Kreativpolitik: Über die Machteffekte einer neuen Regierungsform des Städtischen 9783839434055

In recent years, the `creative city' has become a kind of mobile policy, which has spread across the globe, promisi

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German Pages 388 Year 2016

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Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
2. Die Forschungsperspektive der Problematisierung und Des-/Artikulation
2.1 Governmentality Studies – Eine Perspektive auf gegenwärtige Regierungsweisen
2.1.1 Regierung als Selbst- und Fremdführung
2.1.2 Rationalitäten und Technologien der Regierung
2.2 Kritik und Weiterentwicklung gouvernementalitätstheoretischer Ansätze
2.2.1 Jenseits von Programmanalyse – Topologische Analyse von Macht
2.2.2 ›How to govern things with words‹ – Regieren aus performativitätstheoretischer Perspektive
2.3 Die Analyseperspektive der Problematisierung
2.3.1 Problematisierung I – Konstitution von Regierungshandeln
2.3.2 Problematisierung II – Modus der Kritik
2.3.3 Implikationen für die Analyse des Regierens von Kreativpolitik
2.4 Die Analyseperspektive der Des-/Artikulation
2.4.1 Performativität des Regierens
2.4.2 Regieren als Prozess der Des-/Artikulation
2.4.3 Von großen Begriffen zu kontingenten Effekten – entrale Konzepte aus Perspektive der Des-/Artikulation
2.5 Implikationen für eine Analyse der Emergenz und Regierung von Kreativpolitik
3. Methodischer Umgang mit dem erhobenen Material
3.1 Strukturierung der Erhebung
3.1.1 Erhebung von policy papern
3.1.2 Teilnehmende Beobachtung
3.1.3 Problemzentrierte Interviews
3.1.4 Erhebung weiterer Dokumente
3.1.5 Zusammenstellung und Eigenschaften des Korpus
3.2 Analyse des erhobenen Materials
3.2.1 ›Problematisierende Lektüre‹ des erhobenen Materials
3.2.2 Gütekriterien der Analyse
3.3 Umgang mit teilnehmender Beobachtung im Rahmen einer Gouvernementalitätsanalyse
3.3.1 Der Diskursbegriff
3.3.2 Subjektverständnis
3.3.3 Verschriftlichung der Beobachtung
3.3.4 Selbstreflexivität
3.4 Positionierung im und durch das Feld
4. Regierung von Kreativität – Eine Problematisierung
4.1 Die Rezeption der Florida-These
4.1.1 Widersprüche
4.1.2 Problematisierung der Widersprüche
4.2 Kreativität in Unternehmen
4.2.1 Die Kulturindustriethese von Adorno und Horkheimer
4.2.2 Kritik an der Kulturindustriethese
4.2.3 Regierung durch Kreativität und Inkorporierung von Kritik
4.2.4 Zwischenfazit: Kritik als Motor der Erneuerung
4.3 Kreative Arbeit
4.3.1 Kreativität als Subjektivierungsweise
4.3.2 Selbstprekarisierung von Kulturproduzent*innen
4.3.3 Ungleichheit, Entsolidarisierung und Depolitisierung
4.3.4 Zwischenfazit: Kreative Arbeit zwischen Freiheit und Verwertungszwang
4.4 Kreative Städte
4.4.1 Kreativität als Problem städtischer Regierung
4.4.2 Kritik, die die kreative Stadt in Wert setzt
4.4.3 Kritik an der Regierung der kreativen Stadt
4.4.4 Zwischenfazit: Übersetzung von Wissenschaft in ›die Praxis‹
4.5 Zwischenfazit: Aus den Rationalitäten des Regierens ausbrechen
5. Kreative Stadt Frankfurt am Main? Vorstellung der Fallstudie
6. Artikulation von Kreativpolitik
6.1 Problematisierungen von Kreativität in Frankfurt
6.1.1 Die games-Branche
6.1.2 Die Konferenz ›Re-Build this City‹
6.1.3 Zwischenfazit: Widerstreitende Problematisierungen
6.2 Konstitution ›der Kreativwirtschaft‹ durch den Kreativwirtschaftsbericht
6.2.1 Forschung als Übersetzung von Kontingenz in Definitionen, Klassifikationen und Zahlen
6.2.2 Der Bericht als kalkulative Technologie
6.2.3 Zwischenfazit: Der Kreativwirtschaftsbericht als mobilisierbarer Macht/Wissen-Komplex
6.3 Vom Kreativwirtschaftsbericht zur Kreativpolitik
6.3.1 Übersetzung in ein politisches Programm
6.3.2 Verkehrung der Logik des Kreativwirtschaftsberichts
6.3.3 Richard Florida – Totgesagte leben länger
6.3.4 Vom Programm zum Ist-Zustand
6.3.5 Zwischenfazit: Kreativwirtschaft wird performativ
6.4 Zwischenfazit: Anti-politische Effekte
7. Markt statt Politik? – Reartikulationen städtischen Regierens
7.1 Herstellung eines kreativen Images
7.1.1 Kreative als Zielgruppe
7.1.2 Herstellung von Netzwerken
7.1.3 Kulturalisierung von Ökonomie
7.1.4 Zwischenfazit: Wer profitiert?
7.2 Räume für Kreative – Artikulation unterschiedlicher Rationalitäten in ein Projekt
7.2.1 Herstellung von Markt durch Marktintervention? – Neuverhandlung von Verwaltungshandeln
7.2.2 Lassen sich Tiger reiten?
7.2.3 Zwischenfazit: Hegemonie und die Desartikulation des Sozialen
7.3 Finanzierung als Mittel kreativpolitischer Steuerung
7.3.1 Von der Subvention zur Risikoabsicherung?
7.3.2 Rationalitäten des Regierens im Konflikt
7.3.3 Zwischenfazit: Vielfalt kultureller Güter und Dienstleistungen zwischen Schutz und Liberalisierung
7.4 Förderung von kreativem Unternehmertum
7.4.1 Finanzierungsstrategien und Beratungsangebote
7.4.2 Unternehmerisches Risiko und Responsibilisierung
7.4.3 Adaption neuer Managementtechniken durch die Politik
7.4.4 Finanzierungsinstrumente als Prekarisierungsstrategien?
7.4.5 Reaktionen von Künstler*innen und Kreativen
7.4.6 Zwischenfazit: Prekarisierung als öffentliche Aufgabe?
7.5 Evaluation der Maßnahmen – Die Artikulation der Frankfurter Kreativwirtschaft als globales Projekt
7.5.1 Der Kreativwirtschaftsreport – Noch einmal die Frage der Messbarkeit
7.5.2 Was Statistik sichtbar macht: Kesselwagen, Knabberartikel, Krawatten … aber keine Kreativität!
7.5.3 Zwischenfazit: Rescaling Upwards – Frankfurt goes global
7.6 Zwischenfazit: Markt, Stadt, Politik – Reartikulation städtischen Regierens
Exkurs: Die Frankfurter Kulturpolitik im Zeichen des Kreativitätsskripts
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Kreativpolitik: Über die Machteffekte einer neuen Regierungsform des Städtischen
 9783839434055

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Iris Dzudzek Kreativpolitik

Sozial- und Kulturgeographie

Band 13

Iris Dzudzek (Dr. phil.) lehrt am Institut für Humangeographie in Frankfurt am Main und forscht über politische Praktiken und Diskurse im Spannungsfeld von Kultur, Raum und Ökonomie. Für ihre Arbeit über Kreativpolitik als neuer Regierungsform des Städtischen wurde sie mit dem Preis des Verbands der Geographen an deutschen Hochschulen ausgezeichnet.

Iris Dzudzek

Kreativpolitik Über die Machteffekte einer neuen Regierungsform des Städtischen

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Kennziffer »D 6«.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Verabschiedung der »Leuchtturmpolitik« im Rahmen des Wem-gehört-die-Stadt-Aktionstags am 11. Juni 2011 auf dem KulturCampus Bockenheim in Frankfurt. Ich danke dem Urheber Christian Bredl, Frankfurt am Main, sehr herzlich für die Überlassung des Bildes. Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3405-1 PDF-ISBN 978-3-8394-3405-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

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Abkürzungsverzeichnis

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Vorwort

11

1.

Einleitung

13

2.

Die Forschungsperspektive der Problematisierung und Des-/Artikulation

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2.1 Governmentality Studies – Eine Perspektive auf gegenwärtige Regierungsweisen 2.1.1 Regierung als Selbst- und Fremdführung 2.1.2 Rationalitäten und Technologien der Regierung 2.2 Kritik und Weiterentwicklung gouvernementalitätstheoretischer Ansätze 2.2.1 Jenseits von Programmanalyse – Topologische Analyse von Macht 2.2.2 ›How to govern things with words‹ – Regieren aus performativitätstheoretischer Perspektive 2.3 Die Analyseperspektive der Problematisierung 2.3.1 Problematisierung I – Konstitution von Regierungshandeln 2.3.2 Problematisierung II – Modus der Kritik 2.3.3 Implikationen für die Analyse des Regierens von Kreativpolitik 2.4 Die Analyseperspektive der Des-/Artikulation 2.4.1 Performativität des Regierens 2.4.2 Regieren als Prozess der Des-/Artikulation 2.4.3 Von großen Begriffen zu kontingenten Effekten – Zentrale Konzepte aus Perspektive der Des-/Artikulation 2.5 Implikationen für eine Analyse der Emergenz und Regierung von Kreativpolitik 3.

Methodischer Umgang mit dem erhobenen Material

3.1 Strukturierung der Erhebung 3.1.1 Erhebung von policy papern 3.1.2 Teilnehmende Beobachtung 3.1.3 Problemzentrierte Interviews 3.1.4 Erhebung weiterer Dokumente 3.1.5 Zusammenstellung und Eigenschaften des Korpus 3.2 Analyse des erhobenen Materials 3.2.1 ›Problematisierende Lektüre‹ des erhobenen Materials 3.2.2 Gütekriterien der Analyse

23 25 28 31 32 37 40 41 43 45 46 46 50 55 67 71 71 72 72 73 74 75 77 77 79

3.3 Umgang mit teilnehmender Beobachtung im Rahmen einer Gouvernementalitätsanalyse 3.3.1 Der Diskursbegriff 3.3.2 Subjektverständnis 3.3.3 Verschriftlichung der Beobachtung 3.3.4 Selbstreflexivität 3.4 Positionierung im und durch das Feld 4.

Regierung von Kreativität – Eine Problematisierung

4.1 Die Rezeption der Florida-These 4.1.1 Widersprüche 4.1.2 Problematisierung der Widersprüche 4.2 Kreativität in Unternehmen 4.2.1 Die Kulturindustriethese von Adorno und Horkheimer 4.2.2 Kritik an der Kulturindustriethese 4.2.3 Regierung durch Kreativität und Inkorporierung von Kritik 4.2.4 Zwischenfazit: Kritik als Motor der Erneuerung 4.3 Kreative Arbeit 4.3.1 Kreativität als Subjektivierungsweise 4.3.2 Selbstprekarisierung von Kulturproduzent*innen 4.3.3 Ungleichheit, Entsolidarisierung und Depolitisierung 4.3.4 Zwischenfazit: Kreative Arbeit zwischen Freiheit und Verwertungszwang 4.4 Kreative Städte 4.4.1 Kreativität als Problem städtischer Regierung 4.4.2 Kritik, die die kreative Stadt in Wert setzt 4.4.3 Kritik an der Regierung der kreativen Stadt 4.4.4 Zwischenfazit: Übersetzung von Wissenschaft in ›die Praxis‹ 4.5 Zwischenfazit: Aus den Rationalitäten des Regierens ausbrechen

83 83 85 86 88 90 95 95 96 99 101 102 103 108 112 113 114 118 121 124 125 126 134 140 149 152

5.

Kreative Stadt Frankfurt am Main? Vorstellung der Fallstudie

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6.

Artikulation von Kreativpolitik

163 164 165 169 172 172

6.1 Problematisierungen von Kreativität in Frankfurt 6.1.1 Die games-Branche 6.1.2 Die Konferenz ›Re-Build this City‹ 6.1.3 Zwischenfazit: Widerstreitende Problematisierungen 6.2 Konstitution ›der Kreativwirtschaft‹ durch den Kreativwirtschaftsbericht 6.2.1 Forschung als Übersetzung von Kontingenz in Definitionen, Klassifikationen und Zahlen 6.2.2 Der Bericht als kalkulative Technologie 6.2.3 Zwischenfazit: Der Kreativwirtschaftsbericht als mobilisierbarer Macht/Wissen-Komplex

173 175 177

6.3 Vom Kreativwirtschaftsbericht zur Kreativpolitik 6.3.1 Übersetzung in ein politisches Programm 6.3.2 Verkehrung der Logik des Kreativwirtschaftsberichts 6.3.3 Richard Florida – Totgesagte leben länger 6.3.4 Vom Programm zum Ist-Zustand 6.3.5 Zwischenfazit: Kreativwirtschaft wird performativ 6.4 Zwischenfazit: Anti-politische Effekte

179 179 182 184 185 188 192

7.

199 203 206 212 216 222

Markt statt Politik? – Reartikulationen städtischen Regierens

7.1 Herstellung eines kreativen Images 7.1.1 Kreative als Zielgruppe 7.1.2 Herstellung von Netzwerken 7.1.3 Kulturalisierung von Ökonomie 7.1.4 Zwischenfazit: Wer profitiert? 7.2 Räume für Kreative – Artikulation unterschiedlicher Rationalitäten in ein Projekt 7.2.1 Herstellung von Markt durch Marktintervention? – Neuverhandlung von Verwaltungshandeln 7.2.2 Lassen sich Tiger reiten? 7.2.3 Zwischenfazit: Hegemonie und die Desartikulation des Sozialen 7.3 Finanzierung als Mittel kreativpolitischer Steuerung 7.3.1 Von der Subvention zur Risikoabsicherung? 7.3.2 Rationalitäten des Regierens im Konflikt 7.3.3 Zwischenfazit: Vielfalt kultureller Güter und Dienstleistungen zwischen Schutz und Liberalisierung 7.4 Förderung von kreativem Unternehmertum 7.4.1 Finanzierungsstrategien und Beratungsangebote 7.4.2 Unternehmerisches Risiko und Responsibilisierung 7.4.3 Adaption neuer Managementtechniken durch die Politik 7.4.4 Finanzierungsinstrumente als Prekarisierungsstrategien? 7.4.5 Reaktionen von Künstler*innen und Kreativen 7.4.6 Zwischenfazit: Prekarisierung als öffentliche Aufgabe? 7.5 Evaluation der Maßnahmen – Die Artikulation der Frankfurter Kreativwirtschaft als globales Projekt 7.5.1 Der Kreativwirtschaftsreport – Noch einmal die Frage der Messbarkeit 7.5.2 Was Statistik sichtbar macht: Kesselwagen, Knabberartikel, Krawatten … aber keine Kreativität! 7.5.3 Zwischenfazit: Rescaling Upwards – Frankfurt goes global 7.6 Zwischenfazit: Markt, Stadt, Politik – Reartikulation städtischen Regierens Exkurs: Die Frankfurter Kulturpolitik im Zeichen des Kreativitätsskripts

223 225 228 231 233 234 237 239 241 241 244 246 247 251 253 254 255 261 263 266

273

8.

Partizipation und Unvernehmen in der kreativen Stadt – Der KulturCampus Bockenheim

8.1 Die Ausgangslage – Vielfältige Möglichkeiten 8.1.1 Planungsvorgeschichte 8.1.2 Unterschiedliche Vorstellungen, was mit dem Areal passieren soll 8.1.3 Auseinandersetzung darüber, was Kultur bedeutet 8.2 Konsens als Regierungstechnologie in der unternehmerischen Stadt 8.2.1 Die Chronologie des Partizipationsverfahrens 8.2.2 Herstellung von Konsens durch ›Sachzwang‹ 8.2.3 Inkorporierung von Kritik durch Partizipation 8.2.4 Zwischenfazit: Regierung durch Partizipation und die Kulturalisierung des Sozialen 8.3 Unvernehmen mit dem Unternehmen Stadt 8.3.1 Partizipationsbingo 8.3.2 Was es bedeutet, eine politische Stimme zu haben 8.3.3 Zwischenfazit: Politische Subjektivität und Recht auf Stadt 8.4 Fazit: Post-politische Effekte und Unvernehmen 9.

Fazit – Kreativpolitik zwischen Unternehmen und Unvernehmen

9.1 Schlussfolgerungen 9.2 Impulse für die weitere Forschung 10. Zitationsnachweise

10.1 Wissenschaftliche Literatur 10.2 Interviews 10.3 Quellen

281 282 283 284 285 288 289 290 294 306 309 310 312 314 316 319 323 326 331 331 365 367

Abkürzungsverzeichnis

ADC BoB FAZ CEO E.I.G.A. FgZ FNP FR GATS GWA HfG HfMDK IPM KfW KGSt LGBT LEA MAI NKRS NSM OMC Para. rkw StVV TTIP UNCTAD UNESCO VDW WI-Bank WTO

Art Directors Club Bürgschaft ohne Bank Frankfurter Allgemeine Zeitung Chief Executive Officer European Innovative Games Award Frankfurter gemeine Zeitung Frankfurter Neue Presse Frankfurter Rundschau General Agreement on Trade in Services Gesamtverband Kommunikationsagenturen e. V. Hochschule für Gestaltung Offenbach Hochschule für Musik und Darstellende Künste Frankfurt International Producers Meeting Kreditanstalt für Wiederaufbau Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung Lesbian Gay Bisexual Transgender Life Entertainment Award Multilaterales Abkommen für Investitionen Neues Kommunales Rechnungs- und Steuerungssystem Neues Steuerungsmodell Open Method of Coordination Paragraph Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Wirtschaft e. V.,vormals Rationalisierungs-Kuratorium der Deutschen Wirtschaft e. V. Stadtverordnetenversammlung Transatlantic Trade and Investment Partnership United Nations Conference on Trade and Development United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization Verband deutscher Werbefilmproduzenten Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen World Trade Organization

Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist eine überarbeitete Fassung der Dissertation, mit der ich im Oktober 2014 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster promoviert wurde. Sie ist im Rahmen des durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts »Kreativpolitik – Zur Entstehung und Ausdifferenzierung eines politischen Gestaltungsfeldes unter neoliberalen Vorzeichen« an der Goethe-Universität Frankfurt am Main entstanden, welches von Peter Lindner, Christian Berndt und Pascal Goeke als Teil des Verbundes »Neuordnung des Städtischen im neoliberalen Zeitalter« vorbereitet und eingeworben wurde. Ihnen gilt mein herzlicher Dank. Ganz besonders danke ich Peter Lindner und Paul Reuber, die diese Arbeit betreut haben, für die kontinuierlichen Diskussionen und Denkanstöße, die in diese Arbeit eingeflossen sind. Ein herzlicher Dank geht auch an Manuela Schiffner für die freundliche Aufnahme in die Wirtschaftsförderung und die Eröffnung eines Zugangs in das Forschungsfeld. Mein ganz herzlicher Dank gilt auch den vielen weiteren Menschen, mit denen ich mich austauschen durfte, die mich inspiriert, ermutigt und ganz praktisch unterstützt haben: Jenny Künkel, Nadine Marquardt, Stefan Ouma, Mathias Rodatz, Marit Rosol, Felix Silomon-Pflug, Christian Stein, Anne Vogelpohl und Alex Vorbrugg für intensive Diskussionen und Feedback zu einzelnen Kapiteln der Arbeit; Carolyn Folasade Farinde, Catarina Gomes de Matos und Lucas Pohl für ihre Unterstützung bei der Transkription der Interviews; Jürgen Dzudzek, Carolyn Folasade Farinde und Michael Müller für ihre Geduld und Ausdauer bei der Rechtschreibkorrektur sowie Elke Alban für ihre Unterstützung bei der Erstellung von Grafiken; Nitribitt Frankfurter Ökonomien, dem Offenen Haus der Kulturen sowie dem Recht-auf-Stadt-Netzwerk für intensive Diskussionen und die Möglichkeit, einen Teil der Ergebnisse in die Stadtgesellschaft zurückgeben zu dürfen. Meiner Familie danke ich herzlich für ihre Unterstützung. Michael Müller bin ich in ganz besonderer Weise und mit ganzem Herzen verbunden. Er war immer und in allen Fragen für mich da. Welch Glück, dass mich die Literaturrecherche ausgerechnet in die Karl-Marx-Buchhandlung geführt hat.

1. Einleitung

In der Diskussion um die zukünftige Entwicklung von Städten zeichnet sich seit mehreren Jahren ein neues Leitbild ab, das Ideen und Wissen als zentrale Ressourcen in einer von Wettbewerb gekennzeichneten globalen Ökonomie ansieht: die kreative Stadt. Es stellt eine Problematisierung und in den Augen vieler Politiker*innen und Planer*innen auch eine Lösung für die Entwicklungsaufgaben dar, die sich Städte gegenwärtig stellen: Mit der Lissabon-Agenda hat sich die Europäische Union zu Beginn des neuen Jahrtausends das strategische Ziel gesetzt, zur wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Ökonomie der Welt zu werden (Europäischer Rat 2000, S. 2). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung betont, der Kampf »um die besten Ideen« müsse gewonnen werden, denn »für den Wettbewerbsstandort Deutschland gibt es keine Alternative zu einer Strategie der permanenten Innovation« (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2006, S. 2). Und auch Städte haben das Thema Kreativität längst für sich entdeckt und ihre Förderpolitiken, -strategien und -programme neu ausgerichtet. »Technologie, Talent und Toleranz, das sind die Erfolgsformeln moderner Großstädte« (Petra Roth zit. n. StVV vom 23.03.2009, S. 48) diagnostizierte auch die damalige Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, die bereits in den 1990er Jahren die »Stadt mit einem Wirtschaftsunternehmen« (Roth 1997, S. 7) verglichen hatte und als Vorreiterin unternehmerischer Stadtpolitik gilt. »Der Zugang zu talentierten und kreativen Menschen« stelle »für das moderne Wirtschaftsleben eine Herausforderung« dar, die nicht allein »Aufgabe der Wirtschaft«, sondern auch »Aufgabe der Politik« sei (ebd.). Die sichtbarsten Zeichen dieser Neuorientierung sind die zahlreichen Kulturoder Kreativwirtschaftsberichte, von denen allein in Deutschland seit den 1990er Jahren über 60 entstanden sind. Darauf aufbauend wurden allerorten zahlreiche Förderinstrumente entwickelt, Maßnahmen verabschiedet und konkrete Projekte initiiert, deren Ziel es ist, kreative Ökonomie und Milieus anzuregen und zu entwickeln. Während die ersten Städte in den 1990er Jahren Kreativität vor allem zur Bewältigung des Strukturwandels in Richtung postindustrieller Entwicklung einsetzten, wird sie in neuerer Zeit vor allem für eine bessere Positionierung im interurbanen Wettbewerb

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in Anschlag gebracht. Kreativität wird damit zum Schlüssel der Neuausrichtung urbaner Ökonomie im postindustriellen Zeitalter. Neben den Kreativwirtschaftsberichten sind auch im Bereich der angewandten Geographie zahllose Ratgeber entstanden, die governance von Kreativität in Städten als neues Planungsparadigma postulieren und voran zu treiben versuchen. Sie alle setzen auf die einfache wie prägnante Formel: menschliche Kreativität schafft Innovation, Innovation wiederum führt zu Wirtschaftswachstum. Diese gelte es durch gezielte neue Strategien zu mobilisieren, welche quer zu klassischen Politikfeldern liegen. Das verlockende an dieser Formel, die im Folgenden in Anlehnung an Jamie Peck, als »Kreativitätsskript« (Peck 2005, S. 749) bezeichnet wird, ist die Verlagerung des Kerns von Innovation und Wirtschaftswachstum in eine vage anthropologische Grundkonstante, die seit ihrer Erfindung im Zuge der Konstruktion des genialen Künstler*innensubjekts im 19. Jahrhundert die Menschen fasziniert. Kreativität stellt Unternehmen wie Stadtverwaltungen vor ein Paradox: Um sie zu verwerten zu können, muss Kreativität steuerbar und reproduzierbar gemacht werden. Wie aber lässt sich etwas steuern, das man gerade dadurch definiert, dass es spontan, genial und damit nicht steuer- oder reproduzierbar ist. Weil Kreativität selbst nicht technisch oder administrativ hervorgebracht werden kann, helfen sich Unternehmen wie Städte damit, Bedingungen herzustellen, unter denen sich Kreativität besonders gut entfalten kann. Das ideale Wohlfühlklima für Kreative beschreibt der Regionalökonom Richard Florida in seinem Bestseller »The Rise of the Creative Class« (2002a), welcher in kürzester Zeit als global zirkulierendes policy-Modell zur ›Bibel‹ für Stadtplaner*innen und -politiker*innen in der ganzen Welt wurde. Sein Narrativ ist normativ und einfach: Eine vibrierende urbane (sub-)kulturelle Szene, kulturelle Vielfalt, Toleranz und Offenheit sowie eine hohe Lebensqualität zählen laut Florida zu den Präferenzen der sogenannten »Kreativen Klasse«, die sich ihren Standort und ihr temporäres Zuhause in den plug-and-play-communities unter ihresgleichen danach aussucht, wo das »people climate« (ebd., S. 7) am angenehmsten sei. Denn in der postindustriellen Gesellschaft folgten die Jobs den Kreativen und nicht umgekehrt. Entsprechend müssten Städte, um die creatio ex nihilo zu realisieren, wie sie das Florida’sche Kreativitätsskript verspricht, nicht länger in erster Linie in harte Standortfaktoren investieren, um Unternehmen anzuziehen oder die Verwaltung und Verteilung wohlfahrtsstaatlicher Ressourcen sicherzustellen. Um Kreativität zu fördern, sei es vielmehr von Bedeutung, ein »Wohlfühlklima« für Kreative herzustellen. Die Stadt wird somit zu einem Pool endogener, kreativer und kulturell vielfältiger Ressourcen zugleich, die sich in einer wissensbasierten Ökonomie in Wert setzen lassen und zum Laboratorium von neuen governance- und policy-Instrumenten. Ein solch normatives Wachstumsversprechen durch die Inwertsetzung urbaner Kreativität ist vielfach und vor allem von Vertreter*innen polit-ökonomischer Ansätze in der Geographie kritisiert worden. Sie argumentieren, das Kreativitätsskript

1. EINLEITUNG |

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passe sich perfekt in die neuen Formen unternehmerischer Stadtpolitik und -regierung ein und stabilisiere einen »business-as-usual neoliberal urbanism« (Peck 2012, S. 481). Kreativität erscheine als eine kostengünstige und attraktive Lösung für den stockenden Strukturwandel in Richtung einer postindustriellen Gesellschaft bzw. fehlenden ökonomischen Wachstum in Städten. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund leerer Kassen und fiskalischer Zwänge im Kontext der Reskalierung von Verantwortung im Globalisierungsprozess und dem damit erhöhten interurbanen Konkurrenzkampf für die Kommunen. »The tonic of urban creativity is a remixed version of this cocktail: just pop the same basic ingredients into your new-urbanist blender, add a slug of Schumpeter lite for some neweconomy fizz, and finish it off with a pink twist.« (Peck 2005, S. 766)

Die polit-ökonomische Position ließe sich damit wie folgt auf den Punkt bringen: Auch wenn bereits die Alchemist*innen wussten, wie kompliziert Prozesse der Transmutation sind, wird dieser Umstand von Planer*innen und Politiker*innen auch deshalb gerne ausgeblendet, weil Kreativität als schillerndes Versprechen der Selbstentfaltung und -verwirklichung so selten abgelehnt oder hinterfragt wird. Kreativität verleihe unternehmerischer Stadtpolitik Charme und breiten Rückhalt. Jamie Peck zufolge ist sie das perfekte Rezept zum neoliberalen Umbau des Staates sowie zur ›kreativen‹ Umverteilung nach Marktkriterien (siehe ebd., S. 759). Die zwei hier skizzierten Positionen – die normativen Befürworter*innen kreativer Stadtentwicklung und neuer Modelle ihrer governance sowie ihre Kritiker*innen, die die ökonomische Inwertsetzung von Kreativität und ihre Steuerung durch Stadtpolitik ablehnen – spiegeln die Bandbreite des großen Literaturkorpus wider, die bereits zum Thema vorliegt und die in Kapitel 4.4 ausführlich diskutiert wird. Drei Aspekte erscheinen in dieser Debatte bislang zu wenig beleuchtet. Erstens fehlt eine Analyse, die neue Formen von governance von Kreativität im weiteren Kontext der Veränderung gegenwärtiger Regierungsprozesse und ihrer Machteffekte betrachtet. Während angewandte Ansätze sich durch ein weitgehendes Fehlen jeglicher Reflexion über die Machteffekte, die gegenwärtig mit veränderten Formen städtischen Regierens einhergehen, auszeichnen, lehnen polit-ökonomische Formen der Kritik das Kreativitätsskript als neoliberale Ideologie der Umverteilung von unten nach oben ab. Die empirische Auseinandersetzung mit dem Thema aber wirft die Fragen auf, ob das Kreativitätsskript in seiner Rezeption stets auf eine neoliberale Ideologie zu reduzieren ist und ob sich neoliberale Ideologien des Regierens stets eins-zu-eins in Prozesse der Neoliberalisierung auf Ebene der Stadt übersetzen. Bislang gibt es noch keine Arbeit, die die Regierung der kreativen Stadt aus einer gouvernementalitätstheoretischen Perspektive untersucht und ihre Rolle für die derzeitige Reartikulation des Verhältnisses zwischen Kultur, Markt, Politik und Verwaltung in einer nicht-deter-

16 | KREATIVPOLITIK

ministischen Art und Weise befragt. Dieses Defizit aufgreifend, widmet sich die vorliegende Arbeit am Beispiel von Frankfurt am Main der Emergenz, Funktionsweise, Ausdifferenzierung und Wirkung von Kreativpolitik und seinen Rationalitäten der Regierung, welche im Anschluss an Foucault nicht nur als Institution, sondern als Kunst der Führung und Ensemble Technologien der Macht (Foucault 1987 [1982], S. 255) verstanden wird. Zum Zweiten fassen angewandte wie polit-ökonomische Ansätze Kreativität als anthropologische Grundkonstante, die es entweder in Wert zu setzen oder als verwertungsfreien Bereich gegen die Zumutungen der Ökonomisierung zu verteidigen gilt. Die vorliegende Arbeit dekonstruiert die Idee einer creatio ex nihilo als Künstler*innenmythos des 19. Jahrhunderts, der die Prozesse der Regierung von und durch Kreativität auf Ebene der Stadt eher verschleiert als erklärt, und begreift Kreativität als eine Form der Problematisierung. Hier erweisen sich die Erkenntnisse der Gouvernementalitätsstudien, denen das Konzept der Problematisierung entlehnt ist, ein weiteres Mal als hilfreich. Problematisierung bezeichnet dabei die spezifische Form, in der Städte ihre gegenwärtigen Probleme rahmen und damit ganz bestimmten Formen ihrer Bearbeitung zugänglich machen. Kreativpolitik ist dabei als eine soziale Technologie zu verstehen, die ganz bestimmten Rationalitäten folgt und die die Bearbeitung dieser Probleme ermöglicht. Denn Wissen und Kreativität sind nicht ohne weiteres als Quelle von Innovation und Mehrwert zugänglich. Die Sicherstellung und Steigerung der Innovationsleistung von Städten, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, bedarf einer Vielzahl an governance-Instrumenten, um Wissen und Kreativität einem ökonomischen Verwertungsprozess zuzuführen wie z. B. neue Förderpolitiken und -programme, Beratungsangebote, Finanzierungs- oder Sichtbarkeitsstrategien. Das erklärte Ziel dieser Arbeit ist, Kreativität auf diese Weise als Teil der Reartikulation gegenwärtiger Formen des Regierens verständlich zu machen. Das dritte Defizit betrifft einen bislang fehlenden Fokus auf die Performativität des Kreativitätsskripts. Während aus polit-ökonomischer Perspektive zum einen Arbeiten vorliegen, die die Rationalität des Kreativitätsskripts als neoliberal kritisieren und zum anderen solche, die Machteffekte von Kreativpolitik wie Verdrängungsprozesse oder Prekarisierung kreativer Arbeit thematisieren, fehlen bislang Untersuchungen, die die Verbindung zwischen Rationalitäten und ihren Machteffekten in den Blick nehmen. Sie machen häufig sogar den Fehler, dass sie die programmatische Logik des Kreativitätsskripts mit ihren Effekten gleichsetzen (ausführlich dazu vgl. Kapitel 4.5). Im Gegensatz dazu verfolgt die vorliegende Arbeit die These, dass Programme der Regierung, sehr unterschiedliche, unvorhersehbare Machteffekte im Zuge ihrer Umsetzung zeitigen, die sich nicht vorab aus ihren immanenten Rationalitäten und Logiken ableiten lassen. Vielmehr können sie im Prozess ihres Performativwerdens verändert, verschoben und für alternative Zwecke entwendet werden – oder auch einfach scheitern. Um diese Prozesse der Veränderung (f.f. im Anschluss

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an Derrida 2001 als Iteration bezeichnet) des Kreativitätsskripts empirisch herauszuarbeiten, bedarf es einer Perspektive, die die unterschiedlichen Artikulationsformen des Skripts in den alltäglichen Praktiken von Politik, Verwaltung, Ökonomie und Stadtgesellschaft ebenso herausarbeitet wie ihre Intervention in die vielfältigen bereits etablierten Rationalitäten des Regierens auf lokaler Ebene. Im Zuge dieser Arbeit erfolgt die empirische Untersuchung dieser Prozesse am Fallbeispiel Frankfurt am Main, für dessen Analyse folgende Fragen forschungsleitend sein werden: Wie wird das Kreativitätsskript performativ? Wie kommt es nach Frankfurt und durch welche Praktiken wird es mobilisiert? Zeitigt es die Machteffekte, die es programmatisch vorschreibt? Führt es wirklich automatisch zu neoliberalen Effekten? Welche Formen seiner Iteration können beobachtet werden? Das glitzernde Kreativitätsskript erzeugt also die Zustimmung zur endgültigen Durchsetzung und Hegemonialisierung unternehmerischer Stadtpolitik. Unter dem Deckmantel von Selbstverwirklichungsversprechen und hipper Urbanität organisiert es eine radikale Umverteilungspolitik für die ›talentierten Mittelschichten‹ und desartikuliert soziale Fragen. So überzeugend diese Diagnose klingen mag, so ist sie letztlich resignativ, weil sie keinen politischen Ausweg aus dieser Situation sieht. Im Gegensatz dazu fragt die vorliegende Arbeit nicht nur, wie die Umsetzung des Kreativitätsskripts in (neoliberale) Kreativpolitik gelingt, sondern vor allem auch nach möglichen Brüchen, Iterationen und Formen des Unvernehmens. Auf diese Weise geraten auch Möglichkeiten der politischen Umkehrung seiner programmatischen Logik in den Blick. Im Zuge der Untersuchung erwies sich eine ausschließlich gouvernementale Analyseperspektive, wie sie in Kapitel 2.1 vorgestellt wird, zur Beantwortung dieser Fragen als nicht hinreichend (vgl. Kapitel 2.2). Denn auch gouvernementale Analysen haben – wie in Kapitel 2.2.1 noch ausführlich diskutiert wird – häufig das Problem, dass sie auf der Ebene der Rekonstruktion verharren und programmatische Logiken und Machteffekte gleichsetzen. Letztere aber lassen sich nicht einfach aus diskursiven Logiken ableiten. Mit der Problematisierung wird sodann ein Ansatz vorgestellt, mit Hilfe dessen sich Kreativität als eine spezifische Problematisierung gegenwärtiger Fragen des Regierens verstehen lässt (vgl. Kapitel 2.3). Um das Performativwerden und die Artikulation von Diskursen mit etablierten Rationalitäten sowie die kontingenten Machteffekte, die in der Folge entstehen, angemessen in den Blick zu bekommen, bedurfte es einer performativitäts- und diskurstheoretischen Erweiterung des Gouvernementalitätskonzepts. Mit dem Begriff der Des-/Artikulation wurde für die vorliegende empirische Untersuchung eine Analyseperspektive entworfen, die geeignet ist, das Performativwerden und die unterschiedlichen Artikulationsformen von Kreativpolitik in Frankfurt am Main in den Blick zu nehmen. Sie erweitert die in Kapitel 2.1 vorgestellten Ansätze um das aus dem Butler’schen Denken entlehnte Performativitätskonzept sowie um das Konzept der Artikulation von Laclau (vgl. Ka-

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pitel 2.4). Auf diese Weise wird es möglich, nicht nur die programmatischen Rationalitäten des Kreativitätsskripts zu fassen, sondern zu schauen, wie es in Frankfurt artikuliert und performativ wird, sich im Zuge seiner Umsetzung in Praktiken verändert und in bereits etablierte Rationalitäten des Regierens interveniert. Zugleich wird dadurch deutlich, welche Anrufungsformen und Machteffekte aber auch welche Formen von agency, Widerstand und Unvernehmen es zeitigt (vgl. Kapitel 2.5). Die Des-/Artikulationsperspektive wird im Forschungsdesign auch auf der methodischen Ebene fortgeführt (vgl. Kapitel 713). Um die Artikulation und Regierungsweise von Kreativpolitik in Frankfurt zu verstehen, wurden zunächst empirische Daten aus teilnehmender Beobachtung, Interviews, policy papern, Zeitungen, Flyern, Internetauftritten u. a. zusammengetragen (vgl. Kapitel 3.1). Das so zusammengestellte Korpus wurde mit Hilfe einer ›problematisierenden Lektüre‹ ausgewertet (vgl. 3.2). Dabei wurde dem Übersetzungsprozess der in der teilnehmenden Beobachtung gewonnenen Eindrücke in einen ›Text zweiter Ordnung‹ besondere methodische Aufmerksamkeit geschenkt, um gängige Fallstricke, wie z. B. epistemologische Brüche in der Konzeptualisierung des Verhältnisses zwischen diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken zu verhindern (vgl. Kapitel 3.3). So konnte das Material auf die Problematisierungen der Regierung von Kreativität untersucht werden. Die Ergebnisse der Analyse konnten dann zusammen mit den in Kapitel 2 vorgestellten Perspektiven sowie den in Kapitel 4 vorgestellten Problematisierungen der Regierung von Kreativität zu einer nicht-subsumptiven Erklärung artikuliert werden, die in den empirischen Ergebniskapiteln 5 bis 8 vorgestellt werden (zur Konzeption dieses Vorgehens vgl. Kapitel 3.2). Die Tatsache, dass ich im Rahmen meiner teilnehmenden Beobachtungen in der Doppelrolle als Teilnehmerin im Feld und als Wissenschaftlerin Teil genau jener Wissensproduktion und Machtverhältnisse war, die ich im Rahmen dieser Arbeit analysiere, bedarf einer ausführlichen Reflexion, die in Kapitel 3.4 geschieht. Bevor die Ergebnisse der Analyse des empirischen Fallbeispiels vorgestellt werden, werden zunächst in Kapitel 4 gegenwärtige Problematisierungen des Regierens von Kreativität genealogisch herausgearbeitet. Das Kapitel bietet nicht nur einen Überblick über den Stand der Forschung zur Regierung von Kreativität, sondern wendet zugleich die Perspektive der Problematisierung auf dieses Literaturkorpus an. Dabei wird zum einen deutlich, welche zentrale Rolle Kritik zunächst auf der Ebene der Führung in Unternehmen und später auf Ebene der Regierung von Stadt zur Erneuerung und Weiterentwicklung ebendieser Führungs- und Regierungstechnologien hat und welche zentrale Rolle der akademischen Wissensproduktion in diesem Zusammenhang zukommt. Zum anderen erweist sich die Problematisierung auch als geeignet, bestehende Ansätze in einem Foucault’schen Sinne zu kritisieren, welcher »Kritik« versteht als »die Bewegung, in welcher sich das Subjekt das Recht herausnimmt, die Wahrheit auf ihre Machteffekte hin zu befragen und die Macht auf ihre Wahrheitsdiskurse hin« (Foucault 2009 [1978], S. 242) zu überprüfen. In Anlehnung daran

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wird in Rahmen dieser Arbeit die Frage »Wie ist es möglich, dass man nicht derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren regiert wird?« (ebd., S. 240) neu zu beantworten versucht. Dazu wird in fünf Schritten verfahren: Nach einer Einführung (vgl. Kapitel 4.1) wird genealogisch herausgearbeitet, wie Technologien der Führung als Antwort auf die Problematisierung fehlender Kreativität in einer sich rasch verändernden Arbeitswelt entstanden sind, die zunehmend selbstständige Problemlösungen von ihren Angestellten verlangen, und welche Rolle Kritik in der Erneuerung dieser Arbeits- und Managementwelt spielt (vgl. Kapitel 4.2). Sodann werden die Konsequenzen dieser Veränderungen für die gegenwärtige Arbeitswelt diskutiert (vgl. Kapitel 4.3). Schließlich wird in Kapitel 4.4 die Übertragung von unternehmerischen Führungstechniken zur Regierung von Kreativität auf die Ebene der Stadt untersucht, bevor aus den in Kapitel 4.5 diagnostizierten Forschungslücken, das empirische Forschungsprogramm dieser Arbeit weiter konkretisiert wird. Die bestehenden Forschungslücken aufgreifend, bilden folgende Fragen den Leitfaden der empirischen Untersuchung: − − − − − −

Inwiefern artikuliert sich in Frankfurt am Main ein Politikfeld, das als Kreativpolitik bezeichnet werden kann? Auf welche Problematisierungen von Kreativität wird bei der Artikulation dieser neuen Form der Regierung zurückgegriffen? Welche Rationalitäten des städtischen Regierens und der Politik kennzeichnen dieses Politikfeld? Wie werden sie performativ in Gang gesetzt und lokal kontextualisiert? Wie artikuliert sich das Kreativitätsskript mit bereits etablierten Formen städtischer Regierung? Welche Formen von agency, d. h. des Unvernehmens, des Widerstands, der Subversion und Iteration des globalen Kreativitätsskripts lassen sich erkennen?

Das Fallbeispiel Frankfurt am Main wird in Kapitel 5 vorgestellt und seine Auswahl begründet. Die Ergebnisse seiner empirischen Analyse werden in Kapitel 6 bis 8 vorgestellt. Sie zielen auf drei unterschiedliche Aspekte der Artikulation und Regierung von Kreativpolitik in Frankfurt ab und decken damit die gesamte Breite dieses in Frankfurt beobachteten Phänomens ab. Kapitel 6 beschäftigt sich mit der Frage, wie vielfältige Problematisierungen fehlender Regierung von Kreativität auf Ebene der Stadt, die in Kapitel 6.1vorgestellt werden, schlussendlich in eine, durch die Stadtverordnetenversammlung legitimierte Form von Kreativpolitik artikuliert wird (vgl. Kapitel 6.3). Für die Konstitution des Gegenstandes ›Frankfurter Kreativwirtschaft‹ und die Übersetzung der unterschiedlichen Problematisierungen in ein politisches Programm erwies sich die lokale wissenschaftliche Wissensproduktion in Form der Erstellung eines Kreativwirtschaftsberichts für Frankfurt als zentral, die in Kapitel

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6.2 vorgestellt wird. Hier kommen anti-politische Effekte in den Blick, die eine gemeinsame Artikulation von lokaler Ökonomie mit der Wissenschaft der Ökonometrie auf Ebene der Stadtpolitik zeitigt (vgl. Kapitel 6.4). Das Performativwerden der unterschiedlichen kreativpolitischen Maßnahmen im Nachgang des Beschlusses der Stadtverordnetenversammlung, Kreativwirtschaft in Frankfurt fördern zu wollen, wird in Kapitel 7 analysiert. Sie reichen vom Versuch der Herstellung eines kreativen Images und der Sichtbarkeit Frankfurts als ›Standort für Kreative‹ (vgl. Kapitel 7.1), über die Bereitstellung von bezahlbaren Arbeitsräumen für Kreative (vgl. Kapitel 7.2), neuer Finanzierungsmechanismen für die Kreativbranche (vgl. Kapitel 7.3), die Förderung kreativen Unternehmertums (vgl. Kapitel 7.4) bis hin zur Evaluierung dieser Maßnahmen bei der Wirtschaftsförderung Frankfurt (vgl. Kapitel 7.5). Hier können sehr unterschiedliche Performationen des Skripts, die von seiner nahtlosen Artikulation mit unternehmerischen Rationalitäten der Stadtpolitik, über seine Iteration bis hin zu seinem Scheitern reichen, beobachtet werden (vgl. Kapitel 7.6). Der Exkurs im Anschluss an Kapitel 7 befasst sich mit paradoxen Effekten des allgemeinen Kreativitätsdiskurses für die Frankfurter Kulturpolitik. Abschließend werden mit der Analyse der Planung eines sogenannten KulturCampus im Frankfurter Stadtteil Bockenheim vor allem Formen von agency und des Unvernehmens mit neuen Regierungsformen der Kreativpolitik in den Blick genommen (vgl. Kapitel 8). Nach einer kurzen Einführung in das Fallbeispiel (vgl. Kapitel 8.1) erfolgt in Kapitel 8.2 eine Auseinandersetzung mit der in Bockenheim angewandten partizipativen Planung als Regierungstechnologie der Herstellung eines post-politischen Konsenses und Desartikulation bestimmter Forderung aus dem Stadtteil. Kapitel 8.3 befasst sich mit neuen Formen des Widerstandes gegen unternehmerische Kreativpolitik. Mit dem ›Unvernehmen‹ wird abschließend eine politische Alternative diskutiert, die geeignet ist, diesen post-politischen Konsens nachhaltig herauszufordern (vgl. Kapitel 8.4). Die in den drei empirischen Kapiteln herausgearbeiteten Machteffekte sind sehr unterschiedlich und decken ein breites Spektrum zwischen Unternehmen und Unvernehmen, also zwischen einer weiteren Konsolidierung unternehmerischer Rationalitäten des Regierens und ihrer Herausforderung durch neue Formen des Unvernehmens ab. Bei aller Unterschiedlichkeit zeigen sie aber auch Gemeinsamkeiten in der Art und Weise, wie Politik in Frankfurt reartikuliert wird. Sie werden gemeinsam mit einigen Impulsen für die weitere Forschung im Fazit diskutiert (vgl. Kapitel 9). Die Arbeit schließt mit der Beantwortung der zwei zentralen Forschungsfragen: »Wie artikuliert sich Kreativpolitik in Frankfurt zu einer neuen Rationalität des Regierens?« und »Wie ist es möglich, dass man nicht derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren regiert wird?« (Foucault 2009 [1978], S. 240).

2. Die Forschungsperspektive der Problematisierung und Des-/Artikulation

Im Folgenden wird eine Forschungsperspektive vorgestellt, mit Hilfe derer erstens gängige Diskurse und Forschungen zum Thema des Regierens von Kreativität problematisiert und kritisch betrachtet werden können (vgl. Kapitel 4) und mit der sich zweitens die Ausgangsfrage nach der Artikulation und Regierung von Kreativpolitik in Frankfurt bearbeiten lässt. Dazu bedarf es einer Perspektive, die geeignet ist, insbesondere die Spiele von Wissen und Macht in den Blick zu nehmen, die notwendig sind, um Kreativität als einen eigenständigen Bereich zu konstituieren, der bewirtschaftet und politisch gestaltet werden kann. Gleichzeitig soll vermieden werden, dass implizite, häufig normative Grundannahmen von Großtheorien1 unreflektiert reifiziert2 werden und so den Blick auf den kontingenten Charakter der Artikulation

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Die Konzepte ›Großtheorie‹ und ›große Begriffe‹ werden im Folgenden in Anlehnung an Lyotards Verständnis der »großen Erzählungen« (»grand narratives«, Lyotard 1984 [1979], S. 15), wie er es in »The Postmodern Condition« (ebd.) entwickelt, verwendet. Dort lehnt er Gesellschaftstheorien und Welterklärungen ab, denen ein zentrales Prinzip zugrunde liegt (z. B. Gott, Vernunft, ein teleologisches Geschichtsbild). Entsprechend spricht er nicht von philosophischen Systemen, sondern von ›Erzählungen‹. An die Stelle allgemeingültiger Erklärungsprinzipien setzt er eine Vielzahl von Sprachspielen, die verschiedene Erklärungen anbieten. Damit wendet er sich gegen die Ausgrenzung des Heterogenen zugunsten einer alles erklärenden historischen Rationalität. Auch im Rahmen dieser Arbeit sollen monokausale Erklärungen zugunsten einer Vielzahl von Gründen und Bedingungen aufgegeben werden, die Subjekte und sozial-räumliche Prozesse konstituieren (vgl. hierzu vor allem Kapitel 2.2.1 und 2.2.2).

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Der Begriff ›reifizieren‹ leitet sich von lateinisch res ›Sache‹ und facere ›machen‹ ab. Er bezeichnet einen Prozess der Vergegenständlichung bzw. Verdinglichung, d. h. der Festschreibung sozialer Prozesse durch permanente Wiederholung zu ›quasi objektiven Strukturen‹, die – indem ihr Ursprung in sozialen Prozessen allmählich in Vergessenheit gerät – eine gewisse Autonomie gegenüber diesem sozialen Ursprung entwickeln. Der Begriff

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von Kreativpolitik verstellen. Besonders in den Fokus der Kritik geraten dabei eine normative Vorstellung von governance sowie eine essentialistische Vorstellung von Macht als Quelle von Regierungshandeln. Im Folgenden wird dazu in sechs Schritten verfahren. Zunächst wird mit den governmentality studies ein Ansatz vorgestellt, der einen nicht-essentialistischen Blick auf Fragen der Regierung im Bereich der Kreativpolitik erlaubt (vgl. Kapitel 2.1). Im zweiten Schritt wird mit der Problematisierung eine kritische Analyseperspektive auf Regierungsprozesse vorgestellt, die als doppelte Denkbewegung funktioniert. Zum einen werden gegenwärtige Prozesse des Regierens selbst als Bearbeitung eines als gesellschaftliches Problem konstituierten Bereichs verständlich. Sodann werden gängige Kritiken und Weiterentwicklungen des gouvernementalitätstheoretischen Ansatzes diskutiert (vgl. Kapitel 2.2), um daraus im vierten Schritt mit der Analyseperspektive der Problematisierung (vgl. Kapitel 2.3) und der ›Des-/Artikulation‹ (vgl. Kapitel 2.3) ein kritisches und eigenständiges Forschungsprogramm zur Analyse der Emergenz und Regierung von Kreativpolitik zu entwerfen, welches versucht, gängige Fallstricke der Analyse zu vermeiden. Im fünften Schritt wird diskutiert, was eine solche analytische Perspektivverschiebung für den Umgang mit Theorien und Begriffen bedeutet, die für den zu analysierenden Forschungsgegenstand von Bedeutung sind. Zu nennen sind hier die mobile urban policies-Debatte, die Debatte um Neoliberalisierung, die Diskussion über die Trennung von Politik und Ökonomie sowie die Debatte über Kreativität (vgl. Kapitel 2.4.3). Abschließend werden die Implikationen der Kapitel 2.1 bis 2.4.3 für die Operationalisierung der folgenden Untersuchung noch einmal zusammenfassend dargestellt (vgl. Kapitel 2.5).

wurde maßgeblich von Peter Berger und Thomas Luckmann in »Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie« (Berger und Luckmann 1994 [1969]) geprägt. »Verdinglichung bedeutet, menschliche Phänomene aufzufassen, als ob sie Dinge wären, das heißt, als außer- oder gar übermenschlich. (...) Verdinglichung ist die Auffassung von menschlichen Produkten, als wären sie etwas anderes als menschliche Produkte: Naturgegebenheiten, Folgen kosmischer Gesetze oder Offenbarungen eines göttlichen Willens« (ebd., S. 94). Und weiter: »Verdinglichung impliziert, dass der Mensch fähig ist, seine eigene Urheberschaft der humanen Welt zu vergessen« (ebd., S. 95). Es handelt sich beim Prozess der Reifizierung also um eine Übersetzung von sozialen Prozessen in den Bereich der Ontologie.

2. DIE FORSCHUNGSPERSPEKTIVE DER PROBLEMATISIERUNG UND DES-/ARTIKULATION |

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2.1 G OVERNMENTALITY S TUDIES – E INE P ERSPEKTIVE AUF GEGENWÄRTIGE R EGIERUNGSWEISEN Für eine Analyse der Artikulation von Kreativpolitik ist es notwendig, sich nicht nur »auf das Studium verschiedener Verwaltungsstellen, ihrer Interessen, ihrer Grundlage, ihrer verwaltungsmäßigen Organisation und ähnliches« (Miller und Rose 1994, S. 58) zu begrenzen, sondern auch andere gesellschaftliche Bereiche und ihre Subjekte wie Unternehmer*innenverbände, eine dynamische Kreativszene, Künstler*innen, Bürgerinitiativen u. ä. in die Analyse miteinzubeziehen. Häufig werden solche Politikformen, die sich im Spannungsfeld von demokratisch gewählten Volksvertreter*innen, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft bewegen, als Formen der governance bezeichnet. Sie tragen dem Umstand Rechnung, dass »Regieren heute offensichtlich mehr als politische Rechtsetzung und staatliche Regulierung« (Brand 2006, S. 111) ist. »Während Government für den hierarchischen, zentralistischen und dirigistischen Charakter traditioneller staatlicher Steuerungsformen steht, bezieht sich Governance auf dezentrale, netzwerkartige Formen der ›Kontextsteuerung‹ (Willke 1997). Diese sollen traditionelle Grenzziehungen zwischen Staat und Gesellschaft, Politik und Ökonomie überwinden und neue Mechanismen kooperativen Handelns und des Ausgleichs konfligierender Interessen bereitstellen.« (ebd., Hervorheb. i. O.)

Untersuchungen über Formen von governance der Kreativpolitik beschäftigen sich mit der normativen Frage: Wie können die unterschiedlichen Interessen von kreativen Unternehmer*innen, Bürger*innen und Künstler*innen gemeinsam mit den formal gewählten Vertreter*innen der Politik zum Wohl der unternehmerischen Entwicklung in der Stadt gesteuert werden (vgl. Ebert et al. 2012a, Lange et al. 2009, Lange 2011a, 2011b, 2011c, 2011d, Lange und Streit 2013)? Im Folgenden wird governance als Analyseperspektive zugunsten einer gouvernementalen Perspektive auf das Regieren von Kreativität in der Stadt aufgegeben und im Sinne einer Beobachtung zweiter Ordnung selbst zum Gegenstand der Analyse. Hierfür bieten die governmentality studies, die das von Michel Foucault in seinen Vorlesungen am Collège de France zwischen 1977 und 1979 eingeführte Konzept der Gouvernementalität in verschiedenen Forschungsarbeiten weiterentwickeln (Foucault 2004 [1977/78], 2006 [1978/79]), einen geeigneten Ansatz. Als Historiker mit einem Lehrstuhl für die ›Geschichte der Denksysteme‹ geht Foucault von historisch unterschiedlichen politischen Formen der Kunst des Regierens aus, die sich aber – anders als es beispielsweise der Marxismus behaupten würde – nicht linear, sondern historisch kontingent entwickeln. Dennoch lässt sich über längere Zeiträume hinweg

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eine gewisse Stabilität in der Praxis des Regierens sowie in der Ausübung spezifischer Formen von Macht beobachten, die einige Handlungen wahrscheinlicher macht als andere. Dieses »strukturierte Möglichkeitsfeld« nennt Foucault »Gouvernementalität« (Foucault 2000 [1978]). »›Governmentality‹ [...] deals with how we think about governing, with the different rationalities or, as it has been sometimes phrased, ›mentalities of government‹« (Dean 2010 [1999], S. 25)

Als Gouvernementalität bezeichnet Foucault »die Gesamtheit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken, die es gestatten, diese recht spezifische und doch komplexe Form der Macht auszuüben« (Foucault 2000 [1978], S. 64, siehe auch Dean 2010 [1999], S. 25, Miller und Rose 1990, S. 2). Rose spricht von Gouvernementalität als »Kunst des Regierens« (Rose et al. 2006, S. 83). Eine gouvernementale Analyse ist damit eine »Beobachtung zweiter Ordnung«. Sie »beobachtet die Beobachtung der Expertisen, der Autoritätsformen, der Untersuchungen« (Osborne 2004, S. 40). »An analysis of governmentalities then, is one that seeks to identify these different styles of thought, their conditions of formation, the principles and knowledges that they borrow from and generate, the practices that they consist of, how they are carried out, their contestations and alliances with other arts of governing.« (Rose et al. 2006, S. 84)

Aus einer gouvernementalen Perspektive erscheint governance nicht als ein neutraler Steuerungsmodus, sondern wird selbst als Effekt von Diskursen und Politik verständlich. Ebenso werden Politik, Macht und Regierung nicht mehr als der Analyse vorgängige Essentialismen begriffen, sondern als Effekte von Lösungsversuchen ganz bestimmter Probleme des Regierens. Damit liefern gouvernementale Ansätze wichtige Impulse für die Bearbeitung zentraler Fragen aus einer Perspektive zweiter Ordnung: Wie artikuliert Politik Probleme der Gegenwart, wie gießt sie sie in Wissensund Regierungssysteme und wie macht sie sie bearbeitbar? Wie verhalten sich diese neuen ›Rationalitäten des Regierens‹ zu bereits bestehenden Problemlösungsmechanismen, wie wird damit das Spiel von Wissen und Wahrheit verschoben, welche Aspekte werden dadurch ausgeblendet? Die gouvernementale Perspektive erlaubt eine Verschiebung der Fragestellung und Analyse hin zu folgenden Fragen: Wie wurde Kreativität zu einem Problem städtischer Regierung? Auf welches Problem stellt Kreativpolitik eine Antwort dar? Durch welche Logik des Regierens ist sie gekennzeichnet? Welche Macht/WissenKomplexe setzen diese Problematisierung performativ in Gang? Wie artikuliert sich

2. DIE FORSCHUNGSPERSPEKTIVE DER PROBLEMATISIERUNG UND DES-/ARTIKULATION |

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Kreativpolitik mit bestehenden Macht/Wissen-Komplexen und Formen des Regierens? Welche Formen des Widerstandes und der Enteignung hegemonialer politischer Formen lassen sich beobachten? 2.1.1 Regierung als Selbst- und Fremdführung Ausgangspunkt der Überlegungen Foucaults zu Regierungsformen der Gegenwart war seine Beobachtung, dass der Begriff ›gouverner‹ im 16. Jahrhundert in der Alltagssprache noch eine ganz andere Bedeutung hatte als heute: »Damals bezog er sich nicht nur auf politische Strukturen und die Staatsverwaltung, sondern meinte auch die Lenkung des Verhaltens von Individuen und Gruppen: von Kindern, Seelen, Gemeinschaften, Familien, Kranken. E[r] umfasste nicht nur institutionalisierte und legitime Formen politischer und ökonomischer Unterordnung, sondern mehr oder weniger überlegte und berechnete Handlungsweisen, die jedoch alle darauf abzielten, die Handlungsmöglichkeiten anderer Individuen zu beeinflussen. In diesem Sinne heißt Regieren das mögliche Handlungsfeld anderer zu strukturieren.« (Foucault 2005 [1982], S. 286)

Foucault erweitert also sein Verständnis von Regierung genealogisch um den Aspekt der Führung von Menschen in allen Lebensbereichen und versteht darunter »die Gesamtheit der Institutionen und Praktiken, mittels deren man die Menschen lenkt, von der Verwaltung bis zur Erziehung« (Foucault 1996, S. 119 zit. n. Lemke et al. 2000, S. 7). »Vielleicht eignet sich ein Begriff wie ›Führung‹ gerade kraft seines Doppelsinns gut dazu, das Spezifische an den Machtverhältnissen zu erfassen. ›Führung‹ ist zugleich die Tätigkeit des ›Anführens‹ anderer (vermöge mehr oder weniger strikter Zwangsmaßnahmen) und die Weise des Sich-Verhaltens in einem mehr oder weniger offenen Feld von Möglichkeiten. Machtausübung besteht im ›Führen der Führungen‹ und in der Schaffung der Wahrscheinlichkeit.« (Foucault 1987 [1982], S. 255)

In diesem Zitat klingen gleich mehrere Aspekte an, die für die Foucault’sche Perspektive auf Regieren spezifisch sind. Zunächst zeigt sich, dass Foucault von einem Verständnis von Macht ausgeht, das sich vom umgangssprachlichen unterscheidet. Er weist die liberalen Theorien zugrundeliegende Annahme zurück, Machtverhältnisse ließen sich auf Gewalt, Zwang und Herrschaft in Abgrenzung zu Freiheit und Konsens reduzieren (vgl. Lemke et al. 2000, S. 27). Unter Herrschaft versteht Foucault nur diejenigen Machtverhältnisse, die sich zu hierarchischen Verhältnissen verfestigt haben. Im Gegensatz zu Herrschaft versteht er Macht als ›produktiv‹. Sie ist daher nicht nur ›repressiv‹ wie im Fall der Herrschaft, sondern auch ermöglichend,

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beispielsweise, wenn eine Lehrerin einer Schülerin zu einem Lernerfolg verhilft. In seinen Analysen begreift er sie in erster Linie als ein Kräfteverhältnis. Damit meint er, dass Macht alle sozialen und sprachlichen Verhältnisse permanent durchfließt. Er geht davon aus, dass »zwischen jedem Punkt eines Gesellschaftskörpers [...] Machtbeziehungen« (Foucault 2003b [1977], S. 303) verlaufen. Im Unterschied zum Überordnungsprinzip, das den Begriff der ›Herrschaft‹ charakterisiert, folgt zwar »das Netz der Macht einer ›pyramidenartigen‹ Form« (Foucault 2003a [1977], S. 265), dennoch aber sei es kein rein hierarchisches Prinzip wie es die Monarchie ist, bei der die Macht im höchsten Punkt »wie aus einem Brennpunkt entspringt« (ebd.). Vielmehr stehen alle Elemente dieses Netzes »in einem Verhältnis wechselseitiger Stützung und Konditionierung« (ebd.). Die Freiheit von Subjekten versteht Foucault nicht als Antithese zu Macht, sondern als Teil von Machtverhältnissen, insofern Subjekte als handelnde Individuen erst durch »Macht/Wissen-Komplexe« (Foucault 2004 [1975], S. 39) konstituiert werden. Die Freiheit von Subjekten ist damit Teil des Feldes, durch das Macht operiert (vgl. Miller und Rose 1992, S. 174); Macht kann über Subjekte sogar nur ausgeübt werden, sofern sie frei sind (die Implikationen dieser Freiheit werden in Kapitel 2.2.2 mit Judith Butlers Konzept der agency weiter expliziert). »Wenn man Machtausübung als ein auf Handeln gerichtetes Handeln definiert, wenn man sie als ›Regierung‹ von Menschen durch andere Menschen im weitesten Sinne des Wortes beschreibt, dann schließt man darin ein wichtiges Element ein, nämlich das der Freiheit. Macht kann nur über ›freie Subjekte‹ ausgeübt werden, insofern sie ›frei‹ sind – und damit seien hier individuelle oder kollektive Subjekte gemeint, die jeweils über mehrere Verhaltens-, Reaktions- oder Handlungsmöglichkeiten verfügen. Wo die Bedingungen des Handelns vollständig determiniert sind, kann es keine Machtbeziehung geben.« (Foucault 2005 [1982], S. 287)

Als Beispiel für letzteres nennt Foucault die Sklav*innen, denen die Möglichkeit zu eigenständiger Reaktion und Handlungsfähigkeit abgesprochen und damit ihre Konstitution als menschliche Subjekte verweigert wird (vgl. Foucault 2005a [1984], S. 882). ›Subjekt zu sein‹ hat für Foucault somit stets zwei Dimensionen: Zum einen »das Subjekt, das der Herrschaft eines anderen unterworfen ist und in seiner Abhängigkeit steht; und [...] das Subjekt, das durch Bewusstsein und Selbsterkenntnis an seine eigene Identität gebunden ist« (Foucault 2005 [1982], S. 275). Diese beiden Elemente sind für Foucault auch zwei Dimensionen, die die Analyse des Regierens stets umfassen: »I think [...] he [the analyst, Anmerk. I. D.] has to take into account not only techniques of domination but also techniques of the self. Let’s say: he has to take into account the interaction between those two types of techniques – techniques of domination and techniques of the self. He has to take into account the points where the technologies of domination of individuals over

2. DIE FORSCHUNGSPERSPEKTIVE DER PROBLEMATISIERUNG UND DES-/ARTIKULATION |

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one another have recourse to processes by which the individual acts upon himself. And conversely, he has to take into account the points where the techniques of the self are integrated into structures of coercion or domination. The contact point, where the individuals are driven by others is tied to the way they conduct themselves, is what we can call, I think government. Governing people, in the broad meaning of the word, governing people is not a way to force people to do what the governor wants; it is always a versatile equilibrium, with complementarity and conflicts between techniques which assure coercion and processes through which the self is constructed or modified by himself.« (Foucault 1993 [1980], S. 203)

Das bedeutet, Regieren funktioniert stets durch die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Handlungsformen, durch Praktiken der Fremd- und der Selbstführung, der Freiheit und der Herrschaftszustände sowie durch Formen der Subjektivierung und der Unterwerfung (vgl. Dean 2010 [1999], S. 19, Lemke et al. 2000, S. 10). Die Möglichkeit zu Handeln ist hier »nicht zu trennen von der Forderung, einen spezifischen Gebrauch von diesen ›Freiheiten‹ zu machen, so dass die Freiheit zum Handeln sich oftmals in einen faktischen Zwang zum Handeln oder eine Entscheidungszumutung verwandelt« (ebd., S. 30). In diesem Sinne ist auch Kreativität als ein Regierungsregime zu verstehen, insofern es eine Praxis der Freiheit ist, die Subjekte als schöpferisch und kreativ konstituiert, gleichzeitig aber Kreativität als Sozialtechnologie auch eine Form der Unterwerfung beispielsweise unter die Gesetzes des Marktes, die Organisationsformen von Managementtechnologien oder städtischer policies darstellt. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen des »kognitiven Kapitalismus« (wie er von den italienischen Postoperaist*innen diskutiert wird, für eine Zusammenfassung der Debatte in deutscher Sprache siehe Lorey und Neundlinger 2012) wird also Kreativität nicht nur als ein Objekt regiert, sondern es wird zunehmend auch durch Kreativität als einer sozialen Technologie regiert. Kreativität im Sinne einer Praxis der Freiheit verwandelt sich dann in einen kreativen Imperativ: »Sei kreativ« (Osten 2003a, S. 265, vgl. auch Kapitel 4.3). Wichtig aber ist zu unterstreichen, dass dieser Imperativ niemals total wirkt, sondern aufgrund der Freiheit des angerufenen Subjekts stets auch Möglichkeiten des Widerstands oder der Entwendung der Anrufung für andere Zwecke bietet. Daher bezeichnet Foucault Regierung als ein »Möglichkeitsfeld« (Foucault 1987 [1982], S. 255, vgl. auch Lemke 2002, S. 52), welches Handlungen nicht determiniert, sondern »Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit von Verhalten« (Foucault 2005 [1982], S. 286) nimmt. »Regierung [...] ist ein Ensemble von Handlungen in Hinsicht auf mögliche Handlungen; sie operiert auf dem Möglichkeitsfeld, in das sich das Verhalten der handelnden Subjekte eingeschrieben hat: sie stachelt an, gibt ein, lenkt ab, erleichtert oder erschwert, erweitert oder begrenzt, macht mehr oder weniger wahrscheinlich; im Grenzfall nötigt oder verhindert sie voll-

28 | KREATIVPOLITIK ständig; aber stets handelt es sich um eine Weise des Einwirkens auf ein oder mehrere handelnde Subjekte, und dies, sofern sie handeln oder zum Handeln fähig sind.« (Foucault 1987 [1982], S. 255)

Regierung als die doppelte Operation, die das eigene Handeln sowie das Handeln Dritter anleitet, hat Foucault auch als »Führung der Führungen« (ebd., vgl. dazu auch Dean 2010 [1999], S. 17, Gordon 1991, S. 2, Lemke et al. 2000, S. 27) beschrieben. »Government is the historically constituted matrix within which are articulated all those dreams, schemes, strategies and manoeuvres of authorities that seek to shape the beliefs and conduct of others in desired directions by acting upon their will, their circumstances or their environment. It is in relation to this grid of government that specifically political forms of rule in the modern West define, delimit and relate themselves.« (Miller und Rose 1992, S. 175)

Das Verhältnis von Selbst- und Fremdführung hat zahlreiche gouvernementalitätstheoretische Arbeiten beschäftigt wie zum Beispiel die Arbeiten zur Aktivierung und Führung von Subjekten (Donzelot 1991, Kessl et al. 2005, Krasmann 1998, Martin et al. 1993, Osborne 2004), zum unternehmerischen Selbst (Bröckling 2007, McNay 2009, Sarasin 2007) und besonders auch zu kreativen Selbstunternehmer*innen (Bröckling 2003, Keizers 2012, Loacker 2010, Lorey 2006, 2007b, Opitz 2004, vgl. auch Kapitel 4.3). 2.1.2 Rationalitäten und Technologien der Regierung Um die ›Mentalitäten‹ der ›Führung der Führungen‹ näher bestimmen zu können, unterscheiden Miller und Rose (1990, 1992, 2010) – zwei bedeutende Vertreter der governmentality studies, die maßgeblich zur Weiterentwicklung der aufgrund Foucaults frühen Todes sehr fragmentarisch gebliebenen Ausführungen über Gouvernementalität beigetragen haben – zwischen Rationalitäten und Technologien des Regierens. »Problematics of government may be analyzed, first of all, in terms of their political rationalities [...]. But, we suggest, problematics of government should also be analyzed in terms of their governmental technologies.« (Miller und Rose 1992, S. 175, Hervorheb. i. O. siehe auch Lemke 2002, S. 53)

Unter einer Regierungsrationalität wird eine Denkweise oder ein Denksystem verstanden, das die ›Natur‹ bzw. Ontologie einer Regierungspraxis bestimmt. Regierungsrationalitäten kennzeichnen sich erstens durch ihre moralische Form, die die

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richtige Verteilung von Aufgaben und Aktivitäten zwischen unterschiedlichen politischen, ökonomischen, geistlichen, pädagogischen oder disziplinären Institutionen festlegt (vgl. Miller und Rose 1992, S. 179). Zweitens haben sie einen epistemologischen Charakter, der die spezifische Konzeption dessen, was als natürlich, in einer bestimmten Weise gegeben und unveränderbar erscheint, festlegt (vgl. ebd.). Drittens werden sie in einem spezifischen Idiom artikuliert. Rose bezeichnet sie daher auch als ›intellektuelle Apparate‹, die die Realität in einer Weise denkbar machen, die an verfügbare Denkschemata und mögliche Handlungsmuster anschlussfähig ist (vgl. ebd.). Rationalitäten sorgen dafür, dass unterschiedliche Technologien und Praktiken des Regierens als intelligibel, plausibel, richtig und praktikabel erscheinen (siehe Gordon 1991, S. 3). »Rationality in this context means any way of reasoning, or way of thinking about, calculating and responding to a problem, which is more or less systematic, and which might draw upon formal bodies of knowledge or expertise.« (Dean 2010 [1999], S. 25)

Rationalitäten des Regierens »ermöglichen, ihre unterschiedlichen Gegenstandsbereiche zu ordnen, und sie an verschiedenen Zweckbestimmungen auszurichten« (Lemke et al. 2000, S. 13); sie stellen eine »Systematisierung und ›Rationalisierung‹ einer Pragmatik der Führung« (ebd., S. 20) dar. Der Begriff ›Rationalität‹ aber darf nicht mit instrumenteller oder transzendentaler Vernunft verwechselt werden (vgl. Dean 2010 [1999], S. 19). Rationalitäten im gouvernementalen Sinne beziehen sich auf ein Set historischer Praktiken (vgl. Lemke et al. 2000, S. 20), die sich durch gemeinsame Regeln ihres Auftretens kennzeichnen. Diese können auch durch eine gewisse Form der Irrationalität oder Gegenaufklärung gekennzeichnet sein. Lemke bezeichnet den Charakter von Rationalitäten als ›relational‹ und betont damit, dass Regierungsrationalitäten eine zu regierende Realität gerade nicht nur ›repräsentieren‹. Eine Rationalität der Regierung »stellt vielmehr bereits eine intellektuelle Bearbeitung der Realität dar, an der dann politische Technologien ansetzen können« (ebd., S. 20). Das bedeutet, dass die Form und damit auch die Zurichtung politischen Wissens selbst als Teil von Regierung verstehbar und auf diese Weise aus dem Bereich objektivistischen Wissens in den Bereich der Machtverhältnisse verschoben wird (vgl. ebd., S. 21). In empirischen Studien wird häufig auf politische Programme oder policy paper zurückgegriffen, um Rationalitäten des Regierens zu rekonstruieren. Rationalitäten sind aber nur eine Dimension von Gouvernementalität, Technologien des Regierens stellen die zweite dar. Miller und Rose gehen davon aus, »daß Gouvernementalität3 eine typischerweise ›programmatische‹ Form hat, und daß sie

3

Alfred Berlich und Richard Schwarz übersetzen »gouvernementalité« in der deutschen Version des Textes von Miller und Rose (1994) mit »Regierungsmentalität«. Ich habe mir

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unlösbar an die Erfindung und Bewertung von Technologien gebunden ist, die ihr Wirklichkeit zu verschaffen suchen« (Miller und Rose 1994, S. 54). Unter Regierungstechnologien verstehen sie: »[T]he complex of mundane programmes, calculations, techniques, apparatuses, documents and procedures through which authorities seek to embody and give effect to governmental ambitions.« (Miller und Rose 1992, S. 175)

Dazu zählen sie Aufzeichnungstechniken, Computerverarbeitungsprogramme, Buchhaltung und Rechenverfahren, Prozeduren der Beurteilung und des Vergleichs wie Benchmarking oder Evaluierungsverfahren, Standardisierungs- und Visualisierungsverfahren wie Tabellen und Grafiken, sprachliche Standards, bauliche Formen oder Design (vgl. ebd., S. 183). In diesem Sinne beschreibt Gouvernementalität die Logik der Wahrscheinlichkeit und das Möglichkeitsfeld, auf dem die unzähligen Versuche, Technologien der Regierung in Einklang mit den Rationalitäten der Regierung in Gang zu setzen, operieren. Um das Verhältnis zwischen politischen Rationalitäten und Regierungstechnologien näher zu bestimmen, greifen Miller und Rose auf die Konzepte der »Übersetzung« und des »Handelns auf Distanz« von Michael Callon und Bruno Latour zurück (Callon 1986, Callon und Latour 1981, Latour 1986, 1987). Um politische Rationalitäten operabel zu machen, muss eine Vielzahl von Verbindungen zwischen dem Programm, seinen Vertreter*innen und denen, die es ausführen sollen, hergestellt werden. Callon und Latour untersuchen in ihrer Arbeit die vielfältigen und komplexen Mechanismen, die notwendig sind, um programmatische Überlegungen, Handlungserfordernisse und Berechnungen, die an einem Ort passieren, mit Handlungen, die an anderen Orten passieren, in ein Verhältnis zu setzen. Hierbei interessiert sie nicht in erster Linie das Durchsetzen von Handlungsanweisungen entlang einer hierarchischen Kommandokette, sondern die Frage, wie sich menschliche und nichtmenschliche Akteur*innen4 . in Netzwerken, sog. assemblages, koordinieren und in diesem Prozess mit Handlungsmacht, agency, ausgestattet werden. Um menschliche Akteur*innen in das Netzwerk einzubinden, gilt es sie davon zu überzeugen, dass sie aufgrund der späteren einheitlichen Rezeptionslage, die »gouvernementalité« stets mit Gouvernementalität übersetzt, erlaubt, den Begriff im Sinne der Einheitlichkeit anzupassen. 4

Anders als in der Handlungstheorie werden Akteur*innen in der Akteur-Netzwerk-Theorie wie sie von Callon und Latour vertreten wird, nicht als intentional handelnd aufgefasst, deren freier Wille, die sie definierende anthropologische Grundkonstante ausmacht. Vielmehr werden sie hier – wie in anderen poststrukturalistischen Ansätzen auch – nicht als voluntaristischer Ausgangspunkt, sondern als Effekte komplexer Formen von assemblageProzessen verstanden (Latour 2010 [2005], S. 81).

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an einem gemeinsamen Projekt arbeiten. Ihre Arbeit muss konvergent gemacht und Redundanzen, Missverständnisse und Reibungspunkte ausgeräumt werden. Diesen Prozess nennen Callon und Latour »Übersetzung« (Callon 1986, Latour 1986). Übersetzung erlaubt ein »Handeln auf Distanz« (Latour 1987, S. 219). Miller und Rose adaptieren dieses Konzept und sprechen von Regierungstechnologien als »Übersetzung« politischer Rationalitäten in den Bereich alltäglicher Praxis, die ein »Regieren auf Distanz« (Miller und Rose 1990, S. 9) möglich machen: »If political rationalities render reality into the domain of thought, these ›technologies of government‹ seek to translate thought into the domain of reality, and to establish ›in the world of persons and things‹ spaces and devices for acting upon those entities of which they dream and scheme.« (ebd., S. 66)

Gleichzeitig seien es »Technologien, durch die politische Überlegungen und die von ihnen artikulierten Regierungsprogramme einsatzfähig werden« (Miller und Rose 1994, S. 68, Hervorheb. I. D.); an anderer Stelle beschreiben sie »governmental technologies« als »the complex of mundane [...] procedures through which authorities seek to embody and give effect to governmental ambitions« (Miller und Rose 1992, S. 175, Hervorheb. I. D.). Programme stießen in ihrer Umsetzung permanent auf Hindernisse, was ein konstantes Experimentieren, Scheitern, aber auch Anpassen an die Gegebenheiten erfordere. Auch wird darauf hingewiesen, dass die Anwendung von Technologien zu unintendierten Folgen führen könne oder sie in den Dienst anderer Zwecke und Rationalitäten gestellt werden könnten. Auf diese Weise entstünden Feedbackschleifen, in denen gescheiterte Programme angepasst würden. In der Geographie und verwandten Fächern hat die Idee des Regierens auf Distanz vor allem in die Analyse eines Regierens durch Community Eingang gefunden. Diese Arbeiten untersuchen, wie der neoliberale Umbau des Wohlfahrtsstaates mit einer zunehmenden Responsibilisierung der Kommunen und ihrer Bewohner*innen zu kompensieren einhergeht (Clarke 2007, Guarneros-Meza und Geddes 2010, Kessl et al. 2005, Lemke 2004, Rose 1996, 2002). Weitere Arbeiten entstanden vor allem zur Produktion und Regierung von Raum (Füller und Marquardt 2009b, Hannah 2009, 2010, Mattissek 2008, Michel 2005, Rose 2000).

2.2 K RITIK

UND W EITERENTWICKLUNG GOUVERNEMENTALITÄTSTHEORETISCHER

A NSÄTZE

Im Zuge der empirischen Anwendung und theoretischen Diskussion der gouvernementalen Analyse sind zahlreiche Kritiken und theoretische Weiterentwicklungen

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entstanden, die über Foucaults Arbeiten im engeren Sinne hinausgehen. Im Folgenden sollen solche Kritiken und Weiterentwicklungen diskutiert werden, die die Art und Weise, wie die Artikulation und Regierung von Kreativpolitik analysiert werden können, entscheidend beeinflussen. 2.2.1 Jenseits von Programmanalyse – Topologische Analyse von Macht Obwohl Vertreter*innen der governmentality studies das Verhältnis zwischen Rationalitäten und Technologien deutlich als »Relais« und »gegenseitige Abhängigkeit« (Miller und Rose 1990, S. 8) beschrieben haben, privilegieren empirische Fallstudien oft die Analyse von Rationalitäten und Programmen gegenüber Technologien und Praktiken. Sie beziehen sich häufig auf theoretische Reflexionen, die behaupten, Foucault verwende die Begriffe »Regierungsrationalität« und »Gouvernementalität« synonym, wie dies beispielsweise Gordon (1991, S. 1) tut5 . Auf diese Weise reduziert er gouvernementale Analysen auf die reine Analyse von Programmen und die Analyse von Regierung auf eine möglichst ›epochale‹ Beschreibung von Rationalitäten. Auch wenn ein gewisser Grad an Idealisierung und Reifizierung zur Rekonstruktion von Rationalitäten der Regierung notwendig ist, leiden Analysen häufig an einer »Überschematisierung und Überabstraktion« (O’Malley et al. 1997, S. 504). Sie lassen sich in zwei Kategorien einteilen: Erstens solche, die sich ausschließlich mit der Rekonstruktion von Rationalitäten und Programmen befassen und die Ebene der Technologien und Praktiken gänzlich außer Acht lassen (vgl. Mattissek 2008, Schipper 2013). Die zweite Kategorie betrifft Analysen, die neben Rationalitäten und Programmen auch Technologien und Praktiken darstellen, aber deren reibungslose Umsetzung und deren reibungslosen Ablauf sie nicht weiter empirisch untersuchen, sondern als notwendigen Ausdruck von Rationalitäten und Programmen implizit voraussetzen (siehe Bröckling 2000, 2007, Lorey 2006, 2007b, Opitz 2004, Rose 1991a). Den beiden Analysetypen ist gemein, dass sie die Rekonstruktion von Rationalitäten, die sie häufig mit Großbegriffen wie ›Neoliberalismus‹, ›Sicherheitsdispositiv‹ oder ›Postfordismus‹ beschreiben, ins Zentrum ihres Interesses stellen. Dabei verlieren sie jedoch solche Feedbackschleifen und Anpassungsleistungen aus dem Blick, die zwischen Rationalitäten und Technologien, Programmen und Praktiken entstehen, um einen Regierungseffekt zu erzielen. Auch entgeht diesen Analysen, dass Programme scheitern können und dass sie dabei unerwartete oder abweichende Regierungseffekte zeitigen können. 5

»Foucault used the term ›rationality of government‹ almost interchangeably with ›art of government‹« (Gordon 1991, S. 3); »Foucault defined and explored a fresh domain of research into what he called ›governmental rationality‹, or, in his own neologism, ›governmentality‹.” (ebd., S. 1).

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»Because of its emphasis on the programmatic nature of rule, and a concomitant methodological focus on texts of government rather than what they refer to as the ›messy actualities‹ of governance (Barry et al. 1993) or on the constitutive role of contestation and social variation, the literature tends to generate ideal typifications which often are in danger of being little more than the systematized self-representation of rule.« (O’Malley et al. 1997, S. 504)

Rationalitäten des Regierens schreiben sich nicht automatisch in Praktiken oder Systeme von Praktiken ein. Dies zu behaupten, hieße einer funktionalistischen Argumentation das Wort zu reden. Vielmehr wäre empirisch zu untersuchen, ob und inwiefern sie das tun. Denn indem programmatische Analysen nur auf hegemoniale Rationalitäten des Regierens, Programme und Aussagen zielen, geraten Missverständnisse, gegenhegemoniale Äußerungen und mit ihnen mögliche Veränderungen und Kämpfe aus dem Blick (O'Malley et al. 1997, S. 512). Statt Anschlüsse für politisches Handeln zu bieten, indem die Analyse selbst in die Macht/Wissen-Spiele eingreift (Hindess 1997), beschränkt sich eine Programmanalyse hingegen nur auf die Reproduktion von Großbegriffen und Herrschaftswissen. Der Umstand, dass solche Analysen möglichst ›kohärente‹ Rationalitäten zu rekonstruieren versuchen – zumeist eine Charakterisierung der ›aufeinanderfolgenden Epochen‹ Liberalismus, Wohlfahrtsstaat und Neoliberalismus –, führt bei vielen Rezipient*innen dazu, dass sie die Gouvernementalität der Gegenwart selbst als eine »Masterkategorie« (Collier 2009, S. 96), d. h. als ein kohärentes Regime, welche für ›die Epoche des Neoliberalismus‹ bestimmend sei, missverstehen. »[T]he concept of governmentality has itself provoked (mis)applications of this work that commit the synechdocal error of confusing the ›parts‹ (techniques and so on) with some mysterious neoliberal ›whole.‹« (ebd., S. 98)

Collier zufolge liegt der Grund dafür darin, dass die Vertreter*innen programmatischer Analysen den Wandel, den Foucault in seinen Vorlesungen zur Gouvernementalität 1978 am Collège des France macht, in erster Linie als einen inhaltlichen Wandel von seinen älteren Konzepten der Macht hin zur Analyse des Staates sähen, aber eine methodologische Kontinuität in der Art seiner Machtanalyse unterstellten. Sie gingen davon aus, dass Makrostrukturen in derselben Weise analysiert werden könnten wie Mikrostrukturen. Gordon beispielsweise schreibt: »The same style of analysis [...] that had been used to study techniques and practices addressed to individual human subjects within particular, local institutions could also be addressed to techniques and practices for governing populations of subjects at the level of a political sovereignty over an entire society.« (Gordon 1991, S. 4, siehe auch Rose et al. 2006, S. 94)

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Dabei würde übersehen, dass Foucault auch einen methodologischen Wandel vollzogen hat, der für die Konzeptualisierung des Verhältnisses von Rationalitäten und Technologien zentral ist: »A shift [...] in Foucault’s analysis of how technologies of power are configured in assemblies of government« (Collier 2009, S. 82). Collier sieht in Foucaults frühen Machtanalysen eine Tendenz zu »epochalen, funktionalistischen und sogar totalisierenden Diagnosen« (ebd., S. 90), die daher rühren, dass er disziplinierende und regulatorische Mechanismen wie die Züchtigung im Gefängnis oder die Disziplin der Fabrik als bloßen Ausdruck abstrakter »Machtarchitekturen« (ebd., S. 83) sieht. Beispiele für »vage formulierte und anonyme funktionalistische Imperative« in Foucaults frühen Analysen von Machtverhältnissen sind Aussagen wie »die kapitalistische Gesellschaft erzeugte die Disziplinarmacht« (ebd., S. 90) oder Periodisierungen, die ein großes Zeitalter mit einem Machttypus gleichsetzt (vgl. ebd., S. 88). Ließe man Foucaults methodologischen Wandel außer Acht, würden Regierungstechnologien als bloßer und notwendiger Ausdruck von Regierungsrationalitäten erscheinen. Collier aber argumentiert, dass Foucault diese methodologischen Schwächen im Übergang zu seinen Gouvernementalitätsvorlesungen hinter sich lässt, indem er nun das Verhältnis von Makro- und Mikrostrukuren nicht mehr hierarchisch oder deterministisch, sondern kontingent denkt. Er argumentiert, in den späten Arbeiten ginge Foucault nicht länger davon aus, dass es eine einzige apriori bestimmbare Logik gäbe, die alle Elemente so verbindet als stellten sie eine funktionale Einheit dar.« (vgl. ebd., S. 90). »If previously Foucault saw regulatory power and discipline as complementary parts of a coherent logic of power that operated on different registers, then in the later work he posits no necessary link between them.« (ebd., S. 87, Hervorheb. I. D.)

Der Wandel, den Foucault hier vollzieht, ist nicht nur für poststrukturalistisches Denken zentral, sondern auch für die folgende Analyse der Regierung von Kreativpolitik und soll daher hier vertieft diskutiert werden. Er vollzieht sich im Übergang von der Annahme inhärenter Logiken in der Geschichte (z. B. die Annahmen des orthodoxen Marxismus einer stufenweisen Entwicklung der Menschheit) hin zu einer prinzipiellen Annahme ihrer Kontingenz. Das bedeutet nicht, dass auf einmal an jedem Punkt der Geschichte alles möglich sei. Es bedeutet aber, dass es nicht als Notwendigkeit angesehen werden kann, dass Formen der Regierung in einer durch theoretische Annahmen vorbestimmten Weise funktionieren. »As Foucault observed, programs are ›fragments of the real‹, and they produce definite effects. But they are not determinant« (Li 2007a, S. 279). Gouvernementalität zeigt sich damit nicht als Ausdruck abstrakter Machtverhältnisse, sondern in der Art und Weise wie heterogene Machttechnologien versammelt werden.

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»[T]he ›history of technologies‹ is centrally concerned with how heterogeneous techniques, technologies, material elements, and institutional forms are taken up and assembled.« (Collier 2009, S. 89)

Das Prinzip, durch das diese heterogenen Elemente zusammengebunden werden, nennt Collier in Anlehnung an Foucaults relationales Machtverständnis »Topologie der Macht6 « (»topology of power«, ebd., S. 89). Sie kann entsprechend nicht a priori bestimmt werden, weder durch Ableitung aus theoretischen Annahmen, noch aus den Ergebnissen einer Programmanalyse. Sie ist allein empirisch durch eine Analyse der komplexen Mechanismen möglich, die diese heterogenen Elemente zusammenbinden. »Und damit sollten sie auch nicht als Teil einer übergeordneten Methodologie (welcher Art auch immer) verstanden werden, sondern als singuläre, diskontinuierliche Forschungsarbeiten: begrenzt, empirisch, hoffentlich maßvoll, aber auch – sofern sie ihre Arbeit gut machen – unzeitgemäß, also in einer kontingenten und fragenden Weise auf die Gegenwart bezogen« (Osborne 2004, S. 39). Eine topologische Analyse unterscheidet sich also in wesentlichen Punkten von den oben diskutierten Programmanalysen. »A topological analysis, by contrast, brings to light a heterogeneous space, constituted through multiple determinations, and not reducible to a given form of knowledge-power. It is better suited to analyzing the dynamic process through which existing elements, such as techniques, schemas of analysis, and material forms, are taken up and redeployed, and through which new combinations of elements are shaped.« (Collier 2009, S. 99)

Seit Ende der 1990er Jahre ist eine zweite Welle gouvernementalitätstheoretischer Literatur entstanden, in der einige die ›Analyse des Regierens‹ im topologischen Sinne Colliers verstehen. Mitchell Dean beispielsweise spricht von »Praxisregimen« (»regimes of practices«, Dean 2010 [1999], S. 27, vgl. auch Howarth 2010, S. 313), worunter er ein relativ kohärentes Set bestimmter Arten und Weisen versteht, Dinge zu tun (Dean 2010 [1999], S. 31). Eine Analyse von Praxisregimen fragt, wie sich verschiedene Rationalitäten und Wissensformen wie Kultur, Wirtschaft, Medizin, Kriminologie, Psychotherapie etc. in Alltagsroutinen herausbilden und formen (ebd., S. 32). »An analytics of a particular regime of practices [...] seeks to [...] follow the diverse processes and relations by which these elements are assembled into relatively stable forms of organization and institutional practice. It examines how such a regime gives rise to and depends upon particular forms of knowledge and how, as a consequence of this, it becomes the target of various 6

Die Topologie beschreibt ein relationales Beziehungsmachtgeflecht, welches sich in Form von Raumproduktionen differenziert.

36 | KREATIVPOLITIK programmes of reform and change. It considers how this regime has a technical or technological dimension and analyses the characteristic techniques, instrumentalities and mechanisms through which such practices operate, by which they attempt to realize their goals, and through which they have a range of effects.« (ebd., S. 31)

Im Sinne des von Collier diagnostizierten ›Bruchs‹ ist das Verhältnis von Praktiken zu Rationalitäten des Regierens als kontingent zu verstehen. »It is important to realize that regimes of practices exist within a milieu composed of mentalities of rule, without being reducible to that milieu« (ebd., S. 28). Sie sind niemals mit einer Institution, einem Programm oder eine Rationalität identisch. Die strategische Logik eines Praxisregimes kann allein aus ihrem Funktionieren im Sinne eines Zusammenwirkens aller seiner Elemente bestimmt werden; sie ist nicht auf ihre Intention reduzierbar. Dennoch haben sie eine bestimmbare Richtung, die das Auftreten bestimmter Ereignisse wahrscheinlicher macht als andere. »We live in a world of often rivalrous programs but not in a programmed world, and programs could not simply be implemented, as technologies have their own characteristics and requirements.« (Rose et al. 2006, S. 86)

So bringen Rose et al. in einer Antwort auf Kritiken an gouvernementalitätstheoretischen Arbeiten die relative Autonomie von Praktiken und Technologien gegenüber Rationalitäten auf den Punkt. Im Alltag funktionieren nicht nur Programme mit Praxisregimen konflikthaft, sondern es existieren auch stets mehrere Praxisregime nebeneinander, die kooperieren, sich verstärken, sich überlappen, sich aber auch gegenseitig fragmentieren, sich strittig machen oder andere Regime kolonisieren und unterwerfen können. Diese Auseinandersetzungen und Verschiebungen führen wieder dazu, dass Programme nicht nur permanent scheitern, sondern auch angepasst werden müssen. Die relative Autonomie der Praktiken gegenüber den Programmen führt nicht nur dazu, dass Rationalitäten sich permanent verändern, sondern auch, dass beide als kontingent und ko-konstitutiv verstanden werden müssen. »Technologies and strategies are thus seen as mutually formative and thus more or less consistently articulated.« (ebd., S. 88)

In einer solchen Perspektive ist Macht nicht länger Quelle, sondern Effekt sich verändernder assemblages von Praxisregimen, Techniken und Rationalitäten. Gouvernementalität erscheint nicht länger als »Masterkategorie«, die Praktiken subsumptiv erklärt, sondern als heterogenes Set an Praktiken, Programmen und Techniken, die sich nur durch eine temporäre Stabilität auszeichnen und somit auch Gegenstand von Kritik, Intervention und Veränderung werden können.

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»Technologien drücken Rationalitäten nicht aus, sondern sie haben eine eigene Materialität, so dass sie für unterschiedliche Ziele eingesetzt werden und verschiedene Bedeutungen annehmen können – abhängig von ihrer Artikulation innerhalb spezifischer Rationalitäten.« (Lemke 2007, S. 62)

Die im Rahmen dieses Kapitels diskutierten Kritiken haben wichtige Implikationen für die folgende Analyse der Artikulation von Kreativpolitik und Regierung von Kreativität in Frankfurt. Im Unterschied zu Programmanalysen sollen hier nicht einfach die Rationalitäten des Regierens wie sie sich beispielswiese in Floridas berühmten Buch »The Rise of the Creative Class« (2002a), in den Handlungsempfehlungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, des Landes Hessens oder im Frankfurter Kreativwirtschaftsbericht finden, rekonstruiert werden. Vielmehr bedarf es einer topologischen Analyse, die Kreativpolitik und ihre Regierungsmechanismen als Effekt eines komplexen Zusammenspiels von Programmen, Technologien und Praktiken versteht. Dazu gilt es, die Feedbackschleifen und Anpassungsmechanismen, die Programme vor dem Hintergrund widerspenstiger Technologien und Praktiken erfahren, ebenso in den Blick zu nehmen wie die »›messy actualities‹ of governance« (O’Malley et al. 1997, S. 504, vgl. auch Li 2007a, Li 2007b, Mckee 2009) und unerwarteten Effekte, die Regierungsprogramme zeitigen. 2.2.2 ›How to govern things with words‹ – Regieren aus performativitätstheoretischer Perspektive Aus der im vorangegangenen Kapitel diskutierten Kritik an reinen Programmanalysen werden häufig die falschen Schlüsse gezogen. Aus der Beobachtung »›government‹, of course, is not only a matter of representation. It is also a matter of intervention« (Miller und Rose 1990, S. 7) wird häufig vorschnell abgeleitet, eine Analyse könne sich mit einer bloßen Gegenüberstellung der »Sphäre« der Rationalitäten/Programme mit jener der Technologien/Praktiken begnügen. Aus der Beobachtung von Collier, dass es zwischen den »unterschiedlichen Registern der Macht« – hier zwischen Rationalitäten/Programmen und Technologien/Praktiken – keine »notwendige Verbindung« gibt (vgl. Collier 2009, S. 87, Kapitel 2.2.1), ist allerdings nicht der Schluss zu ziehen, dass eine Analyse des Regierens zunächst die Rationalitäten von Regierungsprogrammen herausarbeiten muss, um in einem zweiten Schritt zu schauen, wie die »›messy actualities‹ of governance« (O’Malley et al. 1997, S. 504) in der Praxis ›wirklich‹ aussehen, wie dies zum Beispiel Mckee (2009) macht. Eine solche Analyse macht den Fehler, eine Trennung von Sprechen und Handeln anzunehmen. Poststrukturalistische Vertreter*innen wie (z. B. Butler 2008 [1997], 2010, Derrida 2001 [1971], 2004 [1972]) haben mit Verweis auf die berühmten Vorlesungen »How to do things with words« von John Langshaw Austin (1962) darauf

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hingewiesen, dass Sprechen performativ ist, weil man mit Sprechakten Handlungen ausführen kann. Wie sich in Kapitel 6.2 noch zeigen wird, ist das Verfassen des Frankfurter Kreativwirtschaftsberichts nicht einfach eine sprachliche Ausbuchstabierung eines Programms, sondern selbst bereits eine Handlung, d. h. hier eine Technologie und Praxis der Regierung. Michel Foucault hat in seinen Arbeiten stets darauf hingewiesen, dass die Artikulation von Programmen kein bloßer erster Schritt ist, dem eine Umsetzung erst folgen muss, sondern dass bereits in der Art und Weise wie Programme artikuliert werden, Kämpfe ausgefochten und Anpassungen vorgenommen werden müssen. Auf diese Weise etabliert sich nach und nach eine Wissensordnung, die bestimmte Aspekte sichtbar, andere unsichtbar, manche legitim und andere illegitim werden lässt. Wissen zeitigt nicht nur Machteffekte, sondern ist selbst auch Effekt von Machteffekten7 . Foucault spricht von Rationalitäten und Programmen als »Macht/Wissen-Komplexe" (Foucault 2004 [1975], S. 39), da sie Macht ausüben, Subjekte im Diskurs platzieren oder Reaktionen provozieren, bevor sie im klassischen Sinne technisch implementiert werden. Politik und Wissen werden nicht einfach als bestehende Elemente vorausgesetzt, die im Zuge von Regierungsprozessen in Austausch miteinander treten. Vielmehr ist ein »politisches Wissen« Ergebnis einer gouvernementalen Analyse (vgl. Lemke 2002, S. 54). »[A] political rationality is not pure, neutral knowledge that simply ›represents‹ the governed reality. It is not an exterior instance, but an element of government itself which helps to create a discursive field in which exercising power is ›rational‹. The concept of governmentality suggests that it is important to see not only whether [...] rationality is an adequate representation of society but also how it functions as a ›politics of truth‹, producing new forms of knowledge, inventing different notions and concepts that contribute to the ›government‹ of new domains of regulation and intervention.« (ebd., S. 55)

Dass über Kreativpolitik beispielsweise in politischen Gremien wie der Stadtverordnetenversammlung diskutiert werden kann, setzt einen Diskurs und eine »Politik der

7

Macht/Wissen-Komplexe definiert Foucault in »Überwachen und Strafen« wie folgt: Es »ist wohl anzunehmen, daß die Macht Wissen hervorbringt [...]; daß Macht und Wissen einander unmittelbar einschließen; daß es keine Machtbeziehung gibt, ohne daß sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehungen voraussetzt und konstituiert. Diese Macht/Wissen-Beziehungen sind darum nicht von einem Erkenntnissubjekt aus zu analysieren, das gegenüber dem Machtsystem frei oder unfrei ist. Vielmehr ist in Betracht zu ziehen, daß das erkennende Subjekt, das zu erkennende Objekt und die Erkenntnisweisen jeweils Effekte jener fundamentalen Macht/Wissen-Komplexe und ihrer historischen Transformationen bilden« (Foucault 2004 [1975], S. 39).

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Wahrheit« voraus, die Kreativität als mögliches Objekt politischer Steuerung anerkennt und beispielsweise nicht als eine Eigenschaft von Künstler*innen, die außerhalb der Sphäre städtischer governance liegt. Rose und Miller beschreiben Rationalitäten und Programme in diesem Sinne als »technologies of thought« (Miller und Rose 1990, S. 5). »›Knowing‹ an object in such a way that it can be governed is more than a purely speculative activity: it requires the invention of procedures of notation, ways of collecting and presenting statistics, the transportation of these to centres where calculations and judgements can be made and so forth. It is through such procedures of inscription that the diverse domains of ›governmentality‹ are made up, that ›objects‹ such as the economy, the enterprise, the social field and the family are rendered in a particular conceptual form and made amenable to intervention and regulation.« (ebd.)

Die Differenz zwischen einem anvisierten Programm und ›realen‹ Effekten lässt sich damit nicht auf die Reinheit der Theorie und die Unordnung der Praxis zurückführen, sondern zeigt, dass Rationalitäten und Programme neue Formen von ›Realität‹ schaffen, indem sie durch Sprache Wahrheitseffekte zeitigen, die bestimmte Objekte in den Bereich der Regierung verschieben und dort als denk-, lenk- und veränderbar konstituiert. In diesem Sinne ist Sprache performativ, zum einen weil mit Sprechakten Handlungen vollzogen werden, und zum anderen, weil Macht/Wissen-Komplexe als historisch-gesellschaftliches Resultat von Sprechakten selbst die Bedingungen der Möglichkeit artikulieren, die Sprechakte innerhalb einer Rationalität des Regierens als ›wahr‹ bzw. ›gut‹ oder ›falsch‹ bzw. ›schlecht‹ konstituieren. »An analysis of government takes as central [...] the discursive field within which these problems, sites and forms of visibility are delineated and accorded significance. [...]. Language is not merely contemplative or justificatory, it is performative.« (Miller und Rose 1992, S. 177)

Eine gouvernementale Analyse der Regierung darf daher nicht einfach die programmatische Seite der Regierung der »Realität« gegenüberstellen, sondern »muss die historischen und gesellschaftlichen Bedingungen reflektieren, die ein bestimmtes historisches Wissen über Gesellschaft ›real‹ hat werden lassen« (Lemke 2002, S. 61, Übersetz. I. D.) und das die Subjekte hervorbringt, die entlang dieser Fluchtlinien des ›wahren‹ Wissens handeln. Statt die Trennung von Programm und Realität, Sprechen und Handeln zu betonen, liegt die Herausforderung darin, die Performativität von Regierung, d. h. das Realwerden und Scheitern performativer Prozesse als Sprechakte zu verstehen. Für eine Analyse der Regierung von Kreativpolitik bedeutet dies, anstatt politische Programme den »›messy actualities‹ of governance« (O’Malley et al. 1997, S. 504) entgegenzustellen, ist ihre performative Hervorbringung in Sprechakten in

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den Blick zu nehmen. In diesem Sinne soll im Folgenden Regierung auch nicht länger als »assemblage« von »heterogeneous techniques, technologies, material elements, and institutional forms« (Collier 2009, S. 89) verstanden werden, sondern von »Artikulation von Kreativpolitik« gesprochen werden. Dazu werden im nächsten Kapitel mit der Problematisierung (vgl. Kapitel 2.3) und der Des-/Artikulation (vgl. Kapitel 2.4) zwei Analyseperspektiven vorgestellt, die sich den in diesem Kapitel diagnostizierten Herausforderungen stellen, d. h. es wird eine kritische, problematisierende Perspektive entworfen, die Regierungseffekte als kontingent und perlokutionär denkt, bevor in Kapitel 2.5 die Implikationen dieser Perspektive für die weitere Analyse noch einmal zusammenfassend dargestellt werden.

2.3 D IE A NALYSEPERSPEKTIVE

DER

P ROBLEMATISIERUNG

Regieren bedeutet für Foucault die Artikulation von gegenwartsbezogenen Phänomenen als Problem, die Formulierung und Konstruktion geeigneter Problembearbeitungsmechanismen sowie ihre Umsetzung und Anwendung (vgl. Kapitel 2.1). Mit der Problematisierung bietet Michel Foucault eine Perspektive, zeitgenössische Probleme der Regierung zu verstehen und zu kritisieren. Zum einen ermöglicht die Perspektive der Problematisierung eine Beobachtung erster Ordnung von Prozessen des Regierens. Dabei geht Foucault davon aus, dass Regierungshandeln eine spezifische Antwort auf gesellschaftspolitische Veränderungen darstellt, die durch eine vorhergehende Problematisierung angeleitet wird. Problematisierung in diesem ersten Sinne bedeutet, die Konstitution von Regierungsprozessen durch die Formulierung eines Problems (im Folgenden als ›Problematisierung I‹ bezeichnet). Darüber hinaus versteht Foucault Problematisierung als einen Modus der Analyse und Kritik von Regierungsprozessen, der als »kritische Analysebewegung« (Foucault 2005c [1984], S. 733) auch dieser Arbeit zugrunde liegt. Hier bezeichnet Problematisierung eine »Beobachtung zweiter Ordnung« (Osborne 2004, S. 40), die im Zuge eines reflexiven Zurücktretens vom Untersuchungsgegenstand die Frage »Wie ist es möglich, dass man nicht derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren regiert wird?« (Foucault 2009 [1978], S. 240) zu beantworten versucht (im Folgenden als ›Problematisierung II‹ bezeichnet). Diese beiden Aspekte der Problematisierung werden in Kapitel 2.3.1 und 2.3.2 genauer vorgestellt und anschließend dargelegt, wie sie im Rahmen dieser Arbeit fruchtbar gemacht werden (vgl. Kapitel 2.3.3).

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2.3.1 Problematisierung I – Konstitution von Regierungshandeln »Regierung« operiert stets »im Modus der Problematisierung« (Opitz 2004, S. 54), indem sie spezifische Antworten auf als Probleme artikulierte gesellschaftliche Veränderungen gibt und »verschiedene Bereiche als regierbare [...] konstituiert« (ebd.). »Government is a problematizing activity [...]. The ideals of government are intrinsically linked to the problems around which it circulates, the failings it seeks to rectify, the ills it seeks to cure. Indeed, the history of government might well be written as a history of problematizations, in which politicians, intellectuals, philosophers, medics, military men, feminists and philanthropists have measured the real against the ideal and found it wanting.« (Miller und Rose 1992, S. 181)

Problematisierungen konstituieren Probleme also auf eine ganz bestimmte Art und Weise und transformieren sie zu Objekten der Regierung. Die Problematisierung leistet die Arbeit der diskursiven Rahmung gesellschaftlicher Veränderungen sowie ihrer Artikulation als spezifisches durch Regierungshandeln zu bearbeitendes Problem. Damit stellt sie einen wichtigen diskursiven und gesellschaftlichen Übersetzungsakt dar, der bestimmte Rationalitäten und Technologien seiner Bearbeitung wahrscheinlicher macht als andere. »Ausgangspunkt einer Übersetzung bildet immer eine Problematisierung, an der sich ein Netzwerk aufspannt, in dem die beteiligten Akteure bestimmt werden und ihnen ein Platz zugewiesen wird. Das spezifische Akteurs-Netzwerk entsteht also in Bezug auf die jeweilige Problematisierung, die zum (zunächst unterstellten) gemeinsamen Bezugspunkt wird und eine Synchronisierung erlaubt. Anders gesagt: Dieser gemeinsame Punkt versammelt die Akteure (Menschen, Artefakte, Ideen, Beschreibungen etc.), ›artikuliert‹, d. h. definiert sie in Bezug auf die jeweilige Problematisierung, und bringt sie damit in ein gemeinsames Bezugssystem.« (Dölemeyer und Rodatz 2010, S. 208) Mit Hilfe dieser Analysebewegung kann also nachgezeichnet werden, wie Kreativität als zu regelndes und zu regierendes Problem beschrieben wird und wie es als Feld der Regierung etabliert wird. Regierung im Foucault’schen Sinne bleibt dabei nicht auf Regierungshandeln beschränkt, sondern bezieht sich als ›Führung der Führungen‹ auf alle Formen der (An-)Leitung von anderen und sich selbst (Dean 2010 [1999], S. 38). Mit der Analyseperspektive der ›Problematisierung‹ versucht Foucault »herauszufinden, wie die verschiedenen Lösungen für ein Problem erstellt werden konnten, aber auch, wie diese verschiedenen Lösungen zu einer spezifischen Problematisierungsform gehören.« (Foucault 2005c [1984], S. 733) Im Rahmen dieser Arbeit bedeutet dies, die Maßnahmen zu rekonstruieren, die zur Steuerung und Förderung von Kreativität in Frankfurt ins Leben gerufen wurden,

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sowie ihre jeweiligen Rationalitäten und Technologien zu verstehen. »Das Programm, das bestehende Regierungsweisen problematisiert, indiziert eine Recodierung der gouvernementalen Matrix und hat den Grundriss für eine neue handlungsanweisende Rationalität bereits in der Tasche« (Opitz 2004, S. 54). Das bedeutet, ›spezifische Problematisierungsformen‹ operieren stets über ganz bestimmte Rationalitäten, Wissenstypen und Techniken. Sie operieren mit ganz bestimmten Formen von Sprache, Analyserastern, Evaluierungsmethoden und anderen Wissensformen. Auf diese Weise werden Regierungsprogramme bereits im Modus der Problematisierung durch diese Techniken und Wissenstypen in einer Weise formatiert, die das spätere Regierungshandeln maßgeblich beeinflusst und bestimmte Regierungspraktiken sehr viel wahrscheinlicher macht als andere (vgl. Dean 2010 [1999], S. 38). Dabei werden etablierte Regierungsweisen und -praktiken in Frage gestellt, weil sie für veränderte Probleme nicht länger adäquate Problembearbeitungsmechanismen bereithalten (ebd.). Diese ›methodische Vorgehensweise‹ kristallisiert sich in Foucaults Spätwerk (vgl. Foucault 1989 [1984], 2005b [1984], 2005c [1984]) heraus, in dem er »die Beziehungen zwischen Archäologie und Genealogie« – zwei Perspektiven, mit denen er sich bis dato seinen Untersuchungsgegenständen genähert hatte – »neu artikuliert und beide als Dimensionen der Analyse aufnimmt« (Lemke 1997, S. 341). »Die archäologische Dimension der Analyse bezieht sich auf die Formen der Problematisierung selbst; ihre genealogische Dimension bezieht sich auf die Formierung der Problematisierungen ausgehend von den Praktiken und deren Veränderungen« (Foucault 1989 [1984], S. 19) schreibt Foucault über sein neues Verfahren, dessen Ziel es ist, »nicht die Verhaltensweisen zu analysieren und nicht die Ideen, nicht die Gesellschaften und ihre ›Ideologien‹, sondern die Problematisierungen, in denen das Sein sich gibt als eines, das gedacht werden kann und muß, sowie die Praktiken, von denen aus sie sich bilden« (ebd., Hervorheb. i. O.). »[I]t directs us to attend to the practices of government that form the basis on which problematizations are made and what happens when we govern and are governed. This means, first of all, to examine all that which is necessary to a particular regime of practices of government, the conditions of governing in the broadest sense of that word.« (Dean 2010 [1999], S. 39)

»Die Problematisierung zielt auf die Analyse der Beziehungen zwischen Denk- und Handlungsformen« (Lemke 1997, S. 341). Sie bildet die Schnittstelle zwischen Programmen und den Praktiken ihrer Bearbeitung. Dabei wird in der archäologischen Perspektive gefragt, wann die Artikulation von Kreativität als ein Problem der Regierung das erste Mal auftaucht, wie diese Problematisierung in ein Regierungsprogramm und -handeln übersetzt wird und wie auf diese Weise ein Problem konstituiert und in einer bestimmten Weise formatiert wird. In der genealogischen Perspektive hingegen gerät vor allem die Kontingenz der Problematisierung in den Blick. Das

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bedeutet, dass auch alternative Problematisierungen und solche, die sich als Problembearbeitungsmechanismus später nicht durchgesetzt haben, ins Sichtbarkeitsfeld rücken. In der genealogischen Perspektive werden scheinbare Sachzwänge hinterfragbar, weil deutlich wird, dass hegemoniale Formen von Regierungshandeln nie ›einzig denkbar‹ oder ›einzig rational‹ sind, sondern stets eine mögliche Lösung für ein Problem, dem Alternativen entgegengesetzt werden können. »Die Problematisierung [...] arbeitet [...] die Bedingungen heraus, unter denen mögliche Antworten gegeben werden können; sie definiert die Elemente, die das konstituieren werden, worauf die verschiedenen Lösungen sich zu antworten bemühen. Diese Ausarbeitung einer Gegebenheit zu einer Frage und diese Umwandlung einer Gesamtheit an Hemmnissen und Schwierigkeiten in Probleme, worauf die verschiedenartigen Lösungen eine Antwort beizubringen versuchen, konstituieren den Punkt einer Problematisierung und die spezifische Arbeit des Denkens.« (Foucault 2005c [1984], S. 733)

In diesem Kapitel also wurde Problematisierung als Konstitution von Problemen sowie ihre Transformation in Regierungsprogramme und -handeln beschrieben, die ich aus heuristischen Gründen der besseren Differenzierbarkeit als Problematisierung I bezeichne. Im Folgenden wird die Problematisierung des Typs II vorgestellt. 2.3.2 Problematisierung II – Modus der Kritik Die Problematisierung stellt für Foucault nicht nur eine Analysebewegung, sondern auch eine Form von Kritik dar, welche ich hier als Problematisierung II vorstelle. Die Möglichkeiten und Grenzen des Denkens sind für Foucault stets Ausdruck eines Macht-Wissen-Komplexes, der kodiert, was als wahr und falsch, vernünftig und unvernünftig, notwendig oder überflüssig gilt. »Wenn ›Denken‹ auf der einen Seite unlösbar an eine historische Konfiguration von diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken gekoppelt ist, so ist es andererseits das Mittel, von sozialen Handlungsroutinen zurückzutreten, um sie in einer Distanzierungsbewegung zu ›problematisieren‹« (Lemke 1997, S. 341).

Dies ist möglich, insofern Denken selbst eine soziale Praxis darstellt. Denken wird in der Regel dann als soziale Praxis sichtbar, wenn es durch politische, gesellschaftliche oder ökonomische Veränderungen seine Selbstverständlichkeit verliert, wenn bisherige Denkformen mit Schwierigkeiten, Problemen, Inkompatibilitäten konfrontiert werden. »Damit Denkformen ihre Vertrautheit verlieren und ›problematisch‹ werden, ist also eine Veränderung des historischen und sozialen Feldes erforderlich, von dem das Denken ein Teil ist« (ebd., S. 342, vgl. auch Foucault 2005c [1984]).

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Die Suche nach solchen Brüchen und Inkompatibilitäten zwischen vertrauten Denkformen, hervortretenden Praktiken und Phänomenen erzeugt eine kreative Spannung, die eine Distanz zum eigenen Denken sowie die Formulierung von eigenen Problematisierungen in Bezug auf die Fragestellung erlaubt. »Problematisierung bedeutet nicht die Darstellung eines zuvor existierenden Objekts, genauso wenig aber auch die Erschaffung eines nicht existierenden Objekts durch den Diskurs. Die Gesamtheit der diskursiven oder nicht-diskursiven Praktiken lässt etwas in das Spiel des Wahren und des Falschen eintreten und konstituiert es als Objekt für das Denken (sei es in der Form der moralischen Reflexion, der wissenschaftlichen Erkenntnis, der politischen Analyse, usw.).« (Foucault 2005b [1984], S. 826)

Problematisierungen sind damit kein einfacher und unmittelbarer Ausdruck von Problemen; auf gegebene Schwierigkeiten können sehr unterschiedliche, sogar widersprüchliche Antworten gegeben werden. Sie stellen vielmehr einen originellen und spezifischen ›Antwortversuch‹ dar, der etwas Unbekanntes in verfügbare diskursive Strukturen übersetzt und letztere damit verändert. Sie »bezeichnen eine kreative Arbeit, die die Bedingungen definiert, unter denen bestimmte mögliche Antworten ›konstruiert oder fingiert‹ werden können« (Lemke 1997, S. 342, vgl. auch Foucault 1996 [1983], 2005c [1984]). Die kreative Arbeit der Erzeugung einer Distanz zu gewohnten Problematisierungen und Denkformen, das Fremdwerden mit ihnen sowie die Konstruktion alternativer Problematisierungen in Bezug auf Fragen der Regierung nennt Foucault Kritik (Foucault 1997 [1978]). In seinem berühmten Aufsatz über die Frage »Was ist Kritik?« (ebd.) bestimmt er »Kritik als eine soziale Praktik, die sich diesen Führungsverhältnissen und den ›herrschenden Wahrheiten‹ zu entziehen sucht« (Lemke 1997, S. 348). »I would therefore propose, as a very first definition of critique, this general characterization: the art of not being governed quite so much.« (Foucault 1997 [1978], S. 45)

In der Beantwortung der Fragen »Wie ist es möglich, dass man nicht derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren regiert wird?« (Foucault 2009 [1978], S. 240) liegt für ihn das, »was ich die kritische Haltung nenne« (ebd.). »Kritik« bei Foucault ist also das, was »das traditionelle Verständnis von Politik und Theorie, Macht und Wahrheit ›problematisiert‹« (Lemke 1997, S. 347). In den vorangegangen Ausführungen wurde gezeigt, dass die Problematisierung zwei Funktionen erfüllt: Einmal stellt sie einen Modus dar, der Probleme als Objekte der Regierung konstituiert und unter ganz bestimmten Rationalitäten formatierbar macht (Problematisierung I). Zum Zweiten stellt sie einen Modus kritischen Denkens

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dar, der gängige Formen des Regierens problematisiert und als methodisches Vorgehen auch dieser Arbeit zugrunde liegt. Beide Funktionen sind miteinander verzahnt (Problematisierung II). Denn die »kritische Bewegung« des Denkens »ist also nicht eine einfache Entgegensetzung und Reaktion auf die Intensivierung der Regierungspraktiken, sie funktioniert vielmehr selbst als ein Element innerhalb der Regierungspraktiken« (ebd., S. 348). 2.3.3 Implikationen für die Analyse des Regierens von Kreativpolitik Für das kritische wissenschaftliche Arbeiten im Rahmen der vorliegenden Arbeit bedeutet dies, dass die Antwort auf die Ausgangsfrage, wie Kreativität als Feld der Regierung konstituiert wird, nicht einfach deskriptiv beantwortet werden kann (würde ich dies tun, würde ich nur selbstverständliche, hegemoniale Erklärungsmuster reproduzieren; die Erzeugung einer ›kritischen Distanz‹ und einer ›kreativen Spannung‹ zwischen bekannten Deutungsmustern und der Erscheinung des Phänomens Kreativpolitik wäre missglückt). Die ›Entstehung eines kreativpolitischen Feldes‹ ist kein Problem, was sich in dieser Form selbst stellt. Vielmehr verstehe ich es als meine Aufgabe als Wissenschaftlerin, diesen Gegenstand als Objekt meiner Untersuchung zu konstruieren, indem ich eine Reihe empirischer Phänomene und bestehender angewandter wie wissenschaftlicher Problematisierungen gemeinsam als Problem artikuliere (vgl. Glynos und Howarth 2007, S. 167). Diese Problematisierungen, die ich hier als Problematisierung erster Ordnung bezeichnen will, erlauben mir eine Problematisierung zweiter Ordnung (siehe Kapitel 2.3.2 zur Problematisierung II), d. h. die Entwicklung einer kritischen Distanz zu den Problematisierungen erster Ordnung (siehe Kapitel 2.3.1 zur Problematisierung I), von denen auch ich Teil bin – beispielsweise dadurch, dass ich als Wissenschaftlerin durch den Florida-Diskurs selbst als Kreative konstituiert werde oder im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung selbst Teil dieses vermachteten Feldes werde. Damit reiht sich diese Arbeit weniger in die Tradition methoden- oder theoriegeleiteten, als vielmehr in die Tradition problemorientierten Forschens ein (vgl. z. B. ebd. oder Füller und Marquardt 2008, siehe genauer Kapitel 3.2.1). Auf diese Weise wird es möglich, die Entstehung eines kreativpolitischen Feldes in Frankfurt nicht nur scheinbar unschuldig zu beschreiben, sondern gleichzeitig, die Ein- und Ausschlüsse, Artikulationen und Desartikulationen sowie weitere Verschiebungen in den Rationalitäten des Regierens und ihrer Machtwirkungen aufzuspüren, Kontingenzen sichtbar zu machen, die mögliche Hinweise darauf geben, »[w]ie [...] es möglich [ist], dass man nicht derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren regiert wird« (Foucault 2009 [1978], S. 240).

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2.4 D IE A NALYSEPERSPEKTIVE

DER

D ES -/A RTIKULATION

Im Folgenden werden zwei sprachtheoretische Überlegungen zur Performativität für die Analyse von Regierung fruchtbar gemacht. Um diesem stärkeren sprachtheoretischen Impetus der Analyse Genüge zu tun, soll daher nicht von ›assemblage‹, sondern von ›Artikulation‹ von Kreativpolitik gesprochen werden. Das erste Argument betrifft den perlokutionären Charakter von performativen Äußerungen wie ihn Judith Butler herausarbeitet. Die zweite Überlegung betrifft die Theoretisierung des Begriffs ›Artikulation‹ wie er von Ernesto Laclau vorgeschlagen wird und der im Zuge dieser Arbeit für die Konzeptualisierung perlokutionärer Akte operationalisiert wird. 2.4.1 Performativität des Regierens Ähnlich wie Regierung häufig als Praxis missverstanden wird, in der bestimmte Programme notwendigerweise bestimmte Technologien und Praktiken in Gang setzen, besteht häufig auch ein Missverständnis darüber, was es bedeutet zu sagen, regieren sei performativ. Dieses Missverständnis soll anhand einer Debatte zwischen Michel Callon und Judith Butler veranschaulicht werden, um anschließend seine Implikationen für eine Analyse des Regierens zu diskutieren. Michel Callon beschäftigt die Frage »What does it mean to say that economics is performative? (Callon 2007b). In dem gleichnamigen Aufsatz stellt er fest, dass, ökonomischer wie traditioneller Weise, nicht-ökonomische Sachverhalte zunehmend nach den Modellen der Wirtschaftswissenschaften funktionieren. Er führt dies auf den Umstand zurück, dass diese Modelle der Ökonomik die Welt performativ nach ihren Annahmen gestalten. Ökonomische Theorie trüge dazu bei, die Sphäre der Ökonomie erst herzustellen, sie könne insbesondere als ein Prozess verstanden werden, der Märkte als scheinbar natürlichen Mechanismus erst hervorbrächte (vgl. Caliskan und Callon 2009, 2010, Callon 1998, 2006, 2007a). »The same applies to economics: [...] In certain cases the sociotechnical agencements and the worlds corresponding to its models have ended up existing and producing recurrent events.« (Callon 2007b, S. 326)

Diesen Mechanismus, den Michel Callon »Performativität« (ebd., S. 323) nennt, hat Nigel Thrift auf den folgenden einfachen wie prägnanten Satz gebracht: »The model of the world becomes the world of the model« (Thrift 2000, S. 694). Judith Butler merkt an, dass Austin in seiner Sprechakttheorie (Austin 1962 [1955]) zwischen zwei Formen von Performativität unterscheidet; eine Differenzierung, die bei Callon keine hinreichende Berücksichtigung fände: die Unterscheidung

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zwischen illokutionären und perlokutionären Sprechakten8 . Während illokutionäre Sprechakte direkt Realitäten schaffen (z. B. die Ansage der Zentralbank, der Leitzins sei gesenkt), zeichnen sich perlokutionäre Sprechakte dadurch aus, dass »Effekte nur folgen, insofern bestimmte Arten von Bedingungen erfüllt sind« (Butler 2010, S. 147, Übersetz. I.D). Butler kritisiert, Callon betrachte die performative Hervorbringung von Ökonomie einseitig als illokutionären Sprechakt (siehe ebd. und Callon 2007b, S. 326). Mit Rekurs auf »The Great Transformation«, dem Hauptwerk Karl Polanyis (2010), in dem er herausarbeitet, wie sich ›die Ökonomie‹ als eigenständiger Bereich aus sozialen Strukturen entwickelt hat, wie aus ›Ökonomie‹ die Vorstellung einer ›kapitalistischen Ökonomie‹ wurde, argumentiert Butler, dass ›die Ökonomie‹ nie aus dem nichts oder allein aus der Theorie heraus entstünde, wie es sein illokutionäres Verständnis von Performativität nahelege. »[T]o say that the market is performatively produced is not to say that it is produced ex nihilo at every instant, but only that its apparently seamless regeneration brings about a naturalized effect.« (Butler 2010, S. 149)

Das bedeutet, um ökonomische Theorie performativ werden zu lassen, müssen neben der bloßen illokutionäre Äußerungen ökonometrischer ›Wahrheiten‹ stets noch weitere Bedingungen erfüllt sein. Insofern handelt es sich bei der Konstruktion von Ökonomie um einen perlokutionären Sprechakt. Zum Zweiten kritisiert sie, Callon übersehe eine wichtige Sache, wenn er sagt, dass Sprechakte auch misslingen (misfire) könnten. Um einen performativen Effekt zu erzielen, beispielsweise einen Markt zu schaffen oder den Leitzins zu senken, bedürfe es nicht nur einmal eines performativen Aktes, vielmehr müsste diese Tatsache jeden Tag aufs Neue in performativen Akten wiederholt werden, um aufrechterhalten werden zu können. Der Leitzins kann nur dann 2 Prozent betragen, wenn er täglich millionenfach mit zwei Prozent kommuniziert, gehandelt und getauscht wird. Das bedeutet, zu sagen, die Ökonomie oder hier die Senkung des Leitzinses sei performativ, ist kein einmaliges Ereignis, sondern eines, was permanent iteriert werden muss, um erfolgreich zu sein. Entsprechend sind perlokutionäre Akte auch keine Sprechakte, die entweder gelingen oder einfach auf voller Linie scheitern. Vielmehr können sie in jedem Moment ihrer Wiederholung scheitern. 8

›Illokutionär‹ und ›perlokutionär‹ sind Fachbegriffe der linguistischen Pragmatik, die eine zentrale Ausdifferenzierung durch John Langshaw Austin (Austin 1962 [1955]) erfahren hat. ›Illokutionär‹ leitet sich von lateinisch il ›im‹ und locūtiō ›Sprechen‹ ab und bezeichnet ›im Sprechen vollzogene Akte‹. Sprechen ist hier die einzige zum Gelingen des Aktes notwendige Bedingung. ›Perlokutionär‹ bedeutet im Gegenzug »durch das Sprechen vollzogene Akte«. Hierbei ist Sprechen eine von mehreren Bedingungen, die gegeben sein müssen, damit ein Sprechakt gelingt.

