ich in diesem vierten Aufsatz jene Prozesse der Affizierung und zeichne sie durch Interviews und die (n)ethnographischen Beobachtungen, die ich im Absatz zur Methodologie skizzieren werde, nach. Bis hierhin allerdings steht ein genauer Blick auf jene Infrastruktur aus, die konstitutiv für die Entstehung von Anonymous ist. Dies ist der Fokus des fünften Aufsatzes mit dem Titel Digital Swarming and Affective Infrastructures. Darin gehe ich zunächst von jenen euphorischen Verkündungen zum emanzipatorischen, solidarisierenden Po-
21 Eine Formulierung aus dem Aufsatz Kollektivität ohne Identität. Anonymous, flexible Infrastrukturen und das Ereignis des Gemeinsamen (Wiedemann 2014a), der auf Grund einiger inhaltlicher Dopplungen nicht Teil der vorliegenden Sammlung ist.
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tential des Web 2.0 aus, die – wie es vorhin anklang – die Entwicklung des Internets seit dessen Entstehen begleiten und dabei die Verwobenheit von Affekten und Infrastrukturen in die Konstitutionsprozesse der biopolitischen Kontrollgesellschaft vernachlässigen. Um diese Zusammenhänge selbst besser zu verstehen, lege ich den Fokus erneut auf die Figur des Online-Schwarms und gleichermaßen auf jene Internet-Infrastruktur, die den Schwarm mit hervorbringt, auf 4chan, das Board, das als Agent der Konstitution von Anonymous gelten kann. Dieser Aufsatz diskutiert die methodologischen Herausforderungen, die eine neomaterialistische Perspektive mit sich bringt, die von wirkmächtigen Prozessen jenseits der menschlichen Wahrnehmung ausgeht, und versucht dann, die affektive Dimension der Infrastruktur zu untersuchen, einzelne Elemente der Infrastruktur als Mediatoren begreifbar zu machen. Dabei konzentriere ich mich auf die bereits thematisierte Meme der Lolcats, die durch Anonymous entstanden ist: das, was letztlich als Resultat der „Schwarmkreativität“, wie es in den euphorischen Debatten heißt (etwa Stalder 2013), gelten kann. Die Einführung des Konzepts der Meme präzisiert die Prozesse der Affizierung, die an der Entstehung der Meme mitwirken, und bringt sie mit entsprechenden infrastrukturellen Elementen in Verbindung. Letztlich führt diese Untersuchung zur Frage, ob sich überhaupt noch von Emanzipation und Solidarität sprechen lässt angesichts spezifischer biopolitisch-kybernetischer Mechanismen sowie angesichts der hier gewählten neuen theoretischen Perspektive, die wiederum auch mit den Verschiebungen in den Dispositiven zusammenhängt. In diesem Aufsatz geht es mir also um Zweierlei: Darum, als Forscherin eine neomaterialistische Perspektive anzuwenden und dafür entsprechende theoretische Entscheidungen zu treffen, etwa die Distanzierung von Ansätzen der Object Oriented Ontology (z.B. Harman 2002, Bogost 2012), sowie darum, die Figur des solidarischen Schwarms, die ich selbst bereits im zweiten Aufsatz zur Frage nach der Subversion in Zeiten der Informatisierung entworfen habe, noch einmal kritisch zu hinterfragen. In der Auseinandersetzung mit Anonymous ist über die vier Aufsätze hinweg, in denen das Phänomen thematisiert wird, also die Frage relevant, inwiefern es überhaupt als Kollektivität zu verstehen ist, welche Formen der Konstituierung von Anonymous erfassbar sind, wie sich etwa operative und materielle Dimensionen der Konstituierungsprozesse von Anonymous beobachten und beschreiben lassen. Jene Prozesse lassen sich am Beispiel der Lolcats am markantesten veranschaulichen, weshalb dieses Beispiel
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auch mehrmals in den Aufsätzen auftaucht – allerdings jeweils, um einen neuen Aspekt rund um die Frage nach „kritischer Kollektivität im Netz“ zu diskutieren. Ich habe die Beschäftigung mit DDoS (Distributed Denial of Service = Verweigerung des Dienstes), also Angriffen auf einen Computer mit dem erklärten Ziel, dessen Verfügbarkeit außer Kraft zu setzen,22 außen vor gelassen, weil Angriffe eines ausgemachten Feindes sowohl in Bezug auf jene Machtverhältnisse, die hier als Hintergrundfolie dienen, als auch in Bezug auf jenes Macht- und Subjektverständnis, das die theoretische Basis bildet, nicht zentral für die Frage nach Subversion sind. Jenes Widerständige auf der einen Seite, das innerhalb der hier zu Grunde liegenden theoretischen Perspektive erörtert wird, also ein nicht-intentional konzipiertes Widerständiges, eine Kraft, die sich immer in Bezug auf ein bestimmtes Dispositiv als widerständig ausmachen lässt, und das auf der anderen Seite, was meist jenseits dieser theoretischen Perspektive als widerständig, als Protest definiert wird, darüber dass es sich gegen etwas oder jemanden richtet, galt es voneinander zu trennen.23
22 Vgl. http://www.computerlexikon.com/begriff-ddos-attacke (aufgerufen am 12.04.2016). 23 Wobei sich in der Entstehung eines DDoS-Schwarms auch jene Bewegungen und Prozesse ausmachen lassen würden, die für diese Arbeit zentral sind gilt: So analysiert etwa Molly Sauter in The Coming Swarm (2014), welch kollektivierenden Effekt es hat, über DDoS, also über gemeinsame Email-Attacken bestimmte Server, etwa von Firmen oder Institutionen lahmzulegen, und inwiefern sich Anonymous in diesen Momenten als Schwarm formiert – wobei ihr Schwarm-Begriff nicht genauer expliziert oder mit anderen Modellen von Kollektivität kontrastiert wird. Darüber hinaus führen jene Arbeiten aber, die sich mit den einzelnen Aktionen auseinandersetzen, schließlich auch zur Frage nach der Zurechnung, zur Frage, wer woran in welcher Form beteiligt war, worauf ich ebenfalls im Abschnitt zum Forschungsstand noch eingehen werde – eine problematische Parallele dazu, dass die Beteiligung an jenen Aktionen geahndet wird und einzelne vom FBI identifiziert und verfolgt werden.
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L ITERATURSTAND /F ORSCHUNGSSTAND A NONYMOUS
ZU
Wie bereits betont, lagen zum Zeitpunkt, an dem meine Auseinandersetzung mit Anonymous begann, kaum wissenschaftliche Arbeiten dazu vor. Zudem wurden erst in den letzten beiden Jahren Arbeiten mit ähnlichen Fragestellungen veröffentlicht, wie ich sie in den folgenden Artikeln entwickle – die ich also zum Teil noch nicht oder erst in meinen späteren Aufsätzen berücksichtigen konnte, weil sie zum Teil noch nicht erschienen waren. Die ersten Arbeiten, jene, die bereits vorlagen, als ich mit der Forschung begann, verfolgen weniger das Ziel, anhand des Phänomens Anonymous theoretische Konzepte zu entfalten, ihnen geht es eher darum, eine Geschichte von Anonymous zu schreiben und Anonymous damit als Bewegung sichtbar zu machen – im Fall dieser Arbeiten zeigen sich auch die fließenden Grenzen zu journalistischen Publikationen zu Anonymous. Erste Phase der Auseinandersetzung Beispielhaft für die erste Phase der Auseinandersetzung mit dem Phänomen ist hier die Doktorarbeit What is Anonymous? des Kommunikationswissenschaftlers William Pendergrass 2013 zu nennen, die erstmals eine Sammlung aller Aktionen vorlegt, die Anonymous in traditionellen Medien sowie auf Blogs und anderen Internetseiten zugerechnet werden (ebd.: 292). Während Pendergrass als Material ausschließlich Sekundärquellen, nämlich Zeitungsartikel zu Anonymous verwendet und deren Inhalte wie ‚Fakten‘ behandelt, legt die Antropologin Gabriella Coleman bereits 2012 Artikel vor, für die sie durch Interviews mit einzelnen Beteiligten und durch teilnehmende Beobachtung an IRC-Chats24 ethnographisch und/oder investigativ zu Anonymous recherchiert hat. Colemans Arbeit lässt sich sowohl inhaltlich als auch chronologisch größtenteils ebenfalls der ersten Phase der Auseinandersetzung mit Anonymous zurechnen. Für einen Überblick ihrer um-
24 IRC ist die Abkürzung von Internet Relay Chat. Es bezeichnet ein rein textbasiertes System, das Gesprächsrunden einer beliebigen Anzahl von Teilnehmer_innen in Channels ermöglicht, die alle eröffnen können (siehe auch Greetings from the Dark Side of the Internet: 154).
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fangreichen Auseinandersetzung mit Anonymous eignet sich ihr 2014 erschienes Buch Hacker, Hoaxer, Whistleblower, Spy: The Many Faces of Anonymous, in dem Coleman die Ergebnisse ihrer sechsjährigen Untersuchung zu Anonymous erstmals zusammengenommen aufbereitet.25 Darin schreibt sie, das Anliegen ihrer Forschung sei, Missverständnisse und Fehlinterpretationen rund um Anonymous auflösen und darzustellen, wie sehr Anonymous eine politisch motivierte Bewegung geworden sei (Coleman 2014: 392ff.).26 Ihre Methode nennt sie selbst eine „popular ethography“ (ebd.: 409): Sie setzt auf journalistische Konventionen und Recherchemethoden (ebd.) und wertet etwa auf Basis von FBI-Dokumenten und Gesprächen mit einzelnen Personen aus, wer wann wie an welcher Aktion beteiligt war, die Anonymous zugerechnet werden, mit dem Ziel die Geschichten einzelner Anons27 zu erzählen: „By telling these characters’ stories, lessons emerge, not through dry edicts but, instead, through fascinating, often audacious, tales of exploits.“ (Ebd: 394) Nicht nur ihre Vorgehensweise ähnelt der von Journalist_innen, auch inhaltlich gibt es Überschneidungen zu den Arbeiten einiger Reporter_innen, mit denen sie zum Teil gemeinsam „im Feld“ war (ebd.: 181): Genau wie Coleman, die sich in IRC28-Chats als Forscherin outete (vgl. ebd. 2012b), die die Ideen der Open Source und Free Software Bewegung unterstützen wollte, bauten auch einzelne Journalist_innen, die sich durch wohlwollende Artikel zu Anonymous hervorgetan hatten, Kontakt zu einzelnen Anons auf – noch bevor deren Identitäten durch das FBI aufgedeckt waren. Die Arbeiten zu Anonymous des Filmemachers Brian Knappenberger, der 2012 einen Dokumentarfilm zu Anonymous veröffentlichte,29 der Journalistin Quinn Norton, die über Anonymous für Wired.com schrieb,
25 Coleman gilt als wichtigste Anonymous-Forscherin. So wird in ihrem Wikipedia-Eintrag an erster Stelle der Journalist Nathan Schneider zitiert, der Coleman als „the world’s foremost scholar on Anonymous“ bezeichnet (vgl. Wikipedia https://en.wikipedia.org/wiki/Gabriella_Coleman, aufgerufen am 17.03.2016) 26 Das Buch ist auf englisch erschienen, ich übersetze die Passagen ins Deutsche. 27 „Anon“ ist die Selbstbezeichnung von Personen, die an Anonymous-Aktionen beteiligt sind oder waren. 28 Siehe FN 24. 29 Website zum Film: http://wearelegionthedocumentary.com/about-the-film/ (aufgerufen am 12.06.2016)
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und der Wirtschaftsredakteurin Parmy Olson (etwa 2012), der besonderes Vertrauen durch die Anonymous-Untergruppe LulzSec geschenkt wurde, weisen eine Nähe zu den Protagonist_innen auf, wie sie auch aus Colemans Forschung spricht. Gemäß journalistischer Standards fokussieren Knappenberger und Olson ähnlich wie bereits Coleman einzelne Personen und deren Beteiligung an Anonymous-Operationen30: Für seinen Dokumentarfilm interviewte Knappenberger im Laufe des Jahres 2011/2012 über 40 Anons in IRCChats und von Angesicht zu Angesicht und Olson führt in ihrem Buch We Are Anonymous: Inside the Hacker World of LulzSec, Anonymous, and the Global Cyber Insurgency (2012) die Ergebnisse ihrer journalistischen Recherchen zu einer spannenden Erzählung über die Aktionen des Kollektivs Lulzec zusammen. Ähnlich verhält es sich auch mit dem deutschsprachigen Band We are Anonymous der drei Spiegel-Online-Journalisten Ole Reissmann, Christian Stöcker und Konrad Lischka, das die Geschichte von Anonymous anhand der Aktionen nachzeichnet, für die Anonymous in den Massenmedien auftauchte – jene Geschichte also, an der die Journalisten selbst mitschrieben (ebd. 2012). Die eigene Involviertheit in diese Geschichte von Anonymous wird von all den bereits genannten Autor_innen kaum thematisiert. Coleman erwähnt ihre enge Beziehung zu einzelnen Anons zwar bereits immer wieder (u.a. 2012b), und schreibt über die anderen Journalist_innen, sie bekämen Einblick „in exchange for functioning as Anonymous media mouthpieces“ (2014: 181), doch wird der eigene konstitutive Anteil an Anonymous nicht diskutiert. Spannend wäre in Bezug auf das Anonymous-Verständnis, um das es in der vorliegenden Arbeit geht, genau die Frage, welche Rolle Colemann und die anderen bereits genannten Journalist_innen, die Potential in Anonymous sahen und deshalb umso vehementer gegen die abwertende Berichterstattung über Anonymous anschrieben, überhaupt für diese grundsätzliche Entwicklung von Anonymous spielten: Hätte sich ohne deren Ar-
30 Interessanterweise bildet hier eher die Journalistin als die Forscherin die Ausnahme: Norton setzt sich immer wieder mit der besonderen Beschaffenheit von Anonymous auseinander und macht dabei das Ringen mit herkömmlichen Beschreibungen von Kollektiven zum Thema ihrer Artikel zu Anonymous (wie auch in ihrem Zitat zu Anonymous am Anfang dieser Arbeit) (Norton 2011, 2012).
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tikel, ohne die Vorträge von Coleman, eine Geschichte von Anonymous überhaupt ereignet? Inwieweit ist das Narrativ, das Anonymous konstituiert, mit jenen Artikeln verknüpft, inwieweit agieren also auch Coleman et al. immer wieder als Teil von Anonymous? Coleman erzählt von den „Taten, Niederlagen und Erfolgen“ von Anonymous (ebd.: 393) so detailreich wie niemand sonst. Sie kommt zu dem Ergebnis, Anonymous sei emblematisch für eine bestimmte Geographie des Widerstands („emblematic of a particular geography of resistance“) (ebd.), weil es erstens ein Medium geworden sei, Unmut mit Diktatoren, mit einem Gesetz, mit der Wirtschaft, mit Sexismus, mit allem möglichen auszudrücken (ebd.: 399), und zweitens, weil es versuche, sich repräsentations- und hierarchielos zu organisieren und eine beeindruckende Vision von Solidarität vermittle, die Coleman daran festmacht, dass eben nie jenseits einzelner Aktionen, also nie langfristig einzelne Personen oder Gruppen die Oberhand innerhalb der Gesamt-Kollektivität Anonymous übernehmen würden (ebd.: ebd.). Diesen zweiten Punkt betont Coleman immer wieder, an anderer Stelle schreibt sie von Anonymous als dezentralem Netzwerk verteilter Aktivist_innen, einem Netzwerk, das zwar nicht frei von internen Konflikten und Machtstrukturen, doch aber rhizomatisch organisiert sei (2011). Dieser Punkt ist es, der auch im vorliegenden Band von Interesse ist, nicht der erste, nicht die antagonistische Widerstandsform, nicht der Kampf gegen Diktatoren, sondern die Frage danach, inwiefern Anonymous Einblick in eine Art von Kollektivität jenseits von Identitätslogiken gibt. Während Colemans Fokus jedoch auch im Fall ihrer Frage nach der rhizomartigen Struktur auf der Motivation einzelner liegt (2014: 398), nähert sich die vorliegende Arbeit der spezifischen, vielleicht widerständigen Organisationsform von Anonymous vielmehr über die Frage, inwiefern sich ein solches Phänomen mit einer bestimmten theoretischen Perspektive erklären lässt, die Subversion jenseits der Vorstellung einzelner intentionaler Akteur_innen als Kräfteverhältnis bzw. Bewegung von Kräften denkt und damit nur im Rahmen bestimmter Machtverhältnisse, also eines bestimmten Dispositivs bestimmbar macht, und welche Rolle bestimmte Infrastrukturen für eine solche neue Art von Kollektivität spielen. Fragen, die in einer zweiten Phase der Auseinandersetzung mit Anonymous schließlich gestellt werden und inspirierende Bezugspunkte für die vorliegende Arbeit geboten hätten.
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Zweite Phase der Auseinandersetzung So etwa der Artikel des Kommunikationswissenschaftlers Christian Fuchs Anonymous. Hacktivism and Contemporary Politics (2014).31 Fuchs widmet sich darin auf Basis von journalistischen Artikeln wie auch unter Berücksichtigung einiger Selbstbeschreibungen von Anonymous etwa in so genannten Pressemitteilungen unter anonnews.org32 genau jener Frage nach der Art von Kollektivität von Anonymous (ebd.: 95). Seiner Auffassung nach ist Anonymous gleichzeitig soziale Bewegung und Anti-Bewegung. Während soziale Bewegungen sich durch persönliche Beziehungen und Begegnungen zwischen den Beteiligten stärken würden, könne jede/r, die/der ein paar grundsätzliche Werte teile, erklären, eine Aktion sei von Anonymous (ebd.: 96). Anonymous sei höchst dezentral und informell organisiert, was zu vielfältigen unabhängigen und parallelen Kampagnen führe, die vernetzt und koordiniert aber auch unabhängig voneinander stattfinden können. Anonymous sei wie eine offene Idee (ebd.). Diese Sichtweise entspricht dem Verständnis von Anonymous, das im ersten hier vorliegenden Aufsatz zu Anonymous, Open Collectivity (2011), zu Grunde lag.33
31 Schon zuvor analysiert Fuchs in seinem Artikel The Anonymous movement in the context of liberalism and socialism (2013) die Selbstbeschreibung von Anonymous anhand von 67 Videos, die unter dem Namen „Anonymous“ auf YouTube zu finden waren (ebd. 358). Dabei kommt er zum Ergebnis, Anonymous würde sowohl liberale als auch sozialistische Ideen artikulieren, die einander ergänzten, aber auch widersprächen (361ff.). Hätte der Artikel bereits vorgelegen, als ich in Greetings from the Dark Side nach dem Narrativ fragte, das Anonymous etabliert habe, hätten Fuchs’ Ergebnisse hierfür wichtige Bezüge dargestellt. 32 Dabei handelt es sich um eine Seite im um 2011 wachsenden Netzwerk von Anonymous, worauf ich in Greetings from the Dark Side genauer eingehe. 33 Fuchs kommt am Ende wieder zur Frage aus seinem vorigen Aufsatz, jener Frage nach den Grundwerten die Anonymous doch immer wieder zusammenhalte (ebd.: 100): Ähnlich wie die Free Software und Open Access Bewegung habe Anonymous zunehmend den inneren Widerspruch liberaler Gesinnung im Rahmen kapitalistischer Gesellschaften offenbart und sich damit in Teilen von einer Bewegung, die sich als liberalistisch verstehen ließ, zu einer entwickelt, die Fuchs als sozialistisch bezeichnen würde.
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Fuchs erklärt, Anonymous-Aktionen kämen oft durch einzelne Personen zustande, die sich untereinander nicht kennen und zum Teil spontan dabei wären und dennoch immer wieder koordiniert als Kollektiv handeln würden. Wie das geschieht, wird jedoch auch hier nicht weiter thematisiert: Es wird nicht danach gefragt, wie die Kollektivierung von Anonymous immer wieder abläuft, wie sich immer wieder Kollektivität im Sinne Thackers konstituiert, wie es vor allem zu Beginn, vor der Etablierung eines gemeinsamen Narrativs zu den ersten koordinierten Aktionen unter dem Namen Anonymous gekommen sei, wie sich schließlich auf eine sehr eigentümliche Weise nicht-diskursive und diskursive Elemente (Infrastruktur und Idee), die sich wechselseitig bedingen, verschränken bei der Konstitution von Anonymous (vgl. Wiedemann 2012). Demgegenüber zeigt etwa die Theaterwissenschaftlerin Jana Herwig (2011, 2012) zwar, dass Anonymous nicht auf Formen klassischer kollektiver Identität aufbaue, indem sie die verkörperten, performativen Praktiken von Anonymous beleuchtet, die in Symbolen, Worten und Taten im Kollektiv zur Aufführung gebracht werden auf 4chan, auf jener Plattform, auf der Anonymous erstmals auftauchte. Doch werden die Bedingungen der Plattform, die konstitutive Rolle der Internetinfrastrukturen und Formen von Affizierung durch die Beschaffenheit jener Infrastrukturen nicht weiter thematisiert. Nach der Verwobenheit jener verschiedenen Elemente bei der Konstitution von Anonymous fragt dafür der Medientheoretiker Marco Deseriis (2015), der Anonymous im Rahmen seiner umfassenden Studie zu Improper Names im Kapitel Anonymous, the Transducer untersucht. Dabei beschreibt er Anonymous als eine kollektive Artikulations-Assemblage, die Koordination, Kollaboration und Intentionalität aufweise (ebd.: 165) und die Ströme des Begehrens übermittle, die durch menschliche und nichtmenschliche Operatoren laufen würden (ebd.: 211). Er beschreibt Anonymous mit Gilbert Simondon als metastabiles System, das sich immer wieder individuiere.34
34 Dabei erlebe es drei verschiedene Übergänge: Als erste beschreibt Deseriis die Phase in der „Anonymous“, das zu Beginn, also auf 4chan nur als Beschreibung einer Software-Funktion angelegt ist (2015: 165), womit jede_n beliebige_n einzelne_n User_in kennzeichnet wird, zunehmend genutzt wird, um eine kollektive Form der Individuierung zu ermöglichen (ebd.: 209). Als zweite Transduktion beschreit Deseriis die Entwicklung, dass schließlich zwei Strömungen
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„Anonymous expresses the convergence of a technological drive toward indetermination with the human belief that open technologies are conducive to a freer society. More precisely, Anonymous emerges from the mutual constitution of these poles in a technosocial assemblage that is both technologically indifferent to the meaning and consequences of its actions and ethically committed to them.“ (Ebd.: 165)
Vor allem Deseriis’ Annäherung an das, was ‚Lulz‘ genannt wird, ergänzen die vorliedenden Überlegungen zu den Prozessen wechselseitiger Affizierung mit und innerhalb bestimmter Online-Infrastrukturen, etwa der von 4chan. ‚Lulz‘ ist ein Ausdruck, der auf 4chan immer wieder auftauchte, um zu begründen, warum etwas getan werde: „for the lulz“, was sich lesen lässt als „für die Lacher“ („for the laughs“, vgl. etwa Coleman, 2013). Der Ausdruck ist eine Variation von ‚lol‘, dem Internet Slang für ‚laugh out loud‘, wie er etwa für die Bezeichnung der Lol-Cats-Meme verwendet wurde. Wie Deseriis anmerkt (2015: 169), beschreibt dieser Ausdruck die affektive Dimension dessen, was sich auf dem b-board auf 4chan tue (was er treffenderweise als semiotische Kompostierung bezeichnet). Letztlich kommt Deseriis in Bezug auf ‚the lulz‘ zu einer Überlegung, die für die Frage nach Prozessen wechselseitiger Affizierung von Anonymous vor dem Hintergrund eines kybernetischen Kontrolldispositivs relevant ist: Er beschreibt ‚the Lulz‘ als destabilisierende Kraft, jede Aktion ‚for the lulz‘ triggere eine Antwort, die sich rückkopple an den ursprünglichen Input, dabei aber die Instabilität des Systems steigere. Und genau das beschreibt er als oppositionellen Akt in Bezug auf kybernetische Systeme: „In this sense, the lulz is the exact opposite of a cybernetic system. If cybernetics is the ultimate science of control and negative entropy, lulz […] push systems toward turbulence and chaos.“ (Ebd.: 171) ‚The lulz‘ würden nichtsdestotrotz auch selbst einer Techno-Logik folgen, die menschliche wie technische Kommunikationsprotokolle enthalte (ebd.). Er kommt zum Fazit, ‚the lulz‘ seien
um Anonymous kämpften, diejenigen, die damit ein ethisches, politsches Engagement verbanden und diejenigen, denen es rein um das Vergnügen, um „Lulz“ ging (ebd.). Die dritte Transduktion sei in Bewegung gesetzt worden durch die zunehmend globale Reichweite von Anonymous, die Anonymous zwischen einer partizipatorischen, gemächlichen Form von Politik, die nicht von lokalen Bedingungen getrennt werden könne, und einer abstrakten Politik, die deterritorialisiert, hecktisch und geheimnisvoll sei, schwingen ließe (ebd.: 210).
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wie das Begehren im Deleuzianischen Sinn (ebd.: 209) 35 und Anonymous’ Fähigkeit, zwischen dem Technischen und dem Humanen zu vermitteln, könne als Potential gesehen werden auf einem Feld, auf dem Menschen und Maschinen Freiheiten nur in Relation zueinander schaffen könnten (ebd.: 212). In eine ähnliche Richtung argumentiere ich im Fazit im Artikel Greetings from the Dark Side, der in Deseriis’ Thesen weitere Bezüge gefunden hätte. Die Analyse von ‚the lulz‘ im Feld hat Deseriis sich allerdings nicht zur Aufgabe gemacht, 4chan hat er nicht genauer unter die Lupe genommen. Die verschiedenen Individuationen von Anonymous beschreibt er auf Basis der Darstellungen von Anonymous in jenen Sekundärquellen (wissenschaftlichen und journalistischen), die bisher bereits aufgeführt wurden. Er widmet sich dabei, wie bereits bemerkt, etwa auch 4chan, zoomt aber nie so nahe heran, wie es der fünfte Aufsatz der vorliegenden Arbeit versucht. Deseriis’ Beschreibung des Zusammenhangs von den ‚lulz‘, von Prozessen der Affizierung mit jenen Maschinen, mit jenen technischen Elementen, die an Anonymous teilhaben, bleibt deshalb abstrakt. Dagegen sind jene Arbeiten, die die Techniken oder Infrastrukturen, die Anonymous mitkonstituieren, direkt in den Blick nehmen (zu 4chan u.a. Stryker 2011; Bernstein et al. 2011; Auerbach 2012), wiederum weniger an der Frage nach Theorien zu Kollektivität interessiert.36
35 Spannend ist auch Deseriis’ Überlegung (ebd.:170), ‚the lulz‘ verkörpere Franco ‚Bifo‘ Berardis Behauptung (2011: 24), der Generation der Digital Natives würde es an Sensibilität mangeln, sie sei nicht fähig Ausdrücke zu dekodieren, die nicht in einem binären System aufgehen würden. Wobei Deseriis’ Überlegung fast verwundert, denn er selbst teilt diesen Kulturpessimismus nicht und sieht in ‚the lulz‘ durch seine Deleuzianische Lesart außerdem eher eine Chaos-stiftende Kraft, die binären Logiken entgegenstehen müsste. 36 David Auerbach, der Online-Räume analysiert, in denen anonym kommuniziert werden kann, analysiert zwar Anonymous nicht als Kollektiv, liefert aber spannende Einblicke das, was er „A-Culture“ (2012) nennt: Jene preise anonyme internetbasierte Kommunikation wie sie etwa auf 4chan oder in IRC-Chats funktioniert. Technologien, die es unmöglich machen, einzelne Autor_innen auszumachen und Aussagen, Bilder oder Interaktionen zu archivieren, würden „ACulture“ und damit eine Form von Gegenöffentlichkeit in Bezug auf die hegemoniale Kultur von Facebook schaffen.
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Was sich im Fall der Forschung zu Anonymous andeutet, aber da eben bereits etwa von Deseriis herausgefordert wird, basiert auf einer Tradition im Umgang mit Analysen von ‚Social Media‘, die der Medienwissenschaftler Raymond Williams schon 1990 bezüglich seines Faches kritisierte: Während die einen technikdeterministisch angelegt sind, reduzieren die anderen Technologien auf ein „Nebenprodukt eines sozialen Wandels, der anderweitig determiniert ist“ (1990: 13). Während in Theorien zu OnlineCommunities, die jene als Orte des Empowerments und der Partizipation oder der hierarchiefreien Kollaboration beschreiben (u.a. Albrechtslund 2008; Rheingold 2003), an die technisch begründeten Sozialutopien der 90er Jahre, die ich bereits zu Beginn erwähnt habe, angeknüpft wird, reduzieren kulturalistische Ansätze, wie z.B. die Anthologie Cyberactivism: Online Activism in Theory and Practice (McCaughey M. et al. 2003) mit Fallstudien zu Weltbank-Protesten, feministischen Aktivist_innen und der Zapatistas-Bewegung die Rolle der Technik auf sekundäre Hilfsmittel (vgl. Otto 2009).37 Wenn etwa der Kommunikationswissenschaftler Andreas Hepp in Orientierung an Williams fordert, Technologien als materialisierte Verwendungsangebote zu fassen, die gleichwohl angeeignet werden müssen (2011: 8), wird damit ebenfalls ein instrumentelles Medienverständnis fortgesetzt,38 das an jene soziologische Tradition anschließt, die auch Kollektivität vor allem hinsichtlich der (diskursiven, normativen und symbolischen) Konstruktionsprozesse von (kollektiver) Identität fasst (z.B. Anderson 1991).39
37 So auch Ronald Hitzler (2008) in seiner einschlägigen Szeneforschung zu posttraditionalen Vergemeinschaftungen. 38 Ebenso bei Oliver Marchart et al. mit dem Projekt Protest als Medium – Medien des Protests (2006-2012) und Rainer Winters Widerstand im Netz (2010) – sie vernachlässigen Verflechtungen der Medientechniken in diverse Dispositive. 39 Kulturwissenschaften und poststrukturalistische Ansätze fokussierten zwar aus einer kritischen Geste die Dekonstruktion genau jener Identitäten (vgl. Hall 1991), doch blieben sie dabei letztlich einer klassisch soziologischen Auffassung treu, die auf Ferdinand Tönnies zurückgeht, der „Gemeinschaft“ als eine Zahl von Leuten definiert, die sich auf Basis geteilter Werte, Gefühle und Interessen zusammenschließen (Tönnies [1935] 1991). Theorien ‚kollektiven Verhaltens‘ dagegen nehmen aufbauend auf Massen-Theorien gerade nicht die diskursive Konstruktion, sondern zwecklose, dezentrale und unorganisierte Konzepte
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In den verbreiteten Zugangsweisen, die Kollektivität im Rahmen von Social Media untersuchen, droht also ein Konzept von Agency auf humane Akteur_innenkonstellationen reduziert zu werden, wobei technische Artefakte und nicht-humane Gegebenheiten als stabile, unbewegte Randbedingungen oder Mittel zum Zweck humanen Handelns konzipiert werden (vgl. Pieper/Tsianos/Kuster 2014: 227).40 Jene Ansätze bieten demnach keine geeignete theoretisch-methodologische Perspektive, um die Momente der Subversion, die des Werdens und Kollektiv-Werdens zu Zeiten der Informatisierung, ihre Komplexität und ihren ephemeren, ereignishaften und umkämpften Charakter in den Blick zu nehmen und das Zusammenwirken einer Vielzahl und Heterogenität von involvierten Mediator_innen41 und Prozessen zu adressieren.
A FFIZIERUNG , M ATERIALITÄT UND A GENCEMENTS – DIE F RAGE NACH DER O NTOLOGIE Ich gehe von jenen Arbeiten aus, welche die wechselseitige Konstitutionsbeziehung von Praktiken und Programmen und deren Beziehung zu umfassenderen Dispositiven in den Blick nehmen, die also die Verflechtung der gegenwärtigen Gestalt von Social Media in Prozesse der Ökonomisierung des Sozialen und das Dispositiv der Sichtbarkeit erörtern (u.a. Reichert 2008b; Galloway 2004; Terranova 2004), um von dort aus die Frage nach Subversion und damit schließlich auch nach Kollektivität, nach Prozessen
von Kollektivität in den Blick. Doch auch sie fokussieren – wie in der Skizze zum vierten Aufsatz beschrieben – dabei nicht die konstitutive Rolle der medientechnischen Elemente. 40 Ausgenommen sind von dieser Kritik etwa Engell/Siegert (2008) oder Kneer et al. (2008), die Medien u.a. in Anlehnung an den bereits erwähnten Ansatz von Latour und dessen Konzept von Mediatoren als Akteure in Kollektiven verteilter Handlungsmacht ansehen, siehe FN 19 und 20. Wobei sie mit diesen Ansätzen die Frage nach der Verwobenheit in bestimmte Dispositive nicht stellen. 41 Siehe FN 19/20. Auf die Unterschiede zwischen Latours ANT und Deleuze’ (und Guattaris) Agencement-Konzept komme ich im Schlussteil dieser Arbeit zu sprechen.
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der Affizierung und Kollektivierung sowie der Rolle der Internetinfrastrukturen dafür zu stellen. Theorien und Debatten, die ich unter dem Begriff New Materialism (NM) subsumiere, ermöglichen mir, auf theoretischer Ebene das Zusammenspiel von Dispositiven und ihnen immanenten Fluchtlinien mit der Erweiterung des Blicks auf konstitutive (Im)-Materialien zu erfassen.42 Innerhalb dieser neuen theoretischen Bewegung gibt es verschiedene Strömungen, die sich zum Teil in unterschiedlichen Bezeichnungen, wie „Object Orientied Ontology“ (z.B. Harman 2002), „Spekulativer Materialismus“ (Meillasoux 2008), „Agentieller Realismus“ (Barad 2012) oder „material feminism“ (Alaimo/Hekman 2008) etc. ausdrücken, worauf der vierte Aufsatz eingeht. Allen gemein ist, dass sie sich gegen eine vormalige Dominanz der Analyse von Diskurs und Bedeutung stellen, um sich der Neukonzeptualisierung von Materialität in ihrer Eigenmächtigkeit zu widmen (vgl. Connolly 2013; Dolphijn/van der Tuin 2012; Coole/Frost 2010) – was sich auch durch die häufige Beschreibung dieser Bewegung als turn (Affective Turn oder Material Turn) kennzeichnet. Genau wie jene Theoretiker_innen des NM, die sich an Deleuze und Guattari und deren Vorläufern orientieren, geht es mir im Rückgriff auf materialistische Ansätze und AffektTheorien nicht darum, repräsentationskritische Theorien, die sich beispielsweise auf die Dekonstruktion naturalisierter kollektiver Identitäten konzentrieren (Hall 2004), und Neomaterialismus einander oppositionell gegenüber zu stellen, sondern einen poststrukturalistischen Hintergrund vielmehr durch NM-Theorien zu erweitern.43
42 Worin sich zeigt, wie sehr Foucault bereits das Fundament für jene Theorieentwicklung legt, die als Neomaterialismus bezeichnet wird (vgl. auch Lemke 2015). Er geht aber, wie bereits erläutert, nicht auf jene Ebene bzw. Prozesse und Dynamiken ein, die sich mit Deleuze und Guattari als Prozesse der Affizierung und Fluchtlinien fassen lassen, und für diese Arbeit auch im Hinblick auf die Bewegtheit von Agencements aus humanen wie nicht-humanen Körpern eine Rolle spielen. 43 Foucault, der „Theorie-Super-Star“ des Poststrukturalismus (van Dyk 2012: 187), sagte zwar selbst, dass er nicht sähe, was das gemeinsame Problem jener sei, die man die Postmodernen oder Poststrukturalisten nenne (Foucault 1983). Doch obwohl sich keine Bewegung selbst so bezeichnete und das poststrukturalistische Etikett einer Vielzahl heterogener Theorien von außen zugeschrieben
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Jene NM-Theorien, die hierfür relevant sind, etablieren durchaus eine Ontologie, die sich von einer bestimmten Variante des Sozialkonstruktivismus radikal unterscheidet: Jener Variante, die die feministische Wissenschaftsphilosophin Karen Barad als „Repräsentationalismus“ (Barad 2012: 9) bezeichnet, der den Zugang zu einer Welt der Materie bzw. der Objekte für die von ihr getrennte Sozialwelt nur über mentale oder symbolische Repräsentationen für möglich hält und damit eine Trennung von Subjekt und Objekt weiterführt, die der klassischen Bewusstseinsphilosophie entspricht: Materialität wird in dieser Perspektive auf eine Sache des Bewusstseins und der kulturellen Zuschreibungen reduziert und dabei als passiver, amorpher Stoff ontologisiert, der auf menschliche Bearbeitung wartet (vgl. Folkers 2013: 23f.).44 Jene Ansätze des NM, die hier relevant sind, jene nämlich, die von der konstitutiven Rolle von transformativen konnektiven Dynamiken ausgehen, können dagegen konzeptuell und analytisch die fundamental realitätsstiftende Rolle von Materialitäten behaupten, ohne ihnen eine essentielle Identität oder ontologische Vorrangigkeit zuzuschreiben, die wiederum andere Materialitäten oder Körper determinieren würde (vgl. Tianen 2013). Materie wird dabei von ihren immanenten, ontogenetischen, selbstorganisierenden Potenzialen her konzipiert, aber nicht als diskrete, selbstgenüg-
wurde und wird (vgl. z.B. Lorey et al. 2011: 11), lässt sich eine „wahlverwandte theoretische Geste“ (Stäheli 2000: 7) ausmachen, die Foucault (u.a.) maßgeblich geprägt hat: Ein differenztheoretisches Denken, das Elemente gesellschaftlicher Wirklichkeit weder identitätslogisch aus sich heraus bestimmt noch einzelne Differenzen auf ein organisierendes Prinzip (z.B. die Produktionsverhältnisse, die Moderne oder das Patriarchat) zurückführt, sondern von deren Relationalität, Beweglichkeit und damit Kontingenz ausgeht. Diese „post-foundationalist“ (Stäheli 2000: 9) Perspektive fragt nach der Genese von institutionalisierten Formen, Körpern und Praktiken und lässt sich damit als Vorläufer jener neomaterialistischen Ansätze verstehen, die für die vorliegende Arbeit relevant sind. 44 Jene Kritik an sozialkonstruktivistischen Konzepten des Repräsentationalismus’ bezüglich ihrer Ontologisierung von Materie als passivem Stoff und der Fortführung einer Subjekt/Objekt-Dichotomie gilt auch für den linguistischen Konstruktivismus’ und die Praxistheorie, worauf ich im nächsten Teil zur Methodologie und vor allem in der theoretischen Diskussion im Schlussteil dieser Arbeit eingehe (26f.).
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same Entitäten, die sich erst nachträglich mit anderen Entitäten verbinden. Im Gegenteil: Dinge oder Körper entstehen erst durch und in ihrer Relationierung bzw. in ihren „Intraaktionen“ – ein Begriff den Barad einführt, um zu betonen, dass gerade nicht von der Interaktion zwischen zwei bereits unabhängig voneinander existierenden Dingen ausgegangen wird (etwa ebd. 2015: 42). Und an diesen Intraaktionen haben Repräsentationen gleichermaßen teil: Die materielle Ebene wird nicht als unabhängig, sondern als konstitutiv verschränkt mit der kulturellen Ebene erachtet, Materie und Bedeutung entstehen erst in ihrem Zusammenspiel. So lässt sich die hier vorgeschlagene Ontologie nicht außerhalb von Epistemologie verorten (vgl. ebd.: 14). Darauf basiert dann auch eine spezifische Vorstellung von Phänomenen, die ich im folgenden Abschnitt zur Methodologie aufgreifen werde. Wie Andreas Folkers treffend bemerkt (2013: 18), wird mit jener neuen Ontologie der Gegensatz von Aktivität und Passivität und damit das Konzept des Handelns in Frage gestellt.45 Relevant wird das Konzept der Affizierung, das vor allem jene neomaterialistischen Ansätze stark machen, die in einer theoretischen Traditionslinie von Benedictus de Spinoza ([1677] 2007), Gabriel Tarde (2009) und schließlich Gilles Deleuze (1988, 1996) bzw. Gilles Deleuze/Félix Guattari (1992) jenseits des anthropozentrisch orientierten Glaubens an Intentionalität und/oder Bewusstsein mit dem Begriff der Affizierung die Komplexität der Verbindung heterogener Elemente sowie Prozessualität, Ereignishaftigkeit und Transformativität in den Blick nehmen (z.B. Massumi 2010, 2002; Bennett 2010; Coole/Frost 2010; Dolphijn/van der Tuin 2012; vgl. Seyfert 2011; Stäheli 2012; Pieper/Wiedemann 2014). Wie sich das Konzept der Intraaktion zu dem der Affizierung verhält, werde ich im Schlussteil dieser Arbeit erörtern. Das Konzept des Agencements, das ich bereits in der Zusammenfassung des zweiten Aufsatzes auf Seite 23 skizziert habe, beinhaltet jenes Verständnis von materiell-semiotischen Verschränkungen, die in den Ausführungen zu Barads Ontologie deutlich werden. Es ermöglicht, nach den Prozessen der Relationierung, der Affizierung, den transformatorischen
45 Deshalb scheint es gar nicht so gut zu passen, weiterhin von „Aktion“ zu sprechen, selbst wenn es „Intraaktion“ statt „Interaktion“ heißt. Die mit dieser Überlegung zusammenhängenden Unterschieden zwischen Karen Barads und Gilles Deleuze’ Ontologien werden im Schlussteil dieser Arbeit erläutert.
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Prozessen zu fragen, in die mediale Infrastrukturen involviert sind, genau wie nach den Kristallationen und Verfestigungen. In Bezug auf digitale Medien folgen dieser Linie bereits zum Beispiel Jussi Parikka (u.a. 2007; 2008), Eugene Thacker (2009), Pieper/ Panagiotidis/Tsianos (2011, 2014) und Tony Sampson (2012). Eine neomaterialistische Perspektive auf Bereiche des Digitalen einzunehmen, in denen Anonymous auftaucht, bedeutet auch, jenen theoretischen Zusammenhang zu erweitern, den ich weiter vorn aufgezeigt habe: den zwischen Medientechnik und Dispositiv. So lassen sich mit dem Konzept des Agencements Medien nicht nur als verwoben mit den Machtverhältnissen eines Dispositivs der Informatisierung analysieren, sondern auch als Akteure im Prozess bestimmter Konstitutionsprozesse, als Akteure im Prozess des Anders- und Kollektiv-Werdens begreifen. So lässt sich etwa mit dieser Perspektive Aufschluss gewinnen über die Rolle der technischen Artefakte bei der Konstituierung neuer Protestformen.46 Anonymous kann damit als ein kollektives Gefüge, als ein Agencement analysiert werden, das durch technische und kulturelle Codierungen sowie von Prozessen der Affizierung konstituiert wird. Für die Frage nach der Subversion sind in Bezug auf das Dispositiv der Informatisierung, vor allem in Bezug auf die Aspekte der biopolitischen Gouvernementalität zusätzlich zu den bereits genannten NM-Theorien die theoriepolitischen Intervention der Post-Operaist_innen relevant (z.B. Hardt/Negri 2002, 2004, 2010; Virno 2008; Mezzadra 2007). Jene marxistisch inspirierten Ansätze führen gesellschaftliche Transformationsprozesse nicht auf Eigengesetzlichkeiten kapitalistischer Entwicklung zurück, sondern auf die Kämpfe und dissidenten Praktiken. Im Hinblick auf jenen sich gegenwärtig entfaltenden biopolitischen Kapitalismus, der das Leben
46 Anders als herkömmliche Protest-Gruppen, die Informations- und Kommunikationstechnologie zur Repräsentation nach außen, zur Verbreitung von Ideen und/oder zum Austausch innerhalb des Kollektivs nutzen, offenbart Anonymous eine Form des Kollektiv-Werdens, die erst durch das Internet möglich wird. Damit wird Anschluss an die Diskussion zu ‚Tactical Media‘ geschaffen (Lovink/Garcia 1997), zu temporären Koalitionen, die sich finden, um gegen bestimmte Themen gezielt vorzugehen und Kampagnen ins Leben zu rufen, und deren Kämpfe online wie offline ausgetragen werden (z.B. Electronic Disturbance Theater).
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zu kontrollieren und zu verwerten trachte (vgl. Raunig/Lorey/Nigro 2012: 190), geht es post-operaistischen Ansätzen um das Aufzeigen von Momenten exzessiver Soziabilität, von Überschüssen an Soziabilität, die in den postfordistischen Produktionsverhältnissen anfallen, die aber nicht den vorgezeichneten Bedingungen entsprechen, sondern soziale Regulation destabilisieren würden (z.B. Tsianos/Papadopoulos/Stephenson 2008: 253). Dabei wird eine „neue Bedeutung des Gemeinsamen“ (Parisi 2009a) artikuliert, die vor allem in den Debatten im Anschluss an Negris und Hardts Begriff der Multitude zum Ausdruck kommt. Letzterer erfasst theoretisch einen Zusammenhang zwischen der Verweigerung von Repräsentation und Identität auf der einen und dem Gemeinsamen auf der anderen Seite, den ich in Verbindung bringe mit den Fragen des NM bezüglich der digitalen Ordnungen und den ihnen immanenten Prozessen der Affizierung, um neue Einsichten in die „technologies of the common“ (Zehle/Rossiter 2009: 239) zu erhalten. Zum Teil habe ich diese theoretischen Konzepte in den vorliegenden Aufsätzen nur angerissen. Die damit zusammenhängenden Fragen und Probleme erörtere ich im Schlussteil dieser Arbeit ausführlicher: Dabei wird erneut der Begriff der Affizierung in seiner Bedeutung für die Konzeption von Subversion gegenüber jenem bereits beschriebenen Dispositiv der Informatisierung diskutiert und die dieser Bedeutung zu Grunde liegende Gegenüberstellung von Prozessen der Affizierung im Sinne von Prozessen des „Werdens und Anderswerdens“ (Pieper et al. 2011: 18) auf der einen und Formen der Codierung auf der anderen Seite herausgefordert.
M ETHODOLOGISCHE F RAGEN Wie lassen sich jene Prozesse der wechselseitigen Affizierung und somit des Werdens analysieren, die sich den Ordnungen entziehen, die jene übersteigen? Wie soll ein post-anthropozentrisches und post-positivistisches methodologisches Forschungsdesign aussehen? Die ‚Krise der Repräsentation‘, jene Theorieentwicklung, die die Unmöglichkeit eines innerhalb der menschlichen Sprachen und Kulturen feststellbaren Abbild- oder Korrespondenzverhältnisses zwischen Aussagen und Aussagesystemen auf der einen Seite und einer Welt von vorsprachlichen, ‚an sich‘ existierenden Elementen auf der anderen Seite demonstriert
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(Reckwitz 2003), soll durch manche Ansätze, die dem NM verbunden sind, hinfällig werden: So fordert etwa Quentin Meillasoux (2008), den Korrelationismus radikal zu überwinden, jene Idee, dass Denken und Sein, Subjekt und Welt nur aus einem Verhältnis, in dem sie zueinander stehen, gedacht werden können.47 Auf jene Diskussion gehe ich im vierten der hier vorliegenden Aufsätze zwar ein, vertiefe die Frage nach dem Zugang zum „Untersuchungsgegenstand“ aber nicht weiter. Ich schreibe dennoch über das „Phänomen“ Anonymous, als wäre es real und als könnte ich darüber etwas aussagen. Und das ist es auch – im Sinne eines ganz bestimmten Realismus, der auf einem bestimmten Phänomen-Begriff basiert und damit bestimmte Zugangsweisen, also methodologische Entscheidungen nahelegt. Anonymous als Phänomen Ich rekurriere in meiner Auseinandersetzung mit Anonymous auf ein Phänomen-Verständnis, das den bereits genannten poststrukturalistisch inspirierten NM-Ansätzen entspricht. Vor allem mit Karen Barads Begriff des Phänomens lässt sich die bereits skizzierte Deleuzianische Perspektive auf Agencements methodologisch gewinnbringend ergänzen. Für die Herleitung dieses Phänomen-Begriffs werde ich zunächst erläutern, wie sich jenes Phänomen-Verständnis zu den Perspektiven verhält, die üblicherweise der Phänomenologie zugerechnet werden. Gerade in der deutschsprachigen Soziologie hat sich aufbauend auf Alfred Schütz ein Phänomen-Verständnis entwickelt, das sich fundamental von den theoretischen Ausgangspunkten der vorliegenden Arbeit unterscheidet. So sehen handlungstheoretische Ansätze der hermeneutischen Wissenssoziologie die „Intentionalität des Einzelbewusstseins“ als „unabdingbare Voraussetzung für die zugleich individuellen und sozialen Konstitutionsprozesse von Sinn, für das Erleben, Erfahren und Deuten sozialer Wirklichkeit“ (Keller 2005: 219). Dabei wird Bewusstsein zwar nicht als vorgängig erachtet, sondern als sozial konstituiert (ebd.: 176), doch werden Konstitutionsprozesse in dieser Perspektive auf humane Akteurinnenkon-
47 Hier steht ein Vergleich mit der Diskussion über die verschiedenen Phasen der Wissenssoziologie aus, deren Abfolge als eine Weiterentwicklung von zunächst korrelationistischen hin zu integrierenden Ansätzen beschrieben wird (z.B. Knoblauch 2005; Keller 2005).
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stellationen beschränkt und damit die Position des Erkenntnissubjekts doch wieder gestärkt.48 Wenn Karen Barad betont, ihr Phänomen-Begriff sei nicht der phänomenologische (ebd. 2015: 181), dann grenzt sie ihren Ansatz genau von jener antropozentrischen Richtung der Phänomenologie ab, die schließlich durch die Betonung des Bewusstseins auch die KörperGeist-Dichotomie reetabliert. Doch ist das Verhältnis zwischen deleuzianischen Ansätzen und phänomenologischen Positionen nicht nur durch Abgrenzung bestimmt. Edmund Husserl etwa, der Vorläufer sozialkonstruktivistischer Ideen, skizziert mit dem Konzept der „Lebenswelt“ (Husserl [1956] 2012: 57) bereits Ideen, die etwa Deleuze aufnimmt, um deutlich zu machen: „dass es die Phänomene selbst sind, die nach einer ebenso immanenz- wie differenzphilosophischen Konzeption der Erfahrung verlangen“ (Günzel 2013: 167). Mit jener Besinnung auf die „Phänomene selbst“, geht bei Deleuze aber keineswegs wie bei Husserl eine Besinnung über „den Menschen als ihr Subjekt“ (Husserl [1956] 2012: 57) einher. Vielmehr verbindet Deleuze – und das wird auch bei Barad fortgesetzt – Elemente der Phänomenologie mit dem Strukturalismus, indem er immer wieder auf die maschinale und kollektive Dimension der Produktion von Sinn und Bedeutung zurückkommt (vgl. Balke/Rölli 2011: 12). So „[…] lassen sich seine Struktur- und Immanenzbegriffe, die Maschinen und die Gefüge oder Dispositive, als kritische differenztheoretische Nachfolgebegriffe der ‚Lebenswelt‘ interpretieren“ (ebd.).49
48 So formulieren etwa Ronald Hitzler und Thomas S. Eberle (2000): „Auf der Basis dieser ‚besonderen‘ Art von Daten dringt der Phänomenologe auf dem Wege kontrollierter Abstraktionen zu den fundierenden Schichten von Bewußtseinsprozessen vor und deckt die universalen Strukturen subjektiver Konstitutionsleistungen auf. Schütz analysiert die Lebenswelt nun aber nicht nur im Hinblick darauf, wie sie im subjektiven Bewußtsein sinnhaft konstituiert wird; er begreift sie auch als durch die Wirkhandlungen der Menschen produziert […].“ 49 Auch Günzel beendet seinen Text zum Verhältnis von Deleuze’ Position zur Phänomenologie mit einem Blick auf dessen Zusammenführung von Strukturalismus und Phänomenologie (ebd. 2013: 176): „Es spricht für Deleuze, dass er solcherart zwischen der Phänomenologie und dem Strukturalismus keinen Bruch sieht, sondern im Strukturalismus vielmehr den Versuch, der Phänomenologie
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Die Kategorie eines integralen Körper- und Erkenntnissubjekts wird zudem in der Phänomenologie von Maurice Merleau-Ponty schon in Frage gestellt, auf den sich auch Barad im Anschluss an Deleuze positiv bezieht (2007: 157). Merleau-Ponty sieht die grundlegende Verfasstheit des Subjekts nicht wie Husserl in der Intentionalität seines Bewusstseins50, sondern in seiner Leiblichkeit, die jenseits von Körper-Geist- und Subjekt-ObjektDichotomien angesiedelt ist (u.a. [1964] 1994). So thematisiert er etwa (im Kapitel über den Chiasmus in Sichtbares und Unsichtbares) eine Vorstellung vom „Gemisch“, die Barads Ontologie nahekommt: Subjekt und Objekt erscheinen (phänomenal) zunächst nie getrennt, sondern sind immer nur in Verflechtung (dem Chiasmus) zu haben: Der Phänomenologe müsse sich dort „einrichten“, so schreibt Merleau-Pontys, „wo diese [sc. Subjekt und Objekt] sich noch nicht unterscheiden“ (Merleau-Ponty [1964] 1994: 172, vgl. Günzel 2013: 170f.). Für Barad stellen Phänomene „ein nicht-dualistisches Ganzes“ dar, „so dass es buchstäblich keinen Sinn macht, über unabhängig existierende Dinge – als irgendwie hinter oder als Ursache von Phänomenen – zu sprechen“ (2015: 37). Phänomene basieren in Barads Vorstellung auf jenen materiellsemiotischen Intraaktionen, die im vorigen Absatz skizziert wurden, in Phänomenen treffen sich Materie und Bedeutung (ebd.: 43). Somit beinhalte ihre Ontologie, schreibt Barad in Anlehnung an den Physiker Niels Bohr, „keine Vorstellung von Sein, die der Bedeutungsgebung vorgängig wäre (wie die klassische Realist_in annimmt), doch ist Sein auch nicht völlig unzugänglich für Sprache (wie im transzendentalen Idealismus) oder völlig aus Sprache (wie im linguistischen Bonismus) – was beschrieben wird, ist unsere Teilhabe in Natur, was ich ‚agentische Realität‘ nenne.“ (Ebd.: 38) Ihre epistemologische Position ist eng verbunden mit der intraaktiven Ontologie, sie schlägt den „agentischen Realismus“ als „Werkzeug zur Beschäftigung mit dem Empirischen“ vor (ebd.: 181): Die objektive Referenz ist im agentischen Realismus nicht ein gegebenes Objekt mit inhärenten Eigenschaften, sondern materiell-diskursive Phänomene. Und diese Phänomene, das betont Barad, beinhalten die Apparate ihrer körperlichen Produktion
ein monströses Kind zu bescheren.“ Zur Frage nach Deleuze und der Phänomenologie, vgl. auch Rölli 2002; zu den Unterschieden vgl. Krause 2004: 382f.. 50 Husserl sieht ‚Intentionalität‘ und ‚Bewusstsein‘ jedoch bereits nicht als Innerlichkeit eines Menschen, sondern verortet sie im Außen.
