Kontaktzone Vorderer Orient und Ägypten: Orte, Situationen und Bedingungen für primäre griechisch-orientalische Kontakte vom 10. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr. 3515118608, 9783515118606

Viele kulturelle Leistungen des antiken Griechenland wurden aus dem Osten übernommen. Iris von Bredow widmet sich nun er

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German Pages 394 [402] Year 2017

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Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Danksagung
Teil I Kurzer historischer Abriss Griechenlands, des Vorderen Orients und Ägyptens vom 12. bis zum 6. Jh.
1. Griechenland vom Untergang der mykenischen Welt bis zum 6. Jh.
1.1 Die submykenische und protogeometrische Zeit
1.2 Die Gesellschaft Griechenlands in den sogenannten Dark Ages
1.3 Frühe Orte des Neuanfangs
1.4 Kontinuitätslinien
1.5 Die Konsolidierung der frühgriechischen Gesellschaft im 9. und 8. Jh.
1.6 Staat, Gesellschaft und Kultur in archaischer Zeit
2. Ägypten. Die Dritte Zwischenzeit (11. Jh. bis 525)
3. Die assyrische Expansion in den Westen
4. Das Neubabylonische Reich
5. Die syrischen Länder
5.1 Das Land Que
5.2 Die nordsyrischen Länder
5.3 Die nordsyrischen Küstenstädte
5.4 Die südsyrischen Länder
Teil II Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit
1. Materielle Quellen
1.1 Keramik als kultureller und ethnischer Indikator
1.2 Monumentalarchitektur und künstliche Landschaft
1.3 Ikonographie
1.4 Schrift und Sprache als nichtverbale Kommunikation
2. Die schriftlichen Quellen als Medien ihrer Zeit
2.1 Die griechischen literarischen Quellen
2.2 Vorderasiatische und ägyptische Schriftquellen
3. Eigennamen als historische Quelle
4. Lehnwörter als historische Quelle
Teil III Kommunikation und Rezeption
1. Kontakttypen: verbale und nichtverbale Kommunikation
1.1 Verbale Kommunikation
1.2 Nichtverbale Kommunikation
2. Äußere Kontaktbedingungen: die Dominanz im interkulturellen Kontakt
2.1 Politische Dominanz
2.2 Kulturelle Dominanz
2.3 Soziale Unterschiede zwischen den Kontaktpersonen
3. Rezeptionsstufen
3.1 Entlehnung
3.2 Adaption
3.3 Akkulturation
4. Besonderheiten der Rezeption geistiger Kultur
4.1 Rezeption literarischer Formen und Inhalte
4.2 Rezeption von Glaubensinhalten und Kulten
Teil IV Kontaktsituationen
1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt
1.1 Griechisches Söldnertum
1.2 Der Handel und seine Organisation im Vorderen Orient, in Ägypten und Griechenland
1.3 Höhere Dienstverhältnisse
1.4 Handwerker und Technologien
1.5 Sklaven
2. Kurzzeitige verbale oder nichtverbale Kontakte
2.1 Piraterie
2.2 Gesandte und Bildungsreisende
Teil V Rezeption und die Entwicklung neuer Identitäten durch primäre Kontakte und Kommunikation
1. Geographie und Chronologie der primären Kontakte
1.1 Nordsyrien im 9. und 8. Jh.
1.2 Die phönikische Küste vom 9. bis zum 6. Jh.
1.3 Israel und Juda
1.4 Das philistinische Gebiet
1.5 Ägypten
2. Neue Identitäten durch Rezeption
Karten
Literatur
Register
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Kontaktzone Vorderer Orient und Ägypten: Orte, Situationen und Bedingungen für primäre griechisch-orientalische Kontakte vom 10. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr.
 3515118608, 9783515118606

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Iris von Bredow

Kontaktzone Vorderer Orient und Ägypten Orte, Situationen und Bedingungen für primäre griechisch-orientalische Kontakte vom 10. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr.

Alte Geschichte Franz Steiner Verlag

Geographica Historica – 38

Iris von Bredow Kontaktzone Vorderer Orient und Ägypten

geographica historica Begründet von Ernst Kirsten, herausgegeben von Eckart Olshausen und Vera Sauer Band 38

Iris von Bredow

Kontaktzone Vorderer Orient und Ägypten Orte, Situationen und Bedingungen für primäre griechisch-orientalische Kontakte vom 10. bis zum 6. Jahrhundert v. Chr.

Franz Steiner Verlag

Satz: Vera Sauer Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11860-6 (Print) ISBN 978-3-515-11861-3 (E-Book)

Zum Geleit

Gegenstand dieses Bandes ist die Kommunikation zwischen Griechen und Einheimischen im Vorderen Orient und in Ägypten zwischen dem 10. und dem 6. Jh. v.Chr. Diese Kommunikation war grundlegend für den Kulturtransfer, der in dieser Zeit vom Vorderen Orient und Ägypten nach Griechenland erfolgte. Ganz wesentlich gestützt auf kommunikationswissenschaftliche Methoden und Theorien sucht die Autorin den historischen Bedingungen, den Orten und den Mechanismen dieser ›primären Kontakte‹ auf die Spur zu kommen. Fraglos ist dies eine Thematik, die mit Historischer Geographie vielfältig zusammenhängt, ihr aber auch eine ganz besondere Dimension verleiht und daher im Rahmen der interdisziplinären Konzeption der Geographica Historica ihren angemessenen Platz findet. Eckart Olshausen und Vera Sauer

Inhalt

Einleitung und Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil I: Kurzer historischer Abriss Griechenlands, des Vorderen Orients und Ägyptens vom 12. bis zum 6. Jh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Griechenland vom Untergang der mykenischen Welt bis zum 6. Jh. . . . . . . . . . . . 1.1 Die submykenische und protogeometrische Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Gesellschaft Griechenlands in den sogenannten Dark Ages . . . . . . . . . . . 1.3 Frühe Orte des Neuanfangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Kontinuitätslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Die Konsolidierung der frühgriechischen Gesellschaft im 9. und 8. Jh. . . . . . 1.6 Staat, Gesellschaft und Kultur in archaischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ägypten. Die Dritte Zwischenzeit (11. Jh. bis 525) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die assyrische Expansion in den Westen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Neubabylonische Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die syrischen Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Das Land Que . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die nordsyrischen Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Bit-Agusi/Arpad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Patin/Unqi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Hamat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Die nordsyrischen Küstenstädte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Kinet Höyük . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Al-Mina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Ras al-Bassit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4 Ras Ibn Hani . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.5 Tell Tweini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.6 Tell Sūkās . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Die südsyrischen Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Die phönikische Küste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Aram Damaskus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3 Israel und Juda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.4 Die philistinischen Küstenstädte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 15 16 17 18 19 20 22 23 34 53 58 60 68 71 75 77 81 85 86 94 96 97 98 102 105 106 125 127 133

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Inhalt

Teil II: Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Materielle Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Keramik als kultureller und ethnischer Indikator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Monumentalarchitektur und künstliche Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Ikonographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Die spätluwische Welt der Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Stelen und Reliefs in Ägypten während der Saïtenzeit . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Schrift und Sprache als nichtverbale Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die schriftlichen Quellen als Medien ihrer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die griechischen literarischen Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Die Homerischen Epen als Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Die frühgriechische Lyrik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Die Geschichtsschreibung des Herodot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Vorderasiatische und ägyptische Schriftquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die neuassyrischen und neubabylonischen Annalen und Chroniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Das Alte Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigennamen als historische Quelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Lehnwörter als historische Quelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil III: Kommunikation und Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kontakttypen: verbale und nichtverbale Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Verbale Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Nichtverbale Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Äußere Kontaktbedingungen: die Dominanz im interkulturellen Kontakt . . . . . . 2.1 Politische Dominanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Kulturelle Dominanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Soziale Unterschiede zwischen den Kontaktpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rezeptionsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Entlehnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Adaption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Akkulturation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Besonderheiten der Rezeption geistiger Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Rezeption literarischer Formen und Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Rezeption von Glaubensinhalten und Kulten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil IV: Kontaktsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Griechisches Söldnertum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Der Handel und seine Organisation im Vorderen Orient, in Ägypten und Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Wirtschaft und Handel im Neuassyrischen Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Wirtschaft und Handel in neubabylonischer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

227 227 227

169 172 175 179

260 264 267

Inhalt

1.2.3 Wirtschaft und Handel der nordsyrischen Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Wirtschaft und Handel in Phönikien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.5 Wirtschaft und Handel des saïtischen Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.6 Wirtschaft und Handel des frühen Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Höhere Dienstverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Handwerker und Technologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Sklaven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kurzzeitige verbale oder nichtverbale Kontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Piraterie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Gesandte und Bildungsreisende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil V: Rezeption und die Entwicklung neuer Identitäten durch primäre Kontakte und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geographie und Chronologie der primären Kontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Nordsyrien im 9. und 8. Jh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Die spätluwischen Länder als Kontaktzonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Die Bedeutung der spätluwischen Staaten in den frühen Ost-West-Kontakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die phönikische Küste vom 9. bis zum 6. Jh. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Die phönikische Küste als Kontaktzone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Die Bedeutung der Kultur an der phönikischen Küste in den Ost-West-Kontakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Israel und Juda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Israel und Juda als Kontaktzonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Die Bedeutung von Israel und Juda als Kontaktzonen . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Das philistinische Gebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Die philistinischen Gebiete als Kontaktzone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Die Bedeutung der philistinischen Gebiete in den Ost-West-Kontakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Ägypten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Ägypten als Kontaktzone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Die Bedeutung Ägyptens für die Ost-West-Kontakte . . . . . . . . . . . . . . 2. Neue Identitäten durch Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα, πολύτροπον, ὃς μάλα πολλὰ πλάγχθη, ἐπεὶ Τροίης ἱερὸν, πτολίεθρον ἔπερσε· πολλῶν δ’ ἀνθρώπων ἴδεν ἄστεα καὶ νόον ἔγνω, πολλὰ δ’ ὅ γ’ ἐν πόντῳ πάθεν ἄλγεα ὃν κατὰ θυμόν, ἀρνύμενος ἥν τε ψυχὴν καὶ νόστον ἑταίρων. (Hom. Od. 1,1–51)

Einleitung Die Bedeutung der orientalischen und ägyptischen Kultur für die Entwicklung des frühen Griechenland ist heute unbestritten. Die Resultate eines intensiven Kulturtransfers sind klar ersichtlich, über seine Mechanismen, Voraussetzungen und Routen weiß man jedoch nur wenig. Ziel der hier vorgelegten Studie ist, diese Lücke zu füllen und diesem Kulturtransfer deutlichere Konturen zu verleihen. Der Kulturtransfer vollzog sich in mehreren Etappen. Die erste beinhaltete die Kommunikation zwischen Griechen und Einheimischen im Osten und die Rezeption dortiger Kulturgüter und Lebensweisen, was hier als ›primäre Kontakte‹ bezeichnet wird. Nach der Rückkehr in die griechische Heimat begann eine sekundäre Rezeption, die aber nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchungen ist. Inhalt, Umfang und Authentizität eines Kulturtransfers hingen ganz und gar von den konkreten Kontaktbedingungen und -situationen ab, mit denen ein Grieche bei der primären Rezeption in der Fremde konfrontiert war, in Ländern mit einer hohen, durch Jahrtausende alte Traditionen geformten Kultur. Dagegen konnten die Griechen bis zum 8. Jh. weder Staatlichkeit noch bemerkenswerte Kulturgüter vorweisen. Eine wichtige Voraussetzung für die Untersuchung der primären Kommunikation ist die möglichst genaue Kenntnis der Geschichte der Länder, in denen Ost-West-Kontakte stattfanden. Als chronologischer Rahmen wurde die Zeit zwischen dem 10. und dem 6. Jh. gewählt. Das 10. Jh. liefert die ersten archäologischen Beweise für solche Kontakte und im 6. Jh. veränderten sich die Kontaktsituationen durch die persische Eroberung Syriens und Ägyptens grundlegend. Im ersten Teil wird die Geschichte der in die Kontakte involvierten Länder vorgestellt. Aber auch Ländern, welche die Politik Syriens vom 9. bis zum 7. Jh. weitgehend bestimmten, besonders das Neuassyrische Reich, sind Kapitel gewidmet. Dieser recht umfangreiche 1

In möglichst wörtlicher Übersetzung: »Von einem Manne sprich, oh Muse, von einem Mann, der viele Verhaltensweisen beherrschte, der sehr viel herumirrte, nachdem er den heiligen Ort Troja vernichtet hatte: Er sah die Städte vieler Menschen und erkannte ihre Klugheit, viele Leiden trafen sein Inneres auf dem Meer, während er seine Seele und die Heimkehr der Gefährten zu retten suchte.«

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Einleitung

Teil der Studie ist kein Selbstzweck. Er steckt den Rahmen ab, in dem Kulturaustausch stattgefunden hat bzw. hätte stattfinden können. Diese historischen Skizzen dienen weiterhin als Hintergrund, vor dem Ost-West-Kontakte bestimmt und da, wo sie ermittelbar sind, näher definiert werden können. Sie dienen darüber hinaus als Interpretationshilfen für schriftliche und materielle Quellen, die sich auf kulturübergreifende Kommunikation beziehen. Außer dem Vorderen Orient und Ägypten sind auch andere wichtige Kontaktzonen auszumachen, vor allem Zypern und der westliche Mittelmeerraum. Diese werden hier nicht berücksichtigt, nicht nur, weil das zu sichtende und zu bearbeitende Material ansonsten viel zu umfangreich geworden wäre, sondern vor allem aus der bei der Arbeit entstandenen Überzeugung heraus, dass viele komplexe Rezeptionen aus den großen Metropolen des Ostens gekommen sein müssen und nicht auf sporadische Kontakte in kleineren, peripheren Hafenstädten zurückgeführt werden können. Zypern ist freilich eine Kontaktzone, die als solche noch genauer untersucht werden müsste. Über die primäre Rezeption ist bisher wenig geforscht und geschrieben worden, weil die östlichen und die griechischen Schriftquellen sie nur in wenigen Fällen thematisieren und archäologische Befunde meistens in mehrere Richtungen interpretierbar sind. Die bevorzugte These ist ›Kontakt durch Kommerz‹, auch in den Fällen, in denen Handel tatsächlich nicht zu belegen ist. Es gibt jedoch Quellen aus beiden Kulturkreisen, die deutlich einige Bereiche erkennen lassen, in denen Kommunikation zwischen Griechen und Orientalen stattfand. Diesen Bereichen kann man dann auch archäologisches Material zuordnen. Das spärliche Quellenmaterial wird durch eine Reihe von zusätzlichen Angaben erweitert, sodass sich Kontaktzonen und -situationen genauer abzeichnen. So ist es möglich, z.B. bei der Untersuchung der Akkulturation von Griechen in Ägypten auch Daten über die Akkulturation der dortigen Karer heranzuziehen. Das ist legitim, da die Kontaktbedingungen und -situationen der dortigen Griechen und Karer bewiesenermaßen dieselben waren. Auch Eigennamen und Lehnwörter, welche vom 10. bis zum 6. Jh. in die griechische Lexik eindrangen, sind als eine spezifische, informationsreiche Quellen zu behandeln. Somit ergibt sich insgesamt eine Quellenbasis, von der aus sich mit Hilfe theoretischer Ansätze und neuer Methoden typische Kommunikations- und Kontaktmuster herausarbeiten lassen. Die Quellen werden hier in ihren Funktionen als kulturspezifische Medien interpretiert. Die Funktionalität der gezielten kommunikativen Bewegungen von den ›Herren der Medien‹ zu den Empfängern offenbart die Intention einer Quelle nicht selten präziser und adäquater als die einzelnen darin verwendeten Formen. Für eine Untersuchung von Rezeption in bestimmten Kontaktsituationen ist dieser mediale Aspekt höchst relevant, da er spezifische Kontaktbedingungen und -situationen auch dort erkennbar machen kann, wo die direkten Quelleninhalte unzureichend sind. Außer kommunikationswissenschaftlichen Gesichtspunkten werden weiterhin soziokulturelle und soziotechnologische Theorien für Definitionen, Erklärungen und Darstellungen bestimmter Phänomene und Prozesse herangezogen, die neue Aspekte des Quellenmaterials zeigen können. Zum Verständnis des jeweiligen soziokulturellen Umfelds eines Kontakts sind die Theorien der sozialen Praktiken von sehr hohem Wert. Da jedes Kennenlernen einer anderen Kultur die Konfrontation mit einer fremden, ungewohnten Materialität bewirkt, steht der Aspekt der Materialität bei jeder Rezeption im Ausland im Mittelpunkt, wie weiter unten erläutert werden wird. Soziale Praktiken, welche sich Griechen im

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Osten und in Ägypten in unterschiedlichem Umfang aneignen mussten, schufen die Grundlage kognitiver Erfahrungen und eigene Lernprozesse. Durch die Anwendung der Theorien des soziokulturellen Handelns lassen sich außerdem Orte, Zeiträume und Situationen von Kontakten eingrenzen und Hypothesen auf ihre Plausibilität überprüfen. Eine weitere Präzisierung der primären Kontakte gewinnt man durch eine Klassifizierung ihrer Intensität und Resultativität. Man unterscheidet zwischen den Rezeptionsstufen Entlehnung, Adaption und Akkulturation, wie sie in Teil III dargestellt sind. Die Inhalte von Rezeptionen hängen vorrangig von den sozialen und kulturellen Bedingungen der primären Kontakte, von den intellektuellen und professionellen Fähigkeiten und der psychologischen Belastbarkeit eines Individuums ab, das in der Lage ist, sich in einer fremden Gesellschaft zu integrieren und zu sozialisieren. Gleichzeitig zeigt eine solche Klassifizierung, welche Rezeptionen den verschiedenen Rezeptionsstufen zugeschrieben werden können. Für die Qualität der Kontakte, die sich direkt auf die Qualität der Rezeption auswirkt, sind zunächst die äußeren Bedingungen ausschlaggebend. Darunter sind politische, soziale und kulturelle Dominanzen zu verstehen, die in allen Kontaktsituationen die jeweilige Richtung vorgeben. Die Untersuchungen dazu beruhen auf den belegten wie auch den möglichen primären Kontakten zwischen Griechen und Orientalen bzw. Ägyptern. Griechische Personengruppen verschiedener sozialer Zugehörigkeit werden in dieser Untersuchung jeweils synchron unter dem Aspekt einer Dominanz behandelt, denn der jeweilige soziale, professionelle und kulturelle Hintergrund der Kontaktpersonen bestimmt in hohem Maß Umfang und Möglichkeiten der Rezeptionen. Nach diesem Schritt können verschiedene Arten eines Aneignungsprozesses aufgrund rekonstruierbarer kultureller Praktiken betrachtet werden. Bestimmte Rezeptionen wie die von Weltanschauung, Glaubensvorstellungen, Literatur und vielschrittigen Technologien können nur das Resultat einer besonders intensiven und tief greifenden Akkulturation gewesen sein, welche eine Identitätsveränderung bewirkte. Gerade das schuf die Motivation für einen Transfer östlicher materieller und geistiger Güter in die frühgriechische Gesellschaft. Von den politischen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten hingen Motivationen oder auch Zwänge zur Rezeption bestimmter Kulturleistungen ab. In Teil IV sind die Kontaktsituationen, d.h. die belegbaren Tätigkeitsbereiche zusammengefasst, in denen Kommunikation zwischen Griechen und Orientalen oder Ägyptern stattfand. Sie sind zunächst in die beiden weit gefasste Kategorien ›lange und verbale Kontakte‹ und ›kurze verbale oder nichtverbale Kontakte‹ eingeteilt. Diesen können die einzelnen typischen Kontaktsituationen zugeordnet werden (Söldnertum, Piraterie, Handel usw.). Wenn die griechischen Kontaktpersonen in den verschiedenen Situationen vor dem jeweiligen historischen und kulturhistorischen Hintergrund untersucht werden, kristallisieren sich soziale Gruppen und Einzelpersonen recht plastisch heraus, und die erfolgten Rezeptionen können genauer umrissen werden. Tatsächlich ist ein Kulturtransfer aus dem Orient nach Griechenland nur in wenigen Glücksfällen zu datieren und sein Ausgangspunkt zu lokalisieren. Das gilt sowohl für einen importierten Gegenstand als auch für einen Mythos. Ohne den Prozess der Transmission zumindest plausibel gemacht zu haben, darf eine vage Vermutung nicht als Grundlage kulturhistorischer und/oder historischer Untersuchungen benutzt werden. Man kann aber Zeit und Ort der Rezeption und des Transfers zumindest eingrenzen, indem man die Mög-

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lichkeiten der Kontaktsituationen und Kontaktwege, die für den jeweiligen Transfer notwendig gewesen wären, herausarbeiten. Aus allen Erkenntnissen, welche aus dem historischen Rahmen, den Quellenanalysen und den theoretischen Schlussfolgerungen gewonnen werden können, lassen sich eine allgemeine, vorläufige Chronologie und eine Geographie der Ost-West-Kontakte vom 10. bis zum 6. Jh. erstellen. Dabei zeigt sich, wie und aus welchen Gründen sich Kontaktzonen im Lauf der Zeit verlagerten und wie sich der Charakter der Rezeptionen veränderte. Auch die sich dynamisch entwickelnde griechische Kultur und Gesellschaft der archaischen Epoche trug wesentlich zu andersartigen Rezeptionen und zur Entwicklung neuer Kontaktsituationen bei. Eine der Grundthesen der vorliegenden Arbeit besagt, dass eine primäre Rezeption und ihr Transfer im Grunde immer individuell erfolgten. Voraussetzungen dafür waren soziale Kompetenz, die durch Adaptions- und Integrationsprozesse im Ausland erworben werden musste, und ein hohes soziales und kulturelles Niveau der Kontakte, das einen weitgehend freien Zugang zu den Kulturleistungen eines fremden Landes ermöglichte. Diese These führt zur oben schon erwähnten Schlussfolgerung, dass Griechen, die sich im Vorderen Orient bzw. in Ägypten durch einen erfolgreichen Akkulturationsprozess integriert hatten, ihre Identität veränderten. Der Typ des ›neuen Griechen‹, der sich bereitwillig für fremde kulturelle Einflüsse öffnet und sein Leben mit den Errungenschaften neu arrangiert, ist im archaischen Griechenland aus Literatur und Ikonographie gut bekannt. Wegen der beschränkten Quellenlage bleiben die Kontaktpartner im Osten und in Ägypten sowie die griechischen Träger des Kulturtransfers für uns zwar mit sehr wenigen Ausnahmen anonym, doch wir können ihre Biographien mit Hilfe des erweiterten und neu analysierten Quellenmaterials in groben Zügen nachzeichnen. ✴

Danksagung Bei der Arbeit über die primäre Kommunikation zwischen Griechen und Orientalen bzw. Ägyptern habe ich von vielen Kollegen aus dem In- und Ausland wertvolle Informationen und Anregungen erhalten, die von großer Bedeutung waren und ohne die das Buch in der vorliegenden Form nicht hätte geschrieben werden können. Mein Dank richtet sich an Herrn Hartmut Matthäus, Frau Helen Sader, Herrn Mustafa Sayar, Herrn Masoud Badawi und viele andere, die sich für meine Fragen immer offen zeigten. Herr Klaus Tausend und Herr Peter Panitschek sowie Herr Hartmut Matthäus schrieben ausführliche Gutachten, wofür ich ihnen herzlich danke. Meine Töchter Petja und Bonka Nedeltscheva fertigten die Karten im Anhang an und leisteten damit einen wichtigen Beitrag für das Buch. Mein besonderer Dank aber gilt Vera Sauer, die aus Freundschaft ein schwieriges Lektorat übernahm. Mit ihrer akribischen Arbeit und einem immer kritischen Blick hat sie so manche Schwächen des Textes beheben können. Für die noch bestehenden trage ich natürlich voll und ganz die Verantwortung. Und schließlich habe ich Eckart Olshausen und Vera Sauer für die Aufnahme dieses Buches in die Reihe Geographica Historica meinen Dank auszusprechen.

Teil I

Kurzer historischer Abriss Griechenlands, des Vorderen Orients und Ägyptens vom 12. bis zum 6. Jh.

1. Griechenland vom Untergang der mykenischen Welt bis zum 6. Jh. Die Frage nach der Kontinuität oder Diskontinuität der bronzezeitlichen Kultur wird bis heute sehr kontrovers diskutiert: Sind kulturelle Kenntnisse und Fähigkeiten nach dem Fall der mykenischen Welt in den sogenannten Dark Ages weiter tradiert worden oder schwanden sie im Lauf der submykenischen Epoche? Bedeutete das Wiederaufleben der Kultur Griechenlands im 8. Jh. eine Renaissance oder einen Neuanfang? Für Untersuchungen über vorderorientalische und ägyptische Einflüsse auf das frühe Griechenland ist die Beantwortung dieser Frage von oft entscheidender Bedeutung. In manchen Fällen ist nicht eindeutig zu bestimmen, ob eine kulturelle Leistung der eigenen Tradition entspringt oder eine Innovation aus dem Osten ist. Dieses Dilemma zeigt sich z.B. in den Bänden der Archaeologia Homerica:1 Viele Kenntnisse, Fähigkeiten und Motive, die im 9. bis 7. Jh. v.Chr. in Griechenland aufkommen, könnten, für sich betrachtet, sowohl aus der mykenischen Welt als auch aus dem Vorderen Orient stammen. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, soll hier in aller Kürze dargelegt werden, wie m.E. die Ausgangspositionen aussahen, von denen aus Griechenland von der submykenischen bis zur archaischen Zeit in einen erneuten Kontakt zu den Ländern des Ostens trat.2 Die Thesen basieren für die Zeit vom 10. bis 8. Jh. fast ausschließlich auf archäologischem Material, das jedoch in verschiedene Richtungen interpretierbar ist. Daher entsteht das ungute Gefühl, dass die Frage nach Kontinuität und Diskontinuität oftmals eine reine Glaubenssache ist. So sind die verschiedenen Zweige der Altertumswissenschaften gespalten: Während die Archäologie aufgrund der materiellen Spuren einer Kontinuität eher skeptisch gegenübersteht, wird sie vor allem von Altphilologen oft als gegebener Tatbestand postuliert.3 Aus diesem Grund sollen hier kurz die plausiblen Punkte gegen und für eine solche Kontinuität vorgestellt werden. Daran wird sich die Sichtung der zu untersuchenden Materialien in den folgenden Kapiteln orientieren. 1 2

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1967–2012. Da sich diese Monographie vorrangig mit den Ländern des Vorderen Orients und mit Ägypten befasst, wird hier nicht auf Einzelprobleme des frühen Griechenland und die diesbezügliche Literatur eingegangen. Vgl. dazu Teil II 1.

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I. Kurzer historischer Abriss

1.1 Die submykenische und protogeometrische Zeit Das relativ spärliche archäologische Material von etwa 1100 bis ca. 900 (die ›Dark Ages‹) zeigt einen dramatischen demographischen Rückgang, eine ebenfalls drastische Verarmung und wahrscheinlich intensive innere Migrationsbewegungen, deren Endresultate in der archaischen historischen Geographie zu sehen sind. Zweifellos ist das Ende staatlicher Machtausübung der wichtigste Faktor einer Diskontinuität. Gerade mit den Burgen waren viele Kulturleistungen verknüpft gewesen, die ebenfalls untergingen: der Gebrauch der Schrift, die hohe höfische Kunst, die staatlich unterhaltenen Heiligtümer,4 überhaupt alles, was als Medium der Herrschaft existiert hatte. Das allgemeine Bild der Kultur Griechenlands nach ca. 1200 ist das eines mehr oder weniger rapiden Abstiegs: Es gab keine meisterhaft gearbeiteten Siegel, Terrakotten, Fresken, Stelen usw. mehr. Die Keramik wurde zunehmend grob und schmucklos, für lange Zeit errichtete man keine Steinbauten, sondern lediglich primitive und leichte Hütten.5 Das bedeutet, dass ganze Berufszweige untergingen und damit auch die dazugehörigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Techniken. Teure Luxuswaren aus dem Osten kamen nicht mehr nach Griechenland, da es für mehrere Jahrhunderte keine Abnehmer mehr gab.6 Der archäologische Befund eines starken Rückgangs der Siedlungen und überhaupt Spuren menschlichen Lebens lässt auf eine neue wirtschaftliche und soziale Lebensform schließen, die nur wenige archäologische Spuren hinterlässt,7 nämlich auf den Übergang von einer sesshaften, innerhalb eines Staatsystems genau definierten Gesellschaft zu einer nomadischen oder halbnomadischen, in der nicht Landbesitz und Ackerbau, sondern Viehherden und saisonal aufgesuchte Weideplätze den wichtigsten Lebensunterhalt ausmachen.8 Dies führt zu einer Lebensweise ohne dauerhafte soziale Bezüge9 und folglich ohne eine stabile und hierarchisch aufgebaute Sozialstruktur. Dabei gingen auch viele Kenntnisse der staatlich organisierten bronzezeitlichen Landwirtschaft verloren, die sich, wie auch andere Produktionszweige, durch eine außerordentlich differenzierte Arbeitsteilung auszeichnete. Sie musste sich erst in einer Subsistenzwirtschaft neu entwickeln. Ähnlich war es mit dem handwerklichen Wissen und Können. Zwar arbeiteten wohl auch weiterhin an einigen Orten einzelne Handwerkergruppen wie Töpfer oder Schmiede. Ihre Praxis musste sich aber den neuen Gegebenheiten anpassen, d.h. sie arbeiteten nun auf einem niedrigen handwerklichen Niveau für eine stark reduzierte und verarmte Gesellschaft.

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Die Frage, ob sie gänzlich untergingen, ist allerdings umstritten und es scheint, dass sie sich punktuell und in eingeschränktem Maß noch lange erhalten konnten, so z.B. auf Zypern und Kreta, in Attika und auf Euboia. So scheinen zumindest einige alte Technologien noch länger bekannt gewesen zu sein, vgl. Matthäus 1988, 285–300. Fagerström 1988. Ein anderer möglicher Grund, nämlich dass die Seefahrt wegen der allgemeinen Krisensituation im östlichen Mittelmeerraum unterbrochen war, scheint weniger relevant zu sein. Das zeigt allein schon die Geschichte Zyperns. In solch ein Bild fügt sich auch der Umstand, dass man aus dieser und der folgenden protogeometrischen Zeit kaum Siedlungen, wohl aber Gräber gefunden hat. Snodgrass 1971, 378–380; vgl. auch Gehrke 1986, 22. So auch Welwei 1998, 27, 29.

1. Griechenland vom Untergang der mykenischen Welt bis zum 6. Jh.

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1.2 Die Gesellschaft Griechenlands in den sogenannten Dark Ages Eine auch heute noch sehr verbreitete Hypothese lehnt sich an die antike literarische Überlieferung an, die sich wahrscheinlich seit dem 6. Jh. entwickelte: Die griechischen Stämme seien mit Königen an der Spitze in ihre historischen Siedlungsplätze gezogen und hätten sich dort niedergelassen, um sich dort unter monarchischer Führung zu konsolidieren.10 Es habe also in den meisten Gebieten Griechenlands einen Zustrom von Einwanderern gegeben, auf die letztlich alle Veränderungen zurückzuführen seien.11 Das würde der These einer Kontinuität entgegenstehen. In der frühgriechischen Gesellschaftsstruktur haben Stammes- und Sippenstrukturen jedoch keine konstituierende Rolle gespielt.12 Die historisch belegten Stammesbezeichnungen und die mit ihnen verbundenen Mythen haben sich als später entstandene Konstrukte erwiesen.13 Auch archäologisch sind solche Einwanderungen, die immer einen erkennbaren Bruch in der Alltagskultur mit sich gebracht hätten, nicht zu beweisen. Stattdessen wurden in submykenischer Zeit noch traditionelle Formen und Dekorationen in der Keramik benutzt. Gegen die Existenz von frühen griechischen Königen sprechen vor allem die Nekropolen: Von der Mitte des 12. bis zum Ende des 10. Jh. zeigen sie keine nennenswerten sozialen Differenzierungen.14 Damit wird diese Annahme – die auch eine aristokratische Schicht voraussetzen würde – hinfällig. Auch die typisch aristokratische Bewaffnung – Rüstungen, Streitwagen, bestimmte Waffensets – war, mit einigen unten zu besprechenden Ausnahmen, lange Zeit nicht vorhanden.15 Es fehlen außerdem jegliche Anzeichen der Kultur einer Oberschicht, die sich immer in Besitzunterschieden und leicht erkennbaren Statussymbolen ausdrückt. Es scheint also alles darauf hinzudeuten, dass während der Dark Ages viele verschiedene und oftmals sicherlich sehr komplizierte ethnogenetische Prozesse stattfanden, die weder linear noch einheitlich gewesen sein können. Sie spielten sich in territorialen Gemeinden ab, die sich in submykenischer und bis in geometrische Zeit auf jeweils verschiedene Weise und unter unterschiedlichen geographischen, wirtschaftlichen, sozialen und nachbarschaftlichen Bedingungen konsolidierten und im Lauf der geometrischen Epoche eine soziale und wirtschaftliche Stabilität erreichten, in der sich lokale Dialekte und dauerhafte regionale kulturelle Besonderheiten entwickeln konnten.

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Gehrke 1986, 33 u.a. Zur Kritik vgl. Ulf 1996, 240–280. Z.B. Schachermeyr 1980; anders Snodgrass 1971, 311–313. Bourriot 1976; Roussel 1976. Prinz 1972, 314–376 zu einem der ältesten dieser Sagenkreise, nämlich demjenigen über die Kolonisation Ioniens. Kraiker, Kübler 1939; Morris 1992. Snodgrass 1984, 50, 57, 60, 65f.

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I. Kurzer historischer Abriss

1.3 Frühe Orte des Neuanfangs Viele Erkenntnisse über frühere Zeitabschnitte beruhen auf Zufallsfunden, denen ein breiterer Kontext fehlt. Insbesondere Athen, Lefkandi,16 Kreta,17 Samos18 und Euboia19 konnten als Orte ausgemacht werden, die offensichtlich bereits sehr früh Kontakte zum Osten besaßen, die der Ausbildung einer Elite schon früh wichtige Impulse gegeben hatten. Seit dem 8. Jh. haben Athen und Attika viele Kommunikationswege zu den benachbarten und entfernteren griechischen Gebieten besessen. Nur so ist zu erklären, dass attische Keramik seit dieser Zeit und verstärkt im 7. Jh. in fast ganz Griechenland zu finden ist. Die gut untersuchten Gräber illustrieren seit dem 9. Jh. eine kontinuierliche soziale und kulturelle Entwicklung sowie auch einen Neubeginn von Überseekontakten.20 So gehört Athen zum Beispiel auch zu den Orten, an denen zyprischer Einfluss und östliche Importe sehr früh fassbar sind.21 Bei dem heutigen Dorf Lefkandi auf Euboia wurden Grabanlagen gefunden, die seit dem Ende der frühen Bronzezeit bis etwa 825 benutzt worden waren.22 Ein Hiatus ist allerdings zwischen ca. 1100 und 1050 zu erkennen. Auch hier findet sich keine direkte Kontinuität zur mykenischen Epoche,23 obwohl das allgemeine Bild, welches das submykenische Lefkandi liefert, stärkere Kontinuitätslinien als anderswo vermuten lassen könnte. Das eigentlich Erstaunliche ist aber, dass die Funde eine frühe Herrschaftsstruktur erkennen lassen. Aus den protogeometrischen Gräberfeldern24 ragt besonders das sogenannte ToumbaBuilding hervor. Es demonstriert ganz offensichtlich Machtkompetenz und Machtanspruch, wie sie in dieser frühen Zeit einmalig sind. Dieses Gebäude ist ein für seine Zeit ungewöhnlich großes, längliches Apsishaus (47×10m), das um 950 v.Chr. oder etwas zuvor errichtet wurde. Ungewöhnlich sind auch die Qualität seiner Ausführung, seine Architektur mit einem Peripteros, wie er erst in der viel späteren griechischen Sakralarchitektur erscheint, sowie weitere, für diese Zeit einmalige Details.25 Doch das Erstaunlichste sind die Gräber in diesem Gebäude: Im Zentralraum befinden sich das eines ›Kriegers‹26 und das einer Frau. Während die letztere mit reichem Schmuck erdbestattet wurde, ist der männliche Verstorbene kremiert. Die Verbrennungsreste sind in einer reliefverzierten Bronzeamphore beigesetzt. Daneben fand man in einer anderen Grube vier Pferdebestattungen. Nach der Beendigung des Totenrituals hat man das Haus zerstört, mit Erdreich gefüllt und mit Erde bedeckt, so dass ein imposanter Hügel entstand.27 Dieses für seine Zeit einzigartige Gebäu16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

Zu den bislang frühsten uns bekannten Inschriften vgl. Jeffery 1980, 89–93; Buchner 1978, 135–140 u.a. Sznycer 1992/3, 89–93. Röllig 1988, 62–75. Charbonnet 1986, 117–154. Kraiker, Kübler 1939; Morris 1992. Das betrifft sowohl neue Gefäßformen als auch ihre Dekoration; vgl. Desborough 1972, 145– 148. Die Publikationen in den Bänden Lefkandi 1–3. Anders Murray 1982, 26. Popham, Sackett, Themelis 1980. Coulton 1993, 33–70. So benannt von den Ausgräbern wegen der Waffenbeigaben. Die Annahme, das Haus sei erst nach der Kremation errichtet worden, wird von MazarakisAinian 1997, 54f. bezweifelt.

1. Griechenland vom Untergang der mykenischen Welt bis zum 6. Jh.

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de, das höchstwahrscheinlich nur als Bestattungshaus geplant und ausgeführt worden ist,28 zeigt die hohe soziale Stellung der Toten. Diese wird nicht nur durch die Orientierung der späteren Gräber auf den Tumulus hin verdeutlicht, sondern besonders durch den enormen Umfang der Arbeiten, die für diese Grabstätte notwendig waren. Daher wird der Tote in der Literatur zu Recht mit Begriffen wie ›Fürst‹, ›Prinz‹ oder ›König‹ bezeichnet. Offensichtlich nahm er die Stellung eines quasi monarchisch herrschenden Regenten ein, dem die Bevölkerung von Lefkandi unterstellt war. Diese Schlussfolgerung steht in solch einem scharfen Kontrast zu den übrigen griechischen Siedlungen und Nekropolen des damaligen Griechenland, dass nur zwei plausible Interpretationen möglich sind: Entweder steht Lefkandi trotz des Hiatus in einer bronzezeitlichen Tradition oder aber wir haben es mit dem ersten Anzeichen eines Neuanfangs zu tun. Da aber unter den Funden Belege für eine mykenische Tradition fehlen, ist die erste Möglichkeit wohl auszuschließen. Die zahlreichen kostbaren Importwaren aus Zypern, Nordsyrien und Ägypten weisen in eine ganz andere Richtung: Die Projekte des ›Herrschers von Lefkandi‹ haben wesentliche Impulse aus dem Orient erhalten. Auf diese Importe und ihre Bedeutung sowie auf das spezifische Totenritual im Bestattungshaus wird weiter unten zurückzukommen sein.29 1.4 Kontinuitätslinien In der materiellen Kultur scheint nach dem 10. Jh. der ›mykenische Faden‹ endgültig abgerissen gewesen zu sein. Unter den archäologischen Fundstücken ist nur an einigen wenigen Orten Keramik zu finden, deren Formen und Dekor noch an mykenische erinnern könnten. Es gibt aber zwei außerordentlich wichtige und unleugenbare Kontinuitätslinien, deren Bedeutung für breitere Traditionsstränge aus der mykenischen Welt freilich kaum bestimmbar ist. Die wichtigste ist zweifellos die griechische Sprache. Sprache ist nicht nur ein synchronisches, sondern auch ein diachronisches Kommunikationsmittel. Wortschatz, Möglichkeiten der Wortbildung, der modalen Ausdrucksweise, der Syntax usw. prägen auch dann noch Denkmuster und -modelle, wenn sie ursprünglich aus einer sehr unterschiedlichen geographischen, sozialen und kulturellen Umwelt stammen. Es ist jedoch schwer zu ermessen, wie viel und was durch die Bewahrung der griechischen Sprache erhalten blieb, zumal sie sich der Lebenswelt neuer Generationen anpasste, was vor allem für das semantische Niveau gilt.30 Die mykenischen Quellen, die lediglich Verwaltungsdokumente sind, geben nur einen sehr beschränkte Ausschnitt der damals verwendeten Lexik. Einem direkten Vergleich stehen also nur wenige Begriffe zur Verfügung. Theoretisch ist davon auszugehen, dass bei der Weiterentwicklung der Lexik solche Begriffe und Titel ausgeschieden oder semantisch verändert wurden, die direkt mit der mykenischen staatlichen Organi28 29 30

Popham 1993, 100f. Vgl. besonders Teil IV 1.1. Als Beispiel dafür können einige Begriffe der mykenischen Herrschaftsstruktur dienen: Den Titel des mykenischen Königs wa-na-ka=ἄναξ finden wir in der archaischen Zeit als Epithet von Gottheiten. Dagegen hat sich der mykenische Begriff da-mo=δῆμος, dor. δᾶμος sowohl als eine territoriale als auch als juristische und soziale Einheit erhalten. Zu qa-si-re-u=βασιλεύς Bredow 1988, 28–35.

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I. Kurzer historischer Abriss

sation verbunden waren, die also nicht mehr in der Kommunikation benötigt wurden. Die wenigen Vergleichsmöglichkeiten bestätigen dies.31 Der zweite Kontinuitätsbereich betrifft Götternamen. Auf den Fragmenten der LinearB-Täfelchen aus Pylos sind einige dort verehrte Gottheiten genannt,32 von denen die meisten in der Eisenzeit weiterhin bekannt waren, wie z.B. die Namen von Zeus, Hera, Athena und Poseidon. Daraus lässt sich allerdings nicht automatisch schließen, dass zusammen mit diesen Namen auch Vorstellungen über Wesen und Funktionen, Mythen und Kulte bewahrt blieben. Die hinter den archäologisch belegbaren Kulten stehenden Gottheiten bleiben anonym. Die wesentlich veränderten Lebensumstände in der Zeit nach 1200 haben zwangsläufig auch umwälzende Veränderungen in den religiösen Vorstellungen und Kulten bewirkt. Allerdings gehören die mykenischen Glaubensvorstellungen und Kulte zu den schwierigsten Kapiteln der Mykenologie überhaupt und man kann kaum etwas Sicheres darüber ermitteln. Bei der Behandlung der griechischen Frühgeschichte werden oft außer den archäologischen zusätzlich auch spätere literarische Quellen ausgewertet, angefangen mit den Epen Homers bis zu Schriften, die um die Zeitwende entstanden sind (z.B. Strabon) oder auch noch später (z.B. die zahlreichen Scholien zu Homer und Pausanias). Aus methodischen Gründen können sie aber nicht als historische Quellen für diese Epoche verwendet werden.33 Für die Rekonstruktion der Gesellschaft von etwa 1200 bis 800 ist das archäologische Material nur innerhalb des allgemeinen historischen Kontextes interpretierbar. Durch die Anhäufung von bereits gut untersuchtem und auch quantitativ genügendem Fundmaterial kann man diesen allgemeinen Kontext für das vorgeschichtliche Griechenland des 1. Jt. zumindest in groben Umrissen erkennen: eine nur gering differenzierte, halb sesshafte, schriftlose Gesellschaft ohne staatliche Strukturen,34 eine recht dünne Besiedlung, aber eine gemeinsame Sprache und wahrscheinlich weitgehend ähnliche religiöse Vorstellungen. Das war – ganz allgemein – die Ausgangsposition für den Neuanfang. 1.5 Die Konsolidierung der frühgriechischen Gesellschaft im 9. und 8. Jh. Ab dem 9. Jh. v.Chr. zeigen die archäologischen Funde dynamische Prozesse eines wirtschaftlichen und demographischen Aufstiegs, der sozialen Differenzierung und Konsolidierung, einer jeweils regionalen kulturellen Entwicklung und schließlich der Expansion (innere und äußere Kolonisation). Diese Zeit wird gern mit dem Begriff griechische Renaissance umrissen.35 Diese Bezeichnung klingt gut, geht aber am Wesentlichen vorbei: Renaissance würde ein neues Aufblühen der alten bronzezeitlichen Kultur und eine bewusste Zurückerinnerung an diese bedeuten. Es handelt sich aber vielmehr um einen Neuanfang, dessen soziokulturelle Entwicklung bereits vor dem 9. Jh. begonnen hatte. 31 32 33 34 35

Außer den oben erwähnten Begriffen kann noch auf te-re-ta=θεράπων, ra-wa-ke-ta=λαογέτης u.a. verwiesen werden. Auf Fr Tafeln; Bennet, Olivier 1973. Vgl. dazu Teil II 1.4; vgl. auch Thuk. 1,20,1. Zu den Ausnahmen vgl. Teil I 1.2. Snodgrass 1971, 416f. und Coldstream 1977, passim.

1. Griechenland vom Untergang der mykenischen Welt bis zum 6. Jh.

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Eines der schwierigsten historischen Probleme dieser Jahrhunderte bleibt die Entwicklung einer neuen Staatlichkeit, d.h. die Frage, aus welchen seit dem 11. Jh. existierenden Strukturen sich im 8. Jh. die griechische polis mit allen ihren lokalen Besonderheiten entwickelte, und welches die Kräfte waren, die diese Prozesse vorantrieben. Zweifellos war der oikos der Kern des sozialen Lebens: Der autonome Landwirt, seine Familie und sein Hof bildeten die Grundlage einer sich lokal unterschiedlich entwickelnden Personengemeinde. Diese wurde vor allem durch den Kult zusammengehalten und entwickelten sich zu einer Territorialgemeinde, die sich als Personenverband verstand.36 Je mehr diese Gemeinde wuchs und gemeinschaftliche Aufgaben bewältigen musste, desto enger gestalteten sich die sozialen Beziehungen zwischen den oikoi. Das zweite treibende Element der sozialen Entwicklung ist der Agon, der Kampf um Besitz und Macht.37 Die fortschreitende wirtschaftliche und damit auch soziale Differenzierung unter den Bedingungen des autarken oikos und einer wohl schon früh funktionierenden Volksversammlung schuf Spannungen sowohl zwischen den Ärmeren und Reicheren wie auch zwischen den Reicheren untereinander. Mit dem Übergang zu einer sesshaften Lebensweise wurde der in Griechenland recht knappe fruchtbare Boden zum wichtigsten Indikator für wirtschaftliche und soziale Stellung. Durch den Grundbesitz bildete sich eine neue aristokratische Schicht heraus, die den Anspruch erhob, auf alle sozial relevante Gebiete des Gemeindelebens Einfluss zu nehmen: Rechtssprechung, Kriegsführung, Entscheidungskompetenz in inneren Angelegenheiten und Kultwesen. Wahrscheinlich führten gerade die Spannungen innerhalb dieser neuen aristokratischen Schicht zur Schaffung einer neuen Staatlichkeit, der polis. Dabei war der Machtkampf zwischen den Mitgliedern der neuen und noch lange nicht etablierten Oberschicht die eigentlich treibende politische, wirtschaftliche und kulturelle Kraft. Dieser Adel konnte auf keine langen Traditionen zurückblicken. Maßstab für Macht war also zunächst primär der Reichtum, nicht die Abstammung. Das aber bedeutet, dass Ab- und Aufstieg innerhalb dieser Oberschicht möglich war, was zusätzliche, teilweise auch schwere Probleme verursachte. Aus den zunehmenden Differenzen zwischen Arm und Reich entstand ein Standesbewusstsein und damit auch eine aristokratische Solidarität, die gemeindeübergreifend wirkte. Sie sprengte den bisherigen Rahmen der Beziehungen und schuf sich im 8. Jh. v.Chr. ihre großen Treffpunkte wie Olympia und Delphi. Ihre sozialen Beziehungen basierten auf Verwandtschaftsverhältnissen (insbesondere Verschwägerungen), Interessengruppen meist Gleichaltriger (hetairiai), Gastfreundschaft (xenia) und Abhängigkeitsverhältnissen innerhalb des Standes (therapeia). Seit dem 9. Jh. waren Griechen offensichtlich wieder im östlichen Mittelmeer präsent. Davon zeugt die allmählich zunehmende Zahl einzelner Keramikfunde an der kilikischen Küste, auf Zypern und an der nord- und mittelsyrischen Küste.38 In der zweiten Hälfte des 8. Jh. rückten, wiederum von der griechischen Keramik ausgehend, auch die südsyrischen Gebiete in den Radius griechischer Seefahrer.39 Über das mögliche Wesen der Beziehungen wird in den folgenden Kapiteln zu sprechen sein. Man wird das im 9. Jh. allerdings noch 36 37 38 39

Vgl. Schuller 1993, 106. Zajčev 1985. Vgl. Teil I 5.3. Vgl. Teil I 5.3.4.

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I. Kurzer historischer Abriss

nicht als ›Anfang internationaler Beziehungen‹ bezeichnen können. Diese begannen erst mit der Kolonisation im 8. Jh. Die Kolonien im westlichen Mittelmeer und an den Küsten des Schwarzen Meeres wurden ausnahmslos in politisch und kulturell schwachen Ländern gegründet. Dennoch machten sie die Griechen wieder zum Teil einer neuen, interaktiv agierenden Mittelmeerwelt. 1.6 Staat, Gesellschaft und Kultur in archaischer Zeit Um 700 begann die archaische Zeit, in der Griechenland seine erste Hochkultur nach der Bronzezeit erlebte. Ihre Grundlage war eine neue Staatlichkeit, die polis, die aus einem städtischen Kern und einem meist kleinen Territorium bestand, deren Bewohner sich als Bürgergemeinschaft verstanden. Die polis regelte mit ihren Organen das Zusammenleben der verschiedenen Bevölkerungsschichten und war gleichzeitig Arena des Machtkampfs unter den Adligen. Außerdem organisierte sie das Polisheer zur Verteidigung und Erweiterung des Territoriums. Ihre Verfassungen wechselten zwischen aristokratischer, oligarchischer und monarchischer (Tyrannenherrschaft). Machtanspruch und Streben nach Machterhalt der Oberschicht, die sich in der Gesellschaft mit ihren Werten und zahlreichen Statussymbolen präsentierte, waren die treibenden Kräfte in allen sozialen Bereichen. Das frühe Rechtswesen sollte Besitzbewahrung und Teilhabe aller Adligen an der Macht garantieren.40 Dennoch war die frühe polis durch ständige Krisen geprägt, welche die Kämpfe unter den Aristokraten (stasis) verursachten.41 In den unteren Schichten fand eine zunehmende Arbeitsteilung statt: Es gab nun spezialisierte Handwerker, die auch die anspruchsvolle Nachfrage der Aristokratie bedienten. Gleichzeitig verarmte eine große Zahl der Polisbürger. Schuldsklaverei scheint ein verbreitetes Phänomen gewesen zu sein. Mit den zunehmenden Kenntnissen der Meeresrouten, die u.a. bei der Kolonisation gesammelt worden waren, und der Akkumulierung von Reichtum begann sich der griechische Handel erfolgreich zu entwickeln.42 Die Einführung der Münzen erleichterte und beschleunigte ihn zusätzlich. Der Niedergang von Tyros durch die repressiven Maßnahmen der Assyrer43 trug wesentlich zu einer schnellen kommerziellen Expansion bei. Die archaische Epoche war die Zeit der großen, bleibenden Innovationen, welche die Eliten einführten und durchsetzten. Die wichtigste war zweifellos die Übernahme der Schrift von den Phönikern oder Aramäern.44 Wenn sie zunächst als ein aristokratisches Statussymbol gepflegt und verbreitet wurde, ging man doch bald über, sie in der polis zu benutzen: Gesetze und Erlässe wurden auf Tempelmauern geschrieben oder auf dem öffentlichen Platz (agora) aufgestellt. Das frühgriechische Epos und die Lyrik mit ihren komplizierten Kompositionsstrukturen sind ohne Verwendung der Schrift nicht denkbar. Was in dieser ersten, schriftlich abgefassten Literatur vielleicht am erstaunlichsten ist, ist ihre Vollkommenheit in Sprache und Komposition. Ähnlich ist es beim Steinbau und der Skulptur. Auch hier erscheinen die frühsten Werke ohne Anzeichen von Experimentierphasen in vollendeter Gestalt. Und in der Vasenmalerei begann die figürliche, immer realistischer 40 41 42 43 44

Walter 1993. Van Wees 2008, 1–39. Vgl. Teil IV 1.2.6. Vgl. Teil I 5.4.1. Von Bredow 2004.

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wirkende Darstellung die geometrischen Ornamente und schemenhaften Figuren abzulösen. Das Kultwesen wurde grundlegend reformiert. Die charakteristischen Züge der Innovationen sind der neue Sakralbau und die räumliche Gestaltung des temenos, die Weihgaben darin, die Schaffung heiliger Landschaften zwischen urbanem und extraurbanem Tempel,45 die musischen Agone usw. Gerade im Kultwesen macht sich die Kulturentwicklung der sogenannten Orientalisierenden Epoche (ca. 750 bis 650) bemerkbar. Orientalische Formen und Motive setzten sich auf allen Gebieten des Kunstschaffens durch. Das schloss auch Glaubensvorstellungen, Kult und Mythos ein.46 Allerdings wurden orientalische Vorlagen nicht kopiert und mit ihren ursprünglichen sozialen Praktiken übernommen, sondern bewusst in die als aristokratisch determinierte frühgriechische Kultur integriert. Denn man etablierte nicht nach östlichem Vorbild eine Priesterschaft, vielmehr blieben Reformationen, Organisation und Durchführung des Kultes in den Händen lokaler Aristokraten oder auch der Tyrannen. Die Gründe dieser enormen dynamischen Entwicklung in der archaischen Epoche liegen also sowohl im dynamischen Charakter der griechischen polis und ihrer Akteure wie auch in den sich nun stark erweiternden und vertiefenden Beziehungen zum Vorderen Orient und zu Ägypten.

2. Ägypten. Die Dritte Zwischenzeit (11. Jh. bis 525) Ägypten wird in Abhandlungen über die Ost-West-Beziehungen in archaischer Zeit oft ausgeklammert oder separat besprochen.47 Dies wird u.a. damit begründet, dass es bis zur Saïtenzeit, also bis Mitte des 7. Jh., für Ost-West-Beziehungen nicht relevant gewesen sei. Ägypten war jedoch auch in der ersten Hälfte des 1. Jt. kein völlig isoliertes Land, sondern außenpolitisch und wirtschaftlich im östlichen Ausland durchaus tätig und präsent, wenn auch im Vergleich mit der späten Bronzezeit weniger intensiv. Die Notwendigkeit östlicher Kontakte war von der Rohstoffarmut des Landes bedingt. Ägypten war immer auf Importe, also auf Handelskontakte oder Expansion nach Süden und Osten angewiesen. Und auch weiterhin war die Ausstrahlung der ägyptischen Kultur ein wichtiger Faktor der syrischen Kulturgeschichte, vor allem in Philistia und in Byblos. Tatsächlich aber öffnete sich das Land am Nil erst ab dem 7. Jh. der Mittelmeerwelt. Mit dem Beginn der 26. Dynastie in Saïs konnte es sich wieder zu einer international agierenden Großmacht entwickeln. Aus der frühen Zeit der Taniten, die teilweise mit der theokratischen Herrschaft des Herihor von Theben (1080–1074) zusammenfiel, ist das Werk Reise des Wen-Amun überliefert.48 Der ›Hallenälteste‹ des Amuntempels in Karnak, Wen-Amun, wird von seinem Herrn Herihor nach Byblos geschickt, um Holz für eine Barke des Gottes Amun zu besorgen. Diese Fahrt gestaltet sich sehr schwierig und gefährlich. Ob das Werk eine literarische Fiktion oder einen offiziellen Reisebericht darstellt, ist umstritten. Es ist tatsächlich kein Dokument im Sinn eines offiziellen Rechenschaftsberichts, doch es kommen darin so viele verifizierbare Situationen und lokalisierbare Orte vor, dass man nicht an einem historischen Gehalt zweifeln kann. Der Bericht stellt viele, sicher ganz typische Situationen des 45 46 47 48

Vgl. Teil II 1.2. Burckert 1984; vgl. auch Teil III 4. Vgl. Boardman 1980, 111. Egberts 1991, 57–67; dt. Übers.: Schipper 2005; Moers 2006, 912–921.

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11. Jh. dar: die Abhängigkeit, aber auch das Zusammenwirken von Theben und Tanis,49 die nie unterbrochene wirtschaftliche Kommunikation Ägyptens mit der levantinischen Küste,50 die verschiedenen Schwierigkeiten der Seefahrt in dieser Übergangszeit51 und den Abbruch der Beziehungen zwischen Ägypten und Zypern.52 Ganz deutlich zeigt dieser ›Roman‹, wie weit das Ansehen Ägyptens im Osten gesunken war, und gleichzeitig das große Selbstbewusstsein der Syrer, mit dem sie ihren ehemaligen Herren begegneten. Besonders wichtig aber ist die Beschreibung eines regelmäßigen Warenaustauschs und der persönlichen Kontakte.53 Die Beziehungen der 21. Dynastie mit dem Osten gingen offensichtlich über die syrischen Nachbarländer hinaus. Das bezeugt u.a. ein mesopotamisches Schmuckstück auf der Mumie des Psusennes I. (1059–1033), eine große Lapislazuliperle mit einer assyrischen Inschrift, die besagt, dass sie einst der ältesten Tochter des Großwesirs von Assyrien Ibassi-ilu gehört hatte.54 Diplomatische Kontakte zwischen Ägypten und Mesopotamien erfolgten über Syrien. In der zweiten Hälfte des 11. Jh. hatte sich die politische Situation in Südsyrien konsolidiert: Die Philister beherrschten die südlichen Küstenstädte, während sich im Binnenland einige kleine Königreiche etablierten. Ägypten hatte keine Ambitionen, in Syrien Fuß zu fassen, also spätbronzezeitliche Verhältnisse wieder herzustellen. Vorrang hatten handelspolitische Fragen. Wie schwierig der Seeweg an der südsyrischen Küste war, zeigt das Buch über Wen-Amun sehr deutlich. Die Aktivitäten in Richtung Edom55 weisen auf den Handel mit der Arabischen Halbinsel. Auch von der Dynastie in Tanis (945–712) existieren Nachrichten über ägyptischsyrische Beziehungen. Obwohl ihr Gründer Scheschonq I. (ca. 945–924) und seine Nachfolger libyscher Herkunft waren, haben sie sich, abgesehen von ihren Namen, von den ›echten‹ ägyptischen Herrschern kaum unterschieden. Kultur, Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Ideologie usw. zeigen keine Brüche auf. Scheschonq I. setzte auch die Außenpolitik der Vorgängerdynastie im Osten fort und intensivierte sie dem großen Karnak-Relief zufolge sogar.56 Als Jerobeam, der spätere Gründer des Nordreichs Israel, verfolgt wurde, floh er nach Ägypten zu ›Schischak‹ und blieb längere Zeit dort.57 Später kehrte er zurück, und gründete Israel, während Rehabeam der davidische König des Südreichs Juda war. Jerobeam war durch das ägyptische Asyl Gastfreund des Scheschonq geworden, und dieser Umstand mag den Pharao genügend legitimiert haben, um Rehabeam im Jahr 925 anzugreifen.58 Diese Politik wurde auch von den folgenden Pharaonen fortgesetzt. Es ging dabei immer wieder um die Sicherung des Seeweges nach Byblos, wo eine Statue des Pharao Osorkon I. (ca. 924–889) gefunden wurde.59 Sporadische ägyptische Plünderungszüge waren ideolo49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59

1.3–7 u.a. 1.57–2.3. 2.62–74. 2.74–78. Zu Wen-Amun vgl. Teil I 5.4.1. Borger 1961, 20,2. Vgl. Kitchen 1986, 273–275. ARE IV §709–724. 1 Kö 11,40. 1 Kö 14,25. Dussaud 1925, 101–117 mit Pl. 25.

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gisch bedingt, sollten gleichzeitig aber auch eine gewisse Kontrolle über die Nachbarländer herstellen.60 Der schnelle Aufstieg Assyriens im 9. Jh. unter den Königen Aššurnasirpal II. (883–859) und Salmanassar III. (858–824) traf auch Ägyptens Interessen schwer.61 Dass Osorkon II. (874–850) in Kontakt mit syrischen Herrschern stand, zeigen ägyptische Artefakte mit seinem Namen besonders in Israel. Osorkon II. sandte dem König von Byblos seine Statue, was die Fortführung der traditionellen Verbindung beider Länder beweist. Als sich die syrischen Staaten der assyrischen Expansion im Jahr 853 bei Qarqar am Orontes entgegen stellten, soll auch Osorkon II. eine Truppe von 1.000 Soldaten gesandt haben.62 Das bedeutet, dass zumindest die führenden Kräfte dieser syrischen Allianz (Hamat, Damaskus und Israel) in einem intensiven Informationsaustausch mit Ägypten standen. Auch in den folgenden zwei Schlachten dieser Allianz (849 und 845) kämpften ägyptische Truppen. Als dieses von Damaskus geführte Bündnis zerfiel und Damaskus allein gegen Assyrien stand, wandte sich auch Ägypten ab.63 Zu dieser Zeit war Takelot II. König von Ägypten (ca. 850–825). Er hielt sich von Syrien fern und pflegte gute Beziehungen zum Assyrerkönig. Den Annalen Salmanassars III. zufolge soll er sogar ›Tribute‹ gezahlt haben: Dromedare, ein Flusspferd, ein Nashorn, eine Antilope, Elephanten und mehrere Affen verschiedener Arten.64 Angesichts der assyrischen Obermacht konnte Takelot die Handelswege nur noch über gute Beziehungen zur östlichen Großmacht sichern. Denn weder politisch noch militärisch wäre Ägypten in der Lage gewesen, gegen die Assyrer anzugehen, da sich der Herrschaftsbereich dieser Dynastie ja nur auf den Norden Ägyptens erstreckte. Wahrscheinlich hatte die damalige ägyptische Außenpolitik das Ziel, die Verbündeten in Syrien als eine Art Pufferzone zu unterstützen. Das galt bis zum Ende der Herrschaft der 22. Dynastie im Delta (825).65 Ende des 9. Jh. trat in Ägypten eine Krise ein, die als ›libysche Anarchie‹ bezeichnet wird. Gleichzeitig mit der 22. Dynastie regierten in Leontopolis die 23. (818–715) und in Saïs die 24. Dynastie (727–715).66 Während der 23. Dynastie zerfiel das gesamte Deltagebiet in zahlreiche politische Einheiten, die sich oft gegenseitig bekriegten.67 Angesichts der inneren Unruhen waren für außenpolitische Tätigkeiten außerhalb der laufenden Angelegenheiten weder politischer Wille noch militärische Kräfte vorhanden. So blieb Ägypten in der Zeit der assyrischen Eroberungen Syriens während des 8. Jh. völlig passiv, auch wenn es sicher noch weiterhin regelmäßige Beziehungen zu Byblos und Israel unterhielt. Auch die wachsende Macht Nubiens im Süden Ägyptens konnte die verfeindeten Herrscher in Unterägypten nicht zu einem vereinigten Widerstand zusammenschweißen. Pianchi, dem Gründer der 25. (nubischen oder aithiopischen, auch kuschitischen) Dynastie (747–656) gelang es in kurzer Zeit, alle diese Kleinkönige des Nordens zu schlagen.68 Ägypten wurde 60 61 62 63 64 65 66 67 68

2 Chr 14,7–14; Kitchen 1986, 309. Vgl. Teil I 3. Vgl. Teil I 5.5.1 und 5.4.4. Vgl. Teil I 4.4. RIMA 3 A.0.89.2002; vgl. dazu Tadmor 1961. Kitchen 1986, 326f. Kitchen 1986, 334–361. Vgl. die politische Karte für die Zeit um 800: Kitchen 1986, 346 und um 730: S. 367. Dieser Zug ist auf seiner Siegesstele sehr ausführlich beschrieben; Übers.: TUAT 1, 6, 1985, 557– 585.

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wieder vereint, und die Könige des Deltas durften unter nubischer Oberherrschaft ihre Gebiete als tributzahlende Vasallen weiter verwalten. So blieben die Verhältnisse im Norden bestehen, allerdings nun in einer administrativen Stabilität, die das Reich von Napata geschaffen hatte. Im Osten hatte Tiglath-pilesar III. (745–727) einige Länder Syriens zu assyrischen Provinzen gemacht, während andere als Vasallen unter seiner Kontrolle standen. Schon die erste Expedition des assyrischen Königs Sargon II. (722–705) zielte auf die südsyrische Küste bis Gaza, wo der damalige König Hanun die Tributzahlungen eingestellt hatte und Verbündete gegen Assyrien suchte.69 Der ägyptische König sandte zur Unterstützung eine Truppe, welche von den Assyrern besiegt wurde. Gaza wurde eingenommen und die Ägypter zogen zurück. Sogar die syrisch-ägyptische Grenzstadt Raphia geriet dabei in die Hände der Assyrer.70 Wer dieser ägyptische König war, der Hanun unterstützt hatte, ist unklar. In Frage käme an erster Stelle wieder die tanitische, d.h. die 22. Dynastie unter Osorkon IV., dem letzten bedeutenden Pharao dieser Dynastie, denn sein Herrschaftsgebiet grenzte direkt an das Königreich von Gaza. Einige Jahre später (716) stand Sargon wieder in Südsyrien, unterwarf lokale Nomadenstämme und setzte einen Scheich als Vasallen ein, der das assyrisch-ägyptische Grenzgebiet kontrollieren sollte.71 Assyrien rückte also mit einer für Ägypten bedrohlichen Konsequenz näher. Nach den Eroberungen Sargons war die assyrische Grenze etwa 90km von Tanis und ca. 30km von der Grenzfestung Sile entfernt. Es gab keine syrische Pufferzone mehr. Das musste besonders die nubische (25.) Dynastie im Süden beunruhigen, nachdem Schabaka (ca. 716–702) die nubische Herrschaft über Ägypten fest etabliert hatte. Anders entwickelten sich die ägyptisch-assyrischen Beziehungen unter dem nächsten Pharao Schebitku (702–690). Als nach dem Tod Sargons II. und der Thronbesteigung des Sennacherib (705/4–681) eine Welle von Aufständen das Assyrische Reich erschütterte,72 versuchten einige westliche Provinzen, darunter auch der Vasallenstaat Juda unter seinem König Hiskia, im Jahr 701/0 die assyrische Fremdherrschaft abzuschütteln. Er suchte dazu die Unterstützung von Schebitku, der seinen jüngeren Bruder Taharqa zum Oberbefehlshaber der Truppen ernannte und nach Philistia sandte.73 Mit den neutralen Beziehungen zwischen dem wieder erstarkten Ägypten und dem imperialen Assyrien war es nun vorbei. Der nubische Pharao Taharqa (690–664) war auch der Gegenspieler des folgenden assyrischen Königs Esarhaddon (681–669). Dieser beendete Unruhen in Syrien schnell und kompromisslos. Sicher nicht zu Unrecht vermutete er hinter vielen Aufständen Initiativen Ägyptens. Höchstwahrscheinlich war dies der Hauptgrund für die Feldzüge des Esarhaddon gegen Ägypten und nicht oder erst in zweiter Linie Erwägungen, das assyrische Staatsgebiet zu erweitern. 674 holte er zum ersten Angriff aus, wurde aber vermutlich schon vor der syrisch-ägyptischen Grenze von Taharqa abgewehrt. Drei Jahre später (671) drang er beim 69 70 71 72 73

Vgl. Teil I 5.4.3. Vgl. dazu mit Quellen und Literatur Teil I 3.1. Vgl. Teil I 3. Vgl. Teil I 3. Vgl. dazu Teil I 5.4.3.

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zweiten Vorstoß bis nach Memphis vor.74 Diesen Sieg ließ er auf mehreren Stelen feiern.75 Er richtete Nordägypten als eine assyrische Provinz ein, indem er Vasallenkönige, Verwalter über die Städte, Kommandanten der Truppen und weitere Beauftragte bestimmte. Die ägyptischen Städte erhielten nach diesem zweiten Ägyptenfeldzug assyrische Namen.76 Das zeigt seinen festen Vorsatz, Ägypten stabil in das Assyrische Reich zu integrieren. Doch die Lage dort blieb offensichtlich so unsicher, dass Esarhaddon im Jahr 669 einen dritten Ägyptenfeldzug unternahm. Er starb allerdings während des Anmarsches und sein Heer kehrte zurück. Taharqa wurde danach wieder Pharao in Ägypten, und möglicherweise gab es Aufstände der ägyptischen Kleinkönige im Norden gegen die assyrische Besatzung. Der Tod Esarhaddons ermutigte den nubischen Pharao nun, Memphis zurück zu erobern und Unterägypten erneut einzunehmen.77 Daher nahm der Nachfolger des Esarhaddon, Aššurbanipal (668–627), den von seinem Vater begonnenen Ägyptenfeldzug schon in seinem ersten Regierungsjahr wieder auf. Das ausgesandte Heer verstärkte er mit zusätzlichen Hilfstruppen und Schiffen aus Phönikien, Philistia und Zypern. Auch andere Vasallen nahmen an diesem Unternehmen teil.78 Taharqa wurde damals bis nach Theben verfolgt. Nachdem er noch weiter in den Süden zurückgewichen war, wurden wieder diejenigen ägyptischen Könige, Statthalter und Kommandanten eingesetzt, die von Taharqa aus ihren von den Assyrern vergebenen Posten vertrieben worden waren. Darunter befand sich auch Necho I. als König von Saïs und Memphis.79 Damit war das Ziel dieses ersten Ägyptenfeldzuges Aššurbanipals erreicht. Doch wohl noch im selben Jahr wurde ihm eine Verschwörung in Ägypten gemeldet.80 In diesem Zusammenhang steht eine Orakelanfrage des assyrischen Königs über die tatsächliche Gefahr in Ägypten, in welcher der Name Nechos auftaucht.81 Die assyrische Streitmacht musste nach Ägypten zurückkehren. Die Deltafürsten, alle von den Assyrern als solche eingesetzt bzw. anerkannt, hatten Kontakte zu Taharqa aufgenommen. Daher wurden viele von ihnen sofort hingerichtet, andere gefangen genommen und in Ninive mit dem Tod bestraft. Nur Necho I. und seinen Sohn Psammetichos I., den späteren Gründer der 26. Dynastie (664–525), traf dieses Schicksal nicht, obwohl auch sie am antiassyrischen Widerstand aktiv mitgewirkt hatten. Necho wurde vom assyrischen König persönlich als assyrischer Vasall von Saïs und Memphis eingesetzt, sein Sohn Psammetichos – nach ägyptischer Tradition – in Athribis.82 Im Jahr 664 starb Taharqa in seiner nubischen Hauptstadt Napata. Nachfolger wurde sein Neffe Tanutamani (664–656), der den Ehrgeiz hatte, die Assyrer zu vertreiben. Er zog nach The74 75 76 77 78 79 80

81 82

Dieser Feldzug ist in seinen Inschriften sehr ausführlich beschrieben: ANET 292 und 293. Über die reiche Beute: Annalen des Esarhaddon (K 8692 Vs. 12–36); Grayson 1975, 1, 25–28. Erhalten auf der Stele von Sam’al (Auszug der Inschrift in Transkription und Übers. bei Onasch, 1994, 24) und einer Stele beim Nahr el-Kalb bei Beiruth (Weissbach 1922; Streck 1916, 209f.). Onasch 1994, 31 und 32, Kol. b, 1ʹ–11ʹ; Pongraz-Leisten 1997. LET Vs. 19ʹ–26ʹ, Onasch 1994, 104. Prisma C: Rs. 3 Kol. b 2,27ʹ–48ʹ; dazu: Onasch 1994, 149f. Die Liste dieser eingesetzten Vasallen in ganz Ägypten: Prismen C und A, 90–109, Onasch 1994, 119. Nach den Large Egyptian Tablets (Vs. 1,37ʹ–38ʹ=Onasch 1994, 107) soll diese Verschwörung noch auf dem Vormarsch des assyrischen Heeres auf Theben gegen Taharqa erfolgt sein. Vgl. auch Prismen C und A: I, 118–131=Onasch 1994, 121. Starr 1990, Nr. 88, 5–10. Kitchen 1986, 392f.

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ben, um dann Memphis zu stürmen. Dabei umzingelte er die dortigen assyrischen Truppen. Schließlich drang er sogar in das Deltagebiet ein.83 Diesmal unterstützten die Deltakönige aber den nubischen Pharao nicht. Bei den Kämpfen fiel Necho I.84 Herodot zufolge war Psammetichos gezwungen, nach Syrien, also in den assyrischen Machtbereich zu flüchten.85 Falls das stimmt, ist er später zusammen mit den assyrischen Truppen zurückgekehrt. Die Assyrer vertrieben Tanutamani in den Süden, wobei sie die Gottesstadt Theben plünderten, ein Ereignis, das international großes Aufsehen erregte.86 Aššurbanipal konnte nun beruhigt abziehen. Wahrscheinlich blieben die von ihm nach der Verschwörung eingesetzten ägyptischen und assyrischen Würdenträger in ihrem Amt und sicher waren in den größeren Städten weiterhin assyrische Truppen stationiert. Damit enden die assyrischen Quellen über Ägypten. Nur noch eine spätere Nachricht aus dem Jahr 643/2 erwähnt den Abfall des Psammetichos in einem Nebensatz. Die nächsten Jahre und Jahrzehnte, in denen sich Ägypten wieder zu einer Weltmacht zu entwickeln begann, sind völlig unklar. Die wenigen ägyptischen Zeugnisse geben kaum Informationen, und die zahlreicheren griechischen Erzählungen über diese Zeit sind anekdotenhaft ausgeschmückt und widersprüchlich. Die griechische Geschichtsschreibung über Ägypten setzt aber nicht zufällig in dieser Zeit ein. Denn unter Psammetichos I. kamen viele Griechen nach Ägypten, von denen sich die meisten für immer niederließen. Seit dieser Zeit wurden die Beziehungen zwischen Ägypten und Griechenland, genauer gesagt Ostgriechenland, sehr eng und es entstand ein Informationsaustausch, der besonders für Griechenland bedeutende Folgen hatte.87 Als Nachfolger des gefallenen Necho I. hatte Aššurbanipal dessen Sohn Psammetichos I. (664–610) über große und vor allem politisch und strategisch bedeutende Territorien eingesetzt: Memphis, Athribis und Saïs. Der Ehrgeiz des Psammetichos aber ging weit über Unterägypten hinaus. Eine Schlüsselstellung in Richtung Süden war die Stadt Herakleopolis, wo er einen lokalen Herrscher zu seinem getreuen Vasallen machte. So hatte Psammetichos I. in seinem 8. Regierungsjahr den gesamten Norden und die Ausgangsbasis zum Süden inne, wo Theben lag, das nie einen Deltakönig anerkannt hatte. Psammetichos I. erreichte einen Ausgleich mit dieser Gottesstadt,88 indem er 656 seine Tochter Nitokris dem thebanischen Gott Amun als Gottesgemahlin weihte. Somit gewann er politischen Einfluss in Theben und damit im gesamten Süden ohne militärisches Eingreifen. Der Staat begann wieder einheitlich zu funktionieren, wofür die Wiederherstellung des Expeditionswesens der beste Beweis ist. Gegen 654 war Psammetichos I. Pharao von ganz Ägypten. In den Jahren 655–654 hatte er libysche Einfälle in der Gegend von Memphis abzuwehren. Gegen den nubischen Süden hin stationierte er eine Garnison auf Elephantine gegenüber von Aswan. 83 84 85 86

87 88

Darüber berichtet die sogenannte Traumstele des Tanutamani, Übers. bei Onasch 1994, 129–132. Kitchen 1986, 393 mit Literatur. Hdt. 2,152. Vgl. Kitchen 1986, 394. Die Beschreibung dieses Ägyptenzuges: Annalen des Aššurbanipal, Prisma E V 101. Hier sei an die Erwähnung des ägyptischen Theben in der Ilias 1,381 erinnert, die vielleicht ein Echo auf diese Zerstörung darstellen könnte. Die These, dass dies eine spätere Interpolation sei, entsprang einem alten Epenverständnis. Das Epithet der Stadt schließt aus, dass damit das böotische Theben gemeint sein könnte. Sie kann aber auch nichts mit dem bronzezeitlichen ägyptischen Theben zu tun haben. Haider 2004, 447–492. Dazu die Nitokris-Stele, ARE IV §935–958.

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Strabon zufolge siedelte er damals an der Mittelmeerküste, in Rhakotis, wo später die Stadt Alexandria gegründet werden sollte, zum ersten Mal Griechen an.89 Die Assyrer sahen diesen Veränderungen in Ägypten ohne erkennbare Reaktionen zu. Allerdings hatte Assyrien zu dieser Zeit schwere Probleme in Mesopotamien und an anderen Grenzen des Reichs. Gegen 660 hatte das assyrische Weltreich seine größte geographische Ausdehnung erreicht. Doch gerade zu dieser Zeit ergaben sich neue Schwierigkeiten in Elam. Das immer unruhige Babylonien schloss sich diesem Krieg an. Erst nach zermürbenden Kämpfen gelang es Aššurbanipal, diese Länder zu schlagen. Fast 20 Jahre waren die Assyrer also in Syrien und Ägypten kaum präsent. In dieser Zeit löste sich Psammetichos I. aus dem Vasallenverhältnis von Assyrien. Doch er fiel Aššur nicht in den Rücken, und das mag für die siechende Großmacht das Entscheidende gewesen sein. Um sich den Weg zur Alleinherrschaft frei zu machen, mussten die assyrischen Beamten und Truppen notwendiger Weise des Landes verwiesen werden. Wie die übrigen assyrischen Vasallen in Ägypten reagierten, ist unbekannt. Irgendwann in den Jahren zwischen 664 und 654 soll Psammetichos I. eine Allianz mit dem lydischen König Gyges geschlossen haben. In den Annalen Aššurbanipals wird darüber lediglich in einem Nebensatz berichtet. In dieser Textstelle geht es eigentlich auch nicht um Ägypten, sondern um Gyges: Der lydische König habe plötzlich keine Gesandten mehr nach Ninive geschickt, stattdessen habe er aber Krieger zur Unterstützung des Pischamilki (Psammetichos), des Königs von Ägypten, »der das Joch meiner Herrschaft abgeworfen hat«, zur Verfügung gestellt. Nach dem Tod des letzten bedeutenden assyrischen Königs wurde Psammetichos I. außenpolitisch aktiv. Schon während der letzten Regierungsjahre des Aššurbanipal war die assyrische Herrschaft in Syrien zusammengebrochen, und die vielen kleinen Staaten waren praktisch autonom, so auch Juda, das seit 701 assyrischer Vasall gewesen war.90 Zwar entstand kein politisches Vakuum in Syrien, aber für Ägypten waren die kleinen, sich erst wieder neu etablierenden Staaten ein leichtes Opfer. Für seinen Angriff auf Südsyrien dürfte Psammetichos ein ganzes Bündel an Gründen gehabt haben: die Restauration der ägyptischen Außengebiete in Syrien, deren Unterwerfung ein Topos in der Pharaonenideologie war, die Sicherung der Ressourcen der Häfen und die Schaffung einer Pufferzone gegen die siegreich vorrückenden Babylonier. Zur ägyptischen Oberherrschaft über Südsyrien gibt es nur wenige schriftliche und oft nicht eindeutig zu interpretierende archäologische Quellen. Danach war die Präsenz der Ägypter in den Küstengebieten wie auch in der Wüste Negev wahrscheinlich im letzten Drittel des 7. Jh. sehr stark, also schon in der Zeit, in der diese Länder formal noch unter assyrischer Herrschaft standen. Der Untergang Assyriens lag nicht in ägyptischem Interesse. So schloss Psammetichos mit den Assyrern ein Bündnis, um den status quo zu erhalten. Für die Jahre 622 bis 616 fehlen die Eintragungen in der babylonischen Chronik. Es ist also unbekannt, ob es zu dieser Zeit zu Kämpfen zwischen Ägyptern an der Seite der Assyrer gegen die Babylonier kam. In der dritten Chronik, die mit dem Jahr 616 beginnt, werden die Ägypter oft unter den Feinden erwähnt, die am Euphratufer und um die nordsyrische Stadt Harran tätig waren, vor al89 90

Strab. 17,1,6, wo Aristoboulos von Kassandreia zitiert wird. Es kann sich aber auch um eine spätere Erfindung handeln, die diesem Ort eine historische Tiefe verleihen sollte. Vgl. Teil I 5.4.5.

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lem im 10., 13. und 14. Regierungsjahr des Nabupolassar.91 Im Frühling dieses Jahres rückte Nabupolassar am Euphrat in nordwestlicher Richtung vor. An den vielen Kämpfen nahmen auch ägyptische Truppen auf assyrischer Seite teil.92 Bis zum Sommer 615 zog sich dieser Krieg ohne Entscheidungsschlacht hin.93 Was Psammetichos I. genau zu dieser Zeit tat und wo er sich befand, ist ungewiss. Wahrscheinlich trat er sofort den Rückmarsch nach Ägypten an, nachdem er am Euphrat und um Harran umsonst versucht hatte, den Assyrern Beistand zu leisten. Drei Jahre später starb er (609) nach 54-jähriger Herrschaft, in der nur der Misserfolg Assyriens auch sein Misserfolg geworden war. Sein Sohn Necho II. (610–594) folgte ihm auf dem Thron. Er setzte die Innen- und Außenpolitik seines Vaters fort. Ein kleines assyrisches Restreich hielt sich noch in Nordsyrien. Necho II. hatte Aššuruballit schon im Sommer 609 unterstützt.94 Hier bricht die Babylonische Chronik ab. Im Alten Testament hören wir von einem weiteren Feldzug im folgenden Jahr (608), allerdings mit der falschen Angabe, dass Necho II. gegen Assyrien gezogen sei. Diese Verdrehung ist wohl mit der Intention des Verfassers zu erklären, den Fall Ninives als eine Gottesstrafe zu verstehen, zu der viele beitrugen.95 Nach den vielen Kämpfen Ägyptens an der Seite der Assyrer gegen Babylon war eine friedliche Einigung mit den neuen Herrschern auf jeden Fall sehr problematisch geworden. Die Kontrolle über Juda war der erste Schritt, die ägyptische Präsenz in Südsyrien zu erweitern und diesen Landstreifen als eine Pufferzone zwischen Ägypten und Babylon aufzubauen.96 So erweiterte Necho dort anscheinend ohne Kämpfe den ägyptischen Einfluss. Die phönikische Küste, mit der Ägypten immer beste Beziehungen unterhalten hatte, soll Kienitz zufolge auch unter der Oberhoheit des Necho gestanden haben, wie Fragmente einer Hieroglypheninschrift des Königs zeigen sollen.97 Allerdings war die 26. Dynastie für die Schaffung starker syrischer Vorposten militärisch und wirtschaftlich sicher noch zu schwach, zumal die wichtigste außenpolitische Aufgabe die Abwehr der Babylonier blieb. Auch babylonischen Quellen ist eine ägyptische Verwaltung in Südsyrien unbekannt. So wird es wohl bei einem größeren Einfluss Ägyptens und intensiver Kommunikation mit den Staaten Südsyriens geblieben sein. Immerhin gelang es den Ägyptern, im Jahr 606 Kimuhu und mehrere Städte südlich derselben am Euphrat zu erobern und von Karkemiš aus, wo Necho II. sein Lager bezogen hatte, babylonische Truppen zum Rückzug zu zwingen.98 605 erkrankte Nabupolassar schwer und schickte den Kronprinzen Nabukadnezar gegen den Pharao. Im Herbst dieses Jahres führte die Entscheidungsschlacht bei Karkemiš zur vernichtenden Niederlage Ägyptens.99 Nabukadnezar konnte nach einigen Kämpfen Syrien bis zur ägyptischen Grenze unter seine Herrschaft bringen.100 Spätestens zu dieser Zeit müssen auch der letzte assyrische König und seine Truppen bei Harran besiegt worden 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100

Vgl. Teil I 4. Grayson 1975, 3, 10. Grayson 1975, 3, 1–96. Grayson 1975, 3, 66–70. 2 Kö 23,29. Vgl. Teil I 5.4.3. Kienitz 1953, 22; Griffith 1894, 90f. Grayson 1975, 4, 16, 26. Grayson 1975, 5, 2–5. Grayson 1975, 5, 6–8.

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sein. Necho II. zog sich über Hamat, wo seine Armee völlig aufgerieben wurde, nach Ägypten zurück. An der Grenze Ägyptens angekommen, konnte Nabukadnezar ihn nicht weiter verfolgen, sondern sah sich gezwungen, nach Babylon zurückkehren, da sein Vater gerade gestorben war und er sich die Thronfolge sichern musste. Nun war es notwendig, die gesamte ägyptische Außenpolitik von Grund auf zu ändern und neue Schwerpunkte zu setzen. Babylon war ägyptischer Nachbar geworden. Doch Babylon hatte nicht die Absicht, Ägypten anzugreifen. Daher schlossen Necho II. und Nabukadnezar einen Vertrag ab, der einen Frieden sichern sollte. »Der König von Ägypten rückte aus seinem Lande nicht mehr aus, denn der König von Babel nahm vom Bache Ägyptens (das Wadi el-Arisch) bis zum Euphratstrom alles, was dem König von Ägypten gehört hatte«.101 Necho verlagerte seine außenpolitischen Ziele von der militärischen Option auf ein anderes Gebiet: Er baute eine Handelsflotte auf, die sowohl für das Rote Meer als auch für das Mittelmeer bestimmt war. Dabei versuchte er, den Wasserweg vom Nil zum Roten Meer, den sogenannten Bubastis-Kanal, der vielleicht schon in der 18. Dynastie begonnen worden, aber längst wieder verlandet war, wiederherzustellen. Wahrscheinlich scheiterte dieser Kanalbau aber wegen der zu hohen technischen Anforderungen.102 Diese Flotte bestand den Belegen zufolge aus Handels- und Kriegsschiffen.103 Dass auch Griechen daran beteiligt waren, ist natürlich gut möglich,104 wird aber von keiner Quelle belegt.105 Ein Orakel habe schließlich dieses Unternehmen beendet. Wie groß Nechos Ambitionen waren, Ägypten zu einer international agierenden Seemacht zu machen, zeigt, dass er eine Umseglung Afrikas durch erfahrene phönikische Kapitäne anordnete.106 Ausdehnung des Einflusses durch Handel als neues außenpolitisches Ziel war ein durchaus realistisches Programm, denn die phönikischen Städte, bis ca. 700 die Träger des Handels, waren jetzt noch stärker durch die babylonische Herrschaft in ihren kommerziellen Möglichkeiten beschnitten. Im Jahr 594 starb Necho II., und ihm folgte Psammetichos II. (594–588), der 591 eine viel beachtete Wallfahrt nach Byblos unternahm.107 Sein einziges belegtes militärisches Unternehmen war eine Expedition nach Nubien. Nubien hatte seit dem Untergang der 25. Dy101 102 103 104

105

106 107

2 Chr 24,7. Hdt. 2,159; 2,168. Dürring 1995, 156f. Die Schiffswerften aus der Zeit Psammetichos I., die Hdt. 2,154 erwähnt, haben offensichtlich nichts mit dem Bauprogramm Nechos II. zu tun, denn der griechische Historiker sah sie am Pelusischen Nilarm und nicht an der Küste. Aus dem Begriff ›Trieren‹, den Hdt. a.O. benutzt, hat Haider gefolgert, dass nur Griechen solche Schiffe hätten bauen können (Haider 1999, 201), wobei er sich auf Lloyd 1972, 268–279 beruft. Dabei geht Lloyd allerdings von nicht gesicherten Vermutungen aus, nämlich dass die ägyptische Flotte sich gegen die Phöniker gerichtet habe und dass die damaligen griechischen Schiffe den phönikischen weit überlegen gewesen wären, was ganz unwahrscheinlich ist. Auch die Operationen mit einer Flotte unter Apries liegen im Dunkeln (Lloyd 1972, 271f.). Es ist noch ungewiss, wem die Erfindung der Triere zuzuschreiben ist: In griechischen Quellen wird sie sowohl den Sidonern als auch den Korinthern zugeschrieben. Und schließlich wusste Herodot kaum, welcher Schifftyp dort gebaut wurde und hat wohl den genannt, der ihm am geläufigsten war. Sicher aber ist überliefert, dass in den persisch-griechischen Kriegen die phönkischen Trieren unter persischem Kommando die griechischen übertroffen haben. Hdt. 4,42. Bericht des Priesters Petisis über seinen gleichnamigen Großvater: Roeder 1927, 282; Griffith 1909: Dem. Pap Rylands Libr. III Pap. IX 14/16–16/1.

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nastie als ein eigener Staat mit der Hauptstadt Napata weiter existiert. Auch Wirtschaftsbeziehungen bestanden zwischen den beiden sich gegenseitig anerkennenden Staaten. Diese waren für das rohstoffarme Ägypten lebenswichtig, und die Nubier brauchten Theben als Kultstätte, aber auch ägyptisches Getreide. Über diese Expedition berichten griechische Graffiti.108 588 starb Psammetichos II. Schon zu Beginn der Regierungszeit seines Nachfolgers Apries (588–567) nahm die Außenpolitik eines friedlichen Ausgleichs seiner Vorgänger eine scharfe Wende. Gleich nach seiner Thronbesteigung »zog er gegen Sidon in den Krieg und lieferte Tyros eine Seeschlacht«,109 d.h. er zog gegen Städte, die damals unter neubabylonischer Oberherrschaft standen.110 Das müsste in die Zeit vor 585 datiert werden, da Tyros in den Jahren 585–573 gegen Nabukadnezar kämpfte.111 Wäre es nach 585 gewesen, könnte man eher an eine Entsendung von Kriegsschiffen denken, die den phönikischen Städten beistehen sollten. Die Weissagung des Ezechiel über Tyros scheint sogar anzudeuten, dass zu dieser Zeit eine Handelssperre zwischen Tyros und Ägypten eingerichtet wurde.112 Doch die Ägypter verließen den phönikischen Küstenstreifen bald wieder, und das sicher nicht freiwillig. Umso wichtiger war es nun, die Sicherheit der Westgrenze Ägyptens zu schützen. Im Jahr 570 griff Apries militärisch nach Libyen aus, wo seit etwa 630 die reiche griechische Kolonie Kyrene existierte. Sie expandierte damals schnell und verdrängte libysche Stämme, die sich nun freiwillig Apries mit der Bitte unterwarfen, sie vor den aggressiven Griechen zu schützen. Der Pharao zog gegen Kyrene, wurde aber vom Heer der Griechen vernichtend geschlagen. Dieser Misserfolg führte zu einer allgemeinen Meuterei, die bald alle ägyptischen Truppenteile erfasste. Im Frühling 569 erhob sich ein Offizier aus Saïs mit dem Namen Amasis zum Gegenkönig. Es entstand ein Bürgerkrieg, in dem Apries die griechischen und sicher auch andere fremde Söldner einsetzte. Die Wirren dauerten bis zum Herbst 567 an, als Apries fiel.113 Dieser Bürgerkrieg gab Nabukadnezar II. nun die beste Gelegenheit, gegen Ägypten vorzugehen. Leider wissen wir über diesen Feldzug so gut wie nichts, da von der babylonischen Chronik für diese Jahre nur kleine Bruchstücke erhalten sind. Dass es für Ägypten kein schlimmes Ende nahm, kann nur damit erklärt werden, dass der babylonische König eine Einnahme Ägyptens nicht vorgehabt hatte. Vielleicht griff er auf der Seite des Amasis gegen Apries ein, vielleicht wollte er den Ägyptern einen Denkzettel verpassen und sie schwächen – das und anderes wären als Gründe für diesen Überfall denkbar. Die Bemühungen des Amasis um Frieden mit Babylon dürften daher intensiv gewesen sein. In seiner Regierungszeit gab es keine Konflikte mehr zwischen den beiden Großmächten. Herodot zufolge schloss Amasis einen Freundschaftsvertrag und ein militärisches Bündnis mit der polis Kyrene und heiratete eine griechische Frau aus dieser Kolonie. Falls diese Nachricht richtig sein sollte, war sie sicher eine Tochter des dortigen basileus. Aus ägypti108 109 110 111 112 113

Die ägyptischen Quellen bei Sauneron, Yoyotte 1952, 157–207 und Goedicke 1981, 187– 198, Text S. 188f.; vgl. dazu eingehender Teil IV 1.1. Hdt. 2,161. Vgl. auch Jer 37,5; 37,7; 37,11. Schipper 1999, 244f. Vgl. Teil I 5.4.1. Kienitz 1953, 29f.

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schen Quellen ist eine solche Griechin im ägyptischen Harem allerdings nicht belegt. Als Kyrene später in Not geriet, erhielt es keine Hilfe aus Ägypten.114 Herodot zufolge soll Amasis in den 560er Jahren auf Zypern interveniert und einige Städte tributpflichtig gemacht haben.115 Diese Angaben werden allerdings nicht durch andere Quellen bestätigt. Vielleicht hat Amasis mit zyprischen Schiffen vor der phönikischen Küste gekämpft.116 Dass sich gerade zu dieser Zeit der Warenaustausch zwischen Ägypten (Naukratis) und Zypern verstärkte, ist weniger mit einer möglichen ägyptischen Herrschaft über die Insel, als viel eher mit der Handelspolitik Ägyptens zu erklären.117 Während der Regierungszeit des Amasis brach das bisherige Gleichgewicht der Großmächte zusammen: 553 begann der Aufstieg Kyros des Großen. Trotz eines Defensivbündnisses, das Amasis mit dem babylonischen Nabonid und dem lydischen Kroisos geschlossen hatte,118 war der Aufstieg der Perser nicht mehr aufzuhalten. Die letzten Bundesgenossen Ägyptens, Polykrates von Samos und die Städte Zyperns stellten sich auf persische Seite,119 als Kambyses sich vorbereitete, auch Ägypten zu erobern. Der letzte König der 26. Dynastie war Psammetichos III. (526–525), der im Jahr 525 dem persischen Heer unter Kambyses bei Pelusium unterlag und gefangen genommen wurde. Der rationale Regierungsstil dieser Pharaonen steht in krassem Gegensatz zu den Praktiken der vorigen Dynastien des 1. Jt. und besonders zur 25. aus Nubien. Diese hatte eine Archaisierung eingeleitet, die Wiederentdeckung und Wiedereinführung längst vergessener Kulte, ein Zurückgreifen auf den Kanon des Mittleren und auf Bilder des Neuen Reiches. Theben und sein Amunorakel waren für die nubische Dynastie von höchster Bedeutung. Die Prioritäten dieser Herrschaft lagen im Kult. Dieses Erbe mussten die saïtischen Pharaonen abschaffen bzw. neutralisieren, und sie taten dies behutsam und ohne übereilte Schritte, die Widerstand hätten nach sich ziehen können. Es begann mit der erwähnten Einsetzung der Nitokris als Gottesgemahlin (ihre Nachfolgerinnen stammten ebenfalls aus der Königsfamilie) und mit der allmählichen Schwächung des Amunpriestertums in Theben bis zu seiner politischen Bedeutungslosigkeit unter Beibehaltung seiner sozialen und kultischen Position. Die Sicht der Saïten war durch eine Realpolitik geprägt, mit welcher sie sich in der komplizierten Staatenwelt des 7. und 6. Jh. durchsetzten und Ägypten wieder zu einem unabhängigen Machtfaktor im Mittelmeerraum machten. Dennoch spielten Kult und Ideologie im Inneren des Landes weiterhin eine bedeutende Rolle. Die Macht der Priesterschaften war auch weiterhin sehr groß. Die Priester wurden daher überall sozusagen gehegt und gepflegt: Die Pharaonen berücksichtigten ihre Ansprüche nicht nur peinlich genau, sondern förderten sie im kultischen Bereich mit großem finanziellem Aufwand. Davon zeugen die kultischen Bauten, Restaurierungsarbeiten an den alten Tempeln, den Pyramiden und den Königsgräbern. All dies ist natürlich nicht nur als Zugeständnis an die Priester zu sehen, sondern auch als überall sichtbarer Ausdruck der 114 115 116 117 118 119

Vgl. Hdt. 2,172; Diod. 1,95,1; zu Kyrene: Hdt. 2,181; 4,160–164. Hdt. 2,182; diese Angabe steht hinter einer Aufzählung der Weihgeschenke des Amasis in griechischen Heiligtümern. Die Herkunft der Information ist also nicht zu erschließen. Diod. 1,68,1. Höckmann 2001, Vorwort, VIII. Hdt. 1,77. Hdt. 3,44; 3,54; 3,19; zum Verräter Phanes aus Halikarnassos: Hdt. 3,4; zu diesen Geschehnissen vgl. Kienitz 1953, 32–35.

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traditionellen ägyptischen Königsideologie: Stärke und Glanz alter Zeiten sollten möglichst gut demonstriert werden, für die Bevölkerung wie auch für die Fremden, die dank der Öffnungspolitik der Saïten in immer größerer Zahl nach Ägypten kamen. Dabei entwickelte die Spätzeit ganz spezifische Ausdrucksformen.120 Bevorzugt gefördert wurden die Tempel Unterägyptens. Zum einen stammten die Saïten ja aus dieser Gegend, zum andern war der Norden nun gleichsam Vitrine Ägyptens. Das war das Ägypten, welches die vielen Griechen, die dort tätig waren oder sich niederließen, kennenlernten.

3. Die assyrische Expansion in den Westen Die vom 9. bis zum Ende des 7. Jh. im Osten politisch dominierende neuassyrische Macht war auf allen Gebieten sehr eng mit den syrischen und südostanatolischen Gebieten verbunden. Damit setzte sich eine uralte Tradition fort, die von einer gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit bedingt war: Syrien wie auch Kleinasien waren für Mesopotamien lebenswichtige Lieferanten von Rohstoffen und Waren, und Mesopotamien fungierte als bedeutendster Markt. Daher war Syrien als Transitland für Handel und anderen Verkehr auch für andere Staaten von außerordentlicher Bedeutung. Das Mittelassyrische Reich (etwa 2. Hälfte des 14. bis zur Mitte des 11. Jh.) war von den schweren Unruhen in Kleinasien und an den Küsten des östlichen Mittelmeers um 1200 nicht direkt betroffen. Der Staat konnte allerdings aus dem Zusammenbruch seines westlichen Nachbarn, des hethitischen Großreichs, und aus der schweren Krise Ägyptens nach dem Ende des Neuen Reiches keine Vorteile ziehen, weil er von einbrechenden Aramäerstämmen bedrängt und wahrscheinlich auch von anderen Nöten wie beispielsweise einer lang währenden Trockenperiode betroffen wurde.121 Dass einige internationale Handelswege, und zwar gerade diejenigen, die in das metallreiche Kleinasien führten, zeitweilig wohl nicht oder nur sehr begrenzt genutzt werden konnten und zudem wichtige Märkte weggebrochen waren, trug zu dieser Schwäche sicher wesentlich bei. Erst gegen Ende des 12. Jh. lebte Assyrien unter Tiglath-pilesar I. (1114–1076) für kurze Zeit wieder auf. In seinen Inschriften wird berichtet, dass er bei seinen Expeditionen weit nach Syrien vorgedrungen sei.122 Dies ist die frühste Quelle über Syrien und Kleinasien in der frühen Eisenzeit. Sein Kriegsziel waren vor allem die »nomadischen Aramäer«. Dabei berührte er die spätluwische Stadt Karkemiš des »Landes Hatti« am Euphrat und plünderte sie.123 Er gibt sogar den Namen des damaligen Königs von Karkemiš an, von dem er Geiseln und Tribute nahm: Ini-Teššub.124 Der Assyrerkönig eroberte außerdem sechs Städte westlich des Euphrat beim Berg Bisri, die offensichtlich zu Karkemiš gehörten.125 Im Nordwesten kämpfte er gegen die Krieger der Muški in Kummuh und drang danach weiter nach Anatolien vor. Dabei kam er bis zum »Oberen Meer«, d.h. bis zum Van-See. Auf dem Weg dorthin eroberte er auch Malatya. In einer späteren Kampagne gelangte er bis zum Liba120 121 122 123 124 125

Vgl. Teil II 1.3.2. Zur damaligen Lage des Mittelassyrischen Reiches vgl. z.B. Saggs 1984, 55–57. RIMA 2 A.0.87.2,5ʹ–8ʹ; A.0.87.3,16–25 u.a. Vgl. dazu Teil I 5.2.1. RIMA 2 A.0.87.3,26. RIMA 2 A.0.87.1, V 46 und 47 und A.0.87.2,28f.

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non, wo er Zedern für Gottheiten in Aššur fällen ließ. Dabei habe er Tributzahlungen der Küstenstädte Arwad, Byblos und Sidon entgegengenommen.126 Aššur-bel-kala (1073–1056) setzte diese Politik fort: Syrien wurde als Lieferant von Rohstoffen gesichert,127 und auch diplomatischer Verkehr mit Ägypten wurde über Syrien unterhalten.128 Die erneut anwachsende aramäische Bedrohung machte diese Erfolge allerdings bald zunichte,129 was die schon in der späten Regierungszeit Aššur-bel-kalas beginnende lange Krisenzeit Assyriens deutlich beweist. Die Gebiete im Westen, unter wohl nur loser Kontrolle, gingen schnell verloren. Die Verteidigung gegen die Nomadenstämme erschöpften wahrscheinlich die gesamten wirtschaftlichen Möglichkeiten des Staates. Seuchen und Hungersnöte kamen hinzu. Im südlichen Babylonien siedelten sich die Chaldäer an. Erst unter dem neuassyrischen König Aššurdan (934–912) ist ein erstes neues Erstarken bemerkbar. Assyrien begann wieder zu agieren statt nur zu reagieren. Der eigentliche Aufstieg Assyriens zur Weltmacht und damit ein erneutes Ausgreifen in den Westen begannen aber erst unter Adadnerari II. (911–891). Um einen Korridor nach Syrien zu schaffen, musste er zunächst die aramäischen Stämme bis zum Euphrat bekämpfen. Zukunftsweisend war die Anlage militärischer Operationsbasen, die einen ersten Schritt zu einer effektiven Kontrolle und für eine zukünftige Einverleibung der westlichen Gebiete darstellte. Beute und Tribute ließen die assyrische Wirtschaft weiter erstarken. Dementsprechend drückte sich in den Inschriften sein Selbstbewusstsein aus: »König der Gesamtheit« und »König der vier Weltrichtungen« nannte er sich und griff damit auf Titel zurück, die gut eineinhalb Jahrhunderte kein assyrischer König mehr hatte tragen können.130 Die Eroberungen in Syrien wären sicher zügiger vorangekommen, hätte sich Assyrien nicht über 150 Jahre lang um einen neuen Feind kümmern müssen, der sich im Nordwesten erhoben hatte: Das Land Urartu, das in den assyrischen Quellen auch mit dem geographisch verschwommenen Begriff Nairi und von den Urartäer selbst als Biainili bezeichnet wurde. Sie verwendeten in ihren Inschriften, die seit dem ausgehenden 9. Jh. in Keilschrift angefertigt wurden, das Urartäische, das mit dem Hurritischen der anatolischen Bronzezeit eng verwandt ist. Dieses Land auf dem Gebiet der heutigen Nordosttürkei und des südlichen Armenien mit dem Kerngebiet um die Seen Sevan und Van wurde seit spätestens Ende des 9. Jh. von einer urartäischen Dynastie beherrscht. Ihre Könige schoben die Grenzen im Lauf der Zeit weit in alle Richtungen vor. Bis zur zweiten Hälfte des 7. Jh. stellte Urartu die einzige für Assyrien wirklich bedrohliche Macht dar.131 Dank der schwer zugänglichen Lage in Transkaukasien war seine Eroberung eine fast unausführbare Aufgabe, und als Sargon II. zwei Jahrhunderte später es endlich doch schaffte, ließ er diese Tat geradezu episch besingen. Als sich gegen Beginn des 9. Jh. dieser politisch stabile und militärisch wie auch wirtschaftlich starke Staat Urartu entwickelte, geschah dies auch unter dem Zwang, die assyrischen Angriffe erfolgreich abwehren zu können.132 Unter König Sarduri I. 126 127 128 129 130 131 132

Vgl. Teil I 1.4. RIMA 2 A.0.89.7, II 19b–24: Plünderung von Karkemiš; IV 2–10: mit Booten nach Arwad, Jagd in Hatti. Ibid. IV 27–30. Ibid. III 1–3a; 8b–32. Ibid. 10; Text 6,1–3. Wäfler 1980/1, 79–98. Zur Geschichte Urartus vgl. Salvini 1995.

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(zweite Hälfte des 9. Jh.) hatte Urartu die Herrschaft über die Länder zwischen dem VanSee und dem östlichen Taurus inne. Die urartäische Gefahr machte sich bereits unter der Herrschaft Aššurnasirpals II. (883–859), eines der bedeutendsten neuassyrischen Könige, bemerkbar. Dennoch lag die Priorität dieses Königs im Westen: Ein Feldzug führte ihn im Jahr 878 in das Habur-Gebiet und an den Mittleren Euphrat,133 wohl vor allem mit dem Ziel, dort Tribute einzufordern, die er anderwärtig benötigte. Seit Tiglath-pilesar I. hatte kein assyrischer König mehr den Euphrat überschritten. Einige Jahre später (868) schlossen sich einige Städte am Mittleren Euphrat gegen die assyrischen Angriffe zusammen. Hinter diesen Unruhen stand das aramäische Bit-Adini, das die Kontrolle über den Euphratbogen am östlichen Ufer innehatte. Daher zog Aššurnasirpal II. gegen Adini, nahm einige seiner Städte ein und errichtete am Euphrat zwei große Festungen: eine zwischen der Belich- und der Haburmündung (Kar Aššurnasirpal) auf dem östlichen Ufer und die andere, NebartiAššur, auf dem westlichen.134 Im darauf folgenden Jahr (867) begab er sich nochmals auf einen Syrienfeldzug, um den König Adini von Bit-Adini zu schlagen. Das bedeutete jedoch noch keine endgültige Unterwerfung, sondern stellte zunächst eine aufgezwungene Anerkennung assyrischer Oberherrschaft dar. Es war ein wichtiger Schritt für einen Durchbruch zum Mittelmeer und damit zur Einnahme ganz Syriens.135 Auf einem weiteren Feldzug (866) überschritt Aššurnasirpal dann bei Karkemiš den Euphrat und »empfing die Tribute« des Königs Sangara des Landes »Hatti«. Darauf rückte er weiter zum Orontes-Tal vor, wo die lokalen Könige von Patin und Jahan es nicht wagten, sich ihm in den Weg zu stellen.136 Die Stadt Aribua in Patin ließ er zu einem Versorgungsplatz seines Heeres ausbauen und mit vielen Rohstoffen und Produkten ausstatten. Dann erreichte er die Küste, »fällte Zedern« im Libanon und Amanusgebirge, und die phönikischen Könige von Tyros, Sidon, Byblos, Arwad und Amurru kamen, um sich ihm zu Füßen zu werfen.137 Da die in den Inschriften beschriebenen Züge sehr genau und zum ersten Mal in den assyrischen Annalen als Reihung von Einzelbeschreibungen dargestellt werden, sind diese Texte für die Geschichte der syrischen Länder ungeheuer wertvoll. Nach diesem Feldzug widmete sich Aššurnasirpal II. dem Bau seiner neuen Residenzstadt Kalah (das heutige Nimrud), an dem auch Deportierte aus Hatti (Karkemiš) und Patin arbeiteten.138 Das neue assyrische Selbstbewusstsein drückt sich deutlich in der Kunst dieser Zeit aus: Damals erlebte die assyrische Großplastik ihre erste Blütezeit. Diese Expansionspolitik setzte sein Sohn und Nachfolger Salmanassar III. (858–824) mit erstaunlicher Energie und Beharrlichkeit fort. Er rühmt sich in seinen Inschriften,139 fünfundzwanzig Mal den Euphrat überquert zu haben, siebenmal in das Amanusgebirge und viermal in Que (Kilikien) eingefallen zu sein. 19 Feldzüge führten ihn in die Länder, die westlich des Euphrat lagen. Sein Hauptziel war offensichtlich eine feste Kontrolle Syriens, wobei er zunächst das spätluwische Königreich Unqi/Patin und die Rohstofflager Ostanatoliens ins Visier nahm. Sein erster Syrienfeldzug (858) führte ihn zunächst gegen den Staat 133 134 135 136 137 138 139

RIMA 2 A.0.101.1 u.a. RIMA 2 A.0.101.1 III 49. Ibid. III 56b–57. Ibid. III 65–69. Ibid. III 82–92. RIMA 2 A.0.101.1 III 134. Vgl. zu diesem Thema auch Yamada 2000.

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Bit-Adini, wo er die Hauptstadt und Festung Til Barsip (der heutige Tell Ahmar) angriff.140 Von dort aus nahm er die Route nach Nordsyrien, wo er in Kummuh eine Stadt verwüstete. Das Nachbarland Gurgum ergab sich daraufhin freiwillig und brachte ihm Tribute. Dann wandte er sich nach Süden und stieß auf eine Koalition, die aus den Heeren von Sam’al, Patin, Bit-Adini und Karkemiš bestand. Bei einer zweiten Schlacht schlossen sich auch die südostanatolischen Staaten Que und Hilakku (das antike Kilikien) diesem Widerstand an. Schon im folgenden Jahr (857) war das Ziel seines Feldzugs wieder Bit-Adini. Gleichzeitig erhielt er aber Tribute von Gegnern des Vorjahres: von Patin, Sam’al, Karkemiš, Kummuh, die also damals vor der Übermacht kapituliert hatten. Als Salmanassar 856 wieder gegen Bit-Adini vorrückte, musste der König die Hauptstadt Til Barsip den Assyrern überlassen und fliehen. Seine Familie wurde im Jahr 855 zusammen mit 22.000 Untertanen deportiert. Til Barsip erhielt neue Einwohner aus Assyrien und wurde zur assyrischen Festung KarSalmanassar ausgebaut. Dort residierte fortan ein assyrischer Statthalter. Der östlich des Euphrat gelegene Teil wurde zur assyrischen Provinz Kar-Šulmanu-asared, während die westlich des Euphrat gelegenen früheren Besitzung von Bit-Adini wahrscheinlich dem aramäischen Staat Arpad zugeschlagen wurden.141 Salmanassar stand 853 wieder in Syrien. Dabei erwies sich seine Festung Kar Salmanassar als eine ausgezeichnete Operationsbasis: Sieben der nordsyrischen Könige unterwarfen sich sofort, d.h. sie brachten ihm freiwillig ihre Tribute und damit ihre Anerkennung der assyrischen Oberherrschaft: Karkemiš, Kummuh, Gurgum, Bit-Agusi, Melid, Sam’al und Patin. Bei dieser Kampagne war der zu einer Festung ausgebaute assyrische Stützpunkt Aribua im Lande Patin sicher ebenfalls von großem Nutzen, weil sie ihm die gesamte nordsyrische Flanke sicherte. In diesen ihn nun unterstützenden Block zwang Salmanassar III. auch den König von Halap (Aleppo), um sich dann nach Süden, gegen das starke Königreich Hamat am mittleren Orontes zu wenden. Nachdem er also den Norden gesichert hatte, waren die mittel- und südsyrischen Staaten als nächste Etappe seiner Eroberungen an der Reihe. Er zerstörte mehrere Städte von Hamat nördlich von Qarqar, bis er sich mit einer Koalition von elf oder zwölf syrischen Königen »von Qarqar bis Gilzau« (Gileoth) konfrontiert sah, die von Hadadezer von Damaskus und Urhuleni von Hamat angeführt wurde.142 Auf dem sogenannten Kurkh Monolith (II 90b–95a) werden die Völker und ihre Streitkräfte genau aufgeführt: Aram Damaskus, Hamat, Ahab von Israel, Byblos, Ägypten,143 Irqata, Arwad, Usanat, Siana,144 eine arabische Kameltruppe, Ba’asa, und ʿAmana.145 Damit standen die meisten Staaten Süd- und Mittelsyriens, unterstützt von dem tanitischen Pharao Osorkon II. von Ägypten, gegen Salmanas140 141 142 143

144 145

RIMA 3 A.0.102.2 II 16b–18a. Weippert 1992, 50. Weippert 1992, 89b–95 u.a.; vgl. zu dieser Schlacht auch Teil I 5.2.4. KUR Mu-us-ra-a-a: Dies ist die übliche assyrische Bezeichnung für Ägypten, und es wäre tatsächlich möglich, dass Ägypten den phönikischen Städten, seinen Verbündeten und wichtigen Handelspartnern Hilfskräfte (1.000 Fußsoldaten) geschickt hat. Allerdings scheint solch ein Toponym auch an der phönikischen Küste belegt zu sein: Yamada 2000, 158 Anm. 281; vgl. auch Teil I 1.2. Irqa(na)ta, Usanat und Siana waren nordphönikische Stadtstaaten; die Namen sind schon für die Bronzezeit bekannt. Wohl verbunden mit dem Namen Ba’ascha, dem Namen eines Königs von Israel (1 Kö 15,16). Yamada 2000, 160 zufolge ist damit der Herrscher von Beth-Rehob gemeint, dessen Gebiet sich von der Biqaʿ-Ebene bis zum Hermon-Gebirge erstreckte. Amana ist sicher nicht das Ammon des AT, sondern das Gebirge Amanah, vgl. Dion 1997, 186 Anm. 69.

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sar.146 Von den phönikischen Städten hatten sich nur die nördlichen der Koalition angeschlossen, was wahrscheinlich auf den Einfluss des Irhuleni von Hamat in diesem Gebiet zurückzuführen ist.147 Zwar verzeichnen die assyrischen Annalen auch bei der Beschreibung dieser Schlacht bei Qarqar auf dem Territorium von Hamat wieder einen glanzvollen Sieg, doch dürfte es eher die Koalition gewesen sein, die ihr Ziel hatte durchsetzen können, nämlich den Vormarsch der Assyrer nach Süden aufzuhalten und assyrischen Einfluss in Mittelsyrien weitgehend abzuwehren. Das scheint sich auch auf das nicht loyale Verhalten von Karkemiš und Arpad (Bit-Agusi) ausgewirkt zu haben, denn den Annalen zufolge wurden einige Ortschaften auf den Territorien dieser Staaten von Salmanassar zurückerobert. Danach nahm der König die Küstenroute (also an Hamat und Patin vorbei), denn es wird vor seiner Rückkehr von einer Schifffahrt auf dem Mittelmeer berichtet. Doch dieser Sieg, wenn es denn einer war, dürfte keineswegs ein dauerhafter gewesen sein. Von 852 bis 850 blieb Salmanassar dem Westen fern, da er in diesen Jahren Feldzüge gegen Babylonien und die Nairi-Länder führte. Aber 849 sah er sich in Syrien mit derselben Koalition wie 853 konfrontiert. Dass er vor dem Kampf bei Qarqar auch Karkemiš und Bit-Agusi angriff, zeigt, dass sich auch einige nordsyrische Staaten in den drei Jahren assyrischer Abwesenheit wieder neu aufgestellt hatten.148 Diese Schlacht ging sicher auch nicht wie gewünscht aus. Der Kampf gegen Hamat und seine Bundesgenossen wiederholte sich auch im darauf folgenden Jahr (848). Und wie schon im Jahr zuvor eroberte Salmanassar Städte auf dem Gebiet von Karkemiš und Bit-Agusi, diesmal aber auch solche auf dem Territorium von Hamat. Und wieder war Qarqar der Kriegsschauplatz. Auf dem Rückzug (durch Patin) nahm er die Tribute des Königs dieses Landes entgegen. Auch dieser Feldzug endete nicht mit dem erwünschten Ergebnis: Hamat konnte offensichtlich wieder nicht unterworfen werden.149 Erst zwei Jahre später (845) zog Salmanassar III. erneut dorthin, um gegen dieselbe syrische Allianz zu kämpfen. Die Darstellung ähnelt derjenigen der vorigen Kriege, und es ist nicht eindeutig, ob er seine Kriegsziele in irgendeiner Weise erreichen konnte. In einer späteren Quelle aus der Zeit Sargons II. wird zwar retrospektiv von der Unterwerfung des Königs von Hamat und von den Pflichten gesprochen, die ihm von Salmanassar als neuem Vasallenkönig auferlegt worden seien,150 aber es stellt sich die Frage, warum dann dieses wichtige Ereignis nicht in den recht ausführlichen und gut erhaltenen Versionen der Annalen des Königs selbst erzählt wurde. Die Unterwerfung Hamats und entsprechend die Zerschlagung der Koalition erfolgte wohl zu einem späteren Zeitpunkt.151 Erst 842 sammelte Salmanassar III. wieder Tribute in Nordsyrien ein und holte Zedernholz. Er hielt sich also wahrscheinlich im Gebiet von Sam’al und vielleicht im nördlichen Unqi auf, d.h. in befriedeten Gebieten. Die Verfügungen, die Salmanassar III. im Jahr 853 oder 848 in diesen Gebieten getroffen hatte, waren also noch immer in Kraft. Syrien blieb in den Jahren 845 bis 841 von assyrischen Feldzügen unbehelligt. Salmanassar führte erst wieder 841 sein Heer gegen Südsyrien. Der Zeitpunkt war genau kalkuliert, denn in Damaskus 146 147 148 149 150 151

Vgl. dazu Teil I 2. Oded 1979, 41. Yamada 2000, 163 zufolge ist dies als Hinweis darauf zu werten, dass Salmanassar 858 keinesfalls siegreich gewesen war und ihm sogar nordsyrische Länder verloren gegangen waren. Vgl. Yamada 2000, 174–177. Text und Kommentar bei Yamada 2000, 182f. mit Anm. 368. Vgl. Teil I 5.4.

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hatte ein Thronwechsel stattgefunden, der wahrscheinlich der Grund dafür war, dass die Koalition, gegen welche die Assyrer viermal hatten kämpfen müssen, auseinander gebrochen war.152 Daher gelang es ihm in diesem Jahr, sich bis zur Stadt Damaskus vorzukämpfen. Von Schlachten in Hamat wird in Verbindung damit nichts berichtet. Daher kann angenommen werden, dass Hamat bei der Auflösung der Koalition ein bilaterales Abkommen mit Assyrien abgeschlossen hatte, das den Assyrern freien Durchmarsch gewährte und Hamat selbst verschonte.153 Hazaël wurde besiegt und verfolgt, Gebiete seines Staates geplündert und verwüstet. Doch der assyrische König machte offenbar keinen Versuch, das stark befestigte Damaskus einzunehmen. Auf seinem Rückzug entrichteten Tyros und Israel ihre Tribute und blieben somit von Kriegshandlungen verschont. Damit hatte der assyrische König fast ganz Syrien unter seine Kontrolle gebracht. Militärisch ging Salmanassar erst im darauf folgenden Jahr 839 wieder gegen den Westen vor, diesmal allerdings nicht gegen Syrien, sondern gegen das Land Que westlich des Amanus. Damit begann eine neue Etappe in den Kriegszügen und -zielen der Politik Salmanassars: die Kontrolle der Zugangswege zu den vielen, reichen Bergwerken des Taurus-Gebirges.154 Bevor er das Land betrat, musterte Salmanassar III. »alle Könige von Hatti«, d.h. die Vasallenkönige der spätluwischen Staaten Nordsyriens, was bedeutet, dass diese mit ihm gegen Que zu ziehen hatten. Nach der Zerstörung und Plünderung etlicher Städte westlich des Amanus unterwarf er König Kate von Que. Zwei Statuen blieben als Siegesdenkmäler im Land. Das nächste Ziel war der Staat Tabal westlich des Taurus im östlichen Inneranatolien. Bei der Rückkehr über Que setzte Salmanassar dessen König in seiner Hauptstadt fest, woraufhin dieser sich mit seiner Tochter und einer reichen Mitgift freikaufen musste. Der Südosten Kleinasiens blieb danach drei Jahre lang (von 839 bis 836) von assyrischen Angriffen verschont. In den Jahren 838 und 837 griff Salmanassar wieder Südsyrien, vor allem Damaskus, an. Die phönikischen Städte demonstrierten durch pünktliche Zahlung der Tribute ihre Loyalität, um Strafexpeditionen zu vermeiden. Offensichtlich zog der assyrische König ohne Hindernisse durch die Biqaʿ-Ebene, um auf dem Territorium von Aram Damaskus Städte zu erobern, zu plündern und zu zerstören. Die Stadt selbst aber konnte wiederum nicht eingenommen werden. Offensichtlich stellte Damaskus eine zu große Herausforderung dar. Anders ist es nicht zu erklären, dass Salmanassar nicht hartnäckig dieses Land bis zur vollständigen Eroberung bedrängte, sondern sich im folgenden Jahr (836) erneut gegen Kleinasien wandte. Über das längst befriedete Melid zog er nach Tabal (auf der schwierigen Route Malatya – Kayseri). In den Annalen des Salmanassar liegt der Höhepunkt der Unternehmungen dieses Jahres im »Besteigen des Silberberges Tunni155 und des Alabasterberges Muli156«, also in der Sicherung wichtiger Rohstoffe für das Assyrische Reich. In Anatolien war Tabal zu einem Vasallenkönigtum geworden. Doch es scheint Schwierigkeiten mit Melid gegeben zu haben, denn im nächsten Jahr (835) wurde eine Festung seines Königs erobert und damit das Land wahrscheinlich im Zuge dieser Kampagne ebenfalls zu einem as152 153 154 155 156

Vgl. Teil I 5.4.2. Yamada 2000, 190 mit Anm. 387. Zum wahrscheinlichen Anlass vgl. Teil I 5.1. An der Nordseite des Bolkag Dağ, vgl. Yamada 2000, 213 mit Anm. 469 und 473; oder, von Aron 1998, 108 als Möglichkeit erwogen, der Aladağ im Antitaurus. Aro 1998, 107 zufolge ein Gebiet an der Nordflanke des Taurus.

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syrischen Vasallenkönigreich. Der kleinasiatische Westen blieb auch weiterhin im Visier Salmanassars: Nach seinem Zug in den Nordosten 834 erneuerte er in den Jahren 833 und 831 seine Attacken gegen Que. Wahrscheinlich hatte sich der unterworfene König Kate erhoben. Salmanassar zerstörte 833 etliche Städte dieses Landes, um sich dann wieder zurückzuziehen, wobei er auf dem Rückzug eine Festung von Bit-Agusi157 einnahm, das eigentlich bereits längere Zeit ein folgsamer Vasallenstaat gewesen war. Eventuell wandelte Salmanassar diese Stadt nun in einen assyrischen Stützpunkt um. Das aber bedeutet, dass er auf dem Rückzug wahrscheinlich die südliche Route, also den Weg über die Syrische Pforte von Patin aus genommen hatte. Es sollte im folgenden Jahr (831) endgültig unterworfen werden. Der Weg des Salmanassar führte wieder über den Amanus hinab in die kilikische Ebene. Dort erreichte er nach einigen Schlachten Tarsos, wo er – anscheinend ohne militärischen Druck – einen Thronwechsel durchsetzte.158 Durch die Kontrolle, die er über das gesamte Südostkleinasien ausübte, hatte Assyrien nun sicheren Zugang zu den reichen Erzvorkommen. Im nächsten Jahr (830) übertrug Salmanassar einem turtanu (›General‹) das Kommando gegen Sarduri I. von Urartu. Derselbe führte 829 das Heer gegen Patin, das bereits fast 25 Jahre lang anscheinend loyaler Vasall Assyriens gewesen war. Doch nun waren Aufstände ausgebrochen.159 Dieser Feldzug war der letzte unter der Herrschaft Salmanassars III. gegen Syrien und Kleinasien. Nach seinem Tod folgten vier Jahre Unruhen in Assyrien, die sein Nachfolger ŠamšiAdad (823–810) nur mühsam ersticken konnte. Da er Unternehmungen östlich des Tigris zu leiten hatte, lockerte sich dementsprechend die assyrische Kontrolle im Westen. Fast 25 Jahre kamen die Assyrer nicht mehr nach Nordsyrien. Südsyrien wurde 41 Jahre, die südöstlichen Staaten Kleinasiens gut 100 Jahre nicht von den Assyrern bedroht. Von Adadnarari III. (810/9–782) sind fünf Feldzüge gegen den Westen bekannt.160 Der erste fand in seinem 5. Regierungsjahr (805) statt, als er in einen Streit zwischen syrischen Staaten eingriff.161 Im nächsten Jahr (804) richtete er sich gegen die Stadt Hazazu,162 die unter Salmanassar III. als Stadt von Patin gegolten hatte, nun aber vielleicht zu Arpad gehörte. Nicht lokalisierbar ist Adadnararis dritter Syrienfeldzug gegen einen Ort Ba’lu163 im Jahr 803. Im nächsten Jahr, 802, zog er »zum Meer« über Arpad und Patin. Nordsyrien stand ihm vom Euphrat bis zum Mittelmeer offen. In den nächsten sechs Jahren befand sich der König auf wichtigeren und gefährlicheren Kriegsschauplätzen im Norden, höchstwahrscheinlich im Zusammenhang mit dem immer stärker expandierenden Urartu unter König Menua (gegen 810–785/780). Im Südosten stieß Urartu am oberen Tigris zwischen dem heutigen Diyarbakır und dem östlichen Habur-Gebiet an das assyrische Territorium. Die Siedlung Anzavurtepe (das urartäische Aludiris) lag bereits auf einer Route zum Westen Anatoli157 158 159 160 161 162 163

Dem Itinerar zufolge befand sie sich wohl nördlich von Halap, vgl. Yamada 2000, 219. Vgl. Teil I 5.1. Vgl. Teil I 5.2.3. Diese sind ausführlich von Weippert 1992, 43–67 untersucht worden. Vgl. Teil I 5.2.2 und 5.2.3. Höchstwahrscheinlich das heutige ʿAzaz, etwa 40km nördlich von Halap (Aleppo). Vgl. zu den Lokalisierungsversuchen Weippert 1992, 50.

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ens.164 Das östliche Taurusmassiv, eine natürliche Barriere zu Assyrien, war nun die Südgrenze Urartus. Von dort aus betrieb Urartu lange Zeit eine antiassyrische Politik, in die es auch ostanatolische und nordsyrische Staaten durch Koalitionen hineinzog. Erst im 14. Regierungsjahr (796) unternahm Adadnerari eine Kampagne gegen Damaskus.165 Sie war von innersyrischen Konflikten ausgelöst, bei denen König Zakkur von Hamat und Luʿaš von einer syrischen Koalition, angeführt von Birhadad von Damaskus, angegriffen wurde. Adadnerari III. zerschlug die Heere der Bündnispartner, und Zakkur von Hamat wurde assyrischer Vasall.166 Damit erhielt Assyrien weitgehende Rechte in Mittelsyrien, was die sogenannte Antakya-Stele zeigt, auf der die Grenze zwischen Arpad und Hamat an der nordsyrischen Küste festgelegt wurde.167 Diese politisch außerordentlich bedeutsame Stele wurde von dem turtanu Šamši-ilu aufgestellt, der seit 807/6 als assyrischer Statthalter in seiner Residenz in Til Barsip umfassende Kompetenzen in Syrien besaß. Unter Salmanassar IV. (781–772) und Aššurdan III. (771–754) breitete sich eine Welle von Aufständen im assyrischen Kernland aus, so dass, wie es in der Eponymenchronik heißt, der König »im Lande« beschäftigt war. Ähnlich scheint die Situation auch unter Adadnerari V. (753–745) gewesen zu sein, von welchem nur ein erfolgreicher Feldzug gegen Arpad und ein Vertrag mit dessen König Matiʿ-’el168 sowie zwei Unternehmungen gegen Urartu überliefert sind. Wie schwach die assyrische Macht im Westen in diesen Jahrzehnten war, zeigt sich gerade an Arpad: Sobald Adadnerari V. nach Assyrien zurückgekehrt war, fühlte sich Matiʿ-’el in keiner Weise mehr an den gerade geschlossenen Vertrag gebunden. Zu weiteren Expeditionen nach Syrien kam es allerdings nicht: Adadnerari V. kam bei einem Aufstand in Kalah um. Diese vielen Jahre, in denen die assyrische Macht in Syrien nicht mehr präsent war und sogar Machtdemonstrationen fehlten, hatten die früheren Vasallenkönige zum endgültigen Abfall gebracht. Diese Situation änderte sich grundsätzlich unter dem nächsten assyrischen König Tiglath-pilesar III. (745–727): Er schuf ein Weltreich, wie es bis dahin noch nicht existiert hatte. Einigen Assyriologen zufolge kann erst seit diesem König von einer neuassyrischen Epoche gesprochen werden.169 Mit höchster Energie beendete er die inneren Unruhen und befriedete Babylonien und dessen Umfeld. Er führte eine grundlegende Heeresreform durch, indem er eine stehende Armee schuf, die aus Assyrern, Kriegsgefangenen und Verbündeten bestand. Dieses neue Heer war das ganze Jahr hindurch verfügbar und wurde auch zur Besatzung eroberter Gebiete benutzt. Die Verwaltung des Reichs und der eroberten Länder reformierte Tiglath-pilesar III. in wesentlichen Punkten ebenso. Die Schlüsselgebiete in der Peripherie wandelte er in zentral verwaltete Provinzen um. Die Administration der Provinzen gestaltete er nach einem neuen Prinzip, das eine bessere zentrale Kontrolle ermöglichte und gleichzeitig eine größere Machtkonzentration in den Händen einzelner Statthalter vermeiden sollte. Daher setzte er Beamte mit beschränkten Vollmachten ein 164 165

166 167 168 169

Wäfler 1980/1, 9f.; Salvini 1995, 50. In der Eponymenchronik wird Mansuate genannt, das eine Stadt des Staates Aram Damaskus war. Zum Namen vgl. Weippert 1992, 52f. Die sogenannte Rimah-Stele fasst diese militärischen Operationen, wenn auch nicht vollständig, zusammen: RIMA 3 A.0.104.7. Vgl. Teil I 5.2.4. Vgl. Teil I 5.2.3. Vgl. Teil I 5.2.2. Schramm 1973, 125.

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(LÚ EN.NAM, bel pahati), die möglichst kleinen geographischen Einheiten vorstanden. Dazu errichtete er neue Festungen und Militärkolonien, in welchen meist Deportierte angesiedelt wurden. Es blieben jedoch auch unter seiner Herrschaft noch viele Verwaltungsaußenbezirke, d.h. Vasallenreiche, denen er allerdings nun je einen Kommissar zur Überwachung zur Seite stellte, der mit der königlichen Kanzlei in ständiger Kommunikation stand. Es hätte die Administration des Staates weit überfordert, alle von ihm neu oder erneut eroberten Länder als neue Provinzen in den assyrischen Staat einzugliedern. Diese Maßnahmen gewährleisteten eine übersichtliche und gut kontrollierbare Verwaltungsstruktur des Weltreichs, innerhalb dessen sofort auf Unruhen und Aufstände politisch und militärisch reagiert werden konnte. Die Jahre der inneren Unruhen im Kernland Assyriens vor dem Regierungsantritt Tiglath-pilesars III. hatten in Nordsyrien dazu geführt, dass Staaten wie Arpad, Kummuh und Gurgum nun unter dem Einfluss von Urartu zur Zeit seiner Könige Argišti I. und Sarduri II. mit deutlich antiassyrischer Tendenz standen. Sarduri II. eroberte um das Jahr 744/3 das Land Kummuh, das er wie Melid zu einem Vasallenstaat machte.170 Dieser Vorstoß muss mit intensiven politischen, diplomatischen und militärischen Initiativen begleitet worden sein, denn auch der König von Arpad, Matiʿ-’el, hatte sich Sarduri II. angeschlossen.171 Tiglath-pilesar III. organisierte bereits in seinem dritten Regierungsjahr (743) einen Feldzug nach Nordsyrien. Er besiegte in einer schweren Schlacht am Euphrat Sarduri II. und seine Alliierten Melid, Gurgum und Kummuh sowie auch Matiʿ-’el, den König von Bit-Agusi (Arpad).172 Damit hatte er den Einfluss Urartus auf Nordsyrien endgültig zurückgedrängt. Außerdem konnte Tiglath-pilesar III. das östliche Habur-Gebiet zurückerobern, das etwa 60 Jahre zuvor der urartäische König Menua eingenommen hatte. Über 60 Jahre lang überschritten keine urartäischen Streitkräfte mehr den Euphrat. Der an Metallen so reiche Osttauros war wieder in assyrischem Besitz. Etwa zwei Jahre später wandte sich Tiglath-pilesar III. erneut gegen Matiʿ-’el von Arpad, der offensichtlich den im Jahr 743 abgeschlossenen Vertrag verletzt hatte. Der Eponymenchronik zufolge leistete er drei Jahre Widerstand. Arpad wurde im Jahr 740 zu einer assyrischen Provinz. Gleichzeitig erneuerte der assyrische König das Vasallenverhältnis mit König Tutammu von Unqi (Patin).173 Arpad blieb allerdings auch als Provinz weiterhin ein Zentrum des Widerstandes. Die Reaktion der syrischen Staaten auf dieses Vordringen der assyrischen Macht war der Zusammenschluss von Patin und den »19 Provinzen von Hamat« unter der Führung eines Königs Azrijau von Ja’udi174 zu einem neuen antiassyrischen Bündnis, das Tiglath-pilesar III. im Jahr 738 mühelos besiegte. Daraufhin wurden auch Patin und die aufständischen Gebiete von Hamat zu assyrischen Provinzen. Damals entstand die Provinz Simirra, in die auch einige nordphönikische Städte einbezogen wurden: Usnu, Sianu, Simirra und Kašpuna. Ein weiterer Ortsname aus dieser Liste ist nicht 170 171 172 173 174

Salvini 1995, 68. Zur urartäischen Politik dieser Zeit vgl. Wäfler 1980/1, 93f. Eintrag in der Ep. Chr.: »In Arpad. Eine Niederlage wurde Urartu zugefügt.« Vgl. Teil I 5.2.3. Teil I 5.2.4.

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mehr zu ermitteln.175 Damit gehörte also die gesamte nordsyrische Küste zum assyrischen Reichsgebiet. Die Annalen nennen Melid, Kummuh, Gurgum, Sam’al, Que, Karkemiš, Damaskus, Byblos, Tyros und Samaria (Israel) als Tributträger. Tiglath-pilesar hatte Urartu und Hamat als ernst zu nehmende Gegner ausgeschaltet, und Arpad und Patin existierten nicht mehr. Assyrien hatte nun an der nordsyrischen Küste, etwa zwischen den südlichen Ausläufern des Amanus Gebirges und Arwad, freien Zugang zum Mittelmeer. Im Norden sicherte eine doppelte Reihe von Vasallenstaaten die assyrischen Besitzungen.176 Als der König drei Jahre in seinem Kernland beschäftigt war und 735 einen erfolgreichen Feldzug gegen Urartu begann, generierte die längere Abwesenheit des Königs sofort wieder Unruhen in Syrien: Zunächst verweigerten einige Staaten den Tribut, dann kam es zu einer erneuten von Razin von Damaskus angeführte Koalition. Seine Bündnispartner waren Pekah von Israel und Hiram II. von Tyros. Zu dieser Zeit fand der sogenannte Syrischephraimitische Krieg von Damaskus und Pekah von Israel gegen Ahas von Juda statt.177 Im Jahr 734 griff Tiglath-pilesar die philistinischen Küstenstädte an, unter denen Gaza als Grenzstadt zu Ägypten und Endpunkt der Handelsroute von der arabischen Halbinsel die höchste Bedeutung zukam. Gaza wurde nun eine assyrischen Handelsstation mit einer großen profitablen Zollstelle (bît kari). Der König von Gaza, Hanun, wurde auf seinem Thron belassen. Die übrigen Philisterstaaten wurden zu Vasallen.178 Das Kriegsziel dieses Zugs war also nicht bzw. nicht vorrangig die Unterdrückung eines Aufstandes gewesen, sondern war deutlich von ökonomischen Zielsetzungen bestimmt. In den folgenden Jahren wurden Aufstände oder vielleicht auch nur geringere Unbotmäßigkeiten in Syrien bekämpft: Im Jahr 733 zog der König gegen Israel und Damaskus, das 732 nach langer Belagerung fiel. Auch Israel erlitt weitere Verluste seines Territoriums, wahrscheinlich im Westjordanland. Unruhen, die daraufhin in Israel und Aškalon ausbrachen, konnten leicht niedergeschlagen werde. Tiglath-pilesar III. zwang auch Hiram II. von Tyros zur Unterwerfung.179 Im selben Jahr verschaffte sich Tiglath-pilesar III. zusätzlich die Kontrolle über die Halbinsel Sinai, die er ›arabischen‹ Scheichs übertrug. Sie führten den für sie neu geschaffenen Titel ›Torwächter an der Grenze Ägyptens‹. Damit wollte Tiglath-pilesar III. wahrscheinlich ein Gegengewicht zu den Königen der philistinischen Küste schaffen, die immer leicht für einen ägyptischen politischen Einfluss empfänglich waren. Nach diesen Erfolgen war nun auch ganz Südsyrien unter assyrischer Herrschaft, entweder als Provinzen oder als abhängige Vasallenstaaten. Da Ägypten unter der nubischen (24.) Dynastie wieder an wirtschaftlicher und politischer Bedeutung gewann, begann sich der syrische Süden nun stärker an Ägypten zu orientieren, von dem er Hilfe gegen Assyrien erwartete. Die Einrichtung eines Marktes an der assyrisch-ägyptischen Grenze zeigt das wachsende Interesse Assyriens an einem direkten Handel mit Ägypten. Möglicherweise stand an zweiter Stelle die Absicht dahinter, den phönikischen Städten das Handelsmonopol mit Ägypten aus der Hand zu nehmen. Gleichzeitig konnte Tiglath-pilesar auf diese 175 176 177 178 179

Vgl. Oded 1974, 43; vgl. zu den allerdings erst für das 7. Jh. sicher belegten Provinzen Simirra und Hattarika Forrer 1921, 57–59. Dies war nach Weippert 1982, 395f. die erste Phase der Syrienpolitik Tiglath-pilesars III. Vgl. ausführlicher dazu Teil I 4.3. Vgl. Teil I 5.4.4. Vgl. Teil I 5.4.1.

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Weise die intensiven syrisch-ägyptischen Kontakte, die sicher auch eine politische Komponente beinhalteten, erheblich reduzieren. An der nordwestlichen Peripherie Syriens wurde Pannamu von Sam’al assyrischer Vasall.180 Dieses Land am Fuß des Amanusgebirges gewährleistete sowohl den Zugang zu den Rohstoffen (Holz und Eisenerz) als auch die Kontrolle über die Passstraße nach Que. Damit war die zweite Phase der Syrienpolitik Tiglath-pilesars III. abgeschlossen.181 Die Feldzüge in den Westen, welche dieser assyrische König zwölf Jahre lang mit nur einer vierjährigen Unterbrechung (738–735) gegen die syrischen Länder geführt hatte, hatten die assyrische Macht im Norden gegen Urartu wie auch im Süden gegen Ägypten abgesichert. Nun war der Erhalt der Errungenschaften durch effiziente Kontrolle und verbesserte Infrastruktur die wichtigste Aufgabe der Assyrer im Westen. Zur besseren Sicherung der wichtigsten Straßen und Zugängen zu Rohstoffen wurden in den jeweiligen Gebieten unterschiedliche Maßnahmen ergriffen: Wo die Gefahr von Rebellionen besonders groß war, deportierte man Teile der Bevölkerung, an deren Stelle man Menschengruppen aus anderen, meist weit entfernten Gebieten ansiedelte und als neue Provinz einem Statthalter unterstellte.182 Je nach der politischen bzw. wirtschaftlichen Bedeutung der jeweiligen Provinz für Assyrien wurde ein ranghöherer (z.B. ein turtanu) oder ein rangniedrigerer (z.B. mit dem neu eingeführten Titel bêl pihati, ›Administrator‹) eingesetzt. Eine neu eroberte und eingerichtete Provinz verwaltete meist der Feldherr, der sie erkämpft hatte: Er regelte die Entwaffnung des feindlichen Heeres, die Zuteilung der Beute, setzte die Tribute fest, organisierte eventuell auch Deportationen und Neuansiedlung und verfügte insgesamt über das besiegte Land. Dabei berücksichtigten die Assyrer fast immer die kulturelle und sprachliche Kohärenz eines Gebietes. Tiglath-pilesar behielt das System der Vasallenkönige dort bei, wo es die Bedingungen zuließen und Assyrien große Aufwendungen ersparte. Die Assyrer setzten den Mann ihrer Wahl – möglichst einen Angehörigen des jeweiligen lokalen Königshauses – auf den Thron oder erkannten den amtierenden König an, der ihnen dann zu Dankbarkeit verpflichtet war und ohne assyrische Rückendeckung schwerlich seinen Posten würde verteidigen können. Für eine gesicherte Kontrolle aber wurde ihm ein Kommissar zur Seite gestellt, der als Inspektor und Berater fungierte und gleichzeitig eine direkte Verbindung zur assyrischen Palastkanzlei unterhielt. Von Salmanassar V. (726–722) kennen wir keine assyrischen Inschriften, die Syrien erwähnen, doch der hellenisierte Jude Flavius Josephus berichtet im 1. Jh. n.Chr., dass dieser König Tyros fünf Jahre lang belagert und die Inselstadt schließlich eingenommen habe. Sidon und Arwad hätten das gleiche Schicksal erlitten.183 Aus dem Alten Testament sind Kämpfe gegen Hosea von Israel und Hiskia von Juda sowie eine Belagerung von Samaria bekannt.184 Offenbar war die syrische Küste nur einer von mehreren Brennpunkten im assyrischen Westen, denn Salmanassar V. war auch im östlichen Kleinasien aktiv und eroberte wahrscheinlich die Länder Tabal, Hilakku, Que und Sam’al.185 Die Feldzüge seines Nachfolgers zeigen allerdings deutlich, dass es in ganz Syrien sehr heftige Unruhen gegeben ha180 181 182 183 184 185

Vgl. Teil I 5.2. Vgl. Weippert 1982, 396–398. Oded 1979. Ios. ant.Iud. 9,14. 2 Kö 17,1; 18,11; vgl. Teil I 5.4.3. Hawkins 1982, 416.

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ben muss, bei denen sogar einige von Tiglath-pilesar III. eingerichtete Provinzen von Assyrien abfielen. Nachdem der Bruder bzw. Halbbruder Salmanassars V. Sargon II. (722–705) an die Macht gekommen war, musste er zunächst seine Herrschaft festigen. Im Jahr 720 stand er in einem Zweifrontenkrieg gegen Babylonien und Syrien. Dort waren die Könige Ilu-bi’di von Hamat und Hanun von Gaza ein neues antiassyrisches Bündnis eingegangen, das auch von Ägypten tätig unterstützt wurde,186 d.h. fast ganz Mittel- und Südsyrien stellte sich wieder gegen die Assyrer. Sargon gewann im Jahr 720 die entscheidende Schlacht, die wieder bei Qarqar ausgefochten wurde. Der Sieg hatte die Wiedergewinnung der abgefallenen Provinzen Arpad, Simirra und Damaskus zur Folge. Hamat, eine der führenden politischen Kräfte in diesen Unruhen, wurde damals endgültig zur Provinz. Daraufhin nahm Sargon im selben Jahr Gaza und weitere Städte an der Philisterküste ein, besiegte den ägyptischen Oberbefehlshaber, der den Aufstand unterstützt hatte, und zerstörte Raphia an der syrischägyptischen Grenze.187 Am Ende des Jahres nahm er seinen Rückzug über Samaria, gab den Befehl, die zerstörte Stadt wieder aufzubauen und machte sie zur Hauptstadt der neuen Provinz Samerina. Ein Großteil der Bevölkerung wurde deportiert; an ihrer Stelle siedelte Sargon ›Araber‹ an.188 Damit waren die Eroberungen Tiglath-pilesars III. wieder hergestellt. Auch Sargon richtete in Gaza wie Tiglath-pilesar III. einen Hafen für freien Handel zwischen Assyrien und Ägypten ein.189 Das beweist übrigens, dass dieser assyrische Handelsposten unter Salmanassar V. verloren gegangen war. Erwähnenswert ist außerdem die Eintragung in den assyrischen Annalen, dass zwölf Könige von Ia’, einem Landstrich auf Zypern (Iadnana), ihm Tribute gezahlt hätten.190 In Kleinasien konnte Sargon die frühere Lage ebenfalls wiederherstellen. Als 718 der ostanatolische Staat Tabal abfiel, setzte Sargon dort einen neuen Herrscher (Ambaris) ein. Zu dieser Zeit war das Reich Urartu von den Kimmeriern bedroht. Die Urartäer suchten unter ihrem König Rusa I. (ca. 730–714/3) wieder nach Bundesgenossen im Westen. Mita, König der Muški,191 wurde zu einem solchen, aber es ist nicht ganz klar, ob er damit tatsächlich eine antiassyrische Politik betrieb. Die Assyrer, welche alle Bewegungen der Urartäer sorgfältig beobachteten und registrierten, bezogen aber wohl alles auf sich selbst. Kontakte mit Urartu von Seiten der Vasallenkönige galten auf jeden Fall als Hochverrat und wurden dementsprechend bestraft. Karkemiš, das lange Zeit loyaler Vasall Assyriens gewesen war, wurde 712 unter dem Vorwand, mit Mita und Urartu verbündet zu sein zu einer Provinz, nachdem Sargon die Stadt 717 zerstört, und die gesamte königliche Familie »mit anderen Hethitern« deportiert worden war.192 Mit dem Ende dieses nordostsyrischen Staates wurde die Eingliederung Nordsyriens in das assyrische Weltreich unter Sargon II. abgeschlossen. Das war nicht nur das Ende der spätluwischen Staatenwelt, sondern auch das Ende der repräsentativen spätluwischen Kultur in Nordsyrien. 186 187 188 189 190 191 192

Vgl. Teil I 5.1. Fuchs 1998, Sarg. 1.1.19; vgl. 2.1.22f. Vgl. Teil I 5.4.3. Tadmor 1958, 34; vgl. Teil I 5.4.4. Fuchs 1998, Sarg. Prunk. 145. Damit bezeichneten die Assyrer die Phryger in Inneranatolien. Fuchs, 1998, Sarg. 2.3.72–75.

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Sargon II. hatte in den Jahren 719, 716, 715 und 714 gegen Urartu zu kämpfen. Nach der Schlacht von Uauš 715/4 gelang ihm die Rückeroberung des Nordwestiran. Urartu war besiegt.193 Der folgende urartäische Herrscher Argišti II. ging wohl 710/709 eine Koalition mit Ambaris von Tabal und den ebenfalls anatolischen Ländern Bit-Burutaš und Hilakku ein, womit er die Politik seiner Vorfahren fortsetzte. Wir erfahren von dieser Situation durch einen unten zu betrachtenden Brief eines Statthalters von Que,194 aus dem hervorgeht, dass der schon oben erwähnte Mita, König der Muški, nun auf der Seite der Assyrer stand und Urartu weiterhin Ansprechpartner für alle Feinde Assyriens geblieben war. Wie intensiv die Beziehungen zwischen Urartu und den spätluwischen Staaten Ostanatoliens gewesen sein muss, zeigen Funde aus der westlichsten urartäischen Siedlung, Altıntepe, wo die Verwaltung nicht nur die urartäische Keilschrift, sondern auch die spätluwische Hieroglyphenschrift verwendete.195 Geschwächt von den Angriffen der Kimmerier und Skythen, stellten die Urartäer allerdings keine ernsthafte Gefahr mehr für Assyrien dar. Sie wurden im Jahr 643/2 zum letzten Mal in assyrischen Quellen genannt.196 Die folgenden Jahre verbrachte Sargon damit, die Kleinstaaten Südostanatoliens zu unterwerfen, die immer wieder rebellierten, zumal sie nicht in direkter Reichweite Assyriens lagen. Gegen 713/2 machte sich der König von Tabal selbständig und zog den Nachbarstaat Que in einen Abfall von der assyrischen Oberherrschaft hinein. Sargon war konsequent: auch Tabal und Que wurden dem Reich nun fest einverleibt.197 Im Anschluss an eine allgemeine Neuordnung Südanatoliens wurden 711 und 708 auch die nordöstlich von Que liegenden Länder in das Assyrische Reich eingegliedert. Somit waren auch die spätluwischen südostanatolischen und nordsyrischen Staaten in assyrischem Besitz, mit einer einzigen Ausnahme: Sam’al. Gleichzeitig besiegten die Muški die Kimmerier, sicher nicht ohne Unterstützung Assyriens. Einige Jahre vorher (712) war in der Philisterstadt Ašdod trotz der Maßnahmen, die Sargon im Jahr 720 dort getroffen hatte, ein Aufstand ausgebrochen, hinter dem Juda, Edom, Moab und Ägypten standen. Sargon griff hart durch: Ašdod wurde 711 zu einer assyrische Provinz,198 und bis zum Ende seiner Regierung blieb es dort ruhig. Die phönikischen Städte Tyros, Sidon und Arwad waren weiterhin autonom, wenn auch tributpflichtig. Besonders Tyros profitierte von seinen langjährigen, guten Beziehungen zu Assyrien. Sargon II. verlor sein Leben wahrscheinlich bei Kämpfen im inneranatolischen Tabal.199 Der erzwungene Friede im Westen dauerte nur solange, wie Sargon II. an der Macht war. Als er 705 v.Chr. starb, begannen sofort wieder Unruhen im assyrischen Staat auszubrechen, und das, obwohl die Ausgangssituation für den Sohn und designierten Nachfolger, Sennacherib (705/4–681) ausgesprochen gut waren. Er selbst hatte sich schon vor der Zeit der Thronbesteigung zu einem sehr erfahrenen Politiker entwickelt und konnte unter seinem Vater bereits viele bedeutsame politische und militärische Erfolge verbuchen. Doch 193 194 195 196 197 198 199

Mayer 1980. Vgl. Teil I 5.1. Laroche 1973, 55–61. Salvini 1995, 111. Vgl. Teil I 5.1. Que wurde also erneut eingegliedert, denn man kennt aus der vorhergehenden Zeit dort assyrische Statthalter. Fuchs, 1998, Sarg. 2.3 mit Anm. 241 und 250; Prunk. 90–108; vgl. Teil I 5.4.4. Frahm 1997, 8.

3. Die assyrische Expansion in den Westen

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wie so oft bei Thronwechseln versuchten die mächtigeren Nachbarstaaten diese kurze Interimszeit für sich zu nutzen und dabei vor allem in den Grenzgebieten im Bund mit Ländern die Assyrien untertan waren, der Großmacht Schwierigkeiten zu bereiteten. Sennacherib zog im Jahr 701, auf seinem dritten Feldzug, gegen »das Land Hatti«, also gegen den syrischen Westen.200 Zunächst bekämpfte er in Phönikien den tyrenischen König Luli (Eloulaios). Wahrscheinlich fand dieser in Kition, der tyrenischen Kolonie auf Zypern, Zuflucht. Daraufhin setzte Sennacherib Tuba’il/Ethbaʿal als neuen König des Stadtstaates ein. Zu seinen Verpflichtungen gehörte natürlich eine regelmäßige Tributleistung.201 In diesem Zusammenhang sind auch die Könige Abdili’ti von Arwad und Urumilki von Byblos (Gubla), Mitinti von Ašdod, Puduilu von Bit-Ammon, Kammusunadbi von Moab, Ajarammu von Edom und »die Könige von Amurru« vermerkt, die den König mit »vierfach reichen Gaben« anerkannten.202 Diese Könige ohne reale Macht kamen nun in Sennacheribs Lager in der Nähe von Ušu auf dem Küstenstreifen gegenüber der Insel Tyros um dem Schicksal des Luli zu entgehen. »Leute aus Tyros« sind in Ninive als Arbeiter bezeugt, die am Bau des neuen Palastes des Sennacherib eingesetzt wurden.203 Dann unterwarf Sennacherib den König von Aškalon (Sidqa), der als einziger nicht mit Tributen in Ušu erschienen war.204 Die nächste Etappe dieses Syrienfeldzuges hatte eine Neuordnung Palästinas zum Ziel. Sie schien besonders angesichts der wachsenden ägyptischen Einmischung notwendig. Den Anlass dazu gab ein lokales Ereignis in Ekron.205 Danach verwüstete Sennacherib »die 46 Festungen und die kleinen Städte in deren Umgebung, die ohne Zahl sind« des Hiskia, darunter auch Lachiš, und belagerte den König in Jerusalem. Ein großer Teil des Territoriums des Landes wurde zwischen Ašdod, Ekron und Gaza aufgeteilt. Warum es Sennacherib dennoch nicht gelang, Jerusalem zu erobern, bleibt ein Rätsel. Hiskia versuchte, die bedrohliche Lage diplomatisch zu bereinigen, indem er einen ungewöhnlich hohen Tribut zahlte.206 Danach blieb es im Süden lange Zeit ruhig, auch noch zur Zeit der Feldzüge des Esarhaddon und Aššurbanipal gegen Ägypten. Nach diesen militärischen Erfolgen und dem Gewinn reicher Beute aus dem Westen zog sich Sennacherib zurück.207 Zwei sogenannte Eponymenfeldzüge, die der König nicht persönlich anführte, waren gegen den Osten Kleinasiens gerichtet. Der erste datiert in das Jahr 696. Auf ihm wurden die mit Urartu verbündeten Könige bestraft. Der anatolische Staat Tabal hatte wohl das Engagement des Sennacherib in Babylonien genutzt und sich vom Assyrischen Reich gelöst. Damit war das wichtige Zugangsgebiet zu den Rohstoffquellen des Taurus gefährdet. Eine noch größere Gefahr aber lag in einem wahrscheinlichen Dominoeffekt im gesamten, unter assyrischer Kontrolle stehenden Gebiet. Ein solcher begann sich tatsächlich im westlichen Que abzuzeichnen: Ein assyrischer Präfekt (hazanu) von Illubru hatte einen Aufstand be200 201 202 203 204 205 206 207

Frahm 1997, T 4,32–60. Vgl. Teil I 5.4.1. Frahm 1997, 36–38. Frahm 1997, T 10/11 26–30 u.a.: zusammen mit Deportierten aus Que, Philistia und Aramäern. Luckenbill, Sennacherib 30 (H2 Kol. II 60–68); vgl. Teil I 5.4.4. Luckenbill, Sennacherib 32 (H2 Kol. III 18–49); vgl. Teil I 5.4.3. Frahm 1997, T 4 49–58. Da sich die Annalen des Sennachrib und die Beschreibungen des AT an manchen Stellen widersprechen, haben einige Wissenschaftler zwei Feldzüge gegen Juda vermutet. Die objektive Betrachtung der Quellen lässt eine solche These allerdings nicht zu, vgl. Kitchen 1986, 550.

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I. Kurzer historischer Abriss

gonnen und zog weitere Teile des Landes in seine Rebellion hinein.208 Die Niederschlagung dieses Aufstandes durch die Heere des Sennacherib im Jahr 696 wurde in den Annalen daher als wichtiger Sieg verzeichnet.209 Der zweite Feldzug fand 695 gegen einen Kundi bei Tilgarimmu (das heutige Gürün in der Türkei) an der Grenze von Tabal statt: Tilgarimmu wurde besiegt und zerstört.210 Die härtesten Kämpfe aber hatte Sennacherib gegen Babylon und Elam zu bestehen. Von 703 bis 689 zog er sechsmal gegen sie, bis Babylon und das mit ihm verbündete Elam besiegt und Babylon im Jahr 689 endgültig zerstört wurde. Von 689 bis 681 herrschte im gesamten Reich Frieden: die pax Assyriana. In dieser Zeit bestimmte Sennacherib seinen jüngsten Sohn Esarhaddon (680–669) zu seinem Nachfolger. Sennacherib wurde 681 ermordet.211 Und wieder musste ein neuer König für Beruhigung am eigenen Hof, im eigenen Land und in der Peripherie des Reichs sorgen. Sobald Esarhaddon auf dem assyrischen Thron saß, ließ er die von seinem Vater vollständig zerstörte Stadt Babylon in neuer Pracht wieder aufbauen. In seinem vierten Regierungsjahr (677) erhob sich König Abdi-milkutti von Sidon gegen die Repressionen der assyrischen Macht.212 Für seinen Aufstand fand er die Unterstützung von Sanduari, dem König des Landes Kundu im Taurusgebirge, und Sissu, dem König von Que. Wir wissen allerdings nicht, worin die Hilfe der anatolischen Länder hätte bestehen sollen und ob sie überhaupt zustande kam.213 Beide Länder konnten schnell wieder befriedet werden.214 Wieder folgten Deportationen aus Phönikien und Que nach Ninive. Sidon wurde zerstört und der König für seinen Verrat geköpft. An der Stelle von Sidon gründete Esarhaddon eine neue assyrische Stadt, Kar-Aššur-aha-iddina (›Hafen des Esarhaddon‹), in der er Leute aus den umliegenden Provinzen und aus Assyrien ansiedelte. Die Errichtung eines neuen, nur von Assyrien betriebenen und geregelten Hafens zeigt, dass Esarhaddon wie schon vor ihm Tiglath-pilesar III. und Sargon II. die Vorstellung hatte, den lukrativen Mittelmeerhandel in assyrische Hände zu legen. Assyrische Statthalter und Kommissare hatten im Westen bereits genügend eigene Erfahrung gesammelt, so dass man schon lange nicht mehr auf die Kenntnisse der Phöniker angewiesen war. Auch die assyrisch-ägyptische Handelszone von Gaza hatte assyrische Verwaltungsbeamte zu Fachleuten auf diesem Gebiet gemacht. Einen Teil des Territoriums und der Beute von Sidon schenkte Esarhaddon dem König von Byblos als Belohnung für seine unerschütterliche Loyalität gegenüber Assyrien.215 Viele syrische Könige hatten diesmal Assyrien und nicht Sidon unterstützt. Erwähnt werden Juda, Edom, Moab, Gaza, Aškalon, Ekron, Byblos, Arwad, Šamši-muruna, Ammon und Ašdod, außerdem die »zehn Könige von der Meeresküste« sowie die »zehn Könige von der Mitte des Meeres«, womit Könige von Zypern gemeint sind. Die Liste zeigt außerdem, dass Sidon nicht nur zu Lande, sondern auch zu Wasser bekämpft worden war. Im Fall von 208 209 210 211 212 213 214 215

Zu Illubru vgl. Teil I 5.1. Luckenbill, Sennacherib 61 (BM 103000 Kol. IV 61–91). Luckenbill, Sennacherib 63 (E1 Kol. V 2–13). Frahm 1997, 18f.; auch im AT berichtet: 2 Kö 19,37. Vgl. Teil I 5.4.1. Vgl. Teil I 5.1. Vgl. Teil I 5.1. Vgl. Teil I 5.4.1.

3. Die assyrische Expansion in den Westen

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Tyros kam die jahrhundertelange Feindschaft zwischen den beiden Hafenstädten als Grund für die Unterstützung Assyriens hinzu. Esarhaddon fasste als erster assyrischer König den Plan, Ägypten offen anzugreifen und zu erobern. Der erste Ägyptenfeldzug im Jahr 674 verlief erfolglos.216 Daher suchten die syrischen Vasallen nun bei Taharqa eine politische Alternative. So war auch König Baʿal von Tyros bestrebt, die traditionellen Beziehungen zu Ägypten neu zu festigen, und es fiel ihm nach dem ägyptischen Sieg sicher nicht schwer, Verbündete für einen Aufstand zu gewinnen. Als Esarhaddon durch seine Verwalter in Syrien im Jahr 671 erfuhr, dass die Lage in Tyros angespannt war, zog er sofort nach Phönikien. Er belagerte Tyros, während der Großteil der Armee den Zug gegen Ägypten fortsetzte. Das assyrische Heer drang offensichtlich ohne nennenswerten Widerstand ein, wobei die ›Araber‹ an der syrischägyptischen Grenze wohl viel zu diesem Erfolg beitrugen, und eroberte Memphis.217 Angesichts der Niederlage Ägyptens kapitulierte Baʿal. Esarhaddon entzog ihm zwar einen Großteil seiner Territorien auf dem Festland, beließ ihn aber als formalen König der Stadtinsel. Aus dieser Zeit stammt ein Vertrag zwischen Esarhaddon und Baʿal, welcher den Druck der assyrischen Herrschaft auf die Vasallen zeigt.218 Trotz der in Ägypten stationierten Garnisonen stand die Assyrerherrschaft dort nur auf schwachen Füßen. Als sich Esarhaddon 669 wegen Aufstandsbewegungen zum dritten Ägyptenfeldzug aufmachte, starb er unerwartet auf dem Weg dorthin. Daher musste sich sein Nachfolger Aššurbanipal (668–627) bereits im zweiten Regierungsjahr (667) mit diesen Unruhen in Ägypten auseinandersetzen.219 Die Ereignisse in Ägypten hatten indes keine Auswirkungen auf Syrien, wo es offensichtlich ruhig blieb: Baʿal von Tyros, Jakinlu von Arwad und Milki’asapa von Gubla erschienen unter den »22 Königen von der Küste, von der Mitte des Meeres (d.h. von Zypern) und des Trockenlandes«, die dem neuen assyrischen Herrscher ihre Tribute brachten.220 Sie stellten den Assyrern Schiffe für Aššurbanipals Zug gegen Ägypten zur Verfügung. Und so stieß das assyrische Heer mit lokaler Unterstützung bei Karbaniti auf das ägyptische Heer und schlug es. Memphis wurde erneut eingenommen.221 Der dritte Westfeldzug Assyriens unter Aššurbanipal im Jahr 622 war gegen Tyros und Arwad gerichtet, wobei die Anlässe dafür unbekannt sind. Erneut gelang es dem König von Tyros, durch kostbare Geschenke seine Absetzung und die Eingliederung der Insel in das Assyrische Reich abzuwenden. Es scheint aber, dass jetzt das frühere tyrenische Territorium auf dem Festland in die assyrische Provinz Surru umgewandelt wurde. Die Inselstaaten Tyros sowie auch Arwad blieben, durch ihre unangreifbare Lage geschützt, formal unter der Herrschaft lokaler Dynasten bestehen, waren aber de facto ganz von Assyrien abhängig und als reine Inselstaaten, denen große Beschränkungen auferlegt waren, politisch wie auch wirtschaftlich bedeutungslos. Um Ägypten endgültig zu besiegen und seine Einmischung 216 217 218 219 220 221

Vgl. Teil I 2. Vgl. Teil I 2. Zur Datierung vgl. Grayson 1980, 244. Vgl. Teil I 5.4.1. ABC 14.40–44; Aššurbanipal hat übrigens wohl kaum einen Feldzug persönlich geleitet. Vgl. Teil I 2. Streck, 1916, Asb. S. 18f., II 63–67 und andere Annalentexte. Vgl. Teil I 2.

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I. Kurzer historischer Abriss

in die assyrischen syrischen Provinzen zu unterbinden, unternahm Aššurbanipal 663 (oder 662) einen dritten Ägyptenfeldzug, bei dem Theben eingenommen und zerstört wurde. Die Lage in Kleinasien wurde wegen der Kimmerier, die weite Teile des Gebietes besetzt und verwüstet hatten, immer schwieriger. Urartu, Tabal, Hilakku und sogar Lydien unter Gyges suchten Bündnisse mit Assyrien, das ihnen allerdings keine effektive Hilfe zukommen ließ. Sardes, die lydische Hauptstadt, fiel 647. Gegen 655 ging Ägypten als assyrische Provinz verloren: Psammetichos I., Nachfolger des Necho, hatte die Kämpfe Assyriens im Osten ausgenutzt, um sich ohne viel Aufsehen von der fremden Macht zu lösen. Höchstwahrscheinlich tat er das ohne Kämpfe, vielmehr mit großem diplomatischem Geschick, denn die folgenden Ereignisse zeigen, dass er weiterhin als Verbündeter Assyriens handelte.222 Gleichzeitig erstarkte ein anderer, bislang nur peripher wahrgenommener Nachbar des Assyrischen Reiches: das iranische Medien.223 Die Meder hatten gegen Ende des 9. Jh. in der Nähe des Urmia-Sees einen wohl schon zu Beginn starken Stammesverband gegründet. Ein König Deiokes (assyrisch Daiaikkus)224 wurde 715 von Assyrien besiegt und gefangen genommen, denn er hatte die dortigen Grenzgebiete des Assyrischen Reiches in Gefahr gebracht. 653 unternahm der medische Fravatiš (griech. Phraortes) zusammen mit verbündeten Skythen einen Feldzug gegen Assyrien, wurde jedoch zurückgeschlagen. Gegen Ende seiner Herrschaft schickte Aššurbanipal im Jahr 644/3 nochmals Truppen durch Syrien, um gegen rebellische Stämme in Nordarabien und die Städte Akko und Ušu vorzugehen. Die Inschriften berichten, sie hätten den regulären Tribut verweigert. Diese Operation nahm von der Provinzhauptstadt Damaskus ihren Ausgang. Wahrscheinlich spiegeln diese Ereignisse den Beginn der Auflösung der assyrischen Macht in Syrien wider. Damals aber konnte assyrisches Militär noch gefahrlos durch die syrischen Provinzen ziehen. Weitaus gefährlicher war die Situation in Babylon, das im Bund mit Elam um 653 chaotische Zustände in Mesopotamien geschaffen hatte. Im Jahr 647 vernichtete Aššurbanipal Elam, doch Babylon konnte er nicht langfristig befrieden. Um 626 begann der große babylonische Aufstand von Nabupolassar, der von Assyrien als Statthalter eingesetzt worden war und sich nun zum König von Babylonien ausrufen ließ. Außerdem begannen auch Meutereien in den assyrischen Heeren, und Skythen fielen in Kleinasien ein.225 Die Machtstellung des assyrischen Königs löste sich aber vor allem in seinem Kernland auf. Schon die ersten Jahre seiner Herrschaft scheinen von politischen Spannungen geprägt gewesen zu sein, die in den 30er Jahren zum Ausbruch kamen. Aššurbanipal scheint aus Aššur nach Harran ausgewichen zu sein, wo sich auch sein Sohn und wahrscheinlich Kronprinz, Sin-šar-iškun, festsetzte (ca. 629–612). In der Hauptstadt herrschte sein Bruder Aššur-etel-ilani als König über Assyrien und einige Gebiete von Babylonien und vielleicht einige westliche Teile des Reichs (ca. 633–625). Das war nicht das Resultat einer Übereinkunft, sondern von Konflikten, in denen die Brüder als Gegenkönige auftraten. Ein frühe222 223

224 225

Vgl. Teil I 2. Die Meder treten zum ersten Mal unter Sennacherib in den Annalen auf, der sich rühmt, von einem Volk, das seine Vorgänger noch nicht einmal mit Namen kannten, Tribute erhalten zu haben: Luckenbill, Sennacherib, 60 (Bellino Zylinder B 1 33). Hdt. 1,96–99; 1,101f.; vgl. allerdings Wiesehöfer 2004. Vaggione 1972.

3. Die assyrische Expansion in den Westen

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rer Berater, Sîn-šum-lišer, der vielleicht zur königlichen Familie gehörte, erklärte sich 632 selbst zum König und regierte bis ca. 626 Teile von Babylonien. Diese letzten Jahrzehnte des assyrischen Weltreichs sind außerordentlich undurchsichtig.226 Sicher ist nur, dass viele periphere Provinzen und Vasallenstaaten das entstandene politische Vakuum nutzten, um sich von der assyrischen Herrschaft zu befreien und autonom zu agieren. Diese Schwächung Assyriens wurde auch von anderen Nachbarn mit Interesse wahrgenommen: 625, nur ein Jahr nach dem babylonischen Aufstand, gelang es dem medischen König Kyaxares (Huwachšatra), die unberechenbaren Skythen in Kleinasien zu besiegen und alle medischen Stämme im Osten zu vereinen.227 614 eroberte er die assyrische Provinz Arrapha, bewegte sich danach sofort in Richtung Ninive und begann sie zu belagern. Dann wandte er sich gegen Aššur und zerstörte diese alte Hauptstadt vollständig. Zu dieser Zeit erreichte auch das babylonische Heer unter Nabupolassar die bereits in Trümmern liegende Stadt. Meder und Babylonier schlossen nun ein Bündnis, das die Vernichtung Assyriens zum Ziel hatte. Zwar stellte Sin-šar-iškun im Jahr 613 ein neues Heer auf, das am Euphrat stationiert wurde, doch schon 612 fiel Ninive unter dem Ansturm der vereinigten babylonisch-medischen Heere nach dreimonatiger Belagerung. Der letzte Rest des assyrischen Heeres verschanzte sich unter Aššuruballit II. (612–609) bei Harran.228 Babylon, dessen Streitkräfte unter dem Kommando des Kronprinzen Nabukadnezar standen, wurde in die Defensive gedrängt und bat die Meder um Hilfe (610). Kyaxares kam, nahm Harran ein, plünderte den dortigen überregional berühmten Sin-Tempel und brannte ihn gegen den Protest der Babylonier nieder. Assyrien war endgültig besiegt. Das politische Ausgreifen Assyriens auf den syrischen Westen und die südöstlichen Länder Kleinasiens seit dem 9. Jh. hatte schwerwiegende politische, wirtschaftliche und kulturelle Folgen, mit denen auch Griechen, die seit dem 10. Jh. verschiedene Orte dieser Küstenstreifen anfuhren und auch Teile des Binnenlandes besuchten, konfrontiert wurden. Syrien und die angrenzenden Regionen wurden seit dem 9. und 8. Jh. von militärischen Aktionen Assyriens überzogen, welche Zerstörungen von Städten und Verwüstungen ihrer Ländereien zur Folge hatten. Die regelmäßigen und außerordentlichen Tribute, die Stellung von Streitkräften und die Versorgung assyrischer Beamter und Heere schwächten die Wirtschaft dieser Länder zusätzlich und das in steigendem Maße. Seit Tiglath-pilesar III. wurde die Kontrolle durch eine so gut wie lückenlose Bürokratie gewährleistet. Sicherheit der Grenzen, öffentliche Ordnung in allen Siedlungen, der Fluss der Waren usw. wurden durch zentrale Maßnahmen angeordnet und von den Beamten vor Ort organisiert und überwacht. Nach der Provinzialisierung muss es zu großen Veränderung in der jeweiligen Gesellschaft gekommen sein: Die gewaltsame Entfernung von nicht loyalen Herrschern war mit der Deportation des Könighauses und des gesamten Hofes verbunden. Ein Großteil der jeweiligen Elite wurde getötet oder deportiert, und Menschen aus anderen Gebieten des Reichs angesiedelt. In politisch und strategisch besonders wichtige Orte kamen Assyrer als Neusiedler. Der Grundbesitz wurde dabei oftmals drastisch verändert. Die assyrische 226 227 228

Von Soden 1967. Zu dem noch nicht gelösten Problem eines Medischen Reiches vgl. Wiesehöfer 2004; Rollinger 2005. Zu den letzten assyrisch-ägyptischen Beziehungen vgl. Teil I 2.

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I. Kurzer historischer Abriss

Macht stärkte und förderte das wirtschaftliche Potenzial im Reich. Daher wurden weit reichende Maßnahmen zur Urbarmachung brach liegender Gebiete unternommen. Ebenfalls diesem Zweck, wie auch der militärischen Sicherung diente das Urbanisierungsprogramm der assyrischen Könige. Syrien und Südostkleinasien waren schon vor der assyrischen Herrschaft von Städten überzogen gewesen. Doch man errichtete auch hier neue Städte, ältere wurden ausgebaut und erweitert.229 Einem Abschnitt der sogenannten Rimah-Stele zufolge ordnete Adadnerari III. die Gründung von insgesamt 331 Siedlungen in der Ğezira an.230 Das Assyrische Reich stellte keinesfalls nur eine Bedrohung für kleinere Staaten dar: Die freiwillige Anerkennung der assyrischen Oberherrschaft bedeutete nicht nur Restriktion, sondern auch die Öffnung zu einem riesigen Wirtschaftsraum mit den besten kommerziellen Voraussetzungen und Bedingungen.231 Besonders für Handelsstädte wie die phönikischen waren diese Aussichten sehr verlockend. Einen anderen Vorteil bot eine assyrische Vasallität für die jeweilige Dynastie, waren die assyrischen Könige doch verlässliche Garanten für sie und schritten bei einer Usurpation gewöhnlich recht rabiat zu Gunsten der rechtmäßigen Herrscherfamilie ein. Das Akkadische wurde nicht zur Verkehrsprache innerhalb der Grenzen des Reichs, sondern in zunehmendem Maße das Aramäische. Die in Syrien angesiedelten assyrischen Minderheitsgruppen haben relativ schnell die syrische Kultur übernommen, soweit sie nicht zum assyrischen Verwaltungspersonal gehörten. Trotz der ansehnlichen Verwaltungsapparate und der starken Garnisonen innerhalb der Grenzen des Reichs und trotz der aktiven Siedlungs- und demographischen Politik konnte sich die assyrische Kultur nicht durchsetzen, soweit sie außerhalb der Königsideologie lag. Das lokale Element blieb trotz der neuen Herrschaft und der vielen Ansiedlungen Fremder immer dominierend. Auch wenn Theologen oft von einem »assyrischen Kulturdruck«232 oder von »der assyrischen Krise in der israelischen Religion«233 sprechen, so kommen zahlreiche Untersuchungen zu dem Schluss, dass man nicht von einem Einfluss assyrischer Kulte in Israel und Juda sprechen kann.234 Wenn gerade Kultsymbole des Mondgottes Sin von Harran in Israel und Juda im 8. und 7. Jh. vermehrt auftreten, kann es rein chronologisch betrachtet kein assyrischer Einfluss sein, sondern ist als ein aramäischer zu verstehen.235 Das bedeutet allerdings nicht, dass es überhaupt keinen assyrischen Einfluss auf die syrische Kultur gegeben hätte. Gerade Medien der Herrscherideologie wurden von lokalen Eliten auch außerhalb des Reichs aufgenommen und ganz oder teilweise kopiert. So sind deutlich Einflüsse der assyrischen Rundskulptur, der Königsstelen und der Reliefs auf die Hofkultur syrischer Herrscher und Vasallen erkennbar. Diese neue Kunstsprache ersetzte in den aramäischen Staaten schnell die der früheren spätluwischen Herrscher. Überall war die Einheit des Reichs an die Person des amtierenden Königs geknüpft. Dazu gehörten persönliche Inspektionen des Königs mit der Repräsentation seiner Macht vor Ort. Stelen mit seinem Porträt, Königsinschriften usw. wurden überall und sogar in den entlegendsten Gebie229 230 231 232 233 234 235

Mazzoni 1994. Dazu Weipper 1992, 61f. Vgl. Radner 2004, 157. So Zenger 2008, 661. Donner 2001, 361–370. Cogan 1974; Frahm 2011. Vgl. dazu besonders Keel 1994.