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Damit offenbart sich eine zweite wichtige Eigenschaft performativer Sprechakte, die Callon übersähe: Die Möglichkeit des Misslingens von performativen Sprechakten ist konstitutiv für alle performativen Operationen. Callon sähe die Beobachtung, ›performative Akte können auch misslingen‹, als eine empirische. Butler dagegen argumentiert, jeder performative Akt trägt strukturell die Möglichkeit des Scheiterns in sich. Dieses strukturelle Argument entleiht sie dem Text »Signatur, Ereignis, Kontext« (2001) von Jacques Derrida. Dort zeigt er, dass er in seiner eigenen Unterschrift abwesend ist. Ähnlich wie Foucault keine Notwendigkeit darin sieht, dass Machtmechanismen einen bestimmten Effekt erzielen, zeigt Derrida, dass jede Wiederholung (Iteration) einer Äußerung als möglicher Bruch mit ihrem Kontext gesehen werden muss. Wenn eine Äußerung in einem anderen Kontext wiederholt wird, kann sie etwas anderes bedeuten. Dies gilt auch, wenn Unterschriften von Dritten gelesen werden. Es gibt keine Garantie, dass dieses »bezeugte Zeugnis« in derselben Art rezipiert wird, wie der/die Autor*in es gemeint hat und wie er/sie es mit seiner/ihrer Unterschrift zu besiegeln versucht. Schreiben/Lesen ist also ein performativer Akt: Wenn ein Text lesend oder schreibend rezipiert wird, wird er nicht einfach wiederholt. In jeder Wiederholung kann das Sprechen scheitern. Der/die Autor*in hat keine Autorität darüber, ob der Text in der Art und Weise wie sie ihn intendiert hat, rezipiert wird oder ob sich der Sinn bei der Wiederholung verschiebt und sich ohne sie fortschreibt. Auch hier ist nicht apriori zu bestimmen, ob der durch die Unterschrift bezeugte Sinn bei der nächsten Lektüre im Sinne des Urhebers wiederholt oder mit anderen Bedeutungen fortgeschrieben oder entwendet wird. Die Möglichkeit des Bruchs mit dem Kontext ist der Iteration inhärent. In Bezug auf Callons Argumentation bedeutet dies, dass das Misslingen kein zufälliges Ereignis ist, sondern eine Möglichkeit die jeder performativen Äußerung inhärent ist. »But if we want to say that the theory tends to produce the phenomenon, but that it can sometimes fail to produce what it anticipates, then it seems we have opened up the possibility of ›misfire‹ at the basis of performativity itself. In other words, it is only under certain kinds of conditions, and with no degree of predictability that theoretical models successfully bring into being the phenomenon they describe.« (Butler 2010, S. 152)

Das bedeutet, um den »diskursiven Einsatz, was Realität sein könnte« (ebd., S. 153, Übersetz. I. D.) zu realisieren, müssen bei Perlokutionen viele Bedingungen immer wieder in einer bestimmten Art und Weise hergestellt werden, die alle scheitern können. Um den Leitzins zu senken beispielsweise, bedarf es nicht nur einer Entscheidung, vielmehr müssen Techniker*innen die Parameter ändern, die Medien müssen die Order kommunizieren, Käufer*innen und Verkäufer*innen müssen die Regeln akzeptieren und nach ihnen handeln, Fehler und Protest dürfen nicht auftreten. Butler

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behauptet, die interessantesten Phänomene im Bereich der Ökonomie seien perlokutionär (vgl. ebd., S. 153. »So if we can say that at best financial theories tend to establish patterns of pricing, then they do not function as sovereign powers or as authoritative actors who make things happen by saying them. They do not bring a phenomenon into being or act as a creator in that sense. Rather, they function performatively, which means that certain kinds of effects can possibly follow if and only if certain kinds of felicitous conditions are met.« (ebd., S. 152)

Die Tatsache, dass bei jeder performativen Handlung, die zur (Wieder-)Herstellung eines status quo notwendig ist, ein Bruch mit dem Kontext möglich ist, eröffnet die Möglichkeit von agency. »To be constituted by language is to be produced within a given network of power/discourse which is open to resignification, redeployment, subversive citation from within, and interruption and inadvertent convergences with other such networks. ›Agency‹ is to be found precisely at such junctures where discourse is renewed.« (Butler 1995, S. 135)

Agency ermöglicht damit neben der performativen Wiederholung im Sinne der Stabilisierung diskursiver Strukturen auch die Möglichkeit der Wiederholung im Sinne der Verschiebung, Entwendung oder Umkehrung von Bedeutungen (Iteration) und damit auch das Misslingen perlokutionärer Sprechakte. Agency im Sinne Butlers setzt keine intentional handelnden Akteur*innen9 voraus. Entsprechend bedarf es auch keines solchen, um einen performativen Prozess in Gang zu setzen, »only a reiteration of a set of social relations within which theory emerges with limited performative agency« (Butler 2010, S. 152). Welche Implikationen aber haben diese Einwände Butlers gegen Callon für eine Analyse der Regierung von Kreativität und der Artikulation von Kreativpolitik? Eine Analyse der Regierung muss beachten, dass Rationalitäten Technologien nicht einfach in einem illokutionären Sinne in Gang setzen und direkte Handlungen erzeugen. Vielmehr müssen Rationalitäten als perlokutionäre Sprechakte analysiert werden, bei denen eine Vielzahl weiterer Bedingungen (z. B. die richtigen Technologien) gegeben sein müssen, um mögliche Effekte zu erzeugen. Zum Zweiten ist zu beachten, dass auch in diesem Verhältnis in jedem Moment die Möglichkeit des Bruchs besteht. Das bedeutet, dass Rationalitäten in Prozessen »performativer agency« (ebd.) re-iteriert und alternativen intendierten oder unintendierten Zwecken zugeführt werden können. Aus der relativen Autonomie zwischen unterschiedlichen Praxisregimen sowie ihrem Verhältnis zu Rationalitäten ergeben sich Reibungspunkte und Freiräume, 9

»So the assumption of a ›sovereign‹ speaker is lost and whatever conception of agency takes place presumes that agency itself is dispersed« (Butler 2010, S. 151).

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in denen alternative Subjektivierungsweisen verhandelt oder hegemoniale Anrufungsformen für alternative Zwecke entwendet werden können. Sie sind insofern als ›performativ‹ zu bezeichnen, als sie Dinge in einer Weise in Gang setzen, deren Ausgang unbestimmt ist. Dies bietet die Möglichkeit die Bedingungen des Scheiterns als potenzielle Ansatzpunkte für die Umkehrung oder Entwendung von Rationalitäten und Programmen zu denken. Agency birgt damit das Potenzial, Kreativpolitik nicht nur im Sinne ihrer Rationalität zu artikulieren, sondern auch zu desartikulieren. Auch kommen politische Auseinandersetzungen und Kämpfe über die Fragen »richtiger Regierung« in den Blick, wie dies von Kritiker*innen gefordert wird (vgl. O’Malley et al. 1997, S. 506). Auf diese Weise wird ein einseitiger Fokus auf Rationalitäten ebenso verhindert wie ein funktionalistisches Verständnis, welches Regierungspraxis nur als illokutionäre Ingangsetzung der entsprechenden Rationalitäten und Programme begreift. Auf diese Weise wird der Zweck der gouvernementalen Analyse umgekehrt. Nicht die Rekonstruktion von Regierungsverhältnissen, die immer auch ihre Festschreibung von akademischen Wissensregimen bedeutet, steht im Vordergrund der Analyse, sondern mögliche Bruchpunkte, welche zu potenziellen Ausgangspunkten politischer Praxis werden. Gleichzeitig ist ein solches Verfahren ein kritisches im Sinne Foucaults, der Kritik als »die Bewegung, in welcher sich das Subjekt das Recht herausnimmt, die Wahrheit auf ihre Machteffekte hin zu befragen und die Macht auf ihre Wahrheitsdiskurse hin« (Foucault 2009 [1978], S. 242). Diese verschiebende Wirkung von Sprechakten und die Möglichkeit von agency eröffnet neue Potenziale politischen Handelns besonders und vor allem in Bereichen, die derzeit als ›rein ökonomisch‹ und damit nicht als politisch verhandelt werden. Ein perlokutionäres Verständnis performativer Sprechakte bietet also die Chance, Regieren als Summe zahlreicher Sprechakte zu begreifen, die in ihrem Vollzug gelingen, scheitern und iteriert werden und damit verschiedene Handlungsfelder eroder verschließen. Dies ist ein wichtiger erster Schritt, um die oft unterausgeleuchtete Übersetzung von Regierungsprogrammen in die Praxis empirisch untersuchen zu können. Mit dem Konzept der ›Des-/Artikulation‹ wird diese Perspektive im Folgenden weiter operationalisiert. 2.4.2 Regieren als Prozess der Des-/Artikulation Aus den vorangegangenen Ausführungen ist deutlich geworden, dass politische Programme, globale Diskurse, hegemoniale Anrufungen von Subjekten als perlokutionäre Sprechakte verstanden werden müssen, deren performativ erzeugte Machteffekte aufgrund der hegemonialen gesellschaftlichen Verhältnisse, in die sie eingebettet sind, wahrscheinlich aber keinesfalls notwendig sind. Stattdessen ist die Möglichkeit

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des Bruchs mit dem Kontext strukturell in jedem performativen Akt präsent. Entsprechend verbietet sich eine Analyse der Entstehung von Kreativpolitik, die aus dem Auftreten von Diskursen wie beispielsweise den Thesen Floridas oder politischen Programmen notwendige, vielleicht sogar kausale Implikationen ableitet. Vor diesem Hintergrund erscheinen selbst in der Geographie so verbreitete Ansätze wie »follow the policy« (González 2010, Peck 2011, Peck und Theodore 2010, 2012) fragwürdig, weil es – aufgrund des oben diskutierten perlokutionären Charakters performativer Äußerungen – erkenntnistheoretisch unmöglich ist, die beobachteten Effekte der Regierung auf einzelne Ursachen wie z. B. eine policy zurückzuführen, schon gar nicht, wenn ein Ereignis nicht hinreichend oft, sondern nur einmal beobachtet werden kann (vgl. ausführlich zum Problem von Ursachen und Wirkung in den Sozialwissenschaften Glynos und Howarth 2007, S. 83). Um dieses Problem zu umgehen, wird im Folgenden zunächst das Konzept der Artikulation vorgestellt und dann um den Aspekt der Desartikulation erweitert. Im Kern besagt das Konzept der Artikulation, dass der/die Forscher*in aufgrund der strukturellen Möglichkeit des Bruchs, Prozesse der Regierung oder Implementierung nicht nachvollziehen kann, wenn er/sie diese als lineare Prozesse versteht. Vielmehr muss sie sich mit jenen Momenten und Situationen befassen, in denen diese Programme perlokutionär performativ werden, d. h., sie muss sich mit dem Zusammenspiel der Bedingungen befassen, die ihr Auftreten strukturieren, ermöglichen und aufrechterhalten. Das bedeutet eine Verschiebung des Analysefokus von den Programmen und Rationalitäten zum Moment ihrer performativen Hervorbringung in unterschiedlichen Situationen und eine Auseinandersetzung mit den Bedingungen ihres Gelingens, Scheiterns sowie ihrer Veränderung im Moment ihrer Äußerung. Zur Analyse dieses Moments der performativen Hervorbringung und ihres Spiels mit den perlokutionären Bedingungen des Auftretens scheint mir das Konzept der Artikulation vielversprechend (vgl. auch Dzudzek und Lindner 2015). Das Konzept geht auf Louis Althusser (1969 [1965]) zurück und wurde von Ernesto Laclau systematisch ausgearbeitet. Es wurde breit in den Sozialwissenschaften (Ganz 2012, Glynos und Howarth 2007, Grossberg 1986, Hall 1980, 1985, Howarth 2005, 2010) und – etwas weniger prominent – auch in der Geographie rezipiert (Barnett 2004, Davies 2006, Featherstone 2011). Es wird häufig angewendet, um das Auftauchen neuer Subjekte, Wissensobjekte oder Regierungsweisen zu erklären (Gibson-Graham 1995, Hart 2007, Springer 2011a, 2012). Andere Autor*innen beziehen sich in erster Linie auf das Konzept der Desartikulation, also der Notwendigkeit des Kappens alter Verknüpfungen für das Entstehen neuer Subjekte, Wissensformen oder Regierungsweisen. In den Sozialwissenschaften beispielsweise zeigt Angela McRobbie, dass es zur Durchsetzung neoliberaler Strukturen der Desartikulation wohlfahrtsstaatlicher Wertesysteme wie z. B. Solidarität bedurfte (vgl. McRobbie 2010). In der Geographie hat sich in jüngerer Zeit eine Debatte über die Rolle von Desartikulationen sozialer Verbindungen für die Organisation von Wertschöpfungsketten nach

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›rein marktwirtschaftlichen Prinzipien‹ entwickelt (siehe vor allem Bair et al. 2013, Bair und Werner 2011a, 2011b, 2011c, Berndt und Boeckler 2011). In »Politics and Ideology in Marxist Theory« kritisiert Ernesto Laclau Immanuel Wallersteins Auffassung historischer Transformationen (Laclau 1977, S. 42). In seiner Weltsystemtheorie erklärt letzterer Wandel ausschließlich als die »Entfaltung der internen Logik einer determinierten Produktionsweise« (ebd., S. 42, , Übersetz. I. D.). Laclau wendet dagegen ein, dass kapitalistische Produktionsweisen nicht einfach die Realisierung eines abstrakten historischen Gesetzes seien. Im Gegenteil, er versteht ökonomische Praktiken als divers, umkämpft und häufig mit »vielfältigen nicht-kapitalistischen Produktionsweisen« (ebd., S. 43) verzahnt, die nicht außerhalb ihrer je »bestimmten und konkreten ›Realisierung‹« (ebd., S. 49) existierten. Ökonomien versteht er als »Systeme von Beziehungen, die durch die Artikulation verschiedener Produktionsweisen konstituiert werden« (ebd., S. 42). Was Laclau hier für das Konzept der Produktionsweisen herausarbeitet, gilt auch für Programme der Regierung: Indem man sie als geschlossene, reisende Pakete betrachtet, erscheinen sie als eine »homogene Totalität, die dadurch entsteht, dass Differenzen ausgelöscht anstatt artikuliert werden« (ebd., S. 45). Regierungsprogramme aber sind aber keine Politikpakete, die ihren Effekt determinieren. In »Hegemonie und radikale Demokratie« (Laclau und Mouffe 2006 [1985]) arbeitet Laclau gemeinsam mit Mouffe das Konzept »artikulatorischer Praxis« weiter aus. Artikulationen verstehen sie nun als »konstitutives Element jeder sozialen Praxis« (Laclau 1990, S. 59, Übersetz. I. D.). »Im Kontext dieser Diskussion bezeichnen wir als Artikulation jede Praxis, die eine Beziehung zwischen Elementen so etabliert, dass ihre Identität als Resultat einer artikulatorischen Praxis modifiziert wird. Die aus der artikulatorischen Praxis hervorgehende strukturierte Totalität nennen wir Diskurs.« (Laclau und Mouffe 2006 [1985], S. 141).

Beispielsweise wird die Implementierung von Gewerkschaftspolitik in einem bestimmten Set von staatsregulierten Arbeitsbeziehungen zur Transformation der Identität der Gewerkschaft wie auch des Charakters der Staatsintervention führen (vgl. Laclau 1990, S. 39). Entsprechend ermöglicht das Konzept der Artikulation in Bezug auf die Fallstudie zu verstehen, wie die performative Produktion von Programmen der Regierung in andere, bereits etablierte Rationalitäten des Regierens interveniert und diese verschiebt. Das Konzept der Artikulation im Sinne Laclaus ist eng mit den Konzepten »Heterogenität« und »Hegemonie« verknüpft (vgl. Laclau 2007, S. 139 – 159). Diskurse sind Ergebnisse artikulatorischer Praxis, die »Bedeutung teilweise fixieren« (Laclau und Mouffe 2006 [1985], S. 151). Dieser »partielle Charakter der Fixierung« (Laclau 2007, S. 140, Übersetz. I. D.) wird permanent durch heterogene Elemente bedroht,

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die in den Diskurs eintreten und damit seine Verschiebung und Restrukturierung bewirken. In diesem Prozess des Eintretens in den Diskurs verlieren die Elemente ihre differenzielle Bedeutung nicht vollständig. Diskurse verbinden häufig sehr unterschiedliche, sogar widersprüchliche Elemente und »laufen stets Gefahr durch andere Arten der Bedeutungsfixierung von Zeichen wieder auseinandergerissen zu werden« (Jørgensen und Phillips 2002, S. 27, Übersetz. I. D.). Diskurse kennzeichnen sich also aus einer Spannung zwischen Homogenität und Heterogenität (vgl. Laclau 2007, S. 155). Laclau nennt die Verbindung disparater Elemente unter einem verbindenden Signifikanten ohne ihre Differenz gänzlich auszulöschen eine hegemoniale Ordnung (vgl. Laclau 1996, S. 71, 2007, S. 69). Hegemonial wird »ein bestimmtes Partikulares, indem es seine eigene Partikularität zum signifizierenden Körper einer universalen Repräsentation erhebt. [...D]as Verhältnis zwischen dem Universellen und dem Partikularen [ist] ein hegemoniales Verhältnis« (Laclau 2002a, S. 87). Dies geschieht, wenn eine partikulare Forderung eine Äquivalenzkette mit möglichst vielen anderen Forderungen etabliert und selbst zu ihrem Repräsentanten werden kann (vgl. Abbildung 1). Abbildung 1: Hegemoniales Verhältnis eines leeren Signifikanten

D1

= D1

= D2

= D3

....... D4 D = Forderung (demand)

Grafik: Iris Dzudzek, Quelle: Laclau 2007, S. 130, verändert

»Hegemonie ist das, was in einem zunächst nicht verbundenen Ensemble divergierender Weltsichten und Ansprüche eine hierarchische Ordnung schafft« (Mattissek 2005, S. 119). Den Signifikanten, der diese hegemoniale Ordnung repräsentiert, nennt Laclau einen »leeren Signifikanten« (Laclau 2000, S. 305). Leere Signifikanten sind Begriffe oder Konzepte, deren Bedeutungshorizont so weit gedehnt ist, dass sie eine breite Zustimmung erfahren (vgl. ebd., Laclau 2007, S. 69).

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Im Gegensatz zur bekannten Gramscianischen Definition ist Hegemonie für Laclau und Mouffe (vgl. Laclau und Mouffe 2006 [1985]) »eine vorherrschende diskursive Formation« und das »Ergebnis einer Artikulation« (vgl. Torfing 2003, S. 101, Übersetz. I. D.). Das Konzept ›grün‹ beispielsweise kann so unverbundene Forderungen wie die profitable Vermarktung von technisch hochgerüsteten Niedrigenergiehäusern ebenso meinen wie ›nachhaltige‹ gemeinschaftliche Wohnprojekte, die jenseits von Marktstrukturen operieren, ohne ihre Differenzen auszulöschen. Das bedeutet, Diskurse sind gerade dann hegemonial, wenn es ihnen gelingt, unterschiedliche Forderungen und Inhalte zu repräsentieren. Sie bieten eine Identifikationsfläche für widersprüchliche Forderungen. Die Elemente einer hegemonialen diskursiven Formation sind kontingent, aber nicht zufällig in ihrer Anordnung. Sie sind tief in Machtstrukturen verwoben, die vor dem Hintergrund sich verändernder, diskursiver Regime ständig neu ausgehandelt werden. Ihre Verstrickungen in die Fragen der Macht lässt die Durchsetzung einer von ihnen wahrscheinlicher werden als andere. Welche Elemente sich schlussendlich durchsetzen, ist daher nicht aus theoretischen Gesetzmäßigkeiten abzuleiten, sondern allein aus der empirischen Untersuchung der diskursiv verhandelten gesellschaftlichen Machtverhältnisse zu bestimmen. Das Konzept der Des-/Artikulation stellt also eine Möglichkeit dar, das Auftauchen von Kreativpolitik in Frankfurt als Folge der Artikulation bestehender mit neuen Rationalitäten des Regierens zu untersuchen. Darüber hinaus kann mit seiner Hilfe Regierung als Teil globaler Prozesse analysiert werden, ohne dem Fallbeispiel bereits im Vorfeld theoretische Annahmen (z. B. Neoliberalisierung bedeutet mehr Markt) überzustülpen. »›[L]ocalities‹ [can be] defined, as articulations with, effects of, or dynamic responses and resistances to, global forces« (Collier und Ong 2010, S. 3). Dabei wird deutlich, inwiefern sich die Frankfurter Artikulationen von anderen bekannten Beispielen unterscheiden, inwiefern hier Kontinuitäten aber auch Brüche mit anderen Erzählungen stattfinden. »The effects of governmental interventions [...] need to be teased out from, and situated in relation to, the multiple forces configuring the sets of relations with which government is engaged.« (Li 2007a, S. 279)

Mit einem spezifischen Fokus auf Momente der Brüche setzt diese Arbeit einen bewussten Gegenpunkt zu Arbeiten, die Regierungslogiken reifizieren. Stattdessen schafft sie Ansatzpunkte politischer agency.

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2.4.3 Von großen Begriffen zu kontingenten Effekten – Zentrale Konzepte aus Perspektive der Des-/Artikulation Die vorangegangenen Ausführungen bleiben nicht ohne Konsequenzen für eine Vielzahl ›großer Begriffe‹, die im Rahmen dieser Analyse eine Rolle spielen. Wendet man die oben entwickelte Analyseperspektive konsequent an, dann können diese Konzepte nicht länger als theoretische Großbegriffe verstanden werden, die der Analyse vorgängig sind und aus deren impliziten Konzepten sich Erklärungen gesellschaftlicher Veränderung funktionalistisch ableiten lassen. Auch verbietet es sich, empirisch beobachtete Phänomene einfach unter diese Konzepte zu subsumieren. Vielmehr müssen empirische Beobachtungen wie theoretische Konzepte selbst als Ergebnis von Artikulationsprozessen verstanden werden, in denen abstrakte Diskurse, Rationalitäten und Programme auf Ebene der Stadt Frankfurt performativ hervorgebracht werden. Dieser Vorgang ist perlokutionär, weil dieser performative Akt der Hervorbringung auf allen Ebenen scheitern kann und an jeder Stelle Möglichkeiten politischer agency lässt. Das bedeutet, um ein Beispiel zu nennen, im Prozess seiner Artikulation kann der Florida-Diskurs vielfach entwendet und re-iteriert werden. Es besteht keine Notwendigkeit, dass er sich in der von Florida intendierten oder einer ähnlichen Weise materialisiert oder auf ganzer Linie scheitert. Im Folgenden werden die Konsequenzen diskutiert, die die vorgestellte Perspektive für den Umgang mit den ›Großkonzepten‹ ›Politik‹, ›(mobile urban) policies‹, ›Neoliberalismus‹ und ›Kreativität‹ hat. Mobile Urban Policies Derzeit kommen in der Geographie zur Analyse von policies und auch von creative policies wichtige Impulse aus der Politiktransfer- und mobile policies-Forschung (Peck 2011, 2012, Peck und Theodore 2010). Jamie Peck hat den Kreativstadt-Diskurs als »fast mobile policy« (Peck 2011) bezeichnet. Im Folgenden werden diese Ansätze vorgestellt, ihre Fallstricke vor dem Hintergrund der oben entwickelten Perspektive diskutiert und abschließend Impulse aus der mobile policy-Debatte für die hier entwickelte Des-/Artikulationsperspektive fruchtbar gemacht (vgl. dazu auch Dzudzek und Lindner 2015). Die Politiktransferforschung diskutiert bereits seit den 1960er Jahren die Beobachtung, dass sich städtische Politiken weltweit immer ähnlicher werden. Sie untersucht policies als Werkzeuge, die man zur Lösung ähnlicher Probleme an unterschiedliche Orte transferieren kann und beobachtet neben der globalen Diffusion auch eine zunehmende Konvergenz von Politikmodellen (vgl. Bennett 1991, Clark 1985, Czarniawska und Joerges 1996 für Kreativpolitiken siehe vor allem Evans 2009, Luckman et al. 2009). Diese frühen Ansätze gehen zumeist von zentrierten,

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rationalen Akteur*innen, marktähnlichen Konkurrenzbedingungen und best practice-Modellen als Mittel zur Politikoptimierung aus (vgl. Dolowitz und Marsh 1996, Rose 1991b). Sie verstehen policies als quasi universale Werkzeuge, die ohne Bedeutungsverlust oder Veränderung an andere Orte transferiert und dort angewendet werden können. Neuere Ansätze der mobile policies-Literatur kritisieren mindestens zwei Aspekte, die auch für das Verständnis der globalen Verbreitung von Kreativpolitiken zentral sind, und entwickeln den Politiktransfer-Ansatz weiter. Zum Ersten sind dies die vielfältigen Voraussetzungen, die notwendig sind, eine Politik zu mobilisieren und die durch Begriffe wie ›Transfer‹, ›Ressourcen‹ oder ›Infrastrukturen‹ verdeckt werden. Stattdessen führen sie Begriffe wie ›circuits of knowledge‹, ›global consultocracy‹, ›policy networks‹, ›circulatory regimes‹ oder ›formations‹ sowie Konzeptualisierungen der Emergenz dieser neuen Wahrheitsregime als wichtige Momente der Mobilisierung solcher Politiken in die Debatte ein (vgl. McCann 2008a, 2011, Peck 2002, 2003, Prince 2012, Ward 2006). Zum Zweiten rückt die Frage, wie sich Politiken in Bezug auf ihre Form und ihren Inhalt auf ihrer Reise von einem Ort zum anderen verändern in den Fokus der Forschung. Das hier vertretene Motto ›follow the policy‹ zielt weniger auf das einfache Nachzeichnen der Reiserouten der policies ab, sondern darauf zu verstehen, wie sie sich auf ihrem Weg von einem Ort zum anderen verändern (vgl. González 2010, Peck 2011, Peck und Theodore 2010, 2012). Die Verschiebung des Fokus auf die Problematisierung der Mobilisierung wie der Veränderung von policies auf ihrer Reise ist zentral für das Verständnis der globalen Ausbreitung von creative policies. Darüber hinaus erweisen sich die betrachteten Politiken, die in der mobile policies-Literatur häufig als ›Modelle‹, ›Konzepte‹ oder ›Blaupausen‹ oder direkt nach ihrem Inhalt als ›broken-window‹, ›zero-tolerance‹, ›business improvement district‹ oder ›creative industries‹ bezeichnet werden, weniger als homogene Einheiten, sondern vielmehr als heterogene Artikulationen einer Vielfalt von Elementen. Sie setzen sich aus best practice-Beispielen und Debatten sehr unterschiedlicher Disziplinen wie Stadtplanung, regionale Wirtschaftsökonomie, Polizeiwissenschaft, Kunst und Kultur zusammen, die von Wissenschaftler*innen und Akteur*innen aus dem privaten, dem öffentlichen und dem NichtregierungsBereich gleichermaßen gestaltet werden. Sie vereinen so diverse Elemente wie Bücher und Papiere, Berichte und Rankings, Analysen und Vorhersagen, Konferenzen und Workshops, Fortbildungen und Studiengänge, runde Tische oder Beratungsfirmen. Nur selten aber reisen diese heterogenen Maßnahmen als Pakete; Städte und Verwaltungen greifen eher selektiv auf sie zu. Der starke Fokus der policy mobilities studies auf Mobilität und Veränderungen der policies führt dazu, dass die lokalen Rahmenbedingungen, auf die die policies bei ihrer Ankunft treffen, zunehmend aus dem Blick geraten. Denn policies kommen nicht einfach in einem Vakuum an. Sie müssen eingeführt und an lokale Gegeben-

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heiten angepasst werden, bevor sie in bestehende Machtstrukturen und etablierte Regierungsrationalitäten intervenieren, dort Akzeptanz erlangen und diese verschieben können. Mit den Erkenntnissen aus Kapitel 2.2.2 gesprochen, kann man sagen, dass diese Forschungen die perlokutionären Bedingungen außer Acht lassen, die für eine erfolgreiche performative Artikulation von policies gegeben sein müssen. Auch wird übersehen, dass diese Bedingungen selbst in der Regel ein umkämpftes Feld sind. Jacobs (2012) kritisiert, dass policy mobility-Ansätze zwar die Kontingenz von policies anerkennen würden; das städtische Umfeld, in das sie intervenieren aber essentialisierten. Daher plädiert sie dafür, die »Stadt nach wie vor relational zu denken« (ebd., S. 412, Übersetz. I. D.). Damit meint sie, dass städtische Strukturen nicht als gegeben, sondern als Produkt unterschiedlicher Prozesse, Machtmechanismen, Infrastrukturen und Alltagspraktiken verstanden werden sollten, von denen mobile policies einen Faktor unter vielen darstellen. Neuere Literatur über global-lokale städtische policy-Produktion, die häufig immer noch unter dem Label ›travelling policies‹ oder ›policy mobilities‹ verhandelt wird, kennzeichnet sich durch ein zunehmendes Unbehagen mit dem vorherrschenden Bild hoch mobiler und sich verändernder policies, die die Auseinandersetzung mit den Kontexten, in die sie intervenieren, in den Hintergrund drängt. An assemblage-Ansätze angelehnte Analysen widmen dem lokalen ›Machen‹ städtischer policies eine wachsende Aufmerksamkeit (siehe z. B. Prince 2010, 2014). Der Begriff assemblage wird dabei sehr unterschiedlich (Phillips 2006) und nicht notwendigerweise territorial verstanden (Ong 2007, Ong und Collier 2010). Diese Ansätze sensibilisieren in erster Linie dafür, wie lokale Rahmenbedingungen policies verändern. Wie aber policies in bestehende Rationalitäten und Rahmenbedingungen lokalen Regierens intervenieren, bleibt in den meisten Fällen ausgeblendet. McCann beispielsweise spricht von einer »Dialektik zwischen fixity and flow« (McCann 2011) und Peck und Theodore (2010, S. 173) betonen die »embeddedness und Interaktion der policies mit lokalen ökonomischen, sozialen und institutionellen Rahmenbedingungen«, dennoch aber bleibt die Frage, wie man die lokalen Performationen der policies, ihre Machtwirkungen und Subjektivierungsweisen angemessen konzeptualisieren könnte, bislang theoretisch zu wenig erforscht und empirisch weitestgehend unverstanden. Um diese Forschungslücke konzeptionell angemessen füllen zu können, bedarf es einer analytischen Perspektivverschiebung. Es bedarf eines Fokus, der die gleichzeitige Transformation von Politiken und der städtischen Kontexte in den Blick nimmt, in die sie intervenieren und durch die sie operieren (vgl. Prince 2012, S. 320). Dies ist notwendig, weil die Effekte von policies nur verstanden werden können, wenn auch die Bedingungen der Perlokutionen in den Blick kommen, die für ihr Gelingen, Scheitern oder ihre Iteration verantwortlich sind. Für die empirische Analyse bedeutet dies, dass der Implementierungsprozess international zirkulierender creative

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policies nicht einfach top-down analysiert wird. Vielmehr werden policies als Resultat einer Reihe von Artikulationen verstanden, die aus der gemeinsamen performance global-lokaler Politiken erwachsen. Zur Konzeptualisierung eben dieser performances bietet die Artikulationsperspektive einen guten Ansatz. Mit ihr kommen vier für die Analyse von Kreativpolitiken als mobile policies wichtige Aspekte in den Blick: Erstens erlaubt sie, Kreativpolitik nicht als eine fixe policy zu verstehen, die in ein statisches und machtfreies städtisches Umfeld interveniert. Stattdessen verschiebt die hier entwickelte Perspektive den Fokus von einem Verständnis von creative policies als travelling policies in Richtung einer machtkritischen Perspektive der Artikulation, die das Ankommen und die Implementierung global verfügbarer Modelle wie dem »Kreativitätsskript« (Peck 2005, S. 749) als machtvollen ko-konstitutiven Prozess der Verschiebung etablierter und Artikulation neuer Rationalitäten des Regierens in der Stadt versteht. Zweitens wird in dieser Perspektive Kreativpolitik als ein heterogenes Set an normativen Anforderungen und potenziellen Maßnahmen verstanden, von denen nur einige in Frankfurt artikuliert werden. Im Zuge dieser Artikulation verändern sie ihre eigene Rationalität wie auch die bereits etablierten städtischen Regierungsrationalitäten in Frankfurt. Damit kann die Frage beantwortet werden, wie sehr unterschiedliche Forderungen in ein gemeinsames Projekt mit dem Label ›Kreativpolitik‹ artikuliert werden. Dabei wird deutlich, dass Kontingenz, temporäre Stabilität und Transformationen ebenso konstitutive Elemente der Kreativpolitik-Performance in Frankfurt sind wie Desartikulationen und Re-Konfigurationen in situ, die ständig neu ausgehandelt werden. Drittens ist die Artikulationsperspektive eine machtsensible und -kritische Perspektive. Sie versteht städtische Regierungsregime als Ergebnis der Privilegierung bestimmter Stimmen und des Zum-Schweigen-Bringens anderer. Schließlich betont sie viertens den temporären Charakter jedes städtischen politischen Konsenses und rückt die sozial-räumlichen Kämpfe, durch die Regierungsregime permanent konfiguriert werden, in den Fokus der Analyse. Neoliberalisierung Neoliberalisierung ist nicht nur irgendein Großbegriff, er ist derzeit einer der größten Begriffe, die in den Sozialwissenschaften und der Geographie diskutiert werden. Zugleich fungiert er erfolgreich als Erklärungsmodell der kreativen Stadt. »Kreativstrategien sind deshalb so verführerisch, weil sie im Grunde zu den vorherrschenden Formen neoliberaler Entwicklungsmodelle komplementär [...] sind [...]. Kreativstrategien bauen auf dem Terrain neoliberaler Stadtpolitik auf, bearbeiten und verwandeln es langsam [...], ermöglichen die Entwicklung neuer politischer Kanäle und Interessengruppen vor Ort, die Konstitution neuer Objekte und Subjekte der Urban Governance.« (Peck 2008, S. 109)

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In diesem Zitat von Jamie Peck offenbart sich ein Zirkelschluss, der typisch für zahlreiche Analysen neoliberaler Prozesse ist: Kreativstrategien sind per se mit neoliberalen Entwicklungsmodellen kompatibel und führen daher automatisch zu einer Neoliberalisierung von Stadtpolitik und den neuen Formen ihrer Steuerung. Hier wird die Intention von Programmen mit ihren möglichen Effekten gleichgesetzt. Dass aber Macht nicht notwendiger Weise bestimmte Effekte zeitigen muss, ist ausführlich in Kapitel 2.2.1 diskutiert worden und gilt analog auch für Prozesse der Neoliberalisierung. Aus dieser Beobachtung ergeben sich zahlreiche Fragen: Wie können Prozesse der Neoliberalisierung angemessen bei der Analyse von Kreativpolitik berücksichtigt werden, ohne einen solchen Zirkelschluss zu reproduzieren? Sind Prozesse der Neoliberalisierung Ausgangspunkt und/oder Ergebnis der Analyse? Daher ist im Folgenden zu klären, wie der Prozess der Neoliberalisierung im Rahmen dieser Arbeit in einer Weise konzeptualisiert werden kann, die mit der Perspektive der Des-/Artikulation kompatibel ist, d. h. die die Artikulation von Kreativpolitik als kontingenten Prozess begreift und theoretische Setzungen ebenso vermeidet wie Zirkelschlüsse zwischen Intention und Effekten von Programmen. Dies ist keine leichte Aufgabe, denn so omnipräsent die gegenwärtige Auseinandersetzung mit dem Prozess der Neoliberalisierung ist, so wenig Einigkeit herrscht darüber, was darunter zu verstehen ist. Während die einen von ihm als »revolutionary turning-point in world’s social and economic history« (Harvey 2005a, S. 1) sprechen, bezeichnen andere ihn als »neccessary illusion« (Castree 2006, S. 1) oder behaupten gar: »there is no such thing as neoliberalism« (Barnett 2005, S. 9). Ursprünglich als Wirtschaftstheorie entwickelt, wird der Begriff Neoliberalismus heute zumeist nicht mehr von seinen Vertreter*innen, sondern in erster Linie von seinen Kritiker*innen verwendet (vgl. Ong 2006, S. 2). Zwei große Kritiktraditionen lassen sich hier identifizieren: erstens die polit-ökonomische und regulationstheoretische sowie zweitens die gouvernementale und poststrukturalistische Linie. Polit-ökonomische und regulationstheoretische Vertreter*innen aus den Sozialwissenschaften verstehen Neoliberalismus als hegemoniale Wirtschaftsdoktrin und Klassenprojekt der Umverteilung nach oben, welches nicht nur durch Zwang, sondern auch durch Zustimmung operiert (vgl. z. B. Butterwegge et al. 2008, Duggan 2004, Harvey 2005b, Plehwe et al. 2007, Zinn 2006). Vertreter*innen dieser Ansätze aus der Geographie fokussieren sich vor allem auf die räumliche Ungleichheit dieser Entwicklung (vgl. Harvey 2005c, 2007). Vertreter*innen wie Jamie Peck, Adam Tickell, Neil Brenner und Nik Theodore haben immer wieder herausgestellt, dass Neoliberalisierung verschiedene »lokale Neoliberalismen« (Peck und Tickell 2002, S. 380) hervorbringe, die nur zu verstehen seien, wenn man ihre jeweiligen historischen und geographischen Kontexte und Pfadabhängigkeiten, durch die sie sich artikulieren, genau studiere (vgl. Brenner et al. 2010b, Brenner und Theodore 2002a, 2002b, Peck 2010a). Sie sehen im Neoliberalismus vor allem ein Politikprojekt, das

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zu einer Rekonfiguration von Staatlichkeit führt (vgl. hierzu auch Jessop 2002, Peck 2001, 2004, Peck und Tickell 2002). In neuer Zeit befassen sie sich vor allem mit seiner Durchsetzung im alltäglichen common sense sowie mit seiner Resilienz und Adaptionsfähigkeit gegenüber Krisen und Kritik (vgl. Brenner et al. 2010a, Keil 2009, Peck et al. 2010, Peck 2010b). Für dieses Fortleben des Neoliberalismus in veränderter Form haben einige Vertreter*innen den Begriff ›Post-Neoliberalismus‹ (vgl. Brand und Sekler 2009, Demirović 2009, Peck et al. 2010, Sekler 2009) eingeführt, Jamie Peck bezeichnet es einfach als »Zombie« (Peck 2010b). Ein Hauptproblem dieser Diagnosen ist, dass sie die Annahmen kritisieren, auf denen sie selbst beruhen. Sie kritisieren den Neoliberalismus, indem sie seiner Macht das Wissen, der Ökonomie den Staat und der Repression das (widerständige) Subjekt entgegenstellen. Dabei übersehen sie, welche Rolle diese Entgegensetzungen bei der Konstitution und Stabilisierung des Neoliberalismus haben. Demgegenüber betonen gouvernementale Analysen die Rolle von Wissen zur Herstellung von Macht, die Rolle der Trennung von Staat und Ökonomie für das Funktionieren dieser Bereiche sowie die Rolle von Repression und Freiheit für die Konstitution und Regierung (neo-)liberaler Subjekte (vgl. Lemke 2002, S. 54). Sie beziehen sich auf die Arbeiten Michel Foucaults zur Geschichte der Gouvernementalität (vgl. Foucault 2004 [1977/78] vor allem Foucault 2006 [1978/79]). Dort analysiert er die Entwicklung der unterschiedlichen Schulen neoliberalen Denkens als Problematisierung wirtschaftlicher Krisen und konjunktureller Probleme der Zwischen- und Nachkriegszeit, die aus Sicht ihrer Vertreter*innen durch überregulierte Märkte entstanden waren. »Für Foucault ist der Neoliberalismus eine Form der ›Problematisierung‹; die einen politisch-epistemologischen Raum oder ein ›Möglichkeitsfeld‹ (Foucault 1987, S. 255) definiert« (Lemke et al. 2000, S. 20). Parallel dazu erkennt er eine »Gouvernementalisierung des Staates«, das bedeutet, dass der Staat selbst zu einer Taktik der Regierung wird, die »die Macht in Form und nach dem Vorbild der Ökonomie« (Foucault 2000 [1978], S. 49) ausübt und ihre Subjekte als frei und zugleich unternehmerisch Handelnde konstituiert (vgl. auch Dean 2010 [1999], S. 29, Lemke et al. 2000, S. 12, Lemke 2002, S. 58, 2004, S. 68). Diese Problematisierung von wirtschaftlichen Problemen wurde mit der zunehmenden Implementierung von neoliberalen Politiken unter Reagan, Thatcher und später im Zuge der Politiken des ›Dritten Weges‹, in Abgrenzung zu Liberalismus und dem Wohlfahrtsstaat häufig als »generalisierende Charakterisierung einer historischen Epoche« (Larner 2000, S. 14, Übersetz. I. D.) rezipiert. »This tripartite division of liberalism, welfarism, and advanced liberalism was initially a heuristic device to mark the differences among these new arts of government. Later, at least to some extent, it became formalized into a typology and chronology in which explanation consisted of trying to place each and every program, strategy, or technology analyzed under this general covering law.« (Rose et al. 2006, S. 92)

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Gegen die Reduzierung von Neoliberalismus auf eine Epochenbeschreibung, durch die das Konzept gleichzeitig seine analytische Schärfe verliert, haben sich zahlreiche Kritiker*innen ausgesprochen, die in gouvernementalen Analysen von Neoliberalisierung keine neue ›Großtheorie‹, sondern ein Konzept mittlerer Reichweite sehen. Einige Theoretiker*innen kritisieren, dass auf diese Weise die für den Neoliberalismus konstitutiven Widersprüche und Kämpfe aus dem Blick gerieten (vgl. Larner 2000) und Klasse als Differenzmarker gegenüber anderen Achsen der Differenz wie Geschlecht oder Rassismen einen zu dominanten Stellenwert erhalte (vgl. Wright 2006). »By focusing attention on the historically specific and internally contradictory aspects of neoliberalism, and the shaping of specific neo-liberal projects by articulations between both hegemonic and non-hegemonic groups, it will become apparent that neo-liberalism, like the welfare state, is more an ethos or an ethical ideal, than a set of completed or established institutions.« (Larner 2000, S. 20, vgl. hierzu auch Barry et al. 1993, S. 265, O’Malley et al. 1997, S. 503 f.)

Ebenso wenig wie Macht nicht notwendiger Weise bestimmte Effekte zeitigen muss (vgl. Kapitel 2.2.1), muss Neoliberalisierung nicht notwendigerweise zu bestimmten Veränderungen führen (vgl. Collier 2009, S. 90, 2012). Gegenwärtige Formen der Regierung sind stets aus sehr unterschiedlichen Elementen zusammengesetzt und spielen sich in verschiedenen Formen und Formaten ab. Wenn Neoliberalismus eben keine kohärente politische Ideologie ist und auch nicht kohärent umgesetzt wird, dann ermöglicht dies Spielräume, anders, originell und schöpferisch mit den verschiedenen neoliberalen Formen umzugehen (vgl. Larner 2000, S. 20). In eine etwas andere Richtung zielt die Kritik, die Aihwa Ong und Stephen Collier an monolithischen Konzeptionen der Neoliberalisierung äußern. Sie argumentieren, polit-ökonomische Ansätze beschrieben Neoliberalismus als »inevitable process« (Ong 2007, S. 4), »Neoliberalismus mit großem N« (ebd.) und »a fixed set of attributes with predetermined outcomes« (ebd., S. 3). Ihnen gelänge es daher ebenso wenig wie gouvernementalen Analysen, die vielfältigen Ausprägungen neoliberalen Regierens zu erfassen. Eine solch pauschalisierende Kritik jedoch wird der Vielfalt polit-ökonomischer Ansätze nicht gerecht. Ong und Collier aber weisen zurecht daraufhin, dass die Vertreter*innen polit-ökonomischer Ansätze Neoliberalisierung in erster Linie als top-down-Prozess verstehen, der durch Widerstände und Kämpfe lediglich variieren kann (vgl. Brenner et al. 2010b, S. 202). Indem Neoliberalisierung als »großer Leviathan« behandelt wird, würde übersehen, dass dieses zutiefst westliche Konzept als eine universelle »Makrostruktur« verhandelt werde, »auf die sich alle anderen Dinge beziehen müssen« (Collier 2012, S. 186, Übersetz. I. D., vgl. Collier und Ong 2010, für das post-sowjetischen Russland siehe Collier 2011, für China siehe Ong 2006, für den städtischen Kontext Indiens siehe Roy 2011). Collier und Ong sehen dagegen Neoliberalisierung als einen Prozess, indem unterschiedliche

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Materialitäten und Diskurse zusammengebunden werden (assemblage) und dessen Ergebnis nicht notwendigerweise eine Repräsentationsform neoliberaler Ideologie sein muss. Eine solche assemblage-theoretische Position ist insofern mit einer Perspektive der Des-/Artikulation kompatibel, als sie die Ziele nicht mit dem Effekt von Neoliberalisierungsprozessen gleichsetzt, sondern die Kontingenz zwischen beiden betont. Neoliberalisierung erscheint in dieser Perspektive nicht als Ausgangspunkt der Analyse, sondern als mögliches Ergebnis. Gleichzeitig ist der assemblage-Ansatz aber für zwei Aspekte blind, die für eine Perspektive der Des-/Artikulation zentral sind: Indem der assemblage-Ansatz erstens Neoliberalisierung einfach als das Zusammenkommen von unterschiedlichen, disparaten, nicht hierarchisierten Elementen begreift, verkennt er die genealogische Dimension von Neoliberalisierungsprozessen. Diese Elemente kommen nicht aus dem nichts, sondern haben eine – wenn auch kontingente – Geschichte ihrer Hervorbringung, die bestimmte Ereignisse wahrscheinlicher als andere macht. Ein zweiter Unterschied betrifft die Rolle von Diskursivität im Prozess der Neoliberalisierung. »As global forms are articulated in specific situations – or territorialized in assemblages – they define new material, collective, and discursive relationships.« (Collier und Ong 2010, S. 4)

Das Zitat zeigt, dass assemblage-Ansätze von einem gleichwertigen nebeneinander materieller und diskursiver Beziehungen ausgehen: Im Gegensatz dazu – und auch zu polit-ökonomischen Ansätzen, die den »actually existing neoliberalism« (Brenner und Theodore 2002a, Wacquant 2012) als materiellen Ausdruck seiner ideologischen Form untersuchen – geht eine Perspektive der Des-/Artikulation davon aus, dass Prozesse der Neoliberalisierung nur dann global werden können, sofern sie auch sprachlich vermittelt werden. Sie geht davon aus, dass auch materielle Praktiken nur insofern gesellschaftlich, kommunizier- und transformierbar sind, als ihnen auch eine sprachlich-diskursive Bedeutung zugemessen wird (anders beispielsweise könnten all die Themen, die hier besprochen werden, gar keinen Eingang in diese Arbeit finden). Es abzulehnen, von ›realer Welt‹ oder ›actually existing neoliberalism‹ zu sprechen, bedeutet nicht, der Neoliberalisierung oder anderen Phänomenen ihre Materialität abzusprechen. Vielmehr wird Materialität hier im Sinne der Foucault’schen »Archäologie des Wissens« verstanden, in der das Materielle und das Diskursive stets aufeinander bezogen sind (vgl. Springer 2012, S. 141).

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»Die Archäologie läßt auch die Verhältnisse zwischen den diskursiven Formationen und den nichtdiskursiven Bereichen10 erscheinen (Institutionen, politische Ereignisse, ökonomische Praktiken und Prozesse). [...] Gegenüber einem Komplex von Aussagen fragt sich die Archäologie [...] wie die Formationsregeln, von denen er abhängt [...] mit nichtdiskursiven Systemen verbunden sein können: sie sucht die spezifischen Artikulationsformen zu definieren.« (Foucault 2005 [1969], S. 231)

In dieser Perspektive erscheinen sprachliche wie materielle Prozesse als Artikulationen, die in performativen Prozessen immer wieder ineinander übersetzt werden und damit die Eigenschaften des Materiellen ebenso verändern wie die Grenzen des Diskurses. »This is a discourse that encompasses material forms in state formation through policy and program, and via the subjectivation of individuals on the ground, even if this articulation still takes place through discursive performatives. By formulating discourse in this fashion, we need not revert to a presupposed ›real-world’ referent to recognize a materiality that is both constituted by and constitutive of discourse. Instead, materiality and discourse become integral, where one cannot exist without the other.« (Springer 2012, S. 143)

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen kann am Ende dieses Kapitels eine Definition von Neoliberalismus gegeben werden, die mit der Perspektive der Des-/Artikulation kompatibel ist. Neoliberalisierung wird als Prozess der Des-/Artikulation verstanden, der bestimmte Äußerungen und Praktiken zusammen- und andere unterbindet (vgl. Springer 2011a). Eine solche Definition erkennt die Kontingenz und Prozesshaftigkeit, aber auch die sprachliche Vermitteltheit von Neoliberalisierung an. Sie sieht Neoliberalisierung nicht als Ausgangspunkt, sondern mögliches Ergebnis einer empirischen Analyse, die genau rekonstruiert, welche Problematisierungen ins Spiel gebracht werden, wie diese von wem aufgenommen, iteriert oder verworfen werden und welche differenzierten Effekte dies zeitigt. »[N]eoliberalism centers on acknowledging a processual character where neoliberalism’s articulation with existing circumstances comes through endlessly unfolding failures and successes in the relations between peoples and their socially constructed realities as they are (re)imagined, (re)interpreted, and (re)assembled to influence forms of knowledge through ›the conduct of conduct‹.« (Springer 2012, S. 137)

10 »Wenn er [Foucault] sich gegen die Inanspruchnahme einer prädiskursiven Erfahrung wendet, so gewiß nicht, um die Ordnung allein in die Sprache zu verlegen; zur Ordnung der Dinge gehören ebenso Blickraster, Tableaus, Handlungsfelder, Körperkarten und Bewegungsformen« (Waldenfels 1991,S. 283 zit. n. Denninger et al. 2010, S. 213).

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In dieser Perspektive erscheint die Implementierung mobiler Kreativstadtpolitiken nicht länger als allumfassender »neoliberaler Bulldozer-Effekt« (Springer 2011a, S. 2566). Vielmehr entsteht ein differenziertes Bild, das Neoliberalisierungseffekte ebenso zu fassen vermag wie ihr Versagen und ihre Widersprüche. Dies ist vor allem für eine kritische Forschung wichtig, die bestehende Machtstrukturen nicht einfach reproduzieren will, sondern mögliche Bruchpunkte als potenzielle Ansatzpunkte für Kritik, Reform, Gegenstrategien und Widerstand aufzeigen möchte (vgl. hierzu auch Leitner et al. 2007, S. 2, Mayer 2007, Mayer und Künkel 2012a, 2012b, Springer 2012, S. 143, The Nanopolitics Group 2013). Politik Ein weiterer Begriff, der im Zuge der folgenden Analyse mit besonderer Skepsis behandelt werden muss, ist der der Politik. Zahlreiche Theoretiker*innen gehen davon aus, dass es derzeit im Zuge von Neoliberalisierungsprozessen nicht nur zu einer Verschiebung von government- zu governance-Prozessen käme (vgl. Kapitel 2.1), sondern dass diese Ausdruck einer grundsätzlicheren Rekonstitution der »Bedeutung dessen, was Ökonomie bzw. Politik meint« (Lemke et al. 2000, S. 25) sei. Sie sprechen von einer »Ökonomisierung der Politik« (ebd.), »welche es zu erlauben scheint, die Werte demokratischer Aushandlungsprozesse mit denen liberaler Ökonomie und Rechtsstaatlichkeit gleichzusetzen« (Rancière 2004, S. 3). Dies führe zu einer »antipolitischen Ökonomie« (Barry 2002) auf der einen Seite und zu einer »entpolitisierten« bzw. »Post-Politik« (vgl. Brown 2003, Ek 2011, Jörke 2005, Madra und Adaman 2013, Paddison 2009, Rancière 2004, Swyngedouw 2009a, 2009b, 2010, 2011) auf der anderen. Im Zuge einer Perspektive der Des-/Artikulation aber sollen »anti-politische« oder »post-politische« Tendenzen nicht den Ausgangspunkt der Analyse bilden. Vielmehr bedarf es einer Perspektive, mit der die Rekonfigurationsprozesse von Politik und Ökonomie im Sinne einer Beobachtung zweiter Ordnung in den Blick kommen. Auf diese Weise wird vermieden, dass bestehende Grenzziehungen zwischen Politik und Ökonomie als scheinbar natürliche Ordnung reifiziert werden (beispielsweise indem governance-Prozesse einfach als notwendige Formen gegenwärtiger Regierung dargestellt werden). Darüber hinaus wird es möglich, Prozesse der Entpolitisierung als Neuaufteilung der Grenzen zwischen Politik und Ökonomie zu untersuchen. Eine solche Analyse von Politik kann entsprechend nicht nur »auf das Studium verschiedener Verwaltungsstellen, ihrer Interessen, ihrer Grundlage, ihrer verwaltungsmäßigen Organisation und ähnliches begrenzt werden« (Miller und Rose 1994, S. 58). Es bedarf also einer Perspektive auf ebendiese Neuverhandlung der Grenzen des Politischen. Die komplexen Formen der Regierung von Kreativpolitik – so die hier vertretene These – werden nur sichtbar, wenn Politik nicht als abgegrenzter Bereich verstanden wird, der nach einer genau bestimmbaren politischen Rationalität

2. DIE FORSCHUNGSPERSPEKTIVE DER PROBLEMATISIERUNG UND DES-/ARTIKULATION |

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funktioniert und andere Bereiche steuert. Vielmehr muss eine Analyse die Grenzen von (Kreativ-)Politik und (Kreativ-)Ökonomie selbst in den Blick nehmen. Würde im Zuge der Analyse auf ein alltagsweltliches Politikverständnis aus dem Feld zurückgegriffen, würden zwangsläufig wichtige Aspekte aus dem Blick geraten. Hierzu bieten Ansätze aus den governmentality studies und den Neuen Theorien des Politischen eine gute Ergänzung der Perspektive der Des-/Artikulation. Denn mit der Veränderung von Prozessen der Regierung in der Stadt, geht auch eine Rekonstitution dessen einher, was als ›politisch‹ betrachtet wird, ein Aspekt, der häufig zu wenig betrachtet wird (vgl. Hindess 1997, O’Malley et al. 1997, S. 510). Daher bedarf es auch hier einer Perspektive, mit der die Rekonstitution des Feldes des Politischen sichtbar wird und in der »›Politik‹ [...] selbst als etwas Erklärungsbedürftiges behandelt« (ebd., S. 58) wird. Die governmentality studies arbeiten heraus, dass die Konstitution von Politik und Ökonomie als getrennte Sphären, die nach eigenen Gesetzmäßigkeiten funktionieren, selbst das Ergebnis eines historischen und politischen Konstruktionsprozesses sind (vgl. Barnes 2003, 2005, Castree 2004, Crang 1997, Gibson-Graham 2004, 2006, Lemke et al. 2000, S. 26, Mitchell 1998, Thrift 2000). Die Differenz zwischen Politik und Ökonomie ist damit selbst Element und Effekt von Regierungspraktiken. »[D]ie ›Regierungskunst‹ [ist] nicht auf den Bereich der Politik in Abgrenzung zur Ökonomie beschränkt [...]; vielmehr ist die Konstitution eines von der Politik getrennten Raumes mit eigenen Gesetzmäßigkeiten und einer ihm eigenen Rationalität selbst Bestandteil einer ›ökonomischen‹ Regierung.« (Lemke et al. 2000, S. 26)

Um diesen Aspekt in den Blick zu bekommen, bedarf es eines Politikverständnisses, das sich nicht auf die gängigen politischen Aushandlungsformen beschränkt, sondern als Begriff über seine eigenen ontologischen Grenzen hinausweist. Einen solchen Begriff der Politik entwickelt Jacques Rancière. »Was aus der Politik selbst« für Rancière »einen skandalösen Gegenstand macht« (Rancière 2007 [1995], S. 12) ist, dass sie in der Lage ist, die Grenzen dessen, was Politik, Kultur und Ökonomie ist, neu zu verhandeln und damit über die Grenzen hinaus weist, die ihr traditionell zugeschrieben werden. Das bedeutet, »dass die Politik die Aktivität ist, die als Rationalität selbst die Rationalität des Unvernehmens hat« (ebd.). Als »Unvernehmen« beschreibt Rancière den Prozess des Übertretens des Sets an Regeln, die bestimmen, was im Alltag unter Politik, Ökonomie und den ihnen zugehörigen Subjekten zu verstehen ist (vgl. ebd.) Um eine Essentialisierung von Politik als gegebenen städtischen Modus der Verhandlung zu vermeiden, soll Politik im Sinne der Neuen Theorien des Politischen also nicht einfach als etwas verstanden werden, »was innerhalb der existierenden Verhältnisse gut funktioniert, sondern etwas, was gerade den Rahmen ver-

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ändert, der festlegt, wie die Dinge funktionieren« (Žižek 2010 [1999], S. 273, Hervorheb. i. O.). Damit werden Fragen der (Kreativ-)Politik auch jenseits derzeit hegemonialer Stadtentwicklungsmodelle neu verhandelbar. Kreativität Mit den genannten drei Perspektivverschiebungen geht unwillkürlich eine vierte einher. Sie betrifft die Frage, wie Kreativität im Rahmen dieser Arbeit verstanden werden soll. Ein Blick in die bestehende Literatur offenbart eine große Phantasielosigkeit in Bezug darauf, wie man Kreativität konzeptionell fassen kann. Die meisten Autor*innen ontologisieren Kreativität, indem sie sie als anthropologische Grundkonstante (»basic human characteristic« Currah 2009, S. 327) eines bestimmten Menschentyps definieren, welcher – je nach Genealogie – mal das Künstlergenie des 19. Jahrhunderts mal die Bohème ist. Dieser Menschentyp durchläuft im Postfordismus eine Metamorphose und fristet heute in Medienagenturen oder Designbüros sein Dasein (vgl. Reckwitz 2008, 2010, 2012). Weitere Definitionsversuche in dieser Richtung werden – anders als Goeke (2011) behauptet, an dieser Stelle keine weitere Klarheit bringen, denn jeder »Versuch, Kreativität dingfest zu machen, mündet in einen unendlichen Regress« (Bröckling 2006a, S. 139): Kreativitätsratgeber füllen meterweise die Regale und doch wird es keine einfache Formel geben, mit der das Neue beständig erfunden und operationalisierbar gemacht werden kann. Aus diesem Grund haben eine Vielzahl von Autor*innen ›Kreativität‹ nicht als anthropologische Eigenschaft, sondern als die soziale Technologie beschrieben, die Neues der Verarbeitung und Verwertung zuführt. Hier sind vor allem auch die Managementtechnologien von und durch Kreativität zu nennen, die in Kapitel 4.2 diskutiert werden. ManagementProzesse geben vor, »Kreativität organisieren zu können« (Marchart 2004, S. o. S.). »Die übliche Kritik an solch einem Phantasma würde dem wohl entgegenhalten, ›Kreativität‹ ließe sich gar nicht organisieren. Wollte man sie organisieren, brächte man dieses fragile Gut notwendigerweise zum Verschwinden. Ich denke allerdings, dass die Wahrheit viel grausamer ist: Kreativität ist immer organisiert – sie ist nie spontan oder unmittelbar. Genau das macht sie zu einem ideologischen Begriff par excellence: gerade im Moment ihrer Konstruiertheit und Organisiertheit erscheint sie ›natürlich‹, ›spontan‹ und vor allem unverfügbar (und damit auch unorganisierbar).« (ebd., Hervorheb. i. O.)

Im Rahmen dieser Arbeit soll die Definition dessen, was hier unter Kreativität verstanden wird, noch weiter radikalisiert werden. Kreativität soll hier nicht nur als soziale Technologie, sondern auch als eine Problematisierung gegenwärtiger Akkumulations- und Steuerungsprobleme von Unternehmen, Subjekten und Städten verstanden werden, die im Zuge der folgenden Analyse noch genauer zu bestimmen sind. Was mit Referenz auf Collier auf Seite 202 für den Neoliberalismus herausarbeitet wurde, kann analog auch auf Kreativität angewendet werden:

2. DIE FORSCHUNGSPERSPEKTIVE DER PROBLEMATISIERUNG UND DES-/ARTIKULATION |

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»[I]t is a form of thinking, a kind of reflection that aims to critique and remediate existing mentalités and practices of government that have become uncertain or problematic.« (Collier 2009, S. 100)

Kreativität kann als eine Problematisierung verstanden werden, die in der Lage ist, bestimmte Regierungsweisen und Techniken performativ in Gang zu setzen. »[I]t is a problem space to be analyzed by tracing the recombinatorial processes through which techniques and technologies are reworked and redeployed.« (ebd., S. 93)

Ob dies gelingt, welche Techniken dabei genau zum Einsatz kommen und welche Effekte diese haben, kann nur empirisch bestimmt werden. Eine topologische Analyse der Des-/Artikulation, wie sie im Folgenden angestrebt wird, muss daher die »Prozesse der Rekombination und Reproblematisierung« im Blick haben, »durch die gegenwärtiges Regieren rekonfiguriert wird« (ebd., Übersetz. I. D.).

2.5 I MPLIKATIONEN FÜR EINE A NALYSE DER E MERGENZ UND R EGIERUNG VON K REATIVPOLITIK Die hier entwickelte Forschungsperspektive der Des-/Artikulation hat zahlreiche Implikationen für die Analyse der Emergenz und Regierung von Kreativpolitik in Frankfurt, die hier noch einmal abschließend zusammenfassend dargestellt werden. Sie lehnt erstens die Annahme ab, eine wissenschaftliche Analyse und die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen könnten zu einer besseren governance von Kreativität in der Stadt beitragen. Daher wurde der Begriff governance zugunsten einer problematisierenden, gouvernementalen Perspektive auf das Regieren von Kreativität in der Stadt aufgegeben. governance wurde nicht als ein politischer Steuerungsmodus von Ökonomie und Kultur, sondern stattdessen als ein Effekt veränderter Wissens- und Machtformen und einer Neuverhandlung der Grenzen zwischen den vermeintlich disparaten Bereichen von Politik, Kultur und Ökonomie verstanden. Einem essentialistischen Ansatz, der Macht als gegeben und funktionalistisch sowie eine Trennung der Sphären Politik, Kultur, Ökonomie voraussetzt, wurde mit der These begegnet, »dass die ›Regierungskunst‹ nicht auf den Bereich der Politik in Abgrenzung zur Ökonomie beschränkt ist; vielmehr [...] die Konstitution eines von der Politik getrennten Raumes mit eigenen Gesetzmäßigkeiten und einer ihm eigenen Rationalität selbst Bestandteil einer ›ökonomischen‹ Regierung« (Lemke et al. 2000, S. 26) ist. Macht und Regierung wurden damit nicht mehr als Ausgangspunkt und der Analyse vorgängige Essentialismen begriffen, die (neo-)liberale Politik begründen, sondern als ihr Effekt (vgl. Kapitel 2.1).

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Zweitens hat die Auseinandersetzung mit Kritiken an den governmentality studies gezeigt, dass diese Machteffekte immer kontingent sind. Das bedeutet, dass performative Akte des Regierens keine notwendigen Effekte hervorbringen, sondern dass Regierungsakte nur gelingen können, wenn die Bedingungen ihres Auftretens gegeben sind (perlokutionäre Akte). Darüber hinaus besteht in jedem Moment die Möglichkeit des Bruchs mit ihrem Kontext, so dass in der Konsequenz auch zu jeder Zeit die Möglichkeit besteht, dass diese performativen Akte nicht nur scheitern, sondern auch iteriert oder entwendet werden können (vgl. Kapitel 2.2). Aus dieser Erkenntnis wurde drittens die im Rahmen dieser Analyse leitende Analyseperspektive der Problematisierung (vgl. Kapitel 2.3) und der Des-/Artikulation (vgl. Kapitel 2.4) entwickelt. Erstere erlaubt es, Regierungsprozesse als Problematisierungen von Gegenwartsphänomenen (Problematisierung I) zu begreifen und sie zu kritisieren, indem man auf sie selbst ein problematisierendes Verfahren anwendet (Problematisierung II). Die Analyseperspektive der Des-/Artikulation ermöglicht es, das Verhältnis von Regierungsprogrammen und ihren Effekten kontingent zu denken und in Artikulation mit weiteren Regierungslogiken in der Stadt zu analysieren. Auf diese Weise wird vermieden, dass theoretische Großbegriffe oder in den Programmen angelegte Ideologien über das Fallbeispiel gestülpt werden, die nicht selbst im Feld artikuliert werden. Um das volle Potenzial der Problematisierungs- und Des-/Artikulationsperspektive zu entfalten und das Verhältnis von Programmen und Machteffekten wirklich kontingent zu denken, war es notwendig zu verhindern, dass ohne empirische Notwendigkeit vorraussetzungsreiche Großbegriffe wie mobile policies, Neoliberalismus, Politik oder Kreativität an die Analyse herangetragen werden. Die vielen Vorraussetzungen, die diese Begriffe mitbringen, führen schnell zu einer Ontolo-gisierung von Annahmen (z. B. die Konzeption von Kreativität als anthropologischer Grundkonstante), einer Verwechslung von Programmen mit ihren Machteffekten (z. B. neoliberale urban policies sind etwas, vor dem sich Städte im internationalen Wettbewerb nicht verschließen können, Neoliberalismus impliziert Ungleichheit) oder der Reifizierung hegemonialer Wahrheitsregime und Macht/Wissen-Komplexe (z. B. die Konzeption von Ökonomie als einer der Sphäre der Politik entgegensetzen Entität), die es im Rahmen der Analyse eigentlich zu überwinden gilt. Vor diesem Hintergrund wurde eine Dekonstruktion der Konzepte mobile policies, Neoliberalismus, Politik und Kreativität durchgeführt, in der diese Konzepte auf ihre impliziten Annahmen und Logiken hin befragt wurden. Statt ihre Grundannahmen als Setzungen im Rahmen dieser Analyse zu reifizieren, wurde vorgeschlagen policies, Neoliberalismus, Politik und Kreativität nicht als Ausgangspunkt der Analyse, sondern als Wissen/Macht-Effekte zu denken, die am Ende der Analyse stehen. Dieses Forschungsprogramm, das ich als ›Problematisierung und topologische Analyse der Des-/Artikulation‹ bezeichnen möchte, leitet die Analyse des empirischen Materials im Hinblick auf die Ausgangsfrage nach der Artikulation von

2. DIE FORSCHUNGSPERSPEKTIVE DER PROBLEMATISIERUNG UND DES-/ARTIKULATION |

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Kreativpolitik in Frankfurt so an, dass die in Kapitel 2.2 herausgearbeiteten blinden Flecken möglichst vermieden werden. Diese Erweiterung der Perspektive erlaubt darüber hinaus einen Blick auf das Fallbeispiel Frankfurt, der mehr entdeckt als bloß die deskriptive Beantwortung der Ausgangsfrage, wie sich Kreativpolitik in Frankfurt herausgebildet hat. Im Rahmen der Perspektiverweiterung wird eine konzeptionelle Reformulierung, Schärfung und schließlich auch Operationalisierung der Ausgangsfrage in die eingangs vorgestellten fünf Unterfragestellungen möglich (vgl. Kapitel 1): − − − − −

Auf welche Problematisierungen von Kreativität wird bei der Artikulation dieser neuen Form der Regierung zurückgegriffen? Welche Rationalitäten des städtischen Regierens und der Politik kennzeichnen dieses Politikfeld? Wie werden sie performativ in Gang gesetzt und lokal kontextualisiert? Wie artikuliert sich das Kreativitätsskript mit bereits etablierten Formen städtischer Regierung? Welche Formen von agency, d. h. des Unvernehmens, des Widerstands, der Subversion und Iteration des globalen Kreativitätsskripts lassen sich erkennen?

Indem die Analyse einen Fokus auf die Momente der Problematisierung und Des-/Artikulation legt, konzentriert sie sich auch auf die möglichen Bruchpunkte von Regierungseffekten mit ihrem Kontext. Auf diese Weise markiert sie Ansatzpunkte für politische agency und Veränderung. Eine solche Form der Analyse sieht sich in der Tradition des kritischen Denkens Foucaults, der »Kritik« als »die Bewegung« versteht, »in welcher sich das Subjekt das Recht herausnimmt, die Wahrheit auf ihre Machteffekte hin zu befragen und die Macht auf ihre Wahrheitsdiskurse hin« (Foucault 2009 [1978], S. 242). Kritik meint dann gerade nicht die Inkorporierung der von Foucault diagnostizierten zunehmenden »Selbstführung« in den Dienst von städtischer governance, wie im Handbuch »Grundlagen der Kreativwirtschaft und Stadtentwicklung« von Sven Schlickewei et al. (2011, S. 31) gefordert11. Vielmehr ist die angewandte Wissenschaft der governance von Kreativwirtschaft selbst als ein Regierungsprogramm und Effekt eines »Macht/Wissen-Komplexes« (Foucault 2004 [1975], S. 39) zu analysieren.

11 »Hierbei gilt es, Räume für eine freie Entfaltung von Kreativität zu schaffen, die eine Selbststeuerung der kreativen Milieus ermöglichen, um so ein Wachstum der Kreativwirtschaft im urbanen Raum herbeizuführen« (Schlickewei et al. 2011, S. 31).

3. Methodischer Umgang mit dem erhobenen Material

Ebenso wie die Gouvernementalitätsperspektive (vgl. Maesse 2010, S. 102, Marquardt und Füller 2010, S. 140) gibt die Perspektive der Problematisierung und der Des-/Artikulation kein spezifisches Methodenset zur Bearbeitung der Fragestellung vor. »Ein möglicher Ausweg aus dieser grundlegenden Schwierigkeit für empirische Analysen der Gegenwart ist, die Handhabung der Begriffe konkret für jedes Forschungsvorhaben erneut zu durchdenken und anzupassen« (ebd.). Das folgende Kapitel stellt das empirische Material vor, dass zur Beantwortung der Ausgangsfrage erhoben wurde (vgl. Kapitel 3.1) und beschreibt, wie die in Kapitel 2 erarbeiteten analytischen Perspektiven der Des-/Artikulation und der Problematisierung die Kodierung und Auswertung des erhobenen Materials so anleiten können, dass die Kontingenz des empirischen Materials hervortreten und die Ausgangsfrage der Studie beantwortet werde kann (vgl. Kapitel 3.2). Sodann wird diskutiert, wie eine Integration von teilnehmender Beobachtung in eine gouvernementale Analyse gelingen kann (vgl. Kapitel 3.3), ohne in Selbstwidersprüche zu geraten. Abschließend erfolgt eine Reflexion der eigenen Positionalität im Feld (vgl. Kapitel 3.4)

3.1 S TRUKTURIERUNG

DER

E RHEBUNG

Um die Artikulation des Kreativitätsskripts in Frankfurt in den Blick zu bekommen, bedarf es zunächst einer Analyse der für Frankfurt relevanten policy paper. Im Zuge der Analyse interessieren aber nicht nur die Logiken, die policy papern immanent sind, sondern wie sie sich gemeinsam mit anderen Rationalitäten des Regierens auf städtischer Ebene artikulieren, wie sie sich im Zuge der Artikulation verändern, wie sie ver- und entwendet werden und welche Widerstände sie zeitigen. Da eine solche reine Programmanalyse nichts über das Performativwerden, die Iteration und die Machteffekte aussagen kann, ist es notwendig, die Erhebung um weitere Quellen zu erweitern, wenn sie das Performativwerden des Kreativskripts

72 | KREATIVPOLITIK

und seine Effekte auf der lokalen Ebene verstehen will. Um neben der programmatischen auch die Ebene der Praktiken und Programme im Vollzug sowie die Machteffekte, die sie zeitigen, zu erfassen, bedarf es weiterer Erhebungsmethoden. Howarth betont, dass im Zuge einer problematisierenden Analyse Primärdokumente, Interviews, Zeitungsberichte, beobachtete und unbeobachtete soziale Praktiken, Bilder, quantitative Daten hilfreich sind (Howarth 2005, S. 335). In der vorliegenden Analyse erwiesen sich vor allem teilnehmende Beobachtungen, problemzentrierte Interviews, Stadtverordnetenprotokolle und Presseberichterstattungen als geeignet, um die Frage nach der Artikulation von Kreativpolitik, den damit einhergehenden Desartikulation bestehender Rationalitäten der Regierung und ihren Machteffekten zu beantworten. Mit Hilfe von problemzentrierten Interviews werden »kontextualisierte Selbstinterpretationen« (Glynos und Howarth 2007, S. 49) und Problematisierungen von Expert*innen aus dem Feld der Frankfurter Kreativpolitik analysiert. Mit Hilfe von Beobachtungen wird der Umkämpftheit, dem Scheitern und den diskursiven Verschiebungen in lokalen Regimen urbanen Regierens nachgespürt, die die Widersprüche heikler und prekärer Subjekte (Žižek 2010 [1999]) sowie instabiler und unabschließbarer Institutionen erzeugen und damit die Veränderbarkeit von Regierungsrationalitäten deutlich werden lassen. Auch kommen auf diese Weise die Interaktions- und Reibungspunkte der neuen kreativpolitischen Agenda mit bereits bestehenden Logiken des Regierens in den Blick. Im Folgenden werden die Daten vorgestellt, die im Rahmen der Analyse erhoben wurden. 3.1.1 Erhebung von policy papern Die erhobenen und ausgewerteten policy paper sind neben dem Frankfurter und Hessischen Kreativwirtschaftsbericht auch solche anderer Städte, die im Wettbewerb als Vergleich herangezogen wurden, genauso wie policy paper, die Kreativität auf anderen Maßstabsebenen wie dem Bund, der EU oder global betrachteten oder Kreativwirtschaftsberichte anderer Städte, die im Wettbewerb als Vergleich herangezogen wurden. Es fanden in erster Linie solche policy-Dokumente Eingang in die Analyse, die auch von Akteur*innen im Feld mobilisiert oder referenziert wurden (vgl. Kapitel 3.1.2 und 3.1.3). 3.1.2 Teilnehmende Beobachtung Im Zuge der Untersuchung wurden teilnehmende Beobachtungen durchgeführt (Bachmann 2009, Bachmann 2011, Lamnek 2010, S. 498). Der Einstieg ins Feld erfolgte über eine zweimonatige teilnehmende Beobachtung im März und April 2011 im Kompetenzzentrum Kreativwirtschaft bei der Wirtschaftsförderung Frankfurt. Das Kompetenzzentrum ist die politisch instituierte, städtische Stelle zur Schaffung

3. METHODISCHE OPERATIONALISIERUNG |

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und Umsetzung einer kreativpolitischen Agenda in Frankfurt. Sie brachte mich mit zahlreichen Praxisnetzwerken des Kompetenzzentrums und der Wirtschaftsförderung in Kontakt, die mich nicht nur zu zahlreichen weiteren Beobachtungen wie Netzwerktreffen, Konferenzen, Preisverleihungen, Diskussionsrunden, Vorträgen und Empfängen führte, sondern auch für den Zugang zu Interviewpartner*innen von großem Wert waren. Die Beobachtungen fanden zwischen April 2011 und September 2013 statt. Weitere teilnehmende Beobachtungen erfolgten darüber hinaus zwischen Mai 2011 und September 2013 im Planungsprozess des KulturCampus, um die gesamte Breite des kreativpolitischen Artikulationsprozesses in Frankfurt abzudecken. Neben den offiziellen ›Planungswerkstätten‹ wurden hier auch zahlreiche Gegenveranstaltungen besucht. Im Gegensatz zu den policy papern, die direkt in schriftlicher Form vorliegen, müssen ethnographische Beobachtungen erst verschriftlicht werden, um einer strukturierten Analyse zugänglich gemacht zu werden. Die Selektivität der Wahrnehmung und Erinnerungen beeinflussen die Erhebung ebenso wie die eigenen Positionalität im Feld, die den Zugang zu einigen Daten ermöglicht, zu anderen aber auch verwehrt. Um diese Konstruktionsleistungen im Forschungsprozess offenzulegen und damit auch nachvollziehbar zu machen, erfolgt eine Beschreibung des Verschriftlichungsprozesses in Kapitel 3.3.3 sowie eine Reflexion der eigenen Positionalität im Feld in Kapitel 3.4. 3.1.3 Problemzentrierte Interviews Im Zuge der Untersuchung wurden zwischen Juni 2011 und Juli 2013 Interviews mit 31 Personen aus dem öffentlichen Leben in Frankfurt geführt, die mit der Implementierung von Kreativpolitik direkt betraut oder ein Teil von kreativpolitischen Debatten und Gestaltungsprozessen sind. Die interviewten Personen stammen aus den Bereichen Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft, kreativen Unternehmen sowie Beratungs- und Lobbyinstitutionen (Liste der interviewten Personen siehe Kapitel 10.1). Die Interviews dauerten zwischen 45 Minuten und zwei Stunden. Die Wahl der Interviewpartner*innen erfolgte nach dem Schneeballsystem während der Erhebung. Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, dass ein möglichst breites Spektrum an Personen, die mit kreativpolitischen Fragen vertraut sind, abgedeckt wurde. Die Interviewphase wurde beendet, als sich eine Sättigung in Bezug auf die behandelten Probleme und Themen einstellte. Dies war der Fall, als ich die zentralen Akteur*innen, Maßnahmen, Netzwerke und Events zu allermeist kannte, auf die in den Interviews rekurriert wurde, und ihre Position in den governance-Prozessen kreativpolitischer Themen gut einschätzen zu können glaubte. Die Interviews waren problemzentriert aufgebaut (Flick 1995, S. 178, Lamnek 2010, S. 332, Mayring 2002, S. 67). Problemzentrierte Interviews sind in besonderer

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Weise geeignet, Problematisierungen zu rekonstruieren. Zum einen lassen sich im Rahmen eines solchen Interviews, die Probleme verstehen, mit denen die Akteur*innen im Feld umgehen müssen. Darüber hinaus ist es möglich, Fragen zu stellen, die im Zuge einer problematisierenden Analyse, wie sie mit dem Foucault’schen Konzepts der Problematisierung (I) in Kapitel 2.3 vorgestellt wurde, relevant werden, wie z. B.: Wie wurde Kreativität zu einem Problem städtischer Regierung in Frankfurt? Wie artikuliert sie sich mit anderen Regierungsrationalitäten? Welche kreativpolitischen Maßnahmen wurden ergriffen und zu welchen Reibungspunkten kam es dabei? Der ›Leitfaden‹ war nicht linear aufgebaut, sondern hatte die Struktur einer Mindmap, die sich in unterschiedliche Themenblöcke wie Emergenz kreativpolitischer Themen, Maßnahmen, Steuerungsformen, Bezugnahme auf policies und Diskurse, Probleme und Konflikte, Kritik und Widerstand gliederte. Die Mindmap wurde für jede interviewte Person dahingehend angepasst, dass sie neben allgemeinen Themen immer einen besonderen Fokus auf Themenbereiche bereithielt, für deren Expertise ich die Person bereits vorher kennengelernt oder empfohlen bekommen hatte. Diese Vorgehensweise ermöglichte einen flexiblen Umgang mit der Spannung zwischen der notwendigen Offenheit für spontan und unvorhersehbar im Interview auftauchende neue Aspekte und dem in den Leitfragen kodierten eigenen Erkenntnisinteresse. Die Interviews wurden vollumfänglich und im Wortlaut transkribiert. Die Intensität und Zwischentöne von Aussagen, die in der direkten Umwandlung von Wort in Schrift verloren gehen, wie Spontaneität oder Zögern, Pause, Ironie, lauter oder leiser werdende Stimme, wurden gesondert in der Transkription vermerkt. Da der Fokus der Analyse auf der Veränderung städtischer Regierungslogik im Zuge der Artikulation von Kreativpolitik liegt und nicht auf der Kritik des Verhaltens einzelner Personen im Feld, werden die Interviewten nicht mit ihrem Namen, sondern nur mit ihrer Funktion bezeichnet. In zwei Fällen konnten Interviewpartner zur Autorisierung nicht mehr erreicht werden. Hier ist die Bezeichnung ihrer Position so vage gehalten, dass sie nicht persönlich zu identifizieren sind. 3.1.4 Erhebung weiterer Dokumente Darüber hinaus wurden all solche Dokumente mit in die Analyse einbezogen, die sich im Rahmen der Erhebung als relevant herausstellten. Dies sind zunächst Stadtverordnetenprotokolle. Sie geben politische Debatten der Stadtverordnetenversammlung im Wortlaut wieder und sind daher eine hervorragende Quelle, um politisch geführte Auseinandersetzungen auf Stadtebene nachzuvollziehen. Darüber hinaus wurde die lokale Berichterstattung über kreativpolitische Themen in der FR, FAZ und dem Journal Frankfurt ausgewertet. Von den drei analysierten Zeitungen erwies sich vor

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allem das Journal als außerordentlich wertvoll für die Analyse kreativpolitischer Themen auf lokaler Ebene. Als politisches Kulturmagazin der Frankfurter Sponti-Bewegung unter dem Namen ›Pflasterstrand‹ in den 1970er Jahren u. a. von Daniel CohnBendit gegründet, wandelte sich das nun Journal Frankfurt genannte Blatt in den 1990er Jahren mehr und mehr zum anzeigenfinanzierten Kulturveranstaltungskalender. Seit Mitte der 2000er aber kam es mit dem neuen Chefredakteur Nils Bremer und dem Aufbau einer Online-Redaktion zu einer deutlichen Intensivierung und Verbesserung der redaktionellen Arbeit, die nun in erster Linie die politische Aushandlung der Kreativ- und Kulturszene kritisch begleitet. Sie reicht von der journalistischen Auseinandersetzung mit der Schließung des autonomen Kulturzentrums ›Institut für vergleichende Irrelevanz‹, über den Umzug des Kunstvereins ›Lola Montez‹ und des ›Atelier Frankfurt‹ bis hin zur Verleihung von games- oder Werbefilmpreisen. Das Zeitungskorpus deckt den Zeitraum von 2000 bis 2012 ab. Einzelne Artikel, die sich darüber hinaus als relevant für die Analyse erwiesen oder erst zu einem späteren Zeitpunkt erschienen waren, fanden noch später Eingang in die Analyse. Weitere Dokumente wie Internetauftritte, Jahres- und Tätigkeitsberichte, Einladungen zu Kreativ-Events, Veranstaltungsankündigungen, Informationsmaterial, Imagebroschüren und –filme aber auch Protestflyer ergänzten die Analyse. 3.1.5 Zusammenstellung und Eigenschaften des Korpus Zur Durchführung der Analyse wurden die erhobenen policy paper, ethnographischen Feldnotizen, transkribierten Interviews, Stadtverordnetenprotokolle, Presseberichterstattungen und weiteren Dokumente zu einem Korpus zusammengefasst. Die Zusammenstellung dieses Korpus erfolgte schrittweise während der Erhebungsphase. Das bedeutet, das Korpus ist offen. Seine Zusammenstellung erfolgte corpus-driven, d. h. die Texte wurden anhand von Schlüsselwörtern und thematischer Passung für die Analyse ausgewählt1. Gegen ein solches Verfahren wird vielfach eingewendet, dass mit dem selektiven Zugriff auf Texte Aspekte aus dem Blick geraten können, die für die Analyse wichtig sind, aber nicht unter den einschlägigen Schlagworten verhandelt werden (Dzudzek et al. 2009, S. 239). Dieser Gefahr wurde im Rahmen dieser Analyse dahingehend begegnet, dass parallel zur Auswahl der Texte nach Stichworten die lokale Berichterstattung der FR sowie des Journal Frankfurt über den gesamten Zeitraum verfolgt wurde und auch gezielt Themen in die Analyse der Zei-

1

Gesucht wurde nach folgenden Begriffen: kreativ, kreative Stadt, Kreativwirtschaft, Kreativpolitik, Bahnhofsviertel, Ostend, Atelier Frankfurt, Basis, Lola Montez, MainRaum, Parade der Kulturen, Stiftungsprofessur Kreativität im urbanen Kontext, Unionsgelände, Umnutzung Diamantenbörse KulturCampus, Partizipationsverfahren CampusBockenheim, Studierendenhaus in all ihren möglichen Lexemen.

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tungen aufgenommen wurden, die von Akteur*innen aus dem Feld während der Interviews und der teilnehmenden Beobachtung als wichtig bezeichnet wurden. Auf diese Weise fanden auch lokalpolitische Debatten, wie die Diskussion um die Umverteilung der Mittel für Theaterprojekte oder die Diskussion um den KulturCampus (vgl. z.B. Kapitel 8), die nicht unter dem Schlagwort ›Kreativität‹ verhandelt wurden und dennoch von außerordentlichem Wert für die Analyse waren, Eingang in das Korpus. In anderen Fällen entpuppten sich Themen erst im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung als für die Analyse wichtig, wie z. B. die Debatte um die Entwicklung der sogenannten ›Neustadt‹ oder der Rolle privater Stiftungen für die Finanzierung öffentlicher Museen. Auch diese Debatten wurden sukzessive in die Analyse mitaufgenommen. In der Erhebungsphase wurde immer wieder reflektiert, welche weiteren Stimmen, Dokumente oder Beobachtungen notwendig sind, um eine möglichst umfassende und gesättigte Beschreibung der Artikulation und Regierung von Kreativpolitik in Frankfurt generieren zu können. Programmanalysen kennzeichnen sich in der Regel durch ein homogenes Korpus. Das bedeutet, es umfasst eine Reihe von vergleichbaren Aussagen von ähnlichen Sprecher*innenpositionen. Entsprechend kann das Korpus im Rahmen einer klassischen Diskursanalyse auf die Regeln, Verteilung, Muster, Streuung und bestimmter Aussagen hin befragt werden. Im Rahmen einer lexikometrischen Analyse ließen sich diese Strukturen sogar quantitativ bestimmen und graphisch abbilden (vgl. ebd.). Bei der Analyse des Korpus im Rahmen dieser Analyse ist hingegen zu berücksichtigen, dass das zusammengestellte Korpus nicht homogen ist. Es zeichnet sich durch sehr unterschiedliche Aussagetypen aus sehr unterschiedlichen Quellen aus, die von öffentlichen Statements wie beispielsweise in den policy papern, Stadtverordnetenprotokollen und Presseberichten bis hin zu vertraulich getätigten Äußerungen im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung oder im Interview reichen. Entsprechend unterschiedlich ist auch der Stil der Aussagen, der von formell bis informell reicht. Auch haben die Aussagen sehr unterschiedliche Reichweiten. Einige beziehen sich auch die Stadt Frankfurt als Ganzes, andere wiederum beschränken sich auf Verwaltungsvorgänge oder kleine Projekte. Entsprechend muss – anders als bei klassischen Programmanalysen – der Kontext, in dem jede Äußerung getroffen wurde, in der Analyse stets mitgedacht werden. Darüber hinaus ist zu beachten, dass es sich im Rahmen dieser Analyse nicht um ein diachrones, sondern um ein synchrones Korpus handelt. Das bedeutet, das Korpus wird nicht, wie klassischerweise, zunächst nach den programmatischen Logiken der policies befragt, um anschließend in einem zweiten Schritt im Zuge einer Analyse der Interviews und teilnehmenden Beobachtungen zu schauen, wie diese Programm dann top-down implementiert werden. Stattdessen erfolgt eine synchrone Analyse, die das Material danach befragt, von wem wann Kreativpolitik artikuliert und damit als Gegenstand der Regierungspraxis erst hervorgebracht wird. Auf diese Weise lässt

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77

die Analyse Raum, die Artikulation von Kreativpolitik als bottom-up Prozess zu begreifen und die Gleichzeitigkeit widerstreitender Artikulationen in den Blick zu nehmen.

3.2 A NALYSE

DES ERHOBENEN

M ATERIALS

Im nächsten Schritt wird das Korpus einem Kodierungsprozess unterzogen. Um die Artikulation von Kreativpolitik und die damit einhergehende Veränderung bereits etablierter Rationalitäten des Regierens in Frankfurt nachvollziehen zu können, bedarf es einer Lektüre- und Kodierungsweise, die über eine reine Diskursanalyse hinausgeht und auch in der Lage ist, die Übersetzungen von Diskursen in (Sprach-) Handlungen sowie ihre Machteffekte nachzuvollziehen und die das Material auf Problematisierungen und Des-/Artikulation befragt. 3.2.1 ›Problematisierende Lektüre‹ des erhobenen Materials Eine solche Verfahrensweise beschreiben Hess und Tsianos in Anlehnung an Althusser als eine »symptomatischen Lektüre« (Hess und Tsianos 2012, S. 253): »Damit meint Althusser eine Arbeit am Text, die dessen interne Problematik herausarbeitet, die den jeweiligen Diskurs strukturiert. Dazu aber reicht eine buchstabengetreue Lektüre und Interpretation nicht aus. Aufgabe einer symptomatischen Lektüre ist es vielmehr, die Leerstellen eines Diskurses aufzuspüren, d. h. seine nicht unmittelbar zugängliche Tiefenstruktur zu rekonstruieren [...] ›Symptomatische Diskursanalyse‹ meint entsprechend eine im Feld ethnographisch zu praktizierende Lese- und Textarbeit an Dokumenten, Archivmaterialien und Diskursen, die unmittelbar mit den von der Feldforschung hervorgerufenen Spannungen und Irritationen zu reflektieren und zu dokumentieren sind, damit es der Forscherin gelingt, die diskursiven Anteile des [..., Untersuchungsgegenstandes] zu analysieren und dementsprechend die Fragestellung zu perspektivieren. Symptomatische Diskursanalyse ist eine dichte, schnelle, ambulante Analyse von diskursivierten ›relations of ruling‹. [...] Sie bilden ein komplexes Feld koordinierter Aktivitäten in Texten und im Verhältnis zu Texten, und Texte koordinieren sie als Verhältnisse.« (ebd.)

Diese von Hess und Tsianos vorschlagene Lesart ist in einzigartiger Weise geeignet, das Material danach zu befragen, wie Kreativpolitik in situ als Problem der Regierung in Frankfurt konstituiert wird. Auf diese Weise gelingt eine Analyse unterschiedlicher Des-/Artikulationen im Vollzug. Im Zuge einer »symptomatische Diskursanalyse« (ebd.) im Sinne von Hess und Tsianos steht der Begriff »Diskurs« für die »relations of ruling« (ebd.), die im Zuge der Analyse herausgearbeitet werden sollen.

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Dabei dienen »diskursanalytische Begriffe als Heuristik für die Analyse der unterschiedlichen Materialien«, da davon ausgegangen werden kann, »dass sich in allen diesen Materialien diskursive Praktiken entfalten, die situativ miteinander über Bedeutungsfelder und Referenzialitäten verwoben sind« (Ott und Wrana 2010). Ihn im Rahmen der vorliegenden Analyse zu verwenden, könnte dahingehend missverstanden werden, es ginge um eine Privilegierung von schriftlichen Quellen gegenüber ethnographisch gewonnenen empirischen Daten (vgl. Kapitel 3.1.2). Um dieses potenzielle Missverständnis zu vermeiden, wird im folgenden von einer ›problematisierenden Lektüre‹ gesprochen. Sie ist in einzigartiger Weise geeignet, die Schnittfläche zwischen Programmen, Rationalitäten, Diskursen und Praktiken in den Blick zu nehmen und das Performativwerden von Programmen in Praktiken als ein Sprachhandeln auszuleuchten. Sie leitet den Kodierungsprozess des Korpus an: »Das, worauf das Kodieren eigentlich abzielt, sind nicht die einzelnen Elemente selbst, sondern ihre Verknüpfungen untereinander. Um diese greifen zu können, wird das Konzept der Artikulation verwendet. Demnach setzen Artikulationen Elemente miteinander in Verbindung und stellen auf diese Weise Beziehungen einer spezifischen Qualität her – bspw. Beziehungen der Äquivalenz, der Opposition, der Kausalität oder der Temporalität.2« (Glasze et al. 2009, S. 296)

Die Analyse dieser Verbindungen geht der Artikulation von ›Kreativität‹ und der sich in ihr auf Dauer stellenden neuen Regierungspraxis auf den Grund, indem sie das im Korpus eingefangene »Beziehungsgefüge auf seine Problematisierungen und Praktiken hin befragt [...] und vor allem das ›wie‹ des Wirksamwerdens analysiert« (Marquardt und Füller 2010, S. 153). Sie lenkt den Blick auf die »Formen der Problematisierung und ihrer Programmatik, Instrumente der Machtausübung sowie Machtpraktiken im Vollzug« (Ott und Wrana 2010, S. 160) als »situierte diskursive Praktiken« (ebd.). Sie fokussiert auf die »Untersuchung von Praktiken im Modus ihres Vollzugs« wie auch auf »die Widerstände, die unerwarteten Gebrauchsweisen und die Gegenprogramme als Praktiken« (ebd., S. 159). Sie fragt nach dem Nexus zwischen Wissen und Macht, Sprechen und Handeln. Eine solche Form der Lektüre unterscheidet sich von gängigen Diskursanalysen, weil sie nicht nur statisch diskursive Formationen rekonstruiert, sondern Diskurse und agency im Prozess ihrer Artikulation aufspürt. Damit betont sie die Relationalität

2

In Anlehnung an Laclau und Mouffe sei hier noch einmal darauf verwiesen, dass Artikulation die Elemente nicht nur in Beziehung setzt, sondern sie in diesem Prozess modifiziert. Nachdem die Rationalitäten des Handelns der analysierten Akteur*innen und Institutionen und des Regierens im Korpus rekonstruiert waren, wurde sodann geschaut, wie sich diese durch das Auftreten neuer Artikulationen verschieben.

3. METHODISCHE OPERATIONALISIERUNG |

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und Dynamik von Diskursen und Praktiken im Modus ihres perlokutionären Performativwerdens. Sie ist machtsensibel, weil sie in Anlehnung an Foucault davon ausgeht, dass sich die »Ausübung von Macht [...] in Situationen [vollzieht], in denen verschiedene Wissensordnungen präsent sind und in diskursiven Praktiken artikuliert werden« (ebd., S. 179). Auf diese Weise wird das komplexe Verhältnis zwischen der diskursiven Seite des Kreativitätsskripts als mobile policy und den vielfältigen und kontingenten Machteffekten verständlich, die es in der Artikulation durch lokale Akteur*innen und mit bereits etablierten Rationalitäten des Regierens in der Stadt zeitigt. 3.2.2 Gütekriterien der Analyse Einer kritischen, gouvernementalitätstheoretisch informierten Arbeit kann es nicht einfach darum gehen, die Artikulation des Kreativskripts deskriptiv nachzuvollziehen und damit ›die Wahrheit‹ über Kreativpolitik in Frankfurt aufzudecken. Vielmehr ist zu fragen, wie unter Berücksichtigung der Machtverhältnisse und –spiele Kreativpolitik als eine Realität und Rationalität städtischen Regierens überhaupt erst hergestellt wird und welche Machteffekte die ›Wahrheiten‹, die sie erzeugt, zeitigen. Mit der problematisierenden Perspektive wird möglich, »aus dem üblichen ›Wahrheitsspiel‹ herauszutreten« und es »anders zu spielen« (Füller und Marquardt 2009a, S. 176). Wie aber kann man anders in das Wahrheitsspiel eintreten? Dies gelingt, indem in den folgenden zwei Kapiteln die Konstruktionsprinzipien dieser Arbeit offengelgt werden und einer immanenten Kritik unterzogen werden. Konstruktionen offenlegen Ebenso wie die städtische Politik selbst, ist auch die ›Wahrheit‹, die im Rahmen dieser Analyse erzeugt wird, eine Konstruktion. Wie Abbildung 2 zeigt, beginnt diese mit der Wahl der Fragestellung und der Analyseperspektive und setzt sich über die Entscheidung für konkrete Erhebungsverfahren und Analyseraster bis in die Formulierung der Ergebnisse der Studie fort. Das geschieht »nicht durch die kritische Selbstreflexion eines einzelnen oder kollektiven Subjekts [...], sondern durch eine kritische Neubeschreibung«, für die die Foucault’sche »Machtanalytik methodische Modelle« (Wolf 2003, S. 50, zit. n. ebd., S. 177) liefert. Wenn jedoch Wahrheit kein Qualitätskriterium zur Bewertung dieser Arbeit sein kann, wie kann sie dennoch methodisch überprüft werden? Die Konstruktionsprinzipien der eigenen Argumentation offenzulegen, ist die Aufgabe einer jeden kritischen Sozialforschung (vgl. Mayring 2002). Während die Wahl von Ausgangsfrage und Analyseperspektive bereits in Kapitel 1 und 2 begründet wurden, ist es die Aufgabe diese Methodenkapitels, die Konstruktion der empirischen Erhebung, Auswertungsverfahren und Ergebnisse darzulegen.

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Immanente Kritik üben Grundprinzip kritischer Forschung ist die immanente Kritik. Das bedeutet, analytische Begriffe, die an das Material herangetragen werden, müssen auf sich selbst anwendbar sein. Im Rahmen dieser Arbeit sind dies die Problematisierung wie die Des-/Artikulation. Abbildung 2: Konstruktionsprozesse im Forschungsprozess

Konstruktionen im Forschungsprozess

1.

… durch Wahl der Fragestellung

2.

… durch Wahl der Analyseperspektive und explizierten epistemologischen Annahmen

3.

… durch Wahl der Erhebungsverfahren

4.

… durch Analyseraster bei der Auswertung der verschriftlichten Erhebungsergebnisse

5.

… durch gemeinsame Artikulation von Empirie und Theorie bei der Verschriftlichung der Dissertation

Quelle: Entwurf und Grafik Iris Dzudzek

Mit der Perspektive der Problematisierung kann das erhobene Material danach befragt werden, wie Kreativität zu einem Problem städtischer Regierung in Frankfurt wurde und welche Machteffekte es im Zuge seiner Artikulation zeitigt (vgl. Problematisierung I). Im Rahmen einer kritischen Beobachtung zweiter Ordnung konstituiert die Problematisierung eine neue Form der Analyse. Sie fordert bestehende Erklärungen und theoretische Ansätze heraus, indem sie die politischen Bedingungen zur Disposition stellt, unter denen sie funktionieren (Howarth 2005, S. 319). Es geht also um eine »kritische Neubeschreibung« (vgl. Marquardt und Füller 2010, S. 151) der

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81

Sachverhalte, die Aspekte sichtbar werden lassen, die dominante theoretische Blickregime nicht zu erfassen vermögen und demnach um solche Formen der Problematisierung, die in Kapitel 2.3.2 als Modus der Kritik beschrieben worden sind. Eine ›kritische Neubeschreibung‹ liefert keine ›wahreren‹ Ergebnisse als dies ›konkurrierende‹ Ansätze tun, sondern konstruiert einen alternativen Wahrheitshorizont, mit dem Mainstreamansätze kritisiert werden können und mit dem Probleme und Fragen auf einer anderen Abstraktionsebene in den Blick kommen. Sie stellt einen wichtigen Schritt zur Beantwortung der Frage, »wie ist es möglich, dass man nicht derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren regiert wird« (Foucault 2009 [1978], S. 240) dar. Auch die Analyseperspektive der Des-/Artikulation kann auf sich selbst angewendet werden: Zum einen kann das erhobene Material danach befragt werden, inwiefern sich Kreativpolitik in Frankfurt artikuliert und welche Machteffekte diese Artikulation zeitigt. Gleichzeitig bildet die Des-/Artikulation das Konstruktionsprinzip mit dem verwendete theoretische Perspektiven mit der erhobenen Empirie in eine kritische Neubeschreibung des zu analysierenden Gegenstandes verwoben werden (vgl. Abbildung 3). Abbildung 3: Artikulation von erhobenem Material, Kontextualisierungen und wissenschaftlichen Konzepten in eine nicht-subsumptive Erklärung

Kapitel 5 - 8

Kapitel 4

Artikulation

Kontextualisierte Selbstbeschreibungen, Interviews

Verschriftlichte Beobachtungen

Erhobenes Material

policy paper StVPs, Presseberichte,

Wissenschaftliche Problematisierungen des Regierens von Kreativität

Gouvernementalitätskonzept, Performativitäts- und Diskurstheorie, Des-/Artikulation und Problematisierung als Kritik

Kontextualisierungen

Wissenschaftliche Konzepte

Quelle: Entwurf und Grafik Iris Dzudzek

Für die vorliegende Analyse bedeutet dies, dass das erhobene Material im Zuge der Verschriftlichung mit dem vorgestellten theoretischen Rahmen, der in Kapitel 2 ein-

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geführt wurde, und mit weiteren wissenschaftlichen Kontextualisierungen des Themas, die in Kapitel 4 vorgestellt werden, gemeinsam zu einer Erklärung artikuliert wird (vgl. Abbildung 3). »What are the precise conditions of possibility for an articulatory practice of this sort? First, the theoretical logics and concepts employed in any putative explanans must be consistent and compatible with the underlying ontological assumptions of discourse theory. [...] These can then be articulated together in conjunction with the relevant empirical raw materials to produce a coherent explanatory chain.« (Howarth 2005, S. 327)

Im Zuge des Analyseprozesses wird mit Hilfe der genannten Quellen eine nicht-deterministische oder nicht-subsumptive Erklärung des Prozesses der Emergenz und Regierung von Kreativpolitik entwickelt. Um dies zu leisten, verfährt die Analyse weder rein theoriegeleitet, noch rein empiristisch oder methodengeleitet (vgl. ebd., S. 318). Dazu müssen heterogene theoretische Annahmen und empirische Beobachtungen zu einer Erklärung zusammengebunden werden, ohne die zu erklärenden Elemente unter allgemeine Gesetze oder Abstraktionen zu subsumieren (vgl. Glynos und Howarth 2007, S. 178, Howarth 2005, vgl. Abbildung 3). »[I]t is only by linking theoretical and empirical elements in a non-subsumptive and non-eclectic fashion that one can produce a singular explanation of a problematized phenomenon.« (Glynos und Howarth 2007, S. 181)

Statt eine Erklärung auf eine kausale Kette oder sonst eine determinierende Erklärungsweise zu reduzieren, werden im Rahmen der artikulatorischen Praxis möglichst viele konstituierende Faktoren gebündelt. Howarth bezieht sich hier auf Karl Marx (vgl. Marx 1983 [1939], S. 35), der in den »Grundrissen« von »einer reichen Totalität3 von vielen Bestimmungen und Beziehungen« spricht, die einer Erklärung zugrunde liegen (Howarth 2005, S. 328). Denn jedes ausgereifte explanandum enthält eine Vielfalt an unterschiedlichen Rationalitäten, Logiken und Konzepten (ebd., S. 326). Howarth nennt diese Praxis der Generierung von Erklärungen in Anlehnung an Laclau und Mouffe »artikulatorisch« (vgl. Kapitel 2.4.2, S. 103 sowie Laclau und Mouffe 2006 [1985], S. 141), weil sich im Prozess der Artikulation der zu erklärende Gegenstand ebenso verändert wie die sie erklärende Theorie. »[T]he application of various theoretical and social logics to account for a particular problem involves a mutual modification of the logics and concepts articulated together in the process of explaining each particular instance of research. [...] Without such modification, the separations

3

In der englischen Version der »Grundrisse« wird »Totalität« mit »concentration« übersetzt.

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between different logics and concepts, and between those logics and the empirical problems investigated, would remain in place.« (Howarth 2005, S. 327)

Auf diese Weise entstehen Erklärungen, die dem in Kapitel 2 dargestellten poststrukturalistischen Verständnis entsprechen und die »das Verhältnis zwischen artikulierten Elementen als nicht notwendig und kontingent« (Glynos und Howarth 2007, S. 179) begreifen (vgl. Kapitel 2.2.1).

3.3 U MGANG MIT TEILNEHMENDER B EOBACHTUNG IM R AHMEN EINER G OUVERNEMENTALITÄTSANALYSE Im Rahmen einer Gouvernementalitätsanalyse mit teilnehmender Beobachtung zu arbeiten, bringt neben dem in Kapitel 3.2 skizzierten Erkenntnismehrwert auch drei Probleme mit sich. Erstens findet teilnehmende Beobachtung häufig in Arbeiten Anwendung, die ein Diskursverständnis zugrundelegen, das mit dem hier verwendeten gouvernementalitätstheoretischen Diskursbegriff nicht vereinbar ist. Zweitens gehen solche Arbeiten von einem anderen Subjektverständnis aus als die Gouvernementalitätsforschung. Dies hat Konsequenzen für das Rollenverständnis der Forschenden im Feld und der Frage, wie Beobachtungen im Feld verschriftlicht werden. Im Folgenden werden diese drei Probleme nacheinander offengelegt und beschrieben, welche Verfahren zum Umgang mit ihnen entwickelt wurden (vgl. Kapitel 3.3.1 – 3.3.4). 3.3.1 Der Diskursbegriff Die Forderung nach der Erweiterung von Programmanalysen um ethnographische Methoden, wie die im Rahmen dieser Untersuchung durchgeführte teilnehmende Beobachtung, wird häufig damit begründet, dass auf diese Weise neben den »diskursiven« auch »nicht-diskursive« Praktiken sichtbar würden (vgl. z. B. Bührmann und Schneider 2007, S. 5). Eine solche Argumentation verkürzt die Diskurstheorie auf Linguistik und ist mit einem gouvernementalitätstheoretisch informierten Diskursbegriff nicht vereinbar. Um die unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffes ›Diskurs‹ in den zwei verschiedenen Kontexten herauszuarbeiten, ist die Klassifikation nach Howarth hilfreich (vgl. Howarth 2005, S. 335 und Tabelle 1). Howarth teilt die gängigen Erhebungsmethoden in ›linguistische‹ und ›nicht-linguistische‹, ›reaktive‹ und ›nicht-reaktive‹ Verfahren ein. Ein gängiges Missverständnis beruht darauf, dass ›linguistische‹ Erhebungsverfahren häufig dem Bereich des ›Diskurses‹ zugeordnet werden und ›nicht-linguistische‹ dem Bereich des ›Nicht- oder Außerdiskursiven‹ (vgl. z. B. Bührmann und Schneider 2007, 2008, 2010, Keller 2007). Dabei wird Diskurs in

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einem engen Sinne verstanden als »set of symbolic representations and practices embodied in a range of texts, speeches and signifying sequences of all sorts« (Howarth 2005, S. 336). Tabelle 1: Kategorisierung der Erhebungsverfahren

Reactive

Linguistic Interviews

Non-reactive

Documents

Non-linguistic Participant observation, action research Images, constructs, architectures Grafik: Iris Dzudzek, Quelle: ebd., S. 335

Diese enge Lesart hat unter anderem deshalb eine gewisse Prominenz erlangt, weil Diskurstheorie häufig mit Programm- und Diskursanalyse gleichgesetzt wird, die komplett auf der Ebene von Verschriftlichungen in Form von Dokumenten, Zeitungstexten, Interviewtranskripten etc. verbleibt. In diesen Analysen werden Praktiken häufig mechanistisch als Effekte von Diskursen verstanden oder direkt mit ihnen gleichgesetzt (vgl. Kapitel 2.2.1). Dies ist insofern verwunderlich, als poststrukturalistische Diskurstheoretiker*innen immer wieder darauf hingewiesen haben, dass Diskurs eben gerade nicht auf Text reduziert werden kann (vgl. hier u. a. Denninger et al. 2010, Howarth 2005, Laclau und Mouffe 2006 [1985], Ott und Wrana 2010) und dass auch Foucault nicht von einer solchen Trennung4 ausging. Im Rahmen dieser Arbeit wird dagegen ein weites Verständnis von Diskurs zugrunde gelegt, das auch Daten, die aus nicht-linguistischen Verfahren gewonnen werden, als diskursiv versteht. Diskurs wird hier also als: »ontological category that specifies the interweaving of words and actions into practices« (Howarth 2005, S. 336) konzeptualisiert. Im Zuge dieser Arbeit steht entsprechend eine ›Analyse diskursiver Praktiken‹ im Vordergrund.

4

»Foucault uses the term discourse to analyze more than language. It also includes the assumptions, logics, and modes of articulation associated with particular uses of language.« (Miller und Fox 2009, S. 42). In der Tat spricht Foucault zwar in einer vielzitierten Aussage über Dispositive als »Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebenso wie Ungesagtes umfaßt.« (Foucault 1978, S. 119), woraus vielfach geschlossen wurde, dass Foucault »Institutionen und architekturale Einrichtungen« als »nicht-diskursiv« verstehe. Warum das nicht der Fall ist belegen Denninger et al. (2010) in ihrer Analyse eindrücklich.

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»[Die] ›Analyse diskursiver Praktiken‹ rückt das Postulat, dass der Gegenstand der Diskursanalyse genau genommen diskursive Praktiken seien, ins Zentrum [...]. Diskursivität wird nicht von der Textualität oder der Sprache her konzipiert, sondern von den sozialen Praktiken der Signifikation, die untrennbar mit Machtverhältnissen und institutionellen Rahmungen verwoben sind.« (Ott und Wrana 2010, S. 164)

Dieser Position liegt die Annahme zugrunde, dass »alle Wirklichkeit als Erfahrung nur durch den Diskurs existiert« (Denninger et al. 2010, S. 214). Damit wird nicht die Existenz einer außerdiskursiven Welt geleugnet, »sondern lediglich [...] ihre unvermittelte Erfahrbarkeit problematisiert. [...] Keine [...] Praxisform [...] ist ohne eine Bezeichnungspraxis als bedeutungsvoller sozialer Gegenstand erfahrbar« (ebd.). Im Rahmen einer gouvernementalitätstheoretischen Analyse wie der vorliegenden zeigt sich die gegenseitige Durchdringung von Linguistik und Praxis in der diskursiven Praxis des Regierens: Wie in Kapitel 2 dargelegt, leiten Rationalitäten des Regierens Technologien und Praktiken an, werden aber durch diese auch verändert. 3.3.2 Subjektverständnis Ebenso wie es Unterschiede im Diskursverständnis gibt, so kennzeichnen sich teilnehmende Beobachtungen in der Regel durch ein klassisches Subjektverständnis. Das Subjekt der Forscherin wird als cartesianisches verstanden, das in der Lage ist, durch Reflexion, die eigene Rolle im Feld schrittweise zu verstehen. Dieses aufgeklärte Wissen über das eigene Selbst wiederum ermöglicht es, sich schrittweise an das anzunähern, was das Feld kennzeichnet. Ein solches cartesianisches Verständnis des Subjekts, dass sich durch vernunftgeleitetes Verhalten an die eine Wahrheit und Rationalität des Feldes annähern kann, steht dem Subjektverständnis der Gouvernementalitätsforschung diametral gegenüber. Letzterer geht es im Gegenteil darum, »aus dem üblichen ›Wahrheitsspiel‹ herauszutreten« und es »anders zu spielen« (Füller und Marquardt 2009a, S. 176, vgl. Kapitel 3.2.2). Hier zeigt sich ein interessanter Widerspruch in poststrukturalistischen Arbeiten, die mit teilnehmender Beobachtung und Interviews arbeiten: Während die Forschenden herausarbeiten, wie die Subjekte, die sie interviewen und beobachten, durch das Feld konstituiert werden, tun sie selbst so, als seien sie cartesianische Subjekte, die sich vernunftbegabt der Wahrheit des Feldes annäherten (vgl. hierzu Langer 2013, S. 126). Um diesen Selbstwiderspruch zu vermeiden, der die Begriffe der eigenen Analyse nicht auf sich selbst anwendet, müssen Strategien einer ›poststrukturalistische Ethnographie‹ entwickelt werden, die – anders als ihre klassischen Vorgänger – nicht länger Wahrheit durch Anwesenheit im Feld bezeugen.

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Vielmehr geht es darum, die Mobilisierung unterschiedlicher und widerstreitender Wahrheitsregime im Feld und durch die Forscherin nachzuvollziehen (ebd., S. 233). Wie wurde Kreativität zu einem Problem der Regierung, zu dem sich die Subjekte im Feld verhalten müssen. Welche Probleme treten dabei auf? Einen solchen Blick auf unterschiedliche Wahrheitsregime bietet die problematisierende Perspektive, die die Normalität des Politikalltags hinterfragt und die Emergenz und Hegemonie von Regierungsstrukturen sichtbar machen kann. »In poststructuralist versions, subjects may well be the tellers of experience; but every telling is constrained, partial, and determined by the discourses and histories that prefigure, even as they might promise, representation.« (ebd., S. 232)

Wie die Forscherin den Prozess der Verschriftlichung ihrer Beobachtungen strukturieren und ihre Rolle im Feld so reflektieren kann, dass sie den Kriterien einer solchen poststrukturalistischen Ethnographie gerecht wird, wird nun im Folgenden diskutiert. 3.3.3 Verschriftlichung der Beobachtung Im Feldtagebuch werden die Beobachtungen während der Teilnahme notiert. Vor einem poststrukturalistischen Theoriehintergrund kann es nicht länger als unschuldiges Abbild der Realität verstanden werden. Vielmehr entpuppt es sich »als im Foucault’schen Sinne spezifische Technologien der Objektivierung, der Rationalisierung und der Abstraktion, mit denen [...] das Wissen anschlussfähig an das immer noch herrschende akademische objektivistische Wissenschaftsverständnis gemacht wird« (Hess et al. 2013, S. 24). Während Dokumente direkt als Texte erster Ordnung der Analyse zugänglich sind, müssen Beobachtungen durch die Forscherin verschriftlicht werden. Denn unabhängig davon, welche Form die Praktiken haben, die untersucht werden, sie müssen schlussendlich in Texte verwandelt werden, weil dies das hegemoniale Kommunikationsmedium der Wissenschaft darstellt. Dieser Vorgang geht mit erheblichen Konstruktionsprozessen einher, die durch das Blickregime der Forscherin einerseits und ihrer Fähigkeit zur Verschriftlichung andererseits geleitet werden. Die Tatsache, dass »Texte zweiter Ordnung« (Denninger et al. 2010, S. 215) ethnographische Fiktionen darstellen, die ein eigenes Wahrheitsregime konstruieren, ist aber kein Grund, eine solche Triangulation abzulehnen. Vielmehr müssen die

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Probleme und Konstruktionsprozesse, die bei der Beobachtung und ihrer Übersetzung in Schrift entstehen, offengelegt werden. Was dann entsteht, bezeichnet Britzman als »regulierende Fiktionen« (Britzman 1995, S. 236). Es bedarf also eines methodisch kontrollierten Übersetzungsprozesses der bereits diskursiv strukturierten Beobachtung durch das Blickregime in die Feldnotizen. Dabei ist »systematisch zu klären, wie Artefakte und Institutionen in je spezifischen Textformen verarbeitet werden« (Denninger et al. 2010, S. 215). Wenn Britzman – im Unterschied zu traditionellen Ethnographien – von Ethnographie als einer ›regulierenden Fiktion‹ spricht, die kontrolliert neue Wahrheitsregime hervorbringt, erkennt sie an, dass Wissen partiell, performativ und in Machtstrukturen verwoben ist. »Ethnographic narratives should trace how power circulates and surprises, theorize how subjects spring from the discourses that incite them, and question the belief in representation even as one must practice representation as a way to intervene critically in the constitutive constraints of discourses.« (Britzman 1995, S. 236)

Auf diese Weise wird das Zusammenspiel aus Macht und Wissen sichtbar, das ethnographische Erzählungen konstituiert. Marc Schulz weist darauf hin, »dass verschriftlichte Beobachtungen immer verdichtete und bereits interpretierte Geschichten sind« (Schulz 2010, S. 171). Entsprechend können sie im Rahmen der Analyse und Verschriftlichung in Veröffentlichungen auch weiter verdichtet werden. Eine solche Weiterverdichtung wird als »Feldvignette« bezeichnet. »Die Feldvignetten lassen durch absichtsvoll geformte, sprachliche Ästhetisierungen den Gegenstand der Darstellung in spezifischer Weise erst erstehen: Es werden Strukturierungen und Verdichtungen vorgenommen, Zusammenhänge, Zäsuren, Spannungsbögen und Pointen geformt. [...] Sie suggerieren nicht, dass sie ›objektive Realität‹ als einen Gegenstand abbilden können, sondern sie bieten [...] Blicke auf die sogenannten Tatsachen als etwas Gemachtes und Hergestelltes. Die Feldvignetten sind als Angebote eines speziellen Blicks also selbst immer schon konstruierend und performativ.« (ebd., S. 176)

In ihnen wird also »eine besondere Form des Blicks literarisiert« (ebd., S. 172), indem seine zugrundeliegenden Regeln sowie die Regeln der Konstruktion dieser Literarisierung offengelegt werden. Damit erlauben Feldvignetten, die Subjektivierung und Positionierung der Forscherin im Feld und das damit verbundene Blickregime sichtbar zu machen.

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3.3.4 Selbstreflexivität Die eigene Positionalität im Feld strukturiert den Zugang zu den Informationen, die erhoben werden sollen, und ist daher unbedingt mit zu reflektieren (eine ausführliche Reflexion der Rolle der Forscherin im Rahmen dieser Untersuchung vgl. Kapitel 3.4). Es ist entscheidend, in welcher Rolle man das Feld betritt. In meinem Fall eröffnete mir die Position als Hospitanz bei der Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH den Zugang zu den Rationalitäten des Regierens von Kreativpolitik. Genauso wichtig ist aber auch, wie das Umfeld die Rolle der Forscherin wahrnimmt und welche Eigenschaften es ihr zuschreibt. Auf dieser Grundlage kann sich Vertrauen bilden und der Zugang zu Informationen gelingen oder auch scheitern. Im vorliegenden Fall beispielsweise war es schwierig, kritische Stimmen gegenüber der Linie von Wirtschaftsförderung und Stadt einzufangen, wann immer ich als Teil der Wirtschaftsförderung auftrat. Gleichzeitig konnte ich mich im Rahmen meiner Tätigkeit gar nicht wehren, als Wissenschaftlerin wahrgenommen zu werden, was wiederum gewisse Erwartungen an meine Position erzeugte. Darüber hinaus beeinflussen Vorerfahrungen, Herkunft und Sozialisation das Wahrnehmungs- und Blickregime der der Forscherin maßgeblich. Die Vorstrukturierung des Blickregimes der Forscherin aber ist kein Manko. Sofern es kritisch reflektiert wird, ist es der Zugang zu einer Problematisierung zweiter Ordnung, die es ermöglicht, aus dem Wahrheitsspiel herauszutreten und zu fragen »[w]ie [...] es möglich [ist], dass man nicht derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren regiert wird« (Foucault 2009 [1978], S. 240). Dies wird idealtypischerweise durch die doppelte Subjektivierung der Forscherin im Forschungsprozess ermöglicht (vgl. Abbildung 4). Ihre Subjektivierung kann als doppelt beschrieben werden, weil sie einmal durch das Feld der Wissenschaft und einmal durch das Feld, in dem sie als Beobachterin auftrifft, konstituiert wird. Diese zwei Subjektivierungsweisen gilt es in eine produktive Spannung und einen kritischen Dialog zu bringen und Erkenntnisse aus dem einen Feld mit Erkenntnissen aus dem je anderen Feld kritisch zu befragen. Wie Abbildung 4 zeigt, geht der Eintritt in die teilnehmende Beobachtung mit einer Öffnung für Neues einher. Darüber hinaus wird die Forschende durch Anrufungen, die ihr aus dem Feld entgegengebracht werden, als ein bestimmtes teilnehmendes Subjekt konstituiert (zum Thema Rollenzuweisung im Feld siehe Bachmann 2009, S. 253) und selbst Teil der zu beobachtenden Strukturen. Im Fall der vorliegenden Analyse wurde mir die Rolle einer »Hospitantin« zugeschrieben und damit signalisiert, dass ich mehr weiß und leisten kann als die »Praktikantin«, als die ich

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mich selbst vorgestellt hatte. Dies ist aber nicht die einzige Subjektivierung, die während der Analyse stattfindet. Gleichzeitig ist sie immer auch als Forscherin aus dem Feld der Universität subjektiviert5. Abbildung 4: Doppelte Subjektivierung im Forschungsprozess Logik der Öffnung Feld der Universität

Öffnung der Wahrnehmung für Unbekanntes

Subjektivierung als Forscher*in Logik der Schließung

Strukturierung der Wahrnehmung durch wissenschaftliche Annahmen

Feld der teilnehmenden Beobachtung

Subjektivierung als Teilnehmer*in Ordnung und Normalität des Feldes

Logik der Schließung

Fremdwerden mit wissenschaftlichen Annahmen Hinterfragen der Ordnung und Normalität des Feldes Logik der Öffnung

Quelle: Entwurf und Grafik Iris Dzudzek

Die kreative Spannung, die zwischen den unterschiedlichen Subjektivierungsweisen entsteht, ermöglicht es, das Material danach zu befragen, inwiefern Kreativität im Feld als Problem konstruiert wird und zum Zweiten kann diese Form der Problematisierung wiederum im Sinne einer Beobachtung zweiter Ordnung problematisiert werden (vgl. Kapitel 2.3). Diese doppelte Subjektivierung erlaubt es weiter, immer wieder aus der beobachteten Situation herauszutreten, mit ihr wieder fremd zu werden und die im Feld als ›normal‹ wahrgenommenen Strukturen und Prozesse vor dem Hintergrund theoretischer Annahmen und empirischer Kenntnisse über das Feld sichtbar zu machen und zu problematisieren. Gleichzeitig führt die gewonnene Erfahrung zur Revidierung von Annahmen, die im Vorfeld bewusst oder zunächst unbewusst über das Feld getroffen wurden (in Fall der vorliegenden Untersuchung beispielsweise entfaltete sich die neoliberale Logik der Aktivierung von Kreativität als 5

Die Arbeit in einem so wissensintensiven Bereich wie der Wirtschaftsförderung weist signifikante Schnittflächen mit Feldern angewandter Forschung auf. Deshalb war in der Praxis der teilnehmenden Beobachtung die Trennung zwischen dem Feld der Universität und der Wirtschaftsförderung nicht immer so eindeutig aufrechtzuerhalten wie es das Schaubild suggeriert, was ausführlich in Kapitel 3.4 problematisiert und diskutiert wird.