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(ebd.). Zu dieser Annahme gelangt sie über die quantenphysikalische Einsicht, dass Position und Impuls eines Teilchens nicht gleichzeitig bestimmbar sind. Messungen sind demnach nicht als neutrale Interaktionen in (und mit) der Welt zu verstehen, stattdessen hängt in dieser Perspektive das Gemessene komplett von Apparaten und Messinstrumenten ab, da unterschiedliche Settings entweder Position oder Impuls bestimmen (vgl. Barad 2015: 24ff.; auch 2007: 294ff.). Barads zentrale epistemologische Annahme ist folglich in Anlehnung an Bohr die „Untrennbarkeit des Gegenstandes und der messenden Agentien“ (Barad 2012: 19). Deshalb müssten bei der Beschreibung von Quantenphänomenen alle relevanten Züge der Versuchsanordnung angegeben werden, also die Bedingungen, die für die Reproduktion des Phänomens notwendig sind, spezifiziert werden – ein Schritt, den Barad mit der Einführung einer je „konstruierten / agentisch positionierten / beweglichen / lokalen / ‚Bohr’schen‘ Unterscheidung zwischen einem ‚Objekt‘ und den ‚Beobachtungsinstanzen‘“ gleichsetzt (ebd. 2015: 26, Herv.i.O.). Durch die Einführung dieses konstruierten Schnitts zur Definition von „Objekt“ und „Beobachtungsinstanzen“ werde die Messung eindeutig definierter Quantitäten in einem je spezifischen Kontext möglich (ebd.: 27). So würden laut Barad einander wechselseitig ausschließende konstruierte Schnitte einander wechselseitig ausschließende experimentelle Bedingungen konstituieren, wodurch sie einander wechselseitig ausschließende Phänomene agentisch manifestieren (ebd.: 31). Apparate sind es, die jeweils einen solchen Schnitt markieren. Während Bohrs Begriff des Apparats sich auf die Einsichten der Quantenphysik und deren Messungen bezieht, expliziert Barad deren ontologische Implikationen (vgl. Barad 2012: 25ff.) und wendet das Komplementaritätsprinzip auf Phänomene an sich an. Apparate sind in dieser Lesart nicht als fest umrissen zu verstehen, sondern als erweiterbare Praktiken oder Sets von Intraaktionen, die jene Phänomene, also das Reale erst hervorbringen (vgl. ebd.: 22). Die Nähe, die Barads Apparat-Verständnis zum foucaultischen Dispositiv aufweist (vgl. auch Lemke/Hoppe 2015: 265), wird noch deutlicher, wenn Barad die Machtfrage betont, die sich in der Auseinandersetzung mit Apparaten und Phänomenen stelle: „Es geht im Kern dieser Auseinandersetzungen darum, das Wesen des Apparats – d.h. Machtfragen – in seiner Materialität und in seiner produktiven Rolle der iterati-
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ven Materialisierung von Phänomenen in ihrer Spezifität, einschließlich eben ihrer Bedingungen der Un/Möglichkeit, zu erörtern.“ (2015: 193)
Dass damit nicht nur Machtfragen gestellt werden sollen, sondern eine Perspektive auf das, was es sonst noch an Möglichkeiten gäbe, auf die „Bruchlinien“, gefordert wird, stellt ihre Position in eine poststrukturalistische Tradition und macht sie – zumindest zum Teil – kompatibel mit einer Agencement-analytischen Perspektive. Mit der grundlegenden Annahme von Intraaktionen wird eine permanente Bewegtheit angenommen, die an die Deleuzianische Perspektive auf „Phänomene als Ergebnis von gegenläufiger Glättung und Kerbung […] analog dem reziproken Vorgang von Reterritorialisierung und Deterritorialisierung“ (Günzel 2013: 176) erinnert. Materiell-semiotische Intraaktionen sind nach Barad als konstitutiv zu verstehen, aber sie sind nicht willkürlich oder zufällig, sondern immer schon historisch und lokal zu verorten. Intraaktionen sind das, was im Dazwischen ist, in jenem Dazwischen, das eigentlich kein Dazwischen ist, sondern eine Ganzheit, die erst zum Dazwischen wird, wenn sich in spezifischen Intraaktionen spezifische Schnitte vornehmen lassen, die voneinander unterscheidbare materiell-semiotische Elemente (oder Körper oder Aktanten) erst hervorbringen. Ich schreibe in den Aufsätzen kaum von Intraaktionen, sondern verwende die Begriffe der Affizierung und auch der Codierung, um Prozesse und Bewegungen, um im Rahmen eines bestimmten Dispositivs das zu bezeichnen, was im Dazwischen ist. Affizierung und Codierung verwende ich dabei in gewisser Weise analog zu den Begriffen der Reterritorialisierung und Deterritorialisierung nach Deleuze – die Fragen, die dadurch aufgeworfen werden, erörtere ich im Schlussteil dieser Arbeit. Dabei wird auch die Diskussion aufgegriffen, wie weit Barads und Deleuze’ Konzepte wirklich kompatibel sind. Hier sei nun festzuhalten, dass Barads Konzeption für meine Annäherung an Anonymous in zweierlei Hinsicht relevant ist: Erstens verdeutlichen deren epistemologische Implikationen, was schon Haraway mit dem Konzept „situierten Wissens“ herausstellte (1995): Dass Erkenntnis immer schon verkörpert und prothetisch verfasst, immer begrenzt sowie permanent in Veränderung ist, wodurch der Anspruch des Repräsentierens der Dimension des Performativen – des Eingreifens und Veränderns – von (wissenschaftlichen) Praktiken weicht (ebd.: besonders 33ff.). Auch Vertreter_innen einer kritischen Ethnographie fordern bereits,
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Wissen zu situieren und die eigene Positionalität zu reflektieren (Madison 2005, Rose 1997).51 Diesen Aspekt der Situiertheit, die Einsicht in die Unmöglichkeit einer reinen, neutralen wissenschaftlichen Praxis arbeitet Barad weiter aus (vgl. Allhutter/Hofmann 2014: 62; Lemke/Hoppe 2015: 268). Lemke und Hoppe fassen treffend zusammen: „Der Begriff des Apparats erlaubt es, die Materialität der Konstitutionsprozesse umfassend untersuchen, ohne (Erkenntnis-)Subjekte oder (Untersuchungs-)Objekte voraussetzen zu müssen. Da innerhalb des agentiellen Realismus Subjektpositionen erst in Intraaktionen erzeugt werden, produziert diese Theorieperspektive neue Untersuchungsfragen – und rekonfiguriert Verantwortungsdimensionen: Welche multiplen Apparate erzeugen ‚meine‘ Subjektposition, welche sind konstitutiv für ‚mein‘ Forschungsobjekt? Was ermöglicht überhaupt ein erkennendes und forschendes Subjekt?“ (Ebd.) Wenn ich vom Phänomen Anonymous spreche oder schreibe, bin ich davon immer auch schon konstitutiver Bestandteil, gehöre ich immer schon zum Apparat, der das Phänomen hervorbringt, der Bedeutung und Materie auf eine spezifische Art intraagieren lässt. Dass auch dieses „ich“ selbst ein Phänomen ist, das nur durch bestimmte Apparate hervorgebracht wird, wird im Folgenden zwar nicht der Fokus sein, doch macht diese Annahme unerlässlich, die eigene Verwobenheit und die Partialität meiner Perspektive in der Forschung weiter zu reflektieren. Somit betone ich in den folgenden Aufsätzen, dass ich keine repräsentativen Aussagen über Anonymous anstrebe, also nichts aussagen kann, was von der spezifischen Beobachtung unabhängig ist, sondern zum Beispiel eine „Erzählung“ oder eine „soziologische Skizze“ zu Anonymous anfertige, wie ich an einigen Stellen schreibe.
51 Müller verweist auf eine interessante Entwicklung: Darauf, dass die poststrukturalistische Ethnographie einen anderen Weg als die Diskursanalyse wähle, um mit dem Problem der Relativität von Wissen über die Welt umzugehen: „Während einige Stränge der Diskursanalyse durch lexikometrische Methoden versuchen, die Autorin zunächst soweit wie möglich aus dem Text zu subtrahieren, tritt die Ethnographie quasi die Flucht nach vorne an und bemüht sich, die Position der Autorin möglichst transparent zu machen.“ (Müller 2012: 181)
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Zweitens macht es Barads Konzeption trotzdem auch überhaupt plausibel, sich empirisch mit Phänomenen auseinanderzusetzen und dafür klassische Konzepte der Beschreibung von Phänomenen weiter zu benutzen: „Unsere klassischen deskriptiven Konzepte implizieren eine SubjektObjekt Unterscheidung, und da Phänomene die Platzierung einer konstruierten Subjekt-Objekt Unterscheidung bedingen, ist es konsistent, klassische Konzepte zur Beschreibung von Phänomenen zu benutzen.“ (Barad 2015: 30) Das ist für die vorliegende Arbeit insofern forschungsleitend, als dass es hierbei nicht um eine autoethnographische Arbeit geht, die sich allein auf Selbstreflexion stützt, sondern um den Versuch, Aufschluss über Formen von Subversion und das (Kollektiv-)Werden in Zeiten der Informatisierung zu erhalten – und zwar anhand einer Untersuchung bzw. Beobachtung des Phänomens Anonymous. Ich lege damit zwar keine empirische Studie zu Anonymous vor, versuche aber, Anonymous möglichst ‚gegenstandsnah‘ zu rekonstruieren. Relevant ist mit Barads Perspektive, alle Möglichkeiten der Setzung der Subjekt-Objekt- oder eben BeobachtungsinstanzGegenstand-Unterscheidung zu beachten, um den Beobachtungsprozess zu denaturalisieren (ebd.: 31). Vorgehensweise: Agencementanalyse und (N)Ethnographie Wie Barad bemerkt (2015: 39), geht es einem solchen Vorgehen nicht um das Verhältnis von Theorien und einer beobachtungsunabhängigen Realität, sondern um das Verhältnis von Theorien und agentischer Realität. Der agentielle Realismus ist aber auch selbst eine Theorie, mit der Forscher_innen sich den Phänomenen nähern. Doch ist diese Theorie so offen und relational wie das, was sie vorstellbar macht: Ihr eigener Apparat gewinnt analytische Stärke durch seine experimentelle Anordnung, die zu „diffraktiven Lektüren“ inspiriert und damit zur Materialisierung neuer Brechungen und Interferenzen beitragen kann (vgl. Lemke/Hoppe 2015: 274).52
52 Mit ihrer an Haraway (1997: 16, 273f.) angelehnten Methode „diffraktiven Lesens“ sucht die Physikerin Einsichten der Quantenphysik mit post-strukturalistischen Konzepten zu verbinden, um Diffraktion als Methodologie nutzbar zu machen (vgl. etwa 2015: 202). Sie schlägt vor (2015: 182), „materiell-diskursive
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Die Gleichzeitigkeit von theoretischer Verortung und Offenheit in der Forschung entspricht den Ansprüchen einer kritischen Ethnographie, die die Vorstellung eines theorielosen Beobachtens hinterfragt und dennoch die Offenheit gegenüber dem Unerwarteten und die Erfassung mikrosozialer Aushandlungen von Bedeutung als zentrale Merkmale ethnographischer Forschung aufrecht hält (vgl. Müller 2012: 182). Meine Auseinandersetzung mit Anonymous läuft auf eine TheorieDiskussion hinaus, die ich ohne die Beschäftigung mit dem Phänomen so nicht geführt hätte. Empirie und Theorie verhalten sich in jenem Prozess der Auseinandersetzung folgendermaßen: Anonymous wirft in meinen Augen Fragen zur Möglichkeit von Subversion in Bezug auf ein bestimmtes Dispositiv auf, genau wie damit zusammenhängende Fragen zu neuen Formen von Kollektivität und Kollektivierung, die mich auch jenseits des Phänomens interessieren. Die zunehmende Beschäftigung mit dem Phänomen läuft parallel zu einer zunehmenden Auseinandersetzung mit Theorien von Kollektivität sowie mit Theorien des Neomaterialismus, die zum Teil das Konzept der Affizierung fokussieren. Diese Theorien lassen sich anhand des Phänomens Anonymous auf eine ganz spezifische Weise lesen, ordnen, hinterfragen und neu lesen, Anonymous wiederum lässt sich gleichermaßen durch jene Lektüren auf eine ganz bestimmte Art wahrnehmen und deuten – wobei gerade die deleuzianisch inspirierten Theorien eine Perspektive auf die Prozessualität, also die
Praktiken aus(zu)machen, die das fragliche Phänomen konstituieren – zusammen mit einer Analyse der Herstellungsweise des Phänomens, einschließlich von Fragen der Kausalität (auch hier wieder ein umgearbeiteter Begriff von Kausalität), der Schnitte und ihrer konstitutiven Ausschlüsse.“ Einer solchen Methodologie geht es darum, nicht nur die Bedingungen zu analysieren, die bestimmte diskursive Praktiken und Bezugsrahmen der Intelligibilität erst möglich machen, sondern darum, einen Blick zu entwickeln „für die (Un)Möglichkeiten von Materialisierung“ (ebd.: 203, Herv.i.O.), wie bereits in der poststrukturalistischen Einordnung verdeutlicht wurde. Ich habe mich erst nach meiner Forschung zu Anonymous mit Barads Hinweisen zur Auseinandersetzung mit Phänomenen beschäftigt und dabei Beschreibungen gefunden für die Art, wie ich vorgegangen war, ohne jedoch selbst etwa speziell mit der Methode „diffraktiven Lesens“ gearbeitet zu haben.
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Wandelbarkeit des Phänomens erfordern, die wiederum die Offenheit in der Beobachtung des Phänomens nahelegen. Wie aber sollte eine solch offene Beobachtung ablaufen? Pathetisch formuliert Barad (2015: 204): „Wenn […] Analysen dekonstruktive und konstruktive Elemente als voneinander untrennbar behandeln, dann ermöglichen sie eine Aufmerksamkeit für die Schnitte / Ausschlüsse / Gewaltsstrukturen in einer Vergangenheit, die noch immer mit uns ist. Zugleich stärkt diese Aufmerksamkeit neue Vorstellungswelten, die die Muster der Gewalt stören, indem sie sich einer kommenden Gerechtigkeit zuwenden.“
Diese zwei Bereiche, denen die Aufmerksamkeit in einer solchen Analyse nach Barad gilt, sind auch im Konzept des Agencements enthalten, das sich, wie in der Zusammenfassung der Aufsätze ab Seite 23 erläutert, für die Auseinandersetzung mit Anonymous als zentral erweist: Die Ebene der Dispositive, in jenem Sinn wie ich sie an Foucault angelehnt beschrieben habe, genau wie jene Bewegungen und Kräfte, die diese Dispositive stören, die ihnen nicht entsprechen, die eigentlich kaum sicht- und sagbar sind – für deren Beschreibung sich im Rahmen einer Agencement-Analyse der Begriff der Affizierung verwenden lässt. Meiner Herangehensweise an Anonymous lässt sich folglich als Kombination aus (N)ethnographie53 und Agencement-Analyse bezeichnen (vgl. auch Pieper/Tsianos/Kuster 2014, 236), die ein besonderes Augenmerk auf materiell-semiotischen Intraaktionen im Baradschen Sinn legt. Sich Anonymous mit jener Analyse-Perspektive zu nähern, erfordert, die digitalen Architekturen, die Programme und Interfaces zu berücksichtigen, die in
53 Wie auch Pieper/Kuster/Tsianos (2014: 233f.) grenze ich mich von den Ansätzen ab, die sich unter der Bezeichnung „netnography“ in der Marktforschung etabliert haben: Jene untersuchen Online-Communities mit ethnographischen Forschungstechniken auf Informationen über das Konsum-Verhalten der ‚User_innen‘ hin (Kozinets 2002) und beschränken sich dabei auf eine Analyse von Textdokumenten aus dem Internet (Janowitz 2009). Des Weiteren grenze ich mich wie auch Pieper et al. von Formen der ‚Netzwerkanalyse‘ ab, die einer „Verbinde-die-Punkte-Mathematik“ (Thacker 2009: 36) entsprechend mit einer statischen Topologie von Knoten und Verbindungslinien operiert und damit weder Dynamik noch Prozessualität erfassen kann.
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Anonymous verwoben sind, und zu fragen, wie sie steuern und rahmen, wie sie auch Möglichkeitsräume eröffnen.54 Jene Formen der Codierung, Steuerung, Rahmung und Anrufung durch aktuelle Social Media Angebote und deren wechselseitige Verwobenheit lassen sich dann in Zusammenhang mit weiter reichenden Dispositiven bringen, wie ich es zum Beispiel im ersten Aufsatz bei der Gouvernementalitätsanalyse von Facebook tue.55 Eine Agencement-Analyse geht dadurch über eine Dispositiv- oder Gouvernementalitätsanalyse hinaus, dass sie das Konzept der Affizierung mitdenken lässt, sie gar als immanenten Bestandteil von Agencements begreift: die Kraft, die das Werden in Gang setzt. Eine Vorstellung von Affizierung – das zeigt sich in der Auseinandersetzung mit dem Phänomen Anonymous – hilft, die Prozesse des (Subversiv und Kollektiv-) Werdens zu begreifen. Eine agencement-analytische Perspektive fragt „womit etwas funktioniert“ (Deleuze/Guattari 1992: 13), wie sich Subversion ereignet, wodurch es zum (Kollektiv-)Werden kommt. Sie bezieht dabei die Dispositive der Macht mit ein, stellt aber die transformativen Bewegungen in den Vordergrund (vgl. Pieper/Tsianos/Kuster 2014: 243). In der spinozistisch-deleuzianischen Linie lassen sich mit dem Konzept der Affizierung jene Prozesse theoretisch fassen, die verschiedene Elemente in Beziehung zueinander bringen ohne dabei über Repräsentationen zu operieren.56 Wie aber nehme ich jene konstituierenden Prozesse der In-
54 Das entspricht auch Christine Hines „virtueller Ethnographie“ (2000). Hines bleibt dabei jedoch einem interpretativen Paradigma treu und nimmt die Verflechtung ihrer Forschungsfelder mit weiter reichenden historisch und lokal zu verortenden Dispositiven bzw. Agencements nicht in den Blick. 55 Die Analytik der Regierung, die Foucault in seinen späteren Vorlesungen zur Geschichte der Gouvernementalität ausarbeitet (Foucault 2004 a, 2004 b) enthält bereits Anhaltspunkte für einen stärkeren Einbezug des Materiellen (vgl. Lemke/Hoppe 2015: 264). Für die Skizzierung der posthumanistische Perspektive einer „Regierung der Dinge“ in Foucaults Vorlesungen zur Geschichte der Gouvernementalität siehe Lemke 2015. Doch, wie bereits dargelegt, fokussiert Foucault noch nicht die Bewegtheit von Agencements aus humanen wie nichthumanen Körpern, siehe auch FN 42. 56 Das Konzept soll zum Einen sensibel machen für das Heterogene, Ephemere, Ereignishafte und Fluide, das sich der menschlichen Wahrnehmung und den Repräsentationssystemen immer wieder entzieht. Zum anderen lässt sich in Be-
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traaktion bzw. der Affizierung als Forscherin/Beobachterin überhaupt wahr? Aussagen wie „Die Forschung ist gefordert, das Fließen der Affekte nachzuzeichnen […]“ (Hipfl 2015: 28) sind häufiger zu finden als Vorschläge, wie das anzustellen sei. Der Versuch, Affizierung „in actu“ (Pieper/Kuster/Tsianos 2011: 230) wahrzunehmen, zu beobachten, scheint ausgeschlossen, wenn Prozesse der Affizierung in dieser Traditionslinie darüber definiert sind, dass sie nicht über Repräsentation operieren. „Social inquiry must remake its vocabulary to reflect this shift from agency to affect, and adapt its methods to attend to affective flows and the capacities they produce. The tools of interpretive research such as interviews or diary and narrative accounts, which conventionally attend to human actions, experiences and reflections, must be turned decisively to efforts to disclose the relations within assemblages, and the kinds of affective flows that occur between these relations.“ (Fox/Alldred 2015: 402)
Wenn Affizierungen, wie in der spinozistischen Tradition beschrieben, als präpersonale Intensitäten zwischen heterogenen Elementen, zwischen (humanen und nicht-humanen) Körpern57 in nicht-linearen Prozessen zirkulieren, Verbindungen schaffen und dabei die Wirkungskraft dieser Verbindungen und der verbundenen Element steigern oder reduzieren, dann ist immer etwas anders durch die Affizierung, dann ist da – scheinbar plötzlich – eine Verbindung, die zuvor nicht war, dann ist da ein Vermögen wiederum in Verbindung zu treten gesteigert (oder auch vermindert). Prozesse der Affizierung lassen sich also nur nachträglich erfassen, darüber, dass eine Verbindung entstanden ist, dass jene Verbindung eine unvorhersehbare Wirkung entfaltet hat. Allhutter und Hofmann (2014), die ebenfalls Affekt-Konzepte und neo-materialistische Ansätze verbinden, um Prozesse der Verkörperung und Materialisierung sowie Wirkweisen von
zug auf die spinozistische Rückführung des Affekt-Begriffs zeigen, dass Affekte in Agencements zwischen humanen und nicht-humanen Körpern bzw. Entitäten keinesfalls einer vielfach postulierten oder unterstellten gleichsam a-sozialen und a-historischen Unmittelbarkeit folgen (Pieper/Wiedemann 2014). Auf diesen Punkt werde ich im Schlussteil der vorliegenden Arbeit genauer eingehen. 57 Wobei Körper hier nicht als das Gegenstück zu Geist gefasst wird – worauf ich am Schluss dieser Arbeit zurückkomme.
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Affekten in soziotechnischen Praktiken in den Blick zu nehmen, wählen ‚Erinnerungen‘ als konzeptuelle Klammer und analytisches Moment, das Affekte in einer macht-theoretischen Weise als transindividuell und geschichtlich zugänglich macht (ebd.: 60). Dafür lassen sie Spieleentwickler_innen, die im Zentrum ihrer Recherche stehen, eine konkrete Erinnerung an ein eigenes Anwender_innen-Erlebnis schriftlich festhalten und anschließend die Erinnerungstexte auf Basis des Vergleichs mit den anderen Texten aus der Gruppe kollektiv dekonstruieren. Laut den Autorinnen wird in den Texten an markierten Stellen ein multisensorisches affektives Involviertsein in Materialitäten zum Ausdruck gebracht (ebd.: 69). Ähnlich gehen Emma Renold und Gabriele Ivinson in ihrer Studie Horse-girl assemblages: towards a post-human cartography of girls’ desire in an ex-mining valleys community (2014) vor, in der die beiden Forscherinnen Prozesse des Werdens, der Transformation über eine diffraktive, affektorientierte Auseinandersetzung mit Agencements aus Daten analysieren (vgl. ebd.: 364f.): Sie führen Interviews, die Leitfragen beinhalten, aber auch immer wieder Raum für freie Narration lassen und notieren sich alle möglichen Eindrücke, die sie selbst im Feld gewinnen, möglichst antikategorial. Ihre Studie ist Teil einer Sammlung von Arbeiten, die Nick J. Fox und Pam Alldred (2015) in ihrem Artikel New materialist social inquiry: designs, methods and the research-assemblage diskutieren: Allesamt Arbeiten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, auf Basis materialistischer Ontologie Affizierungsbewegungen nachzuzeichnen. Dass die beiden Autor_innen auch nach der Zusammenstellung jener Arbeiten nur sehr vage Richtlinien vorschlagen und kaum verallgemeinerbare Hinweise für Forschungsdesigns geben, passt zu jener Offenheit, die ich vorhin als richtungsweisend beschrieben habe – zu der auch der Anspruch der Ethnographie passt, qualitative Sozialforschung „in eine Art postmoderner Forschungshaltung zu verwandeln, die sich von einer mehr oder minder kodifizierten Anwendung von spezifischen Methoden abgrenzt“ (Flick 2010: 301). Als ich mich Anonymous annäherte, lagen viele der Studien aus der genannten Zusammenstellung noch nicht vor. Ich habe mich in der Analyse von Prozessen der Affizierung vor allem an Brian Massumi (2002) orientiert und dabei berücksichtigt, wie Carsten Stage (2013) oder Lisa Blackman ebenfalls in Bezug auf Massumi Affizierung innerhalb und mit digitalen Infrastrukturen zu erfassen suchen.
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Überblick über das ‚Material‘ und den Umgang mit dem ‚Feld ’
Gemäß ethnographischer Prinzipien ging es mir zunächst darum, jegliches relevantes Material zu sammeln, das mit Anonymous zu tun hat, und dabei auf einen flexiblen, gegenstandsorientierten Methodenmix zurückzugreifen. Ich begann im Januar 2011, kurz nachdem Anonymous mit der Operation Payback breite Medienaufmerksamkeit erlangt hatte, möglichst viel Zeit auf Seiten im Netz zu verbringen, auf denen das passierte, was Anonymous zugerechnet wurde. Das betraf zunächst 4chan, von wo aus Anonymous, wie beschrieben, seinen Ausgang nahm, und schließlich diverse IRCChaträume, die immer wieder neu eröffneten und entstanden. Dort beobachtete ich die Gespräche zunächst teilnehmend, klickte und kommunizierte folglich als ‚anonymous‘ mit und protokollierte dabei alles, auch die Prozesse, in die ich involviert war, so detailliert wie möglich. Von dieser Methode verabschiedete ich mich nach einigen Tagen. Erstens wurde mir klar, dass ich dabei nicht den ethischen Standards der Sozialforschung entsprechen konnte, die eigene Position im Feld offenzulegen. Gabriella Coleman hat das getan, wie ich bereits im Abschnitt zum Forschungsstand geschrieben habe. Sie entschied, sich als Forscherin zu offenbaren und sich mit dem Pseudonym „Biella“ (u.a. Coleman 2014: 177), einer Abkürzung ihres Vornamens, (wieder)erkennbar zu machen. Damit erreichte sie jenen Status einer Botschafterin von Anonymous, um den es bereits weiter vorne ging, damit gewann sie auch das Vertrauen einzelner Anons, die sich ihr schließlich ebenfalls offenbarten und sie privat anschrieben. Das involvierte sie aber schließlich auch in Interessenskonflikte zwischen einzelnen Anons. So auch in jenen Konflikt, der als die bislang größte Anonymous-Intrige gilt: Hector Xavier Monsegur, alias Sabu, der bei AntiSec, einer Hacker-Untergruppe von Anonymous aktiv war, wurde im Januar 2011 vom FBI überführt und diente danach über Monate als Informant, was zur Verhaftung zahlreicher Personen führte, die mit Anonymous in Verbindung standen. Gabriella Coleman hatte „Sabu“ persönlich kennengelernt und sich mit ihm über Anonymous ausgetauscht, ohne zu wissen, dass er zu dieser Zeit schon FBI-Informant war (vgl. ebd.: 294ff.). Darüber hinaus hätte die Teilnahme an jenen IRC-Chats auch Coleman selbst zum juristischen Verhängnis werden können: Die gegenwärtige Gesetzeslage (vor allem der Computer Fraud and Abuse Act aus dem Jahr
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1986)58 macht strafrechtliche Verfolgung all jener Personen möglich, die an einem IRC-Chat teilnehmen und sich äußern, während eine Operation oder Aktion diskutiert wird, die später durchgeführt und als illegal eingestuft wird (vgl. Pendergrass 2013: 48f.). Ich verfolgte dennoch weiterhin, wie das IRC-Netz von Anonymous in dieser Phase wuchs, vor allem über die Seite anonnet.org – und ich nahm weiter an IRC-Chats teil, allerdings passiv. Es ist möglich, immer wieder einzelne IRC-Chaträume zu betreten und die Diskussionen auch ohne Teilnahme zu verfolgen – genauso wie ich es auch auf 4chan machte. In dieser ersten Beobachtungsphase wuchs mein Interesse in die Art, wie Anonymous sich organisiert, wie es entstanden ist bzw. immer wieder als Kollektivität entsteht, sich immer wieder konstituiert, also gemeinsam etwas erschafft, was dann Anonymous als Aktion oder Operation zugerechnet wird – und damit meine ich nicht die DDoS-Angriffe, sondern Videooder Textbotschaften. Dabei wurden vor allem zwei Seiten relevant, die sich damals gerade etablierten, anonnews.org und anonops.com,59 und die Frage aufwarfen, ob und wie sich ein gemeinsames Narrativ rund um Anonymous herauszubilden begann. Von Januar bis April 2011, im Zeitraum zwischen der Operation Payback und Anonymous’ Unterstützung der Proteste des arabischen Frühlings, sammelte ich Selbstbeschreibungen von Anonymous auf jenen beiden Seiten. Dieser Zeitraum deckt sich mit der Phase, in der Anonymous zunehmend in den Nachrichten auftauchte, in der Anonymous, wie es im Nachhinein immer wieder heißt, sich noch weiter politisierte und zu einer globalen Bewegung wurde (vgl. Coleman 2014: 143ff.). Ich kopierte Texte aus Chaträumen in Word-Dokumente auf meinem Computer und machte Screenshots, denn zum Teil war das Feld ephemer: Eine Seite, auf der ich gerade noch Prozesse der anonymen Schwarmbildung wahrnahm, war am Tag danach aus dem Internet verschwunden, eine Internetadresse, die mich gerade noch auf eine Diskussionsseite leitete, funktionierte am nächsten Tag nicht mehr. Die wichtigsten Texte, diejenigen, zu denen es in Cha-
58 Vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Computer_Fraud_and_Abuse_Act (aufgerufen am 12.06.2016) 59 anonnews.org existiert 2016 nicht mehr, anonops.com ist weiter abrufbar (aufgerufen am 12.06.2016), auf Beispiele gehe ich in Greetings from the Dark Side genauer ein.
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träumen ausführliche Diskussionen und immer wieder Korrekturen und gemeinsame Formulierungsarbeit gab, zirkulierten unter den Namen Press Release, Clarification on Anonymous und Letter to the World. Des Weiteren speicherte ich Videos, in denen Anonymous sich selbst erklärte, die auf YouTube am meisten Klicks erhielten. In den folgenden Monaten wertete ich dieses Material mit einer Mischung aus dispositiv- und inhaltsanalytischen Methoden aus. Ich erstellte Karten der Netzwerke, die sich unter dem Namen Anonymous entwickelt hatten, deren Dynamik ich abzubilden versuchte, indem ich festhielt, wie lange jeweils einzelne Seiten, also Knotenpunkte existierten, wann neue auftauchten, wann andere wiederum verschwanden. Um diese Ereignisse, in denen sich jeweils ein Schwarm formierte, nach jener Definition, wie ich sie vor allem im vierten Aufsatz Between Swarm, Network, and Multitude ausgearbeitet hatte, zu verstehen, kam ich erneut auf die Beschäftigung mit 4chan zurück, von wo aus weiterhin die meisten Memes produziert wurden, wie im fünften der folgenden Aufsätze erläutert wird. Dort ließ sich weiterhin beobachten, wie jene wohl wichtigste Anonymous-Meme, die Lol-Cat entstanden war: Jene Prozesse, die ich mit dem Konzept der Affizierung beschrieb, die konstitutiv für die Schwarmbildung sind, ließen sich dort in mehrerlei Hinsicht verorten. Wie im vierten Aufsatz, Between Swarm, Network, and Multitude, beschrieben, zeichne ich diese Spuren der Affizierung im linguistischen Material nach, in den Inhalten der Posts und Kommentaren auf 4chan genau wie in den Diskussionen in IRC-Chats. Auch die Rhythmen und Geschwindigkeiten der Postings und deren Feedback-Schleifen geben Hinweise auf die affizierenden Dimensionen der Infrastrukturen, die ich in letzten Artikel, Digital Swarming and Affective Infrastructures, analysiere – worauf ich gleich noch einmal zu sprechen komme. Daneben dienten mir auch Interviews mit einzelnen Personen, die in verschiedener Weise an Anonymous teilhatten oder -haben, als Material, in dem sich sowohl das Narrativ, das sich rund um Anonymous entwickelt hatte, als auch die Spuren der Affizierung in der Erinnerung nachzeichnen ließen. Jene Interviews führte ich in New York im März und April 2012. Anonymous hat keine Repräsentanten – einzelne Personen wurden für mich ansprechbar, nachdem ihnen das FBI die Teilnahme an oder Unterstützung von Anonymous-Aktionen vorgeworfen hatte. Auf diesem Weg kam ich etwa zu den Interviews mit Mercedes Haefer, der das FBI vorwarf, Opera-
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tion Payback mit initiiert zu haben, oder mit Aaron Swartz, jenem Free Software- und Open Access-Aktivisten, der immer wieder von den Medien mit Anonymous in Verbindung gebracht wurde, dem schließlich wegen illegalen Downloads im großen Stil der Prozess gemacht werden sollte und dessen Selbstmord Anfang 2013 weltweit in der Presse aufgegriffen wurde. Des Weiteren führte ich Interviews mit Personen, die sich selbst öffentlich mit Anonymous in Verbindung brachten: Etwa mit Gregg Housh, der sich als ehemaliger Anonymous-Aktivist ausgab und vor allem als einer, der von Anfang an dabei war, und bereits im amerikanischen Fernsehen aufgetreten war, mit Stanley Cohen, der sich selbst als Anonymous-Anwalt bezeichnete und Mercedes Haefer vor Gericht vertrat, und erneut mit Chris Poole, dem 4chan-Gründer, den ich schon 2009 bei der republica interviewt hatte.60 Alle Interviews waren Leitfaden-gestützt, boten aber Raum für Narration rund um Anonymous und den jeweiligen Bezug, den die einzelnen dazu hatten. Alle Interviewten kamen irgendwann auf die Ereignisse der Kollektivierung und gemeinsamen Kreation in der Anonymität im Netz zu sprechen. Gleichzeitig waren jene Interviews zum Teil auch von Interesse, um zu dokumentieren, wie sich Repräsentationslogiken durchsetzen – sowohl in der Hinsicht, dass sich je einzelne hervortun, als auch im Hinblick auf die Wiederkehr bestimmter Beschreibungen. Jene Bewegungen der Reterritorialisierung machte ich in den Interviews aus genau wie in den Chats, etwa anhand einer Analyse davon, wie sich Regeln zu sprechen etablierten. So nahm ich das linguistische Material zum Beispiel ebenso auf Formen der kulturellen Codierung hin in den Blick, untersuchte es etwa in für Greetings from the Dark Side auf die Entwicklung einer Agenda hin, auf die Formen der Stabilisierung und Repräsentation. Und auch in den Prozessen des Mappings, also des Skizzierens jenes beweglichen, „lebendigen“ Netzwerks, wie ich es in Anlehnung an Eugene Thacker (2009) in Betwenn Network, Swarm and Multitude herausarbeite, galt es, Stabilisierungen zu dokumentieren, digitale Infrastrukturen und Architekturen immer wieder auf ihre Regierungsform hin zu befragen. Um schließlich wieder zu fragen, wie diese Regeln, wie die Formen der Repräsentation und der Anrufung verwischt werden, wie die Prozesse der Affizierung ablaufen, und darauf zu
60 Dabei verschränkte sich auch für mich journalistische und wissenschaftliche Arbeit, womit ich selbst involvierter in Anonymous wurde.
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achten, wie bestimmte Settings, wie bestimmte technische (An)Ordnungen wiederum Dynamiken und Möglichkeitsfelder selbst eröffnen, wie sie selbst Teil werden eines Agencements, das Anonymous ist – wie mit ihnen und in ihnen Anonymous als Idee und Schwarm die Grenzen zwischen Feld und Phänomen verwischt. Die nun geschilderten theoretischen und methodologischen Überlegungen sind der Ausgangspunkt für die folgenden Artikel. In ihnen entwickle ich ein Argument, aus dem sich im Schlussteil eine theoretische Auseinandersetzung vor allem mit dem Konzept von Affekt und schließlich der Bedeutung des Gemeinsamen für das Modell der ‚kritischen Kollektivität im Netz‘ ergibt.
Facebook Das Assessment-Center der alltäglichen Lebensführung
„Was machst du gerade?“, lautet die wichtigste Frage auf Facebook. Während die Dokumentation des Alltags in der TV-Show Big Brother Ende der 1990er Jahre noch provokant wirkte, ist es mittlerweile für die meisten jungen Leute selbstverständlich, das eigene Leben täglich begutachten und bewerten zu lassen – vor möglichst vielen Zuschauern oder in diesem Fall „Freunden“. Ausgehend von der Beobachtung, dass es auf Facebook vor allem darum geht, möglichst sichtbar und attraktiv zu sein, verfolge ich die These, dass diese Selbstdarstellungen eine neue Form des ‚Brandings‘ darstellen. Doch wie äußert sich dies konkret auf der Website? Und wie lässt sich das Phänomen des ‚Selfbrandings‘ gesellschaftlich einordnen? Betrachtet man Facebook im Kontext gegenwärtiger gesellschaftlicher Bedingungen, drängt sich der Vergleich zu Formen des unternehmerischen Selbst auf, wie es im Rahmen aktueller Gouvernementalitätsdebatten thematisiert wird. Im Folgenden soll daher Facebook aus einer gouvernementalitätsanalytischen Perspektive unter die Lupe genommen werden.1 Wie auch in anderen jüngeren Studien, die sich an Foucaults Konzept orientieren, wird die Analytik der Gouvernementalität damit fruchtbar gemacht für eine Untersuchung des Subjektivierungsregimes in einem bestimmten Bereich unserer
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Der folgende Artikel basiert auf der veröffentlichten Magisterarbeit Selbstvermarktung im Netz. Eine Gouvernementalitätsanalyse der Social Networking Site Facebook (Wiedemann 2010).
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gegenwärtigen Gesellschaft.2 Um herauszufinden, wie die Social Networking Site die Handlungen der User_innen vorstrukturiert und welche Form der Rationalisierung sie dabei vornimmt, wird zunächst die ‚leere‘ Seite analysiert. Hier interessieren mich die Optionen, die den User_innen geboten werden, und die Anweisungen, die Facebook dazu gibt, sich auf eine ganz bestimmte Art und Weise zu verhalten. Diese Anleitungen von Facebook, die als „Anrufungen“ im Sinne Althussers3 verstanden werden können, werden außerdem eingeordnet in einen bestimmten historischen Kontext. Die Analyse des User_innen-Subjekts, das von Facebook implizit vorausgesetzt wird, ermöglicht die Situierung der Wissenstechniken auf der Social Networking Site, die Handlungen erwartbar machen und normalisieren. So wird die Art, wie Facebook die User_innen anleitet, in den Kontext der Aspekte gestellt, auf die Foucault bei der Analyse der Entstehung des modernen Staates, der modernen Gouvernementalität, verweist – und auf welche eine Analytik der „Gouvernementalität der Gegenwart“ (Bröckling /Krassmann/Lemke 2000) eingeht, wenn sie die Etablierung eines neuen Leitbildes aufzeigt, von dem im weiteren Verlauf expliziter die Rede sein wird: das unternehmerische Selbst. Im vorliegenden Artikel wird Gouvernementalitätsanalytik als spezielle Machtanalytik zur Untersuchung von Facebook und Gouvernementalität als eine spezifische Art moderner Machtmechanismen präsentiert, um zu klären, inwiefern die nahegelegten Anwendungs-Szenarien auf Facebook gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen und deren Leitbild, dem unternehmerischen Selbst, entsprechen. Diese Analyse kann somit als ein Erklärungsmodell für den Erfolg von Facebook dienen und beantworten, warum sich in den letzten Jahren gerade ein Angebot wie Facebook entwickeln und derart durchsetzen konnte. Im Folgenden wird zunächst geklärt, inwiefern Facebook als Regierungs- und Anwendungsprogramm gelten kann und warum jene Perspektive hilfreich ist, gerade um die gesellschaftliche Etablierung von Facebook zu erörtern. Die anschließende Analyse des Interface von Facebook orientiert sich an vier Hauptachsen: An der Selbstdarstellung im Rahmen der Profilbildung, an den Dokumentationstools im Anwendungsbereich, an der
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Vgl. Rose 1997; Bröckling/Krasmann/Lemke 2000; Opitz 2002, 2004; Bröckling 2004, 2007; Pieper 2005; Reckwitz 2006.
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Den Begriff der „Anrufung“ führt Louis Althusser (1977) ein, um zu beschreiben, wie das gesellschaftliche Subjekt diskursiv produziert wird.
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Aufmerksamkeit für die Vernetzungsmöglichkeiten/„Freundschaften“ und an den Feedbackschleifen durch die „Freunde“. Zum Abschluss wird auf die Spannungen zwischen dem Interface und den User_innen verwiesen, auf das Potential, das darauf basiert, dass Programme und Praktiken sich nie vollständig entsprechen.
P RODUCING S UBJECTIVITY Werden Foucaults Überlegungen zur Gouvernementalität und deren Fortführung in den Governmentality Studies auf Facebook übertragen, lässt sich die Social Networking Site als ein „Regierungsprogramm“ untersuchen. Gouvernementalität bezeichnet die Art und Weise, wie Menschen heutzutage geführt werden bzw. angeleitet werden, sich selbst zu führen, sich zu verhalten, die „Art und Weise, mit der man das Verhalten der Menschen steuert“ (Foucault 1979: 261)4 – ganz ohne Zwang. So führt auch Facebook das Verhalten der User_innen, es strukturiert deren Handeln, indem es sie dazu anleitet, sich auf eine ganz bestimmte Art und Weise zu verhalten, bestimmte Aspekte des Selbst und des eigenen Lebens sichtbar zu machen, bestimmte Dinge zu äußern. Die Frage: „Was kann ich heute sehen und was kann ich heute sagen?“ (Deleuze 1987: 168) lässt sich im Foucault schen Sinne als die Frage nach der Subjektivierung verstehen. Was sicht- und was sagbar ist, hängt vom jeweiligen historisch spezifischen Macht/WissenNexus ab. Durch die Möglichkeit, die verschiedenen Machtverhältnisse und
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Als Foucault den Begriff der Gouvernementalität in der 4. Sitzung der Vorlesung „Sicherheit, Territorium, Bevölkerung“ von 1978 zum ersten Mal formuliert, wendet er sich damit zunächst nur den Regierungstechniken zu, die der Bildung des modernen Staates unterlegt sind. Mit dem Begriff der Gouvernementalität benennt er anfangs das im 18. Jahrhundert installierte Machtsystem, das „als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als wichtigste Wissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat“ (1978: 162). In den folgenden Vorlesungen wandelt sich die Bedeutung des Begriffs. Der Blick wird nun nicht mehr nur auf staatliche Modalitäten gelenkt. So sagt er zum Beispiel auch in einem Interview: „Unter Regierung verstehe ich die Gesamtheit der Institutionen und Praktiken, mittels deren man die Menschen lenkt, von der Verwaltung bis zur Erziehung“ (1996: 118ff.).
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Wissensformen, also die Rationalitäten, nach denen regiert wird, nach denen die Menschen aufeinander einwirken, gemeinsam zu analysieren (vgl. Foucault 1979: 261), kann der Gouvernementalitätsbegriff in Bezug auf Facebook in erster Annäherung als Äquivalent der Logik von Subjektivierungsprozessen gelten. Es geht im Folgenden darum, das Subjektivierungsregime auf Facebook zu erforschen, den „Computerrahmen“, der den User_innen vorgibt, welches Verhalten als adäquat und erwartbar anzusehen ist (vgl. Renz 2007: 42f.)5, die spezifischen Rationalitäten, auf deren Basis es die User_innen zu einem bestimmten Verhalten auffordert, zu analysieren. Diese Form der Analytik wendet sich dabei keinen empirisch beobachtbaren Entitäten zu, sondern der Frage, wie Individuen als Personen adressiert werden. Die „Anrufungen“ geben die Form an, in die hinein sich Subjekte entwickeln sollen (vgl. Althusser 1977). Bröckling zufolge erfasst diese gesellschaftliche Erzeugung der Subjekte durch sprachliche Mittel die paradoxe Aufforderung, zu werden, was man schon ist, und steht somit für das Zusammenspiel von Unterwerfung und Selbstkonstitution des Subjekts (vgl. Bröckling 2007: 27).6 Dabei geht es also nicht mehr um eine spiegelhafte Verdopplung, der das Subjekt gleichzukommen hat, sondern darum, die Spur des Subjektes, d.h. sein Auftauchen, zu einem Netz aus Daten zu verdichten (vgl. Bunz 2001). Mit dem flexibilisierten Subjekt wird der Eintritt in die Kontrollgesellschaft markiert, die Deleuze als Ausgang der Foucault schen Forschungen beschrieben hat und in der die ständige Kontrolle die Disziplinierung ablöst. Als freies, zur Selbstregierung fähiges Wesen
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So definiert auch der Kommunikationswissenschaftler Höflich (1996, 2003) die „virtuelle Gemeinschaft“ im Hinblick auf den gemeinsamen Gebrauch von Medien und gemeinsam geteilte Regeln: „Nicht eine wie immer geartete innige Verbundenheit, sondern eine dem Gebrauch zu Grunde liegende regelgeleitete Praxis ist der kleinste gemeinsame Nenner, an dem ›virtuelle Gemeinschaften‹ theoretisch festzumachen sind. Konstitutionsmerkmal ›virtueller Gemeinschaften‹ sind ferner nicht exzeptionelle, sondern gemeinsame, normativ festgelegte und damit erwartbare Gebrauchsweisen.“ (Höflich 2003: 70)
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Butler meint dagegen, Althussers Begriff der Anrufung stehe für ein Modell der souveränen interpellativen Rede, in dem das Element der Unterwerfung, des assujetissements dominant sei (vgl. Butler 2001: 11). Foucaults Vorstellung der Subjektivierung stellt in diesem Sinne eine Erweiterung des Althusserʼschen Modells dar.
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wird das Individuum adressiert, das seine Freiheit und sich selbst aber auf eine bestimmte Art und Weise regieren möge. Möge, nicht muss. Facebook funktioniert nur, weil die User_innen die Struktur beständig ohne Zwang nutzen, (re)produzieren und erweitern. Das Verhalten der User_innen auf Facebook wird im Folgenden somit zwar nicht gesondert untersucht, jedoch implizit mit in den Blick genommen: Die Betrachtung des Interfaces beinhaltet auch die Perspektive auf die Praktiken, also auf den Gebrauch von Facebook, weil sich Facebook erst durch die Nutzung entwickeln und etablieren konnte.
P ROD U SING F ACEBOOK Die zweidimensionale Bildschirmoberfläche wird durch die Anrufung der User_innen nämlich um eine Dimension erweitert: Sie reagieren auf diese Anleitungen von Facebook, also beispielsweise darauf, ein bestimmtes Formular zur Profilbildung auszufüllen, um überhaupt weiter auf andere Benutzeroberflächen von Facebook gelangen zu können – und wenn sie nicht reagieren, wenn sie partout nicht so reagieren, wie sie angerufen werden, dann reagiert Facebook wiederum darauf. So wurde zum Beispiel der anfangs dominante Appell, sich „authentisch“ zu präsentieren, wie auch die damit verbundene Option, andere User_innen, die sich nicht „authentisch“ präsentieren, zu „melden“, also beim Unternehmen Facebook zu denunzieren, mittlerweile7 in den Hintergrund versetzt. Programme übersetzen sich niemals bruchlos in individuelles Verhalten; „[…] sich ihre Regeln anzueignen, heißt immer auch, sie zu modifizieren“ (Bröckling 2007: 40). Die Technologien des Selbst sind Teil der Subjektivierung auf Facebook, sie konstituieren dabei überhaupt erst die Social Networking Site Facebook, (re)produzieren ihre Rationalität, transformieren oder intensivieren sie. Auf Facebook werden diese Technologien des Selbst durch dessen spezifische Beschaffenheit, durch die „intermediale und flexible Kopplung zwischen
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In meiner früheren Facebook-Analyse war dies noch eine der wichtigen Optionen zur wechselseitigen Sanktionierung, die den UserInnen häufiger und an auffälligeren Stellen auf der Seite vorgeschlagen wurde (vgl. Wiedemann 2010).
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Praktiken, Apparaten und Programmen“ (Stauff 2005: 249)8 in einer Weise repräsentiert, die Foucaults Beschreibung erstaunlich – das Internet kannte er schließlich noch gar nicht – nahe kommen: Foucault definierte damit Technologien, die „[…] ›Individuen‹ ermöglichen, mit eigenen Mitteln bestimmte Operationen mit ihren Körpern, mit ihren eigenen Seelen, mit ihrer eigenen Lebensführung zu vollziehen, und zwar so, dass sie sich selber transformieren, sich selber modifizieren“ (Foucault 1984: 35f.). Entsteht auf Facebook nicht auch andauernd Neues, produzieren die User_innen nicht auch selbst neue Formen der Subjektivität? Wenn Facebook für die folgende Analyse als Programm in der gegenwärtigen Gouvernementalität gilt, vor deren Hintergrund Subjektivierung nicht nur ein „entworfen werden, sondern auch ein (sich) entwerfen ist, dann kann die Untersuchung des Interface nur als ein Schritt von mehreren gelten. In der folgenden Gouvernementalitätsanalyse werden die Elemente des Interface analysiert, die seit Anbeginn zur Basis des Angebots gehören, die sich durchgesetzt haben. Auf jene Anrufungen von Facebook, denen die User_innen mehrheitlich nachzukommen scheinen, konzentriert sich die Untersuchung, ohne dabei das wechselseitige Konstitutionsverhältnis von Programmen und Praxen zu negieren.
P ROFILING „Drücke dich aus: Richte dein Facebook-Profil ein. Nachdem du jetzt dein Konto erstellt hast, kannst du dein Profil ausfüllen. Mithilfe deines Profils kannst du deine Interessen, Aktivitäten und weitere Informationen mit den Personen teilen, mit denen du dich auf Facebook verbindest. Mithilfe deines Facebook-Profils kannst du dich selber repräsentieren und deinen Freunden mitteilen, was in deinem Leben passiert.“9
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Was Markus Stauff (2005) für das Fernsehen als neue Strukturen aufzeigt, weist parallele Züge dessen auf, was wichtige Rationalitätsaspekte des Internets waren: Feedback und Interaktivität.
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Unter:
www.facebook.com/help/?guide=set_up_profile
25.05.2011).
(aufgerufen
am
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Die Erstellung eines „Kontos“ bezeichnet den Vorgang der Registrierung bei Facebook. Wie der anleitende Text oben besagt, werden die künftigen User_innen direkt nach dem Beitritt dazu aufgefordert, sich ein „Profil“ zu erstellen, was sie mit einer mehrteiligen Prozedur der Datenerfassung konfrontiert, die ihnen zunächst wenig Spielraum lässt. Sie werden dazu aufgefordert, gewisse persönliche Daten in standardmäßig vorgegebene Erfassungsmasken einzutragen. In den Feldern dieses E-Formulars10 sollen verschiedene Angaben gemacht werden, und das auf eine bereits bestimmte Art und Weise.
Abbildung 1: „Info“-Formular – „Allgemeines“11!
Diese Form der Profilbildung enthält Wissenstechniken, die sowohl auf binären Unterscheidungen beruhen (z.B. die Geschlechtszugehörigkeit) und mit quantitativen Skalierungen arbeiten (z.B. hierarchische RankingTechniken unter den Kategorien „Kunst und Unterhaltung“ mit Lieblingsbüchern etc.) als auch zur Erstellung qualitativer Profile auffordern (z.B.
10 Ein E-Formular ist ein standardisiertes Mittel zur Datenerfassung, -ansicht und -aufbereitung in elektronischer Form (vgl. Reichert 2008b: 95). 11 Online verfügbar unter: www.facebook.com/profile.php?id=1403643888#!/edit profile.php (aufgerufen am 25.05.2011).
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das Aufzeigen kreativer Fähigkeiten und Begabungen in ‚freien‘ Datenfeldern), worauf weiter unten genauer eingegangen werden soll. Dem Standardisierungsprinzip wird scheinbar widersprochen durch die Anrufung der User_innen als Individuen, die sich in „über mich“ frei und einzigartig artikulieren können. Doch auch die Möglichkeit, die eigene Individualität unter Beweis zu stellen, bleibt schon allein durch die formale Vorgabe eines Kastens für alle gleichermaßen beschränkt. Das Profiling, die Profilbildung auf Facebook, gleicht einem Modell der Evaluation, der Prüfung von Persönlichkeitsmerkmalen, das in der Eignungsdiagnostik im unternehmerischen Feld angewendet wird. Diese Formen der Selbstbeschreibung, zu welchen Facebook die User_innen anruft, indem diese eben z.B. standardisierte Kataloge von typisierten Merkmalen über sich selbst ausfüllen und diese den anderen User_innen, also der Community, vorlegen sollen, um den eigenen Profilkatalog wie von einer Jury kommentieren zu lassen, entsprechen Verfahren der Evaluation, wie sie in verschiedenen Bereichen des Managements eingesetzt werden (vgl. Bröckling 2000: 131). In postfordistischen Gesellschaften, in denen der Abbau des Wohlfahrtsstaates und die Prekarisierung der Lebensverhältnisse kaum mehr irritieren, scheint die „Veralltäglichung von Testverfahren und das ungeheure Interesse des Publikums, sich einer freiwilligen Messung von Persönlichkeitsstrukturen, Begabungsprofilen, Kompetenzmustern und Risikofaktoren zu unterziehen“ wie „eine gesellschaftlich geforderte Strategie der Selbstoptimierung“ (Lemke 2004: 123). Der eigene Profilkatalog wird erstellt, als handle es sich um ein Anschreiben, einen Lebenslauf für eine Bewerbung. Zur Bewerbungsmappe gehört auch das Foto – so werden die User_innen auch dazu aufgefordert, ein Foto von sich hochzuladen. „Lächle, du bist auf Facebook“ „Ein Profilbild erleichtert es deinen Freunden, dich zu erkennen, vor allem, wenn du einen weitverbreiteten Namen hast. Darüber hinaus bietet das von dir ausgewählte Bild eine weitere Möglichkeit, deine Persönlichkeit gegenüber Freunden und Familie auszudrücken. Wenn du ein Profilbild auswählst, empfehlen wir dir ein Bild zu nehmen, das dich am besten repräsentiert. Wenn du dir unsicher bist, was das bedeutet, dann sieh dir die Profilbilder von deinen Freunden an, um herauszufinden, wie
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sie sich präsentieren. Denke daran, dass du dein Profilbild jederzeit ändern kannst (genauso, wie den Rest deiner Informationen).“12
Facebook vermittelt den User_innen den Eindruck, es sei selbstverständlich, sich der Community auf mindestens einem Foto zu zeigen. Die Anleitung, Fotos hochzuladen, ist mit der Aufforderung verbunden, sich sowohl zu „erkennen“ zu geben als auch die eigene „Persönlichkeit“ auszudrücken. Innerhalb der Rahmenbedingungen lässt die Seite den User_innen den Spielraum, selbst zu entscheiden, wie viele Fotos sie dafür benötigen und vor allem, welche Art von Bildern sie „am besten repräsentieren“ – im Vergleich mit den Fotos anderer User_innen sollen sie sorgfältig selektieren. Schönheit und Körperlichkeit sind omnipräsent, gerade weil sie zu geronnenen, festen Bildern werden, die den Körper zum Teil eines konkurrenzorientierten Marktes machen.13 Dafür müssen die User_innen Bilder von sich selbst mit den Augen einer Jury betrachten, zu Models oder SchauspielerInnen und gleichzeitig zu deren AgentInnen werden und über ihren Körper, ihr Gesicht mit den anderen vergleichbar sein. Die Erinnerung daran, dass das Profilbild jederzeit geändert werden kann, kommt dem Appell gleich, regelmäßig ein neues Foto zu präsentieren, damit der Wettbewerb weitergeht. So gemahnt auch der Knopf „Profil bearbeiten“ die User_innen fortwährend, die ‚Arbeit‘ an der eigenen Darstellung nie abzuschließen. Die neoliberale Rationalität der gegenwärtigen Gouvernementalität adressiert die Subjekte als UnternehmerInnen ihrer Selbst, die ihres eigenen Glückes Schmied sind, dem Glück schon selbst auf die Sprünge helfen und deshalb fortwährend an sich bzw. ihrem „Humankapital“ arbeiten müssen (vgl. Foucault 1979: 334ff.). Das E-Formular der Profile stellt ein einheitliches Muster der Beschreibung der Mitglieder dar, was somit als Basis der wechselseitigen Betrachtung, Differenzierung und Beurteilung dient. Dabei werden die User_innen
12 Online verfügbar unter: www.facebook.com/help/?guide=set_up_profile (aufgerufen am 25.05.2011). 13 Eine ähnliche Aussage macht Eva Illouz in ihrem Buch Gefühle in Zeiten des Kapitalismus vor dem Hintergrund der Analyse von Online-Partner-SuchDiensten (vgl. ebd. 2004: 123). Siehe auch den Beitrag von Geert Lovink im vorliegenden Band.
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zur steten Kontrolle der „Qualität“ des eigenen Profils im Verhältnis zu denen der anderen angerufen. Konkurrenzsituationen, die in fordistischen Gesellschaften ein eher eingrenzbares Feld der Beschäftigung betrafen, erstrecken sich immer mehr über dieses hinaus in andere Bereiche des Lebens. So kann die Anrufung der User_innen zur andauernden Selbstevaluation im Spiegel der anderen Facebook-Mitglieder als Ökonomisierungsund Standardisierungsinstrument in postfordistischen Gesellschaften gedeutet werden.
