Konstruktionen mediterraner Insularitäten 377055826X, 9783770558261

Der Begriff der Insularität ist ebenso herausfordernd wie relevant für die interdisziplinäre Forschung. Der Band konzent

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Table of contents :
KONSTRUKTIONEN MEDITERRANER INSULARITÄTEN: unter Mitarbeit von Kathrin Kelzenberg
INHALTSVERZEICHNIS
Konstruktionen mediterraner Insularitäten: Einführende Bemerkungen und Reflexionen
Fortunatae Insulae: Die Identifikation mythischer Inseln mit realen geographischen Gegebenheiten in der griechischen und römischen Antike
Centrality and Peripherality: Insularity and the Appeal of the Religious Networks of Delos and Samothrace in the Classical and Hellenistic Periods
Insularum Varietas: Die Inseln Lesbos und Chios in Antike und Mittelalter
Im Herzen des Mittelmeers: Das mittelalterliche Sizilien zwischen regionaler Dimension und mediterranen Systemen
Mediterrane Insularitäten zwischen Zentrum und Peripherie: Selbstrepräsentationen und Handlungsstrategien
Der Wechsel der Worte: Netzwerke, Informationskanäle und Rezeption des Anderen in Reiseberichten des 18. Jahrhunderts über Zypern
Thinking Spaces as Islands: Insularität als mentales Modell in der Antike
Islands, Borders and Migratory Transnationalism: The Case of South Moroccans in the Canary Islands
A Geohistorical Perspective on the Islands of the Mediterranean and the Baltic Sea
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Konstruktionen mediterraner Insularitäten
 377055826X, 9783770558261

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KONSTRUKTIONEN MEDITERRANER INSULARITÄTEN

MITTELMEERSTUDIEN

Herausgegeben von

Mihran Dabag, Achim Lichtenberger und Nikolas Jaspert

BAND 11

Reinhard von Bendemann, Annette Gerstenberg, Nikolas Jaspert, Sebastian Kolditz (Hg.)

KONSTRUKTIONEN MEDITERRANER INSULARITÄTEN

unter Mitarbeit von Kathrin Kelzenberg

Wilhelm Fink | Ferdinand Schöningh

Titelbild: Kathrin Kelzenberg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2016 Ferdinand Schöningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.fink.de | www.schoeningh.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-5826-1 (Fink) ISBN 978-3-506-76633-5 (Schöningh)

INHALTSVERZEICHNIS

Konstruktionen mediterraner Insularitäten: Einführende Bemerkungen und Reflexionen ................................................................................................ 7 Reinhard VON BENDEMANN / Annette GERSTENBERG / Nikolas JASPERT / Sebastian KOLDITZ Fortunatae Insulae: Die Identifikation mythischer Inseln mit realen geographischen Gegebenheiten in der griechischen und römischen Antike ... 43 Marco FRENSCHKOWSKI Centrality and Peripherality: Insularity and the Appeal of the Religious Networks of Delos and Samothrace in the Classical and Hellenistic Periods .......................................................................................... 75 Christy CONSTANTAKOPOULOU Insularum Varietas: Die Inseln Lesbos und Chios in Antike und Mittelalter................................................................................. 95 Simon PUSCHMANN Im Herzen des Mittelmeers: Das mittelalterliche Sizilien zwischen regionaler Dimension und mediterranen Systemen .......................................117 Giuseppe PETRALIA Mediterrane Insularitäten zwischen Zentrum und Peripherie: Selbstrepräsentationen und Handlungsstrategien...........................................137 Christian GIORDANO Der Wechsel der Worte: Netzwerke, Informationskanäle und Rezeption des Anderen in Reiseberichten des 18. Jahrhunderts über Zypern ................161 Julia CHATZIPANAGIOTI-SANGMEISTER Thinking Spaces as Islands: Insularität als mentales Modell in der Antike ...175 Gian Franco CHIAI

6 Islands, Borders and Migratory Transnationalism: The Case of South Moroccans in the Canary Islands ........................................................ 199 Dirk GODENAU A Geohistorical Perspective on the Islands of the Mediterranean and the Baltic Sea .......................................................................................... 225 Christian DEPRAETERE / Michael MEICHSNER Register .......................................................................................................... 265

REINHARD VON BENDEMANN ANNETTE GERSTENBERG NIKOLAS JASPERT SEBASTIAN KOLDITZ

Konstruktionen mediterraner Insularitäten: Einführende Bemerkungen und Reflexionen Der vorliegende Sammelband dokumentiert die Ergebnisse der vom Bochumer Zentrum für Mittelmeerstudien veranstalteten Tagung „Konstruktionen mediterraner Insularitäten“ (31. Mai und 1. Juni 2013). Initiator war eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe des Zentrums, die sich über zwei Jahre hinweg kritisch mit dem Konzept der Insularität auseinandergesetzt hatte. Aufgrund der in langen Diskussionen gewonnenen Überzeugung, dass sich die Vielfalt mediterraner Inseln als historische Landschaften kaum durch ein einheitliches Konzept von „Insularität“ beschreiben lässt, formulierte die Gruppe für die Tagung das Ziel, diesen Begriff in die Pluralität seiner Konstruktionsweisen aufzulösen und den zugehörigen, aus rezenten Forschungsdiskursen erwachsenden Paradigmen vertieft nachzugehen. Vor diesem Hintergrund ist das breite Spektrum der Fragestellungen und Herangehensweisen der im vorliegenden Band versammelten Aufsätze zu verstehen. In der folgenden Einleitung wird zunächst kurz auf die Begriffs- und Forschungsgeschichte der Insularitätskonzepte eingegangen. Sodann werden Leitkategorien der Konturierung von Insularität genauer diskutiert, die schließlich in den spezifischen Kontext des Mittelmeerraumes einzubetten sind. Eine Synthese der Querverbindungen und Schwerpunkte der Beiträge, die in diesem Band versammelt sind, führt diese Aspekte zusammen.

I. Von Inseln zu Insularitäten: Zu Terminologie und Forschungsgeschichte Gemeinhin gelten Inseln als Landmassen (pieces of land), die vollständig von Wasser umgeben und kleiner als Kontinente sind.1 Doch bestehen bei genauerem Hinsehen nicht unbeträchtliche definitorische Probleme, etwa bei großen Inseln, deren Landesinneres oft keinen direkten Bezug zum umgebenden Wasser mehr aufweist, oder einem kleinen, vollständig vom Meer umgebenen 1

Vgl. Frauke LÄTSCH, Insularität und Gesellschaft in der Antike. Untersuchungen zur Auswirkung der Insellage auf die Gesellschaftsentwicklung, Stuttgart 2005, S. 25; Rebecca Erinn JACKSON, Islands on the Edge: Exploring Islandness and Development in Four Australian Case Studies, Diss. University of Tasmania 2008, S. 35f.; Godfrey BALDACCHINO, Introducing a World of Islands, in: A World of Islands. An Island Studies Reader, hg. v. DEMS., Charlottetown 2007, S. 1-29, hier S. 4.

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Kontinent. Ähnliche definitorische Probleme betreffen sehr kleine Inseln, etwa unbewohnte Felsen im Meer.2 Weiterhin gilt es, Unterschiede zwischen Inseln eines Meeres, eines Sees oder eines Flusses zu berücksichtigen und zwischen küstennahen und abgelegenen Inseln zu unterscheiden. Selbst die grundsätzliche Abgrenzung von Inseln und Halbinseln erscheint nicht in jedem Fall und in jeder Hinsicht gerechtfertigt.3 „Die Insel“ ist also eine problematische Kategorie. Dennoch ist die Annahme seit jeher weit verbreitet, dass Inseln spezifische Charakteristika aufwiesen und sich wesentlich von nicht-insularen Orten unterschieden. Solche Postulate kristallisieren sich oft verbunden mit bestimmten Untersuchungsinteressen heraus, so für die Entwicklungsgeschichten von Flora und Fauna auf Inseln und Archipelen4, aber auch für die Analyse insularer Gesellschaften in ethnologisch-anthropologischer Perspektive.5 In den letzten Jahrzehnten wurden Inseln und insulare Räume vermehrt zu einem Untersuchungsgegenstand eigenen Rechts, vor allem im Zusammenhang interdisziplinärer Ansätze der „Island studies“ oder „Nissologie“.6 Das Forschungsgebiet ist sehr breit und reicht bis zu rezenten Arbeitsgebieten der modernen Tourismus- und Mobilitätsforschung7 oder postkolonialen Studien.8 2

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Vgl. dazu Stephen A. ROYLE, A Geography of Islands: Small Island Insularity, London 2001, S. 8-11; DERS., Island Definitions and Typologies, in: A World of Islands (wie Anm. 1), S. 33-56. Zu den Schwierigkeiten der Abgrenzung an beiden Enden der Skala vgl. auch François TAGLIONI, Les petits espaces insulaires face à la variabilité de leur insularité et de leur statut politique, in: Annales de géographie 652 (2006), S. 664-687, hier S. 665-669. Diese Abgrenzung nahmen bereits antike Autoren vor, jedoch im Bewusstsein, dass eine nur durch eine Landenge mit dem Festland verbundene Halbinsel durchaus künstlich in eine Insel verwandelt werden konnte, vgl. LÄTSCH, Insularität (wie Anm. 1), S. 30. Grundlegend für diese Fragen: Robert H. MACARTHUR / Edward O. WILSON, Biogeographie der Inseln, München 1973; siehe aus zoologischer Perspektive auch den Tagungsband Le peuplement des îles méditerranéennes et le problème de l’insularité, hg. v. Pierre BIROT, Paris 1961. In diesem Zusammenhang ist auf die Vorstellung von Inseln als kulturellen Laboratorien zu verweisen, vgl. zur Geschichte dieses Gedankens Matthew SPRIGGS, Are Islands Islands? Some Thoughts on the History of Chalk and Cheese, in: Islands of Inquiry. Colonisation, Seafaring and the Archaeology of Maritime Landscapes, hg. v. Sue O’CONNOR / Geoffrey CLARK / Foss LEACH (Terra Australis 29), Canberra 2008, S. 211-226 mit ausführlicher Diskussion der grundlegenden Texte. Zu anthropologischen Konzepten im Hinblick auf Inseln vgl. die Studien im Band Managing Island life. Social, Economic and Political Dimensions of Formality and Informality in ‘Island’ Communities, hg. v. Jonathan SKINNER / Mils HILLS, Dundee 2006. Als handbuchartiger Überblick über das Feld kann gelten: BALDACCHINO, A World of Islands (wie Anm. 1). Zur Idee der Nissologie vgl. Grant MCCALL, Nissology. The Study of Islands, in: Journal of the Pacific Society 17,2-3 (1994), S. 1-14, Christian DEPRAETERE, The Challenge of Nissology: A Global Outlook on the World Archipelago, in: Island Studies Journal 3,1 (2008), S. 3-36, sowie den Beitrag von Christian Depraetere in diesem Band. Small Worlds, Global Lives. Islands and Migration, hg. v. Russell KING / John CONNELL, London/New York 1999; Le tourisme et les îles, hg. v. François VELLAS / Jean-Michel CAUET, Paris 1997; Carles MANERA / Jaume GARAU, Crecimento económico, turismo e insularidad: el caso del Mediterráneo, in: Insularidad en el Mediterráneo: retos económicos y ambientales, hg. v. DENS., Madrid 2010, S. 49-79.

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Damit geht mitunter das Bestreben einher, der Dominanz von Außenperspektiven auf Inseln eine insulare Innensicht entgegenzusetzen.9 Im Kontext dieses Forschungsfelds hat der Neologismus islandness eine gewisse Prominenz erlangt.10 Unstrittig dürfte sein, dass damit in der Regel die „Inselhaftigkeit“ als Eigenschaft eines geographischen Ortes anvisiert wird; ein metaphorischer Gebrauch des Terminus ist hingegen nicht erkennbar.11 Steht islandness in einigen politisch-geographischen Studien zu Inseln als eine Analysevariable neben anderen Faktoren wie Größe, religiöser oder kolonialer Prägung12, so wird dieser Begriff – weiter gefasst – oft auch verwendet, um die Gesamtheit qualitativer Charakterisierungen von Inseln zu erfassen. Er erscheint dann gleichsam synonym zu Insularität.13 Angesichts der unscharfen terminologischen Abgrenzung begründete Godfrey Baldacchino, Protagonist der „Island Studies“ und Gründungsherausgeber der Zeitschrift „Island Studies Journal“, seine Präferenz für islandness mit den negativen Konnotation des verbreiteteren Begriffs insularity wie der Vorstellung von „Abgetrenntheit“ (separation) und „Zurückgebliebenheit“ (backwardness).14 Er spricht damit eine Besonderheit der britischen Begriffsentwicklung an, wo insularity bzw. insular mind seit dem 18. Jahrhundert zu Be8

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Vgl. Stephen A. ROYLE, Postcolonial Culture on Dependent Islands, in: Space and Culture 13,2 (2010), S. 203-210; eine Dominanz des Kolonialthemas kennzeichnet z. B. die historische Forschung zu Inseln im Indischen Ozean: Roxani MARGARITI, An Ocean of Islands: Islands, Insularity, and Historiography of the Indian Ocean, in: The Sea. Thalassography and Historiography, hg. v. Peter N. MILLER, Ann Arbor 2013, S. 198-229, hier S. 205. Zu dieser Zielstellung und ihren Dilemmata vgl. Godfrey BALDACCHINO, Studying Islands: On Whose Terms? Some Epistemological and Methodological Challenges to the Pursuit of Island Studies, in: Island Studies Journal 3,1 (2008), S. 37-56. Zum Konzept vgl. Jean-Didier HACHE, Towards a Political Approach to the Island Question, in: Competing Strategies of Socio-economic Development for Small Islands, hg. v. Godfrey BALDACCHINO / Robert GREENWOOD, Charlottetown 1998, S. 31-68, bes. S. 41. Auf konkrete Inseln bezieht sich auch der Begriffsgebrauch durch Tamara KOHN, Conceptualising Island-ness, in: Managing Island life (wie Anm. 5), S. 79-95, die jedoch unter „islandness“ keine orts-, sondern personenbezogene Kategorie zu verstehen scheint, etwa die Gesamtheit der Ausdrucksformen von „island belonging“, welches sich nicht einfach entlang einer geographisch vorgegebenen Trennlinie von „außen“ und „innen“ konzeptualisieren lasse. So in älteren Debatten, ob sich Inselstaaten als solche wesentlich von nicht-insularen Staaten unterschieden, wie etwa von Edward DOMMEN, Some Distinguishing Characteristics of Island States, in: World Development 8 (1980), S. 931-943, vertreten, von Percy SELWYN, Smallness and Islandness, in: ebd., S. 945-951, jedoch zurückgewiesen. Ein vergleichbares Begriffsverständnis auch bei Dag ANCKAR, Islandness or Smallness? A Comparative Look at Political Institutions in Small Island States, in: Island Studies Journal 1 (2006), S. 43-54; Carsten ANCKAR, Size, Islandness and Democracy: A Global Comparison, in: International Political Science Review 29 (2008), S. 433-459; Barry SHAW, Smallness, Islandness, Remoteness, and Resources: an Analytical Framework, in: Regional Development Dialogue. Special Issue, Nagoya 1982, S. 95-109. Einen weitgehend synonymen Gebrauch findet man etwa bei ROYLE, A Geography (wie Anm. 2), hier S. 42: „This chapter considers some of the basic phenomena of islandness: those constraints that are imposed upon small islands by virtue of their insularity.“ Siehe Godfrey BALDACCHINO, The Coming of Age of Island Studies, in: Tijdschrift voor Economische en Sociale Geografie 95, 3 (2004), S. 272-283, hier S. 272.

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zeichnungen einer auf die eigene Insellage fixierten, sich abgrenzenden Befindlichkeit wurden und damit im übertragenen Sinn für Engstirnigkeit und Provinzialität gebraucht werden konnten.15 In anderen europäischen Wissenschaftssprachen wird Insularität hingegen vermehrt wohl erst im 20. Jahrhundert verwendet.16 Allgemeinsprachlich lässt sich das abstrakte Nomen seit dem 18. Jahrhundert sporadisch finden.17 Das Lateinische kennt zwar insula bzw. das zugehörige Adjektiv insularis, aber kein Äquivalent zum Abstractum „Insularität“.18 Gleichwohl ruht das hinter dem Begriff stehende Konzept, Inseln im Allgemeinen besondere Wesenszüge zuzuschreiben und solche qualitativen Charakterisierungen ggf. auch metaphorisch auf nicht-insulare Zusammenhänge zu übertragen, auf weitaus älteren Vorstellungen, wie im Weiteren noch erkennbar sein wird. Als grundlegendes Bestimmungsmerkmal erweist sich

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Vgl. Oxford English Dictionary. The Full Record of the English Language, Oxford 2015, s. v. insularity: „The condition of living on an island, and of being thus cut off or isolated from other people, their ideas, customs, etc.; hence, narrowness of mind or feeling, contractedness of view.“ Die unserer Kenntnis nach früheste französische monographische Publikation, die insularité im Titel führt, ist Julien DESCOTTES, La question de l’insularité du Mont-Saint-Michel, Rennes 1930; als zweiter scheint zu folgen: Le peuplement (wie Anm. 4). Gering ist die Zahl spanischer Titel, die im Wesentlichen erst am Ende der 1980er Jahre einzusetzen scheinen. Hingegen führten bereits seit den 1960er Jahren mehrere italienische Publikationen insularità (auch als übertragenes Konzept) im Titel, so Giovanni PRESA, Altopiano di Asiago: insularità geografica ed insularità linguistica, Como 1965; Beniamino MORO, Insularità e dipendenza economica, Sassari 1978; Angelo TURCO, Insularità e modello centro-periferia: l’isola di Creta nelle sue relazioni con l’esterno, Milano 1980; Antonello MATTONE, La Sardegna e il mare: insularità e isolamento, Sassari 1980. Ein früher portugiesischer Titel ist: Antonio MACHADO PIRES, Marcas da Insularidade no „Mau Tempo no Canal“ de Vitorino Nemésio, in: Arquipélago 1 (1979), S. 79-90. Die British National Bibliography, die Titel seit 1950 enthält, verzeichnet als älteste Publikation zum Stichwort insularity Richard P. T. DAVENPORT-HINES / Geoffrey JONES, The End of Insularity: Essays in Comparative Business History, London 1988 (wobei insularity allein auf die britischen Inseln bezogen ist). Für das Französische nennt Paul ROBERT (Le Grand Robert de la langue française. Dictionnaire alphabétique et analogique de la langue française. Entièrement revu et enrichie par Alain Rey, Paris 1992, s. v. insularité) das Jahr 1840 als Datum des Erstbelegs, während insulaire nach lat. insularis bereits im frühen 16. Jahrhundert zu belegen ist. Der früheste italienische Beleg findet sich bei Benedetto Croce, der sich dabei explizit auf dt. Inselhaftigkeit bezieht (Manlio CORTELAZZO / Paolo ZOLLI, Il nuovo etimologico. Dizionario etimologico della lingua italiana, 2. Ausg., Bologna 2002; 1936, s. v. insularità). Die spanischen Akademiewörterbücher verzeichnen kein entsprechendes Lemma, vgl. aber für den heutigen Sprachgebrauch María MOLINER, Diccionario de uso del español, 3. Ausg., Madrid 2007, s. v. insularidad: „carácter insular de un territorio“. Jacob GRIMM / Wilhelm GRIMM, Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1854-1961, verzeichnen inselhaft (s. v.), aber nicht die Substantive Inselhaftigkeit oder Insularität. So kennt der Thesaurus linguae Latinae, Bd. VIII,1, Leipzig 1934, als Ableitungen von insula neben insularis nur insulanus „Inselbewohner“, insularius „Inselverwalter“ und die selten belegten Adjektive insulatus „in den Zustand einer Insel überführt“ und insulosus „inselreich“.

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dabei oft die auch etymologisch an die Insel rückgekoppelte Kategorie der „Isolation“.19 Wenn der vorliegende Band „Insularität“ als tragenden, freilich zu pluralisierenden Begriff wählt, ist das jedoch nicht in solchen fixen Konnotationen begründet, sondern im Gegenteil in der grundsätzlichen terminologischen Offenheit und Unschärfe hinsichtlich dessen, was das Besondere von Inseln eigentlich ausmache. Gegenüber dem Begriff islandness, der eine selbstverständliche Gegebenheit des Inselcharakters bestimmter Orte suggeriert, können für Insularität Definitionskriterien freier gewählt, graduelle Abstufungen ausgedrückt und Mechanismen der Zuschreibung thematisiert werden. Inselforschung und Insularitätsforschung sind zwar zweifellos eng miteinander verflochten, jedoch keineswegs identisch. Insularitäten lassen sich auch jenseits eines konkreten geographischen Raums insularer Konstitution untersuchen.

II. Erfahrungs- und Verarbeitungsmodi „insularer Welten“ Erst indem bestimmten physischen Daten, Lebensphänomenen und Erfahrungen eine Bedeutung zugeschrieben wird, die mit anderen Bedeutungseinheiten zusammenhängt, entsteht eine „Insel“. Für einen reflektierten Umgang mit diesen Prozessen werden im Folgenden Erfahrungs- und Verarbeitungsmodi unterschieden, die auf die Konstruktion insularer Welten bzw. mit ihnen verknüpfte axiomatische Annahmen einwirken. Erfahrungsmodi liegen z. B. dem Konstruktionscharakter literarischer Zeugnisse zu Grunde, die per se Wirklichkeit stets perspektivisch-gestalterisch und damit selektiv und transformativ erfassen, seien es nun Reiseberichte, Periplous, Epen, Werke der Historiographie, Biographie oder Poesie u. a. m.20 Aber auch in naturwissenschaftlichen Kontexten gelten Wahrnehmungs- und Interpretationsregeln, so in der biologischen und ökologischen21 bzw. in der

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Vgl. mit kritischer Positionierung Charles DALLI, Medieval Island Societies: Reassessing Insulation in a Central Mediterranean Context, in: Al-Masaq 10 (1998), S. 73-82, hier S. 73f.; vgl. ROYLE, A Geography (wie Anm. 2), S. 11: „Two factors that make islands special are isolation and boundedness“. Wichtige Sammlungen von Studien zu literarischen Motiven der Insularität sind: L’insularité: thématique et représentations. Actes du colloque international de Saint-Denis de La Réunion, avril 1992, hg. v. Jean-Claude MARIMOUTOU / Jean-Michel RACAULT, Paris 1995; L’insularité, hg. v. Mustapha TRABELSI, Clermont-Ferrand 2005; Inseln und Archipele. Kulturelle Figuren des Insularen zwischen Isolation und Entgrenzung, hg. v. Anna E. WILKENS / Patrick RAMPIONI / Helge WENDT, Bielefeld 2011. Zu antiken Inselmotiven in der irischen Literatur vgl. The Classical World and the Mediterranean. Insulae – Islands – Ireland, hg. v. Giuseppe SERPILLO, Cagliari 1996. Vgl. beispielsweise The Theory of Island Biogeography Revisited, hg. v. Jonathan B. LOSOS / Robert E. RICKLEFS, Princeton/Woodstock 2010; Larry HARRIS, The Fragmented Forest. Island Biogeography Theory and the Preservation of Biotic Diversity, Chicago 1984.

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geographischen22 Erforschung von Inselwelten, die mit Konstrukten umgeht und sie selbst produziert. Beispielhaft für Verarbeitungsmodi seien die Medien der Kartographie und der bildenden Künste genannt, die – gerade in ihrer Transformation – auf vorhandene Repräsentationsformen zurückgreifen.23 Wir unterscheiden im Folgenden vier Typen von Erfahrungs- und Verarbeitungsmodi: (1) natürliche Voraussetzungen und sinnliche Wahrnehmung, (2) kognitive Konzeptualisierung und Darstellungsformen, (3) soziale Inszenierung und Persistenz sowie (4) emotive Auffassung und religiös-metaphysische Integration. Wir verstehen diese Modi nicht als distinkte Kategorien, sondern als komplementäre Dimensionen von Insularität. Die Ebenen der Erfahrung und der Verarbeitung sind nicht trennscharf auseinanderzuhalten, wenngleich in einigen Bereichen eher die (z. B. sinnliche) Erfahrung, in anderen eher die (z. B. mediale) Verarbeitung im Mittelpunkt steht.

1. Natürliche Voraussetzungen und sinnliche Wahrnehmung Reale physisch-materiale Erfahrungen erschließen sich menschlichen Sinnen so, dass ein relativ kleines geschlossenes System, welches in eine Umgebung eingeschlossen ist, als eine „Insel“ erfahrbar wird. So kann man in einem intra-Bereich insularer Situierungen z. B. sinnlich feststellen, dass man in der Bewegung nach außen an Grenzen stößt (Wasser), und zwar – potentiell – in allen Richtungen. Möglich wäre z. B. auch, dass man einen Gipfelpunkt beschreiten kann, von dem das gesamte insulare Gebiet visuell in alle Himmelsrichtungen als begrenzt und umschlossen wahrgenommen werden kann. Der sinnlichen Perspektivierung des intra steht grundsätzlich die des extra gegenüber.24 „Von außen“ kann z. B. wahrnehmbar werden, dass eine Insel aus einer bestimmten Richtung kommend „weit entfernt“ bzw. „schwer erreichbar“ ist. „Von außen“ besehen oder erreicht, kann eine Insel als Fortsetzung einer weiteren Ansammlung von Inseln oder auch des Festlandes betrachtet werden. Die extra-Perspektive kann einen insularen Raum ummessen oder überschauen. Die Umschiffbarkeit einer Insel erscheint für ihre Definition grundlegend; daraus ergeben sich Repräsentationen ihrer Größe und Ge22

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Zur geologischen Konstitution und Wachstumsdynamik von (ozeanischen) Inseln siehe Henry W. MENARD, Inseln. Geologie und Geschichte von Land im Meer, Heidelberg 1987; zur Humangeographie insularer Räume grundlegend ROYLE, A Geography (wie Anm. 2). Die Vielzahl geographischer Einzelstudien zu diversen insularen Räumen kann hier nicht berücksichtigt werden. Vgl. Philip E. STEINBERG, Insularity, Sovereignty and Statehood The Representation of Islands on Portolan Charts and the Construction of the Territorial State, in: Geografiska Annaler B: Human Geography 87,4 (2005), S. 253-265; Evelyn EDSON / Emilie SAVAGE-SMITH / Anna-Dorothea VON DEN BRINCKEN, Der mittelalterliche Kosmos: Karten der christlichen und islamischen Welt, Darmstadt 2005. Zu diesem Gegensatz im übertragenen Sinn, d. h. dem Nebeneinander von Innen- und Außenperspektiven, vgl. auch BALDACCHINO, Studying Islands (wie Anm. 9).

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stalt.25 Aus der neuzeitlichen extra-Perspektive der Luftfahrt liegt ein Flecken ggf. isoliert im weiten Meer oder in einer Nachbarschaft zu weiteren solcher Flecken oder auch zum Konglomerat des Festlandes. Die Konstruktion von „Inseln“ kann dabei auch so aufgefasst werden, dass in sie grundlegende Vorgänge der Körperwahrnehmung und kognitiven Konstruktion eingehen bzw. sich als bestimmend erweisen. Die „Insel“ kann als ein fundamentales Wahrnehmungs- und Ordnungsschema von Räumen, Gegenständen und Identitäten aufgefasst werden.26 Es geht um Phänomene von „Nähe“ und „Ferne“ und um Vorgänge der Verbindung, der Überschreitung, des „Zuflusses“ und der Kommunikation zwischen einem relativ geschlossenen „Innern“ und einem „Außen“. In dieser Hinsicht erscheinen Phänomene des „Inselhaften“ bzw. Konstrukte insularer Welten in besonderer Weise auch für soziologische Fragestellungen attraktiv. Als Beispiel dafür, wie die natürlichen Voraussetzungen einer „Insel“ mit ihrer sozialen und ggf. auch religiösen Konstruktion interagieren, kann der Gesundheitssektor gelten. Einzelne Inseln wurden schon in früher Zeit Symbole körperlichen Wohlseins resp. für Heilung, Gesundheit und somit kurativer Bedingungen und Erfahrungen. Idealtypisch steht der griechische Arzt Hippokrates mit seiner Familie und seinem Kreis von Schülern und Nachfolgern in Verbindung zur Insel Kos bzw. benachbarten Inseln und schließlich auch zahlreichen weiteren Orten im mediterranen Raum.27 Antike Schriftsteller definieren Inseln vielfach unter dem Aspekt der Generierung von Wohlsein und Heilung. Diodor berichtet z. B. von Thermen auf 25

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Um Sizilien mit einem Lastschiff zu umschiffen, benötigte man nach Thukydides kaum weniger als acht Tage (Thuk. VI 1). Sizilien galt schon in der Antike als triangular figuriert (Trinakria: Thuk. VI 2), die Insel Sardinien hieß bei den Griechen auf Grund ihrer From „Ichnoussa“ (Paus. X 17, 1f.) bzw. nach Timaios von Tauromenion „Sandaliotis“ (rezipiert von Plinius d. Ä., Naturalis Historia III 7,13; siehe hierzu Klaus Günther SALLMANN, Die Geographie des älteren Plinius in ihrem Verhältnis zu Varro [Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 11], Berlin/New York 1971, hier S. 75f.). Für die Erfassung der Insel als Entität wird in der kognitiven Linguistik, in Fortführung der Gestalt-Psychologie, ihre Begrenztheit (boundedness) angeführt; vgl. William CROFT / D. Alan CRUSE, Cognitive Linguistics (Cambridge Textbooks in Linguistics), Cambridge/New York 2004, hier S. 64; vgl. den Beitrag von Gian Franco CHIAI in diesem Band. Zu den jüngeren kognitiven Metapherntheorien: George LAKOFF / Mark JOHNSON, Metaphors We Live By, Chicago 1980; George LAKOFF / Elisabeth WEHLING, Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht, 3. Aufl., Ulm 2014; Eckard ROLF, Metapherntheorien. Typologie – Darstellung – Bibliographie, Berlin 2005. Kognitivistisch betrachtet, kann die „Insel“ als eine basale Strukturmetapher aufgefasst werden. Vgl. Medicine and Healing in the Ancient Mediterranean World, hg. v. Demetrios MICHAELIDES, Oxford/Philadelphia 2014; Vivian NUTTON, Ancient Medicine (Sciences of Antiquity), London/New York 2004, Reprint 2006. Zum ältesten Christentum und der antiken Medizin: Reinhard VON BENDEMANN, Die Heilungen Jesu und die antike Medizin, in: Early Christianity 3 (2014), S. 273-312; DERS., Körperkonzeptionen im Corpus Paulinum im Licht der hellenistisch-römischen Medizin, in: Paul’s Graeco-Roman Context, hg. v. Cilliers BREYTENBACH (Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium 277), Leuven 2015, S. 157191.

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der vulkanisch entstandenen Insel Lipara, die zur Heilung von Krankheit und Wohlbehagen beitragen (V 10), oder weiß im Zusammenhang der Beschreibung von Flora, Fauna und Bodenschätzen auf Hiera von einem Pharmakon gegen den auf mediterranen Inseln in der Antike weit verbreiteten Durchfall/die Dysenterie (V 41, 6). Cherronesos gilt als Ort religiöser Heilung, da hier die Göttin Hemithea im Schlaf leibhaftig an die Siechen herantritt und selbst an unheilbaren Krankheiten Leidenden Genesung verschafft (V 63). Insbesondere in den „Heilungslandschaften“ von Inseln sind reale Hintergründe für die literarische Konstruktion ggf. utopischer „glücklicher Inseln“28 zu suchen. So schreibt Diodor von dem den Inseln Chios, Samos und Kos gegenüberliegenden Festland, es habe „in jener Zeit infolge von Überschwemmungen große, furchtbare Heimsuchungen“ erlebt; es habe Mangel an Lebensmitteln geherrscht, und wegen der schlechten Luft hätten in den Städten Seuchen gewütet (V 82). „Die Inseln hingegen, von frischen Winden durchweht, boten den Einwohnern gesunde Luft, und da sie sich auch reicher Ernten erfreuten, strotzten sie mehr und mehr von Überfluss und machten ihre Bewohner schnell zum Gegenstand des Neides. Man nannte sie darum auch Inseln der Seligen und die Überfülle an Gütern war Grund dieser Bezeichnung.“

Im Hintergrund des glücklichen Zustandes stehen hier bei Diodor klimatische Erwägungen, wie sie im griechischen Denken bereits im Zusammenhang der frühen hippokratischen Medizin entwickelt worden sind.

2. Kognitive Konzeptualisierung und Darstellungsformen Mentale Repräsentationen „der Insel“ bzw. insularer Welten bilden einen Schwerpunkt interdisziplinärer Forschung.29 Merkmal des Inselkonzepts kann der in irgendeiner Weise ringsum begrenzte Topos sein und das hiermit verbundene Isoliertsein bzw. das Abgeschiedensein von Menschen und Gütern, oder umgekehrt die gesteigerte, privilegierte Verfügbarkeit bestimmter Ressourcen und dichter Kommunikationsmöglichkeiten. Schon in der Antike begegnet die Weitwinkelperspektive der Erde als einer vom Okeanos eingefassten Scheibe bzw. eines vom Meer umflossenen Konglomerates, d. h. einer ins Kosmische gesteigerten Insel. Hier tritt offenbar das konzeptuelle Insel-Merkmal „rund“ hinzu. 28

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Zu diesem Motiv vgl. H. A. GLASER, Utopische Inseln. Beiträge zu ihrer Geschichte und Theorie, Frankfurt am Main 1996; Donald S. JOHNSON, Phantom Islands of the Atlantic, New York 1994, Reprint 1996 sowie den Beitrag von Marco FRENSCHKOWSKI in diesem Band. Vgl. Godfrey BALDACCHINO, Islands – Objects of Representation, in: Geografiska Annaler B: Human Geography 87,4 (2005), S. 247-251; zum Kontext insularer Repräsentationen gehören auch Vorstellungen und Topoi, vgl. dazu exemplarisch: Sylvie VILATTE, L’insularité dans la pensée grecque, Paris 1991; Patrice BRUN, La faiblesse insulaire: histoire d’un topos, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 99 (1993), S. 165-183.

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Inselkonzepte sind an kulturspezifisches Wissen über eigene und fremde Inseln gebunden, das seit der Antike in den entsprechenden Eigennamen seinen Ausdruck findet.30 Eigenen Ordnungsmustern begegnet man in der antiken Historiographie und Geographie, aber auch im Mythos. Hier werden Orte vielfach nonkartographisch erschlossen – ohne dass eine entsprechende „kartographische Mentalität“ völlig auszuschließen ist. Im Kern ging es nicht um eine „maßstabsgetreue“ Vermessung von Räumen. Orte und Räume wurden vielmehr vorrangig über ihre Verknüpfung mit Handlungen von Figuren semantisch und narrativ identifiziert.31 Gegenwärtige Ortsbedeutungen erschließen sich hierbei im Licht diachroner Narrative. Die Formulierung von „Inselgeschichte(n)“ bietet in der Antike einen entscheidenden Beitrag zur Generierung von Bildern, in denen Entwürfe der eigenen Vergangenheit verarbeitet werden bzw. es zur Auseinandersetzung mit Fremdentwürfen der eigenen Geschichte kommt und damit zugleich Selbstbilder der Gegenwart und Erwartungen bezüglich zukünftiger Entwicklungen verhandelt werden. Hinzu kommt: Wo Orte ordnend in Beziehung zueinander gesetzt werden, geschieht dies seit der Antike zunächst häufig ausgehend von Kleinräumen, in denen man sich bewegt. Bewegungsabläufe orientieren sich dann nicht an einem kartographischen Raster, sondern folgen markanten Punkten, Strecken und Abschnitten, die über Erfahrungen resp. erinnerte Erzählungen identifiziert sind. In entsprechender Weise wären Situierungen der mediterranen Inseln in den frühen Werken des griechischen Epos und der Poesie zu beschreiben, und ähnlich sind auch Itinerare in der antiken Periplous-Literatur32 zu verstehen.

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So wird z. B. die vulkanische Physiognomie der Insel Nisyros so gedeutet, Poseidon habe ein Stück der Insel Kos als Wurfgeschoß gegen den Giganten Polybotes eingesetzt (vgl. Strab. X 5, 16; Apoll. I 6, 2). Zu Formen „nichtkartographischer“ Raumerfassung in antiken literarischen Konzepten und Gattungen: Kai BRODERSEN, Terra Cognita. Studien zur römischen Raumerfassung (Spudasmata 59), Hildesheim u. a. 1995; Katherine CLARKE, Between Geography and History. Hellenistic Constructions of the Roman World (Oxford Classical Monographs), Oxford 1999, Reprint 2002; Space in the Roman World. Its Perception and Presentation, hg. v. Richard TALBERT / Kai BRODERSEN (Antike Kultur und Geschichte 5), Münster 2004; Constructions of Space I: Theory, Geography, and Narrative, hg. v. Jon L. BERQUIST / Claudia V. CAMP (Library of Hebrew Bible. Old Testament Studies 481), New York/London 2008; Alex C. PURVES, Space and Time in Ancient Greek Narrative, Cambridge 2010; Space in Ancient Greek Literature, hg. v. Irene J. F. DE JONG (Studies in Ancient Greek Narrative III), Leiden 2012; Luke GÄRTNER-BRERETON, The Ontology of Space in Biblical Hebrew Narrative. The Determinative Function of Narrative “Space” within the Biblical Hebrew Aesthetic, London/New York 2014. Zu methodischen Fragen auch: Heinz DRÜGH, Ästhetik der Beschreibung. Poetische und kulturelle Energie deskriptiver Texte (1700-2000) (Studien und Texte zur Kulturgeschichte der deutschsprachigen Literatur 5), Tübingen 2006. Zur Gattung siehe Francesco PRONTERA, Períploi. Sulla tradizone della geografia nautica presso i Greci, in: L’uomo e il mare nella civiltà occidentale. Da Ulisse a Cristoforo Colombo, Genua 1992, S. 27-44; Autour du Périple de la mer Erythrée, hg. v. Jean-François SALLES / Marie-Françoise BOUSSAC / Jean-Baptiste YON, Paris 2012.

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Hingegen werden im sogenannten „Stadiodromikon“, der Wegbeschreibung eines katastrophal gescheiterten byzantinischen Flottenunternehmens unter Konstantin VII. gegen das noch unter muslimischer Herrschaft stehende Kreta, die Entfernungen zwischen den als Wegmarken fungierenden ägäischen Inseln nicht in nautischer Weise durch Zeitäquivalente, sondern im Maß von Meilen angegeben.33 Die sequenzartige Wahrnehmung von Inseln entlang eines Reiseweges mit meist knappen, subjektiven Charakterisierungen lässt sich auch in zahlreichen mittelalterlichen Pilgerberichten erkennen.34 Die ägäische Landschaft, der sprichwörtliche „Archipelagos“, bildete noch für mittelalterliche Reisende den insularen Raum par excellence. So notierte der Augsburger Bürger Burkhard Zink35 in seinem chronikalisch erweiterten Memoirenwerk auch einen ganzen Katalog ägäischer Inselnamen, die ihm teils mit mythischen Konnotationen bekannt waren, obwohl er für sich selbst nur von Aufenthalten auf Kreta und Rhodos berichtet.36 Etwa zur gleichen Zeit bereiste der gelehrte Florentiner Cristoforo Buondelmonti denselben Raum und verfasste auf Grund seiner Erfahrungen jenen berühmten „Liber Insularum Archipelagi“37, der seinerseits zum Archetyp einer bald schon in Blüte stehenden literarischen Gattung, der frühneuzeitlichen „Isolari“, werden sollte.38 33

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Vgl. John PRYOR, The Σταδιοδροµικόν of the De Cerimoniis of Constantine VII, Byzantine Warships and the Cretan Expedition of 949, in: The Greek Islands and the Sea, hg. v. Julian CHRYSOSTOMIDES / Charalambos DENDRINOS / Jonathan HARRIS, London 2004, S. 77-108, hier bes. S. 81f. Vgl. beispielsweise Stefan SCHRÖDER, Zwischen Christentum und Islam: kulturelle Grenzen in den spätmittelalterlichen Pilgerberichten des Felix Fabri (Orbis mediaevalis 11), Berlin 2009. Interessante Passagen zu einzelnen ionischen und ägäischen Inseln enthält der Bericht des Luchino dal Campo über die Pilgerfahrt des Markgrafen von Ferrara: siehe Luchino dal Campo, Viaggio del marchese Nicolò d’Este al Santo Sepolcro (1413), hg. v. Caterina BRANDOLI, Florenz 2011, hier S. 130-145. Zu Zink siehe Karl SCHNITH, Die Augsburger Chronik des Burkhard Zink. Eine Untersuchung zur reichsstädtischen Geschichtsschreibung des 15. Jahrhunderts, Diss. München 1958; DERS., Art. Zink, Burkhard, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters – Verfasserlexikon, 2. Aufl., Bd. 10, Berlin 1999, Sp. 1556-1558. Chronik des Burkard Zink, in: Die Chroniken der deutschen Städte, Bd. 5 (Augsburg 2), Leipzig 1866, S. 110f.: „Von etlichen Inseln […]“. In dieser Aufzählung schreibt Zink etwa über die Insel Cerigo: „Cirigo, in der insel was die schön Helena, durch die Troja erstört ward“, und erwähnt für Patmos die Wirksamkeit des Evangelisten Johannes. Zu Rhodos und Kreta (Candia), die Zink aus eigenem Ansehen kannte, vgl. auch ebd., S. 105. Die Literatur zu Buondelmonti und den zahlreichen illustrierten Handschriften seines Werkes ist umfangreich, verwiesen sei hier nur auf Claudia BARSANTI, Costantinopoli e l’Egeo nei primi decenni del XV secolo: la testimonianza di Cristoforo Buondelmonti, in: Rivista dell’Istituto Nazionale d’archeologia e storia dell’arte 3,24 (2001), S. 83-253. Zu Buondelmontis Biographie zuletzt Jean-Marc ROGER, Christophe Buondelmonti, doyen de l’église cathédrale de Rhodes (1430), in: Byzantion 82 (2012), S. 323-346. Annette GERSTENBERG, Thomaso Porcacchis ‚L’isole piu famose del mondo’. Zur Text- und Wortgeschichte der Geographie im Cinquecento (mit Teiledition) (Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie 326), Tübingen 2004; DIES., Der „Grenzraum Ägäis“ in französischen und italienischen Quellen des 16. Jahrhunderts, in: Europas Grenzen, hg. v. Sabine PENTH /

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Insgesamt spielte der Technisierungsgrad der Fortbewegung und des Navigierens eine zentrale Rolle für die Konzeptualisierung des Insularen. Vom Technisierungsgrad, insbesondere auch von der Leistungsfähigkeit der Schiffe, hing die Bedeutung von „Nähe“ und „Ferne“ und damit auch die Relevanz einzelner Inseln im mediterranen Raum als Anlaufstellen bzw. „stepping stones“ für militärische Operationen, Warenverkehr und Kommunikation ab. Der jeweilige Stand der Technik führte somit zu differenten Prozessen eines „island making“, d. h. der Wahrnehmung und Darstellung von Inselbildern in unterschiedlichen Zeiten. Ein antik-ökonomisches Ordnungsmuster stellt eine Aufteilung einzelner mediterraner Inseln gemäß den auf ihnen zu findenden Rohstoffen bzw. besonderen Wirtschafts- bzw. Konsumgütern dar. Hier wird vielfach die Perspektive von Konsumenten der griechischen Stadtstaaten bzw. des römischen Imperiums greifbar. Sizilien gilt in der Antike als Kornkammer Italiens (Diod. V 2-4), Metalle kommen von Kreta und Elba (Diod. V 13, 1f.: Eisenerz), den Kykladen und Samothrake, Kupfer gewinnt man auf Zypern, Purpur stammt von Rhodos, Marmor von Paros und Naxos, Honig von Kalymna, Kos gilt als früchtereich, Chios und Lesbos gelten als Weininseln. Mit charakteristischen Verschiebungen, bedingt durch die Einführung neuer agrarischer Monokulturen, lassen sich analoge Zuschreibungen auch für die mittelalterliche Zeit erkennen.39

3. Soziale Inszenierung und Persistenz Bei der Ausbildung axiomatischer Annahmen über insulare Welten spielen Fragen der sozialen Inszenierung und des sozialen Feedbacks eine ganz entscheidende Rolle. Isolation durch das umgebende Wasser, ggf. Überschaubarkeit und begrenzte Komplexität machen aus Inseln potentielle „Laboratorien“.40 Schon in frühen Quellen stellen insulare Welten einen idealen Untersu-

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Martina PITZ / Christine VAN HOOF / Ralf KRAUTKRÄMER (Limites 1), St. Ingbert 2006, S. 119-139. So galt Chios als die Mastixinsel, Zypern wurde für den Anbau von Zuckerrohr berühmt, Kreta für seinen Wein; Malta und Lipari brachten Baumwolle hervor: Vgl. dazu Henri BRESC, Îles et tissu „connectif“ de la Méditerranée médiévale, in: Médiévales 47 (2004), S. 123-138, hier S. 128f.; Chios. A Conference at the Homereion in Chios, 1984, hg. v. John BOARDMAN / C. E. VAPHOPOULOU-RICHARDSON, Oxford 1986; Paul FREEDMAN, Mastic: a Mediterranean Luxury Product, in: Mediterranean Historical Review 26,1 (2011), S. 99-107; Molly GREENE, A Shared World. Christians and Muslims in the Early Modern Mediterranean, Princeton 2000, S. 110-140. Vgl. auch den Beitrag von Simon PUSCHMANN in diesem Band. Zu methodischen Fragen der Interdependenz von Inselpopulationen und Ökonomie: Dirk GODENAU, Die Interaktion zwischen Bevölkerung und Wirtschaft unter Bedingungen von Insularität. Der Fall der Kanarischen Inseln nach 1940, Engelsbach u. a. 1992. Explizit bei John Davis EVANS, Islands as Laboratories for the Study of Culture Process, in: The Explanation of Culture Change: Models in Prehistory, hg. v. Colin RENFREW, London 1973, S. 517-520; siehe auch JACKSON, Islands (wie Anm. 1), S. 2f.; LÄTSCH, Insularität (wie

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chungsraum für Funktionsweisen menschlicher Gesellschaften dar bzw. können diese in ihrer sozialen Identität in einer bestimmten Weise formieren.41 Soziale und politische Identitäten auf mediterranen Inseln bis hin zu kolonialen oder quasikolonialen Erfahrungen der Fremdbeherrschung als charakteristischer Strukturform unterlagen auf der einen Seite vielfältigen Transformationsprozessen.42 Auf der anderen Seite lassen sich an sozialen Praktiken und politischen Verhältnissen Phänonene der Dauerhaftigkeit bzw. Persistenz ablesen. So können insulare communitates z. B. im Hinblick auf isolierte Sprachräume mit Praxen der Persistenz in Verbindung gebracht werden; verwiesen sei etwa auf den archaischen Charakter sardischer Dialekte und des Maltesischen.43 Komplex ist desweiteren die Auswirkung von Prozessen der Erstbesiedlung, Kolonialisierung, bzw. des Zuzugs von Festlandbewohnern und Migranten auf insulare Gesellschaften zu beurteilen.44 Damit verflochten ist die Frage der Verbindung mediterraner Inseln zu politischen Gebilden des Festlandes. Bereits in der Antike konnten mediterrane Inseln eigene Staaten bilden: Wäh-

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Anm. 1), S. 21f.; ROYLE, A Geography (wie Anm. 2), S. 20f.; vgl. Islands as Laboratories. Archaeological Research in Comparative Perspective, hg. v. Ben FITZHUGH / Terry L. HUNT (Human Ecology 25,3), New York 1997. Ein Beispiel sind die von Plutarch in seiner Schrift „De sera numinis vindicta“ gewählten Fälle aus der Geschichte Siziliens, die es erlauben, Interdependenzen von Taten und ihren Konsequenzen in einer relativ geschlossenen Anordnung betrachten zu können, um das gewisse Eintreten der späten „Rache“ der Gottheit herauszuarbeiten. Insbesondere geht es hier um den Aspekt, dass auch die „Bösen“ noch eine temporär gute Funktion im Geschichtsplan übernehmen können, bevor sie ihrer sicheren Strafe zugeführt werden. Plutarch verweist in Kap. 7 (552 D-553 D) auf Dionysios von Syrakus, der nicht gleich zu Beginn seiner Herrschaft zur Rechenschaft gezogen worden sei, um zuvor die von den Karthagern verheerte Insel neu ordnen und für eine griechische Besiedlung erschließen zu können (552 E). Weiter hat nach Plutarch Timoleon seine gerechte (vgl. Kap. 7; 552 F) Strafe – besonders für die Zerstörung Delphis – erst erhalten, nachdem er gegen die Karthager und die mit ihnen verbündeten sizilianischen Tyrannen gekämpft hatte. Und schließlich führt Plutarch neben dem Beispiel des Römers Marius, dessen Grausamkeit, besonders bei der Einnahme Roms, er in seiner „Vita“ herausstellt, Phalaris von Agrigent an, der seine Feinde angeblich in einem ehernen Stier rösten ließ (553 A). Vgl. die weiteren Bezüge auf sizilianische Herrscherfiguren in „De sera numinis vindicta“: Gelon und Hieron in Kap. 6; 552 A als Beispiele für Tyrannen, die gewaltsam an die Macht kamen, dann jedoch eine förderliche Herrschaft ausübten; Agathokles von Syrakus in Kap. 12; 557 B; die von der Seele verlassene Leiche des Dionysios von Syrakus in Kap. 16; 559 D. Zu den frühen und späteren sizilianischen Tyrannen: Moses I. FINLEY / Denis M. SMITH / Christopher DUGGAN, Geschichte Siziliens und der Sizilianer, 4. Aufl., München 2010, hier S. 24-44. Mediterraner Kolonialismus: Expansion und Kulturaustausch im Mittelalter, hg. v. Peter FELDBAUER (Expansion, Interaktion, Akkulturation 8), Essen 2005. Grundlegend ist die historische Sprachgeographie Matteo Bartolis (1873-1946), der isolierten Gebieten eine tendenziell sprachkonservierende Rolle zuweist: Matteo BARTOLI, Introduzione alla neolinguistica. Principi, scopi, metodi, Genf 1925. Siehe auch: Insularità linguistica e culturale: il caso dei tabarchini di Sardegna. Documenti del convegno internazionale di studi (Calasetta, 23-24 settembre 2000), hg. v. Vincenzo ORIOLES / Fiorenzo TOSO, Genova 2001. Vgl. hierzu John F. CHERRY, The First Colonization of the Mediterranean Islands. A Review of Recent Research, in: Journal of Mediterranean Archaeology 3, 2 (1990), S. 145-221.

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rend manche griechische Inseln genau mit dem Territorium einer Polis übereinstimmten, koexistierten auf anderen mehrere politische Einheiten.45 Beide Formen insularer territorialer Autonomie finden sich auch im Mittelalter: die erste etwa in Gestalt der arabischen Emirate auf Sizilien und Kreta seit dem 9. Jahrhundert oder des Königreichs Zypern im späteren Mittelalter46, die zweite nahezu idealtypisch in den vier Judikaten (Cagliari, Arborea, Logudoro und Gallura) des hochmittelalterlichen Sardinien.47 Überwiegend erscheinen die mediterranen Inseln bis heute als Teile resp. Besitzungen anderer Staaten und Souveräne, nicht zuletzt auf Grund und in Folge ihrer militärisch-strategischen Bedeutung. Grundsätzlich verbindet sich die insulare Lage mit der Vorstellung von Schutz und Sicherheit durch das umgebende Wasser.48 Gegebenenfalls konnten sich Bewohner größerer Inseln bei Angriffen von der See her in das Landesinnere zurückziehen, denn dieses Innen- und Hinterland einer Insel war in der Antike und auch im Mittelalter mit Seestreitkräften vielfach nicht zu kontrollieren. So gelang es weder den Karthagern noch den Römern, die Insel Sardinien ihrer Herrschaft vollständig unterzuordnen; die Bewohnen flüchteten vielmehr ins Inselinnere (Diod. V 15). Ähnlich mühsam gestaltete sich die Beherrschung der Insel für die Katalanen im Spätmittelalter.49 Die militärische Kontrolle von Inseln durch mediterrane Seemächte zielte häufig vorrangig darauf, bestimmte Schiffahrtsrouten

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Vgl. dazu: Gary REGER, Islands with One Polis versus Islands with Several Poleis, in: The Polis as an Urban Centre and as a Political Community, hg. v. Mogens Herman HANSEN (Acts of the Copenhagen Polis Centre 4), Kopenhagen 1997, S. 450-492. Für die frühmittelalterlichen Inselemirate vgl. Vassilios CHRISTIDES, The Conquest of Crete by the Arabs (ca. 824): A Turning Point in the Struggle between Byzantium and Islam, Athen 1984; Del nuovo sulla Sicilia musulmana. Atti della Giornata di studio (Roma, 3 maggio 1993), hg. v. Accademia nazionale dei Lincei (Fondazione Leone Caetani 26), Rom 1995; Alessandro VANOLI, La Sicilia musulmana, Bologna 2012. Die Literatur zur LusignanHerrschaft auf Zypern ist sehr breit, vgl. u. a.: Cyprus: Society and Culture 1191-1374, hg. v. Angel NICOLAOU-KONNARI / Chris SCHABEL (The Medieval Mediterranean 58), Leiden 2005; Chypre: entre Byzance et l’Occident, IVe-XVIe siécle, hg. v. Jannic DURAND / Dorota GIOVANNONI, Paris 2012. Eine kurze Charakterisierung bei Franz TINNEFELD, Zypern in fränkischer und venezianischer Zeit (1192-1571), in: Beiträge zur Kulturgeschichte Zyperns von der Spätantike bis zur Neuzeit, hg. v. Johannes G. DECKERS, Münster 2005, S. 91-105. Gian Giacomo ORTU, La Sardegna dei giudici, Nuoro 2005; Arrigo SOLMI, Studi storici sulle istituzioni della Sardegna nel Medioevo, Cagliari 1917 (Nachdruck 1974); Alberto BOSCOLO, La Sardegna dei Giudicati, Cagliari 1979. Dieses Motiv untersucht am Beispiel der britischen Inseln: Kelly DEVRIES, The Sea as a Defense for the British Isles from 55 BCE to 1066 ACE, in: L’acqua nei secoli altomedievali, hg. v. Centro Italiano di Studi sull’Alto Medioevo, Bd. 1 (Settimane di Studio della fondazione Centro Italiano di Studi sull’Alto Medioevo 55), Spoleto 2008, S. 319-354. Vicente SALAVERT ROCA, Cerdeña y la expansión mediterránea de la corona de Aragón, 1297-1314, 2 Bde., Madrid 1951; Alessandra CIOPPI, Le strategie dell'invincibilità: Corona d’Aragona e Regnum Sardiniae nella seconda metà del Trecento (Europa e Mediterraneo: Storia e immagini di una comunità internazionale 24), Cagliari 2012.