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einer ›endogenen Ressource‹ in Frankfurt weit weniger stark als von mir im Vorfeld angenommen). Durch die doppelte Subjektivierung im Forschungsprozess entsteht eine kreative Spannung zwischen den Annahmen der Forscherin und den Ordnungen im Feld. Auf diese Weise wird ein kritisches, problematisierendes Blickregime ermöglicht, welches theoretische Annahmen und empirisches Material miteinander verzahnt, wodurch sich beide verändern (vgl. Abbildung 4). Dieser Blick ist problematisierend, weil die durch Wissenschaft und Feld subjektivierte Forscherin immer wieder eine kritische Distanz zu sich selbst einnimmt. In diesem Sinn erweist sich Reflexivität nicht als Möglichkeit der Kontrolle von Subjektivität, sondern als Möglichkeit der Beobachtung zweiter Ordnung, d. h. wie Subjektivität und die mit ihr verbundenen Macht-Wissen-Komplexe, die auch den Untersuchungsgegenstand konstituieren, entstehen. Dieses Blickregime war für die Phase der teilnehmenden Beobachtung forschungsleitend.

3.4 P OSITIONIERUNG

IM UND DURCH DAS

F ELD

An der Seite der Leiterin des Kompetenzzentrums Kreativwirtschaft betrete ich ebenso schwungvoll, gut gelaunt und selbstbewusst wie sie den großen Besprechungsraum der Wirtschaftsförderung. Der Gast, den sie empfängt, steht vor der großen Glasfront im 11. Stock, die gleich einer Imagebroschüre den Blick auf die Frankfurter Skyline im Abendlicht eröffnet. Er erschrickt leicht als wir eintreten. Wir begrüßen uns und ich merke, dass er in diesem Setting, das offizieller anmutet als sein betont lässiges casual outfit, etwas aufgeregt und nervös ist. Leiterin des Kompetenzzentrums Kreativwirtschaft: »Hallo Herr Schulz. Ich habe mal die Frau Dzudzek mitgebracht. Die ist von der Uni! [...] Wir arbeiten hier in der Wirtschaftsförderung immer am Puls der Zeit (lacht). Wollen wir uns setzen? Erzählen sie uns doch mal, was sie zu uns führt.« (Vignette, entstanden aus einer Feldnotiz vom 17.03.2011)

Die Begegnung, die dieser »Feldvignette« (Schulz 2010, S. 171) zugrunde liegt, ereignete sich in der dritten Woche meiner zweimonatigen, teilnehmenden Beobachtung im Kompetenzzentrum Kreativwirtschaft der Wirtschaftsförderung Frankfurt, über das mein Einstieg ins Feld erfolgte. Diese Vignette wird hier angeführt, weil sie in besonderer Art und Weise meine Rolle während der teilnehmenden Beobachtung wiedergibt. In der dritten Woche meiner teilnehmenden Beobachtung werde ich Dritten nicht mehr so vorgestellt, wie ich mich selbst und wie mich mein vermittelnder Kontakt in die Wirtschaftsförderung eingeführt hatten. Ich bin auf einmal nicht mehr die »Praktikantin«, die für ihre Arbeit zum Thema »Kreativwirtschaft in Frankfurt« an der Universität einen Einblick und erste Kontakte sucht. Stattdessen werde ich als »von

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der Uni« oder »unsere Hospitanz« vorgestellt. Später wird daraus in der Außendarstellung dann »Frau Dzudzek von der Uni, die zurzeit bei uns ist und an unserem ersten Kreativwirtschaftsreport mitschreibt« oder »unsere Kooperation mit der Uni«. Die Rolle, die mir im Rahmen der offenen teilnehmenden Beobachtung zugeschrieben wird, ändert sich nicht nur innerhalb der ersten Tage meiner Beobachtung. Mehr und mehr werde ich als »Expertin« angerufen. Den Kontakt hatte Peter Lindner als mein Betreuer der Dissertation hergestellt, der sich als Mitverfasser des Kreativwirtschaftsberichts für Frankfurt im Auftrag der Wirtschaftsförderung als Experte in diesem Feld profiliert hatte. Bei meiner Vorstellung hatten wir aber ebenso klar gemacht, dass ich im Gegensatz zu ihm »neu« in Frankfurt und im Thema der Kreativwirtschaft war. Auch wenn ich es mittlerweile schaffte, mich auch ohne Stadtplan einigermaßen in der Stadt zu bewegen, so verfügte ich doch in keinster Weise über ein Wissen, was für Menschen, die seit Jahren in der Stadt arbeiteten, von Vorteil hätte sein können. Ebenso neu war für mich das Thema Kreativwirtschaft, in das ich mich zwar einzulesen begann, von dem ich aber vor allem auf der Ebene der Stadt Frankfurt noch so wenig Ahnung hatte, dass ich keinen Rat hätte geben können und vor allem auch nicht wollen. Ich bemerkte, dass ich irritiert war, weil meine eigenen Erwartungen an die teilnehmende Beobachtung nicht erfüllt wurden. Ich hatte mir vorgestellt, als Praktikantin alles Mögliche zu lernen und dabei hin und wieder Fragen einer Unwissenden stellen zu können. Stattdessen wurde ich immer häufiger mit Gegenfragen konfrontiert und nach meiner Meinung gefragt. Immer wieder bemühte ich mich, den Expertinnenstatus, der mir zugeschrieben wurde, von mir zu weisen und reagierte auf Fragen nach meiner Meinung mit einer äußersten Zurückhaltung. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, mit meinem Unterfangen der höflichen Zurückweisung und Zurückhaltung das Gegenteil von dem zu bewirken, was ich intendierte. Denn je mehr ich mich zurückhielt, desto interessanter schien ich zu werden, wie eine weise Person, für die Schweigen Gold ist. Gleichzeitig begann ich direkt in der ersten Woche mit der Arbeit am Kreativwirtschaftsreport (Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2011) – einer Kombination aus einem Update zu den Kennzahlen der Frankfurter Kreativwirtschaft im Vergleich zum Kreativwirtschaftsbericht von 2008 (Berndt et al. 2008a) sowie einem Tätigkeitsbericht des Kompetenzzentrums Kreativwirtschaft. Auch wenn klar war, dass ich diese Aufgabe nicht so schnell bewältigen konnte wie es diejenigen hätten tun können, die den Kreativwirtschaftsbericht für Frankfurt verfasst hatten, kam ich doch recht schnell in die Materie rein und konnte, nach einer ersten Orientierungsphase, mitarbeiten. Ich hatte den Eindruck, schon bald unterschied ich mich in der Selbstständigkeit meiner Tätigkeit nicht von anderen Mitarbeiter*innen in der Wirtschaftsförderung, deren Aufgabe es war, anderen zuzuarbeiten. Darüber hinaus konnte ich nicht nur einem guten Teil der Erwartung der Leiterin des Kompetenzzentrums an meine Rolle gerecht werden, sondern nahm ihr eine Aufgabe ab, die sie selbst als

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unliebsam und Hürde wahrnahm. Auf diese Weise verteilten sich die Rollen neu und ich wurde zu einem produktiven Mitglied im Team. Ich wurde aber nicht nur intern produktiv, sondern auch in der Außendarstellung zu einem produktiven Mitglied der Wirtschaftsförderung. Obwohl ich hier und da die Expertinnenrolle nicht erfüllen konnte oder aus Sicht meines Gegenübers vielleicht sogar verweigerte, wurde ich dennoch nach außen mit einem gewissen Stolz präsentiert. Dabei schien die Tatsache, was ich als Wissenschaftlerin von der Uni über Kreativwirtschaft sagen konnte, weit weniger wichtig, als die Tatsache, dass ich von der Uni war. Meine bloße Anwesenheit als Wissenschaftlerin schien zu genügen, um zu zeigen, dass man die Legitimität auf seiner Seite hatte und »am Puls der Zeit« war. Ich hatte das Gefühl, zu einer ›Wahrheitsgarantin‹ zu werden. Wer die Wissenschaft auf seiner Seite hat, so schien es mir, hält den Trumpf im Spiel der wissensintensiven Industrie. Auf diese Weise wurde ich selbst als ›unproduktive‹ Wissenschaftlerin ungewollt ›produktiv‹. Diese Wahrnehmung meiner Person stand im Gegensatz zu meiner eigenen Wahrnehmung meiner Rolle im Feld. Idealtypischerweise war ich davon ausgegangen, dass es im Zuge der teilnehmenden Beobachtung zu einer doppelten Subjektivierung kommen würde (vgl. Kapitel 3.3.4). Ich erwartete, dass es etwas Mühe kosten würde, das Vertrauen der Beteiligten zu gewinnen, vor allem, weil in meiner Projektbeschreibung, die ich in der Anbahnungsphase zur Information verschickt hatte und die auch auf meiner Internetseite auf der Homepage »der Uni« zu finden war, der kritische Impetus meines Anliegens deutlich hervortrat. Den Begriff ›kritisch‹ meine ich hier nicht in dem Sinne, dass ich das, was die Wirtschaftsförderung tut, von vorherein als falsch vermutete. Vielmehr meine ich ›kritisch‹ hier im Sinne einer Wissenschaft, die nicht eins mit dem Gegenstand ist, den sie untersucht, sondern gerade aus dem Abstand zu ihm eine andere Wissensproduktion erzeugt, als dies Akteur*innen aus dem Feld tun würden (vgl. Kapitel 2.3.2). Doch all das war nicht der Fall. Von Seiten der Wirtschaftsförderung hatte ich großes Vertrauen und man war dankbar, dass ich Arbeit abnehmen konnte. Die Art von Wissensproduktion, die ich anstrebte, interessierte sie schlicht nicht und wurde für so unwichtig erachtet, dass es keinerlei Bestrebungen gab, mir Informationen vorzuenthalten. Stattdessen wurde ich fröhlich in alles Wissen eingeweiht, dass sie für wichtig erachteten. Das führte so weit, dass ich mich gleich am dritten Tag meiner teilnehmenden Beobachtung in einer äußerst skurrilen Situation wiederfand. Ich saß mit der Leiterin und einem weiteren Mitarbeiter des Kompetenzzentrums Kreativwirtschaft in der Straßenbahn auf dem Weg zu einem Termin. Die Leiterin nutze die Zeit, um einen Fragebogen auszufüllen. Die Urheberin des Bogens war eine Studentin, die ihre Abschlussarbeit über Kreativwirtschaft schrieb und der die Leiterin des Kompetenzzentrums ein direktes Interview aus Vertrauensgründen verweigert hatte. Während sie die Fragen beantwortete, erklärte sie mir haargenau, welche offenen oder geschickten Formulierungen

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sie wählte, »damit wir auch ne gute Figur« machen. Was unterschied mich von der Studentin? Die Tatsache, dass ich ein immer produktiveres Mitglieder der Wirtschaftsförderung wurde und immer besser an genau der Wissensproduktion mitarbeitete, die ich im Rahmen dieser Analyse untersuche, zwang mich, eine neue Haltung zu meiner Forschung zu gewinnen, in der die in Kapitel 3.3.4 vorgestellte doppelte Subjektivierung als Wissenschaftlerin und Teilnehmerin im Feld nicht mehr voneinander zu trennen war. In einem so wissensintensiven Bereich wie der Kreativwirtschaft unterschied sich mein Alltag in der Wirtschaftsförderung in vielen Praktiken gar nicht so sehr von dem in der Universität. Die Arbeit am Report, die die Strukturierung bereits vorhandenen Wissens, die zusammenfassende Darstellung abgeschlossener Tätigkeiten, die Auswertung quantitativer Daten sowie einer Einschätzung am Ende umfasst, stellt doch ein dem akademischen Arbeiten sehr ähnliches Aufgabenportfolio dar. Und dennoch unterschied sich mein Erkenntnisinteresse ganz wesentlich von dem Wissen, was ich in der Wirtschaftsförderung produzierte. Das liegt laut Hess et al. daran, dass »Wissenspraxen und -formate zwischen ›Forschenden‹ und ›beforschten Protagonisten‹ [...] immer ähnlicher, was bedeutet, immer leichter gegenseitig kommunizier- und transferierbar« (Hess et al. 2013, S. 29) werden. Dadurch verschärft sich »das Problem der Positionalität und Positionierung im Kontext von Expertenkulturen und der Hegemonialisierung von evaluativen Praktiken, die wissenschaftlich produziertes Wissen umgehend in gouvernementale Kreisläufe einspeisen« (ebd., S. 33). Im wissensintensiven Bereich der Kreativwirtschaft und gerade auch im Bereich ihrer governance spielt wissenschaftliches Wissen eine zentrale Rolle (vgl. Kapitel 4). Die Tatsache, dass ich in der Wirtschaftsförderung als Wissenschaftlerin wahrgenommen wurde, ist nicht verwunderlich, war ich im Zuge einer offenen teilnehmenden Beobachtung doch genauso eingeführt worden. Mir scheint aber, dass hier zwei verschiedene Verständnisse davon, was eine Wissenschaftlerin ist, am Werk sind und sich aufs Produktivste missverstehen. Die Art und Weise wie ich im Feld als ›unproduktive Expertin‹ produktiv gemacht wurde und mich produktiv machte sowie die Tatsache, dass meine kritische Haltung zum Feld bewusst als ›unwichtig‹ ignoriert wurde, werfen zahlreiche spannende Fragen auf, deren Beantwortung meinen Zugang zum Feld und die Struktur dieser Arbeit maßgeblich geprägt haben: Was hat es zu bedeuten, dass in diesem Feld ›Wissenschaftlerin‹ mit ›consultant‹ gleichgesetzt wird? Was hat es zu bedeuten, dass im Feld der Kreativwirtschaft unter ›Wissenschaft‹ eine Form der Wissens- und Wahrheitsproduktion verstanden wird, die sich nicht von dem sonst in diesem Feld erzeugten Wissen unterscheidet (beispielsweise durch einen ›anderen Blick auf die Dinge‹), sondern mit diesem identisch zu sein scheint? Welche Rolle spielt Wissen(-schaft) im Bereich der wissensintensiven Industrien wie der Kreativwirtschaft und im Rahmen ihrer Regierung, wenn Wissensproduktionsweisen denen der Wissenschaft immer ähnlicher werden? Inwie-

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fern ist Wissenschaft Komplizin im Wissen/Macht-Spiel der Regierung von Kreativität? Und in welcher Form reist Wissen aus der Institution der Wissenschaft in andere Bereiche wie Politik und Wirtschaft? Die Verschiebung meiner Subjektivierung als Wissenschaftlerin im Feld warf die zentrale Frage nach dem Verhältnis von Wissen – Macht – Regierung und Subjektivierung auf, deren theoretische Reflexion einen interessanten Einstieg in die thematische Auseinandersetzung mit dem Thema eröffnet haben (vgl. Kapitel 4) und auch den Blick auf das empirische Material maßgeblich prägen (vgl. Kapitel 5 bis 8). In Kapitel 4 wird genealogisch herausgearbeitet, wie Kreativität – im 19. Jahrhundert noch als anthropologische Grundkonstante des Künstler*innen- und Geniesubjekts verstanden – mit der Entstehung der Kultur- und Kreativindustrie zu einer sozialen Technologie der Führung und Regierung zunächst in Unternehmen und später auf der Ebene des (lokalen) Staates wurde. Zugleich wird der Stand der Forschung zum Thema Führung und Regierung von Kreativität skizziert. Dies aber soll nicht einfach deskriptiv geschehen, vielmehr wird – im Sinne der im Rahmen dieser Arbeit verfolgten Kongruenz von Inhalt und Form – die Perspektive der Problematisierung auf den Stand der Forschung angewandt und zu einer neuen Sicht auf den Gegenstand artikuliert (vgl. Kapitel 0). Das bedeutet konkret, dass gegenwärtige wissenschaftliche Problematisierungen erstens der Steuerung von Kreativität in Unternehmen, zweitens der Selbst- und Fremdführung kreativer Arbeiter*innen sowie drittens der Regierung von Kreativität in Städten, also Problematisierungen, die in Kapitel 2.3 als Problematisierungen erster Ordnung beschrieben wurden, mit Hilfe der Problematisierung zweiter Ordnung auf ihre Logik und innere Konsistenz befragt werden. Auf diese Weise wird Kreativität als eine Problematisierung und ein Bearbeitungsmechanismus gegenwärtiger Führungs- und Steuerungsprobleme in Unternehmen, auf der Ebene des Subjekts und in Städten verständlich und einer Kritik unterzogen. Die Ergebnisse dieser Problematisierung liefern die theoretische und empirische Hintergrundfolie, vor der die konkrete Artikulation von Kreativpolitik und Regierung von Kreativität in Frankfurt gelesen werden können. Kapitel 5 bis 8 behandeln die Des-/Artikulation und Regierung von Kreativpolitik sowie ihre Umkämpftheit und ihr Scheitern.

4. Regierung von Kreativität – Eine Problematisierung

Im Jahr 2002 veröffentlicht Richard Florida seinen Bestseller »The Rise of the Creative Class« (2002b). Laut Harvard Ökonom Edward L. Glaeser (2005, S. 593) ist »The Rise of the Creative Class« das erfolgreichste Buch in der Geschichte der Regionalökonomie. Es verkaufte sich millionenfach und avancierte schnell – obwohl nie ins Deutsche übersetzt – zur ›Bibel‹ für Stadtplaner*innen und -politiker*innen, die in kaum einer Verwaltungsstube fehlt. Richard Florida selbst verwandelte sich in kürzester Zeit von einem angewandten Wissenschaftler in einen heiß begehrten conhe Gagen bezahlen. Die Kernthesen des Buches können folgendermaßen zusammengefasst werden: Kreative wissensbasierte Industrien seien der Schlüssel für wirtschaftliche Prosperität in den Metropolen des 21. Jahrhunderts. Jobs folgten dabei den Kreativen und nicht umgekehrt, weil diese gut ausgebildete, kosmopolitische ›Klasse‹, sich ihren Standort nach ihren eigenen Präferenzen, also einer hohen Lebensqualität, einem weltoffenen Flair, spannenden kulturellen Angeboten und einem hohen Freizeitwert, frei auswählen könnte. Folglich stünden Städte in einem »War for Talent« (Florida 2005, S. 130, Chambers et al. 1998, Michaels et al. 2001), um ihre Position im internationalen Standortwettbewerb zu behaupten. Dabei seien vor allem jene Städte ökonomisch erfolgreich, die nicht in erster Linie sogenannte ›harte Standortfaktoren‹ wie Infrastruktur oder Steuervergünstigungen vorhielten, sondern ein »Wohlfühlklima für Kreative«. Das sind für Florida in erster Linie hippe urbane Viertel, kulturelle und Lifestyle-Angebote sowie ein internationales, vielfältiges Klima, das er mit fragwürdigen Indices wie dem »diversity-« oder »bohemian-Index« zu messen versucht.

4.1 D IE R EZEPTION

DER

F LORIDA -T HESE

In der Wissenschaft wird er breit rezipiert und bietet seit geraumer Zeit Anlass für zahllose Kreativwirtschaftsberichte, die von Regionen und Städten in aller Welt in Auftrag gegeben werden und an denen nicht wenige Wissenschaftler*innen – die

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meisten von ihnen Geograph*innen – verdienen. Internationale Institutionen veröffentlichten eine Vielzahl an Grünbüchern, Reporten und Ratgebern (UNESCO 2006, 2009, 2013, UNCTAD 2004, 2008, 2010, Europäische Kommission 2010, 2011). Auch in Deutschland wird das Thema von Politik und Verwaltung breit rezipiert. Seit 1992 (Arbeitsgemeinschaft Kulturwirtschaftsbericht NRW 1992), verstärkt aber seit Mitte 2000 sind in Deutschland über 60 Kreativwirtschaftsberichte (eigene Erhebung Dzudzek, Lindner und Nagorny) erschienen, die das Problem der Förderung und Steuerung von Kreativität für die jeweils Auftrag gebende Stadt oder Region näher ausformulieren und konkrete Handlungsempfehlungen entwickeln. Darüber hinaus finden zahllose Konferenzen und Tagungen statt, in denen sich Vertreter*innen aus Politik, Beratung und Wirtschaft über Strategien der Förderung und governance von Kreativwirtschaft austauschen1. Zwischen Mitte der 1990er Jahre bis Mitte des neuen Jahrtausends wird also in enger Kooperation von angewandter, häufig geographischer Wissenschaft, Stadt- und Regionalverwaltungen, Politiker*innen und Branchenvertreter*innen Kreativität als ein Problem und Gegenstandsbereich formuliert, das der stadtpolitischen Gestaltung und Steuerung bedarf. 4.1.1 Widersprüche Die Karriere Floridas als Politikberater und die euphorische Rezeption seiner Thesen durch Stadtpolitiker*innen aber verwundern nicht schlecht, wenn man einen genaueren Blick in den Bestseller wirft. Denn dort findet man – anders als man es von klassischer Politikberatungsliteratur vermuten würde und auch anders als es sein prominentester Kritiker Jamie Peck behauptet – gerade keinen »praktische[n] Ratgeber für besorgte Stadtväter und opportunistische Politiker« (Peck 2008, S. 102), kein »smart, energetic ›how to‹ manual« (Peck 2005, S. 755). Stattdessen findet man eine sehr deskriptive, von eigenen Erfahrungen geleitete Beschreibung des ökonomischen Erfolgs einer von ihm als ›kreative Klasse‹ titulierten Gruppe, den er auch statistisch zu belegen versucht. Florida liefert Beispiele für Städte, in denen es viele Kreative gibt und führt ihren ökonomischen Erfolg auf ebendiese Kreativität zurück. Im ersten Teil seines Buches diagnostiziert er die wachsende Bedeutung von Kreativität, im zweiten Teil skizziert er, welche Veränderungen dies in der Arbeitswelt zeitigt, das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den Implikationen für ›Leben und Freizeit‹. Mit kreativen Städten und ihrem Abschneiden im US-amerikanischen Vergleich befasst er sich im letzten Kapitel, das interessanterweise nicht mit ›Creative Cities‹, sondern 1

Beispielsweise »Re-Build This City! – Internationaler Kongress zur kreativen Stadtentwicklung« vom 30. bis 31. Mai 2008 in Frankfurt, »International Conference: Creative Industries – Governance of Metropolitan Regions« vom 12. bis 13. November 2009 in Leipzig, »Impulskonferenz Kultur- und Kreativwirtschaft NRW« am 2. September 2013 in Düsseldorf, etc.

4. REGIERUNG VON KREATIVITÄT |

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mit ›Community‹ überschrieben ist. Selbst im Fazit finden sich keine ›Handlungsempfehlungen‹ oder ›Tipps‹, wie dies in einem ›praktischen Ratgeber für Politiker*innen‹ oder auch in angewandten Wissenschaftspublikationen üblich ist. Interessanterweise ist gerade das Gegenteil ist der Fall: Florida schließt das letzte Kapitel seines Buches mit der Diagnose, dass Politiker*innen und policies gerade nicht die privilegierten Akteur*innen zur Schaffung einer »truly creative society« (Florida 2002b, S. 326) seien: »This is not something we can leave to the vagaries of chance, to the decisions of political leaders or even to the most forward-looking public policy.« (ebd.)

»We« bezieht sich in diesem Zitat und auch sonst in seinem Buch gerade nicht auf eine imaginäre Gruppe visionärer Politiker*innen oder Stadtplaner*innen, sondern auf die – wie der Titel des letzten Kapitels bereits vermuten lässt – imaginäre Community, die aus erfolgreichen Kreativen besteht. Die gelegentlichen Handlungsempfehlungen, die Florida in seinem Buch lanciert, sind an Kreative sowie diejenigen gerichtet, die Teil dieser, in Floridas Augen erfolgreichen, avantgardistischen Community werden möchten. Seine Handlungsempfehlungen sind normativ, weil sie keinerlei Gesellschaftskritik umfassen. Sein Credo: Die Wirtschaft verlangt Kreativität, wenn Du hip und erfolgreich sein willst, such Dein Glück in den kreativen Industrien. Nicht Städte, sondern communities, zu denen er sich selbst zählt, sind die Adressaten von Florida, weil er Stadtverwaltungen und -politik die Kraft und Fähigkeit, die notwendig wäre, Städte in die von ihm gewünschte Richtung zu steuern, abspricht. Dabei bleibt unklar, ob dies dem US-amerikanischen Fokus seiner Analyse geschuldet ist, in dem Städte ohnehin viel weniger fiskalische, planerische und politische Gestaltungsspielräume haben, als dies in europäischen Städten der Fall ist, oder ob dies – wie in der polit-ökonomischen Interpretation – im Kontext einer zunehmenden Neoliberalisierung gelesen werden muss, die auch mit einem sukzessiven Rückzug des Nationalstaates und einer Überforderung der Kommunen einhergeht. »Strong communities, not any institutions within them, are the key to social cohesion. As group attachments break down, the community itself must be the social matrix that holds us together, much as it is now the economic matrix that matches people to opportunities and companies to people.« (ebd., S. 324)

Die communities, von denen Florida spricht, sind Einheiten, die sich durch persönliche Beziehungen kennzeichnen, also unterhalb der städtischen Ebene angesiedelt, aber global vernetzt sind. In Floridas Logik substituieren Sie den (Lokal-)Staat und seine Aufgaben durch persönliche Beziehungen und Netzwerke, was natürlich nur in reichen communities funktioniert.

98 | KREATIVPOLITIK »Communities can no longer attract and retain people simply by offering a high-paying job, an affordable place to live and a fast way to get between the two. People are more likely to personally commit to selecting and maintain a community if it is diverse, desirable, authentic and cohesive place to live and work.« (ebd.)

Entsprechend ist es für Florida auch weniger wichtig, Forderungen an die Politik zu stellen und diese für die neuen ökonomischen Herausforderungen in Stellung zu bringen. Vielmehr setzt er eher auf eine do-it-yourself-Logik, die sich nicht mehr auf die lenkende Kraft des Staates verlässt, Gemeinschaften zu bilden und in ihnen tätig zu werden. »We cannot hope to sustain a strong Creative Economy in a fractured and incoherent society. Thus our economic and social challenges are inextricably intertwined. [...] The key is to create new mechanisms for building social cohesion.« (ebd., S. 323)

Bemerkenswert ist, dass das Buch vor allem bei denjenigen so viel Anklang findet, denen Florida die Unfähigkeit zur Schaffung, Anziehung und Steuerung kreativer Industrien und communities bescheinigt. Dieser Widerspruch evoziert die Frage, wie Kreativität zu einem Problem und einer Aufgabe der Regierung in Städten werden konnte und noch dazu zu einem, dem so viel politische, planerische, administrative und mediale Aufmerksamkeit zuteil wurde. Warum fühlten sich Städte auf einmal berufen, Kreativität zu steuern, wo ihnen Florida doch gerade die Fähigkeit, dies zu tun absprach? Ebenso erstaunlich wie die Tatsache, dass Städte sich von jemandem beraten lassen, der ihre Kompetenz in Frage stellt, ist, dass es in der breiten Rezeption so gut wie niemanden gibt, der/die Floridas Thesen nicht kritisieren würde. Von seinem Doktorvater Peter Marcuse (2011) über den bekannten Harvard Ökonomen Edward L. Glaeser (2005) seinen dezidiertesten und bekanntesten Kritiker Jamie Peck (2005, 2009, 2010a, 2012) bis hin zu angewandten regionalökonomischen Schriften (z. B. Edensor et al. 2010, Markusen 2006, Markusen und Gadwa 2010, Milligan 2003, Pratt 2008), einer Vielzahl von Kreativwirtschaftsberichten (Berndt et al. 2008a, Glückler et al. 2010b) und der Wirtschaftsförderung Frankfurt: Alle kritisieren Florida: als Apologeten des neuen Urbanismus, der Wohlhabenden weißen Mittelschicht, des Neoliberalismus (vgl. McCann 2007, McLean 2014, Peck et al. 2009). Sicherlich sind Floridas Thesen auch die mit Abstand am häufigsten kritisierten Thesen. In meiner Auseinandersetzung mit dem Thema ist mir bislang niemand, auch nicht aus dem sehr angewandten und wirtschaftsliberalen Umfeld, begegnet, der keine Kritik an Florida geäußert hätte. Auch dieser Widerspruch provoziert Fragen: Wie kann ein so häufig und auch aus den Reihen des angewandten Mainstream heraus kritisiertes Buch eine derartige Popularität erlangen, derart oft rezipiert und im Rahmen von Kreativstadtprogrammen zur Anwendung gebracht werden?

4. REGIERUNG VON KREATIVITÄT |

99

4.1.2 Problematisierung der Widersprüche Im Folgenden werde ich mich mit den im vorangegangenen Kapitel herausgearbeiteten Widersprüchen detailliert auseinandersetzen. Dafür werde ich die in Kapitel 2.3 vorgestellte Perspektive der Problematisierung fruchtbar machen. Denn bei genauem Hinschauen haben die Bearbeitungsmechanismen der beiden diagnostizierten Widersprüche die Form von Problematisierungen erster und zweiter Ordnung. Während die Frage, wie Kreativität zu einem Problem der Regierung in Städten wurde, die Problematisierungen erster Ordnung im Feld genealogisch nachzeichnet, stellt die Frage nach der Rolle von Kritik an diesem trotzdem erfolgreichen Konzept eine Problematisierung zweiter Ordnung dar. Es liegt bereits eine Vielzahl an wissenschaftlichen Untersuchungen und Kritiken vor, die die Frage der Steuerung und Regierung von Kreativität auf der Ebene der Problematisierung erster Ordnung untersuchen. Sie lassen sich grob in drei Literarturkorpora gliedern: Die Problematisierung der Steuerung von Kreativität in Unternehmen, der Selbst- und Fremdführung kreativer Subjekte sowie der Regierung der kreativen Stadt. Allen Kritiken ist gemeinsam, dass sie in der einen oder anderen Weise Kreativität qua Kritik als Problem der Regierung und Führung konstituieren. Aus diesem Grund soll die Frage wie Kreativität in Unternehmen, bei kreativen Subjekten und in der kreativen Stadt zu steuern ist, nicht ein weiteres Mal anhand von Primärquellen rekonstruiert werden, sondern eine Analyse ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitungen vorgenommen werden. Ein solches Vorgehen hat zwei entscheidende Vorteile: Zum einen kann auf diese Weise der Stand der Forschung zum Thema skizziert werden und zum anderen können die bereits vorliegenden wissenschaftlichen Problematisierungen und Kritiken der Steuerung und Regierung von Kreativität von mir einer Problematisierung zweiter Ordnung unterzogen werden. Das bedeutet, dass ich das Korpus aus Problematisierungen der Steuerung und Regierung von Kreativität erster Ordnung einer analytischen Bewegung unterziehen werde, in welcher »die Wahrheit [der Problematisierungen erster Ordnung] auf ihre Machteffekte hin zu befragen [ist] und die Macht auf ihre Wahrheitsdiskurse hin« (Foucault 2009 [1978], S. 242). Dazu werde ich zunächst genealogisch herausarbeiten, wie Kreativität zu einem Problem der Führung und Regierung wurde und welche neuen Managementtechnologien sich zunächst in Unternehmen und später in Städten zur Regierung und Lösung dieses Problems durchsetzten (vgl. Kapitel 4.2). Hier wird sich zeigen, dass bereits früh Kritik, die das Paradox der Steuerung und Disziplinierung von etwas so Unsteuer- und Undisziplinierbarem wie der Kreativität thematisierte, zu einem entscheidenden Movens der Verbesserung der governance von Kreativität wurde. Sodann diskutiere ich aktuelle Problematisierungen kreativer Arbeit, wie sie sich im Über-

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gang von der Regierung von Kreativität in Unternehmen zum kreativen unternehmerischen Selbst herausgebildet haben (vgl. Kapitel 4.3). Im Vordergrund stehen dabei vor allem auch der Übergang von Fremd- zu Selbstführungsmodi sowie aktuelle Problematisierungen gegenwärtiger Arbeits- und Selbstverhältnisse in den kreativen Industrien (vgl. Kapitel 4.4). Diese genealogischen und archäologischen Betrachtungen der Problematisierung der Führung von und durch Kreativität in der Welt der Ökonomie und Arbeit bieten eine gute Folie, um gegenwärtige Problematisierungen von Kreativität in Städten zu verstehen, denn viele der Steuerungsformen, die die Regierung der kreativen Stadt kennzeichnen, kommen aus dem Bereich des Managements kreativer Unternehmen. Städte wie auch Unternehmen sehen Kreativität als Problembearbeitungsmodus, der durch entsprechende Regierungstechnologien (kreative Managementstrategien, Anrufung von Menschen als kreativ) erschlossen werden kann. Kreativität ist dabei weniger eine anthropologische Grundkonstante einiger ›begabter‹ Individuen, sondern etwas, das durch Problematisierungen und ihren entsprechenden Bearbeitungsmodi und Regierungstechniken erst hergestellt wird. Sie ist damit gleichzeitig Lösung und Lösungsstrategie für gegenwärtige Probleme der Wertschöpfung in der unternehmerischen Stadt. Anschließend zeige ich, wie Kreativität zu einem Problem der Regierung von Stadt wurde, das Floridas Gesellschaftsdiagnose in ein bestimmtes Regierungsprogramm übersetzt und welche Rolle der inner- wie außerakademischen Wissensproduktion dabei zukommt. Die Struktur meines Arguments folgt dabei einer Problematisierung zweiter Ordnung, die stets die kritische Distanz zu den Problematisierungen sucht, Teil derer ich als Mitglied der wissenschaftlichen Gemeinschaft bin, und die ihre Logiken, Rationalitäten und Funktionsweisen hinterfragt. Dies ermöglicht es mir, den Problematisierungen erster Ordnung eine Kritik zweiter Ordnung hinzufügen, die gängige Problematisierungen der der kreativen Stadt kritisch auf ihre Machteffekte befragt. Auf diese Weise könnten die ersten Unterfragen der Ausgangsfrage nach der Artikulation und Regierung von Kreativität in Frankfurt beantwortet werden, und zwar: − −

Auf welche Problematisierungen von Kreativität wird bei der Artikulation dieser neuen Form der Regierung zurückgegriffen? Welche Rationalitäten des städtischen Regierens und der Politik kennzeichnen dieses Politikfeld?

Das Kapitel liefert damit die Folie, vor deren Hintergrund dann im zweiten Teil der Arbeit die empirischen Ergebnisse der Fallstudie gelesen werden können (vgl. Kapitel 5 bis 7).

4. REGIERUNG VON KREATIVITÄT |

4.2 K REATIVITÄT

IN

101

U NTERNEHMEN

Wie wurde Kreativität zu einem Problem der Führung und Steuerung in Unternehmen? Welche Rolle spielt Kritik in diesem Zusammenhang? Mit diesen Fragen befasst sich das folgende Kapitel. Die wichtigsten Problematisierungen und systematischen Übersetzungsleistungen des Problems der Regierung von Kreativität sind nicht in erster Linie im Bereich der Kulturproduktion im engeren Sinne zu finden, sondern im Bereich der Unternehmensführung und der Subjektivierung unternehmerischer Selbste (Menger und Scheiffele 2007, S. 181)2, die im Folgenden eine nähere Betrachtung erfahren. Mit seinen Wurzeln in der »Künstlerkritik3« (Boltanski und Chiapello 2003 [1999], S. 215, critique artiste Boltanski und Chiapello 1999, S. 262) der sozialen 2

Unternehmer*innen und Alleinselbstständige waren historisch aber nicht der einzige Ort, an dem Kreativität problematisiert und neuen Formen der Regierung und Führung zugeführt wurden. Weitere Felder waren die der Kunst und Kultur (Bismarck 2003, Menger 2006, S. 13 – 34, Menke und Rebentisch 2010, Pollesch 2010, Reckwitz 2008, 2010, 2012, S. 54 – 132, Reither 2012) sowie der Psychologie (Ehrenberg 2010, 2011 [1998], Rau 2010a, 2010b, Reckwitz 2012, S. 198 – 238), auf deren Rolle bei der Herausbildung eines Regimes der Regierung von und durch Kreativität an dieser Stelle nur verwiesen werden soll und die im Folgenden implizit über die zunehmende Durchdringung unternehmerischen Handelns im ›autonomen Feld der Kunst‹ beispielsweise durch neue Formen kuratorischen Handelns sowie im Feld der Psychologie durch die zunehmende Inkorporierung von Prinzipien kreativer Führung mitverhandelt werden.

3

In der deutschsprachigen Übersetzung von »Le nouvel esprit du capitalisme« (Boltanski und Chiapello 1999) wird »la critique artiste« (ebd., S. 262) mit »Künstlerkritik« (Boltanski und Chiapello 2003, S. 215) übersetzt. Diese Übersetzung ist problematisch, weil sie leicht als ›Kritik der Künstler‹ missverstanden werden kann. Damit blendet sie den semantischen Hof aus, den Luc Boltanski und Ève Chiapello in »Le nouvel esprit du capitalisme« ausführen. Sie arbeiten heraus, dass die »critique artiste« in den 1960er Jahren vor allem an der Entfremdung der Arbeit geübt wird (Boltanski und Chiapello 1999, S. 262). Zwar kommen die Forderungen nach Autonomie und Selbstbestimmung aus einem künstlerischen Milieu, sie bleiben aber nicht auf dieses beschränkt. Mit der Kritik können sich tendenziell alle Menschen, die von entfremdeter Arbeit betroffen sind, identifizieren und die Forderungen der »critique artiste« finden bald in all denjenigen Tätigkeiten Resonanz, in denen sich Autonomie und Selbstständigkeit als rentabel erweisen. Dies ist nicht nur die künstlerische Tätigkeit im engeren Sinne, sondern betrifft alle kreativen Tätigkeiten, in denen Selbstführung und eigenständige Problemlösungsfähigkeiten gefragt sind. Diese reichen von Manager*innen bis hin zu Hausmeister*innen. Um diesen Zusammenhang nicht auszublenden, werde ich im folgenden stets die französische Originalbezeichnung verwenden und von »critique sociale« und »critique artiste« sprechen (ebd.).

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Bewegungen Ende der 1960er Jahre an der Monotonie und Entfremdung fordistischer Arbeitsverhältnisse und gipfelnd in der Debatte über die »Humanisierung des Arbeitslebens« (Salfer und Furmaniak 1981) wurde Kreativität zusammen mit Werten wie Freiheit, Selbstbestimmung und -verwirklichung zum Inbegriff neuer und »humanerer« Arbeitsverhältnisse, in denen sich Produktionssteigerungen durch Motivation und Identifikation mit der Arbeit erzielen ließen, sowie zum Schlüssel des Erfolgs in den wissensbasierten Ökonomien (Becker 2001, Drewes und Engelmann 2008, Gorz 2005, Junge 2008). Im Folgenden wird herausgearbeitet, wie die Kritik an der Kulturindustrie sukzessive in neuen Problematisierungen reartikuliert wurde und sich so in neue Regierungs- und Führungstechniken übersetzte. 4.2.1 Die Kulturindustriethese von Adorno und Horkheimer Die wohl berühmteste Kritik an ›der Kulturindustrie‹, von der damals noch im Singular gesprochen wurde – haben Theodor W. Adorno und Max Horkheimer 1944 in ihrem Kapitel »Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug« in ihrem Hauptwerk »Dialektik der Aufklärung« (Adorno und Horkheimer 1969 [1947]) formuliert. Ausgehend von der These: »Die Kulturwaren der Industrie richten sich [...] nach dem Prinzip ihrer Verwertung, nicht nach dem eigenen Gehalt und seiner stimmigen Gestaltung« (Adorno 1967 [1963], S. 203) entwickelten sie eine Theorie, die im Kern besagt, dass die Massenprodukte der Kulturindustrie zu einer ideologischen Verbrämung führten und eine Zustimmung der Massen zum hegemonialen Mainstream organisierten, der nur darauf ausgerichtet sei, den Interessen der Großindustrie zu dienen. Dabei fragten diese in ihrer Freizeit die (kulturellen) Massenprodukte nach, die sie während ihrer Arbeitszeit erzeugten (ebd., Adorno und Horkheimer 1969 [1947]). »Schließlich braucht die Kulturindustrie gar nicht mehr überall die Profitinteressen direkt zu verfolgen, von denen sie ausging. Sie haben in ihrer Ideologie sich vergegenständlicht [...] Kulturindustrie geht über in public relations, die Herstellung eines good will schlechthin [...] An den Mann gebracht wird unkritisches Einverständnis, Reklame gemacht für eine Welt, so wie ein jedes kulturindustrielles Produkt seine eigene Reklame ist« (Adorno 1967 [1963], S. 203). Durch die massenhafte Reproduktion kultureller Güter verlören diese ihre auratische Wirkung, die »Autonomie der Kunstwerke [...] wird von der Kulturindustrie tendenziell beseitigt« (ebd.). Und so kommen sie zu dem Schluss: »Was an der Kulturindustrie als Fortschritt auftritt, das unablässig Neue, das sie offeriert, bleibt die Umkleidung des Immergleichen« (ebd.). Adorno und Horkheimer verstehen die Kulturindustrie als eine fordistisch geprägte Ökonomie, die sich durch eine »Angleichung an industrielle Organisationsformen« (ebd., S. 204) wie die der Stahl- oder Ölindustrie kennzeichne. Sie neige

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daher zu starker Monopolbildung. In diesem industriellen Gefüge werde jede Kreativität durch die Einhegung in das Angestelltenverhältnis und die damit einhergehende soziale Unterwerfung erstickt: »Die Möglichkeit, zum ökonomischen Subjekt, Unternehmer, Eigentümer zu werden, ist vollends liquidiert. Bis hinab zum Käseladen geriet das selbständige Unternehmen, auf dessen Führung und Vererbung die bürgerliche Familie und die Stellung ihres Oberhaupts beruht hatte, in aussichtslose Abhängigkeit. Alle werden zu Angestellten, und in der Angestelltenzivilisation hört die ohnehin zweifelhafte Würde des Vaters auf.« (Adorno und Horkheimer 1969 [1947], S. 162)

In ihrer massenhaften Verbreitung kennzeichne sich die Kulturindustrie durch die »willentliche Integration ihrer Abnehmer« wie auch ihrer Produzent*innen »von oben« (Adorno 1967 [1963], S. 202) und habe daher einen totalisierenden Effekt. Und so kommt Adorno zu dem Schluss: »Tatsächlich ist die Kulturindustrie wichtig als Moment des heute herrschenden Geistes« (ebd., S. 205), weshalb sie sie als »Massenbetrug« bezeichnen (Adorno und Horkheimer 1969 [1947], S. 128). Hier träte »Anpassung [...] kraft der Ideologie der Kulturindustrie anstelle von Bewußtsein« (Adorno 1967 [1963], S. 207) und verhindere somit »die Bildung autonomer, selbstständiger, bewußt urteilender und sich entscheidender Individuen« (ebd., S. 208). Die Hoffnung auf Emanzipation aus diesen Verhältnissen entspringe aus der Zerrissenheit der Konsument*innen »zwischen dem vorschriftsmäßigen Spaß, den ihnen die Kulturindustrie verabreicht, und einem nicht einmal sehr verborgenen Zweifel an ihren Segnungen« (ebd., S. 206), der sich wenig später in den 1968er Protesten gegen die Massenkultur äußern sollte. 4.2.2 Kritik an der Kulturindustriethese Medien- und Poptheoretiker*innen wie John Fiske (2013 [1989]) in Großbritannien, Thomas Frank (1997) in den USA und Theoretiker*innen wie Christoph Gurk (1997), Tom Holert und Mark Terkessidis (1997b) haben diese kulturpessimistische Problematisierung der Kulturindustrie vor dem Hintergrund sich verändernder Gesellschaftsverhältnisse kritisiert. Thomas Frank argumentiert in seinem viel zitierten Werk »The Conquest of Cool« (1997), dass gerade die Gegenkultur, die in den 1968er Protesten ihren Ausgang nahm, mit ihrer Ablehnung von Disziplin und Massenkultur und ihren Forderungen nach Authentizität, Selbstverwirklichung und Differenz zentral für die Erneuerung des Kapitalismus sowie des in die Krise geratenen fordistischen Produktionsmodells war. Die von ihm analysierten Industrien ›Werbung‹ und ›Männermode‹ beschreibt er als Gegenkultur. Diese bedrohe die Konsum-

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kultur nicht, sondern fungiere vielmehr als Hoffnungsträger und symbolischer Verbündeter im Kampf‹ gegen bürokratische Verfahrensweisen und hierarchische Strukturen, die sich seit der Nachkriegszeit etabliert hatten (vgl. ebd., S. 9). Ähnlich argumentiert auch der postoperaistische Theoretiker Paolo Virno (2005). Er betont die Wichtigkeit von Vielfalt und Differenz in den kulturellen Industrien und kommt zu einer grundlegend anderen Einschätzung ihrer Behandlung im Postfordismus als dies Horkheimer und Adorno für die fordistisch organisierte Kulturindustrie diagnostiziert hatten. Eine relative Autonomie innerhalb der kulturindustriellen Produktion, die sich der vollkommenen Unterwerfung unter die Logik der Verwertung widersetzt, sei ein Schlüssel für ihren Erfolg. »In der Kulturindustrie war es also durchaus notwendig, dem Informellen, dem Nicht-Geplanten, dem plötzlichen Sicheinstellen des Unvorhergesehenen, der kommunikativen und schöpferischen Improvisation einen gewissen Raum zu überlassen; nicht, um die menschliche Kreativität zu fördern, wohlverstanden, sondern um eine zufrieden stellende Produktivität der Firma zu erreichen« (ebd., S. 77). Virno stellt die These auf, dass Kritik, Dissidenz und Differenz zum seriellen Mainstream – anders als bei Adorno und Horkheimer – nicht permanent von den fordistischen Regeln der Akkumulation nivelliert werden, sondern zum zentralen Moment der »Überwindung des Fordismus und Taylorismus« (Raunig 2007, S. 71) werden, das damit »das Paradigma der postfordistischen Produktion in ihrer Gesamtheit auf den Punkt gebracht [hat]. Insofern bin ich auch der Ansicht, dass die Verfahrensweisen der Kulturindustrie von einem bestimmten Zeitpunkt an exemplarischen Charakter angenommen haben und in alle anderen Bereiche eingedrungen sind. In der Kulturindustrie, auch in jener von Adorno [...] untersuchten archaischen Form, findet sich die Vorwegnahme einer Produktionsweise, die sich dann mit dem Postfordismus allgemein durchsetzt und zum Rang eines Kanons aufsteigt« (Virno 2005, S. 76, Hervorheb. i.O.). Der Konformitätsthese Adorno und Horkheimers, die Kulturindustrie gleiche sich an »industrielle Organisationsformen an« (Adorno 1967 [1963], S. 204) und »alle Massenkultur unterm Monopol ist identisch« (Adorno und Horkheimer 1969 [1947], S. 128), setzt Christoph Gurk am Beispiel der Musikindustrie ein zunehmend differenziertes Feld an kleinen Indie-Labels sowie den schwindenden Einfluss der Majors entgegen. Nicht Monopole, sondern eine diversifizierte Palette an hoch spezialisierten Produkten kleiner Anbieter*innen dominierten den Markt (vgl. Gurk 1997, S. 30). Der Aufstieg von Kritik und Differenz zum Leitmotiv postfordistischer Produktion in den Medien- und Poptheorien der 1990er Jahre brachte drei konsequente Neubewertungen der Kulturindustrie mit sich: erstens ihre konsequente Verhandlung als ›kulturelle Industrien‹ im Plural, zweitens eine radikale Infragestellung

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der Trennung von Kultur und Ökonomie4 als separate gesellschaftliche Sphären sowie drittens eine Neubewertung ihres Akkumulationsregimes, das ihre Kritiker*innen als ›Differenzkapitalismus‹ bezeichnen (ebd., S. 20). Auch die Hegemoniethese in der »Dialektik der Aufklärung« (1969 [1947]), die die Kulturindustrie den ökonomischen Interessen der traditionellen Schlüsselindustrien nachgeordnet sieht, wird hier radikalisiert, weil die Prinzipien der kulturellen Industrien, nämlich die Inkorporierung und Produktion von Differenz zu einem Charakterisierung postfordistischer Wertproduktion werden. »Wie die Dinge stehen, haben wir es mit einer Ökonomie zu tun, die in Zeiten dichtester Marktkonzentration eine extreme Vielfalt an kulturellen Leistungen hervorbringt, und diese Leistungen sind am Markt umso besser verwertbar, je erfolgreicher sie versprechen, die Option auf Anderssein an den Konsumenten weiterzugeben.« (Gurk 1997, S. 34)

Als Beispiel sei hier auf die wohl prominentesten Werbekampagnen der 1990er Jahre verwiesen, welche alle Differenz, Vielfalt oder Dissidenz als zentrales Moment inszenieren. In diesem Jahrzehnt warb die Bekleidungsfirma Benetton mit den Bildern von Oliviero Toscani, zu denen, neben der bunten Inszenierung ethnischer Differenz, auch Skandalbilder wie z. B. die blutverschmierte Uniform eines im Bosnienkrieg gefallenen Soldaten gehörte. 1995 untermalte »The Revolution Will Not Be Televised« von Gil Scott-Heron in der Rap-Version von KRS-One, ein Protestsong im Geiste der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und Aufruf zur politischen Emanzipation, der konsumkritisch Texte aus zeitgenössischen Werbetexten paraphrasiert, den Werbespot der ›Revolution‹-Kampagne von Nike (vgl. Borries 2013, S. 112). 1997 wirbt Apple mit dem Slogan »think different« und folgendem Text der Werbeagentur TBWA aus Los Angeles. 4

Durch die konstruktivistische Wende sowie die Entwicklung postmoderner und poststrukturalistischer Theorien zunächst in den Kultur- und Sozialwissenschaften später auch in der Kultur- und heterodoxen Wirtschaftsgeographie wurden zahlreiche Versuche unternommen, die Trennung zwischen der Sphäre der Ökonomie und der Kultur als Erfindung des 19. Jahrhundert zu dekonstruieren. Wegweisend war hier der Text von Frederic Jameson über die »Logik der Kultur im Spätkapitalismus« (Jameson 1986). Für eine Übersicht der Diskussion in der Geographie siehe die in den ›Transactions of the Institute of British Geographers‹ geführte Debatte zwischen Don Mitchell (1995, 1996), Peter Jackson (1996), Denis Cosgrove (1996) sowie James Duncan und Nancy Duncan (1996), siehe auch Noel Castree (2004), Phil Crang (1997), Richard Peet (1997) und Trevor Barnes (2003, 2005, 2006). Für die neomarxistische Seite der Debatte siehe David Harvey (1989b), Don Mitchell (2000) sowie Bob Jessop und Stijn Oosterlynck (2008); für den poststrukturalistischen Zweig siehe Nigel Thrift (1996, 2000) oder Julie Katherine Gibson-Graham (2005, 2006).

106 | KREATIVPOLITIK »Here’s to the crazy ones. The misfits. The rebels. The troublemakers. The round pegs in the square holes. The ones who see things differently. They’re not fond of rules. And they have no respect for the status quo. You can quote them, disagree with them, glorify or vilify them. About the only thing you can’t do is ignore them. Because they change things. They push the human race forward. And while some may see them as the crazy ones, we see genius. Because the people who are crazy enough to think they can change the world, are the ones who do.« (Apple Inc. 1997)

Differenz erweist sich als ein Mittel der Generierung von Nachfrage bei kulturellen Gütern, die unendlich substituierbar sind oder in gesättigten Märkten operieren (Power 2010, siehe auch Beckert 2011, Hartley 2004, Hutter 2011, Ravasi et al. 2011). Der Manipulationsthese, die in der Kulturindustrie den »Zwangscharakter der sich selbst entfremdeten Gesellschaft« sieht, der zu einem »Zirkel von Manipulation und rückwirkendem Bedürfnis« nach den Produkten der Kulturindustrie auf Seite der Konsumenten führe, »in dem die Einheit des Systems immer dichter zusammenschießt« (Adorno und Horkheimer 1969 [1947], S. 129), setzt Christoph Gurk entgegen, dass im Feld der Kulturindustrie nur eine geringe »Integration ihrer Abnehmer von oben« (Adorno 1967 [1963], S. 202) zu beobachten sei und stattdessen eine Anpassung in der Produktion an zunehmend differenzierte Kundenwünsche (Gurk 1997, S. 27). Gingen Adorno und Horkheimer noch »von einem passiven Konsumenten aus, dessen Bedürfnisse durch die Penetrationstechniken der Kulturindustrie immer schon manipuliert sind« (ebd., S. 22), sehen Pop- und Medientheoretiker*innen wie beispielsweise Thomas Frank Mitte der Neunziger im »hip consumerism« (Frank 1997, S. 26) eine entscheidende Form, an Gesellschaft teilzunehmen und sich über die Wahl von Produkten bestimmte Lebensstile anzueignen. Tom Holert und Mark Terkessidis beschreiben die Jugendkultur der 1990er als »Generation X«, die die totale Kommerzialisierung der gegenkulturellen Zeichen und Symbole nicht ablehnt, sondern sie fröhlich konsumiert, sich aneignet und weiterschreibt. Die Kommerzialisierung der ausdifferenzierten Jugend- und Protestkulturen und ihre Verfestigung zu konsumorientierten Lebensstilen, in die man sich durch die Wahl der richtigen Zeichen und Symbole einkaufen kann, beschreiben sie als »Mainstream der Minderheiten« (1997a). »Wo sich Dissidenz einmal des Konsums bediente, so bediente sich nun der Konsum der Dissidenz. Alles war zu gebrauchen, was Identität durch Differenz versprach. Die Generation X löste eine Menge Probleme: Sie schweißte die Diversifizierten als Konsumrebellen zusammen und verteilte sie gleichzeitig auf verschiedene Minderheiten. So hatten nun alle die gleichen Werte: bewußt kaufen, Stil erwerben – und konnten je nach minoritärem Gusto zielgruppenoptimiert angesprochen werden.« (ebd., S. 7)

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In diesem Sinne radikalisieren die Poptheoretiker*innen die Totalisierungsthese Adornos und Horkheimers, nach der die Kulturindustrie in alle Lebensbereiche vordringt, weil sie unter postfordistischen Vorzeichen über den Konsum bis in die Identitäts- und Begehrensstrukturen des Subjekts vordringt (Žižek 2010). »Alle Rebellion bestätigt ab dem Moment, wo sie die Form der Ware oder Kaufentscheidung annimmt, die Logik einer Kulturindustrie, die scheinbar niemanden mehr ausschließt, weil sie auf der ständigen Suche nach neuen Märkten ist« (Gurk 1997, S. 34). Kultureller Konsum wird zu einer dominanten, aber differenzierten Subjektivierungsweise. Dennoch aber lehnen sie eine kulturpessimistische, fatalistische Lesart des Subjekts ab und argumentieren, beeinflusst von den lebendigen Ausläufern der 1968er Gegenkultur, dem dissidenten Pop, der kritischen do-it-yourself-Punk-Kultur sowie postmoderner Theorieentwicklung, dass ein kulturindustrielles Produkt ein Text sei, dessen Bedeutung nie endgültig determiniert oder gar seinen Rezipient*innen aufgezwungen werden könnte. »Er überlässt sich, wie widerwillig auch immer, den Verwundbarkeiten, Grenzen und Schwächen seiner bevorzugten Lesart. Er beinhaltet – während er versucht diese zu unterdrücken – Stimmen, die denjenigen, die er favorisiert, widersprechen. Er hat lose Enden, die sich seiner Kontrolle entziehen, sein Bedeutungspotenzial übertrifft seine eigene Fähigkeit, diese zu disziplinieren, seine Lücken sind groß genug, um ganze neue Texte in diesen entstehen zu lassen – er befindet sich, im ureigensten Sinne des Wortes, jenseits seiner eigenen Kontrolle.« (Fiske 2013 [1989], S. 170)

Poptheoretiker*innen sehen darin die Möglichkeit, populärkulturelle Produkte für alternative Sinnzuschreibungen zu entwenden und neu anzueignen (ebd., S. 180). Im Gegensatz zu Adorno schöpfen sie »gerade aus der Warenförmigkeit von Pop gewisse Hoffnungen auf Demokratisierung« (Gurk 1997, S. 20), weil diese die weite Distribution von Werten erlaubt, die von einer breiten Masse, vielfältig neu angeeignet und weitergeschrieben werden kann. In diesem Sinne kommt Diedrich Diederichsen zu dem Schluss: »Nie war Bedeutungsproduktion so wichtig, als Rohstoff des Marktes wie als Ferment des Gesellschaftlichen – und ist damit im Prinzip auch einer neuen Politisierung zugänglich« (Diederichsen 2013 [1999], S. 258). Nachdem in diesem Kapitel herausgearbeitet wurde, welche Rolle Kritik und die Einführung von Differenz für die Entwicklung von der Kulturindustrie zu den kulturellen Industrien hat, wird im Folgenden diskutiert, wie die herausgearbeiteten Formen von Kritik und Differenz zu Problematisierungen in Unternehmen wurden und welche neuen Strategien der Führung und des Managements diese zeitigten.

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4.2.3 Regierung durch Kreativität und Inkorporierung von Kritik Eine Antwort auf Frage, wie die herausgearbeiteten Formen von Kritik und Differenz zu Problematisierungen in Unternehmen wurden und welche neuen Strategien der Führung und des Managements diese zeitigten, bietet eine breit angelegte Studie von Luc Boltanski und Ève Chiapello, die ein Korpus von Managementliteratur aus den 1960er Jahren mit einem aus den 1990er Jahren vergleicht (Boltanski und Chiapello 2003 [1999]). Sie postulieren einen Wandel hin zu einer neuen Phase des flexiblen Kapitalismus, den sie in Anlehnung an Max Weber (2006 [1920]) den »Neuen Geist des Kapitalismus« nennen (Boltanski und Chiapello 2003 [1999], weiterführend vgl. auch Deutschmann 2008, Eickelpasch et al. 2008, Wagner und Hessinger 2008). Dieser kennzeichnet sich durch die Herausbildung neuer Managementmodi, die Kreativität, eigenverantwortliches Handeln, flache Hierarchien, Selbstverwirklichung, Spaß und Freiheit in den Vordergrund stellen. Diese Entwicklung interpretieren sie als eine Inkorporierung von Kritik, wie sie im Zuge der 1968er Bewegung am System und den Bedingungen in der Arbeitswelt formuliert wurden. Sie umfasst zwei Dimensionen: die critique sociale und die critique artiste (Boltanski und Chiapello 1999, S. 262). Die critique sociale zielt auf den Verlust von erkämpften Rechten und Sicherheiten in der Arbeitswelt und prangert zunehmende Armut und Ungleichheit an. Ihre Hauptprotagonist*innen sind Parteien und Gewerkschaften. Die critique artiste richtet sich gegen die Normierungs- und Rationalisierungstendenzen des fortgeschrittenen fordistischen Akkumulationsregimes (ebd.). Die zunehmende Rationalisierung der Facharbeit weckte Befürchtungen, der Mensch könne bald gänzlich überflüssig werden, routinierte Arbeitsabläufe wurden als Entfremdung der Arbeit diskutiert. Doch nicht nur die Produktions-, sondern auch die Konsumptionssphäre stand in der Kritik. Boltanski und Chiapello sehen in den französischen Mai-Unruhen 1968 den Höhepunkt der Kritik an der Eindimensionalität und Inauthentizität der Konsumkultur, der Vermassung, der »konsensuellen Nivellierung«, der »konformistischen Herrschaft einer Gesellschaft, die sich die Zerstörung jeglicher Differenz zum Ziel gesetzt hat« (Boltanski und Chiapello 2003 [1999], S. 475). Thomas Frank diagnostiziert die Inkorporierung von Kritik für die USA bereits vor 1968. »In the 1950ies and early 1960ies, leaders of the advertising and menswear business developed a critique of their own industries, of over-organization and creative-dullness, that had much in common with the critique of mass society which gave rise to the counterculture.« (Frank 1997, S. 9)

Zunehmend wurden Forderungen laut, die Freiheit der persönlichen Entfaltung, Kreativität, Authentizität, Einzigartigkeit, Vielfalt etc. in den Arbeitsprozess einbringen

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zu können, um so der Entfremdung der Arbeit entgegenzuwirken. Flache Hierarchien und eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung sind weitere wichtige Forderungen der Zeit. In Deutschland beispielsweise wird anlässlich dieser Sorge das Programm zur »Humanisierung des Arbeitslebens« (Salfer und Furmaniak 1981) als Kooperation aus staatlichen, gewerkschaftlichen und wissenschaftlichen Akteur*innen aus der Taufe gehoben. Es umfasst verschiedene Offensiven zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Betrieben, um mehr Raum für Persönlichkeitsentwicklung und Selbstverwirklichung zu schaffen. Boltanski und Chiapello argumentieren, dass viele Forderungen aus dem Katalog der critique artiste nicht nur umgesetzt werden, sondern dass die critique artiste darüber hinaus zu einem Motor des damaligen Kapitalismus wird, dessen fordistisches Akkumulations- und Regulationsregime in der Krise steckte. Die Anerkennung von Forderungen der critique artiste aber wurde laut Boltanski und Chiapello gegen die critique sociale ausgespielt: Die zunehmenden Möglichkeiten der Selbstverwirklichung bei der Arbeit, neue Freiheiten, mehr Flexibilität und flachere Hierarchien sind die »Mechanismen, mit denen der Kapitalismus einen Freiheitsgewinn bietet und gleichzeitig neue Unterdrückungsformen schafft« (Boltanski und Chiapello 2003 [1999], S. 472). Sie wurden mit zwei wesentlichen Konsequenzen erkauft. Erstens dem Verlust bekannter Sicherheiten, die mit dem sogenannten Normalarbeitsverhältnis assoziiert waren, und zweitens der Ausdehnung der Marktsphäre: »Auf den nachdrücklichen Wunsch nach Differenzierung und Entmassung Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre antwortete der Kapitalismus, indem er diese Forderung endogenisierte. Diese Vereinnahmung vollzog sich in Form einer Ökonomisierung. Güter und Praktiken, die in einer älteren Entwicklungsphase außerhalb der Marktlogik gestanden hatten, wurden in ›Produkte‹ umgewandelt, die über einen Preis auf dem Markt getauscht werden können. Die Ökonomisierung ist der einfachste Prozess, wie der Kapitalismus eine Kritik gültig anerkennen, in seinen Strukturen aufnehmen und sich so zu eigenen machen kann.« (ebd., S. 476)

Boltanski und Chiapello argumentieren, dass das »Angebot unverfälschter Güter und menschlicher Beziehungen in Warenform [...] die einzig mögliche Reaktion auf die Authentizitätsforderung [war ...], die sich mit der Akkumulationsnorm vereinbaren ließ« (ebd., S. 478). Eine so verstandene Authentizität beinhaltete aber nicht länger eine Absage an Warenwelt, materiellen Komfort und ›Materialismus‹, wie sie noch für die Kritik an der Konsumgesellschaft in den Jahren nach dem Mai 1968 charakteristisch gewesen war, sondern ihre radikale Differenzierung nach den Wünschen der Konsument*innen. Auf diese Weise wurde laut Boltanski und Chiapello die Inkorporierung der critique artiste zu einem Krisenbearbeitungsmodus des fordistischen Akkumulationsregimes und einem Motor zur Erneuerung des Kapitalismus.

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Die neuen »Authentizitätsforderungen« schafften eine Nachfrage nach differenzierten Produkten, die Teil von Selbstverwirklichungsstrategien wurden und den Übergang von der Produzent*innen zur Konsument*innengesellschaft markierten. Die Inkorporierung der critique artiste führte nicht nur dazu, dass Kreativität zu einer zentralen Ressource im Produktionsprozess wurde, sondern stellte das Management vor die paradoxe Aufgabe seiner Führung. Reflexionen über Kreativität lassen sich zwar mindestens ins 19. Jahrhundert und die zeitgenössischen Debatten über das Künstler*innengenie zurückverfolgen (Reckwitz 2012), eine Problematisierung als Gegenstand der Menschenführung und Regierung erfuhr Kreativität aber zunächst im Zuge des Aufstiegs der Kulturindustrie sowie später durch Veränderungen im häufig als postfordistisch bezeichneten Akkumulationsregime. Seither sind zahllose Managementratgeber entstanden, die bis heute nichts an Aktualität eingebüßt haben (vgl. z. B. Bilton 2006, Townley und Beech 2010). Sie liefern alle Problematisierungen und bieten Lösungen für das, was ich – in Anlehnung an folgende Beobachtung von Ulrich Bröckling – das ›Kreativitätsparadox‹ nennen möchte: »Kreativität soll einerseits mobilisiert und freigesetzt werden, andererseits soll sie reglementiert und gezügelt, auf die Lösung bestimmter Probleme gerichtet, von anderen aber ferngehalten werden.« (Bröckling 2007, S. 153)

Wenn die für ökonomischen Fortschritt und Erfolg so wichtigen Ideen und Innovationen am ehesten in freien kreativen, nicht standardisierbaren Prozessen ablaufen, wie müssen dann Management und Führung im Unternehmen aussehen, um Kreativität möglichst effektiv in Gang setzen und abschöpfen zu können? Entsprechend paradox fallen die Handlungsanweisungen für Manager*innen und Mitarbeiter*innen aus: »Deviance is the source of all innovation« (Mathews and Wacker zit. n. (Bröckling 2003, S. 19) oder »If it’s creativity you want, you should encourage people to ignore and defy superiors – and, while you’re at it – get them to fight among themselves« (Sutton 2001, S. 95) sind die Losungen, die diese Ratgeber ausgeben. In der Regel werden Werte wie Autonomie, Selbstbestimmung und Freiheit angerufen, um kreative Leistungen abzufragen, was Ulrich Bröckling polemisch auf den Punkt bringt. »Bakunin5 is back in town – im Nadelstreifenanzug, mit Beratervertrag, Powerpoint-Präsentation und bisweilen mit Bühnennebel: Ein Heer von Managementgurus und Unternehmensconsultants, von Persönlichkeitstrainern und Ratgeberautoren ruft die Revolution im Unternehmen aus und bedient sich hemmungslos im Fundus avantgardistischer und subversiver Traditionen. Sie propagieren Partizipation statt formaler Autorität, Eigenverantwortung statt hierarchischer Kontrolle, Autonomie statt Fabrikdisziplin. Was vor nicht all zu langer Zeit noch als point de 5

Michail Aleksandrovič Bakunin war ein russischer Revolutionär und Vordenker der anarchistischen Bewegung.

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résistance gegen Entfremdung, Ausbeutung oder Unterdrückung in Anschlag gebracht wurde, fungiert inzwischen als sozialtechnologisch zu erschließende Ressource.« (Bröckling 2003, S. 19)

Ein Beispiel für die professionelle Übersetzung und Reartikulation von Kritik in neue Management- und Führungstechnologien für Unternehmen stellen die Gebrüder Schnelle dar. In den 1960er Jahren entwarfen sie das erste Organisationskonzept für ein Großraumbüro in Deutschland für die Abteilung »Bild und Ton« der Firma Bertelsmann (Rumpfhuber 2013, S. 27), was auf den Prinzipien der freien Kommunikation, des eigenverantwortlichen Handelns und der Selbstorganisation in kleinen Teams basierte. 2007 entwickelte Wolfgang Schnelle mit seiner Firma metaplan das Organisationskonzept für das neue Unilever-Haus in der HafenCity in Hamburg nach den neuesten Erkenntnissen darüber, wie durch Kontaktzonen und wohnzimmerartige Bereiche eine Wohlfühlatmosphäre entsteht, die Mitarbeiter*innen zu Höchstleistungen anspornen soll (Losmann 2012). In regelmäßigen Abständen veröffentlicht Schnelle die »Anleitungen zum Lesen organisationswissenschaftlicher Bücher«. In seinem »13. Brief« befasst er sich mit dem damals jüngst erschienenen Buch »Der flexible Mensch – Die Kultur des neuen Kapitalismus« von Richard Sennett (1998). In diesem Buch kritisiert Sennett die Ideologie der Flexibilisierung sowie die mit ihr einhergehenden Managementtechnologien in Unternehmen als »ein Arbeitsethos« und eine »Gruppenerfahrung der erniedrigenden Oberflächlichkeit« (ebd., S. 133). Genau diese Technologien wie »flexible Ordnungsformen in der Produktion wie die Gruppenarbeit, die Verteilung der Arbeit auf Netzwerke und [...] die Organisationsform ›selbstregulierender Einheiten‹« (Schnelle 1998, S. 2) sind es, die Schnelle und sein Organisationsberatungsunternehmen propagieren: »Ich habe diese Stellen so ausführlich zitiert, weil ich es kürzer gar nicht wiedergeben kann. Als Organisationsgestalter komme ich nicht umhin, modernen Leitbildern ›guten‹ Managements und ›guter‹ Arbeitsgestaltung zu folgen. Nach dem Lesen dieses Buches werde ich das mit mehr Nachdenklichkeit tun. [...] Verbreitet Sennett lediglich Kulturpessimismus? Ich glaube, dass er uns zur Auseinandersetzung mit den Anpreisungen des Fortschritts in der Arbeitswelt auffordern will, damit wir ihre Schattenseiten erkennen und vielleicht lindern können.« (ebd., S. 4)

Die Reflexion Schnelles liefert ein gutes Beispiel für die Verwertungslogik von Kritik im flexiblen Kapitalismus. Seine Betroffenheit und das Ernstnehmen der Kritik Sennetts zeigen, dass er sich mit der Kritik identifiziert und diese nicht einfach ablehnt. Die Reaktion Schnelles aber zeigt auch, wie Problematisierungen von Kritik in Managementhandeln funktionieren, nämlich selektiv. Was bei Schnelle Gehör findet, ist nicht die generelle Infragestellung der Modi der Flexibilisierung, die Sennett in seinem Buch thematisiert, sondern ihre strategische Anpassung an die gegenwärtigen

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Anforderungen der Produktion. Indem Schnelle das Problem auf diese Weise umformatiert, kommen nur noch ganz bestimmte Lösungsoptionen in den Blick: Es geht lediglich darum business-as-ususal »mit mehr Nachdenklichkeit« zu betreiben (ebd.), um »Schattenseiten erkennen und vielleicht lindern« (ebd.) zu können, anstatt die von Sennett diagnostizierten Probleme an ihrer Wurzel anzugehen. 4.2.4 Zwischenfazit: Kritik als Motor der Erneuerung Im ersten Teil dieses Kapitels wurde gezeigt, wie die Problematisierung und Kritik an der Kulturindustrie von ihr inkorporiert wurde. Es wurde gezeigt, wie dies zu ihrer Erneuerung als ›kulturelle Industrien‹ geführt hat mit Kreativität, Vielfalt und Differenz als neuem Leitmotiv. Der zweite Teil hat gezeigt, wie diese Kritik in Form von Problematisierungen in Unternehmen reartikuliert wurde und zur Herausbildung neuer Managementregime in Unternehmen beitrug. Diese Problematisierungen in Form neuer Managementstrategien beschränkten sich nicht länger nur auf die als kulturell bezeichneten Produktionszweige, sondern wurden im Übergang vom Fordismus zum Postfordismus für alle Wirtschaftszweige interessant, in denen selbstständiges, eigenverantwortliches Handeln und Kommunizieren eine Rolle spielte. Auf diese Weise hatte sich Kreativität durch die Inkorporierung von Kritik an ihren kulturindustriellen Produktionsbedingungen zunächst in ein Problem der Aktivierung und Führung und dann in einen Modus seiner Bearbeitung mittels neuer Managementtechnologien in Unternehmen verwandelt. Kreativität verändert sich damit von einer anthropologischen Eigenschaft, die Genies und Künstler*innen vorbehalten ist, über ihre Problematisierung als Problem der Führung in eine soziale Technologie. Die Freisetzung von Kreativität ist damit nicht länger eine Frage des Musenkusses, sondern der richtigen Anwendung ebendieser Technologie wie das Beispiel Schnelles zeigte. Vor diesem Hintergrund lässt sich auch die diskursive Verschiebung von den kulturellen Industrien hin zur Kreativwirtschaft (auf Englisch zu den creative industries) sowie Floridas breite Definition von ›kreativer Klasse‹ verstehen, die auch Banker*innen und Software-Hersteller*innen umfasst. Die Darstellung der Genealogie von Kreativität als Problem der Führung in Unternehmen bietet eine gute Folie, vor der die Entstehung von Kreativität als Problem der Regierung von Stadt gelesen werden kann. Auch Richard Floridas Problematisierung von Kreativität beispielsweise entstand nicht im luftleeren Raum, sondern greift auf andere Problematisierungen zurück, die das richtige Management von Kreativität als Problem in Unternehmen konstruieren. Ein zentrales Kapitel seines Buches behandelt ausschließlich die Rolle von Kreativität in der Arbeitswelt. Wichtiger Referenzpunkt für ihn ist beispielsweise die McKinsey-Studie »The War for Talent« (Chambers et al. 1998), die 2001 in das gleichnamige, vielzitierte Buch (Michaels et al. 2001) mündete und kreatives Talent als zentralen Faktor für Unternehmenserfolg

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vorstellt, der in der Unternehmensführung ebenso beachtet werden müsse wie bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter*innen.

4.3 K REATIVE A RBEIT Wurde im letzten Kapitel die Herausbildung eines Regierens durch Kreativität in Unternehmen und die damit einhergehenden Problematisierungen der Regierung kreativer Arbeit in der Kulturindustrie in den 1940er bis 1960er Jahren und dann in Form neuer Managementtechnologien seit Ende der 1960er Jahre bis Ende der 1990er betrachtet, gilt die Aufmerksamkeit des folgenden Kapitels gegenwärtigen Formen der Problematisierung kreativer Arbeit, die sich zunehmend aus Unternehmen und ihren Angestelltenverhältnissen lösen. Diese Verlagerung vom kreativen Unternehmen zum/zur Alleinselbstständigen, zum »Arbeitskraftunternehmer« (Voß und Pongratz 1998) wie die Arbeitssoziologie ihn nennt oder zum kreativen »Unternehmer seiner selbst« wie Ulrich Bröckling ihn in Anlehnung an die Vorlesungen über die »Geschichte der Gouvernementalität« Michel Foucaults und die governmentality studies betitelt, hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Problematisierungen erfahren. Diese kommen vor allem aus der Arbeitssoziologie (Huber 2012, Kocyba 2005, Moldaschl 2001, Moldaschl und Voß 2002, Pongratz und Voß 2003, Ronneberger 2006a, Voß und Pongratz 1998), der postoperaistischen Theorie (Hardt 2003, Kustner und Tsianos 2007, Lazzarato 2007, Lazzarato 2009, Moulier Boutang 2003, Negri et al. 1998, Tsianos und Papadopoulos 2007), der Kultur- und Kunsttheorie (Diederichsen 2009, 2010, Hess 2003, Holert 2010, McRobbie 2002, 2007, 2009, Pollesch 2010, Reckwitz 2010), der Sozialpsychologie (Ehrenberg 2010, 2011 [1998], Neckel und Wagner 2013, Rau 2010b, 2010a) sowie aus Teilen der Foucault-inspirierten governmentality studies (Loacker 2010, Lorey 2006, 2007b, 2012, Manske 2008). Fokussierten die akademischen Problematisierungen der 1990er Jahre vor allem auf die Bedeutung der Inkorporierung von Dissidenz und Kritik für die Differenzproduktion und die damit verbundenen sich ausdifferenzierenden Lebensstile, problematisiert gegenwärtige Kritik der Kreativität (Osten 2003b, Raunig und Wuggenig 2007) vor allem die Normalisierung von Fremd- und Selbstführungstechnologien durch Kreativität. Diese zeigt sich erstens in einer Durchsetzung von kreativen Managementtechnologien auch außerhalb von im engeren Sinne kulturellen oder kreativen Tätigkeiten und korrespondieren dort mit veränderten Modi der Mehrwertproduktion (vgl. Kapitel 4.2). Zweitens kann sie als ein radikales Subjektivierungsprojekt im Übergang vom Management von Kreativität in Unternehmen zum unternehmerischen kreativen Selbst (vgl. Kapitel 4.3.1) beschrieben werden. Drittens zeigt sie sich in der (Selbst-)Prekarisierung kreativer Arbeit, d. h. in neuen Unsicherheiten, die mit dem Gewinn an ›Freiheit‹ im Zuge der Durchsetzung der Emanzipations- und

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Authentizitätsforderungen (Boltanski und Chiapello 2003 [1999], S. 456) im Netzwerkkapitalismus (vgl. Kapitel 4.3.2) sowie ihren subjektiven wie gesellschaftlichen Konsequenzen einhergeht (vgl. Kapitel 4.3.3). 4.3.1 Kreativität als Subjektivierungsweise Ab Ende der 1990er Jahre beobachten die gouvernementalitätstheoretischen und postoperaistischen Theoretiker*innen »das Hegemonial-Werden von Produktionsweisen« (Lorey 2007a, S. 4), wie sie typisch für die Bereiche Marketing, Mode, Software oder klassisch künstlerisch-kulturelle Arbeit sind, auch in anderen Produktionsbereichen wie beispielsweise der Finanzdienstleitungs- und Unternehmensberatungsbranche. Sie bezeichnen diese neuen Produktionsweisen, »die auf kommunikativen und kognitiven Fähigkeiten basieren, auf hoher Flexibilität beim Einsatz der Arbeitskraft, also dem permanenten Reagieren auf Unvorhergesehenes« als »immaterielle Arbeit« (Negri et al. 1998). »Die Produzenten der immateriellen Arbeit bleiben als anonyme Besitzer von semi-technischem Können im Hintergrund, auch wenn ihr Anteil an der Wertschöpfung gegenüber den materiellen Produzenten steigt.« (Diederichsen 2010, S. 123)

Schöpften in den 1970er Jahren die Postoperaisten aus der Tatsache Hoffnung, dass sich »abstraktes gesellschaftliches Wissen zur Produktivkraft entwickeln« (Marchart 2013, S. 53) und damit der Marx’sche Antagonismus von Arbeit und Kapital sowie der daraus resultierende Klassenantagonismus überwunden werden könne, schien »in den 90er Jahren [...] sich dann aus postoperaistischer Sicht die Marx’sche Prophezeiung erfüllt zu haben, jedoch unter Abzug der revolutionären Effekte« (ebd.). Aus diesem tendenziellen Zusammenfallen von Arbeiter*in/Arbeitskraft und Produktionsmittelbesitz/Unternehmer*in ergibt sich laut Virno keine Emanzipation (Virno 2005), sondern die Ausweitung des Kapitalverhältnisses auf den ganzen Menschen inklusive seiner Gefühle, die er nun als »Marke seiner Selbst« inszenieren muss und »maximal viel von den individuellen Eigenschaften, dem Lebenswissen und den performativen Fähigkeiten der Person (Charme, Sexyness, Schönheit, Witz, Schlagfertigkeit etc. bis hin zur Oberweite, die eine Voraussetzung für einen Job bei der mittlerweile auch in Deutschland aktiven Restaurantkette ›Hooters‹ darstellt)« (Diederichsen 2010, S. 122) einbringen muss. Die Inkorporierung der ganzen Person mitsamt ihrer Persönlichkeit, ihrem Intellekt, ihrem Denken, ihrem Sprachvermögen, ihrer Affekte in den Produktionsprozess bezeichnet Virno als Virtuos-Werden, bzw. Performativ-Werden von Arbeit.

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»Die Virtuosität bestimmt mit ihrem wesentlich politischen Charakter nicht nur die Kulturindustrie, sondern die Gesamtheit der zeitgenössischen Produktion. Man könne sagen, dass in der postfordistischen Arbeitsorganisation die Tätigkeit ohne Werk vom Spezial- und Problemfall (man erinnere sich an die diesbezüglichen Zweifel von Marx) zum Prototyp der Erwerbsarbeit im Allgemeinen avanciert. [...]: Das bedeutet nicht, dass keine Armaturen oder Maschinen mehr erzeugt werden, sondern dass bei einer steigenden Zahl an Tätigkeiten die Erfüllung der Handlung in dieser selbst liegt.« (Virno 2005, S. 82)

In der performativen Aufführung immaterieller Arbeit materialisiert sich Mehrwert nicht länger in einem von seinem/r Produzent*in zu trennenden Produkt, sondern führt zu einem tendenziellen Zusammenfallen von Arbeit und Produktionsmitteln, das die in der Marx’schen Theorie als Antagonist*innen gedachten Pole Arbeiter*in und Unternehmer*in in einer Person vereint. In der »Fähigkeit, eine produktive Kooperation in Gang zu setzen und letztlich auch anzuleiten« (Lazzarato 1998, S. 41), erkennt Marchart »eine Form unternehmerischer Kompetenz« (Marchart 2013, S. 54). Hieraus ergibt sich die widersprüchliche Subjektivierungsform des »Arbeitskraftunternehmers« (Voß und Pongratz 1998) bzw. des »Unternehmers seiner selbst« (Bröckling 2007)6. In dem Sinne, in der Kreativität zu einer Managementrationalität wird, kann sie auch als eine neue Subjektivierungsweise verstanden werden, die als Antwort auf die Veränderungen in der Arbeitswelt, neue Subjekte hervorbringt. Während die kritische Arbeitssoziologie mit den gouvernementalitätstheoretischen und postoperaistischen Ansätzen darüber übereinstimmt, dass »Subjektivität und Selbstverwirklichung [...] von Störpotenzialen zu Ressourcen mutiert [sind], die im Produktionsprozess verwertet (und ausgebeutet) werden« (van Dyk 2009, S. 664) und Kreativität zu einer hegemonialen Subjektivierungsstrategie geworden ist (Lorey 2007a, Raunig 2007, S. 68, Reckwitz 2008, S. 238), unterscheiden sich die genannten Forschungsperspektiven grundsätzlich in ihrer Einschätzung dessen, was Subjektivierung durch Kreativität bedeutet. Erstere sehen hierin eine einseitige Anrufungs- und »nur schwer zu durchschauende, effizientere Herrschafts- und Ausbeutungstechnik« (Moldaschl und Voß 2002, S. 14) als Effekt eines steigenden »Ökonomisierungszwangs« (Voß und Pongratz 1998, S. 148). Letztere sprechen, in Anlehnung an Foucaults Konzept 6

Der postoperaistische Soziologie Sergio Bologna lehnt den Begriff »Unternehmer seiner selbst« ebenso ab wie »Arbeitskraftunternehmer« oder »Ich-AG«, weil der Unternehmensbegriff auf der Trennung von Kapital und Arbeit beruhe und die Begriffe damit widersinnig seien (vgl. Marchart 2013, S. 58). Er schlägt stattdessen vor, von »selbstständiger Arbeit« zu sprechen. Im Folgenden wird aber dennoch der Begriff »Unternehmer seiner selbst« verwendet, gerade um auf die Widersprüche hinzuweisen, die sich auf der Ebene der Subjektvierung durch eben das Zusammenfallen der Rolle von Arbeiter*in, Investor*in und Manager*in ergeben.

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der Gouvernementalität, von Subjektivierung als einem Machtverhältnis, das sich gleichsam aus Fremd- wie aus Selbstführungstechnologien speist und in einem paradoxen Verhältnis von Souveränität und Unterwerfung stehe (Lorey 2007b, 2012 vgl. auch Foucault 2005a [1984], 2005, 2005d). Angela McRobbie stellt fest, »dass das Aufspüren der eigenen Kreativität, als eine Art inneres Selbst, ein herrschendes Merkmal der gegenwärtigen Gouvernementalität ist. Im Bezugssystem der für diese Praxis kultureller governance maßgeblichen Subjekte, definiert sich das neue Selbst vor allem als produktives und kreatives« (McRobbie 2007, S. 87). Ulrich Bröckling analysiert »das unternehmerische Selbst als ein Regierungsprogramm« (Bröckling 2007, S. 9). Den Begriff des »Unternehmer seiner selbst« entleiht er Foucaults »Geschichte der Gouvernementalität« und sieht ihn als Subjekt des »Neoliberalismus«: »Ich meine, daß der Neoliberalismus [...] unter diesen Bedingungen als Rückkehr zum Homo oeconomicus erscheint. Das ist zwar richtig, aber, wie man sieht, mit einer beträchtlichen Verschiebung. [...] Im Neoliberalismus [...] findet man ebenfalls eine Theorie des Homo oeconomicus, aber der Homo oeconomicus erscheint hier überhaupt nicht als Tauschpartner. Der Homo oeconomicus ist ein Unternehmer, und zwar ein Unternehmer seiner selbst. Und das ist so wahr, daß es praktisch der Einsatz aller Analysen der Neoliberalen sein wird, nämlich den Homo oeconomicus als Tauschpartner immer durch einen Homo oeconomicus als Unternehmer seiner selbst zu ersetzen, der für sich selbst sein eigenes Kapital ist, sein eigener Produzent, seine eigene Einkommensquelle.« (Foucault 2006 [1978/79], S. 314)7

Bröckling geht von der These aus, dass der »Unternehmer seiner selbst« zum Regierungsprogramm wird (Bröckling 2007)8, welches auch handlungsleitend in Bereichen der Regierung von und durch Kreativität wird (ebd., S. 152).

7

Anders als später die Postoperaisten verortet Foucault den »Unternehmer seiner selbst« Foucault 2006, S. 314 nicht im Kontext kreativer und immaterieller Arbeit, sondern sieht ihn in erster Linie als »konsumierenden Mensch« der »insofern er konsumiert, ein Produzent« Foucault 2006, S. 315 ist. »Und daher ist die klassische und hundertmal wiedergekäute Analyse und Theorie des Konsumenten, der auch Produzent ist und der, insofern er einerseits Produzent und andererseits Konsument ist, in sich selbst gespalten ist, alle soziologischen (denn sie waren nie ökonomisch) Analysen des Massenkonsums, der Konsumgesellschaft usw., das alles trifft die Sache nicht und ist wertlos gegenüber einer Analyse des Konsums in den neoliberalen Begriffen der Produktionsaktivität.« Foucault 2006, S. 315. Für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff »Unternehmer seiner selbst« bei Foucault und seiner weiteren Rezeption siehe Sarasin (2007).

8

Zum gouvernementalen Verhältnis von Fremd- und Selbstführung vgl. auch Foucault 2005d [1984], Huber 2000, Lemke 2000.

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»Kreativität ist ein gouvernementales Programm, ein Modus der Fremd- und Selbstführung.« (ebd., S. 153)

Die Ausbreitung von »Selbstunternehmer*innen« zeigt sich in der ›immateriellen‹ Arbeitswelt an zwei Entwicklungen. Zum einen kommt es zu einer Auflösung von großen kulturindustriellen Betrieben in sogenannte »Projektinstitutionen« (Raunig 2007, S. 73) wie Kleinstbetriebe oder Alleinselbstständigkeit, die sich häufig »zeitlich begrenzt, ephemer und projektbasiert« (ebd.) organisieren. Zum anderen kommt es zu einer Ausbreitung unternehmerischer Arbeitsformen auf der Ebene des Subjekts innerhalb der Unternehmen. »Hatten die flexiblen Produktionskonzepte zunächst zu einer Aufspaltung zwischen ›Kern‹ und ›Rand‹, das heißt zwischen Stammbelegschaft und einfachen ArbeiterInnen, geführt [...], findet seit den neunziger Jahren eine ›Verflüssigung‹ der vormaligen ›Kerne‹ statt« (Ronneberger 2006a, S. 2), welche »die Arbeitskraft vollständig den Marktrisiken aussetzen« (ebd.), beispielsweise durch ihre Steuerung im Unternehmen durch Werkverträge, der Beteiligung von Mitarbeiter*innen als shareholder, durch Managementtechnologien, die zur Selbstführung der eigenen Person und eigener Projekte nach unternehmerischen Kriterien anleiten sowie zu einer zunehmenden »Verbetrieblichung der alltäglichen Lebensführung« (Voß und Pongratz 1998, S. 131). Virno bezeichnet Virtuosität in Anlehnung an Arendt als »politisch«, weil die Virtuos*innen stets dazu gezwungen sind, die »Öffentlichkeit« zu suchen, um sich selbst zu vermarkten (vgl. Virno 2005, S. 93). In diesen neuen Subjektvierungsformen von Arbeiter*innen als Virtuos*innen und Kulturunternehmer*innen verkehrt sich das Freiheits-, Emanzipations- und Authentizitätsversprechen des »Neuen Geist des Kapitalismus« (Boltanski und Chiapello 2003 [1999]) in einen »kreativen Imperativ« (»Be creative!« Osten 2003a) bzw. einen »Imperativ des Authentischen« (Diederichsen 2012), der da lautet »Erfinde Dich halt – und bodenlos neu und verkörpere das so, als wäre das immer schon Deine Natur gewesen« (ebd., S. 1). »Aus dieser Perspektive trifft der unternehmerische Appell des ›Seid Subjekte!‹ gesellschaftlich auf ein Begehren nach Selbstverantwortung, Selbsttätigkeit, Authentizität usw., das uns als ›psycho-logische‹ Selbstführung längst ›Fleisch geworden‹ ist« (Rau 2010b, S. 301). Alexandra Rau nennt diesen Appell »Psychopolitik« (Rau 2010a, 2010b), d. h. eine »seit den 1980er Jahren hegemonial gewordene Regierungsweise, die im Modus der Psyche Herrschaftstechniken mit Selbstführungstechniken in Verbindung setzt und kraft derer Menschen sich regieren und regiert werden« (ebd., S. 406). Die Autonomie in den Arbeitsverhältnissen, deren Verlust Adorno und Horkheimer in der »Dialektik der Aufklärung« beklagen (vgl. Kapitel 4.2.1, S. 103 sowie Adorno und Horkheimer 1969 [1947], S. 162), scheint sich auf zynische Art in den creative industries realisiert zu haben. Flexibilität werde hier zu einer »despotischen

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Norm« (Raunig 2007, S. 74), Autonomie und Freiheit zu einem »hegemonialen neoliberalen Modus der Subjektivierung« (ebd., S. 75) und »die Prekarisierung der Arbeit zur Regel« (ebd., S. 74) 4.3.2 Selbstprekarisierung von Kulturproduzent*innen Die wohl überzeugendste Analyse von Kreativität als ein Subjektivierungsregime, welches über Freiheit und Unterwerfung, Selbst- und Fremdführung funktioniert, liefert Isabel Lorey in ihrem Konzept der »Selbstprekarisierung von Kulturproduzent*innen« (Lorey 2006, 2007b, 2012, S. 95). Dort zeigt sie »wie Prekarität selbst zu einem Regime geworden ist, zu einer hegemonialen Weise, regiert zu werden und uns selbst zu regieren« (Butler 2012, S. 7)9. Lorey spricht nicht von Kreativen, sondern von Kulturproduzent*innen, weil sich in diesem Begriff eine paradoxe Beziehung andeute, die »auf eine Imagination der bezeichneten Subjekte, nämlich die des eigenen Produzierens und des Gestaltens des Eigenen [verweist]« (Lorey 2007a, S. 9). Gleichzeitig aber geht es darum, »dass diese Subjektivierungsweisen Instrumente des Regierens, mithin funktionale Effekte biopolitisch gouvernementaler Gesellschaften der abendländischen Moderne sind« (ebd.). Kulturproduzent*innen sind laut Lorey Virtuos*innen im Sinne Virnos (2005, S. 82) und damit nicht auf das Feld der Kunst oder kreativen Industrien im engeren beschränkt, sondern umfassen z. B. auch Wissenschaftler*innen, die häufig Projekttätigkeiten und Honorarjobs nachgehen und sich nicht selten als gesellschaftskritisch verstehen (vgl. Lorey 2007b, S. 7). Die Kulturproduzent*innen arbeiten dort kreativ jenseits vom disziplinierenden fordistischen Konformismus und genießen die maximale Freiheit, die der flexible Kapitalismus zu bieten hat. Ohne Kapital, Produktionsmittel und Absicherung in nennenswerter Höhe verbinden sie das Risiko von Unternehmer*innen mit der Prekarität von Arbeiter*innen. Ihr Verhältnis zu den Projektinstitutionen ist gespalten: Denn auf der einen Seite feiern sie die neuen Arbeitsverhältnisse als maximalen Grad der Freiheit, Flexibilität und Selbstbestimmung, die sie bei der Erledigung ihrer Aufgaben haben, sehen ihre Arbeit als Lebensstil, die sich im Café erledigt, pflegen ihr hippes Image als 24/7 kreative und innovative Urbanist*innen und zelebrieren die Freiheit, morgen nach London oder New York gehen zu können. Fast scheint es, als sei die von Boltanski und Chiapello diagnostizierte critique artiste (Boltanski und Chiapello 1999, S. 262) an den monotonen, hierarchischen, gängelnden und disziplinierenden Arbeitsverhältnissen des Fordismus erhört worden. Wären da nicht andererseits die Schattenseiten der schönen neuen Arbeitswelt: Und so entpuppt sich der Traum von

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Unter poststrukturalistischen Theoretiker*innen herrscht weitestgehend Einigkeit darüber, dass Prekarität ein neues Regime der Regierung ist, welches erst im Nachgang des Fordismus entstanden ist (vgl. Butler 2012, Lorey 2012, Marchart 2013, Raunig 2007).

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Kreativität, Selbstbestimmung und Freiheit nicht selten als Alptraum einer permanenten 80 Stunden Woche, fehlenden Urlaubs, unregelmäßigen Einkommens, mangelnder sozialer Absicherung, Existenzängsten, einer zunehmenden Marktförmigkeit sozialer Beziehungen, der Verbetrieblichung und Rationalisierung des eigenen Lebens, eines immer weitere Lebensbereiche durchdringenden Selbstmanagements, einer nicht enden wollenden Bewährungssituation und häufig eines Jahreseinkommens unterhalb der Armutsgrenze (vgl. Dzudzek 2012, S. 71). »Articulated contingently, various dimensions of difference give rise to figurations of labour that blur the lines between self-fulfilment and social mobility on the one hand and exploitation on the other« (Berndt 2012, S. 347). In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Analysen den rasanten Anstieg von Depressionen, Angst als »pathologies of precariousness« (McRobbie 2011, S. 33) in den kreativen Industrien problematisiert. Die zunehmende Vermarktlichung des Selbst und die damit einhergehende verstärkte Selbstkontrolle der Arbeit, die erweiterte Selbstökonomisierung und Selbstrationalisierung (vgl. Ronneberger 2006a, S. 3) führten dazu, das es zunehmend »keine Rückzugsräume mehr« gäbe (Diederichsen 2010, S. 123). Kreativität, Authentizität und Freiheit würden immer mehr als Zumutung und Überforderung empfunden (Manske 2008), die feministische Philosophin und Medientheoretikerin Mercedes Bunz spricht von »Überforderung« als »die neue Unterdrückung« im flexiblen Kapitalismus (Bunz 2007). Aber auch der Verlust von Sicherheit und die Erfahrung von Prekarität trügen zum Anstieg von Krankheiten wie Depression oder Burnout bei. Damit würde die Schizophrenie als typische ›Volkskrankheit‹ der entfremdeten Arbeitsverhältnisse des Fordismus durch die neuen Pathologien kreativer Selbstverhältnisse abgelöst: der Depression und dem Burnout (vgl. Ehrenberg 2011 [1998], Neckel und Wagner 2013, Pollesch und Diederichsen 2014, S. 9): »Im Zeichen der derzeitigen Höchstbewertung der Autonomie des Einzelnen vollzieht sich nichts Geringeres als eine Neubestimmung des Verhältnisses von Normalem und Pathologischem. Von jedem Einzelnen wird erwartet, dass er oder sie in allen Lebensbereichen selbst entscheidet oder handelt.« (Ehrenberg 2010, S. 55)

Laut Ehrenberg entwickelte sich die Depression seit den 1960er Jahren zu einer Psycho-Pathologie von gesellschaftlicher Bedeutung. Er bringt sie mit dem Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft und der damit verbundenen Verdrängung von Disziplin, mechanischem Gehorsam, Konformität und Verboten zugunsten von Autonomie, persönlicher Leistung, Wahlfreiheit, Eigenverantwortung und der Initiative des Einzelnen in Zusammenhang (vgl. ebd., S. 53).

120 | KREATIVPOLITIK »Depression [...] bringt die Probleme, Konflikte und Widersprüche zum Ausdruck, die mit dem Prozess einer generalisierten Aufwertung von Autonomie einhergehen – eines Prozesses, der inzwischen das gesamte soziale Leben durchzieht.« (ebd.)

Für ihn macht Depression die Schwierigkeiten sichtbar, die für den Einzelnen bei dem Versuch auftreten müssen, sich in einer Gesellschaft, die alles auf Eigeninitiative und Selbstverwirklichung setzte, selbst eine Struktur zu geben (vgl. ebd., S. 55). Diese Gefühle von Verunsicherung sowie Angst vor Scheitern, sozialem Abstieg und Armut, die in gegenwärtigen Verhältnissen zu einer konkreten und permanenten Furcht werden, nennt Lorey in Rekurs auf Virno »Prekarisierung« (vgl. Lorey 2007b, S. 130). Diese Ausbreitung der Sorge führt zu einer zunehmenden als freiwillig empfundenen Unterwerfung unter diese. Kulturproduzent*innen sind diejenigen, »denen prekäre Lebens- und Arbeitsverhältnisse nicht nur aufgezwungen werden, sondern die sie durchaus begehren und vor allem als freie und autonome Entscheidung verstehen« (Lorey 2007a, S. 7). Im Unterschied zu einem allgemeinen gesellschaftlichen Trend der Prekarisierung oder zur Theorie eines durch Selbstausschluss ›abgehängten Prekariats‹ spricht Lorey bei Kulturproduzent*innen also von »Selbstprekarisierung« (Lorey 2006, S. 8, 2007b, S. 121). »Die massenhafte Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen wird mit der Verheißung, die eigene Kreativität zu verantworten, sich nach den eigenen Regeln selbst zu gestalten, für all diejenigen, die herausfallen aus dem Normalarbeitsverhältnis, als zu begehrende, vermeintlich normale Existenzweise erzwungen« (Lorey 2007b, S. 123). Sie verweist darauf, dass die Anrufung zur Selbstgestaltung kein neues neoliberales oder postfordistisches Phänomen wäre, sondern zu den elementaren Regierungstechnologien moderner Gesellschaften seit dem 18. Jahrhundert gehöre. »Michel Foucault hat mit dem Begriff ›Gouvernementalität‹ die strukturelle Verstrickung zwischen der Regierung eines Staates und den Techniken der Selbstregierung in westlichen Gesellschaften bezeichnet« (ebd., S. 124124). »Im Grunde findet gouvernementale Selbstregierung, diese Souveränität auf Subjektebene, in einem scheinbaren Paradox statt. Denn diese moderne Selbstregierung bedeutet gleichzeitig Unterwerfung und Freiheit. Nur in dieser ambivalenten Struktur von Subjektivierung, die – in aller Unterschiedlichkeit im Einzelnen – sowohl im Privaten wie im Bereich des Öffentlichen grundlegend war, sowohl in der Familie wie in der Fabrik oder der Politik, nur in dieser paradoxen Subjektivierung findet die Regierbarkeit moderner Subjekte statt. Selbst-Gestaltbarkeit wiederum war konstituierend für dieses vermeintliche Paradox zwischen Regulierung und Ermächtigung.« (Lorey 2007a, S. 7)

Hier zeigt sich, inwiefern die Inkorporierung alternativer Lebensstile in die Produktionsverhältnisse des flexiblen Kapitalismus zur Durchsetzung prekärer Arbeits- und Lebenszusammenhänge beigetragen haben (vgl. Boltanski und Chiapello 2003

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[1999] sowie Kapitel 4.2.3). »So waren Praktiken und Diskurse sozialer Bewegungen in den vergangenen dreißig, vierzig Jahren nicht nur dissident und gegen Normalisierung gerichtet, sondern zugleich auch Teil der Transformation hin zu einer neoliberalen Ausformung von Gouvernementalität« (Lorey 2007b, S. 129). Problematisch werde dieses Verhältnis nach Lorey vor allem dann, wenn die ›selbst-gewählten‹ prekären Lebens- und Arbeitsverhältnisse und die damit verbundenen Zwänge weitgehend unreflektiert blieben (vgl. ebd., S. 123). »Ich denke allerdings, solange die eigenen Selbst-Prekarisierungen, die Phantasien darüber, sich ohnehin jenseits des Mainstreams, Bürgertums oder wo auch immer zu bewegen, weil gerade in der jeweiligen Nische die eigenen Vorstellungen von Freiheit und Autonomie lebbar seien, unreflektiert bleiben, kann weder theoretisch noch politisch verstanden werden, wie durch die selbst-gewählten Lebens- und Arbeitsverhältnisse eine strukturell optimal regierbare Subjektivierung entsteht, was nichts anderes bedeutet, als eine gewählte Unterwerfung unter neoliberal gouvernementale Regierungsformen.« (Lorey 2007a, S. 9)

Auf diese Weise nämlich stütze und reproduziere Selbstprekarisierung immer wieder die Verhältnisse, die alternative Lebensweisen zu überwinden versuchten. Dabei würden fortwährend Macht- und Herrschaftsverhältnisse unsichtbar und Normalisierungsmechanismen als selbstverständliche und autonome Entscheidung des Subjekts naturalisiert (vgl. Lorey 2007b, S. 130). Sich als gesellschaftskritisch titulierende selbstprekarisierte Kulturproduzent*innen würden zunehmend zu Opportunist*innen und Konformist*innen, ohne ihre Rolle zu begreifen. In den vergangenen Jahren also hat sich die Responsibilisierung des Einzelnen, der Verlust bekannter Absicherungsmechanismen sowie die damit einhergehende Verunsicherung in eine »normalisierte Regierungsweise« (Lorey 2012, S. 87) und eine Zumutung zur Selbstführung verkehrt. »Prekarisierung [...] verwandelt sich demzufolge im Neoliberalismus vom immanenten Widerspruch zur hegemonialen Funktion.« (Lorey 2007b, S. 128). Im Gegensatz zur »Kulturindustrie als Massenbetrug« wie Adorno und Horkheimer (Adorno und Horkheimer 1969 [1947], S. 128) sie identifizierten, wäre es aus einer kritischen Perspektive auf gegenwärtige Formen der Kultur- und Kreativwirtschaft »passender, von ›massenhaftem Selbstbetrug‹ als einem Aspekt der Selbstprekarisierung zu sprechen« (Raunig 2007, S. 77). 4.3.3 Ungleichheit, Entsolidarisierung und Depolitisierung Zahlreiche Theoretiker*innen stellen eine Normalisierung kreativer Arbeit und der damit verbundenen Arbeitsverhältnisse auch in anderen Bereichen fest Angela McRobbie spricht gar von der »Creative Economy as Radical Social Enterprise« (McRobbie 2011), Maurizio Lazzarato von »Reconstitution of the Social« und der

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französische Soziologe Pierre-Michel Menger diagnostiziert eine Übertragung von Prinzipien der Kunst auf die gesamte Welt selbstständiger Arbeit (vgl. Menger 2006, Menger und Scheiffele 2007). Laut Diedrich Diederichsen hätten »Kultur und Kreativität [...] nicht nur als Vorbilder der Kulturalisierung und Personalisierung (bis hin zur Psychologisierung) von Arbeitsleistung in anderen Branchen gedient, sie konnten auch als eigene Branchen neuer Art reüssieren und wieder neue Arbeitsformen entwickeln, die dann womöglich Vorbild einer weiteren Radikalisierung des allgemeinen Umbaus der Arbeitswelt dienen« (Diederichsen 2010, S. 122). Und auch laut Silke van Dyk herrscht »weitestgehende Einigkeit [...] im theoretisch-zeitdiagnostischen Feld darüber, dass (kreative) Abweichung und subjektiver Eigensinn, dass Autonomie und Kritik(-fähigkeit) von Störfaktoren zu Produktivkräften im spätmodernen Kapitalismus avanciert sind« (van Dyk 2009, S. 663). Pierre-Michel Menger zeigt in seiner vielzitierten Studie »Brot und Kunst – Die Metamorphosen des Arbeitnehmers«, inwiefern »wenn Fantasie und Kreativität in der Arbeitswelt zu völlig normalen Geboten werden [...] parallel dazu auch das Ungleichheitsrisiko« wächst (Menger 2006, S. 91, vgl. auch Lazzarato 2009). Er argumentiert, dass in der Arbeitswelt zunehmend eine Logik die Oberhand gewinne, »die Talente und Kompetenzen definiert und anschließend einer Bewertung unterzieht und damit das in Kunst und Sport vorherrschende Konkurrenzmodell exportiert.« (Menger 2006, S. 41). Menger beobachtet eine Zunahme von »Winner-take-allMärkten« (ebd., S. 42) Diese kennzeichneten sich zum einen durch die Entstehung globalisierter »(Mega-)Talentbörsen«, wo Leistungen nachgefragt und »wie bei einem Glücksspiel vergütet werden« (ebd.). »Der Löwenanteil fällt jenen zu, die besonders hoch im Kurs stehen, während die Übrigen mit einer ungleich abgestuften Verteilung der Gewinne vorlieb nehmen müssen, die nicht unbedingt das unterschiedliche Leistungsvermögen widerspiegelt« (ebd.). In Anlehnung an den amerikanischen Arbeitssoziologen Sherwin Rosen (1981) zeigt Menger, »wie ab einer bestimmten Schwelle qualitativer Selektion selbst eine kaum sichtbare Talentdifferenz zwischen Profis, die sich ständigen Leistungsvergleichen unterziehen müssen, ausreichen kann, um all jenen, die anerkanntermaßen zumindest einen kleinen Talentvorsprung besitzen, einen überproportionalen Nachfrageschub zu bescheren.« (Menger 2006, S. 44). Auf diese Weise käme es nicht mehr nur zu einer Zunahme von Ungleichheiten zwischen verschiedenen Berufskategorien, sondern auch zu einer Scherenentwicklung innerhalb ein und derselben Berufskategorie. Daraus entstünde eine Dynamik, »in deren Zuge die Erfolgsungleichheiten in ihrer Legitimität völlig unangreifbar werden« (ebd., S. 41). Was Menger auf der Seite des Marktes beobachtet, diagnostiziert Angela McRobbie fast zeitgleich auf der Seite der Produzent*innen. Sie stellt fest, dass sich die gegenwärtige Phase der Kreativwirtschaft durch die »Logik der Idee des einen großen Treffers« (McRobbie 2007, S. 86) auszeichne. Kulturproduzent*innen setzten zunehmend auf ein einziges Projekt, von dem sie sich den großen Durchbruch erhofften,

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während sie parallel mit drei bis vier sogenannten ›Brotjobs‹ ihre ökonomische Grundlage sicherten. Dies führe nicht selten dazu, dass ein Großteil der Zeit für schlechtbezahlte unqualifizierte Tätigkeiten aufgewendet würde. Darüber hinaus sieht sie in dieser Logik einen »Modus der Selbstdisziplinierung« in einem volatilen und prekären Arbeitsmarkt. Auch wenn der »Traum des großen Treffers immer schon existierte, wurde er in den letzten Jahren normalisiert und mitten im Herzen des Diskurses der Kulturindustrie platziert« (ebd., S. 87). McRobbie und Menger argumentieren, dass mit dieser Normalisierung auch eine allgemeine Akzeptanz von Ungleichheit einherginge. Mehr noch: Wettbewerb, Ehrgeiz, ›Talent‹ und Selbstbewusstsein wären im Rahmen der neoliberalen Kreativwirtschaftspolitik unter new labour sogar explizit gefördert worden (vgl. Department for Culture, Media and Sport 1998) und hätten alte arbeitsmarktpolitische Ziele wie soziale Absicherung und Arbeitnehmerrechte von den Schultern der Arbeitgeber*innen auf die Kulturproduzent*innen verlagert. »There is no space here for trade unions, for collectivity and solidarity, for joint decisionmaking, for rights and entitlements, for workplace democracy, for maternity leave or paternity leave or sickness benefits.« (McRobbie 2011, S. 32)

In diesem Sinne versteht McRobbie die (britische) Kreativwirtschaftspolitik als »kulturelle Agenda«, die nicht nur neue Formen der Arbeit hervorgebracht hat, sondern auch ein Programm zur Senkung von Arbeitsstandards (ebd., S. 33). Das (wenn auch häufig uneingelöste) Authentizitäts- und Emanzipationsversprechen identifizierter Arbeit organisiere dabei die Zustimmung zur Durchsetzung der neuen prekären Verhältnisse. »Creative work functions both to ease the pain of underemployment and to ensure the decline of the unemployment society. I would suggest that the new creative economy has become the distinctively British way of dealing with structural and seemingly irreversible changes to the work-society.« (ebd.)

Auch wenn es in Deutschland Ende der 1990er Jahre kein vergleichbares nationales Kreativpolitikprogramm gab wie in Großbritannien, so haben doch die Agenda-2010Reformen ebenfalls – wenn auch weniger umfangreich – zu einer deutlichen Flexibilisierung des Arbeitsmarktes geführt. Im Kultur- und Kreativbereich sorgte 2006 die ehemalige grüne Berliner Kultursenatorin und Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds Berlin Adrienne Goehler, die mit ihrem Buch »Verflüssigungen – Wege und Umwege vom Sozialstaat zur Kulturgesellschaft« (2006) durch zahlreiche Städte in Deutschland tourte, für Diskussion. Sie argumentiert, Künstler*innen und Kreative gehörten zu einer Avantgarde, die jene neuen »verflüssigten« Arbeitsverhältnisse an-

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tizipiert hätten, die bald charakteristisch für die Lebens- und Arbeitsweisen der gesamten Gesellschaft würden. Die Mehrheit der Bevölkerung aber sei auf diese neuen Formen noch nicht vorbereitet. Daher propagiert sie »individuelle Modelle statt Flächenlösungen« (ebd., S. 155) und »Leidenschaft statt Didaktisierung« (ebd., S. 176). Poststrukturalistische Vertreter*innen wenden gegen die zunehmende Responsibilisierung und Einhegung von Affekten in den Arbeitsprozess ein, dass dies nicht nur zu einer zunehmenden Prekarisierung von Arbeit und einer neuen Qualität der Ungleichheit in den Einkommensverhältnissen führe, sondern auch andere Ungleichheitsstrukturen und Zugangsbarrieren auf der Basis von Geschlecht, Ethnizität und Hautfarbe rehabilitiere, deren Bekämpfung im Zuge der Differenzpolitik der 1980er und 1990er Jahre zumindest einige Erfolge verbuchen konnte. »Age, gender, ethnicity, region and family income re-emerge like phantoms (or in Beck’s terminology ›zombie concepts‹, dead but still alive) from the disguised hinterland of this new soft capitalism and add their own weight to the life chances of those who are attempting to make a living in these fields.« (McRobbie 2002, S. 527)

Das wettbewerbsorientierte Modell normalisiere Prekarität und Unsicherheit und mache formelle soziale Beziehungen im Arbeitsleben zunehmend gegenstandslos. Auf diese Weise entstünden mehr und mehr Lücken, um arbeitspolitische Standards sowie schützende und anti-diskriminatorische Gesetzgebung zu umgehen (vgl. McRobbie 2007, S. 88). An die Stelle der aktiven Herstellung sozialer Gerechtigkeit tritt die Akzeptanz von Ungerechtigkeit. Darüber hinaus führe der in diesem Feld dominante Individualismus, der Wille zur Selbstverwirklichung, aber auch der Zwang zur individuellen Lösung vormals kollektiv oder solidarisch zu lösender Probleme wie Arbeitslosigkeit oder Krankheit dazu, dass critique sociale kollektiv immer weniger artikulierbar sei. Angela McRobbie beschreibt die Tatsache, dass sozialpolitische Forderungen zunehmend aus dem Feld des Sagbaren ausgeschlossen würden, als »Politik der Desartikulation« (McRobbie 2010, S. 47). Im »gesellschaftlichen und kulturellen Leben« sei »zu beobachten, wie benachteiligte soziale Gruppen, die möglicherweise zwecks einer Verfolgung gemeinsamer Ziele sich hätten zusammenschließen können, immer weiter auseinanderrücken« (ebd., S. 49). Dies führt zu einer Überlagerung von politischem und ökonomischem Raum und damit zu einer Depolitisierung kreativer Subjekte. 4.3.4 Zwischenfazit: Kreative Arbeit zwischen Freiheit und Verwertungszwang Das vorangegangene Kapitel hat gezeigt, dass radikale Formen des Wandels in der Produktion wie Konsumption zur Herausbildung neuer Formen der Arbeit geführt

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haben, die einige Wissenschaftler*innen als kreativ (Bröckling 2007, McRobbie 2007) andere als immateriell (Diederichsen 2010, Lorey 2007a, Negri et al. 1998) bezeichnen. Ebenfalls sind Ansätze aus der kritischen Arbeitssoziologie, den Gouvernementalitätsstudien und dem Postoperaismus vorgestellt worden, die aktuelle Problematisierungen und Kritiken dieser gegenwärtigen kreativen Arbeitsverhältnisse bieten. Sie nehmen Formen der Normalisierung selbstunternehmerischer Tätigkeiten und der damit verbundenen Selbstführungs- und Individualisierungstendenzen, der (Selbst-)Prekarisierung, der Depression und des Burnouts sowie zunehmende Ungleichheit und Depolitisierung in den Blick. Während die Kritik der 1968er an zeitgenössischen Arbeitsverhältnissen eine Problematisierung in Form der Inkorporierung von Kritik sowie ihre Übersetzung in neue Managementtechnologien erfuhr, ist derzeit noch offen, wie sich die Kritik an gegenwärtigen Arbeitsverhältnissen in der Kreativwirtschaft und im weiteren Feld von Kulturproduzent*innen in Problematisierungen artikulieren wird. Wichtig im Hinblick auf neue Regierungsformen von Kreativität in der Stadt ist, dass durch die Freisetzung kreativer Arbeiter*innen aus Unternehmen nicht mehr nur Unternehmen, sondern Kreative als »Unternehmer*innen ihrer selbst« zur Zielgruppe kreativpolitischer Maßnahmen werden. Im Hinblick auf ungleiche Einkommensverteilung werden vor allem die high potentials für Städte als Steuerzahler*innen interessant, was sich in einer Angebotspolitik von Städten bemerkbar macht, die sich in erster Linie an genau dieser Einkommens- und Lebensstilgruppe orientiert.

4.4 K REATIVE S TÄDTE In den vorangegangenen Kapiteln ist herausgearbeitet worden, wie Kreativität zu einem Problem der Führung in Unternehmen und dann durch Übersetzung in neue Managementtechnologien zu einer sozialen Technologie wurde. Darüber hinaus wurde diskutiert, welche Konsequenzen sich daraus für die Restrukturierung der Selbstverhältnisse in der Arbeitswelt ergeben. Es hat sich gezeigt, dass Kritik und Differenz zu zentralen Motoren der ständigen Erneuerung und Anpassung des flexiblen Kapitalismus geworden sind. In diesem Kapitel gilt es zu verstehen, wie Kreativität zu einem Problem der Regierung von Stadt wurde und welche Rolle die Inkorporierung von Kritik, Differenz und Vielfalt für die Schaffung von Mehrwert in der kreativen Stadt hat. Dabei ist zu klären, welche Formen der Problematisierung und welche Technologien, die sich bereits in Unternehmen zur Führung von Kreativität bewährt haben, in Regierungsformen der kreativen Stadt übersetzt wurden und welche Anpassungen und Veränderungen sie dabei erfahren. Dabei gilt es mit einem Spannungsverhältnis umzugehen:

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Denn so global das Kreativitätsskript und seine Adaption in Städten rund um den Globus ist, so lokal differenziert und unterschiedlich sind die spezifischen Formen seiner Adaption vor dem Hintergrund nationaler Gesetzgebungen, lokaler Kulturen, Verhältnisse und Pfadabhängigkeiten. Die kreative Stadt gibt es sowie wenig wie die Kreativpolitik, dennoch lassen sich Leitlinien erkennen. Für die nachfolgende Analyse wird in drei Schritten verfahren. Zunächst wird rekonstruiert, wie Kreativität als ein Problem städtischer Regierung artikuliert wurde, sodann werden gängige Problematisierungen der Regierung von Kreativität in der Stadt vorgestellt. Anschließend wird die Rolle von Kritik für die Weiterentwicklung bestehender wissenschaftlicher Ansätze wie auch Handlungsrationalitäten auf der angewandten Ebene problematisiert. 4.4.1 Kreativität als Problem städtischer Regierung Kreativität war nicht immer ein Problem städtischer Regierung, sondern taucht als solches zum ersten Mal Mitte der 1990er Jahre in Großbritannien auf. Wie und warum wurde die Regierung von Kreativität für Städte überhaupt zu einem Problem? Wie konnte Kreativität als stadt- und regionalpolitisches Programm und Steuerungsinstrument so erfolgreich und Richard Florida zum »toast of city conferences between Toronto und Auckland« (Peck 2005, S. 742) werden? Dazu bietet die Forschung unterschiedliche Problematisierungen an, die im Folgenden vorgestellt werden sollen. Artikulation von Kreativität als Problem städtischer Regierung Im Bereich der angewandten Forschung war Florida weder der erste noch der einzige, der sich mit Kreativität und Ökonomie auf Ebene der Stadt auseinandersetze. Bereits 1995 hatten Landry und Bianchini einen Bericht zur kreativen Stadt veröffentlicht, das 2000 in das vielzitierte Buch »The Creative City – A Toolkit for Urban Innovators« (Landry 2000) mündete. Es problematisiert vor allem den Verlust von Arbeitsplätzen durch den Strukturwandel in Großbritannien und propagiert die Aktivierung endogener kultureller und kreativer Potenziale zur Bearbeitung der postindustriellen Krise von Städten. Parallel dazu gründete die frisch gewählte New Labour Regierung 1997 die »Creative Industries Task Force«, die 1998 das erste »Creative Industries Mapping Document« vorlegte (Department for Culture, Media and Sport 1998, in seiner überarbeiteten Fassung siehe Department for Culture, Media and Sport 2001), welches sich als wegweisend für viele weitere Kreativwirtschaftsberichte erweisen sollte, die in der Folge entstanden. Es fasst erstmalig 13 Branchen unter dem Label ›Kreativwirtschaft‹10 zusammen, welche im Kern individuelle Kreativität in geistige

10 Der Begriff ›Creative Industries‹ wird im Rahmen dieser Arbeit stets mit ›Kreativwirtschaft‹ übersetzt, weil die in Deutschland und mittlerweile auch in Frankfurt gebräuchliche

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Eigentumsrechte transformieren (Flew und Cunningham 2010, S. 2). Der Begriff ›mapping‹ ist dabei durchaus wörtlich zu verstehen. Denn es war das erste Dokument, das die wirtschaftlichen Kennzahlen von heterogenen Branchen bündelte und ihnen das Label creative industries gab. Durch diese Zusammenschau wurde ein neuer Bereich konstituiert, sichtbar und wie ich im Folgenden noch zeigen werde, auch regierbar (vgl. Kapitel 4.4.2). Die Definition aber war – ähnlich wie Floridas Konzept der kreativen Klasse – noch sehr breit und erfasste Branchen mit sehr unterschiedlicher wirtschaftlicher Leistung. »The early list-based approach to creative industries developed in the UK contexts by DCMS [the Department for Culture, Media and Sport, Anmerk. I. D.] was open to the charge of ad hocery, as it was not clear what were the underlying threads linking this seemingly heterogeneous set of industry subsectors« (ebd.). 2001 wurde das Mapping Document überarbeitet, jedoch nicht wie man erwarten könnte in Richtung einer klareren statistischen Abgrenzung, vielmehr wurde die Definition noch einmal deutlich ausgeweitet und unschärfer (Department for Culture, Media and Sport 2001). Zwar trug die Creative Industries Task Force, abgesehen von der Produktion der beiden Mapping Documents, laut Andy Pratt wenig zur Förderung der Branche bei (Pratt 2005, S. 33), in der Folge entwickelte sich dieses Dokument zu einem policy paper von internationaler Bedeutung. Die dort gelieferte Definition wurde zum Vorbild, auf deren Grundlage andere Städte ihre eigenen Definitionen erfanden. Darüber hinaus diente sie als wichtige Referenz anderer zentraler policy-Initiativen. Die im Mapping Document sichtbar gewordenen creative industries wurden – quasi als erste Amtshandlung der neu gewählten Labor-Regierung – als zentrale Säule der Politik des Dritten Weges in Großbritannien (Blair 1999) artikuliert, was sich in Deutschland im Rahmen der Agenda-2010 (Schröder 2003) oder auf Europäischer Ebene in der Lissabon-Agenda (Europäischer Rat 2000) fortsetzte. Sie alle zielten darauf ab, Rahmenbedingungen – auch auf Ebene der Städte – für wettbewerbsorientiertes unternehmerisches Handeln zu schaffen und dafür wissensintensive Branchen wie die Kreativwirtschaft zu mobilisieren. In der Lissabon-Agenda heißt es: »The Union has today set itself a new strategic goal for the next decade: to become the most competitive and dynamic knowledge-based economy in the world.« (ebd., S. 2, , Hervorheb. i. O.)

Das bedeutet, Kreativität wurde von Anfang an zu einer Säule von Wettbewerbsorientierung und Innovationspolitik (Europäische Kommission 2006, S. 3), wobei Kreativität und Innovation nicht nur das Vorhandensein kreativer und innovativer Ideen, Definition dieses Branchenclusters aus der ›Creative Industries‹-Definition des Mapping Documents (Department for Culture, Media and Sport 1998) abgeleitet ist.

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sondern vor allem auch ihre ökonomische Realisierung meint, d. h. »in Wirtschaft und Gesellschaft Neuerungen hervorbringen, adoptieren und erfolgreich nutzen« (Europäische Kommission 2010, S. 1). In diesem Klima entwickelten sich die Thesen Landrys und Floridas sowie das Mapping Document zu Problematisierungen, die die zum Handeln unter Wettbewerbsbedingungen gezwungenen Kommunen inspirierten, denn sie versprachen die wegbrechende industrielle Grundlage durch kreative, wissensintensive Branchen zu substituieren. Doch so klar die Tatsache für Kommunen war, dass sie unter diesen neuen Rahmenbedingungen selbst neue Wege beschreiten müssten, so unklar war oftmals, wie dies zu bewerkstelligen sei. Der Durst nach Handlungsanweisungen und take-away-messages auf Seiten städtischer Politik war so groß, dass nun die große Stunde der kommerziellen Politikberater*innen wie Florida und Landry schlug, zahllose Konferenzen abgehalten wurden, die Politikberatung, angewandte Wissenschaft (nicht selten Geograph*innen), Politik und Verwaltung zusammenbrachte. Zahlreiche Städte ließen Kreativwirtschaftsberichte erstellen. Seit 1992 sind allein in Deutschland über 60 davon entstanden (eigene Erhebung Dzudzek, Lindner und Nagorny). Sie liefern vielfältige Problematisierungen, warum Kreativität ein Thema von Stadtregierung sein sollte und inwiefern es die ökonomische Entwicklung und Position im internationalen Wettbewerb der Städte positiv beeinflusst. Einige dieser Berichte umfassen auch Handlungsanweisungen und schlagen Maßnahmen vor, wie diese Entwicklung erreicht werden kann. Die von den Städten eingesetzten Problematisierungen variieren stark und als entsprechend divers erweist sich auch, was sie als ›Kreativwirtschaft‹ definieren. Während anglophone Städte in Großbritannien oder Nordamerika häufig auf die Förderung marktwirtschaftlich starker Sektoren abzielen und Kreativwirtschaft auch entsprechend definieren, setzen europäische Städte und Regionen in der Regel sowohl auf den Kulturbereich als auch auf angrenzende Wertschöpfungsbereiche und schließen diese in ihre Definitionen mit ein. »[T]he adoption of the term ›creative industries‹ in the United Kingdom was seen as reflecting a historical ›hands-off‹ approach to relations between culture and the state, which differed from the more activist cultural policy traditions of Austria, France and the Scandinavian countries« (Flew 2012, S. 35).