D OKUMENTATION Während die Profilbildung durch die elektronischen Raster und vorgegebenen Selbstbeschreibungsmöglichkeiten zur homogenisierenden Erfassung aller User_innen führt, ermöglicht dagegen der Anwendungsbereich den User_innen, sich als einzigartig und besonders aufmerksamkeitswürdig darzustellen. Sobald die User_innen auf Facebook ihr Profil angelegt haben, werden sie sowohl auf der Startseite als auch auf ihrer eigenen Profilseite mit diesem Kasten konfrontiert:
Abbildung 2: Zentrales Feld – Aktivitätsabfrage14
Die Frage nach ihrer aktuellen Beschäftigung setzt voraus, dass die User_innen gerade „etwas machen“. Notieren sie das in dem weißen Feld und drücken den Button „Posten“, erscheint diese Notiz auf den Pinnwänden der „Freunde“, die diese Funktion nicht abgeschaltet haben. Es wird suggeriert, die eigene Beschäftigung sei für andere von Interesse, müsse mitgeteilt werden. Der Kasten verschwindet nicht, sobald sie gepostet haben, was sie gerade machen – etwas Neues muss „gemacht“ werden. Die
14 Online verfügbar unter: www.facebook.com/ (aufgerufen am 25.05.2011).
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andauernde Berichterstattung über ihre jeweilige Beschäftigung können sie durch die Optionen erweitern, Links, Fotos oder Videos hinzuzufügen oder Fragen zu stellen. Der Bereich „Fotos“ umfasst sowohl die Möglichkeit, beständig neue Fotos aus dem Alltag oder dem Urlaub zu präsentieren, als auch, ein „Profilbild“ zu wählen. Der Häufigkeit der Bedienung dieser Anwendungen ist dabei keine Grenze gesetzt. „Lade Fotos von Deinem Handy hoch“ – der Imperativ drückt die Anrufung der User_innen aus, sich selbst durch das Fotoobjektiv andauernd zu beobachten und diese Beobachtung der eigenen Community vorzulegen. Die Anleitung zum Hochladen von Fotos und Videos entspricht der andauernden Anrufung der User_innen als aktive Subjekte, die ihre Aktivität auch ununterbrochen unter Beweis stellen. Und die Facebook-User_innen werden nicht nur „draußen“, sondern auch im Netz zur Partizipation, Eigeninitiative und Aktivität aufgerufen: So ermöglicht das „Teilen“ von Links, auch alles, was die User_innen im Netz „erleben“, den anderen FacebookMitgliedern permanent mitzuteilen. Die Art, wie Facebook die User_innen adressiert, gleicht den Subjektivierungs-Mechanismen der postdisziplinaren Gesellschaften, die nicht darauf basieren, dass ein Souverän die Individuen oder ein Fabrikchef seine Arbeiter überwacht und diszipliniert, sondern darauf, dass die freien Subjekte sich selbst regieren bzw. registrieren und sichtbar machen. Ohne dass es eine Personalabteilung, ein Einwohnermeldeamt oder die Polizei fordern würde, werden personenbezogene Daten als Antworten auf „Was machst Du gerade?“, Fotos, Videos und Links als Spur, die die User_innen auf Facebook hinterlassen, geführt und aufgeführt. Die eigene Spur wird der Community angepriesen, wird zum endlosen Projekt – es soll schließlich niemals abgeschlossen sein, denn „[i]n einem Kontroll-Regime hat man nie mit irgend etwas abgeschlossen“ (Deleuze 1993: 251). Das „Kontroll-Regime“ bezeichnet hierbei die permanente Aufforderung zur Selbstkontrolle, zur Kontrolle des Projekts ‚Ich‘. Kontrollierte Kreativität ist gefragt, um die eigenen Daten täglich strategisch in das ‚Selfbranding‘ fließen zu lassen. So können die User_innen ihr eigenes Leben verstehen als eine Art Fernsehserie, für deren Fortsetzung sie täglich eine hohe ZuschauerInnenquote mobilisieren sollen. In der Gouvernementalität im Postfordimus, die das Leitbild der SelbstunternehmerInnen fordert, gilt: „Der Unternehmer ist kreativ, und der Kreative ist Unternehmer“ (Reckwitz 2006: 516f.). Deshalb gilt auch für die Repräsen-
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tation, das ‚Selfbranding‘ auf Facebook, was für die unternehmerischen Subjekte außerhalb des Cyberspace Geltung hat: „In dem Maße, in dem heute jeder gehalten ist, in allen Lebenslagen als Unternehmer in eigener Sache zu handeln, wird auch die Mobilisierung der Innovationspotenziale privatisiert und individualisiert“ (Bröckling 2004: 142). In dem begrenzten Rahmen des Anwendungsbereichs werden die User_innen dazu angerufen, sich als einzigartig, eben als anders als die anderen, zu beschreiben. Nonkonformismus wird zum Differenzmerkmal, und zugleich muss dieses Differente markttauglich sein (vgl. Reckwitz 2006: 520). Das erfordert Techniken der Selbstformung, die die Einzelnen „nicht in ein Korsett genormter Pflichten einschnüren, sondern seine Kräfte entfesseln und ihn zugleich so flexibel machen, dass er der Konkurrenz stets einen Schritt voraus ist“ (Reichert 2008b: 136). Doch was bedeutet „einen Schritt voraus sein“ auf Facebook? Was gilt als erstrebenswert auf Facebook? Nach welchen Kriterien wird evaluiert und optimiert?
V ERNETZUNG Die gegenwärtige Gouvernementalität wird durch die „Ökonomisierung des Sozialen“ bestimmt (vgl. Bröckling/Krassmann/Lemke 2000). Jene stellt sich auf Facebook wie auch in anderen Sphären, die durch eine kontinuierliche Ausweitung visueller Repräsentationen gekennzeichnet sind, als eine „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ (Franck 1998) dar. Den User_innen auf Facebook wird ständig nahegelegt, ihr Profil zu aktualisieren, zu evaluieren, ihre Daily-Doku zu optimieren – die Aufmerksamkeitsökonomie basiert auf Neuheit und Differenz. Doch um überhaupt wahrgenommen werden zu können, müssen die User_innen auf Facebook „Freunde“ haben, sie müssen vernetzt sein.15 Die Profile der User_innen sind auf Facebook nicht automatisch für die ganze Community sichtbar,
15 Wer im Cyberspace nicht vernetzt, also nicht verlinkt ist, existiert quasi gar nicht: „[…] wenn man einen ‚Nichtwerker‘ (‚notworker‘) hätte, der sich selbst ‚performt‘, ohne verlinkt zu sein, würde er unsichtbar bleiben. Ohne die richtigen Links und Tags ist man inexistent. Darum wird die Selbst-Performance mit der Verlinkung identisch“ (Lovink 2008: 316).
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sondern nur für die Mitglieder, die als „Freunde“ registriert wurden.16 Die Anrufungen der User_innen zielen zu einem großen Teil auf deren möglichst umfangreiche Sichtbarkeit ab – sichtbar sind die User_innen aber nur für Freunde. Somit passen die andauernd präsentierten Anleitungen von Facebook, sich mit anderen User_innen ‚anzufreunden‘, zur Logik der Sichtbarmachung, des ‚Selfbrandings‘. Folgendes Feld bleibt am Rand der jeweils geöffneten Facebook-Seite bestehen und erinnert die User_innen somit andauernd daran, dass sie noch weiter ‚anfreunden‘ müssen:
Abbildung 3: Andauernde Freunde-Suchmaschinerie17
Klicken die User_innen darauf, werden sie weitergeleitet zu einer scheinbar endlosen Liste von Facebook-User_innen, „Personen, die Du vielleicht kennst“, die ihnen feilgeboten werden – all jene User_innen, deren ,Freundeskreis‘ mindestens eine Überschneidung bietet, werden hier mit Profilbild als potentielle „Freunde“ angeboten. Je größer der eigene ‚Freundeskreis‘ auf Facebook, desto mehr User_innen wird man selbst immer wieder als potentielle(r) neue(r) ‚FreundIn‘ präsentiert. Je mehr „Freunde“ man hat, desto mehr Leute, die auch noch nicht zum eigenen Kreis gehören, nehmen einen samt Foto und Namen wahr, die Sichtbarkeit kann gesteigert werden. Die stete Aufforderung, „Freunde“ zu finden, neue „Freunde“ per EMail zu Facebook einzuladen oder über den „Freundefinder“ nach Personen zu suchen – all diese Aufforderungen, die in entsprechenden Feldern überall auf Facebook präsent sind, egal auf welcher Ebene sich die User_innen befinden, vermitteln ihnen, es sei ‚gut‘, möglichst vielen Personen „Freundschaftsanfragen“ zu schicken, möglichst viele Facebook-„Freunde“ und
16 Dies stellt eine Eigenart von Facebook dar, die den UserInnen im Hinblick auf andere Communitys wie z.B. StudiVZ, wo alle Profile zunächst für alle sichtbar sind, den Anschein von mehr Datenschutz und Privatsphäre vermittelt. 17 Unter: www.facebook.com/?sk=h (aufgerufen am 25.05.2011).
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somit auch möglichst viel Publikum zu haben.18 „So geht es bei der Herstellung von Aufmerksamkeitsbindung primär darum, Aufmerksamkeit in statistischen Quantitäten zu bündeln und demonstrativ zu visualisieren, um den eigenen Marktwert zu steigern“ (Reichert 2008a: 9). Das Subjekt wird vor dem Hintergrund der neoliberalen Rationalität19 als ein homo oeconomicus, als ein ökonomisches Subjekt konstituiert, „[…] das sein gesamtes Leben marktwirtschaftlichen Kalkulationen, die ihm sagen, in welche persönlichen Vermögen investiert werden muss“ (Opitz 2004: 150) unterwirft, um seinen Marktwert und dafür seine Sichtbarkeit zu steigern. „Ein ökonomisches Subjekt ist ein Subjekt, das, streng genommen, unter allen Bedingungen seinen Profit zu maximieren, das Verhältnis zwischen Gewinn und Verlust zu optimieren versucht; im weiteren Sinn: ein Subjekt, dessen Verhalten durch die Gewinne und Verluste beeinflusst wird, die ihm entsprechen.“ (Foucault 1979: 358)
Auf Facebook drückt sich die stete Profitmaximierung im ‚Gewinn‘ an neuen „Freunden“ aus, die für noch mehr Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit sorgen. Das Kommunikationsdispositiv des Postfordismus bezieht sich nicht mehr auf die Verfügung über und die Bereitstellung von bestimmten Informationen, die jetzt im Überfluss angeboten werden, sondern vielmehr auf die Beanspruchung von Zeit und Aufmerksamkeit, die schließlich knapp ist in Anbetracht der Fülle der Informationen (vgl. Dorer 1997: 252). Der Geist des Postfordismus entspricht nicht mehr der hierarchischen Struktur der Industriegesellschaft, und es geht ihm auch nicht mehr darum,
18 So verschickt Facebook auch E-Mails, in denen potentielle „Freunde“ präsentiert werden, an die User_innen, die mehr als zwei Wochen ihren FacebookAccount nicht besucht haben. 19 Die Rationalität (neo-)liberaler Gouvernementalität basiert Foucault zufolge auf dem Verdacht, es werde zu viel regiert bzw. zu viel eingegriffen (vgl. ebd. 1979: 29). Die Regierung der Individuen besteht nun darin, deren Freiheit zu garantieren und Angebote zu machen, Möglichkeiten aufzuzeigen, Verfahrensweisen nahezulegen, diese Freiheit auf eine ganz bestimmte Weise zu nutzen. Das heißt, dafür Sorge zu tragen, dass die Individuen ihre Freiheit in einer bestimmten Form gebrauchen: nämlich unternehmerisch.
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Produktionsfaktoren wie Arbeit, Kapital und natürliche Ressourcen zu mehren. Vielmehr tritt in postfordistischen Gesellschaften das qualitative Vermögen in den Vordergrund, die Kombination und die Ausnutzung eben dieser Produktionsfaktoren über Kommunikation zu optimieren (vgl. Lazzarato 1998: 39ff.). Jedes noch so vergnügliche Geplauder auf Facebook scheint vor dem Hintergrund der Veränderungen des Arbeitsmarktes in den letzten drei Jahrzehnten wie eine ökonomische Option. Dadurch dass für die ganze Facebook-Community sichtbar ist, welche Facebook-„Freunde“ die User_innen jeweils haben, gilt der eigene Freundeskreis nach außen hin auch als Erkennungszeichen. Diese Überlegung schränkt die vorhergehenden Feststellungen, Facebook würde den User_innen vermitteln, ‚Je mehr Freunde, desto besser‘, teilweise ein: So soll zwar möglichst viel ‚angefreundet‘ werden, aber wohl überlegt, mit wem. Der Stil der Performance der „Freunde“ ist gleichermaßen ein Distinktionsmerkmal wie er auch wiederum als Anrufung weiter wirkt.20 Auf der „Freunde“-Seite werden die User_innen dann auch dazu angeleitet, ihre Facebook-‚Freundschaften‘ anhand von Listen zu verwalten21 :
Abbildung 4: „Listen“ zur Unterteilung der „Freunde“22
Menschen verwalten – das entspricht der Anrufung zur Regierung der Selbstregierung und der Regierung des Freundeskreises. Facebook fordert die User_innen dazu auf, die „Freunde“ auf verschiedene Listen aufzutei-
20 So schreibt auch danah boyd über den Gebrauch der SNS: „For better or worse, people judge others based on their associations: group identities form around and are reinforced by the collective tastes and attitudes of those who identify with the group“ (boyd 2008: 13). 21 Online verfügbar unter: www.facebook.com/help/?page=768 (aufgerufen am 25.05.2011). 22 Online verfügbar unter: www.facebook.com/?sk=h (aufgerufen am 25.05.2011).
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len, denen bestimmte Namen zuzuordnen sind. Die User_innen können ihre Kontakte rationalisieren und auf deren Effizienz hin prüfen. Gleichzeitig wird ihnen angeboten, eine hierarchische Anordnung vorzunehmen, um zu bestimmen, welche Personen welche Informationen ihres Profils sehen dürfen. Die User_innen wissen, dass alle ihre „Freunde“ auch sie in entsprechenden Listen hierarchisieren und bewerten können. Die User_innen werden dabei als ManagerInnen ihres Freundeskreises angerufen, den sie strategisch verwalten sollen, was wiederum der postfordistischen Gouvernementalität entspricht, in der sich Aufmerksamkeits-, Beziehungs- und Arbeitsmärkte wie bereits erwähnt zunehmend vermischen. Je stärker die User_innen vernetzt sind, desto größer wird ihre Sichtbarkeit. Da aber gleichzeitig auch die Fülle an Informationen wächst, die sichtbar sind, wird es umso wichtiger, aktiv zu sein. Denn es sind immer diejenigen User_innen auf den „Pinnwänden“ der „Freunde“ an erster Stelle präsent, die als letztes etwas „gemacht“ und das auf Facebook dokumentiert haben. Innerhalb dieser sich wechselseitig verschränkenden Rahmenbedingung stehen sich zunehmender Überfluss an Information, also an angebotenen Freunden, und zunehmende Knappheit an Aufmerksamkeit gegenüber.23 Wie wird sichergestellt, dass einem tatsächlich Aufmerksamkeit Zuteil wird? Dafür bietet Facebook den User_innen bestimmte Interaktionsmöglichkeiten, wie die andauernden Update-, Beobachtungs- und Kommentarfunktionen.
F EEDBACK Die gouvernementalen Modi der Gegenwart schaffen Subjekte, die die Anrufung als unternehmerisches Selbst verinnerlicht haben. Um nicht zu scheitern, bedarf es ständiger Anstrengung, die immer wichtigeren Soft Skills andauernd zu präsentieren, eines andauernd kommunizierten Selbstbrandings, mit dem die User_innen sich der Community als aktiv und
23 Diese Zusammenhänge werden vor allem in Ramón Reicherts Artikel „Die Konstellation von Wissenstechniken und Selbstpraktiken im Web 2.0“ (2008a) ausführlich erörtert, wobei sich diese Aussagen nicht konkret auf Facebook beziehen.
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attraktiv anpreisen. Facebook-„Freunde“ dienen dabei immer gleichzeitig als Jury sowie als Publikum: Die Evaluation des eigenen Selbst ist nämlich nur durch andauernde Kommunikation, durch ein andauerndes Feedback möglich. Die User_innen bekommen umso mehr Feedback, je mehr „Freunde“ sie haben, ein kreatives Selbstbranding dient wiederum dazu, „Freunde“ zu gewinnen. Auf Facebook braucht das unternehmerische Selbst „Freunde“, die als Feedback-Kontrolle dafür sorgen, dass die SelbstEvaluation unabgeschlossen bleibt.
Abbildung 5: Kommentarfunktion24
Klicken die User_innen auf den Link „4 anderen“, erfahren sie, welche anderen User_innen für sie den nach oben zeigenden Daumen gewählt haben, indem deren Profilbilder und Namen erscheinen. So fordert Facebook die User_innen andauernd dazu auf, sich gegenseitig vor Publikum zu bewerten, was in Form von Symbolen sofort unter jedem neuen Content für die ganze Community sichtbar und schnell erfassbar ist:
Abbildung 6: Symbole für Kommentare und Bewertungen25
Diese computerbasierten Systemschleifen vermehren die Selbstbeobachtungspositionen und die Archivierungstechniken und ermöglichen, dass sich die User_innen in allen Stadien ihrer biografischen Selbstdarstellung gegenseitig beobachten können. So unterstützen die Rückkoppelungssysteme auf Facebook die Praktiken der evaluativen Selbstbeobachtung. Die Struktur von Facebook gleicht dem Modell eines demokratischen Panop-
24 Online verfügbar unter: www.facebook.com/?sk=h (aufgerufen am 25.05.2011). 25 Online verfügbar unter: www.facebook.com/?sk=h (aufgerufen am 25.05.2011).
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tismus insofern, als dass sie ein nicht hierarchisches Prinzip reziproker Sichtbarkeit repräsentiert, was an die 360-Grad-Feedback-Prozesse in Unternehmen erinnert: „Die Funktion der Fremdbeobachtung liegt in der Nötigung zur Selbstreflexion, die wiederum zu verbesserter Selbststeuerung führen soll“ (Bröckling 2003: 85)26. Marc Andrejevic zufolge wird der begutachtende Blick von den User_innen dabei derart internalisiert, dass eine „self-inciting spiral of productivity“ (Andrejevic 2005: 485) entsteht. So ist der Effekt, dass die User_innen verinnerlichen, ‚produktiv‘ zu sein, und dabei immer noch produktiver werden, sich selbst, ihr Leben, noch stärker dokumentieren und evaluieren, noch mehr Fotos und Videos hochladen, also noch kreativer werden, und immer noch mehr Freundschaftsanfragen verschicken, immer noch mehr kommunizieren. Die Beobachtungs-, Informationssammlungs- und Auswertungsoptionen auf Facebook korrespondieren mit der gesellschaftlichen Entwicklung hin zur zunehmenden Etablierung von Überwachungsmethoden in öffentlichen Sphären, die der neoliberalen Rationalität zunächst zu widersprechen scheint. Doch die gegenwärtigen gouvernementalen Machtmodi implizieren Disziplinarmechanismen (vgl. Foucault 1978: 820), die über die Anrufungen verinnerlicht werden und ohne Souverän funktionieren. Und genauso wie es letztlich egal wird, ob im Panopticon ein Wächter im Turm ist, ist es auch unwichtig, ob überhaupt jemand den Film ansieht, den eine Überwachungskamera aufzeichnet oder wer und ob jemand liest, was die User_innen „gerade machen“ – wichtig ist, dass der von den User_innen generierte Content in jedem Fall Gegenstand von Klicks, Rankings, Kommentaren, Repostings oder Tags werden kann. Die permanente Möglichkeit des Feedbacks lässt die User_innen von Facebook ihre Webcam, ihr Kameraobjektiv freiwillig auf sich selbst richten. Das verweist auf den entscheidenden Unterschied zwischen Facebook und der Gefängnismetapher: Jene lässt sich zwar auf die Überwachungskamera übertragen, angesichts derer die Individuen nicht wissen, ob sie beobachtet werden, es aber nicht ausschließen können und sich deshalb möglichst angepasst verhalten. Auf Facebook aber funktioniert die Diszi-
26 Ähnlich formuliert es auch Oswald Neuberger: „Weil man stets und von allen gesehen wird, muss man sich günstig präsentieren; die Folge: impression management, Ästhetisierung, Identitätsarbeit“ (Neuberger 2000: 73).
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plinierung anders: Auch hier geht es zwar um die Möglichkeit, beobachtet zu werden und sich dementsprechend konform, also aktiv und attraktiv, unterhaltsam für das potentielle Publikum zu verhalten. Auf Facebook setzen sich die User_innen jedoch ohne Zwang der Möglichkeit aus, beobachtet zu werden. Solange sie auf Facebook nichts posten, nicht aktiv sind, oder sich gar nicht erst zu User_innen machen, können sie ausschließen, durch die Community beobachtet zu werden. Erst aber der Blick der Kamera, die Möglichkeit, beobachtet zu werden, die andauernde Sichtbarkeit optimiert das Selfbranding, das die gegenwärtige Gouvernementalität von ihnen fordert. Vor drei Jahren lautete der Titel einer Dokumentation über die ‚Digital Natives‘ auf Arte: „Google zeigt mich, also bin ich.“27 Das panoptische Schema ist derart ausgebreitet, dass die User_innen die Webcam andauernd freiwillig auf sich richten und den BeobachterInnen-Blick zu brauchen scheinen, um sich als Subjekt zu konstituieren. So stellt auch Foucault fest: „Das panoptische Schema ist dazu bestimmt, sich im Gesellschaftskörper auszubreiten […]; es ist dazu berufen, im Gesellschaftskörper zu einer verallgemeinerten Funktion zu werden.“ (Foucault 1977: 267)
Die Überwachungsprozeduren im Kontext von Facebook sind ambivalent, insofern sie eben nicht mehr nur Unterwerfung, Disziplinierung und Kontrolle, also Fremdführung bedeuten, sondern gleichzeitig auch der Selbstführung der Subjekte bedürfen. „Jeder ist nicht nur zugleich Produzent und Konsument, Sender und Empfänger, Schreiber und Kommentator. Jeder ist auch Kontrolleur und Kontrollierter zugleich, jeder steht im Zentrum und an der Peripherie“ (Reichert 2008b: 106). Diese Gegebenheiten verweisen auf das doppelte Potential, das schon in den modernen Anrufungen der Subjekte vorhanden ist:28 Die Feedback-
27 Online verfügbar unter: http://video.google.de/videoplay?docid=383010562263 3984618# (aufgerufen am 06.06.2011). 28 Albrechtslund (2008) setzt sich ebenfalls mit der Ambivalenz dieser Überwachungsmöglichkeiten auseinander, geht dann aber weiter und greift den Befreiungsdiskurs rund um das Web 2.0 affirmativ auf: „This changes the role of the user from passive to active, since surveillance in this context offers opportunities to take action, seek information and communicate. Online social networking therefore illustrates that surveillance – as a mutual, empowering and subjectivity
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Schleifen und Dokumentationstools existieren, weil die User_innen die Struktur beständig nutzen, (re)produzieren und erweitern. Facebook-Profile bilden Anrufungen der gegenwärtigen Gouvernementalität ab und bringen neue Formen von Individualität hervor.
S PANNUNGEN Fast zeitgleich zu seiner Analyse der Regierungskünste wendet Foucault sich „der antiken Kultur des Selbst“ zu und beschreibt in deren Rahmen Selbsttechniken, die er als „Sorge um sich“ und „Ästhetik der Existenz“ definiert. Wie schon anfangs erwähnt, sind die Technologien des Selbst konstitutiver Teil des gouvernementalen Subjektivierungsmodus: Auch das Programm Facebook wäre ohne die User_innen, ihre Praktiken, ihre Selbsttechniken nicht existent. Foucault behauptet zwar, der „zeitgenössische Selbstkult“ stehe den antiken Praktiken diametral entgegen (Foucault 1983: 210). Doch die Gestaltungsimperative und -möglichkeiten auf Facebook erinnern sehr wohl an seine Beschreibungen der „Ästhetiken der Existenz“ (ebd.: 217), „mit denen sich die Menschen nicht nur die Regeln ihres Verhaltens festlegen, sondern sich selber zu transformieren, sich in ihrem besonderen Sein zu modifizieren und aus ihrem Leben ein Werk zu machen suchen, das gewisse ästhetische Werte trägt und gewissen Stilkriterien entspricht“ (Foucault 1986: 15f.).
Gegenwärtig sind die Techniken der „Regierung-seiner-selbst“, die der gouvernementalen Abrichtung entsprechen, und die Techniken der ästhetischen „Beziehung-seiner-selbst-zu-sich“ miteinander verwoben (vgl. Menke 2003; Münte-Goussar 2011). Das Zusammenspiel der scheinbar gegensätzlichen Anforderungen an die User_innen macht auch die Ambivalenz des Programms Facebook aus. Dort werden bestimmte Technologien des Selbst systematisch angereizt und schließlich durch die Verfahren innerhalb der Feedbacksysteme kontinuierlich gesteigert – und transformiert:
building practice – is fundamentally social.“ Somit beschreibt er die gegenseitigen Überwachungsmöglichkeiten als reine Ermächtigungsstrategien der UserInnen.
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Facebook fordert und fördert unternehmerische Subjekte, die sowohl marktförmig angepasst und konkurrenzorientiert als auch kreativ und kommunikativ sind. Die Ambivalenz des gouvernementalen Subjektivierungsmodus’ wird dabei verstärkt durch die Spannung zwischen den beiden „postmodernen Supercodes, der des Ästhetischen und der des Marktförmigen“, wie Reckwitz (2007: 110) sie nennt. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurde dem Supercode des Ästhetischen (Anrufung als Kreativsubjekte) der des Sozialen hinzugefügt, da dieser den Aspekt der Kommunikativität erfasst. Das Marktförmige bzw. Konkurrenzorientierte kann als eine Unterwerfung unter eine neoliberale Rationalität und dadurch als deren Verstärkung analysiert werden, die Elemente der Kreativität und Kommunikativität verweisen dagegen auf die Überschüsse an Soziabilität, von denen Tsianos et al. (2008) bezüglich des postindustriellen Verwertungssystems sprechen. In den postfordistischen Produktionsverhältnissen fiele ein Überschuss an Soziabilität an, der soziale Regulation destabilisiere, weil er nicht kompatibel sei mit dem geläufigen System der Messbarkeit der Arbeitskraft (vgl. ebd.: 253). „Produktivität ist nicht das Resultat des reinen Austauschs von Information und wissensbasierter Interaktion, sondern die Schöpfung eines indeterminierten Überschusses an informellen, affektiven, Welt machenden Verbindungen“ (Tsianos/Papadopoulos 2006). Dabei entsteht eine Spannung, die weniger einen dialektischen Prozess darstellt, als eine stetige Bewegung bewirkt (vgl. ebd.) – jene Spannung, die im Rahmen des Konzepts der Gouvernementalität zwischen den Programmen und den Praktiken besteht. So werden auch auf Facebook die Anrufungen der User_innen stetig herausgefordert und verschoben: Durch die verschiedenen Supercodes, die Teil des gouvernementalen Subjektivierungsmodus sind, können die Spannungen zwischen den Programmen und Praktiken ins Schwingen kommen, die wiederum das scheinbar statische Interface dynamisch und performativ machen und es somit in den Praktiken situieren, die es generiert. Von diesen Überlegungen ausgehend muss eine weitere Untersuchung von Facebook und anderen Social Networking Sites „die Bewegungsmomente der Transformationsprozesse im Kontext neuer vernetzter Produktionspraktiken menschlicher und nicht-menschlicher Akteure und innovativer Technologien sowie die damit stattfindenden widerständigen Formen der Subjektivierungs- und Kollaborationsprozesse“ (Pieper 2007: 239)
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in den Blick nehmen. Eine solche Untersuchung würde FacebookUser_innen berücksichtigen, die zum Beispiel Pseudonyme und Profilbilder verwenden, die sie nicht erkennbar machen, überhaupt keine Bilder hochladen oder sich mehrere Accounts, mehrere SprecherInnen-Positionen, zulegen, die die E-Portfolios kaum ausfüllen und Facebook nur nutzen, um den weitläufigen Kreis von »Freunden«, die neuen Öffentlichkeiten über kulturelle und politische Veranstaltungen zu informieren oder Meldungen zu posten, die in endlosen Feedbackschleifen mobilisierende Diskussionen auslösen. Eine solche Perspektive verweist auf die widerständigen Formen gegen die Anrufung als unternehmerisches Selbst auf Facebook, auf Praktiken, die individualisierende Profitlogiken durchkreuzen und peu à peu spürbare Modifikationen des Programms bewirken können.
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„Greetings from the Dark Site of the Internet“ Anonymous und die Frage nach Widerstand in Zeiten der Informatisierung
Ich möchte im Folgenden versuchen, anhand einer Auseinandersetzung mit der Online-Kollektivität Anonymous der Frage nach Widerstand in Zeiten der Informatisierung nachzugehen. Die Informatisierung verstehe ich als Teil eines größeren Transformationsprozesses hin zu Kontrollgesellschaften, der auch durch die Entwicklung der Kybernetik und der Informationsund Kommunikationstechnik maßgeblich geprägt wird. Dementsprechend bezieht sich die Frage nach dem Widerstand auf Machtverhältnisse, die das Internet und die Social Media mitkonstituieren und die sich in bestimmten Angeboten und Praktiken im Netz (re)produzieren. Im Zentrum des Artikels steht die Diskussion, inwiefern Anonymous gerade innerhalb dieser Machtverhältnisse als widerständig gelten kann. Zunächst werde ich letztere skizzieren, also meine Annahmen über die Entwicklung der Kontrollgesellschaften und ihre Beziehung zur Kommunikations- und Informationstechnik darstellen. Als theoretischer Ausgangspunkt dient mir Michel Foucaults Analytik von Machtverhältnissen, jene muss aber, wie ich zeigen werde, ergänzt werden, um die Veränderungen der letzten Jahrzehnte angemessen in den Blick zu nehmen. Gerade im Hinblick auf die Frage nach einem Verständnis von Subversion in kontrollgesellschaftlichen Rahmungen werde ich mich deshalb auf eine Einordnung gemäß Gilles Deleuze konzentrieren und mich dem Phänomen Anonymous mit dessen Begriffen nähern: Damit konzipiere ich Widerstand als das unvorhersehbare Kollek-
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tiv-Werden, das sich über die Kraft der Affekte in der Anonymität ereignet. Die theoretischen Bezugspunkte führen zu einem Verständnis der Kollektivität Anonymous als einer speziellen Politik-Form, einer Politik- und Kollektivitätsform, die sich als Ereignis transindividuell niederschlägt, und dabei die Spuren im Netz verwischt. Gleichzeitig lässt sich mit jenen theoretischen Bezugspunkten auch im Blick halten, dass die widerständigen Elemente und Momente nicht jenseits von historisch gewachsenen und sozialen Machtverhältnissen zu verorten sind.
F OUCAULTS M ACHTANALYTIK
ALS
A USGANGSPUNKT
Die Frage nach Widerstand wirft als erstes die Frage nach dessen Bezugspunkt auf, nach den Verhältnissen, denen gegenüber Widerstand geleistet wird, nach der hegemonialen Logik, die unterlaufen wird, den Imperativen, die nicht befolgt werden und nach den Machtverhältnissen, die ich im Sinne Michel Foucaults verstehen will. Dessen Arbeiten stellen gleichermaßen ein Analyseraster für Machtverhältnisse dar und beschreiben im Laufe seines Werks verschiedene lokal und zeitlich begrenzte Machttypen wie den der Disziplinarmacht im 19. Jahrhundert, den der Biomacht und der Gouvernementalität im 20. Jahrhundert. In Abgrenzung sowohl zu affirmativbürgerlichen als auch zu kritisch-marxistischen Machtkonzepten formuliert Foucault das Modell einer subjektlosen und dezentrierten „Mikrophysik der Macht“, die sich in der Form eines produktiven Netzwerks artikuliert, das den gesamten Gesellschaftskörper durchzieht (vgl. Foucault 1978: 35). Mit dem Begriff des „Dispositivs“ entwickelt er ein Analyseraster für jene „Macht-Wissensregime“, die sich sowohl aus diskursiven wie nichtdiskursiven Praktiken zusammensetzen und gleichermaßen Diskurse, architektonische Vorrichtungen, Regulierungen, Gesetze, Verwaltungsmaßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische Normen, Moral usw. umfassen (vgl. Foucault 1976: 38). Die Analyse der Regierungstechniken, die der Bildung des modernen Staates im 19. Jahrhundert unterlegt sind, führt in Foucaults Kartographie der Macht die Dimension der Subjektivierung, eine „Subjektivierungslinie“ (Deleuze 1992: 157) ein. Mit dem Neologismus gouvernementalité fasst Foucault die Verkoppelung von Machtformen
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und Subjektivierungsprozessen als Führung der Selbstführung.1 Damit wird die Frage nach der Freiheit, nach dem, was jenseits der Determinierung der Individuen liegt, und damit die Frage nach dem Widerstand aufgeworfen. Da die Biomacht, die Foucault im Rahmen der Vorlesungen zur Gouvernementalität analysiert, ihm zufolge über Subjektivierungsprozesse operiert, lässt sich Widerstand nicht nur – wie es Marxisten noch nahe legten – auf der Ebene des Kampfes gegen politische Ausbeutungs- und politische, soziale und religiöse Herrschaftsformen anordnen (vgl. Pieper 2007: 219). Für Foucault gilt es nun vor allem, eigene Subjektivierungsweisen zu erfinden (vgl. ebd.: 220) – diese „Suche nach neuen Formen von Subjektivität“ (Foucault 1994: 251) erkennt er bereits in den Kämpfen und alternativen Lebensformen der ‚Neuen Linken‘ seit den 1960er Jahren (vgl. Pieper 2007: 219f.).
K ONTROLLGESELLSCHAFTEN
UND
K YBERNETIK
Foucaults Arbeiten zur biopolitischen Gouvernementalität haben sich in der politischen Theorie und in der Soziologie als hochgradig anschlussfähig erwiesen, um Transformationsprozesse ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu analysieren.2 Für jene Arbeiten, welche die Rolle der Kommu-
1
Foucaults Analysen der modernen Gouvernementalität (2004a; 2004b) (2004a; 2004b) beschreiben u.a. die Weise, unter der man anfing, bestimmte Phänomene zu problematisieren, „die eine Gesamtheit von als Population konstituierten Lebewesen charakterisieren: Gesundheit, Hygiene, Geburtenziffer, Lebensdauer, Rassen“ zu rationalisieren bzw. durch gouvernementale Führung (Foucault 2004b: 435)., als Führung der Selbstführung zu organisieren (Foucault 2004b: S. 435).
2
Dabei sind im deutschsprachigen Raum für die Soziologie exemplarisch die Arbeiten von Bröckling, Krassmann und Lemke zu nennen, die gemeinsam die gegenwärtige Gouvernementalität und ihre Ökonomisierung des Sozialen (ebd.) beschreiben, genau wie Opitz (2004). Dafür beziehen sie ebenfalls die Transformationsprozesse der Arbeitsverhältnisse, also jene postfordistischen Bedingungen, die beschrieben wurden, mit ein, um zum Beispiel das gegenwärtige Leitbild des unternehmerischen Selbst herauszuarbeiten (vgl. exemplarisch Rose 1999; Bröckling 2007).
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nikations- und Informationstechniken innerhalb gegenwärtiger Dispositive fokussieren, ist gerade der Bezug auf Gilles Deleuze fruchtbar, weil dieser Foucaults Ausführungen zur Bio-Macht mit der Herausbildung eines kybernetischen Wissens und der Emergenz neuer Technologien explizit zusammen denken lässt. Orientiert an jener theoretischen Linie3 und damit in klarer Abgrenzung sowohl von technizistischen als auch von kulturalistischen Ansätzen gehe ich davon aus, dass jede Maschine oder Technologie sozial ist, bevor sie technisch ist, dass sie konstitutiven Anteil hat an einer gegebenen sozialen Form, die nicht aus ihr allein heraus erklärt werden kann, sondern erst im Zusammenhang mit den anderen konstitutiven Elementen des Dispositivs, bzw. des „kollektiven Gefüges“, wie Deleuze schreibt, worauf ich weiter unten genauer eingehen werde. „Jeden Gesellschaftstyp kann man selbstverständlich mit einen Maschinentyp in Beziehung setzen: einfache oder dynamische Maschinen für die Souveränitätsgesellschaften, energetische Maschinen für die Disziplinargesellschaften, Kybernetik und Computer für die Kontrollgesellschaften. Aber die Maschinen erklären nichts, man muss die kollektiven Gefüge analysieren, von denen die Maschinen nur ein Teil sind.“ (Deleuze 1991: 251)
So skizziere ich nun einige Aspekte aus den Analysen der Kontrollgesellschaften. Mit dem Begriff der „Kontrollgesellschaft“ beschreibt Deleuze (1996a) die Verschiebungen in den Dispositiven moderner Gesellschaften, deren neue Ordnung „durch unablässige Kontrolle und unmittelbare Kommunikation“ (ebd.: 250) funktioniert. Kontrolle ist ein Modus, der die Gesellschaft als Ganzes erfasst hat – über Kontrollmechanismen freiheitlichen Aussehens, Mikrotechniken, die sich auf den alltäglichen Kommunikationsbeziehungen niederlassen, um jede ihrer Regungen abzutasten, abzufragen, zu steuern und zu normieren. Der Computer wird zur Maschine, die die Menschen und deren (Zusammen)leben erfassbar, entschlüsselbar und damit berechenbar macht.
3
Dazu zählen z.B. auch Pias 2004a, Tiqqun 2007, Galloway/Thacker 2007, Haraway 1995 und Leistert/Röhle 2011 Pias 2004a, Tiqqun 2007, Galloway/Thacker 2007, Haraway 1995 und Leistert/Röhle 2011.
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„Man braucht kein Science-Fiction, um sich einen Kontrollmechanismus vorzustellen, der in jedem Moment die Position eines Elements in einem offenen Milieu angibt, Tier in einem Reservat, Mensch in einem Unternehmen. […] was zählt, ist nicht die Barriere, sondern der Computer, der die – erlaubte oder unerlaubte – Position jedes einzelnen erfasst.“ (Ebd.: 261)
Kybernetische Steuerungen basieren auf dem Prinzip der indirekten Steuerung: Maschinen, lebende Organismen und soziale Organisationen werden permanent vermessen, um sie berechen- und damit optimierbar zu machen. Das kybernetische Dispositiv befördert die gouvernementalen Techniken des Regierens, die Gesellschaft als selbstregulierenden Regelkreis begreifen (vgl. u.a. Spreen 2001: 22) und jenen über die Anrufung von Subjekten der Kommunikation in Gang setzen und halten.
S ELBSTVERMARKTUNG
UND - VERMESSUNG
Die Anforderung zur Selbst- und Systemoptimierung durch permanente Kommunikation ist auch an die Transformation der Produktionsverhältnisse und Arbeitsbedingungen gebunden, die wiederum ebenfalls mit der Entwicklung der Kommunikations- und Informationstechnologie zusammenhängt (vgl. Reckwitz 2007: 113): Um den Übergang zu postdisziplinären Regulationsformen zu beschreiben, orientieren sich sowohl postoperaistische Theoretiker_innen wie auch die governementality studies an Foucaults Analysen der Biomacht und Biopolitik. Deren Zusammenspiel mit postfordistischen Bedingungen und einer neoliberalen Rationalität habe das Leitbild des „unternehmerischen Selbst“ (Bröckling 2007) geschaffen, das sich permanent selbst kontrolliert, sich vermarktet, also sichtbar macht, um der Konkurrenz, also den anderen einen Schritt voraus zu sein. Im Rahmen des gouvernementalen Dispositivs bedeute Kontrolle nicht länger, „[…] die Kontrollierten auf einen fixen Sollwert zu eichen, sondern den unabschließbaren Prozess der Selbstoptimierung in Gang zu setzen, bei dem der Vergleich mit den anderen als Motor und Monitor fungiert“ (ebd.: 345). Die Entwicklung des Web 2.0, von Social Networking Sites, von Diensten wie twitter und Facebook (vgl. Wiedemann 2010), die über die Sichtbarkeit
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der User_innen4, über ihre permanente Selbstdarstellung und deren gegenseitige Überwachung operieren, ist Teil der Transformationsprozesse. Laut Hannelore Bublitz (2010: 187) wird dabei eine „Subjektivität optimierter Selbstentfaltung und Lebensführung [produziert], die sich dabei immer zu anderen relationiert, sich des Blickwinkels der anderen versichert“. Es herrscht statt „hierarchischer Befehls- und Kontrollstrukturen“ im Internet der flexible Normalismus von Kontrollgesellschaften, der die User_innen zum ebenso verinnerlichten wie vorauseilenden Gehorsam gegenüber den Evaluationsnormen und Visibilitätszwängen verpflichtet (vgl. Reichert 2008: 13). Technische Erfassungs- und Verarbeitungsverfahren konstituieren und strukturieren Kommunikationsprozesse, sind Teil der Transformation zu kontrollgesellschaftlichen Settings (vgl. Seibel 2010: 113). Selbstdarstellung im Netz wird zur Selbstvermarktung und Selbstoptimierung nach dem Vorbild kybernetischer Regelkreisläufe.5 Wenn man nun Widerstand unter gegenwärtigen kontrollgesellschaftlichen Bedingungen reflektiert, stellt sich die Frage, wie jener Forderung von Foucault, neue, abweichende Subjektformen zu entwickeln, widerständig nachzukommen ist. Die Kybernetik beansprucht, Abläufe und Entwicklun-
4
Es wäre – gerade in Anbetracht der Fragestellung – sicher zu überlegen, ob nicht der Begriff der „ProdUserIn“, den Bruns (2008) prägte, passender wäre. Wobei jenes Konzept sich nicht ohne Weiteres mit den poststrukturalistischen Ansätzen vertragen würde, eine Diskussion wäre notwendig. Im vorliegenden Artikel wird somit aus pragmatischen Gründen zunächst der Begriff der „UserIn“ weiterverwendet.
5
Im deutschsprachigen Diskurs wurde diese Form der Selbstdarstellung zum Teil mit Bezug auf Foucaults Konzept eines ‚Geständniszwangs‘ diskutiert (z.B. Dorer 2006). Jene Machttechniken, die Foucault im Kontext der Pastoralmacht beschrieben hatte, funktionieren über den Anreiz zur kontinuierlichen Produktion von Wahrheitseffekten und normierendem Wissen. In jenen Arbeiten wird jedoch die technische Dimension, die computerisierten Rechen- und Steuerungstechniken vernachlässigt (vgl. Seibel 2010: 112). Paulitz (2005) dagegen hat arbeitet mit ihrer Studie Netzsubjektivität/en. Konstruktionen von Vernetzung als Technologien des sozialen Selbst. Eine empirische Untersuchung in Modellprojekten der Informatik bereits die wechselseitige Beeinflussung von Machtverhältnissen, Vernetzungsprozessen und neuer Technologien des Selbst heraus herausgearbeitet.
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gen aller Elemente auf der Welt voraussehbar und damit effizient zu machen, indem sie „jede Abweichung auffängt und produktiv in ein dynamisches Gleichgewicht integriert“ (Pias 2004b: 325). Wenn die Grenzziehungen des Einschlusses permanent flexibel und verschiebbar sind, Diversität gefragt ist (,Diversity Management‘) und es nur um Verwertbarkeit durch Lesbarkeit geht, ist es dann noch subversiv, sich auf Facebook als transgender auszugeben? Jede Abweichung wird eingepflegt. Facebook interessiert sich nicht dafür, ob eine Information einmal als alternative Lebensform galt – wichtig ist, dass die User_innen Daten hinterlassen.6 Das bedeutet nicht, dass es keine Hierarchisierung und keine Ausschlüsse mehr gäbe: Entsprechend Foucaults Analyse wirken die Dispositive der Disziplinargesellschaft in den Dispositiven der modernen Gouvernementalität fort. Auch auf Facebook funktionieren Mechanismen des Ausschlusses, die über die Kategorisierung der User_innen laufen: Zum einen konstituieren sich über die Distinktionsmechanismen auf Facebook Gruppen, an denen nur teilhaben darf, wer bestimmte Kriterien erfüllt (vgl. Lummerding 2011: 209). Zum anderen müssen die User_innen klar identifizierbar sein: Inkohärenz oder Mehrdeutigkeit eines User_innen-Profils ist unerwünscht (vgl. Lovink 2011: 186) oder lässt die User_innen vielmehr einfach ausscheiden. Wer nämlich auf Facebook nicht mehr ‚identifizierbar‘ ist, kann nicht Teil des Netzwerks sein, das erst über das System des Sich-Auswählens und Anfreundens Zugang zu den Kommunikationsräumen ermöglicht. Unsichtbarkeit und Anonymität dagegen stören den kontrollgesellschaftlichen Zugriff, der über die proaktive Identifikation und Bewegungskontrolle des individuierbaren Subjekts bzw. seiner digitalen Spuren funktioniert (vgl. Terranova 2010). Jene Strategien werden in ganz unterschiedlichen Kontexten als widerständig diskutiert (vgl. z.B. Papadopoulos/Stephenson/Tsianos 2008; Galloway 2011). Und Tiqqun (2007: 95) schreiben
6
Diefenbach (2007) schreibt, dass das Wechselspiel von erweiterter Verwertung und verfeinerten liberalen Regierungsstrategien freiheitliche und von gesellschaftlichen Normen abweichende Praktiken antizipiert und positiv miteinbezogen habe, so dass Praktiken minoritärer Politik heute nur noch als „zwei Verfalls- oder Transformationsformen wirksam wären […]: die Produktion kommerzieller Lebensformen und die Produktion essentzialistischer Gemeinschaften.“
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über die unsichtbare Revolte: „Sie ist unsichtbar, weil sie aus der Sicht des imperialen Systems unvorhersehbar ist.“ Und weiter: „Der Nebel macht die Revolte möglich.“ (Ebd.: 115)
A NONYMOUS ,
DIE UNSICHTBARE
R EVOLTE 2.0?
Bildet Anonymous Datennebel (Terranova 2010)? Die unsichtbare Revolte 2.0? Anonymous tauchte zum ersten Mal auf ‚4chan‘ auf, einer OnlinePlattform, die keine Einrichtung von Profilen zulässt, dafür aber den anonymen Austausch von allem Möglichen. Mit Aktionen wie der AntiScientology-Bewegung über die Unterstützungskampagnen für Wikileaks und die Hilfe für die Proteste in Ägypten und Tunesien hat Anonymous sich seitdem auch in den Mainstream-Medien einen Namen gemacht: als Kollektiv, das sich den Mächtigen dieser Welt als eine unsichtbare hierarchiefreie Legion gegenüberstellt. Während der Zwang zur Identifizierung und Selbstdarstellung im Web 2.0 Ein- und Ausschlussmechanismen schafft, Konkurrenz und Hierarchien (re)produziert und normalisiert, soll das Prinzip der Anonymität bei Anonymous genau das verhindern: Jenseits diverser Kontrollmechanismen 7 würde sich eine neue Art der Solidarität etablieren, die das Ego-Prinzip von Facebook und Co. unterlaufen würde. So meint zum Beispiel Coleman (2012): „To Facebook’s Mark Zuckerburg, transparency means sharing personal information constantly […]. Anonymous offers a provocative antithesis to the logic of constant self-publication, the desire to attain recognition or fame.“
7
Bislang forschen hauptsächlich englischsprachige WissenschaftlerInnen zur Anonymität als Widerstandsstrategie im Netz, hervorzuheben ist dabei Auerbachs (2012) „anonymity as culture: treatise“ und Knuttila (2011), der über 4chan schreibt: „4chan’s anonymous interface, heightened by temporality and unique by contingency, presents virtuality in its fullest form. It is encounters with groups of strangers, who can appear and disappear without a trace.“ (Knuttila 2011).
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Jene Thesen basieren auf der Annahme, Anonymous sei ein Zusammenschluss von Anonymen, von Einzelnen, die sich untereinander nicht kennen, die keine Datenspuren hinterlassen, die sich nicht auf eine Identität, auf eine Datenmenge reduzieren lassen, sondern in der Anonymität „unwahrnehmbar werden“ (Deleuze/Guattari 2005: 283ff.), dabei gleichzeitig aber als Singularitäten jenseits des kontrollgesellschaftlichen Repräsentationszwangs zusammenfinden. Dass 2013 ein Dokumentarfilm zu Anonymous in die Kinos kommt und zwei Personen, die sich im Nachhinein als inspirierend für die Bewegung bezeichnen, einen Buchvertrag mit Amazon abgeschlossen haben, um ihre Heldengeschichte zu erzählen8, scheint jene Überlegungen schnell zu widerlegen. Doch das interessiert diejenigen nicht, die gerade als Anonymous im Netz zusammenfinden. Dass sich bei manchen der User_innen, die an den ersten Diskussionen von Anonymous beteiligt waren, Ordnungen durchgesetzt haben, die Hierarchien einführen und gegenwärtigen Dispositiven entsprechen, verhindert nicht, dass Anonymous weiter wuchert. Für meine Fragestellung ist es zunächst relevant, statt der Mechanismen der Korruption jene Momente zu fokussieren, in denen Anonymous, wie ich zeigen werde, in der Anonymität emergente Solidarität produziert. Wenn kontrollgesellschaftliche Settings erstens eine neoliberale Rationalität die Ökonomisierung des Sozialen fördern, und zweitens die Kybernetik die Berechnung und Voraussage aller Ereignisse beansprucht, dann können sowohl anonyme Kooperation jenseits von individuellem Gewinnstreben als auch das Unvorhersehbare, Ungeplante als widerständig gefasst werden. In Anlehnung an deleuzianische Konzepte wie „Fluchtlinien“, „Deterritorialisierung“ und „Virtualität“ lässt sich Widerstand als das Ereignishafte fassen, das hereinbricht, das damit das Potenzial hat, Machtverhältnisse aufzuwirbeln, weil es nicht eingespeist werden kann in eine vorausberechenbare Effizienzlogik. Dieses Potenzial beruht bei Deleuze auf einem Begehren, das als immanent konstruiert wird, als Kraft der Affekte, die alles in Bewegung hält. „Für mich beinhaltet Begehren keinen Mangel; es ist auch keine natürliche Gegebenheit; es ist nichts anderes als ein Heterogenen-Gefüge, das funktioniert; es ist
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Diese Feststellung ist sicher notwendig, um den anhaltenden Hype um das Web 2.0 kontinuierlich kritisch zu beleuchten.
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Prozeß, im Gegensatz zu Struktur oder Genese; es ist Affekt, im Gegensatz zu Gefühl; […] es ist Ereignis im Gegensatz zu Ding oder Person.“ (Deleuze 1996b: 31)
Inwiefern hat Anonymous in diesem Sinne widerständiges Potential? Welche Rolle spielen Affekte bei der Konstitution und den Operationen von Anonymous? Im Folgenden nehme ich jene Momente des Wucherns von Anonymous in den Blick, in denen die Kraft der Affekte für die unvorhersehbare Kooperation konstitutiv ist.
M ETHODOLOGISCHE Ü BERLEGUNGEN Die Fokussierung von etwas setzt voraus, dass dieses ‚etwas‘ bestimmbar und eingrenzbar ist. Die Beobachtung von Anonymous scheint ein paradoxes Anliegen, beruft sie sich doch auf eine Erkennbarkeit, auf eine Zuordnung zu einer Kollektivität, die Identifizierbarkeit und Zuordnung negieren will. Ebenso paradox scheint es, die Unvorhersehbarkeit des Emergierens einer hybriden Kollektivität untersuchen zu wollen: Wie soll dieses Werden oder Wuchern beobachtet werden, wenn es erst nachträglich als Wuchern zu beschreiben, als Phänomen wahrnehmbar ist? Das Unterfangen, ein Phänomen wie Anonymous zu beobachten, pointiert die Herausforderungen für die Sozialwissenschaften, nach der Krise der Repräsentation empirisch zu forschen.9 Sowohl mein theoretischer Hintergrund als auch die besondere Beschaffenheit von Anonymous legen nahe, keine repräsentativen Aussagen über das, was Anonymous ‚wirklich‘ ist, wie es wirklich entsteht, anzustreben. Es geht vielmehr darum, eine soziologische Skizze zu Anonymous zu entwerfen, die dazu dient, die Theoretisierung von Assoziation und Protest unter den Bedingungen der Informatisierung weiterzuführen. Das, was ich
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Als Krise der Repräsentation wird in den Geistes- und Sozialwissenschaften jene Theorieentwicklung bezeichnet, die die Unmöglichkeit eines innerhalb der menschlichen Sprachen und Kulturen feststellbaren Abbild- oder Korrespondenzverhältnisses zwischen Aussagen und Aussagesystemen auf der einen Seite und einer Welt von vorsprachlichen, ‚an sich‘ existierenden Elementen auf der anderen Seite demonstriert, wie Reckwitz (2003) zusammenfasst.
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beobachte, mein Material, besteht aus digitalen Architekturen (Programme, Interfaces, Codes), aus Text (Chat-Diskussionen, Presseerklärungen, Bildern/Videos, Beobachtungsprotokollen, ExpertInnen- und narrative Interviews) und aus Klicks, Verlinkungen und Affekten, die zwischen den ersten beiden zirkulieren, die es „in actu“/„in situ“ zu protokollieren gilt (vgl. Pieper/Kuster/Tsianos 2011). Die Materialsammlung zu einem dynamischen Phänomen kann endlos sein, das Internet als ‚Feld‘ hat keine Grenzen – weder räumlich noch zeitlich; ich habe gesammelt, bis ich die für mich wichtigen Fragen veranschaulichen konnte.
A FFEKTE , A NONYMOUS DES K OLLEKTIVEN
UND DAS
E REIGNIS
Anonymous entstand im anonymen Austausch im Netz, auf 4chan.10 4chan ist ein Bilderforum, dessen zentrale Inhalte – wie es bei Foren üblich ist – von den User_innen der Plattform erstellt werden, indem jene jeweils wechselseitig ihre Beiträge kommentieren. In zweierlei Hinsicht unterscheidet sich 4chan auf der technischen Ebene von anderen Plattformen: Zum einen kann man sich dort nicht als User_in registrieren, zum anderen werden gepostete Inhalte nicht archiviert, sondern gelöscht, sobald sie nicht mehr angeklickt werden und damit immer weiter an das Seitenende wandern. Den User_innen wird keine Kennung zugewiesen, sie können beim Veröffentlichen eines Beitrags jedes Mal aufs Neue einen Namen in das entsprechende Feld eintragen, ein Pseudonym oder ihren Echtnamen oder wechselnde Bezeichnungen. Lassen die User_innen das Feld frei, erscheint ihr Beitrag unter dem Namen Anonymous. Der Macher von 4chan, Chris Poole, der das Board mit 15 Jahren gegründet hat, erzählt im Interview,11 er hätte gedacht, die User_innen würden die Sprecher_innen-Felder mit Pseudonymen ausfüllen und sich damit voneinander abgrenzen. Überrascht habe er vor dem Rechner gesessen und gesehen, dass plötzlich immer mehr User_innen einfach keinen Namen eintrugen und somit alle als Anonymous posteten. Chris Poole hat jene Infrastruktur, die Anonymous hervorgebracht
10 4chan.org (aufgerufen am 07.02.2013). 11 Ich habe Chris Poole erstmals im Frühjahr 2009 nach seinem Vortrag auf der republica, der Social Media Konferenz in Berlin, zum Interview getroffen.
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hat, zufällig mitgeschaffen – eine Infrastruktur, deren Effekt Jana Herwig in ihrer Analyse des Image-Boards so zusammenfasst: „Wenn dann ‚Anonymous‘ einen Beitrag verfasst, auf den ‚Anonymous‘ und ‚Anonymous‘ reagieren, lässt sich in der Beobachtung nicht mehr ausmachen, wer gerade ‚spricht‘. […] Das Modell der userbezogenen Repräsentation von Identität wird aufgegeben zugunsten von sich in einzelnen Beiträgen manifestierenden Subjektpositionen, die selbst nicht mehr einer übergreifenden Identität zugeordnet werden können: Statt auf User_innen oder Identitäten reagiert man auf Meinungen und Positionen.“ (Ebd. 2011: 7)
Jener anonyme Austausch auf 4chan, der nicht an einzelne Autor_innen oder Sprecher_innen gebunden ist, kann als Anfang von Anonymous betrachtet werden. Es lassen sich keine einzelnen User_innen als Gründer_innen identifizieren. Anonyme Kommunikation ist das zu Grunde liegende Prinzip, das die Einheit des Kollektivs Anonymous stiftet.12 Das Beispiel der Lolcats und des Caturdays macht deutlich, wie wirkmächtig die wechselseitige Affizierung auf der Plattform 4chan für das Kollektiv-Kreativ-Werden, also für die Konstitution von Anonmyous ist: User_innen erzählen im Nachhinein13 , jemand habe 2006 auf 4chan das Foto einer Katze gepostet, jemand anderes das Bild mit einer Aufschrift versehen, wiederum andere anonyme User_innen haben das nachgemacht, andere kommentiert und als Lolcats bezeichnet (siehe Abbildung 1).14
12 Das unterscheidet Anonymous zumindest in den Anfängen auch von jenen Kollektiven, die Hacken und ,virtuelle Sit-Ins‘ seit den frühen 90er Jahren auf Basis einer gemeinsamen Ideologie als Politikform nutzen. Dagegen sind im Fall von Anonymous keine Ursprungsidee und keine einzelnen Initiator_innen identifizierbar. 13 Im April 2012 habe ich in New York mehrere Personen interviewt, die an diversen Anonymous-Aktionen teilgenommen hatten. Ich konnte sie adressieren, weil das FBI sie bereits identifiziert hatte. Das verweist auf die Mängel in der Software, die Anonymous-Aktivist_innen in der Vergangenheit verwendet haben. Ein Aspekt, auf den ich hier genauso wenig eingehe wie auf die Formen des Hackens und DDOS, die Anonymous angewendet hat. 14 LOL kommt von ‚Laughing Out Loud’.