4. Das Neubabylonische Reich

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ten des Reichs aufgestellt und waren für jeden Bewohner und Besucher sichtbar.236 Gewisse assyrische kulturelle Einflüsse, die aber keine entscheidenden Wirkungen auf die lokalen Kulturen ausübten, sind in der Keramik, bei Schmuckstücken u.a. zu erkennen. Eine alle Reichsteile verbindende assyrische Kultur oder ein Länder übergreifender ›assyrischer Geist‹ sind also nicht zu entdecken, wohl aber einige allgemeine Charakterzüge. Dazu gehört die außerordentliche Wertschätzung des altmesopotamischen kulturellen Erbes. Die assyrischen Könige verstanden sich als Hüter der traditionellen Kultur, legten große Bibliotheken und Schreiberstuben an, versammelten Gelehrte um sich und waren teilweise selbst Gelehrte. Diese ›Renaissance‹ tritt besonders seit Sennacherib deutlich hervor: Kulturelle Leistungen wie Bautätigkeit, Wiederherstellung alter Kulte und Beschäftigung mit alten Texten erhielten einen immer höheren Stellenwert. Dieses Bildungsideal findet man in der gesamten Oberschicht, und man kann vermuten, dass auch die assyrischen Statthalter eine ähnliche kulturfreundliche Haltung einnahmen. Assyrische Schriftlichkeit und mesopotamisches Schrifttum waren im gesamten Reich präsent.237 Eine Tendenz zur Vereinheitlichung von Kultur, Kunst, Religion und Weltanschauung innerhalb des gesamten Fruchtbaren Halbmondes hat schon seit dem 3. Jt. existiert. Im 1. Jt. war der altbabylonische Anteil mesopotamischen Einflusses besonders groß.238 Wenn es einen assyrischen Einfluss auf das frühe Griechenland gegeben hat, so kann dieser nur über die syrischen Staaten während der assyrischen Herrschaft gekommen sein. Ein direkter Kulturtransfer zwischen Assyrien und griechischen Gebieten ist auszuschließen, weil keine Kontaktzone dafür ausfindig gemacht werden kann: Weder kennen griechische Quellen oder archäologische Grabungen Assyrer in Griechenland, noch erwähnen assyrische Quellen irgendwelche Griechen in Nordmesopotamien. Diplomatische Beziehungen existierten zwischen dem Reich und frühen griechischen poleis nicht und sind auch nicht zu erwarten. Vereinzelte Griechen im assyrischen Kerngebiet mag es vielleicht hin und wieder gegeben haben,239 aber sie hielten sich höchstwahrscheinlich als Kriegsgefangene aus syrischen Gebieten oder aus Ägypten dort auf. Solche Personen kamen aber nie wieder in ihre Heimat zurück, und schon aus diesem Grund hätten sie keinen Kulturtransfer leisten können.

4. Das Neubabylonische Reich Die Existenz des Neubabylonische Reiches war zwar von relativ kurzer Dauer (626–539), doch seine Auswirkungen auf die Geschichte des gesamten Vorderen Orients waren immens. Seine Herrschaft veränderte nicht nur die politische Landkarte, sondern auch den ökonomischen, demographischen und kulturellen Charakter der syrischen Länder. Es begann ein dramatischer Verfall der Wirtschaft. Die Oberschichten waren besonders von der Reorganisation der Verwaltung betroffen, viele wurden deportiert oder hingerichtet. Grundbesitz und Vermögen wurden neu verteilt. Die Gesellschaften mussten sich unter einem harten äußeren Druck wieder neu formieren. Mit der Verringerung und Schwächung der alten Eliten ging ein starker Rückgang in der Kultur einher. Anstelle der alten Herr236 237 238 239

Vgl. dazu Pongraz-Leistner 1997, 27. Pedersén 1997, 139–152. Vgl. z.B. von Soden 1997, 177–180; Weissert 1997, 191–202. Rollinger, Korenjak 2001, 372–384.

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I. Kurzer historischer Abriss

schafts- und Bildungsschicht traten neue Familien in den Vordergrund, die ihren Aufstieg den Babyloniern zu verdanken hatten. Den meisten Vertretern dieser neuen Oberschicht war die traditionelle höfische Kultur unbekannt und ihre finanziellen Mittel waren beschränkt. Die babylonische Kultur der neuen Herrscher hatte vermutlich noch viel weniger Einfluss auf die westlichen Provinzen als die vorige assyrische. Die neubabylonischen Quellen unterscheiden sich in ihren Genres und in ihrem Stil stark von den assyrischen. Die wichtigsten sind die Königsinschriften und die Chroniken. Es fehlen allerdings ausführliche Annalen. Doch noch mehr als zur assyrischen Geschichte können Berichte und Anmerkungen aus dem Alten Testament und auch von einigen griechischen Schriftstellern hinzugezogen werden. Der erste neubabylonische König Nabupolassar (626–605) begann das Erbe Assyriens zu übernehmen, d.h. die Länder westlich des Euphrat, für welche die Meder offensichtlich kein Interesse zeigten. Doch Pharao Necho II. (610–594) machte seinerseits sofort alte ägyptische Ansprüche auf Palästina und Syrien geltend.240 In den Kampf zwischen den beiden Großmächten wurden nun auch die Länder Syriens verwickelt. Syrien, das die Babylonier Hattu nannten, war für Babylon wegen der akuten ägyptischen Gefahr von vorrangiger Bedeutung. Die vielen Feldzüge, die in den babylonischen Chroniken verzeichnet sind, zeigen das unablässige Bemühen um Kontrolle und Herrschaft. Gleichzeitig beweisen sie, dass sich die syrischen Gebiete, nachdem sie nach dem Fall des Assyrischen Reiches kurz ihre Autonomie wiedererlangt hatten, nicht kampflos der neuen Macht fügten. Auch die Babylonier mussten sich zunächst einen Korridor vom Euphrat zum Mittelmeer erkämpfen, um dann die mittel- und südsyrischen Staaten einzunehmen. Nabupolassar baute zunächst Kimuhu südwestlich von Karkemiš zu einer babylonischen Garnison um und stationierte dort seine Armee. Diesen Abschnitt des Euphrat griffen die Ägypter an: Sie eroberten Kimuhu, schlugen die babylonischen Truppen und machten Karkemiš zu einer ägyptischen Garnison, wobei die Kommunikation mit Ägypten nur durch einige wenige Stützpunkte (z.B. über das mittelsyrische Riblah) gesichert war. Sie funktionierte vor allem wegen der ägyptenfreundlichen Haltung der syrischen Länder. Schon in seinem ersten Regierungsjahr (605) kämpfte Nabukadnezar II. erfolgreich um die Festung Karkemiš am Euphratübergang. Danach zog er durch Syrien, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Zum einen fehlte den Staaten eine starke gemeinsame Führung, zum anderen hatte sie die Niederlage Ägyptens wahrscheinlich in eine Schockstarre versetzt. So vermerkt die babylonische Chronik, dass »ganz Hamat« eingenommen und Reste der ägyptischen Armee vertrieben worden seien. »Alle Könige von Hattu kamen vor sein (Nabukadnezars) Angesicht und überreichten ihm ihre kostbaren Tribute«.241 Dieser Feldzug zog sich vermutlich bis in den Frühling 604 hin. Danach drang Nabukadnezar weiter nach Aškalon vor, das eingenommen, geplündert und sein König besiegt wurde.242 Damit war ein wichtiger Brückenkopf zu Ägypten ausgeschaltet. Doch das Ziel, die syrischen Gebiete endgültig zu befrieden, erwies sich als schwierig: Lange Zeit rückte die babylonische Armee Jahr für Jahr in den Westen aus. Aus dem schwer beschädigten Chroniktext 240 241 242

Vgl. Teil I 2. Grayson, 1975, 5 Vs 17. Grayson, 1975, 5 Vs 18. Allerdings ist der Ortsname nicht deutlich lesbar.

4. Das Neubabylonische Reich

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ist im zweiten Regierungsjahr von Belagerungstürmen und Märschen die Rede.243 Im dritten Jahr brachte man riesige Beute aus »Hattu« nach Babylon, und im vierten wandten sich die Babylonier gegen Ägypten. Die Chronik spricht von großen Verlusten auf beiden Seiten. Im fünften Regierungsjahr war der babylonische König gezwungen, sein Heer und besonders seine Streitwagenabteilungen neu aufzustellen. Ein konkreter Grund oder Anlass dafür wird nicht genannt. Während er im sechsten Regierungsjahr vermutlich im Euphratgebiet syrische Beduinen vertrieb, zog er 597 durch Hamat, wo es offensichtlich keinen Widerstand mehr gab, und besiegte »die Stadt von Juda«, und ihren König Jojakim.244 Im Jahr 595/4 konnte der babylonische König sein Land nicht verlassen, da eine Palastrevolte ausgebrochen war.245 Hier brechen die babylonischen Chroniken für 38 Jahre ab. Der ägyptische Pharao Apries (595–570) nutzte die Gelegenheit, um südsyrische Gebiete zu erobern. Zunächst brachte er Gaza, Tyros und Sidon in seine Gewalt. Als Antwort darauf rückte das babylonische Heer in Syrien ein, vertrieb die Ägypter und begann mit der 18 Monate langen Belagerung Jerusalems.246 Die Geschichte der übrigen syrischen Gebiete und der phönikischen Städte ist weitaus weniger bekannt als das durch das Alte Testament gut beleuchtete Juda. Bezeugt sind eine Belagerung von Tyros und die babylonische Herrschaft in dieser Stadt von etwa 585 bis 572. In einer babylonischen Inschrift von 570 werden die Vasallenkönige von Tyros, Sidon und Arwad zusammen mit dem jüdischen König erwähnt.247 Nabukadnezar besaß in den Jahren nach 570 offensichtlich die vollständige Kontrolle über die phönikischen Städte und das gesamte Binnenland Syriens. Im Jahr 570 wurde Apries von Amasis II. (570–526) abgelöst. Die folgenden Unruhen248 mögen Nabukadnezar ermutigt haben, eine Kampagne gegen Ägypten zu starten. Als Grund wird die Aufstachelung der syrischen Länder durch Ägypten angegeben. Auch wenn babylonische Inschriften einen Sieg Babylons über Ägypten verzeichnen, so scheint dieser Krieg eher mit einem Waffenstillstand oder sogar mit einem Vertrag geendet zu haben. 564 starb der Vasallenkönig Baʿal III. von Tyros. Nabukadnezar setzte keinen neuen König ein, sondern ließ die Stadt von sogenannten Richtern verwalten, die als babylonische Beamte fungierten. Erst unter dem letzten babylonischen König (Nabonid) wurde in Tyros wieder das Königtum eingeführt: Baʿal-ezer, der nur für kurze Zeit regierte und dem Mahar-Baʿal und Hiram III. folgten. In dieser ganzen Zeit sind weder aus Tyros noch aus anderen Gebieten Syriens Aufstände gemeldet: Syrien war also ohne erhebliche Schwierigkeiten in das Babylonische Reich integriert worden. Vasallenkönige gab es zur Zeit des Nabonid nicht nur in Tyros, sondern auch in den Städten Gaza, Sidon, Arwad und Ašdod. Sie besaßen sogar einen hohen Rang innerhalb der babylonischen regierenden Elite. Die letzten Regierungsjahre Nabukadnezars scheinen von Wirren überschattet worden zu sein. Sein Sohn Awil-Marduk war nur zwei Jahre an der Macht (562–560), dann wurde der Oberbefehlshaber Nergal-sar-usur/Neriglissar König zu Babylon (559–556). Er führte in seinem dritten Regierungsjahr (557) Kriege gegen Länder in Kleinasien. Ein Appuaštu, 243 244 245 246 247 248

Ibid. 21 und 22. Ibid. Rs 12ʹ und 13ʹ; zu Details und den Angaben des AT vgl. Teil I 5.4.3. Ibid. Rs 21ʹ. Vgl. Teil I 5.4.3. Unger 1926, 314. Vgl. Teil I 2.

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I. Kurzer historischer Abriss

König von Pirindu im Land Hilakku soll einen Einfall in Syrien vorbereitet haben.249 Es muss auch schon unter Nabukadnezar feindliche Aktivitäten in diesem Gebiet gegeben haben, denn für das Jahr 592 sind Gefangene aus Pirindu am Hof in Babylon erwähnt.250 Im Land Hume (das assyrische Que,251 d.h. das antike Kilikien) besiegte Neriglissar trotz zahlreicher Schwierigkeiten seine Feinde.252 Ein konkreter Grund für diesen Angriff wird nicht angegeben. Dann rückte er noch weiter in den Westen vor: »vom Pass von Sallune bis zu den Grenzen Lydiens«. Ob mit diesem kurzen Vorstoß eine Kommunikation zwischen dem westlichen Kleinasien und Mesopotamien eröffnet wurde, ist allerdings fraglich. Den Küsten Kleinasiens nördlich von Siflike schenkten er weniger Aufmerksamkeit. Babylon besaß keine Flotte und war auf die Schiffe der syrischen Städte angewiesen. Pläne, gegen das aggressive Lydische Reich vorzugehen, haben vielleicht auch eine gewisse Rolle gespielt. Es ist gut möglich, dass die Lyderkönige zur Zeit ihrer Expansion auch Interesse an ihrem östlichen Nachbarland gezeigt haben. Die These, Neriglissar habe durch diese Unternehmen im Westen den griechischen Handel mit Ägypten kontrollieren wollen,253 ist dagegen ganz und gar nicht schlüssig: Zum einen förderten die Babylonier ihren Wirtschaftsdokumenten zufolge den Handel eher als dass sie ihn behinderten, zum anderen stellte damals der griechische Handel in keiner Weise eine Gefahr für die Versorgung Babyloniens dar. Die Politik des Neubabylonischen Reiches war im Prinzip nicht auf einen Angriff auf Ägypten ausgerichtet, sondern gegen ägyptische Einmischung in Syrien. Nach der Regierung des Neriglissar herrschte nur kurz Amel-Marduk (556), der von dem letzten babylonischen König Nabonid (556–539) abgelöst wurde. Nabonid war ein Usurpator und sah seine Vorbilder in den assyrischen Herrschern. In seinem ersten Regierungsjahr zog er gegen Hume, wobei der Anlass dafür wegen des stark beschädigten Textes unbekannt bleibt.254 In den Jahren 554 bis 553/2 unternahm er auch mehrere Feldzüge gegen Hamat und Edom. In seinem 7. Regierungsjahr zog er sich für zehn Jahre in die Oase Taima auf der Arabische Halbinsel zurück und ließ seinen Sohn als Regenten in Babylon zurück.255 Die Perser, die von der Stadt Babylon als Befreier eingelassen wurden, konnte er nicht aufhalten. Das Neubabylonische Reich wurde 539 von Kyros erobert. Wegen der schwierigen Quellenlage sind die Formen babylonischer Herrschaft in Syrien nicht geklärt. Man könnte annehmen, die Babylonier hätten die assyrische Struktur übernommen,256 doch diese hatte bereits in den letzten Jahrzehnten vor der Eroberung aufgehört zu existieren. Außerdem hatte Babylon ein anderes Herrschaftskonzept. Versuchten die Assyrer, durch ihr Provinzsystem die auswärtigen Territorien nicht nur unter Kontrolle zu halten, sondern durch Förderung und Entwicklung wirtschaftlichen Nutzen aus ihnen zu ziehen, ging es Babylon nur um regelmäßige, hohe Tribute und genügend Arbeitskräfte für das zentrale Ziel: den Ausbau Babylons zum Mittelpunkt der Welt. Die Stärke der baby249 250 251 252 253 254 255 256

Grayson 1975, Chronik 6.1–3. VAT 16283 r II 2f.; vgl. RlA 10, 2005, 572f. Die babylonische Aussprache war *Khuwe, ist also direkt von der assyrischen Bezeichnung des antiken Kilikien Quwe bzw. Que abzuleiten, vgl. Teil I 5.1. Vgl. Teil I 5.1. Desideri, Jasink 1990, 18, 171. Beaulieu 1989; Grayson 1975, Chronik 7 I 7. Cassin, Bottéro, Vercoutter 1966, 109. Das vermuten auch einige Assyriologen, vgl. Grayson 1980 (b), 140–194, besonders 161.

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lonischen Armee zeigen die Zerstörungsschichten in vielen Städten Syriens. In einigen Gebieten wie an der Küste der Philister wandten sie die Methode der verbrannten Erde an.257 Die Babylonier, die in sehr großem Umfang Menschen aus den eroberten Gebieten deportierten, sahen keine Neuansiedlungen vor. Die Wälder des Libanon wurden für die Bauvorhaben des Nabukadnezar schonungslos geplündert. Man baute sogar eine spezielle Straße für den Transport der wuchtigen Zedernstämme. Der internationale Handel an der phönikischen Küste kam durch die starken Einschränkungen, die schweren Tribute und die Zerstörungen zum Erliegen. Zu dieser Zeit verschwindet die griechische Keramik in fast allen Häfen Syriens.258 Die Verwüstungen und Schwächung der Wirtschaft in den Provinzen brachten Babylon außerdem den Vorteil, dass es sich eine aufwendige Provinzverwaltung und ständige Militärpräsenz weitgehend ersparen konnte. Drei Inschriften259 Nabukadnezars und einige Chronikeintragungen geben nur zwei geographische Bezeichnungen in Syrien: Hatti und Eber Nahri. Eber Nahri (›Jenseits des Flusses‹) bezeichnet Nordsyrien und die angrenzenden südostanatolischen Gebiete. Damit müsste ›Hatti‹ das übrige Syrien sein. Offensichtlich handelt es sich um geographisch umrissene Gebiete, innerhalb derer verschiedene Würdenträger der neubabylonischen Macht genannt sind: Könige (šarrāni), Verwalter (pīhati), Stellvertreter (šakkanākkatim) und ›Oberkommissare‹ (sandabakku).260 Babylon bevorzugte das Prinzip der Vasallenkönige (wie in Tyros, Gaza, Sidon, Arwad, Ašdod u.a.),261 welche Tribute einsammelten und weiterreichten und für die Sicherheit ihres Gebietes sorgten. Unbotmäßige Vasallen wurden deportiert wie im Fall des tyrenischen Ethbaʿal III., oder man setzte neue Vasallen ein wie im Fall des Zedekia von Juda, der Gedalia ablöste. Verwalter werden auch in einigen Wirtschaftstexten genannt: Bezeugt sind sie u.a. in Tyros, Qadeš262 und Arpad. Vasallenkönigen stellte man in Tyros und Juda Oberkommissare zur Seite. Nach den archäologischen Befunden existierten keine neuen babylonischen Verwaltungszentren, wie sie unter den Assyrern errichtet worden waren. Fast erscheint diese Administration wie ein Provisorium, das sich aber doch als recht stabil erwies. Dafür sorgten regelmäßige Feldzüge, Zerstörungen aufständischer Gebiete, sporadische militärische Präsenz, Besetzung der hohen Ämter mit loyalen Vasallen und Beamten, Ausbeutung der Ressourcen und Schwächung der wirtschaftlichen Möglichkeiten. Die Folgen waren für Syrien katastrophal. Dem Rückgang der Wirtschaft entsprach ein sichtbarer kultureller Abstieg. Bei einer solchen Herrschaftsform haben sich nur wenige Babylonier in Syrien aufgehalten. Da keine Residenzen eingerichtet wurden, gab es auch keinen Hofstab. Die wenigen hohen babylonischen Würdenträger, welche an den Residenzen syrischer Könige weilten, hatten wohl eher Leibgarden als kultivierte Freunde um sich. Die babylonischen Truppen waren von der Bevölkerung getrennt, und man kann keine Hinweise darauf finden, dass Männer aus den peripheren Reichsgebieten für die babylonische Armee rekrutiert worden 257 258 259 260 261 262

Stager 1996; systematisch verwüstet wurden Ašdod, Tel Betaš-Timnah, Ekron u.a. Waldbaum, Magness 1997, 23–40, zu Al-Mina: Boardman 1980, 49f.; mit einigen Ausnahmen wie in Tell Sūkās, vgl. Teil I 5.3.5. Es handelt sich allerdings nicht um administrative Dokumente, sondern um eine Auflistung der Gebiete, die Arbeitskräfte stellen mussten. Zu den Quellen und ihren Aussagen vgl. Vanderhooft 1999, 91–99. Unger 1931, 286 v 23–27. Die Identifizierung dieser beiden Ortsnamen ist allerdings nicht sicher.

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I. Kurzer historischer Abriss

wären. Daher kann es nur zu einer sehr beschränkten Kommunikation zwischen Babyloniern und Syrern gekommen sein. Anders ist die Kontaktsituation in Babylonien selbst zu bewerten, besonders die der deportierten syrischen Könige und ihrer Angehörigen. Viele von ihnen kehrten später unter persischer Herrschaft in ihr Herkunftsland zurück. Ein neubabylonischer Einfluss auf die syrische Kultur ist also nur mit Verspätung zu Beginn der Perserzeit zu erwarten. Es gibt neubabylonische Dokumente, welche zumindest kurzfristige Aufenthalte griechischer Händler in Babylon vermuten lassen.263 Auch der Südosten Kleinasiens war wohl eine Kontaktzone. Zwar kann man im 6. Jh. nicht von einer Kolonisierung der kilikischen Küste sprechen, aber eine griechische Präsenz ist zu dieser Zeit durch neubabylonische Wirtschaftsdokumente nachweisbar.264 Das Reich grenzte an das Lydische Reich, zu dem griechische poleis an der Küste gehörten. Die Kontaktsituationen scheinen vorrangig auf dem Gebiet des Handels gelegen zu haben. Da in vielen Bereichen der archaischen griechischen Kultur babylonisches Wissen entdeckt und vermutet worden ist, wird häufig von direkten ionisch-babylonischen Beziehungen ausgegangen, denn die Ionier konnten auch dank ihrer Lage und Traditionen einen solchen Handel betreiben. Allerdings sind keine Kontaktzonen für solch eine direkte Kommunikation belegt. Persönliche Kontakte zwischen Griechen (Ioniern) und Babyloniern scheinen seltene Ausnahmen gewesen zu sein, denn es fehlen sowohl griechische Funde in Babylon als auch babylonische in der griechischen Welt.

5. Die syrischen Länder Der Name ›Syrien‹ bezeichnet ein kulturell und wirtschaftlich komplexes und kohärentes Gebiet, dessen Geschichte in der hier untersuchten Zeitspanne vor allem von der assyrischen Westexpansion bestimmt wurde. Innerhalb dieses großen Areals existierte eine Vielzahl von verschiedenen Kulturen, Sprachen und Staaten,265 die in den folgenden Unterkapiteln dargestellt werden sollen. Es umfasst die Staaten vom Euphrat im Osten bis an die Küste der Levante im Westen, von Ägypten im Süden bis zu den zwischen den Gebirgsmassiven des Taurus und Antitaurus liegenden im Norden und Nordwesten.266 In diesen Ländern befanden sich die wichtigsten Kontaktgebiete von Griechen und Orientalen. Das erfordert eine Betrachtung der Regionen, in denen solche Kontaktzonen ausgemacht oder vermutet werden können. Die übrigen sind kürzer und mit dem Ziel abgehandelt, den gesamthistorischen Kontext Syriens und die Interaktionen der Länder darzustellen. In Syrien vollzog sich der Übergang von der späten Bronze- zur frühen Eisenzeit nicht auf dieselbe dramatische Weise wie in Griechenland oder im zentralen Kleinasien. Kurz nach 1200 wurden einige große Zentren der Bronzezeit zerstört und zum Teil nicht wieder aufgebaut wie z.B. Ugarit, Alalah oder Hazor. Doch die Aufgabe einer Siedlung ist nicht immer auf fremde Angreifer zurückzuführen (wie bei Alalah oder Hazor). Weitaus mehr Stätten wurden sofort wieder errichtet, wie Tell Afis, Tell Sūkās u.a., wobei die neuen Siedlungen jedoch bescheidener ausfielen als die früheren. Andere Städte wiederum blieben zwar 263 264 265 266

Vgl. Teil IV 1.2.2. Z.B. in Soloi, vgl. Teil I 5.1. Zur politischen Geographie vgl. Hawkins 1995. Bunnens 2000.

5. Die syrischen Länder

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unversehrt, wurden aber für immer verlassen. Gleichzeitig existierten viele urbane Zentren weiterhin unter neuen politischen Bedingungen, wie Melid, Karkemiš oder die phönikischen Städte.267 Viele der oft nicht genau datierbaren Zerstörungen, die keineswegs synchron sind, könnten auch auf regionale Unruhen zurückzuführen sein: Am mittleren Euphrat könnten sie z.B. auf Expansionsbestrebungen von Karkemiš oder anderer Nachbarn zurückgehen, und einige nordöstliche Siedlungen fielen vielleicht aramäischen Stämmen zum Opfer. In der materiellen Kultur sind überall deutliche Kontinuitätslinien aus der späten Bronzezeit zu erkennen, was beweist, dass prinzipiell keine neuen Völker (auch keine ›Seevölker‹) eingedrungen und politisch und kulturell dominant geworden sind. Die heutige Terminologie zur Bezeichnung der Staaten, Sprachen und ihrer Kulturen in Nordsyrien und Südostanatolien ist nicht einheitlich. Hier wird der Begriff ›spätluwisch‹ angewandt. Er bezeichnet die Staaten in Nordsyrien und Südostkleinasien, in denen vorwiegend die hieroglyphenluwische Schrift auf Inschriften benutzt wurde und deren Kultur aus der ausgehenden Bronzezeit Anatoliens der Hethiter und Luwier des Großreichs stammte und sich daraus weiter entwickelte.268 Aramäer stellten im eisenzeitlichen Syrien die größte Bevölkerungsgruppe.269 Während der politischen Unruhen und Dürren im 11. und 10. Jh. näherten sich ostsyrische Nomaden in immer größerer Zahl den wasserreicheren Landstrichen. Sie sind zum ersten Mal in den Annalen des Königs Tiglath-pilesar I. (1114–1076) als Feinde erwähnt, die der assyrischen Macht östlich des Euphrat Widerstand leisteten.270 Sie wurden im 11. und 10. Jh. auch westlich des Euphrat sesshaft. Die Landnahme verlief wahrscheinlich meistens als ein friedlicher Infiltrierungsprozess.271 Die Aramäer etablierten sich dort nicht nur in Ackerbau und Viehzucht, sondern auch als ›Betreiber‹ und Bewacher von Handelsrouten. Dadurch wurden Reichtum, Fähigkeiten und Beziehungen geschaffen und akkumuliert, welche die Macht der späteren aramäischen Staaten ausmachten. Das 9. Jh. war für Syrien ein Höhepunkt der eisenzeitlichen kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung. Neue Handelsstraßen, Land- und besonders Wüstenwege entstanden, die durch die Einführung des Kamels als Reise- und Lasttier möglich wurden. Auch Kontakte mit Griechen begannen etwa zu dieser Zeit. Mit der Gründung aramäischer Königreiche im 10. und 9. Jh. begann ein intensiver aramäischer Urbanisierungsprozess. Assyrische Quellen erwähnen befestigte Städte Aššurnasirpals II. zu Beginn des 9. Jh.272 Diesen aramäischen Staatsgründungen fielen einige spätluwische Königreiche zum Opfer. Manche aramäische Staaten existierten nur kurze Zeit, da sie bald nach ihrer Gründung vom Assyrischen Reich annektiert wurden, während die westlichen erst im 8. Jh. unter assyrische Oberherrschaft gerieten. Diese hatten also bessere Möglichkeiten, sich politisch zu entfalten. 267 268 269 270

271 272

Astour 1977. Damit sind hier also ausdrücklich nicht die westanatolischen Sprachen gemeint, die teilweise ebenfalls als ›spätluwisch‹ bezeichnet werden können. Lipińsky 2000; Sader 2010. Vgl. z.B. RIMA 1 A.0.87.23; dazu ARI 2.13 Nr. 70: ahlamu KUR armaya, wobei mit ›ahlamu‹ schon in der frühen Bronzezeit Nomadenstämme bezeichnet wurden, vgl. Lipińsky 2000, 26–40 z.B. aus Ebla u.a. Aramu ki. Allerdings handelt es sich sicher nicht um dieselbe Volksgruppe. Mazzoni 1995, 181–191. Ikeda 1979, bes. 77.

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5.1 Das Land Que Der südöstliche Teil Kleinasiens vom Taurus im Westen bis zum Amanus-Gebirge war seit der späten Bronzezeit fester Bestandteil des nordsyrischen Kultur- und Wirtschaftsgebietes. Hier lebten in der frühen Eisenzeit größtenteils Luwier. Daneben sind noch Gruppen hurritischer Abstammung zu vermuten, die aber kaum mehr nachweisbare Relikte hinterlassen haben. Altanatolische Götternamen sind in Inschriften erhalten, und auch viele Details der bronzezeitlichen Ikonographie Anatoliens blieben bestehen. Als Schriftsprache diente das Spätluwische. Auf den neuassyrischen Inschriften wurde dieser Staat Quwe,273 später und häufiger Que genannt. Dieser Name entspricht dem antiken Namen Kilikien.274 Que war reich an Bodenschätzen: Kupfer, Gold, Silber, Blei, Eisen und vermutlich auch Zinn. Von hier aus hatte man Zugang zu allen diesen Minen. Daneben besaß das Land große Ressourcen an Holz, und in den Ebenen und Tälern lag fruchtbares Land. Que grenzte im Westen und Osten an die genannten Bergmassive und im Süden an das Mittelmeer. Im Südosten gehörte der schmale Uferstreifen am Fuß des Amanus bis etwa zum heutigen İskenderun, wo die Berge dicht ans Meer treten, wohl ebenfalls dazu. Dies dürften, wenn auch mit jeweils politisch bedingten Schwankungen, die politischen Grenzen von Que gewesen sein.275 Durch die Hochgebirge war Que außerordentlich gut geschützt: sowohl über den Taurus als auch über den Amanus gibt es nur wenige Pässe, und diese waren gut zu verteidigen. Zum Norden hin bieten die Flusstäler des Seyhan, Ceyhan und Göksu Wege sowohl zum Norden und Nordosten276 nach Gurgum und Malatya sowie zum Nordwesten nach Hilakku277 und Tabal.278 Im Westen grenzte es an das Bergland Hilakku, im Nordosten an Sam’al und im Südosten an Patin (Unqi), zeitweilig auch an Bit-Agusi (Arpad). Que profitierte daher nicht nur von den Rohstofflagern der umliegenden Gebirge, sondern auch von seiner strategischen und handelsgeographischen Lage. Außerdem führten an den Küsten des Landes viel befahrene Seerouten entlang: die Verbindungen zwischen der kleinasiatischen Küste und Zypern und von dort zu den syrischen Häfen sowie zu den ägäischen Inseln und nach Griechenland. Zentren des Warenaustausches waren u.a. Mersin (assyr. Ingira, griech. Ἀγχίαλη), Tarsos, Adana und Misis im Binnenland. Seine Wirtschaft beschränkte sich nicht nur auf den Zwischenhandel. Aus assyrischen Tributlisten und den indigenen Inschriften sind auch florierender Ackerbau, Vieh- und Pferdezucht und Textilindustrie belegt. Das Land, das schon in der späten Bronzezeit zu den bedeutenden Kulturgebieten Kleinasiens gehörte, war auch in der Eisenzeit dicht besiedelt, gut urbanisiert und mit zahlreichen Festungen versehen. Nach dem Fall des hethitischen Großreichs um 1200 verschwand Que für einige Jahrhunderte aus den Quellen279 und wurde erst wieder seit der Zeit Salmanassars III. (858–824) genannt, als es unter seinem König Kate als Mitglied der antiassyri273 274 275 276 277 278 279

Hawins in: RlA 11, 191–200. Dieser Name, den die Griechen übernahmen, stammt vom luw. Hilakku, einem Königreich im ›Rauen Kilikien‹ in der neuassyrischen Zeit. Zum Namen vgl. Neumann 1994, 293–301. Vgl. zu den Grenzen des späteren Kilikien: Casabonne 2004, 21–29. Vgl. dazu die Karte bei Winter 1988, 134. Vgl. Hawkins, in: RlA 4, 402f.: zwischen Que und dem Toros Dağ und den Bolkar Dağları. Aro 1998. Als erster Beleg für Que gilt im Allgemeinen 1 Kö 10,28–29=2 Chr 1,16, wonach Salomo Pferde aus qwh gekauft habe. Der Text kann aber nicht in das 10. Jh. datiert werden; er ist wahrscheinlich zwei bis drei Jahrhunderte später entstanden: Kaiser 1969, 131–140 u.a.

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schen Koalition der nordsyrischen Staaten im Jahr 858 auftrat.280 Salmanassar wandte sich erst in den Jahren 839 und 833 bis 831 gegen Que.281 Kate war offensichtlich regierender König von Que, doch wird er in den assyrischen Quellen nicht mit seinem Titel genannt.282 Salmanassar III. zwang Que im Jahr 839 unter assyrische Oberherrschaft. Den König Kate belagerte und besiegte er in dessen Königsresidenz in Pahri (das griech. Mopsuestia, h. Misis).283 Kate wurde Vasall, und die Beziehungen zwischen Assyrien und Que scheinen in den folgenden Jahren entspannt gewesen zu sein. Der Anlass des nächsten Feldzugs im Jahr 833 wird in den Inschriften nicht genannt. Kate wurde abgesetzt. An seine Stelle trat auf Anweisung Salmanassars sein Bruder Kirri. Die Änderung der Herrschaftsverhältnisse steht vielleicht im Zusammenhang mit einer Fehde zwischen Que und seinem östlichen Nachbarstaat Sam’al.284 Somit regierte Kate von spätestens 858 bis etwa 833/2. Von der Ebene von Adana zog Salmanassar III. weiter zum nahe gelegenen Tarsos und nahm sie ein. Sie wird in den Quellen des 1. Jt. hier zum ersten Mal erwähnt.285 Bis zur Regierung Tiglath-pilesars III. (745–727) scheint es fast 100 Jahre lang keine weiteren assyrischen Angriffe gegen Que gegeben zu haben. Dann erscheint es wieder in den Annalen und in der Eponymenchronik. Als König von Que tritt ein Urikki für die Jahre 739/8 und 732 als Tributträger, also als ein loyaler Vasall auf.286 Für mögliche Ereignisse unter König Salmanassar V. (727–722) stehen keine Quellen zur Verfügung. Dennoch spricht vieles dafür, dass Que gegen 722 zu einer assyrischen Provinz wurde. Dafür, dass er die Länder Tabal, Hilakku, Que und Sam’al in das Reich eingegliedert haben könnte, scheint die Selbstverständlichkeit der späteren sargonischen Annalen zu sprechen, welche diese Situation im Südosten Kleinasiens als gegeben zeigen. Das Land Que und der Name Urikki sind auch in den Quellen aus der Zeit Sargons II. (722–705) oft belegt. Hilakku und Tabal lockten mit ihren reichen Bodenschätzen. Que wird im Jahr 718 in Verbindung mit einem Feldzug Sargons genannt, der die drei Festungen Harrua, Ušnanis und Qumas(i) von Que, die Mita, der König der Muški, vor »langer Zeit« eingenommen hatte, zurückerobern konnte. Gleichzeitig habe er ihre Grenzen, d.h. die Territorien dieser Festungen von Que, erweitert. Da er sich um Grenzfestungen zu seinen Feinden bemühte, steht dieses Unternehmen wohl im Zusammenhang mit seinen Angriffen auf phrygische Gebiete. Dieses Ereignis ist wohl in das Jahr 718 zu datieren, in dem die Eponymenchronik den Eintrag ›Tabal‹ gibt, denn im selben Jahr soll Assyri280 281 282 283

284 285

286

Zu Beginn seiner Regierung: RIMA 3 A.0.102.1,68ʹ; vgl. dazu Teil I 3. Ibid. 12,32; 10, IV 25; 14,128; 16,217ʹ. Zu den Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Feldzüge gegen Que vgl. Lanfranchi 2002, 453–470. Das ist bei rangniedrigen, feindlichen Königen häufig der Fall. Kate war lediglich der perverse Feind. Pahri liegt an der westlichen Seite des Passes, der Ost- und Westkilikien verbindet, ibid. 40, III 5b– 8. Diese sehr glaubwürdige Lokalisierung wird von Forlani 2001, 557–560 allerdings bestritten: er setzt Pahri mit dem Ortsnamen Pagrum auf der Tabula Peutingeriana gleich. Außer der ähnlichen Lautgestalt beider Namen gibt er allerdings keine weiteren Argumente dafür. Vgl. Teil I 5.2. Auf jeden Fall geht aus diesem Text nicht hervor, dass Tarsos die Hauptstadt von Que gewesen ist, wie Casabonne 2004, 181 behauptet. Die westliche Lage der Stadt wäre für die Metropole dieses Staates auch absolut unpassend gewesen. Tigl Ann. 21,8ʹ; Ann. 13*,10.

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en »alles bis zu den Muški erobert« haben.287 Die zweite Erwähnung bezieht sich auf eine Aktion, die wiederum dem Wohl dieser Provinz galt: 715 besiegten die Assyrer mit »Schiffen des Landes Hatti« die Seeräuber vor den Küsten des Landes,288 welche den Hafenstädten Schaden zufügten und die Verkehrswege blockierten. Tatsächlich liefert erst ein Annaleneintrag für das Jahr 710/9 einen eindeutigen Beweis für den provinzialen Status von Que: Die sogenannte Prunkinschrift Sargons berichtet über drei erfolgreiche Einfälle seines Statthalters von Que in das Land des Mita.289 In dasselbe Jahr 710/9 datiert ein weiteres assyrisches Dokument, in welchem ein Urik(ki) genannt wird. Der Kontext des Briefes von Sargon II. an den Statthalter von Que, Aššur-šarru-usur, zeigt ebenfalls, dass Que assyrische Provinz war.290 Der Muškikönig Mita hatte dem Statthalter 14 Boten eines Urik, die in geheimer Mission nach Urartu reisen sollten, aufgegriffen und sie ihm als Zeichen guten Willens und wegen seiner Feindschaft zu Urartu übergeben. Den meisten Forschern zufolge soll es sich bei allen Erwähnungen dieses Urik (Urikki) um ein und dieselbe Person handeln. Dies ist allerdings sehr problematisch, da die beiden ersten Quellen Urik als König bezeichnen, während die letzte ihn ohne Titel nennt, dafür aber einen assyrischen Statthalter in Que. Wenn dieser Urik(ki) nun dieselbe Person, d.h. der frühere König von Que gewesen wäre und innerhalb der assyrischen Provinz ein autonomes Gebiet besessen hätte, so wäre eine solche Situation nicht einmalig innerhalb des assyrischen Provinzsystems, und keinesfalls so unwahrscheinlich, wie Hawkins annimmt.291 Dieser Urik(ki) könnte somit der von Salmanassar V. (?) abgesetzte König gewesen sein, der vielleicht als Herrscher eines winzigen Restreichs Que versucht hatte, sein altes Territorium mit Hilfe des starken Urartu wieder herzustellen. Wenn dieser dieselbe Person war, die aus der Zeit Tiglath-pilesars III. (zum ersten Mal für 739/8) belegt ist, war er zur Zeit des Briefes über 90 Jahre alt. Daher sind wohl mindestens zwei Personen mit diesem Namen anzusetzen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass dieser Urik noch nicht einmal mit dem früheren Königshaus von Que verwandt war. Man kennt den Personennamen Urikki nicht nur aus den assyrischen, sondern auch aus spätluwischen und phönikischen Inschriften sowie aus Bilinguen. Die längste Bilingue ist auf den Orthostaten von Karatepe, die wahrscheinlich in die zweite Hälfte des 8. Jh. datieren.292 Die andere umfangreiche stammt aus Çineköy; sie wurde 1997 entdeckt und ist auf dem Sockel einer Statue angebracht.293 Die Reliefs und Inschriften von Karatepe (spätluw. Azatiwataja) sind äußerst wertvolle Quellen über Que. Karatepe war eine befestigte Residenz auf einem natürlich geschützten Hügel am rechten Ufer des Pyramos (Ceyhan Su) und wurde von einem Azatiwata gegründet. Sie war die Nachfolgeburg von Domuztepe am gegenüber liegenden Ufer, das wohl in Folge der Kriege mit Sal287 288 289 290 291 292

293

Ep. Chr.; Fuchs 1994, 1.1, 9. Im Jahr 709 kam ein Friedensangebot von den Muški: Fuchs 1994, 336. Fuchs 1994, Anm. 117–119. ARAB II §71. Parpola 1987 (=SAA 1), 31–47. CHL I, 1, 42. KAI 24; Swiggers 1983,133–147; zur Datierung: Lipińsky 1985, 82 mit Anm. 7; Hawkins nimmt die Zeit zwischen 705 und 695 an. Die Datierungsfrage hängt vor allem mit der Gleichsetzung des in den Karatepe-Inschriften erwähnten Königs von Danuna Awaraku mit dem in Inschriften Tiglath-pilesars III. erscheinenden Urikki von Que zusammen. Opek, Kazim Tosun, Einleitung zu: Tekoğlu, Lemaire 2000, 961–1007.

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manassar III. im Jahr 833/2 zerstört wurde. Die Verlagerung an das andere Flussufer zeigt eine neue strategische Ausrichtung: Man nahm eher eine Bedrohung aus dem Norden (Muški) als aus dem Osten (Sam’al und Assyrien) wahr. Wie es in der Inschrift heißt, sollte die Burg ein Schutz für die Ebene von Adana sein.294 Azatiwata war Regent, aber kein König von Que. Er rühmt seine Leistungen in Innenund Außenpolitik, in der Wirtschaft und streicht seine kultischen Funktionen hervor. Er nennt sich an keiner Stelle ›König‹, obwohl er offensichtlich königliche Funktionen und Kompetenzen besaß. Als seinen König nennt er Urikki.295 Sein Aktionsbereich umfasste kein beschränktes Fürstentum, sondern das ganze Land. Azatiwata spricht von einer ›Förderung‹ durch König Urikki und zeigt eine tiefe und aktive Loyalität gegenüber der Dynastie.296 Eine solche Stellung ist m.E. nur erklärbar, wenn man in ihm einen Herrscher sieht, der nach dem Tod seines Herrn (das wäre hier Urikki) das Land als Regent verwaltete, da kein mündiger Nachfolger vorhanden war.297 Auffallend ist, dass in den Inschriften kein einziges Mal Assyrien erwähnt ist. Offensichtlich war Que zu dieser Zeit zwar Vasall, denn Urikki ist als Tributträger vermerkt, doch weitgehend autonom. Wenn Azatiwata nach dem Tod des Urikki als Regent über das Land herrschte, wäre der Beginn seiner Regierung nach dem letzten Beleg des Urikki unter Tiglath-pilesar III. anzusetzen, also 732. Zwischen diesem Jahr und 710, in dem Que offensichtlich assyrische Provinz war, könnte seine Alleinherrschaft angesetzt werden. Der Name des Königs Awarikus (spätluw.) auf der Inschrift entspricht dem assyrischen Urikki. Er erscheint auch auf der Çineköy-Inschrift. Darin preist er seine Taten und bezeichnet sich mit dem Patronym als Nachfahre des Muksas und als Diener des Gottes Tarhunza sowie als »Mann des Sonnengottes«.298 Viele Formulierungen dieser Inschrift gleichen denen aus der Inschrift des Azatiwata.299 Die Zeilen, in denen er eine ›Vereinigung‹ von Assyrien und Que feiert, sind von besonderer Bedeutung.300 Wenn die ÇineköyInschrift etwas jünger ist als diejenigen aus Karatepe, ergibt sich folgendes Bild: Sie wurde nach dem Tod oder der Abdankung des Azatiwata verfasst. Die Macht wurde wieder von einem Urikki aus der alten Dynastie des Muksus ausgeübt. Die Inschriften von Karatepe spiegeln dagegen eine Situation wider, in welcher Que noch autonom war. Die politische Situation stellt sich zur Zeit der Çineköy-Inschrift als eine völlig andere dar, weil eine Einheit von Que und Assyrien darin verkündet wird. Hat Warikas (Urikki) sein Land freiwillig den Assyrern überlassen, um sein Königtum in einem Restreich zu bewahren? Oder spielt er auf einen neuen Vasallenvertrag an, ohne dass sich seine Position wesentlich änderte? Diese Inschrift signalisiert auf jeden Fall eine neue Etappe in der Geschichte von Que auf dem Weg zur assyrischen Provinz. 294 295 296 297 298 299 300

KAI 26 II 1–10 und 14. Hawkins 1979, 143–154. Er kann daher kein Usurpator gewesen sein, wie Bron 1979, 161–163 vermutet. Damit könnte er mit Iariris aus Karkemiš verglichen werden: CHLI I, II 22 KARMAMIŠ A 6 §§2,20; §§7–8. Çineköy §1. Ausführlich herausgearbeitet von Lanfranchi 2007, 179–217. »Also wurde ein assyrischer König und das ganze assyrische Haus mir Vater und Mutter, und Hiyawa und Assyrien sind zu einem einzigen Haus verschmolzen«: Çineköy §§6 und 7.

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Eine phönikische (tyrenische) Präsenz ist nur an der Küste von Que auszumachen, was durch Keramik und Münzen belegt ist. Die phönikischen Inschriften auf der Akropolis waren daher nicht an einen phönikischen Bevölkerungsteil gerichtet, sondern eher an hohe phönikische Partner, die vermutlich häufige Gäste des Azatiwata waren. Denn gerade an diesem Ort zwischen der Bergregion und der Kilikischen Küste muss die Sicherung und der Transport der teuren Metalle aus den Minen Gegenstand von Verhandlungen mit den Partnern gewesen sein. Die Inschrift des Azatiwata sollte wohl beweisen, dass er die besten Rahmenbedingungen für den internationalen Handel mit den Phönikern geschaffen hatte: Ruhe und Wohlstand im Inneren des Landes und sichere Grenzen zu den Nachbarstaaten. Die Bilinguen zeigen also auch eine enge Verbindung zwischen Que und Tyros und damit die große Bedeutung der Tyrener für Que wie auch umgekehrt. Diese intensive Beziehung könnte von Azatiwata geschaffen oder zumindest stark gefördert worden sein, da frühere Bilinguen in Kilikien bislang unbekannt sind. Das Phönikische wurde in Südostanatolien allgemein intensiv als Verkehrssprache benutzt.301 Vermutlich erhoben sich nach dem Tod Sargons II. im Jahr 705 auch in Que Aufstände, durch die sich das Land zeitweilig von der assyrischen Herrschaft befreien konnte. Eine solche Rebellion begann Kirua, der Herrscher von Illubru in Hilakku in den ersten Regierungsjahren des Sennacherib (vor 696). Seine Stellung ist nicht ganz eindeutig: Der assyrische Text bezeichnet ihn als hazânu (Oberaufseher) von Illubru in Hilakku und als Untertan des assyrischen Königs.302 Es bleibt unsicher, ob er als autonomer König einen Teil von Hilakku regierte oder de iure assyrischer Vasall war. Die Stadt Illubru kann bislang nicht mit Sicherheit lokalisiert werden, doch sie dürfte in der Gegend um die Kilikische Pforte gelegen haben. Der assyrische Text spricht von einem »schwierigen Gebirgsgelände«.303 Die Brisanz dieses Aufstandes lag darin, dass Kirua Verbündete in der assyrischen Provinz Que fand: Die Hilakku nahe gelegenen Hafenstädte Ingira (Mersin) und Tarsos schlossen sich ihm an. Damit blockierten diese Alliierten den Pass durch die Kilikische Pforte und den Transitweg von Nordsyrien über Que nach Zentralanatolien.304 Alle drei Städte nahm Sennacherib im Jahr 696 ein und deportierte Teile der Einwohner von Illubru und anderer Städte Hilakkus. Ob die in Gözlükule (Tarsos) festgestellten Zerstörungsspuren auf diesen Feldzug zurückzuführen sind, ist nicht sicher.305 In den folgenden Jahren sind keine Unruhen in Que bekannt, wohl aber in den westlichen und nördlichen Nachbargebieten.306 Zu ihrer Befriedung diente Que als militärische Basis. Aber im Jahr 679 erhob sich Sanduari, König von Kundi und Sissu,307 der vier Jahre später (676) gefangen genommen und hingerichtet wurde.308 Kundi und Sissu lagen wahrscheinlich in Kilikien, sie können jedoch bisher nicht sicher lokalisiert werden. Sanduari 301 302 303 304 305 306 307 308

Vor einigen Jahren wurde bei den Ausgrabungen in Kinet Höyük eine weitere Inschrift gefunden, wie mir Frau Marie-Henriette Gates freundlicherweise mitteilte. Luckenbill, Sennacherib 61 (BM 103 000 IV 62–63). BM 103 000 IV 74. BM 103 000 IV 66–70. Dalley 1999, 73–89. Borger 1956, S. 51 A III 47–55. ARAB II, 513; zu den Lokalisierungsversuchen von Kundi (=klass. Kyinda=Anazarbos) und Sissu (=byz. Sision beim h. Kozan) vgl. Casabonne 2004, 186f. Vgl. Teil I 3.

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soll mit dem damaligen sidonischen König Abdi-milkuttii verbündet gewesen sein.309 Der assyrische Stadthalter von Que hatte also, da offensichtlich autonome Könige in Kilikien herrschten, nicht die Kontrolle über das gesamte Gebiet, für welches die Bezeichnung Que benutzt wurde, sondern nur über einen Teil des früheren Staates. In der Regierungszeit des Esarhaddon wie auch in der seines Nachfolgers Aššurbanipal griffen die Kimmerier Ostanatolien an und wurden zu einer ernsten Gefahr für die Provinzen Hilakku und Que. Die Datierung eines Feldzuges Esarhaddons gegen den kimmerischen König Teuspa ist wegen der schwierigen Quellenlage nicht ganz sicher, doch er lag auf jeden Fall vor 676.310 Durch diesen Feldzug konnten die Kimmerier weder besiegt, noch wenigstens aus den Grenzgebieten des Assyrischen Reiches vertrieben werden. Que kann von diesen Ereignissen nicht unberührt geblieben sein. Aus den assyrischen Quellen geht hervor, dass man in den 70er Jahren des 7. Jh. fürchtete, dass die Kimmerier zusammen mit den Muški die Provinzen Que, Tabal oder Melid abtrünnig machen könnten.311 Erst ab 668 wandten sich die Kimmerier vom Osten Kleinasiens ab und zogen in westliche Richtung nach Phrygien, Lydien und zu den griechischen Küstenstädten. Wahrscheinlich löste sich Kilikien schon während der letzten Regierungsjahre des Aššurbanipal von Assyrien, und auf dem Territorium der ehemaligen Provinz bildeten sich mehrere lokale Königtümer. Die Geschichte von Que unter babylonischer Herrschaft ist recht dunkel.312 Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Babylonier zu Beginn ihrer Herrschaft unter Nabopolassar und Nabukadnezar, als sie die Ägypter aus Syrien vertrieben, auch fern im Westen gekämpft haben. Ob ganz Que aber überhaupt jemals fest unter babylonischer Herrschaft stand, ist aus vielen Gründen zu bezweifeln. Doch die Babylonier hielten zumindest die Fernstraßen durch Kilikien und die Pässe unter ihrer Kontrolle. Einen indirekten Hinweis darauf gibt eine babylonische Quelle aus der Zeit Nabukadnezars II., nach der sich im Jahr 592 Gefangene aus Pirindu, wie die Babylonier Hilakku nannten, in Babylon befanden.313 Daraus wird geschlossen, dass im Jahr davor ein Feldzug gegen dieses Land stattgefunden hat.314 Ein weiteres Dokument aus der Zeit desselben Königs oder schon aus der des Nabonid spricht von »Eroberungen von Ägypten bis Hume«, also bis Que. Aus dieser Zeit ist in Hume aber ein Dynast mit dem Namen Syennesis bekannt, der zwischen den Medern und Lydern vermittelte.315 Neriglissar (559–556) musste in seinem dritten Regierungsjahr (557) gegen einen Appuaštu, König von Pirindu, ausrücken, der einen Einfall nach Syrien geplant hat.316 Pirindu ist ein luwischer Name, der auch in hethitischen Quellen belegt ist.317 Neriglissar besiegte dessen Armee, konnte Appuaštu allerdings nicht gefangen nehmen, da er sich in seine ›Königsstadt‹ Ura flüchtete. Sie wurde eingenommen, doch Appuaštu entkam wieder. Einmal in diesem Gebiet, griff Neriglissar auf Schiffen die Insel Pitusu an, wo er 309 310 311 312 313 314 315 316 317

Vgl. Teil I 5.4.1. Ivanchik 1993, 58–61. Orakelfrage des Esarhaddon: Starr 1990, 4, Nr. 1; vgl. auch Teil I 3. Vgl. Teil I 4. VAT 16283 R II 2–3. Desideri, Jasink 1990, 168. Hdt. 1,74. Babyl. Chron. 6,1–3. Del Monte, Tischler 1978, 322f.: Puranta in zahlreichen Quellen, wo es »in der Richtung von Arzawa« gelegen haben muss. Wohl kaum das griech. Pyramos (h. Gültepe).

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6.000 Soldaten besiegt und ihre Stadt erobert haben soll. Der Grund für diesen Angriff wird nicht angegeben.318 Danach rückte er noch weiter in den Westen vor: »vom Pass von Sallune bis zu den Grenzen Lydiens«. Sallune wird allgemein mit dem griech. Selinous nördlich des heutigen Gazipaşa identifiziert.319 Wenn dies stimmt, fuhr das babylonische Heer oder ein Teil davon mit Schiffen weiter. Diese Chronik gibt einen sehr interessanten Einblick in die Situation Südostanatoliens nach 600. Nach dem Fall der assyrischen Macht und der Auflösung ihrer Provinzstrukturen wurde sofort eine einheimische Organisation geschaffen, die bereit war, ihre neue Unabhängigkeit zu verteidigen. Zweifellos haben bei diesem Feldzug wirtschaftliche Erwägungen eine entscheidende Rolle gespielt: Die Metalle aus dem Taurus und die Kontrolle der Straßen und Pässe dorthin müssen für die babylonischen Könige von größter Bedeutung gewesen sein, vor allem, wenn man die gewaltigen Bauprogramme in Babylon berücksichtigt. Das südöstliche Anatolien beschäftigte auch Nabonid (556–539), den letzten König des Neubabylonischen Reiches.320 In seinem ersten Regierungsjahr zog er nach Hume, wobei wegen des stark beschädigten Textes der Grund dafür unbekannt bleibt.321 In den Eintragungen für das dritte Jahr ist der Name ›Amanus‹ zu lesen, was wohl bedeutet, dass er wieder nach Hume einrückte. Die Stadt Tarsos (Gözlükule), die direkt an der Straße zur Kilikischen Pforte liegt, war von besonderer Bedeutung. Sie gehörte zum internationalen Seeroutennetz, das die kleinasiatischen Küsten, Zypern, die Ägäis, die Levante und Ägypten verband, und seit dem 7. Jh. auch zunehmend von Griechen benutzt wurde. In Südostkleinasien war Tarsos der größte und bedeutendste Hafen für den Schifftransport der Metalle aus dem Taurus. Ab der Mitte des 9. Jh. verzeichnete Tarsos einen deutlichen Aufschwung. Die wachsenden Verbindungen mit dem Ausland zeigen sich an verstärkt auftretenden Importen aus Zypern, Phönikien und Griechenland, wobei der Prozentsatz der griechischen Keramik allerdings nur gering ist.322 Erst ab ca. 700 nahm die griechische Keramik etwas zu. Hetty Goldman bringt diesen Befund mit »griechischen Kolonien in Nagidos, Soloi und Mallos« in Verbindung.323 Dennoch weist sie selbst darauf hin, dass die griechische Keramik nur einen sehr geringen Teil der gesamten Importe ausmache und eigentlich in keiner Weise für eine griechische Kolonisierung von Tarsos herhalten könne. Die Zeit von 700 bis 600, die Goldman als assyrische Periode bezeichnet,324 zeigt außer vermehrten Funden aus Assyrien keine wesentlichen Änderungen, was bedeutet, dass auch unter assyrischer Herrschaft die kommerzielle Bedeutung von Tarsos bestehen blieb. Hier wurde etwas ausführlicher auf die Geschichte von Que vom 8. bis 6. Jh. eingegangen, weil sie in der Historiographie oft mit der griechischen Geschichte verknüpft wird. 318

319 320 321 322 323 324

Pityusa wird im Allgemeinen westlich von Silifke lokalisiert. Der Name ist kaum griechisch (vgl. Desideri, Jasink 1990, 18), sondern eher luwisch, vgl. den Ortsnamen KUR URU Pitasa in zahlreichen hethitischen Quellen (del Monte, Tischler 1978, 318f.). Auch hier ist es allerdings sachlich sehr gewagt, und linguistisch anfechtbar, in Sallune die babylonische Wiedergabe des griechischen Namens anzunehmen (vgl. Desideri, Jasink 1990, 18). Beaulieu 1989. Babyl. Chron. 7, I 7. Tarsos III, 111. Goldman 1963, 111; die Frage, ob diese kleinen Siedlungen tatsächlich griechische Kolonien waren, fällt allerdings aus dem Zeitrahmen der Untersuchung. Goldman 1963, 130f.

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Verführerisch und oft fehlleitend sind Schlussfolgerungen, die allein aufgrund von Eigennamen gezogen werden, besonders dann, wenn andere Quellen fehlen oder unzureichend sind.325 Das ist auch hier der Fall. Das gilt an erster Stelle für die verschiedenen Bezeichnungen des Landes. Während in den assyrischen Quellen die Formen Qauwe/Quwe/Quwa/Que als Bezeichnung Kilikiens benutzt wurden,326 kennen die phönikischen Inschriften den Namen ’dn, dnnym (< *danunijim,327 Ethnikon). Der Ortsname Danuna, welchen Phöniker und Ägypter in ihr onomastisches Lexikon aufgenommen hatten, stammt ursprünglich von der Bezeichnung für die Ebene von Adana.328 Die Babylonier nannten dieses Land Hume < *Khuwe. In den spätluwischen Inschriften findet man die Namen Adanaua (< Adanawana), Adana und Hiyawa (Çineköy), das ein Hapax ist. Mit diesem letzteren Namen ist man, geht man von einem gewissen Gleichklang aus, unweigerlich bei dem alten Ahhijawa der hethitischen Quellen. Allerdings können die Erwähnungen von Ahhijawa aus der späten Bronzezeit sich in keinem Fall auf Kilikien beziehen. Die Wahl eines Namens auf einer offiziellen Inschrift ist sicher nichts Zufälliges. Adanana und Hiyawa können durchaus verschiedene Konnotationen besessen haben. Das spätluwische ›Hijawa‹ wurde im phönikischen Text mit dem üblichen Landesnamen Danuna ›übersetzt‹; es gab also keinen relevanten semantischen Unterschied zwischen den beiden Toponymen. Möglicherweise hat Urikki einen archaisierenden Namen gewählt, um den feierlichen Ton der Inschrift zu verstärken. Eine schwache Präsenz von Griechen ist bis zum 6. Jh. aufgrund der relativ geringen Keramik und des Fehlens weiterer Indizien nicht auszumachen.329 Dieser Befund widerspricht der Behauptung, das Land sei schon früh (spätestens seit dem 8. Jh.) von Griechen kolonisiert worden. Das wohl wichtigste Argument dafür ist der Eigenname Mopsos aus der griechischen Mythologie.330 Dieser Name ist auf den beiden Bilinguen im phönikischen Text zu lesen. Schon bei der Entdeckung dieser Inschriften konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der Historiker darauf und führte zu teilweise gewagten Hypothesen und Schlussfolgerungen, zu welchen man noch weitere Eigennamen aus Que hinzuzog. Mopsos ist die phönikische Version des luwischen Personennamens Muksas, der Name der Dynastie von Que, zu der auch der König bzw. die Könige mit dem Namen Urikki gehörten. Die dreimalige Nennung der Dynastie von Adana in der Inschrift von Karatepe als »Haus des Muksas/MPŠ« zeigt, dass es sich um die legale dynastische Linie des Königreichs handelt, dessen Gründer diesen Namen trug. Die spätluwische Version lautet Mu-k(a)-sa-sa (adjektivischer Genitiv) hat also nichts mit dem griechischen Mopsos zu tun. Nur die phönikische Namensform entspricht ihm lautlich. Der Namenstamm erscheint wieder in dem (griechischen) Ortsnamen Mopsuhestia und (in seiner luwischen Form) im Namen der Stadt Muksupolis im südlichen Phrygien.331 Dennoch gilt der Name MPŠ als Beweis dafür, dass die Mythen über den 325 326 327 328 329 330 331

Dazu allgemein: Steiner 2011, 265–291; vgl. hier auch Teil II 4. Zum ägyptischen Namen vgl. Casabonne, De Vos 2005, 91–93. Zu den luwischen Bezeichnungen s.u. Bron 1979, 170. vgl. KAI S. 39. Zu den phönikischen Motiven und Stilmustern in Karatepe vgl. Winter 1975, 69. Z.B. Barnett 1953, 140–143 u.a.; der Name war übrigens in Anatolien recht häufig, vgl. Bron 1979, 175. Vgl. zum Namen auch Bron 1979, 172–176, der auch völlig richtig bemerkt, dass man die Tatsache einer Kolonisation nicht einem Eigennamen entnehmen kann (176).

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griechischen Mopsos historischen Ereignissen entsprechen und die Geschichte der griechischen Kolonisation Kilikiens zu dieser Zeit wahr ist. Doch eine Analyse der griechischen Mopsosmythen zeigt deutlich, dass sie nicht aus Kilikien stammen. Die Gestalt des Mopsos, des Sohns der Manto und des Rhakios, ist in erster Linie mit der Gründungssage des kleinasiatischen Kolophon und der Orakelstätte von Klaros, also mit dem Thebanischen Sagenkreis verbunden: Manto, die Tochter des bekannten Sehers Teiresias, soll von den Nachkommen der Sieben Heroen von Theben dem Apollon in Delphi geweiht worden sein. Das Orakel habe sie daraufhin mit anderen Thebanern nach Kleinasien zur Gründung einer Kolonie geschickt. Ihr Sohn Mopsos sicherte die Kolonisation, nachdem er die einheimischen Karer verjagt hatte.332 Daneben existierte der Mythenzyklus der Melampodie.333 Darin ist der Seherstreit zwischen Kalchas und Mopsos bei Kolophon geschildert, in welchem Mopsos siegte. In den folgenden Epochen wurde der Zyklus benutzt, um die Kolonisationsgeschichte in Kleinasien zu erweitern.334 Man hat es hier mit einer Sagenkontamination zu tun, die geschaffen wurde, um Kolonien eine Vergangenheit zu geben, die fast bis in die Zeit der thebanischen Heroen reichen sollte. Die mythologische Figur des Mopsos wurde weiterhin in den Überlieferungen sehr frei und in ganz verschiedenen Kontexten eingesetzt: Er taucht z.B. als einer der Argonauten auf,335 als Sohn des Ampys und Enkel des Ares aus Dodona,336 der auf einer Reise nach Libyen an einem Schlangenbiss gestorben sein soll. Alle diese Mythen zeigen, dass die Dynastie von Que nicht ihr Ausgangspunkt gewesen sein kann. Und noch weniger vermag der Name selbst den Beweis dafür liefern, dass die kilikische Dynastie ursprünglich eine griechische gewesen ist. Im Gegenteil, die spätluwische Namenform Muksa zeigt deutlich, dass sie nicht mit dem griechischen Namen Mopsos identisch ist und auch nicht von ihm abgeleitet sein kann. Als Gründer des Königreichs von Danuna ist also nach den Inschriften von Que ein Mukasa (phönik. MPŠ) anzusetzen, der spätestens im 9. Jh. lebte. Ob König Kate, mit dem Salmanassar III. in den Jahren 839 bis 831 mehrmals zu kämpfen hatte und sein Bruder Kirru auch zu ihr gehörten, ist unbekannt. 5.2 Die nordsyrischen Länder Nordsyrien umfasst die Länder zwischen dem Amanus-Gebirge und dem Bogen der Malatya Dağleri im Nordwesten und Norden, dem oberen Euphrat bis einschließlich Karkemiš im Osten und den Ländern Bit-Agusi, Patin und Hamat bis zum Mittelmeer im Süden und Südwesten. Hamat, das geographisch genau zwischen Nord- und Südsyrien liegt, wird hier wegen seiner spezifischen Kultur zu den nordsyrischen gestellt.337 332 333 334

335 336 337

Strab. 14,5,16: Mopsos als Sohn des Apollon und der Manto. Proklos, Chrest. Nostoi; Bibl. Epit. 6,2–4; Hesiod und Pherekydes bei Strab. 14,1,27, zusammengestellt bei Prinz 1979, Test. 6–8; die Analyse dazu: 23–28. Philostephanos von Kyrene (FHG 3, 29,1 gegen Aristainetos, FGrH 771, 1), der in seiner Gründungsgeschichte von Phaselis nichts von Mopsos weiß. Eine eingehende Analyse dieser Version bei Prinz 1979, 28–31; vgl. auch Strab. 13,5,17. Pind. P. 189–192. Hes. Scut. 181. Allerdings war hier der aramäische Bevölkerungsanteil offensichtlich groß, und seine letzten Herrscher waren Aramäer. Insofern steht Hamat tatsächlich zwischen dem spätluwischen Norden und dem vorwiegend aramäischen Süden und den jüdischen und philistinischen Gebieten; vgl. Teil I 5.2.4.

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Der aramäische Staat Bit-Adini, dessen Dynastie wahrscheinlich bis in das 10. Jh. zurückging, lag an beiden Ufern des Euphrat.338 Seine Hauptstadt war Til Barsip (Tell Ahmar) am östlichen Euphratufer.339 Im Jahr 856 wurde Til Barsip von den Assyrern eingenommen340 und Salmanassar III. machte sie zu einer starken Festung mit dem Namen KarSalmanassar, die als assyrische Basis und Ausgangspunkt für künftige Interventionen in den Westen dienen sollte. Kar-Salmanassar wurde außerdem zum wichtigsten Verwaltungs- und Kontrollpunkt für ganz Nordsyrien und Residenzstadt seines Statthalters. Einige Territorien des ehemaligen Bit-Adini fielen damals an die Staaten Arpad und Hamat. Den assyrischen Annalen zufolge war das Land dicht besiedelt und gut urbanisiert: Elf städtische Siedlungen und 200 Dörfer werden erwähnt. Viele dieser Siedlungen im Euphratgebiet waren Neugründungen der frühen Eisenzeit. Die Tribute, welche schon Aššurnasirpal II. aus Bit-Adini erhalten hatte, sind außerordentlich hoch und zeigen, dass Til Barsip von der Fernroute nach und von Mesopotamien profitierte: Silber, Gold, Zinn, Bronzekessel, Elfenbeinkästen, Elfenbeinliegen, Elfenbeinthrone, mit Silber und Gold geschmückt, goldene Armreife, goldene Halsketten, ein goldener Dolch, Rinder, Schafe und Wein, vor allem also Importwaren, die im Palast von Til Barsip thesauriert worden waren. Kummuh,341 das spätere Kommagene in der Antike, deckt sich in etwa mit dem heutigen Bezirk von Adıyaman in der Türkei. Es grenzte im Südosten an den Euphrat, im Norden an Melid, im Westen und Südwesten an Gurgum und im Süden wahrscheinlich an Karkemiš. Sargon bezeichnete Kummuh als Hatti und die dort gefundenen spätluwischen Inschriften bestätigen, dass Kummuh zum spätluwischen Kulturgebiet gehörte.342 Gurgum343=Maraş lag nordwestlich von Karkemiš, östlich von Kummuh, nordöstlich von Melid und Que und südlich von Sam’al um den Kurd Dağ. Seine Hauptstadt war Marqasi, die in spätluwischen Inschriften Kurkuma genannt wurde (der bronzezeitliche Name).344 Am linken Ufer des Ceyhan gelegen, mit der Kontrolle über die Straßen zwischen der ʿAmuq-Ebene und Melid sowie über die Route von Karkemiš nach Anatolien, nahm es eine wichtige strategische Position ein. Melid,345 beim heutigen Malatya gelegen, gehörte zur nördlichsten Peripherie von Karkemiš. Im Osten grenzte es an den dort noch schiffbaren Euphrat, im Süden an Gurgum und Kummuh, im Westen an die Gebirgskette des Taurus und im Norden an die Ebene von Elbistan mit einer gemeinsamen Grenze mit Tabal und nicht weit entfernt vom Territorium der Muški. Von hier aus hatte man Zugang zu Erğani Maden, den größten Kupferminen des Vorderen Orients, sowie zu Eisenerz- und Goldbergwerken. Durch den Rohstoffmarkt und die natürlichen Trassen war Melid zum Süden hin orientiert. Das eisenzeitliche Königshaus von Melid war mit der Dynastie von Karkemiš verwandt, die es gegen 1159 gründete.346 Aus Melid sind viele Orthostaten und spätluwischen Inschriften erhalten, von de338 339 340 341 342 343 344 345 346

Die Quellen zu Bit-Adini bei Sader 1987, 47–81. Sader 1987, 97. RIMA 3 A.0.102.2, II, 30–35; Thureau-Dangin, Dunand 1936; Bunnens 1990. RlA 6, 1983, 338–340; Jasink 1995, 44–52. Die Inschriften von Kummuh im CHLI I/2, 330–360. Jasing 1995, 68–77. Die Inschriften von Gurgum im CHLI I/2, 249–281. Hawkins, in: RlA 8, 36–41. CHLI I/2 S. 88.

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nen sich einige direkt an die späte Bronzezeit anschließen,347 was zeigt, dass dort, wo sich staatliche Strukturen erhalten konnten, die Praxis der Aufstellung solcher Inschriften nicht abbrach. Während der urartäisch-assyrischen Kämpfe schloss Melid sich mehrmals Urartu an. Ende des 8. Jh. wurde es wie seine Nachbarstaaten Kummuh und Gurgum als Provinz in das Assyrische Reich eingegliedert. Sam’al/Y’DY (Ja’udi)348 mit der gleichnamigen Hauptstadt (h. Zincirli)349 lag östlich des Amanuspasses (h. Bahçe) in einer weiten Ebene. Sam’al ist der frühste aramäische Staat, der uns aus eigenen schriftlichen Quellen bekannt ist.350 Sein Territorium grenzte im Westen an das Land Que und im Süden an Patin/Unqi oder Bit-Agusi (Arpad).351 Im Norden befand sich Gurgum und im Osten das Territorium von Karkemiš oder von einem anderen uns unbekannten kleineren Staat mit dem Zentrum Sakçegözü.352 Das Land ist außerordentlich wasserreich und fruchtbar. Es lag an wichtigen Fernstraßen über die ʿAmuq-Ebene zum Mittelmeer, nach Malatya im Norden und zum Euphrat. Dieses Gebiet kann wegen seiner geographischen Lage weit im Binnenland ebenfalls nicht zu den vermuteten Kontaktorten zwischen den Griechen und dem Osten gerechnet werden. Aber durch seine äußerst interessanten Inschriften, durch welche man einen gewissen Einblick in seine Beziehungen zu den Nachbarländern und in das politische, soziale und wirtschaftliche Leben erhält, liefert Sam’al einige aufschlussreiche Kenntnisse über das Leben und Funktionieren eines nordsyrischen aramäischen Staates mit spätluwischen Kulturtraditionen. Den in Sam’al gefundenen Skulpturen, Orthostaten und der Ausführung der Inschriften zufolge scheint die frühe Oberschicht vor der aramäischen Staatsgründung Ende des 10. Jh. spätluwisch gewesen zu sein.353 Die Aramäer haben hier besonders früh eine spätluwische Dynastie abgelöst.354 Die zahlreichen Inschriften geben die Möglichkeit, die Königsfolge und sogar seine Geschichte recht gut zu rekonstruieren.355 Sam’al war eine sichere und zuverlässige Basis für assyrische Feldzüge gegen Que und Hilakku. Von einem Konflikt mit Que berichtet König Kilamuwa von Sam’al in einer seiner Inschriften: Er habe den assyrischen König (Salmanassar III.) »angeworben«, um mit ihm Que zu bekämpfen. Der assyrische König tat dies auf einem seiner Feldzüge gegen Que (839, 834 oder 833).356 Sam’al wurde wahrscheinlich zusammen mit Que unter der Herrschaft Salmanassars V. 347 348 349 350 351 352

353 354

355 356

CHLI I, MALATYA 1 (S. 288–296). Tropper 1993, 7f. Wartke 2005. Zu den Ausgrabungen: von Luschan 1893–1911. Vgl. Teil I 5.2.2. Die historische Geographie ist in diesem Gebiet weitgehend unbekannt. Sakçegözü könnte allerdings auch eine Grenzfestung von Sam’al gewesen sein, wenn man die Topographie des Gebietes berücksichtigt. Eine spätluwische Inschrift konnte bislang auf dem Gebiet von Sam’al gefunden werden: Meriggi 1975, 219–211, Nr. 287. Tropper 1993, 10 vermutet, dass der erste aramäische Herrscher Gabbar Gründer des Staates gewesen ist. Tatsächlich lässt sich keine spätluwische Dynastie nachweisen, aber eine solche wäre im historischen Kontext des 10. Jh. in diesem Gebiet sehr wahrscheinlich. Außerdem trugen mehrere Könige der aramäischen Dynastie luwische Namen, was auf eine Rezeption der Ideologie einer Vorgängerdynastie weisen könnte. Tropper 1993, Kap. 12. Tropper 1993, 51–27; 46: K15–8.

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(727–722) zu einer assyrischen Provinz.357 Aus der Regierungszeit Sargons II. ist ein assyrischer Statthalter belegt.358 Karkemiš war der bedeutendste spätluwische Staat in Syrien.359 Schon gegen Ende der hethitischen Herrschaft scheint der Vizekönig Talmi-Teššub (luw. Ura-Tarhunzas) aus dem dynastischen Haus in Hattuša souverän über seinen Verwaltungsbereich regiert zu haben. Nach dem Fall des hethitischen Großreichs machte sich diese Linie selbständig und baute ihren Einfluss in Syrien weiter aus. Die wirtschaftspolitische Lage der Stadt bedingte ihren Reichtum.360 Denn sie befand sich auf dem Westufer des mittleren Euphrat an einem der wichtigsten Knotenpunkte des vorderasiatischen Handelsnetzes361 am Endpunkt der nordsyrischen Handelswege. Daher ist die starke kulturelle Ausstrahlung der spätluwischen Kunst aus Karkemiš nicht nur durch politischen, sondern auch durch wirtschaftlichen Einfluss zu erklären.362 Ihre strategische Bedeutung am oberen Euphrat machte Karkemiš früh zum Angriffsziel der Assyrer. Schon Tiglath-pilesar I. (1114–1076) griff sie auf seinem Weg nach Westen an. Im Prozess der assyrischen Expansion in den Westen nahm Karkemiš eine Schlüsselstellung ein, und ihre Könige zahlten lange Zeit freiwillig Tribut und leisteten die geforderte logistische Hilfe bei Feldzügen, um so Land, Bevölkerung und Thron zu erhalten. Als das Land 717 zu einer assyrischen Provinz wurde, war dies wohl ein schon länger geplanter Schritt Sargons II. In Karkemiš hatten bis 717 vier Dynastien regiert.363 Danach wurde es zerstört.364 5.2.1 Bit-Agusi/Arpad Bit-Agusi, nach seiner Hauptstadt auch Arpad genannt, lag zwischen Bit-Adini, Karkemiš, Patin und Hamat,365 also im Gebiet zwischen dem rechten Euphratufer und den Staaten am Orontes. Seine Hauptstadt war spätestens seit Ende des 9. Jh. Arpad (h. Tell Rifa’at)366 in einer weiten, fruchtbaren und wasserreichen Ebene, etwa 35km nördlich von Aleppo.367 Unter den Bedingungen der fortschreitenden assyrischen Expansion wie auch in Folge mehrerer Kriege zwischen den syrischen Staaten verschoben sich seine Grenzen oftmals erheblich. Bit-Agusi existierte etwa 150 Jahre lang (von ca. 890 bis 740). Archäologische Grabun357 358 359 360 361 362

363 364 365 366 367

Vgl. Teil I 3. Prisma K.1672, Kol. I 3ʹ–4ʹ. Die Inschriften in CHLI I/2, 593–639. Vgl. zum Handel Teil IV 1.2.3. Heute verläuft die türkisch-syrische Grenze direkt durch die Ausgrabungsstätte. Karkemiš eine überregionale Rolle in der Wirtschaft und Politik Nordsyriens abzusprechen, mutet daher seltsam an (Novák 1999, 70, 178 mit Literatur): Innerhalb der spätluwischen Staaten hatte Karkemiš zwar politische Konkurrenten, aber seine Position an der Euphratfurt und seine wirtschaftliche Kraft machten sie zumindest zu einem wichtigen Faktor an der Nahtstelle zwischen Nordsyrien und Mesopotamien. Bis etwa 970 die des Ura-Tarhunza, von etwa 970 bis ca. 870 das »Haus von Suhi« und das »Haus von Astiruwas«, ca. 870 bis 717. ARAB 2 §54–56 u.a.; zur Bedeutung der babylonischen Expansion in den Westen vgl. Teil I 2 und I 4. Vgl. Sader 1987, 99–136. Sie scheint in der ersten Hälfte des 9. Jh. keine bedeutende Rolle gespielt zu haben, da sie erst in assyrischen Texten nach Salmanassar III. erscheint, vgl. Dion 1997, 115. Zur Entwicklung des Territoriums vgl. Lipińsky 2000, 199–211.

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gen fanden von 1961 bis 1964 statt, doch deren Resultate wurden nur in zwei vorläufigen Berichten zusammengestellt.368 Die ersten Belege über dieses Land datieren aus der Zeit Aššurnasirpals II., der gegen 866 von Karkemiš aus zum Land Patin zog. In dessen Hauptstadt Kunalua, wo er vielleicht sein Winterquartier aufschlug,369 erhielt er auch Tribute von einem König Gusi von Jahan.370 Gusi ist somit einer der wenigen bekannten historischen aramäischen Staatsgründer. Dieser gab dem neuen Reich nach aramäischer Art seinen eigenen Namen: ›Haus des Gusi‹ – Bit-Agusi. Wahrscheinlich existierten in der ersten Hälfte des 9. Jh. noch zwei aramäische Staaten unter verschiedenen Herrschern, nämlich Jahan und Bit-Agusi.371 849 und 848 stellte König Adrame die Tributzahlungen ein, worauf Salmanassar III. mehrere Städte des Landes eroberte und im Jahr 833 Muru »zu seiner eigenen Stadt« machte, die als Außenposten und vor allem Speicherlager für künftige militärische Unternehmungen dienen sollte.372 Bei den assyrischen Angriffen auf Bit-Agusi gingen nordwestliche Gebiete verloren, darunter auch die Stadt Arne, die nach Arpad größte Stadt des Landes.373 Wohl zu dieser Zeit wurde Arpad die neue Hauptstadt. Die Nordgrenze des Staates erweiterte sich in der zweiten Hälfte des 9. Jh. bis zum Gebiet der heutigen türkischsyrischen Grenze.374 Wahrscheinlich zur Zeit Šamši-Adad V. (823–811) vergrößerte König ʿAtaršumki von Bit-Agusi, der den assyrischen Inschriften zufolge als erster den Titel ›König von Arpad‹ annahm,375 seinen Staat in alle Richtungen.376 Adadnerari III. (810–782) bekämpfte ihn 806/5, weil er mit einer Koalition das Land Kummuh angegriffen hatte. Diesem Bündnis gehörten die nordsyrischen Staaten Patin, Gurgum, Sam’al, Melid und Que an. Adadnerari III. unternahm diesen Feldzug wahrscheinlich aufgrund einer Bitte des Königs von Kummuh. Die syrische Allianz erlitt eine Niederlage.377 In dasselbe Jahr datiert auch ein assyrischer Einfall in Patin, das damit wohl für seine Beteiligung an diesem Bündnis bestraft wurde. 796 zog Adadnerari III. abermals nach Syrien, um gegen ein nordsyrisches Bündnis, das sich gegen König Zakkur von Hamat zusammengeschlossen hatte, zu kämpfen: Bit-Agusi, Patin, Gurgum, Sam’al, Melid und Que. Hawkins zufolge ist mit diesem Ereignis die sogenannte Antakya-Stele verbunden,378 nach welcher der Orontes als Grenze zwischen Arpad und Hamat neu festgelegt wurde. Danach sollte die dortige Stadt Nahlasi an der Küste zu Arpad gehören.379 Diese Stele wurde im Namen des Königs Adadnerari III. von Šamši-ilu aufgestellt, der als turtanu 368 369 370

371 372 373 374 375 376 377 378 379

Seton-Williams 1961; 1967. Lipińsky 2000, 196. RIMA 2 A.0.101.1, III 77–78: Gusi des Landes Jahana; Jahan ist ein nomen gentilicum, vielleicht abgeleitet vom Bergnamen Ahanu, Dion 1997, 114. Lipiński (2000, 195) zufolge handelt es sich um einen aramäischen Stammesnamen, der auch in einem westsemitischen Personennamen vorkommt. RIMA 3 A.0.102.1, 69ʹ; 102.2, I 54–II 1. RIMA 3 A.0.102.14, 130–131; vgl. zu dieser Stadt Lipińsky 2000, 202. Matters et al. 1977, 143f. Lipińsky 2000, 199. RIMA 3 A.0.104.3, 11. Dion 1997, 123f. In diese Zeit fällt wahrscheinlich auch die Annexion von Halpa/Aleppo durch Bit-Agusi, das bis dahin zu Patin gehört hatte; vgl. Dion 1996, 120. RIMA 3 A.0.104, 3, die sogenannte Pazarcık-Stele. Hawkins 1993, 400. RIMA 3 A.0.104.2, 6.

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(General) von seiner Residenz Til Barsip am Euphrat aus die syrischen Länder ab 807/6 kontrollierte, oder besser gesagt, regierte. Man fand die Stele an der Straße zwischen dem heutigen Samandağ am Orontesdelta und Antakya. Es ist ungeklärt, ob sie in situ entdeckt wurde oder von einer anderen Stelle dorthin gebracht worden sein könnte. Das letztere vermutet Hawkins: Ihr ursprünglicher Standort könnte bei Ğisr es-Sugur gewesen sein, wo eine Grenze zwischen Arpad und Hamat weitaus wahrscheinlicher sei.380 Tatsächlich macht Ğisr es-Sugur für eine Grenzstele wenig Sinn, wenn man sie wörtlich nimmt: »Sie (d.h. Adadnerari III. und Šamši-ilu) teilten den Fluss Orontes unter ihnen«. Sollte die Grenze also in der Mitte des Flusses gelegen haben? Eine solche Grenzziehung wäre singulär.381 Angesichts der Topographie wäre der Fluss als Grenze unsinnig: Das Orontesdelta wird im Norden und Süden vom Musa Dağı und dem Ğebel al-ʿAqra eingegrenzt, und eine Teilung dieses so beschränkten Raumes zwischen zwei Provinzen ergibt keinen Sinn. Der Text ist wohl so zu verstehen, dass das Orontesdelta mit den Territorien nördlich des Ğebel alʿAqra zu Arpad, das südlich desselben Hamat gehören sollte. Nicht der Orontes, sondern das Gebirge stellt die natürliche Grenze in diesem Raum dar. Das wird indirekt auch durch die spätere persische administrative Einteilung dieses Küstenstreifens bestätig:382 Danach lag Posideion, das heutige Ras el-Bassit südlich des Gebirges an der Grenze zwischen Kilikien und Syrien. Ursprünglich hatte das Orontesdelta sicher zu Patin gehört. Über die Mündung gelangte man im Altertum auf dem Fluss zur Hauptstadt Kunalua/Tell Tayʿinat.383 Jetzt aber war Patin auf ein Kerngebiet reduziert, und sein übriges Territorium zwischen Arpad und Hamat aufgeteilt. Damit hatte Arpad zum ersten Mal einen direkten Zugang zum Mittelmeer. Woher diese assyrische Sympathie für Arpad nach der Niederschlagung der Koalition kam, an der Arpad ja auch teilgenommen hatte, ist allerdings nicht erkennbar.384 Das Ziel Adadneraris III. war wohl weniger Hilfe für Zakkur von Hamat gewesen, als in Syrien eine neue Ordnung herzustellen, welche für die Handelsrouten vom Westen nach Mesopotamien und für andere Interessen der Großmacht notwendig war. Dabei legitimierte er wahrscheinlich lediglich den status quo, der nach dem Krieg zwischen der Koalition und Hamat entstanden war. Im Prinzip wäre es aber auch möglich, dass die Stele erst nach 796 im Rahmen einer ganz anderen politischen Konstellation aufgestellt wurde. Der Eponymenchronik zufolge zog Salmanasser IV. (781–772) im Jahr 773 gegen Damaskus und 772 gegen Hatarikka auf dem Gebiet von Hamat, wobei er wieder Bit-Agusi durchquerte. Aššurdan III. (771–754) erneuerte den Druck auf Hatarikka in den Jahren 765 und 755, und im folgenden Jahr griff er Bit-Agusi und Urartu an. 754 erfolgte den Annalen desselben Königs zufolge erneut eine assyrische Attacke auf Bit-Agusi, über das damals ein neuer König Matiʿ-’ilu, Nachfolger des ʿAttaršumki, regierte. Seinen Namen tragen die sogenannten Sfire-Inschriften.385 Wohl aus dem Jahr 754 datiert ein Vertrag zwischen Assyri380 381 382 383 384 385

Hawkins 1995, 95. Allerdings stellt sich die Frage, warum diese Stele eine so weite Strecke transportiert worden sein soll. Wazana 1996, 56–65. Hdt. 3,91. Nach Strab. 16,2,8 war der Orontes zumindest bis Antiochia schiffbar. Weshalb die Antakya-Stele eher einen Konflikt Assyriens mit Arpad zum Ausdruck bringen könnte, ist nicht nachzuvollziehen; vgl. Sader 1987, 38. KAI 222–224; Lemaire, Durand 1993.

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en und Bit-Agusi.386 Aus demselben Jahr stammt ein Vertrag des Matiʿ-’ilu mit einem Barga’ja, König eines sonst nicht belegten Landes, das in der aramäischen Konsonantenschrift als KTK bezeichnet wird.387 Der Text zeigt deutlich, dass Bit-Agusi Ende des 9. Jh. und in der ersten Hälfte des 8. Jh. eine prominente Stellung in Nordsyrien einnahm. Unter Matiʿ-’ilu kamen die Stadt Halap (Aleppo) und das Gebiet um den See Jabbul zu Arpad.388 Doch dieser rätselhafte Vertrag zeigt deutlich, dass Barga’ja vom König von Bit-Agusi als ranghöher angesehen wurde. Man hat versucht, ihn als einen urartäischen König zu deuten, doch der offensichtlich westsemitische Personenname lässt eine solche Interpretation nicht zu. Auch der Versuch, in Barga’ja einen anderen Namen für den turtanu Šamši-ilu und in KTK einen anderen Namen für Til Barsip zu sehen, ist letztendlich nicht überzeugend.389 Der damaligen historischen Situation entsprechend scheint die Vermutung, Barga’ja könnte der regierende König von Hamat gewesen sein, die annehmbarste.390 Nur kann der Ländername KTK nicht in dieser Richtung erklärt werden. Eine weitere These stammt von Edward Lipińsky, der einen Staat Kittik ansetzt, der sich westlich von Karkemiš befunden haben soll.391 Doch es fehlt jede Spur eines solchen Staates in den Quellen. Die neue Politik Tiglath-pilesars III. (745–727) veränderte auch die politische Lage von Bit-Agusi grundlegend. Wahrscheinlich hatte sich, wie häufig während des Thronwechsels, in Nordsyrien ein neues Bündnis gegen Assyrien gebildet, das Matiʿ-’ilu anführte. Seine Partner waren Gurgum, Melid und Kummuh, und vielleicht Urartu.392 Tiglath-pilesar III. besiegte 743 die verbündeten Heere in Kummuh und verdrängte damit gleichzeitig den urartäischen Einfluss aus Nordsyrien. Nach dreijähriger Belagerung fiel die Hauptstadt Arpad. Jedoch musste der assyrische König 740 nochmals einen Kriegszug gegen dieses Land unternehmen.393 Höchstwahrscheinlich wurde Bit-Agusi damals als Provinz dem Assyrischen Reich einverleibt, wie es zwei Jahre später auch mit dem benachbarten Patin geschah. Damit war Bit-Agusi das erste Land westlich des Euphrat, das zu einem assyrischen Reichsteil wurde. Damit wurde auch der kleine Küstenstreifen an der Orontesmündung zu assyrischem Reichsgebiet. Das Territorium von Arpad ist reich an großen Tells, doch bislang sind nur wenige untersucht: Tell Afis,394 Tell Abu Danné (Dinanu), Halap und Arpad (Tell Rifaʿat).395 Die Bedeutung seiner Hauptstadt zeigt sich schon an seiner Größe von etwa 88ha, nach Karkemiš die zweitgrößte Stadt Nordsyriens. Der Reichtum des Landes muss beträchtlich gewesen sein: Unter Aššurnasirpal II. (883–859) zahlte Bit-Agusi als Tribute »Silber, Zinn, [Eisen, Bronze], Rinder, Schafe und farbige Leinenstoffe«;396 Salmanassar III. erhielt »Gold, Silber, Rinder, Schafe, Wein und ein Bett aus Gold und Silber«,397 im folgenden Jahr »10 Minen 386 387 388 389 390 391 392 393 394 395 396 397

Hawkins 1993, 399. KAI 222–224. Sader 1987, 148. Lemaire, Durant 1984, 37–58. Na’aman 1978/9, 227f.; Hawkins, CHLI 1, 401. Lipińsky 2000, 221–231. Tadmor, Tigl III, Iranstele I B 21ʹ–34ʹ; II B 4ʹ–15ʹ. Tadmor, Tigl III, p. 186, 24ʹ–25ʹ; zur Vernichtung von Arpad vgl. auch 2 Kö 18,34 und Jes 36,19. Mazzoni 1992. Brainwood 1937. RIMA 2 A.0.101.1, III 77b–78 b. Monolith III R. pl. 7, II, 12–13=Rasmussen, pl. V, 12–13 und S. 12f.

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Gold, 6 Talente Silber, 500 Rinder und 500 Schafe«,398 und bei der endgültigen Eroberung schaffte Tiglath-pilesar III. »30 Talente Gold und 2000 Talente Silber« weg.399 Während Vieh und Wein lokale Produkte waren, waren die großen Mengen an Metallen Vorräte des Palastes, die aus dem Fernhandel stammten. 5.2.2 Patin/Unqi Pat(t)in(a)400=aram. ’mq (assyr. Unqi) lag zwischen den südöstlichen Hängen des Amanusgebirges, dem Mittelmeer und dem mittleren Orontestal, wobei wahrscheinlich auch Gebiete nordöstlich desselben, die Afrintäler, zu seinem ursprünglichen Territorium gehörten. Sein Kerngebiet war die ʿAmuq-Ebene. Es grenzte an Hamat, Jahan (später Bit-Agusi) Sam’al und Que, wobei allerdings offen bleibt, wo genau die nördliche Grenze verlief.401 Die Hauptstadt war Kunalua (Tell Taʿyinat).402 Von 1935 bis 1938 führte hier das Chicago Oriental Institute Ausgrabungen durch.403 Die damals untersuchten architektonischen Reste wurden 1969 veröffentlicht,404 doch viele der Funde, man kann sogar behaupten die meisten, sind noch nicht publiziert. 2004 wurden die Grabungen von der Universität Toronto nach vorangegangenen Surveys wieder aufgenommen und sind heute noch nicht abgeschlossen. Der Tell, der von ca. 950 bis 550 besiedelt war, ist mit seinen 35 Hektar der größte unter den zahlreichen Siedlungshügeln der ʿAmuq-Ebene. Bei den Grabungen der 30er Jahre wurden auf dem untersuchten Terrain fünf Bauperioden ausgemacht. Unter anderem fand man drei aufeinander folgende große Gebäude: einen Palastbau vom bît hilaniTyp, einen Tempel mit einem Megaron-Grundriss405 und einen assyrischen Palast. Haynes zufolge macht der Tempel den Eindruck »westlicher Herkunft oder Inspiration«.406 Allerdings hält er doch einen Einfluss nordsyrischer sakraler Architektur für wahrscheinlicher, denn, als der Tempel von Tell Taʿyinat erbaut wurde, gab es noch keine Steinarchitektur in Griechenland. In Tell Taʿyinat sind Inschriften auf Spätluwisch, Assyrisch und Aramäisch entdeckt worden, von denen die letzteren noch nicht publiziert sind. Der luwische Name von Tell Taʿyinat lautete wahrscheinlich *Wadasatini. Die spätluwischen Inschriften geben kaum Aufschluss über die Geschichte des Landes und seiner Dynastie.407 So ist man auch hier vor allem auf die assyrischen Quellen angewiesen. Patin gehörte zweifellos zu den spätluwischen Staaten, die sich im 1. Jt. aus dem Erbe hethitischer Hegemonie 398 399 400 401 402

403 404 405 406 407

Ibid. II, 27. Transkription und Übersetzung bei Wiseman 1956, 117 d. Die richtige Lesung ist Pat(t)in(a); die ältere (und falsche) Lesung Hattin wird in der Literatur immer mehr aufgegeben, vgl. Hawkins, RlA 4, 1972–1975, 160–162. Nach Hawkins, CHLI I/2 kontrollierte Patin das Gebiet bis zum Kara-Su. Nach einer anderen Vermutung soll es ʿAin Dara gewesen sein, was aber weniger mit den Itinerarien der assyrischen Könige übereinstimmt; vgl. z.B. RIMA 3 A.0.102.2, I 51. Die Materialien von Tell Taʿyinat sind leider unzulänglich, da die meisten bislang nicht publiziert wurden; vgl. Haines 1971. Dies soll nach einer mündlichen Mitteilung von Aslihan Yener in nächster Zukunft geschehen; vgl. auch Harrison 2001. Ausgrabungen 1935–1938. Haines 1971, 37–66 und pl. 68–118. Braidwood 1937, 18. Haines 1971, 53. CHLI I/2, 366–387 mit Pl. 192–208.

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in Nordsyrien gebildet hatten, wie die spätluwischen Funde aus Tell Taʿyinat beweisen.408 Das schließt eine vielleicht schon früh einsetzende Infiltrierung aramäischer Stämme und weitere alte ethnische Gruppen auf dem Territorium dieses Staates nicht aus.409 Das Land Patin war dicht besiedelt, denn außer Kunalua sind noch weitere Städte aus den assyrischen Annalen bekannt, wie Alimus, Aribua, Buramu, Hatatirra, Huzarra, Kulmadara, Sagillu, Ta’e, Tarmanazi, Urime, Nulia, und Hazazu, was nicht nur zeigt, dass das Territorium dieses Staates nicht unerheblich gewesen sein dürfte, sondern auch, dass es gut urbanisiert war, also eine starke und stabile Wirtschaft und eine effektive Verwaltung besaß. Durch das Staatsgebiet von Patin führten einige wichtige Fernstraßen, über die Patin mit Anatolien, Mesopotamien und Ägypten verbunden war. Seine Könige kontrollierten außerdem die Syrische Pforte über das Amanus-Gebirge. Patin wird zum ersten Mal von Aššurnasirpal II. in Verbindung mit seinen Zügen in den Westen erwähnt (vor 866). Nachdem der assyrische König Tribute von Karkemiš empfangen hatte, wandte er sich zur Stadt Hazazi in Patin. Von dort empfing er Gold, Woll- und Leinenstoffe. In der Hauptstadt Kunalua erhielt er von König Lubarna ebenfalls sehr hohen Tribut. Soldaten aus Patin nahm er in seine Armee auf. Lubarna war also ein assyrischer Vasallenkönig. Nach zweitägiger Reise kam Aššurnasirpal II. zur Stadt Aribua,410 die er eroberte und zu einem Speicherort ausbauen ließ, d.h. Aribua wurde zu assyrischem Territorium und wichtige Station für spätere Feldzüge nach Syrien.411 Er deportierte die dortigen Bewohner nach Kalhu und siedelte in Aribua Assyrer an.412 Die Errichtung solcher isolierter, befestigter ›Kolonien‹ als Vorposten in einem fremden, (noch) halbwegs autonomen Land, war ein für das Assyrische Reich typisches Muster in seinem Expansionsprozess. Solche Festungen wurden zu militärischen sowie diplomatisch-politischen und wirtschaftlichen Zentren, von denen aus die Verwalter engeren Kontakt zu den lokalen Oberschichten herstellten und unterhielten.413 An der Koalition im Jahr 858 gegen Salmanassar III. (858–824) nahm auch König Sapalulme von Patin teil.414 Nach einem als glanzvollen Sieg beschriebenen Kampf »bestieg der (assyrische) König das Amanusgebirge«. Als er auf dem Rückzug nach Assyrien in Patin einfiel, traf er aber auf dasselbe Bündnis, jetzt erweitert durch Que und Hilakku. In diesem Krieg wurden zahlreiche Städte von Patin zerstört, auch solche an der Küste.415 Nach der Schlacht gegen Karkemiš im Jahr 853 ergab sich Patin, nun unter König Qalparunda, wobei ein erstaunlich hoher Tribut gezahlt und eine regelmäßig zu leistende Steuer auferlegt wurde. Der Vasallenstatus von Patin war damit erneuert. Nach 858 hatte Patin die wichtige 408 409

410 411 412 413 414 415

Braidwood 1937. Darauf scheint die Übernahme der aramäischen Bezeichnung Unqi in den assyrischen Quellen hinzuweisen; vgl. Bordreuil 1977, 253. Allerdings könnte solch eine Namenwahl auch andere Gründe haben. Die Stadt wird von Kestemont 1983, 60 etwas nördlich von Qarqar lokalisiert. ARAB I §478; hier nahm er bereits die Tribute von »Gusi, dem Mann von Jahan« entgegen: RIMA 2 A.0.101.1, III 77b. RIMA 2 A.0.101.1, III 133–135. Parker 1997, 77f. RIMA 3 A.0.102.2, I 42–II 12; vgl. dazu auch Teil I 3. RIMA 3 A.0.102.2, II 5–9; vgl. dazu ausführlich Teil I 5.3.

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Stadt Hazazu an Bit-Agusi verloren416 und auch Hamat eroberte einige Grenzgebiete. Bis zum Jahr 829 blieben die Beziehungen zu den Assyrern ungetrübt. Die assyrischen Annalen von 829 berichten, dass »das Volk« von Patin seinen König Lubarna (der II.; sicher nicht derselbe, der sich Aššurnasirpal II. unterworfen hatte) töteten und an seiner Stelle Surri, »keinen vom Königsthron«, also nicht aus der dynastischen Linie, zum König machte.417 Ohne auf Schwierigkeiten zu stoßen, besetzte Aššurnasirpal II. sofort die Hauptstadt Kunalua, ließ den Usurpator und dessen Söhne töten und setzte einen anderen König, Sasi, Sohn eines Kurussa, auf den Thron, der offensichtlich auch nicht aus dem Hause des ermordeten Lubarna II. stammte.418 Die Tribute waren sehr hoch: Silber, Gold, Zinn, Bronze, Eisen und Elfenbein. Kurz nach 800, zur Zeit Adadneraris III., nahm Patin an der von Damaskus geführten Allianz gegen Hatarikka in Arpad teil. Das war für die Assyrer ein schwerwiegender Zwischenfall, in den sie eingreifen mussten oder den sie als Vorwand für einen Angriff benutzten. Damals verlor Patin den größten Teil seines Territoriums. Der Grenzstele von Antakya zufolge wurde dieses Gebiet zwischen ʿAtaršumki von Arpad und Zakkur von Hamat aufgeteilt.419 Danach besaß Patin keinen Zugang zur Mittelmeerküste mehr. Nachdem Tiglath-pilesar III. in den Jahren 743 bis 741 das Bündnis des Matiʿ-’ilu von Arpad besiegt und dieses Land zur Provinz gemacht hatte,420 grenzte Patin an Assyrien. Ab dieser Zeit ist Patin nur noch unter dem aramäischen Namen Unqi belegt.421 Als 739 der assyrische Herrscher im Kampf gegen Urartu stand, brach Tutammu, König von Patin, seinen Eid,422 wahrscheinlich um den aufständischen Azrijau von Ja’udi423 zu unterstützen. Dieser Vorfall war offensichtlich so schwerwiegend, dass Tiglath-pilesar III. die urartäische Front verließ. 738 vertrieb er den König von Patin und gliederte Patin/Unqi als neue Provinz in das Reich ein. Dies war mit massenhaften Deportationen und Ansiedlungen neuer Bewohner aus anderen Ländern des Assyrischen Reiches verbunden.424 Der Name der neuen Provinz war Kullani. Hawkins vermutet, dass die ʿAmuq-Ebene bis zur Gründung von Antiocheia im Jahr 300 keine eigenständige politische Bedeutung mehr besaß.425 5.2.3 Hamat Hamat (in den assyrischen Quellen auch Amat, luw. a-ma-tu-wa-uá, imatuwani als Ethnikon426) am mittleren Orontes war wohl seit Ende des 10. bis zum ausgehenden 8. Jh. eines der wichtigsten Länder und im 8. Jh. der größte Territorialstaat Syriens. Er grenzte im Sü416 417 418 419 420 421 422 423 424 425 426

858 wird Hazazu in einer Inschrift Salmanassars III. noch Patin zugeschrieben: RIMA 3 A.0.102.2, II, 1; als Besitz von Bit-Agusi: Erste Stele von Sfire: KAI 222 A, 35; Tadmor, Tigl Summ. 5, II, Z. 2. RIMA 3 A.0.102.14, II 146–156. RIMA 3 A.0.102, Ann. 13, II 150 b–156 a; Ann. 14, 274ʹ–286ʹ. Teil I 5.2.2. Teil I 5.2.2. Vgl. dazu Weippert 1992, 54, 58–59, Anm. 97. Dazu auch Kessler 1975, 50–52. Hawkins 1982, 411; vgl. Teil I 5.2.4. Vgl. dazu Na’ aman 2005, 159 mit Anm. 25. Hawkins, RlA, s.v. Die Inschriften im CLLI, 1/2 IX.

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den an Aram Damaskus, im Westen an den Libanon und die Mittelmeerküste zwischen Gabala und Ras al-Bassit, im Norden an Patin und Arpad, und im Osten ging sein Einfluss zeitweise bis zum Euphrat. Eine Beschreibung des Territoriums von Hamat findet sich in den Annalen Tiglath-pilesars III. für das Jahr 738.427 Die gleichnamige Hauptstadt lag genau an dem Punkt, an dem die Wüstenroute von Mesopotamien über Palmyra (Tadmur) im Westen auf das wasserreiche Mittelsyrien stößt. Von dort führten Straßen über die Senke von Homs zum Mittelmeer.428 Funde aus anderen syrischen, besonders phönikischen Gebieten, Ägypten, Mesopotamien und aus dem griechischen Raum weisen diese Stadt als eines der bedeutenden Zentren des Fernhandels aus. Ortsnamen auf beschrifteten Platten aus Hamat legen außerdem die Vermutung nahe, dass dieser Staat die Karawanenwege über Tadmur bis zur Haburmündung kontrollierte.429 Zweifellos war die Dynastie von Hamat im 9. Jh. spätluwisch. Dafür sprechen die meistens luwischen Herrschernamen, die spätluwische Kultur wie auch die Inschriften. Doch aufgrund der Siedlungsentwicklung am Mittleren Orontes ist eine schon früh einsetzende Zuwanderung aramäischer Stämme in der frühen Eisenzeit anzunehmen. Als älteste Belege zur Geschichte von Hamat gelten Textstellen des Alten Testaments über David. Allerdings stammen diese Texte des Alten Testaments aus viel späterer Zeit.430 Die Geschichte von Hamat ist fast ausschließlich über die assyrischen Quellen greifbar, wenn es in das Blickfeld der assyrischen Expansionspolitik geriet. Die ältesten sind die bereits erwähnten Annalen Tikulti-ninurtas II. (891–884), in denen u.a. von Tributen des Landes Hamataya berichtet wird. Eine größere Anzahl von Informationen über die Beziehungen zwischen Assyrien und Hamat datiert erst aus der Zeit Salmanassars III. (858–824). Sie zeigen die enorme Bedeutung, die das mittlere Orontestal für die Syrienpolitik der assyrischen Könige besaß. Damals wurde Hamat von König Urhilina regiert. Er führte zusammen mit Damaskus das schon erwähnte Bündnis süd- und mittelsyrischer Staaten in den Jahren 853, 849, 848 und 845.431 Der Vormarsch der Assyrer konnte Jahre lang dank dieser Koalition aufgehalten werden, doch alle Kriegsschauplätze dieser Feldzüge lagen in Hamat, das infolgedessen erhebliche Schäden hinnehmen musste. Nach 845, wahrscheinlich nach dem Tod des Königs Hadadezer von Damaskus muss es in den letzten Regierungsjahren des Urhilina oder zu Beginn der Herrschaft seines Sohnes Uratami zu einer Einigung gekommen sein, denn Hamat ließ die Assyrer 841 durch sein Land ziehen. Das geht auch aus einer späteren Inschrift aus der Zeit Sargons II. hervor: Er habe Hamat einen Tribut aufgezwungen »wie einst der König Irhuleni hatte leisten müssen«.432 Aus der Stadt und ihrem Territorium stammen spätluwische, aramäische und phönikische Inschriften.433 Von den beiden erwähnten Königen Hamats sind mehrere spätluwische Bauinschriften erhalten, die vermutlich aus der Zeit nach ihrer Unterwerfung stam427 428 429 430 431 432 433

Tadmor, Tigl III, p. 62, Z. 9–10; p. 89, Ann. 26, Z. 5–6. Eingehend über das Territorium von Hamat Lipińsky 2000, 255–299. Lipińsky 2000, 278; vgl. Teil IV 1.2.3. 2 Sam 8,9–12; zu den Beziehungen zwischen Hamat und Juda und Israel nach dem AT vgl. Görk 1995, 1–2. Teil I 3. Hawkins 1982, 393; Nougayrol 1968. CHLI I/2, S. 393–423; Parpola 1990.

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men.434 Das ist vor allem insofern erstaunlich, als Hamat lange Jahre lang Kriegsschauplatz gewesen war und nach den späten 40er Jahren des 9. Jh. hohe Tribute an Assyrien zahlen musste. Das wirft ein kennzeichnendes Licht auf die wirtschaftliche Stärke des Landes.435 Die Könige waren außerdem nicht nur in der Lage, das Land in kürzester Zeit wieder aufzubauen, sondern auch ihren politischen Einfluss auf die Nachbargebiete weiterhin geltend zu machen: Bei den Baumaßnahmen wurden auch Leute von Gebieten außerhalb Hamats eingesetzt.436 Das verdankte Hamat nun offensichtlich dem guten Verhältnis zu Assyrien. Eine Stele mit aramäischer Aufschrift, die in der Nähe von Afis (zwischen Aleppo und Hamat) gefunden wurde,437 ist eine der wenigen nichtassyrischen Quellen, die über historische Ereignisse berichten. Sie datiert in die letzten Jahre des 9. Jh.438 und wurde von König Zakkur (Zkr), dem ersten König aramäischer Herkunft, der aus dem Euphratgebiet kam,439 in Hamat aufgestellt.440 Wie er die spätluwische Dynastie ablöste, ist unklar, aber eine gewaltsame Eroberung ist auszuschließen, da Hamat für diese Zeit keine Zerstörungsspuren aufweist.441 Zakkur bezeichnet sich als König von Hamat und des nördlich gelegenen Luʿaš.442 Der neue König scheint sich sofort mit der assyrischen Macht arrangiert zu haben, d.h. er hielt sich an die von seinen Vorgängern getroffenen Abmachungen: 803 ließ er das assyrische Heer über sein Territorium gegen Damaskus ziehen. Daraufhin gelang es Damaskus unter Bar-Hadad III., die schon erwähnte große Koalition443 gegen Hamat aufzustellen. Über die Gründe für dieses Bündnis gibt es verschiedene Vermutungen: Es soll das Ziel gehabt haben, Zakkur in einen antiassyrischen Bund zu zwingen.444 Das ist wenig plausibel, da Assyrien in diesem Fall wohl viel schneller eingegriffen hätte. Daher ist eine andere These wahrscheinlicher, der zu Folge die Bündnispartner jeweils eigene Ziele in dieser Allianz verfolgt haben: Damaskus wollte sich vielleicht an Hamat für seine Teilnahme am assyrischen Feldzug gegen Damaskus im Jahr 803 rächen und Arpad und Patin hatten eventuell die Hoffnung, ihre von Hamat eroberten Territorien zurückzuholen.445 Adadnerari III. griff wahrscheinlich auf seinem Feldzug 796 in den Konflikt ein. Diese Intervention bleibt indes auf der Zakkur-Stele unerwähnt, Zakkur schrieb den Sieg dem Wirken der Götter 434 435 436 437 438 439

440 441 442 443 444

445

Die Inschriften von Hamat in CLLI sind größtenteils Weihungen an die Göttin Baʿalat (die wohl mit der spätluwischen Göttin Pahalatis gleichgesetzt wurde). Ausführlicher über die Wirtschaft Hamats vgl. Teil IV 1.2.3. CHLI I 2 IX. KAI 202 aus Tell Afis. Zu den Datierungsfragen vgl. Sader 1987, 217f. Nach seinem Patronym ʿAnah stammt er aus dem gleichnamigen Ort, der ein Zentrum von Suhu am mittleren Euphrat war. Urhilina unterhielt Handelsbeziehungen mit einem Marduk-appla-usur von Suhu; vgl. Parpola, 1990, 257–265. Sein Name ist nicht mehr spätluwisch, sondern westsemitisch. Eine ähnlich gewaltlose Ablösung einer spätluwischen durch eine aramäische Dynastie fand auch in Sam’al statt; vgl. Teil I 5.2. Wahrscheinlich das Luhute assyrischer Inschriften. Die Anzahl der Bündnispartner ist wegen einer Textlücke nicht genau bekannt; meist wird die Zahl 17 rekonstruiert, vgl. aber die Erwägungen zu KAI 202, S. 207f. Vgl. KAI, S. 209. Wie die wenigen Quellen über die Geschichte der syrischen Staaten zeigen, war deren Politik keinesfalls ganz auf Assyrien konzentriert, sondern kannte in vielen Zeitabschnitten ganz andere Prioritäten; vgl. auch den sogenannten syrisch-ephraimitischen Krieg. Vgl. Teil I 5.4.3. Vgl. dazu Dion 1979, 151f.

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Baʿalšamin und Ilur zu. Als neue Hauptstadt richtete er daraufhin Hatarikka (Hzrk) ein.446 Das Verhältnis zwischen Zakkur und Assyrien blieb weiterhin sehr gut: Die neue Grenzen, die Adadnerari III. zog, begünstigten Hamat erheblich: Ihm wurde der Küstenstreifen bis nördlich der Orontesmündung, d.h. bis zum Ğebel al-ʿAqra zugesprochen.447 Die Inschriften zeigen gute Kontakte zur Residenz des assyrischen Statthalters in Til Barsip,448 und im 7. Jh. war die Wirtschaft des Landes gut im Assyrischen Reich vernetzt.449 Im Süden gelang es dem israelischen König Jerobeam (787–747) allerdings, einige einst an Hamat verlorene Gebiete zurück zu erobern.450 Die aramäischen Könige übernahmen zunächst die spätluwische Königsideologie: Spätluwische Inschriften sind auch noch nach ihrer Übernahme der Herrschaft bekannt. Diese Tradition wurde bald von einem assyrischen Einfluss abgelöst, der vor allem in der aramäischen Rundskulptur zum Ausdruck kommt.451 Aramäische Inschriften hatte man in Hamat übrigens auch schon vor Zakkur aufgestellt. Erst unter dem assyrischen König Tiglath-pilesar III. rückte Hamat-Luʿaš wieder in den Aktionsradius assyrischer Politik. Im Jahr 739 brachen mehrere Unruhen und Aufstände aus: In Patin erhob sich König Tutamu und wohl in Hamat begann ein Azrijau von Ja’udi eine größere Rebellion. 19 Bezirke (Provinzen) von Hamat, darunter auch Hatarikka, schlossen sich ihm und seiner assyrerfeindlichen Politik an.452 Die Person des Azrijau und seine Herkunft sind unklar. Lange Zeit vermutete man aufgrund des Eigennamen, dass es sich um König Azariah/Uzziah von Juda gehandelt habe. Die historischen Argumente gegen eine solche Gleichsetzung sind allerdings so schwerwiegend,453 dass diese These heute kaum mehr vertreten wird. Die Koalition des Azrijau bestand nur aus nord- und mittelsyrischen Staaten, und die Politik Judas war damals eher auf einen Ausgleich mit Assyrien ausgerichtet. Ebenfalls aufgrund eines ähnlich klingenden Eigennamens meinte man, in Azrijau einen König von Sam’al (Ja’udi) sehen zu können.454 Lińpinsky zufolge sei er ein König von Hamat gewesen, und zwar der direkte Nachfolger des Zakkur.455 Doch in dieser Zeit kennen wir den König Eni-ilu. Azrijau war höchstwahrscheinlich ein Vasall oder ein hoher Provinzverwalter von Hamat. Als solcher konnte er die »19 Bezirke« zu einem Aufstand bewegen, der aber wohl primär nicht gegen Sargon II., sondern gegen Eni-ilu gerichtet war. Tiglath-pilesar III. beendete diese Unruhen im Jahr 738: Er annektierte die aufständischen Bezirke und setzte assyrische Statthalter ein. Die Aufzählung der abtrünnigen Regionen beschreibt gut die damaligen Grenzen von Hamat-Luʿaš: Im Norden berührten sie das Territorium von Halap, im Nordwesten erstreckten sie sich bis zum Ğebel al-ʿAqra, im Westen umfassen sie Küstenstädte wie Sianu, Simirra und andere am Meer gelegene Orte, 446

447 448 449 450 451 452 453 454 455

Die genaue Lokalisierung von Hatarikka ist umstritten. Kaum möglich ist, dass es sich um den Tell Qarqur handelt; vgl. Sader 1987, 224 mit Literatur. Auch Tell Afis wird mit Hatarikka identifiziert: Matthiae 1979, 2f.; vgl. Sader 1987, 226, Anm. 104. Auf der sogenannten Antakya-Stele; vgl. dazu Teil I 5.2.2. Parpola 1990, 27–265; dazu: Dallay 2000, 87. Dalley 2000, 87f. mit Anm. 44. 2 Kö 14,25: »Er stellte die Grenzen Israels wieder her von Lebo-Hamat bis zum Meer der Araba …«. De Maigret 1979. Tadmor, Tigl III, S. 273–276. Na’aman 2005, 149–152. Tadmor 1961. Lipińsky 2000, 31–315.

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d.h. die nordsyrische Küste bis etwa Tripolis.456 Das von Assyrien annektierte Land wurde in zwei Provinzen aufgeteilt: Simirra für die Küstenstädte und Hatarikka für das Binnenland. Als Grenze zwischen beiden bietet sich der Ğebel Ansariyah an.457 Die Einrichtung der Provinzen ging wieder mit Deportationen und Neuansiedlungen aus dem Osten einher, so auch in Simirra und Kašpuna.458 Es blieb noch ein kleiner Reststaat Hamat unter Eni-ilu, der sich vermutlich auf das Territorium um die Stadt Hamat am Orontes beschränkte. Dieser Kleinstaat rebellierte unter dem späteren Kleinkönig Jau-bi’di (=Ilubi’di). Das muss kurz nach der Thronbesteigung Sargons II. geschehen sein, als dieser zunächst seine Herrschaft im Kernland festigen musste. Jau-bi’di verbündete sich mit Arpad, Damaskus, Simirra und Samaria und soll die neuen, aus Arpad entstandenen Provinzen ebenfalls zum Aufstand angestachelt haben.459 Im Jahr 720 fand eine Schlacht zwischen den Verbündeten und Sargon II. wieder bei Qarqar statt, in der die Koalition von Hamat eine schwere Niederlage erlitt. Die Stadt Hamat wurde zerstört und mit ihrem Restgebiet dem Assyrischen Reich einverleibt.460 Hamat wurde nach dem Sieg des babylonischen Kronprinzen Nabukadnezar über den ägyptischen Pharao Necho im Jahr 605 bei der Verfolgung des ägyptischen Restheeres von den Babyloniern eingenommen.461 Im Neubabylonischen Reich scheint es wieder eine bedeutendere Rolle gespielt zu haben. 5.3 Die nordsyrischen Küstenstädte Der Küstenstreifen von Kilikien bis zur ägyptischen Grenze besaß eine Vielzahl von Häfen, die in fast regelmäßigen Abständen in Buchten mit genügender Süßwasserversorgung angelegt waren. Während an der phönikischen und südsyrischen Küste einige große Stadtstaaten, Häfen und Umschlagplätze des internationalen Handels lagen, sind solche an der nördlichen Küste nicht zu finden. Die wenigen Orte, die gut archäologisch erforscht wurden, zeigen kleine Hafensiedlungen, die mit der ganzen östlichen Mittelmeerküste, mit Kilikien und Zypern in Verbindung standen, aber eher von lokaler Bedeutung waren. Ende des 12. Jh. gingen einige nordsyrische Häfen zugrunde, vor allem Ugarit.462 Andere wie Ras el-Bassit (das spätere griech. Posideion), Ras Ibn Hani und Tell Sūkās weisen ebenfalls Zerstörungsspuren auf, die aber sofort beseitigt wurden. Die kulturelle Kontinuität zeigt deutlich, dass der Großteil der bronzezeitlichen Bevölkerung weiterhin anwesend war und nicht durch ein neues ethnos abgelöst wurde. Die Importe, welche vorwiegend aus Zypern stammten, gingen zwar in den beiden folgenden Jahrhunderten zurück, brachen aber nicht ganz ab. Architekturreste und andere Funde zeigen den nordsyrischen Charakter der Ortschaften.463 Das Gros ihrer Bevölkerung bestand vermutlich vorwiegend aus Nachfahren der westsemitischen Gruppen, welche schon in der späten Bronzezeit dort ansässig ge456 457 458 459 460 461 462 463

Zu den Häfen von Hamat vgl. Teil I 5.2.4. Lipińsky 2000, 315. Einer anderen These zufolge waren es vier: Simirra, Kullania, Hattarika und Mansuate; vgl. Kessler 1975. Tadmor 1961, 232–271. Hawkins 1982, 418 mit Anm. 365 und 366. Fuchs, Sargon, 1994, 200f., 345 Z. 33–36. Grayson, Chron. 5,6–8. Nougarol et al. 1968, 87–90. Bonatz 1993, 124f., 134f.

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wesen waren und uns teilweise aus den Dokumenten aus Ugarit bekannt sind. Mit der Zeit kam es vermutlich zu einer verstärkten Ansiedlung von Aramäern, welche die Sprache/n der Alteingesessenen zurückdrängten. Der schnelle Wiederaufbau aller dieser Häfen mit Ausnahme von Ugarit macht den Eindruck einer gesellschaftlichen Ordnung, die dem allgemeinen Bild im Binnenland entspricht. Dem widerspricht auch nicht die Beschreibung der Route Tiglath-pilesars I., der Ende des 12./Beginn des 11. Jh. einen Vorstoß nach Nordsyrien unternommen hatte.464 Die jeweilige politische und administrative Zugehörigkeit der nordsyrischen Küstenstädte in der Zeit vom 9. bis zum 7. Jh. ist auch für die vorliegende Untersuchung ein wichtiger Punkt. Sie selbst waren offensichtlich zu klein und wirtschaftlich zu unbedeutend, um autonome politische Einheiten zu bilden. Gegen die These, sie seien unabhängige Kleinstaaten gewesen, spricht zudem auch ihre geographische Lage: Einige von ihnen befanden sich an den Endpunkten von Straßen, die von einer Hauptstadt des Binnenlandes zur Küste führten, was wirtschaftliche und politische Abhängigkeit impliziert, oder waren Häfen, die vom Binnenland durch Bergmassive isoliert waren. Diese besaßen ein relativ kleines, aber landwirtschaftlich blühendes Hinterland. In keiner dieser Siedlungen fand man Reste von Gebäuden, welche auf staatliche Institutionen oder den Sitz eines Herrschers schließen lassen. Die architektonischen Reste zeigen mit nur sehr wenigen gesicherten Ausnahmen Wohneinheiten.465 Die nordsyrischen Häfen hatten für den internationalen Verkehr und die Wirtschaft des Vorderen Orients nur geringe Bedeutung, und dementsprechend werden sie in den assyrischen Quellen lediglich zweimal erwähnt. In den spätluwischen Inschriften fehlen sie völlig. Wegen ihrer Lage abseits der großen Straßen und oft von ihnen durch Gebirgsmassive getrennt dienten ihre Territorien nicht als Durchzugsgebiete der assyrischen Heere zum Süden. Als Häfen bedienten sie eine Schifffahrt von lokaler Bedeutung und nicht – oder nur in sehr geringem Maße – die Fernrouten. Die Assyrer nahmen diese Häfen auf ihren Kriegszügen kaum zur Kenntnis, sicher auch, weil die Beuteerwartung gering war. Als Salmanassar III. im Jahr 853 gegen die bedrohliche syrische Koalition zu kämpfen hatte,466 gelangte er bis zur Küste: »… ich nahm die großen Städte von Patina ein. Ich überwältigte [die Städte an der Küste des] oberen [Meeres] des Landes Amurru, das auch das Westliche Meer genannt wird. Ich zog weiter auf meinem Siegeszug in das weite Gebiet der Meeresküste ... Ich stieg in das Gebirge Amanus … Ich entfernte mich vom Meer und nahm die Städte Taia, Hazazu, Nulia, Butamu ein, welche zu Patina gehören …«.467 Die aufgezählten Orte lagen östlich des Orontes. Ohne von einem anschließenden längeren Marsch zu reden, gehen die Annalen dazu über, von der »Überwältigung der Städte am Oberen Meer« zu berichten. Das bedeutet wahrscheinlich, dass diese in der Nähe lagen und die Truppen sie leicht erreichen konnten. Der Text berichtet allerdings nichts über Eroberungen oder Beute. Da die Angriffe nur auf dem Staatsgebiet von Patin erfolgten, muss mit der Bezeichnung »den Städten am Oberen Meer« das Orontesdelta gemeint sein. Dazu passt auch die Angabe über die Ersteigung des Amanusgebirges. 464 465 466 467

Vgl. Teil I 3. Bonatz 1993, 125. Vgl. Teil I 3. RIMA 3, A.0.102, II, 5–12; vgl. Teil I 3.

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Auf der Antakya-Stele von 796468 ist eine »Stadt« Nahlasi469 im Orontesdelta genannt, die zu Beginn des 8. Jh. von Adadnerari III. zu Arpad geschlagen wurde. Von Tiglathpilesar III., der die syrische Küste von Hamat erobern ließ, sind einige, wenn auch nicht ganz erhaltene Listen von Ortsnamen dortiger Siedlungen überliefert. Sie werden in das Jahr 738 datiert.470 Darin sind die Kampfhandlungen geschildert, welche das assyrische Heer gegen die Koalition des oben erwähnten Rebellen Azrijau zu führen hatte.471 Folgende Städte und Gebiete sind in diesem Zusammenhang genannt: »…] die Städte von [Usnu], Siannu, Ma[raba], Kašpuna, die an der Küste sind, zusammen mit den Städten [ ] bis zum Gebirge Saue, das den Libanon berührt, das Gebirge Ba’ali-sapuna bis zum Buchsbaumgebirge, das ganze Gebirge Saue, das Gebiet von Kar-Adad …« (Z. 5–6). Diese Liste konnte durch die sogenannte Summery Inscription (4,1ʹ–5ʹ) ergänzt werden,472 die folgende Reihenfolge zeigt: »… Hatarikka, das Land Saue, [ ], Gubla, Simirra, Arqa, Zimarra, [ ], Usnu, Sinau, Maraba, Ri’sisuri [ ] die Städte … […] … des Oberen Meeres kamen unter meine Herrschaft. Ich setzte sechs Eunuchen von mir als [Gouverneure ein …] die Stadt von K[aš]puna, die an der Küste des Oberen Meeres ist …«. Eine weitere Aufzählung auf der Iran-Stele, die sich auch auf die Zeit des Azrijau-Aufstandes bezieht, nennt folgende Städte und Gebiete:473 »das Gebirge Hasuatti, das Land Turinaqadina, Siannu, Sallistu, Simirra, Resi(SAG)-surri, Ellisu, das Land Sapuna, die Stadt Ahta, die Handelsstätte an der Küste, der königliche Speicherplatz« (10ʹ–13ʹ). Nicht alle dieser Ortsnamen sind lokalisierbar. Diese Listen zerfallen jeweils in zwei geographische Gruppen: die eine nennt die Küstensiedlungen, die andere Gebiete und Städte im Binnenland. Der nördlichste Punkt der ersten Gruppe, die hier allein interessiert, ist auf den Listen der Iran-Stele und Ann. 19* das Gebirge (Land) Baʿal Sapuna, das zweifellos der heutige Ğebel al-ʿAqra ist. Mit diesem Gebiet sind zwei weitere Ortsnamen verbunden: Ahta (Iran-Stele) und Kašpuna (Ann. 19*). Ahta, »der Handelshafen an der Küste« ist von einigen Autoren mit al-Mina identifiziert worden.474 Allerdings geht aus dem Text nicht klar hervor, ob sich der Zusatz »der Handelshafen an der Küste« auf die Stadt Ahta bezieht oder auf einen weiteren, hier nicht namentlich genannten Ort. Die Verbindung mit Kašpuna legt die Vermutung nahe, dass sich der Ort südlich des Ğebel al-ʿAqra befand. Lipińsky sieht den heutigen Ort Mina al-Kassab als Kašpuna an, was sowohl der Lage als auch der Namenentwicklung entspricht.475 Demselben Autor zufolge ist Ahta ein Hafen, der ebenfalls südlich des Gebirges Sapuna gelegen war. Daher sei Ahta eher mit dem heutigen Ras el-Bassit gleichzusetzen.476 Tatsächlich waren die Kriegshandlungen Tiglath-pilesars III. im Jahr 738 vorrangig gegen die aufständischen Bezirke von Hamat gerichtet, weshalb die lokalisierbaren Küstenstädte hamatitisch gewesen sein müssen. Das Gebiet nördlich des Gebirges konnte kein An468 469 470 471 472 473 474 475 476

Vgl. dazu Teil I 5.2.2. RIMA 3, A.0.104.2, 6; vgl. dazu unten bei al-Mina, Teil I 5.3.2. Tadmor, Tigl III, Ann. 19*, rekonstruiert aus Ann. 22 und 26: S. 58–63. Vgl. dazu Teil I 5.2.4. Tadmor,Tigl III, S. 136–141. Tadmor,Tigl III. 104 Stele aus Iran (St.) II B 10ʹ–13ʹ (S. 102–104), datiert sie in das 8. palû des Königs, also in das Jahr 738. Zadok 1996, 11–13. Lipińsky 2000, 288. Lipińsky 2000, 291f.; nach Tadmor, Tigl III, S. 104 ist sie vielleicht mit URU Ta-e in Unqi gleichzusetzen.

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griffsziel darstellen, weil es seit 740 bereits zum assyrischen Reichsgebiet gehörte. Und von einer Rebellion dort spricht keine einzige Quelle. Damit fällt die Gleichsetzung von Ahta mit al-Mina weg. Die nächsten Ortsnamen sind weiter im Süden zu lokalisieren: Gubla, Simirra, Usnu, Siannu, Maraba, Resisuri. Da sie alle Küstenstädte Hamats waren, ist mit Gubla hier nicht die phönikische Stadt Byblos gemeint, sondern Gabala,477 der Ort beim heutige Ğablah, der damals der Nachfolgehafen von Tell Tweini war.478 Eine strategisch sehr wichtige Siedlung war Simirra (Tell Kazel), welche die Route von der Küste über die Homssenke zum Orontes kontrollierte. Nicht zufällig wählten die Assyrer sie nach der Einverleibung Hamats als Provinzhauptstadt. Arqa ist das heutige Arqa, ca. 20km nordöstlich von Tripolis. Zimarra, das heutige Zimrin, liegt ca. 15km nordöstlich von Arwad. Usnu ist der Tell Daruk südöstlich von Gabala. Siannu befand sich ca. 8km östlich von Gabala am Pass, der die Küste über den Ğebel al-Ansariya mit Hamat verband.479 Maraba und Risisuri480 sind wahrscheinlich nördlich zwischen Siannu und Ahta (=Ras al-Bassit) anzusetzen. Der südlichste Punkt bei diesen Aufzählungen ist wieder ein Gebirge: Ammama, das ›Buchsbaumgebirge‹, das dem heutigen Antilibanon entspricht. Nur die Küstensiedlungen mit einer natürlichen Verbindung über die Gebirge zum Hinterland konnten Häfen von größeren Binnenstädten sein. Alle lagen in fruchtbaren Ebenen, die die Produktion eines Überschusses an Lebensmitteln ermöglichten. Der Handel als Lebensgrundlage war anscheinend nur von sekundärer Bedeutung.481 Von der vorwiegend landwirtschaftlichen Wirtschaftsgrundlage zeugen Speichervorrichtungen, wie man sie in al-Mina, Ras al-Bassit und Tell Sūkās gefunden hat.482 Dieser Umstand hat sie sicher zu oft aufgesuchten Ankerplätzen gemacht, an denen man sich gut versorgen konnte. Sie dienten also als Transitstätten. Trotz ihrer nur lokalen Bedeutung im wirtschaftlichen und politischen Leben Syriens nehmen die Häfen an der nordsyrischen Küste in der heutigen historiographischen Literatur über frühe griechisch-altorientalische Beziehungen einen prominenten Platz ein. Wegen der hier gefundenen griechischen geometrischen und archaischen Keramik entstand die These, dass sich hier schon sehr früh Griechen angesiedelt und Kolonien gegründet hätten. Damit seien sie die wichtigsten Kontaktzonen in den frühen griechisch-vorderorientalischen Beziehungen. Bei der folgenden Betrachtung der einzelnen Häfen werden folgende Punkte Beachtung finden: 1. die jeweilige geographische Lage mit oder ohne Anbindung zum Binnenland, 2. die politische Zugehörigkeit der einzelnen Siedlungen in den verschiedenen Zeitabschnitten, 3. die kommerziellen und eventuell anderen Beziehungen über die Seewege, 4. eine archäologische Bestandsaufnahme vom 11. bis zum 6. Jh., welche sowohl die lokale wie auch fremde Kulturelemente verschiedener Herkunft einbezieht und 5. eine Überprüfung der Thesen über griechische Präsenz. 477 478 479 480 481 482

Lipińsky 2000, 287; vielleicht ist mit diesem Namen Tell Tweini gemeint. Vgl. Teil I 5.3.6. Forrer 1921, 58. Vgl. zum Namen: Tadmor, Tigl III, S. 138, Anm. zu 3ʹ. Bonatz, 1993, 131. Bonatz 1993, 130 mit Literatur.

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5.3.1 Kinet Höyük An der östlichen Seite der Bucht von Issos liegt Kinet Höyük,483 (wahrscheinlich heth. Izziya, phön. Sisu und griech. Issos), das zu Que/Danuna gehörte.484 Er war vom 8. bis zum ersten Viertel des 6. Jh. besiedelt. In einem hoch gelegenen und dem Meer zugewandten monumentalen Gebäude des 8. Jh. wurden einzelne spätgeometrische und zyprische Scherben sowie eine assyrische Fibel gefunden. Salmanassar III. hatte auf einem seiner siegreichen Feldzüge gegen Que seine Königsstele u.a. auf einer »Landzunge am Meer« aufstellen lassen. Könnte das Kinet Höyük gewesen sein? Kinet Höyük wurde wahrscheinlich in den letzten Jahrzehnten des 8. Jh. zerstört, vielleicht als Que gegen 722 unter Salmanassar V. zu einer assyrischen Provinz wurde.485 Natürlich sind auch andere Gründe denkbar wie Piratenangriffe oder auch ein Brand ohne Feindeinwirkung. Von etwa 720 bis 690 residierte hier ein assyrischer Beamter, was in der Architektur, der assyrischen Keramik und in Siegeln zum Ausdruck kommt. Daneben fand man auch phönikische und zyprische Ware sowie eine phönikische Inschrift.486 In der Zeit ab etwa 690 kann im westlichen Teil handwerkliche Tätigkeit nachgewiesen werden: Eisenbearbeitung, Purpurfärberei und Töpferei, während der östliche Teil weiterhin als Residenzviertel anzusehen ist. Gleichzeitig stieg die Anzahl griechischer Importe: Orientalisierende ägäische Ware und attische Amphoren scheinen in einzelnen Haushalten benutzt worden zu sein. Es ist nicht erstaunlich, dass die Funde von Kinet Höyük große Übereinstimmungen mit denen aus Tarsos und al-Mina zeigen: kilikische lokale Ware, zyprische, nordsyrische, phönikische Importe und mit der Zeit zunehmende Mengen griechischer Keramik, die allerdings nur einen kleinen Teil aller Tongefäße ausmacht.487 Das monumentale Gebäude diente wahrscheinlich ursprünglich als Sitz eines Verwalters von Que, bevor es die assyrische Administration bezog. Im Unterschied zu den südlich gelegenen Küstensiedlungen weisen die Funde eindeutig auf assyrische Präsenz hin. Der Grund dafür dürfte ihre besondere Lage innerhalb der Küstenschifffahrt gewesen sein. Während man von Süden Kinet Höyük problemlos anfahren konnte, war eine Weiterfahrt an der Buch von Adana entlang in westlicher Richtung wegen der Winde und Strömungen schwierig und gefährlich. Daher nahm man, wollte man von hier weiter nach Tarsos, lieber die Route über Zypern.488 Außerdem war Kinet Höyük sehr gut mit dem Binnenland, d.h. mit dem östlichen Kilikien und mit dem Pass über das Amanus-Gebirge zum nördlichen Mesopotamien verbunden.

483 484 485 486 487 488

Gates 1995. Gates 2001, 267; vgl. Teil I 5.1. Vgl. dazu Teil I 3. Abbildung bei Hodos 2000, 82. Nach Hodos 2000, 150 wurden bis zum Jahr 2000 etwa 50 Fragmente griechischer Keramik gefunden, eine Menge, die in etwa der von Tarsus, Ras el Bassit, Tell Sūkās und Tyros entspräche. Dietrich 2007, 56.

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5.3.2 Al-Mina Al-Mina489 lag an der Deltamündung des Orontes nördlich der mächtigen Landmarke, des Berges Hazzi, auch unter den Namen Sapuna/Saphon490 und bei den Griechen und Römern als Κάσιον/Casius bekannt, der heutige Ğebel al-ʿAqra. Er dominiert diese Küste nicht nur mit seiner Höhe von 1780m, sondern bestimmt auch ihr Mikroklima: Hier ist der höchste Niederschlag an der östlichen Mittelmeerküste zu verzeichnen. Dieser imposante Berg ist auch kulturgeschichtlich von großer Bedeutung:491 Als die Hethiter Nordsyrien eingenommen hatten, übernahmen sie den Kult des Berggottes Saphon von den Hurritern und den westsemitischen Ugaritern. Die daran geknüpften Vorstellungen ähnelten sich: Es war der heilige Berg des Wettergottes (hurr. Teššub, ugar. Sapon, aram. und phön. Baʿal), dessen Palast man sich auf dem Gipfel vorstellte. Er wird wiederholt in den assyrischen Annalen Tiglath-pilesars III. und Sargons II. genannt (Baʿli Sapuna). Das griechische Kasios ist vom hethitischen Namen Hazzi abgeleitet. Dieser Umstand ist für die griechische Rezeption des Namens interessant: Es waren also Luwier und nicht Aramäer oder Phöniker, die den Griechen diesen Namen übermittelten. Obwohl die Bucht keinen geeigneten natürlichen Hafen besaß und sich al-Mina deswegen nie zu einer größeren Hafenstadt entwickeln konnte, bot es wegen dieser Landmarke sowie wegen des reichlich vorhandenen Süßwassers und der Lebensmittelversorgung aus dem räumlich beschränkten, aber fruchtbaren Hinterland gute Bedingungen als Ankerplatz.492 Die Bucht, die vom Orontes gebildet wird, besitzt heute bebaubares Land von etwa 40km2. Im Norden wird sie vom Musa Dağı begrenzt, im Süden erhebt sich der Ğebel al-ʿAqra. Die Bucht war im Altertum dicht bewohnt: 55 Siedlungen konnten insgesamt ausgemacht werden.493 Sie ist durch das Orontestal mit der ʿAmuqEbene verbunden. Diese Straße ist der einzige Weg zu und von ihr. Das Orontesdelta besaß also eine gute Anbindung an die Fernstraßen, lag jedoch abseits von ihnen. Der Orontes hatte im Altertum für den Transport von Gütern bis zur Orontesbiegung eine große Bedeutung. Nach Strabon war er bis nach Antiocheia schiffbar, wobei die Fahrt von der Mündung bis Antiocheia einen Tag gedauert habe.494 Es ist sehr wahrscheinlich, dass man sogar bis in die ʿAmuq-Ebene auf Schiffen fahren konnte, d.h. bis zur Stadt Kunalua (Tell Taʿyinat). Dem Survey des Orontesdeltas (1999 und 2000) zufolge495 hat die Ortschaft Sabuniye, die etwa 5km flussaufwärts liegt, in der späten Bronze- und frühen Eisenzeit als Hafen und Umschlagplatz der Waren vom Mittelmeer in die ʿAmuq-Ebene gedient.496 Der Bergrücken, auf dem Sabuniye liegt, stellt die natürliche Begrenzung der 489 490 491 492

493 494 495 496

Wooley 1938, 1–30. Von diesem eisenzeitlichen Namen ist wahrscheinlich der Name des heutigen Dorfes bzw. Stadtteils von Samandağ, Sabuniye, am nördlichen Fuss des Berges abgeleitet. Eißfeldt 1932. Der Hafen der Stadt Seleukia Pieria, die 310 v.Chr. von Seleukos I. ganz im Norden der Bucht gegründet wurde, hatte in hellenistischer und römischer Zeit zwar eine außerordentlich große Bedeutung, schuf aber wegen der nicht so günstigen natürlichen Bedingungen immer wieder große Probleme. Er wurde im 5. oder 6. Jh. n.Chr. vollständig aufgegeben. Pamir, Brands, www.akmedanmed.com/article. Strab. 16,2,7. Pamir, Nishiyama 2002. Pamir, Nishiyama 2002, 312: Sabuniye sei danach der Hafen von Alalah gewesen sein. In der Eisenzeit sei er dann »aus politischen und geographischen Gründen« von al-Mina abgelöst worden.

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Mündungsbucht dar. Heute ist es ca. 3km vom Meer entfernt. Gründe dafür könnten die Versandung des Deltas oder eine Senkung des Meeresspiegels gewesen sein. Auf jeden Fall zeichnet sich hier eine Situation ab, die mit jener der weiter südlich gelegenen Tells Tweini und Gabala vergleichbar ist.497 Offensichtlich musste ein neuer Hafen eingerichtet werden, und dieser war das nordwestlich gelegene al-Mina. Wie lange Sabuniye als Hafen gedient hat und was für Funktionen er besessen hat, müssen zukünftige Grabungen erweisen. Al-Mina war kein Hafen von internationaler Bedeutung, da die Siedlung sehr klein war, keine größeren Gebäudekomplexe aufwies und, vielleicht mit einer Ausnahme,498 in keiner assyrischen oder anderen altorientalischen noch in einer griechischen Quelle genannt wird (s.u.). Zudem sind Funde von Luxusgegenständen und vor allem Metallen kaum vorhanden. Leonard Wooley zufolge macht die Siedlung einen armseligen sogar »barbarischen« Eindruck.499 Nur auf der Antakya-Stele,500 wohl aus dem Jahr 796, wird eine Stadt Nahlasi (URU na-ah-la-si) »mit all ihren Feldern, Gärten und Siedlungen« genannt.501 Nahlasi (›Tal des As(s)i‹=Orontes) war also der Hauptort dieses Deltagebietes, zu dem auch einige kleinere Dörfer gehörten.502 Da aber zu dieser Zeit (Beginn des 8. Jh.) al-Mina als Siedlung noch nicht existierte oder sich höchstens in den ersten Anfängen befand, kommt es dafür nicht in Frage. Eher könnte man das damalige Sabuniye in dieser Position vermuten. Obwohl die Grabungen von Wooley (1936 und 1937) anschaulich den lokalen Charakter dieses Hafens gezeigt haben, hat die Literatur seine Bedeutung so überhöht, dass es heute niemanden erstaunt, wenn al-Mina als »eines der wichtigen Handelszentren des östlichen Mittelmeers« bezeichnet wird.503 Diese Bedeutungszuschreibung erhielt al-Mina aufgrund der relativ großen Menge an geometrischen Scherben. Die Diskussion über al-Mina wurde nach den Entdeckungen der frühen Nekropole von Lefkandi mit den zahlreichen östlichen Importen noch intensiver.504 Sie führte zur Hypothese, dass al-Mina ein von Euboiern gegründetes emporion oder sogar eine Kolonie gewesen sei.505 Al-Mina weist 10 Schichten auf, wobei Wooley die ältesten (X und IX) in das 8. Jh. datierte (770 oder besser um 750), VIII und VII in das 7. Jh. und VI und V in das 6. Jh.506 Ein guter Anhaltspunkt für das Gründungsdatum sind die typisch euböischen subprotogeometrischen Scherben von Skyphoi, die eine Dekoration von hängenden Halbkreisen aufweisen und von ca. 850 bis in das 7. Jh. hinein hergestellt wurden.507 Rosalinde Kearsley zu496 497 498 499 500 501 502 503 504 505 506

507

Diese Gründe müssten allerdings noch aufgedeckt und bewiesen werden. Nach Wooley 1937, 11 hätten hier die Händler gewohnt, die in al-Mina tätig gewesen sind. Al-Maqdissi, Bretschneider et al. 2007, 3–10. Zu der wenig wahrscheinlichen Gleichsetzung mit Ahta s.o. Wooley 1938, 11 und 15; ›barbarisch‹ aus der Sicht eines vorderasiatischen Archäologen! Vgl. dazu Teil I 5.2.2. RIMA 3 A.0.104.2, 6–7. Weippert 1992, 58 übersetzt anstelle von ›Siedlungen‹ ›[Geh]öfte‹. Z.B. Pamir, Nishiyama 2002, 294. Popham, Hatcher, Polland 1980, 151–161; Popham et al. 1983, 281–290. Vgl. vor allem Boardman 1990. Dem widersprechen allerdings einige andere Wissenschaftler mit guten Argumenten; vgl. z.B. Niemeier 2005, 292–295. Wooley 1938, 16–18. Diese Datierungen basieren ausschließlich auf der dort gefundenen griechischen Keramik; auf andere Ergebnisse kommt man allerdings, wenn man die zyprische bzw. östliche Ware als Grundlage nimmt; vgl. Luke 2003, 12. Kearsley 1989. Vgl. auch Kearsley 1995, 67f.

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folge ist der in al-Mina und an anderen syrischen Orten zu findende Typus 6 um die Mitte oder besser in die zweite Hälfte des 8. Jh. zu datieren (s.u.). Einige einzelne Exemplare der früheren Typen 4 und 5 sind ebenfalls in al-Mina belegt. Sie datieren in die erste Hälfte des 8. Jh. Al-Mina existierte also zwischen der zweiten Hälfte des 8. Jh. und etwa 600 v.Chr.508 Nur zwischen den Schichten VIII und VII (wohl zu Beginn des 7. Jh.) ist eine partielle Zerstörung zu erkennen, für welche die Assyrer verantwortlich gemacht werden,509 obwohl assyrische Truppen diese Küste zu dieser Zeit nicht berührt haben. Ein Hiatus ist ab ca. 600, also in der babylonischen Zeit, festgestellt worden. Danach wurde al-Mina unter persischer Herrschaft zu einer gut ausgebauten Hafensiedlung, in der Handelstätigkeit, auch griechische, zweifelsfrei nachgewiesen werden kann. Die Reste der untersten Schichten X und IX weisen nur einige wenige Mauerzüge von Wohnstrukturen auf. John Boardman zufolge betrug die Grabungsfläche dieser Schichten höchstens 600m2.510 Wooley deutete die wenigen Mauerreste als ein Warenhaus, ein Zollgebäude und kleine Häuser.511 Dies ist allerdings eine reine Spekulation, die durch keine Funde oder Fundsituationen nahegelegt werden können. Kein Haus ist als Warenhaus erkennbar.512 Erst im 6. Jh. wurden Speicher für Naturalien angelegt. Während Wooley und andere Archäologen nach ihm den rein orientalischen Charakter der Häuser heraushoben,513 sieht Boardman in al-Mina griechische Architektur: Die Lehmziegel der Häuser seien im Gegensatz zu den in der Levante üblichen quadratischen länglich.514 Tatsächlich aber wurden in der frühen Eisenzeit auch in Syrien nichtquadratische Lehmziegel verwendet.515 Dem Einwand, einer griechischen Architektur entsprächen eher Steinwände, tritt er mit der Behauptung entgegen, es habe im Umkreis von al-Mina kein Steinmaterial gegeben.516 Auch das ist nicht richtig: Das Orontesdelta ist außer von der Meeresseite her überall von Gebirgen umgeben. Zum zweiten führt Boardman an, dass die Skizze von Wooley gebogene Wände zeige, was typisch für Euboia sei.517 Auf der Skizze von Wooley sind solche allerdings nicht zu sehen. Es gab offensichtlich keine für das geometrische Griechenland typischen Apsidenhäuser. Al-Mina unterscheidet sich in seiner Hausarchitektur in keiner Weise von den übrigen nordsyrischen Siedlungen an der Küste und im Binnenland, weder im Grundriss, noch in der Bautechnik oder durch eine bewusste Wahl des Baumaterials.518 Diese hatten einen südanatolischen Ursprung und lebten noch lange in Nordsyrien fort.519 Man fand weder griechische Gräber noch Hinweise auf griechische Kulte. 508 509 510 511 512 513 514 515 516 517 518 519

Wooley 1938, 6. Du Plat Taylor 1959, 85f. Boardman 2005, 279; nach neueren Forschungen ist die Siedlung wahrscheinlich etwas größer als Wooley angenommen hatte; vgl. Pamir, Nishiyama 2002, 294–314. Wooley 1938, 4. Luke 2003, 29f. Wooley 1938, 10f. Er hebt hervor, dass auch in den späteren Schichten griechische Dachziegel fehlen und die Dächer flach waren. Boardman 2005, 284. Braemer 1982. Boardman 2005, 283. Boardman 2005, 284 und Fig. 3 auf S. 283. Vgl. Bonatz 1993, 130: »nothing could be assigned to Greek influence«. Bonatz 1993, 126.

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Das einzige und immer wieder hervorgehobene Argument für eine griechische Besiedlung von al-Mina ist die dort gefundene Keramik. Tatsächlich weist al-Mina bislang von allen nordsyrischen Häfen die höchste Konzentration früher griechischer Scherben auf. Insgesamt hat man in den untersuchten Häusern des Ortes der Schichten X bis VII Scherben von etwa 820 Gefäßen ausfindig machen können, was nach Boardman etwa 50% der gesamten Keramik ausmacht.520 Es war naheliegend, nach den Grabungen von Lefkandi521 die Euboier mit al-Mina zu verbinden.522 Diese These ist aber aufgrund der Untersuchungen von Kearsley zumindest zu modifizieren: Die geometrischen Skyphoi mit hängenden Halbkreisen stammen ihrer Form und Dekoration nach im Prinzip aus Euboia. Man hat viele von ihnen auch bei den Grabungen in Lefkandi gefunden, und zweifellos wurde diese Keramik dort vom 9. bis ins 8. Jh. hergestellt.523 Allerdings gibt es keinen Beleg für eine direkte Verbindung zwischen den Skyphoi aus Euboia und denen, die man in al-Mina und anderen Küstenstädten des östlichen Mittelmeers gefunden hat.524 Kearsley zufolge stammt ein weit verbreiteter Typus des Skyphos (Typ 6), der in den Schichten IX und VIII von al-Mina auftritt, erst aus der zweiten Hälfte des 8. Jh.525 Gerade diese Keramik ist wegen ihrer erstaunlich weiten Verbreitung im Osten sehr interessant: Zypern, Tarsos, Ras el-Bassit, Ras ibn Hani, Sūkās und weiter im Binnenland bis Guzana und Ninive.526 Kearsley bemerkt zudem, dass zu der Zeit, als dieser Typ 6 in al-Mina und anderen Orten des Vorderen Orients auftrat, die euböischen Aktivitäten in der Ägäis bereits merklich abgenommen hatten. Auch die Qualität in der Bemalung zeigt, dass diese Gefäße nicht aus Euboia stammen, sondern wahrscheinlich lokale Ware sind. Dieser Typ 6 hatte sich also in Form und Qualität im Osten herausgebildet.527 Dominik Bonatz geht ebenfalls von einer lokalen Produktion dieser Skyphoi aus, deren Zentren al-Mina und Zypern gewesen seien.528 Sie zeigen nach ihrem Stil und ihrer Technologie eine Mischung aus griechischen und zyprischen Merkmalen. Die Tonanalyse einiger Fragmente hat ergeben, dass der Ton aus Ostzypern stammt.529 In al-Mina sind keine Töpfereien gefunden worden, also müssen sie an einem anderen Ort produziert und nach al-Mina gebracht worden sein.530 Der Begriff ›al-Mina cups‹ ist also irreführend. Aufgrund der Untersuchungen dieser Keramik (Typ 6) kommt Kearsley zum Schluss, dass al-Mina in der Zeit zwischen 750 und 700 gegründet worden sei.531 Bleibt die Frage, ob die Töpfer der lokalen Imitationen an der nordsyrischen Küste und anderen syrischen Orten Griechen oder Syrer gewesen sind. Die Produzenten könnten 520 521 522 523 524 525 526 527 528 529 530 531

Boardman 1990, 171f. Vgl. Teil I 1.3. Jones 1986, 694; Boardman 1980, 38–54. Kearsley 1989, 133. Kearsley 1989, 3f., 143. Kearsley 1989 128–132, 144. Karte bei Kearsley 1989, 72 mit 73; Bonatz 1993, 144. Kearsley 143f. Bonatz 1993, 146. Jones 1986, 694–696. Kearsley 1995, 77f. Kearsley vermutet jedoch einen euböischen Töpfer in al-Mina, obwohl dort keine Keramikwerkstatt gefunden wurde. Kearsley 1989, 145.

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Boardman zufolge Griechen, eventuell aber auch (griechische) Zyprier gewesen sein.532 Ihre Produktion bezeichnet er als euböisch-levantinisch. In Kilikien (besonders in Kinet Höyük und Tarsos) hat man lokale Ateliers feststellen können, die solche Ware herstellten. Ihre Verbreitung und Entwicklung spricht für eine Produktion in Töpfereien, die in einem großen Raum verstreut lagen, der Kilikien, Zypern und die nordsyrische Küste umfasste. Es sind kaum griechische Werkstätten gewesen. In der ersten Hälfte des 7. Jh. ging nach den bisherigen Befunden die griechische Keramik zurück (Schicht VI), um in der zweiten Hälfte (V) wieder rapide zuzunehmen. Dieser Prozess ist auch in den anderen Küstenstätten Syriens und Südostkleinasiens zu beobachten. In Schicht V überwiegt ostgriechische Ware, doch hat man in al-Mina auch einige frühkorinthische Fragmente gefunden.533 Mit der nicht griechischen, d.h. mit der zyprischen und levantinischen Keramik beschäftigte sich Joan Du Plat Taylor.534 Sie bestätigte den Befund von Wooley, dass der zyprische Anteil der Keramik, der schon von Anfang an vorhanden war, um 700 (Schicht VIII) noch erheblich anstieg.535 Tatsächlich kann man von einer gewissen kilikisch-nordsyrisch-zyprischen Koiné in der Keramikproduktion sprechen, weshalb in vielen Fällen eine eindeutige geographische Zuordnung ohne Tonanalyse nicht möglich ist. Einar Gjerstad untersuchte einige Jahre später die kyprische Keramik aus al-Mina mit dem Ziel, aus ihr im Vergleich zur griechischen und syrisch-phönikischen eine Chronologie zu gewinnen.536 Er unterscheidet zwischen importierter und lokal imitierter Ware,537 wobei diese lokale Ware auch guter Qualität sei. Die zyprische Importkeramik ist Standardware, die wahrscheinlich meist als Behälter für verschiedene Produkte benutzt wurde.538 Typisch phönikische Ware (red-slip pottery) ist besonders im 8. Jh. stark vertreten, während sie in der zweiten Hälfte des 7. Jh. zurückgeht.539 In Schicht V (6. Jh.) ist sie nur noch selten anzutreffen. Die griechische Keramik besteht in Syrien zu 85% aus Trinkgefäßen. Wer aber hat diese Art von Keramik benutzt? Waren es griechische Seeleute auf der Durchfahrt oder hat die lokale Bevölkerung Geschmack an diesen Gefäßen gefunden, sodass sich eine Nachfrage für sie entwickelte? Kearsley macht diese Ware nicht den Eindruck sporadischer Importe für nichtgriechische Käufer.540 Bonatz zufolge wurde sie von Phönikern nach al-Mina und anderen Häfen gebracht, da sie ab Mitte des 9. Jh. mit diesen Griechen an vielen Orten des westlichen Mittelmeers zusammenkamen, teilweise mit ihnen zusammen lebten und Handel trieben.541 Was der These einer frühen Handelstätigkeit von euböischen oder anderen Griechen mit der nordsyrischen Küste allerdings u.a. entgegensteht, ist das Fehlen handelsrelevanter Keramikformen.542 Andere Arten von Tonwaren, welche eine lang währende, persönliche Anwesenheit von Griechen andeuten können, wie charakteristische Küchenge532 533 534 535 536 537 538 539 540 541 542

Boardman 2002b, 319, dort allerdings vorsichtig: »might have been made by Greeks in Al Mina«. Boardman 1965, 15. Du Plate Taylor 1959, 62–92. Vgl. Fig. 4 in Boardman 2002b, 321. Gjersted 1974, 107–123. Gjersted 1974, 115. Gjersted 1974, 115f. Bonatz 1993, 143. Kearsly 1995, 74. Bonatz 1993, 146. Vgl. dazu auch Teil IV 1.1.2.6.

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fäße, Lampen und andere Alltagsgegenstände, sind an der nordsyrischen und phönikischen Küste nicht vorhanden. Außer Keramik gibt es in al-Mina Kleinfunde wie Siegel, einige Bronzegegenstände und Perlen aus verschiedenen Steinen, welche den orientalischen Charakter dieser Siedlung widerspiegeln. Viele dieser Siegel sind lokale Glassiegel, wie sie seit dem späten 8. Jh. auch in Kilikien vorkommen.543 Sie weisen anatolische Traditionen auf. Eine andere Gruppe, die ebenfalls in den anderen nordsyrischen Häfen belegt ist, sind die sogenannten Lyre-PlayerSiegel, die seit der zweiten Hälfte des 8. Jh. in einem sehr weiten Raum verbreitet waren und deren Ursprung wohl auch in Kilikien oder Nordsyrien wie Karkemiš oder Zincerli zu suchen ist.544 Sie sind meistens aus rotem Serpentin gearbeitet, der häufig in Nordsyrien zu finden ist. Von Interesse ist ebenfalls eine in Schicht VIII von al-Mina gefundene Gussform für Schmuckstücke. Sie alle besitzen Formen, die im Osten beliebt waren und auch in der orientalisierenden Zeit in Griechenland gern benutzt wurden. Zweifellos gehörte diese Form nordsyrischen Handwerkern.545 Besonders interessant schienen markierte Elefantenzähne aus al-Mina.546 Nun lag die Schlussfolgerung nahe, al-Mina zu einem bedeutenden Elfenbeinlieferanten für Griechenland zu machen.547 Jedoch hat eine Nachfrage zu diesen Elefantenzähnen im British Museum ergeben, dass sie lediglich Teile eines Wasserbüffelhorns seien. Dasselbe Ergebnis brachte die Untersuchung eines weiteren ›Elefantenzahns‹ aus dem Asmolean Museum.548 Boardman zufolge lag al-Mina im Territorium »eines aramäischen Kleinstaates«,549 eine Behauptung, die nach ihm oft unbesehen zitiert wurde. Tatsächlich aber kann seine politische Zugehörigkeit genauer bestimmt werden. Das Orontesdelta gehörte spätestens seit dem 9. bis zum Beginn des 8. Jh. zu dem nicht unbedeutenden spätluwischen Staat Patin. Der Antakya-Stele (wohl von 796) zufolge wurden die Gebiete nördlich des Orontes, bzw. nördlich des Ğebel al-ʿAqra, ab diesem Datum Teil von Arpad, das damals bereits ein assyrischer Vasall war. Wenn al-Mina gegen Mitte des 8. Jh. entstand, wurde es vom damaligen König von Arpad ʿAtaršumki550 gegründet. So dürfte al-Mina etwas über ein halbes Jahrhundert unter der Herrschaft von Arpad gestanden haben, das damals ein recht großer aramäischer Staat in Nordsyrien war. Arpad hatte bis dahin keinen Zugang zur Küste besessen. Daher ist es folgerichtig, dass es möglichst schnell einen Hafen gründete, da Sabuniye wahrscheinlich durch Verlandung untauglich geworden war. Die Verteilung geometrischer griechischer Keramik in der ʿAmuq-Ebene zeigt deutlich Linien, die von al-Mina über Sabuniye zu den Tells Taʿyinat, Judeidah und Çatal Höyük führen,551 die nach 800 wohl mit Ausnahme von Tell Taʿyinat auf dem Territorium von Arpad lagen. Alle drei Tells waren große, befestigte Städte, welche in der Wirtschafts- und 543 544 545 546 547 548 549 550 551

Bonatz 1993, 150–155. Porada 1956, 185–211; zu ihrer Verbreitung und ihren verschiedenen Funktionen in den einzelnen Gebieten vgl. Hodos 2006, 67–69. Treister 1995. Barnett 1957, 165, Anm. 1. Vgl. z.B. Coldstream 1968, 384f. Francis, Vickers 1983, 249–251. Boardman 1980, 43. Vgl. Teil I 5.2.2. Braidwood 1971; vgl. Karte bei Luke 2003, 11.

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Sicherheitspolitik des Landes eine wichtige Rolle gespielt haben. In der Zeit des Königreichs von Patin waren die Festungen Çatal Höyük und Judaidah auf die Verteidigung gegen den Osten, d.h. gegen Arpad gerichtet. Zur Zeit ihrer Zugehörigkeit zu Arpad stellten sie wahrscheinlich Stützpunkte zur Verteidigung gegen die Assyrer dar, die letztendlich erfolglos blieb. Die Träger der griechischen Keramik bewegten sich also von al-Mina ins Hinterland. Al-Mina stand nicht lange unter der Herrschaft der Könige von Arpad. In den 40er Jahren des 8. Jh. kam zuerst Arpad (ca. 740) und dann Rest-Patin (738) unter unmittelbare assyrische Gewalt. Al-Mina war also ab Anfang der 30er Jahre des 8. Jh. assyrisches Staatsgebiet. Die Definitionen von al-Mina gehen weit auseinander: griechische Kolonie, bedeutender internationaler Handelsplatz mit einem griechischen enoikismos, phönikische Kolonie oder nordsyrischer Hafen, der das Binnenland mit Waren bediente. Dass al-Mina eine griechische Kolonie gewesen sein könnte, vergleichbar mit denen im Westen oder um den Pontos, ist aus historischen Gründen und wegen der archäologischen Funde als unmöglich abzulehnen. Die Behauptung, die assyrische Herrschaft über dieses Gebiet schließe eine starke griechische Präsenz nicht aus, erscheint erstaunlich552 und kann durch keinen analogen Fall gestützt werden. Die Assyrer schützten nach eigenen Quellen ihre Grenzen und Küsten ausgesprochen stark und effizient.553 Und gerade im 8. Jh. war die westliche Peripherie des Assyrischen Reiches wegen der permanenten Gefahr urartäisch-nordsyrischer Koalitionen besonders gefährdet. Als ein zusätzliches Argument gegen diese These könnte man die Tyrener in Que anführen, die sich von dort zurückziehen mussten, sobald das Land zu einer assyrischen Provinz geworden war. Aus archäologischer Sicht listet Jean Paul Descoeudres noch weitere Punkte auf, die deutlich gegen diese These sprechen.554 Die relativ hohe Anzahl von spätgeometrischen Scherben muss folglich eine andere Erklärung haben. Wenn man einen frühen ost-westlichen kommerziellen Austausch ansetzt, bleibt die Frage, womit Euboier gehandelt haben könnten. Darüber gibt es nur vage Vermutungen, da jegliche Hinweise fehlen. Die These, die Griechen hätten mit Trinkgefäßen gehandelt, weil diese bei der lokalen Bevölkerung sehr beliebt gewesen seien,555 entbehrt jeglicher Grundlage. Ihr widerspricht auch Boardman, der richtig darauf hingewiesen hat, dass sich die griechischen Trinkgewohnheiten nicht in der Levante verbreitet haben. Joanna Luke sieht in al-Mina, nach dem Begriff Polanyis, einen ›port of trade‹,556 in dem zwei verschiedene ökonomische Verhaltensweisen und Kulturen zum kommerziellen Austausch aufeinanderstoßen. Dabei sei die Verbindungsstelle eine Art freie Zone für die jeweiligen Ausländer, in welcher die ›freie Marktwirtschaft‹ der Griechen in eine ›orientalische Distributionsweise‹ überführt werde.557 Abgesehen von den nicht richtigen historischen Voraussetzungen, einer unzulänglichen Darstellung der orientalischen Wirtschaftsformen dieser Zeit und der ungenauen Definition der politischen Zugehörigkeit von al-Mina birgt die Anwendung eines solchen theoretischen Modells immer Gefahren einer Pauschalisierung und Verzerrung durch willkürliche Ergänzungen des viel zu geringen Materials. Angeführ552 553 554 555 556 557

Z.B. Luke 2003, 21. Vgl. Teil I 3. Descoeudres 2002, 53. Luke 2003, 30. Luke 2003. Luke 2003, 3–10. Die ›freie Marktwirtschaft‹ der damaligen Griechen bestand aus einem ungeregelten Tauschhandel; vgl. Teil IV 1.2.6.

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te Parallelen aus heutiger Zeit als Beweis für die Gültigkeit des Modells sind daher wenig überzeugend: Ein Grieche in al-Mina ist wohl kaum mit einem heutigen Chinesen in Thailand zu vergleichen. Vor allem aber benötigt ein ›port of trade‹ einen freien, d.h. autonomen Handelsraum, in dem die Regeln und Abläufe des Hinterlandes nicht geltend gemacht werden können. Dies aber ist unter den syrischen Königreichen und zur Zeit der assyrischen Herrschaft undenkbar. Den Rückgang griechischer Keramik in der ersten Hälfte des 7. Jh. und den verstärkten Import von zyprischer und phönikischer Ware wertet Tamar Hodos als politische und wirtschaftliche Konsequenz der assyrischen Interessen in dieser Region: Assyrien habe den Handel an der Ostküste des Mittelmeeres den Phönikern übertragen, da sie weniger rebellisch gewesen seien als die Nordsyrer.558 Dem ist entgegenzusetzen, dass dieser nördliche Küstenstreifen damals unter assyrischer Herrschaft stand und Aufstände in diesem Gebiet aus assyrischen Quellen nicht bekannt sind. Andererseits wurden die Phöniker gerade zu Beginn des 7. Jh. rebellisch und wurden von den Assyrern mehrmals belagert und bekämpft. Einer anderen These zufolge sei al-Mina keine griechische Kolonie gewesen, sondern ein ἐνοικισμός, in dem eine kleinere Gruppe von Griechen für längere Zeit gewohnt hätte. Dem steht in gleicher Weise entgegen, dass Funde fehlen, die einen Bevölkerungsteil sicher als eine ethnische und kulturelle Minderheit erkennen lassen: Gräber, Inschriften, spezifische Küchen- und Speichergefäße und Architektur.559 Die Rolle von al-Mina für die griechische Kulturgeschichte ist also stark übertrieben. Die Bewohner des Ortes waren Nordsyrer, die sich in nichts von denen anderer nordsyrischer Siedlungen unterschieden. Thesen, nach denen in al-Mina eine multikulturelle Gemeinschaft lebte, Griechen mit Syrern, Zyprern und Phönikern, lassen sich nur aufgrund der Keramik in keiner Weise beweisen.560 Die zahlreichen Scherben sind wahrscheinlich Spuren eines beschränkten Küstenhandels oder von sporadischen Aufenthalten mit anderen Zielen. Auch das Argument, in al-Mina konzentriere sich die griechische Keramik in einem sehr hohen Maße, kann kein Argument für eine ständige griechische Präsenz sein. Dagegen wendet Descoeudres außerdem ein, dass in Tyros die Menge griechischer Keramikscherben ähnlich groß wie in al-Mina sei, aber niemand werde Tyros als eine griechische Kolonie oder eine Stadt mit einem griechischen enoikismos bezeichnen.561 Die Tonscherben signalisieren lediglich, dass der Hafen in spätgeometrischer und archaischer Zeit häufig von Griechen angefahren wurde.

558 559 560 561

Hodos 2006, 38. Vgl. auch Niemeier 2001, 14, 22f. Kearsley 1995, 76; Hodos 2006, 40. Decoeudres 2002, 55. Dabei muss auch bedacht werden, dass in Tyros nur ein kleiner Teil der Keramik und anderer Gegenstände aus phönikischer Zeit tatsächlich bisher entdeckt wurde, vgl. Teil I 5.4.1.

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5.3.3 Ras al-Bassit Die Hafensiedlung Ras al-Bassit562 liegt auf einem kleinen Kap am südlichen Ende eines langen, fruchtbaren Küstenstreifens, der im Norden an den Ğebel al-ʿAqra grenzt, der sie von dem etwa 25km südlich gelegenen al-Mina trennt. Er heißt in den assyrischen Annalen vermutlich Ahta.563 Er und die westlichen Ausläufer des Ğebel an-Nusayriyah rahmen die Bucht vom Osten, Südosten und Norden ein. Vom Orontestal aus ist der Hafen schwer zu erreichen und vom Hinterland ist er isoliert. Das macht die Vermutung, Ras al-Bassit hätte Hamat oder einer anderen Stadt im Binnenland als Hafen dienen können, unwahrscheinlich.564 Um 1200 wurde es niedergebrannt, teilweise verlassen,565 aber ohne Hiatus von der alten Bevölkerung wieder aufgebaut. Wie in den übrigen Häfen an der syrischen Küste ist auch hier kein neues kulturelles Element zu erkennen, das auf ein fremdes, zugezogenes ethnos hinweisen könnte. Der erheblich gesunkene Lebensstandard der Nachfolgesiedlung muss in Verbindung mit den Unruhen während des Übergangs von der Bronze- zur Eisenzeit gesehen werden. Erst im 11./10. Jh. kamen wieder Importe aus Phönikien und Zypern und in der zweiten Hälfte des 10. Jh. auch einige wenige Keramikfragmente aus Euboia und/oder von den Kykladen.566 Zusammen mit denen aus Tyros und Abu Hawam sind sie die bisher ältesten griechischen Scherben in Syrien. Sie sind aber zahlenmäßig so gering, dass kein regelmäßiger Verkehr geschweige denn eine ständige Niederlassung von Griechen vermutet werden könnte. Ras al-Bassit gehörte in der frühen Eisenzeit bis zum Beginn des 8. Jh. zum Staatsterritorium von Patin oder Hamat. Nach 796 wurde der Hafen gemäß den Angaben der AntakyaStele567 dem Staat Hamat zugesprochen. Zusammen mit dessen Eingliederung in das Assyrische Reich gegen 720 wurde auch Ras al-Bassit zu assyrischem Staatsgebiet. Die These, Ras al-Bassit könnte vor 738 ein autonomer Kleinstaat gewesen sein, dessen Herrscher eventuell zu den »12 Königen« gehörte, mit denen Salmanassar III. im Jahr 853 zu kämpfen hatte, kann nicht richtig sein.568 Falls die Bucht von Ras al-Bassit im 9. Jh. eine kleine, selbständige politische Einheit dargestellt hätte, wäre deren Bedeutung wegen ihrer isolierten geographischen Lage über die eines lokalen Hafens nicht hinausgekommen. Ein militärisches Eingreifen einer solchen Gemeinde bei Kriegen im Binnenland ist deshalb sicher auszuschließen. Man müsste sich zudem fragen, mit welchen Kontingenten ein kleiner Hafen denn hätte teilnehmen können. Aus der Mitte des 9. Jh. stammen vier protogeometrische Fragmente, von denen drei von einer euböischen Amphore sein könnten.569 In die spätgeometrische Zeit datieren die Fragmente einer Schüssel und eines Skyphos, die wohl von den Kykladen kommen. Diese beiden Scherben können offensichtlich keine kommerzielle Tätigkeit von Griechen in Ras al-Bassit im 8. Jh. belegen. Ab der zweiten Hälfte des 8. Jh. entwickelte sich die Bebauung 562 563 564 565 566 567 568 569

Courbin 1974, 174–178; 1986, 175–220; 1990, 503–505; Perreault 1990, 59–83; 2003, 95–98. Lipińsky 2000, 291f. Luke 2003, 36 mit Literatur; Hodos 2006, 53. Courbin 1990, 50. Courbin 1990, 57. Vgl. Teil I 5.2.2. Luke 2003, 36; die Mitglieder dieser Koalition werden in der Königsinschrift außerdem genau aufgezählt und sind klar identifizierbar, s.o. Courbin 1993, 95–113.

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von Ras al-Bassit plötzlich recht dynamisch. Ein Teil der Siedlung wurde neu organisiert und man legte einen Speicherplatz für Naturalien an. Eine solche Speichervorrichtung kennt man aus späterer Zeit aus al-Mina und Tell Sūkās, wo sie schon im 10. Jh. errichtet wurde.570 Frühestens ab Mitte oder eher gegen Ende des 8. Jh. scheinen griechische Importe zahlreicher und vor allem auch regelmäßiger571 geworden zu sein. Dennoch überwiegt die phönikische Ware unter den Importen. Wohl unbehelligt von den zahlreichen syrischen Aufständen und von den Kriegszügen der Assyrer, die diesen isolierten Küstenstreifen nicht berührten, scheint Ras al-Bassit im 8. Jh. als Hafen aufzublühen, was aber insgesamt für die syrischen Hafenstädte in dieser Zeit charakteristisch ist. Höchstwahrscheinlich ist dieser Aufschwung mit der anwachsenden Schifffahrt, vor allem der phönikischen, zu erklären: Das war die Zeit, in der sich Tyros intensiv im östlichen Kleinasien engagierte.572 Dass Ras al-Bassit in der assyrischen Periode, die im Jahr 720 begann, ein ›freier Hafen‹ war,573 ist ausgeschlossen, denn unter der assyrischen Herrschaft gab es keine unabhängigen Städte. Der Speicherplatz aus dieser Zeit könnte für die auferlegten Abgaben errichtet worden sein. Die alten Gräber der Nekropole aus der Zeit vom 9. bis zum 6. Jh. zeigen Kremationsgräber mit Urnen, die mit Keramikgefäßen oder Bronzebechern abgedeckt sind.574 Etwa die Hälfte der Urnen stammt aus Phönikien, die andere ist lokaler oder zyprischer Produktion. Das Gros der Keramik weist Ähnlichkeit mit der aus Tarsos und Guzana auf.575 Die Sitte der Kremation ist in Syrien bereits in der Spätbronzezeit sporadisch anzutreffen und setzte sich in der frühen Eisenzeit durch. Man findet sie in Ras al-Bassit und Umgebung, Tell Sūkās, Hamat, Guzana/Tell Halaf und Karkemiš.576 Paul Courbin versuchte, anhand des Rituals und des Inventars die Zusammensetzung der Bevölkerung von Ras al-Bassit zu rekonstruieren. Allein an den Keramikfunden und Beigaben kann man aber, wie zu erwarten ist, kein eindeutiges demographisches Bild gewinnen. Manche Gräber enthielten Beigaben verschiedenartiger Herkunft: lokale, welcher denen von Hamat sehr nahe stehen, phönikische und zyprische. Griechische Gefäße fand man stellenweise auch in Grabkontexten, ohne jedoch die Gräber als griechisch definieren zu können.577 Wie in al-Mina gingen auch hier nach 700 die griechischen Importe zurück, während die phönikischen zunahmen. In der zweiten Hälfte des 7. Jh. nahm die Anzahl wieder zu, wobei die meisten nun aus Ostgriechenland, einige auch aus Korinth stammen. Das ergab sich durch die intensive Kommunikation zwischen Ostgriechenland und Naukratis. Aus dieser Zeit stammt das erste griechische Graffito aus Ras al-Bassit, das einen ionischen Personennamen zeigt.578 Eine weiteres, wohl etwas späteres, ist auf einen phönikischen ›torpedo jug‹ aufgetragen.579 Griechische Schiffe ankerten wegen der isolierten Lage des Hafens kaum 570 571 572 573 574 575 576 577 578 579

Bonatz 1993, 130. Courbin 1990, 596. Vgl. Teil I 5.1. Courbin 1990, 509. Courbin 1993b, 106, 115. Courbin 1993a, 503; nicht nur in FEZ I. Courbin 1993b, 104f. Hodos 2006, 53. Courbin 1978, 58. Courbin 1986, Pl. 48, 2.

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aus kommerziellen Gründen, sondern um ihn als bequemen Ankerplatz mit genügend Trinkwasser und guten Verpflegungsmöglichkeiten zu nutzen. Zudem war er auch in unruhigen Zeiten ein sicherer Ort. Attische Keramik kam in recht großer Menge gegen Mitte des 6. Jh. dazu. Einige dieser Gefäße tragen kurze Inschriften. Die meisten dieser griechischen Importe sind immer noch Trinkgeschirr, doch gibt es darunter auch einige wenige Amphoren.580 Die meisten griechischen Fragmente fand man im nordwestlichen Areal des Tell. Courbin zufolge existierte hier ein enoikismos: die Griechen hätten im Leben des Hafens eine wichtige Rolle gespielt, da sie ihm einen griechischen Namen (Posideion) gegeben hätten. Wir wissen allerdings nicht, wann und von wem der Hafen den griechischen Namen erhielt, den Herodot im 5. Jh. mitteilte. Er kam wohl erst in persischer Zeit auf, als griechische Händler an dieser Küste sehr aktiv waren. Griechische Traditionen im Sinn von Spuren kultischer Architektur oder Kleinfunde konnten für geometrische und archaische Zeit nicht entdeckt werden. Hierin unterscheidet sich Ras al-Bassit nicht von den übrigen Häfen in Nordsyrien. 5.3.4 Ras Ibn Hani Dieser Hafen befindet sich auf der nördlichen Landzunge einer südlich von Ras al-Bassit gelegenen Bucht581 und diente als Hafenstation zwischen Ras al-Bassit und dem weiter südlich gelegenen Tell Sūkās. Er hat keine direkte Verbindung mit dem Orontestal und ist daher wohl kein Hafen von Hamat gewesen.582 Wie Ras al-Bassit gehörte auch Ras Ibn Hani spätestens seit dem Beginn des 8. Jh. zum Territorium von Hamat, das im Jahr 720 dem Neuassyrischen Reich einverleibt wurde. Die architektonischen Reste zeigen deutlich eine Kontinuität von der Bronze- zur Eisenzeit.583 In der früheisenzeitlichen Siedlung wurde Myk. III C, 1b Keramik gefunden, die auch in vielen anderen syrischen Häfen auftritt.584 Aus dem letzten Viertel des 12. Jh. sollen auch zyprische und philistinische Scherben stammen. In dieser ersten Phase der Eisenzeit gab es seltene Kontakte mit Zypern und dem Inland585 sowie lokale Imitationen zyprischer Gefäße.586 Wie die übrigen nordsyrischen Häfen lieferte Ras Ibn Hani vom Ende des 9. bis zum 6. Jh. neben zyprischer auch griechische Keramik aus Euboia, Korinth und Ostgriechenland.587 Neben den überwiegend lokalen Scherben finden sich auch phönikische und samaritische, wobei sich ein großer Teil der phönikischen Gefäße als lokale Imitationen (red-slip auf lokaler Ware) erwiesen, die auch im Hinterland zu finden sind. Der phönikische Einfluss war hier wohl stärker als in den übrigen nordsyrischen Häfen.588 Die Grabungen des eisenzeitlichen Ras Ibn Hani sind in keinem abschließenden Bericht publiziert wor580 581 582 583 584 585 586 587 588

Courbin 1986, 111, Anm. 89: mindestens eine korinthische Amphore, zwei lakonische und einige rhodische oder milesische Amphorenhälse. Zu den geomorphologischen Besonderheiten vgl. Sanlaville 1978, 303–305. Anders Luke 2002, 36, ohne jedoch die ihrer Meinung nach möglichen Routen zu nennen. Bounni et al. 1981, 256. Bounni et al. 1976, 241f.; Lagarce 1983, 223f.; Badre 1983, 203. Bonatz 1993, 140. Bounni et al. 1978, 284. Eine einzige, aber nicht publizierte Scherbe soll griechisch geometrisch sein: Bounni et al. 1976, 245; 1978, 283f. Bonatz 1993, 140.