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sicherstellen bzw. bestimmte Meeresabschnitte mittels Stützpunkten überwachen zu können.50 In der Antike gibt es Beispiele für eine relative strategische Autonomie und Bedeutung von Inseln wie Rhodos und Kreta, die teils auch Festlandanteile (Peraia) besaßen (ähnlich auch im Fall von Lesbos, Kos, Samos und Samothrake).51 Inseln waren darüber hinaus vielfach Orte in- oder halboffizieller Konfliktaustragung. In der späteren klassischen Zeit ist ein starkes Anwachsen der Piraterie im Mittelmeerraum zu verzeichnen, das seine Spuren auch in der Architektur (Wachtürme etc.) hinterlassen hat und erst mit den Maßnahmen des Pompeius ein Ende fand. Die bevorzugte Ansiedlung von Akteuren des Seeraubs auf Inseln sowohl im Westen wie im Osten des Mittelmeerraumes ist ebenso in mittelalterlicher Zeit zu beobachten52 und findet schließlich einen späten Höhepunkt in der Rolle Maltas als Basis der christlichen guerra di corso gegen die sogenannten Barbaresken seit dem 16. Jahrhundert.53 Andererseits wirkte sich eine intensive Seeraub- und Überfallpraxis aber auch besonders drastisch auf die Demographie kleiner Inseln bis hin zur vollständigen Entvölkerung aus.54 Auch am Beispiel von Geschlechterrollen55 lassen sich einige insulare Spezifika zeigen. Konzeptualisierungen von Inseln können sich mit GenderKonstrukten verknüpfen: Nach Diodor verkehren sich z. B. auf der Insel Korsika im Fall von Schwangerschaften und Geburten die Geschlechterrollen: Während sich niemand um die Entbindung der Frauen bekümmere, legten sich die Männer eine Zeit lang wie Wöchnerinnen nieder und verhielten sich wie in Wehen liegend.56 50

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Diese Logik zeigt sich etwa bei der Etablierung von Herrschaftszonen der großen westmediterranen Seemächte Pisa, Genua und Aragon auf Sardinien und Korsika, die sich de facto auf den Küstenraum der Inseln konzentrierten und nur beschränkt ins Hinterland ausstrahlen konnten. Vgl. Peter FUNKE, Peraia. Einige Überlegungen zum Festlandbesitz griechischer Inselstaaten, in: Hellenistic Rhodes: Politics, Culture and Society, hg. v. Vincent GABRIELSEN u. a., Aarhus 1999, S. 55-75. Vgl. dazu die konzise Darstellung durch Pinuccia F. SIMBULA, Îles, corsaires et pirates dans la Méditerranée médiévale, in: Médiévales 47 (2004), S. 17-30. Anne BROGINI, Malte, frontière de Chrétienté (1530-1670) (Bibliothèque des Ecoles françaises d’Athènes et de Rome 325), Rom 2006, hier bes. S. 93-134. Vgl. dazu Johannes KODER, Topographie und Bevölkerung der Ägäis-Inseln in spätbyzantinischer Zeit, in: Byzantinische Forschungen 5 (1977), S. 217-234. Das grammatische Geschlecht der Insel ist in zahlreichen „mediterran“ bestimmenden Sprachen feminin (Lateinisch: insula; Griechisch: ἡ νῆσος; Arabisch: al-ğazīra). V 14; vgl. Strab. III 4, 17 über die Basken. Im Bereich der literarischen Imaginierung werden Gender-Eigentümlichkeiten schon in antiken Texten markiert: Wiederholt ist in antiken Quellen zunächst von Frauenmangel auf Inseln die Rede (vgl. Diod. V 50 zum Frauenraub von Strongyle). Den Bewohnern der Balearen galten nach Diodor Frauen als derart wertvoll, dass sie im Fall der Entführung durch Seeräuber drei oder vier Männer als Lösegeld einsetzten (V 17, 3). Bei Hochzeitsfeiern gelte die eigene Sitte, nach der zunächst Verwandte und Freunde in Abfolge ihres Lebensalters bei den Frauen lägen (V 18, 1). Göttinnen auf Inseln können in besonderer Weise als kompetent im Blick auf Frauen-Leiden gelten. So vermag nach Diodor

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Von früh an verbinden sich in der Literatur mit Inseln Erwartungshaltungen bezüglich einer bestimmten Sozialität. Konstrukte idealer insularer Gesellschaften und Identitäten begegnen vielfach in literarischen Imaginationen. Hierfür sind Beispiele aus allen Gattungen und Bereichen der Literatur und Historiographie anzuführen.57 Die Vorstellung, dass auf einer konkreten Insel nicht lediglich einige Menschen oder Gruppen in einer Familie, Sippe oder einem Stammes- oder Polisverband eine eigene soziale Identität entwickeln, sondern dies vielmehr für die Inselbewohnerschaft insgesamt gelten soll, findet sich z. B. in der antiken Historiographie in einer Rede, die Thukydides dem Hermokrates von Syrakus in den Mund legt (Thuk. IV 64, 2-5): Die Sizilier sollten zusammen kämpfen, denn, auch wenn sie ursprünglich aus verschiedensten Gegenden kämen, so würden sie doch jetzt als Bewohner einer Insel zusammen geformt und geeint. Darüber hinausgehend finden sich in der Geschichtsliteratur der Antike verschiedentlich Hinweise darauf, dass sich besondere Gesellschaftsformen auf einzelnen Inseln entwickelt hätten. Nach Diodor hätte sich z. B. auf den Liparischen Inseln eine Art „kommunistischer“ Gesellschaftsordnung ausgebildet (V 9, 4f.). Eine besondere Rolle spielen insulare Welten nicht nur in der antiken Historiographie oder im Bios, sondern auch in der antiken Staatsphilosophie. Man kann hier von Entwürfen politischer Insularität sprechen. Dies betrifft beispielsweise Platons verschiedene Anläufe der Konzeptualisierung eines idealen Staates, und hier insbesondere seine Ausführungen zum Inselstaat Atlantis und ihre Rezeptionsgeschichte.58

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(V 63, 2) die Göttin Hemithea Frauen bei schwerer Geburt von den Nöten und Gefahren der Wehen zu befreien. Die Spezifik von Gender-Rollen in insularen Welten ist vor allem für südostasiatische und pazifische Inseln in anthropologisch-historischen Studien untersucht worden, vgl. Christine WARD GAILEY, Kinship to Kingship. Gender Hierarchy and State Formation in the Tongan Islands, Austin 1987; Janet M. ATKINSON, Power and Difference. Gender in Island Southeast Asia, Stanford 1990; Jocelyn LINNEKIN, Sacred Queens and Women of Consequence. Rank, Gender, and Colonialism in the Hawaiian Islands, Ann Arbor 1990. Die Frage der Verknüpfung von „Identitäts“-Konzepten mit Modellen der Insularität (Konstruktionen von „island identities“, seien diese literarisch-fiktional, material, sozial-politisch u. a.) ist gegenwärtig in den Altertumswissenschaften in verschiedenen Forschungsdisziplinen sehr en vogue und weiter im Fluss. Beim 14. Kongress der SEEC im September 2015 ging es z. B. um das Thema „Insulae. Insularity, Identity and Epigraphy in the Roman Mediterranean“ (Velaza FRÍAS); die von Anna KOUREMENOS verantwortete Tagung der Roman Archaeology Conference beschäftigte sich vom 27.-30. März 2014 ebenfalls mit dem vielschichtigen Problemgefüge von „Insularity and Identity in the Roman Mediterranean“. Zugänglich sind bislang nur Summaries der Vorträge (http://www.reading.ac.uk/web/FILES/ archaeology/RAC_1E_-_Insularity_and_Identity.pdf). Platon kann in seinen späteren Schriften die Annahme formulieren, die Einheit einer Polis sei nur in einer bestimmten sozialen Größendimension zu realisieren. In den „Nomoi“ gilt Platon die Zahl von 5040 Menschen (sc. männlichen, politisch mündigen Grundbesitzern) als Ideal (vgl. Plat., Nom. 737c-738a; 740d-741a). – Hierzu sowie zum Mythos von Atlantis (vgl. Platon, Kritias 112e-121c): Hellmut FLASHAR, Der platonische Staat als Utopie, in: Antike

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4. Emotive Auffassung und religiös-metaphysische Integration Emotionen spielen eine wichtige Rolle bei der Insularitätskonstruktion. Inseln werden durch ihre Umgebung (das Wasser) „definiert“. In dem Maß, in dem das umgebende Meer als feindlich und bedrohlich erlebt und konzeptualisiert und beispielsweise mit der Vorstellung zorniger Gottheiten konnotiert wird, kann das Erreichen einer Insel als beglückende Rettung verstanden werden. Seit den frühesten epischen Erzählungen sind Inseln mithin klassische Topoi der heilvollen Strandung des Heroen (vgl. Odysseus auf der Insel der Phäaken), und dieses Motiv wurde im Mittelalter aufgegriffen bzw. im Genre der Hagiographie weiter enfaltet.59 Umgekehrt kann das Wasser belebend, freundlich, verbindend etc. sein – und in dieser Weise die gesamte Insel emotiv kodieren: Schon in der Antike konnten insulare Welten aus der Sicht des vornehmen Städters auf dem Festland erstrebt und als günstige Orte betrachtet werden. Sie fungierten z. B. teilweise als Zufluchtsorte für Cäsaren und Fürsten (man denke nur an die Aufenthalte des Kaisers Tiberius auf Rhodos und später auf Capri). Inseln können sich in der mythischen und philosophischen Literatur zu Orten der eigentlichen Heimat und jenseitiger Sehnsüchte entwickeln. Sie verknüpfen sich mit Vorstellungen heilvoller Ruhe und Vorstellungen von Frieden für die Menschheit bis hin zu eschatologischen Konzepten. Die „Inseln der Seligen“ avancieren zu fiktionalen Kontrastwelten mit paradieshaften Zügen. Besonders einflussreich war hier Platons „Kritias“.60 Neuzeitlichen Menschen der Industrieländer werden Inseln in Internetportalen oder Reiseprospekten als paradieshafte Orte der Entspannung und Erholung gezeigt. Inseln werden zu Orten der Sehnsucht nach Wärme, Licht, Ruhe, gesunder Bewegung und integrer Landschaft. Sie scheinen in ihrer Abgeschiedenheit Sicherheit und Ungestörtsein in konzentrierter Form bereitzustellen. Auf einer durchaus ähnlichen Ebene ist wohl die mit starkem emotionalen

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Rechts- und Sozialphilosophie, hg. v. Olof GIGON / Michael W. FISCHER, Frankfurt 1988, S. 23-36; Herwig GÖRGEMANNS, Wahrheit und Fiktion in Platons Atlantis-Erzählung, in: Hermes 128 (2000), S. 405-419; Heinz-Günther NESSELRATH, Platon und die Erfindung von Atlantis (Lectiones Teubnerianae), München/Leipzig 2002; Georges LEROUX, La tripartition de l’âme, in: Études sur la République de Platon, hg. v. Monique DIXSAUT, Bd. 1, Paris 2005, S. 123-147; Donald R. MORRISON: The Utopian Character of Plato’s Ideal City, in: The Cambridge Companion to Plato’s Republic, hg. v. Giovanni R. F. FERRARI, Cambridge/New York 2007, S. 232-255; Oliver KOHNS / Ourania SIDERI, Mythos Atlantis. Texte von Platon bis J.R.R. Tolkien, Stuttgart 2009. Amalia GALDI / Eugenio SUSI, Santi, navi e Saraceni. Immagini e pratiche del mare tra agiografia e storia dalle coste campane a quelle dell’Alto Tirreno (secoli VI-XI), in: Quaderni di Storia religiosa 15 (2008), S. 53-101. Siehe auch die Akten der Tagung „Ein Meer und seine Heiligen“ (vgl. Anm. 72). Siehe oben Anm. 58 zu Atlantis.

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Impetus aus insularer Innenperspektive erhobene Forderung angesiedelt, islandness als „metaphysical sensation“ zu verstehen.61 Doch ist die vormoderne Literatur insgesamt weit entfernt davon, insulare Welten per se zu idealisieren. Dies hängt mit der Ambivalenz des umgebenden Mediums, jedoch auch mit weiteren Faktoren wie der Entfernung, der drohenden Verknappung von Ressourcen sowie dem entsprechenden Wissen um feindliche Lebensbedingungen zusammen. Die Berichte über Strafgefangene, Verbannte und Mangelleidende auf Inseln sind zahlreich in der antiken Literatur.62 Die Rede vom Leben auf einer Insel verbindet sich vielfach mit der Vorstellung potentiell tödlicher Gefährdung. Inseln können als rau, feindlich und auch hässlich konzeptualisiert werden. Sie werden mit Attributen dessen versehen, was man besonders fürchtet. Generell stellt sich damit die Frage, wie und wie sehr der emotiv-affektive Faktor in alle weiteren Bereiche von Insularitätskonstruktionen hineinwirken kann. Sozio-religiöse und emotive Konstruktion durchdringen sich z. B. wechselseitig, wenn die Mittelmeerinseln im antiken Judentum vielfach als fremde Orte der Völker-/Heidenwelt erscheinen.63 Auch in der griechischen und römischen Literatur werden von Inseln nicht nur „fremde“ Geschichten erzählt, vielmehr kann das Fremde und Andere als insulares Phänomen als solches konzeptualisiert werden. Hierbei spielt die Auffassung eine besondere Rolle, dass Inseln als Knotenpunkte des Warenverkehrs und des Austauschs verschiedenster Kulturen ein potentielles Einfalltor für Einflüsse bieten, welche die eigene kulturelle Identität bedrohen könnten.64 Nicht zuletzt wäre zu fragen, inwiefern mediterrane Inseln auch heute wieder – vor allem im Zusammenhang von Migrationsprozessen und Flücht61

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Siehe Philip CONKLING, On Islanders and Islandness, in: The Geographical Review 97/2 (2007), S. 191-201 mit Bezug auf die Ausrichtung des Island Institute in Rockland, Maine, und dessen Zeitschrift Island Journal. Vgl. z. B. Diod. V 11 zu Osteodes, wo Meuterer ausgesetzt wurden und verhungern mussten. Zu den rechtlichen Grundlagen der relegatio in insulam im spätantiken Strafsystem vgl. Julia HILLNER, Confined Exiles: An Aspect of the Late Antique Prison System, in: MillenniumJahrbuch 10 (2013), S. 385-433, hier S. 396-398; zu Verbannungen auf Inseln des Tyrrhenischen Meeres im Prinzipat siehe Xavier LAFON, Les îles de la mer Tyrrhénienne: entre palais et prison sous les Julio-Claudiens, in: Carcer. Prison et privation de liberté dans l’antiquité classique, hg. v. Cécile BERTRAND-DAGENBACH / Alain CHAUVOT / Michel MATTER / JeanMarie SALAMITO, Paris 1999, S. 149-162. Vgl. Gen 10, 5; Jes 24, 15; 41, 1; 42, 10; 51, 5; 60, 9; Ez 26, 18; Ps 72, 10; 97, 1 u. a. m. Der Zustrom von Waren und Gütern, wie er Inselorte demnach in besonderer Weise beträfe, wird von Platon als für die Moralvorstellungen eines Gemeinwesens gefährlich beurteilt (Plat. Nom. 705a.b). Auch Aristoteles beschreibt die Gefahren für die Homogenität einer Polis, welche der Zuzug von Fremden bedeutet (Arist. Polit. 1327a 11-17). Negativ äußert sich auch Cicero bezüglich der drohenden Fremdeinflüsse, denen gerade Inseln unterlägen. Schon Hafenstädte auf dem Festland sind nach ihm Einfalltore für fremde Gebräuche und Sitten; es droht der verderbliche Kontakt mit Luxusgütern. Solche Gefährdung aber sei auf den Inseln noch einmal gesteigert, die, im Fremdeinfluss geradezu schwimmend, ihre Identität beständig zu verlieren drohen (Res Publ. II 4 [7-9]: quae fluctibus cinctae natant paene ipsae simul cum civitatum institutis et moribus).

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lingstragödien aus Nordafrika über das Mittelmeer – als „offene Flanken“ angesehen werden und wie sich auf diese Weise ältere emotionale Zuschreibungen unter Umständen reaktualisieren. Die rezente „Karriere“ der Insel Lampedusa als traumatischer Symbolort an den Grenzen der „Festung Europa“ zeigt, wie relevant die Berücksichtigung emotiver Dimensionen der Insularität auch im 21. Jahrhundert ist.65 Religiöse Interpretamente sind seit antiker Zeit ebenso wie für das christliche und islamische Mittelalter im mediterranen Raum basal, wenn soziopolitische oder auch ökonomische Konzepte verhandelt werden. Die Religionsgeschichte einzelner mediterraner Inseln kann dabei einerseits als eine Geschichte der Abfolge religiöser Präsenz und Dominanz, vergleichbar der politischen Herrschaftsgeschichte, betrachtet werden, andererseits aber auch als Geschichte des Kontaktes, der transformativen Berührung, Durchdringung und Hybridisierung zwischen den religiösen Traditionen. Auf dem Feld der Begegnung, Durchdringung und Abgrenzung der „drei großen mediterranen Religionen“ stellt sich schließlich die Frage nach möglichen Spezifika der insularen Welt des Mittelmeerraumes im Vergleich zu insularen Welten anderer Meere.66 In vorjüdischer und vorchristlicher Zeit, z. T. jedoch auch später, verbinden sich einzelne Mittelmeerinseln mit einer Fülle verschiedenartiger Kulte, die sich in vielen Fällen erst allmählich der religio Graeca und dann auch der religio Romana annäherten, dabei zugleich ihre Eigentümlichkeiten in vielfältiger Weise behaupteten. Viele aus dem Orient und auch aus Ägypten stammende Religionselemente sind wahrscheinlich von resp. über die Inseln auf das nördliche Festland gelangt und begegnen auf den Inseln teils in archaischen Formen. In hellenistisch-römischer Zeit etablierten sich neue Kulte auch auf den Inseln; Samothrake wurde z. B. zum Mysterienkultort.67 Es kam damit

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Siehe dazu nunmehr Heidrun FRIESE, Grenzen der Gastfreundschaft. Die Bootsflüchtlinge von Lampedusa und die europäische Frage, Bielefeld 2014. Zur älteren Geschichte der Insel vgl. DIES., Lampedusa. Historische Anthropologie einer Insel, Frankfurt am Main/New York 1996. Das Problem des Umgangs mit Migration stellt sich jedoch auch auf anderen mediterranen und dem Mittelmeerraum benachbarten Inseln, etwa auf Malta, vgl. Mark A. FALZON, Immigration, Rituals and Transitoriness in the Mediterranean Island of Malta, in: Journal of Ethnic and Migration Studies 38,10 (2012), S. 1661-1680, und Sarah WEBER, Malta und die Boatpeople. Eine Ethnologie der interkulturellen Begegnung, Frankfurt am Main 2013. Allgemein zum Thema: Russell KING, Geography, Islands and Migration in an Era of Global Mobility, in: Island Studies Journal 4,1 (2009), S. 53-84. Vgl. auch den Beitrag zur Migration auf den kanarischen Inseln von Dirk GODENAU in diesem Band. Das spannungsreiche Miteinander und Nebeneinander der großen monotheistischen Religionen gilt gemeinhin als konstitutives Spezifikum des Mittelmeerraumes und der mediterranen Geschichte seit dem Mittelalter, vgl. etwa Adnan A. HUSAIN, Introduction: Approaching Islam and the Religious Cultures of the Medieval and Early Modern Mediterranean, in: A Faithful Sea. The Religious Cultures of the Mediterranean 1200-1700, hg. v. DEMS. / Katherine E. FLEMING, Oxford 2007, S. 1-26, bes. S. 6. Vgl. dazu den Beitrag von Christy CONSTANTAKOPOULOU in diesem Band.

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auch zu Parallelerscheinungen, zum Import, zu Überlagerungen sowie zum „blending“ von Praktiken und religiösen Vorstellungen.68 Über die isolierte religionshistorische Analyse der Gegebenheiten auf einzelnen Inseln hinaus69 richtet sich der Blick auf kultische Netzwerke, Filiations- bzw. Ausbreitungsgeschichten. Wie frühchristliche Missionare die mediterranen Inseln als „stepping stones“ nutzten70, so gilt dies auch in späteren 68

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Die Frage nach interpretationes graecae sive romanae bzw. nach Vorgängen der Parallelentwicklung, der Identifikation, des Imports, der Absorption, der Akkommodation und des „blendings“ von Gottheiten, religiösen Überzeugungen, Riten und weiteren Orten oder Praktiken in hellenistisch-römischer Zeit hängt forschungsgeschichtlich eng mit dem diffizilen und umstrittenen Problemkreis eines religiösen „Synkretismus“ zusammen. Entsprechende Vorgänge sind dabei jeweils sorgfältig für einzelne Regionen und Kulte in bestimmten Zeiträumen zu untersuchen; globale Thesen müssen gerade auch im Blick auf einzelne mediterrane Inseln hier ganz sorgfältig überprüft werden, und gerade im Fall der Inseln sind „Importwege“ religiöser Überzeugungen und Praktiken und ihr Verhältnis zu ggf. „indigenen“ Anschauungen und Riten kaum je monokausal und monolinear zu konstruieren. Vgl. mit weiterer Literatur: Tanja S. SCHEER, Art. Religion, in: Lexikon des Hellenismus, hg. v. Hatto H. SCHMITT / Ernst VOGT, Wiesbaden 2005, Sp. 907-912 (Literatur: hier Sp. 911f.). Zur Religionsgeschichte des „Hellenismus“ vgl. Frederick C. GRANT, Hellenistic Religions. The Age of Syncretism (The Library of Liberal Arts), New York 1953; Luther H. MARTIN, Hellenistic Religion. An Introduction, New York/Oxford 1987; Miroslav MARCOVICH, Studies in Graeco-Roman Religions and Gnosticism (Studies in Greek and Roman Religion), Leiden 1989; Hendrik Simon VERSNEL, Inconsistencies in Greek and Roman Religion, Bd. 2: Transition and Reversal in Myth and Ritual (Studies in Greek and Roman Religion), 2. Aufl., Leiden/New York/Köln 1994; Antonia TRIPOLITIS, Religions of the Hellenistic-Roman Age, Grand Rapids/Cambridge 2002; Jörg RÜPKE, Die Religion der Römer. Eine Einführung, 2. Aufl., München 2006. Vgl. exemplarisch zur Religionsgeschichte Zyperns: Adolf REIFENBERG, Das antike zyprische Judentum und seine Beziehung zu Palästina, in: The Journal 25 of the Palestine Oriental Society 11 (1931), S. 209-215; Cyprus. Religion and Society from the Late Brone Age to the End of the Archaic Period. Proceedings of an International Symposium on Cypriote Archaeology, Erlangen, 23 – 24 July 2004, hg. v. Vassos KARAGEORGHIS / Hartmut MATTHÄUS / Sabine ROGGE, Möhnesee 2005; Terence B. MITFORD, The Cults of Roman Cyprus, in: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II, 18, 3 (1990), S. 2176-2211; David NOY / Hanswulf BLOEDHORN, Inscriptiones Judaicae Orientis, Bd. III: Syria and Cyprus (Texts and Studies in Ancient Judaism), Tübingen 2004; Pieter Willem VAN DER HORST, The Jews of Ancient Cyprus, in: Jews and Christians in their Graeco-Roman Context. Selected Essays on Early Judaism, Samaritanism, Hellenism, and Christianity, hg. v. DEMS. (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 196), Tübingen 2006, S. 28-36; Alanna NOBBS, Cyprus in the Book of Acts, in: The Book of Acts in its Graeco-Roman Setting, hg. v. David W. J. GILL / Conrad H. GEMPF, Grand Rapids 1994, S. 279-289; All Things to All Cultures. Paul among Jews, Greeks, and Romans, hg. v. David W. J. GILL / Conrad H. GEMPF / Mark HARDING, Grand Rapids/Cambridge 2013; Elena POGIATZI, Die Grabreliefs auf Zypern von der archaischen bis zur römischen Zeit (Peleus 23), Mannheim 2003. Dass die mediterranen Inseln als „stepping stones“ für die Ausbreitung des Christentums von frühester Zeit an eine wichtige Rolle hatten, zeigt allein schon die sogenannte erste Missionsreise des Paulus, die unter der Ägide des Barnabas faktisch zunächst eine Zypern-Reise ist (vgl. Apg 13 und 14). Die Itinerare der wahrscheinlich gegen Ende des 1. Jhs. n. Chr. entstandenen (erst später so genannten) Apostelgeschichte verzeichnen weitere insulare Stationen: Chios und Samos in Apg 20, 15; Kos und Rhodos in Apg 21, 1; Zypern in Apg 11, 19; 21, 3; 27, 4; Kreta in Apg 27, 7; Kauda in Apg 27, 16; Malta in Apg 27, 26; 28, 1. 7; Sizilien/Syrakus in Apg 28, 12. Für das Selbstverständnis von Mittelmeerinseln wie Zypern, Malta,

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Jahrhunderten, etwa in der Geschichte des Mönchtums.71 Mediterrane Heiligenkulte verbreiteten sich ebenso über Inseln wie besondere, dem Maritimen verbundene Formen der Marienverehrung (Jungfrau von Trapani u. a. m.).72 Schließlich gilt die Frage den Imaginationen insularer Religiosität im Mythos und in der Literatur. Zahlreichen griechischen Gottheiten wird in der antiken Literatur ihre Heimat auf Inseln zugewiesen, und zahlreiche Orte auf den Mittelmeerinseln stehen mit spezifischen Göttern in engster Verbindung, die im griechischen Götterpantheon eine zentrale Rolle innehaben.73 Auf christlicher Seite ist z. B. sowohl an Malta zu erinnern, das aus der Geschichte vom Schiffbruch des Apostels Paulus wesentliche Bezüge für eine durchaus nicht selbstverständliche christliche Identitätskonstruktion schöpfte74, als auch an Patmos, den vermeintlichen Schöpfungsort der Johannesoffenba-

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Sizilien oder auch Patmos spielt der christliche Gründungsmythos teilweise bis heute eine Rolle. Die historischen Vorgänge liegen dabei jedoch überwiegend im Dunkeln; vieles, wie z. B. die Lokalisierung des Grabes des Barnabas auf Zypern (vgl. die Gesamtdarstellung von Markus OEHLER, Barnabas [Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 156], Tübingen 2003), verdankt sich erst späterer legendarischer Tradition. In vielen Fällen lassen sich die Wege und Aktivitäten christlicher Akteure weder auf den Inseln, noch zwischen ihnen oder dem Festland präzise definieren. Entsprechend können Inseln in Untersuchungen zur Etablierung und Ausbreitung des Frühchristentums in der mediterranen Welt nur dort thematisiert werden, wo Quellen vorliegen, vgl. Wolfgang REINBOLD, Propaganda und Mission im ältesten Christentum. Eine Untersuchung zu den Modalitäten der Ausbreitung der frühen Kirche (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments 188), Göttingen 2000; zu den oben angeführten Texten der Apostelgeschichte des Lukas: Richard I. PERVO, Acts. A Commentary (Hermeneia), Minneapolis 2009; zu den Gattungsfragen: Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, hg. v. Jörg FREY / Clare ROTHSCHILD / Jens SCHRÖTER (Beihefte zur Zeitschrift für die Neutestamentliche Wissenschaft 162), Tübingen 2009. Vgl. dazu nunmehr die ausgehend vom prototypischen Beispiel Lérins vor der Küste der Provence in einem reichhaltigen Band versammelten Studien: Lérins, une île sainte de l’Antiquité au Moyen Âge, hg. v. Yann CODOU / Michel LAUWERS (Collection d’Etudes médiévales de Nice 9), Turnhout 2009. Siehe dazu die Beiträge der Tagung „Ein Meer und seine Heiligen: Die hagiographische Strukturierung des Mittelmeerraums im Mittelalter“ (Rom 2015). So stammt der Göttervater Zeus von Kreta (vgl. Diod. V 70-77) und soll auch auf Kreta sein Grab gefunden haben (so Pomp. Mela II 112). Auch die Zeus-Gattin Hera ist nach der Sage (vgl. Paus. VII 4, 4) auf Samos geboren (vgl. das Heraion von Samos als bedeutendes antikes Heiligtum mit seinem Rhoikos-Altar). Zypern steht im Mythos in engem Zusammenhang mit der „Schaumgeborenen“/Aphrodite; und nach Kallimachos bringt Leto den Apollon und die Artemis auf Delos zur Welt (Kalli. H. 4). Weiter ist Poseidon, der Gott des Meeres, nach mythischer Erzählung auf Rhodos aufgewachsen, und die Jugend des Dionysos wird mit Naxos in Verbindung gebracht. Zur Analyse der nautischen und geographischen Fragen von Apg 27f.: Peter SEUL, Rettung für alle. Die Romreise des Paulus nach Apg 27,1-28,16 (Bonner Biblische Beiträge 146), Berlin 2003. Für kritische Diskussionen der Evidenz und ihrer Nutzung zur Konstruktion eines Paulus-Kultes und einer maltesischen Identität vgl. Mario BUHAGIAR, St. Paul’s Shipwreck and Early Christianity in Malta, in: The Catholic Historical Review 93 (2007), S. 1-16; Thomas FRELLER, (…) Et cum evasissemus, tunc cognovimus quia Melita insula vocabatur. Der Schiffbruch des Hl. Paulus auf „Melita“ und die Installation eines Kults, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 115 (2004), S. 117-163.

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rung, der als „heilige Insel“ in der christlichen Geschichte zum Paradigma des Insularen schlechthin wurde.75

III. Insularität des Mittelmeerraums – Horizonte der Forschung Die Frage nach „mediterranen Insularitäten“ lässt sich auf die Bedeutung des mare nostrum als primären Lebens- und Erfahrungsraum von Menschen zurückführen; andere Meere mit von ihnen umgriffenen Inseln waren an dessen Rändern situiert und weniger bekannt. Die in diesem Zusammenhang anzuführenden kognitiven Konzepte setzen in überschaubaren Binnenräumen an und generieren Ordnung.76 Eigennamen für Teile des Mittelmeers, wie z. B. mare Creticum, mare Siculum u. a., konnten auf insulare Standorte bezogen sein.77 Die in der Forschung vielfach nach wie vor dominante West-Perspektive auf die insularen Welten des Mittelmeeres stellt fraglos ein Problem dar. Sie gründet jedoch traditionsgeschichtlich in älteren Entwürfen: Schon Diodor orientiert seine Inselgeschichte z. B. aus einer Westperspektive, wobei immer wieder Sizilien als Orientierungspunkt fungiert. Inselgeschichte wäre demgegenüber anders zu schreiben, legte man den „point of view“ nach Palästina oder Alexandria.78 Im arabischen Buch der Kuriositäten (Kitāb al-ġarā’ib al-funūn) aus dem fatimidischen Ägypten des 11. Jahrhunderts findet sich eine schematische Karte des Mittelmeers in regelmäßiger Gestalt, vergleichbar dem Grundriss eines Hippodroms, angefüllt mit 118 Inseln, die zumeist als Kreise gleicher

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Benedikt STOLZ / Franz WEISS, Johannes auf Patmos. Die heilige Insel der Christenheit, Aschaffenburg 1971; Georg GLONNER, Zur Bildersprache des Johannes von Patmos. Untersuchung der Johannesapokalypse anhand einer um Elemente der Bildinterpretation erweiterten historisch-kritischen Methode (Neutestamentliche Abhandlungen. Neue Folge 34), Münster 1999. Zur Frage der möglichen Verbannung des Sehers Johannes auf die Insel Patmos wie zu ihrer Deutung vgl. David E. AUNE, Revelation 1-5 (Word Biblical Commentary 52a), Nashville 1997, hier S. 81f.; Eve-Marie BECKER, Patmos – ein utopischer Ort? Apk 1, 9-11 in auslegungs- und kulturgeschichtlicher Hinsicht, in: Saeculum 59 (2008), S. 81-106; Rosa Maria DESSÌ, Images médiévales d’une île sainte: Patmos, in: Lérins (wie Anm. 71), S. 281-300; Ian BOXALL, Patmos in the Reception History of the Apocalypse, Oxford 2013. So erscheinen die Kykladen als Ring um die Insel Delos (Strab. 10, 5, 1; Plin. nat. IV 12). Vgl. Viktor BURR, Nostrum Mare. Ursprung und Geschichte der Namen des Mittelmeeres und seiner Teilmeere im Altertum, Stuttgart 1932, S. 6, 54-56. Ein entsprechendes Grundproblem betrifft beispielhaft die Repräsentation von Orten und Räumen in Gesamtdarstellungen der Geschichte der Etablierung und Ausbreitung des ältesten Christentums. Vgl. Francois VOUGA, Geschichte des frühen Christentums (UTB 1733), Tübingen/Basel 1994; Klaus BERGER, Theologiegeschichte des Urchristentums. Theologie des Neuen Testaments, 2. Aufl., Tübingen/Basel 1995; Dietrich-Alex KOCH, Geschichte des Urchristentums. Ein Lehrbuch, Göttingen 2013; vgl. zu den entsprechenden Darstellungsproblemen der Geschichte Israels: Christian FREVEL, Grundriss der Geschichte Israels, in: Einleitung in das Alte Testament, hg. v. DEMS. / Erich ZENGER u. a., 8. Aufl., Stuttgart 2012, S. 701-870.

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Größe nahezu äquidistant angeordnet sind.79 Hier ist es nicht die Form der Küsten, die das Meer charakterisiert, sondern nur die relative Lage seiner Inseln zueinander, obwohl am Rande der Meeresfläche auch zahlreiche Namen von Küsten- und Hafenstädten vermerkt sind.80 Im knappen „Mittelmeer“Artikel des Zedlerschen Universal-Lexikons von 1739 heißt es: „Desgleichen sind in selbigem viel schöne Inseln“, was durch eine längere Aufzählung von den Balearen bis zu Corfu belegt wird.81 Auch in diesem Fall bilden die Inseln mithin ein unverzichtbares Element für die detaillierte Charakterisierung des Mittelmeers. Im Gegensatz dazu wurde den Mittelmeerinseln in der modernen Mediterranistik und ihren diversen disziplinären Vorläufern mitunter nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt.82 So spielen die Inseln in der aufkommenden geographischen Mittelmeerforschung des frühen 20. Jahrhunderts kaum eine gewichtige eigenständige Rolle: Weder in Philippsons „Mittelmeergebiet“ (1904) noch in den zwei der Mediterranée gewidmeten Bänden im Rahmen von Vidal de la Blaches „Géographie universelle“ (1934) bilden sie – im Gegensatz zu den großen Halbinseln – eine eigenständige spatiale Einheit oder analytische Kategorie. Und der „Vater“ der historischen Mediterranistik, Fernand Braudel, betont in seinem berühmten Opus magnum zwar: „Die Mittelmeerinseln sind zahlreicher und vor allem wichtiger, als gewöhnlich angenommen wird“83, doch belässt er es bei einer knappen Skizze dieser Orte, die geprägt seien vom Spannungsverhältnis von „Archaismus und Innovation“, stets bedroht vom Hunger und von feindlichen Angriffen. Inseln, die nicht nur als selbstverständlicher Teil einer Geschichte der Armut verstanden werden, sondern in deren Inneren sogar „die Armut der Geschichte“ niste84, marginale Plätze, deren prestigeträchtige natürliche Ressourcen als Monokulturen ausgebeutet wurden, Orte fortwährender Emigration. Für Bartolomé Bennassar in seinem Beitrag 79

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Siehe Emilie SAVAGE-SMITH, Maps and Trade, in: Byzantine Trade, 4th-12th Centuries. The Archaeology of Local, Regional and International Exchange, hg. v. Marlia MUNDELL MANGO, Farnham 2009, S. 15-29, hier S. 23; siehe auch DIES., Das Mittelmeer in der islamischen Kartographie des Mittelalters, in: Das Meer, der Tausch und die Grenzen der Repräsentation, hg. v. Hannah BAADER / Gerhard WOLF, Zürich u. a. 2010, S. 239-262; Jenny OESTERLE, Arabische Darstellungen des Mittelmeers in Historiographie und Kartographie, in: Maritimes Mittelalter. Meere als Kommunikationsräume, hg. v. Michael BORGOLTE / Nikolas JASPERT, Ostfildern 2015, S. 149-180. Oxford, Bodleian Library, MS. Arab. c. 90, fols. 30b-31a, vgl. das Digitalisat auf der Homepage (http://cosmos.bodley.ox.ac.uk/hms/home.php), insbesondere fol. 30b-31a. Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Kuenste, Bd. 21, hg. v. Johann Heinrich ZEDLER, Leipzig/Halle 1739, Sp. 601 (s. v. Mittelländische Meer). Vgl. für das Folgende auch die Ausführungen zu Inseln und Insularität in: Handbuch der Mediterranistik. Systematische Mittelmeerforschung und disziplinäre Zugänge, hg. v. Mihran DABAG / Dieter HALLER / Nikolas JASPERT / Achim LICHTENBERGER (Mittelmerstudien 8), Paderborn 2015, S. 147f. (D. RICHTER), 208f. (A. LICHTENBERGER). Fernand BRAUDEL, Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II., übers. Grete OSTERWALD, Bd. 1, Frankfurt am Main 1998, S. 214. BRAUDEL, Das Mittelmeer und die mediterrane Welt (wie Anm. 83), S. 222.

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zur „Histoire de la Méditerranée“ von 1998 sind Inseln hingegen „les témoins privilégiés de la vie effervescente de la mer, des temps d’expansion ou de crise, des conflits et des jeux de pouvoir, et des situations de dépendance“85 – Laboratorien mithin für den historischen Betrachter, Signalverstärker für strukturelle Wandlungen in weiter gefassten Horizonten. Schließlich haben Nicholas Purcell und Peregrine Horden in ihrem großen Entwurf zum Verständnis des mediterranen Raumes als komplexes historisches System gerade in den kleineren mediterranen Inseln typische Fälle von marginalen, gleichwohl jedoch produktiven Orten gesehen, auf denen sich zwar nur wenige ökologische Nischen finden, die jedoch gegenüber Küstenzonen vergleichbaren Charakters den beträchtlichen Vorteil einer (potentiell) konnektiven Anbindung in alle Richtungen besäßen.86 „Islands usually offer little that cannot be found elsewhere. The attractiveness of using energy and ingenuity in exploiting their scanty resources so painstakingly is wholly dependent on the fact that they are islands, which transforms their potential through the alchemy of engagement in redistribution. Mediterranean islands demonstrate very clearly that intensification is primarily a matter of realizing that potential for entering networks of redistribution which is naturally their salient feature.“87

Abgrenzung und Konnektivität erscheinen mithin als komplementäre Charakteristika der insularen Situation.88 In der historischen Forschung haben in den letzten Jahren die differenzierten Funktionen von Inseln innerhalb der sich ablösenden imperialen politischen Gefüge des Mittelmeerraumes verstärkt Aufmerksamkeit auf sich gezogen: so im Hinblick auf die griechisch-römische Antike89, auf die Inseln im Byzantinischen Reich des Mittelalters90 und im Osmanischen Reich der Frühen Neuzeit.91 Im Zuge der Konfrontation der Osmanen mit der habsburgischen Vormacht an den christlichen Ufern des Mittelmeers seien die Inseln besonders des westlichen Mittelmeerraums wie die Balearen, Djerba, Malta 85 86 87 88

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Histoire de la Méditerranée, hg. v. Jean CARPENTIER / François LEBRUN, Paris 1998, S. 276. Vgl. Peregrine HORDEN / Nicholas PURCELL, The Corrupting Sea. A Study of Mediterranean history, Oxford 2000, S. 224-227. HORDEN / PURCELL, Corrupting Sea, (wie Anm. 86), S. 230. Vgl. analog für den Indischen Ozean MARGARITI, An Ocean of Islands (wie Anm. 8), S. 200; Pamila GUPTA, Islandness in the Indian Ocean, in: Eyes Across the Water. Navigating the Indian Ocean, hg. v. DERS. / Isabel HOFMEYR / Michael PEARSON, Pretoria 2010, S. 275-285, hier bes. S. 276f.; BALDACCHINO, Introducing (wie Anm. 1), S. 5, versucht diese Dualität in die Wirkung zweier entgegengesetzter Faktoren aufzulösen: „Island geography tends towards isolation; island history, on the other hand, tends towards contact.“ LÄTSCH, Insularität (wie Anm. 1). Elisabeth MALAMUT, Les îles de l’empire byzantin, VIIIe - XIIe siècles, 2 Bde., Paris 1988; siehe auch DIES., Les îles de la mer Égée de la fin du XIème siècle à 1204, in: Byzantion 52 (1982), S. 310-350. Insularités Ottomanes, hg. v. Nicolas VATIN / Gilles VEINSTEIN, Paris 2004; siehe auch: Elias KOLOVOS, Insularity and Island Society in the Ottoman Context. The Case of the Aegean Island of Andros (Sixteenth to Eighteenth Centuries), in: Turcica 39 (2007), S. 49-122.

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und Sizilien – so die Kernthese eines kürzlich erschienenen Sammelbandes – zu einer umkämpften religiösen Grenzzone geworden, damit aber zugleich auch aus ihrer (vermeintlichen) Marginalität herausgewachsen.92 Für den politisch und ökonomisch feingliedrigen Raum des ägäischen Archipels im Spätmittelalter hat David Jacoby diskutiert, inwiefern es sich um eine distinkte „island world“ handele oder ob die Rückbindungen an die Festlandküsten nicht eine stärkere Wirkung entfalteten.93 Diese Beispiele ließen sich leicht vermehren: Vor allem jenseits der großen Entwürfe wächst in der Forschung die Aufmerksamkeit für die Spezifika insularer Räume innerhalb des Mittelmeerraums unverkennbar und disziplinübergreifend. Dies gilt in besonders markanter Weise für archäologische Studien zur prähistorischen Periode, deren insularer Fokus sich etwa mit den Namen von Cyprian Broodbank94 und Bernard Knapp95 verbindet. Andererseits stehen etwa Carmel Cassar96, Joseph Martinetti97 und Emile Kolodny98 für eine sozial- und kulturwissenschaftliche Hinwendung zu insularen Welten im mediterranen Kontext. Wie so oft in der Forschung zum Mittelmeerraum erscheint es somit auch mit Blick auf die Inseln vielversprechend, Befunde und Erträge aus den Blickwinkeln verschiedener Disziplinen und Epochen zusammenzuführen, Grenzen zu überschreiten, unterschiedliche Ansätze auszuloten. In jüngster Zeit ist aber auch versucht worden, Spezifika der Insularität im mediterranen Bereich mit Hilfe von mehr oder minder globalen Modellen zu charakterisieren: So hat Aleksander Lopašic als Ergebnis einer skizzenhaften Untersuchung formuliert: 92

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Siehe Anne BROGINI / Maria GHAZALI, Introduction, in: Des marges aux frontières. Les puissances et les îles en Méditerranée à l’époque moderne, hg. v. Anne BROGINI, Paris 2010, S. 9-23. Dass neben der islamisch-christlichen Konfrontation aber auch die Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Spanien sowie das Vordringen von Akteuren aus dem Norden die Konfliktlinien um die mediterranen Inseln in der Frühen Neuzeit prägten, ist zuvor bereits betont worden: Michel FONTENAY, Les îles de la Méditerranée occidentale. Un contreportrait de l’insularité ottomane?, in: Insularités Ottomanes, hg. v. Nicolas VATIN / Gilles VEINSTEIN, Paris 2004, S. 23-41, hier S. 34-39. David JACOBY, The Eastern Mediterranean in the Later Middle Ages: An Island World?, in: Byzantines, Latins and Turks in the Eastern Mediterranean World after 1150, hg. v. Jonathan HARRIS u. a., Oxford 2012, S. 93-117; vgl. auch Guillaume SAINT-GUILLAIN / Oliver J. SCHMITT, Die Ägäis als Kommunikationsraum im späten Mittelalter, in: Saeculum 56 (2005), S. 215-225. Cyprian BROODBANK, An Island Archaeology of the Early Cyclades, Cambridge 2000. A. Bernard KNAPP, Prehistoric and Protohistoric Cyprus. Identity, Insularity and Connectivity, Oxford 2008; DERS., The Archaeology of Late Bronze Age Cypriot Society. The Study of Settlement, Survey and Landscape, Glasgow 1997. Carmel CASSAR, Society, Culture and Identity in Early Modern Malta, Msida 2000; DERS., Witchcraft, Sorcery and the Inquisition. A Study of Cultural Values in Early Modern Malta, Msida 1996. Joseph MARTINETTI, Insularité et marginalité en Méditerranée occidentale. L’exemple corse, Ajaccio 1989; DERS. / Marianne LEFÈVRE, Géopolitique de la Corse, Paris 2007. Emile KOLODNY, La population des îles de la Grèce, 3 Bde., Aix-en-Provence 1974; DERS., Îles et populations en Méditerranée orientale, Istanbul 2004; DERS., Chóra d’Amorgos. Un village cycladien, Aix-en-Provence 1992.

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„In conclusion, we can perhaps conceptualize Mediterranean islands as areas where Mediterranean identity has survived best because of the islanders ability to preserve their own traditional social structure through isolation and separation from the mainland as well as mental and physical resistance to foreign and alien rule.“99

Derartige Verallgemeinerungen mögen zwar interessante Denkanstöße enthalten, erscheinen jedoch in mancher Hinsicht sehr problematisch, da sie dauerhafte Wesenhaftigkeiten für die mediterranen Inseln in ihrer Gesamtheit anzunehmen scheinen und der Diversität und Vielfalt der Räume und Phasen kaum gerecht werden.100 Stellt man somit nicht mehr die Gesamtheit des mediterranen Archipels, sondern vielmehr individuelle Inseln und ihre historischen Entwicklungslinien in den Fokus der Untersuchung, so zeigt sich eine sehr heterogene Forschungslandschaft: Für einige mediterrane Inseln kann das bisherige geistes- und sozialwissenschaftliche Interesse als außerordentlich dicht beschrieben werden, und das betrifft durchaus nicht nur eine große, im Mittelmeer eine beherrschende Stellung einnehmende Insel wie Sizilien101, sondern auch den flächenmäßig kleinen maltesischen Archipel, dessen dichte Erforschung von der Vorgeschichte über frühe Spuren des Christentums, die Zugehörigkeit zum arabischen und sizilianischen Machtbereich im Mittelalter und die Herrschaft des Johanniterordens in der Frühen Neuzeit bis hin zu den Peripetien des 19. und 20. Jahrhunderts sowohl von vielen internationalen Impulsen als auch von der prosperierenden Universitätskultur auf Malta und nicht zuletzt von der politischen Förderung des Inselstaats profitiert.102 In ähnlicher Weise kann auch für die Geschichte Zyperns in antiker Zeit103 ebenso 99 100

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Aleksander LOPAŠIC, Mediterranean Islands. A Concept, in: Collegium Antropologicum 25 (2001), S. 363-370, hier S. 369. Die Wandelbarkeit der Charakteristika einzelner Inseln hat allein mit Blick auf die ägäische Inselwelt schon Paul LEMERLE, Le monde égéen entre l’antiquité et les temps modernes: quelques remarques sur l’insularité, in: Byzance. Hommage à André Stratos, Bd. 1: Histoire – Art et archéologie, hg. v. Nia A. STRATU, Athen 1986, S. 129-137, hier S. 129f., herausgestellt. Aus der Fülle der Literatur sei nur genannt: FINLEY / SMITH / DUGGAN, Geschichte Siziliens (wie Anm. 41); Henri BRESC, Un monde méditerranéen. Économie et société en Sicile, 13001450, 2 Bde., Rom 1986; Zwischen Ideal und Wirklichkeit: Herrschaft auf Sizilien von der Antike bis zum Spätmittelalter, hg. v. David ENGELS / Lioba GEIS / Michael KLEU, Stuttgart 2010. Zu den grundlegenden Arbeiten gehören: Medieval Malta. Studies on Malta before the Knights, hg. v. Anthony LUTTRELL, London 1975; DERS., The Making of Christian Malta. From the Early Middle Ages to 1530, Aldershot 2002; Michel FONTENAY, La place de la course dans l’économie portuaire: l’exemple de Malte et des ports barbaresques, in: Annales 43 (1988), S. 1321-1347; The British Colonial Experience 1800-1964. The Impact on Maltese Society, hg. v. Victor MALLIA MILANES, Malta 1988; Malta. A Case Study in International Cross-Currents, hg. v. Stanley FIORINI / Victor MALLIA MILANES, Malta 1991. Hellenistisches Zypern, hg. v. Peter SCHERRER, Graz 2012; Zypern. Insel im Schnittpunkt interkultureller Kontakte. Adaption und Abgrenzung von der Spätbronzezeit bis zum 5. Jahrhundert v. Chr., hg. v. Renate BOL / Kathrin KLEIBL / Sabine ROGGE (Schriften des Instituts für interdisziplinäre Zypern-Studien 8), Münster 2009; Terence B. MITFORD, Roman Cyprus,

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wie unter der Herrschaft der Byzantiner, der Lusignan-Könige, Venedigs und der Osmanen104 viel Aufmerksamkeit in der Forschung registriert werden, die noch um den Zypernkonflikt der Gegenwart zu ergänzen wäre. Profitieren diese beiden Inseln dabei zweifellos auch von ihrer Eigenstaatlichkeit in der Gegenwart, so erfreuen sich die Balearen, Korsika oder Sardinien, vor allem jedoch die meisten Inseln des Ägäisraumes oder an den Küsten Dalmatiens105 keines vergleichbar breiten und vielseitigen Interesses. Die Kenntnis der verschiedenen Facetten mediterraner Insularität im Laufe der historischen Entwicklung ist also vor dem Hintergrund einer Weltordnung, welche souveräne staatliche Einheiten selbst geringen Umfangs gegenüber nicht autonomen Territorien privilegiert, sehr uneinheitlich ausgeprägt: Sind doch bis auf Malta und Zypern heute alle mediterranen Inseln in mehr oder minder stark festlandzentrierte administrative Strukturen integriert und verfügen auf der internationalen Bühne über keine eigene Stimme. Zudem hat sich im Zuge der sukzessiven geographischen Horizonterweiterung der europäischen Expansion106, aber auch unter dem Einfluss ausgesprochen wirkmächtiger literarischer Narrative107 das insulare Imaginarium immer stärker aus der „alten“ Welt heraus in andere Räume verlagert. Das heute so oft bemühte stereotype Bild von der „einsamen“, kleinen, auf ihren Strand reduzierten Insel – einer Heterotopie der industrialisierten Zivilisation – verweist sicher nicht primär auf den Mittelmeerraum108, trotz dessen fortgeschrittener touristischer Vermarktung. Daher mag es nicht überraschen, dass der Mittelmeerraum in der jüngeren Inselforschung insgesamt nicht besonders stark berücksichtigt wird.109 Wäh-

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in: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II 7,2, Berlin/New York 1980, S. 12861384. George Francis HILL, A History of Cyprus, 4 Bde., Cambridge 1940-1952; David METCALF, Byzantine Cyprus 491-1191, Nikosia 2009; Cyprus: Society and Culture (wie Anm. 46); Ottoman Cyprus. A Collection of Studies on History and Culture, hg. v. Michalis N. MICHAEL / Matthias KAPPLER / Eftihios GAVRIEL (Near and Middle East Monographs 4), Wiesbaden 2009. Siehe aber beispielsweise Sonja PODGORELEC / Margareta GREGUROVIĆ / Sanja KLEMPIĆ BOGADI, Satisfaction with the Quality of Life on Croatian Small Islands: Zlarin, Kaprije and Žirje, in: Island Studies Journal 10,1 (2015), S. 71-90. Systematischen Aspekten der Entdeckungsgeschichte von Inseln widmet sich MENARD, Inseln (wie Anm. 22), S. 1-23. Man denke vor allem an die Werke von Daniel Defoe und Robert Louis Stevenson, siehe auch ROYLE, A Geography (wie Anm. 2), S. 12-16. Hingegen situierte Shakespeare die Handlung seines Stücks „The Tempest“ noch selbstverständlich in mediterranen Gefilden. Zur Entwicklung des Inselmotivs in der deutschen Literatur seit dem Mittelalter unter Berücksichtigung der internationalen Einflüsse vgl. Horst BRUNNER, Die poetische Insel. Inseln und Inselvorstellungen in der deutschen Literatur, Stuttgart 1967. Zum Topos der (tropischen) warmen Insel, der freilich der geographischen Realität widerspricht, siehe auch BALDACCHINO, Studying Islands (wie Anm. 9), S. 40. In den ersten Jahrgängen des 2006 begründeten Island Studies Journal finden sich nur vereinzelt mediterran orientierte Beiträge, wie etwa Stephen A. ROYLE, Tourism Changes on a Me-

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rend manche thematische Sammelbände zu zeitgenössischen Aspekten der Insularität auch mediterrane Fallstudien integrieren110, konzentrieren sich andere ganz auf den atlantischen, pazifischen und karibischen Raum.111 Vor dem Hintergrund der aktuellen mediterranen Flüchtlingstragödien scheint das Interesse an den Inseln des Mittelmeerraumes als einer markanten Grenzzone in der Inselforschung wiederum zu wachsen, jedoch selektiv.112 Der vorliegende Band trägt entlang der im Folgenden ausgeführten Linien somit dazu bei, Spezifika mediterraner Insularität klarer zu konturieren.

IV. Ergebnisse und Schwerpunkte der Beiträge dieses Bandes Trotz der an unseren einleitenden Worten erkennbaren großen Spannbreite möglicher Interpretamente und Zugänge zur Insularität wurde den Autorinnen und Autoren dieses Bandes kein enger methodischer oder disziplinärer Rahmen vorgegeben. Denn das Anliegen der Herausgeber besteht darin, mit den hier versammelten Beiträgen unterschiedliche Formen von „Konstruktionen mediterraner Insularitäten“ vorzustellen und zusammenzuführen. Daher wurde bei der Konzeption des Bandes großer Wert auf ein breites disziplinäres und methodisches Spektrum gelegt. Die Gruppe der Autorinnen und Autoren gehört demnach verschiedenen Fachkulturen an, die von den Geschichtswissenschaften über die Philologien, die Theologie und die Soziologie zur Anthropologie und der systematischen Inselforschung, also der Nissologie, reichen. Dass ihre Studien aber trotz unterschiedlicher Zugänge und Fragestellungen durchaus Gemeinsamkeiten und Schnittpunkte aufweisen, zeigt im Folgenden eine knappe Synthese der Aufsätze dieses Bandes. Marco FRENSCHKOWSKI setzt sich zum Ziel, die in der Forschungsliteratur immer wieder thematisierte Dichotomie zwischen realen, naturräumlichen Inseln und den in vielen, auch außermediterranen Kulturen nachweisbaren numinosen und heiligen Eilanden aufzuheben. Denn Inseln sind oftmals nicht schlechterdings nach den Kategorien „real“ oder „imaginär“ zu scheiden. Daher erörtert Frenschkowski die komplexe und weit reichende Frage, in welchem Maße antike Autoren wundersame, mit unterschiedlichen Attributen belegte Orte im Meer an reale Räume zurückbanden. Dazu kategorisiert er zuerst das weite Spektrum solcher in Erzählungen, Traktaten und anderen Texten überlieferter insulae fortunatae, die keineswegs ausschließlich positiv, in der

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diterranean Isand: Experiences from Mallorca, in: Island Studies Journal 4,2 (2009), S. 225240. So Vivre dans une île. Une géopolitique des insularités, hg. v. André-Louis SANGUIN, Paris 1997, und Insularity and Development. International Perspectives on Islands, hg. v. Emilio BIAGINI / Brian HOYLE, London/New York 1999. Vgl. beispielsweise Small Worlds (wie Anm. 7). So ist das Heft 9,1 (2014) des Island Studies Journal dem Thema „Islands and the Borders of Southern Europe“ gewidmet.

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Regel aber imaginativ-phantastisch belegt waren. Einer Unterscheidung zwischen primär mythischen, dann aber an reale Begebenheiten rückgebundenen Inseln einerseits und primär realen, dann aber mythisch belegten Eilanden andererseits ist grundlegend, mehr noch aber die Unterteilung der insulae fortunatae in fünf inhaltliche Kategorien: Paradiesinseln, Toteninseln, numinosgefährliche Inseln, utopische Inseln und schließlich reale, aber sagenumwobene Eilande. Frenschkowskis tour de force durch die antiken, keltischen und einige frühneuzeitlichen Literaturen bringt eine Vielzahl an Beispielen hervor, welche den unterschiedlichen Typen zugeordnet werden können. Diese Übung dient jedoch nur als Grundlage für das eigentliche Anliegen des Autors, nämlich die Beziehung zwischen Entrückung und Konkretion zu bestimmen. Immer wieder wurden mythische Inseln mit Hilfe realer Gegebenheiten konstruiert und an sehr konkreten Orten lokalisiert. Diese konnten durchaus wandern: In aller Regel im Westen gelegen, wurden solche Orte des Numinosen, des Eschatologischen, des Monströsen, des Utopischen oder des Glückseligen einmal im Atlantik, einmal in der Nordsee oder im westlichen Mittelmeer, fast immer aber am geographischen Rand des jeweiligen Beobachters verortet. Denn gerade ideale, utopische Gesellschaften wurden in älteren Kulturen nicht (allein) in der Zukunft, sondern in der räumlichen Ferne lokalisiert. So wurde – und wird, wie der Seitenblick auf Amerika zeigt – durch Verräumlichung immer wieder der Bogen zwischen dem Realen und dem Phantastischen geschlagen. Nicht ihre zugeschriebene Verortung, sondern ihre tatsächliche Lage hingegen soll die Insel Delos nach Ausweis der griechischen Mythologie geändert haben: Als schwebende Insel sei sie auf dem Meer umhergetrieben, erst die Geburt des Apollo und der Artemis habe sie am Meeresgrund verankert. Dann aber entwickelte sie als Kultstätte eine überregionale Zentralitätsfunktion in der südlichen Ägäis, wie Christy CONSTANTAKOPOULOU mit Hilfe textlicher Quellen (Weihinventare u. a. m.) und archäologischer Befunde aufzeigt. Die Insel reiht sich damit zwar in eine Gruppe von Kultstätten ein, an denen Menschen der Antike unter anderem Heilung, Initiation, Wettbewerb und Divination suchten. Doch handelte es sich bei Delos um einen der wenigen insularen Kultorte der griechischen Welt, der folglich in besonderem Maße dem Maritimen zugeordnet war. Das zweite derartige Zentrum war Samothrake in der nördlichen Ägäis, wo der Mysterienkult der Großen Götter gefeiert wurde. Durch den Vergleich beider Inseln kann Christy Constantakopoulou signifikante Unterschiede herausarbeiten: Im Gegensatz zu Delos galt Samothrake aufgrund ihrer geographischen Lage und nautischer Bedingungen als peripher und schwer zugänglich. Zugleich war dies gerade der Grund für ihre überregionale Attraktivität als Kultort – während umgekehrt die Zentralität von Delos für dessen Erfolg fundamental war. So führten unterschiedliche, ja gegensätzliche Ausprägungen von Insularität, nämlich Abgelegenheit einerseits und Zugänglichkeit andererseits, zu einem durchaus ähnlichen Ergebnis: überregionale Anziehungskraft. Monumentalbauten und Kleinfunde in beträchtlicher Zahl

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belegen die große Attraktivität beider Sanktuarien für die Inselwelt der Ägäis. Die auch in anderen Beiträgen (J. Chatzipanagioti-Sangmeister, G. Petralia, S. Puschmann) aufgerissene Frage nach der Situierung von Inseln innerhalb fernräumlicher Netzwerke wird hier zum analytischen Instrument. Auch der Versuch aufstrebender Mächte – im einen Fall Athens, im anderen Fall der Makedonenkönige –, Einfluss auf die Kulturzentren zu erlangen, kann als Gemeinsamkeit zwischen Delos und Samothrake herausgearbeitet werden. Vergleichbar gestaltete sich die Situation für Lesbos und Chios in Antike und Mittelalter, denn auch diese Inseln waren immer wieder fremden Einflüssen ausgesetzt, wie Simon PUSCHMANN zeigt. Sein Aufsatz liefert auf drei Ebenen weiterführende Ergebnisse: Erstens, indem er beide Eilande systematisch miteinander vergleicht und dadurch insulare Eigenheiten klar konturiert. Zweitens durch die lange diachrone Perspektive der Untersuchung, welche die geläufige Konzentration auf Antike oder Mittelalter aufbricht und die er mit anderen, „lange Geschichten“ untersuchenden Beiträgen des Bandes teilt (M. Frenschkowski, G. Petralia). Drittens schließlich durch die konsequente Analyse des Verhältnisses zwischen Inseln und Festland. Schon die genaue Gegenüberstellung der jeweiligen naturräumlichen Binnengliederungen zeigt, welch großen Einfluss erdräumliche Faktoren auf die Geschichte der Inseln ausübten: Die Größe, Fruchtbarkeit und Fragmentierung der Insel Lesbos hatte ebenso Konsequenzen für deren politische Beherrschung wie die konkreten geographischen Beschaffenheiten von Chios für deren Geschicke. Im ersten Fall entwickelten sich verschiedene miteinander konkurrierende Zentren, im zweiten traten die merkantil ausgerichteten Führungsschichten geschlossen auf. Die vom Autor gewählte Perspektive der longue durée wiederum legt Konjunkturen insularer Konnektivität offen, weil auch Lesbos und Chios trotz ihrer unzweifelhaften Rolle als Knotenpunkte mediterraner Kommunikation Phasen geringeren Austauschs und Situationen stärkerer Verflechtung erfuhren. Solche Verschiebungen hatten Konsequenzen für das intra-insulare Verhältnis zwischen Küste und Binnenland, wie sich an Migrationsbewegungen und der Flucht vor maritimer Gewalt zeigt. Friedliche, vor allem wirtschaftliche Kontakte wiederum reichten gewöhnlich über das unmittelbar vorgelagerte Festland hinaus bis zum Bosporus beziehungsweise in die Levante, im späten Mittelalter sogar bis nach Flandern und England. Erhellend und wichtig ist die konsequente Analyse der politischen Abhängigkeiten, unter denen beide Inseln standen. Ob Persien, Athen, Genua oder das Osmanische Reich: Stets mussten sich die örtlichen Eliten mit den Ansprüchen festländischer Potentaten arrangieren (vgl. u. a. die Beiträge von D. Godenau, G. Petralia). Insofern liefert der Aufsatz eine paradigmatische Studie zu den politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten, aber auch zu den Grenzen kleiner Inseln. Auch Giuseppe PETRALIA liefert die „lange Geschichte“ einer Insel. Siziliens Entwicklung zwischen dem 7. und dem 15. Jahrhundert wird aber nicht nur im chronologischen Abriss vorgestellt, sondern auch unter einer spezifischen Fragestellung analysiert. Der Autor geht nämlich – ebenso wie S.