Während die Bedeutung des Wortes ›Kulturindustrie‹ in Deutschland auf Massenund standardisierte Produkte hinweist und fast das Gegenteil von Kultur meint, was sicherlich auch auf die prominente von Adorno und Horkheimer formulierte Kritik mit zurückzuführen ist (Adorno und Horkheimer 1969 [1947]), hat Finnland beispielsweise eine sehr umfassende Definition übernommen, die stärker auf Kulturund Symbolproduktion und weniger auf Profit zielt (MKW Wirtschaftsforschung GmbH 2001, S. 27). Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Städte

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und Regionen Definitionen dabei häufig so wählten, dass sie selbst besonders gut dastehen11. So divers wie die Problematisierungen der Regierung von Kreativität in den einzelnen Städten ausfallen, so divers sind auch die Rationalitäten, Technologien und Maßnahmen, die im Zuge ihrer Bearbeitung zur Anwendung kommen. Sie reichen von kulturellen Leuchtturmprojekten bis hin zur Förderung von Subkultur, von großen Wirtschaftsinitiativen bis hin zur Förderung von Alleinselbstständigen, von großen städtischen Revitalisierungsprojekten bis hin zu kleinen Impulsen auf Quartiersebene, von trial-and-error Verfahren und der Adaption von best practices aus anderen Städten bis hin zu eigenen umfassenden Kreativwirtschaftsstrategien, in denen Städte definieren, wie sie ihre ›Kreativwirtschaft‹ fördern wollen. Beispiele für Städte mit umfassenden Kreativstrategien sind z. B. Amsterdam, Barcelona, Berlin, Hamburg, Hong Kong, Köln, Manchester, Melbourne, München oder Wien (siehe Bontje und Musterd 2009, Ebert et al. 2012b, Ebert et al. 2012a). Darüber hinaus verfolgen zahlreiche Städte auch eigene kreative Clusterstrategien oder sind Teil größerer Cluster wie z. B. Amsterdam, Barcelona, Berlin, Hamburg, Köln, Leipzig oder München (Bontje und Musterd 2009, Ebert et al. 2012b, Ebert et al. 2012a). Kreative Stadtimagekampagnen, city branding-Strategien und kreative städtische Revitalisierungsmaßnahmen gibt es fast in jeder Stadt, die sich als ›kreativ‹ bezeichnet – als Leuchttürme sollen hier nur die HafenCity in Hamburg, Mediaspree in Berlin und das Guggenheim Museum in Bilbao dienen. Die Diversität der Definitionen und Handlungsstrategien der Städte erwies sich zwar hilfreich, um im Wettbewerb der Städte durch Differenzierung eine unique selling proposition zu erzielen. Um die eigene Position im Wettbewerb der Städte zu bestimmen, war sie aber eher hinderlich. Denn nur eine einheitliche Definition ermöglicht den internationalen Vergleich kreativwirtschaftlicher Parameter und damit ein Benchmarking. Im Zuge der der Bemühungen um Konvergenz im europäischen Wirtschaftsraumes forderte auch die EU eine einheitliche Definition. 2004 setzte die UNCTAD12 das Thema auf ihre Agenda (UNCTAD 2004) und lieferte den Versuch einer internationalen Definition in ihrem ersten »Creative Economy Report« (UNCTAD 2008). Die UNESCO13 legte 2006 eine Definition vor (UNESCO 2006, weiterentwickelt in UNESCO Institute for Statistics 2009). Und auch auf europäischer Ebene wurde versucht, eine einheitliche Definition zu finden. 11 Ein Beispiel für eine solche Definition liefert der Bericht aus Heidelberg (Glückler et al. 2010a), der »Mäzenatentum und Philanthropie« (S. 37) als Bereiche der Kreativwirtschaft und Elemente eines »Heidelberger Ansatzes« (S. 5) mit aufnimmt. 12 UNCTAD steht für ›United Nations Conference on Trade and Development‹ und das Entwicklungsorgan der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf. 13 UNESCO steht für ›United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization‹ und ist die Sonderorganisationen der Vereinten Nationen für Kultur mit Sitz in Paris.

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Trotz der Bemühungen um Konvergenz war die Frage, was unter dem Begriff ›creative industries‹ zu verstehen ist, aufgrund der oben skizzierten nationalen Unterschiede heiß umkämpft. Die Europäische Kommission betraute 2001 ein Wirtschaftsforschungsinstitut damit, eine vereinheitlichte Definition zu finden (MKW Wirtschaftsforschung GmbH 2001). Eine Zuspitzung erhielt die Debatte zwischen 2003 und 2005 während der Doha-Runde der GATS-Neuverhandlungen, die vorsah, den gesamten Kulturbereich als wirtschaftliche Güter und Dienstleitungen zu klassifizieren, was eine weitreichende Liberalisierung des Kultursektors zur Folge gehabt hätte. Eine vorläufige Einigung und gemeinsame Linie wurde dann 2005 mit dem Bekenntnis zur »exception culturelle«, d. h. zur Anerkennung der »Doppelnatur« kultureller Güter und Dienstleistungen als wirtschaftlich und identitär, gefunden. Durch die Ratifikation der »UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt« (UNESCO 2005) durch die EU wurde diese auch völkerrechtlich verankert und in den Neuverhandlungen des GATS berücksichtigt. Damit verpflichten sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten, den Eigenwert von Kultur anzuerkennen, ihrer Behandlung als reine Ware Grenzen zu setzen und die Rolle öffentlicher Politik zum Schutz und zur Förderung kultureller Vielfalt durch die Regelung globaler Kulturmärkte zu stärken (siehe Flew 2012, S. 35). 2006 gab die EU die Studie »The Economy of Culture in Europe« (KEA European Affairs 2006) in Auftrag, die ein Modell des Sektors entwickelt hat, das zwischen »arts«, »cultural« und »creative industries« unterscheidet. Erst 2009 bildet sich das Projekt »ESSnet-Culture« als Zusammenschluss mehrerer statistischer Institutionen der EU, das ein 550-seitiges Rahmenwerk zur Schaffung vergleichbarer statistischer Daten entwickelt hat (ESSnet-Culture und Europäische Kommission 2012). Für Deutschland hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie nach zahlreichen Revisionen und in enger Kooperation mit der Agentur des angewandten Wissenschaftlers Michael Söndermann 2009 eine einheitliche Definition verabschiedet, (Söndermann et al. 2009). Sie beruht auf der Wirtschaftszweigsystematik für Deutschland und orientiert sich auch an europäischen und globalen Normen. Seither ist diese Definition, die nach wie vor in Detailfragen (der Rolle des instrumentenbauenden Handwerks oder Unschärfen zwischen der Werbe- und Designindustrie) umstritten ist, nicht nur an die neue Wirtschaftszweigklassifikation von 2008, sondern auch in ihren Unterklassifikationen sukzessive an die ›reale‹ Form der Branche angeglichen worden (vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2010, Söndermann 2009, 2012). Die neueste Definition umfasst eine Abgrenzung entlang von Teilbereichen der Kreativwirtschaft und eine entlang von Teilmärkten. Die Teilbereiche repräsentieren die verschiedenen Branchen der Kreativwirtschaft. Die Teilmarktdefinition orientiert sich stärker am Marktgeschehen der Branche und fasst unterschiedliche Teilbereiche zu Märkten zusammen. Teilmärkte setzten sich aus zahlreichen Wirtschaftszweigunterklassen zusammen. Da verschiedene Wirtschaftszweige für unterschiedliche Teilmärkte relevant sind, fließen diese prozentual

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in den jeweiligen Teilmarkt ein. Werbeagenturen stellen beispielsweise wichtige Dienstleistungen für die Designwirtschaft bereit, weshalb sie zu 50 Prozent zum Werbemarkt und zu 50 Prozent zur Designwirtschaft gezählt werden. Die Teilmarktdefinition hat sich bei vielen Städten durchgesetzt. Diese deutsche Abgrenzung ist sowohl mit der europäischen Kernabgrenzung der EU-Kommission als auch mit dem weltweiten Referenzmodell, dem britischen creative industries-Konzept, kompatibel (vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2010, Söndermann 2009, 2012). Ein weiterer Motor, der die Herstellung von Konvergenz und einheitlicher Definitionen vor allem auf EU-Ebene vorantreibt, sind internationale rankings und benchmarks. Sie dienen nicht nur dazu, die eigene Performance zu bewerten, sondern diese auch im Wettbewerb mit anderen Standorten zu vergleichen, wie dies z. B. in populären Magazinen (Der Spiegel 2007, Focus 2008b), von namhaften Unternehmensberatungen (Roland Berger Strategy Consultants 2009), im Zuge Europäischer Innovationspolitik (Europäische Kommission 2006, 2014) oder im Rahmen der europäischen Steuerung von Kreativ- und Kulturpolitik (ERICarts 2014, Europäischer Rat 2014, Europäischer Rat und ERICarts 2014) getan wird. Während erstere Wettbewerb durch direkten Vergleich implementieren, operieren europäische Maßnahmen vor allem über die OMC (open method of coordination). Die OMC »combines analysis and benchmarking of national and regional innovation policy performance with support for cooperation of national and regional innovation programmes and incentives for innovation agencies and other innovation stakeholders to implement joint actions« (Europäische Kommission 2009, S. 1). Eine solche governance-Strategie, die top-down und bottom-up zugleich funktioniert, verbindet kompetitive mit kooperativen Elementen, beispielsweise durch die Adaption von best practices konkurrierender Entitäten. Neuere Forschung an der Schnittstelle zwischen Kreativität und Innovation aber belegt, dass die gängige Behauptung, Kreativwirtschaft sei innovativer als andere Branchen, empirisch nicht zu belegen ist. »[I]n spite of these claims, there is limited empirical evidence which proves that creative industries are more innovative and that urban environments encourage innovation in this type of firm« (Lee und Rodríguez-Pose 2014, S. 1154). In der Untersuchung von Lee und Rodríguez-Pose erweist sich die Kreativwirtschaft nur leicht innovativer gegenüber anderen Branchen und Städte stachen nicht als Zentren der Innovation gegenüber dem Umland hervor (ebd., S. 1155). Begleitet von Verkaufsschlagern wie »In Praise of Commercial Culture« des amerikanischen Ökonomen Tylor Cowen (1998), »Reinventing Government: How the Entrepreneurial Spirit is Transforming the Public Sector« (Osborne und Gaebler 1993) von David Osborne und Peter Gaebler oder »Creative Britain« von Chris Smith (1998), dem Staatssekretär für Kultur, Medien und Sport unter Tony Blair sowie der Kreativwirtschaftseuphorie wurde vor allem in Großbritannien auch der Kultur- und Mediensektor in starkem Maße liberalisiert (Arts Council of Great Britain 1985,

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1993, National Arts and Media Strategy Monitoring Group 1992). Unter dem Motto »Today most of the important work in film, music, literature, painting and sculpture is sold as commodity« (Cowen 1998, S. 36), die aus diesem Grund auch demokratisch, weil für die Masse zugänglich sei, fand neben der starken Liberalisierung des Mediensektors auch eine Neuausrichtung der Kunst- und Kulturförderung statt. Im Bereich der Kunstförderung zeichneten sich zunächst zwei widersprüchliche Entwicklungen ab: Zum einen der Ausbau von Kunst- und Kulturförderprogrammen zur Stärkung von Kohäsion auf Community-Ebene und zum anderen eine Politik, die in erster Linie auf die Förderung »exzellenter« Künstler*innen abzielt, deren Arbeiten vermarktet oder in den Dienst von Stadtimagekampagnen gestellt werden (Arts Council of England 2002, Buck 2004, Garnham 2005, S. 27, McMaster 2008). In Deutschland erfolgte die Liberalisierung nicht in demselben Maß wie in Großbritannien. Dennoch aber wurden neue Formen der Kunst- und Kulturförderung, die den privaten Sektor stark mit einbeziehen und auf internationale Sichtbarkeit und Exzellenz setzen, auch hier, beispielsweise im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres »Essen.Ruhr 2010« erprobt (Beyme 2012, Scheytt 2008). Und auch hier sind die nationalen kulturpolitischen Programme im Kontext europäischer Harmonisierungsbemühungen (Europäische Kommission 2007) zu betrachten. Eine Problematisierung, die fehlende Kreativität als Problem von Städten im internationalen Wettbewerb artikuliert, bedarf einer Vielzahl von Wissensproduktionen, die nicht ohne weiteres verfügbar sind: Es bedarf der Entwicklung und politischen Aushandlung einer Definition, die den Gegenstand ›Kreativität‹ auf Ebene von Stadtpolitik erst herstellt, es bedarf seiner genauen Messung und Bestimmung über das Sammeln von Daten, es bedarf der Zusammenführung und des Vergleichs. Darüber hinaus müssen Schlüsse gezogen werden, welche Maßnahmen und Technologien geeignet sind, um die Performance des nun als Kreativwirtschaft konstituierten Gegenstandes in Richtung eines gewünschten Optimums zu manipulieren und die Identifikation von geeigneten Verfahren und ihrer wirksamen Implementierung. All dieses Wissen ist nicht ohne weiteres für politische Entscheidungsträger*innen verfügbar. Es muss im Zuge von angewandter Forschung und Politikberatungsprozessen zunächst definiert, erhoben, artikuliert und in eine kommunizierbare Form gebracht werden, bevor es politisch mobilisiert und umgesetzt werden kann. Problematisierungen aus der angewandten Forschung Entsprechend ist in den vergangenen Jahren unter dem Begriff der ›governance der Kreativstadt‹ eine Unmenge an Literatur entstanden, die sich mit der Konstitution von Kreativität als Problem der Regierung von Stadt auseinandersetzt (vgl. z. B. Balducci 2004, Comunian 2011, Cooke und Lazzeretti 2008, Evans 2009, Flew 2010, González 2010, Hannemann et al. 2010, Healey 2004, Heebels und van Aalst 2010, Heßler 2008, Kunzmann 2004, Lange 2007, 2008, 2011b, 2011d, Lange et al. 2009, Markusen und Gadwa 2010, Milligan 2003, Ooi und Stöber 2011, Power und Scott

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2011, Pratt 2008, Rantisi und Blackman 2005, Rantisi et al. 2006, van Heur 2010a, Wenz 2012). Sie befasst sich mit dem »Problem, dass die oft nach wie vor traditionellen Instrumente und Lenkungssysteme nur wenig auf die Arbeits- und Interaktionsbedingungen der Kreativwirtschaft eingerichtet sind [...], woraus wir einen Bedarf nach neuen Steuerungsformen zwischen Staat, Privatwirtschaft und intermediären Akteuren ableiten« (Lange et al. 2009, S. 20). Ausgehend von der Beobachtung: »Amid the buzz on the creative city and cultural economy, knowledge about what works at various urban and regional scales is sorely lacking« (Markusen und Gadwa 2010, S. 380), versuchen die Kritiker*innen zu zeigen »how better research would inform implementation [... of] arts and culture as an urban or regional development tool« (ebd.). Gemeinsam ist den Problematisierungen dieser Literatur, dass sie »[m]it Hilfe neuer Governance-Formen [...] versuchen, Nationen, Städte oder Kommunen im globalen Wettbewerb um Investitionen zu positionieren, wobei die Beteiligung an globalen Netzwerkbildungen im Blick behalten wird. Ökonomische Entwicklung in wissensbasierten und kreativen Branchen wird dabei aufgrund ihrer Komplexität als eine Aufgabe begriffen, die eine Vielzahl städtischer Akteure angeht. Urbane Steuerungsprozesse werden daher in zunehmendem Maße durch unterschiedliche Konstellationen von (lokal-)staatlichen, privatunternehmerischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren getragen« (Lange et al. 2009, S. 23). Angewandte Wissenschaft funktioniert in diesem Prozess als ein Akteur der angewandten Wissensproduktion im Feld städtischer governance. Sie liefert strategisches Wissen, um governance-Prozesse von Kreativität zu optimieren. Die Problematisierung von Kreativität als Problem der Regierung geht häufig mit Forderungen nach Veränderungen etablierter Formen städtischer Regierung einher. Dem allgemeinen Trend eines Übergangs von eher hierarchischen Formen der Regierung (government) zu partizipativeren Formen von governance, die auch private und zivilgesellschaftliche Akteur*innen an der Regierung beteiligen, wie er gegenwärtig von der angewandten Wissenschaft diagnostiziert wird, werden für den Bereich der Kreativpolitik Forderungen nach »creative governance« (Balducci 2004, Healey 2004, Kunzmann 2004) bzw. »Governance der Kreativwirtschaft« (Lange et al. 2009, Lange 2011b, 2011d, Lange und Streit 2013) zur Seite gestellt. Damit ist zumeist gemeint, dass nun auf Städte das übertragen wird, was bis dato zu einer gängigen Praxis in einer Vielzahl von Unternehmen geworden ist: »The idea that outcomes of creativity can be unpredictable and destructive has been replaced by the view that creativity can be harnessed and controlled. [...] It is because creativity is now framed as manageable, it can also be exploited for wealth creation.« (Ooi und Stöber 2011, S. 114, vgl. auch Kapitel 4.2)

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Vom Unternehmen übertragen auf die Stadt bedeutet das, dass nun in der Stadt kreative Potenziale gesehen werden, die mit neuen Regierungsformen erschlossen werden können. »The dynamic complexity which characterizes contemporary urban conditions has substantial innovative potential just because of its fluidity, flexibility, frictions and tensions. But this potential can all too easily be suppressed by too much standardized regulation and too little attention to the sustenance of multiple innovative energies.« (Healey 2004, S. 100)

Daher bedürfe es der Schaffung neuer »governance capacities to promote creativity« (ebd., S. 96). Diese kennzeichneten sich dadurch, dass sie »offen«, »vielfältig«, »stimulierend, einladend, respektvoll«, »vorurteilsfrei, inklusiv, informativ und erfindungsreich«, »experimentell« und »selbst-regulativ« seien (ebd., S. 97). 4.4.2 Kritik, die die kreative Stadt in Wert setzt Im Kontext dieser angewandten Wissenschaftsliteratur lassen sich zwei Korpora unterscheiden, die je auf unterschiedliche Weise Kritik für die Regierung der kreativen Stadt in Wert setzen. Das erste Korpus bedient sich gegenwärtiger Kritiken des Regierens beispielsweise von Foucault oder aus der Systemtheorie und setzt diese für eine »bessere« Regierung von Stadt in Wert. Das zweite Korpus kritisiert Florida und seine Thesen, »damit politische Entscheidungsträger*innen erfolgreichere Regenerationsresultate erzielen können« (Pratt 2008, S. 107, Übersetz. I. D.) und erreicht mit dieser Form der Problematisierung eine Übersetzung und performative Ingangsetzung von Floridas Diagnosen in nuanciertere, ausgefeiltere politische Programme mit eindeutigen Handlungsanweisungen. Die angewandte Wissenschaft spielt also nicht nur eine zentrale Rolle bei der Beantwortung der Frage, was politisch überhaupt unter dem Label Kreativförderung und -politik in den Blick geraten kann, Kritik an bestehenden Thesen und Praktiken ist auch ein zentraler Modus der Wissensproduktion, der den Gegenstand, den sie untersucht, auch performativ verändert. Kritik kann also als eine Form der Problematisierung II beschrieben werden (vgl. Kapitel 2.3.2), die Kreativität nicht nur als Gegenstand der Regierung formt, sondern auch fortwährend verändert/optimiert. Im Folgenden wird herausgearbeitet, dass Problematisierungen und Kritiken aus dem Feld der angewandten Forschung die Inwertsetzung der kreativen Stadt erst richtig in Gang gesetzt haben.

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Inwertsetzung der Foucault’schen Kritik des Regierens Einige Vertreter*innen des Ansatzes der creative governance bzw. der governance der Kreativwirtschaft verwenden akademische Kritiken des Regierens, um governance an die neuen Herausforderungen der Kreativwirtschaft anzupassen (Leslie und Rantisi 2006, S. 331). Leslie und Rantisi z. B. beziehen sich dabei auf Foucault und die Gouvernementalitätsstudien. »[F]ollowing Foucault, the term ›government‹ refers to the manifold ways in which the conduct of individuals and groups are directed (Foucault 1982, 221). [...] ›Governance‹ here reflects a situation in which the state’s mode of intervention is more open and reflexive, encouraging dialogue and collaboration between distinct actors within the state (including those operating at subnational levels), as well as those outside the formal state apparatus« (ebd., S. 315). Daraus schließen sie: »Governmentality approaches are relevant for analyzing how cultural industries, such as design, are governed in the contemporary context.« (ebd., S. 316)

Am Ende der Analyse der Designindustrie kommen sie dann zu dem Schluss, ein von Foucault inspirierter Regierungsbegriff helfe Akteur*innen und Organisationen, das Feld der Kreativwirtschaft effizienter zu regieren: »As Dean (1999) notes, the notion of governance encompasses an understanding of the way in which individuals and organizations question their own conduct in order to govern more efficiently.« (ebd., S. 331)

In den neuen Institutionen der Designindustrie sehen sie eine solide Institution für »policy experimentation« (ebd., S. 332), in denen die Kritik Foucaults und der Gouvernementalitätsstudien als eine Kritik gegen konventionelle Formen städtischer Regierung fruchtbar gemacht werden könne: »The institutional architecture that developed involves new technologies of government, new discourses of competitiveness and value-added production, and new subjectivities (such as the design citizen). Cultural institutions govern the behavior of a range of agents, including manufacturers, designers, consumers, students, educators, and retailers. In particular, they offer incentives to engage in more competitive and rational economic behavior on one hand and more nationalist cultural behavior on the other.« (ebd.)

Die Erkenntnis der Gouvernementalitätsstudien, dass Regierung stets ein Verhältnis von Fremd- und Selbstführung ist, das durch das Subjekt hindurch operiert, wird hier für eine ›bessere Regierung‹ der Designindustrie in Wert gesetzt, die auch die Identitäten der Beteiligten umfasst. Die Tatsache, dass das Machtverhältnis, das diese Subjekte konstituiert, ein problematisches sein könnte – eine Standardfrage der

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machtkritischen Gouvernementalitätsstudien – gerät hier völlig aus dem Blick. Andere Vertreter*innen zielen in dieselbe Richtung. Mathias Peter Reich argumentiert in seinem Buch »Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland« (Reich 2013): »Zwischen Governance und der Gouvernementalität Foucaults [...] gibt es, auch wenn das Foucault’sche Modell aus den 70er Jahren stammt, nicht nur aus semantischen Gründen eine ›hohe Anschlussfähigkeit‹. Beide Begriffe beschäftigen sich mit ›informellen (weichen) Formen des Regierens‹. Bei beiden geht es im Einverständnis mit den Regierten um ›Verlagerung ehemals staatlicher Handlungskompetenzen auf zivilgesellschaftliche und private Akteure‹ (Brunnengräber et al. 2004: S. 14).« (ebd., S. 27)

Das Konzept der ›Selbstführung‹ wird auch hier für das Konzept der creative governance vereinnahmt. Auf diese Weise wird sein ursprünglicher Sinn ins Gegenteil verkehrt: Denn ›Selbstführung‹ bedeutet für Foucault: »The contact point, where the individuals are driven by others is tied to the way they conduct themselves, is what we can call, I think government.« (Foucault 1993 [1980], S. 203, siehe Kapitel 2.1.1)

Dieses Spannungsverhältnis zwischen der eigenen Freiheit zu Handeln und der Konstitution des Selbst durch andere ermöglicht für Foucault eine kritische Denkbewegung, die hier ausgeblendet wird, nämlich eine kritische »Bewegung, in welcher sich das Subjekt das Recht herausnimmt, die Wahrheit auf ihre Machteffekte hin zu befragen und die Macht auf ihre Wahrheitsdiskurse hin« (Foucault 2009 [1978], S. 242, vgl. Kapitel 2.5). Eine kritische und ethische Form der Selbstführung im Sinne Foucault würde gerade nicht die zunehmende »Selbstführung« in den kreativen Industrien inkorporieren und in den Dienst von städtischer governance stellen, wie dies im Handbuch »Grundlagen der Kreativwirtschaft und Stadtentwicklung« von Sven Schlickewei et al. gefordert wird (vgl. Schlickewei et al. 2011, S. 31). Durch diese Verkehrung wird die angewandte Wissenschaft der governance von Kreativwirtschaft selbst zu einer Agentin und Erfüllungsgehilfin des Regierungsprogramms, dessen Machteffekte Foucault kritisiert. »Die Kreativwirtschaft ist durch ausgeprägte Formen des [sic!] ›self-governance‹ bestimmt [...]. Die Steuerung und Entwicklung der Kreativwirtschaft bedarf daher neuer Modelle des [sic] ›Urban Governance‹ [...]. Hierbei gilt es, Räume für eine freie Entfaltung von Kreativität zu schaffen, die eine Selbststeuerung der kreativen Milieus ermöglichen, um so ein Wachstum der Kreativwirtschaft im urbanen Raum herbeizuführen.« (ebd.)

Dies bedeute für die Planung, die durch ihre Regeln und Auflagen negative Effekte haben könne, dass sie auf ein »gesundes Minimum beschränkt« (ebd.) werden müsse.

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Bastian Lange sieht entsprechend die Hauptaufgabe der Politik darin, »den Aspekt Self-Governance für das Handlungsfeld Kreativwirtschaft zu stärken« (Lange et al. 2009, S. 19). Der Stadtsoziologe Oliver Frey entwirft in seinem Buch »Die amalgame Stadt« (2009) gar die Utopie einer sich selbst regierenden Stadt. »Als Steuerungsstrategie wird in diesem Konzept [der amalgamen Stadt, Anmerk. I. D.] ein normatives Verständnis von zeitlicher und sozialräumlicher Rücknahme der Steuerungsabsichten zugunsten von Eigenentwicklung und Selbstorganisation innerhalb der kreativen Milieus und ihrer Orte eingefordert.« (Frey 2011, S. 179)

Die genannten Problematisierungen setzen gegenwärtige Formen der Kritik am Regieren für die Regierung der kreativen Stadt in Wert. Sie sind nicht mehr länger ein Modus der Kritik, der eine Distanz zu gewohnten Problematisierungen und Denkformen erzeugt und das Fremdwerden mit ihnen erlaubt. Sie stellen keine »Kritik als eine soziale Praktik, die sich diesen Führungsverhältnissen und den ›herrschenden Wahrheiten‹ zu entziehen sucht« (Lemke 1997, S. 348), mehr dar. Damit verkehren sie den Sinn, für den Foucault den Modus der Problematisierung als eine kritische Praxis ins Spiel brachte, in sein Gegenteil. Indem die von Michel Foucault diagnostizierte »Selbstführung« der Subjekte in gegenwärtigen Regierungsregimen für eine effektive »Selbststeuerung der Stadt« proklamiert wird, wird seine Machtanalyse in ihr Gegenteil verkehrt, insofern es hier für die Analyst*innen nicht mehr – wie von Foucault gefordert – »eine ständige politische Aufgabe bleibt, die Machtbeziehungen und den ›Agonismus‹ zwischen ihnen und der intransitiven Freiheit zu analysieren, herauszuarbeiten und in Frage zu stellen« (Foucault 2005 [1982], S. 289). Inwertsetzung der Kritiken an Florida Neben Problematisierungen, die aktuelle Formen der Kritik am Regieren für eine ›bessere‹ Regierung der kreativen Stadt fruchtbar machen, gibt es noch eine zweite Form ›produktiver Kritik‹ im Feld aktueller Literatur zum Thema ›governance von Kreativität‹. Sie kennzeichnet sich dadurch, dass sie die Kritik an Florida in Wert setzt. Sie arbeiten sich an unterschiedlichen Aspekten seiner Thesen ab: dem Konzept kreativer Milieus, der Frage nach den drei »Ts« (Talent, Technologie und Toleranz), der Annahme eines »War for Talent« oder einer zu engen Fokussierung auf die Ökonomie in der kreativen Stadt. Die bekannteste und in Bezug auf ihre Inwertsetzung bedeutendste Kritik ist die am Konzept der kreativen Klasse (vgl. z. B. Edensor et al. 2010, Krätke 2010, Milligan 2003, Pratt 2008, 2009), die im Folgenden exemplarisch näher betrachtet werden soll. Floridas Begriff sei zu breit und schwammig. Dies mache es Wissenschaftler*innen wie Praktiker*innen unmöglich, diese »Klasse« zu bestimmen und mit diesem Konzept zu arbeiten. »The creative class is defined as those whose occupations range from artists and software designers (the super-creative core) to management

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and legal experts (the creative professionals)« (Pratt 2008, S. 108). Kritiker*innen behaupten, dass es nur möglich war, ein so außerordentliches ökonomisches Potenzial der Branche zu diagnostizieren und sie normativ zum Zukunftsmodell von Ökonomie überhaupt zu erheben, weil ihre Definition extrem weit war und sogar bis in nicht im engeren Sinne kreative Bereiche, wie die Software-Branche oder Rechtsdienstleistungen, ausgedehnt wurde (vgl. Garnham 2005, S. 26). Wie aber soll eine Förderpolitik aussehen, die Rechtsanwält*innen, Software-Entwickler*innen und Künstler*innen in gleichem Maße umfasst? Ein zweites Problem stellt die statistische Erfassung dar. Praktiker*innen und auch Wissenschaftler*innen sind, sofern noch keine anders gearteten wissenschaftlichen Untersuchungen vorliegen und auf große Zeitreihen und vergleichbare Daten zurückgriffen werden kann, um solide Aussagen über Trends und Prognosen treffen zu können, auf die Daten der statistischen Ämter und Handelskammern angewiesen. Die meisten Statistiken operieren jedoch branchen- und nicht tätigkeitsbezogen. Das bedeutet, dass nicht zu trennen ist, ob die wirtschaftliche Leistung allein aus der ›schöpferischen Tätigkeit‹ als dem Kern kreativen Schaffens entstanden ist, oder ob sie im Bereich ihrer Verwertung oder anderer zur ihrer Herstellung notwendigen, reproduktiven Tätigkeiten erwirtschaftet wurde. Wenn sehr heterogene Tätigkeitsfelder und Branchen unter dem Label ›kreative Klasse‹ zusammengefasst werden, entsteht eine Verzerrung, weil dann der Löwenanteil des Mehrwerts durch nicht im engeren Sinne kreativen Tätigkeiten erwirtschaftet wird. Ein Beispiel wären Postproduktionsfirmen, die kreative Inhalte in erster Linie verwerten und nicht selbst herstellen. In enger Kooperation zwischen Wissenschaft und Praxis hat sich daher eine Definition nicht der ›kreativen Klasse‹, sondern der Kreativwirtschaft (der creative industries) durchgesetzt, die nicht nach schöpferischen Tätigkeiten, sondern, in Anlehnung des bereits oben vorgestellten »Creative Industries Mapping Document« (Department for Culture, Media and Sport 1998) der »Creative Industries Task Force«, nach Branchen definiert ist. Da sich diese Definition noch als sehr unscharf und inkonsistent erwies, bedurfte es ganzer Generationen von angewandten Wissenschaftler*innen, die sie analysierten, kritisierten, ausdifferenzierten und weitere Vorschläge zur Verbesserung machten, die dann politisch auf unterschiedlichen Maßstabsebenen umgesetzt wurden (vgl. Kapitel 4.4.1). Neben dem Begriff der kreativen Klasse setzen akademische Kritiken und Problematisierungen noch weitere Aspekte der Florida-Thesen für die Stadtökonomie in Wert. Die Auseinandersetzung mit der Anziehungskraft kreativer Milieus durch weiche Standortfaktoren wird vor allem von geographischen Clusterforscher*innen befeuert, die diese einfache These um Problematisierungen und um Fragen nach der Rolle von Wissen, Netzwerken und verfügbaren Infrastrukturen erweitern (vgl. z. B. Cooke und Lazzeretti 2008, Heebels und van Aalst 2010, Markusen und Gadwa 2010, S. 388, Power 2010, Spencer 2012a, van Heur 2009, 2010b).

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»From this comparative perspective, novelty in policy responses – between creative industry and urban policy and between cultural and economic policy – is still lacking in imagination and is over-reliant upon unproven (or nontransferable) models of intervention and employment growth. This is most apparent from this survey in the confusion between regional (including transborder) industry based economic policy and cluster-based approaches and sectoral interventions – and urban policy directed at area and community based social and economic regeneration.« (Evans 2009, S. 1032)

Weitere Kritiken vertiefen die Frage, wie Städte Kreative effektiver anziehen können, indem sie Fragen des city brandings (siehe z. B. Jansson und Power 2010) vorantreiben, wieder andere untersuchen wie kreative Milieus geschaffen und zur »Aufwertung« »in problembehafteten Quartieren« (vgl. z. B. Heider et al. 2011, S. 257) beitragen könnten. Wieder andere Kritiken setzen an den von Florida entwickelten gayund diversity-Indices an, mit denen er zeigt, dass kreative Städte einen hohen Anteil homosexueller und kulturell vielfältiger Bevölkerung haben und woraus er schließt, dass das Vorhandensein eben dieser Bevölkerungsschichten in Städten ein hohes kreativökonomische Potenzial anzeige (Florida und Gates 2003). Während der gay-Index mittlerweile größtenteils abgelehnt wird, weil er Meldedaten, bei denen mindestens zwei gleichgeschlechtliche Menschen ein Haus oder eine Wohnung teilen, eine gleichgeschlechtliche Lebensweise unterstellt, was gerade in Universitätsstädten mit einem hohen Anteil an WGs zu großen Verzerrungen führt, sind aus der Kritik an Florida heraus eine Vielzahl neuer diversity-Indices entstanden, die Vielfalt in Städten besser zu erheben versuchen als das Florida’sche Vorbild. Sie dienen häufig zur Entwicklung von policies, die das Potenzial der zuvor häufig als Problem wahrgenommenen kulturellen Vielfalt für die kreativökonomische Entwicklung von Städten zu nutzen versuchen (Baycan-Levent 2009, 2009, Eckardt und Merkel 2010, Frisken und Wallace 2008, Merkel 2011, Syrett und Sepulveda 2011, Wimark 2014). Es wäre aber verkürzt zu sagen, die angewandte Wissenschaft beschränke sich in ihrer Kritik auf die Optimierung lokaler Wirtschaftsförderung oder fungiere ausschließlich als Gentrifizierungsgehilfin. Dass die Lage der Kritik der Florida-Thesen komplexer ist, zeigt ein Blick auf Fragen nach sozialer Ungleichheit, Prekarität oder einem einseitigen Fokus auf ökonomische Interessen. Auch in der angewandten Literatur, deren Ziel es ist, ein »nuancierteres Verständnis der kreativen Identitäten und Praktiken« (Rantisi et al. 2006, S. 1795) zu erreichen, um »Politiker*innen erfolgreicher zu machen« (Pratt 2008, S. 107) und ihnen die »dringend benötigten Antworten« (Markusen und Gadwa 2010, S. 388) zu geben, werden nicht nur Fragen ökonomischer Inwertsetzung verhandelt, sondern auch empfohlen, diese stärker und gegen soziale Interessen abzuwägen. Rantisi und Blackmann beispielsweise warnen vor einem zu einseitigen Fokus auf ökonomische Interessen (Rantisi und Blackman 2005, S. 27). Bontje et al. weisen darauf hin: »When money is tight and choices have to be made, economic competitiveness will prevail at the cost of social policies« (Bontje

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und Musterd 2009, S. 851), auch Stuart Cunningham fordert, kreative Stadtentwicklungsprogramme dürften die Frage der Inklusion nicht aus den Augen verlieren (Cunningham 2009, S. 384), Andy Pratt stellt fest, dass kreative Aufwertungsprozesse »eine neue Verteilung von privilegiert und benachteiligt« (Pratt 2009, S. 1042) schaffen und Catungal und Leslie zeigen am Beispiel von Toronto, dass die Förderung kreativer Quartiere zu einer verstärkten Polarisierung führe: »Ultimately, the practices of the LVBIA [Liberty Village Community Association, Anmerk. I. D.] and property managers promote exclusion and selectivity, suggesting that discourses and practices of networking and association work to enhance uneven geographies rather than to alleviate them« (Catungal und Leslie 2009b, S. 2593). Markusen und Gadwa schlagen daher alternative »cultural planning tools« vor wie »low-income housing« oder »rent control« (Markusen und Gadwa 2010, S. 388). Diese Empfehlungen gehen in den genannten Arbeiten aber nie über Randnotizen hinaus und stützen sich – anders als im Falle der ökonomischen Inwertsetzung von Kreativität – nicht auf quantitative Erhebungen oder fundierte qualitative Analysen. 4.4.3 Kritik an der Regierung der kreativen Stadt Neben den Kritiken, die aus dem Feld der angewandten Wissenschaft kommen und denen in erster Linie daran gelegen ist, das behauptete ökonomische Potenzial von Kreativität im Zuge der Veränderung und Anpassung von urban governance-Prozessen besser in Wert zu setzen und auszuschöpfen, gibt es einen zweiten Strang an Literatur, der sich mit der Regierung von Kreativität in der Stadt auseinandersetzt. Kritik der kreativen Stadt als neoliberal In der kritischen und postmarxistischen Interpretation stellt das »Kreativitätsskript« (Peck 2005, S. 749) eine neoliberale Problematisierung sowie einen neoliberalen Bearbeitungsmodus der fordistischen Krise und des damit einhergehenden Umbaus zum Wettbewerbsstaat dar. In dieser Interpretation wurde die fiskalische Krise vieler Städte durch die massive Deindustrialisierung und fehlende Möglichkeiten der Kompensation dieser wegbrechenden industriellen Grundlage vor dem Hintergrund von Internationalisierung und Globalisierung verschärft. Andere Städte, die bereits Versuche der Restrukturierung gemacht hatten, kämpften mit den Folgen des Platzens der »dot.com«-Blase. Im Zuge einer Vertiefung von Globalisierungsprozessen und mitgetragen durch eine zunehmend neoliberale Politik kam es zu einer Verschärfung interurbaner Konkurrenz, die den vom Klassenkompromiss getragenen Wohlfahrtsstaat zunehmend aushöhlten. In vielen Ländern führte eine neoliberale Politik zum Rückzug des Wohlfahrtsstaates zugunsten einer workfare-Politik. Dies ging mit einer Verlagerung von Aufgaben, Lasten und Verantwortlichkeiten vom Staat auf die Kommunen einher. Städte übernahmen mehr und mehr jene versorgende Aufgaben,

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die zuvor der Wohlfahrtsstaat übernommen hatte. Der steigende ökonomische Druck auf die Kommunen führte zu einer Konkurrenz der Standorte untereinander um Unternehmensansiedlungen zur Refinanzierung der gestiegenen Lasten aus Gewerbesteuereinnahmen und den städtischen Effekten lokal generierter Umsätze. Darüber hinaus versuchten viele Städte das Problem der gestiegenen interurbanen Konkurrenz darüber zu lösen, dass sie zunehmend Managementtechnologien und Prinzipien unternehmerischer Betriebsführung auf die Verwaltung übertrugen (vgl. Brenner 2009, Harvey 1987, Harvey 1989a). Vor diesem Hintergrund erschien das Florida’sche Konzept der kreativen Stadt wie eine gerufene Verheißung, denn es versprach, urbane Probleme preisgünstig zu lösen. »In some cases, following this [Florida’s, Anmerk. I. D.] advice has led cities to endorse targeted promotional campaigns as a substitute for, or low-cost complement to, orthodox urban-regeneration policies.« (Peck 2005, S. 754). Ein Wohlfühlklima für Kreative, subkulturelle Szenen und kulturelle Vielfalt aktivierten kreatives Potenzial, das schon vor Ort ist, und zögen weiteres an. Die Logik, dass ein Wohlfühlklima Kreative anzieht und mit ihnen wie von selbst auch Unternehmen, Technologie, Innovation und Wirtschaftswachstum folgen würden, klingt gut in Zeiten fiskalischer Krisen mit geringen Möglichkeiten zur Investition. Statt mit teuren fiskalischen Anreizen zu werben, brauchen Städte jetzt vor allem weiche Standortfaktoren. Kreative Imagepolitik und die Schaffung kultureller Leuchttürme dienen dabei der Erhöhung der Sichtbarkeit des Standortes im interurbanen Wettbewerb. Da in der postindustriellen Gesellschaft die größten Wertschöpfungsgewinne mit wissensbasierter/kreativer Arbeit erzielt werden können, stärken die kreativen Industrien die eigene Position im interurbanen Wettbewerb. Für sie sind die neuen governance Bemühungen im Bereich Kreativität die Fortführung einer wettbewerbsorientierten, unternehmerischen Stadtpolitik mit anderen Mitteln, einer Politik also, die ökonomisches Wachstum vor die Sicherung sozialer und kultureller Standards stellt: »The tonic of urban creativity is a remixed version of this cocktail: just pop the same basic ingredients into your new-urbanist blender, add a slug of Schumpeter lite for some new-economy fizz, and finish it off with a pink twist. The flavor, though, is a distinctive one. Cities, and urban policies, remain substantially constituted by an ideologically amplified deference to ›external‹ competitive forces and threats [...]. The indiscriminate pursuit of growth is superseded by a new emphasis on rewarding, good-quality jobs, though these are reserved for the new overclass of interloping creatives. [...] The subordination of social-welfare concerns to economic development imperatives (first, secure economic growth, then wait for the wider social benefits to percolate through) gives way to a form of creative trickledown; elite-focused creativity strategies leave only supporting roles for the two-thirds of the population languishing in the working and service classes, who get nothing apart from occasional tickets to the circus.« (ebd., S. 766)

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Am Beispiel von Amsterdam zeigt Peck, dass im Zeichen von Kreativität in erster Linie Symbolpolitik betrieben wird, die mit sehr geringen Ressourcen operiert (vgl. Peck 2012, S. 474). Peck bezeichnet Kreativität als »umbrella term«, der bestehende neoliberale Regierungsprogramme in der unternehmerischen Stadt unter neuem Namen, aber ohne signifikante Veränderung des Regierungshandelns, unter sich vereine (vgl. ebd.). »The real utility of the creativity meta-policy lies with its facilitative role as a flexible discursive frame — closely aligned with, and to some degree mystifying, already-existing ideologies, imperatives and practices — one that allows the expedient consolidation and repackaging of extant lines of policy, with what most politicians consider to be a favorable investment/payoff ratio.« (ebd., S. 474)

Und so kommt er zu dem Schluss, dass nicht ein Markt für internationale policies das »Kreativitätsskript« (Peck 2005, S. 749) so erfolgreich mache, sondern eine ungeheure »Elastizität« (Peck 2012, S. 478) und Anschlussfähigkeit an unternehmerische Stadtpolitik als hegemonialer Form des Regierens in Metropolen (ebd., S. 479). Auf diese Weise trüge die Ideologie der kreativen Stadt zur Konsolidierung eines »business-as-usual neoliberal urbanism« bei, der die zunehmende Polarisierung zwischen Gewinner- und Verliererstädten, aber auch zwischen Vierteln der Aufwertung und solchen der Abwertung, weiter vorantreibe (ebd., S. 481). Kritische und postmarxistische Theoretiker*innen kritisieren die Inkorporierung von Kreativität in die Verwertungszyklen unternehmersicher Stadtpolitik sowie die damit einhergehende Reduzierung ihrer sozialen und kulturellen Dimension auf eine rein ökonomische. Ihr besonderer Augenmerk richtet sich auf die Reduzierung von Kultur und ihrer Institutionen auf ihre Leuchtturmfunktion im internationalen Wettbewerb, die Verschiebung von Mitteln aus sozialen Bereichen zugunsten der Finanzierung von international sichtbarer Solitärarchitektur wie das Guggenheim Museum in Bilbao (Guarneros-Meza und Geddes 2010) oder die Elbphilharmonie in Hamburg oder der Schaffung eines Wohlfühlklimas für Kreative durch die Investition in große urban redevelopment-Projekte, der Schaffung von Ausbildungsstätten für Hochqualifizierte, eines Wohnungsangebots im Hochpreissegment sowie einer aktiven und internationalen Vermarktung der kulturellen und subkulturellen Besonderheiten der Stadt im Zuge groß angelegter Stadtimagekampagnen (Mattissek 2008). Einen solchen Kanon an Aktivitäten, den Andreas Reckwitz (2009a) als »Selbstkulturalisierung« der Stadt bezeichnet, bezeichnen kritische Geograph*innen als neoliberale Stadtentwicklung (vgl. Lehrer 2012, Peck 2010a, 2012, Rantisi und Blackman 2005, Ronneberger 2011, Peck 2012) und das Konzept der kreativen Stadt als Ideologie (McGuigan 2005, Schipper 2013, Schlesinger 2007). Für McGuigan dient die kreative Stadt der Durchsetzung einer »marktorientierten Mentalität« vermittels Kultur, die sich als »Ideologie« zum »Common Sense« verwandelte und damit hegemonial

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geworden sei (McGuigan 2005, S. 230). Auf diese Weise würde der Kultursektor als »Schlüsselsektor ökonomischen Wachstums« systematisch überbewertet (Garnham 2005, S. 15). »A consideration of its [the creative city script, Anmerk. I. D.] ideological features is a necessary supplement to the economic analysis of neo-liberal globalisation. Ideology mediates economics and culture. As it is used here, the concept of »ideology« refers to how dominant power relations and inequalities are legitimised by distorted representations of reality at various levels. [...] Culture is now saturated with a market-oriented mentality that closes out alternative ways of thinking and imagining.« (McGuigan 2005, S. 229)

Kreative würden unter diesen Umständen zu »Agent*innen des neoliberalen Urbanismus« (Lehrer 2012, S. 114). Neoliberalisierung zeige sich in der kreativen Stadt als eine Form der Umverteilung von unten nach oben. »This, in effect, is a recipe for creative (market) distribution, not social redistribution, one that is entirely compatible with a low-tax, market-oriented polity« (Peck 2005, S. 759, vgl. auch Peck 2012, S. 475, Duggan 2004, S. XI). Kritik am Ausverkauf von Sozialpolitik zugunsten von Kulturpolitik Neoliberale Kreativstadtpolitik führe zu einem Ausverkauf von Sozialpolitik und Arbeitsrechten zugunsten von Kulturpolitik (vgl. McGuigan 2005, S. 238, Ronneberger 2012a, Schipper 2010, S. 321). »A distinctive yet seldom mentioned feature of neo-liberal development is to translate issues of social policy into questions of cultural policy. And, in its turn, cultural policy ceases to be specifically about culture at all. The predominant rationale for cultural policy today is economic, in terms of competitiveness and regeneration, and, to a lesser extent, social, as an implausible palliative to exclusion and poverty.« (McGuigan 2005, S. 238)

Und auch Peck stellt fest: »Certainly, there is no space here for ›obsolete‹ forms of politics, like unions or class-aligned political parties, all of which are breezily dismissed« (Peck 2005, S. 746). Zahlreiche neuere Arbeiten problematisieren die exkludierenden Wirkungen von Kreativstadt-Initiativen. Prominent sind hier die Arbeiten zur Verdrängung der Künstler*innen und Kreativen, im Zuge von urbanen Restrukturierungs- und Gentrifizierungsprozessen, die sich in oft prekärer Arbeit um die kulturelle Vielfalt und den sozialen Zusammenhalt ihrer Stadtteile kümmern, sowie ärmerer und benachteiligter Bewohner*innen der Viertel, die im Fokus kreativer Restrukturierungsmaßnahmen stehen (vgl. Holm 2011, Hutton 2009, Ronneberger 2012b, Slater 2006, für Barcelona siehe Casellas und Pallares-Barbera 2009, für Hamburg Vogelpohl 2009, für Mailand Sacco und Tavano Blessi 2009, für Toronto und Catungal und Leslie

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2009b, für Vancouver Barnes und Hutton 2009). Nina Schuster zeigt in ihrer Studie über die Aufwertung der Nordstadt in Dortmund im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms ›Essen.Ruhr2010«, dass die Fokussierung auf die Aufwertung bestimmter Quartiere zur Vernachlässigung anderer führe (Schuster 2011, S. 226). Doch ebenso wenig wie es kaum quantitative Erhebungen und belastbare Zahlen gibt, die den ökonomischen Erfolg dieser Initiativen belegen, ist auch die Messung sozialer Exklusion aufgrund von Kreativstrategien äußerst schwierig, weil wie Pratt bemerkt urbane Regenerationsprozesse häufig komplexe Veränderungen darstellen, die nicht allein auf einen Faktor reduzierbar sind (Pratt 2009, S. 1055). Eine sehr erhellende qualitative Analyse liefert Eugene McCann, der am Beispiel Austin (Texas) zeigt, dass die Implementierung von Kreativstadtpolitiken wie sie im Zuge einer »smart growth«-Initiative, die Austins Position im Rahmen eines »neuen Regionalismus« im Wettbewerb stärken sollte und vor allem auf die Restrukturierung »problematischer Stadtteile« zielte, de facto zu einer sozialen Polarisierung und Verdrängung führte (McCann 2007). Dabei zeigt er, dass städtische Quartiere und die sie umgebenden Stadtregionen nicht mehr nur als Orte sozialer Reproduktion dienen, sondern zu Schlüsselelementen regionaler Wettbewerbsfähigkeit gemacht werden (vgl. ebd., S. 194). Er bezeichnet die dort verfolgte Kreativstadtpolitik als »geographically selective, strategic and highly political project« (ebd., S. 188), was auf die Steigerung von Lebensqualität für die kreative Klasse abzielte und ärmere Bevölkerungsschichten aus ihren Quartieren verdrängte. »Austin’s regional smart growth agenda had one driving purpose: to turn the prevailing tide of investment [...] in favor of new business and residential development in the urban core and, more specifically, in the city’s downtown and surrounding neighborhoods. From the perspective of many residents of these neighborhoods, a number of which are Austin’s poorest places with its highest concentrations of ethnic minorities, the new policy created the opportunity for an externally controlled wave of investment and rebuilding to sweep across their neighborhoods, transforming them in the image of new corporate Austin while decimating long-established communities. To overcome this political problem, planners were charged with setting the neighborhood at the heart of their regional agenda.« (ebd., S. 191)

Er kritisiert, dass nicht nur die im Rahmen der smart growth-Initiative versprochenen trickle down-Effekte für die der Kreativökonomie zuarbeitenden Dienstleistungsökonomie ausblieben, sondern, dass – obwohl selbst Florida in der Einleitung zur »The Rise of the Creative Class« (2002b, S. xv ff.) die zunehmende Polarisierung thematisiert – keine Politiken des Ausgleichs geschaffen wurden (vgl. McCann 2007, S. 195). Diese Form der Restrukturierung aber ist nicht unumkämpft: »The struggle to stabilize a city-regional coherence revolves around fundamental – and often racially inflected – questions of social reproduction including wage inequality, increasing costs

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of housing, fears of displacement, the destruction of longstanding community structures, the character, purposes and class relationships underlying environmental policy, and the unequal provision of recreational opportunities.« (ebd.)

In Austin aber konnte der Protest keine Änderung der Agenda zugunsten von Politiken des Ausgleichs für die betroffene Bevölkerung erwirken. Eine weitere interessante qualitative Analyse in dieser Hinsicht liefert Heather McLean (2014) aus einer intersektionalen Perspektive. Dort zeigt sie wie dezidiert inklusive Institutionen, die Kultur- und Sozialarbeit verbinden, wie die »Toronto Free Gallery«, im Zuge der creative city-Strategie in Toronto Teil von Aufwertungsstrategien werden, die soziale Arbeit gegenüber Kultur marginalisieren und somit in die Produktion sozialer Ungleichheit verwickelt werden (ebd., S. 685). Die creative cityStrategie hat im Endeffekt exkludierende Wirkung. Ein besonders eindringliches Beispiel ist das »Toronto Nuit Blanche Festival of Contemporary Art and Luminato Festival«, welches »Licht in die Stadtteile bringen« soll (»shed light«; ebd., S. 674). »Urban revitalization-oriented arts festivals that reiterate colonial discourses about ›enlightening‹ and ›cleaning up‹ urban spaces also naturalize racialized exclusion« (ebd., S. 686). Sie betont aber auch das Potenzial von Künstler*innen, dominante Kreativstadtnarrative, die intersektionale Exklusion naturalisieren, zu kritisieren und herauszufordern. Mit der Marginalisierung von Fürsorge und sozialer Reproduktion im Zuge kreativer Selbstausbeutung von jungen Kreativen beschäftigen sich vor allem feministische Forscher*innen wie Angela McRobbie (2003, 2009, 2011), Jade Boyd (2010), John Catungal, Deborah Leslie, Kira Kosnick (2008, 2012) und Thomas Wimark (2014). Sie thematisieren Ausschlussmechanismen entlang der Achsen von Geschlecht, ›Ethnizität‹ und kultureller Zugehörigkeit. Mit der geographischen Dimension der zunehmenden Prekarisierung von Arbeit befassen sich in Janet Merkel (2008) sowie Alison Bain und Heather McLean (2013, für eine ausführliche Diskussion der Prekarisierung im Bereich kreativer Arbeit siehe Kapitel 4.3.2). Kritik an der zunehmenden Vermarktlichung von Kultur und Vielfalt Weitere kritische Stimmen problematisieren die zunehmende Funktionalisierung von Kultur- und Kreativpolitik in Richtung Innovationspolitik oder für das Standortmarketing sowie die Reduzierung von Kreativität und Kreativindustrien auf ihren ökonomischen Wert, der mit einer Desartikulation ihres kulturellen und sozialen Wertes für die Stadt einhergehe (siehe z. B. Banks und O’Connor 2009, Galloway und Dunlop 2006, 2007, Gray 2007, O’Connor 2009). »The knowledge economy-based concept of creative industries, it is maintained, has no specific cultural content and ignores the distinctive attributes of both cultural creativity and cultural products. As such it overrides important public good arguments for state support of culture,

146 | KREATIVPOLITIK subsuming the cultural sector and cultural objectives within an economic agenda to which it is illsuited.« (Galloway und Dunlop 2007, S. 17)

Nicolas Garnham bezeichnet »Tony Blair and Gordon Brown’s ›New Labour‹ creative industries [...] as a policy Trojan horse to promote the shift to and reinforcement of ›economic‹ and ›managerial‹ language and patterns of thought within cultural and media policy« (Garnham zit. n. Flew und Cunningham 2010, S. 4) und Banks und O’Connor behaupten »the agenda has been ›high-jacked‹ in instrumental, economistic ways« (Banks und O’Connor 2009, S. 372) und auch Norma Rantisi und Jason Blackman fürchten den Ausverkauf freier Kunst. »Within the context of neoliberalism, the emerging emphasis on economic dimensions threatens to subordinate the arts to economic development and give greater authority to private actors.« (Rantisi und Blackman 2005, S. 27)

Andere Forscher*innen kritisieren, dass Kulturinitiativen in der kreativen Stadt in einen harten Konkurrenzkampf um knapper werdende öffentliche Fördermittel treten, was nicht nur zu einer zunehmenden Professionalisierung und Ökonomisierung ihrer Antragsstrategien führe, sondern auch ihre Programmabwicklung bis hin zur -gestaltung beeinflusse (Bain und McLean 2013, Robertson 2006). Hinzu kommt, dass auch Kulturpolitik einer Ökonomisierung unterliegt und mehr und mehr einem Rechtfertigungsdruck unterliegt (vgl. Belfiore 2002, McGuigan 2005). Institutionen wie z. B. die »National Arts and Media Monitoring Group« des »Arts Council« in Großbritannien (National Arts and Media Strategy Monitoring Group 1992) oder das von Charles Landry gegründete Netzwerk COMEDIA (Matarasso 1996, 1997) auf europäischer Ebene ›messen‹ den Erfolg von Kulturinitiativen, indem sie ihre häufig nur qualitativ zu bestimmenden Aktivitäten und Erfolge in vergleichbare Zahlen übersetzen. Der These, Sozialpolitik würde in der kreativen Stadt zugunsten einer auf die höhere Mittelschicht abzielende angebotsorientierte Kulturpolitik abgelöst, könnte entgegengehalten werden, dass in den vergangenen Jahren – vor allem in Europa – eine Vielzahl von Initiativen entstanden sind, die die Förderung von Kulturprojekten gerade zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts in Quartieren einsetzen oder mit sonstigen sozialen Aufgaben wie z. B. Integrations- oder Berufsvorbereitung verbinden. Mehr noch, derzeit ist es für Kulturinstitutionen und –initiativen schwer geworden, überhaupt öffentliche Förderung zu erhalten, sofern sie nicht dezidiert den ›sozialen Mehrwert‹ ihres Vorhabens nachweisen können. Klassische Kulturinstitutionen wie Museen und Bibliotheken, die traditionell eher ein bildungsbürgerliches, weißes Publikum ansprechen, stehen heute unter einem nie dagewesenen Druck, ihre Institutionen im Zuge von diversity-Politiken auch für ›bildungsferne‹ oder ›migrantische‹ Bevölkerungsschichten zu öffnen (UNESCO 2009). Dem halten kritische Stimmen aus

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der Kulturpolitik entgegen, dass eine solche Politik eine Funktionalisierung von Kunst und Kultur darstelle, die das Recht auf Kultur im Rahmen städtischen Zusammenlebens in einen Zwang zur Rechtfertigung transformieren, indem Kunst und Kultur nur anerkannt werden, wenn sie entweder einen nennenswerten ökonomischen oder sozialen Nutzen nachweisen könne. Auf diese Weise würde Kulturpolitik geschwächt (Oakley 2009) und Kunst und Kultur zu einer Dienstleitung, welche im Wettbewerb einfach zu substituieren ist. »[A]ttempting to sustain the cause of public funding of the arts, they have in fact weakened the argument for public support of the arts [...]. If the arts cannot prove to be a cost-effective means of delivering social benefits, they are destined to lose the struggle for funding against other areas of public spending of established effectiveness in tackling social issues.« (Belfiore 2002, S. 104)

Auch hier gilt, dass Sozialpolitik, die für die Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums oder die Sicherstellung von Ausbildungswegen sorgt, nicht durch Kulturprojekte und -institutionen ersetzt werden kann. »Yet the problem here is that quality and excellence are open to the market test of consumer preference and access is, by definition, not a problem, since a successful creative industry has solved the access problem through the market. If it is successful, why does it need public support?« (Garnham 2005, S. 28)

Die zunehmende Orientierung von Kunstförderung an einer Angebotspolitik, die sich am Leitbild der ›Exzellenz‹ orientiert, kritisiert Garnham als »corporate violation of public culture« (ebd.). Sie führe zu einer Verschiebung des Kunstbegriffs, definiert als eine Qualität von Gemeinschaft, in Richtung von Kunst als Wert, der im Zuge von Imagekampagnen oder auf dem sich erhitzenden Kunstmarkt ökonomisch zunehmend profitabel verwertet werden könne. »In fact we are left with the unavoidable conclusion that the term ›excellence‹ within arts policy discourse can only be a code for exclusivity, for the hierarchy of forms and activities (where excellence is found) as opposed to the normal everyday cultural products produced by the cultural/creative industries and consumed by their paying publics.« (ebd.)

Und so kommt Kate Oakley zu dem Schluss, der für den deutschen Kontext sicherlich nur mit Einschränkungen zutrifft: »Although [...] the discourse of creative industries temporarily made the arts seem visible to policy-makers who had never thought to notice them before, and at the regional level, it secured funding for regeneration projects that often involved the arts (Evans and Shaw 2004); it did so

148 | KREATIVPOLITIK at the cost of collapsing several, carefully constructed arguments for public cultural funding into essentially one: it’s good for the economy.« (Oakley 2009, S. 410)

Auch die Rolle von Vielfalt in der kreativen Stadt wie sie von Florida und seinen Anhänger*innen propagiert wird, hat eine kritische Kommentierung von einer Vielzahl von Autor*innen erfahren. Während sie grundsätzlich die Bewertung von Vielfalt als Chance und nicht als Problem in Städten teilen, kritisieren sie aber ihre Reduzierung auf ihre ökonomische Funktion im Sinne der Generierung von Mehrwert für Unternehmen oder die Stadt. Dabei würden im Zuge der Zelebrierung von Internationalität und der Kenntnisse und Fähigkeiten, die gerade hochqualifizierte Menschen in die Stadt brächten, Programme, die strukturelle Ungleichheit oder Rassismus thematisieren, zunehmend in den Hintergrund geraten (vgl. Catungal und Leslie 2009a, Collins und Friesen 2011, Rodatz 2012, Valverde 2008). »In many cases, appropriating ethnic and racial diversity to sell the city serves as an expression of power and privilege, emptying difference of its political integrity and cultural meaning.« (Catungal und Leslie 2009a, S. 703)

Forderung nach Wiederaneignung des kompromittierten Kreativbegriffs Den (neo-)liberalisierenden Kräften und Prozessen, die mit der Implementierung von creative, cultural und media policies vor allem in Großbritannien einhergehen, entgegnen kritische Aktivist*innen (unter anderem aus der reclaim the streets-Bewegung), mit der Forderung, den mittlerweile instrumentell gewordenen Begriff, wieder anzueignen und neu zu besetzten und auch jene Menschen mit in die Definition der ›Kreativen‹ aufzunehmen, deren Überlebenskampf am Rand der unternehmerischen Stadt jeden Tag »kreative Lösungen« erfordere. »[T]he real creative class in these cities is the poor« schreiben David Wilson und Roger Keil (2008, S. 841). Paul Chatterton verleitet diese Überlegung zu der Frage: »Are the Creative City’s progenitors ready for an army of creative, difficult and often unlawful citizens to chip away at the world we live in, in the hope of replacing it with a different one?« (Chatterton 2000, S. 397). Die Antwort auf diese Frage, liefert er pointiert selbst: »A way forward, then, is to build an agenda for creativity which challenges rather than reinforces social and economic norms and is serious about embedding radical alternatives and shifting power and resources. However, the weakness of the current creative city concept is that for it to be acceptable for a liberal audience of policy makers and politicians it has to dilute or exclude unpalatable definitions of creativity.« (ebd., S. 396)

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Der Liberalisierung und Ausdehnung der Marktsphäre im Bereich der Kultur- und Kreativindustrie hält Russell Keat entgegen, dass kulturelle Aktivitäten sowie die Institutionen, die diese rahmen, am besten funktionierten, wenn sie von den entfesselten Marktkräften ferngehalten würden (Keat 2000). Peter Marcuse fordert ein »political and social right to the creative city« (Marcuse 2011, S. 3) »But what does this rather nebulous term mean? It refers to a new ›method of strategic urban planning and examines how people can think, plan and act creatively‹ (Landry, 2000, p. xii). A city is being creative, then, when people adopt new and different ways of looking at the problems which they face.« (Chatterton 2000, S. 390)

4.4.4 Zwischenfazit: Übersetzung von Wissenschaft in ›die Praxis‹ Das vorangegangene Kapitel hat die Konstitution von Kreativität als ein Problem der Regierung herausgearbeitet. Dabei wurde im ersten Schritt anhand einer Analyse relevanter policy paper gezeigt, wie und unter welchen Bedingungen Kreativität politisch als ein Problem der Regierung artikuliert wurde und welche Rolle die angewandte Forschung dabei spielt (vgl. Kapitel 4.4.1). In Kapitel 4.4.2 wurde herausgearbeitet, welche zentrale Rolle Kritik an den Thesen Floridas und den frühen Definitionen von Kreativwirtschaft für ihre Übersetzung in handhabbare und implementierbare policies hatten, die Kreativität in der Stadt so zu steuern versuchen, dass durch sie ein ökonomischer Mehrwert realisiert werden kann. In diesem Zusammenhang wurde auch gezeigt, dass dieser Problematisierungs- und Übersetzungsprozess nicht selten ohne den Hinweis auf die Effekte sozialer Ungleichheit geschieht, die creative policies häufig provozieren. Es wäre also falsch zu sagen, die angewandte FloridaKritik sei eigentlich gar nicht kritisch. In Kapitel 4.4.3 wurden sodann die zahlreichen Problematisierungen und Kritiken vorgestellt, die das Konzept der kreativen Stadt und der creative policies grundsätzlich in Frage stellen, weil sie in ihm ein neoliberales Steuerungsmoment sehen, das Ungleichheiten in der Stadt vertieft, Sozialpolitik im Namen von Kulturpolitik für eine wohlhabende weiße Mittelschicht ausverkauft und Kultur und Vielfalt von einer Qualität menschlichen Zusammenlebens in der Stadt auf ein ökonomisch zu realisierendes Asset verkürzt. Es kann also festgehalten werden, dass mittlerweile ein sehr breites und wissenschaftlich ausgearbeitetes Set an Problematisierungen der Regierung der kreativen Stadt vorliegt. Dabei reicht die Kritik der kreativen Stadt von ihrer Optimierung als lukratives Zukunftsmodell bis hin zu ihrer Ablehnung als neoliberale Ungleichheitsproduzentin und Quelle prekärer Arbeits- und Lebensbedingungen (vgl. hierzu vor allem auch Kapitel 4.3). Interessant aber ist, dass bislang ausschließlich solche Problematisierungen und Kritiken des Regierens der kreativen Stadt in konkrete policies übersetzt wurden, die die kreative Stadt (auch) ökonomisch in Wert setzen wollen (vgl. Kapitel 4.4.2). Dies

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sind solche policies, die eine verbesserte Definition von kreativer Klasse/Kreativwirtschaft, Theorien über kreative Milieus und Cluster, branding als Tool zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und Anziehung von Kreativen oder Kreativität zur Aufwertung von Stadtquartieren einsetzen. Zuvor wurde bereits angeführt, dass Städte wie Amsterdam, Barcelona, Berlin, Hamburg, Hong Kong, Köln, Manchester, Melbourne, München und Wien eigene Kreativwirtschafts- oder Clusterstrategien, Stadtimagekampagnen, city branding-Strategien und kreative städtische Revitalisierungsmaßnahmen zur Förderung von Kreativwirtschaft verfolgen oder kulturelle Leuchttürme entwickeln (vgl. Kapitel 4.4.1). Die einzigen Problematisierungen aus dem Bereich der angewandten Wissenschaft, die bislang nicht in policies artikuliert wurden, sind jene, die ihre Kritik der Florida-These nicht in ein Argument zur besseren ökonomischen Inwertsetzung der Stadt verwandeln: Solche Kritiken fordern eine Förderpolitik von Kunst und Kreativität jenseits ökonomischer Verwertungsinteressen und Maßnahmen gegen eine zunehmende soziale Polarisierung und Prekarisierung von Arbeit. Creative policies, die sich gezielt gegen die Zunahme von sozialer Ungleichheit, Prekarität oder einem einseitigen Fokus auf ökonomische Interessen in der kreativen Stadt wenden, werden bislang noch von keiner Stadt offiziell verfolgt. Banks and Hesmondhalgh (2009) stellen in ihrem Aufsatz »Looking for work in creative industries policy« fest, dass es schlicht keine policies zur Regulierung prekärer Arbeit in der Kreativwirtschaft gibt. Dies ist umso verwunderlicher, weil eine Vielzahl gesellschaftstheoretisch elaborierter Problematisierungen (vgl. Kapitel 4.3 und 4.4.3) dieser gesellschaftlichen Fragen vorliegen. Die einzigen Initiativen, die jenseits des akademischen Feldes den einseitigen Fokus auf ökonomische Interessen und die Vereinnahmung für Stadtimagezwecke kritisieren, kommen aus dem aktivistischen Spektrum. Die Initiative »Not In Our Name, Marke Hamburg!« (2009) beispielsweise trat mit dem gleichnamigen Netzwerk für ein Recht auf Stadt für alle ein. Auch die Gruppe Haben und Brauchen (2012) aus Berlin tritt für eine adäquate Anerkennung von Künstler*innen und Kreativen in der Stadt ein. In Paris machte die »Coordination des Intermittents et Précaire«, ein Zusammenschluss aus Künstler*innen und Kreativen mit anderen prekär Beschäftigten, unter dem Motto »Pas de culture sans droits sociaux« (keine Kultur ohne soziale Rechte) auf die Strukturgleichheit prekärer Unsicherheit bei Kulturschaffenden und anderen Bevölkerungsgruppen in der Stadt aufmerksam (Coordination des Intermittents et Précaires d’Ile-de-France 2012). Am Beispiel der Florida-Kritik und ihrer selektiven Artikulation in städtischer Politik zeigt sich das von Foucault diagnostizierte und in Kapitel 2.3.1 besprochene Charakteristikum von Problematisierungen als Beziehungen zwischen Denk- und Handlungsformen« (Lemke 1997, S. 341) an der Schnittstelle zwischen Diskursen und Programmen. Sie geben vor, wie ein Problem gedacht und regiert werden muss. Dort wurde ebenfalls festgestellt, dass Problematisierungen im Zuge der Übersetzung

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in ein Regierungsprogramm das Problem in einer ganz bestimmten Art und Weise formatieren, was sich hier in einer Privilegierung ökonomischer gegenüber sozialen Fragen gezeigt hat. Die vorangegangen Ausführungen zeigen deutlich, dass die diskutierten Problematisierungen akademische Wissensproduktionen hoch selektiv in policies übersetzt. Obwohl – vor allem im deutsch- und französischsprachigen Bereich – eine Vielzahl Analysen vorliegen, die Probleme der Prekarität und sozialen Ungleichheit problematisieren (vgl. Kapitel 4.3), werden diese nicht in policies artikuliert. Vielmehr werden Subjektivierungspraktiken, d. h. die Fähigkeit zur Selbstführung als unternehmerisches Subjekt, wie sie bereits in den kreativen, postfordistischen Unternehmen seit Ende der 1960er Jahre erprobt wurden (vgl. Kapitel 4.2), auf die Politik in der kreativen Stadt übertragen. Denn eine solche Logik lässt sich reibungsfrei mit den Politiken des Dritten Weges oder der Lissabon-Agenda, also der Schaffung einer unternehmerischen und wettbewerbsorientierten Stadtpolitik, artikulieren. Dies geschieht auf Kosten der sozialen Frage, die nicht zuletzt aufgrund der Ausbreitung und Demokratisierung prekärer alleinselbstständiger Tätigkeiten, auch über den Bereich der Kreativwirtschaft im engeren Sinne hinaus, eine zunehmende Relevanz erfährt. Das durchschnittliche Einkommen von freischaffenden Kreativen und Künstler*innen, die bei der Künstlersozialkasse14 versichert sind, lag zum 1. Januar 2014 bei 10.976 Euro pro Jahr (Künstlersozialkasse 2014b), die Armutsgrenze in Deutschland liegt derzeit bei 11.280 Euro. Die Selektivität der Übersetzung wissenschaftlicher Kritik in Politik begründet sich nach Ansicht kritischer Theoretiker*innen in der zeitgleichen Artikulation von Kreativpolitik mit unternehmerischen Politiken auf Ebene der Stadt, die neoliberale Problematisierungen aufgrund ihrer höheren Anschlussfähigkeit mit dem hegemonialen Mainstream gegenüber anderen Problematisierungen im Feld privilegieren. Das würde bedeuten, dass bei der Etablierung einer Regierung durch Kreativität auf neoliberale Rationalitäten und Diskurse zurückgegriffen wird und alternative Rationalitäten des Regierens, die stärker auf sozialen Ausgleich setzen, desartikuliert werden. 14 Das am 01.01.1983 in Kraft getretene Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) bietet selbstständigen Künstler*innen und Publizist*innen sozialen Schutz in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Wie Arbeitnehmer*innen zahlen sie nur etwa die Hälfte der Versicherungsbeiträge; den anderen Beitragsanteil trägt die Künstlersozialkasse. Die hierfür erforderlichen Mittel werden aus einem Zuschuss des Bundes und aus einer Abgabe der Unternehmen finanziert, die künstlerische und publizistische Leistungen verwerten (Künstlersozialkasse 2014a). In den vergangenen Jahren hatten die Kassen einen großen Ansturm an Aufnahmeanträgen auch aus verwandten Branchen zu verzeichnen, weil für viele kreative Alleinselbstständige die KSK die einzige finanzierbare Absicherungsmöglichkeit darstellt. Auch haben sich Kreative dafür eingesetzt, die Einkommensgrenze, die für die Aufnahme in die Kasse erreicht sein muss, zu senken.

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Diese globale Diagnose im Zuge des hier vorgelegten Literaturreviews wirft eine Vielzahl von Fragen auf, die im weiteren Verlauf der Arbeit am Fallbeispiel Frankfurt empirisch zu klären sind. Wie kommt es, dass ökonomische gegenüber sozialen Problematisierungen bei ihrer Übersetzung in Prozesse des Regierens eine Privilegierung erfahren? Welche Rolle kommt Wissenschaft bei der Produktion und Implementierung von Politik in einem so wissensintensiven Feld wie der kreativen Arbeit zu? Welche Rolle spielt akademische Kritik in den gegenwärtigen ökonomischen Verhältnissen? Oder ist die Ökonomie akademischer Wissensproduktion im kognitiven Kapitalismus unter den Vorzeichen eines zunehmenden Drittmitteleinwerbungsdrucks bereits mit der Kreativökonomie identisch? Welchen Unterschied macht Wissensproduktion und Kritik, die in einem Feld geäußert wird, noch für das jeweils andere? Dies sind zentrale Fragen, weil viele akademische Wissensproduzent*innen selbst prekäre Virtuos*innen sind und zahlreiche von ihnen direkt (lokal-)staatliche Akteur*innen beraten und von diesen auch bezahlt werden, und weil die Inkorporierung von Kritik für die Produktion von creative policies in Städten – ähnlich wie es in Kapitel 4.2 für das kreative Unternehmen festgestellt wurde – zu einem zentralen Merkmal des gegenwärtigen kognitiven Kapitalismus geworden ist.

4.5 Z WISCHENFAZIT : A US DEN R ATIONALITÄTEN R EGIERENS AUSBRECHEN

DES

Das vorangegangene Kapitel hat die Perspektive der Problematisierung für eine Analyse gegenwärtiger Auseinandersetzungen mit der Regierung auf Ebene der Wissenschaft und der creative policies fruchtbar gemacht. Dazu wurde zunächst die prominente Florida-These vorgestellt und ihre umfassende Rezeption diskutiert (vgl. Kapitel 4.1). Dabei zeigten sich zwei zentrale Widersprüche: Zum einen wird die Florida-These insbesondere von denen euphorisch aufgenommen, die Florida selbst für eine Problematisierung und Bearbeitung des Problems fehlender Kreativität in manchen Städten gar nicht geeignet sieht: nämlich Politiker*innen und Stadtplaner*innen. Und zum anderen, dass es trotz der Euphorie und breiten Rezeption der Florida-Thesen, fast niemanden gibt, selbst nicht aus sehr unternehmerisch denkenden, angewandten Wissenschafts- und Politikkreisen, der/die Florida nicht in irgendeiner Weise kritisieren würde. Diese Widersprüche warfen zwei zentrale Fragen auf, die in diesem Kapitel diskutiert wurden. Die erste lautet: Wie wurde Kreativität zu einem Problem der Regierung von Stadt, obwohl Florida Politiker*innen nicht als privilegierte Bearbeiter*innen dieses Problems diagnostiziert? Und welche Rolle spielte Kritik beim Versuch, Kreativität in ökonomisches Wachstum zu übersetzen? In einer genealogischen Analyse wurde dazu zunächst herausgearbeitet, wie Kreativität zu einem Problem der

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Führung in Unternehmen wurde. Dort zeigte sich, dass Kreativität keine anthropologische Grundkonstante ist, sondern als eine soziale Technologie der Führung und Selbstführung in Unternehmen problematisiert wird, für die die eigenständige Lösung immer komplexer werdender Aufgaben auf der Agenda ist. Im Zuge der Auseinandersetzung erwies sich Kritik als ein zentraler Modus, der Probleme der Arbeitsorganisation und Unzufriedenheit von Mitarbeiter*innen für eine Erneuerung des Akkumulations- und Regulationsregimes im Übergang zum flexiblen, kognitiven Kapitalismus in Wert zu setzen vermochte. Dort zeigte sich, dass unter dem Vorzeichen kapitalistischer Verwertung wie sie in Unternehmen immer hegemonial ist, nur solche Problematisierungen durchsetzungsfähig sind, die mit der Verwertungslogik oder in diesem Fall mit ihrer Erneuerung kompatibel sind. Insofern zeigte sich hier Kritik nicht als ein effizientes Mittel der Problematisierung, welches ein Verwertungsproblem einer bestimmten Rationalität seiner Bearbeitung zuführte. Vielmehr erwies sich Kritik an diesem System als äußerst produktiv, indem sie Probleme in Rationalitäten ihrer Bearbeitung zu übersetzen half (vgl. Kapitel 4.2). Kapitel 4.3 diskutierte dann wissenschaftliche Problematisierungen gegenwärtiger Formen und Entwicklungen im Bereich kreativer Arbeit unter den Vorzeichen von Individualisierung und Prekarisierung. Diese beiden Kapitel bieten die genealogische Grundlage zum Verständnis der in Kapitel 4.4 erörterten Fragen, wie Kreativität zu einem Problem der Regierung von Städten wurde, die im Wettbewerb der Städte gerade um die in Kapitel 4.2 vorgestellten Unternehmen und die in Kapitel 4.3 vorgestellten Kreativen konkurrieren und mit ihren Problemen umgehen müssen. Dabei wurden zunächst die creative policies vorgestellt, die im Nachgang zu Floridas Thesen und dem britischen Creative Industries Mapping Document entstanden sind. Auch hier zeigte sich die produktive Rolle von Kritik für die ›Verbesserung‹ von governance-Strukturen in der kreativen Stadt. Die außer- wie innerakademische Kritik der Kreativitäts- und Kreativindustriethese erwies sich als ein Motor, der Floridas Gesellschaftsdiagnose in ein bestimmtes Regierungsprogramm übersetzt. Es wurde herausgearbeitet, dass sich solche Logiken und Rationalitäten der Bearbeitung des ›Kreativproblems‹ in Städten in den vergangenen 20 Jahren durchgesetzt haben, die auf die ökonomische Inwertsetzung von Kreativität abzielen und Sozialpolitik zugunsten von Kulturpolitik desartikuliert haben. Wie im Falle der produktiven Rolle von Kritik in kreativen Unternehmen spielte Kritik auf Ebene der Stadt ebenfalls eine zentrale Rolle bei der Übersetzung eines diagnostizierten Problems – fehlende Kreativität bedeutet fehlendes ökonomisches Wachstum – in konkrete Regierungsprogramme. Im Unterschied zu den Unternehmen wurden auf städtischer Ebene nicht nur die Bedürfnisse der Menschen nach Selbstbestimmung und –verwirklichung kapitalisiert, sondern auch kulturelle Vielfalt als Ressource der Inwertsetzung unter Wettbewerbsbedingungen entdeckt. Es hat sich gezeigt, dass wissenschaftliche Kritik

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am Modell der kreativen Stadt über die enge Verzahnung von angewandter Wissenschaft und Politikberatung immer wieder für eine ›bessere‹ und ›effektivere‹ Regierung produktiv gemacht wurde. Unter diesen Bedingungen erwies sich die Übersetzung von Problematisierungen als selektiv. Kreativität wurde in Unternehmen wie auf Ebene der Stadt als soziale Technologie zur Generierung von Mehrwert mit viel Verve implementiert, die Probleme der Regulierung kreativer Arbeit und die damit verbundenen Fragen von sozialer Absicherung hingegen nicht in policies übersetzt (vgl. Kapitel 4.4.4) »Kreativstrategien sind deshalb so verführerisch, weil sie im Grunde zu den vorherrschenden Formen neoliberaler Entwicklungsmodelle komplementär [...] sind [...]. Kreativstrategien bauen auf dem Terrain neoliberaler Stadtpolitik auf, bearbeiten und verwandeln es langsam [...], ermöglichen die Entwicklung neuer politischer Kanäle und Interessengruppen vor Ort, die Konstitution neuer Objekte und Subjekte der Urban Governance.« (Peck 2008, S. 109)

Mit Hilfe der Problematisierung konnte also herausgearbeitet werden, wie Kreativität genealogisch als Problem der Regierung in Unternehmen, auf der Ebene der Arbeit und der Stadt artikuliert wurde und welche Rationalitäten und Problembearbeitungsmechanismen diese je besonderen Artikulationsformen von Kreativität als Problem der Regierung zeitigten. Dabei ist die besondere Rolle von Kritik für die Evolution und Verbesserung von Problematisierungen und Regierungsrationalitäten deutlich geworden. Der Überblick über die vorhandene Literatur zum Thema legt die Vermutung nahe, dass nur solche Problematisierungen in creative policies übersetzt werden, die mit einer neoliberalen, unternehmerischen Stadtpolitik reibungsfrei artikulierbar sind. Alternative Problematisierungen werden entweder – wie im Fall der Kunstförderung zum Zwecke der Stabilisierung lokaler Gemeinschaften – in eine unternehmerische Logik inkorporiert oder – wie im Falle des Problem der Regulierung eines prekären Arbeitsmarktes für Kreative – desartikuliert. Vor dem Hintergrund dieser neomarxistischen Interpretation ließen sich auch die beiden eingangs (vgl. Kapitel 4.1.1) diagnostizierten Widersprüche (vorläufig) auflösen. In dieser Interpretation fühlen sich gerade die Politiker*innen dazu berufen, Floridas Thesen in Politik zu übersetzen, weil sie im Zuge von Neoliberalisierung selbst zu Agent*innen des freien Marktes werden. Ihr Hauptziel ist es, im Zuge sogenannter ›neuer Steuerungsmodelle‹, die Rationalitäten der Staatlichkeit, die ihr Handeln strukturiert, zu liberalisieren und so umzubauen, dass die von Florida diagnostizierten Kreativen ihre Marktkräfte frei entfalten und die kreative Stadt ökonomisch prosperiert. Das zweite Paradox bestand darin, dass Florida trotz der Kritik aus allen Richtungen so erfolgreich ist. Dieses lässt sich dadurch erklären, dass Kritik als ein wesentlicher Motor der Problematisierung funktioniert, der die Gesellschaftsdiagnose fehlender Kreativität in ein Regierungsprogramm zur Bearbeitung dieses Problems übersetzt.

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Dies führt zu der im Folgenden empirisch zu beantwortenden Frage, ob eine solche Übersetzung der Diagnose fehlender Kreativität in Frankfurt ebenso einfach und linear in ein neoliberales Regierungsprogramm übersetzt wird wie dies von politökonomischen Vertreter*innen allgemein hin behauptet wird. Es wird der Frage nachzugehen sein, wie sich creative policies in Frankfurt artikulieren. Zeitigen sie dieselben Formen der Desartikulation wie die, die in diesem Literaturüberblick diagnostiziert wurden? Welche Formen der Problematisierung der Regierung von Kreativität lassen sich in Frankfurt finden und welche der Umkämpftheit und des Widerstandes bei der Übersetzung von Problematisierungen und Programmen können dort beobachtet werden? Die hier durchgeführte Analyse gegenwärtiger Literatur, die die Regierung von Kreativität thematisiert, verfolgte aber nicht nur das Ziel, eine Rekonstruktion von Problematisierungen erster Ordnung, also der Frage wie Kreativität zu einem Problem der Regierung wurde, zu leisten. Sie erhebt gleichzeitig auch den Anspruch, eine Problematisierung zweiter Ordnung (vgl. Kapitel 2.3.2) zu sein. Bereits vorliegende Problematisierungen zweiter Ordnung, die die Frage, wie »man nicht derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren regiert wird« (Foucault 2009 [1978], S. 240) stellen, wurden in Kapitel 4.4.3 als Kritik, die die Regierung der kreativen Stadt in Frage stellt, diskutiert. Diese stammten zumeist aus einer kritischen postmarxistischen Perspektive und rekurrieren auf den Neoliberalismus der kreativen Stadt als Klassenprojekt der Verteilung von ›unten nach oben‹. Eine Analyse, die die Artikulation und Problematisierung aus einer machtkritischen, dezidiert poststrukturalistischen Perspektive in den Blick nimmt, fehlt bislang. Die nun folgende empirische Analyse will dies mit der in Kapitel 2 vorgestellten poststrukturalistischen Perspektive der Problematisierung und Des-/Artikulation leisten. Sie wird die Übersetzung des Kreativitätsskripts in Problematisierungen und policies in Frankfurt nicht – wie dies postmarxistische Vertreter*innen tun – als Automatismus verstehen, der notwendiger Weise zu einer Neoliberalisierung von Stadt führt. Vielmehr wird versucht, den vielfältigen Artikulationen und Desartikulationen nachzuspüren, die immer auch die Möglichkeit der Entwendung hegemonialer Logiken für andere, vielleicht subversive Zwecke erlauben. Eine solche Perspektive ist notwendig, wenn man die Möglichkeiten von Widerstand und politischer agency ernst nehmen und den ›there is no alternative-Diskurs‹ nicht auf Ebene der Analyse reproduzieren will. Daher werden im Folgenden die Spiele des Wissens und der Macht in den Blick genommen, mit Hilfe derer »neue Objekte und Subjekte der Urban Governance« (Peck 2008, S. 109) im und durch den Kreativstadtdiskurs konstituiert werden. Anders als Peck, der davon ausgeht, Städte, die Kreativpolitik implementieren, verfolgten schon ein ohnehin neoliberales Stadtentwicklungsmodell (ebd.), soll im Folgen-

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den eine solch essentialistische Annahme vermieden werden. Es wird die These leitend sein, dass der Kreativstadtdiskurs selbst eine umkämpftes Programm ist, dass sich in Frankfurt mit unterschiedlichen, sich teilweise widersprechenden politischen Rationalitäten artikuliert, von der das ›neoliberale Programm‹ nur eines unter vielen ist. Auch wird sich zeigen, dass es ›die eine neoliberale Stadtpolitik‹ nicht gibt, sondern dass sich unter dem Label ›neoliberal‹ sehr heterogene Maßnahmen versammeln, die ein weites Spektrum vom Rückzug bis zur Reartikulation von Staatlichkeit abdecken. In Rekurs auf die governmentality studies und Neuer Theorien des Politischen wird davon ausgegangen, dass es gegenwärtig zu einer Rekonstitution/Reartikulation von Politik, Kultur und Ökonomie kommt, in der nicht nur der Politik neue Aufgaben und der Ökonomie ein ausgeweitetes Handlungsfeld zugewiesen wird, sondern »von einer qualitativ veränderten Topologie des Sozialen auszugehen [ist], in der die Bedeutung dessen, was Ökonomie bzw. Politik meint, neu festgelegt werden« (Lemke et al. 2000, S. 25). Darüber hinaus geht die Problematisierung zweiter Ordnung im Folgenden, und im Unterschied zu postmarxistischen Ansätzen, von einem Subjektverständnis aus, welches durch die Spiele von Wissen und Macht konstituiert ist. Die Frage ist dann nicht, wie Subjekte Widerstand gegen die kreative Stadt leisten können, sondern vielmehr, wie sich Subjekte gegen die Zumutungen der kreativen Stadt wehren können, die längst durch sie konstituiert sind. Vassilis Tsianos und Dimitris Papadopoulos legen überzeugend dar, warum es für sie keinen einfachen Weg in die Institutionen Partei, Gewerkschaft oder mikropolitische aktivistische Gruppen, die soziale und Arbeitsschutzrechte im Fordismus durchzusetzen vermochten, mehr geben kann: Weil alle drei nicht geeignet sind, Kulturproduzent*innen aus den prekären Verhältnissen zu befreien, in denen sie immer schon als Marke ihrer Selbst repräsentiert sind (Tsianos und Papadopoulos 2007). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach dem Exodus (Virno 2005, S. 91) aus den bestehenden Verhältnissen in neuer Weise. Oliver Marchart macht in seinem Aufsatz »Kreativität als Kommando« (2004) in eindrücklicher Weise deutlich, dass dies nicht ohne eine Re-Politisierung gegenwärtiger Verhältnisse gehen kann. In einer Gesellschaft, die ihre eigene Selbstführung nicht nur reflektiert, sondern permanent virtuos aufführt, stellt sich die Frage ›nicht dermaßen regiert zu werden‹ ebenfalls radikal neu. Auf beide Fragen haben kritische und postmarxistische Vertreter*innen keine Antwort. Im Rahmen dieser Arbeit wird die Frage nach dem Ausweg aus diesen Verhältnissen in Kapitel 8 noch einmal aufgenommen und im Fazit abschließend diskutiert. Auf diese Weise soll die bestehende Forschungslücke in der Literatur, die die Regierung von Kreativität thematisiert, durch eine poststrukturalistische Problematisierung zweiter Ordnung geschlossen werden, »in welcher sich das Subjekt das Recht herausnimmt, die Wahrheit auf ihre Machteffekte hin zu befragen und die Macht auf ihre Wahrheitsdiskurse hin« (Foucault 2009 [1978], S. 242).

5. Kreative Stadt Frankfurt am Main? Vorstellung der Fallstudie

Im Folgenden wird die Ausgangsfrage nach der Artikulation von Kreativpolitik empirisch am Beispiel der dieser Arbeit zugrunde liegenden Fallstudie der Stadt Frankfurt am Main beantwortet (vgl. Kapitel 6 bis 8). Auf diese Weise wird es exemplarisch möglich zu verstehen, welche Rationalitäten des Regierens die Kreativpolitik prägen und wie sie sich mit bereits etablierten Formen der Regierung artikulieren. Es wird herausgearbeitet, auf welche der in Kapitel 4 vorgestellten globalen Rationalitäten und Diskurse über kreative Stadtentwicklung im Zuge der Artikulation von Kreativpolitik in Frankfurt zurückgegriffen wird und welche desartikuliert werden. Es wird gezeigt, wie diese Diskurse und Rationalitäten durch kreativpolitische Subjekte performativ in Gang gesetzt werden und wie sie sich dabei verändern. Hier kommen Anschlusspunkte und Synergien des Kreativitätsskripts mit bestehenden politischen Rationalitäten und Logiken, die das Regieren in Frankfurt prägen, ebenso in den Blick wie Konflikte, Reibungspunkte, Widerstände und Unvernehmen, die es hervorruft. In Frankfurt wurden 2011 6,12 Milliarden Euro in der Kreativwirtschaft umgesetzt. Das ist eine Steigerung um fast 18 Prozent seit 2007 (Auskunft des Statistischen Landesamtes Hessen 2014) und knapp halb so viel wie im selben Jahr in ganz Hessen umgesetzt wurde (Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung und HA Hessen Agentur GmbH 2014, S. 6). Mit 23.990 Personen arbeiten etwa 4,7 Prozent der in Frankfurt sozial-versicherungspflichtig Beschäftigen in der Kreativwirtschaft, bei den geringfügig Beschäftigten beträgt der Anteil 6,7 Prozent und liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 3,9 Prozent. Mit einer Anzahl von 1.573 zählen 7 Prozent aller Betriebe in Frankfurt zur Kreativwirtschaft (Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2014b, S. 34). Trotz der deutlichen wirtschaftlichen Dynamik mag die Wahl von Frankfurt am Main als Fallbeispiel auf den ersten Blick etwas verwundern. In kreativen Städterankings steht Frankfurt nicht auf den ersten Plätzen. International wäre es vielleicht eher Austin (Florida und Gates 2003), Amsterdam (Peck 2012), Barcelona oder Bilbao (González 2010) und national sicherlich eher Berlin (Bürkner 2011, Manske und Merkel 2008, Reckwitz 2009b),

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was durch die lange Zeit günstigeren Mieten zu einem Magnet für Kreative wurde und als ›arm aber sexy‹ gilt. Auch Hamburg ist sehr populär, was nicht nur mit einer vielfältigen subkulturellen Szene hervorsticht (Not In Our Name, Marke Hamburg! 2009), sondern auch mit einem starken Werbe- sowie Software- und games-Markt (Ebert et al. 2012b). Eine andere häufige Assoziation sind Köln und Düsseldorf mit ihrem starken Medien-, aber auch Kunst- und Designcluster (ebd.). Auch München mit seiner starken Ausrichtung auf IT, die große Schnittmengen mit der Kreativwirtschaft aufweist, wird häufig noch vor Frankfurt als kreative Stadt in Deutschland genannt (ebd.). In der Wahrnehmung gilt Frankfurt eher als »kalte Bankenstadt« (Mattissek 2008, S. 173). Bei quantitativen Vergleichen von Kreativität belegt Frankfurt im nationalen Vergleich Spitzenplätze1 . Der Kreativitätsindex, den Roland Berger in Anlehnung an Floridas Kreativitätsindex (Florida 2002b, siehe Anhang), 2008 für deutsche Städte erstellt, listet Frankfurt hinter München, Stuttgart und Hamburg, aber noch vor Berlin (Bloching 2008, S. 6). Frankfurt am Main wurde als Fallbeispiel der vorliegenden Analyse gewählt, weil in dieser einzigen deutschen global city die Artikulation globaler mit lokalen Diskursen, Rationalitäten und Machtverhältnissen besonders gut zu studieren ist. Mit nur 678.691 Einwohner*innen (Stadt Frankfurt am Main et al. 2013, S. 10) ist Frankfurt eine sehr kompakte global city, die aufgrund ihrer über 334.000 Tagespendler*innen, die täglich hauptsächlich zum Arbeiten in die Stadt kommen, tagsüber über eine Millionen Menschen zählt. Der Aufstieg zur City mit internationaler Steuerungsfunktion erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg zum einen durch den Ausbau des Flughafens 1

Es ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass es noch kein national einheitliches Benchmarking-System gibt, was die kreative Performance deutscher Städte misst und vergleicht. Dies wäre spätestens seit 2009 möglich, seitdem eine bundeseinheitliche Definition von Kreativwirtschaft vorliegt. Die Tatsache, dass dies nicht gemacht wird, führt dazu, dass sich im Rahmen von Kreativwirtschaftsberichten und Auftragsstudien einzelne Städte mit Konkurrentinnen vergleichen. Da im Zuge dieser Vergleiche häufig unterschiedliche Definitionen zugrunde liegen, fallen die Ergebnisse unterschiedlich aus, häufig zugunsten der auftraggebenden Stadt. Ein Beispiel ist der »Kreativitätsindex«, den Roland Berger 2008 erstellte. In der Fassung, die die Unternehmensberatung in Vorträgen präsentierte (Bloching 2008) und die auch vom Magazin Focus veröffentlicht wurde (Focus 2008a), rangiert Frankfurt hinter München, Stuttgart und Hamburg auf dem 4. Platz. Dieselbe Studie wurde von Roland Berger im Auftrag der Stadt Heidelberg angefertigt. In der Fassung für die Stadt rangiert Heidelberg, einfach durch eine Ausweitung der untersuchten Städte, auf Platz 3 und verdrängt Frankfurt auf Platz 5 (Roland Berger Strategy Consultants 2009, S. 3). Die mathematische Bestimmung ist in beiden Fällen korrekt. Das Beispiel aber zeigt, wie selektiv und strategisch die Ergebnisse interpretiert werden und zu welch unterschiedlichen Einschätzungen sie führen.

5. DIE FALLSTUDIE – FRANKFURT AM MAIN EINE KREATIVE STADT?

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zum internationalen Verkehrsknoten sowie den Ausbau zum internationalen Finanzund Handelsplatz. 89 Prozent von Frankfurts Bruttoinlandsprodukt wird im Dienstleistungsbereich erwirtschaftet (ebd., S. 106). Jüngere Untersuchungen belegen, dass die Ausrichtung der Stadt auf die globale Finanz- und Dienstleistungsökonomie spätestens ab Anfang der 1990er Jahre mit der Implementierung einer unternehmerischen Stadtpolitik einherging (Schipper 2010, S. 191), die vielfach als »neoliberal« kritisiert wurde (Mattissek 2008, Ronneberger 2004, 2012a). Diese Entwicklung bietet Anlass zu der These, dass Kreativpolitik nicht nur reibungslos über die internationalen Netzwerke, in die die global city eingebettet ist, nach Frankfurt reisen kann, sondern dass sie sich hier ebenfalls reibungslos mit der unternehmerischen stadtpolitischen Agenda vereinen lässt (vgl. zur Diskussion über die Vereinbarkeit von unternehmerischer und kreativer Stadtpolitik Kapitel 4.4.3 sowie Peck 2005, 2012). Frankfurt ist trotz der weltweiten Staats- und Finanzkrise eine prosperierende Stadt. Das Bruttoinlandsprodukt betrug für Frankfurt 2011 54,97 Milliarden Euro und 85.300 Euro pro Kopf (Stadt Frankfurt am Main et al. 2013, S. 106). Gleichzeitig zeichne sich Frankfurt im Vergleich zu anderen Städten vor allem im Ausland durch ein verhältnismäßig stark reguliertes policy framework aus. Dies hat zahlreiche Gründe: Zum einen kennzeichnet sich Deutschland durch eine hohe Rechtssicherheit, einen starken Verwaltungsapparat, ein sehr ausdifferenziertes öffentliches Planungsrecht sowie über ein international in diesem Umfang einzigartiges kulturpolitisches Rahmenwerk. Zum anderen tragen die Kommunen eine große Verantwortung in der Umsetzung und Bereitstellung sozialstaatlicher Standards. Aufgrund der bereits in den 1970er Jahren in Frankfurt implementierten Museumsuferpolitik, ist Frankfurt die deutsche Kommune, die am meisten Geld für Kultur ausgibt. Dies stellt einen deutlichen Unterschied zu Städten wie Liverpool, Amsterdam oder Bilbao dar, die eine kreativpolitische Agenda adaptierten, um eine ökonomische Wiederbelebung nach dem industriellen Niedergang zu erreichen, oder zu Städten wie London oder Kopenhagen, die auf eine Liberalisierung der kulturellen Sektoren zielten. Dies wirft die Frage auf, wie sich das globale Kreativitätsskript in einer Stadt artikuliert, die ihren Wandel hin zum Dienstleistungssektor bereits seit spätestens Ende der 1960er Jahre vollzogen hatte und darüber hinaus über den stärksten kulturpolitischen Rahmen in der Bundesrepublik verfügt. Ein weiterer Punkt, den das Fallbeispiel Frankfurt besonders spannend macht, ist, dass der rasante Aufstieg zum internationalen Drehkreuz und zum wichtigsten Handelsplatz in Deutschland nicht ohne Konflikte erfolgte. Zu nennen sind hier beispielsweise die Hausbesetzerszene, die sich Anfang der 1970er Jahre gegen den Ausverkauf und Abriss bezahlbaren Wohnens im Jahrhundertwendeviertel im Westend zugunsten von Hochhausarchitektur für die global city-Ökonomie einsetzte, der Widerstand gegen den Ausbau der Startbahn West Anfang der 1980er Jahre und zuletzt die Blockupy-Proteste gegen die europäische Krisenpolitik 2012, 2013 und 2015. Hierdurch wird deutlich, dass sich in Frankfurt globale Entwicklungen äußerst deutlich

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im Leben der lokalen Bevölkerung niederschlagen und auf dieser Ebene umkämpft sind. Dieser Umstand wirft die Frage auf, auf welche Widerstände, Aneignungen und Umdeutungen das globale Kreativitätsskript im Zuge seiner Artikulation durch lokale Akteur*innen aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft trifft. Schließlich ist die vorliegende Arbeit im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts »Kreativpolitik – zur Entstehung und Ausdifferenzierung eines politischen Gestaltungsfeldes unter neoliberalen Vorzeichen« entstanden. Die Antragsteller Christian Berndt, Pascal Goeke und Peter Lindner haben auch den ersten Frankfurter Kreativwirtschaftsbericht erstellt. Dieser Prozess führte zu der Erkenntnis, dass »auch in Frankfurt [...] durch unseren Bericht und dessen politische Verwendung Ereignisse und Orte neu bewertet worden oder aus dem Blickfeld verschwunden [sind]. Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten wurden verändert, die städtische Verwaltung wird teilweise umstrukturiert und an runden Tischen finden sich Akteur*innen zusammen, die bislang kaum miteinander zu tun hatten« (Berndt et al. 2008b, S. 12). Diese Beobachtung wirft die Frage auf, wie nicht nur der Bericht, sondern das nun in Frankfurt politisch artikulierte Thema der Kreativwirtschaft performativ wird, eine Frage, die im Rahmen der nun folgenden empirischen Analyse beantwortet werden soll. Abschließend bedarf es einer kurzen Begründung, warum mit Frankfurt am Main ausgerechnet eine Stadt als Untersuchungsgegenstand gewählt wurde. Tappt die vorliegende Arbeit nicht genau in die »territoriale Falle«, vor der John Agnew zu Recht gewarnt hat (Agnew 1994)? Reproduziert die Arbeit nicht die Wichtigkeit territorialer Einheiten, indem sie sich nur ebendiese anschaut? Wenn im Rahmen der vorliegenden Arbeit von ›Stadt‹ gesprochen wird, so ist damit nicht in erster Linie ihre territoriale Einheit, sondern ihre administrative und politische Form gemeint. Diese ist als Untersuchungsgegenstand angemessen, weil sie – wie sich im Laufe der Untersuchung noch zeigen wird – die Ebene ist, auf der Kreativität als ein Problem der Regierung artikuliert wird und der globale Diskurs kreativer Stadtentwicklung von Wirtschaftsvertreter*innen, Politiker*innen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen artikuliert, verhandelt und politisch kodiert wird. Mit dem Kompetenzzentrum Kreativwirtschaft beispielsweise hat die städtische Politik eine Institution mit dezidiert gesamtstädtischem Fokus geschaffen. Natürlich wird die Artikulation von policies auf der städtischen Ebene von policies auf landes-, bundes- und EU-Ebene gerahmt (vgl. auch Kapitel 4.4.1), was im Zuge dieser Arbeit auch berücksichtigt wird. Gleichzeitig aber wurde im Zuge der Untersuchung auch deutlich, dass die Stadt Frankfurt sich in erster Linie selbst darstellt, Politik für sich macht und sich selbst vermarktet und nur strategisch und selektiv mit der Region kooperiert. Eine Kooperation mit Offenbach, der Nachbarstadt mit dem größten ›kreativen Potenzial‹ in der Region, beispielsweise findet so gut wie nicht statt (vgl. Interview 16 mit dem Professor für Kreativität im urbanen Kontext an der HfG Offenbach vom 01.09.2011).

5. DIE FALLSTUDIE – FRANKFURT AM MAIN EINE KREATIVE STADT?

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Das liegt in erster Linie daran, dass Frankfurt als global city die Potenz zum Alleingang hat und sie auch nutzt. Das bedeutet, im Rahmen dieser Arbeit werden Artikulationen in den Blick genommen, sofern sie Kreativpolitik als städtischen Gegenstand konstituieren. Dabei spielen Äußerungen und Praktiken, die auf anderen Maßstabsebenen vollzogen werden, natürlich eine zentrale Rolle. Netzwerke, in die die Stadt über ihre administrative Einheit hinaus eingebunden ist, werden auch angesprochen. Im Folgenden wird genealogisch herausgearbeitet, wie das Kreativitätsskript vor dem Hintergrund lokaler Pfadabhängigkeiten, Diskurse sowie Regierungsrationalitäten und -technologien artikuliert und problematisiert wurde, welche Fortschreibung, Reinigung, Zuspitzung und Iteration das Florida’sche Skript kreativer Stadtentwicklung bei seiner Artikulation in den unterschiedlichen politischen Feldern in Frankfurt erfuhr und welche neuen Technologien und Rationalitäten urbanen Regierens es zeitigt. Die Fallstudie gliedert sich in die drei folgenden Kapitel. Das Kapitel 6 befasst sich mit der Artikulation von Kreativpolitik auf stadtpolitischer Ebene. Das Kapitel 7 untersucht die Widersprüche, Verunsicherungen und Probleme, die bei der Implementierung kreativpolitischer Maßnahmen auftreten. Kapitel 8 befasst sich schließlich mit neuen Formen des Protestes und Widerstandes gegen die kreative Stadt.

6. Artikulation von Kreativpolitik

Das vorliegende Kapitel widmet sich der Frage, wie Kreativität in Frankfurt als ein Problem der Regierung artikuliert wurde. Es wird herausgearbeitet, auf welche in Kapitel 4 vorgestellten Rationalitäten und Elemente des Kreativitätsskripts dabei Bezug genommen wurde, wie schließlich bestehende Problematisierungen in ein politisches Programm der Bearbeitung sowie in neue Institutionen artikuliert wurden, wie neue diskursive Elemente mit bestehenden Rationalitäten des Regierens interagierten, wie sich Bestehendes mit Neuem zu Kreativpolitik als Gegenstand der Regierung herausbildete und welche Machteffekte dieser zeitigt. Dazu wird in vier Schritten verfahren. Das erste Kapitel zeichnet nach, wie das Thema Kreativwirtschaft in Frankfurt zu einem Problem städtischer Regierung wurde. Hier liegt ein besonderer Fokus auf der Frage, wie die unterschiedlichen Akteur*innen das Problem artikulierten, welche Aspekte durch ebendiese Form der Enunziation ins Blickfeld rückten und welche desartikuliert wurden. Hier zeigt sich, dass zunächst eine Vielzahl an unterschiedlichen Problematisierungen auf die stadtpolitische Agenda geriet (vgl. Kapitel 6.1), von denen dann im Zuge der Erstellung des Kreativwirtschaftsberichts einige amplifiziert und andere marginalisiert wurden. Hier gerät der Bericht als kalkulative Technologie und politisch mobilisierbarer Macht/Wissen-Komplex zur Artikulation einer bestimmten Form von Kreativwirtschaft wie auch der Desartikulation alternativer Problematisierungen des Themas in den Blick (vgl. Kapitel 6.2). Das dritte Kapitel untersucht die Artikulation von Kreativpolitik und ihre Institutionalisierung auf Ebene der Stadt durch die Stadtverordnetenversammlung sowie die Pressekonferenz, die im Rahmen der Veröffentlichung des Kreativwirtschaftsberichts stattfand. Hier wird der Frage nachgespürt, wie Kreativität als Gegenstand von urban governance mobilisiert und performativ in Gang gesetzt wird. Dabei steht die Schwierigkeit der beteiligen Akteur*innen im Vordergrund, die neue Politik mit bereits etablierten Logiken und Rationalitäten des Regierens in Einklang bringen zu müssen. Das Kapitel zeigt, wie sich in diesem Prozess die textimmanente Logik des Berichts verkehrt (vgl. Kapitel 6.3). Abschließend werden die Machteffekte dieses Artikulationsprozesses von Kreativpolitik reflektiert, die

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zu einer Verschiebung der Grenze zwischen Politik und Wirtschaft in Frankfurt führten und als ›anti-politisch‹ bezeichnet werden können (vgl. Kapitel 6.4).

6.1 P ROBLEMATISIERUNGEN VON K REATIVITÄT IN F RANKFURT In Frankfurt wurde Kreativität, beziehungsweise ihr Fehlen, ab etwa 2003/2004 zum ersten Mal als Problem in unterschiedlichen stadtpolitisch relevanten Foren wie Wirtschafts-, Planungs- oder Kulturpolitik artikuliert. Das lag zum einen daran, dass das »Kreativitäts-Skript« (Peck 2009) zu dem Zeitpunkt bereits als ein globaler Diskurs verfügbar war, der sowohl über Floridas (2002b) Bestseller, wie auch als »fast policy« (Peck 2012, S. 479) zirkulierte. Diese fast policy hatte ihr Vorbild im Creative Industries Mapping Document (Department for Culture, Media and Sport 1998) und bereits in zahlreichen Städten Anwendung gefunden. Darüber hinaus nahm die Debatte über die kreative Stadt Fahrt in den Feuilletons auf. Wenn die damalige Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth betonte, »Bilbao1 , die spanische Stadt, hat es vorgemacht. Wir reden heute in der Kommunalpolitik [...] meist über europäische Politik [...]. Das heißt, der Blick der großen, bedeutenden, historischen, europäischen Städte ist von den Politikern der Kommunen immer derart ausgerichtet, die anderen Städte in Europa zu sehen, zu beobachten und den Wettbewerber kennenzulernen« (StVV vom 24.02.2011, S. 44, ebd.), dann ist Jamie Peck sicherlich recht zu geben, dass die Tatsache, dass Kreativität in Frankfurt artikuliert wurde, auch darauf zurückzuführen ist, dass Frankfurt in »mutating policy networks« (Peck und Theodore 2012, S. 22) eingebunden ist. Es wäre aber falsch und vereinfacht zu sagen, Kreativität gerate in Frankfurt nur auf die Agenda, weil sie eine »fast-traveling, silver-bullet solution«, ein »unidirectional ›vector‹ of global policy rationality« oder ein »›tsunami‹ of unidirectional transformation« (ebd.) darstelle. Sie ist kein einfacher Sachzwang von Globalisierung und einer zunehmenden unternehmerischen Ausrichtung von Lokalpolitik in Frankfurt, sondern ihre Artikulation ist ein politischer Prozess, der von lokalen Akteur*innen auf ihre Art und Weise und aus ihren je spezifische Subjektpositionen heraus geäußert und performativ in Gang gesetzt werden muss. In diesem Sinne muss die Emergenz von Kreativpolitik als politischer Prozess der Artikulation verstanden wer-

1

In der Literatur gilt Bilbao als Paradebeispiel kreativer Stadtentwicklung, die durch den Bau des Guggenheim-Museums induziert wurde, weshalb sich der Begriff »Bilbao-Effekt« als Bezeichnung für Städte durchgesetzt hat, die über Entwicklung von kulturellen Großprojekten einen positiven Effekt für die Aufwertung einzelner Stadtteile oder die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt erzielen wollen.

6. ARTIKULATION VON KREATIVPOLITIK |

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den, der verschiedene Rationalitäten des Regierens und Subjektpositionen mit spezifischen Interessen zu einem neuen Diskurs verbindet und in diesem Prozess beide, die Rationalitäten wie die Subjekte, verändert. Zwischen 2003 und 2007 konnten im Zuge der Analyse vor allem zwei Felder identifiziert werden, die für die Artikulation von Kreativpolitik in Frankfurt zentral waren und die hier ausführlich vorgestellt werden sollen. Dies sind zum einen die in Frankfurt ansässige games-Industrie sowie eine interdisziplinäre Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung. 6.1.1 Die games-Branche Die wahrscheinlich erste Problematisierung von Kreativität als ein Problem städtischer Regierung erfolgte aus dem Bereich der Frankfurter games-Industrie. In ihrer Perspektive war die noch relative junge Branche seit Beginn des neuen Jahrtausends mit Start-ups wie Crytek, Zynga, Deck 13 oder metricminds und Niederlassungen von etablierten Unternehmen wie Konami, Sony oder Nintendo schnell gewachsen. Mit GAMEplaces und der gamearea-FRM e. V. gelang es der Branche, eine eigene Interessenvertretung zu etablieren. Als Gastgeberin der Games Convention, Europas größter Spielemesse, und dem European Innovative Games Award, die später dann zwar nach Köln und Darmstadt abwanderten, trug sie schließlich zum kreativen Image der Stadt bei und generierte indirekte wirtschaftliche Effekte. Auf der anderen Seite kämpften die Lobbyvertreter*innen für eine Prototypenförderung2 wie es sie in konkurrierenden Standorten wie Hamburg und Berlin bereits gab und diese war nur durch eine gute stadtpolitische Interessenvertretung zu erreichen. Dennoch hatten die Interessenvertreter*innen der jungen Branche das Gefühl, sich im Vergleich mit ähnlichen Branchen noch nicht so gut vertreten zu können, wie dies beispielsweise der Buchhandel mit dem Börsenverein, die Designwirtschaft mit dem Rat für Formgebung und dem Deutschen Designer Club e. V. oder der Werbemarkt mit dem Gesamtverband der Kommunikationsagenturen (GWA) konnte. Besonders gut vernetzt und repräsentiert in der Stadt war zu dieser Zeit jedoch die Kommunikationsbranche, die der damalige Leiter der Wirtschaftsförderung auch dezidiert förderte, z. B. durch den Ausbau des Tages der »offenen Agentüren« und des »Kommunikationsmarktes« mit 20.000 bis 40.000 Besucher*innen, der »einen richtigen Markt organisierte« (Interview 20 mit dem Geschäftsführer der FrankfurtRheinMain GmbH vom 13.09.2011, Para. 17). Sie hatte eine eigene Ansprechpartnerin bei der Wirtschaftsförderung und einen eigenen Ansprechpartner bei der IHK-Frankfurt. 2

In der Entwicklung neuer Computerspiele und vieler software-Anwendungen dauert es in der Regel sehr lange bis ein Produkt marktreif ist. Gerade kleinere Unternehmen haben Probleme, diese lange Vorfinanzierungsphase zu überbrücken, weshalb häufig auf sogenannte Prototypenförderungsmodelle zurückgegriffen wird.

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Darüber hinaus verfügte sie mit dem ›Medienmittwoch‹ über eine Kommunikationsplattform, die politische und wirtschaftliche Akteur*innen verband. Die games-Branche hingegen war formell nicht Teil der etablierten Kommunikationsbranche, hatte keine Ansprechpartner*innen und Ausschüsse bei der IHK sowie bei der Wirtschaftsförderung und konnte institutionalisierte Kommunikationsplattformen in der Stadt wie beispielsweise den ›Medienmittwoch‹ in ihrer Selbstwahrnehmung nicht ausreichend für sich nutzen (Interview 15 mit dem Gründer der Standortinitiative gamearea-FrankfurtRheinMain vom 31.08.2011, Para. 26). Da kam die Debatte über die Kreativwirtschaft, die seinerzeit durch die Zeitungen, Feuilletons und Fachmagazine wanderte, in den Augen der games-Branche gerade recht. Zu dem Zeitpunkt wusste zwar noch niemand so recht, was ›die Kreativwirtschaft‹ im engeren Sinne war und es kursierten konkurrierende Definitionen (vgl. die Problematik der Bestimmung und definitorischen Abgrenzung des Feldes in Kapitel 4.4.2). Mit dem bereits ausführlich besprochenen Creative Industries Mapping Document (Department for Culture, Media and Sport 1998) lag aber erstmalig eine Definition vor, die die Software- und games-Branche gleich doppelt einschloss, indem sie Software und leisure-Software als zwei getrennte ›Branchen‹ berücksichtigte. Damit sprach sie der Software- und games-Industrie in der IT-Euphorie am Ende der 1990er Jahre sogar eine Leitfunktion zu. Darüber hinaus umfasste sie auch die klassischen Sparten der Kommunikationsbranche wie Werbung, PR, Design, Film und Fernsehen, Radio, Presse und Buchmarkt3 . Das war insofern ein Novum, als nun in Großbritannien nicht länger von cultural industries gesprochen wurde, die ihren Fokus eher auf Kultur und verwandte Wertschöpfung oder Kreativität als Nukleus des schöpferischen Aktes legten. Mit Software und games bildete sich eine Definition heraus, die eher auf die Wertschöpfung aus kreativem Schaffen fokussiert war und große Schnittmengen mit der IT- und (Tele-)Kommunikationsbranche aufwies, die in den 1990er Jahren im Zuge der rapiden Entwicklung der IT-Technik bis zum Platzen der dot.com-Blase Anfang der 2000er eine Blüte erlebte. Vertreter*innen der games-Branche hatten in Frankfurt, laut des Gründers der Standortinitiative gamearea-Frankfurt Rhein Main, ein großes Interesse daran, den Begriff ›Kreativwirtschaft‹ in die politische Debatte einzubringen, da sich unter diesem Label die in der Frankfurter Politik bereits etablierte Interessenvertretung der Kommunikationsbranche mit den Interessen der games-Branche gemeinsam artikulieren ließ und somit eine Anpassung der lokalen Wirtschaftspolitik an die Bedürfnisse der games-Branche möglich erschien. Denn die britische Definition schloss beide Felder unter dem Label Kreativwirtschaft zu einem neuen Bereich zusammen. In enger Kooperation mit der Wirtschaftsförderung und der IHK Frankfurt brachten 3

Das Mapping Document umfasst die wenig scharf umrissenen ›Branchen‹ advertising, antiques, architecture, crafts, design, fashion, film, leisure software, music, performing arts, publishing und software (Department for Culture, Media and Sport 1998).

6. ARTIKULATION VON KREATIVPOLITIK |

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die Branchen-Vertreter*innen der games-Industrie, unter Federführung ihrer Interessenvertretung der gamearea-FRM e. V., das Thema Kreativwirtschaft auf die Agenda. Und so wurde allmählich aus der Kommunikations- die Kreativwirtschaft. »Also das, was wir heute als Kreativwirtschaft bezeichnen, das war in der Vergangenheit die Kommunikationsbranche. Also so war’s.« (Interview 15, Para. 59)

Dies wurde von den Vertreter*innen der Kommunikationsbranche ambivalent aufgenommen und war nicht unumstritten. Während die einen in der Branche einen wichtigen Trend erkannten, fürchteten andere um ihre Privilegien. »Also Kreativwirtschaft kam dann [...], das muss 2003 oder 2004 gewesen sein. Und ab da haben [... wir] nur noch von Kreativwirtschaft gesprochen. Und das hat uns viel Anfeindung gebracht, weil sich in der Zeit damals viele da noch nicht gefunden haben. Beziehungsweise andere mit dem Begriff ja überhaupt nichts anfangen konnten. [...] Die haben festgehalten an ihren Begriffen. Also es ist ganz irrsinnig. Weil man wollte nicht die Pfründe abgeben. Und die Kreativwirtschaft hat ja nur alles subsumiert. Und da waren plötzlich Verlustängste. Also das hört sich ja blöd an, aber das waren Verlustängste. Weil plötzlich irgendwelche Gedanken: [...] viele Leute sind mit engagiert in dieser Gruppe der Kommunikationswirtschaft, und jetzt kommt da diese Kreativwirtschaft, was soll das überhaupt?« (ebd., Para. 16 – 18)

Durch kontinuierliche Arbeit und gute Kontakte zu Wirtschaftsförderung, IHK und lokaler Politik gelang es jedoch, das Thema auf die stadtpolitische Agenda zu setzen, die in der Folge insbesondere von der Wirtschaftsförderung Frankfurt verfolgt wurde. Das Beispiel der games-Industrie zeigt, dass globale policies wie das Kreativitätsskript, nicht einfach in einer global city ankommen und als ›Erfüllungsgehilfen‹ globaler Sachzwänge operieren, sondern, dass sie von lokalen Akteur*innen artikuliert und umgesetzt werden müssen. Diese Artikulation problematisiert und formatiert den Gegenstand in einer ganz bestimmten Art und Weise. In diesem Fall führt die spezifische Artikulation des Gegenstandes zu einer Privilegierung der Software- und games-Branche. Dies ist insofern interessant, als zu diesem Zeitpunkt bereits hochumstritten war, ob die Software- und games-Branche überhaupt zur Kreativwirtschaft zu zählen sei. Kritiker*innen wandten ein, dass ein Großteil der Software-Produktion nicht zur Kreativwirtschaft gezählt werden dürfe, weil hier reine Anwendung betrieben würde und ein kreativer Schöpfungsprozess nicht im Zentrum der Tätigkeiten stünde. Garnham (2005, S. 26) argumentiert in Bezug auf das Creative Industries Mapping Document, dass die Kreativwirtschaft nur durch die Inklusion der umsatzstarken Software- und games-Branche eine derartige Bedeutung und Wachstumsraten aufweisen könne. Zwischen 1998 und 2001 verdoppelte sich die Beschäftigtenzahl in Großbritannien im Bereich Software und Computerdienstleistungen von 272.000 auf 555.000, die

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Einnahmen erhöhten sich um fast 500 Prozent (von 7,5 auf 36,4 Milliarden Pfund). Dieser Umstand aber ist wohl weniger allein auf die exzellente Performance der Industrie zurückzuführen als darauf, dass im Mapping Document die Zahlen von 1998 und 2001 verglichen werden, obwohl ganz unterschiedliche Branchendefinitionen in beiden Jahren zugrunde lagen, (siehe Department for Culture, Media and Sport 2001, S. 03 f. Appendix). »[T]he inclusion of the software, computer games, and electronic publishing industries had the effect of artificially inflating the size and the economic significance of the creative industries« (Flew und Cunningham 2010, S. 2, siehe auch Garnham 2005). Und auch in Deutschland war die Inklusion der Software- und games-Branche gegen den allgemeinen Trend, wo sich in vielen Städten eine Definition von »Kulturund Kreativwirtschaft« durchsetzte, die die Software- und games-Branche ausschloss. Die deutschlandweit ersten Berichte entstanden für Nordrhein-Westfalen (NRW), wo bis heute von Kultur- und nicht von Kreativwirtschaft gesprochen wird. In ihrer Definition der Kulturwirtschaft taucht die Software- und games-Industrie zunächst nicht auf (Arbeitsgemeinschaft Kulturwirtschaftsbericht NRW 1992, Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr des Landes NordrheinWestfalen 1998). Damit lehnte sich NRW an die Kreativitätsdefinition Charles Landrys an, der die Mobilisierung von individueller Kreativität und Kultur als endogenes Potenzial und Chance zur Bewältigung der Strukturkrise deindustrialisierter Regionen in Großbritannien und dem Ruhrgebiet sieht (vgl. Landry 2000, Landry und Bianchini 1995 sowie Kapitel 4.4.1). Erst ab 2007 wird die Software- und games-Branche als Teil der Kreativwirtschaft in Abgrenzung zum Konzept der Kulturwirtschaft eingeführt (Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen 2007, S. 6). Auch der erste Bericht für Hessen spricht ausschließlich von Kulturwirtschaft und schließt die Software- und games-Branche aus (Hessisches Ministerium für Wirtschaft und Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst 2003, S. 30)4 , was der Lobbyvertreter der games-Branche wie folgt kommentiert: »[S]elbst da hat ja das Land Hessen das Ganze noch Kulturwirtschaft genannt. Völlig absurd.« (Interview 15, Para. 18).

Dass in Frankfurt entgegen des deutschlandweiten Trends zu dieser Zeit, die Software- und games-Industrie als Teil der Kreativwirtschaft konstituiert wurde, ist nur vor dem Hintergrund der Artikulation des globalen Skripts durch lokale Akteur*innen und ihre Fähigkeit der Anpassung und Iteration dieser globalen Erzählung zu verstehen. Dabei war im Vorhinein nicht abzusehen, durch welche Akteur*innen 4

Erst der vierte hessische Bericht spricht von Kultur- und Kreativwirtschaft und schließt auch die software- und games-Branche mit ein (Hessisches Ministerium für Wirtschaft 2012).