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den und viele, sicher wichtige Funde bleiben daher undokumentiert. Außerdem ist eine weite Fläche noch nicht archäologisch untersucht worden. Die Siedlung der Eisenzeit (EZ II) ist noch nicht gefunden: Die Keramik stammt ausschließlich aus den fossae.589 5.3.5 Tell Tweini Dieser Tell mit einer Fläche von 400×290m (also größer als Tell Sūkās) befindet sich bei der heutigen syrischen Stadt Ğebleh, 30km südlich von Lattakia. Er ist heute 1,7km von der Meeresküste entfernt und erhebt sich 10–15m aus seinem fruchtbaren Umland. Um ihn herum winden sich zwei Flüsse: der Rumailiah, der bis zu Beginn des 20. Jh. schiffbar war,590 und der al-Fawar. Bis in die frühe Eisenzeit hinein diente der Ort als Hafen. Dann verlagerte sich diese Funktion nach Gabala, einen Ort an der Küste, die damals wegen einer Senkung des Meeresspiegels bereits nicht mehr den Tell erreichte.591 Die Situation ist also mit der von Sabuniye und al-Mina am Orontesdelta vergleichbar. Der Hafen von Tell Tweini besaß außerordentlich gute Kommunikationswege: Er bediente die nord-südliche Küstenroute von den kilikischen Häfen bis zum Nildelta via Zypern und hatte gleichzeitig eine gute Anbindung zum Hinterland durch eine Passstraße über den Ğebel an-Nusayriyah in das Orontestal. Die frühsten auswärtigen Beziehungen begannen im 9. Jh. und weisen auch hier nach Zypern und zur phönikischen Küste.592 Sehr intensiv waren auch die Kommunikationen mit dem Binnenland. Die lokalen Keramikformen zeigen öfters Übereinstimmungen mit den südsyrischen, doch man sieht auch deutliche Parallelen zu Tell Kazel,593 Hamat, Ras Ibn Hani, der ʿAmuq-Ebene und Tarsos. Tell Tweini reiht sich also ohne größere Besonderheiten in dieses große nordsyrische Wirtschafts- und Kulturareal ein. Gegen Mitte des 9. Jh. ist eine kurze Siedlungsunterbrechung zu beobachten. Sie entspricht dem Übergang H1 zu H2 in Tell Sūkās, wo Zerstörungsspuren von den Feldzügen Salmanassars III. herrühren können,594 als er 853 in das Gebiet von Hamat einzog.595 Nach der Behebung der damals entstandenen Schäden scheint eine vergrößerte Bevölkerung die Siedlung mit vielen neuen architektonischen Strukturen organisiert zu haben. Es entstanden zahlreiche neue Wohnhäuser und sogar ein großes, vielleicht öffentliches Gebäude. Neue Straßen überzogen den gesamten Tell.596 In dieser Schicht (6 A–B) kam ein Heiligtum zum Vorschein, das aus einer weiträumigen, über große Treppen erreichbaren Halle besteht. In deren hinterem Teil fand man die Bronzestatue einer nackten Göttin, wie sie für Syrien charakteristisch ist.597 Die griechische Keramik, die bislang noch nicht veröffentlicht ist, scheint sich ihrem Cha589 590 591 592 593 594 595 596 597

Lagarce 1983, 223. Bretschneider et al. 1999, 76. Al-Maqdissi et al. 2007, 3–10. Der Meeresspiegel soll zuvor 5m höher als heute gewesen sein: Vansteenhuyse 2010, 48. Bretschneider et al. 1999, 104. Capet 2003. Riis 1970, 161. Vgl. Teil I 3. Biggs et al. 2008, 350. Vansteenhuyse 2010, 45.

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rakter und der Menge nach auch nicht von der in den übrigen nordsyrischen Häfen zu unterscheiden.598 5.3.6 Tell Sūkās Der Tell Sūkās liegt 7km südlich von Tell Tweini zwischen den heutigen syrischen Städten Banyas und Ğeble, etwa 26km südlich von Lattakia. Er befindet sich auf einer kurzen Landzunge und besaß zwei kleine natürliche Häfen. Die Ebene von Ğeble bietet ein überaus fruchtbares Hinterland, das auch heute zu einem der ertragreichsten Gebiete Syriens gehört. Der Ort ist durch eine Straße über das heutige Misyaf mit Hamat verbunden. Dieser Weg über den südlichen Ğebel an-Nusayriyah beträgt etwas über 100km. Er ist zwar mühsam, aber die einzige Verbindung zwischen Küste und Hauptstadt: Die bequeme Route von Hamat zum Mittelmeer über die Homssenke führte zum Territorium des phönikischen Staates Arwad. Tell Sūkās war bis 720 Teil des Staates Hamat, und wurde dann zu einer Westprovinz des Assyrischen Reiches geschlagen.599 Als Hafen bediente Tell Sūkās sowohl die Küstenschifffahrt als auch die Routen über das offene Meer zur Südostküste Zyperns. Die Schichten des Tell wurde von der Danish Archaeological Expedition unter der Leitung von Poul Jørgen Riis von 1959–1963 eingehend untersucht. Zwar zeigen sich Ende der Bronzezeit Zerstörungsspuren, doch die Siedlung wurde wie z.B. in Ras al-Bassit ohne Hiatus wieder aufgebaut.600 Aus der früheisenzeitlichen Schicht H2 (ca. 1170–850) kommen neben lokaler Ware auch Gefäße des sogenannten zweiten zypro-geometrischen Stils. Ob man deswegen jedoch Einwanderer aus Zypern annehmen soll, ist recht fraglich,601 zumal diese Keramik ein weites Verbreitungsgebiet in Nordsyrien und Kilikien hat. Dank seiner Lage unterhielt der Ort immer enge Beziehungen zu Zypern. Gegen Mitte des 9. Jh. wurde die Siedlung zerstört, was Riis mit den Syrienfeldzügen Salmanassars III. in Verbindung bringt.602 Falls das richtig ist, wird es sich um seine militärischen Aktionen gegen Hamat im Jahr 845 oder um seine späteren Züge gegen phönikische Städte, speziell gegen Arwad, gehandelt haben, das von Tell Sūkās über eine Küstenstraße gut erreichbar ist. Es können jedoch auch ganz andere, uns unbekannte Gründe gewesen sein, welche diese wie auch spätere Zerstörungen verursacht haben. Die frühen Baureste (Periode H2: 11.–10. Jh.) zeigen nur Wohnhäuser, deren Bau und Interieur sich nicht von den üblichen nordsyrischen unterscheidet. Speicherflächen deuten auf die prosperierende Landwirtschaft im Hinterland.603 Gegen Mitte des 9. Jh. ist anhand der Keramik eine engere Verbindung zum Binnenland erkennbar.604 Spätesten zu dieser Zeit scheint Tell Sūkās Hafen von Hamat geworden zu sein. Gleichzeitig verringerte sich der Anteil an phönikischer Keramik.605 Es ist überhaupt bemerkenswert, dass es in Tell Sūkās weniger phönikische Ware gibt als in anderen nordsyrischen Häfen.606 598 599 600 601 602 603 604 605 606

Mündliche Mitteilung von Herrn Masoud Badawi, für die ich ihm sehr dankbar bin. Möglicherweise in Kullania; vgl. Forrer 1921, 58. Riis 1970, 40, 126. Riis 1982, 240. Riis 1970, 40, 126. Lund 1986, 189. Bonatz 1993, 136f. zufolge ist sie auch weiterhin bis zum 7. Jh. zu finden. Bonatz 1993, 137. Bonatz 1993, 136.

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Wie in al-Mina stammen aus der zweiten Hälfte des 8. Jh. Siegel, welche zu den bekannten nordsyrisch-kilikischen Typen gehören: Glassiegel und Lyre-Player-Siegel. Sie beweisen die wichtige Stellung von Tell Sūkās innerhalb des Wirtschaftsgebietes, das die nordsyrische Küste, Zypern und Kilikien einbezog.607 Die Schicht H1 (in der zweiten Hälfte des 7. Jh.) endete mit einer Feuerkatastrophe, welche John Lund zufolge auf einen weiteren assyrischen Feldzug gegen Phönikien zurückzuführen ist.608 Die Quellen sprechen allerdings gegen eine solche Vermutung: 644/3 zog die assyrische Armee gegen Südsyrien (Akko, Ušu und Stämme im Norden Arabiens), also in ein Gebiet, das den dritten Ägyptenfeldzug des Aššurbanipal hätte gefährden können.609 Dazu gehörte die nordsyrische Küste nicht. Dieser Brand muss also einen anderen Grund gehabt haben. In dieser Schicht kam ein kleines offenes Heiligtum im Hafengebiet zum Vorschein, bei dem einige kleine Gefäße mit den Resten verbrannter Weihgaben und zahlreiche Stierfiguren entdeckt wurden.610 Um 800 treten auch hier euböische Skyphostypen auf, in denen Riis ein Zeichen dafür sieht, dass diese Siedlung in zunehmendem Maß von Griechen aufgesucht wurde.611 Allerdings ist die Menge der griechischen Keramik zu dieser Zeit sehr gering: zehn geometrische und subgeometrische euböische Fragmente von Trinkgfäßen, etwas später auch einige aus Korinth und Ostgriechenland.612 Dieser Befund stimmt in etwa mit dem auf der Akropolis von Hamat überein.613 Griechische Ware ist bei einem Survey in der Umgebung von Tell Sūkās nicht entdeckt worden.614 In dieser Periode (H1) sieht Riis dennoch die Existenz eines griechischen enoikismos auf Tell Sūkās. Auf der Zerstörungsschicht von H1 wurde eine neue Siedlung errichtet (G 3, ca. 675– 588), welche die Ausgräber als »The First Greek Building Phase« bezeichneten.615 Auf zwei Wohnungsflächen an der Peripherie des Siedlungshügels wurde eine relativ große Menge zyprischer Keramik gefunden, was Riis zur Vermutung führte, dass hier auch Zyprier gelebt haben könnten.616 Im zweiten Viertel des 7. Jh. nimmt die griechische Keramik ab.617 Einen Gebäudekomplex im östlichen Sektor des Tell aus dem ersten Viertel des 7. Jh. deuten die dänischen Archäologen als ein griechisches Heiligtum,618 das auf den Fundamenten eines früheren zerstörten Hauses errichtet wurde. Daher gilt Tell Sūkās seinen Ausgräbern als eine nordsyrisch-phönikische Siedlung mit einem griechischen enoikismos. Tell Sūkās und seine Umgebung gehörten damals jedoch schon lange als Provinzgebiet zum Assyrischen Reich. Die Architektur von Tell Sūkās ist die gleiche wie in den übrigen nordsyrischen Siedlungen. Die Wohnhäuser geben auch in den Schichten des 7. Jh. keine Hinweise auf fremde 607 608 609 610 611 612 613 614 615 616 617 618

Dessen Ausstrahlungsgebiet reichte jedoch weit über dieses Kerngebiet hinaus; vgl. unter al-Mina. Lund 1986, 189. Vgl. Teil I 3. Riis et al. 1996. Riis 1970. Ries 1982, 243. Riis 1970, Abb. 51, 9. Fugmann 195, 110–114. Riis 1970, 40; Lund 1986, 52–76. Lund 1986, 12. Dabei fällt auf, dass gerade seit Ende des 8. Jh., als die Küste assyrisches Reichsgebiet geworden war, die griechische Importware deutlich abnahm. Riis 1970, 52–87, 126.

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Bevölkerungsgruppen: Sie bestehen aus für dieses Gebiet normalen Bruchsteinmauern mit Quaderverstärkungen619 und weisen auch andere typisch nordsyrische Charakteristika auf. Die Beweise für einen griechischen Sakralbau sind nicht überzeugend: Er bestand aus einem kleinen rechteckigen, megaronähnlichen Bau mit Ost-West-Orientierung, der drei Räume aufwies. Er besaß außerdem einen monumentalen Altar, der fast so groß wie das Heiligtum selbst war, sowie eine phönikische Kultterrasse. Der gesamte Komplex war mit einem Peribolos umgeben. Keines dieser Einzelelemente weist eindeutig auf einen griechischen Ursprung hin: Rechteckige Architektur ist bei vorderasiatischen Heiligtümern die Normalform, megaronähnliche Heiligtümer und monumentale Altäre sind gerade im spätluwischen Kulturraum nicht selten. Dagegen ist die Kultterrasse dem griechischen Sakralbau völlig fremd, und ein Peribolos ist sowohl für griechische wie auch für vorderasiatische Tempel bekannt. Offensichtlich folgt auch dieses Gebäude älteren lokalen Traditionen.620 Viele der hier nachgewiesenen Tieropfer sind in dieser Zeit ebenfalls für beide Kulturen normal, andere dagegen (wie das Opfer von Eseln, falls es überhaupt Opfer waren) wären für beide abnorm. Innerhalb des Heiligtums entdeckte man eine rhodische Scherbe mit zwei eingeritzten Buchstaben, die allerdings keinen archaischen Eindruck machen, und ostgriechische Keramik, darunter auch Fikellura, sowie attische, zyprische und phönikische Importe. Einige Fragmente von Dachziegeln wertet Riis als eindeutigen Beweis für den griechischen Ursprung des Gebäudes: Nur ein griechischer Architekt hätte den Wunsch und die Fähigkeit besessen, ein Ziegeldach zu bauen.621 Die Ziegel sind jedoch nicht vor das 6. Jh. zu datieren.622 Es ist zudem nicht sicher, zu welchem Bau diese Fragmente gehören und ob sie überhaupt einem Bauwerk zugeschrieben werden können, denn die meisten von ihnen sind nicht in ihrem Fundkontext entdeckt worden.623 Bonatz hebt zu Recht hervor, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass Griechen auf einem exponierten Platz der Siedlung zwischen lokalen Wohnstrukturen ein eigenes Heiligtum erbaut und unterhalten hätten.624 Daher ist dieser Fund für die These einer »griechischen Siedlungsphase« viel zu unsicher.625 Welche Gottheit wurde in diesem angeblich griechischen Heiligtum verehrt? Riis liest das Grafitto auf einer Scherbe mit den Buchstaben ]ΑΛΙΟΗΜ[626 als Ἡλίου εἰμί (mit dem ion. Η anstelle des dor. A), also als eine Weihung an den Herrn dieses Tempels, Helios. Der Verfasser wunderte sich selbst, dass der sonst nur auf Rhodos als bedeutende Gottheit verehrte griechische Sonnengott hier sein Heiligtum gehabt haben soll. Seine Deutung wird von vielen Wissenschaftlern akzeptiert,627 dennoch ist sie nicht sicher. Die Scherbe ist vor dem Alpha abgebrochen. Daher ist die Lesung ›Helios‹ nur eine Spekulation. Wahrscheinlich haben davor noch andere Buchstaben gestanden. Es gäbe daher viele Möglichkeiten der 619 620 621 622 623 624 625 626 627

Riis 1970, 251. Bonatz 1993, 132 mit Parallelen. Riis 1970, 52. Hodos 2006, 55. Ries 1970, 69. Bonatz 1993, 132; er fügt hinzu, dass es aber sehr wahrscheinlich sei, dass Griechen dieses Heiligtum besucht hätten. Riis 1970, 127f.; die Schichten G3 bis G1 nennt er dementsprechend »First«, »Second« und »Third Building Phase«. Riis 1970, Fig. 26 e. Z.B. Hodos 2000, 50, 56.

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Lesung, aber über vage Vermutungen kommt man nicht hinaus.628 Ein weiterer und viel wichtigerer und aufschlussreicher Hinweis auf den göttlichen Adressaten sind einige RešefFiguren aus dem Tempelbereich.629 Dieser wohl ursprünglich kanaanitische Gott ist seit der Bronzezeit bekannt. In der Eisenzeit ist er in Phönikien,630 Nordsyrien,631 Kilikien632 und auf Zypern633 ikonographisch und schriftlich belegt.634 Er wäre als Gottheit für ein Zentralheiligtum in Tell Sūkās sehr wahrscheinlich. Diese nahe liegende Erklärung aber stört, wenn das Heiligtum unbedingt zu einem griechischen gemacht werden soll. Dementsprechend versuchte Riis den griechischen Helios mit dem semitischen Rešef zu verbinden.635 Er geht davon aus, dass Helios in Sūkās mit Apollon identifiziert wurde. Das geschah in Griechenland tatsächlich, aber erst später und ist kultisch in der archaischen Zeit nirgends nachzuweisen. Rešef wurde aber von den Griechen auf Zypern mit Apollon gleichgesetzt und zwar aufgrund seiner Attribute: Pfeil und Bogen, und vielleicht in seiner Funktion als Pest bringender Gott.636 Es fehlen außerhalb Zyperns allerdings Analogien aus anderen griechisch-semitischen Kontaktgebieten. Daher scheint es am wahrscheinlichsten, dass dieses ›griechische‹ Heiligtum tatsächlich ein syrischer Tempel für den syrischen Rešef war, in dem sich die Einheimischen zum Gottesdienst versammelten. Griechische Tonfragmente wurden auch in der Südnekropole von Tell Sūkās entdeckt, in denen lokale, griechische oder phönikische Beigaben gefunden wurden, ohne die Toten dadurch ethnisch fassen zu können. Riis vermutet eine gemischte griechisch-phönikische oder zumindest »recht stark hellenisierte Bevölkerung«.637 Hier datieren die ältesten Funde in das späte 7. Jh., und im 6. Jh. nehmen sie stark zu. Griechische Trinkgefäße ersetzen teilweise die lokalen Schalen.638 Außerdem verweist Riis auf eine größere Konzentration griechischer Keramik in einigen Häusern und auf eine Spindel aus lokalem Ton mit einer griechischen Inschrift, auf welcher der Name ihrer Eigentümerin steht.639 G3 endete auch mit einem Brand (ca. 588), von dem aber nicht die ganze Siedlung erfasst war. Eiserne Pfeilspitzen in der Peripherie lassen auf einen Angriff von außen schließen. Riis bringt dieses Ereignis mit der ägyptischen Offensive im Jahr 588 in Verbindung.640 Es ist aber wenig wahrscheinlich, dass Apries, der einen Feldzug gegen Südsyrien (Palästina) geführt hatte, so weit in den Norden vorgedrungen wäre. Ein von äußeren Feinden verursachter Brand wäre eher auf die syrischen Eroberungen Nabukadnezars bis 570 zurückzuführen.641 628 629 630 631 632 633 634 635 636 637 638 639 640 641

Z.B. könnte man ein Kappa davorsetzen und ein Epithet bzw. einen Spitznamen lesen: Κ]αλίου εἰμί. Riis 1970, 85. KAI 15. KAI 214, 2–3: Sam’al. KAI 26, II 10–12: Karatepe. KAI 39, 42 (Idalion); KAI 32 (Kition). Day 2000, 206–208. Riis 1979, 85. Vgl. zu diesem Aspekt des Gottes AT, Dtn 32,23–24; Ps 78,48 u.a. Riis 1970, 450. Bonatz 1993, 138. Riis, 1970, 158, Fig. 53 d. Riis 1970, 58f., 126. Vgl. Teil I 4.

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Auf dieser Schicht folgt G2 (ab 588), auch »the Second Greek Buildung Phase« genannt, die eine deutliche Kontinuität mit der vorangegangenen zeigt. Dabei dominiert weiterhin die ostgriechische Keramik vor korinthischer und attischer. Als al-Mina um 600 für etwa acht Jahrzehnte verlassen wurde, profitierte Tell Sūkās offensichtlich davon: Die Importe stiegen rapide an.642 Die zyprische Keramik bleibt weiterhin am zahlreichsten. Fremde, nicht syrische Ware entdeckte man vor allem am Rand der Siedlung,643 was für Handelsniederlassungen bzw. Faktoreien sprechen könnte. Auch Tell Sūkās scheint zumindest teilweise gegen Mitte des 6. Jh. Angriffen zum Opfer gefallen zu sein.644 Anfang des 5. Jh. wurde der Ort verlassen. Riis weist darauf hin, dass die Siedlungen auf Tell Sūkās im 7. und 6. Jh. insgesamt keinen griechischen Charakter hatten. Es handle sich eher um eine phönikische Stadt mit einem starken griechischen Bevölkerungsteil. Tell Sūkās lag allerdings nördlich des phönikischen Bereichs. Bis 720 gehörte er zum Staat Hamat, der bis zur Etablierung der aramäischen Dynastie des Königs Zakkur (um 800) im spätluwischen Kulturbereich lag. Wie überall an der syrischen Küste waren auch hier phönikische Seefahrer vertreten, doch die Funde zeigen in keiner Weise eine so starke phönikische Präsenz, dass man von einer phönikischen Stadt sprechen könnte. Bonatz kommt sogar aufgrund der Tatsache, dass viele Formen aus dem phönikischen Repertoire fehlen, zu dem Schluss, dass keine engen Beziehungen zur phönikischen Küste bestanden haben können.645 Archäologische Quellen zeigen im 9. und 8. Jh. intensive Beziehungen zur Stadt Hamat. Als diese im Jahr 720 von Assyrien eingenommen und zerstört wurde, brachen sie ab. Tell Sūkās wurde danach von Simirra (Tell Kazel) aus verwaltet, dem assyrischen administrativen Zentrum dieser Küste. Dementsprechend sind zu dieser Zeit deutliche Verbindungen zwischen Tell Sūkās und Tell Kazel auszumachen. 5.3.7 Zusammenfassung Abgesehen von Ugarit, einem Vasallenstaat des anatolischen Hethiterreiches, das Ende der Bronzezeit völlig zerstört und verlassen wurde, weisen die übrigen Siedlungen an der nordsyrischen Küste keine oder nur geringe Schäden auf, welche ohne Hiatus von den früheren Bewohnern beseitigt wurden. Allen gemeinsam sind ein demographischer und wirtschaftlicher Rückgang, was mit den Unruhen, welche der Fall des Hethitischen Reiches und die Vernichtung Ugarits verursachten, zu verbinden ist. Eine neue politische Aufteilung dieser Region kann gar nicht friedlich vor sich gegangen sein. Keiner dieser Orte war ein autonomer Hafenstaat vergleichbar mit den phönikischen und philistinischen urbanen Zentren. Spätestens seit dem 10. Jh. gehörte der gesamte nordsyrische Küstenstreifen einzelnen spätluwischen und aramäischen Territorialstaaten, deren Hauptstädte im Binnenland lagen, welche sie als Häfen nutzten und kontrollierten. Sie lagen nicht an den internationalen Seerouten des Mittelmeers, sondern an einem zweitrangigen Seeweg, welcher der Küstenschifffahrt bis Kilikien diente, und darüber hinaus lokale Verbindungen zu Zypern besaß. Die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen der Hä642 643 644 645

Mit dem Wiederaufbau von al-Mina IV gehen sie wieder ein wenig zurück: Ploug 1973, 97. Lund 1986, 191. Riis 1970, 86f. Bonatz 1993, 137.

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fen untereinander und mit Zypern sind durch die Verbreitung der kilikisch-zyprischen Ware, die Imitationen zyprischer Keramik, das Repertoire der figürlichen Dekorationen, Bronzen, Siegel usw. bewiesen. Einige dieser Häfen waren durch hohe Gebirgsketten vom Hinterland isoliert (Ras alBassit, Kašpuna), andere lagen an oder zumindest in der Nähe von Straßen, welche sie mit dem weiteren Binnenland verbanden (Tarsos, Kinet Höyük, al-Mina, Tell Sūkās und Tell Tweini). Die Orte der ersten Gruppe kommen nur als Ankerplätze in Frage. Die Orte der zweiten Gruppe dienten zusätzlich auch als Häfen ihrer jeweiligen Hauptstädte im Binnenland: al-Mina für Tell Taʿyinat, Tell Sūkās wie wohl auch Tell Tweini für Hamat. Diese Häfen hatten also ein größeres Potential für kommerzielle und andere Tätigkeiten. Die Entwicklung der Häfen dieser zweiten Gruppe hing davon ab, wie intensiv sie von ihren Hauptstädten benötigt und benutzt wurden und auf welche Weise Kontrolle über sie ausgeübt wurde. Als wirtschaftliche Faktoren hatten sie offensichtlich keine große Bedeutung. Die Landrouten waren für die Binnenstaaten zweifellos wichtiger, denn sie waren auf Mesopotamien und Südostkleinasien über Mittelsyrien orientiert. Wenn man die Tribut- und Beutelisten der assyrischen Westzüge betrachtet, findet man keine Gegenstände oder auch Menschen, welche über diese Häfen kamen. Nach der Einverleibung in das Neuassyrische Reich wurde die gesamte Küste militärisch gesichert. So erfahren wir aus Dokumenten über die Küstenstreifen von Phönikien und Palästina, wie streng und effizient sie überwacht wurden.646 Entsprechende Quellen gibt es auch zur nordsyrischen Küste. So geht aus einem Brief aus Nimrud hervor, dass ein Statthalter den Hafen Kašpuna (Minat al-Kassab) ausgebaut und für die dortige Garnison 30 Männer aus Siyanu geschickt hat.647 Spätestens seit dem Ende des 8. Jh. stellte die Piraterie ein ernsthaftes Hindernis für die Seefahrt dar. Da die Seeräuber die Küstenroute von Kilikien zum Süden benutzten, dürften auch die nordsyrischen Küstensiedlungen unter ihnen gelitten haben. Brände, welche den Assyrern zur Last gelegt werden, könnten auch von solchen Seeräubergruppen verursacht worden sein.648 Zyprische Keramik war die erste Importware an der nordsyrischen Küste. Sie blieb die gesamte Epoche über präsent. Die Intensität des Kontaktes war allerdings nicht konstant. War die zyprische Keramik im 10. Jh. noch selten anzutreffen, so nahm sie im 9. Jh. rapide zu. Während des 8. Jh. war der kulturelle und kommerzielle Austausch zwischen Zypern, Que und der nordsyrischen Küste so stark, dass einige Keramikformen in allen diesen Gebieten Verbreitung fanden und ihre Distributionszentren schwer zu bestimmen sind (vgl. z.B. die sogenannten al-Mina cups).649 Lokale Töpfer imitierten oft zyprische Formen.650 Ab ca. 900 erscheint die erste phönikische Ware an der nordsyrischen Küste. Ihr Anteil an der jeweiligen Keramik ist unterschiedlich: zwischen dem 9. und 7. Jh. in Ras Ibn Hani nur gering, in Ras al-Bassit dagegen recht groß, wo er gegen Mitte des 7. Jh. allmählich zu646

647 648 649 650

Vgl. dazu Teil 1 5.3. Das zeigt z.B. eine assyrische Verordnung in aramäischer Sprache aus dem nördlichen Libanon. Darin wird unter Androhung der Todesstrafe die Auslieferung von bestimmten Personen an den königlichen Beauftragten gefordert: Kottsieper 2001, 182f. ND 2715, in Saggs, 1955, 126–154. Vgl. Teil IV 2.1. Vgl. Teil I 5.3.2. So eine Amphorenart, die nach 700 in Tell Sūkās verbreitet war und die Buhl 1985, 112f. zufolge, aus Zypern kam.

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I. Kurzer historischer Abriss

rückging. In Tell Sūkās erscheint sie auch im 9. Jh., nahm aber bis zum 2. Viertel des 7. Jh. beständig ab. In al-Mina findet sich phönikische Keramik schon in der ersten Schicht. Man kann hier fast das gesamte klassische Repertoire der typischen Red Slip Keramik finden. Im späten 8. Jh. nahm sie im Gegensatz zu Ras al-Bassit etwas ab. Die politischen Situationen der jeweiligen Staaten, die Bedingungen in den Häfen, Navigation, Logistik u.a. könnten diese Schwankungen bestimmt haben. Das Repertoire wie auch die Menge der phönikischen Keramik lassen zusammen mit anderen Funden phönikischer Provenienz auf eine nicht unerhebliche Präsenz von Phönikern schließen. Am interessantesten ist hier der griechische Anteil an den Keramikfunden. Die frühsten (protogeometrische) Scherben aus dem 10. Jh. sind in Ras al-Bassit und Ras Ibn Hani, also in den nördlichsten Häfen, zu finden.651 Ihre Anzahl stieg während des 9. Jh. ein wenig an. Gleichzeitig erweitert sich ihre geographische Distribution: Sie ist nun auch in Tell Sūkās zu finden. In der folgenden Zeit entdeckt man sie vermehrt in allen nordsyrischen und südkleinasiatischen Hafensiedlungen, vorwiegend euböische Skyphoi652 meistens aus der zweiten Hälfte des 8. Jh.653 Gleichzeitig begannen lokale Imitationen euböischer Formen und Dekorationen, die zusätzliche zyprische Merkmale aufweisen.654 Ende des 8. bis zum Beginn des 7. Jh. nahm die griechische Keramik überall zeitweilig ab. In Griechenland war diese Zeit die der Kolonisation, für die viele Menschen und Kräfte benötigt wurden. Der Zufluss vorderasiatischer Impulse nach Griechenland brach aber deswegen nicht ab, sondern erreichte im Gegenteil in der orientalisierenden Periode seinen Höhepunkt. Unter den orientalischen Votiven in Olympia und im Heraion auf Samos stammt etwa ein Viertel aus Nordsyrien.655 Dieser Widerspruch könnte mit einer höheren Qualität der quantitativ abnehmenden Kontakte oder mit der Dynamik der sekundären Rezeption in Griechenland erklärt werden. Im Verlauf des 7. Jh. wurden nordsyrische Importe nach Griechenland immer weniger. Nach 700 findet man vor allem ostgriechische Gefäße, deren Nachahmungen in lokalen Töpfereien bald zahlreicher als die Importe waren.656 Sie sind aber weiterhin nur ein sehr geringer Teil der gesamten Keramik. Mit wenigen späteren Ausnahmen besteht die frühe griechische Keramik aus Trinkgeschirr. Dieser Umstand ist von besonderer Bedeutung und wird verschiedenartig interpretiert: 1. Griechen sind am gegebenen Ort gewesen und haben mit ihren gewohnten Trinkgefäßen ihre Symposia abgehalten. Allerdings wissen wir über eine Symposionkultur der Griechen im 9. und 8. Jh. so gut wie gar nichts. Daher ist auch die These, ihre Symposion-Kultur habe derjenigen der lokalen Eliten entsprochen, nicht belegbar. Die Syrer hatten ihre eigne Trinkkultur.

651 652 653 654 655 656

Im Süden zeigt auch Tyros solche frühen Fragmente. Vgl. Teil I 5.3.7. Bonatz 1993, 144. Hodos 2006, 74 mit Literatur. Kilian-Dirlmeier 1985, 231, 234, 237, 250. Colombier 1987.

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2. Die Syrer seien so von der Güte griechischer geometrischer Trinkgefäße überzeugt gewesen, dass sie sie gern gekauft hätten.657 Dagegen sprechen sowohl die sehr geringe Menge an dieser Keramik wie auch theoretische Überlegungen.658 3. Die Gefäße seien als Gegenstände des Austausches (xenia) zwischen den Griechen und den lokalen Eliten im Vorderen Orient benutzt worden. Oben wurde jedoch festgestellt, dass sich syrische Eliten nicht in den syrischen Hafenstädten aufhielten, sondern im Hinterland wohnten. 4. In diesem Zusammenhang hätten diese Tonwaren im Osten den Wert eines Statussymbols erhalten.659 Im Vorderen Orient dienten Metallgeschirr und andere Luxusgegenstände aus kostbaren Rohstoffen als Statussymbole, nicht aber Tongefäße.660 Keine dieser Interpretation ist also überzeugend. Wegen der spezifischen Funktionen und den sich meist ähnelnden Fundsituationen ist es wahrscheinlich, dass diese Trinkgefäße Griechen gehörten. Sie können aber über die Dauer des Aufenthalts und über die Tätigkeiten ihrer Besitzer keine Aussagen machen. Da sowohl die archäologischen Kontexte als auch die historischen Bedingungen griechische Niederlassungen an der syrischen Küste ausschließen, bleibt nur die Erklärungsmöglichkeit, dass griechische Seefahrer bei der Anfahrt bestimmter Küsten- und Binnenorte die Scherben ihrer Trinkgefäße zurückgelassen haben. In diesem Fall wäre diese Keramik ihr persönliches Eigentum zur täglichen Nutzung gewesen. Die relativ große Konzentration in Orten wie al-Mina oder Tell Sūkās lässt vermuten, dass diese häufig von griechischen Schiffen angefahren wurden und wahrscheinlich als Ausgangsbasis für weitere Routen dienten.661 Die für eine Rezeption kultureller Werte wie z.B. literarisch-mythologischer Themen und Sujets, Technologien u.a. erforderlichen Kontaktbedingungen können nicht in den Häfen gesucht werden. Die euböischen Fragmente in der ʿAmuq-Ebene aus dem 8. und in einigen Fällen sogar aus dem 9. Jh.662 zeigen die Wege zu urbanen Zentren, in denen eine solche Rezeption möglich war. Die einzige Hafenstadt, die solche Kontaktbedingungen bieten konnte, war Tarsos.663 5.4 Die südsyrischen Länder Die Länder südlich von Hamat bis zur ägyptischen Grenze unterscheiden sich in vieler Hinsicht von denen Nordsyriens. Die Küstenführung mit einigen großen Buchten begünstigte die Entwicklung großer Hafenanlagen, die schon in der Bronzezeit Verkehrsknotenpunkte des internationalen Handels waren. Da sie weitgehend durch Gebirgszüge vom Binnenland und ihren Nachbarstaaten isoliert waren, konnten sie sich schon früh zu selbständigen Staaten entwickeln und ihre Autonomie auch in der Eisenzeit bewahren. Die natürlichen 657 658 659

660 661 662 663

Luke 2003, 46; Coldstream, Bikai 1988, 43. Vgl. Teil I 1.1. Auf den elitären Charakter der geometrischen Ware weisen Luke 2003, 45–47, 52; Hodos 2006, 59 u.a. hin. Allerdings ist ihre Beobachtung, sie habe sich in elitären Kontext im Osten befunden, nur in wenigen Ausnahmefällen richtig. Vgl. zu diesen Problemen auch Teil II 1.1. Vgl. Teil IV 1.1. Das meiste Material ist allerdings noch nicht publiziert. Vgl. auch Hodos 2006, 64. Eine weitere Ausnahme war auch die Stadt auf dem Kinet Höyük, vgl. Teil I 5.3.1.

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I. Kurzer historischer Abriss

Ressourcen der südsyrischen Länder waren im Altertum nicht unerheblich. Die kostbaren Hölzer aus dem Libanon wurden schon im 3. Jt. in Ägypten und Mesopotamien verhandelt. Metalle waren allerdings nur in bescheidenem Maße vorhanden.664 Handel war die wichtigste Einnahmequelle. Die Fernstraßen von Nordsyrien führten nach Ägypten, die Wüstenroute über Tadmur (Palmyra) verband Südsyrien mit Mesopotamien, und die Weihrauchstraße das Gebiet des heutigen Jemen mit Gaza. Um die Syrische Wüste zu umgehen, begannen alle Westzüge der Assyrer vom Norden. Daher wurde Südsyrien erst später von der Expansion der assyrischen Macht erfasst. Während Nordsyrien häufig Koalitionen in Anatolien suchte und fand (z.B. in Urartu oder bei den Muški), versuchten die südlichen Staaten immer wieder Ägypten als Bündnispartner zu gewinnen. Wie im Norden gelang es auch dem Süden nicht, eine effektive Front gegen die Assyrer aufzubauen, und so wurden auch sie mit Ausnahme der Vasallenstaaten Juda, Tyros und vielleicht Arwad Ende des 8. bzw. Anfang des 7. Jh. zu Provinzen Assyriens. Die Bevölkerung Südsyriens war wie die im Norden heterogen: An der phönikischen Küste wohnten die Nachfahren der alten bronzezeitlichen Westsemiten. Aramäer dominierten vor allem im Osten. Ob sie erst in der frühen Eisenzeit eingewandert sind oder vorher als Nomaden dort gelebt hatten, ist nicht zu sagen. Auch von den Juden ist ungewiss, ob sie erst im 11. Jh. in ihre historischen Gebiete gekommen sind. Und gänzlich unbekannt ist die Vorgeschichte der Philister. Abgesehen von diesen Völkern vermerkt das Alte Testament noch eine Reihe von anderen Ethnonymen, die schwer zu bestimmen sind. Es erwähnt auch Enklaven von spätluwischer Bevölkerung, was wegen der Nachbarschaft zu Hamat nicht verwunderlich ist. 5.4.1 Die phönikische Küste Die Begriffe Phönikien und Phöniker sind Fremdbezeichnungen aus der griechischen Antike. Die von den Bewohnern gebräuchlichen Namen bezogen sich entweder auf die jeweiligen politische Einheiten (Stadt/Land Tyros, Byblos usw.), urbane Zentren, die auf dem Staatsgebiet eines bestimmten Stadtstaates lagen (wie die Stadt Sarepta) oder größere geographische Abschnitte (»die Länder des Oberen Meeres im Westen« u.ä.), die aber keinen Unterschied zwischen der nordsyrischen und phönikischen Küste machten. Die Phöniker sind durch ihre Sprache und Kultur zu identifizieren: ihre Inschriften, spezifische Keramik, Elfenbeinschnitzerei, Metallarbeiten, Götterkulte u.a. Sie sind die direkten Nachkommen der Bevölkerung, welche in der bronzezeitlichen Literatur als Kanaanäer bezeichnet wurde. Diese Westsemiten wurden in der frühen Eisenzeit geographisch eingeschränkt, im Süden durch Juden und Philister und im Osten und Nordosten durch eine spätluwische Teilbevölkerung, die im Lauf der ersten Jahrhunderte des 1. Jt. ihrerseits immer mehr durch die Aramäer zurückgedrängt wurde. Phönikien erstreckt sich von Akko im Süden bis einschließlich Arwad im Norden. Die Entfernung zwischen der Küste und dem Libanon beträgt zwischen 3 und maximal 12km, d.h. das Hinterland zur Versorgung der Bevölkerung war zwar knapp, bot aber Voraussetzungen für eine effiziente und intensive Landwirtschaft. Wahrscheinlich war der gesamte 664

Die Kupferminen von Timna im Süden Israels wurden in der Eisenzeit nicht abgebaut, vgl. Finkelstein, Silberman 2009, 248.

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Küstenstreifen wegen der schmalen Anbaugebiete wie heute fast lückenlos besiedelt. An vielen Stellen treten die Berge direkt ans Meer und trennen damit die Küste in einzelne, voneinander isolierte Buchten. Diese geographischen Gegebenheiten bestimmten staatliches Leben und Wirtschaft der Phöniker. Das Meer war für die Phöniker keine Barriere, sondern Kommunikationsweg, auf welchem sie schon mehrere Jahrtausende Erfahrungen gesammelt hatten. Mit der wieder wachsenden Bedeutung des Fernhandels seit dem 11. Jh. entwickelten sie neue technische Möglichkeiten zur optimalen Nutzung der Seerouten: Innovationen im Schiffbau und in der Navigation, durch welche sie Tag und Nacht auf hoher See fahren und gegen den Wind kreuzen konnten.665 Das befähigte sie seit dem 9. Jh. weite Strecken zurückzulegen und Kolonien, bzw. Faktoreien rund um das westliche Mittelmeer und an der Atlantikküste zu gründen und mit ihnen regelmäßige Kontakte zu unterhalten.666 Der wichtigste Exportartikel war das Holz der berühmten Libanonzeder. Da außer Eisen- und ein wenig Kupfererz aus dem Libanon andere Metalle fehlten, mussten diese aus Zypern und Kleinasien importiert werden. Auch Lebensmittel waren wegen der begrenzten Anbaumöglichkeiten öfters knapp und Quellen zeigen, dass sie zeitweilig auch importiert werden mussten. Wein und Olivenöl dagegen konnten die Phöniker ausführen. Nach nur einer relativ kurzen Zeit des wirtschaftlichen Rückgangs in der ersten Hälfte des 12. Jh. blühten diese Städte sehr schnell wieder auf. Diese vorübergehende Krise ist an der Architektur und vor allem in den merklich verringerten Importen, besonders aus Zypern, festzustellen.667 Sie ist auf den Zusammenbruch der früheren Handelsrouten und -beziehungen, die verschwundenen oder zurückgegangenen Märkte zurückzuführen. Die fehlende Sicherheit dieser Routen, die keine staatliche Institution mehr gewährleisten konnte, schränkte den Handel zusätzlich ein.668 Diese neue Situation ist deutlich in der Erzählung des Wen-Amun (s.u.) reflektiert, in der das Selbstbewusstsein eines phönikischen Königs gegenüber einem ägyptischen Beamten auf eine geradezu unhöfliche Weise zum Ausdruck gebracht wird. Stärker und früher als in anderen Ländern des östlichen Mittelmeers ist hier bald wieder ein Bevölkerungszuwachs zu beobachten.669 Wie organisiert und ausgedehnt der Handel bereits Ende des 11. Jh. wieder war, zeigen Spuren der Phöniker im Nildelta, in der ʿAmuq-Ebene, im Gebiet von Homs und besonders die Reiseerzählung des Wen-Amun, aus den Jahren nach 1069.670 Während der Handel mit Ägypten weiterhin in eher bescheidenem Ausmaß, aber regelmäßig weiter bestand, brachen im 12. Jh. die wirtschaftlichen Beziehungen zu Mesopotamien zeitweilig wohl ganz ab. Auch der Binnenhandel in näher gelegene Gebiete scheint längere Zeit nicht mehr existiert zu haben, wie die Befunde von Kamid el-Loz zeigen.671 Die neuen Rahmenbedingungen führten zwangsläufig zu einer Umstrukturierung der Wirt665 666 667 668 669 670 671

Seefahrt war wegen der Winde allerdings im Winter nicht möglich. Hdt. 4,42 zufolge wurde sie vom Frühling bis in den Oktober betrieben. Cullican 1991. Bikai 1978, 6. Sehr deutlich geschildert in Die Erählung von Wen-Amun, Schipper 2005; vgl. auch Bikai 1978, 73. Sommer 2005, 193. Schipper 2005, 165. Markoe 2003, 25.

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schaft: Auch wenn das Holz weiterhin eine gefragte Exportware blieb, verlagerte sich das Gewicht immer mehr auf das verarbeitende Handwerk. Damit übernahmen die Phöniker einen Teil der Produktion, die in der späten Bronzezeit von den früheren Palastzentren hergestellt und benutzt worden war, nämlich Luxuswaren als Statussymbole: Metallgefäße, große, mit Figuren und Ornamenten geschmückte Schalen, Elfenbeinschnitzereien, vorrangig als Intarsien für Möbelstücke, Glasperlen und vor allem die Textilindustrie mit der Purpurfärberei. Ihre Waren erreichten nach der Übergangszeit alle Gebiete von Mesopotamien bis in die Ägäis und das westliche Mittelmeer. Letztendlich bewirkten die Phöniker im gesamten Mittelmeerraum eine gewisse kulturelle Nivellierung, welche auch die Griechen übernehmen und mitgestalten konnten.672 Die wichtigste Erwerbsquelle war immer noch der Handel, durch den sie die eigenen Waren absetzten, durch Zwischenhandel Profite erzielten und ihre Werkstätten mit den notwendigen Rohstoffen versorgten. Sie wurden zu den größten und bedeutendsten internationalen Häfen und gleichzeitig Umschlagplätze für die Waren der Landrouten, die vom Osten an das Mittelmeer stießen. Durch diese Tätigkeiten standen sie in engen diplomatischen und handelspolitischen Beziehungen zu fremden Staaten und zu Gebieten mit Stammesstrukturen. Seit dem 10. Jh. hatte Syrien zunächst sporadisch, dann regelmäßig unter den Einfällen und Beutezügen der Assyrer zu leiden. Seit dieser Zeit findet man in Assyrien immer mehr phönikische Erzeugnisse, besonders Metallwaren und Elfenbeinschnitzereien. Unter Aššurnasirpal II. (883–859) wurden zum ersten Mal in einem größeren Umfang Tribute aus Phönikien eingesammelt. Aber auch als Handelsware oder als Beutestücke aus Drittländern kamen viele solche Fundstücke nach Mesopotamien. Die politische Geschichte dieser phönikischen Stadtstaaten ist wegen der unzureichenden Quellenlage nur in wenigen Bruchstücken bekannt: wenige phönikische Inschriften von diesen Küsten wie auch solche aus den phönikischen Außenposten (Zypern, Que, Sam’al, Karthago u.a.),673 die neuassyrischen Annalen, zahlreiche Stellen der Geschichtsund Prophetenbücher des Alten Testaments, einige ägyptische Dokumente sowie wenige und meist sehr viel spätere griechische Angaben, die zum Teil auf komplizierten Wegen der Überlieferungsgeschichte auf ältere phönikische Schriften zurückgehen. In diesem Zusammenhang sind die Werke des hellenisierten jüdischen Schriftstellers Flavius Iosephus hervorzuheben, der nicht nur Quellen benutzte, die nicht erhalten sind, sondern auch eigene Recherchen in Phönikien anstellte. Seit dem 9. Jh. geben die neuassyrischen Annalen die meisten und wichtigsten Informationen. In der ersten Phase der westlichen Eroberungen, von Tiglath-pilesar I. (1114– 1076)674 und Aššurnasirpal II. (883–859),675 werden sie nur als assyrische Tributträger genannt. Das wird in der Literatur meist in dem Sinn gedeutet, dass die Phöniker eine assyrische Oberherrschaft anerkannt hätten. Auch die Annalen Salmanassars III. (858–824) und die Adadneraris III. (810–782) berichten über Tribute aus den phönikischen Städten. Lange hielten die syrischen Länder sich vor einer Konfrontation mit dem Reich, dessen Gren672 673 674 675

Aubet 1993, 3. Vgl. Teil II 2.2.5. Zur Expansion vgl. Teil I 5.2 und 5.3. Aus »Tyros, Sidon, Arwad und Amurru«.

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zen immer näher rückten, zurück.676 Diese ›feige‹ Haltung, wie sie den Phönikern in der Historiographie seltsamerweise mit einem moralischen Impetus immer wieder vorgeworfen wird, entsprang wirtschaftlichem und politischem Kalkül wie auch sicher dem Umstand, dass die Kämpfe in Syrien mit Landheeren ausgefochten und entschieden wurden. Und die Hafenstädte verfügten sicher über nur wenige solcher Truppen; sie besaßen vorwiegend Kriegsflotten. Erst mit der zweiten Expansionsphase in den Westen, die mit Tiglath-pilesar III. (745–727) begann und eine Eroberung bis Gaza zum Ziel hatte, kam es zu ersten Auseinandersetzungen zwischen Assyrien und Tyros (743–732). Als erster assyrischer König setzte er sich zum Ziel, die phönikische Küste einer wirksamen assyrischen Kontrolle zu unterwerfen. Die phönikischen Häfen erhielten seit Ende des 8. und zu Beginn des 7. Jh. eine besondere strategische Bedeutung, als sich Assyrien mit dem Ägypten der nubischen Dynastie konfrontiert sah:677 Sieg und Herrschaft über Syrien waren für die Ägypter nur über die südsyrische Küste möglich. Umgekehrt war für die Assyrer der feste Besitz ganz Syriens nur durch eine Entmachtung des aufstrebenden Ägypten gesichert. Nach dem Fall des Neuassyrischen Reiches gerieten die Phöniker zunächst zwischen die babylonisch-ägyptischen Fronten.678 Danach fielen sie unter babylonische Herrschaft (ab ca. 605 bis 539).679 Phönikien war während der babylonischen Herrschaft vom internationalen Handel weitgehend abgeschnitten und wirtschaftlich erschöpft. In ihren eigenen Inschriften nennen sich die phönikischen Könige ›Richter‹680 und ›Feldherr‹681 und unterstreichen kultische Verpflichtungen als Priester der Stadtgottheiten.682 Es ist bemerkenswert, dass die phönikischen Könige keine kommemorativen Inschriften hinterlassen haben. In den assyrischen Dokumenten ist der phönikische König zudem als Unterhändler, Vertragspartner und Inhaber staatlicher Wirtschaftsmonopole dargestellt. Er war also derjenige, welcher die Richtlinien für die Außenpolitik und die Ökonomie bestimmte. Diese Funktionen werden in den phönikischen Votiv- und Grabinschriften kaum thematisiert. In der erwähnten Erzählung von Wen-Amun berief der byblitische König683 eine Versammlung ein, bevor er eine wichtige Entscheidung traf.684 Diese Versammlung war wahrscheinlich ein Gremium, das sich aus den Häuptern der einflussreichen Familien der Stadt zusammensetzte. Mehrere Jahrhunderte später gibt der Vertrag zwischen Esarhaddon und Baʿal von Tyros, der in das Jahr 676 datiert wird,685 einige Hinweise auf politische Organe der Stadt: Neben Baʿal ist in mehreren Paragraphen auch »das Volk von Tyros« als Ver676 677 678

679 680 681 682 683 684 685

Z.B. Oded 1974, 40. Vgl. Teil I 2. Schipper 1999, 231. Eine Statue Psammetichos I. aus Arwad könnte darauf hinweisen, dass tatsächlich die gesamte phönikische Küste unter ägyptischer Oberherrschaft stand. Allerdings müsste diese wie auch andere archäologische Fundstücke neu eingeordnet und interpretiert werden: Schipper 231, Anm. 200. Vaanderhooft 1999, 83. Bei Wen-Amun: der syrische und phönikische König als Richter (1,13–14; 2,73). KAI 14, 19; vgl. Sommer 2000, 205. KAI 13, 1, 4, 6f. u.a.; Ios. c.App. 1,119 u.a. Inschriften auf Pfeilspitzen mit seinem Namen aus Tell Kazel (»Zakarba’al, König von Amurru« und »Ben Anat, Vater des Zakarba’al«); vgl. Capet, Gubel 2000, 430–432 mit Fig. 5. Wen-Amun 2,1. SAA 2, Nr. 6.

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tragspartner genannt.686 Zudem regelt dieser Vertrag etwas in Verbindung mit einem »Ältestenrat«: Der vom Esarhaddon eingesetzte assyrische Beamte (qêpu) wird offensichtlich verpflichtet, an dessen Versammlungen teilzunehmen.687 Ein phönikischer Stadtstaat präsentierte sich also als eine Bürgergemeinde unter der Herrschaft eines konstitutionellen Monarchen und mit politischen Gremien, welche die Interessen der Oberschicht vertraten. Somit zeichnet sich die Sozialstruktur ab: Es gab eine einflussreiche und wirtschaftlich außerordentlich starke Elite, die aus Landbesitzern und im Fernhandel tätigen Unternehmern bestand, die vor allem im Auftrag des Königs Geschäfte abwickelten.688 Auch größere Handwerksbetriebe waren vermutlich für den Hof tätig und ihm weisungsgebunden.689 Darunter existierte eine wohl recht breite Schicht von Handwerkern und kleineren Händlern, die privat agierten und in einem bescheidenen Wohlstand lebten. Dieser Bevölkerungsteil konnte durch die Ausgrabungen von Sarepta ausgemacht werden.690 Phönikischer Sklavenhandel ist gut durch griechische Quellen belegt.691 Was für einen genauen Status Sklaven wie auch die Landbevölkerung, die auf den Felder und Gärten als Bauern oder im Gebirge als Holzfäller arbeitete, hatten, ist allerdings unbekannt. Nur aus einer späteren und nicht eindeutig zu interpretierenden Quelle erfahren wir, dass die »Bergbewohner« Tyros »Tribute« leisten mussten.692 Darunter waren auch nichtphönikische Bevölkerungsgruppen. Es gibt noch eine besondere politische Institution bei den Phönikern, die in Karthago belegt ist, und manches spricht dafür, dass ihr Ursprung in deren Mutterstadt Tyros zu suchen ist: das Suffetat. Den Suffeten (›Richter‹) kam die Vertretung des Königs zu.693 In Tyros wurde die Monarchie von dem babylonischen König Nabukadnezar durch solche ›Richter‹ zeitweilig abgelöst. In Karthago, das bis zum 2. Jh. v.Chr. nie unter eine Fremdherrschaft geriet, setzte sich das Suffetat durch und wurde zum höchsten politischen Gremium. Ob in Tyros oder anderen phönikischen Städten dieses Amt als eine Art Stellvertretung des Königs schon vor den Babyloniern existiert hatte, ist allerdings sehr unsicher. Von allen phönikischen Stadtstaaten ist nur die Geschichte des mächtigsten und einflussreichsten, Tyros, durch die Quellen so gut bekannt, dass eine, wenn auch lückenhafte, Geschichte geschrieben werden kann.694 Die übrigen treten nur in den Erwähnungen assyrischer Annalen in Erscheinung. Daher sind nur streiflichtartige Ausschnitte aus ihrer Geschichte erkennbar. Sidon, 35km nördlich von Tyros gelegen, spielte im 12. und 11. Jh. unter den phönikischen Stadtstaaten die hervorragendste Rolle. Tiglath-pilesar I. erwähnte es Ende des 11. Jh. in 686 687 688 689 690 691 692 693 694

Ibid. in der Präambel I,1–2; Rs 15ʹ–20ʹ. Ibid. Rs. 6ʹ–8ʹ. Vgl. Jes 23,8: »… Tyros … dessen Kaufleute wie Fürsten auftraten und dessen Händler die vornehmsten Herrscher der Erde waren?« Vgl. die Handwerker, die Hiram I. für Arbeiten nach Jerusalem abkommandierte; vgl. zum Quellenwert und der Datierung Teil I 5.4. Pritchard 1978; Anderson 1988. Z.B. Hom. Od. 15,415–484 die Geschichte des Eumaios, u.a. Ios. ant.Iud. 5,3; c. Ap. 1,119. Ios. c.App. 1,156–158. Katzenstein 1973.

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seinen Annalen.695 Ihre Bedeutung verdankte die Stadt der Lage auf einem breiten Kap und den zwei natürlichen Häfen, den nördlichen (der geschlossene Haupthafen) und den südlichen. Durch die Flüsschen Awwali und Barghut beiderseits der Stadt und zusätzliche Quellen ist die Wasserversorgung ausgesprochen gut. Die Stadt besitzt außerdem eine schmale und 540m lange vorgelagerte Insel, die bei Gefahr als Zufluchtsort dienen konnte. Ihr Territorium dehnte sich zur Zeit des Höhepunkts ihrer Macht vom Tal des Libanon (Biqaʿ) bis nach Galiläa aus. Im 10. Jh. verlor Sidon ihre Bedeutung an Tyros. Von der Zeit des Königs Hiram I. von Tyros (ca. 971 bis 939) bis zur Regierung des assyrischen Königs Sennacherib (704–681), ist kein einziger sidonischer Königsname bezeugt: Der ›König der Sidoner‹ war in dieser Zeit in Wirklichkeit immer der König von Tyros.696 Zwar wird Sidon in einigen Fällen in assyrischen Quellen als Stadt genannt, doch nicht als selbständig agierender Staat. So brachten unter Aššurnasirpal II. (883–859) und unter Salmanassar III. (858–824) nach der Schlacht bei Qarqar (853) sowohl Sidon als auch Tyros Tribute, aber diese Erwähnung entsprang eher dem Wunsch, die Liste der Tributträger so lang wie möglich zu gestalten. Sennacherib ließ nach der Bestrafung von Tyros im Jahr 701 in Sidon kurzzeitig ein autonomes Königtum unter assyrischer Oberherrschaft zu. Sidon, Arwad und Byblos, die sich nach der Niederschlagung eines Aufstandes unterwarfen, wurden verschont. 701/700 trennte Sennacherib Sidon von Tyros und setzte Ethbaʿal (assyr. Tubalu) als König über Sidon und das tyrenische Territorium auf dem Festland ein.697 Dass Sidon auch über Tyros geherrscht hat, wie oftmals behauptet wird, kann allerdings nicht stimmen: Tyros hatte sich nicht ergeben, war also nicht in assyrischer Hand gewesen. Sennacherib konnte Ethbaʿal nicht überlassen, was er nicht besaß.698 Somit gehörte Sidon wieder zu den vier größten phönikischen Städten, und das war ein enormer Prestigegewinn. Doch nach der Ermordung des Sennacherib (um 680) erhob sie sich unter dem Nachfolger des loyalen Ethbaʿal, Abdi-milkutti. Diese Revolte war umso gefährlicher für Assyrien, als sich Abdi-milkutti mit König Sanduari in den Städten Kundu und Sizu im anatolischen Taurusgebirge verbündet haben soll.699 Assyrien nahm Sidon 677 nach einer Seeschlacht ein und zerstörte es.700 Möglicherweise hat Tyros die dazu benötigten Schiffe gestellt, da seine Flotte im Jahr 701 ja keine Verluste erlitten hatte. Eine Schwächung des gerade von Tyros abgetrennten Sidon musste für die Tyrener von höchster Priorität gewesen sein. Viele Sidoner wurden nach Assyrien deportiert.701 An ihrer Stelle siedelte man Deportierte aus anderen Gebieten des Reiches an. Sidon wurde zu einer assyrischen Provinz mit einem sehr beschränkten Territorium. Die Stadt hatte also nur 25 Jahre einen Aufschwung als assyrischer Vasallenstaat genießen können. Esarhaddon ließ von Einwohnern der »Hatti-Länder und der ganzen Meeresküste« in der Nähe der zerstörten Stadt die »Festung Esarhaddons« (Kar-Esarhaddon) 695 696

697 698 699 700 701

RIMA 2 A.0.87.2, 5–8ʹ; A.0.87.3, 16–25 u.a. Vgl. Katzenstein 1973, 224. Hiram I. von Tyros wird von Eupolemos (bei Eus. Pr.Ev. 9,30,4; 9,31,1) entweder »König von Tyros und Phönikien« oder »König von Tyros, Sidon und Phönikien« genannt. Vgl. ausführlich bei Tyros. Katzenstein 1973, 151. Vgl. Teil I 5.1; Borger 1956, S. 49f.: A III 20–38. Borger 1956, S. 48: A II 68–74. Vgl. z.B. Borger 1956, S. 20, Fassung c: E.

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errichten.702 Sidon war also vollständig vernichtet. Dass dies so beabsichtigt war, lässt sich daran erkennen, dass diese neue assyrische Hafenstadt an einem anderen Ort erbaut wurde und eine vorwiegend nichtphönikische Bevölkerung erhielt. Sie lag vermutlich zwischen Sidon und Tyros. Ihre Lokalisierung in Tell el-Burak zwischen Zahrani und Sarafand scheint sehr wahrscheinlich, denn von hier aus konnten die nördliche Grenze von Tyros und sein gesamter Schiffsverkehr überwacht werden.703 Tell el-Burak könnte zudem die von Sennacherib zerstörte Stadt Klein-Sidon gewesen sein, auf deren Trümmern Esarhaddon seinen Hafen anlegte.704 Vorläufige Unterwasseruntersuchungen vor der Küste von Tell el-Burak haben Hafenanlagen wahrscheinlich gemacht.705 Allerdings müssen zukünftige Ausgrabungen diese Vermutung erst bestätigen. Der Hafenbetrieb wurde von Assyrern übernommen, wie man es bereits mehrere Male in Gaza versucht hatte. Er dürfte nicht als großer Flotten- und Handelshafen konzipiert worden sein, denn sonst wäre der Verzicht auf das auf jeden Fall vorteilhaftere Sidon nicht zu erklären. Wahrscheinlich diente er vor allem als Kontrollstation, welche die Bewegungen der phönikischen Schiffe registrieren sollte, und als Anlegehafen für Verbündete.706 Wie lästig aber dieser assyrische Hafen dennoch für alle phönikischen Städte war, zeigt eine Blockade vor der Hafeneinfahrt durch Schiffe aus Tyros und Arwad. Der damalige assyrische König Aššurbanipal führte daraufhin Verhandlungen, bei denen Arwad einknickte, nicht aber Tyros. Sidon wurde zur Zeit des babylonischen Nabukadnezar wieder neu aufgebaut. In einem Orakel erwähnt Jeremiah einen »König von Sidon«707 und ein solcher ist auch in der Liste von Vasallenkönigen auf einer Inschrift Nabukadnezars II. zu finden,708 die erste Erwähnung eines sidonischen Königs nach der Zeit Esarhaddons. Byblos (Gubla, h. Jbail) liegt ca. 37km nördlich von Beirut auf einem leicht erhöhten Kap.709 Das Stadtgebiet umfasste maximal 5ha und wurde durch eine eigene Quelle mit Wasser versorgt. Es besaß ebenfalls zwei natürliche Hafenbuchten, die jedoch ungeschützt und vom Festland durch Riffe getrennt sind. Als Anlegeplatz zur Ladung des Zedernholzes schlägt Honor Frost die heute verlandete Bucht von el-Skhiny vor, die allerdings vom Meer aus nur schwer zugänglich gewesen sein dürfte.710 Das nahe gelegene Gebirge bot der Stadt zwei Rohstoffe: Zedernholz und allerdings nicht sehr ergiebige Kupferminen. In die frühe phönikische Zeit datiert der berühmte Sarkophag des Königs Ahiram, dessen Grab sich in der bronzezeitlichen Königsnekropole befindet. Die Inschrift darauf ist die frühste phönikische Steininschrift und stammt wohl aus dem beginnenden 10. Jh.711 Wahrscheinlich haben auch die großen Tempel des 2. Jt. weiter existiert und dem Kult gedient. Es finden sich Reste von Befestigungsanlagen (Mauern und Glacis), und ein Teil eines Wohnviertels. Leider haben spätere Überbauungen wie auch die Kräfte der Natur gerade 702 703 704 705 706 707 708 709 710 711

Borger 1956, S. 48, A III 79–82. Sarepta (Sarafand) gehörte damals wieder zu Tyros. Sader 1996; Finkbeiner, Sader 2001, 173–190. Kamlah, Sader 2003. Fuchs 2008, 91f. Jer 28,1 aus dem Jahr 594. Borger 1961, 313. 25m über einer Felsbasis: Frost 1998/9, 245. Frost 1998/9, 247. KAI 1.

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diese eisenzeitlichen Schichten fast vollständig zerstört. Die Residenz der Könige lag wohl ganz im Südosten des Hügels, wenn man der Beschreibung des Wen-Amun folgt. Direkt daneben befand sich der sogenannte runde Tempel, und östlich davon die beiden anderen großen Heiligtümer. Die ununterbrochene Nutzung der alten Königsgräber und ägyptische Quellen des 11. Jh. schließen einen Hiatus aus. Der Handel von Byblos mit Ägypten brach auch nach 1200 nicht ab, denn der ägyptische Reisebericht des Wen-Amun712 gibt einen lebendigen Eindruck von dieser Hafenstadt, die auch weiterhin regelmäßige Kontakte zu Ägypten unterhielt. Byblos erscheint außerdem in der Ortsnamenliste des Amenenope aus etwa derselben Zeit.713 Von assyrischer Seite wird Byblos in einer Inschrift Tiglathpilesars I. (1114–1076) als Tributträger genannt.714 Die Pharaonen der 22. Dynastie ließen hier ihre Statuen als Weihgeschenke für die dortigen ägyptischen Götter als Geste enger politischer und kultureller Beziehungen aufstellen. Auf diesen Bildern brachten byblitische Könige ihre eigenen Inschriften an: so Abibaʿal eine Weihung an Baʿalat Gubla auf der Basis einer Statue Schoschenqs I. und Elibaʿal auf einer Osorkons I.715 in der zweiten Hälfte des 10. Jh. Der kulturelle Einfluss aus Ägypten war in Byblos weiterhin erheblich, wenn auch nicht so stark wie in der Bronzezeit. Im 9. Jh. liest man wieder von Tributzahlungen an den Assyrerkönig Aššurnasirpal II. (zusammen mit Tyros und Sidon).716 Salmanassar III. zählte Byblos zu den Aufständischen der phönikischen Küste, die er bei Qarqar im Jahr 853 zu bekämpfen hatte. 738 flossen wieder Tribute aus Byblos, als Tiglath-pilesar III. gegen Hazaël von Damaskus zog und nachdem Patin und die »19 Provinzen von Hamat« in assyrische Provinzen umgewandelt worden waren.717 Die Könige von Byblos hatten seit Tiglath-pilesar III. den Status eines Vasallenstaates, und wurden von Simirra aus kontrolliert. Jacob Katzenstein zufolge stand Byblos bis dahin unter einer politischen und wirtschaftlichen Oberherrschaft von Tyros. Der tyrenische König Ethbaʿal I. gründete nämlich in der ersten Hälfte des 9. Jh. nördlich von Byblos den Hafen Botrys (Batroun).718 Ob dieser lediglich ein Hafenstützpunkt von Tyros an der nordphönikischen Küste war oder unter direkter politischer Macht von Tyros stand, ist unbekannt. Wäre die erste Vermutung richtig, so würde diese Gründung auf ein zerrüttetes Verhältnis zwischen Tyros und Byblos hinweisen, denn handelspolitisch macht Botrys nur Sinn, wenn Byblos seine Häfen für tyrenische Schiffe geschlossen hätte. Unbekannt ist ebenfalls, zu welchem Territorium Botrys damals gehörte, wenn es nicht unter Tyros gestanden haben sollte. Wenn es byblitisches gewesen ist, muss Tyros dieses Land im Kampf erworben haben. Umstritten ist auch, wie die Aussage des Propheten Ezechiel (gegen 573)719 zu interpretieren ist: »Die Ältesten von Gubla und deine erfahrensten Männer fuhren auf dir [d.h. Tyros in der Metapher von einem Schiff], um deine Risse zu dichten.«720 712 713 714 715 716 717 718 719 720

Vgl. dazu auch Teil I 2. Gardiner 1968, 150, Nr. 257. Vgl. Teil I 3. KAI 5 und 6; vgl. dazu Lipińsky 2006, 166. Katzenstein 1993, 143–147. Vgl. zu den geschichtlichen Hintergründen Teil I 3. Ios. ant.Iud. 8,13,2, der an dieser Stelle Menander zitiert. Es ist allerdings sehr umstritten, auf welche Zeit der tyrenischen Geschichte sich diese Stelle bezieht; vgl. zur Datierung Teil IV 1.2.4. Ez 27,9.

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Diese Formulierung könnte sowohl eine enge Zusammenarbeit zwischen Gubla und Tyros als auch politische Unterwerfung bedeuten. Sicher ist, dass Tyros dank seiner exponierten Stellung auch die Politik der selbständigen phönikischen Städte direkt oder indirekt mitbestimmen konnte. Den Ägyptenhandel hatte es seit dem 8. Jh. an sich gezogen und damit Byblos die Grundlage seiner internationalen Beziehungen und des damit verbundenen Reichtums und Machtanspruchs entzogen. Von der zweiten Hälfte des 9. Jh. bis ca. 750 und zwischen 701 und ca. 600 sind keine byblitischen Königsnamen bekannt.721 Die Assyrer vermerken keine Teilnahme der Stadt an Aufständen, keine Beute und keine Gefangene.722 Für 701, in der Regierungszeit des Sennacherib, sind lediglich Tribute aufgelistet. Als Kontaktzone zwischen Griechen und Phönikern hat Byblos wohl nicht gedient. Griechische Autoren der archaischen und klassischen Zeit erwähnen sie nicht, erst Strabon nennt sie im Zusammenhang mit dem Ostfeldzug des Pompeius wieder.723 Arwad (griech. Arados) war ein kleiner, aber in der Geschichte der Levante nicht unbedeutender phönikischer Stadtstaat, der auf einer ca. 40ha großen Insel nahe des Festlandes lag. Auf dem kontinentalen Territorium, dessen Umfang unbekannt ist, befand sich in Amrit der Außentempel der Stadt. In assyrischer Zeit war es von der Provinz Kullania im Norden begrenzt, im Süden stieß es an einer nicht bestimmbaren Linie wahrscheinlich an das Territorium von Byblos bzw. das der tyrenischen Gründung Botrys. Es hatte in der ausgedehnten, fruchtbaren und gut bewässerten Ebene um Amrit genügend Land, um seine Bewohner zu ernähren. Auch hier existieren zwei durch natürliche Molen getrennte Häfen. Arwad besaß eine durchgehende Festungsmauer, deren Reste heute noch sichtbar sind. Es unterhielt eine starke Kriegsflotte. Der Genesis zufolge gehörten die Bewohner von Arwad zusammen mit den Hiwitern und Hamatitern u.a. zu den Nachfahren des Ham über Kanaan,724 sie wurden also zu den politisch wichtigen, wenn auch entfernteren Nachbarn gezählt. Ezechiel nennt Arwad neben Sidon »Ruderer von Tyros«.725 Die Autonomie von Arwad ist durch zahlreiche Quellen zweifelsfrei belegt. Aššurnasirpal II. erhielt Tribute aus Arwad, aber Salmanasser III. traf im Jahr 853 bei Qarqar auch auf Kontingente von dessen König. Als Adadnerari III. im Jahr 802 seinen vierten Syrienfeldzug unternahm, stieß er bis ans Meer vor und ließ eine Stele auf Arwad errichten.726 Arwad geriet damals in ein Vasallenverhältnis. Auch Tiglath-pilesar III. traf, vom Orontes kommend, auf seinem Feldzug gegen Philistia (734) auf Truppen des Königs Matan-baʿal von Arwad. Alle diese assyrischen Quellen zeigen, dass Arwad nicht nur über eine Kriegsflotte, sondern auch über ein nicht unbedeutendes Landheer verfügte. Aus der Regierungszeit des Esarhaddon stammt ein Brief über antiassyrische Tätigkeiten des damaligen Königs Iakinlû.727 Der Brief wurde von einem assyrischen Beamten verfasst, der wohl in Simirra residierte.728 Er beschwert sich darin, dass der König von Arwad keine Schiffe 721 722 723 724 725 726 727 728

Katzenstein 1973, 115, 122. Elayi 1985, 393. Strab. 16,2,18. Gen 10,17–18. Ez 27,8. RIMA III A.0.104.7, 9. SAA 16, S. 113–114, Nr. 127. Schwemer 2000, 589.

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zum »Hafen des Königs« hineinließ, d.h. dass er zusammen mit Tyros die oben erwähnte Seeblockade des assyrischen Hafens Kar-Esarhaddon ausführte.729 Der Beamte vermerkt weiter: »(Er) hat den ganzen Handel an sich gerissen«.730 Außerdem seien Kapitäne, die dennoch in den assyrischen Hafen einlaufen wollten, getötet und ihre Schiffe konfisziert worden.731 Das Problem war keine Bagatelle. Im selben Brief lastet der Beamte dem Iakinlû sogar Spionage an: Er habe einen Mann in Simirra, der für ihn »in Aššur« auskundschafte.732 Und schließlich habe er sogar assyrische Investoren geprellt. Der Brief datiert wohl in die letzten Jahre des Esarhaddon.733 Aus etwa derselben Zeit stammt eine Orakelfrage des Kronprinzen Aššurbanipal an den Sonnengott über Iakinlû: Würde dieser den von ihm gesandten Boten empfangen und seiner Anweisung gemäß handeln?734 Diese Quellen beweisen, dass Arwad in der Westpolitik Assyriens eine so wichtige Rolle spielte, dass es nicht ignoriert werden konnte. Während des ersten Feldzugs des Aššurbanipal gegen Ägypten (667) musste sich der widerspenstige König von Arwad jedoch zusammen mit den »22 Königen«735 der syrischen Küste unterwerfen und Schiffe zur Verfügung stellen.736 Im Zug der zweiten Ägyptenkampagne (662) stellte sich Arwad mit Tyros auf die Seite Ägyptens und wurde mit Gewalt zur Anerkennung der assyrischen Oberherrschaft gezwungen. Iakinlû wurde (wieder) zu einem assyrischen Vasallen.737 Nach dessen Tod (ca. 662) erkannte Aššurbanipal Azibaʿal als neuen König an.738 Arwad blieb aber wegen seiner Insellage wie Tyros von einer assyrischen Besetzung und Umwandlung in eine assyrische Provinz verschont.739 Über sein Schicksal unter babylonischer Herrschaft ist kaum etwas bekannt, außer dass es unter einem nicht genannten König zusammen mit Tyros von Nabukadnezar belagert wurde.740 Tyros war wie Arwad ein Inselstaat mit zwei Häfen: einem natürlichen im Norden (dem Sidonischen), und einem künstlich angelegten im Süden (dem Ägyptischen).741 Da die Felseninsel keine eigenen Quellen besaß, musste Wasser vom gegenüber liegenden Festland beschafft werden.742 Dieser Mangel soll unter König Hiram I. durch den Bau eines Systems von Zisternen zwar nicht behoben, aber doch etwas ausgeglichen worden sein. Tyros besaß außerdem zu wenig landwirtschaftlich nutzbaren Boden für eine ausreichende Versorgung

729 730 731 732 733 734 735 736 737 738 739 740 741 742

S.u. Sidon. SAA 16, Nr. 127, 16f. SAA 16, Nr. 127, 20f. SAA 16, 127, 24–r 2; gleicher Text in Nr. 128, R. Tenney, in: Baker 2000, 488. SAA 4, 89. Dieses Dokument ist ebenfalls undatiert. Borger 1996, S. 212: C §14 II 37–67. Onasch 1994, II 100. Onasch 1994, II 87. Grayson 1980, 240 mit Quellen. Fuchs 2008, 90–92. S.u. Tyros. Dieser Hafen ist für die Unterwasserarchäologie immer noch ein Rätsel, vgl. Frost 2005, 45–52. Antike Beschreibungen der Häfen findet man bei Strab. 16,2,23 und Arr. an. 2,20,10. So beschrieben in einem ägyptischen Text aus der 19. Dynastie: Pap. Anastasi I=ANET3 477.

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der Bevölkerung.743 Daher ist in seiner Politik eine klare Tendenz zur territorialen Expansion zu beobachten. Einer der Gründe für die tyrenische Kolonisation im Westen ist daher nach den handelspolitischen Aspekten sicher auch in der Landsuche zu sehen. Auf dem Festland gegenüber der Insel lag die befestigte Stadt Ušu (griech. Palaiotyros) mit guter Wasserversorgung. Dort befand sich der Außentempel von Tyros, der dem Gott Melqart geweiht war.744 Eine Sonderstellung nehmen die südlichen Außenbezirke von Tyros ein, die auf dem Gebiet des heutigen Israel liegen: die Tells Akhzib, Akko, es-Samak (Siqmona) und Abu Hawam an der Küste sowie Keisan und Kabri weiter im Binnenland. Vom 12. bis zum 9. Jh. ist eine kontinuierliche Bautätigkeit auf der Insel festzustellen,745 und mit dem 11. Jh. begann eine verstärkte wirtschaftliche und politische Expansion des Staates. Da Teile des früheren Tyros im 6. Jh. n.Chr. ins Meer gestützt sind,746 ist es schwer, die Fläche der Stadt zu bestimmen. Plinius zufolge betrug der Perimeter der Stadt nur etwa 4km.747 Dementsprechend war die Stadt sehr dicht besiedelt und besaß mehrstöckige Häuser. Bei solch einer begrenzten Fläche sind Wohnviertel und Speicherplätze ausländischer Händler auszuschließen. Solche müssen sich auf dem Festland befunden haben. Ein politischer Einfluss von Tyros machte sich schon im 11. Jh. an der philistinischen Küste bemerkbar. Die Erweiterung des tyrenischen Territoriums und Einflussnahme erfolgte wohl auch mit militärischen Mitteln. Wahrscheinlich kamen Nordpalästina (Galiläa, Megiddo und Beth Samers) und Teile des Philisterlandes (Tell Qasile, Tell Masos) sowie der Negev unter phönikische Kontrolle, was die vielen phönikischen Funde dort implizieren.748 Der Aufstieg der Stadt Tyros begann wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 11. Jh. Die Überlieferungen über David und Salomo im Alten Testament749 müssen allerdings in eine spätere Zeit tyrenisch-israelitischer und tyrenisch-judäische Beziehungen datiert werden.750 Damit entfallen die frühen Datierungen der Anerkennung des neuen Staates durch Tyros,751 der gemeinsamen Handelsfahrten zum »Goldland Ophir«,752 der tyrenischen Hilfe beim Tempel- und Palastbau und des Abtretens israelischer Gebiete an Tyros gegen eine nicht geringe Menge an Gold753 sowie einer Teilnahme von Tyros am Handel mit Südarabien.754 Keine dieser Angaben lassen sich für das 11. und 10. Jh. archäologisch verifizieren. Hiram I. (ca. 969 bis 936) war auch in der griechischen Historiographie als großer tyreni743

744 745 746 747 748 749 750 751 752 753 754

Aubet 1993, 56–59. So verlangte König Hiram für das gelieferte Zedern- und Zypressenholz von Salomo Lebensmittel und erhielt 20.000 Kor Weizen zum Unterhalt seines Hofes und 20 Kor feinstes Öl«, 1 Kö 5,22–25. Zur Datierung des Textes s.u. Wahrscheinlich war es dieser Tempel, in welchem Herodot mit tyrenischen Priestern ins Gespräch kam (Hdt. 2,44). Bikai 1978, 8. Castellivi 2007. Plin. nat. 5,76. Mazar 1992, 355–357. Donner 1982, 43–52; 2001. Vgl. dazu Teil II 2.2. Markoe 2003, 34. Vgl. 1 Kö 9,26–28; 10,11; 2 Chr 9,21 und aus dem 6. Jh. Ez 27. 1 Kö 9,11,4; Ios. ant.Iud. 8,5,3; 1 Kö 9,11–13. Würthwein 1985, 106; zu Kabul und dem phönikischen Land vgl. Lehmann 2008. 1 Kö 10,1–10.

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scher König bekannt. Flavius Iosephos zitiert zwei griechische Historiker, welche die Geschichte von Tyros »aus dem Phönikischen ins Griechische« übersetzten: Menander und Dios.755 Ihnen zufolge führte er bedeutende städtebauliche Maßnahmen durch: die Erweiterung des Stadtterritoriums durch den Bau einer Mauer und die Errichtung eines Dammes. Außerdem soll er alle alten Heiligtümer abgerissen und für Melquart und Ašera neue Tempel errichtet haben. Damit scheint er eine Kultreform durchgeführt zu haben. Tyros schwang sich seit dem 10. Jh. für mehrere Jahrhunderte zur führenden Macht unter den phönikischen Städten auf, und Sidon geriet unter seine Oberherrschaft. Seit der Regierung Ethbaʿals I. (ca. 887 bis 856) nannten sich die Könige von Tyros nach den schriftlichen Belegen ›König der Sidoner‹. Dieser Titel blieb über 170 Jahre in Gebrauch. So sprach sogar ein tyrenischer Statthalter in Karthago auf Zypern seinen Herrn Hiram II. (ca. 739 bis 730) als »König der Sidoner« an.756 Ethbaʿal I. von Tyros, der wohl die Grundlagen der internationalen Handelspolitik schuf,757 schloß Verträge mit Israel (Omri) wie später auch mit Juda (Jehoshaphat). Das Ziel dieser Abkommen war sicher in erster Linie auf den Ausbau der wirtschaftlichen Partnerschaft und weniger gegen die Assyrer gerichtet. Das Interesse muss vor allem auf israelitischer Seite groß gewesen sein. Dass Ethbaʿal auch enge Beziehungen zu Damaskus unterhielt, ein wichtiger Baustein in der Handelspolitik, zeigt die vom König von Aram Damaskus, Bar-Hadad, errichtete Stele für den tyrenischen Gott Melqart.758 Die verstärkten Beziehungen zu Ägypten zeigen sich im Bau eines neuen Hafens, welcher ›der Ägyptische‹ genannt wurde. Tyros übernahm damit den Ägyptenhandel von Byblos. Außerdem wurde nun angestrengt nach Häfen und Möglichkeiten für Handelsniederlassungen in Anatolien zwecks Zugang zu den großen Rohstofflagern gesucht. Die Häfen des Staates Que wurden die Ausgangspunkte phönikischer Routen in den Taurus und Amanus. Aber nicht nur auf dem Meer, auch auf den Binnenstraßen waren die Tyrener im nordwestlichen Syrien und südöstlichen Anatolien aktiv, was die dortigen phönikischen Inschriften beweisen. Die Freundschaft zwischen den Juden und Tyros blieb auf die Dauer nicht ungetrübt: Als Bar-Hadad von Damaskus, aufgestachelt von Asa, König von Juda,759 im Jahr 883 Israel mit Krieg überzog, stellte sich Tyros auf die Seite von Damaskus,760 vor allem wohl, um sich die Route zum Roten Meer zu erhalten, was ohne die guten Beziehungen zu Bar-Hadad nicht möglich war. Seitdem orientierte sich Tyros mehr an Damaskus und war bis zu dessen Eroberung durch die Assyrer dessen wichtigster Hafen am Mittelmeer.761 In der erwähnten Schlacht Salmanassars III. bei Qarqar am Orontes (853) waren weder Tyros, noch Sidon oder Byblos dabei. Ihre Herrscher zogen es offensichtlich vor, die Tribute pünktlich zu bezahlen.762 Im 9. Jh. begann Tyros in erstaunlich kurzer Zeit mit der Grün755 756 757 758 759 760 761 762

Ios. ant.Iud. 8,14,3–5; c. Ap. 1,118. KAI 31; weitere Belege bei Katzenstein 1973, 130–134. Eine andere Meinung vertritt Kestemont 1983, 53–78. Der Handelsplatz nördlich von Byblos, Bothys, und Auza in Libyen, die ersten Außenposten von Tyros, sind von Ethbaʿal gegründet worden (Ios. ant.Iud. 8,24). KAI 201. 1 Kö 15,20. Amos 1,4; dazu kam das Scheitern der dynastischen Ehe mit dem israelitischen Könighaus. Vgl. die Votivstele des Bar-Hadad in Tyros: KAI 201. Katzenstein 1973, 168f.

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dung zahlreicher Handelsstützpunkte an den Mittelmeerküsten, von denen sich einige zu bedeutenden Siedlungen entwickelten. Nach den oben erwähnten Häfen Batroun bei Byblos und Auza in Libyen entstanden Utica und Karthago an der libyschen Küste sowie Kition auf Zypern. Etwas später kamen die Siedlungen auf der Iberischen Halbinsel, auf Sardinien und Sizilien und anderen Inseln des westlichen Mittelmeeres hinzu.763 Die guten Beziehungen zu Ägypten zur Zeit der libyschen Dynastie zeigen u.a. Gefäße mit den Kartuschen von Osorkon II., Schoschenq II. und Takeloth II., die man in Spanien fand764 und die offensichtlich durch Tyrener dorthin gelangten. Zwischen ca. 800 und dem Beginn der Regierung Tiglath-pilesars III. (744) wurden keine nennenswerten assyrischen Expeditionen nach Südsyrien und an die westlichen Küsten unternommen, was eine Politik der Eigeninteressen innerhalb der syrischen Staatenwelt bewirkte. Vom Reichtum von Tyros unter Pygmalion/Pummay (ca. 820 bis 774), berichtet das Alte Testament.765 Tyros kontrollierte vermutlich den levantinischen Küstenstreifen vom Nahr el-Kalb im Norden bis zum Karmel im Süden.766 Erst unter Tiglath-pilesar III. (745/4–727) begann die Gefahr für den phönikische Küstenstreifen reale Konturen anzunehmen. Die Könige von Tyros hielten an der früheren Position fest, lieber einkalkulierbare Tribute zu entrichten767 als dem nun von Tiglath-pilesar III. reformierten und schlagkräftigen Heer Widerstand zu leisten. Auf der anderen Seite war das Interesse der Assyrer an Tyros, das mit seinen für die Assyrer unkontrollierbaren, reichen Außenposten große Gewinne machte, offensichtlich hoch. Die gängige These, ein unabhängiges Tyros habe Assyrien wegen seiner Tribute mehr eingebracht als eine Provinz Tyros,768 wird von Andreas Fuchs eindeutig widerlegt. Die weitere Geschichte der tyrenisch-assyrischen Beziehungen zeigt eher, dass die assyrische Armee militärisch gar nicht in der Lage war, den Inselstaat einzunehmen und daher auch keine Versuche in dieser Richtung unternahm.769 Dass das Assyrische Reich von den Importen über Tyros abhängig gewesen sei, ist in keiner Weise zu belegen und völlig unwahrscheinlich. Die Handelsrouten zur Versorgung Assyriens mit Rohstoffen und Luxusgütern über Land waren seit Jahrhunderten etabliert und funktionierten ohne wesentliche Änderungen auch im 1. Jt.770 Die sogenannte Iran-Stele Tiglathpilesars III.771 nennt den tyrenischen König Ethbaʿal II. als Tributträger. Nach ihm wich Hiram II. (ca. 739 bis 730) von den Prinzipien seiner Vorgänger ab und unterstützte 734 bis 732 die Koalition des Rezin von Damaskus gegen assyrische Truppen.772 Die Beziehungen zwischen diesen beiden südsyrischen Staaten waren schon lange Zeit auf der Basis ihrer 763 764 765 766 767 768 769 770 771 772

Dazu eingehend: Aubet 1994; Culligan 1991. Katzenstein 1973, 208 mit Literatur. Zach 9,3; Ez 28,4–5. Katzenstein 1973, 194. So brachte Tyros im Jahr 738, nachdem Tiglath-pilesar die Koalition des Azrijau besiegt hatte, freiwillige Tribute, obwohl es an der Erhebung gar nicht teilgenommen hatte. Z.B. Radner 2004, 161. Fuchs 2008, 87. Vgl. Teil IV 1.2.1. Vgl. Teil I 3. Wiseman 1956, 123–124, r 5ʹ–8ʹ; die Tafel erwähnt u.a. Mahalab, eine Festung von Tyros, sowie andere »starke Städte« (R6), die damals eingenommen wurden. Der Zeitpunkt war günstig, da der assyrische König in den Jahren 737 bis 735 im Osten des Reichs gebunden war.

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Handelsbeziehungen außerordentlich gut,773 was in den Augen der Assyrer politisch höchst gefährlich erscheinen musste. In diese Zeit fällt der sogenannte Syrisch-Ephraimitische Krieg.774 Assyrische Truppen wandten sich nach den Eroberungen im Binnenland der südsyrischen Küste zu,775 wobei die ca. 6km nordöstlich von Tyros gelegene Festung Mahalab genannt ist. Dieser Eroberung gingen vermutlich diejenigen von Sidon, Sarepta und anderen befestigten Siedlungen um Tyros voraus. Das für Tyros lebenswichtige Ušu musste in diesem Moment in höchster Gefahr geschwebt haben. Das dürfte der Moment gewesen sein, in dem Hiram II. zu Tiglath-pilesar III. eilte. Er »küsste ihm die Füße«776 und erhielt als einziger aller »Verräter« die erbetene Vergebung. Dieser Feldzug Tiglath-pilesars III. veränderte nicht nur die politische Karte Syriens, sondern war auch der Beginn einer offen oder latent antiassyrischen Haltung der phönikischen Häfen und damit verbunden einer stärkeren Hinwendung zu Ägypten.777 Andererseits erhielt die phönikische Handelsmacht auf dem Mittelmeer neue Konkurrenten: 734 wurden Naxos und 733 Syrakus auf Sizilien von Griechen gegründet. Auch Ägypten begann allmählich wieder eine stärkere außenpolitische Rolle zu spielen, die von Tyros sehr genau wahrgenommen wurde. Zwischen 731 und 729 kam eine hohe assyrische Gesandtschaft nach Tyros, und der Nachfolger Hirams II., Mattan II. (ca. 729), übergab ihr eine enorme Menge an Gold (150 Talente), die größte Summe, die je in den assyrischen Annalen verzeichnet wurde.778 Damit erkaufte sich dieser neue tyrenische König, der wohl ein Usurpator war, wahrscheinlich seine Anerkennung. Tyros war also zu solch einer hohen Zahlung in der Lage, ohne wirtschaftlich völlig ruiniert zu sein. Ab 729 regierte Eloulaios (assyr. Luli) als tyrenischer König (729/8–694).779 Mattan II. war wohl von ihm beseitigt worden. Luli herrschte über Tyros unter vier assyrischen Königen: Tiglath-pilesar III., Salmanassar V., Sargon II. und Sennacherib. Er musste also auf sehr verschiedene Herrscherpersönlichkeiten und Regierungskonzepte reagieren. Über die assyrisch-tyrenischen Beziehungen während der kurzen Regierungszeit Salmanassers V. (726–722) kennen wir nur ein Zitat aus den Geschichtsbüchern der Tyrener von Menander von Ephesos aus Flavius Josephus. Zu dieser Zeit sei eine Revolte der Küstenstädte (genannt werden Sidon, Akko und Ušu) gegen Tyros ausgebrochen. Diese hätten sich freiwillig den Assyrern unterworfen und 60 ausgerüstete Schiffe mit 800 Mann gegen Tyros gestellt.780 Doch diese Flotte sei von 12 tyrenischen Kriegsschiffen besiegt und zerstreut worden.781 Salmanassar V. unternahm offensichtlich mehrere Kampagnen gegen Südsyrien.782 Auf seinem zweiten Feldzug (724/3) rückte er gegen Phönikien vor und begann wohl mit der Belagerung von Tyros.783 773 774 775 776 777 778 779 780 781 782 783

Ezekiel bezeichnet Tyros als den Hafen von Damaskus: 27,18. Vgl. Teil I 5.4.3. Vgl. dazu auch Cogan 1973, 97–99. Tadmor, Tigl III. p. 186: Summ. R 5–8; Wiseman 1956, 123, R 7. Katzenstein 1973, 216. Tadmor, Tigl III. p. 190: Summ. 9, R 26; Katzenstein 1973, 218 mit Anm. 120. Zur Länge seiner Regierung vgl. Katzenstein 1973, 223. Diese Zahlenangabe macht keinen Sinn, was die Quelle des Menander bzw. das sorgfältige Exzerpieren des Iosephus in Frage stellt. Ios. ant.Iud. 9,14,2. Vgl. Teil I 3. Katzenstein 1973, 222–224.

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I. Kurzer historischer Abriss

Eine Revolte der phönikischen Städte gegen Tyros ist in einer solchen Situation unwahrscheinlich. Eher wird die Situation folgendermaßen ausgesehen haben: Die zu Tyros gehörigen Siedlungen unterwarfen sich vermutlich sofort einem anrückenden assyrischen Heer, das wahrscheinlich aus der Biqaʿ Ebene kam. Dieses zog dann weiter nach Süden und besetzte das Festlandterritorium von Tyros. Somit wurde der Staat Tyros auf die Insel reduziert: Er verlor alle Besitztümer auf dem Festland sowie auch die Kontrolle über die phönikischen Häfen nördlich der Stadt. Nach dem Rückzug Salmanassars V. versuchte Luli zweifellos, den status quo wieder herzustellen. Wahrscheinlich fiel zu diesem Zeitpunkt auch Kition auf Zypern von dem nun zahnlosen Tyros ab. Dass Salmanassar V. im nächsten Jahr nochmals nach Südsyrien kam, zeigt deutlich, wie unruhig es hier geblieben war. Das belagerte Tyros errang Flavius Iosephus zufolge in einer Seeschlacht die Oberhand. Doch gegen welche Feinde? Es ist, wie oben schon dargelegt, nicht plausibel, dass sich die von Assyrien unterworfenen, ehemals tyrenischen Küstenstädte gegen Tyros ›auflehnten‹, das sich gerade in einem Belagerungszustand befand. Es scheint eher, dass Salmanassar V. die genannten Schiffe in seinem Auftrag Tyros angreifen ließ, was dann mit der beschriebenen Niederlage endete. Danach verschärfte Salmanassar V. dem Bericht des Menander zufolge die Belagerung und schnitt die Trinkwasserversorgung der Insel von Ušu ab. Tyros soll im Lauf von fünf Jahren allein auf die Zisternen angewiesen gewesen sein.784 Auch wenn diese Zeitangabe nicht richtig sein dürfte, konnte die Inselstadt offensichtlich mehrere Jahre lang die Belagerung vom Festland her durchhalten, da es keine Seeblockade gab und sich Tyros die notwendigen Lebensmittel und andere Importe vom Meer aus holen und kommen lassen konnte. Die Verbindungen von Tyros zu seinen Kolonien und Niederlassungen im westlichen Mittelmeer waren während der Belagerung zu keiner Zeit gefährdet. Die Feindseligkeiten endeten mit einem Friedensvertrag zwischen Tyros und dem nächsten assyrischen König, Sargon II.785 Er könnte in das Jahr 721 datiert werden, kurz bevor Sargon die Ordnung in Südsyrien wieder herstellte und gleichzeitig die assyrische Präsenz dort neu regelte.786 Unter Sargon II. lebte Tyros wieder auf. Das ist wohl vor allem der Verhandlungskunst des Luli zuzuschreiben, der sich vermutlich als Ordnungsfaktor in der Region anbot. Wahrscheinlich gelang es ihm mit Hilfe Sargons die separatistische Bewegung in Kition endgültig zu beseitigen. Vielleicht war das der Weg, auf dem die Stele Sargons im Jahr 707 (oder 706) nach Zypern gelangte.787 Dementsprechend figuriert Tyros wie die übrigen südphönikischen Städte, die sich nun wieder unter tyrenischer Herrschaft befanden, auch nicht auf der Liste der syrischen Koalitionspartner von Hamat und Gaza gegen Sargon (720). Es ist im Gegenteil gut möglich, dass Luli Schiffe gegen Gaza stellte. Wie groß das assyrische Interesse damals an Tyros war, illustrieren u.a. zwei Nimrud Briefe aus dem erste Regierungsjahr Sargons II.788 Sie berichten nicht nur über den allgemeinen Zustand, sondern auch über bestimmte Angelegenheiten auf der Insel. In Ušu saß ein assyrischer Beamter, der die Aktivitäten in und um Tyros genau beobachtete. Die Tyrener konnten zwar wieder auf das Festland und Holz holen, mussten dafür allerdings Taxen zahlen, d.h. das Fällen der 784 785 786 787 788

Ios. ant.Iud. 9,14,2. Ein Vertrag ist tatsächlich nicht erhalten, aber er könnte in etwa so ausgesehen haben, wie der spätere, der zwischen Esarhaddon und Baʿal geschlossenen wurde, s.u. Vgl. Teil I 3. Katzenstein 1973, 240. Nr. 12 (NS 2715) und 13 (ND 2686): Saggs 1955, 2, 126–131.

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wertvollen Zedern war kein Monopol des tyrenischen Königs mehr. Holzlieferungen nach Ägypten und Philistia waren verboten.789 Dafür bot Assyrien Sicherheit auf dem Meer: Sargon reinigte es von den griechischen Piraten,790 was aber nicht ohne die Schiffe aus Tyros und anderen Hafenstädten möglich gewesen wäre. Der Stadt gelang trotz erheblicher Beschränkungen und Einbußen ein schneller Wiederaufstieg und auch sein Landbesitz zwischen Karmel und Sidon wurde wieder hergestellt. Nach dem Tod Sargons versuchten einige südsyrische Staaten, die Schwierigkeiten des neuen Herrschers ausnutzend,791 sich von der assyrischen Oberherrschaft zu lösen, darunter Luli von Tyros. Vier Jahre lang fühlten sich die syrischen Staaten frei und stellten die Tributzahlungen ein. Das konnte nicht ohne Vertreibung der eingesetzten assyrischen Beamten geschehen sein. Sobald Sennacherib im Süden Mesopotamiens abkömmlich war, zog er nach Westen (701). Tyros war sein erstes Ziel. Luli ließ sich nicht auf einen Kampf ein, sondern floh nach Zypern und verlegte vielleicht seine Residenzstadt dorthin.792 Schließlich kam es nach einer erfolglosen Belagerung erneut zu einer Einigung. Tyros wurde wieder hart bestraft: Sennacherib trennte Sidon von Tyros, rehabilitierte Sidon und übergab ihm die Besitzungen von Tyros auf dem Festland.793 Dennoch wurde die Insel selbst nicht eingenommen und wurde also weder assyrisch noch sidonisch.794 Nach dem Tod des Luli im Jahr 694 erwähnen assyrische Quellen für gut 20 Jahre Tyros nicht. Baʿal I. (ca. 680 bis 660?) versuchte in der entspannten Situation der ersten Regierungsjahre des Esarhaddon die Hegemonie von Tyros wiederzugewinnen, indem er sich strikt an die assyrischen Vorgaben hielt, gleichzeitig einen harten Konkurrenzkampf gegen Sidon führte und besonders gute Handelsbeziehungen zu Ägypten pflegte. Durch eine Allianz aus »22 Königen von Hatti, der Meeresküste und der Inseln« verschaffte er Tyros eine neue Rolle in der syrischen Politik.795 Ob sie gegen Assyrien gerichtet war oder das Ziel hatte, Tyros gegenüber Sidon in eine Vorrangstellung zu bringen,796 ist umstritten. In Sidon brach gegen 680 der schon erwähnte Aufstand des Königs Abdi-milkutti aus.797 In dem anschließend mit Baʿal I. geschlossenen Vertrag erhielt der tyrenische König den südlichen Teil von Sidon (mit den Städten Mar’rubba und Sarepta) zurück, musste dafür aber mehr Steuern zahlen.798 Aus etwa derselben Zeit (um 676) stammt der unilaterale Vertrag zwischen Esarhaddon und Baʿal.799 Er gleicht tatsächlich mehr einem Diktat als einem Abkommen.800 Danach stand Tyros unter der Kontrolle eines assyrischen Beamten, der direkt dem assyrischen König un789 790 791 792 793 794 795

796 797 798 799 800

ND XII, vs 26–29. AR2 §118; Nimrud Brief 64 (ND 2370). Aškalon und Juda, vgl. Teile I 3, IV 4.3 und V 4.4. In diesem Sinn Katzenstein 1973, 249. ANET2 287b. Vgl. dazu unter Sidon. Juda unter Manasse, weitere Könige Syriens von Gaza bis südlich von Arwad und »10 Könige von Zypern«, von denen die meisten griechische Namen tragen: ANET2 291b; Borger 1956, 60, AV 54–73. Katzenstein 1973, 265. AR2 §512; vgl. unter Sidon; Forrer 1921, 65f. Borger 1956, S. 49, A III 1,19. Parpola, Watanabe 1988, XIX. Parpola, Watanabe 1980, 24–27.

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terstand, und in Ušu auf dem Festland residierte.801 Auch der tyrenische Ältestenrat sollte die Anforderungen dieses Vertrags erfüllen. Die Kommunikationen waren an strikte Bedingungen geknüpft. Die Errichtung des assyrischen Hafens Kar-Esarhaddon neben Sidon, bei dem das Fachwissen und die Arbeiter von Tyros u.a. genutzt wurde, dürfte von Tyros als eine Bedrohung wahrgenommen worden sein. Der Hafen und die Regelungen mit Tyros gehörten wahrscheinlich zu den Vorbereitungen für den assyrischen Ägyptenfeldzug. Gerade die Einschränkung des Ägyptenhandels muss von Tyros als unerträglich empfunden worden sein. Daher fiel Baʿal im Vertrauen auf Pharao Taharqa offen von Assyrien ab. Bei seinem zweiten Ägyptenfeldzug griff Esarhaddon die syrischen Verbündeten Ägyptens und mit besonderem Grimm Tyros an.802 Tyros verlor nun wieder alle Besitzungen auf dem Festland. Baʿal musste sich unterwerfen, um weiterhin König von Tyros zu bleiben. Auch dieser Krieg gegen Tyros endete letztendlich mit einem Kompromiss. Tyros war mit seiner proägyptischen Haltung nicht allein. Die sogenannte Hundestele an der Mündung des Nahr elKalb, etwa 12km nördlich von Beirut, auf der Esarhaddon die Einnahme von Memphis im Jahr 671 feiert, listet auch andere feindliche syrische Länder und Könige auf.803 Lesbar sind noch die Namen: »Aškelon, Tyros, 22 Könige«, d.h. die Könige der zyprischen Allianz. Der Ort dieser Inschrift mit Königsbild ist nicht zufällig gewählt: Sie steht neben einer Hieroglypheninschrift Ramses II., einem prominenten Vertreter des besiegten Staates.804 Am Rachefeldzug seines Nachfolgers Aššurbanipal 667 gegen Ägypten nahmen auch die phönikischen Städte teil, darunter Tyros in führender Stellung.805 664 starb Taharqa und der neue Pharao Tanutamun begann, Verbündete in Syrien zu suchen. Das provozierte zusätzlich den zweiten Ägyptenfeldzug Aššurbanipals im Jahr 663, bei dem Memphis zurückerobert wurde und Theben fiel. Auch Baʿal, der sich wieder Ägypten angeschlossen hatte, musste wohl 662 nach kurzer Belagerung kapitulieren.806 Nach diesem Ereignis findet man zum ersten Mal den Namen eines Statthalters des Landes Tyros, womit allerdings wohl das Gebiet von Ušu auf dem Festland gemeint ist.807 Es entstand also eine Provinz Tyros gegenüber der Insel. Das genaue Jahr der Einrichtung ist nicht bekannt, und sie existierte wohl kaum über die 630er Jahre hinaus. Ihr Territorium umfasste wahrscheinlich alle Küstenstädte von Sarepta bis Akko. Die Städte dieser Provinz wurden um 644/3 aufständisch, doch bald von Aššurbanipal wieder befriedet.808 Danach schweigen die assyrischen Quellen über Tyros. Während der zweiten Hälfte des 7. Jh. geriet Tyros sowohl durch seine Tochterstadt Karthago als auch durch den zunehmenden griechischen Handel unter wachsenden wirtschaftlichen Druck. Dennoch war es im 7. Jh. mit seinen weit reichenden Handelsrouten und einer ansehnlichen Kriegsflotte immer noch die mächtigste Stadt an der phönikischen Küste. 801 802 803 804 805 806 807 808

Katzenstein 1973, 267–270. Borger 1956, 86: AsBbE vs 7–8; 112: Frt. F vs 12–14. Borger 1956 §67, 30–34; Katzenstein 1973, 279–282. Maila-Afeiche 2009, 13f. Katzenstein 1973, 288. AR 2 §§847–849; vgl. auch Grayson 1980, 243 mit Quellen. Forrer 1921, 66. Forrer 1921, 66; er datiert den Aufstand in die Jahre 639 bis 637.

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Das wird sehr anschaulich bei den Propheten des Alten Testaments geschildert.809 In den letzten beiden Jahrzehnten des Neuassyrischen Reiches begannen sich die assyrischen Herrschaftsstrukturen aufzulösen, was durch zusätzlichen Druck der einheimischen Bevölkerung sicher beschleunigt wurde. Gleichzeitig erweiterte und intensivierte sich der ägyptische Einfluss. Nach Aššurbanipal existieren für etwa 45 Jahre keine Quellen über Tyros. Die phönikischen Städte waren sicher in der letzten Phase des Kampfes zwischen dem assyrischen Reststaat und ihrer Eroberung durch das Neubabylonischen Reich unabhängig. Als der ägyptische Pharao Necho II. eine aggressive Politik gegen den Westen begann und 609 zum Euphrat zog, den er zur Grenze zwischen »der Provinz Asien« und dem babylonischen Reich machte,810 gehörte die phönikische Küste kurzfristig zu Ägypten. Nach der Schlacht bei Karkemiš fiel Syrien dem Neubabylonischen Reich zu. Da die Route von Ägypten zum Euphrat über Gaza, Megiddo, Hamat und Karkemiš führte, blieben die phönikischen Städte wiederum im Schatten der militärischen Ereignisse. Dennoch beeilten sich Tyrener nach dem Fall von Aškelon, Nabukadnezar Tribute anzubieten. Dort regierte von etwa 591/0 bis 573/2 König Ethbaʿal III. als babylonischer Vasall. Der ägyptische Pharao Apries hoffte wahrscheinlich, dass sich die phönikischen Städte mit Ägypten in einer antibabylonischen Koalition zusammenschließen würden. Dass diese zu vorsichtig waren, bzw. zu realistisch dachten, war vielleicht der Anlass für einen ägyptischen Angriff auf sie, der wohl 588 begann und sich bis 573 hinzog. Es gelang ihm anscheinend nicht, die Küstenstädte einzunehmen, er soll aber mit reicher Beute zurückgekehrt sein.811 Als im Jahr 587 Nabukadnezar Jerusalem zurückeroberte, waren die Phöniker auf seiner Seite. Aber schon 586 stellten sich Tyros, Sidon und Arwad gegen ihn.812 Tyros soll daraufhin, Flavius Iosephus zufolge, 13 Jahre lang belagert worden sein (ca. 585 bis 572). Danach setzte Nabukadnezar II., einen neuen tyrenischen König ein.813 Den Fall von Tyros besang vielleicht der Prophet Ezekiel, auch wenn die Datierung des Textes selbst sehr umstritten ist.814 Die Familie Ethbaʿals III. wurde nach Babylon deportiert und mit ihnen eine große Anzahl von Handwerkern und anderen Fachkräften.815 An Stelle des Ethbaʿal setzte Nabukadnezar Baʿal II. ein, der bis 564 als Vasall regierte. Der Brief eines babylonischen Beamten erwähnt die Könige von Tyros, Sidon und Arwad unter den Kriegsgefangenen in Babylon.816 Der konkrete Anlass dieser Belagerung des Inselstaats ist unbekannt. Katzenstein zufolge war Nabukadnezar politisch gezwungen, diesen wirtschaftlich so bedeutenden Küstenstreifen unter Kontrolle zu bringen, um die Gefahr eines ägyptischen Zugriffs für die Zukunft ganz auszuschließen.817 Solange Tyros gute wirtschaftliche Beziehungen mit dem Feind unterhielt, war aber diese Gefahr immanent. Eine Belagerung von Tyros und Arwad 809

810 811 812 813 814 815 816 817

Ez 26–28, vgl. Diakonoff 1992, 168–193 mit Literatur. Trotz der Datierungsprobleme dieses Textes zeigt er auf jeden Fall, dass im Bewusstsein der Juden zu dieser Zeit Tyros immer noch die »Herrscherin über die Meere« war. 2 Kö 23,33; Ios. ant.Iud. 10,222. Katzenstein 1973, 319; vgl. Hdt. 2,61; zur Eroberung Sidons und der Teilnahme Zyperns an einer Seeschlacht: Diod. 1,68,1. Im sogenannten Hofkalender: Unger 1970, 286 v 23–27. Unger 1931, 37. Ez 27; zum Problem der Datierung dieser Stelle vgl. Teil IV 1.2.4. 2 Kö 24,14–16. ANET2 308a. Katzenstein 1973, 329f.

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erforderte eine große und gut ausgerüstete Flotte, über die Nabukadnezar offensichtlich aus Nordsyrien und den übrigen phönikischen Städten zu dieser Zeit verfügte, auch wenn sich diese Belagerung so lange Jahre hinzog. Hilfe von Ägypten kam nicht. Tyros wurde nicht zerstört, hatte aber seine Stellung als größte Seemacht des Mittelmeeres endgültig verloren. Dieses war nun frei für die ägyptischen, griechischen und karthagischen Schiffe. Dann stellte Nabukadnezar »den Frieden wieder her« und ließ eine Straße für den Zederntransport bauen.818 Aus neubabylonischen Quellen ist ersichtlich, in welchem Ausmaß die Babylonier Fachkräfte aus Phönikien deportierten. Allein aus Tyros werden 1.000 Personen genannt.819 In Tyros residierte ein babylonischer ›Oberkommissar‹ (›Siegelverwahrer‹, sandabakku). Die Beschlüsse Baʿals II. waren nur mit dem beigefügten Siegel dieses Beamten rechtsgültig.820 Das Königtum von Tyros wurde nach Baʿcal II. abgeschafft, und man setzte sogenannte Richter für jeweils ein Jahr ein.821 556 besaß Tyros für sehr kurze Zeit wieder einen König, Baʿal-ezer, den wohl der letzte babylonische König Nabonid eingesetzt hatte. Eventuell stammte er aus der alten Dynastie und war von Babylon nach Tyros zurückgeschickt worden. Als er wohl nach nur einigen Monaten Regierung starb, bat die Stadt Tyros um einen neuen, der ebenfalls aus Babylon kam: Merbaʿal und nach seinem Tod dessen Bruder Hiram III. (ca. 552 bis 532). Die frühste griechische Keramik stammt wie die an der nordsyrischen Küste aus dem 10. und 9. Jh. Ihr Anteil war zwischen ca. 950 und 850 (die Schichten XII und XI) noch sehr gering, doch er wuchs auch hier ab ca. 850. Diese Menge blieb im 8. Jh. konstant, um im 7. leicht abzunehmen. Allerdings sind die Probleme der absoluten Chronologie immer noch schwer lösbar. Es sind euböische und einige wenige attische Trinkgefäße. Diese Keramik wurde in tyrenischen Wohnhäusern gefunden. Die im Vergleich zu den zyprischen Importen sehr geringe Anzahl griechischer Scherben lässt auf keine intensiven Beziehungen schließen. In den übrigen phönikischen Städten findet man ähnliche Keramikfragmente ebenfalls in Wohnhäusern und einigen Gräbern wie in Haldeh, Tamburit, Rehidiye, Sarepta u.a. Im phönikischen Hinterland treten sie nicht auf. Andere griechische Importe gibt es bis zum 7. Jh. nicht. Dass in diesen Jahrhunderten auch hier keine Fragmente großer Gefäße vorhanden sind, stellt die verbreitet These eines frühen griechisch-phönikischen Handels in Frage. In den homerischen Epen ist die phönikische Küste mehrmals als Kontaktzone beschrieben: Die Route nach Sidon bzw. Tyros war dem Dichter der Odyssee offensichtlich gut bekannt. In den Epen sind zwei Kontaktsituationen zwischen Griechen und Phönikern dargestellt: In der einen fährt Paris/Alexander nach der Entführung Helenas über Sidon, um Textilien von dort mitzunehmen. In dieselbe Richtung weisen »sidonische Frauen«, die im Palast des Priamos »herrliche Gewänder« herstellen. Es bleibt allerdings unerwähnt, ob er sie gekauft, geraubt oder als Gastgeschenk erhalten hatte. Davon unterscheidet sich die zweite erwähnte Kontaktsituation: Menelaos erhält auf der Rückfahrt von Ägypten von einem sidonischen König Phaidimios einen kostbaren Kessel (κρατῆρ) aus Silber und Gold, als die818 819 820 821

Einer Inschrift aus dem Wadi Brisa zufolge: Katzenstein 1973, 320; Clem.Al. strom. 1,21,123 (sicherlich nach Berossos). Katzenstein 1973, 321f. Unger 1931, 37. Ios. c. Ap. 1,156–158.

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ser ihn in seinem Haus »verborgen« habe. Der sidonische König wird also als Gastfreund beschrieben, der dem griechischen basileus in einer Notlage geholfen hat. Ob diese Situation eine zusätzliche dramatische Geschichte im nostos des Menelaos oder ein eingefügter topos war, ist nicht zu erkennen. Diese Verse über den Krater werden an anderer Stelle wörtlich wiederholt, stellten also ein fertiges Versatzstück im Epos dar. Als einziger phönikischer Ortsname erscheint bei Homer Sidon. Obwohl ›sidonisch‹ auch im phönikischen Sprachgebrauch ›tyrenisch‹ bedeuten konnte, sollte man annehmen, dass ein Ortsname, den die griechischen Seefahrer benutzten und der in das onomastische griechische Lexikon aufgenommen wurde, genau ist. Wenn in den Epen nur Sidon, nicht aber Tyros genannt wird, so könnte sich dies auf den kurzen Zeitabschnitt von 701/700 bis 676 bezogen haben, nachdem das Königtum in Sidon wieder eingeführt worden war und Sidon als Machtfaktor über Tyros stand. Tatsächlich war der ›sidonische König‹ vor und nach dem assyrischen König Sennacherib immer der tyrenische König. ›Sidoner‹ und ›Phöniker‹ werden in der Odyssee relativ häufig genannt. Diese ›Phöniker‹ treten vorwiegend in Seemannsgeschichten auf, d.h. in kleinen abgeschlossenen Narrationen über verschiedene Personen, die ein besonders bewegtes und bewegendes Schicksal als Seefahrer hatten. Sie geben typische Kontaktsituationen wieder, die dem damaligen Zuhörer gut bekannt waren: Reisen nach Phönikien, um sich bestimmte Gegenstände zu verschaffen. Dazu kommen Menschenraub und Sklavenhandel, phönikische Schiffe als Handels- und Passagierfahrzeuge, die auch von Griechen benutzt wurden. Allerdings sind diese Narrationen nicht an der phönikischen Küste lokalisiert. 5.4.2 Aram Damaskus Da Aram Damaskus in der hier untersuchten Zeit nicht als Kontaktzone zwischen Syrern und Griechen in Frage kommt, soll seine Geschichte nur kurz skizziert werden. Sie kann aber wegen ihrer bedeutenden Rolle im 9. und 8. Jh. nicht übergangen werden. Damaskus (assyr. URU Dimasqa, aram. dmsq), Hauptstadt des Staates Aram (in assyr. Quellen KUR šaimērī-šú, šá KUR imeri-sú) entwickelte sich als Karawanenstation wichtiger Fernstraßen: die Ost-West-Route von Mesopotamien und dem Euphratgebiet über die Oase Tadmur (Palmyra) zum östlichen Mittelmeer und eine Abzweigung der Weihrauchstraße von der Arabischen Halbinsel, mit der Damaskus auch mit der Nord-Süd-Achse nach Ägypten verbunden war. Es grenzte an den Hauran und Israel im Süden, den Antilibanon im Westen und Hamat im Norden. Es hatte keinen Zugang zum Meer, weshalb seine Herrscher immer bemüht waren, Häfen ihrer westlichen Nachbarländer zu benutzen.822 Unter seinem ersten bedeutenden König, Bar-Hadad I. (ca. 880 bis 865), stieg Aram Damaskus zu einer überregionalen Macht auf. Die Syrienfeldzüge Aššurnasirpals II. (883– 859) zwangen Südsyrien zur politischen Geschlossenheit und Anerkennung einer den Widerstand führenden Macht. Sein Nachfolger, Adad-idri (ca. 865 bis 842), schuf eine starke Koalition gegen die Angriffe Salmanassars III. und führte sie in den Schlachten bei Qarqar (853, 849, 848 und 845)823 erfolgreich an. Gegen 842 wurde Adad-idri von Hazaël er822 823

Vgl. allgemein: Pitard 1987; Sader 1987, 231–270; Dion 1997, 171–216. Zum Grund dieser Schlachten vgl. Teil I 3.

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mordet.824 Damit verlor Damaskus seine Verbündeten. 841 rückte Salmanassar III. gegen Hazaël vor, ohne Damaskus erobern zu können. Auch 838 zerstörte er lediglich vier größere Städte des Landes.825 Fast 35 Jahre lang blieb Aram danach von assyrischen Einfällen verschont. Das gab Hazaël die Möglichkeit, sein Reich zu festigen und zu erweitern. In der Zeit, in der Assyrien keine Westexpeditionen unternahm, standen handelspolitische Interessen für Damaskus im Vordergrund. Hazaëls Bemühungen waren auf eine verstärkte Beteiligung am internationalen Handel auf den beiden wichtigsten Fernstraßen Südsyriens gerichtet. Daher suchte er gute Beziehungen zu Tyros: Tyros stellte Damaskus seine Häfen zur Verfügung, und Damaskus konnte den Tyrenern Zugang zu den Binnenstraßen verschaffen. Aber nicht nur wirtschaftlich und diplomatisch stieg Damaskus unter Hazaël auf. Er erreichte auch die größte Ausdehnung des Landes: Truppen von Damaskus eroberten Gebiete von Hamat und drangen in Unqi/Patin ein.826 Die nördlichen Teile von Israel erhielten einen Vasallenstatus.827 Aus dieser Zeit stammen die bereits erwähnten Plaketten aus Samos und Eretria mit seinem Namen.828 Nach seinem Tod gegen 812 sanken Macht und Einfluss kontinuierlich. Seinen Nachfolger Mari’ erwähnen die assyrischen Annalen als Tributträger für das Jahr 805, als Adadnerari III. in Nordsyrien kämpfte und dort neue Regelungen traf.829 Im Jahr 796 nahm er als führende Kraft neben Arpad an dessen Bündnis gegen Zakkur von Hamat-Luʿaš teil.830 Vielleicht ging es Damaskus dabei vor allem um den Erhalt (oder die Zurückgewinnung?) der von Hazaël einst besetzten hamatitischen Gebiete. Dieser innersyrische Konflikt endete mit dem Sieg von Hamat.831 Weitere Niederlagen musste Damaskus von Israel hinnehmen, dessen König Jerobeam II. (783– 743) mehrere früher von Aram eroberte Gebiete zurückholen konnte. Später erweiterte Jerobeam seine Grenzen bis Hamat, was bedeutet, dass er den Süden von Damaskus unter seine Herrschaft gezwungen hatte.832 Die eponyme Chronik nennt einen Feldzug Salmanassars IV. im Jahr 773, der die Stadt wieder nicht einnehmen konnte. Die Assyrer verzeichneten lediglich einen Tribut des Königs Hadianu (aram. Hadyan), eines Monarchen, der nur aus dieser Quelle bekannt ist.833 In den folgenden Jahrzehnten lag Damaskus zwischen den starken Staaten Hamat und Israel und hatte kaum Möglichkeiten, größeren Einfluss auszuüben. Mit Tyros dürften aber weiterhin gute wirtschaftliche Beziehungen bestanden haben. 824

825 826

827 828 829 830 831 832 833

2 Kö 8,7–15; allerdings wird diese Information vielleicht zu Recht als ›feindliche Propaganda‹ gewertet, die Hazaël fälschlicherweise zu einem Mörder und Usurpator machte; vgl. Dion 1997, 191f. mit Verweis auf die Inschrift von Tell Dan: Biran, Naveh 1995, 1–18. RIMA 3, 62, A.0.102.13, vs 4ʹ–11ʹ; 67; A.0.102.14, 103f.; A.0.102.16, 152ʹ–159ʹ; A.0.102.92; Sader 1987, 248. Darauf weist die aramäische Inschrift aus Samos hin. Mit »den Fluss« ist sicher der Orontes gemeint, nicht aber der Euphrat wie Dion 1997, 201 meint. Dieser nur durch Zufallsfunde bekannte Feldzug hatte allerdings keine langfristigen Auswirkungen auf die politische Karte Westsyriens. Vgl. dazu Teil IV 1.1. Vgl. dazu auch Teil I 5.2.3. Vgl. dazu Teil IV 1.1. Vgl. zu diesem Jahr Sader 1987, 249. Vgl. Teil I 5.2.4. Vgl. Teil I 5.2.2 zur Antakya-Stele. 2 Kö 14,25–27. Vgl. die sogenannte Pazarcık-Stele: RIMA 3 A.0.105.1, 6.

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Tighlat-pilesar III. nahm ab 743 die assyrische Eroberungspolitik gegen Syrien wieder auf. Für das Jahr 738 sind in den Annalen noch Tribute des Rahianu (Rezon) von Damaskus aufgelistet.834 Doch während der assyrische König mit Kämpfen gegen Urartu und dessen Verbündete im Nordwesten beschäftigt war, schuf Rahianu in den Jahren 737 bis 735 eine neue antiassyrische Allianz, die auch für den sogenannten Syrisch-Ephraimitischen Krieg gegen Juda verantwortlich gewesen sein soll.835 Radianu wurde in Damaskus eingeschlossen und 45 Tage belagert. 732 fiel die Stadt. Große Teile ihrer Bewohner wurden deportiert und zahlreiche Städte zerstört.836 Das Territorium von Damaskus wurde in assyrische Provinzen aufgeteilt.837 5.4.3 Israel und Juda Die Geschichte Israels und Judas ist unvergleichlich besser bekannt als die der übrigen syrischen Länder. Sie findet nicht nur zahlreiche Erwähnungen in den assyrischen Quellen, sondern stellt sich in vielen Büchern des Alten Testaments dar. Dazu kommen Inschriften und archäologische Funde, welche diese Länder als Kontaktzone erweisen. Die Existenz eines Königreichs von David und Salomo wird in den letzten Jahren sehr kontrovers diskutiert.838 Während das »Haus David« inschriftlich belegt ist, zeichnen nur die Geschichtsbücher des Alten Testaments ein geeintes Israel im 11. und 10. Jh. Erst nach der Gründung des Königreichs Israel durch Jerobeam I. (ca. 927 bis 907) ist seine Geschichte durch das deuteronomische Werk, einige Prophetenbücher, die assyrischen Annalen und viele archäologische Funde fassbar. Dass gerade das Nordreich Israel früh zu Macht und Ansehen kam, hat vor allem wirtschaftsgeographische Gründe: Es lag an Fernstraßen, welche die Mittelmeerküste südlich und nördlich des Karmelgebirges mit dem Binnenland, Obergaliläa und dem Ostjordanland sowie mit Damaskus und über diese Länder hinaus verbanden. Schon aus diesem Grund war Israel zu politischer Aktivität gezwungen und konnte durch den Transithandel finanziell und kulturell profitieren. Andererseits war es gerade wegen dieser günstigen Lage oft gefährdet, wenn Nachbarstaaten Kontrolle über diese Verkehrsadern ausüben wollten.839 Mit Omri (882– 871) begann die Stabilisierung des Königreichs Israel. Über die sich damals schon abzeichnende assyrische Gefahr unter Aššurnasirpal II. macht das Alte Testament keine Angaben. Vielleicht wurde sie gar nicht wahrgenommen, da andere Probleme dringender erschienen. Im Jahr 876 verlegte Omri seine Hauptstadt nach Samaria840 an der Nord-Süd-Achse, die das Philistergebiet über Gezer mit Israel verband und über Megiddo und Hazor weiter nach Norden (Dan) oder nach Nordwesten nach Damaskus führte. Seit dieser Zeit sind enge Kontakte zu Tyros nachweisbar, nicht zuletzt auch über Izebel, die Tochter des Königs Ethbaʿal I., welche die Gattin des Nachfolgers Omris, Ahab (871–852) 834 835 836 837 838 839 840

Tadmor, Tigl III, 106 II A, 4f. u.a. Vgl. Teil I 5.4.3. Tadmor, Tigl 80, Ann. 2, 16ʹ–17ʹ. Forrer 1921, 62f., 68f. Vgl. dazu z.B. die Beiträge in Handy 1997; Finkelstein 1996, 177–187; Gertz 2004, 3–29; Niemann 1996; Finkelstein, Silberman 2009. Finkelstein 1992, 156–170. 1 Kö 16,24.

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wurde. Phönikischer Einfluss ist in der Architektur, der vorwiegend phönikischen Keramik und den Elfenbeinschnitzereien in Samaria gut erkennbar. Nicht unerheblich für das kulturelle und kultische Leben dürfte der Baʿal-Tempel in der Stadt gewesen sein.841 In die große Politik trat Israel vermutlich mit seiner Teilnahme an der antiassyrischen Allianz gegen Salmanassar III. im Jahr 853, in der König Ahas mit 2.000 Streitwagen und 10.000 Soldaten erwähnt ist. Damaskus wurde 841 nicht von Israel unterstützt, da die Omriden von Jehu gestürzt wurden. Er arrangierte sich mit der assyrischen Macht, um freie Hand in der Innenpolitik zu haben. Dem Alten Testament zufolge konnte Jerobeam II. (789–748) nach einer Heeresreform von Damaskus eroberte Gebiete842 zurückgewinnen und die Grenzen von Lebo-Hamat bis Arabah wieder herstellen.843 Die Regierung Jerobeams II. stellte den letzten politischen Höhepunkt des Staates Israels dar. Sein Abstieg begann mit Thronstreitigkeiten, aus denen Menachem (747–738) als neuer König hervorging. Als Tiglath-pilesar III. 738 nach Mittelsyrien zog, eroberte er nach dem Sieg über verbündete syrische Truppen große Teile von Hamat, dem nördlichen Nachbarn Israels. In Folge dieser Ereignisse ergaben sich eine Reihe südsyrischer Staaten und boten als Zeichen der Anerkennung der assyrischen Oberherrschaft ihre Tribute an.844 Darunter befand sich neben Damaskus auch Menachem von Israel.845 735 begannen neue Unruhen, die unter der Bezeichnung Syrisch-Ephraimitischer Krieg bekannt sind. Er ereignete sich während des 3. Syrienfeldzugs Tiglath-pilesars III., der gegen Philistia gerichtet war. Einer Hypothese zufolge hätte die assyrische Bedrohung Ahas von Juda (740–726) vom Beitritt zu dieser Allianz abgehalten. Daraufhin hätten Damaskus und Israel Ahas angegriffen, um ihn in das Bündnis zu zwingen.846 Tatsächlich überfiel Radianu (Rezin) von Damaskus zusammen mit Pekach von Israel (735–732) Ahas. Doch das Alte Testament nennt einen anderen Grund für diese Aggression: Damaskus und Israel wollten Ahas entmachten und durch einen König ihrer Wahl, einen Ben-Tabel, ersetzen.847 Ahas bat daraufhin um assyrische Unterstützung. Und nur in diesem Kontext ist der Angriff auf Israel zu verstehen.848 Im Jahr 733 marschierte die assyrische Armee in Israel ein, annektierte die meisten seiner Gebiete und richtete die Provinzen Magiddu und Gal’ada, vielleicht auch eine Küstenprovinz Du’ru (Dor) ein. König Pekach blieb nur noch Ephraim als ein Reststaat.849 Assyrien ließ im Süden noch eine Anzahl kleinerer Staaten mit Vasallenstatus bestehen: zunächst noch den Reststaat Israel, Juda, die philistinischen Stadtstaaten850 sowie Ammon, Moab und Edom östlich des Jordan. Vermutlich sollten sie eine Pufferzone gegen Ägypten bilden. In den Jahren von 738 bis 723 wurde Israel zudem von inneren Kämpfen erschüttert. Als Salmanassar V. (726–722) König Assyriens wurde, begannen einige südsyrische Vasallenstaaten ihre Tributzahlungen einzustellen, darunter auch Hosea (731–723) von Israel 841 842 843 844 845 846 847 848 849 850

1 Kö 16,32. Vgl. Teil I 5.4.2. 2 Kö 14,25; zur Diskussion über diesen Ortsnamen vgl. Donner 2001, 313; 2 Chr 26,6–15. Vgl. Teil I 3. Donner 2001, 334. Donner 2001, 337–339. Jes 7,6. Vgl. Teil I 5.4.4; vgl. auch Dion 1997, 211–222. Zur Chronologie der assyrischen Feldzüge und dem sogenannten Syrisch-Ephraimitischen Krieg vgl. Donner 2001, 342–344; Weippert 1982, 395–408. Mit Ausnahme von Ašdod, s.u.

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im Jahr 724. Für Assyrien war besonders brisant, dass er politische Beziehungen zu Ägypten aufnahm.851 Dem Alten Testament zufolge war Hosea mit einem König So’ in Kontakt.852 Vielleicht war der Abfall des Hosea mit Tyros abgestimmt. Samaria fiel höchstwahrscheinlich noch unter Salmanassar V. im Jahr 722/1 unter die assyrische Macht. Sargon II. aber schrieb sich selbst den Sieg zu und richtete die Provinz Samerina ein. 27.280 Bewohner, die politische und priesterliche Oberschicht und offensichtlich viele weitere Israeliten, wurden damals deportiert und Leute u.a. aus Hamat und Arabien angesiedelt.853 Als nach dem Tod Sargons im Jahr 705 der tyrenische König Luli (Eloulaios) von Assyrien abfiel,854 schloss sich ihm Hiskia von Juda (725–696) an. Wie feindlich dieser judäische König gegen Assyrien eingestellt war, zeigt seine Verbindung zu Merodach-Baladan aus Babylon, dem ärgsten Feind des Sennacherib. Dieser chaldäische Rebell schickte Hiskia, als dieser erkrankte, einen Brief und Geschenke, über den sich der König von Juda sehr freute.855 Da zudem auch philistinische Städte wie Ekron und Aškalon sowie die phönikischen Staaten von Assyrien abgefallen waren – sie alle hatten 705/4 ihre Tribute eingestellt –, zielte der Feldzug des Sennacherib im Jahr 701 auf eine Beruhigung und Neuordnung Palästinas. Das schien besonders angesichts der wachsenden ägyptischen Einmischung notwendig.856 Den Anlass für einen assyrischen Feldzug gab ein lokaler Vorfall in Ekron: Seine Bewohner (»die Würdenträger, die Aristokratie und das Volk von Ekron«857) hatten ihren assyrerfreundlichen König Padi »in feindseliger Absicht« an Hiskia von Juda ausgeliefert und einen König ihrer Wahl auf den Thron gebracht. Nun befürchteten sie zu Recht »wegen ihres Frevels« die Rache des Sennacherib und baten Pharao Schebitku um Hilfe. Dieser schickte ihnen Streitwagen, Reiter, Bogenschützen und Fußsoldaten, die sich zusammen mit der Armee von Ekron in der Ebene von Eltekeh den Assyrern entgegenstellten. Doch diese Streitkräfte konnten Sennacherib nicht standhalten und wurden vernichtend geschlagen.858 Ekron wurde verwüstet, die Verantwortlichen getötet oder versklavt. Der vertriebene König Padi von Ekron wurde, nachdem Hiskia ihn herausgeben hatte, wieder als Vasall eingesetzt. Das Fragment eines ›Gottesbriefes‹ des Sennacherib an seinen Gott Aššur beschreibt sein Vorrücken von Philistia nach Juda.859 Offensichtlich nahm er auf diesem Feldzug auch die Stadt Gat ein, die Hiskia von den Philistern erobert und befestigt hatte.860 Sennacherib zerstörte »die 46 Festungen und die kleinen Städte in deren Umgebung, die ohne Zahl sind« des Hiskia und belagerte ihn in Jerusalem.861 Warum es ihm nicht gelang, die Stadt zu erobern, bleibt ein Rätsel. Die assyrischen Annalen verschweigen diese Tatsache. Für das Alte Testament war der Abzug der assyrischen Truppen ein Wunder Gottes. Die tatsächlichen Gründe dafür aber liegen wohl in der guten Befestigung der Stadt und den diplomatischen Bemühungen des Hiskia, denn er zahlte einen ungewöhnlich hohen Tri851 852 853 854 855 856 857 858 859 860 861

2 Kö 17,4. Vgl. Teil I 2. Es bleibt unklar, welcher Pharao damit gemeint ist. Tadmor 1958, 33–40. Vgl. Teil I 3. 2 Kö 20,12–13. Vgl. Jes 18,1–2. Luckenbill, Sennacherib 32 (H2 III 18–49). Luckenbill, Sennacherib 31 (H2 II 82–III 7). Na’ aman 1974, 25–36. Na’ aman 1974, 34. Luckenbill, Sennacherib 32 (E1=BM 103 000 III 39–41).

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but.862 Jerusalem wurde verschont, doch ein großer Teil des Territoriums von Juda kam an Ašdod, Ekron und Gaza, die ruhig geblieben waren. Spätestens unter Manasse (696–639) erholte sich Juda.863 Wie die gesamte syrische Küste wurde auch Juda gegen Ende der Herrschaft des Aššurbanipal unabhängig. Die Unruhen im Jahr 640 gegen den König Amon zeigen die Stärke der politischen Gruppe in Jerusalem, die sich von Assyrien weg hin zu Ägypten orientieren wollte,864 das sich einige Jahre zuvor (655) unter dem saïtischen Pharao Psammetichos I. bereits von Assyrien gelöst hatte.865 Nur über Juda haben wir dank des Alten Testaments einen Einblick in einen syrischen Staat in der Übergangszeit zwischen der assyrischen und der babylonischen Herrschaft866 unter seinem König Josia (639–609).867 Der Jubel über den Fall der Fremdherrschaft war überwältigend868 und die Reformen des Josia sind von großem Selbstbewusstsein, Souveränität und Restaurationswillen geprägt. Auch expansionistische Züge sind deutlich erkennbar, z.B. beim Übergreifen seiner kultischen Säuberungen auf israelisches Gebiet,869 d.h. in der nicht mehr funktionierenden assyrischen Provinz Samerina. Sein Ziel war die Wiederherstellung eines alten, geeinigten Davidischen Reiches in der Fiktion dieser Zeit.870 Allerdings konnte Josia nicht souverän regieren. Schon kurz nach seiner Thronbesteigung, wenn nicht sogar schon vorher,871 hatte Psammetichos I. eine wie auch immer ausgestaltete Oberherrschaft über die südsyrische Küste und den Negev hergestellt.872 Daher kann die Angabe, Josia habe die Philistergebiete erobert, nicht richtig sein.873 Von größtem Interesse sind die von den Ägyptern übernommenen oder von ihnen selbst errichteten Festungen an strategisch bedeutenden Orten am sogenannten Horusweg, der Juda mit Ägypten verband: Migdol, Pelusium, Sile u.a., und im Küstengebiet Mesad Hašavyāhu. Unter der Herrschaft Nehos II. (610–595) verstärkte sich die militärische Unterstützung Ägyptens für die Restarmee der Assyrer. In diese Zeit kam es zu einem Zwischenfall, bei dem König Josia das Leben verlor. Necho II. zog 608 erneut gegen Babylonien aus und musste dabei das Land Juda durchqueren. Wahrscheinlich hatte er nicht das Ziel, es anzugreifen oder einzunehmen:874 Necho II. habe mit Josia verhandeln wollen und ihm versichert, dass er nur das Land zu durchziehen gedenke. Dennoch holte Josia Necho II. bei Megiddo ein und überfiel ihn von hinten. Die judäische Armee wurde vernichtend geschlagen, und Josia fiel.875 Auch Herodot wusste wohl von diesem Ereignis. Nach seiner aller862 863 864 865 866 867 868 869 870 871 872 873 874 875

Frahm, T 4, 49–58; 2 Kö 18,14–16; unter anderem 800 Talente Silber, vgl. 2 Kö 20,13, wo der Inhalt von Hiskias Schatzkammer beschrieben ist. Donner 2001, 359. Katzenstein 1973, 295. Vgl. Teil I 2. Donner 2001, 374. 2 Kö 22–23; 2 Chr 34–35. Vgl. z.B. Nah 3,19. Donner 2001, 379 mit Literatur. Finkelstein, Silbermann 2009, 180–183. Schipper 1999, 230. Vgl. Teil I 2. Oren 1990, 102–105. 2 Chr 35,20–22; vgl. dazu Kienitz 1953, 21f. 2 Kö 23,29–30; vgl. Hdt. 2,159.

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dings falschen Information habe Necho II. nach dieser Schlacht bei ›Magdolon‹ (=Megiddo) Kadytis (=Gaza) eingenommen.876 Einer anderen Interpretation dieser Angaben zufolge ist es Necho II. tatsächlich um die Wiederherstellung alter ägyptischer Gebietsansprüche in Südsyrien gegangen. Er habe Josia gezielt angegriffen, zumal dieser eine Erweiterung der judäischen Landesgrenzen geplant habe. Allerdings lag die Priorität des Necho ganz offensichtlich im Kampf gegen die Babylonier. Der Eingriff in Südsyrien ergab sich daher wohl eher sekundär aus dem Überfall des Josia.877 Denn dieser Angriff verzögerte nun nicht nur den Marsch des Pharao, sondern zwang ihn auch, in die Verhältnisse von Juda einzugreifen. Von seinem Quartier in Riblah am Orontes aus setzte er einen neuen König in Juda ein. Juda war ohne Not zu einem ägyptischen Vasallenstaat geworden.878 Daraufhin setzten die Juden einen (nicht den erstgeborenen) Sohn Joahas auf den Thron.879 Als Necho drei Monate später über Juda zurückzog, machte er in seinem Quartier in Riblah Halt und befahl dem neuen jüdischen König bei ihm vorzusprechen. Joahas gehorchte,880 wurde aber gefangen genommen und nach Ägypten gebracht. Der Pharao nahm nun einen Thronwechsel vor und setzte den Bruder des Joahas, den vorher übergangenen Eljakim, unter dem Namen Jojakim (608–598) als Vasallenkönig ein.881 In seinem vierten Regierungsjahr (605) veränderte sich die Situation in Syrien wieder grundlegend nach dem Sieg Nabukadnezars II. über die Ägypter bei Karkemiš.882 Alle ägyptischen Truppen zogen sich in ihr Land zurück.883 Für den Winter 601/600 berichtet die babylonische Chronik über einen erfolglosen Ägyptenfeldzug des babylonischen Königs.884 Im Jahr 598 griff Nabukadnezar in einer Strafexpedition Jerusalem an. Der Nachfolger des Jojakim, der gerade eingesetzte König Jojachin, kapitulierte, Stadt und Tempel wurden geplündert, den König deportierte man nach Babylon, wo er den Rang eines privilegierten Staatsgefangenen genoss. Neuer Vasallenkönig wurde Zedekia (598/7–587/6), der in Juda nur als ein babylonischer Verwalter angesehen wurde. Der Schwur, den er zu leisten hatte, beinhaltete ausdrücklich den Verzicht auf eine freundschaftliche Beziehung zu Ägypten.885 Wohl wegen des politischen Drucks in seinem Land konnte Zedekia seine Loyalität zu Babylon nicht aufrechterhalten: Trotz des geleisteten Eides brachen die Beziehungen zu Ägypten nie gänzlich ab. Das Alte Testament berichtet über ein Vorhaben, verschiedene Staatshäupter, Könige von Edom, Moab, Ammon, Tyros und Sidon,886 nach Jerusalem einzuladen, um über gemeinsame Unternehmungen gegen Babylon zu beraten. Falls dieses Treffen tatsächlich stattgefunden hat, 876 877 878 879 880 881

882 883 884 885 886

Hdt. 2,159; vgl. Jer 47,1–4, was vielleicht eine spätere Glosse darstellt. Görg 1997, 10. 2 Kö 23,31–35. 2 Kö 23,33–35. Inwiefern hier von »Freiwilligkeit« die Rede ist, bleibt dahingestellt: Schipper 1999, 237. Diese Thronfolge zeigt zusammen mit vielen anderen Stellen des Alten Testaments (besonders in den Prophetenbüchern) den ständigen Kampf zwischen proägyptischen und proassyrischen bzw. probabylonischen ›Parteien‹ in Juda. Vgl. Teil I 4. 2 Kö 24,7. Donner 2001, 404f. Ios. ant. Iud. 10,102; vgl. Katzenstein 1973, 312. Jer 27,3.

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müsste es im Jahr 594 gewesen sein.887 Die Vasallen standen folglich in engem Kontakt miteinander. Erst der ägyptische Pharao Apries griff wieder in Südsyrien ein. Als die Babylonier im Jahr 589 oder 588 Jerusalem belagerten, unterwarfen ägyptische Truppen Gaza, Tyros und Sidon.888 Auch Jerusalem scheint Apries zu Hilfe gekommen zu sein.889 Das aber rettete Jerusalem und Juda nicht. Widerstand scheinen außerhalb von Jerusalem nur Lachiš und Aseka geleistet zu haben.890 Es blieb ein Rumpfstaat Juda, der von einem Gedaljahu als »babylonischem Befriedungskommissar«891 verwaltet wurde. Die Stadt Mizpa (etwa 10km nördlich von Jerusalem) machte er zu seiner Residenz. Gedaljahu führte verschiedene Maßnahmen zur Beruhigung und Sanierung des weitgehend verwüsteten Landes durch, wurde aber bald von einer Oppositionsgruppe ermordet. Die wenigen Unterstützer Gedaljahus emigrierten nach Ägypten, darunter Jeremia und Baruch. Juda wurde dem Verwaltungsdistrikt Samaria zugeschlagen. Der nur kurze Küstenstreifen, der vielleicht zu Israel gehörte, hat nur sehr wenige griechische Funde aus dem 9. und 8. Jh. erbracht, auch nicht aus Dor, der wichtigsten Siedlung an dieser hafenarmen Küste.892 Der Hafen von Dor war allerdings schwer anzufahren. Zudem war Dor kaum mit seinem Hinterland verbunden. Während also diese Küste keine Kontaktzone war, ist eine solche im Binnenland zu finden. Späte protogeometrische bis spätgeometrische Keramik tritt sporadisch in Tell Hadar, Megiddo, Tell Rehov, Samaria und an einigen anderen Fundstätten auf. Alle diese Tells lagen an Binnenstraßen, welche die Mittelmeerküste mit Damaskus und mit Nordsyrien, Mesopotamien und Anatolien verbanden. Die meisten geometrischen Scherben stammen bislang aus Tell Rehov und Samaria. Zu den aus dieser Zeit in Syrien bekannten euböischen/kykladischen Keramikfragmenten in Samaria und anderen archäologischen Stätten (wie in Tyros) kommt auch Ware aus Attika (Mittelgeometrisch II) hinzu: aus Samaria elf Fragmente, in Megiddo fünf attische oder attisierende. Tell Hadar liegt an der nordöstlichen Seite des Sees von Galiläa südlich der Golanhöhen an einer Straße nach Damaskus. Die dort gefundenen mittelgeometrischen Scherben – es handelt sich um einen Lebes – werden auf verschiede Weise interpretiert: Den Ausgräbern zufolge stellt er ein euböisches protogeometrisches Stück dar. Die Datierung dieser Scherben ist wegen der schwer zu bestimmenden Fundschichten in diesen Objekten allerdings insgesamt schwierig und umstritten. Zusammen mit diesen wenigen griechischen Fragmenten findet man überall auch phönikische und zyprische. Zwar signalisieren die attischen Gefäße nicht zwangsläufig, dass ihre Träger aus Attika kamen, dennoch scheinen hier andere griechische Gruppen gewesen zu sein als an den nord- und mittelsyrischen Küsten. Das Verbreitungsgebiet der Kochtöpfe beschränkt sich im Vorderen Orient auf Juda und Philistia. In Mesad Hašavjahu südlich vom heutigen Tel Aviv893 sind sie mit ca. 18 887 888 889 890 891 892 893

Malamat 1975, 135. Vgl. Hdt. 2,161; vgl. auch Teil I 2. Jer 37,7b; vgl. Schipper 1999, 245f. mit einer weiteren Quelle. Zur Geschichte der Belagerung vgl. Donner 2001, 410–412. Donner 2001, 412. Gilboa 1997. Fantalkin 2001.

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Stück am besten vertreten. Man hat sie auch in Aškalon, Tell Bataš und in Tell Kabri gefunden, dort etwa 12. Außerhalb dieser Fundstätten in Südsyrien ist sie bislang sonst nur im libyschen Tokra bekannt. Die genaue Herkunft dieser groben Keramik ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen, aber im Kontext der vielen ostgriechischen Gefäße kann ihre ebenfalls ostgriechische Herkunft nicht angezweifelt werden. Dass sie eine Kontaktsituation signalisieren, hat man schon lange erkannt. Während Trinkgeschirr meist mit Handelskontakten erklärt wird, ist dies für die Chytrai nicht möglich. Man muss sie als persönliches Eigentum von Bewohnern ansehen, welche diese Gefäße in ihrem Alltag benutzten, weil sie diese mitgebracht hatten und sie zu ihrem Lebensstil gehörten. Das können nur Griechen gewesen sein. Die Töpfe zeigen zudem, dass diese Griechen nicht aus ägyptischen Kontingenten stammten, da sich in diesem Fall ihre griechischen Kochtöpfe kaum erhalten hätten. Sie müssen also von Ostgriechenland direkt an diese Orte gekommen sein. Mesad Hašavjahu lag nicht weit der Küste, etwa 7km nördlich von Ašdod, und bestand nur für kurze Zeit gegen Ende des 7. und zu Beginn des 6. Jh. Man fand dort größere Mengen an griechischer Ware: das erwähnte Kochgeschirr, ostgriechische Transportamphoren und Oinochoen sowie verschiedene Typen der sogenannten Ionian cups. An korinthischer Keramik ist nur das Fragment eines Aryballos bekannt. Anscheinend gab es auch eine Schmiedewerkstatt. Offensichtlich waren hier Griechen untergebracht. Dennoch kann Mesad Hašavjahu nicht als eine griechische Gründung und Siedlung bezeichnet werden: Außer vielen lokalen Gefäßen wurden auch hebräische Ostraka entdeckt, aber keine griechischen Inschriften. Mesad Hašavjahu war an einem strategisch wichtigen Punkt errichtet worden, der wohl unter der Herrschaft von Juda stand. Daher wird die These, dass die einstigen Besitzer der genannten Gefäße griechische Söldner waren, heute allgemein akzeptiert. Da Dor wegen fehlender griechischer Keramik in dieser Zeit als Ausgangspunkt für die Träger solcher Keramik ausfällt, ist ein Weg von Tyros über die Jezreel-Ebene nach Megiddo und von dort nach Samaria und andere Orte Israels anzunehmen. Als Träger dieser Gefäße sind wie in den übrigen Kontaktzonen Syriens auch hier Phöniker auszuschließen, da fast ausschließlich griechisches Trinkgeschirr vorliegt, das nicht als Handelsware so tief ins Binnenland geraten sein konnte, zumal dort kaum ein Markt dafür zu erwarten wäre. 5.4.4 Die philistinischen Küstenstädte Die philistinische Küste erstreckt sich vom Wādi el-ʿArīš im Süden bis zum Nahr el-ʿAwğā etwa auf der Höhe des heutigen Tel-Aviv. Die Breite der äußerst fruchtbaren Ebenen zwischen Meer und Bergland schwankt zwischen 5 und 90km. Durch die guten Klima-, Boden- und Wasserverhältnisse bot Philistia beste Lebensbedingungen und war dicht besiedelt. Die Territorien der Städte reichten teilweise bis in das Hügelland hinein, wo Oliven und Wein gediehen sowie Viehzucht betrieben werden konnte.894 An der Küste mit einigen geeigneten Buchten entstanden bedeutende Häfen.895 Besonders die Stadt Gaza profitierte vom internationalen Handel, da sie nicht nur an der Nord-Süd-Achse lag, sondern auch der Endpunkt der Weihrauchstraße von der Arabischen Halbinsel war, mit der seit dem 10. Jh. ein intensiver Warenaustausch stattfand. Sie war somit auch die Hafenstadt der ›arabi894 895

Vgl. zur Geographie der Philistergebiete Noort 1994, 16–18. Nach Stager 1966, 62 hatte allein die Stadt Aškelon ca. 10.000 Einwohner.

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schen‹ Stämme des näheren und weiteren Binnenlandes.896 Ganz selbstverständlich war Gaza auch der Anlegeplatz von Schiffen, die zwischen dem Nildelta und Tyros verkehrten. Diese Häfen waren Stadtstaaten mit eigenen Dynastien. Sie bildeten wohl seit Beginn des 11. Jh. einen Städtebund, einen nur lockeren Zusammenschluss, in dem die einzelnen Mitglieder ihre Autonomie bewahrten. Gaza war mit einer Fläche von 40ha eine der größten Städte Südsyriens und die Hauptstadt dieses Städtebundes. Nicht alle Mitglieder dieses Bundes waren Häfen: Gat und Ekron befanden sich in den Hügeln des Binnenlandes, in dem die Philister einen nicht geringen Teil der Bevölkerung ausmachten. Die Herkunft der Philister liegt im Dunkel der Spekulationen. Sie werden oft für Gruppen der sogenannten Seevölker aus dem Ägäischen Raum gehalten.897 Aber sowohl der allgemeine kulturelle Kontext als auch die Onomastik weisen die Philister als ein westsemitisches Volk mit starken ägyptischen Einflüssen aus, die eine längere Nachbarschaft beider Kulturen voraussetzen.898 Die assyrischen Quellen über Philistia beginnen Ende des 9./Anfang des 8. Jh. mit den Westkampagnen Adadneraris III. (810/9–782).899 Unter Tiglathpilesar III. (745–727) fiel die gesamte Südküste im Jahr 734 unter assyrische Kontrolle.900 Sargon II. (722–705) musste sie mehrmals sichern, und auch weiterhin waren die philistinischen Städte oftmals Herde von Unruhen, die auf ganz Südsyrien übergriffen. Gegen Beginn des 8. Jh. klagte der Prophet Amos Gaza an, ganze Gebiete entvölkert und die Deportierten an Edom ausgeliefert zu haben.901 Das ist wohl so zu verstehen, dass judäische Kriegsgefangene nach einem der wohl zahlreichen Kämpfe von Gaza nach Edom in die Sklaverei verkauft worden waren. Dass Edom als Verbündeter von Gaza auftritt, zeigt das Zusammenwirken beider Staaten auf der Route der Weihrauchstraße. Tiglath-pilesar III. musste im Jahr 735 einen Aufstand niederschlagen,902 der wohl die gesamte Küste erfasst hatte. Er nahm die Städte ein und zwang ihre Herrscher in ein neues Vasallenverhältnis. Hanun, der aufständische König von Gaza, flüchtete nach Ägypten. Diese Unternehmungen gegen Gaza werden in den Annalen recht ausführlich beschrieben, was die Bedeutung dieser Stadt für die Assyrer unterstreicht.903 Unter anderem erbeutete der assyrische König dort eine nicht genau genannte Menge an Gold und 800 Talente Silber. Der zurückgekehrte Hanun wurde trotz seiner früheren antiassyrischen Haltung in seinem Amt bestätigt, und Gaza war nun ein streng kontrollierter Vasallenstaat an der ägyptischen Grenze. Tiglathpilesar III. nutzte die handelsstrategische Lage des Gebietes dazu, hier einen Marktplatz einzurichten, der ihm einen freien Handel zwischen Assyrien und Ägypten ermöglichte.904 Gleichzeitig konnte er dadurch das wirtschaftliche und politische Potenzial des ambivalenten Hanun empfindlich schwächen und genau überwachen. In dem gleichzeitigen SyrischEphraimitischen Krieg scheint nur Aškelon am Aufstand teilgenommen zu haben.905 Denn 896 897 898 899 900 901 902 903 904 905

Vgl. zu diesen Beziehungen Bienkowski, van der Steen 2002, 21–47. Vgl. dazu Noort 1994. Zu ihrem Kult vgl. Ehrlich 2008. RIMA 2 A.0.104.8, 12. Ep. Chron. Amos 1,6–8. Ep. chr.: »Zum Land Pilistia«. Wiseman 1951, 21–23; Tadmor, Tigl Summ. Inscr. 4,8ʹ–15ʹ. Saggs 1955, 127f.: Brief des in Simirra stationierten Beamten an den König; vgl. auch Teil I 3. Vgl. dazu Teil I 5.4.3.

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nach der Belagerung von Damaskus 733 zog Tiglath-pilesar III. über Galiläa gegen dessen damaligen König Mitinti. Im Rahmen dieser Ereignisse wird ein ›arabischer‹, d.h. nomadischer Stamm mit dem Namen Idibi’ilu erwähnt, der in der Genesis als ein Nachkomme Ismaels bezeichnet wird.906 Diesen setzte der assyrische König zum »Torhüter über Ägyptens Grenzen« ein.907 Dieses Privileg für einen solchen Stamm gab den Assyrern die zusätzliche Möglichkeit einer Kontrolle über den arabischen Handel. Bis zum Regierungsantritt Sargons II. 722/1 blieb es ruhig. Doch genau in diesem Jahr schloss sich Hanun, immer noch König von Gaza, der von Hamat geführten antiassyrischen Rebellion an. Er hatte diese erneute Wende seiner Politik sicher deswegen gewagt, weil zu erkennen war, dass Pharao Tefnacht von Saïs (ca. 727–720) der 24. Dynastie eine aktive Außenpolitik zu verfolgen begann.908 Nach dem Sieg über die Koalition bei Qarqar verfolgte Sargon die ägyptischen Truppen durch Syrien. Dabei unterwarf er die gesamte philistinische Küste909 und nahm die Grenzstadt zu Ägypten, Raphia, ein. Raphia wurde zu einem assyrischen militärischen Grenzposten, der außerhalb des normalen Provinz- und Vasallensystems lag. Gaza war nicht in der Lage, Widerstand zu leisten. Hanun wurde diesmal in Fesseln nach Assyrien gebracht, und Gaza war wieder ein Vasallenstaat, von dem keine Unruhen mehr ausgingen. Trotz seines Status war Gaza weiterhin relativ unabhängig. Erst einige Jahre später, im Jahr 716, wurde seine Wirtschaft durch die erneute Errichtung eines freien Handelsortes der Assyrer mit Ägypten empfindlich eingeschränkt. 716 kam Sargon wieder nach Südsyrien, doch nicht provoziert von den Philistern, sondern um die Grenze gegen Ägypten zu sichern.910 Das ist insofern erstaunlich, als Sargon in den Jahren 719 und 716 bis 714 gleichzeitig schwere Kriege gegen Urartu führte. Die Ägyptenkampagne ist in den Annalen nicht verzeichnet, sondern nur aus dem Fragment eines Tonprismas bekannt. Aus dem sehr schlecht erhaltenen Text geht hervor, dass der assyrische König eine Garnison aus Deportierten am Wādi el-ʿArīš stationierte und das gesamte Grenzgebiet einem »Prinzen von der Stadt Laban« anvertraute.911 Der Pharao Silkanni – so der Name im assyrischen Text –, sicher Osorkon IV. (767–715) der tanitischen 22. Dynastie, hatte offensichtlich kein Interesse an Konflikten mit Assyrien, sondern eher an einer guten wirtschaftlichen Zusammenarbeit, was auch ganz im Sinn Sargons war. Dieser ließ als seine persönliche Leistung in die Annalen eintragen: »Ich öffnete den gesiegelten Hafen von Ägypten. Ich vermischte Assyrer und Ägypter und ließ sie miteinander Handel treiben.«912 Dabei bleibt unbekannt, was für ein Ort mit dem »versiegelten Hafen« gemeint sein könnte. Tadmor zufolge kommen dafür die ägyptischen Festungen Pelusium oder Sile in Frage.913 Die Philister wurden übergangen, da dem Text zufolge nur »Assyrer und Ägypter« in diesem Warenaustausch engagiert waren. Ob Gaza noch von der Weihrauchstraße profitieren konnte, ist fraglich, denn Assyrien hatte sie durch die Allianz mit den ›Arabern‹ fest im Griff. 906 907 908 909 910 911 912 913

Gen 25,13. Tadmor, Tigl Summ. Inscr. 7 Rs 6ʹ. Vgl. Teil I 2; vgl. auch Jes 14,28–32 wo gegen einen Aufstand aufgerufen wird. Zu den Tributen der Könige: Saggs 1955, 134. Tadmor 1966, 91f. Tadmor 1966, 92. Fuchs 1998, 88. Tadmor 1966, 92.

136

I. Kurzer historischer Abriss

Um 713 hatte Azuri, der König von Ašdod, seine Tributzahlungen an Assyrien eingestellt, um sich den allgemeinen Unruhen in Südsyrien anzuschließen, welche die Küste, die ostjordanischen Länder und Juda mit ägyptischer Unterstützung erfasst hatten. Daraufhin wurde Azuri durch Befehl Sargons II. ein Jahr später entthront, und sein Bruder Ahiminti als neuer König eingesetzt.914 712 setzte man in Ašdod den von Sargon installierten Ahtiminti kurzerhand ab und inthronisierte einen Iamani. Dass dabei antiassyrische Stimmungen mit im Spiel waren, ist sehr wahrscheinlich. Iamani versuchte, die übrigen Städte der Südküste und die Länder des Binnenlandes (Juda, Moab und Edom) in ein antiassyrisches Bündnis hineinzuziehen und setzte dabei natürlich auf ägyptische Unterstützung, wie es der abtrünnige Azuri ebenfalls getan hatte. Wieder griff Sargon mit aller Härte ein und eroberte die Stadt. Das Schicksal des Iamani wird nach seiner Niederlage in den Annalen noch weiter verfolgt: Er floh noch vor der Belagerung von Ašdod zunächst in das Deltagebiet. Doch dort existierten die früheren kleinen Dynastien nicht mehr, die Syrien ab und zu geholfen hatten. Der zweite Pharao der 25. (nubischen) Dynastie Schabaka (716–702) herrschte bereits über ganz Ägypten.915 Iamani floh weiter bis nach Nubien, von wo er allerdings den Assyrern ausgeliefert wurde. Schabaka hatte wohl nicht das geringste Interesse, die guten Beziehungen zu Assyrien, wegen eines für ihn völlig unbedeutenden Usurpators aufs Spiel zu setzen. Assyrien und Schabaka standen nach diesem Bericht in einem regelmäßigen Informationsaustausch. Ašdod wurde nach diesem Aufstand unter einen assyrischen Beamten (bel pahati) gestellt. Ob das aber bedeutet, dass Ašdod zu einer assyrischen Provinz geworden war,916 ist nicht sicher, denn bis gegen Mitte des 7. Jh. sind Königsnamen überliefert.917 Vielleicht entsprach der Status von Ašdod dem von Israel unter Hosea u.a. Die assyrischen Annalen bezeichnen Iamani zwar als »einfachen Mann, ohne Anspruch auf den Thron«, aber in einer anderen Quelle erscheint er als »König«.918 Dieser Iamani ist in der modernen Literatur wegen seines Namens oft behandelt worden: Da die Assyrer die Ionier (wer immer auch unter diesem Ethnikon zu verstehen ist) als Iāmnāja, Iāmanāja bezeichnet haben,919 sehen einige Wissenschaftler in dem Personennamen Iamani das assyrische Ethnikon für Ionier.920 (Der Ortsname lautet KUR Iaman.) Die sprachlichen und historischen Argumente dafür sind allerdings nicht überzeugend. Die Form Iamam u.ä. ist nicht assyrisch, sondern jungbabylonisch.921 Dass ein einflussreicher Mann der Oberschicht fremder Herkunft König werden konnte, ist nicht unmöglich. Dagegen ist es sehr unwahrscheinlich, dass ein solcher Herrscher mit einem Ethnikon benannt wird. Iamani hatte offensichtlich viel Einfluss und versuchte auch außenpolitisch aktiv zu werden. Die Deutung des Personennamens als ein fremdes Ethnikon ist außerdem keinesfalls zwingend: Der 914 915 916 917 918 919 920 921

Fuchs 1994, 132–135, 326 (Übersetzung). Zur Diskussion um Datierung und die Person des damaligen Pharao vgl. Frame 1999, 53. So z.B. Donner 2001, 352; Noort 1994, 27–30. Belegt sind Mitinti für das Jahr 701 und Ahimilki für die Jahre 677 und 667. Fuchs 1994, Prunk. 95: »dem der Thron nicht zustand«; Prunk. 25–26 »König der Stadt«; Frame 1999, 19. Rollinger 1997, 167–172; vgl. dazu Teil IV 2.1. Vgl. Rollinger 2001, 245–251; zu diesen Ethnika vgl. auch Teil IV 1.1; Niemeier 2001, 16f., der vorsichtig spekuliert, dass Iamani aus der Leibgarde des Azuri gekommen sein könnte. Rollinger 1997, 170.

5. Die syrischen Länder

137

Name kann sehr gut westsemitischen Ursprungs und sein Gleichklang mit dem jungbabylonischen Ethnikon ein Zufall sein, wie es so oft in der Onomastik vorkommt.922 Nach 712 kam Sargon II. nicht wieder in diese Gegend zurück. Als sich unmittelbar nach seinem Tod im Jahr 705 zuerst Babylon, dann Länder im syrischen Westen gegen Assyrien erhoben, versuchten auch Aškelon, Juda und Ekron sich von der assyrischen Macht zu lösen. Sennacheribs Feldzüge im Jahr 701 sind besonders ausführlich beschrieben, zumal sie auch den ersten Zusammenstoß zwischen Assyrien und Ägypten behandeln.923 Er begann mit der Befriedung von Tyros,924 wobei nur ein einziger König der Südküste, nämlich Mitinti von Ašdod, auf assyrischer Seite stand. Es fehlte auch der König von Gaza, der allerdings auch nicht unter den Aufständischen vermerkt wird. Ašdod leistete keinen Widerstand. Dort hatte wieder ein innerer Aufstand getobt: Der rechtmäßige König war von einer antiassyrischen und proägyptischen ›Partei‹ abgesetzt und ein Sidqa zum König erklärt worden. Diesen nahmen die Assyrer gefangen und deportierten ihn, während ein gehorsamer Vasall, Šarru-lu-dari, der Sohn des früheren Königs Rukibti, zu regieren begann.925 Die Assyrer stellten mit ihrem Eingriff die dynastische Herrschaft also wieder her. Das nächste Ziel war das abtrünnige Ekron: Dort hatte der König Hiskia von Juda interveniert.926 In den folgenden Jahren wachsender Spannungen zwischen Esarhaddon (680–669) und Ägypten unter den letzten Pharaonen der 25. Dynastie Taharqa (690–664) und Tanutamun (664–656) wurde das Land der Philister zu einem Durchzugsgebiet der Armeen beider Seiten. Esarhaddon unternahm 679 einen Feldzug gegen Sidon und die Städte der südsyrischen Küste.927 Er konnte wegen der neuen ägyptischen Politik die eher zurückhaltende Politik seines Vaters gegenüber diesen Städten nicht fortsetzen. Schon bald nach seiner Thronbesteigung unternahm er im Jahr 679 einen Feldzug zu einer Stadt Arsa an der ägyptischen Grenze und nahm ihren König Asuhili gefangen.928 Als er nach der Zerstörung Sidons die assyrische Hafenstadt Kar-Aššur-ahu-iddina gründete, waren auch die Könige der Philisterstädte verpflichtet, sich an dem Bau zu beteiligen.929 Dass der assyrische Verwalter von Ašdod, ein Šamaš-kasid-ajabi, die hohe Ehre des Eponyms des Jahres zuteil wurde, zeigt die Bedeutung der Stadt in dieser Zeit. Doch es gibt auch gewisse Anzeichen von Widerstand: Eine sehr beschädigte und daher nicht klar verständliche Felsinschrift scheint anzudeuten, dass Aškelon den ägyptischen Taharqa unterstützte.930 Auch Orakelanfragen des Esarhaddon an den Sonnengott Šamaš zeigen die vielleicht berechtigte Furcht vor Schwierigkeiten auf dem Gebiet dieser Stadt.931 Es ist allerdings nicht ganz klar, ob diese Furcht der Grund für die Anfrage war, oder nicht eher die Befürchtung, in Philistia auf eine überlegene ägyptische Armee zu stoßen. Auf der Liste der Länder, die Landtruppen und Schiffe 922 923 924 925 926 927 928 929 930 931

Vgl. Teil II 3. Vgl. Teil I 3. Vgl. Teil 1, 5.4.1. Luckenbill, Sennacherib 30 (BM 130 000 II 60–68). Tadmor 1966, 96; vgl. Teil I 5.4.3. Borger, Asarhaddon §§48–49. Borger, Asarhaddon S. 50. der Ort befand sich wahrscheinlich zwischen Qal’at el-Arish und Raphiah; vgl. Tadmor 1966, 97, Anm. 43. Es handelt sich um Sil-Bel von Gaza, Mitinti von Aškelon, der ein Sohn des früheren Königs Siqa war, Ikausu von Ekron und Ahimilki von Ašdod; vgl. Tadmor 1966, 98, Anm. 48. Borger, Asarhaddon S. 102. Tadmor 1966, 100 mit Anm. 51.

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I. Kurzer historischer Abriss

für den Ägyptenfeldzug stellten, befinden sich auch vier Könige von Philistia: Sil-Bel von Gaza, Mitinti von Aškelon, Ikausu von Ekron und Ahimilki von Ašdod. Unter Psammetichos I. (664–610)932 wurde Ägypten wieder zu einem starken und geeinigten Staat. Die assyrischen Truppen zogen sich aus seinen Grenzen in die Gebiete der Philisterstädte zurück, wo ihre Basen waren. Dort war die Lage offensichtlich ruhig, denn von 651 bis 649 sind Tributleistungen verzeichnet.933 Als die Macht Assyriens schließlich schwand, stand die syrische Südküste für ägyptische Eroberungen offen. Der Süden Syriens geriet somit unter eine wie auch immer gestaltete ägyptische Oberherrschaft.934 Im Norden scheint zeitweilig philistinisches Gebiet von Josia okkupiert worden zu sein, was aus den Grabungen und Inschriften von Mesad Hašavjahu möglich erscheint.935 Nach den Niederlagen des Necho gegen Nabukadnezar bei Karkemiš im Jahr 605 kam die syrische Südküste ebenfalls unter babylonische Herrschaft. Nabukadnezar zerstörte Aškelon und Ašdod im Dezember 604,936 worauf Aškelon für 75 bis 80 Jahre verlassen wurde.937 Auf einer Liste der Könige, welche bestimmte Aufgaben für den Bau des Palastes des Nabukadnezar zu erfüllen hatten, werden die Könige von Gaza und Ašdod zusammen mit denen von Tyros und Arwad genannt.938 Dabei waren diese Küstenstädte sowohl Ausgangsstation für einen Weiterzug ins Binnenland als auch Stationierungsorte unter ägyptischer Kontrolle. Besonders Aškalon und Gaza waren vom 8. bis zur Mitte des 7. Jh. in ständiger Gefahr, sobald sich ihre Eliten in irgendeiner Weise Assyrien gegenüber weniger loyal verhielten und innere Unruhen entstanden. Die griechische Keramik setzt hier erst im 8. Jh. ein, als ständige äußere und innere Kämpfe begannen. Handelsaktivitäten, welche auch für diese Zeit vermutet werden, sind auch deswegen weniger wahrscheinlich. Bis zum Ende des 7. Jh. weisen die griechischen Scherben auf einen nur schwachen Transitverkehr griechischer Schiffe von und nach Ägypten hin. Das änderte sich im ausgehenden 7. Jh. In dieser Zeit erscheinen auch Gefäßformen, die höchstwahrscheinlich auf eine längere Präsenz von Griechen hinweisen. Sie stimmen in Aškalon ganz mit den Befunden aus Mesad Hašavjahu und Tell Kabri überein. Außer den sogenannten Ionian cups und ostgriechischen wild goat cups entdeckte man hier auch Kochtöpfe und ostgriechische Transportamphoren, die aus Samos, Chios und Lesbos stammen. Sie befanden sich sowohl in der Zerstörungsschicht (77 Fragmente), welche babylonische Truppen bei der Einnahme der Stadt wohl im Jahr 604 verursacht hatten, als auch unmittelbar darunter (111 Fragmente). Wenn sich in dieser Zeit hier Griechen aufgehalten haben, so befanden sie sich auf ägyptischem Hoheitsgebiet. Die großen Übereinstimmungen der Ensembles in Aškalon mit Mesad Hašavjahu und anderen Stätten im Binnenland Judas wie Ekron oder Tell Bataš deuten zweifellos auf griechisches Söldnertum hin. Die Häufung ostgriechischer Keramik Ende des 7. und zu Beginn des 6. Jh. an der Küste hat also denselben Kontext wie im Binnenland. Die Chytrai legen nahe, dass die Söldner direkt 932 933 934 935 936 937 938

Vgl. Teil I 2. Tadmor 1966, 101 mit Anm. 56. Archäologische Funde aus dieser Zeit lassen auf direkte Kontakte mit Ägypten schließen: Waldbaum, Magness 1997, 37. Vgl. Teil I 5.4.3. Grayson, Chron. 5, 18–19. Waldbaum, Magness 1997, 36. ANET 308.

5. Die syrischen Länder

139

aus Ionien hierhergekommen waren. Während Mesad Hašavjahu und Kabri wohl als kleinere Festungen dienten, boten die Philisterstädte, in denen ebenfalls Chytrai, ostgriechische Transportamphoren und relativ großen Mengen an ostgriechischer (und wenig korinthischer) Keramik aus derselben Zeit gefunden wurden, außerdem auch kommerzielle Kontaktbedingungen.

Teil II

Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit Nur wenige Quellen vom 10. bis zum 6. Jh. geben einen direkten Einblick in Ost-WestKontakte. Umso wichtiger ist es, diese schmale Basis durch indirekte Angaben und neue Interpretationen zu erweitern. Wir verfügen heute über eine nicht geringe Menge an schriftlichen Quellen aus verschiedenen Kulturkreisen mit unterschiedlichen Schrifttraditionen und Entwicklungsprozessen und -phasen bei der Verschriftlichung ihrer Gesellschaften, Quellen, die in ihrem medialen Charakter jeweils kulturspezifische Prioritäten setzten. Dasselbe gilt auch für die materiellen Quellen, deren historischer Wert, d.h. ihre möglichen Aussagen, in ihren Kontexten ermittelt werden müssen. Einige für das Thema relevante Quellenarten sollen hier unter dem Gesichtspunkt der Kommunikation betrachtet und vorgestellt werden. Eine datierte und lokalisierte Quelle ist in ihren historischen Kontext zu stellen, d.h. ihr ›Sitz im Leben‹ möglichst genau zu bestimmen. Ihr Inhalt erschließt sich über das politische, soziale und kulturelle Umfeld, in der sie eine beabsichtigte Funktion zu erfüllen hatte. Mit solch einer Betrachtungsweise trennt man sich von den literaturwissenschaftlichen und kunstwissenschaftlichen Methoden der Analyse und Interpretation. Gleichermaßen distanziere ich mich vom Strukturalismus, der geschichtliche Prozesse und Situationen weitgehend unbeachtet lässt. Zeichensysteme von Sprache und bildender Kunst in ihrem Funktionieren gleichzusetzen, wie es unter einer semiotischen Betrachtungsweise geschieht, beide also als selbstbestimmte Systeme anzusehen, bedeutet zwangsläufig, sich von Zeit und Raum zu abstrahieren und die Spezifik ikonographischer Systeme zu verkennen.1 Es stellt sich vielmehr die Frage: Was für eine mediale Absicht und Rezeption besaß ein Schriftstück oder ein Gegenstand in seinem Umfeld zur Zeit seines Entstehens und wie wirkte es fort? Um das zu ermitteln, ist die für die jeweilige Kultur spezifische Handlungspraxis, d.h. die Vorgänge, mit welchen eine Quelle konzipiert, ausgeführt und zur gewünschten Rezeption öffentlich gemacht wurde, zu rekonstruieren.2 Auch wenn bei den Untersuchungen Lücken bestehen bleiben, so können allein schon die Erwägungen, die auf Funktion und Praxis Bezug nehmen, neue Perspektiven für ein besseres Verständnis bieten. Solche praxeologischen Untersuchungen sind bei den Quellenarten, die von den herrschenden Eliten für ihre Repräsentation geschaffen wurden, meistens ausführbar. Schwieriger wird es bei Gegenständen des Alltags, z.B. bei der Gebrauchskeramik, bei denen eine mediale Wirkung nicht oder nur in einem beschränkten Maß bestanden haben dürfte, und wenn ja, nur in Einzelfällen überhaupt nachweisbar sein kann. 1 2

Z.B. Hofter 1996, 28. Eingehender zur Praxeologie besonders Teil III 3.

142

II. Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit

In diesem Teil werden nur einige besonders interessante und in den folgenden Kapiteln intensiver benutzte Quellen zu Kommunikation und Rezeption als Medien ihrer Zeit vorgestellt.

1. Materielle Quellen Die Welt der Menschen ist von Gegenständen umgeben, die sie selbst geschaffen haben. Sie sollen primär dazu dienen, ihnen ihre Lebensgrundlagen zu schaffen, das Alltagsleben zu erleichtern und angenehmer zu gestalten. In dieser rein utilitaristischen Funktion sind Gegenstände primäre Quellen für die Geschichte der Wirtschaft und Technik. Außerdem besaßen sie in ihrer Zeit einen bestimmten materiellen Wert. Und schließlich werden sie durch ihre Materialität zu Quellen, welche man traditionell ›geistige‹ nennen würde. Materialität bedeutet nach den Theorien des sozialen Handelns (Praxeologie) die wechselseitige Einwirkung zwischen Gegenstand und Akteur. Diese ›Materialität der Kultur‹ oder ›Materialität des Sozialen‹ manifestiert sich in zwei Aspekten: in dem Gegenstand, der von dem Akteur erkannt und verwendet werden soll, und der dadurch hervorgerufenen Bewegung des Körpers des Akteurs, der die Funktionalität des Körpers bzw. Gegenstands erkannt hat, ihn also deutet und entsprechend handelt. Das ist die Basis der sozialen Praktiken. Damit macht die Praxeologie Vieldeutigkeit und Veränderlichkeit sozialer und kultureller Phänomene in einer Weise deutlich, durch welche die Trennung zwischen ›materieller‹ und ›geistiger‹ Kultur von selbst wegfällt. Zwischen Gegenstand und Mensch entstehen und bestehen also vielfache Beziehungen. An erster Stelle stehen die Relationen zwischen Gegenstand und Produzenten. Es beginnt mit dem Entwurf und der Planung, der von verschiedenen Akteuren ausgearbeitet werden kann (s.u.). Meistens kommt der Entwurf vom Auftraggeber, der als zukünftiger Besitzer des Produkts eine bestimmte Motivation für seinen Erwerb hat. Danach folgen die Ausführung durch einen Hersteller und die Übergabe an seinen Besitzer.3 Darüber hinaus kann ein Gegenstand nicht nur direkte Relationen zu den Akteuren besitzen, sondern auch als ein mediales Instrument bei zwischenmenschlichen Beziehungen wirken und als solches bewusst eingesetzt werden. In diesem Fall erhält er eine besondere dynamische Kraft. Das können z.B. Götterbilder sein, welche die Adoranten in eine Hochstimmung versetzen, in der die Gemeinschaft intensiv empfunden wird, aber auch profane, meistens kostbare und/ oder symbolträchtige Gegenstände, die Menschen vereinen oder auch entzweien können. Die Quellenanalyse und -interpretation von Gegenständen befassen sich also mit der grundsätzlichen Frage, was für soziale Praktiken mit diesen verbunden waren. Das schließt die Ermittlung ihres Kommunikationsgehalts in der Zeit, in der sie geschaffen und benutzt wurden, ein.

3

Natürlich waren bei Produktion und Vertrieb von billiger Massenware, die auf eine große Nachfrage gleicher Gegenstände reagierte, die sozialen Praktiken ganz andere.

1. Materielle Quellen

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1.1 Keramik als kultureller und ethnischer Indikator Bei der Untersuchung der Ost-West-Kontakte im Vorderen Orient nimmt die frühgriechische Keramik in Syrien einen bedeutenden Platz ein, da ihre Interpretationen zu verschiedenen Hypothesen über Präsenz und Aktivitäten von Griechen führten.4 Griechische Keramik ist in einem fremden kulturellen und ethnischen Umfeld auch deswegen wichtig, weil sie auch nicht griechische Fundorte und -schichten datieren kann. Die Benutzung von Keramik als historische Quelle ist aber in vielerlei Hinsicht nicht unproblematisch. Schon die Datierung und Herkunftsbestimmung eines Fragments sind oft längst nicht so eindeutig, wie es manchmal in den Publikationen dargestellt wird. Nicht immer kann es bestimmten Schichten zweifelsfrei zugeordnet werden. Auch die Festlegung der Herkunft oder des Verbreitungszentrums einer Keramik macht nicht selten Schwierigkeiten. Mit solchen Untersuchungen arbeitet man sich also nur bedingt an ihre ursprünglichen Träger heran: Auch wenn man sie ungefähr chronologisch und vielleicht in ihren Routen verfolgen kann, bieten die Keramikscherben ohne weitere Quellen keine eindeutigen Informationen über ihre Träger. Der frühgriechischen Keramik im Osten wird deswegen so große Bedeutung zugemessen, weil sie als ethnischer Indikator ihrer Träger angesehen wird. Die damit verbundenen Probleme sind zwar gut bekannt, werden aber manchmal nur selektiv berücksichtigt oder ganz ausgeblendet. Eine Scherbe z.B. aus Attika, gefunden irgendwo in Syrien, bedeutet in keiner Weise, dass sie auch von einem Athener dorthin gebracht wurde. Das wäre nur eine von vielen Möglichkeiten. Gleichzeitig hat eine relativ große Anzahl griechischer Scherben an einigen Orten der Levante zur Hypothese geführt, dass dort griechische Siedlungen existierten. Die innere Notwendigkeit, ein Griechentum im Osten beweisen zu müssen, scheint immer noch sehr groß zu sein.5 Diese Keramikfunde signalisieren eigentlich nur eine einzige Tatsache, nämlich dass seit frühgeometrischer Zeit Beziehungen zwischen Griechenland (vorrangig Euboia und/oder den Kykladen) und der syrischen Küste existierten. Doch auf die Frage, welcher ethnischen Zugehörigkeit die Träger dieser Keramik in Syrien waren, kann sie keine Antwort geben. Ein Tongefäß ist zur Zeit seiner Herstellung und primären Benutzung nur ein Gebrauchsgegenstand, der in dem gegebenen sozialen Umfeld den Lebensgewohnheiten seines Besitzers entspricht. Die Formen sind praxisgebunden. Für den Gebrauch von Trinkgefäßen sind folgende Aspekte relevant: die Art des Einschenkens, des Anfassens und Aufhebens, des Trinkens und des Abstellens. Gerade die Praktiken sind für die benutzten Formen von primärer Bedeutung. Abweichungen zwingen zu anderen Praktiken, d.h. die Reaktion des Benutzers auf den Gegenstand ist in dem Fall einer Veränderung unterworfen. Das mag zwar auf den ersten Blick belanglos erscheinen, im Alltag wirkt es sich aber nicht unerheblich aus. Die sozialen Praktiken generieren zahlreiche sinnliche Eindrücke, die unbewusst wirken und ausschlaggebend für ein allgemeines Wohlbefinden sind: Die Berührung mit den Händen und Lippen, die visuelle Gewöhnung, der regelmäßige Ablauf der Bewegungen. Aus allen diesen Gründen können sich Gefäßformen in einem bestimmten kulturellen Bereich lange halten. Zu dieser Praxisorientierung gehören noch weitere Elemente wie die 4 5

Vgl. Teil I 5.3.7. Bonatz 1993, 144 bezeichnet dies als grecocentric view.