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Puschmann, C. Depraetere/M. Meichsner und C. Constantakopoulou – von gewissermaßen natürlichen Aktionsräumen bzw. „Widerlagern“ einer Insel aus, die mit dieser über das Meer verbunden seien (und daher hier als maritime cluster bezeichnet werden). Im Falle Siziliens waren dies im Mittelalter die nordafrikanische Küste, das südliche Tyrrhenische Meer und schließlich die östlich Siziliens gelegenen Levante, Adria und Ägäis. Ähnlich wie im Falle von Lesbos lassen sich unter dieser Prämisse auf Sizilien insulare Subregionen bestimmen, die auf die jeweiligen cluster ausgerichtet waren (die Süd- und Westküste, die nördliche Küstenregion respektive Ostsizilien). Die diachrone Perspektive erlaubt es dem Autor einerseits, die während seines gesamten Untersuchungszeitraums ungebrochene Funktion Siziliens als wichtigen Knotenpunkt des Mittelmeeres herauszuarbeiten: Sizilien blieb – ob unter byzantinisch-christlicher, unter aglabidisch- bzw. fatimidisch-muslimischer oder unter normannischer und staufischer Herrschaft – stets in fernräumliche Netzwerke eingebunden. Andererseits kann Petralia die variierende Bedeutung und Dynamik der drei erwähnten Widerlager in die politischen und wirtschaftlichen Kontexte in diesen fernen Bezugsregionen zurückbinden. Solche Entwicklungen in den Kontaktzonen Siziliens waren deshalb besonders folgeträchtig, weil die Insel im Untersuchungszeitraum stets von fremden Machtträgern beherrscht war. Genau hier setzt der Beitrag von Christian GIORDANO an, denn er beschäftigt sich dezidiert mit dem spannungsreichen Verhältnis zwischen Inselbewohnern und Auswärtigen, genauer: mit den Konsequenzen, welche das Wissen um vergangene Fremdherrschaften für insulare Gesellschaften der Gegenwart zeitigen. Seine Fallbeispiele sind die zwei größten Inseln des Mittelmeeres, Sardinien und Sizilien. Beide erfuhren im Laufe der Jahrhunderte verschiedene Formen von Beherrschung (durch Byzantiner, nordafrikanische Muslime, Staufer, Franzosen, Genueser, Piemonteser u. a. m.), oder wie es der Autor bezeichnet von „Überlagerungen“. Immer wieder mussten die Bewohner ethnische, bürokratische, urbane, technologische und ökonomische Oberherrschaft erfahren, was sich als kognitives Kapital dahingehend auswirkte, dass diese Inseln, mehr noch als der Mittelmeerraum im allgemeinen, durch eine lange Geschichte des Rebellismus und Banditismus, vor allem aber noch heute durch „Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens“ gekennzeichnet seien: Öffentliche Gewalt und ihre Vertreter würden zwar als legal, nicht aber als legitim angesehen, wogegen personale, auf Patronage und KlientelSystemen basierende, nicht notwendigerweise legale Machtverhältnisse durchaus soziale Akzeptanz genössen. Giordano warnt zu Recht vor simplifizierenden völkerpsychologischen Erklärungen, doch ließen sich mit aller gebotenen Vorsicht ausgeprägte, historisch gewachsene Vorstellungen bzw. Konstruktionen bestimmen, die noch heute massiv auf das reziproke Verhältnis zwischen Einwohnerschaft und staatlicher Gewalt einwirken. Das Gefühl, von der Geschichte betrogen zu sein, habe sich in einem merklichen inneren Vorbehalt gegen eine – nicht zuletzt aus ebendiesem Grunde ineffektive –

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Staatsgewalt niedergeschlagen, die ihre Bürger ihrerseits als nur bedingt loyal ansehe. Ob andere, ebenfalls wechselnden Fremdherrschaften ausgesetzte insulare Gesellschaften in anderen Regionen der Erde vergleichbare Kulturen des Misstrauens ausgebildet haben, bleibt zu erforschen. Insulare Mentalitäten analysiert auch Julia CHATZIPANAGIOTI-SANGMEISTER. Sie interessiert sich vor allem dafür, welche Bilder fremde Besucher von einer Insel zeichneten und wie sie vor Ort einschlägige Informationen bezogen. Ihr Fallbeispiel ist das aus nord- und westeuropäischer Sicht durchaus periphere Zypern, das aber in der frühen Neuzeit aufgrund seiner günstigen Lage für Reisende nach Palästina, Ägypten und selbst Indien ein wichtiger Anlaufpunkt war. Das Inseln verschiedentlich zugeschriebene Merkmal einer beharrlichen insularen Mentalität (vgl. u. a. die Beiträge von C. Giordano, M. Frenschkowski) wird von mehreren Reisenden des 18. Jahrhunderts auch auf Zypern übertragen: Ihre Bewohner zeichne nicht nur der harte Überlebenskampf auf einem nur mäßig mit Ressourcen ausgestatteten, begrenzten Territorium, sondern auch ihre prekäre Lage als zwar muslimisch beherrschte, doch mehrheitlich christliche Gesellschaft aus. Deren orthodoxer Glaube, mehr noch aber ihre Insularität wurden von einigen Autoren als wesentliches Distinktivum angesehen. Solche Zypernbilder erlangten die Reisenden nicht nur durch vorbereitende Lektüre und eigene Anschauung, sondern auch aufgrund mündlicher Auskünfte. Verschiedene Informationsquellen können identifiziert werden: venezianische Kaufleute vor der Einschiffung nach Zypern, Mitreisende während der Fahrt, sowie auf der Insel selbst Missionare, Konsuln und Übersetzer. Dass hierbei die Dichte und Zuverlässigkeit der Auskünfte hinsichtlich der Küstenregionen größer gewesen zu sein scheinen als in Bezug auf das Binnenland, unterstreicht die auch aus anderen Beiträgen dieses Sammelbands (S. Puschmann, G. Petralia) abzuleitende Notwendigkeit, bei der Erforschung von Inseln stärker systematisch zwischen geographischen Teilräumen zu differenzieren. Die im Beitrag von Chatzipanagioti-Sangmeister aufscheinende, zugeschriebene Wertigkeit des Insularen ist auch die Grundlage für den Beitrag von Gian Franco CHIAI. Er untersucht auf zwei Feldern die vielschichtige Nutzung der Inselmetapher in der Antike von Seiten römischer und griechischer Autoren: Zum einen diente diese Metapher als Instrument, um nichtinsulare geographische Einheiten genauer zu charakterisieren, zum anderen fungierte sie als Analogie im literarischen Diskurs. Gerade in der griechischen Literatur wurde die Erschließung des zentralen und westlichen Mittelmeeres über (dem jeweiligen Festland oftmals vorgelagerten) Inseln zum Bestandteil verschiedener literarischer Narrative. Diesen Räumen wurden diverse, teilweise sich widersprechende Merkmale zugeschrieben, so ihr emporischer Charakter oder ihre inter-insulare Verbundenheit, ihre Funktion als Kommunikationsund Orientierungspunkte oder ihre Abgeschiedenheit, sowie schließlich ihre Identität stiftende Kraft. Vor dem Hintergrund solcherart zugeschriebener Eigenheiten wurden in römischen und griechischen Texten der Antike verschie-

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dene Räume mit Inseln gleichgesetzt. Die Vorstellung, Inselbewohner zeigten ein besonderes Zugehörigkeitsgefühl und Einheitlichkeit, schuf die Grundlagen für die Bezeichnung besonders eng miteinander verbundener urbaner Wohnkomplexe als insulae. Die Weite des einen konkreten Raum umgebenden Mediums wiederum lieferte die Analogie, um Wüstenoasen, Festungsbauten oder gar die gesamte (vom Ozean umgebene) bewohnte Welt ebenfalls als Insel zu bezeichnen. Mit Recht stellt der Autor heraus, dass solche Konstruktionen insularer Wertigkeiten in der Regel positiv besetzt waren. Dauerhafte ebenso wie temporäre – etwa durch Überschwemmungen des Nils geschaffene – Inseln wurden als besonders fruchtbare Gebiete ausgewiesen. Diese positive Konnotation steigerte das Potenzial der Insel für literarische Diskurse (vgl. den Beitrag von M. Frenschkowski). Nach dieser Lesart handelt es sich bei Inseln keineswegs um menschenfeindliche Gebiete, sondern um durch vielfältige Kommunikationskanäle miteinander verbundene Orte, die ein gutes oder sogar glückliches Leben ermöglichen. Mit ihren individuellen Beschaffenheiten und ihrem je eigenen Umriss verleihen sie nach Seneca den Meeren, die ohne sie hässlich und monoton wären, Ordnung und Schönheit. Mehrere Beiträge behandeln das Verhältnis zwischen Inseln und benachbarten Festland (u. a. G. Petralia, S. Puschmann, C. Constantakopoulou), doch keiner so konsequent wie der Aufsatz von Dirk GODENAU, welcher zugleich den mediterranen Raum transzendiert. Er fokussiert die gegenwärtige Situation marokkanischer Migranten auf den Kanarischen Inseln und fragt nach den Beziehungen transnationaler sozialer Felder, also nach unterschiedlichen Formen von Translokalität. Durch welche Medien und durch welche Handlungen halten Inselbewohner, die vom Festland über das Meer zu einer „Insel der Seligen“ (vgl. M. Frenschkowski) emigrierten, Kontakt zu ihren Heimatorten? Dieses Beispiel so genannter Süd-Süd-Migration ist insofern ungewöhnlich, als beide Räume – Marokko und die Kanarischen Inseln – geographisch zwar benachbart sind, doch aufgrund politischer und wirtschaftlicher Interessen durch sich zunehmend verschärfende Grenzkontrollen voneinander geschieden werden. Um illegale Migration zu verhindern, werden die konnektiven Funktionen, die prinzipiell dem Festland vorgelagerten Inseln eigen sind, konsequent eingeschränkt. So entsteht die paradoxe Situation, dass Inselbewohner umständliche Umwege – teilweise über mehrere Tausend Kilometer – machen müssen, um das nahe gelegene Festland zu erreichen. Der Aufsatz ruft eindringlich in Erinnerung, dass insulare Abgeschiedenheit keineswegs lediglich durch die naturräumliche Lage oder durch gesellschaftliche Prozesse entstehen muss, sondern ebenso die Folge politischer Entscheidungen sein kann. Zugleich zeigt er auf, dass solche Formen eingeschränkter Mobilität nicht alle Inselbewohner und -besucher betreffen müssen, sind die Kanaren doch bekanntermaßen durch touristische Massenmobilität gekennzeichnet. Der Aufsatz zeigt eindringlich das dynamische Spannungsverhältnis zwischen Mobilität, Politik und Wirtschaft auf, indem dezidiert die Auswirkungen ökonomischer Faktoren, wie die Konsequenzen des spanischen Wirtschaftsbooms und der

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darauf folgenden Finanzkrise, auf insulare Konnektivität herausgearbeitet wird. Der Beitrag von Christian DEPRAETERE und Michael MEICHSNER ist programmatisch, breit angelegt und stark didaktisch geprägt; er bildet daher den Abschluss unserer Sammlung. Die Autoren möchten das Potenzial umweltgeschichtlicher oder besser: „geohistorischer“ Methoden zur Analyse und Erklärung historischer Prozesse demonstrieren. Erdräumliche, physische Faktoren zeitigten einen noch immer nicht hinreichend beachteten Einfluss auf menschliche Gesellschaften, sei es hinsichtlich ihrer Möglichkeiten, das Meer zu beherrschen, sei es hinsichtlich ihrer Wahrnehmung der Umwelt. Mit Blick auf Inseln bedeutet dies, dass spezifisch insulare Faktoren unmittelbare lebensweltliche Konsequenzen hatten. Zu diesen Variablen zählen die Zahl und Größe von Inseln, deren Nähe oder Ferne zum Festland (und damit dessen Sichtbarkeit) oder die Beschaffenheit von insularen und nicht-insularen Küstenzonen. Diese werden durch einen komparatistischen Zugriff deutlich herausgearbeitet. Depraetere und Meichsner vergleichen nämlich mithilfe der genannten Parameter die Ostsee und das Mittelmeer miteinander. Dabei erweist sich das Baltikum als in quantitativer Hinsicht „insularer“ als das Mediterraneum, dessen Inseln im Gegenzug größer und aufgrund verschiedener geographischer Faktoren historisch „einflussreicher“ waren als diejenigen im nördlichen Binnenmeer. Auch wenn mit Recht vor den Gefahren eines geofunktionalen Determinismus’ gewarnt wird, postulieren die Autoren dennoch – dem Beitrag G. Petralias nicht unähnlich – klare Gesetzmäßigkeiten bzw. Muster, die nicht zuletzt auf das Verhältnis zwischen Küsten und Inseln zurückzuführen seien. Diese Beziehung sei unter anderem für spezifische Entwicklungen in der Schifffahrt und Nautik verantwortlich, habe gewissen Räumen einen Vorsprung gegenüber anderen gegeben und könne als ein Instrument benutzt werden, um den Aufstieg einzelner Mächte (Rom, Karthago, Dänemark, Schweden und Russland) oder Städte (Rom und Stockholm) zu thalassischer Vorherrschaft zu erklären. Auch hier werden also aus nissologischer Sicht Festlandmächte und ihre Nutzung von (teilweise befestigten) Inseln analysiert. Die Beschaffenheit der Küsten und die Nähe von Inseln würden sich nicht nur politisch und militärisch, sondern auch in einer spezifischen mentalen Weltsicht ihrer Bewohner niederschlagen, womit ein Bogen zum Beitrag von G. F. Chiai geschlagen wird. Menschen der durch flache Küsten und der Abwesenheit von Inseln geprägten Cyrenaica zum Beispiel sähen und erklärten die Welt auch jenseits derer physischen Beschaffenheit notwendigerweise anders als diejenigen der zerklüfteten Inselwelt Ålands. Analysiert man die neun Beiträge vergleichend und systematisch, so lassen sich vier Themenbereiche bestimmen, denen sie sich besonders häufig zuordnen lassen. Der erste Schwerpunkt lässt sich unter dem Begriff der „Imaginationen“ zusammenfassen: Verschiedene Aufsätze beleuchten reale und fiktive Vorstellungen und Konzeptualisierungen von „Inseln“, wobei beides im Sinn des Konstruktionscharakters nicht chemisch rein voneinander zu trennen ist.

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Insularität erscheint in dieser Hinsicht nicht auf Inseln im strengen geographischen Sinn beschränkt, sondern kann auch auf abgelegene Regionen, Halbinseln, Oasen oder ähnliche Orte bezogen werden. Die von M. Frenschkowski untersuchten imaginierten Inseln spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, aber auch G. F. Chiais Interesse für Insularität als mentales Modell gehört zu diesem Schwerpunkt, ebenso wie die von C. Giordano und J. Chatzipanagioti-Sangmeister vorgestellten Selbstzuschreibungen der Sizilianer, Sarden und Zyprioten. Der zweite Schwerpunkt, „geographische Situierungen“, kreist um die physische Beschaffenheit von Inseln, aber auch um die Rückkoppelung von Inszenierungen, Zuschreibungen und Wahrnehmungen an geographische Gegebenheiten. Welche räumlichen Bezüge wurden zur Charakterisierung der Lage von Inseln benutzt, welchen Räumen wurden und werden sie mental eingeschrieben? M. Frenschkowski beantwortet diese Fragen überzeugend. Verortungen des Insularen dienen hier der Raumerfassung und -ordnung. S. Puschmann wiederum situiert Lesbos und Chios ebenso in fernräumliche Bezüge wie G. Petralia Sizilien, während C. Constantakopoulou am Beispiel zweier Sanktuarien „geographische Situierungen“ zu einem heuristischen Instrument einer vergleichenden Insularitätsforschung entwickelt. Die beiden anderen Schwerpunkte knüpfen stärker an die von Fernand Braudel formulierte Dualität von „Archaismus und Innovation“ bzw. Isolation und Anbindung an. Verschiedene Aufsätze thematisieren dieses Spannungsverhältnis unmittelbar, indem sie sowohl kommunikative als auch isolierende Merkmale von Inseln betonen, so G. F. Chiai in seinem Überblick mentaler Insularitätsmodelle oder C. Constantakopoulou durch ihren Vergleich eines abgelegenen mit einem verflochtenen Kultort. Andere fokussieren stärker den einen oder anderen Aspekt. Daher konzentrieren wir den dritten Schwerpunkt auf die verflechtungsgeschichtliche Dimension der Insularität; er soll mit dem Begriff „Transitorität“ umschrieben sein. Die ihm zugeordneten Aufsätze verfolgten insbesondere die Frage, inwieweit Inseln aufgrund ihrer Einbettung in das Meer und die hieraus resultierende Offenheit für Migrations-, Kolonisations-, Austausch-, Diffusions- und Wandelprozesse einerseits sowie die ggf. verknappten Ressourcen andererseits als Orte gesteigerter Kontakt- und Kommunikationspotentialitäten bzw. dynamisierter Gesellschaften und Innovationen anzusprechen sind. Wie wirken sich diesbezüglich die begrenzten natürlichen Ressourcen insularer Territorien aus? Welche Rolle spielen Phänomene der Veränderung und Anpassung, der Innovation und Umgestaltung, der klein- oder weiträumigen Vernetzung? Lassen sich bestimmte Inseln primär als Etappen und Stationen, als escales maritimer Konnektivität verstehen bzw. sind sie so verstanden worden? S. Puschmann geht solchen Fragen ebenso nach wie G. Petralia, während C. Depraetere/M. Meichsner eine systematische Analyse von transitorischen Verflechtungen vorlegen. In umgekehrter Richtung fokussieren andere Beiträge die gesteigerte Beharrungsfähigkeit von Inseln. Sie beschäftigen sich mit „Persistenz und Identität“,

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also mit der Frage, ob und wie sich insulare Welten wechselnden kulturellen, ökonomischen, soziopolitischen und auch religiösen Einflüssen entziehen können. Welche Rolle spielen einerseits Phänomene struktureller Beharrung, also Erscheinungsformen der Persistenz, für die Charakterisierung von Inseln? Welche Kontinuitäten und Konstanten zeichnen sich unterhalb der wechselvollen Ebene politischer Zugehörigkeiten, kultureller Einflüsse und gesellschaftlicher Mobilitäten ab? In welchem Maße beherrschen sie die Vorstellungswelten und Zuschreibungen oder werden gar bewusst inszeniert? Die von J. Chatzipanagioti-Sangmeister untersuchten Reisebeschreibungen des 18. Jahrhunderts zeigen derartige Inszenierungen, und C. Giordano weist nach, welche negativen Konsequenzen eine durch langjährige historische Erfahrung zementierte Beharrungskraft noch heute zeitigen kann. Eine Sonderform der Abgeschiedenheit schließlich führt D. Godenau vor Augen: die durch politische Machtträger hervorgerufene Abschottung. Viele Beiträge unterstreichen, wie wichtig es ist, Inseln in einem geographischen Sinne nicht losgelöst von oftmals nahe gelegenen, festländischen Kontexten, aber auch von fernräumlichen Bezügen zu betrachten. Durch sich ändernde Machtkonstellationen in der Ägäis reduzierte sich die kommunikative Abgelegenheit der Insel Samothrake in der hellenistischer Zeit, die Machtzunahme der Genuesen und Osmanen fügten Lesbos und Chios in ganz neue Zusammenhänge ein usw. Dies gilt es bei einer empirischen Erforschung von Inseln zu bedenken. Ebenfalls zu berücksichtigen ist bei weiterführenden Studien die in unserer Sammlung notwendigerweise reduzierte Inseltypologie: C. Depraetere/M. Meichsner vermitteln tiefe Einblicke in eine derartige Systematik, während G. F. Chiai mit Recht auf ein in der Nissologie vergleichsweise untererforschtes Feld hinweist, nämlich die Bedeutung der Insel im Fluss. Eine genauere Unterscheidung und Analyse potamischer und maritimer Eilande erweist sich im Vergleich als ein Desiderat der Forschung, das in einem Band über „Konstruktionen mediterraner Insularitäten“ kaum gefüllt werden kann. Dennoch sind die Herausgeber überzeugt, dass sich die hier vorrangig gewählte Beschränkung auf das Mediterraneum bewährt hat. Denn das Mittelmeer stand bislang nicht im primären Fokus der jüngeren Inselforschung, und mediterrane Inseln erscheinen auch nicht als die Prototypen heutiger Vorstellungen vom Insularen. Mit seiner langen und vor allem lang dokumentierten Geschichte jedoch lenkt der Mittelmeerraum den forschenden Blick in besonders deutlicher Weise auf den konstruierten Charakter der Insularität: Er dokumentiert Prozesse und Wandlungen insularer Zuschreibung nicht nur unter den spezifischen Bedingungen des kolonialen und postkolonialen Zeitalters, sondern auch in einer longue durée von der Antike bis zur Gegenwart. Auf diese Weise regt das Mediterraneum in besonderem Maße zur Differenzierung moderner Begriffe von Insularität an.

MARCO FRENSCHKOWSKI

Fortunatae Insulae: Die Identifikation mythischer Inseln mit realen geographischen Gegebenheiten in der griechischen und römischen Antike Eine Insel ist nicht einfach ein etwas entfernterer Ort, der nur unbequem und mühsam über Wasser zu erreichen ist. Er partizipiert aus der Sicht des Festlandes einerseits nicht selten an der kulturellen Phänomenologie des „Fernen“, vielleicht sogar einer „splendid isolation“, andererseits ist er unter Umständen sehr deutlich eingebunden in die Verkehrs- und Handelsnetze einer Kultur, und ist dann einem spezifischen Festland kulturell „vorgelagert“ in mehrfacher, auch symbolischer Bedeutung dieser Wendung. In jedem Fall ist eine Insel ein Ort im „Meer“, ein Ort, der umgeben ist von Wasser und der also an dessen vielschichtiger Symbolik teilnimmt. Insula sei von in salo „im unruhigen Meer“ abgeleitet (von salum „unruhiger Seegang“)1, behaupten antike Etymologen, vielleicht sogar zutreffend. Das Meer, aus dem sich die Insel erhebt, ist die große Matrix, der Potentialis schlechthin. Sie kann in mütterlicher oder auch väterlicher Symbolik zur Sprache kommen. In jedem Fall ist auf dem Meer sozusagen alles möglich. Monstren der Tiefe können ebenso begegnen wie paradiesische Gegenwelten. In dieser Funktion einer Matrix des Möglichen ähnelt das Meer der Alten Welt dem Weltraum in heutigen Imaginarien des „Möglichen“.2 Meeresgötter und -numina zeichnen sich oft durch eine eigentümliche Wandlungsfähigkeit aus, wie Proteus, oder wie die tückischen Telchinen, Söhne des Meeres und Meister der Metallbearbeitung, welche ihre Fähigkeit zu Gestaltwandel und Wetterzauber allerdings eifersüchtig bewachen, auf dass sie niemand mit ihnen teilt.3 In der Überlieferung 1 2

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Vgl. Robert MALTBY, A Lexicon of Ancient Latin Etymologies, Leeds 1991, S. 307. Allgemeiner zur Symbolik des Meeres, speziell in der modernen phantastisch-imaginativen Literatur, vgl. meine literaturwissenschaftlichen Studien: Bis ins dunkelste Herz des Meeres. Maritime Symbolik als Ausdruck des Unheimlichen in Erzählungen von H. P. Lovecraft und W. H. Hodgson, in: Quarber Merkur 82 (1994), S. 42-69; „Alles ist Ufer. Ewig ruft das Meer“. Maritime Symbolik in zwei Erzählungen von R. H. Barlow und Ramsey Campell, in: Quarber Merkur 84 (1995), S. 48-60. Über die Besonderheiten in den Lebensbedingungen auf realen antiker Mittelmeerinseln in Friedens- und Kriegszeiten sowie über das Verhältnis zum Festland vgl. Frauke LÄTSCH, Insularität und Gesellschaft in der Antike. Untersuchungen zur Auswirkung der Insellage auf die Gesellschaftsentwicklung, Wiesbaden 2005. Die folgenden Erwägungen nehmen gewissermaßen die mythologische Seite dieser allgemeineren Frage in den Blick. Zu den Sagen über die Telchinen vgl. Hans HERTER, Art. Telchinen, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft V/A, 1 (1934), S. 197-224; Annemarie AMBÜHL, Art. Telchines, in: Der Neue Pauly 12 (2002), S. 86f.; Véronique DASEN, Dwarfs in Ancient Egypt and Greece, Oxford 1993, S. 175-204, bes. S. 196f. Zur Ableitung des Na-

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schwankt ihr Bild zwischen einem autochthonen Volksstamm auf Rhodos und Keos und (seltener) mythischen Meeresdämonen (zuweilen haben sie Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen, oder sonst keine richtigen Hände und Füße). Diod. 5, 55f. nennt sie „Söhne des Meeres“. In beiden Fällen gelten sie als Meister der Metallverarbeitung und erste Hersteller von Götterbildern, aber auch als böswillige, neidische Zauberer (γόητες: Kall. frg. 9, 64; Strab. 14, 2, 7; Diod. 5, 55, 3 u. ö.). In solchen weitläufiger mit dem Meer verbundenen Figuren wie in den eigentlichen Meeresnumina nach Art eines Proteus manifestieren sich zumindest auch unheimliche und wandlungsfähige Aspekte des Meeres. Überhaupt hat das Meer archaische und lebensfeindliche Züge, verkörpert in Gestalten einer sozusagen vorolympischen Götterwelt (wir denken an Pontos, Okeanos, Tethys, Nereus, Thaumas, Phorkys, Keto, Proteus und Eurybia u.ä.).4 Auch Poseidon ist vielfach mit Stürmen, Erdbeben u.ä. verbunden, also kein Gott eines „idyllischen“ Meeres. Als ἐνάλιος verkörpert er die verschiedensten Aspekte des Meeres (doch trägt auch Zeus gelegentlich dieses Epitheton5). Der römische Neptun dagegen wird bekanntlich nur langsam und vielleicht sogar sekundär Meeresgott, in Angleichung an Poseidon, obwohl ein Zusammenhang mit dem „Feuchten“ älter zu sein scheint.6 Vor allem sind es eben auch archaische und monströse Gestalten, welche die Mythologie des Meeres prägen; die Odyssee ist voll von ihnen. Damit ist ein Assoziationsraum gegeben, den wir auch für die mythischen Inseln bedenken müssen, die keineswegs unbedingt als „Paradiesinseln“ imaginiert sind. Die folgende Studie fragt nach den Übergängen zwischen dem Realen und dem Mythologischen bzw. Imaginativ-Phantastischen. Reale Inseln nehmen mythologische Konnotationen an, und, vielleicht noch erstaunlicher, mythische Orte rücken der erfahrbaren Welt nahe, indem sie mit realen Inseln identifiziert werden. Der Vorgang ist vergleichbar demjenigen der Historisierung mythischer und sagenhafter Gestalten, wie man sie an den „Biographien“ von Figuren wie Herakles und Theseus (und an der zeitweise auch bei christlichen Autoren beliebten Mode des Euhemerismus) ablesen kann. Inseln werden Gegenstand der Sehnsucht und der Suche, ja ganzer Expeditionen (vgl. unten zu Sertorius). Diese Suche kann in der Moderne auch in der Bibliothek, anhand

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mens Τελχῖνες, in der Antike öfter mit θέλγω „bezaubern, betrügen“ verbunden, vgl. auch Robert BEEKES, Etymological Dictionary of Greek 1, Leiden/Boston 2010, S. 537. Vgl. die Übersichten C. Robert PHILLIPS III, Art. Meergottheiten, in: Der Neue Pauly 7 (1999), S. 1128-1130; Walter PÖTSCHER, Art. Meergottheiten, in: Der Kleine Pauly 3 (1969), S. 1136f.; vgl. auch Albin LESKY, Thalatta. Der Weg der Griechen zum Meer, Wien 1947, Nachdruck New York 1973; zur Verkörperung des Meeres auch: Herbert A. CAHN, Art. Thalassa, in: Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae 8 (1997), S. 1198f.; Ernst KUHNERT, Art. Thalassa, in: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie 5 (1924), S. 442-447. Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie Suppl. 1 (1893), S. 195; Hans SCHWABL, Art. Zeus I. Epiklesen, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft X A (1972), S. 253-376, hier S. 304. Gerhard RADKE, Die Götter Altitaliens, 2. Aufl., Münster 1979, S. 227f.

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von Büchern und Landkarten stattfinden, und ist doch nicht weniger mit Imaginationen und einer durch das Mythische faszinierten Rationalität besetzt. Wir beschränken uns an dieser Stelle auf das klassische Altertum, mit einem kleinen Ausblick auf einige keltische und frühneuzeitliche Auswirkungen antiker Stoffe und Motive. Seefahrt ist von Anfang an ein Aspekt griechischer Welterfahrung, im Gegensatz etwa zum alten Israel, dem das Meer immer primär Symbol bedrohlicher Chaosmächte war. Juden waren in der Antike kaum jemals Seefahrer.7 Liebe zum Meer, wie sie der neuzeitliche Bewohner des Festlandes spüren mag, spielt im Regelfall jedoch auch bei Griechen und Römern keine erkennbare Rolle. Die schiere Gefährlichkeit der See wird in der Antike nie vergessen (mit allen Einschränkungen, die solchen pauschalen Aussagen zukommt)8, und noch Paulus denkt bei der Erinnerung an seine Reisen sofort an die drei Schiffbrüche, die er bereits erlebt hatte, und den Tag und die Nacht, die er hilflos im Meer trieb (2 Kor 11, 25; vgl. Apg 27). Dabei hat die Fahrt über das Meer ein vielfältiges symbolisch-konnotatives Umfeld, auch wenn dieses von der Pragmatik der Seefahrt überdeckt wird: Homers Odysseus ist ein Reisender, und zwar gegenüber dem in die Ferne ziehenden Helden des Märchens bereits in invertierter Form, denn er sucht ja seine Heimat, nicht einen fernen Ort. Seine Fahrt hat von vornherein eine spirituelle Dimension, nämlich die einer Rückkehr in die „Heimat“, wenn auch die Motive zum Teil märchenhafter Natur sind. Dennoch hat man in der Antike schier endlos darüber gestritten, wo die verschiedenen Stationen seiner Reise zu verorten seien. Ein Beispiel dazu mag uns in unsere Frage einführen. Das Land Scherie (Σχερίη) der Phäaken mit ihren geisterschnellen, von Gedankenkraft angetriebenen Schiffen (Od. 8, 557-563) wurde oft mit Kerkyra (Korfu) identifiziert, so schon bei Alkaios Frg. 441 Voigt. Die Bewohner der Insel haben diese Identifikation reichlich kultiviert und auch dem Phäakenkönig Alkinoos einen lokalen Kult gewidmet (Thuk. 3, 70 vgl. 1, 25). Am Strand zeigte man Touristen das berühmte angeblich von Poseidon versteinerte Schiff (Plin. nat. 4, 53; Solinus 11, 2; noch Prokop BG 4, 22, 23), und Münzen feierten die Identität beider Lokalitäten.9 In heutiger Sicht sind die Phäaken nach mehrheitlicher Auffassung ein Märchenvolk wie Laistrygonen und Lotophagen.10 Aber etwa Polybios sah in ihrem Land reale Mittelmeerinseln. Strabon hat im Gegenzug gegen Polybios (bei Strab. 1, 2, 15-16; ähnlich Aristarch bei Gellius noct. att. 14, 6, 3) Scherie und auch Ogygia (ʼΩγυγίη) viel weiter entfernt im 7

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Vgl. Otto EIßFELDT, Gott und das Meer in der Bibel, in: Kleine Schriften 3, hg. v. DEMS., Tübingen 1966, S. 256-264; Otto KAISER, Die mythische Bedeutung des Meeres in Ägypten, Ugarit und Israel, Berlin 1962. Vgl. den Abschnitt „Gefahren“ in: Wilhelm KROLL, Art. Schiffahrt, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft II A, 1 (1921), S. 408-419, hier S. 412-414. Otto JESSEN, Art. Phaiaken, in: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie 3,2 (1902-1909), S. 2203-2219, hier S. 2210f. Vgl. Andreas LUTHER, Die Phaiaken der Odyssee und die Insel Euboia, in: Geschichte und Fiktion in der homerischen Odyssee, hg. v. DEMS. (Zetemata 125), München 2006, S. 77-92.

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Atlantischen Ozean lokalisiert. Ähnlich verortet Plutarch Ogygia fünf Tage westlich von Britannien (de fac. in orbe lun. 26, 941A). Die Sageninseln werden also mit realen Gegebenheiten identifiziert, und zwar – das ist für uns der interessante Punkt – in einem sekundären und variablen Interpretationsakt. Ogygia ist natürlich die Insel der Nymphe Kalypso, deren ausgiebig beschriebene Flora (Zypressen, Schwarz-Pappel, Schwarz-Erle, auch Eppich) zeigt, dass es sich ursprünglich um eine Toteninsel handelt (Od. 5, 55-72).11 Nicht ganz klar wird aus Homers Text, ob man sich das wunderbar fruchtbare Scherie mit seinem relaxten Lebensstil als Insel zu denken hat, wie aus Od. 6, 204 zu folgen scheint (so Erwin Rohde).12 Welcker und Kretschmer unter den älteren Forschern dagegen sahen es als Festland.13 Jedenfalls wird es sonst von keinem Sterblichen erreicht (Od. 6, 205); niemand wohnt in seiner Nähe (6, 279). Verschiedene Scholien verorten es daher in der Nachbarschaft des Elysions.14 Aber Stephan von Byzanz kennt unter dem Stichwort ʼAγχιάλη eine Insel Σχερίη auch an der illyrischen Küste (ed. M. Billerbeck Nr. A 53), usw.15 Andere antike Autoren wie Eratosthenes (bei Strab. 1, 7, 15-28) und später der Homerkommentator Eustathius (zu Homer Od. 6, 8) hielten es für ein reines Fabelland.16 Das sind nur erste Beispiele für die Fragen, die sich uns zur Sache stellen können: Eine Insel ist nicht einfach „mythisch“ oder „real“, sondern es sind komplexe Traditionen und Interpretationsvorgänge zu bedenken, die eine 11

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Vgl. Hermann GÜNTERT, Kalypso. Bedeutungsgeschichtliche Untersuchungen auf dem Gebiet der indogermanischen Sprachen, Halle a. S. 1919, S. 164-172; Otto IMMISCH, Art. Kalypso, in: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie 2,1 (18901894), S. 940-942, hier S. 941. Den Namen hat Heinrich LEWY, Semitische Fremdwörter im Griechischen, Berlin 1895/Hildesheim 1970, S. 208, wenig plausibel mit Okeanos zusammenbringen wollen, das vielleicht nichtgriechischen Ursprungs ist, und beide ebenfalls wenig plausibel zu mittelhebr. ˁūg „einen Kreis ziehen“ gestellt. Kalypso könnte vielleicht nach dem Muster der älteren Kirke erfunden sein, wie Otto Immisch und davor schon Karl MÜLLENHOFF, Deutsche Altertumskunde 1, 2. Aufl., Berlin 1890, S. 31, meinten; ihr Name ist ja ein durchsichtiges „die Verbergerin“. Zum wohl nichtindogermanischen Namen Ogygia (der ursprünglich adjektivisch zu verstehen ist) hat schon Karl MÜLLENHOFF, S. 61f. einen Zusammenhang mit dem biblischen Og (dem „letzten Riesen“ Dtn 3, 11) und anderen Sagenkreisen erwogen (vgl. auch etwas anders Hermann GÜNTERT, Kalypso [s. o.] S. 167-172). Ein „Fremdwort ohne Etymologie“ will Hjalmar FRISK, Griechisches etymologisches Wörterbuch 2, 2. Aufl., Heidelberg 1973, S. 1143 in dem Wort sehen. Aber sollte der Zusammenhang mit Og wirklich Zufall sein? Lokalisierungsversuche für Ogygia existieren in großer Zahl (IMMISCH, Kalypso S. 941f.). Vgl. Homer, Odyssey, Book 6-8, hg. v. Alexander F. GARVIE, Cambridge 1994, S. 20; Otto JESSEN, Art. Scheria, in: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie 4 (1909-1915), S. 558-561; Erwin ROHDE, Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen 1, Freiburg i. Br. u. a. 1898, Nachdruck Darmstadt 1980, S. 104f. Welcker sah in den Phäaken die „Fährmänner des Todes“ (siehe nächste Anmerkung). Friedrich G. WELCKER, Die Homerischen Phäaken und die Inseln der Seligen, in: Rheinisches Museum für Philologie 1 (1832/33), S. 219-282 = Kleine Schriften 2, Bonn 1845, Nachdruck Osnabrück 1973, S. 1-79; Paul KRETSCHMER, Einleitung in die Geschichte der griechischen Sprache, Göttingen 1896, S. 281. JESSEN, Scheria (wie Anm. 12), S. 559 mit Belegen. Weitere v. a. moderne Identifikationen bei JESSEN, Scheria (wie Anm. 12), S. 560f. Weitere Belege bei Otto JESSEN, Art. Phaiaken (wie Anm. 9), S. 2210.

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Insel „dichter“ an die greifbare Realität heran oder stärker in einen mythischen Raum hinausrücken können. „Mythisches“, „Legendäres“ und geographisch „Reales“ sind flexible Sphären, die sich gerade im Rezeptionsvorgang erzählter Traditionsstoffe verschieben, und zwar in beide Richtungen. Stoff unserer Betrachtung ist also eine vielschichtige Mythologie heiliger und numinoser, erstrebenswerter und gefährlicher Inseln, auf denen Götter und Heroen, Monstren und seltsame Tiere umgehen, auf denen Geister der Toten und bösartige Gespenster, glückliche Barbarenstämme und Weise oder Philosophen weitab von den Menschen wohnen wollen, und wo nicht zuletzt sagenhafte Reichtümer zu finden sein mögen – und die Frage, wie diese Inseln an die Realität „herangerückt“ oder auch wieder von ihr „ferngerückt“ werden. Versuchen wir nach dieser ersten exemplarischen Problemanzeige eine Typologie antiker mythischer Inseln in einem sehr weiten Sinn. Dabei unterscheiden wir zuerst zwei Stufen des Mythischen: die ausschließlich mythischen Inseln (die aber sekundär mit realen Örtlichkeiten verknüpft werden können), und die primär realen und identifizierbaren Inseln mit mythischen und legendären Konnotationen. Die Trennung ist nicht immer sehr scharf, wie wir sehen werden. Weiter unterscheiden wir (vor allem nach den Bewohnern): 1. Paradiesische oder elysische Inseln (eher von Göttern und Heroen bewohnt als von Menschen); 2. Toteninseln, bewohnt von Geistern, deren „reales“ Gegenstück vielleicht Begräbnisinseln sind, wie es Bahrain (Dilmun) vor der Küste Saudi-Arabiens im Persischen Golf mit seinen 150 000 Grabtumuli offenbar einst war17, die aber auch in mythischer Ferne liegen können; 3. numinos-gefährliche (etwa gespenstische oder von Dämonen bewohnte) Inseln; 4. utopische Inseln mit alternativen oder idealen Gesellschaften, deren Bewohner jedoch als reale lebende Menschen gedacht sind; 5. und als letzte Kategorie unterscheiden wir solche Inseln, die grundsätzlich als real mit realen Menschen gedacht sind, die aber doch ein sagenhaftes Flair 17

Vgl. Geoffrey BIBBY, Dilmun. Die Entdeckung der ältesten Hochkultur, Reinbek 1973; Dilmun. New Studies in the Archaeology and Early History of Bahrain, hg. v. Daniel T. POTTS (Berliner Beiträge zum Vorderen Orient 2), Berlin 1983; DERS., The Road to Meluḫḫa, in: Journal of Near Eastern Studies 41 (1982), S. 279-288; Marlies HEINZ, Art. Dilmun, in: Der Neue Pauly 3 (1997), S. 574f.; Jean-Jacques GLASSNER, Dilmun, Magan und Meluḫḫa: Some Observations on Language, Toponymy, Anthroponymy, and Theonymy, in: The Indian Ocean in Antiquity, hg. v. Julian READE, London 1996, S. 235-250. Zur Dilmun-Mythologie vgl. aus der älteren Forschung Fr. Eric BURROWS, Tilmun, Baḥrain, Paradise (Orientalia 30,2), Rom 1928 (mit Beiträgen von Anton Deimel); Dietz-Otto EDZARD, Tilmun, in: Wörterbuch der Mythologie 1. Götter und Mythen im Vorderen Orient, hg. v. Hans W. HAUSSIG, 2. Aufl., Stuttgart 1983, S. 129f. Über griechische Inschriften auf Bahrain s. Pierre-Louis GATIER / Pierre LOMBARD / Khalid M. AL-SINDI, Greek Inscriptions from Bahrain, in: Arabian Archaeology and Epigraphy 13,2 (2002), S. 223-233. In der hellenistisch-römischen Zeit hieß Bahrain offenbar Tylos (Arrian, Alexandri Anabasis 7, 20, 6).

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innehaben, Inseln und Inselgruppen, die schon in der Antike nicht eindeutig zu identifizieren waren und auch nie Teil eines historischen Imperiums gewesen sind, sondern etwa an den Rand der Oikumene, der bewohnten Welt, führen, wie die Kassiteriden (Zinninseln) oder das sagenhafte Thule. Alle diese Typen mythischer Inseln hängen zusammen, aber eine allgemeine These, wie eine solche Zusammengehörigkeit traditionsgeschichtlich darzustellen sein könnte, also welche religionsgeschichtlichen Dynamiken in ihr am Werk sind, wird nur schwer zu formulieren sein. Es ist jedenfalls nicht legitim, sie einfach mehr oder weniger von vornherein zu identifizieren, und z. B. Toteninseln und Inseln der Seligen einfach gleichzusetzen.18 Die Beziehungen müssen präzise beschrieben werden, was in dieser kleinen Studie nicht geleistet werden kann, doch wollen wir einige der Probleme benennen. Wir füllen dazu unsere Typologie in einem nächsten Schritt mit einigen Beispielen, ehe wir noch einmal auf unsere allgemeineren Fragen kommen. Zu unserem Typ 1 werden wir in erster Linie an die µακάρων νῆσοι denken, die Glückseligen Inseln der Götter (µάκαρες sind primär die Götter, nachepisch verstärkt auch heroisierte Sterbliche, die am Leben der Götter teilnehmen dürfen), auf denen keine Tränen vergossen werden (bei Pind. O. 2, 68-76 noch in der Einzahl „Insel der Seligen“, bei Hes. erg. 167-173e aber schon im Plural19), und die bald mit Homers elysischem Gefilde identifiziert wurden, wo es keinen Regen und Schnee gibt und die Bewohner immer leichten Fußes dahinwandeln (Hom. Od. 4, 561-568). Sie sind eine Stätte der Heroen, mehr fröhlichlockeres Walhalla als irdisches Paradies.20 Vielleicht sollten wir in diesem Kontext auch Plutarchs Insel des schlafenden, von Briareus bewachten Kronos bedenken, die weit im Westen im Atlantischen Ozean liegt. Auf ihr wohnen „heilige Philosophen“, welche gewissermaßen an die Stelle der Heroen treten (de fac. in orbe lun. 26, 940F-942C; de def. or. 18, 420a). Proklos hat die Sage in seinem Timaioskommentar nach der Fassung in „De defectu oraculorum“ herangezogen, im Kontext seiner weitausholenden Analyse des Atlantisstoffes (1, 112f. Diehl). Er erkannte dabei ganz richtig den inneren Zusammenhang dieser mythologischen Stoffe. Die alten, aber bei Hesiod doch wohl zugesetzten Verse, welche Kronos zum Herrscher der Inseln der Seligen machen, verbinden diese mit dem Motiv einer ar18

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Diese Differenzierungen hat in Bezug auf das reiche keltische Material zur Sache und im Gegenzug gegen pauschale Aussagen bei Henri dʼArbois de Jubainville schon Kuno MEYER, Der irische Totengott und die Toteninsel, Berlin 1919, S. 537-546, hier S. 544f. angemahnt. Zu den textkritischen Problemen dieser nicht einheitlich überlieferten Verse vgl. Martin L. WEST, Hesiod Works and Days, Oxford 1978, S. 102f., 192-194. Vgl. auch die „heiligen Inseln“ Hes. theog. 1015 (hier sind aber andere Inseln gemeint). Als indogermanisches Erbe reklamiert die Idee von den fernen Inseln der Seligen Martin L. WEST, Indo-European Poetry and Myth, Oxford 2007, S. 349f., der vor allem auf irische und indische Parallelen zu den altgriechischen Motiven aufmerksam macht. Die erzählende altund mittelindische Literatur kennt zahlreiche märchenhafte Inseln. Vgl. etwa die Liste bei Dieter SCHLINGLOFF, Indische Seefahrt in römischer Zeit, in: Zur geschichtlichen Bedeutung der frühen Seefahrt, hg. v. Hermann MÜLLER-KARPE, München 1982, S. 51-85, hier S. 52.

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chaischen und mythischen Vorzeit (als Kronos Götterkönig war). Bei Plutarch wird dies alles modernisiert, dabei einerseits mystifiziert (die Träume des schlafenden Kronos sind in geheimnisvoller Weise mit dem Handeln des Zeus verbunden), andererseits an die Realität herangerückt. Fünf Tagesreisen westlich von Britannien liegt die Insel des Urzeitgottes. Sie ist gerade nicht völlig entrückt: Der geheimnisvolle Fremde, der im Dialog Plutarchs als Redner in Erscheinung tritt, hat auf ihr 30 Jahre gelebt, ehe er über eine lange Reiseroute nach Karthago kam, weil er die „große Insel“ (unsere Oikumene) kennenlernen wollte. Jenseits all dessen liegt dann erst das eigentliche Festland, offenbar fern im Westen. Als mythische Erzählung ist das alles für Plutarch wohl fiktional, aber doch voll tiefer Bedeutung: Das dialektische Aufeinanderbezogensein zwischen Logos und Mythos, diskursiver und symbolischer Rede übernimmt Plutarch natürlich aus der platonischen Tradition (zu vergleichen ist auch die Heilige Insel des Osiris in „De Iside et Osiride“ 20, 359B, deren Identifikation textlich unsicher ist). In Hinsicht auf unser Thema eines Übergangs zwischen realen und mythischen Inseln ist auch die römische Identifikation der Fortunatae Insulae mit den Kanaren aufschlussreich, also der Inseln der Seligen, denen wir uns noch etwas genauer zuwenden werden.21 Vielleicht von der Idee her verwandt sind die Εὐδαίµονες νῆσοι, die indischen Inseln der Dioskuren, die aber offenbar stärker am realen Soqotra orientiert sind (etwa Peripl. maris Erythraei 30; weiter s. u.). Eine Toteninsel (unser Typ 2) ist das gespenstische Brittia vor der Küste Galliens, dem wir uns gleich ebenfalls ausführlicher zuwenden werden. Toteninseln sind Orte, welche die Trennung zwischen Lebenden und Toten, Leben und Tod in „Entfernung“ umsetzen. Dabei mag das archaische Motiv eine Rolle spielen, dass die Toten das Wasser nicht überqueren und also von „dort“ nicht zurückkehren können.22 Ikonographisch begründete Vermutungen, auch die mit der Seefahrt wohlvertrauten Etrusker hätten eine Toteninsel für die Seelen der Toten gekannt, haben vieles für sich, wenn uns auch Textüberlieferungen fehlen.23 Das griechische Elysion, der Ort, an den Menelaos entrückt werden soll (Hom. od. 4, 561-568), ist ursprünglich nicht zwingend eine Insel, doch liegt es am Weltenrand, vom Okeanos bespült und von den Westwinden gekühlt. Winter, Schnee und Orkane gibt es dort nicht, und in müheloser Se21 22

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Vgl. C. Th. FISCHER, Art. Fortunatae Insulae 1, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft 7,1 (1910), S. 42f. Das Motiv ist universal für Geister, Hexen, aber auch diverse Arten dämonischer Wesen verbreitet: Stith THOMPSON, Motif-Index of Folk-Literature. 6 Bände. Revised and Enlarged Edition, Bloomington 1955-1958 unter Nr. E434.3; G101; G636; G273.4; Richard HÜNNERKOPF, Art. Fluß, fließendes Wasser, in: Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens 2 (1930), S. 1681-1694, hier S. 1687f.; Ludwig RADERMACHER, Das Jenseits im Mythos der Hellenen, Bonn 1903, S. 93f., 148-150 hielt die Vorstellung eines Grenzflusses (oder mehrerer Grenzflüsse) zu einem Jenseits für eine im Allgemeinen trotz ihrer weiten Verbreitung spätere Entwicklung, was nicht einleuchtet. Günter LANCZKOWSKI, Die Inseln der Seligen und verwandte Vorstellungen, Frankfurt a. M. 1986, S. 35f.; Ambros Josef PFIFFIG, Religio Etrusca, Graz 1975, S. 167-178.

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ligkeit leben die Menschen, beherrscht offenbar von dem Totenrichter Rhadamanthys. Die Parallele zu den keltischen westlichen Toteninseln legt nahe, dass das Elysion als Insel im Westozean gedacht war, ob es aber eher Typ 1 oder 2 verkörperte, wissen wir nicht. Das Wort selbst ist nicht sicher erklärt24; es könnte vorgriechischen Ursprungs sein, und auch orientalische Bezüge des Motivfeldes (etwa zum Gilgamesch-Zyklus) sind vielfach diskutiert worden, die wir hier nicht vertiefen müssen. Alle späteren (vor allem dichterischen) Texte zum Elysion gehen letztlich auf die genannte Homerpassage zurück. Es wird wie andere Entrückungs- und Jenseitsbilder bis in die Spätzeit zu einer poetischen Metapher auf Grabinschriften, die sich an die unterschiedlichsten Jenseitshoffnungen knüpfen kann, sogar an solche christlicher Herkunft.25 Toteninseln im engeren Sinn werden in der Antike ganz variabel lokalisiert, von dem gelehrten mauretanischen König Iuba II. z. B. auch im Roten Meer (Plin. nat. 37, 24). Diod. 5, 41, 4 erzählt aus Euhemeros, auf Panchaia dürften keine Toten bestattet werden, dafür gäbe es aber eine eigene Begräbnisinsel, nur sieben Stadien (also eine kleine Ruderfahrt) entfernt (ihren Namen erfahren wir nicht). Allgemeiner numinos-gefährlich (Typ 3) ist Leuce, die „weiße Insel“ gegenüber der Donaumündung, von Weißpappeln und Ulmen bewachsen und von Möwen besucht, wo der Heroengeist des Achill als unruhiger Toter umgeht und rachsüchtig wie viele Geister die Lebenden anfällt und zu Tode prügelt, wenn sie sich etwa des Nachts auf seine Insel wagen (Paus. 3, 19, 11; Philostr. her. 54=II 211-213 Kayser und noch Amm. Marcell. 22, 8, 35).26 Leuce mag ursprünglich eine Fabelinsel gewesen sein, wurde aber schon früh 24

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Vgl. BEEKES, Etymological Dictionary (wie Anm. 3), S. 517, der an eine Ableitung von einem Ortsnamen denkt: „The word is a derivative in - ιο - from a geographical name *Alut or *Elut, with a long initial vowel that may be metrically conditioned“. Gegen W. Burkerts These, das Elysion sei ursprünglich der Ort der vom Blitz getroffenen Toten, vgl. Robert BEEKES, Hades and Elysion, in: Mír Curad. Studies in Honor of Calvert Watkins, hg. v. Jay JASANOFF u. a., Innsbruck 1998, S. 7-28, hier S. 19-23 und auch Jaan PUHVEL, „Meadow of the Otherworld“ in Indo-European Tradition, in: Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung („Kuhns Zeitschrift“) 83 (1969), S. 64-69. Allgemein zum Elysion vgl. Dietrich WACHSMUTH, Art. Elysion, in: Der Kleine Pauly 5 (1975), S. 1596f. (im Nachtragsteil des Lexikons); Christiane SOURVINOU-INWOOD, Art. Elysion, in: Der Neue Pauly 3 (1997), S. 1004f.; Martin NILSSON, Geschichte der griechischen Religion 1, 4. Aufl., München 1976, S. 324-327; Walter BURKERT, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche (Religionen der Menschheit 15), 2. Aufl., Stuttgart 2011, S. 302f. Vgl. Richmond A. LATTIMORE, Themes in Greek and Latin Epitaphs, Urbana 1942, S. 313. Für Marc Aur. 10, 8 sind auch die Inseln der Seligen eine Metapher für das reflektierte Leben des Philosophen. Bei Diog. Laert. 6, 39 sind sie das Ziel von Initiationsriten: „Den Athenern, die ihn aufforderten, sich in die Mysterien einführen zu lassen, unter dem Vorwand, dass die Eingeweihten im Hades Vorrang hätten, entgegnete er: ‚Dass ich nicht lache! Agesilaos und Epameinondas würden im Pfuhl versauern, während irgendein armer Geselle, nur weil er eingeweiht ist, auf den Inseln der Seligen verweilen würde!‘“. Vgl. Peter GROSSARDT, Einführung, Übersetzung und Kommentar zum Heroikos von Flavius Philostrat (Schweizerische Beiträge zur Altertumswissenschaft 33), Bd. 2, Basel 2006, hier S. 736-769.

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und stabil mit Phidonisi bzw. Zmeinyj östlich der Donaumündung identifiziert, wofür auch archäologische Argumente sprechen (Heiligtum des Achill).27 Das Unheimliche der Insel (die nach Philostrat von Frauen nicht betreten werden darf, wie heute noch der Athos)28 wird u. a. in der Episode von dem Sklavenmädchen deutlich, die als letzte Nachkommin des trojanischen Priamos von dem Totengeist auf die Insel gelockt, dort dann aber zerrissen und kannibalisch verschlungen wird. Auch der tote Heros Diomedes herrscht auf einer eigenen kleinen Inselgruppe, in diesem Fall im adriatischen Meer, wo auch seine ehemaligen Gefährten noch verwandelt als handzahme Vögel leben (Ps.-Aristot. mir. 79; Strab. 6, 3, 9 p. 284 vgl. Sch. Pind. N. 10, 12a). Numinos-gefährlich sind die „Ogygia“ der Kalypso, die Insel der Kirke und die des Polyphem, überhaupt die meisten Inseln der Odyssee29, aber auch die Hesperiden mit ihrem Drachen, welche die goldenen Äpfel der Jugend bewachen, und die man gleichfalls im fernen Westen dachte. Näher an der realen Welt ist das Grab auf der Insel Lipara, dem man sich nicht bei Nacht nähern sollte, wenn dort allerlei Geistermusik, Trommeln und unheimliches Gelächter ertönt (Ps.-Aristot. mir. 101). Nosala ist eine Insel im Indischen Ozean, auf der eine böse Nymphe lebte, die arglose Seeleute verführte und dann in Fische verwandelte. Alexanders Admiral Nearch lässt sich von der Furcht der Einheimischen nicht abhalten, und entlarvt das Ganze als Fabel.30 Philostr. v. Ap. 3, 56 erzählt von einer Insel Selera im Indischen Ozean vor der karmanischen Küste, auf der eine menschenfressende Nereide haust. Eher allgemein mythischer Natur, wenn auch mit Assoziationen „gefährlicher“ Ozeaninseln verbunden, ist Erytheia im Westozean, der Wohnort des grausigen dreileibigen Geryon (Hes. theog. 287-294; Stesich. Geryoneis; Apollod. 2, 106-109 etc.).31 Sie wurde (sicher ebenfalls nachträglich) in der Gegend von Gadeira bzw. in der Nähe des alten Tartessos verortet (Stesich. frg. 184 PMGF 1; Pherekydes 27

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Ebd., S. 737; vgl. Sergej B. OCHOTNIKOV / Anatolij S. OSTROVERCHOV, Svjatilišče Achilla na ostrove Levke (Zmeinom), Kiev 1993 (russ. mit engl. Zusammenfassung). Zum AchilleusKult siehe Hildebrecht HOMMEL, Der Gott Achilleus (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften), Heidelberg 1980; Guy HEDREEN, The Cult of Achilleus in the Euxine, in: Hesperia 60 (1991), S. 313-330. Dieses Tabu ist vor allem im irisch-schottischen Bereich weit verbreitet, offenbar schon vor seiner Indienstnahme durch die frühmittelalterlichen Mönchskolonien auf den britischen Inseln. Vgl. William G. WOOD-MARTIN, Traces of the Elder Faiths of Ireland. A Folklore Sketch, Bd. 2, London u. a. 1902, S. 26-28. Aufgelistet z. B. bei Marek WINIARCZYK, Die hellenistischen Utopien (Beiträge zur Altertumskunde 293), Berlin/Boston 2011, S. 261, der aber hier den Begriff der Utopie in einem sehr weiten und vagen Sinn verwendet. Kalypso lebt am „Nabel des Meeres“ (Od. 1, 50) nach der Deutung von Martin L. WEST, The Making of the Odyssey, Oxford 2014, S. 128 der am weitesten von jedem Land entfernten Insel des Ozeans. O. STEIN, Art. Nosala, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft XVIII, 1 (1936), S. 1051f.; Klaus KARTTUNEN, Art. Nosala, in: Der Neue Pauly 8 (2000), S. 1007. Vgl. Edzard WISSER, Art. Geryoneus, in: Der Neue Pauly 4 (1998), S. 981f.; René BLOCH, Art. Erytheia, in: ebd., S. 106.