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Abbildung 1: Beispiel einer Lolcat
Innerhalb von ein paar Stunden habe es Hunderte von Lolcats auf 4chan gegeben. Nach ein paar Wochen entwickelte sich der sogenannte Caturday – die Postings der Katzenbilder fanden vor allem samstags statt (Cat + Saturday). So war ein Trend entstanden, dem sich zehntausende InternetUser_innen anschlossen.15 ! Anonymous lässt sich im Moment der Entwicklung der Lolcats oder des Caturdays als kollektives Gefüge bzw. Agencement16 beschreiben, bei dem
15 User_innen beschwerten sich aktiv über Mitglieder, die Lolcats an anderen Tagen posteten. Vom Forum aus breitete sich der Trend weiter über das Internet aus und wurde zum E-Mail-Phänomen. In kurzer Zeit entwickelte sich ein Trend, dem sich zehntausende Internetnutzer anschlossen (vgl. WikipediaEintrag über Lolcats: http://de.wikipedia.org/wiki/Lolcat (aufgerufen am 07.02.2013). 16 Mit der Übersetzung des Originalbegriffs bei Deleuze (‚agencement‘) in den deutschen Begriff ‚Gefüge‘, der eher etwas fest gefügtes, starres vermittelt, geht der Aspekt des Dynamischen und immer in Veränderung begriffenen verloren, den das Konzept hinter dem französische Begriff umfasst. Gerade im Hinblick
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Affekte, „Netzwerkaffekte“ (Thacker 2009: 44), als jene Elemente in Aktion treten, welche die Konnektivität der anonymen User_innen erzeugen. Der Affekt ist die konstitutive Kraft, die den Schwarm in Bewegung setzt (vgl. Horn 2009: 17).17 Im Anschluss an Spinoza (1994: 110) sind Affekte nicht an ein Individuum und dessen Gefühle gebunden, unterstellen keine Annahmen über die Absichten, das ‚Bewusstsein‘ (im Marx’schen Sinne) oder die Gründe von individuellen Akteuren. Stäheli (2007: 132) meint, der Begriff des Affekts verfüge über den Vorteil, „eine soziale Beziehung zu denken, die nicht ausschließlich auf signifikatorischen Praktiken beruht“, eine Beziehung als ein „Anziehungs- und Abstoßungsverhältnis“. „Affekte operieren im Modus der Konnektitivität, sie zirkulieren, erzeugen Dynamiken, produzieren Subjektivitäten und Mobilität. Sie operieren als – lebendige und dynamische – immanente Antriebskraft.“ (Pieper/Tsianos/Kuster 2011: 230)
Die Kollektivität von Anonymous wird im Moment der Zirkulation von Affekten konstituiert. Konnektivität ist in dieser Hinsicht für Anonymous kein „Status“ (wie bei Thacker 2009: 33), sondern entsteht immer in dem Moment, in dem sich einzelne als Anonymous im Internet treffen. Die Grenzen der Konnektivität bemessen sich an der Reichweite der Affizierung. EinE User_in beschreibt ihre Erfahrung: „Anonymous is a group, a community, an idea. I do not know how to explain it except in terms of the crowd of a rock concert. If you have ever been to one, crammed into the pit with thousands of people around you and you all feel together and you push for something and you FEEL like you are part of something bigger. And at the end of the show, when there is no more reason to be there, you all leave like you never knew each other […] and when there is another concert you all come back again. It FEELS like that but with geopolitical impact and more keyboards.“
auf die Fragestellung dieses Aufsatzes soll daher weiter der Originalbegriff verwendet werden. 17 Neben den im Text genannten Verweisen auf Arbeiten zur konstitutiven Rolle von Affekten sind auch exemplarisch zu nennen: Massumi 2007, Massumi 2010, Parikka 2007, Angerer 2007 Massumi 2007, Massumi 2010, Parikka 2007, Angerer 2007.
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Für die Frage, was Widerstand sein kann, wie also Impulse zur Veränderung der gegenwärtig wirkenden Logiken entstehen und Verbreitung finden können, wie soziale Bewegungen entstehen können, lässt sich mit Anonymous veranschaulichen, was Geert Lovink (2010) „the erotica of touching“ nennt. Er beschreibt als Schlüsselmoment für gegenwärtige Soziale Bewegungen den ersten Kontakt von scheinbar autonomen Einheiten: „Ever experienced the metamorphosis of ‚weak links‘ transmuting into revolutionary bonds? It is hard to imagine that this exciting phase will be taken out of the digital equation. Creating new connections is pivotal in a political-artistic process. It is the moment of ‚change‘ when the desert of consent turns into a blossoming oasis.“
In den Konstitutionsprozessen von Anonymous ist eine operative Logik, die auf der Technizität oder Affektivität basiert, einer Logik der Repräsentation immer einen Schritt voraus.18 Erst in der Bewegung, im anonymen Austausch, im Verbinden, das zum Berühren wird, entsteht das wir performativ.
D IE S EMANTIK
DES
G EMEINSAMEN
Vielfach wurde Anonymous zugeschrieben, sich mit Aktionen wie der Operation Payback oder spätestens mit dem Einsatz für die AktivistInnen des so genannten Arabischen Frühlings aus dem eher Spaß-orientierten 4chanStadium heraus entwickelt und politisiert zu haben (vgl. Coleman 2012; Stalder 2012). „Anonymous grew up“, schrieben mehrere Journalist_innen.19 Ich teile zwar nicht jenes Verständnis des ‚Großwerdens‘. Be-
18 Anonymous stellt das klassische Verständnis kollektiver Identität damit in Frage und lässt sich nicht begreifen, ohne die operative und materielle Dimension der Konstituierung von Kollektivität zu erfassen. Hiermit greife ich einige der zentralen Forschungsinteressen und Ideen des von Urs Stäheli und einer Reihe von Kolleg_innen geplanten Graduierten-Kollegs zum Thema Neue Kollektivitäten auf, an dessen Beantragung ich mitarbeite – vielen Dank für all die Diskussionen. 19 Z.B. in folgendem Artikel: 2011 The Year of the Hacktivist: When Anonymous Finally Grew-Up – International Business Times, online verfügbar unter:
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merkenswert ist jedoch bezüglich meiner Fragestellung, dass Anonymous zunehmend ein gemeinsames Narrativ entwickelt hat, und zwar eines, das die gemeinsame Erfahrung des anonymen Austauschs online zum Ausdruck bringt, eine Art Selbstreflektion dessen, was Anonymous mit den User_innen macht, die dann auch zum Anliegen von Anonymous werden. In An Open Letter to the World von Anonymous steht: „We have begun telling each other our own stories. Sharing our lives, our hopes, our dreams, our demons. […] As we learn more about our global community a fundamental truth has been rediscovered: We are not so different as we may seem.“
Weiter heißt es, Anonymous sei die Idee des Wohls aller Menschen, das durch deren Informations- und Kommunikationsfreiheit gesichert werde. In der anonymen Kommunikation im Netz nämlich wären alle Stimmen gleich, wodurch die Menschen vorurteilsfrei ihre Gemeinsamkeit erfahren würden. Damit wird ein gemeinsames Anliegen zum Ausdruck gebracht: Die Idee, Anonymous basiere auf der Erfahrung einer nicht vereinheitlichenden Einheit in der anonymen Online-Assoziierung, die keine identitären Mitgliedschaftsbedingungen aufstelle. So könne keinE EinzelneR für Anonymous sprechen – denn die Idee gehöre allen und sie realisiere sich nur im Austausch. Wenn diese Behauptung Geltung haben soll, also tatsächlich niemand für Anonymous sprechen soll, wenn Anonymous eine Idee sein soll, die niemand besitzen kann, kann aber auch niemand allein einen solchen Text zur Definition von Anonymous verfassen. Vielfach entstehen die Textstücke, die online zirkulieren, und Anonymous sichtbar machen, genau durch jene anonyme Kooperation, die in ihnen beschworen wird. So werden Dokumente, bevor sie in Umlauf gebracht werden, spontan von User_innen erstellt, die sich beispielsweise in einem in einem IRC-Chat20 anonym austauschen, dabei kommt die Idee zu einem
http://www.ibtimes.com/chasing-worlds-top-gold-stock-targets-246396
(auf-
gerufen am 07.02.2013). 20 IRC ist die Abkürzung von Internet Relay Chat. Es bezeichnet ein rein textbasiertes System, textbasiertes Chat-System. Es ermöglicht Gesprächsrunden emit einer beliebigen Anzahl von Teilnehmer_innen in Channels ermöglicht, die alle eröffnen könnenso genannten Channels. Neue Channels können jederzeit von allen Teilnehmer_innen frei eröffnet werden, ebenso kann man gleichzeitig an
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Brief auf, sie kreieren einen extra Chat-Raum, dessen Adresse im vorigen Chat-Raum gepostet wird, es können also theoretisch alle, die Interesse haben, darauf klicken. Sie arbeiten dann gleichzeitig gemeinsam an einem offenen Dokument, das Ergebnis wird dann wiederum auf Anonnews gepostet, dort wird es wiederum von anderen anonymen User_innen kommentiert, eine Art Peer-Review-Verfahren. So werden gleichermaßen Rechtschreibfehler korrigiert (siehe Abbildung 2: im ersten Kasten „should be slumbers“), Lob ausgesprochen („well put description on Anonymous“, „Game on!“ oder „good start“) oder Kritik geäußert („soon fades into moralfaggotry and stupid claims of self-importance“). Im Anschluss an die Diskussion über die Qualität des Dokuments wird es dann noch einmal zur Bearbeitung für alle geöffnet, bevor es in Umlauf gebracht, also als ‚Pressemitteilung‘ von Anonymous veröffentlicht wird.
Abbildung 2: Anonyme Kommentare zum Brief
Ohne eine zentrale Steuerung etablieren diejenigen, die als Anonymous posten, alltägliche Formen der Kooperation – jene Formen erinnern an die
mehreren Channels teilnehmen. (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Internet_ Relay_Chat, aufgerufen am 07.02.2013).
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„mobile commons“ von Tsianos und Papadopoulos (2013).21 Wegen der Infrastruktur ‚anonyme Kommunikation‘ ist dabei kein klassischer Tauschhandel möglich. In den Situationen, in denen User_innen anonym posten, sich nicht erkennen/kennen, gibt es kein System der Zuschreibung. All das, was in diesen Situationen des anonymen Austauschs entsteht, seien es Lolcats, ‚Informations-Pakete‘ für Hacker_innen in Ägypten oder Appelle wie der Brief, kann nicht auf einzelne zurückgeführt werden. Als Motivation lässt sich die Erwartung auf irgendeine Form der Anerkennung ausschließen. Durch die wechselseitige Affizierung in der anonymen Kommunikation/Kooperation werden Momente emergenter Solidarität produziert, die den kontrollgesellschaftlichen Imperativen der Sichtbarkeit und Selbstvermarktung entgehen. Das gouvernementale Dispositiv der gegenwärtigen kapitalistischen Organisationsweise ruft, wie weiter vorne erklärt, dazu an, sich zu profilieren, den anderen ein Bild von sich selbst machen, sich zum Label zu machen, marktfreundlich, konkurrenzorientiert und sichtbar zu sein. Diese Anrufungen werden durch jene Prozesse des anonymen Austauschs unterlaufen, die erst konstitutiv für Anonymous sind und die Kollektivität und ihr Anliegen immer wieder erst hervorbringen. Rainer Winter (2010: 33) meint, dass die Online-Haltungen des ‚Sharings‘ und Praktiken der „Kooperation, Inklusion, Transparenz und Partizipation“ sich ganz konkret und nicht nur symbolisch der Verwertungslogik des Kapitals entziehen.22 Diese Beobachtung ist gerade im Hinblick auf ein Phänomen wie Anonymous bemerkenswert insofern, als dass die von Winter benannten Praktiken der „Kooperation, Inklusion, Transparenz und Partizipation“ im Fall von Anonymous nicht von einzelnen Akteuren geplant werden, sondern im spontanen anonymen Austausch entstehen, in denen das Anliegen von Anonymous, sich im anonymen Austausch im Netz als Kollektiv zu erfahren, durch dessen spontane Artikulation jeweils erst aktualisiert wird.
21 Wobei deren Kontext sich auf Migration und die Frage nach der Bürger_innenschaft bezieht. 22 In seinem Buch Widerstand im Netz widmet sich Winter allerdings nur traditionellen Organisationen der Zivilgesellschaft, statt Phänomene wie Anonymous in den Blick zu nehmen. Obwohl doch die neue Politik- und Kollektivitätsform auf Basis des Sharings und der Kooperation gerade erst im Hinblick auf ein Phänomen wie Anonymous offenbar werden kann.
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In der Video-Botschaft von Anonymous zur Unterstützung der Proteste in Ägypten heißt es zum Beispiel: „We are all anonymous and anonymous units us all.“ In diesen Momenten wird das gemeinsame Anliegen – die Einheit der Singularitäten in der anonymen Kooperation und Kommunikation – jeweils aktualisiert.23 Gleichzeitig ist es jene Erfahrung, welche die erneute Verbindung, den erneuten anonymen Austausch, jenseits des klassischen Tausches, immer wieder motiviert. So, dass Anonymous zu einem Prozess des permanenten Werdens wird, an dem die spezielle Infrastruktur ‚anonyme Kommunikation‘ Teil hat.
A GENCEMENT – C ODES
UND
A FFEKTE
In kontrollgesellschaftlichen Settings können Phänomene emergenter Solidarität, ungeplanter Kooperation im Anonymen als widerständig gefasst werden. Jene gegenwärtigen Widerstandsphänomene vermitteln ein produktives Verständnis von Widerstand, ein Verständnis, das ihn jenseits interdependenter und antagonistischer Beziehung zur Macht verortet. So kann Wandel gefasst, das „Werden“ berücksichtigt und unvorhersehbare Verschiebung gewürdigt werden, ohne sie als Emanzipation von Machtverhältnissen zu denken. Dafür eignet sich Deleuzes Konzept des Agencements, das ich bereits in der Beschreibung von Anonymous und den Affekten erwähnt habe. Mit dem Konzept des foucaultschen Dispositivs lässt sich erfassen, wie sich Wissen und Macht in Netzwerken, zum Beispiel über bestimmte Architekturen in der Disziplinargesellschaft, entfalten – das wohl bekannteste Beispiel hierfür ist das Panoptikon. Um kontrollgesellschaftliche Settings, Phänomene zu Zeiten der Informatisierung und deren Verortung in Machtverhältnissen und Widerstandsmomenten zu beschreiben, scheint es jedoch sinnvoller, Deleuze Begriff des Agencements zu verwenden, der wie Michel Callon (2004: 122) anmerkt, anders als der statische Dispositiv-Begriff
23 Auch die Aussagen über das Anliegen (von) Anonymous, sowohl die Beschwörung des freien Kommunikationsflusses als auch die alternative Aussage dazu: „We do it for the lulz.“/„Wir machen es zum Vergnügen“ lassen sich nicht als Narrative fassen, die herkömmlichen Repräsentationslogiken entsprechen – ihr Zeithorizont ist viel kürzer.
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die Idee von (verteilter) Aktion impliziert. Mit ihm lässt sich auch das noch nicht Abgeschlossene, das Vorübergehende und Bewegung erkennen. Er ist ein Begriff des Prozesses und der Übersetzung jenseits aller Dualismen (Subjekt/Objekt, Individuum/Gesellschaft, Natur/Kultur), der die facettenreichen Bewegungen verschiedenster Entitäten zwischen dem scheinbar Verfestigten umkreist (vgl. Delitz/Höhne 2011). Das Agencement von Deleuze geht über die Konzeption des Dispositivs hinaus, indem es Emergenz, also Veränderung auf eine Weise theoretisiert, die Widerstand nicht an Subjektivierungsprozesse bindet24, sondern auf Interaktionsformen jenseits nur zwischenmenschlicher Interaktionen bezieht, die auf Prozessen eines nicht-linearen wechselseitigen Affizierens und Affiziert-Werdens basieren (vgl. Seyfert 2011: 76).25 Der Begriff des Agencements verlangt aber auch, neben der Entstehung von etwas Unvorhergesehenem im Sozialen, die Ebenen der Verfestigung und Kristallisation in den Blick zu nehmen. Agencements operieren zwischen De- und Recodierung, De- und Reterritorialisierung. So haben an ihnen auch Schichten, Gürtel oder Strata Teil, die dadurch zustande kommen, „[…] dass sie Materien formieren, daß sie Intensitäten in Resonanz- und Redundanzsysteme einschließen oder Singularitäten in ihnen fixieren“ (Deleuze/Guattari 2005: 60). Die Verschiebungen durch das Unvorhergesehene finden also nie außerhalb der Machtverhältnisse statt. Im Versuch, Agencements zu erfassen, ist der Blick auch auf die Dispositive gerichtet. Mit dem Konzept des Agencements lassen sich Medien als Akteure im Prozess bestimmter Konstitutionsprozesse, als Akteure im Prozess des Anders- und Kollektiv-Werdens begreifen, und gleichzeitig ihre Verwobenheit in die verzweigten Machtverhältnisse der Kontrollgesellschaft in den Blick nehmen. Das Konzept des Agencements verlangt im Hinblick auf Anonymous die grundlegende Ebene der Codes einzubeziehen, die Anonymous überhaupt erst ermöglichen.
24 Wobei eine weitere Auseinandersetzung mit Foucaults Spätwerk, seinen Texten zur parrhesia und zu den Existenzkünsten, in Verbindung mit den Formen des anonymen Sprechens im Netz auch noch aussteht. 25 Seyfert bezieht sich hierbei nicht direkt auf Deleuze, beschreibt damit allgemein die affective studies, die aber wiederum zu einem großen Teil von Deleuze inspiriert sind, beispielhaft zu nennen ist Massumi.
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Jenseits kultureller Codes, die sozial und performativ gesteuert und interpretiert werden,26 müssen also die algorithmischen Codes berücksichtigt werden, die das Zusammenspiel kultureller Praktiken und technischer Infrastruktur strukturieren, das Anonymous mit konstituiert.27 Der Algorithmus bezeichnet die im Speicher des Computers abgelegte Sequenz aus Operationen, die vorgibt, auf welche Weise ein definiertes Ziel erreicht werden soll. Er reagiert in zuvor festgelegter Weise auf Informationen, indem er jede neu eingegebene Information erfasst und daraufhin entsprechend die Sequenz anpasst. Der Code ist damit der zu Grunde liegende technische Prozess, das Set der Regeln und Anleitungen, das die Wandlungen aller 0er und 1er regiert, die hinter den Interfaces liegen. Diese Codes sind selbst „Korrelate diskursiver Formationen, in denen spezifische Normund Wertvorstellungen eingeschrieben sind. Zugleich wirken sie auf kulturelle Praktiken zurück, da über sie die individuellen Handlungsmöglichkeiten innerhalb kybernetischer Regelkreisläufe präzise definiert werden können“ (Seibel 2010: 104). Im Fall von Anonymous etablieren sich Codes und Infrastrukturen gemäß der hegemonialen Norm- und Wertvorstellung, die sich für Anonymous herauskristallisiert hat, also solche Codes und Infrastrukturen, die erlauben, anonym zu kommunizieren und zu kooperieren. In eben jenen Norm- und Wertvorstellungen tauchen selbst wieder kybernetische und neoliberale Logiken auf, welche die Maschinen, den Computer und das Internet als unabhängig von Machtstrukturen entwerfen, als wären sie Erfindungen, die von einem Ort kamen, der keine Vergangenheit hat. Und auch diejenigen, die sich als Anonymous im Netz versammeln, sind selbstverständlich keine Neugeborenen im Cyberspace. Die Räume, in denen anonym kommuniziert wird, sind von Machtverhältnissen geprägt, genau wie die User_innen, die sich im anonymen Chat treffen. Wenn sich aber auf der Ebene der kulturellen Codes Hierarchien herausbilden, indem einzelne User_innen erkennbar werden, sich also nicht mehr in der Anonymität verbinden, wenn ProgrammiererInnen und Mode-
26 Vergleiche hierzu den call for papers für die Konferenz CODE – A Media, Games & Art Conference, die vom 21.-23. November 2012 an der Swinburne University of Technology in Melbourne stattfindet http://code2012.wikidot.com/ call-for-papers. 27 Herausragend ist im Rahmen dieser Theoretisierungen wohl immer noch Galloways Text zur Kontrolle nach der Dezentralisierung (2004).
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ratorInnen hinter den Interfaces Daten speichern, die Informationsflüsse kontrollieren, also auf eine Weise eingreifen, die das Prinzip der anonymen Kommunikation stört, dann gibt es dort keine widerständigen Momente der emergenten Solidarität mehr und damit verschwindet Anonmyous in der Art, die ich beobachtet habe, von dort. So wurde eine Plattform wie AnonOps eine Zeit lang kaum genutzt. Bestimmte User_innen hatten sich dort auf Grund ihres Schreibstils wiedererkannt, Treffen verabredet und Hierarchien entwickelt. Anonymous wucherte dann woanders weiter – wechselte die Plattformen und schuf immer wieder neue Räume. Anonymous enthält die Ebene der Codes, die Herrschaftsverhältnisse einschreiben, und entzieht sich ihnen aber immer wieder, weil es weiterhin im permanenten Werden begriffen bleibt, das auf der Zirkulation von Affekten im Netz basiert, die der technischen Verbindung über die Erfahrung der Berührung eine Bedeutung geben.28
F AZIT
UND
A USBLICK
Wenn Angerer (2007: 122) meint, Deleuzes und Guattaris Konzepte von Affekten würden in dem Moment scheitern, wo sie in politische Theorie übersetzt werden, dann stimme ich abschließend insofern zu, als dass jede politische Theorie und jede Wissenschaft wohl schon Teil dessen ist, was Tiqqun, wie weiter vorne erwähnt, das „imperiale System“ genannt haben. Und für das „imperiale System“ ist jener Widerstand, den Tiqqun ebenfalls in der Tradition von Deleuze beschreibt, unsichtbar – sobald er sichtbar ist, ist er Teil des Dispositivs. Aber damit ist er nicht automatisch „gescheitert“. Anonymous als Agencement zu betrachten, bedeutet, als Wissenschaftlerin selbst auch Teil davon zu sein, Widerstand sichtbar zu machen, ihn fixieren zu wollen. Dass Anonymous aber in dem Moment, in dem ich darüber schreibe, schon wieder ganz anders ist, als zu dem Zeitpunkt, da ich das Phänomen beobachtet habe, dass Anonymous mir als Forscherin also permanent entgleitet, spricht gerade für die Kraft neuer Formen der Wi-
28 Ähnlich schließt Stäheli (2007: 136) mit dem Verweis darauf, das Verhältnis zwischen Affekt und Hegemonie gewinne erst dann an Komplexität, wenn die Theoretisierung des Affekts von seiner Unterordnung unter die Bedeutungslogik der Hegemonie befreit werde.
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derständigkeit, die sich als Ereignis niederschlagen und dabei die Spuren verwischen. Die Einsicht darin, dass auch jene Formen sich trotzdem im Rahmen bestimmter Codes bewegen, dass auch das Wuchern, also das unvorhersehbare Kollektiv-Werden, das sich über die Kraft der Affekte in der Anonymität im Netz ereignet, sozial und technisch kodiert bleibt, darf nicht blind machen für die Momente emergenter Solidarität, die neue Politikformen andeuten können. Geht man in der Auseinandersetzung mit neuen Medien von der wechselseitigen Konstitutionsbeziehung von Macht- und Medientechniken aus, ist die Frage, ob Codes als Regierungstechniken fungieren sollen, obsolet – vielmehr geht es darum, „auf welche Weise und in wessen Interesse sie ihre Wirkungen entfalten“ (Seibel 2010: 116). Der distribuierte Charakter der Regierungstechniken in den Kontrollgesellschaften hat zwar weniger zu einer Abnahme, denn zu einer Intensivierung der Machtbeziehungen geführt, so organisieren sich Kontrollgesellschaften zwar selbst in beweglichen Netzstrukturen, „[…] dies macht sie jedoch anfällig auch für Interventionen, die ihre Elemente aus dem Zusammenhang heraussprengen.“ (Lenger 2008) Anonymous kann als Beispiel neuer Politikformen gelten, als Beispiel neuer Praktiken und politischer Artikulationsformen selbstorganisierter Netzstrukturen wie sie Christopher Kelty mit dem Konzept der „recursive publics“ beschreibt.29 „Recursive publics respond to governance by directly engaging in, maintaining, and often modifying the infrastructure they seek, as a public, to inhabit and extend – and not only by offering opinions or protesting decisions, as conventional publics do (in most theories of the public sphere).“ (Kelty 2008: 9f.)
Nicht die Abwesenheit von Kontrolle, sondern deren neue Qualität und Verteilung über Kommunikations- und Informationstechnik lässt ein Feld entstehen, dessen Rahmungen möglich machen, dass ein Phänomen wie Anonmyous emergieren kann. Ein komplexes Feld, das noch weiterer Kartographierungen bedarf (vgl. Seibel 2010: 121), das sich aber schon jetzt als eines erschließt, das die Distanz zwischen Werden und Organisation, Sin-
29 Seibel kommt im Fazit seiner herausragenden Magisterarbeit zur Ordnung des Netzes (2010) ebenfalls zu jener Einschätzung bezüglich Keltys Konzept der „Rekursiven Öffentlichkeit“.
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gularisierung und Stabilisierung kleiner machen kann, das zumindest kurzfristig eine spezielle Form des Gemeinsam-Werdens produziert.30 In einem Interview mit Negri im Frühjahr 1990 sagt Deleuze, das, was uns am meisten fehle, sei der Glaube an die Welt, und an die Welt zu glauben, bedeute, Ereignisse hervorzurufen, die der Kontrolle entgehen, auch wenn sie klein sind. Anonymous regt dazu an, darüber nachzudenken, wie diese Ereignisse entstehen, mit Räumen zu experimentieren, in denen wirklich anonym kommuniziert und kooperiert werden kann, an die neuen Bedeutungen, Agencements, Seinsweisen zu glauben (vgl. Deleuze nach Lazzarato 2008), um sich, und damit kommt Foucault wieder ins Spiel, selbst zu regieren.31
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30 Und so können zunehmend – wie Pieper (2007: 237) als aus- und bevorstehend beschreibt – theoretische Konzepte ausbuchstabiert werden, die – ohne messianisch zu werden – „die Muster der Verkettung unterschiedlicher kollektiver Praktiken in den Blick zu nehmen, die eine Gleichzeitigkeit von Unterwerfung und potenzieller Emanzipation zu denken in der Lage sind.“ 31 Sven Opitz (2013: 56) beschreibt Foucaults Konzept der Lebenskunst im Rahmen einer Auseinandersetzung mit der Kunst der Kritik als „Arrangement einer schöpferischen Negativität“, einer „Hervorbringung ohne namentlich identifizierbare Gestalt“. Eine weitere Diskussion jener Perspektive könnte das Unvorhersehbare, das in diesem Aufsatz als widerständig beschrieben wurde, bezüglich Anonymous wieder mit der Frage nach der Subjektivierung verbinden (siehe FN 23).
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Open Collectivity
Anonymous ist kein Verein, der sich durch seine Mitglieder definieren lässt, keine Organisation, deren Existenz auf einer Satzung und entsprechenden Aufgaben basiert, keine Institution, deren Struktur feststeht. Anonymous ist auch keine Hackergruppe, wie es in den Zeitungen steht. Anonymous ist keine Gruppe. Was ist Anonymous? Anonymous tauchte zum ersten Mal auf der Online-Plattform 4chan auf, einem Anti-Facebook, das keine Profilbildung zulässt, dafür aber den anonymen Austausch von allem Möglichen.1 Mit diversen Aktionen von den Scientology-Protesten über die Unterstützungskampagnen für Wikileaks und der Hilfe für die Proteste in Ägypten und Tunesien hat Anonymous sich seitdem auch in den Mainstream-Medien einen Namen gemacht. Doch es soll jetzt nicht inhaltlich im Einzelnen um die Aktionen gehen. Im Folgenden steht viel mehr der Versuch im Zentrum, sich der Konstitution von Anonymous, der Kollektivität und der Idee jener Kollektivität, mit dem Label Open Collectivity anzunähern. Die Idee einer Open Collectivity, die wie Anonymous Identität und Repräsentation ablehnt, kann als eine der poststrukturalistischen Figuren des Widerstands gelten. Verschiedene Theoretiker_innen reflektieren mit Begriffen wie Exodus und escape die Krise der Repräsentation und bieten gleichsam neue Perspektiven auf Konstitution und Emergenz. Als ein Konzept von Kollektivität, von nicht-repräsentativer Kollektivität, findet sich eine solche Figur des Widerstands bei Michael Hardt und Antonio Negri sowie bei Paolo Virno mit der Theorie der Multitude. Im Hinblick auf An-
1
Allen, die dort namenlos posten, weist die Seite das Etikett anonymous zu.
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onymous materialisiert sich jenes Konzept auf spezifische Weise, ist Anonymous doch eine Kollektivität, die auf Kommunikationstechnologien basiert. Um der Frage nachzugehen, ob eine solche Netz-Assoziation eher offen sein kann als andere Zusammenschlüsse, muss die Idee der Kollektivität Anonymous im Hinblick auf ihre Konstitution, Prozessualität und Operabilität beleuchtet werden. Hiermit handelt es sich weder um den Versuch, Anonymous als die Multitude zu beschreiben, noch geht es darum, Anonymous empirisch zu untersuchen. Im Rahmen der vorliegenden Überlegungen zu einer Open Collectivity wird der Begriff ‚Kollektivität‘ dementsprechend nicht als Platzhalter für ‚Gemeinschaft‘ 2 verwendet, sondern als Teil einer neuen Begriffskonstellation. Neue Begriffskonstellationen haben das Potential, neue Erzählungen zu produzieren, die herkömmliche Repräsentationsweisen transformieren und neue Arten des Gemeinsamen, des Politischen denken lassen. Anonymous, die Multitude und andere Bewegungen inspirieren dabei Erzählstränge, die als analytische Ausgangspositionen zu einer Kritik gegenwärtiger sozialer und politischer Verhältnisse gelten können.3
A NONYMOUS UND DIE V ERWEIGERUNG (G RUPPEN -)I DENTITÄT
DER
Wer bist Du? Woher kommst Du? Bist Du Frau oder Mann? Anonymous verweigert die Auskunft. Diese Fragen würden gegen echte Redefreiheit verstoßen, Menschen hierarchisieren und ausschließen. Es gehe Anonymous, so wird in diversen Texten, Videos und Bildern online vermittelt, um das Wohl der Menschen, um deren Freiheit, den gleichen Zugang zu Infor-
2
Gerade im deutschsprachigen Kontext scheint der Begriff „Gemeinschaft“ unbrauchbar, ist er doch untrennbar assoziiert mit der brutalsten Form der Repräsentationspolitik, mit der faschistischen Repräsentationspolitik der ‚Volksgemeinschaft‘.
3
Das ganze Vorhaben ist ein erster Ausschnitt eines gerade angefangenen Dissertationsprojekts, das an vielen Stellen bruchstückhaft präsentiert, was noch ausführlicher erarbeitet werden soll.
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mationen und darum, dass alle mitmachen können.4 Nur über die Anonymität könne Anonymous offen bleiben für alle Menschen, so das Prinzip von Anonymous, dessen Formulierung in Online-Manifesten es selbst bereits unterläuft – doch dazu später mehr. Anonymous gibt sich aus als eine Kollektivität ohne Anführer_innen, an der alle Menschen gleichermaßen teilhaben können. Deshalb stellt Anonymous keine Kriterien der Zugehörigkeit auf: Im diskursiven Raum des Internets macht das Pseudonym ‚anonymous‘ all jene, die dabei sein wollen, zum Teil der Kollektivität; finden Aktionen auf der Straße statt, tragen die Individuen eine Maske, die allen das gleiche Gesicht gibt.5 AnonymousSein, bedeutet, Identität und Repräsentation abzulehnen. Die herkömmliche Form der Repräsentation – als die Vertretung im politischen und die Darstellung im abbildenden Sinn – bedinge nämlich sowohl Ausschlussmechanismen als auch Hierarchien. Diesbezüglich argumentiert Anonymous ähnlich wie verschiedene poststrukturalistische Theoretiker_innen: Repräsentation verwandelt Singularitäten in Elemente einer Kategorie (vgl. Agamben 2003: 14) und bestimmt Gruppenidentitäten, indem sie Menschen klassifiziert und in ‚die Italiener‘, ‚die Frauen‘, ‚die Buddhisten‘ spaltet. Sie bestimmt, wer dazu gehört, wo die Grenzen der Gruppe sind,6 und reproduziert hegemonial erhärtete Formen der Identität (vgl. Hall 2004). Genau dagegen wendet sich Anonymous, um eine Open Collectivity zu sein, eine offene dezentral organisierte Kollektivität, an der alle teilhaben können, in der es keine Herrschaftsverhältnisse gibt. Diese Idee entspricht dem Konzept der Multitude, die als „Assoziation einer Vielfalt heterogener, nicht hierarchisch angeordneter Akteure, die sich weder auf eine übergeordnete
4 Im ersten bekannten Video gegen Scientology heißt es am Ende, der Kampf werde geführt: „zum Wohl eurer Anhänger, zum Wohl der Menschheit und zu unserem eigenen Vergnügen“. Auf den Aspekt des „Vergnügens“ wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen. 5
Die Maske stammt aus der Comic-Verfilmung V wie Vendetta stammt und zu einer Art Markenzeichen wurde – sie zeigt das Gesicht von Guy Fawkes, eines Freiheits- und Befreiungskämpfers.
6
Da diese Schließung aber niemals vollständig gelingen kann sind Artikulationen stets prekär und als politischer Akt zu verstehen, der eine Differenz erzeugt, die er gleichzeitig zu leugnen und zu verwerfen versucht (vgl. Gertenbach/Moebius 2006: 5; orientiert an Laclau).
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Instanz noch auf die Selbstvergewisserung über identitäre Positionen kollektiver Subjektivitäten beruft“, beschrieben wird (Pieper 2007: 236). Aber was macht diese Assoziation außer der Transformation herkömmlicher Repräsentationslogik aus? Wie entsteht Kollektivität jenseits der Konstitution über Repräsentation, jenseits identitärer Zusammenschlüsse?
D IE M ULTITUDE
UND DAS
G EMEINSAME
„Da die Multitude sich weder durch Identität (wie das Volk) noch durch Uniformität (Masse) auszeichnet, muss die Multitude, angetrieben durch die Differenz, das Gemeinsame entdecken, das es erlaubt, miteinander in Beziehung zu treten und gemeinsam zu handeln. Das Gemeinsame, wird dabei allerdings weniger entdeckt, als vielmehr produziert.“ (Hardt/Negri 2004: 11)
Als Basis der Multitude wird die Produktion des Gemeinsamen beschrieben – und so heißt es auch in „An Open Letter to the World“ von Anonymous: „We have begun telling each other our own stories. Sharing our lives, our hopes, our dreams, our demons. […] As we learn more about our global community a fundamental truth has been rediscovered: We are not so different as we may seem“. Die Perspektive auf die Parallelen zwischen der Multitude und Anonymous bezüglich des postulierten „Gemeinsamen“ situiert Anonymous in einem bestimmten Kontext von Machtverhältnissen, Wissenstechniken und Technologien.7 Die Multitude nämlich wird als eine Kollektivität des Widerstands gegen die gegenwärtige Form kapitalistischer Ausbeutung und Hierarchien innerhalb des Empire imaginiert (vgl. Hardt/Negri 2002: 46). Mit Empire bezeichnen Hardt und Negri eine Situation, in der die nationalstaatlich verfasste Regulierung in Auflösung begriffen ist, in der ein globaler politischer Raum, ein neuer Rahmen für den Kapitalismus entstanden
7
Thomas Lemkes Kritik, an der „[…] von Hardt und Negri vorgenommene(n) Ontologisierung der Biopolitik“, die auch die Multitude als Gegenpol des Empire ontologisiere (ebd. 2011: 123), wird mit dem Verweis auf das historische Auftauchen (Postfordismus etc.) der biopolitischen Produktivität, auf der ja die Multitude basiert, eben deren Potenz situiert und gleichermaßen nicht als dem Empire äußerliches sondern immanentes dargestellt.
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ist. Im Empire habe sich Souveränität in Gouvernementalität8 verwandelt, die keine zentrale Instanz mehr braucht (vgl. Hardt/Negri 2002: 348), und jene operiere über die Entfaltung der „Biomacht“, die Machttechnologie, die das ganze Leben unter das Kapital subsumiert. Dabei würden jedoch in den verschiedenen Branchen der postfordistischen Gesellschaft Überschüsse an Soziabilität (vgl. Tsianos et al. 2008: 251f.)9 und Kreativität erzeugt, die nicht ausgebeutet werden können und das Gemeinsame hervorbringen.10 Über Kommunikation und Kooperation konstituiere sich eine Schnittmenge von gemeinsamen Affekten, Themen und Erfahrungen (vgl. Virno 2008: 53f.), die der individualisierenden Profitlogik des Empire oppositionell gegenüber stehen. Wie bei der Multitude soll auch bei Anonymous das Gemeinsame durch den Austausch von Geschichten, durch die Kommunikation und das Teilen der Erfahrungen geschaffen werden.
T ECHNOLOGIEN
DES
G EMEINSAMEN 11
Daraus ergibt sich, dass für Anonymous jeder Angriff auf die Informationsfreiheit, auf die Möglichkeiten des unkontrollierten Austauschs über das Internet ein Angriff auf das Gemeinsame bzw. die Potenz der Produktion des
8
Foucault wählte diesen Neologismus, um einen Machttyp zu beschreiben, der epistemische Strukturen und Prozesse der Machtausübung aufeinander bezieht, ohne auf eine zentrale Instanz zu verweisen (vgl. ebd. 1979).
9
Vassilis Tsianos et al. bezeichnen das postindustrielle Verwertungssystem als „embodied capitalism“, und erklären, dass der Überschuss an Soziabilität soziale Regulation destabilisiere bzw. nicht komplett regulierbar sei, weil er nicht kompatibel sei mit dem geläufigen System der Messbarkeit der Arbeitskraft (ebd. 2008: 253).
10 In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die unterschiedlichen Vorstellungen des Gemeinsamen noch einmal genauer zu beleuchten. Agamben zum Beispiel formuliert ein Verständnis vom Vermögen, vom Gemeinsamen, das dem Denken des Gemeinsamen im Konzept der Multitude entgegensteht, weil es sich nicht auf eine schöpferische Kraft bezieht (vgl. ebd. 1998: 13). Auch Nancys Bemerkung, „Gemeinschaft“ könne nicht aus dem Bereich der Arbeit kommen, darf dann nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. ebd. 2008: 2). 11 Soenke Zehle schreibt 2006 erstmals über die Technologien des Gemeinsamen.
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Gemeinsamen, auf die Basis der Kollektivität Anonymous ist. Während sich hinsichtlich des Konzepts der Multitude die scheinbar unbeantwortbare Frage stellt, wie dieses Gemeinsame unter Wahrung der Differenz hergestellt werden kann (vgl. Thacker 2009: 63), entgegnet Anonymous: Indem im Netz anonym kommuniziert und kooperiert wird. Damit erweitert Anonymous die durch das Theorem der Multitude vorgeschlagene Perspektive auf „offene Kollektivität“ auf präzise Weise. „Informations- und Kommunikationsfreiheit für alle“ wird also nicht nur als das Ziel, sondern als das Tool beschrieben. Anonymous zufolge ist anonyme Kommunikation Voraussetzung für Dezentralität und Offenheit von Kollektivität. Die Entwicklung der Kommunikations- und Informationstechnologien ist zwar mit dem Neoliberalismus12 als Paradigma der globalen Finanzzirkulationen und den Ausbeutungsstrukturen im Empire verknüpft13, aber auch mit der Idee der Produktion des Gemeinsamen: Die anonyme Kommunikation zwischen unbegrenzt vielen Singularitäten im Netz würde deren Stimmen hierarchiefrei verlauten lassen. Anonymous gibt sich dementsprechend aus als offene Kollektivität, die herkömmliche Repräsentationslogiken unterläuft und dabei neue schafft. Wenn es in der Video-Botschaft von Anonymous zur Unterstützung der Proteste in Ägypten „We are all anonymous and anonymous units us all“ heißt, dann ist die ausgerufene Einigkeit eine flüchtige, eine, die immer nur „in actu“ (Horn/Gisi 2009: 16) existiert. Die Kollektivität
12 Foucaults Analysen des Neoliberalismus (1979) zufolge fordert jener nicht mehr die vollständige Freiheit des Marktes von administrativer Einflussnahme, sondern strebt nach einer Gesellschaftsordnung, die das Prinzip absoluten Wettbewerbs möglichst großflächig und dicht garantiert. 13 Dispositive und Technologien sind Teil eines wechselseitigen Konstitutionsverhältnisses: Log-In-Mechanismen, Datenspeicherung und Erfassungstechnologien zeigen die Verwobenheit der Technologien mit der gegenwärtigen Gouvernementalität, die Kontrolle und Kommodifizierung der UserInnen bzw. ihrer Datensätze. Anonymous steht für die Verweigerung der Gesichtskontrolle im gegenwärtigen biopolitischen Kapitalismus, für die Zurückweisung von Repräsentationslogiken im Netz, die hegemonial erhärtete Formen der Identität mit einem Klick reproduzieren. Die Aneignung ‚neuer Medien‘ oszilliert in einem Spannungsverhältnis zwischen kapitalistischer Appropriation und Reterritorialisierung auf der einen und den Fragen nach der emanzipatorischen Funktion und Anwendung auf der anderen Seite.
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Anonymous ist schwarmartig, besteht nur in der (Ko-) Operation, wird zum Ereignis (vgl. Nancy 1993): Es gibt Anonymous nicht jenseits vom Austausch in den digitalen Netzwerken, nicht jenseits vom Erleben des Gemeinsamen in der Kommunikation und den Aktionen der Menschen mit Guy Fawkes-Masken, zu denen im Netz kurzfristig aufgerufen wird. ! Soenke Zehle und Ned Rossiter (2009: 250) betonen gerade angesichts des Web 2.0-Hypes, dass soziale Technologien (sowie social media) nicht sozial sind, weil sie die Organisation sozialer Bewegungen unterstützen, sondern weil sie die Konstitution des Sozialen selbst affizieren und somit neue Möglichkeiten der Konstitution von Kollektivität bieten. Anonymous ist gleichzeitig die Idee einer Kollektivität und jene Kollektivität, die sich allein im Vollzug realisiert, durch die anonyme Kommunikation, in der das Gemeinsame produziert wird: Die Form (Netzwerk, Schwarm) und der Ausdruck (die Produktion des Gemeinsamen, Multitude) von Anonymous bedingen sich wechselseitig. Konnektivität ist dabei nicht nur die Voraussetzung für jene Kollektivität. Die Kommunikations-, die Netzwerktechnologie, das ‚Medium‘ Internet hat an ihr nicht nur als die Materialisierung gesellschaftlichen Wissens Teil, sondern als Teil der Kollektivität selbst. Im Anschluss an Deleuze unterscheidet Gerald Raunig (2007) zwischen organischer und orgischer Repräsentation: „Anders als im Paradigma der organischen Repräsentation erscheint das Medium als orgisches nicht mehr als reines Mittel zur Information, zur Übermittlung eines Ereignisses, sondern es verkettet sich mit dem Ereignis, es wird schließlich selbst Ereignis.“ Raunig erinnert an die genealogischen Linien des mediums,14 das im Lateinischen eine Mitte benannte, die einen offen-vagen Begriff von Öffentlichkeit, von öffentlichem Raum, vom Gemeinsamen nahe legt. Bei Deleuze und Guattari ist diese Mitte ein reißender Strom, eine Fluchtlinie, in der sich alles beschleunigt, in der sich die Verkettung der Singularitäten als und ereignet (vgl. Raunig 2007). Eine Unterscheidung zwischen Prozessualität und Operabilität wird obsolet: Of-
14 Außerdem orientiert Raunig (2007) sich an dem, was Walter Benjamin und Bert Brecht schon untersuchten, um zu resümieren: „Wollen wir diese Mitte nicht als leeren Umschlagplatz von Informationswaren konzipieren, sind zwei Voraussetzungen zu klären: Zum einen ist die Ver-Mittlung des Mediums selbst nie als neutral zu verstehen, und noch wichtiger: gerade die Form der Vermittlung kann das Medium als Produktionsapparat verändern.“
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fene, nicht-repräsentationistische Kollektivität ereignet sich, wenn Form und Ausdruck der Kollektivität sich und damit die Kollektivität wechselseitig als Bewegung kommunikativ und kooperativ konstituieren.
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DER
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Aber wie kann das funktionieren? Wie kann jene Art von Kollektivität artikulations- und handlungsfähig sein? Im Brief an den äußerst einflussreichen, aber umstrittenen15 amerikanischen Fernsehmoderator Glenn Beck, der Anonymous in seiner Sendung zuvor thematisiert hatte, heißt es: „You see, Mr. Beck, we are not an organization. We have no leaders. We have no official spokesperson. We have no age, race, ethnicity, color, nationality, or gender. Anyone who claims to speak for all of us is, quite frankly, a liar.“16 Schon die Unterschrift – anonymous –, mit der der Brief endet, unterhöhlt aber das Unterfangen: Wenn niemand autorisiert ist, für „alle“ zu sprechen, wenn Anonymous eine Heerschar, eine Legion ist, dann könnte keine einzelne Hand eine Unterschrift unter einen Text setzen (vgl. Wall 2011). Wie kann dann etwas im Namen von Anonymous unternommen, geschrieben, ausgedrückt werden?17 „Die zentrale Problematik ist das ‚Problem der politischen Entscheidung‘ […]“, so Thacker über die Multitude (ebd. 2009: 63). Fragen nach den Möglichkeiten der Steuerung einer dezentralen, offenen Kollektivität drängen sich auf. Eine zentrale Steuerung lehnt Anonymous ab, um Hierarchien zu vermeiden. Doch auch bezüglich des Anspruchs der Gleichheit sieht sich eine solche Kollektivität mit Herausforderungen konfrontiert, die sich auf mehrere Ebenen beziehen: Das Internet hat an ihr, wie weiter oben gesagt, nicht nur als die Materialisierung gesellschaftlichen Wissens Teil, sondern als Teil der Kollekti-
15 Er hat nicht zuletzt die Tea-Party-Bewegung maßgeblich beeinflusst. 16 Online verfügbar unter: http://www.businessinsider.com/operation-paybackgroup-anonymous-issues-open-letter-to-glenn-beck-2010-12
(aufgerufen
am
12.11.2011). 17 Nach Thacker (2009: 63) müsste die zentrale Frage lauten: Kann die Multitude, kann Anonymous sich selbst regieren? Im Gegensatz zur traditionellen Frage, die da lautet: Wie kann man Anonymous bzw. die Multitude regieren?
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vität selbst und ist gleichzeitig auch auf vielfältige Weise verwoben in gegenwärtige Machtverhältnisse. Anonymous behauptet, hierarchiefreie Kommunikationsräume zu schaffen, indem einfach anonym kommuniziert wird. Das verhindert zwar das, was im Falle von Kooperation in anderen Netzwerken häufig passiert: Dass über identifizierbare Initiator_innen und häufige User_innen entschieden wird, was sag- und sichtbar ist. Doch auch in den digitalen Netzen, in denen Anonymous sich konstituiert, lässt sich ein verschachteltes Zusammenspiel algorithmischer Codes und Protokolle ausmachen, das zwischen kulturellen Praktiken und technischer Infrastruktur zum Einsatz kommt. Das erinnert an Deleuzes These, dass im Kontrolldispositiv die Steuerungsmechanismen den Kommunikationsprozessen selbst immanent sind. Form und Ausdruck von Anonymous sind an den Rahmen gebunden, den Systemadministrator_innen, IT Infrastrukturen und das Protocol vorgeben. Hacken heißt das Protokoll umschreiben – aber wer kann das schon? Auf keinen Fall alle, die Anonymous vernetzen will, also ‚alle‘. Und nicht erst der Mangel an gleichermaßen zugänglichen Schulungen zum Programmieren von Hard- und Software, setzt Herrschaftsverhältnisse in den digitalen Netzwerken fort. Die Überlegungen zum Digital Divide, danach, wer und was sich im Fluss der Kollektivität verketten kann, müssen angesichts der Forderungen von Anonymous berücksichtigt und erweitert werden: Die berühmte Spivaksche Frage „Can the subaltern speak?“ (1988) ist nicht nur eine Frage des Zugangs zu den Tönen, den Tastaturen, die die Laute ins Netz fließen lassen, sondern nach der Situierung und den Hegemonien in der Kommunikation, im Mitteilen und Verstehen, somit nach den Ausschlüssen, die auch produziert werden, wenn scheinbar alle in der Anonymität die gleiche Stimme haben. Jene Herausforderungen, mit denen eine Open Collectivity zu tun hat, werden von Anonymous selbst teilweise angeschnitten. Wenn die Streitereien um die Deutungshoheit und Legitimität einzelner Aktionen in Beschimpfungen münden, erinnert Anonymous sich wechselseitig wieder daran, dass man etwas machen sollte für die, die nicht teilhaben können an eben jenem Dialog und schlägt vor, die Sperrung von privaten Internetzugängen in der Türkei durch das Blockieren der Regierungsseite zu bekämpfen. Anonymous als eine Open Collectivity ist der Kampf dafür, dass ‚alle‘ Anonymous sein dürfen, dass ‚alle‘ ohne Beschränkung teilhaben können
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am Informationsfluss, am Austausch, dass ‚alle‘ mitreden dürfen, ‚alle‘ Stimmen gleichwertig gehört und verstanden werden. ‚Alle‘ ist dabei eine Kampfansage, das Begehren, das die Bewegung antreibt, als Bewegung für eine Kollektivität, die kein konstitutives Außen mehr hätte, die grenzenlos wäre.18 Fragen wir vor diesem Hintergrund, wie eine nicht-repräsentative politische Praxis aussehen kann, die aus der Bewegung der Produktion des Gemeinsamen, aus dem Überschuss an Soziabilität erwächst, der weder in „Form der Partei, der Gewerkschaften oder der Mikropolitik Furcht erregend“ (Tsianos/Papadopoulos 2007) wirkt, stellt sich die Frage nach der Handlungsfähigkeit als eine Frage nach der Übersetzung einer solchen Bewegung in neue Mechanismen und Prozesse (vgl. Zehle/Rossiter 2009: 244). Die Grenzen von Anonymous werden in zweierlei Hinsicht markiert: Die Grenzen der Form jener Kollektivität, des Netzwerks, des Schwarms offenbaren sich als Grenzhorizont der Antagonismen des Politischen (vgl. ebd.: 251) und die Grenzen des Ausdrucks der Kollektivität, der Produktion des Gemeinsamen liegen in den Kontroll- und Kommodifizierungsprozes-
18 Chantal Mouffe (2007) schreibt: „Es gibt keinen Konsens ohne Ausschluss, es gibt kein ‚Wir‘ ohne ein ‚Sie‘ und keine Politik ist möglich ohne eine Grenzziehung.“ Worauf Mezzadra und Neilson ihr vorhalten, sie würde die Beziehungen zwischen den sozialen Praxen und Kämpfen und der politischen Artikulation über die Nachbildung eines Modells bestimmen, in dem die Ersteren nur partikulär sind und damit unfähig zur Produktion neuer politischer Formen außerhalb der bestehenden institutionellen Architektur von Nationalstaaten und internationalen Beziehungen (vgl. Mezzadra/Neilson 2008). Eben jenes Denken wird durch das Konzept von Anonymous wie auch das der Multitude herausgefordert. Hardt und Negri über die Multitude: „Es sind konstituierende Kämpfe, die neue öffentliche Räume und neue Formen der Gemeinschaft schaffen.“ (Ebd. 2002: 69) Auch Demirovic hinterfragt gestützt auf Überlegungen Freuds und Adornos Laclaus Argumente für die konstitutive Notwendigkeit von Exklusion. Er resümiert, dass Laclaus ontologisierende Argumentation zwar die modernen Gesellschaften beschreibt, jene Gesellschaft als ökonomisch, politisch und kommunikativ erzeugte Totalisierung mit ihren ausschließenden Folgen als Form menschlichen Zusammenlebens aber selbst zur Disposition gestellt werden müsste (ebd. 2008). Spannend wäre eine weitere Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang zwischen Universalisierung und Ontologisierung etc..
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sen dessen, was als Gemeinsames produziert werden könnte und wird. 19 Das Zusammenspiel von individualisierenden Profitlogiken, Konkurrenzdynamiken und Herrschaftsverhältnissen, das verhindert, dass alle Anonymous sein können, ist in der gegenwärtigen Gouvernementalität das konstitutive Außen der Kollektivität, das andauernd verschoben wird. Anonymous kann als Anekdote einer Open Collectivity analysiert werden, als eine andauernde Herausforderung und Verschiebung von Herrschaftsverhältnissen und Grenzziehungen. Inwieweit Anonymous irgendwelche Erwartungen erfüllt, ist dabei weniger interessant als die Auseinandersetzung mit dem Politischen und dem Darstellbaren, die die Idee einer Open Collectivity erfordert. Von einem „jenseits der Repräsentation“ ist allseits die Rede – mit Anonymous erweitert sich diese Perspektive gewinnbringend, ist Anonymous doch bislang als eine Bewegung einzigartig, die sich erst über die Selbstbeschreibung bzw. deren gemeinsame Verweigerung in der Anonymität im Netz konstituiert.
L ITERATUR Agamben, Giorgio (1998): Bartleby, oder, Die Kontingenz, Berlin: Merve Verlag. Agamben, Giorgio (2003): Die kommende Gemeinschaft, Berlin: Merve Verlag. Demirović, Alex (2008): „Reibungen an der Normalität: Exklusion und die Konstitution der Gesellschaft“, in: Sina Farzin/Sven Opitz/Urs Stäheli (Hg.), Inklusion/Exklusion: Rhetorik – Körper – Macht, Soziale Systeme, in: Zeitschrift für soziologische Theorie 14(2), S. 397-417.
19 Die Produktion des Gemeinsamen, das Projekt „le commun“ ist auch immer eines, das die Ordnung der Welt in privat und öffentlich, in private und öffentliche Güter in Frage stellt, ein Projekt, das Besitzverhältnisse und das Konzept des Eigentums hinterfragt (vgl. Revel 2011). Auf jene Aspekte kann an dieser Stelle leider nicht hinreichend eingegangen werden.