144

II. Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit

Unterbringung (Stapeln, Aufhängen oder Aufstellen in einer Reihe) und Abwaschen, was auch in einer Relation zu der Räumlichkeit und ihrer Ausstattung gesehen werden muss. Ein Gefäß ›reagiert‹ nicht nur auf sein räumliches Umfeld, sondern auch auf andere Keramikformen für bestimmte Vorgänge (Trinken, Essen, Gastmahl usw.). Es ist also Teil eines Komplexes, in dem Formen, also die Praxisorientierung, und Dekorationen zusammenpassen müssen. Ein Gefäß funktioniert gleichzeitig als ein kommunikatives Medium, weil es Relationen zwischen Akteuren schafft. Es vermittelt durch seine Form und Dekoration eine kulturelle (lokale, regionale oder fremde) und soziale Herkunft. Die Benutzung von lokalen Waren im Heimatland steht im Gesamtkontext des Soziums und seiner Traditionen. Die Bevorzugung der eigenen Keramik im Ausland bedeutet, dass die Gefäße und ihre Praktiken eine starke Signalwirkung besitzen und ihre Benutzer durch sie ihre Identität zum Ausdruck bringen. Eine solche Einstellung lässt sich bei den Griechen erkennen, die im Ausland ständig sesshaft waren, wie in den Kolonien oder – im Bereich unseres Themas – im ägyptischen Naukratis. Außerdem können z.B. alte, mit Erinnerungen verbundene Stücke Emotionen wecken. Bestimmte Gefäßformen und Dekorationen hoher Qualität zeigen einen sozialen Status. Ein schön geformter, gut gebrannter und aufwendig dekorierter Krater konnte als Gastgeschenk oder Weihgabe im Ausland dienen. Die Herkunft eines Gefäßes spielte keine große Rolle: Man bevorzugte einen attischen Krater, wenn er besser war, als die Produkte des eigenen Herkunftslandes.6 Auch politische Beziehungen kann Keramik zum Ausdruck bringen. Das erklärt z.B., warum im Vasallenstaat Juda assyrische Keramik Verwendung fand.7 Als soziales Medium vermittelt Keramik also ein Zugehörigkeitsgefühl, das lokal, ethnisch, politisch oder gruppenspezifisch bedingt sein kann. Neben den praxisbezogenen und kommunikativen Aspekten werden häufig auch allgemeine ästhetische Eigenschaften als ein Kriterium der Bevorzugung genannt. Ästhetische Befriedigung kommt allerdings nicht aus einem kulturellen und sozialen Vakuum. Ein schönes Trinkgefäß aus dem Ausland konnte nur dann eine ästhetische Zustimmung finden, wenn es in die sozialen Praktiken des Besitzers eingegliedert werden konnte. Meistens benutzte man fremde Keramik im Ausland einfach, wenn eigene nicht (mehr) zur Verfügung stand. Verfehlt wäre ein Vergleich mit der heutigen Welt, in der sich Menschen und Waren über alle Kontinente bewegen und regionale Kulturen eher ein marginales Schattendasein führen. Daher ist der Begriff ›Modeerscheinung‹, den viele Archäologen und Historiker benutzen, für den hier betrachteten Zeitraum nicht angebracht: Nordsyrer, Phöniker und Aramäer hätten an griechischen Gefäßen so großes Gefallen gefunden, dass diese geradezu zu einem griechischen Exportschlager geworden seien.8 Abgesehen von den theoretischen Einwänden, die oben gegen eine ›wilde Art der Rezeption‹ vorgebracht wurden, kann man dem entgegensetzen, dass die Qualität der Keramik im Osten und auf Zypern bis zum 8. Jh. weitaus besser war als jener aus Griechenland. Man trank im Osten auch nicht aus Bechern mit Henkeln und Fuß.9 6 7 8 9

So z.B. am Tempel in Hamat, vgl. Teil I 5.2.4. Weippert 1988, 647 mit Anm. 75. Luke 2003, 46. Boardman 2002a.

1. Materielle Quellen

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Imitationen fremder Keramik können mehrere Beweggründe haben. Man kann sie als Rezeption bei Adaptionsprozessen im Kontakt zweier Kulturen beschreiben. In einem solchen Fall ist die Imitation von Gefäßen nur ein Element unter vielen anderen, welche übernommen und bald als eigene angesehen werden. Übertragen auf die Imitation griechischer Keramikformen im Osten müsste das bedeuten, dass zusammen mit den Trinkgefäßen auch die griechische Trinkkultur und/oder andere griechische Kulturelemente von den Syrern übernommen worden wären. Solche Adaptionen sind jedoch nicht zu beobachten. Eine andere Art von Imitation geschieht in einem vermittelten Kontakt, in dem der Prototyp seine Bedeutung verloren hat. Solcher Art sind die zyprische und die phönikische Ware sowie die so genannten al-Mina cups, deren Verbreitungsgebiet im Dreieck Kilikien – Zypern – Nordsyrien liegt.10 Man benutzte sie alternativ zu den lokalen. Hier wurden aber Gefäßformen zusammen mit anderen Kulturgütern (z.B. Siegel) übernommen. Bei Imitationen gelten die gleichen Anforderungen wie bei den fremden Importen in einem lokalen Umfeld: Sie müssen, um in den alltäglichen Gebrauch eingegliedert zu werden, der Praxis des Alltagslebens entsprechen und darüber hinaus noch weitere Vorteile bieten. Bei den orientalischen Nachahmungen griechischer Keramik war dies aber nicht der Fall. Sie setzten sich offensichtlich nicht in der orientalischen Gesellschaft durch. Imitationen werden hergestellt, wenn eine Nachfrage besteht. Da eine solche in der orientalischen Gesellschaft nicht vorhanden war, kam sie möglicherweise von den vielen Reisenden, welche die syrischen Häfen anfuhren. Es ist vielleicht kein Zufall, dass nach 700 die lokalen Imitationen die Importe überstiegen, als sich der Verkehr zwischen Ostgriechenland und Ägypten stark entwickelte. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass importierte griechische Keramik im Vorderen Orient Fragen stellt, die sie selbst nicht zu lösen vermag. Sie signalisiert zweifellos direkte und/oder indirekte Kontakte zwischen Herkunfts- und Bestimmungsort. Aber nur in Kombination mit weiteren, schriftlichen und materiellen Quellen und vor dem jeweiligen historischen Hintergrund kann sie Hinweise auf die dahinter stehenden Kontakte liefern. 1.2 Monumentalarchitektur und künstliche Landschaft Monumentalarchitektur ist eine künstliche Gestaltung des natürlichen oder bereits architektonisch geformten Raumes, die sich von der gewöhnlichen Wohnarchitektur in Maßstab und Formen unterscheidet. Sie wurde und wird bewusst als ein Medium der Macht eingesetzt. Das betrifft gleichermaßen sakrale wie profane Bauten, Einzelgebäude und Ensembles sowie Befestigungsanlagen. Ihre kommunikative Funktion ist besonders bedeutend.11 Jedes Bauunternehmen eines Herrschers ist als eine Darstellung seines Programms für möglichst viele Rezipienten zu verstehen. Monumentale Bauwerke waren zudem Identitätssymbole für eine Stadt und spezifische Unterscheidungsmerkmale für Fremde. Ihre mediale Wirkung war, besonders von außen betrachtet, unmittelbar und weckte Emotionen des Staunens, einer ästhetischen Überflutung sowie Ehrfurcht vor weltlicher und überirdischer Macht und vermittelte den Eindruck übermenschlicher Werke. Sie verkörperte nicht nur die direkte Verbindung zwischen den irdischen und den göttlichen Herrschaftsräumen, 10 11

Vgl. Teil I 5.3.2. Vgl. dazu auch Novák 1999, 20–22.

146

II. Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit

sondern war gleichzeitig auch Ausdruck der göttlichen Ordnung selbst, in der sich das Königtum als religiös motiviert und göttlich legitimiert zeigte. Sie stellten den ewigen Aufbau des Kosmos dar, in dem die Stadt durch ihre Monumentalbauten einen ganz bestimmten, nämlich den zentralen Platz einnahm.12 Es gab wohl kein anderes Medium, durch welches die Königsideologie, die in diesen kosmischen Vorstellungen verankert war,13 so massiv und suggestiv vermittelt werden konnte. Mit seinen Bauten präsentierte sich ein Herrscher selbst als ›Schöpfer‹, als Gestalter des Lebensraumes. Die architektonischen Formen des altorientalischen Monumentalbaus und die dahinter stehenden Konzepte wurden bereits im 3. Jt. von den ersten sumerischen Stadtsaaten geschaffen. Die Baukunst und ihre Semiotik entwickelten sich im Lauf der folgenden Jahrtausende unter den Bedingungen größerer Territorialstaaten mit neuen Ideologien und Ausgestaltungen. Einzelne Aspekte der Königsideologie wurden neuen Gegebenheiten angepasst. Tatsächlich waren die Konstituenten von Urbanität, Palast, Tempel und Festungsmauern mit Türmen und Toren ähnlich, doch die dahinter stehenden Konzepte unterschieden sich im 1. Jt. wesentlich von den früheren mesopotamischen, was von den unterschiedlichen religiösen Vorstellungen, Gesellschaftsstrukturen und Herrschaftsformen, aber auch von den anatolischen Einflüssen bedingt war. In den spätluwischen Zentren Nordsyriens14 findet man eine eigenständige Kultur, in die altsyrische und bronzezeitliche anatolische Konzepte eingeflossen waren. Die Monumentalität der Palast- und Tempelbauten wurden nicht nur durch monumentale Skulptur ergänzt, sondern auch durch durchlaufende Szenendarstellungen auf Orthostaten.15 Andere Konzepte finden wir in den weniger bekannten phönikischen und philistinischen Städten.16 Wenn man die Dichte der urbanen Zentren, ihre Konkurrenz und ihre Konflikte untereinander berücksichtigt, so scheint die Hauptaufgabe der Architektur darin bestanden zu haben, Identität zu schaffen, die Einmaligkeit und Macht des jeweiligen Stadtstaates zu zeigen und zu beweisen. Monumentalität war aus topographischen Gründen allerdings in Phönikien nur beschränkt möglich.17 Die Monumentalarchitektur ist auch das Medium, das auf Fremde einen direkten und sehr starken Eindruck macht, besonders wenn der Besucher aus einer Kultur kommt, in der sie fremd oder nur schwach entwickelt ist. Dieser Eindruck konnte nach einigen Quellenausagen aber auch ambivalent sein: Auf der einen Seite hat sie Anerkennung und den Wunsch nach Nachahmung erzeugt, auf der anderen wurde sie als Hybris bewertet und ist auf Ablehnung gestoßen.18 Griechen der archaischen Zeit haben seit etwa 600 nur im Bereich des Sakralbaus Monumentalarchitektur geschaffen. Palastanlagen sind wegen der 12 13 14 15 16 17 18

Besonders deutlich wird das in der Architektur von Babylon, vgl. Novák 1999, 96–104. Novák 1999, 320–322, 329–332. Als relativ gut bekannte Beispiele sind Karkemiš (Teil I 5.2.1) und Tell Taʿyinat (Teil I 5.2.3) zu nennen. Vgl. Teil II 1.3.1. Es ist bezeichnend, dass in einem Standardwerk wie Die Phönizier von Markoe (2003) die Architektur noch nicht einmal erwähnt wird. So z.B. in den Inselstaaten Tyros und Arwad. Vgl. den Turm zu Babel.

1. Materielle Quellen

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ganz andersartigen Sozialstruktur und der politischen Prinzipien der polis im archaischen Griechenland unbekannt, auch wenn es Einzelfälle gegeben haben könnte.19 Nicht nur Monumentalarchitektur veränderte natürliche Landschaften. Es gab auch viele andere Eingriffe in Form von Straßen, Brücken usw. und durch die Schaffung von künstlichen Landschaften wie Garten- und Parkanlagen. Sie alle sind als Teile der Infrastruktur unübersehbar und beziehen daher einen sehr weiten Kreis von ›Adressaten‹ ein. Eine künstlich gestaltete Landschaft wird als ›gebändigte Natur‹, d.h. Zivilisation aufgefasst. Dabei ist die Rezeption von Landschaft keine Konstante. Sie ändert sich zeitlich und regional sowohl mit der Entwicklung der Weltanschauungen, der Naturrezeption der jeweiligen Gesellschaft und dem Kontext, in dem Landschaft erlebt wird. Das gilt ganz besonders für eine sakrale Landschaft, zu deren Rezeption noch zahlreiche andere Komponente hinzukommen.20 Eine sakrale Landschaft hebt sich im Bewusstsein der Gemeinschaft deutlich von einer natürlichen ab, weil sie als heilige Umgebung einer Gottheit wahrgenommen und auf eine ganz spezifische Weise genutzt wird. Auch wenn ein Eingriff in die Natur nur minimal sein kann, so ist die Künstlichkeit allein schon durch die Abgrenzung des heiligen Bezirkes oder durch Symbole gegeben. Sie stellt sozusagen immer einen eingerahmten Ausschnitt dar, der als solcher auch wahrgenommen, mit bestimmten Bedeutungen gefüllt und damit aufgewertet wird.21 Die Schaffung einer künstlichen, sakralen Landschaft zwischen Stadt und Außentempel mit einem Verbindungsweg, einer ›heiligen Straße‹, auf der die Teilnehmer an den Prozessionen zu den großen Festen einherschritten, bildet ein Muster, das auch in den frühen griechischen poleis übernommen wurde.22 Wie die Monumentalarchitektur waren auch künstliche Landschaften Medien einer Herrscherideologie. 1.3 Ikonographie Die Kulturen des Orients und Ägyptens waren außerordentlich reich an Bildern. Darauf deuten nicht nur die vielen noch vorhandenen Fundstücke hin, die ja nur ein verschwindend geringer Bruchteil des einstigen Reichtums sind, sondern auch ihre Beschreibungen in schriftlichen Quellen. Sie waren in allen Lebensbereichen vorhanden und somit das wichtigste gesellschaftliche Kommunikationsmittel nach der Sprache. Die bis heute erhaltenen Bilder und ihre Träger stammen vorwiegend von den Oberschichten, welche die Mittel besaßen, ›ewiges‹ Material dafür einzusetzen. Zu den monumentalen Rundplastiken und den Orthostaten an Mauern repräsentativer Bauwerke kamen Darstellungen auf kleinen Formen wie auf Elfenbein, Metallstreifen oder -gefäßen sowie auch Wandmalereien u.a. hinzu, sozusagen als das Kleingedruckte. Sinnliche Wahrnehmung wird im Vergleich mit dem reflektierenden Denken, das sich im Schrifttum niederschlägt, in der westlichen Kultur traditionell als weniger wertvoll eingeschätzt. Das Verhältnis der Menschen zu Bildern ist äußerst ambivalent, denn trotz eines Vorbehalts wird Bildern auch heute oft viel mehr Glauben geschenkt als dem Wort, da es 19 20 21 22

Möglicherweise z.B. unter den Tyrannen auf Samos. Doch ist bislang kein solches Bauwerk gefunden worden. Vgl. Stähler 2002, 116f. Bredow 2009. Die bekannteste ist aus der archaischen Zeit zweifellos die Heilige Straße zwischen Milet und Didyma.

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II. Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit

authentisch und glaubwürdig scheint. Es ist materiell und dauerhaft, im Altertum vorwiegend auf Stein und Metall, also praktisch ewig. Doch Dauerhaftigkeit und Objektivität täuschen: Denn wie Worte kann man Bilder verdrehen, fälschen und vernichten, und das dauerhaft. Man benutzt zur Untersuchung von ikonographischen Werken verschiedene Methoden. Bei der Stilanalyse wird eine Darstellung in ihren einzelnen Bestandteilen mit möglichst akribischen Beschreibungen aus sich selbst heraus untersucht. Auch heute steht die Stilanalyse am Beginn jeder Bildbetrachtung. Durch diachronische Vergleiche des bildlichen Materials ist sie das wichtigste, wenn auch nicht das einzige Instrument zur Datierung eines Bildwerks.23 Beim nächsten Schritt muss man sich mit der Syntaxis der Bildelemente beschäftigen, was als Ikonographie bezeichnet wird.24 Die Verwendung bestimmter ikonographischer Elemente, der Zeichen, wie auch die Art ihrer Ausführung wird in dem hermeneutischen Raum eines Bildwerks betrachtet, d.h. das Bild wird als ein sich selbst bestimmendes Zeichensystem betrachtet, das gleichsam außerhalb seines kulturellen Kontextes besteht. Damit können innere Bezüge und Motive aufgedeckt werden. Bei der historischen und kulturhistorischen Analyse eines Bildes als Quelle sind aber gerade die sozialen und kommunikativen Funktionen wesentlich. Diesen letzten, entscheidenden Schritt in der Untersuchung von Bildern wird von Erwin Panofsky als Ikonologie bezeichnet. Das Bild wird als Dokument, »als etwas anderes als sich selbst« aufgefasst.25 Hier setzt die eigentlich historische Analyse ein, die das Ziel haben muss, das gegebene Bildwerk in seinen möglichst genau definierten Platz seiner Zeit zu setzen. Erst dann wird es zu einer historischen Quelle. Vom kommunikationswissenschaftlichen Standpunkt aus besitzt ein Bild mehrere verschiedene Aspekte: den des Auftraggebers (des ›Herrn des Bildes‹), des Herstellers (nach unserem Verständnis des Künstlers) und des Adressaten. Die historische Analyse hat sich also nicht so sehr auf das Bild an sich als Objekt zu konzentrieren, sondern auf die verschiedenen Relationen, in deren Mittelpunkt es steht. Repräsentation und Rezeption von Bildern sind Akte von großer sozialer Bedeutung.26 Diese drei Aspekte stellen eine Einheit dar, welche ein Bild zu einem bewusst eingesetzten Kommunikationsmittel macht. Der vierte Aspekt ist die eigentliche Kommunikation, die Handlung, d.h. der Auftrag des Bildes. Dass dabei die Botschaft auch die Ausdrucks-, Darstellungs- und Wirkungsformen27 bestimmte und nicht umgekehrt, liegt auf der Hand. Der Auftraggeber bestimmte die Rolle des Herstellers, den wir heute als ›Künstler‹ bezeichnen. Diese Benennung ist insofern missverständlich, als wir uns unter einem Künstler einen frei schaffenden Menschen vorstellen, der seine eigenen ästhetischen und weltanschaulichen Ansichten im Schaffen eines von ihm selbst konzipierten Werkes einsetzt. Allein schon die Begrifflichkeit der alten Sprachen, die keinen Ausdruck für Künstler und Kunst in diesem Sinne kannten, zeigt, dass es keine handwerklich und künstlerisch begabten Individuen mit einem eigenen Kunstwollen gab.28 Es waren vielmehr spezialisierte Handwerker, die nach den Vorgaben der Auftraggeber 23 24 25 26 27 28

Orthmann 1971, 14. Panofsky 1992. Bonatz 2000, 6. Vgl. Belting 2001, 8. Vgl. das Schema bei Bonatz 2000, 24. Nach Bonatz 2000, 6: »ausführender Teil eines auf diese oder jene Weise gearteten Systems«.

1. Materielle Quellen

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künstlerisch hochwertige Gegenstände herstellten. Für künstlerische Freiheit existierte wohl nur ein minimaler Freiraum, der sich eher auf Details beschränkt haben dürfte, und das nur nach Absprache. Könige, Adlige (meist dem königlichen Geschmack folgend) oder andere hohe soziale Kreise bestimmten das, was wir Kunst nennen. In einigen belegten Fällen stand ihnen ein spezialisierter Beraterstab zur Planung der gewünschten Bilder zu Seite, was nochmals die soziale und politische Bedeutung der Bildwerke unterstreicht. Um den Mechanismus der Entstehung eines Bildes und damit seine historischen, sozialen und kulturellen Aspekte richtig zu verstehen und einzuordnen, ist es in die Handlungspraxis seiner Zeit zu setzen: Die Konzeption orientierte sich ganz und gar an der Botschaft, die das Bild senden sollte. Einbettung in eine Tradition wie auch bewusste Innovationen schufen dabei zielorientierte mediale Stile. Daher war nichts an einem Bild zufällig oder ungeplant. Das gilt auch für seinen Wahrnehmungskontext, der zusätzlich wichtige Konnotationen schuf. Denn ein Bild erschließt zwischen sich und seiner Umgebung einen Kommunikationsraum bzw. Aktionsraum, der sozusagen zu einem institutionalisierten Betrachten, Verstehen und Antrieb (Befehl, Wunsch) führen soll. Diese Aufgaben eines Bildes und die Art der institutionalisierten Betrachtungsweise müssen also ausfindig gemacht werden, damit ein Bild aus der Vergangenheit heute verständlich wird. Ein solches Bild, heute betrachtet, kann in keiner Weise auf den ersten Blick begreifbar sein.29 Es sind die Bilder selbst, welche Macht ausüben, und nicht die einzelnen Zeichen darin. Aber nur durch die Vorstellungen, die ein Zeichen (Signifikat) erweckt, können die Botschaften der Medien empfangen, d.h. verstanden werden. Diese zum Verstehen notwendigen Vorstellungen sind Resultate einer kulturspezifischen Sozialisation. Das war den Herren der Medien im Altertum sehr gut bewusst und sie stellten sich darauf ein. Dementsprechend war ein Bild für einen Fremden aus einer anderen Kultur ohne Kenntnisse des jeweiligen kulturellen und ideologischen Umfeldes nur beschränkt zugänglich. 1.3.1 Die spätluwische Welt der Bilder In den spätluwischen Ländern waren Darstellungen in Form von Rundskulpturen, Stelen und Steinreliefs überall im öffentlichen Raum präsent. Diese Bilder hatten ihren Ursprung im spätbronzezeitlichen Anatolien. In Nordsyrien nahmen sie alte lokale syrische Traditionen auf und entwickelten sich aufgrund neuer sozialer und ideologischer kommunikativer Bedürfnisse zu einer eigenständigen kunsthistorischen Gruppe.30 Das älteste Zentrum dieser Bildkunst war Karkemiš.31 Als stärkste Regionalmacht mit Erfahrung und Traditionen konnte diese Stadt noch lange Zeit die spätluwischen Nachbarländer mit ihren Mitteln der öffentlichen Kommunikation nachhaltig beeinflussen. Dennoch hat jedes spätluwische Land seine eigenen Besonderheiten in den Bildprogrammen ausgebildet.32 Das Repertoire umfasst Königsbilder, Götterdarstellungen, Wächterfiguren, Orthostatenreliefs mit verschiedenen Szenen aus dem öffentlichen und kultischen Leben sowie mit mythologischen 29 30 31 32

Leicht 2002: »Die erste Pflicht der Bildwissenschaft besteht darin, den eigenen Augen zu misstrauen.« Orthmann 1971, 469–471. Vgl. Teil I 5.2.1. Orthmann 1971, 465–467.

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II. Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit

Sujets. Das Grabrelief ist ein im 1. Jt. neu geschaffenes Genre.33 Damit wurde ein weiterer öffentlicher Raum mit Bildern besetzt, nämlich die Stätten der Toten. Die monumentalen Bilder waren in und vor dem Tempel- und Palastbereich, an und in den Toren einer Stadt und an den Hauptstraßen aufgestellt. Ihre Zugänglichkeit im öffentlichen Raum erweiterte ihre Wirkung als Medien. Das Wechselspiel von monumentaler Rundskulptur und narrativen Reliefszenen im öffentlichen Kommunikationsraum ist einzigartig im Alten Orient. Trotz ihrer offensichtlichen Wirkung wurde es von keinem anderen Kulturkreis übernommen. Die Rundskulpturen stellten Götter, Könige und Wächterfiguren dar, die mit der Erhabenheit ihrer Masse wirkten. Damit erhielt ein Raum den Eindruck von Zeitlosigkeit und überwirklicher Größe und stellte eine Distanz zum Betrachter her. Sie wurden oft als Inschriftenträger benutzt, was ihre kommunikative Funktion ergänzte. Die relefierten Orthostaten, die oft von beiden Seiten mit Rundskulpturen flankiert waren, zeigen Szenen, in denen Bewegung zu sehen oder vorauszusetzen ist. Ihre Dynamik und Kleinteiligkeit schufen einen scharfen Gegensatz zur statischen Rundskulptur. Inhaltlich aber stehen beide Formen in engster Verbindung. Ist die Rundskulptur sozusagen die Schlagzeile, so sind die einzelnen Orthostaten die Nachrichten. Von den Gottheiten ist der Wettergott, meist in lokalen Ausformungen,34 in allen Ländern mit spätluwischer Kultur am häufigsten anzutreffen. Ebenfalls gut vertreten sind Schutzgottheiten, die nach altanatolischer Tradition mit einem Cerviden verbunden sind. Ihre Attribute sind sehr vielfältig, haben jedoch ein und dieselbe Semantik.35 Die Göttin Kubaba war die Hauptgöttin in Karkemiš, wurde aber auch in anderen Städten verehrt.36 Außerdem gab es noch mehrere andere Göttinnen, die teilweise aus der altsyrischen Tradition stammen.37 Der beliebte ägyptische Bes ist auf zwei Orthostaten in Karatepe zu sehen,38 wo er sicher aufgrund des phönikischen Themenkreises dort in das Bildprogramm aufgenommen wurde. Der König ist in unterschiedlichen Ikonographien dargestellt. Meistens tritt er als Einzelfigur dem Betrachter entgegen. Manchmal steht er auf einem Tier, Löwe oder Stier, die aber auch auf den Bildbasen abgebildet sein können. Offensichtlich haben sie die Funktion von Wächterfiguren. Seltener sind Sitzfiguren des Herrschers zu finden.39 Eine andere, häufig anzutreffende Bildgruppe ist die Libationsszene, in denen eine Gottheit mit dem Herrscher abgebildet ist. Dabei wird meistens eine Flüssigkeit aus einer Kanne in das Gefäß der Gottheit gegossen. Die göttliche Legitimation des Königs wurde vor allem durch diese Kultszene vermittelt, die zwar auch im Syrien der Bronzezeit bekannt war, deren Traditionen aber vor allem in das hethitische Anatolien verweisen. Libationsszenen wurden vorwiegend in einem sepulkralen Kontext verwendet (s.u.). Sehr viel seltener findet 33 34 35 36 37 38 39

Bonatz 2000. Orthmann 1971, 233–236. Ortmann 1971, 258–261. Orthmann 1971, 274f. spricht vorsichtig von »weiblicher Hauptgottheit«. Orthmann 1971, 279: »die nackte Göttin« nur aus Sam’al belegt. Nicht sicher identizifierbare Göttinnen mit astralen, vegetativischen, militärischen u.a. Symbolen: Ortmann 1971, 285f. Orthmann 1971, 267. Orthmann 1971, 287–294; zur unterschiedlichen Wirkung dieser Haltungen vgl. Bonatz 2000, 108.

1. Materielle Quellen

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man das Bild der Adoration, die auf einen neuassyrischen Einfluss schließen lässt.40 Die Bildgruppe von Wagenkampfszenen ist ein weiteres Thema der Königsideologie.41 Auch das Volk ist auf diesen Bildwerken vertreten und zwar als Männer und Frauen, die mit Opfergaben und Musikinstrumenten in einer Prozession zu einer Gottheit ziehen42 oder als vorwärts schreitende Krieger in Waffen.43 Während die Rundskulpturen den Betrachter in eine von der Ehrfurcht gebotenen Passivität versetzen, fordern die Reliefs zu einem aktiven ›Mitgehen‹ in die vom Bild vorgegebene Richtung auf. Das Verstehen der Bildwerke, d.h. die Art ihrer Rezeption, hing in hohem Maße von der Nutzung des öffentlichen Raumes ab: Vorübergehen bei Alltagsgeschäften, kultischen Prozessionen oder Handlungen im Rahmen von Festen, Militäraufzügen, Königsfeiern usw. Solche Kontexte setzten damit zusätzliche Akzente, d.h. erweiterten oder verstärkten das Spektrum der intendierten Botschaften. Das Grabdenkmal ist eine spezifische Innovation im spätluwischen Kulturraum. Das charakteristischste Sujet auf ihnen ist die Bankettszene.44 Aufgrund der Anzahl und dem Geschlecht der Personen, dem Mobiliar und den Symbolen kann man sie in mehrere Untergruppen einteilen. Was sie alle verbindet, sind Vorstellungen vom Jenseits und ein Totenkult. Außer der Bankettszene gibt es noch weitere Bildtypen des spätluwischen Grabmals. Ihren Höhepunkt erreichten diese Denkmäler im 9. Jh.45 Fast alle Orte der Kommunikation zwischen Bildwerken und Betrachtern waren in den spätluwischen Ländern öffentlich, also dazu bestimmt, möglichst viele Personen anzusprechen. Damit gehörten sie zu den wichtigsten Medien der Herrschaftsideologie, sowohl für den lebenden als auch für den verstorbenen König, des offiziellen Pantheons und den Ideen von Staat und seinem gesellschaftlichen Zusammenhalt. 1.3.2 Stelen und Reliefs in Ägypten während der Saïtenzeit Die altägyptische Bilderwelt entwickelte sich in der Zeit vom 8. bis zum 6. Jh. in zwei Richtungen. Die Kuschitenpharaonen begannen eine intensive Archaisierung der ägyptischen Kultur, und diese Tendenz führte die saïtischen Dynastie unvermindert fort, wobei einige lokale Unterschiede zwischen Ober- und Unterägypten festgestellt werden können.46 Tatsächlich ist es genau dieser Zug, der in der Kultur der Saïten als erster auffällt. Das Bewahren und Kopieren alter Muster in Rundskulptur, Reliefs und Wandmalerei hat oft zu einer pauschalen Charakterisierung der saïtischen Kultur als »rückwärtsgewandt«, ohne eigene Impulse, sogar als »eine leblose Mumie« geführt.47 Um möglichst genaue Imitationen anfertigen zu können, besaßen die Handwerker und Tempel zahlreiche Vorlagen und Musterbücher, um die Aufträge der Oberschicht in deren Sinn auszuführen. Mit solchen Werken wurden immer mehr Privatgräber ausgeschmückt. Auch wenn die Skulpturen archai40 41 42 43 44 45 46 47

Orthmann 1971, 353f. Orthmann 1971, 398–401. Orthmann 1971, 357f. Orthmann 1971, 412–415. Orthmann 1971, 366–380; Bonatz 2000, 60. Bonatz 2000, 182. Myśliwiec 1994, 51–53. Helck 1986, 79.

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II. Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit

sierend waren, so stellte der Ort ihrer Aufstellung, d.h. ihres Wirkens, zwar kein Novum dar, doch durch seine Priorität eine deutliche Abweichung von den vergangenen Blütezeiten Altägyptens. Dagegen verlor der Totenkult des Königs an Bedeutung.48 Überhaupt ist es bemerkenswert, wie stark die Bezüge auf den König zurückgenommen wurden.49 An diesem Prozess waren alle elitären Schichten der saïtischen Gesellschaft beteiligt: der Königshof, die Priesterschaft und die hohen Beamten und Offiziere. Damit wurden zwei nicht unwesentliche Innovationen hinsichtlich der Kommunikationsräume der Bilder eingeführt: Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit fand immer noch an und in den Tempeln statt, aber auch zunehmend an und in den Gräbern von Privatpersonen. Die Gräber in Asasif stellen die größten Privatgräber dar, die man je in Ägypten errichtet hatte.50 Der Bau von monumentalen Gräbern war zudem kein Anknüpfen an eine kontinuierliche Tradition, sondern ein bewusster Rückgriff auf die entferntere Vergangenheit, denn es hatte seit Jahrhunderten solche nicht mehr gegeben.51 Rückbesinnungen gab es in der ägyptischen Kulturgeschichte immer wieder und insofern stellt diese Archaisierung der Saïten prinzipiell nichts Neues dar. Doch hier wurde der Prozess deutlicher als in früheren Epochen. Es ist heute nicht immer einfach, eine saïtische Kopie von ihrer mittelägyptischen Vorlage zu unterscheiden, wenn für das Einzelstück kein Fundzusammenhang besteht. Dieser Rückgriff kann jedoch nicht als Aufgabe der Gegenwart und Flucht in eine herrliche Vergangenheit gedeutet werden. Ganz im Gegenteil benutzte man bestimmte Muster aus der Vergangenheit als das Material, in der die Gegenwart erfasst und gestaltet werden sollte. Das Bekenntnis zur Vergangenheit war das aktuelle kulturelle Programm.52 Der Staat und seine Gesellschaft sollten in der Welt der Bilder als die vollkommene Ordnung erscheinen, und dazu eigneten sich die normativen Regeln des Mittleren Reiches besonders gut. Die Saïtenzeit war die Epoche eines stabilen, autoritären Staates, in dessen Kultur die Regelhaftigkeit in der künstlerischen Ausgestaltung der Figuren zu einer hohen Perfektion ausgebildet wurde. Und noch ein Zug des Mittleren Reiches wurde damals aufgenommen und weiter entwickelt: die Idee der Bildung und Erziehung, des Erlangens des ›richtigen Wissens‹, durch welches eine konsequente Archaisierung überhaupt erst möglich wurde.53 Aber auch künstlerische Elemente aus dem Alten Reich, dessen Architektur und Bilder immer noch präsent waren, griff man gerne auf.54 Das ist der allgemeine Befund. Betrachtet man die Denkmäler der Saïtenzeit im Einzelnen, sind neben sorgfältiger Kopie einzelner alter Vorlagen aber auch eigene Tendenzen zu bemerken. Die ersten saïtischen Pharaonen haben bei einigen Darstellungen auf die unmittelbaren kuschitischen Traditionen zurückgegriffen. Sie zeichnen sich mit verlängerten Proportionen und einem massiven Nacken aus.55 Dieser Typus wurde in den Reliefs manchmal mit weicheren und plastischen Zügen versehen.56 Die Tendenz geht in eine 48 49 50 51 52 53 54 55 56

Jansen-Winkeln 2001a, 168. Assmann 1999, 378. Der Manuelian 1994, 3. Assmann 1999, 395. Assmann 1999, 375. Assmann 1999, 380f. Bosse 1936, 90f. Myśliwiec 1988, 51–53. Myśliwiec 1988, 54.

1. Materielle Quellen

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möglichst realistische Richtung, wobei ein opulentes, kurzes Gesicht mit einer typisch saïtischen Form der Augen und einem oftmals auftretenden leichten Lächeln um die Mundwinkel charakteristisch sind.57 Die Figuren wirken oft eleganter und bewegter als in der früheren Kuschitenzeit und in den klassischen Formen. Dazu heben sich die saïtischen Skulpturen mit einer perfekten Technik ihrer Oberflächenbearbeitung hervor.58 Dieses Charakteristikum gilt nicht nur für die Bilder von Pharaonen und hohen Würdenträgern, sondern auch für Szenen aus dem Alltagsleben.59 Indem die Saïten ihre eigenen Medien in der Formensprache dieser Vergangenheit gestalteten, verliehen sie den Botschaften der aktuellen Gegenwart eine enorme geschichtliche Tiefe, und damit mehr Überzeugungskraft. Waren die Auftraggeber der Bilder in immer stärkerem Maß wohlhabende Privatpersonen, so stellten die Adressaten eine recht breite Öffentlichkeit dar: Rundskulpturen mit biographischen Inschriften hoher Beamter und Offiziere standen im Bereich der Tempel sowie in und an den Gräbern, in denen auch Wandmalereien und Hieroglypheninschriften die Vita des Verstorbenen präsentierten. Die Gräber standen Besuchern an den Festen des jeweiligen Stadtgottes offen, um den Verstorbenen am (diesseitigen) Fest eine Teilnahme zu ermöglichen; die Bilder waren also zugänglich. Der Besitzer zeigte durch Darstellungen und Inschriften seine hohe Bildung, seine Einbettung in die Mentalität und die geistigen Grundlagen seiner Zeit. Damit machte er sich zum bewussten Erben der geistigen Vergangenheit Ägyptens und gleichzeitig zu einem Träger der gesamtheitlichen, durch die Götter bestimmten Ordnung der Welt der Gegenwart. Durch die Bilder ›für die Ewigkeit‹ wurde er zu einem Multiplikator der Ideen, welche dieser Mentalität zu Grunde lagen. Genau das ist einer der charakteristischen Züge dieser 26. Dynastie: Mehr als der König wurden Privatleute Vermittler der Staatsideologie. Natürlich haben sich auch die Pharaonen bemüht, in einem monumentalen Maßstab diese Ideologie zu verbreiten. Durch ihre Bilder, die vor allem an den Tempeln aufgestellt waren, wurden sie in einem heiligen Raum sichtbar gemacht. Dabei scheint weniger die persönliche Frömmigkeit zur Schau gestellt worden zu sein als das historische Bewusstsein, in dem die saïtische Mentalität verankert war:60 In der Vergangenheit liegt die ›richtige Ordnung‹, welche die saïtischen Pharaonen ›wieder gefunden‹ und zu einem verbindlichen Regelwerk machten. Dabei tritt das Motiv der persönlichen Leistung des einzelnen Pharao im Gegensatz zur Vergangenheit stark zurück. Die Inhalte der königlichen Ideologie wandten sich an zwei verschiedene Adressatengruppen: an die Bewohner Ägyptens, vorrangig an die Oberschicht, welche die Botschaften entschlüsseln und verstehen konnte, und an die Fremden, die zu unterschiedlichen Tätigkeit nach der Öffnung Ägyptens immer mehr ins Land strömten. Diese saïtische Propaganda fiel bei den Griechen auf fruchtbaren Boden. Für sie war Ägypten das älteste Land der Welt, das Land der Weisen und der Ordnungshüter. Diese aus der Vergangenheit schöpfenden Ausdrucksmittel der Medien, die eine statische, immer gültige Ordnung propagierten, stehen in einem seltsamen Gegensatz zu der 57 58 59 60

Myśliwiec 1988, 56. Bosse 1936, 89. Beispiele dafür bei Der Manuelian 1994, 19–23. Assmann 1999, 379, wo er dieses Phänomen mit den gleichzeitigen Erscheinungen im Neuassyrischen Reich und in Juda vergleicht.

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II. Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit

pragmatischen saïtischen Politik.61 Schon die politischen Leistungen Psammetichos I., des Gründers der Dynastie, waren enorm. Doch darüber und über weitere politische Aktivitäten scheinen die ägyptischen Bilder und Inschriften zu schweigen. Wenn seit dieser Zeit die ägyptische Geschichte nicht von den Griechen der klassischen und späterer Epochen überliefert worden wäre, wäre die Saïtendynastie für uns ein ›dunkles Jahrhundert‹. Dagegen schildern die Griechen die Saïten als weltoffene und realistisch agierende Politiker, welche neue Methoden anwandten, um Ägypten wieder zu einer Großmacht aufsteigen zu lassen. Man hat diese Zeit sogar als aufklärerisch und rationalistisch bezeichnet.62 Karl JansenWinkeln spricht von einer »Innovation unter dem Deckmantel der Restauration«.63 Macht die Kunst der obersten Schichten einen rückwärtsgewandten Eindruck, so entstanden in der Kleinkunst bei den Darstellungen von Tieren und Göttern in Bronze und Ton ganz neue Formen.64 Eine besondere Kategorie solcher charakteristischer Figürchen greift zwar auch auf die traditionelle ägyptische Bilderwelt zurück, erhält aber nun eine weite Verbreitung in der einfachen Bevölkerung, vor allem hybride Formen mit magischen Funktionen, die Übel fernhalten und Schutz erwirken sollen. Häufig sind es mehrköpfige Gestalten, die schon nach dem Ende des Neuen Reiches immer häufiger anzutreffen sind. Charakteristisch für diese Zeit wird das Ersetzen des Kopfes durch verschiedene Gegenstände.65 Diese sind leicht erkennbare religiöse Symbole wie die Sonnenscheibe oder magische Zeichen wie Körbe mit Broten, Gemüse oder Früchten.66 Solche ›Kompositwesen‹, die ästhetisch recht abstoßend sind, stellen keine Götterbilder dar, sondern sind als Versuche zu verstehen, die jeweilige Gottheit in möglichst allen ihren Aspekten zu erfassen. »Es sind in Wahrheit komplexe Bildzeichen, die möglichst viel Information vermitteln sollten …«.67 Gerade solche Ikonographien sind auch im archaischen Griechenland bei Terrakottafigürchen zu finden. Dort sind sie in ihrer allgemeinen magischen Aussage verstanden worden, nicht aber in ihrer ganzen wuchernden Symbolik. 1.4 Schrift und Sprache als nichtverbale Kommunikation Schriftliche Texte sind zunächst Objekte mit ihrer eigenen Materialität, die kulturell geformt sind. Auch bei ihnen ist zwischen der kommunikativen Form, dem pragmatischen Umfeld und dem kommunikativen Inhalt zu unterscheiden. In Schrift und Sprache nur zwei Möglichkeiten verbaler Aussagen zu sehen, verstellt den Blick auf die nichtverbalen Aspekte der Schrift und ihrer Träger, die als selbständige Medien, d.h. Kommunikationsträger, fungieren.68 So betrachtet besitzt jede materielle Textform eine Botschaft, die auch ohne Verständnis des sprachlichen Inhalts ihre Adressaten ansprechen soll. Jeder Text ist als ein ›Ding‹ realisiert. Seine Materialität impliziert eine Reihe von Aspekten des Geschriebenen, die nicht wahrgenommen werden können, wenn man sich nur mit den sprachlich61 62 63 64 65 66 67 68

Teil I 2. Jansen-Winklen 2001a, 181. Jansen-Winkeln 2001a, 179. Bosse 1936, 988. Hornung 2000, 16. Hornung 2000, 16 mit Literatur. Hornung 2000, 20. Grube, Kogge 2005, 10.

1. Materielle Quellen

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gedanklichen Inhalten auseinandersetzt. Die räumliche Einordnung, d.h. die Präsenz eines Textes in seinem ihm zugewiesenen Umfeld ist für jede Interpretation unerläßlich.69 Die Bedeutung der räumlichen Präsenz liegt nicht einfach nur in der gegebenen Topographie und den Relationen zu anderen Objekten/Artefakten, sondern vor allem in der jeweiligen kulturspezifischen Handlungspraxis, die mit dieser Präsenz verbunden ist.70 Daneben besitzt ein Text als Objekt alle Grundaspekte anderer Artefakte: Stoff, Oberfläche (Schriftträger, Farben usw.) und Herkunft. Er ist visuell und sensitiv erfassbar. Daher spielt Design eine wichtige Rolle: die ›Formatierung‹ einer Seite oder einer Inschrift, besonders bei letzterem eventuell die Relationen zwischen Bild und Geschriebenem, die Ausführung und Größe der Schriftzeichen (auch in Relation zu ikonographischen Elementen) usw. Während Markus Hilgert sich bei seiner ›Textanthopologie‹ neue Möglichkeiten zur Interpretation eines verstandenen Textes eröffnet,71 soll hier nur die Materialität betrachtet werden, ohne den Sinninhalt des Geschriebenen mit einzubeziehen. Dieser Gesichtspunkt ist im Rahmen unseres Themas besonders wichtig, weil sehr viele Inschriften im Vorderen Orient für den größten Teil der Bevölkerung nicht lesbar waren. Man hätte sicher auf Texte verzichtet, wenn Schriftzeichen als Artefakte nicht auch bestimmte Bedeutungen und Sinngehalte übermittelt hätten. Hier sind zunächst zwei Gruppen von Rezipienten auszumachen: einheimische literate Menschen, die aber eine Inschrift in fremder Schrift und Sprache nicht verstehen konnten, und illiterate. Ein nicht lesbarer Text eröffnet in seiner Materialität und in einer eventuellen Verbindung mit Bildern Möglichkeiten von Bedeutungszuschreibungen. Dazu kommen aber noch viele weitere Komponenten hinzu, welche ein Nichtwissen zu einem ungefähren Wissen machen können. Eine davon ist die Anknüpfung an andere, nahe liegende oder verwandte Praktiken, die kultur- und sozialspezifisch sind: der Raum und bekannte Ereignisse, welche mit dem Aufstellen einer Inschrift verbunden werden können, das Verständnis von Format und Design, das aus der Rezeption von Bildern erworben ist, die Einordnung in ein Bedeutungsfeld, das sich durch alle diese Komponenten allgemein erschließen. Dazu kommen Handlungspraktiken gegenüber Inschriften hinzu, von denen wir allerdings nur wenig wissen. Die Beschreibung einer solchen findet man nur im Alten Testament.72 In einem Ritual wird das »Faktum der Stimme« mit dem »Faktum des Steins«73 zu einer Performanz verbunden, in der der Stein »als ein rein schriftliches Ereignis« eine ganz spezifische Rolle spielt.74 Es ist sehr wahrscheinlich, dass Inschriften als Objekte Orte und Ziele sehr verschiedener sozialer Praktiken waren, welche ihre Memorativität über bestimmte Zeiträume erhalten sollten. Ein verbal unver69

70

71 72 73 74

Vgl. Hilgert 2010, 94. Ehlich 2012, 69 spricht von einer »Kommunikation in der Gleichzeitigkeit des Raumes«, und Krämer 2012, 23 von einer »Verräumlichung der Zeit im Medium der Schrift«. Hilgert 2010, 94: »Der Begriff ›Präsenz‹ beschreibt also die materielle Existenz eines beschriebenen Artefakts als effektive Komponente eines ›Objekt-Akteur-Netzwerks‹, infolge und innerhalb dessen Rezeptionspraktiken erfolgen können, und wird somit als theoretisches ›Scharnier‹ zwischen der artefaktischen Materialität des Geschriebenen und seiner handlungswirksamen Effektivität konzeptualisiert«. Hilgert 2010. Dtn 27,11–25, vgl. dazu Assmann 1993. Assmann 1993, 233. Assmann 1993, 237f.

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II. Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit

standener Text konnte also durch ein bestimmtes Vorwissen in bekannte kommunikative Kontexte geschoben werden. Das war letztendlich eine Berechtigung für ihre Aufstellung. Die Schrift hat sich ursprünglich aus dem Bild entwickelt,75 indem das Bild an sich innerhalb spezialisierter Praktiken neue Bedeutungszuweisungen erhielt. Im Ägyptischen haben sich z.B. Bilder erhalten und sind als solche erkennbar, waren aber dennoch nicht als Piktogramme zu lesen. Die ägyptischen Bilderzeichen geben das ganze Leben, die kosmische und gesellschaftliche Ordnung wieder.76 Damit waren sie Träger der priesterlichen und königlichen Ideologie. Die ägyptischen Schriftzeichen wurden auch im Ausland direkt als ›göttliche‹ Zeichen (Hieroglyphen) verstanden und verwendet. Auch das Spätluwische besaß eine Schrift, die aus Bildzeichen bestand, aber mit anderen Traditionen als die ägyptische. Im hethitischen Großreich der späten Bronzezeit wurde sie nur für monumentale Felsinschriften und auf Königssiegeln verwendet. Ihr Lesen oder auch nur ihr Ansehen setzten den Betrachter folglich in ganz bestimmte und determinierte Räume und Bereiche der Königsideologie, und eine Auseinandersetzung mit ihnen erforderte aufgrund ihrer Materialität sehr verschiedene und weit gefächerte Praktiken. Die spätluwischen Herrscher der frühen Eisenzeit haben dieses Schriftsystem offensichtlich bewusst als Medium ihrer Inschriften gegenüber dem im Vorderen Orient üblichen Schriftsystem der Keilschrift bevorzugt, obwohl diese viel leichter erlernbar, weniger aufwendig auftragbar und für eine breitere Kommunikation effizienter einsetzbar war. Dafür muss es wichtige Gründe gegeben haben. Einer von ihnen war sicher die ikongraphische Wirkung dieser Bildzeichen, die in derselben Technik wie die spätluwischen Bildreliefs ausgeführt wurden. Sie eigneten sich vorzüglich für ein Display in der Gestaltung großer Schriftträger (Steininschriften), aber auch auf kleinteiligen Gegenständen wie Siegeln, wobei Bild und Schrift eine geschlossene visuelle Einheit bilden. Damit konnte eine nichtverbale Botschaft praxeologisch viel besser eingeleitet und aktiviert werden. Diese Zeichen wiesen ferner auf eine ehrwürdige und großartige anatolische Tradition hin, die in den spätluwischen Staaten in vielen Medien aufgegriffen wurde. Solche nicht primär zum Lesen bestimmte Inschriften waren immer auf hartem und bleibendem Material aufgetragen, also auf Stein und Metall, wobei sich der Anspruch auf Ewigkeit, der von der Beständigkeit des Materials ausgeht, auch auf Darstellungen und Schrift übertrug.77 Geltungsbereiche von Inschriften sind durch ihre Präsenz in einem definierten Raum festgelegt. Zu den Siegesinschriften kamen noch andere vorwiegend königliche Botschaften hinzu, die unter dem Begriff ›Demarkationsinschriften‹ zusammengefasst werden können. Dazu gehören Grenzsteine, welche nicht nur territoriale Grenzen anzeigen, sondern oft auch zusätzliche Informationen geben: Verträge, aufgrund derer die Grenzen zustande gekommen waren, Eidgötter und Fluchformeln78 sowie Grabinschriften. Was für eine große Bedeutung die nichtverbale Kommunikation von Schrift und Sprache besaß, zeigen die vielen Inschriften mit oder ohne Darstellungen, die sich nicht selten in Gebieten des Vorderen Orients befanden, in denen die jeweilige Schrift und/oder Spra75 76 77 78

Stetter 2012. Assmann 2007, 173f. Assmann 1993, 240. Fluchformeln setzt Assmann in eine strukturelle Beziehung zu monumentaler Schriftlichkeit; vgl. Assmann 1993, 245.

1. Materielle Quellen

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che den Einheimischen unverständlich war. So waren die assyrischen beschrifteten Königsstelen in Syrien in der Keilschrift auf Akkadisch verfasst und daher außerhalb der assyrischen Residenzen nur für sehr wenige lesbar. Diesen wenigen, welche sprachlichen, kulturellen und physischen Zugang zu ihnen hatten, waren solche Informationen auch ohne die Inschriften gewöhnlich gut bekannt; sie gehörten also nicht zu den primären Adressaten. Direkt angesprochen konnten nur folgende Generationen sein. Die neuassyrischen Herrscher verzichteten in ihren beschrifteten Königsstelen und Statuen niemals auf die assyrischen Inschriften und fügten ihnen weder Übersetzungen noch paraphrasierende Texte in anderen Schriften und Sprachen bei.79 Dagegen ließen assyrische Statthalter auch zwei- und mehrsprachige Inschriften anbringen. Schrift und Sprache wurden bei solchen Monumenten zu »mit Voraussetzungen geladene(n) Artefakten«.80 Im spätluwischen Bereich kommen Bi- oder Trilinguen recht häufig vor. Das Verstehen von Texten war also keinesfalls unwesentlich. Eine mehrsprachige Inschrift hatte quasi die Funktion eines ›ewigen Dolmetschers‹. Die Wahl der Aufstellungsorte und ihrer Gestaltung zeigen jedoch, dass weitaus mehr bewirkt werden sollte und wurde. Ihre Verteilung im Raum verdeutlicht ihren Stellenwert als Artefakte, denn sie wurden oft in Entfernungen wahrgenommen, in denen ein Lesen unmöglich war, das jeweilige Schriftsystem aber erkannt werden konnte. Gerade im Abstand entfalteten sie oft ihre visuelle Wirkung.81 Die Verbindung mit der natürlichen und/oder künstlich geschaffenen Umgebung schuf zusätzliche Konnotationen, welche durch die soziale Erfahrung und Praxis bekannt waren. Die einzelnen Sprachen auf Bi- und Trilinguen weisen jeweils ein unterschiedliches Display von Schrift und Bild auf. Das wurde noch dadurch unterstrichen, dass sie meist getrennt auf verschiedenen Schriftträgern angebracht wurden. Gerade diese Besonderheit stieß den Betrachter zwangsläufig auf die fremde Schrift, was eine neue kulturelle Erfahrung bewirkte: fremde Schriften und Sprachen wurden dadurch in den Erfahrungshorizont eingegliedert und ihre allgemeinen Bedeutungen erkannt. Fremde, die ohne Vorwissen und inkorporierte kulturelle Praktiken mit Inschrift in ihren Räumen und Relationen, ihrer Materialität und spezifischem Display in Berührung kamen, bildeten eine besondere Gruppe von Rezipienten. Es gab für sie nur die Möglichkeit, diese Konstituenten der materiellen Präsenz als solche zu registrieren und in ein System zu stellen, das ad hoc konstruiert werden musste. Sie hatten keine Anhaltspunkte, ein Nichtwissen in ein anfängliches Wissen umzuwandeln oder wenigstens eigene Codes auf die fremden zu übertragen, um zu irgendeinem Verständnis der schriftlichen Botschaften zu kommen.82 Erst durch eine Annäherung an die fremde Kultur in Adaptions- und Akkulturationsprozessen erschlossen sich auch für Ausländer Materialität und soziale Praxis von Schrift und Sprache. Die Gewohnheit, Inschriften aufzustellen, wie auch ihre Verwen79 80 81

82

Anders als z.B. die mehrsprachige Inschrift von Bisutun: Luschey, Schmitt 1990, 289–305. Sandkühler 2009, 11. Vgl. Reckwitz 2012, 717: »Das spezifische Arrangement von Schriftzeichen unterschiedlicher Alphabete beispielsweise ermöglicht … nicht nur eine spezifische Praktik des Lesens, sondern auch eine bestimmte kognitiv-emotionale Struktur von Subjekten, etwa in Form eines narrativen oder kausalen Sinns.« Natürlich geht es in unseren Beispielen nicht um unterschiedliche Alphabete, sondern Schriftsysteme. Das bezieht sich auf die Anfangsphase der Kontakte. Anders war es seit dem ausgehenden 8. Jh., als die Griechen bereits selbst Inschriften aufstellten.

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II. Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit

dungsbereiche und -möglichkeiten lernten die frühen griechischen Seefahrer also über die nichtverbale Kommunikation mit solchen Denkmälern kennen. Das Material war dabei das Bestimmende, da es dauerhaft, eindrucksvoll und praktisch überall verfügbar war. Die ersten archaischen Steininschriften in Griechenland sind personellen Inhalts: auf den Sockeln von Statuen damaliger Aristokraten, auf Weihinschriften oder auf Grabstelen. Material und Funktion wurden zusammen transferiert, oder anders ausgedrückt, die praxeologischen Relationen blieben in vielen Teilen erhalten.

2. Die schriftlichen Quellen als Medien ihrer Zeit 2.1 Die griechischen literarischen Quellen Eine Besonderheit des frühen griechischen Schrifttums besteht darin, dass zuerst metrische Formen verschriftlicht wurden: Epen, Lyrik, Epigramme. Dieser Umstand weist auf die kommunikativen Bereiche, für welche das Medium Schrift rezipiert wurde: Epos und Lyrik gehörten zur aristokratischen Kultur, und durch ihre schriftliche Fixierung wurde es möglich, Werte und politische Anliegen der frühgriechischen Eliten in einem breiten geographischen Raum synchron und diachron zu vermitteln. Prosawerke kamen nach dem gegenwärtigen Wissensstand erst gegen Ende des 7. Jh. hinzu. Ihr kommunikativer Inhalt unterscheidet sich nicht wesentlich von dem der Dichtungen, denn ihre Themen erscheinen bereits im Epos: Genealogie, Geographie, verbunden mit Ethnologie und Mythologie und spezifische Formen von Weisheitsliteratur, Themen, welche ebenfalls in der Ideologie der Oberschicht ihren Platz hatten. Dazu gehören auch die Werke der sogenannten ionischen Naturphilosophen und die ersten Sachbücher. Erst in der klassischen Zeit, als die Adelskultur langsam von einer ›middling-ideology‹83 abgelöst wurde, kamen weitere Themenkreise der Verschriftlichung dazu. Die literarischen Traditionen der archaischen Zeit wurden im Bereich der Bildung bewahrt, aber als Formen und Inhalte nicht weiterentwickelt. Im öffentlichen Raum trat die Schrift zuerst auf Grab- und kommemorativen Inschriften in Erscheinung, die den Kommunkationswillen einzelner Persönlichkeiten zeigen. Für die polis findet man sie zuerst im rechtlichen Bereich in Form von öffentlich angebrachten Gesetzestexten. Die frühsten Werke der griechischen Literatur sind von einer erstaunlichen künstlerischen Qualität. Anders als bei einigen materiellen Leistungen ist hier eine orientalische Autorenschaft ausgeschlossen,84 auch wenn es Impulse aus der altorientalischen und ägyptischen Literatur gab, die bereits erkannt und beschrieben wurden.85 In einem unvergleichbar stärkeren Maß als die altorientalischen sind die frühen griechischen Quellen seit Beginn der Forschungsgeschichte aus ihrem historischen Zusammenhang gerissen und nur als literarische Werke betrachtet worden. Tatsächlich kann die frühgriechische Literatur nur in ihrem geschichtlichen und sozialen Kontext adäquat gelesen und (auch aus literaturwissenschaftlicher Sicht) verstanden werden. Die Nachrichtenvermittlung fand ursprünglich in 83 84 85

Der Begriff stammt von Morris 1996, 30. Auch wenn eine solche Möglichkeit von einzelnen Nichtspezialisten erwogen wird: Schrott 2008. Vgl. z.B. Burkert 1984; 1987 u.a.; West 1997.

2. Die schriftlichen Quellen als Medien ihrer Zeit

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einem ganz bestimmten und nicht zufällig gewählten Raum auf einer der Länge des Textes entsprechenden zeitlichen Ebene durch mündlichen Vortrag statt. Wir kennen keinen einzigen archaischen Schriftsteller, der persönlich in Ost-WestKontakte involviert gewesen wäre.86 Die archaische Literatur ist daher als sekundäre Quelle für dieses Thema zu betrachten und zu analysieren. Sie ist aber dennoch außerordentlich bedeutsam, weil sie Kenntnisse über den Osten beinhaltet und allgemeine Kontaktsituationen und ihre Probleme schildert. 2.1.1 Die Homerischen Epen als Medien Die homerischen Epen, und besonders die Odyssee, geben zahlreiche Informationen über die Ost-West-Kontakte und die allgemeinen Kontaktsituationen und -bedingungen ihrer Zeit, d.h. des 7. Jh. Der soziale Kontext, nämlich das charakteristische Milieu der frühgriechischen Adelsgesellschaft, die Realien und Eigennamen in beiden Epen legen diese Datierung so nahe, dass man diese These wohl kaum noch mit beweiskräftigen Argumenten widerlegen kann. Es stellt sich die Frage, in welcher Zeit die homerischen Epen einen kommunikativen Wert besaßen, denn ohne diesen Wert wären sie nicht entstanden. Die Epen sollten informativ sein und wichtige Nachrichten verbreiten. Daraus folgt aber keinesfalls, dass die konkreten Ereignisse, von denen sie berichten, aktuelle gewesen sein müssen. Homer bzw. die Verfasser dieser Epen haben nicht zur Zeit eines Trojanischen Krieges gelebt, so wie der Dichter nie mit einem Odysseus bekannt gewesen ist. Die Aktualität wird in einer mythischen Vergangenheit verankert und von ihr abgeleitet. Die soziale Situierung der Ilias in der frühgriechischen Zeit ist im Epos selbst deutlich: Sie wendet sich an die frühgriechische Aristokratie mit ihrem hohen Selbstbewusstsein. Der Charakter der Exklusivität ist eines der wichtigsten Merkmale dieser Dichtung.87 Diese Exklusivität drückt sich in dem Publikum, in der Inszenierung der Kommunikation, den zentralen Themen und der Sprache aus. In der Ilias steht der Aspekt des aristokratischen Kriegers im Mittelpunkt, der durch Kampf zu Reichtum und Ehre, Einfluss und Macht kommt, in der Odyssee ist es der Aspekt des aristokratischen Seefahrers, der sich ebenfalls durch Tapferkeit, Ausdauer, Flexibilität und Wissen auszeichnete und mit diesen Eigenschaften das gleiche erreichen konnte wie der Krieger, nämlich τιμή.88 Der Vortrag von epischen Gesängen war immer mit einem Gastmahl oder mit Totenritualen verbunden. Das machte den Kreis des Publikums ganz besonders exklusiv. Sakrale Handlungen verbanden den kleinen Kreis der Teilnehmer des Gastmahls auf eine besondere Weise: Auch die Götter waren anwesend, denn man verkehrte mit ihnen durch Opfer, Spenden und Gebete, was eine Vorstellung der freundschaftlichen Anwesenheit der Un-

86

87 88

Das wird manchmal von Archilochos behauptet, doch die Fragmente seiner Gedichte sprechen nicht dafür. Auch Alkaios dichtet über seinen Bruder als babylonischen Söldner, doch persönlich war er sicher nie dort; vgl. Teil IV 1.1. Vgl. die Sängerszenen in der Odyssee: 1,154–163; 22,344–358; vgl. Stein-Hölkeskamp 1989, 112–114. Es geht hier nicht um zwei verschiedene aristokratische Typen, sondern um zwei verschiedene Lebenssituationen: Odysseus war Krieger und Seefahrer zugleich; dasselbe gilt für Menelaos u.a.

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II. Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit

sterblichen entstehen ließ.89 Das Ausstellen der Reichtümer des Gastherrn,90 der für das Mahl eigens vorbereitete Schmuck, Duftstoffe, teure Öle – dies alles erhöhte das Gefühl, dem Alltag fern und einer fast göttergleichen Glückseligkeit nahe zu sein.91 Sehr anschaulich beschreibt dieses Umfeld Xenophanes.92 Die einzelnen Komponenten dieses Symposionraums waren also ebenfalls soziale Kommunikationsmittel, durch welche sich die Teilnehmer des Mahls als ›die Besten‹ bestätigten.93 Luxus und Verschwendung, wie sie auch in den Epen und anderen Werken der frühgriechischen Lyrik dargestellt sind, waren dabei also kein Selbstzweck, nicht pure Hedonie,94 sondern Mittel einer sozialen Kommunikation untereinander sowie mit den Göttern und Heroen. Die Aristokraten selbst und ihre spezifischen Interessen standen folglich im Mittelpunkt dieser Zusammenkünfte. Der kriegerische Charakter dieser frühgriechischen Aristokratie findet durch Vasenbilder, Grabbeigaben und durch die frühgriechische Lyrik seinen deutlichen Ausdruck.95 Der Adlige stellte sich als mutiger Militärführer dar, der durch Krieg entweder Ruhm und Beute erwirbt oder aber die Familie und die Heimatstadt vor Feinden schützt.96 Dabei ging es nicht nur um Kriege, die in Griechenland zwischen den einzelnen Aristokraten oder zwischen den poleis oder Gemeinden um Landbesitz geführt wurden, sondern auch um Kriege in auswärtigen Staaten, bei denen sich griechische Adlige als Söldner verdingten und oft mit reicher Beute nach Hause zurückkehren konnten.97 Krieg war daher das interessanteste Thema in der Kommunikation innerhalb der Eliten, das jeden einzelnen anging. Dabei übertrug sich der Kriegsruhm des Vaters und der Ahnen auch auf die Nachfahren. Die Vergangenheit gehörte damit ebenfalls zu den aktuellen Themen. Es gibt einige Belege dafür, dass Ependichter ihre Werke selbst vortrugen: So rezitierte Hesiod sein Poem Theogonia bei einem Wettbewerb im Rahmen von Grabspielen auf Euboia.98 Die Existenz von musischen Wettbewerben beweist, dass Verfasser von Dichtungen öfters die Gelegenheit hatten, sie persönlich einem Publikum vorzustellen. Aber es gab mehr professionelle Sänger, die schon vorhandene und beliebte epische Verse vorzutragen wussten. Die Literatur über die homerischen Epen fokussiert in besonderem Maße den Sänger, seine Techniken und Methoden, sein Repertoire, seine Ansichten, Weltanschauungen und religiösen Überzeugungen. Fast ohne Ausnahme werden die Inhalte und deren Veränderungen im Lauf der Zeit den aoidoi zugeschrieben.99 Grundlage für eine Charakteristik der archaischen Sänger bieten einige Stellen in der Odyssee, in denen der Sänger 89 90 91 92 93 94

95 96 97 98 99

Vgl. z.B. Od. 3,334–336: »Die Stunde dafür ist gekommen. Denn schon sank die Sonne unter die Finsternis; es ist nicht recht, (zu) lange beim Mahl der Götter zu verweilen …«. Vgl. Od. 4,71–75. Vgl. die vielen Beschreibungen solcher symposia wie z.B. Od. 9,5–11 u.a. DK 21 B1. Zu der Raumeinrichtung, Geschirr und den Speisen vgl. van Wees 1995, 147–182. Dass der Vortrag von Epen ein aristokratisches »Entertainment« gewesen sei (van Wees 1995, 14), paßt nicht in diese Rahmenbedingung. Es gab zwar tatsächlich vergnügliche Unterhaltungen, doch nicht in Verbindung mit dem Vortrag von Epen und dem oben skizzierten sakralen Kontext. Vgl. van Wees 1992. Vgl. die Fragmente von Tyrtaios und Kallinos. Von solchen Söldnern erzählt die Odyssee an manchen Stellen; vgl. Teil IV 1.1. Hes. erg. 655–657. Auch zu diesem Aspekt gibt es verschiedene Untersuchungen und Meinungen, vgl. Stahl 1987, 29, für den die Sänger »Gedächtnisspezialisten« sind.

2. Die schriftlichen Quellen als Medien ihrer Zeit

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gleichsam in eigener Sache mit seinen Zuhörern kommuniziert. Nach diesen Aussagen war der Rhapsode nicht frei in der Wahl seiner Themen. Er war, wenn wir von den dort genannten Phemios und Demodokos ausgehen, nicht mehr als ein Epenrezitierer und ein Entertainer. Nicht von sich aus greift der Sänger zur Leier. Er wird unmissverständlich dazu aufgefordert.100 Die Teilnehmer des Symposions geben daher dem Sänger Phemios das Instrument, doch er singt nur, weil er muss.101 Phemios ist offensichtlich ein Hofsänger im oikos des Odysseus.102 Der Sänger als Medium zwischen ursprünglichem Verfasser und seinem Publikum gab die vorgefertigten Texte nicht oder nicht immer passiv, d.h. ohne eigene Eingriffe wieder. Zu den angewandten Methoden ist von der Forschung der oral poetry genügend herausgearbeitet worden. Einen besonders interessanten Einblick in die Möglichkeiten eines Sängers, Zeilenblöcke auszulassen oder einzuschieben, bietet Hesiods Frauenkatalog.103 Der andere Sänger aus dem Epos, Demodokos, wird auf der so hoch zivilisierten Insel der Phaiaken verortet. Bei einem Mahl fordert Odysseus ihn auf, etwas ganz Aktuelles zu singen, nämlich den Fall Trojas.104 Dabei kommt der Wunsch nach einer Aktualität der Gesänge zum Ausdruck. Denn Odysseus sagt, was von einem guten Sänger vor allem erwartet wird: authentische Berichterstattung. Damit wird der Sänger zu einem Kommunikator von Nachrichten aus der griechischen Welt. Für das Epos sind dies natürlich die alten Geschichten aus der Welt der Helden, welche aber für den Adel, für den diese ihre Urahnen waren, einen aktuellen Gehalt besaß. Das Epos kennt drei verschiedene Zeitebenen: das heroische Zeitalter, die Gegenwart im Moment der Kommunikation bei einem Symposion und schließlich – ungenannt und kaum thematisiert – der Zwischenraum zwischen beiden. Während man das aktuelle Moment auf der ersten Zeitebene deutlich erkennt, ist es in der zweiten nicht direkt zu erschließen. Das gegenwartbezogene Element ist im exklusiven Zuhörerkreis der archaischen Zeit zu suchen. In der heroischen Welt liegen die fiktiven genealogischen Anfänge der Adelsfamilien, die sich von einem epischen Helden ableiteten.105 Was für eine bedeutende Rolle die aristokratischen Genealogien in der archaischen Epoche spielten, ist allein schon an den vielen Titeln dieser Zeit abzulesen, welche sich mit diesem Thema beschäftigten. Das waren also die immer wieder aktuellen Botschaften: die Propaganda der Adelsgeschlechter untereinander in einem möglichst weiten geographischen Radius innerhalb der frühgriechischen Welt. Sie stellten sich durch ihren Stammvater und seinen direkten epischen Nachkommen dar. Die Heldentaten waren ihrerseits voller aktueller Einzelinformationen. Die überragende Bedeutung der Genealogien und die Art ihrer jeweils aktuellen Kompositionen ist am besten am Frauenkatalog Hesiods zu erkennen.106 Auf der heroischen Ebene werden Allianzen und Gastfreundschaften geschlossen, die wahrscheinlich auf der zweiten Zeitebene aktuell waren und zur Bildung solcher Narrationen geführt haben könnten. Dadurch wurde das Epos zu einem fiktiven Geschichtswerk 100 101 102 103 104 105 106

Hom. Od. 1,150–153. Hom. Od. 1,154; damit solidarisiert er sich mit Telemachos. Vgl. auch Teil IV 2.1.3. Vgl. Cingano 2009, 111. Hom. Od. 8,490–498. Thomas 1989. Vgl. dazu z.B. West 1985, 6–11.

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mit einer großen zeitlichen Tiefe. Derart konnte die Gegenwart erklärt, gerechtfertigt und zur Gestaltung freigegeben werden. Spezielle Kenntnisse der Kriegsführung, der Machtausübung und des aktuellen politischen Geschehens wurden von den Zuhörern vorausgesetzt. Die Machtkämpfe unter den Adligen in die Zeit der frühen griechischen polis mit ihren Stasisbewegungen fügen sich hier sehr gut ein. Die basileis der Epen mit ihren oft absolut unrealistischen Kompetenzen spiegeln dabei ihr Wunschdenken wider. Ein ebenfalls viel besprochener Aspekt der Odyssee ist die Geographie des Epos. Das geographische Wissen war um 700 in Griechenland natürlich viel umfassender, als es das Epos verzeichnet. Die Dichter sahen es keineswegs als ihre Aufgabe an, das Publikum in Geographie zu belehren. Dennoch sind viele Passagen einem späteren Periplous durchaus ähnlich: Streckenangaben zwischen Anlaufhäfen, Angaben zu Flüssen und Möglichkeiten der Lebensmittelversorgung zusammen mit ethnographischen Exkursen. Diese Stellen sprachen vermutlich die Kenntnisse vieler Zuhörer an. Das gilt natürlich nur für die reale Geographie und nicht für die fiktive, die andere literarische Ziele hatte. Sogar Kenntnisse über entfernte Länder wie Ägypten oder Phönikien gehörten offensichtlich zu den Wissensstandards dieser Klasse. Aber nicht die genauen Details über Kriegsführung und Seefahrt waren die Hauptbotschaften der Odyssee, sondern die Schilderung typischer Situationen, in denen das Wissen zur Anwendung kommen sollte. Sind es in der Ilias Verhaltensweisen von Kriegern, die idealtypisch besungen werden, so sind es in der Odyssee die Seefahrer, deren Kompetenzen in vielen Aspekten dargestellt werden. Dazu gehören z.B. die Navigation auch in äußerst schwierigen Passagen, das Verhalten eines griechischen Aristokraten im Barbaricum oder in einer kulturell sehr hoch stehenden Gesellschaft (wie bei den Phaiaken) und viele andere Themen, welche die Auditorien der archaischen Gesellschaft sehr interessiert haben müssen. Viele lebten von Krieg und Seefahrt, beides außerordentlich risikoreiche Aktivitäten,107 aber mit der Möglichkeit, großen Reichtum und Ansehen zu erwerben. Das waren die Hauptziele dieser archaischen Adelsgesellschaft und das waren die Grundlagen des aktuellen Gehaltes der Epen. 2.1.2 Die frühgriechische Lyrik Die Lyrik ist noch mehr als die Epen vor allem unter literaturgeschichtlichen Aspekten untersucht und interpretiert worden, ohne sie in ihren sozialen und historischen Kontext zu stellen. Man hat sie damit in großen Teilen missverstanden und als erste westliche individuelle Lyrik bezeichnet, in der ein Dichter seine eigensten Gefühle mehr für sich als für eine Öffentlichkeit aufzeichnete.108 Zwar ist von diesen Dichtungen des 7. und 6. Jh. nicht viel erhalten, doch die oft nur zufällig durch spätere Zitate überlieferten Gedichte und Fragmente zeigen dieses Missverständnis deutlich. Man darf auch nicht vergessen, dass die erhaltene Auswahl mehr den Geschmack der sie tradierenden Epochen, d.h. von der klassischen bis zur römischen Antike, wiedergibt, als für die archaische Zeit repräsentativ zu sein. Wenn in den vorhandenen Versen z.B. Beziehungen zum Osten kaum thematisiert werden, so kann man daraus nicht schließen, dass sie für die frühgriechische Dichtung uninte107 108

Das Kentern von Schiffen ist ein relativ häufiges Motiv in der archaischen Ikonographie; vgl. Junker 2005, 75, Abb. 16. Vgl. z.B. Wirth 1998, 144.

2. Die schriftlichen Quellen als Medien ihrer Zeit

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ressant gewesen wären: Dies bleibt uns schlichtweg unbekannt. Da Gedichte nur in Ausnahmefällen in ihrer ganzen Länge überliefert sind und der Rest des heutigen Bestandes aus bestenfalls einigen Versen, oft aber auch nur aus einzelnen, auseinander gerissenen Worten ohne jeglichen Kontext besteht, ist es in den meisten Fällen unmöglich, den einstigen thematischen Schwerpunkt des jeweiligen Gesamtgedichtes zu erkennen.109 Diese poetischen Werke wirkten in verschiedenen sozialen Räumen und Situationen als Medium. Die jeweiligen Kommunikationsräume gaben ihre Themenbereiche vor. Die Dichter selbst stammten aus der frühgriechischen Aristokratie. Da sie eine hohe Bildung besaßen und ihre Gedichte nicht mündlich, sondern schriftlich verfassten und bewahrten,110 ist eine andere soziale Herkunft kaum denkbar. Die meisten von ihnen stammten aus dem ionischen und äolischen Kleinasien oder von den ägäischen Inseln, also aus den Orten, an denen sich diese Elite am frühsten und besonders dynamisch entwickelte. Die meisten Themen und Motive treffen wir auch in der Ilias oder Odyssee an, manchmal sogar mit denselben oder ähnlichen Bildern. Daher ist eine Einteilung in ›epische‹ und ›lyrische‹ Zeit sicher nicht richtig.111 Der deutlichste Unterschied zwischen beiden Literaturgattungen, die parallel zueinander existierten, liegen in ihrer Form und in den Zeitebenen ihrer Inhalte: Formulieren die Epen ihre Botschaften durch Geschichten der heroischen Vergangenheit, so schildert die frühgriechische Lyrik fast ausschließlich aktuelle Lebenssituationen.112 Daher ist diese Lyrik eine Primärquelle, deren Aussagen uns direkt in das Leben dieser Oberschicht versetzen, in dem diese Dichtungen wirkten. Die Lyrik war wie das Epos für eine begrenzte Öffentlichkeit bestimmt, erfüllte bestimmte Funktionen und wurde zu konkreten Anlässen geschaffen.113 In einer Zeit der Umbrüche und Machtkämpfe war der politische Aspekt – im weitesten Sinn des Wortes – sicher der wichtigste und jeweils aktuellste. Das individuelle Moment drückt sich darin aus, dass der Dichter wohl meist in eigener Sache oder der seines Kreises kämpfte und daher sein Anliegen vor seinen Gefährten und Anhängern vortrug. Er war damit Herr seines eigenen Mediums. Die häufigsten Themen sind Krieg, politische Parteinahme, Propaganda gegen Konkurrenten im Machtkampf, politische Einstellung, Regeln für die führenden Kreise und Warnungen vor grundlegenden sozialen Veränderungen. Wie schon oben erwähnt, ist aus einem Fragment das Hauptthema des Gesamtgedichtes sehr häufig nicht mehr zu erschließen. Die in den Bruchstücken erkennbaren Motive aber deuten zweifellos auf eine solche aktuelle Thematik hin. Diese inhaltlichen Schwerpunkte finden sich bereits bei dem ältesten uns bekannten Lyriker, Archilochos aus Paros, der wohl zwischen 680 und 640 gelebt und gewirkt hat. Angaben über seine Persönlichkeit und Vita können aus seinen eigenen Werken entnommen werden: Er stammte väterlicherseits aus dem Adel, seine Mutter aber war eine Sklavin.114 Er musste sein Heimatland aus Armut verlassen, ging nach Thasos 109 110 111 112 113 114

Insofern sind Überschriften bei Übersetzungen der Fragmente (z.B. Franyó 1972) eine sehr heikle Sache. Stein 1990, 68, 83–84. Fränkel 41993, 167, 169. Fränkel 41993, 220f. Franyó 1972, 7. Dieses Detail wird seltsamerweise von etlichen Philologen angezweifelt: Stein 1990, 57, anders Fränkel 41993, 151.

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II. Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit

und verdingte sich dort als Söldner.115 Kämpfe auf der thrakischen Peraia, an denen er als Bürger teilnahm, sind in dem berühmten Gedicht über den verlorenen Schild belegt (F 5). Er gehörte damit zu einer wohl nicht kleinen Gruppe von Adligen, die wegen ihrer besonderen Geburt oder aus anderen Gründen wie politisches Exil, Vertreibung oder wirtschaftliche Verluste ihren Lebensunterhalt und einen gewissen politischen Spielraum außerhalb ihrer polis suchen mussten.116 Die Mehrzahl der lyrischen Werke sind offensichtlich für den Kreis eines Symposiums verfasst worden, also für das Zusammentreffen der einflussreichen Oberschicht. Das Symposion, bei dem Lyrik vorgetragen wurde, war als ein medialer Raum wahrscheinlich noch exklusiver als der Kreis bei einem Epenvortrag. Während eines solchen Treffens von Gesinnungsgenossen wurden Neuigkeiten vermittelt, aktuelle Situationen und politische Meinungen diskutiert, Beschlüsse gefasst und Allianzen geschlossen, d.h. hier wurde Politik gemacht. Genau dieser mediale Rahmen und seine Funktionen bestimmten die verschiedenen thematischen Kreise der frühgriechischen Lyrik. Dazu gehören auch allgemeine Überlegungen zur Gesellschaft, die meistens kritisch ausfallen,117 und Regeln für das soziale Zusammenleben, vom Alltäglichen, z.B. wie man sich bei einem Symposion zu verhalten hat, bis hin zu hohen moralischen Maximen. Daher ist es verständlich, dass das Motiv der Freundschaft, die Rolle des hetairos, dem man im Kampf vertrauen kann, oft erscheint. Die Adressaten der Lyrik waren also in erster Linie Standesgenossen eines Symposions, welche dieselben Interessen verbanden. Hier versuchten die Teilnehmer, Freunde, d.h. Bundesgenossen zu finden, Beziehungen zu pflegen, oder sich auch kritisch auszutauschen. Diese Lyrik war also keineswegs eine intime, sondern eine ›politische‹ Dichtung. Ein Großteil der frühgriechischen Lyrik ist also als Symposiondichtung aufzufassen, und in ihrem Themenspektrum spielen daher das Trinken wie auch die Liebe eine bedeutende Rolle: Wo Dionysos weilt, ist auch Aphrodite nicht fern. Leider haben die folgenden Epochen gerade an diesen Themen Interesse gefunden, weswegen im Vergleich zu anderen Genres so viele Verse von Trink- und Liebeslieder überliefert worden sind. Manche Gedichte müssen allerdings in einen anderen, weiteren, aber ebenfalls öffentlichen Kontext gestellt werden wie die Elegien des Solon118 und des Tyrtaios.119 Beide, der erstere für Athen, der letztere für Sparta, haben sich an eine breite Öffentlichkeit gewandt, die nicht nur auf die Oberschichten beschränkt war. Ebenfalls zu einem breiteren Kreis von Adressaten ist die Kultlyrik zu zählen, zu der auch der Threnos gehört. Festzuhalten aber ist, dass die frühgriechische Lyrik kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches, politisch motiviertes Phänomen war.120

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Vgl. zu dieser Thematik und den entsprechenden Fragmenten Teil IV 1.1.1. Vgl. die Person des ›Lügenkreters‹ in der Odyssee (14,199–228); weitere Lyriker, die in diese Kategorie fallen, sind Hipponax und in gewisser Weise auch Alkaios und Sappho. Vgl. die Elegien des Theognis, des Verfechters des ›reinen‹ Adels, und viele Gedichte des Xenophanes. West 1972, 1–13. West 1972, 117–140. Fränkel 41993, 223.

2. Die schriftlichen Quellen als Medien ihrer Zeit

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2.1.3 Die Geschichtsschreibung des Herodot Die Historien des Herodot aus Halikarnassos sind wegen der vielen retrospektiven Exkurse als Quelle für die archaische Epoche unentbehrlich. Das gilt für die griechische wie auch für die altorientalische und besonders die ägyptische Geschichte. Allerdings machen der zeitliche Abstand sowie die immensen Unterschiede zwischen dem politischen Verständnis der Archaik und dem der klassischen Epoche Herodot zu einer sehr komplizierten Quelle.121 Er lebte zeitweilig in Athen, Theben, Korinth und Olympia, und hielt öffentliche Lesungen.122 Dort trug er das vor, was er bei seinen ausgedehnten Reisen gesehen, erfahren und notiert hatte, also Teile seines Werks.123 Die Historien folgen nicht dem Muster einer chronologisch aufgebauten Geschichtsschreibung, wie man sie von Thukydides kennt, sondern sind, wie Egbert J. Bakker es formuliert, ein intellektuelles Instrument und eine kommunikative Aktivität.124 Der antike Autor recherchierte die Themen, die nach seiner Ansicht für sein Werk und dessen Publikum interessant waren, gab die Informationen in Synthese als seine eigene Meinung (γνώμη) wieder oder fügte sie syntaktisch in die jeweiligen Themenbereiche ein. Herodot thematisiert die Zeitgeschichte nicht, doch sie ist der Fixpunkt seiner Themenwahl innerhalb des großen Rahmens der griechisch-persischen Kriege. An manchen Stellen deutet er die Vorgeschichte des Peloponnesischen Krieges an.125 Herodots Geschichten bewegen sich auf mehreren kommunikativen Ebenen. Die grundlegende Aufgabe seines Werkes sollte, wie er es im Vorwort darlegte, die Beschreibung des großen Ost-West-Konfliktes der Vergangenheit für die Nachwelt sein.126 Auf einer synchronen Ebene tritt er in seinen Büchern als ein Didakt auf, der dem Publikum seine überwältigenden Kenntnisse und Auffassungen über menschliche Geschichte vermitteln wollte. Man kann einen aufklärerischen Aspekt in seinem Werk sehen, der gut zur Sophistik seiner Zeit passt. Nicht weniger wichtig waren ihm die Veröffentlichung seiner Bücher vor einem möglichst großen Publikum, Anerkennung und – manchmal – Honorare, die er dafür erhielt. Der Ehrgeiz des Verfassers wird auch in seinen zahlreichen Polemiken gegen andere Meinungen über einen bestimmten Gegenstand deutlich, in denen er manchmal etwas zu rechthaberisch erscheint. Eines der Hauptprobleme, auf das man bei der Benutzung Herodots als Quelle stößt, ist die Frage nach der jeweiligen Herkunft seiner Informationen. Eine Rückverfolgung seiner manchmal widersprüchlichen Angaben aus einem Zeitraum von 100 bis 200 Jahren ist nur in mehr oder weniger wahrscheinlichen Rekonstruktionen möglich.127 Herodot erscheint inmitten der vielen und verschiedenartigen Quellen, die er angibt, wie ein Medium zwischen ihnen und den Zuhörern bzw. Lesern seiner Bücher. Auf seinen Reisen ins Ausland schuf er Kommunikationsnetze, die ihn mit den verschiedensten Nachrichten versorgten. Aus ihnen wählte er dann punktuell Details aus oder begnügte sich mit einer allgemeinen 121 122 123

124 125 126 127

Er lebte ca. 485 bis 425; zu seiner Biographie vgl. Jacoby 1913, 226–229. Jacoby 1913, 226–229. Diese Reisen, die er selbst bezeugt, werden von einigen Wisenschaftlern angezweifel, vgl. z.B. Fehling 1971. Die angeführten Argumente sind allerdings nicht stichhaltig und können nicht Jacobys Ausführungen entkräften (1913, 247–280). Bakker 2002, 3. Bichler, Rollinder 2000, 166. Zu seiner Einleitung vgl. Bakker 2002, 6–13. Mit einigen Ausnahmen, in denen er über sehr frühe Zeit berichtet wie in dem ägyptischen Logos.

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II. Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit

und pauschalen Berichtserstattung. Seine Informationen brachte er also aus allen Quellen zusammen, die er für geeignet hielt und sammelte nicht etwa wahllos alle, die ihm zur Verfügung standen. In wie weit er schriftliche Vorlagen benutzte, ist sehr umstritten, da die Literatur vor ihm nur aus Fragmenten bekannt ist. Er nennt an einigen Stellen den Logographen Hekataios, dessen Bücher er offenbar ausführlich gelesen hatte. Auch auf Homer greift er bisweilen zurück, allerdings ohne ihn ausdrücklich zu zitieren. In den Büchern über griechische Geschichte fehlen Quellenangaben. Hier hat er größtenteils wahrscheinlich eine opinio communis128 wiedergegeben, wie sie in Ionien, und in anderen Gebieten und Städten der griechischen Welt verbreitet war. Vieles hat er zweifellos auch von der Priesterschaft in Delphi erfahren. Kenntnisse über Kolonisation, verschiedene Versionen über archaische Tyrannen, Nachrichten über die lydische Geschichte und allgemeine Kenntnisse der Mittelmeerwelt mag er hier gesammelt haben.129 Die Autopsie, die persönliche Eindrücke und Kenntnisse durch eigene Anschau gibt, stellt der Autor selbst als eine der grundlegenden Methoden seiner Arbeit in den Vordergrund. Der Autopsie verdanken wir viele wertvolle Informationen. Es ist nicht verwunderlich und schmälert den Informationswert bei richtiger Interpretation nur wenig, dass Herodot das, was er mit eigenen Augen gesehen hatte, nicht immer richtig einordnen konnte.130 Seine Erkundungen (ἱστορίαι) bestanden aus der Befragung möglichst vieler Zeitgenossen, die über eigene Erlebnisse berichteten oder auf Erzählungen ihrer Väter und Großväter zurückgreifen konnten. Eine solche mündliche Überlieferung geht im Normalfall maximal bis zu ca. 100 Jahren zurück. Dabei stellt Eberhard Ruschenbusch fest, dass der Quellenwert dieser Informationen für eine Geschichtsschreibung nicht allzu hoch einzuschätzen ist, da Verwechslungen oder falsche Einordnung bei einer solchen Tradierung leicht möglich sind. Ein ordnendes Eingreifen von Seiten Herodots war also notwendig: Vieles hat er durch logische oder anscheinend logische Rückschlüsse zurechtgerückt, wobei es zu Verdrehungen und Verzerrungen kommen konnte.131 In den Büchern über die Länder, über die keine bereits gefestigten Meinungen im griechischen Publikum existierten (besonders die Bücher 3, 4 und 5), und über welche sich sein gesammeltes Vorwissen als ungenügend herausstellte, bemühte sich Herodot um persönliche Informanten im Ausland. Besonders in diesen Büchern gehört das λέγειν τὰ λεγόμενα zu seinen Zielen und Methoden. Die Auswahl seiner Reiseziele war wohl nicht so sehr vom Gesamtthema bestimmt, da sonst Asien im Mittelpunkt gestanden und Ägypten nicht einen so prominenten Platz erhalten hätte. Auch das nördliche Pontosgebiet war für die griechisch-persischen Kriege irrelevant. Die Fahrten, die er unternahm, waren aber auch sicher nicht als reine Bildungsreisen geplant, obwohl dieser Aspekt zweifellos für ihn ebenfalls wichtig war,132 sondern sie leiteten sich von den aktuellen politischen Schwerpunkten Griechenlands und der hegemonialen Macht Athen in seiner Zeit ab: das nördliche Pontosgebiet, Kleinasien, der persische Vordere Osten und Ägypten. Auch die Möglichkeiten und 128 129 130 131 132

Hornblower 2002, 385. Felix Jacoby, s.v. Herodotos, in: RE Suppl. 2, 1913, 205–520; zur mündlichen Tradition vgl. auch Malkin 2003, 155f. Vgl. z.B. Dalley 2003, 174–176 zum angeblichen Sesostris in Anatolien; vgl. auch Asheri 2007, 15. Ruschenbusch 1992, 390–392. Redfield 1985, 97–120.

2. Die schriftlichen Quellen als Medien ihrer Zeit

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Bedingungen eines sicheren Reisens, der Transport, die Benutzung von Gastfreundschaften oder anderen Beziehungen im Ausland bestimmten seine Reisen. Überall, wo er sich für seine Erkundungen aufhielt, fand er ansässige Griechen vor. Die nordsyrische Küste kannte er offensichtlich nicht, vielmehr benutzte er die Route, welche direkt auf die phönikische Küste stößt und fuhr von dort mit einigen kurzen Abstechern daran vorbei. Daher hat er nur wenig über sie zu berichten.133 Anders sah es in Ägypten aus: Das Interesse an diesem Land war zu dieser Zeit in Athen äußerst groß, da Athen in den Jahren 462/1–458/7 auf der Seite des Rebellen Inaros gegen die Perser gekämpft hatte.134 Herodots Berichte über Ägypten135 gehören zu den wertvollsten Quellen über die Saïtendynastie bis zur Persischen Zeit. Aber gerade in diesem Buch ist die Frage nach seinen Quellen besonders schwierig, da sie ganz verschiedener Art und Herkunft sind, und die Kommunikationswege Brüche und Lücken aufweisen, welche der Autor nach eigenem Ermessen und dem Verständnis eines Griechen des 5. Jh. zu überbrücken suchte. Widersprüchliche Angaben seiner in Ägypten gesammelten Informationen136 zeigt er selbst mehrmals auf, ohne sich auf eine bestimmte Aussage festzulegen, auch wenn er es, wie er manchmal zugibt, gern getan hätte. Widersprüche ergaben sich aus den verschiedenartigen Informanten, mit denen er ins Gespräch kam und die er jeweils offensichtlich gezielt befragte. Die meisten Nachrichten erhielt er wohl von den in Ägypten ansässigen Griechen.137 Er traf sie nicht nur in Naukratis, sondern auch in Memphis und anderen großen Städten. Diese Griechen waren bereits seit vielen Generationen akkulturiert, hatten aber, vor allem in Naukratis, wo die griechische Bevölkerung kompakt geblieben war, ihre Kultur und vor allem die Sprache erhalten. Herodot hörte also mündliche Berichte von den Griechen, die sich im Lauf der Zeit der ägyptischen Kultur weitgehend angepasst, die Sprache erlernt und die Geschichte der neuen Heimat kennengelernt hatten. Diese Griechen hatten auch ihre eigene Geschichte in Ägypten gestaltet. Dazu gehören wahrscheinlich die Erzählungen über Psammetichos und die griechischen Söldner, über die Gründung von Naukratis und einige Anekdoten aus der vorpersischen Zeit, die dem Geschmack der dortigen Griechen entsprachen. Das waren die Narrative, welche die Identität der ägyptischen Griechen konstituierten. Herodot hat seine Informanten sicher nicht zufällig getroffen und angesprochen. Wie bei allen seinen Reisen ist das Milieu, in dem er sich bewegte, einem Intellektuellen und Zugehörigen der griechischen Bildungselite gemäß gewesen.138 Leider beschreibt er nirgends die Umstände seiner Reisen. Er hatte wahrscheinlich eigene Beziehungen, Gastfreundschaften, oder benutzte solche seiner Freunde aus Griechenland. Und von diesen ersten Ansprechpersonen wurde er an die Freunde der Freunde weitergereicht, wie es üblich war. Die Varianten seiner Geschichten – und es muss sehr viel mehr gegeben haben, als er aufgezeichnet hat – ergaben sich wohl nicht nur durch verschiedene individuelle Erzählungen, sondern auch aus den verschiedenartigen Überlieferungen in den einzelnen griechischen Gemeinden in Ägypten. 133 134 135 136 137 138

Rainey 2001, 57–63. Kahn 2008; Libourel 1971, 605–615. Hdt. 2–3,38. Vgl. dazu auch Teil I 2. Lloyd 2002, 425–427. Hornblower 2002, 376.

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II. Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit

Weitere Informationen lieferten ägyptische Priester aus Heliopolis, Memphis und Theben,139 eine Schicht gebildeter Intellektueller, die sich in ihren verschiedenen Theologien und Überlieferungen auf Schriften stützen und berufen konnten. Es ist wenig wahrscheinlich, dass seine priesterlichen Informanten aus den Reihen von niedrig gestellten Tempeldienern kamen.140 Viele Angaben über die Geschichte und den Kult Ägyptens weisen auf Priester hin, welche sowohl Details als auch größere Zusammenhänge darstellen konnten. Herodot fand sicher keine Priester, mit denen er sich auf Griechisch unterhalten konnte. Eine ›Touristikbranche‹ wie in römischer Zeit hat es damals in Ägypten noch nicht gegeben und daher auch keine Dolmetscher an diesen Kultstätten. Entweder man unterhielt sich also in einer dritten Sprache, und das wäre das Persische gewesen, oder aber, was wahrscheinlicher ist, Herodot benutzte nichtoffizielle Dolmetscher, die sich ihm anboten. Dadurch war die Kommunikation nicht direkt, sondern erschwert und mit möglichen Fehlerquellen belastet. Eine weitere Frage wäre: Wie hat Herodot all diese Geschichten memoriert? Wahrscheinlich hatte er dafür einen Sekretär, eventuell einen schreibkundigen Sklaven bei sich, dem er Notizen diktierte. Natürlich hat er nur solche Geschichten in sein Werk aufgenommen, welche er selbst als interessant und aufschlussreich ansah, die ihm selbst einigermaßen verständlich erschienen und von denen er annahm, dass sie das griechische Publikum gern und mit Neugier anhören würde. Die Grundlagen der ägyptischen Religion sind ihm sicher aufgezeigt worden, doch sie blieben ihm so fremd, dass er sie nicht oder falsch wiedergab.141 Die Gründe dafür liegen vermutlich nicht nur an der Komplexität des Gegenstands, dem sich Herodot als reisender Grieche in einem vorwiegend nichtverbalen und kurzen Aufenthalt näherte,142 sondern auch darin, dass er als Fremder keinen direkten Zutritt zu den ägyptischen Heiligtümern hatte. Hier fehlten die Autopsiemöglichkeiten und er konnte sich nur auf mündliche Informationen stützen. Widersprüche ließ er entweder stehen oder aber er konstruierte selbst eine Wahrheit, durch welche diese Widersprüche mit einer gewissen Logik aufgelöst wurden.143 Man findet in seinen Büchern keinerlei Hinweise auf eine Prioritätenliste seiner Quellen.144 Nach der Rückkehr nach Griechenland begann der Prozess der Verwertung aller gesammelten Informationen, in welchem er diese sicher noch abgeändert hat. Möglicherweise hat er beim Erzählen oder bei seinen Lesungen in den griechischen Städten zusätzliche Informationen von Zuhörern erhalten, wodurch vielleicht einiges verworfen, anderes umgearbeitet oder sogar hinzugefügt wurde.145 Die Bündelung der herodoteischen Angaben, ihre kritische Sichtung, auch im Hinblick auf den möglichen Informanten, sowie ihr Abgleich mit Informationen aus anderen Schriften und/ oder Monumenten machen dieses Geschichtswerk zu einer unentbehrlichen Quelle für die archaische Zeit.

139 140 141 142 143 144 145

Lloyd 2002, 427. So Asheri 2007, 17. Lloyd 2002, 430–432. Vgl. Teil IV 2.2; Asheri 2007, 17. Van Wees 2002, 33. Hornblower 2002, 374. Vgl. zum stilistischen Ausdruck dieser Kommunikation Brock 2003, 3–16.

2. Die schriftlichen Quellen als Medien ihrer Zeit

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2.2 Vorderasiatische und ägyptische Schriftquellen Das altorientalische Schrifttum der ersten Hälfte des 1. Jt. ist im Unterschied zum griechischen derselben Zeit sehr umfang- und facettenreich. Nicht so sehr die Menge der Schriften und Dokumente, sondern noch mehr das Niveau der Verschriftlichung der östlichen und ägyptischen Gesellschaften ist ein wesentliches Charakteristikum. Es gab praktisch keinen gesellschaftlichen Bereich, der nicht in Dokumenten und anderen Aufzeichnungen reflektiert wurde. Noch zu Zeiten des Flavius Iosephus im 1. Jh. n.Chr. bestand in Tyros ein großes Staatsarchiv, wie sie auch in anderen phönikischen und syrischen Städten existiert haben. Von der verloren gegangenen Prosa und Dichtung Syriens zeugt heute nur noch das Alte Testament. Die durchdachte Gliederung und die Anwendung von verschiedenen Stilmitteln in einigen spätluwischen Inschriften deuten darauf hin, dass auch in diesem Kulturbereich Literatur geschaffen und für eine spezifische Kommunikation benutzt wurde. Die wesentlichen Unterschiede zwischen dem östlichen Schrifttum und dem gleichzeitigen griechischen resultieren vor allem aus den völlig unterschiedlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen und Machtverhältnissen. Während die Eliten in Griechenland zunächst nur innerhalb ihres eigenen Kreises die Schrift als ein thematisch sehr beschränktes und sozial determiniertes Medium einsetzten, benutzte man im Osten schriftliche Dokumente intensiv für die Verständigung in einer vertikalen Herrschaftshierarchie und in der Arbeitswelt. Die verschiedenen Genres der altorientalischen Literatur orientierten sich stark an den altmesopotamischen Traditionen. Daher schuf man Bibliotheken und bemühte sich, alte Schriften durch Kopien zu bewahren. Andererseits haben neue politisch-ideologische und kulturelle Entwicklungen wie auch der Kontakt mit anderen Völkern zu eigenen Akzenten in der neuassyrischen Literatur geführt, die eine wachsende Dynamik und eine Vertiefung bestimmter Themen aufweist. Besonders die Annalistik des Neuassyrischen Reiches erfuhr eine bemerkenswerte Entwicklung: Aus den früheren Königslisten entstand ein literarisches Genre. Für die primären Kontakte zwischen Griechen und Orientalen sind nur wenige altorientalische Quellenarten von Interesse. Dazu gehören die neuassyrischen und babylonischen historischen Genres wie auch die historisch relevanten Omina,146 die offiziellen königlichen Korrespondenzen147 und einige Wirtschaftsdokumente.148 Hier sollen nur zwei besonders wichtige Quellenarten mit ihren spezifischen Besonderheiten kurz vorgestellt werden. 2.2.1 Die neuassyrischen und neubabylonischen Annalen und Chroniken Für das 1. Jt. gehören die verschiedenen Arten von Königsinschriften zu den wichtigsten Quellen für die Geschichte des Vorderen Orients. Sie bilden das Rückgrat für alle absoluten Chronologien des Nahen Ostens, also auch für die Länder, aus denen nur wenig und selten sicher datierbares schriftliches Material bekannt ist wie z.B. für die spätluwischen Königreiche oder die phönikischen Staaten. 146 147 148

Dazu Maul 2003. Parpola 1970; 1987. Besonders die sogenannten Nimrudbriefe, Saggs 1952. Diese sind in der neubabylonischen Zeit von Bedeutung.

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II. Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit

Unter dem Begriff ›Königsinschriften‹ sind verschiedene Textgattungen zusammengefasst,149 deren gemeinsamer Nenner die Beschreibung der Taten eines Königs sind. Die Ereignisse eines Jahres wurden nach den jeweiligen Jahreseponymen datiert, welche in den Eponymenlisten und Eponymenchroniken chronologisch aufgelistet wurden. Die verschiedenen erhaltenen Versionen ermöglichen eine genaue Rekonstruktion der Eponyme von 910 bis 649.150 Diese relative Chronologie wird durch die Erwähnung einer totalen Sonnenfinsternis im Jahr 763 zu einer absoluten.151 Königsinschriften wurden nach dem Sieg eines Herrschers an gut sichtbaren Stellen angebracht, oft an dem Ort, von dem aus das siegreiche Heer seinen Rückzug antrat.152 Andere Annalen fassen die militärischen Unternehmungen von mehreren Jahren zusammen. Sie wurden im Reichsarchiv archiviert und als Vorlagen für die sogenannten Prunkinschriften benutzt. Die meisten der heute bekannten Annalentexte wurden aber an nicht sichtbaren oder schwer zugänglichen Stellen des Königspalastes angebracht. Man schrieb sie auf sogenannte Prismen (auch Tonfässchen genannt) und Tonzylindern, die umfangreichere Inschriften aufnehmen konnten und seit Tiglath-pilesar I. für Königsinschriften typisch wurden. Diese Inschriften wurden häufig unter den Fußböden und im Mauerwerk vergraben oder verbaut und haben sich daher oft sehr gut erhalten. Sie sollten und konnten nicht die Zeitgenossen ansprechen, sondern waren Botschaften an die zukünftigen Könige, welche sie bei Renovierungsarbeiten im Palast finden würden.153 Die Annalen der letzten großen neuassyrischen Könige Sennacherib, Esarhaddon und Aššurbanipal nennen gewöhnlich nicht mehr die Regierungsjahre (palû), sondern die Feldzüge (gerru) der jeweiligen Herrscher in ihrer chronologischen Reihenfolge. Daher ist bei ihnen eine präzise absolute Datierung nicht immer möglich, wenn die Abstände zwischen den Feldzügen unbekannt sind. Die Königsinschriften der einzelnen Herrscher erscheinen immer in einer Vielzahl von Editionen, die teilweise erheblich voneinander abweichen können. Diese Unterschiede ergaben sich daraus, dass an den Annalen kontinuierlich gearbeitet wurde und man sie zu verschiedenen Kommunikationszwecken verwendete. Die Schreiber am Hof ergänzten sie ununterbrochen, wobei sie auch frühere Teile manchmal nachträglich bearbeiteten. Die Annalen sind immer Zeitgeschichte. Ihre Aufgabe bestand darin, die bemerkenswerten Taten des Königs im Rahmen eines Jahres darzustellen: militärische Erfolge, Lösung logistischer Probleme bei Feldzügen, Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftskraft des Landes durch Erschließung von neuen Rohstoffen, Urbarmachung neuer Landstriche oder auch Urbanisierung, vor allem aber kultische Aktivitäten wie Baumaßnahmen für Tempel, Weihungen für die Gottheiten, das Feiern eines Gottesfestes u.a. Die Annalen entstanden vermutlich aus einer Vielzahl von Tafeln, die einzelne Geschehnisse zeitgleich registrierten. Die Feldzüge, die für unser Thema von größtem Interesse sind, wurden wohl aus Kriegstagebüchern zusammengestellt, welche Feldschreiber zu führen hatten. Das beweisen vor allem die Itinerarien, welche genau verzeichnen, was für eine Strecke ein Heer an einem be149 150 151 152 153

Vgl. eingehender, auch mit den übrigen Arten von Königsinschriften: Renger 1980–1983. Millard 1994. Millard 1997, 207–215. Mayer 1995, 29. Frahm 1997, 36, wo diese Funktion illustriert wird: »Wenn dieser Palast alt und baufällig wird, dann möge ein späterer Fürst das, was an ihm baufällig geworden ist, erneuern und die in meinem Namen verfasste Inschrift lesen!«

2. Die schriftlichen Quellen als Medien ihrer Zeit

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stimmten Tag zurückgelegt hat.154 Für das Verfassen der Annalen konnten zusätzlich auch offizielle, königliche Korrespondenzen hinzugezogen werden. Die Autoren hatten freien Zugang zu jeder Art von Dokumentation. Das impliziert eine große Genauigkeit ihres Quellenmaterials, was sich aber nicht immer zwangsläufig auf die Endfassung niederschlug. Die Adressaten der Königsinschriften waren sehr verschiedene und exklusive Kreise: der Gott Aššur mit den ›Mitbewohnern seines Tempels‹, wenn die Annalentafeln im Tempel abgelegt wurden, dann die zukünftigen Könige, wenn die Texte auf Prismen aufgeschrieben waren. In Archiven waren sie den hohen Beamten und den Schreibern zugänglich. Diese Texte waren also nicht für eine breite Masse konzipiert. Daher kann die Charakterisierung der Annalen als reine Propaganda und Selbstdarstellung des Königs in der Öffentlichkeit nicht richtig sein.155 Da, wo sie mit anderen, nicht assyrischen Quellen verglichen werden können, zeigen sie oft sogar eine erstaunliche Objektivität. Eher wurden einige Ereignisse verschwiegen als verfälscht. Seit Tiglath-pilesar III. sind auch nicht chronologisch geordnete Tatenberichte von Königen zu finden. Sie werden gewöhnlich als ›Prunkinschriften‹ (displays) bezeichnet, da sie in die Ausstattung der Paläste und in die jeweiligen Bildprogramme integriert wurden. Sie sind weniger ausführlich als die Annalen und nennen militärische Aktionen nur pauschal. Das Ziel dieser Inschriftengattung war die Erhöhung der Person des amtierenden Königs. Der ideologische Charakter dieser Bilder und Texte ist ganz deutlich: Sie wandten sich in den Palastsälen an die hohen Beamten des Staates und an ausländische Besucher und Gesandtschaften. Daher kann von ihnen keine Objektivität erwartet werden: Die Taten werden überhöht, oft in einer toposartigen Formelsprache erzählt, Niederlagen oder sonstige Misserfolge entweder verschwiegen, geschönt oder zu Erfolgen stilisiert. Die Babylonier (626–539) übernahmen die Innovationen der neuassyrischen Königsinschriften nicht, sondern griffen auf Traditionen der altbabylonischen Zeit zurück.156 Während die assyrischen Könige ihre eigenen Taten in den Mittelpunkt aller ihrer Aussagen stellten, nehmen die babylonischen Inschriften mit nur wenigen Ausnahmen Bezug auf aktuelle politische Ereignisse und militärische Erfolge ihrer Könige. Bei der Auswahl von Informationen standen die Bautätigkeiten der Herrscher in Babylon, der von den Assyrern so übel zugerichteten Stadt im Mittelpunkt. Daher sind eroberte Völker und besiegte Könige meistens nur in Verbindung mit Bautätigkeiten in Babylon erwähnt, zu welchen Gefangene und Deportierte eingesetzt wurden. Die babylonischen Inschriften wurden meistens auf Königsstelen aufgetragen, wo sie mit der Darstellung eine Einheit bilden. Solche Stelen wurden im ganzen Reich aufgestellt und erfüllten die Aufgabe eines Mediums, das sich an eine sehr breite Öffentlichkeit wendet. In den Provinzen diente der schriftliche Teil als nichtverbales Medium. Die Babylonier kannten keine Annalen neuassyrischen Typs. Sie entwickelten bereits im 2. Jt. Chroniken, die in Babylon bis in den Hellenismus weiter geführt wurden.157 Mit ihrer nüchternen Darstellungsweise sind sie eine äußerst wertvolle historische Quelle, durch welche die anderen zeitgenössischen Quellen überprüft und besser eingeordnet werden kön154 155 156 157

Mayer 1995, 57. Ausführlich dazu: Mayer 1995, 5f. Vanderhooft 1999, 11; zum Aufbau, zur Form und Entwicklung: 9–59. Grayson 1975.

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II. Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit

nen. Den neubabylonischen Chronikserien kommt eine besondere Bedeutung zu (Chron. 1–7 und 14). Sie umfassen, mit größeren Lücken, die Zeit von der Mitte des 8. Jh. bis zum Jahr 539, d.h. von der Regierung des babylonischen Königs Nabu-nasir (747–734) bis zur Eroberung Babylons durch die Perser. Sie machen kurze Angaben über Herrscher und Geschehnisse, geben aber nie Gründe und Folgen an. Politische Geschehnisse außerhalb des Landes wurden nur aufgenommen, wenn der König in sie involviert war oder sie direkte Folgen für Babylon nach sich zogen. Sie vermerken auch militärische Niederlagen und können eine kritische Haltung zu einem Herrscher einnehmen, allerdings nur im kultischen, nicht im politischen Bereich. 2.2.2 Das Alte Testament In den Büchern des Alten Testaments findet man eine Fülle von verschiedenen literarischen Formen, wie sie zweifellos im ganzen semitischen Syrien existiert haben, aber in den übrigen Ländern verloren gegangen sind. Auch wenn große Teile dieser Bücher ganz spezifisch judäisch sind, so geben sie doch eine gewisse und allgemeine Vorstellung von der westsemitischen Literatur in der ersten Hälfte des 1. Jt. Das spezifisch Judäische steckt in der Theologie, im Jahwehglauben und -kult, was Ausgang und Ziel der Schriften ist. Daher sind die Bücher des Alten Testaments schwer zu interpretierende Schriftwerke, wenn man sie als historische Quellen und nicht als theologische Darlegungen benutzen will. Das bedeutet, dass jede Stelle, die als Zeugnis ihrer Zeit herangezogen werden soll, einer eingehenden Quellenkritik unterworfen werden muss. Die Forschungen über Autorenschaft, Datierung und Zusammensetzung der Bücher des Alten Testaments sind heute noch längst nicht abgeschlossen.158 Schon 1943 erkannte Martin Noth einen engen sprachlichen, chronologischen und theologischen Zusammenhang zwischen den Büchern Deuteronomium, Josua, Richter 1–2, Samuel 1–2 und Könige 1–2,159 die als das sogenannte Deuteronomische Geschichtswerk bekannt sind. Es existierte offensichtlich schon vor der endgültigen Zusammenfassung des Pentateuch. Es bleibt noch ungeklärt, ob der Kern dieses Geschichtswerks aus der Zeit der Reform des Josia oder erst aus der exilischen bzw. nachexilischen Zeit stammt.160 Die Bücher der Chronik waren ursprünglich eigenständige Schriften, die auf dem sogenannten Deuteronomischen Geschichtswerk fußten.161 Sie wurden von Jerusalemer Schriftgelehrten verfasst, verbreitet und tradiert, die stellenweise auch ältere Quellen benutzten.162 Die Bücher des Alten Testaments wurden also im Lauf vieler Jahrhunderte unter verschiedenen historischen und sozialen Bedingungen von zahlreichen Autoren geschrieben, wobei diese Texte immer wieder von späteren Redaktoren abgeändert und den jeweils aktuellen theologischen Prämissen durch neu eingefügte Abschnitte angepasst wurden. Alle, die an den Texten gearbeitet haben, stammten aus priesterlichen Kreisen in Jerusalem, wobei solche Kreise manchmal unterschiedliche theologische Ansichten vertraten.163 Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie 158 159 160 161 162 163

Vgl. Zenger 1995, bes. 88–118; Cross 1980. Noth 1943. Zur ersten These vgl. Eynikel 1990. Vgl. zu den Büchern der Chronik Steins 1995, 223–234. Kratz 1995, 279–303. Gertz 2006.

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mit Leidenschaft für einen reinen Monotheismus eintraten, der sich im 6. Jh. in den offiziellen religiösen Vorstellungen der Judäer durchsetzte.164 Es steht heute fest, dass die ältesten Texte des Alten Testaments nicht vor dem ausgehenden 8. Jh. entstanden sein können, als die Schrift zuerst im Nordreich Israel am Königshof in Samaria eingeführt wurde. Es ist aber unwahrscheinlich, dass dort bereits Teile des Pentateuch niedergeschrieben wurden. Als Samaria 722 von den Assyrern erobert wurde und viele seiner Bewohner nach Juda flohen, begann der politische, wirtschaftliche und kulturelle Aufstieg des Südreichs. In Jerusalem wurden nun Königs-, Hof- und Tempelgeschichten verfasst. Als Jerusalem 687/6 von Babyloniern zerstört und Teile der Elite und anderer Bevölkerungsgruppen in mehreren Schüben nach Babylonien deportiert worden waren, intensivierte sich die Beschäftigung mit der fernen und näheren Vergangenheit. Zu Beginn der Perserzeit sind die Bücher des Pentateuch, die Bücher der Könige und Chroniken, die älteren Propheten sowie auch die Psalmen und Spruchsammlungen zu einem Abschluss gekommen. Allerdings wurden noch zu Beginn der hellenistischen Zeit einige Passagen hinzugefügt. Diese Ergebnisse der Forschung werfen nun schwerwiegende Fragen zur Datierung biblischer Geschichte und der Texte auf. Hatte man früher unbekümmert die Erzählungen über David und Salomo in das 10./9. Jh. datieren können, so ist dies heute nicht mehr möglich, denn zu dieser Zeit kannte man die Schrift noch nicht. Dazu kommt noch die Frage, ob die Erzählungen über ein frühes Großisrael einer zuverlässigen mündlichen Tradition zugewiesen werden können, oder ob es sich um spätere, theologisch und ideologisch motivierte Fiktionen handelt. Die Erzählungen über David und Salomo sind zwar voller genauer Details über Israel, Juda und sein Umfeld, doch diese gehören in eine spätere Zeit. Ihr ›Sitz im Leben‹ sind das 7. und 6. Jh.165 Viele israelitische Archäologen kommen aufgrund ihrer Ausgrabungen zu dem Schluss, dass es ein geeintes Königreich unter David und Salomo nicht gegeben haben kann. Ihre Argumente166 werden heute von der Mehrzahl der Historiker übernommen.167 Ähnliche Schwierigkeiten bereiten auch die Texte der Propheten, in denen man ebenfalls wertvolle historische Angaben finden kann, die allerdings oft kaum zeitlich einzuordnen sind. Es gibt sowohl Prophezeiungen, welche sich aus der Sicht des jeweiligen Propheten auf die Zukunft beziehen, also aus der Zeit heraus kamen,168 als auch – und das mehrheitlich – Wahrsagungen post eventum.169 Zudem haben die Propheten wohl auch ältere Vorlagen besessen, die sie benutzten. Für das hier untersuchte Thema können unter diesen Vorbehalten Jesaja, Jeremia, Ezekiel und Amos als wichtige Quellen und Zeitzeugen geschichtlicher Ereignisse und Situationen in Juda und seinem Umfeld herangezogen werden. Die Verfasser des Pentateuch und die späteren Redaktoren verfügten über zahlreiche schriftliche und mündliche Quellen. Die Grundlagen der Bücher der Könige und Chroniken waren zweifellos Hofchroniken aus Israel und Juda. Die Liste der Könige weist keine 164 165 166 167 168 169

Dass sie sich in der Bevölkerung nicht ganz durchgesetzt hatte, zeigen die vielen Ašera-Figuren, die man auch nach dem 6. Jh. gefunden hat: vgl. z.B. Keel, Uehlinger 2001. Finkelstein, Silbermann 2004. Vgl. Teil I 5.4.3. Finkelstein, Silberman 2004; die Diskussion bei Handy 1997. Z.B. Jes 7: die Warnung im sogenannten Syrisch-Ephraimitischen Krieg vor einem Bündnis mit Assyrien. Z.B. Ez 28 gegen Tyros.

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Lücken auf, und manche ihrer Namen sind auch in nichtjudäischen Dokumenten zu finden. Die Geschichte Samarias aber ist, abgesehen von den Namen seiner Könige, lückenhaft, tendenziös und stellenweise falsch dargestellt, was aus Vergleichen mit nichtjudäischen Quellen aus dieser Zeit ersichtlich ist. Ähnlich ist es auch bei den Angaben über die Nachbarvölker Israels wie über Damaskus oder Ägypten.170 Wichtige Ereignisse finden oft keine oder keine ihrer Bedeutung entsprechende Erwähnung. Benutzt man das Alte Testament als historische Quelle, so sind es vor allem die vielen Details, welche wichtige Informationen liefern und auch mit zeitgenössischen Texten verglichen und bewertet werden können. Die Gesamterzählungen dagegen sind weniger ergiebig. Die Geschichte der Dynastien zeigen im theologischen Kontext lediglich vorbildhafte oder abschreckende Beispiele gottgefälligen Herrschens oder frevelhaften Abfalls.171 So sind auch umwälzende Ereignisse in rein theologischer Sicht dargestellt.172 Die Bücher des Alten Testaments sind noch in einer anderen Hinsicht für die Geschichte des Alten Orients vom 8. bis zum 6. Jh. von außerordentlichem Interesse: Die Erzählungen und Prophezeiungen beschreiben in vielen Fällen Verhaltensweisen, das Alltagsleben verschiedener sozialer Schichten und Besonderheiten der Kommunikation. Auch wenn vieles davon sicher als spezifisch Judäisch angesehen werden muss, so können die grundlegenden, charakteristischen Situationen in profanen Lebensbereichen mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf die südsyrischen Nachbarländer übertragen werden. Soweit die Angaben des Alten Testaments nicht deutlich mit dem Kult in Verbindung stehen und von ihm bedingt zu sein scheinen, ist eine gewisse Verallgemeinerung zulässig, denn Israel und Juda waren keinesfalls isoliert, sondern integrierte Bestandteile der syrischen Staatenwelt. Seit dem ausgehenden 7. Jh. können die Informationen des Alten Testaments sporadisch durch epigraphische Zeugnisse, Graffiti und Steininschriften ergänzt werden.173 Es gibt Weihinschriften wie auch Ostraka mit Briefen, Übungen, Protokollaufnahmen oder sie wurden für Lieferscheine, Empfangsquittungen u.a. benutzt.174 Es fehlen allerdings, mit nur wenigen Ausnahmen, Monumentalinschriften. Beschriftete Siegel geben die Namen von Königen, die aus dem Geschichtsbüchern des Alten Testaments bekannt sind, und von hohen Würdenträgern.175 Einige beleuchten historische Ereignisse wie die berühmten Ostraka aus Lachiš und Arad176 oder die Siloah-Inschrift über den Kanal-Durchbruch des Königs Hiskia.

170 171 172 173 174 175 176

Vgl. die Erzählung über die angebliche Plünderung Jerusalems durch Scheschonq (1 Kö 14,25–28); vgl. Teil I 2. So ist es auch in der fiktiven Vor- und Frühgeschichte Israels im Pentateuch im Buch der Richter. Z.B. der Abzug der Assyrer während ihrer Belagerung Jerusalems (2 Kö 19,35–37). Vgl. zu diesem Aspekt Assmann 2007, 254–258. Renz, Röllig 1995; McCarter 1996. Renz 2001, 124–126. Renz 2001, 133–135 mit Literatur. Vgl. dazu Teil IV 1.1.

3. Eigennamen als historische Quelle

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3. Eigennamen als historische Quelle Der wesentliche Unterschied zwischen einem Eigennamen und einem Appellativ liegt in seinem Zeichencharakter: Während jedes Appellativ ein abstractum ist und daher in theoretisch unbeschränkt vielen Kontexten einsetzbar ist, ist ein ononymes Zeichen theoretisch immer eindeutig, weil es ein konkretes Objekt oder eine bestimmte Person bezeichnet. Die Eindeutigkeit der Benennung ist daher wichtigste Aufgabe eines Eigennamens.177 Tatsächlich aber ergibt sich immer wieder das Problem der Mehrdeutigkeit. Wenn die Eindeutigkeit eines Namens in der Kommunikation gefährdet ist, wird es in den meisten Fällen durch Zusätze, d.h. Beinamen, ergänzt. Die Semantik der Wortstämme, aus denen sie bestehen, spielt nur im Moment der Namensgebung eine Rolle. Ist der Name einmal vorhanden, hat sie keine Priorität mehr. Die ursprünglich appellativen Wortstämme werden zu ononymen und entwickeln sich nach der semantischen Logik eines Eigennamens. Daher können sie über Jahrtausende hinweg über alle sprachlichen, ethnischen, politischen und kulturellen Veränderungen hinüber erhalten bleiben und sich, vor allem Personennamen, über große Räume verbreiten. Besonderheiten in der lautlichen Gestalt und Morphologie lassen oftmals die Wege ihrer Vermittlungen erkennen. Voraussetzung für eine lange Tradierung von geographischen Namen ist lediglich eine bruchlose Besiedlung der Gebiete mit genügend Kontaktmöglichkeiten zwischen zwei oder mehreren sich ablösenden ethne, in denen die betreffenden Namen funktionieren. Eine allgemeine Umbenennung von Flussund Bergnamen bedeutet daher immer einen grundlegenden Einschnitt in der Geschichte, hinter dem meistens der politische Wille einer grundlegenden Umgestaltung steckt.178 Darüber hinaus ist ein Eigenname, gerade wegen seines semantischen Defizits, frei für zusätzliche Konnotationen.179 Von dort kann er wieder zu einem Appellativum werden.180 Die in einer Sprache benutzten Eigennamen bilden ungeachtet ihrer linguistischen Herkunft den onomastischen Wortschatz einer Sprache.181 Dieser unterscheidet sich wesentlich von der appellativen Lexik: Ein Name ist kein Indikator für ein Sprachareal oder für ein ethnos.182 Um einen Eigennamen als historische Quelle zu benutzen, muss man ihn unter mehreren Aspekten untersuchen. Der wichtigste von ihnen ist zweifellos der kulturelle. Er schließt zwar auch die sprachliche Zugehörigkeit eines Namens ein, berücksichtigt aber vorrangig das Bezeichnete, das Verbreitungsareal, verschiedene Konnotationen und Assoziationen. Die sprachliche Herkunft von Namen kann bei genügend bekannten alten Sprachen leicht ermittelt werden, und damit sehr oft auch die Semantik des onomastischen Stammes. Die Onomastik umfasst verschiedene Arten von Eigennamen. Für unser Thema sind Länder-, Fluss-, Stammes-, Götter- und Personennamen von Interesse. Die ersten drei Kategorien überschneiden sich häufig: Mit Stammesnamen (ethnika) und Flussnamen kön177 178 179 180 181 182

Werner 1974, 171–187; Gardiner 1954; van Langendonck 1971. Vgl. z.B. die Umbenennung syrischer Städte durch die Seleukiden. Vgl. z.B. das Ethnikon Abderiten, das als Bezeichnung für eine geistig beschränkte Bevölkerung, oder Marathon, den Ort, der mit der großen Schlacht im kollektiven Gedächtnis blieb. Vgl. die Appellative ›Kaiser‹, ›Zar‹ < Personenname (Cognomen) Caesar. Nach der alten, zu Recht nicht mehr gebräuchlichen Terminologie Adstrat und Substrat. So beweist z.B. ein griechischer Personenname in Ägypten im 3. Jh. in keiner Weise ein griechisches ethnos seines Trägers.

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nen Länder bezeichnet werden wie auch umgekehrt. Andererseits werden Ländernamen sowohl als geographische als auch als politische Begriffe benutzt. Bei Ländernamen ist die Art der Benennung zu bestimmen. Bei den Stadtstaaten können sich Namen sowohl auf die Stadt als auch auf das politisch definierte Territorium beziehen. In den Keilschrifttafeln und im Spätluwischen wird eine Doppeldeutigkeit durch Logogramme (jeweils ›Stadt‹ oder ›Land‹) beseitigt, doch die Verfasser dieser Texte sind nicht immer sehr konsequent vorgegangen, so dass jeder Fall für sich überprüft werden muss. Bei allen Eigennamen ist strikt zwischen Selbst- und Fremdbezeichnung zu unterscheiden, zumal dies nicht immer evident ist. Dazu können formalsprachliche und semantische Kriterien verwendet werden. Eine Selbstbezeichnung bei Stämmen signalisiert meistens eine deutliche und positive Abgrenzung von den anderen, Fremdbezeichnungen gehen dagegen von besonderen Eigenschaften des Landes oder seiner Bewohner aus183 oder sind Volksetymologien.184 Fremdbezeichnungen sind in vielen Fällen auch sogenannte Sammelnamen, unter denen mehrere Stämme bzw. Völker zusammengefasst sind.185 Stammesnamen schaffen besonders dann Probleme, wenn sie in verschiedenen Gebieten und/oder Epochen als Homonyme auftreten.186 Historiker ziehen daraus allzu leicht die Schlussfolgerung, dass es sich in solchen Fällen um dieselbe oder zumindest miteinander verwandte Bevölkerungsgruppen handeln müsse. Daraus entstanden die vielen Migrationstheorien, für welche die Onomastik aber nicht in der Lage ist, sichere Grundlagen zu bieten.187 Zufälliger Gleichklang oder Angleichung fremder Namen an bereits eigene Namen oder Appellative sind keine seltenen Erscheinungen.188 Die Identifizierung solcher gleich oder auch nur ähnlich klingender Eigennamen und ihr Ableiten auf einen Primärnamen stellte eine grundlegende historische Methode der antiken Geschichtsschreibung dar189 und wird bis heute, wenn auch in schwindendem Maß, angewandt. Je weniger historische Quellen vorhanden sind, desto mehr wird mit Eigennamen spekuliert. Man hat in der Forschung zur Ethnogenese schon seit langer Zeit festgestellt, dass bei größeren Migrationen der Stammesname meistens nicht mitgenommen wird, da sich die Gemeinschaft auf der Wanderung und nach der Niederlassung neu formiert und sich dann auch einen neuen Namen gibt. Wenn Stammes- oder andere Namen, deren Wortstämme aus derselben Sprachfamilie stammen, ganz oder fast gleichlautend sind, handelt es sich oft um Parallelbildungen, also um einen rein sprachlichen Fakt, der keinen historischen Hintergrund besitzt. Solche Fälle treten sehr häufig auf, da die Auswahl aus der jeweiligen appellativen Lexik für Eigennamen sehr beschränkt ist.190 183 184

185 186 187 188 189 190

Vgl. z.B. Namen wie Μελινοφάγοι. Dazu gehört wahrscheinlich der kleinasiatische Ortname Kolossai, der nicht vom griech. κολοσσός, sondern von einem heth. Namenstamm Hulašša abzuleiten ist, vgl. del Monte, Tischler 1978, 115. Dazu gehört z. B. das im Griechischen verwendete Ethnikon Φοίνικες. Zu Homonymen bei Personennamen s.u. Vgl. die Gleichsetzung der verschiedenen Dardanoi, Danaoi u.a. Ein schönes Beispiel dafür ist der Name eines römerzeitlichen Dorfes in Phrygien mit dem Namen Montgomeri. So hat der ähnliche Klang von Brykes mit Phrygoi zur These der Wanderung der Phryger aus dem nordägäischen Raum geführt; vgl. von Bredow 1999. Vgl. z.B. die vielen Orte in Deutschland, welche den Namen ›Neustadt‹ führen.

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Bei Stammesnamen und Toponymen ist manchmal eine starke Tendenz zur Archaisierung zu bemerken: Namenformen, welche früher benutzt wurden, aber offiziell längst nicht mehr in Gebrauch waren, finden plötzlich wieder Verwendung. In dem hier untersuchten Zeit- und geographischen Raum findet man zwei verschiedene Arten von Archaisierungen. Die erste ist der sporadische Gebrauch von Toponymen aus der Bronzezeit, die immer noch Konnotationen mit ehemaligen bemerkenswerten Ereignissen besaßen und aus dem historischen Bewusstsein abrufbar waren.191 Hier ist eindeutig eine gewollte Anknüpfung an alte, ruhmvolle Zeiten zu vermuten, um frühere Ereignisse mit den jeweils aktuellen in eine ihre Wirkung steigernde Verbindung zu stellen. Ein zweiter Grund liegt in einer sozial oder politisch bedingten Ablehnung eines neu eingeführten Namens, weshalb der alte immer noch von der Bevölkerung in ihrer privaten Kommunikation verwendet wird. So kann ein anscheinend verschwundener Name doch noch als Bestandteil der lokalen ononymen Lexik verwendet worden sein und taucht keineswegs plötzlich aus dem Nichts wieder auf. Oftmals finden sich in den Quellen parallel existierende unterschiedliche Bezeichnungen für ein Objekt.192 In bi- oder multilingualen Gebieten tragen viele Orte und Länder verschiedensprachige Namen. Beispiele aus Syrien wären Til Barsip (aramäisch) – Masuwari (spätluwisch) – Kar Salmanassar (Umbenennung durch die Assyrer).193 Aus dem spezifischen Zeichencharakter der Eigennamen ergibt sich die besonders enge Beziehung zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem. Damit sind Namen mehr als alle anderen sprachlichen Elemente mit der Wirklichkeit und damit auch mit der Geschichte verbunden: Sie sind zum Zeitpunkt ihrer Entstehung in Zeit und Raum fixiert. Daher stellt ein Eigenname eine authentische, primäre historische Quelle dar, allerdings eine Quelle, die für ihre adäquate wissenschaftliche Benutzung immer besonders strenge methodologische Maßstäbe erfordert.194 Der onomastische Wortschatz einer Sprache enthält Eigennamen aus ganz verschiedenen Sprachen und Sprachschichten. Ihre Verbreitung sagt oft sehr viel mehr über die Kultur als über die Sprache in einem bestimmten Gebiet aus.195 Daher müssen sprachliche und onomastische Areale nicht zusammenfallen. Meisten überschneiden sie sich oder liegen sogar ganz auseinander. Diese Feststellung hat weit reichende Folgen, die besonders bei Personennamen beachtet werden müssen: Die sprachliche Herkunft eines Namens ist, wie schon erwähnt, kein sicherer ethnischer Indikator. Wenn ein Sohn des korinthischen Periandros Psammetichos heißt, signalisiert dieser Name keine ägyptische Herkunft. Das Eindringen fremder Namen in ein gegebenes onomastisches Areal ist immer ein Anzeichen spezifischer Prozesse in Kultur und/oder Politik. Das Vergeben eines Personennamens ist immer ein bewusster Akt und spiegelt das kulturelle und soziale Umfeld des zu benennende Kindes wider. Ein Name kann durch ein Patronym die Abstammung, durch die ononyme Semantik den sozialen Rang der Familie, das professionelle Umfeld und auch, wenn er eine theophore Komponente besitzt, die Verehrung einer bestimmten Gottheit zum Ausdruck bringen. Bündelt man die überlieferten Personennamen in einem bestimmten Areal synchron, erhält man einen kleinen Ausschnitt der jeweiligen Kultur- und Gei191 192 193 194 195

Z.B. Amurru oder den Namen Hanigalbat. Vgl. auf der Çineköy-Inschrift die verschiedenen Bezeichnungen für Danuna; vgl. Teil I 5.1. Bunnens 1995. Superanskaja 1977; Walter 1990. Vgl. z.B. die Verbreitung christlicher Namen wie Johannes, Maria usw.

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stesgeschichte und der Gesellschaft. Staffelt man dann solche synchronischen Befunde diachronisch, werden signifikante Veränderungen deutlich, wie sie aus anderen Quellenarten selten so eindeutig sichtbar werden. Da Personennamen so zahlreich und oft auch in Form von Listen überliefert sind, ist es möglich Namensareale auszumachen. Oft kann man bei genügendem ononymem Material ein Zentrum für die Verbreitung bestimmter Personennamen feststellen. Somit können die für ein Areal spezifischen Personennamen sowie ihre Streuung an ihrer Peripherie und darüber hinaus ausgemacht werden. Das Problem der Homophonie bei Personennamen tritt oft bei der Zuordnung eines dynastischen Namens auf, der sich innerhalb eines Könighauses mehrfach wiederholt. Die Beziehung eines Eigennamens aus der Mythologie auf eine historisch belegte Person gleichen Namens ist ohne Unterstützung weiterer Quellenangaben methodisch völlig unzulässig. Ein sehr eindrucksvolles Beispiel dafür ist der Name Muk(a)ša, phön. MPŠ, der mit dem griechischen Mopsos identifiziert wird.196 Wollte man diesen Personennamen aus der griechischen Mythologie auf die beiden Namen Muk(a)ša und Mopsos übertragen und einer historischen Person zuschreiben, müsste man zunächst viele grundlegende quellenkundliche und historische Fragen klären. Stattdessen wird eine kilikisch-griechische Geschichte vom 9. bis 6. Jh. um eine onomastische Hypothese konstruiert. Eine besondere Kategorie von Eigennamen stellen die Götternamen dar. Sie unterscheiden sich von den übrigen Namen dadurch, dass sie kein materielles Objekt bezeichnen, sondern eine Vorstellung, auch wenn diese materiell (anthropomorph) gedacht werden konnte. Daher nimmt der Göttername eine gewisse Zwitterstellung zwischen Eigennamen und Appellativen ein.197 Dieses Besondere kommt im Altertum deutlich in der ›Übersetzung‹ fremder Götternamen in die eigene Sprache zum Ausdruck.198 Dann spricht man meistens von einer Gleichsetzung fremder Gottheiten mit den eigenen. Dieser Ausdruck geht am Wesen dieser spezifischen Wiedergabe von Götternamen vorbei: Was im Bewusstsein der damaligen Menschen gleich war, konnte nicht gleichgesetzt werden. Durch Übersetzungen wollte man ein fremdes göttliches Wesen mit seinen Funktionen, die denen der eigenen entsprachen, verständlich machen.199 Der ononyme Charakter eines Götternamens wird durch die Zufügung eines Epithets deutlich, wodurch eine Gottheit individuell nach ihrem Kult definiert ist.200 Die Onomastik stellt also eine außerordentlich wichtige und ergiebige historische Quelle dar, die eigentlich viel häufiger genutzt werden sollte. Sie zeigt Brüche in der Geschichte eines Landes an, gibt Hinweise auf das kultische und kulturelle Leben, die in den literarischen Texten nicht thematisiert werden, lässt Einblicke in die Mentalgeschichte zu, kann die Herkunft eines Menschen anhand eines onomastischen Areals bestimmen usw. Die Beschäftigung mit den Eigennamen führt zudem oft zu neuen Fragestellungen, die Forschungen in 196 197 198 199

200

Vgl. Teil I 5.1. Vgl. von Bredow 1993. Z.B. Zeus, wenn aber der phöniksche Baʿal gemeint ist. Vgl. die ägyptischen Gottesbezeichnungen für die hethitischen Schwurgötter im Vertrag zwischen Ramses II. und Hattusili III. (Edel 1997, 70–73), oder auch in den Götterbezeichnungen der Inschrift von Karatepe (vgl. Teil I 5.1). Das geschieht im Normalfall durch die Zufügung eines Ortsnamens: ›Artemis von Brauron‹, ›die Herrin von Byblos‹ usw.

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bisher nicht beachtete Richtungen leiten können. Zu einer historischen Quelle wird ein Name allerdings nur, wenn er mit seiner Form und das mit dem von ihm Bezeichnete bekannt ist, d.h. wenn er seinen semantischen Auftrag erfüllt.

4. Lehnwörter als historische Quelle Als Lehnwörter werden Wörter oder Wortverbindungen bezeichnet, welche aus anderen Sprachen in die eigene Lexik oder Idiomatik aufgenommen und dann zu ihrem festen lexikalischen Bestandteil werden. Sie können in den folgenden Sprachperioden weiter tradiert oder wieder abgestoßen werden, wobei sich manche als eine Art Modeerscheinung nur über kurze Zeit halten. Zu sprachlichen Entlehnungen zählen außerdem die sogenannten Quasi-Übersetzungen, d.h. die eigensprachliche Wiedergabe eines spezifischen fremden Idioms.201 Rezeption fremder Lexik ist immer mit einem Kulturtransfer verbunden, wobei aber nicht jeder Kulturtransfer zur Aufnahme von Lehnwörtern führt. Die Bedingungen dafür sind: 1. Ein neues Kulturelement (Gegenstand, Technologie u.a.) wird bekannt, für welches die Empfängersprache keinen Begriff hat. Durch das Lehnwort ist also eine semantische Lücke zu füllen. Es kann dafür jedoch auch ein neuer Begriff aus der eigenen Sprache gebildet werden. 2. Die Empfängersprache besitzt zwar ein Lexem für eine bestimmte Realie, aber der Gebrauch des Fremdwortes ist aus verschiedenen Gründen in einigen Lebensbereichen besonders häufig. In diesem Fall kommt es oft zu einer semantischen Spezialisierung und damit zu einer Einschränkung beider Begriffe.202 3. Entlehnung findet oft in Verbindung mit der Rezeption fremder sozialer Praktiken statt. Solcher Art sind im Griechischen viele Fremdwörter, welche in der frühgriechischen Literatur belegt sind und mit den Handlungsfeldern der Kontaktträger im Osten verbunden werden können. Die Bestimmung eines Lexems als Lehnwort aus einer bestimmten Sprache ist sehr schwierig. Der traditionell ausgerichtete Teil der Gräzisten sieht kaum Semitisches und überhaupt nur wenig fremdes Sprachgut in der altgriechischen Lexik. Nicht aus dem Griechischen erklärbare Lexeme teilt man lieber einer altägäischen Sprache (bzw. Sprachen) zu. Dies ist insofern methodologisch fragwürdig, als dieses griechische Substrat völlig unbekannt ist.203 Andere Sprachwissenschaftler sehen dagegen eine relevante Anzahl von semitischen, ägyptischen und anatolischen Fremdwörtern.204 Die Herkunft eines Wortes bestimmten sie durch mehr oder weniger überzeugende Etymologien. Von der etymologischen Methode sind allerdings nur in wenigen Fällen sichere Ergebnisse zu erwarten: Ein Wort wird als 201 202 203

204

So z.B. der Ausdruck ›Sinn machen‹ von engl. ›to make sense‹. Vgl. bulg. med ›Kupfer‹, das als Bezeichnung des Metalls verwendet wird und das türkische Lehnwort bakır, mit dem der Rohstoff für Kupfergefäße bezeichnet wird. Vgl. die maßgeblichen etymologischen Wörterbücher von Chantraine 1933 und Frisk 1960– 1973. Das frühere Axiom, dass Wörter mit den Suffixen -ssos und -nth- altägäisch seien, hat sich als unhaltbar erwiesen, da beide Suffixe genügend deutlich auch in der griechischen Wortbildung existieren. Astour 1967; Burkert 1984; 2003.

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griechisch definiert, wenn es den griechischen Laut- und Wortbildungsgesetzen entspricht, genügend Ableitungen generiert hat und problemlos auf eine indoeuropäische Wurzel zurückzuführen ist. Im Letzteren liegt das eigentliche Problem, denn ein indoeuropäisches Lehnwort kann in der griechischen Lexik oftmals gar nicht klar als solches erkannt werden, da die anatolischen Sprachen ebenfalls indoeuropäische sind. Tatsächlich aber gibt es viele Appellative in der altgriechischen Lexik, deren Ursprung trotz möglicher indoeuropäischer Herkunft nicht eindeutig zu bestimmen ist. Die Bestimmung eines Wortes als Lehnwort ist daher in vielen Fällen in mehrere Richtungen offen. Es kann sich 1. um eine genetische Verwandtschaft zwischen zwei Sprachen handeln, 2. um eine Entlehnung aus der einen Sprache in eine andere, wobei die Richtung durchaus nicht immer eindeutig ist oder 3. man hat es mit einem zufälligen Zusammenfall von Phonemen zu tun. Mit rein formallinguistischen Mitteln ist ein solches Problem nicht zu lösen, es müssen weitere Kriterien dazukommen, wie z.B. die Verbreitung des gegebenen Wortstammes und Besonderheiten seiner formalen Entwicklung. Ein Lehnwort muss an erster Stelle eine semantische Entsprechung mit dem Fremdwort besitzen. Und schließlich ist nach dem kulturellen Grund für die Rezeption eines fremden Lexems zu fragen. Bei den spätluwischen Entlehnungen gehen die Forscher vom Hethitischen und Luwischen der Bronzezeit aus, zumal diese altanatolischen Sprachen am besten durch Schriftquellen bezeugt sind. Die Lexik des Spätluwischen ist dagegen wegen der Spezifik seiner Quellen weniger bekannt. Da das Alt- und Spätluwische eng miteinander verwandt sind, sind Vergleiche mit den Sprachen des 2. Jt. legitim. Zudem sind viele sprachliche Unterschiede zwischen dem bronzezeitlichen Hethitischen und Luwischen und Spätluwischen bekannt und können beim Vergleich berücksichtigt werden. Das phönikische Lexikon kennt man nur aus einer sehr begrenzten Anzahl von Inschriften. Die mit dem Phönikischen am nächsten verwandte Sprache ist das gut bekannte Althebräische. Daher ist es methodisch zulässig, unter Berücksichtigung der Unterschiede das Hebräische für solche Untersuchungen heranzuziehen. Ebenso ist es mit dem bronzezeitlichen Ugaritisch. Auf recht unsicherem Grund bewegt man sich allerdings, wenn man ein Lehnwort allein auf eine dreikonsonantische semitische Wurzel zurückführen will, die z.B. im Akkadischen oder im viel später belegten Arabischen existiert. Zur Feststellung ägyptischer Lehnwörter wird oftmals auch das Koptische berücksichtigt. Es ist zusätzlich auch zu bedenken, dass es viele ägyptische Lehnwörter in den westsemitischen Sprachen gab, und dass auch schon seit der Bronzezeit, und daher manches Ägyptische über phönikische Vermittlung ins Griechische eingedrungen sein kann. Wie hoch der Anteil westsemitischer, spätluwischer und ägyptischer Lehnwörter insgesamt in der Lexik des archaischen Griechenlands war, ist wegen der aufgezeigten Hürden nicht genau zu ermitteln. Tatsächlich müsste er recht hoch sein.205 Wegen der Schwierigkeiten der kulturlinguistischen Analysen gibt es bislang noch keine allgemein akzeptierte Liste von Lehnwörtern im Griechischen 205

Nach Mopurgo-Davies 1986, 105 enthält die griechische Lexik nur in ca. 40% indoeuropäisches Erbgut.

4. Lehnwörter als historische Quelle

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und es existiert immer noch keine methodisch klare, möglichst vollständige Zusammenfassung aller bisherigen Ergebnisse.206 Von größter Bedeutung für den Nachweis einer Entlehung ist die semantische Übereinstimmung des betreffenden Worts mit demjenigen der Ausgangssprache. Daraus läßt sich auch auf die Kontaktsituation schließen, bei der es zu einer Entlehnung gekommen sein könnte. Daher sind außersprachliche Kriterien von hoher Relevanz. Die semantischen Felder, in denen man Fremdwörter aus dem Orient und Ägypten findet, sind erwartungsgemäß begrenzt. Die umfangreichste Gruppe der westsemitischen Entlehnungen sind Realien aus dem täglichen Leben der griechischen Oberschicht. Sie umfassen eine ganze Reihe von Bezeichnungen für Gefäße, Kleidungsstücke und Aromata u.ä. und gehören damit größtenteils zu den Entlehnungen, bei denen ein Kulturgut zusammen mit seinem Namen übernommen wurde, wie z.B. κάνθαρος, ein Lexem mit sehr verschiedenartigen Bedeutungen: Käfer, Schmuckstück für Frauen, dickbauchiges Gefäß, ein bestimmtes naxisches Boot, Fisch.207 Die Gefäßbezeichnung stammt wahrscheinlich von sem. kandurû/kandarû, ›Gefäß mit langen Henkeln‹, das im Akkadischen belegt ist. Möglicherweise gab es dieses Wort auch in den westsemitischen Sprachen.208 Aus dem Gefäßnamen hat sich wahrscheinlich im Griechischen die Bezeichnung für eine bestimmte Bootsart entwickelt.209 Unerklärlich aber ist eine semantische Beziehung zu dem ›Käfer‹.210 Es handelt sich vielleicht um den in Ägypten heiligen Skarabäus, denn mit κάνθαρος bezeichnet Herodot ein besonderes Zeichen auf der Zunge des Apisstieres.211 Es scheint, als seien zwei verschiedene Lehnwörter lautlich zusammengefallen. Martin Bernal zufolge kommt es von ägypt. *k‫א‬ntr ›heiliger Geist‹.212 Κύππασσις ist die Bezeichnung von Kleidungsstücken, die im Griechischen ebenfalls Verschiedenes bezeichnen konnte. Bei Alkman ist es eine Art von kurzem Waffenrock,213 ähnlich im Akkadischen.214 Zu der Gruppe von Realien des Hauses und des Privaten gehören Wörter, die Lebensmittel und Gefäße für ihre Zubereitung bezeichnen. Auch das Wort für ›Nebenfrau‹, παλλακή, oder das Verb ἀγαπάω ›lieben‹215 sind hierhin zu stellen. Man findet außerdem eine Reihe von fremden technischen Ausdrücken, die sich auf den Hausbau beziehen. Darunter befinden sich solche für bestimmte Materialien216 oder auch Bauten bzw. Räume,217 für Werkzeuge, die aber auch in anderen technischen Bereichen 206 207 208 209 210 211 212 213 214 215 216 217

Das konnte auch die neuste Dissertation zu den semitischen Lehnwörtern nicht leisten (Gang Bai 2009). Vgl. LSJ s.v. Wahrscheinlich ist hebr. kaddūr ›Ball‹ damit verwandt. Szemerényi 1974, 148. Die älteste Quelle dafür ist Aisch. frg. 232. Hdt. 3,28. Bernal 2006, 254f. Alk. 15,6. Vgl. Gang Bai 2009, 68f. Gang Bai 2009, 23–28, 85–87; Bernal 2006, 207. Γυψός, akk. gassu ›Gips‹; τίτανος, zu hebr. tit, akk. tīdu, ›weisse Erde‹, wahrscheinlich auch Gips u.ä. Gang Bai 2009, 46, 101f. Σκηνή, vgl. hebr. miškān, akk. maškanu, ›Hütte, Zelt‹, vgl. Gang Bai 2009, 97f; μέγαρον, vgl. hebr. meʿārāh, ugar. mġrt, phön. mʿrt ›Saal‹. Dieses Lexem ist auch von klassischen Philologen als Fremdwort wahrgenommen worden (Frisk 1970 II s.v., 189; Chantraine 2009, 674); Bernal 2006, 427; Gang Bai 2009, 79–81, auch mit der Diskussion über die semantische Seite. Zu den be-

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zum Einsatz kommen,218 sowie auch Berufsgruppen.219 Auf Schiffahrt weisen Begriffe für Schiffsteile, besondere Schiffsarten,220 Winde,221 Fischernetze und Bezeichnungen für Fische hin.222 Viele der in den homerischen Epen verwendeten Begriffe für Schiffe besitzen keine griechische Etymologie. Bislang fehlen Untersuchungen darüber, was aber sicher eine lohnende Aufgabe wäre. Einen recht hohen Anteil an semitischen Lehnwörtern nehmen Lexeme ein, welche Maßeinheiten bezeichnen. Auch das semantische Feld des Militärischen ist recht gut vertreten, Lehnwörter für Teile von Rüstung,223 Waffen, Pferdegeschirr224 u.a. Hier wäre z.B. das Wort σκῦλα ›Kriegsbeute‹ zu nennen. Es korrespondiert mit hebr. šākōl < tkl u.a. semitischen Wörtern.225 Ein weiterer ergiebiger Bereich von Entlehnungen ist der Kult. Hier findet man mehrheitlich keine Begriffe für spezifisch westsemitische Kulthandlungen,226 sondern solche, die fest in den griechischen verankert waren wie βωμός, καθαρός oder μῶμος.227 Ein Beispiel dafür sind die frühgriechischen Bankettsäle, in denen eine Gemeinde das Opfermahl einnahm und die auch anderen Zwecken dienten. In Didyma gehören zu den wenigen Resten des ältesten Heiligtums Spuren einer aus Holz errichteten Halle südwestlich des Tempels, die ein solcher Raum gewesen sein könnte. Auf Samos wurde synchron mit der Anlage der Heiligen Straße auch eine 60m lange Halle südwestlich des Hekatompedon am Lauf des Baches erbaut. Solche Bankettsäle gab es offensichtlich in vielen anderen spätgeometrischen und archaischen Heiligtümern. Ihre griechische Bezeichnung im Altertum ist nicht sicher belegt. Möglicherweise trugen sie den Namen λέσχη, der schon bei Homer und Hesiod benutzt wird. Dieses Wort wird als ein westsemitisches Lehnwort gedeutet und mit dem hebr. liskah verbunden. In der Odyssee ist eine Lesche der Ort, an dem ein Fremder übernachten konnte. In der Szene im Palast des Odysseus, in der dieser als Bettler verkleidet am Rande eines Banketts der Freier Platz genommen hat, wird er von einer Dienerin beschimpft: »Unseliger Fremder, du bist wohl irgendeiner, der sich den Kopf gestoßen hat! / Willst du nicht besser in das bronzene Haus gehen oder irgendwohin in eine Lesche, um zu schlafen, anstatt hier mit den vielen Männern frech zu quatschen …?« Die Verbindung von dem ›bronzenen Haus‹ und der Lesche finden wir ebenfalls bei Hesiod: »Doch gehe am ehernen Sitz und an der warmen Lesche / im Winter vorbei …« mit der Aufforderung, die Zeit auch 217 218 219 220 221 222 223 224 225 226 227

kanntesten semitischen Fremdwörtern gehört πλίνθος ›luftgetrockneter Ziegel‹, vgl. hebr. lebēnā, ugar. ibnt, akk. libittu. Z.B. πέλεκυς, ἁξίνη, vgl. akk. aram. hassina, hassinnu, beides ›Axt‹; vgl. Gang Bai 2009, 28–30, 88f. Ἑρμενεύς ›Übersetzer‹, vgl. akk. targumannu, ugar. targmiānu. Zur Bildung und Lautentwicklung und Literatur vgl. Gang Bai 2009, 47f.; γέρδιος, vgl. hebr. gardi ›Weber‹, Gang Bai 2009, 42f. Zu λέμβος s.u.; vgl. außerdem z.B. εὐναί, vgl. phön. ’eben, akk. abnu ›Ankersteine‹; zur Verbindung mit der geläufigeren Verwendung ›Bett‹ vgl. Gang Bai 2009, 48; Kurt 1976, 174. Ζέφυρος ›Westen, Westwind‹, damit auch mit Ablaut ζόφος ›Westen, Dunkelheit‹, vgl. sem. tpn, vgl. West 1997, 159; Bernal 2006, 191. Σαγάνη ›großes Netz‹, vgl. akk. šikinnu, Szemerényi 1974, 149; Gang Bai 2009, 93f. Μάχαιρα ›Dolch, Schwert‹, vgl. hebr. mekērāh, vgl. West 1997, 41; Bernal 2006, 171 mit einer wohl überflüssig komplizierten Rekonstruktion der Entlehnung. Κημός, vgl. ugar. kam, akk. kamû ›Maulkorb für ein Pferd‹, Gang Bai 2009, 60f. Gang Bai 2009, 100f. Vgl. die klare westsemitische Entlehnung βαίτυλος oder die vielen Begriffe aus der Mantik. Zu βωμός: West 1997, 35f.; Bernal 2006, 426; Gang Bai 2009, 37–42; zu καθαρός: West 1997, 39; Gang Bai 2009, 50–53; zu μῶμος: West 1997, 41; Gang Bai 2009, 81f.

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in dieser Jahreszeit nicht zu vergeuden, und: »ungute Hoffnung bringt den Not leidenden Mann / zum Aufenthalt in der Lesche, dem der Lebensunterhalt nicht mehr genügt«. ›Bronzenes Haus/Sitz‹ und Lesche gehören also semantisch zusammen, sind aber nicht ein und dasselbe. Offensichtlich waren dies Stätten, in denen man zusammenkam und auch ein Fremder, der von keinem Gastfreund aufgenommen wurde, Unterkunft finden konnte. Die zitierten Verse der Odyssee scheinen außerdem zu implizieren, dass es mehrere Leschen gab. An eine soziale Einrichtung der frühen polis zu denken, wäre sicher verfehlt. Solche könnten nur im Kontext von Heiligtümern existiert haben. Für ebenso unwahrscheinlich halte ich die Übersetzung von χαλκίον mit ›Haus des Schmieds‹. Warum sollten Schmiede fremden Bettlern Unterkunft geben? Und warum sollten sich die Bürger bei ihm versammeln? Weder in schriftlichen noch archäologischen Quellen ist solch ein Versammlungsort bei Schmieden nachzuweisen. Gerade das Adjektiv ›bronzern‹ deutet eher auf den Bau in einem temenos hin, der Bronzebeschläge besessen haben mag und der die heilige Pflicht der Gastfreundschaft und Asylie übernommen hatte. Die berühmteste Lesche des archaischen Griechenland ist die der Knidier in Delphi aus der ersten Hälfte des 5. Jh. Pausanias und Plutarch berichten von zwei Leschen in Sparta,228 die sich bei den Heroa der Krotanoi und der Agiaden befanden. Der älteste inschriftliche Beleg für eine Lesche stammt aus Kamiros, Rhodos: »Ich bin die Lesche des Euthytidas, Sohn des Praxiodos, Enkel des Euphagos«. Datiert wird diese Inschrift in die Zeit zwischen 550 und 525(?). Hier handelt es sich ebenfalls um die Lesche einer aristokratischen Familie. Das hebr. liskah bedeutet Zimmer, Zelle, besonders von Zellen des Tempels, die zur Niederlegung von Geräten und Vorräten oder zum Aufenthalt für eine diensthabende Person dienten; Zimmer, wo eine Opfermahlzeit stattfand u.a. Im Buch Samuel werden Saul und seine Knechte von Samuel in einer liskah bewirtet (Sam 1). Sie lag auf einer Kulthöhe oberhalb der Stadt. Nach einer anderen Angabe befand sie sich beim Eingang des Tempelbereichs. Aus diesen und anderen Stellen des Alten Testaments ist erkennbar, dass sich eine liskah im Tempelbereich befand und einzelnen Familien gehörte. Das entspricht auch der Lage solcher Hallen in einem griechischen temenos. In denselben Bereich der Einrichtung gehört das Wort βωμός ›Altar‹, das mit dem im Alten Testament mehrmals benutzten bamah oder boma zusammenfällt. Diese und andere Wörter kennen wir nur aus dem Alten Testament. Am erstaunlichsten aber ist die lange Reihe von Abstracta, die zur Lebens- und Vorstellungswelt der Griechen gehören. Begriffe wie ›Dunkel, Finsternis‹,229 ›Welt, Ordnung‹,230 Zeitbezeichnungen,231 die Lexeme ›rein‹,232 228 229

230

231 232

Vgl. dazu Burkert 1993. Ἀχλύς vgl. akk. eklu; zu den semantischen Parallelen vgl. Gang Bai 2009, 33f.; ἔρεβος, vgl. hebr. ’éreb, akk. erebu, West 1997, 154 zieht auch ugar. ʿrb špš ›Das Eingehen der Sonne (in die Unterwelt)‹ hinzu; Bernal 2006, 171–173. Κόσμος, vgl. hebr. qāsam < sem. ›ordnen, teilen‹, Bernal 2006, 188, 338f.; Gang Bai 2009, 120– 123 zufolge stellt das Wort eine Lehnübersetzung dar und vergleicht es mit hebr. ʿādāh ›Schmuck, Versammlung‹. Λυκάβας, vgl. hebr. naqap, lukabant, ugar. nqp(n)t ›Jahr, oder ein kürzerer sich wiederholender Zeitabschnitt‹, Gang Bai 2009, 78f. Καθαρός ›kultisch rein‹ vgl. hebr. qātar u.ä. ›Rauch‹: Rauch war ein wichtiges Mittel der Purifikation. Bernal 2006, 254f. verbindet den Wortstamm mit κάνθαρος (s.o.), wobei beide aus einem ägyptischen Lexem stammen sollen.

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II. Die Betrachtung der Quellen als Medien ihrer Zeit

›deutlich‹,233 wahrscheinlich ›weise‹234 u.a. Eine besondere Unterteilung innerhalb dieser Gruppe sind Abstracta, welche sich vorwiegend auf eine aristokratische Lebenswelt beziehen: ›edel, heldenhaft‹,235 ›Ehre‹,236 ›Frevel‹237 u.a. Zu den sprachlichen Entlehnungen gehören die Lehnübersetzungen mit griechischen Wortstämmen. Dabei kann es sich um eine wörtliche Übersetzung handeln, in dem Sinn, dass jede Komponente eines fremden Wortes übertragen wurde, oder um eine sinngemäße Wiedergabe (Lehnschöpfung). Hier sind die Unsicherheiten noch größer, da oft schwer zu entscheiden ist, ob sich ein Begriff aus dem Griechischen heraus gebildet hat oder tatsächlich eine Übersetzung darstellt. Charakteristische Metaphern können sich in verschiedenen Sprachen auch unabhängig voneinander bilden.238 Nur bei ganz typischen Begriffsbildungen aus den fremden Kultur- und Sprachräumen kann eine Lehnübersetzung überhaupt in Betracht gezogen werden.239 Ein überzeugendes Beispiel dafür ist das Wort χαμαιλέων, das, seinen Bestandteilen nach übersetzt, ›Erdlöwe‹ bedeutet und eine Echsenart bezeichnet. Das Wort läßt sich durch eine Lehnübersetzung aus akk. nēš ša qaqqari, ›Löwe der Erde‹, erklären.240 Möglicherweise existierte das Wort auch in den westsemitischen Sprachen. Noch etwas weiter führen die aus dem Osten entlehnten Phraseologien. Ein gutes Beispiel dafür ist griech. χειρῶναξ=ἄναξ τῶν χειρῶν ›Herr der Hände‹=Handwerker. Diese Begriffsumschreibung stammt offensichtlich aus akk. bēl qāti, ebenfalls ›Herr der Hände‹.241 Viele Beispiele phraseologischer Übereinstimmungen zwischen dem Griechischen und Semitischen hat Martin L. West zusammengetragen.242 Die sprachliche Herkunft kann zwar in vielen Fällen definiert werden, doch damit steht der Ort der Entlehnung noch nicht fest. Auch die Zeit der Übernahme kann nur in recht großzügigen Grenzen anhand wirkender Lautgesetze und des historischen Hintergrundes bestimmt werden. Auf jeden Fall muss berücksichtigt werden, dass z.B. eine Entlehnung wie lembos ›leichtes Boot‹ mehr als ein einfaches Wort war: Daran hing auch das Wissen um seine Bauart, seine Nutzung und seine Herkunft. Besonders signifikant sind die grundlegenden Begriffe, welche in der Geisteskultur übernommen wurden. Hier gilt im Prinzip dasselbe wie beim oben erwähnten lembos: An einen entlehnten Begriff knüpften sich zahlreiche Vorstellungen und Konnotationen. Bei allen Unsicherheiten bei der Definition von Lehnwörtern ist jede Kontaktforschung ohne sie unvollständig. Sie zeigen uns vor allem die Lebensbereiche, in denen sie rezipiert wurden. Das ist ein Signal dafür, dass eben dort zahlreiche und intensive Kontakte stattgefunden haben müssen. Das gibt zudem oft einen Hinweis auf die möglichen Kontaktsitua233 234 235 236 237 238 239 240 241 242

Σαφής ›hell, klar‹ vgl. heth. šuppi- ›rein, hell‹, Szemerényi 1974, 154. Σοφός ›weise«, vgl. ägypt. sh‫› א‬lehren‹ u.ä., Bernal 2006, 262–264. Ἐσθλός ›tapfer, edel, wertvoll‹, vgl. heth. und spätluw. hastali ›Held‹, Szemerényi 1974, 152. Τιμή ›Wert, Wertschätzung, Preis‹, vgl. ägypt. tym‫א‬, kopt. tmaio ›gerechtfertigen, preisen‹, Bernal 2006, 243f. Ὕβρις ›Frevel, Misshandlung, Hochmut‹, vgl. heth. huppar, Szemerényi 1974, 154. Vgl. semantische Entwicklungen wie Junge > Sklave; Zunge > Sprache; vgl. Gang Bai 2009, 111– 113. Vgl. Fehling 1980, der bei den meisten semantischen griechisch-östlichen Entsprechungen Lehnübersetzungen vermutete, wurde von Oettinger 1981 zu Recht scharf kritisiert. Gang Bai 2009, 129. Gang Bai 2009, 130. West 1997, 220–251.

4. Lehnwörter als historische Quelle

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tionen und -bedingungen.243 Im Fall griechischer Lehnwörter aus dem Vorderen Orient und Ägypten zeichnen sich – bei allen Unsicherheiten – deutlich mehrere Bereiche ab: Der private, wohlhabende oikos, das Militärwesen, die Schifffahrt, das Handwerk, der Handel, Kult und Mythos sowie allgemeine Vorstellungen von der irdischen und göttlichen Welt sowie auch abstrakte Wissenschaften. Lehnwörter und -übersetzungen signalisieren außerdem noch einen wichtiges Faktum: den eines intensiven Sprachkontaktes. Gerade Abstracta und Begriffe aus Kult und Wissenschaft zeigen, wie tief gehend diese Kontakte gewesen sein müssen.

243

Vgl. dazu Teil IV.

Teil III

Kommunikation und Rezeption

1. Kontakttypen: verbale und nichtverbale Kommunikation Das Faktum, dass für jede Rezeption bestimmte Kontakte notwendig sind, ist fast schon zu banal, um es auch nur zu erwähnen. Davon, wer an welchem Ort und zu welchem Zeitpunkt, in welcher Situation mit wem in Kontakt kam und in einen Kommunikationsprozess eingebunden wurde, hing alles Weitere in einem möglicherweise folgenden Kulturtransfer ab. In der Literatur wird das Problem der Kulturträger oft übergangen oder pauschalisiert. Ausgehend von Methoden und Konzepten der Kunstgeschichte1 wurden und werden Transfers aus dem Osten nach Griechenland meist mit einer abstrakten Rezeption und Weiterentwicklung durch Integration in die eigenen griechischen Traditionen verbunden, wobei der immer vorhandene konkrete Kontakt selbst bedeutungslos wird. Eines der vielen Beispiele in dieser Richtung ist die Kategorisierung der orientalischen Motive in Anlehnung, Imitation und Kopie.2 Eine solche Betrachtungsweise, welche die an den Rezeptionsprozessen beteiligten Menschen übergeht, wird den jeweiligen Charakter des Transfers kaum adäquat beschreiben können. Die drei Gruppen von Objekten primärer Rezeption, Gegenstände, Soziotechnologie und Teile der geistigen Kultur, sind eng miteinander verknüpft. Gerade die Art ihrer Verbindungen ist von hoher Relevanz. Ein gutes Beispiel dafür liefert die Erzählung des Menelaos über seinen Ägyptenaufenthalt, aus der die Bereiche seiner Rezeption deutlich werden: kostbare Gegenstände und ihr Display in seinem oikos, Kenntnisse über Heilkräuter und ihre Anwendung sowie ägyptische Jenseitsvorstellungen, die Menelaos für sich persönlich übernommen hat.3 Der Umfang der orientalischen und ägyptischen ›Einflüsse‹4 im frühen Griechenland ist, was auch in dieser Hinsicht eher skeptische Wissenschaftler zugeben müssen, enorm und lässt sich so gut wie in jedem Kulturbereich – abhängig von der Quellenlage mehr oder weniger – ausfindig machen. Aber es ist nicht so sehr die Quantität solcher fremder Elemente, 1 2 3 4

Vgl. Teil II 1.3. Vgl. z.B. Stucky 1982. Hom. Od. 4,125–129; 4,227–232; 4,561–569. Der Begriff ›Einfluss‹ ist außerordentlich schwammig und wissenschaftlich eigentlich nicht brauchbar. Er signalisiert nur ganz oberflächlich einen wie auch immer gearteten Kulturtransfer. Vgl. dazu auch Gilan, 2004, 21: »… der Begriff ›Einfluss‹ ist … irreführend, weil er das Kulturelement selbst als Subjekt erfasst, welches seine Wirkung angeblich aus ›eigener Kraft‹ bewirkt«.

188

III. Kommunikation und Rezeption

als vielmehr die Qualität, welche bei der Untersuchung der Kontaktsituationen und -träger auffällt: Einige Rezeptionen gehen weit über eine anscheinend rein mechanische Übernahme von technologischen und ikonographischen Elementen hinaus, die problemlos in die eigene griechische Umwelt verpflanzt werden konnten, sondern beinhalten auch hoch abstrakte Vorstellungskomplexe und modellhafte soziale Ideen. Und schließlich führten diese Rezeptionen zu einem bewussten Einsatz dieser Kenntnissen in der griechischen Welt, wo sie nach den spezifisch griechischen Bedürfnissen und Möglichkeiten dieser Zeit selektiert und der damaligen Lebenswirklichkeit angepasst wurden,5 oft auch mit dem bewussten Ziel, diese Lebenswirklichkeit zum Besseren zu verändern. Die Frage, wie aus primären Kontakten Rezeption und Kulturtransfer werden konnten, ist nur sporadisch und anhand einzelner Beispiele6 oder auf Grund spärlicher Vermutungen versuchsweise beantwortet worden,7 nicht selten auch durch die Suche nach einem östlichen ›Archetypen‹ und nach dem ›ersten Ort‹ einer Ankunft in Griechenland, von dem aus sich seine Kommunikation nach der Vorstellung eines abstrakten Kulturdiffusionismus strahlenförmig ihren Weg in die griechische Kultur gebahnt haben soll. Das betrifft nicht nur einzelne ikonographische Motive, sondern auch komplexe Kulturleistungen wie Schrift, Architektur u.a. Barbara Patzek führt in ihrem Modell folgende Kontaktarten auf: Kulturberührung (Fernkontakt), Kulturkontakt (wechselseitige Beziehungen) und Kulturverflechtung, was zur Entstehung einer Mischkultur führe.8 Diese drei Stufen von Kulturkontakt übergehen aber ebenfalls die Kulturträger. Um zu einer allgemeinen Formulierung zu kommen, werden Gesellschaft und kulturhistorischer Hintergrund ausgeblendet. Ein viel versprechendes Modell, durch welches Kommunikationen beschrieben werden können, ist das der Netzwerke. Dieses wurde im Sonderforschungsprojekt 295 in Mainz für Kulturkontakte entwickelt.9 Es basiert teilweise auf den Thesen von Bruno Latour,10 die allerdings nicht kritiklos übernommen werden.11 Kulturkontakte werden als ein Netzwerksystem verstanden, dessen Basis aus drei Grundelementen besteht: 1. Die Kontaktmedien wie Artefakte, Texte und Sprachen.12 Weiterhin werden diese Kontaktmedien einzeln aufgelistet. Zu den Artefakten gehören danach auch Konzeptionen von Architektur und Siedlungen, audiovisuelle Medien und performance.13 5 6 7 8 9 10 11 12

13

Matthäus 1993, 165–186; Patzek 1996, 2f. Vgl. z.B. die wertvollen Beiträge von Meyer 1996, 243–254. Vgl. Osborne 1998, 240. Mit dieser Terminologie Patzek 1996, 5. Bisang 2004, 1–52. Latour 1991 u.a. Bisang 2004, 205f.; Schulz-Schaeffer 2004, 187–211. Bisang 2004, V. Allerdings sind die alten Sprachen nur über Texte greifbar, linguistische Daten müssen erst aus ihnen ermittelt werden. Daher ist die Konkretisierung »linguistische Daten gesprochener und schriftlich überlieferter Sprachen« für das Altertum nicht brauchbar. Gerade die mündlichen Kommunikationen auf allen Ebenen der Kontakte, wie z.B. innerhalb verschiedener Berufsgruppen oder zwischen den Verwaltungshierarchien sind nicht vorhanden. Die Zusammenstellung von Artefakt und Konzeption ist gerade für Probleme des Kulturkontakts etwas erstaunlich. Eine Konzeption steht hinter Artefakten, aber ihre Rezeption und ihre sozialen Praktiken sind ganz andere Vorgänge als bei Artefakten.

1. Kontakttypen

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2. Die Kontaktträger sind diesem Modell zufolge Individuen, Gruppen oder Institutionen.14 Dabei zeigen sich wieder die Schwierigkeiten, welche ein allgemeines Modell generiert: Mehrere Punkte sind für den Kulturkontakt im Altertum nicht relevant (z.B. Manager multinationaler Firmen), während andere wichtige Kontaktträger fehlen (z.B. Söldner, Piraten). 3. Ähnlich verhält es sich mit den ›Typen des Kontaktes‹, womit die jeweiligen Kontaktsituationen gemeint sind.15 In einem weiteren Punkt werden die Motive für Kontakte aufgelistet, in denen ökonomische, politische, religiöse und ideologische, persönlich/psychologische und ›unspezifische‹ Motive genannt sind.16 Tatsächlich wird diese Liste weiter nicht für das Netzwerksystem benutzt. Sie ist auch schwer einsetzbar, zumal sich bei einer Handlung meist mehrere Motive bündeln. Die Ausgangspunkte für die Arbeit mit diesem Modell sind Kultur und Sprache, also weitgehend rekonstruierte Einheiten. Detailuntersuchungen sollen die Kenntnisse über dieselben so erweitern und vertiefen, dass sie für die Kontaktforschung in den Bereichen Politik, Religion und Gesellschaft genutzt werden können. Dieses Modell eines Netzwerksystems könnte tragbar sein, wenn man es wirklich mit genügend Quellenbelegen oder zumindest Hinweisen aus ihnen füllen könnte. Kontaktmedien sind für das in unserer Arbeit gestellte Thema in großer Anzahl auszumachen, doch sie sind völlig unzureichend, um mit ihnen ein funktionierendes Netzwerksystem mit allen seinen relevanten Relationen zu rekonstruieren. Für andere Zeit- und Kulturräume, für welche die Quellenbasis ergiebiger ist, könnte sich dieses Modell aber durchaus als nützlich erweisen. Einzelne Mängel benennt der Autor selbst: Es kann keine kausalen Zusammenhänge zwischen einzelnen Netzwerkstrukturen und den Motiven, welche sie hervorbringen, darstellen.17 Zudem berücksichtigt es keine inhaltlichen Hintergründe, die mit dem Entstehen und dem Wandel von sozialen Netzwerkmustern interagieren.18 Auch dieses Modell gibt also statische Situationen wieder, nicht aber dynamische Prozesse, wie z.B. die der Akkulturation und Rezeption. Strukturalistische Ansätze verschleiern zusätzlich konkrete Sachverhalte. Wenn z.B. Sprache und Produktion auf ein und dieselbe semiotisch zu interpretierende Ebene gestellt werden,19 können wesentliche Aspekte der Rezeption gar nicht thematisiert und verstanden werden. Die Auflistung einer möglichst weit gefassten Palette von Akteuren, Medien und Situationen (nach Bisang Kontaktsituationen) führt zu Schlussfolgerungen, welche für das Altertum nicht gültig sind, weil vor allem Beobachtungen aus der Neuzeit verwendet werden. Beispiel dafür ist die Behauptung, dass Wandel über schwache Beziehungen im Netzwerk herbeigeführt wird20 oder dass Meinungsführer Innovationen aus den schwachen Beziehungen aufnehmen, um ihre Führungsposition zu behalten.21 Außerdem werden einige entscheidende Themen kultureller Interaktion in diesem Modell nicht angespro14 15 16 17 18 19 20 21

Bisang 2004, V, 5. Vgl. die Übersicht bei Gilan 1994, 10f. mit Literatur. Bisang 2004, 6. Bisang 2004, 8. Bisang 2004, 14. Bisang 2004, 19. Bisang 2004, 12. Bisang 2004, 13.

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III. Kommunikation und Rezeption

chen, wie z.B. die Intensität eines Kontaktes und dessen Voraussetzungen. Aber dies ist überhaupt die Crux bei angeblich universellen Modellen. Trotzdem fordert man sie immer wieder sogar als eine obligatorische Voraussetzung für die Beschäftigung mit diesem Thema ein.22 Bei unseren Untersuchungen wird daher von dem Versuch, ein Modell zu entwickeln, Abstand genommen. Es ist auf jeden Fall methodisch sicherer, historisch korrekter wie auch ökonomischer, von der jeweiligen geschichtlichen und kulturgeschichtlichen Situation der Zeit auszugehen, zumal diese durch die Quellen und die Resultate ihrer Untersuchung für den Vorderen Orient, Ägypten und das frühe Griechenland trotz aller existierenden Defizite durchaus greifbar ist.23 Stellt man zuerst rein theoretische Muster auf, um sie dann mit Quellenmaterial zu füllen und ›zu überprüfen‹, besteht die Gefahr, in dieses ohnehin nicht allzu reichhaltige Material Dinge hineinzuinterpretieren, weil das Modell es so verlangt. Kommunikation bedeutet im Wesentlichen die Verständigung zwischen zwei oder mehreren Seiten.24 Man tritt durch sie in eine Beziehung und lässt sich mit ihr ein. Insofern ist sie die Grundlage des sozialen Lebens überhaupt. Ein Kind wird nur durch den Austausch mit der Familie und ihr gesellschaftliches Umfeld sozialisiert. Die Kommunikation ist für einen Fremden in einer ihm unbekannten Kultur mit sozialen Praktiken, mit denen er nicht vertraut ist, das Schlüsselproblem. Im Mittelpunkt jeder Kommunikation stehen die Kontaktträger, von ihnen hängen Intensität und Qualität des Verständnisses und der Bewertung der jeweils fremden Kultur ab. Im Kontakt mit einem Fremden entsteht immer ein Spannungsfeld zwischen eigenem Traditionsbewusstsein und geistiger Flexibilität. Ob eine andere Kultur als ›Bedrohung‹ für die eigene Identität wahrgenommen wird oder als eine Chance, sich zu bereichern, hängt u.a. von der Art des Kontaktes und von dem Zusammenspiel verschiedener Kontaktstufen ab, aus dem dann ein ›Bild‹ entworfen wird, durch welches das Fremde auf den eigenen Horizont gerückt wird. Gleichzeitig ergibt sich die Möglichkeit, das Eigene im Spiegel des Fremden kritisch zu hinterfragen und zu bewerten. Die Frage nach einem Identitätsverlust während eines Rezeptionsprozesses ist erst von der modernen Wissenschaft in die Antike hineingetragen worden. Eine solche Problemstellung und ein solches Problembewusstsein sind aus dieser Epoche nicht belegt.25 Als Kontakttypen werden im Folgenden die wichtigsten Kommunikationsmittel bezeichnet. 1. Der verbale sowohl mündliche als auch schriftliche Kontakt, der entscheidende Faktor bei der Rezeption von Kulturgütern (im weitesten Sinne des Wortes) und 22 23 24 25

Vgl. Rollinger, Ulf 2004, 12. Vgl. Teil I. Lang 1983, 11; zum Begriff Kommunikation: 9–10. Dagegen wird die Angst, die Tradition im Sinne des ›väterlichen Erbes‹ zu verlieren, oftmals erkennbar. Diese ist aber nicht mit Identitätsverlust gleichzusetzen, da eine solche Angst meistens in Verbindung mit Krieg und Zerstörungen, vor allem von Heiligtümern, von Gräbern und überhaupt dem traditionsbeladenen Besitz zum Ausdruck kommt. Vgl. von Bredow 2006 zu kultischen Problemen der archaischen Kolonisation. Und auch hinter dem Bedenken, fremdes Kulturgut aufzunehmen, standen rein moralische Erwägungen, z.B. Cic. rep. 2,4. Eine singuläre, religionspolitisch bedingte Ausnahme machte nur das antike Judentum seit dem 7. Jh.