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FGrH 3 F 18b; Ephoros FGrH 70 F 129a; Philistides FGrH 11 F 3 und Hdt. 4, 8). Hekataios allerdings lehnt diese Deutung radikal ab und will mit Amparakia (latein. Ambracia, beim heutigen Arta) in der Thesprotis identifizieren (FGrH 1 F 26).32 Stephan von Byzanz lässt die Lokalisierung von Erytheia dagegen offen (ed. Billerbeck/Zubler Nr. E 127). In erster Linie erschreckendgefährlich ist natürlich die Sireneninsel Anthemussa (Hesiod nach einem Scholion zu Apoll. Rhod. Arg. 4, 892 fr. 197 Gotth.). Das Wort ist kurioserweise auch als alter Name von Samos überliefert. Die Isolation der Insel prädestiniert sie zu einem Ort der potentiellen Begegnung mit dem Numinosen, Monströsen und Gefährlichen. Utopische Inseln, unser vierter Typ, begegnen in erzählenden Texten (Romanen), aber auch in philosophischer Tradition. Ihre Schilderung entfaltet eine völlig andere Pragmatik als unsere bisherigen Typen imaginativer oder mit Mythen assoziierter Inseln: Sie sind viel direkter auf die je eigene Zeit und Gesellschaft ihrer Autoren bezogen, auch wenn nicht unbedingt an eine irgendwie politische Programmatik zu denken ist, wie sie seit den frühneuzeitlichen Utopien ansatzweise greifbar wird. Utopien in einem sehr weiten Sinn sind die Insel Panchaia des Euhemeros von Messene im südlichen Ozean (wo die Götter einst als Menschen gelebt haben)33, aber in gewissem Sinn auch schon das homerische Phäakenland Scherie oder vielleicht Thrinakia, die Insel des Helios (od. 12, 127-131). In das weitere Motivfeld gehört auch die platonische Atlantis (Krit. 113C-121C; Tim. 24D-25D) und ihre Persiflage, die Meropis des Theopomp von Chios (FGrH 115 F 75, besonders F 75c nach Aelian VH 3, 18) mit ihrem Gegenstück Machimos, deren Bewohner zweimal so lange leben und doppelt so groß sind wie die Bewohner der Oikumene. Meropis ist aber eigentlich wohl als Teil des Festlandes jenseits des Okeanos gedacht (während unsere Menschenwelt nur eine kleine Inselgruppe in einem Binnensee sei).34 Auch ein Christ wie Tertullian kannte die Geschichte Theopomps (adv. Herm. 25). Ob Atlantis, Höhepunkt dieser Art von Imagination, eine reale oder aber eine symbolisch-poetische Lokalität sei, war schon in der Antike seit Krantor und Aristoteles umstritten; ersterer verteidigte die „Historizität“ durch Plausibilisierung der ägyptischen „Quellen“ Platons bzw. Solons, letzterer leugnete sie (auch Numenios Frg. 37 des Places denkt an eine

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Ausführlicher zu Lokalisierungsversuchen vgl. Didier MARCOTTE, Les Géographes grecs I. Introduction générale. Ps.-Scymnos: Circuit de la terre, Paris 2000, S. 160. Vgl. Marek WINIARCZYK, The “Sacred History” of Euhemerus of Messene (Beiträge zur Altertumskunde 312), Berlin 2013 (zuerst poln. 2011). Als Platonparodie interpretiert von Heinz-Günther NESSELRATH, Theopomps Meropis und Platon: Nachahmung und Parodie, in: Göttinger Forum für Altertumswissenschaft 1 (1998), S. 1-8. Nach einer alten Theorie wurde der Meropis-Exkurs Theopomps seinerseits in einem Theaterstück parodiert, der „Meropis“ des Alexis, eines Komödiendichters der Alexanderzeit. Meropis ist auch ein alter Name der Insel Kos. Zu beidem vgl. WINIARCZYK, Die hellenistischen Utopien (wie Anm. 29), S. 31, Anm. 15 mit Literatur.

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reine Allegorie).35 Der interessante, leider nur aus zwei bei Proklos erhaltenen Fragmenten bekannte kaiserzeitliche Autor von Aithiopica Markellos (FGrH 671) berichtet von atlantischen Inseln, die verschiedenen Göttern geweiht gewesen seien: Auf ihnen sei der Untergang der „großen Atlantis“ noch als mündliche Tradition bekannt. Was mag hinter einer solchen Behauptung stehen? (Freilich erfinden Traditionen bei Plutarch und Proklos über Platon hinaus ja auch Namen von Priestern, von denen Solon die Atlantis-Sage erhalten haben soll: Der Atlantisstoff drängte auf Erweiterungen). Alexander von Humboldt wollte das Markellosfragment mit der Nachricht des Plin. nat. 6, 31 zusammenstellen, es gäbe fünf Tagesreisen von Hesperion (Kap Nun?) entfernt noch heute eine kleine Insel, die den Namen der ehemals größeren Atlantis trüge.36 Wie immer sind die Übergänge zwischen reiner Fiktion und verschiedenen Stufen der geographischen Realität fließend. Damit bewegen wir uns aber nur im Vorfeld der eigentlichen utopischen Inseln. Im engeren Sinn gehört hierher die Sonneninsel des Jambulos im Indischen Ozean, eine Utopie, die an das goldene Zeitalter erinnert und deren Motivfeld im Hellenismus mehrfach nach Übersetzung in die Wirklichkeit eines „Sonnenstaates“ gedrängt hat (hinter denen natürlich auch aurea aetas-Imaginationen stehen).37 Eine utopische Insel38 ist auch die hyperboreische, im hohen Norden liegende Helixoia des philosophierenden Literaten Hekataios von Abdera (4./3. Jh. v. Chr., FGrH 264 F 7-14), und sehr viel später (wohl 1. oder frühes 2. Jh. n. Chr.) das Thule des Romans „Τὰ ὑπὲρ Θούλην ἄπιστα“ (Wunderdinge jenseits von Thule) des Antonius Diogenes, den noch Photius las (cod. 166), und den wir auch aus diversen Papyrusfragmenten kennen. Ob er das persiflierte Vorbild Lukians war, ist freilich umstritten. Thule im hohen Norden wird nach ei-

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Die Literatur ist unüberschaubar. Vgl. zusammenfassend und die komplexen Positionen differenzierend Proclus, Commentary on Platoʼs Timaeus 1. Book 1: Proclus on the Socratic State and Atlantis, hg. v. Harold TARRANT, Cambridge 2007, S. 60-84. Speziell zu Krantor: HeinzGünther NESSELRATH, Atlantis auf ägyptischen Stelen? Der Philosoph Krantor als Epigraphiker, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 135 (2001), S. 33-35. Alexander VON HUMBOLDT, Kritische Untersuchung zur historischen Entwicklung der geographischen Kenntnisse von der neuen Welt (…), hg. v. Ottmar ETTE, 2 Bände, Frankfurt a. M./Leipzig 2009, hier Bd. 1, S. 69f. Anm. 167 (zu diesem Werk vgl. unten). Vgl. Marco FRENSCHKOWSKI, Utopia and Apocalypsis. The Case of the Golden City, in: Imagery in the Book of Revelation, hg. v. Michael LABAHN / Outi LEHTIPUU (Contributions to Biblical Theology and Exegesis 60), Leuven 2011, S. 29-41. Speziell zu Jambulos vgl. auch Marek WINIARCZYK, Das Werk des Jambulos. Forschungsgeschichte (1550-1988) und Interpretationsversuch, in: Rheinisches Museum 140 (1997), S. 128-153. Die neueste vollständige Übersicht bietet WINIARCZYK, Die hellenistischen Utopien (wie Anm. 29); vgl. auch Reinhold BICHLER, Von der Insel der Seligen zu Platons Staat. Geschichte der antiken Utopie, Wien 1995; Horst A. GLASER, Utopische Inseln. Beiträge zu ihrer Geschichte und Theorie, Frankfurt a. M. 1996; Wolfgang FAUTH, Utopische Inseln in den Wahren Geschichten des Lukian, in: Gymnasium 86 (1979), S. 39-58. Über legendäre Inseln im Atlantik in späteren, nachantiken Sagenbildungen handelt populär und weitausholend Donald S. JOHNSON, Phantom Islands of the Atlantic, New York 1994 (Reprint 1996).

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ner langen Fahrt über den Okeanos erreicht.39 Noch in das dritte vorchristliche Jahrhundert gehören dagegen die Amazoneninseln des Dionysios Skytobrachion mit ihrer archaisch-voragrarischen Kultur und euhemeristischen Tendenzen (FGrH 32 F 7f.; die Textbasis ist durch neuere Papyrusfunde erweitert worden40). Sie werden vor der afrikanischen Atlantikküste verortet. Die griechische Literatur hat ein eigentümliches Bündnis zwischen Utopie und Inselimagination hervorgebracht. Alternative und ideale Gesellschaften werden in der griechischen und römischen Antike ja nicht in die Zukunft verlegt, wie in unserem Genre Science Fiction, dessen Anfänge im strengen Sinn nur in das 18. Jahrhundert zurückreichen, sondern in die räumliche Ferne. Diese Ferne ist nun im Allgemeinen die einer Insel. Lukian (den man auch gerne in die Vorgeschichte der Science Fiction hineinzieht41) hat das Motivfeld in seiner Parodie „Wahre Geschichten“ schon vielfach ironisch verfremdet; eine ganze Reihe mehr phantastischer als utopischer Inseln wird vor dem Auge des Lesers aufgereiht. Aber auch die älteren utopischen Romane – ein Leitgenre des Hellenismus – sind öfter als Reisen zu fernen Inseln o. ä. stilisiert. In gewisser Hinsicht entfaltet sich das Motiv immer noch ganz im Schatten Homers und des reisenden Odysseus. Auch ein breites Substratum älterer volkstümlicher Inselfolklore (manches davon ohne Frage „Seemannsgarn“) wird man greifen können, wie es etwa in der kleinen pseudo-aristotelischen (schwer datierbaren) Schrift „de mirabilibus auscultationibus“ dokumentiert ist, die wir hier öfter zitieren.42 Auch an Autoren wie Pomponius Mela mag 39

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Aus der Literatur: Hans BERNSDORFF, Antonios-Diogenes-Interpretationen, in: Studien zur Philologie und Musikwissenschaft (AAWG.Ph NF 7. Sammelband I), Berlin/New York 2009, S. 1-52; Wolfgang FAUTH, Astraios und Zamolxis. Über Spuren pythagoreischer Aretalogie im Thule-Roman des Antonius Diogenes, in: Hermes 106 (1978), S. 220-241; DERS., Zur kompositorischen Anlage und zur Typik der Apista des Antonios Diogenes, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft NF 4 (1978), S. 57-68; Massimo FUSILLO, Art. Antonios Diogenes, in: Der Neue Pauly 1 (1996), S. 806f. und schon Erwin ROHDE, Der griechische Roman und seine Vorläufer, 3. Aufl., Leipzig 1914, S. 269-309. Jeffrey S. RUSTEN, Dionysius Scytobrachion (Papyrologica Coloniensia 10), Opladen 1982. Vgl. Aristoula GEORGIADOU / David H. J. LARMOUR, Lucian’s Science Fiction Novel “True Histories”: Interpretation and Commentary, Leiden u. a. 1998; S. C. FREDERICKS, Lucian, True History as SF, in: Science-Fiction Studies 3 (1976), S. 49-60; Anatomy of Wonder. A Critical Guide to Science Fiction, hg. v. Neil BARON, 3. Aufl., New York/London 1987, S. 5; dazu allgemein der detaillierte Textkommentar von Peter VON MÖLLENDORFF, Auf der Suche nach der verlogenen Wahrheit. Lukians Wahre Geschichten (Classica Monacensia 21), Tübingen 2000. Eine ausgesprochene Sammlung von „Seemannsgarn“ (wie ihn schon die altjüdische legendenhaft-humoristische Jona-Novelle voraussetzt) ist auch jüdisch im babylonischen Talmud erhalten, Traktat bBB 73a-75b. Der thaumatologische Text erzählt u. a. von gigantischen Seemonstern, Lichtern im Meer und fabelhaften Reisen mit vielen märchen- und sagenhaften Motiven und hyperbolischen und exotischen Zügen, und kennt auch den für eine schwimmende Insel gehaltenen Riesenfisch, der uns aus Lukians „Verae Historiae“ vertraut ist und der ein reiches orientalisches Nachleben in der Sindbadtradition etc. hat. Über die Frage einer antik-jüdischen Phantastik vgl. allgemein Marco FRENSCHKOWSKI, Judentum, in: Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch, hg. v. Hans R. BRITTNACHER / Markus MAY, Stuttgart/ Weimar 2013, S. 7-9. Halblegendäre Grenze der bewohnten Welt im Westen war für die alt-

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man denken, die Reales und Phantastisches kaum auseinanderzuhalten versuchen.43 Vor allem faszinierten offenbar Geschichten über die Säulen des Herakles und die phönizischen Schiffe, welche sie ehemals durchquerten. Zur Zeit des genannten pseudo-aristotelischen Autors war das freilich nur noch eine alte verschollene Kunde (l. c. 37. 84. 132-136). Phönizische Seemannsgeschichten (von denen es viele gegeben haben muss) genossen an und für sich einen zweifelhaften Ruf (Plat. resp. 3, 414C; Strab. 3,5), aber die Seefahrt in den Atlantik hinein entfaltete früh ein eigenes Faszinans. Man wird auch an den freilich vielleicht fiktiven Bericht des Afrikareisenden Hanno denken, der angeblich aus dem Phönizisch-Punischen ins Griechische übersetzt wurde und der immerhin schon bei Ps.-Aristoteles mir. 37 und Arrian Ind. 43, 11f. erwähnt wird; unsicher ist eine Anspielung bei Palaiphatos 31. (Die Übersetzung eines größeren literarischen Werkes aus dem Punischen als solche ist nicht verdächtig: man wird an die 28 Bücher über Landwirtschaft des Mago denken, die nach der Zerstörung Karthagos 146 v. Chr. auf Senatsbeschluss übersetzt wurden, und die sehr oft in den späteren antiken Agrarautoren erwähnt werden, wenn ihr Text auch leider nicht erhalten ist). Utopien und ähnliche imaginative Inseln wurden allerdings nicht nur im Westen und weit im Atlantik, sondern auch im Norden (wie die Hyperboreer) und im Südosten verortet. Man wird außer diesem exotischen Zug auch andere, intrinsische Gründe für das mythologische Gewicht des Inselthemas gerade in der Utopie benennen können.44 Die Insel ist eine abgeschlossene, für sich stehende und spezifische Welt, und kann eben darum ein anderes, eine Alterität gegenüber unserer Welt und ihren Regeln zur Darstellung bringen. Aber als Imagination konnte sich dann eine solche Insel der geographischen Realität auch wieder annähern; das ist genau der Vorgang, den wir hier in den Blick nehmen wollen. Sie kann Gegenstand eines abgegrenzten „eigenen“ Interesses werden. Marek Winiarczyk benutzt in seiner umfassenden Studie „Die hellenistischen Utopien“ (2011) den Begriff der Utopie einschränkend, spricht darüber hinaus aber von breitgestreuten utopischen Motiven, zu denen etwa die Wiederkehr der goldenen Zeit, glückseliges Leben, Wohlstand und ähnliches gehören. Diesem An-

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testamentlichen Autoren Tarschisch, vgl. Michael KOCH, Tarschisch und Hispanien. Historisch-geographische und namenkundliche Untersuchungen zur phönikischen Kolonisation der iberischen Halbinsel (Madrider Forschungen 14), Berlin 1984 und nach wie vor Adolf SCHULTEN, Tartessos. Ein Beitrag zur ältesten Geschichte des Westens, 2. Aufl., Hamburg 1950, auch wenn sich dessen These, Tartessos sei die platonische Atlantis, nicht durchgesetzt hat. Pomponius Mela, Kreuzfahrt durch die Alte Welt. Zweisprachige Ausgabe, hg. v. Kai BRODERSEN, Darmstadt 1994. Der lateinische Text dürfte 44 n. Chr. abgeschlossen worden sein; Pomponius Mela ist damit der älteste erhaltene lateinische Geograph. Cicero hatte die Anregung, eine Geographie vom römischen Standpunkt aus zu schreiben, noch als zu schwierig von sich gewiesen (Att. 2, 6). Vgl. allgemein zur Bedeutung der Utopien, speziell für das frühhellenistische Weltbild Klaus GEUS, Utopie und Geographie. Zum Weltbild der Griechen in frühhellenistischer Zeit, in: Orbis Terrarum 6 (2000), S. 55-90. Geus diskutiert v. a. die Stellung der Utopien zwischen tradierten Weltbildern (Erde als Scheibe) und neuen geographischen Fragestellungen.

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satz wird man folgen können. Wiederkehrende Motive dieses grundlegenden Stoffes griechischer Imagination sind dabei weiter45 das milde Klima mit ewigem Frühling, die von selbst Frucht hervorbringenden Äcker, Flüsse voller Milch, Wein oder Honig, die Langlebigkeit, Körpergröße, Weisheit und Gesundheit der Bewohner, ihre Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Gütergemeinschaft, zuweilen verbunden mit gemeinsamen Besitz der Frauen sowie eine einfache, naturnahe und friedvolle Lebensweise. Lukian in seinen „Wahren Geschichten“ zeigt uns, wie das Motivfeld zur unterhaltsamen, ironischen Persiflage absinken konnte: Der Seefahrer betritt hier neben der Insel der Seligen eine Insel der Träume und eine Käseinsel (ver. hist. 2, 3. 5-29. 32-35). Nur en passant erwähnen wir die mit diesem Motivfeld zusammenhängenden rein spekulativen Erwägungen über einen „Westkontinent“, wie sie am bekanntesten Seneca in seiner Tragödie „Medea“ 375-37946 ausgesprochen hat (vgl. aber z. B. auch Ioseph. bell. Iud. 2, 155-156. 363; Strabo 1, 4, 6; Sen. suas. 1, 1, 1; Kore Kosmu 45). Christen hat das Thema sehr interessiert: Der 1. Clemensbrief (wohl um 95 n. Chr.) legt in 20, 8 Wert auf die Feststellung, dass auch in den Ländern jenseits des Ozeans die göttlichen Gesetze gelten müssen (Irenäus scheint auf die Stelle adv. haer. 2, 28, 2 anzuspielen, ohne Clemens zu nennen). Tertullian ist diesen Ideen gegenüber skeptisch (de pall. 2; adv. Herm. 25), Origenes wiederum neigt zur Bejahung transozeanischer Welten (de princ. 2, 3, 6). Augustin ist ebenfalls skeptisch, aber auch er befindet die Frage diskussionswürdig (de civ. dei 16, 9), usw.47 Gelegentlich mögen solche Denkmöglichkeiten an Platons Mythos einer „wahren Erde“ (Phaidon 109B-111C) alludieren, innerhalb derer die Mittelmeerwelt nur eine kleine Ausbuchtung sei. Die „wahre Erde“ liegt dabei ja auf Bergeshöhe über den Wolken. Ihre Bewohner leben im Äther, unsere Luft ist ihnen wie uns das Meereswasser. Daher sind sie gesünder und langlebiger als wir und können die Gestirne sehen, wie sie wirklich sind. Spekulationen über einen mächtigen Westkontinent formulieren auch Plutarch und andere Autoren. Ideen über Kontinente jenseits der bekannten haben bekanntlich bei den Entdeckungsreisen des 15. Jahrhunderts und bei der anfänglichen Wahrnehmung Amerikas im 16. Jahrhundert eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt (wenn auch Co45 46

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Zu allen Details ist v. a. WINIARCZYK, Die hellenistischen Utopien (wie Anm. 29) zu vergleichen. Im Widerspruch zu dieser spekulativen Stelle steht übrigens Sen. nat. 1 praef. 13 über den geringen Abstand zwischen Spanien und Indien (dies ist eine der Stellen, die Kolumbus über die Größe des Atlantik irreleiteten). Der eben erwähnte Pomponius Mela erzählt 3, 45 nach Cornelius Nepos von Indern, welche durch Stürme über den Atlantik verschlagen und an der Küste Germaniens (!) an Land gegangen seien, und die schließlich 62 v. Chr. dem Quintus Metellus Celer zum Geschenk gemacht worden seien. Vgl. weiteres Material zur Clemens-Stelle bei Horacio E. LONA, Der erste Clemensbrief (Kommentar zu den Apostolischen Vätern 2), Göttingen 1998, S. 258-263, bes. S. 261f. Anm. 4. Die jüdische Schrift 4. Esra (6, 42), die in einer lateinischen Fassung als Anhang der Vulgata tradiert ist (aus der Zeit um 100 n. Chr.) behauptet, nur ein Siebtel der Erde sei von Wasser bedeckt.

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lumbus selbst nicht mit einem Westkontinent rechnete).48 Lukian baut die mühsame Überquerung des Ozean in seine parodistisch-satirische Utopie ein (vgl. aber die kritischen Worte über Platon in ver. hist. 2, 17), wie es vor ihm Antonius Diogenes getan hatte. In diesen Texten haben sich offenbar bereits verschiedene Typen der mythischen Inseln vereint und einer Metamorphose unterzogen; ältestes Substratum werden Ideen von Toteninseln sein, welche aber von paradiesisch-utopischen Motiven überlagert werden. Die utopische Insel selbst ist mehr Dichtererfindung als religiös-mythologische Tradition, sie setzt aber mythische und märchenhafte Inseltraditionen voraus. Für unsere fünfte Kategorie haben wir schon an die Zinninseln erinnert, die seit Herodot 3, 115 bekannten Kassiteriden (κασσίτερος „Zinn“ aber schon bei Homer), die irgendwie real sein müssen (nach Strab. 3, 5, 11 waren es zehn Inseln, aus Poseidonios?), von denen aber in römischer Zeit meines Wissens nur einmal behauptet wurde, dass sie betreten worden seien. Eine kuriose Notiz besagt nämlich, ein Römer namens Publius Crassus habe sie besucht: Ob das der Legat Cäsars dieses Namens in Armorica und Aquitanien war, oder der bekanntere Statthalter Spaniens um 95 v. Chr., wissen wir nicht (Strab. 3, 5, 11). Gegen erstere Annahme spricht, dass Cäsar die Sache nicht erwähnt. Stephan von Byzanz (ed. M. Billerbeck Nr. K 114) kennt nach den Bassarika des Dionysios (Frg. 10 Livrea=p. 61 Heitsch) kurioserweise auch eine Insel Kassitera im Indischen Ozean, nach welcher der Zinn benannt sei. Dionysios ist ein epischer Autor des 1. Jahrhunderts n. Chr. Das erinnert uns daran, dass auch im Sanskrit kastīra „Zinn“ heißt. Aber nach Manfred Mayrhofer49 ist kastīra Fremdwort aus dem Griechischen κασσίτερος, vielleicht sogar aus später Zeit und erst über arabische Vermittlung (oder ist das Wort ein alter griechischer Verweis auf die Zinngruben der Drangiana?50). Manche haben die 48

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Die klassische und monumentale Darstellung dieser Zusammenhänge ist VON HUMBOLDT, Kritische Untersuchung zur historischen Entwicklung (wie Anm. 36) (Dt. Erstausgabe, aus dem Franz. übers. von Julius Ludwig IDELER, Berlin 1836 und 1852. Humboldt hatte das Werk 1833 abgeschlossen). Manfred MAYRHOFER, Etymologisches Wörterbuch des Altindoarischen 3, Heidelberg 2001, S. 79; vgl. auch Klaus KARTTUNEN, India in Early Greek Literature (Studia Orientalia 65), Helsinki 1989, S. 106. Auch an elamische Herkunft des Wortes und einen Zusammenhang mit dem Namen der Kassiten hat man gedacht (das würde dann zu der östlichen Zinninsel passen), ebenso an keltische Bezüge (ein Element Cassi- steht oft in keltischen Namen, z. B. Cassivelaunus). Unklar ist, ob das Metall nach den Inseln oder die Inseln nach dem Metall heißen. Die frühe Bezeugung des Metallnamens spricht wohl eher für letzteres (anders als im Fall Zyperns und des Kupfers). Vgl. BEEKES, Etymological Dictionary (wie Anm. 3), S. 654f.; Malcolm TODD, Art. Kattiterides, in: Der Neue Pauly 6 (1999), S. 356; Josef RIEDERER u. a., Art. Zinn, in: Der Neue Pauly 12,2 (2002), S. 808-811. Bereits Polybios weiß, das Zinn aus Britannien importiert wird (3, 57, 3), und Diodor beschreibt den Transport durch Gallien (5, 22; 5, 38, 5 vgl. Strab. 3, 2, 9; Caes. Gall. 5, 2, 5). Daneben kannte man die Zinnvorkommen auf der Iberischen Halbinsel. Gegen die ältere Identifikation der Kassiteriden mit Britannien (z. B. John RHYS, Early Britain. Celtic Britain, 3. Aufl. 1904, S. 48) oder Cornwall (M. TODD, Kattiteri-

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Kassiteriden für einen älteren Namen Cornwalls gehalten, oder für eine Zwischenstation des Zinnhandels, oder sie seien legendenhafter Sammelbegriff für die westlichen Zinnländer überhaupt (Nordwestspanien, Cornwall und vielleicht noch andere). Sie haben eigentlich nichts Mythologisches an sich, und befinden sich doch am „Rande“ der geographischen Realität. Bereits erwähnt haben wir die Dioskureninsel Soqotra im Indischen Ozean51, das manche für das Vorbild von Panchaia halten, Nosala und natürlich Thule, hinter dem sich wohl meist Skandinavien verbirgt. Tacitus bewahrt die Nachricht, zur Zeit Agricolas habe eine römische Flotte die britischen Inseln umsegelt, dabei die Orcades entdeckt (die Orkney-Inseln), Thule aber nur aus der Ferne gesehen: Dispecta est et Thule, quia hactenus iussum, et hiems adpetebat (Nur in Sicht kam Thule, weil der Auftrag erledigt war und zudem der Winter nahte, Agricola 10, 4). Ein wenig realer wird es in den antiken Beschreibungen mit Tabrobane (Sri Lanka), mit dem es immerhin Handelsbeziehung gab, nachdem um 127 v. Chr. die Monsunwinde entdeckt worden waren. Ein Botschafter aus Ceylon (Taprobane) erreicht bereits unter Claudius den Kaiserhof.52 Auch die Bernsteininsel Abalus des Pytheas von Marseille (bei Plin. nat. 37, 35), auch Basileia, die Königsinsel, genannt (Diod. 5, 23 aus Timäus; vgl. Plin. nat. 4, 95), im Nordmeer vor der Küste der Gutones (bei Plinius, textkritisch unsicher) ist doch wohl real. Gemeint ist vielleicht das ehemals ja viel größere Helgoland.53 Beide Namen haben jedoch auch allerlei mythische Konnotationen; Abalus ist doch wohl „Insel der Apfelbäume“ und wäre dann weitläufig mit dem (viel später belegten) keltischen Avalon bzw. der Insula pomorum verwandt. Diese sind ja seit Geoffrey of Monmouths fabulöser „Historia Regum Britanniae“ von 1136 bzw. der einige Jahre jüngeren „Vita Merlini“ ein Lieblingskind britischer Ideen einer westlichen Anderswelt.54 Zwei der

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des) spricht, dass diese sich dann in unserer Traditionen niedergeschlagen haben müsste, als Britannien geographisch greifbar wurde. Vgl. Lionel CASSON, The Periplus Maris Erythraei: Text, Translation, and Commentary, Princeton 1989, S. 47. Don Patrick Mervyn WEERAKKODY, Taprobanê. Ancient Sri Lanka as Known to Greeks and Romans, Turnhout 1997, bes. S. 51-63. Vgl. schon MÜLLENHOFF, Deutsche Altertumskunde (wie Anm. 11), S. 473-491; dazu W. J. BECKERS, Vom germanischen Norden in seiner frühesten geschichtlichen Zeit: Wattenzone – Mentonomon – Abalos, in: Geographische Zeitschrift, 17 (1911), S. 665; Maximilian IHM, Art. Abalus, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft I,1 (1893), S. 13. Über die These, Abalus sei Helgoland, vgl. jetzt Heike GRAHN-HOEK, Heiliges Land – Helgoland und seine frühen Namen, in: Nomen et Fraternitas: Festschrift für Dieter Geuenich zum 65. Geburtstag, hg. v. Uwe LUDWIG, Berlin 2008, S. 451-490. Vgl. die ausführliche Diskussion dieser und ähnlicher (keltischer und nichtkeltischer) Ortsnamen bei Patrick SIMS-WILLIAMS, Ancient Celtic Place-Names in Europe and Asia Minor (Publications of the Philological Society 39), Oxford/Malden 2006, S. 28f. Zum keltischen Wort für Apfel und Apfelbaum (*abalo- und *abalna-) und seinen mythologischen Konnotationen vgl. Ranko MATASOVIĆ, Etymological Dictionary of Proto-Celtic, Leiden/Boston 2009, S. 23; Douglas Q. ADAMS, The Indo-European Word for ‘apple̕ again, in: Indogermanische Forschungen 90 (1985), S. 79-82; Heinrich ZIMMER, Bretonische Elemente in der Artursage des Gottfried von Monmouth, in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur

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schleswigischen Halligen heißen kurioserweise Habel und Appelland.55 Von anderen wohl realen, aber mit mythischem Flair umgebenen Inseln hören wir nur vereinzelt, z. B. von Phebol (Ps.-Aristot. mund. 3; der Name ist wohl koptisch „die außerhalb [gelegene]“), usw. Die Zahl solcher Inseln wäre natürlich leicht zu vermehren. Der Alexanderroman z. B. kennt eine numinose Insel, auf der eine Stimme Alexander seinen bevorstehenden Tod verkündet (Ps.Kallisthenes 2, 38, 2-4 Thiel); überhaupt bietet der Alexanderroman manches zur Sache, was wir hier in unserer kurzen Darstellung nicht besprechen können. Was mag es mit den Σατύρων νῆσοι vor der Küste des Sinai auf sich haben, deren primitive Bewohner Schwänze hätten (Claud. Ptolem. 7, 3, 2)?56 Oder was soll man von der Aussage des Pomponius Mela halten, auf der britischen Insel Sena (Sein) wirkten neun jungfräuliche Priesterinnen (genannt Gallizenae) an einem keltischen Orakel für Seeleute, die des Gestaltwandels mächtig seien und mit ihren Zaubersprüchen das Wetter und die Winde beeinflussen könnten? Auch Heilerinnen seien sie und könnten die Zukunft kundtun, aber nur denen, die absichtlich und mit Willen auf ihrer Insel gelandet seien (ob das heißen soll: die sie bezahlten?). Im gleichen Kontext (3, 45-58) spricht der Autor von zahlreichen Inseln mit einem Schwerpunkt auf Britannien: Erwartungsgemäß mischt sich Mythisches und Reales, wie im „Inselbuch“ (νησιωτική: 5, 1, 4) des Diodorus Siculus. Das religiöse Tabu verbiete es Apollonius von Rhodos 1, 919-921, mehr über Samothrake und seine geheimnisvollen Numina zu schreiben: Überhaupt liegt auch diese Insel mit ihren Mysterieneinweihungen am „Rand“ der griechischen Welt und bezieht daraus ihre Bedeutung. Bekannt ist die Sage, Delos sei einst eine schwimmende Insel gewesen, usw. Der Stoff zu „realen“ Inseln mit mythischen Konnotationen ist nahezu unbegrenzt. Ergänzend zu dieser ersten schlichten Typologie können wir die Beziehung zwischen Nähe und Distanz weiter ausdifferenzieren: Eine Insel kann vor der Haustür liegen wie (vom griechischen Festland her gesehen) Kreta, sie kann aus dem Blickwinkel des Erzählers etwas weiter entfernt, aber noch gut erreichbar sein wie Leuke, die Insel des Heros Achill, die man des nachts nicht besuchen darf, weil dann der Geist des Toten gewalttätig und heulend umherzieht und man seines Lebens nicht sicher ist, oder sie kann in kaum erreichbarer Ferne liegen wie die von Philosophen bewohnte Insel des Kronos bei Plutarch. Das Szenario der mythischen Inseln erlaubt also fließende Übergänge. Es stellen sich damit auch weitergehende Fragen ein. Gibt es so etwas wie

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12 (1890), S. 246-248. Die Literatur zu Avalon ist natürlich unüberschaubar und oft spekulativ-phantastischer Art. Ich nenne exemplarisch C. R. DAVEY BIGGS, Ictis and Avallon, London/Oxford 1933; Lionel SMITHETT LEWIS, St. Joseph of Arimathaea at Glastonbury, or, The Apostolic Church of Britain, 5. Aufl., London 1955; Geoffrey ASHE, Mythology of the British Isles, London 2002. Vgl. MÜLLENHOFF, Deutsche Altertumskunde 1 (wie Anm. 11), S. 484. Diskussion: Albert HERRMANN, Art. Σατύρων νῆσοι, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft II A/1 (1921), S. 223f.

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ein Fernweh, eine Sehnsucht nach Ferne in der Antike? Das ist eine interessante Frage. Bei aller Vorsicht gegenüber psychologisierenden Anachronismen würde ich sie für die Griechen doch bejahen wollen, die ja auch seit Herodot eine reiche ethnographische Literatur geschaffen haben, die sich vielfach mit Volkstümlichem berührt. Gerade an populären Texten wie dem Mirabilienbuch des Pseudo-Aristoteles57 kann man dieses Verlangen nicht einfach nur nach dem Exotischen, sondern konkreter nach dem fernen wunderbaren Ort gut wahrnehmen. Wie weit es verbreitet gewesen sein mag, können wir natürlich nicht eruieren. Wir wenden uns einer aussagekräftigen speziellen Episode zu, die wir in ihrem konkreten geschichtlichen Kontext genauer fassen können. Die vielleicht spannendste und jedenfalls unsere Imagination ungeheuer anregende Historie zu unserem Thema ist die Suche des römischen Feldherrn Quintus Sertorius (geb. 123 v. Chr., gest. 72 v. Chr.) nach den Inseln der Seligen. Sertorius entstammte einer Ritterfamilie aus Nursia im Land der Sabiner und hatte eine erfolgreiche militärische Karriere aufzuweisen. Unter Quintus Servilius Caepio und Gaius Marius hatte er sich gegen die Kimbern und Teutonen ausgezeichnet, war dann 97 v. Chr. Militärtribun in Spanien und 91 v. Chr. Quästor im Bundesgenossenkrieg geworden. Später überwarf er sich mit Sulla und wurde Anhänger des Marius. 83 v. Chr. war er als Prätor Statthalter in Spanien, von wo er zeitweise nach Mauretanien ausweichen musste. Die Lusitanier machten ihn zu ihrem militärischen Anführer im Ringen um Selbständigkeit. Sertorius konnte auf diesem Weg zeitweise eine Art Separatreich in Spanien aufbauen, das sich gegen Sullas Truppen verteidigte und formal nicht von Rom abhängig war; in gewisser Hinsicht nimmt er damit die Entwicklung der spätantiken Teilimperien vorweg. Dieses Sonderreich hatte gar einen eigenen Senat mit 300 Mitgliedern. 74 v. Chr. schloss er einen Vertrag mit Roms großem Gegner Mithridates von Pontus, mit dem sich allerlei apokalyptische Hoffnungen auf ein Ende der Römerherrschaft verbanden. 72 v. Chr. wurde Sertorius bei einem Gastmahl ermordet: Damit endete sein unabhängiges Reich, in dessen Struktur sich wie gesagt bereits Züge andeuteten, die erst in der Spätantike politisch fruchtbar werden sollten. Bei allen militärischen Erfolgen aber war Sertorius doch ein Romantiker und Mystiker. Eine weiße Hirschkuh, die ihn begleitete, galt als Zeichen seiner Verbindung mit den Göttern.58 Sertorius lässt auch z. B. das angebliche Grab des Riesen Antäus öffnen, dessen Skelett sechzig Ellen lang gewesen sei. Theodor Mommsen nannte diesen alten Soldaten, der gleichwohl voller Neugier und Sehn57 58

Text und Übersetzung: Aristotle XIV. Minor Works (Loeb Classic Library), hg. v. W. S. HETT, Cambridge 1955. Über Sertorius vgl. Karl CHRIST, Krise und Untergang der Römischen Republik, Darmstadt 2007, S. 233-240; Christoph F. KONRAD, Plutarch’s Sertorius. A Historical Commentary, Chapel Hill 1994; Karl Guido RIJKHOEK, Studien zu Sertorius, Bonn 1992 und die klassische Arbeit von Adolf SCHULTEN, Sertorius, Leipzig 1926. Für die Expedition in den mythischen Westen ist die wichtigste Quelle Plut. Sert. 8; vgl. Sall. hist. frg. 1, 61.

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sucht war, einst den größten Römer vor Cäsar, den vielseitigsten Staatsmann der Alten Welt.59 In diesen Kontext gehört nun auch seine Faszination angesichts der Sagen von den Glückseligen Inseln. Vielleicht ermüdet von seinen ständigen Kämpfen, will er sich zurückziehen und eine Art Altersruhesitz weitab vom Getümmel der Schlachten finden. Von Seeleuten aus Gadeira (Cadiz) hört er von zwei atlantischen Inseln, zehntausend Stadien von der afrikanischen Küste entfernt. Maßvoller Regen sorge für fruchtbare Felder und reiche Ernten. Das milde Klima erlaube ein sorgenfreies Leben der Bevölkerung. Selbst die Barbaren wären überzeugt, diese Inseln seien die elysischen Gefilde Homers und die glückseligen Inseln der alten Sage Hesiods. Die kilikischen Seeleute, mit denen er die Expedition unternehmen will, ziehen sich indes bald nach Nordafrika zurück, wo sie sich größere Gewinne erhoffen (Plut. Sert. 8, 2-9, 2). Es wird also nichts mit dem Ruhestand auf glücklichen Inseln (Plutarch schöpft seine Darstellung wohl weitgehend aus dem Geschichtswerk des Sallust). Man hat geraten, die zwei Inseln, die Sertorius aufsuchen wollte, seien Madeira und Porto Santo, oder bereits zwei der Kanarischen Inseln, auf welche die Beschreibung besser passt. Philipp Spann hat in diesem Sinn in einer neueren Studie an Lanzarote und Fuerteventura gedacht, die östlichsten der Kanaren.60 Iuba II. (ca. 50 v. Chr. - 23 n. Chr.)61, der gelehrte und bücherschreibende König von Mauretanien, hat in Fortsetzung solcher Ideen die Fortunatae Insulae der Sage mit den Kanaren gleichsetzt (FGrH 275 F 44), die er selbst bereist hatte. Er verwendete wohl auch zuerst den Namen Canaria, vielleicht nur für Gran Canaria; laut Plinius wegen der großen Hunde, von denen Iuba zwei mit in sein Königreich genommen hatte. Doch ist der Name wohl eher berberischen Ursprungs, zumal auch ein Stamm der Canarii begegnet. Die Identifikation der Fortunatae Insulae des Mythos mit den realen Kanaren wird auch von dem Paradoxographen Statius Sebosus bei Plinius und Pomponius Mela und dann vielen Späteren fortgeschrieben62, ohne jedoch das mythologische Interpretament für einen noch ferneren Ort völlig zu verdrängen. Nach Alexander v. Myndos (1. Jahrhundert n. Chr., Datierung unsicher) fliegen die Seelen der Seligen im Alter als Störche zu den Inseln der Seligen und leben dort weiter.63 Das mag ein poetisches Bild sein. Josephus behauptet kurioserweise, die Essener hätten von den Glückseligen Inseln gesprochen, wohin die Seelen der Tugendsamen nach ihrem Tode zögen (bell. Iud. 2, 59 60

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Theodor MOMMSEN, Römische Geschichte 3, 13. Aufl., Berlin 1922, S. 20, 37. Philipp O. SPANN, Quintus Sertorius and the Legacy of Sulla, Fayetteville 1987, S. 50. Die Purpurinseln des Plinius waren aber wohl auch die Kanaren und nicht Madeira: Richard HENNIG, Terrae incognitae 1, Leiden 1944, S. 45. Vgl. Duane W. ROLLER, The World of Juba II and Kleopatra Selene, London/New York 2003. Plin. nat. 6, 199-205 (fasst das Wissen seiner Zeit zusammen) und Pomp. Mela 3, 102; vgl. FISCHER, Art. Fortunatae Insulae 1 (wie Anm. 21); Adolf SCHULTEN, Art. Μακάρων νῆσοι, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft 14,1 (1928=1974), S. 628-632; VON MÖLLENDORFF, Wahrheit (wie Anm. 41) S. 282-391. Ael. nat. 3, 23.

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155f.; vgl. Hipp. ref. 9, 27); man sieht hier sehr schön, wie das Motiv zwischen den Religionen hin- und herwandern konnte (bei Josephus ist das natürlich Interpretatio Graeca für eine jüdische Jenseitshoffnung). Eine solche Gleichsetzung mit einem Jenseits für die Tugendsamen ist sozusagen das Gegenteil der Heranziehung an die geographische Realität bei Iuba. Beides kann aber sehr gut koexistieren. Auch der jüdische Autor Philon kennt Geschichten von auf- und untergehenden Inseln und den platonischen Atlantisstoff (de opif. mund. 120-122. 140f., mit Timaioszitat), den er wie viele christliche Autoren (Tert. apol. 40, 3f.; Arnob., adv. gent. 1, 5) für ganz historisch hält. Es sind gerade die Glückseligen Inseln, die sich in einem solchen Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz bewegen. In jedem Fall werden sie jenseits der Säulen des Herakles imaginiert. Diese gehen auf die „Säulen des Himmels“ (so Hdt. 4, 184) am Atlasgebirge zurück, die vielleicht aus berberischer Mythologie übernommen sind; später wurden sie mit verschiedenen geographischen Gegebenheiten identifiziert. Herakles ist dabei auch Interpretation des tyrischen Gottes Melqart, dem die Meerenge ursprünglich geweiht war. Den Berbern selbst ist das Atlasgebirge heilig, ja eine Gottheit, und sein Betreten war verboten (Max. Tyr. diss. 8, 7; ausführlich zur numinosen Scheu vor dem Atlas auch Plin. nat. 1, 1, 6).64 Die Säulen des Herakles waren im punischen Kontext wohl Säulen des Melqart, obwohl wir darüber nicht viel wissen. Avienus beschreibt sie ausführlich (Ora. marit. 341-416), angeblich nach phönizisch-punischen Annalen (412-416: Himilco, was wohl Fiktion sein dürfte65), wie vor ihm andere. Symboliken des Meeres verbinden sich mit jenen des „Westens“, wo die Sonne untergeht und also der Eingang zum Totenreich ist, wie auch in der ägyptischen Mythologie.66 Diese Faszination des „Westens“ hat offenbar auch Apollonius von Tyana gespürt, der nach Philostrat im 1. Jahrhundert n. Chr. eine Reise zu den Säulen des Herakles, d. h. 64

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Vgl. Werner VYCICHL, Die Mythologie der Berber, in: Wörterbuch der Mythologie Bd. 2. Götter und Mythen im alten Europa, hg. v. Hans Wilhelm HAUSSIG, Stuttgart 1973, S. 553703, hier S. 608f.; vgl. l. c. S. 693f. über den Kult einer „Weltsäule“ auf der Insel La Palma, deren durch Opfer verhindertes Zusammenbrechen einen apokalyptischen Weltuntergang mit sich brächte. Zur Symbolik der Säulen vgl. noch Richard HENNIG, Zum Verständnis des Begriffs „Säulen“ in der antiken Geographie, in: Petermanns geographische Mitteilungen 73 (1927), S. 80-87; Albert HERRMANN, Atlantis, Tartessos und die Säulen des Herakles, in: Petermanns geographische Mitteilungen 73 (1927), S. 288. Vgl. die heiligen Pergamente, die man in den Ruinen Karthagos finden könne: Plut. de fac. 26, 942C. Über das westliche Totenland in ägyptischer Tradition (das aber nicht als Insel gedacht ist) vgl. Wolfgang HELCK, Art. Westen, in: Lexikon der Ägyptologie 6 (1986), S. 1235 (mit Verweisen); Jean LECLANT, Art. Earugefilde, in: ebd. 1 (1975), S. 1156-1160 (dort S. 1158 auch zu eher spielerischen geographischen Identifikationen dieser „Binsengefilde“, des Jenseits der ägyptischen Bauern, von dem seit dem Mittleren Reich auch Karten gezeichnet wurden). Das „Westland“ ist aber nur eine unter zahlreichen ägyptischen Jenseitsvorstellungen: Ursula RÖSSLER-KÖHLER, Art. Jenseitsvorstellungen, in: ebd. 3 (1980), S. 252-287. Der „Westen“ (ägypt. jmnt „rechts, rechte Himmelsrichtung“) wird in der Göttin Amentet personifiziert. Vgl. auch die entsprechenden Beiträge bei Hans BONNET, Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte, 3. Aufl., Berlin 2000, S. 161f., 341-355, 867 (verschiedene Autoren).

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nach Gades unternommen habe, dessen Bewohner sich durch ihre Liebe zu Weisheit und Religion besonders auszeichneten, und an deren Gestade man die Gezeiten des Ozeans beobachten könne (v. Ap. 4, 47-5, 10). Auch das ist zwar romanhaft erzählt, aber darum nicht weniger charakteristisch, und hält sich auch in späteren Zeiten. In den „Westen“ zum Ozean kehren die beiden „dämonischen“ (göttlichen) Erzieher der Philosophin Sosipatra zurück (Eun. vit. phil. 6, 6, 5-7, 11), die man als eine Art theurgische Engel sehen kann (der Text ist eine neuplatonische Vitensammlung der Zeit um 400 n. Chr.).67 Doch ist die genannte „westliche“ nicht die einzige Gleichsetzung glückseliger Inseln. Nach Hdt. 3, 26 liegen die Inseln der Seligen in einer Oase in Libyen, also mitten in der Wüste, was uns überraschen mag. Manche wollten hier auch Scherie finden (Olympiodor nach Photios bibl. 80, 61A unter Berufung auf einen Autor Herodorus, den wir nicht weiter datieren können).68 Der Ort sei von sagenhafter Fruchtbarkeit, und Epileptiker würde dort von ihrer Krankheit geheilt. Die eigenartige Doppelung der Inseln der Seligen, die sich mit dieser Tradition ergab, fiel natürlich schon in der Antike auf (z. B. Philost. v. Ap. 5, 3). Vom Charakter der Projektion her verwandt sind sicher die εὐδαίµονες νῆσοι, von denen Agatharchides in einem Fragment gesprochen hatte (de mari Erythraeo Frg. 103 GGM 1, 190f.), das vielleicht seinerseits auf den Periplus des Ariston zurückgeht.69 Sie liegen im Indischen Ozean, nicht zu weit vom Hafen Patala und der Indusmündung entfernt und waren von Indern, Arabern und Griechen bewohnt. Die Forschung hat dies dennoch mit Soqotra zusammengebracht, dem alten Zwischenhafen zwischen Indien und Arabien.70 Wir kommen damit in den Raum der Panchaia des Euhemeros, und der utopischen Insel des Iambulos. Wie weit reale Kenntnisse gereicht haben mögen, ist schwer zu sagen: Die utopische Insel des Iambulos wurde von Hermann von Wissmann gar auf Madagaskar gedeutet.71 Heute ist es um solche zuversichtli-

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Neue Übersetzung mit Kommentar: Matthias BECKER, Eunapius aus Sardes. Biographien über Philosophen und Sophisten. Einleitung, Übersetzung, Kommentar (Roma Aeterna 1), Stuttgart 2013, S. 96-98, 288-305 (302f. zur Symbolik des Westens). In dt. Übersetzung bei Karl DIETERICH, Byzantinische Quellen zur Länder- und Völkerkunde (5.-15. Jhdt.), Leipzig 1912 (Reprint Hildesheim/New York 1973), hier Bd. 1, S. 70f. Vgl. Peter M. FRASER, Ptolemaic Alexandria 2, Oxford 1972, S. 300, Anm. 35; Stanley M. BURSTEIN (ed.), Agatharchides of Cnidus On the Erythraean Sea, London 1989, S. 31, neben anderen Vermutungen über die Quellen von Agatharchidesʼ fünftem Buch. Vgl. Jaroslav TKÁC, Εὐδαίµονες νῆσοι, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft VI, 1 (1907), S. 891f. (behandelt nur die von Agatharchides unter diesem Namen beschriebenen Inseln gegenüber der Südküste Arabiens; diese seien Soqotra und einige kleinere Nachbarinseln). Auch BURSTEIN will mit Soqotra identifizieren (S. 169; bei ihm Fragment 105a). Zu Soqotra vgl. allgemein Zoltán BIEDERMANN, Soqotra: Geschichte einer christlichen Insel im Indischen Ozean vom Altertum bis zur frühen Neuzeit, Wiesbaden 2006. Noch bei Marco Polo ist Soqotra eine Insel der Zauberer. Hermann VON WISSMANN, Die Südgrenze der Terra Cognita von Juba und Plinius bis Ptolemäus, in: Geographische Forschungen. Festschrift für Hans Kinzl, hg. v. Herbert PASCHINGER (Schlern Schriften 190), Innsbruck 1958, S. 311-325, hier S. 322f.

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chen Identifikationen eher stiller geworden. Auch Kreta kann bis in die Spätzeit „Macaronnesos“ genannt werden (Isid. etym. 14, 6, 15). Inseln der Seligen, Toteninseln und utopische Inseln verbinden chthonische und paradiesische Motive, aber auch die Idee eines geographischen „Randes“ bzw. seiner Überschreitung.72 Diese Motive können auch ganz verblasst und abgeschwächt auftreten. Sie bilden aber doch ein zusammenhängendes Symbolfeld der Insel. Eine antike zusammenfassende Kompilation des ganzen Motivfeldes „legendäre bzw. mythische Inseln“ bietet dann in frühaugusteischer Zeit Diodorus Siculus in seinem fünften Buch. Unser Gefühl, dass die verschiedenen Typen mythischer Inseln sachlich zusammengehören, ist also nicht erst modern. Charakteristisch ist in seiner Darstellung (die aus den verschiedensten Quellen schöpft) gerade das Ineinander „realer“ und „mythischer“ Orte. Seit ältester Zeit wird dabei das Motiv der µακάρων νῆσοι in den sich entwickelnden Mysterien- und Jenseitsglauben einbezogen, so dass die geographische Ferne zugleich Symbol für die Distanz zwischen Lebenden und seligen Toten ist. Auch die imaginative Welt des Alexanderromans mit seinen Bildern exotischer Länder ist nicht fern. Man hat in der frühen Forschung vermutet, der ganze Ideenkomplex gehe auf die Phönizier und andere vorgriechische Seefahrer zurück, deren Fahrten in das westliche Mittelmeer und in den Atlantik bis in die vorliterarische Zeit Griechenlands zurückreiche. Aber wirkliche Beweise dafür besitzen wir kaum. Wesentliche Aspekte des „Inselkomplexes“ können wir nicht wirklich in dieser Häufung über die griechische Imagination hinaus zurückverfolgen, wenn die Einzelmotive auch ausnahmslos Parallelen haben. Wir betrachten einige ausgewählte Details, um danach in einem letzten Schritt noch einige wenige zeitliche Linien über die klassische Antike hinaus zu ziehen. Dazu wenden wir uns noch einmal zum schlafenden Urzeitgott Kronos des Plutarch zurück, der von seinen ehemaligen Dienern beschützt, aber auch von einem anderen Titanen als eine Art Gefängniswärter bewacht wird und dessen Hauptfessel der von Zeus über ihn verhängte Schlaf ist. Ob dieses Motiv volkstümlich und älter ist oder eine künstliche Allegorie darstellt? Jedenfalls ist es sehr eigentümlich. Was wäre aber dann das Erwachen des Kronos? Eine Wiederkehr der goldenen Zeit, ein im 1. Jahrhundert nicht nur bei Augustus ungeheuer beliebter Gedanke? Oder steht hier volkstümlich eigentlich etwas genau Entgegengesetzes im Hintergrund (und wird dann von Plutarch radikal in sein Gegenteil uminterpretiert), nämlich das „Erwachen bzw. die Befreiung des gefesselten riesenhaften Unholds“, welches die Welt in äußerste Gefahr bringt? Axel Olrik hat dieses verbreitete Stück apokalyptischer Mythologie ausführlich beschrieben73, das wir in der Bibel noch in Ge72 73

Vgl. James S. ROMM, The Edges of the Earth in Ancient Thought: Geography, Exploration, and Fiction, Princeton 1992. Axel OLRIK, Ragnarök. Die Sagen vom Weltuntergang, Berlin/Leipzig 1922, S. 80-97, 133326 u. ö. Die ältere Forschung hat den schlafenden Kronos gerne mit nordeuropäischen Stof-

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stalt des gefesselten Teufels und seiner Befreiung und schließlichen Vernichtung vor dem Weltende kennen (Apk 20, 2f.). Kronos ist ja doch ein Titan, und wir wissen nicht, für welches z. B. keltische Numen er stehen könnte. Er wird in der griechischen Tradition, wie bereits angesprochen, vielfach mit den Glückseligen Inseln des Westens verbunden, hat aber im Westen des Imperiums (allerdings eher in Spanien als in Britannien) auch einen eigenen alten Kult (meist als Saturn), der auf seiner Gleichsetzung mit punischen (und vielleicht anderen) Gottheiten wie Baal Hammon beruht (Kronostempel in Gadeira: Strab. 3, 5, 3 vgl. Avienus ora. marit. 164-171. 215-221 u. ö.).74 Die Nähe des „Fernen“ zum Monströsen stellte sich in der Imagination auch sonst rasch ein: So fabelten jüdische Autoren, der Ozean sei deshalb von Gott geschaffen, um die monströsen Wesen, die da „außerhalb“ hausen, von der Welt der Menschen fernzuhalten (Ps.-Philon de Iona 172-173; wohl 1. Jahrhundert n. Chr., nur armenisch erhalten).75 Auch Josephus ist intensiv durch das Thema bewegt (bell. iud. 2, 155f. 363). Im Hintergrund steht allgemein die verbreitete Idee, die bewohnte Oikumene sei nur als Insel im gewaltigen Weltmeer zu verstehen (Ps.-Arist. mund. 392b; Strab. 1, 1, 8; Phil. legat. ad Gaium 10). Wichtig ist die Berührung des Spekulativ-Phantastischen mit der realen Horizonterweiterung durch römische Schiffsreisen auf dem Atlantik (eventuell bis Madeira76, in jedem Fall einschließlich der Kanaren). Ähnlich den Fortunatae Insulae wurden auch die legendären Zinninseln des Westens, die Kassiteriden, mit mancherlei realen Örtlichkeiten identifiziert, wie wir bereits gesehen haben, und gerade in der frühen Kaiserzeit hören wir wieder öfters von ihnen, obwohl niemand präzise zu sagen weiß, wo sie eigentlich lie-

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fen verglichen, die Plutarch über Poseidonios erreicht hätten. Das ist sehr spekulativ. Zur Ikonographie vgl. noch Reinhold MERKELBACH, Mithras, Königstein/Ts. 1984, S. 98f. Zum Kronos-Saturn-Kult in Nordwestafrika, Spanien und überhaupt im Westen vgl. Marcel LEGLAY, Saturne Africain, Paris 1961-1966; Michael BLECH, Saturn in Hispanien, in: Madrider Mitteilungen 19 (1978), S. 238-250; Ahmed FERJAOUI, Le sanctuaire de Henchir elHami: de Ba̕ al Hammon au Saturne africain, Tunis 2007 und auch die klassische Darstellung bei Franz Karl MOVERS, Die Phönizier C (=Band 2 Teil 2), Berlin 1850 (Nachdruck Aalen 1967), S. 649-651 (dem bereits auffiel, dass sich der Kronoskult an Vorgebirgen und auf Inseln konzentrierte). Ein Saturnus Balcaranensis (baal qarnaim „Herr der zwei Hörner“) wurde bei Karthago verehrt. Zu Kronos/Saturn als „exiliertem Gott“ vgl. Tomislav BILIC, Locations of Mythical Exile: Two Mythical Models Accounting for the Phenomenon of the Diurnal Solar Movement, in: Mnemosyne 66,2 (2013), S. 247-272 (astronomische Deutung). Übersetzung bei: Folker SIEGERT, Drei hellenistisch-jüdische Predigten (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 20), Tübingen 1980, S. 40. Eine römische Präsenz auf den Azoren ist nicht nachgewiesen und wird durch einzelne angebliche Münzfunde jedenfalls nicht erwiesen. Plinius nat hist. 6, 203 kennt nach Iuba Purpurinseln, die in ihrer Lokalisierung noch westlich der Kanaren auf die Azoren zielen könnten, aber sonst in antiken Quellen nicht erwähnt werden. Vgl. Hans TREIDLER, Art. Purpurariae insulae, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft XXIII, 2 (1959), S. 2020-2028 (der an die Mogador, heute Essaouira, vorgelagerte Insel denkt und das viel weiter im Atlantik gelegene Madeira dagegen mit Iunonia Plin. nat. hist. 6, 204; Claud. Ptolem. 4, 6, 14 identifizieren will).

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gen.77 Die Lokalisierung von Sagenräumen kann hin und her wandern, wie das mit der Odyssee und dem deutschen Nibelungenkreis geschah und wie es klassisch etwa schon im 19. Jahrhundert Karl Müllenhoff in der „Deutschen Altertumskunde“ beschrieben hat.78 Wenden wir uns einem weiteren speziellen Fall zu, der Toteninsel Brittia, von der Prokop im 6. Jahrhundert in seinem Gotenkrieg erzählt. Prokop schreibt: „Die Insel Brittia liegt in diesem Ozean, vom Festlande nicht weit entfernt, sondern etwa 200 Stadien gegenüber den Rheinmündungen, und zwar liegt sie zwischen Britannien und Thule. Britannien liegt nämlich nach Westen zu in der Richtung auf das äußerste Ende von Spanien, und ist nicht weniger als 4000 Stadien vom Festlande entfernt, Brittia aber dem hinteren Teile von Gallien gegenüber, welcher dem Meere zugewandt ist, also in nördlicher Richtung von Spanien und Britannien. Thule liegt, soweit Menschen davon Kunde haben, in dem äußersten Teile des nördlichen Ozeans. Doch über Britannien und Thule habe ich schon in den früheren Büchern gesprochen; die Insel Brittia haben drei sehr volkreiche Stämme inne, an deren Spitze je ein König steht. Diese Stämme haben den Namen Angeln, Friesen und der mit der Insel gleichnamigen Britten. So stark scheint die Kopfzahl dieser Stämme zu sein, daß jedes Jahr von dort viele mit Weib und Kind auswandern und zu den Franken übersiedeln. Diese machen sie in demjenigen Teil ihres Landes ansässig, der am meisten verödet zu sein scheint, und davon glauben sie ein Anrecht auf die Insel zu haben. […] Diese Inselbewohner sind von allen Barbaren, die wir kennen, die stärksten. Sie kämpfen zu Fuß, nicht als ob sie bloß nicht zu reiten verständen, sondern sie wissen überhaupt nicht, was ein Pferd ist; denn auf der Insel ist es nicht einmal in Abbildungen zu sehen. Denn dieses Tier scheint auf Brittia überhaupt nicht vorzukommen. Wenn nun einige von ihnen als Gesandte oder in irgend einer anderen Eigenschaft zu den Römern, den Franken oder zu einem anderen Volke kommen, das Pferde hält, und dort sich gezwungen sehen, zu Pferde zu steigen, so können sie nicht selbst hinaufkommen, sondern andere müssen sie auf die Pferde hinaufheben, und wenn sie absteigen wollen, sie wieder hinunter auf die Erde setzen. Die Warnen sind ebenfalls nicht beritten, sondern immer zu Fuß. So sind diese Barbaren beschaffen. Rudersklaven gab es auf dieser Flotte nicht, sondern alle ruderten selbst. Auch Segel kennen diese Insulaner nicht, sondern sie gehen nur mit Rudern in See.“ […] „Auf dieser Insel Brittia hat man einst eine lange Mauer erbaut, die einen großen Teil von ihr abschneidet. Zu beiden Seiten der Mauer sind nun Luft, Land und alles andere nicht von gleicher Art: in dem Teil östlich der Mauer herrscht ein gesundes Klima, das mit den Jahreszeiten wechselt; im Sommer ist es warm, im Winter kalt. Viele Menschen wohnen dort, die genau so leben wie alle anderen, die Bäume blühen und lassen die Früchte zu rechter Zeit reifen, die Saaten gedeihen in einer Weise, die denen anderer Länder nichts nachgibt, aber auch auf seine Gewässer kann das Land beständig mit Stolz blicken. Auf der westlichen 77

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Vgl. aus einer Fülle von Literatur nach wie vor wohltuend zurückhaltend Francis J. HAVERFIELD, Art. Kassiterides, in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft X/2 (1919=1984), S. 2328-2332. MÜLLENHOFF, Deutsche Altertumskunde 1 (wie Anm. 11), zusammenfassend S. 58.