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diese globale Erzählung zuerst geäußert werden würde. Dies hätte auch eine andere Branche, die Wirtschaftsförderung der Stadt oder das Stadtimagemarketing sein können. Eine weitere Option wäre gewesen, dass das Thema von Vertreter*innen aus der Kulturszene auf die Agenda gesetzt würde, beispielsweise um ihre Interessen der freien Kulturproduktion gemeinsam mit den Interessen der Stadt, den Standort als kulturellen Leuchtturm zu vermarkten, in eine gemeinsame Äquivalenzkette zu artikulieren. Wäre letzteres der Fall gewesen, wäre sicherlich die Bedeutung des Schöpferischen im kreativen Schaffensprozess stärker betont und eine Definition gewählt worden, die den kulturellen Bereich fokussiert. Dies zeigt die große Kontingenz des globalen Kreativitätsdiskurses, die Möglichkeiten für eine lokalspezifische Äußerung und Iteration des Skripts lässt und zugleich auf lokale Kräfteverhältnisse angewiesen ist, um es zu artikulieren. Die Tatsache, dass es ausgerechnet die games-Branche war, die das Skript auf die lokalpolitische Agenda gesetzt hat, bleibt nicht ohne Folgen für die Art und Weise, wie es in der Folge performativ in Gang gesetzt wird: Die besondere Art der Problematisierung durch die games-Industrie zeitigt eine Bearbeitung des Problems und eine Regierungspraxis, die die Interessen der games-Branche apostrophiert und andere mögliche Elemente des Skripts, z. B. synergetische Effekte, die durch die Förderung freier Kunst und Kultur entstehen, desartikuliert und so aus dem Fokus ihrer politischen Behandlung auf stadtpolitischer Ebene verliert. 6.1.2 Die Konferenz ›Re-Build this City‹ Parallel dazu entdeckten auch die Grünen das Thema Kreativität für sich. Bereits 2006 sorgten die Hamburger Grünen mit ihrem neuen Programm »Kreative Stadt Hamburg« (Bündnis 90/Die Grünen 2007), welches Kreativität und wirtschaftliches Wachstum zu einem »Wachsen mit Weitsicht« verbinden sollte, für einen Wechsel der stadtpolitischen Agenda und für Furore (siehe Barthelmes 2008, kritisch hierzu Not In Our Name, Marke Hamburg! 2009). In Frankfurt artikulierten die Grünen durch den Kongress »Re-Build this City«, der organisiert von der Heinrich-Böll-Stiftung und in Kooperation mit der Wirtschaftsförderung und der Hochschule für Gestaltung am 30. und 31. Mai 2008 im Atelier Frankfurt stattfand, das Thema als Problem städtischer Regierung. Im Vergleich zur CDU-nahen Wirtschaftsförderung, die den Fokus eindeutig auf die in Frankfurt ansässigen kreativen Unternehmen legte, versuchten die Grünen ein etwas weiter gefasstes Verständnis der kreativen Stadt voranzutreiben. Ihr Fokus lag vor allem auf kreativer Urbanität und versuchte, auch kritischere und eher aus dem künstlerischen Milieu stammende Stimmen mit in die Diskussion einzuführen. Dieser Fokus kann als Fortführung des Urbanitäts-Diskurses gelesen werden, der für die Grünen in Frankfurt seit Mitte der 1980er Jahren ein zentrales Anliegen war und den Klaus Ronneberger wie folgt beschreibt.

170 | KREATIVPOLITIK »Zugleich erwies sich für die Ex-Spontis die positive Rezeption des Städtischen als Katalysator für den langen Weg in die gesellschaftliche Mitte. Die Großstadt, vormals als kapitalistischer Moloch gegeißelt, wurde zum positiven Erfahrungs- und Erlebnisraum des eigenen sozialen Aufstiegs umgedeutet. Mit der Betonung von städtischer Kultur, demokratischer Öffentlichkeit und der Rolle des liberalen Citoyens entdeckten die nun urban eingestimmten Grünen (aber auch Teile der Sozialdemokratie) die ›Neue Dienstleistungsklasse‹ als Trägerin einer ›progressiven‹ Urbanität (Ronneberger 1994b). Neben dem Urbanitäts-Diskurs spielte für die Frankfurter Grünen auch der Begriff der ›Multikultur‹ eine wichtige Rolle.« (Ronneberger 2012a, S. 63)

Entsprechend breit und heterogen war das Programm des Kongresses, wo ein Podium, das die kreative Stadt pries, gleich auf eine Keynote ihres größten Kritikers Jamie Peck folgte, Toronto als kreative Stadt von der kritischen Feministin Heather McLean vorgestellt und die prekären Arbeitsverhältnisse von der Indie-Popmusikerin Christiane Rösinger angeprangert wurden, bevor abschließend die Segnungen der kreativen Stadt noch einmal von Sarah Sorge, Stadträtin für die Grünen in Frankfurt beschworen wurde (vgl. Abbildung 5). Die im Nachgang zum Kongress entstandene Publikation »Kreativen:Wirkung« gliedert sich in drei disparate Teile: einen zum Thema Stadt und Kreativität, der in erster Linie die positive Rolle von Kreativität, Wissen und Kultur für die (ökonomische) Stadtentwicklung hervorhebt, einen zweiten Teil, der sich ausführlich mit gegenwärtigen Kritiken am Kreativitätsskript als neoliberales Regierungs- und prekarisierendes workfare-Modell auseinandersetzt, sowie ein dritter Teil, der sich zumeist positiv auf die neue Verquickung von Kreativität und urbaner Kultur durch alleinselbstständige kreative urbane Entrepreneur*innen bezieht (Heinrich-Böll-Stiftung 2008). Als Minimal-Konsens aber ließe sich festhalten, dass Problematisierung von Kreativität durch die Grünen – neben dem wirtschaftlichen Potenzial der kreativen Branchen – vor allem die Rolle von Vielfalt und (Sub-)Kultur für die Herausbildung metropolitaner Urbanität betonte, welche ein zunehmend wichtiger weicher Standortfaktor im Wettbewerb der Städte um die klügsten Köpfe darstelle. Die Herausgeber*innen des im Nachgang der Konferenz entstandenen Sammelbandes bringen den Standpunkt der Grünen wie folgt auf den Punkt: »Eine reine Elitenförderung unter dem Vorzeichen des wissensökonomischen Standortwettbewerbs würde in letzter Konsequenz nur jene Strukturdefekte verstärken, die die Krise beim Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt bewirkt haben. Wenn das Leitbild der kreativen Stadt politische Bündnispartner für seine Realisierung gewinnen möchte, so wird dies nur unter der milieu- und herkunftsübergreifenden Einbeziehung engagierter Bürgerinnen und Bürger gelingen. Teilhabe ist somit das vierte T, an dem uns in besonderer Weise gelegen sein sollte.« (Drewes und Engelmann 2008, S. 13)

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Abbildung 5: Programm des Kongresses »Re-Build this City!« der Heinrich Böll Stiftung

Quelle: eigener Scan

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Oder in den Worten der Grünen Stadtratsabgeordneten Sarah Sorge und Bastian Bergerhof: »Boris Rhein hat mit Recht auf die Wichtigkeit der Kreativbranche für den Standort hingewiesen. [...] Wir stehen auch für den Bereich des Kreativen, der nicht unmittelbar zu vermarkten ist. Schließlich sind in jüngster Zeit in engagierter und mühsamer Kleinarbeit Freiräume für Künstler entstanden, die wir erhalten und ausbauen wollen« (FR 2008e).

Mit dem Atelier Frankfurt, einem freien Künstlerhaus mit zahlreichen Ateliers und renommierten Off-Ausstellungen, das mittlerweile über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt war, war der Ort für den Kongress passend gewählt. 6.1.3 Zwischenfazit: Widerstreitende Problematisierungen Mit den Aktivitäten der games-Branche sowie der internationalen Konferenz »ReBuild this City« liegen zwei unterschiedliche Problematisierungen fehlender Kreativität in Frankfurt vor. Sie implizieren auch unterschiedliche Formen ihrer Bearbeitung als Problem urbanen Regierens. Während die games-Branche vor allem eine stärkere Beachtung und Förderung ihrer Branche, beispielsweise durch die Implementierung einer Prototypenförderung oder die auch finanzielle Unterstützung der Stadt bei der Akquise internationaler Branchenevents wie der Games Convention erhofft, plädiert die Konferenz dafür, eine lebendige kulturelle Szene und günstige Räume für Kreative als ›kreativen Humus‹ in der Stadt vorzuhalten, um ihr Abwandern in andere Regionen zu verhindern. Der internationale Kongress lässt das breite Spektrum an Problematisierungen aufscheinen, die Kreativität als Problem der Regierung konstituieren und die von prekären Arbeitsverhältnissen, über zu wenig Subkultur in der kalten Bankenstadt bis hin zu hohen Miet- und Lebenshaltungskosten oder einem schlechten Investitionsklima für kleine Unternehmen reichen (vgl. Heinrich-Böll-Stiftung 2008). Das folgende Kapitel befasst sich mit der Frage, wie die Breite der vorliegenden Problematisierungen auf stadtpolitischer Ebene in eine Definition gebracht (vgl. 6.2) und dann in Regierungsprogramm artikuliert wurde (vgl. Kapitel 6.3).

6.2 K ONSTITUTION › DER K REATIVWIRTSCHAFT ‹ DURCH DEN K REATIVWIRTSCHAFTSBERICHT Im Folgenden war es dann die Wirtschaftsförderung Frankfurt, die sich der Problematisierung fehlender Kreativität in Frankfurt annahm und zu ihrem Thema machte.

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Eine zentrale Verstärkung erfuhren die Stimmen, die die Unterstützung von Kreativität in Frankfurt forderten, in dem Moment als Boris Rhein im November 2007 Wirtschaftsdezernent der Stadt Frankfurt wurde. »Das kam einzig und allein mit dem Tag, als Boris Rhein Wirtschaftsdezernent wurde. Der Boris Rhein hat das sofort kapiert, also Mann, der hat sowieso Antennen für solche Dinge. Der hat es kapiert. Und der hat sofort auf die Leiterin des Kompetenzzentrums Kreativwirtschaft gehört.« (Interview 15, Para. 32)

Er setzte das Thema nicht nur gleich zu Beginn seiner Amtszeit im November 2007 auf seine Agenda, sondern gab gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung Frankfurt den ersten Kreativwirtschaftsbericht für Frankfurt in Auftrag. »Eines meiner Ziele für die Wirtschaftsförderung in Frankfurt am Main ist es, die Creative Industries als eine unserer führenden Branchen mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen. Für dieses Ziel brauchen wir verlässliches Datenmaterial.« (Boris Rhein zit. n. Frankfurt-Live 2008)

Den Zuschlag für die Erstellung des Berichts erhielten Christian Berndt, Pascal Goeke und Peter Lindner vom Institut für Humangeographie in Frankfurt; demselben Institut in dessen Kontext auch diese Arbeit entsteht. Sie fertigten den Bericht gemeinsam mit Vera Neisen und in enger Kooperation mit der Wirtschaftsförderung Frankfurt an (Berndt et al. 2008a). 6.2.1 Forschung als Übersetzung von Kontingenz in Definitionen, Klassifikationen und Zahlen Ein Kreativwirtschaftsbericht umfasst die Quantifizierung der Kreativwirtschaft in einer Stadt, d.h. die Bestimmung des Umsatzes, der Anzahl der Unternehmen, der Beschäftigten. Eine Quantifizierung wiederum setzt eine Definition voraus, die festlegt, was zur »Kreativwirtschaft« hinzugezählt wird. Die Wissenschaftler*innen des Instituts für Humangeographie Frankfurt waren also vor die Aufgabe gestellt, eine Definition der in Frankfurt noch nicht in Zahlen existierenden Branche zu finden. Durch die Definition wird der Gegenstand ›Kreativwirtschaft in Frankfurt‹ zum ersten Mal als eine homogene Einheit artikuliert. Vorbilder für Definitionen gab es mittlerweile mehr als genug, die sich jedoch sehr unterschieden: Der erste Hessische Bericht 2003 spricht – wie in Kapitel 6.1.1 bereits angedeutet – von Kulturwirtschaft und fasst darunter die Teilmärkte Literatur-, Buch- und Pressemarkt, Kunstmarkt, Film-, TV- und Videowirtschaft, Kulturelles Erbe, Musikwirtschaft und Darstellende

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Kunst (Hessisches Ministerium für Wirtschaft und Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst 2003). Damit schließt er die zwei wichtigen Säulen der Frankfurter Kreativwirtschaft, nämlich Werbung sowie Software und games, erst gar nicht mit ein (Söndermann 2009, S. 57). Die Wirtschaftsförderung und die IHK Frankfurt sprachen zu der Zeit von Kommunikationswirtschaft und verstanden darunter Medien, Werbung, IT und Kommunikation und machten die wachsende Rolle der games-Branche für Frankfurt deutlich. Der Frankfurter Bericht kommt in seiner Suche nach einer Definition 2008 zu dem Schluss, dass es zwar Bestrebungen gebe, »europaweit einheitliche Abgrenzungen und Klassifikationen zu entwickeln, die Vergleichbarkeit gewährleisten und als Handlungsgrundlage dienen können. [...] Eine einheitliche Linie zeichnet sich jedoch noch nicht ab und die bislang veröffentlichten Studien zur Kulturwirtschaft arbeiten mit völlig unterschiedlichen Bezugseinheiten« (Berndt et al. 2008a, S. 20). Sie verwenden schlussendlich eine Klassifikation, die an die hessische, kulturbetonte Definition anschlussfähig bleibt und diese um die wirtschaftsorientierten kreativen Tätigkeiten Software und games sowie Werbung ergänzt. Sie gliedert sich in die folgenden »neun Arenen der Kreativität« (vgl. ebd., S. 21 sowie Abbildung 6): Literatur-, Buch- und Pressemarkt; Musik- und Audiowirtschaft; Film-, TV- und Videowirtschaft; Darstellende und Bildende Künste; Museen, Kunstausstellungen und Kunstmarkt; Architektur und Design; Werbung, PR und Kommunikation; Software und games; Kulturelles Erbe. Abbildung 6: Arenen der Kreativität im Kreativwirtschaftsbericht Frankfurt 2008 Literatur-, Buch- und Pressemarkt

Darstellende und Bildende Künste

Werbung, PR und Kommunikaon

Musik- und Audiowirtscha

Museen, Kunstausstellungen und Kunstmarkt

Soware und Games

Film-, TV- und Videowirtscha

Architektur und Design

Kulturelles Erbe Grafik: Elke Alban, Quelle: ebd.

Nach dieser Definition waren im Jahr 2005 schätzungsweise 54.000 bis 66.000 Menschen in der Frankfurter Kreativwirtschaft beschäftigt, die einen Gesamtumsatz von 4,8 Milliarden Euro erwirtschafteten. Die Kreativwirtschaft kennzeichnet sich nach dieser Definition vor allem durch junge Unternehmen, von denen es in Frankfurt 4.463 mit einem Jahresumsatz von mindestens 17.500 Euro gab (ebd., S. 7). »Werbung, PR und Kommunikation« waren mit fast zwei Milliarden Euro die umsatzstärkste Arena gefolgt von »Literatur‐, Buch‐ und Pressemarkt« sowie »Software‐ und games-Branche« (ebd., S. 8). Der Bericht betont, dass »[i]n den vergangenen

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Jahren (1996 bis 2005) [...] die Entwicklung der Kreativwirtschaft in der Stadt Frankfurt [...] deutlich volatiler als in der Gesamtwirtschaft« (ebd.) verlief und »wesentlich konjunkturanfälliger« sei »als andere Wirtschaftsbereiche« (ebd.). Indem der Frankfurter Kreativwirtschaftsbericht von ›der Frankfurter Kreativwirtschaft‹ spricht und sie quantifiziert, bringt er sie als einen Gegenstand als solchen erst hervor. Zuvor hatte es kein näher bestimmtes Selbstverständnis ›der Kreativwirtschaft‹ gegeben. Durch seine Anlehnung an die Hessische Definition bleibt er an ›globalere‹ Definitionen anschlussfähig, gleichzeitig aber artikuliert er die Interessen der Software- und games-Branche mit und nimmt somit auf die lokalen Besonderheiten des Feldes Rücksicht. Die Zahlen, die der Frankfurter Kreativwirtschaftsbericht liefert, wirken im Vergleich mit denen des Landes Hessen gewaltig. Hatte der zweite Hessische Kulturwirtschaftsbericht von einem Umsatz von 16,1 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2002 gesprochen (Hessisches Ministerium für Wirtschaft und Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst 2005, S. 147), nannte der Frankfurter Kreativwirtschaftsbericht ca. 4,8 Milliarden Euro Umsatz für das gleiche Jahr in Frankfurt (Berndt et al. 2008a, S. 37). Bei solch ›deutlich sprechenden Zahlen‹, die Frankfurt als starken Kreativwirtschaftsstandort in Hessen positionieren, gerät schon einmal leicht in Vergessenheit, dass dem Hessischen Bericht eine kultur- und dem Frankfurter Bericht eine kreativwirtschaftliche Definition zugrunde liegt. Aufgrund der hohen Aufmerksamkeit, die der Frankfurter Bericht auf sich zog, und der starken Konkurrenz zwischen dem Land Hessen und der global city Frankfurt (Interview 19 mit der Referentin für Kultur- und Kreativwirtschaft beim Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 09.09.2011) legte das Hessische Wirtschaftsministerium im Jahr 2009 einen Datenreport zur Performance der Hessischen Kreativwirtschaft nach, der ebenfalls ein breite Definition der Kultur- und Kreativwirtschaft zugrunde legt und die Software- und games-Industrie miteinschließt (Hessisches Ministerium für Wirtschaft 2009). Er lehnt sich an die Frankfurter Definition an und macht Hessen und Frankfurt besser vergleichbar. 6.2.2 Der Bericht als kalkulative Technologie Der Bericht schafft mit seiner klaren Klassifikation und Definition von Kreativwirtschaft eine einheitliche, wissenschaftliche Sprache, die seine Inhalte kommunizierbar und damit mobil macht. Sie hilft eine möglichst einheitliche Vorstellung von ›Kreativwirtschaft‹ herzustellen, indem durch die Strenge der Definition versucht wird, Redundanzen, Missverständnisse und Reibungspunkte auszuräumen und andere mögliche kreativpolitische Elemente zu desartikulieren. Nicht nur die linguistische Definition, sondern auch die Übersetzung der Worte in Zahlen im Zuge statistischer Erhebungen hilft, den Gegenstand derart abzugrenzen und zu abstrahieren, dass er

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über das Medium des Berichts kommunizier- und transportierbar wird. Das bedeutet, die Abstraktion und Verschlankung des komplexen Themas mit seiner Vielzahl an Problematisierungen (vgl. Kapitel 6.1) wird durch die wissenschaftliche Technologie des Taxonomierens, Klassifizierens sowie die Technologie der Statistik geleistet. Sie stellt sicher, dass vorher disparate Bereiche – z. B. die games- und die Kommunikationsbranche – nun als gemeinsamer Gegenstand problematisierbar und von einer Tatsachenbeschreibung in ein Regierungsprogramm übersetzt werden können. Peter Miller und Nikolas Rose betonen, dass »Repräsentation« ein »aktiver und technischer Prozess« ist, der den Gegenstand des Regierens erst hervorbringt (Miller und Rose 1992, S. 185). »The events and phenomena to which government is to be applied must be rendered into information – written reports, drawings, pictures, numbers, charts, graphs, statistics. This information must be of a particular form – stable, mobile, combinable and comparable.« (Miller und Rose 1990, S. 7)

Repräsentation macht sich die Technologie der Statistik für ein »Regieren auf Distanz« (ebd., S. 9, vgl. auch Kapitel 2.1.2) zunutze, indem sie ›Fakten‹ über den zu regierenden Bereich zusammenträgt. Sie ist die Technologie, durch die ›Realität‹ formbar wird, um sie stabil, mobil, abgrenz-, vergleich- und kombinierbar werden zu lassen (Miller und Rose 1992, S. 185). »Figures transform the domain to which government is applied. In enabling events to be aggregated across space and time, they reveal and construct norms and processes to which evaluations can be attached and upon which interventions can be targeted.« (ebd., S. 186)

In diesem Sinne funktioniert Regierung als »kalkulative Technologie« (ebd., S. 187). Dabei erweist sich jede Zahl und jedes Maß als eine Interpretation dessen, was als zählbares angesehen wird und damit auch einer Interpretation dessen, ›was zählt‹ und ›was nicht zählt‹, was regiert werden muss und was nicht (vgl. Prince 2014, S. 92) und wo damit die Grenzen des Regierbaren liegen. Dabei kommt den Wissenschaftler*innen eine zentrale Rolle im Prozess der Messung und Kalkulation zu. Zusammen mit dem Bericht bilden sie laut Barry (Barry 2002, S. 273) ein »metrological regime5 «, welches ein bestimmtes politisches Prob-

5

Unter einem »metrologischen Regime« versteht Barry, ein Regime, welches – vermittelt über ein standardisiertes Messsystem – politische Entscheidungen in den Bereich der Ökonomie verschiebt. Als Beispiel nennt er einen Automechaniker, der die Einhaltung nationaler oder europäischer Emissionsstandards überprüft. »The mechanics‹ practices have the

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lem – hier die Repräsentation der Software- und games-Industrie – durch die Rahmung des Feldes und seine Beschreibung durch Umsatz-, Unternehmens- und Beschäftigungskennzahlen in ein ökonomisches Feld übersetzt. »Through measurement, a whole range of objects and problems is brought into the frame of economic calculation.« (ebd.)

Der Bericht stellt durch seine Form als Ergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung einen »Wahrheitsdiskurs« (Foucault 2009 [1978], S. 242) dar, der im Zuge seines Performativwerdens »Wahrheitseffekte« (Christophers 2007, S. 244) zeitigen wird wie im Folgenden noch gezeigt wird (vgl. Kapitel 7). Das Dokument stellt aufgrund seiner Entstehung in einem wissenschaftlichen Kontext einen »Macht/WissenKomplex« (Foucault 2004 [1975], S. 39) dar, der später seitens der Politik als ›wahr‹ rezipiert wird. »Experts hold out the hope that problems of regulation can remove themselves from the disputed terrain of politics and relocate onto the tranquil yet seductive territory of truth.« (Miller und Rose 1992, S. 188)

Die Hervorbringung von Wissen durch wissenschaftliche Expert*innen stellt die Ergebnisse aber nicht nur als objektiv wahr dar, darüber hinaus wird der Gegenstand ›Kreativwirtschaft‹ durch seine Konstitution als berechenbarer Gegenstand vom Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzung in den Bereich der Ökonomie verschoben. Einmal in den Bereich der wissenschaftlichen Kalkulation und dem Funktionieren nach Marktprinzipen übersetzt, ist dieser Gegenstand politisch nicht länger verhandelbar. 6.2.3 Zwischenfazit: Der Kreativwirtschaftsbericht als mobilisierbarer Macht/Wissen-Komplex Brett Christophers bezeichnet das Beschreiben, Kartieren und Messen von kreativen Ökonomien in seiner Analyse des Creative Industries Mapping Documents (Department for Culture, Media and Sport 1998) in Anlehnung an Timothy Mitchell (vgl. Mitchell 1988, Kapitel 2 sowie Callon 1998, 1–57 und 244–69) als Prozess des »enframing« (Christophers 2007, S. 236), durch den ›Kreativwirtschaft‹ als ein von anderen Bereichen abgetrennter Bereich benennbar, sichtbar und berechenbar (ebd.,

effect of translating a particular framing of a political debate [...] into the economic field. [...] In this way, politics and the market are connected to each other, but political confrontation does not come to interfere with market transactions.« (Barry 2002, S. 273).

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S. 238) wird. Das sei zentral, um ihn bearbeiten, auf die politische Tagesordnung setzen und regieren zu können. »Mapping these industries creates them – as a discrete sector to be endorsed, managed and exploited – in the sense that it gives them form, boundaries and equivalences, and endows them with quantities and performances that can be measured and regulated.« (ebd., S. 240)

Russell Prince (2014) geht in seiner Analyse von britischen Kreativberater*innen noch einen Schritt weiter und bezeichnet die Konstruktion von Kreativität durch die Technologien des Messens und Zählens als assemblage. Auf diese Weise entstünde Kreativität als eine ›globale Form‹, die universal verstanden wird und daher mobil und austauschbar ist. »[C]onsultancy helps to produce this assemblage by doing the work of producing technical, calculative measures of culture and creativity that translate a messy social world into a set of ordered, rationalised representations that can be compared to similarly produced representations from elsewhere.« (ebd., S. 90)

Städte würden so durch Zahlen und Rankings als kreativ performed und als solche real (ebd., S. 99). Im Gegensatz zu Christophers und Prince ist es für das Fallbeispiel Frankfurt angemessener, die Hervorbringung von Kreativwirtschaft als einen Prozess der Artikulation zu fassen. Denn hier wird Kreativwirtschaft als Objekt nicht nur performativ durch die Technologie der Zählung hervorgebracht und in Gang gesetzt, sondern hier werden bereits etablierte Formen städtischer Regierung topologisch verknüpft, wobei sich beide Elemente in etwas Neues verwandeln: Das bedeutet die Frankfurter Version ›der Kreativwirtschaft‹ entsteht aus der Verbindung der Kommunikations- und anderer verwandter Branchen mit neuen Elementen eines globalen Diskurses nämlich der Konzeptualisierung der Software- und games-Industrie als Teil der creative industries. Dieser Prozess, in dem zwei Elemente durch ihre Verknüpfung ihre Identität verändern ist in Kapitel 2.4.2 als Prozess der Artikulation beschrieben worden. Dass der durch den Bericht verhältnismäßig stringent konstruierte, homogene Gegenstand ›Kreativwirtschaft‹ im Zuge seiner Artikulation immer wieder auseinander zu brechen droht und sich im Zuge des iterativen Prozesses seines Performativwerdens neu formatiert wird die Analyse im Folgenden zeigen. Zunächst bleibt festzuhalten, dass die Definition und Messung den Gegenstand ›Kreativwirtschaft‹ in einer Weise konstituiert, die ihn mobil macht und mit dem sich in der Folge eine Vielzahl von Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Medien und Zivilgesellschaft in Frankfurt beschäftigen werden.

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Das folgende Kapitel befasst sich mit der Frage, wie die deskriptiv statistische Beschreibung und Definition ›der Kreativwirtschaft‹ in ein mehr oder weniger kohärentes Regierungsprogramm artikuliert wurde, auf welche bereits etablierten Rationalitäten des Regierens dabei Bezug genommen wird und welche desartikuliert werden. Darüber hinaus wird geschaut, wie und mit welchen Maßnahmen dieses Regierungsprogramm performativ in Gang gesetzt wird und welche Des-/Artikulationsprozesse in diesem Kontext zu beobachten sind.

6.3 V OM K REATIVWIRTSCHAFTSBERICHT ZUR K REATIVPOLITIK Am 3. Juli 2008 wird der Kreativwirtschaftsbericht von dem damaligen Wirtschaftsdezernenten Boris Rhein, zwei Vertreter*innen der Wirtschaftsförderung Frankfurt gemeinsam mit den Verfasser*innen der Studie in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorgestellt. Auf diese Weise wurde der wissenschaftlich neu konstituierte Gegenstand ›Kreativwirtschaft‹ auch als ein stadtpolitischer artikuliert und performativ gemacht, wie im Folgenden gezeigt wird. Durch die Berichterstattung lokaler Medien wie FR (2008b, FR 2008c, 2008d, 2008e), FAZ (2008b, FAZ 2008c, 2008d), FNP (2008), Journal Frankfurt (2008b) und anderen (Horizont 2008a, 2008b) wird er auch in der breiteren Öffentlichkeit zu einem stadtpolitischen Thema. Am 11. Dezember 2008 findet eine »Kreativwerkstatt« im Römer statt, in der die Stadtverordneten den Bericht und mögliche politische Konsequenzen in der Stadtverordnetenversammlung diskutieren (vgl. StVV vom 11.12.2008, S. 58). In dieser Sitzung wird Kreativität nicht nur zu einem Thema auf formal politischer Ebene. Im Nachgang wird das Kompetenzzentrum Kreativwirtschaft, welches in der Wirtschaftsförderung Frankfurt angesiedelt ist, gegründet. Im Folgenden wird die These vertreten, dass indem auf der Pressekonferenz wie in der Stadtverordnetenversammlung Kreativität nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch artikuliert wird, ein Übersetzungsprozess stattfindet, der die deskriptive Analyse der Kreativwirtschaft, wie sie der Bericht liefert, in ein Problem städtischer Regierung sowie ein politisches Programm seiner Bearbeitung verschiebt. 6.3.1 Übersetzung in ein politisches Programm Die Verfasser*innen des Berichts hatten – entweder aus dem Anspruch ›wissenschaftlicher Neutralität‹ oder um eine mögliche Instrumentalisierung wissenschaftlicher Ergebnisse für politische Zwecke und Programme wissend – auf ein Kapitel mit Handlungsempfehlungen verzichtet. Lediglich am Ende der Fallstudien zur »Musikund Audiowirtschaft« sowie zu »Werbung, PR und Kommunikation« finden sich

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vorsichtige Hinweise für diese beiden Branchen (Berndt et al. 2008a, S. 107). Ansonsten bietet sich vor allem eine Grafik an, als indirekte Handlungsempfehlung verstanden zu werden. Sie bildet die von befragten Kreativen wahrgenommen Stärken und Schwächen Frankfurts als Standort für Kreative ab (vgl. Abbildung 7). Die hier visualisierte Diagnose, in der Wahrnehmung von Frankfurter Kreativen seien die Miet- und Lebenskosten zu hoch, die Verkehrs- und Parkplatzsituation schlecht etc., lässt sich relativ leicht in die Forderung übersetzen, diese Parameter auch politisch positiv zu verändern. Abbildung 7: Spannungsfeld der Stärken und Schwächen Frankfurts als Kreativstandort Großer Absatzmarkt Gewerbesteuer

Zentrale Lage innerhalb Deutschlands

Förderpolitik

Hohe Miet- und Lebenshaltungskosten

Image

Messe

Finanzstandort

Provinzialität/ Dorf in der Stadt

Verkehrs- und Parkplatzsituation Kriminalität und Verwahrlosung

Wenig Subkultur

Konnektivität/ Flughafen Internationalität und Weltoffenheit

Wirtschaftspower Multikulturalität und Toleranz

Kein Klima für kleine Unternehmen

Lage im Ballungsgebiet Rhein-Main

unattraktiv

ambivalent

attraktiv

Grafik: Iris Dzudzek, Quelle: ebd., S. 77

Anders als seine Autor*innen sieht Wirtschaftsdezernent Boris Rhein den Bericht als Handlungsempfehlung, aus der notwendigerweise bestimmte politische Schritte und Problembearbeitungsmechanismen abzuleiten seien. »Frankfurt wird sich der creative class öffnen müssen«, um es »zu einer Top-Adresse« (Boris Rhein zit. n. FR 2008d) für Kreative werden zu lassen, verkündet er in der Pressekonferenz am 3. Juli 2008. Mehr noch, für ihn wird es zu »einer existentiellen Frage, dass sich Frankfurt als Anziehungspunkt für gut ausgebildete Arbeitskräfte« (ebd.) etabliert. Um das zu erreichen, will er »die Creative Industries als eine unserer führenden Branchen mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln [...] unterstützen« (Boris Rhein zit. n.

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Frankfurt-Live 2008). Im Unterschied zu seinen ähnlich lautenden Absichtserklärungen zu Beginn seiner Amtszeit, liegt ihm aber nun das »[f]ür dieses Ziel« notwendige »verlässliche Datenmaterial« (Boris Rhein zit. n. ebd.) vor. Die Debatte in der Stadtverordnetenversammlung eröffnet Boris Rhein mit den Worten: »Wir hatten die Johann Wolfgang Goethe-Universität beauftragt, die Situation der Kreativindustrie in Frankfurt am Main zu untersuchen«, um »das Thema ›Stärkung der Kreativwirtschaft‹ zu einem vorrangigen wirtschaftspolitischen Ziel« zu machen (Boris Rhein, StVV vom 11.12.2008, S. 60). Die Lücke, zwischen dem, was der Bericht deskriptiv statistisch beschreibt und dem, was sich Wirtschaftsdezernat und Wirtschaftsförderung wünschen, wird dabei diskursiv als »Potenzial« gerahmt. Dabei »zeigt der erste Frankfurter Kreativwirtschaftsbericht, dass enormes Potenzial in dieser Branche vorhanden ist.« (Boris Rhein, ebd., S. 61) »Frankfurt kann die heimliche Kreativhauptstadt Deutschlands sein.« (Boris Rhein, ebd.)

Der Bericht wird hier politisch performativ, indem die deskriptiv dargestellten Schwächen in Wachstumspotenzial und Handlungserfordernisse übersetzt werden. »Die Studie hat das in der Branche liegende Wachstumspotenzial deutlich gemacht und ist ein wichtiger Sensor für unsere künftige Wirtschaftspolitik im Bereich der Kreativindustrie.« (Boris Rhein zit. n. Horizont 2008b)

Im Folgenden wurden vor allem das Image der Stadt, zu hohe Gewerbemieten für Kreative, ein schlechtes Klima für kleine Unternehmen, die schlechte Förderpolitik sowie zu wenig Subkultur als Handlungsfelder benannt, da diese im Gegensatz zur angeblich hohen Gewerbesteuer, Kriminalität oder der Verkehrssituation auch durch kreativpolitische Problematisierungen und Maßnahmen als bearbeitbar wahrgenommen werden, während letztere als gesamtstädtische Aufgaben verhandelt wird, die nicht schnell umsetzbar sind (vgl. Abbildung 7). Hier findet ein entscheidender Übersetzungsprozess statt, der später ein »Regieren auf Distanz« ermöglichen wird, wie er in Kapitel 2.1.2 vorgestellt worden ist. Boris Rhein übersetzt hier zum einen eine wissenschaftliche ›Tatsachenbeschreibung‹, die in einer Vielzahl deskriptiver Statistiken und ihrer Beschreibungen mit dem Bericht vorliegt – z. B. »in Frankfurt arbeiten zwischen 54.000 und 66.000 Menschen in der Kreativwirtschaft und erwirtschaften einen Umsatz von ca. vier Milliarden Euro« – in eine Problematisierung und ein politisches Programm – »Frankfurt wird sich der creative class öffnen müssen« und wir wollen »Frankfurt zu einer TopAdresse« für Kreative machen. Zum anderen findet auf diese Weise genau dieselbe Äquivalenzierung von Analyse und Prognose, von beobachtetem und gewünschtem status quo statt wie sie in Floridas Bestseller zu finden ist. Denn auch hier wird die

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Beobachtung, dass Kreativität und ökonomischer Erfolg miteinander einher gehen, mit einer Handlungsrationalität gleichgesetzt, die diesen Zusammenhang anstrebt und mit verschiedenen Maßnahmen aktiv herzustellen versucht (vgl. Florida 2002b). Auf diese Weise wird der Bericht performativ. Seine Präsentation und Diskussion schafft die ersten der vielfältigen Verbindungen und Mechanismen, die notwendig sind, um programmatische Überlegungen, Handlungserfordernisse und Berechnungen, die an einem Ort passieren, mit Handlungen, die an anderen Orten passieren, in ein Verhältnis und in Gang zu setzen und so ein »Regieren auf Distanz« zu ermöglichen. Dies geschieht nicht allein entlang einer hierarchischen Kommandokette, sondern durch das Knüpfen topologischer Beziehungen und Netzwerke, entlang derer weitere Übersetzungs- und Artikulationsprozesse des Dokumentes und der sich aus ihm langsam entfaltenden Programmatik mit bereits etablierten Logiken, Technologien und Rationalitäten des Regierens in Frankfurt ergeben. 6.3.2 Verkehrung der Logik des Kreativwirtschaftsberichts Neben der Vermischung von Analyse und normativem Handlungskonzept, von Deskription und politischem Handlungsprogramm finden noch weitere Reartikulationen des Berichts statt, die mit seiner textimmanenten Logik brechen und sie in ihr Gegenteil verkehren, was im Folgenden herausgearbeitet wird. Der Bericht zeichnet kein eindeutig euphorisches Bild der Frankfurter Kreativwirtschaft, sondern beschreibt sie als »volatil« und »konjunkturanfällig« (Berndt et al. 2008a, S. 8). Der Wirtschaftsdezernent und die Stadtverordneten streichen hingegen ausschließlich die positiven Seiten heraus: In der games-Branche hätten sich die Umsätze vervierfacht (Boris Rhein, StVV vom 11.12.2008, S. 61) und die Umsätze der Kreativwirtschaft reichten bereits fast an die der Automobilindustrie heran (Stadtverordnete Gauderer, ebd., S. 67). Die Stadtverordnete Ulrike Gauderer z.B. hält das »für einen schönen Vergleich, wenn man mal sieht, wie groß die Potenziale sind« (Stadtverordnete Gauderer, ebd., S. 67). Dass sich ihre Zahlen nicht auf Frankfurt beziehen, sondern auf die gesamte Bundesrepublik scheint bei so viel Evidenz durch die Zahl selbst nicht so wichtig. Darüber hinaus ist auffällig, dass sich der Wirtschaftsdezernent und die Stadtverordneten in ihrer Diskussion alle positiv auf Florida beziehen, obwohl sich der Bericht eindeutig von Florida distanziert, zum einen, weil er mit seiner Definition ›der Kreativwirtschaft‹ eine branchenbezogene Definition im Gegensatz zu Floridas Definition über ›die kreative Klasse‹ wählt und zum anderen, weil er sich dezidiert von der Vermischung zwischen wissenschaftlicher Analyse und normativen Handlungskonzept bei Florida distanziert (Berndt et al. 2008a, S. 13).

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»Seine Mischung aus Analyse und Prognose, theoretischem Modell und praktischer Handlungsanweisung propagiert Florida mit zum Teil erschreckend einfachen Schlagworten. ›Why Cities Without Gays and Rock Bands Are Losing the Economic Development Race‹ (Florida 2002b) lautete beispielsweise der Untertitel eines Artikels, der 2002 im ›Washington Monthly‹ erschien und die Voraussetzungen regionaler Wirtschaftsentwicklung reduziert er gerne auf drei einfache ›T‹: ›Talent‹, ›Technology‹ und ›Toleranz‹. Die von Florida als ›Gay‐Index‹ gerne herausgestellte Korrelation zwischen Beschäftigten im Hightech‐ Sektor und dem Vorhandensein einer Schwulenszene macht ein Schlüsselelement seines Modells deutlich: [...] nur wenn es gelingt, ein Klima der Toleranz zu schaffen, dann kann das entstehen, was Florida technisch‐deterministisch ›Plug‐and‐Play Communities‹ nennt.« (ebd., S. 16)

In der Römerdebatte aber tauchen genau die im Bericht als problematisch markierten Aspekte der Florida-Debatte allesamt als erstrebenswert in eben genau der als problematisch markierten Vermischung wieder auf: »Dann sind wir natürlich wieder bei Richard Florida angekommen, man kommt immer irgendwie wieder auf ihn zu sprechen. Mittlerweile weiß jeder, dass es eine erhebliche Abhängigkeit zwischen Kultur, Kreativität und Wachstum gibt und dass Firmen, die sich an einem Standort ansiedeln wollen, nicht nur danach fragen, wie hoch die Gewerbesteuer ist und wie hoch die Immobilienpreise sind, sondern eben auch fragen, wie groß die Anziehungskraft des Standortes für kreative Menschen ist.« (Wirtschaftsdezernent Boris Rhein, StVV vom 11.12.2008, S. 61)

Der »Gay-Index« wird als Argument zur Förderung der »Subkulturen und Milieus« heraufbeschworen (Stadtverordnete Sylvia Weber, ebd., S. 63). Die »drei ›T‹, das sind Talent, Technologie und Toleranz« werden zu einem »schönen Bild für Frankfurt. Jeder, der Frankfurt kennt, kommt sofort darauf, dass das genau auf Frankfurt passt« (Stadtverordnete Ulrike Gauderer, ebd., S. 67). Die Stadtverordnete Sylvia Weber verwendet dieselbe Florida-Referenz gar als Handlungsempfehlung, was in der Politik zu tun sei. »Der Wirtschaftswissenschaftler Richard Florida, der heute Abend schon ein paar Mal zitiert worden ist, wird mit einer Frage zitiert: ›Why cities without gays and rock bands are losing the economic development race.‹ (Zurufe) Ja, der Titel ist eine Frage. Vielleicht haben Sie das ›why‹ am Anfang nicht gehört. (Zurufe) Er korreliert mit seinem Gay-Index, die Beschäftigtenzahlen in der Hightech-Branche mit dem Vorhandensein einer Schwulenszene. Kultur als Standortfaktor meint also nicht die klassische Hochkultur, sondern die verschiedenen Subkulturen und Milieus, die sich in einer Stadt entwickeln.« (Stadtverordnete Sylvia Weber, ebd., S. 64)

Und so wird »der Kreativwirtschaftsbericht« schließlich – entgegen seiner textimmanenten Logik – zum »ersten Schritt«, die von Florida aufgestellte These, »wenn man

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die Kreative Klasse, wie er es nennt, fördert, dann fördert man auch das Wachstum in einer Stadt« (Stadtverordneter Achim Fey, ebd., S. 59), in die Tat umzusetzen. 6.3.3 Richard Florida – Totgesagte leben länger Interessant ist, wie die Stadtverordnete der SPD Sylvia Weber die Frage der Kultur und ihrer Rolle in der Stadt in dem oben genannten Zitat in die Debatte einführt. Sie thematisiert den Zusammenhang von Kultur und Ökonomie mit Floridas These, Kreativität und ökonomischer Erfolg stelle sich dort ein, wo auch viele Schwule und Lesben leben, und betont die Bedeutung von »Subkulturen und Milieus« als »Standortfaktoren«, was ebenfalls ein Florida’sches Argument darstellt (Florida 2002a). Das bedeutet, sie verwendet die ökonomisch-wettbewerbsorientierten Thesen und den Jargon Floridas, um sich für Kultur in der Stadt stark zu machen. Das ist insofern bemerkenswert, weil die Sozialdemokratin sonst eher eine Sprache verwendet, in der sie Kultur als ein Recht fasst, beispielsweise wenn sie sich für freien Eintritt für Kinder- und Jugendliche in Frankfurter Kultureinrichtungen (Weber 2009), für die Rechte von Homosexuellen in der Stadt (StVV vom 11.12.2008, S. 88) oder das Recht auf freie Sprachwahl auf dem Schulhof einsetzt (ebd., S. 30). Trotz der von Sylvia Weber vorgetragenen Kritik an der Vernachlässigung von Kultur im Bericht und in der Stadtverordnetendebatte, akzeptiert sie den Florida-Diskurs als neuen Referenzrahmen, der als solcher in der gesamten Debatte unangetastet bleibt. Die Kreativwirtschaftsdebatte und der Florida-Diskurs werden, vermittelt über ihre Einführung als ›wissenschaftliche Fakten‹ und Wahrheitsregime, zu einem zentralen Signifikanten in der Debatte, auf die sich alle anderen Beiträge beziehen müssen. Die Florida-Debatte als Diskurs und Referenzrahmen der Debatte zu akzeptieren, hat zur Konsequenz, dass Frau Weber ihren Kulturdiskurs reartikulieren und übersetzen muss. Das bedeutet, dass in dieser Debatte nur Stimmen als ebenfalls gesellschaftspolitisch anschlussfähig gelten können, denen es gelingt, ihr Anliegen oder in Frankfurt etablierte Diskurse und Rationalitäten, in der Sprache der neuen Regierungsrationalität zu reformulieren wie es Sylvia Weber im Falle der ›Kulturfrage‹ tut. Dieser Übersetzungsprozess funktioniert nicht reibungsfrei und so wird Kultur nicht mehr länger als ein Recht, sondern als Standortfaktor, und damit zu einem Mittel, mit dessen Hilfe sich ökonomische Prosperität erreichen lässt. In der Konsequenz bedeutet dies, dass sich ihre Kritik darauf beschränkt, Kultur nicht als gesellschaftlichen Wert und Recht an sich zu verteidigen, sondern ihre Qualität als Mittel zum ökonomischen Zweck zu preisen. Auf diese Weise findet eine Desartikulation kultureller und sozialer Belange statt; das Verhältnis von Kultur und Ökonomie wird unter dem Signifikaten ›Kreativität‹ reartikuliert, der sowohl den etablierten stadtpolitischen Diskurs, der Kultur als Recht für alle fasst (Hoffmann 1979), verändert, als auch den im Bericht weitestgehend desartikulierten Kulturbegriff zugunsten eines

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Florida’schen verschiebt. Die Frage, ob Kreativpolitik überhaupt der richtige Rahmen ist, kulturelle Fragen zu verhandeln wird darauf reduziert, ob Florida eher im Sinne der Förderung von marktwirtschaftlichen Aktivitäten oder der Subkultur auszulegen sei. Auf diese Weise wird Kultur unter den Florida-Diskurs subsumiert, in Floridas Jargon reartikuliert und so in die neue Rationalität des Regierens durch Kreativität eingepasst. Diese neue Rahmung stellt einen Bruch mit einer etablierten Regierungsrationalität dar, die die Verhandlung von Kultur in Frankfurt seit den 1970er Jahren geprägt hat. Seit der Implementierung des Programms »Kultur für alle« des sozialdemokratischen Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann (1979) in der Museumuferpolitik des konservativen Oberbürgermeisters Wallmann wurde Kultur als ein Recht für alle verhandelt. 6.3.4 Vom Programm zum Ist-Zustand Im weiteren Verlauf der Debatte in der Stadtverordnetenversammlung zählen die Diskutant*innen – neben eher wenig umfangreichen Vorschlägen, wie man die Kreativwirtschaft fördern könnte – vor allem Institutionen, Events und Politikmaßnahmen als Teil der Kreativwirtschaft auf, die es schon vor ihrer Benennung als ›kreativ‹ in Frankfurt gab: Dies sind beispielsweise Konferenzen und Branchenevents der Film- und Werbewirtschaft wie die »eDIT6 « (StVV vom 11.12.2008, S. 63), der »VDA Design Award7 « (ebd., S. 62), der »Hessische Filmpreis« (ebd., S. 65), Kulturinstitutionen wie die »tolle Oper« (S. 70), »die Hessische Hochschullandschaft« (ebd., S. 64), die »Games Academy« (ebd., S. 67) oder der »größte Internetknoten Europas, DE-CIX« (ebd., S. 64). Hatte der Bericht dazu geführt, dass sich vorher disparate Branchen als ein neuer ›homogener‹ Bereich konstituierten, indem er die ›neun Arenen‹ unter dem Label ›Kreativwirtschaft‹ artikulierte, so erfährt der Gegenstand ›Kreativwirtschaft‹ in der politischen Debatte eine deutliche Ausdehnung. Bezog sich der Bericht selbst noch recht strikt auf die neun Arenen der Kreativität, so machen die Stadtverordneten in der Stadtverordnetenversammlung ›Kreativität‹ zu einem gesamtstädtischen Thema, 6

Das eDIT Filmmaker’s Festival ist eine internationale Festival-Konferenz für digitale Filmproduktion in Kino, TV und Werbung. Sie findet seit 1998 jährlich in Frankfurt am Main statt und dient drei Tage lang als Plattform für Filmschaffende aus verschiedenen Bereichen der Filmproduktion: Experten für visuelle Effekte, Animatoren, Regisseure, Kameramänner, Werbefilmer, Drehbuchautoren, Cutter, Produzenten etc.

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Beim »VDA-Design Award« handelt es sich um einen Preis, der vom Verband der Automobilindustrie und dem Rat für Formgebung im Rahmen der Internationalen Automobil Ausstellung an akademischen Nachwuchs vergeben wird, der sich im Zuge von Abschlussarbeiten mit der Zukunft des automobilen Designs beschäftigt. Der Preis ist weltweit ausgeschrieben. 2013 gab es über 100 Einreichungen aus 20 Ländern.

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das weit über die neun Arenen hinausgeht. Durch seine Reartikulation mit dem Florida-Diskurs wird Kreativwirtschaft in Frankfurt um Elemente erweitert, die die Verfasser*innen des Berichts aus Gründen der Klassifikation säuberlich zu desartikulieren versucht hatten: Dies sind die Hochkultur, wie die Oper und das Museumsufer, die Subkultur, die digitale Infrastruktur oder die Hochschulen und Bildungseinrichtungen (siehe oben). Debatten über Förderung der Kommunikationswirtschaft durch wichtige Branchenevents, über Kultur als Standortfaktor und Anziehungspunkt für Hochqualifizierte, über die Bildungslandschaft als Schlüssel für die Zukunft, etc. werden hier unter dem Begriff ›Kreativwirtschaft‹ äquivalent gesetzt. »A key effect of this constitutive process [...] is to give the resulting objects internal equivalence: the industries belong together because they all share the central, defining feature of creativity. And this ›bundling‹ matters precisely because the ›fact‹ of equivalence or homogeneity can subsequently be mobilized to powerful effect in policy arguments.« (Christophers 2007, S. 240)

Auf diese Weise wandelt sich die Ausgangsfrage der Debatte, wie man Frankfurt zu einer kreativen Stadt machen könnte, sukzessive in eine Beteuerung, dass Frankfurt bereits eine kreative Stadt sei, und das auch, wenn davon niemand weiß: »Wir sind die heimliche Werbehauptstadt in Deutschland.« (Boris Rhein, StVV vom 11.12.2008, S. 61) »Gerade wegen dieses Images [als Bankenstadt, Anmerk. I. D.] kommt keiner sofort auf die Idee, dass Frankfurt eine superkreative Stadt ist.« (Stadtverordnete Ulrike Gauderer, ebd., S. 67) »Die Kreativen in Deutschland wissen nicht, dass Frankfurt, wie Sie es gesagt haben, die heimliche Hauptstadt der Kreativwirtschaft, in dem Fall der Werbewirtschaft, ist.« (Stadtverordneter Michael zu Löwenstein, ebd., S. 70)

Die Stadtverordneten wirken fröhlich an der Konstitution des neuen Gegenstandes mit, indem sie eine Kontinuität mit bereits bestehenden Institutionen und Projekten herstellen, was die Stadtverordnete Sylvia Weber in ihrem Statement auf den Punkt bringt: »Es ist Ihnen gelungen, das, was es schon seit Jahrzehnten in dieser Stadt gibt, zusammenzufassen und aufzuschreiben. Das ist eine große Leistung.« (Stadtverordnete Sylvia Weber, ebd., S. 61)

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Und auch die Presse kommt zu einem ähnlichen Schluss in ihrer Betrachtung des Prozesses: »Kreativ zur Kreativwirtschaft. Wie mit einer Studie eine Branche geschaffen wurde. [...] Gestern wusste noch niemand, was Kreativwirtschaft ist – heute erfahren die Frankfurter staunend, dass sie darin weit vorne sind. [...] Keine Branche in der Stadt, die so groß ist und gleichzeitig so wenig von sich reden macht. [...] Es lässt sich allerdings darüber diskutieren, ob das Konzept der Kreativwirtschaft tragfähig ist. Wenig verbindet den Pädagogen eines Museums mit dem Werbetexter, kaum etwas haben der Rundfunkjournalist und der Entwickler eines Computerspiels gemeinsam. Und kreativ ist man auch außerhalb der Kreativbranche, nur heißt es da vielleicht Forschung oder Produktentwicklung. Ein schwieriges Konglomerat, eine schwierige Abgrenzung – wenn die Erfindung der Kreativwirtschaft einen Sinn hat, dann tatsächlich wohl nur den ursprünglich intendierten, mit allerlei Bohei das Licht auf diesen Teil des Frankfurter Wirtschaftslebens zu richten.« (FAZ 2009)

Am Ende der Kreativwerkstatt im Römer beschließen die Stadtverordneten, die Kreativwirtschaft in Frankfurt weiter voranzubringen. Sie einigen sich auf die Gründung des bei der Frankfurter Wirtschaftsförderung angesiedelten ›Kompetenzzentrums Kreativwirtschaft‹, welches 2009 seine Arbeit aufnimmt und sich als »Ansprechpartner und Netzwerkknoten für die Kreativwirtschaft in Frankfurt« (Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2014a) versteht. Dafür wurde das Referat für Kommunikation in das Kompetenzzentrum umgewidmet und mit zwei halben Stellen aufgestockt. Die Agenda des Kompetenzzentrums blieb im Wesentlichen dieselbe wie die des Referates für Kommunikation, wurde aber um weitere Aufgaben ergänzt (StVV vom 11.12.2008, S. 62), welche in Kapitel 7 ausführlich diskutiert werden. Außerdem wurde beschlossen, folgende Schritte als Maßnahmenplan aufgrund der Ergebnisse der Studie durch den Wirtschaftsdezernenten konkret prüfen zu lassen: »Einrichtung eines ›Inkubators‹ für die Kreativwirtschaft (Gründerhaus für Kreative, das KleinstBüroflächen zu günstigen Konditionen und flexiblen Vertragsbedingungen anbietet), Zwischennutzungen von öffentlichen und privaten Gebäuden für Kreative, Schaffung von kreativen Quartieren, Vernetzung der Kreativbranche, Zusammenarbeit mit der Region, insbesondere Offenbach, im Kreativbereich, Bewerbung beim Bundesministerium für Bildung und Forschung für den Spitzencluster-Wettbewerb für das Spitzencluster games« (Grüne Fraktion Frankfurt 2008). Darüber hinaus beschließt die Stadtverordnetenversammlung, der Magistrat müsse »alle zwei Jahre einen Bericht vorlegen, in dem a) die städtischen Maßnahmen zur Förderung der Kreativwirtschaft in Frankfurt dargestellt werden, b) die bisher getroffenen Maßnahmen – sofern diese Aussagen jeweils im konkreten Stadium der Umsetzung sinnvoll bzw. empirisch belastbar sind – hinsichtlich ihrer Wirksamkeit evaluiert werden, c) die Entwicklung

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der Kreativwirtschaft in Frankfurt beispielhaft mit der Entwicklung in anderen Städten verglichen wird« (Stadtverordnetenversammlung Frankfurt 2008). Damit war ein neues politisches Feld in Frankfurt geboren: die Kreativpolitik. 6.3.5 Zwischenfazit: Kreativwirtschaft wird performativ Das Fallbeispiel zeigt, dass der Kreativwirtschaftsbericht an diesem Punkt performativ wird. Entgegen klassischer programmanalytischer Verfahren, die die textimmanente Logik von Programmen getrennt von der Frage ihrer Implementierung und ihrem Erfolg ›in der Praxis‹ untersuchen, wird in einer performativitätstheoretisch informierten Analyse wie dieser deutlich, dass Texte wie der Kreativwirtschaftsbericht bereits performativ werden, Praktiken und ›materielle‹ Effekte zeitigen, bevor sie implementiert werden. Hier zeigt sich, dass eine gouvernementale Analyse der Regierung nicht einfach die programmatische Seite der Regierung der ›Realität‹ gegenüberstellt, vielmehr muss sie »die historischen und gesellschaftlichen Bedingungen reflektieren, die ein bestimmtes historisches Wissen über Gesellschaft ›real‹ hat werden lassen« (Lemke 2002, S. 61, Übersetz. I. D., vgl. Kapitel 2.2.2). »An analysis of government takes as central [...] the discursive field within which these problems, sites and forms of visibility are delineated and accorded significance. [...]. Language is not merely contemplative or justificatory, it is performative.« (Miller und Rose 1992, S. 177)

Sprache, hier in Form der politischen Rezeption des Berichts, stellt bereits ein Handeln dar, das die textimmanente Logik des Berichts entwendet und verschiebt. In dem Moment, wo ›Kreativwirtschaft‹ durch ›die Wissenschaft‹ als neuer Referenzrahmen in die politische Debatte eingeführt wird, arbeiten die Politiker*innen reflexartig an der Erfindung seiner Geschichte mit, indem sie Vorhandenes – was zuvor unter Begriffen wie Kultur, IT, Infrastruktur verhandelt wurde – nun unter dem Signifikanten ›Kreativwirtschaft‹ reartikulieren und diesen mit Bedeutung und Geschichte füllen. Im Zuge der Ausweitung der Kreativwirtschaft um Elemente, die vor Ort bereits vorhanden sind, wird Frankfurt in der Folge zu einer − wenn auch unheimlich heimlichen − Kreativstadt, ohne dass sich außerhalb der Stadtverordnetenversammlung etwas geändert hätte. »When presented as information, measurements do not merely inform – they make demands on those who should be informed (Strathern 1999, 2000). In so far as it is treated as the source of information, metrology has performative and regulative consequences.« (Barry 2002, S. 277)

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Das diskutierte Fallbeispiel zeigt darüber hinaus, dass die Problematisierung von Kreativität durch den Bericht einen paradoxen Effekt zeitigt. Auf der einen Seite verkörpert er aufgrund seiner Form als wissenschaftliches Dokument einen »Wahrheitsdiskurs« (Foucault 2009 [1978], S. 242), dem von Seiten der Politik größte Autorität zugeschrieben wird und dessen Setzungen nicht hinterfragt werden. Auf der anderen Seite aber wird seine textimmanente Logik im Prozess seiner Rezeption massiv verkehrt und iteriert. Es scheint als sei die Tatsache, dass es den Bericht gibt, wichtiger als das, was er aussagt. Eine ähnliche Beobachtung macht Brett Christophers in Bezug auf die Rezeption des Londoner Creative Industries Mapping Document: »The content and assumptions of the model are less significant than the fact that there is a model that can be used for reference, support, justification – and even comfort.« (Christophers 2007, S. 244)

Wie kann das sein? Zur Erklärung dieses Phänomens ist auch hier ein Rückgriff auf das in Kapitel 2.2.2 vorgestellte Performativitätskonzept sinnvoll. Damit der Wahrheitsdiskurs des Berichts als ›Macht/Wissen-Komplex‹ auch einen Wahrheitseffekt auf der politischen Ebene erzielen kann, ist eben nicht nur seine Übersetzung und die Einbindung politischer Akteur*innen in das Netzwerk ›Kreativwirtschaft‹ notwendig (vgl. zum Begriff der Übersetzung Callon 1986, Latour 1987 sowie Kapitel 2.1.2). Vielmehr muss der neue Gegenstand ›Kreativwirtschaft‹ mit etablierten Diskursen und Rationalitäten des Regierens ins Spiel gebracht und konvergent gemacht werden. Das bedeutet, bei der Rezeption des Kreativwirtschaftsberichts durch die Stadtverordnetenversammlung handelt es sich nicht um einer illokutionären, sondern um einen perlokutionären Sprechakt. Das bedeutet, um einen Machteffekt erzielen zu können, ist nicht nur die Erfüllung einer Bedingung, nämlich das Vorhandensein eines neuen Wahrheitsdiskurses in Form des Kreativwirtschaftsberichts notwendig, sondern eine Vielzahl von Bedingungen: der Bericht muss in den Worten eines/einer jeden Stadtabgeordneten artikulierbar sein und Sinn ergeben, er muss in ein Verhältnis zu bestehenden politischen Handlungsfeldern wie ›Stärkung des Wirtschaftsstandorts Frankfurt‹, ›Kulturpolitik‹, ›Planungspolitik‹, ›Stadtimagepolitik‹, sogar zu weniger naheliegenden Feldern wie ›Sozial-, Integrations- oder Ordnungspolitik‹ gesetzt werden. Im Prozess seiner Reartikulation wird ›der Bericht‹ zu einem Signifikanten, der Bedeutung transportiert. Um mobil werden zu können, verliert der Bericht zunächst eine Vielzahl der komplexen Bedeutungen, die ihn im Prozess seiner Erstellung konstituiert haben. Sein komplexer Inhalt wird somit auf seine Form reduziert. Der ›Bericht‹ wird zu einem Fixpunkt in der Debatte, dessen Inhalt im Folgenden neu verhandelt wird. Warum ist dies der Fall? Derrida zufolge muss die Kategorie der ›Intention‹ des Berichts im Zuge seiner Wiederholung durch Dritte an Autorität verlieren.

190 | KREATIVPOLITIK »Die Kategorie der Intention wird [...] nicht verschwinden, sie wird ihren Platz haben, wird aber von diesem Platz aus nicht mehr die ganze Szene und das ganze System der Äußerung steuern können. [...] Die erste Konsequenz davon wird die folgende sein: Wenn diese Iterationsstruktur8 gegeben ist, wird die Intention, die die Äußerung beseelt, niemals sich selbst und ihrem Inhalt durch und durch präsent sein. Die Iteration, die sie a priori strukturiert, bringt eine wesentliche Dehiszenz9 und einen wesentlichen Bruch in sie hinein.« (Derrida 2001 [1971], S. 40)

Es kann also nicht verhindert werden, dass sich andere Bedeutungen einschleichen. Genau dies geschieht im Moment des Performativwerdens des Dokuments. Im Zuge seiner Wiederholung durch Dritte wie den Wirtschaftsdezernenten, die Stadtverordneten und die Presse, wird seine textimmanente Logik – die Derrida als ›Intention‹ bezeichnet – prekär. Denn um funktionieren zu können und um lesbar zu sein, muss der Bericht »eine wiederholbare, iterierbare, imitierbare Form haben« (ebd., S. 44). Das bedeutet gleichzeitig, dass er sich »von der gegenwärtigen und einmaligen Intention [seiner] Produktion loslösen muss« (ebd.). Damit wird »der semantische Horizont, der üblicherweise die Auffassung von Kommunikation beherrscht, [...] überschritten oder gesprengt durch die Intervention der Schrift, das heißt einer Dissemination10, die sich nicht auf eine Polysemie11 reduziert. Die Schrift liest sich, sie gibt in ›letzter Instanz‹ keinen Anlaß zu einer hermeneutischen Entzifferung, zur Entschlüsselung eines Sinns oder einer Wahrheit.« (ebd., Hervorheb. i. O.)

Im Zuge der Wiederholung des Gegenstandes durch den Wirtschaftsdezernenten, die Stadtverordneten und die Presse erfährt er eine Veränderung oder in den Worten Derridas eine »Iteration« (ebd., S. 39), einen Bruch mit dem Kontext (zur Möglichkeit des Bruch mit dem Kontext vgl. Kapitel 2.2.1 und 2.4.1). Dieser Bruch mit dem Kontext erzeugt eine diskursive wie praktische Leerstelle, die Raum für neue topologische Verknüpfungen mit anderen Signifikanten, Rationalitäten und Technologien des Regierens schafft. Diese wurde im vorliegenden Fallbeispiel dadurch gefüllt, dass die an diesem Prozess beteiligten Akteur*innen, den Signifikanten ›Bericht‹ aufnehmen, und aus ihrer jeweiligen Subjektposition heraus mit bereits etablierten Rationalitäten und Technologien des Regierens verknüpfen. In diesem Sinne muss der Prozess, in dem durch die Verknüpfung von Signifikanten, 8

Mit ›Iterationsstruktur‹ meint Derrida die in Kapitel 2.2.1 und 2.4.1 beschriebene Möglichkeit des Bruchs mit dem Kontext bei jeder Wiederholung (Iteration) einer Aussage.

9

Botanisch: »Streufruchtigkeit«

10 Dissemination ist ein zentraler Theoriebegriff bei Derrida. Er leitet sich von lateinisch disseminare »aussäen« ab und wird am besten als »Streuung« oder »Aussaat« übersetzt. 11 = Vieldeutigkeit

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Rationalitäten, Technologien und Diskurse sich alle verändern, als ›Artikulation‹ beschrieben werden (vgl. Kapitel 2.4.2). Auf diese Weise kann der im Fallbeispiel beobachtete paradoxe Effekt, dass ›der Bericht‹ zu einem Wahrheitsdiskurs wird und gleichzeitig Wahrheitseffekte zeitigt, obwohl sich sein textimmanenter Sinn im Zuge des Prozesses stark verändert, so erklärt werden, wie es in Kapitel 0 skizziert wurde, nämlich als Konzentration »von vielen Bestimmungen und Beziehungen« (Howarth 2005, S. 238), die einer Erklärung zugrunde liegen: Der Bericht als ›Wahrheitsdiskurs‹ zeitigt einen ›Wahrheitseffekt‹, nicht durch die lineare Umsetzung seiner programmatischen und textimmanenten Logik in ›die Praxis‹ der Politik, sondern paradoxerweise gerade durch seinen Bruch mit dem Kontext. Dieser ermöglicht den beteiligten Akteur*innen die Reartikulation seines Inhalts mit bereits etablierten und für sie verfügbaren Rationalitäten und Technologien. In diesem Prozess der Artikulation verändert sich aber nicht nur der Gegenstand ›Kreativwirtschaft‹, sondern auch der lokale stadtpolitische Kontext, in den er im Zuge seiner Äußerung interveniert. Auf diese Weise verkehrt sich die textimmanente Logik des Dokuments: Trotz der dezidierten Warnung der Vermischung von Analyse und Prognose bringt es schlussendlich das hervor, was es vorgeblich nur untersucht: Der Bericht, der zum ersten Mal den Gegenstand ›Kreativwirtschaft‹ konstituiert und seine performance misst, wird zu einem Beleg dafür, dass Frankfurt bereits eine kreative Stadt ist. Er wird performativ: Es wäre zwar auch möglich gewesen den Satz ›Frankfurt ist eine kreative Stadt‹ vor der Veröffentlichung des Berichts zu äußern, er wäre aber als Behauptung nicht wie nach der Veröffentlichung als ›Wahrheitseffekt‹ wahrgenommen worden12. Die vorangegangene Analyse zeigt den Vorteil einer ›problematisierenden Lektüre‹ gegenüber klassischen programmanalytischen Verfahren (vgl. Kapitel 2.2.1). Eine reine Analyse des Kreativwirtschaftsberichts hätte die zentralen Bedeutungsverschiebungen und Machteffekte im Moment ihrer politischen Äußerung nicht herausarbeiten können. Im Gegensatz zu materialistischen Analysen, die vor allem die 12 Eine ähnliche Beobachtung der Performanz von Dokumenten machen Sara Ahmed (Ahmed 2011) sowie Mathias Rodatz und die Verfasserin (Dzudzek und Rodatz 2013) in Bezug auf race equality Programme an Hochschulen in Großbritannien bzw. für Integrationsund Diversitätskonzept für die Stadt Frankfurt (Magistrat der Stadt Frankfurt am Main 2011b). In beiden Fällen konnte ebenfalls eine Entwendung der »Intention« des Dokuments und Umkehrung seiner immanenten Logik beobachtet werden: »Ein den herrschenden Rassismus [...] dokumentierendes Schriftstück wurde zu einem Maßstab guter Performanz. Hier wurde das Vorhandensein einer ›guten‹ Richtlinie für race equality schnell in eine gute Umsetzung von race equality übersetzt« (Ahmed 2011, S. 126, Hervorheb. i. O.). Und auch für die Stadt Frankfurt stellte sich heraus, dass das Integrations- und Diversitätskonzept die Stadt zwar gut im benchmarking machte, aber nicht so sehr in positiver Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitik, die im Entwurf des Konzepts gefordert wird.

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materiellen Effekte und Konsequenzen politischer Programme auf der Ebene der Praktiken zu erklären versuchen, konnte die problematisierende Lektüre zeigen, dass Sprechen und Handeln analytisch nicht zu trennen sind, sondern dass Sprechen hier zugleich Handeln ist, weil es in Form der Artikulation materielle Effekte zeigt.

6.4 Z WISCHENFAZIT : A NTI - POLITISCHE E FFEKTE Das vorangegangene Kapitel hat dem Des-/Artikulationsprozess von Kreativpolitik auf der stadtpolitischen Ebene in Frankfurt nachgespürt: Ausgehend von der Beobachtung, dass seit Mitte der 2000er sehr heterogene und vielfältige Stimmen, die fehlende Kreativität in Frankfurt problematisieren (vgl. Kapitel 6.1), wurde die Konstruktion von Kreativwirtschaft in Frankfurt im Zuge der Erstellung des Kreativwirtschaftsberichts (Berndt et al. 2008a) nachgezeichnet (vgl. Kapitel 6.2). So dann wurde die Übersetzung der Deskription des neu entstandenen Gegenstands ›Frankfurter Kreativwirtschaft‹ in ein Problem städtischer Regierung bis hin zum Beschluss, Kreativwirtschaft in Frankfurt politisch fördern zu wollen, sukzessive verfolgt (vgl. Kapitel 6.3). »It is through technologies that political rationalities and the programmes of government they articulate become capable of deployment.« (Miller und Rose 1990, S. 8)

In diesem Prozess erwies sich die Rolle des Kreativwirtschaftsberichts als eine Technologie und »Mikrophysik der Macht« (ebd.) gegenwärtiger Formen der Regierung, der zentrale Machteffekte zeitigt und mit einer Desartikulation einer Vielzahl anderer, lokal diskutierter Problematisierungen (vgl. Kapitel 6.1) einhergeht. Daher sollen im Folgenden die Machteffekte des Kreativwirtschaftsbericht innerhalb der politischen Debatte herausgearbeitet werden. Der Gründer der Standortinitiative gamearea-FrankfurtRheinMain und Interessenvertreter der games-Industrie in Frankfurt sieht den Bericht als entscheidend dafür, dass Kreativität zu einer stadtpolitischen Aufgabe wurde. »Und das hat lange gedauert, um das voran zu treiben. Und den Durchbruch haben wir eigentlich auch erst erreicht, klar, durch verschiedene Artikel, die dann immer wieder entstanden sind. Dann hat das Journal Frankfurt, dann hat die FAZ, alle haben sie dann was geschrieben, im Laufe der Zeit. Aber der Durchbruch, jetzt mal von Seiten der Stadt, ist gekommen mit dem Kreativwirtschaftsbericht, den äh, den Sie an der Uni letztlich gemacht haben.« (Interview 15, Para. 18)

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Für den damaligen Wirtschaftsdezernenten Boris Rhein schien der Machteffekt, den der Bericht zeitigt, bereits klar zu sein, bevor er überhaupt entsteht. »Eines meiner Ziele für die Wirtschaftsförderung in Frankfurt am Main ist es, die Creative Industries als eine unserer führenden Branchen mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen. Für dieses Ziel brauchen wir verlässliches Datenmaterial, das uns nun vorliegt.« (Frankfurt-Live 2008)

Wie auch in der Pressekonferenz zur Veröffentlichung des Berichts macht Boris Rhein in der Stadtverordnetenversammlung klar, dass es bereits vor der Erstellung des Kreativwirtschaftsberichts für ihn feststand, die Stärkung der Kreativwirtschaft zu einem »vorrangigen wirtschaftspolitischen Ziel« (StVV vom 11.12.2008, S. 60) zu machen. »Wir hatten die Johann Wolfgang Goethe-Universität beauftragt, die Situation der Kreativindustrie in Frankfurt am Main zu untersuchen. Da der Magistrat sehr frühzeitig, das war nicht nur der Hype von Richard Florida, oder dass es en vogue ist darüber zu reden, das Thema ›Stärkung der Kreativwirtschaft‹ zu einem vorrangigen wirtschaftspolitischen Ziel erklären wollte, war es notwendig zu wissen, wo wir überhaupt stehen. Wir wollten fundierte Daten, Fakten und eine Situationsanalyse haben. Ich glaube, das ist in dem, was die Johann Wolfgang Goethe-Universität uns vorgelegt hat, hervorragend gelungen, weil dieser Bericht uns klare Hinweise gibt, wie dieser Bereich der Frankfurter Wirtschaft weiter gefördert werden kann.« (Stadtrat Boris Rhein, ebd., S. 60)

Boris Rhein brauchte den Bericht nur, um eine politische Strategie zu legitimieren, die bereits im Vorfeld feststand. Das Fallbeispiel zeigt auch, dass die Art und Weise wie der Gegenstand ›Kreativität‹ durch den Bericht technisch und messbar gemacht wird, nicht ohne Konsequenz für die Problematisierungen ist, die er zeitigt (vgl. Li 2007b, S. 7). Boris Rhein sieht den Zweck des Berichts in der Tatsache, dass er »klare Hinweise gibt, wie dieser Bereich der Frankfurter Wirtschaft weiter gefördert werden kann« (StVV vom 11.12.2008, S. 60). Und in der Tat führt der Bericht nicht nur dazu, dass ein bis dato unsichtbarer Bereich wie die Kreativwirtschaft sichtbar wird, er führt auch dazu, dass dieser Bereich mobil und performativ wird. »Ja, letztendlich war die Vorlage des ersten Kreativwirtschaftsreports ausschlaggebend, dass die Kreativwirtschaft immer stärker in den Fokus der Stadtpolitik gelangt ist. Das heißt Messbarkeit ist immer das A und O. Das heißt man braucht Zahlen, schwarz auf weiß. Wie viele Unternehmen? Wie viele Beschäftigte arbeiten in einem bestimmten Sektor und welche Umsätze werden generiert? Das ist letztendlich immer ein Beleg für unsere Arbeit als Wirtschaftsförderung und dafür, dass es wichtig ist, sich als Stadt um diesen Wirtschaftsbereich zu küm-

194 | KREATIVPOLITIK mern, beziehungsweise, dass die Branche auch eine Rolle spielt innerhalb der gesamten Wirtschaft.« (Interview 27 mit der Leiterin des Kompetenzzentrums Kreativwirtschaft vom 15.03.2013, Para. 83 – 84)

Darüber hinaus dient der Bericht laut Boris Rhein dazu, zu bestimmen, »wo wir überhaupt stehen« (StVV vom 11.12.2008, S. 60). Die Kurven und Balkendiagramme zeigen deutlich, wo ›die Kreativwirtschaft‹ bei den sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten, den Umsätzen oder der Anzahl der Unternehmen im Vergleich zu Gesamtstadt steht. Auch Frankfurts Position im Städtevergleich in den genannten Parametern visualisiert der Bericht. In dieser ›faktischen‹ Darstellung ist die Tatsache längst vergessen, dass aufgrund der Artikulation von Kreativwirtschaft in der oben vorgestellten Art und Weise und der damit verbundenen Desartikulation von Kultur- und Kreativwirtschaft, nur ganz bestimmte Problematisierungen von Kreativität als Problem städtischen Regierens sowie politische Rationalitäten ihrer Bearbeitung in den Blick der Stadtverordnetenversammlung kommen. Der Bericht erscheint hier als objektive Standortbestimmung und transportiert nicht mehr, dass er sich seinen Standort, von dem er aus spricht, durch die Wahl der Kreativwirtschaftsdefinition selbst konstruiert hat, dass er das Feld, über das er spricht, selbst abgegrenzt hat. Indem der Bericht politische Fragen – Wie sollte man die Kreativwirtschaft definieren? Sollte sie politisch gesteuert oder durch den Markt geregelt werden? – in das Feld der Ökonomie und wissenschaftlichen Expertise verschiebt, begrenzt er das Feld der politischen Aushandelbarkeit des Themas maßgeblich. »Calculation is thought to reduce the space of the political and to limit the possibility for disagreement. When situations become calculable it is taken to indicate the fact that political contestation has ended.« (Barry 2002, S. 272)

Damit sagt er in seiner Endfassung nichts mehr darüber aus, was er alles nicht unter Kreativwirtschaft fasst, was potenziell zu diesem Bereich gehören könnte. Seine Artikulation von Kreativpolitik geht also auch mit einer Desartikulation einher. In der Frankfurter Römerdebatte zeigt sich dies indem politische Fragen, die Kreativwirtschaft als neuen Rahmen und neues Maß der Dinge hinterfragen, gar nicht auftauchen: Niemand zweifelt daran, ob die von Florida propagierte Entwicklung überhaupt wünschenswert für Frankfurt ist, ob Kultur nun unter diesem neuen Label zu verhandeln ist oder ob die Aufgabe der etablierten Klassifikation ›Kommunikationsbranche‹ zugunsten von ›Kreativwirtschaft‹ überhaupt sinnvoll ist. Durch das Einbringen von Expert*innenwissen findet hier also eine Beschränkung des Feldes des Politischen statt, da bei der Präsentation die noch im Forschungsprozess hoch kontingente und umstrittene Form »der Kreativwirtschaft« ebenso gesetzt ist, wie die Tatsache, dass sie aufgrund des Berichtes bedeutungsvoll wird. Es

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kann nur noch verhandelt werden, wie man sie nun am besten fördert. Dies zeigt sich unter anderem am Beispiel des Kulturdiskurses, wo Kultur auf einmal nur noch im neu gesetzten Rahmen verhandelbar ist. Ein Kulturbegriff, der diesen engen Rahmen verlässt, befindet sich außerhalb des Raumes des Politischen (im Sinne der Rancière’schen polizeilichen Ordnung, vgl. Kapitel 2.4.3, S. 64) und damit in der Stadtverordnetenversammlung genauso außerhalb des Feldes des Sagbaren wie Stimmen, die unter Kreativität etwas anderes als die neun Arenen verstehen, die der Bericht vorstellt (vgl. Berndt et al. 2008a, S. 21). Dies zeigt sich beispielsweise, wenn die Leiterin des Kompetenzzentrum Kreativwirtschaft sagt: »Wer beim Thema Kreativwirtschaft immer noch von Kultur redet, der hat das Thema nicht verstanden.« (Feldnotiz vom 15.03.2011)

Das bedeutet, der Bericht definiert die Grenzen von Kreativwirtschaft und damit die Grenzen dessen, was in der Stadtverordnetenversammlung politisch verhandelt werden kann. Für eine solche Begrenzung des politisch verhandelten Raumes spielen häufig Fähigkeiten eine Rolle, die Barry als »extraordinarily technical« (Barry 2002, S. 271) beschreibt. »Devices such as press conferences, parliamentary debates, public demonstrations, public opinion polls, political analyses, electoral registers and so on are not incidental to politics. [...] The political actor [...] comes with a whole array of material devices and forms of knowledge which serve to frame political action.« (ebd., S. 269)

Zu dieser Aufzählung ließe sich die Erstellung wissenschaftlicher Berichte hinzufügen, denn auch sie zirkeln Gegenstände ab und machen sie durch ihre qualitative und quantitative Bestimmung sicht- und verhandelbar. Die Frage, was Kreativwirtschaft überhaupt ist, wie man sie sinnvoll definieren könnte und welche Definition politisch überhaupt gewollt ist, ist in dem Moment, wo der Bericht als wissenschaftliche Expertise in die politische Debatte eingebracht wird, bereits aus dem Bereich des Politischen verbannt. »Calculation is thought to reduce the space of the political and to limit the possibility for disagreement. When situations become calculable it is taken to indicate the fact that political contestation has ended.« (ebd., S. 272)

Die Grenzen des Gegenstandes aber schreiben sie qua Autorität des Wahrheitsregimes ›Wissenschaft‹ so fest, dass er in der politischen Verhandlung in aller Regel nicht thematisiert oder herausgefordert wird.

196 | KREATIVPOLITIK »Political technologies advance by taking what is essentially a political problem, removing it from the realm of political discourse, and recasting it in the neutral language of science. Once this is accomplished the problems have become technical ones for specialists to debate. In fact, the language of reform is, from the outset, an essential component of these political technologies.« (Dreyfus und Rabinow 1982, S. 196)

Das heißt, in dem der Bericht ›Kreativwirtschaft‹ in einer bestimmten Art und Weise definiert, übersetzt er diese Definition zugleich in den Bereich wissenschaftlicher Evidenz. Aus einem politischen verhandelbaren Objekt (zur ausführlichen auch politischen Diskussion der großen Vielfalt möglicher Kultur- und Kreativwirtschaftsdefinitionen vgl. Kapitel 4.4.1) wurde ein Gegenstand, dessen Grenzen politisch unverhandelbar erscheinen. Einen solchen Machteffekt, der den Raum des politisch Verhandelbaren begrenzt, nennt Andrew Barry in Anlehnung an James Ferguson (1994 [1990] »anti-politisch« (Barry 2002, S. 269). »Politics can often be profoundly anti-political in its effects: suppressing potential spaces of contestation; placing limits on the possibilities for debate and confrontation. Indeed, one might say that one of the core functions of politics has been, and should be, to place limits on the political. Politicians, officials and activists have developed a remarkable set of skills in containing and channeling the form and direction of political disagreement.« (ebd., S. 269)

Der Begriff ›Anti-Politik‹ bezieht sich dabei nicht darauf, dass die Verhandlung ›unpolitisch‹ sei oder vor der Beschränkung des politischen Raumes eine ideale politische Situation geherrscht hätte. Er bezeichnet vielmehr eine Verschiebung der Grenze zwischen dem Politischen, der Wissenschaft und Ökonomie, die hier abschließend noch einmal etwas eingehender betrachtet werden soll. Callon argumentiert in »The Laws of the Market«, dass eine Situation nur dann berechenbar wird, wenn sie einen festen Rahmen bekommt (vgl. Callon 1998, S. 19). Die Möglichkeit für Wissenschaftler*innen ein Dokument/ein Argument performativ zu machen, hängt also von dem Vorhandensein eines Rahmens ab, der diese Äußerungen erlaubt und innerhalb dieses Wahrheitsregimes auch ›wahr macht‹. In diesem Sinne ist die Arbeit der Wissenschaftler*innen, die den Bericht schreiben, hoch politisch. »There is an agreement, whether consensual or forced, to accept the truth of measurements and the legitimacy of the regulatory practices with which they are associated but this agreement is not grounded in science, but in the much more uncertain procedures of metrological practice (Latour 1999a: 258–9). In these circumstances the work of scientists can have political rather than anti-political effects.« (Barry 2002, S. 275)

6. ARTIKULATION VON KREATIVPOLITIK |

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Expert*innen zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie fähig sind, technische Lösungen für politische Probleme zu finden (vgl. Li 2007b, S. 7). Daher kommt ihnen eine zentrale Rolle zu: Sie setzen den Rahmen, der später politisch in der Regel nicht mehr hinterfragt oder angegriffen wird. Dieser Mechanismus gilt analog für den der Ökonomie. Michel Callon hat gezeigt, wie die Konstruktion ›des Marktes‹ und ›der Ökonomie‹ gerade durch den Ausschluss des Politischen aus diesem Feld funktioniert (Callon 1998). In der neoklassischen Theorie entfalten sich ›die reinen Gesetze des Marktes‹ am besten dort, wo das Soziale und Politische ausgeschlossen ist. Entsprechend haben Statistiken, Berechnungen und Vermessung den Effekt, politische Kontroversen im Feld der Ökonomie zu beschränken (vgl. Barry 2002, S. 274). In diesem Sinne funktioniert die Wissenschaft des Messens, der Statistik und der Information als Scharnier zwischen Ökonomie und Politik. »In this way, politics and the market are connected to each other, but political confrontation does not come to interfere with market transactions.« (ebd., S. 273)

Dies schafft einen Rahmen, der politisch in der Regel nicht hinterfragt wird und in dem ›die Ökonomie‹ als gesellschaftlich von anderen Lebensbereichen wie ›der Kultur‹ oder ›der Politik‹ getrennt konstruierter Bereich funktioniert. Politik kommt dann in erster Linie die Funktion zu, den Bereich ›der Ökonomie‹ so frei von anderen gesellschaftlichen Einflüssen zu halten, wie beispielsweise von der Forderung nach ›Kultur für alle‹, Umverteilung etc., dass er ungestört funktionieren kann. »The increasing importance of measurement and information in the economy might be thought to have anti-political effects. Governments have become less concerned with questions of distribution and public ownership, and more concerned with fostering a culture of regulation, monitoring, measurement, auditing, testing and compliance. And all these activities – the whole government of qualities to echo Callon – can be delegated to experts. Metrology – in all its forms – becomes a secure relay between the political and the economic field. It connects them, yet keeps them distinct and pure.« (ebd., S. 279)

Das Konzept »government of qualities« verwendet Barry hier in Anlehnung an Callons Konzept der »economies of qualities« (Callon et al. 2002) bzw. des Konzepts der »qualculation« (Callon und Law 2005). Dieses besagt, dass das ökonomische Messen, wie es in diesem Fallbeispiel im Rahmen der Erstellung des Kreativwirtschaftsberichts geschah, nicht vom Bereich des Beurteilens getrennt werden kann, welcher insofern ein politischer Akt ist, als er den Rahmen setzt, auf den sich die Politiker*innen unwidersprochen beziehen.

198 | KREATIVPOLITIK »It is possible to talk today of a government of qualities, and of the critical role of various levels of government in both fostering and extending this economy and in funding and regulating what I would call metrological regimes.« (Barry 2002, S. 276)

Auf diese Weise kann eine Verschiebung der Grenze zwischen dem Ökonomischen und Politischen ausgemacht werden, die Barry (2002), Li (2007b) oder Ferguson (1994) als »anti-politisch« andere Theoretiker*innen aus den governmentality studies wie Hindess (1997), Lemke (2000, S. 25), Miller und Rose (1994, S. 58) oder O’Malley et al. (1997, S. 510) als Neoliberalisierung beschreiben würden (vgl. auch Kapitel ›Politik‹, S. 64). »Statt das quantitative Modell eines Nullsummenspiels zugrunde zu legen (mehr Markt bedeutet weniger Staat), ist von einer qualitativ veränderten Topologie des Sozialen auszugehen, in der die Bedeutung dessen, was Ökonomie bzw. Politik meint, neu festgelegt werden.« (Lemke et al. 2000, S. 25)

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass durch die Wissenschaftlichkeit des Berichts zum einen der Raum des Politischen beschränkt wird, indem der Rahmen, den er setzt, politisch nicht mehr hinterfragt wird. Schlussendlich wird das im Bericht inhaltlich umstrittene Florida-Argument durch seine Form als wissenschaftlicher Bericht und die mit ihm verbundene Wahrheitsautorität zu einer von allen akzeptierten normativen Leitlinie. Der Raum, der innerhalb des Rahmens entsteht, den die Wissenschaftler*innen setzen, ist der einer ökonomischen Kalkulation. Auf diese Weise wirken die Wissenschaftler*innen – möglicher Weise sogar gegen ihren Willen – an der Konstruktion eines Marktes, nämlich der ›Kreativwirtschaft‹ mit, den die Politiker*innen nicht mehr ablehnen oder in Frage stellen, sondern nur noch gestalten können. Die Forderungen nach »Handlungsempfehlungen«, an denen »man sich dann abarbeiten kann« (Stadtverordneter Achim Fey, StVV vom 11.12.2008, S. 58) unterstreichen die Unangefochtenheit der Marktlogik inmitten des (partei-)politischen Geschehens in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung.

7. Markt statt Politik? – Reartikulationen städtischen Regierens

»Wir wollen [...] die Kreativwirtschaft kraftvoll unterstützen. Das ist so ein bisschen das Salz in der Suppe. Das sind die Menschen, die aus Frankfurt am Main etwas ganz Besonderes machen. Und deshalb wollen wir uns um die ganz besonders kümmern.« (Markus Frank 2013, Wirtschaftsdezernent der Stadt Frankfurt am Main auf der Euro Finance Week Frankfurt, November 2013)

Mit diesen Worten führte Wirtschaftsdezernent Markus Frank die Aufgabe fort, die sich sein Vorgänger Boris Rhein gestellt hatte, nämlich »die Creative Industries als eine unserer führenden Branchen mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen« (Boris Rhein zit. n. Frankfurt-Live 2008), fort. Im Nachgang zum Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, die Kreativwirtschaft in Frankfurt stärken zu wollen, ist eine Vielzahl von Maßnahmen entstanden, die dies leisten sollten. Dazu war es zunächst notwendig, das abstrakte Ziel, ›die Kreativwirtschaft‹ unterstützen zu wollen, in konkrete, geeignete handhabbare Maßnahmen auf stadtpolitischer Ebene zu übersetzen, die richtigen Akteur*innen, die diese neuen Aufgaben leisten können, in der Stadt zu finden und mit neuen Aufgaben zu betrauen. Von den Maßnahmen, die die Stadtverordnetenversammlung zur Umsetzung vorschlug (vgl. Grüne Fraktion Frankfurt 2008 sowie Kapitel 6.3.4), wurden ein Gründerhaus für Kreative, der sogenannte ›Mainraum‹, und eine Leerstandsagentur zur Vermittlung preisgünstiger Arbeitsräume für Kreative mit dem Namen ›RADAR‹ geschaffen. Darüber hinaus fußt die Arbeit im Kompetenzzentrum Kreativwirtschaft vor allem auf drei Säulen: Erstens auf der Unterstützung in Frankfurt ansässiger Kreativunternehmen, zweitens auf der Förderung von entrepreneurship und Start-ups durch die Verfügbarmachung von Finanzierungsstrategien, Beratungsangeboten und der Schaffung eines Marktzugangs über die Vermittlung bezahlbarer Arbeitsräume sowie drittens auf der Stärkung von Business-Netzwerken und Schaffung von Sichtbarkeit vor allem über Netzwerkinitiativen, Branchenevents und Standortmarketing.

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Die Umsetzung der kreativpolitischen Maßnahmen in Frankfurt brachte sehr unterschiedliche Akteur*innen aus Politik, Verwaltung, lokaler Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen und artikulierte sie in neue Beziehungsnetzwerke und neue Institutionen wie im Laufe dieses Kapitels gezeigt wird. Doch so klar die politische Mission in den Statements von Boris Rhein und Markus Frank klingt, so unklar blieb für die zuständigen Akteur*innen zunächst, wie sie die genannten Maßnahmen umsetzen sollten und was in diesem Zusammenhang »kraftvolles Unterstützen« und »Kümmern« bedeutet. In der Praxis sahen sich viele derjenigen, die mit der Umsetzung kreativpolitischer Maßnahmen betraut wurden, vor die Frage gestellt, welcher Rationalität Politik und Verwaltungshandeln bei der ›Unterstützung der Kreativwirtschaft‹ folgen sollte. So ließen sich im Prozess des Performativwerdens des Kreativwirtschaftsdiskurses nicht nur sehr unterschiedliche Auffassungen darüber finden, wie ›richtiges Handeln‹ aussehen sollte, sondern auch zahlreiche Widersprüche und Verunsicherungen der Subjektpositionen, von denen aus die beteiligten Akteur*innen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft oder Zivilgesellschaft Formen der Unterstützung von Kreativwirtschaft betrieben. In der Frage, was ›Unterstützung der Kreativwirtschaft‹ bedeuten soll, lassen sich deutliche Verschiebungen in der politischen Praxis beobachten, die die Positionen der zuständigen Subjekte teilweise stark in Frage stellen. Bei Vertreter*innen kreativwirtschaftlicher Anliegen aus der freien Wirtschaft ist der Begriff ›fördern‹ recht beliebt: Die Deutsche Bank oder die Unternehmensberatung für die Kreativwirtschaft ›peacefulfish‹, die eine Studie zur Positionierung der Rhein-Main-Region erstellt hat, begrüßen beispielsweise die Förderung von Kreativwirtschaft (vgl. Deutsche Bank Research 2011, Interview 4 mit einem Experten für Kreativwirtschaft von Deutsche Bank Research vom 04.08.2011, peacefulfish 2011) und der GWA-Präsident und Geschäftsführer der namhaften Agentur Ogilvy & Mather Deutschland freut sich, wenn »die Politik uns diesmal wirklich unterstützt und nicht immer nur ideell« (Feldnotiz vom 14.11.2013). Während der teilnehmenden Beobachtung und den Interviews stellte ich fest, dass öffentliche Institutionen wie das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung oder die Wirtschaftsförderung Frankfurt, den Begriff ›fördern‹ komplett ablehnen, obwohl letztere ihn sogar in ihrem Namen trägt1. Bei der Erstel-

1

Die Wirtschaftsförderung Frankfurt wurde bereits 1987 von einem städtischen Amt in eine GmbH umgewidmet, die der Stadt zu 100 Prozent gehört. Mit dieser Umwidmung vollzog sich auch eine Abkehr von allokativen Projekten hin zu einem marktwirtschaftlichen Kriterien verpflichteten Arbeiten auch innerhalb der Organisation. ›Ein solches Arbeiten aber ist mit einer Organisation, die ›Förderung‹ im Titel trägt, nur schwer zu vereinbaren, was

7. MARKT STATT POLITIK? – REARTIKULATION STÄDTISCHEN REGIERENS |

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lung des Kreativwirtschaftsreports 2010/2011 während meiner teilnehmenden Beobachtung bei der Wirtschaftsförderung wurde ich aufgefordert, das Wort ›fördern‹, das gleich mehrmals in meinem Text auftauchte, durch andere Begriffe wie »in Kontakt bringen«, »Synergien erzeugen« oder »unterstützen« zu ersetzen (Feldnotiz vom 28.03.2011). Besonders deutlich zeigte sich dieses Paradox im Gespräch mit dem Geschäftsführer der FrankfurtRheinMain GmbH, einem Unternehmen, das den Standort Frankfurt im Ausland vermarktet. Auf die Frage, wie und mit welchen politischen Förderinstrumenten man seiner Meinung nach Kreative am besten in die Stadt ziehen könne, antwortete er: »Mit dem, womit sich Politik am schwersten tut: indem man sich möglichst raushält. [...] Damit Sie verstehen was ich meine. [...] Ich habe in Hamburg an zwei Stellen beobachtet, was mir danach von Wissenschaftlern aus Ihrem Bereich bestätigt wird: Dass man es sich als Stadt leisten können muss Stadtteile vor die Hunde gehen zu lassen, weil man sie nicht retten kann. Weil man sie mit Planung, mit Stadtplanung und so, kriegt man das nicht hin. Da muss man einfach mal zulassen, dass da was abstürzt. Da wird sich irgendwann eine Szene entwickeln, die man nicht so richtig prickelnd findet. Die eher das Thema für die Staatsanwaltschaft und für die Polizei ist, aber irgendwann kommt da, entsteht da eine Subkultur und das attrahiert dann wieder Menschen die letztlich dann in unserem Sinne die wirklich Kreativen sind, in dem Sinne, dass sie noch nicht gewinnorientiert sind, sondern einfach kreativ sein wollen und die attrahieren dann auch die Anderen. Und plötzlich, das kann dann auch ein Problem werden, ist so ein Stadtteil in, ist schick. [...] Und damit tut sich natürlich Politik schwer, immer da mal, weil natürlich vielfach Politik noch aus anderen Bestrebungen kommt.« (Interview 20, Para. 19 – 23)

In den Augen des Geschäftsführers wird »raushalten« zum Imperativ von Politik und Verwaltung. Wie aber lässt sich die Arbeit einer Politik und Verwaltung charakterisieren, die ›sich raushält‹? Auf die Frage, warum die Wirtschaftsförderung das Wort ›fördern‹ nicht benutze, wurde mir gesagt: »Dann denken alle, wir hätten Geld, wir haben aber keins« (Feldnotiz vom 28.03.2011). Das bedeutet, in der Praxis symbolisiert der Begriff ›fördern‹ eine allokative Subventionspolitik, von der sich besonders die mit wirtschaftlichen Fragen betrauten Institutionen vehement abgrenzen. In der Außendarstellung der Wirtschaftsförderung Frankfurt beispielsweise wurde stets darauf geachtet, dass von ›der Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH‹ und nicht nur von ›der Wirtschaftsförderung Frankfurt‹ gesprochen wurde und der Webauftritt der Wirtschaftsförderung läuft unter dem Titel ›www.frankfurt-business.net‹. Diese Na-

zu einer Abkehr langfristiger Subvention zugunsten einer Philosophie der ›Hilfe zur Selbsthilfe‹ sowie des ›Stärken stärken‹ (Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2011, S. 28) führte.

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menspolitik ist nicht zufällig, sondern zielt laut Angaben der Leiterin des Kompetenzzentrums darauf ab, in der Außendarstellung »nicht wie ein Amt rüberzukommen, sondern wie ein Partner oder eine Beratung« (Feldnotiz vom 08.03.2011). Eine ähnliche Reaktion auf den Begriff erhielt ich von der Beauftragten für die Kultur- und Kreativwirtschaft im Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung. Iris Dzudzek: »Sie haben ja gerade gesagt, Förderpolitik ist immer ein schlechtes Wort, weil das immer mit monetären Ansätzen verbunden wird. Mir fällt es schwer, ein anderes Wort zu finden, was würden Sie sagen, wenn Sie etwas in Ihrem Ministerium anstoßen möchten, würden Sie das nicht als Förderung betrachten? Wie würden Sie das dann bezeichnen?« Die Beauftragte für die Kultur- und Kreativwirtschaft: »Wir machen Angebote, wir bieten Plattformen, so wie wir hier unseren Webauftritt gemacht haben, für Kultur- und Kreativwirtschaft, wo wir alle möglichen Informationen einstellen, nicht nur über die monetäre Förderung, sondern auch zu interessanten Projekten, wie man bestimmte Fragestellungen lösen kann, das präsentieren wir alles. Wir haben in Offenbach eine Veranstaltung gemacht, zu der wir auch die Kommunen eingeladen haben, mit den Kreditinstituten zum Thema Mikrofinanzierung. Das ist vielleicht eher die Rolle des convenors2 vielleicht, der ein Thema gerne vorantreiben möchte aber weiß, er kann es alleine nicht oder er ist vielleicht nicht der Richtige, aber die Anderen. Dafür kann man Anstöße geben.« (Interview 19, Para. 54)

Der Begriff ›Förderung‹ wird von den Verwaltungsträger*innen nicht einfach durch einen anderen, in ihren Augen passenderen, ersetzt. Die Beschreibung dessen, was Politik und Verwaltung in ihren Augen denn nun eigentlich tun sollen, bleibt erstaunlich vage und unterbestimmt. Diese Unterbestimmtheit bleibt auch von der Frankfurter Rundschau nicht unkommentiert: »Auch die Wirtschaftsförderung will der Stadtrat anders ausrichten: Um junge Unternehmen zu locken, werde es ›einen Inkubator für Kreative‹ geben. Da muss Rhein selbst schmunzeln, aber ein besserer Ausdruck sei ihm noch nicht eingefallen. Vielleicht beschreibt er den Job künftig eher als ›Hebamme der Kreativen‹.« (FR 2008d)

Das wirft die Frage auf, inwiefern die Artikulation kreativpolitischer Maßnahmen auf Ebene der Stadt mit einer Reartikulation etablierter Formen städtischen Regierens einhergeht, die eine Neupositionierung städtischer Institutionen zwischen Markt, Politik und Verwaltung erfordert und gängige Subjektpositionen in Politik und Verwaltung verunsichert, durcheinanderwirft und vielleicht sogar neu ordnet.

2

Ein convenor ist jemand, der/die eine Versammlung einberuft.

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Das folgende Kapitel befasst sich mit der Umsetzung kreativpolitischer Maßnahmen im Nachgang des ersten Kreativwirtschaftsberichts und der Gründung des Kompetenzzentrums Kreativwirtschaft. Dabei analysiert die Artikulationen, Reibungspunkte, Widersprüche, Anpassungs- und Übersetzungsleistungen in den Alltagsroutinen der beteiligten Akteur*innen, die notwendig sind, um Kreativpolitik performativ werden zu lassen. Hierbei wird deutlich, dass, um den neu konstituierten Gegenstand ›Kreativwirtschaft‹ aufrecht zu erhalten, fortzuschreiben, zu amplifizieren, zu etablieren, eine einmalige Implementierung neuer Maßnahmen nicht ausreicht. Vielmehr müssen diese mit bestehenden Rationalitäten und Technologien sowie mit alltäglichen Routinen und Handlungspraktiken auf Ebene der Stadt harmonisiert werden, was die beteiligten Akteur*innen vor große Herausforderungen stellt, an denen sie nicht selten scheitern. Darüber hinaus müssen diese Routinen beständig wiederholt werden, um aufrechterhalten zu werden und die notwendigen Machteffekte zu erzielen. Diesen Iterationen, Anpassungsleistungen, aber auch dem Scheitern auf Ebene der alltäglichen Routinen der beteiligten Akteur*innen spürt das folgende Kapitel nach. Das Kapitel gliedert sich in sechs Teile. Kapitel 7.1 bis 7.4 befassen sich mit der Umsetzung konkreter kreativpolitischer Maßnahmen, als da wären, erstens die Herstellung eines kreativen Images und die Erzeugung von Sichtbarkeit von Frankfurt als ›Standort für Kreative‹, zweitens der Bereitstellung bezahlbarer Arbeitsräume für Kreative, drittens der Weiterentwicklung von Finanzierungsmaßnahmen für Kreative und viertens der Förderung kreativen Unternehmertums. Kapitel 7.5 befasst sich mit der Evaluation der getroffenen kreativpolitischen Maßnahmen durch das Kompetenzzentrum Kreativwirtschaft und ihren performativen Machteffekten, bevor im Zwischenfazit in Kapitel 7.6 die Ausgangsfrage nach der Reartikulation von städtischer Regierung im Zuge der Artikulation von Kreativpolitik und der mit ihr verbundenen Machteffekte beantwortet werden soll.

7.1 H ERSTELLUNG

EINES KREATIVEN I MAGES

Eine zentrale Säule der Förderung kreativwirtschaftlicher Aktivitäten ist die Erzeugung eines Images sowie Schaffung (inter-)nationaler Sichtbarkeit als kreative Stadt. Berlin beispielweise verkauft mit Slogans wie »be sexy, be Berlin« (Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie GmbH 2008) in seiner Imagekampagne vor allem sein urbanes, hippes Milieu als Anziehungspunkt für Kreative. Hamburg zielt mit der Kampagne »Marke Kreativstadt Hamburg« und der Vermarktung seiner subkulturellen Szene in eine ähnliche Richtung (Barthelmes 2008). Diese Stadtmarketingstrategien richten sich in erster Linie an junge, talentierte und vielleicht nicht immer finanzkräftige Kreative, auch wenn diese sich nicht selten gegen die Vereinnahmung

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von Sub- und Off-Kultur für Werbezwecke wehren. Sie kritisieren, die Stadt profitiere von ihnen durch einen Imagegewinn, ohne sie im Gegenzug – beispielsweise durch die Bereitstellung von Freiräumen oder kultureller Förderprogramme – angemessen anzuerkennen (Haben und Brauchen 2012, Not In Our Name, Marke Hamburg! 2009). Im Gegensatz dazu zielt beispielsweise München vor allem auf solche hochqualifizierte Kreative, die Innovationen im Bereich technologiegetriebener Branchen wie z. B. Bio- oder Medizintechnologie vorantreiben. Auch in Frankfurt spielte die Frage, wie man Frankfurt als eine kreative Stadt sichtbar machen könnte, eine zentrale Rolle. Zu Beginn seiner Amtszeit und parallel zur Erstellung des Kreativwirtschaftsberichts setzt Wirtschaftsdezernent Boris Rhein neben der Förderung der Kreativwirtschaft unter dem Motto »Wir brauchen mehr Glamour« (Rhein zit. nach Horizont 2008c), das später von seinem Nachfolger Markus Frank immer wieder mit den Worten »Frankfurt muss auch in der ,Bunten‹ und in der ,Gala‹ stattfinden« (Frank zit. n. FAZ 2011a) fortgeführt wird, auch die Entwicklung eines kreativen Images für Frankfurt auf seine Agenda. In einer Rede vor Vertreter*innen der Kreativbranche fordert er auf, eine neue Kampagne zu entwickeln, die nicht mit »rein werblich konstruierten Imagebildern [...] an den vorhandenen Potenzialen vorbei [...] kommunizier[t]«, sondern »vielmehr unsere eigentliche Identität, die die Basis für ein zukunftsorientiertes Stadtmarketing liefert« darzustellen. Denn es seien »unsere vorhandenen Stärken, die es uns ermöglichen, uns im Wettbewerb um kreative Menschen, innovative Unternehmen und die Sympathie Dritter eine gute Position zu erarbeiten« (Journal Frankfurt 2008a). Damit reagieren Rhein und später Frank auf Forderungen, die aus der Branche selbst kommen. Die Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der international operierenden Werbeagentur Leo Burnett beispielsweise hebt hervor, hochqualifizierte Kreative an den Standort Frankfurt zu holen sei aufgrund des Images als kalte Bankenstadt »super schwierig« (Interview 1 mit der Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Leo Burnett vom 14.06.2011, Para. 114). Mit dieser Haltung ist sie nicht allein. Zu betonen, das Image der kalten Bankenstadt mache es schwierig und vor allem zu einer teuren Angelegenheit, »gute Leute«, das heißt die kreativen high potentials und CEOs nach Frankfurt zu holen, gehört zum gängigen und guten Ton im Gespräch unter Kreativen in Führungspositionen vor allem aus der Werbebranche (vgl. Interview 2 mit der Senior PR Managerin bei Crytek vom 17.06.2011, Interview 3 mit der Personalmanagerin bei Saatchi & Saatchi vom 08.07.2011). »Die meisten, die wir einstellen, das sind die, die entweder einen familiären Bezug hier haben, oder denen wir bestimmte Sachen anbieten konnten« sagt die Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Leo Burnett über die Gründe der Angestellten ihres Unternehmens nach Frankfurt zu wechseln. (Interview 1, Para. 114). Auch der Geschäftsführer der FrankfurtRheinMain GmbH fordert:

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»Was wichtig ist, glaub ich, ist das Image der Stadt insgesamt, diese Komponenten stärker noch im Image zur Geltung kommen, das Lockere dieser Stadt, das Offene, das extrem Lebendige. Da finde ich, könnte eine andere Tourismus-Werbung insgesamt, für Frankfurt, noch anders werben.« (Interview 20, Para. 106)

Diesen Topos nimmt Boris Rhein in seiner Rede auf: Frankfurt sei ein »erfolgreicher Standort für die Kreativbranche«, gleichzeitig »beklagt die Werbebranche, dass die Stadt nicht prickelnd genug für die Jungen sei und es deshalb schwerer sei, Kreative nach Frankfurt als nach Berlin zu holen« (Journal Frankfurt 2008a) und daher sehe er zur Erstellung dieses Images die Kreativbranche selbst in der Pflicht, um »gemeinsam die Wahrnehmung der Stadt als Bankenstadt und Finanzplatz zu erweitern und die positive Kommunikation über Frankfurt zu verstärken.« (ebd.) »Und deswegen möchte ich zur Aufgabenverteilung sagen: Kommunikationsleistung ist das Geschäft der Kreativbranche. Wir brauchen das Know-how, die Kreativität.« (ebd.)

Die Debatte, darüber, dass das ›kalte Image der Bankenstadt‹ dringend verändert werden müsse, ist dabei fast so alt wie die Bankenstadt selbst. Die Frage, welche Rolle die ›Kreativen‹ bei der Generierung eines neuen Images zu spielen hätten, thematisierte bereits 1991 ein Merian-Heft, das Werbeagenturen um Vorschläge für eine Imagewerbung der Stadt bat. »In der Werbehochburg Frankfurt gibt ein Wort das andere. Hier entsteht ein Grossteil der Slogans, mit denen wir Verbraucher alltäglich umgarnt werden. Die Eigenwerbung der Stadt aber ist katastrophal. Merian bat die Kreativen vom Main zum Brainstorming. Gesucht: ein neues Image für Frankfurt.« (Merian 1991, S. 121)

Die entwickelten Ideen aber wurden nie in eine Kommunikationsstrategie übersetzt. Auch im Nachgang zur Initiative von Boris Rhein, die Frankfurter Kreativwirtschaft attraktiver zu machen, hat sich nichts nennenswert verändert. Frankfurt hat bis heute keine einheitliche Marketingstrategie, entsprechend auch keine, die das Thema kreative Stadt vermarktet. »Das ist aber ein Problem, das Frankfurt schon immer hatte, das wir kein eigentliches Standortmarketing für die Stadt haben. Es gibt kein zentrales Marketing für die Stadt und es gab immer mal wieder Versuche, aber es ist eigentlich in den letzten Jahrzehnten immer wieder kläglich gescheitert.« (Interview 27, Para. 34, vgl. auch Interview 20, Interview 31 mit dem Geschäftsführer der Tourismus und Congress GmbH Frankfurt vom 10.06.2014)

Es gibt viele Spekulationen darüber, warum dies bis heute nicht passiert ist. Eine recht plausible Antwort liefert der Vertreter einer Institution, die für das Image der

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Stadt verantwortlich ist: Der Geschäftsführer der Tourismus und Congress GmbH betont, dass sich das Image der internationalen Bankenstadt ziemlich gut verkauft und daher ›Kreativität‹ nur ein weiterer Bestandteil des Werbeportfolios unter vielen sein kann. »Das Image im Ausland ist ein hervorragendes Image. Wir sind ein Finanz- und Handelsplatz. [...] Das ist fester Bestandteil unserer Marke, dieser Handelsplatz, Finanzplatz. Das ist der Haupttreiber für uns aus Sicht des Tourismus, der viel mit sich bringt, Geschäftsreisen, Tagungen, Kongresse, Messen, mit dem Flughafen kombiniert. Also, Sie können jetzt meine Kollegen, die aus Asien kommen fragen, wir waren jetzt in China in verschiedenen Städten – Frankfurt am Main hat ein Wahnsinnsimage und einen wahnsinnigen Bekanntheitsgrad. Und wir selber mäkeln immer rum, diese Kreativen bringen immer den gleichen Ansatz, Frankfurt hat das Image der kalten Bankenstadt, da will keiner hin, das höre ich jetzt schon seit zehn Jahren. Komischerweise die Daten, die ganzen Studien, [...], was es alles gibt, anschauen, da steht was völlig anderes drin. Da denk ich mir immer dieses lokale Genörgel! [...] Das ist immer das gleiche, es dreht sich immer im Kreis. ›Wir sind eine tolle Stadt und dann kommen keine Kreativen zu uns‹. Bla, bla, bla [...], na gut, hervorragend! Wir haben wunderbare Kennzahlen in allen Bereichen. Wir sind eine Weltmarke! In Asien kennt keine Sau Berlin!« (Interview 31, Para. 37 – 41)

Doch die Entwicklung von Kampagnen scheitert nicht nur an der mangelnden Koordination der dafür zuständigen Institutionen Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH, FrankfurtRheinMain GmbH und Tourismus und Congress GmbH (Interview 27, Para. 34 – 36), einem fehlenden Budget sowie der fehlenden Bereitschaft der Kreativen sich an der Finanzierung einer solchen Kampagne zu beteiligen – »Wenn es ernst wird, haben sie zwei Igel in der Tasche, wenn der eine schläft, ist der andere wach, das ist schon so« (Interview 20, Para. 110). Ein weiterer Grund ist, dass trotz der relativ eindeutigen Bestimmung im Kreativwirtschaftsbericht immer noch umstritten ist, wer im Zuge einer Kampagne überhaupt als Zielgruppe angesprochen werden soll und wen man als ›kreativ‹ repräsentieren will. 7.1.1 Kreative als Zielgruppe In den diversen kreativpolitischen Maßnahmen und den ihnen zugrundeliegenden Problematisierungen finden sich unterschiedliche Auffassungen darüber wieder, wer als ›kreativ‹ und damit als Zielgruppe anzurufen ist. Während die Wirtschaftsförderung vor allem auf die Bestandspflege und Anwerbung von Unternehmen aus den elf Branchen sowie auf junge Gründer*innen setzt (vgl. Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2011, 2014b), zielt das Kulturamt in erster Linie auf die Absolvent*innen der

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Kunst- und Designhochschulen, die nach Berlin oder an andere Standorte abzuwandern drohen (Interview 8 mit der Referentin für Kreativpolitik beim Kulturamt Frankfurt vom 23.08.2011, Para. 137) und die Tourismus und Congress GmbH Frankfurt, eine 100-prozentigen Tochter der Stadt Frankfurt, auf »schwul-lesbisch, transgender, bisexuell, was es alles gibt, LGBT, lesbian, gay, bisexuell und transsexuell« (Interview 31, Para. 49). Einigkeit bei den drei Institutionen, die Frankfurt als Standort entweder für Unternehmen oder Touristen vermarkten, nämlich der Wirtschaftsförderung, der FrankfurtRheinMain GmbH und der Tourismus und Congress GmbH, herrscht darüber, dass es ihnen – im Gegensatz zum Argument bei Richard Florida – um die Anziehung finanziell potenter Kreativer geht. Auch der Geschäftsführer der FrankfurtRheinMain GmbH setzt in seiner Marketingstrategie auf die wirtschaftlich potenten Geschäftsführer und Manager, die aus seiner Sicht vor allem mittleren Alters und in erster Linie männlich sind, aber mittlerweile andere Lebensstile als Karriere, Haus und Frau haben. »Was mich da eigentlich viel mehr beschäftigt ist, dass wir es, das eben diese Kreativität und die damit verbundenen Lebensstile heute viel flächendeckender sind. Es gab ein wunderbares Buch, ›Bobos in Paradise‹. [...] Das sind Menschen, die in ihrem Beruflichen extrem leistungsorientiert sind, in hohem Maße bourgeois und sozusagen geschäftlich erfolgreich sein wollen, aber dann im Privaten eben die Bohemiens, die eben dann auch anders aussehen, sich anders anziehen und auch die Nähe zu anderen suchen, die früher eine Bourgeoisie nie gesucht hat. Und das, glaub ich, ist eigentlich das Entscheidende heute, dass diese Grenzen aufbrechen. [...] Also, ich glaube, das ist das größte Problem, das wir im Moment haben, dass diejenigen, die die wirtschaftliche Stärke einer Region, einer Stadt bestimmen, nicht mehr den tradierten Schemata des erfolgreichen oder des erfolgsorientierten Managers entsprechen. Das war das größte Problem, das wir eben auch politisch damit haben.« (Interview 20, Para. 19)

In der Imagekampagne der FrankfurtRheinMain GmbH, die genau auf die »Bobos in Paradise« (Brooks 2000) abzielt, sitzt ihr Geschäftsführer in einem schnittigen Sportwagen und rast mit eingebautem Stunt zum Nürburgring oder läuft mit Golfequipment, das er locker über die Schulter geworfen hat, durch den Rheingau und schwärmt von der Rhein-Main-Region (FrankfurtRheinMain GmbH 2011). Im Interview fragt er sich, ob auch die »FKK-Clubs« zu einer solchen Kampagne gehören, von denen »die Koreaner ja völlig hin und weg« sind (Interview 20, Para. 48). Auf die Frage, welche Rolle die Off-Kultur in der Vermarktungsstrategie der FrankfurtRheinMain GmbH spiele, antwortet er: »Was sicherlich ganz wichtig ist, wenn man junge Menschen attrahieren will, ist der ›King Kamehameha Club‹, ist der ›Cocoon Club‹, wie heißt es jetzt, ›Velvet‹ [...] das ist sicherlich

208 | KREATIVPOLITIK für die Jüngeren wichtig, nur: Die sprechen wir nicht an! Wir sprechen die Bosse an, sozusagen, die Chefs. Die sehen das möglicherweise anders.« (ebd.)

Für den Geschäftsführer der Tourismus und Congress GmbH gehört die junge urbane, hippe, coole ›Szene‹ auch nicht zu seiner Zielgruppe. Das Label ›kreativ‹ sei ein Begriff, hinter dem wenig steckt und der zu unsicher und diffus für eine Marketingkampagne sei. »[E]s ist halt einfach cool, sich damit zu brüsten mit dem Thema, so find ich kreativ, ist immer so cool, so Kreativindustrie. Ich habe Einladungen gehabt von Firmen, die waren, ein Vierteljahr später waren die gar nicht mehr da. [...] Draußen in der Hanauer [Landstraße, Anmerk. I. D.], die ist immer ganz begehrt, wenn dann irgendwie diese ganzen Coolen, Kreativen einlaufen, gehen wir halt hin. Einen Tag später gibt es die vielleicht gar nicht mehr. Also, dieses Kreative ist so nicht fassbar. So die Coolen, da kann man sich ganz gut schmücken als Politiker« (Interview 31, Para. 89).

Außerdem sei ›kreativ‹ keine standardisierte Kategorie, unter der sich Reisen vermarkten lassen. »Es gibt so Fachreiseanbieter da können Sie dann Malkurse machen oder irgend so einen Scheiß, aber das ist ja nicht kreativ, also« (ebd., Para. 99). Die Vermarktung beispielsweise des Bahnhofsviertels läuft für die Tourismus und Congress GmbH unter »griffigeren Labeln« von »Kunst, Kultur, auch von Erotik und Sex, auch von Historie von Gastronomie [...] und von Clubbing« (ebd.) . Und so kommt der Geschäftsführer der Tourismus und Congress GmbH zu dem Schluss, dass Kreativität zumindest »für unser Image und für unser Gesicht und für unser Vermarktungsportfolio [...] ja nicht hinderlich, also ja nicht schlimm« (ebd., Para. 89) bei der Kernarbeit sei, die darin bestehe, Frankfurt als Finanz- und Handelsplatz zu vermarkten und auf die Quellmärkte »Arabien«, »Amerika« und »China« zu fokussieren (ebd., Para. 41). Auch er zielt mit Blick auf seine Unternehmensstatistik lieber auf einkommensstarke Gruppen. Aus dem Bereich der Kreativen ist dies für den Geschäftsführer erster Linie ›diese Gruppe‹ der LGBTs, die einen »wichtigen Zielgruppenmarkt« (ebd., Para. 48) darstellt. »Die sind meistens mittlere Schicht, double-income-no-kids sage ich jetzt mal [...], die sich was gönnen und sich aussuchen können, wo sie übernachten, was sie alles ausgeben, wo sie hingehen, also Clubs, Bars usw. und mit denen kann man stärker punkten [...] in Märkten wie Amerika oder auch jetzt mal im japanischen Markt oder im argentinischen Markt« (ebd., Para. 49).

Entsprechend bietet die Tourismus und Congress GmbH einen Gay-Guide, Gay-Touren und eine »große Regenbogen-Area« auf dem »Museumsuferfest« oder »am Wäldchestag« an. »Wir haben den ›rosa Montag‹ bei der Dippemess, wir haben den

7. MARKT STATT POLITIK? – REARTIKULATION STÄDTISCHEN REGIERENS |

209

›rosa Bembel‹ beim Apfelweinfest, wir haben die ›rosa Weihnacht‹ beim Weihnachtsmarkt« (ebd., Para. 51). Die FrankfurtRheinMain GmbH und die Tourismus und Congress GmbH greifen also selektiv auf das Kreativitätsskript zu, indem sie nur Maßnahmen für solche Kreative entwickeln, die sich gleichzeitig als gute Kund*innen erweisen. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als beide Institutionen die Organisationsform der GmbH3 haben, die sie zu marktwirtschaftlichen Handeln verpflichtet. In dem Moment, wo ein (kreativ)politischer Auftrag von einer dieser Institutionen umgesetzt wird, wird er notwendigerweise in einer Logik marktwirtschaftlichen Handelns reartikuliert. So wichtig subkulturelle und kulturell vielfältige Szenen sowie wirtschaftlich wenig potente Kreative in der Perspektive der Stadtverordnetenversammlung als »kreativer Humus« (Bain 2013, S. 136) für wirtschaftliche Prosperität der Stadt sind, in dem Moment, wo die Umsetzung kreativpolitischer Maßnahmen an städtische GmbHs delegiert wird, werden sie in der ihr eigenen Logik behandelt. Konkret bedeutet dies: Die FrankfurtRheinMain GmbH und die Tourismus und Congress GmbH müssen am Ende des Jahres in ihren Jahresberichten, Quartalsstatistiken und Wirtschaftsstudien vor ihren Aufsichtsräten ihren ›Geschäftserfolg‹ darlegen. Und der bemisst sich in den GmbHs danach, wie viele Unternehmen sie in Frankfurt angesiedelt haben, durch welche Netzwerkevents sie bestehende Kontakte gepflegt haben oder wie die Zahl der Übernachtungen und Kongresse in Frankfurt im Vergleich zum Vorjahr gesteigert werden konnte (Tourismus+Congress GmbH Frankfurt 2014a, 2014b, Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2011, 2013a, 2014b). Kreativpolitische Maßnahmen müssen sich kapitalisieren. In dieser Logik ist es nur konsequent, dass sich die Institutionen vor allem auf die ›Kreativen‹ fokussieren, deren Performance sich besonders einfach kapitalisieren lässt. Im Falle der FrankfurtRheinMain GmbH sind dies eben weniger die kleinen Talente als vielmehr die männlichen, etablierten Entscheider mit bohemistischem Lebensstil; im Falle der Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH sind dies vor allem die Geschäftsführer*innen der größeren Unternehmen aus den elf Branchen der Kreativwirtschaft. Die Tourismus und Congress GmbH lehnt eine aktive Vermarktung des Labels ›Kreativität‹ dabei nicht etwa ab, weil sie inhaltliche Bedenken dagegen hätte, sondern weil es sich in ihren Augen schwer kapitalisieren lässt. Aber Homosexuelle – für Florida klassische Kreativitätsindikatoren – werden sofort zu einer besonders andressierten Zielgruppe, sobald sie sich als gute Kund*innen erweisen. So einleuchtend das Argument als ›GmbH sind wir verpflichtet, marktwirtschaftlich zu handeln‹ für Wirtschaftsunternehmen sein mag, so zweifelhaft ist die Aus-

3

Während bei der Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH und der Tourismus und Congress GmbH die Stadt Frankfurt zu 100 Prozent Gesellschafterin ist, ist sie bei der FrankfurtRheinMain GmbH nur eine unter vielen anderen Landkreisen sowie dem Land Hessen.

210 | KREATIVPOLITIK

weitung dieser Logik auf das Verwaltungshandeln selbst. Denn eine Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH, eine Tourismus und Congress GmbH oder eine FrankfurtRheinMain GmbH werden – auch wenn sie sich als Beratungsfirma vermarkten – niemals rentabel sein, weil die ›Dienstleistungen‹, die sie anbieten, aus der öffentlichen Hand bezahlt werden und nicht von ihren ›Kund*innen‹. Dies macht der »Produkthaushalt«, den Frankfurt am Main als erste deutsche Großstadt 2002 einführte, deutlich, indem der »Produktbereich 36 ›Wirtschaftsförderung‹« jedes Jahr einseitig durch Zuweisungen und Zuschüsse gespeist wird und am Ende ein negatives Jahresergebnis hat (vgl. Tabelle 2) sowie Stadt Frankfurt am Main 2014, S. 132). Tabelle 2: Die Wirtschaftsförderung im Produkthaushalt der Stadt Frankfurt Produktbereich 36 "Wirtschaftsförderung" Ergebnishaushalt Erträge und Aufwendungen in 1.000 € Aufwendungen für Sach- und Dienstleitungen

Ist 2012

Soll 20130

Soll 2014

Soll 2015

Soll 2016

Soll 2017

41

39

39

39

39

39

9.897

10.269

10.260

9.860

9.860

9.860

Sonstige ordentliche Aufwendungen

532

131

272

138

150

111

Summe der ordentlichen Aufwendungen

10.470

10.439

10.571

10.037

10.049

10.010

-10.470

-10.439

-10.571

-10.037

-10.049

-10.010

3.361

826

1.712

875

950

700

3.361

826

1.712

875

950

Aufwendungen für Zuweisungen und Zuschüsse

Verwaltungsergebnis Finanzerträge Finanzergebnis Ordentliches Ergebnis Außerordentliche Aufwendungen Außerordentliches Ergebnis

-7.109

700 -9.310

229 -229

Jahresergebnis

-7.338

-9.613

-8.859

-9.162

-9.099

-9.310

Jahresergebnis nach ILV

-7.338

-9.613

-8.859

-9.162

-9.099

-9.310

Quelle: ebd.