1. Kontakttypen

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2. der nichtverbale Kontakt, der auch ohne die Möglichkeit einer verbalen Kommunikation bei der Rezeption stattfindet oder diese begleitet. Beide Kontakttypen bestehen aus vielen Komponenten, welche Qualität und Richtung der Rezeption bestimmen. Zu den äußeren Kontaktbedingungen gehören die Dauer des Kontaktes, die bei Rezeptionsprozessen wesentlich, wenn auch nicht immer ausschlaggebend ist, die Zusammensetzung und Größe der mit den Fremden kommunizierenden Gruppen, die politische Dominanz, das kulturelle Niveau zwischen den Kommunikationspartnern und schließlich soziale Unterschiede.26 Weiterhin werden die Rezeptionsprozesse in ihrer verschiedenartigen Intensität in den Stufen Entlehnung, Adaption, Akkulturation und Assimilation betrachtet.27 Der Begriff ›Kontaktsituationen‹ bezeichnet die jeweiligen konkreten Umstände einer Kommunikation: Ort, Zeit, Anlass und Ziel des Kontaktes. Von ganz besonderer Bedeutung ist das jeweilige professionelle, soziale und kulturelle Umfeld. Die für unser Thema in Frage kommenden professionellen Bereiche von Kontaktsituationen werden im vierten Teil an Hand von Quellen besprochen und illustriert. 1.1 Verbale Kommunikation Der wichtigste Kontakttyp ist zweifellos der verbale,28 durch welchen Eindrücke und Bilder aus einer fremden Kultur in einem tieferen Zusammenhang verstanden werden können. Zudem können nur über verbale Kontakte persönliche Beziehungen geschaffen und dauerhaft unterhalten werden.29 Das Funktionieren einer fremden Gesellschaft, d.h. ihre sozialen Praktiken, ihr Wesen und kulturelle wie mentale Besonderheiten werden nur dann wirklich verständlich, wenn verbale kommunikative Interaktionen entstehen. Ich vermeide bewusst den geläufigen Begriff Sprachkontakt, da es sich bei dieser Betrachtung nicht um Kontakte der Sprachen, sondern um Kontakte verschiedenensprachiger Menschen miteinander handelt.30 So betrachtet ist ein persönlicher, verbaler Kontakt viel mehr als ein Sprachkontakt: Er schließt den ganzen komplexen Kontext der gegebenen Situation ein, welche die Ausrichtung und das soziale und kulturelle Niveau des Kontaktes bestimmen. Auch psychologische Aspekte sind dabei zu berücksichtigen. Für eine sprachliche Kommunikation ist entweder das Erlernen der fremden Sprache, das Zusammentreffen mit einem Fremden, der die Sprache des Reisenden versteht, oder der Gebrauch einer Verkehrsprache erforderlich. Unter den Bedingungen der hier betrachteten Zeit und Räume sind im Prinzip alle drei Verständigungsarten anwendbar. Außerdem bestand die Möglichkeit, sich eines Dolmetschers zu bedienen, denn es gab geschulte Fachkräfte wie auch Menschen, die sich zufällig 26 27 28 29

30

Teil III 2.2. Teil III 3. Darunter wird hier ausschließlich die mündliche verbale Kommunikation verstanden. Nach Bisang 2004, 5 ist die Sprache grundsätzlich an allen Kontakttypen beteiligt gewesen, was aber den nichtverbalen, der, wie unten zu zeigen sein wird, von großer Bedeutung für Kommunikationsprozesse ist, unzulässig ausschließt. Natürlich spricht man in der Linguistik von Sprachkontakten, aber im Sinne von Berührungen und Interferenzen von linguistischen Komponenten. Hier hingegen ist darunter eine bestimmte Situation zu verstehen, in der zwei oder mehr Sprachen durch ihre jeweiligen Träger innerhalb eines Soziums zur Kommunikation eingesetzt werden mussten.

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III. Kommunikation und Rezeption

für solche Dienste anboten.31 In diesem Fall ergibt sich eine vermittelte verbale Kommunikation, welche die Inhalte schon im Vorfeld modifizieren und dadurch Gang und Inhalt des Gespräches wesentlich beeinflussen kann. Wenn Menschen zu bestimmten Betätigungen gezielt ein fremdes Land anfahren, um sich dort längere Zeit aufzuhalten, entsteht eine Reihe von Sachzwängen zu verbaler Kommunikation. Bei einem langen Aufenthalt mit Aufgaben, die eine ständige Kommunikation mit dem fremden Umfeld erfordert, wird das Endstadium die freie Beherrschung der Fremdsprache sein. Es geschah oft, dass regelmäßig auftretende Sachzwänge wie z.B. bei Seefahrern anhaltende Flauten, oder die sehr langsame Abwicklung von Handelsgeschäften einen längeren Aufenthalt notwendig machten, auch wenn dieser gar nicht geplant war. Menelaos weilte acht Jahre in der Fremde,32 die meiste Zeit davon in Ägypten. In der Geschichte des ›Lügenkreters‹ blieb dieser sieben Jahre in Ägypten.33 Danach verbrachte er unfreiwillig noch ein Jahr in Phönikien.34 Das sind Zeitspannen, die ausreichen, um sich eine Sprache bis zu einem gewissen Grad anzueignen, wenn es die Gegebenheiten erfordern. Doch die Beherrschung einer Fremd- oder Verkehrssprache ist nicht in allen Kontaktsituationen notwendig: Oft mag es auch ausreichen, die Lexik nur in einigen Teilbereichen und Morphologie und Syntax nur unzureichend zu erlernen, um sich in der Fremde relativ frei zu bewegen und die wichtigsten Sätze verstehen und artikulieren zu können. Das beginnt mit den einfachen Gruß- und Höflichkeitsformeln und reicht bis hin zu einer thematischen Spezialisierung in einem alltäglichen oder professionellen Bereich. Es waren aber sicher nicht nur diese und ähnliche unumgängliche Sachzwänge, die zur Aneignung einer Fremdsprache in einem anderen Land führten, sondern auch der normale Wunsch eines Menschen nach Kommunikation, nach dem Aufbau menschlicher und gesellschaftlicher Beziehungen. Dieser Wunsch musste im Vorderen Orient um ein Vielfaches stärker sein, da es dort keine griechischen Niederlassungen gab und Griechen sehr isoliert waren. In einer Welt, in der persönlicher Umgang eine unvergleichbar höhere Bedeutung besaß als heute, war man ohne Sprache ganz abgesondert, ja verloren. Der Gedanke, dass der Einzelne sich und seine Ziele nur durch die Gemeinschaft und den Umgang mit anderen Standesgenossen realisieren konnte, ist eines der Hauptthemen der frühgriechischen Lyrik, war einer der bedeutsamsten Impulse für die Entwicklung der archaischen Kultur und gleichzeitig eine grundlegende politische Idee. Die Auswirkungen einer Mehrsprachigkeit zeigen sich in den Interferenzen, in der Einwirkung der einen auf die andere Sprache. Die Untersuchung solcher Interferenzen ergeben wichtige kulturhistorische Resultate: Sie zeigen die gesellschaftlichen Bereiche der Kommunikation und damit das sozio-kulturelle Umfeld dieser Sprachkontakte, d.h. sie geben deutliche Hinweise auf die primären Kontaktsituationen. In der griechischen Literatur sind Sprachbarrieren erstaunlich selten als Hindernisse bei verbalen Kontakten beschrieben worden. Das gilt schon für die Epen: Nicht nur Achaier und Trojaner sprechen ohne Probleme miteinander, sogar im äußersten Barbaricum ver31 32 33 34

Karer waren in Ägypten als Dolmetscher bekannt (Thuk. 8,85,2); Hdt. 2,154 zufolge lernten Ägypter von Karern die griechische Sprache. Hom. Od. 4,81–82. Hom. Od. 14,285. Hom. Od. 14,292.

1. Kontakttypen

193

stehen sich Odysseus und Einheimische, auch wenn in der Odyssee fremdsprachige Völker (ἀλλοθρόους ἀνθρώπους) genannt werden.35 Nur sehr selten findet man in der Literatur der klassischen Zeit Angaben über das Beherrschen von Fremdsprachen, und sogar Herodot erwähnt im 5. Jh. also in einer bereits ganz anderen Zeit, ausdrücklich nur wenige Situationen, in denen es sprachliche Schwierigkeiten in der Kommunikation gab.36 Man sah also in der Mehrsprachigkeit bzw. im Beherrschen von Fremdsprachen kein großes Problem, was wiederum darauf hinweist, dass Griechen im Ausland recht oft persönliche und verbale Kontakte hatten, welche das Erlernen einer Sprache erforderten und ermöglichten. Nicht zuletzt wird dies sowohl durch die Rezeption der Schrift wie auch durch die zahlreichen östlichen Lehnwörter im Griechischen bewiesen. Mehrsprachigkeit war in manchen von Griechen besiedelten Gebieten etwas Normales, und vielen Griechen mit Kontakten zum Ausland war sie wohl so selbstverständlich, dass sie nicht erwähnt werden musste. Andererseits war die Kenntnis von Fremdsprachen im frühen Griechenland kein Bildungsziel und -wert, wie es z.B. in Rom der Fall war: Sie wurden in der Ausbildung junger Männer nicht vermittelt. Es gibt in der frühen griechischen Literatur keine Würdigung eines Mannes, der viele Sprachen beherrscht, und nur selten und erst spät werden griechische Dolmetscher erwähnt.37 Die Gründe dafür sind in der Entwicklung der frühgriechischen Politik und Kultur zu suchen: Bis zu den Tyrannenregierungen war in den griechischen poleis keine Außenpolitik mit nichtgriechischen Ländern vorhanden. Als einen weiteren Grund für die Vernachlässigung von Fremdsprachen in der Erziehung von Jugendlichen ließe sich das Bildungsideal der archaischen Aristokraten anführen, das ganz auf die sozialen Bedürfnisse dieser elitären Schicht zugeschnitten war. Danach dürfte das Dolmetschen eher als eine handwerkliche Fähigkeit angesehen worden sein, die keinem aristokratischen Ideal entsprach. Beherrschung von Fremdsprachen war für eine Gruppe von mobilen Menschen lediglich eine technische Notwendigkeit, die nicht zum Kanon der zu vermittelnden Werte passte. Die Quellen aus dem Osten sind in dieser Hinsicht ergiebiger. Dolmetscher sind in Ägypten schon im Alten Reich belegt, und der Alte Orient war von Anfang an mehrsprachig,38 was seine Kultur und Wissenschaft prägte. Lexikalische Listen wurden schon im 3. Jt. angefertigt. Die assyrische Verwaltung war auf Mehrsprachigkeit ausgerichtet und beschäftigte eine Vielzahl von Dolmetschern und Schreibern für die verschiedenen Verkehrsund lokalen Sprachen innerhalb und außerhalb des Reichs. Aber auch die Administration der kleineren Staaten Syriens vor der assyrischen Eroberung war auf Mehrsprachigkeit ausgerichtet. Zum einen war die ethnolinguistische Situation dieser Länder in den meisten Fällen heterogen, aber vor allem war die Mehrsprachigkeit für die Ökonomie in Staaten, die vorwiegend von dem internationalen Handel profitierten, notwendig. Aus dem 8. Jh. datiert eine sehr interessante und sicher exemplarische Inschrift aus Karkemiš, die von Iariris, dem Vormund der noch unmündigen Prinzen, aufgestellt wurde.39 Darin rühmt sich der 35 36 37 38 39

Z.B. Hom. Od. 1,183; 3,302; 14,43; 15,453. Z.B. Hdt. 4,24; Zusammenstellung und Kommentar von Belegen für Mehrsprachigkeit: Franke 1992, 85–96. Auch anderssprachige Dolmetscher werden sehr selten erwähnt, vgl. Hdt. 4,24 über die sieben Dolmetscher, die ein Skythe benötigt, um bis zu den sagenhaften Arimaspoi zu kommen. Eine thematisch und zeitlich begrenzte Übersicht bietet Neu 1995, 11–40. CHLI 1, KARKAMIŠ A 6.

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III. Kommunikation und Rezeption

hohe Würdenträger, dass er zwölf Sprachen von Muttersprachlern erlernt habe und vier verschiedene Schriftsysteme beherrsche.40 Das beweist, dass Mehrsprachigkeit im Osten einen hohen Bildungswert besaß und dass sozial hoch stehende Leute wohl mindestens eine Fremdsprache, meist sicher aber mehr, beherrschten. Außerdem ist interessant, dass die Tatsache, dass er von Muttersprachlern gelernt habe, besonders hervorgehoben ist. Dies soll wohl die Perfektion seiner sprachlichen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Das Beispiel Ägypten wiederum zeigt, dass man, sobald Kontakte mit Griechen notwendig wurden, selbst Spezialisten für die Kommunikation mit ihnen ausbilden ließ. Nur durch die sehr gute Beherrschung einer Fremdsprache können komplexe geistige Zusammenhänge erkannt und verstanden werden, so z.B. der Aufbau eines Staatswesens und seine Ideologie, Verwaltung, Handel, Produktionsabläufe, Religion und Kult, Dichtung und Mythologie und das jeweilige Bildungswesen. Dabei geht es nicht so sehr um das Verstehen einzelner Elemente dieser sozial relevanten Lebensbereiche als um das Begreifen von Zusammenhängen. Der individuelle Intellekt und die geistige Unvoreingenommenheit jedes Einzelnen in den jeweiligen Kontaktsituationen spielen dabei ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle.41 In diesem Zusammenhang ist nochmals auf die allgemeine Bedeutung von Kommunikation für eine Sozialisierung hinzuweisen. Kommunikation ist weit mehr als reiner Informationsaustausch. Sie ist vor allem Aufbau und Bestätigung von sozialen Beziehungen, das öffentliche Anzeigen von sozialen Standards und auch Austausch von Meinungen. Wer mit einem anderen kommuniziert, muss sich auf das Verständnis des Partners einlassen und darauf eingehen, ungeachtet dessen, ob er einverstanden ist oder nicht. In den ersten Kontaktsituationen im Vorderen Orient standen den Griechen die Kommunikationsmittel ihrer Gesprächspartner nicht zur Verfügung. Diese Asymmetrie ist eine wichtige Besonderheit des Kontakts. Beide Kontaktseiten besaßen jeweils eigene spezifische Kommunikationserfahrungen, den Griechen waren ihre nur bedingt nützlich.42 Je mehr die Kommunikation aber fortschritt, desto mehr Erfahrung erwarb sich der Grieche in diesem Prozess. Dieser kann als fortdauerndes soziales Lernen beschrieben werden.43 In einer solchen fortlaufenden Interaktion eignet sich der ›unerfahrene‹ Gesprächspartner viel mehr an als konkrete Informationen: Er dringt vielmehr in eine neue kulturelle und soziale Welt ein. Um den Gegenüber verstehen zu können, muss der Sprechende dessen Rolle verstehen und adäquat auf sie reagieren. Ein Gespräch stellt einen ständigen beiderseitigen Reflexionsprozess dar. Bei einer ›asymmetrischen Kommunikation‹ geschieht diese Reflexion jedoch vornehmlich auf der Seite des ›Schwächeren‹, in unserem Beispiel des Griechen im Osten. Der einheimische (östliche) Kommunikationspartner dagegen braucht, will und kann wahrscheinlich gar nicht die kulturelle Spezifik des anderen begreifen, da sie nicht den Kontext und sicher nur selten den Gegenstand einer Kommunikation darstellte. 40 41 42 43

Übersetzung und Interpretation der Inschrift bei Starke 1997, 381–395. Unvoreingenommenheit und Flexibilität wurden als eine Tugend wahrgenommen, vgl. Hom. Od. 1,3–5. Vgl. Odysseus bei den Phaiaken. Lang 1983, 13.

1. Kontakttypen

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1.2 Nichtverbale Kommunikation Jede verbale Kommunikation wird von nichtverbaler begleitet. Man sieht sie im Allgemeinen als sekundär an, weil sie meist unbewusst eingesetzt und wahrgenommen wird.44 Die Kanäle, über die nichtverbale Kommunikation stattfindet, sprechen alle sinnlichen Wahrnehmungen des Menschen an: auditive, visuelle, taktile und olfaktorische.45 Ihre Botschaften sind standardisierte Konfigurationen, welche kulturspezifisch sind. Sie unterstützen die verbale Kommunikation und stellen gleichzeitig eine Art Metasprache dar, über die zusätzliche Informationen in den Kommunikationsakt einfließen. Sie können aber auch an die Stelle einer verbalen Kommunikation treten, was besonderes dann geschieht, wenn die Mittel der Sprache nicht oder unzureichend verfügbar sind oder bewusst vermieden werden. Die nichtverbale soziale Interaktion nimmt im Alltagsleben sogar einen sehr wichtigen Platz ein, ist aber ohne Kenntnis der Bedeutungen, die hinter bestimmten Gesten und Arten öffentlichen Auftritts stehen, zwar imitierbar, aber in vielen Fällen unverständlich oder auch, was noch schlimmer ist, missverständlich.46 Dazu gehören die einfachen Gesten des Grüßens, des Abschieds usw., Gebärden und Gesten, die Freude, Glück, Trauer, Wut usw. ausdrücken. Tatsächlich sind sie in vielen Kulturen oft ähnlich, aber in ihrer genauen Ausgestaltung und ihren Kombinationen ganz und gar kulturspezifisch. Allerdings lassen sich über Belege nichtverbaler Alltagskommunikation im Osten und im Westen nur wenige Rezeptionen ausmachen.47 Kommunikation durch öffentliches Auftreten war im Osten wie auch in Ägypten seit ältesten Zeiten das wichtigste Medium für die weltlichen und priesterlichen Eliten vor dem Volk. Dazu gehörten Kleidung, Schmuck, Haartracht bzw. -bedeckung, verschiedene Accessoires, Bewegungen, Gestik, Mimik und ein spezifisches Ambiente. Diese Auftritte, die Macht, Reichtum und Charisma vermitteln sollten, waren als Ganzes immer direkt beeindruckend. Es ist leicht aufzuzeigen, dass die frühgriechische Aristokratie viel von diesen repräsentativen Kommunikationsformen übernahm. Die ersten Kontakte zwischen Griechen und östlichen Kulturträgern in Syrien waren zwangsläufig nichtverbal. Während dieser Phase wurden die Griechen durch die visuelle Kommunikation mit der reichhaltige Bilderwelt und der Monumentalarchitektur der Hochkulturen konfrontiert und beeindruckt.48 Sie konnten im 10. und 9. Jh. die wuchtigen spätluwischen Tempel und Paläste mit ihren Orthostaten, Säulen und Rundskulpturen bewundern,49 im 8. und 7. Jh. überall die imposanten Stelen und Statuen der assyrischen Könige und die Residenzen der assyrischen Statthalter. In Ägypten sahen Griechen im 7. und 6. Jh. neben Tempel- und Grabbauten Götter- und Pharaonenbilder aus über zwei Jahrtausenden in manchmal exorbitanten Maßen. Der Eindruck dieser Artefakte auf Menschen, denen solche Medien noch ganz unbekannt waren, muss enorm gewesen sein. Der Anblick 44 45 46 47 48 49

Lang 1983, 15. Lang 1983, 15; hier sind der gustatorische (durch Geschmack) und der thermale (Körperwärme), die beide als Nebenwirkungen des taktilen angesehen werden können, nicht aufgeführt. Parson 1994. Gruber 1980. Vgl. Teil II 1.2. Vgl. z.B. Abu Assaf 1990.

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III. Kommunikation und Rezeption

von Metallen in den öffentlichen Räumen von Städten, an Fassaden, Toren, Wänden und Säulen im Osten haben zweifellos die Griechen ebenfalls zum Staunen gebracht. Östliche Artefakte aus Edelmetallen und kostbaren Steinen kannte man in Griechenland durch Importe. Bei nichtverbalen Kontakten blieb als Eindruck von ihnen manchmal nur das Material übrig – das aber bleibend. Die Beschaffung solcher Luxuswaren lockte viele Griechen ins Ausland, ein häufiges Thema in der Odyssee. Hatten die wertvollen Importe als materielle Werte ihre Wirkung gezeigt und entfaltet, so lernten griechische Seefahrer mit der Zeit auch die jeweiligen, ihnen immanenten sozialen Praktiken und Kontexte im Ausland kennen. Manche dieser Erfahrungen wurden in Griechenland schnell adaptiert. Die wertvollen Gegenstände gehörten zum Alltag eines homerischen Helden wie der vorderorientalischen Könige. Sie wurden Bestandteil ihres normalen Ambiente, sowohl in der Gestaltung der Räume50 als auch als Begleiter täglicher Tätigkeiten wie Essen, Trinken, Schlafen, Reisen usw. Neben der Reaktion auf die reine Stofflichkeit werden nur selten andere kommunikative Funktionen der kostbaren östlichen Gegenstände erwähnt. Die Darstellungen auf ihnen, figürliche oder ornamentale, spielten weder als Symbole noch als ästhetische Werte irgendeine Rolle.51 Die sozialen Praktiken gegenüber kostbaren Artefakten zeigen sich also sehr reduziert. Das bedeutet, dass sie entweder ohne ihre Relationen im Ausland rezipiert wurden oder dass rezipierte soziale Praktiken bei der Verbreitung solcher Gegenstände in Griechenland verlorengegangen waren.

2. Äußere Kontaktbedingungen: die Dominanz im interkulturellen Kontakt 2.1 Politische Dominanz Alle Kontaktsituationen der Griechen mit lokalen Machtfaktoren sind in der Odyssee durch die Dominanz der jeweiligen Einheimischen geprägt. Die Kontaktbedingungen variieren im Epos von einer staatlichen Macht, die sich in vielen Fällen als ungefährlich, ja sogar fördernd und hilfreich erweist, bis hin zur brutalen Gewalt des Stärkeren auf eine ›barbarische‹ Weise. Im Fall der Griechen, die zweifellos in kleineren Gruppen an die Küsten Syriens und Ägyptens fuhren, waren von vornherein die Bedingungen einer fremden politischen Dominanz gegeben. Sie fanden hier keine ›leeren Räume‹ vor, sondern jeder Landstrich unterstand jederzeit der Herrschaft und Verwaltung eines Staates. Das bedeutet, dass sie, was immer auch für legale Tätigkeiten sie ausübten oder ausüben wollten, eine staatliche Genehmigung für ihren Aufenthalt und ihre Aktivitäten im Ausland benötigten. Griechen konnten dort also nie in irgendeiner Weise eine politisch dominante Gruppe bilden wie zur selben Zeit z.B. in den pontischen Gebieten. Die Staaten des Vorderen Orients bedeuteten eine entscheidende Einschränkung einer ständigen griechischen Präsenz. Wie unter solchen Rahmenbedingungen eine griechische Ansiedlung erfolgen konnte, zeigt allein das Beispiel Naukratis im 7. Jh.52 Die Griechen hatten den ägyptischen Saïten bereits gute mili50 51 52

Vgl. z.B. die Beschreibung des Palastes des Menelaos: Hom. Od. 4,72–75; die Formeln gleichen denen bei der Beschreibung des Alkinoos-Palastes bei den Phaiaken. Die Beschreibungen der Bilder auf dem Schild des Achilleus (Hom. Il. 18,483–613 und Hes. scut.) haben eine andere, rein literarische Aufgabe und beschreiben ein hochwertiges, göttliches Artefakt. Vgl. dazu Teil I 2.

2. Äußere Kontaktbedingungen

197

tärische Dienste geleistet und waren nun auch in kommerziellen Funktionen von großem Nutzen. Daher waren die Pharaonen bestrebt, sie im Land zu halten. Zudem ermöglichte Naukratis der ägyptischen Verwaltung eine effiziente Kontrolle griechischer Handelstätigkeit. Ihre Ansiedlung erfolgte durch die Anweisung eines Pharao, nicht aber aus freier Entscheidung griechischer Immigranten. Ähnliche Bedingungen waren in den Beziehungen zwischen Syrern, Assyrern und Griechen vom 9. bis zum 7. Jh. nicht gegeben. Griechischer Handel spielte dort keine wichtige Rolle.53 Die syrischen Länder hatten auch unter assyrischer Herrschaft keine Vorteile von einer ständigen griechischen Präsenz. Weder vorderorientalische noch griechische Quellen liefern irgendwelche Hinweise auf staatliche Kooperationen. Eine politische Dominanz in den syrischen Ländern und ihren Häfen bedeutete darüber hinaus noch weitere Hindernisse und Einschränkungen für die Griechen: Nicht nur eine Niederlassung war wohl, wenn überhaupt, nur in seltenen Ausnahmefällen möglich, sondern auch die Nutzung der jeweiligen Infrastruktur, besonders von Häfen, Warenspeichern u.ä. war sicher mit erheblichen Kosten verbunden.54 Kamen Griechen legal in den Osten, befanden sie sich also immer in der Rolle von Bittstellern. 2.2 Kulturelle Dominanz Die Odyssee erzählt regelmäßig von den ersten persönlichen Kontaktsituationen bei der Ankunft in fremden Ländern und auf entfernten Inseln. Das zeigt die immense Bedeutung dieser Situationen für den weiteren Verlauf der jeweiligen Narration. Den Griechen waren Bedeutung und Gefahren des ersten Kontaktes sehr gut bewusst. Man kann aus der Odyssee einige relevante Typen von Kontaktbedingungen herauslesen, mit welchen die Griechen bei ihren Fahrten über das Meer konfrontiert waren. So schildert das Epos bei jeder Ankunft ausführlich das kulturelle Niveau der Ansprechpartner: Je niedriger dieses im Vergleich zu den epischen Griechen ist, desto gefährlicher gestaltet sich die Begegnung. Mit einem sehr niedrigen kulturellen Niveau sehen sich Odysseus und seine Gefährten z.B. bei den Kyklopen konfrontiert, die noch nicht einmal Landwirtschaft betreiben.55 Der Kyklops Polyphemos ist voll von sicher berechtigtem Misstrauen, als er die Fremden erblickt: Er kann in ihnen natürlich nur Räuber sehen, die sich an seinen Herden vergreifen wollen. Für Odysseus und seine Gefährten hingegen ist er ein primitives, kulturloses Ungetüm, abartig und abstoßend, auf dessen Gastfreundschaft sie aber in großer Not angewiesen sind,56 eine schlechte Ausgangslage zur Verständigung. Odysseus bleibt nur noch ein Abzug durch List. Damit sind ein Typ von kulturellen Kontaktbedingungen und gleichzeitig auch die Möglichkeit eines Umgangs mit ihm beschrieben. Der nächste Kontakttyp zeigt eine ganz andere Situation: Nicht nur die Begegnung mit den Einheimischen kann Gefahren bringen, sondern das Unglück entsteht aus fremden Gewohnheiten und Lebensweisen, die den Griechen nicht bekommen. So ist es z.B. im Land der Lotophagen, deren Nahrung ihnen Unglück bringt.57 Auch wenn das kulturelle Gefälle nicht relevant ist, kann unzureichendes Wissen über das fremde Land zum Abbruch des Kontaktes führen. 53 54 55 56 57

Vgl. Teil IV 1.2.1. Auch hierzu liefert Ägypten im 7. Jh. ein Beispiel, vgl. Teil I 2. Hom. Od. 9,107–108. Hom. Od. 9,252–255. Hom. Od. 9,91–102.

198

III. Kommunikation und Rezeption

Unglück kann sich aber auch aus der Ungeschicklichkeit der Griechen selbst ergeben. Manchmal verläuft eine Begegnung zunächst recht angenehm: Man wird empfangen, beköstigt und erhält ein Gastgeschenk, wie es sich gehört und wie es Odysseus und seine Gefährten erwarten. So ist es bei König Aiolos.58 Doch dann passiert das Missgeschick: Das wertvolle Gastgeschenk des Königs geht durch die Dummheit der Gefährten verloren. Als Odysseus zurückfährt, um es zum zweiten Mal zu erbitten, wird er auf sehr unhöfliche Weise davongejagt.59 Schon die Anrede des Aiolos zeigt, dass es ganz und gar nicht üblich war, einen gut versorgten Gastfreund so schnell wiederzusehen. Bei einigen Episoden der Odyssee ergeben sich Gefahr und Erfolglosigkeit des Kontakts also aus den allzu großen Unterschieden des kulturellen Niveaus. Wer kulturell überlegen ist, hat dem Epos zufolge immer Recht. Auch wenn die physische Stärke sich durchsetzen kann, siegt letztlich derjenige, dessen Kultur die höhere ist. Der Typ einer recht schwierigen, aber letztendlich geglückten Kontaktaufnahme ist im Epos auf der Insel der Phaiaken verortet. Die Schilderung des ersten Kontakts bei der Ankunft des Odysseus ist außerordentlich ausführlich dargestellt. In ihm kann der Held alle seine Fähigkeiten der Kommunikation zeigen und entfalten. Gleichzeitig gibt diese Geschichte den Zuhörern der archaischen Zeit ein musterhaftes Beispiel für die erfolgreiche Bewältigung einer Kontaktsituation zwischen zwei Seiten, deren Kultur nicht gleichwertig ist. In diesem Sinn wäre diese Situation mit den Kontakten zwischen Griechen und Orientalen oder Ägyptern vergleichbar. Daher lohnt es sich, diese Erzählung unter dem Gesichtspunkt der darin beschriebenen Kommunikation und ihrer spezifischen Probleme zu analysieren. Das Besondere beim Zusammentreffen mit den Phaiaken besteht darin, dass die erste Kontaktperson ein Mädchen ist, die Tochter des Königs, was Odysseus zu dem Zeitpunkt aber noch nicht weiß. Wie überall in den Epen wird das Problem der Sprachbarriere ignoriert: Man versteht sich selbstverständlich in der Sprache, die Odysseus wie auch die Zuhörer des Epos beherrschen und benutzen. Die Kommunikation gestaltet sich dennoch sehr schwierig: die Gestik und Körpersprache, die richtige Haltung gegenüber dem Mädchen und das Finden der richtigen Worte und Formeln. Es ist ein typischer Fall, in dem die Kenntnisse fremder sozialer Praktiken in einer prekären Situation unbekannt sind. Um richtig zu handeln, muss Odysseus auf seine griechischen zurückgreifen, denn andere sind nicht verfügbar. Doch er ist klug genug, um die eigenen Kontaktnormen in dieser Situation zu überdenken und nach Alternativen zu suchen. Das Dilemma besteht darin, dass er mit seinem Handeln als Akteur mögliche Bedeutungszuschreibungen einkalkulieren muss. Das erste Problem ist die Art der Ansprache: Er (als Grieche) würde und müsste als Schutzflehender die Knie des Mädchens ergreifen, um so seine Bitte vorzutragen. Doch Odysseus verwirft diese Konvention, da sie von dem Mädchen vielleicht nicht als schicklich aufgefasst werden könnte.60 Dass diese Gedanken des Helden vor der Anrede der Nausikaa so ausführlich dargelegt werden, liegt sicherlich daran, dass die Übergehung dieser sonst für die Griechen selbstverständlichen Geste erklärt werden musste. Vor allem aber zeigen diese Gedankengänge die Flexibilität des Odysseus, der in dieser besonderen Lage aus dem Repertoire der Gestik spezifische Verhaltensweisen wählt, welche ihm angemessen erschei58 59 60

Hom. Od. 10,1–21. Hom. Od. 10,63–75. Hom. Od. 6,141–149.

2. Äußere Kontaktbedingungen

199

nen. Er macht alle Anstrengungen, um den Ansprüchen einer Kommunikation auf hohem sozialen Niveau zu genügen. Das erreicht er durch das Herausstreichen seines adligen sozialen Standes, seiner Fähigkeit, sich in ausgefeilter Rede vorzustellen und durch seine vielfältigen Kenntnisse. Einen Angriff auf seinen sozialen und kulturellen Hintergrund wehrt er zornig und aggressiv ab.61 Die Geschichte des Odysseus bei den Phaiaken gehört zum verbalen, kurz dauernden Kontakttyp, in dem der Einheimische kulturell überlegen ist. Im Prinzip aber ist der Fremde zunächst immer der Unterlegene, schon weil er das wichtigste Kommunikationsmittel Sprache nicht oder nur unzulänglich beherrscht und die sozialen Praktiken nicht kennt, also in den Augen der lokalen Bevölkerung nur beschränkt handlungsfähig ist. Ob ein reales kulturelles Gefälle wahrgenommen wird, hängt zunächst vom äußeren Auftreten eines Fremden ab und davon, ob sein Verhalten von dem anderen richtig verstanden und bewertet werden kann. Im Gegensatz zu den politischen und sozialen Bedingungen wird das kulturell höhere oder niedrigere Niveau im interkulturellen Kontakt vorwiegend subjektiv wahrgenommen. Im Fall der Ost-West-Kontakte zwischen dem 10. und dem 6. Jh. waren sie in der ersten Kontaktphase (vom 10. bis etwa zur Mitte des 8. Jh.) von den großen kulturellen Unterschieden zwischen Orientalen und Griechen geprägt. In den Kontaktsituationen zwischen Griechen und Fremden im Vorderen Orient und in Ägypten wurden die Griechen in diesen Anfangsphasen zweifellos als unkultivierte Barbaren wahrgenommen und angesehen. Es machte einen gewaltigen Unterschied, ob der Kontakt im Raum einer altorientalischen Zivilisation oder auf griechischem Gebiet stattfand. Die Wirkungsmöglichkeiten eines Menschen im eigenen Land, im Rahmen der eigenen Kultur, sind ganz andere als in einem fremden. Gerade Vertreter einer überlegenen Kultur können diese nur in ihrem eigenen Umfeld überzeugend präsentieren. Dagegen sind sie im Ausland in ihrer Kommunikationsmöglichkeit in jeder Hinsicht begrenzt. Man kann allgemein feststellen, dass das Bild eines Ausländers und der zu ihm gehörigen Kultur auf fremdem Boden weitaus negativer ist als das, welches man in seinem Herkunftsland erhalten kann. Auch das hat vielleicht zu der doppelten Wertung, d.h. dem positiven und negativen Bild des Phönikers in der Odyssee geführt. Denn seine kulturelle Überlegenheit kann außerhalb seines kulturellen Umfelds leicht negativ gedeutet werden: als Luxussucht, Verweichlichung, Arroganz, Hinterlist usw. Das (in diesem Fall griechische) Umfeld wird sich daher schwer durch fremde, kulturell höher stehende Menschen von der Nützlichkeit und den Vorzügen der fremden Kultur überzeugen können und wollen, eben weil sie nur bruchstückhaft ins Auge fällt und weil jeder Sachzwang für eine Rezeption fehlt. Der Fremde wird sozusagen nur als ein Fragment seiner Kultur wahrgenommen, welche den damaligen Griechen mehrheitlich unbekannt war. Ein Tyrener machte in den Toren von Tyros daher einen ganz anderen Eindruck als an irgendeinem griechischen Strand. Seit Mitte des 8. Jh. näherten sich die Griechen den Bewohnern des Vorderen Orients und Ägyptens in ihrem kulturellen Niveau an, und das bestimmte in gewisser Weise auch eine Nivellierung der mentalen Unterschiede: Indem die Griechen immer stärker an den Beziehungen zwischen den östlichen Staaten und Ägypten teilnahmen und dabei die Unterschiede immer mehr ausgeglichen wurden, entwickelte sich über die Aneignung zahlrei61

Die verächtliche Vermutung, er sei nur irgendein Händer: Hom. Od. 8,159–185.

200

III. Kommunikation und Rezeption

cher sozialer Praktiken auch eine gewisse Angleichung der Mentalität.62 Gleichzeitig aber veränderte sich ebenfalls die Beurteilung des jeweils Anderen: Griechen wurden in den Augen der Orientalen immer mehr von primitiven Seefahrern zu akzeptierten Partnern. 2.3 Soziale Unterschiede zwischen den Kontaktpersonen Kulturelle Unterscheide sind engstens mit den sozialen verbunden, die in der Kommunikation den wichtigsten Faktor ausmachten. Die Phaiakenepisode in der Odyssee zeigt die große Bedeutung des möglichst gleichen sozialen Niveaus zwischen den Gesprächspartnern sehr anschaulich: Geschickt flicht Odysseus in die Rede an Nausikaa auch Empfehlungen seiner eigenen Person ein, indem er sich als einen frommen und viel gereisten Mann darstellt, als Führer von Männern, also als einen Aristokraten, der aber einen langen Leidensweg hinter sich hat.63 Das Motiv des Leids ist ein sehr wirkungsvolles Argument, um weibliches Mitgefühl und damit Zuwendung zu erhalten. Sein rednerisches Geschick, das seinen sozialen Stand als Aristokrat und seine entsprechende Bildung verrät, hat den erwünschten Erfolg: Nausikaa nimmt ihn als Schutzflehenden an, stellt sich als Königstochter vor und entwirft einen Plan, wie er zum Palast kommen kann. Alle diese Vorschläge befolgt Odysseus peinlich genau, und seine Patronin Athene hilft ihm dabei tatkräftig: Auf eigene Faust in einen fremden Palast zu gelangen, war wohl ohne göttlichen Beistand nicht zu schaffen. Am Tor des Palastes verlässt ihn Athene, nicht ohne ihm die Geschichte der Dynastie zu erzählen. Dies ist die wichtige und grundlegende Voraussetzung für die Kommunikation mit Königen und Aristokraten, wie es an unzähligen Stellen der homerischen Epen gezeigt wird. Unkenntnis in diesem Bereich wäre ein Anzeichen für die Zugehörigkeit zu einer niedrigen sozialen Schicht. Dann ist Odysseus allein im herrlichen Palast, bei dessen Anblick sein Herz höher schlägt.64 Dieses Staunen über die Pracht des Palastes ist ein Eingeständnis, kulturell niedriger zu stehen. Odysseus hat vor der Königin das erste Wort. Kurzgefasst ist seine Anrede, und sie sind genau auf ihr Ziel gerichtet: als Schutzflehender aufgenommen zu werden. Eine wichtige Botschaft birgt angesichts der phaiakischen Fremdenfeindlichkeit der letzte Satz seiner Rede: Nicht bleiben möchte er, sondern so bald wie möglich in seine Heimat zurückkehren.65 Er hat Erfolg, kommt ins Gespräch und wird schließlich als Gastfreund aufgenommen. Diese Geschichte zeigt deutlich, dass es keinesfalls leicht für Griechen war, einen einflussreichen Gastfreund im Ausland zu gewinnen. Wie in anderen Erzählungen innerhalb der Odyssee ist aber eine Gastfreundschaft das Erstrebenswerteste. Doch da es zahlreiche Hindernisse gab, ist sie wohl eine seltene Ausnahme gewesen. Und gerade die Nausikaa-Geschichte sollte uns warnen, einen Großteil der orientalischen Luxusgegenständen als xenia, als Gastgeschenke, zu werten, denn man erhielt sie nur in einem Kontakt auf gleichem oder zumindest annähernd gleichem sozialem und kulturellem Niveau. Die Schilderungen der Kontakte des Odysseus bei den Phaiaken macht vor allem deutlich, wie sehr der griechische Held mit allen Mitteln um die Anerkennung seines sozialen Status bemüht ist, also als gleichrangig angesehen zu wer62 63 64 65

Vgl. Teil V 2. Hom. Od. 6,161–167. Hom. Od. 7,83–97. Hom. Od. 7,151–153; diese Fremdenfeindlichkeit bekommt er sogar noch zu spüren, nachdem er als xenos von Alkinoos aufgenommen worden ist: Hom. Od. 8,142–164.

3. Rezeptionsstufen

201

den. Umso heftiger ist seine Reaktion, als er von den phaiakischen Adligen als »fremder Kaufmann« (πρηκτήρ) beschimpft wird.66 Die Einschätzung des jeweiligen sozialen Niveaus stand noch vor dem Beginn der eigentlichen Kommunikation und beeinflusste sie entscheidend. Soziale Unterschiede waren eng mit dem oben besprochenen kulturellen verbunden. Ein Ausländer, dessen Kultur man als niedrig ansah, wurde daher wohl trotz einer hohen Geburt nicht als gleichberechtigter Standesgenosse anerkannt. Wenn es ihm aber gelang, sich die entwickelte Kultur des Gastlandes anzueignen und wichtige Leistungen zu erbringen, so konnte er es im Gastland auch zu einer höheren sozialen Stellung bringen.67 Der soziale Status eines Griechen erhielt erst dann eine Bedeutung, wenn er, wie Odysseus bei den Phaiaken oder Menelaos bei dem Pharao, mit einer hohen sozialen Schicht im Ausland in Berührung kam. Vom fremden Land aus gesehen war der jeweilige Führer einer Gruppe evident, und dieser wurde zum Ansprechpartner, denn er stand sozial am höchsten und war daher als Kontaktperson qualifiziert. Es ist daher immer Odysseus allein oder manchmal auch mit ausgewählten Gefährten, die seine Sicherheit gewährleisten sollen, der die ersten Kontakte zu den jeweiligen Einheimischen aufnimmt. Gleichermaßen ist es auch bei den Fahrten des Menelaos und des ›Lügenkreters‹ beschrieben. Solche Kommunikationen waren immer persönlich und in irgendeiner Form verbal.

3. Rezeptionsstufen In der Kontakt- und Rezeptionsforschung muss die persönliche Rezeption im Mittelpunkt stehen. In jedem primären Kulturkontakt präsentieren sich die Kommunikationspartner, nicht aber die Kulturen selbst. Daher ist bei der Auswahl der kulturellen Leistungen, die von einem Individuum oder einer Gruppe übernommen werden, nicht von den Kultursystemen und eventuellen ›harten‹ und ›weichen‹ Teilen darin auszugehen,68 welche die jeweilige Gesellschaft als Ganzes prägen sollen, sondern von den oben dargestellten Kontaktbedingungen von Individuen. Für die Untersuchung von Rezeptionsprozessen sind die theoretischen Ansätze der Praxeologie von hoher Bedeutung und großem Nutzen. Einige in den letzten Jahrzehnten entwickelten Theorien der sozialen Praktiken haben den Begriff der Materialität und ihre Stellung im kulturellen und sozialen Leben einer Gesellschaft in den Mittelpunkt gerückt,69 wobei sie auf der Einheit von Materialität und der Impliziertheit des Wissens beruhen.70 Die Theorie der Materialität kann die Voraussetzungen, Eigenschaften und daraus folgenden Wirkungen einer Handlung nicht nur beschreiben und erklären, sondern sie oft auch vorhersagbar und rekonstruierbar machen. Bei der Interaktion zwischen zwei ›Körpern‹ entwickeln, existieren und wandeln sich soziokulturellen Praktiken. Sie lösen bei dem ›Ak66 67 68 69 70

Hom. Od. 8,159–185. Vgl. Teil IV 1.3. Vgl. Blum 2002, 9f. Einen kurzen Überblick darüber bieten Hörning, Reuter 2004, 9–15. Reckwitz 2012, 707: »Praktiken bezeichnen genau diese Doppelstruktur von Körperbewegungen/Artefaktarrangement und inkorporierten implizierten Wissensordnungen, welche erstere kulturell regulieren, ohne ihnen gegenüber vorgängig zu sein.«

202

III. Kommunikation und Rezeption

teur‹ Bedeutungs- und Sinnzuschreibungen aus und aktivieren im Handeln71 als Reaktion auf das ›Artefakt‹ kognitive Erkenntnisse und kulturspezifisches Wissen. In den sozialen Praktiken einer Gesellschaft drücken sich daher die kulturellen Ordnungen des Wissens aus. Im Handeln, d.h. im Prozess der Ausführung sozialer Praktiken kommen gleichzeitig Subjekteigenschaften zum Ausdruck. Ein ›Akteur‹ bestätigt daher im Handeln seine Zugehörigkeit zu einer Kultur, d.h. seine Identität. Der Begriff ›Artefakt‹ oder ›Körper‹ wird in der praxeologischen Theorie in einer unterschiedlichen Breite definiert. Hier soll er sehr weit gefasst verstanden werden und sowohl natürliche Dinglichkeit, eben Artefakte, virtuelle Körper (z.B. Gottheiten, Topographie des Jenseits) wie auch menschliche Körper einbeziehen, also alles, was eine reale oder fiktive Materialität aufweist und Reaktionen auslöst. Der materielle Wert und die Bedeutung eines ›Artefakts‹ gehen nicht aus ihm selbst hervor, sondern drücken sich in den Relationen zu anderen Körpern aus, die kulturell und sozial, in Raum und Zeit situiert sind. Dabei erscheint eine Räumlichkeit ebenfalls als eine kulturell gestaltete Materialität, die die sozialen Praktiken erst ermöglicht.72 Die Bedeutung eines ›Artefakts‹ muss innerhalb der gegebenen Gesellschaft erlernt werden, befindet sich gleichzeitig aber auch in einem unaufhörlichen Entwicklungsprozess. Die Materialität ist damit Träger eines kulturellen Grundwissens von Ideen, Vorstellungen und Lebensweise. Durch die sozialen Praktiken findet sich ein Mensch in seiner Umwelt zurecht, kann Situationen und Handlungsbedingungen begreifen, Umstände verstehen und Probleme bewältigen. Wie man sehr genau zwischen Materie und Materialität unterscheiden muss, so auch zwischen Pragmatik und Pragmatismus. Soziale Praktiken lösen natürlich auch praktische Probleme, doch ihre wesentlichen Eigenschaften liegen eben in der Pragmatik.73 Die Theorien der sozialkulturellen Praktiken beseitigen die scharfen Abgrenzungen zwischen materieller und geistiger Kultur, zwischen Wissen und Handeln, die in den strukturalistischen Modellen74 und auch noch im Netzwerkmodell zu finden sind. Sie stellen im Gegensatz dazu die Gesamtheit eines einheitlichen Prozesses dar, in dem die Aktanten in einem determinierten kulturellen und sozialen Raum ihre Identitäten erhalten und ausdrücken. Im Gegensatz zum Netzwerkmodell werden Prozesse und nicht statische Situationen beschrieben. Stellt man die Relationen zwischen Artefakt und Akteur oder zwischen zwei Akteuren in den Mittelpunkt der Betrachtung, lösen sich die Widersprüche auf. Denn das bedeutet, dass nicht etwa vorstrukturierte Ideen und Denkmuster das Wesen einer Kultur gestalten, sondern Erfahrungen des Handelns und des Sich-in-der-Welt-Zurechtfindens.75 Auf individueller Ebene formieren diese sozialen Praktiken das Bewusstsein eines Menschen. Es kann folglich kein richtiges, sinnvolles Handeln ohne das dafür notwendige Wissen geben. Zudem sind soziale Praktiken öffentlich und beobachtbar, auch an Hand von Quellen.76 Motivationen und Intentionen werden bei der Analyse der Materialität oft deutlich. Sogar 71 72 73

74 75 76

Vgl. zur ›Phase des Handelns‹ Hörning 2004, 31. Reckwitz 2012, 716. Hörning 2004, 27: »Praxis steht allgemein für jenes Handeln bzw. jenen gesellschaftlichen Prozess, mit bzw. in dem Menschen sich die Bedingungen ihrer historisch vorgefundenen Wirklichkeit aneignen und sie transformieren. Der Begriff der Praxis gehört zu den vorausssetzungsvollsten und aufgeladenen Begriffen der neueren Philosophie.« Zu einer ›Abrechnung‹ mit dem Strukturalismus, vgl. Foucault 1973, 283–301. Hörning 2004, 29. Hirschauer 2004, 73.

3. Rezeptionsstufen

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die Untersuchung von Texten durch eine praxeologische Methode ergibt neue Ansätze und Aspekte für ihr Verständnis.77 Daher bietet die Theorie der Materialität optimale Möglichkeiten zur Untersuchung von Rezeptionsprozessen. Es mutet daher seltsam an, dass dieses Gebiet von den Theoretikern sozialer Praktiken noch nicht behandelt wurde.78 Die Kontakte der griechischen Seefahrer lassen sich je nach Quellenlage genau oder zumindest wirklichkeitsnah beschreiben: Die Griechen trafen nicht auf eine abstrakt definierte, fremde Kultur, sondern auf eine Welt fremder Materialität, deren Wesen sie in den verschiedenen Rezeptionsstufen kennenlernten. Die Rezeption fremden Kulturguts gewinnt durch diesen theoretischen Ansatz ganz neue Aspekte. Ein Fremder, der sich in einer ihm unbekannten Umwelt befindet, ist ein Akteur, dem ein Wissen über ein Artefakt, das er kulturell nicht bestimmen und einordnen kann, und die damit verbundenen sozialen Praktiken fehlen. Ein Handlungsprozess kann überhaupt nicht oder nur fehlerhaft in Gang gesetzt werden. Der Unwissende kann von sich aus keine neuen sozialen Praktiken schaffen (es sei denn, man beschränkt sich auf eine simple Pragmatik), sondern muss die sozialen Praktiken so rezipieren, dass sein Handeln ›richtig‹ wird, d.h. dass er möglichst alle Relationen der Materialität begreift. Von einem anfänglichen Nichtwissen nähert er sich dem richtigen Handeln. Auf der ersten Stufe wird er imitativ agieren, d.h. ohne das Wissen über den Zusammenhang Artefakt – Akteur, der die Praxis aber erst generiert. Dieses imitative Handeln ist auf der Rezeptionsstufe ›Entlehnung‹ anzusetzen. Über diese Stufe kann ein Fremder nicht ohne die Hilfe von Trägern der fremden Kultur hinauskommen. Nur durch Kontakte und Kommunikationen verschiedenster Art werden Handlungen und ihre entsprechenden Sinnmuster deutlich. Der Fremde muss also die Reaktionen der Akteure und die Erfolge seines Handelns sowohl kognitiv nachvollziehen als auch den sozialen Usus erlernen und anwenden können. Gerade beim Anpassen an die Praxis gewinnt der Fremde eine Fülle neuer Eindrücke über Funktionen und Funktionalität einer fremden Kultur, von denen einige zunächst sicher quasi unreflektiert in seine Rezeption eingehen. Das entspricht der Rezeptionsstufe der Adaption: Die sozialen Praktiken werden in dieser Stufe in den alltäglichen und professionellen Umfeldern erlernt. Das führt allerdings noch nicht zum Verständnis der Wissensordnungen, in welche die sozialen Praktiken eingebettet und von denen sie Teile sind. Dass sich einige Rezeptionen nicht kausal erklären lassen, liegt nicht nur an ihrem defekten Charakter, sondern auch im Charakter der sozialen Praktiken selbst: Sie sind keinesfalls nur rein kognitiv erfassbar, sondern auch und vor allem sozial gesteuert. Druck und Motivation zur Aneignung sozialer Praktiken aber müssen sehr hoch angesetzt werden, weil oft menschliche Grundbedürfnisse auf dem Spiel standen. In konkreten Fällen wäre der Frage nachzugehen, ob und wie wesentlich die sozialen Praktiken in bestimmten Teilbereichen des Lebens für das Selbstverständnis eines Individuums waren, was für einen Stellenwert sie in den Grundlagen seiner Identität (sowohl der alten als auch einer möglichen neuen) einnahmen, welche Auswirkungen sie auf andere Teilbereiche haben konnten usw. 77 78

Zur Textanthropologie vgl. Hilgert 2010. Vgl. Reckwitz 2012, 599, Anm. 70: »… methodologische Anschlussprobleme …, wie der Kulturwissenschafler in der Lage sein kann, auch fremde Praktiken zu identifizieren, mithin Fremdverstehen zu vollziehen.«

204

III. Kommunikation und Rezeption

Die Rezeptionsstufe der Akkulturation, auf der nicht nur einzelne Felder der Materialität erfasst werden, sondern möglichst ihre Gesamtheit und damit auch die damit verbundenen Wissensordungen, ist nicht ohne eine lang währende und verbale Kommunikation mit Trägern der fremden Kultur denkbar. Durch gemeinsame Ziele, Handlungen und Handlungsverständnis entsteht während des Akkulturationsprozesses eine Identitätsveränderung, die sich u.a. in einem neuen Zugehörigkeitsgefühl ausdrücken musste. Bei diesen Prozessen gehen Verständnis und Beherrschung alter sozialer Praktiken, die im neuen Umfeld nicht resultativ einsetzbar sind, nicht verloren, werden aber deaktiviert, d.h. in einen für das Handeln irrelevanten Hintergrund verschoben. Alle Rezeptionen lassen sich als Lernprozess sozialer Praktiken beschreiben.79 3.1 Entlehnung Die primäre Entlehnung eines einzelnen fremden Kulturelements ist die niedrigste Stufe im Annäherungsprozess an eine fremde Kultur. Wir sprechen von Entlehnung, wenn ein Einzelelement aus dieser fremden Kultur aus seinem ursprünglichen Zusammenhang herausgenommen und in die eigene Kultur eingegliedert wird.80 In einer praxeologischen Sichtweise ist eine Entlehnung die imitative Erfassung eines Handlungsprozesses, bei der keine adäquate Bedeutungszuschreibung möglich ist. Das geschieht in den meisten Fällen dann, wenn der Kontext des entlehnten Elements nicht bekannt und/oder nicht verstanden wird und die sozialen Praktiken des Handelns aus Unwissen oder aus verschiedenen anderen Gründen (z.B. Sprachbarriere, Missverständnis, kulturelle Überforderung) nicht rezipiert werden können oder brauchen. Die Pragmatik entscheidet, ob etwas entlehnt wird oder nicht. Viele Entlehnungen sind bei einem kurzen Aufenthalt im Ausland oder zu Beginn eines weitergehenden Adaptionsprozesses anzusetzen. Sie beginnt damit, dass ein fremdes Kulturelement (z.B. Wort oder Gestus), das durch seine Relevanz, Häufigkeit oder eine gewisse Anziehungskraft aufgefallen ist, als ein kommunikatives Hilfsmittel in der fremden Umgebung eingesetzt wird. Auch in einer fremden Gruppe kann es übernommen und bald zu etwas Selbstverständlichem werden, das seinen Charakter der Fremdheit mit der Frequenz des Gebrauchs schnell verliert. Da dieser rein imitativ ist, d.h. ohne ein Verständnis des jeweiligen kulturellen und sozialen Kontextes, kann es verhältnismäßig leicht in den eigenen Kulturbereich, d.h. in die eigenen sozialen Praktiken eingegliedert werden. Als Einzelmotive wahrgenommene östliche Ornamente oder figürliche Darstellungen, die wir auf spätgeometrischen und früharchaischen Vasen, in der Skulptur- und Reliefkunst und in der Architektur finden, werden häufig als Entlehnungen bezeichnet. Allerdings sind solche isolierte Entlehnungen tatsächlich eher selten als sporadische und punktuelle Rezeptionen zu belegen. Das, was wir heute oft als Entlehnungen wahrnehmen, war ursprünglich in der primären Rezeption wohl mehrheitlich Teil eines größeren Komplexes, bei dessen Transfer und sekundärer Kommunikation in der griechischen Welt sozusagen nur noch ein Einzelstück oder Restteile übrigblieben. In diesem Fall ist das Einzelelement das Endprodukt eines komplexen Kulturtransfers und eines anschließenden selektiven sekundären Re79 80

Kokemohr 2007. Zu den Lehnwörtern vgl. Teil II 4.

3. Rezeptionsstufen

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zeptionsprozesses in Griechenland. Im Rahmen einer solchen Rezeption wurden dann z.B. als nützlich oder schön empfundene Gegenstände, Formgebungen oder Lexeme für den eigenen Lebensbereich übernommen, darin eingesetzt und dadurch vollständig entfremdet, indem man für sie neue soziale Praktiken nach eigenen Deutungsmustern schuf, die nichts mit den ursprünglichen zu tun hatten. Entlehnungen sind daher schwer als solche festzustellen. 3.2 Adaption Adaption entwickelt sich oft gleichzeitig in verschiedenen Lebensbereichen eines Individuums mit unterschiedlicher Qualität und Geschwindigkeit. Ein Mensch in einem Kulturkontakt kann sich z.B. im alltäglichen Leben auf der Stufe einer Adaption befinden, während in seinem professionellen Feld bereits eine Akkulturation begonnen hat. Die erste Voraussetzung dafür sind persönliche und sich fortschreitend verbal gestaltende Kontakte. Adaption wie auch Akkulturation sind über den Grad und den Umfang der Aneignung sozialer Praktiken in einer fremden Umwelt zu definieren und zu beschreiben. Ein Lernprozess wird dann als notwendig empfunden, wenn die eigenen Erfahrungen, Praktiken und Kenntnisse nicht mit den kulturellen Grundformen in der fremden Welt kompatibel sind und gewohnte alltägliche Interpretationen nicht greifen.81 Die Normierungen von Verhalten und Handeln müssen in Kontaktsituationen ständig überprüft und bewusst korrigiert werden. Dabei stellt sich ein vorläufiges, noch mit vielen Missverständnissen behaftetes Verständnis der fremden Kultur ein. Bei einer Adaption reagiert eine Person oder Gruppe nicht nur äußerlich auf eine fremde Umgebung, sondern stellt sich in einem beginnenden Integrierungsprozess zunehmend mental auf sie ein. Zunächst werden solche Normen und Praktiken adaptiert, die für den reibungslosen Ablauf der Kommunikation in den jeweiligen Kontaktsituationen erforderlich sind. In diesem Prozess erhalten die grundlegenden Unterschiede zur Kultur der Kontaktpartner deutliche Konturen. Das Vorwissen und Vorurteile werden ständig durch hinzukommende Erfahrungen revidiert. Die Erfahrung im fremden Milieu wird den Zugereisten lehren, seine Handlungen nach den situationsbedingten Erfordernissen zu planen und auszurichten. Der Vorgang bedeutet weitaus mehr als eine ›Nutzenmaximierung‹ nach rein pragmatischen Aspekten, und es ist noch weniger eine Frage freier Wahl.82 Denn die aus den fremden sozialen Praktiken generierten Handlungen hängen nicht allein vom individuellen Akteur, sondern in noch höherem Maße von den Artefakten ab, deren Materialität, wenn sie bekannt ist, die Praxis vorgibt. Ein Mensch wird in einem frühen Stadium der Adaption im Zweifelsfall immer noch geneigt sein, seinen Aktionen als Maßstab sein eigenes, traditionelles Wissenssystem und Handlungsweisen zu unterlegen. Als Persönlichkeit ist er noch ›der Alte‹, denn seine Identität, welche das Produkt situativer Faktoren der Vergangenheit ist,83 hat sich nicht geändert. Erst durch die Aneignung von grundlegenden sozialen Praktiken beginnt er die für ihn relevanten Relationen zu begreifen. Auf diese Weise bereichern und erweitern sich die Erfahrungen beständig, und gleichzeitig entwickelt sich die eigene Persönlichkeit. Eine richtige und erfolgreiche Adaption ist eines der wichtigsten Themen in der Odyssee. Sie 81 82 83

Kokemohr 2007, 13. Parson 1994, 73. Parson 1994, 59.

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III. Kommunikation und Rezeption

zeigt die lebensrettende Notwendigkeit und den Nutzen dieses Rezeptionsprozesses, gleichzeitig aber auch, dass die jeweiligen Persönlichkeiten und ihre Ziele dadurch keine wesentliche Veränderung erfahren. Die ersten Lebensbereiche, in denen eine Adaption einsetzt, sind außerhalb der Sicherstellung des alltäglichen Lebensnotwendigen solche Teilbereiche, in denen ein Fremder in einem professionellen Umfeld (z.B. als Seefahrer, Söldner, Händler usw.) in einer ständigen Kommunikation mit den Einheimischen tätig ist. Adaption bedeutet folglich eine Veränderung des kommunikativen Verhaltens in dem Maße, dass Botschaften im ihrem Wesen und allgemeinen Inhalten verstanden werden können und man gleichzeitig in der Lage ist, sich selbst verständlich zu machen. Auch die andere Kontaktseite macht einen Lernprozess durch: Die Eigenarten des Fremden werden deutlich, man stellt sich auf die Schwierigkeiten der Kommunikation ein (wie z.B. langsameres Sprechen, Vermeidung seltener Lexeme, Verzeihen von Fehlern in der verbalen wie auch nichtverbalen Kommunikation usw.). Der Fremde wird mit seinen kulturspezifischen kommunikativen Eigenschaften erkannt und bewertet. Ein Adaptionsprozess stellt sich zunächst als eine additive Anfügung fremder sozialer Praktiken an die eigenen dar, d.h. eigene Erfahrungen und Handlungsmuster werden zur Überbrückung von Wissenslücken eingesetzt. Auch wenn dies in einzelnen Fällen zu gewissen Erfolgen führen kann, ist ihre Unzulänglichkeit evident: Das Handeln kann als eine kulturelle Aktivität nicht konsequent und konsistent durchgeführt werden, und die unausweichliche Verletzung sozialer Normen führt nicht nur zu Ineffizienz, sondern möglicherweise auch zu einer Verschlechterung der Kommunikation mit den Einheimischen. Auch aus diesem Grund wird diese rein additive Anfügung an eigene Handlungsmuster in den Kontaktbereichen bald aufgegeben. Ganz allgemein ausgedrückt, stellt Adaption also die Einstellung und Anpassung eines Menschen an die Notwendigkeiten des Handelns und der Kommunikation in der Fremde dar. Sie kann zu einer Akkulturation weiterführen, wenn die dafür notwendigen Bedingungen und Notwendigkeiten gegeben sind. Kommt es nicht dazu, wird ein solcher Prozess meist durch die Abreise und Rückkehr zu einem bestimmten Zeitpunkt unterbrochen. Der Heimkehrer findet sich ohne Probleme in seinem Land und Kulturkreis wieder zurecht und muss sich nicht erst wieder einleben, da er seine kulturelle Identität nicht verändert hat. Aus der Zeit des Adaptionsprozesses bleibt dann vor allem eine Erweiterung der Erfahrungswelt übrig, denn er hat die sozialen Praktiken vorwiegend von der pragmatischen, aber nicht von der kommunikativen Seite kennengelernt und verstanden. Die fremden Wissensordnungen und Wertvorstellungen hat er nur oberflächlich wahrgenommen. Nach dem nostos war das Gelernte wohl nur noch selten von Nutzen und wurde deswegen relativ schnell abgelegt. 3.3 Akkulturation Auf die Phase der Adaption folgt bei andauerndem persönlichem und verbalem Kontakt die Stufe der Akkulturation. Während die Adaption eher eine pragmatische Gewöhnung als ein Verständnis für die Handlungsabläufe und die dahinter stehenden Vorstellungen und Wissenskomplexen ist, die zwar Lernprozesse anstößt, aber darüber hinaus keine Veränderung der Identität bewirkt, besitzt die Rezeption bei der Akkulturation eine neue Qualität, welche das Subjekt selbst und seine Beziehung zum Fremden in fast jeder Hinsicht verändert. Auf der anderen Seite des Kontaktes, d.h. im Gastland, wird der Fremde zunehmend als ein Dazugehöriger akzeptiert. Diese Phase ist von der Aneignung einer immer größeren

3. Rezeptionsstufen

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Zahl an sozialen Praktiken geprägt. Der Fremde bewegt sich bereits selbständig im fremden Milieu und erwirbt fortlaufend neue Kompetenzen des Handelns und Verstehens. Im Anfangsstadium wird das Individuum zu einer ›gespaltenen Person‹, da es in zwei verschiedenen Kulturwelten lebt und an beiden teilhat. Äußere Sachzwänge, objektive Schwierigkeiten, Umfang privater und öffentlicher Tätigkeiten, eine psychologisch begründete Vorliebe oder Abneigung usw. können beschleunigend oder hemmend wirken. Wenn der Fremde in einer ständigen und intensiven Kommunikation mit den Einheimischen steht, werden die neu angeeigneten sozialen Praktiken nicht nur immer wichtiger, sondern in den Wiederholungen immer verständlicher und bedeutsamer. Das führt zwangsläufig zur Aufgabe von Teilen der eigenen Kultur: Wenn die öffentlichen Tätigkeiten im fremden Umfeld den Hauptteil des Lebens ausmachen, wird die Akzeptanz der Praktiken und die Überzeugung ihrer sozialen Effizienz zum Motor des Akkulturationsprozesses. Der Akkulturationsprozess weist verschiedene Mechanismen auf. Einer von ihnen ist die Zweisprachigkeit. Ohne verbales Verständnis ist eine Akkulturation nicht möglich: Der Kontakt bleibt sonst auf der Stufe einer rein äußerlichen Entlehnung oder Teiladaption. Das möglichst perfekte Erlernen der jeweiligen fremden Sprache ist die Voraussetzung für eine möglichst reibungslose Kommunikation und damit für eine möglichst defektfreie Aneignung sozialer Praktiken. Der Bilinguismus führt zum Mechanismus des code-switching, bei dem je nach Bedarf die eine oder andere Sprache als Kommunikationsmittel eingesetzt werden kann. Die Möglichkeit eines code-switching, die sich nicht nur auf die Sprache beschränkt, sondern auch auf den Handlungsfeldern existiert, ist wohl der kennzeichnendste Zustand während einer Akkulturation. Der Fremde schlüpft bei bestimmten Handlungen und Situationen in die Rolle, die von ihm verlangt wird. Wie lange diese Anfangsphase der Akkulturation dauert, hängt von vielen Bedingungen und den konkreten Kontaktsituationen ab. Im weiteren Verlauf einer Akkulturation ist der Mechanismus des code-switching zwar immer noch vorhanden, wird aber seltener eingesetzt, weil das Primat der eigenen Kultur durch die fremde immer mehr zurückgedrängt und eingeschränkt wird. Zweisprachigkeit ist auch noch ein Merkmal für diese fortgeschrittene Stufe, doch die Lebensbereiche, in denen ausschließlich die Muttersprache benutzt wird, nehmen kontinuierlich ab. Sogar in Situationen, in denen die Muttersprache problemlos zur Kommunikation eingesetzt werden könnte, nämlich zwischen Landsleuten, werden zunächst einzelne Wörter und Wortgruppen durch Lehnwörter und ganze Lehnwortkomplexe ersetzt und schließlich, im Stadium der Assimilation, ganz aufgegeben. Das code-switching, das eine nicht geringe intellektuelle Energie erfordert, wird dann wegen des zu hohen Aufwandes, der sich für eine erfolgreiche Kommunikation nicht mehr lohnt, schließlich beendet. Im Prozess einer Akkulturation wird die Trennung zwischen Eigenem und Fremdem in zunehmendem Maße verwischt und schließlich aufgehoben. Die Rezeptionen ergeben sich aus den Notwendigkeiten, im persönlichen Kontakt mit den Fremden die notwendigen sozialen Praktiken richtig zu erlernen und auszuführen. Gleichzeitig bleiben noch Bereiche der primären Kultur, die außerhalb dieser Kontakte stehen, erhalten. Es gibt allerdings keinen allgemein gültigen Katalog über solche noch lange Zeit ›unantastbare‹ Felder. Man vermutet sie meistens im kultischen und im ethischen Bereich der Werte, doch Zweifel sind angebracht. Letztendlich werden die Prozesse der Akkulturation von den jeweiligen Bedingungen der Kontakte, Praktiken und Kommunikationen bestimmt und nicht von ›unan-

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III. Kommunikation und Rezeption

tastbaren Elementen‹, die man in unserem Thema nur innerhalb privater Beziehungen zwischen Landsleuten ausfindig machen könnte. Bleiben z.B. noch lange Zeit innerhalb einer Enklave familiäre Verhältnisse und Umgangsformen äußerlich intakt, so wird sich innerhalb der Ausdrucksformen dieser Beziehungen wenig ändern, auch wenn sie bereits durch eine fortgeschrittene Akkulturation neue Sinninhalte besitzen. Man könnte sagen, es bleiben traditionelle Äußerlichkeiten, ›Rituale‹, dort bestehen, wo sie in keinen Konflikt mit der fremden Umwelt geraten und zur Bewältigung von spezifischen Situationen als einfacher und ökonomischer angesehen werden. In einem Akkulturationsprozess ist das Individuum großen Veränderungen ausgesetzt. Er bewirkt eine Neuformierung des Wissens und des Verständnisses der Welt und des eigenen Bewusstseins. Die Akkulturation bedeutet letztendlich eine ›Identitätskrise‹, in der die entstandenen Spannungen und Widersprüche einen Menschen zu einem neuen Eigenverständnis zwingen. Am Ende dieses Prozesses, in der Rezeptionsstufe der Assimilation, steht dann der ›Identitätsverlust‹. Beide Begriffe, Identitätskrise und Identitätsverlust, sind modern und kommen in den Quellen des Altertums weder begrifflich noch inhaltlich vor. Ihre negative Konnotation mit ›Krise‹ und ›Verlust‹ führen jedoch zu einer falschen Bewertung. Im Laufe einer Akkulturation werden soziale Praktiken der eigenen Kultur und bis dahin selbstverständliche Handlungen wohl zum ersten Mal überhaupt bewusst wahrgenommen, hinterfragt und eventuell revidiert. Die Wissensstrukturen einer kulturell höher stehenden Gesellschaft erhalten gleichzeitig eine zunehmend positive Bewertung. Durch die Akkumulation der neuen, erfolgreichen Rezeptionen ›kippt‹ die Persönlichkeit schließlich. Man sollte diesen Prozess aber nicht negativ, sondern als erfolgreiche Sozialisation oder Integration bezeichnen. In einer solchen Integration steht nicht mehr nur die Aneignung bestimmter Fähigkeiten und Kenntnisse im Vordergrund wie bei der Adaption, sondern vor allem die Rezeption fremder Wertorientierungen und Wissensordnungen. Nur ein Akkulturationsprozess ermöglicht einem Ausländer, in der jeweiligen fremden Gesellschaft akzeptiert zu werden und vielleicht sogar bei entsprechenden Leistungen professionell und sozial aufzusteigen.84 Das gilt besonders bei Kontaktbedingungen, in welchen die fremde Kultur höher steht als die eigene. Hier wird eine Akkulturation in Abhängigkeit von den intellektuellen und psychologischen Fähigkeiten des jeweiligen Individuums schneller vor sich gehen als im umgekehrten Fall, nämlich im Umfeld einer weniger entwickelten Kultur. Akkulturation ist in jedem Fall und unabhängig von seinem Umfeld ein Bildungsprozess. Die Assimilation braucht nicht weiter definiert zu werden: Sie bedeutet die nahezu vollständige Aufgabe der eigenen Kulturmuster, was meistens nach einigen Generationen in einem fremden Umfeld mit reichen Kontaktmöglichkeiten erreicht ist. Assimilierte Menschen treten noch als Kontaktpersonen, d.h. als Vermittler in Erscheinung, solange sie sich ihrer ursprünglichen Herkunft noch bewusst sind.85 Die Akkulturation hat noch eine Seite, auch wenn diese innerhalb des zeitlichen und geographischen Rahmens unseres Themas geringere kulturhistorische Auswirkungen hatte, nämlich auf der Seite der dominanten Träger der jeweiligen fremden Kultur. Es ist unwahrscheinlich, dass ein langer, intensiver Kontakt bei ihnen keine Spuren hinterlassen hat. Denn ohne eine aktive Teilnahme beider Kontaktpartner ist die Akkulturation eines Frem84 85

Vgl. Teil IV 1.1 und 1.3. So z.B. die vielen Informanten Herodots bei seiner Ägyptenreise.

4. Besonderheiten der Rezeption geistiger Kultur

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den unmöglich.86 Zu Adaption oder gar Akkulturation aber konnte es auf dieser Seite wegen der oben dargestellten Kontaktbedingungen nicht kommen, zumal Zwang und Motivation dazu fehlten. Die wesentlichste Veränderung seitens der Einheimischen war eine Entwicklung der Beurteilung der Fremden: Von ›primitiven Barbaren‹ wurden sie durch ihre Sozialisation als fast oder sogar ganz gleichwertige Partner aufgenommen und akzeptiert. Gerade diese Anerkennung ermöglichte einen fortlaufenden Akkulturationsprozess von Fremden. Ihre Integration ermöglicht zudem einer dominanten Kultur Innovationen: Impulse von außen bewirken Veränderungen in eigenen kulturellen Bereichen. Dieser Prozess wird oftmals mit dem Begriff Synkretisierung oder Vermischung beschrieben und findet besonders in der Kunst- und Religionsgeschichte viel Beachtung.87 In Hinblick auf kulturelle ›Zusammenstöße‹, bei denen sich das Verständnis des einen oder beider Kommunikationspartner verändert, spricht man manchmal von ›Konfliktsituationen‹ oder ›Konfliktzonen‹. Doch auch hier sollte man besser wieder nicht von Begriffen mit negativen Konnotationen ausgehen: Kulturen geraten nicht ›in Konflikt‹, allenfalls ihre Träger. Überhaupt zeigen auch diese Begriffe eine gewisse Willkür, Beliebigkeit und unangemessen eingebrachte negative Vorstellungen.

4. Besonderheiten der Rezeption geistiger Kultur 4.1 Rezeption literarischer Formen und Inhalte Literatur im Sinn von Sprache, die sich in einer Aussage durch Stilmittel und eine besonders prägnante Ausdrucksweise deutlich von der Alltagssprache abhebt, ist sicher so alt wie Musik oder Tanz. Gegen Ende des 4. Jt. entstanden in Mesopotamien und Ägypten verschiedene Schriftsysteme, welche die schriftliche Fixierung der bisherigen mündlichen Überlieferung ermöglichten. Gleichzeitig bedingte sie neue Entwicklungen von Kunstsprachen. Die geschriebene Literatur machte aus dem einmaligen Akt des Schaffens in der Oral Poetry potentiell eine ewige Kommunikation mit den folgenden Generationen mit einem theoretisch uneingeschränkten Verbreitungsradius. Das musste Inhalte und Qualität der Sprachkunst grundlegend verändern.88 Durch ihre Kontakte mit dem Osten gelangten die Griechen im 1. Jt. zu diesem Übergang vom mündlichen Schaffen zur schriftlichen Fixierung, als sie von den Syrern die Schrift übernahmen. Der zeitliche Zusammenfall von Rezeption der Schrift und literarischen Motiven aus dem Vorderen Orient ist kein Zufall. Der enorme Einfluss östlicher Literaturen auf die griechische kann heute nicht mehr bestritten werden.89 Wenn wir uns hier ausschließlich mit der primären Rezeption orientalischer Literatur beschäftigen, darf der andere Aspekt der griechischen Verschriftlichung der eigenen, bis dahin mündlich tradierten Literatur, natürlich nicht ausgeblendet werden. Die Voraussetzung für eine primäre Rezeption fremder Literaturen durch einen Griechen der spätgeometrischen und früharchaischen Epochen ist in Akkulturationsprozessen zu suchen, die in kulturell und sozial hoch stehenden Kreisen erfolgten. Schrift ist dem 86 87 88 89

Vgl. Attoura 2002, 25, Anm. 24. Schollmeyer 2008, 212. Die Behauptung, die Verschriftlichung sei ein simpler Medienwechsel (Rollinger 2011, 37), greift zu kurz. West 1997; Attoura 2002.

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III. Kommunikation und Rezeption

Menschen nicht wie die Sprache in die Wiege gelegt. Ihre Notwendigkeit ist nur in verschriftlichten Gesellschaften offensichtlich. Schriftlose Völker kamen Jahrhunderte und Jahrtausende auch gut ohne sie aus. In den Oberschichten des Vorderen Orients und Ägyptens waren praktisch alle Lebensbereiche verschriftlicht. Wer dort in elitären Kreisen verkehrte, musste sich das Schreiben aneignen. Der Sachzwang dazu war außerordentlich. Ein Alphabethisierungsprozess war kein schneller, autodidaktischer Vorgang, da er sich nur vordergründig auf die Buchstaben und Zeichen bezog. Viel wichtiger waren das Lernen der Anwendungsfelder der Schrift und die damit verbundenen sozialen Praktiken. Griechische Analphabeten im Ausland können ohne Kenntnis der spezifischen sozialen Praktiken nicht ›zufällig‹ irgendwo ein Alphabet abgeschrieben, gelernt und für die eigene Sprache angewendet haben. Dafür gäbe es keine Parallele in der Geschichte der Schrift. Daher war nur unter der Anleitung eines Lehrers eine adäquate Alphabetisierung möglich. Lesen und Schreiben lernte man im Alten Orient und in Ägypten durch das Kopieren von Mustertexten, die aus der literarischen Tradition stammten und welche in Bibliotheken an den Schulen, aber auch in reichen Privathäusern zu finden waren. Ein Fremder besaß nach einem solchen Bildungsgang annähernd dieselben literarischen Kenntnisse wie ein gebildeter Orientale. Ihnen war die altorientalische Literatur in allen ihren Genres bekannt und vertraut. Die, wenn auch wenigen, Quellenbelege über solche Personen beweisen, dass solche Vermutungen keine reine Spekulation sind. Für einen regulären Unterricht können zusätzliche Argumente angeführt werden: Zusammen mit dem Alphabet in der westsemitischen Buchstabenfolge wurden auch die semitischen Buchstabennamen übernommen. Eine so langen Reihe von Wörtern kann nur jemand memorieren, der auch die Bedeutung dieser Namen kennt und deswegen in der Lage ist, sie sich leicht einzuprägen, also jemand, der die jeweilige westsemitische Sprache versteht. Anfänger schrieben auf Tafeln, auf deren Rahmen das Alphabet zur Erinnerung eingeritzt war. Auch diese Lernmethode rezipierten die Griechen, was einige griechische Abecedarien aus der archaischen Zeit beweisen.90 Besonders interessant ist das Elfenbeintäfelchen aus Marsigliana d’Albegna, das in einem etruskischen Grab gefunden wurde und auf dessen oberem Rahmen ein Alphabet aus der ersten Hälfte des 7. Jh. eingeritzt ist.91 Die Schreibung von rechts nach links lässt an eine semitische Vorlage denken. Diese Methoden der Alphabetisierung zeigen die verwendeten sozialen Praktiken in der Schulung. Leider wissen wir über die Bildungsstätten in Syrien und Ägypten aus der ersten Hälfte des 1. Jt. nur wenig. Wie in früheren Zeiten waren die Schulen immer noch bei den Tempeln und Residenzen verortet, doch wahrscheinlich schuf die steigende Nachfrage an schreibkundigen Spezialisten auch andere, wohl private Formen einer höheren Ausbildung. Denn es ist ganz offensichtlich, dass die Regierungen mit ihrer engmaschigen Administration, dem Kommerz, dem Militär und dem Kult überall einen großen Bedarf an Fachkräften hatten, die das Lesen und Schreiben beherrschten. Und das impliziert eine relativ große Anzahl von Schulen, in denen nicht nur die Söhne der höchsten Elite ausgebildet wurden. Die Form des Unterrichts, den wir für hoch stehende Fremde vermuten, nämlich Privatunterricht, muss seine eigenen Besonderheiten besessen haben: Er war sicher zielorientiert auf eine möglichst schnelle Alphabetisierung mit Hilfe von normalen literarischen Mustertexten und solchen, welche der Lernende für seine Position benötigte. Das sind na90 91

Lejeune 1983; Wachter 1989, 30f. Minto 1921.

4. Besonderheiten der Rezeption geistiger Kultur

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türlich nur Vermutungen, doch sie scheinen die plausibelsten unter allen anderen Möglichkeiten zu sein. Die grundlegenden Praktiken bei der Alphabetisierung bestanden also aus Abschreiben, Lesen und Memorieren von Texten. Nicht die Buchstaben, sondern Texte waren das Lernziel, dem alles andere unterworfen war. In den Schulen waren Lesen und Schreiben und damit die Kenntnis der kulturellen Traditionen Herrschaftswissen mit einem göttlichen Patron. Ein Schüler lernte vor allem die kulturellen Anwendungsbereiche der Schrift in der Gesellschaft. Die sozialen Praktiken der ›Speicherung‹ der Texte eignete sich ein Schüler durch Anleitung an: ihre Aufbewahrung zur Schonung des Materials wie auch zum leichten Auffinden eines Werks. Ein weiterer Hinweis darauf, dass einige griechische Kontaktträger im Osten eine gründliche Bildung in Schulen erhalten haben, geben die engen Parallelen zwischen den babylonischen und griechischen Kennzeichnungen literarischer Texte. Da die babylonischen literarischen Traditionen auch in den westsemitischen Ländern verbreitet waren, sind sicher auch viele mit Texten verbundene soziale Praktiken von dort übernommen worden. Carl Wendel hat einige von ihnen zusammengestellt:92 Danach entsprechen Inhalt und Platz des Titels auf einer Schriftrolle dem Kolophon auf einer Keilschrifttafel. Wahrscheinlich wurde diese Praxis von den Westsemiten auch auf die Rollen übertragen. Die Griechen kannten auch schon vor den alexandrinischen Philologen die Zählung der Textseiten, was sicher auch aus dem Osten kam.93 Und schließlich wurde der in früher Zeit gebräuchlichste Schriftträger übernommen, nämlich Rollen aus Tierhäuten, die wesentlich billiger und leichter zu beschaffen waren als Papyrosrollen. Das wird auch von Herodot angesprochen: »die Ionier nennen von alters her Bücher ›Häute‹ (δεφθέραι), da sie Ziegen- und Schafsleder dafür verwendeten.« Östliche und ägyptische Literatur konnte nicht nur durch geschriebene Texte bekannt gemacht werden, sondern auch durch mündlichen Vortrag und Wiedergabe. Ein exklusiver Raum für die sozialen Praktiken des Vortrags, Rezitierens, Zitierens und der Pflege der literarischen Traditionen sowie auch der Schaffung neuer Werke waren die Empfangssäle der Herrschenden und ihrer Oberschicht. Dadurch betätigten sich die Herrscher als Bewahrer des kulturellen Erbes und bestätigten sich als Bildungsträger. Sie bedienten also keinesfalls ein Privatvergnügen (auch wenn es in vielen Fällen sicher so gewesen ist), sondern trugen zur Erfüllung einer staatstragenden Pflicht bei. In diesem Umfeld war Bildung, d.h. die gründliche Kenntnis der literarischen Tradition, ein für jedes Mitglied der Klasse vorausgesetzter Wert. Diese Tradition wurde wahrscheinlich durch Rezitation und lyrischen Gesang fast alltäglich gepflegt. In einer geeigneten Kontaktsituation mit den Eliten war es für einen Fremden durchaus möglich, durch das Zuhören mündlicher Vorträge und Gesänge ganze Teile der dargebotenen Literatur kennenzulernen, vielleicht sogar zu memorieren und sie ebenfalls als etwas Alltägliches und Angenehmes zu begreifen. Doch ebenso wichtig war das Kennenlernen der damit verbundenen Praktiken. Dazu gehörten u.a. die Kenntnis der jeweiligen Situationen und Personen für ein bestimmtes literarisches Genre, die genaue Einrichtung des entsprechenden medialen Raumes, die Formen der Selbstpräsentation und Selbstreferenz, Möglichkeiten der Kommunikation durch Literatur und Bildung usw. Es gibt tatsächlich keine einzige überlieferte Übersetzung eines orientalischen Literaturwerks im Griechischen noch Hinweise darauf, dass solche je existiert hätten. Man muss allerdings 92 93

Wendel 1974, 202. Wendel 1974, 203.

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III. Kommunikation und Rezeption

immer unbedingt hinzufügen: soweit es uns bekannt ist. Aus der archaischen Literatur hat sich nur sehr wenig bis heute erhalten. Dazu kommt erschwerend, dass wir mit Ausnahme des Alten Testaments kaum etwas über die westsemitischen Literaturen wissen, und die spätluwische, die zweifellos existiert hatte, ist völlig unbekannt. Das scheint gegen eine Annahme zu sprechen, dass Griechen auch Schriften aus dem Osten nach Griechenland mitgenommen hätten. Andererseits gaben die frühgriechischen Autoren manchmal fast wörtlich orientalische Bilder, Motive und Formeln wieder, was beweist, dass der Einfluss der orientalischen Literatur auf das frühgriechische literarische Schaffen groß gewesen ist.94 In den medialen Räumen des Kultes wurden literarisch überarbeitete Mythen rezitiert, eventuell auch aufgeführt, Hymnen gesungen, Gebete vorgetragen usw. Ein Fremder konnte also auch diese literarischen Genres außerhalb einer Schulung durch Partizipation an Kulten zusammen mit den damit verbundenen sozialen Praktiken kennenlernen und rezipieren. Die wissenschaftliche Literatur war ebenfalls vorwiegend in den Oberschichten verankert, sowohl in den zivilen als auch in den priesterlichen. Schriften über Astronomie (und Astrologie), Medizin, Architektur und vermutlich auch andere Wissenschaften konnte man in den großen Palast- und Tempelbibliotheken wie auch in den Schulen finden. Schriftliches Material über Wissenschaften fand sich wahrscheinlich auch außerhalb dieser Kreise und Schulen, und zwar dort, wo sie für praktische Zwecke eingesetzt werden mussten. Werkstätten für Steinbearbeitung, Anbringung von Wandmalereien u.a. besaßen belegterweise zumindest in Ägypten fachbezogene Schriftrollen. Ähnliches war auch mit hoher Wahrscheinlichkeit in den übrigen Kulturländern des Ostens zu finden. Seit dem 6. Jh. eignete man sich im griechischen Raum, zuerst in Ionien, östliche Wissenschaften (Mathematik, Astronomie, Medizin usw.) vermutlich vorwiegend über Schriften an, die in den orientalischen und ägyptischen Schulen angefertigt worden waren. Auch hier muss eine primäre persönliche und verbale Kommunikation unter spezifischen Kontaktbedingungen vermutet werden. Doch die Motivationen für eine solche Rezeption sind vermutlich andere gewesen als bei der Rezeption von Kunstliteratur. Sie haben ihren ›Sitz im Leben‹ in der aristokratischen Gesellschaft der spätarchaischen Zeit, in der der ›Weise‹ eine besondere gesellschaftliche Anerkennung erhielt. Ein Grieche, der im Osten Lesen und Schreiben gelernt hat, hatte sich damit auch alle wichtigen literarischen Genres der altorientalischen Literatur angeeignet. Er kannte sich daher auch in der traditionsreichen westsemitischen Literatur aus, welche vieles aus der mesopotamischen aufgenommen hatte. Gleichzeitig erfuhr die griechische Sprachkunst mit der Einführung der Schrift ihrerseits eine bedeutende Zäsur: Aus einer Oral Poetry wurde – tautologisch ausgedrückt – geschriebene Literatur mit allen ihren Folgen. Sekundäre Rezeption fremder Literatur und Einführung des Alphabets in Griechenland geschahen also gleichzeitig und speisten sich aus einer Quelle. Bei der primären Rezeption von Literatur stand an erster Stelle ein Sachzwang, der sich aus der Notwendigkeit einer Alphabetisierung ergab. Aus den Kontaktbedingungen eines hoch gestellten Griechen entstanden wohl die ersten und wichtigsten Motivationen einer Aneignung zusammen mit den damit verbundenen Praktiken und Werten, nämlich Bildung und gute Kenntnisse der Literatur als ein obligatorisches soziales Kommunikationsmittel unter Gleichen und Gleichgesinnten anzusehen. Bildung war eine der Herrschertu94

Rollinger 1996.

4. Besonderheiten der Rezeption geistiger Kultur

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genden und gleichzeitig eine Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur Oberschicht. Dazu kommt im Lauf der Zeit die Gewöhnung an den Umgang mit ihr, der schließlich zu einer inneren, persönlichen Notwendigkeit wird. Diese Kontaktbedingungen und Motivationen grenzen den Kreis der möglichen griechischen Rezipienten, über welche ein Transfer nach Griechenland vonstatten gegangen sein könnte, stark ein: Die entscheidenden Transmissionen wurden zweifellos von Griechen in Gang gesetzt, die Zugang zu den hohen sozialen Klassen des Orients und Ägyptens besaßen, welche die Literatur in ihren spezifischen Räumen und Kommunikationszielen persönlich kennengelernt hatten, in ihr durch Spezialisten unterwiesen worden waren und ihre Inhalte, Formen und Praktiken rezipiert hatten. Das wird noch von der Tatsache bestätigt, dass die frühgriechische Literatur von den Eliten für ihren exklusiven aristokratischen Raum geschaffen wurde. Die Rezeption von Literatur brachte ihren Trägern nicht nur und nicht so sehr einen persönlichen Nutzen – man würde heute sagen: eine höhere Lebensqualität –, sondern vor allem einen sozialen Vorteil und ideologischen Vorsprung. Mit seinem neuen Bildungsstand und Bildungsbewusstsein hatte ein griechischer Adliger einen Vorteil im Wettbewerb mit seinen Standesgenossen, die nun versuchen mussten, mitzuziehen. Insgesamt erhielt der Adel ein neues, außerordentlich wirksames Kommunikationsmittel, das er fast ausschließlich innerhalb seiner Schicht benutzte. Literatur wurde zu einem der typischen aristokratischen Kennzeichen, das die Eliten von der Menge abhob. Aber auch diese Menge blieb nicht ganz von der Literatur ausgeschlossen: Kleine Formen wie Gedichte oder Narrationen, Motive für mythologische und folkloristische Erzählungen, die zweifellos in Griechenland immer existiert hatten, wurden nun mit orientalischen Kleinformen und ihren Motiven ergänzt. Zudem erhielten alle auch einen Eindruck der hohen archaischen Literatur in den offenen Kommunikationsräumen, d.h. bei den musischen Wettkämpfen. Einige Rezeptionen sind schwer zu datieren: Stammen sie aus der Bronzezeit oder wurden sie erst im 1. Jt. übernommen? Ein Beispiel dafür sind die Mythen, welche aus dem bronzezeitlichen Anatolien belegt sind. Einige Autoren datieren den Transfer dieses hethitisch-hurritischen Kulturgutes in die zweite Hälfte des 2. Jt.95 Man beruft sich auf relevante Übereinstimmungen mythologischer Sujets und Motive und auf Griechisch klingende Eigennamen auf hethitischen Keilschrifttafeln.96 Dazu kommen die vielen Hinweise in den homerischen Epen, den Werken Hesiods und anderen Genres frühgriechischer Literatur auf Vorbilder aus diesem Schrifttum: mythologische Narrationen, literarische Formeln, Rituale und religiöse Vorstellungen. Die geläufige Hypothese einer bronzezeitlichen Datierung des Transfers müsste also von einer doppelten Transmission ausgehen: einmal aus dem hethitischen Anatolien in das mykenische Griechenland und dann von einer Überlieferung aus der mykenischen Zeit über die submykenische und geometrische hinweg in die archaische. Für die erste wäre es notwendig, einen intensiven kulturellen Austausch zwischen Hethitern und Mykenern aufgrund von belegten Kontaktsituationen durch wirtschaftliche und/oder politische Beziehungen zu beweisen, welche einen Kulturaustausch und Transfer ermöglicht hätten.97 Nachweise über solchen Austausch sind jedoch nicht vorhanden. In den hethitischen Quellen sind keine Rahmenbedingungen erkennbar, die ei95 96 97

Z.B. Schuol 2002, 331–362. Vgl. vor allem Forrer 1924; dagegen Sommer 1934; 1937, 169–297. Vgl. Teil III 3.

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III. Kommunikation und Rezeption

nen solchen Kulturaustausch notwendig oder sogar nur möglich gemacht hätten. Auch von archäologischer Seite fehlen Signale mykenisch-hethitischer Kontakte. In Hattuša konnte kein mykenisches Material gefunden werden und umgekehrt kaum hethitisches im mykenischen Griechenland. Als mögliche Kontaktzonen sind nur die Hafenstädte auf Zypern, Ugarit in Nordsyrien und Ura an der kilikischen Küste zu ermitteln. Aber solche wohl nur sporadische Begegnungen und Beziehungen auf niedriger sozialer Ebene, zu welchen mykenische Griechen und Hethiter in diesen wirtschaftlichen Kontaktzonen sicherlich Möglichkeiten hatten, hätten keine Rezeptionen von Literatur und Glaubensvorstellungen bewirken können. Die hethitischen Rezeptionen sind also in das 1. Jt. zu setzen. Wir finden eine Reihe von Namen, die tatsächlich Aufschluss über die Herkunft eines Motivs geben können. So ist der Name des Steinungeheuers Typhon aus der Theogonie des Hesiod höchstwahrscheinlich mit dem Oronym Saphon identisch.98 Diese Namensform zeigt, dass es nicht luwisch sprechende Leute waren, welche zuerst diesen Namen vermittelten, sondern Westsemiten (Aramäer oder Phöniker). Erst der später belegte Bergname Kasios stammt von der hethitisch-luwischen Form Hazzi.99 Diese beiden Varianten sind wahrscheinlich Resultate verschiedener Kontaktsituationen und -bedingungen: Während Saphon über direkte Kontakte mit westsemitischen Bewohnern der Küste oder durch phönikische Seefahrer in die griechische onomastische Lexik kam, wurde der hethitisch-luwische Name entweder aus einer Kontaktsituation mit spätluwischen Eliten im Hinterland oder aus dem Kult der spätluwischen Bevölkerung vor Ort (das wäre vor allem in al-Mina gewesen) bekannt. Die meisten der vielen hethitisch-luwischen Personennamen im Griechischen stammen aus dem Hinterland der kleinasiatischen Küste, also aus Karien und Lykien. Aber das ist bei den Beziehungen der archaischen und klassischen poleis mit dem spätluwischen Hinterland auch nicht anders zu erwarten. Doch Südwestkleinasien kann aus historischen und kulturhistorischen Gründen nicht als eine für das 10. bis zum 8. Jh. bedeutende Kontaktzone angesehen werden. Enge Verbindungen zwischen griechischen poleis und einem anatolischen Staat mit hoher Kultur entstanden erst mit dem Lydischen Königreich. Doch die anatolischen Motive in der archaischen Literatur müssen älter gewesen sein. Dagegen lebte die altanatolische Kultur über die Bronzezeit hinaus in den Ländern weiter, in denen luwischsprachige Eliten die früheisenzeitlichen Staaten in Kleinasien und Nordsyrien gründeten. Religiöse bronzezeitliche Sujets sind an einigen spätluwischen Orthostaten deutlich erkennbar.100 Gottheiten und ihre Namen überlebten ebenso. Die Rezeptionen in der frühgriechischen Literatur und bildenden Kunst, die offensichtlich aus dem altanatolischen Kulturkreis stammen, können also nur in die geometrische Zeit datiert werden. So ist es mit dem hurritischen Kumarbi-Zyklus,101 der in Hesiods Theogonie eingeflossen ist und Bestandteil der griechischen Mythologie wurde.102 Auch der Mythos von Ullikummi ist schon früh mit dem griechischen Typhon verglichen worden, und die Parallelen sind offensichtlich.103 Aber auch viele andere Motive wie die aus dem Mythos über 98 99 100 101 102 103

Eißfeld 1932, 26f.; West 1997, 303f. Vgl. Teil I 5.3.2. Z.B. der Mythos vom Drachen Illujanka aus Malatya, Museum für anatolische Kulturen Ankara. Güterbock 1946. West 1997, 276–299. Güterbock 1951, 135–161; 1952, 8–42; Haas 1982.

4. Besonderheiten der Rezeption geistiger Kultur

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Telipinu und Illujanka sind in der frühgriechischen Literatur anzutreffen. Einige Orte, an denen diese Geschichten spielen, weisen auf den südanatolisch-nordsyrischen Raum, d.h. auf die Orte, in denen im 1. Jt. die spätluwischen Mythenzyklen angesiedelt worden waren.104 Neben literarisch-mythologischen Themen und Motiven wurden auch Elemente des spätluwischen Kultwesens von den Griechen übernommen. An erster Stelle wäre hier die Kremation im Totenritual zu nennen, die in Griechenland zuerst in Attika und auf Euboia auftritt. Auch andere kultische Entlehnungen hat man aus dem spätluwischen Milieu erschlossen.105 Möglicherweise sind auch verschiedene Charakteristiken des griechischen Heroenglaubens spätluwischer Herkunft. Die Transmission spätluwischen Kulturgutes nach Griechenland, die vom 10. bis zum 8. Jh. erfolgte, setzte die Fundamente, auf die sich die späteren Rezeptionen aus anderen altorientalischen Ländern wie auch aus Ägypten legten. Die frühsten Genres griechischer Literatur, nämlich das Epos, die Weisheitsliteratur, und verschiedene Formen der Lyrik sind allesamt auch im Vorderen Orient und in Ägypten vertreten. Nach den kulturspezifischen Themen, Motiven und der dichterischen Sprache zu schließen, existierten in der griechischen Oral Poetry bereits vor der Rezeption der Schrift epische und lyrische Formen. Ein Grundverständnis für literarisches Schaffen, inhaltliche Themen und spezifische mediale Räume waren in Griechenland also bereits vorhanden. Aber im Prozess der Verschriftlichung dieser Traditionen, der durch die östlichen Kontakte überhaupt erst ermöglicht worden war, wurden zweifellos orientalische Kunstmittel, Formeln und Motive aufgenommen. Allein durch die Schrift und die Möglichkeiten, welche sie kreativen Prozessen bot, erhielt die archaische Literatur ihre Gestalt und Qualität. Zwar lassen sich auch neue Inhalte ausmachen, die offensichtlich aus dem Vorderen Orient oder aus Ägypten kamen, doch die Hauptthemen dieser Literatur waren rein griechische. Erst im 6. Jh. kamen als weitere literarische Formen wissenschaftliche Prosatexte aus dem Osten hinzu, für welche höchstwahrscheinlich keine eigenen griechischen Vorformen existiert hatten. Epik, Lyrik und Hymnus waren die beherrschenden, klassenorientierten Literaturformen des archaischen Griechenland. Erst mit der gesellschaftlichen Entwicklung zu einer Demokratisierung verloren diese Genres ihre schöpferische Kraft, und an ihre Stelle trat vor allem das Drama, das für den ganzen demos geschrieben und aufgeführt wurde. 4.2 Rezeption von Glaubensinhalten und Kulten Über den Transfer von Religionen, Göttern und Kulten im Altertum existiert eine unüberschaubare Literatur, die bereits in der Antike einsetzte und in der sich die moderne Historiographie seit dem 18. Jh. ununterbrochen mit dem Thema auseinandersetzt. Darin findet man seit der Antike die Idee, dass Gottheiten aus einem Kulturbereich in einen anderen ›gewandert‹ seien. Danach stammt z.B. Apollon aus Kleinasien, Dionysos aus Thrakien usw. Solche Thesen stützen sich auf Behauptungen aus der antiken mythographischen und chorographischen Literatur sowie auf die eigenen Schlussfolgerungen eines heutigen Histo104 105

Erst spätere Entlehnungen luwischen Kulturgutes stammen aus dem anatolischen Bereich; vgl. Haas 1982, 184–207. Steiner 1971, 265–283.

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III. Kommunikation und Rezeption

riographen, zu denen gern auch in beliebiger Weise neuere archäologische, epigraphische und onomastische Quellen hinzugenommen werden. In jedem dieser Fälle bleibt die Art des Transfers unerklärt. Das gilt auch für allgemeine Thesen, wie dass sich z.B. Kulte durch politische Dominanz und wirtschaftliche Beziehungen verbreitet hätten,106 was in den OstWest-Kontakten nicht gelten kann.107 Auch im Orient war Transfer von Kulten in eroberte Länder eher eine Ausnahme, politisch bedingt und auf keinen Fall der Versuch einer Verbreitung des eigenen Kultes. Gerade die Erklärungen für ›Wanderungen von Kulten‹ benötigen möglichst eingehende Untersuchungen über primäre Rezeption, Transfer und sekundäre Rezeptionen in der griechischen Welt. Die erste Aufgabe besteht darin, festzustellen, ob es sich tatsächlich um Rezeptionen aus einem anderen Kulturkreis, um Ideen mit gemeinsamem Ursprung oder aber nur um Ähnlichkeiten handelt, die nicht von einem Transfer bedingt sind.108 Um Rezeption und Transfer von Glaubensinhalten und Kulten überhaupt erkennen und erklären zu können, sollte man sich von dem Begriff ›Religion‹ verabschieden.109 Das fällt offensichtlich sehr schwer, auch wenn es genügend Argumente dafür gibt. Doch sprechen mehrere zentrale Punkte dafür, bei nicht theologisch ausgerichteten Arbeiten diesen Begriff zu meiden: Zum einen ist er viel zu stark mit den Vorstellungen beladen, die man heute von den dominierenden monotheistischen Religionen mit und in sich trägt.110 Diese Vorbelastung verstellt leicht den Zugang zu einer polytheistischen Glaubenswelt. Zum anderen ist er zu komplex, um mit ihm sinnvoll operieren zu können, d.h. er müsste bei wissenschaftlichen Untersuchungen immer wieder aufs Neue und auf verschiedene Art definiert oder aber die Resultate aus Analysen einer festgesetzten Definition angepasst werden. Das wird gut bei den Definitionen von ›Religion‹ deutlich, die meistens von einem bestimmten theologischen, ideologischen oder theoretischen Standpunkt ausgehen.111 Bei der hier angewandten Methode, ›Religion‹ als ein spezifisches kulturelles Phänomen zu bestimmen, das in zeitlich und räumlich genau abgegrenzten historischen Kontexten erfasst werden muss, sieht von einer theologisch ausgerichteten Interpretation ab, d.h. hier wird bewusst auf eine ›innere Sicht‹ verzichtet. In ihrer ganzen Komplexität schafft ›Religion‹ ein bestimmtes Weltbild, bestimmt die Mentalität einer Gesellschaft, lenkt andere kulturelle Tätigkeiten wie Architektur, bildende Kunst, Literatur usw. in eine vorgegebene Richtung, schafft Identität. Zwischen polytheistischen und monotheistischen Religionen findet man bedeutende Unterschiede:112 Der polytheistische Glaube im Altertum war nie exklusiv, noch nicht einmal in den so genannten Mysterienreligionen. Er wurde in kein in sich geschlossenes religiöses System gestellt, sondern war jederzeit offen für neue Kompo106 107 108

109 110 111 112

Niehr 2002, 353f. Vgl. Teil III 2.2.1. Vgl. z.B. den Mythos über die Sintflut in den orientalischen und griechischen Kulturräumen, wo sie mit Sicherheit aus dem alten sumerischen Mythos hervorgegangen waren und sich verbreiteten und einer sehr alten chinesischen Legende, Legge 1879. Vgl. Feil 1986, 29, der Religion nur als einen Ober-, bzw. Sammelbegriff verschiedener anderer Begriffe sehen möchte. Das zeigt u.a. die sehr verbreitete Einteilung in ›Hochreligionen‹ und ›primitive Religionen‹; vgl. Ahn 1993. Vgl. Ehlich 1997, 338; nach Gladigow 1988, 11 ist Religion ein religiöses Urteil, aber keine wissenschaftliche Aussage. Luhmann 2000, 7. Zu weiteren Definitionsansätzen vgl. auch ibid. 8–15. Assmann 1998; Gladigow 1997; Ahn 1993.

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nenten und sogar fähig, ganze neue Glaubenskomplexe zu integrieren. Die Anfügung neuer, auch fremder Elemente ging oft rein additiv vor sich: Sie brauchten nicht in eine innere Logik eingebaut zu werden, soweit sie den religiösen Grundvorstellungen (s.u.) nicht widersprachen.113 Das kann man z.B. sehr deutlich mit der gut dokumentierten Entwicklung der Vorstellungen über den Gott Apllon von der Archaik bis zur hellenistischen Zeit illustrieren.114 Eine gegensätzliche Meinung wird von Strukturalisten vertreten, welche ›Religion‹ als ein geschlossenes System mit einem nur von einer bestimmten Gruppe verwendeten Code aus Zeichen, Worten und Handlungen verstehen. Nur »der Gesamtvorrat an Zeichen kann eine umfassende Analyse ermöglichen«.115 Dabei wird die jeweilige Religion als eine mit Sprache vergleichbare Struktur angesehen, in der die einzelnen Elemente wie z.B. Gottheiten oder verschiedene Kulthandlungen die Funktion von Symbolen besäßen. Ihre Aneinanderreihung in ›Sätzen‹, d. h. die Syntaxis, sei nach Regeln gestaltet, deren Anwendungen man als Historiker wahrnehmen könne.116 Die Gesamtheit der ›Wörter‹, also der Elemente der Glaubensvorstellungen und des Kultus, bilde dann das Symbolsystem einer jeden Religion. Dabei stelle jedes dieser Elemente auch eine Funktion eines anderen Elementes dar.117 Die Begriffe Struktur und System werden an die Religion herangetragen, nicht aber aus ihr abgeleitet. Strukturalisten geben zu, dass sich das System nicht zu erkennen gebe, sondern erst in Rekonstruktion erschlossen werden müsse. Das ist eine Behauptung, die jedoch erst bewiesen werden müsste, was – nicht zuletzt wegen der absoluten Unerfüllbarkeit der theoretischen Anforderungen – nicht möglich ist. Glauben mit dem Funktionieren einer Sprache zu vergleichen, ist ohnehin ein recht riskantes theoretisches Unterfangen, zumal beide ganz verschiedene Funktionen und soziale Praktiken besitzen. Und noch etwas spricht gegen eine Übertragung des linguistischen Strukturalismus auf Kultur und Glauben: Sprache ist in ihrer Ausdrucksweise linear, also eindimensional. Solcher Art werden Wortformen und Sätze gebildet. Symbole in der Kultur wirken jedoch zwei- und dreidimensional, d.h. in einer logischen Abfolge mit relevanten Wechselwirkungen in Zeit und Raum. Die Offenheit polytheistischer Glaubenswelten war u.a. durch die sehr enge Nachbarschaft ähnlicher oder verwandter ›Religionen‹ bedingt. Für einen Griechen waren die Götter Ägyptens oder des Vorderen Orients ebenso ›wahr‹ wie die eigenen, wie auch umgekehrt. Dass sie jeweils ein anderes Aussehen, andere Namen und auch andere Kulte besaßen, ließ sich leicht mit den verschiedenen kulturellen Unterschieden erklären, die ja auch innerhalb der griechischen Welt gegeben waren. Jan Assman bezeichnet die gegenseitige Übersetzbarkeit heidnischer Religionen mit Recht als eine große kulturelle Leistung des Altertums.118 Diese Übersetzbarkeit kann man ganz wörtlich nehmen: z.B. werden in den Schwurgötterlisten des Vertrages zwischen Ramses II. und dem hethitischen König Hattušili III.119 die ägyptischen Götternamen ins Hethitische übersetzt, im Sinne dass der Funktion eines ägyptischen genau die Funktion der angegebenen hethitischen Gottheit ent113 114 115 116 117 118 119

Luhmann 2000, 30, ausgehend von dem »Bereich der Beobachtbarkeit«. Zur Entwicklung des Apollonglaubens vgl. Graf 2009. Gladigow 1988, 16–18. Vgl. Stolz 1988, 113. Stolz 1988, 26, 227. Assmann 2003, 14. Edel 1963.

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III. Kommunikation und Rezeption

sprechen musste. Das beweist, dass nicht die jeweils konkret gedachten Gottheiten selbst, sondern die hinter ihnen stehenden Ideen übersetzbar waren. So ist ein Göttername ein Zwitter zwischen Eigenname und Appellativ: Er ist der Name für eine anthropomorph gedachte Gottheit und in dieser Funktion also einwertig (zumindest innerhalb eines bestimmten Rituals), aber andererseits stellt er eine abstrakte Zusammenfassung der Idee dar, die hinter diesem, aber eben auch hinter einem anderen Namen stehen kann,120 d.h. ein Göttername kann in bestimmten Fällen auch zu einem Appellativ werden.121 Verschiedene fremde polytheistische Kulturen wurden also nicht als wesensfremd angesehen: Wenn fremde Götter andere Namen, Darstellungsformen und Kulte besaßen, so erkannte man doch problemlos, dass ihr Wirken dem der eigenen Götter gleich oder zumindest ähnlich war. Folglich walteten auf der Welt praktisch überall dieselben Gottheiten. Diese Vereinbarkeit verschiedener ›Religionen‹ bedingt die Toleranz des gesamten polytheistischen Altertums. Der polytheistische Glaube wurzelte in der Tradition einer Gesellschaft. Er wurde von Priesterschaften und Königen, die ihn als Medium und Herrschaftsinstrument einsetzten, oder auch von einer qualifizierten Gesellschaft, wie es z.B. die altgriechische war, nach der jeweiligen Tradition unterhalten und kontrolliert. Dabei waren die Regeln von den dazu qualifizierten Personen oder Traditionen vorgegeben, doch der einzelne Mensch hatte darüber hinaus eine recht große Freiheit persönlicher Präferenzen.122 Glaubensinhalte wurden nicht durch Dogmen gelehrt, sondern von Kind auf in der Gesellschaft als eine notwendige und kaum hinterfragte Tradition erworben.123 Veränderungen innerhalb dieses Glaubens galten nicht als Reformationen oder gar Revolutionen, sondern meistens als logische bzw. ›gottgewollte‹ Entwicklungen innerhalb eben dieser Traditionen. Die Basis des polytheistischen Glaubens waren die Grundvorstellungen der Menschen über die Welt der Götter, über den Kosmos, die Natur und den Platz und die Rolle des Menschen darin. Die einzelnen Gottheiten ergaben sich sozusagen durch die Einteilung der einzelnen als göttlich erkannten Bereiche von selbst. Um einen besseren Zugang zu den polytheistischen Glaubenswelten zu erhalten, scheint es sinnvoll, den Begriff ›Religion‹ in eng miteinander verbundene Teilbereiche aufzuteilen, um ihre Komponenten sowohl einzeln als auch in ihren Wechselwirkungen deutlicher erkennen und untersuchen zu können. Das sind 1. die Grundvorstellungen und -ideen, 2. die sozialen Praktiken, welche auf diese Grundvorstellungen ausgerichtet sind und 3. das religiöse Gefühl, d.h. die emotionale Komponente, die unerlässlich ist. Diese Teilbereiche, aus welchen das Phänomen ›Religion‹ besteht, existierten relativ selbständig und entwickelten sich keinesfalls gleichzeitig und parallel. Rezeptionsprozesse polytheistischer ›Religionen‹ unterscheiden sich innerhalb dieser Teilbereiche in ihren Aus120 121 122 123

Von Bredow 1993. Typisch dafür sind die verschiedenen ›Ishtar-Göttinnen‹ und ›Uašezzili-Götter‹ in der althethitischen Evokation CTH 733; vgl. von Bredow 1994, 88–104. Vgl. auch Gladigow 1997, 104–106. Gladigow 1997, 104f.

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gangspositionen, Verlauf, Qualität und Intensität erheblich.124 Mit solch einer Aufteilung des Begriffs ›Religion‹ lässt sich gerade bei den Problemen der Rezeption und des Transfers, aber auch allgemein religionsgeschichtlich, methodisch leichter und transparenter arbeiten, d.h. sie lässt eine genauere Beschreibung konkreter historischer und kulturhistorischer Situationen und Prozesse zu. Dabei erweist sich ein praxeologischer Ansatz als machbar und nützlich: Der ganze Komplex von Vorstellungen und Handlungen, aus denen ›Religion‹ besteht, lässt sich problemlos mit den Ideen sozialer Praktiken beschreiben. Zu den religiösen Grundvorstellungen gehören die Ideen über die kosmische Ordnung, ihr Werden und ihr Sein. Man findet in ihnen oft Übereinstimmungen in verschiedenen Kulturen, die nicht genetisch verwandt sein können, wie z.B. bei den Schöpfungsmythen. Letztlich spielen zu Beginn in allen Schöpfungsmythen die Elemente Wasser, Erde, Luft und Feuer, welche die Vorstellung von personifizierten Elementen übernommen haben, die konstitutive Rolle. Durch deren Vermischung oder durch Zeugungsakte und Geburten entstehen dann die Göttergenerationen und die Vielfalt der Schöpfung. Das Wissen darum, dass die Welt eine göttliche Schöpfung aus einer wie auch immer gestalteten Vorwelt darstellt, und die Angst, dass das ursprüngliche Chaos vor dem Werden wieder eintreten, d.h. dass die Schöpfung rückgängig gemacht werden könnte, stellt einen grundlegenden Faktor in der polytheistischen Glaubenswelt dar, der letztendlich zumindest indirekt auch im Mythos und Kult einen zentralen Platz einnahm.125 Die Schöpfung stellte man sich oft nicht als einen einmaligen Akt vor, nach dem alles so blieb, wie es ›damals‹ wurde, sondern als einen dynamischen Prozess, einen fortlaufenden Kampf des Neuen gegen das Alte. Darüber berichten die Theogonien und die Sukzessionsmythen.126 Letztlich sollten sie begreiflich machen, wie es zum Werden der aktuellen Welt kam. Sie deuten zudem die aktuelle Ordnung als die beste, da sie sich von der primitiven Vorzeit durch ihre Harmonie auszeichnet, welche die Zivilisation erzeugt. Daher sind die Mythen über Erschaffung und Entwicklung des Kosmos in den Hochkulturen gleichzeitig eines der bedeutendsten Medien der Königsideologie. Zu den Grundvorstellungen gehört weiterhin die Zuteilung bestimmter Funktionsfelder der für die Menschen wichtigsten Lebensbereiche an die verschiedenen Gottheiten. Sie werden von den geographischen und klimatischen Bedingungen, der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, der Staatsform und den sozialen Strukturen bedingt. Diese Faktoren bewirken manchmal Veränderungen der Grundvorstellungen: Eröffnet sich ein bislang nicht von einer Gottheit abgedecktes Funktionsfeld, so muss diese Lücke gefüllt werden, wofür verschiedene Vorgehensweisen existieren, u.a. auch eine Rezeption von außen. Andererseits können Gottheiten mit Aufgaben, die für das Leben der Menschen keine Relevanz mehr besitzen, ›abgebaut‹ werden. Ihre Kulte schwinden dann immer mehr, bis sie ganz vernachlässigt sind. Die Grundvorstellungen sind also nicht statisch, sondern hängen weitgehend von der Entwicklung einer Gesellschaft ab. Die Binnenstruktur eines polytheistischen Pan124

125 126

Das würde der Forderung von Burckert 1977, 25 nahekommen: »Für die Religionswissenschaft ergibt sich die Konsequenz, dass die Erforschung von ›Vorstellungen‹, ›Ideen‹, ›Glauben‹ für sich allenfalls vorläufiges Ziel sein kann; sie lassen sich erst verständlich machen durch Einordnung in einen umfassenderen Funktionszusammenhang«. Vgl. die Rezitation des Schöpfungsmythos im babylonischen Neujahrfest: Lambert 1994. Hes. theog; der hurritisch-hethitische Mythos vom ›Königreich im Himmel‹ Güterbock 1951; 1952a, Enuma eliš (s.o.) usw.

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III. Kommunikation und Rezeption

theons lässt sich folglich als ein Reflexionsmedium der jeweiligen gesamtkulturellen Prozesse verstehen, in welchem religiöse und kulturelle Kompetenz ineinander übergehen.127 Das Wissen über die Verteilung göttlicher Funktionen war deshalb ein Zentralthema innerhalb der religiösen Grundvorstellungen, weil man sich davon Schutz für die Gemeinschaft, für sich selbst und seinen Besitz erhoffte. Daran schließt sich die Idee über das Wesen der Götter selbst an: Sie wurden in den hier betrachteten Kulturen vorwiegend anthropomorph dargestellt.128 Das hatte den Vorteil, dass man sich ihnen auf im Prinzip bekannte Weisen nähern und sie sogar in gewisser Weise verstehen konnte. Innerhalb eines bestimmten Pantheons bildeten sie verschiedene Hierarchien. Das implizierte auch komplizierte ›innergöttliche‹ Wechselwirkungen und diese mussten bei der Kommunikation mit den einzelnen Gottheiten ebenfalls berücksichtigt werden. Praxeologisch betrachtet sind Gottheiten polytheistischer Systeme virtuelle Artefakte und die Grundvorstellungen und die Götter waren in der Vorstellung der Menschen in virtuellen Räumen und Zeiten verankert. Die Glaubensvorstellungen bilden eine fiktive Welt, die nur aufgrund des Wissens von der realen und erlebten Welt konstruiert werden kann, und die Akteure darin, d.h. die Götter, sind daher Artefakte und keine Subjekte, auch wenn man sie wie Subjekte in dieser überirdischen Welt agieren ließ. Die Beziehung zwischen Göttern und Menschen kann also durch Relationen zwischen (virtuellen) Artefakten und Akteuren angesehen und beschrieben werden. Daher ist der Kult in allen seinen Formen die Performativität (d.h. alle sozialen Praktiken), die sich von den Artefakten ableitet und auf sie gerichtet ist. Die Möglichkeiten, Gottheiten nahe zu kommen, sind sozial determiniert. Sie variieren von der Vorstellung, dass diese Beziehung nur über menschliche Vermittler (Priester, König) oder in der Gemeinschaft möglich ist, bis hin zu einem rein individuellen Umgang mit ihnen. Die Kommunikationen wurden zwar auf den verschiedenen sozialen Ebenen kombiniert, aber in jeder Gesellschaft auf eine andersartige Weise. Da die Gottheiten anthropomorph gedacht wurden, waren alle Kommunikationsformen, die unter den Menschen existierten, auch für die mit den Gottheiten anwendbar und wurden im Kult ausgearbeitet und organisiert. Als abstrakte Ideen gaben die Grundvorstellungen129 ein kohärentes Erklärungsmodell für die gesamte Welt, wie sie von den Menschen aufgefasst und wahrgenommen wurde. Grundvorstellungen sind von Fremden rezipierbar, allerdings nur über einen langen Akkulturationsprozess. Dieser bewirkt innerhalb einer Integration130 in die fremde Gesellschaft zunächst eine Motivation zum Begreifen, die allmählich ein tieferes Verständnis und mögliche Akzeptanz der jeweiligen Welt des Glaubens ermöglicht. Die Motivation ergab sich wohl durch die Partizipation an den Kulten, in denen die Grundvorstellungen durch den Mythos und die Handlungen dargestellt oder widergespiegelt werden. Einen indirekten Zugang zu fremden religiösen Vorstellungen boten auch Literatur, Bildwerke usw. Auf diese Weise konnten grundlegende Glaubensinhalte rein intellektuell rezipiert werden. Der 127 128 129 130

Gladigow 1997, 110. Hier existieren einige Ausnahmen, die anikonische Vorstellungen implizieren wie die Baityla in den westsemitischen Ländern. Die ebenso dazugehörigen Themen wie Geister und Dämonen, Heroen und Jenseitsglauben werden an anderer Stelle behandelt werden. Die Rezeption grundlegender Glaubensvorstellung setzt unbedingt einen verbalen Kontakt auf einem hohen sozialen Niveau voraus.

4. Besonderheiten der Rezeption geistiger Kultur

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Mythos als Narration war besonders geeignet, bei einer Rezeption außerhalb des Kultes profanisiert zu werden.131 Die Geschichten über das Werden und Sein des Kosmos und der Götter wurde so als ein gedanklich nachvollziehbares, stringentes System verstanden, durch welches Grundfragen des Lebens erklärt wurden. Es war also durchaus möglich, dass religiöse Grundvorstellungen zu einem quasiphilosophischen System wurden, wie vielleicht in der sogenannten ionischen Naturphilosophie des 6. Jh.132 Als zweite Komponente des polytheistischen Glaubens sind die zahlreichen und verschiedenartigen sakralen Praktiken, d.h. der Kult, anzusehen. Sie sind direkt mit den grundlegenden Glaubensinhalten verbunden, indem sie Teile von ihnen durch Wort und Handlung ›begreiflich‹ machen, sie illustrieren und in verbalen Artikulationen kommentieren. Sie funktionierten als spezifisch sakrale Medien für die Grundvorstellungen133 und waren prinzipiell auf zwei Empfängergruppen gerichtet: auf die Mitglieder der jeweiligen Kultgemeinde als Gruppe von Akteuren und auf die zu diesem Anlass verehrten Gottheiten, die hier als virtuelle Artefakte verstanden werden. Man könnte von einer vertikalen, auf die Gottheiten gerichteten Kommunikation und von einer horizontalen, auf das jeweilige Sozium orientierten, sprechen. Beide Felder, die der Grundvorstellungen sowie die der auf sie gerichteten sozialen Praktiken, bilden unter dem Begriff ›Religion‹ zwar eine Einheit, entwickeln sich aber unterschiedlich, d.h. sie reagieren nicht einheitlich auf äußere Einflüsse. Manchmal entsteht der Eindruck, als blieben Praktiken bestehen, auch wenn sie bereits auf neue ›Artefakte‹, d.h. Gottheiten ausgerichtet sind oder könnten sich wesentlich verändern, ohne dass die religiösen Grundvorstellungen in ihren wichtigsten Aussagen davon berührt würden. Der Grund für solch eine Einschätzung liegt darin, dass soziale Praxis mit Handlung verwechselt wird. Tatsächlich gibt es viele Handlungen, welche in ganz verschiedenen sozialen Praktiken, d.h. mit unterschiedlichen Akteuren und entsprechend dem Kontext mit mehreren möglichen Sinnzuschreibungen zu beobachten sind. Die Aufführung von Chören bei musischen Wettbewerben, einem Götterfest oder im frühgriechischen Totenkult stellen völlig verschiedene soziale Praktiken dar, auch wenn die Handlung als solche gleich erscheint.134 Zu den verbalen Elementen des Kultes gehören u.a. rezitierte Mythen, Gebete, rituelle Rufe, Hymnen, meistens in Verbindung mit Musik und manchmal auch mit dramatischer Aufführung. Im Kult kann ein Mythos nacherlebt werden, kultische Handlungen können ihrerseits zur Mythosschaffung anregen, z.B. als Aition, wenn Verknüpfungen mit den Glaubensvorstellungen nicht (mehr) deutlich gegeben waren. Insofern entwickeln einzelne Elemente des Kultes nicht selten eine Eigendynamik, welche auch die grundlegenden Vorstellungen modifizieren oder sogar verändern können. Der Mythos ist etwas von Menschen, oft von den ›Herren des Glaubens‹ Geschaffenes, das durch ein gemeinsames Wissen und Erleben die Gemeinde vereint. Er wird unter diesem Aspekt zu einem Artefakt, das im Dialog mit den Subjekten soziale Praktiken benötigt und hervorbringt. Dem kultischen Mythos ist also auch eine Materialität zuzusprechen. Die damit verbundenen Praktiken un131 132 133 134

So könnte die Verführungsepisode von Hera und Zeus (Hom. Il. 14,159–351) als eine Profanisierung und sogar Parodie des Motivs der östlichen Heiligen Hochzeit interpretiert werden. Vgl. Hölscher 1968. Vgl. Luhmann 2000, 140: »… Form der Kommunikation mit einer auf Wahrnehmung bezogenen Inszenierung …«. Zur Theorie der sozialen Praktiken vgl. u.a. Teil III 2.

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III. Kommunikation und Rezeption

terscheiden sich theoretisch nicht von denen, die auf dingliche Artefakte (Statuen, Altäre usw.) gerichtet sind und ebenfalls als spezifische Medien fungieren. Ein Mythos wird oft in einem Gottesdienst rezitiert oder in anderer verbaler Form erzählt, ist also sinnlich wahrnehmbar und besitzt eine klar umrissene Präsenz. Er löst im Kult oft körperliche Reaktionen aus (z.B. Niederknien, Erheben der Hände). So verstanden lässt sich der Mythos als soziale Praxis adäquat in Verbindung mit den übrigen im Ritual verwendeten Elementen verstehen und untersuchen, auch in den Prozessen der Rezeption und des Transfers. Viele Göttermythen im Alten Orient und Ägypten können als Parabeln für das Königsthema aufgefasst werden, weil sie Geschichten über die göttliche, unabänderliche soziale Ordnung unter den Menschen erzählen. Bei der Rezeption östlicher Mythen durch Griechen stellte das Königsthema allerdings ein gewisses Problem dar: Die Gesellschaft des frühen Griechenland konnte sie nicht rezipieren, da die sozialen Verhältnisse es nicht zuließen. Dennoch ist das Thema durchaus in der frühgriechischen Literatur vorhanden, sogar mit aus dem Orient übernommenen Bildern: Zeus hat Agamemnon selbst das Zepter übergeben, die Gottheit führt den König (basileus), geht ihm im Kampf voraus und berät ihn.135 Der athenische Tyrann Peisistratos lässt sich von Athene persönlich zur Akropolis fahren, um nach seinem Exil die Tyrannis neu zu erwerben.136 Der Gedanke wurde übernommen, doch nicht in seinem ursprünglichen Inhalt, sondern eher in der Form eines Wunschdenkens (fast) ohne Möglichkeit einer Realisierung. Die griechischen Versionen der Schöpfungsgeschichten münden zwar in die königlich ausgeschmückte Gestalt des Zeus, doch seine Machtbefugnisse bleiben weit hinter denen der entsprechenden orientalischen und ägyptischen Hauptgöttern zurück. Mythen können, wie auch verschiedene andere sakrale Praktiken, aus ihrer primären sakralen Sphäre losgelöst und mit anderen Funktionen in nichtsakrale Bereiche übertragen werden. Dann treten sie aus Raum und Zeit der kultischen Praktiken und erhalten profane137 kommunikative Funktionen. Das geschieht häufig bei ihrer Rezeption. Ein Beispiel dafür wäre der Sukzessionsmythos des Alten Orients, der in Mesopotamien der Zentralmythos des Neujahrsfestes gewesen war. In Griechenland nahm er einen bedeutenden Platz in der Literatur und ein und prägte die Weltanschauung,138 aber im Kult spielte er kaum eine Rolle. Die Performativität vieler kultischer Handlungen erscheint oft in verschiedenen Kontexten gleich. Gerade bei Ausländern, welche die praxeologischen Relationen nicht verstehen und durchschauen können, führt das zwangsweise zu Missverständnissen. In ihrer Wahrnehmung werden auch Handlungen in ihren Bewegungen und Abläufen, die sie aus ihrer eigene Kultur gut kennen, mit denen der Fremden gleichgesetzt und dementsprechend falsche Schlussfolgerungen gezogen.139 Für einen Transfer von kultischen Ausdrucksformen waren imitative Rezeptionen aber wohl kaum von Belang. Eher kann man sich vorstellen, dass besondere Kontaktsituationen und Lebensumstände, in denen fremde kultische Prak135 136 137 138 139

Vgl. z.B. Hom. Il. 1,277–281. Hdt. 1,60,4–5. Damit wäre man bei der Textanthropologie von Hilgert 2010. Hes. Theog. Ein gutes Beispiel dafür ist das nie korrigerte Missverständnis der Griechen, nach dem der persische Großkönig göttliche Verehrung genossen habe. Der Fehler entstand aus der Praxis der Proskynesis, die bei Griechen nur vor Göttern, bei den Persern aber vor dem (weltlichen) König obligatorisch war.

4. Besonderheiten der Rezeption geistiger Kultur

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tiken subjektiv als hilfreich, ja sogar als lebensrettend empfunden wurden, zu einer Rezeption führen konnten: ein Opfer in Seenot,140 die Anbetung einer fremden Gottheit bei Krankheit,141 das Tragen von Amuletten142 u.a., von deren Wirkung man sich anscheinend durch die eigene Erfahrung überzeugt hatte. Verbale Ausdrucksformen werden von Fremden ohne die notwendigen Sprachkenntnisse zwar nicht in ihrem Inhalt verstanden, wohl aber als Medien sakraler Botschaften, also materiell, wahrgenommen. Das Kennenlernen von Rezitationen, Hymnen u.ä. im Rahmen eines Gottesdienstes könnte außerdem zur Schaffung solcher Praktiken im eigenen Kultwesen führen. Eine weitere mögliche Kontaktsituation, bei der soziale Praktiken des Kultes ohne die dazugehörigen Glaubensvorstellungen übernommen werden konnten, sind Weihungen in fremden Tempeln. Diese waren oft nur Ausdruck eines guten Willens, mit den Einheimischen in einen freundlichen Kontakt zu treten, ohne dass damit eine Nähe zu den entsprechenden Gottheiten gesucht wurde. Auf einem hohen sozialen Niveau waren offizielle Weihungen Ausdruck diplomatischer Annäherung. Derartige Weihungen durch Griechen sind in einigen wenigen Fällen im Osten belegt.143 Dagegen weisen viele Nachrichten des Herodot auf eine solche Praxis östlicher und besonders ägyptischer Könige in Griechenland.144 Zu den Glaubensvorstellungen und den sakralen Praktiken kommt als dritte grundlegende Komponente das ›religiöses Gefühl‹. Es ist die ›Wirkung des Heiligen‹, wie es manche Autoren nennen.145 Dieses Gefühl ist etwas Universelles, allen Menschen Eigenes, egal, welcher Religion er angehört oder ob er sich als Atheist versteht.146 Es kann durch Offenbarung in Form von Ekstase oder eines Enthusiasmos entstehen und manifestiert sich in ›Schauer‹ und ›Ergriffenheit‹. Niklas Luhmann bezeichnet es als »religiöses Erleben«, das »religionsunspezifisch und gleichsam formlos« sei.147 Nur wenn dieses religiöse Gefühl vorhanden ist, kann man von einem lebendigen Glauben sprechen. Das religiöse Gefühl entwickelt seine ganze Kraft im Moment des Gottesdienstes, bei dem es alle Teilnehmer erfasst. Es kann sie auch außerhalb eines Verständnisses von Grundvorstellungen und ihrer sakralen Praktiken in seinen Bann ziehen, da es eine vom Alltagsleben sich abhebende, festliche und nicht realbezogene Hochstimmung bewirkt, ein tiefes Erlebnis, nach dessen Wiederholung man sich sehnt. Im Rahmen der Rezeption kommt dem religiösen Gefühl, das ein Fremder in einer ihm unwohnten Kultgemeinschaft empfinden konnte, eine hervorragende Bedeutung zu. Denn es wirkt wie ein Katalysator und kann von der kollektiven Erfahrung eines fremden Kultes in sein eigenes Leben überspringen, und so zur aufrichtigen Verehrung einer fremden Gottheit führen. Das religiöse Gefühl ist keine sich kulturspezifisch entwickelnde Größe. Es ist eine psychologische Konstante, welche die menschliche Geschichte begleitet. Es verändert sich zwar nicht in seinem Wesen, schwankt aber in seiner Intensität. Es gibt Zeiten und Länder, in de140 141 142 143 144 145 146 147

Brody 1998. Xella 1993, 481–491. Dazu gehört die Verbreitung von Bes-Figuren. Z.B. spartanische Weihung nach Lydien, Hdt. 1,70. Ein in Hama beim Tempel auf der Akropolis gefundener Krater könnte auch eine solche Weihung darstellen; vgl. Teil I 5.2.4. Vgl. z.B. die Weihungen des Amasis: Hdt. 2,180; 3,47; vgl. Teil IV 1.1. Otto 1956, 8f. Daher nennt es Stolz 1988, 20 »kreatürliches Gefühl«. Luhmann 2000, 113.

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III. Kommunikation und Rezeption

nen es dominierend wirkt, weit über den Bereich eines Gottesdienstes hinaus. Und dann findet man wieder andere Situationen und sogar Epochen, in denen es nur auf die notwendige Kommunikation mit den Göttern beschränkt ist und für die übrigen sozialen Sphären nur eine geringe oder gar keine Bedeutung hat. Diese unterschiedliche Wirkung des religiösen Gefühls auf die Gesellschaft lässt sich durch die vorhandenen Quellen nachweisen.148 In Verbindung damit können auch die Mittel untersucht werden, durch welche das religiöse Gefühl von den Verantwortlichen des Kultes (Herrscher, Priester, Vorsitzende einer Gemeinde u.a.) gesteigert wurde. Denn je intensiver es auftrat, desto stärker wurde die Bindung der Gemeinde an den Kult und an seine Organisatoren. Die ›Herren der sakralen Kommunikationen‹ schufen dafür eindrucksvolle Resonanzräume. Je nach Ort und Zeit verwendete man verschiedene Mittel, von Drogen wie Alkohol u.a., Räuchereien und Gerüche aus verschiedenen Essenzen bis hin zu exstatischem Tanz und Musik. Diese sozialen Praktiken des Kultes sollten vor allem die Dichte des religiösen Gefühls beeinflussen. Das religiöse Gefühl kann auch von starken individuellen negativen Emotionen, besonders von Angst begleitet sein, welche die Rezeption von sakralen Praktiken fördert. ›Not lehrt beten‹, auch zu einer fremden Gottheit. Solche situationsbezogenen Rezeptionen sind öfters in der Religionsgeschichte zu beobachten.149 Für die Griechen kam religionsbedingt eine starke Motivation hinzu, bei fremden Gottheiten Schutz zu suchen: Die lokalen griechischen Heroen waren die größten Garanten für die Unversehrtheit einer Region, aber ihre Macht wirkte nur dort. Ein Mann, der sich in die Fremde begab, hatte diesen Schutz also nicht mehr.150 Umso stärker war er in Krisensituationen auf die fremden lokalen Schutzgöttern angewiesen. Das religiöse Gefühl führt zu einer schnelleren und weitgehend störungsfreien Rezeption anderer Glaubenselemente, da es in eine Gruppenidentifikation zwingt, in der sich der Fremde viel mehr als Teil der neuen Umwelt fühlen kann als in Alltagssituationen. Kommunikatives Handeln ist in diesem Rahmen nicht ausschließlich von der Sprache bestimmt. Daher ist diese Emotion auch in einem nur nichtverbalen Kontakt ein sehr wesentliches Kommunikationslement. Die Rezeption von Glaubensvorstellungen und Kulten über das religiöse Gefühl benötigt keine besonderen kognitiven Voraussetzungen, die bei der intellektuellen Rezeption der sakralen Grundvorstellungen unabdingbar sind. Auch wenn die sakrale Sphäre einer Gesellschaft durch geistliche Institutionen vereinheitlicht ist, so existieren immer Unterschiede zwischen einem offiziellen, staatlichen Kult und dem der verschiedenen sozialen Schichten. Das betrifft nicht nur den Kult und seinen Aufwand, sondern auch Grundvorstellungen, in dem Sinn, dass die Prioritäten anders gesetzt sind. Eine führende Persönlichkeit oder ein hoher Beamter hat zweifellos andere religiöse Vorstellungen als ein ärmerer Bauer oder Handwerker. Sie waren offen für Vorstellungen und Kulte, die darauf ausgerichtet waren, sie, ihre Familien und ihren Besitz im alltäglichen Leben zu schützen. Das galt auch für einfache Griechen im östlichen Ausland. Als Träger eines Transfers fremder Glaubensvorstellungen und Kulte kommt den Menschen 148

149 150

Krisenzeiten können von beidem, von starkem wie auch von schwindendem religiösem Gefühl geprägt sein. Vgl. die Beschreibung der Situation auf Kerkyra während des heftigen Parteienkampfes, anderseits die Verfassung der griechischen poleis vor dem Ausbruch dieses Krieges, Thuk. 2,8. Lang 1988, 81. Das war eines der kultischen Probleme bei der Kolonisation; vgl. von Bredow 2006.

4. Besonderheiten der Rezeption geistiger Kultur

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mit niedrigem sozialem Status sogar eine besondere Rolle zu. Zwar hatten sie normalerweise weder Zugang noch Einblick in die Ideen und Praktiken eines Staatskultes, standen dafür in Kontakt mit den Vertretern der unteren Klassen des jeweiligen Landes wie mit Kriegern, Ruderern oder Arbeitern. Sie konnten also Ideen und Praktiken von ihnen übernehmen, auch wenn es eher wohl nur Fragmente davon waren. Dennoch war der Transfer solcher ›Fragmente‹ manchmal sehr erfolgreich, in dem Sinn, dass sie sich wegen ihrer Inhalte in einer sekundären Rezeption sehr schnell und in einem weiten Radius ausbreiten konnten. Ein Beispiel sind niedrige Schutzgottheiten, die im Orient und in Ägypten sehr beliebt waren und von deren Wirksamkeit man überzeugt war. Dagegen wird eine führende Person mit wachem Interesse den fremden Staatskult besonders als ein Machtinstrument beobachten und ihn eventuell auch als solchen annehmen.151 Viele Transfers, die von einer Elite ausgingen, waren ausgesprochen erfolgreich. Sie umfassten alle drei Komponenten der Religion, die sich auf einige für die griechische Welt besonders relevante Punkte bezogen: 1. Die zentralen Grundvorstellungen über die Ordnung der Welt, 2. eine neue Organisation des Kultwesens, d.h. die Einführung neuer sozialer Praktiken, welche diese Vorstellungen ausdrücken, verständlich machen und durchsetzen sollten; dabei wurde das Kultwesen bewusst als identitätstiftendes Mittel eingesetzt, 3. die Selbstpräsentation des jeweiligen Aristokraten als Organisator des Kultes. Diese Komponenten treten besonders augenfällig in den Jenseitsvorstellungen und den Totenkulten hervor, aber auch in den Lokalmythen über Heroen, die Ahnen dieser Aristokraten, durch welche sie sich in die Nähe der Götter stellen. In der archaischen Zeit verlagerte sich der Kommunikationsraum dieser Selbstrepräsentation vom Grab in den Tempel. Der Einpflanzung neuer sakraler Grundvorstellungen, ihrer Kulte und deren Organisationen stand in Griechenland offenbar nichts im Weg, zumal der Transfer ohne Spezialisten d.h. ohne Priester der jeweiligen Gottheiten vonstatten ging. In der archaischen Zeit ist kein einziger ausländischer Priester bei einer solchen Einführung bekannt.152 Der griechische Organisator der fremden Kulte hatte also freie Hand und konnte nur durch eine deutliche Ablehnung seiner Landsleute gehindert werden. Alle drei Komponenten von ›Religion‹ waren von Anfang an in den frühen Staaten des Altertums manipulierbar und wurden als Mittel der Macht eingesetzt und verfeinert. Auch im frühen Griechenland ist gut erkennbar, wie sie als Instrumente der aristokratischen Politik zum Einsatz kamen.153 Die Grundvorstellungen von der Ordnung der Welt, welche vom König der Götter, Zeus, geschaffen, bewacht und bewahrt wird, der göttlichen ›Gewaltenteilung‹ usw. waren ausgesprochen aristokratischen Charakters. In den neuen Kulten, die sowohl alten wie auch neuen Gottheiten galten, war der lokale Aristokrat Organisator und damit Priester, welcher die Kommunikation der Gemeinde mit den Göttern vollzog. Es ist nicht bekannt, dass damals ein ganzer Kultkomplex mit den ihm zugehörigen Gottheiten vom Vorderen Orient oder von Ägypten nach Griechenland gebracht worden 151 152 153

Vgl. z.B. die ägyptischen Götter in Byblos oder der Kult des tyrenischen Baʿal in Nordsyrien. So war es später, in klassischer und hellenistischer Zeit, meistens geregelt. Vgl. z.B. das ›Spiel mit den Heroen‹ des Kleisthenes von Sikyon, Hdt. 5,67.

226

III. Kommunikation und Rezeption

wäre. Der archaische Tempelbau ist zwar in hohem Maß besonders von der ägyptischen Architektur beeinflusst, doch sein Aufbau wie auch Raumgliederungen zeigen deutlich, dass hier keine fremden Gottheiten mit ihrem fremden Kult verehrt wurden. Die orientalischen und ägyptischen Mythologien waren im frühen Griechenland gut bekannt, doch sie wurden säkularisiert. Allein bei Hesiod werden einige wenige nichtgriechische Götternamen aus den unteren Rängen erwähnt.154 Alle griechischen Gottheiten, deren Kult teilweise orientalisiert wurde, behielten ihre alten griechischen Namen.155 Dass es aber sehr wohl Verehrer orientalischer Gottheiten und ihrer Kulte gab, zeigen einige theophore Eigennamen, z.B. mit dem Hinterglied -στρατος, abgeleitet von dem Namen der syrischen Aštarte. Das Entdecken einer ›Lücke‹ im eigenen traditionellen Pantheon konnte ebenfalls zur Rezeption einer fremden Gottheit oder kultischen Praktik führen. Je früher die Zeit des Kontaktes, desto mehr solcher Defizite wurden wohl entdeckt und behoben. Die ›Lücken‹ ergaben sich in Funktionsbereichen, die im spätgeometrischen Griechenland nicht existierten oder nur sehr schwach entwickelt waren wie z.B. dem Rechts-, Vertrags- und Handelswesen, der Fernfahrt auf Schiffen und der Erkundung unbekannter Länder, dem Handwerk und der Wissenschaft. Auch wenn wir über die griechische Glaubenswelt und ihre Praktiken vom 11. bis zum 9. Jh. völlig unzureichend informiert sind, so scheint es logisch, dass diese neu hinzugekommenen Lebensbereiche sozusagen göttlich abgedeckt werden mussten. Dazu konnten östliche Vorstellungen und Kultelemente benutzt werden. Dass Orientalen, die in der Ägäis mit Griechen in Kontakt kamen, Träger und Verbreiter orientalischer Glaubensvorstellungen und Kulte gewesen sein könnten, ist unwahrscheinlich, denn 1. diese Völker haben keine Mission gekannt und betrieben, 2. besaßen solche kleinen Gruppen im Ausland nicht die Möglichkeit, ihre Kulte in ihrer vollständigen Form auszuführen, 3. gab es für die lokale Bevölkerung keine Motivation zur Rezeption, und 4. sie waren zu stark an ihre lokalen Kulte gebunden, so dass sie wohl kaum fremde, von wenigen Ausländern ausgeführte Kulte übernahmen. Eine Unterscheidung in zentrale Glaubensvorstellungen, soziale Praktiken (Kult) und religiöses Gefühl hat theoretische wie auch praktisch-analytische Vorteile. Αuf theoretischer Ebene erklärt sie die teilweise hybriden Relationen zwischen der virtuellen, körperlich gedachten Welt der Götter und die darauf gerichteten sozialen Praktiken, was Untersuchungen zur Rezeptionsgeschichte neue Forschungsideen und Impulse geben kann. Fremde Glaubenswelten ›wanderten‹ also nicht nach Griechenland ein, sondern wurden in Fragmenten von Personen nach einem Rezeptionsprozess im Vorderen Orient oder Ägypten nach ihrer Rückkehr in die griechische Heimat in einer sekundären Kommunikation mehr oder weniger erfolgreich verbreitet.

154 155

Orientalische Götternamen bei Hes. theog. z.B. 507 und 614 (Ἰαπετός); 970 (Ἰασίων). So z.B. Aphrodite Ourania oder auch viele Züge in den Kulten der Athene als Schutzgöttin einer Reihe von poleis.

Teil IV

Kontaktsituationen

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt Die frühgriechische Aristokratie, wie sie sich in den homerischen Epen und in der Lyrik darstellt, bewunderte den Vorderen Orient und Ägypten. Die weiter unten beschriebenen Quellenbeispiele zeigen, dass nicht wenige Vertreter dieser Schicht im Ausland bewusst und aktiv die fremde Kultur rezipiert haben. Einige in der Odyssee auftretende Personen wollten auch weiterhin in der Umgebung leben, wie sie sich ihnen im Ausland geboten hatte: in einem exotischen Luxus, einer geistig regen Umgebung, in einem gut geregelten Gemeinwesen usw. Im Folgenden werden Aktionsbereiche untersucht, in denen sich epische Helden wie auch reale Personen durch einen langen Aufenthalt und in verbaler Kommunikation in ihrem sozial und kulturell hoch gestellten Umfeld entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten aneignen konnten. 1.1 Griechisches Söldnertum In den griechischen Quellen tritt eine Berufsgruppe von Griechen, die sich über eine lange Zeit im Vorderen Orient und in Ägypten aufhielten, deutlich hervor: Söldner.1 Während die Epen einen allgemeinen Hintergrund des Söldnertums skizzieren, schildern einige Werke der frühgriechischen Lyrik auch konkrete Situationen, in denen solche Krieger zum Einsatz kamen.2 Darüber hinaus findet man aufschlussreiche Angaben zu diesem Thema bei späteren antiken Autoren, wie Herodot, Thukydides oder Diodoros. Besonders bedeutende Zeugnisse bietet zudem das, wenn auch nicht sehr reichhaltige, epigraphische Material. Diese Texte beziehen sich auf das 7. und 6. Jh. Vieles spricht aber dafür, dass das frühgriechische Söldnertum nicht erst zu dieser Zeit aufkam, sondern schon im 8. Jh. und wahrscheinlich sogar noch früher bestanden hat. Orientalische und ägyptische literarische und epigraphische Angaben darüber ergänzen das Bild von der anderen Seite. Und auch archäologische Grabungen und deren Ergebnisse zeigen an einigen Stätten eine sichere Präsenz griechischer Söldner im 7. und 6. Jh. Außerdem sind zahlreiche Weihungen in archaischen Heiligtümern Griechenlands als Beutestücke heimgekehrter Söldner bestimmbar. Das griechische Söldnertum in der Fremde wird in der modernen Literatur sehr unterschiedlich betrachtet und bewertet. Die einen Historiker sehen sehr viel mehr griechische 1 2

Zu den griechischen Begriffen für Söldner vgl. Kaplan 2002, 229–234. Zu den einzelnen Quellen s.u.

228

IV. Kontaktsituationen

Söldner, als man den Quellen entnehmen kann,3 andere tun das Söldnertum als ein für die archaische Zeit irrelevantes Phänomen ab.4 Der Grund dafür liegt bei einigen dieser Autoren vielleicht in ihrer ideologischen Einstellung: Schon der Begriff Söldner hat eine gewisse negative Konnotation und die Vorstellung, freiheitliebende Griechen hätten sich ›östlichen Despoten‹ zur Verfügung gestellt, passt nicht in ihr Griechenlandbild. In der griechischen Geschichtsschreibung treten Söldner in den Erzählungen über die archaischen Tyrannen auf: Die korinthischen Kypseliden hätten Söldner für ihre Sicherheit angeheuert5 und Peisistratos habe seine Tyrannis über Athen mit Hilfe thrakischer Söldner nach seinem Exil wiedergewonnen.6 Schließlich wird bei Aristoteles das Söldnertum zu einem allgemeinen Kennzeichen der Tyrannen.7 Ausgehend davon, dass die archaischen Tyrannen erstaunlich wenige politische Innovationen einführten und sich als alleinherrschende Aristokraten, nicht aber als Monarchen ansahen, kann man mit wenig Bedenken davon ausgehen, dass Söldner schon früher von reichen und einflussreichen Adligen eingesetzt wurden, wie eben von Peisistratos, bevor er sich zum Tyrannen aufschwang. Das Söldnertum besaß im Vorderen Orient und im Ägypten des 1. Jt. bereits eine sehr lange Tradition. Da professionelle, stehende Heere erst relativ spät aufkamen, wurden Söldner bei Bedarf und Zahlungsfähigkeit immer wieder angeheuert. Söldner kamen schon in der Bronzezeit als möglichst einheitliche ethnische Abteilungen in ein Heer und bildeten mit ihren jeweils spezifischen Waffen, Ausrüstungen und entsprechenden Taktiken separate Einheiten. Die Belege aus Ägypten sind in dieser Hinsicht sehr deutlich: Söldner wurden im Ägypten der Dritten Zwischenzeit ständig in den Kämpfen der lokalen Könige untereinander benötigt. Später benutzten die Saïten sie verstärkt bei der Etablierung ihrer Macht über ganz Ägypten und zum Schutz der Grenzen und Verkehrsadern ihres Landes. Über Söldnertum in den spätluwischen und aramäischen Staaten und in Phönikien ist kaum etwas bekannt. Die wenigen Inschriften machen keine Aussagen darüber, und auch die assyrischen Annalen erwähnen keine Kontingente, die eindeutig als Söldnertruppen definiert werden könnten. Dennoch kann man sich gut vorstellen, dass gerade syrische Länder oftmals einen großen Bedarf an zusätzlichen militärischen Kräften hatten. Das einzige große Schriftwerk aus Syrien dieser Zeit, das Alte Testament, kennt tatsächlich fremde Söldner bei den Königen von Juda, unter denen auch Griechen gewesen sein dürften (s.u.). Ob Assyrer fremde Söldner in ihren Dienst genommen haben, ist unbekannt, doch nicht zu erwarten: Zur Zeit ihrer größten Ausdehnung und spätestens seit der Heeresreform Tiglathpilesars III. bestand ihre Armee aus professionellen Soldaten, den Truppen der Vasallen und im Notfall aus ad hoc ausgehobenen Bewohner des Imperiums,8 wie vielleicht Berg3 4

5 6 7 8

Vgl. z.B. Luraghi 2006. Boardman 1999, 50f.; vgl. zu solchen Meinungen Luraghi 2006, 21f. Für eine schwankende Einschätzung des archaischen Söldnertums sind auch die Schriften von Rollinger symptomatisch: in 1996, 203 spricht er von einem »florierenden Söldnerwesen«, hingegen in 2007, 286: »Das in der Forschung immer wieder als selbstverständlich vorausgesetzte griechische Söldnerwesen scheint bestenfalls in Ansätzen existiert zu haben.« Sogar West hat den griechischen Söldnern als mögliche Kontaktpersonen nur etwas über eine Seite gewidmet: West 1997, 617f. Nik. Dam. FGrH 90, F 57 und 58. Hdt. 3,120; 3,14–146. Aristot. Pol. 5, 1315 b, 27–29; 11,13,7. Fuchs 2005, 53, Anm. 40.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

229

stämmen im Kaukasus oder Beduinen in Südsyrien.9 Als Beispiel für fremde Söldner werden in der modernen Literatur die Ituräer im assyrischen Heer genannt.10 Doch diese waren Untertanen des Reichs und daher keine Söldner. Dem archaischen Griechenland waren fremde Söldner in östlichen Ländern offenbar eine vertraute Vorstellung. Unter den Bundesgenossen des Priamos befinden sich zahlreiche Truppen, die von weit her kamen und kaum vertraglich festgesetzte politische Verpflichtungen hatten, Troia beizustehen: die Kikonen von der nordägäischen Küste und noch mehr die Paionen aus dem Gebiet um das Pangaiongebirge oder gar vom mittleren Axios oder auch die wie auch immer zu definierenden Halizonen.11 Diesen ›Verbündeten‹ fehlte ein innerer Zusammenhalt, wie er im griechischen Lager gegeben war. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass diese Hilfstruppen angeheuerte Söldnerabteilungen waren, welche Troia dringend benötigte. Auch wenn das Epos kein Geschichtsbuch ist und diese Kontingente nicht als historisch anzusehen sind, so zeigt ihre Aufzählung doch, dass die Vorstellung von fremden Söldnern im archaischen Griechenland eine ganz selbstverständliche war. Die homerischen Angaben der Ilias über den Süden Ägyptens, die Aithiopen, sind für die Kenntnisse der Griechen dieser Zeit über Ägypten sehr charakteristisch. Sie werden als ἀμύμονες ›edel, berühmt‹ bezeichnet.12 Das passt zu den äthiopischen Pharaonen im 8. und beginnenden 7. Jh. in Theben und entspricht genau ihrer Mentalität und Kulturpolitik. Auf jeden Fall haben ihre Erwähnungen im Epos einen realen Hintergrund, nämlich das Söldnertum der früharchaischen Zeit in Ägypten (s.u.). Die Lügengeschichte des Odysseus berichtet über griechisches Piraten- und Söldnertum in Ägypten:13 Neun Schiffe machten sich unter der Führung des ›Lügenkreters‹ nach Ägypten auf, das sie am fünften Tag erreichten. Die Mannschaft begann zu plündern und marodieren, woraufhin sich die Ägypter zur Wehr setzten und den König in der Hauptstadt (Saïs) verständigten. Als Schutzflehender wurde der Anführer vom Pharao persönlich aufgenommen (Motiv: der fromme Ägypter) und blieb sieben Jahre dort. In dieser Zeit verdiente er sich großen Reichtum (Motiv: das reiche Ägypten). In diesem fiktiven Bericht gibt es zwei konkrete Angaben: Neun griechische Schiffe sollen die Angriffe auf die ägyptische Küste verübt haben.14 Wenn man von den für das 7. Jh. üblichen Pentekonteren mit je 50 Ruderern und einigen zusätzlichen Besatzungsmitgliedern, also von maximal 60 Männern ausgeht, so wäre die Schar des ›Lügenkreters‹ ca. 540 Mann stark gewesen. Das ist keine kleine Piratengruppe, sondern schon eine ganze Abteilung. Sieben Jahre verbrachte der ›Lügenkreter‹ in Ägypten.15 Leider lässt er nichts von seinen Tätigkeiten dort verlauten, und auch nicht, wie er dort zu seinem Reichtum kam. Er erzählt lediglich enigmatisch: »Aber viel Vermögen sammelte ich unter den ägyptischen Männern ein: Sie gaben nämlich alle.«16 Seine Situation ist nicht vergleichbar mit der des Odysseus bei den Phaiaken, denn 9 10 11 12 13 14 15 16

Postgate 1974, 218; zum neuassyrischen Militärwesen vgl. auch Teil I 3. Luraghi 2006, 35 nach Haider 1996, 93f. Hom. Il. 2,846; 2,848–850; 2,856–857. Hom. Il. 1,423–425; 23,205–207. Hom. Od. 14,245–286. Hom. Od. 14,248. Hom. Od. 14,385. Hom. Od. 14,285–286: … πολλὰ δ’ ἄγειρα / χρήματ’ ἀν’ Αἰγυπτίους ἄνδρας, δίδοσαν γὰρ ἅπαντες.

230

IV. Kontaktsituationen

die Kontaktbedingungen sind hier ganz andere: Während Odysseus kurzfristig als Gastfreund aufgenommen wurde, war der ›Lügenkreter‹ eine lange Zeit in Ägypten mit Tätigkeiten beschäftigt, die ihm der Pharao zugewiesen hatte. Sieben Jahre übte er also auf Anordnung des Pharao eine bestimmte Aktivität unter den Ägyptern aus, und diese gaben ihm Reichtum. Diese Erzählung ist zwar fiktiv, dürfte aber dennoch typisch gewesen sein. Wir können uns die im Epos fehlenden Informationen aus der Inschrift eines aus Ägypten zurückgekehrten Griechen ergänzen, der sein curriculum vitae in Ägypten auf einem Stein in Form eines ägyptischen Würfelhockers verewigte.17 Dieser hatte sich als Söldnerführer so große Verdienste erworben, dass er von einem Pharao mit der Verwaltung eines Bezirkes beauftragt wurde. Dort hatten ihm die Einwohner Abgaben zu entrichten. Diese Inschrift entspricht genau der Geschichte im Epos. Auch der ›Lügenkreter‹ war ein Krieger, ein Söldner, der sich in den Dienst fremder Herrscher stellte. Auch schon vor seiner Ägyptenfahrt war er Krieger gewesen: »Aber mir war (das Kriegshandwerk) lieb, was mir irgendein Gott ins Herz gegeben hatte; / denn jeder Mensch findet seine Freude an anderen Tätigkeiten. / Denn bevor die Söhne Achaias die Troas betraten, / hatte ich schon neunmal Krieger und schnell fahrende Schiff / gegen fremde Menschen angeführt und mir wurde überaus viel zuteil. / Davon nahm ich mir herzerfreuende Dinge / und vieles erloste ich / später; schnell vergrößerte sich mein Hausstand und später / erlangte ich großen Respekt unter den Kretern«.18 Der ›Lügenkreter‹ erzählt die Geschichte eines Söldnerführers, der nicht aus feindlicher Motivation gegen Fremde kämpft, sondern den Krieg zu seinem Beruf gemacht hat, oder, wie er es ausdrückt, zu seiner Berufung. Solche Kriege wurden in wohlhabenden Ländern geführt, welche Vermögen bieten konnten. Eine solche Geschichte war wohl nicht ungewöhnlich. Sie entspricht recht genau der des Herodot,19 auch wenn in der Ilias der Grieche aus Kreta, bei Herodot die Männer aus Ionien und Karien stammen sollen, was beweist, dass Herodots Quelle nicht das Epos war.20 Wenn oftmals die Not von Griechen im Exil als Grund für das archaische Söldnertum angenommen wird,21 wofür es auch Hinweise gibt (s.u.), so findet man in der Odyssee genau das Gegenteil. Die oben zitierte Stelle22 illustriert sehr eindrücklich die Leidenschaft eines Kriegers, der sein Glück und seine Selbstverwirklichung auf dem Schlachtfeld sucht und findet. Das ist verständlich, wurden die jungen Adligen doch gerade in der Kriegstechnik ausgebildet, trainiert und dementsprechend auch geistig erzogen.23 Dass dieser kriege17 18 19 20

21 22 23

Vgl. Teil IV 1.3. Hom. Od. 14,227–234. Hdt. 2,152. Nach Heubeck, Hoekstra 1989, 212: »according to Merkelbach, Untersuchungen, 65–66, these lines were interpolated by the poet who introduced ›the Thespritian passage‹ (299–338): following Bethe he argues that in the original version the king gave his slave to a Cypriot guest-friend, as is told in 17,442–4. However, that the defeated invader was well treated and was able to ›collect many gifts‹ (as Menelaus did …) may be an exotic [sic!] touch«; vgl. dazu auch Lloyd 1975, 15, der die Abhängigkeit Herodots vom Epos betont. Eingehender zu Herodots Erzählung über griechische Söldner in Ägypten s.u. Vgl. z.B. Kaplan 2002, 240–242; zweifellos war auch das in vielen Fällen der Hauptgrund, aber eben nicht der einzige. Die Parallele mit der Kolonisationsbewegung ist nur bedingt anzunehmen. Hom. Od. 14,214–226. Vgl. zu dieser Einstellung eines Teiles der archaischen Aristokratie auch Sappho fr. 27, a D 1–3.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

231

rische Lebensstil keine Ausnahme ist, zeigt auch ein Blick auf die frühgriechische Lyrik.24 Archilochos thematisiert das Söldnerleben als seinen wichtigsten persönlichen Lebensbereich: Das Fragment 2 W ist mit seiner Anapher ἐν δορί, wie auch mit seiner Akzentuierung auf den Qualitätswein aus Ismaros25 kein Klagegesang auf das Leben eines Kriegers, sondern ein echtes Bekenntnis. Außerdem ist in diesem Zweizeiler ein klarer Bezug zum Söldnerleben herauszulesen: Ἐν δορὶ μέν μοι μάζα μεμαγμένη, ἐν δορὶ δ’ οἶνος / Ἰσμαρικός, πίνω δ’ ἐν δορὶ κεκλιμένος. (»Am Speer (hängt) mein geknetetes Brot, am Speer auch der Ismarische Wein, und ich trinke, an den Speer gelehnt.«) Dieses Bild ist eine Metapher für das Söldnerleben schlechthin. Diese Deutung ist insofern nahe liegend, als das Fragment 216 W ganz eindeutig auf sein Söldnerleben hinweist: Καὶ δὴ πίκουρος ὥστε Κὰρ κεκλήσομαι. (»Wie einen Karer wird man mich einen Söldner nennen.«)26 Auf das Söldnerleben des Dichters weist höchstwahrscheinlich auch fr. 1 W.27 Die Vita des Archilochos bestätigt die Realität solcher Personen, wie sie am Beispiel des ›Lügenkreters‹ in der Odyssee fiktiv beschrieben sind und damit zusätzlich dessen typische Lebenssituation beweist: Zwar stammte sein Vater aus der Oberschicht von Paros, doch seine Mutter war wohl eine Unfreie. Dies bestimmte seinen Lebenslauf innerhalb der frühgriechischen Aristokratie, der er zwar seine Bildung und Mentalität verdankte, aber durch welche er in immer drohender Armut leben musste, da er wohl als ›Bastard‹ – wie der ›Lügenkreter‹ – kein Erbe erhalten hatte. Die einzige Möglichkeit, in solch einer schwierigen Lage standesgemäß zu leben, war das Kriegerdasein. Archilochos führte zweifellos zumindest zeitweilig das schwierige Leben eines Söldners und seine Erfahrungen mit der Schifffahrt hat er in manchen Versen zum Ausdruck gebracht. Die fiktive Geschichte des ›Lügenkreters‹ in der Odyssee und die Selbstaussagen des Archilochos ergänzen sich auf eine außerordentlich gute Weise und umreißen die sozialen Konturen eines frühgriechischen Söldnerführers. Abgesehen von der spezifischen Herkunft dieser verarmten Aristokraten haben sie auch die Motivationen für den Söldnerberuf und die damit verbundene Ethik gemeinsam. Der Söldnerberuf bot sich gerade solchen Männern an, weil sie darin das ausüben konnten, was sie als Kinder und Jugendliche gelernt hatten: nämlich zu kämpfen. Sie waren als militärische Führer solcher Truppen geradezu prädestiniert. Hier konnten sie das finden, was ihnen zu Hause verwehrt wurde: gesellschaftliche Anerkennung (τιμή) und Reichtum. Die Bedingungen innerhalb einer zusammengewürfelten Söldnertruppe unterschieden sich grundsätzlich von denen einer hetairia in Griechenland oder eines Polisheeres und bedingten daher auch eine andere Ethik vonseiten des Söldners. Standen im ersten Fall die Verteidigung der eigenen Gruppe (hetairia, polis, Koalition) und die Wahrung der Position 24 25 26 27

Zur frühgriechischen Lyrik als Quelle vgl. Teil II 2.1.2. Das thrakische Ismaros lag zudem ganz in der Nähe des thasischen Kriegsschauplatzes, an dem Archilochos gekämpft hatte, vgl. fr. 5 W. Stein-Hölkeskamp 1989, 85 sieht hier seltsamerweise keinen Beweis für das Söldnertum des Archilochos. M.E. sind die Aussagen des Dichters recht eindeutig. Vgl. Fränkel 1993, 152. Εἰμὶ δ’ ἐγὼ θεράπων μὲν Ἐνυαλίοιο ἄνακτος / καὶ Μουσέων ἐρατὸν δῶρον ἐπιστάμενος. Dieses Fragment ist besonders schwierig zu interpretieren, da es aus zwei Partizipialkonstruktionen besteht, das Prädikat also unbekannt ist. Wir wissen also nicht, worauf der Dichter eigentlich hinauswollte. Dass die Ausdrücke ›Diener des Herrn Enylios (Ares)‹ und ›Kenner des lieblichen Geschenks der Musen‹ ein Oxymoron darstellen, ist nur aus heutiger Sicht so zu verstehen. Dass die Antithese nicht zwischen diesen beiden Aspekten liegt, zeigt das Fehlen des δέ im zweiten Glied.

232

IV. Kontaktsituationen

in der jeweiligen Gruppe im Vordergrund, wie man es z. B. in den Elegien des Kallinos oder Tyrtaios nachlesen kann, so waren die Prioritäten eines Söldners andere. Kein Krieger eines Polisheeres hätte das Gedicht über den Schild schreiben können, den der Söldner lieber den feindlichen Saiern überließ als sein Leben dafür herzugeben (5 W). Nicht, dass ein ›richtiger‹ frühgriechischer Krieger anders gehandelt hätte, doch er hätte es niemals so ausposaunt. Die Gemeinschaft der Söldner ist außerdem eine zeitweilige, die weder Sicherheit noch Zukunft bietet: Γλαῦκ’, ἐπίκουρος ἀνὴρ τόσσον φίλος ἔσκε μάχηται. (»Glaukos, ein Söldner ist solange ein Freund, solange er kämpft!«). Es ist die Mentalität von Männern, die auf sich allein gestellt sind, sich im wahrsten Sinne des Wortes durchschlagen müssen und für deren Lebensstil die Aristokratie kein Vorbild mehr sein konnte. Dieser Verlust wird bitter beklagt: Πάντα Τύχη καὶ Μοῖρα Περίκλεες ἀνδρὶ δίδωσιν. (»Alles, Perikles, geben Tyche (das göttliche Schicksal) und die Moira dem Mann.«)28 Die Ungewissheit eines solchen Lebens zeichnet der Dichter besonders deutlich in 130 W auf: … κείνοις (δ’) ἔπειτα πολλὰ γίνεται κακά, καὶ βίου χρήμῃ πλανᾶται καὶ νόου παρήορος (»… jenen geschehen dann viele böse Dinge und mit Hunger irrt er umher und verzweifelt im Sinn«). Das wiederum ist genau der Typus von Männern, die im Umgang mit fremden und ungewohnten Situationen besonders flexibel waren und fremden Kulturen sehr viel offener gegenüberstanden. Eine andere Lebenssituation, die einen frühgriechischen Aristokraten zum Söldner machen bzw. zwingen konnte, finden wir bei Alkaios. Im Gegensatz zum Leben des Archilochos, der sich in der griechischen Welt verdingte, geht es hier um ein Söldnertum im Vorderen Orient. Ein Fragment aus seinen Gedichten ist die einzige authentische archaische Quelle über primäre Kontakte zwischen Griechen und Orientalen. Alkaios preist seinen Bruder Antimenidas für seine Erfolge als Söldner im Osten: »Du bist gekommen aus den äußersten Gefilden der Erde mit einem goldumwundenen Elfenbeingriff deines Schwertes ... ein großer Kampfpreis, aber du hast dich aus Not errettet, indem du einen Krieger der Königlichen tötetest, dem an fünf Ellen nur vier Finger fehlen«.29 Aus Strabon, der diese Verse in seinen Geographika zitierte, geht hervor, dass Antimenidas auf der Seite der Babylonier gekämpft hat.30 Diese Information entnahm Strabon wahrscheinlich dem vollständigen Gedicht, das ihm vorlag. Das Fragment stammt aus einem Begrüßungsgedicht, das Alkaios wohl aus Anlass der erfolgreichen Heimkehr (nostos) seines Bruders verfasst hatte, denn der Dichter spricht ihn in der 2. Person Singular an. Der Raum des Vortrags war zweifellos der oikos einer der beiden Brüder vor ihrer hetairia im Rahmen des Festes für Antimenidas. Alles ist also zu seinem Ruhm hergerichtet, auch wenn ich aus den Versen etwas Ironie heraushöre. Er kam »aus den äußersten Gefilden der Erde« und allein dieser Umstand wird bereits als ein heldenhafter Aspekt angesehen. Ein weiteres Fragment des Alkaios, vielleicht aus demselben Gedicht aus einem Papyrus, der zu beschädigt ist, um genau verstanden zu werden, behandelt offenbar dasselbe Thema, was die isolierten Wörter ›hei28 29

30

Archilochos 16 W. Ἦλθες ἐκ περάτων γᾶς ἐλεφαντίναν / λάβαν τῶ ξίφεος χρυσοδέταν ἔχων, / … ἄεθλον μέγαν, εἰρύσαο δ’ ἐκ πόνων / κτένναις ἄνδρα μαχαίταν βασιληίων / παλάσταν ἀπυλείποντα μόναν ἴαν / παχέων ἀπὺ πέμπων – – (Alk. fr. 350 LP). Τὸν ἀδελφὸν Ἀντιμενείδαν … φησὶν Ἀλκαῖος Βαβuλονίοις συμμαχοῦντα τελέσαι … (Strab. 13.1.3); außer Strabon geben auch noch weiter spätere Autoren das Zitat mit einer solchen Erklärung; vgl. den apparatus criticus zum Fragment.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

233

liges Babylon‹ und der Ortsname ›Askalon‹ signalisieren.31 Daraus kann man schließen, dass Antimenidas bei der Schlacht um diese Stadt an der südsyrischen Küste auf Seiten der Babylonier teilgenommen hat. Das Söldnertum des Antimenidas und das Exil des Alkaios fallen in die Zeit der Tyrannis des Myrsilos in Mitylene (ca. 609/8–587). Das sind die Jahre, in denen Nabukadnezar in Syrien kämpfte, bis 605 als Kronprinz auf Befehl seines Vaters Nabupolassar, dann als babylonischer König.32 In diesem Zeitraum sind in der Babylonischen Chronik zwei große Kämpfe in Syrien belegt: die Schlacht gegen den ägyptischen Pharao Apries im Jahr 605 und die Einnahme von Aškelon im Jahr 604.33 Offensichtlich hatte Antimenidas an der letzteren teilgenommen. An der Küste der Philister hat man eine große Menge griechischer Keramik gefunden, darunter auch solche aus Lesbos,34 und deutliche Spuren griechischer Söldner (s.u.). Antimenidas war in einer Entscheidungsschlacht »in Not« geraten. Glauben wir den Worten des Alkaios, wurde er im Nahkampf durch einen Hünen bedroht, den er aber überwinden konnte. Dieser riesige Krieger gehörte zu »den Königlichen«, war also entweder Mitglied der königlichen Familie von Aškelon oder der königlichen Garde, was wegen der hervorgehobenen Körpergröße wahrscheinlicher ist.35 Manche Übersetzer beziehen dieses Adjektiv auf ›Ellen‹ und übersetzen also »fünf Königsellen«. Eine Substantivierung von ›königlichen‹ aber ist auf jeden Fall plausibler:36 Eine ›babylonische Königselle‹ dürfte auf Lesbos damals gar nicht bekannt gewesen sein. Einen Riesen der königlichen Leibgarde zu erschlagen, klingt viel großartiger und heldenhafter. Es handelt sich ja um eine laudatio für den Bruder. Schon Denys Page ist die Parallele zwischen dem Kampf des Antimenidas mit dem hünenhaften Krieger der Garde und dem zwischen David und Goliath aufgefallen.37 Die Maße stimmen fast überein: fünf Ellen und eine Spanne sind es bei Goliath.38 Ob es sich hier um einen Topos in Kriegeraristien handelt, ist nicht zu sagen, da weitere Parallelen fehlen. Immerhin ist es bemerkenswert, dass beide Beispiele aus dem Land der Philister kommen. Auch die Kriegssituationen sind in beiden Texten vergleichbar: Eine Schlacht wird angeblich durch einen ungleichen Zweikampf entschieden. Die Kenntnis der biblischen Sage von David und Goliath ist angesichts der sehr wahrscheinlichen Präsenz griechischer Söldner an dieser Küste und in Juda39 tatsächlich nicht völlig abwegig. Zur Ehre gehörte auch ein besonders wertvolles Prunkschwert, wie man es nur von einem hochgestellten Krieger erbeuten oder bei der Beuteverteilung vom König zugeteilt bekommen konnte. Wie er es erworben hat, wird leider im Fragment nicht konkretisiert. Es ist der materielle Wert, der Aufsehen erregen soll: Es ist aus Elfenbein und Gold. Weitere Beschreibungen über das Aussehen wurden wohl als nicht relevant angesehen. Das Wichtigste ist die Feststellung, dass es einen großen Kampfpreis für den Mut und die kriege31 32 33 34 35 36 37 38 39

Alk. fr. 48,10–11 LP. Vgl. Teil I 4. Vgl. Teil I 4. Vgl. Teil I 5.4.4. Z.B. Franyo 1976, 50. So auch Treu 1952, 62. Page 1955, 223f. 1 Sam 17,4. Vgl. Teil I 5.4.3.

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IV. Kontaktsituationen

rische Leistung des Bruders darstellte. Dieses Schwert wird nicht das Einzige gewesen sein, was Antimenidas aus dem Orient mitgebracht hat. Die Dauer seines Aufenthalts im babylonischen Heer kann nicht genau bestimmt werden. Wahrscheinlich musste er Lesbos bald nach der Machtübernahme des Myrsilos verlassen (ca. 609). Die Schlacht bei Aškelon fand im Jahr 604 statt. In diesem Fall hätte er mindestens 5 Jahre, aber wahrscheinlich noch länger im Osten verbracht. Als hoher Aristokrat wird er der Anführer einer griechischen Söldnertruppe gewesen sein, die natürlich im Gedicht auch nicht andeutungsweise erwähnt wird. Ganz allgemein kann man vermuten, dass es Männer aus Lesbos gewesen sein müssten.40 Seine Kontaktbedingungen als Söldnerführer können als sehr günstig eingestuft werden: Sie fanden zweifellos auf einem hohen sozialen und kulturellen Niveau statt. Sein Exil als Söldner war offensichtlich ein Pluspunkt in seiner Vita. Der frühgriechische Adel akzeptierte also diese militärische Betätigung nicht weniger als Kampfhandlungen im griechischen Raum. Berührungsängste mit ›östlichen Despoten‹ sind in keiner Weise erkennbar. Zum Söldnerthema werden am häufigsten die ionischen und karischen Krieger erwähnt, welche Herodot zufolge vom ersten Saïtenpharao, Psammetichos I., in Dienst genommen wurden.41 Dieses Ereignis stellt der antike Historiker in den Rahmen eines Orakels, was seinen Präferenzen entspricht, und erzählt es in anekdotenhafter Form:42 »… Da er (Psammetichos) erkannte, dass sie (die 11 Deltakönige) ihm schwer mitgespielt hatten, beschloss er, sich an seinen Verfolgern zu rächen. Er schickte jemanden zum Orakel der Leto und Buto, das die Ägypter für am zuverlässigsten hielten. Die Antwort (der Göttin) lautete, dass aus dem Meer die Rache kommen würde, wenn eherne Männer (von dort) als Helfer43 erscheinen würden; nur wenige Zeit später kamen Ionier und Karer, die zum Plündern ausgezogen waren, in Not und wurden nach Ägypten verschlagen. Als sie in Bronzerüstung aus den Schiffen stiegen, meldete dies ein Ägypter dem Psammetichos, dass eherne Männer vom Meer im Sumpfgebiet (des Deltas) angekommen seien und das Flachland plünderten. Er hätte nämlich vorher noch keine Männer in Bronzerüstungen gesehen. Da dieser erkannte, dass die Weissagung in Erfüllung gegangen war, schloss er mit den Ioniern und Karern Freundschaft, versprach ihnen große Dinge und überredete sie, mit ihm zu bleiben. Er konnte sie überreden und so vertrieb er die Könige mit seinen ägyptischen Anhängern und diesen Söldnern.« Psammetichos benötigte unbedingt eine Verstärkung seiner eigenen Streitkräfte, um sich gegen die Koalition der elf Deltakönige behaupten zu können. Deshalb hatte er ein Orakel eingeholt. Das Rätsel der Antwort löste sich erst auf, als die ionischen und karischen Piraten erschienen. Zufällig, wahrscheinlich durch widrige Winde, seien sie an die ägyptische Küste verschlagen worden; das klingt wie eine Gottesfügung. Zwar machten die Räuber das, was sie immer taten, nämlich plündern, doch es gelang Psammetichos sie als Söldner anzuwerben. Die »großen Dinge«, die er ihnen dafür versprach, waren, wie es Herodot im nächsten Kapitel berichtet, vor allem Land, Anstellung und natürlich Beute. Dies alles wurde offensichtlich durch Verträge geregelt, denn der Ausdruck ›er schloss Freundschaft‹ (φίλα ποιέεται) ist wohl nicht anders zu deuten. Die Geschichte datiert die Ankunft dieser Söldner aus Kleinasien in die Zeit seines Aufstiegs als alleiniger König des 40 41 42 43

Zur Frage der griechischen Söldnertruppen s.u. Dazu besonders ausführlich: Austin 1970; zum historischen Hintergrund vgl. Teil I 2. Hdt. 2,152. Dieses Wort gehört auch zu den Bezeichnungen für Söldner.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

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Deltagebietes, also in die Jahre nach 664.44 Psammetichos I. hielt, was er versprochen hatte: Er wies den Söldner Land zu, auf einem Gebiet, das sich beiderseits des Nils unterhalb der Stadt Bubastis am Pelusischen Nilarm erstreckte und den Namen (unter den Griechen) Στρατόπεδον ›Heerlager‹ erhielt.45 Diese Söldner waren ihm so wichtig, dass er ihnen Ägypter zuordnete, damit sie Griechisch erlernen und als Dolmetscher dienen konnten. Die wichtigsten Informationsquellen Herodots waren die ansässigen Griechen, die sich ihre Geschichte in Ägypten geschaffen hatten. Die eigene griechische Tradition machte aus Piraten gottesgelenkte Helfer mit dem Aussehen von mythischen Helden (»eherne Männer«), die dem Pharao, der dem Frevel seiner Feinde ausgesetzt worden war, zum Sieg verhalfen. Die Geschichte über den Ursprung der ägyptischen Dolmetscher dürfte Herodot von einem solchen persönlich erfahren haben.46 Dass Dolmetscher speziell für diese Söldner ausgebildet wurden – eine Information, die wir sicher nicht zu bezweifeln brauchen –, ist überhaupt recht vielsagend: Diese Gruppe von Griechen war offensichtlich recht umfangreich, denn sonst hätte sich dieser Aufwand nicht gelohnt. Wenn man die Angabe des ›Lügenkreters‹ in der Odyssee heranzieht (s.o.), waren es auf jeden Fall mehrere hundert Männer. Angesichts der guten Aussichten in Ägypten sind in den folgenden Jahrzehnten noch weitere Söldnergruppen hinzugekommen. Die Einrichtung eines Übersetzerdienstes zeigt die große Bedeutung einer reibungslosen Kommunikation. Sprechen die archaischen Quellen nur über die Anführer, so ist bei Herodot ausschließlich von Gruppen die Rede. Die Söldnerführer wurden also nicht als hervorragende Persönlichkeiten in die lokalen Geschichten der Griechen, die sich in Ägypten niedergelassen hatten, einbezogen. Dafür sind verschiedene Gründe denkbar: Viele von ihnen blieben vermutlich nicht in Ägypten, sondern kehrten nach Griechenland zurück, wie es in den Epen beschrieben ist und auch bei Pedon der Fall war.47 Und schließlich wurden die Geschichten in einer bereits ganz anderen Zeit erzählt, als die frühgriechische Aristokratie schon längst ihren Glanz verloren hatte. Herodot berichtet nichts über mögliche spätere Einsätze der ionischen und karischen Söldner unter Psammetichos I. Griechische Söldner waren wahrscheinlich auf seinem Libyenzug dabei, als verschiedene Oasen unter ägyptische Herrschaft fielen und eine Grenze zur griechischen Kolonie Kyrene geschaffen wurde.48 Doch sicher hat es für die griechischen Söldner noch andere Kampfhandlungen gegeben: bei der Durchsetzung seiner Macht über ganz Ägypten und besonders bei Feldzügen nach Syrien, da griechische Söldner nahe der Grenze stationiert waren. Als Psammetichos I. im dritten Viertel des 7. Jh. Ašdod belagerte, setzte er vermutlich auch die dort stationierten griechischen Söldner ein. Vielleicht steht die dort gefundene griechische Keramik damit in Verbindung.49 Herodot spricht immer ausschließlich von ionischen und karischen Söldnern und lässt an einigen Stellen sogar durchblicken, dass sie eine absolut exklusive Stellung eingenom44

45 46 47 48 49

Kammerzell 1993, 113 datiert die Ankunft der Griechen in die Jahre zwischen 664 und 657, da er die lydische Geschichte in seine Überlegungen einbezieht. Diese hat aber offensichtlich keine Rolle gespielt, s.u. Wahrscheinlich sollte damit ein Nilübergang geschützt werden. Dort lagen die Städte Daphnae und Migdol; vgl. Lloyd 1975, 137 mit Literatur. Hdt. 2,154. Vgl. Teil IV 1.3. Vgl. dazu Haider 2004, 448 mit Literatur. Vgl. Teil I 5.4.4.