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Diefenbach, Katja (2008): „Den wirklichen Ausnahmezustand herbeiführen. Macht der Ausnahme bei Agamben, Macht des Vermögens bei Negri.“ Online verfügbar unter: http://translate.eipcp.net/strands/02/diefenbach-strands01en?lid=diefenb ach-strands01de#redir#redir (aufgerufen am 12.11.2011). Foucault, Michel (1979): Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität II, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Gertenbach, Lars/Moebius, Stephan (2006): Kritische Totalität oder das Ende der Gesellschaft? Zum Gesellschaftsbegriff des Poststrukturalismus, Vortrag auf dem DGS-Kongress „Die Natur der Gesellschaft“ 2006 in Kassel, Ad-hoc Gruppe „Die Materialität sozialer Praxis. Zur Rolle des Poststrukturalismus in der Soziologie“, 10.10.2006. Hardt, Michael/Negri, Antonio (2002): Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt am Main: Campus Verlag. Hardt, Michael/Negri, Antonio (2004): Multitude. Krieg und Demokratie im Empire, Frankfurt am Main: Campus Verlag. Hall, Stuart (2004): Ideologie, Identität, Repräsentation, Hamburg: Argument Verlag. Horn, Eva/Gisi, Lucas Marco (Hg.) (2009): Schwärme – Kollektive ohne Zentrum. Eine Wissensgeschichte zwischen Leben und Information, Bielefeld: transcript Verlag. Lemke, Thomas (2011): „Imperiale Herrschaft, immaterielle Arbeit und die Militanz der Multitude“, in: Marianne Pieper et al. (Hg.), Biopolitik – in der Debatte, Wiesbaden: VS Verlag, S. 109-128. Mezzadra, Sandro/Neilson, Brett (2008): „Die Grenze als Methode, oder die Vervielfältigung der Arbeit“. Online verfügbar unter: http://eipcp.net/transversal/0608/mezzadraneilson/de (aufgerufen am 12.11.2011). Mouffe, Chantal (2007): Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion, Frankfurt am Main: Suhrkamp. Nancy, Jean-Luc (1993): The Experience of Freedom, Stanford: Stanford University Press. Nancy, Jean-Luc (2008): The Inoperative Community (= Theory and History of Literature, Vol. 76), Minneapolis: University of Minnesota Press.
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Between Swarm, Network, and Multitude Anonymous and the Infrastructures of the Common
I NTRODUCTION Flash mobs, the Occupy movement, and other swarmlike, spontaneous assemblies of people have become more and more visible over the last years. These phenomena do not fit well within classical categories like groups or social movements, which emphasize collective identity and the logics of representation. Rather, these new assemblies seem to emerge without precondition and involve individuals who did not know each other before. In this way, they fit the criteria described in sociological theories of the masses and of collective behavior. But whereas in theories of the masses and collective behavior constitutive forms of affection and suggestion are based on gatherings of people and thus on assemblies of bodies, the phenomena this article addresses seem to share another quality: in all of these cases, communication technology plays a constitutive role in the process of ‘gathering in the digital sphere’, thus connecting people and turning connectivity into collectivity. In my article I will focus on one of these phenomena, Anonymous, as an illustrative case for generalizing about collectivity in the age of computerization. One of the main questions, then, is this: To what extent does the constitutive role of media technologies within Anonymous indicate new qualities of the collective that have not been discussed in sociological theories of masses and collective behavior? How can we understand the progression
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from collective behavior to the constitution of collectivity online? And what new ontologies of collectivity can help to understand these qualities? Nearly simultaneous with the discussion of new forms of collectivity within the last decade, the so-called ‘material turn’ opens up the social science perspective on “dynamic human and non-human materialities which acquire shapes, operate and differentiate also beyond human perception and discursive representational systems”, as Parikka (2010a) defines the focus of New Materialism. Looking at how Anonymous might be understood better through New Materialism than through traditional sociological theory could help to illuminate the more general question of how to understand late-modern mediated collectivity as such. First I will shortly discuss the methodological challenges of this approach to the constitution of collectivity. Then I will outline a brief history of Anonymous in order to highlight its particular path of emergence and thereby explain the assumption that Anonymous is a form of collectivity that is not based primarily on logics of identity in a representational sense. Zooming in on Anonymous inspires us to focus on the material, operative, and media-technical/infrastructural conditions of collectivity – and to explore what collectivity means.
M ETHODOLOGICAL
REFLECTION
I use Anonymous as an illustrative case for more general reflections on collectivity online. Thus, this article does not strive after representative research results on what Anonymous is. It rather attempts to create a sociological map that contributes to the development of theories of collectivity in the age of computerization. With this draft of a case study, I aim to suggest the need for further investigation into internet infrastructures as mediators in the process of constituting collectivity. Further, I propose that research on the relations of online architectures and their potential to inspire circular reactions and the collective creation of an agenda could complement the perspective of theories of collective behavior in order to get a better understanding of late-modern mediated collectivity as such. ! While it makes sense to examine the development of a potential agenda or a narrative of Anonymous via text-based analyzes, it is rather challeng-
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ing to sociologically study forms of ‘circular affection’ which will be relevant in the approach to non-representational collectivity. If ‘shared affectively charged behavior’ can give insights to the process of constituting collectivity online similar to the description Carsten Stage (2013: 8) offers for the online crowd, an important question is of course what counts as “affective processes”. This question and its relation to the infrastructural dimension underlies the general approach of this article and inspires the examination of new materialist arguments. Contemporary theories of affect can be distinguished by their approach to the order of the affective and the discursive level (see also Stage 2013: 13) and are thus more or less new materialist. Whereas for example Sara Ahmed (2004) describes affects as channeled or even motivated by discourses, the concept of affect from the perspective of Spinoza, Deleuze and Guattari, and Massumi, which this article refers to, defines affect, opposed to ‘feeling’ and ‘emotion’, as a prepersonal phenomenon. This neo-materialist approach conceptualizes affect as belonging to the bodily sphere, as a phenomenon circulating between (human and non-human) bodies that can interrupt and irritate discursive patterns – but not as an a-social phenomenon (see Pieper/Wiedemann 2013). Within this perspective, affections between human and non-human bodies or materialities emerge and operate beyond human perception. Affect is then only recognizable by the increase or decrease it causes in the body’s vital force. Investigating the circular affection online highlights the paradoxical endeavor of social sciences to do research after the crisis of representation.1 Yet, it is not in opposition to Massumi to trace affect in linguistic material in the creation of a “state of suspense, potentially of disruption”, and in the “excess of any narrative or functional line” (Massumi 2002: 26). Massumi describes the self-ascription of an emotional experience as a reregistering of affect: “An emotional qualification breaks narrative continuity for a moment to register a state – actually to re-register an already felt state, for the skin is faster than the words” (Massumi 2002: 25). Inspired by Carsten Stage, who refers to Massumi by arguing that affect often intensi-
1
The term ‘crisis of representation’ refers to a theoretical development in social sciences that demonstrates the impossibility conceived within human language and culture of a correspondence of significations and systems of significations on one side and a world of pre-semantic elements that exist ‘per se’ on the other side, as Reckwitz (2003) concludes.
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fies media circulation, the outlined case study of Anonymous traces affect and the development of an agenda (1) in the representational content of the posts and comments on 4chan and in discussions on irc chats, press releases and interviews with people who were part of Anonymous Operations (2) as well as in temporally simultaneous gatherings around specific posts in relation to certain events or topics. Similarly, it tries to combine this focus with the perspective on the materiality of digital architectures (programs, interfaces, codes). !
A NONYMOUS
AND A DEFINITION OF COLLECTIVITY
Anonymous is a name taken by different individuals and groups to organize collective action, ranging from online political campaigns to street demonstrations, from fearsome pranks to hacking for sensitive information, from human rights activism to technological support for revolutionaries. With Operation Payback (the campaign for the support of WikiLeaks in December 2010) and its contribution to the Arab Spring of 2011, Anonymous became famous in the mainstream media. Journalists who wrote about Anonymous tended toward big declarations and pronouncements: some wrote them off as cybervigilantes who lack aim (but still manage to cause diabolical havoc), and others declared Anonymous the new face of democratic digital politics fighting for freedom of speech and social justice, as Gabriella Coleman sums it up (2012). For the purposes of this article, what matters is not the individual actions and their political impacts but the way Anonymous is constituted as a collectivity. Indeed Anonymous has developed a certain ‘collective identity’ (in form of shared values or even a political agenda), but these manifestations are rather the outcome of circular affection within a particular infrastructure than the other way around. The article will show that the possible ‘political’ potential of Anonymous can be seen as a result from exactly its specific way of emergence. The latter might also explain the denial of representational practices (that is paradoxically represented in diverse forms of representation such as the Guy Fawkes mask2 or in constantly re-
2
The Guy Fawkes mask is a depiction of the best-known member of the Gunpowder Plot, an attempt to blow up the House of Lords in London in 1605. The
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peated slogans that say that Anonymous does not have any leaders, any spokespersons, or a manifest). For sure the engagement in illicit actions is also one reason for not having any single representative. But this lack is also grounded both in the concept of anonymity and in the specific way Anonymous is constituted and constitutes itself. The focus on the latter will situate an observation of Anonymous in the present context – in the more general reflection on the constitution of collectivity online. But is Anonymous a collectivity? How did it emerge? According to people who took part in the actions and discussions of Anonymous and people who happened to survey the first discussions,3 Anonymous ‘started’ on 4chan, a technologically simple but massively popular web forum that was founded in 2003. Users of 4chan can post images and texts there without registration, thus appearing as “anonymous” online. The site encourages anonymous postings, and its most active section, the forum /b/-Random, explicitly states that there are no rules as to what can be posted. It also has no memory: all postings that do not generate responses will automatically move down the queue and will eventually be deleted. Therefore only the posts that gather enough users are repeated and stay on top of the site and thus can attract more and more attention within a few seconds. That happened with some calls for actions, whether silly ones like “Spread pictures of cats on the whole internet” or politically motivated ones that inspired a wave of on- and offline protests against Scientology: both of these ‘operations’ were undertaken by Anonymous. Over the course of half a decade, as Felix Stalder (2012) pointed out, “anonymous” turned into “Anonymous”: a simple technical placeholder turned into something
portrayal of a face with an over-sized smile and red cheeks, a wide moustache upturned at both ends, and a thin vertical pointed beard came to represent broader protest after it was used as a major plot element in V for Vendetta, published in 1982, and its film adaption in 2006. After appearing in Internet forums, the mask became a well-known symbol for Anonymous, the Occupy movement, and other anti-government and anti-establishment protests around the world. 3
In April 2012, I conducted interviews with people who had been part of several Anonymous operations. I contacted them in two ways: (1) I could address some of them directly because the FBI had already revealed their identities, (2) I asked in chat rooms used by Anonymous if users would do anonymous interviews via Email.
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more. People who did not know each other, who just gathered on 4chan, became Anonymous, a collectivity that was not based on a common political agenda or a collective identity, but on an assembling of individuals that had agency in the sense of an ability to perform action that has a transforming effect (see Latour 2005: 53f.). But what does ‘collectivity’ in this case mean? If we perceive that an assembling of individuals has agency, can we call it a collectivity? Before reflecting on the potential new qualities of a late-modern mediated collective in regard to Anonymous, I will provide a brief overview of the notions of collectivity in sociology. In the early years of sociology (during the late nineteenth and early twentieth centuries) the term ‘collectivity’ got associated with the concept of community, which Ferdinand Tönnies described as a larger number of people connected through shared values, emotions, and interests (see Tönnies [1935] 1991). Decades later, cultural studies and poststructuralist approaches concentrated on the deconstruction of exactly these “collective identities” (e.g. Hall 1997) and analyzed the processes of representation and cognitive imaginations of a common space and time (e.g., Benedict Anderson’s “imagined communities”; see Anderson 1991). Thus the notion of collectivity in these culturalist and constructivist analyzes again mainly came into focus within the context of the discursive production of identity – and thus was linked to notions of subjectivity. ! A phenomenon such as Anonymous, however, demands that we focus exactly on the operative level of the constitution of collectivity, the potential agency that turns the random gathering of people into a temporary community. There is another important branch of sociology that is defined by this focus and centers on theories of collective behavior. This theoretical tradition, which goes back to theories of the masses, does not highlight the process of discursive construction of the collective. Rather, it focuses on collective action that is not based on identity politics or representation and that circumscribes forms of purposeless and noninstrumental, decentralized and unorganized conceptions of collectivity. Can these sociological theories help to explain the constitution of late-modern mediated collectivity? Anonymous exemplifies a group whose constitution seems to involve multiple means of technical mediation, such as brief forms of connectivity and affectivity. Does the understanding of collectivity beyond logics of identity
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within theories of masses or collective behavior capture a phenomenon like Anonymous?
C OLLECTIVE
BEHAVIOR AND THE QUESTION OF THE MEDIATOR In exploring this question I will focus on Herbert Blumer’s work on collective behavior. Blumer developed one of the first systematic theories of collective behavior (see Stäheli 2012: 101) by strictly distinguishing the interest in collective behavior and its capacity to create new social forms (see Borch 2012: 147) from sociology that investigates social orders and its constituents, e.g. communities that are constituted via common myths and norms. Thus, he distinguishes between routine collective behavior in the sense of regulated group activities, as for example between students and teachers who “have common understandings and traditions as to how they are to behave in the classroom” (Blumer 1946: 167), and “elementary forms of collective behavior”, which are “not under the influence of rules or understandings” (ibid.: 168). Informed by nineteenth-century European views of mass psychology, he expands the area of classical mass phenomena by introducing a conception of the mass as a dynamic phenomenon. Thus collective behavior is a mass in motion, a dynamic process changing a random distribution of individuals into a self-organizing phenomenon (see Stäheli 2012). These “elementary forms of collective behavior” are all based on what Blumer calls “circular reaction”, which he contrasts with the interpretative interaction, “the form chiefly to be found among human beings who are in association” (Blumer 1946: 170). Unlike interpretative interaction, circular reaction is a type of “interstimulation wherein the response of one individual reproduces the stimulation that has come from another individual and in being reflected back to this individual reinforces the stimulation” (ibid.). Blumer describes different stages of collective behavior – milling, collective excitement, and social contagion (176) – which are also described as steps in the development of an “acting crowd” (178). Milling, the first step, starts with a shared “restlessness” (172) that is transferred between the individuals by contagion. The central role of “social unrest” that Blumer describes as the basic quality of collective behavior thus has two important
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meanings (see Stäheli 2012: 103): it is not only social discontent, dissatisfaction, and rebellion but also the sheer fact of restlessness in the sense of people moving around, as a restless collectivity, that is constituted within the movement based on interstimulation. These processes of circular reaction were also observed on 4chan before the first Anonymous operations occurred: for instance, people who were part of these spontaneous, unplanned cat postings describe the development of their interaction in a way that is quite similar to Blumer’s stages of collective behavior: they explain4 that they were hanging out on 4chan, had nothing to do, were not discontented but not satisfied either, and then somehow got excited by people starting to post cat pictures with letters on them, and without knowing what was going on they just posted cat pictures as well and felt that there was something going on with them and the other people on 4chan that spontaneously felt part of a community within their common action. More and more users copied the cat pictures or uploaded new ones, and others commented and called these pictures “Lolcats”.5 Within a few hours, there were hundreds of Lolcats on 4chan. After a few weeks, the so-called Caturday was established: postings of cat pictures took place only on Saturdays (Cat + Saturday). A trend was born in which thousands of users participated.6 According to Blumer (1946: 175), the circular reaction creates new forms of behavior and also makes the individuals “more sensitive and responsive to one another” (174). These participants may then “embark on lines of conduct which previously they would not likely have thought of, much less dared to undertake” (ibid.). Within the common movement the individual is transformed by the circular reaction. Informed by Le Bon ([1895] 2002) and Park (1972) Blumer stresses the aspect of the transformation of the individual by explaining circular reaction based on social unrest and social restlessness as contagious. Clark McPhail points out that this explanation is tautological (“When the restlessness of individuals is stirred
4
See note 2.
5
LOL = “laughing out loud”.
6
Users criticized those who posted Lolcats on other days. A trend was born that spread across the Internet (see Wikipedia on Lolcats: http://de.wikipedia.org/ wiki/Lolcat).
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by circular reaction, the result is social unrest” [1989: 409]), but this apparent tautology itself is interesting for my purposes. The inexplicable, seemingly reasonless circular reaction – the mysteriousness of collective behavior, of people seeking something without knowing what they seek, aimlessly looking around and highly suggestible (see McPhail 1989: 409) – is what inspires this article’s questions and its examination of Anonymous. How can we understand the constitution of collectivity that cannot be attributed any meaning in the first place? What is the role of technical media, of mediators that transform connectivity into collectivity? Blumer focuses the operations of the individuals but does not investigate the role of infrastructures or technical media when theorizing collective behavior.7 His crowd is based on the immediacy of moving bodies, on the circulation of affect within the physically meeting bodies – thus only the individual can be seen as mediator of flows of imitation and movement, as Urs Stäheli concludes (2012: 103). ! Stäheli’s argument is that the crowds Blumer describes are based on infrastructures, on urban places where masses emerge or on a medium of transportation such as the ferry in Walt Whitman’s poetry (ibid. 2012: 116). In Walt Whitman’s works8 the ferry appears as a mediator that creates a sort of collectivity out of the gathering of heterogeneous individuals who do not know each other and do not intend or expect to unify for a common purpose. In order to reflect on the constitution of such a gathering online, of a nonphysical gathering of people, it is even more obvious that we have to expand Blumer’s theory and take into account the role of technical media.
7
Even if Blumer was one of the pioneers studying the effects of media on society, especially of movies and broadcasting, he did not link these approaches to the theories of collective behavior.
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Walt Whitman’s journalistic and poetic work strongly influenced early American sociology. He was especially passionate about the connection of urban infrastructures and masses (see Stäheli 2012: 107).
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C ROWD ,
PUBLIC , AND MEDIA INFRASTRUCTURES
The question of media infrastructures and its relation to collective behavior is not approached in Blumer’s work, but it is approached by his mentor Robert E. Park, to whom Blumer owed the concept of “circular reaction” (see McPhail 1989: 406). Therefore Park referred to Gabriel Tarde and his distinction between the crowd and the public, which he thought of as a product of modern technological developments, as constituted via the newspaper or, earlier, the railroad and the telegraph (Tarde [1901] 1969: 281). The public, understood as “a purely spiritual collectivity, a dispersion of individuals who are physically separated and whose cohesion is entirely mental” (ibid.: 277), is, in contrast to crowds, virtually unlimited in size and in the scope of its perpetual influence. Tarde’s definition of the public includes criteria exhibited by an online collectivity such as Anonymous: people who do not meet physically but are connected via a technical medium and within this connection perceive a sort of community. ! Despite the differences Tarde describes between crowds and publics, to which I will return later in the article,9 the two “have in common the bond between the diverse individuals making them up, which consists not in harmonizing through their very diversities, through their mutually useful specialties, but rather in reflecting, fusing through their innate or acquired similarities into a simple and powerful unison” (Tarde [1901] 1969: 286). For both of them, the crowd as well as the public, it is a circulation of affects that constitutes the collectivity. Neither the crowd, nor the public, nor Anonymous is constituted through shared identities, myths, or narratives. Yet, for this article’s questions about the constitutive role of media infrastructures in new kinds of collectivity, Tarde’s concept of the public does not offer enough insight: his theory involves the technical infrastructure, but it explains the constitutive force creating the public as ideas or passions that seize the participants. Tarde explains that “the cohesion of the public is entirely mental” and comes about through “a continual current of common information and enthusiasm”: “It is only from the moment when the readers of a newspaper are seized by the idea or the passion which provoked it that
9
For a discussion of the notion of irrationality that Tarde attributes to the crowd by contrasting it to the critical discussions that interaction in publics could take see Borch 2006: 87.
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they truly become a public” (ibid.: 288). So, unlike the ferry in Whitman’s/Stäheli’s argument, the medium – the newspaper itself – works less as a mediator than as an intermediary, transmitting and distributing ideas and passions that then can work as mediators.10 What is relevant in approaching an online collectivity such as Anonymous, and necessary for understanding such a collectivity, is exactly the entanglement of the potential mediators – the entanglement of bodies (imitation/circular reaction; crowd) and ideas (mental cohesion; public) as well as communication technology. Tarde already offers strongly important insights to these intersections: if the Internet had existed then, Tarde – “a thinker of networks before their time”, as Latour argues (2002: 119) – would probably have created another concept of collectivity, one that goes beyond the crowd and beyond the public. What new quality is possessed by a collectivity constituted on a board like 4chan? The novel aspect of an online collectivity such as Anonymous is how it combines the criteria that, according to Tarde, most importantly differentiate the crowd and the public: the individuals who comprise the collectivity do not meet physically; they are dispersed and connected through a shared infrastructure, like the public. But whereas “the action of physical agents on the formation and development of a public is almost nil” (Tarde [1901] 1969: 287), it is “supreme in the formation and behavior of crowds” (ibid.) and also, in a specific way, in Anonymous. Like the crowd, Anonymous is constituted only from the moment that the assembled individuals experience a “circular reaction”, as Blumer called it, and the potential agency of their temporary community. Within the infrastructure of 4chan, users simultaneously observe both the content of others’ posts and what others are doing: their movements on the screen, the rhythms of their activities in posting anything, writing words or sentences, posting pictures or videos. Within the new infrastructure of the Internet, a board like 4chan enables, on one hand, the dispersion of the individuals taking part in the collectivity, and, on the other hand, the specific sort of shared and simultaneous perception of one another. As Latour (2002: 119) points out, “things are different now that the technological networks are in place and that many of the arguments of Tarde can be turned into sound empirical use”; now thinkers like Tony D. Sampson (e.g. 2012), Jussi Parikka (e.g. 2007), and Eugene
10 For the distinction of intermediaries and mediators, see Latour 2005: 37f..
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Thacker (2004) combine Tarde’s concepts of suggestion and contagion with a reflection on the role of communication technology for the constitution of collectivity. Thus we are beginning to address the main question of this article: to what extent does the constitutive role of media technologies within the Anonymous phenomenon indicate new qualities of the collective that were not discussed in earlier sociological theories of nonidentitarian collectives? First I focused on Blumer’s concept of collective behavior and its underlying mechanism of “circular reaction”, which helps us approach Anonymous. But within Blumer’s theory the individual works as the only medium, so I then turned to Tarde, whose ideas offer insights into other potential mediators that can transform connectivity into collectivity beyond the individual. Tarde is seen as a pioneer for theories of the new materialism: although he does not yet focus on the agency of ‘things’ like the paper of the newspaper and still considers the material world of subject creation, his materiality has an incorporeal materialist dimension (see Sampson 2012: 59). His radical social monadology is based on the premise that “every thing is as society” (Tarde [1895] 2012: 28), that the social is a circulating fluid, a principle of connections (see Latour 2005: 13)11. From this perspective, a “digital object is far from static but incorporates too an intensity that stems from its relational status” (Parikka 2010b). In order to investigate the mediators that serve as constitutive forces for Internet-based collectivities, I will further address the question of how to conceptualize dynamic constellations of heterogeneous elements that are collectivated and have agency within the assembling/connection. Therefore I will focus on the two primary models/metaphors of collectives used in discussing new Internet collectives: the swarm and the network.
11 This is controversial: Lisa Blackman for example argues that Latour “fails to recognize the hierarchical view of humanity that was being proselytized in his (Tarde’s) elucidations of the concepts of invention and imitation” (2007: 40).
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B ETWEEN
SWARMS AND NETWORKS : AND DIGITAL CONTAGION
C ONNECTIVITY
I will explore to what extent Anonymous fulfills the criteria of each of these two by referring mainly to Eugene Thacker’s typology of collectivities/collectives without center. In his article Networks, Swarms, Multitudes (2004a/b), Thacker reconstructs the scientific-historical backgrounds of these models of collectivity and strongly links collectivity with connectivity – which will accompany the task of approaching Anonymous as an Internet-based group phenomenon. As the notion of networks developed in graph theory points to a static topology of nodes and edges12 and does not capture networks’ inherently dynamic characteristics, Thacker chooses instead to reflect on the biological paradigm of ‘swarms’ (2004a; 2004b). For Thacker, “insects are the privileged case study” for technologically and politically new ways of organization where the many pre-exist the one, where animal packs function without heads (without one specific reason or leader); insect swarms thus “suggest logics of life that would seem uncanny if thought from the traditional subject/object point of view” (Parikka 2008: 115). Thacker describes the swarm as decentralized, self-organizing, and spontaneous (2004b). Similarly, the emergence of Anonymous can be conceived for the first time on 4chan. This board is no network with a stable distribution of edges and nodes, as users are not registered here; it is more a point through which changing sets of users briefly connect again and again continuously. According to Thacker (ibid.), one of the main criteria for a swarm is a directional force that is without centralized control but works as a collectivity because it has a spontaneous purpose – one that cannot be traced to one of the individuated units of the swarm. A minimum of connectivity allows the emergence of swarms: for example, Anonymous suddenly gathers around a
12 Thacker shows that even a view of networks that privileges the relations between things, rather than things-in-themselves (edges rather than nodes), “also cannot account for the dynamics within networks; dynamics that show us a more complicated view of the separation between nodes and edges” (Thacker 2004a).
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topic of interest on 4chan and then spontaneously exchanges cat pictures or sends emails en masse to government sites and cause them to crash.13 Like Thacker, Eva Horn (2009), in her theorizations of the swarm, stresses the constitutive force of affect. As already mentioned in the methodological reflection, the concept of affect, derived from Spinoza, does not imply any notion of intention or conscience (in the Marxist sense) or the reason and motivations of individual actors; affect is only a reaction to the fact that a human is touched by another and mobilized, and this mobilization continues en masse (Horn 2009: 17). “Affects operate in the mode of connectivity, they circulate, create dynamics, produce subjectivity and mobility. They operate as – vivid and dynamic – immanent force” (Pieper/Tsianos/Kuster 2011: 230). The Lolcats and the creation of the socalled Caturday (examples I used when explaining Blumer’s concept of circular reaction) illustrate the role of mutual affect in the development of collectivity and creativity on 4chan. In contrast to forms of suggestion and imitation from body to body, as in crowd- and collective-behavior theory, in the case of Anonymous an online swarm forms through the relative synchronization of a Tardean public in relation to a specific online site and its affective unification. In order to capture the bodily affective qualities of the media infrastructure, digital objects such as the board 4chan must themselves be approached through the notion of affect, since they are characterized by their translational capacities (see Parikka 2010b): the abstractions that algorithmic measures are based on return to organic bodies as sounds and visions, as actions or frameworks for action. The “digital contagion” (Sampson 2013) on 4chan is closely tied to the anarchically organized and relatively nonstructured board, where postings are regulated neither through moderators nor through the architecture of the interface; above all, this digital contagion cannot be attributed to any individual, due to the site’s fundamental anonymity. Jana Herwig (2012), who studied 4chan, comes to the
13 For example, Anonymous is said to have contributed to the breakdown of websites of the Egyptian government, ministers, and institutions through several distributed denial-of-service attacks in January 2011. A denial-of-service attack (DoS attack) or distributed denial-of-service attack (DDoS attack) is an attempt to make a machine or network resource unavailable. It typically consists of the efforts of one or more people to temporarily or indefinitely interrupt an Internet service.
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conclusion that its users do not respond to other users or identities but to opinions and positions. But not only the ideas affect the users, it is the interplay of the ideas with and within this kind of infrastructure as well as with the rhythms, pictures and sounds of the postings of the users. It is important to recognize this sort of circular affection that is facilitated on 4chan. In other words, 4chan can produce collective assemblages because its chains of association inspire emergences that are not traceable to individual elements. Soon after the first Anonymous-swarms appeared on 4chan, more infrastructures labeled as Anonymous-Channels (e.g., AnonNews and different IRC-channels14) emerged that were all oriented towards the open and anonymous infrastructure of 4chan. These sites seemed to give Anonymous a permanent pattern and stable connectivity, as within the definition of networks (derived from graph theory) (Thacker 2004a). Anonymous would thus have started to move on the two axes of tension within Thacker’s distinction of “group phenomena” (2004b) – collectivity/connectivity and purpose/pattern – and to function like a hybrid of network and swarm. Yet Thacker’s strict distinction between networks and swarms is only meant to distinguish theoretically the models of collectivity (technology, biology, politics) – he concludes the section about networks by stating that ‘networks do not exist,’ then proceeds to explain the notion of a “living network” (ibid. 2004a): nodes exist only because of the traffic on the edges. This is especially evident on boards like 4chan, where users of the site do not create any profiles and users/visitors are not tracked. It is only when users are connected with and on 4chan and do something that there is a network. If users on 4chan observe what other users are posting and follow their movements on the screen, they are already more than connected – they are related with each other, as there are then affective processes at work. The mere connection of individuated units (e.g., people whose iPhones are permanently online but may be in their pockets) is not enough to form a
14 IRC stands for Internet Relay Chat, which is a text-based chat-system. It allows conversations with any number of people in so called channels. New channels can be opened at any time by any user, and one can also simultaneously participate in as many conversations and channels as one wants (see http://de.wikipedia.org/wiki/Internet_Relay_Chat).
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network on 4chan.15 Only from the moment a circular reaction emerges and thus from the moment connectivity is mediated into collectivity is there a living network. On December 16, 2010, after Operation Payback,16 the developers of Anonnews.org said in an anonymous interview with the magazine Computer und Technik that a “creative force” within Anonymous is what creates operations like Leakspin or Operation Paperstorm, or websites such as AnonNews.org and IRC-channels (see Jannsen 2010). The developers of Anonnews.org do not act as developers; in their view, the site only exists if people use it. In other words, it is not just ideas that can spread only via ‘circular reaction’/affect; internet infrastructures, too, can exist only if they create connections where affects can circulate. A living network only exists within the mediations of the connected and thus related individuated units. Can such a swarm-network stabilize as a collectivity? The development of Anonymous can give further insights into how an Internet-based collectivity can exist beyond the temporarily limited forms of collective behavior (e.g., the online operations based on circular reactions on 4chan and in IRC channels) and nevertheless work differently than offline groups and their common identities. Theorists of collective behavior after Blumer suggested, in contrast to their predecessor, that mass emergency behavior could be understood as normative and meaningful. Ralph H. Turner and Lewis M. Killian (1957) declared that every collective behavior generates a normative order (see Borch 2006: 93) and thus a collective identity. Can the basic infrastructures of the Internet generate new normative orders for collectivity that differ from the concepts of social identity proposed by the norm-based approaches to mass emergency?17 I will attempt to outline the development of an agenda of Anonymous and show why this is not a process from ‘col-
15 If they have agreed to online services that locate the users automatically it is different: then there is traffic on the edges even if the users do not communicate actively. 16 Operation Payback involved repeated DDOS attacks against financial services, such as Visa, in order to defend Wikileaks in December 2010. 17 There are various norm-based approaches since the 1980s that assume that mass emergency behavior is cognitive, i.e., based on reasonable beliefs rather than noncognitive emotions or instincts, for an overview see Drury/Scott 2011.
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lective behavior’ to ‘collective identity’ by pointing again to the infrastructural mediators within Anonymous.
C OMMUNITY BEYOND IDENTITY : E MERGENCE AND MEDIATION An Open Letter to the World, one of the most far-spread documents of Anonymous,18 states: “We have begun telling each other our own stories. Sharing our lives, our hopes, our dreams, our demons. […] As we learn more about our global community a fundamental truth has been rediscovered: We are not so different as we may seem.” Furthermore, the letter claims that Anonymous is the idea of the well-being of all humans, which should be guaranteed through the freedom of information and communication. Anonymous maintains that in anonymous online communication all voices are equal, thus people can experience their commonality without prejudice. Anonymous’s concern, the letter states, is based on the experience of a nonunifying community that does not formulate any identitary conditions for membership. Thus, within the processes of online (co)operation, a figure of inclusion is activated that works differently than collective identities of inclusion and representation, such as ‘the Italians’, ‘the women’, or ‘the socialists’. These narratives and self-descriptions that Anonymous develops indeed point to something common to everybody who could communicate anonymously online, without aiming to homogenize any potential differences. This sort of the common is described as discovered and produced rather within communication than through the creation of an identity and antagonisms that define what belongs to the community and what does not. It is a narrative of a community that creates a spontaneous unity within communication, a community as fluent and dynamic as the multitude – the model of decentralized collectivity that, in current political theory, is grounded in its Spinozist definition. Hardt and Negri (2000; 2004) describe the multitude as the vitally collective social form of the control society, as subversive potential to the present form of capitalist exploitation and hierarchies in Empire (Hardt/Negri 2000: XI), where sovereignty has turned into governmentality, which no longer depends on a
18 http://anonnews.org/press/item/210/ (last access 03.03.2014).
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central authority (ibid.: 339) but operates through biopower, the technology of power that subsumes all life under capital. Yet, in the various branches of the post-Fordist society, excesses and surpluses of sociability and creativity are generated (see Tsianos/Papadopoulos/Stephenson 2008: 251) that cannot be exploited and that produce the common. The multitude thus arises from dynamic networks of new subjectivities, situated in nonreductive cooperation based on and constitutive of the common as a set of socially situated faculties, resources, and domains irreducible to privatization, which is not constituted through logics of representation or the attribution of specific similarities: “Insofar as the multitude is neither an identity (like the people) nor uniform (like the masses), the internal differences of the multitude must discover the common that allows them to communicate and act together. The common we share, in fact, is not so much discovered as it is produced.” (Hardt/Negri 2004: XI)19 At first glance, this description of the multitude recalls the selfdescriptions of Anonymous, as the multitude in theory is constituted not through logics of identity but rather through the denial of exactly those logics and through the concept of openness for everyone. An interviewee who has joined some anonymous IRC chats20 says that more and more users told stories and shared their personal experiences and that he or she felt connected with all human beings because – and the interviewee stresses this explanation – “the other anons could be anybody in the world”. The common narrative of Anonymous stresses the common experience of an anonymous exchange online, a kind of reflection of what Anonymous does with users: the experience of a common that is ‘produced’ within the process of communicating and cooperating. Assuming that the multitude in “many instances […] brings together the technically-based regime of networks and the biologically-based regime of
19 There is a diversity of concepts of the common: For example, Giorgio Agamben formulates an understanding of the potential, of the common that is oppositional to the concept of the common within the theory of the multitude because it is not related to a creative force (1998: 13). Also, Jean-Luc Nancy’s remark that ‘community’ cannot be produced in the context of labor (2008: 2) shows the contrast with a post-operaist theory, which conceptualizes the common as that which has to be produced and is not essentially unifying. 20 See note 11.
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swarms”, as Thacker writes (2004b), one could come to the conclusion that Anonymous as a living network realizes the model of the multitude. But does the concept of the multitude really integrate a technically based regime of networks? Do technical infrastructures as mediators play any role in the model of the multitude? The multitude, in fact, is not designed to be a collectivity based on Internet infrastructures. The form that the multitude, as a new organizational model for movements of the common, shall take is not precisely defined. Although Hardt and Negri themselves use the term ‘network’ quite often, they do not elaborate which network model they are referring to.21 Regarding Hardt and Negri’s vitalist claims that (2004: 192) “the flesh of the multitude is pure potential, an unformed life force, and in this sense an element of social being, aimed constantly at the fullness of life”, William Mazzarella concludes (2010: 715) that the multitude is based on the fantasy of “unmediated immanent life”. Hardt and Negri stress this conceptual purity of the multitude by opposing multitudes to crowds, which they define precisely through the need of a leader, institution or infrastructure to mediate the productive energy. Similarly, Christian Borch argues that “pitting the multitude against the crowd served a strategic semantic purpose” (2012: 291). Referring exclusively to the crowd theory of Le Bon (2002),22 Hardt and Negri write (2004: 260): “Crowds […] naturally and necessarily follow a leader whose control maintains their unity through contagion and repetition.” For Anonymous, there is a sort of leader that is the infrastructure, as we will see in the next paragraph. The theoretical opposition between infrastructures intertwined in power relations and the emancipatory swarm is not borne out. The constitution of Anonymous is always based on an already shared infrastructure. This infrastructure is part of what inspires the emergence of the swarm, as any swarm emerges through the mediation of tech-
21 They thus assume that the networked multitude is non-hierarchical, that it is distributed evenly, providing every node – or singularity – with access to a common, with a link, which in no way suppresses the uniqueness of the nodes it connects, as Linda Brigham (2005) sums up) 22 If Hardt and Negri had applied other crowd theories, an “entirely different image would emerge in which the differences of crowds and multitudes were much less significant and clear-cut” (Borch 2012: 291).
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nical and social codes as well as by the circulation of affects, since even affects are not unmediated. That the self-organization of the multitude is, in contrast, conceptualized as independent from any sort of government and mediation reveals the deficiencies that result from the concept’s political teleology – its “revolutionary climax”, as Mazzarella (2010: 726) calls it. The formation of the multitude, conceptualized as an act of liberation out of the post-Fordist networks of the Empire, emphasizes the antagonism of group energy and social order that Le Bon’s theory is based on (see Mazzarella 2010: 720). Likewise, Borch concludes that “Hardt and Negri in effect turned Le Bon upside-down” (2012: 294). Thus the concept of the multitude, especially when opposed to that of the crowd, contradicts Hardt and Negri’s own analytic of power, which wants to move far beyond such rigidities.23 The concept falls back into a thinking of modern sovereignty that sets the multitude free from any sort of mediation as a counterpower creating a truly democratic society (Hardt/Negri 2004: 324).24 Yet with the contradictions in their work they cannot explain how this transition works, how the common of the multitude can be ‘produced’ while individual differences are respected. The model of the multitude lacks a materialist approach to forms of mediation and infrastructures of the common and therefore cannot answer the question of how the experience of community is possible if there is no unity in the sense of a common identity. If one focuses on the infrastructures that permit circular affect within anonymous exchange and thus the experience of the common in the first place, then the oppositions of mediation and emergence, institution and revolution appear less viable.
23 The reference to the historic emergence of biopolitical productivity (postFordism, etc.), on which the concept of the multitude is theoretically based, actually situates its potentiality and presents it not as outside Empire but as immanent to it. 24 As argued by, e.g., Borch (2012), Hardt and Negri lose one profound insight of Spinoza’s multitude, which is its ambiguity.
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N EW M EDIATORS Whereas the multitude is conceptualized to emerge within but ultimately step out of the networked infrastructures of the Empire as an unmediated community, Anonymous, emerges not in networks that exploit individuals but on 4chan.25 As I mentioned earlier, more and more stable nodes like Anon.Ops and Anon.news have developed that are interwoven with the myth, the narrative that Anonymous established. For Anonymous, infrastructure and narrative, purpose and pattern are mutually constitutive. In addition, Anonymous can be considered a living network (see Thacker 2004b). Within the constitution of this living network, meaning is attributed to the infrastructures themselves: the common belief in their emancipating agency is what constitutes Anonymous as a collectivity with longer timehorizons than the short-term swarms have. By approaching the differing notions of ‘the leader’ in the theories of Freud, Tarde, and Le Bon, Urs Stäheli (2011) describes the leader in Tarde’s self-referentially emerging crowd as an affective and imitative force that does not exercise control but, rather, functions as a mediator: “Being a medium of self-organization, the figure of the strong and heroic leader is now translated into a magical and affective form of communication” (Stäheli 2011: 77). In a similar way the infrastructure within Anonymous replaces the former crowd leader with a swarm facilitator whose function is to spark imitation of a new practice or idea, as Stäheli (2011: 74) explains in relation to Tarde’s crowds. Anna Gibbs, too, refers to Tarde’s distinction between crowds and publics: she notes that media in some ways replaces crowds with publics and is now also used in the services of crowd formation (2008: 41). As shown earlier, these models do not yet take into account the materiality and the infrastructures of media itself, but they nevertheless already display one basic quality that helps to understand Anonymous and that reappears in the later theoretical models of networks and online-swarms: all of them only exist if there is circular reaction going on. A public exists only from the moment that ideas or passions distributed via the newspaper affect the readers, and likewise, the network exists only within the relations of the individuated units that interact. Plus
25 Unlike, e.g., Facebook, this type of board doesn’t earn money from its users, as they don’t register there.
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there is the parallel between the function of the leader of a Tardian crowd and the role of the networked boards online for the emergence of the swarms. But there are some crucial differences between the offline and online environments for the circular reactions. One is the varying levels of physical intensity. Despite the speed, intimacy, and multimodality of online communication, which could have physical effects, the interacting bodies do not meet. As within a Tardean public, the person could be “much more in control of his intellectual freedom than a lost individual swept up in a crowd. He can think about what he reads, in silence” (Tarde [1901] 1969: 283). In a similar way, on 4chan users can follow the movements on the screen from a distance: they can go into the kitchen to get a cup of tea and then continue to chat or only observe without posting anything themselves. With these particular qualities that urban spaces do not have, online infrastructures can allow spontaneous circular reaction and imitation, but at the same time, due to the distance between the bodies they link, they could for example reduce homogenizing tendencies that works within physical gatherings. If in an anonymous chat room the idea to create a press release, a video or an operation emerges, the more support the idea receives through users who chat in the irc channels, the more the idea gets modified by them, then this circular affection creates a collective assemblage (see also Wiedemann 2013: 13). Jane Bennett’s concept of distributive agency attributes various assemblages a spectrum of variability in terms of how they respond to similar affects (see Bennett 2010) without saying that matter is alive. This new materialist approach instead focuses on the non-linearity of transformation and emergences that can be inspired, as described before, by the affective interplay of the ideas with and within the open and chaotic architecture of the anarchical boards as well as with the sounds and images and their rhythms. Furthermore, website users can create their own infrastructures for the gatherings – new boards like 4chan, or sites where they can commonly create videos or IRC channels for discussions about anything. As within “recursive publics”, a term Christopher Kelty (2008) uses to describe communities of developers, online users “can modify the infrastructure they seek, as a public, to inhabit and extend” (ibid.: 9f.). In addition, on a board that, like 4chan, does not require identification and does not track its users, they can interact without being watched, can experiment without being sur-
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veilled.26 Unlike an urban space, a board such as 4chan has no borders and no center; people who do not know each other and neither see nor hear each other can assemble and communicate, and all the communicative acts theoretically can be equally perceived. On this sort of online playground, swarms may emerge because there is no prior agenda as to what should be posted. There can be “viral love” (Sampson 2012: 127) between communicating individuals in the sense of a circular affect that creates compassion and thus moments of the multitude. But these forms of circular reaction are not automatically facilitated by every online infrastructure, and more importantly, this powerful myth about the revolutionary forms of contagion online tends to block any perception of the new leader’s ambiguity.
N EW F ORMS
OF
C ONTROL
The specific infrastructure as constituent actant does not automatically imply that the collectivity mediated by it is decentralized, without hierarchies and potentially emancipatory. The infrastructure is not neutral; even anonymous environments online did not fall from heaven, and users and creators are not newborns. The Internet is structured by an architecture of code and protocol, by the dispositives of communication and the biopolitics of software in which the machinic and the human become entrenched and impossible to disassociate. The entanglement of cultural practices and technical infrastructure27 that constitutes Anonymous is always governed, and thus coded on two different but connected levels:28 code is the basic technological process, the set of rules and instructions that, for example, govern the permutations of
26 For an overview of the discussion on the relation of anonymous infrastructures and the notions of accountability and trust, see for example Friedman/Thomas 1999. 27 See for example Alexander Galloway’s work on protocol, on how control exists after decentralization (2004) as an analysis of power structures in the age of informatization. 28 See the call for papers of CODE – A Media, Games & Art Conference at Swinburne University of Technology, Melbourne, Australia: http://code2012.wikidot. com/call-for-papers (last access 03.03.2013).
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all the 0s and 1s that lie behind user interfaces; yet code is also the cultural framework, which is directed and interpreted socially and performatively. Besides those who are excluded due to reasons of the digital divide, hierarchies also develop within anonymous communication due to positioning and to the hegemonies within communication: some users know how to program, whereas others can speak neither in computing language nor in English; some do not dare to speak, or if they do speak they are not heard, while others know how to identify users of apparently anonymous chat rooms. The assumption that new media gives us some kind of special insight into new qualities of the collective tends to dematerialize these technologies, in the sense that it removes them from their relations from and with specific social, political and economic assemblages. Investigating the interplay of infrastructures and power structures the myth that Anonymous develops, its particular understanding of human nature and freedom, and its entanglement with network and swarm technologies must be further taken into account. The belief in the automatism of social swarming and the grassroots/democratic ‘nature’ of human technocollectives, for example, refers to cybernetic logics, to economic theories, and potentially to early neoliberal thinkers – for example, Friedrich Hayek, whose vision of spontaneous order and self-organization are in turn reflected in the principles of cybernetics. In the case of Anonymous, the infrastructures do not automatically turn the connected elements collectively stupid, as Le Bon’s crowd theory would have it. But they also do not automatically work as a productive potential, as conceptualized for the multitude. Being connected, whether in networks or in swarms, does not presume the formation of a political agenda with common goals. Thus approaches that address swarms directly as democratic tools should be carefully challenged. According to Sebastian Vehlken’s account of swarming as a cultural technique, swarms have become relevant as structures of organization and coordination, as effective optimization strategies and zoo-technological solutions for “the governmental constitution of the present itself, in which operationalized and optimized multitudes have emerged from the uncontrollable data drift of dynamic collectives” (Vehlken 2013: 127). The logic of contagion, which is linked to the mathematics of epidemics and organization theories, becomes a key tactic in commercial, security, and technologi-
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cal contexts within current forms of capitalism. The notion that spontaneous collective moods can be guided toward specific goals seems to be the latent exercising of an affective biopower over an increasingly connected population, as Tony Sampson notes (2012: 126): This governmental constitution, that is exhibited for example in viral marketing, tries to capitalize the affectability, the users capacity to affect (and to be affected), via indirect action-at-a-distance, by making them more responsive to the contagions of others, and inspiring social belief. The architecture of the internet that creates a dynamic informational space, “suitable for the spread of contagion and transversal propagation of movement (from computer viruses to ideas and affects)” (Terranova 2004: 67) can serve biopolitical and capitalist vectors, but it also integrates the potential for experimentation and becoming – for becoming collective in new ways.
C ONCLUSION If one asks about new forms of collectivity developed in and through the Internet, Anonymous – more than other collectivities before it – can present the entanglement of the operative, infrastructural, and symbolic mediators in the process of constituting collectivity. These mediators can have controlling as well as liberating potentials, coding as well as affective characteristics. Anonymous as an example of a late-modern mediated collectivity arises from collective behavior as Blumer described it, and also demonstrates qualities of Tarde’s crowds and publics, but is better understood as a living network, as a hybrid of swarm and network. Such a living network exposes new forms of mobilization, new aesthetic and political practies that have no precedent: the joint creation of texts (within infrastructures that allow any number of users from anywhere to think and write together at the same time), the spontaneous development of an agenda, the new speed and reach of mobilization, the effects of spontaneously made decisions, and the definition of targets. I would then argue in favor of further investigating the relations of the practices and technologies of a living network with specific social, political and economic assemblages. As early as the 1990s, media activism and media art were already performing political and aesthetic experiments with exactly these infrastructures between connectivity and collectivity (see Broeckmann
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2001). Yet there is an important difference in a phenomenon such as Anonymous: these earlier projects were initiated and managed by experts who were informed about the techniques, knew how to build them, and intentionally experimented with them. Anonymous, by contrast, is a phenomenon of Web 2.0, where anybody can open a chat room without being part of an academic and artistic project and without knowing what is behind the interface. Now the masses too can swarm.
A CKNOWLEDGEMENTS I would like to thank the editors of Distinktion as well as the anonymous reviewers for their very helpful comments and support. Further I would like to express my gratitude to the team around Prof. Stäheli at the University of Hamburg who worked together on conceptualizing a postgraduate program with a focus on New Collectivities: Thank you very much for all the inspiring discussions.
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Swarms, Memes and Affects A New Materialist Approach to the Infrastructure of 4chan
I NTRODUCTION From Howard Rheingold’s “Smart Mobs” in 2003 to Felix Stalder’s concept of “Digital Solidarity” in 2013, the Internet has inspired and still inspires the dream of new sorts of collectivity, of a potentially free and open space of information and communication that would emancipate and unite the people. These discourses often employ the swarm metaphor, the “ephemeral and apparently ‘grass-roots democratic’ conception of collectivity” (Vehlken 2013: 112) that suggests emergent cooperation or and solidarity and is therefore also used to point to new emancipatory politics. The notion of a solidary swarm is especially interesting with regard to present forms of governmentality: On the one hand, it stands for subversive moments within societies of control or biopolitical capitalism, as it can point to new forms of sociality that overcome logics of neoliberal competition (see Wiedemann 2014b). On the other, inspiring swarm behavior is one way of governing in neoliberal capitalism. As the notion of the online swarm and, more generally, of constituting collectivity on the Internet has these political dimensions, it is worth approaching it again from the neighborhood technologies view. This project aims, among other things, to develop a more differentiated and technologically informed notion of neighborhood concepts, including swarm intelligence, a notion that takes into account the role of media technologies. The material turn partly has a similar focus: Against the cultural studies/sociological focus on semantics and meaning and the concomitant disinterest in technology as well as affects,
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new materialist theories ask for transdisciplinary approaches that consider agency as distributed across all things – human and nonhumans.1 Referring to this perspective I begin by taking into account the role of affect circulation that consitutes the online swarm. In order to illustrate these constitutive forces I will focus on one prominent phenomenon, Anonymous; outline a special case of swarm behavior, the creation of the Lolcats; and then still employing a new materialist perspective focus on the infrastructure of the site 4chan, where these swarms are still emerging. I do not want to reduce the various (inter)disciplinary connections and diverse undertakings that are subsumed under the label material turn to a set of shared qualities. I will briefly discuss the methodological challenges that they imply and highlight some of the differences in the approaches in order to explain which approach informs my work here. The perspective focusing on the relations of online architectures and their affective potential will then allow to grasp the processes of mediation within which circular reactions create a new collectivity such as the online swarm. In the end I aim to outline to what extent understanding affective infrastructures can help to grasp online swarming in its diverse manifestations and thus might help to distinguish between swarms as for example parts of marketing strategies or swarms that rather work as subversive elements within current forms of capitalism.
U TOPIAN V ISIONS
AND
C ONSCIOUS S WARMS
Utopian visions accompanied the development of the Internet from its beginning, especially in the euphorically speculative period of the 1990s, when the Internet only started to become a part of everyday life (see for example Rheingold 1993; Turkle 1995). The ideas of emancipation through new forms of collaboration online were taken up at the beginning of the 21st century, when the Internet was redefined as Web 2.0. In concepts of
1
In recent years new materialism more and more pushes back the transcendental, humanist and thus dualist traditions that still shaped cultural theory, as Rick Dolphijn and Iris van der Tuin write. They euphorically claim that for the first time this approach, the neo-materialist, is “getting the attention it needs, freeing itself from the Platonist, Christian, and Modernist rule under which it suffered for so long” (Dolphijn/van der Tuin 2012: 94f.).
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social media involving participation, grassroots democracy, free access for all, and nonhierarchical communities, an instrumental understanding of the media again either reduces technology to the provision of secondary technical tools or completely dismisses it (see Otto/Schramm 2012). Isabell Otto and her colleagues assume that in the current media culture the notion of “networking in order to form intelligent collectives or a hierarchy-free ‘power of the many’” within online swarms is still widely accepted.2 The instrumental understanding of media infrastructures on which these approaches often rest is tied to notions of subjectivity and sovereignty that allow for an idea of emancipation in the enlightened sense. For example, Felix Stalder (2013: 41) describes the “contemporary swarm” as “a coordinated mass of autonomous, self-conscious individuals”, “a self-directed, conscious actor, not a manipulated unconscious one,” as opposed to unconscious manipulated crowds. This theoretical opposition expresses a notion of sovereignty and conscience (in the Marxist sense) that is not shared by (post)structuralist or neo-materialist approaches, some of which employ the swarm metaphor but in a complete different way. Eugene Thacker, for example, in his article on “networks, swarms, multitudes”, focuses on examples of mutations in the contemporary body politic and develops a notion of the swarm that is part of a concept far beyond old paradigms of intentional subjects (see Thacker 2004). Similarly, Jussi Parikka (2008) thinks “insects are the privileged case study” for technologically and politically new ways of organization where the many preexist the one, where animal packs function without heads (without one specific reason or leader); insect swarms thus “suggest logics of life that would seem uncanny if thought from the traditional subject/object point of view” (115). Proceeding from Thacker’s definition of the swarm, affects become a central element, as opposed to the stance of conscious sovereignty in the utopian views of Internet collaboration.
2
Isabell Otto and Samantha Schramm stress that this is particularly remarkable in view of a culture-historical tradition in which swarms are imagined as diffuse enemies that are uncontrollable or employed by natural sciences to describe societies.
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S WARMS
AND
C IRCULAR A FFECTION : L OLCATS
Like Stalder (2013: 41), Thacker (2004) describes the swarm as decentralized, self-organizing, and spontaneous. According to both of them, a swarm is by definition a directional force that is without centralized control but works as a collectivity because it has a spontaneous purpose. But while for Stalder the central force that creates the swarm comprises individual conscious actors, for Thacker the spontaneous purpose of the swarm cannot be traced to any of the individuated units of the swarm, only to their circular affection. The concept of affect, derived from Spinoza, does not imply any notion of intention or conscience or the reason and motivations of individual actors; as a prepersonal phenomenon it is opposed to feeling and emotion. I join a great number of affect scholars by moving away from both in the definition I employ here and instead delineating affect as the “nonlinear complexity out of which the narration of conscious states such as emotion are subtracted, but also ... ‘a never-to-be-autonomic remainder’” (Massumi 2002: 30). This new materialist approach conceptualizes affect as belonging to the bodily sphere, as a phenomenon involving (human and nonhuman) bodies that can interrupt and irritate discursive patterns but, importantly, is not an asocial phenomenon (see Pieper/Wiedemann 2014: 66-78), a point that will be further elaborated. Within this Spinozian perspective, affections between human and nonhuman bodies or materialities emerge and operate beyond human perception. Affect, as Eva Horn (2009: 17) explains in her reflection on the swarm, points to the fact that a body is touched by another and mobilized, and this mobilization continues en masse. Focusing on one example, Anonymous (the example that Stalder [2013: 41] also chooses), and one specific case, the creation of the Lolcats meme, exemplifies how the concept of affect can help to explain digital swarming. Within the creation of the Lolcats, Anonymous corresponds to the basic definition of swarms (directional force without centralized control, more than the sum of its parts).3 People who were part of these spontaneous, un-
3
Anonymous in general cannot be classified as a swarm; rather, it functions as a “living network,” to use a term first employed by Thacker, see also Wiedemann 2014a. But in order to illustrate the concept of an online swarm and to concretize the role of circular affection single actions/moments that are attributed to
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planned cat postings, Lolcats, on the online board 4chan explain what happened: they were hanging out on 4chan, had nothing to do, and then somehow got excited by how other users were starting to post cat pictures and still other users were adding sentences to these cat pictures, and without knowing what exactly was going on, they just posted cat pictures as well and spontaneously felt part of a community through their common action. More and more users copied the cat pictures or uploaded new ones, and others commented and called these pictures Lolcats. Within a few hours, there were hundreds of Lolcats on 4chan, and these pictures then spread to the whole Internet. There is already some academic research on Lolcats that qualifies the phenomenon as a meme, even as the most popular Internet meme.4 The common definition of a meme does not include the term “swarm,” but based on Thacker’s notion of the latter, the swarm can be conceived as the sort of collective that creates the meme. That is, within the emergence of the meme a swarm is at work, and the output of this swarm or these swarms is the meme; in the case of the Lolcats phenomenon, the meme are the cat pictures superimposed with various statements and slogans that then go viral. They only emerged in the interaction of diverse actors on 4chan who did not know each other or realize what the output would be, who did not even intend to create something. Within the interaction on 4chan the single actors become part of something bigger that they can’t perceive during its development. That is where processes of affection are occurring. The
Anonymous are a quite suitable example for the swarm phenomenon – like the LOLcats. 4
The phenomenon of LOLcats and the discussion of memes are interrelated. Most people turn to Lolcats in order to explain internet memes, see Miltner 2011. Thus memes are defined as digital images, often overlaid with text, animations and sometimes memetic hubs of videos that emerge in a grass-roots manner through networked media and acquire a viral character by spilling over from their ‘birth place’ into diverse online channels and to other forms of media and thus becoming globally popular. A video that goes viral is not automatically a meme as a meme does not emerge unless people contribute by modifying it, responding to it, and enacting it. This definition by Olga Goriunova refers to the self-reflection of meme culture that platforms as Knowyourmeme have developed by conducting crowd-sourced research into memes, see Goriunova 2013.
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“something bigger” is perceivable only after these processes have taken place. The Lolcats became the Lolcats when people started to reflect on what had happened and to speak about the output: they then gave this phenomenon the name “Lolcats” and later identified it as a meme. It was only in the nonintended, unregulated, and ungoverned interaction of the users based on processes of affection that the swarm (directed force without centralized control, more than the sum of its parts) and then the meme emerged. In contrast to forms of suggestion and imitation from body to body, as described in crowd and collective-behavior theory,5 in the case of the
Lolcats the affective processes do not produce contagious forces but raise the potential of the affected bodies to act and thus are a creative force that has a modifying effect. Furthermore, the affectivel inspired interactions have to be situated in relation to a specific online site.Thus in order to understand these processes and to approach the constitution of the digital swarm, the challenge is to understand the specific qualities of the media infrastructure of 4chan, the “meme-factory” as its founder calls it (see Poole 2009). In contrast to 4chan, other social networking sites – the most frequented of which is Facebook – are also used to spread information, pictures, videos or articles, but no such phenomenon as the Lolcats ever developed there. In order to understand the specific quality of 4chan that inspires the emergence of swarms and memes, I want to analyze it with a new materialist approach that aims to overcome an anthropocentric perspective and to account for the complexity of neighborhood technologies.