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Seite ist alles ganz anders: hier kann ein Mensch nicht eine halbe Stunde lang leben, denn Nattern und Schlangen ohne Zahl und allerlei andere Tierarten haben sich jenen Ort zum Aufenthalt erwählt. Und was das Sonderbarste ist, die Eingeborenen erzählen, wenn jemand sich auf die andere Seite der Mauer begebe, müsse er augenblicklich sterben, weil er die dort wehenden Fieberlüfte nicht ertragen könne, und auch die wilden Tiere, die dorthin kommen, ereilt sofort der Tod. Da ich einmal hierauf gekommen bin, muß noch einer fabelhaften Erzählung gedacht werden, die mir zwar weder besonders glaubhaft erscheint – obwohl sie beständig von unzähligen Leuten berichtet wird, die teils Augen-, teils Ohrenzeugen davon gewesen zu sein versichern –, die aber doch nicht völlig übergangen werden darf, damit ich mir nicht auf immer den Vorwurf zuziehe, bei der Aufzeichnung der Verhältnisse auf Brittia Unkenntnis der dortigen Begebenheiten zu verraten. An diesen Ort soll man immer die Seelen der Abgeschiedenen bringen. Wie das geschieht, werde ich gleich angeben, da ich es oft von den Eingeborenen in vollem Ernste habe versichern hören, und da ich der Meinung bin, daß das Gefabel sich auf einen traumartigen Zustand bezieht. An der Küste des Ozeans liegen gegenüber von der Insel Brittia zahlreiche Dörfer. Diese werden von Leuten bewohnt, die Fischerei, Ackerbau und Seehandel nach dieser Insel treiben; obwohl im übrigen Untertanen der Franken, leisten sie dennoch niemals eine Tributzahlung, weil ihnen von alter Zeit her diese Last abgenommen worden ist wegen einer Dienstleistung, wie es heißt, von der ich jetzt sprechen werde. Die Eingeborenen sagen, daß ihnen das Geleit der Seelen abwechselnd obliege. Alle nun, die sich zu dieser Verrichtung in der bevorstehenden Nacht, je nachdem die Reihe an ihnen ist, begeben müssen, gehen, sobald es dunkel wird, in ihr Haus, legen sich schlafen und erwarten den Anführer des Zuges. Vor Mitternacht vernehmen sie ein Rütteln an den Türen und die Stimme eines Unsichtbaren, der sie zu dem Werke zusammenruft. Sie erheben sich nun unverzüglich vom Lager und gehen an die Küste, ohne zu merken, welche Notwendigkeit sie dazu treibt, aber doch von einem bestimmten Zwange getrieben. Hier sehen sie Nachen zur Fahrt bereit liegen, aber ohne jede Bemannung; es sind jedoch nicht ihre eigenen, sondern fremde; sie besteigen sie und setzen sich an die Ruder. Sie fühlen nun, wie die Boote von der Menge der Insassen belastet werden, so daß sie bis zum äußersten Rande der Planken und bis zu den Ruderpflöcken im Wasser liegen und nur einen Finger breit aus dem Wasser hervorragen, sie können aber niemand erblicken, vielmehr rudern sie nur eine Stunde lang und landen dann auf Brittia. Und doch brauchen sie, wenn sie mit ihren eigenen Nachen in See gehen, und zwar ohne zu segeln, sondern nur rudernd, mindestens eine Nacht und einen Tag, um hinüberzufahren. An der Insel gelandet, entledigen sich die Boote ihrer Last und fahren gleich wieder ab, wobei ihre Boote plötzlich leicht werden, sich aus dem Wasser erheben und nicht weiter hineinreichen als bis zum Kiel. Dabei sehen sie keinen Menschen, weder einen, der mit ihnen gefahren ist, noch einen, der aus dem Schiffe aussteigt; sie sollen nur eine Stimme hören, die denen, die sie vernehmen, jeden Einzelnen der Mitgefahrenen beim Namen zu nennen scheint, ihr früheren Würden bezeichnet und sie beim Vaternamen ruft. Und wenn auch Frauen mit ihnen zusammen hinübergefahren sind, sprechen diese die Namen der Männer aus, mit denen sie zusammen gelebt haben.“79

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Prok. BG. 4, 20 p. 590, 7-600, 2 (Ausschnitte), Übersetzung von DIETERICH, Byzantinische

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Soweit der byzantinische Historiker. Nicht weiter erklärungsbedürftig ist, dass Prokop nur unklare Vorstellungen der Geographie hat. Das muss nicht verwundern. Auch der wenig spätere Isidor, der in Spanien schreibt, hält ja in seinem langen Inselkapitel (etym. 14, 6) Scotia noch für eine gegenüber Britannia eigenständige Insel. Brittia kennt er nicht; Prokops Bericht wird erst bei Ioannis Tzetzes im 12. Jahrhundert rezipiert (ad Lycoph. 1204), der ihn mit mancherlei anderen Stoffen zusammenbringt. Claudian (gest. nach 404 n. Chr.) weiß von einer gallischen Küstenregion (Rufin. 1, 123-133), an der die Gespenster der Verstorbenen herumhuschen und manchmal von den Lebenden gesehen werden können. Auch zu Brittia hat es an Identifikationsversuchen nicht gefehlt, die oft mit großer Selbstsicherheit vorgetragen wurden: England, Island, Dänemark und andere.80 M. E. ist schon die Identifikation Prokops mit einer realen Insel vor der Küste Belgiens eine solche sekundäre Interpretation: Denn die Toteninsel ist doch wohl ursprünglich kein realer Ort. Auch die Fährmänner zum Totenreich sind im allgemeinen Gestalten des Mythos81: Das Oszillieren der „Wirklichkeiten“ macht gerade den Reiz der Geschichte aus. Prokops These, die nächtliche Überfahrt geschehe in einem traumartigen, visionären Zustand, hat dazu geführt, den Text in einer angeblichen schamanistischen Tradition verorten zu wollen.82 Ludwig Radermacher und andere haben Brittia mit Britannien identifiziert, obwohl Prokop dieses mit seinem eigentli-

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Quellen zur Länder- und Völkerkunde (wie Anm. 68), hier Bd. 2, S. 120-122. RADERMACHER, Das Jenseits im Mythos der Hellenen (wie Anm. 22), S. 5f. Der große Sammler antiker keltischer Sprachzeugnisse, Alfred HOLDER, Altceltischer Sprachschatz, 3 Bde., Leipzig 1896-1907 (Nachdruck Graz 1962) zitiert Prokops Text Bd. 1, S. 603f.; Bd. 3, S. 970 vertritt er dazu dann die These, Brittia sei Großbritannien (nicht z. B. Jütland). So auch viele andere, z. B. DIETERICH, Byzantinische Quellen zur Länder- und Völkerkunde, (wie Anm. 68), S. 165 z. St.; Jakob GRIMM, Deutsche Mythologie, Berlin 1875-1878 (Reprint Graz 1968), hier Bd. 2, S. 694f.; Heinrich BECK, Art. Bootgrab, in: Reallexikon der germanischen Altertumskunde 2, Berlin 1978, S. 285; vgl. auch Percy N. URE, Justinian and His Age, Harmondsworth 1951, S. 246-248. Auf die Beziehungen zur bretonischen Sage hat schon Grimm aufmerksam gemacht. Nach dem bretonischen Volkskundler Villemarqué (den Grimm referiert) gibt es nahe Raz, Armorica eine Bucht mit dem Namen „baie des âmes“ bzw. „boé ann anavo“ (Bucht der Seelen). Grimm hatte auch auf einen Fluss Treguier aufmerksam gemacht (bei dem Dorf Plouguel), wo die Toten einen langen Weg mit dem Boot zum Friedhof gebracht werden, obwohl es einen kürzeren Landweg gibt. Nach der Beerdigung reisten die Seelen mit einem luftigen Wagen nach Großbritannien; den knarrenden Geisterwagen könne man gut in der Luft hören. Grimm hat über diesen Stoff hinaus passend die zahlreichen Flüsse verglichen, die Diesseits und Jenseits trennen. Gegen die Identifikation Brittia-Britannien z. B. Forschungen zur Thidrekssaga 3, Die Wilkinensage, hg. v. Thidrekssaga-Forum e. V., Bonn 2006, S. 45f. (extrem spekulativ: Vetera, heute Birten am Rhein); vgl. noch A. R. BURN, Prokop and the Island of Ghosts (“Brittia”, Britain), in: The English Historical Review 70 (1955), S. 258-261. Zum Motiv des Totensteuermanns vgl. Otto WASER, Charon, in: Archiv für Religionswissenschaft 1 (1898), S. 152-182 (der S. 156 auch die Brittia-Sage heranzieht). Vgl. Carlo GINZBURG, Hexensabbat: Entzifferung einer nächtlichen Geschichte, Berlin 1990, S. 127-129 (vgl. zu diesem Buch insgesamt meine kritische Rezension in: Blätter für pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 61 [1994], S. 347-349, auch EbernburgHefte 28 [1994], S. 115-117).

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chen Namen (Bretannía) mehrfach erwähnt.83 In einem tieferen mythologischen Sinn, der in ältere Zeit zurückreicht, mag es sein, dass Radermacher für eine bestimmte Überlieferungsstufe Recht hatte, und dass ursprünglich, viele Jahrhunderte vor Prokop, vom Festland aus gesehen, Britannien die Totenund Seeleninsel war. Aber das gilt doch wohl sicher nicht mehr in byzantinischer Zeit? Radermacher führt die Sage von Brittia an, um zu zeigen, dass es eine altertümliche Idee des Jenseits gegeben habe, nach dem dieses einfach eine Fortsetzung des Diesseits ist, allenfalls in einem etwas traumhaften Zustande.84 Der Name der Insel Brittia hängt dabei wohl weitläufig mit dem Wortfeld Brettania, Britannie, Bretones usw. zusammen, wobei vielleicht zwei oder noch mehr Vokabeln zusammengefallen sind bzw. sich gegenseitig semantisch beeinflusst haben (auf bretonisch heißt die Bretagne breizh, was lautgesetzlich noch näher mit Brittia zusammenhängt).85 Die Details sind leider nicht ganz durchsichtig. Jan de Vries und Kuno Meyer haben auf keltische Toteninseln im Südwesten Irlands hingewiesen, welche (obwohl völlig real) in der Volkssage als Aufenthaltsorte der Seelen galten, so Tech Duinn, ein der Insel Dursey vorgelagertes Eiland.86 Auch Malta zwischen Italien und Nordafrika war vermutlich in sehr früher Zeit eine symbolische Toteninsel, worauf die zahlreichen chthonisch konnotierten spätneolithischen bzw. megalithischen Monumente hinweisen könnten. In jedem Fall haben wir in der BrittiaÜberlieferung einen der erstaunlichsten Stoffe einer Insel zwischen Mythos, Sage und geographischer Wirklichkeit. Das Jenseits ist in den alten Mythologien vielfach vor allem räumlich vom Diesseits getrennt: Daher bedarf es eines langen Weges, es zu erreichen. Lebende können es nur selten betreten, sind aber nicht gerne gesehen, und müssen besondere Taburegeln beachten, z. B. dürfen sie dort keinesfalls etwas es83

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Darauf hat u. a. Elmar SEEBOLD, Die Friesen im Zeugnis antiker und spätantiker Autoren, in: Handbuch des Friesischen/Handbook of Frisian Studies, hg. v. Horst HAIDER MUNSKE, Tübingen 2001, S. 479-487, hier S. 484 hingewiesen. Prokop habe Irland mit Großbritannien verwechselt oder verschiedenartige Quellen zusammengefügt, die einen unterschiedlichen Sprachgebrauch gehabt hätten. RADERMACHER, Das Jenseits im Mythos der Hellenen (wie Anm. 22), S. 40-77. Vgl. schon Thomas RICE HOLMES, Ancient Britain and the Invasion of Julius Caesar, Oxford 1907, S. 459-461 Exkurs „The Names ΠΡEΤΑΝΙΚΑΙ ΝΗΣΟΙ, BRITANNI and BRITANNI“ und reiche weitere Literatur. Die irische Form Cru(i)then-túath „Piktenvolk“ führt auf älteres *kwriteno-teutā, das walisische Prydein auf älteres *kwritanī. Die Verbalwurzel *kwṛ- „machen“ bildet ein Substantiv *kwṛ-tu- „shape, appearance“, das über eine protokeltisches *kwritu- zu altirisch cruth und walisisch pryd führt. Vgl. zu *kwritu „magical transformation, shape“ jetzt Ranko MATASOVIĆ, Etymological Dictionary of Proto-Celtic, Leiden/Boston 2009, S. 182; Edward A. THOMPSON, Procopius on Brittia and Britannia, in: Classical Quarterly 30 (1980), S. 498-507 rechnet mit einer Verwechslung bei Prokop: Natürlich seien Brittia und Britannien identisch. Jan DE VRIES, Keltische Religion, (Die Religionen der Menschheit 18), Stuttgart 1961, S. 257f.; Kuno MEYER, Der irische Totengott und die Toteninsel (Sitzungsberichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften 1919), Berlin 1919, S. 537-546.

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sen, sonst ist ihnen eine Rückkehr unmöglich.87 Elfenhafte Anderswelt (Faëry), Jenseits und utopische Gegengesellschaft sind daher Welten, die sich vielfach berühren und überschneiden (ohne zu verschmelzen!), eine für unser Verstehen dieser Vorstellungen zentrale Beobachtung. Schon in der Odyssee ist das Jenseits vom Diesseits durch ein Wasser getrennt. In vielen europäischen Lokalsagen ist es ähnlich. Noch bei J. R. R. Tolkien („The Lord of the Rings“, 1954f.) können daher ganz im Geiste der alten Sage die Totengeister der Nazgûl den Fluss Bruinen nicht einfach überqueren wie die Menschen. Am Übergang zwischen paganer Welt und Christentum88 fällt für die Spätantike auf, dass die älteren Bilder der Ferne und des Jenseits nicht etwa verschwinden, sondern sozusagen überzeichnet werden von spezifisch christlichen Inhalten. Isidor von Sevilla hat am Ende der Antike in seinem Handbuch des tradierten Wissens ein langes Inselkapitel, in dem auch die Fortunatae Insulae und die Hesperiden zur Sprache kommen, aber nun als ganz reale Orte im atlantischen Ozean (etym. 14, 6; s. o.). Es sei nur ein Missverständnis der Heiden, das aus ihnen paradiesische Orte gemacht habe: Sie seien einfach warm, fruchtbar und menschenfreundlich. Hier kündigt sich bereits das Bild des tropischen „Paradies“-Eilandes an, welches die bürgerlichen Aussteigerfantasien nicht erst seit dem frühen 20. Jahrhundert beschäftigt hat. Dass Isidor diese Orte nicht als fiktional sehen kann, hängt bereits mit dem bekannten mittelalterlichen Schwinden des Fiktionalitätsdiskurses zusammen; auch die Figuren der griechischen Heldensage gelten im Mittelalter ja als reale historische Personen.89 Er muss die mythischen Inseln der Heiden also so entmythisieren, dass aus ihnen freundliche Tropeninseln werden. Deutlich geworden ist auch das Phänomen, dass sich mythische Lokalitäten verschieben, wenn sich der geographische Horizont weitet. Das gleiche gilt ja für poetische Metaphern: Hesperia ist erst Italien, später Spanien, und auch die Hesperiden wandern im geschichtlichen Prozess der Ausweitung des geographischen Wissens sozusagen mit.90 Lokalpatriotismus hat mythische Ort dage87 88

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Vgl. etwa Edwin Sidney HARTLAND, The Science of Fairy Tales. An Introduction into Fairy Mythology, London 1891 (zahlreiche Reprints), S. 43-48. Über Inseln in der patristischen Tradition vgl. zusammenfassend Francesco PRONTERA, Art. Insel, in: Reallexikon für Antike und Christentum 18 (1998), S. 312-328. Heinrich KRAFT, Die Offenbarung des Johannes, Tübingen 1974, S. 32 hat versucht zu zeigen, der kleinasiatische Prophet Johannes sei nach Patmos mit dem ausdrücklichen Zweck des Offenbarungsempfanges gegangen, die Insel sei also hier als Offenbarungsort qualifiziert. Das ist interessant, aber aus dem Text der Johannesapokalypse nicht erweisbar (vgl. Einleitung in diesem Band, S. 20). Vgl. Marco FRENSCHKOWSKI, Erkannte Pseudepigraphie. Ein Essay über Fiktionalität, Antike und Christentum, in: Pseudepigraphie und Verfasserfiktion in frühchristlichen Briefen. Pseudepigraphy and Author Fiction in Early Christian Letters, hg. v. Jörg FREY / Jens HERZER u. a. (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 246), Tübingen 2009, S. 181-232, hier S. 229-232 mit Literatur. Über die divergierenden Lokalisierungen der Hesperiden s. Konrad SEELIGER, Art. Hesperiden, in: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie I,2 (1886-1890), S. 2594-2603, hier S. 2598. Die Nähe zur biblischen Paradiesgeschichte betont Martin L.

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gen gerne in der unmittelbaren Nachbarschaft gesucht, wodurch rasch konkurrierende Ansprüche entstanden, ein Vorgang, der aus der biblischen (auch der islamischen) Überlieferung ebenfalls wohlbekannt ist.91 Umgekehrt kann die Weitung des geographischen Horizontes zu Verschiebungen in noch größere Ferne führen. Einige Fälle sind unklar: Die Hesperiden mit dem Himmelsträger Atlas wurden in den äußersten Westen verlegt: Aber kurioserweise existiert ein Atlas auch in Arkadien, wo es auch einen Fluss Ladon gibt – so heißt bekanntlich der Drache in der Hesperidensage. Mehrheitlich liegen die Hesperiden aber weit im Westen. Im Fall der Hesperiden ist das mythische Land zum Sonnenuntergang hin nur ein Aspekt eines Gesamtszenarios, zu dem die Äpfel der Jugend und Unsterblichkeit (aber das wird nicht immer gesagt), der paradiesische Garten, der bewachende Drachen genauso gehören wie der Held, der sie zu gewinnen sucht. Das Szenario hat immer schon an die biblische Geschichte vom Garten Eden erinnert, der ja auch von einem Cherub mit feurigem Schwert bewacht wird, wo aber der Drache, die Schlange, eine genau umgekehrte Funktion hat. Dennoch wird die Ähnlichkeit nicht zufällig sein. All das kann hier nicht vertieft werden. Neben der griechischen ist in Europa besonders die keltische Tradition überaus reich an Erzählgut über mythische Inseln: Antilia und Hy Brazil, Tír na n-óg „Land der ewigen Jugend“, Mag Mell, Avalon, die Insula pomorum, Lost Lyonesse und die Inseln, die Brendan besuchte, sind nur die bekanntesten Beispiele. Welche Geschichten einst die Phönizier, die größten Seefahrer ihrer Zeit, über das Meer erzählt haben mögen, können wir nur aus verstreuten Notizen antiker Autoren und wenigen potentiellen Textfragmenten wie dem Periplus des Hanno erkennen, der die westafrikanische Küste bis über Nigeria hinaus schildert (aber die Echtheit des Textes ist nicht über jeden Zweifel erhaben). Im Mittelalter wird das Traditionsfeld mythischer Inseln, wie schon gesagt, vor allem im keltischen Raum weitergetragen. Es existiert eine eigene Literatur der echtrai (plural zu echtra[e]) und der immrama, der mythischen Fahrten in eine keltische Anderswelt, die im Regelfall weit im Westen liegt. Motive aus dieser sehr spezifischen Literatur wurde in lateinischer Gestalt (Navigatio Sancti Brendani u. a. Texte) europaweit rezipiert, und z. B. Einflüsse auf die spanische Literatur sind leicht nachweisbar.92 Es scheint, dass auch hier Toten-

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WEST, The East Face of Helicon. West Asiatic Elements in Greek Poetry and Myth, Oxford 1997, S. 463f., wo vor allem die auf der Hand liegenden Affinitäten des Herakles-Zyklus zu westasiatischen Heldengeschichten des Typs Simson im Blick sind. Einige etwas weniger bekannte Beispiele (etwa zum Jonagrab) sind in meiner Studie: Nicht wie die Schriftgelehrten: Nichtschriftgelehrte Rezeption alttestamentlich-jüdischer Traditionen in der Logienquelle und im Koran, in: Metaphor, Narrative, and Parables in Q, hg. v. Dieter T. ROTH / Ruben ZIMMERMANN / Michael LABAHN (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 315), Tübingen 2014, S. 221-252 besprochen. Vgl. Martín ALMAGRO-GORBEA, Literatura hispana prerromana. Creaciones literarias fenicias, tartesias, iberas, celtas y vascas, Madrid 2013, S. 361-375 (mit umfassenden Literaturangaben); auch schon Richard P. KINKADE, La evidencia para los antiguos ímmrama

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inseln und Inseln der Seligen in einer komplexen Wechselwirkung stehen, wie wir sie auch für die frühere Zeit angenommen haben (was genau ist z. B. der gallische orbis alius bei Lucan bell. civ. 1, 457?).93 Zu dem gesamten Motivfeld existieren weltweite Parallelen, wie sie schon im 19. Jahrhundert Johannes Zemmrich in einer Leipziger Dissertation gesammelt hat; das Material ist natürlich ergänzungsfähig.94 Zemmrich zeigt aus reichem, v. a. amerikanischem und ozeanischem ethnologischen Material, dass Toten- und Paradiesinseln v. a. im Westen liegen, doch gibt es signifikante Ausnahmen, und er dokumentiert bereits den inneren Zusammenhang der verschiedenen Typen mythischer Inseln. Wir sind in weitem Bogen Mythisierungen des Vorfindlichen, Entmythisierung und Remythisierung begegnet, ohne dass jeweils unbedingt an „Beeinflussungen“ zwischen den Imaginarien zu denken ist (analog einer konvergenten Evolution, in der ähnliche äußere Faktoren ähnliche Entwicklungen verursachen). Wir kommen damit zur Schlussthese dieses Beitrages. Auch sie ist nicht grundsätzlich neu. Die vielfältige Mythologie Amerikas als einer neuen Welt95, einer Welt der Freiheit, der unbegrenzten Möglichkeiten, der Jugend, des Aufbruchs zu neuen Ufern ist nichts anderes als eine geographische Realisierung der Mythen von den glückseligen Inseln des Westens. Amerika als Imaginarium ist sozusagen eine Inkarnation der Fortunatae Insulae, aufgebläht zu einem ganzen Kontinent. Das Pathos der Eroberung des amerikanischen Westens bezog einst seine Energien aus den uralten Mythen des „Westens“, so wie die ersten Entdeckungsreisen nicht unwesentlich von den Bildern „glücklicher Inseln des Westens“ geprägt waren.96 Indem das Paradies aber so konkret wird, entzieht es sich selbstverständlich auch wieder, wie es Paradiese eben an sich haben. Die geographische Grenzüberschreitung ist dabei eine

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irlandeses en la literatura medieval española, in: Actas del quinto Congreso internacional de hispanistas (…), Bd. 2, Bordeaux 1977, S. 511-525. Vgl. auch Walter EVANS-WENTZ, The Fairy Faith in Celtic Countries, London 1911, S. 3335, 49f., 147, 416; The Otherworld Voyage in Early Irish Literature, hg. v. Jonathan WOODING, Dublin 2000, dazu die älteren Studien von Kuno Meyer, Julius Pokorny, Alfred Nutt etc., die wir hier nicht aufzählen müssen. Johannes ZEMMRICH, Toteninseln und verwandte geographische Mythen, Leiden 1891. Vgl. auch LANCZKOWSKI, Die Inseln der Seligen (wie Anm. 23). Chinesische mythische Inseln (die dann im Osten liegen!) bespricht Francis VERELLEN, Die Mythologie des Taoismus, in: Wörterbuch der Mythologie 6 (1994), S. 784, 786, 812f. Das „reine Land“ im Westen als buddhistisches Paradies ist dagegen eher als Bergregion gedacht, hat aber ganz mythische und kaum real-geographische Züge. Für den augusteischen Historiker Velleius Paterculus 2, 46, 1 war freilich noch Britannien die „neue Welt“. Beobachtungen zu antiken Anknüpfungen der „Amerika-Mythologie“ bieten außer dem genannten klassischen Werk Humboldts z. B. The Classical Tradition and the Americas, hg. v. Wolfgang HAASE / Reinhold MEYER, Berlin/New York 1993; vgl. auch Pauline MOFFITT WATTS, Prophecy and Discovery: On the Spiritual Origins of Christopher Columbus’s „Enterprise of the Indies“, in: American Historical Review 90 (1985), S. 73-102; The Libro de la profecias of Christopher Columbus, hg. v. Delno C. WEST / August KLING, Gainesville 1991.

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Chiffre für eine imaginative Grenzüberschreitung. Das ganze Motivfeld existiert daher auch noch in der globalisierten Moderne: aber in eigenartigen Metamorphosen, nicht nur in den Paradiesinseln bürgerlicher Fantasien, sondern eben v. a. in der Amerika-Mythologie, die einen Baustein der Identität der neuen Welt bildet. Das können wir in diesem Essay nicht mehr im Einzelnen verfolgen. In J. R. R. Tolkiens postum erschienener großer Dichtung „The Silmarillion“ (1977) wird das westliche Land der Elben aus der realen Geographie Mittelerdes (unserer Welt) in einen mythischen Raum entrückt, Wasser schließt sich über dem Ort, wo es einst gelegen ist, und die Erde krümmt sich zur Kugel, so dass man auch bei der weitesten Reise eben nur noch da landen kann, wo man hergekommen ist. Das ist ein mächtiges und eindrückliches Bild dafür, dass die mythische Gegenwelt nicht beherrschbar und eroberbar wird.97 Bei Tolkien sind es die Bewohner von Numenor, dem Tolkienschen Atlantis, die das selige Land des Westens erobern wollen, weil sie den Elben ihre Unsterblichkeit neiden, und die damit den apokalyptischen Untergang ihrer eigenen martialischen Welt und die mythische Entrückung der seligen Inseln verschulden. Paradiese, die man erobern will, ziehen sich in ihren eigenen Wirklichkeitsraum zurück, ein Gedanke, der nicht nur in imaginativer Literatur seine Würde zu haben scheint.98

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Vgl. zu allen Details Marco FRENSCHKOWSKI, Leben wir in Mittelerde? Religionswissenschaftliche Beobachtungen zu Tolkiens „The Lord of the Rings“, in: Das Dritte Zeitalter. J. R. R. Tolkiens „Herr der Ringe“. Tagungsband 2005, hg. v. Thomas LE BLANC / Bettina TWRSNICK (Schriftenreihe und Materialien der Phantastischen Bibliothek Wetzlar 92), Wetzlar 2006, S. 240-264. Nachtrag: Über die Kassiteriden als Zinninseln vgl. noch umfassend und skeptisch gegenüber allen Gleichsetzungen Roger D. PENHALLURICK, Tin in antiquity, its mining and trade throughout the ancient world with particular reference to Cornwall, London 1986, bes. S. 127-132. Der geographische Begriff meint für verschiedene Autoren offenbar verschiedene Lokalitäten.

CHRISTY CONSTANTAKOPOULOU

Centrality and Peripherality: Insularity and the Appeal of the Religious Networks of Delos and Samothrace in the Classical and Hellenistic Periods The study of Greek religion is going through a fascinating transformation in recent years. In the last couple of decades, one of the most dominant models for our understanding of Greek religion was Sourvinou-Inwood’s influential model of “polis religion”. Religion was predominantly seen as linked with the life of the city-state, the Greek polis. Indeed, one of the most famous summaries of this approach was Sourvinou-Inwood’s statement that “the Greek polis articulated religion and was itself articulated by it; religion became the polis’ central ideology, structuring and giving meaning to all the elements that made up the identity of the polis, its past, its physical landscape, the relationship between its constituent parts”.1 While it is undeniable that a considerable part of religious activity took place within the framework of the polis, recent approaches have underlined that some crucial elements of religious activity took place outside the framework of the polis.2 Within such a new methodological framework, the concept of locality is particularly crucial. Indeed, the importance of locality for our understanding of Greek religion tellingly reveals some of the inherent tensions of the “polis religion” model. Locality, in fact, is a pervasive element of Greek religious activity: heroes and gods did not exist in a vacuum, rather, through their cult epithets3, they were linked with specific locales. Similarly, the Greeks celebrated their gods and heroes in local contexts, festivals and sanctuaries; all these local constituents of Greek religion are manifested in the many local religious calendars that survive from the ancient world. In other words, religious activity took place on many levels, and most of them were linked with specific places; the geographical spread and appeal of such activities differed considerably in scale. We can classify the

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Christiane SOURVINOU-INWOOD, What is Polis Religion?, in: Oxford Readings in Greek Religion, ed. Richard BUXTON, Oxford 2000, pp. 13-37, here p. 22. Irene POLINSKAYA, Lack of Boundaries, Absence of Oppositions: The City-Countryside Continuum of a Greek Pantheon, in: City, Countryside, and the Spatial Organization of Value in Classical Antiquity, ed. Ralph ROSEN / Ineke SLUITER, Leiden 2006, pp. 61-92; Esther EIDINOW, Networks and Narratives: A Model for Ancient Greek Religion, in: Kernos 24 (2011), pp. 9-38; Julia KINDT, Rethinking Greek Religion, Cambridge 2013. Robert PARKER, The Problem of the Greek Cult Epithet, in: Opuscula Atheniensia 28 (2003), pp. 173-183.

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appeal of cults in three broad categories, namely local, regional and panhellenic, although these categories are far from being unproblematic themselves.4 I would like to explore the appeal of two cults that transcended their immediate regional geographic surroundings and succeeded in creating significant networks of participation and ritual in the Aegean world: The cult of the Delian deities (Apollo, Artemis and Leto) on Delos, and the cult of the Great Gods on Samothrace. Both sanctuaries were located on islands in the Aegean Sea. Yet, though insularity was a defining feature for the character of these cults and the later expansion of their cult network in the Aegean Sea, there were considerable differences. Indeed, the insular location of these two sanctuaries contributed to a significant difference in their appeal and even in the nature of the cult. Whereas Delos was understood as the conceptual and religious centre of the southern Aegean world, Samothrace’s defining feature was its relative distance and marginality. I shall examine the development of the cult network of Delos and Samothrace in order to argue that insularity affected the nature of the religious cult practiced on in these two islands and contributed to the consolidation of regional networks in the south (for Delos) and north Aegean (for Samothrace). The island of Delos and its cult network exemplifies the understanding and use of islands as central nodes in maritime networks, whereas the island of Samothrace was the archetypical “distant” island, where access through maritime connectivity was perceived as dangerous and difficult. Between the centrality of Delos and the peripherality of Samothrace, the concept of insularity helps to better understand the origins and development of these two important cult places in the ancient Aegean. To do so, therefore, we need to take a short look at the fragmented geography of the Aegean Sea and its islands, and the role that religious activities in general, and participation in the cult of regional sanctuaries in particular, played in creating networks of interaction. The Aegean is a sea full of islands. It is no coincidence that it was called Adalar Denizi (Sea of Islands) by the Ottomans.5 The presence of so many islands had an impact on the development of navigation. Since ancient navigation, on the whole, depended on mutual visibility and sailing close to land, the presence of so many islands made sailing in the Aegean easier than sailing in the open sea.6 Indeed, the importance of maritime connectivity through navigation has been seen as a crucial factor for ancient Greek culture, especially since the publication of the monumental work by Horden and Purcell “The 4 5

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Hank VERSNEL, Coping with the Gods. Wayward Readings in Greek Theology, Leiden 2011, p. 110 sees a “multitude of horizons: a local one, a national one and an international one”. Idris BOSTAN, Ottoman Sovereignty in the Aegean Islands and their Administrative Structure, in: The Aegean Sea 2000: Proceedings of the International Symposium on the Aegean Sea, ed. Bayram ÖZTÜRK, Istanbul 2000, pp. 93-98. I have discussed this more extensively in my previous work: Christy CONSTANTAKOPOULOU, The Dance of the Islands. Insularity, Networks, the Athenian Empire and the Aegean World, Oxford 2007, esp. pp. 20-28.

CENTRALITY AND PERIPHERALITY

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Corrupting Sea” in 2000.7 The sea may have connected spaces, but it also separated them very potently: a strip of sea between islands, for example, could be crossed very easily during a calm summer day, but could also be an impassable obstacle during a fierce winter or summer storm. The fragmented landscape of the Aegean islands, in other words, is the product of the very presence of the sea. In ancient times, such geographical fragmentation coincided with political divisions. During the Archaic, Classical and Hellenistic periods, i. e. from the 8th century BC till the 2nd century BC, the Aegean Sea had a number of city-states or poleis, which were on the whole and depending on the political and historical context of each period, considered independent political units. This essentially meant a high degree of political fragmentation of the Greek world. Yet, alongside this political fragmentation, there were also a number of activities that brought people from different city-states together. These activities created networks of interaction and communication between individuals and communities from different geographic areas and different ethnic backgrounds. Religion was such an activity; indeed, it is reasonable to say that religious activity was one of the most important factors for the creation of communities that transcended the borders of the Greek city-state. In the Aegean, we encounter two sanctuaries located on islands, whose appeal considerably transcended the limits of their own political community: Delos and Samothrace. I would therefore classify the sanctuary of the Delian deities on Delos and the sanctuary of the Great Gods on Samothrace as regional sanctuaries, which attracted visitors from a considerable distance well beyond the respective islands and functioned as centres within substantial religious networks. Religion was the common denominator, but activity at Delos and Samothrace was considerably diverse. Recent scholarship has emphasized the consumption taking place in sanctuaries, which increased massively during festivals.8 Indeed, the origin of agonistic festivals may be linked with festivals at regional sanctuaries functioning as low-frequency long-range periodic markets.9 It is perhaps not helpful to specifically talk about religious activities at such sites, unless we understand religion to encompass such diverse functions, as social networking, consumption and production of goods, markets, and high political events, such as the declaration of freedom for the Greeks by the Roman herald in the Isthmia games of 196 BC (Polyb. 18. 46, Livy 33. 32).

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Peregrine HORDEN / Nicholas PURCELL, The Corrupting Sea. A Study of Mediterranean History, Oxford 2000. For the early archaic period Catharine MORGAN, Early Greek States beyond the Polis, London 2003, pp. 149-155; for the classical period, John DAVIES, Temples, Credit, and the Circulation of Money, in: Money and its Uses in the Ancient Greek World, ed. Andrew MEADOWS / Kirsty SHIPTON, Oxford 2001, pp. 117-128. John DAVIES, The Origins of the Festivals, especially Delphi and the Pythia, in: Pindar’s Poetry, Patrons and Festivals. From Archaic Greece to the Roman Empire, ed. Simon HORNBLOWER / Catherine MORGAN, Oxford 2007, pp. 47-69, esp. pp. 63-65.

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Access to regional sanctuaries, such as Delos and Samothrace, required a journey, which, depending on the distance, could take days or weeks. Participation in religious activities through the act of pilgrimage (in Greek theoria), therefore, required considerable effort, time and investment on the part of the traveller.10 And while the sanctity of the pilgrim was generally protected, the very act of pilgrimage was not without dangers of its own, as the murder of some rich Aeolians while on pilgrimage to Delos reveals (Hyperides F70 Jensen).11 That the act of pilgrimage can be seen as “a feature of happy normality”12, is implied by the personification of theoria, who is handed over to the Boule as a blessing of peace (Aristoph. pax, 713-715). Pilgrimage to a place of cult could take place for many purposes13: foremost amongst these was the attendance of festivals, which could be accompanied by an athletic or other competition. The Olympic Games, for example, attracted many visitors. Such a great number of people gathered at one place at a specific time inevitably had an impact on the living conditions of the pilgrims. Epictetus famously complained of the overcrowding and lack of hygiene at Olympia (1. 6. 26-9), and it is clear that such concerns were behind the development of the sanctuary and its surrounding area.14 Worshippers could arrive at a location for specific events, such as a festival or a competition, but also at other times of the year in order to perform the act of dedication, either individually, or as delegates of their community. The inventory lists of dedications at sanctuaries, such as those found at Delos, reflect the practice of travelling to the sanctuary in order to dedicate an object to the gods, while the names recorded show both men and women, locals from Delos, but also, when the ethnic affiliation is recorded, visitors from outside the island. Initiation to the mysteries of Eleusis or Samothrace could also be a great attraction for individual pilgrims. Oracles, primarily at Delphi, but also 10

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For pilgrimage see Matthew DILLON, Pilgrims and Pilgrimage in Ancient Greece, London 1997; see also the essays in Pilgrimage in Graeco-Roman and Early Christian Antiquity. Seeing the Gods, ed. Jas ELSNER / Ian RUTHERFORD, Oxford 2005, and Ian RUTHERFORD, State Pilgrims and Sacred Observers in Ancient Greece. A Study of ‘Theoria’ and ‘Theoroi’, Oxford 2013. Ian RUTHERFORD, Theoric Crisis: The Dangers of Pilgrimage in Greek Religion and Society, in: Studi e Materiali di Storia delle Religioni 19 (1995), pp. 275-292; Christy CONSTANTAKOPOULOU, The Shaping of the Past: Local History and Fourth-century Delian Reactions to Athenian Imperialism, in: The Eyesore of Aigina: Anti-Athenian Attitudes in Greek, Hellenistic and Roman History, ed. Anton POWELL / Katerina MEIDANI, forthcoming 2016. Robert PARKER, Polytheism and Society at Athens, Oxford 2005, p. 79. Jas ELSNER / Ian RUTHERFORD, Introduction, in: Pilgrimage (as n. 10), pp. 1-38, here pp. 924. There is evidence for the cutting of a large number of wells in the stadium area from the early archaic period onwards: Such a large number of wells must have aimed at guaranteeing regular water provision for the spectators/pilgrims that would gather at Olympia especially during the time of the games or the festivals. For the wells see Alfred MALLWITZ, Cult and Competition Locations at Olympia, in: The Archaeology of the Olympics: the Olympics and Other Festivals in Antiquity, ed. Wendy J. RASCHKE, Madison 1988, pp. 79-109, here pp. 98f.

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elsewhere, were likewise an extremely important part of the appeal of the respective sanctuaries. Healing sanctuaries, such as that of Asclepius at Epidaurus, attracted pilgrims for other reasons. Pilgrims, therefore, arrived at places of cult for many reasons, some of which may have overlapped. The act of coming to a place for worship, healing, dedication, initiation, competition, divination, or a combination of the above, created a religious community of participation for at least the period of attendance at the cult centre. What each worshipper took from this experience, is very difficult to know. But in the case of initiation to mysteries, even if the participant visited the location only once in his or her lifetime (which may have been the case for the more remote Samothrace), the act of initiation meant that he or she now belonged to a new community of worship: that of the initiates. Pilgrimage and participation in the cult of regional or panhellenic sanctuaries, therefore, created communities of worshippers that transcended the boundaries of the political communities or the narrow geographical origins of the individual worshipper.15 Furthermore, pilgrimage to regional sanctuaries for participation in cult may have played a role in the creation and consolidation of regional, and even on some occasions, ethnic identity, as in the case of the Panionion of Mykale, where the Ionians, according to Herodotus (1. 148), used to meet to celebrate a festival to which they gave the name Panionia. The catchment area of this sanctuary and cult was considerable; in addition, participation to the cult of Panionion in Mykale had obvious political and ethnic overtones, especially in the time of the Ionian revolt, when the Ionian world went through a substantial period of transformation in terms of political history and identity. Participation in the Panionion during the sixth and fifth centuries may even be seen as a constitutive element in the processes of ethnic definition of “Ionianism”.16 We can now return to our two islands, Delos and Samothrace, as examples of regional sanctuaries that attracted participants from a wide catchment area. As both sanctuaries were located on islands, access to these sanctuaries depended on maritime connectivity, which should be seen as the key to establishing communications and interaction in the geographically fragmented world of the Aegean. Indeed, as both islands had relatively small populations, the development and increase in appeal of their sanctuaries depended from the very start on worshippers coming from beyond the immediate limits of the community that supported them. And, as I have already argued, while both sanctuaries shared an insular location, there was also a marked difference: De15 16

Barbara KOWALZIG, Mapping out Communitas: Performances of Theoria in their Sacred and Political Context, in: Pilgrimage (as n. 10), pp. 41-72. On the Panionion: Klaus TAUSEND, Amphiktyonie und Symmachie. Formen zwischenstaatlicher Beziehungen im archaischen Griechenland, Stuttgart 1992, pp. 90-95; Jonathan HALL, Hellenicity. Between Ethnicity and Culture, Chicago 2002, pp. 67-69; Barbara KOWALZIG, Singing for the Gods. Performances of Myth and Ritual in Archaic and Classical Greece, Oxford 2007, pp. 102-110; Simon HORNBLOWER, Thucydides, the Panionian Festival, and the Ephesia (3. 104), in: Thucydidean Themes, ed. IDEM, Oxford 2011, pp. 170-181.

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los was regarded as a “central” location in the geography of the Aegean, whereas Samothrace was considered distant and peripheral. The centrality of Delos in the maritime routes of the south Aegean is well reflected in ancient traditions. The name Cyclades, we are told, was given to the south Aegean islands because they “circled” Delos (Strab. 10. 5. 1, Plin. nat. hist. 4. 12. 65); for Callimachus, the islands “danced around Delos” (Hymn to Delos 16-22). Delos, therefore, was understood as the centre of the south Aegean world of the islands. This image of connectivity and Delos’ centrality is beautifully illustrated in Callimachus’ “Hymn to Delos”, where Delos is the primary dancer in the dance of the islands.17 On the other end of the spectrum, the sea around Samothrace was considered “rough” (Dion. Hal. ant. 1. 61. 4); consequently, access to the island and its sanctuary was not particularly easy. Indeed, we could argue that Samothrace was not conveniently located within the main routes of navigation, which went through the Aegean. Contrary to Delos, Samothrace’s appeal was precisely its marginality, not its accessibility; hence the stories in our sources associated with Samothrace are stories about storms and salvation at sea – danger and distance are the key denominators here.18 Distance, danger and marginality for Samothrace, all contributed to the difficulty of access to the island; this may have played a part, as we shall see, in enhancing the appeal of the sanctuary and its mysteries. Let us start with Delos, the history of the sanctuary, the network of participants in its cult, and the sanctuary’s regional appeal. According to myth, Delos was the birthplace of the twin gods, Apollo and Artemis. The “Homeric Hymn to Apollo” vividly narrates the agony of their mother, Leto, chased by Hera’s wrath, in her search for a land to give birth. Some mythical narratives represented Delos as a floating, wandering island, which transformed into stable land only when Leto stepped on it.19 The image of the floating island conveys a crucial aspect of insularity: that of the absence of a fixed location, which is related to the occasional inability of mariners to arrive to an island when sailing in open sea without visual contact of land. The unstable geography of insularity is exemplified in “floating” Delos, which in the mythical narratives becomes the archetypal floating island par excellence. Its transformation from a floating island to a stable one is accomplished through divine agency by the birth of the twin gods. After all, who can affect 17 18 19

CONSTANTAKOPOULOU, The Dance of the Islands (as n. 6), pp. 20-28. Stories about storms and salvation linked with Samothrace in Diod. 4. 43. 1-2 and Apollonius Rhodius Argonautica, 1. 910-21. Floating island in Pindar, Paean 7b and Hymn to Zeus F 33d; fully explored in Callimachus, Hymn to Delos 36-52. See Ian RUTHERFORD, Pindar on the Birth of Apollo, in: Classical Quarterly 38 (1988), pp. 65-75; Alessandro BARCHIESI, Immovable Delos: Aeneid 3.73-98 and the Hymns of Callimachus, in: Classical Quarterly 44 (1994), pp. 438-443. Hypereides (F67 Jensen = FGrH 401b F2b) describes how Leto “boarded” the island directly from cape Sounion in order to give birth; in this narrative, Hypereides reshaped the traditional story of floating Delos so that the sacred island had to obey the solid geography of the Athenian landscape (Sounion) in order to fulfil its destiny.

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such transformations on the landscape without incurring the wrath of the gods? Only the gods themselves. After the divine birth and the consequent consolidation of Delos in the geography of the Aegean Sea, stable Delos could claim its primary role in the geographic and mythical landscape of the Aegean Sea and its islands. Considering, therefore, the importance of Delos in the mythical narratives of the Greek pantheon, it is not surprising that the island became the centre of an extensive regional religious network from an early age. The “Homeric Hymn to Apollo” praises Delos and sings of the festival celebrated on the island (l. 144-55). The hymn speaks of “long robed Ionians, who gather in your honour with their children and shy wives”. This emphasis on Ionians is understood to be one of the key aspects of the network around Delos. Indeed, this same passage is quoted by Thucydides in his section of the Athenian reorganisation of the festival during the 420s BCE (3. 104), a section that is preoccupied with constructions of Ionianism.20 The “Homeric Hymn to Apollo”, as well as Odysseus’ comparison of Nausicaa to the young palm tree of Delos in the “Odyssey” (6. 162f.), shows that Delos had acquired a considerable fame during the early archaic period. In order to understand, however, this expanding appeal, we need to turn our attention to the archaeological evidence from the sanctuary (Plan 1).21 After a marked gap of material dating from the Dark Ages, the second half of the eighth century shows a significant transformation, with a variety of imports arriving to the sanctuary, including the tell-tale sign for cult activity, tripod dedications. Investment in monumentalisation takes place around c. 700 BCE, with the construction of a building called Temple Γ (7, Plan 1)22, and soon afterwards (early seventh century), the Archaic Heraion.23 An Artemision was constructed at the same period (46, Plan 1).24 While tripod dedications seem to point to elite members of the communities engaged in the cult actively displaying status, power and piety, constructions of buildings in the sanctuary played a slightly different role. Such processes of monumentalisation in the Delian sanctuary presuppose communities that decided to invest considerable wealth. We are not looking at individual choices here, as we are with tripod dedications, but communal choices; these may still very much involve the elites of the participating communities, but such building activity presupposes 20 21

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Simon HORNBLOWER, The Religious Dimension to the Peloponnesian War, or what Thucydides Does not Tell us, in: Thucydidean Themes (as n. 16), pp. 25-53. The main archaeological publications for Delos can be found in the series Exploration Archéologique de Délos. A summary of the existing consensus in scholarship can be found in the 4th edition of: Philippe BRUNEAU / Jean DUCAT, Guide de Délos, Paris 2005. Alexandros MAZARAKIS-AINIAN, From Rulers’ Dwellings to Temples: Architecture, Religion and Society in Early Iron Age Greece, Jonsered 1997, p. 179; BRUNEAU / DUCAT, Guide (as n. 21), p. 176. MAZARAKIS-AINIAN, From Rulers’ Dwellings (as n. 22), p. 182; BRUNEAU / DUCAT, Guide (as n. 21), p. 280. Ibid., p. 209.

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the pooling of resources and the decision to invest them in the sanctuary of Delos. We cannot be certain as to who pooled their resources or indeed took the decision to construct these three buildings (the Temple Γ, the Artemision and the archaic Heraion) of the late eighth/early seventh century: it may have been the Delians themselves, or it may have occurred at the encouragement/instigation of outsider island communities, as in the story of the Athenian Alcmeonids funding the second temple of Apollo at Delphi (Hdt. 5. 62). If this was indeed a Delian decision, then what we can be certain of is that the construction of not one, but three early buildings, implies the presence of considerable resources on the island, which must have originated from wealth brought into Delos from outside communities (either as dedications, or as direct funding for a building programme). The seventh century saw the erection of yet more buildings, most notably the construction of the oikos of the Naxians (6, Plan 1), whose first phase dates from the second half of the seventh century25, while an eastern prostoon was added to the original construction in a later period, c. 575. The name of the building, which is attested in the classical temple inventories, shows its direct links with Naxos. Indeed, the Naxian presence in the sanctuary of Delos during the seventh and early sixth centuries was spectacular.26 In the early sixth century, the Naxians dedicated a colossal Apollo (ID 49; 9, Plan 1); in the mid-sixth century, they were responsible for the erection of a stoa at the western side of their oikos (36, Plan 1). The Naxians were also behind the erection of the Terrace of the Lions, a truly remarkable dedication, which lined the west side of the road to the sanctuary from the north.27 While there is no denying that Naxian art and architecture dominated Delos in the early archaic period, I would not necessarily see that as evidence of political or economic control. Investment in monumentalisation is evidence for increased interest in the cult of the Delian gods on the part of an entire community or its elite members. Naxian investment can be seen as a display of glory and wealth in the competitive arena of regional sanctuaries. Rather than projecting onto the ar25

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The second half of the seventh-century date was challenged by Gottfried GRUBEN, Naxos und Delos: Studien zur archaischen Architektur der Kykladen, in: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts 112 (1997), pp. 261-416; the date was then re-established by Vassilis LAMBRINOUDAKIS, A New Early Archaic Building on Naxos. Some Thoughts on the Oikos of the Naxians on Delos, in: Architecture and Archaeology in the Cyclades: Papers in Honour of J.J. Coulton, ed. Marina YEROULANOU / Maria STAMATOPOULOU, Oxford 2005, pp. 79-86. See also BRUNEAU / DUCAT, Guide (as n. 21), pp. 172f. Francis PROST, L’impossible domination cycladique: retour sur les conflits entre Pariens et Naxiens, in: Powers, Islands and Sea: Forms, Terms and Conditions of Hegemony in the Ancient Cyclades (7th c. BC – 3rd c. AD), ed. Gregory BONNIN / Enora LE QUERE, Bordeaux 2014. Vassiliki BARLOU, The Terrace of the Lions on Delos: Rethinking a Monument of Power in Context, in: Powers, Islands and Sea (as n. 26), downdates the Terrace to the end of the sixth century, which solves the mystery of what the lions were doing there, if there was no early sixth-century road to a northern port (for which see Hervé DUCHENE / Philippe FRAISSE, Le paysage portuaire de la Délos antique, Paris 2001).

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chaic period notions of imperialistic control, which the island experienced during the fifth-century Athenian imperial domination, we should understand archaic Delos as a place where communities and elite individuals conspicuously displayed their wealth, importance and claim for power. The construction of oikoi for specific communities in the sanctuary of Delos may be our most solid indication for the active participation of communities in the cult of Delian Apollo. The construction of such dedicated “houses” for communities marked an occasion of appropriation of previous elite dedications and of placing them firmly within a new communal, or political (in the sense of the polis as a political community) framework.28 I have already mentioned the impressive oikos of the Naxians. To the oikos of this island community, we should add a Parian oikos29, an Andrian oikos, a Carystian oikos, a Myconian oikos (most probably)30, and a Ceian hestiatorion, known from a reference in Herodotus (4. 35. 4). The investment in the monumentalisation of the sanctuary, then, mostly points to a network of island dwellers, rather than an Ionian network.31 And while the literary sources stress the Ionian character of the Delian network, Delian cult seemed to have appealed to Ionian and Dorian islanders.32 Indeed, in the classical and Hellenistic period, the nomenclature of dedications, recorded in the extensive inventories of the sanctuary, reveals a strong island constituency. The Delian cult network in the archaic period, therefore, had a predominantly southern Aegean island catchment area. I have argued that the archaeological record cannot be used to show political or economic domination over the sanctuary and, consequently, its cult network. But there was one power within the region that showed substantial interest in Delos, and whose history became intrinsically linked with the island: Athens. The Athenian tyrant Peisistratus, we know from Herodotus (1. 64. 2) and Thucydides (3. 104. 1-2), purified the part of Delos visible from the sanctuary by removing all burials to

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Richard T. NEER, Framing the Gift: the Politics of the Siphnian Treasury at Delphi, in: Classical Antiquity 20 (2001), pp. 273-336; IDEM, The Athenian Treasury at Delphi and the Material of Politics, in: Classical Antiquity 23 (2004), pp. 63-93. This is possibly the building called the “Monument with the Hexagons”, dated to the end of the sixth century: for the building see BRUNEAU / DUCAT, Guide (as n. 21), pp. 203f. and for the identification see Jacques TREHEUX, L’Hieropoion et les oikoi du sanctuaire à Délos, in: Stemmata: Mélanges de philologie, d’histoire et d’archaéologie grecques, offerts à Jules Labarbe, ed. Jean SERVAIS et al., Liège 1987, pp. 377-390. The names of these oikoi are known from the classical and Hellenistic inventories of the sanctuary. BRUNEAU / DUCAT, Guide (as n. 21), p. 171 believe that there may have been more island oikoi, which unfortunately are never mentioned in our epigraphic sources. CONSTANTAKOPOULOU, The Dance of the Islands (as n. 6), pp. 38-58. Emphasis on islands: Veronique CHANKOWSKI, Athènes et Délos à l’époque classique. Recherches sur l’administration du sanctuaire d’Apollon délien, Athènes 2008, pp. 16-20 and 30f.; KOWALZIG, Singing (as n. 16), pp. 56-83, focusing on the literary evidence provided by poetry.

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the neighbouring island of Rheneia.33 Peisistratus may also have been behind the erection of a monumental temple, the so-called porinos naos (11, Plan 1), dated to the second half of the sixth century.34 Peisitratus’ act of involvement in the life of the sanctuary, through the violent act of removing the tombs of the Delians, must have been a statement of power, targeting not just the Delians but the entire network of cult participants. In addition, the purification and the building of a temple made of Athenian limestone (porinos naos) created a context in which a sort of Ionianism was constructed and displayed; in this, Athens had a dominant role. But it was the fifth century, and the emergence of the Athenian empire, that had a more lasting impact in the cult network of Delos. Athens as the leader of the so-called Delian League (and this modern name is indeed indicative of the strong “Delian” connotations of the Athenian imperial network) took meddling into the affairs of the sanctuary to a whole new level. The Athenians managed the sanctuary through a board of officials called amphictyones, who were Athenian officials. Indeed, as Parker has argued, “a body of Amphictyons recruited from a single state is a monstrosity”.35 Furthermore, the Athenians purified Delos in 426/5, by moving all tombs to the neighbouring island of Rheneia and prohibiting anyone from dying or giving birth on the island (Thuc. 1. 8. 1 and 3. 104), transforming, thus, the Delians into “polis-less” citizens (Plut. mor. 230c-d).36 These acts of aggression must have caused considerable distress to the Delians, who took the opportunity of the Athenian collapse at the end of the Peloponnesian War to become (with Spartan help) independent.37 Delian independence was short-lived, and Athenian control of the sanctuary quickly resumed; this lasted until 314, when the Delians finally gained their independence.38 This short historical narrative demonstrates that one of the prominent features of the history of Delos was the almost continuous struggle for the control of its most valuable asset: the sanctuary, and consequently the network of participants in the cult of the Delian deities. Control of the sanctuary meant control over the considerable Delian finances generated by it, privileged access to a large network of participants, and of course an enhanced position of piety in the eyes of the gods. 33

Robert PARKER, Athenian Religion: A History, Oxford 1996, pp. 87f.; CONSTANTAKOPOUThe Dance of the Islands (as n. 6), pp. 63-66; CHANKOWSKI, Athènes et Délos (as n. 32), pp. 10-14. BRUNEAU / DUCAT, Guide (as n. 21), p. 182. PARKER, Athenian Religion (as n. 33), p. 88, n. 87. CONSTANTAKOPOULOU, The Dance of the Islands (as n. 6), pp. 71-73; CHANKOWSKI, Athènes et Délos (as n. 32), pp. 57-61. I follow here CHANKOWSKI, Athènes et Délos (as n. 32), pp. 169-174, and her reconstruction of the dates of Delian independence (between 402 and 393 BCE). The period of Delian independence is dated to 314-167 BC, for which see Claude VIAL, Délos indépendante (314-167 avant J.-C.), Athènes 1984; Pierre ROUSSEL, Délos colonie athénienne, 2nd edition, Paris 1987, covers the period after 166 BC, when Delos became an Athenian colony. LOU,

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What kind of religious network was that centred at Delos? Some scholars believe that the archaic religious network around Delos was an amphictyony, similar to the one around Delphi.39 Indeed, during most of the fifth and fourth centuries the Athenians managed the Delian sanctuary through a board of Amphictyons (as we have seen), while Thucydides refers to “islanders and perictiones” (a poetic word, rare in prose, carrying reminiscences of amphictyones) as the main participants in the early festival on Delos (3. 104. 3). Neither Thucydides’ choice of words, nor the Athenians’ choice of name for their board of officials, however, proves that there was such a thing as an archaic amphictyony centred on Delos. Chankowski has convincingly argued that we should be looking at a regional cult network, which was not an amphictyony.40 The Athenian choice of the word “Amphictyons” for their board of officials was a conscious emulation of the Delphic parallel, which may be linked to the Athenian construction of a Pythion on Delos and the promotion of a cult of Apollo in its Pythian persona.41 Chankowski’s arguments are entirely convincing; the evidence for an archaic amphictyony of Delos is very weak. We should rather understand the cult network of Delos as a regional network of the southern Aegean, with a strong island character. Delian cult may have been linked in myth and literature with an Ionian dimension, but it appealed to Ionian and Dorian islanders alike. These participants not only went to Delos to worship, attend the festival, and dedicate to the gods, they also imported the cult of Apollo Delios, Artemis Delia, and Eileithyia (another deity with strong Delian connections)42 to their own communities.43 This cult network had a long history, essentially from the early archaic period until Roman times, and it had an impact onto the political sphere, especially during the period of the Athenian empire. In the Hellenistic period, Delos was one of the many locations where piety towards the gods became a showcase for control and power over the Aegean region by the Hellenistic kings.44 But it was another island of the Aegean that saw a greater degree of investment in monumentalisation during the Hellenistic period: Samothrace, to which we shall now turn. Whereas Delos is located in the middle of an archipelago of islands in the south Aegean, Samothrace stands in relative isolation in the north Aegean. The island is mountainous, with Mt Pheggari rising to the height of 1664m, making it the tallest mountain on any Aegean island. Samothrace’s mountain39 40 41 42 43

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TAUSEND, Amphiktyonie (as n. 16), pp. 47-55. CHANKOWSKI, Athènes et Délos (as n. 32), pp. 20-28. Construction of Pythion and Delian reactions in: Ibid. pp. 258-262. Philippe BRUNEAU, Recherches sur les cultes de Délos à l’époque hellénistique et à l’époque impériale, Paris 1970, pp. 212-219. Export of Delian cult: CONSTANTAKOPOULOU, The Dance of the Islands (as n. 6), pp. 53-58; KOWALZIG, Singing (as n. 16), pp. 72-79; CHANKOWSKI, Athènes et Délos (as n. 32), pp. 30f. The most comprehensive treatment of the foundation of festivals and cults in honour of the various kings and queens on Delos is still BRUNEAU, Recherches (as n. 42), especially pp. 515-583.