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IV. Kontaktsituationen

men hätten.50 Durch Inschriften, Papyri und archäologische Funde sind aber auch viele Söldner anderer Herkunft bekannt wie die Šošu-Beduinen und asiatische Söldner, vor allem Phöniker und Judäer.51 Die griechischen Söldner nahmen also keinesfalls die exklusive Stellung ein, wie sie ihnen in der Literatur seit Herodot zugeschrieben wird. Nachdem die Griechen längere Zeit in Stratopedon gelebt hätten, seien sie von dem späteren Pharao Amasis (567–526) weggeholt und bei Memphis angesiedelt worden.52 Polyainos zufolge hätten dort schon Karer unter Psammetichos I. gelebt.53 Diese Angabe wird durch dort aufgefundene Keramik, Kleinfunde und Graffiti bestätigt.54 In Memphis habe Amasis Griechen »zu seiner Leibwache gegen Ägypter« gemacht.55 Das war also knapp ein Jahrhundert später, nachdem sie sich in Stratopedon niedergelassen hatten, d.h. gut drei Generationen. Hier stellen sich allerdings zwei Fragen: Waren es tatsächlich nur Griechen, welche diese Leibgarde bildeten? Aufgrund der Gräkozentrik des Herodot und seiner Informanten sind hier Zweifel angebracht. Und die zweite wäre: Was hob die Söldner einer Leibgarde aus den übrigen hervor? In der historiographischen Literatur wird gerade über diese Leibgarde viel spekuliert: An erster Stelle wird die Loyalität gegenüber dem Dienstherrn hervorgehoben, ein Vertrauensverhältnis, das auf der Ebene der Offiziere sicher ein persönliches gewesen sei. Diese hohen Militärs sollen daher in einem direkten Kontakt mit den Großen des Palastes gelebt haben.56 Allerdings zeigen Dokumente der 26. Dynastie ein anderes Bild. Danach gab es zwei Arten von Militärtruppen am Königshof: die sogenannte Königliche Garde, die aber keine Leibwache darstellte und wohl der Armee beigeordet war, und die Königliche Wache, die als persönliche Schutztruppe des Pharao anzusehen ist. Diese setzte sich aber nicht aus verdienten Kämpfern zusammen, sondern aus auszubildenden Rekruten.57 Ihre Offiziere aber befanden sich sicher in einem Vertrauensverhältnis mit den Großen des Palastes und dem König persönlich (s.u.). Auch nach Psammetichos I. rissen die Beziehungen zwischen den saïtischen Pharaonen mit der griechischen Welt nicht ab. Besonders auffällig sind die zahlreichen, von Herodot ausdrücklich erwähnten Weihungen an die großen panhellenischen Tempel von mehreren ägyptischen Königen nach Psammetichos I.: Necho II. schickte nach seinen Siegen bei Magdolos und Kadytis58 Siegesbeute nach Didyma.59 Amasis stiftete Beutestücke für den Athenetempel in Lindos und Porträts für den Heratempel auf Samos.60 Das ist nur eine Auswahl der vielen Weihungen. Sie illustrieren die Bemühungen Ägyptens, gute diploma50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Vgl. Hdt. 2,154: Sie wären die ersten Fremden gewesen, die sich in Ägypten niedergelassen hätten; eine Behauptung, die völlig falsch ist. Lloyd 1975, 137 mit Literatur. Hdt. 2,154. Polyain. 7,3. Petrie 1909, 3; Boardman 1980, 133. Hdt. 2,154: φυλακὴν ἑωυτοῦ ποιόμενος πρὸς Αἰγυπτίων. Vgl. z.B. Haider 2001, 200–203; 2004, 448 mit weiteren Ausführungen. Pressel 1996, 25f. Mediggo und Gaza. Die Namenformen sind übrigens über das Ägyptische in die griechische onomastische Lexik gekommen und nicht über eine westsemitische Sprache. Vgl. Lloyd 1975, 163. Ἐς Βραγχίδας τὰς Μιλησίων, Hdt. 2,159. Hdt. 2,180; 2,182.

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tische Beziehungen mit der griechischen Welt aufzunehmen bzw. zu unterhalten. Dahinter steckte sicher der Wunsch, neue Söldner anzuwerben, denn andere Motivationen sind nicht erkennbar. Die These, solche Weihungen könnten Danksagungen der Pharaonen an die jeweiligen griechischen poleis gewesen sein,61 passt nicht in die historische Wirklichkeit des 7. Jh., als eine polis noch keine Außenpolitik kannte.62 Die Söldner kamen eben nicht als Teil eines offiziell ausgesandten Polisheeres nach Ägypten, sondern auf private Initiative von Aristokraten mit ihren Truppen. Ihnen stattete man Dank in Form von Sold, Beute, verschiedenen Positionen in Militär und Verwaltung und auch Landbesitz ab. Die einzige uns bekannte Ausnahme machte in dieser Hinsicht der Tyrann von Samos, Polykrates, der mit Amasis einen Symmachievertrag geschlossen hatte und Truppen zu Auslandseinsätzen ausschickte. Dagegen vermittelten die panhellenischen Heiligtümer in Delphi und auf Samos direkte Beziehungen zu allen Eliten in den griechischen poleis, denn dort versammelte sich in regelmäßigen Abständen die Aristokratie der gesamten griechischen Welt. Sie waren wohl auch das ›Sprachrohr‹ der Pharaonen. Die ägyptischen Weihungen und andere Aktivitäten für diese Stätten hatten vor allem mediale Funktionen: auf sich aufmerksam zu machen, die großen Möglichkeiten des Landes und die Großzügigkeit seiner Könige zu demonstrieren. Die Pharaonen entwickelten eine Propaganda, die, wie die antike Literatur beweist, auch gut ankam. Nicht nur über die Weihungen selbst und die Funktionäre, die sie überbrachten, wurde Ägypten den Griechen immer bekannter. Auch die Griechen in Ägypten, d.h. die Nachkommen der angesiedelten Söldner, unterhielten Verbindungen zum delphischen Heiligtum und spendeten z.B. eine vergleichsweise bescheidene Summe für den Wiederaufbau des Apollontempels, nachdem dieser im Jahr 548 bei einem Brand zerstört worden war.63 Die Bemühungen an den griechischen Heiligtümern führten zum gewünschten Erfolg: Herodot berichtet, dass Apries in seinem Kampf gegen den Usurpator Amasis 30.000 Karer und Ionier zusammenbrachte.64 Bei dieser Angabe ist zu berücksichtigen, dass Herodot nur von griechischen Söldnern in Ägypten ausging und die syrischen, libyschen u.a. Söldner außer Acht ließ. Es ist schwer zu sagen, wie viele Griechen tatsächlich in seinem Heer waren, zumal auch die Anzahl der Karer erheblich gewesen sein muss. Auf jeden Fall kann man von mehreren Tausend ausgehen. Apries galt in Griechenland als ein großer Griechenfreund.65 Herodot erwähnt spezielle Lager der griechischen Söldner. Diese Angabe wird von der Archäologie bestätigt wie z.B. in Tell Defenneh am Pelusischen Nilarm, nicht weit vom heutigen Suezkanal entfernt. Dieses große Militärlager, in dem nach den Funden vorwiegend Ostgriechen und wenige Karer angesiedelt waren, wurde wahrscheinlich schon zur Zeit Psammetichos I. errichtet66 und existierte bis zur persischen Eroberung 525. Weiter sind Griechen in dieser Zeit in folgenden ägyptischen Städten belegt: Kom Frin, Saïs, Bu61 62 63 64 65 66

Haider 2004, 448. Vgl. auch Teil IV 2.2. Hdt. 2,180. Hdt. 2,163. Einem demotischen Papyrus zufolge hat Amasis den fremden Söldnern Landstücke und Einkommen von den Tempeln in Bubastis, Memphis und Heliopolis überlassen: How, Wells 1936, 244. Verstreute Scherben aus dem Ende des 7. Jh., ein Deposit aus der Zeit des Amasis: Petrie 1888, 47–96.

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IV. Kontaktsituationen

bastis, Benhu, Rhakotis, Heliopolis, Theben, Edfu, Elephantine,67 Sanam Abu Dom in Nubien u.a.68 Nach der Keramik zu urteilen stammten die meisten aus Ostgriechenland. Für das Verständnis des ostgriechischen Söldnertums sind die Graffiti von Abu Simbel von größter Bedeutung. Sie datieren in die Zeit Psammetichos II. (594–588), einem nur schemenhaft fassbaren Pharao, von dem Herodot lediglich eine militärische Expedition nach Nubien erwähnt.69 Genau von dieser Expedition berichten auch griechische Graffiti.70 In Abu Simbel hatten sich auf den Schenkeln der monumentalen Statuen Ramses II. Söldner aus dem pharaonischen Heer mit phönikischen,71 karischen72 und griechischen73 Inschriften verewigt. Vom Sommer 592 bis zum Frühling 591 war der Pharao mit seinen Heeren im Süden Ägyptens, wobei er auf der Insel Elephantine sein Lager bezog. Gleichzeitig diente die Insel als Ausgangspunkt für die Expedition nach Süden.74 Einige Truppen zogen ohne den König unter dem Befehl eines Generals Amasis weiter nach Nubien.75 Die längste der griechischen Inschriften, Nr. 1, besteht aus 5 sorgfältig geschriebenen Zeilen: »Der König Psammetichos kam nach Elephantine (1); diese Inschrift schrieben die Männer um Psammetichos, Sohn des Theokles (2); sie fuhren auf Schiffen und kamen nach Kerkis, bis wohin es der Fluss erlaubte76 (3–4); die fremdsprachigen Krieger befehligte Potasimtos, die ägyptischen Amasis (4); mich [d.h. die Inschrift] schrieb Archon, Sohn des Amoibios, und Peleqos, Sohn des Oudamos (5).« Die Inschrift weist dorische Dialektformen auf und ist im archaischen ionischen Alphabet in den Stein geritzt.77 Den Graffiti 3 bis 6 zufolge stammten alle Söldner aus dem dorischen und ionischen Kleinasien: in Inschrift 4 ein Mann aus Ialysos (wie Anaxanor von Nr. 2), in Inschrift 3 aus Teios, in 6 aus Kolophon. Die Leute um Psammetichos, Sohn des Theokles, bildeten wahrscheinlich eine Einheit innerhalb der Flussflotte, die nach Nubien vorstoßen sollte. Der Vater dieses Psammetichos trug einen griechischen Namen. Daher wird vermutet, dass er schon unter Psammetichos I. Söldner gewesen ist und daher seinen Sohn nach seinem Dienstherren genannt hat, bei dem er eine besondere Vertrauensstellung eingenommen habe.78 Diese Schlussfolgerung ist allerdings zu einseitig.79 Der ägyptische Name dieses griechischen Offiziers kann auch anders erklärt werden, z.B. damit, dass sein Vater ihn nach Psammetichos (den ersten oder zweiten, dann aber noch als Kronprinz?) benannt hat oder aber, dass Psammetichos nicht sein Geburtsnamen, sondern sein ›schöner Name‹ war, der ihm vom Pharao für besondere 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79

Vgl. Breasted, AR 4, 989–995; Schäfer 1904, 156–158; Ševoroskin 1964, 57–65. Vgl. dazu auch mit Literatur und Karte Haider 2004, 481. Hdt. 2,161. Bernand, Masson 1957; zu weiter Literatur vgl. Haider 1996, 104f. CIS I 1, 111–112. Masson 1979; Ray 1982. Bernand, Masson 1957, 1–20. Hansen 1984, 84. Bernard, Masson 1957, Nr. 2; zum Verlauf der Expedition vgl. Goedike 1981. Es handelt sich um eine nicht lokalisierte Region jenseits des 3. Katarakts; vgl. Hauben 2001, 58. Bernard, Masson 1957, 5f. Haider 1996, 108. Zu den Personennamen Psammetichos in Griechenland vgl. Austin 1970, 15, Anm. 5; Pharaonennamen sind auch sonst im archaischen Griechenland keine Seltenheit; vgl. außer diesem Psammetichos: Kyrenaika (GPN I 488); Korinth (GPN III A 481); vgl. auch Amasis (ca. 555–530) in Attika (GPN II 24) und in Elis (GPN III A 32).

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Leistungen verliehen wurde und tatsächlich eine gewisse Nähe zum König signalisieren würde.80 Psammetichos, Sohn des Theokles, war also vielleicht ein Grieche in zweiter Generation in Ägypten. Dass er wie auch die beiden Gefährten, welche auf der Inschrift genannt sind, zur griechischen Aristokratie gehörten, zeigen ihre Patronyme.81 Auch die Kenntnis und der Umgang mit der Schrift weisen in diese Richtung. Der Rang dieses Psammetichos im Heer der fremden Soldaten, das dieser Inschrift zufolge von einem Potasimtos befehligt wurde, war zweifellos recht hoch, doch er gehörte eher zur mittleren Offiziersriege. Der höchste General war nach dem Oberbefehlshaber, dem Pharao, wahrscheinlich der in der Inschrift genannte Ägypter Amasis, auch wenn er hier nur als Kommandeur der ägyptischen Truppen bezeichnet wird. Er wird auf der Inschrift 2 als einziger mit dem Pharao genannt. Potasimtos unterstand ihm also als Befehlshaber der ausländischen Truppen.82 Diese Schlussfolgerung entspringt eher der historischen Logik als den Texten der Graffiti: In der ägyptischen Armee mussten Ägypter und Fremde eng zusammen operieren, um effektiv kämpfen zu können. Und das bedeutet einen einheitlichen Oberbefehl, der von demjenigen übernommen werden musste, unter dem auch die hohen ägyptischen Offiziere dienten. Welchen Platz Psammetichos, Sohn des Theokles, in der militärischen Hierarchie einnahm, geht aus der Inschrift nicht eindeutig hervor.83 Wir können uns noch nicht einmal sicher sein, ob er der Kommandant des gesamten griechischen Kontingentes war oder nur der kleineren Einheit, die für diese Flussfahrt spezialisiert und abkommandiert war. Ihm auf Grund seines Ranges eine besondere Vertrauensstellung beim Pharao zuzuschreiben, ist auf jeden Fall eine Überinterpretation.84 Denn nach der überzeugenden Deutung von Paul Bernard und Oliver Masson hat dieser Psammetichos die Navigation auf dem Fluss geleitet, was auf große Erfahrung und gute Landeskenntnisse hinweist.85 Eine ägyptische Stele, die über diese Expedition berichtet, ist genau auf den 8.10. datiert.86 Das bedeutet, dass man zur Überquerung des ersten und des zweiten Katarakts das Hochwasser abgewartet hat, wenn der Süden zu Schiff erreichbar war. Die Behauptung Herodots, dass die ägyptischen und fremden Kontingente getrennt geführt wurden,87 wird in der Inschrift bestätigt: die ἀλ(λ)όγλοσ(σ)ος (Akk.Pl.), und damit sind nicht nur die Griechen, sondern auch Karer, Phöniker und Juden, vielleicht auch Aramäer, gemeint, unterstanden dem General Potasimtos.88 Dieser ist auch aus ägyptischen Inschriften mit seiner ägyptischen Namenform Pd’i-smꜢ-t,wy bekannt, auf der er unter acht 80

81 82 83 84 85 86 87 88

Bei einem ›schönen Namen‹, der im Neuen Reich und ab der 26. Dynastie belegt ist, ist der Königsname allerdings immer nur als Namensglied belegt. Könnte der Name Psammetichos die griechische Abkürzung eines etwas anders lautenden ägyptischen gewesen sein? Die Patronyme können aber nicht ihren Rang innerhalb der ägyptischen Armee anzeigen, wie Haider 2004, 449 meint. Vgl. zu diesen Generälen Sauneron, Yoyotte 1952, 157–207; dort auch allgemein über die Kusch-Expedition Psammetichos II. Vgl. das Schema bei Haider 2004, 482. Haider 1996, 111. Bernard, Masson 1957, 6. Goedicke 1981, 190. Hdt. 2,163 unter Apries. Zur Diskussion vgl. Hauben 2001, 66–69.

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IV. Kontaktsituationen

anderen auch den Titel ›General der Fremden und der h‫א‬w-nbwt‹ trägt.89 Die Bedeutung des zweiten Begriffes ist umstritten. Er wird gern als ›der Griechen‹ wiedergegeben,90 obwohl die Bedeutung recht unsicher ist.91 Auf weiteren Graffiti haben auch andere Personen aus der griechischen Abteilung ihre Namen hinterlassen, darunter ein Anaxanor aus Ialysos, »als der König Psammetichos zum ersten Mal sein Heer ausziehen ließ, dabei Amasis«. Nichts deutet darauf hin, dass dieser Anaxanor von der Insel Rhodos eine besondere Stellung im Heer eingenommen haben könnte. Er ist gut vergleichbar mit den Söldnern auf den übrigen Graffiti (Nr. 3–7). Dass er dennoch in einer Untersuchung als Chef der königlichen Leibwache bezeichnet wird, liegt an einer Überinterpretation dieser schwer verständlichen Zeilen.92 Aus dem Umstand, dass Anaxanor Amasis, den General der ägyptischen Truppen, zusammen mit dem Pharao Psammetichos erwähnt, hat Peter Haider geschlossen, dass Anaxanor auch diesem unterstanden habe. Das ist nicht zwingend, da hier die Situation beschrieben wurde, in der diese Graffiti geschrieben wurden. Andere haben daraus gefolgert, dass Amasis der höchste General nach dem König gewesen sei (s.o.). Haider aber geht davon aus, dass Amasis und Potasimtos gleichrangig gewesen seien, und sieht Anaxanor daher im Lager der Ägypter. Dort hätte er als Ausländer aber nur als Mitglied der oben erwähnten Leibwache gewesen sein können. Der Schritt, ihn von dort zum Chef derselben zu machen, ist dann nicht weit. Tatsächlich aber geht aus der Inschrift nichts von alledem hervor. Anaxanor, der kein Patronym trägt, gehörte wohl nicht zum griechischen Adel. Auch ist ungewiss, ob er und die übrigen jeweils die Inschriften selbst eingeritzt haben oder ob es ein Schreibkundiger war, wie bei Nr. 1, auf dem sich Archon, Sohn des Amoibios, und Peleqos, Sohn des Oudamos (=Eudamos) als Schreiber nennen. Der letztere Name ist besonders interessant, da er karisch zu sein scheint.93 Auch dieser Befund darf nicht überinterpretiert werden. Aber er könnte darauf hinweisen, dass Griechen und Karer in diesen fremden Truppen zusammengefasst waren. Auf den Statuen Ramses II. haben Griechen, Karer und Phöniker, aber keine Ägypter Graffiti hinterlassen. Psammetichos, Sohn des Theokles, hatte die Inschrift Nr. 1 veranlasst, aber sie nicht selbst geschrieben, zumal sie an einem schwer erreichbaren Platz angebracht war. Der griechische Kommandant verewigte sich und seine Gefährten dort ausdrücklich als tapfere Soldaten des Pharao gegen die Äthiopier oder vielleicht gegen Wegelagerer, die den Verkehr störten. Die Aithioper waren in der griechischen Welt damals bereits gut bekannt, wie ihre Erwähnung in den homerischen Epen zeigt (s.o.). Die Kunde über sie stammte also nicht von den Söldnern Psammetichos II., sondern muss sich bereits im 7. Jh. wenn nicht sogar noch früher, in Griechenland verbreitet haben. Der späte Schriftsteller Polyainos berichtet von karischen Söldnern im Dienst des letzten nubischen Königs Tanutamun.94 Welche Quelle ihm dafür vorlag, ist unbekannt, doch sie erscheint vor dem Hintergrund der starken karischen Minderheit und des hohen Grades ihrer Akkulturation und Assimilation in Ägypten glaubhaft. Vielleicht waren schon damals auch ionische Söldner dabei gewesen. Tanutamun 89 90 91 92 93 94

Sauneon, Yoyotte 1952, 159, Anm. 6. Außer ihm besaß noch ein weiterer General aus der Zeit Psammetichos II. diesen Beinamen: Kienitz 1953, 42 mit Literatur. Haider 1996, 108. Hauben 2001, 66 mit Literatur. Haider 1996, 109; 2004, 44. Bernard, Masson 1957, 9; zur Diskussion vgl. Hauben 2001. Polyain. 7,3.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

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war nur kurze Zeit Pharao. Die 25. (nubische) Dynastie (747–656) hatte sich dem Westen geöffnet und betrieb eine expansive Außenpolitik in Syrien. Sein Vater Taharqa (680–664) hatte unter einem gewaltigen assyrischen Druck gestanden.95 Daher ist es gut möglich, dass schon damals fremde Söldner in ägyptischen Dienst kamen. Sicher aber ist, dass Psammetichos, Sohn des Theokles, nicht der erste griechische Söldnerführer im Süden Ägyptens war, sondern bereits in einer wohl schon langen Tradition stand. Wollte er sich und seine hetairia im Rahmen einer griechischen Tradition in Ägypten verewigen? Die Graffiti waren im Eingangsbereich des Großen Tempels von Abu Simbel angebracht, der den Staatsgöttern Amun-Re, Re-Harachte, Ptah und dem göttlichen Ramses II., geweiht war. Graffiti an Tempeleingängen sind in Ägypten etwas Übliches: Dort, wo das ›gemeine Volk‹ Zutritt hatte, hinterließ es auch Graffiti mit ganz unterschiedlichen Inhalten, die nicht immer auf den Tempel und seinen Kult bezogen sein mussten. Auf jeden Fall war der Tempeleingang ein Schriftträger, der sich anbot, Inschriften zu hinterlassen. Gerade in Abu Simbel hätte es für Leute, die diesen Brauch nicht kannten, viele andere Steinoberflächen dafür gegeben. Zwei der sieben Graffiti erwähnen den Pharao Psammetichos (II.). Auch das ist ein wichtiger Anhaltspunkt. Abu Simbel war an der ägyptisch-nubischen Grenze erbaut worden, und die Kolossalstatuen des Gottes Ramses sollten sie schützen. Diese Botschaft der 20m hohen Bildwerke war auch noch im 1. Jt. verständlich. Somit könnten diese Graffiti eine Art Weihung der Griechen an diesen göttlichen Patron ihres Unternehmens gewesen sein. Man kann es als eine Art Rechenschaftsbericht an den Gott bzw. die Götter verstehen wie auch als Dank für den glücklichen Abschluss der Expedition. Das könnte auch verständlich machen, warum die jeweiligen Kommandeure der fremden Soldaten die Initiative dazu gaben.96 Somit hätten diese Inschriften mehrere Funktionen, bzw. mehrere Empfänger gehabt, die sie ansprechen wollten: zum einen die Gottheiten oder auch nur den Beschützer der Grenze, Ramses – das würde von dem Grad der Akkulturation abhängen – und zum anderen in Zukunft zu erwartende fremde Söldner, welche von Abu Simbel aus an Nubienfeldzügen beteiligt sein würden. Und schließlich wandten sie sich an die in Ägypten ansässigen Griechen, welche ebenfalls zu diesem Tempel kamen. Sie hätten den Ruhm dieser Krieger sowohl in Griechenland als auch in Ägypten weiter- und zu ihrer τιμή beitragen können. Der Anteil griechischer Soldaten und Offizieren dürfte sich nach Necho II. noch wesentlich erhöht haben, nämlich in der Zeit, in der die Ägypter keinen Zugang mehr nach Syrien und Phönikien hatten und von dort keine Söldner mehr anheuern konnten. Griechen stellten in dieser Zeit wahrscheinlich die wichtigsten und größten Kontingente der fremden Krieger. Anhand der Zeugnisse von und über Söldner in Ägypten ist es möglich, die Kontaktbedingungen ihrer Adaption und Akkulturation nachzuzeichnen. Die griechischen Offiziere nahmen die höchste Stellung in der Hierarchie ihrer griechischen Truppen ein. Damit waren sie – im griechischen Sinn – die Anführer ihrer hetairiai, unabhängig davon, ob diese schon als solche seit der Abfahrt bestanden oder sich erst in Ägypten formiert hatten. Eine 95 96

Vgl. Teil I 2. Der phönikische Kommandeur war ein Ededptah, Sohn des Jagurešmun. Er trägt einen ägyptischen Namen, während sein Patronym phönikisch ist, parallel zu den Namen des griechischen Psammetichos.

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IV. Kontaktsituationen

solche Gruppenbildung wurde höchstwahrscheinlich von den Ägyptern durch die Kommandoketten zusätzlich erzwungen. Diese Anführer waren gleichzeitig militärische Befehlshaber ihres Gastlandes. Dadurch hatten sie auch außerhalb des rein militärischen Bereichs die Aufgabe, die Gruppe in ihren inneren Belangen zu organisieren und sie nach außen hin zu vertreten. Um diese vielfältigen Pflichten erfüllen zu können, benötigten sie verschiedene, absolut obligatorische Qualifikationen: zum einen die Möglichkeit einer verbalen Kommunikation mit den Ägyptern, zum andern einen hohen sozialen Status, die Gruppe effektiv zu lenken und zu repräsentieren, zum dritten ausgezeichnete berufliche Fähigkeiten (in unserem Fall militärische), welche sie in den Augen der Ägypter qualifizieren konnten. Für einen Befehlshaber im ägyptischen Heer war die Kenntnis der ägyptischen Sprache eine der ersten Voraussetzungen. Nichts ist im Militär wichtiger als reibungslose Kommunikation. Sie mussten Befehle entgegennehmen, auch in Kampfsituationen, in denen es auf die schnelle Übermittlung, auch in Form von Übersetzungen, ankommt. Außerdem mussten sie Rapporte für ihre Vorgesetzten verfassen. Dass solche Leute wie Psammetichos, Sohn des Theokles, tatsächlich das Ägyptische beherrschten, zeigt indirekt der Grad ihrer Akkulturation, die nur über verbale Kontakte erreicht werden konnten (in seinem Fall die Kenntnisse über die Schutzfunktion der Kolossalstatue und über die Fläche zum Anbringen von Inschriften). Er stand in einem ständigen Kontakt mit seinen ägyptischen Befehlshabern und bewegte sich auch in ihren Kreisen, die sich womöglich bis zum Königshof erweitern konnten. Persönliche Kontakte mit ägyptischen Kollegen und höheren Offizieren waren für solche Söldnerführer für ihre weitere Karriere ausschlaggebend. Die griechischen Quellen berichten nur von griechischen Söldnern in Ägypten. Daher nehmen manche Historiker an, dass das Söldnertum im Vorderen Orient keine Rolle gespielt habe. Dennoch lassen sich auch ohne schriftliche Quellen griechische Söldner mit mehr oder weniger Sicherheit an einigen Orten der Levante ausfindig machen. Schlussfolgerungen dieser Art kann man aufgrund archäologischen Materials ziehen. An der südsyrischen Küste hat man eine Reihe von Militärlagern gefunden, in denen auch griechische Soldaten untergebracht waren.97 Eine Sonderstellung nimmt Mesad Hašavjahu ein. Diese Festung bestand nur kurze Zeit und wurde bald verlassen. Ein hebräisches Graffito zeigt, dass hier auch Juden stationiert waren. Für eine Präsenz griechischer Söldner sprechen außer der Keramik vor allem Gegenstände des Alltags wie Kochtöpfe, Amphoren oder Lampen griechischer Herkunft. Diese Gegenstände beweisen, dass Griechen hier nicht nur vorbeigekommen sind, sondern auch gewohnt haben.98 Noch wichtiger ist in dieser Hinsicht die Entdeckung einer Schmiedewerkstatt, in der griechische Waffen und Rüstungen repariert werden konnten.99 Die historische Interpretation dieses Lagers hängt von einer genauen Datierung ab, welche die Scherben allerdings nicht liefern können. Daher werden in der Literatur verschiedene Szenarien vorgeschlagen. Die wahrscheinlichste von ihnen sieht in dieser Anlage eine ägyptische Garnison, in der ostgriechischer Söldner untergebracht worden waren. Vielleicht wurde das Kastell schon unter Psammetichos I. errichtet. Er könnte griechische Söldner, die er möglicherweise auf seinem Feldzug gegen Aškelon mitgenom97 98 99

Vgl. Teil I 5.4.3. Waldbaum, Magness 1997, 31–33. Nahveh 1962, 99; Oren 198, 12f., 28.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

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men hatte, hier zurückgelassen haben. Diese These knüpft an die Nachricht Herodots an, dass Psammetichos Ašdod eingenommen habe.100 Es ist aber auch gut möglich, dass erst Necho II. diese griechischen Söldner dort stationierte, um Nabukadnezar aufzuhalten, als sich die ägyptischen Truppen 604/3 in ihre Grenzen zurückziehen mussten. Wahrscheinlich wurden kleinasiatische Griechen schon vor 609 in südsyrischen Garnisonen untergebracht.101 Die ägyptische Oberherrschaft war hier nur sehr kurz und, ob die Keramik gerade in diese wenige Jahrzehnte fällt, ist nicht sicher auszumachen. Ein Argument gegen diese These ist das auffallende Fehlen ägyptischen Materials. Dagegen entdeckte man eine Menge judäischer Keramik und Kleinfunden sowie einige hebräische Ostraka. Daher hätten einer anderen These zufolge ostgriechische Söldner in den Diensten des judäischen Josia gestanden.102 Bei einer Herabdatierung der Funde kommt Robert Wennig auf folgende Rekonstruktion: Nachdem Jojakim von Juda im Vertrauen auf die Ägypter sein Vasallenverhältnis zu Babylon aufgekündigt hatte,103 habe er griechische Söldner aufgenommen, um seine defensive Kraft zu stärken. Doch schon 598 folgte die Strafexpedition Nabukadnezars II. gegen Jerusalem. Nach dieser Zeit gibt es tatsächlich keine Hinweise auf Griechen in diesem Gebiet mehr. Diese hätten sich also nur zwei bis drei Jahre in Mesad Hašavjahu aufgehalten.104 Dabei bleibt allerdings die Frage offen, ob Josija oder Jojakim damals überhaupt Orte in der Nähe der philistinischen Küste besessen haben. Die hebräischen Ostraka können nicht beweisen, dass das Lager unter der Herrschaft oder Kontrolle von Juda stand, sondern signalisieren lediglich, dass sich hier Judäer aufhielten.105 Keine dieser Thesen kann also mit Sicherheit bewiesen werden. Die Gebiete Südsyriens waren gegen Ende des 7. Jh. ein hart umkämpftes Gebiet mit vielen Kriegsparteien. In anderen südsyrischen Siedlungen wie in Tell Bataš/Timnah106 und Tell Kabri/Rehov wurde ebenfalls griechische Keramik gefunden.107 Sie lagen im Inland, waren also keine Transitstationen fahrender Seeleute. Für eine Handelstätigkeit sind diese Orte wenig geeignet gewesen, und es fehlen auch jegliche Hinweise darauf. Alle diese Siedlungen waren befestigt und hatten offensichtlich militärische Funktionen. Eine Ausnahme macht die Festung ʿArad.108 Dort wurde jedoch nichts entdeckt, was auf Griechen hinweist. Im Heiligtum der Siedlung befanden sich phönikische Weihschalen mit Inschriften.109 Man vermutet eine Präsenz griechischer Söldner, weil auf Ostraka aus der Zeit um 600 Rationen von Öl, Wein und Mehl für ca. 75 »Kittäer« verzeichnet sind. Diese Kittäer waren aber sicher keine Griechen.110 In Verbindung mit den dort aufgefundenen Inschriften ist eher von phönikischen Söldnern von Zypern aus der Stadt Kition auszugehen.111 Tatsächlich sind 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111

Hdt. 2,157. Naveh 1962. Cross 1962, 34–46; Strange 1966, 136–139. Vgl. Teil I 5.4.3. Wenning 1991, 213f. Zu Juden in Ägypten vgl. Jer 44,1. Mazar, Kelm 1993, 152–157. Niemeier 1994. Herzog et al. 1984; Aharoni 1993, 82–87. Cross 1975, 75–77. Vgl. z.B. Haider 1996, 76 mit Literatur; Finkelstein, Silberman 2001, 351. Herzog et al. 1984, 9.

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IV. Kontaktsituationen

mit dem Ethnikon ›kittim‹ nie Griechen bezeichnet worden.112 Der Befund aus diesem Ort gleicht dem in einigen weiteren Siedlungen in diesem Raum: Tell Kabri wird zwar als Teil des tyrenischen Territoriums angesehen,113 aber die politische Landschaft Ende des 7. und zu Beginn des 6. Jh. ist in Südsyrien äußerst unübersichtlich. Unter Sennacherib verlor Tyros seine kontinentalen Besitzungen, und ob Kabri und andere weiter entfernte Gebiete unter Esarhaddon zurückgegeben wurden, ist eher zweifelhaft. Möglicherweise aber versuchte Tyros sofort nach der Auflösung der assyrischen Macht sein Territorium zu erweitern. Andererseits beanspruchten die Ägypter, die kurz nach dem Fall des Assyrischen Reiches die Herrschaft über die Südküste übernahmen, auch diese Region für sich. Und schließlich berichtet das Alte Testament von einer territorialen Expansion des Josia. Es ist also sogar gut möglich, dass diese Siedlung in der zweiten Hälfte des 7. Jh. ihre politische Oberherrschaft ein- oder eher mehrmals gewechselt hat. Auch in Tell Kabri ist aufgrund der spezifischen griechischen Keramikformen und dem militärischen Kontext mit griechischen Söldnern zu rechnen.114 Aber auch in früherer Zeit soll es fremde, eventuell auch griechische Söldner in Juda gegeben haben. Für das 9. Jh. erwähnt das Alte Testament karische Söldner des Priesters Jojada, die gegen die Königin Atalja eingesetzt wurden. Es werden ›Hundertschaftsführer der Karer‹ genannt,115 also eine Söldnertruppe, die bereits existierte und zur Verfügung gestanden haben soll. Dabei erfährt man, dass diese Truppen nicht mit eigenen Waffen kämpften, sondern Lanzen und Schilde erhielten, welche einst zum Arsenal des Königs David gehört hätten.116 David habe eine Leibwache, die als hakkere(l)ti(l) we happe(l)leti(l) bezeichnet wurde, besessen.117 Während unter den happe(l)leti(l) zweifellos die Philister zu verstehen sind, ist die Deutung der hakkere(l)ti(l) als ›Kreter‹ allein schon sprachlich sehr unsicher. Und schließlich stammt dieser Beleg aus dem deuteronomischen Geschichtswerk, das erst im 6. Jh. verfasst wurde.118 Mit griechischen Söldnern wird oft die Niederschlagung eines Aufstands in Ašdod unter einem Iamani verbunden (712). Doch nichts weist darauf hin, dass dieser ein griechischer Söldnerführer gewesen sein könnte.119 Im Alten Testament gibt es noch eine Stelle, die als Beleg für griechische Söldner in Syrien verwendet wird.120 In der Offenbarung des Ezekiel über den Untergang von Tyros durch Nabukadnezar121 werden u.a. die Herkunftsorte der Besatzungen auf den tyreni112

113 114 115 116 117 118 119 120 121

Ktj im AT: Gen 10,4; Num 24,24; 1 Chr 1,7; Jes 23,1,12; Jer 2,10; Ez. 27,6. Allein bei Jesaja und Ezechiel wäre wegen des Ausdrucks ›von‹ bzw. ›zu‹ ›den Inseln der ktj‹ eine Verbindung mit den ägäischen Inseln denkbar. Die Septuaginta setzt hier aber das Ethnikon Χεττιιμ bzw. Ξεττιιν ein. An beiden Stellen signalisieren die Namen weite Entfernungen. Wären die Griechen damit gemeint, wäre es in der Septuaginta auch so wiedergegeben worden. Niemeier 2001, 3. Niemeier 1994; 2001, 22–24. 2 Kö 11,4. 2 Kö 11,10. 2 Sam 8; 18 u.a. Würthwein 1984, 347–351. Vgl. mit Quellen und Diskussion Teil I 5.4.3. Haider 1996, 71f. u.a. Ez 27,10.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

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schen Kriegsschiffen aufgezählt.122 Dieser Text (27,10–11) birgt viele Interpretationsprobleme der dort aufgeführten Ethnonyme: Prs,123 wLwd wPwt.124 Während die ersten beiden Ethnonyme sicher ›Perser‹ und ›Lyder‹ bedeuten, ist das dritte, Pwt, sehr umstritten. Die Septuaginta und die Vulgata setzen für diesen Namen ›Libyer‹ ein, und dem folgen auch die modernen Bibelübersetzungen. Doch die Libyer werden im Alten Testament als Lwbym wiedergegeben.125 Igor Diakonoff, der alle Stellen des Alten Testaments, an denen dieses Ethnonym erscheint, zusammengestellt und analysiert hat, kommt zum Schluss, dass mit Pwt (ihm zufolge ist Pot zu lesen) in den verschiedenen Texten nur Griechen außerhalb Ioniens und Zyperns bezeichnet worden seien. Er leitet den Namen von griech. πόντος ab, und Pwt würde also ›die Männer vom Meer‹ bedeuten.126 In diesem Fall hätten in der damals mächtigsten Stadt an der syrischen Küste, zusammen mit Söldnern anderer Völker auch nichtionische Krieger gedient. Diese Namen tauchen auch in Ez 30,5 wieder auf, wo die Einnahme Ägyptens durch die Babylonier prophezeit wird: Kws, Pwt und Lwd würden als Söldner des babylonischen Heeres in Ägypten einfallen.127 Das könnte gut mit der siegreichen Schlacht des Nabukadnezar gegen Necho II. bei Karkemiš in Verbindung gebracht werden, bei der auch Lyder, Karer und Griechen, gekämpft haben sollen. Der Zusatz ›Kreter‹ in der Septuaginta scheint einen klaren Bezug zur Ägäis zu zeigen. Dennoch wird Pwt allgemein mit Libyen gleichgesetzt.128 Der Name kann also keinen sicheren Beleg für ein griechisches Söldnertum in Tyros liefern. Auch die große Menge an griechischer Keramik in Tyros kann kein griechisches Söldnertum beweisen. Es gibt dort keine Funde, vergleichbar etwa mit denen in Mesad Hašavjahu, die auf eine Präsenz griechischer militärischer Gruppen hindeuten könnten. Dennoch wären griechische Söldner in Krisensituationen der Inselstadt zumindest vorstellbar, und zwar immer dann, wenn sie vor allem vom Meer aus Hilfe benötigte. Im 7. und 6. Jh. waren solche Einsätze während des Angriffs Esarhaddons im Jahr 671, denen des Aššurbanipal von 662, 644/3, des sogenannten Aufstands in der Provinz Tyros,129 oder während der Zeit der Auflösung der assyrischen Macht in Syrien denkbar. Nach dem Sieg Nabukadnezars über Necho II. 604 wurden ägyptische Truppen und Söldnerabteilungen bei Hamat völlig zerschlagen. Dabei könnten auch fremde Soldaten an die Küste verschlagen worden sein. Und schließlich wäre noch die lange Belagerung von Tyros ab 586 zu nennen, bei der fremde Unterstützung auch hilfreich gewesen wäre. Dies alles sind mögliche Situationen, in denen eine Anheuerung griechischer Söldner denkbar wäre, aber auch nicht mehr. Wie für die phönikische Küste und Mittelsyrien gibt es zwar auch keine sicheren Quellen für griechisches Söldnertum in den nordsyrischen Ländern, aber doch einige ernst zu nehmende Hinweise. Die Indizien führen von Griechenland nach Syrien. Das interessanteste 122 123 124 125 126 127 128 129

Diakonoff 1992, 168–193. Der Vorschlag, statt Prs hier Trs in der Bedeutung Thrakes < *Thrasikes zu lesen, beruht auf einer nicht gesicherten Etymologie des Ethnonyms Thrakes, vgl. Diakonoff 1992, 174, Anm. 29. In der LXX: Πέρσαι καὶ Λυδοὶ καὶ Λίβυες. Vgl. Nah 3,9 (Prophezeiung gegen Assyrien): Pwt und Lwbym, vgl. Diakonoff 1992, 177. Diakonoff gibt dazu interessante Parallelen aus den altpersischen Inschriften, in denen der Name Putaya, KUR Pu-ú-ta (babylonische Version) erscheint: Diakonoff 1992, 179f. In der LXX wird diese Auflistung durch ein weiteres Ethnikon ergänzt und unterscheidet sich damit von Ez 27,10: Πέρσαι καὶ Κρῆτες καὶ Λυδοὶ καὶ Λίβυες. Vgl. die Literatur bei Haider 1996, 71. Vgl. Teil I 5.4.

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IV. Kontaktsituationen

ist eine im Heraion auf Samos gefundene bronzene Stirnplakette, die zum Prunkschmuck eines Pferdes gehört hatte.130 Darauf befindet sich eine aramäische Inschrift, übrigens die frühste bisher bekannte westsemitische Inschrift in Griechenland: »Das, was unser Herr Hadad unserem Herrn Hazaël von ʿUmq gab, im Jahr, als dieser den Fluss überquerte«.131 Dieselbe Inschrift befindet sich auf Scheuklappen, die schon vorher in Eretria auf Euboia entdeckt worden waren.132 Die Inschrift kann folgendermaßen interpretiert werden: Hazaël war als Usurpator auf den Königsthron von Damaskus gekommen,133 nachdem sein Vorgänger Adad-idri in mehreren großen Schlachten zusammen mit syrischen Verbündeten das Vordringen assyrischer Macht in Mittel- und Südsyrien hatte aufhalten können. Hazaël hatte dessen Verbündete nicht mehr, und daher versuchte Salmanassar III. ihn in drei Kampagnen (841, 838 und 837) zu schlagen. Doch die Einnahme der Hauptstadt Damaskus gelang ihm nicht. Im Jahr 829 ist wieder ein Feldzug nach Syrien und zwar nach Unqi vermerkt. Das Ziel dieses erneuten Feldzuges ist in den Quellen nicht genannt, doch es handelte sich wahrscheinlich um Hilfe für den Vasallen Unqi gegen Hazaël. Die Jahre der assyrischen Abwesenheit hatte Hazaël offensichtlich genutzt, um seinerseits die Grenzen des Landes zu erweitern. Es müssen eben diese Jahre gewesen sein (836–829), in denen der in den beiden Inschriften erwähnte Feldzug des Königs nach Norden stattgefunden hat. Da der Staat Unqi (Patin) genannt ist, war Hazaël auf seinem Weg dorthin auch durch Hamat gekommen. Das Pferdegeschirr war Teil der Beute oder des Tributs aus Unqi, also was der Gott Hadad dem Hazaël »gegeben« hätte. Ein Rätsel gibt der Hinweis auf die Überquerung »des Flusses« auf. Die meisten Historiker gehen davon aus, dass damit der Euphrat gemeint ist, da der große Grenzstrom oft nur als ›Fluss‹ bezeichnet wurde.134 Das würde bedeuten, dass damals ganz Mittelsyrien bis zum Euphrat unter der Kontrolle von Damaskus gestanden hätte, was aber unwahrscheinlich ist.135 Im Jahr 855 hatte Salmanassar Bit-Adini zu seiner Provinz gemacht und am Euphratübergang von Til Barsip starke Festungen erbauen lassen. Hier hätte sich Hazaël sicher nicht blicken lassen können. Eine Überquerung des Euphrat beim etwas nördlicher gelegenen Karkemiš war wegen der allzu großen Nähe des assyrischen Staatsgebietes ebenfalls nicht möglich. Mit Sicherheit hatte Hazaël nicht vor, die Assyrer anzugreifen. Wenn überhaupt, musste er sich dem Euphrat in seinem Mittellauf genähert haben, aber dann wäre er nicht durch Unqi gekommen. Alles scheint also darauf hinzudeuten, dass mit »der Fluss« derjenige gemeint ist, der für das Land Unqi der größte und wichtigste war, und das wäre der Orontes. Dass es überhaupt solch einen Feldzug des Königs von Damaskus gab, wissen wir übrigens allein aus dieser Inschrift. Solche Zufallsfunde zeigen immer wieder, wie lückenhaft die heutigen Kenntnisse über die Geschichte der syrischen Staaten sind. Dass die beiden Teile eines Pferdegeschirrs, die in Griechenland gefunden wurden, tatsächlich aus Unqi stammen, beweist auch die typisch nordsyrische Ausarbeitung.136 Der hier verwendete aramäische Dialekt gehört zur zentralen Gruppe, 130 131 132 133 134 135 136

Kyreleis, Röllig 1988. Zur Inschrift vgl. auch Ephal, Naveh 1989; Bron, Lemaire 1989 (von dort auch die hier gegebene Übersetzung). Charbonnet 1986. Vgl. zum geschichtlichen Hintergrund Teil I 5.4.2. Vgl. dazu die Literatur in Teil I 5.4.2. Donner 1970, 57. Kyrieleis 1988.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

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welche man für die Inschriften von Hamat, Unqi, Sam’al u.a. kennt.137 Sprache und Stil der Stücke datieren sie in die zweite Hälfte des 9. Jh. Die Inschrift wurde als Botschaft für den Sieg auf die Bronzen aufgetragen. Dieses Pferdegeschirr war als solches nicht allzu kostbar: Es handelt sich lediglich um kleine Bronzeteile, die aber als Beutestücke einen gewissen Wert erhalten konnten. Solche Plättchen wurden im Alten Orient in der Reiterei von den Offizierrängen verwendet, funktionierten also ausschließlich in einem militärischen und repräsentativen Kontext. Ein Krieger, der solch ein Pferdegeschirr vorzeigen konnte, bewies damit, dass er einen Feind hohen Ranges geschlagen hatte. Die Wege dieser Stücke von Unqi nach Griechenland sind unbekannt. Die wahrscheinlichste Erklärung ist die, dass sie infolge einer der späteren Niederlagen von Damaskus in die Hände von assyrischen Truppen gelangt sind, von denen manche aus den westsyrischen Vasallenstaaten stammten. Damaskus selbst wurde erst unter Tiglath-pilesar III. im Jahr 732 eingenommen. Demnach könnte dieses Pferdegeschirr auch erst damals in den syrischen Westen mitgenommen worden sein. Es bietet sich noch eine andere mögliche Erklärung an: 810 wurde der damalige König von Damaskus Bar-Haddad III. von Hamat besiegt. Möglicherweise kam dieses Pferdegeschirr mit anderen Beutestücken schon in dieser Zeit dorthin. Hamat war zweifellos eine Kontaktzone zwischen Syrern und Griechen.138 Möglicherweise wurden diese beiden Stükke schon damals über Hamat nach Griechenland gebracht. Es wäre möglich, die Route eines aus dem Osten heimkommenden Euboiers nachzuzeichnen, der von der Levante fahrend zuerst in Samos Halt machte, um dann in seine Heimat zurückzukehren. Dass sie als Handelsware importiert wurden, ist kaum wahrscheinlich, denn für solches Pferdegeschirr gab es im archaischen Griechenland keine Nachfrage.139 Für einen Händler hätten sie nur den reinen Metallwert, der in diesem Fall gering ausfiel. Es ist übrigens unnötig sich Gedanken zu machen, was die Göttin von Samos oder der Apollon von Eretria mit einem Pferdegeschirr und einer syrischen Göttin zu tun gehabt hätten.140 Das Wesentliche war, wenn unsere Vermutung richtig ist, die Weihung von Kriegsbeute als Dank für einen geglückten nostos, nicht aber die Stücke selbst und auch nicht die Darstellungen und Verzierungen darauf. Dass der Stifter das zusammenhängende Ensemble teilte und zwei Weihungen daraus machte, zeigt außerdem, dass die Vollständigkeit des Geschirrs ebenfalls ohne Bedeutung war. Das hatte für den Stifter den Vorteil, dass er gleich zwei Gottheiten öffentlich seinen Dank abstatten konnte. Diese hier etwas ausführlicher besprochenen Funde könnten also einen Hinweis auf griechische Söldner in Nordsyrien geben, über welche keine schriftliche Quellen existieren. Man findet aber noch weitere Spuren und Indizien, die in dieselbe Richtung weisen, vor allem in dem spätluwischen Staat Unqi/Patin. Die frühsten Ost-West-Kontakte im 9. und 8. Jh, die zu weit reichenden Kulturtransfers führten, sind in Nordsyrien zu lokalisieren.141 Die Resultate sind in Griechenland gut erkennbar, jedoch bleiben die Kontaktsituationen 137 138 139

140 141

Yildiz 2000, 30. Vgl. Teil I 5.2.4. Trotz Braun-Holzinger, Rehm 2005,183, wo auch Weitertransport durch seefahrende Händler als Möglichkeit vermutet wird. Luraghi 2006, 40 spekuliert, griechische Händler hätten diese Stücke eventuell gegen eine Amphore Wein getauscht, ist aber doch eher geneigt, in den Stiftern Söldner zu sehen. Kyrieleis 1988. Vgl. dazu Teil I 5.2.3.

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IV. Kontaktsituationen

und -bedingungen dunkel. Sicher ist, dass nur lang währende und verbale Kommunikationen auf hohem sozialem Niveau zu Rezeption und Transfer von geistigen Kulturleistungen wie Mythologie, literarischen Motive, Kult usw. führen konnten.142 Im 9. und 8. Jh. müssen sich folglich Griechen in Nordsyrien aufgehalten haben, welchen sich diese Bedingungen boten. Sie konnten den syrischen Herrschenden etwas bieten, was diese interessierte. Das sind in dieser Zeit kaum Handelsgüter gewesen.143 Die einzige Kontaktsituation, welche eine Akkulturation solcher Qualität möglich gemacht hätte, wäre das Söldnertum. In diesem Umfeld traten die Führer in einen persönlichen Kontakt mit hochgestellten lokalen Dienstherren und Befehlshabern. Sie waren, wie schon an den sicher belegten griechischen Söldnerführern in Ägypten gezeigt wurde, zu einer Adaption und bei längerem Aufenthalt zur Akkulturation gezwungen. Während es aber die Politik der saïtischen Pharaonen gewesen ist, ihre fremden Soldaten im Land zu halten und anzusiedeln, gab es in Nordsyrien offensichtlich keine solchen Ziele. Andernfalls hätte man griechische Siedlungen oder zumindest Spuren griechischen Lebens dort finden müssen. Also war hier eine der wichtigsten Voraussetzungen für einen Kulturtransfer von vornherein gegeben: der nostos. Griechisches Söldnertum in Nordsyrien ist in der Literatur bereits mehrmals in Erwägung gezogen, aber nie allgemein akzeptiert worden. So hat schon Rosalinde Kearsley vermutet, dass al-Mina ein Hafen für Söldner gewesen sein könnte, von dem aus Griechen im nordsyrischen Binnenland ihre Dienste leisteten.144 Das könnte tatsächlich die relativ große Menge an geometrischen und früharchaischen Trinkgefäßen und gleichzeitig das Fehlen von Spuren ständiger griechischer Präsenz erklären. Diese Hypothese könnte noch weiter ausgeführt werden: Von der Küste aus führt die Spur dieser griechischen Keramik in einige Zentren der ʿAmuq-Ebene: zur Hauptstadt von Unqi/Patin, Kunalua (Tell Tayʿinat), wo große Mengen an Keramikfragmenten und andere griechische Kleinfunde entdeckt wurden145 und zu den großen Festungen nordwestlich der Hauptstadt, besonders an den Siedlungshügeln Judaidah und Çatal Höyük. Der Gedanke, griechische Söldner könnten von Kunalua aus in diese Festungen geschickt worden sein, liegt auf der Hand. Eine solche Funktion des Hafens al-Mina (oder noch von Sabuniye), griechischen Söldnern im Staat Patin als Zwischenstation zu dienen, wäre allerdings nur innerhalb einer recht kurzen Zeitspanne zu Beginn des 8. Jh. möglich gewesen.146 Danach befand er sich im Territorium von Arpad, bis dieses gegen 740 zu einer assyrischen Provinz wurde.147 Nach dieser Zeit hätten Söldner an der nordsyrischen Küste keine Aufnahme mehr gefunden. Ein wichtiges Indiz für ein griechisches Söldnertum ist die euböische Keramik, die vor allem an der nordsyrischen und phönikischen Küste entdeckt wurde. R. Kearsley hat einige schriftliche Quellen zusammengestellt, in denen Euboier als Krieger dargestellt werden, die sich in ihrer Bewaffnung und Kampfweise von den übrigen Griechen unterschieden und hervortaten.148 Tatsächlich werden gerade Euboier vergleichsweise oft in der ar142 143 144 145 146 147 148

Vgl. Teil III 3. Vgl. dazu Teil IV 1.2. Kearsley 1989, 127–129. Vgl. dazu Teil I 5.2.3. – Das Material ist allerdings noch nicht veröffentlicht. Hier fehlen noch die Resultate aus den Grabungen in Sabuniye, dem Vorgängerhafen von al-Mina, vgl. Teil I 5.3.2. Vgl. dazu Teil I 5.2.2. Kearsley 1989, 123–125.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

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chaischen Dichtung wie auch in den klassischen Werken über die Archaik als besonders tüchtige Kämpfer charakterisiert. Im Katalog des 2. Gesangs der Ilias stürmen sie mit Lanzen mit Eschenschäften voran.149 Archilochos beschreibt die »Herren von Euboia« als ταύτης γὰρ κεῖνοι δαίμονές εἰσι μάχης, d.h. sie sind »göttlich in einem solchen Kampf«, der mit Schwertern ausgefochten wird,150 und hebt dabei hervor, dass sich ihre Kampfesweise von der der übrigen Griechen unterschied.151 Das könnte bedeuten, dass die Euboier ihre Fähigkeiten außerhalb Griechenlands erworben haben. Auch Alkaios nimmt Bezug auf die Chalkidischen Schwerter von sehr guter Qualität.152 Die besonderen militärischen Eigenschaften der Euboier werden retrospektiv im sogenannten Lelantinischen Krieg beschrieben.153 Für ein frühes, wohl vorwiegend euböisches Söldnertum in Nordsyrien haben wir also folgende Indizien: 1. die Formen der Keramik – nämlich ausschließlich Trinkgefäße – könnte für einen kurzfristigen Aufenthalt von eher kleineren Gruppen im Moment ihrer Ankunft an den Küsten sprechen; 2. die Datierung dieser Gefäße in das ausgehende 9. und 8. Jh. entspricht den politischen Möglichkeiten, unter autonomen oder Vasallenkönigen dort gedient zu haben (in Frage kommen die Staaten Unqi, Hamat und Que); 3. das Alter der frühen kulturellen Transmissionen aus dem Orient fällt auch mit dieser Datierung zusammen. Dabei ist nicht nur an die zahlreichen nordsyrischen Gegenstände in Griechenland zu denken, sondern auch und vor allem an den Transfer nordsyrischer (spätluwischer) Narrationen, Mythen und ihrer literarischen und ikonographischen Motive, also an die Rezeptionen von geistigem Kulturgut, das sich im Griechenland des 7. Jh. in seinem ganzen Umfang zeigt; 4. die zahlreichen sprachlichen Entlehnungen aus dem Spätluwischen, die sich auf das Militär beziehen.154 Über Tätigkeiten griechischer Krieger in Nordsyrien finden wir keinen einzigen Hinweis in der antiken griechischen Literatur. Dieser Umstand beweist, dass sie sehr früh erfolgt sein müssen, auf jeden Fall mehrere Generationen vor der Einführung der Schrift. Auf einer phönikischen Silberschale aus einem Grab155 aus der Zeit zwischen 725 und 675 aus Amathous sind vielleicht griechische Söldner abgebildet. Auf dem äußeren Fries ist der Angriff auf eine Stadt mit mächtigen Mauern und Türmen darstellt: Die Stadtbewohner verteidigen sich, während ihre Stadt von beiden Seiten bestürmt wird. Aus der Ikonographie der verschiedenen Personen ist ersichtlich, dass auf beiden Seiten auch Gottheiten an der Schlacht beteiligt sind. Sowohl auf der Seite der Angreifer als auch auf der Seite der Verteidiger sind Krieger zu sehen, die auf verblüffende Weise griechischen Hopliten ähneln. Die Ersteren tragen ionische Helme und schreiten in Phalanxformation mit horinzontal ge149 150 151 152 153 154 155

Hom. Il. 2,543. Archil. fr. 3,3–5. Vgl. dazu Parker 1997, 95–118. Alk. fr. 54 D, 6. Parker 1997, bes. 95–118. Vgl. Teil II 4. Barnett 1977, 164–168.

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IV. Kontaktsituationen

richteten Lanzen auf die Stadt zu.156 Das Motiv scheint wegen der Beteiligung von Gottheiten die Illustration eines Epos zu sein, vielleicht ein phönikisches oder zyprisch-phönikisches.157 Daher ist es müßig herausfinden zu wollen, um welche Stadt es sich gehandelt haben könnte. Dennoch kann sie allgemein im nordsyrischen Bereich lokalisiert werden, denn vor den Mauern sind bienenkorbförmige Häuser dargestellt, wie sie gerade für dieses Gebiet charakteristisch sind. Zusammen mit diesen wahrscheinlich als Griechen gedachten Kriegern kämpfen auch Orientalen, deren Herkunft aber nicht genau zu bestimmen ist. Unabhängig davon, wie man diese Szene interpretieren möchte, zeigt diese Schale, dass griechische Söldner in Nordsyrien eine nicht ungewohnte Erscheinung gewesen sein müssen. Die Stärke ihrer jeweiligen Gruppen war sicher nur gering, so dass sie den Assyrern nicht als relevante Kriegskontingente erschienen und sie daher auch in den Annalen nicht auftauchen.158 Es wäre aber auch denkbar, dass sie, wie es auf der Schale gezeigt wird, vorwiegend bei innersyrischen Konflikten eingesetzt wurden. Eine ähnliche Darstellung ist auf einer Bronzeschale nordsyrischer Herkunft zu sehen, die in Delphi gefunden wurde und in das 9. Jh. zu datieren ist.159 Auch hier ist der Kampf um eine Stadt dargestellt, an dem göttliche Gestalten teilnehmen. Allerdings fehlt ein deutlicher Hinweis auf griechische Söldner. In der geometrischen Vasenmalerei, in der oft Kämpfe zu Land und zu Wasser dargestellt sind, kann man orientalische und besonders nordsyrische Adaptionen erkennen. Sie sind ausschließlich auf attischen Krateren aufgetragen, die für den sepulkralen Bereich bestimmt waren. Die frühsten von ihnen stammen aus der mittelgeometrischen Zeit, und sie verschwinden plötzlich um 750.160 Sie zeigen viele verschiedene Motive, die man von den Orthostatenreliefs aus Guzana, Malatya oder Tell Taʿyinat kennt. Das gilt besonders für die mittelgeometrischen Vasenbilder.161 Ähnliche Darstellungen gibt es auch in der neuassyrischen Kunst, von denen einige vielleicht im spätluwischen Raum übernommen worden waren. Besonders deutliche Parallelen sind im wechselseitigen Griff an den Kopf des Gegners im Zweikampf162 und in der facettenreichen Abbildung von Gefallenen auszumachen.163 Aber auch griechische geometrische Seekampfszenen haben zumindest nordsyrische Parallelen: Das Seekampfrelief von Karatepe zeigt die im Meer schwimmenden Gefallenen in der gleichen Position wie z.B. auf den beiden Fragmenten aus dem Louvre (A 527 und B 12).164 Der sitzende Steuermann mit den vorgestreckten Beinen aus Karatepe ist gut mit einer ähnlichen Figur auf einem Krater aus Kopenhagen (NM 1628) vergleichenbar.165 Warum wurden aber solche Motive seit der zweiten Hälfte des 8. Jh. nicht mehr verwendet? Gudrun Ahlberg bemerkt dazu, dass nach vielen, verlustreichen Kriegen (der 1. Messenische, die Kämpfe zwischen Athen und Aigina und der Lelantinischen Krieg) die frühgriechischen Aristokraten (aus Kriegsmüdigkeit?) nicht mehr als Kämpfer dargestellt werden wollten. 156 157 158 159 160 161 162 163 164 165

Genaue Beschreibung und Abbildung bei Barnett 1977, 165–167. Barnett 1977, 168; Boardman 1980, 50. Nach Luraghi 2006, 38 sind es griechische Hopliten, wie sie als Krieger im Vorderen Orient auftraten. Barnett 1977, 168f. Coldstream 2003, 29–31; 330–333. Ahlberg 1971, 105. Ahlberg 1971, 76 mit Fig. 68 auf S. 78. Ahlberg 1971, 85–102. Ahlberg 1971, Fig. 25 und 44. Ahlberg 1971, Fig. 32.

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Darin sei eine Veränderung der Sozialstruktur zu sehen.166 Diese Antwort ist nicht befriedigend, ist doch der militärische Aspekt in anderen Medien weiterhin unvermindert stark vertreten. Daher ist eher die Frage zu stellen, woher die Kenntnisse spätluwischer Ikonographie stammten. Die Vasenmaler in Attika besaßen sie nicht, sondern erledigten Auftragswerke. Aber mutmaßliche Söldner im Orient hatten an vielen Orten die Gelegenheit, solche Szenen zu sehen und sie im Gedächtnis zu behalten, sie nachzuzeichnen oder auch Bildträger mitzunehmen. In dieser Ikonographie sahen sie eine geeignete Art der Selbstpräsentation. Als in der zweiten Hälfte des 8. Jh. Nordsyrien unter assyrische Herrschaft fiel, konnten auch keine griechischen Söldner dort mehr agieren, und damit entfielen die spätluwischen Vorbilder. Eine andere Art von möglichen Hinweisen auf griechische Söldnertätigkeit im Vorderen Orient wie auch in Ägypten sind die vielen Orientalia und Aigyptiaka, die in geometrischen Gräbern aus dem 10. bis zum 8. Jh. und ab ca. 700 in archaischen Heiligtümern entdeckt wurden. Für die Zeit vor 700 waren sie wohl kaum Importe aus einem Ost-West-Handel.167 Auch in der früharchaischen Zeit sind von den zahlreichen Weihungen in griechischen Tempeln viele eher als Beutestücke griechischer Söldner denn als Gaben von Händlern anzusehen. Solche Weihungen sind vor allem Waffen oder Waffenteile. Dazu gehören die relativ vielen nordsyrischen Artefakte vom 10. bis 8. Jh., auch die oben besprochenen Teile eines Pferdegeschirrs aus Samos und Eretria. Solche mögliche Beutestücke sind nach Griechenland importiertes Zaumzeug, d.h. Stirnplatten, Scheuklappen und Trensen.168 Außer der samischen und eretrischen Platte mit der Inschrift für Hazaël gibt es noch zwei weitere aus dem Heraion von Samos, fünf aus Milet und acht aus Lindos.169 Vier von ihnen sind mit Darstellungen verziert, gehörten also ursprünglich hoch stehenden Militärs oder Zivilbeamten. Sie sind alle nordsyrischer Provenienz und datieren in das 9. Jh. Die ungeschmückten Bleche aus Lindos sind eventuell auf Zypern hergestellt und wohl späteren Datums.170 Von den importierten Scheuklappen stammen fünf aus Samos, je eine aus Milet und Lindos und zwei aus Eretria.171 Auch Trensen sind in frühgriechischen Heiligtümern beliebte Weihgeschenke gewesen. Es handelt sich um fünf Bronzeknebel in Form von laufenden Pferden,172 die Eleanor Guralnik zufolge in die Zeit Sargons II. passen, zudem noch fünf weitere mit anderen Verzierungen.173 Zu diesen sind noch andere Teile des Zaumzeugs und der Streitwagen hinzuzufügen.174 Die meisten Beispiele von orientalischem Zaumzeug in Griechenland stammen aus Heiligtümern. Als Grabbeigaben scheinen sie keine große Rolle gespielt zu haben. Zudem sind manche Fragmente in solch einem 166 167 168 169 170 171 172 173

174

Ahlberg 1971, 68f. Vgl. dazu Teil IV 1.2.6. Braun-Holzinger, Braun 2005, 7–40. Braun-Holzinger, Rehm 2005, 33–36. Braun-Holzinger, Rehm 2005, 2. Braun-Holzinger, Rehm 2005, 29–31. Jantzen 1972, 64–66, Taf. 61, B 1215, B 895, BB 756, B 508; Braun-Holzinger, Rehm 2005, 22–25, 38f. Nach Guralnik 1992, 331–333 sollen sie assyrische Arbeiten aus der Zeit Sargons II. darstellen, da eine ähnliche Trense auf einem sargonischen Relief zu sehen ist. Die Arbeit ist aber eindeutig spätluwisch; Braun-Holzinger, Rehm 2005, 38f. zählen nur noch ein Exemplar aus Lindos zu den samischen. Jantzen 1972, 58f.

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IV. Kontaktsituationen

schlechten Zustand, dass ihre Herkunft nicht zu bestimmen ist.175 Dabei fällt eine klare geographische Distribution auf: Lindos, Samos, Milet und Euboia. Auch diese Sachlage fügt sich in das Bild frühgriechischen Söldnertums, wobei Ionier in den Quellen belegt und Euboier durch die archäologischen Spuren als Söldner im Osten möglich gemacht sind. Ob diese Stücke als Funktionsgegenstände nach Griechenland gekommen und erst später geweiht wurden176 oder aus anderen Gründen mitgebracht worden waren, kann in einigen Fällen sicher beantwortet werden: Stirnklappen und die Form der importierten Scheuklappen wurden in Griechenland nie benutzt, hingegen ist man bei der Verwendung der Trensen bislang nicht einig.177 Nach der vorherrschenden Meinung sollen alle diese Stücke durch Händler nach Griechenland eingeführt worden sein: Für ›exotische‹ Gegenstände mit Bildern hätte es vielleicht griechische Käufer gegeben. Hätte aber eine griechische Nachfrage nach solchen Exotika bestanden, wären sie sicher auch imitiert worden. Doch es fehlen jegliche Nachbildungen. Auch die ästhetische Freude an den Bildern dürfte sich in Grenzen gehalten haben, da diese auch nicht nachgeahmt wurden. Die Darstellungen auf dem Zaumzeug sind apotropäischen Charakters und wurden nicht von den Griechen übernommen. Die dekorierten Stücke gehörten zu Prunkrüstungen höheren militärischen Personals. Die Streitkolbenköpfe aus Bronze, von denen neun aus Samos, zwei aus Lindos und einer von Lefkandi stammen,178 besaßen auch im Vorderen Orient keinen militärischen Kontext. Sie wurden dort als rituelle Gegenstände, auf denen Götter und Genien dargestellt sind, benutzt und fungierten als Statussymbole der Könige und ihrer nächsten Vertrauten. Sie waren immer individuelle Anfertigen und häufig mit Besitzerinschriften versehen, also nicht austauschbar und daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass sie im Orient als Handelsware verbreitet wurden. Solche Bronzekeulen, die oft aufwendig verziert sind, waren in Nordsyrien verbreitet, was Funde in spätluwischen Zentren wie Karkemiš, Zincerli, Sakçegözü, Maraş u.a. zeigen.179 Man findet sie im Orient wie auch in Griechenland in Heiligtümern als Votive und in Gräbern als Beigaben. Im Orient kommen als zusätzlicher Fundkontext die Paläste hinzu. Die Importe in Griechenland datieren in das 9. und 8. Jh. und stammen aus Nordsyrien. Ihre geographische Distribution in Griechenland ist dieselbe wie die der Zaumzeugteile: Lefkandi, Samos und Rhodos (Lindos). Das scheint nahe zu legen, dass auch die Stifter aus einem bestimmten Kreis kamen.180 Die Fundorte im Vorderen Orient, nämlich Paläste, Heiligtümer und Gräber, zeigen, wie diese Stücke in die Hände von Griechen gelangt sein können, nämlich bei der Eroberung und Plünderung solcher Orte. Eine weitere denkbare Möglichkeit wäre, dass ein Grieche, der sich im Ausland eine höhere Stellung erarbeitet hatte, selbst solch einen Gegenstand für sich anfertigen ließ oder als Ge175 176 177 178 179 180

Im Toumba-Building von Lefkandi und in Grab 69 sind je eine Eisentrense erhalten; vgl. BraunHolzinger, Rehm 2005, 25, Anm. 108. Diese Frage wird von Braun-Holzinger, Rehm 2005, 26 in dieser Form gestellt. Braun-Holzinger, Rehm 2005, 26–217. Braun-Holzinger, Rehm 2005, 63–65. Braun-Holzinger, Rehm 2005, 65. Zur unwahrscheinlichen Weihung solcher Gegenstände durch Orientalen vor dem späten 8. Jh. vgl. Braun-Holzinger, Rehm 2005, 183.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

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schenk erhalten hat.181 Damit ist der Kreis der griechischen Besitzer umrissen. Es ist anzunehmen, dass sie oder ihre Nachkommen solche Stücke in griechische Heiligtümer weihten. Natürlich wussten sie von dem hohen Statuswert der Keulen. Auch vielen Besuchern der Heiligtümer dürfte diese Bedeutung nicht unbekannt gewesen sein, denn sonst hätten die Weihungen ihren Sinn verfehlt. In Lefkandi fand man eine Bronzekeule in einem Grab, wo sie beim Bestattungsritual eine bedeutende Rolle gespielt hatte.182 Keulenköpfe setzten sich allerdings nicht als Statussymbole in Griechenland durch, denn es gibt keine griechischen Imitationen. Eine ähnliche Verbreitung hatten auch die importierten Bronzestatuetten, welche menschliche, göttliche und tierische Figuren darstellen.183 Auch bei ihnen ist in den meisten Fällen eine nordsyrische Herkunft sicher. Die menschlichen und göttlichen Figuren stammten offensichtlich aus nordsyrischen Heiligtümern, da sie nur dort Verwendung fanden. Also konnten sie nur in Folge von Plünderungen außerhalb ihres ursprünglichen Kontextes treten.184 In Griechenland wurden sie als Weihungen einem sakralen Kontext zurückgegeben. Die Funktion der Statuetten war den Stiftern also gut bekannt, und sie wurden wohl auch nicht einfach als ›wundersame Figuren‹ wahrgenommen.185 Überhaupt scheinen die Besucher früher Heiligtümer bzw. die Teilnehmer an Bestattungen innerhalb der frühgriechischen Eliten viel mehr über orientalische Gottheiten, Kulte und Gepflogenheiten gewusst zu haben, als wir heute annehmen. Denn andernfalls wären solche Importe wahrscheinlich gar nicht als Weihungen benutzt worden. Anders sind die Tierstatuetten zu beurteilen, welchen man eine magische Kraft zuschrieb und die deswegen im privaten Bereich erscheinen, oft auch als Teil anderer Gegenstände, z.B. von Kesseln oder Möbeln.186 Die Stifter nordsyrischer Weihgeschenke in früharchaischen Heiligtümern waren Männer, die nach ihrem erfolgreichen nostos aus dem Orient den Göttern medienwirksam Dank abstatteten und sich außerdem als führende Aristokraten empfahlen. Manche Arten von Weihungen können wegen ihrer ursprünglichen spezifischen Funktionen nur als Beutestücke, die durch Raub und Plünderung erworben waren, bestimmt werden. Das Grab T 79 von Lefkandi (subprotogeometrisch II) bietet eine interessante Beigabenkombination: Kremation, Waffen und Gewichte, dazu je ein syrisches und ein zyprisches Siegel sowie lokale und importierte Keramik. Diese Beigaben haben zu einer Definierung des Toten als warrior-trader geführt.187 Alle Besonderheiten dieses Grabes deuten auf nordsyrische und zyprische Verbindungen des Toten hin. Der Besitz von Siegeln und Gewichten hatte in diesem Zusammenhang kaum kommerzielle Gründe gehabt. Siegel wären in einem griechischen Kontext und in einer schriftlosen Zeit sinnlos gewesen.188 Sie besaßen außer ihrer praktischen Funktion in der Wirtschaft je nach Material und Anfertigung aber auch 181

182 183 184 185 186 187 188

Eine Schlussfolgerung, dass solche Keulen Geschenke von orientalischen Standesgenossen gewesen sein könnten, halten Braun-Holzinger, Rehm 2005, 61 allerdings zu Recht angesichts der zu wenigen frühen Funde in Griechenland für verfrüht. Vgl. dazu aber Teil IV 1.3. Sie wurde bei der Kremation ebenfalls verbrannt und in die Aschenurne getan; vgl. Braun-Holzinger, Rehm 2005, 60f. Braun-Holzinger, Rehm 2005, 77–93. Braun-Holzinger, Rehm 2005, 80f. So Braun-Holzinger, Rehm 2005, 81. Vgl. das Motiv ›Mann mit Hund‹: Braun-Holzinger, Rehm 2005, 61f. Popham, Lemos 1995, 151–157. Braun-Holzinger, Rehm 2005, 170.

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IV. Kontaktsituationen

eine Bedeutung von Statussymbolen, die man als Schmuckstücke und Amulette trug. Eben in dieser Funktion dürften sie nach Griechenland gekommen sein. Dass sie keinen kommerziellen Kontext hatten, zeigt das bronzezeitliche syrische Siegel aus dem erwähnten Grab.189 Auch die beiden assyrischen Siegel aus dem samischen Heraion, die in das 8. Jh. datieren,190 weisen kaum auf einen samischen oder samisch-assyrischen Handel hin, der außerdem zunächst einmal nachgewiesen werden müsste. Handel mit Siegeln, die auf solche Art in den Privatbesitz eines Griechen gekommen sein könnten, ist wegen der zu wenigen Fundstücke ebenfalls auszuschließen. So würde ich von dem ›warrior-trader‹ das ›trader‹ weglassen und in dem Toten eher einen aus dem Osten zurückgekehrten Krieger sehen. Anders als die soeben betrachteten nordsyrischen Gegenstände können Metallkessel und -schalen als Importe anderer Art bewertet werden, da sie auch in Griechenland im privaten Alltag hochstehender Aristokraten und im sakralen Bereich verwendet wurden. In Gräbern findet man sie bereits im 10. und 9. Jh. Ihr Import kann vielfältiger Natur gewesen sein: als Gastgeschenke, durch Kauf oder Tausch erworbenes Gut oder als Beutestücke. Ihr Wert als Statussymbol war im geometrischen und archaischen Griechenland sehr hoch, weshalb bald lokale Nachahmungen geschaffen wurden. Dementsprechend unterscheidet sich ihre Distribution von der der oben beschriebenen Importe. Zwar bleibt Samos der Ort mit den meisten Beispielen, doch es gibt auch Stücke in Athen, Olympia und Rhenia. Ähnlich ist auch die Verteilung nordsyrischer Elfenbeine in Griechenland, von denen einige auch als Beutestücke gekommen sein könnten. Als ersten uns bekannten Beweis für einen Kulturtransfer aus dem Osten, der durch die oben beschriebenen Kontaktbedingungen und -situationen zustande kam, sehe ich in den Gräbern von Lefkandi. Dabei geht es weniger um die bekannten Importe, sondern um weitaus wichtigere Innovationen. Die bedeutendste von ihnen ist der Übergang von der Erdbestattung zur Kremation. Dieses Totenritual trat an einigen wenigen Orten sehr früh auf und setzte sich nur langsam auch in anderen griechischen Gebieten durch. In mykenischer Zeit war die Brandbestattung unbekannt. Vincent Robin d’Arba Desborough wies als erster darauf hin, dass Kremation erst mit dem Aufkommen der protogeometrischen Keramik erscheint.191 Jedoch existierte offensichtlich keine wechselseitige Abhängigkeit zwischen diesen Neuerungen, denn protogeometrische Keramik ist häufig auch bei Erdbestattungen belegt. Desborough waren damals die frühsten Beispiele für Kremation in Griechenland noch nicht bekannt, nämlich die aus Lefkandi und Perati an der Ostküste Attikas, wo sie bereits in der späten submykenischen Zeit zu finden sind. Ihr Ausgräber datiert sie in die Zeit zwischen 1160 und 1075.192 Zeitlich folgen jene aus Lefkandi,193 sowohl im sogenannten Toumba-Building als auch in den anderen fast zeitgleichen Nekropolen. Die dritte frühe Nekropole, in der neben Erdbestattungen auch Kremationen entdeckt wurden, befindet sich in Athen, wo sie in die Zeit des Übergangs von Submykenisch zu Protogeometrisch 189 190 191 192 193

Braun-Holzinger, Rehm 2005, 170. Diehl 1965, 825–828. Nach Guralnik 1992, 333, 335 sind sie in das ausgehende 9. und gegen Mitte des 8. Jh. zu datieren. Desborough 1952, 126, was allerdings nicht von allen Archäologen akzeptiert wurde. Iakovidis 1980, 107–109. Vgl. dazu Teil I 1.

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datiert sind.194 Sie mögen etwa gleichzeitig mit Lefkandi sein. Weiter verbreitete sich dieses Totenritual auf den Sporaden. Es ist interessant festzustellen, dass es in dem Lefkandi so nahe liegenden Chalkis bis in die spätgeometrische Zeit keine Kremation gab.195 Sie war also kein spezifisch euböisches Phänomen. Lange blieben beide Bestattungsarten parallel bestehen, ohne dass man irgendwelche relevante Unterschiede (z.B. Geschlecht, soziale Stellung, ethnische Differenzierung o.ä.) ausmachen könnte. Auch in Kulturen anderer Länder waren beide Rituale kompatibel, z.B. bei den Hethitern, in Ugarit und anscheinend auch auf Kreta in mykenischer Zeit. Zusammen mit der Einführung der Kremation sind auch andere Innovationen im Totenkult zu beobachten, die ebenfalls Hinweise auf die Herkunft der neuen Praxis liefern können. Besonders auffallend sind die für diese Zeit ungewöhnlichen Beigaben, was sich bereits in Perati zeigt. Obwohl das Gräberfeld geplündert war, hat man eindrucksvolles Inventar gefunden: Gefäße in 28 verschiedenen Formen, oft mit figürlichen Darstellungen, 1.400 Gegenstände aus Metall, Stein, Glaspaste, Elfenbein, Knochen und Ton, darunter 101 Fingerringe, auch aus Gold und Silber, Perlen in Formen, wie sie aus dem zeitgenössischen Ägypten und Vorderen Orient bekannt sind, verschiedene Amulette, darunter auch ägyptische, Siegel, einschließlich goldener Siegelringe, Zylinder- und Steinsiegel u.a. Auch Steingewichte, wie sie in Ägypten verwendet wurden, befanden sich darunter. Diese wertvollen und teuren, vor allem erstaunlich vielfältigen Funde sind das eine, was Perati so sehr von den übrigen Nekropolen dieser Zeit unterscheidet. Das andere ist eine Neuerung im Totenritual, die in Griechenland bislang hier zum ersten Mal zu finden ist: In zwei Gräbern (36 und 38) hat man Reste von einem Tier (Schaf oder Ziege) gefunden, das auf dem Bestattungsfeuer mitverbrannt worden war. Solche Brandopfer waren in mykenischer Zeit völlig unbekannt. Wir treffen solche Brandopfer auch in Lefkandi wieder. Und dort ist noch eine Besonderheit zu bemerken, die sich allerdings in dieser Zeit auf Lefkandi beschränkt: die Pferdeopfer, die sowohl im sogenannten Toumba-Building als auch in der Ostnekropole aufgefunden wurden. Ansonsten bietet Lefkandi ein ähnliches Bild wie Perati: verhältnismäßig viele kostbare Beigaben, auch aus Edelmetall und viel Importware. Von besonderer Bedeutung ist hier die Bronzeamphore mit Reliefdarstellungen (s.u.). Den meisten männlichen Toten hatte man verschiedene Waffen mitgegeben. Auch einige Gräber in Athen beinhalten in der Übergangszeit zu Protogeometrisch Tierbrandopfer und importierte Waren. Und auch hier hat man, wie in Lefkandi, Waffenbeigaben in einigen männlichen Bestattungen gefunden, eine Tradition, die sich in den nächsten Jahrhunderten fortsetzen sollte.196 Auch wenn es in Details von Grabformen u.a. einige größere Unterschiede zwischen diesen drei archäologischen Objekten gibt,197 so sind die wichtigsten Neuerungen überall vertreten: Kremation, verhältnismäßig zahlreiche und kostbare Beigaben, darunter relativ viel Importware aus Ägypten, Syrien und Zypern sowie die Einführung des Tieropfers in das Totenritual. Über die Frage, woher die Kremation rezipiert worden sein könnte, ist viel diskutiert worden. Dazu bot sich zunächst das bronzezeitliche Anatolien an, wo 194 195 196 197

Es ist allerdings zu bemerken, daß die Chronologien der drei Fundstellen, Perati, Lefkandi und Athen nicht genau übereinstimmen; vgl. Woolfitt 1992, 56f. Woolfitt 1992, 13. Besonders in den ›Kriegergräbern‹ mit Kremation in Eretria in der Zeit von 800–700; vgl. mit Literatur Parker 1997, 36, 100. Vgl. Woolfitt 1992, 112.

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IV. Kontaktsituationen

ebenfalls Leichen- und Brandbestattung parallel zu finden und auch Brandopfer bekannt sind.198 Syrien, Phönikien und Palästina wurden ebenso in Erwägung gezogen.199 Eventuell kämen Zypern, wo zudem auch Pferdebestattungen bekannt sind200 und Kreta in Frage, wo ebenfalls Kremationen gefunden wurden und worauf der Dreifuß aus Lefkandi hinweisen könnte.201 Als weiteres wurde Troja VI als mögliche Herkunft dieses Rituals herangezogen.202 Und eine besonders auffallende Beziehung könnte man zu Nordgriechenland und besonders zur Chalkidike annehmen, wo tatsächlich erstaunliche Ähnlichkeiten mit athenischen Brandgräbern von Kriegern gefunden wurden.203 Nun hat man also zur Herkunftsbestimmung zunächst Orte gesucht, in denen Brandbestattungen traditionell waren. Zu Recht muss man Ägypten ausschließen, wo es zu keiner Zeit Kremationen gab. Das gleiche gilt für Südsyrien. Auch Troja VI kommt nicht in Betracht, denn der zeitliche Abstand zu den geometrischen griechischen Gräbern ist viel zu groß. Bleibt also die nordsyrische Küste, an der in dieser Zeit Brandbestattungen nachgewiesen sind. Schon in der späten Bronzezeit erscheinen einzelne Gräber mit Kremation in Ugarit, Alalah und anderen syrischen Nekropolen. Früheisenzeitliche sind in Hamat, Karkemiš, Deve Hüyük, Tell Sūkās, Tell Halaf, Azor u.a. bekannt.204 Die Bestattungsrituale in Nordsyrien und Phönikien sind ungeheuer vielfältig und in den meisten Fällen eindeutig lokal.205 Einige der nordsyrischen Gräber sind mit den Gräbern im Toumba-Building von Lefkandi vergleichbar: Kremationen waren oft parallel mit Erdbestattungen, manchmal in ein und demselben Grab, so in Hamat, Karkemiš, Tell Sūkās u.a.206 In Ras et-Tanjara zwischen Alalah und Hamat hat man ebenfalls Urnengräber entdeckt, die vom Ende der Bronzezeit bis zum Ende des 10. Jh. zu datieren sind und große Ähnlichkeiten mit denen in Hamat aufweisen.207 Meist wurde die Asche in Urnen verschiedener Art und Form geschüttet, die dann mit kleineren Gefäßen verschlossen und in kleine, in den Grund versenkte Gruben gestellt wurden. Es gibt keine Standardform, vielmehr weisen sie teilweise erhebliche Unterschiede auf.208 Da die spätluwische Kultur eine Kontinuität von der Bronzezeit aufweist, die sich auch in den Kremationen niederschlägt, ist diese Praxis tatsächlich als ursprünglich hethitisch-anatolisch zu charakterisieren, wie es in der Literatur meist vorgeschlagen wurde. Allerdings, Rezeption und Transfer dieses Totenkultes kamen in Griechenland nicht von dort, sondern aus dem früheisenzeitlichen spätluwischen Kulturkreis. 198 199 200 201 202 203 204 205 206 207 208

Snodgrass 1971, 326f.; Jakovidis 1980, 15f., 111. Speziell zum Brandopfer: Burkert 1977, 95. Tatsächlich bietet Hamat eine gute Parallele: vgl. Riis 1948. Dort ist es allerdings naheliegend, diese als mykenische Tradition zu betrachten. Zur wahrscheinlichen Herkunft der eisenzeitlichen Bronzeständer aus Kreta und Umgebung vgl. Matthäus 1988, 285–300, vgl. besonders die Verteilungskarten S. 299f. Woolfitt 1992, 121; die Autorin vermutet sogar trojanische Kriegsgefangene in Perati. Woolfitt 1992, 114f. Einen Überblick gibt Bieńkowski 1982, 80–89. Bieńkowski 1982, 85; vgl. auch Hodos 2006, 51–55. Vom Ausgang der Bronzezeit bis Ende des 10. Jh.: Bieńkowski 1982, 82. Bieńkowski 1982, 82. Vgl. z.B. die Kremationen in Osmankayası: Dort wurden zwei mit ihren Mündungen zusammengesetzte Pithoi benutzt wie im Hethitischen Reich; ebenso in Kfar Jehoschua, Bieńkowski 1982, 83.

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Für bestimmte Kulturen, die Kremation nicht kennen, ist der Weg zur Akzeptanz nicht leicht, wenn religiöse Vorstellungen über das Jenseits dadurch aufgegeben oder grundlegend verändert werden müssen.209 Das war im hethitisch-luwischen und syrischen Raum wegen der parallel existierenden Praktiken offensichtlich nicht der Fall. Dasselbe stellt Snodgrass auch über die Verbreitung dieses Totenrituals für Griechenland fest.210 Nun wissen wir allerdings so gut wie nichts Sicheres über die Jenseitsvorstellungen in Griechenland vor dem 7. Jh., doch der archäologische Befund scheint dafür zu sprechen, dass es gegen die Brandbestattung keinen Widerstand gegeben hat. Der neue Brauch setzte sich innerhalb einer Oberschicht langsam durch. Er stand mit den vorhandenen Totenvorstellungen nicht in einem prinzipiellen Widerspruch oder es bahnten sich in dieser Zeit neue, immer mehr gesellschaftlich akzeptierte Vorstellungen ihren Weg. Innovationen waren auch Tieropfer, wie sie sowohl in Syrien als auch in Palästina für diese Zeit belegt sind, Einzelbestattungen gegenüber den mykenischen Gräbern für mehrere Personen, wie sie noch in Perati vorkommen211 und der Brauch, einem sozial hochgestellten Toten zahlreiche kostbare Beigaben in sein Grab zu legen,212 die größtenteils aus dem Vorderen Osten und aus Zypern stammen.213 So enthält das Grab 40 in Epikopoi, Kaloriziki, eine Kremation. Eine weitere Parallele ist eine dort entdeckte Bronzeamphore, die als Urne diente und in die Zeit um 1050 zu datieren ist.214 Von dort stammt das sogenannte Curium Zepter.215 In Lefkandi lag die Kremationsasche in einer Bronzeamphore mit Reliefdarstellungen, die in das 13. bis 12. Jh. datiert. Daher wird sie wie viele andere in geometrischen Gräbern entdeckten Metallarbeiten als Erbstück angesehen.216 Ob sie zu dieser Zeit aus Zypern nach Euboia gekommen ist oder sich schon länger dort befunden hatte, ist natürlich nicht zu sagen. Mit dem oben genannten zyprischen Grab werden wiederum einige auf Kreta verglichen: die Gräber 186 und 200–202 von Zapher Papoura in Knossos.217 Sie datieren in die Zeit um 1050 und enthalten ebenfalls Kremationen. Während in Grab 186 ein Mann mit voller Bewaffnung beigesetzt wurde, enthalten die Gräber 200–202 mehrere kremierte Tote. Auch hier sind die Beigaben reich und repräsentativ, und zumindest einige von ihnen sind zyprisch. Besonders interessant ist der Brustschmuck der Frau aus Grab 200: Er besteht aus

209 210 211 212 213

214 215 216 217

Vgl. die hebräische Grabkultur oder den christlich-orthodoxen Raum, in dem sie heute noch vehement abgelehnt wird. Snodgrass 1971, 144–146. Dieses Element ist aber unabhängig von den übrigen zu bewerten: Es ist früher und in Griechenland geradezu flächendeckend. Den gab es zwar auch im bronzezeitlichen Griechenland, doch eine Tradition ist kaum anzunehmen,vgl. Teil I 1.1. Diese Bemerkung sollte eigentlich gar nicht notwendig sein, da Zypern zum Vorderen Orient gehörte. Die Insel zur griechischen Welt zu zählen ist für die Zeit vor der hellenistischen Epoche tatsächlich nicht richtig, auch wenn es dort u.a. auch eine griechische Bevölkerung gab. Catling 1993, 86. MacFadden 1954, 131–142. Catling 1993, 87; Matthäus 1988. Catling 1995, 123–136.

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IV. Kontaktsituationen

zwei Goldscheiben, wie man sie auch in Lefkandi gefunden hat.218 Hektor Catling vermutet sogar, dass die Bestatteten auf Kreta lange Zeit auf Zypern gelebt haben.219 Eine Besonderheit fällt sofort ins Auge, wenn man die drei frühesten griechischen Gräber mit Kremation (Perati, Lefkandi, Athen) betrachtet: Sie zeigen zwar alle ausgewiesene Kontakte mit dem Vorderen Orient (einschließlich Zypern), doch diese Neuerungen erscheinen auf jeweils recht verschiedene Art und in unterschiedlichen Kombinationen der einzelnen Elemente. Das beweist, dass sie weder von einem einzigen Ort übernommen worden sein können, noch von einem Punkt in Griechenland ausgegangen sind. Denn diese neuen Kulte treten zunächst nur punktuell auf: Auf Euboia erscheinen sie nur in Lefkandi, in Attika zunächst nur in Perati und erst etwas später in Athen, ohne dass eine dieser Stätten eine direkte Ausstrahlung auf ihre nahe Umgebung bewirkt hätte. Und schließlich ist nicht nur zu erwägen, woher diese neuen Bestattungsrituale gekommen sein könnten, sondern vor allem, warum, von wem und wie sie in diesen drei griechischen Siedlungen auf unterschiedliche Weise rezipiert worden sind. Z.B. kann ein Siegelring von Hand zu Hand gehen und als Beutestück, Handelsware oder Privatbesitz weite Strecken zurücklegen. Ein solcher Transfer ist aber bei Ideen und Vorstellungen über das Jenseits, die mit Kremation, Tieropfer u.a. verbunden sind, nicht möglich. Hier haben wir es mit einem Ideenkomplex zu tun, den Menschen in einem fortgeschrittenen Akkulturationsprozess rezipiert und durch neue Praktiken zum Ausdruck gebracht haben. Diejenigen, welche die neuen Totenkulte in Griechenland einführten, hatten sie in einer fremden Kultur und Gesellschaft, in der sie gelebt hatten, kennengelernt. Die Präsenz von Fremden in Perati, Lefkandi und Athen, wie sie zuweilen vermutet wird, wäre im Prinzip möglich, wenn man nur von den Begräbnissen ausgeht. Doch wie käme ein Orientale darauf, sich als ewige Stätte ein Apsidialhaus zu bauen, das in seinem Kulturkreis völlig unbekannt war? Auch wenn man bedenkt, was für eine herausragende soziale Macht hinter der Errichtung und Ausstattung dieser Gräber gestanden hat und was für einen außerordentlichen Einfluss sowohl die beigesetzten Toten als auch deren Nachfolger besessen haben müssen, wird die These von Fremden unwahrscheinlich. Hätte sich eine fremde Oberschicht in einer wirtschaftlich und kulturell unterentwickelten Umwelt etabliert, dann wäre ihre ursprüngliche Kultur an vielen weiteren Spuren erkennbar.220 Gerade der soziale Kontext aller dieser Gräber kann auch ihre Besonderheiten erklären: hier waren die letzten Ruhestätten von Leuten, die für ihre Zeit sehr vermögend gewesen waren, in ihrer Gemeinde einen hervorragenden Platz eingenommen und eine für diese Zeit erstaunlich große Macht über sie besessen hatten. Der Arbeitsaufwand in Lefkandi zeigt, dass wohl die gesamte Gemeinde daran mit Hand angelegt hatte. Wir haben es hier mit ersten postmykenischen Machtstrukturen zu tun. Die Grundlagen dafür waren offensichtlich Reichtum und Kriegerstatus. Diese Rituale wurden in Lefkandi weitergeführt221 und schließlich auch dort aufgenommen, wo sich ähnliche Situationen wie in Lefkandi ergaben. Der Grund für diese Innovatio218

219 220 221

Catling 1995, 126 nimmt als weitere Parallele zu den kretischen Gräbern und dem zypriotischen das Grab XXVIII, ebenfalls aus der Zeit um 1050, das allerdings keine Kremation enthält; vgl. Verdelis 1963, 10–24. Catling 1995, 128; vgl. dazu unten. Vor allem hätte man orientalische Funde auch außerhalb der Gräber machen müssen. Vgl. Popham, Lemos 1995, 151–157.

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nen lag in der beginnenden Umstrukturierung der griechischen Gesellschaft an solchen Orten, an denen Griechen mit dem Alten Orient in Kontakt gekommen waren. Nicht die Idee einer Oberherrschaft stammt aus dem Osten – um auf sie zu kommen, brauchte man nicht weit weg zu fahren –, vielmehr waren es die Mittel und Medien der Macht, die man fertig aus dem Ausland importieren konnte. Lefkandi gibt nicht nur die Möglichkeit, eine primäre Rezeption im Osten, sondern auch eine sekundäre in Griechenland zu rekonstruieren. Diese sekundäre Kommunikation fand in der Zeit zwischen der Rückkehr und dem Tod des Bestatteten statt. Mit einiger Wahrscheinlichkeit war dieser ›Herr‹ nicht allein im Vorderen Orient gewesen und zurückgekehrt, sondern mit einer Gruppe von Landsleuten, welche die neuen Ideen und Praktiken in der Gemeinde förderten und durchsetzten. Die Grabanlage, die neuen Kulte und die erkennbaren Folgen in der Form eines Ahnenkultes zeigen den Erfolg der sekundären Rezeption. Unter den Medien der Macht sind die Totenrituale besonders effektiv, denn sie demonstrieren die wichtigsten Grundlagen einer Herrschaft: das Prinzip der persönlichen Leistung (die Kriegerbegräbnisse), das Prinzip einer dynastischen Nachfolge (durch die Ausrichtung der Bestattung) und das Prinzip des göttlichen Charisma (die Goldschätze der Toten für das Jenseits). Die Folge der Rezeption solcher sozialen Praktiken in den Totenritualen war, dass sich die Jenseitsvorstellungen auf sozialer Ebene zu spalten begannen: Den ›Herrscher‹ erwartete durch das Ritual nach dem Tod ein anderes Schicksal als die Untertanen. Es ist tatsächlich der Gedanke der Heroisierung, der besonders in Lefkandi deutlich zum Ausdruck kommt, auch durch die Ausrichtung der späteren Grabstätten auf den Grabhügel.222 Der Gedanke der Heroisierung existierte im spätluwischen Raum, wo er aus der Königsideologie der bronzezeitlichen hethitischen Herrscher aufgegriffen und weiter entwickelt worden war. Davon geben die Grabstelen mit ihren Bildern und Inschriften genügend Hinweise.223 Auch in dem bronzezeitlichen nordwestsemitischen Ugarit sind solche Ideen deutlich erkennbar. Die Heroisierungsvorstellung könnte also ebenfalls aus Nordsyrien stammen. Daneben existierten auch die Ideen vom Hades, welche die Epen beschreiben. Man könnte an dieser Stelle einwenden, dass die Idee der Heroisierung auch aus der griechischen Vorstellungswelt gekommen sein könnte und Impulse aus dem Osten gar nicht notwendig gewesen wären. Dem wären zwei Überlegungen entgegen zu halten: Zum einen existierte in dieser frühen Zeit noch keine soziale Schicht, die solche Vorstellungen für sich hätte in Anspruch nehmen können. Zum anderen gehört die Heroisierung zu einer Reihe neuer sozialer und kultischer Praktiken, die sicherlich aus dem Osten stammen. Ohne die Bedeutungszuschreibungen innerhalb dieser Praktiken wären die Handlungen ohne Sinn gewesen. Diese ersten uns bekannten Gräber mit Kremation, reichen Beigaben und anderen fremden Ritualen bezeichnen also einen Neuanfang und sind nicht die Fortführung von etwas bereits Bestehendem, was auch die Bestattungsplätze zeigen, die auf gewachsenem Fels angelegt waren. Bleibt noch, die Kontaktsituation und die Kontaktbedingungen zu rekonstruieren, unter denen solche Rezeptionen zustande gekommen sein könnten. Die Grabbeigaben zeichnen 222 223

Was aber nicht bedeuten muss, dass der Bestattete ein Heros im üblichen Sinn wurde. Dagegen spricht das Fehlen von Spuren kultischer Verehrung. Zu der hethitischen Vergöttlichung des Königs vgl. Otten 1958; zu den spätluwischen Grabstelen vgl. Bonatz 2000.

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IV. Kontaktsituationen

den Toten von Lefkandi zweifellos als einen Krieger aus, der in seinem Leben zu Macht und Reichtum gekommen war. Die These, dass der Tote von Lefkandi einer der frühen euböischen Söldnerführer in Nordsyrien gewesen sein könnte, würde gut zu den archäologischen Befunden und dem kulturhistorischen Hintergrund Griechenlands und Nordsyriens dieser Zeit passen. Piraterie kommt für den ›Herrn von Lefkandi‹ nicht in Frage, da sie nur kurzfristige Aufenthalte voraussetzt, die nicht zu einer so tiefgreifenden Akkulturation führen können.224 Die Beigaben des Tumba-Building sind daher wohl Beutestücke oder/und Gastgeschenke. Der ›Krieger von Lefkandi‹ gehörte also höchstwahrscheinlich zu den ersten erfolgreichen griechischen Söldnern im orientalischen Ausland. Er hatte wohl den größten Teil seines Lebens dort verbracht und aus eigener Anschauung die Mittel und Symbole der Macht sowie religiöse Vorstellungen, darunter auch solche über das Leben nach dem Tod mit den dazu gehörenden sozialen Praktiken kennengelernt. Ob die Abweichungen vom nordsyrischen Ritual auf Besonderheiten der persönlichen Rezeption oder auf die Unmöglichkeit, diese neuen Ideen im protogeometrischen Umfeld Euboias durchzusetzen, zurückzuführen sind, lässt sich nicht entscheiden. Die besondere Architektur des Tumba-Building, die späteren Grabhügel u.a. stellen wahrscheinlich eine Beibehaltung eigener, griechischer Traditionen aufgrund eines sozialen Drucks und/oder vielleicht auch persönlicher Präferenzen der bestatteten Machtperson dar. Durch das Söldnertum erweiterte sich nicht nur der Horizont der Griechen in der geometrischen und früharchaischen Epoche, sondern schloss die griechische Oberschicht an die Kulturgemeinschaft an, die in den ersten Jahrhunderten des 1. Jt. zwischen Syrien, Südostanatolien und Ägypten bereits existierte, und in welcher die mesopotamischen Staaten, Assyrien und Babylonien, seit dem 9. Jh. ebenfalls fester Bestandteil geworden waren. Die Griechen, welche im Vorderen Orient lange Zeit in Gesellschaften mit einer weit fortgeschrittenen sozialen Differenzierung und mit Hochkulturen tätig gewesen waren, brachten ihre neu erworbenen Kenntnisse nach Griechenland, um dort politische, soziale und kulturelle Entwicklungen in Gang zu setzen und anzutreiben. Dies bildete nach und nach ein Fundament der frühgriechischen Aristokratie und damit der starken gesellschaftlichen Differenzierung seit der zweiten Hälfte des 8. Jh. Nino Luraghi hat sicher Recht mit seiner Behauptung, dass das Söldnertum des frühen Griechenland die wichtigste Kontaktsituation als Ausgangspunkt des damaligen Kulturtransfers gewesen ist. 1.2 Der Handel und seine Organisation im Vorderen Orient, in Ägypten und Griechenland Einer weit verbreiteten Meinung zufolge waren es griechische Händler, welche die ersten Kontakte mit dem Osten herstellten. Griechen hätten schon sehr früh als Kaufleute die Küsten des östlichen Mittelmeeres angefahren, deren Kulturen kennengelernt und seien mit fremden Produkten und Ideen nach Hause zurückgekehrt. John Boardman zufolge hätten sich Griechen in von ihnen gegründeten Handelsniederlassungen wie in al-Mina etabliert, und danach sei ein intensiver Warenaustausch zwischen Griechen und dem Osten in Gang gekommen.225 Einer anderen, ebenfalls häufig vertretenen These zufolge sind die 224 225

Vgl. dazu Teil IV 2.1. Boardman 1980, 38; dagegen: Coldstream 1982, 264f.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

261

Phöniker die Initiatoren eines solchen Handels gewesen: Sie seien zuerst an griechische Küsten gekommen und hätten die Griechen auf ihre Waren und Kultur aufmerksam gemacht. Die Verfechter beider Ansichten argumentieren mit denselben archäologischen Funden: griechische Scherben im Osten, levantinische Waren in Griechenland. Die griechischen und orientalischen schriftlichen Quellen machen bis zum 7. Jh. keinerlei Angaben über wirtschaftliche Beziehungen. Umso wichtiger ist die Einbindung dieses Themas in die jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Situationen der Kontaktländer. Dabei stellen sich Fragen nach: 1. dem Funktionieren der Handelswege auf dem Mittelmeer in den ersten Jahrhunderten des 1. Jt. Sie können anhand der archäologischen Befunde und der natürlichen Gegebenheiten leicht ermittelt werden; 2. der Art und Organisation des Handels in den östlichen Kontaktländern, wobei jedes Land in seiner Geschichte und Wirtschaft mit den jeweiligen spezifischen Regelungen und Prioritäten gesondert betrachtet werden muss. Vor pauschalen Konstatierungen sollte man sich hüten; 3. der Rekonstruktion spezifischer Abläufe bei zwischenstaatlichen Handelsgeschäften, soweit dies möglich ist; 4. den gehandelten Produkte und akzeptierten Zahlungsmitteln. Die folgenden Kapitel sollen die allgemeinen Bedingungen des Fernhandels von ca. 1000 bis 600 feststellen und danach die Möglichkeiten ausloten, ob, in wie weit und in welchen Formen es Griechen möglich gewesen wäre, sich an diesem Handel zu beteiligen. Weiterhin ist zu fragen, ob sie in der Lage gewesen wären, sich in dieser Zeit eigene Handelsräume im östlichen Mittelmeer außerhalb der Ägäis und den Kolonien im Westen zu schaffen. Trotz einzelner gegensätzlicher Meinungen kann kaum daran gezweifelt werden, dass der Fernhandel im östlichen Mittelmeer in der frühen Eisenzeit von der syrischen Küste ausging. Einer der Hauptgründe dafür ist die Kontinuität des internationalen Kommerzes, der von der späten Bronzezeit ohne vollständige Unterbrechung in die frühe Eisenzeit überging.226 Natürlich musste er nach dem Fall des hethitischen Großreichs, der mykenischen Staaten und Ugarits sowie während der darauf folgenden Unruhen erheblich zurückgegangen sein. Er brach aber nicht ganz ein, sondern orientierte sich neu. Das zeigen z.B. die im Vergleich zur Bronzezeit kleinen Häfen an der nordsyrischen Küste, welche Ankerplätze boten, die ein zurückgegangenes Handelsvolumen und geänderte Hauptrouten zeigen.227 Nach dem Bericht des Wen-Amun aus dem Jahr 1076 pflegte die Hafenstadt Byblos spätestens seit der zweiten Hälfte des 12. Jh., höchstwahrscheinlich aber ohne irgendeine Unterbrechung, nach dem Ende des Neuen Reiches kommerzielle Beziehungen zu Ägypten. Die Hafenstädte Zyperns und die phönikischen Stadtstaaten waren jene Orte, die den Fernhandel rasch wieder belebten und neu ausrichteten. Eine Neuorganisierung von Wirtschaft und Handel im Nahen Osten nach 1200 ergab sich aus der Gründung zahlreicher Kleinstaaten in Syrien und Südostanatolien und damit die Schaffung neuer Siedlungssyste226 227

Vgl. dazu auch Liverani 1987, 66–73, der die Frage allerdings recht allgemein und eher nach bestimmten systemrelevanten Begriffen behandelt. Vgl. Teil I 5.3.7.

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IV. Kontaktsituationen

me und Handelswege. Dabei spielten noch zwei Faktoren eine bedeutende Rolle: die Eisenmetallurgie und die Nutzung des Dromedars in Wüstengebieten. Die phönikischen Staaten begannen seit dem 10. Jh. ihren Handel auszudehnen. Die von ihnen am stärksten benutzte Route führte nach Süden, zum ägyptischen Tanis, und weiter westwärts an die libysche Küste wie auch nach Norden an der Küste entlang bis zum kleinasiatischen Kilikien und nach Zypern. Die Ägäis wurde zunächst von den Phönikern vermutlich nur gestreift: Kreta lag auf dem Seeweg von Zypern zur nordafrikanischen Küste, und auf dieser Insel sind schon früh phönikische Häfen auszumachen. Der Fernhandel, seine Wege und Cargos sind aus der späten Bronzezeit recht gut bekannt. Ein Vergleich mit den Seestraßen des 10. Jh. zeigt, dass es einen vollständigen Zusammenbruch dieser kommerziellen Traditionen in der frühen Eisenzeit nicht gegeben hat, sondern dass längst bekannte Strecken auch weiterhin befahren wurden. Auch manche Besonderheiten und Regeln des Mittelmeerhandels blieben offensichtlich bestehen. So hat z.B. Hayah Katz festgestellt, dass man die Angaben über das Wrack von Ulunburu gut mit der Beschreibung des ›Schiffes Tyros‹ aus dem Beginn des 6. Jh. vergleichen kann.228 Das Cargo dieses berühmten Wracks von Ulunburu wog 20t und bestand vorwiegend aus Metallen, die aus Anatolien, Ägypten und Zypern stammten.229 Daneben hatte es aber auch andere Handelswaren aus sehr verschiedenen Gebieten des Mittelmeers geladen. Auch in der Eisenzeit waren solche Kombinationen von unterschiedlichen Handelsgütern bei Seetransporten wohl üblich. Im Gegensatz dazu ist der Fernhandel in Griechenland mit dem Niedergang der mykenischen Paläste, die auch als Wirtschaftsmonopole fungiert und den Fernhandel organisiert hatten, lange Zeit zum Erliegen gekommen. Offensichtlich gab es dort für einige Jahrhunderte weder Märkte noch Träger und Produkte für einen solchen kommerziellen Austausch. Die Frage, was für eine Art des Handels im Altertum und im Besonderen während der frühen Eisenzeit existierte, wird sehr kontrovers diskutiert. Diese Polemik ergab sich u.a. aus unterschiedlichen theoretischen Standpunkten und Systemen und weniger aus wirtschaftshistorischen Analysen der altorientalischen und frühgriechischen Quellen selbst. Zunächst wäre festzuhalten, und darin sind sich alle an der Diskussion Beteiligten einig, dass man die Wirtschaft des Altertums nicht mit den Vorstellungen der heutigen westlichen Marktwirtschaft erklären kann. Insofern sind die Thesen einiger Wissenschaftler wie z.B. Finley und Cartledge durchaus richtig.230 Nicht Recht haben sie allerdings darin, die damaligen und heutigen Wirtschaftssysteme als absolut unvergleichbar anzusehen, als ökonomische Welten, in denen die heutigen Begriffe und Regeln in keiner Weise existent gewesen wären. Ein Vergleich mit der heutigen Wirtschaft wie auch mit derjenigen der westeuropäischen Kolonialzeit, die auch öfters als Parallele hinzugezogen wird, ist vor allem deshalb verfehlt, weil Wirtschaft nicht losgelöst von Politik, Infrastruktur, Kommunikation, Kultur und Gesellschaft existieren kann.231 Allein schon diese Tatsache macht einen direkten Vergleich einzelner, aus ihrem Kontext losgelöster kommerzieller Elemente tatsächlich methodologisch unmöglich. Ein Beispiel dafür ist die These, nach der ein freier Handel im Altertum nicht existiert haben kann, weil nämlich Institutionen zur Kontrolle 228 229 230 231

Katz 2008, 128–142. Bass et al. 1989, 1–29. Finley 1973; Cartledge 1998, 4–24. Vgl. dazu z.B. Granovetter 2005, 84–88.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

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von Krediten und des fairen Wettbewerbs gefehlt hätten.232 Eine solche Meinung klingt in den Ohren eines Historikers geradezu absurd. Theoretisch rekonstruierte Wirtschaftsstrukturen, die in letzter Zeit oft bei der Untersuchung von ökonomischen Formen im Altertum angewandt werden, gehen meistens von primitiven Zuständen aus, die z.B. keinen Platz für Gewinnstrategien und Thesaurierung zeigen, sondern lediglich primitiven Austausch, mit Reziprozität und Redistribution gekoppelt, zulassen.233 Diese Zustände werden dann auf das gesamte Altertum übertragen: Märkte und Marktmechanismen wie auch profitorientierter Handel kann es diesen Thesen zufolge nicht gegeben haben.234 Dabei stammen die meisten dieser Wirtschaftstheorien zur Antike nicht aus Quellenuntersuchungen, sondern aus selektiv gesichteter Sekundärliteratur. Handel ist im Prinzip der Austausch von Eigentum, wenn man etwas, was man nicht besitzt, dringend benötigt, oder wenn eigene Produkte überschüssig sind, was ein Problem von Angebot und Nachfrage ist. Daher ist z.B. sicher auszuschließen, dass die Griechen größere Mengen an Wein und Öl in die Länder der Levante exportiert haben, denn dort gab es Überschüsse, die sogar exportiert wurden. Und andererseits kam es in Griechenland immer wieder zu Engpässen in der Lebensmittelproduktion, die sogar zu Exportverboten führten. Dieses einfache Grundschema des Handels führte zu spezifischen Kombinationen, durch die man an bestimmte Waren möglichst schnell und billig kommen konnte, wobei der Profit sicher auch eine Rolle spielte. Die Prioritäten waren immer wirtschafts- und kulturspezifisch. Wie dieses Grundschema konkret funktionierte, modifiziert und auf verschiedenen Ebenen entwickelt wurde, hing also von den politischen, den allgemeinen wirtschaftlichen Gegebenheiten und von den sozialen Praktiken jedes einzelnen Landes innerhalb einer bestimmten Zeitspanne ab. Diese sind für eine Reihe von hier betrachteten Ländern nur unzulänglich durch Quellen belegt, und man muss sich hier und da auf wahrscheinliche Hypothesen beschränken, die aber den jeweiligen sozialen und kulturellen Kontext und ihren historischen Hintergrund nicht verlassen dürfen. Ein internationaler Handel setzt bestimmte Modalitäten voraus, die allgemein von allen Teilnehmern und Partnern anerkannt werden müssen und für alle gültig sind, sodass Analogieschlüsse durchaus legitim sein können, solange sie sich im oben umrissenen Rahmen bewegen. Waren diese Modalitäten in der Bronzezeit von den Palastzentren bestimmt, so zeichnet sich die frühe Eisenzeit durch eine starke Dezentralisierung aus, bei der eine Vielzahl von kleineren Stadtstaaten mit unterschiedlichen monarchischen Herrschaftsformen und einzelnen Stämmen, die noch keine staatlichen Institutionen besaßen, in kommerzielle Beziehungen miteinander traten. Erst seit dem 8. Jh. wurde der Nahe Osten durch die Ausdehnung des Assyrischen Reiches in Syrien zu einem einheitlichen Handelsraum, wobei aber der syrischen Küste für etwa ein Jahrhundert noch ein relativ großer Spielraum für ihren Handel gewährt wurde.

232 233 234

Momrak 2005, 170. Diese und ähnliche Theorien gehen von den viel beachteten und benutzten Werken von Polanyi 1944 und 1992, 29–51 aus. Zur Kritik vgl. u.a. Powell 1999, 5–23.

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IV. Kontaktsituationen

1.2.1 Wirtschaft und Handel im Neuassyrischen Reich Dieses Thema gehört trotz zahlreicher erhaltener Dokumente zu den schwierigsten der altorientalischen Geschichte.235 Das rohstoffarme Mesopotamien war von Anfang an auf Importe und Handel mit seinen an Mineralien, hochwertigem Steinmaterial und Holz reichen Nachbarn (Iran, Südkaukasus, Anatolien, Syrien) angewiesen. Die Beherrschung oder zumindest Kontrolle der Wege zu den Rohstofflagern bestimmte die gesamte Entwicklung des Reichs. So bildeten sich im Lauf der Zeit Wirtschafsstrukturen heraus, die ökonomisch sehr unterschiedliche Gebiete in ein einheitliches System einbeziehen konnten: Assyrien kontrollierte seit Mitte des 8. Jh. die reichen Bergwerke des Taurus und profitierte etwas später vom phönikischen Seehandel im Mittelmeer. Zweifellos war Assyrien vom 9. Jh. bis zu seinem Untergang Ende des 7. Jh. der wichtigste Faktor im internationalen Warenaustausch. Die Versorgung mit Metallen und Holz hatte für die assyrische Wirtschaft oberste Priorität. Nach den verfügbaren Quellen stammten diese Metalle seltener aus ihren Herkunftsländern selbst: Die größten Mengen an Gold und Silber kamen aus Tributen und Kriegsbeute aus Ländern, welche sie verhandelten. Das meiste Gold ist aus Tributen und Beute aus Tyros, Ägypten und Karkemiš verzeichnet und das meiste Silber wieder aus Tyros, Damaskus und Karkemiš und erst danach von dem Land Tabal, wo Silber abgebaut wurde.236 Bei einem solch hohen Bedarf an Rohstoffen stellt sich die Frage nach den Äquivalenten, welche Mesopotamien für einen friedlichen Handel zur Verfügung hatte. Kurz gesagt: Diese gab es zunächst kaum. Das Land verfügte über genügend Ressourcen in der Landwirtschaft, um sich selbst zu versorgen, doch für einen Export waren keine Kapazitäten vorhanden. Zwar besaßen die mesopotamischen Städte auch immer eine außerordentlich hoch entwickelte handwerkliche Produktion, doch diese hätte in keiner Zeit die Gesamtkosten für die Rohstoffe decken können. Allein die Textilindustrie, welche heimische Wolle verarbeitete, stellte hochwertige Luxusgewänder her, die für den Export bestimmt waren, doch auch sie konnte nicht die Staatskasse füllen. Daher musste der Staat andere Möglichkeiten für seine Finanzierung finden und ausschöpfen. Solche Möglichkeiten waren der Aufbau eines profitablen Fernhandels, was sich durch Steuern, Zölle und Preise bewerkstelligen ließ, und durch freien Zugang zu den Rohstoffquellen, was durch Raubzüge, Schaffung politischer Abhängigkeiten und schließlich Eroberung geschah. Dies alles ging Hand in Hand mit dem assyrischen Tributsystem, das dem internationalen Handel jedoch durchaus zugute kam.237 Mit jedem freien Zugang zu Rohstoffen, vor allem zu Metallen, verbesserten sich die Möglichkeiten, auf dem internationalen Markt mit den geforderten Äquivalenten zu agieren. Im ausgehenden 8. Jh. war Silber die allgemein verwendete Währung im Assyrischen Reich, d.h. die Wirtschaft basierte finanziell vollständig auf der Versorgung mit diesem Metall. Das erklärt auch die langen und hartnäckigen Kämpfe um das Taurusgebiet mit seinen Silberminen. Während Metalle, Hölzer, Edelsteine, Elfenbein u.a., wie auch Tiere und Menschen wohl vorwiegend aus Tributen und Kriegsbeute nach Assyrien kamen, wur235 236 237

Postgate 1979, 193, 195. Die Liste der mit Assyrien in wirtschasftlichen Beziehungen stehenden Staaten bei Jankowskaja 1956. Oppenheim 1969, 36f.; Radner 2004, 156f.

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den Lebensmittel wie Wein, Öl, Getreide aus Syrien und Anatolien als Handelswaren importiert, denn sie kommen nur selten in Tributlisten vor. Die neuassyrische Wirtschaft besaß drei verschiedene, aber nicht streng voneinander getrennte Bereiche: Palast, Staat und privater Sektor.238 Die Palastwirtschaft versorgte die königliche Familie und den Hof, einschließlich der dortigen militärischen Einheiten. Der immense Reichtum, den die königlichen Besitztümer erwirtschafteten, machte die Palastwirtschaft zu mehr als einen vergrößerten Haushalt: Besonders die zahlreichen kostbaren Gaben/Tribute ermöglichten dem König eine weite Redistribution dieser Einnahmen, die meistens in aufwendige Unternehmungen wie Bauvorhaben in den Hauptstädten oder Verbesserung der Infrastruktur im Land gesteckt wurden. Diese Mittel flossen also zum Teil in die anderen Bereiche der neuassyrischen Wirtschaft, nämlich in den staatlichen wie auch in den privaten. Doch durch die starke Akkumulation von Reichtümern war die Palastwirtschaft der größte wirtschaftliche Faktor und Organisator. Für bedeutende wirtschaftliche Bereiche, besonders für die Ausstattung der Armeen, hatten die Könige eigene Handelsfunktionäre, während die Beschaffung von Luxusgütern meist Händlern überlassen wurde, die nicht im Palastsystem tätig waren.239 Die sogenannten Händler des Königs (tamkaru) waren Leute von sehr hohem sozialem Rang, die auch militärische und diplomatische Kompetenzen besaßen und Finanzgeschäfte tätigten.240 Ein tamkaru musste nicht unbedingt assyrischer Herkunft sein, ausschlaggebend waren für ihn der freie Zugang zum Hof, und der Besitz großer eigener finanzieller Mittel.241 Die wichtigste Aufgabe des Palastes aber war die Festlegung der Wirtschaftspolitik, die absolut zielorientiert betrieben wurde. Dazu gehörte auch der internationale Handel.242 Die Funktion der Staatswirtschaft bestand vor allem darin, die zivilen und militärischen Organisationen des Staates zu versorgen. Sie wurde von Beamten aus den höchsten Ebenen der Palastwirtschaft geleitet. Ihnen unterstanden staatliche Ämter, welche diese Versorgung im gesamten Land organisierten und kontrollierten. Der jeweilige Statthalter und seine Untergebenen führten die Steuererhebungen und Rekrutierungen durch und versorgten die in ihrem Amtsbereich stationierten Truppen mit den erforderlichen Tieren. Dabei konnten sie recht selbständig agieren und waren anscheinend keiner durchgehenden Kontrolle von Seiten des Palastes ausgesetzt. Notwendige Fertigprodukte für die Administration oder für die Armee wurden vertraglich bezahlten, privat agierenden Handwerkern in Auftrag gegeben.243 Somit ist eine starke Verzahnung von Palast-, Staats- und Privatwirtschaft zu beobachten. Der vom Palast unabhängige Privatsektor ist wegen der fehlenden Quellenbasis sehr schwer zu bestimmen und zu charakterisieren. Vor allem Angaben über die Steuererhebungen für Privatpersonen, d.h. über die Steuer auf Landwirtschaft und Handel, ermöglichen einen gewissen Einblick in diesen Bereich. Bauern mussten einen Teil ihrer Produktion dem Staat als Steuer überlassen. Diese Steuer betrug im Allgemeinen 10% und lag nur bei defiziten Produkten etwas darüber. Über die Besteuerung der Stadtbewohner ist nichts be238 239 240 241 242 243

Postgate 1979, 193–221, bes. 200. Radner 2004, 157–159 (zum Verkehrsknotenpunkt Karkemiš). Radner 1999, 103. Radner 1999, 105. Fuchs 1994, 88, 314. Postgate 1979, 205.

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IV. Kontaktsituationen

kannt. Sie hatten anscheinend keine allgemeinen Steuern zu leisten. Das galt aber offensichtlich nicht für spezielle Erhebungen. In königlichen Landverleihungen werden Ausnahmen für eine Besteuerung von »Häfen, Fähren und Toren« u.ä. erwähnt.244 Das heißt, dass außerhalb dieser besonderen Steuerbefreiungen jeder diese Taxen zahlen musste. Mesopotamien hatte lange Traditionen in seinen Steuersystemen, und das ist gut an den neuassyrischen zu beobachten. Für unser Thema sind vor allem die Steuern auf Handelswaren von Interesse.245 Dafür gab es spezielle Beamte, die für einzelne Städte oder ganze Provinzen zuständig waren. So ist z.B. ein Handelssteuereintreiber (makisu) im Jahr 661 für die Provinz Que belegt.246 Sie unterstanden nicht der Provinz-, sondern der Zentralverwaltung, weshalb es auch immer wieder zu Reibereien vor Ort kommen konnte. Karen Radner vermutet, dass sie dem rab kāri, dem ›Vorsteher des Marktes bzw. Handels‹ unterstanden, der eine hohe Stellung am Königshof innehatte. Es ist unbekannt, wie hoch diese Handelssteuer war. Einige private Kaufleute werden in assyrischen Briefen erwähnt: In Kummuh, Karkemiš, Taima u.a. treten Kaufleute häufig als Zeugen auf Rechtsdokumenten (vor allem Kaufverträgen) auf. Der private Fernhandel war für eine einzelne Person sehr riskant und erforderte große finanzielle Mittel. Daher ist der Zusammenschluss von Einzelpersonen zu einer ›Firma‹ mit geteilten Gewinnen und Risiken bereits im Altassyrischen Reich sehr gut belegt.247 Auch aus dem Neuassyrischen Reich und dem babylonischen Nachfolgestaat sind solche Gesellschaften aus Wirtschaftsdokumenten bekannt.248 Sie arbeiteten als Selbständige für die Palastwirtschaft und für hoch stehende Privatpersonen. Möglichkeiten für Eigeninitiative waren von der Palastwirtschaft und dem staatlichen Sektor vorgegeben. Der Privatsektor ist in seiner Gesamtstruktur schwer fassbar. Dass er existierte und wohl auch eine recht bedeutende soziale Funktion besessen hat, zeigen u.a. die erst 1990 in Wohnhäusern Aššurs entdeckten Tontafeln, in denen von Handelsunternehmen die Rede ist.249 Über den Aktionsradius der Händler im Neuassyrischen Reich ist auch nur wenig bekannt. Sie hielten sich anscheinend nur innerhalb seiner Grenzen auf, und waren auch in jeder neuen Provinz tätig, was aus den Briefen hervorgeht. Umgekehrt hielten sich wohl kaum viele ausländische Händler im Assyrischen Reich auf. Westsemitische Namen erscheinen erst dann in den Dokumenten, nachdem die jeweiligen Länder bereits zu Provinzen geworden waren. Geschäfte mit dem Ausland wurden wohl an den großen Grenzstationen abgewickelt, von denen im Westen Karkemiš lange Zeit die größte und bedeutendste war. Auswärtige Beziehungen zu den Mittelmeerländern unterhielten vor allem die phönikischen Küstenstädte, und die Waren aus der Arabischen Halbinsel erreichten in Gaza ihren Umschlagort. Außer den genannten Rohstoffen – Metallen, Steinmaterial und Hölzern – kamen viele weitere Waren in das Reich, Luxuswaren wie Edelsteine und Weihrauch, oder auch besonders wertvolle Haustiere. Für das hier gestellte Thema ist vor allem der assyrische Handel von Interesse, der von seinen syrischen und kilikischen Küstenprovinzen und Vasallenstaaten betrieben wurde. In 244 245 246 247 248 249

Z.B. SAA 12, 26, r. 3; 35, 23 u.a. Radner 2007, 225f. SAA 7, 1992, Nr. 118, Rs. 20–21. In Anatolien, vor allem aus dem kārum Kaniš-Kültepe beim heutigen Kayseri; vgl. z.B. Dercksen 1996. Oppenheim 1967, 239–240. G 132, 2000, 101–104.

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die Handelsmechanismen dieser Länder griff Assyrien offensichtlich nicht ein: Es gab keine sichtbaren Neuerungen bei den kommerziellen Abwicklungen, und das Beispiel Tyros zeigt mit aller Deutlichkeit, dass die Träger des Seehandels weiterhin die Phöniker waren. Die assyrischen Könige schonten gerade solche großen Handelszentren außerhalb ihres Kerngebiets. Sie wurden gewöhnlich aktiv gefördert und als kommerzielle Außenposten unterstützt und aufgebaut. Der assyrische Handel verlief vor allem auf Landwegen. Die Assyrer waren nicht auf den Seehandel angewiesen. Die Könige intervenierten nur in bestimmten politischen Situationen massiv durch ihre eigene Handelspolitik an der syrischen Küste, was in den davon betroffenen Ländern zu empfindlichen Verlusten geführt haben muss.250 Der Vertrag zwischen Esarhaddon und Ba’al von Tyros251 zeigt dazu einige Details.252 Die Assyrer erweiterten und verstärkten durch die Einverleibung anderer Länder ihr Handelsnetz und sorgten für einen festen Anschluss an die bereits bestehenden Strukturen der Infrastruktur, Kommunikation und Kontrolle. 1.2.2 Wirtschaft und Handel in neubabylonischer Zeit Die Stadt Babylon war zur Zeit des Neubabylonischen Reiches das bedeutendste Zentrum des Binnen- und Außenhandels im Orient. Sie war dank des riesigen Binnenmarkts, der durch die Übernahme eines großen Teils des Neuassyrischen Reiches entstanden war, der absolute Mittelpunkt des internationalen Kommerzes. Der Handel war, wie Wirtschaftsdokumente implizieren, nach Warengruppen und Aktionsgebieten spezialisiert. Aus den verschiedenen Ländern importierte man bestimmte Waren, z.B. aus Phönikien Honig, aromatische Substanzen, Purpurtextilien und Holz. Aus Kleinasien wurden vorwiegend Metalle eingeführt.253 In Babylonien existierten im Unterschied zur Wirtschaft des Neuassyrischen Reiches neben dem Palastsektor auch noch die reichen und mächtigen Tempelwirtschaften. In beiden Typen von Wirtschaftszentren waren eigene Händler und Agenten tätig, welche Ein- und Ausfuhr innerhalb und außerhalb des Landes organisierten. Die Quellen geben allerdings nur sehr wenige Informationen über die Organisation dieser kommerziellen Tätigkeiten. In einigen Dokumenten ist ein rab tamkārī, ›der Oberste der Händler‹ erwähnt, der zu den etwa zwanzig höchsten Würdenträgern des Palastes gehörte. In der Zeit des Nabukadnezar trug eine solche Person den westsemitischen Namen Hanunu.254 Die großen Tempel in Babylon, Borsippa, Uruk u.a. waren Wirtschaftszentren mit riesigen Gütern und enormem wirtschaftlichem Potential, die eigene Handelskreisläufe unterhielten. Aus dem Tempelarchiv in Uruk aus der Zeit des Nabonid geht hervor, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt große Mengen an Importwaren, Kupfer, Eisen, Alaun und Wein, für das Heiligtum angekommen waren. Diese Waren wurden von Händlern aus der Provinz Syrien ausgeführt. Ob diese durch private babylonische Händler vermittelt wurden, bleibt unbekannt. Sicher ist, dass sowohl die Palast- als auch die Tempelwirtschaften stark auf ›freie Mitarbeiter‹ im In250 251 252 253 254

Es gibt in den Quellen dafür zwar nur ein Beispiel, nämlich die Handelsblockade gegen Ägypten, vgl. Teil I 5.4.1, doch diese dürfte nicht die einzige gewesen sein. SAA 2, 5. Pečirkova 1987, 162–175; vgl. Teil IV 1.2.4. Dandamaev 1991, 273. Leemans, in: RlA 4 s.v. Handel §12, p. 88.

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und Ausland angewiesen waren.255 Parallel zu den an Palast und Tempel angestellten Kaufleuten existierte spätestens seit dem 8. Jh. ein wachsender privater Sektor, was deutlich in Dokumenten aus Wohnhäusern belegt wird.256 Zwar sind die meisten von ihnen noch unpubliziert, doch aus dem bisher Bekannten geht hervor, dass städtische Familien der Oberschicht durch Handelsgeschäfte zu wirtschaftlicher Prosperität gelangten. Sie konnten ihren Reichtum durch Finanzgeschäfte, Leitung von Handelsagenturen und Im- und Export erwirtschaften. Besonders das Finanz- und Bankwesen entwickelte sich in dieser Zeit. Die älteste der Großfirmen, die Finanzierungen und andere Bankgeschäfte in großem Stil durchführten, ist das ›Haus Egibi‹, das spätestens seit dem 8. Jh. existierte.257 Egibi und andere Finanzhäuser gaben auch Kredite für den Fernhandel, der von Firmen, d.h. von Zusammenschlüssen von Händlern und Agenten getragen wurde, welche sich Gewinne und Risiken teilten. Diese nahmen Kontakte im Ausland auf und unterhielten sie, solange sie daran Interesse hatten. Auch wenn vieles über den internationalen Handel Babylons in der neubabylonischen Zeit im Dunklen bleibt, ist völlig eindeutig, dass von einer zentralisierten, redistributiven, ›orientalischen‹ Wirtschaft nicht die Rede sein kann. Babylon war stark auf die Hauptstadt mit ihren Tempeln und Palästen konzentriert. Eine Förderung der Wirtschaft in den peripheren Reichsteilen war nicht vorgesehen. Was zählte, waren die Tribute und das Funktionieren der dazu notwendigen Handelsrouten. Gerade wegen der handelspolitischen Interessen spielte Syrien in der Ökonomie des Reichs eine bedeutende Rolle. Die Vasallenkönige von Arwad, Sidon, Tyros, Ašdod und Gaza nahmen in der Versammlung ›der Großen von Akkad‹ einen wichtigen Platz ein.258 Auch der Rückzug des Nabonid in die arabische Oase Taima war nicht vom misanthropischen Charakter eines schwierigen Herrschers bedingt, sondern von der Notwendigkeit, den Warenfluss des östlichen Fernhandels über die Karawanenrouten Arabiens, die zu dieser Zeit an Bedeutung gewannen, zu sichern.259 Die babylonisch-griechischen Kontakte ergaben sich dadurch, dass die babylonische Grenze weiter in den Westen gerückt war. Babylon grenzte an das Lydische Reich, unter dessen Herrschaft einige griechische Küstenstädte standen. Außerdem lebten Griechen im 6. Jh. innerhalb der Grenzen Babyloniens und, wie vielleicht einige Privatdokumente zeigen, in Babylon selbst. Die Hauptstadt war eine multikulturelle Metropole, in der auch Phöniker, Juden und Ägypter belegt sind,260 die allerdings eher durch Deportationen aus Syrien dorthin gekommen sein dürften. Händler sind darunter nicht genannt. In Kilikien (Hume), das Teil des Neubabylonischen Reiches war, unterhielt zumindest die Stadt Soloi intensive Kontakte mit einigen Gebieten der griechischen Welt.261 Auch Mersin und Tarsos weisen solche Beziehungen auf und können daher ebenfalls als grie255 256 257 258 259 260 261

Jursa 2004 , 121. Meinert 1980, 25–32. Die größte Anzahl von Tontafeln solchen Inhalts stammen aus dem 6. und 5. Jh. Dandamaev 1991, 273. Labat 1969, 105f. Labat 1969, 109. Zaddok 1978. Yağci 2002 und 2007.

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chisch-babylonische Kontaktzone gedient haben.262 An der nordsyrischen Küste gingen die Kontakte dagegen merklich zurück: Al-Mina wurde zeitweilig verlassen, und Tell Sūkās während dieser Zeit, wahrscheinlich von Babyloniern, zweimal zerstört (588 und 552). Während ›Ionier‹ in den neuassyrischen Annalen nur in Verbindung mit Piraterie genannt sind,263 erscheinen sie unter Nabukadnezar (604–562) und Nabonid (555–539) in einigen Wirtschafts- und Verwaltungstexten.264 Der Begriff ›Ionier‹ ist hier allerdings noch schwieriger zu deuten als in den assyrischen Texten, denn die Babylonier bezeichnen mit ›Iamani‹ (im Neubabylonischen als Yāwan, mit Nisbe Yāwanaya ausgesprochen) wahrscheinlich mehrere ethne. ›Ionier‹ sind in einer Liste mit ausländischen, teilweise auch hochgestellten Personen genannt, die im Palast festgehalten wurden265 oder dort arbeiteten, und festgesetzte Rationen erhielten. Insgesamt werden acht ›Ionier‹ genannt. Allerdings deuten die erhaltenen Personennamen kaum auf eine griechische Herkunft hin. Einige sind luwischer Herkunft: mit Sicherheit Kunzumpiya und wahrscheinlich auch Aziyak. Andere Namen sind verloren oder nicht sicher zu lesen.266 Einige Wirtschaftsurkunden geben die Herkunftsländer bestimmter Importe an. In der Inventurliste eines reichen privaten Händlers aus Uruk aus der Zeit des Nabonid finden sich mehrere Eintragungen über den Import von Eisen und Kupfer »aus Ionien«.267 Zunächst sind die relativ großen Mengen dieser Metalle bemerkenswert: Dieser Babylonier kaufte teure Waren verschiedenster Art aus dem Westen. Die Liste vermerkt bestimmte Mengen an Kupfer, Lapislazuli, Flachs, Alaun, Eisen aus »Ionien« und »dem Libanon«, Blei, gefärbte Wolle und Gewänder sowie auch Flüssigkeiten. Das Eisen aus »Ionien« ist auf dieser Liste immer in einem Gewicht von 2 Talenten und 10 Minen geliefert worden. Die Kupferimporte schwanken zwischen 10 Talenten (einmal) und vier Talenten und 55 Minen (zweimal). Eine ähnliche Liste mit westlichen Importen vermerkt kleinere Mengen von Eisen und Kupfer aus »Ionien« und »Libanon«.268 Auch hier sind die jeweiligen Mengen gleich, es scheint sich also um handelsübliche Quantitäten aus dieser Region gehandelt zu haben. Das »Eisen aus Ionien« hatte als ein besonders hochwertiges Metall einen höheren Preis als das »vom Libanon«.269 Allerdings kommen Eisenerze in Ionien kaum vor und Kupfer ist gar nicht vorhanden. Man denkt eher an die Taurusregion, wo sich die reichen Erzlager befanden. Dann wäre ›Ionien‹ ein weit gefasster, rein geographischer und kein ethnischer Begriff und hätte mit den Griechen nichts zu tun. Eine griechische Beteiligung am Metallhandel mit Uruk wäre nur dann denkbar, wenn Griechen im 6. Jh. als international agierende Metallhändler belegbar wären, die Metalle aus anderen Gegenden des Mittelmeerraumes auf den babylonischen Markt gebracht hätten.270 Vor allem aber gibt es kein einziges Dokument, das grie262 263 264 265 266 267 268 269 270

Zu dem problematischen Fragment des Abydenos über griechisch-babylonische Konflikte (FGrH 685 F 5) vgl. Teil I 4. Vgl. Teil IV 2.1. Brinkman 1989, 57. Diese Liste ist historisch deswegen so bedeutsam, weil auf ihr der aus Jerusalem deportierte König Jojachin mit seinem Titel erwähnt ist; vgl. Weidner 1939, 923–935. Vgl. Brinkman 1989, 59. Oppenheim 1967, 236f. n. 1 mit Ergänzungen bei Brinkman 1989, 60, Anm. 34. Oppenheim 1967, 237f.: zweimal je 295 Minen für Kupfer und 130 Minen Eisen aus »Ionien«. Brinkmann 1989, 60, Anm. 36. S.u. zum Metallhandel.

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IV. Kontaktsituationen

chische Handelstätigkeiten oder griechische Händler innerhalb der Grenzen Babyloniens belegt. 1.2.3 Wirtschaft und Handel der nordsyrischen Länder Die Lage an den internationalen Handelswegen hatte Syrien immer reich gemacht. Sie war jedoch gleichzeitig eine Gefahr gewesen: Es war fast immer von großen Nachbarstaaten bedroht, welche dieses Handelsnetz unter ihrer Kontrolle bringen und ihre geopolitischen Vorteile für sich nutzen wollten. Nur wenige Dokumente illustrieren die Handelsabläufe in und zwischen den nordsyrischen Ländern in der frühen Eisenzeit.271 Aber über ihr wirtschaftliches Potential geben die assyrischen Beute- und Tributlisten sowie einige epichorische Inschriften ein eindrucksvolles Bild. Zusätzlich finden sich einige aufschlussreiche Stellen im Alten Testament. Zudem zeigen die politischen Konflikte der syrischen Länder untereinander zumindest einige Grundlinien einer handelspolitischen Orientierung. Das Muster für die Entstehung der neuen früheisenzeitlichen Staaten gab nicht das untergegangene bronzezeitliche Ugarit, sondern Karkemiš vor.272 Bei den anatolischen Hethitern der Spätbronzezeit waren wohl nur Kaufleute als königliche Funktionäre im Fernhandel tätig.273 Wie der Staat Karkemiš seine umfangreichen kommerziellen Tätigkeiten regelte, ist unbekannt. Innerhalb der Wirtschaft der spätluwischen und aramäischen Staaten der frühen und mittleren Eisenzeit blieben die Häfen an den Küsten klein und dienten dem lokalen Verkehr zwischen Phönikien, Nordsyrien, Zypern und Kilikien.274 Die nordsyrischen Hauptstädte und reichen Wirtschaftszentren lagen im Binnenland: Kunalua von Patin/ Unqi, Hamat des gleichnamigen Königreichs und Arpad von Bit-Agusi.275 Während aus der späten Bronzezeit viele Dokumente über die kommerziellen Beziehungen und ihre Organisation in Syrien bekannt sind,276 fehlen solche für die frühe Eisenzeit, die Aufschluss über die Neuorganisierung der Handelsbeziehungen in einem zunächst beschränkten Rahmen in Nordsyrien geben könnten. Der Handel war in den nordsyrischen spätluwischen und aramäischen277 Staaten zweifellos hoch entwickelt und organisiert. Das wichtigste kommerzielle Zentrum war Karkemiš, wo die Fernstraßen von Ägypten und Kleinasien über Syrien an den Euphrat gelangten. Von hier wurde ein Teil der Waren auf Schiffe verladen und auf dem Euphrat nach Süden, ein anderer Teil über die Binnenstraße zum Tigris transportiert. Die wirtschaftliche Stärke und die internationalen Handelsbeziehungen von Karkemiš werden eindrucksvoll durch die assyrischen Tributlisten verdeutlicht. So musste der König Sangara dem assyrischen Herrscher Aššurnasirpal II. gewaltige Mengen an Metallen abliefern. Darunter befand sich interessanterweise sehr viel Zinn. Außerdem sind in diesen Listen auch Importe aus Phönikien und Ägypten verzeichnet.278 Ähnlich war die 271 272 273 274 275 276 277 278

Vgl. Teil I 5. Vgl. Teil I 5.2.1. Klengel 2008. Vgl. Teil I 5.3.7. Vgl. Oppenheim 1967. Vgl. z.B. die Artikel in Gillis, Sjöberg 2008. Zu den Aramäern im Mittelmeer vgl. Prayon 2004, 2–35. Z.B. RIMA 2 A.0.101.1 III 65–69; vgl. allgemein Jankowskaja 1956, siehe auch unten.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

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wirtschaftliche Situation in den übrigen nordsyrischen Ländern: Der Reichtum von Patin war ebenfalls erheblich. Adadnerari II. ließ sich 20 Talente Silber, 1 Talent Gold, 100 Talente Zinn, 100 Talente Eisen, dazu 1.000 Rinder, 10.000 Schafe, 1.000 Leinengewänder mit farbigen Borten, geschmückte Liegen und Betten aus Buchsbaumholz, Gefäße aus Elfenbein und Buchsbaum, viele Ornamente aus dem Palast mit einem nicht bestimmbaren Gewicht, zehn Sängerinnen, die Tochter seines (des Königs) Bruders mit ihrer reichen Mitgift, einen großen weiblichen Affen und Enten aushändigen.279 Salmanasser III. erhielt von König Qalpurunda von Patin als Tribut 3 Talente Gold, 100 Talente Silber, 300 Talente Bronze, 300 Talente Eisen, 1.000 Bronzekessel, 1.000 Leinentücher mit farbigen Zierborden, die Tochter des Königs mit reicher Mitgift, 20 Talente rote purpurgefärbte Wolle, 500 Rinder, 5.000 Schafe. Als jährlichen Tribut wurden dem König von Patin 1 Talent Silber, zwei Talente von roter purpurgefärbter Wolle und 100 Zedernbalken auferlegt.280 Andere Tributlisten fügen dem noch Wein und Enten hinzu. Sasi, der von Salmanasser III. auf den Thron von Patin gesetzte König, bedankte sich dafür ebenfalls mit reichen Tributen. Die große Menge an Edelmetallen zeigt, dass Kunalua, die Hauptstadt von Patin/Unqi ein bedeutendes Handelszentrum war, dessen Reichtum im Palast der Könige thesauriert wurde. Die von Salmanasser III. auferlegten jährlichen Zahlungen waren recht hoch und beweisen das große, regelmäßige Einkommen des Staates. Es wurde weniger durch die florierende Landwirtschaft in der fruchtbaren ʿAmuqebene erwirtschaftet als durch den internationalen Handel, denn am Orontes gelegen, verfügte Patin nicht nur über große landwirtschaftliche Flächen, sondern vor allem über weite Strecken der Fernstraßen. Auch die hohe künstlerische Qualität der in Tell Taʿyinat entdeckten Funde spricht von erheblichen finanziellen Möglichkeiten, entwickelter Kultur und internationalem Ansehen. Da alle Staaten Syriens wirtschaftlich voneinander abhängig waren und der Binnen- und Fernhandel ein Netz von Routen, Beziehungen und Kommunikationen geschaffen und damit auch ein bestimmtes Regelwerk von rechtlichen Vorschriften und ungeschriebenen Gepflogenheiten entwickelt hatte, dürfte der Kommerz im großen Ganzen einheitlich funktioniert haben. Das schließt natürlich Sonderbestimmungen in einzelnen Ländern nicht aus, aber sie mussten so abgestimmt sein, dass sie den Verkehr nicht grundsätzlich störten. Einen gewissen Eindruck von der Abwicklung innersyrischer Handelsgeschäfte gibt uns ein assyrischer Brief aus Hamat.281 Dieses Schriftstück wurde zusammen mit ca. 20 anderen Tontafeln medizinischen, astrologischen und magischen Inhalts beim Haupttor der Stadt gefunden.282 Der Absender dieses Briefes war vermutlich der Herrscher des Landes Suhu am mittleren Euphrat, dessen Name auch aus den Inschriften auf dem sogenannten Schwarzen Obelisken Salmanassars III. bekannt ist: Marduk-appla-usur. Als Empfänger der Botschaft ist der König von Hamat genannt, der in der spätluwischen Form Urtamis in spätluwischen Inschriften aus Hamat bekannt ist, hier aber in der babylonisch-assyrischen Variante als Rudamu angesprochen ist. Simo Parpola datiert den Brief um das Jahr 279 280 281 282

RIMA 2 A.0.101.1 III 72–76 a. RIMA 3 A.0.102.2, II 21–23. Parpola 1990, 257–265. Parpola 1990, 257 vermutet, dass sie bei der Zerstörung 720 bei dem Versuch, das Archiv zu retten, dorthin gelangt sind.

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IV. Kontaktsituationen

837.283 Er behandelt ein aktuelles Problem, das damals beide Länder gleichermaßen betraf: Ein Teilherrscher von Suhu, Adad-nadin-zeri,284 Rivale des Marduk-appla-usur, störte den Handel zwischen Suhu und Hamat erheblich. Aus dem Brief geht hervor, dass er Waren beider Länder konfisziert hat. Marduk-appla-usur fordert Urtamis auf, Protest einzulegen und zu versuchen, seine Waren zurückzuerhalten. Er selber werde dies ebenfalls tun. Die Maßnahmen gegen Adad-nadin-zeri sollten also koordiniert werden. Hamat und Suhu verband eine der wichtigsten Fernstraße Syriens, welche von der Mittelmeerküste über Hamat am Orontes und Tadmor (Palmyra) zum mittleren Euphrat (nach Anah) führte. Diese zufällig überlieferte temporäre Schwierigkeit des staatenübergreifenden Binnenhandels liefert mehrere interessante Hinweise auf den Handel dieser Zeit, die sicher ohne Bedenken verallgemeinert werden können: Der internationale Kommerz verlief auf Routen, die über eine Reihe von souveränen Staaten führten. Das erforderte eine gute und lückenlose Zusammenarbeit zwischen denselben und ein festes Vertrauen darauf, dass für die Sicherheit des Warenflusses nach bestimmten Vereinbarungen alles Notwendige geleistet würde. Bei feindlichen Konflikten waren diese Routen ein Faustpfand in den Händen des jeweiligen Gegners. Er war in der Lage, die Wirtschaft bestimmter Staaten und Gebiete gezielt abzuwürgen. In diesem Fall wurde die Sache sicher schnell bereinigt: Marduk-appla-usur war ein von den Assyrern eingesetzter Vasall, genoss also den Schutz des Großreichs. Dass Urtamis mit ihm eine regelmäßige Korrespondenz unterhielt (s.u.) zeigt eine politische Wende in der bis dahin assyrerfeindlichen Politik der Könige von Hamat.285 Assyrien wurde also zum Garant des internationalen Handels in Syrien, natürlich vor allem aus Eigeninteresse. Für die Sicherung dieser und ähnlicher handelspolitisch wichtiger Straßen war eine lückenlose und effiziente Kommunikation notwendig. Auch darüber gibt dieser Brief aufschlussreiche Informationen. Die Kommunikation zwischen Suhu und Hamat war tatsächlich nicht nur regelmäßig, sondern absolut lückenlos. Ob dies nur in Krisensituationen wie in der beschriebenen geschah, ist natürlich nicht sicher zu sagen, aber sehr wahrscheinlich. Danach waren immer je zwei Boten beider Städte unterwegs: Hatte ein Bote aus der einen Stadt seinen Brief abgegeben, blieb er im Gastland und wartete auf den Brief des nächsten, um die Antwort auf dessen Brief sofort wieder in seine Heimatstadt zu bringen.286 Dass sich auch Händler aus Suhu in Hamat aufhielten, zeigt vielleicht das schwer beschädigte Fragment eines weiteren Briefs, in dem es vermutlich um ausstehende Zahlungen geht.287 Auch Gewichte aus Hamat vermitteln einen Eindruck von der staatlichen Organisation und vom Radius der kommerziellen Beziehungen dieses damals noch spätluwischen Staates. Sie wurden ihrer aramäischen Aufschrift zufolge vom König festgesetzt.288 Andere Gewichte tragen phönikische Inschriften. Somit hatte Hamat eigene Gewichtseinheiten wie 283 284 285 286 287 288

Parpola 1990, 260: kurz vor oder kurz nach dem Feldzug Salmanassars gegen Hazaël von Damaskus. Wohl Sohn des früheren Herrschers über Suhu und Mari, Kudurru, der von Aššurnasirpal II. 878 abgesetzt worden war. Parola 1990, 262; vgl. allgemein Teil I 5.2.4. Ausführliches Schema bei Parpola 1990, 261. Parpola 1990, 265. Vgl. Heltzer 1995, 101: ein Beispiel für das Gewicht eines Schekels auf Aramäisch.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

273

z.B. auch Karkemiš.289 Die Inschriften beweisen, dass Hamat sehr enge kommerzielle Beziehungen zur phönikischen Küste unterhielt. Es ist sogar gut möglich, dass phönikische Handelsleute ebenfalls in Hamat ansässig waren und die lokalen Gewichte benutzen mussten. Wahrscheinlich waren diese beschrifteten Gewichte ihr Eigentum.290 Die Verbindungsroute lief über die bequeme Homssenke und den Hafen von Tell Sūkās. Somit war das spätluwische Hamat ein sehr aktiver Teil des damaligen Handelsnetzes. An diesem internationalen Kommerz nahmen natürlich auch die Aramäer im Binnenhandel teil. Davon zeugen u.a. Gewichte, die sie im 8. und 7. Jh. benutzten.291 Sie zeigen zudem den starken assyrischen Einfluss auf die Entwicklung einer aramäischen Handelssprache, die assyrische Vorlagen stellenweise wörtlich ins Aramäische übertrug.292 So gut wie nichts ist über die Handelsabläufe in den Häfen Nordsyrien bekannt, doch es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass sich die Organisation des Handels kaum von der phönikischen unterschied, denn sie gehörten sozusagen zum Einzugsbereich phönikischer Handelstätigkeiten, welche an der Küste entlang bis in den Nordwesten nach Que zu registrieren sind (s.u.). Diese Küstenstädte gehörten zu zentral regierten Staaten, in denen offizielle Regelungen der Verwaltung, polizeiliche Aufsicht, Taxen und ein damit verbundener Schriftverkehr Grundlage der Verwaltung gewesen sein müssen, auch wenn keine diesbezüglichen Dokumente erhalten sind. In der Wirtschaft der nordsyrischen Staaten spielte das Land Que wahrscheinlich seit dem 10. Jh. eine besondere Rolle als Rohstofflieferant. Die Erze des Taurus wurden von hier aus in den Osten und Südosten exportiert. Dieser Handel begann wahrscheinlich, als sich dort eine Dynastie etablierte, welche ihn organisieren konnte.293 Im 9. und 8. Jh. waren die Tyrener die wichtigsten Geschäftspartner von Que. Den Siegelfunden an der Küste zufolge hielten sich dort phönikische Funktionäre auf, welche den Export organisierten und leiteten. Über die Art der Handelskontakte geben indirekt die phönikischen Inschriften von Karatepe Aufschluss: Die kommerziellen Beziehungen wurden auf allerhöchster Ebene vereinbart und unterhalten.294 Dabei arbeiteten Händler von Que und Tyros zwangsläufig auf solch eine Weise zusammen, dass die Abläufe möglichst reibungslos durchzuführen waren, vermutlich begleitet von einem entsprechenden juristischen Regelwerk. In den Inschriften aus Karatepe und Çineköy werden landwirtschaftliche Produkte und Tierhaltung als bedeutende Wirtschaftszweige genannt. Hinweise auf den Export von Metallen fehlen vielleicht deswegen, weil ihre Verhandlung im Export von Tyros aus abgewickelt wurde. Indirekt weisen die Inschriften von Karatepe auch auf eine einheimische Metallverarbeitung hin: die Anlage großer Waffenlager, die aus heimischen Rohstoffen und eigener Produktion stammen dürften. Ein großer Teil des Reichtums von Que, der auch in den assyrischen Beutelisten thematisiert wird, kam offensichtlich aus dem Handel wie auch den Steuern und Zöllen, die durch ihn eingenommen werden konnten. Die meisten Rohstoffe des Taurus und des Amanus wurden von Que aus weitergeleitet. Eine Blockade der 289 290 291 292 293 294

In neuassyrischen Texten ist eine »Mine von Karkemiš« erwähnt; vgl. Saggs 2001, 170 (ND 2437 Vs. 6–7); Ephal, Naveh 1993, 63. Heltzer 1995, 104. Fales 1995, 33–55. Fales 1995, 52. Vgl. Teil I 5.1. Vgl. Teil I 5.1.

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IV. Kontaktsituationen

Pässe verursachte immer so erhebliche Störungen im Warenfluss, dass sich die östlichen Großreiche genötigt sahen, sie mit Waffengewalt wieder zu öffnen.295 Dieser Metallhandel lief sowohl über die Binnenstraßen nach Nordmesopotamien als auch über die Seewege nach Süden. Für die letzteren war offensichtlich Tarsos der wichtigste Hafen. Die nordsyrischen Länder werden in der historischen Literatur gern als Kleinstaaten oder Fürstenstaaten marginalisiert. So haben es die damaligen Großmächte allerdings keinesfalls gesehen. Allein schon durch die Organisation der Warenströme des Fernverkehrs besaßen sie eine internationale Bedeutung, die gerade in den vielschichtigen Beziehungen dieser Länder zum Neuassyrischen Reich und umgekehrt einen deutlichen Ausdruck findet. Diese sogenannten Kleinstaaten bildeten in ihrem politischen Zusammenspiel einen kommerziellen Raum, der für die Wirtschaft sowohl von Assyrien wie auch von Ägypten und dem südöstlichen Kleinasien von entscheidender Bedeutung war. 1.2.4 Wirtschaft und Handel in Phönikien Die Phöniker gelten als das bei weitem wichtigste Handelsvolk des Altertums.296 Wegen der geographischen Besonderheiten entwickelten sich hier schon im 3. Jt. kleine Stadtstaaten, deren Kommunikationsweg vor allem das Meer war. Ihr unmittelbares Hinterland zur Versorgung der Bevölkerung war stark eingeschränkt, sodass sie bei einem Anwachsen der Bevölkerung Lebensmittelimporte und/oder zusätzliches Land benötigten. Trotz ihres Ruhmes als Handelsstaaten sind die Quellen über den phönikischen Kommerz sehr rar, wobei manches nur indirekt erschlossen werden kann, aber vieles letztendlich unbekannt bleibt. Häufig werden Dokumente aus dem spätbronzezeitlichen Ugarit zur Klärung herangezogen, doch das ist methodisch sehr bedenklich: In der Eisenzeit hatten diese Häfen nicht mehr dieselben Geschäftspartner und damit veränderten sich auch ihre Routen und Waren. Und vor allem lebten die Träger und Teilnehmer dieses Handels in einer ganz anderen Gesellschaft. Die frühste schriftliche Quelle darüber ist die schon mehrmals erwähnte Reiseerzählung des Wen-Amun, aus dem Jahr 1076,297 der als ein hoher Würdenträger des Hohenpriesters zu Theben nach Byblos geschickt worden war, um Holz für die Sonnenbarke des Gottes Amun zu besorgen. Die Abwicklung des Handelsgeschäfts ist folgendermaßen beschrieben: Der Holzhandel mit Ägypten gehörte zu den Kompetenzen des Königs von Byblos, Tjeker-Ba’al. Er entschied über die Aufnahme der Bestellung, über die Zahlungen, und er organisierte die Beschaffung der Ware. Es werden auch Schreiber an seinem Hof und ein ›Hafenmeister‹ genannt, der für Ordnung sorgte und als Bote des Königs auftrat.298 Die Geschäfte wurden durch Schriftverkehr geregelt, und die Handelspartner mussten sich an eine Reihe von Vorschriften halten. Aus dieser Erzählung geht deutlich hervor, dass solche kommerziellen Beziehungen zwischen Byblos und Ägypten damals schon mindestens seit drei Generationen existiert hatten und dass darüber Dokumente im Palast archiviert worden waren. Ende des 11. Jh. war der phönikische Handel also durchorganisiert. Da die politische Situation sich aber seit dem Untergang des Neuen Reiches grundlegend verän295 296 297 298

Vgl. Teil I 3. Vgl. Teil I 5.4.1. Vgl. auch Teil I 5.4.3. Auch wenn diese Geschichte nicht als historische Begebenheit genommen werden darf, so spiegelt sie auf jeden Fall die wirtschaftlichen Gepflogenheiten ihrer Zeit wider. Wen-Amun 1,43 u.a.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

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dert hatte, ist auszuschließen, dass spätbronzezeitliche Verfahren in den kommerziellen Beziehungen zwischen Byblos und Ägypten weiterhin benutzt wurden. Tjeker-Ba’al trat als Handelspartner und nicht als Vasall des Pharao Smendes in Tanis auf. Der Handel lag in diesem Fall nicht in den Händen von spezialisierten Kaufleuten, sondern wurde von offiziellen Personen bzw. ihren Stellvertretern abgewickelt. Die Geschichte des Wen-Amun zeigt außerdem einen ›gemischten Handel‹, bei dem Holz für kultische Zwecke gegen Gold und Silber (normale Zahlungsmittel im internationalen Handel), aber auch gegen Textilien, Papyrus, Häute und Taue, auf deren Produktion Ägypten traditionell spezialisiert war, sowie Lebensmittel eingekauft wurde. Man setzte also sowohl normale Zahlungsmittel, d.h. Metalle, als auch Naturalien ein. Es gab keine festgesetzten Preise, sondern die konkrete Transaktion wurde jeweils ausgehandelt. So dürfte es damals allgemein gewesen sein. Der ägyptische Text wirft außerdem ein Licht auf die Risiken des Seehandels dieser Zeit: Diebstahl, Raub, Verfolgung und Blockaden dürften normal gewesen sein, als stabile Staaten als Schutzmächte der Seewege noch fehlten. Gegen WenAmun ziehen elf Schiffe der Tjeker, um ihn festzunehmen. Auch der Umfang des Handels wird verdeutlicht: Im Hafen von Byblos halten sich 20 Handelsschiffe auf, die mit Tanis in Verbindung stehen, 50 befinden sich an den Kais von Sidon. In den folgenden Jahrhunderten verstärkte und erweiterte sich die phönikische Handelstätigkeit, da sich neue Handelspartner anboten. Das lässt auf ein größeres Handelsvolumen und eine bessere Organisation schließen. Eine solche erforderte spezialisiertes Personal, eine Handelsmarine mit entsprechenden Besatzungen sowie auch die dafür notwendigen neuen oder zusätzlichen Regeln und Gesetze. Beispiele dafür finden wir im Alten Testament, wo der Handel zwischen Hiram I. von Tyros und dem noch ganz jungen Königreich Davids geschildert wird. Denn Hiram habe David über eine Gesandtschaft Zedernholz, Zimmerleute und Steinmetze geschickt,299 was offensichtlich das Resultat intensiver bilateraler Gespräche gewesen sein soll. Diese gute Beziehung soll im Kontext dieser Geschichte ihren wirtschaftlichen Hintergrund gehabt haben: David habe durch seine Eroberungen Kontrolle über wichtige Handelswege erhalten, was ihn für Tyros interessant gemacht habe. Die Geschenke für David könnten sogar als Transitzahlungen angesehen werden.300 Auch wenn diese Geschichte nicht in das 11./10. Jh. datiert werden kann, gibt sie doch Gepflogenheiten des tyrenischen Handels wieder. Noch enger sollen sich die Beziehungen zwischen Hiram I. und Salomo gestaltet haben. Dem Alten Testament zufolge wurde der Handel mit Landschenkung gekoppelt. Israel erhielt Zedernholz für seine Bauvorhaben sowie Gold »in gewünschter« (d.h. vorher genau festgelegter) Menge.301 Der Preis für dies alles sollen 20 Städte in Galiläa gewesen sein, die Tyros dafür erhielt. Damit hätten die Tyrener das bekommen, was sie als Inselstaat am meisten benötigten: Land.302 Dies alles wird sehr realistisch dargestellt, gehört aber nach den Erkenntnissen der Bibelforschung in eine spätere Zeit. Die Beschreibungen israelisch-tyrenischer Beziehungen dürften aus dem 9. Jh. stammen und die für diese Zeit üblichen Handelspraktiken korrekt wiedergegeben haben. 299 300 301 302

2 Sam 5,11=1 Chr 14,1–2. Katzenstein 1973, 95: Der historische Hintergrund ist wohl im 7. Jh. zu suchen, die Geschichte als solche aber ist offensichtlich fiktiv. Vgl. Teil II 2.2.2. 1 Kö 9,11–14. 1 Kö 9,10.

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IV. Kontaktsituationen

Sogar eine gemeinsame Handelsexpedition hätten Tyros und Jerusalem beschlossen und durchgeführt. Bei dem bekannten Unternehmen über das Rote Meer zum Goldland Ophir habe die Flotte Hiram I. gehört, die Basis aber, nämlich Ezion-Geber, dem König Salomo.303 Diese Angabe ist zu Recht in Frage gestellt worden. Sie kann tatsächlich aus folgenden Gründen nicht historisch sein: Der Name des Goldlandes Ophir, über das viel gerätselt worden ist, stellt ein Hapax dar.304 Mitte des 9. Jh. soll der König von Juda, Jehosaphat, versucht haben, diese Route wieder zu öffnen. Der Versuch scheiterte jedoch angeblich, weil die Schiffe in Ezion-Geber zerschellt seien.305 Der biblische Text kommentiert und erläutert dieses Ereignis jedoch in keiner Weise. Gegen einen joint venture zwischen Tyros und Salomo spricht ebenfalls die Angabe, Ezion-Geber habe zum Territorium dieses fiktiven frühen großisraelischen Staates gehört. Die archäologischen Ausgrabungen von Tel el-Chulefi, der mit Ezion-Geber identifiziert werden muss, haben ergeben, dass der Ort in der Eisenzeit unbesiedelt war.306 Die Bucht von Aqaba gehörte zudem nie zum Königreich Juda. Auch wenn diese Angaben also nicht als historisch angesehen werden können, so zeigen sie doch wahrscheinlich einige charakteristische Züge tyrenischer kommerzieller Praktiken. Tyros wurde von der assyrischen Aggression, der die Nachbarländer seit dem 9. Jh. ausgesetzt waren, weitgehend verschont. Der Inselstaat war meistens bereit, sich durch Tribute loszukaufen, wobei diese oft sehr reichen Zahlungen wohl auch als Taxen, Konzessionen für Handelsgenehmigungen u.ä. aufgefasst wurden. Die Assyrer ließen sich offensichtlich darauf ein.307 Dadurch erreichte Tyros, dass der Warenfluss weiterhin ungebrochen blieb. Es schuf den Belegen der schriftlichen und archäologischen Quellen zufolge im Binnenland Vorderasiens Handelsstützpunkte wie in Damaskus und Samaria,308 Hamat und Que und sicher auch in vielen anderen Städten. Als im 9. Jh. viele Handelsstraßen im Osten unter die Kontrolle der Assyrer gerieten und damit für die Phöniker nicht mehr frei zugänglich waren, wandte sich Tyros vor allem zur Metallbeschaffung anderen Ländern zu: dem kupferund eisenreichen Zypern, wo es die Stadt Kition gegründet hatte, der gegenüber liegenden Küste Kleinasiens, Que und seinen Nachbarstaaten in Anatolien, und seit Ende des 9. Jh. den Küsten und Inseln des westlichen Mittelmeers und sogar des Atlantiks. Eine neue Etappe in der wirtschaftlichen Entwicklung von Tyros wurde mit seiner das ganze Mittelmeer (und darüber hinaus) umspannenden Kolonisationstätigkeit erreicht.309 Als Grund für diese Handelsexpansion wird eine expansive Erweiterung des tyrenischen Handelsnetzes 303

304 305 306 307

308 309

1 Kö 9,26–28. Man identifiziert Ophir im Allgemeinen mit dem aus ägyptischen Quellen als Punt bekannte afrikanischen Land, wohl im Gebiet des Somalilandes. Es sind allerdings auch die Arabische Halbinsel und sogar Indien im Gespräch. Tatsächlich kommt er auch in 1 Kö 22,49 vor, doch die Allusion an die Salomo-Geschichte ist ganz deutlich. 1 Kö 22,49–50. Finkelstein, Silberman 2009 mit Literatur. Dennoch ist die Bedeutung von tyrenischen Händlern in den westlichen Provinzen Assyriens, wie Aubet 1993, 67 und passim, sie beschreibt, weit übertrieben. Die in den Quellen genannten Tyrener und andere Phöniker müssen nicht unbedingt Händler, sondern können, was auch wahrscheinlicher ist, Handwerker gewesen sein. 1 Kö 20,34; Katzenstein 1973, 124. Der Begriff Kolonie wird in diesem Zusammenhang und im Vergleich zu den griechischen Kolonien allerdings von vielen Historikern zu Recht abgelehnt, da die politischen und gesellschaftlichen Strukturen völlig andere waren.

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angenommen. Diese wirtschaftliche Expansion führte in der modernen Historiographie zur Idee eines phönikischen Welthandelsnetzes, vergleichbar mit der heutigen globalen Wirtschaft.310 Eine solche Vorstellung geht von einem Schema aus, das von der modernen Wirtschaftswelt impliziert ist, nämlich dass Rohstoffe in kulturell und wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern billig eingekauft und mit anderen, minderwertigere Waren oder Dienstleistungen bezahlt wurden, mit dem Ziel, einen höchstmöglichen Profit zu erzielen. Der Handel sei zum ersten Mal von den Phönikern vom Staat oder Tempel losgelöst und von freien Unternehmern betrieben worden. Hier müsste einiges richtig gestellt werden: Freien, d.h. von Palast und Tempel unabhängigen Handel und privates Unternehmertum gab es spätestens seit dem Altassyrischen Reich,311 und ist keine phönikische Erfindung. Die Frage ist, auf welche Waren der Palast ein Monopol beanspruchte und welche Möglichkeiten privaten Unternehmern offen standen. Auch müsste hinterfragt werden, ob die Optimierung des Profits im Vordergrund des phönikischen Kommerzes stand. Sicher strich man gern höhere Gewinne ein, doch in einer nicht kapitalisierten Gesellschaft gab es andere Prioritäten. Zweifellos waren die Niederlassungen der Phöniker an den Küsten der Iberischen Halbinsel wie auch auf den Inseln des westlichen Mittelmeeres, auf Zypern und der südöstlichen Küste Anatoliens von kommerziellen Interessen bedingt. Das zeigt schon die Auswahl handelsstrategisch relevanter Plätze und ihre Anreihung zu kontinuierlichen Hafenketten. Doch das dürfte nur eine Seite dieser Expansion gewesen sein: Tyros hatte, wie oben schon hervorgehoben, einen dringenden Landbedarf. Bei steigender Bevölkerungszahl konnte man dem nur durch die Gründung von Kolonien begegnen, wie es in Griechenland später auch der Fall sein würde. Die Entwicklung ständiger und größerer Siedlungen im Ausland geht sicher zumindest zum Teil darauf zurück. Im Unterschied zu den griechischen Kolonien blieben diese Siedlungen tyrenische Außenposten und damit ihrer Metropolis untertan. Ein Beispiel dafür ist Kition, das von einem Statthalter verwaltet wurde.312 König Ethbaʿal I. (gegen 887 bis 856) wird im Alten Testament als König der Sidonier angesprochen,313 was besagt, dass Tyros sich Sidon untertan gemacht hatte. Unter Ethbaals Herrschaft erreichte Tyros einen wirtschaftlichen und politischen Höhepunkt. Die Küstenstädte der Levante standen unter seiner Hegemonie. Es gelang ihm zudem, sein Handelsnetz an das Assyrische Reich zu binden. Dass Tyros von den Assyrern mehr als Partner denn als Untertan empfunden wurde, zeigt, dass Ethbaal (zusammen mit dem König von Sidon) von Aššurnasirpal II. (883–859) zur Einweihungsfeier der neuen Hauptstadt Kalhu geladen war. Den aramäischen Königen der Nachbarstaaten war solche Ehre nicht zuteil geworden.314 Natürlich waren die Interessen beiderseitig: Ethbaʿal I. hätte mit seiner Politik keinen Erfolg gehabt, wenn er den Assyrern nicht auch interessante wirtschaftliche Angebote hätte machen können. Die phönikischen Herrscher werden in den neuassyrischen Quellen als die für den Fernhandel Verantwortlichen angesprochen.315 Die Ausführenden dieser Tätigkeiten waren 310 311 312 313 314 315

S. und A. Sherratt 1993, 361–378; Sommer 2000. In Wirklichkeit dürfte beides aber schon immer in Mesopotamien existiert haben. Zu einem Statthalter vgl. die Inschrift aus Limassol, KAI 31, wohl aus der 30er Jahren des 8. Jh. 1 Kö 16,31. ANET Suppl. 560. SAA 2, Nr. 6.

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wahrscheinlich die Männer, welche den Rat von Tyros bildeten, also sozial hoch stehende und qualifizierte Personen. Sie besaßen vermutlich in den Handelsgeschäften ein hohes Maß an Eigenverantwortung und -initiative und setzten persönliche finanzielle Mittel ein. Zu dieser Annahme kommt man aufgrund der bereits herangezogenen Textstelle Jes 23,8. Das Handelsnetz schufen sich die Tyrener durch die Gründung der erwähnten ›Kolonien‹. Unter diesem nicht ganz korrekten Begriff sind Siedlungen verschiedenen Typs zu verstehen, die von kleinen Anlegehäfen bis zu großen Städten reichen. Die Schaffung und der Ausbau dieses Hafennetzes an den viel befahrenen Seerouten gingen sicher auf königliche Anordnungen zurück. Allerdings könnten sekundäre Gründungen teilweise auch auf Eigeninitiative der ›vornehmen Herren‹ erfolgt sein. Über dieses Handelsnetz flossen neben den rein kommerziellen Waren auch noch andere Einkünfte nach Tyros: erhobene Hafenzölle und -taxen, eventuell auch Transitgebühren sowie auch Tribute und xenia aus den Partnerländern. Eine beliebte und gebräuchliche Form der Zusammenarbeit mit Handelspartnern war die von joint ventures wie die im Alten Testament erwähnte fiktive Fahrt von Hiram II. und Salomo. Die Verfasser dieser Geschichte haben hier wohl ein durchaus glaubwürdiges Muster phönikischer Handelstätigkeit gewählt. Dies könnte z.B. der Fall in Etrurien und Que gewesen sein. Eine so gestaltete Zusammenarbeit beim Metallabbau kennt man auch aus Zypern und Sardinien. Solche Kooperationen schlossen wahrscheinlich meistens zusätzlich noch verschiedene Absicherungen und Symmachieverträge zum Schutz der Seewege ein.316 Eine weitere Schwierigkeit war für die Tyrener der Mangel an genügend eigenen Leuten bei der Ausführung von größeren Unternehmungen. Auch davon erfahren wir aus Ez 27,1– 11, nämlich dass sich die Mannschaften aus Tyrenern und Judäern zusammensetzte. Auch dieser Hinweis stimmt sicher mit dem üblichen tyrenischen Modell überein, durch Zusammenarbeit den Mangel an Personal auszugleichen. Mit der Einverleibung der syrischen Nachbarstaaten in das Neuassyrische Reich während des 9. und 8. Jh. veränderten sich auch für Tyros die Rahmenbedingungen erheblich, auch wenn der Stadtstaat selbst selten angegriffen und nie zur Provinz wurde. Nicht nur die Insellage schützte Tyros davor, sondern auch die politischen Leitlinien seiner Könige, die von handelspolitischen Interessen vorgegeben waren und eher eine Bereitschaft zu politischen Kompromissen zeigten. Hätten die Assyrer in die Organisation und Abläufe des Fernhandels eingegriffen, dann hätte ihnen dies wahrscheinlich wirtschaftliche Nachteile gebracht. Seit Tiglath-pilesar III. war die Beibehaltung von Vasallenkönigen an dem phönikischen Küstenstreifen, solange es irgendwie möglich war, Standard assyrischer Politik.317 Die Veränderungen in seinem Umfeld hatten sowohl negative als auch positive Auswirkungen auf Tyros. Zu den negativen zählte z.B. die Aufgabe des Matallhandels mit Que. Andererseits eröffnete sich für die Stadt, als die Grenzen des Assyrischen Reiches an Tyros stießen, ein politisch geeintes Handelsgebiet, das es den tyrenischen Kaufleuten sehr viel einfacher machte, ihre Märkte zu erreichen als zu der Zeit, in der man eine Vielzahl von oft untereinander kämpfende Staaten beim Transitverkehr zu durchqueren hatte. Allerdings waren die regelmäßigen Tributzahlungen, die Tyros an Assyrien zu leisten hatte, nicht un316 317

Vgl. die Bilingue von Pygi, Ridgeway 1990, 511–530, wie auch die gemeinsame karthagischetruskische Abwehr der seeräubernden Phokaier, Hdt. 1,166. Otzen 1971, 255–258.

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erheblich, und sie mussten Auswirkungen auf die allgemeine Wirtschaftslage gehabt haben.318 Unter Adad-nerari III. hatte die Stadt zwanzigmal mehr zu zahlen als unter Aššurnasirpal II. Einer anderen Art waren die ungewöhnlich hohen Tribute (150 Talente Gold) Mattans II. im Jahr 729. Damit hatte sich dieser wahrscheinlich unrechtmäßige König seine Anerkennung durch Assyrien erkauft.319 Die hohe Zahlung wie auch die folgende fünf Jahre währende Belagerung laugten Tyros wirtschaftlich wohl völlig aus. Dabei verlor die Insel ihre Besitzungen auf dem Festland und die Kontrolle über die nördlichen phönikischen Städte. Mit dem Verlust des kontinentalen Territoriums war der Binnenhandel verloren. Das war aber nur eine relativ kurze Episode in der tyrenischen Wirtschaftsgeschichte, denn offensichtlich änderte sich die feindliche Einstellung Assyriens mit dem Regierungsantritt Sargons II. H. Jacob Katzenstein vermutet, dass die Belagerung nicht durch Kapitulation von Tyros, sondern durch Verträge aufgehoben wurde.320 Aus den Briefen des hohen assyrischen Beamten Qurdi-aššur-lamur erfahren wir einiges über die wirtschaftlichen Verhältnisse in Tyros und auf dem Festland zu dieser Zeit.321 Dieser Beamte schilderte ein lebhaftes Kommen und Gehen bei den Warenhäusern an den Kais von Tyros, wobei es sich wohl um die Speicherplätze für Holz handelt, denn Holz ist das Hauptthema dieses Briefes. Von den Menschen, die im Libanon Holz fällen, nahm der Assyrer Steuern, was aber in Tyros und Sidon zu Angriffen auf die Steuereintreiber führte. Tyros war also in dieser Zeit nicht mehr Herr über sein Festland, da die Steuern nun an die Assyrer gingen. Und außerdem besagt der Brief, dass ein Holzmonopol des tyrenischen Königs nicht mehr existierte. Anscheinend konnten alle, die es wollten, im Libanon Holz fällen, das allerdings vom assyrischen Beamten versteuert wurde. Möglicherweise hatten die assyrischen Könige schon vor Sargon diesen wichtigen Wirtschaftszweig den Tyrenern entzogen. Dazu enthält dieser Brief den Befehl für ein Handelsembargo gegen Gaza und Ägypten, das mit dem Aufstand des Hanun und der ägyptischen Unterstützung der Aufstände in Südsyrien in Zusammenhang zu bringen ist.322 In welchem Maß die wirtschaftlichen Freiheiten von Tyros sonst eingeschränkt wurden, ist nicht zu sagen. Aber das Kappen der Verbindungen zu Ägypten und Gaza muss ein schwerer Schlag für die tyrenische Wirtschaft gewesen sein. Die Pflichten und Rechte von Tyros unter assyrischer Oberherrschaft sind im Vertrag zwischen Esarhaddon und Baʿal genau aufgelistet.323 So werden Baʿal die Häfen und Seerouten vorgeschrieben, die er (und das Volk von Tyros) nutzen durften: Akko, Dor und das gesamte Gebiet der Philister ausgenommen Gaza, außerdem zu allen Küstenstädten auf assyrischem Territorium und nach Byblos, zum Libanon und zu allen Städten auf den Bergen, die allesamt unter der Herrschaft des Esarhaddon standen.324 Hier fällt auch das auf, was nicht genannt wird: Zypern, die Routen in die Ägäis und in das westliche Mittelmeer. Ihre Einschränkung ist unwahrscheinlich, zumal sie nicht von Assyrien kontrolliert werden konnten. Der Zugang zu den erlaubten Häfen war ebenfalls geregelt: Während der König sie frei betreten durfte, musste »das Volk« entweder auf den Schiffen bleiben, oder aber un318 319 320 321 322 323 324

So Aubet 1993, 72. Vgl. Teil I 5.4.1. Katzenstein 1973, 235. Die Briefe aus Nimrud ND 2715 und ND 2686. Vgl. Teil I 5.3.4. SAA 2, Nr. 6. SAA 2, Rs. 18ʹ–21ʹ.