N EW M ATERIALISM AND I NFRASTRUCTURE – FROM T HEORY TO M ETHODOLOGY Within the new theoretical movement that affirms the vibrant dynamics and unique capacities of nonhumans, there are strong differences that are expressed in different labels: new materialism, speculative materialism, object-oriented ontology, and actor-network theory. Nevertheless, the common thread linking these approaches justifies our talk about a turn: All of
5
For an overview of these theories see: Borch 2012.
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the theorists behind the material turn or speculative turn “have certainly rejected the traditional focus on textual critique […] [and] all of them, in one way or another, have begun speculating once more about the nature of reality independently of thought and of humans more generally,” as the introduction to The Speculative Turn: Continental Materialism and Realism states (Bryant et al. 2011: 3). According to this passage, taking into account the agency of nonhuman beings raises the question of access to reality and thus opens an epistemological discussion – and a methodological question. If this is a turn toward “dynamic human and non-human materialities which acquire shapes, operate and differentiate also beyond human perception and discursive representational systems” (Parikka 2010), then how does one do research from this perspective? How can I approach the infrastructure? Informed by postmodern approaches and theories after the “crisis of representation,” I would concentrate on the discursive level and deconstruct the representations. But can I also approach the infrastructure more directly? The strands of speculative realism and object-oriented ontology have strongly discussed correlationism, “the idea according to which we only ever have access to the correlation between thinking and being, and never to either term considered apart from the other” (Meillassoux 2008: 5). These strands also assume that anti-representationalist and deconstructivist theories kept correlationism, as the latter would imply a real “out there” that our representations do not meet. In opposition to these postmodern approaches, Meillassoux, one of the most prominent figures associated with speculative realism, tries to find ways to surpass the limits of what we take to be the human standpoint – i.e., finitude – and claims that this takes place through mathematics (see Dolphijn/van der Tuin 2012: 177). Even though the aim of neighborhood technologies is – as outlined in the introduction to this book – to create a transdisciplinary discussion between mathematics and media and cultural studies, I will not try to follow Meillasoux’s approach. Neither will I continue to deepen the epistemological discussion on accessing reality. Even these limits align with Meillasoux’s approach, though, for he is not concerned about showing that objects are real; rather, he is interested in accessing the material world we are involved in (and thus tends to reject the label “speculative realism” in favor of “speculative materialism”). Similar Alex Reid (2013) referring to Bruno Latour points out: “Once we do away with the modernist’s real world, the modernist-correlationist
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concern of not being able to access it doesn’t make much sense.” Taking up the viewpoint of Reid and Latour, I do not aim to confront antirepresentationalism and new materialism; rather, I want to broaden the poststructuralist background through theories of new materialism that are not in contradiction to anti-representationalism. This includes all of the approaches inspired by Gilles Deleuze and Félix Guattari and their precursors. New materialist methodology can thus focus on relations that surround us, that have material effects that can be traced within human perception, that affect the world I as a researcher encounter, rather than wondering whether it is possible to approach preexisting matter. Nevertheless, the new materialist methodology that I suggest means not “to get away from facts but closer to them, not fighting empiricism but, on the contrary, renewing empiricism” by adding reality to matters of fact, by creating new concepts around the “matters of concern” (Latour 2003: 231). Latour’s concept of mediators might be conceived as such an addition: in his theory, “mediators” are all the things that mediate within the sociotechnical world, that “transform, translate, distort, and modify the meaning or the elements they are supposed to carry” (Latour 2005: 39). Because mediators can be analytically conceived as the “things” or “gatherings” (ibid.: 157) (I will come back to this point later) that can transform connectivity into collectivity, they help to approach the role of the infrastructure in the process of swarm constitution and therefore might help us understand the subject of this article: the online swarm and its products, memes. Given that the concept of mediators implies the processes of mediation between persons, artifacts, and symbols, it already points to the model of “occurent relations” within which mediators emerge and work. But much more than Latour, Deleuzian-inspired thinkers, such as Massumi (2009) stress the concept of relationality. And the latter cannot be conceived without a notion of affect. As described above, the concept of affect can be helpful in explaining the formation of a swarm that creates a meme like the Lolcats. While the concept of the mediators seems important to approach the infrastructural elements at work during the creation of an online swarm, complementing this approach with a notion of affect allows to concentrate more on the relations and thus to focus on what happens within the processes of mediation. “Affects operate in the mode of connectivity, they circulate, create dynamics, produce subjectivity and mobility. They operate as – vivid and dynamic – immanent force” (Pieper et al. 2011: 230).
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Such a focus on the dynamic and constitutive relations between bodies or objects, between diverse materialities like suggested by Massumi, means taking into account bodies, both human and nonhuman, not as a priori, as something already given, but as being constituted within these processes of circular affection. This assumes a perpetual actualization of the world that stems from connectivity across human and nonhuman, material, and semiotic elements and their “open series of capacities or potencies” (Coole/Frost 2010: 10). New materialist approaches that stress the constitutive role of circular affection and relation can conceptually and analytically reclaim the fundamental reality-making role of materialities without attributing to them a self-contained identity or ontological primacy that would determine other materialities or bodies (see Tianen 2013). In the following I will therefore try to approach the elements of the Internet infrastructure as potential mediators in the process of constituting collectivity like the online swarm. First I will briefly describe the interface of 4chan and the options for its use, the frameworks for action within which the “abstractions of algorithmic measures” return to organic bodies, and then I will try to grasp their “affective dimension” (Parikka 2010). In order to understand the abstractions of 4chan, what it does and how its use is structured, I have visited it and have also tried to use it regularly since the beginning of 2009.6
4 CHAN
AND I TS
F RAMEWORK
FOR
A CTION
Compared to studies on Facebook and other Web 2.0 sites, there are relatively few works that study 4chan.7 That seems surprising, as 4chan attracts around 18 million unique monthly visitors and generates 1 million posts per day (see Simcoe 2012: 2); it is also the birthplace of most of the popular Internet memes and of Anonymous, the phenomenon that grew from 4chan to a globally active hacktivist collective. But visiting 4chan is disturbing: the content – especially on the /b/ board, the most active section – is often very
6
I responded to some posts and participated in the conversations.
7
Some of the research on 4chan concentrates on the topic of anonymity and ephemerality which is possibly facilitating the creation of memes and important references for my analyses, i.e. Knuttila 2011; Herwig 2011; Coleman 2012.
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sexist, racist, and homophobic, and even child pornographical.8 I will not elaborate on these aspects further; rather, I will first concentrate on the “framework for action.” The main difference between 4chan and other web 2.0 sites is that it does not require usernames or passwords, does not archive content or track users. The site and its information architecture is copied from available forum software; it is composed of boards, threads, and posts. Each board is themed (e.g., /v/ is “Video Games”), and the posts within the boards are classified into threads. Posts starting a thread have to include an image, while images on replies are optional. As there is no registration and no login necessary to start posting, from a technical point of view accessing the site and participating seems as easy as it can be.9 While other Web 2.0 sites pull out all possible information from profile entry fields and postings in order to create data-based representations of the individual users (the individual’s social graph) and of the constant communications (the individual’s timeline, activity stream) in order to understand the relations between users (social graphs), on 4chan users do not leave any of this sort of (see Herwig 2011: 52). In 4chan’s communication options this element is even taken a step further. Unlike on other sites, where being anonymous usually means not registering under your real name or identity but creating a pseudonym and sometimes also an account with this pseudonym, on 4chan there are no accounts; all information is entered on a per-post basis. Furthermore, creating a nickname does not guarantee uniqueness, as the same nickname it is not blocked for other users: if a user claims a pseudonym, any other user can claim it themselves in any following post. And if the user therefore does not create any nickname, 4chan automatically gives him or her the name anonymous. And if all users are represented as anonymous, of course, no-
8
In a sample post from 4chan’s /b/ board that Luke Simcoe cites this is described more precisely: “This isn’t a family-friendly site. You’ll see lots of nigger dicks, girls with electronic gadgets in their asses, who look 13, racism, sexism, retards, faggots, heads split open, dead cats, and TONS of shit you won’t understand... oh and here’s a video of a guy being murdered with a hammer” (see Simcoe 2012: 8).
9
But it is not only the technical codes that could exclude some people but also cultural codes that have been established on 4chan, see Wiedemann 2014b.
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body knows who has been talking. Furthermore, because of the structure and design of the postings, one cannot tell how many users are answering to one another in a thread. Instead of user IDs, a unique identifier is attached sequentially to every post on the board, which allows users to reply to a given post and create a chronology of posts. Thus as Jana Herwig points out, users respond not to other users but to opinions and imagery (see ibid.). The users are not just affected by the ideas, however; the interplay of ideas with and within this kind of infrastructure is different from other Web 2.0 sites not only in allowing anonymity but also in offering ephemerality and a specific sort of contingency. Unlike any other social networking site, 4chan has no memory. All postings that do not generate responses will automatically move down the queue and will eventually be deleted. Therefore only the posts that gather enough users are repeated and stay on top of the sites (that the boards are organized in and thus can attract more and more attention within a few seconds. In the article “4chan and /b/: An Analysis of Anonymity and Ephemerality in a Large Online Community,” MIT researchers collected data for two weeks, compiling 576,096 posts in 482,559 threads (Bernstein et al. 2011). They found that the median thread spends just five seconds on /b/’s first page before being pushed off by newer posts and that the median thread expires completely within five minutes (ibid.: 56). The dynamics on 4chan are further strengthened by the fact that statistically very few users view the same page at the same time, since the site does not update in real time (users must reload to see something new). The combination of these structural elements and 4chan’s ephemerality and anonymity engenders contingency. Knuttila points out that 4chan memes are a “reaction to, and embodiment of, contingency” (Knuttila 2011). The same is true for the swarm emerging on 4chan: on the one hand, the swarm exists as a collective within the creation of the meme, thus within the circulation based on circular affection and thus on constant modification. Therefore it stands simultaneously against and for ephemerality, anonymity, and contingency: the emergence of a swarm on 4chan is “neither necessary, nor impossible,” because “the anonymous interface creates infinite possible interactions” (ibid.).
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A FFECTS , C ONTINGENCY ,
AND
R ELATIONAL E VENTS
Having approached the infrastructure as a framework, I will now try to grasp the affective dimension and thus concentrate on what happens between the frames and the bodies on 4chan – between the things, the emergences, that also partly constitute the frameworks. The emphasis on contingency on 4chan (the notion that swarms could emerge as if they were completely accidental) recalls Massumi’s emphasis on the term “relational event”. Massumi (2009: 2) considers “relation” the first key term for defining the notion of affect. As for “event” – as in, “It’s all about event” – it describes the occurrent relation that encompasses affect, and thus in his words the “relational event will play out differently every time. […] The region of occurrent relation is a point of potentiation. It is where things begin anew”. This understanding of affect could indicate that the affective processes are completely contingent. But this interpretation would be too simplistic and would not fulfill the concept’s theoretical value. When Massumi introduces “tendency” (ibid.: 3) as the second key term for understanding affect, it becomes obvious that this concept is neither asocial nor ahistoric. Applying it means taking into account “presuppositions” (ibid.) and considering the tendencies of the bodies activated via the affect. On 4chan as in any other sphere that is created and used/inhabited by social beings, there are presuppositions. The bodies interacting on 4chan have a past; the bodies have tendencies as to what extent they are activated through processes of affection. Herwig (2011: 50), who has also studied the content of the postings on 4chan, has proved that there are specific codes establishing unspoken rules as to which posts attract attention. But the concept of affect allows us to consider a precise “activation not only of the body, but of the body’s tendencies” (Massumi 2009: 3). And that is what happens on 4chan: again and again memes have emerged that were not predictable in their specific actualization. “Presuppositions” are not determining/determinative, and that is exactly because there are affects at work. Applying a concept of affect opens up the perspective on “the world stirring” (ibid.: 4), the continuous processes of subject constitution within a crowded and heterogeneous field of “budding relation” (ibid.). The strong ephemerality and the specific contingency on 4chan are important for understanding the affective dimension of the board, as they affect the dynamics as well as the content of the postings, which
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again is important for the processes of circular affection. The knowledge that posts/threads that don’t attract attention disappear so quickly might inspire users to (a) start threads with explosive, irritating posts, or pictures or statements that interrupt the stream, (b) modify their threads if they get deleted too quickly and start experimenting with diverse threads, excited by observing how other users react to them, wondering which one survives more than a few seconds, and (c) start as many threads as possible as quickly as possible in order to increase the chance that one post stays on the site at least a little while. All of these three dynamics facilitate processes of circular affection. Furthermore, the fact that there is no automated update in real time by the site itself means that the user replying to a post within a thread, or typing or uploading a picture, will not yet be able to see whether many other users have already replied to the same post and whether his or her reaction could be outdated. This structural condition also accelerates the interactions and thus the frequency of “micro-shocks”. Affections are inspired by “micro-shocks,” as Massumi, claims – by little interruptions that are in every shift of attention, “for example a change in focus, or a rustle at the periphery of vision that draws the gaze toward it” (ibid.). These shocks can pass unnoticed; they are felt but are not registered consciously. They are registered only in their effects. If 4chan users continuously click the update bottom and always see new content appearing on the site, there are permanent micro-shocks at work. Their bodies are in motion, scrolling and saving images to their hard drives, intertwining them back into circulation, creating new symbols and forms. And within these micro-shocks, within these affective processes, relations between the users develop. According to Massumi subjects emerge within the occurrent relations that are based on reciprocal affects (ibid.: 3). The 4chan user becomes a subject as part of the collective, and the collective itself emerges as subject, as a swarm, and the meme is another emergent subject in these processes of subject constitution that a board like 4chan inspires. But in addition, this board too, which functions as a network as it connects diverse actors, is nothing beyond these permanently occurring relations. If there are no users interacting, then there is no network. 4chan as a network only emerges in the relation, in the affective processes (see Wiedemann 2014a). The specific anonymity of 4chan lowers the restraints that could control the reactions to the affects. Users are not assumed to represent “them-
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selves,” as they are on other social media sites, but can interact without being watched, can experiment without being surveilled.10 The experimental frame is strengthened through the nearly inevitable ephemerality of all interactions, of all the existing relations. Herwig regards 4chan as a laboratory “where body-subjects collectively explore meaning”, as a dance that “transgress(es) the borders between mind and matter, media and body, information and perception, which the dominant discourse has so meticulously established” (Herwig 2011: 52). 4chan recalls Erin Manning’s and Brian Massumi’s experiments in the Sense Lab in Montreal, The SenseLab which is based in Montreal, is a “laboratory for thought in motion” where “punctual research-creation events supplemented by ongoing, year-round activities” are organized (see http://senselab.ca/wp2/). The Sense Lab creates space for encounters that are not meant to produce sense but are instead playful – encounters of bodies that bump into each other without any meaning (see Massumi 2009: 1315). On 4chan the movements on the screen are not directly perceivable as gestures by bodies; rather, they are movements of letters, images, text – of instruments that one would actually assign to the sphere of representation. But on a site like 4chan they leave the representational frame – they are not archived, they become ephemeral – and thus text on 4chan becomes movement; meaning becomes fluid, images evaporate like gestures. ! With the Senselab in Montreal Massumi and Manning want to create “enabling constraints” – they design constraints “that are meant to create specific conditions for creative interaction where something is set to happen, but there is no preconceived notion of exactly what the outcome will be or should be.” There is “no deliverable. All process.” (ibid.: 15) Similarly, on 4chan there is no prior agenda as to what should be posted. In addition, such an online board, unlike an urban space, has no borders and no center, thus there is theoretically an even higher chance for heterogeneous encounters, as people who do not know each other and neither see nor hear each other can assemble and communicate, and all the communicative acts theoretically can be equally perceived. On this online playground the fluid-
10 For an overview of the discussion on the relation of anonymous infrastructures and the notions of accountability and trust, see for example Friedman/Thomas 1999.
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ity of representations and the impossibility of individual accounts facilitate the formation of digital swarms, of swarm creativity.
4 CHAN AS A GENCEMENT ( AND T HERE A RE M ANY Q UESTIONS L EFT ) There are three endeavors left that a further new materialist investigation of the infrastructures could take up: (a) to analyze the infrastructure as a “gathering,” as Bruno Latour (2003: 233) suggests, which for example means to further investigate how this infrastructure is produced; (b) to situate it in a broader context in order to understand its integration into power structures and hegemonic discourses; (c) to figure out how to reconfigure a notion of emancipation or rather subversion within this current situation with regard to the previous analyses. These three would include further mapping the field in which this infrastructure emerges, I will just outline some thoughts. Understanding 4chan as a gathering (a) involves pointing to additional materialist questions. That means also asking old materialist questions, in tradition of historical materialism. Even if we do not follow a Marxist notion of conscience, within biopolitical capitalism questions of ownership and exploitation are still relevant; in the entanglement of hard- and software there are various materialities at work, from practices of labor to production chains and onto the chemicals and components that comprise the technology (see Parikka 2013). Beyond these broader geopolitical and ecological issues, still focusing 4chan on the software level there are also further materialist questions at hand – after some directly available information: The site belongs to 4chan’s founder, Christopher Poole; it is not nonprofit but needs advertisement. There are moderators who are instructed by Poole, and these moderators can delete content. The infrastructure is static; the users cannot modify it. There is no open code. Examples of further questions would include: Is there any relation of the advertisement and the memes? Which content gets deleted? How do you become a moderator? Given that 4chan – and, likewise, the swarms and memes that emerge on it – would not exist if the board wasn’t used and that this kind of living network is constituted again and again by people posting on it, the broad acceptance and popularity of such a site has to be contextualized as well.
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With which specific social, political, and economic assemblages are both these technologies and techniques of swarming interrelated (b)? According to Sebastian Vehlken’s (2013: 127) account of swarming as a cultural technique, swarms have become relevant as structures of organization and coordination, as effective optimization strategies and zootechnological solutions for “the governmental constitution of the present itself, in which operationalized and optimized multitudes have emerged from the uncontrollable data drift of dynamic collectives”. The logic of contagion, which is linked to the mathematics of epidemics and organization theories, becomes a key tactic in commercial, security, and technological contexts within current forms of capitalism. The notion that spontaneous collective moods can be guided toward specific goals seems to be the latent exercising of an affective biopower over an increasingly connected population, as Tony Sampson (2012: 126) notes. This governmental constitution, which is exhibited, for example, in viral marketing, tries to capitalize on affectability, or the users’ capacity to affect (and to be affected). An infrastructure like 4chan, which creates a dynamic informational space “suitable for the spread of contagion and transversal propagation of movement (from computer viruses to ideas and affects)” (Terranova 2004: 67), can serve biopolitical and capitalist vectors, but –as I have tried to show- also opens up a space for encounters that are not completely controllable and not exploitable neither (c). If current forms of biopolitical capitalism govern via computed evaluation and prediction in order to capitalize each aspect of life, then unpredictable and non-exploitable emergences as well as anonymous cooperation beyond individual pursuits of profit have indeed subversive potential. An infrastructure like 4chan enables practices of sharing or collaboration that are beyond any system of recognition – nobody knows who attributed what – the infrastructure enables spontaneous common creations. Affect circulation and swarm formation on 4chan may not automatically inspire nor involve the formation of a political agenda with common goals which would indicate “a culture of digital solidarity,” (Stalder 2013: 14) but such an infrastructure offers the potential for experimentation and experiences of creative interaction, for becoming collective in new ways.
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Kritische Kollektivität im Netz Diskussion und Konklusion
E INFÜHRENDE W ORTE Am Beispiel von Anonymous lässt sich, wie gezeigt, Subversion unter den Bedingungen der Informatisierung als Konstitution von Kollektivität jenseits von Identitätslogiken beschreiben, von Kollektivität, die sich aus heterogenen Materialitäten zusammensetzt. Der Titel dieses Buches Kritische Kollektivität im Netz verweist auf jenes Modell der Subversion, für das Anonymous exemplarisch steht, das sich in den Aufsätzen über verschiedene Perspektiven auf und Diskussionen des Phänomens entwickeln ließ und das ich in dieser Konklusion präzisieren werde, um zu zeigen, wofür die generierten theoretischen Erkenntnisse auch jenseits des Phänomens Anonymous relevant sind. Dabei werde ich das Konzept der Dissidenz bzw. Subversion noch einmal explizieren, das vor dem Hintergrund des hier fokussierten Dispositivs eng geknüpft ist an den Affektbegriff. Mit ihm ließ sich jene Mischung aus Kraft und Prozess in den Blick nehmen, die erstens Kollektivität im Sinne komplexer Verbindungen heterogener Elemente und zweitens Transformation und Ereignis schaffen kann, also das, was ich als ‚kritisch‘ eingeordnet habe. Wie in der Einleitung beschrieben, referiert die Wahl des Begriffs ‚kritisch‘ auf die Frage nach der Kritik im Anschluss an Michel Foucault, die ich dort bereits als richtungsweisend für diesen Band dargelegt habe. Damit wird gefragt, was als subversiv gelten kann im Rahmen einer bestimmten theoretischen Perspektive, nämlich der machttheoretischen Perspektive
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Foucaults und deren Weiterführung in neomaterialistischen Theorien und damit also in Bezug auf ein bestimmtes Dispositiv, das sich im Sinne Foucaults zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt in einem bestimmten Bereich analysieren lässt. Als subversiv habe ich also bestimmt, was sich jeweils in Bezug auf ein bestimmtes Dispositiv als widerständig ausmachen lässt. Wie ebenfalls bereits in der Einleitung dargelegt, eignet sich für diese Untersuchung eine agencementanalytische Perspektive, die jeweils das Wirken der Dispositive berücksichtigt und gleichzeitig aufmerksam macht für Momente und Dynamiken der Transformativität, die sich auf die Kraft der Affekte bzw. Prozesse wechselseitiger Affizierung zurückführen lassen – und diese Kräfte, ähnlich wie es schon eine Dispositivanalyse nach Foucault nahelegt, nicht nur auf humane Körper zurückführt. Von jenem letzten Aspekt ausgehend, werde ich zunächst erneut das Konzept des Agencements nach Gilles Deleuze und Félix Guattari erläutern, um daraus die Bedeutung des Affektbegriffs für ein Konzept von Dissidenz in Bezug auf das bereits beschriebene Dispositiv zu entwickeln. Dafür werde ich, genauer als es in den kompakten Aufsätzen möglich war, ausführen, was in einer deleuzianisch-spinozistischen Lesart unter Affekt zu verstehen ist. Unweigerlich erläutert diese Ausführung nicht nur den Bezug des Affekt-Begriffs zum Konzept von Subversion, sondern auch zur Frage nach Kollektivität, und somit nach kritischer Kollektivität, wobei zuletzt deren Zusammenhang einer Vorstellung des ‚Gemeinsamen‘ erläutert wird, wie in den Aufsätzen zum Teil schon skizziert.
A GENCEMENT UND A FFIZIERUNG – U NTERSCHIEDE ZU I NTRAAKTION Ich habe in diesem Band die Frage nach Formen von Subversion und damit zusammenhängender Assoziierung in Zeiten der Informatisierung unter Berücksichtigung der wechselseitigen Konstitutionsbewegung von Macht- und Medientechniken gestellt und somit etwa die Verwobenheit digitaler Technologie, zum Beispiel so genannter Social Media in gegenwärtige Dispositive reflektiert. Diese Frage stellte sich damit aber nicht nur als eine nach ‚Kritischer Kollektivität‘ in Bezug auf jene Machttechniken, die in einem wechselseitigen Konstitutionsverhältnis mit Digitalisierungsprozessen ste-
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hen, sondern auch nach ‚Kritischer Kollektivität im Netz‘, also innerhalb und in Verbindung mit digitalen Infrastrukturen. Die Untersuchung von Formen der Subversion, die sich im Zusammenspiel mit den beweglichen Netzstrukturen entwickeln, legte die Auseinandersetzung mit den Ansätzen des Neomaterialismus nahe, gerade mit jenen, die mediale Infrastrukturen fokussieren.1 Im vierten und fünften Aufsatz habe ich mit Referenz auf Bruno Latour den Begriff ‚Mediator‘ für einzelne infrastrukturelle Elemente verwendet oder gar die ganze Infrastruktur einer Plattform als Mediator bezeichnet, womit ihr Potential gefasst wird, Prozesse einer Transformation auszulösen.2 Mit dem Konzept der Mediation werden alle Körper, alle Diesheiten, und so auch infrastrukturelle Elemente, potentiell als Mediatoren konzeptualisierbar, die wechselseitig aufeinander einwirken. Mediatoren sind damit nicht nur Vermittler, Überträger von etwas, wie es im Fall des SenderEmpfänger Modells konzipiert wäre. Mediation ist ein Prozess, der etwas verändert, der einen transformativen Effekt hat. Bereits bei Deleuze (und Guattari) ist diese Perspektive angelegt. So bringt Deleuze mit seinem Konzept der Verkettung, des Agencements „ein Konzept des Handelns ins Spiel, das nicht länger auf das beschränkt ist, was Menschen ‚intentional‘ oder ‚mit Sinne‘ [Herv.i.O.] tun, so dass greifbar wird, dass auch Dinge, sofern sie eine gegebene Situation verändern und ihre Existenz einen Unterschied macht, Akteursqualität oder Handlungsmacht gewinnen können“ (Balke/Rölli 2011: 15). Die In-FrageStelllung ontologisch und klassifikatorisch begründeter Grenzziehungen zwischen Mensch, Tier und Technik ist der Ausgangspunkt der meisten neomaterialistischen Ansätze und wurde gerade von der Latourschen Akteur-Netzwerktheorie für die Sozialwissenschaften stark gemacht.3 Dem-
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Während der Strukturbegriff hauptsächlich dafür verwendet wird, Determinierung zu analysieren (vgl. Reckwitz 1997), widmet sich die Debatte um mediale Infrastrukturen, wie ich es in meinen Artikeln mit Referenz zum Beispiel auf Tony Sampson (2012) oder Tiziana Terranova (2004) zeige, auch deren Flexibilität, deren freisetzenden Effekten und damit ihrer Ambivalenz in Zeiten der Informatisierung.
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Siehe Einleitung FN 19 und 20.
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So findet auch Nick J. Fox (2015: 305): Um einen neomaterialistischen Rahmen für die soziologische Analyse von Affekt zu etablieren, müssten erst grundle-
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nach geht es heute gerade bei der Akteur-Netzwerk-Theorie, so Balke und Rölli, um das, was Deleuze und Guattari bereits angeregt hatten: „die auf Sinnkommunikation oder Informationsübertragung geschrumpfte Bedeutung von ‚sozial‘ [Herv.i.O.] dadurch rückgängig zu machen, dass jede Vorabfestlegung zurückgewiesen wird, welche basalen Elemente […] die Gesellschaft konstituieren.“ (Ebd.: 16)4 Jedoch unterscheiden sich manche jener Ansätze, die scheinbar in einer direkten Linie zu Deleuze stehen, doch in grundlegenden Punkten von seiner Ontologie. Rölli und Balke weisen etwa darauf hin, dass Latour in seiner ANT entgegen Deleuze’ Ansinnen allein die Ebene der Deterritorialisierung fokussiert und damit die Ebene der Dispositive ausklammert (ebd.: 18) (wodurch Deterritorialisierung aber auch alles Dissidente verliert). Diese Unterschiede habe ich in den Aufsätzen nicht weiter ausgeführt. Gerade jene zwischen Karen Barad, die ich bereits als eine der prominentesten Vertreter_innen des Neomaterialismus vorgestellt habe, und Gilles Deleuze sind jedoch relevant, um den Deleuzianischen Affekt-Begriff und seine Bedeutung für ein Konzept von Dissidenz präziser zu fassen. Barads Phänomen-Konzept erwies sich vor allem für meine methodologischen
gende Deleuzianische Konzepte geklärt werden. Dadurch würde sich mehr ergeben als nur ein neues Vokabular für eine konventionelle soziologische Landschaft. Vielmehr würden die Konzepte Assemblage bzw. eben Agencement, Affekt und Territorialisierung ontologische Konzepte von Agency, Struktur, Ursache und Wirkung, System und soziale Organisation ersetzen. Diese Divergenz reflektiere einen Perspektivwechsel: Statt soziale Interaktionen zwischen aktiven, sinnstiftenden menschlichen Akteuren zu untersuchen gehe es mit Deleuze in der Soziologie darum, präindividuelle Affektströme in Agencements von menschlichen und nicht-menschlichen Elementen zu mappen, also zu kartographieren. 4
Balke und Rölli kritisieren, dass in der ANT allerdings genau jene Ebene der Reterritorialisierung, die Deleuze und Guattari als gleichermaßen konstitutiv für Agencements herausarbeiten, vernachlässigen würde: Die Konzentration auf die Deterritorialisierungsdynamiken der Verkettungen, „verkürzt die Problematik der Funktionsweise von Assoziationen und Gefügen um die Analyse von Codes und Aussagen, deren Funktion darin besteht, die Akteure am Handeln zu hindern bzw. sie die Handlungsohnmacht (Herv. i. O.) und den Zwang, dem sie unterliegen, spüren zu lassen“ (ebd.: 18).
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Fragen als fruchtbar, doch schließt es in entscheidenen Punkten nicht an Deleuze an. Obwohl die Ansätze von Deleuze und Barad zunächst durchaus kompatibel scheinen – weshalb sie wohl auch so häufig ohne eine Erwähnung der Differenzen kombiniert werden: Mit der grundlegenden Annahme von Intraaktionen konzipiert Barad eine permanente Bewegtheit, die an den von Deleuze (und Guattari) vorgeschlagenen reziproken Vorgang von Reterritorialisierung und Deterritorialisierung erinnert (auch mich bereits in der Einleitung). Und so werden Barads und Deleuze’ Ontologien miteinander in Verbindung gebracht, wenn etwa Intraaktionen als die Bewegungen in Agencements beschrieben (u.a. Garoian 2016; Macarthur 2016) oder einander wechselseitig ausschließende Schnitte, die bei Barad in permanenten Intraaktionen materiell-semiotische Phänomene konstituieren, mit Deleuze’ Konzept von Differenzierung (im Sinne von Aktualisierung, worauf später eingegangen wird) verglichen werden (Olkowski 2009: 57). Dass in Barads Ansatz wie in vielen anderen jüngeren Entwicklungen auf dem Gebiet der Medien-, Kultur- und Sozialwissenschaften ein zentraler Impetus des Deleuzianismus aufgenommen wird, zeigt sich also vor allem im Fokus auf konstitutive Relationierung und Prozessualität jenseits sprach- und handlungsfähiger Subjekte. Doch weicht Karen Barads Ontologie im Grunde von der Deleuzianischen ab – und zwar genau entgegengesetzt der Abweichung Latours von Deleuze: Dass Barad materiell-semiotische Intraaktionen nicht als willkürlich oder zufällig erachtet, sondern sie als immer schon historisch und lokal zu verorten konzipiert (Barad 2015: 193), legt nahe, ihr Apparat-Verständnis, wie in der Einleitung erläutert, mit dem foucaultschen Dispositiv zu vergleichen (vgl. auch Lemke/Hoppe 2015: 265). Dass sie dabei auch nicht nur Machtfragen aufwirft, die die gegenwärtigen Schnitte bedingen, sondern auch berücksichtigen will, was es jenseits der gegebenen Schnitte an Möglichkeiten gäbe (Barad 2015: 193), könnte darüber hinaus dazu einladen, ihren Ansatz mit einer Agencement-analytischen Perspektive in eins zu setzen. Doch gibt ihr Konzept keine weiteren Hinweise darauf, wie es zu jenen Möglichkeiten jenseits der bestehenden Schnitte kommen könnte, beziehungsweise wodurch sie erklärbar wären. Dass ihr Apparat-Verständnis damit eher auf der Ebene der Dispositive bleibt, erklärt sich in ihrem Fall daraus, dass die Frage nach materiell-semiotischen Intraaktionen keine Prozessualität jenseits diskursiver Aktion denkbar macht. Selbst wenn Barad
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jene semiotische Ebene nie unabhängig von der materiellen denkt, bleibt sie doch bei der Frage, wie durch spezifische Schnitte die Welt hervorgebracht wird, wie sie wahrnehmbar wird. Schnitte, die letztlich auf humane Akteure zurückzuführen sind. So folgert auch Folkers (2015: 7) angesichts von Barads Fokus auf Praxis und Performativität: „Das Problem ist […], dass sie – wie andere neue Materialist_innen – nicht in der Lage ist, ihren eigenen Diskurs zu situieren und deshalb nicht sieht, wie tief ihr Projekt mit einem bestimmten Humanismus ‚verschränkt‘ ist.“ Und Serge F. Hein, der die Unterschiede zwischen Deleuze und Barad am vehementesten unterstreicht, meint gar, Barad räume der Intraaktion einen identitären Status ein, Barads Intraaktion werde zur Identität (2016: 5) – überhaupt habe sie eine Philosophie der Transzendenz und Identität entwickelt, die Deleuze’ Immanenzund Differenzphilosophie diametral entgegenstehe, welche ich im nächsten Schritt weiter erklären werde. Diese Unterschiede lassen sich auch darauf zurückführen, dass es sich beim Konzept der Intraaktion um ein onto-epistemologisches Modell handelt, dass Barad mit ihrem Agentiellen Realismus also eben auch eine Epistemologie entwirft, die etwas darüber aussagt, wie sich Phänomene, also für uns Wahrnehmbares konstituiert. In dieser Hinsicht grenzt etwa Luciana Parisi den deleuzianischen Begriff der abstrakten Maschine, dem in dieser Weise auch der des Agencements entspricht, von Barads Intraaktionsmodell ab: Parisi argumentiert, die abstrakte Maschine erlaube eine Verbindung zwischen Dingen zu denken, ohne sie notwendigerweise als Phänomene konzipieren zu müssen, wie es bei Barad der Fall ist; vielmehr handle es sich um „incomputable materiality“, die durch die Virtualität zusammengehalten werde (Parisi 2009b: 82; vgl. auch Clough 2012: 103).5 Bei Barad existieren die Dinge, Körper, Elemente dagegen nur in den materiellsemiotischen Intraaktionen, in denen sie gleichzeitig auch immer Phänomene sind. Dinge oder Körper im affekt-theoretischen Verständnis, könnte man sagen, werden auch zu solchen Phänomenen, sobald sie Teil der Ordnungen des Sicht- und Sagbaren werden. Doch verweist bei Deleuze jene Ebene der Virtualität, die es bei Barad nicht gibt, auf das, was diese Ordnungen in Bewegung hält, worauf ich im nächsten Absatz genauer eingehen werde.
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Auf Parisis Verständnis von Berechenbarkeit und ihre Analyse von Affektmodulation komme ich im Kapitel zu den Versuchen, Affekt zu regieren.
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Wie Patricia Ticineto Clough betont (2012: 103), geht es in der Verwendung des Begriffs des Affekts bzw. in der deleuzianischen Konzeption im Gegensatz zum Modell der Intraaktion genau um das, was sich jenseits der Beobachtung oder Beschreibung, jenseits des Zugriffs durch eine repräsentationale Logik ereignet. Und so, resümiert Clough, fände sich in der deleuzianischen Agencement-Konzeption eine Art Freiheit, die es in Barads Intraaktionen nicht geben könne, eine Freiheit davon, von einer Beobachtungsinstanz determiniert zu werden, eine Unbestimmtheit, Indeterminiertheit (ebd.: 103).6 Im Folgenden werde ich ausführen, was Deleuze (und Guattari) mit der Ebene der Virtualität meint/en und inwiefern der Deleuzianische AffektBegriff nicht unabhängig davon zu konzipieren ist – ein Zusammenhang, den ich im zweiten und fünften der vorigen Aufsätze bereits angedeutet habe, ohne ihn jedoch zu explizieren. Der zentrale deleuzianische Impetus, das Soziale „als das zu bestimmen, was neue, überraschende und unvorhergesehene Verbindungen oder ‚Assoziationen‘ zwischen bislang unassoziierten Kräften herstellt“ (Balke/Rölli 2011: 14) erschließt sich jedoch erst durch eine Erläuterung der Immanenzebene, auf der die Virtualität des Deleuzianismus anzusiedeln ist.
I MMANENTE V IRTUALITÄT Was ist Immanenz? Der Begriff suggeriert eine Einheit traditioneller Gegensätze, wie etwa den von Geist und Materie, eine Einheit, die nicht die Gegensätze als solche voraussetzt, um sie dann aufzuheben, sondern eine Einheit, „die zunächst und primär gegeben ist, und die von Anfang an die Welt der Gegensätze als abgeleitet, sekundär und schlecht konzipiert begreift“ (Rölli 2011: 31). Wie Marc Rölli anmerkt, ist sie genau deshalb verführerisch, denn der metaphysisch anmutende Begriff einer Einheit regt zur monistischen Auslegung an, indem er einen Ursprung nahelegt und damit den Forderungen immanent verfahrender Philosophie widerspricht (vgl.
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Trotz dieser Unterschiede war die Auseinandersetzung mit Karen Barad, wie in der Einleitung gezeigt, relevant, um den Zusammenhang zwischen Ontologie und Epistemologie, zwischen Theorie und Empirie und damit eben meinen Phänomen-Begriff und -Zugang zu erklären.
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ebd.). Jene lässt sich vielleicht am ehesten über ihren Gegenbegriff beschreiben, den der Transzendenz, jener Dimension, „die den Dimensionen dessen, was gegeben ist, hinzugefügt wird“ (Deleuze 1988: 166). Immanent verfahrende Philosophie dagegen bleibt bei dem, „was gegeben ist“. Als Antwort auf die Frage nach dem Anfang, nach dem Ursprung, also danach, woher das kommt, was gegeben ist, setzt Deleuze die Differenz, die „an sich selbst bereits Wiederholung ist“ (1992a: 169): Differenz und Wiederholung sind sich selbst erschaffende Anfangsmechanismen. Eine solche Politik des Anfangs, welche die Philosophie der Immanenz begründet, findet Deleuze bei Spinoza, der an den Anfang eine Essenz setzt, die die eigene Existenz einschließt, weil sie Ursache und Voraussetzung ihrer selbst ist. „Unter Ursache seiner selbst (per causam sui) verstehe ich das, dessen Essenz Existenz einschließt, anders formuliert das, dessen Natur nur als existierend begriffen werden kann.“ ([1677] 2007) Die immanente Selbstursache, jene sich selbst erzeugende Unterscheidung, die Spinoza an den Anfang setzt, ermöglicht ihm, die Emergenz seines Systems voraussetzungskritisch und ohne transzendente Herleitungen zu konzipieren und Struktur- und Wirkungszusammenhänge des Seins in der Immanenz zu verorten (vgl. Andermann 2015: 2). Damit lässt sich die Immanenz selbst nicht einer Sache, einer Substanz zuschreiben, das würde sie universal fassen und somit wieder die Transzendenz einführen (vgl. Deleuze/Guattari 1996: 53f.). Auch Spinozas „Essenz“ ist keine Substanz bzw. eine Substanz ohne Substanz. So wird es fast paradox, die Immanenzebene denken zu wollen: „Man möchte sagen, DIE Immanenzebene sei zugleich das, was gedacht werden muss, und das, was nicht gedacht werden kann. […] Sie ist das Innerste im Denken und doch das absolute Außen.“ (Ebd.: 68f.) Denn das, was ist, ist dem begrifflichen Denken nie ganz gegeben, das Denken wird von außen stimuliert: „Es gibt etwas in der Welt, das zum Denken nötigt. Dieses Etwas ist Gegenstand einer fundamentalen Begegnung, und nicht einer Rekognition. Was einem begegnet, mag Sokrates, der Tempel oder der Dämon sein. Es mag in verschiedenen affektiven Klangfarben erfaßt werden, Bewunderung, Liebe, Haß, Schmerz. In seinem ersten Merkmal aber, und in ganz gleich welcher Klangfarbe, kann es nur empfunden werden. Gerade in dieser Hinsicht widersetzt es sich der Rekognition.“ (Deleuze 1992a: 182)
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Für Deleuze stellt Spinozas radikales Immanenzdenken nicht nur eine Befreiung von transzendenten Idealen dar: Durch seine Kritik der cartesianischen Privilegierung des Cogito befreit Spinozas Ontologie auch von transzendentalen Vorgaben, die die Erfahrung bestimmen, von Begriffen, die sich zwangsläufig immer schon auf etwas jenseits ihrer selbst beziehen (vgl. Rölli 2011: 38). So wird es für Deleuze möglich, das Soziale in einer radikalen Offenheit und Unbestimmtheit zu konzipieren. „Mit der Immanenz beginnen“, heißt für ihn, von einer „universellen Veränderlichkeit“ auszugehen, von einem „Materiestrom, in dem kein Verankerungspunkt oder Bezugszentrum angebbar wäre.“ (Deleuze 1997: 86) Immanent ist damit eine Ebene des Präindividuierten, auf der unendliche Singularitäten vorhanden sind, pure Mannigfaltigkeit – sie ist das, wo es noch keine Intraaktionen im Barad’schen Sinn gibt, wo noch nichts semiotisch oder materiell bzw. materiell-semiotisch konstituiert ist. In Orientierung an Spinoza konzipiert Deleuze eine Form von Vermögen, die nicht einen Gemeinsinn und subjektphilosophische Prämissen voraussetzt (vgl. Rölli 2011: 40), die immanent ist – das ist die Ebene der Virtualität: Dieses Deleuzianische Virtuelle ist nicht das Mögliche, es ist nicht mit dem zu verwechseln, was als möglich erachtet wird.7 Es liegt stattdessen jenseits jeder Möglichkeit der Erarchtung, der „Rekognition“, wie Deleuze es bezeichnet. Das Virtuelle ist „zu begreifen als Modus unvordenklicher, präindividueller, asubjektiver Gegebenheiten, ihrer Dauer und fortgesetzten Bewegung, dank welcher überhaupt etwas werden und sich aktualisieren kann.“ (Ott 2003) (Etwas als Modus vordenklicher Gegebenheit zu begreifen, also zu denken – diese Formulierung verweist wieder darauf, wie paradox der Versuch ist, die Immanenzebene zu denken.) Immanent ist in der
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Der Begriff verleitet außerdem dazu, das Internet und den Cyberspace deleuzianisch zu deuten – ein heikles Unterfangen, hat der Begriff der Virtualität bei Deleuze doch eine ganz andere Funktion als das „Virtuelle“ jener Realität der Computer oder des Internets (vgl. Stingelin 2000: 27f.). Bei Deleuze geht es gerade nicht um Gegenbegriffe des „Möglichen“ und „Wirklichen“ wie im Fall der Computervirtualität, also nicht um die „Realisierung einer rechnerischen Möglichkeit, die einer bloßen Wiederholung gleichkommt“ (ebd.: 28). Genau wie Stingelin warnen auch Pieper/Tsianos/Kuster (2011: 230) davor, das Netz als paradigmatische epistemologische Metapher zu verwenden, mit der Emergenz und Selbstorganisation abgebildet werden sollen.
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Deleuzianischen Ontologie also die Bewegung „vom Virtuellen zu seiner Aktualisierung – über die Vermittlung einer bestimmenden Individuation“ (1992a: 317), einer Verkörperung (ebd.: 348), einer Genese (ebd.: 260). Aktualisierung ist dabei immer eine Differenzierung (ebd.: 262ff.) und nie Repräsentation. „Die Aktualisierung bricht mit der Ähnlichkeit als Prozeß ebenso wie mit der Identität als Prinzip. Niemals ähneln die aktuellen Terme der Virtualität, die sie aktualisieren: Die Qualitäten und Arten ähneln nicht den Differentialverhältnissen, die sie verkörpern; die Teile ähneln nicht den Singularitäten, die sie verkörpern. Die Aktualisierung, die Differenzierung ist in diesem Sinne stets eine wirkliche Schöpfung. Sie entsteht nicht durch Beschränkung einer präexistenten Möglichkeit. […] Sich aktualisieren bedeutet für ein Potential oder ein Virtuelles stets die Schaffung divergenter Linien, die ohne Ähnlichkeit der virtuellen Mannigfaltigkeit entsprechen.“ (Ebd.: 268)
Damit haben die Begriffe des Virtuellen und Aktuellen nichts mit Potenz und Akt im aristotelischen Sinn zu tun, da ihr Verhältnis nicht eine Realisierung von bereits Formiertem meint (vgl. Ott 2003). Der Bereich des Virtuellen enthält unendliche Differentialität und somit bedeutet Aktualisierung unbeendbare Differenzierung, also permanentes Werden.8 Die Wiederholung vollzieht sich unablässig, aber nur durch eine Aktualisierung, die notwendig differentiell ist. Das, was gegeben ist, das, was immanent ist, ist also „die permanente Gabelung in Aktualität und Virtualität, die miteinander koexistieren“ (Vollland 2009: 63). „Einer virtuellen ersten Natur maschineller Verkettungen unendlich komplexer Werdensprozesse steht eine aktuelle zweite Natur ge-
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Die Medienphilosophin Vera Bühlmann (2010: 5) schreibt in Bezug auf Deleuze’ Vorstellung des Virtuellen, es verweise auf die Nicht-Abschliessbarkeit von Interpretationsverhältnissen, die für Zukünftiges in doppelter Hinsicht gelte: „[…] es ist immer schon eine Lücke, ein Riss in der Konstruktion von Realität, der die Frage in den Vordergrund bringt, wie wir mit dem Potential, dem Virtuellen praktisch umgehen können und sollen. Es ist, anders formuliert, eine weitreichende Frage, wie wir die Virtualität praktisch – und nun leicht paradoxal formuliert – als eine Art angewandter Virtualität in unsere Lebensform einbinden.“
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genüber, die von jener ersten immanent hervorgebracht wird.“ (Rölli 2011: 67)9 Differenz und Wiederholung ist als umfassende Kritik der Repräsentation und des Repräsentations- und Identitätsdenkes zu verstehen, die dessen Genese seit Aristoteles analysiert und die Beschränkungen aufzeigt, die damit einhergehen, um an dessen Stelle das Prinzip von Differenz und Wiederholung zu setzen. Die „vierfache Fessel“ der Repräsentation, welche die Differenz zähme und unterwerfe, bestehe aus der Identität im Begriff, dem Gegensatz im Prädikat, der Analogie im Urteil und der Ähnlichkeit in der Wahrnehmung (1992a: 329):10 „Die Differenz und die Wiederholung im Virtuellen begründen die Bewegung der Aktualisierung, der Differenzierung als Schöpfung und ersetzen somit die Identität und die Ähnlichkeit des Möglichen, die nur eine Pseudo-Bewegung auslösen, die falsche Bewegung der Realisierung als abstrakte Beschränkung.“ (Ebd.: 296)11
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Zur Frage, inwiefern Deleuze mit der Immanenzebene selbst eine Überschreitungsfigur entwirft: Rölli 2011: 67f.
10 Repräsentation wird hier durch zwei kennzeichnende Merkmale verstanden: Qualität und Extensität. Diese zwei Eigenschaften ermöglichen, dass die Konzepte von Wiederholung und Repräsentation austauschbar werden: Wenn ein Ding eine Qualität hat, kann es auch einem anderen Ding ähnlich sein; wenn ein Ding Quantität hat, kann es auch äquivalent zu einem anderen Ding sein (vgl. Hughes 2009: 12, 26). 11 Laut Krause und Rölli würde sich das Verständnis des Virtuellen nach „Differenz und Wiederholung“ wandeln: Machtverhältnisse würden nun als virtuelle Differenzstrukturen verstanden, womit die Repräsentationskritik erweitert werde (vgl. Krause/Rölli 2010: 95). Stingelin (2000) dagegen betont die gleichbleibende kritische Widerstandskraft des Konzepts des Virtuellen. Auf diese Diskussion werde ich im übernächsten Abschnitt in Bezug auf die Frage nach der Deterritorialisierung zurückkommen.
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A FFIZIERUNG UND I NDIVIDUATION – K ONSTITUTION VON (K OLLEKTIV )K ÖRPERN Um sich dem anzunähern, was (noch) nicht gedacht werden kann bzw. sich nicht im begrifflichen Denken fassen lässt, schlägt Deleuze den passenderweise paradox anmutenden Begriff des „transzendentalen Empirismus“ (ebd. 1992a: 186) vor, den er in „Differenz und Wiederholung“ ausführt: Damit konzipiert er einen Empirismus, der „das Sinnliche aus seiner komplementären Beziehung zum Intelligiblen herauslöst und aus ihm kein neues erstes Prinzip macht. Er muss die Konstitutionsleistung des Sinnlichen selbst beschreiben, ohne zu einem konstituierenden Subjekt welcher Art auch immer Zuflucht zu nehmen“ (Balke 1998: 31). Die „Konstitutionsleistung des Sinnlichen“, wie Balke sie nennt, verweist auf die Bedeutung, die Affekte bzw. Affektionen für diese Ontologie spielen. Bereits weiter oben tauchte in Deleuze’ Zitat dieses „etwas in der Welt“ auf, „das zum Denken nötigt“, das also schon vor dem Denken da ist, das „Gegenstand einer fundamentalen Begegnung“ ist und „nur empfunden werden“ kann (Deleuze 1992a: 182). Dieses etwas habe ich bereits als Affizierung bezeichnet: Das, was sich außerhalb des Denkens ereignet, was das Denken aber anstößt – doch nicht nur das Denken: Es ist das, was Individuation ausmacht, was Körper hervorbringt, und damit sind, wie bereits betont, alle beliebigen Körper, nicht nur menschliche gemeint. Nach Gilbert Simondon, der neben Spinoza eine weitere wichtige Quelle der Inspiration für Deleuze’ Affekt-Denken ist (vgl. z.B. Sharp 2011: 35f., Read 2014)12, lassen sich Prozesse der Affizierung lesen als die Prozesse, in denen Körper überhaupt erst individuiert werden (vgl. Simondon 2005: 247ff.). Die Affizierung ist somit individuierende Kraft, die zwischen Körpern wirkt, auf Körper wirkt und Körper erschafft. Individuation ist nicht zu verwechseln mit einem „IndividuumWerden“ (Andermann 2015: 19), Individuation ereignet sich permanent, Substanz ist Ausdruck pluraler Formen und Modifikationen, die sich durch
12 Weiterführend hierzu der Aufsatz A New Individuation: Deleuze’ Simondon Connection (2013), in dem der Autor Andrew Iliadis Simondons Bedeutung für eine Neukonzeptualisierung von Materie jenseits des aristotelischen Konzept des Hylomorphismus darlegt und dabei auch aufzeigt, wie sehr Deleuze’ Gesamtwerk von Simondon geprägt ist.
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wechselseitige Affizierung fortlaufend verändern (vgl. ebd.: 9). Darin kommt die Orientierung an Spinozas Affekt-Denken zum Ausdruck (affectus bei Spinoza [1677] 2007: 219ff.), der die Fähigkeit von Körpern, zu affizieren und affiziert zu werden, sowie die Vermögen von Körpern herausstellt, in jenen Prozessen der wechselseitigen Affizierung wiederum ihre Vermögen zu steigern (vgl. l’affect bei Deleuze 1988; Deleuze/Guattari 1992: 349ff.). In der Begegnung wird das Vermögen eines einzelnen Körpers affiziert: Affekte gehören nicht zu einem Individuum, sondern zirkulieren zwischen Körpern, die sich ihretwegen permanent im Wandel befinden. Affizierung ereignet sich transindividuell (vgl. Simondon 2005: 251) und funktioniert als wechselseitige präpersonale Intensität im Übergang von einem Erfahrungszustand eines Körpers zu einem anderen, so dass Affekt „für den Körper wie für den Geist eine Vermehrung oder Verminderung des Tätigkeitsvermögens einschließt“ (Deleuze 1988: 65).13 Deleuze/Guattari gehen mit Spinoza von einem Parallelismus zwischen Körper und Geist aus (Deleuze 1988: 28; Deleuze/Guattari 1992). Die Parallelisierung der beiden unter dem Begriff Körper bedeutet nicht die Umkehrung, im Sinne eines Primats des Körperlichen im alltagssprachlichen Sinn, sondern bezieht sich immer auf individuierte Körper, in denen Dichotomien aus Geist und Vernunft etc. auf der einen Seite und Gefühl, das Leibliche etc. auf der anderen Seite keine Geltung haben, sondern Körper alles mögliche sein können: „es kann ein Tier sein, ein Klangkörper, es kann eine Seele oder eine Idee sein, es kann ein Textcorpus sein, ein sozialer Körper, ein Kollektiv sein.“ (Deleuze 1988: 165) Somit können in dieser Perspektive Ideen, Bilder und Klänge affizieren, genau wie Hände, Bäume und Tastaturen. Alle Körper können affizieren. Und affiziert werden? Die Frage, ob alle Körper sich in der Begegnung af-
13 Mit Tätigkeitsvermögen wird gerade nicht das Vermögen eines intentional handelnden menschlichen Individuums gemeint. Die Steigerung, die hier immer in Bezug auf die Relationen innerhalb eines Agencements zu denken ist, bezieht sich auf die Vielfalt von Anschlüssen, da der Affekt sich auf eine „unendliche Vielfalt von Anschlüssen“ (Deleuze 1997: 153) bezieht. Tätigkeitsvermögen ist damit auch als Affizierungsvermögen zu verstehen. Damit liegt eine Abgrenzung von Praxistheorien vor, die in der Auseinandersetzung um eine Kollektivität der Computer erläutert wird.
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fizieren und was eine Vermögenssteigerung etwa für zwei Computer bedeuten würde, greife ich später noch einmal auf. Dass mit Körper in dieser theoretischen Perspektive heterogene Entitäten gemeint sind, hat in meiner Arbeit Anwendung gefunden, wenn ich zum Beispiel im fünften der vorliegenden Aufsätze nach der affizierenden Dimension der Plattform 4chan gefragt habe, nach den transformatorischen Kapazitäten der nicht-humanen Körper, die an Anonymous beteiligt sind. In der Zusammenführung von Simondon und Spinoza, die Deleuze’ kritischer Absetzung von einer Entwicklungs- oder Subjektphilosophie unterliegt, lassen sich also Prozesse der Affizierung als konstitutiv für Körper, für Kollektivität bestehend aus heterogenen Elementen bestimmen, wobei mit der Konzentration auf jene Prozesse des wechselseitigen Affizierens genau jene Prozesse berücksichtigt werden, die nicht auf der Ebene der Repräsentation zu verorten sind. Die Kollektivität, die dabei entsteht, die Wirkmächtigkeit also, die in der Verbindung der einzelnen heterogenen Bestandteile der Kollektivität entsteht,14 lässt sich nicht auf deren Addition reduzieren. Sie basiert auf deren wechselseitiger Affizierung, also auf Prozessen der Vermögenssteigerung, die ermöglichen, dass einzelne heterogene Elemente in der Verbindung eine gemeinsame Wirkmächtigkeit entfalten, dass sie gemeinsam Agency aufweisen, also die Fähigkeit, eine Handlung zu initiieren, die einen transformatorischen Effekt haben kann. Somit habe ich von Prozessen der Affizierung geschrieben, um jene Prozesse zu bezeichnen, die etwas transformieren bzw. über Vermögenssteigerung konstituieren, die zwischen Körpern sind und ihre Beziehungen zueinander verändern, sie jenseits von Repräsentationslogiken so auf eine Art in Beziehung zueinander setzen, dass ein neuer Körper, eine Kollektivität wie Anonymous entstehen kann. Im Folgenden wird weiter der Frage nachgegangen, inwiefern sich mit jenem Begriff der Affizierung ein Konzept von Dissidenz fassen lässt. Bislang ist hauptsächlich auf jene fundamentale Ebene in Deleuze’ Denken eingegangen worden, die seine Ontologie von der des Agentinellen Realismus unterscheidet. Dass Deleuze auch Dispositive als immanenten Bestandteil denken lässt, womit er sich, wie bereits geschrieben etwa von Latour unterscheidet, wird im Folgenden klarer. Und dass nur im Zusammen-
14 Jene Definition von Kollektivität wurde in der Einleitung in Anlehnung vor allem an den vierten Aufsatz skizziert, siehe Einleitung: 25f..
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hang mit einer Ebene der Dispositive auch das weiter geklärt werden kann, was ihnen widersteht.