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ous landscape meant that arable land was limited; indeed, one of the very few sources that we have for classical Samothrace explains the Samothracians’ poverty through the island’s mountainous landscape and therefore uses this fact as a reasonable argument for the reduction of their tribute payment to Athens during the Athenian empire (Antiphon F50 Thalheim). As with Delos, the main asset of the island was its sanctuary, located to the north of the island, and the mystery cult associated with the Great Gods (Plan 2). Samothrace was colonised by the Greeks in the early sixth century45; evidence of sacrificial remains from the area of the Temenos in the sanctuary, however, indicates that cult activity was taking place in the early seventh century, before the arrival of the Greeks.46 In fact, the cult of the Great Gods of Samothrace is an excellent example of a certain degree of fusion of cult practices: those of the pre-Greek population of the island (called “Pelasgians” by Herodotus in 2. 51), which were adapted and transformed by the Greeks. Indeed, the language used in the mysteries of Samothrace included non-Greek words, which must have been incomprehensible to the later classical/ Hellenistic Greek audiences (Diod. 5. 47. 3).47 In fact, this incomprehensibility of words used may be seen an essential element of the initiation processes of the mystery cult itself.48 As the main attraction of Samothracian cult was its mysteries, it is inevitable that the literary traditions about the mystery cult and its mythological origins are obscure.49 The context in which the stories about Samothrace seem to belong is that of the non-Greek world.50 Herodotus offers us a key passage which shows that the appeal of the Samothracian mysteries was well known even in the (relatively early) historical context of the third quarter of the fifth century, when he was writing (2. 51): “Whoever has been initiated into the rites of the Kabeiroi, which the Samothracians learned from the Pelasgians and now practice, understands what my meaning is. […] The Pelasgians told a certain sacred tale (hieros logos) about this, which is set forth in the Samothracian mysteries”. This Samothracian “sacred tale” may have included the story of the local hero Dardanos, born on the island, who then moved to Ilion 45 46

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A. John GRAHAM, The Colonisation of Samothrace, in: Hesperia 71 (2002), pp. 231-260. Karl LEHMANN, Samothrace: A Guide to the Excavations and the Museum, revised James R. MCCREDIE, 6th edition, Thessaloniki 1998, p. 73; Phyllis W. LEHMANN / Denys SPITTLE, Samothrace. Vol. 5. The Temenos, New York 1982, Part 1, pp. 267-269, 317. The one example of a non-Greek inscription on stone using the Greek alphabet is Peter M. FRASER, Samothrace. Vol. 2, Part 1. The Inscriptions on Stone, New York 1960, pp. 120f., n. 64. There are many graffiti on pottery, for which see Karl LEHMANN, Samothrace. Vol. 2. Part 2. The Inscriptions on Ceramics and Minor Objects, New York 1960, esp. pp. 8-19; see also GRAHAM, Colonisation (as n. 45), pp. 249-255. Hugh BOWDEN, Mystery Cults in the Ancient World, London 2010, pp. 49-67. Collection of literary references in Naphtali LEWIS, Samothrace. Vol. 1. The Ancient Literary Sources, New York 1958. Walter BURKERT, Concordia Discors: The Literary and Archaeological Evidence on the Sanctuary of Samothrace, in: Greek Sanctuaries. New Approaches, ed. Nanno MARINATOS / Robin HÄGG, London 1993, pp. 178-191.

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to become the founder of the royal family of Troy (FGrH 4 F23).51 The story of Dardanos was celebrated in a lost play by the poet Dymas of Iasos, who was consequently honoured by the Samothracians (I. Iasos 153).52 Another key feature of the mythical stories associated with the Samothracian mystery cults was the wedding of Kadmos to Harmonia (who was Dardanos’ and Eetion’s [Iasion’s] sister), narrated in Diodorus’ lengthy passage on Samothracian history and cult (5. 48. 4-50. 1).53 The search for Harmonia, possibly in combination with a celebration of her marriage to Kadmos, was an important part of the mythical background to the Samothracian festivals (FGrH 70 F120).54 The traditions about the identity of the gods were particularly obscure and contradictory.55 In epigraphic evidence, the gods appear always as the “Great Gods” or the “Samothracian gods” (when found outside Samothrace), but literary evidence provides a range of identifications. Herodotus (2. 51) and Stesimbrotus of Thasos (FGrH 107 F 20) call them the Kabeiroi56, Diodorus mentions the Korybantes (5. 49. 3-4), while another source lists Axieros, Axiokersa, Axiokersos and Kasmilos (sometimes identified with Demeter, Persephone, Hades, and Hermes respectively).57 Indeed, it is likely that a confusion about the identity of the gods played a central role in the initiation process.58 In other words, we do not know who the Great Gods were, because the initiates themselves did not necessarily know. We can also understand this confusion as a necessary aspect of a cult based on secrecy – secrecy as a social

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Mark LAWALL, “In the Sanctuary of the Samothracian Gods”: Myth, Politics, and Mystery Cult at Ilion, in: Greek Mysteries. The Archaeology and Ritual of Ancient Greek Secret Cults, ed. Michael COSMOPOULOS, London 2003, pp. 79-111, for the links between Dardanos, Ilion and Samothracian cult. Ian RUTHERFORD, Theoria and Theatre at Samothrace: The Dardanos by Dymas of Iasos, in: The Greek Theatre and Festivals. Documentary Studies, ed. Peter WILSON, Oxford 2007, pp. 279-293. For Kadmos as a mythical prototype of arrival to a foreign land see Sandra BLAKELY, Kadmos, Jason, and the Great Gods of Samothrace: Initiation as Mediation in a Northern Aegean Context, in: Electronic Antiquity 11,1 (2010), pp. 67-95. Clemente MARCONI, Choroi, Theoriai and International Ambitions: The Hall of the Choral Dancers and its Frieze, in: Samothracian Connections. Essays in Honour of James R. McCredie, ed. Olga PALAGIA / Bonna WESCOAT, Oxford 2010, pp. 106-135, esp. pp. 125128. Susan G. COLE, Theoi Megaloi: The Cult of the Great Gods at Samothrace, Leiden 1984, esp. pp. 1-4; BURKERT, Concordia (as n. 50), pp. 186f.; Kevin CLINTON, Stages of Initiation in the Eleusinian and Samothracian Mysteries’ Cult, in: Greek Mysteries. The Archaeology and Ritual of Ancient Greek Secret Cults, ed. Michael COSMOPOULOS, London 2003, pp. 68f. Robert S. P. BEEKES, The Origins of the Kabeiroi, in: Mnemosyne 57 (2004), pp. 465-477, stresses the non-Greek origin of the name Kabeiroi. The source is Mnaseas, quoted in the Scholia to Apollonius Rhodius, Argonautica 1. 917 = FGrH 548 F1 = LEWIS, Samothrace (as n. 49), no. 150 and 150a. BOWDEN, Mystery Cults (as n. 48), pp. 49-53.

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practice has an impact on the recording of the key aspects of the social practice, in this case, of the Samothracian cult.59 The archaeological evidence from the sanctuary of Samothrace can further enhance our understanding of this cult and its changing regional network.60 There is some evidence for late archaic/early classical buildings from the sanctuary, such as a block belonging to the predecessor of the Hall of Choral Dancers (or Temenos) (17, Plan 2)61, and some architectural elements later incorporated in the Hall of Votive Gifts (16, Plan 2).62 The oldest surviving permanent structure, however, is the Theatral Area (25, Plan 2), marking the entrance to the sanctuary, dating from the late fifth century.63 And while Herodotus’ passage implies that the fame of the Samothracian mysteries and cult was considerable in the fifth century, it was the fourth century and the early Hellenistic period that changed the sanctuary dramatically through an impressive building programme. A structure called Orthostate, located underneath the later Rotunda of Arsinoe (20, Plan 2), dates from the first half of the fourth century; it included pits for libations.64 In circa 340 BCE, a new Temenos was constructed, which included a unique Ionian frieze of dancing maidens (17, Plan 2)65; as a result the Temenos is also known as the Hall of Choral Dancers. Given its date, and the known association between Philip II and the Samothracian mysteries, it is not unlikely that the new Temenos was funded by the Macedonian king.66 Ancient traditions record that Philip met his wife Olympias while they were both initiated in the mysteries (Plut. vit. Alex. 2. 2); indeed, the obvious parallelism between one of the key myths associated with the mysteries, the marriage of Kadmos to Harmonia which led to the foundation of the mystery cult, and Philip’s own wedding to Olympias could not have escaped the king or indeed the later historians of Macedonian royalty. The construction of another important building, the Hieron, began in c. 325 59

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Sandra BLAKELY, Toward an Archaeology of Secrecy: Power, Paradox and the Great Gods of Samothrace, in: Archaeological Papers of the American Anthropological Association 21 (2011), pp. 49-71. LEHMANN, Samothrace (as n. 46) is the latest edition of the guide to the sanctuary. The results of the excavations have been published in the series Samothrace: Excavations Conducted by the Institute of Fine Arts of New York University. Further information can be found on http://samothrace.emory.edu/ (accessed 5.12.13). Karl LEHMANN / Phyllis LEHMANN, Samothrace. Vol. 3, Part 2. The Hieron, New York 1969, pp. 52-54; LEHMANN / SPITTLE, Samothrace (as n. 46), Part 1, pp. 17-19. Karl LEHMANN / Phyllis LEHMANN, Samothrace. Vol. 4, Part 1. The Hall of Votive Gifts, New York 1962, pp. 24-29. Bonna WESCOAT, Coming and Going in the Sanctuary of the Great Gods, Samothrace, in: Architecture of the Sacred. Space, Ritual, and Experience from Classical Greece to Byzantium, ed. EADEM. / Robert OUSTERHOUT, Cambridge 2012, pp. 66-113. LEHMANN, Samothrace (as n. 46), pp. 70-72; James R. MCCREDIE, Samothrace: Supplementary Investigations, 1968-1977, in: Hesperia 48 (1979), pp. 1-44. MARCONI, Choroi (as n. 54). LEHMANN, Samothrace (as n. 46), pp. 77f.; LEHMANN / SPITTLE, Samothrace (as n. 46), date discussed in pp. 273-276.

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(15, Plan 2).67 The late fourth century and the early third century saw further investment in the monumentalisation of the sanctuary; this was the result of royal dedications provided by Hellenistic royalty.68 Philip III Arrhidaios (Alexander the Great’s half brother) dedicated on behalf of himself and Alexander IV (Alexander’s infant child) a prostyle structure by the Theatral area between 323 and 317 BCE (24, Plan 2).69 A few decades later, c. 280 BCE, Ptolemy II built an impressive propylon, which reconfigured the entrance to the sanctuary (26, Plan 2)70, while queen Arsinoe was behind the construction of the largest closed round building known from the Greek world, the so-called Rotunda of Arsinoe, in the early third century (20, Plan 2).71 These four dedications, to which we could add the construction of a building to house the dedication of a ship (29, Plan 2), possibly the escape ship that Arsinoe used to flee Ephesos following the battle at Kouropedion in 281 BCE72, clearly show that the sanctuary of Samothrace functioned as a key stage for the display of piety and power for the Hellenistic kings in their struggle for control of the Aegean after Alexander’s death and throughout the third century. If the construction of the buildings in the sanctuary and the dedication of these buildings point to the active involvement of the Hellenistic kings and queens in the monumentalisation of the sanctuary, the small finds from the sanctuary paint a different picture, one of piety and participation of everyday individuals in the cult of the Great Gods. Thousands of sherds of Samothracian conical bowls have been left behind on the Eastern Hill.73 The main function of these bowls, indicated by their shape, must have been libation; their large number seems to indicate that they were discarded by the worshippers 67 68 69

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LEHMANN, Samothrace (as n. 46), pp. 79-86. COLE, Theoi Megaloi (as n. 55), pp. 17-20; Manuela MARI, Al di là dell’Olimpo. Macedoni e grandi santuari della Grecia dall’età arcaica al primo ellenismo, Athen 2002, pp. 198-202. LEHMANN, Samothrace (as n. 46), pp. 98f.; Bonna WESCOAT, Athens and Macedonian Royalty on Samothrace: The Pentelic Connection, in: Samothracian Connections. Essays in Honour of James R. McCredie, ed. Olga PALAGIA / Bonna WESCOAT, Oxford 2010, pp. 102-116, discusses the use of Athenian (Pentelic) marble for this construction. LEHMANN, Samothrace (as n. 46), pp. 94-96; Alfred FRAZER, Samothrace, Vol. 10. The Propylon of Ptolemy II, New York 1990. LEHMANN, Samothrace (as n. 46), pp. 62-70; James MCCREDIE et al., Samothrace, Vol. 7. The Rotunda of Arsinoe, New York 1992, especially pp. 231-239 on the inscription of dedication. Building in LEHMANN, Samothrace (as n. 46), p. 111; Bonna WESCOAT, Buildings for Votive Ships on Delos and Samothrace, in: Architecture and Archaeology in the Cyclades (as n. 25), pp. 153-172, tentatively suggests the association between the Neorion and Queen Arsinoe. Considering how well the links between safety at sea and the cult in Samothrace fit the image of Arsinoe as Aphrodite Euploia (protector of sea voyages), known from an epigram of Posidippus (39), such an association between the building and the queen is very likely. The links between the Ptolemies, Samothrace and Aphrodite Euploia are explored in Andrew MEADOWS, The Ptolemaic League of Islanders, in: The Ptolemies, the Sea and the Nile, ed. Kostas BURASELIS / Mary STEFANOU / Dorothy J. THOMPSON, Cambridge 2013, pp. 19-38, esp. pp. 29f. WESCOAT, Coming and Going (as n. 63), pp. 94f.

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upon their leaving the sanctuary, possibly because they were understood to be the possession of the gods. Two further categories of objects seem to have played an important part in the cult of the Samothracian gods: the purple belt and the iron ring.74 The purple belt was given to initiates during their initiation and was linked with salvation from dangers at sea.75 Iron rings were also part of the initiation ceremony; in total thirty-two iron rings have been found from the area of the sanctuary.76 Their most important feature seems to have been their magnetization, which obviously played an important ritual role. The presence of bronze fish hooks and shells in large numbers also reveals the close connection between the cult and the sea.77 What was the unique appeal of the cult of the Samothracian gods and their mysteries? The Samothracian sanctuary, like the Delian one, had a special connection to the sea: not only were both these sanctuaries were located on islands, but they were also among a handful of places in the Greek world where whole ships were dedicated to the gods and presented in buildings constructed specifically for this purpose: the Monument with the Bulls or Neorion at Delos (24, Plan 1) and the Neorion at Samothrace (29, Plan 2).78 The presence of fish hooks as dedications in the sanctuary, as well as the use of purple belts (presumably coloured by murex, harvested from the sea) in the initiation to the Samothracian mysteries further exemplify the importance of the sea. Indeed, one of the primary reasons offered by our literary evidence for the initiation at the mysteries was protection at sea.79 Seafaring may have been widespread in Greek culture, but cults offering protection at sea were not that numerous. Initiation to the Samothracian mysteries shared this role with the cult of deities such as the Dioscouri and Aphrodite Euploia. Diodorus adds that “the claim is also made that men who have taken part in the mysteries become both more pious (eusebesterous) and more just (dikaioterous) and better (beltionas) in every respect than they were before” (4. 49. 6). This combination, of protection at sea as well as individual improvement, is almost unique among mystery cults. At the same time, initiation in a mystery cult (any mystery cult) created a community of participation and shared experience (if not exactly of shared

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COLE, Theoi Megaloi (as n. 55), pp. 29f. Scholia to Apollonius Rhodius, Argonautica, 1. 917-8 = LEWIS, Samothrace (as n. 49), no. 229g; Scholia to Apollonius Rhodius, Argonautica 1. 918a = LEWIS, Samothrace (as n. 49), no. 229h. LEHMANN / SPITTLE, Samothrace (as n. 46), pp. 403f.; BLAKELY, Archaeology of Secrecy (as n. 59), pp. 61-64. LEHMANN, Samothrace (as n. 46), pp. 36f. with fig. 14. The Heraion at Samos was, possibly, another sanctuary that included a ship dedication: David J. BLACKMAN, Ship Dedications in Sanctuaries, in: Ithake. Festschrift für Jörg Schäfer, ed. Stephanie BÖHN / Klaus-Valtin VON EICKSTEDT, Würzburg 2001, pp. 207-212; WESCOAT, Buildings for Votive Ships (as n. 72). A small selection of sources: Aristophanes Peace, 277-8 with scholia, Apollonius Rhodius, Argonautika 1. 915-8 with scholia, Diod. 4. 43. 1-2, 4. 48. 5-7, 5. 49. 5-6.

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understanding), irrespective of the specific mystery.80 To this, we should add Samothrace’s unique geographic location and historical background which made it an ideal meeting space between Greeks and non-Greeks.81 The use of the incomprehensive pre-Greek language in the mysteries, the importance of iron magnetised objects, and so on, brought into the cult the pre-Greek, northern Aegean aspect of Samothracian history.82 We can trace, therefore, Samothrace’s initial appeal to its marginality and difficulty in access, especially when travelling (like Herodotus in the fifth century) from the southern Aegean world. As the power focus, however, shifted from southern Greece to northern Greece at the end of the fourth century, and with the advent of the struggles of the Diadochoi, Samothrace acquired a certain centrality in the networks of northern Aegean. Indeed, Samothrace became one of the key locations where Macedonian royalty, in Macedonia and in Egypt, competed for conspicuous demonstration of piety and power through the investment in monumentalisation. Samothrace’s regional appeal during the early Hellenistic period covered the entire Aegean world. We can document the extent of this regional appeal through the nomenclature and ethnic names preserved in the Hellenistic (mostly second and first century BCE) lists of initiates and theoroi (official delegates) preserved in epigraphic texts.83 The lists of initiates and theoroi reveal different, if significantly overlapping, networks of appeal.84 Theoroi, or official representatives of communities sent to Samothrace normally to take part in a festival or make a dedication, came mostly from cities in Asia Minor, the north and southern Aegean and are almost exclusively Greek. Initiates to the Samothracian mysteries, on the other hand, came from the same areas as the theoroi, but also from Italy and Rome, as well as inland Thrace and Alexandria. In addition, the export of the Samothracian cult through the presence of a large number of dedications to the Great Gods, or the Samothracian gods, in other sanctuaries of the Greek world is another indication of the spread of the cult network.85 I have explored the development of religious networks centered on two sanctuaries located on islands in the Aegean Sea: the sanctuary of the Delian deities, Apollo and Artemis, on Delos and the sanctuary of the Great Gods on 80 81 82

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CLINTON, Stages of Initiation (as n. 55); BOWDEN, Mystery Cults (as n. 48). BLAKELY, Kadmos (as n. 53). See Maria KOSTOGLOU, Iron, Connectivity and Local Identities in the Iron Age to Classical Mediterranean, in: Material Connections in the Ancient Mediterranean. Mobility, Materiality and Identity, ed. Peter VAN DOMMELEN / A. Bernard KNAPP, London 2010, pp. 170-189 for the importance of iron in the networks of the northern Aegean in the Iron Age. COLE, Theoi Megaloi (as n. 55), pp. 38-56; Nora M. DIMITROVA, Theoroi and Initiates in Samothrace: The Epigraphic Evidence, Athens 2008. Ian RUTHERFORD, Network Theory and Theoric Networks, in: Greek and Roman Networks in the Mediterranean, ed. Irad MALKIN et al., London 2009, pp. 24-38. COLE, Theoi Megaloi (as n. 55), pp. 57-86 mentions personal dedications to the Great gods found at Olbia, Amphipolis, Philippi, Sestos, Delos, Thera, Lindos, Rhodes, Apameia Kibotos, Kyrene and Koptos (p. 61).

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Samothrace. Both sanctuaries were located on islands with relative small populations: The success of the religious networks of their cult, therefore, depended from an early stage on pilgrims arriving by sea from places beyond the insular boundaries of Samothrace and Delos. Increased maritime connectivity in the Aegean Sea furthered the appeal of these sanctuaries and their cult throughout the Aegean world. But whereas Delos became a cult network famous for its centrality from an early age, in the early archaic period, Samothrace became famous for its marginality. The mythical narratives of Delos incorporated the importance of the island’s position for the maritime routes of the southern Aegean: Delos therefore was understood as a floating island that became fixed in a central position once the twin gods, Apollo and Artemis, were born on it. The birth of the gods, as we have seen, transformed Delos, into the central island of the Aegean, and in one poetic image, the central island was understood as leading the other islands in a circular dance. The image of the dance of the islands is also indicative for the character of the cult network of Delos, which, I argue, had a strong island catchment area, with the core of participants being the neighbouring islanders, Dorian and Ionian alike. Samothrace, on the other hand, was considered marginal – situated among what a source described as a “dangerous” sea, at the borders with the nonGreek world. The marginal position of Samothrace also increased the appeal of its mystery cults: the use of non-Greek words during the initiation to the mysteries, which were incomprehensible to the classical and Hellenistic mostly Greek audience, exemplified the understanding that Samothrace was a liminal space. The liminality of the island was an essential element for the type of cult centred on Samothrace: the unknown Great Gods of Samothrace and their mysteries offered protection from the dangers at sea; danger and salvation at sea were even more crucial in a peripheral and marginal setting. The liminal position of the island of Samothrace, therefore, enhanced the appeal of the Samothracian mysteries as a means for protection from the dangers at sea. The cult network of Samothrace, like Delos, depended on maritime connectivity: it was through the medium of the sea that participants could come to the island in order to celebrate the gods and participate in the initiation ceremonies. Yet, while there was undeniably a large regional network of participants centred on Samothrace, which perhaps contributed to a sense of regional identity, Samothrace was never conceptualised as a central location. The similarities and differences between Delos and Samothrace, their cults and regional networks, show the wide range of possibilities for islands in the Aegean Sea. Both islands were small, with relatively small populations; the Samothracians even complained about the poverty they faced during the fifth century. Yet, Delos and Samothrace achieved considerable wealth and fame beyond their immediate geographic surroundings. The crucial element for their appeal was their insularity; yet, insularity was conceptualised by the islanders and the outsiders in substantially different manners.

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Plan 1: Plan of the Sanctuary of Delian Apollo at Delos, from Philippe BRUNEAU / Jean DUCAT, Guide de Délos, 4th ed., Paris 2005, plan 1 (©EfA).

Plan 2: Plan of the sanctuary of the Great Gods at Samothrace, from Karl LEHMANN, Samothrace: A Guide to the Excavations and the Museum, rev. James R. MCCREDIE, 6th ed., Thessaloniki 1998, plan 4.

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Insularum Varietas: Die Inseln Lesbos und Chios in Antike und Mittelalter Die Besonderheiten von Inseln gegenüber dem Festland, aber auch ihre Verschiedenartigkeit untereinander, wurden bereits in der Antike thematisiert, treten aber erst seit kurzem zunehmend in den Fokus der interdisziplinären Forschung, die die charakteristischen Eigenschaften von Inseln unter dem Begriff der Insularität zu fassen und definieren versucht.1 Dabei wurde in jüngster Zeit herausgestellt, dass Inseln durch Phasen weitgehender Isolation und verstärkter Konnektivität in politischer, kultureller sowie ökonomischer Hinsicht geprägt waren, welche sich in Ausmaß, Dauer und Häufigkeit von Insel zu Insel unterscheiden. Dabei wirkten sich Faktoren wie die Größe der Inseln, ihre Distanz zum Festland sowie zu anderen Inseln, ihre strategische Lage und die auf ihnen vorkommenden Ressourcen nachhaltig aus.2 Allerdings liegen bislang wenige konkrete Fallstudien vor, die das Konzept der Insularität berücksichtigen, so dass die Diskussion um diesen vieldeutigen Begriff noch andauert.3 Dieser Beitrag versucht daher aus der Perspektive der Inseln Lesbos und Chios ihre Verschiedenartigkeit zu analysieren, wobei sich der Vergleich auf die Epochen der Antike und des Mittelalters erstreckt und Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Inseln in ihrer historischen Entwicklung exemplarisch aufgezeigt werden sollen. Gerade durch den epochenübergreifenden Vergleich von Kontinuität und Wandel können Charakteristika dieser Inseln deutlicher herausgearbeitet und so weitere Erkenntnisse für das Konzept der Insularität gewonnen werden.

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Cic. nat. 1, 88; 2, 99-100; vgl. auch Skyl. 97 (MÜLLER); Bas. hex. 4, 7, 93B; Frauke LÄTSCH, Insularität und Gesellschaft in der Antike. Untersuchungen zur Auswirkung der Insellage auf die Gesellschaftsentwicklung (Geographica Historica 19), Stuttgart 2005, S. 21-47. Emilio BIAGINI / Brian HOYLE, Insularity and Development on an Oceanic Planet, in: Insularity and Development. International Perspectives on Islands, hg. v. DENS. (Island Studies Series), London/New York 1999, S. 6-13; André-Louis SANGUIN, Faire le tour de l’ȋle…quelques jalons pour une géopolitique des insularités, in: Vivre dans une ȋle. Une géopolitique des insularités, hg. v. DEMS. (Géographie et Cultures), Paris 1997, S. 12-17; LÄTSCH, Insularität (wie Anm. 1), S. 25-28; Élisabeth MALAMUT, Les Îles de la mer Égée de la fin du XIe siècle à 1204, in: Byzantion 52 (1982), S. 310-350, hier S. 317f., 350; Alexander LOPASIC, Mediterranean Islands: A Concept, in: Collegium Antropologicum 25,1 (2001), S. 363-370, hier S. 369. LÄTSCH, Insularität (wie Anm. 1), S. 26, 233; BIAGINI / HOYLE, Insularity and Development (wie Anm. 2), S. 6.

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I. Lesbos und Chios unterscheiden sich gravierend in Größe und Topographie.4 Die Entfernung zum kleinasiatischen Festland und zueinander ist gleichermaßen gering. Lesbos ist etwa zur Hälfte, ähnlich einer Bucht, vom Festland umgeben, während Chios hingegen nur mit der Ostseite an die Mimas Halbinsel mit Erythrai und Klazomenai grenzt. So führt der Seeweg zu den Städten an der kleinasiatischen Küste in diesem Bereich zwangsläufig an Lesbos, Chios und den kleineren Inseln in ihrer Nähe vorbei.5 Landschaftlich sind für Lesbos mehrere Bergmassive, die sich mit ertragreichen Ebenen abwechseln, und der Golf von Kalloni und Gera bezeichnend, die die Insel gleichsam in drei Halbinseln teilen. Chios hingegen besteht aus einer halbmondförmigen Landmasse, die besonders im Norden und in der Mitte von Gebirgen aus Kalkstein und im Osten und Süden von fruchtbarem Hügelland und günstigen Anlegestellen für Boote und Schiffe geprägt ist.6 Beiden Inseln wurde eine große Fruchtbarkeit zugeschrieben, die die Produktion und den Export von Luxusgütern, wie dem in der Antike besonders geschätzten Wein sowie Öl, Feigen, Marmor und Keramik ermöglichte.7 Einzigartig und von großer Bedeutung für Chios als rentables Exportprodukt war das Harz des Mastixstrauches.8 Wichtige Metallvorkommen waren auf den Inseln nicht vorhanden, allerdings sprechen aber eini-

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Mit 1630 km2 ist Lesbos fast doppelt so groß wie Chios mit 856 km2. Holger SONNABEND, Art. Lesbos, in: DNP 7 (1999), Sp. 85-87, hier Sp. 85; Hansjörg KALCYK, Art. Chios, in: DNP 2 (1997), Sp. 1126f., hier Sp. 1126. Christy CONSTANTAKOPOULOU, The Dance of the Islands. Insularity, Networks, the Athenian Empire and the Aegean World, Oxford 2007, S. 15 spricht beiden Inseln noch einen „insularen Charakter“ zu, während sie einen solchen für Kreta und Euboia ausschließt. Gary REGER, Islands with one Polis versus Islands with several Poleis, in: The Polis as an Urban Centre and as a Political Community. Symposium August, 29-31 1996, hg. v. Mogens H. HANSEN (Acts of the Copenhagen Polis Centre 4), Copenhagen 1997, S. 477 bezeichnet Lesbos dagegen theoretisch als „mini-mainland“; vgl. Skyl. 114 (MÜLLER). Plin. nat. 5, 136-139; Strab. 2, 5, 21; 13, 1, 1; 13, 2, 1-6; 14, 1, 35-36; Paus. 7, 4, 1; Alan M. GREAVES, The Land of Ionia. Society and Economy in the Archaic Period, Chichester 2010, S. 53-54. Plin. nat. 5, 136-140; 36, 132; Strab. 13, 2, 1-6; 14, 1, 35-36; vgl. Longos 1, 1; Hans-Joachim GEHRKE, Jenseits von Athen und Sparta. Das Dritte Griechenland und seine Staatenwelt, München 1986, S. 120f.; GREAVES, The Land of Ionia (wie Anm. 5), S. 53; Wolfram HOEPFNER, Ionien. Brücke zum Orient, Darmstadt 2011, S. 142-146. Strab. 14, 1, 15; 14, 1, 35; 14, 2, 19; 17, 1, 33; Varro rust. 1, 41, 6; 2, praef. 3; Plin. nat. 5, 136; Hom. Hym. 3, 38; Theophr. lap. 6f., 33; Diod. 5, 81; GEHRKE, Jenseits von Athen und Sparta (wie Anm. 6), S. 120-124; GREAVES, The Land of Ionia (wie Anm. 5), S. 53, 72, 81, 132; HOEPFNER, Ionien (wie Anm. 6), S. 12; Joahnnes NOLLÉ / Hertha SCHWARZ, Griechische Inseln, in Flugbildern von Georg Gerstner, Mainz 2007, S. 43-60. Plin. nat. 24, 121; Cato agr. 9, 4; Isid. orig. 14, 6, 30; 17, 7, 51, 71; HOEPFNER, Ionien (wie Anm. 6), S. 12; GEHRKE, Jenseits von Athen und Sparta (wie Anm. 6), S. 121. Diese Pflanzen wuchsen auch in anderen Regionen, doch war der Mastix von Chios von außergewöhnlicher Qualität: Plin. nat. 12, 72; Paul FREEDMAN, Mastic: a Mediterranean luxury product, in: Mediterranean Historical Review 26,1 (2011), S. 99-107.

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ge Belege für einen gewissen Holzbestand.9 Aufgrund der günstigen Windverhältnisse lagen beide Inseln strategisch vorteilhaft an der antiken und mittelalterlichen Handelsroute, die vom Schwarzen Meer entlang der kleinasiatischen Küste bis nach Ägypten und in die Levante verlief.10

II. Lesbos und Chios gehören zu den Inseln, für die sich seit dem Neolithikum bzw. seit der frühen Bronzezeit Siedlungsspuren nachweisen lassen und die spätestens mit der Einwanderung der Aioler (Lesbos) und der Ionier (Chios) ab dem 13. bzw. 11. Jahrhundert v. Chr. durchgehend besiedelt waren.11 Die Siedlungsentwicklung verlief allerdings auffallend unterschiedlich. Während auf Chios unter Aufgabe von Siedlungsplätzen früh der Synoikismos einsetzte und die gleichnamige Polis die ganze Insel umfasste, rangen auf Lesbos die fünf autarken Poleis Antissa, Eresos, Pyrrha und besonders Methymna und Mytilene um die Vorherrschaft über die Insel.12 Lesbos war demnach keine politische Einheit und muss differenziert betrachtet werden. Die Fläche der Insel, die gleichmäßige Verteilung von fruchtbarem Ackerboden und ausreichend Flüsse ermöglichten die unabhängige Versorgung einer größeren Zahl an Einwohnern und den Bestand autonomer Poleis, denen die Meeresbuchten und die Gebirgsmassive Schutz voreinander, aber auch vor externen Mächten geboten haben. Über Kapazitäten solchen Ausmaßes verfügte Chios aufgrund der geringeren Größe und des gebirgigen Nordens nicht. Je nachdem aber wie hoch die Bevölkerungszahl war, ist nicht auszuschließen, dass sich Chios zu manchen

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Theophr. caus. plant. 2, 15, 2; Plin. nat. 16, 16; Strab. 10, 4, 19; Zon. epit. XVIII, 22, 14: Mauritius Eduardus PINDER, Ioannis Zonarae Epitomae Historiarum Libri XVIII, Tomus III (Corpus Scriptorum Historiae Byzantinae), Bonn 1897, S. 737; GEHRKE, Jenseits von Athen und Sparta (wie Anm. 6), S. 121. Egert PÖHLMANN, Die Schifffahrt in der nördlichen Ägäis in der griechischen Frühzeit, in: Griechenland und das Meer, hg. v. Euangelos K. CHRYSOS (Peleus 4), Mannheim/Möhnesee 1999, S. 29-44, hier S. 31-36; Raymond Kenneth LEVANG, Studies in the History of Lesbos, Ann Arbor 1972, S. 1-32; vgl. auch Hom. Od. 3, 157-183. SONNABEND, Art. Lesbos (wie Anm. 4), Sp. 85; HOEPFNER, Ionien (wie Anm. 6), S. 20f. Die archäologischen Befunde für die Polis Chios sind wegen der modernen Bebauung begrenzt, allerdings lassen sich für beide Inseln Einflüsse der hethitischen, mykenischen und lydischen Kultur nachweisen: vgl. GREAVES, The Land of Ionia (wie Anm. 5), S. 7, 9, 98, 108. Zur mythischen Vorzeit der Inseln, vgl. Hdt. 1, 170, 1-2; Thuk. 1,12; Vell. 1, 2, 3; 1, 4, 3-4; Diod. 5, 81-83; Strab. 13, 2; 14, 1, 35f. Plin. nat. 5, 136. Strab. 13, 2, 2-4; Mela 2, 101; LEVANG, Studies in the History of Lesbos (wie Anm. 10), S. 7-10; GEHRKE, Jenseits von Athen und Sparta (wie Anm. 6), S. 34. Methymna hatte Arisbe und den Norden unterworfen, wohingegen Mytilene den Osten kontrollierte (Hdt. 1, 151). Plin. nat. 5, 139 spricht davon, dass Arisbe durch ein Erdbeben zerstört worden sei und neun Poleis auf Lesbos existiert hätten.

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Zeitpunkten selbst versorgen konnte.13 Die Quellenlage lässt die Rekonstruktion der Ursachen für den Synoikismos auf Chios nicht zu. Insofern sind topographische und kulturelle Gründe (Zugehörigkeit zum Ionischen Kulturkreis) ebenso wenig auszuschließen, wie ökonomische (Akkumulation von wirtschaftlichem Potenzial) oder politische Ursachen (Gefahr durch Piraten oder andere Mächte). Letztere mögen plausibler sein, da ganze Siedlungen im Zuge des Synoikismos aufgegeben wurden.14 Wenn diese Entwicklung allerdings eine Schutzreaktion gewesen sein sollte, würde das wiederum implizieren, dass die lesbischen Poleis entweder von solchen Gefahren unberührt blieben oder in der Lage waren, sich unabhängig voneinander zu verteidigen.15 Im 7. und 6. Jahrhundert scheinen aber beide Inseln nicht eminent bedroht gewesen zu sein und keinerlei äußere Repressionen erfahren zu haben.16 Vielmehr entwickelten sich Lesbos mit seinen fünf autonomen Poleis und Chios als vereinte Insel selbst zu starken, maritimen Wirtschaftsmächten, die mit Hilfe ihrer Flotten sogar Teile des Festlandes und die umliegenden Inseln kontrollierten.17 Das Machtvakuum und der demographische und politische Wandel in der Ägäis ab dem 12. Jahrhundert, die Anbindung an den Handel durch die günstige Lage und die Ressourcen beider Inseln waren entscheidende Faktoren für die Entwicklung zu wichtigen Handelszentren und Trägern lokaler Thalassokratien.18 Die starke Hinwendung zum Meer manifestiert sich in den geschützten Häfen und Anlegestellen, über die Chios und Lesbos verfügten.19 Auch in der Religion spiegelt sie sich wider, da Dionysos auf den beiden Wein 13

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Auch wenn es Hinweise gibt, dass Chios zuweilen Getreide importierte, sprechen die in den Quellen betonte Fruchtbarkeit, die Fülle an Wasser und die permanente Besiedelung für eine gewisse Grundversorgung, auch bei einer relativ großen Einwohnerzahl, zumal ebenso der Export von Getreide belegt ist (Sext. Emp. adv. math. 2, 23f.; Xen. hell. 2, 1, 1); GREAVES, The Land of Ionia (wie Anm. 5), S. 52f., 93; vgl. Anm. 7. Auch von Lesbos wurde zeitweilig Getreide importiert (Thuk. 3, 2, 2). GEHRKE, Jenseits von Athen und Sparta (wie Anm. 6), S. 34; REGER, Islands with one Polis (wie Anm. 4), S. 459-461, 466f., 470, 479. Chios gehörte hingegen zu den vergleichsweise größeren ägäischen Inseln, auf denen diese Entwicklung nachweisbar ist und die ganze Insel betraf, so dass es sich nicht grundsätzlich um ein Phänomen kleinerer Inseln handelt, die keinen Schutz vor Piraterie boten: LÄTSCH, Insularität (wie Anm. 1), S. 172-174. Carl ROEBUCK, Chios in the sixth century BC, in: Chios. A Conference at the Homereion in Chios, 1984, hg. v. John BOARDMAN / C.E. VAPHOPOULOU-RICHARDSON, Oxford 1986, S. 81-88, hier S. 85. Weder existierte eine Bedrohung durch eine andere Seemacht, noch durch das Lyderreich. Zu der Landmacht in Kleinasien bestand ein eher neutrales Verhältnis, vgl. Hdt. 1, 141, 1. Hdt. 1, 160, 165; 8, 106, 1; REGER, Islands with one Polis (wie Anm. 14), S. 466f., 470-473; CONSTANTAKOPOULOU, The Dance of the Islands (wie Anm. 4), S 177-199. Strab. 14, 1, 35; Thuk. 1, 13-15; 2, 9, 4; 3, 9-14; Ael. VH 7, 15; HOEPFNER, Ionien (wie Anm. 6), S. 12; GREAVES, The Land of Ionia (wie Anm. 5), S. 98; Karl-Wilhelm WELWEI, Griechische Geschichte. Von den Anfängen bis zum Beginn des Hellenismus, Paderborn/München 2011, S. 37-39, 43, 47-51, 60, 65, 71-82, 96-104. Vitr. 10, 16, 9; Strab. 14, 1, 35; GREAVES, The Land of Ionia (wie Anm. 5), S. 53. Vor allem Mytilene hebt sich mit seinem geschützten Doppelhafen ab (Strab. 13, 2, 2-5).

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exportierenden Inseln nicht nur in seiner Funktion als Gott des Weines, sondern auch als Gott des Meeres verehrt wurde.20 Auffällig ist, dass die beiden dem Festland zugewandten und von diesem gleichsam umgebenen Poleis auf Lesbos die einflussreichsten waren: Mytilene und Methymna lagen unmittelbar an der See- und Handelsroute, während Eresos, Antissa und vor allem Pyrrha vom Festland ebenso wie von dem florierenden Handel abgeschnitten erscheinen.21 Dementsprechend sind nur für Methymna und Mytilene eigenständige peraiai in der Troas und in Thrakien belegt, die als Pufferzone dienten. Entscheidender war aber wohl der Zugang zu wirtschaftlich wichtigen Ressourcen.22 Ob die peraiai, die vielleicht von ganz Lesbos unterhalten wurden, auf ein Kollektiv hinweisen, ist fragwürdig. Denn Mytilene beteiligte sich allein, im Zusammenschluss u. a. mit Chios, Rhodos, Phokaia und Knidos, an der Gründung eines emporion in Naukratis.23 Es gab wohl gemeinsame Aktivitäten, doch war die politische Lage auf Lesbos keinesfalls einheitlich. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass das vereinte Chios eine stärkere wirtschaftliche Orientierung als die lesbischen Poleis aufwies.24 So besaßen auch die Chier die Mittel, um Besitzungen an der kleinasiatischen Küste und in Thrakien zu unterhalten, die den Zugang zu Silberminen und weiteren Ressourcen ermöglichten.25 Aufgrund der strategischen 20

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Fritz GRAF, Nordionische Kulte, Religionsgeschichtliche und epigraphische Untersuchungen zu den Kulten von Chios, Erythrai, Klazomenai und Phokaia (Bibliotheca Helvetica Romana 21), Zürich 1985, S. 74-97; Reinhard STUPPERICH, Dionysos, das Meer und die Attische Demokratie, in: Griechenland und das Meer (wie Anm. 10), S. 65-84, hier S. 74f. NOLLÉ / SCHWARZ, Griechische Inseln (wie Anm. 7), S. 43, 56; LEVANG, Studies in the History of Lesbos (wie Anm. 10), S. 2f., 7. Cicero stellt die Lage von Mytilene heraus: Cic. leg. agr. 2, 40. Thuk. 4, 52; 4, 75, 1; IG XII Suppl. 142; Theopomp. FGrH 115 F 291 (JACOBY); REGER, Islands with one Polis (wie Anm. 4), S. 473. Bei dem Konflikt mit Athen um Sigeion ging es Mytilene vor allem um die Kontrolle und den Zugang zum Schwarzen Meer, vgl. Hdt. 5, 945; Strab. 13, 1, 39f., 49. Strab. 13, 1, 33; Sapph. Fr. 5 (VOIGT); Hdt. 2, 135, 178; Jean BÉRARD, L’Expansion et la Colonisation Grecques, Jusqu’aux Guerres Médiques (Collection Historique), Paris 1960, S. 94-107, 112, 154f.; REGER, Islands with one Polis (wie Anm. 4), S. 473. Mytilene spielte dabei vielleicht zwischen den ionischen und dorischen Poleis eine vermittelnde Rolle, doch scheint besonders Chios in dieser Handelsstation involviert gewesen zu sein. Denise DEMETRIOU, Negotiating Identity in the Ancient Mediterranean. The Archaic and Classical Greek Multiethnic Emporia, Cambridge 2012, S. 81, 110, 129, 140, 145, 147, 137-139; ROEBUCK, Chios in the sixth century BC (wie Anm. 16), S. 84. Arist. pol. 4, 4, 1; Hdt. 6, 8-9; 6, 15; Thuk. 8, 45, 4; Michael ROSTOVTZEFF, Gesellschaftsund Wirtschaftsgeschichte der hellenistischen Welt, Bd. 1-2, Darmstadt 2013, S. 189, 1130 Anm. 73f., S. 1400f. Anm. 140; REGER, Islands with one Polis (wie Anm. 4), S. 467, 479; Theodore Christos SARIKAKIS, Commercial relations between Chios and other Greek states in antiquity, in: Chios (wie Anm. 16), S. 121-132, hier S. 121. Der wirtschaftliche Erfolg liegt vielleicht auch im Synoikismos begründet, vgl. auch Arist. pol. 7, 4, 2. Hdt. 1, 160; Strab. 13, 2; 14, 5, 28; Skymn. 676-678 (MÜLLER); Skyl. 98 (MÜLLER); GRAF, Nordionische Kulte (wie Anm. 20), S. 14, 145f.; ROEBUCK, Chios in the sixth century BC (wie Anm. 16), S. 82-84, 88. Dass der begrenzte Lebensraum auf Chios und Lesbos die Ursache für den Unterhalt solcher peraiai gewesen sein soll (LÄTSCH, Insularität [wie Anm. 1], S. 75-85, 229), ist unwahrscheinlich. Die wirtschaftlichen Interessen standen dabei im Vorder-

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Lage kontrollierten sie den Warenverkehr, erhoben Zölle und verdienten am Export.26 Dasselbe ist zwar für Methymna und Mytilene anzunehmen und dies wäre eine Erklärung für deren Führungsposition auf Lesbos, doch übte die Inselpolis Chios auf den Handel mit den ionischen Poleis großen Einfluss aus und unterhielt auf Aigina einen Handelsposten, um neben dem Markt am Schwarzen Meer, auf den sich die lesbischen Poleis allein konzentriert zu haben scheinen, auch den Markt auf dem griechischen Festland und in Ägypten zu erschließen.27 Diese Bestrebungen zielten offensichtlich auf die Etablierung eines weitreichenden Handelsnetzes ab, das das gesamte östliche Mittelmeer umfasste und in dessen Zentrum Chios lag. Die starke wirtschaftliche Orientierung und Kontrolle wird ferner daran deutlich, dass Chios als erste Polis gekaufte Sklaven für die Warenproduktion einsetzte, worin erste Anzeichen des protoindustriell angelegten, spezialisierten und profitorientierten Wirtschaftssystems der hellenistischen Zeit erkennbar sind.28 Vor diesem Hintergrund ist im 6. Jahrhundert auch die frühe Entwicklung zu einer staatlichen Ordnung zu sehen, die ein neues Bewusstsein des gesamten Demos repräsentierte und die die politische und rechtliche Entscheidungsgewalt auf diesen konzentrierte.29 Erklärbar ist diese neue Ordnung dadurch, dass sich auf Chios eine einflussreiche Schicht von Kaufleuten herausbildete, die politisches Mitspracherecht forderten. Damit entstand auch in Folge der

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grund, vgl. Thuk. 4, 52, 3; ROEBUCK, Chios in the sixth century BC (wie Anm. 16), S. 83; CONSTANTAKOPOULOU, The Dance of the Islands (wie Anm. 4), S. 247. HOEPFNER, Ionien (wie Anm. 6), S. 12; GREAVES, The Land of Ionia (wie Anm. 5), S. 98; ROEBUCK, Chios in the sixth century BC (wie Anm. 16), S. 82-84. Arist. pol. 4, 4, 1; Arist. mirab. 104; ROEBUCK, Chios in the sixth century BC (wie Anm.16), S. 82-85; GREAVES, The Land of Ionia (wie Anm. 5), S. 82-84; SARIKAKIS, Commercial relations between Chios and other Greek states in antiquity (wie Anm. 24), S. 121-127; GRAF, Nordionische Kulte (wie Anm. 20), S. 14f.; Peter W. HAIDER, Kontakte zwischen Griechen und Ägypten, in: Griechische Archaik, Interne Entwicklungen – Externe Impulse, hg. v. Robert ROLLINGER / Christoph ULF, Berlin 2004, S. 447-492, hier S. 452. Theopomp. FGrHist. 155/116 F122 (JACOBY); Arist. pol. 4, 4, 1. Dieses System wird Cato maior unter dem Deckmantel des mos maiorum mit seiner Schrift de agricultura im 2. Jahrhundert v. Chr. nach Italien vermitteln. Silke DIEDERICH, Römische Agrarhandbücher zwischen Fachwissenschaft, Literatur und Ideologie (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte 88), Berlin/New York 2007, S. 11-14, 281-283, 291f. Die für Chios vermutete hohe Bevölkerungsrate geht womöglich auf den Einsatz der vielen Sklaven zurück. Thuk. 8, 40, 2; GREAVES, The Land of Ionia (wie Anm. 5), S. 93. Der Einfluss auf den Handel ist auch an den Amphoren aus Chios zu erkennen, die für den Transport von Waren verwendet wurden, den die Chier auch als Dienstleistung für Händler übernahmen: Plin. nat. 36, 59; GREAVES, The Land of Ionia (wie Anm. 5), S. 84; GRAF, Nordionische Kulte (wie Anm. 20), S. 13-15; ROSTOVTZEFF, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 24), Bd. 1, S. 72, 93-94. DGE 687; Arist. pol. 5, 5, 11; Michael STAHL, Gesellschaft und Staat bei den Griechen. Archaische Zeit (UTB 2430), Paderborn 2003, S. 201, 208-212; GEHRKE, Jenseits von Athen und Sparta (wie Anm. 6), S. 45, 122; ROEBUCK, Chios in the sixth century BC (wie Anm. 16), S. 87f.; vgl. dagegen: WELWEI, Griechische Geschichte (wie Anm. 18), S. 118f., 484 Anm. 269.

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vermehrten externen Handelskontakte eine eigene Identität, die bewusst nach außen präsentiert wurde und sich auch kulturell zu legitimieren versuchte, indem sich z. B. Chios darauf berief, die Heimat Homers zu sein.30 Die Gesellschaft von Chios war daher stark merkantil und finanzwirtschaftlich geprägt, so dass die Rolle der Insel als überregionale Wirtschaftsmacht, vor allem im ägäischen Raum, nicht zu verkennen ist.31 Diese Ausprägung brachte eine generelle Öffnung und grundsätzliche Ausrichtung auf das Festland mit sich, die an der vorrangigen Besiedelung der Ostküste zu sehen ist.32 Durch diese Kontakte war Chios auch auf dem Gebiet der Technik und Innovation nicht rückständig.33 Ebenfalls bestand eine stete Verbindung zum ionischen Kulturkreis. Politisch scheinen die Chier aber nur in ionische Konflikte eingegriffen zu haben, wenn es ihren Interessen diente.34 Lesbos war im 6. Jahrhundert vermutlich von heftigen Kämpfen rivalisierender Adelsfamilien betroffen. Jedenfalls ist dies für Mytilene belegt, wobei diese Kämpfe in regelrechten Feldzügen ausgetragen wurden.35 So hat sich trotz der Flottenverbände auf Lesbos eine Gesellschaft erhalten, die stärker auf der privaten Landwirtschaft basierte und dem Land verbunden blieb. Begünstigt durch die Größe und Fruchtbarkeit der Insel, existierte hier eine überwiegend militärisch geprägte Bauernschicht, die Hopliten stellte und die archai-

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Strab. 10, 4, 19; 4, 1, 35; Thuk. 3, 104, 5; Arist. pol. 4, 4, 1; Arist. rhet. 2, 23, 11; Paus. 7, 5, 13; GEHRKE, Jenseits von Athen und Sparta (wie Anm. 6), S. 121; STAHL, Gesellschaft und Staat bei den Griechen (wie Anm. 29) S. 208-212; GRAF, Nordionische Kulte (wie Anm. 20), S. 15, 136; Alastair BLANSHARD, Trapped between Athens and Chios, in: The World of Ion of Chios, hg. v. Victoria JENNINGS / Andrea KATSAROS (Mnemosyne 288), Leiden/Boston 2007, S. 155-178, hier S. 162-164; Anne GEDDES, Ion of Chios and Politics, in: ebd., S. 110138, hier S. 113. Arist. oec. 2, 1347b-1348a: zur Rolle des „Staates“ als Kreditnehmer und Garant siehe auch Liv. 23, 48, 4-49, 4. GEHRKE, Jenseits von Athen und Sparta (wie Anm. 6), S. 121. Dass die Chier an einer Wirtschaftsmacht und nicht an einer flächendeckenden Expansion interessiert waren, ist auch daran zu sehen, dass sie ihre Sklaven kauften und nicht durch Eroberungen erwarben (vgl. Anm. 28). Chios scheint mit seiner Größe und wirtschaftlichen Ausrichtung den Ansprüchen einer idealen Polis nach Aristoteles zu entsprechen, vgl. Arist. pol. 7, 4-6. Eleutherios YALOURIS, Notes on the Topography of Chios, in: Chios (wie Anm. 16) S. 141168, hier S. 160-163. Paus. 10, 16, 1-2; Hdt. 1, 25; Vitr. 10, 16, 9; Plin. nat. 18, 76. Hdt. 1, 18, 3; 1, 141-143, 148, 160-169; Vitr. 4, 1, 4; GREAVES, The Land of Ionia (wie Anm. 5), S. 220. Eine besondere Verbindung bestand zu Erythrai. Diese Polis und Chios hatten den gleichen Dialekt, der sich von den anderen ionischen Dialekten unterschied und Ausdruck der Identität war (Hdt. 1, 142); BLANSHARD, Trapped between Athens and Chios (wie Anm. 30), S. 169; GEHRKE, Jenseits von Athen und Sparta (wie Anm. 6), S. 76f.; HOEPFNER, Ionien (wie Anm. 6), S. 139. Religiöse Verbindungen sind auch nach Delphi belegt: Hdt. 2, 135, 4. Eine Besonderheit ist der Kult des Apollon Phanaios: GRAF, Nordionische Kulte (wie Anm. 20), S. 50-53, 106, 141, 145. Arist. pol. 3, 9, 5-6; Strab. 13, 2, 3; Plut. Sol. 14; Diog. Laert. 1, 74-75; vgl auch Long. 3, 1-3. Die Lyder haben scheinbar eine Partei durch Geldzuwendungen unterstützt: Alk. Fr. 42 (DIEHL). Vladimir BORUHOVIČ, Zur Geschichte des sozialpolitischen Kampfes auf Lesbos (Ende des 7.-Anfang des 6. Jh. v. u. Z.), in: Klio 63 (1981), S. 247-259.

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sche Machtstrukturen begünstigte.36 Was die für Lesbos festgestellte inselübergreifende Identität betrifft37, so ist das Bewusstsein einer Inselzugehörigkeit in Abgrenzung zum Festland sehr wahrscheinlich. Ein identitätsstiftendes Element lag mit dem lesbischen Dialekt und der Entstehung der Lyrik vor allem auf der literarischen Ebene, durch die Lesbos zum kulturellen Zentrum wurde und einen regen kulturellen Austausch pflegte.38 Inwieweit aber diese Identität gegenüber den Poleis ausgeprägt war, ist in Anbetracht ihrer Rivalität nicht ersichtlich. Für eine dauerhafte politische Vereinigung genügte sie nicht.39 Mit der Unterwerfung der Lyder durch die Perser in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts waren die Inseln mit einer neuen Macht konfrontiert.40 Ab wann und inwieweit Lesbos und Chios von den Persern beherrscht wurden, ist unklar. Zunächst konnten die Inseln ihre Autonomie bewahren, weil den Persern sowohl das nautische Wissen und die Mittel für eine Flotte als auch die Ambition fehlten, so dass sie in den ägäischen Raum weder eingreifen konnten noch wollten.41 Diese Faktoren waren entscheidend dafür, dass das Meer und die Flottenmacht den Inseln ausreichend Schutz boten, zumal vermutlich

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Diog. Laert. 1, 74-81; Raimund SCHULZ, Die Antike und das Meer, Darmstadt 2005, S. 52f.; vgl. auch Sapph. Fr. 20 (VOIGT); Nepos. Thras. 4, 2; GEHRKE, Jenseits von Athen und Sparta (wie Anm. 6), S. 122-124. Lesbos stellte auch Babylon Söldner zur Verfügung: Alk. Fr. 50 (DIEHL). Dass in der Antike Schiffe nur nah an der Küste und nur in den Sommermonaten fuhren, wurde von Oded TAMMUZ, Mare clausum? Sailing Seasons in the Mediterranean in Early Antiquity, in: Mediterranean Historical Review 20,2 (2005), S. 154-156 widerlegt, so dass zu prüfen wäre, inwieweit es die Furcht vor dem unbeständigen und gefährlichen Meer in der Form tatsächlich gab oder ob es sich dabei nicht vielmehr um einen literarischen Topos handelt, vgl. Hes. op. 617-693; SCHULZ, Die Antike und das Meer (wie Anm. 36), S. 206210. LÄTSCH, Insularität (wie Anm. 1), S. 175, 177; REGER, Islands with one Polis (wie Anm. 4), S. 473-479. Hor. carm. 1, 1, 34; 1, 26, 11; 4, 6, 35; Hor. epist. 1, 11, 1; 17; 21; Diod. 5, 81; GEHRKE, Jenseits von Athen und Sparta (wie Anm. 6), S. 76f.; Andreas BAGORDO, Sappho Gedichte, Düsseldorf 2009, S. 9f., 208. Die lesbischen Poleis besaßen ein gemeinsames Heiligtum und hatten eine gemeinsame Münzprägung: REGER, Islands with one Polis (wie Anm. 4), S. 475-477. Da Lesbos als Zentrum der Aioler galt aber offenbar nicht Teil der zwölf Poleis auf dem Festland war, scheint Lesbos von dem Festland in einem gewissen Ausmaß abgegrenzt gewesen zu sein: Hdt. 1, 149-152; Strab. 13, 2, 1. Der lesbische Dialekt galt bis in die Kaiserzeit als eigenwillig. Auch galten die Frauen von Lesbos als besonders schön; Hom. Il. 9, 129-131; Alk. Fr. 24c V. 17 (DIEHL); NOLLÉ / SCHWARZ, Griechische Inseln (wie Anm. 7), S. 43f. Den Frauen auf Zypern spricht Aischylos sogar einen „zyprischen Charakter“ zu: Aischyl. suppl. 282. Bei der Beschreibung mancher Personen als „Lesbier“ in den Gedichten von Alkaios und Sappho muss beachtet werden, dass zum einen diese Dichtung nur unter einem kleinen Teil der Bevölkerung verbreitet war und zum anderen für Alkaios und Sappho als Einwohner des expansiven Mytilene – soweit das belegt ist – ein ideologischer Anspruch auf ganz Lesbos nicht auszuschließen ist: Alk. Fr. 24a V. 1; 24c V. 17 (DIEHL); Sappho Fr. 98b; 106 (VOIGT); BAGORDO, Sappho Gedichte (wie Anm. 38), S. 14-24; vgl. auch Jonathan M. HALL, Culture, Cultures and Acculturation, in: Griechische Archaik (wie Anm. 27), S. 44. Hdt. 1, 141-151; Thuk. 1, 16. Hdt. 1, 141-153; 1, 177f.; Thuk. 1, 13, 16.