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terlag den allgemeinen Vorschriften für Zölle und Gebühren, »wie es in der Vergangenheit war«.325 Zur Einhaltung aller dieser Anweisungen wachte ein von Esarhaddon eingesetzter Beamter (qepu). Zu Beginn des 6. Jh. schrieb der Prophet Ezechiel, der nach 592 im babylonischen Exil wirkte, vier Prophezeiungen gegen Tyros. Geht man von der historischen Situation aus, in welcher der Prophet lebte und die ›Totenklage für Tyros‹ schrieb, kommt man auf den Beginn des 6. Jh. Die Datierung kann noch verfeinert werden: Ezechiel schreibt vom »11. Jahr«. Zwar ist nicht ganz klar, worauf sich dieses 11. Jahr bezieht, doch es kann sich weder auf die Regierungszeit des Nabukadnezar noch die des damaligen Königs von Juda Johakim beziehen, sondern einzig und allein auf die Zeit der dreizehnjährigen Belagerung von Tyros. Das wäre die Zeit um 573.326 Es gibt allerdings auch andere Datierungsversuche, denn der Kontext dieser ›Klage über Tyros‹ kann unterschiedlich bestimmt werden. H. Jacob Katzenstein zufolge besaß die Beschreibung von Tyros eine ältere phönikische Vorlage, die gut zur Zeit Ethbaʿals I. passen würde.327 Jedoch weisen die dort genannten Ländernamen eindeutig auf die Zeit des ausgehenden 7. und beginnenden 6. Jh. (s.u.). Mario Liveranis Schlussfolgerung, dass diese handelspolitische Karte keinem Zeitpunkt der Geschichte von Tyros entspricht, sondern ideologisch aufgebaut sei, ist sicher nicht abwegig.328 Dem widerspricht aber der Autor in gewisser Weise selbst mit der Behauptung, dass sie für die Zeit von ca. 610 bis 580 gelten könne, d.h. für die kurze Zeitspanne zwischen dem Fall des Assyrischen Reiches und dem Griff Babylons nach Syrien. Die Prophezeiung des Ezechiel ist in vier Einzelorakel gegliedert: In Kapitel 26 sieht er die Zerstörung der Stadt Tyros voraus (die tatsächlich nicht eintraf) und schildert das Entsetzen »aller Fürsten der Küstenländer« darüber. Kapitel 27 stellt die Totenklage für Tyros dar. Hier vergleicht er die Stadt mit einem »(Schiff) von vollendeter Schönheit«,329 eine Allegorie, die etwa in derselben Zeit auch in der frühgriechischen Lyrik fast schon als Topos auftritt. Diese Allegorie wird von Abschnitt 1–11 fast konsequent angewandt: Der Prophet nennt die Länder, aus denen die für ein Schiff notwendigen Materialien kommen, umreißt also einen bedeutenden Sektor des tyrenischen Handels, und zählt die Mannschaften dieser Schiffe und ihre Herkunft auf. Die Abschnitte 11–24 beschreiben den internationalen Handel der Stadt. Die für die Ausstattung der Schiffe notwendigen Importe (Planken, Maste, Ruder, Deck und sein Schmuck, Segel und Planen) kommen aus dem Libanon, Zypern, Karthago330 und Ägypten. Kleinasien erscheint in dieser Liste nicht. Dafür ist es in dem nächsten Abschnitt über die Mannschaften der tyrenischen Schiffe vertreten: Es sind Männer aus Paras, Lud 325 326 327

328 329 330

SAA 2, Rs. 22ʹ–26ʹ. Djakonoff 1992, 170. Katzenstein 1973, 323f.: erste Hälfte des 9. Jh, während Garbini 1980, 65–69 für die erste Hälfte des 8. Jh. und Liverani 1991, 71 für die Zeit um 600 plädiert; Katz 2008, 128 datiert diese Stelle ebenfalls an den Beginn des 6. Jh. Liverani 1991, 79. Ez 27,3. Zur Deutung des Namens Eliša (’lyšh) als ursprünglichen Namen von Karthago vgl. Djanonoff 1992, 176; allerdings passt die Lage er Stadt weit im Westen nicht zu der Auflistung in Gen 10 Eliša, Taršiš, Kitim und Rodanim als Söhne des Jawan. Eher ist in Eliša tatsächlich eine Version des bronzezeitlichen Namens Alašja zu sehen, wie oft vermutet wird. In diesem Fall gäbe es zwei Bezeichnungen für Zypern: Kitim (=Kition) und Eliša. Möglicherweise aber ist mit Kition nur diese Stadt mit ihrem Territorium gemeint.

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und Put, die als Krieger dienten, also wahrscheinlich Söldner.331 Der Text fährt mit verschiedenen Handelsbeziehungen von Tyros fort. Bemerkenswert ist die Beschreibung des geographischen Umfangs des tyrenischen Handels, der in der Literatur bereits reichlich kommentiert wurde. Der Prophet stellt Tyros als eine Allegorie gefallenen Stolzes dar. Sein Ziel kann es natürlich nicht gewesen sein, die handelspolitische Bedeutung dieser mächtigsten phönikischen Stadt seinem Auditorium klar zu machen, denn diese war genügend bekannt. Daher wäre es falsch, aus dieser sehr detaillierten Schilderung ein exaktes historisches Bild zu rekonstruieren. Dazu fehlen zudem zu viele andere bedeutende Orte wie z.B. die Städte der philistinische Küste und Ägypten. Liverani hat in seiner Analyse des Texte drei geographische Kreise herausgearbeitet:332 Der erste umfasst die phönikische Küste (Sidon, Arwad, Byblos), aus der sich Tyros seine Versorgung an Lebensmitteln und Männern für seine Schiffsbesatzungen gesichert habe. Die zweite Zone zeigt das Gebiet von der kilikischen bis zur westägyptischen Küste einschließlich Zypern und dem Hinterland Phönikiens. Diese Länder haben Tyros mit Rohstoffen wie Holz und Leinen beliefert. Dann kommt eine dritte, sehr weit gefasste Zone von Kusch (südlich von Ägypten) über Libyen durch das nordägäische Meer, den Nordwesten und Norden Kleinasiens, den Iran bis zum Persischen Golf. Aus diesen sehr peripheren Gebieten beziehe Tyros seine Truppen. Allerdings sind einige Ländernamen nicht eindeutig.333 Von ihrem Verständnis hängen aber letztendlich alle Interpretationen und eine Datierung ab. Die Beschreibung der in Tyros befindlichen Waren nennt die Importe, kaum aber die Exporte.334 Entsprechend werden die Handelspartner von Tyros als »alle Fürsten der Küstenländer« bezeichnet, aber darüber hinaus auch Herrscher verschiedener Binnenländer. Aus Taršiš kamen die Metalle Silber, Eisen, Zinn und Blei.335 Hier spricht der Prophet pauschal auch den Export für »die Könige« an: »wegen der Fülle deiner Güter«. Danach werden die kleinasiatischen Länder aufgezählt: Jawan, offensichtlich ›Ionien‹ sowie die Länder Tabal und Phrygien (Mešech=Muški) in Inneranatolien. Menschen und Kupfergeräte wurden dort wie in Taršiš getauscht. Mit den Kupfergeräten könnten gut die begehrten urartäischen Bronzegefäße u.ä. gemeint sein, welche über Zentralanatolien gehandelt wurden. Mit den ›Menschen‹ ist wahrscheinlich der tyrenische Sklavenhandel angesprochen, der auch aus anderen Quellen bekannt ist. Ein weiteres anatolisches Land ist Bet-Torgama, aus dem Nutztiere importiert wurden. Die tyrenischen Beziehungen zu Kleinasien bis hinein nach Kappadokien sind aus dem 8. Jh. sicher belegt. Der nächste Eintrag behandelt die »Rodaner« und »viele Inseln«. Zweifellos sind damit die Inseln in der Ägäis gemeint. Hier ist allerdings kein Warenaustausch wie in den kleinasiatischen Gebieten verzeichnet. Die Angaben Ezechiels beziehen sich auf Abkommen, von denen Tyros profitierte: Die Kaufleute dieser Inseln waren verpflichtet, Tyros »Elfenbein und Ebenholz« als »Abgaben« zu bringen. Beide Artikel sind keine einheimischen Waren, sondern Importe aus Ägypten. Igor Djakonoff brachte diese Abgaben mit Naukratis in Verbindung, wo Rhodier, Samier, Chier u.a. Griechen siedelten und Handel trieben. Der hebräische Ausdruck für ihre 331 332 333 334 335

Vgl. Teil IV 1.1. Liverani 1991, 66–70. Djakonoff 1992. Ez 27,12–24. Ez 27,11.

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Verpflichtung, welche auch andere Länder gegenüber Tyros haben, ist ’škrk und bedeutet ›obligatory task which is to be returned‹ (s.u.).336 Weiter werden die Importe aus Edom, Juda, Israel, Damaskus und der Arabischen Halbinsel, Aššur und Medien beschrieben. Diese Auflistung zeigt eine gute Kenntnis der damaligen Geographie. Unter den genannten Ländern fehlt Ägypten. Die einzigen genannten ägyptischen Importe, die genannt werden, sind »Abgaben« der Rhodier. Möglicherweise hatten die Babylonier zur Zeit dieser Weissagung, wie schon früher die Assyrer, eine Handelssperre zwischen Tyros und Ägypten verhängt. Das wäre vor dem Hintergrund der babylonisch-ägyptischen Feindschaft, den militärischen Unternehmungen Babylons in Syrien und der Außenpolitik des damaligen Pharao Apries gut verständlich.337 Daher könnten die Rhodier als Handelsfunktionäre der Tyrener aufgetreten sein. Möglicherweise mussten die griechischen Händler, die zwischen der kleinasiatischen und ägyptischen Küste pendelten, den Tyrenern für die Nutzung ihrer Infrastruktur Abgaben leisten. Allerdings bleiben Importe aus Ägypten auch nicht ganz unerwähnt, sie figurieren aber nur in der ersten Liste über die allegorische Ausstattung der Schiffe von Tyros. Der Prophet hat sicher nicht das Ziel gehabt, das Handelsgebiet von Tyros lückenlos zu erfassen, denn seine Intentionen waren ganz andere, und die Beschreibung der kommerziellen Beziehungen war dabei nur Mittel zum Zweck. Die allzu stolze und reiche Stadt Tyros spricht er zutreffend als die Handelsmetropole des Nahen Ostens und des Mittelmeers an, indem er sie personifiziert: »Alle Schiffe des Meeres und ihre Matrosen kamen zu dir, um mit dir Handel zu treiben … Die Könige der Erde machtest du reich mit deinem gewaltigen Reichtum und deinen Handelswaren«.338 Die Konsequenzen der vorhergesagten (aber tatsächlich nicht eingetretenen) Zerstörung wird dann auch drastisch ausgemalt: Über die geweissagte Zerstörung der Stadt »sträubt sich den Königen das Haar. Verstört sind ihre Gesichter«.339 Das beschreibt die Bedeutung von Tyros für die Ökonomien von etlichen Königreichen. Ezechiel skizziert damit ein riesiges Handelsnetz, in dessen Mitte Tyros wie eine Spinne saß. Gegen den König von Tyros lässt Gott durch den Propheten sagen: »Durch deinen ausgedehnten Handel warst du erfüllt von Gewalttat, in Sünde bist du gefallen«. Die Träger des tyrenischen Handels werden bei Jesaja charakterisiert als »Tyros … dessen Händler, die wie Fürsten auftraten und dessen Händler die vornehmsten Herren der Erde waren«.340 Ezechiel unterscheidet drei verschiedene Importarten mit unterschiedlichen Bezeichnungen:341 Importe für eigenen Gebrauch (mʿrb), für zugeteilte Aufgaben (’škrk) und für die Warenhäuser (ʿzbwnym), d.h. Waren zum weiteren Verhandeln. Es fällt auf, dass die Importe für den eigenen Gebrauch außer Aromaten aus Damaskus nur solche Artikel aufzählen, die für den Schiffbau und das Handwerk benötigt wurden. Für den Weiterverkauf waren nur Luxusartikel vorgesehen, vielleicht mit Ausnahme von Pferden und Maultieren. Importe aus Abgaben wurden nach dieser Liste nur von den Rhodiern und »den Inseln« ge336 337 338 339 340 341

Djakonoff 1992, 190; s.u. Vgl. Teil I 2. Ez 27,9. Ez 27,33; 27,35. Jes 23,8, in der LXX: οἵ ἔμποροι αύτῆς ἔνδοξοι, ἄρχοντες τῆς γῆς; von »königlichen Händlern« auch 1 Kö 10,28–29. Djakonoff 1992, 183f. und zusammenfassend 193.

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leistet. Diese drei Begriffe hat Ezechiel höchstwahrscheinlich der damaligen üblichen Handelssprache entnommen. Möglicherweise sind sie phönikisch. Erschwerend kommt bei der Analyse dieser Textstelle über den geographischen Radius des tyrenischen Handels hinzu, dass die Bezeichnungen für Länder und Gebiete nicht einheitlich sind: Es gibt rein geographische Namen wie Jawan, Mešech und Arabien, dann von politischer Einheiten (wie Juda, Edom und Medien) und von Städten des Babylonischen Reiches wie Taršiš, Damaskus und Dedan. Mit »den Söhne von Rhodos« waren wahrscheinlich die reichen und einflussreichen Familien aus den poleis dieser Insel gemeint. Ende des 7. und zu Beginn des 6. Jh. stand der Vordere Orient unter neubabylonischer Herrschaft. Die phönikischen Stadtstaaten und Juda waren vor der Zerstörung Jerusalems als Vasallen angegliedert. Es ist erstaunlich, dass Länder und Städte innerhalb des Babylonischen Reiches mit der Ausnahme von Damaskus und Israel nicht vorkommen.342 Das besagt, dass ein Handel mit dem Babylonischen Reich zu dieser Zeit nicht oder kaum bestand. Das passt zur oben vorgeschlagenen Datierung. Die eher lokalen Beziehungen blieben auf die Nachbarn Israel und Damaskus beschränkt und wurden wohl von Babylon mit Ausnahme Ägyptens nicht unterbunden. Dafür aber unterhielt Tyros mit allen Nachbarn Babylons kommerzielle Kontakte. Und es waren nicht nur Küstenländer, sondern viele Gebiete, die weit im Binnenland gelegen waren. Diese Anstrengungen unternahm Tyros vermutlich, um den Verlust des mesopotamischen und syrischen Marktes auszugleichen. Außerdem werden zwei verschiedene Formen der kommerziellen Beziehungen genannt, die sicher ebenfalls als Spezialbegriffe in der damaligen Handelssprache verwendet wurden. Die Formeln dafür lauten: »… waren deine Händler« und »… waren Kaufleute in deinen Diensten«. Mit ›deinen Händlern‹ (rklym) sind höchstwahrscheinlich ausländische Partner gemeint, die von ihren Heimatländern aus ständige Teilnehmer im tyrenischen Handelsnetz waren, d.h. durch Abmachungen daran gebunden waren.343 Mit diesem terminus technicus werden private Händler bezeichnet. Staatliche Agenten werden shry ydk genannt (›deine eigenen Agenten‹). Solche sind in Ezechiels Auflistung nur für die Inselgriechen und arabischen Gebiete angegeben. Für die Griechen gilt der Zusatz über die oben besprochenen ›Abgaben‹. Es sind, wenn die oben dargelegte Interpretation richtig ist, dieselben Personen, welche auch von Naukratis zur Ägäis fuhren und umgekehrt. Diese shry ydk waren demnach noch enger an Tyros gebunden als die rklym und betrieben Geschäfte im Auftrag von Tyros. Mit solchen ausländischen Partnern, die Ezechiel ›deine Händler‹ nennt, schloss Tyros joint ventures, partnerschaftliche Zusammenarbeit, von der beide Seiten profitierten.344 Diese Art des Handels gab es offensichtlich schon zur Zeit des Wen-Amun zwischen den phönikischen Staaten, als Tyros noch nicht die Hegemonie über die Küste besaß. Dort wird zum ersten Mal der Begriff für solche Beziehungen genannt: hubur.345 Als Firmeneigner figurieren in dieser frühen Zeit ausschließlich Könige. Auch die fiktive Partner342 343 344 345

Aššur und Harran lagen damals im Medischen Reich; vgl. Djakonoff 1992, 189. Djanonoff 1992, 182 ist dagegen der Meinung, es handele sich um Kaufleute, die in Tyros tätig gewesen seien. Ich sehe allerdings nichts, was auf solch eine Interpretation schließen läßt. Eben deswegen das Entsetzen »aller Fürsten an den Küsten« über den geweissagten Untergang von Tyros. Die Erzählung des Wen-Amun 1,58–59: »In meinem Hafen liegen 20 ›mns-Schiffe‹, die in hubur mit Smendes sind«. Und an anderer Stelle, 1,59–2,1 sind 50 Schiffe in Sidon erwähnt, die in hubur mit Werket-El seien.

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schaft zwischen Salomo und Hiram wird als hbr bezeichnet.346 Man geht sicher nicht fehl, wenn man Handelsbeziehungen vor allem der Art, wie sie auch zwischen Tyros und Que zu sehen sind, als solch ein hbr auffasst. Ob ähnliche joint ventures auch in den Jahrhunderten nach Wen-Amun nur auf höchster staatlicher Ebene existierten, wie es ja auch in Que der Fall war, ist allerdings zu bezweifeln. Auch private Firmen und Unternehmen hatten sicher große Vorteile, wenn sie sich solche feste internationale Verbindungen schufen. Seit dem späten 8. Jh. kann man solche joint ventures zwischen Tyrenern und Griechen vor allem im westlichen Mittelmeer als eine sehr verlockende und mögliche Hypothese ansehen. Die Beziehungen zwischen den Ostgriechen und Tyros verstärkten sich gerade in der Zeit des Ezechiel und wurden offensichtlich auch regelmäßiger, zumal die griechische Welt dem Osten im 6. Jh. bereits vieles zu bieten hatte und in der Lage war, Diplomatie und Handel zu organisieren und zu unterhalten. Diese Weissagung über Tyros ist höchstwahrscheinlich unter dem Eindruck der Einnahme und Plünderung von Jerusalem im Jahr 597 und der noch nicht gebannten Gefahr, die von Babylon ausging, verfasst worden. Das bedeutet allerdings nicht, dass das hier entworfene Bild genau die Situation des Inselstaates zu dieser Zeit wiedergibt. Für den Propheten war Tyros die Folie, auf der er die grausame Bestrafung für Hochmut, Verschwendungssucht und fehlende Frömmigkeit für seine ebenfalls ›sündigen‹ Landsleute entwarf. Die Politik von Tyros war auf wirtschaftliche Expansion ausgerichtet. Das Handelsnetz wurde zentral aufgebaut und durchorganisiert, ohne dass man die Organisationsformen allerdings genauer fassen kann. In diesem Handelsnetz arbeiteten hohe Beamte, an erster Stelle Mitglieder der königlichen Familie als Koordinatoren und Funktionäre. Diese knüpften in den Gebieten, in denen autonome Staaten lagen, Beziehungen an, schlossen bilaterale Verträge zu beiderseitigem Nutzen ab und kümmerten sich um die Aufrechterhaltung der geschaffenen Kontakte. Hier ging es nur um Waren von hohem Wert, vor allem um Metalle und Elfenbein als Rohstoffe, aber auch in verarbeiteter Form als Luxusgegenstände, und um den Holzexport. Der Handel brachte den phönikischen Staaten und vor allem Tyros nicht nur durch Kauf und Verkauf große Einkommen, sondern auch durch die Zölle und Steuern in den Häfen. Die Kontrolle solcher Plätze war bereits zu Zeiten des Wen-Amun organisiert, und die Abläufe wurden schriftlich festgehalten. Die Untersuchungen der Aktivitäten von Phönikern in der Ägäis sind längst noch nicht abgeschlossen. Die Schilderung phönikischen Handels in der Odyssee347 unterscheidet sich grundsätzlich von den Berichten der altorientalischen Quellen. Im Zusammenhang mit dem Schicksal des Eumaios, des Sklaven des Laertes, heißt es: »Sie (d.h. die Phöniker) blieben ein Jahr auf unserer Insel, füllten durch Handeln das Schiff mit zahlreichen Waren. Als sie das bauchige Schiff für die Heimfahrt beladen hatten …«.348 Diese Phöniker waren offensichtlich keine offiziellen Funktionäre mit einem klar beschriebenen staatlichen Auftrag, sondern private Unternehmer, die auf eigenes Risiko mit dem handelten, was sich unterwegs ergab. Das ist noch ein Beleg dafür, dass sich die Phöniker intensiv als Zwischenhändler betätigten, was auch archäologisch gut bewiesen ist. Diese in der Odyssee beschriebenen 346 347 348

In Chr 20,35–36 wird das erstrebte gemeinschaftliche Unternehmen des Jehosaphat mit Tyros ebenfalls als hbr bezeichnet. Hom. Od. 15,400–474. Hom. Od. 15,455.

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Kaufleute waren nicht am Handel mit teuren Export- und Importwaren beteiligt, sondern luden Cargos, die aus sehr gemischten Waren bestanden, wie in der Odyssee gesagt wird »mit Tand«.349 Möglicherweise war das nicht ihre primäre Aktivität. Sie könnten auch Aufträge größerer Händler ausgeführt haben, daneben aber durch einen ›kleinen Handel‹ in ihre eigene Tasche gewirtschaftet haben. Diese Phöniker hatten den homerischen Epen zufolge keinen guten Ruf. Ihre Methoden werden als betrügerisch und verlogen dargestellt, obwohl sie sich darin höchstwahrscheinlich von denen der damaligen Griechen kaum unterschieden haben. Dabei geht es nicht um eine enttäuschte Erwartungshaltung der Griechen und weil sie – was den Griechen unverständlich gewesen sein soll – nur dem Profit nachgejagten hätten,350 sondern darum, dass diese Kaufleute einer unteren sozialen Klasse angehörten, die per se als amoralisch (kakoi) angesehen wurde. Dieser vom Staat abgetrennte Sektor phönikischen Handels war offensichtlich frei und profitorientiert. Regeln und Gesetze fehlten, solange die Schiffe nicht in phönikischen Gewässern waren, weil Abkommen und Verträge nicht vorhanden waren. Daher konnten Handel, Raub und Diebstahl lose ineinander übergehen. Aus dem oben besprochenen Vertrag zwischen dem tyrenischen König Baʿal und Esarhaddon geht ebenfalls klar hervor, dass es staatlich getragenen und privaten Handel (»… die Schiffe des (Königs) Baʿal oder die des Volkes von Tyros«) gab. Staatliche und private Handelstätigkeiten existierten folglich parallel. Die Unterschiede lagen wohl vor allem in der Art der Waren, wobei der Staat auf wirtschaftlich wichtige Handelsgüter wie Holz bis zur assyrischen Herrschaft ein Monopol besaß und die Modalitäten der Verträge und Abwicklungen bestimmte. Es ist anzunehmen, dass sowohl der König als auch die reichen Unternehmen Aufträge an freie Händler gaben, welche einen Teil des Transportes übernahmen. Der private Handel existierte also auf unterschiedlichen sozialen Ebenen. 1.2.5 Wirtschaft und Handel des saïtischen Ägypten Ägypten erlebte unter den letzten Ramessiden eine Zeit drastischen politischen und wirtschaftlichen Niedergangs. Das zersplitterte Ägypten der sogenannten Dritten Zwischenzeit isolierte sich für einige Jahrhunderte weitgehend von der Außenwelt.351 Handelsbeziehungen wurden dennoch für notwendige Rohstoffe aufrechterhalten. Der Erzählung des WenAmun aus der ersten Hälfte des 11. Jh. zufolge importierte man weiterhin hochwertiges Holz aus Byblos, Holz, das vor allem in Theben für den Kult benötigt wurde. Wir erfahren dank dieser Erzählung einige Details über diesen Handel: Wen-Amun fuhr auf einem gebuchten syrischen Schiff mit einem syrischen Kapitän.352 Um seine Reise zu bezahlen, hatte der Ägypter eine spezielle Kasse, die ihm allerdings von der Mannschaft in Dor gestohlen wurde.353 Er trug Gold und Silber sowohl in Form von Gegenständen als auch von »Beutel349 350 351 352 353

Hom. Od. 15,416: ἀθύρματα. So Sommer 2004, 236. Vgl. Teil I 2. Schipper 2005, 103 (I, 6–8), 170. Schipper 2005, 103 (I, 8–12), 171.

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silber«, also wohl Hacksilber, bei sich.354 Einzelne Belege für solche auswärtigen Beziehungen stammen bis zum 8. Jh. vorwiegend aus Byblos und einigen anderen phönikischen Küstenstädten: Fragmente von Gefäßen mit Kartuschen von Pharaonen und die einer Statuette Osorkons II. und solche anderer Pharaone. Offensichtlich verstärkten sich die Auslandsbeziehungen wieder unter der 22. Dynastie von Tanis (945–712) und den gleichzeitigen 23. (818–715) und 24. Dynastien (727–715).355 Ägyptische Funde an den Küsten Sardiniens und der Iberischen Halbinsel sind in dieser Zeit aber wohl auf phönikische Vermittlung zurückzuführen. Aus dem ›Reisebericht‹ des Wen-Amun wie auch aus den Schilderungen des Herodot, welche sich auf das 7. Jh. beziehen, geht hervor, dass Wirtschaft und Handel traditionell Tätigkeiten der Tempel und Paläste blieben. Die Träger dieses Handels waren Würdenträger und Beamte, die genau formulierte Aufträge auszuführen hatten. Kommerzielle Beziehungen mit der phönikischen Küste außerhalb des Holzhandels sind in den schriftlichen Quellen nur schwach belegt, doch die vielen syrischen Amphoren für Wein und Öl in Ägypten und besonders die Einführung von Silber als Zahlungsmittel anstelle von Gold zeigen deutlich ihre nicht zu unterschätzende Intensität.356 Außer Gold exportierten die Ägypter traditionelle Artikel wie Segelleinen, Schiffstaue, wertvolle Stoffe, Papyrus, Elfenbein, die beliebten Straußeneier und andere Exotica, welche von Phönikern weiter verhandelt wurden. Der Radius und das Volumen des ägyptischen Kommerzes muss sogar erheblich über die syrische Küste hinausgegangen sein. So belegen Dokumente aus Assyrien unter mehreren Königen kuschitische Streitwagenpferde.357 Sie könnten natürlich auch als diplomatische Geschenke dorthin gekommen sein, doch ein Pferdehandel, der überhaupt im Vorderen Osten sehr lebhaft war, ist keinesfalls auszuschließen. Man weiß also nur sehr wenig über den ägyptischen Kommerz vom 11. bis 7. Jh., wie z.B. über die freien Märkte zwischen Assyrien und Ägypten, die von Tiglath-pilesar III. und nochmals von Sargon II. bei Gaza eingerichtet wurden.358 Solche Zonen an der ägyptischen Grenze hatten natürlich nur Sinn, wenn sich beide Seiten darauf geeinigt hatten. Also gab es auch von ägyptischer Seite zu dieser Zeit ein Interesse, sich kommerziell zu öffnen. Andererseits sollte der Handelsboykott des Esarhaddon Ägypten einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügen. Besonders das Verbot des Holzimports aus dem Libanon muss Ägypten empfindlich getroffen haben. Diese Situation änderte sich grundlegend mit der 26. Dynastie der Saïten. Schon Psammetichos I. begann ein ehrgeiziges Flottenbauprogramm für Kriegs- und Handelsschiffe, das von Necho II. weitergeführt wurde. Ägypten hatte nun den Willen und die Möglichkeiten, selbst Handel im Mittelmeer zu betreiben. Der Niedergang des Assyrischen Reiches erleichterte die Ausführung dieses Plans. Unerfüllbar blieb allerdings der Wunsch, die südsyrische Küste mit ihren Häfen für den Fernhandel dauerhaft unter ägyptische Herrschaft oder zumindest unter Kontrolle zu bringen. Nach archäologischen Befunden gibt es keine Belege für eine direkte griechische Handelstätigkeit in Ägypten vor dem 7. Jh. Erst mit Psammetichos I. wurden die Kontakte über 354 355 356 357 358

Schipper 2005, 103 (I, 11–12), 173 mit einem plausiblen Vergleich mit den Schifffunden bei UluBurun und Kap Gelidonya; vgl. Katz 2008. Vgl. Teil I 2. Müller-Wollermann 2004, 443–449. Heidorn 1997. Vgl. dazu Teil I 3.

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das Mittelmeer gefördert, und seitdem kamen viele Griechen nach Ägypten.359 Diodor zufolge nahm er als erster griechische und phönikische Händler willig auf,360 sogar schon zu der Zeit, in der das Deltagebiet noch politisch zersplittert war, also zur Zeit der sogenannten Dodekarchie.361 Hekataios, Herodot362 u.a. zufolge soll Naukratis, das schließlich das griechisch-ägyptische Handelsmonopol besaß, damals nur einer von vielen griechischen Handelsplätzen in Ägypten gewesen sein. In Memphis und vermutlich auch in Theben hätten sich ebenfalls griechische Händler in größerer Anzahl aufgehalten. Möglicherweise belegen viele der ägyptischen Bronzekessel von Kreta, Samos u.a. aus der ersten Hälfte des 7. Jh. die ersten direkten griechisch-ägyptischen Kontakte.363 Herodot zufolge waren bei der Einrichtung des emporion Naukratis Griechen aus Chios, Teos, Phokaia, Klazomenai, Rhodos, Knidos, Halikarnassos, Phaselis und Mytilene beteiligt gewesen. Später sollen Milesier, Samier und Aigineten dazu gekommen sein.364 Strabon aber behauptet, Milesier hätten Naukratis gegründet. Sie seien mit 30 Schiffen zur Zeit Psammetichos I. in die Bolbitinische Nilmündung gefahren und hätten dort einen befestigten Ort mit dem Namen Ktisma gegründet.365 Dann seien sie in den saïtischen Nomos gekommen, hätten einen sonst in den Quellen ganz unbekannten Inaros in einem Schiffkampf besiegt,366 und daraufhin Naukratis gegründet.367 Diese Darstellung zur Gründung von Naukratis wird zu Recht abgelehnt. Zwar konnte in letzter Zeit eine enge Verbindung zwischen Naukratis und Milet nachgewiesen werden: Bei den Ausgrabungen im archaischen Milet sind im Bereich des Aphroditetempels auf dem Zeytintepe erstaunlich viele Aigyptiaka gefunden worden,368 was auf enge Beziehungen und einen starken Handel im 6. Jh. schließen lässt. Auch sind Spuren milesischen Kults in Naukratis nachgewiesen,369 doch die Vorstellung, Griechen hätten nach dem Kampf mit einem »einheimischen König« eine Kolonie gegründet, ist für die Zeit der starken saïtischen Dynastie völlig abwegig. Naukratis war eine Stadt mit besonders günstiger handelspolitischer Lage, ganz in der Nähe der Residenzstadt Saïs an einem Wasserweg (am Kanopischen Nilarm), der mit Seeschiffen befahrbar war, und mit Zugangsmöglichkeiten in den Süden. Sie wuchs zu einer blühenden Stadt mit mehreren griechischen Heiligtümern und zahlreichen Werkstätten heran. Sie war sicher nicht neu gegründet, sondern hatte bereits vorher als eine ägyptische Siedlung bestanden und wurde als solche den Griechen zugewiesen. Zwar ist der Name Naukratis rein griechisch und kommt in ägyptischer Umschrift auch in ägyptischen Dokumenten als NꜢjw-krd vor, doch auf einer Stele ist auch ein ägyptischer Ortsname belegt: Pr-mryt ›Haus des Hafens‹, was sicher kein Appellativ, son359 360 361 362 363 364 365 366 367 368 369

Vgl. Teil IV 1.1. Diod. 1,66,8; 1,67,9. Das könnte in Bezug auf die Griechen richtig sein, doch nicht in Hinsicht auf die Phöniker, deren Handelskontakte traditionell waren. Also zwischen den Jahren 664 und 656; vgl. dazu Lloyd 1975, 24. Hdt. 2,39; 2,41. Vgl. Lloyd 1975, 24. Hdt. 2,178; diese Angaben könnte Herodot bei seinem Besuch in Naukratis erfahren haben. Strab. 17,1,18. Es handelt sich sicher nicht um eine Seeschlacht, sondern um einen Kampf auf dem Fluss. Strab. 17,1,18; vgl. dazu Lloyd 1975, 24; vgl. zuletzt Möller 2000, 13–18. Hölbl 1999, 345–352. Herda 2008, 13–86.

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IV. Kontaktsituationen

dern der ägyptische Eigenname der Stadt war.370 Im Südwesten des Stadtgebiets stand höchstwahrscheinlich ein ägyptisches Heiligtum, das Amun-Re und Bastet geweiht war und noch in ptolemäischer Zeit existierte.371 Die Griechen stellten offensichtlich den größten Bevölkerungsanteil, doch auch Nichtgriechen lebten dort. Dass auch Ägypter ansässig waren, beweisen nicht nur das erwähnte Heiligtum und einige Inschriften, sondern auch die juristische Stellung von Naukratis innerhalb des Ägyptischen Reiches. Das machte die Anwesenheit von Ägyptern zumindest als Verwaltungs- und Kontrollbeamte unumgänglich. Von solch einem ägyptischen Beamten erfahren wir auf der schon erwähnten Stele. Außerdem gab es auch ägyptische Werkstätten, die typisch ägyptische Waren herstellten. Naukratis war also eine vorwiegend, aber nicht ausschließlich griechische Siedlung. Auch Handwerker aus Zypern waren, nach einigen Fundstücken zu schließen, in den Werkstätten von Naukratis tätig.372 Der juristische und politische Status von Naukratis ist nach Herodot nicht klar zu fassen: einmal bezeichnet er Naukratis als polis (ἔδωκε Ναύκρατιν πόλιν ἐνοικῆσαι),373 an anderer Stelle374 als emporion (μούνη Ναύκρατις ἐμπόριον). Das muss aber kein Widerspruch sein, es sei denn, man klammert sich an die heutigen semantischen Zuweisungen dieser Termini. Ein emporion ist ein Handelsort mit seinen Kais, Speichern und Behörden. Dagegen ist mit polis das urbane Erscheinungsbild von Naukratis gemeint.375 Eine polis im Sinne eines autonomen griechischen Stadtstaates ist unter der Herrschaft der Saïten schon aus politischadministrativen Gründen auszuschließen: Die Pharaonen hätten niemals einen fremden Staat auf ihrem Territorium geduldet. So wurden Herodot zufolge die temena der Heiligtümer nicht etwa von den Griechen bestimmt, wie man es in griechischen Kolonien tat, sondern sie wurden von Amasis »gegeben«.376 Auch die archäologischen und epigraphischen Befunde aus Naukratis sprechen deutlich gegen einen Status als polis: kein einziges Polisorgan ist literarisch oder inschriftlich belegt. Man weiß auch nichts über griechische Gerichte. Wenn Herodot von Streitigkeiten verschiedener griechischer ›Landsmannschaften‹ über die kommunale Verwaltung spricht,377 so bezieht sich das natürlich auf seine Zeit, also auf das Naukratis unter persischer Herrschaft. Auch fehlen für die archaische Epoche öffentliche Gebäude für Polisgremien. Vermutlich existierte lediglich eine innere Organisation der 370

371 372 373 374 375

376 377

Yoyotte 1991/2, 640 zufolge drückt diese Bezeichnung die wirtschaftliche Funktion derselben aus, was aber in keiner Weise ausschließt, dass dies nicht eben der Eigenname war, was Möller 2001, 9 aber ausschließen möchte. Gerade in ägyptischen Ortsnamen sind sehr häufig verschiedene (vor allem kultische, aber auch politische) Funktionen eines Ortes enthalten. Yoyotte 1993/4, 642f. mit Literatur. Fourrier 2001, 44–47; vgl. auch Nick 2001, 55–65. Hdt. 2,178. Hdt. 2,179. Insofern ist die Behauptung von Austin 1970, 29–33, Naukratis sei beides, polis und emporion gewesen, nicht korrekt; so auch Hansen 1997, 83, 91–94. Dies wird auch von Möller 2001, 1–5 abgelehnt, allerdings lediglich aufgrund des theoretischen Konzeptes von Polanyi. Ihre Kritik an Hansen ist jedoch in sofern abwegig, da dieser lediglich annimmt, dass Naukratis zur Zeit des Herodot als polis angesehen wurde. Zu einer neuen Diskussion über den möglichen Polisstatus von Naukratis vgl. Herda 2008. Hdt. 2,178,1. Hdt. 2,178,3.

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Bewohner, deren Zentren die Tempel waren. Auch mag es eine Einteilung der Naukratier nach ihrer Herkunft gegeben haben. Das kommt vielleicht in der in spätklassischer Zeit belegten Epiklese des Apollon als Komaios zum Ausdruck.378 Als zweites Argument für einen Polisstatus wird eine nicht klar zuzuweisende spätklassische Quelle angeführt, in der Opfer im prytaneion von Naukratis erwähnt werden.379 Im späten 4. Jh. war die Situation in Ägypten eine ganz andere als im 7. und 6. Jh. Auch das literarisch und inschriftlich belegte Ethnikon Nαυκρατίτης380 kann nicht einen Polisstatus beweisen, wie Alain Bresson u.a. gezeigt haben.381 Somit ist auch eine Definition der Stadt Naukratis als ›port of trade‹ im Sinne Polanyis verfehlt,382 weil hier nicht zwei Systeme aufeinander trafen, sondern die Griechen in ihrer beruflichen Ausübung ganz und gar in der ägyptischen Wirtschaft integriert waren. Diese Handelskontakte waren für beide Seiten wichtig: Aus Ägypten wurden außer Luxusartikel und Elfenbein auch Leinen, vor allem für Segel, Seile, Papyrus und andere notwendige Gebrauchsgüter exportiert. Sehr beliebt und in der gesamten griechischen Welt verbreitet waren ägyptische Fayencen und Kleinwaren wie Steingefäße und Skarabäen. Unter den griechischen Exportwaren ist das Silber besonders interessant. Silber war damals das Äquivalent im internationalen Handel. Ägypten besaß diesen Rohstoff nicht und war daher auf größere Importe angewiesen. Es wurde in Barren und seit etwa dem Ende des 6. Jh. in Form von Münzen importiert. Da die Ägypter vor der hellenistischen Zeit keinen Geldhandel kannten, waren diese Münzen zur Thesaurierung oder Verarbeitung vorgesehen. Mehrere große Münzhorte sind in Ägypten gefunden worden, unter denen sich nicht nur archaische griechische Münzen befanden, sondern auch Silbermünzen mit großen Nominalen aus dem silberreichen Küstenstreifen der Nordägäis.383 Über die komplizierte Abwicklung des Handels und die verschiedenen Taxen, die als Hafenabgaben und Zölle an jeder Anlegestelle am Nil zu entrichten waren, informiert ein aramäischer Papyrus, der auf Elephantine entdeckt wurde.384 Er stellt ein Zollregister aus dem frühen 5. Jh. dar, also aus der Zeit der persischen Herrschaft. Es ist davon auszugehen, dass die Arten der Zollabgaben und die Methoden ihrer Erfassung auf ägyptischen und nicht auf persischen Usus zurückgehen. Der Papyrus listet Ankunft und Abfahrt der fremden Schiffe innerhalb von zehn Monaten auf. Sie wurden nach ihrer Herkunft, der Größe und der Fracht mit jeweils verschiedenen Zöllen belegt. Die meisten dieser Schiffe sind ionische, die übrigen phönikische. Von ägyptischer Seite wurden Einfuhr- und Ausfuhrzölle sowie auch Hafenabgaben verlangt. Diese Taxen waren teilweise erstaunlich hoch: So mussten z.B. die ionischen Schiffe ein Fünftel des Wertes ihrer Ladung meist in Form von Gold oder Silber als Abgabe leisten.385 Nicht nur fremde, auch ägyptische Schiffe hatten überall Taxen zu be378 379 380 381 382 383 384 385

Anders Herda 2008, 47. Hermeias bei Athen. 4 p 149D. Vgl. Hansen 2004, 58–69. Bresson 2000, 82f. Er vergleicht Naukratis richtig mit dem emporion Pistiros auf dem Herrschaftsgebiet der thrakischen Odrysen; vgl. auch von Bredow 1997, 109–120. Möller 2001. Price, Waggoner 1975. Porten, Yardeni 1993; Lipiński 1994, 61–68. Vgl. ausführlich bei Müller-Wollermann 2007, 96–100.

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IV. Kontaktsituationen

zahlen.386 Auch wenn diese Angaben nicht bedenkenlos in allen ihren Details auf das 7. und 6. Jh. übertragen werden können, so war der Handel in Ägypten sicher auch schon vor der Perserzeit durchorganisiert und spezialisiert, und der Staat erwirtschaftete daraus möglichst hohe Einnahmen. Diese Verfahren wurden von den Achaimeniden sicher wie vieles andere von den Saïten übernommen. Soweit es ihre Herrschaft nicht störte, ließen sie lokale Strukturen bestehen und führten keine grundlegenden Innovationen ein. Die Vorstellung, Griechen hätten sich mit Weinamphoren auf den Weg gemacht, um sie in Ägypten außerhalb von Naukratis mit Gewinn zu verkaufen, ist ziemlich naiv. Die logistischen und finanziellen Anforderungen boten nur Großhändlern die Chance für einen gewinnbringenden kommerziellen Austausch, der nur offiziell sein und nur über Naukratis abgewickelt werden konnte. Daher müssen für die griechischen Funde außerhalb dieser Stadt und den erwähnten Militärlagern während der Saïtenzeit andere Erklärungen gefunden werden. 1.2.6 Wirtschaft und Handel des frühen Griechenland Schon seit dem 10. Jh. sind in einigen griechischen Gebieten Metallimporte aus dem Osten zu finden. Die frühsten stammen aus Euboia, Kreta und Attika: Metallgefäße, Dreifüße und Schmuckstücke aus Zypern, Nordsyrien, dem phönikischen Raum und Ägypten. Die Mehrzahl der Wissenschaftler erklärt ihr Erscheinen mit kommerziellen Aktivitäten zwischen dem Osten und der Ägäis.387 Eine Untersuchung über einen möglichen Handel der Griechen vom 10. bis zum 7. Jh. wird durch das Fehlen jeglicher schriftlicher Quellen darüber erschwert.388 Dabei ist ein Fluss von Gegenständen aus dem Osten nach Griechenland ganz offensichtlich.389 Was für die Bearbeitung dieses Themas die orientalische Seite zu bieten hat, sind im wörtlichen Sinn Scherbenhaufen: In so gut wie allen Hafenstädten von Que bis zur südsyrischen Küste haben archäologische Grabungen eine spezifische griechische Keramik ab dem 9. Jh. entdeckt.390 Abgesehen davon ist nichts auszumachen, was in der geometrischen Zeit auf einen Warenfluss von Griechenland zum Osten schließen lassen könnte. Nach chemischen Analysen stammen einige Bronzen des 8. und 7. Jh. aus Ägypten (25. und 26. Dynastie) zweifellos aus Attika,391 doch es ist völlig unbekannt, wie sie dorthin gekommen sind. Nach einer weit verbreiteten Hypothese habe früher Handel zu Kontakten mit den östlichen Kulturen geführt,392 nach einer anderen, weniger häufig vertretenen, kann man erst seit etwa 600 von einem griechischen Fernhandel sprechen.393 Barbara Patzek und vielen anderen Wissenschaftlern zufolge wurde der Informationsaustausch seit dem 10. Jh. von griechischen, zuerst von euböischen Händlern mit dem Orient herge386 387 388 389

390 391 392 393

Aus der Chronik des Osorkon: Caminos 1958. Vgl. zur Diskussion Teil IV 1.2.4. Auch epigraphische Quellen sind rar. Ein auf einen kretischen Händler bezogenes Epitaph bei Semonides 138 (Diehl). Nach Boardman 2002b, 36 waren die Griechen weniger an Rohstoffen als an Exotica als Statussymbole interessiert. Das kann aber – mit einigen wenigen Ausnahmen – frühsten ab dem 8. Jh. gewesen sein. Vgl. Teil I 5.3.7. Treister 1996, 155. Z.B. Patzek 1996, 1–32. Cartledge 1998, 15.

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stellt, da Kommunikation meist vom Handel ausginge.394 Handel wird in der Literatur meistens als die für den Kulturtransfer frühste, entscheidende, wenn nicht sogar als die einzig mögliche Kontaktsituation angesehen. Eine Möglichkeit, sich eventuellen kommerziellen Beziehungen zwischen Griechen und dem Vorderen Orient zu nähern, besteht darin, die jeweiligen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen dafür zu betrachten. Angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Situation in Griechenland (vielleicht mit Ausnahme von Kreta) ist im 12. und 11. Jh. keine Teilnahme von Griechen an einem internationalen Fernhandel zu erwarten. Wahrscheinlich gab es nur lokale Märkte mit einem begrenzten Radius und niedriger Nachfrage.395 Vermittelte Kontakte mit entfernteren Gebieten existierten wohl nur durch das Durchreichen besonders wichtiger Rohstoffe von Markt zu Markt. Der frühe oikos war weitgehend autark, und höchstwahrscheinlich wurden nur Produkte verschiedener Zweige der Lebensmittelherstellung von Hirten, Bauern und Fischern ausgetauscht. Den archäologischen Befunden zufolge war es im Griechenland des 10. und 9. Jh. wohl nur in Ausnahmefällen Einzelpersonen möglich, einen relativen Reichtum zu besitzen.396 Die Bevölkerung ernährte sich aus einer Subsistenzwirtschaft, welche die Erwirtschaftung eines Mehrwerts unmöglich und damit Handel überflüssig machten. In einer solchen Gesellschaft kann es keine professionellen Händler gegeben haben. Aus der weitgehend egalitären griechischen Gesellschaft dieser Zeit musste sich zunächst eine Oberschicht herausbilden, welche die Mittel und das Interesse für den Erwerb von teuren Gegenständen besaß. Die Kenntnis von dem sozialen Wert verzierter Metallkessel und Silberschalen als Statusobjekte aber konnten die Griechen des 10. und 9. Jh. nur aus dem Umfeld dieser Gegenstände erhalten, nämlich im Osten selbst. Zu den technischen Möglichkeiten der Griechen, vor Ende des 9. Jh. auf seetüchtigen Schiffen Fernhandel zu betreiben, existieren keine Quellen, da griechische Schiffsdarstellungen erst in spätgeometrischer Zeit auftreten. Auch im Osten werden ägäische Handelsschiffe weder erwähnt, noch abgebildet.397 Es gibt keine Funde von griechischen Schiffswracks aus der Zeit vor dem 6. Jh.398 Es müssen aber nicht nur die technischen, sondern auch die wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen für kommerzielle Tätigkeiten auf See mit einbezogen werden. Einzelne Griechen oder Interessengruppen verfügten im 10. und 9. Jh. kaum über genügend Mittel, Schiffe zu besitzen, sie mit Rudermannschaften auszustatten und mit teuren Waren zu beladen. Da sich eine solche vermögende Oberschicht bis etwa zur Mitte des 8. Jh. noch nicht herausgebildet hatte, ist eine griechische Teilnahme am internationalen Handel schon allein aus diesem Grund höchst unwahrscheinlich. Die griechische Perspektive liefert in diesen frühen Jahrhunderten folglich keinen Ausgangspunkt für die Betrachtung eines Ost-West-Handels. Zudem stößt man wieder auf das Problem von Angebot und Nachfrage: Falls Griechen im 9. und 8. Jh. tatsächlich Metalle, sei es in Form von Barren, Gefäßen oder Ähnlichem, 394 395 396 397 398

Patzek 1996, 5. Vgl. Teil I 1. Vgl. Teil I 1.3. Zur Schiffsdarstellung in Karatepe, die ein phönikisches oder eher kilikisches Kriegsschiff abbildet, vgl. Teil I 5.1. Parker 1992.

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IV. Kontaktsituationen

durch Handel erworben haben, womit hätten sie dann bezahlt?399 Trinkgefäße aus Ton gegen Gold und Silber kann man sicher ausschließen. Als andere Handelswaren, die zum Tausch hätten angeboten werden können, werden z.B. genannt: Sklaven, Wolle, Ledererzeugnisse, Lebensmittel wie z.B. Wein, Öl, Getreide,400 Honig, wie auch Eisen und Silber aus Griechenland. Was die Sklaven anbetrifft, so ist völlig unbekannt, ob auf den östlichen Märkten vom 10. bis zum 8. Jh. eine so hohe Nachfrage bestand, dass man durch Sklavenhandel hätte reich werden können. Ein Sklavenmarkt ist im Osten nicht belegt, und der Einsatz von Sklaven scheint eher beschränkt und für die nordsyrische und phönikische Wirtschaft nicht relevant gewesen zu sein.401 Haltbare Lebensmittel wie Wein, getrockneter Fisch, Honig usw. hatte der Nahe Osten selbst genug: Die libanesischen Weine waren auch im Altertum berühmt und beliebt.402 Syrien lieferte seit dem Alten Reich Wein nach Ägypten, und auch einige assyrische Beutelisten vermerken syrische Weine aus den verschiedensten Ländern. Ein griechischer Weinhandel entwickelte sich in Ägypten vermutlich erst nach der Gründung von Naukratis. Das gleiche gilt auch für Olivenöl. Einen griechischen Export von Getreide in den Osten anzusetzen, ist auch aus einem anderen Grund höchst problematisch: Griechenland hatte nie Überschüsse an Getreide. Hesiod behandelt zwar diese Frage, hat aber dabei nicht einen Fernhandel im Sinn, sondern den Verkauf geringer Mengen auf nahe gelegenen Märkten. In einem Fall von Getreideexport hätte es außerdem kommerzielle Organisationen geben müssen, welche solche Überschüsse auf den lokalen Märkten aufgekauft und für den Weitertransport über See gespeichert hätten. In der spätgeometrischen Epoche sind solche Organisationen nur schwer vorstellbar. Vor allem waren die Ressourcen recht begrenzt, weswegen es manchmal sogar Exportverbote gab.403 Und schließlich fehlen archäologische Spuren eines solchen Handels: Pithoi und Amphoren. Die Transaktionen von Gütern besaßen in den Staaten des Ostens ihre bestimmten Abläufe, Regeln und Instrumente, Voraussetzungen, d.h. soziale Technologien, welche in Griechenland unbekannt waren. Denn andernfalls müsste man diese Handelsinstrumente des Ostens dieser Zeit auch in Griechenland finden, nämlich Gewichte und Siegel in größerer Anzahl und mit einer breiteren geographischen und chronologischen Streuung. Siegel und Gewichte wurden bislang nur in einem geometrischen Grab auf Euboia gefunden, in T 79 von Lefkandi, das in die zweite Hälfte des 9. Jh. datiert.404 In dem Bronzekessel, der als Urne für die Reste des sogenannten warrior-traders diente, wurden sechs Gewichte und die Fragmente von drei anderen gefunden. Weitere vier entdeckte man außerhalb desselben. Wahrscheinlich waren sie zufällig beim Transport in das Grab hinuntergefallen. John Kroll hat sie in einem aufschlussreichen Artikel untersucht:405 Es sind Steingewichte, wie sie seit der späten Bronzezeit auf Zypern und in der Levante verwendet wurden. Zwei von ihnen weichen allerdings von diesen ab und könnten Kroll zufolge aus der frühen Eisen399 400

401 402 403 404 405

Vgl. Radner 1999, 128f. Bravo 1983, 17, der intensive Handelsbeziehungen zwischen Griechen und dem Osten im 8. und 7. Jh. annimmt, gibt folgende mögliche griechische Handelsgüter: eventuell Keramik, Sklaven, Lebensmittel (Öl, Wein und Getreide). Über Sklaven im Vorderen Orient vgl. Teil IV 1.6. Vgl. Hes. erg. 589 zum Wein aus Byblos. Vgl. Solon, F 65 (31). Popham, Lemos 1996, 204. Kroll 2008, 37–48.

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zeit stammen.406 Diese Gewichte weisen verschiedene Standards auf und bilden kein Set. Dabei lag ein syrisches Zylindersiegel aus dem 2. Jt. Es ist viel über dieses Grab spekuliert worden, in dem auch Waffen, importierte und lokale Keramik sowie Metallimporte gefunden wurden: der Gestorbene sei ein Phöniker gewesen,407 ein Mitglied der hohen euböischen Aristokratie mit Verbindungen zum Osten,408 sogar eine Funktion als proxenos wurde vorgeschlagen.409 Ausnahmslos sieht man die Gewichte und das Siegel als Beweise einer kommerziellen Tätigkeit des Bestatteten an. Doch die Siegel und Gewichte waren zu seiner Zeit nicht in Gebrauch und gelangten wohl als Erbstücke in das Grab. Ende des 8. Jh. standen die kleinasiatischen Südküsten und die gesamte Levante unter direkter assyrischer Herrschaft und Kontrolle. Der Metallhandel zur See, der immer noch vorrangig von den Phönikern getragen wurde, war im Grunde ein innerassyrischer geworden. Besonders Sargon II. rühmt sich in seinen Annalen, die großen Rohstoffgebiete im Taurus fest eingenommen zu haben und stellt dies als eine seiner größten Leistungen dar.410 Als eine weitere erwähnenswerte Tat nennt er die Sicherung der Seewege.411 Es gab logistisch und administrativ festgelegte Verteilungsrouten im Vorderen Orient, an welchen teilzunehmen Händler außerhalb des Imperium wohl kaum die Möglichkeit hatten. Allerdings konnten die verbliebenen Vasallen des Assyrischen Reiches, vor allem der Inselstaat Tyros, innerhalb der ihnen vorgegebenen Handelszonen durchaus noch selbständig Verbindungen pflegen. Staatliche wie auch private Unternehmer der Phöniker waren weiterhin im gesamten Mittelmeerraum tätig. Nur in solchen Assyrien nicht unterworfenen Zonen wäre ein Warenaustausch mit Phönikern möglich gewesen. Gleichzeitig wuchs in Griechenland die Menge orientalischer Metallimporte ständig. Die Nachfrage war offensichtlich so hoch, dass sie oft und gern imitiert und schließlich zur Grundlage einer eigenständigen Entwicklung des spätgeometrischen und früharchaischen Kunsthandwerks wurden. Im 7. Jh. verstärkte sich im Vorderen Orient die assyrische Kontrolle über den Handel. Die assyrische Macht richtete gegen Feinde Handelsembargos ein,412 und immer wieder versuchte sie, den Seehandel selbst zu organisieren und zu steuern.413 Besonders das Wirtschaftspotenzial von Tyros litt unter den ungewohnten Beschränkungen. Gleichzeitig erschienen im westlichen Mittelmeer neue Konkurrenten: die griechischen Kolonien auf Sizilien und in Süditalien, und Karthago. Hier konnten Griechen vielleicht mit den Phönikern auch Metallhandel treiben. Bei diesem kurzen Überblick wird eines ganz deutlich: Es existierte keine erkennbare Möglichkeit, dass sich Griechen in den etablierten vorderorientalischen Handel einklinken konnten. Staatliche, d.h. von einer griechischen polis gelenkte wirtschaftliche Tätigkeiten, welche mit internationaler Diplomatie einhergegangen wären, hat es damals nicht gegeben, auch nicht mit dem assyrischen Westen. Ansonsten wären die Griechen in den Listen der 406 407 408 409 410 411 412 413

Kroll 2008, 44. Papadopoulos 1997, 203–207. Popham, Lemos 1995 u.a. Antonaccio 2002, 28f. Fuchs 1994, Ann. 222–233. Vgl. Teil IV 1.1. Parpola, Watanabe 1988, 25 Z. 18–21. In Gaza durch Tiglath-pilesar III. und Sargon II. sowie durch Esarhaddon mit der Gründung von Kar Esarhaddon bei Sidon; vgl. Teil I 5.4.1.

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IV. Kontaktsituationen

sogenannten Tributträger erwähnt worden, in denen auch Geschenke von ausländischen Gesandten aufgezeichnet wurden.414 Auch einzelne griechische Aristokraten, in der Odyssee repräsentiert durch den basileus Mentes, wären nicht in der Lage gewesen, aus diesem geschlossenen Kreislauf des Vorderen Orients Metalle für sich zu erwerben. Dieser angebliche Herrscher der Taphier sei unterwegs gewesen, um in Tamesa Eisen gegen Kupfer zu tauschen.415 Dieser Ort ist nicht eindeutig zu lokalisieren. Zwar gehen die meisten heutigen Autoren davon aus, dass es sich um Tamassos auf Zypern handelt,416 doch einen gleichnamigen Ort gab es in Bruttium, und Strabon zieht diese Lokalisierung ausdrücklich vor, da es dort Bergwerke gegeben haben soll.417 Tatsächlich ist eine westliche Richtung für die Geschäfte eines Taphiers viel einleuchtender als eine östliche nach Zypern. Doch allein die Erwähnung dieses Handelsherrn im Epos zeigt, dass im 7. Jh. wohlhabende Griechen in Handelsgeschäften auf den Seerouten des Mittelmeeres unterwegs waren. Ihre Routen führten nach der ersten Kolonisationswelle eher in den Westen als an die Levantinische Küste. Dagegen gab es mehrere Möglichkeiten, fertige Metallgegenstände zu erwerben. Sie besaßen nicht nur den reinen Metallwert, sondern erfüllten auch andere wichtige Funktionen, über welche sie in Residenzen, Heiligtümer oder in Privathaushalte gelangten, von wo aus sie wiederum in andere Verteilungszyklen kommen konnten. Als notwendige Statussymbole ihrer Besitzer konnten solche Luxusgegenstände als Gastgeschenke (xenia) weitergegeben werden, die sowohl Gebern als auch Empfängern hohes Ansehen brachten.418 Außerhalb des großen Metallhandels existierten also viele, nicht fest etablierte Transferwege. Abgesehen von dem privaten Bereich, in dem solche Objekte in reichen Häusern begehrt waren und innerhalb derer sie auch zirkulierten, stellten sie in Kriegen die umkämpften Beutestücke dar, welche die Tapferkeit eines Kriegers demonstrierten.419 Solche Luxusgüter aus Metall legten oftmals lange Wege zurück, auf welchen sie von Hand zu Hand gingen.420 Daher sind Herkunft und Datierung des Imports solcher Gegenstände in Griechenland nur in wenigen Fällen rekonstruierbar. Den homerischen Epen zufolge sind solche Gegenstände ganz unterschiedlichen Ursprungs: Meistens werden sie als xenia vorgestellt,421 andere sollen im Krieg erbeutet oder geraubt worden sein.422 Von kommerziellem Erwerb ist nirgends die Rede. Silber war das allgemein anerkannte Zahlungsmittel auf den internationalen Märkten und daher für einen Fernhandel entscheidend. Doch Griechenland hat nur wenige Silberbergwerke. Sicher auszumachen sind diejenigen auf Siphnos423 und im Süden Attikas (Laureion).424 Die auf Siphnos wurden in geometrischer und archaischer Zeit bis zum 6. Jh. intensiv ausgebeutet, dagegen die von Laureion erst in der archaischen Zeit. Ein wie auch immer gearteter Zugang zu fremden Bergwerken, wie es aus der Zeit des Peisistratos im Pan414 415 416 417 418 419 420 421 422 423 424

Vgl. allgemein Morris 1989, 1–17; Bär 1996. Hom. Od. 1,179–184. Heubeck, West, Hainsworth 1988, 100. Strab. 6,1,5. Vgl. eingehend zu den xenia in Teil IV 1.3. Vgl. Teil IV 1.1. Hom. Il. 23,741–749. Wie in Hom. Od. 4,612–619 das Geschenk des sidonischen Königs Phaidimos an Menelaos. Hom. Od. 14,231 u.a. Hdt. 3,57; auch Goldminen und Eisenerz waren dort zu finden. Treister 1996, 24f. Coldstream 1977, 70, 311 und Treister 1996, 23f.

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gaion bekannt ist, ist für die geometrische Zeit nicht belegt. Eisen, das damals wichtigste Metall, kam in Griechenland in vielen Gebieten vor (Thasos, Euboia, Boiotien, Lakonien u.a.). Diese Bergwerke genügten in der frühgriechischen Zeit zur Selbstversorgung. Mit Ausnahme von Zinn bestand keine Notwendigkeit, Metalle bei einer relativ bescheidenen Anwendung zu importieren. Es gab also bis etwa zur Mitte des 8. Jh. kaum einen Metallhunger, der Griechen zum Handel genötigt hätte. Erst danach können Im- und Exporte sporadisch nachgewiesen werden, so z.B. Silber vom Laureion, das zur Zeit der ägyptischen 25. und 26. Dynastien und – wenn auch sehr geringen Mengen – in Anatolien nachgewiesen werden kann. Ab etwa 700 ist also mit einem griechischen Metallhandel rechnen, zumal damals ein kommerzieller Austausch mit den östlichen Ländern des Mittelmeeres begann. Den historischen Hintergrund dafür bildet die sich dort grundlegend verändernde politische Lage: Schon während des Endes der Regierungszeit Aššurbanipals begann die assyrische Macht niederzugehen, und gegen 640 gelang es den meisten syrischen und südanatolischen Gebieten, sich von der Fremdherrschaft zu befreien. Im Zeitraum zwischen assyrischer und neubabylonischer Macht waren die Häfen also frei und es ist nicht zu erwarten, dass die lokalen Kräfte dort den Handel begrenzten, da sich die Binnenmärkte in einem Stadium der Auflösung befanden, und besonders der Zugang und Absatz in Mesopotamien vermutlich stark eingeschränkt war. Eine Zusammenarbeit mit wirtschaftlich und kulturell nun fast auf Augenhöhe stehenden Griechen dürfte ihnen auf jeden Fall willkommen gewesen sein. Auch unter der neubabylonischen Regierung lief dieser Handel wohl weiter. Die an den südsyrischen Häfen entdeckten griechischen keramischen Handelsgefäße und die neubabylonischen Dokumente über kommerzielle Beziehungen sind Beweise dafür.425 In archaischer Zeit sind bereits typische Handelsschiffe belegt,426 die teilweise große Lasten wie Steinmaterial und Statuen transportieren konnten. Die Möglichkeiten einer griechischen Teilnahme am Fernhandel, darunter auch am Metallhandel, änderten sich schlagartig im 6. Jh. Zum einen erhielt Reichtum einen immer höheren gesellschaftlichen Stellenwert, und zum anderen wurde Silber als Zahlungsmittel in Form von Münzen für die Unterhaltung von Söldnerheeren und im Handel unter den poleis immer notwendiger. Peisistratos verbrachte die Zeit seines zweiten Exils (556–546) an der nordägäischen Küste am Pangaiongebirge, um mit Gewinnen aus den dortigen Bergwerken Söldner anwerben zu können. In einem solchen Kontext sind auch die Kämpfe um Sigeion in der Troas zu betrachten:427 auch dort gab es Silberbergwerke. In der griechischen Literatur findet man einige wenige Nachrichten über den frühen Handel Ende des 7. und im 6. Jh. Eines der ersten Ziele des Fernhandels waren Naukratis in Ägypten und die Kolonie Kyrene in Libyen, die im dritten Viertel des 7. Jh. gegründet wurde. Dass es zu dieser Zeit noch keinen regelmäßigen Fernhandel gegeben hat, zeigt die Geschichte des glücklichen Kolaios aus der Gründungszeit von Kyrene,428 der Eigentümer und vielleicht auch Kapitän eines Schiffes aus Samos war. Der Begriff ναύκληρος ist leider recht vieldeutig. Auf dem Weg nach Ägypten wurde sein Schiff abgetrieben und gelangte 425 426

427 428

Vgl. Teil IV 1.2.2. Handelsschiffe sind im Unterschied zu Kriegsschiffe nur sehr selten auf spätgeometrischen und archaischen Vasen abgebildet. Solche Artefakte stammen vorwiegend aus dem Westen und aus Zypern. Vgl. als Beispiel Boardman 1980, 193 aus Caere. Vgl. Treister 1996, 22 mit Anm. 4. Hdt. 4,152.

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zufälligerweise nach Tartessos.429 Dort konnte dieser Kolaios so ungewöhnlich gute Handelsgeschäfte abschließen, dass er damit nicht nur reich, sondern auch berühmt genug wurde, um in Herodots Historien aufgenommen zu werden. Herodot zufolge soll sich dieser Gewinn auf 60 Talente belaufen habe. Wieder steht der Gewinn im Zentrum der Geschichte, nicht aber, auf welche Weise Kolaios solch einen unerwartet erfolgreichen Handel dort betrieben hatte. Auch der Hinweis darauf, dass er durch seine Ladung den hohen Gewinn erzielt hätte (ἐκ φορτίων ἐκέρδησαν), ist mehrdeutig. Kolaios war auf dem Weg nach Ägypten gewesen. Seine Ladung war also für Naukratis bestimmt. Doch die Palette der Möglichkeiten des Imports für Ägypten ist zu groß, um sein Cargo erraten zu können. Bedenklich ist allerdings die Bemerkung Herodots, dass Tartessos damals noch »unberührt« gewesen sei. Er wusste offensichtlich nicht, dass diese Stadt wahrscheinlich schon seit dem 9. Jh. eine große phönikische Kolonie war. Vielleicht aber meinte seine Quelle etwas anderes: Um 700, als Tyros verstärkt von den assyrischen Königen bedrängt wurde, erhielt Tartessos seine Freiheit zurück. Eine Übersetzung »unbeschädigt« wäre dann vielleicht die bessere,430 auch wenn der Sinn im Kontext der Geschichte, die in das letzte Drittel des 7. Jh. zu datieren ist, nicht ganz schlüssig wäre. Möglicherweise ist die Angabe über dieses samische Schiff aber erst sekundär in die Gründungsgeschichte von Kyrene eingeflossen, um die guten Beziehungen zwischen Kyrene und Samos aitiologisch zu begründen. Ganz am Rande der Kolonisationsgeschichte von Thera wird in Verbindung mit diesem Kolaios ein weiterer Händler, ein Sostratos, Sohn des Laodamas aus Ägina,431 genannt, der einen noch höheren Profit auf einer Handelsfahrt erzielt haben soll, also über 60 Talente. Das Schiff des Kolaios konnte, falls die Geschichte stimmt, wohl durch Silberladungen berühmt geworden sein, denn im Hinterland von Tartessos lagen die großen Bergwerke. Womit Sostratos seine kommerziellen Erfolge erzielte und auch wann er wo tätig gewesen ist, erfahren wir leider nicht. Dieser reiche Sostratos wird mit einigen Funden an den Küsten Etruriens in Verbindung gebracht, wo dieser Name auf Inschriften und vielleicht in Abkürzung auf einer Handelsmarke anzutreffen ist. Diese datieren in die Wende vom 6. zum 5. Jh.432 Da Herodot nichts über die Zeit seines Sostratos sagt, wurden beide in der Literatur entweder identifiziert oder aber man konstruierte aus diesen Namen die Erfolgsgeschichte einer griechischen Händlerfamilie in mehreren Generationen. Der erste diesbezügliche Fund stammt aus Gravisca, dem Hafen von Tarquinia, ein Steinanker, der dem Aiginetischen Apollon von einem Sostratos geweiht war. Das Alphabet ist aiginetisch und die Paläographie der Inschrift deutet auf das späte 6. bzw. beginnende 5. Jh. Aus etwa derselben Zeit stammen über 100 Handelsmarken auf attischer und lakonischer Keramik mit den Buchstaben ΣΟ, die man als Sostratos liest. In Pyrgi war ein attischer Teller ebenfalls von einem Sostratos geweiht.433 Und schließlich entdeckte man diesen Namen auf Basen von Weihstatuen in den Tempeln der Aphaia und des Apollon auf Aigina selbst.434 Und so charakterisiert Oliver Murray ihn recht optimistisch: »… er, der reichste Händler des antiken Griechenlands, war kein einsamer Abenteurer, sondern entweder der Begründer eines 429 430 431 432 433 434

So die Übersetzung dieser Stelle von Feix 1988. … τὸ δὲ ἐμπόριον τοῦτο ἦν ἀκήρατον τοῦτον χρόνον … Sein Patronym weist ihn als einen Adligen aus. Schweizer 2007, 309f. mit Literatur. Colonna 2004, 69–94 (zitiert nach Schweizer 2007, 3). Walter-Karydi 1987, 84, Nr. 69, Taf. 41 und 60.

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ganzen Handelshauses oder zumindest der erfolgreichste Mann in einer Gruppe von Kaufleuten, die am Ende des 6. Jh. den etruskischen Markt mit griechischen Luxusgütern versorgten. Solche Männer waren offensichtlich auch in ganz Griechenland bei der Aristokratie willkommen …«435 Zunächst ist festzuhalten, dass diese Bezugsketten allein auf dem Personennamen Sostratos basieren. Da wir nicht wissen, wann der Sostratos des Herodot gelebt hat, ist die Identifizierung allein auf dieser Basis unzulässig.436 Während die Inschrift auf dem Steinanker zweifellos einem Aigineten zugeschrieben werden muss,437 weist die Inschrift auf dem attischen Teller andere Buchstabenformen auf.438 Und ob das Kürzel ΣΟ tatsächlich den Namen Sostratos wiedergibt und falls ja, ob es sich auf Nachfahren ›unseres‹ Sostratos mit demselben Namen439 bezieht, bleibt völlig offen. Die Konstruktion eines mächtigen Handelshauses, das im Westen einen enormen Reichtum zusammenbringen konnte, ist also nur ein Konstrukt. Der oben analysierten Stelle aus den Prophezeiungen des Ezekiel zufolge haben »Jawan, Thubal und Mesech … mit dir [Tyros] gehandelt und leibeigene Leute und Geräte von Erz auf deine Märkte gebracht … Die von Dedan sind deine Händler gewesen, und hast allenthalben in den Inseln gehandelt; die haben dir Elfenbein und Ebenholz verkauft«.440 Die Septuaginta und Vulgata übersetzen die Dedan mit οἱ υἱοὶ Ῥοδίων bzw. filii Rhodiorum. Also müsste Ddn in Rdn emendiert werden.441 Nun kann Ebenholz und Elfenbein kaum aus Rhodos nach Tyros exportiert worden sein. Daher vermutet Igor Djakonoff zu Recht, dass die Rhodier als Zwischenhändler für Tyros agiert haben, und zwar auf ihren Fahrten von Ägypten zu ihrer Heimatinsel. Die kostbaren Waren sind als hsybw skr bezeichnet, ›obligatory task, which is to be returned‹.442 Es bestanden also – nach diesem Text zu schließen – schon länger solche Handelsbeziehungen zwischen Händlern auf Rhodos und vielleicht zu anderen griechischen Inseln in der Ägäis und Tyros, wobei Griechen oder tyrenische Mittelsmänner auf Rhodos als Zwischenhändler auf dem Markt kostbarer Rohstoffe agierten. Wir können also für die zweite Hälfte des 7. und für das 6. Jh. in literarischen und archäologischen Quellen den Aufstieg des griechischen Kommerzes gut verfolgen. Der Beruf des Händlers aber scheint sich nicht vor der zweiten Hälfte des 7. Jh. in Griechenland herausgebildet zu haben. Mit dem Auftreten professioneller Händler in Griechenland, die große Gewinne erzielen konnten, begann ein Wertekonflikt innerhalb der frühen griechischen Aristokratie. Odysseus wird von einem phaiakischen Adligen vorgeworfen, ein Händler zu sein, der nur sein Geschäft im Sinne habe: »… sondern du siehst aus wie jemand, der dauernd mit einem vielrudrigen Schiff herbeikommt, ein Anführer von Seeleuten, die Händler sind, jemand, der bedacht ist auf Ladung und ein Ausspäher für Ladung und gierigen Gewinn.«443 Diesem 435 436 437 438 439 440 441 442 443

Murray 1982, 280. Vgl. allgemein zu diesem Problem Teil II 3; zum konkreten Fall vgl. auch Schweizer 2007, 310. Abbildung bei Boardman 1980, 306, Abb. 245. Schweizer 2007, 309, Anm. 22. Vgl. Teil IV 1.2.4. Ez 27,13; Ez 15. Vgl. zur Diskussion Diakonoff 1992, 189f. mit Literatur. Diakonoff 1992, 190; skr ist ein akkadisches Lehnwort von iskaru ›allotted task in labour or delivered produce‹. Vgl. auch Teil IV 1.2.4. Hom. Od. 8,161–164.

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verachtungswürdigen Typus wird der ›echte‹ Aristokrat entgegengestellt, der sich in athletischen Spielen auszuzeichnen vermag.444 Letztendlich ist es der Konflikt zwischen altem Landadel und ›neureichen‹ Handelsherren, die politische Rechte für sich einforderten. Der Begriff für Händler ist in der Odyssee πρηκτήρ. Odysseus wird als einer der »gierigen« πρηκτῆρες angesehen. Diese Stelle wird oft als Beweis dafür zitiert, dass Händler ein geringes soziales Ansehen besessen hätten. Dem aber steht der ›Händler‹ Athene entgegen, die, verwandelt in den König der Taphier, angeblich auf Handelsfahrt mit Rohmetallen ist. Ein König als Händler erinnert an die ›Herren von Tyros‹. Hier geht es nicht um einen grundsätzlichen Konflikt innerhalb der griechischen Aristokratie, sondern um verschiedene Kategorien von Händlern. Archaische Großunternehmer aus den Reihen des vermögenden Adels waren angesehene Leute mit erheblichem Einfluss. Gerade deswegen konnte sich die Göttin für einen solchen ausgeben, um von vornherein Vertrauen zu schaffen. Dagegen sind die verächtlich genannten, »die ausspähen nach Ladung«, kleine Händler gewesen, welche eher zufällige Cargos aufnahmen, um sie an verschiedenen Häfen gewinnbringend zu verkaufen. Diese Leute kamen aus den mittleren Schichten der Bevölkerung. Vermutlich waren sie dem Zensus nach Zeugiten, die keine großen Vermögen besaßen, aber genug, um mit billigen Gütern zu handeln. Die zitierten Stellen aus der Odyssee sind für diese beiden Aspekte bedeutsam. Die Metalle handelt Mentes, der »König der Taphier«,445 mit ›Tand‹ handeln die phönikischen πρηκτῆρες, und der ausgehungerte Odysseus sieht wie ein mickriger Kleinhändler aus. Ob und falls ja, in welchem Maß griechische Kleinhändler im Orient tätig werden konnten, ist unbekannt, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie solche weiten und risikoreichen Fahrten unternommen haben, auch wegen der schon mehrmals angesprochenen Regeln, Taxen und Zahlungsmittel. Die homerischen Epen berichten ansonsten so gut wie nichts über griechische Händler. Telemachos fährt als ein emporos zur Peloponnes, und manche Übersetzungen geben hier den Begriff ›Kaufmann‹. Doch nichts deutet auf solch eine Bedeutung hin: Telemachos hat keine Waren, sondern Gastgeschenke bei sich.446 Er ist ein emporos, nach der wörtlichen Bedeutung des Wortes: ein ›Reisender‹. Man hat auch versucht, in der frühgriechischen Lyrik Belege für einen Handel um 700 zu finden.447 Allerdings gibt es in den Fragmenten dieser Dichtung keine einzige Stelle über Fernhandel. Erst vom 7. Jh. an erscheinen schriftliche Quellen über griechische Seefahrt, da sie wirtschaftlich und gesellschaftlich relevant wurde.448 Warentausch wurde vor allem mit guten außenpolitischen Beziehungen möglich, sobald sich in Griechenland Staaten herausgebildet hatten: So baten die Spartaner den lydischen König Kroisos um Gold für eine Apollonstatue. Als Äquivalent sandten sie dem Herrscher einen riesigen Bronzekessel, der aller444 445 446 447

448

Hom. Od. 8,159–160; 8,164. Hom. Od. 1,180–184. Hom. Od. 2,318f. Diese Quellengattung behandelt Tandy 2005, 183–194, allerdings beziehen sich viele von ihm zitierte Beispiele nicht auf den Handel, wie die über Archilochos, S. 187. Die Vermutung, er sei in Ägypten gewesen, ist reine Spekulation, die nicht aus dem Text hervorgeht. Ein spezielles Problem, auf das ich hier allerdings nicht eingehen möchte, ist die archaische Kolonisation und die damit immer wieder aufgeworfene Frage, ob primär Handelsinteressen einiger griechischer poleis im Vordergrund dieser Bewegung standen.

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dings dort nie ankam.449 Und die meisten Quellenangaben beziehen sich auf die kommerzielle Verbindung zwischen Griechenland und Ägypten (Naukratis). Das ist zunächst die Zeit, in der Korinth eine notable See- und Handelsmacht im Mittelmeer geworden war. Allein schon die Tatsache, dass Korinth sich bemühte, Piraten von den Seerouten zu vertreiben,450 beweist, dass sie reguläre Handelstätigkeit ausübte, die sichere Seewege benötigt. Im Korinth des 7. Jh. waren die Kypseliden Träger des Handels. Man könnte geradezu von ›Tyrannenhandel‹ sprechen, denn auch Polykrates von Samos schuf sich ein ›Handelsreich‹. Als Beweis für einen schon sehr früh einsetzenden griechischen Handel mit den Ländern des Vorderen Orients werden oft die vielen semitischen Lehnwörter angeführt, welche aus der Sphäre des Kommerzes stammen.451 Tatsächlich kommt das Gewichtssystem (Talent, Mina) aus dem Alten Orient. Allerdings wurde es schon in der Bronzezeit übernommen und nicht erst in der Eisenzeit. Andere Begriffe, die durch Kommerz entlehnt werden könnten, wie ›Sack‹, Bezeichnungen für ›Wagen‹, ›pro‹ (ἀνά) u.a. werden aber nicht ausschließlich im Handel, sondern auch in anderen Kontexten benutzt. Es ist sogar verwunderlich, wie wenige handelstypische Wörter und Begriffe im Vergleich zu anderen semantischen Feldern übernommen wurden. Gerade das zeigt, dass der Handel nicht die treibende Kraft bei den frühen Ost-West-Beziehungen gewesen sein kann. Handelstätigkeit erforderte meist einen relativ lang währenden Aufenthalt in den jeweiligen Häfen. Man musste damit rechnen, recht lange dort zu bleiben, da die Abwicklungen oft viel Zeit beanspruchten, und dazu kamen die saison- und windbedingten Möglichkeiten der Seefahrt. So konnte ein Schiff manchmal über ein Jahr in einem Hafen liegen, ehe es zurückfuhr. Das war genügend Zeit, sich die Sprache in einem gewissen Maß anzueignen und sich mit den fremden sozialen Praktiken bekannt zu machen, was zu Adaption und zu einer beginnenden Akkulturation führen konnte. Daher sind Händler eine sehr bedeutende Gruppe von Kontaktpersonen, die Kulturtransfers leisten konnten, nicht so sehr durch die Waren, welche sie bewegten, sondern durch ihre guten Kenntnisse fremder Kulturen, besonders in den Bereichen von Handel und Recht. 1.3 Höhere Dienstverhältnisse Einigen Griechen gelang es in der früharchaischen Zeit und vielleicht schon vorher, erstaunliche Karrieren zu machen. Das belegen einige griechische Inschriften und Textstellen aus der Odyssee. Diese Angaben sind zwar nicht zahlreich, aber angesichts der insgesamt wenigen erhaltenen schriftlichen Quellen aus dieser Zeit bilden sie eine durchaus signifikante Gruppe. Sie beweisen eindeutig, dass solche Karrieren nicht nur möglich waren, sondern auch von vielen, denen sie sich boten, gemacht wurden. Die Informationen über hoch gestellte Griechen im Ausland zeigen außerdem deren außerordentliche Rolle in den Kulturkontakten zwischen Griechenland und dem Alten Orient bzw. Ägypten. Um in höhere Dienstverhältnisse zu gelangen, mussten sie folgende Voraussetzungen erfüllen: Sie waren unter Kontaktbedingungen und in Kontaktsituationen tätig, welche eine bereits fortgeschrittene Akkulturation verlangte und sie gleichzeitig weiter vorantrieb. Diese Kontakte fanden auf einem hohen sozialen und kulturellen Niveau statt, d.h. unter den Bedingungen, 449 450 451

Hdt. 1,69. Thuk. 1,13. Vgl. Teil II 4.

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unter welchen die Leistungen einer Hochkultur von innen heraus verstanden und rezipiert werden können.452 Der weitere für einen erfolgreichen Transfer entscheidende Punkt ist, dass fast alle diese in den Quellen genanten Personen nach Griechenland in ihre Heimat zurückgekehrt waren, also einen Kulturtransfer geleistet haben. Die Quellen über solche Personen beschränken sich auf Ägypten, denn im 7. Jh. waren Griechen vor allem dort tätig, während die syrische Küste assyrisches Territorium geworden war, auf dem sie nicht aktiv werden konnten. Das bedeutet aber nicht, dass es Griechen in höheren Dienstverhältnissen im Orient nicht schon früher gegeben hätte.453 Die Odyssee, die von einigen solcher Karrieren berichtet, beschreibt zweifellos Begebenheiten aus dem späten 8. und der ersten Hälfte des 7. Jh. In dieser Zeit orientierten sich griechische Fernreisende, außerhalb der Fahrten in griechische Kolonien, vor allem nach Ägypten, wo sie zunächst als Söldner, später auch als Händler aufgenommen wurden.454 Die erste Erwähnung von dem hohen Dienstverhältnis eines Griechen in Ägypten finden wir in den schon besprochenen Versen über den sogenannten Lügenkreter, die fiktive Geschichte des Odysseus, die er, seine Identität verbergend, dem Hirten Eumaios erzählt:455 »Sieben Jahre blieb ich dort. Viel Vermögen brachte ich zusammen, denn sie gaben alle.«456 Der ›Lügenkreter‹ war angeblich ein Söldnerführer, der in den Gewässern vor Ägypten marodierte. Dieser Söldnerführer wurde bei seinem Überfall von ägyptischen Soldaten gefangengenommen, aber danach vom Pharao begnadigt. Für die zeitgenössischen Zuhörer dieses Gesanges dürfte klar gewesen sein, was mit diesem Mann, der ›einen Draht‹ zum König gefunden hatte, weiterhin geschah und wie er sein Vermögen in Ägypten erworben hatte. Andernfalls hätte der Dichter auch dies zumindest ein wenig ausgeführt. Aber offenbar wusste das Auditorium, dass der ›Lügenkreter‹ eine soziale Stellung erreicht hatte, die ihm im Ausland höchste Ehren und damit auch Reichtum verschafft hatte. Das soziale Ansehen eines solchen Mannes war im damaligen Griechenland sehr hoch: Odysseus stellt sich mit dieser Lügengeschichte als einen Aristokraten (wenn auch einen Bastard) dar, der es sogar im allgemein geschätzten und bewunderten Ägypten zu etwas gebracht hatte. Aber nicht das Leben in Ägypten stand im Mittelpunkt des Interesses, sondern einzig und allein das Erworbene, die sogenannten Gastgeschenke, die xenia, wie die im Palast des Menelaos: zwei Wannen aus Edelmetall, 10 Talente Gold,457 typische Frauengeschenke für Helena458 und ein ägyptisches Wundermittel.459 Die Geber dieser Geschenke waren für Menelaos offensichtlich auch von großer Bedeutung, denn sie sind immer namentlich erwähnt: der König Polybos und dessen Gemahlin Alkandre, die in Theben in einem Haus voller Güter residierten.460 Das Wundermittel, das Helena an ihre Gäste vor dem Essen verteilt, damit sie alle düsteren Gedanken ablegen, stammt von einem Ägypter Thon, dessen Person nicht weiter erklärt wird. Auch im Fall des Menelaos dürfte den Zuhörern des Epos bekannt ge452 453 454 455 456 457 458 459 460

Vgl. Teil III 4.3. Vgl. Teil IV 1.1. Teil IV 1.1 und 1.2.5. Vgl. Teil IV 1.1. Hom. Od. 14,285–286. Hom. Od. 4,128. Hom. Od. 4,130–132. Hom. Od. 4,228–234. Hom. Od. 4,127; vgl. auch die Erwähnung von Theben in der Ilias, vgl. Teil IV 1.1.

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wesen sein, auf welche Weise und in welchem Ambiente er mit seiner Frau in Ägypten gelebt und solche wertvollen Gaben erhalten hatte. Das Entscheidende bei allen diesen epischen Erzählungen aber war die erfolgreiche Rückkehr in die Heimat, die einen glücklichen Neuanfang bedeutete, den Beginn eines Lebens, das sich von dem vor der Abfahrt wesentlich unterschied. Nach dem Epos zu urteilen, war für einen erfolgreichen nostos Reichtum und standesgemäße Gastfreunde das Entscheidende. Dagegen verliert es kein Wort über neue Erkenntnisse, Sprachkompetenzen oder weitere kulturelle Akkulturation. Während der ›Lügenkreter‹ und Menelaos in der Odyssee als fiktive Personen auftreten, sind Griechen mit hohen Karrieren in Ägypten auch durch epigraphisches Material belegt. So geben drei Funde aus Ionien und Rhodos Aufschluss über historische Personen, welche in höheren Dienstverhältnissen in Ägypten gestanden hatten. Sie beweisen außerdem die aktuelle Relevanz des Themas, das in der Odyssee zweimal aufgegriffen ist. Das erste Denkmal ist eine ägyptische Basaltstatue in Form des typisch ägyptischen Würfelhockers. Diese Form war dort seit dem Mittleren Reich bekannt und wurde vorrangig von hohen Beamten benutzt, welche solche Statuen in Tempelhöfen als Weihungen aufstellen ließen. Sie waren auf der Frontseite immer mit einer biographischen Inschrift versehen. Diese Statue, deren Kopf verloren gegangen ist, datiert in das späte 7. Jh. (etwa 625–610461). Sie wurde angeblich in einer Höhle bei Priene gefunden.462 Ausgehend von dem ägyptischen Usus kann angenommen werden, dass ihr Besitzer sie in einem Heiligtum, vielleicht in Priene, als Weihung aufgestellt hatte. Die Inschrift auf diesem Würfelhocker ist wie bei den ägyptischen Vorbildern auf der Vorderseite auf dem Schurz angebracht. Sie ist auf Griechisch und unterscheidet sich auch ihrem Inhalt und Aufbau nach von den damaligen ägyptischen Inschriften auf Würfelhockern.463 Das Denkmal wurde von seinem Besitzer, Pedon, Sohn des Amphinnes, nach seiner Rückkehr aus Ägypten als Weihgeschenk aufgestellt. Er hatte unter Pharao Psammetichos »Heldentaten« vollbracht und war dafür reich beschenkt worden,464 »Pedon hat mich aufgestellt, Sohn des Amphinnes, der (mich) aus Ägypten brachte. Ihm gab der König Psammetichos als Preis für (seine) Fähigkeiten einen goldenen Ehrenreifen und eine Stadt wegen (seiner) Tüchtigkeit«. Das Patronym Amphinnes zeichnet Pedon als einen griechischen Aristokraten aus. Seine Biographie ist aus den wenigen Worten gut zu rekonstruieren: Er war höchstwahrscheinlich ein Söldnerführer gewesen und hatte für außerordentliche Leistungen (ἀρίστημα) ein besonderes Ehrengeschenk, einen Ring aus Gold erhalten. Der Pharao, aus dessen Händen er diesen empfing, war vermutlich Psammetichos I.465 Wo Pedon seine Fähigkeiten eingesetzt hatte, bleibt unerwähnt. Er wechselte nun in die Zivilverwaltung. Die »Stadt«, die ihm der Pharao gab, war vermutlich eine Militärkolonie von Griechen und Karern, wie sie bei Herodot beschrieben sind.466 Das würde den Kompetenzen eines solchen Griechen gut entsprechen. Für diese Stadt wurde Pedon also zum »Obersten« eingesetzt. Eine solche Laufbahn stellte in Ägypten keine Be461 462 463 464 465 466

Masson, Yoyotte 1988, 179. Şahµn 1987, 1f.; die Angabe der tatsächlichen Herkunft der Statue ist jedoch nicht sicher, da sie sich in Privatbesitz befunden hatte. Jansen-Winkeln 2001b. Die Inschrift lautet: Πήδωμ μ’ ἀνέθηκε/ν Ὠμφίννεω· ἐξ Αἰγ/γύπτω ’γαγων· τῶι βα/σιλεὺς ἔδωκ’ Ωἰγύπ/τιος: Ψαμμήτιχο/ς: ἀρίστημα ψίλιο/ν τε χρύσεονγ καὶ πόλιν ἀρετῆς ἕνεκα. Nach der stilistischen Analyse, vgl. Masson, Yoyotte 1988. So auch Haider 1996, 101.

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sonderheit dar: Seit dem Neuen Reich liefen militärische und zivile Karrieren parallel. Dies gilt auch für die 26. Dynastie. Aus Grabinschriften kennt man das Nebeneinander von militärischen und zivilen Titeln sehr gut.467 Von einem solchen Verwaltungsposten aus konnte ein solcher Beamter nicht wenig für sich ›einsammeln‹. Der Basaltstein des Pedon stammte aus Ägypten. Auch dies bestätigt die hohe Stellung des Pedon: Steinmaterial war in Ägypten königliches Monopol. Wer es für Stelen oder Sarkophage benötigte, konnte es nur durch die Zuweisung des Pharao erhalten. Weitere Fragmente ägyptischer Basaltblöcke hat man auf Rhodos gefunden. Sie sind mit sehr kurzen und beschädigten Inschriften versehen, die wohl nur den Namen des Weihenden geben, sowie der Kopf eines solchen Würfelhockers. Sie wurden wahrscheinlich von Männern wie Pedon aufgestellt, die dank ihrer hohen Stellung in der ägyptischen Verwaltung und/oder im Militär zu diesem Steinmaterial gekommen waren. Wie Pedon bedienten sie sich nach ihrem nostos eines typisch ägyptischen Mediums, nämlich der Würfelhockerstatue. Somit haben wir allein aus Ägypten mehrere Dokumente über Griechen in höheren Diensten am Pharaonenhof. Das ist für die archaische Zeit eine erstaunlich große Anzahl von Inschriften aus einem doch sehr besonderen Lebensbereich. Die Belege stammen alle aus dem späten 7. Jh. und beziehen sich auf Ägypten. Dennoch sollte man dieses Phänomen nicht auf Ägypten begrenzen, auch wenn es keine direkten früheren Angaben aus altorientalischen Ländern über ähnliche Karrieren gibt. Die Rahmenbedingungen unterschieden sich dort nicht wesentlich von denen im saïtischen Ägypten.468 Sowohl das Epos als auch die Inschrift der Pedon-Statue zeigen den Ausgangspunkt solcher Karrieren: das Söldnertum. Es waren nicht etwa griechische Unternehmer aus Naukratis oder Handel treibende Griechen, für die ein solcher Aufstieg möglich wurde. Auch dieser Punkt unterstreicht nochmals die enorme Bedeutung der frühen griechischen Söldnerführer als Kontaktpersonen und Träger des kulturellen Transfers. Militärische Kenntnisse und Tapferkeit, organisatorische Fähigkeiten und absolute Loyalität waren die Eigenschaften, welche auch einen Ausländer befähigen konnten, zu einer höheren Beamtenstelle aufzusteigen. Doch noch eine unabdingbare Voraussetzung war notwendig: Ein hoher Grad an Akkulturation. Nehmen wir die wahrscheinliche Vermutung auf, Pedon sei als ein Stadtoberster in einer der griechisch-karischen Militärkolonien eingesetzt worden: In dieser Position saß er auf der Schaltstelle zwischen Mitbürgern in Ägypten und dem ägyptischen Verwaltungsapparat. Dabei war er selbst zu einem Teil desselben geworden. Er hatte seine Aufgaben als ein ägyptischer Beamter auszuführen, war also mit den Abläufen und den Gesetzen der Bürokratie vertraut, konnte sie anwenden und umsetzen. Um dies zu bewerkstelligen, musste er die ägyptische Sprache mündlich und schriftlich beherrschen, denn ihm unterstand ein Stab von ägyptischen Beamten und Schreibern, denen er Anweisungen gab und die er zu kontrollieren hatte. Dazu benötigte er die Autorität, die aus Kompetenz und Kommunikation entspringt. Die Medien zur Kommunikation seiner hohen sozialen Stellung hatte er ebenfalls perfekt zu beherrschen und sich durch sie in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Nur ein Mensch, der viele Jahre in einem fremden Land in dem entsprechenden Milieu gelebt hat, konnte sich eine solche reiche Palette an sozialen Praktiken aneignen. Pedon 467 468

Pressl 1998, 95, 126. Vgl. Teil IV 1.1.

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war wahrscheinlich ein Söldnerführer gewesen und musste schon lange vor seinem Aufstieg in die zivile Verwaltung in oberen Kreisen verkehrt haben. In der Literatur ist auch vermutet worden, dass schon Amphinnes, sein Vater, als Söldner in Ägypten tätig gewesen sein könnte.469 Von der Akkulturation des Pedon ausgehend wäre die Annahme, er sei in Ägypten geboren und seine Mutter eine Ägypterin gewesen, sehr verlockend. Übrigens könnte auch der Personenname Pedon auf eine solche Familiensituation hinweisen: Der Name wurde als griechisch aufgefasst,470 ist aber viel überzeugender als die Abkürzung eines zu dieser Zeit weit verbreiteten ägyptischen Namens zu verstehen.471 Eine solche Lebenssituation, nämlich Sohn eines akkulturierten Griechen in hoher Stellung gewesen zu sein, könnte sicher vieles besser erklären als das Modell eines griechischen Aristokraten, der viele Jahre in Ägypten gedient hat.472 Das würde nun aber bedeuten, dass Psammetichos I. schon sehr früh griechische und andere fremde Söldner in sein Land geholt hätte. Vergleicht man diese wahre Geschichte des Pedon mit den Erzählungen der Odyssee, ergeben sich erstaunliche Übereinstimmungen. Wie es schon im Kapitel über griechische Söldner dargestellt wurde, verdingten sich griechische Aristokraten mit ihren Hetairien bei fremden Königen. Ihre Motivation liegen im Epos und der frühgriechischen Lyrik im Wunsch nach schnellem Reichtum und dem Erwerb militärischer Ehren. Die Ausgangspositionen waren entweder Verarmung aus verschiedenen Gründen, politisches Exil oder eine in Griechenland selbst nicht zu behebende wirtschaftliche Misere. Auf welche Weise und mit welchen Absichten Pedon und Psammetichos, der aus Abu Simbel bekannt ist, bzw. ihre Väter nach Ägypten gekommen waren, wissen wir nicht. Sie stammten auf jeden Fall beide aus Ionien, hielten sich in der zweiten Hälfte des 7. bzw. Anfang des 6. Jh. in Ägypten auf und waren adliger Abstammung. Sie begannen ihre Tätigkeiten zweifellos als Söldnerführer, um dann ihre bemerkenswerten Karrieren zu machen: Pedon als ziviler Beamter, Psammetichos als militärischer Anführer. Pedon wurde reich belohnt: mit der Vergabe einer hohen Beamtenstelle, die mit einer Belehnung von Grundbesitz verbunden war. Und von den Abgaben, die er in der von ihm verwalteten Ortschaft einzutreiben hatte, blieb auch nicht wenig für ihn. Das könnte mit dem seltsamen Vers in der Odyssee »… denn sie gaben ja alle« (14,285–286) verbunden werden und ihn gleichzeitig erklären. Es blieb den Untertanen ja gar nichts anderes übrig. Eventuell hatte Pedon die Ignoranz seiner Landleute nicht richtig eingeschätzt. Das Ziel seiner Weihung des Würfelhockers war es natürlich, sich in seiner Heimat möglichst wirkungsvoll als Machtausübender zu empfehlen. Er tat dies auf eine griechisch-ägyptische Weise, indem er aus beiden Kulturkreisen die repräsentativen Elemente zu vereinen suchte, von denen er annahm, dass sie seine Person im besten Licht zeigen würden: Das Material und die Form des Würfelhockers signalisierten seine hohe soziale Stellung in Ägypten und seine Nähe zum Pharao. Die Besonderheiten und Bedeutungen eines solchen Denkmals im ägyptischen Kontext dürften seine Zeitgenossen aber nicht gekannt haben. Dass Pedon sich durch diesen Würfelhocker präsentiert und nicht, wie es in archaischen Heiligtümern üb469 470 471 472

Masson, Yoyotte 1988, 172. Şahµn 1987, 2. Vgl. z.B. Jansen-Winkeln 2001. Zur Akkulturation von Söldnerführern vgl. Teil IV 1.1.

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lich war, durch große, kostbare Weihgaben wie Kessel, Dreifüße u.ä., zeigt, dass er sich im griechischen kulturellen Milieu gerade durch seine Ägyptisierung, durch seine Akkulturation empfehlen wollte.473 Die Funde auf Rhodos zeigen, dass diese Form zu dieser Zeit keine Ausnahme war. Für einen in Ägypten sozialisierten Griechen war es selbstverständlich, durch Inschriften zu kommunizieren. Sie zeigten seinen hohen Bildungsstand und waren in dieser Zeit unter den Weihungen in einem griechischen Tempel sicher etwas Besonderes. Nur wenige konnten sie überhaupt lesen, und nur diese erfuhren aus den kurzen Zeilen vom bemerkenswerten Leben des Pedon. Die Inschrift ist keine Quasiübersetzung einer möglichen ägyptischen, sondern etwas ganz Eigenes. Zunächst fällt auf, dass eine ausdrückliche Weihung an eine Gottheit fehlt, wie es für ägyptische Inschriften obligatorisch war. Die Botschaft war seine Aristie, welche nach ihrem Gehalt rein griechisch ist: militärische Tüchtigkeit (ἀρετή) und gesellschaftliche Anerkennung (τιμή). Der Ausdruck für diese Anerkennung ist allerdings wieder rein ägyptisch: der goldene Ehrenreifen und die Verwaltung über eine Stadt. Das ist eine Vorstellung, die den damaligen Griechen durchaus nicht fremd war, und auch im Epos anzutreffen ist. Agamemnon verspricht Achilleus u.a. auch sieben Städte.474 Er zählt sie namentlich auf und hebt dabei ihr wirtschaftliches Potenzial hervor. Dazu gehören auch die Bewohner, »die ihm wie einem Gott Gaben darreichen und ihm unter seiner Herrschaft reiche, herkömmliche Abgaben entrichten.«475 Das hört sich fast so bei beim ›Lügenkreter‹ an: »… denn sie gaben ja alle«. Mit dieser ägyptischen Vita empfahl sich Pedon auf jeden Fall für eine hohe gesellschaftliche und politische Stellung in seiner griechischen Umwelt. Die drei Würfelhocker beweisen, dass in der Zeit zwischen Psammetichos I. (ab 664) bis eventuell zur Einnahme Ägyptens durch die Perser (525) griechische Aristokraten hohe ägyptische Dienststellen einnehmen konnten. Die Weihung von Würfelhockern blieb auf diesen engen Personenkreis beschränkt und wurde nicht in Griechenland adaptiert. Auch die Selbstdarstellung durch eine Aristie-Inschrift wurde nicht von der damaligen archaischen Aristokratie aufgegriffen. In sofern waren diese Versuche des Pedon und der Heimkehrer auf Rhodos, nach ihrem nostos rezipiertes Kulturgut in der Gesellschaft zu verbreiten, erfolglos. Dennoch ist gerade dieser Würfelhocker von allergrößtem Wert: Er ist einer der ganz wenigen Importe, deren Transferumstände in vielen Punkten bekannt ist. Er belegt dazu die genauen Kontaktbedingungen und eine für den Transfer signifikante Kontaktsituation. Der Würfelhocker war zwar ein Flop, aber viele andere kulturellen Leistungen, die auf solche Weise nach Griechenland gekommen sein dürften, konnten sich durchsetzen. Wie die Akkulturation griechischer Aristokraten in Ägypten genauer vor sich ging, kann bislang nicht belegt werden. Doch eine andere, mit ihnen beruflich eng verbundene ethnische Gruppe, nämlich die der Karer, hinterließ bereits seit der ersten Hälfte des 7. Jh. bemerkenswerte Monumente ihres Lebensstils im Nilland, die darüber Aufschluss geben. Nach der großen Anzahl ihrer Inschriften auf verschiedenen Schriftträgern zu urteilen,476 spielten sie im Leben Ägyptens eine bedeutendere Rolle als die Ionier. Die in Saqqara ge473 474 475 476

Masson, Yoyotte 1988, 179. Hom. Il. 9,149–156. Hom. Il. 9,155f. Kammerzell 1993, Kap. 10 und 11.

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fundenen Grabstelen zeigen eine karische Oberschicht, die sich in einem dynamischen Akkulturationsprozess befand. Der soziale Kontext der Inschriften und der Darstellungen innerhalb der ägyptischen Eliten ist klar erkennbar. Es ist sogar möglich, Familien über mehrere Generationen zu verfolgen, Familien, deren Position gleichbleibend hoch blieb. Dabei verlief diese Akkulturation erstaunlich schnell.477 Hier ist der enorme Sachzwang klar erkennbar, der gerade von den Eliten Anpassung erforderte und die Rezeption beschleunigte. Der Weg nach oben führte auch bei den Karern über das Söldnertum. Auf einer Inschrift ist ein Karer als General bezeichnet.478 Pedon hatte zudem einen karischen Kollegen, Pigres, der bei Polyainos als Berater Psammetichos I. genannt wird.479 Ein Pigres erscheint außerdem auf einer Grabstele, auf der er als Pekrj, Sohn des Šarükêaq, (des Sohnes) des Msk’ore erscheint.480 Der Stein stammt aus früharchaischer Zeit, sodass dieser Name, der als Pikre ausgesprochen wurde, sehr gut zu dem Pigres des Polyainos passen könnte. Da zur Zeit der Erhebung Psammetichos I. sicher noch nicht viele Karer in gehobenen Stellungen gewesen sein dürften, wäre ein natürlich immer möglicher Zufall von zwei Namenträger doch sehr unwahrscheinlich.481 Pigres, der in erster Generation in Ägypten lebte, zeigte mit dem Aufstellen seiner Stele, wohl in der Nekropole in Memphis, von wo sie mit anderen nach Saqqara gebracht wurde, bereits einen hohen Akkulturationsgrad. Zwar ist seine Inschrift auf Karisch und es fehlen die ägyptischen Formeln und Darstellungen, wie man sie auf den späteren Grabstelen von Karern findet, doch das Aufstellen eines Monumentes mit dem Namen ist keine Tradition, die er aus Karien oder Ionien hätte mitbringen können. Pigres hatte also bereits (in erster Generation) den ägyptischen Brauch des Grabsteins mit der Nennung des Namens rezipiert. In der nächsten und in den folgenden Generationen schreitet die Akkulturation kontinuierlich fort: Einige der Stelen mit karischen Inschriften waren vorgefertigte ägyptische Artefakte, welche in einem Register ägyptische Darstellungen tragen. Der Rest des Bild- und Textträgers war für eine individuelle Gestaltung ausgespart. Ein Denkmal, das Frank Kammerzell in die Zeit zwischen 610 und 590 datiert, zeigt auf diesem ausgesparten Feld ein Graffito mit einer schwer erkennbaren Schiffsdarstellung. Darüber hinaus hat der Karer auf der rechten Seite zwei Inschriften auftragen lassen: eine ägyptische und eine karische. Dabei stellt die eine nicht die Übersetzung der anderen dar, sondern beide ergänzen sich.482 Die Inschrift wandte sich also an bilinguale Landsleute. Daneben gibt es aber auch fast identische Texte in beiden Sprachen.483 Man kann also deutlich ein code-switching erkennen. Diese Stelen zeigen, wie schnell sich die in Ägypten hoch stehenden Karer ihrem ägyptischen Umfeld angepasst hatten. Die große Bedeutung des Grabmals wurde erkannt und als Medium zur Präsentation ihres Status eingesetzt. Gleichzeitig aber zeigen sie keine Assimilationserscheinungen: Sie benutzen die karische Sprache und ein teilweise für Ägypten ungewöhnliches Layout des Denkmals. Doch diese Entwicklung zeigt Ende des 6. Jh. einen Bruch, als Grabstelen mit rein karischen Inschriften auf Stelen erscheinen, die nicht von Ägyptern vorgefertigt, sondern von ›ionischen‹ Stein477 478 479 480 481 482 483

Kammerzell 1993, 166–169. Kammerzell 1993, 126f. aus dem ersten Viertel des 6. Jh. Polyain. 7,3. Zur Bewertung dieser Quelle vgl. Kammerzell 1993, 115f., 148. Kammerzell 1993, 145f. So auch Kammerzell 1993, 147. Kammerzell 1993, 124–127, 133. Kammerzell 1993, 128.

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IV. Kontaktsituationen

metzen hergestellt worden waren.484 Tatsächlich sind diese Stelen mit ionischen Motiven und im ionischen Stil des späten 6. Jh. gearbeitet, dennoch werden es wohl karische Handwerker gewesen sein, welche sie ausgeführt haben. Andernfalls hätte man auch Denkmäler solcher Art für Griechen mit entsprechenden griechischen Inschriften finden müssen. Es ist kaum denkbar, dass die Nachkommen derjenigen, welche die ägyptischen Grabstelen übernommen hatten, nun diesen neuen Stil eingeführt haben. Eher sind hier Vertreter einer neuen karischen Einwanderungsgruppe zu vermuten. Abgesehen von den zuletzt genannten Stelen zeigen Text und Bild Ehrfurcht vor den ägyptischen Göttern und vor allem die Adaption des spezifischen altägyptischen Jenseitsglaubens, der ausdrücklich auch in den karischen Inschriften zum Ausdruck kommt.485 Hier kann man gut an den ägyptischen Jenseitsglauben anknüpfen, den in der Odyssee Menelaos in Ägypten rezipiert hatte. Er besaß eine enorme Anziehungskraft auf Fremde. 1.4 Handwerker und Technologien Handwerker bildeten eine Berufsgruppe, die für die Oberschicht zwar notwendig war, mit der sie aber keine Berührungspunkte haben wollte. Die Sicherung des Lebensunterhalts durch die Herstellung von Waren oder durch Dienste widersprach ihren aristokratischen Werten. Die Geringschätzung der eigenen griechischen Handwerker wurde daher auch auf die fremden übertragen, auch wenn man sich für ihre Leistungen begeistern konnte. Schriftliche Quellen über Handwerker und ihre Tätigkeiten sind aus der archaischen Zeit nicht vorhanden. Doch man weiß, dass damals zumindest Planungen großer Tempel schriftlich festgehalten und diese Kenntnisse auch tradiert wurden. Die Existenz solcher Werke ist durch einige Bemerkungen über den Baumeister Chersiphron und seinen Sohn Metagenes, die den Bau des Artemisions in Ephesos planten, wie auch über Rhoikos und Theodoros aus Samos wahrscheinlich gemacht worden. Allerdings handelt es sich bei diesen wohl sekundär von späteren griechischen und römischen Autoren486 genannten (nicht zitierten!) Werken nicht um Handbücher und Anleitungen, sondern um zeichnerische, vielleicht auch kommentierte Entwürfe für große Bauvorhaben.487 Ähnliche Schriftstücke dürfte es auch für andere komplexe Handwerke wie Steinbearbeitung, Schiffbau, Medizin u.ä. gegeben haben. Namentliche Erwähnungen von berühmten Architekten, Ingenieuren und Bildhauern blieben, wenn man von Herodot ausgeht, in der archaischen Zeit seltene Ausnahmen. Nicht so sehr die Ausführenden, sondern die Auftraggeber und die Resultate standen im Mittelpunkt des Interesses. Wenn wir von handwerklicher Technologie sprechen, so ist dieser Begriff für die Antike erheblich weiter zu fassen, als wir es heute gewohnt sind. Denn als handwerklich wurden auch Berufe angesehen, die wir als akademische und künstlerische bezeichnen würden: Ärzte,488 Rhapsoden, Ingenieure, Bildhauer u. ä. Im Vorderen Orient und in Ägypten bildeten diese Berufe eine eigene soziale Gruppe, nämlich die der ›Schreiber‹, d.h. der Gelehrten in den Tempeln und Palästen, die einen sehr viel höheren Status besaßen als die Produ484 485 486 487 488

Kammerzell 1993, 134–139. Vgl. das Corpus bei Kammerzell 1993, Kap. 10 und 11. Strab. 14,1,22; Vitr. 3,2,7; 7 praef. 12; Plin. nat. 7,125; 36,95. Wesenberg 1984, 40f. Vgl. Kudlien 1986.

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zenten materieller Werte für die breite Maße des Volkes. Während vom 11. bis zum Ende des 9. Jh. nur in sehr wenigen griechischen Produktionszweigen ein spezialisiertes Handwerk existierte, zeigen der Vordere Orient und Ägypten keine Unterbrechung ihrer Traditionen beim Übergang von der späten Bronze- in die frühe Eisenzeit. Das betrifft nicht nur ihre Produkte und die Verfahren ihrer Herstellung als solche, sondern auch das jeweils entsprechende soziale Umfeld, in dem sie hergestellt wurden. Dieser Umstand bedingte das Verhältnis von Tradition und Innovation in diesen Kulturen während der Eisenzeit. Im Alten Orient und in Ägypten gehörten Fachkräfte jeder Art zu den wertvollsten Ressourcen eines Landes. Aus diesem Grund galten sie im Krieg auch als erstrebenswerte Beute des Siegers. Davon zeugen die vielen Auflistungen von Handwerkern in den Beutelisten der assyrischen Könige. Handwerker zählten zu den Bevölkerungsgruppen eines besiegten Staates, die nach den jeweiligen herrschenden Eliten deportiert und im eigenen Land angesiedelt wurden. Sie wurden nicht versklavt, sondern gerieten unter eine neue staatliche Verfügungsgewalt. Gerade weil man in den östlichen Ländern die Bedeutung der Handwerker für die Gesellschaft sehr genau wahrnahm, wurden sie so gut wie möglich geschützt und Flucht oder Abwanderung (auch Abwerbung) verhindert.489 Sie standen mehrheitlich unter staatlicher Verfügungsgewalt und wurden dementsprechend gut versorgt.490 Die bronzezeitliche Gepflogenheit, dass Herrscher ihre besten Fachkräfte zeitweilig für bestimmte Aufgaben einem befreundeten Monarchen ›ausliehen‹, gab es auch noch im 1. Jt.491 Handwerker aus einem unterworfenen Land konnten für spezielle Projekte angefordert werden.492 Hier ist eine Mobilität also im Auftrag eines Regenten anzusetzen, nicht aber aus privatem Antrieb. Tatsächlich arbeiteten die altorientalischen und die ägyptischen Handwerker nicht ausschließlich für den Staat.493 Sie waren in ihrer Gesellschaft organisiert und in sie eingebettet, erhielten soziale Anerkennung und hatten ihr sicheres Auskommen, das sie mit Geschick in der Privatwirtschaft erhöhen konnten. Denn offensichtlich hatten sie die Möglichkeit – wie die Händler – auch für sich zu arbeiten, allerdings nur in ihrem näheren Umfeld. Das ist besonders in Ägypten gut dokumentiert. Dabei bedeutet Umfeld nicht einfach das räumliche Umfeld, sondern vor allem das technosoziologische. Gerade wenn man sich das vor Augen führt, wird deutlich, wie kompliziert ein Transfer von der einen zu einer ganz anderen Kultur gewesen sein muss. Unter Technologie sind hier in einem breiten Sinn alle Arten von Abläufen zu verstehen, die in der Produktion von Gegenständen und Lebensmitteln sowie bei Dienstleistungen und in Kommunikationen eingesetzt werden. Technologie ist als ein sozialer Prozess definiert, in welchem verschiedene Personen und Gegenstände in spezifischen Netzwerken in489 490 491 492 493

Zaccagnini 1987, 250 zu den Verträge zwischen Mursili II. und Vasallen über die Rückgabe geflohener Handwerker. Hier handelt es sich höchstwahrscheinlich um unfreie Handwerker. Zaccagnini 1987, 249. Hdt. 3,1: Ein ägyptischer Augenarzt, der von Amasis zu Kyros geschickt worden sein soll. Z.B. Schiffbauer aus Byblos in Tyros: Ez 27; oder Arbeiten des Königs von Hamat CHLI I/2, IX 11– 12, Hamat 6 und 7. Z.B. im AT 1 Kö 7,13–14: der Bronzeschmied Hiram aus Tyros, der für Salomo gearbeitet haben soll. Trotz der Schwierigkeiten, welche diese Texte für die Datierung und den historischen Gehalt bieten, kann diese Angabe als allgemeine Möglichkeit, ausländische Handwerker zu beordern, der Realität im 8. oder 7. Jh. entsprechen.

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IV. Kontaktsituationen

teragieren. Technologien bestehen also aus einer Reihe miteinander verbundener sozialer Praktiken. Diese müssen den Teilnehmern zumindest in den Einzelschritten bekannt sein, denn sonst wären sie von ihnen ausgeschlossen. Ziel und Struktur der jeweiligen Netzwerke sind immer klassenspezifisch. Innovationen konnten zwar von jedem gemacht werden, doch innerhalb der Aktionsnetzwerke wurden sie im Normalfall von der Spitze initiiert und organisiert, wenn sich die Notwendigkeit ergab, neue Interaktions- und Koordinationssysteme zu entwickeln. In diesem Sinn sind Technologiesysteme oft auch Instrumente der Macht. Der Grund dafür, dass sich Menschen gerne Technologien unterwerfen, ohne sie hinterfragt zu haben, liegt darin, dass sie wiederholbare und zuverlässig wirkende Schemata sind.494 Aber nicht nur Menschen agieren systemgelenkt innerhalb bestimmter Technologien, sondern auch die Technologien stehen untereinander in engster Verbindung und beeinflussen sich gegenseitig. Das schafft breite soziotechnologische Netzwerke, die für eine Gesellschaft von enormer Bedeutung sind: sie strukturieren den Alltag, umreißen Handlungsspielräume und stellen die Weichen für zukünftige Entwicklungen. Sie geben die Bedürfnisse und Erwartungen der Gesellschaft bzw. der verschiedenen sozialen Gruppen vor und bringen gleichzeitig verschiedenartige Einstellungen zur Welt zum Ausdruck.495 Dennoch zwingen sie der Gesellschaft nicht ihre Gesetze auf, sondern sie hat die Wahl zu entscheiden, wie sie mit ihnen umgehen will.496 Unter ›Technologien des Alltags‹ sind sozial geregelte Abläufe zu verstehen, in denen man sich notwendige Dienstleistungen oder Waren beschafft, welche für das alltägliche Leben notwendig sind. Sie spiegeln sehr klar die Mentalitäten der Netzwerkakteure wider und wirken gleichzeitig auf sie ein. Die Fähigkeit, sich in diesen Technologien auszukennen, ist absolut existenziell. Die Konsumenten brauchen diese sehr umfangreichen Netzwerke natürlich nicht im Detail zu kennen und zu durchschauen. Es genügt, wenn sie sich in den sie unmittelbar betreffenden Prozessen auskennen. Ein Fremder muss sich den ihm unbekannten Vorgängen fraglos unterwerfen und sich möglichst schnell in ihnen auskennen. Für einen Ausländer, dem die Mentalitäten, welche diese Vorgänge geschaffen haben, unbekannt sind und geistig fern liegen, ist diese Partizipation oftmals problematisch und unangenehm. Als letztes Glied zwischen interagierenden Akteuren und dem Zielprodukt der gegebenen Technologie genügt ihm zunächst eine reine Imitation eines Ablaufes, auch wenn sie ohne verbalen Kontakt notwendigerweise defekt sein muss. Eine solche Teilnahme geschieht bald automatisch, bewirkt bei nichtverbalen Kontakten jedoch weder eine Erkenntnis über das Netzwerk noch über die darin steckenden Mentalitäten. Auch wenn sich für ihn der letzte Schritt in einem soziotechnologischen Prozess, nämlich der Schritt Kunde – Produkt, als praktisch erweist, kann dieser nicht als einfache Entlehnung rezipiert und in ein anderes Umfeld, das diese Gesamttechnologie nicht kennt, übertragen werden, weil er losgelöst vom Gesamtprozess überhaupt nicht funktionieren kann. An zweiter Stelle kommen die berufsspezifischen, nicht produzierenden Technologien. Kein gesellschaftlich relevanter Berufszweig kommt ohne Netzwerke aus, in denen qualifi494 495 496

Rammert 2007, 16, 27. Rammert 2007, 15. Ein schönes Beispiel dafür ist die Erfindung des Schießpulvers: Man kann damit töten, aber auch prächtige Feuerwerke machen; vgl. Rammert 2007, 14.

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zierte Akteure mit einer sachspezifisch ausgearbeiteten Kommunikation auf bestimmte Ziele hinarbeiten. In stabilen, zentral regierten Herrschaftsformen gehörten die meisten zum staatlichen Sektor. Ein Beispiel dafür ist das Recht. Ein Gesetz wurde vom Herrscher oder seinem regionalen Stellvertreter geschaffen und formuliert, innerhalb einer Beamtenhierarchie kommuniziert und landete dann bei rangniedrigen Beamten der Exekutive, welche es in der Gesellschaft durchsetzten und seine Einhaltung kontrollierten. Wer es übertrat, wurde, wieder nach geregelten Prozeduren, vor ein Gericht mit seiner Prozessordnung gestellt, dem ein Strafvollzug folgen konnte. Das Rechtswesen stellt folglich ein riesiges Netzwerk dar, das aus mehreren, miteinander verzahnten Teilsystemen besteht. Es ist so komplex und so eng mit dem sozialen Leben eines Landes verknüpft, dass es als Ganzes nicht rezipiert und transferiert werden kann. Es ist aber durchaus möglich, einzelne Gesetze zu übernehmen und dabei Methoden zu finden, sie in einer ganz anderen kulturellen Umgebung und unter unterschiedlichen sozialen Bedingungen zur Geltung zu bringen. Ob z.B. ein Gesetz im archaischen Griechenland aus dem Vorderen Orient oder aus Ägypten stammt, kann man in einigen Fällen daran erkennen, dass ein Teil der fremden Soziotechnologie noch fassbar ist, wie z.B. in der Formulierung (Kommunikation), in der Prozessordnung (Praxis), im Strafmaß u.ä. In gleicher Weise existierten soziotechnologische Netzwerke in der Organisation der Verwaltung, des Handels, des Kriegswesens, des Kultes usw. Während die Historiographie solche Soziotechnologien nur relativ wenig beachtet hat, existiert eine überaus reiche Literatur über die Technologien der handwerklichen Produktion. Allerdings geht man bei diesem Thema meistens von rein technischen und kunsthistorischen Kriterien aus und berücksichtigt kaum die sozialen Kontexte ihrer Existenz und die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten eines Transfers. Die produktiven Technologien wurden durch die politische und kulturelle Logik bestimmt, erweitert oder auch beschränkt. Es genügt also nicht, nur Material, Werkzeug und Verfahren zusammen mit der jeweiligen kleinteiligen Organisationstechnik zu untersuchen und zu vergleichen; noch wichtiger ist der soziale Kontext, in dem ein Handwerk entsteht, sich entwickelt und tradiert wird. Eine handwerkliche Technologie entstand durch eine gesellschaftliche Notwendigkeit praktischer und/oder ideologischer Natur und entwickelte sich über eine lange Zeit in spezialisierten Kreisen durch Anhäufung von Erfahrungen. Unter den Bedingungen eines Staates verfestigte sich das System durch eine institutionelle Schließung des produzierenden Bereiches und der Festsetzung eines engen sozialen Netzwerkes zwischen den Akteuren.497 Die Tradierung erfolgte meistens im Rahmen von Familien, in denen die Qualifizierung vom Vater auf den Sohn weitergegeben wurde. Solche Familien konnten sich in Verbänden, meistens in Form von professionellen Kultgemeinschaften, zusammenschließen, um ihre Interessen im Kollektiv zu formulieren. Außerhalb einer solchen Kontinuität von Wissen und Fähigkeiten und ihrer sozialen Räume war in Ausnahmefällen eine Aneignung nur über die Unterweisung durch eine qualifizierte Fachkraft möglich. Das bedeutet, dass der Erwerb solcher Fähigkeiten auf einem persönlichen und zweifellos auch verbalen Kontakt basieren musste. Dabei ging es nicht nur um das Erlernen einer Technologie, z.B. der Steinbearbeitung, sondern auch um das Kennenlernen des ganzen Systems. 497

Rammert 2007, 29.

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IV. Kontaktsituationen

Im früharchaischen Griechenland wurden aus dem Osten und aus Ägypten neue Handwerke mit ihren Technologien eingeführt, die sich nicht aus lokalen Verfahren des 10. und 9. Jh. entwickelt haben. Vor allem ist verblüffend, dass viele griechische Handwerke, wie z.B. im Bauwesen oder in der Steinbearbeitung, in der archaischen Zeit bereits vollendete Werke lieferten, ohne dass eine längere Experimentierphase erkennbar ist, in der Erfahrungen entwickelt, gesammelt und tradiert wurden. Von griechischen Fähigkeiten und Tradierung kann man erst seit Ende des 8. Jh. sprechen. Im 7. Jh. macht alles, von der Planung bis zur Ausarbeitung der Details den Eindruck von bereits ausgereiften Werken. Sie wurden folglich von Fachkräften hergestellt, welche ihr Handwerk von der Pike auf bis zur vollendeten Beherrschung erlernt hatten. Eine solche dynamische Entwicklung wurde nur durch das Zusammenspiel von Kenntnissen und Fähigkeiten aus dem Vorderen Orient und aus Ägypten mit den sich akkumulierenden eigenen Erfahrungen griechischer Meister möglich. In der ersten Etappe konnte man sich das Spezialwissen nur im Vorderen Orient und in Ägypten sowie in beschränktem Maße auch auf Zypern aneignen, wo hoch entwickelte Handwerke existierten, monumentale Bauten und Skulpturen hergestellt und in spezifischen Kontexten benutzt wurden. Wer sich solche Fähigkeiten und Kenntnisse in den östlichen Ländern oder Ägypten erworben hatte, war mit den sozialen Praktiken, welche diesen Technologien zugrunde lagen und sie begleiteten, vertraut, denn er war während der Ausbildung und im ausgeübten Beruf Teil von ihnen gewesen. Bei einem Transfer waren Technologien ihrer soziotechnologischen Praktiken beraubt. Nur sehr einfache Technologien, die aus relativ wenigen Handgriffen bestanden und keine schwer zu beziehenden Materialien oder spezialisierte Arbeitskräfte benötigten, war eine problemlose Integration in einer fremden Umwelt möglich. Alle anderen konnten in einer anderen Gesellschaft nur dann angewandt werden, wenn zumindest relevante Teile der Soziotechnologie ebenfalls übernommen wurden oder in der fremden Gesellschaft die Voraussetzungen gegeben waren, sie in eigene, bereits bestehende Netzwerke zu stellen und die notwendigen Bezüge zu schaffen. Die Motivation, eine Technologie zu übernehmen, beginnt mit dem Kennenlernen eines bestimmten Gegenstands, der wegen seines Nutzens oder repräsentativen Charakters gefällt. Eine Steinfigur konnte z.B. von einem Griechen vor dem 8. Jh. in keinen sozialen Kontext gestellt werden, daher hätte sie keine Akzeptanz gefunden. Der ursprüngliche Gebrauchswert eines Gegenstandes oder eines spezifischen Wissens darüber ist allein durch seine kulturtechnologische Funktion zu bestimmen. Die Griechen kamen schon früh mit syrischen und zyprischen Importen in Berührung. Seit der 2. Hälfte des 8. Jh. gab es immer mehr Griechen, die hochwertige Produkte besitzen wollten und sie auch bezahlen konnten. Damals begannen die Kolonisation und die Konsolidierung des frühgriechischen Adels, der innerhalb weniger Generationen durch Landbesitz und Seefahrten einen erheblichen Reichtum akkumulieren konnte. Die Importe konnten daher in der spätgeometrischen Zeit eine steigende Nachfrage nicht mehr decken. Dies signalisiert neue Entwicklungstendenzen in der griechischen Gesellschaft, in der sich eine vermögende Oberschicht durch ein imposantes materielles Ambiente vom Volk absetzte. Gleichzeitig benutzte sie diese Produkte im agon mit ihren aristokratischen Konkurrenten. Während der Technologietransfer eines einfachen Produktes, wie z.B. eines Schmuckstücks, auf der Rezeptionsstufe der Entlehnung beruhen kann, so ist für die Kenntnis der Funktionen von kostbaren, mehrteiligen Produkten und ihrer Bedeutung innerhalb des soziotechnologischen Handelns in der Zeit

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

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vor dem 7. Jh. die Stufe Akkulturation im Rezeptionsprozess im Ausland vorauszusetzen. Um 700 erfolgte ein kultureller Quantensprung: Was sich zuvor an materiellen Werten und ihren ideologischen Funktionen angehäuft hatte, erhielt jetzt den Status aristokratischer Norm. Zu diesen gehörten sakrale Bauten, das komplexeste Artefakt. Monumentalbauten begannen mit der genauen Planung durch den Auftraggeber, d.h. in Ägypten durch den Pharao mit seinen Architekten, die nicht nur über empirische Kenntnisse verfügten, sondern auch fundiertes theoretisches Wissen in Mathematik, Geodäsie, Materialkunde usw. hatten. Diese Pläne wurden erfahrenen Bauleitern übergeben, welche alle logistischen und handwerklichen Schritte organisierten und leiteten. Auch diese besaßen notwendigerweise ein enormes Fachwissen und Erfahrungen in den sozialen Praktiken. Alle weiteren Arbeitsschritte wie die Beschaffung des Steinmaterials, seine vielfältige Bearbeitung, Aufstellung, Bemalung usw. waren ebenfalls hoch spezialisiert, wobei die einzelnen Fachgebiete in festgelegten und traditionellen Abläufen miteinander arbeiteten. Eine solche komplexe Technologie konnte offensichtlich nicht einfach von einer Gesellschaft in eine andere mit ganz anderen sozialen Strukturen, Traditionen und handwerklichen Kenntnissen übertragen werden. Die archaische Steinarchitektur hätte folglich ohne die Rezeption und den Transfer der Kenntnisse der Organisation und Operationen der einzelnen Arbeitsschritte und deren Zusammenspiel gar nicht entstehen können. Ein Handwerker lebte und arbeitete in einem jeweils sehr spezifischen Netzwerk von Akteuren, die alle aufeinander angewiesen waren. In den gesellschaftlichen und produktiven Prozessen konnte er gar kein Einzelgänger sein, denn Produktion ist ein gesellschaftliches Handeln. Der Handwerker produziert nicht für sich, sondern für soziale Bedürfnisse, die real existieren und sich in Aufträgen ausdrücken. Die Relation Auftraggeber – Handwerker steht in solchen Netzwerken an erster Stelle. Hergestellt wird das und nur das, was Auftraggeber bestellt haben und wünschen.498 Die Beziehung Auftraggeber – erwünschter Gegenstand bzw. Dienstleistung ist zunächst von einer Motivation bedingt. Hier können Sachzwänge (z.B. Waffen), ideologische und soziale Zwänge wie auch individuelle Wünsche, die Lust etwas Bestimmtes zu besitzen, im Vordergrund stehen. Die Motivationen hängen also vom sozialen und professionellen Umfeld des jeweiligen Auftraggebers ab. Der Handwerker steht außerhalb seiner Beziehung zum Auftraggeber in einem engeren oder weiteren Netzwerk von Relationen, ohne das er nicht beruflich tätig werden kann. Dieses ist jeweils von seinem Handwerk bedingt. Hier ist das Problem des Materials, d.h. des Rohstoffs von besonderer Bedeutung: Nicht nur, dass er dem Handwerker gut vertraut sein muss, sondern vor allem stellt sich die Frage nach seiner Herkunft und seinem Besitz. In den meisten Fällen stammte es vom Auftraggeber selbst, vor allem, wenn es sich um kostbare Luxusgüter (z.B. Edelmetalle, Elfenbein) oder Großprojekte (z.B. eine größere Menge an Qualitätssteinen, exotische Hölzer) handelte. Die Instrumente der Produktion stehen ebenfalls in Relationen zueinander. Damit sind nicht nur die Werkzeuge, sondern auch die notwendigen Bedingungen und Vorrichtungen gemeint wie z.B. das Vorhanden498

Hier wird die für das Thema nicht relevante Massenware wie z.B. einfache Keramikgefäße, ausgeblendet. Hier erforderten die Akteure und ihre soziale Umgebung andere Produktionsweisen, bei der der Auftraggeber ein Kollektiv war, dessen Bedürfnisse vorhersehbar und gut kalkulierbar waren.

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IV. Kontaktsituationen

sein von genügend Wasser, bestimmte Erden und Steine usw. Hier stellt sich auch die Frage nach der Vernetzung eines Handwerks mit den anderen (z.B. für Vorfertigungen, besondere Ausgestaltungen usw.). Schon bei diesem oberflächlichen Überblick über die für ein Handwerk notwendigen Netzwerke wird deutlich, an welchen Stellen es zu Defekten oder sogar zur Verhinderung einer Produktion kommen kann. Das ist vor allem bei der These einer imitierenden Rezeption fremder Gegenstände zu berücksichtigen. Die Postulierung solcher Netzwerke ist keine Abstraktion, kein theoretisches Modell, das überall gleichermaßen angewandt werden kann, sondern gestaltet sich in jeder Kultur und Gesellschaft auf unterschiedliche Weise. Da jedoch das soziale Verhalten und die Tradierung von handwerklichen Fähigkeiten und Kenntnissen von Generation zu Generation im Prinzip sehr konservativ waren, blieben eingespielten Relationen lange Zeit bestehen, und Innovationen in der Produktion brachten lediglich einige Teilveränderungen mit sich. Diese theoretischen Überlegungen zeigen deutlich die Probleme des Transfers von handwerklichen Fähigkeiten. Ohne die vielfältigen Relationen, die im Herkunftsland bestanden, war er, wenn wir ihn als den Beginn einer neuen gesellschaftlichen Produktion wahrnehmen, unvergleichlich schwieriger, als es im Allgemeinen gesehen wird. Für manche Produktionen mussten soziotechnologische Netzwerke, die den ursprünglichen zumindest vergleichbar sein mussten, unter ganz anderen Verhältnissen neu geschaffen werden, für andere waren die bereits vorhandenen in allen ihren Bereichen neu zu gestalten. Das war eine Herausforderung nicht nur für die Handwerker, sondern für die ganze archaische Gesellschaft. Um den Transfer handwerklicher Fähigkeiten und Kenntnisse begreiflich zu machen, haben Archäologen und Historiker zu verschiedenen Erklärungsmustern gegriffen. Keines von ihnen berücksichtigt allerdings den oben kurz dargelegten soziotechnologischen Aspekt. Eines von ihnen besagt, dass eine Kontaktsituation zwischen Kontaktträgern in einigen Fällen gar nicht notwendig gewesen sei. In einigen Produktionszweigen gibt es Artefakte, die von einem Handwerker allein in mehreren kleinen, abfolgenden Arbeitsschritten hergestellt werden, z.B. in der Juwelierkunst oder der Elfenbeinschnitzerei. Ihren Transfer stellt man sich daher recht einfach vor: Musterstücke aus dem Orient hätten griechischen Handwerkern genügt, um die Technologien zu erkennen und sie nachzumachen. So hätten griechische Goldschmiede Schmuckstücke mit Granulation und Filigran auch ohne spezielle Unterrichtung von Orientalen schon früh nach Vorlagen nachgearbeitet. Eine solche Vorstellung ist allerdings nicht evident: Die Anwendung von solchen speziellen Technologien sind durch ein Musterstück nicht klar erkennbar. Zumindest müsste es eine Phase des Experimentierens gegeben haben, bis griechische Handwerker imstande waren, die verschiedenen Arbeitsschritte richtig nachzuvollziehen. Doch bei den archäologischen Untersuchungen hat man solche Phasen nicht entdecken können. Außerdem benötigte ein Handwerker für seine Arbeit bestimmte Werkzeuge, die in den ersten Jahrhunderten der Ost-West-Kontakte in Griechenland noch nicht bekannt waren. Bei einer Rezeption der jeweiligen Technologien ist es naheliegend, dass sie ebenfalls von dort nach Griechenland gebracht und bekannt gemacht wurden. So scheint eine reine Imitation durch importierte Vorlagen erst in einem Stadium möglich gewesen zu sein, in dem die grundlegenden Technologien bereits zum Basiswissen griechischer Handwerker gehörten.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

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Eine der sehr häufig in der Literatur anzutreffenden Thesen über den Transfer von Produktionstechnologien ist die von wandernden Handwerkern.499 Danach seien Orientalen auf der Suche nach besseren Arbeitsbedingungen und höherem Gewinn nach Griechenland gezogen, um dort die hochwertigen Produkte ihrer Heimat herzustellen, ihre intellektuellen Fähigkeiten anzubieten und sie in einem griechischen Milieu zu verbreiten. Denn einmal in Griechenland niedergelassen, hätten sie ihre griechischen Nachbarn mit ihrer Kunst begeistert und Demiurgen angelernt.500 So in etwa soll auch der Transfer von komplexen Technologien, Motiven in der bildenden Kunst, aber auch von Kulten, Literatur, Wissenschaften und anderen intellektuellen Leistungen vor sich gegangen sein. Als Kontaktzonen für Orientalen und Griechen im 9. und 8. Jh. werden manchmal phönikische Stützpunkte in der Ägäis angeführt. Das stimmt mit Sicherheit für einige Ortschaften auf Kreta.501 Für Naxos und Rhodos sind solche phönikischen Häfen sehr wahrscheinlich, und vielleicht auch für andere Inseln. Phöniker waren, wenn auch in nicht allzu großer Zahl, in der Ägäis präsent. In ihren Häfen waren sicher auch Handwerker tätig. Sie wurden bei den Überseeunternehmungen von Tyros in die Häfen gebracht, um für die ansässigen und anlegenden Phöniker bestimmte Aufgaben zu erledigen. Einzelne Handwerker fuhren wahrscheinlich auch auf den Schiffen, wie auf dem allerdings früheren Wrack von Gelidonya.502 Ihre Betätigungsbereiche und Qualifikationen orientierten sich zweifellos an den Bedürfnissen in solchen Siedlungen, sie waren also in die kommerziellen und anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten der Tyrener im Ausland eingebunden und wurden z.B. zum Ausbessern von Schiffen oder für verschiedene Holz-, Stein- und Metallarbeiten eingesetzt. Daneben gab es sicher auch Priester, wahrscheinlich auch Ärzte. Sie arbeiteten auch dort in einem ihnen bekannten Netzwerk, auch wenn sich dieses außerhalb ihrer Heimatorte weitaus flexibler gestalten musste. Solche Überlegungen zeigen, welche Handwerke in diesen isolierten und räumlich beschränkten Orten nicht existiert haben können, weil dort kein Bedarf vorhanden war: So gab es wohl keine Produktionsstätten für Luxuswaren und keine anspruchsvolle Architektur. Tatsächlich hat man keine Spuren von phönikischer Monumentalarchitektur in der Ägäis gefunden.503 Der soziale Status solcher Handwerker ist unbekannt: Waren es Freie oder Sklaven? Denn der Begriff ›Handwerker‹ bedeutete auch in Griechenland keine soziale Schicht, sondern lediglich eine berufliche Qualifikation.504 Von solchen vermuteten phönikischen Stützpunkten aus ergaben sich zweifellos auch Kontaktsituationen mit den griechischen Einheimischen. Phönikische Handwerker hätten die Möglichkeit gehabt, privat ihren Kreis von Auftraggebern zu erweitern. Allerdings beschränkte sich die Palette ihrer Produkte auf die direkten Bedürfnisse phönikischer Häfen und Speicher. Die Nachfrage der Griechen dafür dürfte sich in Grenzen gehalten haben. Solche phönikischen Stützpunkte in der Ägäis haben folglich kaum Kontaktsituationen geboten, von denen aus 499 500 501 502 503 504

Man findet diese These ohne jegliche Argumentation und Reflexion in vielen Handbüchern über das archaische Griechenland; vgl. dazu z.B. Martini 1990, 29; von Bredow 2012. Boardman 1999, 55. Coldstream 1982, 265–268: schon seit dem 9. Jh. Bass 1967. Shaw 1993 zeigt allerdings einen phönikischen Sakralbau mit eher bescheidenen Maßen in Komnos auf Kreta. Rössler 1981, 199.

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IV. Kontaktsituationen

Rezeptionen entstanden wären, die die Kultur des archaischen Griechenland beeinflusst hätte. Eher vermuten heutige Autoren freie, in Griechenland herumwandernde Handwerker aus dem Orient. Der erste schwerwiegende Defekt dieser These liegt darin, dass sie von der heutigen Marktwirtschaft ausgeht, in der ein Arbeiter seine Arbeit zum Verkauf anbieten kann. Doch es gab damals keinen Arbeitsmarkt, weder einen lokalen noch einen internationalen, auf dem sich Fachleute selbst Aufträge holen konnten.505 Nach einer anderen These waren es Griechen selbst, welche handwerkliche Fähigkeiten im Vorderen Orient und in Ägypten erworben und in Griechenland verbreitet haben: Griechen hätten im östlichen Ausland und in Ägypten die erstaunlichen Gegenstände, Skulpturen und Bauten gesehen und sie dann in ihrer Heimat hergestellt und ihr vom Osten genährtes Können als wandernde Handwerker in der ganzen griechischen Welt verbreitet. Bis zum 6. Jh. existieren keine eindeutigen Quellen über griechische Handwerker in Ägypten. Im emporion Naukratis schufen griechische Handwerker seit dem 7. Jh. eine griechische Umwelt mit Tempeln, Wohnhäusern, Haushaltsgegenständen usw. Ihre Auftraggeber waren die griechischen Bewohner der Stadt wie auch die Schiffsmannschaften, die regelmäßig anlegten. Eine zweite gesicherte Kontaktzone sind die südsyrischen, eventuell auch ägyptischen und jüdischen Militärlager.506 Griechische Handwerker arbeiteten dort für griechische Auftraggeber und in einem sehr beschränkten Bereich, nämlich dem militärischen. Sie waren dort kaum in der Lage, Kontakte zu ihrer fremden Umwelt aufzubauen, die zu Rezeption von Technologien und Aneignung fremder handwerklicher Fähigkeiten notwendig gewesen wären. Auch wenn sie in belegten Kontaktzonen tätig waren, kommen sie nicht für die Rezeption und den Transfer komplexer Technologien und Kenntnisse in Frage. Ihre möglichen Transferleistungen bewegten sich höchstens auf dem Rezeptionsniveau der spezialisierten Teiladaption innerhalb ihres professionellen Bereichs. Also können nur für Naukratis und einige andere Orte in Ägypten und im Süden Syriens für die zweite Hälfte des 7. und für das 6. Jh. einige sichere Kontaktzonen für griechische und ägyptische (möglicherweise auch phönikische) Handwerker ausgemacht werden. Keine der in der Literatur vorgeschlagenen Vermutungen kann aber Rezeption und Transfer von soziotechnologischen Kenntnissen aus dem Vorderen Orient und Ägypten in der archaischen Zeit hinlänglich erklären. Es fehlen noch Untersuchungen darüber, in wie weit man bei bestimmten handwerklichen Produkten nicht nur die rein handwerklichen Fähigkeiten rezipiert, sondern gleichzeitig den soziotechnologischen Kontext bzw. auch Vorstellungs- und Ideenkomplexe übernommen hat. Gerade dieser sozialkulturelle Bestandteil eines Gegenstandes dürfte oft die Motivation für Rezeption und Transfer abgegeben haben. Das gilt vor allem für den Sakralbau. In der griechischen Welt begann man um 700 Heiligtümer aus Stein zu errichten. Das war eine der eindrucksvollsten Innovationen zu Beginn der archaischen Epoche. Die meisten neuen Formen und Technologien hatten keine direkten Vorläufer in Griechenland und auch keine Experimentierphasen, sondern erscheinen als vollkommen entwickelte, fertige Schöpfungen. Ganz allgemein ist der Grund in der da505 506

Vgl. ausführlich von Bredow 2012. Vgl. Teil IV 1.1.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

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maligen soziokulturellen Entwicklung des früharchaischen Griechenland zu suchen:507 Die nun etablierte Aristokratie, die im Rahmen der Polisbildungen begann, mit politischen Mitteln Macht zu erringen und auszuüben, benötigte neue Medien für ihre Ansprüche und ihre Ideologie. Dadurch entstand die Notwendigkeit neuer architektonischer Ausdrucksmittel, die sich zweifellos auch an den damals noch gut erkennbaren bronzezeitlichen Ruinen, den Stätten der heroischen Vorfahren, orientierten. Dass dieser Weg aber nicht von den Resten alter Steinbauten ausging, zeigt sich am Fehlen einer kontinuierlichen Entwicklung der Steinarchitektur. Eine handwerkliche Tradition geht dann zugrunde, wenn die Produktion lange Zeit unterbrochen wird, und diese war zu Beginn der Eisenzeit zugrunde gegangen. Dass die archaischen Baumeister nicht an ein sichtbares mykenisches Erbe anzuknüpfen versuchten, beweisen außerdem die neuen Formen des archaischen griechischen Sakralbaus. Schon die ersten Griechen, die im 10. und 9. Jh. in den Vorderen Orient reisten, kamen überall mit Konzepten und Ideen funktionierender monumentaler Steinbauten in Berührung: zunächst in Nordsyrien508 und Phönikien und wahrscheinlich erst später, d.h. Ende des 8. und im 7. Jh., in Ägypten. Sie lernten also die monumentale Steinarchitektur in ihrem gesellschaftlichen und kulturellen Kontext kennen. Das unterschied diese ›lebendigen‹ Bauten von den mit Legenden umwobenen Ruinen Griechenlands. Erst im ersten Viertel des 6. Jh. ist der beeindruckende ›Maßstabsprung‹ zu beobachten: Die Bauten wurden nun monumental. Der älteste Dipteros auf Samos entstand um 575, der Rhoikos-Tempel, der den Hekatompedon um das Fünfundzwanzigfache, im Bauvolumen fast um das Hundertfache übertraf, wurde um etwa dieselbe Zeit errichtet.509 Etwas später entstand der KroisosTempel in Ephesos. Das veränderte nicht nur das äußere Erscheinungsbild der Sakralbauten, sondern verursachte eine grundlegende Veränderung ihrer Ausgestaltung und der Rezeption des sakralen Raums. Dieser Maßstabsprung wird mit einer sehr gründlichen Kenntnis der ägyptischen Steinarchitektur erklärt.510 Mehrere handwerkliche Techniken, welche an den griechischen Bauten angewandt wurden, stammen nachweislich direkt aus Ägypten. Ich beschränke mich hier auf nur wenige Beispiele von vielen: so die Maßeinheit, die ägyptische Königselle, von der Herodot berichtet, dass sie auch auf Samos benutzt werde.511 Außerdem wurden die einzelnen Blöcke auf Samos wie in Ägypten mit Eisenklammern (Schwalben) zusammengehalten. Die Anfertigung der Säulen durch das Zusammensetzen aus einzelnen Trommeln, die am Ende zusammengefügt wurden, stammt bautechnisch ebenfalls aus Ägypten. Eine weitere für Ägypten charakteristische Bauweise ist am zweiten Dipteros von Samos zu beobachten: nachdem der erste wohl wegen seiner zu schwachen Fundamentierung vom Einsturz bedroht war, riss man ihn ab, um den zweiten zu errichten. Um die Belastbarkeit des Bodens zu verbessern, hob man eine Grube aus, die mit einem 1m hohen Sandbett aufgefüllt wurde, und schüttete eine Kalksplittschicht darüber. Auf diesem stabilisierenden Unterbau wurde dann das eigentliche Fundament errichtet.512 Solche Sandbetten unter Heiligtümern waren in Ägypten üblich und besaßen dort 507 508 509 510 511 512

Vgl. Teil I 1.7. Ich übergehe auch hier Zypern, das hier als Kontaktzone nicht behandelt wird. Kienast 2001, 37. Hölbl 1984. Hdt. 2,168; Kienast 2001, 39, Anm. 1. Kienast 2001, 38.

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IV. Kontaktsituationen

sogar eine kultische Bedeutung. Ob überhaupt und wenn ja, welche ägyptische Glaubensinhalte und Kulte zusammen mit den Technologien rezipiert wurden, ist bislang nicht untersucht worden. Das gilt auch für die Arbeitsorganisation, die mit dem Maßstabsprung völlig umgestellt und neu gestaltet werden musste. Die griechischen Meister fingen zwar nicht von vorne an, da sie bereits Erfahrungen in der Steinbearbeitung und der Architektur gesammelt hatten, doch die Anforderungen veränderten sich wesentlich. Der Planungsphase vor dem eigentlichen Bau gingen zwangsläufig weit gefasste und genaue Überlegungen voraus, die nicht nur in der Bautechnik, sondern auch in Arithmetik, Geometrie, (empirischer) Physik u.a. umfassende und gründliche Kenntnisse voraussetzen.513 Schließlich war auch der Arbeitseinsatz zu planen, vorzubereiten und zu organisieren: Beschaffung und Transport des enormen Steinmaterials in und von den Steinbrüchen, die Frage der Versorgung der Arbeiter mit Werkzeugen, sicher aber auch mit Rationen von Lebensmitteln und Getränken. Das setzt genaue Kalkulationen, d.h. Rechnungsvorgänge voraus, ohne welche die eigentliche Arbeit gar nicht hätte beginnen können. Dazu sind auch die Bearbeitung, Herstellung und Kalkulation aller anderen Bauteile wie Ziegel, Holzteile u.a. vor Ort zu berücksichtigen. So wurden z.B. für das Dach des samischen Dipteros 10.000 Flachziegel und nochmals 10.000 Ziegel zum Abdecken der Fugen benötigt.514 Auch hier stellt sich die Frage nach der Beschaffung des Materials, der Logistik der Herstellung und des Transports zur Baustelle. Neben den rein handwerklichen Fähigkeiten stehen also weitaus mehr Kenntnisse, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Diese fundamentalen und ingenieurwissenschaftlichen Kenntnisse traten anscheinend zusammen mit dem Beginn der Monumentalarchitektur in Griechenland auf und waren wohl von ihr bedingt. Das aber würde bedeuten, dass zusammen mit der Rezeption der Monumentalarchitektur und der vielfältigen Technologien, die für sie erforderlich sind, auch das dazu notwendige grundlegende natur- und technikwissenschaftliche Wissen in das archaische Griechenland gelangte. Dieser Gedanke schließt natürlich nicht aus, dass bereits früher, im 8. und 7. Jh. Kenntnisse z.B. in Mathematik, Geometrie und Physik über den Vorderen Orient oder Ägypten rezipiert worden waren. Dieser Maßstabsprung erscheint zwar plötzlich, doch die griechische Gesellschaft war um 600 nicht unvorbereitet: Praktische und theoretische Kenntnisse hatten sich bereits entwickelt und verbreitet, auch mit deutlichen Impulsen aus dem Vorderen Orient. Man hatte auf vielen Teilgebieten bereits Erfahrungen gesammelt. Diese mussten nun gebündelt und für neue, bisher nicht bekannte Aufgaben eingesetzt werden. Wie schon hervorgehoben, liegt diesem Können auch ein enormes theoretisches Wissen zugrunde, das auf einer langen Tradition im Alten Orient und einer sehr guten Rezeption von Seiten der Griechen beruht. Man könnte dafür auch den von Herodot beschriebenen Tunnel des Eupalinos, Sohn des Naustrophos aus Megara, auf Samos515 heranziehen: Nur aufgrund exakter und komplizierter Berechnungen war diese Ingenieurleistung möglich geworden.516 Dass ägyptische Handwerkskunst gerade zu Beginn des 6. Jh. die wichtigste Rolle bei der Entwicklung des archaischen Sakralbaus spielte, ist wegen der gut belegten Kontakte nicht verwunderlich. Einige Griechen hatten sich in die höhere ägyptische Gesellschaft inte513 514 515 516

Vgl. z.B. zum Bau des Eupalinos-Tunnel auf Samos Käppel 1999. Kienast 2001, 37. Hdt. 3,60. Käppel 1999.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

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griert.517 Ihnen waren die ägyptische Tradition und die Kenntnisse ihrer Zeit zugänglich. Zwar sind diese Personen nicht in dem Kreis zu vermuten, aus dem Rezeption und Transfer von einzelnen Technologien in den verschiedenen Handwerken hervorgegangen sein könnten, aber einen wichtigen, ja sogar den entscheidenden Beitrag könnten sie geleistet haben: Dank ihrer sozialen und beruflichen Stellung hatten sie einen Eindruck und vielleicht auch persönlich erworbene Kenntnisse von dem soziotechnologischen Netzwerk, welches für die komplexen Produktionen wie für ein großes Bauunternehmen erforderlich waren. Als höhere Zivilverwalter und Militärführer hatten sie vielleicht an Expeditionen zu den Orten teilgenommen, von denen Rohstoffe zu Produktionsstätten transportiert wurden. Sie kannten auch zweifellos die Logistik von Bauprojekten. Es ist daher keineswegs abwegig anzunehmen, dass sie auch Kenntnisse in der Planung von monumentalen Bauten besaßen. In Ägypten, wie auch im Alten Mesopotamien, war der Bauherr von Sakralarchitektur immer der König selbst.518 Offiziell beschloss immer der Pharao den jeweiligen Entwurf, und die Architekten waren lediglich seine Berater. Diese besaßen eine hohe Bildung und waren für die konkreten Entwürfe und die Ausführung der Projekte verantwortlich.519 Der einfache Handwerker, der Details auszuarbeiten hatte, erhielt konkrete, wohl meist durch Zeichnungen mit Maßangaben formulierte Aufträge. Da die meisten Bauelemente von der Tradition bestimmt waren, konnte ein ausgebildeter Spezialist die ihm zugewiesenen Teile problemlos ausarbeiten. Sowohl der König als auch seine Architekten griffen bei ihrer Planung auf zahlreiche Schriften zurück, welche in den Tempel- und Palastbibliotheken aufbewahrt waren: Konzepte, Entwürfe, Zeichnungen und Beschreibungen von verschiedenen Bauten.520 Wer in den hohen Kreisen verkehrte und Interesse daran hatte, konnte sich Zugang zu ihnen verschaffen. So könnten sich Griechen in hohen Positionen theoretisches Wissen über die ägyptische Sakralarchitektur und andere Technologien erworben haben. Wie schon oben erwähnt, hatten die sogenannten Schreiber, d.h. die Gelehrten im Vorderen Orient und in Ägypten ein hohes gesellschaftliches Prestige. Es besteht ein weitgehender Konsens darüber, dass sie in Griechenland kein so hohes Ansehen besaßen. Diese Meinung könnte aber hinterfragt werden. In einem sehr aufschlussreichen Artikel hat Fridolf Kudlien dargelegt, dass die in der antiken Literatur bekannten und berühmten Ärzte der archaischen und klassischen Zeit adliger Herkunft waren.521 Offensichtlich wirkten Ärzte von aristokratischer Herkunft (wie die homerischen Podaleiros und Machaon) neben solchen von niedrigerer Abstammung.522 Gerade Abkömmlinge adliger Häuser, die um ihren Lebensunterhalt kämpfen mussten, haben solche Kenntnisse zu Geld machen können. »… Die vornehme Abkunft bewahrte sie nicht davor, hinderte sie aber auch nicht«.523 Diese Schlussfolgerung könnte auch auf andere ›handwerkliche‹ Gebiete erweitert werden. Es ist auffallend, dass die bei Herodot und späteren antiken Schriftstellern 517 518 519 520 521 522 523

Vgl. Teil IV 1.3. Der Ensi Gudea von Lagaš ließ sich mit einer Grundrißzeichnung, Lineal und Griffel darstellen (Dioritstatue, Louvre). Heisel 1993, 76. Heisel 1993, 77. Knudlien 1986. Knudlien 1986, 129; vgl. auch die Inschrift SEG XIV 599, Knudlien 1986, 131. Knudlien 1986, 138f.

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IV. Kontaktsituationen

(Strabon, Plinius, Pausanias u.a.) genannten berühmten Architekten und andere Handwerker in den meisten Fällen Patronyme tragen (Rhoikos, Sohn des Phileas, Theodoros, Sohn des Telekles u.a.), was auf eine adlige Abstammung schließen lässt. Diese Personen waren höchstwahrscheinlich nicht an einem Ost-West-Kontakt beteiligt gewesen, doch sie zeigen die Möglichkeit, dass auch Vertreter der Oberschicht in Griechenland sich mit denselben Gegenständen beschäftigen konnten wie ihre östlichen und ägyptischen Standesgenossen. Konzepte der Raumgestaltung wie auch konkrete Entwürfe könnten also auf diesem Weg nach Griechenland gelangt sein. Doch damit sind die Rezeption der Technologien bei den Einzelschritten und der Transfer des gesamten Baukonzepts immer noch nicht erklärt. Ein hochgestellter Grieche in Ägypten hat sich natürlich keine Fähigkeiten im Bau von Terrassen oder Kapitellen angeeignet. Was er kennen konnte, waren die allgemeinen Entwürfe und soziotechnologischen Grundlagen solcher Vorhaben. Damit konnte er selbst Planungen vornehmen. Mit solchen Kenntnissen und mit der Motivation, einen ähnlichen Bau in Griechenland zu realisieren, war er imstande, solch ein Projekt durchzusetzen und zu organisieren. Er trat also als der Auftraggeber auf, der die Raumgestaltung, das Baumaterial und die Baugruppen maßgeblich bestimmte.524 Die kultisch einbezogenen Skulpturen der archaischen Tempel in Didyma (im temenos der Prozessionsstraße) oder auf Samos zeigen deutlich das Verhältnis zwischen Heiligtum und aristokratischen Familien. Dennoch war es solchen in Ägypten akkulturierten Herren ohne Ausführende nicht möglich, Anfang des 6. Jh. riesige Bauten entstehen zu lassen. Dazu brauchten sie Fachkräfte, von denen einige im damaligen Griechenland noch nicht vorhanden waren. Die vielen, oben kurz angedeuteten bautechnischen Schritte aber zeigen, dass das konkrete technologische Wissen gleichzeitig mit den neuen Konzepten nach Griechenland kam. Dafür gibt es keine andere plausible Erklärung, als dass dringend benötigte Handwerker vom zukünftigen griechischen Bauherrn aus Ägypten mitgenommen wurden. Es gab theoretisch mehrere Möglichkeiten, ein Team von Fachkräften zusammenzustellen. Die einfachste wäre für ihn gewesen, einen in Ägypten ansässigen und dort angelernten griechischen Handwerker für sein Vorhaben anzuheuern. Es müsste allerdings ein akkulturierter Grieche gewesen sein, dem Technologien und soziotechnologische Prozesse gut bekannt waren, also möglichst nicht aus Naukratis. Die Person eines solchen Griechen kann grob umrissen werden: Er stammte aus der zweiten oder dritten Generation einer griechisch-ägyptischen Familie und wurde von seinem ägyptischen Großvater oder einem anderen nahen Verwandten mütterlicherseits ausgebildet. Er war in die ägyptische Gesellschaft integriert, beherrschte aber wohl noch die Sprache seines Vaters oder Großvaters. Im Fall, dass er nach Griechenland zurückkehrte, hätte er die Möglichkeit, sein Wissen innerhalb eines Projektes anzuwenden und weiter zu geben. Diese Möglichkeit des Transfers wird allerdings stark begrenzt durch das ganz andere kulturelle und soziotechnologische Umfeld in Griechenland. Nehmen wir an, er hat sich auf die Herstellung von Kapitellen spezialisiert. Diese Fähigkeit würde ihm in Griechenland nur nützen, wenn solche Kapitelle auch dort hergestellt würden, d.h. wenn er Aufträge für diese Produktion bekommen und sich auf das notwendige Netzwerk stützen könnte, das in Ägypten vorhanden war (z.B. die Lieferung von recht ge524

Vgl. dazu auch die Geschichte über den Bau des Apollotempels in Delphi durch die Alkmeoniden (Hdt. 5,62): Zwar war ihnen der Bauplan von der delphischen Amphityonie vorgegeben, aber sie verwendeten besseres Baumaterial.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

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nau bemessenen Rohlingen). Er musste also einen festen Platz in einem Produktionsnetzwerk finden. Nur wenn ihm in Griechenland zumindest ähnliche Bedingungen der Logistik geboten würden, hätte er die Möglichkeit, sein Wissen einzusetzen und zu verbreiten. Und genau das hatte ein griechischer Bauherr zu dieser Zeit vielleicht vor. Eine zweite Möglichkeit bestand darin, sich spezialisierte Sklaven zu verschaffen, um die noch bestehenden Lücken im geplanten Arbeitsteam auszufüllen.525 Wie oben schon erwähnt, gehörten Handwerker jeder Art zur Kriegsbeute.526 War der integrierte und hochgestellte Grieche also im Militär tätig, konnte er sich Handwerker als Beuteanteil sichern und zu seinen Sklaven machen. Solche qualifizierten Sklaven waren im Ausland auch käuflich zu erwerben. Eine indirekte Bestätigung für die These, dass in der archaischen Zeit fremde Sklaven als Handwerker nach Griechenland kamen, sind die vielen ausländischen Namen von Vasenmalern in der archaischen Epoche: Ezekias, Amasis oder Ethnika, die als Sklavennamen benutzt wurden wie Lydos oder Brygos. Einige mögliche Belege für ägyptische bzw. nubische Sklaven bei Bauarbeiten findet man in Abbildungen auf Fikellura-Fragmenten aus Milet. Und schließlich bestand in Ägypten und auch im Vorderen Orient für einen vermögenden Mann die Möglichkeit, mit einem Handwerkermeister einen Lehrvertrag für seine griechischen Sklaven oder sonstige Unterstellte abzuschließen. Somit konnte er sich auch die Handwerker verschaffen, die er nach seiner Rückkehr beschäftigen wollte. Alle diese denkbaren Möglichkeiten haben einen gemeinsamen Nenner, der im Charakter der Hauptakteure liegt: Nur ein im Ausland ausgebildeter Handwerker konnte spezialisierte Kenntnisse und Fertigkeiten rezipieren und in Griechenland verbreiten. Dass Kaufleute einen solchen Transfer geleistet hätten, ist absolut unmöglich. Auch einfache Söldner können wir ausschließen. Der grundlegende Faktor bei dieser Art von Rezeption und Transmission ist der Akteur im soziotechnologischen Netzwerk, der ganz oben und ganz am Anfang von allem steht: der Auftraggeber. Er war der Mann, welcher die Gestaltung und Funktionen der Artefakte sowie auch die Planungen und Organisationen der gesamten Arbeitsprozesse kannte. Seine entscheidende Rolle liegt in seiner Initiative des Transfers, den nur er selbst organisatorisch zu leisten imstande war. Wie ein Transfer ohne fremde Fachkräfte aussah, können wir vermutlich im Grabhaus aus Lefkandi besichtigen: Die außergewöhnliche Planung wurde offensichtlich von dem Auftraggeber, dem Herrn von Lefkandi, erstellt, doch die einheimischen Arbeiter konnten nur das bauen, was sie in ihrer Tradition gelernt hatten. Wenn diese Überlegungen richtig sind, so ist auch in Griechenland dazu ein geteiltes Wissen entstanden: Das sogenannte Herrscherwissen über Entwürfe, Organisation von Großunternehmungen und über komplexe Technologien, die viel Fundamentalwissen benötigten, und das Detailwissen, das sich immer mehr griechische Handwerker aneignen konnten. Das sind zwar Hypothesen, aber wenn man den kulturellen und gesellschaftlichen Hintergrund im Vorderen Orient und in Ägypten sowie auch die schnelle Verbreitung theoretischer Kenntnisse im archaischen Griechenland berücksichtigt, keine reine Spekulationen. 525 526

Zu handwerklich geschulten Sklaven vgl. Teil IV 1.6. Sehr bezeichnend ist in dieser Hinsicht die Beuteliste des Esarhaddon nach seinem Sieg über Ägypten, auf der verschiedene Kunsthandwerker, Ärzte und Wahrsager vorkommen. Leider wird ihre Zahl nicht genannt; vgl. Onasch 1994, 59.

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IV. Kontaktsituationen

Der Transfer handwerklichen Könnens war wegen der unterschiedlichen Voraussetzungen der Rezeption immer ein sehr komplizierter Prozess. 1.5 Sklaven Sklaven bildeten keine Klasse, vielmehr bedeutete Sklave zu sein einen besonderen Status des Menschseins: Ein Sklave war zwar ein menschliches Wesen – das stand außer Frage – aber gleichzeitig war er wegen seiner Gleichsetzung mit Ware außerhalb des eigentlichen Menschseins. Innerhalb der verschiedenen Kulturen sind allerdings wesentliche Unterschiede in der gesellschaftlichen und juristischen Behandlung von Sklaven festzustellen. Als Ware war ein Sklave privates, seltener staatliches Eigentum. Er konnte ge- und verkauft werden, war also Gegenstand des Handels und von Märkten. Diese ›Ware‹ war in vielen verschiedenen Qualitätsstufen mit teilweise erheblichen Preisunterschieden erhältlich. Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und Kraft waren Grundvoraussetzungen. Dazu kamen seine handwerklichen oder kognitiven Möglichkeiten, da er für die Lebensbereiche, in denen er eingesetzt werden sollte, die besten Voraussetzungen mitbringen sollte. Die Qualitätsstufen, die auf diesen Fähigkeiten aufbauten, orientierten sich wie bei materiellen Gegenständen an der Nachfrage, auf welche die Angebote reagieren mussten. Dank seiner menschlichen Natur konnte ein Sklave aber nicht ›hergestellt‹ werden. Wollte man eine ›höhere Qualität‹ erzielen, war es notwendig, ihm in jungen Jahren Spezialkenntnisse wie landwirtschaftliche Arbeiten, handwerkliches Handeln, Lesen und Schreiben usw. zukommen zu lassen. Je gebildeter ein Sklave war, desto höheren Wert besaß er und desto effektiver konnte er in Geschäften des Alltags eingesetzt werden, bei denen sein Herr Hilfe benötigte oder sogar überfordert war. Natürlich waren im Vorderen Orient und in Ägypten Sklaven schon lange bekannt. Man erwarb sie bei Feld- und Plünderungszügen als Beute (Kriegsgefangene) oder kaufte sie von Märkten. In Kriegen wurden sie den assyrischen Annalen zufolge zum Beutegut gezählt und unter den Siegern verteilt. Es gab aber auch andere Wege ihrer ›Zirkulation‹: Besonders schöne und fähige Sklaven und Sklavinnen wurden auf privater und staatlicher Ebene als Gastgeschenke zu verschiedenen Gelegenheiten vergeben. Sowohl in der vorderorientalischen als auch der frühgriechischen Literatur finden wir das Thema der schicksalhaften Versklavung,527 die jeden, auch einen Menschen hohen sozialen Ranges treffen konnte. Dazu gehört auch die Schuldsklavenschaft von freien Bürgern, die ebenfalls überall vorzufinden ist.528 In Ägypten waren Sklaven vor allem am Königspalast und an den Tempeln konzentriert.529 Sie waren meistens in Unfreiheit geborene Sklaven, Kriegsgefangene, seltener Menschen, die sich selbst in die Sklaverei verkauft hatten,530 oder solche, welche von Privatpersonen und Händlern käuflich erworben waren. Versklavte Kriegsgefangene stiftete der siegreiche Pharao meistens den Tempeln, wo sie im weit gefächerten Haushalt des jeweiligen Gottes bestimmte Aufgaben zu erfüllen hatten. Auch Privatpersonen unterschiedlichen Ranges besaßen Sklaven, die in den verschiedenen Bereichen des Haushaltes Dienste zu lei527 528 529 530

Z.B. 2 Sam 12,31. Vgl. das Schicksal des Schweinehirten Eumaios: Hom. Od. 15,390–484; Solon 36 W. El-Mohen Bakir 1952, 99. Cruz-Uribe 1982, 49.

1. Lang währender Aufenthalt und verbaler Kontakt

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sten hatten, was auch Feldarbeit oder das Weiden von Tieren einschloss. So war ein Beamter aus dem Mittleren Reich Besitzer von 79 Sklaven, davon 33 ägyptische und 42 syrische.531 Das änderte sich auch nicht wesentlich in den folgenden Epochen.532 In Privathaushalten eingegliedert gehörten die Sklaven und Sklavinnen zum jeweiligen Haus und wurden dort versorgt. Ein recht großer Teil von ihnen hatte offenbar Aufgaben des gehobenen Entertainments zu erfüllen. Das suggerieren zumindest ägyptische Grabmalereien: Tänzer, Musikanten, Akrobaten u.ä. Außerdem wurden Sklaven Arbeiten in dem aufwendigen Grabkult von Privatleuten zugewiesen. Außer im Haus und auf den dazugehörigen Grundstücken nutzte man ihre Arbeit im professionellen Umfeld ihrer Besitzer, auch im handwerklichen.533 Nicht nur Handwerker konnten als Privatleute Sklaven in ihre Produktion einbeziehen, auch staatliche Institutionen und Tempel besaßen Sklaven für die Produktion.534 Ein Sklavenbesitzer konnte außerdem mit seinem Sklaven durch dessen Vermietung Geld verdienen. Wie es Dokumente über das zeitweilige Überlassen von Zugtieren und Eseln gibt, so sind solche auch über Sklaven bekannt. Ein Sklave konnte selbst Landbesitz erwerben und auch selbst Sklaven kaufen und einsetzen. Allerdings ist unbekannt, inwieweit er bei solchen Transaktionen unabhängig agieren konnte.535 An seinem Status änderte sein privater Besitzstand nichts.536 Im Vorderen Orient sind Sklaven im 1. Jt. aus den Texten des Alten Testaments gut bezeugt.537 Erwerb, Haltung und Einsatz von Sklaven und Sklavinnen waren ähnlich wie in Ägypten, auch wenn sie im Detail teilweise abwichen. Ob es in Griechenland schon vom 11. bis zum 9. Jh. Sklaven gab, ist unbekannt, aber in einem sehr beschränkten Maß und in bestimmten Formen durchaus denkbar.538 Sklaven aus dem Ausland kamen in archaischer Zeit und vermutlich noch früher auf verschiedenen Wegen in die griechische Welt. In der Ilias stellen Kriegsgefangene das Gros der erwähnten Sklaven. Verschleppung ist ausführlich in der Odyssee als Seeraub beschrieben und mehrmals angedeutet, auch wenn an diesen Stellen immer die Phöniker die Raubenden sind, niemals die Griechen. In der archaischen Literatur erscheinen Sklaven und Sklavinnen in den meisten Fällen als persönliche Diener, die ihre Herren überall hinbegleiteten, auch auf das Schlachtfeld. Im Lager bereiten sie das Essen vor und erfüllen auch sonst alle Befehle. Sie sind also überall anwesend und stehen in einem engen persönlichen Kontakt mit ihrem Besitzer, zu dem sich ein freundschaftliches Verhältnis entwickeln konnte.539 Sklaven als Gastgeschenke kennen wir aus den Quellen nicht. Sklavenmärkte wie in klassischer und hellenistischer Zeit hat es in der archaischen Epoche sicher nicht gegeben, doch Kauf und Verkauf von Sklaven sind literarisch und epigraphisch belegt.540 531 532 533 534 535 536 537 538

539 540

LÄ, Sp. 282f. Cruz-Uribe 1982. Steinmann 1977, 29f. Endesfelder 1977, 23f. El-Mohen Bakir 1952, 86f. Korostovtsev 1977, 6. Kessler 1992; Dandamaev 1984; 1991. Es sind patriarchalische Formen der Sklavenhaltung gewesen, wie sie auch in den homerischen Epen vorkommen; vgl. Korostovtsev 1977, 9; Wickert-Miknat 1983. Zu den verschiedenen griechischen Begriffen für ›Sklave‹ vgl. Gschnitzer 1981. Hier wäre wieder der Schweinehirt Eumaios aus der Odyssee zu erwähnen. Hom. Il. 7,471–475; Od. 1,430–431. SEG XLVIII 1924; vgl. Vinogradov 1998, Nr. 3.

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IV. Kontaktsituationen

Griechen konnten sich fremde Sklaven in vielen Kontaktsituationen erwerben. Piraten wie auch Söldnern fielen sie als Beute in die Hände, wobei es egal war, ob diese Menschen schon Sklaven gewesen waren oder erst zu solchen gemacht wurden. Einfache Söldner sahen in Sklaven vielleicht eher einen Verkaufsartikel und keinen persönlichen Nutzen, zumal ihnen die Mittel fehlten, sie zu unterhalten. Dagegen besaßen Griechen, die sich lange Zeit im Vorderen Orient oder in Ägypten aufhielten und dort eine höhere Position in Militär oder Verwaltung einnahmen, sicher Sklaven für ihren Haushalt. Den Besitz von Sklaven erforderte allein schon ihr sozialer Status und war Zeichen ihrer Adaption bzw. Akkulturation. Zweifellos setzten sie ihre Sklaven so ein, wie es in ihrem fremden Umfeld üblich war. Im Rahmen unseres Themas ist nun die Frage zu stellen, ob Sklaven als Träger einer fremden Kultur einen Transfer von Kenntnissen und Technologien geleistet haben könnten. Eine solche Möglichkeit ist beim Kulturtransfer zwischen Ost und West bisher nie ernsthaft in Erwägung gezogen worden, wahrscheinlich, weil man ihnen keine besonderen Fähigkeiten zutraute und/oder den Radius einer möglichen Einflussnahme für minimal oder überhaupt nicht existent ansieht. Tatsächlich berichten die antiken Quellen natürlich nichts über griechische Sklaven in der Fremde. Dennoch muss vermutet werden, dass solche als Sklaven aristokratischer Piraten oder Söldnerführer und ihrer hetairoi mitgenommen wurden, vielleicht als Ruderer, in Camps in Kriegsgebieten als Diener, seit dem 7. Jh. als Sklaven von Händlern u.a. Als Telemachos von Ithaka nach Pylos gefahren war, fragte Antinoos, ob auch seine Knechte und Sklaven (θῆτές τε δμῶές τε) mitgekommen seien.541 Die Kontaktsituationen griechischer Sklaven waren also im Prinzip genauso vielfältig wie die ihrer Herren, doch die Kontaktmöglichkeiten unterschieden sich grundsätzlich. Abgesehen von den visuellen Eindrücken nahmen Sklaven kulturelle Unterschiede wohl fast ausschließlich über Veränderungen der Lebens- und Verhaltensweise ihrer Herren wahr. In Abhängigkeit von den Aufgaben, die sie zu erfüllen hatten, kamen sie in der fremden Umgebung vermutlich mit Menschen aus niedrigen sozialen Schichten in Berührung. Ein Sklave besaß also zwei Kanäle des Kontaktes: Eine Adaption und Akkulturation seines griechischen Herren musste er zwangsläufig innerhalb seiner Aufgabenbereiche mitvollziehen und sporadisch mögliche persönliche Kommunikationssituationen brachten ihm eigene Erfahrungen. Kehrten diese Sklaven mit ihren Besitzern nach Griechenland zurück, waren die Möglichkeiten eines Transfers in der Heimat wegen ihrer sozialen Stellung minimal, aber in bestimmten, wenn auch sehr beschränkten Bereichen sind sie dennoch denkbar: einige Abläufe in ihrem häuslichen und familiären Leben und kulturelle Elemente innerhalb ihrer sozialen Sphäre wie Musik, Erzählungen bis hin zu bestimmten Glaubensvorstellungen und einzelne Kultelementen, soweit sie in ihr enges individuelles Umfeld passten. So könnte östliches Kulturgut zusammen mit Kenntnissen über die fremden Länder auch auf der niedrigsten sozialen Stufe verbreitet worden sein. Eine andere Art des Transfers durch Sklaven könnte dann erfolgt sein, wenn ihre Herren ihnen Aufgaben übertrugen, wie das Anlernen von anderen griechischen Sklaven z.B. bei bestimmten Diensten in ihrem oikos. Ganz anders ist die Situation eines fremden Sklaven zu bewerten, den ein adliger, akkulturierter Grieche erworben hatte und der mit seinem Herrn nach Griechenland gelangt war. Sicher haben solche Griechen bei ihrem nostos die Sklaven und Sklavinnen mitgenommen, die sie für besonders nützlich hielten. Gerade sie waren es, die halfen, das hohe kultu541

Vgl. Hom. Od. 4,454; 4,642–644.

2. Kurzzeitige verbale oder nichtverbale Kontakte

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relle Niveau, an das er sich im Ausland gewöhnt hatte, aufrecht zu erhalten. Sie unterhielten das im Osten übliche Alltagsleben, konnten mit den auch mitgebrachten Geräten und Gefäßen adäquat umgehen, Textilien herstellen usw. Sprachbarrieren spielten dabei mittelfristig sicher kaum eine Rolle, da sie gezwungen waren, sich die griechische Sprache anzueignen, zumindest soweit es ihre Betätigungsfelder betraf. Sie wurden auch in der Produktion eingesetzt: Frauen in der Textilherstellung, Männer mit handwerklicher Ausbildung könnten für ihre reiche Herren verschiedene Artefakte gearbeitet haben. Wenn diese Vermutung stimmt, kann man noch einige Schritte weiter gehen. Denn man könnte auch an hochgebildete Sklaven denken, die nicht nur das Lesen und Schreiben beherrschten, sondern sich auch in den literarischen und wissenschaftlichen Traditionen ihres Heimatlandes gut auskannten. Dass dies auch keine reine Spekulation ist, zeigt der nach altgriechischer Überlieferung einzige griechische Schriftsteller der archaischen Zeit, der ein Sklave gewesen sein soll, nämlich der berühmte Aisopos. Zwar soll er aus Thrakien (oder Phrygien) stammen, doch in seinen Fabeln sind bemerkenswert viele ägyptische und altorientalische Motive, was kein Zufall sein kann. Vor allem bestätigt er, dass hoch gebildete fremde Sklaven durchaus im Kulturleben wirken konnten und dies von den Griechen nicht als widernatürlich angesehen wurde. Thukydides berichtet für das Jahr 413 von »über 20.000 entlaufenen Sklaven, die meisten Handwerker«.542 Demosthenes verwendet den Begriff ἐργαστήριον sowohl für ›Werkstatt‹, was auch die Grundbedeutung des Wortes ist, wie auch für ›Sklaven‹.543 Es ist daher nahe liegend, diese Situation in einem kleineren Maßstab auf die archaische Zeit zu übertragen. Sicher lohnt es sich, in dieser Richtung weiter zu denken und zu forschen. Während die Motivationen und Möglichkeiten von wenigen aristokratischen Griechen den Motor für die Rezeption orientalischer und ägyptischer Kulturelemente im archaischen Alltag darstellte, hätte sie sich nicht ohne zahlreiche Menschen realisieren lassen können, welche die notwendigen Fertigkeiten und das Wissen darüber besaßen. Und das dürften in den frühen Stadien solcher Innovationen an erster Stelle Sklaven aus den Kontaktländern des Vorderen Orients und aus Ägypten gewesen sein.