A GENCEMENTS DER D E - UND R ETERRITORIALISIERUNG Im Aufsatz „Greetings from the Dark Side“ beschreibe ich die produktive Kraft des Affekts als den dynamischen Antrieb dessen, was bei Deleuze/Guattari Begehren (désir) heißt, eines Begehrens, das sich auf alles erstreckt (Balke 1998: 131), das als „Produktionsprozeß definiert wird, ohne Bezug auf irgendeine äußere Instanz, einen Mangel, der das Begehren vertieft, eine Lust, die es erfüllt“ (Deleuze/Guattari 1992: 212). Begehren wird damit nicht wie in der psychoanalytischen Theorie als Korrelat einer Entbehrung begriffen, sondern als produktive, kreative Energie, die immanent ist, die koextensiv ist mit einem je bestimmten Gefüge, einem Agencement15 und die letztlich die Bewegung vom Virtuellen zur Aktualisierung antreibt. In diesem Begriff von Begehren klingt das ‚Streben‘ an, das Spinoza allen Körpern, allen individuierten Körpern zuschreibt: Ihnen wohne ein Conatus, inne, der es ihm ermögliche, auf „mehrere Weise affiziert (zu) werden“ (Deleuze 1988: 38). Da mit dem Begriff des Begehrens ausschließlich eine produktive Kraft gemeint ist, konzipieren Deleuze und Guattari also ein immanentes Streben von Körpern, ihre Wirkmacht, ihre Vermögen zu steigern (vgl. Pieper/Wiedemann 2014: 69). Das Primat des Begehrens gegenüber den Machtphänomenen sowie dessen Immanenz betont Deleuze gerade in der Auseinandersetzung mit Foucault, vor allem in seinem Text Lust und Begehren (1996), in dem er die Unterschiede in seinem Denken zu Foucaults Machttheorie auflistet und seinen Begriff von Begehren pointiert, wie in folgendem Abschnitt: „Für mich enthält Begehren keinerlei Mangel; und ebenso wenig ist es eine Naturgegebenheit; es geht stets mit einem Gefüge von Heterogenem zusammen, das funktioniert; es ist Prozeß im Gegensatz zu Struktur oder Genese; es ist Affekt im Ge-
15 Womit Deleuze und Guattari ‚kleine‘ oder minoritäre, nicht stabile oder umfassende, sondern prekäre und situative Strukturen des Pragmatischen meinen (vgl. Rölli 2012: 9).
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gensatz zu Gefühl; es ist ‚Diesheit‘ (Individualität eines Tages, einer Jahreszeit, eines Lebens) im Gegensatz zu Subjektivität; es ist Ereignis im Gegensatz zu Ding oder Person. Und vor allem impliziert es die Konstitution eines Immanenzfeldes oder eines ‚organlosen Körpers‘, der sich nur durch Intensitätszonen, durch Schwellen, Gradienten, Ströme definiert. Dieser Körper ist ebenso biologisch wie kollektiv und politisch; gerade auf ihm entstehen und vergehen die Gefüge, er trägt die Deterritorialisierungsspitzen der Gefüge oder die Fluchtlinien.“ (Ebd.: 237)
Anders als für Foucault gäbe es für ihn, so Deleuze „kein Problem mit einem Status der Widerstandsphänomene“ (ebd.: 236), denn er nimmt die Ebene der Dispositive, der Ordnung durch die Macht als nachträglich gegenüber den „Fluchtlinien“ an, die „ungefähr das selbe“ seien wie „Deterritorialisierungsbewegungen“ (ebd.: 235). Deterritorialisierung bestimmt Deleuze in Tausend Plateaus gemeinsam mit Félix Guattari als eine Bewegung, durch die etwas einem gegebenen Territorium entflieht oder es verlässt (Deleuze/Guattari 1992: 703), wobei das Territorium alles mögliche sein kann: „Man kann sich tatsächlich auf einen Wesen, einem Gegenstand, einem Buch, einem Apparat oder System reterritorialisieren.“ (Ebd.) In jedem Agencement lassen sich nach Deleuze „Re-Territorialisierungen und die Deterritorialisierungsbewegungen unterscheiden“, wobei es eben letztere sind, „die ein Gefüge antreiben“ (ebd. 1996: 232). Und so betont Deleuze auch in seinem Foucault-Buch (1992b: 125), „[…] dass Widerstand primär ist“. Doch auch wenn Deterritorialisierungsbewegungen, jene Bewegungen, die das Begehren antreibt, primär sind, gehen auch von den territorialisierenden und homogenisierenden Kräften beständige Bestrebungen aus, das Begehren einzudämmen, es einzufangen, zu durchdringen und es ggfs. auch zu unterdrücken, Fluchtlinien zu blockieren und zu „erdrücken oder dämmen“ (ebd. 1996: 236). Und so sind die Machtdispositive „eine Komponente der Gefüge“ (ebd.: 233), die – anders als bei Foucault – als „repressiv“ konzeptualisiert sind (ebd.: 234) und erst von den Agencements selbst erzeugt werden (ebd.: 236). Obwohl also Begehren als Movens der Agencements Fluchtlinien produziert und dadurch als „erste Gegebenheit“ das gesellschaftliche Feld zusammenfügt (ebd.), sei Begehren dennoch, wie im Zitat oben bereits erwähnt, keine „Naturgegebenheit“ (ebd.: 237) und würde „sich keineswegs außerhalb des sozialen Feldes befinden oder es verlassen“ (ebd.: 235). Da-
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mit ist die Ordnung, die ein Dispositiv vorgibt, zwar nachrangig, aber nicht weniger immanent als das Begehren, das sie in Bewegung hält. „Die Machtdispositive“, so Deleuze, „würden überall dort auftauchen, wo sich Re-Territorialisierungen – und seien sie abstrakt – vollziehen.“ (Ebd.: 233) Diese Reterritorialisierungen verweisen auf die Kräfte der Vereinheitlichung und Verfestigung durch die Dispositive und bewirken so Vorgänge, in denen sich deterritorialisierte Elemente erneut vermischen und in der Konstitution eines neuen oder der Modifikation eines alten Gefüges Verbindungen eingehen – die Deterritorialisierung ist damit „untrennbar von damit zusammenhängenden Reterritorialisierungen“ (Deleuze/Guattari 1992: 704).
D ETERRITORIALISIERUNG
UND
W IDERSTAND
Angesichts der Beschreibung jener Konzeptualisierung von Gefügen wäre eine Konzeptionalisierung von Widerstands als Blockade gegenüber den Dispositiven der Macht unsinnig – schließlich sind es letztere, die das Begehren blockieren. Doch das Begehren wiederum lässt sich nicht auslöschen, sondern es strebt permanent danach, Blockaden auflösen. So eignet sich das Wort „Widerstand“ kaum noch – und so schreiben Deleuze und Guattari in Tausend Plateaus: Gerade weil sie primär sind, sind die Fluchtlinien nicht „Phänomene des Widerstands oder Gegenangriff […], sondern Punkte der Schöpfung und der Deterritorialisierung“ (1992: 194) Aber: Ist nicht jede Aktualisierung, wie es vorhin angesichts der Erläuterung von Virtualität und Aktualität in Differenz und Wiederholung hieß, eine Schöpfung, weil sie nie einfach nur Repräsentation ist? Also wäre nicht jede Aktualisierung als Deterritorialisierung vorzustellen? In einer solchen Perspektive fände allerdings die Machtebene keine Berücksichtigung mehr. Aktualisierung ist also nie nur als Deterritorialisierung vorzustellen. Selbst wenn letztere der Reterritorialisierung vorausgeht, lassen sie sich nicht trennen und machen erst zusammengenommen Aktualisierungen aus. Doch ließen sich mit dem Konzept der Deterritorialisierung dann Dissidenz, und Intervention erklären (vgl. Günzel 1998: 105f.)? Von einer permanenten Aktualisierung als Zusammenspiel zwischen De- und Reterritorialisierung auszugehen, entspräche der Annahme eines Automatismus im
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Kräfteverhältnis, das keinen Raum für subversives, (in der Einleitung dargelegt) transformatives Potential böte, sondern der vagen Formel gliche, auf die Foucault in aktivistischen Kontexten immer wieder reduziert wird: „Wo Macht ist, ist auch Widerstand.“ Entscheidend ist jedoch, dass Deleuze und Guattari weitere Unterscheidungen einführen und zwar die zwischen ‚positiven‘ und ‚negativen‘ sowie zwischen ‚absoluten‘ und ‚relativen‘ Deterritorialisierungsprozessen:16 Die Deterritorialisierung ist negativ, wenn das deterritorialisierte Element durch die Reterritorialisierung verdeckt und so kompensiert wird, dass die Fluchtlinie der Deterritorialisierung blockiert bleibt (Deleuze/Guattari 1992: 703). Sie ist positiv, wenn sich die Fluchtlinien gegenüber den Formen der Reterritorialisierung durchsetzen – wobei jene Deterritorialisierung doch ‚relativ‘ bleibt, weil die Fluchtlinien, die sie erzeugt, in einer sekundären Reterritorialisierung segmentiert und umgeklappt werden (ebd.: 704f.). Die Reterritorialisierung dieser Formen der Deterritorialisierung führt dann wieder auf das frühere Territorium zurück. Erst die ‚absolute‘ Deterritorialisierung schafft das, was die negative und die relative Deterritorialisierung, nicht vermögen: „Die D [Deterritorialisierung; C.W.] ist […] immer dann absolut, wenn sie die Erschaffung einer neuen Erde bewirkt, das heißt, wenn sie Fluchtlinien miteinander verbindet […].“ (Ebd.: 705) Während also die relative Deterritorialisierung innerhalb des aktuellen Bereichs der ausgedrückten historischen Ereignisse und Prozesse verbleibt, referiert die absolute Deterritorialisierung auf den virtuellen Bereich des Werdens und des reinen Ereignisses (vgl. Patton 2010: 206f.). Sie ermöglicht die Verbindung einzelner deterritorialisierter Elemente und ihre Rekonfiguration in neue Gefüge, weil sie sich aus dem speist, „wo es kein Zeichenregime mehr gibt, sondern wo die Fluchtlinie ihre eigene potentielle Positivität […] verwirklicht“ (Deleuze/Guattari 1992: 185), aus „der Konsistenzebene oder dem organlosen Körper“ (ebd.: 186). Über sie lässt sich
16 Die Unterscheidung ‚absolut-relativ‘ verwenden Deleuze/Guattari erstmal im Anti-Ödipus (1997) in Bezug auf die Grenzziehung durch die kapitalistische Axiomatik, die jede Neuerung durch ‚Inkorporation‘ in den ‚Sozius‘ – d.h. im Kapitalismus auf den am Kapital reterritorialisierten Gesellschaftskörper – in Form eines Axioms ‚aufhebt‘, und so alles Neue und potentiell gefährliche ungefährlich macht.
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letztlich das Potential zu einer Transformation als Teil der Agencements konzeptualisieren, die mehr ist als eine permanente „Differenz und Wiederholung“: „[…] einen Typ der Invektiven Bewegung, die nicht einem vorgezeichneten Weg folgt und sich keine Ziele vorgeben lässt“ (Balke 1998: 147). Und so resümiert Paul Patton in seinem Anliegen, Deleuzes und Guattaris Werk als politische Philosophie vorzustellen, die absolute Deterritorialisierung sei „die immanente Quelle der Transformation, das tatsächliche Reservoir der Freiheit oder Bewegung, die immer dann aktiv wird, wenn eine relative Deterritorialisierung stattfindet“ (Patton 2010: 207). Damit wird auf eine Freiheit verwiesen, die nichts mit der Kantschen Willensfreiheit oder anderen liberalen Konzepten eines stabilen individuellen oder kollektiven Subjekts zu tun hat, das durch die molaren Linien gebildet ist, durch jene Schichten, auf die die Reterritorialisierungen zurückführen. Auf der Fluchtlinie gibt es dagegen „nicht einmal mehr eine Form, sondern nur eine reine, abstrakte Linie. Weil wir nichts mehr zu verstecken haben, können wir auch nicht mehr erfaßt werden. Selber nicht-wahrnehmbar werden […]. Wie alle anderen werden, aber gerade das ist nur für den ein Werden, der es versteht, niemand zu sein, niemand mehr zu sein.“ (Deleuze/Guattari 1992: 270)
Diese Linien der absoluten Deterritorialisierung sind Mikro-Risse, welche die Integrität des liberal konzipierten Subjekts bedrohen: „molekulare Veränderungen, Umverteilungen von Begehren, so daß, wenn etwas passiert, das Ich, das es erwartete, schon tot ist oder das Ich, das es erwarten würde, noch nicht da ist“ (ebd.: 272). Im Bruch, den sie verursachen, „hat sich nicht nur die Materie der Vergangenheit verflüchtigt […]. Man selber ist in einer bewegungslosen Reise unwahrnehmbar und klandestin geworden. […] Man ist nur noch eine abstrakte Linie, wie ein Pfeil, der die Leere durchquert. Absolute Deterritorialisierung“ (ebd.: 273). Also eine „absolute Deterritorialisierung des Cogito“ (ebd.:187). Ist diese Art absoluter Deterritorialisierung doch in gewisser Weise ein a-historisches Konzept von Widerstand? Beziehungsweise: ein ethisches Prinzip? Sie drücke das normative Ideal aus, das Deleuzes und Guattaris Ethik zugrunde liege, meint Paul Patton (2010: 207), das in eine bestimmte Vorstellung von Welt eingebettet sei, die darin zum Ausdruck komme, dass Deleuze und Guattari die absolute Deterritorialisierung als „mit der Erde
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selbst identisch“ (1992: 197) oder auch „als Schöpferin der Erde“ bezeichnen (ebd.: 705). Deleuze und Guattari bringen aber auch immer wieder eine Ambivalenz bezüglich der Bewertung von Fluchtlinien und des scheinbar Schöpferischen zum Ausdruck. So sind Fluchtlinien nicht nur als Quellen des Affekts zu verstehen, die mit dem Übergang von einem niedrigeren zu einem höheren Zustand des Vermögens verbunden sind und so ermöglichen, dass sich Gefüge neu oder anders konstituieren. Fluchtlinien können auch daran scheitern, sich mit den anderen notwendigen Bedingungen einer schöpferischen Entwicklung, mit anderen deterritorialisierenden Elementen zu verbinden, und sich deshalb in eine zerstörerische Linie verwandeln (ebd.: 313). So stellen sich Deleuze und Guattari immer die Frage, „Wie […] man sich einen oK [organlosen Körper; C.W.] fabrizieren [kann; C.W.], ohne daß er zum krebshaften oK eines Faschisten in uns selber wird, oder zum ausgezehrten oK eines Drogensüchtigen, eines Paranoikers oder eines Hypochonders“ (ebd.: 224)? Gerade angesichts dessen, dass sie der „Erforschung der Gefahren“ Raum einräumen (ebd.: 309ff.), dass sie also „Gefahren“ benennen, wird eine Wertung vorgenommen und gegenüber den „Gefahren“ ein positives Potential der Fluchtlinien betont – was das ethische Prinzip unterstreicht.17 Dabei wird jedoch klar, dass die Bewertung der Bewegungen von Agencements immer kontextabhängig sind oder auf die Spezifität der Ereignisse oder Prozesse reagieren, in die sie eingebunden ist. Gerade weil Deleuze und Guattari die Ebene der Dispositive als Teil der Agencements konzeptualisieren, können Bewertungen immer nur innerhalb eines Felds der Kräfte- und Machtbeziehungen, immer nur in Bezug auf ein Territorium vorgenommen werden. Somit können De- und Reterritorialisierung immer nur aus der Perspektive eines bestimmten Gefüges charakterisiert werden, so dass keine abschließende Bestimmung des Charakters eines gegebenen Ereignisses oder Vorgangs existieren kann (vgl. Patton 2010: 212).
17 Doch stellt sich die Frage, ob das wirklich auch als normatives Prinzip bezeichnet werden kann, denn jene Bewegungen der Deterritorialisierung, die Flucht, das Organlos-Werden des Körpers ist prinzipiell eine anti-normative Bewegung, gerade weil sie „sich nicht über Gegensätze oder Negationen, sondern jenseits davon ausbildet“ (Muhle 2011: 84).
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Absolute Deterritorialisierung ist somit nicht als a-historisches Dissidenz-Konzept zu verstehen. Absolute Deterritorialisierung zielt zwar auf die a-historische Verbindung von Dingen und Zuständen in Beziehung zum virtuellen Bereich des Werdens, doch drückt sie sich auf Grund ihrer jeweiligen Situiertheit in Agencements immer nur unvollkommen und ansatzweise in dem aus, was passiert. Gerade weil absolute Deterritorialisierung nicht transzendent ist, kann sie sich nur durch die relative vollziehen und genauso ist die absolute Deterritorialisierung, wegen ihrer Verwiesenheit auf das Virtuelle und den Bereich des Werdens, die grundlegende Bedingung jeder Form von relativer Deterritorialisierung (Deleuze/Guattari 1992: 705). Insofern enthält sie eine paradoxe Formel: Absolute Deterritorialisierung ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit des Wandels und die seiner Unmöglichkeit. Damit erfolgt eine ethische Ausrichtung auf das Ereignis oder die Entstehung des Neuen, was einen Bruch mit der gegenwärtigen Aktualität und ihrer möglichen Zukunft einschließt (vgl. Patton 2010: 213).
A FFEKT ALS D ETERRITORIALISIERUNG ? V ON D ELEUZE ZU M ASSUMI Sind nun Prozesse des Affiziert-Werdens und Affizierens, wie ich sie bereits beschrieben und als konstitutiv für Anonymous herausgearbeitet habe, gleichzusetzen mit deterritorialisierenden Dynamiken? Sind sie aus einer Deleuzianischen Perspektive als jene Prozesse und Kräfte, die das Vermögen der Körper steigern können, grundsätzlich als deterritorialisierende Elemente in den Agencements zu charakterisieren? Oder sind sie das, wie ich es an einigen Stellen betont habe, nur vor dem Hintergrund des kybernetisch-biopolitischen Dispositivs? An vielen Stellen setzen Deleuze und Deleuze/Guattari wechselseitiges Affizieren als jenen Prozess, der sich direkt aus dem immanenten Begehren speist, der, wie bereits geschrieben, in Orientierung an Spinozas Begriffe des Vermögens sowie des Conatus angelegt ist, des Strebens nach Vermögenssteigerung, der jedem Körper eigen ist – wodurch schließlich die Immanenz des Begehrens begründet ist. Dabei wird Affekt zum Gegenüber der Macht, etwa wenn es heißt, Individuation, Aktualisierung erfolge „den Zusammensetzungen von Macht und von Affekten entsprechend“ (Deleuze/Guattari 1992: 362; vgl. auch Bippus 2014: 20). Vor allem in seinen
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Film-Lektüren schreibt Deleuze dem Affekt, den er da mit dem Raum gleichsetzt,18 eine „Vielfalt von Potentialen oder Singularitäten, die gleichsam die Vorbedingung jedweder Aktualisierung oder Determinierung sind“ zu (Deleuze 1997: 153). Affekt ist damit das, was zwischen Virtualität und Aktualität vermittelt. Hierin zeigt sich, dass der Affekt „bei Deleuze über das Subjekt hinausgeht, das subjektive Fühlen also hinter sich lässt, um es, das Subjekt, – von außen – zu affizieren“ (vgl. Angerer 2014: 18). Auch in seiner Auseinandersetzung mit der Frage, wie man sich angesichts von Subjektivierungsformen in Foucaults Werk Widerstand vorstellen könnte, kommt Deleuze auf ein „Sich-durch-sich-Affizieren“, das er umschreibt als „Bezug zu sich, der nicht mehr Wissen noch Macht ist“ (1992: 149). Affizieren bringt also als einen Bezug zu einem Außen der Macht ins Spiel: „Was zum Aussen gehört, das ist die Kraft, da sie wesentlich Beziehung auf andere Kräfte ist: sie ist in sich selbst untrennbar mit dem Vermögen verbunden, andere Kräfte zu affizieren (Spontaneität) und von anderen Kräften affiziert zu werden (Rezeptivität). Was jedoch von dort herstammt, ist ein Bezug der Kraft auf sich, eine Kraft, sich selbst zu affizieren, ein Sich-durch-sich-Affizieren.“ (Ebd.: 140)
An jenem Affekt-Verständnis knüpfen auch einige der neomaterialistischen Ansätze an, mit denen ich gearbeitet habe – zwar, wie gezeigt, nicht Karen Barad, umso mehr dafür Brian Massumi. Wie andere neuere Affekt-Theoretiker_innen, die sich an einem spinozistisch-deleuzianischen Verständnis orientieren, verortet Massumi das Affektive in einer relational- bzw. prozessontologischen Perspektive (in Prozessen des wechselseitigen Affizierens und Affiziert-Werdens sei man „niemals alleine“ (Massumi 2010: 27f.)), die individualisierte und kategorisierte Gefühle nur als abgeleitete Phänomene kennt (vgl. Massumi 2002b,
18 Damit ist der Affekt in die Beziehung von Zuschauer und Filmbild eingeschrieben als Klammer, durch die sich ein Raum – ein ‚beliebiger Raum‘ – auftut, ein entleerter, weder geometrischer noch geographischer oder sozialer Raum im strengen Sinne. Dieser ‚beliebige Raum‘, der Affektraum ist von optischen und akustischen Situationen markiert.
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2015; vgl. Seyfert 2012).19 Diese Charakterisierung von Prozessen der Affizierung als offen, dynamisch und nicht-feststellbar, macht die zentrale Konfliktlinie in der Debatte um die ‚affect studies‘ aus (Slaby 2016). Kritisiert wird etwa Massumis deleuzianische Orientierung bezüglich der antihumanistischen bzw. präpersonalen Bestimmung von Affekt, die mit der Charakterisierung als vorrangig gegenüber diskursiven Rahmungen einhergeht.20 Dennoch enthält auch bei Massumi das Vermögen eines Körpers, zu affizieren und affiziert zu werden, „subjektive Momente“ (Massumi 2010: 28), die sich darauf beziehen, dass jede Affektion eine Spur hinterlässt, als Rezeption einer Wirkung ohne Idee der Ursache, indem sich die gefühlte Erfahrung als gelebte Vergangenheit, als Erinnerung, als Übergang zu einem vermehrten oder verringerten Tätigkeitsvermögen mit dem Körper verbindet (Massumi 2010: 70f.) – diese Definition habe ich auch für die Untersuchung von Prozessen der Affizierung bei Anonymous verwendet. Menschliche wie nicht-menschliche Körper dienen dabei also nicht als pas-
19 In den affect studies geht es somit nicht um Emotionen, die in etablierten Kategorien fassbar sind und menschlichen Individuen als mentale Zustände zugeschrieben werden – wie etwa Furcht, Freude, Scham, Stolz oder Neid. 20 Im Aufsatz Between swarm, network, and multitude, habe ich bereits darauf verwiesen, dass es grob eingeteilt zwei Lager von Affekt-Theorien gibt, je nachdem wie deleuzianisch sie sind bzw. wie weit im Sinne Brian Massumis von der „Autonomie des Affekts“ ausgegangen wird. Jene Theorien, die zwar Affekt einführen, aber (weiter) von einer diskursiven Rahmung ausgehen (z.B. Ahmed 2010), kritisieren wiederum die deleuzianische und eher neomaterialistische Lesart. Vor allem Ruth Leys, fokussiert in ihrem 2011 in Critical Inquiry erschienen Artikel, der „bis dato wirkmächtigste[n; C.W.] Gegenrede“ (Slaby 2016: 3), vor allem solche Arbeiten, die sich zentral im Feld der affektiven Neurowissenschaften bedienen. Sie würden jenen neurowissenschaftlichen Bestrebungen in die Hände spielen, die wie im Tomkins-Ekman-Paradigma, zwei Emotionsforscher, üblich, Affekte komplett naturalisieren und für erfassbar halten (442f.). Ein Hinweis in Leys’ Text darauf, dass das deleuzianisch-inspirierte Affekt-Verständnis beispielsweise von Massumi, den sie am stärksten kritisiert, eventuell missverstanden wird, ist, dass sie in ihrem Text die Begriffe Affekt und Emotion immer wieder synonym verwendet. Inwiefern hierbei aber für die vorliegende Arbeit relevante Kritik an Massumi geübt wird, thematisiere ich gleich.
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sive Einschreibefläche von äußeren Impulsen, sondern besitzen eine emergente Eigenbewegtheit, eine Responsivität (Seyfert 2011: 86ff.). Die Bestimmung der Vorrangigkeit von Prozessen der Affizierung führt Massumi vor allem in seinem maßgeblichen Artikel The Autonomy of Affect (2002b) aus, in dem er Affekt als das präindividuierte Intensive begreift: „The autonomy of affect is its participation in the virtual. Its autonomy is openness. Affect is autonomous to the degree to which it escapes confinement in the particular body whose vitality, or potential for interaction, it is. Formed, qualified, situated perceptions and cognitions fulfilling functions of actual connection or blockage are the capture and closure of affect. Emotion is the most intense (most contracted) expression of that capture – and of the fact that something has always and again escaped. Something remains unactualized, inseparable from but unassimilable to any particular, functionally anchored perspective. […] If there were no escape, no excess or remainder, no fade-out to infinity, the universe would be without potential, pure entropy, death. Actually existing, structured things live in and through that which escapes them. Their autonomy is the autonomy of affect.“ (2002b: 35, Herv. i.O.)
Damit bezieht sich Massumi auf die Deleuzsche Konzeption des Virtuellen, um die „Autonomie“ von Prozessen der Affizierung zu erklären, die allerdings nicht als Autonomie im Sinne einer zeitlichen Vorrangigkeit, nicht als Unabhängigkeit im Sinne einer Losgelöstheit von sozialen Prozessen zu verstehen ist, sondern im Sinne der Vorrangigkeit des Begehrens bei Deleuze und Guattari. Und so sieht auch Massumi ebenso wie Deleuze und Guattari zwar die Ebene des Virtuellen als ontologisch primär, doch das, was sich aktualisiert und individuiert, ist immer mit den Dispositiven, mit bestimmten Determinierungen verwoben: „So social and cultural determinations feed back into processes from which they arose. Indeterminacy and determination, change and freeze-framing, go together. They are inseparable and always actually coincide while remaining disjunctive in their modes of reality. To say that passage and indeterminacy ,come first‘ or ,are primary‘ is more a statement of ontological privilege in the sense that they constitute the field of the emergence, while positionings are what emerge.“ (Massumi 2002a: 8)
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Die affektive Operativität läuft von der „Ordnung der Signifikanten“ getrennt ab, im Bereich des Unbezeichneten und Nicht-Artikulierten, allerdings in direkter Umwelt und Gleichzeitigkeit zu jenen Operationen, die Bedeutung durch das Ziehen von Unterscheidungen erschaffen und damit wiederum permanent Anregungen für die Prozesse der wechselseitigen Affizierungen erzeugen (vgl. Opitz 2014: 276). „Massumi entwirft somit das Bild einer Ökologie operativer Prozesse, deren Verhältnis zudem durch Resonanzen und Interferenzen gekennzeichnet ist.“ (Ebd.) Sein Anliegen ist es, ein kulturtheoretisches Vokabular für den Umgang mit Affektivität auszuarbeiten, das jene zwar nicht jenseits des Sozialen verortet (Massumi 2002b: 27)21, aber eben nicht von den Mechanismen der Bedeutungsproduktion ausgeht, sondern die eigene realitätsstiftende Materialität des Affektiven anerkennt (vgl. ebd.). Gerade in seinem neuesten Buch betont Massumi, dass sich zwar zeitweilig stabilisierte Formen, umgrenzte Individuen oder soziale Strukturen im Feld des Affektiven ausmachen lassen, dass im Affekt jedoch diesbezüglich stets ein Moment des Ausbrechens oder Überschusses bzw. des Nicht-Fassbaren liege – Formwerdung, also Individuationsprozesse seien nie vollständig und nie völlig stillgestellt (vgl. auch Slaby 2016: 6): „The autonomy of affect refers to the process by which the excess of potential
21 Massumi schreibt zwar in Bezug auf Deleuze, dass Intensität, die er hier mit Affekt gleichsetzt (2002b: 27), a-sozial sei, dass sie aber nicht prä-sozial ist: „Intensity is asocial, but not presocial – it includes social elements, but mixes them with elements belonging to other levels of functioning, and combines them according to different logic.“ (Ebd.: 30) Diese Interpretation des Affekts bei Massumi lässt sich gerade auf Grund seiner vehementen Unterscheidung zwischen presocial und asocial und der paradox anmutenden Interpretation von asocial als „open-endedly social“ (ebd. 2002a: 9) nicht als Naturalisierungsbestreben auslegen, sondern verweist auf seinen radikal verschobenen Modus von Sozialität – der Autonomy of Relation (vgl. Handel 2013). Massumis Definition von not presocial entspricht dann der Bestimmung von Affekt als „nicht a-sozial“ und „nicht a-historisch“, die in der Antwort auf die Kritik formuliert wird, jene Lesart von Affekt würde die Theorie entpolitisieren. So schreiben zum Beispiel Richard Mc Grail et al. (2010) in Verteidigung von Massumi genau das Gegenteil: Sie schreiben, dass Massumi Affekt als prä-sozial, aber nicht a-sozial konzipiere.
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that presses for expression is remaindered after every determinate takingform, returning to in-form a next expression. The autonomy is of this process.“ (Massumi 2015: 207) So lässt sich auch in Bezug auf Massumis Weiterführung das Affektive als der Bezug zur Virtualität verstehen. Über Affektionen würden sich Möglichkeiten zur Deterritorialisierung eröffnen, resümiert Stephan Günzel in Bezug auf Deleuze’ Konzeptualisierung (2000: 117). Damit ist jedoch noch nicht automatisch etwas über den dissidenten Charakter des Affektiven ausgesagt. Wie bereits betont, kann eine solche Einordnung immer nur in Bezug auf ein Territorium vorgenommen werden: De- und Reterritorialisierung können nur aus der Perspektive eines bestimmten Gefüges und Deterritorialisirung damit kann nur in Bezug auf dessen jeweilige Reterritorialisierungen bestimmt werden. Was sind die Bewegungen der Reterritorialisierung im Rahmen des hier fokussierten kybernetisch-biopolitischen Dispositivs? In meinen Aufsätzen habe ich an einigen Stellen „Codieren“ als Aktivität, die vom kybernetisch-biopolitischen Dispositiv ausgeht, herausgestellt. Dabei habe ich Affizierung und Codierung in gewisser Weise analog zu den Begriffen der Deterritorialisierung und Reterritorialisierung verwendet. Und so schreibt auch Deleuze in Lust und Begehren in seiner Auseinandersetzung mit Foucault, seine Machtdispositive, also jene, die als immanenter, aber nicht-primärer Teil von Gefügen konzeptualisiert sind, würden „kodieren und reterritorialisieren“ (1996: 234).22 Doch lässt sich die Technik des hier anvisierten Dispositivs tatsächlich auf jenen, auf einen Vorgang reduzieren? Was heißt eigentlich Codieren? Bevor ich jene Konzeptualisierung von Affizieren als dem dissidenten Gegenüber des Codierens in Bezug auf das kybernetisch-biopolitische Dispositiv weiter befrage, wird im Folgenden die Bedeutung des Codierens als reterritorialisierender Prozess diskutiert. Damit wird eine Präzisierung des Begriffs unter Berücksichtigung aktueller medienwissenschaftlicher
22 Die reterritorialisierende Kraft, die Deleuze Codes zuschreibt, kommt auch in seiner Auseinandersetzung mit Nietzsche zum Ausdruck, den Deleuze als „Beginn einer Gegen-Kultur“ (ebd. 1979: 105) präsentiert. Nietzsche sei es darum gegangen, „quer zu allen Codes der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft […] etwas passieren zu lassen, das sich nicht codieren läßt und nicht codieren lassen wird.“ (Ebd.: 107)
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Positionen nachgeholt, für die in den Aufsätzen nicht genügend Raum bestand.
C ODIEREN ALS B EWEGUNG ?
RETERRITORIALISIERENDE
Die Definition von Code, die der Gegenüberstellung in den Aufsätzen zu Grunde liegt, siedelt ihn sowohl auf der kulturellen/sozialen als auch auf der technischen Ebene an und sieht beide Ebenen als miteinander verwoben. So sind jene in der strukturalistischen und semiotisch beeinflussten Kulturtheorie zentralen symbolischen Codes miteinbezogen, die festlegen „welche Bedeutungen Signifikanten besitzen können“ (Reckwitz 2000: 150). Genau wie die „technischen Codes“, mit denen Andrew Feenberg (2002: 74f.) in Orientierung an Foucault den Zusammenhang zwischen der Funktionsweise technischer Entwicklungen, die sich etablieren, und Machtverhältnissen beschreibt, ähnlich wie es der Dispositiv-Begriff nahelegt. Damit verwoben sind folglich auch jene algorithmischen Codes, die als Set der Regeln und Anleitungen, das die Wandlungen aller 0er und 1er regiert, hinter den Interfaces liegen. Diese Codes sind selbst „Korrelate diskursiver Formationen, in denen spezifische Norm- und Wertvorstellungen eingeschrieben sind. Zugleich wirken sie auf kulturelle Praktiken zurück, da über sie die individuellen Handlungsmöglichkeiten innerhalb kybernetischer Regelkreisläufe präzise definiert werden können (Seibel 2010: 104).“
So lässt es sich in Anlehnung an Friedrich Kittler „auf einem strikt technischen Feld nach ähnlichen Verfahren vorgehen […], wie sie die Diskursanalyse Foucaults für Reden und Texte vorgeschlagen hat.“ (Kittler 1993: 222). Dennoch müsste – und das habe ich in meinen Aufsätzen nicht betont – das Verhältnis von diskursiven Ordnungen zu technischen Codes erst weiter reflektiert werden, bevor ich die beiden insofern gleichsetzen kann, als dass ich sie Prozessen der Affizierung gegenüberstelle. Eine solche Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang und auch den Unterschieden zwischen algorithmischen Codes und kulturellen Codes könnte zunächst die Besonderheit von algorithmischen Codes als mathematischen Größen in
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den Blick nehmen und so deren potentiell generischen Charakter miteinbeziehen. Der wiederum stellt nämlich die Opposition zwischen Codieren und Affizieren in Frage: Laut dem Medienwissenschaftler Bernhard Siegert (2003), der das Feld der Zeichenpraktiken der neuzeitlichen Wissenschaften untersucht, kommt es zur „Passage des Digitalen“ durch eine Emanzipation der Mathematik: Die Analysis seit Euler und deren Fortentwicklungen hätten eine neue Mathematik geschaffen, die sich nicht mehr auf geometrisch interpretierbare Ordnungs- und Begrenzungsstrukturen beziehe. Die neuen mathematischen Modelle wären in der Lage, jene Sinnzusammenhänge erst zu schaffen, als deren Repräsentanten sie später erklärt werden. Siegert schreibt (ebd.: 16): „Es ist der Riß einer im Denken der Repräsentation verwurzelten Ordnung der Schrift, der die Passage des Digitalen freisetzt und den Raum der technischen Medien eröffnet.“ Die elektronischen Medien würden die Elemente der Repräsentationsordnung deterritorialisieren durch die Möglichkeit der endlosen Verkettung von Plus und Minus, Null und Eins, Negativ und Positiv, Elektrizität und Magnetismus. Unter Berücksichtigung jener Entwicklungen in der Mathematik, die den digitalen Medien zu Grunde liegen, lassen sich auch die Utopien zu Beginn der Computerisierung und der Entwicklung des Internets, auf die ich in der Einleitung schon verwiesen habe (vgl. 14f.), besser verorten. So formulieren nicht nur diejenigen, die in das neue Geschäft involviert sind wie J.C.R. Licklider, den ich in der Einleitung nenne, sondern auch Medienphilosoph_innen wie Villem Flusser – auch Donna Haraways Essay über die Cyborg ließe sich hier nennen (1995a) – Hoffnungen auf ein neues, schöpferisches Zeitalter, in dem das Ende der Referentialität für möglich gehalten wird, weil Signifkanten unendlich aufeinander verweisen könnten, losgelöst von einer Bezugsmitte (vgl. Bruder 2010: 4). Diese Hoffnungen beziehen sich auf „die Möglichkeiten des Codes, […] die Zerlegung in kleinste Teilchen (0/1), die in einem projektiven Spiel beliebig rekombiniert werden können“ (ebd.: 5). Angesichts dieser Eigenschaften von Codes ließe sich die Gegenüberstellung von Affizieren und Codieren kaum aufrechterhalten. Doch muss nicht die Entwicklung und der Einsatz jener Codes im Rahmen gesellschaftlicher Zusammenhänge verortet werden – so wie eingangs im Zusammenhang mit Medien und Dispositiven beschrieben? Sonst würde die Perspektive auf die Schöpfungskunst von Codes digitale Medien
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unzulässig enthistorisieren. Und so stellt auch die Informatik fest: Der nachrichtentechnische Informationsbegriff, der Computer als Codierer und Decodierer von Nachrichten in Signale und umgekehrt von Signalen in Nachrichten einordnet, ist zwar hinsichtlich der Bedeutung der Nachrichten gleichgültig und rechnet der reinen Kontingenz den größten Wert zu, doch sind die Prozesse des Codierens algorithmisch festgelegt und mit bestimmten Repräsentationen, also mit semantischen Bestimmungen immer schon verwoben (vgl. Warnke 2003: 4). Die Voraussetzung für das ‚Funktionieren‘ von Codes ist, „dass im Vorfeld der Berechnung des Informationsgehalts Einigkeit über alle sendund empfangbaren Nachrichten bestehen muß, daß also der Horizont dieses Informationsuniversums prinzipiell abgeschlossen zu sein hat, eine symbolisch-probilistische Ordnung über der Menge aller möglichen Nachrichten bereits errichtet worden ist.“ (Ebd.)
Und so resümiert auch der Medienphilosoph Walther Zimmerli in der Debatte zum Informationsbegriff: Der „kleine Unterschied“ der BitInformation werde erst zur Information, wenn es ein bedeutsamer Unterschied sei (ebd. 1995: 42).23 Aus der in meiner Auseinandersetzung verfolgten theoretischen Perspektive ließe sich ergänzen: wenn es ein Unterschied ist, der mit Foucault „sag- und sichtbar“ ist. Diese Einordnung prüft die Gegenüberstellung von Prozessen des Affizierens und Prozessen des Codierens und die damit einhergehende Behaup-
23 Die Unzulänglichkeit eines rein formal gefassten Sender-Empfänger Modells wurde in der Medien- und Kommunikationswissenschaft bereits mehrfach besprochen. Eine weiterführende Auseinandersetzung mit dem Begriff der Information und der breiten Diskussion um seine unterschiedlichen Definitionen in verschiedenen Disziplinen, in denen auch je unterschiedliche Code-Konzepte auftauchen, könnte zeigen, dass jedoch „weder die rein syntaktischen Operationen des technischen Geräts, noch die durch diese lediglich in die Formalsprache eines Code gefassten semantischen Bestimmungen, etwa von in sogenannten ‚Ontologien‘ programmierten Verweisstrukturen“, (Bühlmann 2011: 59) den Vollbegriff von „Information“ ausmachen. Und auch ein technisches Gerät ist nicht neutral, das hat der Abschnitt zum Dispositiv-Begriff in der Einleitung bereits nahegelegt.
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tung der wechselseitigen Bedingtheit von kulturellen Codes, also Deutungsmustern, und algorithmischen Codes. Die Berücksichtigung der informationswissenschaftlichen Perspektive auf die potentiell generische Eigenschaft mathematischer Codes stellt die Gegenüberstellung nicht in Frage: Codes als mathematische Größen sind zwar nicht determinierend, ihre Wirkmächtigkeit jedoch ist angewiesen auf das Zusammenspiel mit anderen konstitutiven Elementen eines Dispositivs. Die Anrufungen durch das Interface von Facebook lassen sich in diesem Sinn als ein Zusammenspiel verschiedener Arten von Codes ausmachen: Die Art, wie Facebook die User_innen adressiert, basiert auf technischen Codierungen, die mit den kulturellen/sozialen Codes verwoben sind. So lässt sich die Behauptung der wechselseitigen Bedingtheit kultureller und technischer Codes bekräftigen, die sich damit beide als determinierende Größen, als den Bereich des Sichtund Sagbaren determinierende und vorstrukturierende Größen verstehen lassen. Allerdings müssten unter Berücksichtigung repräsentations-kritischer Ansätze die Überlegungen zur Performativität der Sprache beachtet und geprüft werden, inwiefern sie auch auf Softwarecodes übertragbar wären.24 Angesichts der gerade aufgezeigten Verwiesenheit von Software-Codes auf sprachliche Codes, ließe sich vermuten, dass codieren genauso wenig wie sprechen allein als determinierender Prozess zu verstehen ist. Folglich wäre eine Gegenüberstellung von Codieren und Affizieren nicht auf Grund der Perspektive auf die potentielle Kreativität mathematischer Codes, sondern auf Grund der Berücksichtigung der Performativität von Sprache weiter zu konkretisieren. Die Opposition zwischen Affizieren und Codieren in meinen Aufsätzen basierte auf der Annahme, Codieren sei als determinierender bzw. strukturierender Prozess zu verstehen, Affizieren dagegen als freisetzender – eine Opposition, die, wie gezeigt, auch bei Deleuze und in der Folge bei Massumi auftaucht. Deleuze setzt zwar nicht Repräsentation und Sprache in
24 Dass Sprache nicht nur eine referentielle, sondern auch eine performative Funktion erfüllen kann, ist in den Sprachwissenschaften bereits seit John L. Austins Sprechakttheorie (1972) bekannt. Angesichts der Performativitätstheorien mag sich die Frage nach der Neuartigkeit der Affekt-Theorien stellen. Zentrale Unterschiede lassen sich an Judith Butlers frühen Schriften (1997) beispielhaft verdeutlichen – darauf komme ich weiter unten zurück.
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eins, reduziert also Sprache nicht auf deren Referentialität,25 dennoch konzentriert sich seine Kritik, gerade in Differenz und Wiederholung, auf die „Fessel der Repräsentation“ (1992a: 329) und stellt die virtuellen Fluchtlinien und die aktuellen Repräsentationen in Opposition zueinander dar. Doch ist eine solche Opposition von Fesseln und Freisetzen überhaupt eine passende Beschreibung der De- und Reterritorialisierungsbewegung vor dem Hintergrund des kybernetisch-biopolitischen Dispositivs?
D ELEUZIANISCHER M ATERIAL T URN Bereits weiter vorne stand zur Debatte, inwiefern das Affektive universal als deterritorialisierend verstanden werden kann, wie Deleuze es ansatzweise aufbringt und woran vor allem Massumi anknüpft, oder ob es, wie schließlich in meinen Aufsätzen betont, nur im Zusammenhang mit einem lokal und historisch zu bestimmenden Dispositiv ein solches Potential besitzt. Gleichermaßen stellte sich die Frage, inwiefern das Homogenisierende und Determinierende, das in der besagten Gegenüberstellung dem Prozess des Codierens zugeschrieben war, damit als Machttechnik schlechthin vorgeschlagen wird oder ob es als Techniken eines bestimmten Dispositivs auszumachen ist. Sowohl bei Massumi, der immer wieder von sozialen und kulturellen Determinierungen schreibt, die die Prozesse des Affektiven einfangen würden (vgl. etwa 2002a: 8), als auch bei Deleuze, dessen Machtdispositive, wie erwähnt, in seinen eigenen Worten „codieren und reterritorialisieren“, macht es in den besagten Textstellen den Anschein, es handle sich jeweils um die Grunddefinitionen dessen, was Macht ausmacht. In Lust und Begehren, in jenem Text, in dem Deleuze diese Einordnung vornimmt, betont er auch, die Machtoperationen hätten bei ihm wegen ihres sekundären Charakters einen repressiven Effekt (vgl. 1996: 234).
25 In Differenz und Wiederholung (1992a: 164f.) greift Deleuze auf Derridas Überlegungen zur différance explizit zurück, und im Anti-Ödipus I (1997) widmen sich Deleuze und Guattari der Theorie Lacans, wobei sie allerdings die Frage des Gleitens der Signifikantenkette nicht auf eine Wunschproduktion zurückführen, die sich aus einem Mangel bzw. Verlust des primären Objekts und einem ahistorischen „Gesetz“ ergebe (ebd. 95) (vgl. Pieper/Wiedemann 2014: 70).
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Deleuze Machtverständnis wandelt sich jedoch über sein Werk hinweg. Er bleibt nicht bei einer Opposition, die das Codieren, das Repräsentieren als repressiv gegenüber den primären Fluchtlinien bzw Deterritorialisierunsgbewegungen fasst. Gerade in der Zusammenarbeit mit Félix Guattari in Tausend Plateaux (1992) wird eine dezidiert machtanalytische Perspektive entfaltet, die Machtverhältnisse auch in virtuellen Mikrostrukturen verortet und damit eine einfache Gegenüberstellung zwischen dem Virtuellen und dem Aktuellen verabschiedet. Hier ist Deleuze „modaler Machttheoretiker“ (Rölli 2012: 9), dem es darum geht, „mikrostrukturelle Handlungsbedingungen herauszustellen, die den produzierenden und relationalen Charakter der Macht unterstreichen, d. h. virtuelle (inaktuelle) Aspekte, die eine Welt der Repräsentation hervorbringen“ (ebd.). So konzipiert Deleuze ab den 70er Jahren Machtverhältnisse „als virtuelle Differenzstrukturen“ (Krause/Rölli 2010: 95). Dadurch wird mit zwei Ebenen von Virtualität operiert, denn jene Machtverhältnisse setzen dennoch (ebenfalls virtuelle und differentielle) Immanenzverhältnisse voraus – jener Schift hin zu einer umfassenderen Analyse der Machtverhältnissen ändert also nichts daran, dass das Begehren in dieser Konzeption als primär angesehen wird, das immanent nomadologisch organisiert ist und dadurch jedem homogenisierenden und hierarchisierenden Effekt entgeht. Auch mit Blick auf die „mikrostrukturellen Handlungsbedingungen“ lassen sich die Machtwirkungen weiterhin, so Krause und Rölli, „als homogenisierend, zentralisierend etc. beschreiben – und in diesem Sinne eine konzeptionelle Nähe zu den strukturell determinierenden Aktualisierungsverläufen setzen“, jedoch verschiebe sich mit ihnen der Fokus „weg von einer einfachen Repräsentationskritik hin zur Kritik von Machtzusammenhängen z.B. der Zeichenregime oder des Staatsapparats“ (ebd. 2010: 94f.). Man könnte sagen, Deleuze hat (mit Guattari) einen Material Turn durchgemacht. Dazu passen die Analysen im Postskriptum über die Kontrollgesellschaften (1993), in dem Deleuze das Digitale, über das die Kontrollgesellschaften operieren würden,26 nicht mehr wie zuvor nur als binarisierend und homogenisierend,27 sondern auch als modulatorisch begreift (ebd.: 256).
26 In der deutschsprachigen Übersetzung heißt es „numerisch“ statt „digital“. 27 In Francis Bacon. Logik der Sensation (1995) bezeichnet Deleuze noch einen analogen Synthesizer als „modulatorisch“, insofern als dass dieser heterogene Elemente in unmittelbare Konnexion bringe, „zwischen diese Elemente eine an
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Während die Einschließungsmilieus der Disziplinargesellschaften analogisch gewesen seien, „sind die verschiedenen Kontrollmechanismen untrennbare Variationen, die das System einer variablen Geometrie mit numerischer (das heißt nicht notwendigerweise binärer) Sprache bilden. Die Einschließungen sind unterschiedliche Formen, Gussformen, die Kontrollen jedoch sind eine Modulation […]“ (Herv.i.O.; ebd.). So ist der „Mensch der Kontrolle eher wellenhaft“, also flexibel und modulierbar und „Überall hat das Surfen schon die alten Sportarten abgelöst“ (Herv.i.O.; ebd.: 258). In jener skizzenfte Machtanalyse spiegeln sich auch Foucaults Analysen der Biomacht und der Gouvernementalität, auf die ich mich in der Einleitung bezogen habe, um jene Machtverhältnisse zu beschreiben, die hier die Hintergrundfolie bilden, in denen ich die Frage nach Subversion stelle. Doch wenn die Macht im kybernetischen Kontrolldispositiv nicht nur determinierend, sondern anregend und aktivierend wirkt, inwiefern lässt sich Affizierung dann als subversiv einordnen? Ist das Deleuzianische Dissidenz-Konzepts, das sich durch ein Aktiv-Werden, ein Affizieren der Kräfte auszeichnet28 (vgl. Badiou 2003:50), nicht fragwürdig, wenn angesichts der gegenwärtigen Bemühungen der Gouvernementalität gerade die Aktivierung eine neue Zwanghaftigkeit entfaltet? Um dieser Frage nachzugehen, werden die Auseinandersetzung mit den Machttechniken im kybernetischen Kontrolldispositiv erneut aufgegriffen, um auch aktuellere Analysen zu berücksichtigen.
sich unbegrenzte Konnexionsmöglichkeit ein(führe), und stellt diese Operation der eines digitalen Synthesizers oppositionell gegenüber – der würde nämlich „integrieren“ und zwar über Kodifizierung, Homogenisierung und Binarisierung. […] Für den digitalen Kode seien Operationen der Homogenisierung und Binarisierung konstitutiv. (Ebd.: 72) 28 Badiou stellt jene Frage noch zugespitzter, indem er Deleuze’ DissidenzKonzept als vitalistisch erachtet. Deleuze’ Ontologie unterscheidet sich jedoch fundamental von einem Vitalismus, der in organisch und un-organisch aufteilt, was weiter unten noch einmal explizit aufgegriffen wird.
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G EGENWÄRTIGE V ERSUCHE VON A FFEKT
DER
R EGIERUNG
Wie ich im vierten und fünften der vorliegenden Aufsätze zum Beispiel mit Bezug auf Tony Sampson oder Sebastian Vehlken skizziert habe, funktioniert der „biopolitische Kapitalismus“ (z.B. Hardt/Negri 2002; Lazzarato 1998) in enger Verbindung mit entsprechenden Erfassungstechnologien – die, wie ich schon in der Einleitung ausgeführt habe, grundlegend auf Computer- und Vernetzungstechnik, also das Internet angewiesen sind. In Bezug auf jenes Dispositiv, dem mein Augenmerk galt, lassen sich, wie bereits in der Einleitung dargelegt, Prozesse der Erfassung, Berechnung, Simulation und Vorhersage als determinierende im Sinne vorstrukturierender Verfahren interpretieren, die über die „Formierung einer allgemeinen Matrix von Erfassungsmaschinen“ (Parisi 2013: 38) operieren, insofern sie zur Regierung von Bevölkerung sowie zur (Selbst)Regierung der Individuen, zur Stabilisierung und Effizient-Machung über Berechnung und Planung dienen können. Sie funktionieren über die Anrufungen zur Sichtbarmachung und Dokumentation des eigenen Lebens, wie im Artikel zu facebook dargestellt. Den Prozessen der Erfassung, Berechnung und Vorhersage habe ich jene mikropolitischen Ereignisse, die die Entstehung von Transformation andeuten, des „Okkurenten“ (Manning 2010: 7) als subversiv entgegengesetzt,29 das ich auf Prozesse der wechselseitigen Affizierung innerhalb und mit bestimmten Infrastrukturen zurückgeführt habe. In den Prozessen des Affiziert-Werdens und Affizierens kann es zu unvorhersehbaren Transformationen kommen, kann Neues entstehen. Doch das ‚Neue‘ will auch jedes Unternehmen anpreisen und Emergenz ist ein Schlüsselbegriff der Kybernetik. Es gilt zu berücksichtigen, dass ich die Frage nach Subversion und der damit zusammenhängenden Bedeutung des Affekt-Begriffs in einer Zeit stelle, in der „das Hervortreten der Ereignis- bzw. Geschehenstheorie, die affektive Wende und die technischmediale Entwicklung seit mindestens einem halben Jahrhundert zusammen[gehen]“ (Hörl 2012: 19). Theorien des Affekts müssen reflektiert werden sowohl im Zusammenhang mit den Analysen des Transformationspro-
29 In meinen Aufsätzen habe ich dafür noch den Begriff der Emergenz gewählt, ohne zu berücksichtigen, wie sehr jener im Vokabular der Kybernetik zu Hause ist (vgl. Hörl 2012: 16).
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zesses hin zu einem biopolitischen Kapitalismus als auch jenen Überlegungen zur Verbreitung und Etablierung kybernetischer Ideen in gegenwärtige Gouvernementalitäten. Ein zentrales Element des „biopolitischen Kapitalismus“ (Hardt/Negri 2002; Lazzarato 1998, Virno 1998; 2005) ist es, danach zu trachten, das gesamte Leben (bíos) bis in die feinsten Verästelungen hinein zu okkupieren und alle produktiven und reproduktiven Lebensäußerungen, so auch Affekte, zu kommodifizieren und verwertbar zu machen. So schreibt Lazzarato (2006), dass die Entwicklung des Kapitalismus zunehmend darüber funktioniert, dass a-signifikante Semiotiken (z.B. elektrische Ströme, Bild- und Tonströme) präsubjektive und präindividuelle Elemente, also Affekte maschinisch in Dienst nähmen – nicht um zu bezeichnen, sondern um in Bewegung zu setzen, Handlungen, Verhalten und Neigungen zu produzieren.30 Ähnlich hatte Félix Guattari schon 1992 weitsichtig jene Subjektivierungsmodi analysiert, die sich im Transformationsprozess zum biopolitischen Kapitalismus in Verbindung mit neuer Kommunikationstechnologie entfalten, darüber dass „die technologischen Informations- und Kommunikationsmaschinen mitten in der menschlichen Subjektivität [wirken], nicht nur innerhalb ihrer Erinnerungen, ihres Verstandes, sondern auch ihrer Sensibilität, ihrer Affekte und ihrer unbewussten Fantasien.“ (Ebd. [1992] 2014: 10f.) Doch wenn der Kapitalismus und gerade jener sich herausbildende biopolitische Kapitalismus darüber operiert, dissidente Bewegungen des Begehrens und der Affekte zu vereinnahmen und Affekte zu kommodifizieren und zu modulieren, um einen Mehrwert aus ihnen zu ziehen, wie ist dann Dissidenz mit einem Affekt-Begriff bestimmbar, wie ist sie überhaupt denkbar? Die Dringlichkeit jener Frage wird noch unterstrichen durch weitere Überlegungen zur Verbreitung und Etablierung kybernetischer Ideen in gegenwärtige Gouvernementalitäten, die über Vorhersage und Simulation regieren, um präventiv Risiken bannen zu können. Sowohl für kommerzielle als auch für sicherheitstechnologische Kontexte wird die Logik der Ansteckung zu einer Schlüssel-Taktik: Die Idee, spontane kollektive Stimmungen könnten in bestimmte Richtungen gelenkt
30 Urs Stäheli (u.a. 2004b) etwa analysiert Affizierungsprozesse durch den Börsenticker und beschreibt damit Inklusionseffekte von Verbreitungsmedien.