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die Perser selbst von den Handelsbeziehungen und Handelsaktivitäten der Inseln profitierten.42 Spätestens seit der Regierungszeit Dareiosʼ I. wurden Mytilene und vermutlich alle lesbischen Poleis sowie Chios von einem durch die Perser eingesetzten Tyrannen kontrolliert.43 Die Chier scheinen sich lange Zeit weniger um die persische Bedrohung gesorgt und mit dem Perserreich Vereinbarungen getroffen zu haben. Viel größer war für sie die Gefahr des Verlusts ihrer Einkünfte aus dem Seehandel aufgrund des wachsenden persischen Einflusses.44 Daher sind aus der Sicht der beiden Inseln neben vielen anderen Faktoren wirtschaftliche Interessen als Ursache für die Beteiligung am Ionischen Aufstand nicht unplausibel, da die Perser mit der Expansion nach Ägypten (525 v. Chr.) und Thrakien (513 v. Chr.) anscheinend auch die wirtschaftliche Bedeutung der Ägäis und des östlichen Mittelmeeres erkannt haben und durch den Ausbau eines zentralen persischen Wirtschaftssystems drohten, die dortigen Märkte und das Meer mithilfe der phönizischen Flotten zu kontrollieren.45 Dadurch war der maritime und wirtschaftliche Einfluss von Lesbos, Chios, aber auch der anderen Poleis wie Milet bedroht. Bei der Seeschlacht bei Lade waren beide Inseln ökonomisch in der Lage eine große Anzahl an Schiffen zu stellen.46 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die Strategie der Ionier und Lesbier, Milet zur See zu verteidigen. Die Insellage und die Seemacht allein boten vor dem Hintergrund der wachsenden persischen Flottenmacht offenbar nicht mehr genügend Schutz, so dass dieser Polis als Pufferzone eine zentrale Rolle zukam, da von ihr aus die Perser Lesbos und Chios leichter hätten erobern können.47

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So glaubten die Knidier ausreichend geschützt zu sein, wenn sie ihr Land durch Gräben zu einer Insel formen, und ebenso die Phokaier, wenn sie sich auf den Oinussai-Inseln niederließen, nachdem sie vom Festland vertrieben worden waren (Hdt. 1, 165; 1, 174, 3-4). Dass die Perser keinen Handel trieben, wird sicherlich nicht der Realität entsprochen haben, deutet aber darauf hin, dass sie diesem einige Zeit lang weniger Beachtung schenkten: Hdt. 1, 153. Die direkte Verbindung durch die Straße von Sardes nach Susa könnte einen intensiven Handel zwischen den Persern und den beiden Inseln ermöglicht haben: Hdt. 5, 52-54; Strab. 14, 2, 28f. Hdt. 4, 97, 3; 4, 138; 5, 11; 8, 132; Thuk. 1, 13, 16. Aischyl. Pers. 865-896. Hdt. 1, 160; 3, 89. Dass sich die Chier lediglich um ihren wirtschaftlichen Einfluss sorgten, zeigt besonders der Hinweis, dass sie sich weigerten, den von den Persern vertriebenen Phokaiern die Oinussai-Inseln zu verkaufen, weil sie fürchteten, dass diese dort ein emporion errichten und die Chier so vom Handel verdrängen könnten (Hdt. 1, 165). Womöglich liegt darin der Grund, warum die Chier bei der Seeschlacht bei Lade nicht voreilig flohen, sondern bis zum Ende kämpften: Hdt. 3, 14-16. Hdt. 3, 1-16, 89f., 143; 5, 23-38; Thuk. 1, 16, 1; Peter HÖGEMANN, Das alte Vorderasien und die Achämeniden, Ein Beitrag zur Herodot-Analyse (Beihefte zum Tübinger Atlas des Vorderen Orients B 98), Wiesbaden 1992, S. 122f., 271-278, 283-296; Jack M. BALCER, The Persian Conquest of the Greeks 545-450 B.C. (Xenia 38), Konstanz 1995, S. 156f., 169f. Hdt. 6, 8-18. Milet selbst konnte auch nur mit Hilfe der Überlegenheit zur See eingenommen werden (Hdt. 6, 5-31).

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Ab 480 v. Chr. begann die Phase, in der Chios und die Poleis auf Lesbos unter wechselnden Allianzen (Athen, Sparta, Perser) und Staatsformen und damit einhergehenden Staseis zwischen der persischen Macht im Osten und den griechischen Stadtstaaten im Westen ihre Unabhängigkeit und ihren Einfluss zu behaupten versuchten und zu einer umkämpften Randzone wurden.48 Erwähnenswert ist mit dem Beitritt zum Attischen Seebund die stärkere Ausrichtung nach Westen als zuvor. Doch ermöglichte dieses Bündnis den Inseln, trotz ihrer Entfernung von Athen, gerade wegen der maritimen Ausrichtung des Bundes ihre Unabhängigkeit gegen die geschwächten Perser (490 v. Chr.) durchzusetzen.49 Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen garantierte das Bündnis aber insbesondere einen freien und stabilen Handel durch Schutz vor persischen Schiffen in der Ägäis. Athen hingegen verfügte damit über eine Pufferzone und Flottenstützpunkte gegen die Perser.50 Demnach waren Lesbos und Chios unabhängige Bündnispartner und sahen sich auch als gleichrangige Mitglieder in der Allianz, weil sie nach wie vor eine eigene Seestreitmacht unterhalten konnten und daher keine Tribute entrichteten.51 Im Zusammenhang mit dem Peloponnesischen Krieg, in dem Mytilene (428 und 412/11 v. Chr.) und Chios (412 v. Chr.) vom Attischen Seebund abfielen, wird die Bedeutung der Lage und der Eigenschaften von Lesbos und Chios evident.52 Ihre Entfernung zum griechischen Festland bildete ein Hindernis, dessen Überwindung durch den Nutzen aufgewogen werden musste. Für Athen war dieser Nutzen gegeben. Die Spartaner hingegen mussten eine Intervention zunächst abwägen. Gleichzeitig konnte die Nähe zum kleinasiatischen Festland eine Bedrohung darstellen, weil Athen dort einen befestigten Flottenstützpunkt errichtet hatte.53 Die Größe und militärische Ausprägung von Lesbos zeigen sich daran, dass die Insel nicht allein von See aus erobert werden konnte, sondern dass dazu der Landkampf und große Anstrengungen nötig waren.54 Und auch die Strafmaßnahmen der Athener gegen die lesbischen Poleis mit Ausnahme des loyalen Methymna sind bezeichnend, nachdem Mytilene abgefallen war und die Kontrolle über ganz Lesbos erlangt hatte. Athen nahm 48 49 50 51

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Thuk. 1, 19, 1; WELWEI, Griechische Geschichte (wie Anm. 18), S. 213, 301-303, 311, 348, 351f., 372f. Thuk. 1, 93, 7; 2, 9, 4; Hdt. 5, 55-65; 8, 132; 9, 97-106; Aischyl. Pers. 865-896. Hdt. 8, 13, 3; Thuk. 1, 93, 116; 2, 9, 5; 3, 39; 3, 46; Arist. Ath. pol. 24, 2; Plut. Per. 17; Arist 23. Thuk. 1, 19, 1; 2, 9, 4f.; 3, 10; 7, 57, 4f. In Anbetracht der hohen Verluste bei der Schlacht bei Lade und der persischen Herrschaft ist die Wiederherstellung der Flotte besonders für Chios bemerkenswert. Vielleicht duldete Athen so lange die Flotte der Lesbier und Chier, eben weil die Inseln als wichtige Pufferzone fungierten. Thuk. 3, 2; 8, 5-22; Xen. hell. 3, 2, 11; Diod. 13, 76; vgl. auch Thuk. 1, 143: Perikles betont die Unantastbarkeit der athenischen Seemacht, wenn sie darüber hinaus auf einer Insel ansässig wäre. Thuk. 1, 143, 4; 3, 13; 4, 52, 2f.; 4, 75, 1; 8, 40, 3; 8, 5f.; 8, 24, 2; 8, 55; Xen. hell. 4, 8, 28; Gabriele BOCKISCH, Die Lakedaimonier auf Lesbos, in: Klio 43-45 (1965), S. 68f., 71f. Xen. hell. 1, 6, 38; 4, 8, 28-30; Thuk. 3, 25; 3, 30; 3, 35; 8, 24; 8, 100, 3.

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den Mytilenern jegliche Machtgrundlage, indem die Mauern geschleift, die Flotte und die Besitzungen auf dem Festland konfisziert und Kleruchien eingerichtet wurden.55 Diese Strafmaßnahmen zeigen, dass Mytilene allein eine nicht zu unterschätzende Macht war, aber ein vereintes Lesbos unter der Führung dieser Polis für Athen eine zu große Bedrohung darstellte. Somit spricht viel dafür, dass Mytilene nicht vorsätzlich vom Bund abgefallen war, sondern Athen zuvor die Expansionsbestrebungen Mytilenes untersagt und damit in interne Angelegenheiten der Insel eingegriffen hatte.56 Chios stellte aufgrund der eigenen Flotte – nur Methymna besaß ebenfalls als unabhängige Polis eine solche –, vor allem aber aufgrund seines Einflusses auf die anderen Poleis eine Bedrohung für die Grundlage der athenischen Seemacht dar.57 Wenn die Chier trotz der athenischen Hegemonie die Wohlhabendsten der Hellenen waren und stets eine besonnene und rationale Politik verfolgten, ist der Abfall dadurch erklärbar, dass Athen mit der Zeit einen so großen Einfluss auf die Wirtschaft und den für die Insel essentiellen Handelsverkehr genommen hatte, dass der Wohlstand der Insel gefährdet war.58 Nachdem sich Lesbos und Chios von der athenischen und dann spartanischen Herrschaft befreit hatten, verblieben sie autonom und waren an der Gründung des Zweiten Attischen Seebundes beteiligt, von dem Chios erneut mit Unterstützung der Perser abfiel und sich dabei gegen Athen durchsetzen 55 56

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Diod. 12, 55; Thuk. 3, 50; Arist. pol. 3, 8, 4; LÄTSCH, Insularität (wie Anm. 1), S. 84f. Thuk. 3, 10f.; 3, 36, 2; Diod. 12, 55; Robert John HOPPER, Handel und Industrie im klassischen Griechenland, München 1982, S. 63f. Ob Methymna dem Synoikismos vielleicht gar nicht so sehr abgeneigt war, lässt sich nicht feststellen; ebenso wenig, ob Mytilene tatsächlich in Erwägung zog, alle Einwohner von Lesbos in einer Polis anzusiedeln oder die Insel zum Schutz vor Athen zu vereinen. Auf Rhodos ist zu diesem Zweck der Synoikismos nachweisbar (Thuk. 3, 2-5); REGER, Islands with one Polis (wie Anm. 4), S. 468, 477. In jedem Fall scheint Methymna ein willkommener Vorwand für Athen gewesen zu sein, um einzugreifen und durch Stärkung eines Gegengewichts etwaige Konkurrenz auszuschalten, vgl. dazu Charles FORNARA, The Aftermath of the Mytilenian Revolt, in: Historia 59 (2010), S. 129142, hier S. 140-142. Thuk. 3, 13; 6, 85, 2; 7, 57, 4f.; 8, 6; 8, 15; 8, 40, 1; 8, 63,1; Plut. Alk. 24, 35. Die immense Bedeutung ist vor allem an der gewaltigen Anstrengung zu sehen, die Athen zur Rückeroberung der Insel unternahm (Thuk. 8, 15, 1-2). Sparta hatte Chios Mytilene als Verbündeten vorgezogen und hoffte mit der Hilfe dieser Polis, möglichst viele Verbündete Athens abtrünnig zu machen (Thuk. 8, 5f., 17). Chios verfügte offenbar über eine größere See- und Wirtschaftsmacht (Thuk. 8, 6). Die Grundlage der athenischen Macht lag vor allem in der Isolation der Verbündeten, der Kleruchien und der phoroi, mit denen die militärische Hegemonie gewährleistet war, um wirtschaftliche Interessen durchzusetzen (Thuk. 1, 15; 1, 143; 3, 9-14); Lisa KALLET, The Origins of the Athenian Economic Arche, in: Journal of Hellenic Studies 133 (2013), S. 52-57. Thuk. 8, 6; 8, 9; 8, 17, 2; 8, 22-24; 8, 45, 4; 8, 24, 3f.; Xen. hell. 1, 6, 37; vgl. auch Plut. Kim. 12; Alastair BLANSHARD, Trapped between Athens and Chios, in: The World of Ion of Chios (wie Anm. 30), S. 162-166, 171f.; LÄTSCH, Insularität (wie Anm. 1), S. 188; John Penrose BARRON, Chios in the Athenian Empire, in: Chios (wie Anm. 16), S. 96f., 103. Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist, dass die Insel Samos, nachdem sie sich von Athen gelöst hatte, nicht nur wieder über „ihr“ Meer herrschte, sondern frei über ihre Im- und Exporte verfügen konnte. Chios musste auf Befehl von Athen seine Mauern schleifen, ließ sich aber Garantien geben, um von weiteren Forderungen befreit zu sein: Thuk, 1, 117; 4, 51; vgl. IG I3 70.

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konnte, während ganz Lesbos loyal blieb.59 Das 4. und 5. Jahrhundert war damit für beide Inseln eine Zeit, in der sie stets unter wechselnden und temporären Verbündeten ihre Autonomie verteidigen und sich gegen eine Fremdherrschaft wehren mussten. Chios blieb wohl weiterhin eine Seemacht, doch waren beide Inseln bald der persischen Kontrolle ausgesetzt, bis Makedonien zur bestimmenden Macht in der Ägäis aufstieg. Zwischen den Makedonen und den Persern waren sie aber erneut eine umstrittene Pufferzone.60 Seit der Herrschaft von Alexander dem Großen spielten die Inseln politisch keine Rolle mehr. Weiterhin stellten sie Schiffe und dienten Alexander zur Absicherung seines Indienfeldzuges, verloren aber an Bedeutung, als sie nach der Eroberung Ägyptens in einer binnenähnlichen Position lagen.61 Diese Lage änderte sich auch später insofern nicht, als die Inseln unter der Herrschaft der Diadochen von stärkeren Mächten umgeben waren. Die Quellenlage für diese Zeit ist unzureichend. Lesbos wechselte wohl mehrfach den Besitzer, bis letztlich die Ptolemaier eine gewisse Kontrolle ausübten und die Insel als strategischen Flottenstützpunkt benutzten. Chios stand nicht unter ptolemäischer Herrschaft und scheint weitgehend unabhängig geblieben zu sein, musste sich aber wie Mytilene vor den zunehmenden Piratenangriffen durch Befestigungen, Bündnisse und Verträge schützen.62 Dennoch erlebten seit Alexander dem Großen beide Inseln eine wirtschaftliche Blüte, die den Großteil der hellenistischen Zeit überdauerte. Für beide ist der Export einer Vielzahl an Produkten belegt. Vor allem Chios war weiterhin ein Warenumschlagplatz und im Geldwesen tätig.63

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Xen. hell. 2, 2, 5; Diod. 14, 84, 3; Karl-Wilhelm WELWEI, Athen. Von den Anfängen bis zum Beginn des Hellenismus. Einbändige Sonderausgabe, Teil 2, Darmstadt 2011, S. 278-280; LEVANG, Studies in the History of Lesbos (wie Anm. 10), S. 18; vgl. auch Isokr. or. 8, 16; 14, 28; 14, 63; Dem. or. 15, 3. Frontin. strat. 1, 4, 13a; Dem. or. 15, 3; 15, 19; 17, 7; Arr. Anab. 2, 1; 2, 13, 3-5; 3, 2, 3-7. Wieder war ein großer Aufwand von Nöten, um Mytilene zu erobern; Arr. Anab. 2, 1; Diod. 17, 29. GRAF, Nordionische Kulte (wie Anm. 20), S. 15-17; Thomas LENSCHAU, Alexander der Große und Chios, in: Klio 33 (1940), S. 201-224; LEVANG, Studies in the History of Lesbos (wie Anm. 10), S. 17-19. SGDI 5655; DGE 632; Ernst BADIAN, Alexander the Great and the Greeks of Asia, in: Collected Papers on Alexander the Great, hg. v. DEMS., London/New York 2012, S. 124-153, hier S. 132-144; Elisabetta PODDIGHE, Alexander & the Greeks: the Corinthian League, in: Alexander the Great, a new History, hg. v. Waldemar HECKEL / Lawrence A. TRITLE, Chichester 2009, S. 99-120, hier S. 109-112. IG 122 498; ROSTOVTZEFF, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 24), Bd. 1, S. 117, 150, 154, 189, 262-264; LEVANG, Studies in the History of Lesbos (wie Anm. 10), S. 18-20, 137; GRAF, Nordionische Kulte (wie Anm. 20), S. 16f.; Vincent GABRIELSEN, Warfare, Statehood and Piracy, in: Seeraub im Mittelmeerraum. Piraterie, Korsarentum und maritime Gewalt von der Antike bis zur Neuzeit, hg. v. Nikolas JASPERT / Sebastian KOLDITZ (Mittelmeerstudien 3), Paderborn 2013, S. 133-154, hier S. 143f. Cic. har. resp. 34; Athen. deipn. 12, 540a; ROSTOVTZEFF, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 24), Bd. 1, S. 173, 176, 189, 516; Bd. 2, S. 1128 Anm. 62.

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Zu Beginn des 2. Jahrhunderts v. Chr. wieder unabhängig, unterstützen die lesbischen Städte ebenso wie Chios die römische Politik der indirekten Herrschaft im Osten, indem sie Schiffe stellten und als Flottenbasis fungierten, um eigene Interessen gegen die letzten Diadochenreiche durchsetzen zu können. Daher gewährte Rom beiden Inseln mit dem Frieden von Apameia 188 v. Chr. die Unabhängigkeit und Chios darüber hinaus zusätzlichen Landbesitz.64 Allerdings sind zwei Fälle von Widerstand überliefert. Antissa wurde im Krieg gegen Perseus abtrünnig und zur Strafe zerstört. Dessen Ländereien wurden Methymna zugesprochen. Somit existierten auf Lesbos nur noch drei große Poleis.65 Mytilene konnte sich sogar in einer Seeschlacht gegen Rom behaupten, nachdem es sich auf die Seite Mithridatesʼ VI. geschlagen hatte, wurde aber letztlich besiegt und bestraft. Ob mit dem Verlust der Autonomie von Mytilene auch Methymna und Eresos der „provincia Asia“ angegliedert wurden, ist ungewiss.66 Der Gebietszuwachs von Methmyna spräche für den erneuten Versuch seitens Mytilenes, sein Land auszuweiten und Herrschaft über Lesbos zu gewinnen.67 Die Heterogenität von Lesbos und vielleicht der zunehmende Einfluss von Methymna zeigen sich u. a. daran, dass sich Eresos mit dem Bau von Türmen vor Methmyna schützte, auch wenn 146 v. Chr. von Rom ein koinon mit gemeinsamer Münzprägung akzeptiert wurde.68 Was für Athen im 5. Jahrhundert eine Bedrohung war, spielte für Rom als überwiegende Landmacht offensichtlich keine Rolle. Sichere Verhältnisse im östlichen Mittelmeer boten sich den Inseln jedoch erst durch das Wirken des Pompeius am Ende der römischen Republik, nachdem Lesbos und Chios zuvor Piraten-

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Liv. 36, 43, 11; 37, 27; 38, 39, 11; App. Mac. 3-4; App. syr. 22; Pol. 5, 24, 11; 28, 1; 100, 9; Frank DAUBNER, Bellum Asiaticum. Der Krieg der Römer gegen Aristonikos von Pergamon und die Einrichtung der Provinz Asia (Quellen und Forschungen zur antiken Welt 41), München 2003, S. 137-139, 196f.; LEVANG, Studies in the History of Lesbos (wie Anm. 10), S. 34-36, 39, 70-72, 138. Wahrscheinlich waren Chios und Lesbos von Steuerabgaben befreit worden: Pol. 21, 48. Liv. 45, 31, 14; DAUBNER, Bellum Asiaticum (wie Anm. 64), S. 66, 137-139. Möglich ist aber auch, dass Antissa wieder aufgebaut wurde, da Plin. nat. 5, 139 und Ptol. geogr. 5, 2, 29 die Stadt noch anführen; vgl. auch Steph. Byz. A337, E107: Margarethe BILLERBECK, Stephani Byzantii Ethnica, Bd. 1 (Corpus Fontium Historiae Byzantinae 43,1), Berlin 2006, S. 216; Bd. 2 (Corpus Fontium Historiae Byzantinae 43,2), Berlin 2011, S. 156. Auffällig ist, dass Plinius Methymna nicht erwähnt. Suet. Caes. 2; Diod. 37, 27, 1; Vell. 2, 18, 3; DAUBNER, Bellum Asiaticum (wie Anm. 64), S. 139-149, 196f.; Cic. leg. agr. 2, 40. Liv. per. 89; ROSTOVTZEFF, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 24), Bd. 1, S. 642; Bd. 2, S. 1350 Anm. 65. Mytilene musste erneut durch einen Hinterhalt eingenommen werden: Plut. Luc. 4; LEVANG, Studies in the History of Lesbos (wie Anm. 10), S. 142-144. Dass Mytilene von der Ausbeutung durch Rom betroffen war, die den Anlass für den Konflikt gebildet hatte, ist unwahrscheinlich: DAUBNER, Bellum Asiaticum (wie Anm. 64), S. 139f. Wirtschaftliche Gründe sind aber auch nicht ausgeschlossen, siehe Cic. Manil. 7, 19. IG XI4 1064; IG XII Suppl. 136; LEVANG, Studies in the History of Lesbos (wie Anm. 10), S. 149; NOLLÉ / SCHWARZ, Griechische Inseln (wie Anm. 7), S. 56-58.

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angriffen ausgesetzt gewesen waren.69 Als Patron war Pompeius dafür verantwortlich, dass Mytilene die Unabhängigkeit wiedererlangte, die die Polis von da an, wie ganz Lesbos, bis in die späte Kaiserzeit behielt.70 Aufgrund seiner Förderung Mytilenes verloren seit diesem Zeitpunkt aber Eresos und Methmyna immer mehr an Bedeutung.71 Dasselbe gilt für Chios. Die Insel, die im 1. Mithridatischen Krieg verwüstet und für ihre Treue mit dem Status eines amicus belohnt worden war, büßte an wirtschaftlichen Einfluss und Reichtum ein. Die Stellung als civitas libera scheint sie hingegen bis zur Herrschaft Vespasians behalten zu haben.72 In den Zeiten der Bürgerkriege und in der Kaiserzeit wurde Lesbos Zufluchtsort für politische Gegner.73 Besonders interessant ist, dass Agrippa zwar aufgrund innenpolitischer Spannungen als Befehlshaber über den Osten aus Rom fortgeschickt wurde, er sich aber in dieser Position länger in Mytilene aufhielt und Lesbos daher zu einer Art Verwaltungssitz wurde. Der Insel kam demnach eine geopolitische Bedeutung zu.74 In diesem Zusammenhang fällt auch auf, dass das Merkmal der Sicherheit in Bezug auf die Schlacht von Pharsalos in Quellen für Lesbos hervorgehoben wird.75 In der literarischen Auseinandersetzung der Römer mit den griechischen Vorbildern gewinnt Lesbos als Ursprungsort der Lyrik auch wieder an kultureller Bedeutung.76 Römischer Einfluss ist mehrfach festzustellen. Der RomaKult ist auf Chios sehr früh belegt, jedoch keine Kaisermünzen, die für Lesbos zahlreich erhalten sind. Gleichzeitig weist die Münzemission auf Lesbos ab dem 2. Jahrhundert darauf hin, dass sich jede Polis ihre eigene Identität, auch in Abgrenzung voneinander, bis in die späte Kaiserzeit bewahrt hat, nach der 69 70 71 72

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Bernhard LINKE, Meer ohne Ordnung. Seerüstung und Piraterie in der Römischen Republik, in: Seeraub im Mittelmeerraum (wie Anm. 62), S. 265-280, hier S. 280. Plut. Pomp. 42, 75; Val. Max. 8, 14, 3; Strab. 13, 2, 3; DAUBNER, Bellum Asiaticum (wie Anm. 64), S. 196f. Plin. nat. 5, 139; Holger SONNABEND, Art. Methymna, in: DNP 8 (2000), Sp. 99f., hier Sp. 100. Plin. nat. 5, 136; App. Mithr. 25, 46f., 61; Ios. ant. Iud. 16, 2, 2; Suet. Tib. 8; DAUBNER, Bellum Asiaticum (wie Anm. 64), S. 196f.; Alexander M. VLASTOS, A History of the Island of Chios, A. D. 70-1822, London 2012, S. 1. Chios war auch der Willkür mancher römischer Statthalter ausgesetzt, wie der Fall von Verres zeigt. Allerdings sind Handelsaktivitäten weiterhin belegt: Cic. Verr. 2, 1, 49, 52; Cic. Att. 12, 19, 1. In der Kaiserzeit hatten die Chier wohl den Ruf, gierig zu sein und waren für ihren extravaganten Lebensstil bekannt (Petr. 63, 3); Plut. de tranqu. anim. 469b, 470c. Dio 28, 97, 3; 56, 27, 2; Tac. ann. 2, 54; 14, 53; Cic. Rab. Post. 10, 27. Cassius Dio hält Lesbos für ein angenehmes und sicheres Exil: Dio 58, 18, 4; vgl. Cic. Att. 4, 7, 4; 7, 3. Ios. ant. Iud. 15, 10, 2; 16, 2, 2; Dio 53, 32, 1; 56, 27, 2; 58, 18, 4; Suet. Aug. 66, 3; vgl. auch Dio 49, 17, 4; NOLLÉ / SCHWARZ, Griechische Inseln (wie Anm. 7), S. 50. Der Grund für die Sicherheit lag in erster Linie darin, dass die Einwohner von Mytilene Pompeius verpflichtet waren, aber hier wird die Entfernung bzw. die Unzugänglichkeit betont: Plut. Pomp. 66, 74f.; Dio 42, 2, 3f.; 58, 18, 4; Lucan 5, 724-727; 5, 743f.; 8, 118-127; 8, 640f.; vgl. Flor. epit. 2, 13, 51; App. civ. 2, 83; Suet. Caes. 2; Vell. 2, 53, 2; Caes. civ. 3, 102. Hor. carm. 1, 1, 34; 1, 26, 11; 4, 6, 35. Hor. epist. 1, 11, 1; 17; 21; LEVANG, Studies in the History of Lesbos (wie Anm. 10), S. 20-22.

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aber Mytilene immer mehr zum Mittelpunkt und Synonym für die ganze Insel wurde.77

III. Die Informationen über die beiden Inseln in der Spätantike bzw. der frühbyzantinischen Zeit sind spärlich. Mit der Teilung des römischen Reiches fielen beide Inseln wie die gesamte ägäische Inselwelt an Ostrom und sind dann integraler Bestandteil des byzantinischen Reiches. Als eigenständige Regionen wurden sie nicht angesehen, so dass sie in den Quellen keine wesentliche Erwähnung finden.78 Relativ früh gibt es Hinweise auf die Verbreitung des Christentums, doch hielten sich die traditionellen Kulte auf beiden Inseln sehr lange.79 Ebenso verdient es besondere Beachtung, dass Lesbos und Chios die einzigen Inseln waren, auf denen keine Besitzungen des Berges Athos und wenig Kontakte dorthin feststellbar sind. Im Gegenteil, das Kloster Nea Moni auf Chios und das Bistum von Mytilene, das ab dem 10. Jahrhundert Metropole war, besaßen beide auf dem Festland Gebiete und übten dort selbst bedeutenden Einfluss aus.80 Darüber hinaus waren sie eine frequentierte Station auf der Pilgerroute in den Osten und fortwährend Exilorte, an denen aber stets ein reger kulturel-

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Mytilene prägte Münzen mit einer Weinrebe, Eresos mit einer Ähre und Methymna mit einem Delphin gemäß seiner Legende; Mart. 8, 50, 15f.; DAUBNER, Bellum Asiaticum (wie Anm. 64), S. 194, 197; GRAF, Nordionische Kulte (wie Anm. 20), S. 21, 145; LEVANG, Studies in the History of Lesbos (wie Anm. 10), S. 80-82, 88, 92-95, 99f., 112, 120-128, 130133, 149-152; Johannes KODER, Art. Lesbos, in: LexMA 5 (1991), Sp. 1908. Michel BALARD, Art. Chios, in: LexMA 2 (1983), Sp. 1842-1844, hier Sp. 1842; VLASTOS, A History (wie Anm. 72), S. 3f.; Anthony KALDELLIS / Stephanos EFTHYMIADIS, The Prosopogaphy of Byzantine Lesbos 284-1355 A. D. A Contribution to the Social History of the Byzantine Province (Veröffentlichungen zur Byzanzforschung 22; OAW 403), Wien 2010, S. 33, 44. Sie gehörten wie der Großteil der ägäischen Inseln zunächst der Provinz Nesoi, später dem Thema Aigaion Pelagos an, wurden wohl aber eigenständig verwaltet; Joahnnes KODER, Der Lebensraum der Byzantiner. Historisch-geographischer Abriß ihres mittelalterlichen Staates im östlichen Mittelmeer (Byzantinische Geschichtsschreiber EB 1), Graz/Wien 1984, S. 79; DERS., Zur Siedlungsentwicklung der Ägäis-Inseln im Mittelalter, Die Beispiele Lesbos und Chios, in: Die byzantinische Stadt im Rahmen der allgemeinen Stadtentwicklung, hg. v. Klaus-Peter MATSCHKE, Leipzig 1995, S. 75-91, hier S. 75, 84. Bischöfe sind in Mytilene um 359, in Methymna 520 und auf Chios 449 belegt: VLASTOS, A History (wie Anm. 72), S. 2f.; KALDELLIS / EFTHYMIADIS, The Prosopography of Byzantine Lesbos (wie Anm. 78), 29, 33; Anthony KALDELLIS, Lesbos in Late Antiquity: Live Evidence an New Models for Religious Change, in: Archaeology and History in Roman, Medieval and Post-Medieval Greece Studies on method and meaning in honor of Timothy E. Gregory, hg. v. William R. CARAHER / Linda J. HALL / Robert S. MOORE, Aldershot 2008, S. 155-167. KALDELLIS / EFTHYMIADIS, The Prosopography of Byzantine Lesbos (wie Anm. 78), S. 33; Johannes KODER, Aigaion Pelagos. Die nördliche Ägais (Tabula Imperii Byzantini 10), Wien 1998, S. 50, 116; MALAMUT, Les Îles de la mer Égée (wie Anm. 2), S. 327, 330, 337f., 342.

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ler Austausch bestand.81 Ob die Einwohner der Inseln eine inselspezifische Identität bewahrt haben, ist schwer festzustellen. Wahrscheinlich ist, dass sie sich als Römer und später als orthodoxe Christen sahen.82 Ihre strategische Bedeutung haben die beiden Inseln auch in der byzantinischen Zeit nicht verloren. Sie waren Bindeglieder zwischen den westlichen und östlichen Reichsgebieten, Handelsknotenpunkte zwischen dem Schwarzen Meer und der Levante und wichtig für die Versorgung von Konstantinopel und den Militärprovinzen.83 Auffällig ist, dass vor allem Chios erneut als Sammelund Verteilungsstation von Getreide aus Ägypten diente.84 Ob die Inseln vor den Einfällen der Vandalen und Slawen verschont blieben, ist ungewiss. Der Bau einer Festung in Mytilene unter Iustinian I. lässt das Gegenteil vermuten.85 Vom 7. bis 10. Jahrhundert litten sie, wie die ganze ägäische Inselwelt, zunehmend unter den Angriffen muslimischer Seeräuber, was die Byzantiner zum Anlass nahmen, ihre Marine auszubauen, da bislang eine reguläre Kriegsflotte nicht nötig gewesen war.86 Eine frühe Bedrohung der byzantinischen Macht hatte sich bereits um die Mitte des 7. Jahrhunderts aus der Politik des Kalifen Muʿawiya ergeben, der für eine kurze Zeit neben anderen Inseln auch Chios einnehmen konnte, wodurch er über eine für Konstantinopel bedrohlich nahe Operationsbasis verfügte.87 Obwohl sich die Byzantiner der Signifikanz der maritimen Kontrolle und auch der ägäischen Inseln als Bindeglied für verschiedene Reichsteile bewusst waren, konnten sie sich als Seemacht nicht dauerhaft durchsetzen.88 Das hatte zur Folge, dass die ägäi81

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Zon. epit. XV, 14, 12; XVI, 4, 33; XVII, 1, 2. PINDER, Ioannis Zonarae Epitomae Historiarum Libri XVIII (wie Anm. 9), S. 304, 403, 520; KALDELLIS / EFTHYMIADIS, The Prosopography of Byzantine Lesbos (wie Anm. 78), S. 44f.; KODER, Aigaion Pelagos (wie Anm. 80), S. 117-119. KALDELLIS / EFTHYMIADIS, The Prosopography of Byzantine Lesbos (wie Anm. 78), S. 44. KODER, Der Lebensraum der Byzantiner (wie Anm. 78), S. 31, 72; Ralph-Johannes LILIE, Einführung in die byzantinische Geschichte, Stuttgart 2007, S. 29-31; KALDELLIS / EFTHYMIADIS, The Prosopography of Byzantine Lesbos (wie Anm. 78), S. 33; vgl. auch Prok. HA 22, 17-20; 30, 8-11. Sehr anschaulich ist die Allegorie von Kopf (Europa), Mitte (die ägäischen Inseln) und Schwanz (Kleinasien) bei Theophanes Continuatus 2, 20f.: Theophanes Continuatus, Ioannes Cameniata, Symeon Magister, Georgius Monachus, Tomus I, ex recognitione Immanuel BEKKER (Corpus Scriptorum Historiae Byzantinae), Bonn 1838, S. 73. MALAMUT, Les Îles de la mer Égée (wie Anm. 2), S. 324f.; Angeliki E. LAIOU, Exchange and Trade, Seventh-Twelfth Centuries, in: The Economic History of Byzantium. From the Seventh through the Fifteenth Century, Vol. 2, hg. v. DEMS., Washington 2002, S. 697-770, hier S. 701, 735; KODER, Aigaion Pelagos (wie Anm. 80), S. 147. Prok. BV 1, 5, 32; 3, 14, 18; BP 2, 4, 5-11; KODER, Aigaion Pelagos (wie Anm. 80), S. 230. Zon. epit. XVIII, 22, 14: Ioannis Zonarae Epitomae Historiarum Libri XVIII (wie Anm. 9), S. 737; Taxiarchis G. KOLIAS, Die byzantinische Kriegsmarine. Ihre Bedeutung im Verteidigungssystem von Byzanz, in: Griechenland und das Meer (wie Anm. 10), S. 133-140, hier S. 133; KODER, Aigaion Pelagos (wie Anm. 80), S. 150-153, 209-213, 230-234. KALDELLIS / EFTHYMIADIS, The Prosopography of Byzantine Lesbos (wie Anm. 78), S. 7274; KODER, Aigaion Pelagos (wie Anm. 80), S. 75f. Johannes KODER, Aspekte der Thalassokratia der Byzantiner in der Ägäis, in: Griechenland und das Meer (wie Anm. 10), S. 101-110, hier S. 102, 107-109; KOLIAS, Die byzantinische Kriegsmarine (wie Anm. 86), S. 133, 139.

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schen Inseln nicht effektiv geschützt werden konnten, auch wenn Kleinasien als Pufferzone bis ins 10. Jahrhundert Übergriffe vom Festland her verhinderte. Mit der muslimischen Eroberung von Syrien, Ägypten, Zypern und Kreta lagen sie nicht mehr in einer geschützten Binnenlage.89 Als Schutzreaktion wurden Festungen ausgebaut und kastra als Rückzugsmöglichkeit sowie ganze Siedlungen im Landesinneren angelegt. Diese Tendenz, sich von der Küste zu entfernen, um Piratenangriffen und Seuchen zu entgehen, spricht für die regenerativen Kapazitäten der Inseln. Das Resultat dieser Umstände war, dass sie sich mit der Zeit zu eigenständigen administrativen Einheiten entwickelten und dementsprechend wahrgenommen wurden.90 Bei der Rückeroberung Kretas durch Konstantinopel im 10. Jahrhundert und der Sicherung der Ägäis fiel Lesbos und Chios eine militärischstrategische Funktion zu, indem sie als wichtige Flottenstützpunkte und Werften fungierten.91 Die erlangte Kontrolle auf See war aber nicht von langer Dauer, weil das byzantinische Reich, durch Bürgerkriege geschwächt, ab dem 11. Jahrhundert im Kampf gegen die Muslime und die lateinischen Mächte zunehmend an militärischer und wirtschaftlicher Macht verlor.92 Und so wird die immense Bedeutung von Chios und Lesbos besonders im 14. Jahrhundert ersichtlich, als sich der Kampf der lateinischen Seerepubliken um die begehrten Objekte zugunsten der Genuesen entschied. Noch 1171 hatte Venedig erfolglos versucht, sich ihrer zu bemächtigen. Nach 1204 konnten sie schließlich durch Johannes III. Vatatzes mit Hilfe Genuas zurückerobert werden, doch bald folgte die genuesische Herrschaft, die in zwei Phasen gegliedert werden kann.93 Nachdem für die Republik 1261 Handelsplätze und Produktionsstätten auf beiden Inseln eingerichtet worden waren, erhielt zunächst Benedetto Zaccaria 1304 Chios mehr oder weniger einvernehmlich zur Verwaltung und wirtschaftlichen Nutzung auf Zeit zugesprochen. Im Gegenzug forderte Andronikos II. die Verteidigung gegen die Muslime, die Konstantinopel nicht mehr .

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Prok. HA 24, 12-13; LILIE, Einführung in die byzantinische Geschichte (wie Anm. 83), S. 2125, 106. MALAMUT, Les îles de la mer Égée (wie Anm. 2), 315, 323, 333; KODER, Zur Siedlungsentwicklung der Ägäis-Inseln im Mittelalter (wie Anm. 78), S. 77-91; DERS., Aigaion Pelagos (wie Anm. 80), S. 150-153, 228-234. KALDELLIS / EFTHYMIADIS, The Prosopography of Byzantine Lesbos (wie Anm. 78), S. 33; KODER, Aigaion Pelagos (wie Anm. 80), S. 142-145. Anna VIII 8, 1-10: Annae Commenae Alexias, rec. Diether R. REINSCH / Athanasios KAMBYLIS, Pars Prior: Prolegomena et Textus (Corpus Fontium Historiae Byzantinae 40), Berlin/New York 2001, S. 222-226: Hier wird erneut die Größe und Beschaffenheit von Lesbos deutlich, da die Eroberung einer Stadt für die Kontrolle über die ganze Insel nicht ausreichte: Christopher WRIGHT, The Gattilusio Lordship and the Aegean World 1355-1462, (The Medieval Mediterranean 100), Leiden/Boston 2014 S. 30-35, 44; KODER, Zur Siedlungsentwicklung der Ägäis-Inseln im Mittelalter (wie Anm. 78), S. 77. WRIGHT, The Gattilusio Lordship and the Aegean World 1355-1462 (wie Anm. 92), S. 2967; Georg OSTROGORSKY, Geschichte des byzantinischen Staates, München 1965, S. 331, 361, 373, 437-474.

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selbst gewährleisten konnte.94 Mit Chios verfügte die Familie Zaccaria über eine Insel, die wirtschaftlich äußerst rentabel war. Um den Wert der Insel wissend, sicherte sie Chios mit Mauern und Festungen, vor allem aber etablierte sich die Insel wieder als eigenständige Seemacht, die die östliche Ägäis kontrollierte und den Schutz der Handelswege sicherstellte. Ihr Einfluss ging so weit, dass die Türken Tribut zahlten, um vor Übergriffen der Genuesen sicher zu sein.95 Unter der Verwaltung der Zaccaria war auf Chios wieder eine autarke Seemacht vorhanden, deren Rolle und damit die der Insel im Zusammenhang mit der osmanischen Expansion, nicht gering einzuschätzen ist.96 Als die Zaccaria zu mächtig wurden und die Insel nicht abzutreten gedachten, nahm Kaiser Andronikos III. große Anstrengungen auf sich, um Chios 1329 zurückzuerobern, wohingegen Lesbos kurzzeitig (1333-1336) von Domenico Cattaneo erobert wurde.97 Einmal mehr wird hier die Bedeutung der physischen Beschaffenheit und Größe von Lesbos deutlich. Zum einen gelang es aufgrund der Befestigungen nicht, die Kontrolle über die ganze Insel zu erlangen, zum anderen bot Lesbos Ressourcen für einen lukrativen Handel.98 Das schon besetzte Chios wurde 1346 von den Byzantinern nolens volens genuesischen Interessenten in Gestalt der privaten Kapitalgesellschaft der Maona de Chio unter der Führung der Familie Giustiniani überlassen.99 Damit wurde Chios de facto eine unabhängige Insel, wobei der Maona auch das Monopol auf die Produktion und den Verkauf des rentablen Mastix zufiel. Die Bedeutung dieses Rohstoffs und die Intensivierung seiner Gewinnung zeigen sich in dem systematischen Ausbau von Festungen an Knotenpunkten und Siedlungen in der südlichen Mastixregion, die durch ein Warnsystem von Türmen vor Übergriffen geschützt wurde.100 Vor allem aber war Chios für Ge94

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WRIGHT, The Gattilusio Lordship and the Aegean World 1355-1462 (wie Anm. 92), S. 3037; William MILLER, Essays on the Latin Orient, Amsterdam 1964, S. 283, 287-289; KODER, Aigaion Pelagos (wie Anm. 80), S. 144, 210, 231. Enrico BASSO, Pirateria, Politica, Ceti Dirigenti, in: Seeraub im Mittelmeerraum (wie Anm. 62), S. 209-250, hier S. 226f.; Philip Pandely ARGENTI, The Occupation of Chios by the Genoese and their Administration of the Island (1346-1566), vol. 1: Text, Cambridge 1958, S. 6067. MILLER, Essays (wie Anm. 94), S. 289f.; ARGENTI, The Occupation of Chios by the Genoese (wie Anm. 95), S. 116. Chron. Byz. brev. 8, 29: Peter SCHREINER, Die byzantinischen Kleinchroniken, 1. Teil: Einleitung und Text (Corpus Fontium Historiae Byzantinae 12/1), Wien 1975, S. 80; WRIGHT, The Gattilusio Lordship and the Aegean World 1355-1462 (wie Anm. 92), S. 84-92, 112f.; MILLER, Essays (wie Anm. 94), S. 291-293. Wie schon in der Antike wurde bei der Rückeroberung von Chios der Hafen versperrt, indem Schiffe absichtlich versenkt wurden: Vitr. 10, 16, 9; ARGENTI, The Occupation of Chios by the Genoese (wie Anm. 95), S. 64. MILLER, Essays (wie Anm. 94), S. 294f.; KODER, Aigaion Pelagos (wie Anm. 80), S. 229231. VLASTOS, A History (wie Anm. 72), S. 22-30. Kate FLEET, European and Islamic Trade in the early Ottoman State: the Merchants of Genoa and Turkey, Cambridge 1999, S. 26f.; KODER, Zur Siedlungsentwicklung der ÄgäisInseln im Mittelalter (wie Anm. 78), S. 88-90; ARGENTI, The Occupation of Chios by the Genoese (wie Anm. 95), S. 562-566, 477-484. Sehr anschaulich dargestellt sind die Schutz-

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nua die maßgebliche Verteilerstation des Handelsverkehrs, über die die verschiedensten Waren distribuiert und Zölle erhoben wurden. Dabei bildete Chios nicht nur den Umschlagplatz für den lateinischen und osmanischen Handel in das Schwarze Meer, die Levante und den Mittleren Osten, sondern auch den Ausgangspunkt für die direkte Route nach England und Flandern. Infolgedessen erlebte Chios nach den Jahrhunderten der Piraterie und Plünderungen eine wirtschaftliche Blütephase, von der auch byzantinische Adlige und Händler profitierten.101 Da die Maona an Chios überwiegend als Handelsstation interessiert und in die Geldwirtschaft involviert war, agierte sie zumindest anfangs als die kontrollierende und regulierende Instanz im kleinasiatischen Handel.102 Lesbos hingegen wurde 1355 durch Kaiser Johannes V. Palaiologos an Francesco I. Gattilusio als Mitgift übergeben, der dort seine unabhängige Territorialherrschaft etablierte und mit seiner Flotte das östliche Mittelmeer durch zahlreiche Überfälle verunsicherte.103 So erfuhr auch Lesbos durch Erzeugung und Produktion eine Phase des Reichtums und profitierte als Handelsstation, doch lag der Schwerpunkt auf der militärischen Dominanz der Insel, die als Schutzwall gegen die Muslime angesehen wurde.104 Der griechischen Bevölkerung wurden auf beiden Inseln einige Privilegien wie die Religionsfreiheit zugesprochen, und besonders Francesco I. Gattilusio soll milde über die Insel geherrscht haben, zumal er gute Verbindungen zum byzantinischen Kaiserhaus unterhielt.105 Was die Handelsaktivitäten betrifft, so lagen jegliche Kontrolle und Privilegien auf Chios bei der Maona, die zumindest zu Beginn ihrer Herrschaft die Bevölkerung so sehr belastete, dass es zu Widerstand und Aufstandsbestrebungen kam. Sonst waren die Beziehungen zwischen den Genuesen und der griechischen Bevölkerung jedoch respekttürme in den Karten bei Piero SPAGNESI, Chios medioevale, Storia architettonica di’un’isola della Grecia Bizantina, Rom 2008, S. 145-147, 187-189, 253-255. 101 Auch für den Sklavenhandel war Chios ein bedeutender Markt: FLEET, European and Islamic Trade (wie Anm. 100), S. 22-27, 37-58, 64, 76-78, 83f., 103, 118-121, 124; ARGENTI, The Occupation of Chios by the Genoese (wie Anm. 95), S. 97-100, 477-482, 504-520, 570f., 590-611; Klaus-Peter MATSCHKE / Franz TINNEFELD, Die Gesellschaft im späten Byzanz. Gruppen, Strukturen und Lebensformen, Köln/Weimar 2001, S. 176-179, 188-190, 194. 102 FLEET, European and Islamic Trade (wie Anm. 100), S. 50, 81, 110; Michel BALARD, La Méditerranée médiévale: espaces, itinéraires, comptoirs (Les médiévistes français 6), Paris 2006, S. 36-41, 64f., 116-120; ARGENTI, The Occupation of Chios by the Genoese (wie Anm. 95), S. 104, 422, 433-437, 478-481, 570f. 103 Chron. Byz. brev. 30, 1: SCHREINER, Die byzantinischen Kleinchroniken (wie Anm. 97), S. 219; Kritob. hist. I, 75, 3f.; II, 11, 1: Diether R. REINSCH, Critobuli Imbriotae Historiae (Corpus Fontium Historiae Byzantinae 22), Berlin/New York 1983, S. 86, 101f.; WRIGHT, The Gattilusio Lordship and the Aegean World 1355-1462 (wie Anm. 92), S. 29-56. 104 Kritob. hist. IV, 13, 1: Critobuli Imbriotae Historiae (wie Anm. 103), S. 173; WRIGHT, The Gattilusio Lordship and the Aegean World 1355-1462 (wie Anm. 92), S. 64-74, 98, 253-265f; MILLER, Essays (wie Anm. 94), S. 317f., 323, 348f. 105 WRIGHT, The Gattilusio Lordship and the Aegean World 1355-1462 (wie Anm. 92), S. 78, 82-85, 113f., 270-277, 283, 286-302, 402; ARGENTI, The Occupation of Chios by the Genoese (wie Anm. 95), S. 97-102, 438-442, 612-615, 651-656.

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voll.106 Darüber hinaus führte der intensive wirtschaftliche Austausch dazu, dass beide Inseln zu einem frequentierten Treffpunkt und Domizil verschiedener Kulturen wurden.107 Durch gegenseitige Unterstützung, Diplomatie und letztlich durch Tribute bewahrten die Inseln im 15. Jahrhundert ihre Unabhängigkeit gegen die expandierenden Osmanen, die ähnlich den Persern in der Antike, bis zu diesem Zeitpunkt der Kontrolle über das Meer geringe Bedeutung beigemessen hatten. Nach der Eroberung von Konstantinopel 1453 waren sie jedoch von der osmanischen Macht eingeschlossen, die nun zunehmend in der Ägäis operierte.108 Zunächst konnten sie sich vor der befürchteten Eroberung durch ihre Flotte und Befestigungen schützen, doch 1463 unternahm Mehmet II. große Anstrengungen, um Lesbos einzunehmen.109 Zumindest ein Grund für die Eroberung scheint die Unterstützung christlicher Piraterie seitens Niccolò II. Gattilusio gewesen zu sein, die den Aufwand für Mehmet II. rechtfertigte. Interessant ist, dass auch in diesem Fall Mytilene nur durch großen Einsatz militärischer Ressourcen bzw. nur durch List eingenommen werden konnte.110 Hingegen konnte die Maona auf Chios die Insel bis 1566 eigenständig verwalten, obwohl Chios seit der Eroberung von Lesbos isoliert war. Die Entdekkung des Seewegs nach Indien zog wirtschaftliche Verluste nach sich, da Chios nicht mehr auf der einzigen Handelsroute von Europa in den Osten lag, doch war die Mastix-Insel weiterhin von großer wirtschaftlicher Bedeutung, und die Maona verfolgte eine neutrale Politik gegenüber den Osmanen, so dass von ihr keine Gefahr ausging. Außerdem ist denkbar, dass die Osmanen über die Tributzahlungen hinaus auch wirtschaftlich und nautisch-technisch

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ARGENTI, The Occupation of Chios by the Genoese (wie Anm. 95), S. 60-65, 374, 416-438, 586-615. BALARD, La Méditerranée médiévale (wie Anm. 102), S. 37, 40f., 64f., 118-120, 153; MILLER, Essays (wie Anm. 94), S. 309-312, 323; ARGENTI, The Occupation of Chios by the Genoese (wie Anm. 95), S. 582-590. Kritob. hist. I, 74, 1; III, 10, 2-7; IV, 14, 2f.: Critobuli Imbriotae Historiae (wie Anm. 103), S. 85, 130f., 174f.; WRIGHT, The Gattilusio Lordship and the Aegean World 1355-1462 (wie Anm. 92), S. 44f., 49f. 60f., 65, 68-71, 398-406, 416; MILLER, Essays (wie Anm. 94), S. 307319; Giancurlo CASALE, The Ottoman Age of Exploration, Oxford 2010, S. 182-189; ARGENTI, The Occupation of Chios by the Genoese (wie Anm. 95), S. 116, 208-227, 322f., 352. Albrecht FUESS, Muslime und Piraterie, in: Seeraub im Mittelmeerraum (wie Anm. 62), S. 175-198, hier S. 194. Kritob. hist. IV, 10, 10-13, 1: Critobuli Imbriotae Historiae (wie Anm. 103), S. 168-173; WRIGHT, The Gattilusio Lordship and the Aegean World 1355-1462 (wie Anm. 92), S. 70-76, 398, 406. Vgl. die Aussagen der sog. Kronika turecká Kapitel 33, Übersetzung: Renate LACHMANN, Memoiren eines Janitscharen oder Türkische Chronik (Slavische Geschichtsschreiber 8) Graz/Wien/Köln 1975, S. 135. Dass Lesbos nicht allein zur See eingenommen und durch Eroberung einer Stadt kontrolliert werden konnte, wird bei Kritob. hist. III, 10, 2-7; IV, 10, 1013,1: Critobuli Imbriotae Historiae (wie Anm. 103), S. 129-131, 168-173 und Commentaria de rebus Genuensibus, hg. v. Emilio PANDIANI, (Rerum Italicarum Scriptores 24, 8), Bologna 1930-32, S. 83f. deutlich.

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von ihr profitierten.111 Sei es, dass die Maona die stetig gestiegenen Tribute nicht mehr zahlen konnte, oder dass sie letztlich doch Partei für die christlichen Mächte ergriffen hatte: Die Eroberung durch Süleyman I. beendete schließlich den unabhängigen Status von Chios. Sie mag aber auch auf das Bestreben der Osmanen zurückzuführen sein, selbst den profitablen Handel der Insel zu kontrollieren, denn auch die neuen Herren nutzten Chios als Handelsstation und Produktionsstätte von Luxusgütern, übernahmen genuesische Wirtschaftsstrukturen und gestanden den Einwohnern daher Privilegien zu.112

IV. Die große Bedeutung von Lesbos und Chios geht in erster Linie auf ihre Lage zurück, die sie zu prädestinierten Handelsstationen machte. Gleichzeitig hatten sie das Potenzial, als Seemächte zu agieren oder als Ausgangsbasis für Überfälle zu fungieren. Je nach Machtkonstellation in der Ägäis bzw. dem Mittelmeer dienten sie auch in der Peripherie als Pufferzone, während sie in einer Binnenlage primär ökonomisch relevant waren. Bis in die hellenistische Zeit versuchten sie ihre Unabhängigkeit zu wahren, nachdem sie zuvor selbst bedeutende Seemächte gewesen waren. Unter der römischen bzw. byzantinischen Herrschaft waren sie integraler Bestandteil einer Landmacht und wurden erst wieder unter den Genuesen zu selbständigen politischen Akteuren. Ob sie ihre Autonomie bewahren konnten oder ob sie von den sie umgebenden See- oder Landmächten erobert und als unselbständige Einheiten eingegliedert wurden, hing von deren technischen und materiellen Möglichkeiten sowie Zweckmäßigkeitserwägungen im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse ab. Ähnliche Erwägungen mussten aber auch die Inselmächte anstellen, wenn sie Kontakt nach außen etablieren und Einfluss ausüben wollten, so dass Isolation und Konnektivität von der Insel ausgehen oder von der Außenwelt aufgezwungen werden konnten. Im Falle von Lesbos und Chios sind demnach sehr 111

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Kritob. hist. II, 5, 3: Critobuli Imbriotae Historiae (wie Anm. 103), S. 96; Chron. Byz. brev. 55, 49; 65, 17; 66, 19: SCHREINER, Die byzantinischen Kleinchroniken (wie Anm. 97), S. 405, 504, 516; WRIGHT, The Gattilusio Lordship and the Aegean World 1355-1462 (wie Anm. 92), S. 405; VLASTOS, A History (wie Anm. 72), S. 41, 48, 53f.; ARGENTI, The Occupation of Chios by the Genoese (wie Anm. 95), S. 180f., 195, 226f., 316, 368f., 482, 520f.; CASALE, The Ottoman Age (wie Anm. 108), S. 39, 49, 52, 66f.; Elizabeth A. ZACHARADOU, Changing Masters in the Aegean, in: The Greek Islands and the Sea. Proceedings of the First International Colloquium Held at the Hellenistic Institute, Royal Holloway, University of London, 21-22 September 2001, hg. v. Julian CHRYSOSTOMIDES / Charalambos DENDRIDOS / Jonathan HARRIS, Camberley 2004, S. 199-212, hier S. 208. FLEET, European and Islamic Trade (wie Anm. 100), S. 91, 125-129, 136f.; VLASTOS, A History (wie Anm. 72), S. 69, 92; MILLER, Essays (wie Anm. 94), S. 307-309; CASALE, The Ottoman Age of Exploration (wie Anm. 108), S. 182-189; ARGENTI, The Occupation of Chios by the Genoese (wie Anm. 95), S. 116, 208-227, 322f., 352.

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wenige Phasen von Isolation erkennbar; vielmehr suchten die Inseln durchweg den Kontakt zur Außenwelt, sei es in kultureller oder wirtschaftlicher Hinsicht. Dabei haben sie trotz externer Einwirkungen eine eigene Identität bewahrt. Die Inseln unterscheiden sich aber deutlich. Kontinuierlich zeigt Chios eine auffällig starke wirtschaftliche, Lesbos hingegen eine agrarisch-militärische Orientierung. So war Chios schon früh eine politische Einheit und an der Kontrolle des Handels interessiert, verfolgte dafür oft eine neutrale Politik und passte sich stärkeren Mächten an. Darin liegt vermutlich auch ein Grund, warum die Inseln, solange sie selbständig waren, nie gegeneinander militärisch intervenierten. Lesbos war dagegen in der Antike politisch keine Einheit. Die Rivalität unter den Poleis und die innere Heterogenität endeten hier erst mit der römischen Kaiserzeit. An diesem Beispiel wird folglich die Relevanz der Größe und Topographie von Inseln für ihre Geschichte deutlich. Die Insel hatte vereint das Potenzial, ein Herrschaftsgebiet in signifikanter Lage zu etablieren, weswegen sie anderen Mächten oft zu einer potenziellen Bedrohung wurde. Die Verschiedenartigkeit von Inseln und deren unterschiedliche Entwicklung erschweren es jedoch, Eigenschaften herauszustellen, die jeder Insel – in welchem Ausmaß auch immer – gemeinsam sind. Die Umgebung durch das Meer als ein Merkmal zumindest im Vergleich zum Festland, ist evident, aber zunächst ein spezifisches Hindernis, dessen Überwindung sich in seiner Art und Weise unterscheidet und andere Bedingungen, wie z. B. nautisches Wissen, erfordert. Daher könnten systematische und epochenübergreifende Vergleiche von Inseln untereinander und vor allem mit dem Festland für die Diskussion über das Phänomen der Insularität weitere Erkenntnisse bringen. Denn letztlich lenkt sie diese Aufmerksamkeit wiederum auf die spezifischen Entwicklungsgeschichten von Inseln und ermöglicht so neue Perspektiven auf historische Sachverhalte.

GIUSEPPE PETRALIA

Im Herzen des Mittelmeers: Das mittelalterliche Sizilien zwischen regionaler Dimension und mediterranen Systemen I. Das neue Jahrtausend begann für alle an der Geschichte des Mittelmeerraums Interessierten im Jahr 2000 mit der Veröffentlichung von „The Corrupting Sea“, dem großartigen Werk von Peregrine Horden und Nicholas Purcell. Unter den zahlreichen beigefügten Karten des Mittelmeerraums zeigt eine die Seegebiete, von denen aus kein Land sichtbar ist. Man kann diese Karte auch auf eine andere Weise betrachten. Dann zeigt sie die weiten Räume, in denen sich die Schifffahrt zwar auf dem offenen Meer abspielte, so dass man in engerem Sinn nicht von Küstenschifffahrt sprechen kann, jedoch dabei immer das Festland, einen Hügel, ein Vorgebirge oder eine Insel im Blick hat.1 Horden und Purcell vertreten u. a. mit dieser Karte ihre Hauptthese über die strukturelle Disposition des Mittelmeerraums zur Konnektivität („connectivity“), d. h. zur Herstellung einer stets präsenten und stets veränderlichen Verbundenheit zwischen auch weit auseinander liegenden „Mikroregionen“. Wie man an der Karte erkennt, umfassen diese weiten Räume, in denen auf Sicht gesegelt wird, ganze Teilmeere: etwa die Adria bis zum Kanal von Otranto oder die Ägäis bis Kreta, das südliche Tyrrhenische Meer zwischen Kampanien und Sizilien, das Ligurische Meer mit Korsika und Sardinien, die Meeresfläche zwischen den Balearischen Inseln und der Iberischen Halbinsel oder diejenige zwischen Zypern und der anatolischen Halbinsel im Osten. Nur ein einziger Durchlass gewährt jedoch einen direkten Zugang von den nördlichen Gefilden des Mittelmeers in die südlichen mit permanenter Sicht auf das Land: der Kanal zwischen Sizilien und Ifriqiya. Folglich ist die zentrale Rolle Siziliens im Mittelmeerraum kein reiner Zufall. Sie lässt sich nicht allein auf die geographischen Koordinaten der Insel zurückführen. Jahrhunderte, ja Jahrtausende lang bildete diese vielmehr eine besonders enge natürliche Brücke für eine direkte Verbindung zwischen den nördlichen und südlichen Küsten des Mittelmeerraums. Während des gesamten Mittelalters hatte Sizilien auch eine wichtige Scharnierfunktion für die Verbindungen zwischen dem Osten und dem Westen – auch wenn seine Rolle als Knotenpunkt hier einen anderen Intensi-

1

Peregrine HORDEN / Nicholas PURCELL, The Corrupting Sea. A Study of Mediterranean History, Oxford 2000, S. 127. Vgl. auch Figure 2 im Aufsatz von C. Depraetere und M. Meichsner in diesem Band.