Eine solche Darstellung ist der Umstellung des kommunalen Haushaltens nach betriebswirtschaftlichen Kriterien auf Basis eines Produkthaushaltes Ende der 1990er Jahre geschuldet. Ziel der Reform, die im Jahr 2007 mit der Einführung des ›Neuen Kommunalen Rechnungs- und Steuerungssystem‹ (NKRS) und der damit verbundenen Umstellung von einer kameralistischen auf die sogenannte doppische Haushalts-

7. MARKT STATT POLITIK? – REARTIKULATION STÄDTISCHEN REGIERENS |

211

führung in Frankfurt ihren vorläufigen Abschluss fand, ist es, die Steuerung kommunalen Verwaltungshandelns von der so genannten Input- (Orientierung am Ressourceneinsatz) auf die Output-Orientierung (Orientierung am Ergebnis der Verwaltungstätigkeit) umzustellen. Der Erfolg der Umstellung auf das Neue Steuerungsmodell, welches mehr Transparenz und Effizienz verspricht und das maßgeblich von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) unter anfänglicher Beteiligung der Bertelsmann Stiftung vorangetrieben wurde, ist sehr umstritten. Der Umbau Frankfurts und anderer Deutscher Städte zu erfolgreichen »Dienstleistungskommunen« (Silomon-Pflug und Heeg 2013, S. 186) durch die Einführung des Neuen Steuerungsmodells (NSM) erfolgte nicht flächendeckend, sondern fragmentiert, was es artikulierbar mit bestehenden Verwaltungsstrukturen und –rationalitäten machte. Auf diese Weise erhielt es einen in Frankfurt einzigartigen und vor allem strategischen Charakter, der es auf der Ebene städtischer Verwaltung ermöglichte, demokratisch nur schwer zu legitimierende Projekte unter dem Deckmantel ökonomischer Effizienz durchzusetzen (ebd., S. 186). Eine solche Reartikulation städtischer Regierung geht mit einer Desartikulation all jener potenzieller Adressat*innen von Kreativpolitik wie beispielsweise junger, finanzschwacher Talente, Künstler*innen, alternativ und solidarisch wirtschaftender Gruppen wie z. B. urban gardening oder upcycling Projekten einher, die in anderen Städten durchaus zu den Adressat*innen von Kreativpolitik zählen. Auch kommt es zu einer Desartikulation anderer Querschnittsthemen in der Stadt. Die Stadt Frankfurt hat es sich seit der Gründung des Amtes für Multikulturelle Angelegenheiten im Jahr 1989 zur Aufgabe gemacht, das Thema Antidiskriminierung in allen Ämtern und Institutionen der Stadt als Querschnittsaufgabe zu verankern. Mit der Zustimmung zum Integrations- und Diversitätskonzept hat sie diese Selbstverpflichtung 2011 noch einmal erneuert (Magistrat der Stadt Frankfurt am Main 2011b). Auf meine Frage, ob Antidiskriminierung in der Arbeit der Tourismus und Congress GmbH eine Rolle spiele, antwortet der Geschäftsführer, dass das völlig überflüssig sei: »I wo, wir sind international. Das Problem ist eher, dass unsere Kunden aus so vielen unterschiedlichen Quellmärkten kommen. In nahezu fast allen Bereichen der Welt müssen wir uns vermarkten, weil der Flughafen, weil diese Internationalität der Stadt das einfach mit sich bringt, dass wir uns breit international aufstellen müssen.« (Interview 31, Para. 55)

Durch die Priorität der Verwertung in der GmbH werden Fragen gleicher Rechte, wie sie die Praxis der Antidiskriminierung fordert, zugunsten einer optimalen Marketingstrategie für ein internationales Publikum desartikuliert.

212 | KREATIVPOLITIK

7.1.2 Herstellung von Netzwerken Die Maßnahmen und Strategien zur Erhöhung der überregionalen Sichtbarkeit von Frankfurt als Standort der Kreativwirtschaft des Kompetenzzentrums Kreativwirtschaft bei der Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH operierten nicht über eine Imagekampagne, sondern in erster Linie über Branchenevents und Netzwerkveranstaltungen. Dazu wurden zum einen bestehende Branchenevents und Netzwerkveranstaltungen gestärkt: Bestehende Standortinitiativen mit regelmäßigen Treffen wie ›Gamesplaces‹ für die games-Industrie sowie dem ›Medienmittwoch‹, der 2002 ursprünglich als Plattform für die Kommunikationsbranche in Frankfurt gegründet wurde, wurden zu einem Forum für Kreative aller Branchen ausgebaut. Noch größere Aufmerksamkeit wurde dem Ausbau von Branchenevents wie Fachmessen oder Preisverleihungen beigemessen. Sie versprachen, mit punktuellen Aktivitäten lokale und überregionale Kontakte ›nachhaltig‹ zu intensivieren und vor allem, den Standort als kreatives Zentrum durch ein hohes Presseinteresse an solchen Events sichtbar zu machen. Mittlerweile herrscht unter Städten ein harter Wettbewerb um solche Events zum Zwecke der Standortwerbung, wofür in der Regel größere Summen Geld in die Hand genommen werden. Im Nachgang des Kreativwirtschaftsberichts wurden 2008 gleich mehrere solcher Events gestärkt und ins Leben gerufen. Der seit 2001 in Frankfurt stattfindende VDW-Award, ein Preis, der vom Verband deutscher Werbefilmproduzenten jährlich für die beste nationale und internationale Werbefilmproduktion vergeben wird, wurde durch Aufwendung städtischer Geldmittel 2008 in Frankfurt gehalten, der städtische Zuschuss zum nicht unumstrittenen Format der eDIT, einer Konferenz zur digitalen Filmproduktion, wurde erneut vergeben (2009 und 2010 betrug er je 75.000 Euro aus städtischen Mitteln, siehe Brockmeyer 2008). Darüber hinaus wurde im selben Jahr der E.I.G.A., der European Innovative Games Award, mit Landesmitteln gegründet und nach Frankfurt geholt und ab 2009 mit städtischen und europäischen Mitteln fortgeführt. Als eine weitere Maßnahme wurde ein »Kommunikationsdinner« ins Leben gerufen. Die Veranstaltung fand 2008 zum ersten Mal im Römer statt und soll laut Wirtschaftsdezernent Markus Frank »der hohen Bedeutung der Branche für Frankfurt Rechnung tragen, sie soll ein Zeichen unserer Wertschätzung sein.« (Frank zit. n. Presse und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main 2009). Ab 2010 wurde das ›NODE Forum for Digital Arts‹, eine kleine internationale Plattform zum Austausch zwischen Wissenschaft, Design, Technologie und Kunst im Bereich digitaler Medien, unterstützt und ab 2009 mit dem LEA, dem Life Entertainment Award, eine Großveranstaltung mit viel Presseecho für 5 Jahre nach Frankfurt geholt. Zuletzt kam 2012 der GWA Effie, eine Auszeichnung des ›Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen e. V.‹ für besonders effektive und wirtschaftliche Werbekampagnen, nach Frankfurt. Er wird mit der Begründung unterstützt, »[d]ie am

7. MARKT STATT POLITIK? – REARTIKULATION STÄDTISCHEN REGIERENS |

213

Standort vorhandene hohe Konzentration aus einer leistungsstarken Kreativwirtschaft, Finanzwirtschaft, Industrie und Wissenschaft, wie sie in Deutschland in dieser Kombination nur hier zu finden ist, macht die Stadt zum prädestinierten Austragungsort für einen Preis wie dem GWA Effie« (Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2014b, S. 13). Zu Beginn der Gala am 14. November 2013 im frisch renovierten Gesellschaftshaus des Palmengartens sagte der GWA-Präsident und Geschäftsführer der namhaften Agentur Ogilvy & Mather Deutschland Lothar Leonhard in seiner Eröffnungsrede: »Wir danken der Wirtschaftsförderung Frankfurt. Wir freuen uns, dass die Politik uns diesmal wirklich unterstützt und nicht immer nur ideell« (Feldnotiz vom 14.11.2013).

Mit »wirklich unterstützt« meinte Herr Leonhard die 50.000 Euro, die die Wirtschaftsförderung gezahlt hatte, um das Branchenevent von Berlin nach Frankfurt zu holen. Es mag ein Zufall gewesen sein, dass nach Abklingen des Applaus für die Ansprache von Herrn Leonhard die Bigband ausgerechnet einen Song mit dem Titel »Too Good to Be True« spielte, während goldener Glitzer von der Decke regnete (ebd.). Der Ort des Palmengartenhauses jedenfalls war stadtpolitisch hochumstritten und Gegenstand verschiedener Proteste aus dem Wem-gehört-die-Stadt-Netzwerk Frankfurt. Denn nach der Renovierung des für öffentliche Veranstaltungen genutzten Hauses mit städtischen Geldern in Höhe von 40 Millionen Euro sowie der Ansiedlung eines Edelrestaurants war die Miete für den Festsaal um das Vier- bis Fünffache gestiegen, so dass sich kleine Vereine, die den Ort zuvor häufig genutzt hatten, die Miete nicht mehr leisten konnten (FGZ 2012b). Das größte und medienwirksamste, aber auch teuerste Event wurde 2009 nach Frankfurt geholt. Nachdem der »Gipfel der Kreativen« (FAZ 2010b), der vom ›Art Directors Club‹ ausgerichtet wird, nach 16 Jahren in Berlin zum ersten Mal ausgeschrieben wurde, setzte sich Frankfurt gegen die Mitbewerberinnen Hamburg, München und Berlin durch (Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2011, S. 20) und verpflichtete sich, das Großereignis mit einem Gesamtkostenrahmen von zwei Millionen Euro und über 10.000 Besucher*innen für drei Jahre in Frankfurt auszurichten und finanziell und organisatorisch zu unterstützen. Wirtschaftsdezernent Markus Frank kommentierte den Coup stolz mit den Worten: »Insofern haben wir Berlin und München gleichzeitig etwas weggenommen« (FAZ 2010a). Der Gipfel setzte sich aus einer Ausstellung aller eingereichten Arbeiten sowie einem ›Kongress‹ in Form eines Branchengesprächs über aktuelle Themen und Entwicklungen zusammen, zu dem auch Prominente aus anderen Bereichen als ›Zugpferde‹ eingeladen werden. 2010 war Wladimir »Klitschko als Attraktion« (ebd.) auf dem ADC, 2011 spricht der sichtlich vom Leben gezeichnete Sänger Donovan:

214 | KREATIVPOLITIK »Art and commerce were always in bed together, they meet like oil and water, but together they make a good salad.« (Donovan zit. n. Feldnotiz vom 06.05.2011)

Höhepunkte der Veranstaltung war die Verleihung der ›Junior Awards‹ am ersten Abend, die Verleihung der weiteren Awards in einer großen Gala sowie die zahlreichen Partys in unterschiedlichen Clubs in Frankfurt wie »City Beach Club, im Cocoon, im Kunstverein Lola Montez, in der Schirn, in der Großmarkthalle, in der Freitagsküche und was die Stadt sonst noch so an Highlights zu bieten hat« (Journal Frankfurt 2009), die in der extra für das Event programmierten App verfolgt werden können. Ein Festivalpass kostet 450 Euro (ebd.). Es gibt unterschiedliche Angaben, wie viel Geld von Seiten der Stadt für die Anwerbung des ADC geflossen ist und welche weiteren öffentlich finanzierten Dienstleistungen und Unterstützungen es gegeben hat. Die FAZ spricht von 300.000 Euro von Seiten der Stadt Frankfurt und weiteren 300.000 Euro aus Mitteln des Landes Hessen (FAZ 2010a). Der hohe Kostenaufwand wurde damit begründet, dass das Event und die begleitende Medienkampagne zu einer Steigerung des Bekanntheitsgrades von Frankfurt als Kreativstandort mit einem Wertschöpfungsäquivalent von 2 Millionen Euro beigetragen hätte (Interview 7 mit einem Politiker und Mitglied des Kultur- und Freizeitausschusses vom 21.08.2011, Para. 56). Parallel aber führten die Initiierung des Kreativwirtschaftsberichts sowie die durch ihn angestoßenen Bemühungen und Maßnahmen zu einem erhöhten Presseecho, so dass die Repräsentation von Frankfurt als »Ort der Kreativen« deutlich zugenommen hat. Doch die standortpolitische Entscheidung war auch unter Kreativen selbst nicht unumstritten. Ein Politiker und Mitglied des Kultur- und Freizeitausschusses, der selbst in der Kreativwirtschaft tätig ist, steht einer solchen in erster Linie auf Außenwirkung bedachten Standortpolitik sehr skeptisch gegenüber. »Also wenn man sieht, wie viel Bedeutung das Gewinnen des ADCs für den Standort Frankfurt beigemessen wurde, von Politikern, und wenn man da dann mal gucken würde, was hat das jetzt wirklich der Kreativwirtschaft vor Ort gebracht – würde ich die These wagen – käme man zu einem fatalen Ergebnis: dass es uns zwar viel Presse gebracht hat, und sozusagen der Zug der Werbekreativen anstatt nach Berlin eben nun mal nach Frankfurt kommt. Wofür Frankfurt sicherlich auch deutlich mehr Geld in die Hand genommen hat, als öffentlich veröffentlicht wurde. So. Was das, ich sag jetzt mal, der kleinen Eventagentur, der kleinen Kreativagentur am Standort Frankfurt gebracht hat, wage ich stark zu bezweifeln. [...] Also das heißt, in dem Bereich [der städtischen Politik, Anmerk. I. D.] ist Standort ein riesen Faktor. Und da wird auch mit aller härtesten Bandagen gekämpft. Manchmal dann eben auch durch die Verschwendung von Steuermitteln.« (ebd.)

Die Kritik an zu hohen Ausgaben für eine solche Form der Standortpolitik über Events aus der Kreativwirtschaft 2011 kam gepaart mit Sparmaßnahmen, von denen auch die Wirtschaftsförderung betroffen war. Die Wirtschaftsförderung Frankfurt

7. MARKT STATT POLITIK? – REARTIKULATION STÄDTISCHEN REGIERENS |

215

GmbH legt weder den Umfang ihrer Finanzen, noch was für einzelne Projekte ausgegeben wird, in ihrem Jahresbericht offen. Aus anderen städtischen Quellen lässt sich nur der Gesamthaushalt der Wirtschaftsförderung, nicht aber, was für einzelne Projekte ausgegeben wurde, rekonstruieren. Tabelle 3 zeigt, dass die städtischen Zuschüsse, aus denen die Wirtschaftsförderung ihr operatives Geschäft bestreitet, 2011 zu ersten Mal sanken und 2012 massiv zurückgefahren wurden, so dass sie Ende 2012 zum ersten Mal rote Zahlen schrieb. Tabelle 3: Finanzen der Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH im Jahresvergleich Städtischer Zuschuss

Gesamtabschluss ohne städtischen Zuschuss und vor Ergebnisabführung

Konsolidierter Gesamtabschluss inkl. städtischem Zuschuss und nach Ergebnisabführung

2009

4.567.000 (soll) (1)

-4.763.000 (2)

249.181 (3)

2010

6.105.000 (ist) (4)

-5.499.000 (5)

605.708 (6)

2011

5.386.000 (ist) (7)

-4.376.000 (8)

1.010.100 (9)

2012

3.567.000 (ist) (10)

-3.750.000 (11)

2013

4.981.000 (soll) (13)

2014

4.517.000 (soll) (13)

2015

4.517.000 (Plan) (13)

-183.392 (12)

Quellen: (1) Stadt Frankfurt am Main 2011b, S. 117, (2) Stadt Frankfurt am Main 2009, S. 76, (3) ebd., S. 67, (4) Stadt Frankfurt am Main 2012c, S. 120, (5) Stadt Frankfurt am Main 2010, S. 53, (6) ebd., S. 46, (7) Stadt Frankfurt am Main 2013, S. 126, (8) Stadt Frankfurt am Main 2011a, S. 69, (9) ebd., S. 59, (10) Stadt Frankfurt am Main 2014, S. 133, (11) Stadt Frankfurt am Main 2012b, S. 69, (12) ebd., S. 57, (13) Stadt Frankfurt am Main 2014, S. 133

Schlussendlich wurden die großen und teuren Events ab 2012 alle wieder zurückgefahren: Nach Ablauf des drei Jahresvertrages verlor Frankfurt den ADC 2012 an Hamburg, weil die Stadt im Wettbewerb mit Frankfurt mehr bot (One to One 2012). Der seit 2001 in Frankfurt gastierende VDW-Award wurde 2011 zum letzten Mal in Frankfurt vergeben, bevor er unter dem Namen ›Deutscher Werbefilmpreis‹ nach Berlin abwanderte, weil die Stadt »günstigere Bedingungen« bot (W&V 2013). Zwar wurde mit dem ›Reklamefilmpreis‹ ein kleiner Ableger des VDW-Award in Frankfurt behalten, aber auch dieser wurde 2014 nicht fortgeführt. Die Stadt hatte ihn mit einem Betrag von 50.000 Euro pro Jahr unterstützt, was etwa ein Viertel der Gesamtkosten betrug. »Obermann [Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderung, I. D.] äußert sich nicht zu dem konkreten Betrag. Den Ausstieg begründet sie mit Sparmaßnahmen, zu denen die Wirtschaftsförderung gezwungen sei [...] Ausdrücklich betont die Chefin der Wirtschaftsförderung, dass die

216 | KREATIVPOLITIK Entscheidung nicht als Kritik am Reklamefilmpreis zu verstehen sei. Der Schritt habe ausschließlich finanzielle Gründe.« (Horizont 2014)

2011 fand die eDIT zum letzten Mal in Frankfurt statt. Als kleiner Ableger der eDIT wurde die ›B3 – Biennale des bewegten Bildes‹ in Kooperation mit Kunsthochschulen und einem höheren Anteil an öffentlicher Förderung aus dem Kunstbereich ins Leben gerufen, das im Gegensatz zu seiner Vorgängerin im zwei Jahresrhythmus stattfinden soll. Auch wenn die Fachkritik zu diesem sehr spezialisierten Format an der Grenze zwischen Technologie, Kunst und Wirtschaft sehr gut war, ist ihre Zukunft aufgrund der eher verhaltenen Publikumsreaktion weiter ungewiss. Auch die Zukunft des LEA ist nach Auslaufen des Vertrages 2015 ungewiss. Die Verleihung, die turnusgemäß 2014 hätte stattfinden sollen, ist auf 2015 verschoben worden und auch das Kommunikationsdinner im Römer fand 2014 nicht statt. Somit bleibt 2014 als einzig sicher in diesem Jahr fortgeführtes und von städtischer Seite weiterfinanziertes Branchenevent der GWA Effie, bei dem sich jedoch die Frage stellt, inwiefern die Prämierung des wirtschaftlichsten Bereichs der Werbewirtschaft, nämlich die Zusammenkunft und Auszeichnung der Menschen, die die wirtschaftlichsten und effektivsten Werbebotschaften vermarkten, wirklich der städtischen Subventionierung bedürfen. So muss der Versuch, Sichtbarkeit als Kreativstadt über Branchenevents als Vehikel des Standortmarketings einzusetzen, als temporärer und für die öffentlichen Kassen teurer Erfolg verbucht werden, dessen Verstetigung gescheitert ist. Die Beispiele zeigen sehr gut, wie sich eine klassische, subventionsgetriebene Standortpolitik mit dem neuen Kreativitätsskript artikuliert. Eine solche Politik bezeichnet das Kompetenzzentrum Kreativwirtschaft in ihren Kreativwirtschaftsreporten (2011, S. 26, 2014b, S. 12) als eine Philosophie des »Stärken stärkens«. Gleichzeitig aber zeigt sich auch, dass eine solche Politik nur schwer zu legitimieren ist, wenn verhältnismäßig hohe Summen städtischer Gelder für jene »roten Teppiche« (FR 2011a) ausgegeben werden, die die Stadtpolitik ausgerechnet dem wirtschaftlich potentesten Teil der Kreativbranche ausbreitet. 7.1.3 Kulturalisierung von Ökonomie Eine weitere interessante Form der Artikulation kreativpolitischer und kreativwirtschaftlicher Maßnahmen zum Zwecke der Herstellung von Sichtbarkeit und zur Eigenwerbung erfolgt durch den Rückgriff auf das endogene Potenzial der lokalen Kunst- und Kulturszene. Das bedeutet, viele dezidiert kreativwirtschaftliche Maßnahmen der Stadt oder von Unternehmen geben sich den Anstrich von Kunst oder Kultur.

7. MARKT STATT POLITIK? – REARTIKULATION STÄDTISCHEN REGIERENS |

217

Beispielsweise schreibt der Leiter der Museen Schirn, Städel und Liebighaus Max Hollein das Vorwort zum »Special Kreativwirtschaft« des IHK Forums Rhein-Main, einem Magazin für Unternehmer*innen in der Rhein-Main-Region (IHK Forum Rhein-Main 2012). Im ersten Hessischen Kulturwirtschaftsbericht schreibt der ehemalige Leiter des Museums für Moderne Kunst (MMK) in Frankfurt Jean-Christophe Ammann einen Beitrag (Hessisches Ministerium für Wirtschaft und Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst 2003, S. 8). Zwar gehört laut Definition der Kunstmarkt auch zur Kreativwirtschaft, mit 1,6 Prozent stellt er aber den mit Abstand kleinsten Anteil an der Frankfurter Kreativwirtschaft dar (Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2014b, S. 35). Das komplett aus öffentlichen Mitteln finanzierte MMK fällt gar nicht unter diese Definition. Entsprechend ist es eigentlich nicht besonders repräsentativ, Vertreter*innen aus der Kunstszene für einen Beitrag zu gewinnen. Auch die Wirtschaftsförderung wirbt mit kulturellen Veranstaltungen wie dem LUCAS Filmfestival für Kinder oder den LICHTER Filmtagen in ihrem Newsletter, die streng genommen, nicht zu ihrem Aufgabenbereich gehören (siehe Kapitel 7.5.1), eine Mitarbeiterin des Kompetenzzentrums lädt mich zu einer OffParty im Ostendpark ein, mit dem Kommentar, das sei das Coolste, was man in Frankfurt machen könnte und verbindet so die Netzwerkaktivitäten ihres Jobs mit subkulturellem Chic. Auch die Inszenierung des ADC, der dezidiert nur Kreative repräsentiert, die ihre Ideen auch kommerziell verwerten, was sich in Mottos wie »Ideen.Durchsetzen.« (2011), »Ideen sind das Geld von morgen« (2012) oder »Innovation. Change the Game. Change the Market« (2014) niederschlägt, wählt in Kooperation mit der Stadt zur Inszenierung der Award-Gewinner Party-Locations wie den Off-Kultur-Space Familie Lola Montez, die Freitagsküche oder Museen wie die Schirn. Die ›Junior Awards‹ wurden im Hafen 2 in Offenbach einem weiteren OffKulturort verliehen. Die Rolle dieser Off-Spaces für den ADC schätzt der Vorstand wie folgt ein: »Weil wenn ich über die [Repräsentation der, Anmerk. I. D.] Kreativbranche spreche, dann spreche ich auch über eine HFG Offenbach. Dann spreche ich vielleicht auch über eine Städelschule. Dann spreche ich vielleicht auch über Kunstverein Montez etc. Dann ist das für mich wichtig, weil dann kann ich anfangen, vielleicht mit der Potenz von zwei Locations da noch mal eine ganz andere Strahlkraft nach außen zu bekommen.« (Interview 6 mit dem Vorstand des Art Directors Club vom 09.08.2011, Para. 53)

Im Juni 2012 veranstaltete das von Levi’s gebrandete Hotel 25-hours das »Levi’s 100 Yards ›Block Festival‹« im Bahnhofviertel Frankfurt, bei dem Hip-Hop-Größen wie Nas oder The Pharcyde auftraten. Der ansonsten öffentliche Raum in der Niddastraße wurde für das Festival abgeriegelt und war nur mit dem 48 Euro teuren Ticket betretbar. In dem extra für das Festival professionell hergestellten Video-Trailer laufen die drei Veranstalter in Levi’s Jeans, die in einem Schwenk auf ihr Hinterteil cool und

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sexy in Szene gesetzt werden, und beklagen, dass das Frankfurter Bahnhofsviertel »fast nur für seine Drogenszene, Prostitution und Kriminalität bekannt« (100 Yards 2012) sei und von ihrer Intention, das »100 Yards Projekt« zu einem »Sinnbild für den Aufschwung des Bahnhofsviertels« zu machen, »welches den Kreativen der Stadt Raum zum Atmen gibt« (ebd.). Der General Manager der Levi Strauss Germany GmbH, Torsten Widarzik kommentiert sein Engagement beim Festival mit den Worten: »Da war’s für uns Freude und Pflicht zugleich, dabei zu sein. Das ist ein Festival, das genau dem Spirit und Geist der Marke Levi’s entspricht.« (Torsten Widarzik, General Manager Levi’s, zit. n. ebd.)

Nicht nur Levi’s, sondern auch die Stadt Frankfurt unterstützte das Festival. Mit solchen Kulturalisierungsstrategien von im Kern wirtschaftlichen Aktivitäten folgen Politik und Verwaltung einem Trend, den es in der Kreativwirtschaft schon seit mindestens Anfang der 1990er Jahre gibt und der auch in Frankfurt immer noch en vogue ist. Beispielsweise inszeniert sich eine Pecha Kucha-Veranstaltung4 von Kreativen regelmäßig im Architekturmuseum, die Frankfurter Werbeagentur ›Vier für Texas‹ lud am 18. Mai 2011 Politiker*innen und Journalist*innen zu einer Exkursion ins ›wilde‹ Bahnhofviertel mit all seinen Facetten ein, um anschließend mit ihnen die Frage »Ist das Bahnhofsviertel ein Raum für Kreativität?« zu diskutieren und auf das kreative wirtschaftliche Potenzial der eigenen Branche in einem solch vibrierenden, subkulturellen Umfeld aufmerksam zu machen. Solche Kulturalisierungs- und Inszenierungsstrategien dienen dazu, kreativwirtschaftliche Produkte und Dienstleistungen mit subkulturellen Zeichen aufzuladen, deren symbolischer Gehalt eine Steigerung des Mehrwerts der Produkte verspricht (vgl. Ausführungen zum Differenzkapitalismus in Kapitel 4.2.2 und 4.2.3, zu den Inszenierungsstrategien kultureller Vielfalt im Frankfurt der 1990er Jahre siehe Welz 1996). Gewendet auf Städte im internationalen Standortwettbewerb wie Frankfurt erweist sich Kulturalisierung als eine Strategie der Erzeugung von Zustimmung für unternehmerische Stadtpolitik. Als Kultur verpackt genießen die wirtschaftspolitischen Interessen der Stadt eine breitere Zustimmung in der Gesellschaft. Denn eine Politik mit »Glamour« (Rhein zit. nach Horizont 2008c), die auch »in der ,Bunten‹ und in

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Pecha Kucha, was so viel wie »wirres Geplauder, Stimmengewirr« bedeutet, soll ein Forum für die Ideen von jungen Kreativen sein. Es wurde 2003 von dem Architektenteam Astrid Klein und Mark Dytham in Tokio erfunden. In einer Pecha Kucha-Präsentation werden 20 Bilder je 20 Sekunden lang auf der Leinwand gezeigt. Der/die Präsentator*in hat genau diese 6 Minuten und 40 Sekunden Zeit, seine/ihre Botschaft dem Publikum nahe zu bringen.

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der ,Gala‹ stattfinde[t]« (Frank zit. n. FAZ 2011a), ist anschlussfähiger als die Tatsache, dass Branchenevents finanzstarker Akteur*innen subventioniert werden, Künstler*innen und Kreative nach Frankfurt zu holen anschlussfähiger, als zu sagen: ›In dieser Stadt wollen wir nur die hochqualifizierten Gutverdiener*innen‹. Solche Kulturalisierungs- und Inkorporierungsprozesse seitens der Kreativwirtschaft sowie neue Formen städtischer Steuerung geschehen häufig ohne Beteiligung der Symbolproduzent*innen am wirtschaftlichen Erfolg oder an Entscheidungsprozessen. Akteur*innen aus der freien Szene, die kulturelle Veranstaltungsformate für Frankfurt aus Eigeninitiative entwickelt haben, beklagen, dass sie weder als Kulturschaffende noch als kulturelle Entrepreneur*innen in irgendeiner Weise wahrgenommen werden. In Frankfurt gibt es eine Vielzahl an kulturellen Projekten und Events, die mit viel Eigeninitiative und ehrenamtlichem Engagement von Künstler*innen und Kreativen ins Leben gerufen wurden und die sich im Laufe der Jahre in hohem Maße professionalisiert haben. Das Lichter Filmfest beispielsweise wurde 2008 einem lokalen Künstler und Kreativen initiiert, das er bis heute leitet. »Ich wollte einfach gute Filme in Frankfurt sehen, die es in Frankfurt nicht zu sehen gibt« (Aussage beim Vorgespräch zum Interview). Mittlerweile ist es zu einem professionellen Festival mit 50 Filmen, über 7.000 Besucher*innen, mindestens 42 Mitarbeiter*innen und zahlreichen freiwilligen Helfer*innen herangewachsen und wird bundesweit wahrgenommen. Gleichzeitig ist er einer der Erfinder der Off-Location Freitagsküche, die sich mittlerweile mit anderen Betreiber*innen fest etabliert hat. Ein anderes Beispiel ist das Frankfurter Aktionstheater Antagon. Es zählt zu den größten und bekanntesten freien Theaterensembles in Deutschland und ist bei großen Kulturevents in aller Welt aufgetreten. Die Gruppe macht performances im öffentlichen Raum und veranstaltet im Sommer die Sommerwerft, ein großes Festival am Rande des Mains, das von vielen Frankfurtern im Sommer als Treffpunkt genutzt wird. Ein weiteres Beispiel ist das Filmfestival nipponconnection, ebenfalls eine bottom-up-Initiative, die sich zu dem Ort für Japanischen Film in Deutschland entwickelt hat. All diese Projekte, dienen der Standortwerbung für Frankfurt: Die Freitagsküche hat während des ADC als hippe, urbane Party-Location gedient, die Wirtschaftsförderung Frankfurt schmückt sich mit dem Lichter Filmfest und der nipponconnection in ihren Newsletter, ohne das Festival monetär zu unterstützen. Antagon und die Filmfestivals werden gerne genannt, wenn es darum geht, Frankfurts kulturelle Vielfalt zu Standortmarketingzwecken darzustellen. Die Kulturschaffenden vermissen die Anerkennung der Stadt: »Das heißt aber nicht, dass es nichts zu kritisieren gäbe. Das darf man jetzt auch nicht falsch verstehen, ja, aber das wird von der Stadtpolitik kaum wahrgenommen. Also es ist jetzt nicht so, dass ich jemals von irgendjemandem aus der Stadt ein Dankeschön bekommen hätte, oder irgendeinen Schulterklopfer oder so.« (Interview 18 mit dem Initiator und Leiter der lichterFilmtage vom 08.09.2011, Para. 47)

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Stattdessen kommt sich der Leiter der lichter-Filmtage »wie ein Bittsteller« vor (ebd., Para. 49). Anlässlich des Besuchs von Oberbürgermeister Peter Feldmann schreibt das Antagon-Theater auf seiner Homepage. »Eine Anerkennung, die dem Sommerwerft-Team in den zwölf Jahren noch nicht widerfahren ist.« (Antagon zit. n. Journal Frankfurt 2013). Was eine solche Kulturalisierung häufig für die beteiligten Künstler*innen und Kreativen bedeutet, zeigt das Beispiel der bekannten und renommierten Frankfurter Künstlerin und Gründerin der Galerie Fruchtig im Ostend, die für eine Vielzahl anderer in Frankfurt steht. Anfang der 1990er Jahre war sie eine der ersten Künstler*innen, die versuchten, sich leerstehende Räume am Rande der Stadt anzueignen, um aus dem regulären Galeriebetrieb und seinen etablierten Strukturen auszubrechen und selbst Kunst ausstellen zu können. 1995 eröffnete sie mitten im Industriegebiet des Ostends, das durch den Strukturwandel der Stadt große Leerstände aufwies, den ersten Art-Off-Space Frankfurt, die ›Galerie Fruchtig‹. »Das war richtig ›Avantgarde‹ noch zu der Zeit« kommentiert die Gründerin der Galerie ihre Pionierzeit: »Und das war der Polizei völlig suspekt. Die haben z. B. Gäste abgefangen auf dem Weg zur Galerie und die gefragt ›Ja, was wollen Sie denn da wirklich?‹ und die so ›Ja, wir wollen uns die Ausstellung angucken!‹ Das war für die undenkbar, dass man da irgendeinen Spaß haben kann, sich eine Ausstellung anzugucken.« (Interview 29 mit der Künstlerin und Gründerin der Galerie Fruchtig im Ostend vom 09.07.2013, Para. 40)

In der Folge entwickelte sich das Ostend zu einem subkulturellen Zentrum, wo über Frankfurts Grenzen hinaus bekannte Kunstprojekte wie das ›Phantombüro‹ ihren Ausgang nahmen und sich aus den Galerien eine große Partyszene entwickelte. Parallel dazu wurde der Techno in den illegalen Clubs verlassener Industriegebäude groß (vgl. Kapitel ›Exkurs‹). Diese lebendige Szene wurde zum Ausgangspunkt einer baulichen Aufwertung zu einem kreativen Zentrum, an dem Investoren wie z. B. der stadtbekannte Immobilienentwickler Ardi Goldmann Millionen verdient haben. »Der Ostclub war der erste, der nachgezogen ist. Das war dann glaube ich 96 und dann hat der Ardi Goldmann losgelegt. Das ist der Immobilienmogul, der dann, genau, da schon mit visionärem Hintergrund im Grunde das Ganze vorwärts gebracht hat. Und das erste war das ›Magazin‹, ein Möbelhaus. Dann gab es da oben ein Café, dann die ersten Werbeagenturen.« (ebd., Para. 50)

Vor ein paar Jahren hat die Künstlerin und Gründerin der Galerie Fruchtig mit eine paar Künstler*innenfreund*innen die Geisterstadt Lobo in Texas gekauft, weil für sie in Frankfurt aufgrund der hohen Mieten, der hohen Auflagen und nur kurzen Nutzungszeiten von Leerständen oder Zwischennutzungen »nichts mehr geht« (ebd., Para. 94).

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»Das war z. B. eines meiner letzten freien Projekte: Der Kanuverein. Und danach ist mir halt die Lust vergangen. Das war auch wieder komplett zu renovieren. Und wir haben da ziemlich viel Geld reingesteckt. Und dann hieß es nach einem halben Jahr: ›So, vielen Dank! Das läuft ja hier ganz toll, aber wir machen das wieder selber‹« (ebd.) Doch auch wenn sie ihre eigene Verdrängung aus dem Kanuclub als »wirklich krass« bewertet und sie da »auch lange dran geknabbert« (ebd., Para. 96) hat, so hinterfragt sie Verdrängung im Zuge von Gentrifizierungsprozessen in der Stadt nicht politisch, sondern sieht sie als ›natürliche‹ Entwicklung an. Iris Dzudzek: »Und der Ardi Goldmann ist ja früh eingestiegen da im Ostend. Was für ein Verhältnis haben Sie zu dem? Sagen Sie ›Du hast die Preise hier hochgetrieben?‹« Gründerin der Galerie Fruchtig: »Nee, naja das ist ja, also das finde ich halt, was in jeder Stadt wirklich gleich ist. Die Künstler kommen zuerst und die müssen dann halt irgendwann wegziehen, mehr oder weniger. Und das ist halt nun mal so. Ich glaube aber nicht, also ohne den, das ist ja jetzt ein funktionierendes Stadtviertel und steht für bestimmte Dinge. Also, was soll ich sagen. Er hat sich schon den richtigen Fleck ausgesucht. Woanders hätte man auch nicht so visionär seine Pläne umsetzen können. Besser ist, man startet mit etwas, was nicht belegt ist von vornherein.« (ebd., Para. 137 – 138)

Dass solche Formen der Verdrängung durch Gentrifizierung, aber auch die Tatsache, dass jene, die von der kulturellen Aufwertung ökonomisch profitieren, nichts an die Künstler*innen und Kreativen ›zurückzahlen‹, politisch unwidersprochen bleiben, ist ein Frankfurter Spezifikum. In Hamburg, Berlin und Paris haben sich Künstler*innen und Kreative lautstark gegen solche Formen der Inkorporierung und ›Enteignung‹ gewehrt (Coordination des Intermittents et Précaires d’Ile-de-France 2012, Haben und Brauchen 2012, Not In Our Name, Marke Hamburg! 2009). »Also für solche Projekte ist es auf eine Art auch gar nicht schlecht, wenn man den Ort wechselt, vielleicht. Sonst wird es auch ... Ich hätte mir zwar auch vorstellen können da meine Rente einzureichen, aber dann hätte man sich ja wieder mit den gestiegenen Mieten, die es dann jetzt hat, so anpassen müssen an den Markt, was gefragt ist, das man das alles bezahlen kann.« (Interview 29, Para. 60)

Eine solche Position ist charakteristisch für die Mehrzahl an Künstler*innen und Kreativen in Frankfurt. Sie zeigt, dass die Artikulation des Kreativitätsskripts mit der Rationalität einer unternehmerischen Stadtpolitik bereits derart hegemonial geworden ist, dass sie selbst von denjenigen unwidersprochen bleibt, die einen materiellen Nachteil aus ihr ziehen.

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Solche Formen der Kulturalisierung mögen zunächst als Widerspruch zu einer Beobachtung erscheinen, die in Kapitel 6 gemacht wurde und im Folgenden in Kapitel 7.5.1 noch eine Rolle spielen wird: nämlich, dass Kultur aus der Definition von Kreativwirtschaft desartikuliert wurde. Während es in Kapitel 6 jedoch gerade darum ging, die wirtschaftlich wenig rentable Kultur aus der Definition und entsprechend aus der Statistik zu desartikulieren, um Kreativwirtschaft als einen wirtschaftliche potenten Bereich in Frankfurt zu konstituieren, geht es hier darum, endogenes kulturelles Potenzial zur symbolischen und schlussendlich auch ökonomischen Aufwertung zu gebrauchen, um die eigenen Produkte und Dienstleistungen in Wert zu setzen. Einen solchen Prozess der Internalisierung von Externalitäten in die Sphäre des Marktes nennt Michel Callon »overflowing« (Callon 1999, S. 187). ›Overflowing‹ beschreibt den auch in diesem Fallbeispiel zu beobachtenden Prozess des Überfließens der Grenze zwischen Markt und Kultur und damit ein Ausdehnen der Marktsphäre in die vormals nicht in diesem Sinne verwertete Sphäre der Kultur (zur Dekonstruktion der Grenzen von Kultur und Ökonomie im Rahmen neuer gouvernementaler Formen des Regierens und aus Perspektive sozialwissenschaftlicher und wirtschaftsgeographischer Literatur siehe Kapitel 4.2.2). Die Gleichzeitigkeit der in Kapitel 6 beobachteten Prozesse der Desartikulation von Kultur und ihrer Inkorporierung in den Verwertungszyklus der Frankfurter Kreativwirtschaft im vorliegenden Beispiel zeigen wie strategisch die Rationalitäten des Regierens von Kreativwirtschaft zugunsten städtischer Wertschöpfung im Sinne unternehmerischer Stadtentwicklung und zu Ungunsten finanzschwacher Kulturschaffender sind. 7.1.4 Zwischenfazit: Wer profitiert? Auch wenn eine gesamtstädtische Imagekampagne gescheitert ist, gab es doch eine Vielzahl von Initiativen, die zur Erhöhung der Sichtbarkeit von Frankfurt als kreativer Stadt beigetragen haben. Diskutiert wurden die Anstrengungen der drei für die Vermarktung von Frankfurt als Standort zuständigen Institutionen FrankfurtRheinMain GmbH, Tourismus und Congress GmbH und Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH, die je unterschiedliche Sichtbarkeitsstrategien verfolgten (vgl. Kapitel 7.1.1 und 7.1.2). Gemeinsam war allen dreien, dass sie wirtschaftlich potente Kreative gegenüber solchen bevorzugen, die in erster Linie über kulturelles Kapital verfügen. Auf letztere wurde vor allem – wie in Kapitel 7.1.3 gezeigt – als Symbolproduzent*innen zurückgegriffen – meist ohne die angemessene finanzielle Entschädigung. Alle drei genannten Beispiele zeigen, dass das kreativpolitische Skript sich mit bereits etablierten Formen unternehmerischer Stadtpolitik recht reibungsfrei artikuliert. Diese Reartikulation von städtischer Regierung führt zu einem Fokus auf wirtschaftlich potente Kreative und zu einer Desartikulation der jungen Talentierten von

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Seiten städtischer Förderpolitik. Sofern letztere im Rahmen von Kulturalisierungsversuchen seitens der Kreativwirtschaft sowie der neuen städtischen Steuerungsformen inkorporiert werden, geschieht dies meist, ohne ihre Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg oder an Entscheidungsprozessen. Der zunehmende Fokus auf wirtschaftlich potente Kreative sowie die Reartikulation von Förderpraxis und lokalen Regierungspraktiken kann als Privilegierung des Ökonomischen über das Soziale sowie als Ausweitung der Marktsphäre beschrieben werden. Hier wird die Herstellung von Sichtbarkeit von Märkten zur prioritären Aufgabe von Stadtpolitik, die mit einer Desartikulation andere Formen des Kulturellen einhergeht. Dieser Trend wird in der Literatur als Prozess der Neoliberalisierung beschrieben (vgl. Dörre 2003, Gertenbach 2007, Lemke et al. 2000, Lessenich 2008, Peck 2010a, Rose 1996, van Dyk 2009).

7.2 R ÄUME FÜR K REATIVE – A RTIKULATION UNTERSCHIEDLICHER R ATIONALITÄTEN IN EIN P ROJEKT Mit dem ›Mainraum‹ wurde unter der Federführung und finanziert durch das Kompetenzzentrum Kreativwirtschaft ein Gründerhaus für Kreative mit dem Fokus auf sogenannte »digitale Welten« geschaffen (Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2013b), mit RADAR eine Leerstandsagentur, die zwischen Eigentümer*innen leerstehender Gewerbeimmobilien und Kreativen vermittelt, um Leerstand zu minimieren und günstige Arbeitsräume für Kreative bereitzustellen (Radar – Kreativräume für Frankfurt 2011). Mit dem Leiter des Künstlerhauses Basis wurde ein externer Betreiber der Leerstandsagentur gefunden, der durch seine Nähe zur Kunst auch die Interessen des Kulturamtes abzudecken scheint. Flankiert wird die Leerstandsagentur vom sogenannten »Frankfurter Programm zur Förderung des Umbaus leerstehender Räume für Kreative«, welches Bauzuschüsse in geringem Umfang vergibt (Magistrat der Stadt Frankfurt am Main 2010a). Diese beiden Projekte können als eine Problematisierung der Raumsituation von Kreativen in Frankfurt verstanden werden. Als einzige global city in Deutschland zeichnet sich Frankfurt durch hohe Gewerbe- wie Wohnmieten aus. Gleichzeitig ist die Stadt aber auch als ›Leerstandshauptstadt Deutschlands‹ bekannt, in der nach konservativen Schätzungen 1,5 Millionen Quadratmeter Büroraum leer stehen (Dörry und Heeg 2009, S. 33, andere Quellen sprechen von bis zu 2,2 Millionen Quadratmetern, vgl. z.B. Interview 5 mit der Initiatorin von Freiraum Frankfurt e. V. vom 08.08.2011, offizielle Zahlen zum Leerstand in Frankfurt gibt es nicht). Zwischennutzungen sind in Frankfurt noch wenig etabliert und stoßen in der Regel vor allem bei den Immobilieneigentümer*innen auf große Skepsis, die einen Wertverlust

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ihrer Immobilie durch eine ›unangemessene Nutzung‹ fürchten oder, dass die nur temporär angedachten Mieter*innen am Ende die Immobilie nicht mehr verlassen möchten. Ein weiteres Problem ist, dass ein Großteil des Leerstandes Eigentum großer Immobilienfirmen und -entwickler*innen ist, mit denen Verhandlungen für Zwischennutzungen sehr schwierig sind (Interview 5 mit der Initiatorin von Freiraum Frankfurt e. V vom 08.08.2011). Gleichzeitig verfügt Frankfurt mit der Städelschule über eine sehr renommierte Kunsthochschule, viele Studierende der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Offenbach wohnen in Frankfurt und mit den Theater, Film und Medienwissenschaften an der Goethe-Universität, der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK), der European School of Design und der Games Academy verfügt Frankfurt über weitere kreative Talentschmieden. Für die dort ausgebildeten Künstler*innen und Kreativen stellt der Übergang ins Berufsleben eine große Herausforderung dar, weil sie gerade in der Berufseinstiegsphase häufig nicht über das nötige Startkapital und regelmäßige Einkommen verfügen, um die Gewerbemieten in Frankfurt bezahlen zu können. Politiker*innen beklagen das Abwandern von ›Talenten‹ in Städte wie Berlin oder Leipzig, die neben einer attraktiven kreativen Szene vor allem auch günstigere Lebens- und Arbeitsbedingungen bieten (FAS 2006, FAZ 2008a, FR 2008a). »Die hohen Mieten sind das größte Hindernis in Frankfurt, darin sind sich Politik und Kreative einig« schreibt die FAZ (2011a). Diesen Umstand problematisierte die Wirtschaftsförderung bereits bei der Veröffentlichung des Kreativwirtschaftsberichts. Mit dem ›Künstlerhaus Basis‹ und dem ›Atelier Frankfurt‹ hatten sich bereits aus privater Eigeninitiative zwei gemeinnützige Vereine gegründet, die die Bereitstellung günstiger Ateliers und Arbeitsräume in Eigenregie in die Hand nahm. Sie deckten jedoch die Nachfrage bei weitem nicht ab und führten dazu, dass das Thema öffentlich erst richtig sichtbar wurde. »Wir haben das mit der Warteliste irgendwann aufgegeben« sagt der Leiter des Künstlerhauses Basis der FAZ (ebd.). »Wird ein Atelier frei, schreiben er und seine Kollegen es auf der Internetseite aus und haben binnen weniger Tage 40 Bewerbungen auf dem Tisch. Oft kommen sie von Absolventen der Hochschule für Gestaltung in Offenbach oder von der renommierten Städelschule in Frankfurt. Aber auch Künstler aus anderen Städten lockt ein Platz im Basis-Haus« (ebd.). Am Beispiel der Gründung der Leerstandsagentur RADAR zeigen sich sehr gut die Probleme, Widersprüche und Konflikte, die bearbeitet werden müssen, um die Frankfurter Kreativpolitik performativ werden zu lassen. Bei der Konzeption und Umsetzung der Leerstandsagentur waren drei Institutionen der Stadtverwaltung beteiligt: Die Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH, das Stadtplanungsamt und das Kulturamt der Stadt Frankfurt. Die Gründung der Leerstandsagentur stellte das erste Projekt dar, in dem die drei Institutionen zusammenarbeiten mussten und stellte sie vor die Aufgabe, ihre doch sehr unterschiedlichen Rationalitäten des Regierens auf

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städtischer Ebene in eine gemeinsame Maßnahme zu artikulieren. Denn bis dato hatten Künstler*innen und Kreative jeweils eine sehr unterschiedliche Rolle für die drei Institutionen gespielt. Die Wirtschaftsförderung nahm sie erst seit neuerer Zeit als Unternehmer*innen, potenzielle Arbeitgeber*innen, Gründer*innen oder als Quelle städtischer Lebensqualität wahr. Sie fokussierte vor allem auf die Kreativen im Sinne der Definition nach den elf Branchen. Künstler*innen im engeren Sinne zählte sie nicht zu ihrer Klientel, nur solche, die ihre kreativen Fähigkeiten unternehmerisch in Wert setzen wollen. »In der Tat ist es so, dass wir uns als Wirtschaftsförderung nicht um Künstler, Künstlergruppen oder Kulturinstitutionen kümmern. Für deren Belange ist das städtische Kulturamt bzw. das Kulturdezernat der Ansprechpartner. Der Begriff Kultur- und Kreativwirtschaft drückt es bereits aus – in Frankfurt ist für den Bereich Kunst und Kultur auch das Ressort Kultur und für den Bereich Kreativwirtschaft das Ressort Wirtschaft zuständig. Wir können im Kulturbereich wenig tun, weil wir dafür gar keine Mittel haben und letztendlich eben diese Abgrenzung, zwischen Kultur und Wirtschaft, historisch gewachsen ist. Was ja auch alles Sinn macht.« (Interview 27, Para. 23)

7.2.1 Herstellung von Markt durch Marktintervention? – Neuverhandlung von Verwaltungshandeln Für das Stadtplanungsamt spielen Künstler*innen und Kreative nur gelegentlich eine Rolle, zuletzt im Rahmen der städtebaulichen Erneuerung des Bahnhofsviertels, indem Künstler*innen und Kreative als Motor einer positiven Aufwertung benannt wurden (Stadt Frankfurt am Main und Stadtplanungsamt Frankfurt 2008, S. 29). Das Bahnhofsviertel ist ein kulturell sehr vielfältiges und internationales Viertel, was neben zahlreichen Bars, Restaurants und Hotels auch viel sogenannte ›ethnische Ökonomien‹ beherbergt. Darüber hinaus ist in diesem kleinsten Viertel Frankfurts zugleich auch das Rotlichtviertel sowie die Drogenszene beheimatet. »Eigentlich haben wir diese Arbeit im Bahnhofsviertel schon die ganze Zeit gemacht, ohne dass wir das so genannt haben, also dass wir versucht haben, Nutzer zu finden, für Leerstände dort, die das überhaupt aushalten, was dort der Alltag ist. Das ist eine Atmosphäre, die nicht jedem gefällt, aber bestimmte Leute suchen das gerade. Und wir haben auch rausbekommen, dass für die Ansiedlung von Kreativen die Stadtqualitäten ne ganz große Rolle spielen, also neben dem Angebot preiswerter Räume natürlich, wobei jetzt nicht alle Kreative nur wenig Geld haben, also eher die nicht etablierten, die noch sozusagen am Anfang ihrer beruflichen Entwicklung stehen, wo die Stadt natürlich auch n Interesse daran hat, dass die nicht nach Berlin abwandern oder sonst wo hin, sondern in Frankfurt bleiben. Und es gibt natürlich auch n städtebauliches Interesse, Nutzer zu finden, für Räume, die nicht so leicht zu vermitteln sind,

226 | KREATIVPOLITIK und da sind Kreative immer etwas unempfindlicher als andere Mieter, sag ich mal, oder andere gewerbliche Nutzer, sag ich mal, so dass man da sozusagen drei Fliegen mit einer Klappe schlagen kann, wenn alles gut geht. Die Eigentümer kriegen Mieter für ihre Leerstände, es ändert sich was am Stadtbild, zum Positiven natürlich, und da entstehen ja dann auch Strukturen und Netze, und insgesamt n ganz anderes städtisches Leben, was insgesamt auch für die Lebensqualität dann so eines Quartiers gut ist.« (Interview 14 mit der Abteilungsleiterin im Stadtplanungsamt vom 30.08.2011, Para. 11)

Die Mitarbeit an der Etablierung einer Leerstandsagentur bedeutete für das Planungsamt eine Problematisierung, die eine Positionierung verlangte. Sollte die Agentur nur als Vermittlerin von Räumen auftreten und damit dem Marktprinzip gerecht werden oder sollte sie mit anderen Formen der Unterstützung in den Immobilienmarkt intervenieren, um junge Kreative zu fördern? Mit seiner Kompetenz der rechtlichen Ausgestaltung der Agentur musste sich das Planungsamt zwischen einer marktorientierten und einer eher wohlfahrtsstaatlichen Strategie entscheiden. Der Widerspruch zwischen Markt- und Förderlogik ist zwar ein Thema, das im Stadtplanungsamt häufig ausgehandelt werden muss, aber als Teil des Kreativwirtschaftsdiskurses erhielt es eine neue Relevanz und Legitimation. In welchem Maß sollte das Stadtplanungsamt die Kreativwirtschaft in ihrer Förderpolitik berücksichtigen? Was sollte sie dem Markt überlassen? Diese Diskussion war zu diesem Zeitpunkt vor allem deshalb brisant, weil das Engagement des Planungsamtes im Bahnhofsviertel politisch ambivalent bewertet wurde: Während die einen die Linie des Planungsamtes begrüßten, Kreative »robustere Bewohnergruppen« (Stadt Frankfurt am Main und Stadtplanungsamt Frankfurt 2008, S. 17) zur Stabilisierung des Viertels anzusiedeln, sahen Kritiker*innen die Rolle des Amtes als ›Gentrifizierungsgehilfin‹, die Verdrängung angestammter Bevölkerung aus dem Viertel bedeute. Auch wenn die zuständige Abteilungsleiterin im Amt betont, dass ihre Tätigkeit in der Verwaltung nur die Ausführung des in der Stadtverordnetenversammlung politisch beschlossenen Willens sei, die Kreativwirtschaft zu fördern, so obliegt es doch dem Amt, in der Ausgestaltung zu entscheiden, was an diesem Punkt unter ›fördern‹ zu verstehen ist. Dabei ist ihre Haltung zur Marktintervention grundsätzlich skeptisch. Auf der einen Seite betont sie die Wichtigkeit von Arbeitsräumen und Ateliers für Kreative und lehnt die Idee einer Leerstandsagentur nicht vollständig ab. Auf der anderen Seite aber findet sie es »begrüßenswert«, dass es eine Vielzahl an »privaten Initiativen [gibt], die gar keine städtische Unterstützung brauchen und versuchen, Räume in Schuss oder überhaupt erstmal in die Verfügung zu bekommen« (Interview 14, Para. 103). Ihr zu Folge kann »die Stadt in erster Linie dazu beitragen, [...] Angebote zu machen für Räume, alles andere schaffen, glaub ich, die Kreativen selbst.« (ebd., Para. 79). Das Thema Leerstand ist in ihren Augen »keine Aufgabe der Planungsämter eigentlich. Eigentlich ist Zwischennutzung also letztendlich die Aufgabe der Eigentümer der Immobilien, die leer stehen« (ebd., Para. 138).

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Hier zeigt sich eine paradoxe Situation: Denn obwohl in der Stadt nicht zuletzt durch den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung der wirtschaftsliberale Florida-Diskurs hegemonial wird – die Abteilungsleiterin im Stadtplanungsamt bezeichnet ihn als »Mainstream« (ebd., Para. 13) und »aktuelle Welle« (ebd., Para. 47) – und sich im Planungsamt eine Haltung abzeichnet, die Marktintervention von Seiten der Politik und Verwaltung äußerst kritisch entgegensteht, muss das Planungsamt doch in gewisser Weise ›marktinterventionistisch‹ handeln, wenn es sich an der neuen Leerstandsagentur beteiligen will. Wie kann Verwaltungshandeln aussehen, das sich raushält? Welche Rolle könnte es als Verwaltungsapparat in einem nicht-marktinterventionistischen Modell spielen? In jedem Fall aber versuchte das Planungsamt, den Anschein der Subventionierung der Kreativbranche zu verhindern. Dazu wurde zunächst die Leerstandsagentur outgesourced, d. h. mit RADAR ein privater Betreiber gefunden, der die Agentur im Auftrag der drei städtischen Institutionen betreibt. Zum anderen wurde versucht, die vergebenen Hilfen für die Instandsetzung der genutzten Räume nicht als Subvention von Kreativen, sondern als Stabilisierung und Aufwertung von Gebäuden durch Kreative zu rahmen, also einen städtebaulichen Verwendungszweck für die Gelder anzuführen, indem die Fördergelder nicht an die Kreativen selbst, sondern an die Eigentümer*innen der leerstehenden Immobilien gezahlt wurden (ebd., Para. 157). Auf diese Weise wurden die Fördermittel diskursiv vom Bereich der Wirtschaftsförderung in den Bereich der Städtebauförderung verschoben, der nach wie vor teilweise einer allokativen Logik folgt und in dem ›Förderung‹ zum Zwecke kollektiv entschlossener städtebaulicher Ziele legitim ist. Der Bereich der ›Unterstützung der Kreativwirtschaft‹ konnte auf diese Weise vom Anschein der Marktintervention durch Subventionierung rein gehalten werden und ihr wirtschaftspolitischer Impetus, nämlich ›die Kreativwirtschaft unterstützen zu wollen‹ verdeckt werden. Letzten Endes aber zeigt sich hier die Reartikulation städtischen Regierens als Übergang von einem ausgleichenden Prinzips der Verwaltung hin zu ihrer – wenn hier auch versteckten – Rolle als Akteurin, die Märkte herstellt und aufrechterhält. Hier verkehrt sich das Ordnungs- und Bedingungsverhältnisses zwischen Regierung und Ökonomie: »Es wird kein Spiel des Marktes geben, das man unbeeinflusst lassen soll, und dann einen Bereich, in dem der Staat intervenieren soll, weil eben der Markt oder reine Wettbewerb, der das Wesen des Marktes ist, nur dann in Erscheinung treten kann, wenn er hergestellt wird, um zwar in einer aktiven Gouvernementalität.« (Foucault 2006 [1978/79], S. 174)

Eine solche Reartikulation der Grenzen zwischen Politik, Regierung und Ökonomie hat Foucault als Prozess der Neoliberalisierung beschrieben (ebd.).

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7.2.2 Lassen sich Tiger reiten? Auf eine ganz andere Weise stellte es auch für das Kulturamt eine Herausforderung dar, sich in diesem Projekt zu engagieren. Im Gegensatz zur Wirtschaftsförderung stellen für das Kulturamt gerade die freien Künstler*innen die Zielgruppe dar. Seit dem Bau des Museumsufers mit 20 Museen am Main in den 1980er Jahren hat Frankfurt den höchsten lokalen Kulturetat einer Kommune in Deutschland. Der städtische Zuschuss für Kultur (ohne Sport und Bildung) betrug 2011 168 Millionen Euro, Investitionen in Kultur noch einmal 35 Millionen Euro (Stadt Frankfurt am Main 2012d, S. 7). Rund 31 Millionen Euro davon verwaltet das Kulturamt (Kulturamt Frankfurt am Main 2013, S. 105)5. Eine zentrale Aufgabe des Amtes ist die Bereitstellung von Freiräumen zur künstlerischen Betätigung durch monetäre Förderung, und zwar nicht nur für Institutionen wie Theater und Museen, sondern auch für frei beantragbare Projekte (im Jahr 2012 rund 1,3 Millionen Euro, ebd., S. 102). Darüber hinaus stellte das Kulturamt bis 2012 jährlich knapp eine halbe Millionen Euro für das sogenannte ›Atelierprogramm‹ zur Verfügung, das freien Künstler*innen Freiräume zum künstlerischen Schaffen bot. Die Theater und Museen sind fester Bestandteil des Stadtimagemarketings (Interview 31). Vor allem das Museumsufer, aber auch die Theaterlandschaft dienen als ›kulturelle Leuchttürme‹ im internationalen Standortwettbewerb (Interview 30 mit der Leiterin des Kulturamtes Frankfurt vom 05.08.2013, Para. 12 – 13). Die Leerstandsagentur steht für eine unternehmerische Stadtentwicklung durch kleine kreative Entrepreneur*innen. Ihre zugrundliegende Logik, unternehmerische Kreative zu fördern, lief dem kulturpolitischen Auftrag des Kulturamtes zuwider, sich gegen die Reduzierung von Kultur, Kunst und Kreativität auf ihren ökonomischen Mehrwert und für künstlerische und kulturelle Freiräume in der Stadt einzusetzen. Darüber hinaus betrieb es schon seit Jahren das sogenannte ›Atelierprogramm‹, welches freischaffenden Künstler*innen städtische Ateliers an unterschiedlichen Standorten der Stadt zu einem günstigen Preis überließ. Auch war zu befürchten, dass das Kulturamt an Gestaltungsspielraum verlor, sobald die Wirtschaftsförderung und das Kompetenzzentrum mit ihren klar marktwirtschaftlich ausgerichteten Programmen zu stark in die Kulturpolitik des Amtes intervenierte. Kurz und gut, es hätte gute Gründe für das Kulturamt gegeben, sich von dem zu distanzieren, was in der Stadt seit 2008 unter dem Label ›Kreativpolitik‹ verhandelt wurde.

5

In den 31 Millionen Euro sind nicht die Beteiligungen der Stadt Frankfurt an privatwirtschaftlich organisierten Kultureinrichtungen wie z. B. den Städtischen Bühnen Frankfurt am Main GmbH oder die Alte Oper Frankfurt Konzert- und Kongresszentrum GmbH enthalten (vgl. Stadt Frankfurt am Main 2012a).

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Doch das Kulturamt selbst war in seiner Position zu diesem Thema gespalten. 2006 wurde mit einer Grünen Politikerin eine Referentin des Kulturdezernenten berufen, die das Thema Kreativwirtschaft und später dann die Leerstandsagentur im Kulturamt vertrat. Sie stand dem Thema ›Kreativwirtschaft‹ nicht nur parteipolitisch positiv gegenüber, sondern sah in dem Hype um Florida auch die Möglichkeit, das Thema der Kultur zu stärken. Gleichzeitig aber wurde die Logik des Amtes noch stark von Hilmar Hoffmanns sozialdemokratischem Programm der »Kultur für alle« geprägt, der die Beziehung zwischen öffentlicher und kommerzieller Kultur als »grundsätzlich antagonistisch« (Hoffmann 1979, S. 22) beschrieb. Diese Widersprüche mussten verhandelt werden. Mehr noch, eine zu kritische Haltung gegenüber der marktorientierten kreativpolitischen Agenda, die spätestens mit dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung in Frankfurt hegemonial geworden war, brachte die Gefahr mit sich, stadtpolitisch marginalisiert zu werden. In dieser Situation entschied sich das Amt nicht, vom Projekt der Leerstandagentur Abstand zu nehmen, sondern es aktiv mitzugestalten. Die Bedeutung der Kulturpolitik unterstreicht die zuständige Referentin, indem sie ›Kreativität‹ als Nukleus allen künstlerischen und kreativen Schaffens stark macht und Kultur als Voraussetzung für Kreativwirtschaft rahmt. In einem Interview beschreibt sie die im Nachgang des Kreativwirtschaftsberichts implementierte Kreativpolitik für Frankfurt als einen »alte[n] Hut, der eine neue Gewichtung bekommen hat, einfach durch die verschiedenen Bücher, durch die verschiedenen thematischen ja Kongresse« (Interview 8, Para. 23) und reklamiert »die Kunstförderung« als eine »Bedingung, ohne die es Kreativwirtschaft à la langue nicht geben würd« sowie als »Nukleus all dessen, was heute Kreativförderung genannt wird« (ebd., Para. 90). Dieses Selbstverständnis beruht auf der außergewöhnlich starken Rolle der Kulturpolitik in Deutschland und ganz besonders in Frankfurt sowie einem breiten öffentlichen Konsens darüber, wie wichtig Kulturpolitik für die Stadt ist. In Zeiten knapper Kassen und sparpolitischen Maßnahmen in allen städtischen Bereichen ist ein solches Bekenntnis zur Kulturförderung bemerkenswert. In diesem Sinne interpretiert sie die neue Kreativpolitik als Strategie, die man sich für die Zwecke der Kunst und Kulturförderung aneignen kann. Aus dem Argument, die meisten Künstler*innen könnten eh nicht von der Kulturförderung allein leben und bräuchten noch weitere sogenannte ›Brotjobs‹, um sich finanzieren zu können, macht sie das Argument, Künstler*innen sollten sich durch ihre künstlerische Arbeit auch selbstständig und privatwirtschaftlich finanzieren können. »Aber das ist so der Anspruch, den die Gesellschaft von der hohen Kunst und dem hären Künstler und dem Genie hat, den ganzen Begriffen des 19. Jahrhunderts, wo das auch schon nicht gestimmt hat, aber wo man kulturpolitisch meint, da wäre es noch so gewesen. [...] Und jetzt wird es offensichtlich, dass es nie so war, also, dass es zumindest zur heutigen Zeit nicht so ist. [Der Kreative, Anmerk. I. D.] steht [...] da in der Schere: also macht er montags bis mittwochs Wohnungsrenovierungen und von Donnerstag bis Sonntag malt er, oder wie auch immer die

230 | KREATIVPOLITIK das dann hinkriegen. Viele kriegen es halt nicht hin. [...] Und insofern hüpfen wir auf den Zug Kreativwirtschaft drauf, weil da einiges an Maßnahmen passiert, wo unsere Künstler auch profitieren können.« (ebd., Para. 134)

Auf die Frage, dass – einmal auf den Zug aufgesprungen – es vielleicht nicht nur kein Zurück mehr gäbe, sondern lokalstaatlich zugesprochene Privilegien vielleicht in Frage gestellt werden könnten, die Künstler*innen noch mehr unter Druck setzen, entweder private Finanzierungsquellen auftun zu müssen oder Tätigkeiten nachgehen zu müssen, die sich finanziell lohnen, antwortet die zuständige Referentin beim Kulturamt: »Nee, weil ich glaube, wir haben die längere Tradition der Kunstförderung und ich glaube die Kreativwirtschaft braucht uns eher als umgekehrt, so habe ich manchmal das Gefühl. Weil die reden dann plötzlich von Künstlern und ich sage: Hey, das ist nicht euer Bier jetzt, eigentlich! Also ihr kopiert da auch etwas, was zwar dazugehört, was aber nicht qua Definition so stimmt, weil die Kreativwirtschaft definiert sich natürlich eher über die wirtschaftliche Ausrichtung und das tun ja die Künstler nicht, auch wenn sie natürlich immer eine Ich-AG sind.« (ebd., Para. 182)

Das Kulturamt nimmt also die neue kreativpolitische Strategie und die Differenzen zur bestehenden Praxis ihrer Kulturförderung wahr und überbrückt sie diskursiv, indem sie eine übergeordnete Position für sich in diesem Politikspiel konstruiert und reklamiert. Eine weitere Strategie der Reartikulation der neuen Kreativpolitik für eigene Zwecke besteht in der Betonung solcher Elemente des neuen politischen Programms, die sich mit bestehenden Praktiken, Instrumenten und Rationalitäten des Regierens im Kulturamt harmonisieren lassen. Diese vorgebliche Kontinuität wird diskursiv durch Formulierungen, wie z. B. »das haben wir immer gesagt« (ebd., Para. 23), hergestellt, die nicht selten abfällig sind. Die Konstruktion von Kontinuität ist eine zentrale Strategie bei der Artikulation von bereits etablierten mit neuen Rationalitäten des Regierens und spielte auch bei der Konstruktion der Leerstandsagentur eine entscheidende Rolle. Im Fall der Leerstandsagentur betont das Kulturamt, dass es so etwas in Form des oben bereits erwähnten ›Atelierprogramms‹ für Künstler*innen bereits gäbe. Auf diese Weise gelingt es dem Kulturamt auch, einen zentralen Bruch in seiner Förderpraxis diskursiv zu kitten: Denn im Unterschied zum Atelierprogramm, was Atelierräume für freischaffenden Künstler*innen subventioniert, konkurrieren Künstler*innen bei der Leerstandsagentur mit anderen auf dem freien Markt tätigen Kreativen, die einer der elf Branchen der Kreativwirtschaft angehören, um Räume zu Preisen, die nur in geringem Maße unter denen des freien Marktes liegen. Das bedeutet, die Konstruktion einer Kontinuität zwischen dem Atelierprogramm und der Leerstandsagentur überdeckt die Dislokation in der Förderpraxis des

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Kulturamts von einer allokativen Förderstrategien zu einer am freien Marktmechanismen orientierten Politikstrategie. 7.2.3 Zwischenfazit: Hegemonie und die Desartikulation des Sozialen Die konkrete Ausgestaltung der Agentur erweist sich als ein ›Kompromiss‹, der die hier diskutierten Widersprüche zugunsten einer unternehmerischen Logik zum Schweigen bringt: Mit der RADAR wurde eine Leerstandsagentur geschaffen, die Kunst und Kreativwirtschaft anspricht. Sie vermietet an Kreative und Künstler*innen. Da die Mietpreise aber nur knapp unter dem Marktpreis liegen, können sich unternehmerisch operierende Kreative und Künstler*innen die Räume eher leisten. Darüber hinaus gibt es Fördermittel zur Instandsetzung dieser Räume. Ursprünglich sollte das Kulturamt über die Verwendung dieser Mittel entscheiden. Dies hätte die Möglichkeit geboten, solche Mieter*innen zu unterstützen, die weniger zahlungskräftig sind. Schlussendlich aber wurde als Kriterium zu Vergabe der Mittel allein die Zugehörigkeit zu einer der elf Branchen der Kreativwirtschaft festgelegt. Hier wird deutlich, dass der neue kreativpolitische Zug nicht so einfach für die Zwecke der Kulturförderung zu entwenden war, wie es die Referentin für Kreativpolitik beim Kulturamt Frankfurt vermutet hatte. Denn am Ende des Tages bedeutete das Aufspringen doch den Verlust von Gestaltungsspielräumen und Privilegien, die die Stadt Künstler*innen in Form von Freiraum zur Verfügung stellen kann und eine Verschiebung von Förderung für Künstler*innen hin zu einer Förderung von Kreativen, die in einer der elf kreativwirtschaftlichen Branchen arbeiten. Im Nachgang zur Gründung der Leerstandsagentur wird das Atelierprogramm nun sukzessive abgewickelt, weil das Vorhalten von Ateliers an verschiedenen Standorten in der Stadt als zu teuer angesehen wurde. Die frei werdenden Gelder gingen zu einem kleinen Teil in die Finanzierung der Leerstandsagentur und zum anderen in die Finanzierung des freien Künstlerhauses ›Atelier Frankfurt‹. Das aus freier Initiative gegründete Atelierhaus musste Anfang 2014 seine Zwischennutzung im alten Polizeipräsidium in der Hohenstaufenstraße aufgeben. Der Umzug des mittlerweile durch Ausstellungen namhafter Künstler*innen auch über die Grenzen Frankfurts hinaus bekannten Hauses, war nur mit finanzieller Unterstützung zu leisten. Die neue Immobilie in der Schwedlerstraße im Ostend verfügt mit 9.000 Quadratmetern über dreimal mehr Fläche als die alte. Diese Vergrößerung wird von privaten Stifter*innen und Sponsor*innen und auch durch Gelder des Kulturamts, die vormals ins Atelierprogramm flossen, querfinanziert (FNP 2014, Journal Frankfurt 2012b). »Im Falle [des Umzugs, Anmerk. I. D.] des Atelier Frankfurt war das so, dass wir da auch einmalig mitinvestiert haben. Wir unterstützen das aber auch, indem wir z. B. das Frankfurter

232 | KREATIVPOLITIK Atelierprogramm, also die Stadt Frankfurt hat ein Atelierprogramm, in dieses Atelier Frankfurt integriert haben, so dass wir sozusagen Hauptuntermieter vom Atelier Frankfurt geworden sind, sonst wäre das, glaube ich, für die finanziell nicht zu stemmen gewesen.« (Interview 30, Para. 50)

Die »unterschiedlichen Standorte« des Atelierprogramms, »die haben wir zum Teil aufgelöst, wir haben da zum Teil auch selber zu viel bezahlt, wie wir fanden, ja, und das ist jetzt ein bisschen günstiger geworden« (ebd.). Die Abwicklung weiterer Standorte wird folgen. Die Mieten der durch das Atelierprogramm geförderten Atelierräume im Atelier Frankfurt sind deutlich teurer als vorher und liegen nur knapp unter dem freien Marktpreis. Zum anderen konkurrieren die freischaffenden Künstler*innen bei der Bewerbung um ein Atelier im Atelier Frankfurt, in der Basis oder in einem durch die Leerstandsagentur vermittelten Raum nun auch mit marktwirtschaftlich operierenden Kreativen, die im Zweifelsfall höhere Mieten bezahlen können. Viele Künstler*innen aus dem Atelierprogramm können sich diese Preise nicht mehr leisten. Das Fallbeispiel zeigt, wie vielfältig die Artikulations- und Übersetzungsstrategien der einzelnen Akteur*innen sind, die notwendig sind, um eine neue Politikstrategie in einem bereits durch etablierte Rationalitäten des Regierens vorformatierten städtischen Umfeld performativ werden zu lassen. Gleichzeitig zeigt sich, dass der neue städtische Kreativitätsdiskurs an in Frankfurt bereits stark verankerte Formen unternehmerischer Stadtpolitik reibungsfreier anschließt als an klassisch wohlfahrtsstaatliche Modelle, wie sie das Kulturamt zu einem guten Stück verkörpert (vgl. auch Mattissek 2008, Schipper 2013 sowie das Buch der ehemaligen Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt Roth 2011). Mehr noch, das Fallbeispiel zeigt auch, dass die relativ reibungslose Artikulation des neuen Kreativdiskurses mit unternehmerischen Modellen der Stadtentwicklung zu einer Desartikulation und Marginalisierung des Fördermodells – hier von Freiräumen künstlerischen Schaffens – und damit zu einer Reartikulation von Staatlichkeit in Richtung einer unternehmerischen Politik auf städtischer Ebene in Frankfurt beiträgt. Verwaltungs- und Staatshandeln dient dann in erster Linie der Herstellung und Aufrechterhaltung von Marktgeschehen in der Stadt. Jamie Peck und Adam Tickell haben diese Form der Reartikulation von Staatlichkeit als roll-out-Neoliberalismus beschrieben, in dem Verwaltungshandeln politisch ausgedehnt wird, um Marktkonformität in unterschiedlichen Bereichen wie Stadtpolitik, Kultur oder im Bereich des Verwaltungshandelns selbst durchzusetzen (Peck und Tickell 2002). Dieser stelle eine neue Phase der Neoliberalisierung dar, die den »roll-back-Neoliberalismus«, d.h. das Zurückfahren von Staatlichkeit zugunsten von Markt, ablöse.

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7.3 F INANZIERUNG ALS M ITTEL KREATIVPOLITISCHER S TEUERUNG Finanzierungsstrategien wie der Frankfurter Gründer*innenfonds, zahlreiche private und öffentliche Beratungsangebote, die über Finanzierungsmöglichkeiten wie Mikrokredite für Kreativwirtschaftsunternehmen, Venturecapital für die Kreativwirtschaft, business angels6, Ausbau des Bürgschaftsmodells »Bürgschaft ohne Bank« sowie internationale Beteiligungs- und ppp-Beteiligungsfonds sind ein weiteres Feld kreativpolitischer Maßnahmen, die zu einer Reartikulation von urbaner Regierung in Frankfurt führen. Diese werden häufig von privatwirtschaftlichen Akteur*innen artikuliert und sind stadtpolitisch hochumstritten. Ihre Implementierung erfolgt zumeist in einer Kooperation zwischen privatwirtschaftlichen und öffentlichen Akteur*innen. Finanzierungsmöglichkeiten wie Mikrokredite, Crowdfunding, Gründerfonds, Bürgschaft ohne Bank etc. werden beispielsweise auf der Webseite des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung dargestellt und im Rahmen von Orientierungsberatungen des rkw-Hessen7 oder der Hessischen Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen besprochen. Die hessische Politik treibt die Passfähigmachung von einigen Finanzierungsmodellen für die Branche durch Treffen mit Vertreter*innen von Kreditinstituten voran, ist gegenüber anderen Modellen jedoch sehr skeptisch. Der Ausbau von Finanzierungsstrategien für Kreative in Kooperation mit der öffentlichen Hand geht mit einer Reartikulation von stätischer Regierung und Staatlichkeit einher, was im Folgenden anhand des Performativwerdens zweier Studien nachvollzogen und diskutiert werden soll. Dies ist einerseits die »Positionierungsstudie für die Medienregion FrankfurtRheinMain«. Durchgeführt wurde sie von der Beratungsagentur ›peacefulfish – Consultancy for Financing the Creative Industries‹ im Auftrag und finanziert von Hessen IT, der HessenAgentur GmbH, dem Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, der Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH sowie dem Regionalverband FrankfurtRheinMain. Die Studie wurde den Finanziers am 20. April 2011 bei der Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH präsentiert. Hinzu kommt die Studie »Kultur- und Kreativwirtschaft. Wachstumspotenzial in Teilbereichen« der Deutschen Bank, deren Implikationen mit Vertreter*innen der Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH, lokalen Politiker*innen sowie dem Staatssekretär und Repräsentanten der Initiative »Kultur und Kreativwirtschaft der Bundesregierung« Hans-Joachim Otto am 2. März 2011 in der Deutschen Bank Zentrale in Frankfurt diskutiert wurde (Deutsche Bank Research 2011, Feldnotiz vom 02.03.2011). 6

Business angels beteiligen sich finanziell an Existenzgründungen und unterstützen die Gründer*innen gleichzeitig mit Know-how und Kontakten.

7

Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Wirtschaft e. V., vormals Rationalisierungs-Kuratorium der Deutschen Wirtschaft e. V.

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7.3.1 Von der Subvention zur Risikoabsicherung? Warum politische wie ökonomische Akteur*innen ein Interesse daran haben, die Finanzausstattung der Kreativbranche voranzutreiben, formuliert eine Studie der Deutschen Bank: Kreativwirtschaft sei ein »wichtiger Wirtschaftsfaktor« und »birgt Wachstumspotenzial« (ebd., S. 1). Sie kennzeichne sich aber auch durch strukturelle Probleme und wäre »ohne die dominierende Sparte Software [...] im letzten Zyklus nur unterdurchschnittlich gewachsen«. Verantwortlich dafür seien »unsichere Arbeitsverhältnisse und niedrige Einkommen« sowie ein zu »technischer Innovationsbegriff«, der Innovationen in der Branche nicht abdecke und damit den Zugang zu entsprechenden Förderprogrammen verwehre (ebd.). »Eines der größten Wachstumshemmnisse der Kreativwirtschaft ist das Problem der latenten Unterfinanzierung in weiten Teilen der Branche.« (ebd., S. 10)

Gelänge es aber »der Politik, die Weichen in der Förderpolitik zu stellen, könnte sich das Wachstum der Branche beschleunigen« (ebd., S. 1) und der Umsatz in der Branche bundesweit von 60 Milliarden Euro pro Jahr 2009 auf 175 Milliarden Euro pro Jahr 2020 gesteigert werden. Eine richtige Förderpolitik müsse dabei auf die Finanzausstattung von Kleinstunternehmer*innen und Alleinselbstständigen setzen. Denn während größere Unternehmen der Kreativwirtschaft weniger Probleme bei der Kapitalbeschaffung hätten, sei häufig »das Geschäftspotenzial der zu finanzierenden Ideen von Kleinstbetrieben, die als Urheber neu am Markt tätig sind, unklar. Oft ist nicht sicher, ob sie sich überhaupt vermarkten lassen. Künftige Mittelzuflüsse – und damit die Basis für Kreditrückzahlungen – sind schwer abzuschätzen.« (ebd., S. 7) Daneben verfügten viele der Kleinstbetriebe meist über keine (hinreichenden) Sicherheiten. Sie seien somit für risikoaverse Geldgeber*innen nicht attraktiv genug. Selbstständige verfügten außerdem über kein geregeltes Einkommen und hätten daher einen besonders schwierigen Zugang zu Kreditmitteln. Ein zweites Problem für Kleinstbetriebe seien geringe Kreditvolumina: Oftmals benötigten sie Beträge von weniger als EUR 30.000. »Bei dieser Größenordnung ist eine Kreditvergabe etwa für Geschäftsbanken wegen des erforderlichen Verwaltungsaufwandes häufig nicht attraktiv« (ebd.). Hinzu kommt, laut dem Autor der zitierten Studie, dass Bankberater*innen häufig die Branche zu wenig kennen und Risiken nicht abschätzen könnten (Interview 4, Para. 26). Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die »Positionierungsstudie für die Medienregion Frankfurt Rhein Main«. In ihrer Präsentation der Ergebnisse der Studie am 20. April bei der Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH bringt die Unternehmensberaterin von peacefulfish die Handlungsempfehlungen für die Region Frankfurt Rhein Main mit folgender Grafik auf den Punkt (vgl. Abbildung 8).

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Privatkapital

Abbildung 8: Positionierung FrankfurtRheinMain

England

Frankfurt am Main München Hamburg Kanada

Förderung

Österreich

Berlin Frankfurt RheinMain

Verlagswesen

Musik

Film- & Games Rundfunkwirtscha

IKT

Finanzwesen

Grafik: Elke Alban, Quelle: peacefulfish 2011, S. 327

Die Gewichtung der »eingesetzten Förder- und Finanzierungsprogramme«, »der Zahl in den Branchen aktiver Investoren« sowie »der Zahl spezialisierter Wettbewerbe und Coachingangebote« in den auf der x-Achse aufgetragenen Wirtschaftszweigen Verlagswesen, Musikwirtschaft, Film- und Rundfunkwirtschaft, die games- und IKT-Branchen sowie Finanzwesen führt zur Positionierung der Standorte im Diagramm (ebd.). Dabei stellt das rote Feld »die aktuelle Positionierung Frankfurt Rhein Mains [...], das grüne Feld die ideale, anzustrebende Wettbewerbsposition im Vergleichsumfeld« (ebd.) dar. Laut der Studie liegt der Schlüssel zur Erreichung der idealen Positionierung im Wettbewerb der Städte »im Aktivieren des vor Ort ansässigen Finanzwesens« (ebd., S. 333), wobei die Erhöhung des Kapitalanteils in den genannten Branchen mit »Finanzkreativität« als »Profilierungsthema« zu erreichen sei (ebd.). »Die Medienregion FrankfurtRheinMain sollte sich, ihrer eigentlichen, viel weiter gefächerten Kompetenzen gemäß, breiter aufstellen, also die starken games-/Software und IKT Branchen verstärkt in ihre Standortentwicklungs- und Förderpolitik einbeziehen und vor allem das Finanzwesen in eine Gesamtstrategie integrieren. Denn hier liegt die eigentliche Stärke des Standortes. Durch das Finanzwesen verfügt die Region über eine Expertise, die, England ausgenommen, kein anderer Standort aufweisen kann: ein Alleinstellungsmerkmal in Deutschland.« (ebd., S. 328)

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Dabei sei gerade der »der deutsche Risikokapitalsektor an Unternehmen im Bereich New Media und Soziale Netzwerke, Kommunikationstechnologie, Computer- und Unterhaltungselektronik interessiert« (ebd., S. 331). Um den Anteil an Privatkapital zu erhöhen, fordern beide Studien konkret den Ausbau des Bürgschaftsmodells, die Schaffung geschlossener Fonds für die Kreativwirtschaft oder von Mikrokrediten bei den landeseigenen Bürgschafts- und Förderbanken. Das bedeutet eine Vergrößerung des Sektors durch Risikokapital, wobei das Ausfallrisiko vergemeinschaftet wird, indem es den landeseigenen Banken übertragen wird (vgl. ebd., S. 306 – 349 sowie Interview 4, Para. 36). Beide Institutionen fordern weder offen Deregulierung noch sprechen sie sich – wie ihre Kolleg*innen aus Politik und Verwaltung (vgl. Kapitel 6) – gegen den Begriff fördern aus. Vielmehr sei die »die Politik [...] gefragt, für die richtigen Rahmenbedingungen« (ebd., Para. 84) zu sorgen. Sie fordern, dass »Förderinstitute und die Förderprogramme ausgeweitet werden auf den Kreativbereich« (ebd., Para. 88, vgl. auch peacefulfish 2011, S. 325). Dies mag zunächst verwundern, weil die Forderung nach Ausbau von Förder- und Finanzierungsinstrumenten auf den ersten Blick wie ein Widerspruch zum Trend der Liberalisierung und Deregulierung des Sektors wirkt, wie er vor allem in Großbritannien seit Ende der 1990er vorangetrieben wurde. Ein genauerer Blick darauf, welche Finanzierungs-, Förder- und Regulierungsmodelle vorangetrieben werden sollen, zeigt, dass es sich um eine stille Form der Liberalisierung handelt: Bestehende Fördermodelle, insbesondere solche, die Kunst und Kultur als ein nicht-wirtschaftliches Gut unterstützen (vgl. Interview 4, Para. 94), werden nicht in Frage gestellt. Diese in der Regel »staatlich geschützten Bereiche«, die sich zwar als »in der Krise stabiler« erwiesen, »aber im Aufschwung typischerweise weniger von der Aufwärtsdynamik« profitiert hätten, sind aufgrund ihres geringeren Renditeversprechens für Banken und Beratungsformen wenig interessant. Aber auch in den marktnahen Bereichen der Kreativwirtschaft wird von der Deutschen Bank und peacefulfish eine Ausweitung des Innovationsbegriffs durch die Politik gefordert, um nicht nur technische, sondern auch Innovationen aus dem kreativwirtschaftlichen Bereich stärker fördern zu können (Deutsche Bank Research 2011, S. 1). Der zentrale Punkt aber ist auch hier, dass die beiden Institutionen unter ›Förderung‹ zwar eine monetäre Unterstützung verstehen, allerdings eine, die nicht Marktprinzipien zuwiderläuft, sondern die geeignet sind, Markt durch Staatshandeln erst herzustellen. Somit wird durch die Forderung eines höheren privaten Kapitalanteils eine Reartikulation von (lokaler) Staatlichkeit propagiert, die mehrere Dimensionen umfasst: Zunächst geht der Wunsch nach Förderung von Innovationen mit einer Forderung nach Liberalisierung »immaterieller Schutzrechte« einher (ebd., Interview 4, Para. 88), zum Zweiten wird der Anspruch formuliert »die Ausbildungslandschaft marktnah und zukunftstauglich auszurichten« (peacefulfish 2011, S. 334) und drittens geht es um eine Fokus- und damit letzten Endes um eine Mittelverschiebung von einem allokativen Fördermodell zugunsten eines Risikoabsicherungsmodells. Hier

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geht es darum, dass der Staat zunehmend nicht mehr Mittel zur Förderung bereitstellen soll, sondern über Informations- und Aktivierungspolitik Unternehmen ermutigen soll, ein höheres Risiko einzugehen und gleichzeitig den Zugang zu Krediten über Fonds und Bürgschaften bei landeseigenen Banken bereitstellen soll, deren Ausfallrisiko vergemeinschaftet wird. 7.3.2 Rationalitäten des Regierens im Konflikt Die Unternehmensberaterin von peacefulfish stellt die Ergebnisse der Positionierungsstudie, die sie verfasst hat, in einer Präsentation der am 20.04.2011 in der Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH vor. Sie macht einem Parforceritt durch die gesamte Nomenklatur bestehender Finanzierungsinstrumente, die aus ihrer Sicht geeignet sind, eine Erhöhung der Finanzausstattung der Branche zu erreichen sowie die Herstellung von Märkten in der Region Frankfurt/Rhein-Main zu fördern. Diese umfasst – wie im vorangegangenen Kapitel ausführlich dargestellt – u. a. Mikrokredite für Kreativwirtschaftsunternehmen, Venturecapital für die Kreativwirtschaft, Ausbau des Bürgschaftsmodells »Bürgschaft ohne Bank« sowie internationale Beteiligungsund ppp-Beteiligungsfonds (ebd.). Die vorgeschlagenen Maßnahmen aber bleiben an diesem Abend nicht unumstritten, wie beispielsweise diese mahnenden Worte des sicherlich eher liberal eingestellten, ehemaligen Geschäftsführers der FrankfurtRheinMain GmbH zeigen. »Also ich meine, Sie sehen das, die Kreativität von bestimmten Bankern hat fast diese Weltwirtschaft hingerichtet und es ist noch nicht ausgemacht, ob es ihnen nicht gelungen ist. Auch das ist eine Kreativität, wenn wir in London und New York aufgetreten sind, wurde uns immer mit einer gewissen Arroganz gesagt, wisst ihr, ihr müsst mal, ihr müsst euch auch mal was einfallen lassen am Finanzplatz Frankfurt. Ihr müsst mal innovative Projekte, Produkte, entwickeln. Gott sei Dank haben wir das nicht. Aber, also auch das ist Kreativität.« (Interview 20)

Eine Politik, die bestehende Strukturen zugunsten eines höheren Privatkapitalanteils sowie einer größeren Beteiligung des Finanzwesens in der Medienbranche verschiebt, bleibt im Rahmen der Präsentation der Positionierungsstudie von Seiten der Vertreter*innen der landeseigenen WI-Bank8 nicht unwidersprochen. Unmittelbar nach den letzten Worten von Unternehmensberaterin von peacefulfish steht der Geschäftsführer der WI-Bank Hessen völlig erzürnt auf und ruft: »Es ist noch nicht Weihnachten und was Sie uns hier heute präsentiert haben ist ein frommer Wunsch fürs Christkind, aber keine Option für uns« (Feldnotiz vom 20.04.2011).

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Kurz für: Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen, die auch Bürgschaften vergibt.

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Eine wirtschaftsliberale Finanzierungspolitik, wie sie die Unternehmensberaterin vorschlägt, steht im Widerspruch zu Standortinteressen, welche beispielsweise die WI-Bank mit ihrer Standortpolitik vertritt, was am Beispiel der hessischen Filmförderung deutlich wird: Mit HessenInvestFilm hat das Bundesland einen eher kommerziell ausgestalteten Filmfonds, der mit einem Fördervolumen von 20 Mio. Euro angelegt auf 4 Jahre eine erhebliche Größe hat (Interview 25 mit der Mitarbeiterin der Hessischen Filmförderung bei der WI-Bank vom 18.10.2011, Para. 14). Er wird bei der Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen verwaltet. Da auch im kommerzielleren Bereich die meisten Filme nicht kostendeckend arbeiten, ist die Vergabe der Gelder an bestimmte Richtlinien gebunden. Eine von ihnen ist der sogenannte »Hesseneffekt«: »Wir sagen, laut Richtlinie soll das Geld, was dem Projekt gegeben wird, auch zu 100 Prozent hier ausgegeben werden. Und das hat sich gut bewährt, weil, das ist nämlich genau das, dass wir hier den Standort damit fördern. Dass das Geld auch wirklich hier bleibt, in Hessen. Und das ist auch so etwas, was bei anderen Bundesländern üblich ist, und sich auch wirklich etabliert hat, dass man versucht, um auch so eine gewisse Konkurrenz auch am Leben zu erhalten, auch ein bisschen mehr auszugeben, als nur die 100 Prozent. Also wenn ich 100.000 habe, und 100.000 ausgebe, dann gibt es den einen oder anderen, der auch guckt, ob er nicht sogar 200.000 ausgeben kann. Also wirklich dann eine 200-Prozentquote hier bringt. Das ist durchaus auch ganz klar ein Entscheidungskriterium. So. Weil man dann einfach auch nachvollziehen kann und sieht, aha, das ist wirklich ein Projekt, was hier angesiedelt ist, oder was, wenn es von außerhalb des Bundeslandes Hessens kommt, dann auch tatsächlich wirklich ein Interesse an Hessen hat, und auch eben an den hessischen Dienstleistern, an einem hessischen Team, an Schauspielern, also es sind ja ganz viele Funktionen, die beim Film zusammen laufen, und das soll natürlich auch dann honoriert werden. Also wenn man hier die Region stärken möchte.« (ebd., Para. 34)

Aufgrund der relativ geringen Finanzausstattung des Fonds, ist es für Hessen allerdings nicht immer einfach, sich in der Konkurrenz mit anderen Bundesländern zu behaupten. Diese Entwicklung wird seit der Einrichtung des bundesweiten Deutschen Filmförderfonds weiter verschärft. Dennoch aber wird dem Hessischen Fonds von Seiten der Politik eine zentrale Rolle zugemessen, weil in Deutschland – und im Gegensatz zu anderen Ländern mit einem weniger ausgeprägten kulturpolitischen Rahmen und einem höheren Liberalisierungsgrad – die kulturpolitische Bedeutung der Filmförderung weitestgehend unbestritten ist. Die Haltung zu solch klassischen Standortförderungsmaßnahmen, die sich im Falle der Filmförderung mit kulturpolitischen Fragen überschneiden, ist allerdings höchst umstritten: Die Unternehmensberaterin von peacefulfish plädiert für eine Zusammenlegung von wettbewerbsorientierter und Kunstfilmförderung. Dies käme de facto einer Streichung der Kunstfilmförderung gleich, weil diese per Definition nach Wirtschaftlichkeitskriterien nicht mit

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dem kommerziellen Film konkurrieren kann. Die Wirtschaftsförderung hingegen sieht die Filmförderung als wichtige Säule nicht nur der Kreativwirtschaftspolitik, sondern auch des Stadtimagemarketings. In dieser Rationalität ist es weniger wichtig, dass der Film einspielt, was er gekostet hat, wenn außerökonomische, standortpolitische Ziele wie Standortwerbung und ›Hesseneffekt‹ erreicht werden. Auch in anderen Bereichen wird die Förderung der Branche über allokative Fördermittel als zentrales Element der Vermarktung »des Standorts Frankfurt« im internationalen Wettbewerb gesehen. Beispielsweise setzt sich die Interessenvertretung der games-Industrie gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung und dem Wirtschaftsdezernat in Frankfurt für eine Prototypenförderung zur Finanzierung der kostenintensiven Vorarbeiten im games-Bereich ein. Ein solches Angebot gibt es in Berlin und Hamburg und das Fehlen eines solchen Modells in Frankfurt wurde als Wettbewerbsnachteil identifiziert. »Selbst in Bayern, wo immer, wenn etwas Schlimmes passiert, ein Verbot von Ballerspielen zur Diskussion steht, gibt es eine Prototypenförderung. In Hessen aber gibt es so was nicht und das schreckt viele Existenzgründer ab. [...] Zum Glück war der hessische Innenminister früher Frankfurter Wirtschaftsminister. Boris Rhein würde solche Spiele zumindest nicht verbieten.« (Markus Frank, Wirtschaftsdezernent der Stadt Frankfurt, zit. n. Journal Frankfurt 2011b).

Gleichzeitig aber werden öffentliche Fördermaßnahmen anderer Städte, die für Hessen und Frankfurt zu einem Wettbewerbsnachteil werden, sehr kritisch beäugt. Bei großen Finanzierungshilfen im Designbereich, wie es sie beispielsweise in Berlin gibt, spricht die Wirtschaftsförderung Frankfurt sogar von »Wettbewerbsverzerrung« (Feldnotiz vom 15.03.013). 7.3.3 Zwischenfazit: Vielfalt kultureller Güter und Dienstleistungen zwischen Schutz und Liberalisierung Das Fallbeispiel hat gezeigt, dass in Frankfurt allokative kulturpolitische Maßnahmen, die sich in der Regel gut mit einer kulturellen Leuchtturmpolitik im internationalen Wettbewerb der Standorte verbinden lassen, sowie klassische Mittel der Standortpolitik in Konflikt mit eher wirtschaftsliberalen Rationalitäten der Förderpolitik und des Regierens stehen. Dieser lokale Konflikt spiegelt globalere Auseinandersetzungen um die Frage wider, wie viel Schutz oder Liberalisierung kulturelle Güter und Dienstleistungen erfahren sollen, wie sie seit Jahren im Rahmen internationaler Verhandlungen um die Liberalisierung des kulturwirtschaftlichen Sektors in

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Freihandelsabkommen geführt werden. Im Rahmen der Verhandlung des MAI9 und GATS-Abkommens10 wurden weitreichende Handelsliberalisierungen im Feld der kulturellen Dienstleistungen geplant, die aber gescheitert sind (Deutsche UNESCOKommission 2003, Krajewski 2005, Schorlemer 2005, Welthandelsorganisation 1994). Mit Verabschiedung des UNESCO-Übereinkommens zum Schutz kultureller Vielfalt (UNESCO 2005) im Jahr 2005 und seiner Ratifizierung 2009 haben vor allem die europäischen Länder und auch die Europäische Kommission als eigener Verhandlungspartner, die Position des Schutzes kultureller Güter und Dienstleistungen ein weiteres Mal gestärkt (Deutscher Bundestag 2004, Europäische Kommission 2003, Schorlemer 2005, Weiss 2005). Damit kam eine erste breite Liberalisierungswelle zu ihrem vorläufigen Halt, die in Europa in der New Labour Politik von Tony Blair und dem Creative Industries Mapping Document ihren Ausgang genommen hatte und ein eher US-amerikanisches Modell (Erhöhung des Anteils von privater Finanzierung in den kulturellen Industrien) verfolgte. Gerade im Filmbereich, der in Großbritannien eine massive Liberalisierung erfahren hatte, wurde deutlich, dass Liberalisierung nur auf Kosten kultureller Vielfalt zu haben ist und der europäische Film mittelfristig der US-amerikanischen Hegemonie in diesem Bereich zum Opfer fallen würde. Mit der Konvention zur kulturellen Vielfalt unterstützte die EU als Verhandlungspartnerin zum ersten Mal einen völkerrechtlichen Vertrag, welcher der Handelsliberalisierung entgegensteht. Mit der sogenannten »exception culturelle« wird kulturellen Gütern und Dienstleistungen eine Doppelnatur als identitärer und wirtschaftlicher Wert zugesprochen. Dies hat zur Konsequenz, dass sie in internationalen Freihandelsabkommen anders als andere Güter und Dienstleistungen behandelt werden können. In den

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Das ›Multilaterale Abkommen für Investitionen‹ (MAI) war ein geplantes Regelwerk zwischen transnationalen Konzernen, den OECD-Staaten und der Europäischen Union zur Förderung von Auslandsinvestitionen in den Unterzeichnerstaaten. Es wurde zwischen 1995 und 1998 verhandelt, scheiterte jedoch insbesondere am Widerstand Frankreichs. Viele der geplanten Regeln wurden später von Wirtschaftsgemeinschaften übernommen oder sind Gegenstand von Freihandelsvereinbarungen verschiedener Staaten, wie z. B. der gegenwärtigen TTIP-Verhandlungen zwischen den USA und der EU.

10 Das ›General Agreement on Trade in Services‹ (GATS) trat 1995 im Nachgang der sogenannten Uruguay-Runde der WTO-Verhandlungen in Kraft. Inhaltlich stellt es die Erweiterung des General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) auf den Bereich der Dienstleitungen dar und regelt Handelsliberalisierungen in diesem Sektor.

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gegenwärtigen Verhandlungen des TTIP-Abkommens11 unter Ausschluss der Öffentlichkeit steht der Schutz kultureller Güter und Dienstleistungen allerdings ein weiteres Mal zur Disposition (Deutsche UNESCO-Kommission 2014, Metze-Mangold 2013). Im Gegensatz zur frühen Liberalisierungseuphorie in Großbritannien Ende der 1990er Jahre zeigt das Fallbeispiel Frankfurt, dass mittlerweile kultur- und standortpolitische Förderinstrumente nicht länger grundsätzlich in Frage stellt werden, es aber zwangsweise zu ihrer weiteren Marginalisierung durch den Ausbau von marktliberaleren Modellen der Risikoabsicherung kommt.

7.4 F ÖRDERUNG

VON KREATIVEM

U NTERNEHMERTUM

In Frankfurt gibt es eine Vielzahl an Angeboten, die die Kreativbranche weiter in Gang zu bringen versucht. Sie zielen darauf ab ihren privaten Kapitalanteil zu erhöhen und unternehmerisches Handeln von Kreativen fördern. Zunächst ist das bei der Frankfurter Wirtschaftsförderung GmbH angesiedelte »Kompetenzzentrum Kreativwirtschaft« zu nennen, das Kreative bei Fragen rund um Standortsuche, Gründung und Vernetzung berät. Mit dem Mainraum hat die Frankfurter Wirtschaftsförderung ein Gründerhaus für Kreative geschaffen. Dort bietet sie die Vortragsreihe »Wissen für Kreativunternehmer« an. Dazu lädt sie Expert*innen ein, die Kreativen Wissen und praktische Tipps in Bereichen wie Finanzierung, Einpreisung der eigenen Produkte und Dienstleistungen, Erstellung von Businessplänen, Urheberrecht, Leistungsschutzrecht oder Selbstvermarktung vermitteln (Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2013b). 7.4.1 Finanzierungsstrategien und Beratungsangebote Die Kernkompetenz der Wirtschaftsförderung Frankfurt aber liegt nicht in erster Linie in der Beratung durch eigene Mitarbeiter*innen, sondern vor allem in der Aktivierung und Vernetzung von Kreativen mit einer Vielzahl von Angeboten und Institutionen, die unternehmerisches Handeln fördern sollen (vgl. Wirtschaftsförderung

11 Derzeit wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit das ›Transatlantic Trade and Investment Partnership‹-Abkommen (TTIP) zwischen den USA und der Europäischen Union verhandelt. Das Abkommen sieht weitreichende Handelsliberalisierungen in den Bereichen Dienstleistungen, Investition und öffentliche Versorgung vor. Während seine Proponent*innen ein Potential zur Steigerung des Wirtschaftswachstums in der EU von rund 119 Mrd. Euro pro Jahr sehen, befürchten seine Kritiker*innen, den Ausverkauf von Sozialund Umweltstandards sowie einen massiven Demokratieverlust.

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Frankfurt GmbH 2011, S. 17). Es bewirbt die »Orientierungsberatungen für die Kultur- und Kreativwirtschaft«, die die Bundesregierung im Rahmen ihrer »Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft« anbietet und die für Frankfurt im rkw-Hessen angesiedelt ist. Neben Informationsveranstaltungen und –material – wie beispielweise der von der »Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes« herausgegebene Ratgeber »Alles, nur kein Unternehmer?« (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2012a) – werden individuelle Orientierungsberatungen angeboten, in denen es in erster Linie darum geht, die eigene kreative Tätigkeit besser zu vermarkten sowie auf existierende Starthilfen und Förderungen hinzuweisen. »Das Ziel der Beratungen ist es, Unternehmer, Selbständige und Freiberufler auf ihren Wegen in eine erfolgreiche Zukunft zu unterstützen«, um damit »Chancen zu eröffnen und die Wettbewerbsfähigkeit der Branche insgesamt zu steigern« (RKW Hessen 2013). Auch das ›Künstlerhaus Basis‹ veranstaltet Vorträge und Workshops für Kreative. Die Veranstaltungen werden – im Gegensatz zu den oben genannten – hier nicht von der Verwaltung, sondern von Kreativen selbst organisiert. Sie kennzeichnen sich durch einen geringeren entrepreneurialistischen Impetus und schließen Fragen gegenwärtiger Ästhetik stärker ein (Basis e. V. 2013). Darüber hinaus vernetzt die Wirtschaftsförderung Kreative auch mit Institutionen, die nicht ausschließlich auf die Förderung von Kreativwirtschaft abzielen, beispielweise, mit dem Gründerzentrum »Kompass« (Kompass Frankfurt 2013), das auch Kreativen Hilfestellung bei allen Schritten zur Existenzgründung bietet, dem »Frankfurter Gründerfonds« der »Frankfurt School Financial Services« in Kooperation mit der Stadt Frankfurt und der Bürgschaftsbank Hessen (Frankfurt School Financial Services 2013) oder spezialisierten Institutionen wie HessenInvestFilm (2013). Allen Aktivitäten der genannten Institutionen ist gemein, dass sie unternehmerisches Handeln bei Kreativen aktivieren und fördern sollen. Sie unterstellen, dass Kreative in erster Linie künstlerische Selbstverwirklicher*innen seien, die ihr unternehmerisches Potenzial häufig nicht optimal nutzen würden. »So sind die Vorbehalte gegenüber unternehmerischem Denken und Handeln in der bildenden und darstellenden Kunst, der Musik, der Publizistik und Literatur oder auch der Architektur im Vergleich zu anderen Teilbranchen der Kultur- und Kreativwirtschaft zweifellos am größten.« (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2012a, S. 4)

Dabei wird in der Regel davon ausgegangen, dass der potenziell aus den Produkten und Dienstleistungen zu erzielende Gewinn über dem durch die Kreativen selbst erzielten liegt und dieser Umstand durch gouvernementale Anrufungen, d. h. Beratungen, die die unternehmerische Selbstführung der Kreativen steigern sollen, verändert werden könne. Die Beratungen werden in der Regel durch politische Institutionen wie die Wirtschaftsförderung Frankfurt oder durch Stiftungen, Vereine oder private

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Institutionen mit einem städtischen oder staatlichen Auftrag durchgeführt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie beispielsweise finanziert Orientierungsberatungen für die Kreativwirtschaft, die durch einen eingetragenen Verein, nämlich des »Rationalisierungs- und Innovationszentrum der Wirtschaft e. V.« durchgeführt werden. Der Gründerfonds Frankfurt ist eine Institution, in der die Sicherheiten für die vergebenen Kredite von der Hessischen Bürgschaftsbank übernommen werden. Die Existenzgründungsberatungen, die die Wirtschaftsförderung empfiehlt, werden von »Kompass«, einer öffentlich finanzierten gemeinnützen GmbH, angeboten. Durch diese Verzahnung von öffentlichen, gemeinnützigen und privaten Institutionen entsteht ein komplexes governance-Netzwerk, in dem die Förderung unternehmerischen Handelns zu einer öffentlichen Aufgabe wird. »Das Ganze passiert vor dem Hintergrund, dass man festgestellt hat, dass sozusagen die vorhandenen Strukturen anscheinend diese Akteure nicht erreichen.« (Interview 11 mit einem Orientierungsberater für Kreative beim rkw-Hessen vom 29.08.2011, Para. 17). Dass unternehmerisches Handeln bei Kreativen handlungsweisend sein sollte, wird nicht hinterfragt, sondern sogar über die Köpfe der Betroffenen hinweg als Maxime der Beratungstätigkeiten formuliert: »Weil die Akteure selbst die Notwendigkeit eigentlich nicht sehen, sich nicht als wirtschaftendes Individuum sehen, obwohl sie es de facto sind, als Freiberufler, oder als Einzelunternehmer« (ebd.). »Und wir haben, glaub ich, relativ schnell gesagt, dass wir eher so’n mobiles Verfolgungskommando tatsächlich sein wollen« (Interview 12 mit einem Orientierungsberater für Kreative beim rkw-Hessen vom 29.08.2011, Para. 19). Auf diese Weise bekommen die Beratungen einen fast missionarischen Charakter, da sie nicht nur Informationen und Hilfestellungen bieten, sondern aktiv in die Überzeugungen und Selbstverhältnisse der Kreativen eingreifen. Ein Orientierungsberater des rkw-Hessen beispielsweise beschreibt seine Kund*innen als Unternehmer*innen: »Es gibt so’n paar Muster, die sich wiederholen, wo man zunächst mal drauf aufmerksam macht, und wo diejenigen, die ich auch von Anfang an Unternehmer immer nenne, auch wenn die sich dagegen sträuben, sag ich immer, das ist aber jetzt erst mal so: Sie sind Unternehmer.« (Interview 11, Para. 43)

Zwar erkennen die Orientierungsberater*innen des rkw-Hessen die Hybridität aus markt- und nicht-marktwirtschaftlichem Handeln der Akteur*innen an, wollen aber gleichzeitig, marktwirtschaftliches Denken auch in den nicht-marktwirtschaftlichen Lebensbereichen der Beratenden vorantreiben »Es ist nicht so, dass ich jeden irgendwo bekehren will, plötzlich irgendwie zu sagen: Ne, da gibt’s auch ´n Markt für, und das müsste man jetzt wirtschaftlich und ohne öffentliche Förderung irgendwie hinkriegen. Ganz im Gegenteil, was dann aber spannend ist, wenn man irgendwie tatsächlich jetzt ´n Künstler hat, der sagt, nee, das soll mit öffentlicher Förderung sein, auch

244 | KREATIVPOLITIK selbst dann kann es spannend sein, mal das Kulturamt als Kunden zu begreifen.« (ebd., Para. 48)

7.4.2 Unternehmerisches Risiko und Responsibilisierung Wie bereits in Kapitel 7.3.1 gezeigt, gehen eine Vielzahl der Finanzierungsvorschläge für die Kreativwirtschaft mit einem erhöhten Risiko für Kreditgeber*innen wie für Kreditnehmer*innen einher. Auf Seite der Kreditnehmer*innen, die häufig alleinselbstständige Unternehmer*innen sind, bedeutet dies eine zunehmende Responsibilisierung. Im Interview verrät der Autor der Deutsche Bank Studie, welche Finanzierungsmöglichkeiten er für die Kleinstunternehmer*innen und Alleinselbstständigen sieht. »Mir fallen business angels ein, also so eine Art Venturecapital. Der Unterschied zwischen Venturecapital und business angels ist der, dass Venturecapital reiner Kredit, also Geld geben und sich eigentlich raushalten aus dem Management ist. Und ein business angel, das ist glaube ich, das geht schon mehr auch in die Beratung. Also das ist jemand, der auch aus dem Bereich kommt, der Expertise hat, der Kenntnisse hat, der auch bei dem Geschäftsmodell berät. Der ist unterstützend, so, ja vielleicht auch so in Anführungsstrichen eine ›Mentorenrolle‹ dann hat und unterstützt. Und da sind wir krass unterentwickelt. Also die USA ist da weiter voraus. Die haben eine viel größere Dichte an diesen business angels. Wir sind hier noch sehr unterentwickelt. Das wäre auch eine Möglichkeit, dass diese Leute an Geldmittel ran kommen. Was mir auch noch einfällt, sind diese Banken, die im Internet entstehenden, ich weiß jetzt gar nicht, ob/ das sind ja keine Banken, aber Smava zum Beispiel, die vergeben Kredite, und zwar geht da der Kredit von Privat an Privat. Das heißt, ich kann, hätte ich jetzt Geld übrig, sagen wir mal 5000 Euro, dann würde ich mich bei Smava, ist glaube ich, soweit ich weiß, eine Bank. Die haben eine Banklizenz. Das muss man aber noch mal nachprüfen12. Dann würde ich da Geld hin überweisen, als Anlage. Und dann melden sich quasi Leute, die Kredite brauchen, bei mir, stellen dann quasi ihr Modell vor, sagen, okay, das ist meine Idee, so und so stelle ich mir das vor, und dann kann ich entscheiden, okay, ich gebe dem tausend Euro zu einem Zinssatz von, was weiß ich, what ever, so dass sich die Leute einfach privat auch/ so was wird immer mehr kommen. Man braucht dann in dem Sinne kein Kreditinstitut, sondern die Leute vergeben sich die Gelder privat. Und dafür gibt es Plattformen, virtuelle. Sie müssen sich dann ein bisschen

12 Smava ist ein sogenannter Kreditmarktplatz, an dem Kredite von privat zu privat gehandelt werden und dem social lending verpflichtet. Anders als andere Plattformen arbeitet Smava mit einer Banklizenz. Die »Bank für Investments und Wertpapiere« (biw AG) stellt die Konten zur Verfügung, auf denen das Geld der Anleger gesammelt wird. Sie gilt als sicherste Plattform, ihre Konditionen und Arbeitsweise unterscheiden sich aber mittlerweile kaum mehr von der einer Bank.

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vorstellen wie micro finance in Entwicklungsländern. Nur dass keine Institution in dem klassischen Sinne dahinter steht, sondern dass auch Privatleute dahinter stehen. Also da können Sie mal schauen im Internet. Es gibt für micro finance in Entwicklungsländern, da gibt es ja auch kreative Leute. Dort heißt die Organisation KIVA. Und hier in Deutschland gibt es mittlerweile auch schon so Plattformen, Smava zum Beispiel. Und die vergeben quasi Kreditvergaben von Privat an Privat.« (Interview 4, Para. 36)

Neben den im Interview genannten neuen Finanzierungsprodukten spielt vor allem Crowdfunding eine zunehmend große Rolle. Die Ausweitung von Finanzierungsstrategien in den Risiko- und Kleinkreditbereich erscheint für die Finanzierungsinstitute attraktiv. Sie versprechen – trotz hohem Verwaltungsaufwand bei kleinen Summen – dennoch die Erschließung eines risikoreichen, dafür aber innovationsreichen neuen Marktes. Auf der anderen Seite bedeutet diese Strategie ein Vordringen von Finanzierungsstrategien und markwirtschaftlichen Mechanismen in un- oder bislang nur schlecht erschlossene Bereiche sowie eine Erhöhung des Risikos für die in diesem Markt operierenden Teilnehmer*innen. Doch während für den Experten für Kreativwirtschaft der Deutsche Bank Research eine bessere Finanzausstattung in Form von Kleinkrediten oder risikoreicheren Anlagen ein Mittel zur Bekämpfung von schlechter Bezahlung darstellt, stellt sich die Frage, ob eine Ausweitung der Finanzausstattung durch neue Finanzierungstechnologien wirklich zu einer Regulierung von Prekarität über den Markt führt. Business angels sind für alldiejenigen eine Alternative, die Expert*innen das Risiko ihres Projekts leichter plausibel machen können als dem/der nicht spezialisierten Bankberater*in. Venturecapital-Fonds und Kreditmarktplätze wie Smava hingegen sind mit einem höheren unternehmerischen Risiko verbunden. Erstere sind Risikoanlagefonds und letztere umgehen die etablierten Risikobewertungsmechanismen von Banken. Auch Mikrokredite, die von einigen Instituten für Kreative angeboten werden, sind nicht risikolos. Während für kleinere Unternehmen die genannten Technologien eine gute Möglichkeit sein können, um an Investitionskapital zu kommen, führen sie bei Alleinselbstständigen und kleinen Gründer*innen zu einer weiteren Prekarisierung, weil der/die Unternehmer*in ein höheres Maß an Risiko zu tragen hat und damit nicht mehr beispielsweise als Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sondern als Privatperson haftet. Zwar erscheinen die Beiträge, die häufig zwischen 2.000 und 20.000 Euro liegen gering; für Alleinselbständige in der Kreativwirtschaft, deren Jahreseinkommen häufig unter 17.500 Euro und damit unter der offiziellen Armutsgrenze liegt (vgl. Kapitel 4.3.2), sind auch kleine Kredite nicht leicht zurückzuzahlen. Auf diese Weise wird in einem schwierigen unternehmerischen Umfeld noch mehr Verantwortung auf den Einzelnen übertragen und – entgegen ihrer Intention – die Prekarisierung der Betroffenen noch befördert. Die Gouvernementalitätsliteratur bezeichnet die Ausweitung von marktwirtschaftlichen Mechanismen auf bislang nicht oder nur wenig verwertete Lebensbereiche als Neoliberalisierung und verweist auf

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die damit einhergehende Individualisierung unternehmerischer Risiken, die mit einer Responsibilisierung – also Verantwortlichmachung des Einzelnen – einhergeht (vgl. Bröckling et al. 2000, Loacker 2010, Manske 2005, 2008, Manske und Merkel 2008, 2011, Osten 2003a, Opitz 2004). 7.4.3 Adaption neuer Managementtechniken durch die Politik Die Förderung von Prekarisierungsstrategien durch governance-Institutionen der Kreativwirtschaft zeigt sich auch auf dem Mainraum-Sommerfest 2011: Im Anschluss an eine Ansprache des Wirtschaftsdezernenten über die Bedeutung und positive Entwicklung der Kreativwirtschaft in Frankfurt erfolgt eine Pecha Kucha-Präsentation von jedem/r im Mainraum ansässigen Mieter*in. Auch wenn der Zweck von Pecha Kucha in erster Linie Unterhaltung und Kommunikation ist, so wird es mehr und mehr für sogenannte matches und pitches eingesetzt, also zur Anbahnung neuer Geschäfte im Rahmen von Veranstaltungen, in denen Kreative in den kurzen Präsentationen Geldgeber*innen und Unternehmer*innen für ihre Ideen überzeugen. Pecha Kucha selbst ist eine eingetragene Trademark. Im Mainraum sind sichtlich nervöse Mieter*innen zu erleben, die reichlich unsicher, ihre Geschäftskonzepte präsentieren. Die Situation erscheint ein wenig wie eine Prüfung, in der die durch den Mainraum geförderten nun gegenüber der geladenen lokalen Politikprominenz »etwas abliefern« müssen und sie nicht wissen, was als gut erachtet wird (Feldnotiz vom 17.06.2011). Das Beispiel zeigt nicht nur, wie Techniken, die aus der Kreativbranche kommend, um Kreativität und Ideen besser in professionelle Geschäftskontexte einbinden zu können, als Element der Steuerung von Kreativpolitik aufgenommen wird. Es zeigt aber auch, wie sich der Zweck von Pecha Kucha, der freie Austausch von Ideen, aus denen ein Geschäft werden kann, in ein Regieren durch Kreativität verwandelt: In der Präsentation, zu der die Mieter*innen angehaltenen wurden, wird nicht nur die Politik des »Gründerzentrums« Mainraum als erfolgreich inszeniert, sondern dies geschieht vermittels einer aus dem Kreativbereich entlehnten Managementtechnologie. Die Ausweitung von Management- und Führungstechnologien aus dem Kreativsektor in den Bereich der Politik zur Herstellung einer erfolgreichen Performance der Kreativwirtschaft in Frankfurt stellt eine Ausweitung der Marktlogik in den Bereich politischer Steuerung dar. Es lässt sich also festhalten, dass es in Frankfurt eine Vielzahl von Aktivitäten gibt, um Kreative stärker als unternehmerische Selbste zu konstituieren. Diesen Aktivitäten liegt die Annahme zugrunde, dass das wirtschaftliche Potenzial der Werke, Produkte, Aufführungen und Dienstleistungen, die sie schaffen, noch nicht optimal ausgenutzt und für die Stadt in Wert gesetzt wird. Die Stadt und die im governanceProzess mit ihr verbundenen Institutionen aktivieren ihre Kreativen dabei nicht durch einen Rückbau von Staat, sondern durch die Einführung von Managementtechniken

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aus dem Bereich der Wirtschaft und konstituieren somit neue Formen von Regierung, die sich durch ein Zusammenspiel von Fremd- und Selbsttechnologien kennzeichnen. 7.4.4 Finanzierungsinstrumente als Prekarisierungsstrategien? Im März 2011 hielt Manfred Schneider einen Vortrag in der Reihe »Wissen für Kreativunternehmer« im Mainraum. Er ist der Geschäftsführer von »Entertainment Finanz« und gilt als Experte für die Finanzierung von Kreativprojekten. In seinem Vortrag zeigt er verschiedene Möglichkeiten auf, wie Kreative an Geld für ihre meist finanziell nicht sehr großen, dafür aber risikobehafteten Projekte kommen können. Neben Mikrokreditfonds, Venturecapital-Fonds, dem Gründerfonds, Finanzierungsmodellen verschiedener Banken wie der Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen oder der KfW oder BoB13 weist der Investmentbanker am Ende seiner Ausführungen noch einmal mit Vehemenz daraufhin, dass die Lage für kleine Existenzgründer*innen und Alleinselbstständige schwierig sei und deshalb »kreative Lösungen« gefragt seien. Kreative, die eine Finanzierung suchten, sollten darüber nachdenken, »Familie und Freunde als Investoren für sich zu gewinnen. Aber nicht so wie Sie es jetzt denken« (Feldnotiz vom 30.03.2011). Das Problem sei, dass das Leihen von Geld in der Familie oder bei Freunden oft zu unprofessionell geschehe, Streitigkeiten, die die Beziehungen belasten, seien häufig die Folge. »Regeln Sie die Verhältnisse mit einem Vertrag. Denken Sie über eine Gewinnbeteiligung nach« (ebd.). Auf diese Weise werden professionelle Abhängigkeitsverhältnisse ins Private verlängert, die Trennung zwischen Beruflichem und Privatem aufgehoben. Als offizielle Veranstaltung der Wirtschaftsförderung wird hier Prekarisierung durch governance-Prozesse nicht nur vorangetrieben, sondern aktiv propagiert. Dieser Form von Prekarisierung kann das unternehmerische Selbst in dieser Logik durch die Anwendung entsprechender Technologien der Selbstregierung entgegenwirken. In den Interviews mit den Orientierungsberater*innen spielte die Kalkulation von Risiko eine zentrale Rolle: »Viele im Kreativbereich, das ist auch eine Beobachtung, die auch nur subjektiv im Moment ist, sind gar nicht bereit, Risiko einzugehen. Also die wollen keine Schulden machen. [...] In dem Moment wo sie, ich sag mal, ´n Stück weit unternehmerischer ticken, begreifen sie es dann auch als eine Investition. Dann kann man eine Investitionskostenrechnung machen und in dem Maß steigt auch irgendwie die Bereitschaft, `n kalkulierbares Risiko einzugehen. So. Also ich will da niemanden irgendwie in die Schuldenfalle treiben, oder in die zahlreichen Mikrokreditangebote schleusen, wenn’s nicht notwendig ist, sondern eben dafür aber ein Bewusstsein schaffen, Risiko zu minimieren. Und das schafft man natürlich dadurch, dass man sich mit dem Markt auseinandersetzt, dass man sich mit Marktzugängen auseinandersetzt, und eben darüber

13 BoB steht für Bürgschaft ohne Bank.

248 | KREATIVPOLITIK auch, dass man sich positioniert, sich selbst in Wert setzt, und seine Angebote irgendwie einpreist.« (Interview 11, Para. 83)

Auf die Frage, wie sie als Finanzberaterin von Kreativen mit dem Problem umgeht, dass ihren Kund*innen häufig Kredite von ihren Hausbanken mit der Begründung verwehrt werden, die Projekte seien zu risikobehaftet, antwortete sie: »Aber natürlich ist auch diese Risikogeschichte. Also, es ist wirklich so eine ganz merkwürdige, schwierige Kiste. Also wir haben den Ansatz, oder beziehungsweise sagen, okay, da muss man auch die Banken noch ein bisschen mehr für sensibilisieren und hellhörig machen, dass man vielleicht auch tatsächlich mal so ein Risiko eingeht. Oder dass man ein Projekt vielleicht auch noch mal versucht, anders einzuschätzen. Sagen wir es mal so, also wenn wir ein Projekt haben, ein großes Projekt, also wo man merkt, so, wow, das ist wirklich hier was, was die Region enorm voran bringen wird, wo man sagt, okay, da muss man vielleicht dann auch noch mal über ein anderes Modul nachdenken, wie zum Beispiel eine Bürgschaft. Die ja auch über die WI-Bank mit organisiert wird oder werden kann.« (Interview 25, Para. 66)

Viele der in Kapitel 7.3.1 und 7.4.2 diskutierten Finanzierungsmodelle gehen mit einer Erhöhung des Risikos für den/die Unternehmer*in einher. Die Vermittlung des richtigen Umgangs mit Risiko wird daher zu einer zentralen Selbstführungstechnologie, die die Orientierungsberater*innen für die Kreativwirtschaft ihren Kund*innen zu vermitteln versuchen. Ein weiteres Feld, in dem die Wirtschaftsförderung den Bedarf der Förderung identifiziert hat, sind künstlerische und kreative Ausbildungsgänge, denen entsprechende Vorträge und Workshops angeboten werden. In einem informellen Gespräch bei der Wirtschaftsförderung Frankfurt mit der Autorin der »Positionierungsstudie für die Medienregion FrankfurtRheinMain« (peacefulfish 2011) wird die Ausbildung von Künstler*innen und Kreativen als zentrales Feld für die Förderung unternehmerischen Denkens und Handelns identifiziert. »Praxisnähe, employability« und die »Fähigkeit, unternehmerisch zu handeln, um sich selbst ernähren zu können« – sich mit anderen bezahlten, aber nicht unternehmerischen Tätigkeiten ernähren zu können, erscheint nicht als Alternative – werden als zentrale Ziele der Ausbildung formuliert (Feldnotiz vom 28.03.2011). Es wird die filmwissenschaftliche Ausbildung im Rahmen des Studiengangs »Theater-, Film- und Medienwissenschaften« der Universität Frankfurt als Beispiel für »unnötig komplexe Theoretisierung« genannt. »Die machen Theorie, Theorie, nur Theorie, ich weiß gar nicht wofür das gut sein soll« (Feldnotiz vom 28.03.2011). Das sei »unnötiger ideologischer Ballast« (Feldnotiz vom 28.03.2011). Es scheint als würde unter unternehmerischen Gesichtspunkten Bildung hier auf Ausbildung zur Ausübung einer praktischen Tätigkeit reduziert und selbst die Universität nicht mehr als eine Institution anerkannt, deren Bildungsauftrag über die Herstellung von employability hinausgeht. Entsprechend dieser Logik wird

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die Arbeit der »European School of Design« in Frankfurt gelobt. Sie ist ein privatwirtschaftlich organisiertes Institut für Kommunikationsdesigner*innen und Werber*innen, das in Projektarbeit, mit Praktiker*innen und enger Zusammenarbeit mit Agenturen eine auf die Bedürfnisse des Marktes abgestimmte Ausbildung anbietet. Im Interview antwortet der Leiter der Schule auf die Frage, ob das Gerücht stimme, dass die Schule Schlafsäcke habe: Der Leiter der European School of Design: »Wenn wir so Projektarbeiten haben, das sind dann so Teams, dann ist das halt auch wie im richtigen Leben, und je knapper die Zeit wird, desto mehr muss gearbeitet werden. Und da kann ich dann nicht einfach weg gehen, wenn ich Bock hab, sondern dann heißt es: Wir müssen noch hier irgendwie was zustande bringen. Und dann und dann [lacht] haben wir auch schon öfters mal hier geschlafen, ja. Ich mein so ne realistische Arbeit, [...] das ist dann auch hart in den letzten Wochen. Da gibt’s auch viele Tränen, muss man auch dazu sagen, weil da ist ein ganz enormer psychologischer Druck auch dabei: Ich muss jetzt und ich muss jetzt, und das ist alles so scheiße, was auf dem Tisch liegt, und so, und da die Leute auch mal dran zu gewöhnen, und zu sagen: Hey, auch so was passiert da draußen, und trotzdem noch ne gute Leistung irgendwie raus zu hauen, und es geht, und am Ende wissen sie, dass es geht, dann sind die natürlich total begeistert, muss man sie hoch von der Decke wieder runterziehen, aber der Weg dahin ist oft dann auch mit Schmerzen besäht, ja?« Iris Dzudzek: »Das heißt, es wär schon eher Strategie, zu sagen: Ihr müsst euch an genau DAS gewöhnen, weil das heißt kreativ arbeiten. Anstatt zu sagen: Macht euch nen Zeitplan, zieht das durch, damit ihr am Ende nicht untergeht und im Schlafsack in der Schule übernachten müsst.« Der Leiter der European School of Design: »Ja, aber ich sag mal, letztendlich hilft der beste Zeitplan nicht, weil es ist immer so, dass bei uns im kreativen Bereich bis zur letzten Minute auch noch kreativ überlegt wird, ja? Solang noch Zeit da ist, ist man auch noch nicht zufrieden. Wenn ich noch drei Wochen Zeit vor mir hab, was soll ich da schon ne Idee nehmen, die schon ganz gut aussieht, ja? Da kann ich ja noch weiter machen.« Iris Dzudzek: »Okay, es ist also dieses Arbeiten am Limit, das ist schon das, was dazu gehört?« Der Leiter der European School of Design: »Ja, muss, ja. Projektmanagement machen in Agenturen ja wiederum andere, [...] die Kreativen sind ja so für Zeitmanagement und Arbeitsorganisation und Projektmanagement nicht so unbedingt die [...] Ohne Enthusiasmus und Leidenschaft geht das nicht. Geht das nicht.« (Interview 13 mit dem Leiter der European School of Design vom 30.08.2011, Para. 139 – 151)

Die Bereitschaft, unter Druck zu arbeiten und auch außerhalb der offiziellen Arbeitszeiten Höchstleistungen zu erbringen, ist nicht nur im späteren Beruf ›normal‹, sondern ist hier schon fester Bestandteil der Ausbildung. Auf diese Weise lernen die Studierenden die Leidensfähigkeit, die sie als prekäre Alleinselbstständige in einem individualisierten und kompetitiven Umfeld brauchen.