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werden, scheint die latente Technik einer auf Affekte zielenden Regierungsform über eine zunehmend vernetzte Bevölkerung darzustellen, wie Tony Sampson (2012: 126) schreibt – worauf ich schon im fünften Aufsatz eingehe. Dabei werden so genannte Schwarm-Techniken eingesetzt, um in der Informatik immer kompliziertere Progammieraufgaben durch die Nutzung objektorientierter und agentenbasierter Verfahren zu vereinfachen: „Swarm Intelligence (SI) wird seit Mitte der 1990er Jahre zu einem Schlagwort mit zunehmender Popularität. Damit ist ein epistemischer Bruch gekennzeichnet, durch den ‹Intelligenz› neu gefasst wird. Nicht das kognitive und sprachliche Vermögen auf den verschieden Seiten einer zwischenartlichen Kommunikation steht dabei im Fokus, sondern der Umschlag von individuellen, distribuierten Kommunikationen zu kollektiven Ordnungen: in den Vordergrund rückt die Emergenz von ‹Verhaltensintelligenz›, die für komplexe Koordinationsfragen ‹in animals and machines› gleichermaßen gültig ist.“ (Vehlken/Müggenburg 2011: 66)
Jene spontane Konstitution von Kollektivität, die ich in meinen Aufsätzen als Schwarmbildung beschrieben und auf Prozesse wechselseitiger Affizierung zurückgeführt habe, der „Tanz des Schwarms“ (Werber 2009: 16) steht somit auch exemplarisch für ein Modell der Selbststeuerung, in dem ein kybernetisches Prinzip in jedem einzelnen Agenten so waltet, dass es kein steuerndes Zentrum braucht (vgl. ebd.: 16). Schwarm-Roboter, so erklären die Simulationsforscher Sebastian Vehlken und Jan Müggenburg, seien in der Lage, sich in skalierbaren Kollektiven an unvorhersehbare und zufällige Änderungen in der Systemumwelt anzupassen, ohne dass die Funktionsfähigkeit des Systems davon beeinträchtigt würde (2011: 69). Diese schwärmenden digitalen Maschinen können „selbst tätig modularisierte Lösungen für diverse Problemlagen entwickeln, ohne explizit dafür programmiert worden zu sein“ (ebd.). Kybernetische Regierung funktioniert darüber, emergente Phänomene zu produzieren und an das Gesamtsystem rückzukoppeln, das sich so selbst ins Gleichgewicht bringen und optimieren soll (vgl. Hörl 2012: 10f.). Wie bereits in der Einleitung beschrieben ist ein kybernetisch-kontrollgesellschaftliches Dispositiv nicht nur darauf aus, permanent Daten über das Leben einer Bevölkerung zu erheben, „das eine unauflösliche Vielheit von Er-
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eignissen produziert und ihr ausgesetzt ist“ (Terranova 2007)31, um abweichende Ereignisse vorhersehbar zu machen, sondern: „es greift als produktive Maschine und als prophetisch/präventive Simulation in dieses Kalkül ein“ (ebd.). Im Fall des FuturICT, das in der Einleitung beschrieben wurde, werden etwa alle Autofahrer_innen durch die entsprechende Überwachungsmaschinerie des Living Earth Simulator so aufeinander abgestimmt bzw. durch die Global Participatory Platform dazu angerufen, sich so abzustimmen, dass niemand im Stau steht. Und wenn es doch einmal zum stockenden Verkehr kommt in jenem sonst reibungslosen Ablauf, reguliert das Planetary Nervous System die Radiomusik so, dass Ärger möglichst vermieden wird. Der Versuch, Affizierung über „sensorische Umwelten“ (Hörl 2012: 16), über „Technoökologien der Empfindung“ (Parisi 2013: 41) zu vermessen, zu initiieren und zu steuern, ist also zentraler Bestandteil der Regierungsweise eines biopolitisch kybernetischen Dispositivs. Mit dem Begriff der „Technoökologien der Empfindung“ beschreibt die Medienwissenschaftlerin Luciana Parisi das „Environmental-Werden von Macht“: Das gehe „mit der Versenkung der Macht in die räumliche Matrix von Infrastrukturen einher, die nunmehr gekennzeichnet ist durch medienbasierte Verbindungssysteme, die affektive Erregungszustände modulieren. […] Das bedeutet, dass wir es hier mit einer kontinuierlichen Programmierung des Empfindens zu tun haben – kontinuierlich in dem Sinne, dass es um die Schaffung eines topologischen Ganzen – kohärent oder un/zerbrechlich – geht, um die Erzeugung einer glatten Umwelt von Anschlüssen und Verbindungen, in der kleine Affektmodifikationen unbestimmte, jedoch kontrollierbare Lawinen sich steigernder Reaktionen auslösen.“ (Ebd.)
Und selbst Massumi arbeitet mit dem Affekt-Begriff nicht nur, um das Potential des Affektiven für Transformation und das Okkurente herauszustellen, sondern auch um zu verdeutlichen, wie sich gegenwärtige Machttechnikendurch Affektmodulationen, „affective attunement“ (Opitz 2014: 277)
31 Dabei geht es, wie in der Einleitung in Bezug auf die liberale Gouvernementalität erklärt, um die Sicherung der ‚Freiheit‘ der Bevölkerung, um einen funktionierenden Markt zu gewährleisten.
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genau dieses Potentials des Affektiven bedienen (vgl. Massumi 2015, S. 204ff.).32 Organisiert sich die Macht also selbst über Affizierung? Wenn es darum geht, „unbestimmte“ Reaktionen auszulösen? Wenn Schwarm-Roboter in Kollektiven Sachen machen sollen, für die sie nicht programmiert wurden? Wenn etwa auf Spotify permanent neue Musik angeboten wird, die jedes Mal dem Geschmack der Nutzer entspricht, jene aber gar nicht mehr wissen, was eigentlich ihr Geschmack war, bevor es Spotify gab?
M ASCHINISCHE I NDIENSTNAHME ? O DER : W IE DIE D ISPOSITIVE BEWEGT
WERDEN
Wenn man die skizzierten Prozesse und Strategien als „maschinische Indienstnahme von Affekten“ (Lazzarato 2006) bezeichnet und von einem „Engineering“ der Affekte ausgeht (Hansen 2014), liegt dann nicht aber ein anderes Konzept des Affizierens und damit ein anderes Verständnis von Körpern zu Grunde als das bisher beschriebene? Vermittelt das Bild einer „maschinischen Indienstnahme von Affekten“ (Lazzarato 2006a, 2006b) nicht einen Dualismus zwischen unbelebten Maschinen, welche wiederum die bis dahin vermeintlich ‚natürlichen‘, im Sinne von unberührten, ursprünglichen Regungen von Körpern – womit dann doch nur menschliche Körper gemeint sind – okkupieren? Während in mancher Analyse von Affektmodulation tatsächlich ein Verständnis zum Ausdruck kommt, das „Affekt als existentialistische Notion einer ‚authentischen‘, a-sozialen, a-historischen Erfahrung und als schlichtes behaviouristisches Reiz-Reaktions-Schema setzt, dessen Effekte sich nun erfassen ließen“ (Wiedemann/Pieper 2014: 67),33 knüpft dagegen
32 Oder mit denen etwa Angstzustände auf einer präsubjektiven, prädiskursiven Ebene angeregt und gesteuert würden, wie Massumi es in seiner Analyse der Farbskala, welche die US-Regierung zwischen 2002 und 2011 eingerichtet hat, um der Bevölkerung der aktuellen Grad der Gefahr terroristischer Anschläge zu veranschaulichen (vgl. Opitz 2014: 277). 33 Diese Kritik wird immer wieder in Bezug auf Massumis Affekt-Begriff geäußert, siehe auch FN 20 und 21: Trotz seiner Betonung der Untrennbarkeit von Prozessen der Affizierung vom Sozialen wird ihm immer wieder die Naturalisie-
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gerade Lazzarato an ein Verständnis an, das Körper als permanent bewegt begreift und ihre Fähigkeit, affiziert zu werden und zu affizieren, immer im Zusammenhang mit anderen Elementen eines Agencements auffasst. Die „maschinische Indienstnahme“ würde gerade im Gegensatz zur sozialen Unterwerfung, welche Individuen und Maschinen als in sich selbst geschlossene Totalitäten sieht, eben diese als offene Mannigfaltigkeiten konzipieren: als „Gesamtheit von Elementen, Affekten, Organen, Strömen, Funktionen, die sich auf derselben Ebene halten […]. Die Funktionen, Organe, Kräfte des Menschen fügen sich mit bestimmten Funktionen, Organen und Kräften der technischen Maschine zusammen und bilden mit ihnen gemeinsam ein Gefüge.“ (2006b)
So erzeugen sich die Agencements in Zeiten der Informatisierung, in Zeiten des mit der Digitalisierung verwobenen biopolitischen Kapitalismus. Wenn Lazzarato schließlich in Bezugnahme auf Guattari an die Macht der Maschine erinnert, „schöpferische Prozesse zu eröffnen“ (2006b), kommt dabei auch der grundsätzliche Blick auf die kapitalistische Entwicklung zum Ausdruck, den er in Zusammenarbeit mit Deleuze entwickelt: Dass die kapitalistische Entwicklung ambivalent sei, insofern als dass sie selbst über zunehmende Deterritorialisierung arbeite, haben Deleuze und Guattari bereits in einer frühen Phase des Postfordismus erkannt.34 Schon 1972 schrei-
rung von Affektionsprozessen unterstellt. Das liegt wohl daran, dass er nicht nur bei Deleuze anknüpft, sondern in seine Affekt-Definition auch ein Element der deutschen Medienforschung integriert, das sich, laut Marie Luise Angerer, „in einem großen Bogen mit den Reiz-Reaktions-Untersuchungen von Hermann von Helmholtz verbinden lässt“ (ebd. 2014: 15). Doch von einem solchen ReizReaktions-Schema grenzt Massumi sich vehement ab – schließlich steht es im starkem Gegensatz zu dem Deleuzianischen Erbe, mit dem er er die körperlichmaterielle Prozessualität des Affektiven jenseits der Einhegung durch Diskurse, kulturelle Codes oder biologische Funktionen betont. So hält Massumi selbst fest: Er verbände den Affekt „mit der Bahnung, welche sich nicht durch das lineare Ursache-Wirkungs-Prinzip wie beim Reiz-Reaktions-Schema auszeichnet“, sondern durch „Interferenz und Resonanz, die nicht linear sind“ (ebd. 2010: 87). 34 Siehe auch FN 16.
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ben sie im Anti-Ödipus (1997) davon, dass Schizophrenie sowohl Metapher für den Kapitalismus als auch Methode revolutionären Handelns sei (ebd. 1997: 308), dass die kapitalistische Entwicklung selbst einer schizoiden Deterritorialisierung gleiche, also jenem schöpferischen Prozess, der den Machtdispositiven eigentlich entgegenwirke, wie Deleuze etwa in Lust und Begehren schreibt (u.a. 1996: 236f.). Wenn Lazzarato in Bezugnahme auf Guattari schreibt, man müsse sich in der maschinischen Dimension einnisten, um eine Reserve von Möglichem, die in der Maschine existiere, zu entdecken (ebd. 2006b),35 „eine Politik des Experimentierens, nicht der Repräsentation“ aufzubauen, dann ist das allerdings eine Reserve an Möglichem, das in der Strategie des kybernetisch-biopolitischen Dispositivs selbst nicht vorgesehen ist. Denn auch wenn der Kapitalismus selbst deterritorialisierende Kraft hat und auch wenn es eine Strategie des kybernetisch-biopolitischen Dispositivs ist, Prozesse der Affizierung zu initiieren, so wirkt die Macht auch weiter, wie es Deleuze u.a. gemeinsam mit Guattari selbst herausarbeitet, homogenisierend und zentralisierend (vgl. Rölli/Krause 2010: 95).36 Prozesse der Affizierung sollen im Rahmen der Strategie des kybernetisch-biopolitischen Dispositivs nicht nur angeregt, sondern gesteuert werden: Wie Parisi im Zitat oben betont, sollen die Lawinen, die durch Affektmodifikationen ausgelöst werden würden, zwar „unbestimmt“, aber doch „kontrollierbar“ sein (Parisi 2013: 41). Und wie Vehlken und Müggenburg in ihrer Analyse der Schwarm-Roboter schreiben – im bereits zitierten Abschnitt -, sind diese zwar „selbsttätig“, aber nur um „modularisierte Lösungen für diverse Problemlagen zu entwickeln“ (2011: 69). Unkontrollierbare Lawinen, die nicht erfassbar sind, Transformationen, die ein System destabilisieren,
35 Deleuze und Guattari können so als die Vorläufer des Akzelerationismus gelten, wie er etwa in Deutschland von Armen Avanessian publik gemacht wurde (2013). Interessant wäre, inwieweit sich allerdings mit den akzelerationistischen Annahmen jene Feststellung von Deleuze/Guattari aus dem Anti-Ödipus vereinbaren ließe, die besagt, dass durch die deteritorialisierende Dynamik des Kapitalismus scheinbar überwundene historische Formen (Nationalismus, Faschismus etc.) als Fragmente wieder generiert werden um sich in einer Gleichzeitigkeit, unter völlig veränderten Bedingungen, in die Aktualität wieder einzuschreiben. 36 Wie in der Einleitung etwa am Beispiel von Facebook bezüglich der neoliberalen Gouvernementalität der ‚Kontrollgesellschaften‘ herausgearbeitet wurde.
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sind nicht vorgesehen. Das Prinzip der kybernetischen Rückkopplung, der Wiedereingliederung von Abweichung funktioniert in einem vorherbestimmten Rahmen, der ein System produktiv halten soll, und die Strategie eines biopolitischen Dispositivs lässt sich im Kern darauf reduzieren, Mehrwert aus allen produktiven und reproduktiven Lebensäußerungen zu ziehen, dadurch, dass jene in Daten erfasst, strukturiert und damit Tauschbeziehungen unterworfen werden. Die Strategien des kybernetisch-biopolitischen Dispositivs lassen sich weniger als Prozesse des wechselseitigen Affizierens und AffiziertWerdens, das Okkurentes, im Sinne unberechenbaren Werdens möglich macht, als vielmehr als (Versuche der) Steuerung über Affekte beschreiben. Doch ist es passend, dafür den Begriff Affekt zu verwenden? Die kontinuierliche Programmierung des Empfindens, von der Parisi spricht, ist eben keine Programmierung durch Affizierung, sondern der Versuch, auf einer „präindividuellen, präkognitiven und vorsprachlichen“ (Lazzarato 2006b) Ebene, also auf der Ebene des Affektiven zu wirken, die Wirkung dann allerdings in bereits auf der Bedeutungsebene organisierte Kanäle zu steuern. Eine Trennung dieser verschiedenen operativen Logiken, die konzeptuelle Trennung des Affektiven von der Bedeutungsebene, macht erst möglich, „deren zugleich gebrochene und dynamische Wechselseitigkeit zu begreifen“, wie Sven Opitz in der Auseinandersetzung mit dem Nutzen der Affekt-Theorie für die Soziologie resümiert (2014: 279)37 – was gerade angesichts der beschriebenen Regierungsweisen über a-semiotische Stimulation und deren anschließende Modulation angemessen scheint. Mit dem Konzept des Affektiven, das es in deleuzianisch-spinozistischer Tradition jenseits der Bedeutungsebene verortet, wird damit auch der Blick geschärft für das produktive Spannungsverhältnis, das zwischen den konzeptualisierten Zielsetzungen eines strategischen Dispositivs und ihren konkreten Realisierungen besteht, auf das Benjamin Seibel hinweist (ebd. 2016: 45): Die Strategie des Dispositivs berücksichtige nicht die Wi-
37 Wenn Opitz schreibt (2014: 276), der Affekt sei für Massumi ein Übertragungsund Resonanzphänomen undAffekte würden sich in den Prozessen der wechselseitigen Affizierung affizieren, könnte das auf eine Unschärfe in manchen Passagen von Massumis Werk hinweisen, in denen vermittelt wird, er träfe eine Unterscheidung zwischen den Ebenen des Affekts und der Affizierung – eine Unschärfe, die weiter zu überprüfen wäre.
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derstände, Störungen und Differenzerfahrungen, die in der konkreten (technischen) Formierung auftreten und somit „erweist sich der Formierungsprozess von Dispositiven als unabschließbar: Störungen machen Anpassungsleistungen erforderlich, die ihrerseits neue Störpotenziale generieren“ (ebd.: 45).38 Aus der foucaultschen Perspektive stellt sich als Störpotenzial dar, was sich mit einer deleuzo-guattarischen Perspektive als Deterritorialisierungsbewegung lesen lässt, die auf die Immanenz des Begehrens (und der damit verbundenen Prozesse wechselseitigen Affizierens der Körper) zurückzuführen ist. Das Anliegen, Störung und Transformation von Dispositiven zu erklären, haben auch jene Performativitätstheorien (etwa Judith Butlers frühe Schriften, 1997), die an Austins Sprechakttheorie und an Derridas Iterabilitätskonzept anknüpfen. Während jene sich allerdings auf Kämpfe um Identifikation und Repräsentation und damit in psychoanalytischer Tradition auf ein (humanes) Subjekt konzentrieren (vgl. Angerer 2013: 80f.; Pieper/Wiedemann 2014: 70), ermöglicht das deleuzo-guattarische Agencement-Konzept, wie gezeigt, einen Blick auf die emergenten Verbindungen zwischen einer Mannigfaltigkeit humaner und nicht-humaner Körper, die in nicht-linearen Prozessen des Affizierens hergestellt und immer wieder neu und anders konstelliert werden (Deleuze/Guattari 1992: 325). Und so resümiert auch Massumi in jenen Passagen, in denen er von „affektiver Politik“ schreibt, also von Versuchen, Körper auf der affektiven Ebene zu steuern (etwa 2010: 78), dass es „keine Garantie dafür gibt, dass sie [die Körper; C.W.] […] gleich handeln“ (ebd.), weil es „keine Gleichheit des Affekts“ gäbe (77), selbst in hochdeterministischen Systemen gäbe es „einen objektiven Freiheitsanteil“ im „Zusammenkommen der Bewegungen“ (2010: 40). Auch Massumi greift die von Spinoza proklamierte Unberechenbarkeit und Undurchschaubarkeit des Körpers und seiner Vermögen auf, die schon Deleuze unterstreicht: „ihr wißt nicht im Voraus, was ein Körper oder eine
38 Foucault selbst hat mit der „strategischen Wiederauffüllung“ (1994: 121) jenen Vorgang bezeichnet, in dem eine Strategie der Kontrolle nicht einfach scheitert, sondern gerade durch ihren Erfolg neue Kontrollprobleme hervorbringt, womit eine Erklärung historischen Wandels skizziert wird, denn neue Dispositive bilden sich heraus, um auf neue Probleme zu antworten, die von den alten mitgeschaffen wurden (vgl. auch Seibel 2016: 46).
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Seele in solcher Begegnung, jener Anordnung, jener Kombination vermag“ (1988: 162). Die Potenzialität der Materie ist nicht in individuierten Körpern eingeschlossen, sondern ereignet, aktualisiert sich im Dazwischen, in Prozessen des wechselseitigen, nicht-linearen Prozessen des Affizierens und Affiziert-Werdens, die in ihrer Aktualisierung immer mit diskursiven Ordnungen verwoben sind.
E XKURS : A FFEKT & I MITATION Dieses Affekt-Verständnis habe ich im Aufsatz Greetings from the Dark Side genauer erläutert, im Aufsatz Between Swarm, Network, and Multitude jedoch nicht konsequent weiterformuliert: An zwei Stellen unterscheide ich Prozesse der Affizierung nicht präzise von Mechanismen der Imitation, der Ansteckung und Synchronisierung. Letztere sind jedoch nach der deleuzianisch-spinozistischen Definition, die ich hier ausgeführt habe, nicht gleichzusetzen mit Prozessen der Affizierung im Sinne von Vermögenssteigerungen von Körpern, die unberechenbare Transformationen bedingen (können), die, wie ich im Aufsatz schreibe, „do not produce contagious forces but raise the potential of the affected bodies to act and thus are a creative force that has a modifying effect“ (siehe S. 188). Imitation kann auf Affizierung zurückgehen, Affizierung hat aber nicht automatisch den Effekt, dass es zu einer Ansteckung im Sinne einer Imitation kommt. Auch Massumi gibt zu Bedenken, ob jene „momentan in der Literatur zum sogenannten ‚affective turn‘ verhandelte[n] Ideen wie die der Imitation oder der Ansteckung“ angemessen die „Differenz im Einklang und die Übereinkunft in der Differenz“ situieren und die Variabilität, die dem Affekt entspringe, widerspiegeln (2010: 77, Herv.i.O.). Prozesse der Affizierung sind auch nicht gleichzusetzen mit Prozessen zirkulärer Reaktion, die im vorliegenden vierten Aufsatz mit Bezug auf Blumer (1946) eine zentrale Rolle spielen, wobei letztere ebenfalls nicht einfach auf einer Ebene mit Ideen von Imitation oder Suggestion anzusiedeln sind. Ich habe zirkuläre Reaktion in jenem Aufsatz insofern auf Prozesse der Affizierung zurückführen können, als dass sie in der Blumerschen Konzeption Kollektivität jenseits von Einheitssemantik herstellen kann: Zirkuläre Reaktion produziert kollektives Verhalten, das mit der Steigerung des Tätigkeitsvermögens der einzelnen
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Körper sowie des Kollektivs einhergeht – auch im Sinne der Konstitution eines spontanen und kurzfristigen Kollektivs. Dabei beschreibe ich Infrastrukturen als die neuen „Führer“, wie einst die „crowd leader“ (Tarde [1901] 1969), insofern als dass sie Schwärme produzieren. Auch hier müsste präzisiert werden, da es sich dabei nicht um eine Steuerung, eine Führung handelt und der Begriff des Führers, des „crowd leader“ damit gar nicht adäquat scheint. Gerade, wenn mit der Beteiligung der Infrastruktur Prozesse der Affizierung in Gang gesetzt werden, bezieht sich das auf eine gewisse Offenheit und Beweglichkeit der Infrastruktur, die das, was innerhalb dieser Infrastrukturen passieren kann, möglichst wenig steuert oder vorstrukturiert. Allerdings können Infrastrukturen, wie im letzten der vorliegenden Aufsätze gezeigt, genau nach diesem Anliegen programmiert sein, also doch auf eine Art ‚geführt‘ sein, dass sie selbst möglichst wenig determinieren, was passiert. Damit können sie begünstigen, dass sich die Körper, die sich im Rahmen der Infrastruktur ‚begegnen‘, wechselseitig eher affizieren als determinieren. (Digitale Infrastrukturen können im Gegenteil aber eben auch so codiert sein, dass sie möglichst determinieren, was passiert, wie ich es im ersten Aufsatz am Beispiel der Anrufungen des Interface von Facebook gezeigt habe.)
K OLLEKTIVITÄT WELCHER K ÖRPER ? C OMPUTER UND A FFEKTE Doch: Werden digitale Infrastrukturen selbst in jenen Prozessen auch affiziert? Das Affektive ereignet sich doch immer zwischen Körpern, immer in Prozessen des Affizierens und Effiziert-Werdens – und unter Körper wird alles Individuierte verstanden. So müsste auch von einer Vermögenssteigerung der Infrastrukturen ausgegangen werden. In Anlehnung an den Informatiker Warnke habe ich aber im Abschnitt zu Codes beschrieben, dass der Horizont des Informationsuniversums digitaler Infrastrukturen prinzipiell abgeschlossen sein muss. Deshalb sei überhaupt von ‚Programmierung‘ die Rede. Das hieße, jene digitalen Infrastrukturen seien in einer Weise vorstrukturiert und determiniert, dass sie damit kaum als Körper im spinozistisch-deleuzianischen Sinn zu bestimmen wären. Würde das nicht wiederum eine Unterscheidung von Körper einführen, in Bezug auf Anonymous etwa auf der einen Seite jene programmierten In-
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frastrukturen, deren Informationshorizont, wie geschrieben, abgeschlossen sein muss, auf der anderen Seite die Körper der User_innen, deren ‚Informationshorizont‘ bzw. deren Erfahrungshorizont gerade durch ihre Fähigkeit, sich wechselseitig zu affizieren nicht abgeschlossen ist? Eine solche Unterscheidung von Körpern, die sich darauf bezieht, inwieweit sie formalisierbar und damit programmierbar sind, die zwischen dem Körper einer Internetplattform und dem Körper einer User_in unterscheidet, entspräche jedoch einer vitalistischen Aufteilung von Körpern in lebendige im Sinne organischer Körper auf der einen und unbelebte Körper im Sinne an-organischer Körper auf der anderen Seite,39 die gerade den deleuzianisch inspirierten Theorien des New Materialism widerspricht. Die neo-materialistischen Lesarten von Affekt sind schließlich nicht nur Teil einer (post)strukturalistischen Tradition, die das Subjekt dezentriert und ein (humanes) intentional handelndes, vorgängiges Subjekt verabschiedet, sie gehen noch weiter als die auf Repräsentationskritik konzentrierten Theorien, indem sie erstens von Dynamiken und Interaktionen zwischen diversen Körpern jenseits der menschlichen Wahrnehmung ausgehen (Parikka 2010) und zweitens damit zusammenhängend alle Diesheiten (menschliche und nicht-menschliche Körper), Materialitäten, Entitäten als handlungsfähig bzw. affizierungsfähig begreifen (Bennett 2010). Damit wird die Argumentation eines praxeologisch argumentierenden Materialismus verabschiedet, der eine ontologische Asymmetrie zwischen Praktiken und Materialität, zwischen Sozialstruktur und Handlung fortschreibt und die konstitutive Rolle der Artefakte darauf beschränkt, das Soziale zu reproduzieren (vgl. Folkers 2013: 21).40
39 Dieser Vitalismus hat nicht mit dem ‚vitalen Protest‘ der deleuzianischen Philosophie zu tun, die sich gerade „gegen die für den vulgären Vitalismus typische Identifizierung des Lebens mit dem Organismus [Herv.i.O.]“ wendet (Balke 1998: 107). 40 Dinge werden in den Praxis-Theorien nicht als Objekte oder Gegenstände der Repräsentation, sondern als Artefakte gesehen, die nicht bloß vorgestellt, sondern praktisch hergestellt werden. Diese Artefakte sind ebenso wie das leibliche Selbst Teil einer bedeutsamen Verweisungstotalität. Bedeutsamkeit ist dabei kein Attribut von symbolischen Zuschreibungen, sondern entsteht korrelativ zu den Bewältigungsvollzügen des Alltags. Und so sind auch Artefakte die Koproduzenten der sozialen Praxis. Doch werden diese Artefakte als abgeschlossen
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Die Ontologie, die der Neue Materialismus mit der Perspektive auf die operative Rolle der Materialität einführt, ermöglicht dagegen, und das war für meine Analyse relevant, die dynamisierende, ja beschleunigende Qualität von materiellen Operatoren in den Blick zu nehmen. Doch inwieweit schreibt ihnen das die Fähigkeit zu, selbst affiziert zu werden? Wenn sich eine – damit konzeptionell verbundene – Vermögenssteigerung auf eine bestimmte Position in der Anordnung, in der Verbindung mit anderen konstitutiven Elementen eines Agencements bezieht, ließe sich unter Vermögenssteigerung der Infrastruktur verstehen, ihr Vermögen zu affizieren steigere sich innerhalb dieses spezifischen Agencements. So ließ sich etwa in Bezug auf Anonymous zeigen, dass sich nach einer Schwarmbildung auf 4chan das Affizierungs-Vermögen jener Plattform und spezifischer Aspekte der Plattform, die für die Schwarmbildung mitkonstitutiv waren, so steigert, dass mehr User_innen als zuvor durch die Plattform affiziert werden können. In diesem Fall lässt sich von einer affektiven Aufladung der Plattform sprechen, die das Begehren nach Verbindung steigert und somit die Konstitution kommender Schwärme befähigt. Noch offensichtlicher wird die Fragwürdigkeit der Unterscheidung zwischen belebter und unbelebter Materie angesichts gegenwärtiger Entwicklungen, angesichts der zunehmenden Debatten über Mischungen von organischen und an-organischen Elementen und angesichts dessen, dass verschiedene Elemente vormals als abgeschlossen verstandener Körper rekombinierbar werden.41 Und wenn sich gleichzeitig Computer so konzipieren lassen, wie Luciana Parisi es im Hiblick auf „Erfassungsmedien“ beschreibt, scheint die Unterscheidung von belebter vs. unbelebter Materie erst recht überholt – genau wie Martin Warnkes Aussage, dass der Horizont des Informationsuniversums digitaler Infrastrukturen prinzipiell abgeschlossen sein muss: „Erfassungsmedien“ seien gerade nicht nur physische Aufzeichnungs- und Klonierungsmaschinen von Daten, sondern „sie elaborieren Daten auch und können so ihre programmierten Strukturen über-
bzw. als geronnene Praxis konzipiert, die sich nicht aus sich heraus ändern kann. Ähnlich sehen es manche Tendenzen der ANT. (Vgl. Folkers 2013: 21) 41 So fasst Lemke zusammen (2004: 272) zusammen: „Die Fassung des Körpers als komplexes System oder informationeller Text erlaubt neue Formen der Rekombination nicht nur innerhalb der menschlichen Spezies, sondern auch jenseits der traditionellen Artgrenzen.“
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schreiten und etwas denken, wozu sie effektiv gar nicht vorgesehen waren“ (Parisi 2013: 45f.). Wenn Computer miteinander so intraagieren, dass etwas Ungeplantes entsteht, etwas, das nicht mehr, wie im Kontext, den ich weiter oben mit Referenz auf Vehlken und Müggenburg beschrieben habe, „der Problemlösung“ derer, die die Computer programmiert haben dient, sind sie dann schöpferisch?42 Wenn in einem Computernetz die Rechenmaschinen auf unberechenbare Weise zirkulär aufeinander reagieren und dabei gemeinsam eine unvorhersehbare Wirkung entfalten, müsste ich nach der bislang vorgelegten Definition davon ausgehen, dass zwischen diesen Maschinen Prozesse der wechselseitigen Affizierung stattfinden. Eine weitere Auseinandersetzung mit dem Körper-Begriff würde den Begriff der Erfahrung diskutieren und die Frage, inwiefern er auf alle Körper angewendet werden kann.43 Wie ich im letzten der Aufsätze in Massumis Worten formuliere, hinterlassen Erfahrungen im Sinne sozialer und kultureller Determinationen, rassistischer, sexistischer und anderer normierender Herrschaftsverhältnisse zwar ebenfalls ‚codierende‘ Spuren auf den Körpern der User_innen, die damit „Presuppositions“ (ebd. 2009: 3) haben, d.h. Tendenzen aufweisen in Bezug auf die Fähigkeit, affiziert zu werden. Doch macht gerade das Konzept der Affizierung möglich, wie im fünften Aufsatz beschrieben, Körper nie determiniert zu denken, sondern gerade von jenen Kräften eine Vorstellung zu entwickeln, die die Tendenzen der Körper verändern können (vgl. ebd.).44
42 Die Frage nach der Schöpfungskunst von Computer und Maschinen müsste in einer weiteren Auseinandersetzung auch die Überlegungen von S. 22 aufgreifen. 43 Daran würde außerdem die Frage nach der Verantwortung anschließen: Die deleuzianische Perspektive auf Agencements und darin enthaltene Prozesse der Affizierung ermöglicht, wie gezeigt, einen machtkritischen Zugang, der im Rahmen eines Material oder Affective Turn oft die Basis für theoretischethische Projekte bildet. Dabei ergeben sich theoretische Probleme bezüglich des Körper- und Subjekt-Verständnis’, das in der spinozistisch-deleuzianischen Linie des Material oder Affective Turn befürwortet wird und das schließlich in Widerspruch gerät mit dem politischen Anspruch dieser Richtung. 44 Dabei stellen sich Fragen, inwiefern die jeweilige Codierung der Körper von User_innen als nicht linear zu verstehen ist, weil sie auf den Biographien der
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Ich habe den Begriff der Erfahrung auch in meinen Aufsätzen verwendet. Wenn ich von der ‚Erfahrung des Gemeinsamen‘ geschrieben habe, bezog sich das auf die User_innen-Subjekte, die eben jene entsprechend diskursiv zum Ausdruck bringen.
K OLLEKTIVITÄT UND K OOPERATION : D AS UNBERECHENBARE „W IR “ Über jene ‚Erfahrung des Gemeinsamen‘ wird im Folgenden eine Unterscheidung vorgenommen, welche der weiteren Präzisierung des Modells kritischer Kollektivität im Netz dient, für das Anonymous exemplarisch steht. Bislang wurden Prozesse der Affizierung eingeordnet als erstens potentiell konstitutiv für Kollektivität jenseits von Repräsentationslogiken – wie bereits in den Aufsätzen und in der Einleitung dargelegt, bezieht sich der Begriff Kollektivität damit auf eine Verbindung heterogener Elemente, die in jener Verbindung oder Begegnung eine Vermögenssteigerung erfahren, welche wiederum eine gemeinsame Wirkmächtigkeit konstituiert. Und zweitens habe ich Prozesse der Affizierung als deterritorialisierend bestimmt, zumindest in Bezug auf einen Teil der Strategien, einen Teil des Territoriums des hier fokussierten Dispositivs, doch ordnet sie das noch nicht automatisch als subversiv ein, denn schließlich gibt es, wie vorhin gezeigt, verschieden starke Formen der Deterritorialisierung, die sich quasi auf verschieden große Teile des Territoriums beziehen, das es zu bewegen gilt. Wie vollkommen oder relativ eine Deterritorialisierung ist, lässt sich immer nur im Nachhinein in Bezug auf ein Ereignis, eine Entwicklung sagen, das oder die damit mehr oder weniger ereignisreich im Sinne von transformierend war. Zudem können auch Flucht- und Deterritorialisierungslinien, wie bereits angedeutet, „in die extremsten Zusammenbrüche“
jeweiligen User_innen basiert, die nie gleich sein können, genau wie auf ihrer jeweils situativ zu bestimmenden Verbindung mit anderen Körpern innerhalb eines Agencements, die eben durch Prozesse der Affizierung wiederum die Körper als permanent im Wandel konzipiert, weshalb auch Versuche, jene Körper komplett über DNA-Codes zu ‚entschlüsseln‘ – eine Strategie des hier fokussierten Dispositivs – aus dieser Perspektive nicht möglich wären.
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führen (Patton 2010: 212), wenn sie versäumen, „sich mit den notwendigen Bedingungen einer schöpferischen Entwicklung zu verbinden“ (vgl. ebd.: 211). Dann ist es keine Fluchtlinie mehr, sondern kann gar zu einer „Todeslinie“ werden, wie Deleuze und Guattari schreiben (1992: 313), um die Gefahren zu verdeutlichen, die von Deterritorialisierungsbewegungen ausgehen können. Unter Gefahr ist, wie schon weiter vorn erwähnt, das zu verstehen, was passiert, wenn die Fluchtlinie nicht nur auf das alte Territorium zurückgebogen wird, sondern wenn sie die Machtverhältnisse dieses Territoriums stabilisiert, die wiederum Herrschaftsverhältnisse legitimieren und Unterwerfungen produzieren und Möglichkeitsspielräume beschränken, das Territorium also stärker determinieren als zuvor. So muss auch in Bezug auf unberechenbare, unkontrollierbare Formen von temporärer Kollektivität weiter präzisiert werden, um jene Form kritischer Kollektivität, für die Anonymous exemplarisch steht, zu konkretisieren: Wenn in Prozessen der wechselseitigen Affizierung etwa Street Riots als Gewalt- und Zorneskollektive in Städten entstehen, sind diese dann auch als subversiv zu bestimmen? Oder Panik-Kollektive in der Finanzökonomie? Wenn Anonymous als subversiv eingeordnet wird auf Grund der Unberechenbarkeit, die durch die affektiven Dynamiken erzeugt wird und zur Störung eines kontrollgesellschaftlich-kybernetischen Dispositivs werden kann, dann müssten diese Kollektivitätstypen ebenso als subversiv gegenüber jenem Dispositiv gefasst werden – wie auch das Kollektiv der Computer, die, wie oben beschrieben, auf unkontrollierbare Weise miteinander interagieren. Wenn man sich rein auf die Ebene der Kontrolle konzentriert, trifft das zu. Wenn allerdings weitere Strategien, Anrufungen und Subjektivierungsmodi jenes Dispositivs, das bislang beschrieben wurde, miteinbezogen werden, lässt sich ein zusätzliches Merkmal an Anonymous fokussieren, das es von jenen anderen unvorhersehbaren Formen der Kollektivierung unterscheidet und das wiederum bewirkt, dass Anonymous temporär Fluchtlinien erzeugt, die etwa ein spontanes Zornkollektiv nicht erzeugen kann. Dessen Deterritorialisierungsbewegung gegenüber der kontrollierenden, auf Vorhersage und Funktionalität ausgerichteten Strategie eines kybernetisch-biopolitischen Dispositivs ist als relativ zu verstehen und führt auf das Territorium zurück, insofern sie sich eben nicht mit anderen notwendigen Bedingungen einer schöpferischen Entwicklung verbindet. Sowohl im Fall
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des Zorn- als auch des Panikkollektivs lässt sich eher von einer Logik der Ansteckung sprechen, die Prozessen der Affizierung, wie bereits beschrieben, zwar entspringt, aber schließlich keinen schöpferisch-transformativen Effekt ausbildet.45 Jenes entscheidende Merkmal, das Anonymous neben der Unberechenbarkeit ausmacht und in der Verbindung die Möglichkeit zur ‚Flucht‘ bietet, ist die Herausbildung eines Narrativs des ‚Common‘, des Gemeinsamen, das als anti-repräsentationistisches Narrativ, als Repräsentation der Anti-Repräsentation zu verstehen ist und ein unbestimmtes, offenes ‚Wir‘ erzeugt. Es geht auf Momente der Kooperation zurück, die es dann wiederum im Weiteren inspiriert, die in der unaufhörlicher Affizierung beweglich bleiben.46 Während Anonymous zu Beginn auf 4chan jeweils temporär, kurzfristig als Schwarm auftauchte, also scheinbar voraussetzungslos kollektives Verhalten aufwies, das etwa bestimmte Memen erzeugte oder auch spontan die Planung einer gemeinsamen ‚Operation‘ ermöglichte, bildeten sich allmählich, wie im zweiten und vierten Aufsatz beschrieben, netzwerkartige Strukturen heraus, also Plattformen, die eigens für und von Anonymous gebildet waren. Es hatte sich ein bestimmtes Anliegen entwickelt und etabliert, das letztlich die Kollektivität überhaupt jenseits der Momente der spontanen Kooperation, die auf der wechselseitigen Affizierung in der speziellen Infrastruktur basierten, greifbar machte. Jenes Narrativ, das sich seit Aktionen wie der Operation Payback und dem Einsatz für die Aktivist_innen des so genannten arabischen Frühlings entwickelte, brachte die gemeinsame Erfahrung des anonymen Austauschs online zum Ausdruck, eine Art Selbstreflektion dessen, was Anonmyous, was der anonyme Austausch in spezifischen Infrastrukturen mit den User_innen machte, die dann auch zum Anliegen von Anonymous wurde: Die Konstituierung einer nicht vereinheitlichenden Einheit, die keine identitären Mitgliedschaftsbedingun-
45 Ansteckung wird zum zentralen Begriff, den nicht nur die Ökonomie, sondern auch die Soziologie nutzt, um die Ausbreitung von Marktstörungen zu analysieren (u.a. Stäheli 2011). 46 Vgl. hierzu auch die Arbeiten zu Mobile Commons, unter deren Stichwort in der neueren Migrationsforschung Kollektivitäten zu verstehen sind, die ohne Koordination alltägliche Formen der Kooperation etablieren (u.a. Tsianos/Trimikliniotis/Parsanoglou 2015).
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gen aufstellt. Anonymous entwickelte ein Narrativ, das den Einsatz für die eigenen Konstitutionsbedingungen zum Ziel der Kollektivität erklärt, und deshalb Formen der Kooperation und Unterstützung etabliert, die den Zugang zu Infrastrukturen erleichtern, in denen möglichst barrierefrei und ebenbürtig kommuniziert werden soll. Die Momente, in denen zum Beispiel spontan Tutorials für jene entwickelt werden, die noch nicht programmieren können, oder plötzlich anonym gemeinsam Manifeste geschrieben werden, in denen es um eine Erfahrung des ‚Gemeinsamen‘ geht, die während der Kooperation erst entsteht, habe ich als Momente emergenter Solidarität gefasst (siehe S. 115, 125). Damit wird auf eine „nichttraditionelle und nichtnostalgische“ (Hark et al. 2015: 102) Vorstellung von Kooperation verwiesen, in der sich das ‚Gemeinsame‘, wie gleich zu zeigen ist, weder mit einem Begriff von Interessen noch mit einem Konzept der Identität angemessen konzeptualisieren lässt.
K ONSTITUIERUNG DES G EMEINSAMEN ( IN ) DER A NTI -R EPRÄSENTATION Ähnliche Tendenzen der Anti-Repräsentation und der gleichzeitigen Herausbildung eines Narrativs, das wiederum die Verweigerung von Identitätslogiken als konstitutiv für die Entdeckung bzw. Produktion eines ‚Gemeinsamen‘ erklärt, weisen andere jüngere Protest- und Kollektivitätsphänomene auf, deren Konstitutionsprozesse ebenfalls auf affektive Logiken zurückgeführt werden.47 So analysiert etwa Margarita Tsomou (2014), wie
47 Als historische Vorläufer jener Art von Verweigerung der Identitätszuschreibung lässt sich die Studenten – und Happeningbewegung Ende der 1960er Jahre anführen, die anti-repräsentationale Taktiken der internationalen Situationisten aufgriff und durch Happeningaktionen wie Sit-Ins oder das kollektive Besetzen symbolischer Orte kurzfristig Protestkollektive im öffentlichen Raum bildete, um unvorhersehbare Reaktionen auszulösen. Historische Genealogien finden sich auch im Anarchismus, in den feministischen und queeren Bewegungen, in der zapatistischen Bewegung der 1990er sowie in der globalisierungskritischen und Euromayday-Bewegung der 2000er Jahre. Doch die Proteste der vergangenen Jahre, so zeigt Isabell Lorey (2012), stellten insofern ein Novum dar, als dass sie weit über ein linkes sozialkritisches Spektrum hinausgingen.
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sich durch die Besetzungen des Syntagma-Platzes in Athen eine Kollektivität konstituiert habe, über Affekte, Performanzen und die Sprache der Körper, „in einer permanenten Bewegung des Zusammenkommens in der kreisförmigen Formation der Platzbesetzung für ein prozessuales, gemeinsames Agieren – oder anders: um die Konstituierung eines Gemeinsamen in einem permanenten Werdensprozess zu ‚rehearsen‘“ (137), so versteht außerdem Isabell Lorey die neueren Protestbewegungen seit 2011, auf dem Tahir Square in Kairo oder in New York im Zuccoti Park, als Entstehen einer konstituierenden Macht im Prozess des „Gemeinsam-Werdens“ (2012), und so zeigen Serhat Karakayali und Özge Yaka (2014), wie sich im Rahmen der Gezi-Proteste in Istanbul ein Prozess des „Commonings“ durch wechselseitige Affizierung entwickelte.48 Wie auch in Bezug auf Anonymous herausgestellt, betonen jene Analysen die spezifische Konstitution eines Gemeinsamen, das erst in den Begegnungen artikuliert und jenen Begegnungen von den Beteiligten im Nachhinein zugeschrieben wird, das sich also nicht auf eine im Vorfeld bestimmte Art von Gemeinsamkeit bezieht. Damit wird wiederum auf die spinozistisch-deleuzianische Konzeption der Indeterminiertheit von Körpern und auf deren Potentiale der „Soziabilität“ (Papadopoulos/Stephenson 2006: 171) Bezug genommen, wie ich etwa in meinem dritten Aufsatz schreibe. Wie bereits in Referenz zu Massumi (2015: 207) erläutert, lässt sich so von einer permanent im Werden begriffenen Intensität der Verbindung zwischen Körpern, ihrer Fähigkeiten zur Herstellung und Aktivierung von sozialen Beziehungen und Netzwerken ausgehen, die einen ‚Exzess‘, einen Überschuss ergebe – was gerade durch die post-operaistische Analyse von Protest- und Kollektivitätsanalysen vor dem Hintergrund der Transformationsprozesse zum biopolitischen Kapitalismus unterstrichen wird: Im Vakuum von Kontrolle und Kommodifikation könne, so die postoperaistische Perspektive, die vor allem Michael Hardt und Antonio Negri
48 Diese Reihe soll jedoch nicht vermitteln, es gäbe ein lineares Verhältnis, das einen Ursprung hier oder da hätte, es lassen sich aber „[…] Ähnlichkeiten, singuläre Wiederkehr und implizite wie explizite Bezugnahmen, Übersetzungsvorgänge in alle Richtungen und produktive Fehlübersetzungen in allen Dimensionen“ (Raunig 2012) ausmachen.
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in der Linie von Spinoza, Deleuze und Guattari entwickeln,49 in den Beziehungen im alltäglichen Leben ein Überschuss entstehen, der sich dem Kontroll- und Ausbeutungsregime entziehe (vgl. Pieper 2015: 231) und als Speicher dissidenter Praxen soziale Transformationsprozesse anregen beziehungsweise eine konstituierende politische Kraft bilden könne (vgl. Pieper/Panagiotidis/Tsianos, 2011: 213). Im Fall von Anonymous lässt sich der Überschuss bereits daran veranschaulichen, dass mit jener Plattform 4chan, auf der Anonymous überhaupt entsteht, kaum Gewinn gemacht werden kann, weil die User_innen keine für Werbekunden relevanten Informationen hinterlassen. All jene weiteren Prozesse der Kooperation in der Anonymität, die Anonymous auch außerhalb von 4chan, auf den eigens von und für Anonymous kreierten Plattformen vollzieht, lassen sich ebenfalls nicht einspeisen in die Verwertungssysteme des kybernetisch-biopolitischen Regimes, über das Facebook operiert. Die Lolcats-Meme oder die Guy-Fawkes-Maske mögen zwar als Anonymous-Symbole kulturindustriell angeeignet werden, der Überschuss aber stellt sich als jenes Gemeinsame dar, das immer wieder in der Kooperation auf Basis der affektiven Verbindung erzeugt wird und jeder Repräsentation entgeht, denn „[…] dieses ‚common‘ ist etwas, […] das sich zu allererst zu etwas zusammensetzt, was es noch nicht gibt“ (Lorey 2010b: 23). Deshalb entsteht dadurch auch keine Gemeinschaft im traditionellen Sinn, wie Lorey es auch in Bezug auf die Bewegungen der Platzbesetzungen analysiert, „keine Vereinigung oder Vereindeutigung, sondern eine Gemeinschaftsvorstellungen fliehende Zusammensetzung“ (ebd.). Sobald das Gemeinsame kategorisch gefasst wird, ist es still gestellt – ein Punkt, der auch in der Artikulation des Narrativs von Anonymous immer wieder für Diskussionen auf den entsprechenden Plattformen sorgte.
49 Hardt und Negri orientieren sich mit dem Vorschlag einer „konstituierenden Ontologie“ (Hardt/Negri, 2010, S.184f.) an jener Ontologie, wie sie bereits bei Spinoza und Deleuze formuliert wurde: Das Sein als ein beständiger ‚Prozess des Werdens‘ in heterogenen Verbindungen einer Vielzahl von Körpern (human und nicht-human), Affekten, Dispositiven der Macht und Praktiken des Fliehens. Vor allem in Common Wealth (Hardt/Negri 2010) wird die Bedeutung der Produktion des Gemeinsamen beschrieben, wie sie in der vorliegenden Arbeit zum Tragen kommt. Zur weiteren Einordnung des Post-Operaismus: Siehe Einleitung 12f.
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Genau wie die Tatsache, dass sich immer wieder kurzfristig Hierarchien auf einzelnen Plattformen entwickeln, einzelne User_innen beginnen, einen Chatraum zu dominieren, ihren Stil durchzusetzen, und bestimmte Codes sich in der Ausdrucksweise immer wieder etablieren. Wie ich in diesem Zusammenhang gezeigt habe, versuchte Anonymous jedoch dagegen anzugehen und sich zu wehren gegen das, was den dezentralen anonymen Austausch sowie den freien Zugang dazu einschränken könnte. Lorey zufolge sind gerade die Auseinandersetzungen, die in diesem Gemeinsam-Werden, in der Entwicklung einer konstituierenden Macht entstehen, politisch im Grund legenden Sinne, sowie Ausdruck von Verweigerungen und Widerständigkeiten, auf Grund derer sich eine konstituierende Macht überhaupt entfalten kann.50 „Ohne Konflikte, ohne soziale Kämpfe bleibt die konstituierende Macht, die es braucht um einen Prozess der Konstituierung in Gang zu setzen, lediglich vereinzeltes Vermögen in der Latenz.“ (Ebd.)
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Infrastrukturen, die anonyme Kommunikation erlauben, ermöglichen die Gleichzeitigkeit von Kooperation und Verweigerung von Selbstdarstellungs- und Identifizierungsaufforderungen in spezifischer Weise.51 Christoph Brunner, der zu Fragen von Kollektivität und Affekt forscht, verweist auf die zentrale Bedeutung der Anonymität im Netz für aktivistische Kollektive, um die Frage nach der Repräsentation und des Kampfes dagegen, nach repräsentationskritischer Kollektivität zu diskutieren (2015: 183ff.). Bevor zuletzt die Rolle der medialen Infrastruktur aufgegriffen wird, möch-
50 Der Begriff der „konstituierenden Macht“, der auf Antonio Negri zurückgeht, eignet sich in den Augen Isabell Loreys besser, um das Gemeinsam-Werden als politische Handlungsfähigkeit denken zu können, als der des „Gemeinsamen“ (Lorey 2010b: 22). 51 Wie in den Aufsätzen in Bezug auf sich immer wieder entwickelnde Hierarchien erläutert, ermöglicht die für Anonymous zentrale Eigenschaft der Anonymität aller Teilnehmenden freilich auch, deren jeweilige Situiertheit und damit Machtverhältnisse zu verschleiern. Ein Aspekt, den ich hier nicht mehr aufgreife.
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te ich noch einmal kurz den Bezug zur Diskussion von Subversion und somit zum in Frage stehenden Dispositiv herstellen. Die Herausbildung jener Formen der affektiven Verbundenheit, in denen jenseits von individuellen Profitlogiken kooperiert und dabei das ‚Gemeinsame‘ produziert wird, lässt sich insofern als dissident verstehen, als sie die individualisierende Anrufung als unternehmerisches Selbst einer neoliberalen Gouvernementalität im Postfordismus unterläuft. Das Dispositiv, das in der Einleitung erläutert wurde, operiert auf der Ebene der Individuen und basiert auf deren Selbstaktivierung: Das unternehmerische und kompetitive, konkurrenzorientierte Selbst korrespondiert mit der freiwilligen Unterwerfung unter ein kybernetisch-kontrollgesellschaftliches Regime, das darüber operiert, über die Daten jeder einzelnen Person, die sich selbst vermisst und das eigene Leben etwa auf Facebook dokumentiert, Formen kollektiver Bevölkerungskontrolle (Big Data) zu koordinieren. Dass die Anrufung als unternehmerisches Selbst dabei auch verwoben ist mit der Aufforderung zu interagieren, sich zu vernetzen und zu partizipieren, lässt sich, wie gezeigt, an Facebook herausstellen: Die permanente Anregung, sich mit noch mehr User_innen ‚anzufreunden‘ ist vor dem Hintergrund eines Interface‘ zu verorten, das zum permanenten Vergleich des Feedbacks über die Anzahl der ‚likes‘ anregt, die einzelne für die jeweiligen Selbstdarstellungen bekommen. Noch mehr ‚Freunde‘ heißt auf Facebook noch mehr Möglichkeiten, sich zu messen und sich vor noch größerem Publikum zu vermessen. Dass die „technologische Bedingung“ (Hörl 2011) selbst ein „hyper-relationist movement“ (ebd. 2016: 108) antreibt, also dazu anleitet, sich verbunden zu denken, sowie die Verbindung zum Status quo macht, über den das kybernetisch-biopolitische Dispositiv regiert, steht allerdings, das zeigt eine Auseinandersetzung mit einer ‚kritischen Kollektivität im Netz‘ wie Anonymous, nicht im Widerspruch zur Möglichkeit subversiver affektiver Konnektivität, sondern kann sich genau dafür auch als erleichternd erweisen (vgl. Hörl 2016: 116).52
52 Durch die „technologische Bedingung“ würde die Emergenz von bislang nicht vorstellbarer Komplizenschaft denkbar (Hörl 2016: 116): „[…] it is a redetermination of the meaning of conjoining and (re)assembling, the emergence of unimagined complicities that have for the first time been uncovered and emphasized, in fact made thinkable, by the technological condition.“
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Im Aufsatz Open Collectivity bestimme ich Kollektivierung als Ereignis des Gemeinsamen durch die „Medien-Infrastruktur“ (ebd.: 278) – mit Bezug auf Gerald Raunigs Konzept orgischer Medien (2007). Orgische Medien definiert Raunig in Anlehnung an Deleuze nicht als Mittel zur Information oder zur Übermittlung eines Ereignisses, sondern als Möglichkeitsbedingungen von Ereignissen.53 Dabei geht es nicht darum, Medien als Lösungen von Problemen zu begreifen – wie es im Fall des Befreiungsdiskurses zum Internet und Web 2.0 der Fall ist –, sondern „als Eröffnung des Möglichen“ (ebd.), wie Raunig im Anschluss an Deleuze erklärt. Ähnlich konzipiert die Medienphilosophin Vera Bühlmann, die Deleuze’ Vorschlag zur Bestimmung der Konstitutivität des Medialen aufgreift, Medialität als „ein klimatisches Milieu der Aktualisierungsbedingungen eines Potentialraumes, des Virtuellen […]“ (2011: 247). Aus jenem Medialitätsverständnis leitet sie ein Medienverständnis ab, das auf die Rolle von Infrastrukturen für die Erzeugung ‚kritischer Kollektivität‘ verweist, wie sie hier konzipiert sind. Medien sind für Bühlmann nicht Objekte, Apparate oder Instrumente, sondern „Infrastrukturen für den Aufbau dynamischer Zeichensituationen“ (2010: 1) und somit nur dann als Medien zu bestimmen, „[…] wenn sie Medialität in Netzwerken entfalten, und Netzwerke sind Netzwerke nur, wenn sich Medialität in ihnen entfaltet“ (2010: 1f.). Netzwerke sind in dieser Vorstellung immer lebendige Netzwerke, wie ich die Mischung aus Schwarm, Netzwerk und Multitude in Anlehnung an Thacker im vierten Aufsatz Between Swarm, Network, and Multitude beschrieben habe (ebd.: 317): Netzwerke, die in Bewegung bleiben, in denen sich einzelne Körper beziehungsweise Diesheiten affizieren in Infrastrukturen, die dynamische Zeichensituationen ermöglichen.
53 So orientiert Raunig (2007) sich bereits an den Untersuchungen Walter Benjamins und Bert Brechts, um zu resümieren: „Wollen wir diese Mitte nicht als leeren Umschlagplatz von Informationswaren konzipieren, sind zwei Voraussetzungen zu klären: Zum einen ist die Ver-Mittlung des Mediums selbst nie als neutral zu verstehen, und noch wichtiger: gerade die Form der Vermittlung kann das Medium als Produktionsapparat verändern.“ Im Anschluss an Deleuze unterscheidet Gerald Raunig zwischen organischer und orgischer Repräsentation: „Anders als im Paradigma der organischen Repräsentation erscheint das Medium als orgisches nicht mehr als reines Mittel zur sondern es verkettet sich mit dem Ereignis, es wird schließlich selbst Ereignis.“
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Jene Infrastrukturen, die eben auch im Rahmen des fokussierten Dispositivs funktional sind, weil sie für permanente kommunikative Verbindung sorgen, eröffnen erstmals Möglichkeiten für ein gleichzeitiges, gemeinsames Schreiben, Erschaffen, Produzieren, also Kooperieren, das einzelne Autor_innen nicht kenntlich macht, wie etwa im Rahmen der Bedingungen von 4chan (Anonymität, Ephemeralität und Archivlosigkeit). So können jenseits von Repräsentationslogiken unvorhersehbare Formen der Kooperation und Unterstützung entstehen, die nicht der Anrufung als unternehmerisches Selbst entsprechen, sondern auf die affektive Verbundenheit rückführbar sind, wobei Formen einer dezentralen Selbststeuerung entwickelt werden, die wiederum das Erfahren der affektiven Verbundenheit für die einzelnen Beteiligten unterstreichen. Sie verweisen genau auf das, was sich nicht vermessen lässt, was Überschuss produziert – was sich weder kommodifizieren, noch kontrollieren lässt. In diesem Überschuss des Kollektiv-Werdens erleben die User_innen „Mikro-Schocks“, wie Massumi sagt (2010: 74), die ihnen ermöglichen anders wahrzunehmen, die das Feld der Sichtbarkeit und Sagbarkeit affizieren und das Territorium bewegen, die Wirkmächtigkeit von Deutungsmustern aufbrechen und so zu anderen Verbindungen führen. Anonymous experimentiert in dieser Perspektive mit dem Zusammensein, mit dem „Zusammengehörigkeitsfeld“ (Massumi 2010: 41), und unterläuft damit in einzelnen Situationen die fortwirkenden disziplinarischen Elemente innerhalb gegenwärtiger Dispositive, die immer noch „auf Gewalt und der Verhärtung von Trennungslinien entlang von Identitäten beruhen“ (ebd.: 56). Das Modell der ‚kritischen Kollektivität im Netz‘ steht für neue Formen von Kollektivität, die in immer wieder neuer Zusammensetzung heterogener Elemente in den Infrastrukturen des Internets bislang ungedachte affektive Konnektivität entwerfen. Es regt eine permanente Auseinandersetzung mit jenen digitalen Infrastrukturen an, die jenseits von Identitätslogiken in der Anonymität neue Formen von Kollektivität als Okkurenzen von „Körper-Maschinen, sozialen Maschinen und Technologie-Maschinen“ (Raunig 2012) konstituieren können, die sich in ganz anderer Weise verketten, als es das Geschehen auf Facebook und Co. erahnen ließe.
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