2. Kurzzeitige verbale oder nichtverbale Kontakte Zweifellos gab es sehr viel häufiger kurze Kontakte zwischen Griechen und Bewohnern des Alten Orients und Ägyptens. Dabei wird man eher von nichtverbalen ausgehen müssen. Weder hätte die Zeit gereicht, sich die jeweilige Sprache anzueignen, noch wäre der Sachzwang dafür stark genug gewesen. Wer aus verschiedenen Gründen öfters die östlichen Küsten des Mittelmeers anfuhr, kannte aber wahrscheinlich zumindest ein Minimum der Lexik einer Verkehrssprache, um sich zurechtzufinden. Auch Grundformen der Kommunikation und berufsspezifische soziale Praktiken müssen zum Standard gehört haben. Dementsprechend waren die Möglichkeiten von Rezeptionen beschränkt. Der Transfer komplexer Technologien oder geistiger Vorstellungen durch diese Art von Kontakten ist daher nur in Ausnahmefällen möglich gewesen. Ein wichtiger Kulturtransfer konnte unter bestimmten Bedingungen auch durch einen kurzen Aufenthalt zustande kommen. Das ge542 543

Thuk. 7,27. Dem. 27,19,26; 28,12; Finley 1973, 81, 137.

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IV. Kontaktsituationen

schah, wenn Griechen ein Land des Orients oder Ägypten mit dem Ziel besuchten, sich durch die Reise neue Kenntnisse zu anzueignen, um sie in der Heimat zu verbreiten.544 In solchen Fällen waren keine Adaptions- oder Akkulturationsprozesse notwendig. Der Kontakt mit den Fremden wurde bewusst gesucht und vereinbart. Die bestehenden Sprachbarrieren versuchte man dabei durch Dolmetscher zu überwinden. Wie und ob dies funktionierte, kann man sehr gut in den Beschreibungen Ägyptens bei Herodot erkennen. Auch der Logograph Hekataios war offenkundig in Ägypten und vielleicht in anderen Ländern des Ostens, um Kenntnisse für seine περιήγησις τῆς γῆς zu sammeln. Beide antike Historiker haben wiederum auf Kenntnisse von Landsleuten zurückgegriffen, die auf ähnliche Weise Erfahrungen gesammelt und in Umlauf gebracht hatten. Daher sind kurze Kontakte nicht pauschal als wertlos für einen Kulturtransfer abzutun. 2.1 Piraterie Räuberei und Piraterie waren vielen griechischen und assyrischen Quellen zufolge in der frühen griechischen Gesellschaft sehr verbreitet. Schon die homerischen Epen geben zahlreiche Hinweise auf griechische Piraterie. Odysseus führt selbst einige Raubüberfälle aus, die charakteristisch für Seefahrer seiner Zeit waren: gegen Ismaros,545 die Kyklopeninsel546 u.a. Sie sind also in die Irrfahrt des Helden sowohl in den ›realen‹ wie auch den ›märchenhaften‹ Teilen des Epos eingebettet und als ein normales heroisches, d.h. aristokratisches Verhaltensmuster dargestellt. Auch die phönikische Räuberei auf dem Meer wird erwähnt.547 Hier interessieren vor allem die Piratenerzählungen, die nicht mit dem epischen Schicksal des Helden verbunden sind, sondern die so genannten Lügengeschichten. Diese sollten möglichst glaubwürdig klingen, damit die jeweiligen epischen Gesprächspartner keinen Argwohn schöpften. Daher erscheinen diese Narrationen besonders exemplarisch. Die erste dieser Lügengeschichten erzählt der zurückgekehrte Odysseus dem Eumaios, dem Sklaven seines Vaters Laertes.548 Danach stammte er aus einem angesehenen und wohlhabenden Haus auf Kreta. Da er jedoch nur der Sohn einer Sklavin war, überging man ihn beim Aufteilen des Erbes. Ohne Landbesitz begann er seinen Lebensunterhalt als Söldner und Räuber zu bestreiten.549 Nach großartigen Kriegstaten nach Hause zurückgekehrt, hielt ihn das friedliche Leben im Wohlstand nicht, und er rüstete sich zu einer neuen Fahrt, diesmal zu einem Piratenzug. Bezeichnend ist die Beschreibung der Organisation des Überfalls: Die Schiffe wurden am »herrlichen Strom Aigyptos« an Land gebracht und die Gefährten zur Bewachung zurückgelassen. Einige Späher stellte er auf den nahen Anhöhen auf. Doch diese entschlossen sich, das Land zu überfallen, entführten Frauen und Kinder und töteten die Männer. Sobald dieser Überfall in der nächsten Stadt gemeldet wurde, kamen Truppen, welche die kretischen Angreifer überwältigen: Die einen erschlugen sie, die anderen führten sie »zu erzwungener Arbeit« ab, versklavten sie also. Nur der Anführer, also er selbst, er544 545 546 547 548 549

Vgl. Teil IV 2.2. Hom. Od. 9,39–60. Hom. Od. 9, besonders 252–255. Die Geschichte des Sklaven Eumaios: Hom. Od. 15,403–484. Hom. Od. 14,199–359; zu 199–246 vgl. Teil IV 1.1. Hom. Od. 14,198–225.

2. Kurzzeitige verbale oder nichtverbale Kontakte

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gab sich und wurde begnadigt.550 Sieben Jahre, in denen er vermutlich als Söldnerführer diente,551 verbrachte er dann in Ägypten und wurde reich beschenkt. Daraufhin reiste er mit einem »gerissenen« Phöniker in dessen Land, wo er ein ganzes Jahr blieb. Nach weiteren Irrfahrten, so Odysseus, sei er dann wieder völlig mittellos in Ithaka gestrandet. Die zweite Piratengeschichte erscheint bereits im folgenden Gesang. Sie ist Teil der Vita des Schweinehirten des Laertes, Eumaios, der von einer Insel von phönikischen Kaufleuten verschleppt und als Sklave verkauft wurde.552 Darin aber wird, kunstvoll in die erste eingebettet, eine weitere Piratengeschichte wiedergegeben, nämlich die der Entführung und des Verkaufs einer Phönikerin durch die Taphier.553 In beiden, im phönikischen wie auch im griechischen (taphischen) Fall, waren die Täter anscheinend Händler, die aber unterwegs alles mitnahmen, was sie fanden und bekommen konnten, um es mit Gewinn zu verkaufen. Auch den Freiern erzählt Odysseus, als Bettler verkleidet, eine erfundene Geschichte:554 Aus einer reichen Familie stammend fuhr er mit ληιστῆρες πολύπλαγκτοι555 mit νῆες ἀμφιέλισσαι nach Ägypten, um dort reiche Beute zu machen. Er stellt sich dabei als Führer dieser Schiffe dar. Dieser Bericht wiederholt den des ›Lügenkreters‹ wortwörtlich.556 Er bildete also einen festen Bestandteil in der frühgriechischen Epik und wurde vielleicht nicht nur beim Rezitieren der Odyssee verwendet. Die ganze Erzählung war somit eine allen gut bekannte Formel, die Schilderung einer typischen Lebenssituation, die manche der frühgriechischen Aristokraten selbst erlebt haben dürften. Eumaios gibt auch einen Grund für die Piraterie an: Es sei der »drängende Magen«, der sie in die Schiffe und zu »vielen Übeln für die Menschen« zwinge.557 Zwar ist es nicht explizit ausgedrückt, doch Eumaios spielt damit sicher auf die Piraterie an, die ihm persönlich ja so großes Unheil gebracht hatte. Auch Menelaos versuchte sich auf seinem nostos zunächst erfolgreich in der Piraterie. Das wird zwar nicht unumwunden erzählt, doch Nestor macht es im Gespräch mit Telemachos doch recht deutlich: »Dort (d.h. an Ägyptens Küste) sammelte er viel Lebensmittel und Gold«.558 Es sind also drei Personengruppen, die sich in der Odyssee mit Piraterie beschäftigten: 1. Söhne reicher Familien, die ausziehen, um Beute zu machen; 2. Händler, die alles mitnehmen, was sie auf dem Weg finden, und 3. in Not geratene Menschen, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Wer aber sind diese in Not Geratenen? Piraten waren sicherlich keine Kleinbauern oder Tagelöhner, denn diese hätten nicht die Mittel für ein Schiff noch militärische Fähigkeiten besessen, die ein Pirat benötigt, besonders an den östlichen und ägyptischen Küsten, wo sie auf eine kulturell hoch entwickelte und staatlich organisierte Gesellschaft trafen, die teilweise über Kriegsflotten verfügten und auch erfahrene Seefahrer hatten. Es waren eher die Reichen und im Militärwesen Erfahrenen, die in ihrer Heimat kein genügendes Auskom550 551 552 553 554 555 556 557 558

Hom. Od. 14,257–284. Vgl. Teil IV 1.1. Hom. Od. 15,403–484. Hom. Od. 15,425–429. Hom. Od. 17,417–439. Van Wees 1992, 208, zieht es vor, solche Leute freebooters zu nennen, was sehr treffend ist. Hom. Od. 14,259–272=Od. 17,428–441; die einzige Abweichung ist στῆσαι in 14,270 gegenüber μεῖναι in 17,439. Hom. Od. 17,286–289. Hom. Od. 3,302.

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IV. Kontaktsituationen

men hatten. Dazu kamen auch Arme, die sich als Ruderer und Diener verdingten. Aber alle hatten gemeinsam, dass sie »der knurrende Magen drängte«.559 Die eben zitierte Stelle macht auch deutlich, was für einen Zweck die Piraterie letztlich hatte: nämlich den feindlich Gesinnten Unheil zu bringen, κακὰ δυσμενέεσι φέρουσαι (νῆες). Die »feindlich Gesinnten« sind aber nicht im Ausland zu suchen, vielmehr waren dies jene Griechen, welche sie überhaupt in eine solche Notlage gebracht haben. Hier sind wir wieder beim Thema der frühgriechischen Stasis und dem Ausschluss von Familienangehörigen vom Erbe des Vaters.560 Solche Expeditionen waren immer Privatunternehmen und gingen nicht von einer polis oder anderen politischen Gemeinschaft aus.561 Philipp de Souza ist der Meinung, dass Piraterie und Kriegsführung leicht ineinander übergehen und nicht einfach zu unterscheiden seien.562 Das stimmt in Bezug auf die Ausrüstung und Ausführung, nicht aber in Hinblick auf die Organisation und die Ziele. In den in der Odyssee beschriebenen Unternehmungen scheint es sich um größere Piratenverbände zu handeln: Der Kreter rüstet neun Schiffe aus, die gut über 300 Mann transportiert haben könnten.563 Auch aus assyrischen Quellen, die unten besprochen werden, geht hervor, dass es durchaus auch größere Verbände gab.564 Auch wäre zu bezweifeln, dass Seeräuber ›ziellos‹ über das Meer fuhren und an zufälligen Küsten landeten.565 Abgesehen von einer zeitlich nicht greifbaren Anfangsetappe haben sie sich sicher auf ein gewisses Vorwissen stützen können, um dieses auf ihren Fahrten durch eigene Erfahrungen zu bereichern, die wiederum in Griechenland weitergegeben wurden. Dass griechische Piraten tatsächlich an den ägyptischen Küsten ihr Unwesen trieben, wie es die Odyssee beschreibt, erfahren wir auch von Herodot. Ihm zufolge waren sie ionischer und karischer Herkunft. Seine Quelle war nicht Homer, sondern offensichtlich eine ägyptische, welche Herodot wohl von ansässigen Griechen erfahren hat.566 Die Piraten waren also Vertreter der Aristokratie. Ihr Ziel war offensichtlich schnelle Beute, um sich zu bereichern. Die Piraterie stellte somit seit frühester Zeit neben Landbesitz und Söldnertum eine Möglichkeit dar, zu Reichtum und damit zu Macht und Einfluss zu kommen. Diese Räuberei war gesellschaftlich akzeptiert und behaftete die Ausführenden keinesfalls mit einem Makel. Das beweist die Begrüßungsformel, die man in der Odyssee zweimal antrifft: Fremde, wer seid ihr? Woher die Fahrt auf den feuchten Wegen? Seid ihr in Geschäften gekommen oder zufällig, ohne Grund, wie die Piraten auf dem Meer? (Hom. Od. 3,71–73; 9,252–254)

Diese Frage scheint eine bloße Formel zu sein, eine Frage an einen Fremden, eine unter anderen, und sie wird offensichtlich ohne Angst und beleidigenden Unterton gestellt. Man konnte also ohne weiteres eine bejahende Antwort erwarten und erhalten. Dabei werden 559 560 561 562 563 564 565 566

Anders von Wees 1992, 218, der nur adlige Anführer und ihre peers annimmt; Nowag 1983, 143 zufolge waren es vor allem ›Entwurzelte‹, die solch ein Leben führten. Vgl. Teil IV 1.1. Vgl. dazu ausführlich van Wees 1992. De Souza 1999, 21. Hom. Od. 14,248. Anderer Meinung ist van Wees 1992, 210. Nowag 1983, 145f.; van Wees 1992, 209; s.u. Hdt. 2,152; vgl. zu diesen Ioniern und Karern Teil IV 1.1.

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Händler und Piraten in einem Atemzug, sozusagen gleichberechtigt nebeneinander gestellt,567 man könnte fast meinen: gleichgestellt. Dass diese Formel nicht vom Dichter der Odyssee ausgedacht ist, sondern im frühgriechischen Epos und seiner Gesellschaft gängig war, wissen wir von Thukydides: Die Griechen in der Vergangenheit wie auch (solche) von den Barbaren an den Küsten des Festlandes und welche Inseln besaßen, wendeten sich, nachdem sie begonnen hatten, mehr mit Schiffen untereinander zu verkehren, dem Piratenwesen zu. Die besonders Mächtigen übernahmen (dabei) die Führung, wegen ihres eigenen Gewinns und wegen des Unterhalts für die Machtlosen. Sie überfielen und plünderten unbefestigte und nach Dörfern aufgeteilte Städte. Damit bestritten sie den größten Teil ihres Lebensunterhalts. Dieses brachte ihnen keine Schande. Auch noch heute bescheinigen einige der Festlandbewohner, dass es ihnen Ehre bringt, dies gut zu verrichten. So berichten auch die alten Dichter, dass die Vorbeifahrenden regelmäßig gefragt werden, ob sie Piraten seien, gleichwie ohne diese Tätigkeit zu verurteilen noch offenbar sie zu beleidigen. (Thuk. 1,5)

Bei dieser Feststellung greift Thukydides auf mehrere Quellen zurück: Die eine sind die »alten Dichter«, womit sicher nicht nur die Odyssee gemeint ist, die anderen basieren auf mündlicher Überlieferung »in einigen Gegenden des Kontinents«. Diese Überlieferungen gehörten wahrscheinlich zu den Familiengeschichten einflussreicher Häuser, die ihre Vorfahren zu Helden, in diesem Fall zu heldenhaften Piraten, stilisierten. Die Punkte, die Thukydides aufgreift, entsprechen genau den Odyssee-Stellen und dem Bericht des Herodot, die oben besprochen wurden: Griechen und Barbaren seien die Piraten gewesen, was den Ioniern und Karern entspricht. Es waren die »besonders Mächtigen«,568 welche solche Piratenzüge anführten. Es ging um eigenen Gewinn, d.h. Beute, wie auch um die Schaffung einer Existenzbasis für die Machtlosen.569 Ihre Ziele sollen kleine unbefestigte Städte gewesen sein oder solche, die aus einzelnen Dörfern bestanden. Damit hat der Historiker offensichtlich griechische Küsten vor Augen, aber eine solche Charakterisierung der Angriffsziele passt auch genau zu denen, die an den Küsten des Vorderen Orients und Ägyptens beschrieben sind. Ein solcher Aristokrat war hauptberuflich Pirat, wie es Thukydides schreibt. Die Piraterie gab ihren Führern Beute, Lebensunterhalt und Ruhm (κέρδος, τροφή, δόξη). Bei erfolgreichen Beutezügen wurden aus räuberischen Überfällen Heldengeschichten. Daher ist der Befund von van Wees richtig, der im Piratentum eine »legitime Tätigkeit in der heroischen Welt« sieht.570 Diese Auffassung wird von Od. 14,86 gut unterstützt: »und denen Zeus Beute gibt«.571 Tatsächlich muss das Risiko sehr groß gewesen sein, und das in zweifacher Weise: Die eine Gefahr lag in der Seefahrt selbst, die andere in den militärischen Unternehmungen. Das zeigen nicht nur die zitierten Passagen des Epos, sondern auch viele 567 568 569

570 571

Vgl. dazu auch van Wees 1992, 213f., 217. Ausgedrückt mit der Lithotes οὐ ἀδυνατωτάτων. Καὶ τοῖς ἀσθενέσι τροφῆς: Ηier sind sicher nicht ›die Armen‹ gemeint, wie es in den meisten Übersetzungen steht. Soziales Engagement der frühgriechischen Adligen ist unbekannt. Es handelt sich sicher um solche aus ihren Reihen, die als hetairoi sich erst eine Machtbasis schaffen wollten. Van Wees 1992. Auch wenn gerade hier das Piratentum durchaus in seiner Ambivalenz betrachtet wird: »Und Schlechtgesinnte und feindselige Menschen, die zu fremdem Land gehen; und ihnen gibt Zeus Beute. Sie füllen die Schiffe und kehren nach Hause zurück« (14,85–87). Der erkennbare Vorwurf gegen Zeus ist im Zusammenhang mit dem Schicksal des Eumaios zu verstehen, nicht aber als eine allgemeine Meinung.

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IV. Kontaktsituationen

spätgeometrische und archaische Vasenbilder, die Seekämpfe, Angriffe auf eine Küste und gekenterte Schiffe darstellen.572 Kennzeichnend für ein sicher häufiges böses Schicksal solcher Männer sind Verse des Archilochos.573 Die Korinther gingen als ersten gegen die Piraterie vor.574 Griechen erscheinen in neuassyrischen Dokumenten nur als Piraten. Um 729 richtete der assyrische Beamte Qurdi-Aššur-lamur, der die Gebiete um Tyros, Sidon, Kašpuna575 und »den Berg Libanon« verwaltete, an seinen König Tiglath-pilesar III. einen Brief, in dem er berichtete, dass Schiffe aus KUR ia[u]-na-a-a576 drei Städte in seinem Verwaltungsgebiet angegriffen hätten: Šamšim[uruna](?), Harišu und eine anderen, deren Name nicht erhalten ist. Sobald ihm die Nachricht von diesem Überfall übermittelt worden sei, habe er eine Truppe zusammengestellt und sie vertrieben. Daher hätten diese Leute nichts rauben können. Sie seien beim Anblick der Assyrer geflohen und mit ihren Schiffen verschwunden.577 Diese Leute aus dem Land Iauna waren offensichtlich Piraten, die keine politische Bedrohung darstellten. Doch in der zweiten Hälfte des 8. Jh. war der Name der Ionier578 im assyrischen Schriftverkehr bereits ein gut bekannter Begriff, den der assyrische Statthalter der zentralen Kanzlei nicht näher erklären musste. Es geht aus der Mitteilung eindeutig hervor, dass diese Krieger mit ihren Überfällen vom Meer aus auch schon früher in Erscheinung getreten waren und für die assyrischen Statthalter an der Küste eine permanente Bedrohung darstellten. Diese Krieger agierten wie typische Piraten: Sie erschienen plötzlich und unerwartet. Dabei plünderten sie nicht nur Küstenstreifen, sondern drangen auch in das Binnenland gegen drei Städte vor. Das bedeutet, dass sie im Nahkampf gegen größere Bevölkerungsgruppen trainiert waren und sie selbst als eine recht große Schar solche Kämpfe riskieren konnten. Anzunehmen ist weiterhin, dass sie über die Gegenden, die sie ausrauben wollten, gut informiert waren, da sie andernfalls ihre Schiffe sicher nicht auf längere Entfernungen verlassen hätten. Jedoch waren sie nicht stark genug, um sich gut ausgerüsteten assyrischen Verbänden entgegenzustellen. Sie flohen vor der Übermacht, und die Assyrer hatten offensichtlich keine Möglichkeit, die Seeräuber auf dem Meer zu verfolgen,579 was bedeutet, dass die Iauna fern eines größeren Hafens gelandet waren, von wo man ihnen Schiffe hinterher geschickt hätte. Solche Übergriffe aber waren immerhin schwerwiegend genug, dass der höchste Beamte des Distriktes sie dem Palast meldete. Dabei entsteht aber nicht der Eindruck, als sei etwas Außerordentliches geschehen. Und die Versicherung, es sei nichts geraubt worden, könnte implizieren, dass frühere Überfälle für die Piraten erfolgreicher verlaufen waren. Die Iauna sind mehrmals in Dokumenten Sargons II. erwähnt,580 an sechs Stellen der Annalen, in denen die ›Ionier‹ in vier Fällen in einer stereotypen Formel unter anderen Er572 573 574 575 576 577 578 579 580

Morrison, Williams 1968, Pl. 1, e; Pl. 2, b; Pl. 4, a, c; Pl. 9, c u.a. 79 W. Thuk. 1,13; Stellen und Kommentar bei de Souza 1999, 22f. Der Ort befand sich nördlich von Byblos; er ist auch in den Annalen Tiglath-pilesars III. in Verbindung mit der Eroberung von Gaza im Jahr 734 genannt. Zum Namen s.u. Saggs 1963, 76–78. Einen vollständigeren Text geben Parpola, Rollinger 2001, 237–239 mit Anm. 20. Zum Namen s.u. Eine ähnliche Organisation eines Raubüberfalls schildert auch Hom. Od. 14,259–272, s.o. Allgemein: Tadmor 1958, 22–42, 77–100.

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oberungen und Feldzügen des Königs genannt werden:581 »(Sargon) … fing die ›Ionier‹ wie ein Fischer mitten im Meer«.582 In zwei weiteren Angaben berichtet er, dass er die ›Ionier‹ bekämpft und damit »Frieden für das Land Que und die Stadt Tyros geschaffen« habe.583 Ein weiterer Bericht fügt noch hinzu, dass sie [die Iauna] Menschen von Tyros und Que »seit langen Zeiten« getötet hätten. Er spricht sogar von einer Unterwerfung der Iauna: »[Um die Ionier zu unterwerfen, deren Wohnsitze] mitten [im] Meer liegen, die seit fernster [Vergangenheit] die Einwohner [der Stadt] Tyros (und) [des Landes] Que töteten und den Handelsverkehr unterbrachen, fuhr ich [mit Schiffen des Landes ] Hatti gegen sie aufs Meer hinaus und streckte sie (allesamt), klein und groß, mit den Waffen nieder.«584 Diese Berichte über die Iauna haben denselben Hintergrund wie der Brief aus der Zeit Tiglathpilesars III.: Sie waren Seeräuber, zwar keine bedrohlichen Feinde für das Assyrische Reich und seine Provinzen, aber sie störten regelmäßig die Sicherheit der Küstenstreifen in Südostkleinasiens und an der Levante und besonders den Schiffverkehr der Tyrener. Immerhin waren sie zur Zeit Sargons so stark, dass die geschädigten Gebiete nicht aus eigener Kraft mit ihnen fertig wurden und sich der Palast dieses Problems annehmen musste. Sargon zählt es also zu seinen erwähnenswerten Taten, sie durch Kriegsschiffe vertrieben zu haben. Mit ›Hatti‹ ist die nordsyrische Küste gemeint, die damals assyrisches Provinzalgebiet war. Dieser Text stammt aus dem Jahr 715.585 Die häufigen Überfälle auf das Land Que und die Bedeutung ihrer Abwehr ist auf einem Relief der Orthostaten in Karatepe, recht weit von der Küste entfernt in den Bergen gelegen, gut dokumentiert.586 Unter dem Sohn und Nachfolger Sargons II., Sennacherib, geben die assyrischen Quellen keinerlei Hinweise auf ›Ionier‹ an den assyrischen d.h. unter assyrischer Oberherrschaft stehenden Küsten. Allerdings berichtet ein sehr schwieriger Text aus der armenischen Übersetzung der Chronikoi kanones des Eusebios über Einfälle von Griechen in Kilikien.587 Er ist wegen seiner Textgeschichte sehr kompliziert und daher als Quelle nur bedingt verwertbar. Der frühchristliche Geschichtsschreiber zitiert dazu zwei antike Schriftsteller, Alexander Polyhistor und Abydenos, deren Quellen auf Berosos zurückgehen, der als babylonischer Priester etwa zur Zeit Alexander des Großen auf der Basis von mesopotamischen Dokumenten eine Geschichte Babyloniens auf Griechisch verfasste.588 Berosos hat als Priester die babylonischen Archive und Inschriften benutzen können, doch offensichtlich kannte er die assyrischen Annalen nicht. Berosos wurde von Alexander Polyhistor im 1. Jh. v.Chr. exzerpiert. Dieser hat einen Zusammenstoß zwischen Griechen und Sennacherib folgendermaßen ausgeschrieben: »Als er (Sennacherib) hörte, dass Griechen gegen Kilikien marschierten, eilte er gegen sie, stellte sie und nachdem viele seiner Truppen niedergestreckt worden waren, siegte er im Kampf.«589 Ein Schriftsteller des 2. Jh. n.Chr., Abydenos, erzählte die Konfrontation ganz anders: »Er (Sennacherib) wehrte an der Küste Kilikiens 581 582 583 584 585 586 587 588 589

Gadd 1954, 199, 19; XIV 15; Fuchs 1994: 76, 308; Stier 25, 64, 304; S4, 34f.; 262, 359. Vgl. Elayi, Cavigneau 1979, 59–75, bes. 63–73. Zyl. 21: Fuchs 1994, 34, 290. Fuchs 1994, 109, Ann. 117–119, nach Zyl. 21 sinngemäß übersetzt 319 mit Anm. Fuchs 1994, 105–110. Cambel, Özyar 2003, 135 (NKr 19); vgl. auch Teil I 5.1. Karst, Leipzig 1911. Vgl. ausführlich in Verbrugghe, Wickersham 1996; zu Berossos: 13–34. FGrH 680 F 7c.

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IV. Kontaktsituationen

eine Gruppe von ionischen Kriegsschiffen ab und schlug sie in die Flucht.«590 Beide Fragmente sprechen weiter von der Errichtung einer Siegesstele mit Inschrift und dem Wiederaufbau von Tarsos. Dieser Text wird allgemein mit dem Aufstand des Kirua von Illubru nordwestlich von Que im Jahr 696 in Verbindung gebracht.591 Die assyrischen Annalen erwähnen hingegen nur die Befriedung der Stadt Illubru in Hilakku. Der wichtigste Unterschied zwischen beiden Autoren besteht darin, dass bei Alexander Polyhistor von einem Landkrieg die Rede ist, bei Abydenos dagegen von einer Seeschlacht. Dass griechische Landtruppen nach Kilikien einmarschiert wären, ist sehr unwahrscheinlich. Zudem impliziert solch ein Angriff ein staatlich organisiertes Vorgehen von ionischer Seite. Eine kleinasiatische polis hätte kaum ein Interesse gehabt, das Assyrische Reich anzugreifen. Die Vermutung, dass G/Kurdi von Kulummu, einer Stadt in Til-Garimmu weit im Norden von Que gelegen, gerade aus der Stadt Milet Verbündete gegen Sennacherib geholt haben könnte,592 ist völlig aus der Luft gegriffen und wird von keiner Quelle oder archäologischen Funden bestätigt. Überhaupt ist es kaum erklärbar, warum griechische poleis der Stadt Tarsos Landtruppen geschickt haben sollten. Diese These entspringt wahrscheinlich der (unzutreffenden) Vermutung, Tarsos sei damals eine griechische Stadt gewesen.593 Denkbar aber wäre eine Vereinbarung des Kirua mit ›ionischen‹ Piraten, die als Söldner seine Rebellion hätten unterstützen können. Die assyrischen Inschriften hätten, besonders angesichts der Siegesnachrichten des Sargon über die »Iamani«, deren Niederlage nicht schweigend übergangen. Die letzte neuassyrische Königsinschrift über die Iauna stammt von Esarhaddon: »Alle Könige des Meeres, von dem Land von Zypern, dem Land Iauna bis zum Land von Tarsisi,594 alle fielen mir zu Füßen. Ich nahm ihren Tribut entgegen.«595 In keiner Inschrift dieses Königs wird allerdings eine gewaltsame Unterwerfung eines Landes ›Iauna‹ erwähnt. Falls die Nennung dieser ›Westmarke‹ nicht nur ideologisches Beiwerk der Königsinschrift ist, so könnte es sich eventuell um gefangene Piraten oder andere ›Ionier‹ handeln. Wer diese Leute »des Landes Iauna« waren, bleibt in der Literatur sehr umstritten. Zweifellos ist der Name mit den I-a-wo-ne aus den mykenischen Quellen vergleichbar. Wer diese Iawones damals genau waren, ist aber nicht zu ermitteln. Eine Gleichsetzung mit den Ioniern des 1. Jt. ist aus methodischen Gründen unzulässig.596 Die Form Iaw(a)n (im neuassyrischen orthographisch Iam(a)n597) war im gesamten Osten verbreitet: hebr. jwn, ägyptisch. jwn, und apers. yauna. Diese Form kann nicht von den Ioniern der kleinasiatischen Küste stammen, da diese das Digamma (w) sehr früh verloren hatten und sich Iōnes 590 591 592 593 594

595 596 597

FGrH 685 F 5. Vgl. Teil I 5.1. Dalley 1999, 74. Vgl. Teil I 5.1. Welches Land damit gemeint ist, bleibt umstritten: Es könnte sich um eine Verschreibung von Tarsos (normal als »Tarzi« in neuassyrischen Quellen) handeln, dann hätten wir ein recht geschlossenes geographisches Gebiet vor uns. Es wird auch die Möglichkeit des iberischen Tartessos erwogen, was allerdings wenig Sinn macht. Borger 1956, 96, AsBbE 10–11. Vgl. Teil II 3. Zu den verschiedenen Formen vgl. Brinkman 1989, 53–71; vgl. auch Rollinger 1997, 167–172.

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(< Iaones, so einmal bei Homer598) nannten. Es ist daher möglich, dass der Name Jauna eine noch aus der Bronzezeit stammende Bezeichnung für ein westliches Gebiet der Ägäis war. Dass ›Iones‹ ein echter griechischer Stammesname sein könnte, wird mit Recht bezweifelt, da sich die Ionier wohl nicht vor etwa 800 als ein ›griechischer Stamm‹ gefühlt und bezeichnet haben. Es wäre also möglich, dass es sich um eine Fremdbezeichnung handelt, zu welcher der mythische Ion von einem Teil der Ostgriechen als Eponym konstruiert wurde. Aber nicht nur die Herkunft des Namens bleibt dunkel, sondern auch seine genaue Bedeutung in den orientalischen Quellen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass Iau(a)na die den ionischen Dialekt sprechende Bevölkerung an der kleinasiatischen Küste bezeichnen sollte, vielmehr deutet alles auf eine breitere und nicht genau festgelegte Verwendung des Namens hin. Sicher ist nur, dass damit Bewohner im Westen auf Inseln und/oder an der kleinasiatischen Küste gemeint sind.599 Das wäre gut möglich, zumal ein anderer Name für ›Griechen‹ fehlt. In diese Richtung zeigt vielleicht auch die Bezeichnung des Ionischen Meeres im Westen. Nicht Ionier waren hier die ersten Griechen, die seine Küsten befuhren, sondern Euböer, später gefolgt von Griechen aus anderen Gebieten. Ionisches Meer scheint daher eine Fremdbezeichnung nach diesen griechischen Kolonisten und Seefahrern gewesen zu sein. Möglicherweise aber hat der Ortsname Iauna im westsemitischen Kulturkreis ein ursprünglich engeres Gebiet benannt: In der Genesis (1,10,3–5) sind folgende Völker als Söhne Japhets aufgezählt: Gomer (=Kimmerer), Magog (?), Madai (Meder), Iawan, Tubal, Meschesch und Tiras. Diese Aufzählung stellt Iawan offensichtlich in den kleinasiatischen Raum.600 Griechische Seeräuber aus der frühgriechischen Aristokratie waren also eine Art Pioniere in der Geschichte der Kontakte zwischen Griechenland und dem Vorderen Orient, später auch mit Ägypten. Auch wenn wegen der kurzen und vorrangig feindlichen Berührungen mit der orientalischen Bevölkerung kein weit gehender Kulturtransfer durch sie vermutet werden kann, waren sie es, welche den Boden für Kontakte anderer Qualität vorbereiteten. 2.2 Gesandte und Bildungsreisende Viele klassische und spätere griechische Autoren behaupten, dass hochgestellte Persönlichkeiten der archaischen Zeit in den Vorderen Orient und besonders nach Ägypten gereist seien, um sich dort zu bilden. Viele der archaischen sieben (und andere) Weisen hätten zumindest einen wesentlichen Teil ihrer Kenntnisse gezielt dort gesucht.601 Amasis soll persönlich griechische Philosophen und Politiker wie Solon, Pythagoras, Bion, Pittakos u.a. getroffen haben.602 Die meisten dieser Geschichten sind allein schon aus chronologischen 598 599 600 601 602

Hom. Il. 13,685, wo sie das Epithet ›mit langen Gewändern‹ haben; so auch im Hymnus ad Apollinem 147, wo die Bewohner von Delos mit Iaones bezeichnet sind. Zu Iaones=Hellenes vgl. LSJ s.v. Vgl. z.B. Burkert 1998, 69. Vgl. dazu Tsirkin 1991, 117–134 mit der Datierung dieser Textstelle in die Regierungszeit des Essarhaddon, ca. 680–676. Vgl. z.B. Hdt. 1,30 über die Motivation des Solon, nach Ägypten und Lydien zu fahren: wegen der Gesetze und des Sehens (θεωρίη). Z.B. Hdt. 1,29–32, wonach Solon nach Lydien zu Kroisos und zu Amasis nach Ägypten gereist sei.

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IV. Kontaktsituationen

Gründen unmöglich.603 Dennoch sollten diese Angaben nicht als ein leerer Topos angesehen werden. Die Elite der archaischen Zeit besaß ein hohes Bildungsbewusstsein, Wunsch und Motivation, sich Wissen anzueignen, das in Griechenland noch nicht vorhanden war. Die spätarchaische Prosaliteratur zeigt ein deutliches Streben und Ansammeln von Kenntnissen, und die Anfänge dafür lagen bereits in früherer Zeit.604 Auch Herodot berichtet von einer intensiven Mobilität frühgriechischer Philosophen, besonders aus den kleinasiatischen poleis. Zu den berühmtesten zählt zweifellos Thales.605 Die Sonnenfinsternis von 585 kann er nur aufgrund von Kenntnissen errechnet haben, die aus dem Vorderen Orient kamen. Dieses Wissen muss er nicht unbedingt aus Babylonien selbst gewonnen haben: Babylonische Wissenschaft war in den Metropolen des Ostens überall verbreitet. Mehrere spätere Autoren berichten, er habe die Pyramiden vermessen und Ursachen für die Nilschwelle dargelegt.606 Eindeutig belegt sind die Reisen des Hekataios von Milet in den Vorderen Orient und nach Ägypten um 516.607 Ägypten war in archaischer Zeit ein beliebtes Reiseziel milesischer Eliten, da die Verbindungen zu Naukratis eng waren. Solche Fahrten fanden unter besonders günstigen politischen Rahmenbedingungen statt, bei denen sowohl die Ägypter als auch die kleinasiatischen Griechen großes Interesse füreinander zeigten. Es dürfte daher sogar viel mehr kurzfristige Aufenthalte dieser Art von Griechen der Oberschicht in Ägypten gegeben haben, als wir es aus den Quellen erfahren. Persönliche Erfahrungen und Kenntnisse, die auf solchen Fahrten gesammelt wurden, trugen im archaischen Griechenland offensichtlich auch zum sozialen Prestige bei, denn ansonsten gäbe es nicht so viele (und auch falsche) Nachrichten der antiken Autoren darüber. Die offenbar unrichtigen Angaben von späteren griechischen Schriftstellern lassen eine Bildungsmobilität zu dieser Zeit für viele Historiker fragwürdig erscheinen.608 Die Skepsis ist nicht unbegründet. Solche Schifffahrten waren aufwendig und gefährlich und nahmen viel Zeit in Anspruch. Daher ist zu erwägen, ob Bildung tatsächlich die einzige Motivation für solche Fahrten ins Ausland gewesen ist. Den Überlieferungen zufolge waren die griechischen Reisenden Vertreter der Oberschicht, die in der Politik ihrer polis aktiv waren, wie Thales und Hekataios. Solche Staatsmänner fuhren vor allem dann in ein fremdes Land, wenn sie dort die Interessen ihrer polis zu vertreten hatten, d.h. wenn sie als Gesandte unterwegs waren. Zu dieser Zeit hatten die ionischen Städte am saïtischen Ägypten das größte Interesse und unterhielten regelmäßige Kontakte. Das Ziel, durch Reisen neue Kenntnisse und Bildung zu erwerben, hing wohl von den betreffenden Individuen und ihren Interessen ab, dürfte aber im Prinzip zweitrangig gewesen sein. Das schließt aber Gesandtschaften, die gezielt Kenntnisse über Spezialfragen im Ausland einholen wollten, nicht aus. 603 604 605 606 607 608

Kienitz 1953, 47; ihm zufolge handelt es sich um einen Topos griechisch-ägyptischer Beziehungen in archaischer Zeit. Vgl. Teil IV 1.4. Hdt. 1,170 zufolge soll er phönikischer Herkunft gewesen sein, was nicht unmöglich, aber auch nicht verifizierbar ist. Plut. conv. sept. sap. 2,147 A; Proklos, in Eukl. 65,3. Jacoby 1912, 2667–2750, 2689; bei Herodot namentlich genannt (2,143) und indirekt an vielen polemischen Stellen im zweiten Buch. Redfield 1985, 97–120.

2. Kurzzeitige verbale oder nichtverbale Kontakte

333

Diplomatische Delegationen ins griechische wie auch nicht griechische Ausland stehen in einem politischen Rahmen. Im späten 7. und 6. Jh. wurden sie entweder von Tyrannen geschickt oder sie hatten Aufgaben zu erledigen, welche ihnen eine aristokratisch regierte polis auftrug. Höchstwahrscheinlich aber gab es vor dieser Zeit, als sich die polis noch in ihren ersten Entwicklungsphasen befand, sehr viel häufiger einzelne, privat agierende Aristokraten, die im Rahmen ihrer eigenen Machtpolitik Kontakte zum Ausland suchten. Es entstanden dann persönliche Beziehungen zwischen ihnen und einem Herrscher bzw. hohen Beamten aus dem Osten oder Ägypten, über welche bilaterale Kontakte hergestellt und unterhalten wurden. Die personale Struktur der Beziehungen schildern schon die homerischen Epen.609 Sie beschreiben oft den Beginn einer Gastfreundschaft und Gastgeschenke, doch an keiner Stelle wird etwas über die Pflege dieser Beziehungen gesagt. Man muss in vielen außenpolitischen Verbindungen, die sicher ausgemacht werden können, sogar einen häufigen Austausch von Gesandten annehmen. Das zentrale Ritual der Gastfreundschaft war der Austausch von Gastgeschenken, der xenia. Innerhalb eines freundschaftlichen Verhältnisses zwischen zwei Fremden haben Gastgeschenke rein diplomatische Aufgaben, unabhängig davon, auf welcher Ebene (personale oder staatliche) sie ausgehändigt wurden: Sie verpflichten und machen den Namen des Stifters bekannt.610 Nachdem sich die griechische polis etabliert hatte, scheinen vorrangig archaische Tyrannen Beziehungen zum Osten aufgenommen und unterhalten zu haben. Letztlich wurde dabei die alte vorstaatliche Tradition der rein persönlichen Kontakte auf einer anderen Ebene fortgeführt. Enge Beziehungen zwischen dem saïtischen Ägypten und archaischen Tyrannen oder anderen bedeutenden Aristokraten, die diplomatische Gesandtschaften von beiden Seiten implizieren, sind bezeugt und können darüber hinaus auch über indirekte Hinweise wahrscheinlich gemacht werden. Wir wissen von dem Tyrannen Kleobulos aus Lindos, der Verbindung zu Amasis unterhielt.611 Auch Polykrates von Samos stand sowohl mit Ägypten als auch mit Persien in diplomatischem Kontakt,612 und der Name des dritten Kypseliden von Korinth, Psammetichos, lässt auf korinthisch-ägyptische Beziehungen schließen.613 Innerhalb der lydisch-spartanischen Beziehungen sind auch einige solcher Gesandtschaften belegt.614 Man könnte die Liste noch weiterführen. In Griechenland gab es offensichtlich keine außenpolitischen Fachkräfte wie im Orient und in Ägypten, vielmehr waren es, wie schon erwähnt, einzelne Aristokraten, welche Gastfreundschaften, d.h. diplomatische Beziehungen weiterhin auf personaler Ebene aufnahmen und unterhielten, wenn auch nun in staatlichem Auftrag. Den überregionalen griechischen Heiligtümern kam eine besondere Bedeutung in der internationalen Diplomatie zu.615 Die Beweggründe, mit Herrschern oder bedeutenden Würdenträgern des Vorderen Orients und Ägyptens in einen freundschaftlichen Kontakt zu treten, sind in den Quellen nicht behandelt, müssen also erschlossen werden. Die normale Kontaktsituation in den Epen ist die eines in Not geratenen Griechen in der Fremde. Gerade solche Notfälle machten gere609 610 611 612 613 614 615

Baltrusch 1994, 4f. mit Literatur und Quellenangaben und hier Teil IV 1.1. Allgemein zu xenia vgl. Coldstream 1983. Dies wird zwar von Hdt. 2,182 abgelehnt, doch seine Begründung ist nicht überzeugend. Hdt. 3,44. Kinder erhielten in griechischen Adelsfamilien manchmal den Namen von Gastfreunden. Hdt. 1,69. Vgl. Teil IV 1.1.

334

IV. Kontaktsituationen

gelte Beziehungen wünschenswert, wenn nicht sogar notwendig. Solche wurden daher in erhaltenen bilateralen Verträgen im Vorderen Orient in Spezialklauseln behandelt.616 Es ist zumindest denkbar, dass solche Abmachungen auch von Griechen, die regelmäßig bestimmte Seerouten an den syrischen Küsten befuhren, abgeschlossen wurden. Vom ausgehenden 8. Jh. an kann ein weiterer Grund für die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen und die Aussendung von Gesandtschaften vermutet werden, nämlich der Abschluss von Staatsverträgen zwischen griechischen Tyrannen und östlichen Herrschern. Solche konnten militärische Hilfe (wie in den Beziehungen zwischen Polykrates und Amasis) bzw. die Entsendung von Söldnern beinhalten. Dieser Punkt dürfte der wichtigste bei bilateralen Beziehungen gewesen sein. Solche Symmachie-Verträge kennt man aus dem 6. Jh. in der Diplomatie zwischen griechischen poleis und den Persern. Die griechischen Entlehnungen sozialer Praktiken bei Vertragsabschlüssen aus dem Vorderen Orient zeigen deutliche Rezeptionen östlicher diplomatischer Gepflogenheiten,617 was beweist, dass Griechen wohl nicht selten offizielle Abmachungen mit Herrschern oder Beamten östlicher Länder schlossen. Zwar gibt es keine Quellen über Handelsverträge, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass solche an der syrischen Küste abgeschlossen wurden. Darauf weisen die vielen semitischen Lehnwörter im Griechischen wie auch Elemente des Vertragswesens hin.618 Da der griechische Handel allerdings erst spät einen größeren Umfang annahm,619 dürften solche erst seit der zweiten Hälfte des 7. Jh. anzusetzen sein. Der verstärkte Kommerz an der Levante war mit der Etablierung von Naukratis als griechischem Handelsplatz verbunden. Höchstwahrscheinlich wurden die Bedingungen der Zusammenarbeit zwischen den ägyptischen Behörden und Gesandten der in Naukratis vertretenen griechischen poleis ausgehandelt. Naukratis, das in Ägypten keine autonome Stadt war, besaß aber griechische Verwaltungsbeamte, die als προστάται τοῦ ἐμπορίου bekannt sind.620 Man weiß nicht, wie viele sie waren und vor allem nicht, wer sie einsetzte. Herodot zufolge wurden sie von den jeweiligen griechischen Metropolen gesandt, ähnlich wie korinthische prostatai nach Poteidaia geschickt wurden.621 Das aber bedeutet, dass regelmäßig gewählte Beamte aus Griechenland nach Naukratis geschickt wurden, die dort zwar in einem griechischen Milieu lebten, aber regelmäßige Kontakte mit den ägyptischen Behörden unterhielten. Man kann sie auch als eine Art von Gesandten ansehen, soweit sie als Kontaktpersonen zwischen dem emporion und dem ägyptischen Verwaltungsapparat fungierten. Griechische Gesandte gerieten je nach Mission, persönlichen Interessen und Vorlieben auch in verschiedene andere Kontaktsituationen. Ihr Aufenthalt verlief wohl in den meisten Fällen als ein kurzer, persönlicher Kontakt, der sich zwar verbal gestaltete, aber meist vermittelt (durch Übersetzer). Diese Gesandten kamen dann mit den Oberschichten des jeweiligen fremden Landes zusammen und erhielten einen Einblick in die zwischenstaatlichen Regelungsweisen, die sie nolens volens akzeptieren mussten, also vorrangig in die rechtlichen Bereiche. Gerade durch die Konzentration auf einen bestimmten Gegenstand, der verstanden, durchdacht und angenommen werden musste, hatten Gesandtschaften 616 617 618 619 620 621

Vgl. den Vertrag zwischen Esarhadon und den tyrenischen Baʿal, Teil I 5.4.1. Knippschild 2002. Vgl. Teil II 4. Vgl. Teil IV 1.2. Hdt. 2,178. Graham 1964, 136–138.

2. Kurzzeitige verbale oder nichtverbale Kontakte

335

eine besondere Bedeutung für den Kulturtransfer. Denn hier geht es nicht so sehr um eine subjektive Selektion von Eindrücken und Kenntnissen, sondern um einen öffentlichen Lebensbereich, der mit den darin wirkenden sozialen Praktiken rezipiert werden musste. Solche Gesandtschaften können viele weitere Nebenrezeptionen bewirkt haben. Jetzt können wir die ›ionischen Weisen‹ wieder ins Spiel bringen. Im Umgang mit den gebildeten Oberschichten und als Gesandte in der Fremde privilegiert, wäre es für einen intelligenten und neugierigen Griechen in diesem Ambiente leicht gewesen, seinem eigenen Wissensdrang nachzugeben. Als akzeptierter Gastfreund wäre es möglich gewesen, solche Reisen zur Pflege der Beziehungen zu wiederholen und bei jedem Aufenthalt etwas mehr von den fremden Wissen und den kulturellen Leistungen kennenzulernen und das, was besonders interessant erschien, aufzuschreiben. Solcherart könnten die ›Bildungsreisen‹ eines Thales oder Hekataios gewesen sein, von denen wir wissen, dass sie politisch sehr aktiv waren. Auch die Gesetze der Sieben Weisen, welche ebenfalls gezielte Fahrten ins Ausland unternommen haben sollen, bekämen eine deutlichere Kontur. Tatsächlich sind wir wieder bei reinen Konjunktiven angekommen. Über die Kontaktsituationen von Gesandten im Ausland schweigen die Quellen. Aber die so skizzierten Kontaktbedingungen können einen wichtigen Bereich des Kulturtransfers und die zahlreichen Angaben über Bildungsreisende in antiken Werken erklären. Es gab neben den zwischenstaatlichen Beziehungen auch andere Anlässe, Gesandte ins Ausland zu entsenden. So berichtet Herodot von einer Delegation der Eleer nach Ägypten: Sie wollten sich dort umschauten, um Neues für die Einrichtung der Olympischen Spiele zu finden und die Meinung der Ägypter zu ihren agonischen Ritualen einzuholen.622 Das Ziel dieser Gesandtschaft war es also, mögliche neue soziale Praktiken für eine griechische kulturelle Einrichtung und sicher auch eine autorisierte Bestätigung der existierenden zu finden. Das Resultat der Befragung war, dass sich sogar die Ägypter, »das klügste Volk auf der Welt« nichts Besseres hätten ausdenken können. Dennoch hätten diese Gesandten eine Kritik gehört, die ihnen aber offenbar unsinnig vorkam: Die Spiele sollten nur für Nichteleer ausgerichtet werden, denn sonst seien die Wettkämpfe nicht fair. Der König selbst habe die bekanntesten Weisen des Landes zusammenkommen und über die Anfrage beraten lassen. Diese Geschichte hat Herodot wahrscheinlich in Olympia gehört. Der Quellenwert dieses logos ist sehr umstritten. Allan Lloyd zählt folgende Elemente auf, die in den historischen Kontext passen: 1. die engen kommerziellen und militärischen Beziehungen zwischen Griechenland und Ägypten; 2. das panhellenische Zentrum Olympia, das Kenntnisse über Ägypten akkumuliert hatte; 3. der damalige Konflikt zwischen Elis und den Pisaten um die Kontrolle der Olympischen Spiele (um 570) und 4. der libysche Gott Ammon, der in Olympia verehrt wurde und über den Kontakte nach Siwa existierten. 622

Hdt. 2,160, der diese Begebenheit in die Regierungszeit Psammetichos I. datiert; Diod. 1,95 stellt sie dagegen in die Zeit des Amasis, was viel wahrscheinlicher ist; vgl. den Kommentar von Lloyd 1975, 166.

336

IV. Kontaktsituationen

Dagegen stehen aber die Themen, die einen typischen herodoteischen logos ausmachen: 1. 2. 3. 4. 5.

die eleische Propaganda als Quelle Herodots; »die Weisheit der Ägypter« als Motiv der Befragung; der ›weise König‹, der persönlich zur Lösung des Problems beiträgt; die enigmatische Antwort, die für Märchen und Legenden charakteristisch ist und die erst spätere Reaktion in Griechenland gegen den zu großen Aufwand bei den Spielen.

Nicht alle diese Einwände sind jedoch berechtigt: Herodot bzw. seine Quelle behauptet gar nicht, dass der König ein großer Weiser gewesen sei. Und die Antwort ist weniger enigmatisch als sie aussieht: Die Ägypter wären einfach der Meinung gewesen, dass es zu Ungerechtigkeiten kommen könne, wenn diejenigen, welche die Spiele ausrichteten, an ihnen auch teilnähmen. Es sind eher andere Überlegungen, die zeigen, dass diese Geschichte nicht wörtlich aufgefasst werden darf. Wie kamen die Eleer darauf, wirklich oder fiktiv, gerade die Ägypter zu den Spielen zu befragen? Zwar gab es im Alten Ägypten auch Sport, doch dieser war im Königsritual eingebettet und unterschied sich somit wesentlich vom aristokratischen Agon Griechenlands. Das hohe Ansehen des Nillandes sollte wohl den Einrichtungen der Eleer zu höchster Autorität verhelfen. Außerdem könnten zwischen Eleern und Ägypten so gute Verbindungen existiert haben, dass sich eine Befragung einfach anbot. Diese Gesandtschaft, wenn sie denn tatsächlich stattgefunden hat, kann als ein Fallbeispiel für ähnliche Delegationen gelten, die uns nicht überliefert sind. Bildungsreisen könnten im Kulturtransfer eine ganz besondere Rolle gespielt haben. Im Fall der Eleer gab es zwar tatsächlich keinen, und gerade deshalb wurde diese Geschichte erzählt.623 Für die antiken Autoren waren solche Reisen jedenfalls eine Erklärung für die Transmission spezialisierten Wissens, besonders auf dem Gebiet des Rechtes, und daher konnten sie in klassischer Zeit leicht zu einem Topos werden. Doch dieser war offenbar nicht aus der Luft gegriffen. Die Besonderheit der Kontaktsituation bei diesen Fahrten liegt darin, dass Griechen der archaischen Zeit zu bestimmten Themen und Problemen ihrer Zeit Lösungen im kulturell höher stehenden Ausland suchten. Fanden sie Lösungen oder glaubten sie, solche gefunden zu haben, so waren sie in der Lage, ihre Rezeptionen in Griechenland zu verbreiten, da sie die politischen und sozialen Kompetenzen dafür besaßen. Die Diplomatie besaß im Vorderen Orient und in Ägypten im 1. Jt. bereits eine sehr lange Tradition. Sie nahm in der späten Bronzezeit hoch entwickelte Formen an, welche im 1. Jt. beibehalten wurden.624 Quellen über Diplomatie kommen in dieser Zeit fast nur aus den assyrischen Archiven. Geographische Kenntnisse, das Beherrschen von Fremdsprachen und möglichst bereits vorhandene Kontakte und Erfahrungen machten einen qualifizierten östlichen Gesandten aus. Manche von ihnen stammten aus den Herrschaftsfamilien oder waren hohe Beamte oder militärische Führer. In weniger bedeutenden Beziehungen konnten auch Leute niedrigeren Ranges eingesetzt werden, z.B. Fernhändler mit ihren spezifischen Qualifikationen. Gerade die Tyrener setzten wahrscheinlich oftmals ihre Handelsherren ein, um Verträge vorzubereiten und den regelmäßigen, weit gefächerten diplomati623 624

Denn das Fazit lautet ja: Die Eleer haben alles so gut ausgerichtet, dass auch die Ägypter keine sinnvollen Vorschläge für etwas Besseres machen konnten. Vgl. z.B. Ouda 2004.

2. Kurzzeitige verbale oder nichtverbale Kontakte

337

schen Verkehr zu unterhalten. Staatliche Kontaktaufnahme von Seiten der Phöniker dürften dort erfolgt sein, wo sie Handelstützpunkte und Faktoreien errichteten, also für den Staat relevante Einrichtungen im Ausland, auch in der griechischen Welt, geschaffen wurden. Abmachungen und Verträge im 8. und 7. Jh. wurden wahrscheinlich durch mündliche Abmachungen geschlossen, und durch verschiedene Rituale ratifiziert.625 Als erste Gesandte zwischen dem Vorderen Orient und Griechenland sind solche aus dem Osten zu vermuten. Denn während die Griechen bis ins 7. Jh. keine wirtschaftlichen oder politischen Interessen im Osten hatten, erkundeten die Tyrener seit spätestens dem 9. Jh. auch den Ägäisraum.626 Da es bis zum Beginn der archaischen Zeit für Ausländer keine staatlichen Ansprechpartner gab, wurden Beziehungen zu lokalen basileis aufgenommen, wie das Beispiel des lemnischen Thoas zeigt.627 Größere Handelsherren traten mit lokalen Aristokraten in Verbindung, um ihre Ziele im Konsens zu erreichen. Auch hier sind wir auf indirekte Angaben angewiesen, welche die Präsenz fremder Gesandter in Griechenland zeigen. Sie lassen sich durch Weihungen fremder Herrscher in griechischen Tempeln erschließen. Den schriftlichen Quellen zufolge kamen sie aus zwei Großräumen: aus Kleinasien und Ägypten. Weihungen von semitischen Herrschern sind nicht belegt. Wenn Griechen einen Ansprechpartner im nichtgriechischen Ausland suchten, so war dieser immer vorhanden und eindeutig. Anders verhielt es sich mit potentiellen Verbündeten in Griechenland für fremde Herrscher. In einem solchen Fall scheint Delphi die erste, aber nicht einzige Anlaufstelle bei einer Kontaktsuche gewesen zu sein. Seit der Entstehung der polis waren die großen, panhellenischen Heiligtümer die Kommunikationstätten für Gesandte, die eine Kontaktaufnahme zu Griechen herzustellen wünschten. Diese Heiligtümer dürften besonders in der Zeit der Spiele ausländischen Boten die Gelegenheit geboten haben, die Elite Griechenlands kennenzulernen. Der Eintrittspreis zu diesem Forum war auf jeden Fall ein ansehnliches Weihgeschenk, das immer als ein diplomatischer Akt und in keiner Weise als Ausdruck von Frömmigkeit aufzufassen ist. Es signalisierte das aktive Bestreben des Stifters, mit denjenigen, welchen das Heiligtum gehörte und die es besuchten, in Kontakt zu kommen und zu bleiben. Daher sind die beschenkten Tempel vorwiegend panhellenische wie Delphi und Olympia, aber auch andere große Kultzentren mit überregionaler Bedeutung wie Didyma, Samos oder Lindos, die sich an den großen Seerouten befanden.628 An den Heiligtümern konnte man die Weihungen medienwirksam vor einer breiten Öffentlichkeit inszenieren. Wir wissen natürlich nicht, wie fremde Gesandtschaften ausgesehen haben, doch man kann sie sich mit einiger Wahrscheinlichkeit vorstellen: Sie bestanden aus einer eher kleinen Gruppe von Beamten des mittleren Ranges, ›Fachleuten‹ für die jeweiligen Aussenbeziehungen, von denen wohl mindestens einer das Griechische beherrschte. Nach Absprache mit den lokalen Tempelbehörden wurde alles möglichst prachtvoll ausgestattet. Der Wert der Stiftung, die mit weiteren üppigen und üblichen Opfergaben verbunden gewesen sein muss, und das möglichst würdige Auftreten der Gesandten im Festakt, hatten das Ziel, das Herkunftsland und besonders natürlich den königlichen Stifter selbst in ein möglichst überzeugendes Bild von Macht und Möglichkeiten 625 626 627 628

Vgl. Knippschild 2000. Vgl. Teil IV 2.4. Hom. Il. 23,744f. Vgl. Teil IV 1.1.

338

IV. Kontaktsituationen

zu stellen. Für einen Kulturtransfer hatten das Auftreten von fremden Gesandtschaften und ihre xenia wohl wenig Bedeutung. Ihr Besuch war nur kurz, und als Diplomaten waren sie sicher bemüht, ihr Land würdig zu vertreten und ihre Aufgaben zu erfüllen, indem sie sich möglichst der griechischen Umwelt anpassten. Ihre Geschenke waren sicher oftmals Gegenstände des Staunens, aber nicht einer Rezeption.

Teil V

Rezeption und die Entwicklung neuer Identitäten durch primäre Kontakte und Kommunikation Rezeptionen, deren Transfer die griechische Kultur veränderte, konnten nicht an beliebigen Orten des Vorderen Orients und Ägyptens stattfinden. Nur wo hohe kulturelle Errungenschaften geschaffen, vermittelt und gepflegt wurden, konnte ein Fremder sie kennenlernen und sich von ihnen vereinnahmen lassen. Unter bestimmten sozialkulturellen Kontaktbedingungen1 und -situationen2 konnte es zu einer Akkulturation kommen. Die historischen Prozesse und Ereignisse im Vorderen Orient und Ägypten weisen einzelne Orte und Gebiete in bestimmten Zeiträumen als erwiesene oder mögliche Kontaktzonen aus, in denen unter den jeweils spezifischen Umständen bestimmte Kontaktsituationen entstanden.

1. Geographie und Chronologie der primären Kontakte Die Kontaktzonen wurden im ersten Teil dieser Studie in ihrer historischen Entwicklung aufgrund von schriftlichen Quellen und archäologischem Material bestimmt. Zusammen mit weiteren sekundären Quellen3 beweisen sie, dass die ersten Kommunikationen zwischen Ost und West vorrangig militärischen Charakters waren4 und erst später auch verstärkte kommerzielle und andere Tätigkeiten hinzukamen.5 Unter diesen Gesichtspunkten werden die Kontaktzonen unten zusammengefasst. Da wir uns allerdings nicht immer auf genügendes Quellenmaterial stützen können, sind viele Erwägungen nur Mutmaßungen aufgrund der historischen Gegebenheiten, welche aber die Möglichkeiten primärer Kontakte aufzeigen können 1.1 Nordsyrien im 9. und 8. Jh. In Nordsyrien konnten Que, Patin, Arpad und Hamat6 als die Länder ausgemacht werden, in denen Griechen im 9. und 8. Jh. und wahrscheinlich sporadisch bereits im 10. Jh. mit altorientalischen Kulturen in Kontakt gekommen sind. Diese Kontakte scheinen ausschließ1 2 3 4 5 6

Vgl. Teil III 2. Vgl. Teil IV. Damit sind z.B. die importierten Weihungen in griechischen Heiligtümer und Lehnwörter gemeint, vgl. Teil IV 1.1 und Teil II 3 und 4. Vgl. Teil IV 1.1. Vgl. Teil IV 1.2.6. Teil I 5.1.

340

V. Rezeption und die Entwicklung neuer Identitäten

lich militärischer Natur gewesen zu sein.7 Über Kriege zwischen den nordsyrischen Staaten im 10. und 9. Jh. wissen wir nur wenig, doch es wurde gewiss oft um Territorien und um die Kontrolle der Fernstraßen mit Waffen gekämpft. Sehr viel besser sind wir über die gegen Mitte des 9. Jh. einsetzende Expansion der Assyrer in den syrischen Nordwesten informiert. Vor allem die Feldzüge Salmanassars III. (858–824) bedrohten alle diese Länder.8 An den großen Kämpfen des assyrischen Königs gegen die syrische Koalition (854/850, 849/8, 845)9 dürften allerdings kaum griechische Söldner teilgenommen haben, weil die Griechen keine Landheere stellten, sondern in kleineren Mannschaften auf Schiffen kamen. Eher könnten sie in lokal begrenzten Verteidigungskriegen eingesetzt worden sein wie z.B. bei den assyrischen Angriffen auf Küstengebiete von Hamat Mitte des 9. Jh., mit denen die Teilzerstörungen von Tell Sūkās und Tell Tweini in Verbindung gebracht werden könnten.10 Die nordsyrischen Staaten fielen im Zuge dieser Expeditionen unter eine damals wohl noch lockere assyrische Kontrolle, die sich mit der Zahlung von Tributen und einer Loyalität, die antiassyrische militärische Aktionen ausschloss, begnügte. Die Häfen unterstanden weiterhin ihren jeweiligen Staatszentren und die Straßen zum Hinterland waren offen. In den darauf folgenden Jahrzehnten zeigten sich keine assyrischen Heere mehr in Syrien, doch es gab zahlreiche innersyrische militärische Auseinandersetzungen. Größere Spannungen entwickelten sich zwischen den Ländern Patin, Bit-Agusi und Hamat. Dabei musste Patin große Verluste hinnehmen, denn zu Beginn des 8. Jh. blieb wohl nur noch ein Reststaat ohne Zugang zum Mittelmeer übrig.11 Damit war das Land auch von einer direkten Rekrutierung von Söldnern abgeschnitten. Die historische Entwicklung der syrischen Staaten wurde im 8. Jh. in einem noch viel höheren Maß von der assyrischen Expansion bestimmt. Unter den vier folgenden Königen hat nur Adadnerari III. (810–782) nennenswerte Westzüge gegen Patin und Damaskus unternommen. Aber Tiglath-pilesar III. (745/4– 727) veränderte die politische Landkarte ganz Syriens grundlegend. Unter ihm wurden viele der spätluwischen und aramäischen Staaten zu assyrischen Provinzen, während die übrigen in ein streng überwachtes Vassallenverhältnis gezwungen wurden.12 Das war nicht nur das Ende ihrer Eigenstaatlichkeit, sondern auch das Ende der spätluwischen Kultur. Seit dieser Zeit war ein Söldnerwesen nicht mehr möglich. 1.1.1 Die spätluwischen Länder als Kontaktzonen Einige euböische (oder kykladische) Keramikfragmente des 10. und 9. Jh. aus den nordsyrischen Häfen können noch keine regelmäßigen Beziehungen der griechischen mit der vorderorientalischen Welt belegen.13 Für möglicherweise seltene Kontakte, die zu Rezeption und Transfer führen konnten, sprechen lediglich einige singuläre Funde in Griechenland 7 8 9 10 11 12 13

Zu den Argumentationen vgl. Teil IV 1.1. Vgl. Teil I 3. Teil I 3. Vgl. Teil I 5.3.5 und 5.3.6. Vgl. Teil I 5.2.3. Vgl. Teil I 3. Vgl. Teil I 5.3.7.

1. Geographie und Chronologie der primären Kontakte

341

(besonders in Lefkandi).14 Diese mit den wenigen Keramikfragmenten im Osten in Verbindung zu setzen ist möglich, aber nicht zwingend. Wahrscheinlich existierten bereits im 9. Jh. griechische Seefahrergruppen, die zum Raub die nordsyrischen und phönikischen Küsten anfuhren.15 Tatsächlich sind solche erst im 8. Jh. durch schriftliche Quellen zu belegen, doch für die im 8. Jh. einsetzenden regelmäßigen und intensiven Kontakte muss eine Vorstufe schon in 9. Jh. existiert haben. Da in diesen beiden frühen Jahrhunderten Handel auszuschließen ist,16 sind es wohl vor allem Piraten gewesen, welche dort Erkundigungen einzogen. Es ist nicht auszuschließen, dass schon damals sporadisch Piraten als Söldner in den Dienst lokaler Könige genommen wurden. Darauf deutet auch die Spezifik der griechischen Keramik an der syrischen Küste und im Binnenland hin.17 Die Assyrer griffen in die heftigen Kämpfe zwischen Patin, Arpad und Hamat ein.18 In diesen Kriegen ist die Teilnahme fremder Söldner auf syrischer Seite gut denkbar. In der zweiten Hälfte des 8. Jh. war das Leben in ganz Syrien von zahlreichen Kriegen und Aufständen geprägt.19 Den verfügbaren Angaben zufolge scheint gerade in diesem Zeitraum die Menge der griechischen (euböischen) Keramik zuzunehmen. In al-Mina setzt griechische Keramik mit seiner Gründung in der zweiten Hälfte des 8. Jh. ein.20 Außerhalb der nordsyrischen Häfen finden wir entsprechende griechische Tonfragmente auch in einigen Hauptstädten (Tell Tayʿinat und Hamat) und an befestigten Orten wie Judeidah und Çatal Höyük. Gerade in solchen unruhigen Zeiten, in denen diese Staaten um den Erhalt ihrer Territorien kämpften, erscheint die These, dass griechische Söldnergruppen Träger dieser Keramik waren, die dort gefunden wurde, wo sie angekommen und dann weiterbeordert wurden, als die wahrscheinlichste.21 So könnte man auf Grund der bekannten historischen Ereignisse in Nordsyrien folgende mögliche Einsatzorte bestimmen:22 Im Land Que war die Hafenstadt Tarsos die wichtigste Kontaktzone zwischen Griechen und einheimischen Luwiern sowie ansässigen Phönikern.23 Hier und eventuell auch in anderen Häfen an Ques Küste wie Mersin oder Kinet Höyük könnten Söldnertruppen gedient haben.24 Tarsos wurde von Salmanassar III. im Jahr 831 angegriffen.25 Aus den Inschriften von Karatepe und Sam’al wissen wir, dass es in Que im 8. Jh. immer wieder Kämpfe gegen die Nachbarn und innere Unruhen gegeben hat. Gerade bei solchen plötzlich ausbrechenden bewaffneten Überfällen und Aufständen wäre die Anheuerung fremder Söldnertruppen naheliegend. Vermutlich wurde Que unter Salmanassar V. in den 20er Jahren des 8. Jh. zu einer assyrischen Provinz, die vor Piratenangriffen weitgehend geschützt war. Für das 6. Jh., als Que 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25

Vgl. Teil I 1.3. Teil IV 2.1. Vgl. Teil IV 1.2.6. Vgl. Teil IV 1.1. Vgl. dazu die sogenannte Antakya-Stele Teil I 5.2.3. Vgl. Teil I 5.1–1.5.2.5.6. Vgl. Teil I 5.3.2. Vgl. Teil IV 1.1. Hier liegt allerdings der Akzent auf ›bekannt‹. Aramäische Inschriften deuten Konflikte sogar mit sonst unbekannten Ländern und Herrschern an (vgl. KAI 222–224: das Land KTK). Vgl. Teil I 5.1. Vgl. dazu auch den Schild aus Zypern mit griechischen Kriegern, Teil IV 1.1. Vgl. Teil I 5.3.1.

342

V. Rezeption und die Entwicklung neuer Identitäten

unter babylonscher Herrschaft stand, sind Aufstände bekannt, bei denen eine Teilnahme griechischer Söldner vermutet wird.26 Das Land Patin wurde schon unter Aššurnasirpal II. (883–859) zweimal angegriffen (878 und 866).27 Die Kämpfe haben sich allerdings weit weg von der Küste abgespielt, sodass der Einsatz von griechischen Söldnern unwahrscheinlich ist. Einen Aufstand im Jahr 829 in der Hauptstadt gegen den regierenden König beendete die assyrische Armee schnell. Diese Konflikte fanden also in der Nähe des Meeres statt, was eine Beteiligung von fremden Söldnergruppen zumindest möglich macht. Als ein Indiz dafür können die zahlreichen griechischen Keramikfragmente in Kunalua und an der Küste gelten. Unter Adadnerari III. (810– 782) berichten die assyrischen Annalen über zwei Feldzüge. In einem von ihnen bekämpfte er eine syrische Koalition gegen Zakkur von Hamat, an der auch Patin beteiligt war. Er endete mit der Neuaufteilung der Länder, die ans Mittelmeer grenzten.28 Auch in diesen militärischen Auseinandersetzungen könnten griechische Söldner eingesetzt worden sein, die vielleicht über al-Mina ins nähere Binnenland beordert worden wären.29 Patin verlor damals den Zugang zum Meer. Danach wäre der Einsatz fremder Söldner, die über das Meer kamen, nicht mehr möglich gewesen. Im Krieg des Tatamu von Patin gegen Assyrien (738), infolge dessen Patin zu einer assyrischen Provinz wurde, und an dem Aufstand von 731 (oder 729) dürften Griechen daher nicht beteiligt gewesen sein. Eine Tätigkeit griechischer Söldner für Bit-Agusi ist nur zwischen den Jahren 797/6, als Arpad das Orontesdelta erhielt, und 740, dem Datum der assyrischen Eroberung von Arpad, denkbar. Falls al-Mina zu Beginn des 8. Jh. von Bit-Agusi gegründet wurde, so könnte es auch eine Verbindung zur Hauptstadt Arpad weit im Binnenland gegeben haben. Dort aber fehlt bisher griechische Keramik aus dieser Zeit. Hamat war einer der führenden Staaten in der Koalition gegen Salmanassar III., die 858, 849, 848 und 845 gegen ihn bei Qarqar auf dem Gebiet von Hamat kämpfte. Die Küstengebiete waren aber davon nicht betroffen. Den Annalentexten zufolge konzentrierten sie sich allein auf Mittelsyrien. Einzelheiten über die Kämpfe und Schlachtfelder der Koalition nordsyrischer Staaten gegen den hamatitischen König Zakkur um 800 sind nicht bekannt, doch der Umstand, dass Patin daran teilnahm und dass das Küstengebiet um das Orontesdelta zu Gunsten von Bit-Agusi neu aufgeteilt wurde, macht militärische Auseinandersetzungen unter Inanspruchnahme fremder Krieger um diese Bucht sehr wahrscheinlich.30 Ein weiteres Resultat dieser Ereignisse war der Vasallenstatus von Hamat ab 796. Das Land verfügte damals aber noch relativ frei über seine Häfen, welche eine Anbindung zur Hauptstadt hatten (Tell Sūkās und Tell Tweini).31 Auch in der Zeit des israelitischen Königs Jerobeam II. (787–747), der erfolgreich versuchte, das von Hamat geraubte Land zurückzuerobern, könnten fremde Söldner eingesetzt worden sein.32 Griechische Keramik aus der Hauptstadt Hamat lassen auch die Präsenz von griechischen Söldnern vermuten. Von dort aus könnten sie in verschiedene Kriegsgebiete geschickt worden sein. Die Beziehungen zwi26 27 28 29 30 31 32

Vgl. Teil I 5.1. Vgl. Teil I 5.2.3. Vgl. Teil I 5.3.2. Vgl. allerdings zur Datierung von al-Mina Teil I 5.3.2. Vgl. Teil I 5.2.4. Vgl. Teil I 5.3.5 und 5.3.6. Vgl. Teil IV 1.1.

1. Geographie und Chronologie der primären Kontakte

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schen Hamat und Assyrien blieben weiterhin unruhig: 772, 755 und 754 vermerken die Annalen Kämpfe im Binnenland. Im Jahr 739 begann der Aufstand des Azrijau mit »19 Bezirken von Hamat«. An dieser Revolte nahmen auch die Küstensiedlungen vom Berg Saphon (Ğebel al-ʿAqra) bis etwa Tripolis teil.33 Die Küste wurde in den Jahren von 739 bis 738 zu einem Kriegsschauplatz und danach von Assyrien annektiert. Auch hier wäre der Einsatz griechischer Söldner wahrscheinlich. Hamat blieb als ein kleiner Reststaat ohne Hafen bis 720 bestehen, als es erneut zu einem Aufstand kam, an dem sich auch Küstenstädte beteiligt haben sollen. Nach diesem Datum wurde Hamat vollständig in assyrische Provinzen aufgeteilt und damit griechisches Söldnertum auch hier unmöglich gemacht. Griechische Söldner hätten für nordsyrische Staaten im Zeitraum bis 738 und dann noch einmal kurzfristig um das Jahr 720 eingesetzt werden können. Die nordsyrischen Häfen befanden sich entweder in isolierten Buchten oder besaßen eine Anbindung in ihre Hauptstädte im Binnenland.34 Von besonderem Interesse sind die letzteren, da in diesen Binnenstädten (Kunalua von Patin und Hama von Hamat) dieselbe griechische Keramik wie an der Küste gefunden wurde. Solche Zentren von Politik, Kult und Bildung boten Kontaktbedingungen, unter welchen Akkulturationsprozesse stattfinden konnten, die zu einer Rezeption der Lebensweise der Eliten führten. Beide Städte besaßen einen multikulturellen Charakter. Das ist besonders deutlich in Hama belegt.35 Die Stadt Tarsos im Land Que ist eine Ausnahme: Sie war zwar keine Hauptstadt, aber sie zeigt Verwaltungsstrukturen, in denen Eliten tätig waren. Tarsos unterscheidet sich von den Staatszentren Kunalua und Hamat auch darin, dass es dort eine größere Gruppe von ansässigen Tyrenern und Zyprier gab, also ein anderes kulturelles Umfeld bot. Griechen, die sich längere Zeit dort aufhielten, bewegten sich vermutlich gleichermaßen in einem spätluwischen wie auch phönikischen und zyprischen kulturellen Milieu. Die nordsyrischen Länder mit der dominierenden spätluwischen Kultur ihrer Eliten boten in der geometrischen Epoche griechischen Kriegern also viele Möglichkeiten für militärische Einsätze. Wenn wir die frühgriechische Keramik und die frühen nordsyrischen Importe, die vorwiegend militärischen Charakters sind, als Indikatoren griechischer Präsenz deuten, könnten griechische Söldner die ersten Kontaktträger dort gewesen sein. 1.1.2 Die Bedeutung der spätluwischen Staaten in den frühen Ost-West-Kontakten Das 9. und 8. Jh. war die entscheidende Zeit für Rezeption und Transfer nordsyrischen Kulturguts. Denn vieles, was im 7. Jh. die kulturelle Entwicklung des archaischen Griechenland wesentlich prägte, kam nicht erst damals in die griechische Welt, sondern muss im 8. Jh. und teilweise schon früher übernommen worden sein, bevor die spätluwische Kultur mit der assyrischen Eroberung der nordsyrischen Länder gegen Ende des 8. Jh. unterging. Gleichzeitig schwanden die Möglichkeiten für Fremde, sich dort längere Zeit aufzuhalten. Im 9. Jh. bis zum letzten Viertel des 8. Jh. war Nordsyrien für den Transfer vorderorientalischer Kultur in vieler Hinsicht bedeutender als die phönikischen Städte. Die meisten damals nach Griechenland importierten Gegenstände (Zaumzeug, Metallschalen, Bronzen, 33 34 35

Vgl. Teil I 5.2.4. Vgl. Teil I 5.3.7. Vgl. Teil IV 1.2.3.

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V. Rezeption und die Entwicklung neuer Identitäten

Elfenbeine u.a.) stammen aus diesem Gebiet.36 Noch wichtiger als solche Importe aber sind die Themen und Motive aus dem spätluwischen Kulturkreis, in dem altanatolisches Bildund Gedankengut bewahrt blieb. Das Schweigen der griechischen Quellen über diese Länder ist damit zu erklären, dass diese Kontakte vor der Verbreitung der Schrift und vor den ersten literarischen Werken der griechischen Welt abgebrochen waren und Beziehungen mit Phönikern und Ägyptern viel wichtiger wurden. Nur ein einziges Toponym aus Südostanatolien wird bei Hesiod genannt (Soloi in Kilikien). Erst seit der klassischen Zeit rückten diese Gebiete wieder in das Bewusstsein der Griechen. Auch das zeigt, dass die nordsyrische Küste ab Mitte des 8. Jh. bis zur Persischen Zeit für die Griechen nur ein Transitgebiet war. 1.2 Die phönikische Küste vom 9. bis zum 6. Jh. Die phönikische Küste war vom 10. bis zum 8. Jh. keiner unmittelbaren assyrischen Gewalt ausgesetzt, auch wenn Tyros mehrmals an antiassyrischen Koalitionen teilnahm. Tyros war die dominierende politische und wirtschaftliche Macht mit genügenden Ressourcen an Soldaten und Ruderern. Erst im 7. Jh. erhielten die phönikischen Küstenstädte auch wegen der beginnenden Expansionspolitik Ägyptens für die assyrischen Könige eine aktuelle Bedeutung. Daher wurden sie dem Reich direkt als Provinzen unterstellt oder gerieten als Vasallenstaaten unter Kontrolle. Die Folge davon war eine erhebliche Schwächung der tyrenischen kommerziellen Dominanz in Nordsyrien und eine zeitweilig drastische Beschränkung der bisherigen Handelsrouten. Die Auseinandersetzungen mit Assyrien begannen unter Tiglath-pilesar III. (745/4–727) in den Jahren 743 bis 732. Unter Salmanasser V. (726– 722) standen assyrische Truppen an der phönikischen Küste, unterwarfen die Städte und belagerten Tyros mehrere Jahre lang vom Festland aus. Dieser Krieg wurde vermutlich im Jahr 721 von Sargon II. beendet. Doch die eigentlichen Auseinandersetzungen fanden unter Sennacherib (705/4–681) statt. In seinen ersten Regierungsjahren erfasste ganz Syrien eine Welle von Aufständen, an denen nun auch die phönikische Küste beteiligt war. Erst 701 griff Sennacherib ein. Tyros wurde abermals erfolglos belagert, verlor aber seine Ländereien auf dem Festland, und König Luli floh nach Kition auf Zypern. Unter Esarhaddon (681– 669) entfachte Sidon im Jahr 677 einen Aufstand, dem sich auch der von Assyrien eingesetzte Baʿal I. von Tyros anschloss. Er bildete eine Koalition, an der auch »22 Könige« teilnahmen. Nach drei Jahren Krieg wurde Sidon zerstört, und der tyrenische König schloss mit Assyrien einen Vertrag, der eine absolute Kontrolle über Politik und Wirtschaft der Inselstadt festschrieb. Im Jahr 671 griff Esarhaddon nach dem ersten erfolglosen Ägyptenfeldzug Tyros wegen seiner Verbindungen zu Pharao Taharqa wieder an. Militärische Aktionen gegen Tyros und andere phönikische Städte rissen auch unter der Regierung des Aššurbanipal (668–637) nicht ab: 663 gingen die Assyrer gegen Tyros und Arwad vor, die daraufhin kapitulierten. Und nochmals standen assyrische Truppen 644/3 an der phönikischen Küste. In den nächsten Jahren löste sich die assyrische Macht allmählich auf, um von Babylon übernommen zu werden. Aus dieser Übergangszeit ist über die phönikische Küste wenig bekannt.37 36 37

Braun-Holzinger, Rehm 2005, 167 und passim. Vgl. Teil I 5.4.1.

1. Geographie und Chronologie der primären Kontakte

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1.2.1 Die phönikische Küste als Kontaktzone Die Bestimmung der phönikischen Küste als Kontaktzone ist in mancher Hinsicht schwieriger als die der nordsyrischen, da als griechisch-phönikische Kontaktzonen noch viele weitere Orte am gesamten Mittelmeer in Frage kommen. Eine zweite Schwierigkeit bei der Charakterisierung der phönikischen Küste als Kontaktzone ergibt sich daraus, dass die Kultur dieses Gebiets vom 10. bis zum 6. Jh. weniger bekannt ist als die der nordsyrischen Länder. Zudem war die Ausstrahlung phönikischer Kultur außerordentlich stark und übte auch auf andere Kulturkreise wie den aramäischen einen erheblichen Einfluss aus.38 So ist bei manchen griechischen Rezeptionen nicht sicher, ob sie wirklich aus Phönikien stammen.39 Und schließlich sind die beschränkten Grabungsmöglichkeiten in den immer wieder überbauten Städten an der libanesischen Küste ein weiteres Hindernis. Direkte oder indirekte Kontakte zwischen Griechen und Tyros sind schon aus sehr früher Zeit belegt: Einige wenige protogeometrische Keramikfragmente weisen auf das 10. und 9. Jh.40 Vom Ende des 8. Jh. stammt der Brief eines assyrischen Beamten über griechische Seeräuber, die das Gebiet um Tyros unsicher gemacht hätten. Das wäre eine für diese Zeit typische Kontaktsituation.41 Tyros war ein wichtiger Ankerplatz auf der Route nach Ägypten, die auch von Griechen befahren wurde, von Söldnern für Ägypten und seit dem 7. Jh. von Händlern. Im 8. und noch im 7. Jh. scheinen also Piraten die typischen Kontaktträger gewesen zu sein, wie es die griechischen Epen und assyrische Quellen beschreiben. Dass auch hier Seeräuber zu Söldnern werden konnten oder Söldnergruppen gezielt zu den phönikischen Städten fuhren, ist zwar möglich, aber durch keine Quelle gesichert. In den etwa 100 Jahre währenden Krisenzeiten in diesem Gebiet (etwa 743 bis 644) wäre es aber gut möglich gewesen. Nachdem die nordsyrische Küste in der zweiten Hälfte des 8. Jh. Teil des Assyrischen Reichs geworden war, hatten fremde Söldner keine Aktionsmöglichkeiten mehr. Solche ergaben sich nun an der phönikischen Küste. In den 20er Jahren des 8. Jh. und nochmals von 701 bis 644 befanden sich die phönikischen Städte in einem permanenten Krieg gegen die assyrische Macht. Eine Anheuerung von fremden Söldnern, die sich anboten, erscheint daher gut denkbar.42 Gerade griechische Krieger waren für die Belange der Phöniker geeignet, waren sie doch sowohl im See- als auch im Landkampf trainiert und erfahren. Tyros hatte als Metropole eines Welthandelsnetzes, aber als ein räumlich sehr beschränktes Staatsgebiet immer einen großen Bedarf an Menschen für die verschiedensten Einsätze. Das bezeugt das Lied von Tyros des Ezekiel. Griechen sind unter den Kriegern und Ruderern vielleicht nicht genannt,43 weil sie keine konstanten und für Tyros relevanten Verbände bildeten. Das könnten auch die archäologisch auswertbaren Spuren zeigen, wenn man sie in diese Richtung interpretiert. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die phönikische Küste Ausgangsort für Einsätze im Binnenland sein konnte, was die griechischen Ke38 39

40 41 42 43

Vgl. Guzzo 1987. Als Beispiel dafür könnte die Rezeption der Buchstabenschrift angeführt werden. Sie muss nicht unbedingt von den Phönikern übernommen werden sein, vieles spricht sogar für eine Entlehnung der aramäischen Schrift. Kearsley 1995, 69; Bikai 1978, 36f. Vgl. Teil IV 2.1.1. Vgl. die sogenannte Klage über Tyros: Ez 27; vgl. Teil I 5.4.1 und IV 1.2.4. Ez 27.

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V. Rezeption und die Entwicklung neuer Identitäten

ramikfunde in Israel nahe zu legen scheinen.44 Das schließt aber in keiner Weise aus, dass auch kleinere griechische, sporadisch erscheinende Gruppen verschiedene andere Dienstleistungen für die Tyrener außerhalb des Militärischen erbracht haben könnten. Im 7. Jh. begann zweifellos auch griechische Handelstätigkeit.45 Als Tyros der Handel mit Ägypten und einigen anderen Häfen des östlichen Mittelmeers zeitweilig verboten wurde, war das für den beginnenden griechischen Fernhandel von nicht geringem Nutzen. Das betrifft vor allem die Kontakte zu Ägypten, von denen Tyros zumindest zeitweise wegen eines assyrischen Embargos abgeschnitten war, die Griechen dagegen etablierten sich gerade in dieser Zeit in Ägypten.46 Die Jahre, in denen Städte wie Tyros, Sidon und Arwad lange belagert wurden und nur über das Meer versorgt werden konnten, boten sich griechischen Händlern die Möglichkeit, dort dringend benötigte Waren regelmäßig und sicher auch mit gutem Gewinn zu verkaufen. Zu diesen Waren könnten Lebensmittel, Trinkwasser und militärische Ausrüstung gehört haben. Wegen der schwierigen Grabungsbedingungen können diese Hypothesen bislang allerdings nicht eindeutig durch archäologische Befunde unterstützt werden. Wie auch immer sich die griechisch-phönikischen Beziehungen an der Küste im 7. Jh. gestaltet haben, sicher ist, dass sie sich gerade in dieser Zeit verstärkten. Das ist vor allem an der Einbeziehung ›Sidons‹47 in mehrere Erzählungen der frühgriechischen Epen, welche damals entstanden, und an den phönikischen Importen in Griechenland zu erkennen. In diesem Zusammenhang stehen die phönikischen Gastfreundschaften.48 1.2.2 Die Bedeutung der Kultur an der phönikischen Küste in den Ost-West-Kontakten Für die Griechen waren die Phöniker die wichtigsten Akteure in den Ost-West-Kontakten. Allerdings wurden die Kontaktzonen des kulturellen Transfers aus griechischer Sicht in zahlreichen Orten in Griechenland selbst, weniger an der phönikischen Küste lokalisiert.49 Dementsprechend sollen an etlichen griechischen Orten Phöniker gewohnt haben.50 Archäologische Grabungen haben jedoch keine phönikischen Siedlungen in Griechenland eindeutig nachweisen können. Auch die Taten der phönikischen Heroen fanden auf griechischem Boden statt, während die spätluwischen Mythen in Nordsyrien lokalisiert wurden. Der Katalog der ›phönikischen Einflüsse‹ ist sehr lang: Luxusgegenstände, Technologien, Schiffbau und Navigation, große Teile des Kultwesens bis hin zum ›Import‹ phönikischer Gottheiten und natürlich die Schrift. Vieles davon beruht allerdings nur auf antiken Quellen und Vermutungen. Phönikische Exporte sind im gesamten Vorderen Orient und Mittelmeerraum zu finden: Elfenbeinschnitzereien, Silber- und Bronzegefäße, Applikationen aus verschiedenen Materialien, Schmuck, Gläser, kostbare Textilien, Muscheln u.a. Sie zirkulierten im Mittelmeerraum als Handelsware, Tribute, Beutestücke oder Gastgeschen44 45 46 47 48 49

50

Vgl. Teil V 3.1. Vgl. Teil IV 1.2.6. Vgl. die Tätigkeit der Rhodier: Teil IV 1.2.4. Zu diesem Ortsnamen vgl. Teil I 5.4.1. Hom. Il. 23,741–748; Od. 4, 83–84. Der wichtigste Kulturheld, Kadmos, als Gründer Thebens in seinem Mythenzyklus, zu dem auch der Mythos über die geraubte Europe gehört; die Gründung mehrerer Tempel durch Phöniker in Griechenland (Hdt. 1,105; 2,44; 5,59 u.a.). Z.B. die Gephyraier aus Eretria, Hdt. 5,57.

1. Geographie und Chronologie der primären Kontakte

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ke. Sie gehörten vom 8. bis zum 6. Jh. auch zur Ausstattung eines wohlhabenden und einflussreichen griechischen Aristokraten. Die Produktions- und Verhandlungsorte dieser Gegenstände bleiben jedoch in den meisten Fällen im Dunkeln. Die zweite Schwierigkeit besteht darin, überhaupt die eindeutige phönikische Herkunft einer Rezeption zu zeigen. Während eine einigermaßen sichere Bestimmung von Ikonographie, Stil und einigen Technologien wie z.B. in der Juwelierkunst oder Elfenbeinschnitzerei als phönikisch möglich ist, kann man eine phönikische Herkunft von Architektur, Literatur, Kulten u.a. meistens nicht eindeutig beweisen. Einerseits fehlt das Vergleichsmaterial aus Phönikien, andererseits ähnelten sich Mythen, Kulte und Vorstellungen in den altorientalischen Ländern, sodass genaue Zuschreibungen nur selten als sicher gelten dürfen. Auch die griechische Rezeption und der Transfer der Schrift sind noch nicht geklärt, weder ihre Datierung noch ihre genauen Orte.51 Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass vorderorientalische Kulturelemente seit dem 7. Jh. in Griechenland auf bereits bestehendes, integriertes altorientalisches Kulturgut stießen, das nicht immer leicht von den jüngeren Rezeptionen zu unterscheiden ist.52 Zweifellos hat es Kontakte auf allen sozialen Ebenen gegeben, auch Akkulturationsprozesse, über welche soziale Praktiken verschiedenster Art von der phönikischen Küste nach Griechenland gelangten, doch hier müsste noch viel Forschungsarbeit geleistet werden. 1.3 Israel und Juda Die beiden jüdischen Staaten Israel und Juda entstanden vermutlich gegen Ende des 10./ Beginn des 9. Jh.53 Samaria, das unter Omri gegen 876 als Hauptstadt Israels gegründet wurde, stand unter ihm und seinem Nachfolger Ahab in engen Beziehungen zu Tyros. 853 nahm Israel als eine der führenden Kräfte im Kampf der syrischen Koalition gegen Salmanassar III. teil. Auf dessen Zug nach Südsyrien im Jahr 841 wurden u.a. auch israelische Gebiete zerstört. Immer wieder erschütterten zudem innere Unruhen die Stabilität des Landes: 841 gelangte der Usurpator Jehu auf den Thron. Machtkämpfe fanden ebenfalls ungefähr ein Jahrhundert später unter Menachem (747–739) statt. Gegen ihre syrischen Nachbarn Hamat, Damaskus, die Philister und die Araber führten die Könige von Israel oft offensive und defensive Kriege.54 Mit Tiglath-pilesar III. erreichte die assyrische Macht auch Südsyrien. 738 war Menachem von Israel gezwungen, dessen Oberherrschaft anzuerkennen. Es folgte 735 der sogenannte Syrisch-Ephraimische Krieg, der den Einmarsch der Assyrer in Israel zur Folge hatte. Diese außenpolitischen Gefahren wurden von inneren Auseinandersetzungen in Israel begleitet (738–723). Dor wurde von Tiglath-pilesar III. in seiner Kampagne von 733/2 eingenommen und zerstört. Dass diese Hafenstadt damals vielleicht zu Israel gehört hatte, zeigt ein hebräisches Siegel. Möglicherweise wurden Dor und sein Territorium zur assyrischen Provinz Du’ru. Die Assyrer unterteilten Israel in Provin51 52 53 54

Vgl. dazu Teil III 6 und von Bredow 2004. So entspricht der Beginn der Theogonie des Hesiod dem spätluwischen Schema. Dieses unterschied sich jedoch nicht wesentlich von dem phönikischen, wie es von Berossos gegeben ist. Vgl. Teil I 5.4.3. Vgl. Teil I 5.4.3.

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V. Rezeption und die Entwicklung neuer Identitäten

zen, und es blieb nur ein Reststaat Samaria bestehen. Nach einem erfolglosen Aufstand des Hosea fiel 722/1 auch Samaria, das zerstört und danach als assyrische Residenzstadt neu aufgebaut wurde. Der Südstaat Juda hatte als assyrischer Vasall einen Teil seiner Autonomie noch bewahren können. Als nach dem Tod Sargons II. (705) Tyros von Assyrien abfiel, schloss sich Hiskia dem Inselstaat an. Jerusalem wurde zu einem Zentrum der Aufständischen, die im Land assyrienfreundliche Stadtkönige absetzten. Daher führte Sennacherib im Jahr 701 einen Feldzug gegen den Süden und zerstörte weite Teil von Juda. Die Verwüstungen wurden erst in den Jahren 696 bis 639 behoben. Gleichzeitig kam es wieder zu heftigen inneren Auseinandersetzungen über eine proassyrische oder proägyptische politische Ausrichtung des Landes. Sowohl Israel als auch Juda befanden sich, solange sie autonom waren, wegen der häufigen bürgerkriegsähnlichen Zustände und der Kämpfe gegen ihre Nachbarn und die assyrischen Armeen in einem fast immerwährenden Kriegszustand. Der enge Kontakt zu Tyros aber blieb bis zur babylonischen Eroberung bestehen. Unter Psammetichos und Necho II. geriet Juda in ägyptische Abhängigkeit.55 Das Alte Testament ist die einzige Quelle über den Zustand Syriens während und nach dem Verschwinden der assyrischen Macht. Es begann ein kurzes Wiederaufblühen der Staatlichkeit. Man nahm Reformen in Angriff und versuchte sein Territorium auf Kosten der Nachbarn zu erweitern. Das geschah unter König Josia (639–603), bis die Babylonier ganz Syrien einnahmen. 1.3.1 Israel und Juda als Kontaktzonen Archäologische und schriftliche Quellen weisen die beiden südsyrischen Staaten als eine spezifische Kontaktzone aus. Das gilt weniger für den hafenarmen Küstenstreifen (einschließlich Dor) als für das Binnenland. Wie in Nordsyrien und in Phönikien wäre die sporadische Präsenz von fremden Söldnergruppen gut mit der angespannten politischen Lage Israels im 9. und 8. Jh. zu erklären. Im Alten Testament findet man zwar keine Hinweise auf den Einsatz fremder Söldner in Israel, dagegen aber einen für den Südstaat Juda.56 Die Kontaktsituationen für Griechen in Israel und in Juda unterschieden sich im Prinzip nicht von denen in den übrigen syrischen Ländern im 9. und 8. Jh.57 Wie dort nahm auch in Israel die Anzahl der griechischen Keramikfragmente im 8. Jh. zu. Aus Dor stammen drei Fragmente von sogenannten al-Mina cups,58 die in das 8. Jh. zu datieren sind. Diese zeigen allerdings eher in den nordsyrischen und zyprischen Raum als in den griechischen. Es ist daher anzunehmen, dass ihre Träger aus Zypern kamen, wo diese Keramik ja (vor allem) hergestellt wurde. Nach dem Fall Samarias unter assyrische Herrschaft ist in den Tells des Nordens kaum mehr griechische Keramik zu finden. Dagegen tritt nun ostgriechische und weniger korinthische und attische vermehrt im Binnenland Judas auf. Die Ensembles unterscheiden sich von Ort zu Ort. Zusammen mit der attischen Keramik weisen auch neue Keramikformen 55 56 57 58

Teil I 5.4.3. 2 Kö 11,4; 11,19; vgl. Teil IV 1.1. Vgl. Teil IV 1.1. Gilboa, Sharon 1997; Wenning 2000, 391.

1. Geographie und Chronologie der primären Kontakte

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auf eine andere Art der Kontakte hin, während das Trinkgeschirr auf eine Kontinuität der früheren Kontaktsituationen deutet. Der äußerste Süden Syriens war also ein Abschnitt des gesamten Verbreitungsgebiets dieser Keramik, das von Tarsos und Zypern bis zur Grenze Ägyptens reichte. Das ist die Zeit, in der griechisches Söldnertum sich von der nordsyrischen Küste wegen der assyrischen Herrschaft in den Süden verlegte. Hier zeigen einige Tells die Präsenz von griechischen Söldnern, unter denen Mesad Hašavjahu und Kabri die wichtigsten sind.59 In solchen Festungen lebten größere griechische Kontingente in einer Enklave, bildeten also relativ geschlossene Gruppen, die kaum dem Zwang einer Adaption ausgesetzt waren. Auch die Existenz einer Schmiede zeigt eine weitgehende Unabhängigkeit von ihrer Umwelt. 1.3.2 Die Bedeutung von Israel und Juda als Kontaktzonen Die Bedeutung von Israel und Juda als Kontaktzone zwischen Griechen und Orientalen ist trotz der archäologischen Funde bisher kaum in Erwägung gezogen worden. Diese Länder sind in der frühgriechischen und klassischen Literatur namentlich nicht erwähnt, weil sie unter den allgemeinen Begriff Syrien fielen. Die Oberschicht Israels lebte im 9. und 8. Jh. in einem Umfeld, das stark von der phönikischen Kultur geprägt war, so dass Rezeptionen von dort kaum von solchen von der phönikischen Küste zu unterscheiden sind. Kanaanäische Traditionen, wie sie in den großen Städten des Nordens, z.B. in Megiddo, fortgeführt wurden, finden sich ebenfalls an der phönikischen Küste und einigen Orten Nordsyriens. Und in der Zeit, in der Israel unter assyrischer Herrschaft stand und die Könige von Juda zu Vasallen wurden, kam assyrisches Kulturgut in beide judäische Länder. Einzelne Indizien weisen tatsächlich auf Kommunikation und Rezeption hin. Ich beschränke mich auf nur wenige Beispiele: Einige wichtige Lehnwörter scheinen aus dem Hebräischen ins Griechische übernommen worden zu sein. Diese Fremdwörter sind vermutlich spätestens im 8. Jh. in die griechische Sprache gekommen, da sie im 7. Jh. bereits zur Lexik des Epos, der Lyrik und wahrscheinlich sogar zur Alltagssprache gehörten. Dabei wurden offenbar auch der jeweilige kultische und soziale Kontext übernommen.60 Davon ausgehend könnten also nicht wenige Rezeptionen vermutet werden. Das ließe auf eine fortgeschrittene Akkulturation von Griechen dort schließen. Neben weiteren Lehnwörtern, die aus der Lexik des Alten Testaments abgeleitet werden können, gibt es eine Reihe von entlehnten Mythologemen61 und literarischen Formeln, die zum Teil mit der vormonotheistschen Epoche in Israel und Juda verbunden sind.62 Jedoch ist immer zu berücksichtigen, dass sich die Glaubensvorstellungen in den westsemitischen Gebieten sehr ähnelten. Daher ist die tatsächliche Bedeutung Israels und Judas für die primäre Rezeption ihres Kulturgutes durch Griechen meistens nicht eindeutig bestimmbar. Doch die archäologischen Fundstellen beweisen, dass sie tatsächlich Orte intensiver Kommunikation zwischen Griechen und Orientalen waren. 59 60 61 62

Vgl. Teil IV 1.1. Vgl. Teil II 4. West 1997, 146 zu Okeanos oder 583f. zum Ausdruck ›Fundamente der Erde‹. West 1997, 400 zu den ›Speichern‹ von Zeus bzw. Jaweh oder 451: ›geboren aus Baum oder Stein‹.

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V. Rezeption und die Entwicklung neuer Identitäten

1.4 Das philistinische Gebiet Die philistinischen Gebiete nahe der ägyptischen Grenze gerieten erst spät in das Visier assyrischer Politik. Durch ihre geopolitische Lage wurde ihre Eroberung seit Ende des 8. Jh. zu einer der politischen Prioritäten der assyrischen Könige. Dabei spielten auch wirtschaftliche Interessen eine bedeutende Rolle, stieß hier doch die Weihrauchstraße auf das Mittelmeer. Tiglath-pilesar III. zog im Jahr 735 gegen Gaza, wo dessen König einen Aufstand gegen die damals noch lockere assyrische Oberherrschaft begonnen hatte. Im folgenden Jahr wurden alle Philisterstädte zu streng kontrollierten assyrischen Vasallenstaaten. Zum eigenen Gewinn und zur Schwächung der philistinischen Wirtschaft richtete Tiglath-pilesar III. einen Marktplatz ein, in dem Assyrien unter Ausschluss der Philister mit Ägypten Handel trieb. 733 drang der König nochmals in diese Gebiete ein und stellte sie unter die Kontrolle von sogenannten Arabern, denen er den Schutz der Grenze zu Ägypten übertrug. Bei inneren Aufständen griff Assyrien immer sofort ein, um die Ruhe in dieser empfindlichen Zone aufrecht zu erhalten. Hanu, König von Gaza zu dieser Zeit, versuchte erfolglos, sich von der assyrischen Oberherrschaft zu befreien. Er wiederholte seine Auflehnung mit ägyptischer Hilfe, als Sargon II. König wurde. Sargon reagierte sofort und zerstörte 720 die Stadt. Im Jahr 713 erhob sich Ašdod gegen die assyrische Macht und vertrieb den von ihr eingesetzten König, um einen Iamani auf den Thron zu setzen. Sargon warf diesen Aufstand 712 nieder, der von Juda, Moab, Edom und Ägypten unterstützt worden war. Danach wurde Ašdod zu einer assyrischen Provinz.63 Nach dem Tod Sargons versuchten Aškalon, Ekron und Juda sich abermals im Jahr 705 von den Assyrern zu lösen. 701 griff Sennacherib in einen inneren Aufstand Aškalons ein, wo der von Assyrien anerkannte König ebenfalls verjagt und ein neuer eingesetzt worden war. Eine ähnliche Situation ergab sich im selben Jahr in Ekron, in die auch König Hiskia von Juda verwickelt war. Sennacherib bestrafte Hiskia, indem er judäische Gebiete an die damals loyal gebliebenen Philisterstädte Gaza, Ašdod und das wieder befriedete Ekron verteilte.64 Aškalon wurde in den letzten einhundert Jahren vor seiner Zerstörung im Jahr 604 mehrfach von den Assyrern angegriffen: 705, 701 und 679, und war wohl bei Feldzügen, die allgemein ›gegen Philistia‹ (720 und 674) gerichtet waren, ebenfalls Ziel assyrischer Attacken. Unter Esarhaddon und Aššurbanipal, deren Politik vor allem auf Ägypten fokussiert war, wurden die philistinischen Territorien zu einem oft benutzten Durchmarschgebiet, das daher besonders gesichert werden musste. Schon im Vorfeld dieser Expansion unternahm Esarhaddon im Jahr 679 einen Feldzug an das Grenzgebiet. Der erste erfolglose Kampf gegen Ägypten (674) fand höchstwahrscheinlich in Philistia statt. Während der Ägyptenkampagnen, für die die Philister Schiffe, Landtruppen und Dienstleistungen für assyrische Truppen leisten mussten, blieb es ruhig. Als sich die assyrische Macht auflöste, begann die ägyptische Expansion nach Südsyrien.65 Neho II. hatte wahrscheinlich den Plan, Philistia als sichere Pufferzone gegen die Babylonier einzurichten. In den letzten Jahrzehnten des 7. Jh. stand die philistinische Küste oder zumindest ihre großen Städte unter ägyptischer Kontrolle.66 Ägypten konnte Babylon nicht aufhalten: 604 wurden Ašdod und Aškalon von Nabukadnezar überrannt und zer63 64 65 66

Vgl. Teil I 3. Vgl. Teil I 5.4.3. Teil I 2. Teil I 2.

1. Geographie und Chronologie der primären Kontakte

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stört. Zwischen dem letzten Drittel des 8. und dem Ende des 7. Jh. waren die philistinischen Gebiete auch weiterhin unaufhörlichen Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt.67 1.4.1 Die philistinischen Gebiete als Kontaktzone Die Häfen der Philister lagen auf der Route nach und von Ägypten und wurden daher intensiv für den griechisch-ägyptischen Handelsverkehr genutzt. Das impliziert häufige kürzere Kontakte mit den Menschen in diesen Häfen, aber durchaus auch längere Aufenthalte zum Abwickeln von Handelsgeschäften, wobei griechische Schiffe vielleicht auch Aufträge von Ägyptern übernahmen, wie es in früherer Zeit die Phöniker gemacht hatten. Die Verkehrssprache war zweifellos das Phönikische, und außer Phönikern und Zyprern traf man sicher verstärkt auf Ägypter. Die intensiven internationalen Beziehungen zeigen sich in der Menge und Vielfalt der importierten Keramik, die bis zum 8. Jh. vorwiegend phönikisch ist. Daneben hat man bei Ausgrabungen sehr viele ägyptische Importe entdeckt.68 Die zweite Kontaktsituation, die eines griechischen Söldnertums, dürfte bereits seit den letzten Jahrzehnten des 8. Jh. bestanden haben. Sie wurde unterbrochen, als die philistinische Küste unter assyrische Herrschaft fiel, um gegen deren Ende in den letzten Jahrzehnten des 7. Jh. in einem viel stärkeren Maß aufzuleben, wie es die Fundkomplexe mit griechischer Keramik anzeigen. Diese Häfen waren internationale Stätten mit einer multiethnischen Bevölkerung, Zentren für Wirtschaft und Kultur sowie Wohnstätten von reichen Oberschichten, d.h. eine Umwelt, in der Adaptionen und Akkulturationen auf einem hohen sozialen Niveau möglich waren. Außerdem wurden diese Häfen auch von griechischen Händlern angefahren. Wertvolle philistinische Waren (z.B. Weihrauch) könnten von Griechen verhandelt worden sein. Auch aus dieser Kontaktsituation haben sich sicher spezifische Rezeptionen ergeben. 1.4.2 Die Bedeutung der philistinischen Gebiete in den Ost-West-Kontakten Eine zufällig erhaltene Quelle, das Fragment eines Gedichtes des Alkaios, in dem er seinen Bruder als Söldner in babylonischen Diensten vorstellt, der in Aškalon gegen die Ägypter gekämpft habe, belegt das griechische Söldnertum in diesem Raum.69 Dabei macht Alkaios eine seltsame Angabe über einen besiegten Philister (oder Ägypter), die wohl eine humorvolle Übertreibung der Taten seines Bruders darstellen soll: Er preist seinen Bruder für seine Erfolge als Söldner im Osten: »Du bist gekommen aus den äußersten Gefilden der Erde mit einem goldumwundenen Elfenbeingriff deines Schwertes ... ein großer Kampfpreis, aber du hast dich aus Not errettet, indem du einen Krieger der Königlichen tötetest, dem an fünf Ellen nur vier Finger fehlen«.70 Das Schwert dürfte ein Beutestück aus diesem Kampf gewesen sein, doch der Beschreibung nach könnte es auch aus jedem anderen beliebigen Land des Vorderen Orients stammen. ›Die Königlichen‹ sind wohl Eliteeinheiten des Kö67 68 69 70

Vgl. ausführlich Teil I 5.4.4. Stager 1966, 66, 70. Vgl. Teil IV 1.1. Alk. fr. 350 LP: Ἦλθες ἐκ περάτων γᾶς ἐλεφαντίναν / λάβαν τῶ ξίφεος χρυσοδέταν ἔχων, / … ἄεθλον μέγαν, ἐρρύσαο δ’ ἐκ πόνων / κτέννας ἄνδρα μαχαίταν βασιληίων / παλάσταν ἀπυλείποντα μόναν ἴαν / παχέων ἀπὺ πέμπων – – – . Zur weiteren Interpretation dieses Fragments vgl. Teil IV 1.1.

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V. Rezeption und die Entwicklung neuer Identitäten

nigs von Aškalon gewesen. Die Beschreibung des philistinischen Kriegers als Riese erinnert sehr an die David-Goliath-Geschichte, auch wenn die Größe der Philister in beiden Texten nicht ganz gleich ist. Der biblische ist gut eine Elle größer.71 Natürlich könnte eine solche Darstellung von überall kommen, auch aus dem griechischen Erzählgut. Aber dass der riesige Krieger mit Zahlenangaben und nicht z.B. durch einen bildlichen Vergleich, was besser für ein Gedicht passen würde, nachgezeichnet wird, muss doch etwas Besonderes signalisieren: die Einbettung der Heldentat des Antimenidas in das kulturelle Umfeld der Philister. Vielleicht spielt Alkaios auf ein kulturtypisches Motiv aus den südsyrischen Gebieten an. Diese Allusion aber hätte nur Sinn, wenn das Publikum sie verstanden hätte. Das würde bedeuten, dass Erzählgut aus Südsyrien dem frühgriechischen Adel nicht nur bekannt war, sondern es sogar nach seiner Herkunft eingeordnet werden konnte. Man darf in diese einzige Quelle natürlich nicht zu viel hineininterpretieren. Da Kontaktsituationen hier nur für kurze Zeit bestanden und auch keine Kontinuität vom 8. Jh. aufweisen, konnten hier keine Rezeptionen entstehen, die mit denen an der nordsyrischen Küste und in Ägypten vergleichbar wären. Es gab keine Bedingungen, in denen sich Prozesse von Akkulturation entwickeln konnten. Diese militärisch geprägte Kontaktsituation entstand dazu in vergleichsweise später Zeit, als der Transfer nordsyrischer und phönikischer Kulturgüter so gut wie abgeschlossen, die archaische Kultur zu einer eigenständigen Größe herangewachsen war und Ägypten die Rolle der wichtigsten Kontaktzone für Kulturtransfer übernommen hatte. Daher kann trotz der reichhaltigen griechischen Keramik der philistinischen Küste für die Prozesse von Rezeption und Transfer keine weitreichende Bedeutung beigemessen werden. 1.5 Ägypten Ägypten war bis zum 8. Jh. ein politisch zerrissenes und wirtschaftlich relativ isoliertes Land, das zwar regelmäßige Kontakte zu den phönikischen Städten pflegte, aber darüber hinaus mit den Gebieten des Mittelmeers kaum Beziehungen unterhielt.72 Das änderte sich erst mit der 25. Dynastie, als das Land wieder begann, eine aktive Syrienpolitik zu betreiben. Ägyptische Truppen tauchten Anfang des 7. Jh. unter den Pharaonen Schebitku und Taharqa mehrfach an der Südküste auf. Die Eroberung Ägyptens durch Esarhaddon und Aššurbanipal (674–667) beendete solche Einfälle. Dem Begründer der 26. Dynastie, Psammetichos I. (664–610), gelang es, sich mit Hilfe griechischer Söldner unter den Königen des Deltagebietes durchzusetzen und dann das ganze Nilland unter seiner Herrschaft zu vereinen. Die Stadt Naukratis wurde wahrscheinlich schon unter diesem Pharao als einziges Zentrum des ägyptisch-griechischen Handels bestimmt.73 Die Pharaonen dieser 26. (saïtischen) Dynastie machten Ägypten wieder zu einer Großmacht, die bis zur persischen Eroberung (525) intensiv am wirtschaftlichen und kulturellen Austausch der Mittelmeerländer teilnahm. Nach dem Tod Aššurbanipals im Jahr 626 versuchte Psammetichos I. auch, die südsyrische Küste Ägypten zu unterwerfen. Diese Expansionspolitik im Osten führte sein Nachfolger Necho II. fort, dessen Hauptziel es war, die Babylonier aus Syrien zurückzudrängen. 608 fiel Juda kurz unter ägyptische Herrschaft, und auch die phönikische Küste 71 72 73

1 Sam 17,4: sechs Ellen und eine Spanne. Vgl. Teil I 2. Vgl. Teil I 2.

1. Geographie und Chronologie der primären Kontakte

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scheint zeitweilig unter ägyptischer Kontrolle gestanden zu haben.74 Nachdem Necho II. aber im Jahr 605/4 von Babylon in Syrien besiegt worden war, zog er sich in sein Land zurück. Er ließ nun eine Flotte bauen, um seinen Einfluss im Mittelmeerraum zu stärken. Unter der kurzen Herrschaft Psammetichos II. (594–588) ist u.a. eine Nubienexpedition bekannt, an der griechische Söldner teilnahmen.75 Nach seinem Tod versuchte sein Nachfolger Apries (588–570) erfolglos, mit der Flotte die Ostpolitik an der südsyrischen Küste, im Ostjordanland und in Juda aufleben zu lassen. Der Misserfolg gegen Kyrene in Libyen 570 führte zu einer allgemeinen Meuterei, in der 569 Amasis, ein Offizier aus Saïs, zum Gegenkönig erklärt wurde. Es entstand ein Bürgerkrieg, in dem Apries die griechischen und andere fremde Söldner einsetzte. Die Wirren zogen sich bis zu seinem Tod im Herbst 567 hin. Während der Regierungszeit des Amasis brach das bisherige Gleichgewicht der Großmächte des Vorderen Orients zusammen: 553 begann Kyros der Große sein Reich zu gründen und mit verblüffender Geschwindigkeit zu erweitern. Trotz eines Defensivbündnisses des Amasis mit dem babylonischen Nabonid und dem lydischen Kroisos war der Aufstieg der Perser nicht mehr aufzuhalten: 536 gewann Kyros durch die Einnahme Babylons ganz Syrien und Palästina. Der letzte König der 26. Dynastie, Psammetichos III. (526–525) unterlag 525 dem persischen Heer unter Kambyses. 1.5.1 Ägypten als Kontaktzone Während des 8. Jh. scheint es die ersten, nur undeutlich erkennbaren Kontakte zwischen Ägypten und Griechen gegeben zu haben. Griechische Seefahrer waren zu dieser Zeit schon in den phönikischen Städten mit Ägyptern und deren Produkten in Berührung gekommen und hatten auch die ägyptische Küste kennengelernt. Sowohl frühe ägyptische Importe in Griechenland, die nicht unbedingt nur von Phönikern dorthin gebracht wurden, wie auch in Ägypten verankerte griechische Mythen, die im 7. Jh. bereits im Umlauf waren, weisen darauf hin.76 Assyrischen Quellen zufolge befuhren griechische Piraten77 damals die syrischen Küsten bis Tyros. Bis zum Nildelta ist es von dort nicht weit. Als Ende des 8. Jh. Seeraub und Söldnertätigkeit in Nordsyrien wegen der assyrischen Herrschaft über diese Länder nicht mehr möglich war, haben sich griechischen Krieger offensichtlich weiter nach Süden orientiert. Nichts spricht dagegen, dass auch die Könige des Nildeltas in ihren Kämpfen untereinander Angebote von fremden erprobten und vielleicht sogar empfohlenen Kriegern gerne angenommen haben. Eine ganz neue Qualität erhielten die Kontaktsituationen unter den Pharaonen der 26. Dynastie.78 Da die Bedingungen für Söldner verlockend waren, kamen nach den Pionieren wahrscheinlich ständig neue Gruppen aus Ostgriechenland nach Ägypten. Sie wurden zunächst in Söldnercamps stationiert, wo sie zusammen mit Kriegern aus anderen Ländern lebten und trainiert wurden. Dort fanden Griechen also zwei verschiedene kulturelle Kontaktpartner: andere fremde westsemitische Söldner und 74 75 76 77 78

Vgl. Teil I 5.4.1. Vgl. Teil IV 1.1. Keine Kontakte zu dieser Zeit sieht Bietak 2001; vgl. die Rezension von Vaeske, http://www. hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-1922. Wir wissen, dass solche Piraten auch zu Söldnern werden konnten; vgl. Teil IV 1.1. Vgl. Teil I 2.

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die ägyptischen Kommandeure.79 Aus den Inschriften aus Abu Simbel haben wir einen Einblick in die Kommandostrukturen solcher fremden Söldnertruppen.80 Anders ist die Kontaktsituation für die Griechen gewesen, die sich in einer der großen ägyptischen Städte wie Memphis ansiedelten. Dort lebten sie meist in kompakten Nachbarschaften, in denen die griechische Kultur noch längere Zeit erhalten blieb. Gleichzeitig aber befanden sie sich in einer tagtäglichen Kommunikation mit ihren ägyptischen Nachbarn, was zu einer schnellen Adaption, Akkulturation und schließlich zu einer Assimilation führen konnte. Naukratis war wegen ihrer kompakten, niedergelassenen griechischen Bevölkerung eine besondere Kontaktzone.81 Ihre Gründung war sicher nicht der Beginn kommerzieller griechischägyptischer Beziehungen, sondern eine Reaktion auf ihre damals bereits bestehenden Anfänge. Mit der Anweisung des Pharao an die griechischen Händler, sich in Naukratis niederzulassen, war der politische Status innerhalb des ägyptischen Territoriums festgelegt. Die Kontaktsituationen waren also in Ägypten vielfältiger als in Syrien. Die für eine Rezeption wichtigste Kontaktsituation war zweifellos die der Söldnerführer, die auf hohem sozialem und kulturellem Niveau mit den einflussreichen und wohlhabenden Ägyptern kommunizierten.82 Sie rezipierten die Lebensweise der hohen Würdenträger wie auch die ägyptische Tradition, wie sie von der Saïtendynastie gepflegt wurde. Gleichzeitig haben solche Griechen auch die für die Saïten spezifische Art der ideologischen Kommunikation übernommen, nämlich in Tempelbezirken und Gräbern, wo sie sich als die eigentlichen Träger der Ordnung präsentierten. Eine andere gut entwickelte Kontaktsituation ist im Kommerz auszumachen, der bereits vor der Gründung von Naukratis begann. In diesem Bereich sind viele verschiedene Kontaktbedingungen möglich gewesen. Da die ägyptischen Behörden einem ägyptisch-griechischen Handel offensichtlich großes Interesse entgegenbrachten, sind mehr als in den syrischen Ländern Gespräche, Abmachungen und Verträge zwischen Handelsherren, Schiffseignern und Kapitänen83 vorauszusetzen, also Kontaktbedingungen auf hohem und mittlerem sozialem Niveau. Die Rezeptionsbereiche umfassten nicht nur den Kommerz, sondern auch Recht und damit verbunde Kulte. Mehr als in anderen Kontaktzonen waren in Ägypten auch griechische Vertreter der unteren sozialen Schichten, welche sich in einem ägyptischen Umfeld adaptierten und akkulturierten, an den Ost-West-Kontakten beteiligt. Grundlage dafür waren für Söldner Landerwerb und Heirat mit einheimischen Frauen. Viele von ihnen aber blieben in Ägypten und konnten daher keinen direkten Transfer leisten. Die Rezeption ägyptischer Kultur durch Griechen der mittleren und unteren sozialen Schichten in Naukratis muss sehr unterschiedlich gewesen sein. In ihrer Enklave waren Außenkontakte mit Ägyptern für sie von geringer Bedeutung. Sie hatten vor allem mit den griechischen Händlern zu tun, welche die Stadt regelmäßig anfuhren. Daher waren sie keinem starken Akkulturationsdruck ausgesetzt. Aus diesem Grund erhielten sich hier griechische Sprache und Kult über Jahrhunderte hinweg. Dennoch existierten zweifellos Beziehungen zu einheimischen Ägyptern. Vielleicht hatten sie Möglichkeiten einer Bodennut79 80 81 82 83

Vgl. Teil IV 1.1. Vgl. Teil IV 1.1. Ausführlich zu Naukratis: Teil IV 1.2.5. Manche erhielten sogar zivile Posten, vgl. Teil IV 1.3. Vgl. zum Handel Teil IV 1.2.5 und 1.2.6.

1. Geographie und Chronologie der primären Kontakte

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zung, wie z.B. durch Pacht oder Erwerb.84 Bedingungen von Entlehnungen und Adaptierungen waren also in einem sehr großen Ausmaß gegeben. 1.5.2 Die Bedeutung Ägyptens für die Ost-West-Kontakte Die ersten Kenntnisse über Ägypten kamen schon vor der Zeit der 26., saïtischen Dynastie nach Griechenland. Die erste historische Person aus Ägypten aus der griechischen Überlieferung ist der aus ägyptischen Quellen wenig bekannte Bokchoris (Bakenranef, ca. 720 bis 715),85 der in Griechenland (nicht in Ägypten!) als einer der größten Gesetzgeber galt.86 Die Überlieferung über den weisen Bokchoris stammt also aus spätgeometrischer Zeit. Auch wurde ein ägyptisches Gefäß in Süditalien mit der Kartusche dieses Herrschers gefunden.87 Phönikische Vermittlung ist wohl ausgeschlossen, weil das Thema der Gesetzgebung in dieser Zeit nicht für die Phöniker, wohl aber für die damaligen Griechen von Interesse war. Die Informationen über diesen wenig bedeutsamen König lassen eher auf direkte frühe griechisch-ägyptische Kontakte schließen. Vielleicht weist das erwähnte Gefäß auf solche Kontakte. Die Bokchorislegende könnte sich von Magna Graecia aus verbreitet haben. Das wäre auch insofern wahrscheinlich, als gerade von dort einige berühmte frühgriechische Gesetzgeber kamen. In dieselbe Richtung zeigen auch einige griechische Mythen, die in Ägypten verwurzelt oder mit Ägyptern verbunden sind. Dazu kommen die vielen frühen Aigyptika, die wohl über Phöniker oder Zyprier nach Griechenland kamen. Das bedeutet, dass Ägypten schon früh als ein Land sehr alter und hoher Kultur im Bewusstsein der Griechen verankert war. Mit der Anhäufung von Kenntnissen über dieses Land entstand in der archaischen Zeit das sehr spezifische Bild eines Volkes mit höchsten technischen und geistigen Fähigkeiten, das die Griechen sogar über die vorderorientalischen Zivilisationen stellten. Ägypten wurde zu einem idealtypischen Kulturland, aus dem die Griechen schon in der Vergangenheit viel gelernt hätten und noch lernen konnten und sollten. Intensive und regelmäßige Kontakte begannen aber erst im 7. Jh. unter Psammetichos I. Seit dieser Zeit liefern die schriftlichen und archäologischen Quellen reichliches Material über die griechisch-ägyptischen Kommunikationsformen.88 Ägypten galt in Griechenland als das Land der uralten Weisheit, das viele griechische Philosophen aufgesucht hätten.89 Auch wegen der vielen ansässigen Griechen in Ägypten – nicht nur in Naukratis – wurde dieses Land zu einem beliebten Reiseziel. Man hatte keine Schwierigkeiten mit den ägyptischen Behörden zu erwarten, und die griechischen Landsleute waren bei Sprachschwierigkeiten und Vermittlungen behilflich. Mit profunden Kenntnissen aus der ägyptischen Kultur begann eine neue Etappe in der griechischen Rezeptionsgeschichte. Die auswärtigen Impulse auf die früharchaische Gesellschaft, welche auf den vorangegangenen Rezeptionen aus dem Vorderen Orient aufbauen konnten, erhielten eine neue Dimension. Dazu gehörten die monumentale Steinarchitektur 84 85 86 87 88 89

Diese Möglichkeiten für Ägypter, vgl. Pressl 1998, 63. Vgl. Teil I 2. Diod. 1,94,5 zufolge soll er Vorbild der Reformen des Solon gewesen sein. Kitchen 1986, 377 mit Literatur. Vgl. dazu Teil IV 2.2. Vgl. Teil IV 2.2.

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V. Rezeption und die Entwicklung neuer Identitäten

mit allen dazu gehörigen Technologien, die sie benötigt und voraussetzt,90 oder die monumentale Steinskulptur.91 Beides war den Griechen zwar auch schon früher aus dem Vorderen Orient gut bekannt, aber um sie selbst herstellen zu können, fehlten offensichtlich die technischen und logistischen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie der ideologische Anreiz.92 Von den religiösen Vorstellungen setzten sich in aristokratischen Kreisen Ideen des ägyptischen Jenseitsglaubens durch. Rezeptionen ägyptischer Mythologie findet man vor allem in Schöpfungsmythen, welche die altorientalischen, von Hesiod verbreiteten Kosmo- und Theogonien zwar nicht verdrängten, aber neben ihnen ihren Platz fanden.93 Zu den frühgriechischen Wissenschaften und Literaturgenres, die im 8. und 7. Jh. starke Impulse aus dem Vorderen Orient erhalten hatten, kamen nun neue Formen aus Ägypten hinzu. Diese Konstatierung ist insofern wichtig, als sie zeigt, dass diese früheren Rezeptionen bereits fest in der archaischen Kultur integriert waren. Untersuchungen über die neue Rezeption auf oder neben einer älteren aus anderen Kulturen existieren bislang nicht.

2. Neue Identitäten durch Rezeption Die ersten griechischen Seefahrer im Osten waren mit einer fremden Umwelt und mit Lebensweisen konfrontiert, die ihnen damals völlig unbekannt waren. In Abhängigkeit von den jeweiligen Kontaktbedingungen und -situationen waren sie gezwungen, auf die Dinge der fremden Umwelt zu reagieren. Das bedeutete die Aneignung der für ihren Lebensbereich und ihr Betätigungsfeld relevanten sozialen Praktiken, die es ihnen ermöglichten, sich in der fremden Gesellschaft zu orientieren und zu partizipieren. Daher setzte bei längeren Kontakten mit den einheimischen Bewohnern ein intensiver Lernprozess ein. Dieser war sowohl von den Sachzwängen bedingt, welche sich aus den jeweiligen Situationen ergaben, als auch von der Intelligenz, der psychischen Disposition und damit der Bereitschaft des Individuums, sich darauf einzulassen. Adaption und Akkulturation während solcher Lernprozesse implizieren einen fortschreitenden Wandel der Mentalität, der zu einer neuen Einstellung zur Welt und einem entsprechenden Handeln führt. Wenn auf der Rezeptionsstufe der Akkulturation Handlungsweisen mit den damit verbundenen Sinnmustern zunehmend übereinstimmen, bedeutet das die Annahme einer neuen Identität.94 Identität ist in der Wissenschaft und der gehobenen Umgangssprache ein beliebter moderner Begriff. Identität steht abgekürzt für kulturelle Identität von Individuen und Gruppen. Sie ist die Gesamtheit aller Konstituenten des kulturellen Selbstverständnisses sowie ihrer Außenansicht. Dabei ist sie kein statisches Phänomen, sondern entwickelt sich in Abhängigkeit von den äußeren und inneren Voraussetzungen. Die Kernidentität bildet sich im Kindes- und Jugendalter in engster Abhängigkeit vom Elternhaus und der es umgebenden Gesellschaft. Die Entwicklung einer Identität ist bei einem Individuum ein Sozialisationsprozess, der sowohl gradlinig als auch mit vielen Brüchen verlaufen kann. 90 91 92

93 94

Vgl. Teil III 3.2 und 3.3. Matthäus 1993, 179f. Natürlich sind auch andere Gründe dafür anzuführen, dass es vor dem 7. Jh. kaum solche Denkmäler gab wie z.B. die politischen und finanziellen Möglichkeiten der frühgriechischen Aristokraten oder das fehlende Verständnis für die Kommuniationsmöglichkeiten durch solche Artefakte. Sie erscheinen in der Orphik, aber auch in profanen Kontexten. Teil III 4.3.

2. Neue Identitäten durch Rezeption

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Vereinfacht gesagt, findet sich ein Mensch durch seine Identität im Leben zurecht. So wie die Gesellschaft ein Geflecht aus vielen Einzelteilen und -bereichen darstellt, so besitzt ein Mensch außer seiner Kernidentität Teilidentitäten, die er sich in den verschiedenen gesellschaftlichen Situationen und unter unterschiedlichen Bedingungen erwirbt, um sich zurecht zu finden, wobei an den Schnittstellen Probleme auftreten können. Zur Definition von Identität gehört das Zugehörigkeitsgefühl zu einem soziokulturellen Kollektiv. Das ist das psychologische Moment. In einem fremden Sozium kann Identität einen Wandlungsprozess durchlaufen, an dessen Endpunkt ein neues Zugehörigkeitsgefühl und ein neues Selbstverständnis, also eine neue Identität, entstanden ist. Grundlegende Veränderungen der Lebens- und Arbeitsweise, der Interessen und Kompetenzen bewirken einen solchen Wandel. Das Selbst ist also ein Produkt kollektiver Wissensordnungen, die in den sozialen Praktiken ›gelebt‹ werden.95 Durch die Rezeption neuer Wissensordnungen erhält ein Individuum ein ›neues Selbst‹. Die kulturellen Gegensätze im Kontakt zwischen Griechen und Orientalen waren im 10. und 9. Jh. enorm und die Kulturkontakte absolut asymmetrisch. Die Aneignung sozialer Praktiken geschah weiterhin in zunehmendem Maß in einem fremden Netzwerk von Bedeutungen, in denen die Erfahrungen der Kernidentität eine immer geringere Rolle spielten. Diese waren nicht mehr nützlich, sondern konnten sich in den meisten Fällen nur als störend erweisen. Um handlungsfähig zu sein, wurden daher vergangene Bewusstseinserlebnisse von den neuen gegenwärtigen zurückgedrängt. Nicht isolierte Einzelhandlungen waren dabei ausschlaggebend, sondern kulturelle Schemata, die als Komplex rezipiert werden mussten.96 Gerade diese Schemata aber bilden die Grundlage der Identität eines Individuums.97 Und da sich ein Individuum in seinem Handeln präsentiert und verwirklicht, gehört die richtige Kenntnis des Handelns zur Selbstdefinition eines Akteurs.98 Indem ein Mensch seine sichere Erfahrungswelt verlässt und sich fremde soziale Praktiken aneignet, gewinnt er, wenn auch zunächst nur in Teilbereichen des Handelns, ein Zugehörigkeitsgefühl zum fremden Sozium. In konkreten Fällen wäre nachzugehen, wie wesentlich ein bestimmter Teilbereich für das Selbstverständnis ist, was für einen Stellenwert er in den Grundlagen der Identität einnimmt und welche Auswirkungen er auf andere noch zu rezipierende Teilbereiche haben kann, usw. Die Entwicklung einer neuen Identität als Sozialisationsprozess im Ausland wird von der fremden Gesellschaft über Kommunikationsmedien eingeleitet und vorangetrieben. Das wichtigste Element ist dabei zweifellos die Sprache. Daher muss in einem Adaptionsund Akkulturationsprozess das Erlernen der Sprache als notwendige Voraussetzung und Grundlage angesehen werden. Dabei ist Sprache nicht nur als Kommunikationsmittel des Alltags von Bedeutung: Sprache transportiert Begriffe, in denen grundlegende Vorstellungen und Ideen liegen. Sie vermittelt Denkmuster und den Umfang der kognitiven Erfassung der Welt. Das ist kein abstrakter Gedanke, wenn man sich vor Augen führt, dass man 95 96 97

98

Reckwitz 2012, 537. Vgl. dazu auch Reckwitz 2012, 567. Reckwitz 2012, 576: »… dass innerhalb der vielschichtigen Wisssensordnungen, die in der Sozialwelt existieren, jenen Sinnmustern ein besonderer Stellenwert zukommt, die das implizierte Verständnis des ›Selbst‹ …, die Identität, betreffen.« Reckwitz 2012, 577, nach den Thesen von Goffman.

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V. Rezeption und die Entwicklung neuer Identitäten

Sprache als ein Regelsystem lernt. Den Lernprozessen liegen auch spezielle soziale Praktiven zugrunde.99 Auf der individuellen Ebene bewirkte Akkulturation eine Spaltung der Persönlichkeit, in diejenige, die sich eine fremde Sprache und fremde Lebensformen angeeignet und einen Platz in einer fremden Gesellschaft gefunden hat, und in eine ›griechische‹ Persönlichkeit, die die eigene ›väterliche‹ Kultur weiterhin in sich trägt und, zurückgekehrt ins griechische Heimatland, ihren Platz wiederfinden muss und will. Ein Grieche, der in persönlichem, verbalem Kontakt mit den östlichen Kulturträgern stand, begann in einem anderen ›Sinnuniversum‹ zu leben. Die Bildung einer neuen Teilidentität, in welche die fremde Kultur zunächst nur in bestimmten, relevanten Lebensbereichen aufgenommen wird, ist in der ersten Phase der Kontakte durch reine Sachzwänge zu erklären. Eine solcherart ausgelöste Rezeption verläuft auf unterschiedlichen kommunikativen Ebenen: die mimetische Aneignung in der persönlichen Kommunikation, dann das Erlernen der jeweiligen Sprache, die Rezeption praxisgebundener Prozesse und schließlich das Erlernen von Lesen und Schreiben und damit eng verbunden auch die Aneignung von Bildung in Literatur, Wissenschaft und religiösen Vorstellungen.100 Die Intensität solcher Rezeptionen hängt von vielen Vorraussetzungen ab wie von der Zeitdauer des Kontakts, den sozialen und kulturellen Bedingungen, dem ursprünglichen Bildungs- und Wissensstand des Individuums, kulturspezifischen Vorbehalten, der sozialen Kernidentität, den individuellen Fähigkeiten usw. Natürlich waren rein persönliche Gefühle des Gefallens oder Missfallens ebenfalls mitentscheidend.101 Auch das wohlwollende oder ablehnende Verhalten der fremden Kontaktpartner gegenüber einem Griechen war für die Sozialisierung entscheidend. Ein Grieche kam mit bestimmten Zielen, und die Fremden schätzten ihn nach den Vorteilen ein, die er ihnen bot. Die Kernidentität eines Griechen hatte im 7. und 6. Jh. wegen der dynamischen soziokulturellen Entwicklung Griechenlands bereits einen ganz anderen Charakter als in den vorigen Jahrhunderten. Sie glich sich, vorrangig in der Oberschicht, fortlaufend der Kultur des Vorderen Orients an, d.h. in Griechenland entwickelten sich immer mehr soziale Praktiken, die es in ähnlicher oder gleicher Weise auch im Vorderen Orient und in Ägypten gab. Die Impulse dafür gingen von der frühgriechischen Aristokratie aus, die für ihre politische und soziale Identität entsprechende Medien und Symbole benötigte, die sie u.a. im Osten und in Ägypten gefunden hatte. Die Motivation der Griechen, Kontakte in der Fremde aufzunehmen, war von Beginn an der persönliche Gewinn. Das Verständnis dafür, was ein materieller Wert ist, und vor allem, wofür man ihn einsetzen konnte, war ein Resultat der Aneignung sozialer Praktiken aus dem Osten, die spätestens seit dem 8. Jh. auch in Griechenland bekannt waren. Als Gewinn zählten nicht nur die materiellen Güter in Form von xenia, Sold oder Handelsprofit, sondern auch ein geistiger, der immer mehr als ein ideologisches und politisches Mittel für die Stärkung des Ansehens (τιμή) verstanden wurde. Die Rezeption von Bildung ergab sich 99 100 101

Vgl. Teil III 4.1. Vgl. Teil III 4. Dieser menschlich und also auch historisch so entscheidende Faktor der Emotionen ist leider in der Historiographie völlig vernachlässigt, obwohl durchaus genügend Material zu Untersuchungen vorhanden ist. Zu späteren griechischen Epochen vgl. Chaniotis 2013.

2. Neue Identitäten durch Rezeption

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aber erst mit der Veränderung der Identität, wobei das Streben nach geistiger Bereicherung eine Eigendynamik entwickelte. Eben diese Akzentverlagerungen bei den Motivationen stellt ein Anzeichen der sich verändernden Identität dar. Die Anerkennung geistiger Güter als Werte sind als Resultat der sekundären Rezeption in den griechischen Eliten erst seit dem 7. Jh. deutlich erkennbar. Kommunikation und Rezeption gestalteten sich immer individuell, und der Wandel der Identität betraf das Individuum immer persönlich. Rezeption bedeutet dabei keinesfalls einen Mangel an Kreativität, kein passives Mit-Sich-Geschehen-Lassen, sondern ist ein sehr komplexer und aktiver Prozess, an dem der ganze Mensch beteiligt ist. Kontakte im Vorderen Orient und in Ägypten, welche zu Identitätsveränderungen führten, waren fest im jeweiligen Kontaktraum vor dem Hintergrund kulturhistorischer Gegebenheiten und historischer Prozesse verankert. Seit dem frühen 9. Jh. wurden diese Räume immer wieder mit verschiedenen Zielen unter sehr unterschiedlichen Bedingungen angefahren. Dementsprechend waren die Rezeptionen der Griechen, welche durch einen längeren und verbalen Kontakt in bestimmten Berufsfeldern ihre Identität verändert hatten, ganz und gar nicht einheitlich. Es gab wohl nie größere Gruppen von Griechen, welche gleiche Erfahrungen und Kenntnisse erworben hatten und daher im Transfer nach Griechenland gemeinsam in einer Richtung wirksam sein konnten.

Karten Die nachstehenden Karten zeigen die Räume, Gebiete und Länder, welche vor allem im ersten Teil des Buches behandelt werden. Dabei sind vorwiegend solche Orte eingetragen, die eingehender untersucht werden.

Karte 1: Griechenland und der östliche Mittelmeerraum

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Karten

Karte 2: Ägypten während der Dritten Zwischenzeit

Karten

Karte 3: Das Neuassyrische Reich während seiner  größten Ausdehnung

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Karten

Karte 4: Das Neubabylonische Reich (636–539)

Karten

Karte 5: Südostanatolien und Nordsyrien (der spätluwische Raum), 10.–8. Jh.

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Karte 6: Die phönikische Küste

Karten

Karten

Karte 7: Israel, Juda und Philistia

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Register Aufgenommen sind Namen von Personen, Göttern, Völkern, Orten und Ländern. Abdili’ti 47 Abdi-milkutti 48, 65, 111, 121 Abibaʿal 113 Abu Hawam 93, 116 Abu Simbel 238, 241, 303, 354 Achilleus 196, 304 Adad-idri 125, 246 Adad-nadin-zeri 272 Adadnerari II. 35 Adadnerari III. 41, 52, 72f., 79f., 83, 114, 126, 271, 340, 342. Adana 60f., 63, 67, 85 Adanawa 67 Adini, Bit 36f., 69, 71, 246 Adrame 72 Afis, Tell 58, 74, 79 Anm. 437, 80 Anm. 446 Agamemnon 222, 304 Agusi, Bit 37f., 42, 60, 68, 70–75, 77 mit Anm. 416 ʿAin Dara 75 Anm. 402 Aiolos 198 Aithioper 240 Ajarammu 37, 43, 127f. Ahab 37, 127, 347 Ahas 43, 128 Ahimilki 136 Anm. 917, 137 Anm. 929, 138 Ahiminti 136 Ahiram 112 Ahhijawa 67 Ahmar, Tell 37, 69 Ahta 83f., 86 Anm. 498, 89, 94 Ahuna 72 Anm. 370 Aigina 250, 296 Ajarammu 47 Akhzib, Tell 115 Akko 50, 99, 106, 116, 119, 122, 279 Alalah 58, 86 Anm. 496, 256 Aleppo → Halap Alexandria 29 Alkaios 159 Anm. 86, 164 Anm. 116, 232f., 249, 351f. Alkandre 300 Alimus 76 Altıntepe 46 ʿAmana 37 Amanus 36, 39f., 43, 60, 66, 68, 76, 82, 85, 117, 273

Amasis (General) 238–240 Amasis (Maler) 319 Amasis (Pharao) 32f. und Anm. 115, 55, 223 und Anm. 144, 236, 237 und Anm. 55, 288, 307 Anm. 491, 331, 333f., 335 Anm. 633, 353 Amathous 249 Ambaris 45f. Amel-Marduk 56 Ammama 84 Ammon 37 Anm. 145, 47f., 128, 131 Ammon (Gott) 335 Amoibios 238, 240 Amrit 114 Amun-Re 241, 288 ʿAmuq 69f., 75, 77, 86, 91, 97, 105, 107, 248 Amurru 36, 47, 82, 108 Anm. 675, 109 Anm. 683, 177 Anm. 191 Anah 79 Anm. 439, 272 Anaxanor 238, 240 Antakya (Stele) 41, 72, 73 und Anm. 384, 77, 83, 87, 91, 94 Antilibanon 84, 125 Antimenidas 232–234, 352 Antiocheia 77, 86 Aphrodite 164, 226 und Anm. 155, 287 Apollon 215, 217 Anm. 114, 237, 247, 289, 296, 298 Apries 31 Anm. 105, 32, 55, 101, 123, 132, 233, 237, 282 Apuaštu 55, 65 Aqaba 276 Arabah 128 Araber 37, 45, 49 Arabien 50, 99, 129, 268, 286 Aramäer 34, 47 Anm. 203, 59, 68 Anm. 277, 70, 82, 86, 106, 144, 214, 239, 270 Anm. 277, 273 Archon 238, 240 Ares 68, 231 Anm. 27 Argišti I.42 Argišti II. 46 Aribua 36f., 76 Arpad 37f., 41–43, 45, 57, 60, 69–75, 77–79, 81, 83, 91f., 126, 248, 270, 339, 341f. Arqa 83f. Armenien 35

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Register

Arne 72 Arsa 137 Artemision 306 Arwad 35 Anm. 127, 36f., 43f., 46–49, 55, 57, 84, 98, 106, 108 Anm. 675, 109 Anm. 678, 111f., 114f., 121, 123, 138, 146 Anm. 17, 268, 281, 344, 346 Asa 117 Ašdod 45, 47, 55, 57 und Anm. 257, 128 Anm. 850, 130, 133, 136–138 Ašera 117, 173 Anm. 164 Aškalon 43, 47f., 54, 121 Anm. 791, 129, 133, 138, 233, 350–352 Aššur (Gott) 129, 171 Aššur (Stadt/Land) 29, 35, 51, 115, 266, 282, 283 Anm. 342 Aššur-bel-kala 35 Aššur-etel-ilani 50 Aššur-sarru-usur 62 Aššurbanipal 27–29, 47, 49f., 65, 112, 115, 122, 123, 130, 170, 245, 295, 344, 350, 352 Aššurdan II. 35 Aššurdan III. 41, 73 Aššurnasirpal II. 25, 36, 59, 69, 72, 74, 76f., 108, 111, 113f., 125, 127, 270, 272 Anm. 284, 277, 279, 342 Aššuruballit II. 30, 51 Aštarte 226 ʿAtaršumki 72, 77, 91 Athen 18, 164, 166f., 228, 250, 254f., 258 Athene 200, 222, 226 Anm. 155, 236, 298 Athribis 27f. Attika 16 Anm. 4, 18, 132, 143, 215, 238 Anm. 79, 251, 254, 258, 290, 294 Auza 117 Anm. 757, 118 Awarikus 63 Awil-Marduk 55 Axios 229 Azatiwata 62–64 Azatiwataja 62 Azibaʿal 115 Azrijau 42, 77, 80, 83, 118 Anm. 767, 343 Azor 256 Azuri 136 und Anm. 920 Baʿal (Gott) 128, 178 Anm. 198, 225 Anm. 151 Baʿal I. 49, 120 Anm. 785, 121f., 137, 279, 285, 344 Baʿal II. 109, 124 Baʿal III. 55 Baʿal Sapuna 83, 86 Baʿal-ezer 55, 124 Baʿalat 79 Anm. 434, 113 Baʿalšamin 80 Ba’asa 37, 79 Anm. 145 Banyas 98 Barga’ja 74

Bar-Hadad (Melqart-Stele) 117 Bar-Hadad I. 125 Bar-Hadad III. 79, 117 Bataš, Tell 133, 138, 243 Batroun/Botrys 113f., 118 Ben Hadad 117 mit Anm. 761 Benhu 238 Bes 150, 223 Anm. 142 Beth Samers 116 Bion 331 Biqaʿ 37 Anm. 145, 39, 111, 120 Birhadad 41 Borsippa 267 Bruttium 294 Brygos 319 Bubastis 31, 235 Burak, Tell el- 112 Buramu 76 Buto 234 Byblos 23–25, 31, 35–37, 43, 48, 84, 106, 111–114, 117, 274f., 279, 281, 285f., 292 Anm. 402, 307 Anm. 492, 328 Anm. 575 Çatal Höyük 91f., 248, 341 Chersiphron 306 Chios 138, 237 Chulefi, Tel el- 276 Çineköy 62f., 67, 177 Anm. 192, 273 Damaskus 25, 37–39, 41 mit Anm. 165, 43, 45, 50, 73, 77–79, 81, 113, 117f., 119 Anm. 773, 125– 128, 132, 135, 174, 246f., 272 Anm. 283, 276, 282f., 340, 347 Danuna 62 Anm. 292, 67f., 85, 177 Anm. 192 Daphnae 235 Anm. 45 Daruk, Tell 84 David 78, 116, 127, 173, 233, 244, 275, 352 Dedan 283, 297 Defenneh, Tell 237 Deiokes 50 Delphi 21, 68, 166, 183, 237, 250, 318 Anm. 524, 337 Demodokos 161 Didyma 147 Anm. 22, 182, 236, 318, 337 Diodor 227, 287 Dnnym 67 Domuztepe 62 Du’ru 128, 347 Eber Nahri 57 Edfu 238 Edom 46–48, 56, 128, 131, 134, 137 und Anm. 929, 138, 350 Egibi 268 Ekron 47f., 57 Anm. 257, 129f., 134, 137 und Anm. 929, 138, 350 Elam 29, 48, 50

Register Elbistan 69 Eleer 335, 336 und Anm. 623 Elephantine 28, 238, 289 Eljakim 131 Ellisu 83 Eloulaios/Luli 47, 119–121, 129, 344 Eltekeh 129 Ephesos 119, 306 Epikopoi 257 Eretria 126, 246f., 251, 255 Anm. 196 Erğani maden 69 Esarhaddon 26, 27 Anm. 74, 47–49, 65 und Anm. 311, 109–112, 114f., 120 und Anm. 76, 121f., 137, 170, 244, 267, 279f., 285f., 293 Anm. 413, 319 Anm. 526, 339, 344, 350, 352 Ethbaʿal I. 47, 113, 117 und Anm. 752, 123 Ethbaʿal II.118 Ethbaʿal III. 123 Etrurien 278 Euboia 16 Anm. 4, 18, 88f., 94, 96, 143, 160, 215, 246, 249, 252, 257f., 290, 292, 295 Eumaios 110 Anm. 691, 284, 300, 320 Anm. 528, 321 Anm. 539, 324 mit Anm. 547, 327 Anm. 571 Eupalinos 316 Euphrat 34–37, 40, 42, 51, 54, 58f., 68–71, 73f., 78, 79 und Anm. 439, 123, 125, 126 Anm. 826, 246, 270–272 Ezekias 319 Ezekiel 119 Anm. 773, 123, 173, 244, 297, 345 Ezion-Geber 376 Gabala 78, 84, 87, 97 Galiläa 111, 116, 127, 132, 135, 275 Gat 129, 134 Gaza 26, 43, 46–48, 55, 57, 106, 109, 112, 120, 121 Anm. 795, 123, 130–135, 137 und Anm. 929, 138, 236 Anm. 58, 266, 268, 279, 286, 293 Anm. 413, 328 Anm. 575, 350 Gazıpaşa 66 Ğebel al-ʿAqra 73, 80, 83, 86, 91, 94, 343 Ğebel an-Nusayriyah 94, 97f. Ğebel Ansariyah 81, 84 Ğeble 98 Gedalia 57 Gezer 127 Ğezira 52 Ğisr es-Sugur 73 Goliath 233, 352 Gravisca 296 Gubla (Byblos) 47, 49, 83f., 112–114 Gurgum 37, 42f., 60, 69f., 72, 74 Gusi 72 Anm. 320, 76 Anm. 411 Guzana 89, 95, 250 Gyges 29, 50

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Habur 36, 40, 42 Hadadezer 37, 78 Hades 259 Halaf, Tell 95, 256 Halap (Aleppo) 37, 40 Anm. 157 und 162, 71, 74, 79f. Haldeh 124 Halizonen 229 Hamat 25, 31, 37–39, 41–43, 45, 54–56, 68 und Anm. 337, 69, 71–75, 77–84, 94, 97–99, 102f., 105f., 113, 120, 123, 125f., 128f., 135, 144 Anm. 6, 223 Anm. 143, 245, 247, 249, 256 und Anm. 199, 270–273, 276, 307 Anm. 491, 340– 343, 347 Hanun 26, 43, 45, 134, 135, 279 Harišu 328 Harran 29f., 50–52, 283 Anm. 342 Hasuatti 83 Hatarikka 73, 77, 80 mit Anm. 446, 81, 83 Hattuša 71, 214 Hauran 125 Hazaël 39, 113, 125f., 246, 251, 272 Anm. 283 Hazazu 40, 76, 77 mit Anm. 416, 82 Hazzi 86, 214 Hazor 58, 127 Helena 124, 300 Heliopolis 168, 237 und Anm. 65, 238 Hera 20, 221 Anm. 131 Heraion 104, 246, 251, 254 Herakleopolis 28 Herihor 23 Herodot 28, 31 Anm. 105, 32f., 96, 116 Anm. 744, 130, 165–168, 181, 193, 211, 223, 227, 230, 234–238, 286, 287 mit Anm. 364, 288, 296f., 301, 306, 315–317, 324, 326f., 332 und Anm. 607, 334–336 Hijawa 67 Hilakku 37, 44, 46, 50, 56, 60 und Anm. 274, 61, 64, 65, 70, 76, 330 Hiram I. 110 Anm. 689, 111 Anm. 696, 115, 116 und Anm. 743, 275–277, 284, 307 Hiram II. 43, 117–119, 278 Hiram III. 55, 124 Hiskia 26, 44, 47, 129, 130 Anm. 862, 137, 174, 348, 350 Homs 78, 107, 273 Hosea 44, 128f., 136, 348 Huzarra 76 Ia’ 45 Iadnana 45 Iakinlu 114f. Ialysos 238, 240 Iamani 136 und Anm. 920, 244, 269, 330, 350 Iariris 193

390

Register

Iauna 328–331 Ibassi-ilu 24 Idibi-’ilu 135 Ikausu 137 Anm. 929, 138 Illubru 47, 48 Anm. 208, 64, 330 Illujanka 214 Anm. 100, 215 Ilu-bi’di (Jau-bi’di) 45, 81 Ilur 80 Inaros 167, 287 Ingira 60, 64 Ini-Teššub 34 Ion 331 Ionier 58, 136, 211, 234, 237, 252, 269, 304, 328– 331 Irqata 37 İskenderun 60 Israel 24f., 37, 39, 43, 45, 52, 78 Anm. 430, 116f., 125–130, 132, 136, 173f., 275, 282f., 347–349 Jahan 46, 72 mit Anm. 370, 75, 76 Anm. 411 Jakinlu 114f., 49 Jau-bi’di (Ilu-bi’di) 45, 81 Ja’udi 70 Jehosaphat 276, 284 Anm. 346 Jehu 128, 347 Jerobeam I. 24, 127 Jerobeam II. 80, 126, 128, 342 Jerusalem 47, 55, 110 Anm. 689, 123, 129–132, 172f., 174 Anm. 170, 243, 269 Anm. 265, 276, 283f., 348 Jojakim 55, 131, 243 Josia 130f., 138, 172, 248, 349 Judeidah 92, 298 Kabri, Tell 116, 133, 138f., 243f., 349 Kalah 36, 41 Kalhu 76, 277 Kallinos 160 Anm. 96, 232 Kaloriziki 257 Kambyses 33, 353 Kammusunadbi 47 Kar Aššur-aha-iddina 48, 137 Kar Aššurnasirpal 36 Kar Esarhaddon 111, 115, 122, 293 Anm. 413 Kar Salmanassar 37, 69, 177 Karatepe 62 und Anm. 292, 63, 67 und Anm. 329, 101 Anm. 632, 150, 178 Anm. 199, 250, 273, 291 Anm. 397, 329, 341 Karbaniti 49 Karer 12, 68, 192 Anm. 31, 231, 234, 236f., 239f., 244f., 301, 304f., 326 Anm. 566 Karkemiš 30, 34, 35 Anm. 127, 36–38, 43, 45, 54, 59, 63 Anm. 296, 68–70, 71 und Anm. 362, 72, 74, 76, 91, 95, 123, 131, 138, 146 Anm. 14, 149f., 193, 245f., 252, 256, 264, 265 Anm. 239, 266, 270, 273 Anm. 289

Karnak 23f. Karthago 108, 110, 118, 123, 280 Anm. 330, 293 Karthago (auf Zypern) 117 Kasios 86 Kašpuna 42, 81, 83, 103, 328 Kassab 83, 103 Kate 39f., 60, 61 mit Anm. 282, 68 Kazel, Tell 84, 97, 102, 109 Anm. 683 Keisan, Tell 116 Kerkis 238 Kilamuwa 70 Kilikien 36f., 56 und Anm. 251, 60 und Anm. 274, 64f., 67–69, 73, 81, 85, 90f., 98f., 102f., 145, 262, 268, 270, 329f., 344 Kimmerier 46, 50, 65 Kimuhu 30, 54 Kinet Höyük 64 Anm. 301, 85, 90, 103, 105 Anm. 663, 341 Kirua 64, 330 Kition 47, 118, 120, 243, 276f., 280 Anm. 330, 344 Klazomenai 287 Knidos 287 Kolaios 295f. Kom Frin 237 Kommagene 69 Korinth 95f., 99, 165, 299, 333 Kreta 16 Anm. 4, 18, 230, 255, 256 und Anm. 201, 257f., 262, 287, 290f., 331 Anm. 503, 324 Kroisos 33, 298, 315, 331 Anm. 602, 353 KTK 74, 341 Anm. 22 Kubaba 150 Kulmadara 76 Kulummu 330 Kumarbi 214 Kummuh 34, 37, 42f., 69f., 72, 74, 266 Kunalua 72f., 75–77, 86, 248, 270f., 342f. Kundi 48, 64 mit Anm. 307 Kundu 48, 111 Kurd Dağ 69 Kurdi 330 Kurkuma 69 Kurussa 77 Kusch 239 Anm. 82, 281 Kyaxares 51 Kykladen 94, 143 Kyklopen 197 Kypseliden 228, 299, 333 Kyrene 32, 33 mit Anm. 114, 235, 295f., 353 Kyros II. 33, 56, 307 Anm. 491, 353 Lachiš 47, 132, 174 Laertes 284, 324f. Lakonien 295 Lattakia 97f. Laureion 294f. Lefkandi 18f., 87, 89, 252–260, 292, 319, 341

Register Leontopolis 25 Lesbos 138, 233f. Leto 234 Libyen 32, 68, 118, 235, 245, 281, 295, 353 Lindos 236, 251 und Anm. 173, 252, 333, 337 Luʿaš 41, 79 Lubarna 76f. Luli (Eloulaios) 47, 119–121, 129, 223 Anm. 143, 331 Anm. 601f., 344 Lydien 50, 56, 65f. Lydos 319 Machaon 317 Magiddu 128 Malatya 34, 40, 60, 69f., 214 Anm. 100, 250, Mallos 66 Manasse 121 Anm. 795, 130 Maraba 83f. Maraş 69, 252 Marduk-appla-usur 79 Anm. 439, 271f. Mari’ 126 Marqasi 69 Masos, Tell 116 Matanbaʿal 114 Matiʿ ’el (Idibi-’ilu) 41f., 73f., 77 Mattan II. 119 Medien 50 Megara (auf Samos) 316 Meggido 116, 123, 127, 130f., 133, 430 Melid 37, 39, 42f., 59, 65, 69–70, 72, 74 Melqart 116f. Memphis 27f., 49, 122, 167f., 236, 237 Anm. 65, 287, 305, 354 Menachem 128, 347 Menelaos 124f., 199 Anm. 88, 187, 192, 196 Anm. 50, 201, 294 Anm. 421, 300f., 306, 325 Menua 40, 42 Merodach-Baladan 129 Mersin 60, 64, 268, 341 Mesad Hašavjahu 130, 132–134, 138f., 242f., 245, 349 Mešech 281, 283, 297 Mesopotamien 24, 29, 34, 50, 53, 56, 69, 71 Anm. 362, 73, 76, 78, 85, 103, 106–108, 121, 125, 132, 209, 222, 264, 266, 274, 277 Anm. 311, 295, 317 Metagenes 306 Migdol 130, 236 Anm. 45 Misis 60f. Mita 45, 61 Mitinti 47, 135, 136 Anm. 917, 137 Anm. 929, 138 Mizpa 132 Moab 46–48, 128, 131, 136, 350 Mopsos 67f., 69 Anm. 332, 178 Mopsuestia 61 Mukasa 68

391

Muksas 67 Muksupolis 67 Muru 72 Musa Dağı 73, 86 Muški 34, 45f., 61, 62 und Anm. 287, 63, 65, 69, 106, 281 Myrsilos 233f. Mytilene 287 Nabonid 33, 55f., 65f., 267–269, 353 Nabu-nasir 172 Nabukadnezar 30–32, 51, 54–57, 65, 81, 101, 110– 112, 115, 123f., 131, 138, 233, 243–245, 267, 269, 280, 350 Nabupolassar 30, 50f., 54, 233 Nagidos 66 Nahlasi 72, 83, 87 Nahr el-Kalb 27 Anm. 75, 118, 122 Nairi 35, 38 Napata 26f., 32 Nausikaa 198, 200 Naustrophos 316 Naxos 119, 313 Necho I. 27f. Necho II. 30f., 54, 81, 123, 130f., 138, 236, 241, 243, 245, 286, 348, 352f. Negev 29, 116, 130 Neriglissar 55f., 65 Ninive 27, 29, 47f., 51, 89 Nitokris 28, 33 Nubien 31, 35, 136, 238 Nulia 76, 82 Odysseus 159 und Anm. 88, 161, 182, 193, 197– 201, 229f., 300, 324f., 335 Olympia 21, 104, 165, 254, 324f., 335, 337 Omri 117, 127, 347 Ophir116, 276 und Anm. 303 Orontes 25, 36f., 71f., 73 mit Anm. 383, 77f., 81f., 84, 86f., 91, 96, 114, 117, 126 Anm. 826, 131, 246, 271f. Osorkon I. 24 Osorkon II. 25, 37, 118 Osorkon IV. 26, 135 Oudamos 238, 240 Padi 129 Pahri 61 und Anm. 283 Palästina 54, 101, 103, 256f., 353 Palmyra → Tadmur Pannamu 44 Patin 37–38, 40, 42f., 68, 70f., 72 mit Anm. 376, 73– 78, 80, 82, 91f., 94, 113, 126, 246–248, 270f., 340–343 Pedon 235, 301–305 Peisistratos 222, 228, 294f. Pekah 43

392

Register

Peleqos 238, 240 Pelusium 33, 130, 135 Perati 254f., 257f. Periandros 177 Phaiaken 161f., 194 Anm. 42, 196 Anm. 50, 198– 201, 229 Phaidimios 124 Phaselis 68 Anm. 334, 287 Phemios 161 Philistia 23, 26f., 47 Anm. 203, 114, 121, 128f., 132–139, 350 Philister 24, 43, 45f., 57, 106, 133–139, 233, 244, 279, 350, 352 Phokaia 287 Phraortes 50 Pianchi 25 Pigres 305 Pirindu 56, 65 Pittakos 331 Podaleiros 317 Polybos 300 Polykrates 33, 237, 299, 334 Polyphemos 197 Pontos 92 Poseidon 20 Posideion 73, 81, 96 Potasimtos 238f., 240 Poteidaia 334 Priene 301 Psammetichos I. 27–30, 39, 50, 109 Anm. 678, 130, 138, 154, 167, 234–238, 240–243, 286f., 301, 303f., 305 Anm. 622, 347, 352, 355 Psammetichos II. 31f., 238, 239 Anm. 82, 353 Psammetichos III. 33, 353 Psammetichos (Kypselide) 333 Psammetichos (Sohn des Theokles) 238–242, 303 Psusennes 24 Ptah 241 Puduili 47 Pwt 245 und Anm. 125 Pygmalion 118 Pylos 20, 322 Pyrgi 296 Pythagoras 331 Qadeš 127 Qalparunda 76 Qarqar 25, 37f., 45, 81, 111, 113f., 117, 125, 135, 342 Qasile, Tell 116 Que 36f., 40, 43f., 46 und Anm. 197, 47f., 56 und Anm. 251, 60–70, 72, 75f., 85, 92, 103, 108, 117, 249, 266, 273, 276, 278, 284, 290, 329f., 339, 341, 343 Qumasi 61 Qurdi-Aššur-lamur 279, 328

Rahianu 127 Ramses II. 122, 178 Anm. 199, 217, 238, 240f. Raphia 26, 45, 135 Ras al-Bassit 78, 84, 94–96, 98, 103f. Ras Ibn Hani 81, 89, 96f., 103f. Razin 43 Re-Harachte 241 Rehabeam 24 Rešef 101 Resi(SAG)-surri 83 Rezin 118, 128 Rhakotis 29, 238 Rhenia 254 Rhodos 100, 183, 240, 252, 283, 287, 297, 301f., 304, 313 Rhoikos 306, 315, 318 Riblah 54, 131 Rifa’at, Tell 71, 74 Rusa I. 45 Šabaka 136 Sabuniye 86f., 91, 97, 248 mit Anm. 145 Sagillu 76, 83 Saïs 23, 25, 27f., 32, 135, 229, 237, 287, 353 Sakçegözü 70 und Anm. 352, 252 Sallistu 83 Sallune 56, 66 und Anm. 319 Salmanassar III. 25, 36–40, 61, 69, 71 Anm. 366, 72, 74, 76, 82, 85, 94, 111, 113, 126, 127, 173, 246, 341, 347 Salmanassar IV. 41 Salmanassar V. 44f., 61f., 85, 119f., 129, 341 Salomo 60 Anm. 279, 116 und Anm. 743, 127, 173, 275f., 278, 284, 307 Anm. 493 Samak, Tell es- 116 Sam’al 27 Anm. 75, 44, 60f., 70, 72, 75, 247 Samaria 43–45, 81, 128f., 132f., 173, 276, 387 Šamaš 137 Samerina 45, 129f. Samos 33, 104, 126 und Anm. 826, 138, 147 und Anm. 119, 182, 237, 246f., 251f., 254, 287, 295f., 299, 306, 316 und Anm. 513, 318, 333, 337 Šamši-adad V. 40, 72 Šamši-ilu 41, 72–74 Šamši-muruna 48 Sanam Abu Dom 238 Sanduari 48, 64, 111 Sangara 36, 270 Saphon 86, 214, 343 Sapuna 83, 86 Saqqara 304f. Sardes 50 Sardinien 118, 278 Sarduri II. 35, 40, 42 Sarepta 106, 110, 112 Anm. 703, 119, 121f., 124

Register Sargon II. 26, 35, 45f., 48, 60, 62, 80f., 119–121, 129, 134, 137, 286, 293 und Anm. 413, 329f., 344, 350 Šarru-lu-dari 137 Sasi 77, 271 Saue 83 Schabaka 26, 136 Schebitku 26, 129, 352 Schischak 24 Scheschonq I. 24, 174 Anm. 170 Seleukia Pieria 86 Anm. 492 Selinous 66 Sennacherib 26, 46–48, 50 Anm. 253, 64, 111f., 114, 119, 121, 123, 125, 244, 329f., 344, 348, 350 Sfire (Inschriften) 73, 77 Sianu 42, 80 Sidon 32, 35f., 44, 46, 48, 55, 57, 108 Anm. 675, 110–114, 117, 119, 121f., 124f., 131f., 137, 268, 275–277, 279, 283 Anm. 345, 293f., 328, 344, 346 Sidqa 47, 137 Siflike 56 Sil-Bel 137 Anm. 929, 138 Sile 26, 130, 135 Simirra 42, 43 Anm. 175, 45, 80, 81 und Anm. 457, 83f., 102, 113–115, 134 Anm. 904 Sin 51f. Sin-šar-iškun 50f. Sin-šum-lišer 51 Sinai 43 Sinau 83 Siphnos 294 Sissu 48, 64 Soloi (Kleinasien) 66, 268, 344 Solon 292 Anm. 403, 331 und Anm. 601, 355 mit Anm. 86 Sostratos 296f. Šošu 236 Sparta 164, 183 Stratopedon 236 Suhu 79 Anm. 439, 271, 272 und Anm. 284 Sukas, Tell 57 Anm. 258, 58, 81, 84, 85 Anm. 487, 89, 95–102, 103 mit Anm. 650, 104f., 256, 269, 273, 340, 342 Surru 49 Syennesis 65 Tabal 39f., 44–48, 50, 60f., 65, 69, 264, 281, 294 Tadmur (Palmyra) 78, 106, 125 Ta’e 83 Anm. 476 Taharqa 26, 27 und Anm. 80, 49, 122, 137, 241, 344, 352 Taima 56, 268 Takelot II. 25 Talmi Teššup 71

393

Tamassos 294 Tamburit 124 Tanis 24, 26, 262, 275, 286 Tanutamani 27, 28 mit Anm. 83 Taphier 294, 298, 325 Tarhunza 62 Tarqinia 296 Taršiš 280 mit Anm. 330, 281, 283 Tarsos 40, 60, 61 mit Anm. 285, 64, 66, 85, 89f., 95, 97, 103, 105, 268, 274, 330 mit Anm. 594, 341, 343, 349 Tartessos 296, 330 mit Anm. 594 Tatamu 342 Taurus 36, 39, 47, 58, 60, 66, 69, 117, 264, 273, 293 Tayʿinat, Tell (Kunalua) 73, 75, 86, 91, 103, 248, 250 Tefnacht 135 Teios 238 Teiresias 68 Telipinu 215 Teuspa 65 Thales 332, 335 Thasos 163, 295 Theben (Ägypten) 23f., 27 und Anm. 80, 28 und Anm. 86, 32f., 50, 122, 168, 228, 238, 285, 300 und Anm. 460 Theben (Boiotien) 68, 165, 346 Anm. 49 Theodoros 306, 318 Theokles 238–242 Tiglath-pilesar I. 34, 36, 59, 71, 108, 110, 170 Tiglath-pilesar III. 26, 41–45, 48, 51, 63, 74f., 77, 80, 109, 113, 116, 118 und Anm. 762, 119, 128, 134f., 171, 247, 278, 286, 293 Anm. 413, 328, 340, 344, 347, 350 Tikulti-ninurta II. 78 Til Barsip 37, 41, 69, 73f., 80, 177, 246 Tilgarimmu 48 Tjeker-Baʿal 274f. Tripolis 81, 84 Tubal 231 Turinaqadina 83 Tweini, Tell 84 mit Anm. 477, 87, 97f., 103, 340, 342 Typhon 214 Tyros 22, 32, 36, 39, 43f., 46f., 49, 55–57, 64, 85 Anm. 487, 93–95, 104 Anm. 651, 106, 108 Anm. 675, 109f., 111 und Anm. 696, 112 und Anm. 703, 113–127, 129, 130–134, 137f., 146 Anm. 17, 169, 199, 244f., 262–264, 267f., 273, 275–283, 284 und Anm. 346, 285, 293, 296– 298, 308 Anm. 493, 313, 328f., 344–348, 353 Tyrtaios 160 Anm. 96, 164, 232 Uauš 46 Ugarit 58, 81f., 102, 214, 255f., 259, 270, 274

394

Register

Unqi (Patin) 36, 38, 42, 60, 70, 75–77, 83 Anm. 476, 126, 246–249, 270f. Ura 65, 71, 214 Ura Tarhunzas 71 Anm. 363 Urartu 35f., 40f., 42 und Anm. 172, 43–47, 50, 62, 70, 73f., 77, 106, 127, 135 Uratami 78 Urhuleni 37f. Urikki 61–63 Urime 76 Uruk 267, 269 Urumilki 47 Usanat 37 und Anm. 144 Ušnanis 61 Usnu 42, 83f., 116

Ušu 47, 50, 99, 116, 119f., 122 Utica 118 *Wadasatini 75 Wadi el-ʿAriš 31, 133, 135 Wen-Amun 23f., 107, 109 und Anm. 680, 113, 261, 274f., 283–286 Zakkur 41, 72f., 77, 79f., 102, 126, 342 Zedekia 57, 131 Zeytıntepe 287 Zeus 20, 178 Anm. 198, 221 Anm. 131, 222, 225, 327 mit Anm. 371, 349 Anm. 62 Zimarra 83f. Zincerli 91, 262

geographic a historic a

Begründet von Ernst Kirsten, herausgegeben von Eckart Olshausen und Vera Sauer. Die Bände 1–8 sind in den Verlagen Dr. Rudolf Habelt (Bonn) und Adolf M. Hakkert (Amsterdam) erschienen.

Franz Steiner Verlag

ISSN 1381–0472

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Gerhard H. Waldherr Erdbeben – Das außergewöhnliche Normale Zur Rezeption seismischer Aktivitäten in literarischen Quellen vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis zum 4. Jahrhundert n. Chr. 1997. 271 S., kt. ISBN 978-3-515-07070-6 10. Eckart Olshausen / Holger Sonnabend (Hg.) Naturkatastrophen in der antiken Welt Stuttgarter Kolloquium zur historischen Geographie des Altertums 6, 1996 1998. 485 S. mit zahlr. Abb., kt. ISBN 978-3-515-07252-6 11. Bert Freyberger Südgallien im 1. Jahrhundert v. Chr. Phasen, Konsequenzen und Grenzen römischer Eroberung (125–27/22 v. Chr.) 1999. 320 S. mit 16 Abb., kt. ISBN 978-3-515-07330-1 12. Johannes Engels Augusteische Oikumenegeographie und Universalhistorie im Werk Strabons von Amaseia 1999. 464 S., kt. ISBN 978-3-515-07459-9 13. Lâtife Summerer Hellenistische Terrakotten aus Amisos Ein Beitrag zur Kunstgeschichte des Pontosgebietes 1999. 232 S. und 64 Taf., kt. ISBN 978-3-515-07409-4 14. Stefan Faller Taprobane im Wandel der Zeit Das Śrî-Lankâ-Bild in griechischen und lateinischen Quellen zwischen Alexanderzug und Spätantike 2000. 243 S., kt. ISBN 978-3-515-07471-1 15. Otar Lordkipanidze Phasis The River and City in Colchis 2000. 147 S. und 8 Taf., kt.

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ISBN 978-3-515-07271-7 Marcus Nenninger Die Römer und der Wald 2001. 268 S. mit 3 Abb., kt. ISBN 978-3-515-07398-1 Eckart Olshausen / Holger Sonnabend (Hg.) Zu Wasser und zu Land – Verkehrswege in der antiken Welt Stuttgarter Kolloquium zur historischen Geographie des Altertums 7, 1999 2002. 492 S. mit zahlr. Abb., kt. ISBN 978-3-515-08053-8 Maria Francesio L’idea di città in Libanio 2004. 157 S., kt. ISBN 978-3-515-08646-2 Frauke Lätsch Insularität und Gesellschaft Untersuchungen zur Auswirkung der Insellage auf die Gesellschaftsentwicklung 2005. 298 S., kt. ISBN 978-3-515-08431-4 Jochen Werner Mayer Imus ad villam Studien zur Villeggiatur im stadtrömischen Suburbium in der späten Republik und frühen Kaiserzeit 2005. 266 S., kt. ISBN 978-3-515-08787-2 Eckart Olshausen / Holger Sonnabend (Hg.) „Troianer sind wir gewesen“ – Migrationen in der antiken Welt Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 8, 2002 2006. 431 S. mit 58 Abb., kt. ISBN 978-3-515-08750-6 Jochen Haas Die Umweltkrise des 3. Jahrhundert n. Chr. im Nordwesten des Imperium Romanum Interdisziplinäre Studien zu einem Aspekt der allgemeinen Reichskrise im Bereich der beiden Germaniae sowie der Belgica und der Raetia

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2006. 322 S., kt. ISBN 978-3-515-08880-0 Klaus Tausend Verkehrswege der Argolis Rekonstruktion und historische Bedeutung 2006. 226 S. mit 6 Abb., 22 Ktn. und CD-ROM, kt. ISBN 978-3-515-08943-2 Gerhard H. Waldherr / Anselm Smolka (Hg.) Antike Erdbeben im alpinen und zirkumalpinen Raum / Earthquakes in Antiquity in the Alpine and Circum-alpine Region Befunde und Probleme in archäologischer, historischer und seismologischer Sicht / Findings and Problems from an Archaeological, Historical and Seismological Viewpoint. Beiträge des Interdisziplinären Workshops Schloss Hohenkammer vom 14.–15. Mai 2004 2007. 189 S. mit 125 s/w-, 3 Farbabb. und 5 Tab., kt. ISBN 978-3-515-09030-8 Klaus Tausend Im Inneren Germaniens Beziehungen zwischen den germanischen Stämmen vom 1. Jh. v. Chr. bis zum 2. Jh. n. Chr. Mit Beiträgen von Günter Stangl und Sabine Tausend 2009. 282 S. mit 14 Ktn., kt. ISBN 978-3-515-09416-0 Eckart Olshausen / Vera Sauer (Hg.) Die Landschaft und die Religion Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 9, 2005 2009. 422 S. mit 94 Abb., kt. ISBN 978-3-515-09422-1 Frank Stini Plenum exiliis mare Untersuchungen zum Exil in der römischen Kaiserzeit 2011. 378 S., kt. ISBN 978-3-515-09894-3 Eckart Olshausen / Vera Sauer (Hg.) Die Schätze der Erde – Natürliche Ressourcen in der antiken Welt Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 10, 2008 2012. 425 S. mit 55 Abb., 1o Tab. und CD-ROM, kt. ISBN 978-3-515-10143-1 Tonnes Bekker-Nielsen (ed.)

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Space, Place and Identity in Northern Anatolia 2014. 271 S. mit 120 s/w-, und 27 Farbabbildungen, kt. ISBN 978-3-515-10748-8 Ekaterina Nechaeva Embassies – Negotiations – Gifts Systems of East Roman Diplomacy in Late Antiquity 2014. 306 S., kt. ISBN 978-3-515-10632-0 Eckart Olshausen / Vera Sauer (Hg.) Mobilität in den Kulturen der antiken Mittelmeerwelt Stuttgarter Kolloquium zur Historischen Geographie des Altertums 11, 2011 2014. 565 S. mit 26 Abb. und 22 Ktn., kt. ISBN 978-3-515-10883-6 Kristina Winther-Jacobsen / Latife Summerer (Hg.) Landscape Dynamics and Settlement Patterns in Northern Anatolia during the Roman and Byzantine Period 2015. 354 S., 40 s/w-Abbildungen, 9 Farbabbildungen, 8 Tabellen, 79 s/w-Fotos und 61 Farbfotos, kt. ISBN 978-3-515-11214-7 SØren Lund SØrensen Between kingdom and koinon Neapolis/Neoklaudiopolis and the Pontic cities 2016. 224 S. mit 20 Abb. und 3 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11312-0 Florin-Gheorghe Fodorean Pannonia, Dacia and Moesia in the Ancient Geographical Sources 2016. 208 S. mit 18 Abb. und 19 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11262-8 Tonnes Bekker-Nielsen / Ruthy Gertwagen (Hg.) The Inland Seas Towards an Ecohistory of the Mediterranean and the Black Sea 2016. 419 S. mit 59 s/w-, 17 Farbabbildungen und 17 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11439-4 Orietta Dora Cordovana / Gian Franco Chiai (Hg.) Pollution and the Environment in Ancient Life and Thought 2017. 296 S. mit 10 s/w-, 1 Farbabb. und 2 Tab., kt. ISBN 978-3-515-11667-1

Viele kulturelle Leistungen des antiken Griechenland wurden aus dem Osten übernommen. Iris von Bredow widmet sich nun erstmals der Frage nach dem Mechanismus dieses Kulturtransfers. Kleinteilige Gegenstände konnten die Griechen imitieren – für Monumentalarchitektur, Steinplastik, mythologische Narrationen, Vorstellungen über den Kosmos oder das Jenseits und vieles mehr sind jedoch besondere Rezeptionsgeschichten vorauszusetzen. Nur ein in einer östlichen Gesellschaft integrierter Grieche konnte durch Akkulturation und

persönliche verbale Kontakte mit fremden Kulturträgern Kenntnisse erwerben, die nach ihrem Transfer die archaische Kultur in vielen Bereichen prägten. Bredow rekonstruiert anhand schriftlicher und archäologischer Quellen Kontaktsituationen für eine erfolgreiche Rezeption (z. B. Söldnertum, Handel, zivile Karrieren) und kann durch die Darstellung der politischen Geographie Syriens und Ägyptens in der Eisenzeit gleichzeitig die räumlichen und zeitlichen Parameter solcher Kontakte festlegen.

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ISBN 978-3-515-11860-6