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Die prekäre Lebensweise vieler Kreativer wird auf diese Weise allein auf die mangelnde Fähigkeit zurückgeführt, Leistung unter Druck abrufen zu können. Andere Gründe für Prekarität wie rivalisierende Marktstrukturen, mangelnde soziale Absicherung, asymmetrische Wertschöpfungsketten oder fehlende gesellschaftliche Anerkennung bestimmter Typen von Wertschöpfung werden in aller Regel nicht thematisiert. Auf diese Weise wird das Problem der Prekarität, das eine Vielzahl von Kreativen betrifft, individualisiert und als gesellschaftliches Thema marginalisiert. Auf die Frage, ob man im Kreativreport, einem Situationsbericht der Wirtschaftsförderung Frankfurt zur Lage der lokalen Kreativwirtschaft, das Thema Prekarität von Alleinselbstständigen aufnehmen solle, bekam ich bei der Mitarbeit an der Erstellung die Antwort: »Das Thema Prekarität ist vollkommen überschätzt und verdeckt die Erfolge, die wir in dieser Branche erzielt haben.« (Feldnotiz vom 08.03.2011)

Entsprechend einseitig sind daher auch die Konzepte, die von den entsprechenden Stellen gegen Prekarität ins Feld geführt werden. Der Orientierungsberater des rkwHessen legt beispielsweise Wert darauf, »dass man sich über die eigene Positionierung klar wird, also dass man sich `n Stück weit als Marke versteht, und sich als Marke im Markt versucht auch zu etablieren. [...] Bei vielen ist es tatsächlich so, dass man irgendwie diese Netzwerkpflege versucht, irgendwie, so’n bisschen in den Vordergrund zu rücken, dass man sich selbst auch mal in Wert setzt, sich selbst und seine Leistungen, das Phänomen ist ja irgendwie tatsächlich, dass viel unterpreisig läuft, also in Anführungsstrichen ›Selbstausbeutung‹, [lacht]. Da versuch ich dann einfach noch mal zu überlegen: Was ist eigentlich der Mehrwert meiner Leistung? Also was bringt das dem Kunden? Und dass man dann auch entsprechend so ´ne Einpreisung versucht hin zu kriegen, find ich enorm wichtig« (Interview 11, Para. 43).

Die vermittelten Selbstmanagementtechniken zielen einseitig auf die Aktivierung und Responsibilisierung der Kreativen ab. Sie stammen aus dem Repertoire neuer Managementtechnologien (siehe Boltanski und Chiapello 2003 [1999], S. 134, Bröckling 2000, 2007, S. 174, Opitz 2004, S. 113) wie human branding (Berndt 2009), Selbstmarketing (Kaputa 2011, Seidl und Beutelmeyer 2006), Stärken-Schwächen-Analysen, Networking etc. Nicht selten fördern sie damit – entgegen ihrer Intention – eine weitere Prekarisierung von Kreativen (vgl. auch Kapitel 4.3).

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7.4.5 Reaktionen von Künstler*innen und Kreativen Die Reaktionen von Künstler*innen und Kreativen auf die städtischen Programme zur Förderung von Unternehmertum sind stark zurückhaltend und oft ablehnend14. Zu vielfältig und differenziert sind die Prozesse kreativer Subjektkonstitution und immaterieller, zeichenhafter Wertschöpfung, als dass Anrufungen einfach und widerspruchsfrei gelingen könnten. Diese Ablehnung aber resultiert nicht – wie man vielleicht annehmen könnte – aus einem Künstler*innenethos, der die wirtschaftliche Verwertung der eigenen Arbeit zurückweist. Im Gegenteil: Viele Kreative betonen ausdrücklich, dass das, was sie machen, keine Kunst ist, die meisten Künstler*innen kennen sich mit den ökonomischen Verwertungskanälen ihrer Arbeiten bestens aus und haben eine bewusste Einstellung zum Verhältnis zwischen der Freiheit der Kunst und der Notwendigkeit der Verwertung für sich gefunden. Die geäußerte Skepsis folgt im Wesentlichen zwei Logiken. Die erste Form der Kritik, ein einfacher ›Nachhilfekurs in BWL‹ ginge an den Bedürfnissen von Künstler*innen und Kreativen vorbei, weil er die wesentlichen Funktionsmechanismen der Wertschöpfung im kreativen und künstlerischen Bereich außer Acht lasse, findet sich beispielsweise in der Argumentation des ehemaligen Leiters der Städelschule. Seine Kritik und sein Unbehagen an den städtischen Anrufungspraktiken, die auf die Konstitution von Künstler*innen und Kreativen als unternehmerische Subjekte zielen, rührt aus der Überzeugung, dass ein kreatives oder künstlerisches Unternehmen anders funktioniert als andere Unternehmen. In seiner Sicht erscheint für die meisten Kreativ- und Kunstschaffenden eine derart betriebswirtschaftliche Zurichtung des Selbstes als nicht hinreichend in der immateriellen Zeichenwelt des Differenzkapitalismus. Für sie sei es natürlich auch wichtig, die Techniken des Rechnungswesens, der Erstellung eines Businessplans und der Kostenkalkulation als rechnerische Tätigkeiten zu beherrschen. Der eigentlich ökonomische Akt liege für sie eher in der Wertschöpfung durch differenzielle Zeichenproduktion. Daher hat der Leiter der renommierten Kunsthochschule auch nur ein müdes Lächeln für meine Frage übrig, ob im Rahmen der Ausbildung an seinem Institut den Künstler*innen auch unternehmerische Fähigkeiten unterrichtet würden. »Ich glaube, das Unternehmerische bei einem bildenden Künstler einzufordern ist eigentlich fast überflüssig, weil das ja ein Beruf ist, der extreme Risiken eingeht, wenn man sich dafür

14 Im Rahmen der vorliegenden Arbeiten wurden keine Interviews mit Kreativen durchgeführt, die an solchen Orientierungsberatungen teilgenommen haben. Mein Eindruck bezieht sich aus der teilnehmenden Beobachtung zahlreicher Informationsveranstaltungen zum Thema »Gründen«, politischer Veranstaltungen zum Thema sowie aus Interviews mit Leitern von Lehrinstituten, in denen Kreative ausgebildet werden.

252 | KREATIVPOLITIK entscheidet. Weil die Kriterien sind ja so offen. Kunst verändert immer wieder den Bezugsrahmen, was Kunst ist und insofern ist es ja auch kein Zufall. Es gibt viele Texte darüber, die in dem Künstler schon einen »Entrepreneur« sehen. Und insofern, glaube ich, ist es fast überflüssig. Und dazu kommt auch nochmal was anderes: Denn natürlich ist es erst mal ein EinmannUnternehmen. Man kann natürlich dann sehen, wie organisiert man eigentlich seine Arbeit. Das sieht man, das lernt man am besten von anderen Künstlern und nicht von einem Unternehmensberater. Weil man entscheidet sich ja dann oder entwickelt eine spezifische künstlerische Praxis, einen bestimmten Ansatz, der kann natürlich ganz unterschiedlich funktionieren. Also wenn man jetzt an Produktion denkt. Es gibt viele Künstler, die haben gar kein Atelier. [...] es [gibt] ganz andere, [...] die Mitarbeiter haben, also wo das im Prinzip funktioniert wie in einer kleinen Firma. [...] Nur da ist eben der Bezugsrahmen ganz anders, die Diskussion ist eine andere und endet natürlich viel experimenteller und weniger in diesem Wust von Paragraphen und Rechtsformen eingebettet.« (Interview 22 mit dem Rektor der Städelschule in Frankfurt vom 28.09.2011, Para. 67).

Die Wertproduktion aus Ideen gewinnt in Zeiten immaterieller Produktion an Bedeutung, was ein Grund dafür ist, warum die Kunst immer wieder als Vorbild gesehen und in Verbindung mit Kreativwirtschaft gebracht wird. In diesen Produktionspraktiken ist die Linie zwischen dem Ökonomischen und der Kunst, dem materiellen und ideellen Wert nicht mehr klar zu ziehen. So gesehen ergäbe es für viele Kreative auch keinen Sinn, ihre ›künstlerischen‹ von ihren ›unternehmerischen‹ Verwertungsstrategien zu trennen. Anders als klassische Arbeiter*innen können kulturelle Unternehmer*innen ihr professionelles nicht klar von ihrem persönlichen Selbst trennen. Insofern ist Profilbildung immer auch Markenbildung am eigenen Selbst. Im Gegensatz zu einer solchen Logik, die in Künstler*innen und Kreativen einen besonderen Unternehmer*innentypus sehen, lehnt eine zweite Logik die Zuschreibung als Unternehmer*in in diesem Bereich gänzlich ab und plädiert für eine Konzeption von Künstler*innen und Kreativen als Wissensarbeiter*innen, die sich mit Prekarisierten aus anderen gesellschaftlichen Bereichen solidarisieren sollten. Im Jahr 2012 gab es gleich mehrere Versuche der Selbstorganisation von Künstler*innen und Kreativen sowie mehrere prominent besetzte Podien und Diskussionsveranstaltungen, die die Arbeitsbedingungen von Künstler*innen und Kreativen aus der Frankfurter Szene heraus zu thematisieren versuchten. Zu nennen sind hier beispielsweise der Recht-auf-Stadt-Kongress vom 16. bis 18. März 2012 sowie der daraus entstandene Versuch der Selbstorganisation von Künstler*innen und Kreativen, Aktivitäten der ›Freeclass‹ der Städelschule als ein Zusammenschluss politisch aktiver Studierender der Hochschule für Kunst in Frankfurt, eine Veranstaltung zu den Arbeitsverhältnissen in der Gegenwartskunst im Institut für vergleichende Irrelevanz am 24. Juni 2012 oder die von ›Nitribitt – Frankfurter Ökonomien‹ organisierte Veranstaltung zur »Lage der Kulturarbeitenden zwischen Kreation und Depression« am 19. Januar 2012 im Künstlerhaus Basis. In der freien Szene der Kreativen, die auf

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diesen Veranstaltungen zugegen sind, gibt es einen erheblichen Teil an Alleinselbstständigen und Freiberufler*innen, die künstlerische und ökonomisch rentable Projekte machen. Bei einem politischen Organisierungstreffen im Nachgang zum Rechtauf-Stadt-Kongress in Frankfurt am 17. Mai 2012 von Künstler*innen und Kreativen im Studierendenhaus in Bockenheim sind die sich überkreuzenden Subjektpositionen, die eine kreative/künstlerische Erwerbsbiographie kennzeichnen, Gegenstand der Debatte. Die Anwesenden argumentieren, dass es ihnen nicht darum ginge, den künstlerischen Teil ihrer Arbeit besser zu vermarkten, sondern vielmehr mit unternehmerischen oder abhängig beschäftigten Tätigkeiten so viel Geld zu verdienen, dass ihnen hinreichend Freiraum für künstlerisches und freies Schaffen bleibt. Da sie häufig von den künstlerischen Projekten nicht leben können, finanzieren sie diese mit sog. ›Brotjobs‹, d. h. nicht-kreativen Tätigkeiten oder mit gut bezahlten Projekten in der Kreativwirtschaft wie z. B. Werbefilmen. Diese Künstler*innen und Kreativen sind zwar häufig sehr prekär, diese Art des Arbeitens aber schafft ihnen Freiräume, in denen sie nicht jede ihrer Schöpfungen einpreisen und vermarkten müssen und dies häufig auch nicht wollen, weil sich in diesen Freiräumen interessante Möglichkeiten des Austausches und der Selbstverwirklichung ergeben (vgl. Feldnotiz vom 17.05.2012). Die ›Freeclass‹ der Städelschule geht noch einen Schritt weiter und lehnt den Unternehmer*innenbegriff ab. Auf der Veranstaltung im Institut für vergleichende Irrelevanz am 24. Juni 2012 plädiert sie unter dem Motto »jede Kunst ist ideologisch, die ihre Produktionsbedingungen nicht mitreflektiert« für ein Verständnis von Künstler*innen als Arbeiter*innen, für Solidarität mit anderen prekarisierten Gruppen und für künstlerische und politische Freiräume. Diese Räume können für sie Museen, Galerien, Atelierhäuser wie Basis oder Atelier Frankfurt, Kunst-OffSpaces wie die Ölhalle und Zentrum für interdisziplinäre Prozesse in Offenbach oder bis vor kurzem das Lola Montez in Frankfurt, gesellschaftspolitische oder gemeinnützige Projekte wie das antagon Theater, Festivals gegen Abschiebung oder politische Räume wie das Klapperfeld oder bis vor kurzem das Institut für vergleichende Irrelevanz sein, in denen versucht wird, kapitalistische Verwertungszusammenhänge temporär zu durchbrechen (Feldnotiz vom 24.06.2012). 7.4.6 Zwischenfazit: Prekarisierung als öffentliche Aufgabe? Die genannten Techniken zur Aktivierung unternehmerischen Handelns wie Beratung und coaching, human branding, Selbstmarketing, Stärken-Schwächen-Analysen, Networking, Selbstpräsentationen wie Pecha Kucha entstammen hauptsächlich aus dem Bereich der neuen Managementtechnologien. Diese kennzeichnen sich in erster Linie dadurch, dass sie Hierarchien in Richtung Teamarbeit, Weisungen in Richtung von Selbstverantwortung und reproduktive Tätigkeiten in Richtung kreativer Arbeit verschieben. Der Freiheitsgewinn des arbeitenden Individuums geht mit

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seiner gleichzeitigen Responsibilisierung, der Individualisierung von Risiko und Prekarisierung einher. In der Fallstudie zeigt sich, wie sich zwei Steuerungsregime miteinander verzahnen. Erstens ist der Übergang von einem versorgenden Sozial- zu einem aktivierenden Wettbewerbsstaat als Ursache für aktivierende, sanktionierende und qualifizierende workfare-Maßnahmen, wie sie in Deutschland beispielsweise durch die Hartz -Reformen eingeführt wurden, zu beobachten. Zweitens werden Strategien, Technologien und Techniken, die Unternehmen anwenden, um kreatives Potenzial effektiver freizusetzen und ökonomisch zu verwerten, in der Stadtpolitik implementiert (vgl. Kapitel 4.4). Kreativpolitisches Handeln bedeutet dann nicht zwangsweise einen Rückzug von Staatlichkeit, der Kreative zu einem Selbstunternehmer*innentum mit erhöhter Verantwortung für das eigene Gelingen oder Scheitern zwingt. Es wurde gezeigt, wie systematisch lokale Institutionen wie Wirtschaftsförderung, Kulturamt, HessenInvestFilm, das rkw-Hessen, Basis, Kompass oder Frankfurt School Financial Services im Rahmen neuer städtischer Steuerungsmodelle (governance-Prozesse) Strategien, Technologien und Techniken aus der Privatwirtschaft aufnehmen, um die Selbstaktivierung von Marktkräften bei Kreativen – und vor allem bei Alleinselbstständigen – zu aktivieren. Auf diese Weise wird nicht nur Kreativität zu einem Objekt städtischer Regierung. Im Zuge der Inkorporierung von Managementstrategien aus Unternehmen in die städtische governance-Praxis wird auch Kreativität zu einer urbanen Regierungsstrategie. Kreativität wird also nicht nur als Gegenstand, sondern es wird auch durch Kreativität als Führungsrationalität regiert.

7.5 E VALUATION DER M ASSNAHMEN – D IE A RTIKULATION DER F RANKFURTER K REATIVWIRTSCHAFT ALS GLOBALES P ROJEKT Mit dem Beschluss, die Kreativwirtschaft zu fördern, hatte die Stadtverordnetenversammlung auch festgesetzt, der Magistrat müsse »alle zwei Jahre einen Bericht vorlegen, in dem a) die städtischen Maßnahmen zur Förderung der Kreativwirtschaft in Frankfurt dargestellt werden, b) die bisher getroffenen Maßnahmen – sofern diese Aussagen jeweils im konkreten Stadium der Umsetzung sinnvoll bzw. empirisch belastbar sind – hinsichtlich ihrer Wirksamkeit evaluiert werden, c) die Entwicklung der Kreativwirtschaft in Frankfurt beispielhaft mit der Entwicklung in anderen Städten verglichen wird« (Stadtverordnetenversammlung Frankfurt 2008). Die Erstellung dieses als Kreativwirtschaftsreport betitelten Schriftstücks obliegt laut Magistratsbeschluss dem neuen Kompetenzzentrum Kreativwirtschaft. Wie sich im Folgenden zeigen wird, trug nicht nur die Implementierung von Maßnahmen maßgeblich zum

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Performativwerden des kreativpolitischen Skripts bei, sondern auch der Prozess ihrer Evaluierung, der abschließend näher betrachtet werden soll. 7.5.1 Der Kreativwirtschaftsreport – Noch einmal die Frage der Messbarkeit Die Umsetzung der im Kreativwirtschaftsbericht beschlossenen Maßnahmen zur Förderung der Kreativwirtschaft werden alle zwei Jahre in sogenannten Kreativwirtschaftsreporten evaluiert. Die Entstehung des ersten Reports für die Jahre 2009/2010 fiel exakt in die Zeit meiner teilnehmenden Beobachtung im Kompetenzzentrum Kreativwirtschaft der Wirtschaftsförderung Frankfurt im Frühjahr 2011, an dessen Erstellung ich in diesem Rahmen mit beteiligt war. Neben einem Bericht über die Tätigkeiten des Kompetenzzentrums sollte der Report auch einen Überblick über die Entwicklung »der Zahlen« umfassen. Die Idee war, die Zahlen, die der Kreativwirtschaftsbericht geliefert hatte, einfach fortzuschreiben. Das bedeutete, mindestens den Anteil der kreativwirtschaftlichen Unternehmen und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Frankfurt nach Teilbereichen darzustellen und mit dem Bundesdurchschnitt sowie mit den Zahlen konkurrierender Standorte wie Hamburg, Köln, München und Berlin zu vergleichen. Im Rahmen der Arbeit an dem Report stellte sich die Frage nach der Definition ›der‹ Kreativwirtschaft erneut. Denn in der Zwischenzeit empfahl das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie eine neue einheitliche, allgemein gültige Definition der Kultur- und Kreativwirtschaft (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2009). Dies war die »Statistische Neu-Abgrenzung der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland nach der neuen Wirtschaftszweigklassifikation 2008 (WZ2008)«15 (ebd., S. 31) nach Teilbereichen und nach Teilmärkten. Bei den Abwägungen, ob man für den Kreativwirtschaftsreport 2009/2010 auf die bereits bekannte Klassifikation aus dem Kreativwirtschaftsbericht von 2008 zurückgreifen, oder ob man eine neue Klassifikation nehmen sollte, entschied sich die Wirtschaftsförderung ohne zu zögern für die neue Wirtschaftszweigklassifikation von 2008 und zwar in der Abgrenzung nach Teilbereichen (vgl. Abbildung 9).

15 Die Wirtschaftszweigklassifikation wiederum geht auf die europäische NACE Rev.2-Klassifikation zurück. NACE steht für »Nomenclature statistique des Activités économiques dans la Communauté Européenne« und ist die statistische Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft (vgl. Söndermann et al. 2009, S. 32).

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Abbildung 9: Definition der Kultur- und Kreativwirtschaft nach Teilbereichen 1. Verlagsgewerbe

5. Kulturelle Wirtschaftszweige

9. Design

2. Filmwirtschaft

6. Bibliotheken und Museen

10. Werbung

3. Musikwirtschaft

7. Handel mit Kulturgütern

11. Software/Games

4. Rundfunkwirtschaft

8. Architektur

Statistische Neu-Abgrenzung der Kultur- und Kreativwirtschaft nach Teilbereichen in Deutschland nach der neuen WZ 2008, Grafik: Elke Alban, Quelle: ebd., S. 31 und Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2011

Der Kreativwirtschaftsreport zählte 7.029 kreativwirtschaftliche Betriebe für das Jahr 2011 nach der IHK-Betriebsstatistik und 24.226 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte für das Jahr 2010 in Frankfurt (ebd., S. 8, vgl. auch Tabelle 4). Zum Vergleich: der Kreativwirtschaftsbericht 2008 zählte 8.581 kreativwirtschaftliche Betriebe und 29.921 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte für das Jahr 2006 in Frankfurt (Berndt et al. 2008a, S. 25, vgl. auch Tabelle 4). Der erhebliche Unterschied zwischen beiden Zahlen legt auf den ersten Blick eine Rezession nahe. Die Differenz aber ist nicht allein mit konjunkturellen Schwankungen zu erklären16 , auch wenn vor allem die Werbebranche nach dem Platzen der dot.com-Blase 2001 sowie der Wirtschaftskrise mit deutlichen Rückgängen zu kämpfen hatte, die sich aber in den Jahren darauf schnell wieder erholten. Ein entscheidender Grund für die Differenz zwischen den Zahlen liegt in den unterschiedlichen Definitionen, die beiden Zahlenpaaren jeweils zugrunde liegen. Die Abgrenzung nach neun Arenen der Kreativwirtschaft, wie sie der Kreativwirtschaftsbericht vornimmt, ist umfassender als die Definition nach 11 Teilbereichen der Kreativwirtschaft, wie sie im Kreativwirtschaftsreport für die Jahre 2010/2011 verwendet werden.

16 Leider liegen keine direkten Vergleichszahlen für die Jahre 2005, 2006, 2010 und 2011 vor. 2006 wurden nach der ›9-Arenen-Definition‹ 29.921 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Frankfurt gezählt, 2007 nach der ›11-Teilbereiche-Definition‹ 24.337. Diese große Differenz resultiert – in einer Zeit als sich die Branche in einer Aufschwungphase befand – in erster Linie aus den unterschiedlichen zugrundeliegenden Definitionen.

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2005

KWB 2008 Arenen

4,06

2006

KWB 2008 Arenen

2007

KWR 11/12 Teilmärkte

2008

KWR 09/10 Teilbereiche

2013

Geringfügig Beschäftigte

Anzahl der Betriebe (IHK-Statistik

Anzahl der Betriebe (Bundesagentur für Arbeit)

Sozialversicherungs-pflichtig Beschäftigte 29.921

4.757

21.382

5.887

24.067 5,32

1.580

5,40

1.565

6,08

1.532

22.714

5.869

24.335 22.924 7.247

KWR 09/10 Teilbereiche KWR 11/12 Teilmärkte

2012

1.549

KWR 09/10 Teilbereiche KWR 11/12 Teilmärkte

2011

5,21

KWR 09/10 Teilbereiche KWR 11/12 Teilmärkte

2010

4.463 8.581

KWR 11/12 Teilmärkte 2009

Anzahl der Unternehmen (Umsatzsteuerstatistik)

Umsätze in Mrd. Euro

Tabelle 4: Verfügbare Zahlen zur Kreativwirtschaft in Frankfurt

1.517 6,12

24.226 22.726

7.029

5.504 4.187

24.625

1.535

23.091

KWR 09/10 Teilbereiche

1.551

25.757

KWR 11/12 Teilmärkte

1.573

23.990

5.043

24.820

3.850

Hessen 2014 Teilmärkte

Erläuterung: KWB 2008 Arenen KWR 09/10 Teilbereiche KWR 11/12 Teilmärkte Hessen 2014 Teilmärkte

Schwarze Hervorhebung

4.245

Kreativwirtschaftsbericht 2008, Abgrenzung nach Arenen (Berndt et al. 2008a) Kreativwirtschaftsreport 2009 – 2010, Abgrenzung nach Teilbereichen und WZ 2008 (Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2011) Kreativwirtschaftsreport 2011/2012, Abgrenzung nach Teilmärkten WZ 2008 (Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2014b) Kultur- und Kreativwirtschaft in Hessen – Datenreport 2014, Abgrenzung nach Teilmärkten wie oben (Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung und HA Hessen Agentur GmbH 2014) Zahlendifferenzen aufgrund der unterschiedlichen zugrunde gelegten Definitionen

Quellen: Berndt et al. 2008a, Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2011, Statistisches Landesamt Hessen 2014; eigene Darstellung

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Im Gegensatz zum Kreativwirtschaftsbericht von 2008 erfasst der Kreativwirtschaftsreport 2010/2011 weder Umsätze, Unternehmenszahlen, geringfügig Beschäftigte oder in der Künstlersozialkasse registrierte. Dabei stellen gerade die Umsatzzahlen einen sehr starken Indikator für die wirtschaftliche Lage der Branche dar und der Anteil der geringfügig Beschäftigten sowie die Anzahl derer, die in der Künstlersozialkasse versichert sind, stellen sehr aussagekräftige Indikatoren zur Messung der Qualität der Arbeitsplätze in der Branche dar. Anfang 2013 stand der nächste Kreativwirtschaftsreport 2012/2013 an, an dessen Erstellung ich wieder gebeten wurde mitzuhelfen. Zunächst wurden die aktuellen Zahlen zu den Teilbereichen der Kreativwirtschaft für Frankfurt, des Bundes und der als Konkurrentinnen wahrgenommenen Städte wie Hamburg, Berlin, München, Köln, Düsseldorf und Offenbach angefragt und deskriptiv statistisch aufgearbeitet. Während der Arbeit stellte sich die Definitionsfrage aber erneut, da deutlich wurde, dass sich in der Zwischenzeit die Abgrenzung nach der Wirtschaftszweigklassifikation WZ2008 sowie eine Aggregation nach Teilmärkten durchgesetzt hatte, die Kreativwirtschaftsexpert*innen unter der Federführung von Michael Söndermann vom Büro für Kulturwirtschaftsforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie Ende 2009 erarbeitet hatten (Söndermann et al. 2009, S. 23, vgl. auch Söndermann 2009, S. 44, vgl. Abbildung 10). Diese Definition nach Teilmärkten der Kreativwirtschaft wurde in Erwägung gezogen. Aber auch sie erwies sich als veraltet. Bis 2012 waren immer noch Unterschiede zwischen den Klassifikationen einzelner Städte- und Regionen zu erkennen. Abbildung 10: Definition der Kultur- und Kreativwirtschaft nach Teilmärkten 1. Musikwirtscha

5. Rundfunkwirtscha

9. Pressemarkt

2. Buchmarkt

6. Markt für darstellende Künste

10. Werbemarkt

3. Kunstmarkt

7. Designwirtscha

11. Soware-/ Games-Industrie

4. Filmwirtscha

8. Architekturmarkt

12. Sonsge

Gültiges Modell zur statistischen Abgrenzung der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland 2011nach neuer WZ-2008, Grafik: Elke Alban, Quelle:Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2012b, S. 75 und Wirtschaftsförderung Frankfurt 2014b

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2012 schlägt Söndermann (2012, S. 3) im Auftrag der Wirtschaftsministerkonferenz eine Anpassung der WZ 2008er-Klassifikation bis auf eine 5-stellige Tiefengliederung vor, die im Vergleich zur Vorgängerdefinition auch beispielsweise die Herstellung von Musikinstrumenten umfasst. Diese Definition legt auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie für seinen »Monitoringbericht zur Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland 2011« zugrunde (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2012b, S. 75). Aber auch dieser Definitionsversuch stellt nicht das letzte Wort in der Debatte über die Grenzen der Branche dar: Derweil wird auf EU-Ebene im Rahmen der Initiative ESSnet-Culture weiter an einer Abgrenzung gearbeitet, die deutsche Handwerkskammer fordert die Aufnahme von bestimmten Gewerken in die Definition. Problematisch wird nach wie vor die Einbeziehung der Software-Industrie gesehen, in der laut Flögel et al. (2011) nur 14 Prozent der Beschäftigten in kreativen Bereichen arbeiten und die gleichzeitig einer der Treiber der Kultur- und Kreativwirtschaft darstellt. Obwohl die Auswertung der kreativwirtschaftlichen Daten für Frankfurt nach der alten Gliederung in Teilbereiche bereits fast abgeschlossen war und die Fertigstellung des Berichts drängte, war auch hier unumstritten, dass man die neue gültige Definition anwenden sollte. Schlussendlich wurde für den neuen Kreativwirtschaftsreport 2012/2013 (Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2014b) die Söndermann’sche Definition der 11 Teilmärkte nach der WZ2008 von 2012 (Söndermann 2012) verwendet, wie sie auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie aktuell verwendet (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2012b, S. 75, siehe Abbildung 9). Nachdem das Bundesamt für Statistik die Daten nach dieser Abgrenzung geliefert hatte, ging die Erstellung des Berichts in die nächste Runde. Diesmal wurden neben den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auch die geringfügig Beschäftigten berücksichtigt und versucht, konjunkturelle Schwankungen über Zeitreihen seit 2007 abzubilden. Mit der Abgrenzung nach neun Arenen der Kreativwirtschaft hatte der Kreativwirtschaftsbericht 2008 eine Definition erarbeitet, die sehr gut zu den lokal artikulierten Bedürfnissen der Stadt passte: Er war an die damals gültige hessische Definition der Kulturwirtschaft anschlussfähig und schloss die lokal starke Software-Branche mit ein (vgl. Kapitel 6.2). Es wäre einfach gewesen, diese bestehende Definition im Zuge der Erstellung der Kreativwirtschaftsreporte zu übernehmen, auch hätte sich dadurch eine Vergleichbarkeit mit den Zahlen des Kreativwirtschaftsbericht von 2008 ergeben, aus dem sich Trends hätten ablesen lassen. Warum aber entschloss man sich ohne größeres Zögern dafür, die jeweils neueste Definition zugrunde zu legen? Die Arbeit mit der jeweils neuesten Definition stellte die Wirtschaftsförderung vor große Hürden: Wie genau funktioniert die Definition, wo finde ich sie, welche Wirtschaftszweigklassen umfasst sie genau, ist es besser nach Teilbereichen oder nach Teilmärkten abzugrenzen, welche Genauigkeit liegt der Definition zugrunde, ist

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es die zwei-, vier- oder fünfstellige Wirtschaftszweigklassifikation, wer hält überhaupt die richtigen Daten bereit, ist das die IHK, das Statistische Landes- oder Bundesamt? Eine jede dieser Fragen, bedurfte eingehender Prüfung, was für das knapp besetzte Kompetenzzentrum im operativen Geschäft eine nicht zu unterschätzende Belastung darstellte. Die nächste Reihe an Überlegungen wurde von Fragen begleitet wie: Was sagen die Zahlen überhaupt aus, wie muss ich sie auswerten, welche Schlussfolgerungen sind legitim, welche Daten wollen wir überhaupt darstellen? All diese Fragen, die die Verfasser*innen der Kreativwirtschaftsberichts 2008 bereits geklärt hatten, galt es nun noch einmal zu erwägen. Der betriebene Aufwand verwundert aber noch aus einem weiteren Grund. Der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, der die Erstellung eines Berichts im zwei Jahresrhythmus festlegt, erfordert ein solch aufwendiges statistisches Berichtswesen, wie es das Kompetenzzentrum betreibt, gar nicht. Gefordert ist ein klassischer Tätigkeitsbericht, in dem »a) die städtischen Maßnahmen zur Förderung der Kreativwirtschaft in Frankfurt dargestellt werden« (Stadtverordnetenversammlung Frankfurt 2008). Der Bericht leistest dies in Form einer textlichen Beschreibung der umgesetzten Maßnahmen (siehe Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2011, S. 17). Darüber hinaus ist gefordert, dass »b) die bisher getroffenen Maßnahmen – sofern diese Aussagen jeweils im konkreten Stadium der Umsetzung sinnvoll bzw. empirisch belastbar sind – hinsichtlich ihrer Wirksamkeit evaluiert werden« (Stadtverordnetenversammlung Frankfurt 2008). Das bedeutet, es sind nur die getroffenen Maßnahmen der Wirtschaftsförderung und des Wirtschaftsdezernats, nicht aber die gesamte Performance der Kreativwirtschaft in der Stadt Frankfurt darzustellen und zu evaluieren. Drittens und letztens wird gefordert, dass »c) die Entwicklung der Kreativwirtschaft in Frankfurt beispielhaft mit der Entwicklung in anderen Städten verglichen wird« (ebd.). Aber auch aus dieser Arbeitsaufgabe ergibt sich keine Verpflichtung zu einem statistischen Vergleich, es hätte auch eine qualitative Herangehensweise gewählt werden können. Mehr noch: Die Leiterin des Kompetenzzentrums betont selbst, dass die im Kreativwirtschaftsreport dargestellten Zahlen, die Tätigkeiten des Kompetenzzentrums gar nicht abbilden, weil sich der Tätigkeitsbereich der Wirtschaftsförderung nur auf einen kleinen Teil der elf im Bericht dargestellten Branchen bezieht: »… wenn man sich die Zahlen dieser elf Branchen anschaut, dann sind dies wirklich nur statistische Zahlen, die Auskunft darüber zu geben, wo der gesamte Bereich bzw. einzelne Teilmärkte stehen. Diese Zahlen kann man interpretieren und mit anderen Teilmärkten ins Verhältnis setzen und Vergleiche ziehen. Da wir nach der offiziellen Definition die Statistik erheben, bilden wir in unseren Berichten den gesamten Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft ab. So können wir uns auch mit anderen Standorten vergleichen. Aber wir haben natürlich in den kulturellen Wirtschaftszweigen ganz stark die Kultur drinnen. Das ist wie gesagt ein Bereich, in dem wir als Kompetenzzentrum gar nicht aktiv sind. Dann haben wir im Bereich ›Software/games‹ auch die Software mit drinnen, obwohl wir uns sehr speziell nur um die games-

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Wirtschaft kümmern, weil wir sagen: das ist eher der kreative Part. Dann haben wir natürlich Selektivbereiche, das heißt auch im Verlagswesen ist es so, dass wir eine ganz starke Kulturförderung für das Thema ›Verlag und Literatur‹ haben. Wir haben jedoch gar keine Kapazität, jetzt auch noch aus Wirtschaftsförderungssicht uns explizit um die Verlage zu kümmern. Wir haben die Kapazitäten nicht und auch gar keine Mittel. Das passiert ganz stark im Kulturamt. Aber wir als Wirtschaftsförderung sind da nur selektiv zu Gange, wir haben natürlich einen besonderen Fokus auf die kreativwirtschaftlichen Teilmärkte gelegt [...], da sich in diesen Teilmärkten der Fokus unserer Arbeit abspielt.« Interview 27, Para. 37 – 38

Den Schlüssel zur Erklärung all dieser Mühen gibt die Leiterin des Kompetenzzentrums selbst: Der Tatsache, das eigene Abschneiden bundesweit, wenn nicht gar europaweit, vergleichen zu können, wird größere Bedeutung zugemessen als der Tatsache, die eigene Leistung im Tätigkeitsbericht adäquat abbilden zu können oder die aktuellen Zahlen mit denen der Vorjahre vergleichen zu können. »Sicherlich könnten wir auch anders arbeiten, aber letztendlich ist natürlich eine Vergleichbarkeit immer – auch von politischer Seite – gewünscht und erwünscht. Das heißt ein Vergleich wie stehen wir gegenüber anderen Standorten da? Oder wie steht die Branche innerhalb des Standortes da? Wie ist letztendlich die Konkurrenzsituation, das heißt auf nationaler, eventuell sogar auf internationaler Ebene? Dies alles kann man nur entsprechend abbilden, wenn man wirklich Äpfel mit Äpfeln vergleicht und nicht Äpfel mit Birnen, ganz einfach gesprochen.« (ebd., Para. 87 – 90)

Der Vergleich über eine standardisierte Definition erlaubt ein benchmarking mit anderen Standorten. Hier findet wieder eine Vermischung von der Analyse – »was haben wir gemacht und wo stehen wir« – mit einer Prognose und normativen Handlungsanweisungen – »Frankfurt soll im Wettbewerb der Städte ganz vorne mitspielen« – statt. Genau diese Vermengung ist die Politik der vorgeblich unschuldigen Zahl. Indem sie für eine solche, implizit normative Handlungsanweisung mobilisiert wird, verliert sie die Neutralität des Faktischen und wird politisch, auch wenn dies die vermeintlich objektive Form des Berichtswesens verdeckt. 7.5.2 Was Statistik sichtbar macht: Kesselwagen, Knabberartikel, Krawatten … aber keine Kreativität! Nicht nur für die Wirtschaftsförderung, sondern auch für die IHK stellt sich das Problem der Darstellbarkeit ›der Kreativwirtschaft‹. Sie erfasst ihre Mitglieder nach der NACE-Klassifikation. In seiner Arbeit sei das Thema ›Kreativwirtschaft‹ in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden berichtet ein Mitarbeiter der IHKFrankfurt. Das Problem aber für ihn sei, die Branche in Frankfurt sichtbar zu machen.

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Dafür bedürfe es Zahlen und Statistiken. Diese würden zwar über die Mitglieder der IHK erhoben, sie lägen aber nicht in einer Form vor, die Aussagen über ›die Kreativwirtschaft‹ zuließe, wie sie der Kreativwirtschaftsbericht in Frankfurt vorschlägt. Auf meine Frage, ob die IHK Frankfurt Zahlen über die lokale Kreativwirtschaft habe, antwortet er: »Ja, ich sage Ihnen aber gleich, dass für die Kreativwirtschaft natürlich die Statistiken sehr mies sind, was nicht an uns liegt, sondern einfach an der schwierigen Einschätzung. Auf der einen Seite liegt es daran, dass die [mit der Anpassung der, I. D.] NACE-Codes nicht nachkommen. [...] Wir arbeiten nur mit NACE-Codes [...] Ja, wir können nicht mehr als das erfassen. [...] Also, das ist schon genormt und alles, was nicht aus dieser Norm kommt, das interessiert nicht. Der NACE-Code, der ist ja europaweit der gleiche, damit man das vergleichen kann.« (Interview 26 mit einem Mitarbeiter der IHK-Frankfurt vom 05.02.2013, Para. 107 – 112)

Die Branchen der Kreativwirtschaft lassen sich nicht hinreichend nach der im Kreativwirtschaftsbericht Frankfurt vorgegebenen Art und Weise abbilden, was für die IHK insofern ein Problem darstellt, weil sie diesen, in ihren Augen zunehmend wichtiger werdenden Bereich mit ihren Daten nicht repräsentieren kann. Als NACE-Klassifikation »gibt es zum Beispiel: Herstellung von Erfrischungsgetränken, Gewinnung natürlicher Mineralwässer. Aber diese Unterklasse umfasst nicht Herstellung von Obst- und Gemüsesäften, Herstellung von Erfrischungsgetränken aus Milch, Herstellung von Erzeugnissen aus Kaffee, Tee und Mate. Da kann man mal sehen, also es gibt für die Herstellung von Erfrischungsgetränken aus Erzeugnissen aus Kaffee, Tee und Mate ein eigenes Verzeichnis. Bei diesen Industriegeschichten ist das alles super. Beim Einzelhandel: Es gibt einen Aquaristikbedarf, Sportbedarf und so. Deswegen, man kann ganz genau sagen: So und so viele Einzelhändler, sogar Möbeleinzelhändler gibt es. Und wenn man dann in die Kreativwirtschaft geht, da gibt es dann nichts mehr. [...] Ich bin mal gespannt ob ›Kreativ‹ überhaupt vorkommt, wahrscheinlich überhaupt nirgendwo … Kartoffelsnacks hat eine eigene … Kassava, Kesselwagen, Knabberartikel, Komponisten haben auch was eigenes, Kreditinstitute, Kreditbanken, Krawatten. Da gibt es nichts!« (ebd., Para. 120 – 122) In der NACE-Klassifikationslogik wie sie die IHK verwendet ist es also schwierig, die Kreativwirtschaft abzubilden. Ohne einheitliche Definition ist es schwierig, »die Kreativwirtschaft« als identifizierbare Gruppe zu konstituieren, die angesprochen und repräsentiert werden kann. Die Herstellung von Konvergenz zwischen der im Kreativwirtschaftsbericht vorgeschlagenen Politik, wie sie von der Stadtverordnetenversammlung verabschiedet wurde, ist ebenso schwierig umzusetzen, wenn eine einheitliche Adressat_innengruppe fehlt. Diesen Umstand erläutert der IHKMitarbeiter sehr anschaulich am Beispiel Games:

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»Und gerade zum Beispiel Games. Wie ist das Computerspiel? Ist das jetzt Computerspiel, müsste ich mal gucken, was das ist. Computerspiele, oder ist das jetzt Games. [...] Gamaschen gibt es, ne. Games gibt es nicht. Mal gucken, ob es Computerspiele gibt. Computerspiele ... 5.8.2.1.0: ›Verlegen von Computerspielen‹. Diese Unterklasse umfasst ›Verlegen von Computerspielen für sämtliche Plattformen‹. So, das ist aber nicht Deck 13, und das ist auch nicht Crytek. Das ist nämlich Sony, Atari, Nintendo – das sind nämlich die Verleger, die Publisher. Aber wir haben hier, in Frankfurt haben wir die Verleger, die Entwickler, die Kreativen, genau. Das Verlegen von Computerspielen ist nämlich nicht unbedingt, ist auch die Frage, könnte kreativ sein, vielleicht aber auch nicht. Das sind eben die Publisher [...] Aber die, die ganzen Entwickler sind da nicht drin. Das heißt ich habe keine Möglichkeit mit diesem NACE-Code die Entwickler herauszufinden. Die sind nämlich wahrscheinlich alle bei Software, und wenn ich genau nachgucke, sind die wahrscheinlich alle anders einsortiert. Weil, das mache natürlich nicht ich, ich sortiere die ja nicht ein, sondern das macht oben das Datenteam und da sitzen fünf Personen, die sozusagen alle Gewerbeanmeldungen aus Frankfurt bekommen und die das natürlich können. Aber die sagen natürlich auch: ›Ja was soll ich da machen? Ist das Software? Das ist dies oder das‹. Und das ist ein Problem.« (ebd., Para. 124)

Inwiefern Maßnahmen zur Förderung der Kreativwirtschaft gelingen können, hängt damit auch zentral damit zusammen, inwiefern es gelingt, auch in der Praxis durch ihre statistische Abgrenzung zu konstituieren und sie damit ansprechbar zu machen, sie zu Diskussionen und Veranstaltungen einladen und gemeinsame Interessen und Ziele artikulieren zu können, die als »die Kreativwirtschaft in Frankfurt« abbilden. Nur wenn es gelingt, eine bestimmte Definition von Kreativwirtschaft auch außerhalb von Wirtschaftsdezernat und Wirtschaftsförderung in der alltäglichen Praxis anderer städtischer Akteur_innen fest zu verankern, kann es gelingen, diesen der Kreativwirtschaft politisches Gewicht zu geben. Darüber hinaus ist die statistische Erfassung der Branche in Frankfurt zentral für die Evaluierung der Leistungsfähigkeit und die Einschätzung ihrer Potenziale, die politischer Förderung bedürfen. Last but not least, stellt eine statistische Erfassung, die Herstellung von interurbaner Vergleichbarkeit her, auf deren zentrale Rolle für die Kreativpolitik im nächsten Kapiteln näher eingegangenen wird. Das Beispiel der IHK zeigt, dass die Herstellung statistischer Konvergenz – trotz des vorhandenen Willens – nicht immer einfach ist. 7.5.3 Zwischenfazit: Rescaling Upwards – Frankfurt goes global Das in Kapitel 7.5.1 diskutierte Fallbeispiel zeigt, wie Frankfurt, vermittels Definitionen und Statistiken, nicht nur zu einem ›Standort für Kreative‹ (vgl. Kapitel 6.2), sondern mit der Übernahme einer national und international anschlussfähigen Definition auch Teil einer globalen Ökonomie wird. Dieser Prozess lässt sich als

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»rescaling upwards« (Schipper 2013, S. 332) bezeichnen. Hier zeigt sich Statistik ein weiteres Mal als Technologie, die ein »Regieren auf Distanz« (Miller und Rose 1992, S. 9, vgl. auch Kapitel 2.1.2) ermöglicht. Larner und Le Heron beschreiben benchmarking als eine »globalising practice« (Larner und Le Heron 2004, S. 227), die sich durch die Fähigkeit kennzeichnet, die Performance naher und ferner Orte über die Standardisierung der Messung mit einander zu verbinden. »Knowing the global through calculative practices is to place oneself a series of techniques and rationalities for engaging in the global economy on ›one’s own terms‹ at a distance.« (ebd., S. 219)

Benchmarking ist dabei kein neutrales Messwerkzeug, sondern eine Technik, die ihre eigenen Räume hervorbringt (ebd.) und Frankfurt in einem Knoten von Kreativstädten platziert. »[C]onstructing the global is not independent of local or national projects of various kinds. Thus, we cannot say the national and local are less relevant. Rather they are co-constitutive.« (ebd., S. 228)

Städte werden durch ihre Einbindung in ein globales/nationales benchmarking-System sich schnell »verändernder policy Netzwerke« (Peck und Theodore 2012, S. 22) Teil interurbaner Konkurrenz nach Marktprinzipien, weshalb es als »integral part of contemporary forms of rule« (Larner und Le Heron 2004, S. 218) bezeichnet werden kann. Der Imperativ einer marktförmigen Integration von Städten in eine interurbane Konkurrenz bleibt nicht ohne Folgen für die lokale Politik wie oben gezeigt wurde: »global imaginaries drawing on calculative practices may be less likely to prioritise social agendas« (ebd., S. 227). Der globale Wettbewerb und die mit ihm einhergehenden kalkulatorischen und technologischen Regime wie die deskriptive Statistik und das benchmarking sind in Frankfurt Teil unternehmerischer Stadtentwicklung (vgl. Mattissek 2008, Schipper 2013), die als Rationalität des Regierens bereits derart hegemonial geworden ist, dass sie von den beteiligten Akteur*innen der Wirtschaftsförderung selbst antizipiert wird, auch ohne, dass es einen dezidierten politischen Auftrag dazu gäbe. Das Ergebnis dieser Bemühungen stellen Grafiken wie Abbildung 11 dar. Die Grafik zeigt den Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Frankfurter Kreativwirtschaft im Vergleich mit anderen als kreativ betitelten Städten in Deutschland. Damit suggeriert sie, Frankfurt sei die sechst kreativste Stadt in Deutschland und desartikuliert erstens die Tatsache, dass überhaupt nur die Daten von sechs Städten in diese Statistik mit eingeflossen sind. Hätte man mehr Städte verglichen, sähe das Ergebnis sicherlich anders aus. Zweitens desartikuliert sie die

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Frage, inwiefern der Anteil sozialversicherungspflichtig Beschäftigter in der Kreativwirtschaft überhaupt ein sinnvoller Indikator zur Messung der kreativwirtschaftlichen Performance von Städten ist, weil in dieser Branche traditionell ein hoher Anteil geringfügig Beschäftigter oder Alleinselbstständiger arbeitet (vgl. Kapitel 4.3). Auf diese Weise wird der Anteil sozialversicherungspflichtig Beschäftigter zu einem benchmarking tool im interurbanen Wettbewerb, obwohl die Stadt Frankfurt in keiner ihrer kreativpolitischen Maßnahmen die Arbeitsverhältnisse in der Branche thematisiert. Abbildung 11: Frankfurts Position im Wettbewerb der kreativen Städte 8

Angaben in Prozent

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Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Kreativwirtschaft im Städtevergleich, Abbildung aus dem Kreativwirtschaftsreport 2009/2010, Grafik: Elke Alban, Quelle: Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH 2011, S. 13

Das Beispiel der IHK-Frankfurt illustriert, dass die Konstruktion von ›Kreativwirtschaft‹ und das Einklinken in den (inter-)nationalen interurbanen Wettbewerb davon abhängt, dass vergleichbare Zahlen generiert und in benchmarkings eingespeist werden müssen. Ohne solche statistische Größen scheitert das Sichtbarwerden und die Teilnahme am interurbanen Wettbewerb, der auf diese Weise gleichzeitig zum wichtigen Disziplinierungsmittel der lokalen Politikgestalt wird. Damit zeigt sich einmal mehr die zentrale Relevanz von Statistik für ein Regieren auf Distanz (vgl. Kapitel 2.1.2).

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7.6 Z WISCHENFAZIT : M ARKT , S TADT , P OLITIK – R EARTIKULATION STÄDTISCHEN R EGIERENS Im vorangegangenen Kapitel ist zum einen deutlich geworden, dass im Nachgang zum Kreativwirtschaftsbericht und der Gründung des Kompetenzzentrums Kreativwirtschaft zahlreiche Maßnahmen entstanden sind, die zu einer erhöhten Sichtbarkeit ›des Kreativthemas‹ geführt haben. Zu den Maßnahmen gehörten der Versuch der Erzeugung eines kreativen Images und einer höheren Sichtbarkeit der Stadt als ›Standort für Kreative‹ (vgl. Kapitel 7.1), die Schaffung von bezahlbaren Arbeitsräumen (vgl. Kapitel 7.2), das Nachdenken über neue Finanzierungsmodelle für die Kreativwirtschaft (vgl. Kapitel 7.3), die Förderung kreativen Unternehmertums (vgl. Kapitel 7.4) sowie die Evaluierung dieser Maßnahmen (vgl. Kapitel 7.5). Dabei wurde auch deutlich, dass im Zuge der Implementierung der Maßnahmen das kreativpolitische Skript, das in Kapitel 6 vorgestellt wurde, weiter performativ geworden ist, indem es sich in die Praktiken und Routinen nicht nur der Wirtschaftsförderung und des Wirtschaftsdezernats, sondern auch so unterschiedlicher Institutionen wie der Tourismus und Congress GmbH, der FrankfurtRheinMain GmbH, der WI-Bank Hessen und des Kultur- und Stadtplanungsamtes eingeschrieben hat. Das Performativwerden des kreativpolitischen Skripts hat in Frankfurt zu einer Kooperation von Institutionen geführt, die normalerweise nicht zusammenarbeiten wie z. B. die Deutsche Bank, das Beratungsunternehmen für die Kreativwirtschaft peacefulfish, die Berater*innen für die Kreativwirtschaft beim rkw-Hessen und vielen anderen. Dabei ist sichtbar geworden, dass das Skript in diesem Prozess zahlreicher Anpassungs- und Übersetzungsleistungen der einzelnen Akteur*innen in den Institutionen bedarf, um neue Rationalitäten des Regierens mit bereits etablierten artikulieren und harmonisieren zu können. Gleichzeitig ist auch sichtbar geworden, dass sich das Skript häufig nur dann durchsetzen konnte, wenn es mit bestehenden Rationalitäten vereinbar war. Ein gutes Beispiel hierfür lieferte der in Kapitel 7.1 dargestellte Versuch, eine gemeinsame und alle städtischen Institutionen umfassende Kreativimagekampagne auf Ebene der Stadt Frankfurt zu lancieren. Dieser Versuch scheiterte letzten Endes, weil sich im Wettbewerb der Städte das klassische Bild der internationalen Finanzund Bankenmetropole nach wie vor erfolgreicher vermarkten ließ als das Bild der kreativen Stadt. Die Artikulation des Kreativitätsskripts mit etablierten Formen unternehmerischer Rationalität erfolgte im Bereich der Erzeugung eines kreativen Images und Sichtbarkeit ebenfalls nicht ohne Reibung und partielles Scheitern – eine Vielzahl der Branchenevents, die die Wirtschaftsförderung unter dem Motto »Stärken stärken« (2011, S. 26, 2014b, S. 12) ins Leben gerufen hatte, wurden ab 2012 wieder eingestellt. Darüber hinaus ist deutlich geworden, dass das Kreativitätsskript Eingang in die Arbeit und Kampagnen der drei städtischen Institutionen FrankfurtRheinMain

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GmbH, Tourismus und Congress GmbH und Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH gefunden hat, die für die Repräsentation und Vermarktung des ›Standorts Frankfurt‹ zuständig sind. Bei allen drei Institutionen zeigte sich, dass ihre Organisationsform als GmbH und die damit einhergehende Beteuerung, ›marktwirtschaftlich handeln‹ zu müssen, zu einer Fokussierung auf diejenigen Kreativen führte, die als wirtschaftlich potent gelten. Das bedeutet, die Artikulation des Kreativitätsskripts mit etablierten Formen unternehmerischer Stadtpolitik – hier die Organisation der Verwaltung in Form von GmbHs – führte letzten Endes zu einer Verstärkung unternehmerischen Handelns. Darüber hinaus konnte eine Ausweitung der Marktsphäre dahingehend festgestellt werden, dass die ›immateriellen Produkte‹ von Künstler*innen und Kreativen, die die subkulturelle Szene der Stadt ›bereichern‹, in den städtischen Verwertungszyklus des Standortmarketings inkorporiert werden, ohne sie dafür auch angemessen zu entlohnen, wie es eine konsequente marktlogische Konzeptualisierung von Symbolproduzent*innen als kulturelle Entrepreneur*innen erfordern würde. Die Artikulation von Kreativpolitik mit unterschiedlichen etablierten Rationalitäten des Regierens erfordert das Aushandeln von Widersprüchen wie das Beispiel der Kooperation zwischen Kulturamt, Stadtplanungsamt und Wirtschaftsförderung zur Initiierung einer Leerstandsagentur, die bezahlbare Arbeitsräume für Kreative vermittelt, in Kapitel 7.2 gezeigt hat. Der Aushandlungsprozess mündete in die Desartikulation der allokativen Logik des Kulturamtes, die bis dato im Rahmen des Atelierprogramms Räume für freischaffende Künstler*innen bereitgestellt hat, zugunsten der Bereitstellung von Arbeitsräumen knapp unter der marktüblichen Miete, um die die Künstler*innen nun mit stärker marktwirtschaftlich arbeitenden Kreativen konkurrieren müssen. Die Tatsache, dass die zuständige Referatsleiterin im Kulturamt dennoch behauptet, den Kreativdiskurs für eigene Zwecke gebrauchen zu können, zeigt, dass Neoliberalisierung nicht als ein unidirektionaler Prozess zu verstehen ist, sondern als ein »Möglichkeitsfeld« (Foucault 2005 [1982], S. 285). Die Form der Regierung, die im vorliegenden Fallbeispiel beobachtet werden konnte, operiert auch über Freiheit. Dennoch aber folgt es – trotz aller Handlungsfreiheiten der Subjekte – doch grob dem Vektor der Regierung, den Foucault als die »Kunst« bezeichnet, »die Macht in der Form und nach dem Vorbild der Ökonomie auszuüben« (Foucault 2000 [1978], S. 49). Dass die lokalen Aushandlungen von unterschiedlichen Rationalitäten des Regierens niemals ausschließlich lokal sind, sondern Teil größerer Aushandlungsprozesse über verschiedene scales hinweg, hat die Aushandlung neuer Finanzierungsstrategien für Kreative in Kapitel 7.3 gezeigt. Das lokale und regionale Ringen zwischen einem eher marktliberalen und einem eher protektionistischen Ideal der Standortförderung muss im Kontext nationaler und internationaler Auseinandersetzungen um die Liberalisierung bzw. den Schutz kultureller Güter und Dienstleistungen gesehen werden. Hier zeigt sich, dass in einer globalisierten Welt der »fast mobile policies« (Peck

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2002, 2011) Regieren immer auch ein »Regieren auf Distanz« (Miller und Rose 1990, S. 9) ist, das internationale Entwicklungen auch auf lokaler Ebene aushandelt. Während für große Branchenevents viel Geld in die Hand genommen wurde, zeichnete sich die Förderung junger Unternehmer*innen in erster Linie durch die Vermittlung unternehmerischer Fähigkeiten aus, die gleichzeitig das Risiko einer zunehmenden Prekarisierung mit sich bringen. Hier konnte eine Verschiebung von unternehmerischen Anrufungs- und Führungspraktiken aus der freien Wirtschaft, wie sie in Kapitel 4.2 diskutiert wurden, in den Bereich öffentlicher Verwaltung beobachtet werden. Die Übernahme von Steuerungsmodellen aus der Wirtschaft in die Verwaltung ist ebenfalls von einer Vielzahl von Autor*innen als Prozess der Neoliberalisierung beschrieben worden (vgl. Peck und Tickell 2002, Harvey 1989a, Jessop 2002, Lebuhn 2007). Gleichzeitig wurde auch deutlich, dass ein solches unternehmerisches Staatshandeln und die mit ihm verbundenen Subjektivierungsversuche von Seiten unterschiedlicher politisch aktiver Gruppen nicht unwidersprochen bleiben. Die Analyse der Evaluierung der in Frankfurt implementierten kreativpolitischen Maßnahmen hat schließlich gezeigt, dass die Herstellung von Konvergenz mit dem Kreativitätsskript die beteiligten Akteur*innen vor große Herausforderungen stellt. Trotz enormer Mühen und Schwierigkeiten der Datenbeschaffung, Auswertung und Aufbereitung griff die Wirtschaftsförderung nicht auf die bereits im Kreativwirtschaftsbericht 2008 bewährte Definition zurück, sondern bereitete die Daten über Frankfurt nach der neuesten Kreativwirtschaftsdefinition auf, um Frankfurt mit anderen Standorten vergleichbar zu machen. Dies zeigt, wie wichtig es für unternehmerische Städte ist, sich in die internationalen policy- und benchmarking-Zyklen im Sinne eines »participating ›at a distance‹ in the globalising economy« (Larner und Le Heron 2004) und eines »rescaling upward« (Schipper 2013, S. 332) einzuklinken, um im internationalen Wettbewerb mitspielen zu können und dort auch wahrgenommen zu werden. Auch wenn das Andocken an internationale »fast policy networks«, wie Jamie Peck sie nennt (2011), nicht immer gelingt, wie die statistischen Erhebungsschwierigkeiten bei der IHK-Frankfurt zeigen, so zeigt das Fallbeispiel doch eine deutliche Tendenz in Richtung eines globalen policy benchmarkings, welches Larner und Walters als »global governmentality« (Larner und Walters 2004) eines neoliberalen Regimes bezeichnen (siehe auch Larner 2000, Larner und Le Heron 2004). Die zu Beginn dieses Kapitels gestellte Frage (siehe Kapitel 7, S. 202), warum es seitens der Politik und Verwaltung eine derartige Verunsicherung darüber gibt, was ›fördern‹ und ›unterstützen‹ bedeuten soll, kann nun vor dem Hintergrund der fünf in diesem Kapitel diskutierten Fallbeispiele wie folgt beantwortet werden: Politik und Verwaltung haben noch keine klaren Antworten und Alltagspraktiken gefunden, um mit den veränderten Rationalitäten und Subjektivierungsweisen umzugehen, die die Implementierung von Kreativpolitik mit sich bringt. Auf die während meiner teilnehmenden Beobachtung gestellte Frage, warum die Wirtschaftsförderung das Wort

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›fördern‹ nicht benutze, wurde mir geantwortet: »Dann denken alle, wir hätten Geld, wir haben aber keins« (Feldnotiz vom 28.03.2011). Das bedeutet in der Praxis symbolisiert der Begriff ›fördern‹ eine allokative Subventionspolitik, von der sich insbesondere die mit wirtschaftlichen Fragen betrauten Institutionen vehement abgrenzen. In der Außendarstellung der Wirtschaftsförderung Frankfurt beispielsweise wurde stets darauf geachtet, dass von ›der Wirtschaftsförderung Frankfurt GmbH‹ und nicht nur von ›der Wirtschaftsförderung Frankfurt‹ gesprochen wurde und auch der Webauftritt der Wirtschaftsförderung läuft unter dem Titel ›www.frankfurt-business.net‹. Diese Namenspolitik ist nicht zufällig, sondern zielt laut Angaben der Leiterin des Kompetenzzentrums darauf, in der Außendarstellung »nicht wie ein Amt rüberzukommen, sondern wie ein Partner oder eine Beratung« (Feldnotiz vom 08.03.2011). Wenn Politik als »Hebamme der Kreativen« (FR 2008d) bezeichnet wird, kommt ihr also nicht mehr die Aufgabe von kümmernden Eltern zu. In diesem neuen Selbstverständnis sollen die von Politik und Verwaltung ins Leben gerufenen Maßnahmen nur eine Geburtshilfe sein, die Unternehmen befähigt, aus eigener Kraft rentabel zu sein. Während der Begriff ›fördern‹ im Finanzwesen die Vergabe vergünstigter Kredite oder die Absicherung von Ausfallrisiken durch die öffentliche Hand bedeutet, wird er in Politik und Verwaltung mit dem Konzept des allokativen Staates verbunden. Letzteres soll bewusst vermieden werden, da Kreativpolitik keine allokative, sondern eine in hohem Maße aktivierende ist. Politik und Verwaltung steuern damit nicht mehr durch finanzielle Anreize, sondern beschränken ihr Handeln auf die Aktivierung unternehmerischen Handelns, die Vermittlung von Liegenschaften sowie auf Netzwerk-Aktivitäten und Standortmarketing-Kampagnen. Eine solche Politik stärkt vor allem diejenigen, die bereits über ein gut ausgebautes Netz an Kontakten sowie über hinreichende finanzielle Ressourcen verfügen. Die beteiligten Akteur*innen aus Politik und Verwaltung sind häufig mit einem Paradox konfrontiert: Denn einerseits scheint die Strategie, mit der Politik und Verwaltung in der unternehmerischen Stadt erfolgreich sind, klar formuliert, nämlich »mit dem, womit sich Politik am schwersten tut: indem man sich möglichst raushält« (Interview 20, Para. 19). Der ehemalige Leiter der Wirtschaftsförderung und Geschäftsführer der FrankfurtRheinMain GmbH sagt zur Rolle der Wirtschaftsförderung in der Kreativpolitik. »Also ich bin grundsätzlich der Meinung, dass Politik nicht aus einer kleinen Firma eine große machen, das kann nur die Firma selber. Das heißt, Verwaltungshandeln, politisches Handeln kann eben nur Rahmenbedingungen schaffen, um Wachstum zu ermöglichen. Und nochmal: Das heißt im Wesentlichen für mich raushalten, nicht einmischen.« (ebd., Para. 29)

Andererseits arbeiten viele der kreativpolitisch engagierten Akteur*innen auf Posten, die erst im Zuge der Neuordnung der Verwaltung unter neoliberalen Vorzeichen und im Zuge der Ausweitung unternehmerischer Stadtpolitik in Frankfurt geschaffen

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wurden. Das Kompetenzzentrum Kreativwirtschaft wurde erst im Nachgang des Beschlusses, die Kreativwirtschaft stärker fördern zu wollen, ins Leben gerufen und mit einer vollen neuen Stelle aufgestockt, die Stellen zur Beratung von Kreativunternehmer*innen wurden vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie eigens geschaffen und auch die FrankfurtRheinMain GmbH wurde 2005 zur besseren Vermarktung des Standortes Frankfurt im Ausland gegründet. Auch die Hessische Filmförderung ist mit einer Stelle bei der WI-Bank Hessen besetzt, im Nachgang zur Florida-Debatte bei den Grünen wurde eine Referatsstelle mit dem Schwerpunkt Kreativwirtschaft im Kulturamt eingerichtet und ein Schwerpunkt Kultur- und Kreativwirtschaft im Hessischen Wirtschaftsministerium und bei der HessenAgentur eingerichtet. Die Beispiele zeigen, dass die Forderung, die Politik solle sich raushalten, gleichzeitig mit einem Ausbau lokaler Verwaltung und ihre Führung nach unternehmerischen Prinzipien einhergeht, die eine solche Nicht-Einmischung organisieren soll. Das bedeutet, hier fndet ein Ausbau von lokalstaatlichen Verwaltungsstrukturen zur Förderung und Herstellung von marktförmigem Wettbewerb statt. Eine solche Entwicklung nennen Jamie Peck und Adam Tickell »roll-out-Neoliberalismus« (2002). Dieser stelle eine neue Phase der Neoliberalisierung dar, die den »roll-back-Neoliberalismus«, d.h. das Zurückfahren von Staatlichkeit zugunsten von Markt, ablöse. Staatshandeln konzentriert sich dann eher auf die Schaffung von Bedingungen, unter denen ›der Markt‹ besonders gut funktioniert, wie beispielsweise durch die Schaffung von Transparenz oder die Initiierung des Dialogs mit den richtigen Partner*innen in Form von Netzwerkveranstaltungen, Tagungen etc. Hier erweist sich »die ›Regierungskunst‹ nicht auf den Bereich der Politik in Abgrenzung zur Ökonomie beschränkt [...]; vielmehr ist die Konstitution eines von der Politik getrennten Raumes mit eigenen Gesetzmäßigkeiten und einer ihm eigenen Rationalität selbst Bestandteil einer ›ökonomischen‹ Regierung.« (Lemke et al. 2000, S. 26) oder mit Foucault gesprochen: »Es wird kein Spiel des Marktes geben, das man unbeeinflusst lassen soll, und dann einen Bereich, in dem der Staat intervenieren soll, weil eben der Markt oder reine Wettbewerb, der das Wesen des Marktes ist, nur dann in Erscheinung treten kann, wenn er hergestellt wird, um zwar in einer aktiven Gouvernementalität.« (Foucault 2006 [1978/79], S. 174)

Der Ausbau lokalstaatlicher Strukturen zur Förderung von Marktgeschehen fürhrt zu einer grundsätzlichen Reartikulation »dessen, was Ökonomie bzw. Politik meint« (Lemke et al. 2000, S. 25). Eine solche Reartikulation von Regierung und der mit ihr verbundenen Staatlichkeit in Form einer »Reduzierung des demokratischen Lebens auf die Verwaltung der lokalen Konsequenzen globaler ökonomischer Notwendig-

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keiten« (Rancière 2004, S. 4, Übersetz. I. D.) in Form der Herstellung von Marktgeschehen bezeichnet Foucault als »Neoliberalisierung« (Foucault 2006 [1978/79], S. 174) und Jacques Rancière als »Post-Politisierung«. Aus allen fünf in diesem Kapitel analysierten Fallbeispielen sowie aus den eingangs erwähnten Überlegungen über die Bedeutung von ›Förderung‹ in Politik und Verwaltung kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Artikulation von kreativpolitischen Maßnahmen in einem Umfeld unternehmerischer Stadtpolitik in der einen oder anderen Weise zu einer Neoliberalisierung des Städtischen führt. In einem Statement, das von mir in Kapitel 4.5 kritisiert wurde, schreibt Jamie Peck: »Kreativstrategien sind deshalb so verführerisch, weil sie im Grunde zu den vorherrschenden Formen neoliberaler Entwicklungsmodelle komplementär [...] sind [...]. Kreativstrategien bauen auf dem Terrain neoliberaler Stadtpolitik auf, bearbeiten und verwandeln es langsam [...], ermöglichen die Entwicklung neuer politischer Kanäle und Interessengruppen vor Ort, die Konstitution neuer Objekte und Subjekte der Urban Governance.« (Peck 2008, S. 109)

Sollte also Jamie Peck am Ende doch damit Recht behalten, das kreativpolitische Maßnahmen notwendigerweise neoliberale Politik hervorbringen oder amplifizieren und ausweiten? Wozu dann der ganze Aufwand der minutiösen Erhebung von Daten durch langwierige teilnehmende Beobachtung, einer Vielzahl von Interviewterminen und endloser Quellenrecherche? Wozu der ganze Aufriss zur Entwicklung einer nicht deterministischen Analyseperspektive der Problematisierung und der Des-/Artikulation, wenn am Ende doch nur das rauskommt, was Jamie Peck bereits vorher prophezeit hatte? Im Gegensatz zur Peck’schen Diagnose, die Kreativpolitik mit Neoliberalisierung, Regierungspraxis und Regierungsprogramm gleichsetzt, sind in der Perspektive der Artikulation die vielfältigen Übersetzungsstrategien in den Blick gekommen, derer es bedarf, um das Regierungsprogramm des kreativpolitischen Skripts in Frankfurt performativ werden zu lassen. Mit der minutiösen Beschreibung der Übersetzungsschritte, des Aushandelns und Zudeckens von Widersprüchen sind auch mögliche Bruchpunkte mit der unternehmerischen Logik des Regierens der Stadt in der Kreativpolitik in den Blick geraten. In der Analyse der vielfältigen Arten und Weisen, wie das Kreativitätsskript in Amtsstuben, in der Stadtverordnetenversammlung, in Kreativberatungen oder auf Award-Aftershowparties artikuliert wurde, kamen eben nicht nur solche Prozesse und Übersetzungsleistungen in den Blick, die kreativpolitische Maßnahmen mit neoliberalem Regieren konform setzen, sondern auch die vielfältigen Formen des Scheiterns. Zu nennen sind hier beispielsweise die Erstellung einer gemeinsamen, umfassenden Imagekampagne, die Frankfurt als kreative Stadt bewirbt (vgl. Kapitel 7.1), die Desartikulation des Sozialen im Zuge der Abwicklung des Atelierprogramms zugunsten der Leerstandsagentur (vgl. Kapitel 7.2), die Aushandlung zwischen marktliberalen und protektionistischen Finanzierungsmodellen

272 | KREATIVPOLITIK

(vgl. Kapitel 7.3) oder die Proteste gegen die Anrufung und Reduzierung von Kulturschaffenden auf Unternehmer*innen (vgl. Kapitel 7.4.). Ähnliches gilt für die Unsicherheit in Bezug auf die Begriffe ›fördern‹ und ›unterstützen‹ in Kapitel 7. Sie zeigen, dass neoliberale Rationalitäten in der Praxis nicht eins zu eins zum Ausdruck kommen und nicht total wirken. Alle kreativpolitischen Maßnahmen müssen Schritt für Schritt von Subjekten umgesetzt werden, die durch Freiheit regiert werden. Das bedeutet, dass sie den hegemonialen Logiken der Anrufung durch das kreativpolitische Skript sowie den in Frankfurt bereits etablierten Formen unternehmerischer Stadtpolitik folgen können, aber nicht determiniert sind dies zu tun. Vielmehr befinden sie sich in einem Möglichkeitsfeld, das einen Bruch mit dem Kontext vielleicht nicht wahrscheinlich, aber dennoch prinzipiell möglich macht. Jeder Moment des Scheiterns und der Iteration macht deutlich, dass Neoliberalisierung weder ein Sachzwang noch eine natürliche Entwicklung ist, sondern das sie umkehrbar ist. Die Entwendung der Praxis von einer Person in einer Amtsstube wird wenig verändern, aber die Entwendung vieler Praktiken an vielen Orten der Stadt kann eine Ver- oder Umkehrung neoliberalen Regierens bewirken. Wenn Neoliberalisierung und Post-Politisierung durch Politik hergestellte Reartikulationen und Begrenzungen des Raumes des Politischen in der Stadt sind, dann ist dieser Prozess auch nur politisch umkehrbar. Wie eine solche Verkehrung und Überschreitung aussehen kann und welche unterschiedlichen Strategien des Protestes und der Infragestellung post-politischer Formen des Regierens sich in Frankfurt zeigen, wird in Kapitel 8 genauer untersucht.

Exkurs: Die Frankfurter Kulturpolitik im Zeichen des Kreativitätsskripts

Das globale Kreativitätsskript wurde in Frankfurt – wie in Kapitel 6 gezeigt – in erster Linie als Kreativwirtschaftsskript artikuliert. Das bedeutet, ›die Kultur‹ wurde zwar immer dann herangezogen, wenn es zu legitimieren galt, warum Frankfurt eine attraktive kreative Stadt ist, zu der ja in der Florida’schen Definition eine interessante Kulturszene dazu gehört. Kreativpolitische Maßnahmen wurden in der Regel ohne die Beteiligung von kulturpolitischen Akteur*innen wie Kulturamt, Kulturdezernat, Museen, städtische Bühnen und künstlerischen Ausbildungsstätten wie Kunst- oder Musikhochschulen gemacht. Die einzige Ausnahme stellt die Beteiligung des Kulturamtes an der Leerstandsagentur RADAR dar (vgl. Kapitel 7.2). Die Gründe für die Wahl einer Definition von Kreativität und entsprechender Maßnahmen, die in erster Linie auf die ökonomische Inwertsetzung von Kreativität abzielen sind in Kapitel 6 diskutiert worden: Im Rahmen dieses Exkurses soll die Frankfurter Kulturpolitik dennoch genauer betrachtet werden, weil der Diskurs über die kreative Stadt ihre Entwicklung – wenn auch indirekt – in dreierlei Hinsicht entscheidend geprägt hat. Erstens: In Städten Großbritanniens und den Niederlanden beispielsweise wurde das Kreativitätsskript dazu genutzt, ›den Kultursektor‹ weiter zu liberalisieren und Subventionen in diesem Bereich abzubauen. Dies zeigte sich beispielsweise in der Privatisierung von Museen und anderen Kultureinrichtungen, ihrer Überführung in private Stiftungen oder der Liberalisierung des öffentlichen Mediensektors (vgl. hierzu z. B. Arts Council of Great Britain 1985, 1991, 1993, National Arts and Media Strategy Monitoring Group 1992, Osborne und Gaebler 1993 und kritisch Belfiore 2002, Garnham 2005, Gray 2007, McGuigan 2005, Peck 2012 sowie Kapitel 4.4.1 und 4.4.3). Dies wirft die Frage auf, warum das in Frankfurt nicht auch passiert ist. Denn seit dem Bau des Museumsufers – wie bereits in Kapitel 7.2.2 kurz skizziert – ist Frankfurt die Kommune in Deutschland mit den höchsten Ausgaben für Kultur. Der städtische Zuschuss für Kultur (ohne Sport und Bildung) betrug 2011 168 Millionen Euro, Investitionen in Kultur noch einmal 35 Millionen Euro (Stadt Frankfurt am Main 2012d, S. 7).

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Die Antwort auf diese Frage wird nur vor dem Hintergrund einer genealogischen Betrachtung der Frankfurter Kulturpolitik deutlich. In den 1970er Jahren spielte die Entstehung des Museumsufers eine zentrale Rolle bei der Transformation Frankfurts zur Global City. Ronneberger (2012a) argumentiert, dass sich die Politik des radikalen Umbaus Frankfurts zur Banken- und Dienstleistungsmetropole unter dem konservativen Oberbürgermeister Wallmann in den 1970er Jahren nur durchsetzen ließ, indem man der zunehmenden »Unwirtlichkeit« (Mitscherlich 1965) der kalten Bankenstadt etwas entgegensetzte. Dies geschah, indem die sozialdemokratische Vision der »Kultur für alle« des damaligen Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann in Form des Frankfurter Museumsufers, einer ›Perlenkette‹ am Main mit 20 Museen, umgesetzt wurde (Hoffmann 2009). Dieses Projekt – finanziert aus der Erhöhung der Gewerbesteuereinnahmen – inmitten der fordistischen Krise wurde in den Worten von Oberbürgermeister Wallmann zum »Ferment der Kommunalpolitik« und die allokative Kulturpolitik zum sozialen Kitt, der »Identität« in die Großstadt bringen sollte (Ronneberger 2012a, S. 60). Gleichzeitig hatte das Projekt das Ziel, Frankfurt als einen kulturellen Leuchtturm im internationalen Wettbewerb zu positionieren. Galerist*innen reisten um die Welt, um meistbietend für die Museen einzukaufen, Künstler*innen wurden teure Appartements an den angesagtesten Orten der Stadt zur Verfügung gestellt. Ende der 1980er Jahre änderte sich der Kulturdiskurs. Subkultur und Kritik an den großen Kunst- und Kulturinstitutionen lösten die Museumsuferkultur ab. Vor allem die Entwicklung des Ostends vom Zentrum der Chemieindustrie und Hafenökonomie hin zum subkulturellen, kreativen Zentrum Frankfurts markierte in den achtziger und neunziger Jahren die ›andere‹ Seite der Transformation Frankfurts hin zur globalen Dienstleistungsstadt. In den illegalen und temporären Clubs entlang der Hanauer Landstraße wurde Ende der 1980er Jahre nicht nur der Techno ›erfunden‹, die illegalen Galerien und Partys waren laut der Künstlerin und Gründerin der Galerie Fruchtig (siehe Kapitel 7.1.3) »eine Art Keimzelle für Künstler« (Interview 29, Para. 38). »Da gab es jede Woche eine andere Ausstellung und natürlich Leute, die irgendwas eigenes machen wollten [...]. Also was man hätte in der normalen Galerie niemals machen können. Ich würde sagen, das waren sogar auch so Vorläuferprojekte wie man jetzt in den Museen hat. Die machen ja jetzt auch Partys und knacken das Ganze auf, dass es nicht so öd ist. Aber das wäre früher undenkbar gewesen. Also das waren letztlich die Vorläuferprojekte, um das ein bisschen aufzulockern was heute alles stattfinden kann. Nur damals wurde man noch von der Polizei dafür verfolgt.« (ebd.)

Diese vibrierende subkulturelle Szene wurde Ausgangspunkt dessen, was Angela McRobbie als »nightlife economy« (2002) bezeichnet und in der eine ganze Generation von DJs und Partymacher*innen ihre Freizeit zum Beruf machten und die man

EXKURS: DIE FRANKFURTER KULTURPOLITIK IM ZEICHEN DES KREATIVITÄTSSKRIPTS |

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heute als ›Kreative‹ bezeichnet. Doch all dies geschah lange vor der Entstehung und Etablierung des Kreativitätsdiskurses in Frankfurt1 . Vor dem Hintergrund einer solch interessanten und vibrierenden subkulturellen Szene in Frankfurt, die sich Ende der 1990er nicht nur im Ostend etabliert hatte und zeigte, dass die innovativsten Formate der Zeit, ohne große Subventionierung funktionierten, geriet die Zustimmung für den hohen Kulturetat und die mit ihr verbundene allokative Kulturpolitik in die Krise. Diese Entwicklung erreichte mit der Schließung des weit über Frankfurts Grenzen hinaus renommierten Balletts und des ›Theater am Turm‹, was ebenfalls als innovatives Experimentierfeld galt, seinen Höhepunkt 2004. Aus heutiger Sicht scheint diese Talsohle durchschritten zu sein, so die Leiterin des Kulturamts im Interview: »Die Tendenz in Zeiten des Sparen-Müssens, zu sagen, die Kultur muss bluten, gibt es immer noch, aber die ist lange nicht mehr so stark ausgeprägt wie in den 1990er Jahren beispielsweise, wo man die Kultur hier wirklich kaputtgespart hat und dann gesehen hat wie nachhaltig man die Stadt beschädigt hat, und dass das für den Ruf der Stadt wirklich äußerst abträglich war.« (Interview 30, Para. 60)

Den Grund für den Umschwung macht sie, wie auch der damalige Leiter der Städelschule (Interview 22), im Aufkommen der Florida-Debatte aus, weil sich dadurch »auch bei den nicht kulturinteressierten Politikern rumgesprochen« habe, »dass Kultur für Frankfurt kein nice-to-have ist, sondern eigentlich ein must-have, und das nicht das Sahnehäubchen oder der Speckgürtel oder sowas ist, sondern dass es essentiell wichtig ist in Kultur zu investieren, genauso wie es essentiell wichtig ist, in Schulen zu investieren und wie man auch eine Verkehrsinfrastruktur braucht, weil man sonst [...] nicht mehr funktionieren würde« (Interview 30, Para. 60). Um nicht aus der Förderung zu fallen oder Kürzungen fürchten zu müssen, betonen die Kulturinstitutionen stets ihre Leuchtturmfunktion im Wettbewerb der Städte. Der Leiter der Städelschule beispielsweise verneint meine Frage, ob die Schule oder

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Erst im Zuge des Aufkommens der Florida-Debatte Mitte der 2000er wurde das ›wilde Ostend‹ als kreativer Humus einer im Entstehen befindlichen Kreativen Ökonomie gerahmt. Heute ist das Ostend, das die neue EZB beherbergt, zu einem Symbol und Mythos der Kreativökonomie geworden, der von den neuen Anlieger*innen ebenso heraufbeschworen und inszeniert wird wie von der städtischen Politik selbst: Der Frankfurter Großinvestor Ardi Goldmann nutzt das Ostend als Bühne für seine lukrativen Investitionsprojekte in Hotels, Clubs und kulturelle Veranstaltungsorte. Wichtige Werbeagenturen wie Saatchi und Saatchi oder Leo Burnett sind ins Ostend gezogen und zwei wichtige OffSpaces, das atelier.frankfurt und der Kunstverein Familie Montez, die in der Frankfurter Innenstadt ihre Räume verloren haben, sind ebenso von der Stadt im Ostend angesiedelt worden.

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ihre Schüler*innen einem zunehmenden Verwertungsdruck ausgesetzt seien mit der Begründung, dass sie eine global exzellente Institution seien. »Also zunächst mal haben wir natürlich kaum eine Verbindung zum Bereich der Verwertung im Sinne von Architektur, Kreativwirtschaft oder auch Design, weil die Städelschule ist ein extrem internationales Konstrukt. Wir haben 30 Prozent deutsche Studenten. Also 70 % ausländische Studenten aus der ganzen Welt, aus über 30 verschiedenen Nationen. Wir funktionieren vielleicht eher wie der Flughafen, weil wir natürlich sehr, sehr stark als eine der global führenden Kunstinstitutionen in der Lehre wahrgenommen werden. Also da sind wir eine der Führenden. Mit Professoren, die auch aus der ganzen Welt kommen, und die auch durch ihre Namen, wie Tobias Rehberger zum Beispiel, der den goldenen Löwen in Venedig gewonnen hat oder derzeit haben wir hier drei Turner-Preisträger. Das zieht natürlich sehr internationale Studentenschaften an und auch entsprechend ein internationales Publikum in der Rezeption.« (Interview 22, Para. 12 – 20)

Hier wird die Tatsache im globalen Wettbewerb zu sein, zu einer Begründung künstlerischer Freiheit, weil Kunst und Kultur als Standortfaktoren im globalen Wettbewerb der Städte eine Aufwertung erfahren. Das bedeutet, die Artikulation des Kreativitätsskripts in Frankfurt hat – anders als beispielsweise in Großbritannien – nicht zu einer Liberalisierung und Privatisierung von Kultur geführt, sondern im Gegenteil, zum Ende dieser Entwicklung und zum Wiedererstarken allokativer Kulturpolitik. Es artikuliert sich eine allokative Kulturpolitik im Einklang mit einer unternehmerischen Stadtpolitik, die das Museumsufer und seine anderen kulturellen Institutionen als Leuchttürme im internationalen Wettbewerb positioniert. Zweitens: Auch wenn gegenwärtig ›Kultur‹ nicht mehr ›kaputt gespart‹ wird, sondern wie die jüngste Debatte um ein neues Romantikmuseum in Frankfurt zeigt, tendenziell eher ausgebaut wird, sind die städtischen Einrichtungen wie das MMK oder auch die Städelschule, die zu 100 Prozent von der Stadt finanziert werden, mit einem indirekten Sparzwang konfrontiert, der darin besteht, dass seit Jahren, das Budget nicht gekürzt aber auch nicht erhöht wird, was aufgrund von Lohnsteigerungen und Inflation de facto zu weniger finanziellem Spielraum führt (ebd., Interview 30, Para. 22). Dieser Umstand führt dazu, dass die Häuser mehr und mehr Geld über private Stiftungen einwerben müssen, um ihre Produktionen und Ausstellungen finanzieren zu können. »Es gibt keinen Beschluss [der Stadt, Anmerk. I. D.], keine Vorgabe, dass die Häuser so und so viele Mittel selbst einwerben müssen. Sie sind aber dazu sowieso gezwungen, weil es im Grunde in den Häusern keine Ausstellungsetats gibt. Also die fangen an mit einem warmen Haus. Also, die schließen auf und Strom, Wasser, Energie usw. fließen und die Stellen sind besetzt, also die Human Ressources sozusagen sind da, aber für den operativen Betrieb sind

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minimale Mittel nur da und das würde gar nicht reichen, um die Häuser zu bespielen, also müssen die im Grunde einwerben.« (Interview 30, Para. 18)

Die Gelder privater Stiftungen sind häufig an einen sozialen Zweck gebunden. Die deutliche Zunahme von Ausstellungen, die eine interkulturelle Öffnung des Hauses anstreben oder sich der frühkindlichen Bildung widmen, ist zu einem guten Teil nicht nur des Willens der Häuser, sondern ihrer Geldgeber*innen geschuldet. »Es kommt eine neue Idee, ein neues Thema auf und dann machen das auch erstmal alle. Aber man macht es natürlich schneller und auch entspannter wenn es jemanden gibt, der das auch genau unterstützt finanziell. [...] Stiftungen haben sich die Thematik, entweder der frühkindlichen Bildung oder jetzt eben auch der Interkulturalität oder Transkulturalität, oder so, die schreiben das dann zum Teil in ihre Zwecke oder wenn nicht in ihre Satzung, dann machen sie das zu einem wichtigen Akzent ihrer Arbeit und entsprechend, wenn dann ein Museum weiß, dass es Mittel für ein Projekt bekommt, wenn es eben diesen Aspekt eben besonders hervorhebt, dann machen die das natürlich auch.« (ebd., Para. 58)

Die Verpflichtung zu sozialerem Handeln wird aber nicht nur von privaten Stiftungen, sondern auch von Seiten der Stadt vorangetrieben. Das Amt für multikulturelle Angelegenheiten beispielsweise versucht, das neue Frankfurter Integrations- und Diversitätskonzept dadurch umzusetzen, indem es die Kulturinstitutionen ermutigt, sich »interkulturell zu öffnen« (Interview 24 mit der Leiterin des Amtes für multikulturelle Angelegenheiten vom 07.10.2011, Para. 67, Interview 28 mit einer Referentin beim Amt für multikulturelle Angelegenheiten Frankfurt vom 08.07.2013, Para. 34). Kulturinstitutionen geraten dadurch unter einen höheren öffentlichen Rechtfertigungsdruck. Dieser ist beispielsweise auch für den Rektor der Hochschule für Musik und Darstellende Künste handlungsleitend. »Also diese Frage der Legitimation spielt bei den Verantwortlichen eine ganz große Rolle. Auch weil es überall spürbar ist, dass die Legitimation am Schwinden ist.« (Interview 23 mit dem Rektor der Hochschule für Musik und Darstellende Künste vom 04.10.2011, Para. 17)

Der Rektor macht diese Entwicklung an der Verschiebung der Wertschätzung vom/der Künstler*in zum/zur Pädagog*in fest. »Früher galt: der beste Künstler, war der anerkannteste. Und auch die Pädagogen waren welche, die Künstler werden wollten, es aber nicht geschafft haben. Die standen in der Hackordnung ganz unten. Diese Hackordnung debattieren wir jetzt. [...] Ich sehe sie beide als gleichrangig und als gleich wichtig. Denn es ist unsere Aufgabe, und das ist meine Argumentation, wie wir sie auch formuliert haben, in unserer Entwicklungsplanung, wir müssen uns legitimieren, und unser Auftrag ist, deswegen werden wir finanziert von der Gesellschaft, unser Auftrag ist, dass

278 | KREATIVPOLITIK wir eine Verantwortung für das Kulturleben von Morgen haben. Das ist unsere Aufgabe. Deswegen ist der Steuerzahler bereit, uns Geld zu geben. Und zu dem Kulturleben gehören halt nicht nur diejenigen, die auf der Bühne stehen, sondern es gehören auch diejenigen dazu, die vor der Bühne sitzen. Also es gehört auch der Musikunterricht dazu. Weil natürlich diese kulturellen Produkte nicht Dinge sind, die sich von alleine erschließen. Die jeder von alleine versteht. Sondern es gehört auch Bildung, Wissen, Kenntnisse dazu, um das zu verstehen. Um sich in dieser Welt näher zu kommen.« (ebd., Para. 23)

Die Hochschule engagiert sich in Schulen und gibt Konzerte im Stadtraum, weil der Leiter das »ganz stark als Legitimationsinstrument« sieht, ohne dass er fürchtet bald keine öffentliche Finanzierung mehr zu bekommen. »Wir sagen, los, wir müssen raus. Die Studierenden müssen raus. Aber die Hochschule muss sichtbar sein. Das hat auch was mit Fundraising zu tun« (ebd., Para. 37). Diese Entwicklung ist janusköpfig: Denn so positiv es ist, dass sich Kulturinstitutionen einer breiteren Bevölkerungsschicht öffnen und als öffentlich finanzierte Institutionen nicht nur eine bildungsbürgerliche Elite ansprechen, so schwierig ist es, wenn Sozialpolitik auf einmal in den Bereich der Kulturpolitik verschoben ist. Denn diese kann wie Eleonora Belfiore (2002) bemerkt, Sozialpolitik nicht ersetzen. Drittens: Im Jahr 2012 regten Vertreter*innen der Freien Tanz und Theaterszene, die sich in dem Verein ID*Frankfurt e.V. zusammengeschlossen haben, eine unabhängige Evaluation der Theaterszene in Frankfurt an. Hintergrund war, dass junge Theatermacher*innen und Tänzer*innen, die sich professionalisieren wollten, in Frankfurt zu wenige Möglichkeiten dafür sahen. Im Vergleich zur institutionellen Theaterförderung von 4,7 Millionen Euro im Jahr durch das Kulturamt fällt die Fördersumme für die Freie Szene mit 550.000 Euro im Jahr recht gering aus (Kulturamt Frankfurt am Main 2013, S. 102). Im Auftrag des Kulturamtes erstellte eine ›unabhängige Theaterkommission‹ ein Gutachten2, das Anregungen geben will, um die »Frankfurter Freie Szene national konkurrenzfähig machen« (Perspektivkommission 2012, S. 8). Dazu wird empfohlen, die im Nachgang der 1968er Bewegung entstandenen freien Theater in Teilen abzuwickeln, weil diese auf den Fördertöpfen säßen und Innovation in Frankfurt verhindern würden. »Die Gründergeneration vieler freier Gruppen und Off-Bühnen aus den 1970er und 1980er Jahren hat inzwischen das Rentenalter erreicht, ist aber aus sozialen, psychologischen oder persönlichen Gründen, nicht bereit oder in der Lage abzutreten. Mit den Theatermachern ist auch 2

Die Frankfurter Gemeine Zeitung meldet in einem Artikel vom 12. Juni 2012 Zweifel an der Objektivität des Gutachtens an. Die Gutachter*innen stammten alle aus dem Kreis des postdramatischen Theaters, das sich in den vergangenen Jahren am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen entwickelt hat und das das Vorbild für die Arbeit einer Vielzahl der Künstler*innen bei ID*Frankfurt e.V. darstellt (vgl. FGZ 2012a).

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ihre Ästhetik gealtert und entspricht häufig nicht mehr dem aktuellen Stand. Viele freie Theater imitieren zudem die Spielplankonzeption des Stadttheaters, scheitern aber häufig schon an der schauspielerischen Umsetzung. So ist das Freie Theater in Frankfurt oft auch Bollwerk der Tradition, in dem sich abgelegte Ästhetiken und Stile museal konserviert haben. Kommunale Kulturpolitik gerät hier in ein mehrfaches Dilemma. Einerseits will sich niemand bei verdienten lokalen Theatergrößen den Vorwurf der sozialen Kälte, die wiederum ein Produkt jahrelanger Unterfinanzierung ist, einhandeln. Andererseits sind Theatergründer in der Regel so gut mit Repräsentanten von Politik (oft in den Trägervereinen) und/oder Verwaltung vernetzt, dass das Wort vom Lobbyismus euphemistisch wirkt.« (ebd., S. 16)

Im Nachgang zu den in der Stadt heftig geführten Debatten um das Gutachten, wurde eine Gutachter*innenkommission ins Leben gerufen, die über Förderanträge entscheidet. Interessant an dieser Entwicklung ist, dass die Freie Szene ausgerechnet mehr Wettbewerb einfordert und sich globaler Exzellenzdiskurse bedient, um bei der allokativen Verteilung von Fördermitteln in ihrer Sicht ›angemessen‹ berücksichtigt zu werden. Ähnliche Forderungen, die auf Umverteilung zu Ungunsten der Kolleg*innen zielen, kommen auch aus der Freien Kunstszene (Interview 10 mit dem Künstler und Initiator von The Thing Frankfurt vom 24.08.2011). Eine solche Politik sucht nicht die Solidarität mit den Kolleg*innen, sondern sticht sie in einer wettbewerbsorientierten Umverteilungslogik aus. Die drei skizzierten Entwicklungen in der Frankfurter Kulturpolitik sind jeweils im Kontext des Florida-Diskurses zu verstehen. Während dieser zum einen Kultur als Standortfaktor aufwertet, führt er – paradoxerweise – zu einer Rehabilitierung allokativer Kulturpolitik. Da das Kulturbudget aber im Vergleich zu den Kosten nicht steigt, sind die öffentlichen Kulturinstitutionen zunehmend gezwungen private Gelder einzuwerben, was sich vermittelt über die programmatische Ausrichtung der Stiftungen auf die inhaltliche Programmgestaltung auswirkt. Schließlich kommt die Forderung nach mehr Wettbewerb ausgerechnet von den jungen Künstler*innen der freien Szene, die in den traditionellen Strukturen der allokativen Förderpolitik einen ›Innovationsstau‹ sehen, der sie benachteiligt. Zusammengenommen lassen sich in diesem Bereich sehr unterschiedliche und vor allem widersprüchliche Tendenzen der Neoliberalisierung ausmachen: Zum einen die widersprüchliche, aber dennoch reibungsfreie Artikulation einer allokativen Kulturpolitik mit einer wettbewerbsorientierten Politik der kulturellen Leuchttürme. Eine Zunahme privater Gelder in öffentlichen Häusern, die mit einer Demokratisierung und interkulturellen Öffnung einhergeht und schließlich eine Herausforderung allokativer Strukturen von den jungen Künstler*innen, die von ihnen abhängen und die glauben nur im Wettbewerb ein gerechtes Stück vom Förderkuchen abzubekommen.

8. Partizipation und Unvernehmen in der kreativen Stadt – Der KulturCampus Bockenheim

Bei der Analyse der Frage, wie sich das neue kreativpolitische Skript mit bestehenden Rationalitäten des Regierens in Frankfurt artikuliert, zeigte sich in den vorangegangenen Kapiteln vor allem, dass es sich gut in die in Frankfurt fest verankerte unternehmerische Stadtpolitik einfügt und im Zuge seiner Iteration zwar verändert aber wenig subversiv gebraucht wird. Auch erwies es sich in allen genannten Institutionen in der einen oder anderen Form als anschlussfähig. Deshalb soll sich das letzte Kapitel mit der Ablehnung und Herausforderung des Skripts in lokalem Protest auseinandersetzen. Die Stadt Frankfurt versteht die Förderung der Kreativwirtschaft dezidiert als gesamtstädtische Aufgabe und verfolgt so gut wie keine kreative Stadtentwicklung mit Hilfe von stadtteilbezogenen Programmen (vgl. Aussage der Leiterin des Kompetenzzentrums Kreativwirtschaft, Feldnotiz vom 03.03.2011). Als Ausnahme dieser Politik kann das Bahnhofsviertel in Frankfurt genannt werden. Hier sah das städtebauliche Entwicklungskonzept eine Bewahrung der vielfältigen Struktur des Viertels aus Rotlichtmilieu, Drogenszene und Kleinhandel vor. Das Konzept sieht Kreative als »robustere Bewohnergruppen« (Stadt Frankfurt am Main und Stadtplanungsamt Frankfurt 2008, S. 17) für das Viertel vor, die die Struktur stabilisieren sollen, ohne die ansässige Bevölkerung zu verdrängen. In der Zwischenzeit ist das Viertel ›hip‹ geworden. Immer mehr Kreative strömen nicht nur zu Partys oder Kunstveranstaltungen, sondern siedeln sich dort auch an. Durch die massiv steigenden Mieten kommt es sukzessive zu Verdrängungsprozessen1 .

1

Eine eingehende Untersuchung des Bahnhofsviertels im Rahmen des DFG-Verbundprojekts findet nicht im Teilprojekt »Kreativpolitik – Zur Ausgestaltung eines neuen Politikfeldes in Frankfurt am Main«, welches dieser Arbeit zugrunde liegt, statt, sondern im Teilprojekt »Kulturinszenierungen – Inwertsetzung von ethnisch-kultureller Vielfalt im Kontext urbaner Umstrukturierungsprozesse« sowie im Teilprojekt »Policing American Style

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Die andere Ausnahme ist der sogenannte KulturCampus, der derzeit auf dem ehemaligen Campusgelände der Goethe-Universität Frankfurt im Stadtteil Bockenheim entsteht. Die Entwicklung dieses Areals für die zukünftige »Kreativgesellschaft« (Oberbürgermeisterin Petra Roth, StVV vom 02.09.2010, S. 31) war von der damaligen Oberbürgermeisterin selbst zur »Chefsache« (FR 2011c) erklärt worden. »Kreative Köpfe, die in der Kreativwirtschaft in diesen urbanen Zentren des 21. Jahrhunderts arbeiten werden, Hochqualifizierte und die wissensintensiven Unternehmen, die diesen Köpfen und diesen Männern und Frauen Arbeit bieten, die diese Menschen also beschäftigen, richten nämlich ihre Lebensinteressen auf urbane Kulturräume. Das wird eine maßgebliche Botschaft des künftigen KulturCampus Bockenheim und damit von Frankfurt am Main sein: Wichtige Standortfaktoren im weltweiten Wettbewerb der Städte, um die wichtigsten Ressourcen des 21. Jahrhunderts darzulegen, sind Wissen, Kultur und Kreativität.« (Oberbürgermeisterin Petra Roth, StVV vom 02.09.2010, S. 32)

Die von Petra Roth vorgeschlagene und von der Stadtverordnetenversammlung vertretene Vision des KulturCampus war im Stadtteil hoch umkämpft. Im Folgenden soll das Fallbeispiel des KulturCampus näher betrachtet werden, um abschließend die Umkämpftheit und Möglichkeiten der Subversion des Skripts kreativer Stadtentwicklung in den Blick zu bekommen.

8.1 D IE A USGANGSLAGE – V IELFÄLTIGE M ÖGLICHKEITEN Mit dem Wegzug der Goethe-Universität vom Campus Bockenheim auf den Campus Westend wird eine 16,5 Hektar große Fläche in unmittelbarer Nähe zu Messe und Innenstadt frei. Dies weckt unterschiedliche Phantasien von Politiker*innen, Stadtplaner*innen und Bürger*innen weckt, dieses große Areal aus einer Hand zu einem Leuchtturm- und »bundesweiten Vorzeigeprojekt« (Bild Zeitung Frankfurt 2012) zu entwickeln. »Etwa 40 Prozent des Geländes seien für ›Wohnungen für alle‹ reserviert, sagte Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU). Auf den übrigen Flächen sollen sich vor allem kulturelle Einrichtungen und die Kreativwirtschaft ansiedeln – darunter das renommierte Ensemble Modern, die Forsythe Company und – in mehreren Jahren – auch die Musikhochschule.« (FAZ 2011b)

in Frankfurt am Main?« (siehe Künkel 2013 und Welz 2010, weitere vorläufige Ergebnisse dieser Teilstudien unter: http://www.neuordnungen.info/publikationen/).

8. PARTIZIPATION UND UNVERNEHMEN – DER KULTURCAMPUS BOCKENHEIM |

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Erst nach längeren Auseinandersetzungen entsteht das Konzept eines KulturCampus. Die politisch Verantwortlichen sehen im KulturCampus die Fortschreibung der Museumsuferpolitik und entwerfen ihn als eine Ansammlung international renommierter Kulturinstitutionen mit internationaler Strahlkraft und zitieren globale Blaupausen wie Bilbao oder Oslo als Vorbilder. Im Projekt des KulturCampus artikuliert sich das Florida’sche Kreativitätsskript (vgl. Kapitel 4.1) vor allem durch den Versuch der Etablierung einer Kunst- und Kulturszene durch die Entwicklung eines ästhetisierten Stadtviertels, die Ansiedlung etablierter Kunst- und Kulturinstitutionen sowie kreativwirtschaftlicher Agenturen und Büros. Lokale Künstler*innen und Initiativen hingegen fürchten den Verlust freier Orte der Aufführung und Kunstproduktion ebenso wie den Verlust bezahlbaren Wohnraums und gewachsener sozio-kultureller Strukturen im Stadtteil. Der Konflikt wurde schließlich in einem partizipativen Planungsprozess moderiert. In diesem Kapitel wird herausgearbeitet, dass das Verfahren der Partizipation nicht nur selbst Teil neoliberaler Gouvernementalität im Sinne eines »Regierens durch Community« (Rose 1996, S. 334) ist, sondern dass darüber hinaus Elemente des Skripts kreativer Stadtwicklung – wie es in Kapitel 4.4 herausgearbeitet wurden – hier Eingang finden, die sich in einem Regieren durch Kreativität artikulieren. Dabei wird erstens die partizipative Planung aus den sozialen Bewegungen der 1970er Jahre kommend als inkorporiert in die neoliberale Logik des Regierens durch Partizipation verstanden. Dies zeigt sich in dem Umstand, dass die im Nachgang der 1968er Kritik geforderte Partizipation an der Gestaltung des eigenen Lebensumfeldes zunehmend in einer Form verwirklicht wird, in der sie sich als eine Regierungstechnologie gegen die Subjekte selbst wendet. Entlang des Fallbeispiels wird gezeigt, wie dieses Instrument, alternative und antagonistische Forderungen immer wieder in einen post-politischen Konsens einhegt. Zum Zweiten fungiert Kultur hier zur Herstellung von Konsens und Zustimmung zu einer Politik, in der der neoliberale Kulturbegriff des Florida’schen Kreativitätsskripts zum Repräsentanten einer hegemonialen Ordnung unternehmerischer Stadtpolitik wird. Abschließend wird das Prinzip der Konsensdemokratie problematisiert und Formen des Unvernehmens gegen neoliberale Regierungsmodi aus dem Recht-auf-Stadt-Kontext diskutiert, die die Privilegierung von künstler*innenkritischen Forderungen über sozialkritische Forderungen (vgl. Boltanski und Chiapello 2003 [1999]) problematisieren. 8.1.1 Planungsvorgeschichte Die Möglichkeit der Entwicklung eines so großen innenstadtnahen Areals wurde durch den Umzug der Universität und der damit verbundenen Veränderung der Eigentumsverhältnisse ermöglicht. Bei ihrer Gründung 1914, die auf die Initiative des Frankfurter Oberbürgermeisters Franz Adickes zurückgeht, war die Universität

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Frankfurt eine städtische Institution und die erste deutsche Universität, die mit privaten Stiftungsgeldern finanziert wurde. 1953 stieg das Land Hessen in die finanziellen Verpflichtungen ein; 1967 wurde aus der städtischen Stiftungsuniversität eine Universität des Landes Hessen. Im Jahr 1999 schlossen die Stadt Frankfurt und das Land Hessen den sogenannten Kulturvertrag: In selbigem verzichtet die Stadt Frankfurt auf Grundstücksansprüche auf das Bockenheimer Campus-Areal. Mit dieser eigentumsrechtlichen Klärung wurde für das Land Hessen Planungssicherheit geschaffen. 1999 ging man noch davon aus, dass der Universitätsstandort Bockenheim im Kern erhalten bleiben soll. Erst später entschied die Universität, den Campus Bockenheim aufzugeben. Daraufhin verkaufte das Land Hessen das Areal 2011 an die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG-Holding. Mit den Veräußerungsgewinnen des Geländes finanziert sie die zweite Ausbaustufe auf dem Campus Westend. In der Folge wurde ein Wettbewerb zur Neuentwicklung des Areals ausgerichtet, der im Rahmenplan von 2004 mündete (siehe Stadtplanungsamt Frankfurt 2004/ 2010). Gewinner des Wettbewerbs ist das Architekturbüro K9 mit einem Konzept, dass das Areal aufgrund seiner direkten Nachbarschaft zu Messe und Westend als »Messeerweiterungsgelände« und Standort für kreative und unternehmensnahe Dienstleitungen (70 Prozent) sowie hochpreisiges Wohnen konzipiert (30 Prozent). Eine »vielfältige Nutzungsmischung aus Arbeiten, Wohnen, Einkaufen, Gastronomie und Kultur« soll es zu einem »urbanen Stadtquartier« verbinden (ebd.). »Wesentliches städtebauliches Gliederungselement ist ein vom Bockenheimer Depot bis zum denkmalgeschützten Kramerbau der Pharmazie durchgehendes grünes Band« (ebd.), für dessen Schaffung historische Denkmäler wie das Studierendenhaus und das Philosophicum zum Opfer fallen sollen. 8.1.2 Unterschiedliche Vorstellungen, was mit dem Areal passieren soll Was auf dem KulturCampus passieren soll, ist politisch umkämpft. Während die einen vor allem die Möglichkeit der lukrativen Vermarktung eines so großen Areals an private Investor*innen wittern, stellen andere die Forderungen, dass der vormals der Öffentlichkeit zugängliche und stark mit den Aktivitäten im Stadtteil verzahnte Campus nach dem Wegzug der Universität öffentlich bleiben und Angebote und Freiräume für den Stadtteil bereithalten soll. Während die einen in der Entwicklung des Campus die Chance sehen, sich endlich der als hässlich empfundenen funktionalistischen Nachkriegsarchitektur auf dem Campus zu entledigen, sehen andere darin den geschichtsrevisionistischen Umgang nicht nur mit der demokratischen, bauhausinspirierten Architektur Ferdinand Kramers und Otto Apels, sondern auch mit der Tradition kritischer Theorie der Frankfurter Schule, für die der Campus paradigmatisch

8. PARTIZIPATION UND UNVERNEHMEN – DER KULTURCAMPUS BOCKENHEIM |

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steht. Während die einen das innenstadt- und vor allem messenahe Gelände als ideales Messeerweiterungsgelände für kreative Dienstleistungen sehen und ein hippes urbanes Quartier mit einem hohen Anteil an Büronutzung vor Augen haben, prangern andere die Wohnraumknappheit in Frankfurt bei einem gleichzeitigen Büroleerstand von 2 Millionen Quadratmetern an, verweisen auf drohende Verdrängungsprozesse durch Mietsteigerungen im Stadtteil Bockenheim aufgrund seiner Aufwertung zur Innenstadtlage II im Mietspiegel 2010 (Magistrat der Stadt Frankfurt am Main 2010b) und fordern vor allem bezahlbaren Wohnraum. Anfang 2010, im Nachgang sogenannter ›Dialogveranstaltungen‹, schien sich zunächst ein Konsens hinsichtlich der zukünftigen Nutzung des Geländes abzuzeichnen. Gebeutelt von der 2008er Finanzkrise und dem ohnehin bestehenden Überangebot an Bürogebäuden zeigte sich, dass das Areal für Büronutzung und hochpreisiges Wohnen nicht ohne städtebauliche Impulse gewinnbringend zu vermarkten war. Die zuständigen Planungsbehörden sowie das Büro der Oberbürgermeisterin hatten den KulturCampus mittlerweile »zur Chefsache« (FR 2011c) erklärt. Die Idee eines KulturCampus, die etwa zeitgleich in den Foren der Bürgerinitiativen und aktiven Gruppen in Bockenheim wie auch in den städtischen Gremien entstand, schien genau diese Impulse zu liefern und eine konsensfähige Antwort auf die bestehenden Probleme zu geben: Neun in Frankfurt ansässige und sehr angesehene Kulturinstitutionen sollten auf den Campus umgesiedelt werden. Diese Entwicklung durch Kultur sollte das krisenbedingt fehlende private Investitionsinteresse kompensieren. Die Initiativen aus dem Stadtteil sowie die Recht-auf-Stadt-Bewegung sahen im Konzept des KulturCampus ebenfalls Möglichkeiten, Probe-, Arbeits- und Aufführungsräume für die Freie Szene in Frankfurt zu verwirklichen, die es aufgrund der hohen Mieten schwer hat, Fuß zu fassen, sowie Ausgleichsorte für Vorträge, Lesungen, Diskussionsveranstaltungen, Filmreihen, Theaterveranstaltungen, Tagungen u. a. zu schaffen, die bis dato im Studierendenhaus und anderen Räumen der Universität stattfinden und von der Frankfurter Bevölkerung wahrgenommen werden. 8.1.3 Auseinandersetzung darüber, was Kultur bedeutet In der Konkretisierung der Pläne wurden dann aber rasch Differenzen zwischen Stadt und Bürger*inneninitiativen deutlich: Oberbürgermeisterin Petra Roth hatte mit ihrem Büro, das hauptverantwortlich für das politische Vorantreiben der Planungen war, schnell ihre Sprache für das neue Quartier und seine Inwertsetzung gefunden: »[W]ir stehen vor einer neuen Epoche der Stadtgeschichte. Wir nennen das ehrgeizige Projekt KulturCampus Frankfurt. [...] Damit unterstreichen wir in Frankfurt unseren Anspruch, Marktführer der zeitgenössischen Kultur zu sein. Was wir KulturCampus nennen, ist Heimat in Zeiten

286 | KREATIVPOLITIK der Globalisierung« (Petra Roth, Oberbürgermeisterin von Frankfurt, www.kulturcampusfrankfurt.de)

Der Bezug zu Kultur ließ das Projekt anschlussfähig an das Skript kreativer Stadtentwicklung werden und damit in die Wettbewerbslogik der unternehmerischen Stadtpolitik einfügen, was Petra Roth in öffentlichen Auftritten beispielsweise in der Stadtverordnetenversammlung im Februar 2012 immer wieder tat: »›Kultur ist das Ferment der Gesellschaft‹. Seit diesem Begriff von Walter Wallmann aus dem Jahre 1977 und den fortfolgenden Jahren hat sich Frankfurt zu einer bedeutenden Kulturstadt entwickelt. Künftig wird ein weiteres Element entwickelt, das Ferment ist das Laboratorium, das wir ›KulturCampus Bockenheim‹ nennen. [...] Was wollen wir? Bilbao, die spanische Stadt, hat es vorgemacht. Wir reden heute in der Kommunalpolitik [...] meist über europäische Politik [...]. Das heißt, der Blick der großen, bedeutenden, historischen, europäischen Städte ist von den Politikern der Kommunen immer derart ausgerichtet, die anderen Städte in Europa zu sehen, zu beobachten und den Wettbewerber kennenzulernen.« (StVV vom 24.02.2011, 44 f.)

Neun bereits bestehende Kulturinstitutionen sollen auf dem neuen Campus ihre Heimat und vor allem auch synergetische Bezugspunkte zueinander finden. Neben dem Institut für Sozialforschung und dem Senckenberg Museum, die bereits jetzt auf, bzw. in direkter Nachbarschaft des Campus ansässig sind, sollen das Ensemble Modern, die Hochschule für Musik und darstellende Kunst, die Forsythe Company, die Junge Deutsche Philharmonie, das Hindemith Institut Frankfurt, das Frankfurt LAB (ein interdisziplinäres Musik-, Theater- und Tanzlabor) sowie die Hessische Theaterakademie auf den Campus ziehen. Die Institutionen haben sich zum »Forum KulturCampus Frankfurt e. V.« zusammengeschlossen, in dem Kooperationen initiiert und gemeinsame Interessen vertreten werden. Durch gemeinsame Raumnutzungen und eine institutionelle Verzahnung sollen darüber hinaus neue Impulse entstehen. Nukleus des Konzepts ist dabei die Abteilung für darstellende Kunst der Hochschule, die in Kooperation mit der international renommierten Forsythe Company sowie dem Frankfurt LAB als interdisziplinäre Plattform zwischen Tanz, Performance, Wissenschaft und anderen Künsten neue Formate erforscht und in ihrer Prozesshaftigkeit mit seinem Publikum austauscht. Die interdisziplinäre Arbeit dieser Institutionen soll Innovationen mit internationaler Strahlkraft entwickeln. »In der Mitte Frankfurts werden die Partner des Forum KulturCampus mit ihren unterschiedlichen Inhalten, Genres und Formaten experimentieren, forschen und kooperieren, um in gemeinsamer Produktion, Präsentation und Vermittlung neue Maßstäbe in Kunst, Wissenschaft und Ausbildung zu setzen. Diese einzigartige Kooperation trägt zu einem kritischen Verständnis des gesellschaftlichen Wandels und zu einem lebendigen Diskurs mit der regionalen und

8. PARTIZIPATION UND UNVERNEHMEN – DER KULTURCAMPUS BOCKENHEIM |

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internationalen Öffentlichkeit bei: Frankfurt gibt Impulse für die Zukunft. Auf dem ehemaligen Universitätsgelände zwischen den Stadtteilen Westend und Bockenheim entsteht ein modernes, transparentes und öffentliches Forum mit weltweiter Strahlkraft und Bürgernähe. Dieses wegweisende Vorhaben, eingebunden in ein urbanes, lebenswertes Quartier zwischen Wohnen und Arbeiten, stellt eine große Herausforderung an die zu entwickelnde Architektur und städtebauliche Infrastruktur dar.« (Forum Kulturcampus Frankfurt e. V. 2012)

Die Rhetorik internationaler Strahlkraft durch Kultur − Petra Roth nennt den KulturCampus einen »Leuchtturm in Europa« (StVV vom 24.02.2011, S. 46) − verbindet verschiedene wichtige Säulen des Florida’schen Skripts kreativer Stadtentwicklung: die Etablierung einer Kunstszene führt nicht nur zur Attraktivitätssteigerung und Ästhetisierung des Viertels, das young urban professionals und high potentials in die Stadt locken soll, sondern erzeugt durch seine neuen Formate soziale Innovationen, die in andere Wirtschaftsbereiche hineinstrahlen sollen. In ihrer Rede vor der Stadtverordnetenversammlung schließt sich Roth den Worten des Frankfurter Architekten und Stadtplaners Albert Speer an, der in Bezug auf den KulturCampus dazu ermuntert, »nicht in zu kleinen Dimensionen zu denken, schließlich werde sich mit diesem Projekt zeigen, welche Bedeutung Frankfurt künftig in der Welt hat« (ebd., S. 46). Roth stellt Kultur in den Dienst der Lebenszufriedenheit der young urban professionals, um die die Stadt im globalen Wettbewerb der Städte wirbt. Demgegenüber entwickelten Aktivist*innen und Bürger*inneninitiativen zahlreiche andere Visionen und Ideen für das Quartier: Zu den wichtigsten gehören der Verein »Offenes Haus der Kulturen«, der für einen umfassenden Kulturbegriff auf dem Campus wirbt, welcher auch soziale, interkulturelle und politische Dimensionen umfasst, bereits bestehende Bürger*inneninitiativen, die das Thema bezahlbaren Wohnraums in Frankfurt und vor allem auf dem Campus Bockenheim politisieren sowie eine Gruppe, die das Philosophicum, ein leerstehendes Baudenkmal der demokratischen Nachkriegsarchitektur, für genossenschaftliches Wohnen nutzen möchte. Weitere Gruppen setzen sich für den Erhalt der Dondorf’schen Druckerei als Museum ein, sprechen sich für den Erhalt der anti-autoritären Kindertagesstätte auf dem Campus aus, diskutieren ökologische Fragen der Stadtentwicklung oder setzen sich mit der historischen Bedeutung der Architektur auf dem Campus auseinander. Für den Erhalt des Studierendenhauses auf dem Campus setzt sich der Verein »Offenes Haus der Kulturen« ein. Das Studierendenhaus wurde vom Architekten Otto Apel entworfen, mit Geldern einer amerikanischen Stiftung gebaut und sollte als Zentrum dienen, »in dem Studierende, die in Krieg und Nazidiktatur sozialisiert waren, demokratische Strukturen lernen und leben sollten« (Offenes Haus der Kulturen 2010, S. 5). Bei seiner Eröffnung 1953 sprach Rektor Max Horkheimer von einer »akademischen Jugend, die sich nicht bloß wissenschaftliche Verfahrensweisen aneignet, sondern die zugleich den Umgang mit Menschen anderer Nationen, Religi-

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onen und Rassen, freiwillige Hingabe an soziale, künstlerische, sportliche Tätigkeiten, Liebe zum Denken und Forschen, zum Diskutieren, zur kreativen Muße – kurz: die den Geist der realen und tätigen Demokratie praktiziert.« (Horkheimer 1953 zit. nach ebd.). Der Verein setzt sich für den Erhalt und die Weiterentwicklung des Hauses als »kulturelles Zentrum der demokratischen und politischen (Streit-) Kultur« sowie als Ort der »Auseinandersetzung mit politischen, gesellschaftlichen und künstlerischen Fragen unserer Zeit, die sich oft im Widerspruch zu den bestehenden Verhältnissen« (ebd.) befinden, ein. Er fordert das Haus in Selbstverwaltung weiterzuführen und für Gruppen aller Art zu öffnen. Ein besonderer Schwerpunkt der Arbeit des Vereins liegt auf der Vereinbarung sozialer und kultureller Ziele. Die Bürger*inneninitiativen »Ratschlag Campus Bockenheim« und »Zukunft Bockenheim« (Initiative Zukunft Bockenheim 2011), die ein Stadtteilbüro mit Spendengeldern auf der Leipziger Straße in Bockenheim betreiben, existierten bereits vor der Campusplanung. Sie setzen sich vor allem mit der Wohnsituation in Bockenheim auseinander. Sie haben im Nachgang des Rahmenplans von 2004 die dort angegebene Aufteilung von 70 Prozent Büronutzung und 30 Prozent Wohnen kritisiert und einen höheren und vor allem bezahlbaren Anteil an Mietwohnungen gefordert. Darüber hinaus haben sie eine mögliche Gentrifizierung durch den Campus in Bockenheim thematisiert (vgl. Interview 17 mit der Sprecherin der Initiative Ratschlag Campus Bockenheim vom 06.09.2011 sowie Interview 21 mit der Sprecherin der Initiative Zukunft Bockenheim vom 28.09.2011). Eine weitere Politisierung erfuhren die Gruppen nicht nur im Rahmen des Bürgerbeteiligungsverfahrens zum Campus, sondern auch durch die Veröffentlichung des Mietspiegels 2010 (Magistrat der Stadt Frankfurt am Main 2010b). Dort wurde Bockenheim nicht länger als »mittlere Wohnlage«, sondern als »Innenstadtlage II« kategorisiert, was eine Steigerung der Mieten um 1,42 Euro pro Quadratmeter erlaubte. Neben dem Thema ›Wohnen‹ setzen sich die Gruppen auch für soziale, ökologische und verkehrstechnische Belange ein. Die »Philosophicums Gruppe« setzt sich für den Erhalt des Philosophicums ein und hat ein Konzept zur Nutzung als genossenschaftliches Mehrgenerationenwohnhaus erarbeitet (Initiative Zukunft Bockenheim und Wohngeno e. G. 2011). Auch »Wem gehört Frankfurt«, das Recht-auf-Stadt-Bündnis Frankfurt, bezieht Stellung zur Campus-Politik. Die Konflikte über das, was der KulturCampus werden soll, mehren sich.

8.2 K ONSENS

ALS R EGIERUNGSTECHNOLOGIE IN DER UNTERNEHMERISCHEN S TADT

In der Auseinandersetzung mit dem Konflikt über die Nutzung des Campus Areals betreibe »Oberbürgermeisterin Petra Roth« ihren »ganz eigenen Kampf. ›Partizipa-

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tive Demokratie‹ nennt sie das« (Journal Frankfurt 2011a). Ziel sei es, die Bürger*innen in einem partizipativen Planungsprozess zu »befrieden« (FNP 2012). Partizipation als Kampf? Konsensorientierte Planung als Waffe zur Herstellung eines Konsenses, der den Campus zu einem »positiven Pendant zu Stuttgart 21« (FR 2011b) macht? 8.2.1 Die Chronologie des Partizipationsverfahrens Die Entwicklung des Campus wird von einem Bürger*innenbeteiligungsverfahren begleitet, das bereits 2002 begann und seit 2010 eine Intensivierung erfahren hat. Es setzt sich wesentlich aus vier Phasen zusammen: erstens Anhörung, Entwicklung eines Rahmenplans mit Beschluss im Januar 2006, zweitens zwei sogenannte ›Dialogveranstaltungen‹ im Jahr 2010, bei denen Bürger*innen Wünsche äußern konnten, drittens zwei sogenannte ›Bürgerforen‹ im Jahr 2011, bei denen über die Pläne und Visionen durch Expert*innen informiert wurde und viertens drei ›Planungswerkstätten‹ zwischen 2011 und 2012, wo ein sogenannter ›Konsensplan‹ erarbeitet wurde. Letztere wurden von einer Auftakt-, einer Abschluss- und einer Informationsveranstaltung sowie zwei IHK-Symposien flankiert und gegenwärtig in Arbeitsgruppen fortgeführt (vgl. Tabelle 5). Tabelle 5: Chronologie des Partizipationsverfahrens im Planungsprozess »KulturCampus Bockenheim« März 1999

2002 2003

2005 Januar 2006 2006 f. 25. März 2010 20. Mai 2010 21. Februar 2011 24. März 2011

16. Mai 2011

Kulturvertrag: Verständigung zwischen der Stadt Frankfurt am Main und dem Land Hessen über den Umzug der Goethe-Universität von Bockenheim in das Westend und auf den Riedberg Erste Bürger*innenanhörung zur Zukunft des Campus Bockenheim Städtebaulicher Wettbewerb Campus Bockenheim: Die Gewinner*innen des Wettbewerbs »K9 Architekten und Borgards, Lösch, Piribauer« erarbeiten einen städtebaulichen Rahmenplan, der Arbeit und Wohnen verbinden soll (siehe Stadtplanungsamt Frankfurt 2004/2010) Zweite Bürger*innenanhörung zum Bebauungsplan Nr. 569 »Senckenberganlage/Bockenheimer Warte« Beschluss der StVV (§ 10672) zur modifizierten Rahmenplanung Bildung der drei Bürger*inneninitiativen »Zukunft Bockenheim«, »Ratschlag Campus Bockenheim«, »Offenes Haus der Kulturen« 1. »Dialogveranstaltung« im Studierendenhaus 2. »Dialogveranstaltung« im Saalbau Bockenheim 1. »Bürgerforum« im Senckenberg Museum »Letter of Intent«, Absichts- und Kauferklärung des Hessischen Ministeriums für Finanzen, der ABG-Holding sowie der Stadt Frankfurt zur Standortneuordnung der Universität Frankfurt am Main sowie der Verwertung des Alt-Campus Bockenheim (Hessisches Ministerium der Finanzen et al. 2011) 2. »Bürgerforum« in der Aula der Goethe-Universität

290 | KREATIVPOLITIK Juni 2011

11. Juni 2011

25. August 2011 11. September 2011 22. November 2011

25. November 2011 13./14. Januar 2012 17./18. Februar 2012 23. März 2012 20. April 2012 10. Mai 2012 20. November 2012 gegenwärtig

Planungsworkshop aller Kulturinstitutionen, die auf dem neuen Campus ansässig sein wollen, und Gründung des »Forum KulturCampus Frankfurt e. V.« als Interessenvertretung Aktionstag »Wem gehört die Stadt?« mit Performance des Schwabinggrad Balletts aus Hamburg mit Künstler*innen und Performer*innen aus dem Netzwerk »Wem gehört die Stadt?« ABG-Holding kauft das Campus-Areal (nicht-öffentlicher Vertrag) Campus Rundgang von Petra Roth und Frank Junker Symposium der IHK, ABG-Holding und Stadt Frankfurt »Wir bauen ein Modellquartier – gemütlich, CO2-frei, mobil« in der Industrieund Handelskammer Auftakt der Planungswerkstätten im Stadtplanungsamt 1. Planungswerkstatt im Saalbau Bockenheim 2. Planungswerkstatt im Saalbau Bockenheim 3. Planungswerkstatt im Saalbau Musikübungszentrum Schönhof Abschlussforum der Planungswerkstätten im Casino der Stadtwerke Symposium »Kultur + Stadt: Internationale Erfahrungen und Perspektiven für den KulturCampus Frankfurt« in der IHK Informationsveranstaltung über den Stand der Planungen für den KulturCampus im Casino der Stadtwerke Fortführung der Planungswerkstätten in Arbeitsgruppen

Quelle: eigene Zusammenstellung

8.2.2 Herstellung von Konsens durch ›Sachzwang‹ Die in Tabelle 5 dargestellte Chronologie lässt zunächst einen »Dialog auf Augenhöhe« vermuten, wie ihn die Planungsliteratur vorschlägt (vgl. z. B. Bischoff et al. 2005, Hamedinger et al. 2008, Healey 1997). Eine Vielzahl der Bürger*innen fühlte sich aber im Prozess und den darin angewandten Moderationsverfahren nicht ernst genommen. Dieses Unbehagen verstärkte sich mit der Zeit und wurde in unterschiedlicher Art und Weise und zunehmender Radikalität geäußert. Die Gründung der Bürger*inneninitiativen erfolgte aus Protest gegen die Pläne der Stadt, in denen Büronutzung und hochpreisiges Wohnen als Nachnutzung des frei werdenden Campusgeländes vorgesehen waren. Sie fürchteten ein weiteres steigenden Mieten können zu Verdrängung in Bockenheim führen. In der ersten Phase verstanden sie sich klar als Stimme der Opposition aus der Bürger*innenschaft Bockenheims, aber als Partner*innen in Gesprächen und im partizipativen Planungsprozess. Aber bereits bei den sogenannten Dialogveranstaltungen im März und Mai 2010 änderte sich die Wahrnehmung der Beteiligten. »Wir hatten dann noch so etwas vollkommen Absurdes. An vier Ecken wurden Flipcharts aufgestellt und da wurden die Bürger beflötet. Also wir fanden das eigentlich alles ein relativ beschämendes Verfahren. [...] wir kamen uns natürlich total bescheuert vor, jetzt an irgendwelchen Flipcharts rumzuhängen und zu sagen: Ich wünsch mir das und das, [...] also es wurde so

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getan als ob man sich heute das erste Mal sieht und heute zum ersten Mal dazu Stellung nehmen kann. [...] Obwohl sich in den Jahren davor viele damit befasst haben, unabhängig von städtischen Umtrieben, und es vollkommen klar war, dass diese Rahmenplanung abgelehnt wird.« (Interview 21, Para. 10 – 12)

In den Dialogveranstaltungen zeichnete sich zum ersten Mal ein zentraler Konflikt ab. Die Vorgabe, auf dem Campus solle eine Mischung aus 30 Prozent Wohnen und 70 Prozent Bürobauten als Messeerweiterungsgelände entstehen, wurde im Vorfeld des Wettbewerbs zur Erstellung eines städtebaulichen Rahmenplans ohne Beteiligung der Bürger*innen getroffen. Die Moderator*innen der Dialogveranstaltung drängten darauf, den Rahmenplan als gesetzte Verhandlungsgrundlage zum Ausgangspunkt der Verhandlung über seine Ausgestaltung zu machen. Die Bürger*innen und Initiativen aber wollten diesen Rahmen nicht akzeptieren. »Wir sollten dann sagen, wo die Blumenkübel stehen sollen, dafür waren wir nicht gekommen« (Interview 17, Para. 19). Sie kritisierten, Frankfurt habe mit mindestens 1,5 Millionen Quadratmetern Büroleerstand bereits zu viel Büroraum, während es dringend an bezahlbarem Wohnraum mangele. Diese Tendenz habe sich seit der Finanzkrise dramatisch verschärft. »Wenn Du als Mensch, der schon massenhaft dazu gearbeitet hat, mehrere Broschüren herausgegeben hat, Kurse, Veranstaltungen im Stadtteil dazu gemacht hat, vor eine Tafel geführt wirst und Du sollst sagen, was wünschen sie sich denn, [...] da fühlst du dich in keinster Weise ernstgenommen. Das ist einfach lächerlich.« (Interview 21, Para. 30)

Das Unbehagen am Partizipationsprozess intensivierte sich durch zwei Ereignisse im Rahmen des Beteiligungsprozesses: dem ersten ›Bürgerforum‹ im Februar 2011 sowie der Unterzeichnung des »Letter of Intent« am 24. März 2011. Das ›Bürgerforum‹ war – im Gegensatz zu den vorangegangenen Dialogveranstaltungen – nicht partizipativ, sondern als Podium organisiert. Auf dem Podium waren neben der Oberbürgermeisterin Petra Roth, der Stadtplaner Albert Speer, die Stadtsoziologin Martina Löw, Kulturförderer, Rechtsanwalt und Vertreter des »Forums KulturCampus Frankfurt e. V.« Stefan Mumme, der Architekt Jens Jakob Happ, der Geschäftsführer der ABG-Holding Frank Junker sowie der Direktor des Senckenberg Museums Volker Mosbrugger. Den Bürger*inneninitiativen war eine Teilnahme auf dem Podium verwehrt worden. In einer Pressemitteilung hieß es dazu nur: »Nach kurzen Stellungnahmen der Referenten öffnet sich die Debatte für die Bürger. ›Mit diesem Forum wollen wir die Frankfurter ermuntern, ihre Ideen zu diesem bedeutenden Projekt beizutragen‹, hob Oberbürgermeisterin Petra Roth hervor. Das Bürgerforum soll der Auftakt sein, um die Diskussion über den Kultur-Campus in Gang zu bringen.« (Presse und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main 2011)

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Zum Zweiten verschärfte sich der Konflikt mit der Unterzeichnung des sogenannten »Letter of Intent« (Hessisches Ministerium der Finanzen et al. 2011). Dieses Schriftstück legte fest, dass das Land Hessen das Areal des Campus Bockenheim an die städtische Wohnungsbaugesellschaft AGB-Holding verkaufen wird und dass die dadurch generierten Mittel die dritte Ausbaustufe der Universität auf dem Campus Westend finanzieren sollen. Der »Letter of Intent« wurde von Dr. Thomas Schäfer als Vertreter des Hessischen Ministeriums für Finanzen, Frank Junker, dem Geschäftsführer der ABG-Holding sowie von Oberbürgermeisterin Petra Roth als Vertreterin der Stadt unterzeichnet, der Abschluss des Kaufvertrags erfolgte im August 2011. Beide Ereignisse vermittelten den Bürger*inneninitiativen und anderen Anwesenden das Gefühl, sie würden aus dem Planungsprozess ausgeschlossen. Entscheidend für den weiteren Verlauf des Beteiligungsprozess war die Konstruktion des zu verhandelnden Problems im Nachgang der Unterzeichnung des »Letter of Intent« durch die ABG-Holding, das Büro der Oberbürgermeisterin, dem Stadtplanungsamt sowie dem für den Moderationsprozess gewonnenen Planungsbüro »Freischlad + Holz/Herwarth + Holz/AGL«. In der Außenkommunikation hieß es stets nicht die Stadt, sondern die ABG-Holding kaufe das Areal und sei verpflichtet, nach marktwirtschaftlichen Kriterien zu wirtschaften. Die ABG ist als »Wohnungsbau- und Beteiligungsgesellschaft, mbH und Konzern« organisiert und muss entsprechend wirtschaften (Stadt Frankfurt am Main 2012a, S. 181). Diese Darstellung aber lässt außer Acht, dass die ABG Holding zu 99,99 Prozent der Stadt Frankfurt gehört und der Aufsichtsrat mit Mandatsträger*innen der Stadt besetzt ist (vgl. ebd.). Dadurch ergeben sich folgende politische Spielräume: Wenn die Stadt den Willen äußert, ein gemeinnütziges Projekt finanzieren zu wollen (z. B. Kindertagesstätten, gefördertes Wohnen, Kultureinrichtungen), kann sie dies über die ABG-Holding abwickeln. Durch die Rahmung der Wohnungsbaugesellschaft »ABG Holding« in öffentlichen Diskussionen und medialen Repräsentationen als Unternehmen, wurden entscheidende Weichen gestellt: Sie sorgte dafür, dass die Debatten um die Nachnutzung des Bockenheimer Campus von Seiten der Stadt nie völlig ergebnisoffen geführt wurden. Vielmehr wurde auf diese Weise die Refinanzierung des Areals als ökonomische Rahmenbedingung konstruiert, die den Beteiligten als unhinterfragbarer Sachzwang präsentiert wurde. Damit wurde der Planungsprozess wesentlich und entscheidend vorstrukturiert. Politische Gestaltungsspielräume, die die Stadt als Eigentümerin hat, wurden ausgeblendet. Dass es durchaus politische Gestaltungsspielräume gab und gibt, zeigt ein Blick in die Planungsgeschichte, die das Areal zunächst als Messeerweiterungsgelände vorsah und erst im Zuge der Finanzkrise 2008 eine Initiierung und Förderung dieser städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme durch die Ansiedlung von zumeist öffentlichen Kulturinstitutionen politisch beschlossen wurde. Derartige politische Handlungsspielräume waren durch die Art und Weise, wie die Pläne zum

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KulturCampus präsentiert wurden und wie an der Erarbeitung eines »Konsensplanes« partizipiert werden konnte, weitestgehend ausgeblendet. »There is [...] the question of the extent to which opportunities to participate really exist, with some suggesting that residents consent to plans that have already been established rather than shaping plans from the start.« (Blakeley 2010, S. 138)

Eine solche Konstruktion von vermeintlichen ›ökonomischen Sachzwängen‹, die anschließend politisch nicht mehr in Frage zu stellen sind, nennt Jacques Rancière »post-politisch«, die ›Vorformatierung‹ politischer Prozesse, wie im vorliegenden Fallbeispiel der Partizipationsprozess, nennt er einen »post-politischen Konsens« (Rancière 2004, S. 3). Dieser sei für die gegenwärtige Form westlicher Demokratie charakteristisch. Sie kennzeichne sich durch eine »reduction of democratic life to the management of the local consequences of global economic necessity« (ebd., S. 4). Mit Hilfe von neuen konsensualen partizipativen Aushandlungsformen und governance-Technologien würden Formen des Widerstandes und der Kritik derart in die verlängerten Arme des aktivierenden Staates eingehegt, dass Dissens de facto nicht mehr artikulierbar sei. »A post-democratic consensual policy arrangement has increasingly reduced politics to ›policing‹, to managerial consensual governing.« (Swyngedouw 2011, S. 375)

Auf diese Weise wird durch die Ausweitung einer unternehmerischen Logik auf Ebene der Regierung der Stadt, der Raum des Politischen beschränkt (vgl. Kapitel 2.4.3, S. 64). Im Fallbeispiel wird ein post-politischer Konsens prozessiert, indem die Adressierung bestimmter Streitpunkte, die im Stadtteil schon seit längerem diskutiert wurden, durch die Struktur des Politik- und Partizipationsprozesses verhindert wird. Dies betrifft Eigentumsfragen, Fragen der Privatisierung weiter Teile des bislang öffentlichen Geländes, Probleme der Mietsteigerung und Verdrängung durch die Aufwertung des Stadtteils Bockenheim zur »Innenstadtlage II« im Mietspiegel 2010 (Magistrat der Stadt Frankfurt am Main 2010b), die drohende Gentrifizierung durch Aufwertungsprozesse auf dem KulturCampus, die Abrissplanung denkmalgeschützter und historisch bedeutsamer Nachkriegsarchitektur sowie Fragen gewachsener Stadtteilkultur auf dem Campus. Damit sind Fragen – wie sich im weiteren Planungsprozess noch häufiger zeigen soll –, die das Paradigma einer kulturinduzierten und wachstumsorientierten Stadtentwicklung in Frage stellen, im Planungsprozess selbst nicht mehr verhandelbar. Die Technologien der partizipativen Planungen tragen hier wesentlich dazu bei, den Prozess in dieser Weise zu formatieren. Stimmen, die die Regeln des Prozesses dennoch hinterfragen, werden als »Utopisten« marginalisiert und ihre Forderungen beispielsweise nach einer sozialen Ge-

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staltung des Campus als »unrealistisch« oder »nicht bezahlbar« ausgeschlossen (Aussagen von Brigitte Holz von Freischlad + Holz, Moderatorin der Planungswerkstätten zum KulturCampus Bockenheim, Feldnotiz vom 17.02.2012). Hier zeigt sich, was Georgina Blakeley in ihrer Analyse von Partizipationsprozessen in Barcelona und Manchester feststellt: »citizen participation can mean that councils‹ strategy becomes accepted as the common sense, realist view of the world to which any alternative is difficult to imagine« (Blakeley 2010, S. 140). Genau auf diese Weise führt Konsensdemokratie »zu einer Stigmatisierung der sozialen Bewegungen, die gegen eine Gleichsetzung von Demokratie mit der öffentlichen Verwaltung ökonomischer Notwendigkeiten kämpfen. Die vorgebliche Rückkehr der Politik« durch den Prozess der Bürger*innenbeteiligung ist, so Rancière, »in Wirklichkeit ihre Auflösung« (Rancière 2004, S. 4, Übersetz. I. D.). »Die Gleichsetzung von Demokratie mit Konsens ist die gegenwärtige Form ihres Verschwindens. Konsens meint nicht einfach das Auslöschen von Konflikten zum Wohle gemeinschaftlicher Interessen. Konsens meint das Auslöschen der umkämpften und konflikthaften Natur dessen, was wir als Gemeinschaft bezeichnen. [...] Mit anderen Worten, stützt sich der konsensuelle Staat auf eine globale ökonomische Notwendigkeit, die als Sachzwang präsentiert wird, um Konflikte über das, was Gemeinschaft ist, in ihre internen Probleme zu transformieren.« (Rancière 2004, S. 7, Übersetz. I. D.)

In Anlehnung und Weiterentwicklung von Gramscis berühmtem Satz Hegemonie »zeichnet sich durch die Kombination von Zwang und Konsens aus« (1991 ff., S. 1610) könnte man hier von ›Konsens gepanzert mit konstruiertem Sachzwang‹ sprechen. In der neoliberalen Stadt wird das Versprechen, jeder könne seine Stimme in den politischen Prozess einbringen, zunehmend nicht mehr eingelöst. Diese Tatsache ist im Modus partizipativer Demokratie selbst nicht adressier- und kommunizierbar, weil diese sich durch das Gleichheits- und Partizipationsversprechen erst konstituiert. 8.2.3 Inkorporierung von Kritik durch Partizipation Es gab unterschiedliche Versuche, die post-politische Hegemoniebildung im Prozess der Bürger*innenbeteiligung zu durchbrechen oder wenigstens in Frage zu stellen. Die Aktionen, die es dazu gab, zeichneten sich durch unterschiedliche Radikalität in Bezug auf die Infragestellung dessen, was im vorherigen Kapitel als ›post-politischer Konsens‹ beschrieben wurde, aus. Sie reichten von Hausbesetzung, Performance bis hin zu Störungen der Planungsveranstaltungen, Pressekonferenzen, zahlreichen Flyern und Statements. Die wurden nur in den seltensten Fällen von den Moderator*innen des Planungsprozesses oder der Presse ignoriert. Auch wurden alle Forderungen,

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die in den verschiedenen Protestformen geäußert wurden, in den abschließenden »Konsensplan« integriert. Das führte jedoch nicht dazu, dass die bereits im Rahmenplan von 2004 hegemonialen Rationalitäten unternehmerischer Stadtplanung, gegen die sich der Protest richtete, verändert worden wären. Im Folgenden werden einige dieser Protestaktionen exemplarisch vorgestellt und ihre Einhegung in den post-politischen Konsens diskutiert. Formatierung des Problems durch den Beteiligungsprozess – Oder: Der Kampf gegen moderne Kommunikationsmethoden Gegen die Unmöglichkeit, bestimmte Fragen im vorformatierten Prozess der Beteiligung (vgl. Kapitel 8.2.2) adressieren zu können, regen sich im Laufe des Prozesses unterschiedliche Formen des Protestes. Beteiligung mache »eben auch nur unter bestimmten Voraussetzungen einen Sinn« (Initiative Zukunft Bockenheim et al. 2011), wenn es über das »Bekleben von Flipcharts und das Bewerten dieser pädagogischen Beschäftigungen« (ebd.) hinausginge. Im Mai 2011 beispielweise entwickeln die Bürger*inneninitiativen gemeinsam mit dem »Verein Offenes Haus der Kulturen« alternative Regeln, nach denen, ihrer Meinung nach, Bürgerbeteiligung gestaltet werden solle und überreichen diese der Oberbürgermeisterin, den Stadtverordneten sowie den Behörden. Diese Regeln richten sich dezidiert gegen ein vorzeitiges Einengen des Themenspektrums und dessen, was im Prozess selbst noch verhandelbar ist: »Wir wollen als Bürger mitreden darüber, was Bürgerbeteiligung ist, und wie Bürgerbeteiligung bezogen auf den Campus Bockenheim praktiziert werden soll.« (ebd.). Damit sollen »den Stadtteilbewohnern [...] Möglichkeiten geschaffen werden, ihre Bedürfnisse zu artikulieren« (ebd.). Die dann konkret geforderten Regeln wie »Diskussion auf Augenhöhe«, rechtzeitige »Ankündigung der öffentlichen Veranstaltungen« und ihre »Dokumentation«, »Planungswerkstätten« und »Ergebnisoffenheit« sind Aspekte, die sich in der späteren Rhetorik der durch das Planungsbüro »Freischlad + Holz/Herwarth + Holz/AGL« moderierten »Planungswerkstätten« wiederfinden (»Transparenz«, »Festhalten von Minderheiten-Voten«, »Öffentlichkeit«, »gleichberechtigte Kommunikation und Diskussion«, vgl. Freischlad + Holz/Herwarth + Holz/AGL 2011, S. 10). Die Forderungen des Protestes konnten so einfach aufgenommen werden, weil diese sich fast hundertprozentig mit der Rhetorik von Moderations- und Bürgerbeteiligungsverfahren decken. Dies erklärt sich aus ihrer Genealogie, denn Bürger*innenbeteiligung ist als Instrument aus lokalen Stadtteilprotesten in den 1970er Jahren entstanden und sukzessive zu einem Moderations- und Regierungstool der Stadtverwaltung geworden, welches für die Bauleitplanung formell in Paragraph 3 des BauGB geregelt ist und informell in vielen kommunalen Bereichen von der Haushaltsplanung bis zur Entwicklung von Flächennutzungs- und Rahmenplänen eingesetzt wird.

296 | KREATIVPOLITIK »Eine lokale Verankerung von sozialpolitischen Strategien und eine größere Selbstbestimmung der Stadtbewohner war von den Bürgerinitiativen schon in den 1970er Jahren gefordert worden. Allerdings hat sich seitdem der politische Kontext gänzlich verändert.« (Ronneberger 2005, S. 220)

Das bedeutet, die Rhetorik und Verfahrensregeln des Partizipationsverfahrens deckten sich in großen Teilen mit der Art des Umgangs wie sie auch innerhalb der Bürger*inneninitiativen gelebt wird: basisdemokratische Entscheidungsstrukturen, Redelisten, Konsensprinzip etc. Dies hatte im Bockenheimer Fall zur Konsequenz, dass sich die Bürger*inneninitiativen zunächst ernst genommen und verstanden fühlten. Schlussendlich führte die Deckung der Rhetorik der Bürger*inneninitiativen mit der Sprache der Moderation zu einer Einhegung von emanzipativen und partizipativen Forderungen in den Kanon neoliberaler Regierungstechnologien. Dies zeigte sich in dem Umstand, dass jede Anregung von Seiten der Bürger*innen von den Moderator*innen geduldig mit den Worten kommentiert wurde: »Das nehmen wir auf und wird alles im Anhang [des Konsensplans, Anmerk. I. D.] dokumentiert« (Brigitte Holz zit. n. Feldnotiz vom 24.03.2012). Dies führte aber nicht zu einer Berücksichtigung der Vorschläge seitens der Bürger*innen, sondern zu ihrer Einhegung in einen post-politischen Konsens. Auf diese Weise zeigt sich, dass die Forderung der Protestbewegungen der 1970er Jahre nach Partizipation mittlerweile zu einer Regierungstechnologie geworden ist, die weite Verbreitung bei größeren städtebaulichen Vorhaben gefunden hat. ›Leuchttürme verabschieden‹ und andere Interventionen in den Begriffsapparat neoliberaler Stadtpolitik Andere Protestformen gegen die Hegemonie unternehmerischer Stadtpolitik arbeiteten mit einer Intervention in den neoliberaler Begriffsapparat, wie er zur Konzeptualisierung des KulturCampus angewendet wurde. Diese Interventionen haben zu einer sukzessiven Substitution und Verschiebung bestimmter im Prozess zentraler Begriffe geführt, von denen nun einige exemplarisch vorgestellt werden (vgl. Tabelle 6). Seit der Präsentation der Idee eines KulturCampus durch Oberbürgermeisterin Petra Roth und dem hessischen Finanzminister Karlheinz Weimar im August 2010, hatte eine Rhetorik, die den Campus als »Leuchtturmprojekt« und »Modellquartier« bezeichnet, in der Presse und anderen öffentlichen Bekundungen immer weitere Verbreitung gefunden. Im Rahmen des Aktionstags des Wem-gehört-die-Stadt-Netzwerks am 11. Juni 2011 wurde diese Rhetorik in einer Performance in Frage gestellt. Die beteiligten Künstler*innen und Gruppen aus dem Netzwerk, die die Idee eines KulturCampus grundsätzlich begrüßten, hatten im Vorfeld eine Hochglanzeinladung zur »Eröffnung des KulturCampus« an alle wichtigen Politiker*innen, Kulturinstitutionen und die Presse geschickt.

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Tabelle 6: Interventionen in das Sagbarkeitsfeld während des Partizipationsprozesses vorher Stadt – ABG – Planungsbüro – IHK Leuchtturm Modellquartier Smart, nachhaltig, gemütlich, mobil Bolongaro-Prozess, Positives Pendant zu Stuttgart 21 Partizipation Bilbao und Oslo, Montmartre Frankfurts Teilnahme befriedet Konsens …

Intervention Leuchttürme in die Luft gehen lassen / Smart-City Konzept geht an Bedürfnissen der Menschen vorbei Bolongaro-Effekt Partizipationslüge Keine globale anonyme Architektur Teilhabe Wir sind nicht befriedet Dissens …

nachher Stadt – ABG – Planungsbüro – IHK / Wohnen und Kultur für alle / / Partizipation / Teilnahme und Teilhabe / Konsens im Dissens …

/ = Begriff taucht nicht mehr auf Quelle: eigene Darstellung »Also das sah hochoffiziös aus, mit diesen Einladungen. Und das hat super funktioniert, dass in der Presse dann von den Einladungen die Rede war und gefragt wurde ›Wer soll das sein? Wer steht dahinter?‹« (Statement eines Vertreters des Offenen Hauses der Kulturen, auf einer Podiumsdiskussion zum Thema Kultur und Kreativität in der Stadtentwicklung Frankfurts im Rahmen des Kongresses »Wem gehört Frankfurt?« am 18.03.2012, Abs. 19)

Am 11. Juni veranstalteten dann etwa 30 Performer*innen gemeinsam mit dem bekannten Schwabinggrad Ballett die symbolische Eröffnung des KulturCampus: »Wir hatten ja die ganze Zeit schon argumentiert, dieser KulturCampus ist kein Zukunftsprojekt [...], sondern hier findet schon Kultur statt, hier findet politische Praxis statt. Das lässt sich auch unter diesen Kulturbegriff fassen [...]. Wir haben gesagt, der KulturCampus ist schon da, und das haben wir dann auf super affirmative Weise so gemacht, dass wir gesagt haben, wir machen jetzt die Eröffnung des KulturCampus. Schön, dass ihr es vorhabt, aber wir machen es vor euch. [...] und das haben wir dann irgendwie genutzt, um an dem Tag, diese sehr plakative, symbolische Verabschiedung dieser Leuchttürme zu machen. Die haben dann diese [...] Eröffnungszeremonie gemacht, wo dann so Leuchttürme an Luftballons in den Himmel stiegen. [...]. Wir versuchen uns zu distanzieren von dieser Vereinnahmung. Wir wollen hier keine Exzellenz überhaupt, sondern wir [...] verabschieden jetzt den Leuchtturmplan.« (ebd.)

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Die Performance nahm das Narrativ kultureller Leuchttürme auf und verkehrte es in eine Kritik (vgl. Abbildung 12). Abbildung 12: Symbolische Eröffnung des KulturCampus und Verabschiedung der »Leuchtturmpolitik«

Quelle: Aylin Karacan, FgZ

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Die Artikulation von »Leuchtturmpolitik« als den lokalen Interessen entgegenstehend führte in der Folge zu einer Problematisierung von Leuchtturmpolitik als Teil unternehmerischer Stadtpolitik und veränderte das Bewusstsein vieler Aktivist*innen. Vor allem im Rahmen der Planungswerkstätten kam es regelmäßig zu Statements, die Argumente gegen den KulturCampus als »Leuchtturm« stark machten (vgl. Tabelle 6). Auch Begriffe und Modelle, die mit kultureller Leuchtturmpolitik in Verbindung stehen und als Vorbilder zitiert wurden, wie etwa die mittlerweile zur globalen Blaupause avancierte kulturinduzierte Kreativstadtentwicklung in Bilbao oder Oslo, wurden abgelehnt. »Aber zurück nach Bilbao. Bilbao hat es vorgemacht, und plötzlich kennt jeder Kulturinteressierte der Welt die an sich eher unaufgeregt wirkende spanische Hafenstadt. Bilbao ist mit der Errichtung der architektonisch beeindruckenden Guggenheim-Filiale zu einem Bezugspunkt geworden, nicht anders als ein Jahrzehnt zuvor Frankfurt mit seinem Museumsufer.« (Petra Roth, StVV vom 24.02.2011, S. 44 f.).

Solchen Statements wurde entgegengebracht, dass sie lokale Bedürfnisse übergingen. »Wenn Sie die Debatte verfolgt hätten, wüssten Sie, dass Bilbao alles andere als eine gelungene Stadtentwicklung war. Wir wollen hier keine anonyme Architektur globaler Architekten, wir wollen, dass die gewachsene Struktur Bockenheims und des Campus in seiner Einzigartigkeit erhalten bleiben.« (Kommentar eines Bürgers auf der 3. Planungswerkstatt, Feldnotiz vom 23.03.2012)

Dies führte dazu, dass die Begriffe in der Folge weder von den Moderator*innen, den Politiker*innen, Vertreter*innen der ABG-Holding noch sonstigen Beteiligten in den Planungswerkstätten positiv verwendet wurden (vgl. Tabelle 6). Durch die Performance und die damit verbundenen Positionen hatte sich das Sagbarkeitsfeld innerhalb des Bürger*innenbeteiligungsverfahrens verschoben. Anstelle des Begriffs des Leuchtturms trat zunehmend das Motto »Campus für alle«, der später zu »Kultur und Wohnen für alle« wurde. Es schloss diskursiv an »Kultur für alle« an und nahm damit einerseits die Kampagnen des »Offenen Hauses der Kulturen« und der anderen Bürger*inneninitiativen auf und stellte das Projekt in die Tradition der erfolgreichen Museumsuferpolitik Hilmar Hoffmanns der 1970er Jahre, der mit genau diesem Slogan geworben hatte. Diese Intervention in den Begriffsapparat hatte nicht zur Folge, dass Rationalitäten und Ziele, die die Kritiker*innen vorher als »Leuchtturmpolitik« tituliert hatten, aufgegeben oder verändert wurden. Vielmehr hat diese Intervention dazu geführt, dass die Akzeptanz des »KulturCampus« in seiner unveränderten Form auch unter seinen Kritiker*innen gestärkt wurde. Die Tatsache, dass sich das Sagbarkeits-

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feld innerhalb des Beteiligungsprozesses verschoben hatte, ließ aber die Tatsache unberührt, dass in anderen Kontexten wie beispielsweise in der Stadtverordnetenversammlung die Metapher des »Leuchtturms« weiter bemüht wurde (StVV vom 24.02.2011, S. 47). Zwei weitere Protestaktionen, die in das Sagbarkeitsfeld intervenierten und es verschoben, seien hier noch erwähnt. Am 22. November 2011 fand das Symposium »Wir bauen ein Modellquartier – gemütlich, CO2-frei, mobil« ausgerichtet von IHK, ABG-Holding und Stadt Frankfurt in der Industrie- und Handelskammer Frankfurt statt. Dr. Jens Maier vom Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen entwarf dort ein Konzept für den KulturCampus als innovative »Smart City« (Maier 2011, S. 10) für »Menschen, die es ›gemütlich‹ haben, aber trotzdem die Zukunft gestalten wollen« (ebd.). »Gemütlichkeit«, »der Bürger als glücklicher Konsument« und »Kultur als Imagegeber und die Marke Frankfurter Schule« fungierten dabei neben »Mobilität« und »Nachhaltigkeit« als die zentralen Schlagworte des Symposiums. In einem Gegenstatement im Rahmen der Auftaktveranstaltung zu den Planungswerkstätten am 25. November 2011 hatte ein Vertreter des »Offenen Hauses der Kulturen« diese »Visionen« für den KulturCampus als Ausdruck einer kreativen und unternehmerischen Stadtentwicklung dargestellt, die zwar smarte, mobile, gebildete Gutverdienende anlocke, an den Bedürfnissen der Menschen im Stadtteil aber vorbei ginge (Freischlad + Holz/Herwarth + Holz/AGL 2011, S. 48 – 51). Dies hatte zur Folge, dass die Begriffe »Modellquartier«, »gemütlich«, »mobil« und »smart« im Planungsprozess und den Dokumentationen nicht mehr auftauchten. Kurz bevor am 20. April 2012 auf dem Abschlussforum der Planungswerkstätten im Casino der Stadtwerke der gemeinsam erarbeitete »Konsensplan« präsentiert werden sollte, hatte Petra Roth in der Presse bereits verkünden lassen, die Bürger*innen seien »befriedet« (FNP vom 29.03.2012, S. 12). Dies führte zu verschiedenen Protestaktionen: Zum einen stellten sich während ihrer Eröffnungsrede auf dem Abschlussforum Aktivist*innen hinter sie und hielten Transparente mit den Schriftzügen »Dissens statt Konsens«, »Teilhabe statt Teilnahme« oder »Junkerland in Bürgerhand« in die Höhe. Zum anderen lag eine ›Umfrage‹ mit dem Titel »Kennen Sie die Bürgerbeteiligung Format Römer 1.0?« auf allen Stühlen, die auf verschiedene »Missstände« des Beteiligungsverfahrens hinwies (vgl. Abbildung 13). Auf diesem Flyer wurde der Begriff »Bolongaroeffekt« geprägt. Das Bürger*innenbeteiligungsverfahren über die zukünftige Nutzung des Bolongaropalastes in Höchst war im Prozess immer wieder als Beispiel für einen vorbildlichen Beteiligungsprozess zitiert worden. »Nach den überaus guten Erfahrungen, die Petra Roth zuletzt mit den insgesamt fünf Planungswerkstätten für die Sanierung des Höchster Bolongaro-Palastes gemacht hat, setzt sie wieder auf diese Möglichkeit der politischen Partizipation – und zwar der frühzeitigen Partizipation: Bevor die Pläne für den KulturCampus fertig sind, können Bürger ihre eigenen Vorstellungen

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kundtun und sich im Sinne der Allgemeinheit an der Ideensammlung beteiligen.« (Stadt Frankfurt am Main und ABG Frankfurt Holding 2011, S. 9)

In der Folge wurde »Bolongaroeffekt« zum Symbol von »Empfehlungen von Planungswerkstätten, die städtischerseits beschlossen werden, über das Argument ›Haushaltsloch‹ kassiert werden« (Initiative Zukunft Bockenheim et al. 2012, siehe Abbildung 13). In einem weiteren Flyer wurde der Dissens zum Konsensplan dargelegt und die militärische Bedeutung des Wortes »befrieden« skandalisiert. Abbildung 13: Kennen Sie die Bürgerbeteiligung Format römer 1.0?

Flyer anlässlich des Abschlussforums der Planungswerkstätten zum KulturCampus Bockenheim am 20.04.2012 im Casino der Stadtwerke Frankfurt, Quelle: eigener Scan

Die Interventionen hatten zur Folge, dass die Moderation der Planungswerkstätten nicht mehr von einem gelungenen Konsens sprach. Stattdessen sagte die Moderatorin beim Abschlussforum der Planungswerkstätten zum KulturCampus Bockenheim: »Es herrscht Konsens darüber, dass Dissens herrscht« (Brigitte Holz zit. n. Journal Frankfurt 2012a). Auch wurde der Begriff »befrieden« gemieden und der Bolongaropalast nicht länger als Vorzeigeprozess zitiert. Die Tatsache, dass bestimmte Begriffe nicht mehr ausgesprochen wurden, führte nicht zu einer Änderung der Planungspolitik oder -ziele einer unternehmerischen Stadtpolitik. Stattdessen wurde Kritik im Zuge des Partizipationsprozesses immer schwieriger als solche zu adressieren, weil durch eine partielle Anpassung der Spra-

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che, die Angriffsflächen verschwanden. Die Tatsache, dass die Initiativen und Aktivist*innen mit den Planer*innen und Politiker*innen ›Tabu‹2 spielten, führte dazu, dass nicht nur die Ansatzpunkte für Kritik verschwanden, sondern auch dazu, dass Kritik inkorporiert wurde. Der Diskurs des Kreativitätsskripts ist derart »elastisch« (Peck 2012, S. 472), dass er Kritik absorbiert und inkorporiert. »[I]ts very elasticity provided an expedient means of achieving a range of other goals, while productively repackaging local policies under the sign of creativity, as a positive and trendy urban-development metanarrative that at least appeared to ›fit‹.« (ebd.)

So nahm beispielsweise Petra Roth in ihrer Eröffnungsrede die hinter ihr aufziehenden Slogans »Dissens statt Konsens« und »Teilhabe statt Teilnahme« spontan in ihre Rede auf, indem sie behauptete, in diesem Prozess habe nicht nur »Teilnahme«, sondern auch »Teilhabe« stattgefunden und man habe schlussendlich einen »Konsens im Dissens« erreicht. Dass nicht mehr nur von einem »Modellquartier mit internationaler Leuchtkraft«, sondern von »Wohnen und Kultur für alle« gesprochen wurde, hat die Akzeptanz des in weiten Teilen unveränderten Vorhabens enorm erhöht. Zwar wurden alle Minderheitenvoten, kritischen Anmerkungen und Statements in den Anhang des Konsensplans aufgenommen, der Konsensplan selbst wich aber nur an einigen sehr wenigen Punkten vom Rahmenplan aus dem Jahr 2010 ab. Kritik an der Planung und am Prozess selbst wurde in der Folge sehr viel vorsichtiger geäußert. So sagt beispielsweise ein freier Performer, der bei allen Protestaktionen mitgewirkt hatte, auf einem Treffen vor der Abschlussveranstaltung der Planungswerkstätten: »Ich bin dagegen diesmal wieder die Veranstaltung zu sprengen. Das konnten wir am Anfang machen. Wir hatten die Möglichkeit uns zu äußern und das werden sie uns auch zu Recht sagen, dass es unfair ist, jetzt noch quer zu schießen.« (Feldnotiz vom 28.03.2012)

Auch Blakeley stellt in Bezug auf Partizipationsverfahren fest: »As power is exercised through the discourse and organizational forms of these formal instances of participation, citizens often adapt their language and behavior as they become more involved« (Blakeley 2010, S. 138)

2

»Tabu« ist ein Gesellschaftsspiel, bei dem sich alles um einen Begriff dreht, der nicht ausgesprochen werden darf.

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Auf diese Weise zeigt sich, wie Protest und Widerstand als Schmieröl im Bürger*innenbeteiligungsverfahren zur Herstellung von Zustimmung zu einem hegemonialen Projekt funktionieren können. Was nicht kulturalisiert werden kann, findet kein Gehör − Über Möglichkeiten der critique artiste und Grenzen der critique sociale Ein zentraler Streitpunkt der Ausgestaltung des KulturCampus ist die Aushandlung zwischen critique artiste und der critique sociale (vgl. Kapitel 4.2.3 und (Boltanski und Chiapello 1999, S. 262)). Während durch die Umwidmung des städtebaulichen Entwicklungsprojekts von einem Messeerweiterungsgelände hin zu einem KulturCampus Forderungen nach Orten für Kunst, Kultur, Vorträge, Austausch etc. nachgekommen wurde, war dies bei Forderungen nach einer sozialeren Ausgestaltung des Campus weit weniger der Fall. Die Frage, ob Kultur auch soziale Projekte, migrantische Gruppen o. ä. umfasst, ist umstritten. Die soziale Ausgestaltung des Wohnungsbaus sowie der Erhalt der Kindertagesstätte sind und waren zentrale Streitpunkte. Es gab verschiedene Protestformen, die den Widerspruch zwischen der Anerkennung der critique artiste und der Zurückweisung der critique sociale zum Thema machten. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob Kultur auch eine soziale und politische Dimension auf dem Campus umfassen sollte. Diese Frage spitzte sich in der Debatte um die Zukunft des Studierendenhauses zu. Der Verein »Offenes Haus der Kulturen« möchte das Studierendenhaus in seiner Tradition fortführen und Räume an freie Künstler*innen, aber auch an politische, migrantische Gruppen vergeben, wie dies bereits seit Jahren Praxis ist. Obwohl die Idee eines »Offenen Hauses der Kulturen« vielfach und auch von der Integrationsdezernentin − begrüßt wurde, zeichnete sich schnell ab, dass es im »Forum KulturCampus Frankfurt e. V.«, also dem Zusammenschluss der auf dem KulturCampus ansässigen Institutionen, die den Campus repräsentieren und für seine Vermarktung inszeniert werden, keinen Platz hat. Zwar spricht sich die Stadt Frankfurt in ihrem »Diversitäts- und Integrationskonzept« (Magistrat der Stadt Frankfurt am Main 2011a) für einen weiten Begriff kultureller Vielfalt aus, dieser aber scheint im Rahmen des KulturCampus diskursiv nicht anschlussfähig zu sein. »Dann sind wir [vom Offenen Haus der Kulturen, Anmerk. I. D.] auch tatsächlich mal zum ›Forum KulturCampus‹ gegangen, haben denen mal gesagt: ›Wir sind auch noch da‹ [...] Da war irgendwie auch die Reaktion von Anfang an ziemlich klar: Die waren sehr nett zu uns, aber haben auf eine Weise gesagt [...], dass sie sich als einen Verbund von exzellenten Institutionen mit internationaler Strahlkraft und Exzellenz in Forschung, Lehre, Kultur und Kunst irgendwie verstehen. Und wenn wir mit unserer Initiative hier für dieses Haus dann angeführt haben, hier gibt es Nutzergruppen, die das sehr, sehr lebendig gestalten, es gibt politische Gruppen, es gibt migrantische Gruppen, ja, wie können wir zusammenarbeiten? Da war dann letztlich die Reaktion so, ja, was ihr da vor habt, dieser Gemischtwarenhandel, das ist ja alles ganz putzig, aber,

304 | KREATIVPOLITIK warum geht ihr nicht ins Bürgerhaus Praunheim, die haben das sehr nett formuliert, aber wir haben die herablassende Haltung empfunden. Und da wurde irgendwie zum ersten Mal auch ein bisschen klar, [...] was nicht kulturalisiert werden kann, ist dann unser Projekt. Und in dem Fall standen wir als unser Projekt isoliert da, weil es irgendwie nicht arty genug war, [...] um eben auch bei diesen Institutionen mitzumachen. Auch wenn wir das gewollt hätten.« (Statement eines Vertreters des Offenen Hauses der Kulturen auf einer Podiumsdiskussion zum Thema Kultur und Kreativität in der Stadtentwicklung Frankfurts im Rahmen des Kongresses »Wem gehört Frankfurt?« am 18.03.2012, Abs. 19)

Der Protest gegen die Zurückweisung des Projekts, das critique artiste und critique sociale zu verbinden sucht und seinen kulturellen Auftrag nicht nur als einen hochkulturellen, sondern im Sinne kultureller Vielfalt versteht, die auch eine soziale und interkulturelle Dimension miteinschließt, fand in einer Aktion am 11. September 2011 am Studierendenhaus seinen Ausdruck. Petra Roth und Frank Junker machten an diesem Tag einen von der Presse und interessierten Bürger*innen begleiteten Rundgang über den Campus. Als sie am Studierendenhaus ankamen, wurden sie vom »Offenen Haus der Kulturen«, Künstler*innen und Mitgliedern des Wem-gehört-dieStadt-Netzwerks mit rotem Teppich, Konfetti, Jubel und Sekt begrüßt. Unter dem Motto: »Willkommen auf dem KulturCampus. Wir sind schon da« luden sie ihre »Gäste« zum Gespräch über die Dimensionen von Kultur auf dem Campus und die Zukunft des Studierendenhauses ein (siehe Abbildung 14). »Und wir hatten dann auch das Glück, ein bisschen, dass wir aus den Bürgerinitiativen immer in diesem Zusammenhang standen, dass wir immer gleichzeitig gesagt haben, ja wir sind für den Erhalt dieses Hauses und wir sind hier für [künstlerische, Anmerk. I. D.] Freiräume, aber das soll nie dafür dienen, irgendwie hier unter einer Marke irgendwie einen Campus und toll Wohnen zu verwerten. Da ist dann auch sehr positiv, dass sich dann ›Wem gehört die Stadt‹ gegründet hat, um das noch mal in einen größeren Kontext zu stellen, diesen Kampf eben für Freiräume, aber gleichzeitig gegen Gentrifizierungsprozesse, gegen Verwertungslogik, gegen Einkommensverhältnisse, uns da klar zu positionieren.« (ebd.)

Alle Forderungen, die sich nicht kulturalisieren lassen, finden schwer Beachtung und werden in der Regel dadurch de-thematisiert, dass sie nicht zu bezahlen seien. Der Protest um den Erhalt des Studierendenhauses und seine Weiterführung als »Offenes Haus der Kulturen« hat zwar im weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen dazu geführt, dass das Haus für »kulturelle Nutzung« erhalten bleiben soll. Dabei wird »kulturell« wieder im engen Rahmen der musischen darstellenden Künste verstanden. Ein Zugeständnis an soziale Belange hat es bislang nicht gegeben. »So führt auf der Ebene des Städtischen die Konzentration des urban management auf Kultur und Konsum zu einer Vernachlässigung oder gar Missachtung all jener Alltagspraktiken und

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Institutionen, die nicht mit der Logik der Kulturalisierung kompatibel sind. Nicht weiter verwunderlich, dass Mieterorganisationen und Stadtteilgruppen mit ihren Anliegen oft nur noch wenig Gehör finden. Etwas gespreizt ausgedrückt: Es kommt zu einer Des-Artikulation des »Sozialen«. Diese Tendenz hat sich mit dem Leitbild von der kreativen Wissensstadt noch verstärkt. Das »Außen« der Creative City ist das Nicht-Kulturelle.« (Ronneberger 2012a, S. 61)

Abbildung 14: Protestaktion: »Willkommen auf dem KulturCampus«

Quelle: Aylin Karacan, FgZ

Auch mit Verweis auf die Recht-auf-Stadt-Proteste im Gängeviertel in Hamburg wäre zu fragen, inwiefern Protestaktionen, die sich neuen kreativen Formen des Widerstandes gegen neoliberale Stadtentwicklung bedienen, nicht zu einer »Floridarisierung des Protestes« führen, der zwar künstler*innenkritische Anliegen einzufordern vermag, bei sozialkritischen aber auf der Strecke bleibt. Ein letzter Versuch mit kulturellen Aktionen für soziale Themen zu werben, war die Besetzung des Philosophicums am 30. Juni 2012 im Rahmen eines Stadtteilsommerfestes mit Konzerten und Performances. Für die Zeit der Besetzung, die eine Woche dauern sollte, war ein Kulturprogramm geplant, das nicht nur Konzerte und Performances vorsah, sondern auch Vorträge und Diskussionsrunden, die das Leerstandsproblem, den Mangel bezahlbarer Wohn- und Arbeitsräume in Frankfurt thematisierten und auch noch einmal für die architektonische Besonderheit und mögliche alternative Wohnnutzungen dieses auf seinen Abriss wartenden Kramerbaus sen-

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sibilisierte. Die sofortige Räumung der Besetzung zeigte, dass sich über eine Kulturalisierung des Protests nicht für soziale Themen mobilisieren ließ (KulturCampus Frankfurt 2012). 8.2.4 Zwischenfazit: Regierung durch Partizipation und die Kulturalisierung des Sozialen Die Art und Weise wie durch den Prozess der Bürger*innenbeteiligung eine Zustimmung zum KulturCampus und dem mit ihm verbundenen Paradigma einer unternehmerischen Stadtpolitik erzeugt wurde (vgl. Kapitel 8.2.2) sowie die Art und Weise wie Protest immer wieder in den post-politischen Konsens über ebendiese Stadtpolitik eingehegt wurde (vgl. Kapitel 8.2.3), macht deutlich: »Citizen participation itself can be seen as a means or ›technology‹ of government« (Blakeley 2010, S. 134).

Die De- und Reregulierung keynesianistischer Regierungsformen geht mit neuen Formen der governance einher (Kessel und Otto 2007, S. 9), die über Freiheit, Aktivierung und Konsens regieren und die Nikolas Rose als »Regieren durch Community« (Rose 1996, S. 334) bezeichnet hat. Partizipationsverfahren sind eines von ihnen. »Der allseits beklagten Deregulierung korrespondieren [...] neue Modi der Regulierung; der Rückzug des Staates geht einher mit dem Aufbau community-bezogener Selbststeuerungspotentiale [...]. Autonomie und Konsens definieren dabei nicht länger das Jenseits der Macht, sondern fungieren als deren privilegierte Medien.« (Bröckling 2002, S. 17)

Partizipation, einst eine emanzipative Forderung gegenüber dem zentralistisch organisierten Wohlfahrtsstaat, scheint unter den Vorzeichen des Spätkapitalismus mit den Forderungen neoliberaler Staatlichkeit konvergent zu verlaufen: Beide lehnen wenn auch aus unterschiedlichen Gründen − eine starke Rolle des Staates ab und fordern Freiheit (vgl. Mayer und Künkel 2012a, S. 209). Jedoch gehen die neuen Freiheiten auch mit neuen Zwängen einher: Die Möglichkeit der politischen Mitsprache wird in der unternehmerischen Stadt und unter den Vorzeichen post-politischer governance mit der Unmöglichkeit erkauft, Dinge jenseits der Marktlogik mit entscheiden zu können. »In gewisser Weise nimmt es [das neoliberale Projekt, Anmerk. I. D.] Formen der Kritik auf und wendet sie gegen die Subjekte [...]. Auf die verstärkte Forderung nach individuellen Gestaltungsspielräumen reagiert das neue Regime mit einem ›Angebot‹ an die Individuen, sich

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aktiv an der Lösung von Problemen zu beteiligen, die bislang durch staatliche Einrichtungen verwaltet wurden.« (Ronneberger 2005, S. 220)

Die Neoliberalisierung des Städtischen erscheint hier als Verschränkung einer Vermarktlichung von Politik mit einem »Regieren durch Freiheit«. »Resistance is always ›confronted with‹ an adaptive neoliberal regime« (Mayer und Künkel 2012a, S. 208). Regieren durch Partizipation erweist sich damit immer auch als eine Variante der Inkorporierung und Absorption von Kritik durch ihre Einhegung im Konsens. »In the post-political city the future is expressed as a consensual understanding; it does so through emphasizing the value of participation as steering policy.« (Paddison 2009, S. 31)

Partizipation ist in der Literatur bereits vielfach als eine Technologie des Regierens durch Community kritisiert worden (vgl. z. B. Blakeley 2010, Bröckling 2002, 2005, 2006b, Fach 2006, Füller 2004, Guarneros-Meza und Geddes 2010, Kessel und Otto 2007, Miessen 2007, Rose 1996, 2002, Paddison 2009). Im Fallbeispiel konnte gezeigt werden, welche Rolle das Skript kreativer Stadtentwicklung bei der Herstellung eines post-politischen Konsenses in der Stadt hat: Es organisiert über eine Kulturalisierungs- und Ästhetisierungsstrategie – hier die Schaffung eines KulturCampus – Zustimmung für eine unternehmerische Stadtpolitik. Der Begriff Kultur funktioniert hier als ein leerer Signifikant (vgl. Kapitel 2.4.2, Laclau 2002b, 2007, S. 69), der divergierende Forderungen und Ansichten unter einem gemeinsamen Label verbindet. In Kapitel 2.4.2 ist herausgearbeitet worden, dass leere Signifikanten gerade dadurch ihre hegemoniale Wirkung entwickeln, indem eine partikulare Vorstellung innerhalb der divergierenden Kulturvorstellungen zur Repräsentantin dessen wird, was Kultur bedeutet und auf diese Weise auch Zustimmung durch diejenigen erfährt, die eigentlich divergierende Interessen oder Vorstellungen von Kultur haben. Hegemonial wird »ein bestimmtes Partikulares, indem es seine eigene Partikularität zum signifizierenden Körper einer universalen Repräsentation erhebt. [... D]as Verhältnis zwischen dem Universellen und dem Partikularen [ist] ein hegemoniales Verhältnis« (Laclau 2002a, S. 87). Dies geschieht, wenn eine partikulare Forderung eine Äquivalenzkette mit möglichst vielen anderen Forderungen etabliert und selbst zu ihrem Repräsentanten werden kann (vgl. Abbildung 1, S. 53). In der Analyse ist deutlich geworden, wie das Leitbild vom KulturCampus als einer kulturinduzierten Wachstumsstrategie in der unternehmerischen und wettbewerbsorientierten Stadt hegemonial wurde. Dies konnte geschehen, weil alternative Vorstellungen und Kritiken so in den Konsensplan inkorporiert wurden, dass die post-politische Regierungslogik in der unternehmerischen Stadt in Frage gestellt wurde. Auf diese Weise konnte ein »nicht verbundenes Ensemble divergierender Weltsichten und Ansprüche« in eine »hierarchische Ordnung« (Mattissek 2005,

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S. 119) artikuliert werden. Kultur bietet als »leerer Signifikant« eine Identifikationsfläche für unterschiedliche Kulturvorstellungen − in den unterschiedlichsten Facetten von der integrativen Soziokultur, über die Freie Szene bis hin zu den großen Institutionen und Leuchttürmen − und bedeutet letzten Endes doch nichts anderes als die Kulturalisierung und Ästhetisierung eines Stadtviertels zum Zweck seiner internationalen Vermarktung und als Hub für young urban professionals und high potentials. Insofern zeigt sich am Beispiel des KulturCampus die besondere Intersektionalität eines Regierens durch Partizipation und Kulturalisierung in der neoliberalen Kreativstadt. »When participation becomes a governmental strategy, citizens can be drawn in a populist citywide unity in which government, the private sector and citizens are all exhorted to work for the same team while ignoring the persistence of inequalities based on class, gender and race [...]. Producing consensus in this way can become ›the principal means of legitimizing domination an of co-opting potentially critical citizens‹ (Balibrea 2001: 188).« (Blakeley 2010, S. 140)

Wie selektiv das hegemoniale Skript kreativer Stadtentwicklung funktioniert, ist in Kapitel 8.2.3 deutlich geworden: Elemente, die kulturalisiert werden können − wie beispielsweise das Studierendenhaus als Ort für Musik- und Theaterproben − werden in den Diskurs inkorporiert. Was nicht kulturalisiert werden kann − soziales Wohnen, politische Projekte, bestimmte Formen von »Migrantenkultur« − wird exkludiert oder mit dem vorgeschriebenen Mindestmaß behandelt. Rose (1996, 2000), Bröckling (2002, 2005), Clarke (2007) und andere diskutieren das Regieren durch Community vor allem als eine Aktivierungs- und Responsibilisierungsstrategie von Bürger*innen vor dem Hintergrund der zunehmenden Responsibilisierung des Lokalstaates im Zuge neoliberaler Reskalierungsprozesse in der entrepreneurial city. Im Fallbeispiel zeigt sich das Regieren durch Partizipation als aktivierende Strategie für all diejenigen, deren Ressourcen sich entweder ökonomisieren oder über Kulturalisierungsprozesse indirekt in Wert setzen lassen. Für alle anderen bedeutet Regieren durch Partizipation Befriedung durch Delegitimierung ihrer Anliegen. Soziale Fragen, Fragen politischer Teilhabe und kultureller Vielfalt jenseits verwertbarer Kulturproduktion bleiben außen vor. Selbst subkulturelle Milieus sind, anders als in anderen kreativen Städten (vgl. z. B. die Brutplatzpolitik Amsterdams, siehe dazu Peck 2012), hier nicht von Interesse. Was sich nicht in hinreichendem Maße ökonomisieren oder kulturalisieren lässt, ist an die Sprache neoliberaler Urbanität nicht anschlussfähig und deswegen nicht gewollt. Hier zeigt sich das andere Gesicht der Partizipation als Exklusion aus dem Club der freien und sich selbstregierenden Bürger*innen.

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»Wie der Markt neben den erfolgreichen Unternehmern auch ein Heer von Überflüssigen produziert, so definieren die communities der Zivilgesellschaft nicht nur Zugehörigkeiten, sondern auch Andere, die aus der Gemeinschaft ausgeschlossen [...] werden.« (Bröckling 2005, S. 21)

Im Übergang von der »Regulation zur Moderation« (Ronneberger 2006b, S. 49) als imperativ lokalstaatlicher Steuerung zeitigen sich damit neue Formen sozialer Exklusion in der kreativen Stadt. »Public participation can enable individuals to exercise freedom and agency while simultaneously being an effective means to social regulation and control.« schreibt Georgina Blakeley (2010, S. 139) in ihrer Analyse des Verhältnisses von governance und Bürger*innenpartizipation in Barcelona und Manchester aus einer gouvernementalen Perspektive und verweist auf zwei Paradoxe, die auch im Fall des KulturCampus beobachtet werden konnten: Erstens gehen neue governance-Formen wie Partizipationsverfahren nicht notwendigerweise mit einem Verlust staatlicher Macht einher. Zweitens führen partizipatorische Praktiken nicht notwendigerweise zu einem empowerment der Bürger*innen (vgl. ebd., S. 130). Das Kapitel 8.2 hat die Inkorporierung von Protest und Kritik im Rahmen des Regierens durch Kreativität und Kulturalisierung mittels der Technologie der Bürger*innenpartizipation herausgearbeitet. Das folgende Kapitel befasst sich mit Protestformen, die in der Lage sind, den post-politischen Konsens − zumindest partiell − herauszufordern und zu durchbrechen.

8.3 U NVERNEHMEN

MIT DEM

U NTERNEHMEN S TADT

Den sogenannten Planungswerkstätten, die vom Büro Freischlad + Holz/Herwarth + Holz/AGL im Auftrag des Büros der Oberbürgermeisterin moderiert wurden, war ein anderes Format der Bürger*innenbeteiligung vorrausgegangen, das von Petra Roth selbst moderiert wurde und das sie ›Bürgerforen‹ nannte (vgl. Kapitel 8.2.2 sowie Tabelle 5, S. 289). Am 21. Februar 2011 lud sie zu einem ›Bürgerforum‹ ins Senckenberg Museum, um gemeinsam mit Stadtsoziologin Martina Löw, Stadtplaner Albert Speer, Kulturförderer Stefan Mumme, Architekt Jens Jakob Happ, ABG-Geschäftsführer Frank Junker und dem Direktor des Senckenberg Museums Volker Mosburger über die Planungen und Vorstellungen eine KulturCampus zu informieren. Einen Dialog mit dem Publikum gab es nicht. Am 16. Mai 2011, 19:30 Uhr fand in der Aula der Goethe-Universität in Frankfurt das zweite ›Bürgerforum‹ wieder in Form eines Expert*innengesprächs statt. Auf dem Podium waren all diejenigen Personen vertreten, die für den Planungsprozess ›wichtig‹ waren: Der Geschäftsführer der ABG-Holding als zukünftige Eigentümerin des Areals, der Planungsdezernent der Stadt Frankfurt, ein Stadtplaner eines bedeutenden Frankfurter Planungsbüros,

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der Präsident der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst als zukünftiger Pächter auf dem Gelände, der Kulturdezernent der Stadt sowie der Präsident der GoetheUniversität. Nur Bürger*inneninitiativen und politische Aktivist*innen fehlten. Ihnen wurde, trotz mehrfacher Nachfrage, die Teilnahme auf dem Podium verwehrt. Warum wurde den Initiativen und Aktivist*innen die Mitsprache auf dem Podium verwehrt? Laut Veranstalter*innen ist die »gleichberechtigte Kommunikation und Diskussion« (Freischlad + Holz/Herwarth + Holz/AGL 2011, S. 10) eine zentrale Säule des partizipativen Planungsprozesses. Damit verorteten sie sich explizit in einer Planungstradition, die sich auf die Habermas’sche Theorie kommunikativen Handelns (1981) stützt, nach der »in einem verständigungsrationalen Diskurs letztendlich gemeinsame Entscheidungen nicht per Machtanspruch der verschiedenen TeilnehmerInnen getroffen werden, sondern sich in einem intersubjektiven, kommunikativen Prozess die sog. ›Macht des besseren Arguments‹ durchsetzen kann« (Peters 2008, S. 314, vgl. auch Fainstein 2000, Maier 2011, Healey 1997). Die Aktivist*innen und Initiativen hatten sich in den Wochen zuvor mit einer Vielzahl von Themen auseinandergesetzt, die auf dem Podium nicht vorgesehen waren: Sie hatten sich mit Möglichkeiten günstigen und genossenschaftlichen Wohnens auseinandergesetzt, Dokumentationen zur historischen Bedeutung von Gebäuden erstellt, über Bestands- und Denkmalschutz diskutiert und Konzepte für alternative Nutzungen erarbeitet, die ungehört blieben. Politik begab sich hier in einen performativen Widerspruch zwischen Partizipationsversprechen und Ausschluss. 8.3.1 Partizipationsbingo Am Abend des 16. Mai machte sich die Wut über die fehlende Möglichkeit der Beteiligung in der Aula der Goethe-Universität in einer ungewöhnlichen Weise Luft. Statt den Autoritäten auf dem Podium zuzuhören, erfreute sich an diesem Abend ein Spiel bei der Mehrheit der Anwesenden großer Beliebtheit, das von den Initiativen sowie aus dem Recht-auf-Stadt-Netzwerk Frankfurt entwickelt wurde und als Flugblatt auf allen Stühlen lag: Es heißt Partizipationsbingo (vgl. Abbildung 15). Die Regeln des Spiels sind einfach: Wann immer einer der in einer Tabelle auf dem Flugblatt vermerkten Begriffe einer neoliberalen kulturellen Stadtentwicklung wie »Leuchtturm«, »Kultur« oder »Standort« (vgl. Abbildung 15) durch jemanden auf dem Podium genannt wird, soll applaudiert werden . Der Gebrauch neoliberaler Wachstums, Konkurrenz- und Unternehmensmetaphern in Broschüren und öffentlichen Auftritten zum KulturCampus war bereits zuvor von den Initiativen als Ausverkauf lokaler Interessen zugunsten der besseren Positionierung Frankfurts im internationalen Standortwettbewerb kritisiert worden (zur zentralen Rolle von Stadtimagepolitik für die

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neoliberale Stadtpolitik vgl. auch Mattissek 2008, McCann 2004, 2008b). Wann immer fünf, in einer Reihe nebeneinanderstehende Begriffe gefallen sind, sollte aufgestanden und laut »Partizipation« gerufen werden. Abbildung 15: Partizipationsbingo

Quelle: eigener Scan

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Das Spiel nahm einen unerwarteten Verlauf. Bereits die begrüßenden Worte der Oberbürgermeisterin ertranken nicht nur in tosendem Applaus, sondern auch in euphorischem Jubel. Für die ersten Worte brauchte sie eine Viertelstunde, weil sie immer wieder Worte benutzte, die auf den Flugblättern standen und sofort johlender Applaus losbrach, der so laut war, dass sie erst weitersprechen konnte als dieser nach Minuten abebbte. Es dauerte einige Zeit, bis das Podium verstand, was die von den Anwesenden spontan festgelegten Regeln des Abends waren. Nach einiger Zeit ließ Petra Roth von ihrem Statement ab und gab das Mikrophon an das Publikum. Es entwickelte sich eine Auseinandersetzung über die Rollenverteilung im Raum und über die Frage, wer wann im politischen Prozess das Recht zu sprechen habe. Auf die Frage aus dem Publikum, was die Politik aus dieser Veranstaltung darüber lernen könne, wie Bürger*innenbeteiligung aussehen könne, antwortet Petra Roth: »Wie Bürgerbeteiligung aussehen soll, das erkläre ich!« (Feldnotiz vom 16.05.2011). Diese Auseinandersetzung fand nicht nur inhaltlich-verbal zwischen den Beteiligten statt, sondern wurde auch in der Form ihrer Inszenierung gespiegelt: Wann immer die Bürger*innen das Mikrophon in die Hand bekamen und Fragen des Rederechts ansprachen, waren sie von den im Publikum Sitzenden gut zu verstehen, nur das Podium konnte sie nicht hören. Dies lag daran, dass die Mikrophonanlage, die eigens für die Veranstaltung aufgebaut worden war, so arrangiert war, dass alle Boxen auf das Publikum und weg vom Podium gerichtet waren. Ein Umstand, der ebenfalls zum Thema gemacht wurde: »Es ist peinlich, dass unsere Demokratie- und Partizipationsfähigkeit in Frage gestellt wird. Dass sie nichts verstehen liegt daran, dass alle Boxen auf uns gerichtet sind und das zeigt noch mal, dass es heute Abend vorgesehen ist, dass sie sprechen und wir zuhören. Das ist keine Teilhabe« (Feldnotiz vom 16.05.2011). An der Weigerung des Publikums in der von den Verantwortlichen vorgegebenen Form weiter zu diskutieren, konnte Petra Roth durch das wutentbrannte Umdrehen der Boxen Richtung Podium ebenso wenig ändern, wie die mahnenden Worte des Planungsdezernenten, der betonte: »Auch ich habe 68 hier Politik studiert, aber dort ist mit dem Kopf und nicht mit dem Kehlkopf diskutiert worden« (Feldnotiz vom 16.05.2011). 8.3.2 Was es bedeutet, eine politische Stimme zu haben Was aber genau ist am 16. Mai 2011 passiert? Fragen jenseits des durch die Moderation gesteckten Rahmens, die den Konsens einer unternehmerischen Stadtentwicklung in Frage stellen, sind − wie im weiteren Prozess auch − an diesem Abend nicht adressierbar. Dies betrifft die zentralen Forderungen nach einem höheren Wohnanteil auf dem Campus, den Erhalt der Kindertagesstätte, historisch bedeutsamer Gebäude und gewachsener sozio-kultureller Strukturen auf dem Campus. Aber auch Eigentumsfragen, Fragen der Privatisierung weiter Teile des bislang öffentlichen Geländes,

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Probleme der Mietsteigerung und Verdrängung durch die Aufwertung des Stadtteils Bockenheim zur »Innenstadtlage II« im Mietspiegel 2011 und die drohende Gentrifizierung durch Aufwertungsprozesse auf dem KulturCampus können nicht adressiert werden. Subjektpositionen, die Kritik jenseits des gesetzten Planungsrahmens artikulieren wollen, sind im Planungsprozess schlicht nicht vorgesehen (vgl. Kapitel 8.2). Durch das Bingo wird der performative Widerspruch partizipativer Demokratie zwischen Partizipationsversprechen und Ausschluss von als ökonomischen Sachzwängen gerahmten Fragen zum ersten Mal sichtbar. Auf einmal werden solche Formen des Ausschlusses verhandelbar, die unter dem Gleichheits- und Partizipationspostulat als Ordnung der gegenwärtig hegemonialen Demokratieformation nicht artikulierbar sind. Durch die Thematisierung des performativen Widerspruchs gelingt es, die post-politischen Regeln des Spiels selbst zum Thema zu machen, zu diskutieren und zu kritisieren. Im Gegensatz zu vielen anderen Formen des Widerstandes gegen stadtentwicklungspolitische Maßnahmen gelingt es hier, den post-politischen Konsens einer renditeorientierten, kulturinduzierten Stadtpolitik wieder in einen politischen Prozess zu überführen. Der Prozess der Artikulation im Partizipationsbingo kann als »Unvernehmen« (Rancière 2007 [1995], S. 132) bezeichnet werden, weil hier »der Streit darüber, was Sprechen heißt, die Rationalität der Sprechsituation selbst ausmacht« (ebd., S. 10). Genau an diesem Punkt geht der politische Prozess über die Aufführung der polizeilichen Ordnung im Rancière’schen Sinne hinaus und zeigt sich als das, was Slavoj Žižek als »eigentlichen politischen Akt« bezeichnet: »Der eigentliche politische Akt (die Intervention) ist nicht einfach etwas, was innerhalb der existierenden Verhältnisse gut funktioniert, sondern etwas, was gerade den Rahmen verändert, der festlegt, wie die Dinge funktionieren. [... Sie] ist die Kunst des Unmöglichen: Sie verändert gerade die Parameter dessen, was in der existierenden Konstellation als ›möglich‹ betrachtet wird« (Žižek 2010 [1999], S. 273, Hervorheb. i. O.).

Es konnte eine Verschiebung der »Aufteilung des Sinnlichen« (Rancière 2008, S. 31) dahingehend festgestellt werden, dass auf einmal politische Subjekte gehört wurden, deren Protest – auch und ganz besonders im Rahmen des Partizipationsbingos – nur als »Lärm« zu vernehmen waren. Hier sei noch einmal auf den Planungsdezernenten verwiesen, der durch seinen Kommentar, früher habe man mit dem Kopf und nicht mit dem Kehlkopf diskutiert, den Aktivist*innen ihre Stimmen abgesprochen hat. »Wir haben da einen Sprung gemacht, auch durch die Arbeit mit dem Netzwerk [Wem gehört die Stadt, Anmerk. I. D.]. [...] Ich finde an den Sachen [den neuen Formen des Protestes, Anmerk. I. D.] sehr klug, dass man sich eine gewisse Autonomie vom Verhalten der Stadtregierung bewahrt. Unser Problem war immer, zum Beispiel letztes Jahr bei diesen Dialogveranstaltungen, dass wir uns dem immer komplett ausgeliefert gefühlt haben, wie so eine Geisel. [...]

314 | KREATIVPOLITIK Man definiert selbst die Situationen, man muss sich sozusagen den Regeln nicht unterwerfen. Man [...] versucht eine eigene Situation zu schaffen, das ist glaube ich der Unterschied.« (Interview 21, Para. 112 – 120) »Im Anschluss an diese Veranstaltung [das Bürgerforum vom 16. Mai 2011, Anmerk. I. D.] wurden ich und ein Vertreter vom Offenen Haus der Kulturen von der FR zu einem Dialoggespräch mit Petra Roth und Frank Junker [Geschäftsführer der ABG-Holding, Anmerk. I. D.] eingeladen. [...] Das hätte es sonst nie gegeben. Das war das erste und einzige Mal im gesamten Prozess, wo ein Treffen auf Augenhöhe möglich war.« (ebd., Para. 52 – 56)

Die Eskalation des ›Bürgerforums‹ im Nachgang des Partizipationsbingos und das anschließende Gespräch über die Frage, wer im politischen Prozess das Recht zu sprechen und zur Definition dessen hat, was politisch verhandelt wird, war Ausgangspunkt für weitere Aktionen und Forderungen. Diese hatten zur Folge hatten, dass Streitpunkte, die bis dato im Planungsprozess nicht adressierbar waren, nicht nur adressiert, sondern politisch auch verändert werden konnten. Dies sind im Einzelnen der Erhalt eines Teils der historischen Gebäude, darunter der Erhalt des Studierendenhauses als Offenes Haus der Kulturen, der Erhalt der Kindertagesstätte sowie eine Erhöhung des Wohnanteils auf 40 Prozent. 8.3.3 Zwischenfazit: Politische Subjektivität und Recht auf Stadt Ausgelöst durch das Partizipationsbingo artikulierten die anwesenden Subjekte Positionen, die bis dato im Diskurs und politischen Prozess nicht möglich waren. Der Prozess der Artikulation geht notwendiger Weise mit der Überwindung althergebrachter Diskurse und Subjektpositionen einher. Hier zeigt sich das politische Moment der Subjekte. Politische Interventionen »disrupt identities and discourses. [...] In short, it is the ›failure‹ of the structure, and [...] of those subject positions which are part of such a structure, that ›compels‹ the subject to act, to assert a new its subjectivity« (Howarth und Stavrakakis 2000, S. 13). Politische Identitäten werden folglich durch das Aufbrechen bestehender Diskurse geformt. Im Fallbeispiel hat sich dies dadurch gezeigt, dass die Regeln der Aushandlung im Partizipationsprozess verschoben und damit vorher nicht verhandelbare Forderungen, wie beispielsweise die Erhöhung des Wohnanteils und Erhalt des Studierendenhauses, politisch verhandelbar wurden. Das zeigt, dass die Krise nur dann überwunden werden kann, wenn dem Subjekt als Zielscheibe neoliberaler Regierungstechnologien gelingt, die eigene ihm zugewiesene Position in einem Akt des Unvernehmens und im Rahmen der Artikulation politischer Subjektivität zu subvertieren und damit zu transzendieren. »Die Politik existiert, sofern singuläre Formen der Subjektivierung die Formen der ersten Einschreibung der Identität zwischen dem Ganzen der Gemeinschaft und dem Nichts, das sie von

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sich selbst, d. h. von der einfachen Zählung der Teile trennt, erneuern. Die Politik hört auf zu sein, wo dieser Abstand keinen Ort mehr hat, wo das Ganze der Gemeinschaft restlos in die Summe seiner Teile aufgeht.« (Rancière 2007 [1995], S. 132)

Das Beispiel zeigt sehr eindringlich, dass konsensuale und hegemoniale Rationalitäten von Regierung der Stadt zwar machtvoll, aber keine Sachzwänge sind, sondern politisch umkämpfbar. Es zeigt auch, dass Widerstand sich nicht einfach damit begnügen kann, Forderungen zu stellen, weil diese in post-politischen Aushandlungsformen immer wieder eingehegt werden können, sondern dass Protest performativ in die Regeln des Spiels intervenieren muss, wenn er etwas verändern will. »Das performative Moment der Kritik« ist eines, welches »sich mit in konkreten Kontexten stattfindendem Handeln befasst, in welchem das Subjekt seine Umwelt und die Umwelt ihr Subjekt mit offenem Ausgang verändert« (Nestler 2011, S. 95). »In many cases [...] the transformative nature of participation is most apparent in those instances where official mechanisms and channels of participation break down. In east Manchester, protests and demonstrations, not the formal channels of participation such as neighbourhood planning, led to policy changes in the rehousing programmes.« (Blakeley 2010, S. 142)

In den Neuen Theorien des Politischen ist die Artikulation von Unvernehmen und politischer Subjektwerdung immer eine Politik des Ortes. »Raum ist das kontingente Ergebnis einer artikulatorischen Praxis, die überhaupt erst die Positionen zu einer Topographie verknüpft. Diese Praxis ist nichts anderes als Politik, eine Praxis nämlich [...] der Verräumlichung« (Marchart 2002). Daher ist es von zentraler Bedeutung, »daß die konfliktuelle Verfaßtheit der Gesellschaft, der Politik und letztlich des öffentlichen Raumes nicht verdrängt oder verkleistert wird, wie das in Konsensmodellen der Fall ist« (ebd.). Vertreter*innen der Neuen Theorien des Politischen weisen auf den konfliktiven Charakter radikaler Demokratie hin, der sich immer nur an konkreten Orten artikulieren kann (ebd., vgl. z. B. auch Rancière 2007 [1995], S. 148, Springer 2011b). Umso wichtiger ist es, Orte zu schaffen und zu erhalten, an denen sich diese Antagonismen artikulieren können, wie es derzeit von der Recht-auf-StadtBewegung gefordert wird. »Öffentlichkeit ist also kein Konsensraum, sondern ein Dissensraum. Der urbane öffentliche Raum wird [...] durch Konflikt erzeugt, nicht durch einen Konsens, der auf rationale und prozedurale Metaregeln zurückgreifen könnte« (Marchart 2002). Das Partizipationsbingo hat an einem ganz bestimmten Punkt des Konflikts interveniert und zur Anerkennung ganz bestimmter Stimmen geführt. Das Ereignis war wichtig, aber singulär. »Politik« schreibt Rancière (2007, S. 148) ist »in ihrer Besonderheit selten. Sie ist immer lokal und zufällig«. Das Bingo hat nicht zu signifikanten Änderungen der konsensualen Planung in Bockenheim geführt, von einer ernsthaften

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Infragestellung des post-politischen Konsenses in der unternehmerischen Kreativstadt ganz zu schweigen. Es konnte herausgearbeitet werden, dass sich in dieser Form des Unvernehmens eine neue Qualität des Widerstandes gegen post-politische und neoliberale Formen der Stadtentwicklung und Subjektivierung zeigt. Sie ist in der Lage, die Regeln des post-politischen Spiels der partizipativen Planung selbst zum Gegenstand und damit verhandelbar zu machen − hier konkret: eine Zusage des Erhalts historischer Gebäude, des Studierendenhauses und der Kindertagesstätte sowie eine Erhöhung des Wohnanteils auf 40 Prozent.

8.4 F AZIT : P OST - POLITISCHE E FFEKTE

UND

U NVERNEHMEN

Die Artikulation von Kreativpolitik hat sich in den empirischen Kapiteln (vgl. Kapitel 6 bis 8) auf sehr unterschiedliche Weise gezeigt. Während sich das politische Programm zur Förderung der Kreativwirtschaft in Frankfurt sowie die unterschiedlichen kreativpolitischen Maßnahmen, die aus ihm hervorgehen, relativ unwidersprochen und eher mit kleineren Reibungspunkten in der unternehmerischen Rationalität des Regierens auf Ebene der Stadtpolitik artikuliert (vgl. Kapitel 6 und 7), zeigt das in diesem Kapitel diskutierte Fallbeispiel, dass eine kreative Stadtentwicklung im Zeichen unternehmerischer Stadtpolitik nicht unumkämpft bleibt (vgl. Kapitel 8). Während die Analyse der Artikulation von Kreativpolitik auf Ebene der Stadtverordnetenversammlung vor allem anti-politische Effekte hervorbrachte, also eine Neuziehung der Grenze zwischen dem Ökonomischen und dem Politischen durch scheinbar ›objektive‹ Berechnungen der kreativwirtschaftlichen Performance in Frankfurt deutlich machte (vgl. Kapitel 6.4), zeitigte die Artikulation des Kreativitätsskripts im Fallbeispiel der Planung eines KulturCampus vor allem post-politische Effekte. Durch die Rahmung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft als ›Holding‹, die marktwirtschaftlich operieren muss, werden unter dem Signifikanten des ›ökonomischen Sachzwangs‹ politische Handlungsmöglichkeiten desartikuliert, die die Stadt als Eigentümerin der AGB-Holding eigentlich hat. Darüber hinaus ist deutlich geworden, dass Regierungstechnologien wie Partizipationsverfahren, die einst aus den Forderungen nach mehr Beteiligung aus der Bürger*innenschaft zu einem etablierten Instrument der Stadtentwicklung wurden, geeignet sind, Protest zu inkorporieren und zu befrieden, indem es im Sinne eines »Erreichens gemeinsamer Ziele« (Selle 2011) oder eines Konsenses hegemonialen Diskursen und Interessen untergeordnet wird. Konkret hat das Fallbeispiel auch gezeigt, dass die gemeinsame Artikulation des Kreativitätsskripts mit unternehmerischen Rationalitäten der Stadtentwicklung zu einer Kulturalisierung von Stadtpolitik führt, die soziale stadtpolitische Belange sukzessive desartikuliert.

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Gleichzeitig ist mit dem Partizipationsbingo eine Form von agency (vgl. Kapitel 2.4.2) in Form des Unvernehmens in den Blick gekommen, die geeignet ist, postpolitische Formen des Konsenses und der Regierung herauszufordern. Dies gelingt, indem sie die Regeln des Spiels selbst zum Thema des Protests macht, welche den Raum des Politischen soweit einengen, dass politische Sachverhalte als Sachzwänge erscheinen und nicht mehr hinterfragbar sind. Auf diese Weise wird auch die Entgegensetzung zwischen ›legitimer Politik‹ und ›Protest‹ unterlaufen und die Trennlinie zwischen beiden neu verhandelbar.

9. Fazit – Kreativpolitik zwischen Unternehmen und Unvernehmen

Die kreative Stadt ist in den vergangenen 15 Jahren zu einem global verfügbaren Leitbild für unzählige postindustrielle Metropolen geworden, deren angewandte Politikmodelle und best practices um den Globus reisen. Sie kann als eine Problematisierung und zugleich politische Antwort auf die massiven Veränderungen ökonomischer Prozesse sowie der mit ihr einhergehenden Veränderungen in der Arbeits- und Lebenswelt gesehen werden, wie sie nach dem Ende des fordistischen Zeitalters, dem Hegemonialwerden wirtschaftsliberaler Steuerungsmodelle und ihrer Übertragung auf städtische Formen der Regierung vor allem in Metropolen beobachtet werden können. Eine Vielzahl von Publikationen aus der Praxis propagiert die Umsetzung dieses Leitbildes im Rahmen städtischer governance-Prozesse, das am konzisesten in Richard Floridas Buch »The Rise of the Creative Class« (Florida 2002b) zum Ausdruck kommt. Auch gibt es mittlerweile zahlreiche kritische Arbeiten, die Kreativpolitik als Vehikel eines neoliberalen Urbanismus diagnostizieren. Die Art und Weise, wie das Kreativitätsskript auf Ebene der Stadt performativ wird, welche Reartikulationen es im Aufeinandertreffen mit bereits etablierten Rationalitäten an konkreten Orten erfährt, inwiefern dies zu je lokal spezifischen Formen der Neoliberalisierung führt, inwiefern es Iterationen durchläuft, die seine Intention entwenden, kritisieren und für alternative Ziele städtischer Entwicklungen mobilisieren, ist bislang weitgehend unverstanden. Vor diesem Hintergrund widmete sich die vorliegende Arbeit der Frage nach der Artikulation und dem Performativwerden von Kreativpolitik am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main. Ein differenziertes Verständnis dieses häufig einseitig und pauschal als Neoliberalisierung des Städtischen dargestellten Prozesses ist zentral, um die Frage nach seiner politischen Umkehrbarkeit neu verhandeln zu können. Daher widmete sich diese Arbeit auch der Frage, welche Formen von agency, des Unvernehmens, des Widerstands, der Subversion und Iteration des globalen Kreativitätsskripts sich erkennen lassen. Zur Beantwortung dieser Fragen bedurfte es zunächst der Entwicklung einer theoretischen Perspektive, mit Hilfe derer die Emergenz von Kreativität als Problem

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städtischer Regierung sowie die Artikulation und Regierungsweisen von Kreativpolitik in Frankfurt in den Blick kommen konnten. Genau dies leistet die für diese Arbeit entwickelte Perspektive der Problematisierung und Des-/Artikulation, die die Analyse des empirisch erhobenen Materials anleitete, ohne die Analyseschritte im Einzelnen oder gar das Ergebnis im Vorhinein in irgendeiner Weise zu determinieren (vgl. Kapitel 2). Sie baut auf Erkenntnissen der Gouvernementalitätsstudien auf (vgl. Kapitel 2.1). Anders als eine Vielzahl der in den vergangenen Jahren entstandenen gouvernementalen Analysen städtischen Regierens hat die vorliegende Arbeit nicht nur die programmatischen Logiken und Rationalitäten untersucht, die städtisches Regierungshandeln anleiten, sondern auch wie das neue Kreativitätsskript in Frankfurt performativ wurde, sich im Zuge dieses Performativwerdens veränderte und wie es sich mit anderen bereits etablierten Rationalitäten zu etwas Drittem artikulierte. Damit dies gelingen konnte, wurde der bestehende Kanon gouvernementalitätstheoretischer Begriffe um den sprechakttheoretisch informierten Ansatz der Performativität sowie den diskurstheoretisch informierten Ansatz der Artikulation erweitert (vgl. Kapitel 2.2). Damit wurden zwei Betrachtungsweisen möglich, mit denen die zur Beantwortung der Ausgangsfrage notwendigen Aspekte ins Blickfeld rücken konnten. Erstens wurde mit der aus dem Foucault’schen Denken entlehnten Problematisierung eine Analyseperspektive erarbeitet, die Kreativpolitik als einen Modus verstehbar macht, mit dem postindustrielle Städte gegenwärtige Probleme bearbeiten können (vgl. Problematisierung I in Kapitel 2.3.1). Gleichzeitig aber bietet die Perspektive der Problematisierung auch die Möglichkeit, »von sozialen Handlungsroutinen zurückzutreten, um sie in einer Distanzierungsbewegung zu ›problematisieren‹« (Lemke 1997, S. 341). Diese zweite Form der Problematisierung (vgl. Problematisierung in Kapitel 2.3.2) ermöglicht, Kreativität als Modus der Regierung zu kritisieren, wobei Kritik »als eine soziale Praktik« verstanden wird, »die sich diesen Führungsverhältnissen und den ›herrschenden Wahrheiten‹ zu entziehen sucht« (ebd., S. 348), mit dem Ziel, »nicht derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren regiert« zu werden (Foucault 2009 [1978], S. 240). Zweitens wurde mit der Des-/Artikulation eine Perspektive vorgestellt, die es erlaubt, das Performativwerden von Kreativpolitik auf der städtischen Ebene zu verfolgen und seine Artikulation mit bereits etablierten Rationalitäten des Regierens in Frankfurt zu verstehen (vgl. Kapitel 2.4). Sie erweitert das bestehende Repertoire der Betrachtung von mobile policies, die zwar berücksichtigen, dass policies sich auf ihrer Reise von einem Ort zum nächsten verändern, letzten Endes aber häufig den Kontext, in den sie intervenieren, statisch denken und damit essentialisieren. Die Des-/Artikulationsperspektive erlaubt, die Veränderung von policies und etablierten Rationalitäten gleichzeitig zu denken, ohne das eine oder das andere zu essentialisieren. Darüber hinaus erweist sie sich als machtsensibel, weil sie in der Lage ist, neben der Emergenz neuer

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Verbindungen, Praktiken, Technologien und Rationalitäten auch die Desartikulation anderer und damit verbundener Machteffekte in den Blick zu bekommen. Das Prinzip der Problematisierung und der Des-/Artikulation strukturierte auch das methodische Vorgehen während des Forschungsprozesses, das als ›problematisierende Lektüre‹ bezeichnet und in Kapitel 3.2 vorgestellt wurde. Die erhobenen Daten setzen sich aus Feldnotizen teilnehmender Beobachtung, sogenannter ›problematisierender Interviews‹ und einem Korpus aus policy papern, Zeitungsartikeln und anderen relevanten Texten zusammen (Kapitel 3.1). Mögliche Fallstricke, die sich bei der gleichzeitigen Anwendung von teilnehmender Beobachtung und Korpusanalyse, d. h. der gleichzeitigen Analyse von Diskursen und Praktiken, ergeben, wurden in Kapitel 3.3 reflektiert. Die Analyse des Korpus aus Feldnotizen, Interviewtranskripten, policy papern, Zeitungsartikeln und sonstigen Dokumenten erfolgte in einer problematisierenden Lektüre, die einen besonderen Fokus auf Artikulationen legt, das heißt auf das Auftauchen neuer oder das Verschieben alter Praktiken und Rationalitäten des Regierens (vgl. Kapitel 3.2). Eine solche problematisierende Lektüre eröffnet die Möglichkeit, die empirischen Daten mit den in Anschlag gebrachten theoretischen Konzepten und anderer Literatur zum Thema zu einer nicht-subsumptiven Erklärung zu artikulieren. In Kapitel 3 reflektiere ich meine doppelte Rolle als Wissenschaftlerin und Teilnehmerin in dem von mir untersuchten Feld, das mich selbst zum Teil der Diskurse, Wissensproduktion und Praxis macht, die ich im Rahmen dieser Arbeit analysiere. Die Problematisierung bietet einen geeigneten Ansatz für die Auseinandersetzung mit der Genealogie sowie gegenwärtigen Formen der Regierung von Kreativität (vgl. Kapitel 4), indem sie eine dreifache Perspektive auf das Thema eröffnete: Erstens ermöglichte sie einen Literaturüberblick über die vor dem Hintergrund der Ausgangsfragestellung relevanten Arbeiten zum Thema Regierung von Kreativität. Zweitens konnte genealogisch herausgearbeitet werden, wie Kreativität zunächst zu einem Problem der Führung in der Arbeitswelt und später der Regierung in Städten wurde. Hier wurde Kreativität als eine besondere Problematisierung eines Steuerungsparadox verständlich: Postindustrielle Produktion bedarf der ständigen Inwertsetzung von neuen Ideen, deren Hervorbringung nicht technisch reproduzierbar ist. Die unterschiedlichen Formen ihrer Steuerung im Unternehmen erwiesen sich dabei als soziale Technologien, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Kreative auf ›gute Ideen‹ kommen, die schlussendlich in Wert gesetzt werden können. In diesem Zusammenhang stellte sich die Anerkennung und die Inkorporierung von Kritik als ein zentraler Bestandteil der Weiterentwicklung von Managementtechnologien heraus (vgl. Kapitel 4.2). Kapitel 4.3 befasste sich sodann mit den Konsequenzen dieser Veränderungen für die arbeitenden Subjekte. Kapitel 4.4 diskutierte die Adaption von Führungsmodellen von Kreativität in neuen Formen städtischer governance. Sie dienen der Bearbeitung des Steuerungsparadoxes auf Ebene der Stadt, welches städtische Verwaltung so einzusetzen hat, dass sich Kreativität und freie Marktkräfte in

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der Stadt besser entfalten können. Auch hier erwies sich Kritik, in diesem Fall am Modell von Richard Florida, als ein zentraler Motor der Optimierung urbaner politischer Steuerung. Zum Dritten erlaubte die Perspektive der Problematisierung eine Kritik der in dieser Literaturübersicht dargestellten Ansätze, im Sinne einer Problematisierung II (vgl. Kapitel 2.3.2), indem die textimmanenten Logiken der genannten governance-Ansätze auf ihre Konsistenz hin überprüft und gegen sie selbst gewendet wurden. Dabei stellte sich heraus, dass die vielfältigen wissenschaftlichen Problematisierungen der Steuerung von Kreativität, die von der Konzeptualisierung von Kreativität als Wachstumsversprechen bis hin zur Problematisierung prekärer Arbeitsverhältnisse in diesem Bereich reichen, nur sehr selektiv und nach Kriterien der Wirtschaftlichkeit in policies übersetzt werden. Soziale Fragen beispielsweise nach der Qualität von Arbeitsverhältnissen werden im Zuge dieser Übersetzung desartikuliert. Der Überblick über gegenwärtige Problematisierungen (I) der Regierung von Kreativität in der Arbeitswelt sowie in Städten durch policy paper und aktuelle wissenschaftliche Literatur sowie ihre Problematisierung (II) im Zuge dieser Arbeit, boten den Hintergrund zur Einordnung und Diskussion der Artikulation von Kreativpolitik sowie ihrer Rationalitäten des Regierens und Machteffekte im untersuchten Fallbeispiel der Stadt Frankfurt am Main. Die Antworten auf die Ausgangsfragen, die sich sukzessive durch die Betrachtung der Empirie ergeben haben, sollen hier noch einmal zusammenfassend dargestellt werden. In der Analyse wurde deutlich, dass seit Mitte der 2000er Jahre fehlende Kreativität als Thema städtischen Regierens in Frankfurt problematisiert und seit 2008 mit verschiedenen politischen Maßnahmen bearbeitet wurde, was nicht nur zur Emergenz eines neuen Feldes geführt hat, das im Rahmen dieser Arbeit als Kreativpolitik bezeichnet wird, sondern dass selbst eine Rationalität des Regierens darstellt. Dieses artikuliert sich in spezifischer Besonderheit mit lokalen Rationalitäten des Regierens, was in Frankfurt in erster Linie aber nicht nur eine unternehmerische Stadtpolitik ist. In der Des-/Artikulationsperspektive, die nicht nur die programmatischen Logiken des Frankfurter Kreativitätsskripts und seiner globalen Vorbilder, sondern auch sein Performativwerden in den Blick nimmt, wurde deutlich, dass ebendiese Logiken und ihre Machteffekte nicht gleichzusetzen sind und beide sich im Zuge ihrer Artikulation mit etablierten Rationalitäten verändern. Kapitel 6 zeigte, dass die Erstellung des Kreativwirtschaftsberichts, seine politische Diskussion in der Stadtpolitik sowie die Berichterstattung in den Medien maßgeblich dafür verantwortlich sind, dass eine Frankfurter Version des Kreativitätsskripts performativ werden und Machteffekte zeitigen konnte. Gleichzeitig zeigte sich aber auch, dass das Skript im Zuge dieses Performativwerdens iteriert wurde, indem sich Teile seiner immanenten Logik, wie sie im Frankfurter Kreativwirtschaftsbericht ausgeführt ist, dahingehend verschoben, dass sich die explizite Warnung vor einer Verwechslung von Diagnose und Prognose in eine Rezeption als normatives Handlungskonzept verkehrte.

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Die Analyse des Umsetzungsprozesses kreativpolitischer Maßnahmen in Kapitel 7 offenbarte eine Vielzahl unterschiedlicher Artikulationsformen des Kreativitätsskripts, die ein Spektrum zwischen Unternehmen und Unvernehmen abdecken: Sie reichen von einem nahtlosen Einpassen in bestehende unternehmerische Logiken des Regierens, beispielsweise im Rahmen des Einklinkens in den internationalen Wettbewerb durch die Schaffung einer global anschlussfähigen Definition, über den Versuch seiner Entwendung, z. B. durch das Kulturamt, seine Iteration von einem lokalen zu einem globalen Gegenstand im Rahmen der Evaluierung der Maßnahmen durch das Kompetenzzentrum Kreativwirtschaft, bis hin zu seinem Scheitern, beispielsweise in der Artikulation einer einheitlichen Marketingkampagne für Frankfurt oder der Verstetigung der Bemühungen um Sichtbarkeit durch die Förderung großer Branchenevents. Der Exkurs im Anschluss an Kapitel 7 diskutierte die Effekte des Kreativitätsdiskurses für neuere Entwicklungen in der Frankfurter Kulturpolitik, die sich in der paradoxen Gleichzeitigkeit der Artikulation von wohlfahrtsstaatlichen mit unternehmerischen Formen der Stadtpolitik zeigte. Anders als in Berlin oder Hamburg gehört die Artikulation von kreativpolitischen mit unternehmerischen Rationalitäten des Regierens in Frankfurt zum common sense, der im Alltag eher selten in Frage gestellt wird. Kapitel 8 diskutierte am Beispiel der Auseinandersetzung um die Planung des sogenannten KulturCampus in Bockenheim, warum die Hegemonie unternehmerischer Kreativpolitik so schwer herauszufordern ist und welche Formen dies zu leisten im Stande sind. Hier wurde deutlich, dass in einem Umfeld, in dem unternehmerische Stadtpolitik derart hegemonial ist, dass Politik und Verwaltung komplett mit ihr denkt, Widerstand, der sich als Protest gegen eine unternehmerische Stadtpolitik wendet, mit großer Wahrscheinlichkeit scheitern wird, weil er entweder nicht ernst genommen und als außerhalb des im Rahmen städtischer Politik Möglichen marginalisiert, mit Hilfe partizipatorischer Technologien des Regierens in einen post-politischen Konsens eingehegt oder schlichtweg gänzlich kriminalisiert wird. Mit dem Unvernehmen wurde eine performative Bewegung aus der Vereinnahmung durch neoliberale Stadtpolitik diskutiert. Ihr gelingt es, die Regeln unternehmerischer Stadtpolitik und der mit ihr einhergehenden Neuformatierung des politischen Raumes selbst sichtbar und damit wieder verhandelbar zu machen.

9.1 S CHLUSSFOLGERUNGEN So unterschiedlich die beobachteten Prozesse in den drei empirischen Kapiteln 6 bis 8 sind, so transportieren sie doch eine gemeinsame Erkenntnis: In allen drei Fällen konnte eine Reartikulation der Grenzen des Politischen, des Sozialen, des Kulturellen und Ökonomischen beobachtet werden. In Kapitel 6 ist sie als anti-politischer Effekt

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beschrieben worden (vgl. Kapitel 6.4), weil durch den Einsatz der kalkulativen Technologie der Statistik und des wissenschaftlichen Berichtswesens der Raum der stadtpolitischen Aushandlung zugunsten einer politisch nicht weiter hinterfragbaren, weil ›wissenschaftlich belegten‹ Pflicht zur Herstellung von kreativwirtschaftlichen Märkten in Frankfurt verschoben wurde. In Kapitel 7 zeigte sich die Reartikulation in Form von Regierungshandeln als der »Konstitution eines von der Politik getrennten Raumes mit eigenen Gesetzmäßigkeiten und einer ihm eigenen Rationalität« als »Bestandteil einer ›ökonomischen‹ Regierung« (Lemke et al. 2000, S. 26), welche als Neoliberalisierung beschrieben wurde (vgl. auch Kapitel 7.6). In Kapitel 8 zeigten sich die als post-politisch beschriebenen Effekte in der Konstruktion der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ABG-Holding als einer Institution, die aufgrund ihrer Verpflichtung zu marktwirtschaftlichem Handeln keine weiteren politischen Gestaltungsspielräume, auch nicht über ihren mit Stadtverordneten besetzten Aufsichtsrat, habe. Die unterschiedlichen Begrifflichkeiten – Anti-Politik, Neoliberalisierung und Post-Politik – sind den jeweiligen Theorieströmungen geschuldet, die zur Erklärung der Phänomene am plausibelsten erschienen. Während der aus dem Bereich der Marktsoziologie stammende Begriff Anti-Politik vor allem die wissenschaftlichen und kalkulatorischen Technologien zur Herstellung von Märkten durch ihre Trennung vom Bereich des Politischen zu fassen vermag, konnte die aus den Gouvernementalitätsstudien entlehnte Variante des Begriffs Neoliberalisierung vor allem die Herstellung von Märkten vermittels der Reartikulation von Staatlichkeit erklären. Der aus der politischen Philosophie entlehnte Begriff der Post-Politik hingegen ist besonders geeignet, die Regierungsprozesse zu verstehen und zu durchdringen, die durch die Konstruktion vermeintlicher globaler Sachzwänge sowie durch die Herstellung eines vermeintlich alternativlosen Konsenses operieren. Auf diese Weise sind in der vorliegenden Analyse unterschiedliche Facetten der Reartikulation der Grenzen des Politischen, Kulturellen und Ökonomischen beobachtet worden. Sie führten zu einer Desartikulation des Sozialen sowie jenes Kulturellen, welches sich nicht ökonomisch verwerten lässt (vgl. Kapitel 7.1.4, 7.2.3, 7.4.6 und 8.2.4). Sie alle könnten auch als Prozesse der Entpolitisierung bezeichnet werden, weil der Raum, in dem demokratische politische Aushandlung möglich ist, im Vergleich zum unmittelbar vorhergehenden Zustand verringert wurde. Dieser Begriff kann allerdings missverstanden werden, da er suggeriert, dass der vorherige Zustand einer idealdemokratischen Vorstellung entsprochen habe, was in den seltensten Fällen behauptet werden kann. Die Stärke dieses Begriffes im Gegensatz zum Begriff der Neoliberalisierung liegt in der Tatsache, dass er deutlich macht, dass die gegenwärtig zu beobachtenden Prozesse weder unumkehrbare Sachzwänge sind, noch Zombies, die zwar politisch ›tot‹ sind, aber dennoch ihr globales Unwesen treiben, wie Jamie Peck den Neoliberalismus beschreibt (Peck 2010b). Hingegen macht der Begriff der

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Entpolitisierung deutlich, dass es sich hier um politische Prozesse handelt, deren Verhandlungsraum zum Verschwinden gebracht wurde, und der nur durch politisches Handeln wieder zurückgewonnen werden kann. Dazu bedurfte es der Entwicklung eines Politikverständnisses, das über seine eigenen ontologischen Grenzen hinausweist. Einen solchen Begriff der Politik entwickelt Jacques Rancière. »Was aus der Politik selbst« für ihn »einen skandalösen Gegenstand macht« (Rancière 2007 [1995], S. 12) ist, dass sie in der Lage ist, die Grenzen dessen, was Politik, Kultur und Ökonomie ist, neu zu verhandeln und damit über die Grenzen hinausweist, die ihr traditionell zugeschrieben werden. Das bedeutet, »dass die Politik die Aktivität ist, die als Rationalität selbst die Rationalität des Unvernehmens hat« (ebd.). Als »Unvernehmen« beschreibt Rancière den Prozess des Überschreitens jenes Sets an Regeln, das festlegt, was im Alltag unter Politik, Ökonomie und den ihnen zugehörigen Subjekten zu verstehen ist (vgl. ebd.). »[T]he only place one finds the unaccounted for is in the emergence of a political articulation, at a particular time and space, an emergence that becomes the claim of the unaccounted for to redefine the whole and to speak. [... T]he democratic theme precisely is not the inclusion of the excluded; it is the posture of the redefinition of the whole through the disruption of the police order by the institution of politics.« (Dikeç 2005, S. 177, Hervorheb. i.O.)

Um eine Essentialisierung von Politik als gegebenen städtischen Modus der Verhandlung zu vermeiden, soll Politik im Sinne der Neuen Theorien des Politischen also nicht einfach als etwas verstanden werden, »was innerhalb der existierenden Verhältnisse gut funktioniert, sondern etwas, was gerade den Rahmen verändert, der festlegt, wie die Dinge funktionieren« (Žižek 2010 [1999], S. 273, Hervorheb. i. O.). Damit werden Fragen der (Kreativ-)Politik auch jenseits derzeit hegemonialer Stadtentwicklungsmodelle neu verhandelbar. Prozesse der Politik im Rancière’schen Sinne wurden im Rahmen dieser Arbeit auf zwei Ebenen erfasst. Zum einen auf der theoretischen und methodischen Ebene durch die Wahl der Perspektive der Des-/Artikulation und zum anderen durch die Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Formen des Protestes gegen das Paradigma der kreativen Stadt. Mit der Perspektive der Des-/Artikulation sind neben schließenden Machteffekten wie denen der Anti-Politisierung, der Neoliberalisierung und der Post-Politisierung auch die widerständigen und iterativen Prozesse sowie die des Scheiterns in den Blick gekommen. Sie machen deutlich, dass die genannten entpolitisierenden Prozesse in jedem Moment ihres Performativwerdens prinzipiell im Zuge von agency umkehrbar sind (vgl. Kapitel 7.6). Der Hinweis auf die Momente der Iteration, des Scheiterns und des Widerstandes eröffnen Möglichkeiten der Intervention, die es in Zukunft zu nutzen gilt. Damit stellt die Perspektive der Des-/Artikulation eine Möglichkeit zu genau der kritischen Denkbewegung dar, »in welcher sich das Subjekt das Recht herausnimmt, die Wahrheit auf ihre Machteffekte hin zu

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befragen und die Macht auf ihre Wahrheitsdiskurse hin« (Foucault 2009 [1978], S. 242). Zum anderen wurde mit dem Protest gegen die fehlende Bürger*innenbeteiligung im Zuge der Planung des KulturCampus Bockenheim eine Form der politischen Auseinandersetzung vorgestellt, die in den Worten Rancières als »Unvernehmen« (2007 [1995]) bezeichnet werden kann, weil dort »der Streit darüber, was Sprechen heißt, die Rationalität der Sprechsituation selbst aus[ge]macht« (ebd., S. 10) hat. Diese Form ist geeignet, die in Kapitel 7 wie 8 beschriebenen Prozesse der Reartikulation des Politischen, Sozialen, Kulturellen und Ökonomischen zu Ungunsten des Politischen und des Sozialen und zu Gunsten des Kulturellen und Ökonomischen, sichtbar, verhandelbar und damit wieder in den Bereich des Politischen rückübersetzbar zu machen. Sie ist eine mögliche Antwort auf die Frage »Wie ist es möglich, dass man nicht derartig, im Namen dieser Prinzipien da, zu solchen Zwecken und mit solchen Verfahren regiert wird?« (Foucault 2009 [1978], S. 240).

9.2 I MPULSE

FÜR DIE WEITERE

F ORSCHUNG

Die vorliegende Arbeit wäre ohne die Erkenntnisse einer Vielzahl von Forschungsrichtungen nicht denkbar gewesen. Aus ihren empirischen Erkenntnissen ergeben sich einige Impulse für die Weiterentwicklung von vier von ihnen, die ich gern am Ende dieser Arbeit in kurzer Form zurückgeben und zur weiteren wissenschaftlichen Debatte stellen möchte. Diese sind erstens die Diskurs-, zweitens die Neoliberalismus-, drittens die mobile policies-Forschung und viertens neuere Ansätze der politischen Philosophie in der Kritischen Geographie. In Kapitel 2.2.1 ist herausgearbeitet worden, dass eine Vielzahl diskursanalytischer, oft gouvernementalitätstheoretisch inspirierter Fallstudien die Analyse von Rationalitäten und Programmen gegenüber Technologien und Praktiken privilegieren (vgl. z. B. Bröckling 2000, 2007, Lorey 2006, 2007b, Mattissek 2008, Opitz 2004, Schipper 2013), obwohl sie das Verhältnis zwischen ihnen theoretisch als »gegenseitige Abhängigkeit« (Miller und Rose 1990, S. 8) beschreiben. Dies hat in der Vergangenheit nicht selten zu drei Problemen geführt: erstens eine »Überschematisierung und Überabstraktion« (O’Malley et al. 1997, S. 504), zweitens eine Verwechslung von Regierungsrationalitäten mit ihren je konkreten und kontingenten Machteffekten und damit drittens eine Fehleinschätzung ihrer sozial-räumlichen Wirkung. In der Diskursforschung sind in den vergangenen Jahren unterschiedliche Versuche unternommen worden, dieses Problem zu lösen. In der Regel wurde dabei – häufig über den Foucault’schen Begriff des ›Dispositivs‹ – versucht, ›die Ebene der Praktiken‹ besser in den Blick zu bekommen (vgl. hierzu z. B. Bührmann und Schneider 2007, 2008, 2010). Das Problem dieser Ansätze ist, dass sie, indem sie ›Praktiken‹

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als ›nicht-diskursiv‹ konzeptualisieren, hinterrücks genau wieder die Unterscheidung zwischen Diskurs und Praxis einführen, die Performativitätstheoretiker*innen und Poststrukturalist*innen so souverän und zurecht dekonstruiert haben, indem sie aufgezeigt haben, dass Sprechen und Handeln in Sprechakten nicht zu trennen sind. Übertragen auf gouvernementale Analysen des Regierens bedeutet dies, dass Rationalitäten und Programme neue Formen von ›Realität‹ schaffen, indem sie durch Sprache Wahrheitseffekte zeitigen können, die bestimmte Objekte in den Bereich der Regierung verschieben und dort als denk-, lenk- und veränderbar konstituieren, weshalb Foucault auch von »Macht/Wissen-Komplexen« (Foucault 2004 [1975], S. 39) spricht (vgl. Kapitel 2.2.2). Mit der Forschungsperspektive der Des-/Artikulation und ihrer Umsetzung im Rahmen einer problematisierenden Lektüre hat die vorliegende empirische Analyse dieses Problem gelöst, indem sie zwei Erweiterungen im Vergleich zu anderen Arbeiten in diesem Bereich einführt. Zum einen wurde auf der theoretischen Ebene durch die performativitätstheoretische Erweiterung bestehender gouvernementaler Analyseansätze ein Zugriff auf Praktiken möglich, der sie als Sprechakte und besondere Artikulationsform von Programmen versteht. Auf diese Weise wurde eine Differenzierung zwischen Programmen und ihren Machteffekten möglich, die Praktiken als »Relais« (Miller und Rose 1990, S. 8) zwischen ihnen begreift und gleichzeitig den diskursiven Charakter von Praktiken als Sprechhandlungen anerkennt. Zum anderen wurde auf der methodischen Ebene mit der problematisierenden Lektüre eine Möglichkeit der Berücksichtigung von materiellen Praktiken in der Analyse erschlossen, die nicht im Widerspruch zu den diskurs- und gouvernementalitätstheoretischen Grundannahmen dieser Arbeit steht, weil sie die ethnographische Beobachtung von Praktiken methodisch kontrolliert in einen Text zweiter Ordnung übersetzt und so der (Diskurs-)Analyse zugänglich macht (vgl. Kapitel 3.3.3). Auf diese Weise wird das häufig auftretende und in Kapitel 3.3.1 diskutierte Missverständnis zwischen diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken umgangen. Damit zielt das theoretische und methodische Vorgehen dieser Arbeit in eine ähnliche Richtung wie einige vielversprechende Arbeiten, die in jüngster Zeit – vor allem in der Pädagogik – entstanden sind (vgl. z. B. Ott 2011, Ott et al. 2014, Ott und Wrana 2010 oder auch Denninger et al. 2010) und die es in Zukunft weiterzuverfolgen gilt. Die vorliegende empirische Untersuchung zeigt, dass die Des-/Artikulationsperspektive nicht nur für die Diskursforschung, sondern auch für die Neoliberalismusforschung Impulse für mögliche weitere Forschung gibt. In Kapitel 2.4.3, S. 58 wurden die Vorzüge poststrukturalistischer gegenüber polit-ökonomischer NeoliberalismusKonzepte herausgearbeitet. An polit-ökonomischen Ansätzen wurde problematisiert, dass sie auf denselben Annahmen beruhen, die sie zu kritisieren versuchen. Darüber hinaus begreifen sie Neoliberalismus als eine so umfassende gesellschaftliche Struktur, dass seine Schärfe als analytisches Konzept verloren geht (vgl. ebd.). Als Alter-

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native dazu wurden aus dem Kanon poststrukturalistischer Ansätze vor allem assemblage-theoretische vorgeschlagen, die wichtige Impulse für die im Rahmen dieser Arbeit entwickelte Perspektive der Des-/Artikulation geben. Ihre Stärke liegt darin, Neoliberalisierung nicht als einen abstrakten Prozess zu fassen, sondern zu schauen, wie er durch das zusammenbinden unzähliger Praktiken alltäglich immer wieder aufs Neue hergestellt wird (Collier 2009, 2012, Collier und Ong 2010, Ong 2006, 2007). Dieser Aspekt wurde im Zuge der Entwicklung der Perspektive der Des-/Artikulation aufgenommen. Vor dem Hintergrund der abgeschlossenen empirischen Analyse können nun die Vorzüge einer Perspektive der Des-/Artikulation gegenüber assemblage-theoretischen Zugriffen auf den Prozess der Neoliberalisierung belegt werden, die in Kapitel 2.4.3, S. 58 nur behauptet worden sind. Eine Stärke der Des-/Artikulationsperspektive liegt in ihrer Möglichkeit, nicht subsumptive Erklärungen zu erzeugen und damit der radikalen Kontingenz des Sozialen und seiner permanenten Aushandlungsprozesse und Veränderungen Rechnung zu tragen. Im Gegensatz zu anderen poststrukturalistischen Ansätzen, die ebenfalls die Kontingenz des Sozialen betonen, liegt eine zweite Stärke der Artikulationsperspektive in ihrer Sensibilität für Machtprozesse: Die Analyse der Fallbeispiele aus dieser Perspektive hat gezeigt, dass Prozesse der Artikulation von Kreativpolitik immer wieder mit der Desartikulation anderer Rationalitäten des Regierens einhergehen: im analysierten Fallbeispiel war dies erstens die Reartikulation der Grenzen des Politischen, Kulturellen und Ökonomischen mit ihren anti-politischen (vgl. Kapitel 6.4), neoliberalisierenden (vgl. Kapitel 7.6) und postpolitischen Effekten (vgl. Kapitel 8.4), zweitens die Desartikulation sozialpolitischer und allokativer Formen städtischen Regierens (vgl. Kapitel 7.2.3, 7.4.6 und 8.2.4) sowie drittens die Desartikulation der Belange wirtschaftlich weniger potenter Kreativer (vgl. Kapitel 7.1.4). Im Unterschied zu assemblage-Ansätzen, die Neoliberalisierung als Zusammenkommen unterschiedlicher, disparater, nicht hierarchisierter Elemente begreift, betont die Perspektive der Des-/Artikulation auch ihre genealogische Gewordenheit. Sie erklärt, warum manche Artikulationen wahrscheinlicher als andere sind. Darüber hinaus begreift sie im Unterschied zu assemblage-Ansätzen, die von einem gleichwertigen Nebeneinander diskursiver und materieller Beziehungen ausgehen, gerade die Diskursivität materieller Praktiken und die Möglichkeit auch sprachlichen Handelns (siehe Absatz oben), was sie sensibel für die vielfältigen Übersetzungsprozesse und Iterationen zwischen Programmen und Praktiken sowie anschlussfähig an diskurs- und gouvernementalitätstheoretische Analysen macht. In diesen Sinne stellt die Des-/Artikulationsperspektive eine neue theoretische Variante zur Erforschung von Neoliberalisierungsprozessen dar, die im Unterschied zu polit-ökonomischen Ansätzen hinreichend spezifisch ist, ohne theoretische Setzungen auskommt und – ähnlich wie assemblage-theoretische Ansätze – vor allem auf die Analyse der konkreten Herstellung von Neoliberalisierungsprozessen abzielt.

9. FAZIT – KREATIVPOLITIK ZWISCHEN UNTERNEHMEN UND UNVERNEHMEN |

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Im Unterschied zu assemblage-theoretischen Ansätzen kommen aber auch die Machtwirkungen und Konsequenzen von Desartikulationen in den Blick. Einen weiteren Impuls kann die Des-/Artikulationsperspektive auch für die mobile policies-Forschung liefern. In Kapitel 2.4.3, S. 55, wurden die Entwicklung und gegenwärtigen Ansätze der mobile policy-Forschung vorgestellt. Dort wurde ein blinder Fleck in der bestehenden Literatur hinsichtlich der Frage diagnostiziert, wie lokale Performationen der policies, ihre Machtwirkungen und Subjektivierungsweisen angemessen konzeptualisiert werden können (vgl. ebd.). Denn bestehende Ansätze nehmen zwar die Veränderungen der policies während ihrer Reise in den Blick, essentialisieren aber häufig den lokalen Kontext, in den sie intervenieren, indem sie diesen als tabula rasa oder als statisch denken. Mit der Des-/Artikulation wurde eine Forschungsperspektive vorgeschlagen, die nicht nur in der Lage ist, das Ankommen neuer policies in einen städtischen Kontext zu fassen, sondern ebenfalls ihre Artikulation mit etablierten Rationalitäten des Regierens, wobei sich möglicherweise beide verändern. Die Analyse des Fallbeispiels zeigt, dass die spezifische Artikulation von Kreativpolitik in Frankfurt nicht ohne ein Verständnis der hegemonialen Rationalität unternehmerischer Stadtpolitik sowie des starken kulturpolitischen Rahmens denkbar gewesen wäre. Gleichzeitig hat die Analyse auch gezeigt, dass sich unternehmerische und kreativpolitische Logiken in einer ganz bestimmten Art und Weise artikulieren, wodurch sich beide verändern: Einerseits die Kreativpolitik durch eine Desartikulation sozialer Fragen und der Belange derjenigen Kreativen, die wirtschaftlich wenig potent sind, und andererseits die unternehmerische Stadtpolitik durch ihren verstärkten Fokus auf Kreative und ihre Belange in Form der Förderung ihrer Branchentreffen und Netzwerkevents. Insofern hat sich die Perspektive als geeignet erwiesen, lokale Performationen global zirkulierender policy-Modelle zu verstehen und sollte zukünftig in der Weiterentwicklung dieses Bereichs berücksichtigt werden. Der vierte mögliche Forschungsimpuls, der sich aus der empirischen Arbeit ergibt, bezieht sich auf die Arbeit mit neuen Ansätzen aus der politischen Philosophie in der Kritischen und politischen Geographie. Sie beschreiben die gegenwärtigen Verhältnisse häufig zeitdiagnostisch als »post-demokratisch« und »post-politisch« (Swyngedouw 2009a, 2009b, 2010) und die kreative Stadt als Ort »post-politischer Bürger*innen« (Ek 2011). Sie alle eint, dass sie sich – im Rekurs auf die prominenten Vertreter*innen neuer Ansätze der politischen Philosophie Jacques Rancière, Alain Badiou, Claude Lefort, Jean-Luc Nancy, Ernesto Laclau, Etienne Balibar oder Slavoj Žižek – theoretisch elaboriert mit dem Politischen auseinandersetzen. Dabei differenzieren sie alle zwischen Politik im Sinne eines post-politischen Konsenses (oder dem ›Politischen‹ wie Laclau es nennt bzw. der ›Polizei‹ bei Rancière) und Formen der Politik im Sinne eines Aufbegehrens und einer Infragestellung eben dieser Einhegungsversuche (die bei Laclau und Rancière als ›Politik‹, bei Žižek als ›politics proper‹ beschrieben werden; siehe hierzu z. B. Davidson und Iveson 2014, Dikeç 2005, 2007, 2012, Featherstone und Korf 2012, Springer 2011b, Swyngedouw 2011).

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Interessant ist, dass die meisten bislang vorliegenden empirischen Analysen sich aber einseitig mit dem Prozess der Post-politisierung befassen (siehe z. B. Baeten 2009, Diken 2001, MacLeod 2011, Maesse 2010, Oosterlynck und Swyngedouw 2010, Paddison 2009, 2010, Spencer 2012b, Swyngedouw 2009a) und nicht selten in ihrer Diagnose »apokalyptische« Visionen (Swyngedouw 2010) und neue Großerzählungen vom Ende der Politik und der Demokratie heraufbeschwören. Forschungen über die Frage, ob und inwiefern dieser ›post-politische Konsens‹ widersprüchlich oder brüchig ist, wo er scheitert, welche Formen des Widerstandes gegen ihn ausgemacht werden können, die zu seiner Infragestellung oder Umkehrung beitragen könnten, gibt es bislang nicht. Davidson und Iveson (2014) fordern zwar genau dies ein, liefern aber keine empirischen Einsichten. Selbst Arbeiten, die sich dezidiert mit Widerstand und Protest aus der Perspektive der neuen Ansätze der politischen Philosophie auseinandersetzen, wie die Arbeit von Mustafa Dikeç über die Aufstände in den Pariser Banlieues, lassen diese Frage offen (Dikeç 2007). Die Auseinandersetzung mit dem Partizipationsprozess im Zuge der Planungen eines KulturCampus in Bockenheim hat versucht, genau diese Forschungslücke zu füllen, indem sie sich nicht nur mit der Herstellung eines post-politischen Konsenses, sondern auch mit neuen Formen des Protests dagegen auseinandergesetzt hat. Dabei ist deutlich geworden, dass nur solche Formen des Protests geeignet sind, nicht durch die Technologien der Partizipation eingehegt zu werden, denen es gelingt, die Regeln des politischen Spiels, welches sie ausschließt, sichtbar und selbst wieder zum Gegenstand politischer Verhandlung zu machen. In diesem Zusammenhang hat sich der Rancière’sche Begriff des Unvernehmens als für die Interpretation hilfreich erwiesen. Die in Bockenheim beobachteten Formen des Protests haben viel Ähnlichkeit mit (politischen) performativen Interventionen (in den Stadtraum), wie sie derzeit in den Theater- und performance studies (Deck und Sieburg 2011, Hartmann et al. 2012, Schmidt-Wulffen 2008, Schuster 2013) und der Recht-auf-Stadt-Bewegung erprobt werden. Sie alle stellen bestehende gesellschaftliche Ordnungen in Frage und erforschen neue Artikulationsformen politischer Subjektivität. Diese neuen Formen der Ästhetisierung und Politisierung von Subjektivität stellen eine Chance dar, den postpolitischen Konsens gegenwärtiger Stadtentwicklung in Frage zu stellen sowie neue Formen von Unvernehmen und politischer Subjektwerdung als konkrete Formen der Interventionen in den Stadtraum im Sinne eines Rechts auf Stadt zu erkunden und praktisch werden zu lassen. Inwiefern es gelingen wird, solchen neuen Interventionsformen eine breitere gesellschaftliche Bühne zu geben, ist offen. Erkenntnisse dieser Arbeit und auch Praktiken aus dem Bereich der performance studies können die geographische Diskussion um politische Subjektivität und ihre Formen urbaner Raumproduktionen deutlich bereichern.

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10.2 I NTERVIEWS Interview 1 mit der Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Leo Burnett vom 14.06.2011. 66 Minuten. Interview 2 mit der Senior PR Managerin bei Crytek vom 17.06.2011. 65 Minuten. Interview 3 mit der Personalmanagerin bei Saatchi & Saatchi vom 08.07.2011. 43 Minuten. Interview 4 mit einem Experten für Kreativwirtschaft von Deutsche Bank Research vom 04.08.2011. 70 Minuten. Interview 5 mit der Initiatorin von Freiraum Frankfurt e. V vom 08.08.2011. 123 Minuten. Interview 6 mit dem Vorstand des Art Directors Club vom 09.08.2011. 55 Minuten. Interview 7 mit einem Politiker und Mitglied des Kultur- und Freizeitausschusses vom 21.08.2011. 66 Minuten. Interview 8 mit der Referentin für Kreativpolitik beim Kulturamt Frankfurt vom 23.08.2011. 120 Minuten (gemeinsam mit Peter Lindner). Interview 9 mit dem Leiter des Künstlerhauses Basis in Frankfurt vom 23.08.2011. 108 Minuten (gemeinsam mit Peter Lindner). Interview 10 mit dem Künstler und Initiator von The Thing Frankfurt vom 24.08.2011. 133 Minuten. Interview 11 mit einem Orientierungsberater für Kreative beim rkw-Hessen vom 29.08.2011. 116 Minuten (gemeinsam mit Peter Lindner). Interview 12 mit einem Orientierungsberater für Kreative beim rkw-Hessen vom 29.08.2011. 116 Minuten (gemeinsam mit Peter Lindner). Interview 13 mit dem Leiter der European School of Design vom 30.08.2011. 117 Minuten (gemeinsam mit Peter Lindner). Interview 14 mit der Abteilungsleiterin im Stadtplanungsamt vom 30.08.2011. 58 Minuten (gemeinsam mit Peter Lindner). Interview 15 mit dem Gründer der Standortinitiative gamearea-FrankfurtRheinMain vom 31.08.2011. 87 Minuten. Interview 16 mit dem Professor für Kreativität im urbanen Kontext an der HfG Offenbach vom 01.09.2011. 87 Minuten. Interview 17 mit der Sprecherin der Initiative Ratschlag Campus Bockenheim vom 06.09.2011. 105 Minuten. Interview 18 mit dem Initiator und Leiter der lichter-Filmtage vom 08.09.2011. 58 Minuten. Interview 19 mit der Referentin für Kultur- und Kreativwirtschaft beim Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 09.09.2011. 54 Minuten.

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Interview 20 mit dem Geschäftsführer der FrankfurtRheinMain GmbH vom 13.09.2011. 81 Minuten. Interview 21 mit der Sprecherin der Initiative Zukunft Bockenheim vom 28.09.2011. 102 Minuten. Interview 22 mit dem Rektor der Städelschule in Frankfurt vom 28.09.2011. 65 Minuten. Interview 23 mit dem Rektor der Hochschule für Musik und Darstellende Künste vom 04.10.2011. Interview 24 mit der Leiterin des Amtes für multikulturelle Angelegenheiten vom 07.10.2011. 113 Minuten (gemeinsam mit Mathias Rodatz). Interview 25 mit der Mitarbeiterin der Hessischen Filmförderung bei der WI-Bank vom 18.10.2011. 73 Minuten. Interview 26 mit einem Mitarbeiter der IHK-Frankfurt vom 05.02.2013. 96 Minuten. Interview 27 mit der Leiterin des Kompetenzzentrums Kreativwirtschaft vom 15.03.2013. 113 Minuten. Interview 28 mit einer Referentin beim Amt für multikulturelle Angelegenheiten Frankfurt vom 08.07.2013. 59 Minuten (gemeinsam mit Mathias Rodatz). Interview 29 mit der Künstlerin und Gründerin der Galerie Fruchtig im Ostend vom 09.07.2013. 65 Minuten. Interview 30 mit der Leiterin des Kulturamtes Frankfurt vom 05.08.2013. 69 Minuten. Interview 31 mit dem Geschäftsführer der Tourismus und Congress GmbH Frankfurt vom 10.06.2014. 55 Minuten.

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Sozial- und Kulturgeographie Georg Glasze, Annika Mattissek (Hg.) Handbuch Diskurs und Raum Theorien und Methoden für die Humangeographie sowie die sozialund kulturwissenschaftliche Raumforschung April 2017, ca. 400 Seiten, kart., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3218-7

Nicolai Scherle Kulturelle Geographien der Vielfalt Von der Macht der Differenzen zu einer Logik der Diversität August 2016, 298 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3146-3

Raphael Schwegmann Nacht-Orte Eine kulturelle Geographie der Ökonomie Januar 2016, 180 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3256-9

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Sozial- und Kulturgeographie Veronika Selbach, Klaus Zehner (Hg.) London – Geographien einer Global City Januar 2016, 246 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2920-0

Antje Schlottmann, Judith Miggelbrink (Hg.) Visuelle Geographien Zur Produktion, Aneignung und Vermittlung von RaumBildern 2015, 300 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2720-6

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Maike Didero Islambild und Identität Subjektivierungen von Deutsch-Marokkanern zwischen Diskurs und Disposition 2014, 414 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2623-0

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