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tätsgrad besaß, der wiederum von den strukturellen Veränderungen der direkten Fernverbindungen zwischen Orient und Okzident abhing. „The Corrupting Sea“ bietet jedoch nur einen Teil des konzeptionellen Werkzeugs und einige nützliche Forschungsansätze für eine Reflexion über Sizilien als „Herz des Mittelmeerraums“. Das Spezifikum der Mittelmeergeschichte nach Horden und Purcell ist „the paradoxical coexistence of a milieu of relatively easy seaborne communications with a quite unusually fragmented topography of microregions in the sea’s coastlands and islands“.2 Dabei bildete der Warenaustausch immer einen integrierten Bestandteil der wirtschaftlichen Aktivität, die nie bloße Subsistenzwirtschaft war, andererseits werden mit diesem Blickwinkel die direkten Fernhandelswege bzw. der Hochkommerz nicht erfasst. Im Fokus einer mikro-regionalen Betrachtung stehen nicht die Gischt und der Höllenlärm der großen Flotten wie der byzantinischen Galeeren und venezianischen Konvois oder die großen katalanischen naus, die den Mittelmeerraum großflächig befuhren. Vielmehr sind die leisen Hintergrundgeräusche der kleineren Flotten von Bedeutung, die ununterbrochen lokale und regionale Meeresräume verbanden, auch wenn sich die Intensität des Handels zwischen ihnen fortwährend veränderte. Daraus lässt sich klar erkennen, dass Horden und Purcell eine einheitliche funktionale Struktur des Mittelmeerraums und die Kontinuität seiner Geschichte herausstellen wollten. Das Aufeinanderfolgen von intensiveren Phasen dieses Warenaustausches oder solchen mit reduzierterem Handel, der Wechsel von maritimen Hegemonien, Konflikte zwischen Thalassokratien (die nach römischer Zeit im Mittelmeerraum stets nur partiell, im Anfangsstadium oder unvollendet blieben), der bereits erwähnte unaufhörliche Wandel der Handelsnetze – all dies tritt in den Hintergrund.3 Diese Ansätze können auch für das mittelalterliche Sizilien fruchtbar gemacht werden, wobei man über die von „The Corrupting Sea“ gesetzten konzeptionellen Grenzen hinausgehen muss. Dafür müssen die immer wieder neu zu erkennenden „regionalen maritimen Räume“4, sprich die direkten Kontaktkonstellationen Siziliens im Mittelmeerraum herausgearbeitet werden. Dieser Blickwinkel lässt mindestens drei Zonen maritimer Beziehungen der Insel in der longue durée erkennen, drei räumliche „cluster“/Bereiche, an denen Sizilien über seine drei untereinander durch Scharnierhäfen verbundenen Küstenregionen teilhatte: 1) die bereits hervorgetretene Verbindung der südlichen und der westlichen Küste (Syrakus, Mazara, Agrigent und Trapani) mit der nordafrikanischen Küste; 2) die Eingliederung der nördlichen Küstenregion (Trapani, 2 3 4

HORDEN / PURCELL, Corrupting Sea (wie Anm. 1), S.5. Ebd., S. 51, 172, mit einem direkten Zitat aus Claude LÉVI-STRAUSS, Totemism, Boston 1963, S. 77: „It is not the resemblances, but the differences, which resemble each other.“ Zu diesem Konzept kann auch auf die „predominantly regional shipping zones“ und deren „regional structure“ im zentralen Mittelmeer verwiesen werden, die Michael MCCORMICK, Origins of the European Economy. Communications and Commerce, A. D. 300-900, Cambridge 2001, S. 537-547 vorstellt.

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Palermo und Messina) in das südliche Tyrrhenische Meer; 3) die Anbindung Ostsiziliens (Messina und Syrakus) an das levantinische Mittelmeer, in Richtung der Küste Kalabriens und der Adria sowie an die Ionischen Inseln und die Peloponnes. Die geschichtlichen Beziehungen Siziliens zum Mittelmeer können allerdings nicht allein auf die Ebene der maritimen Räume regionaler Dimension begrenzt werden – auf jene also, die ich im Weiteren der Einfachheit halber als maritime „cluster“ bezeichnen möchte –, zumal Horden und Purcell für ihre kontinuitätsbetonte und strukturalistische Betrachtung nicht viele Anhänger gefunden haben. Die Mehrheit der Mittelmeerhistoriker sieht weiterhin ihre Hauptaufgabe in der Rekonstruktion der langsamen Entstehung und Ausgestaltung der weiträumigeren, wechselhaften Konjunkturen unterliegenden Beziehungen, die den ganzen maritimen Raum zwischen Orient und Okzident zusammenhalten konnten. Die Geschichte des Mittelmeers bestünde dann im Wesentlichen aus der Geschichte der transmediterranen Handelssysteme. Diese Ansicht vertritt David Abulafia in seinem umfangreichen kürzlich erschienenen Buch zur mediterranen Geschichte.5 Er gliedert die Geschichte des Mittelmeerraums in einen ersten, sehr langen vorgeschichtlichen Zeitraum bis 1000 v. Chr., auf den ein zweiter, archaischer und antiker Mittelmeerraum (1000 v. Chr. bis 600 n. Chr.) folgte, der in der spätrömischen Ökumene gipfelte. Fast das gesamte Mittelalter wird hingegen der Entstehung und Entwicklung eines „dritten Mittelmeers“ zugeordnet, welches vom Ringen zwischen Byzanz, dem Islam und dem lateinischen Christentum zwischen dem 7. und der Mitte des 14. Jahrhunderts gekennzeichnet sei. Darauf folge wiederum ein „neues Mittelmeer“, das sich gegenüber dem Atlantik schrittweise auf dem Rückzug befände. Auch der englische Mittelalterhistoriker Chris Wickham setzte sich mit der Problematik der Periodisierung der Mittelmeergeschichte auseinander. Er sieht ebenfalls die Mitte des 14. Jahrhunderts als Zäsur. Seine Sicht auf die nachrömische Zeit räumt allerdings eine lange, vom 7. bis zum 10. Jahrhundert dauernde Phase ohne ein echtes aktives mittelmeerisches System ein. Dies hängt mit seiner Definition von System zusammen, bei der weder der lokale Handel noch der Austausch von Luxusgütern über lange Distanzen als ausreichende Indizien betrachtet werden. Nur das Bestehen eines intensiven und regelmäßigen interregionalen Handelsverkehrs, bei dem NichtLuxusgüter in großen Mengen („bulk goods“) ausgetauscht werden, würde es seiner Ansicht nach erlauben, von Handelssystemen zu sprechen. Während der christlichen Ära bis zur industriellen Revolution bestehen für Wickham nur drei Systeme oder große Handelszyklen: 1) das spätrömische System; 2) ein hochmittelalterliches zwischen 1000 und 1350; 3) das spätmittelalterliche und

5

David ABULAFIA, Das Mittelmeer: Eine Biographie, Frankfurt a. M. 2013 (Originalausgabe: London u.a. 2011).

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frühneuzeitliche System, das vom atlantischen Europa beherrscht wurde und auf dieses ausgerichtet war.6 Man kann daher zunächst festhalten: Eine neue Mittelmeergeschichtsschreibung Siziliens müsste sich die Rekonstruktion der Wege zum Ziel setzen, über die die Insel durch die drei maritimen „cluster“, in die ihre Küstenregionen strukturell eingegliedert waren, in die Funktionsweise der weiträumigen mediterranen Verbindungs- und Austauschsysteme eingebunden war. Allerdings kann Sizilien nicht allein auf seine Küstenregionen reduziert werden. Abulafias Buch erinnert gleich zu Beginn daran, dass das Mittelmeer „ein Meer mit vielen Namen“ sei. Während der deutsche Begriff „Mittelmeer“ das „Meer in der Mitte“ suggeriert, bedeutet „Mediterraneo“ auf Italienisch (wie auf Französisch und Englisch) „das Meer zwischen den Ländern“.7 Sizilien ist dann folglich das Land in der Mitte dieses „Meeres zwischen den Ländern“. Die Insel besitzt dabei ein so großes territoriales Gewicht, dass man sie nicht übergehen kann. Das von Horden und Purcell entwickelte Konzept der „Mikroregion“ erweist sich jedoch als ungenügend, um der Komplexität der größten Insel im Mittelmeer gerecht zu werden – eben weil Sizilien selbst ein System von Mikroregionen darstellt. Daher wäre zu fragen, auf welche Weise sich Siziliens Beziehungen zur äußeren Welt, also seine Einbindung in den Mittelmeerraum, auf die Struktur und die internen wirtschaftlichen Dynamiken der regionalen Dimension auswirkten. An dieser Stelle verdient ein Element in Wickham’s Interpretationsmodell größte Aufmerksamkeit, da dieses seine Herangehensweise tiefgreifend von jener Abulafias bzw. Hordens und Purcells unterscheidet: Es handelt sich um die Überzeugung, dass der Fernhandel stets ein zweitrangiges Phänomen im Vergleich zur Entwicklung der Produktion und zum Warenaustausch innerhalb der regionalen Wirtschaften bildete. „The development of the second trade cycle was a spin-off of the increasing internal development inside regions.“8 Damit gewinnt die Frage nach der Bedeutung Siziliens für den Mittelmeerraum an Gewicht: Inwieweit verdarb (corrupt) das Mittelmeer die Stabilität der Insel und somit die Isolation Siziliens, indem es die innere Wandlung der regionalen Wirtschaft erzwang? Und inwieweit waren es die regionalen Entwicklungen, die die Möglichkeit zur Mitgestaltung dieser Konstruktionsprozesse der verschiedenen mediterranen Verbindungs- und Austauschsysteme eröffneten? Es stellt sich daher folgende Frage: An welchen und an wie vielen mittelmeerischen Handelssystemen nahm das mittelalterliche Sizilien teil? Die oben aufgeführten Periodisierungen umfassen zu große Zeitspannen, als dass sie wirklich zum Erkenntnisgewinn beitragen würden. In den frühmittelalterlichen, einst als „dunkle Zeiten“ („Dark Ages“) gekennzeichneten Jahrhunder6 7 8

Chris WICKHAM, The Mediterranean around 800, in: Dumbarton Oaks Papers 58 (2004), S. 161-174. ABULAFIA, Das Mittelmeer (wie Anm. 5), S. 17. Ebd.

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ten sah Wickham noch vor etwa zehn Jahren kein stabiles System transmediterraner Verbindungen. Sie erweisen sich jedoch zunehmend als weniger grau und undifferenziert. Numismatik, Siegelkunde und Archäologie geben für das Frühmittelalter Aufschluss über ein komplexeres Beziehungsmosaik. Die Fragmentierung des spätrömischen Systems, die direkten Fernhandelsverbindungen des 7. Jahrhunderts und das Ende des Produkt- und Warenumlaufs von Küste zu Küste hinterließen in den Gebieten, die auch weiterhin an das byzantinische Reich gebunden waren, maritime Räume regionaler Dimension, die weiterhin, wenn auch auf reduzierter Ebene, einen regelmäßigen Austausch miteinander unterhielten. Dabei handelte es sich um die Ägäis, die untere Adria und das obere Ionische Meer (zwischen Epeiros und Apulien); um die Region zwischen Dalmatien und der venezianischen Lagune; aber vor allem um das südliche Tyrrhenische Meer, von Sizilien und Kalabrien bis hinauf nach Neapel und Rom – mit dem Drehpunkt Sizilien.9 Der gemeinsame kulturelle Hintergrund und die Reste der politischen und militärischen Struktur des Reiches hatten die Kraft, zwischen diesen Räumen auch noch während des gesamten „langen 8. Jahrhunderts“ ein Geflecht aus interregionalen Verbindungen zu erhalten. Seit einiger Zeit existiert sogar auch ein materieller Indikator für jene byzantinische Koiné. Auch wenn Ausgrabungsschichten mit nordafrikanischen und orientalischen Amphoren nach spätantiker Zeit zunächst verschwinden, entdeckten die Archäologen eine neue typische Amphorenart aus dem Zeitraum zwischen dem Ende des 7. und dem 9. Jahrhundert. Diese sogenannten kugelförmigen Amphoren waren kleiner und vielseitiger verwendbar, da sie sich für den Transport zu Wasser und zu Land eigneten. Sie waren in allen Gebieten, die mit Sizilien Handel trieben, verbreitet. Die im westlichen Mittelmeer aufgefundenen Amphoren kamen oft – so das Ergebnis der morphologischen Untersuchung – aus dem Orient, wurden jedoch sehr viel häufiger vor Ort hergestellt. Sie stammten von gemeinsamen Vorbildern ab, zeugen allerdings von einer Weitergabe der handwerklichen Modelle und Praktiken.10 9

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Für eine ausführlichere Diskussion erlaube ich mir den Hinweis auf Giuseppe PETRALIA, Tra storia e archeologia: mediterraneo altomedioevale e spazi regionali “italiani” (intorno al secolo VIII), in: Studi storici 55 (2015), S. 5-28. Georg Fletcher BASS / Frederick H. VAN DOORNINCK, Yassi Ada: a Seventh-Century Byzantine Shipwreck (The Nautical Archaeology Series 1), College Station, Texas 1982; John W. HAYES, Excavations at Saraçhane in Istanbul. 2: The Pottery, Princeton 1992; Lida PAROLI, Ceramiche invetriate da un contesto dell’VIII secolo della Crypta Balbi, in: La ceramica invetriata tardoantica e altomedioevale, hg. v. DERS., Florenz 1992, S. 351-377; Paul ARTHUR, Early Medieval Amphorae, the Duchy of Naples and the Food Supply of Rome, in: Papers of the British School at Rome 61 (1993), S. 231-243; Paul REYNOLDS, The Roman Pottery from the Triconch Palace, in: Byzantine Butrint: Excavations and Surveys 1994-1999, Oxford 2004, S. 224-269; Sauro GELICHI / Claudio NEGRELLI, Anfore e commerci nell’alto Adriatico tra VIII e IX secolo, in: Mélanges de l’École française de Rome. Moyen Âge 120,2 (2008), S. 307-326; Claudio NEGRELLI, Towards a Definition of Early Medieval Pottery: Amphorae and other Vessels in the Northern Adriatic between the 7th and the 8th Centuries, in: From one Sea to Another. Trading Places in the European and Mediterranean Early Middle Ages, hg. v. Sauro GELICHI / Richard HODGES, Turnhout/New York 2012, S. 393-416; Joanita VROOM,

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Aus dem Dargelegten geht immer deutlicher hervor, dass in diesem mediterranen System auf byzantinischer Basis Sizilien den Eckstein bildete. Nach der endgültigen arabischen Eroberung Karthagos im Jahr 698 lenkte Konstantinopel seine Aufmerksamkeit nicht etwa von Sizilien ab, sondern verstärkte sie vielmehr.11 Dies bezeugen sowohl die Vielzahl sizilianischer Münzprägungen als auch die weite Verteilung der Fundorte dieser Münzen, vom Schwarzen Meer bis nach Nordeuropa. Numismatiker und Byzantinisten kehren nun zu einer alten Hypothese zurück: Die sogenannten mancusi werden als echte Münzen und als Rechnungswährung in den Dokumenten Mittel- und Norditaliens, im Hinterland Roms oder in Venedig im 8. und 9. Jahrhundert verwendet. Sie wurden lange für islamische Dinare gehalten. In Wirklichkeit – so die Hypothese – seien es leichtere Solidi aus der Münze in Syrakus. Diese blieb mit Sicherheit bis zum Fall der Stadt in islamische Hände, also bis 878, aktiv.12 Amphoren und Keramiken aus Kampanien und dem Latium finden sich in Sizilien in Grabungsschichten des 8. und 9. Jahrhunderts, ebenso sizilianische Öllampen in Rom und Neapel.13 Im Gegensatz zu früheren Annahmen scheinen zwar der römischen Kirche von Kaiser Leon III. ihre Besitzungen in Süditalien entzogen worden zu sein, nicht jedoch der Kirche Ravennas ihre Güter auf Sizilien.14 Daher flossen noch im Verlauf des 9. Jahrhunderts die sizilianischen Renditen in den oberen Adriaraum. Sizilien diente wahrscheinlich auch Konstantinopel als Kornkammer.15 Darin muss wohl auch der Haupterklärungsschlüssel für die Funktion des umverteilenden entrepôt gesucht werden, die von der archäologischen Forschung Malta zugeschrieben wird, wo sich aus

11

12

13

14 15

From one Coast to Another: Early Medieval Ceramics in the Southern Adriatic Region, in: ebd., S. 353-392. Vivien PRIGENT, La Sicile byzantine, entre papes et empereurs (6éme-8éme siècle), in: Zwischen Ideal und Wirklichkeit. Herrschaft auf Sizilien von der Antike bis zum Spätmittelalter, hg. v. David ENGELS / Lioba GEIS / Michael KLEU, Stuttgart 2010, S. 201-230. Cecile MORRISSON, Emporia, Money and Exchanges. Some Reflections, in: From one Sea to Another (wie Anm. 10), S. 467-476; DIES. / Vivien PRIGENT, Le monnayage Byzantine en Italie au haut Moyen-Age: bilan d’un siècle d’études, in: Bollettino di Numismatica 54 (2010), S. 134-161; Vivien PRIGENT, Le mythe du mancus et les origines de l’économie européenne, in: Revue numismatique 171 (2014), S. 701-728. Fabiola ARDIZZONE, Rapporti commerciali tra la Sicilia occidentale ed il Tirreno centromeridonale nell’VIII secolo alla luce del rinvenimento di alcuni contenitori da trasporto, in: II Congresso nazionale di archeologia medievale, hg. v. Gian Pietro BROGIOLO, Florenz 2000, S. 402-407; Giuseppe CACCIAGUERRA, Cultura materiale e commerci nella Sicilia bizantina: la ceramica a vetrina pesante tra VIII e prima metà del X secolo, in: La Sicilia bizantina. Storia, città e territorio, hg. v. Marina CONGIU / Simona MODEO / Massimo ARNONE, Caltanissetta 2010, S. 25-42; Alessandra MOLINARI, Sicily between the 5th and 10th Century: Villae, Villages, Towns and Beyond. Stability, Expansion or Recession?, in: The Insular System of the Early Byzantine Mediterranean. Archeology and History, hg. v. Demetrios MICHAELIDES / Philippe PERGOLA / Enrico ZANINI, Oxford 2013, S. 97-114. Salvatore COSENTINO, Ricchezza e investimento della Chiesa di Ravenna tra la tarda antichità e l’alto medioevo, in: From one Sea to Another (wie Anm. 10), S. 417-439. Vivien PRIGENT, Le role des provinces d’Occident dans l’approvisionemment de Costantinople, in: Mélanges de l’École française de Rome. Moyen Âge 118 (2006), S. 269-299, hier S. 296f.

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der Zeit zwischen dem 6. und dem 9. Jahrhundert byzantinische Amphoren in einer Anzahl finden, die über den lokalen Versorgungsbedarf hinausgeht.16 Wir müssen in Sizilien eine Insel sehen, die nach wie vor Ressourcen aus der Metropole erhielt, die noch immer Sitz einer militärischen und geistlichen Elite war sowie weiterhin eine bedeutende Nachfrage nach Konsumgütern orientalischer Provenienz hervorbrachte und deren Surplus in einen Kreislauf überregionaler, wenn auch im Wesentlichen dem byzantinischen Raum zugehöriger Verteilung einbrachte. Die Warenvielfalt beschränkte sich nicht auf exotische Produkte, sondern umfasste auch grundlegende Nahrungsmittel wie Wein, Getreide und Öl – wenn auch in kleineren Mengen, im Verhältnis zur spätrömischen Zeit.17 Die frühmittelalterlichen Fragmente glasierter Keramiken nicht-sizilianischer Herstellung, die sich aus dem 8. und dem beginnenden 9. Jahrhundert in der Stadt und auf dem Land erhalten haben, weisen auf Verbindungen sowohl zu Amphorentypen aus Konstantinopel als auch zu solchen aus dem Latium hin. Für eine Situation, in der die Handelsflüsse auf landwirtschaftlichem Überfluss und feinen Keramiken, wenn auch von geringer Intensität, basierten, muss hervorgehoben werden, dass die Eingliederung der Insel in die interregionalen byzantinischen Kommunikationsräume über spezifische, abgesonderte „cluster“ maritimer Beziehungen stattfand. Die glasierte Keramik spätantiker Herkunft, die im byzantinischen maritimen Raum verbreitet war, erreichte die nördlichen und vor allem östlichen Küstenabschnitte der Insel, wo sie zusammen mit den kugelförmigen Amphoren gefunden wurde. Diese Stücke jedoch stammen aus verschiedenen Orten und wurden von unterschiedlichen Werkstätten hergestellt, je nach Küstengebiet ihrer Auffindung. Entlang der nordwestlichen Küste von Cefalù bis Agrigent müssen die kugelförmigen, in Sizilien bezeugten Amphoren tyrrhenischen und kampanischen Produktionsstätten zugewiesen werden (wie dies auch für das tyrrhenische Kalabrien gilt), während die im östlichen Teil der Insel gefundenen Stücke aus dem ägäisch-anatolischen Mittelmeerraum stammen. Im Gegensatz zur Spätantike hatten sich nicht nur die Stückzahlen im Warenaustausch offensichtlich verringert, sondern auch die Aufteilung in Unterregionen des einst einheitlichen Inselraums, in dem die vorherigen aus dem Mittelmeerraum und aus Afrika stammenden Amphoren des 7. Jahrhunderts gleichmäßig verbreitet waren.18 16 17 18

Brunella BRUNO / Nathaniel CUTAJAR, Imported Amphorae as Indicators of Economic Activity in Early Medieval Malta, in: The Insular System (wie Anm. 13), S. 15-29. WICKHAM, The Mediterranean (wie Anm. 6). MOLINARI, Sicily (wie Anm. 13), S. 104-106; Lucia ARCIFA, Nuove ipotesi a partire dalla rilettura dei dati archeologici: la Sicilia orientale, in: La Sicile de Byzance à l’Islam, hg. v. Annliese NEF / Vivien PRIGENT, Paris 2010, S. 15-49, hier S. 24-26; Fabiola ARDIZZONE, Nuove ipotesi a partire dalla rilettura dei dati archeologici: la Sicilia occidentale, in: ebd., S. 51-76, hier S. 58-60; Giuseppe CACCIAGUERRA, La ceramica a vetrina pesante altomedievale in Sicilia: nuovi dati e prospettive di ricerca, in: Archeologia medievale 36 (2009), S. 283300, hier S. 293f.

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Wie sehr dieser überregionale Austausch letztendlich von staatlichen Interventionen, wie sehr er vom freien Handel abhing, lässt sich nur sehr schwer sagen. Aber auch diese für die unerschöpfliche historiographische Diskussion über das Wesen der spätantiken Wirtschaft so typische Frage bestätigt die besondere Kontinuität in der sizilianischen Geschichte. Die Insel bildete auch in zeitlicher Hinsicht eine echte Verbindungsbrücke zwischen den antiken und mittelalterlichen Ordnungen. Die Transformation der römischen Welt offenbart im Fall Siziliens eine äußerst lange Dauer. Es gibt allerdings objektive Schwierigkeiten, sie als Zäsur darzustellen. Allein der tiefgehende Wandel, der in jedem Fall Ausdehnung und Reichtum der Adelsbesitzungen betraf, sowie das gleichzeitige Wachstum des kirchlichen Besitzes nach dem Verschwinden der großen Senatseliten weisen in diese Richtung.19 Aber während des ganzen 8. und noch im Verlauf des 9. Jahrhunderts (abgesehen vom Widerstand der Stadt Syrakus, Messina fiel erst 843 in arabische Hände) ist ein radikaler Bruch mit den Gleichgewichten der Spätantike sowohl auf der Ebene der Außenbeziehungen als auch in den inneren Dynamiken nur schwer erkennbar.

II. Müssen wir daraus nun schließen, dass die Zäsur durch den Fall Siziliens in islamische Hände gebildet wurde? Die Antwort auf diese Frage ist nicht so einfach, wie es scheinen mag, zumindest nicht bei der Betrachtung der Funktion Siziliens als zentraler Knotenpunkt im Mittelmeerraum. Die archäologischen Ergebnisse scheinen zu bezeugen, dass die Insel ihre traditionellen Beziehungen zu Nordafrika nie ganz aufgab – auch nicht nach dem Fall Karthagos.20 Die Kommunikation und der Verkehr zwischen Sizilien und Ifriqiya kamen nie vollständig zum Erliegen. Michael McCormick gelang es, aus den schriftlichen Quellen Beziehungen zwischen der noch byzantinischen Insel und dem islamischen Nordafrika während des 8. Jahrhunderts herauszuarbeiten. Trotz der offensichtlich dünnen Quellenlage ging er so weit, die Hypothese aufzustellen, dass „the integration of Sicily into the Muslim world“ lange vor dem Angriff auf Mazara im Jahre 827 (mit dem die lange Folge militärischer Auseinandersetzungen auf der Insel begann) eingeleitet worden sei.21 Unzweifelhaft gewannen diese Beziehungen schon nach der ersten aglabidischen Eroberung an Intensität, um dann in fatimidischer Epoche weiter verstärkt zu werden. Die Verbreitung der glasierten Keramik, anhand derer man auch den Ver19 20 21

PRIGENT, La Sicile byzantine (wie Anm. 11). ARDIZZONE, Nuove ipotesi (wie Anm. 18), S. 58, 65. MCCORMICK, Origins (wie Anm. 4), S. 512-514; zur Dynamik der aglabidischen Eroberung: Annliese NEF / Vivien PRIGENT, Guerroyer pour la Sicile (827-902), in: La Sicilia del IX secolo tra bizantini e musulmani, hg. v. Simona MODEO / Marina CONGIU / Luigi SANTAGATI, Caltanissetta 2013, S. 13-40.

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trieb der einzelnen Produktionswerkstätten nachvollziehen kann, bezeugt die Kraft der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen, die im späten 9. und im 10. Jahrhundert Sizilien mit Tunesien sowie beide mit Ägypten verbanden.22 Jene Bindungen führten jedoch keineswegs zum Ausstieg Siziliens aus dem „cluster“ der maritimen Beziehungen des südlichen Tyrrhenischen Meeres. Ganz im Gegenteil: Der Nordosten der Insel (das Demone-Tal) verblieb bis zum endgültigen fatimidischen Sieg zu Beginn des 10. Jahrhunderts unter byzantinischer Kontrolle und hielt auch im Folgenden eine besondere ethnische und kulturelle Bindung zur griechischen Tradition aufrecht.23 Wir können nicht genau bewerten, wie tief und wie schnell der Prozess der Islamisierung in der Region voranschritt. Aber das Ergebnis war mit Sicherheit in den verschiedenen mikroregionalen bzw. subregionalen sizilianischen Gebieten unterschiedlich. In gewisser Weise verlief auf der Insel die Grenze zwischen Christentum und Islam entlang unterbrochener und sich überlappender Linien. Genau diese Tatsache betont in dieser Zeit die Scharnierfunktion Siziliens im Zentrum des Mittelmeers noch stärker. Nach dem Fall der letzten byzantinischen Festungen in den 60er Jahren des 10. Jahrhunderts im Demone-Tal endete die glasierte Keramik spätantiker und byzantinischer Tradition auf der Insel, wobei die letzten späten Zeugnisse aus Palermo und Syrakus auf eine kampanische Produktion hinzuweisen scheinen und damit als Bestätigung fortbestehender Beziehungen auch zwischen dem islamischen Sizilien und dem maritimen Raum des südlichen Tyrrhenischen Meeres gelten können.24 Aber zwischen der Mitte des 10. und dem 11. Jahrhundert wurde vor allem die sizilianische Produktion islamischer glasierter Keramik in den gesamten zentralen Mittelmeerraum exportiert. Besonders zahlreiche Funde weist hierbei die kampanische Küste auf. Dieses Gebiet, und hier besonders die Küste zwischen Salerno und Amalfi, zusammen mit der Insel Malta und dem heutigen Tunesien scheinen im Übrigen die Hauptbestimmungsorte für die sizilianischen Transportamphoren während dieses Zeitraums zu sein.25 Aber nicht nur die archäologischen Funde geben Auskunft über die Verbreitung der glasierten Keramik und das Fortbestehen eines inneren Waren22

23

24 25

Alessandra MOLINARI, La ceramica altomedioevale nel Mediterraneo occidentale islamico. Uno sguardo dalla “periferia”, in: La céramique maghrébine du haut Moyen âge (VIIIe-Xe siècle): état de recherches, problemes et perspectives, hg. v. Patrice CRESSIER / Elisabeth FENTRESS, Rom 2011, S. 284f. Zu einer Vordatierung von der Mitte des 10. Jahrhunderts auf das letzte Drittel des 9. Jahrhunderts des Eindringens der islamischen glasierten Keramik aus Ifriqiya nach Westsizilien und Palermo, der Hauptstadt des aglabidischen Emirats seit 831 vgl. Lucia ARCIFA / Alessandra BAGNERA / Annliese NEF, Archeologia della Sicilia islamica: nuove proposte di riflessione, in: Histoire et archéologie de l’Occident musulman (VIIe-XVe siècles). Al-Andalus, Maghreb, Sicile, hg. v. Philippe SENAC, Toulouse 2012, S. 241-274. Vivien PRIGENT, La politique sicilienne de Romaine Ier Lécapène, in: Guerre et société en Méditerranée (VIIIe-XIIIe siècle), hg. v. Dominique BARTHELEMY / Jean-Claude CHEYNET, Paris 2010, S. 63-84; ARDIZZONE, Nuove ipotesi (wie Anm. 18), S. 36f.; Alberto VARVARO, Lingua e storia in Sicilia, Palermo 1981. CACCIAGUERRA, La ceramica a vetrina pesante (wie Anm. 18), S. 295-300. MOLINARI, La ceramica altomedioevale (wie Anm. 22), S. 280f.

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kreislaufs im südlichen Tyrrhenischen Meer, zu dem auch Sizilien gehörte und der vom 9. bis zum 11. Jahrhundert stets an Intensität zunahm. Auch die Numismatik trägt ihren Teil dazu bei. Sie zeigt, dass in Kampanien, in Amalfi und auf der ganzen tyrrhenischen Seite Süditaliens der Viertel-Dinar (Tarì) im Umlauf war. Er wurde in den Münzstätten auf Sizilien und in Ifriqiya geprägt und seine Verbreitung in Süditalien, sogar im Gebiet des byzantinischen Kalabriens, ist wohl nicht anders erklärbar als durch Handel zwischen dem christlichen tyrrhenischen Ufer und dem muslimischen Sizilien sowie Nordafrika, aus dem zwischen 900 und 1050 die christlichen Mittelsmänner zunehmend Profit zogen. Um die Mitte des 11. Jahrhunderts begannen dann Salerno und Amalfi, die Prägung von Tarì zu imitieren.26 Mit einer gewissen Unsicherheit und erst klar ab dem Ende des 10. Jahrhunderts sprechen auch die schriftlichen Quellen von engeren Handelsbeziehungen und einer vertieften Interaktion des christlichen Süditaliens mit dem mittelmeerischen Islam: Diese Verbindungen liefen über Sizilien nach Ifriqiya und dann nach Ägypten, gingen von Kampaniens Küstenregion, von Neapel und später von Amalfi und seinem Umland aus. All dies zählt unbestreitbar zu den Neuheiten: Um das Jahr 1000 zog das Zentrum des Mittelmeerraums eine nicht vernachlässigbare Anzahl christlicher Zwischenhändlern an, die nach Sizilien, in den Maghreb und die islamische Levante reisten.27 Sizilien blieb auch weiterhin – wie in byzantinischer Zeit – eine relativ blühende Region. Unter den Wirtschaftssystemen rund um das Mittelmeer behaupteten Ägypten und Syrien aufgrund ihrer ökonomischen Komplexität eine absolute Vorrangstellung, die bereits in spätrömischer Zeit klar bestanden hatte. Auf der Basis materieller Indikatoren wie der Verbreitung seiner Münzen oder der Anziehungskraft gegenüber den Nachbarregionen blieb Sizilien allerdings weiterhin die reichste Region im Westen. Man denke nur an die Bedeutung im Bereich der Wirtschaftsgeschichte, an die lang beibehaltene Geldzirkulation auf hohem Niveau und die damit verbundene Effizienz der Steuersysteme während des gesamten Frühmittelalters.28 Im Übrigen ist ja diese Übergangsphase vom ersten auf das zweite Jahrtausend nicht mit einem zusammenfassenden Interpretationsmodell zu beschreiben. Mit der Eroberung Siziliens entstand im 9. Jahrhundert unzweifelhaft ein islamischer Großraum, in dem sich muslimische Seeräuber, Reisende und Händler bewegen konnten. Die Basis bildete eine zumindest teilweise Kontrolle 26

27 28

Jean-Marie MARTIN, Economia naturale ed economia monetaria nell’Italia meridionale longobarda e bizantina, in: Storia d’Italia. Annali 6: Economia naturale, economia monetaria, Turin 1983, S. 179-219, hier S. 198f. Patricia SKINNER, Medieval Amalfi and its Diaspora, 800-1250, Oxford 2013 ist jetzt das Standardwerk zur kontrovers debattierten Fragestellung zu Amalfi. Vivien PRIGENT, Monnaie et circulation monétaire en Sicile du début du VIIIe siècle à l’avènement de la domination musulmane, in: L’heritage byzantin en Italie (VIIIe-XIIe siècle). II. Les cadre juridiques et sociaux et les institutions publique, Rom 2012, S. 455-494, hier S. 482.

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großer Inseln – neben Sizilien auch Kreta und Zypern. In den 960er Jahren konnte das byzantinische Reich die volle Kontrolle über Zypern und Kreta zurückgewinnen. Im Verlauf nur weniger Jahre stand Byzanz jedoch – in Folge der fatimidischen Eroberung Ägyptens im Jahr 969 – einem neuen islamischen System der maritimen und wirtschaftlichen Beziehungen gegenüber, das vielleicht weniger weite Horizonte als im 9. Jahrhundert besaß, jedoch unzweifelhaft kohärenter und einheitlicher war. Außerdem lässt sich hier erneut eine Schlüsselrolle Siziliens erkennen.29 Die Genizah-Dokumente aus Kairo bzw. die Briefe der Kaufleute aus der hebräischen Diaspora geben Aufschluss über die Stellung Siziliens, welche am Übergang vom 10. zum 11. Jahrhundert eine radikale Neuorientierung erfuhr.30 Die Insel behielt ihre Funktion als Eckstein im Handelssystem, welches das südliche Tyrrhenische Meer und das zentrale Mittelmeer mit dem östlichen verband. Allerdings blickte Sizilien nun nicht mehr nach Konstantinopel, sondern nach Alexandria und Kairo. Hier liegt der Unterschied zur Vergangenheit. Byzanz hatte bereits seit einiger Zeit, vielleicht bereits seit dem 9. Jahrhundert versucht, in der Adria das Ausscheiden Siziliens und der anderen großen Inseln aus seiner Einflusssphäre zu kompensieren. Als Beweis der grundsätzlichen Bedeutung Siziliens im neuen System möge die Dokumentation der Genizah gelten: Der Maghreb und Sizilien werden in 80% der gesamten Dokumente des 11. Jahrhunderts – und die Insel alleine in einem Drittel – genannt. Allerdings muss auch gesagt werden, dass die am meisten islamisierten sizilianischen Städte zu den häufigsten Absender- bzw. Empfängerorten der Briefe zählen: die Inselhauptstadt Palermo und Mazara, das in der Mitte der südlichen Küste gegenüber Tunesien liegt. Nur einmal wird Trapani an der nordwestlichen Küste, am äußersten Ende der tyrrhenischen Küste Siziliens gelegen, erwähnt, einmal Messina und Syrakus nie.31 Dies scheint vielleicht auch einen gewissen Grad an Fragmentierung des internen Wirtschaftsraums im islamischen Sizilien zu bestätigen. Die Insel fungierte als Knotenpunkt zweier Kommunikations- und Handelsnetze. Auf der einen Seite steht der Warenumlauf, der zwischen Sizilien und dem Tyrrhenischen Meer stattfand; er wurde offensichtlich nicht nur von den Amalfitanern, sondern vielleicht auch von Sizilianern und Christen gefördert – was die Quellen allerdings nicht aufzeigen. Bei diesem Kreislauf blieben die jüdischen Händler aus Kairo weitge29

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Heinz HALM, The Empire of the Mahdi: The Rise of the Fatimids, Leiden u. a. 1996; David BRAMOULLE, La Sicile dans la Méditerranée fatimide (Xe-XIe siècle), in: Les dynamiques de l’islamisation en Méditerranée centrale et en Sicile: nouvelles propositions et découverts récentes, Bari/Rom 2014, S. 31-48. Shlomo D. GOITEIN, A Mediterranean Society, I, Berkeley 1967; Shlomo SIMONSOHN, Tra Scilla e Cariddi. Storia degli ebrei di Sicilia, Rom 2011, S. 85-98; Annliese NEF, La Sicile dans la documentation de la Geniza cairote (fin Xe-XIIIe siècle): les réseaux attestés et leur nature, in: Espaces et réseaux en Méditerranée, VIe-XVIe siècle, hg. v. Damien COULON / Christophe PICARD / Dominique VALERIAN, Paris 2007, S. 273-291; BRAMOULLE, La Sicile fatimide (wie Anm. 29). NEF, La Sicile (wie Anm. 30).

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hend außen vor. Auf der anderen Seite steht der Warenumlauf innerhalb der islamischen Welt. Die drei maritimen „cluster“, über die Sizilien mit dem Mittelmeer in Kontakt stand, erscheinen so, als ob sie während der islamischen Zeit teilweise getrennt und voneinander abgesondert operierten. Der östliche Kreislauf, der zum Ionischen Meer und der unteren Adria offen gewesen war, ist in den Quellen nicht mehr greifbar. Am tyrrhenischen Kreislauf waren Muslime nicht aktiv beteiligt; sie blieben innerhalb der fatimidischen Koiné, da die herrschende Dynastie auch der jüdischen Diaspora in ihren Gebieten Raum ließ (auch wenn man bedenken sollte, dass die islamischen Quellen wohl die Tendenz besitzen, direkte Beziehungen mit dem Dār al-Harb zu verschweigen). Nur die Christen aus den Städten Kampaniens bewegten sich anscheinend in alle Richtungen – aber in beachtlichem Umfang erst seit der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts. Mit Sicherheit waren sie auch und in erster Linie in Konstantinopel und nicht nur in Ägypten aktiv. Die Genizah-Kaufleute nutzten vor allem islamische Schiffe für ihren Handel (häufig gehörten sie dem Sultan oder hohen Würdenträgern des fatimidischen Staats). Ägypter, Maghrebiner und Sizilianer waren auch die wichtigsten Mittelsmänner im Handel, da sie dort offensichtlich zahlreicher vertreten waren als die Juden. Letztgenannte treten als Großkaufleute in Erscheinung, die Geschäfte über Hunderte von Golddinaren tätigten. Sie handelten vor allem im östlichen Mittelmeerraum vorwiegend mit seltenen Produkten sowie mit Luxusgütern: mit ägyptischem Leinen sowie Rohstoffen für das Färben und Weben der Tuche, Pfeffer und Gewürzen, Perlen – Importwaren für die Insel; Rohseide, wertvollere Textilprodukte, aber auch Käse, Tierhäute und bescheidene Mengen an Getreide – Exportwaren von der Insel. Diese dichten, interregionalen und über lange Distanzen gehenden Handelsbeziehungen, bei denen Sizilien – vor allem für Produkte ägyptischer und orientalischer Provenienz – auch die Funktion des Emporiums für die externe Weiterverteilung übernahm, scheinen auf der anderen Seite nicht als Ausdruck eines handwerklichen oder agrarischen Spezialisierungsprozesses der in ein mediterranes System integrierten Inselwirtschaft interpretierbar zu sein. Die sizilianischen Waren traten in die Austauschkreisläufe nur dank des Umlaufs der Informationen ein, der von den Bewegungen der Mittelsmänner, den Kaufleute der hebräischen Diaspora sowie anderen „middlemen“, gewährleistet wurde.32 Zu diesem frühen Zeitpunkt und beim damaligen Handels- und Konsumniveau des Mittelmeerraums vor Ende des 12. Jahrhunderts ist es nicht plausibel, dass man von permanenten und strukturierten Formen wirtschaftlicher über- und zwischenregionaler Integration sprechen darf und kann, auch nicht in einem so kohärenten Konnektivitätsraum wie dem fatimidischen. Eventuelle Hypothesen wirtschaftlicher Integration der subregionalen sizilianischen Räume selbst müssten neu diskutiert werden. Zu bedenken ist, dass die Quellen nur einen fragmentarischen 32

Wie MOLINARI, La ceramica altomedioevale (wie Anm. 22), S. 282 vorschlägt.

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Einblick geben.33 Das islamische Sizilien wartet – mehr noch als das byzantinische – auf neue Forschungsaktivitäten.

III. Aufgrund der Genizah-Dokumente gilt das 11. Jahrhundert für einige Mediävisten als „großer Gezeitenwechsel“ für Sizilien.34 Auch Chris Wickham lässt mit diesem Zeitpunkt, wie oben dargelegt, sein zweites mittelmeerisches Fernhandelssystem beginnen. Das zwischen 1000 und 1350 aktive System wird in seiner Darstellung zum integrierten Teil der umfangreicheren Weltwirtschaft, die zum Indischen Ozean hin offen war und die Janet Abu-Lughod vor einigen Jahrzehnten beschrieben hat. Dieses System ging den von Immanuel Wallerstein und Fernand Braudel beschriebenen voraus. Nicht mehr Rom oder Konstantinopel, sondern die großen muslimischen Metropolen Damaskus und Kairo fungierten als Gravitationszentren eines Fernhandel-Makrosystems, das die gesamte Achse des mittelmeerischen Verkehrs ausrichtete.35 Abu-Lughods weiter Horizont wurde jedoch nicht von allen übernommen. In der europäischen Geschichtsschreibung wurde dieser Zeitraum häufiger auf Prozesse der Ausweitung und des Aufbaus einer wirtschaftlichen Vorherrschaft reduziert, die von der lateinischen Christenheit auf Kosten von Byzanz, des Südens und der mediterranen Levante sowie muslimischer Räume errichtet wurde. Diese „Große Erzählung“ überrannte – wie wir gleich sehen werden – Sizilien frontal. Doch können diesem Narrativ stichhaltige Einwände entgegengebracht werden. Die wichtigsten, die ich hier nicht näher ausführen kann, können in einer einzigen elementaren Überlegung zusammengefasst werden: Wenn das Mittelalter mit dem Fall von Konstantinopel endete, so sanktionierte dieses Ereignis doch gleichzeitig den Aufbau eines von den Küsten Epeiros’ bis zum Maghreb reichenden osmanischen Imperiums – und damit das endgültige Aus für jeden christlichen Anspruch auf die Kontrolle des Mittelmeers. Weiter könnte man dagegen einwenden, dass die neue Präsenz der Normannen und der Aufstieg der norditalienischen Seestädte Pisa, Genua und Venedig im 11. Jahrhundert große Veränderungen im zentralen Mittelmeerraum mit sich brachten, wobei man die normannische Elite nicht auf den Idealtypus des „Ritters“, diejenige der Städte nicht auf den des rationellen und „bürgerlichen“ Kaufmannes reduzieren sollte.36 Die Pisaner und Genueser Galeeren begannen im Verlauf des 11. Jahrhunderts in das Tyrrhenische Meer und den Mittelmeerraum vorzudringen. Sie führten später Expeditionen gegen die 33 34 35 36

SIMONSOHN, Tra Scilla e Cariddi (wie Anm. 30). ABULAFIA, Das Mittelmeer (wie Anm. 5). Janet ABU-LUGHOD, Before European Hegemony: The World System A. D. 1250-1350, New York u. a. 1989. David ABULAFIA, The Two Italies. Economic Relations between the Norman Kingdom of Sicily and the Northern Communes, Cambridge 1977.

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Muslime in Sizilien und Tunesien durch, nach Palermo und al-Mahdiyya. Hier agierten sie allerdings nicht als skrupellose Geschäftsleute, sondern als Seeräuber, Reeder und Kaufleute aus der Schicht der milites, die oft auf dem Land Burgen und in der Stadt Wohntürme besaßen. Diese Männer waren in der Klientel der Bischöfe und der höchsten Vertreter des mächtigen europäischen Territorial- und Feudaladels groß geworden, der an der Spitze der Markgrafschaft der Otbertinger und der Markgrafschaft Tuszien stand.37 Der militärische und im weitesten Sinn „feudale“ Charakter der dominierenden Adelsschichten der norditalienischen Städte fand ein neues Betätigungsfeld auf dem Meer und genau das war es, was den städtischen Eliten der süditalienischen und sizilischen Städte fehlte. Hier finden wir einen entscheidenden Erklärungsfaktor für den unbestreitbaren Überholvorgang, der damals zuungunsten der unteritalienischen Kaufleute begann und die mediterranen Fernhandelsaktivitäten betraf. Im Verlauf des 12. und mindestens bis Anfang des 13. Jahrhunderts versuchten die Norditaliener (v. a. die Genuesen und Pisaner) eine direkte Territorialherrschaft über die Häfen und die Küstenstädte Siziliens zu errichten (wie in Neapel und Kampanien). Das bezeugen die von ihnen bei Friedrich Barbarossa und Heinrich VI. für das Eingehen eines Bündnisses gegen die Normannen erbetenen Urkunden sowie ihre konkreten Aktionen während der Minderjährigkeit Friedrichs II., die Unternehmungen der Seeräuber und Abenteurer, der Vertreter der großen gräflichen Pisaner und Genueser Familien, sowie von vorgeblichen Admiralen des Reiches gegen Palermo, Messina, Syrakus und Malta.38 Die herrschenden Schichten der Seestädte Norditaliens wurden genau von dem angezogen, was sich die Normannen einverleibt und die Staufer von ihnen geerbt hatten: nämlich von den Steuereinahmen jener wahrhaft mediterranen Emporien, zu denen sich die urbanen Küstenzentren des Regnum Siciliae gewandelt hatten. Die strategische Bedeutung dieser Einnahmen muss auch 37

38

Mauro RONZANI, Chiesa e “civitas” nella seconda metà del secolo XI. Dall’avvento del vescovo Guido all’elevazione di Daiberto a metropolita di Corsica (1060-1092), Pisa 1996; Giuseppe PETRALIA, Le “navi” e i “cavalli”: per una rilettura del Mediterraneo pienomedievale, in: Quaderni storici 35 (2000), S. 201-222; John B. WILLIAMS, The Making of a Crusade: the Genoese Anti-Muslim Attacks in Spain, 1146-1148, in: Journal of Medieval History 23 (1997), S. 29-53. Zur Charakterisierung „militärisch“ für den Adel der ersten Kommune Pisas siehe auch das klassische Werk von Gioacchino VOLPE, Studi sulle istituzioni comunali a Pisa. Città e contado, consoli e podestà: secoli XII-XIII, Florenz 1970, vgl. jetzt allgemeiner Jean-Claude Maire VIGUEUR, Cavaliers et citoyens: guerre, conflits et société dans l’Italie communale, XIIe-XIIIe siècles, Paris 2003, und im Besonderen Johannes BERNWIESER, Honor civitatis. Kommunikation, Interaktion und Konfliktbeilegung im hochmittelalterlichen Oberitalien, München 2012, S. 37-239 (für Pisa und Genua). ABULAFIA, The Two Italies (wie Anm. 36); DERS., Henry, Count of Malta and his Mediterranean Activities: 1203-1230, in: Medieval Malta. Studies on Malta before the Knights, hg. v. Anthony T. LUTTRELL, London 1975, S. 104-125; Giuseppe PETRALIA, Un’età degli “ammiragli”? Note intorno al potere sul Mediterraneo centrale nel XII e XIII secolo, in: Quel mar che la terra inghirlanda: in ricordo di Marco Tangheroni, hg. v. Franco CARDINI / Maria Luisa CECCARELLI, Rom 2007, S. 545-552.

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als explizites Anzeichen für die Intensität der Aktivitäten gesehen werden, zu deren Schauplatz sich inzwischen der zentrale Mittelmeerraum entwickelt hatte. Zusätzlich zu den Verbindungen nach Nordafrika und zum Tyrrhenischen Meer gewann mit der Errichtung des normannischen Reiches und der lateinischen Fürstentümer an den Küsten Syriens und Palästinas der dritte „cluster“, der von der östlichen sizilianischen Küste entlang der kalabrischen bis zum Kanal von Otranto reichte, um sich über die Peloponnes bis in die Ägäis zu erstrecken, erneut an Vitalität. Dieser Weg wurde nach der Auflösung des byzantinischen Reiches im Jahr 1204 auch noch von weiteren Hindernissen befreit. Das Hinterland des sizilianischen Königreiches, auch auf der Insel, leistete inzwischen einen wachsenden Beitrag zum interregionalen Austausch sowie zum Fernhandel. Zu den gehandelten Produkten zählten immer mehr relativ schwere Waren, die pro Einheit keine hohen Kosten verursachten. Wenn die Mittelmeerforschung wirklich den Übergang vom hochmittelalterlichen Handel mit Luxusprodukten zu einem Handel mit schweren Gütern in großen Mengen („bulk goods“), die nicht vorwiegend für adelige Konsumenten bestimmt waren, rekonstruieren möchte, muss sie Sizilien und auch die Regionen Apulien und Kampanien berücksichtigen. Für eine Stabilisierung des neuen Systems bedurfte es jedoch struktureller Veränderungen. Die Beziehungen wurden nun durch Friedensschlüsse und schriftliche Abkommen formalisiert, nachdem sie zuvor, während des Aufstiegs der Seestädte, durch Handel, Krieg und Piraterie gekennzeichnet gewesen waren. Das Verhältnis zum Islam änderte sich39, so dass am Übergang vom 12. zum 13. Jahrhundert detaillierte Abkommen mit den Potentaten Ifriqiyas, aber vor allem mit den Ayyubiden ausgehandelt wurden, welche die Bedingungen, unter denen die Geschäfte der Abendländer in den Fondachi der islamischen Städte abzulaufen hatten, regelten und absicherten. In gewissem Sinne betraf der Übergang zum in Abkommen regulierten Handel auch die Beziehungen zum Regnum Siciliae. Mit der Volljährigkeit Friedrichs II. und seiner eigenen Herrschaftsausübung endete das Streben der norditalienischen Städte nach direkter Herrschaft über die süditalienischen Emporien. Nach dem Ende der „heroischen Zeit“ der großen, abenteuerlichen Unternehmen begann die Phase der permanenten Verkehrsnetze. Nun tauchten auch 39

Marco TANGHERONI, Commercio e navigazione nel Medioevo, Rom/Bari 1996, S. 141-143; Alauddin SAMARRAI, Medieval Commerce and Diplomacy. Islam and Europe, A. D. 8501300, in: Canadian Journal of History 15 (1980), S. 1-21; Suhbi Y. LABIB, Handelsgeschichte Ägyptens im Spätmittelalter (1171-1517) (Beihefte der Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 46), Wiesbaden 1964; PETRALIA, Le “navi” e i “cavalli” (wie Anm. 37); Yaacov LEV, A Mediterranean Encounter: The Fatimids and Europe, Tenth to Twelfth Centuries, in: Shipping, Trade and Crusade in the Medieval Mediterranean: Studies in Honour of John Pryor, hg. v. Ruthy GERTWAGEN / Elizabeth JEFFREYS, Farnham 2012, S. 131-156; Mohamed OUERFELLI, Les enjeux commerciaux dans les traités de paix et de commerce entre Pise et les états du Maghreb au Moyen Âge (XIIe-XIVe siècle), in: Les territoires de la Méditerranée: XIe-XVIe siècle, hg. v. Annliese NEF, Rennes 2013, S. 205-216.

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neue Protagonisten in der Mittelmeerdiaspora der umherziehenden abendländischen Kaufleute auf. Zu den großen Familien der Reeder-Kaufleute adeliger Provenienz traten nun die Bankier-Kaufleute der großen Popolaren-Familien, die vor allem aus den toskanischen Städten des Landesinneren kamen. Florenz übernahm Anfang des 14. Jahrhunderts die führende Position. Die „kommerzielle Revolution“ im engeren Sinn, also das Aufkommen des sesshaften Kaufmanns und seine neuen Handels- und Finanztechniken im 13. Jahrhundert, muss bei der Periodisierung der mediterranen Kräfteverhältnisse im Spätmittelalter berücksichtigt werden, um deutlich zwei Phasen zu unterscheiden: Die erste konzentriert sich auf das 12. und die Anfänge des 13. Jahrhunderts, die zweite reicht von der Mitte des 13. in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts. Diese zweite Phase war entscheidend, da sie – dank des regulierten Handels und der „Revolution“ der kaufmännischen Praktiken – von der Senkung der Geschäftskosten gekennzeichnet war und der Fernhandel mit schweren Waren aufblühte. Zu den gehandelten Gütern gehörte etwa im Falle Siziliens Getreide, dessen Nachfrage aufgrund des Höhepunkts des europäischen Bevölkerungswachstums stieg. In die entgegengesetzte Richtung weisen die Wolltuche – auch mittlerer und niedriger Preisklassen –, die seit Ende des 13. Jahrhunderts von den lombardischen und toskanischen städtischen Zentren (aber auch von den Städten der Provence und Kataloniens) hergestellt und in Sizilien sowie im gesamten Mittelmeerraum vertrieben wurden. Dies bedeutete weder Rückständigkeit auf kurze Sicht, da sich der Austausch mit Sicherheit positiv für Sizilien in der Handels- und Zahlungsbilanz auswirkte, und noch weniger wirtschaftliche Abhängigkeit auf mittlere und lange Sicht. David Abulafia spricht in seinem berühmten, fast vierzig Jahre alten Buch „The Two Italies“ von einer Umwälzung der strategischen, kulturellen und kommerziellen Kräfteverhältnisse, die Sizilien bis in die späte Normannenzeit eine Art koloniales und landwirtschaftliches Schicksal zuwies, eine Unterordnung unter die Wirtschaftssysteme der großen und freien, protobürgerlichen kommunalen Städte Norditaliens, deren Handel und Manufakturwesen sich präpotent entwickelten. Nach dieser bekannten These hätte sich der moderne wirtschaftliche Dualismus Italiens bereits im Mittelalter angekündigt.40 Diese dualistische Interpretation der sizilianischen Geschichte, die in den 1980er Jahren in Forschungsarbeiten vertreten wurde, ist inzwischen überwunden. Bereits 1992 zeigte der allzu früh verstorbene englische Historiker Stephan Epstein, dass das spätmittelalterliche Sizilien keineswegs von einer Getreidemonokultur geprägt war. Es existierte ein blühendes Manufakturwesen, das für den Binnenmarkt arbeitete. Die regionale Wirtschaft nutzte 40

ABULAFIA, The Two Italies (wie Anm. 36). Eine Veränderung des Blickwinkels zeigt sich in der Einführung des Autors zur italienischen Übersetzung seines Buches: DERS., Le due Italie: relazioni economiche fra il Regno normanno di Sicilia e i comuni settentrionali, Napoli 1991. Vgl. auch Henri BRESC, Un monde méditerranéen. Economie et société en Sicile, 1300-1450, Rom 1986; Maurice AYMARD, From Feudalism to Capitalism in Italy: The Case that Doesn’t Fit, in: Review. A Journal of the Fernand Braudel Center 6 (1982/1983), S. 131-208.

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die Krise des 13. Jahrhunderts zu einer Ressourcenumverteilung innerhalb der sozialen Gruppen und um Differenzierungs- und Spezialisierungsprozesse in Gang zu setzen, die die Voraussetzung für eine frühzeitige Erholung der Bevölkerung sowie der Produktion im 15. Jahrhundert bildeten.41 Nach 1350 sorgte die wirtschaftliche und soziale Dynamik Siziliens für ein Wachstum, und daraus resultierte der Exportanstieg in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Wie gestaltete sich aber die Zeit vor der Krise im 14. Jahrhundert? Einerseits müssen die Beziehung zwischen regionalen Kräften und der internen Entwicklung, andererseits die Funktion der Insel im mediterranen Netzwerk betrachtet werden. Bis zur Verwirklichung des sizilianischen Binnenmarkts nach 1350 war die Inselwirtschaft relativ autonom in voneinander separat existierende Subregionen untergliedert. Die internationale Nachfrage nach „bulk goods“ wirkte auf lokaler Ebene als Stimulus für die Produktion eines zusätzlichen Surplus im Vergleich zum internen Bedarf, hatte jedoch nicht die Kraft eine regionale Integration herbeizuführen. Dafür sorgte erst, genau wie in anderen europäischen Regionen, der demographische Schock des Jahres 1348. Zu den Faktoren, die dazu beitrugen, eine Segmentierung der internen Wirtschaftsräume zu erhalten, müssen wir auch die sich in der späten Normannenzeit und während der Ära Friedrichs II. entwickelnde Trennung zwischen den westlichen und östlichen Zonen, zwischen dem islamischen und dem christlichen Sizilien zählen, die mit der Niederschlagung der Aufstände der muslimischen Gemeinschaften und letztlich deren Verschwinden endete. In den darauffolgenden Jahrzehnten unterstützte die wachsende äußere Nachfrage nach Getreide und Lebensmitteln das Vordringen der sizilianischen Subregionen in den Wirtschaftsraum eines damals auf dem Höhepunkt seiner „Latinisierung“ stehenden Mittelmeers. Der Nachfrage nach sizilianischem Getreide stand ein saisonaler Überschuss gegenüber, der – nach der Bedienung des lokalen ländlichen Verbrauchs und desjenigen der nächst gelegenen Stadt – aufgrund der Verkaufspreise stärker über den Seehandel als den Binnenhandel vertrieben wurde. Sowohl während der konjunkturellen Phase vor der demographischen Krise Mitte des 14. Jahrhunderts als auch während der nachfolgenden Phase kann man festhalten, dass in Sizilien das Angebot an Getreide für den Export nicht starr und ausschließlich von der Höhe des Verbrauchs und der internen Produktivität abhängig war. Vielmehr bestimmte – ceteris paribus – die Höhe der genau für diesen Zweck getätigten Investitionen während der Aussaatzeit wesentlich dieses Angebot.42 Die Teilnahme am überre41 42

Stephan R. EPSTEIN, An Island for Itself. Economic Development and Social Change in Late Medieval Sicily, Cambridge 1992. Zu dem oben Angeführten siehe David ABULAFIA, Sul commercio del grano siciliano nel tardo duecento, in: La società mediterranea all’epoca del Vespro. XI Congresso di Storia della Corona d’Aragona (Palermo, Trapani, Erice, 23-30 aprile 1982), Bd. 2, Palermo 1983, S. 522; BRESC, Un monde méditerranéen (wie Anm. 40), S. 527-539; EPSTEIN, An Island for Itself (wie Anm. 41), S. 137-139, 149; Giuseppe PETRALIA, La nuova Sicilia tardomedievale: un commento al libro di Epstein, in: Revista d’Historia Medieval 5 (1994), S. 137-162, hier S.

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gionalen Warenaustauch während des „langen“ 13. Jahrhunderts war unter diesen Bedingungen kein spin-off für die Entwicklung einer integrierten regionalen Wirtschaft, sondern vielmehr ein potentielles Hindernis für deren Ausbildung. In dieser langen Geschichte Siziliens besaß die Beziehung zum Mittelmeerraum in den verschiedenen Phasen mithin unterschiedliche Wertigkeiten bzw. Funktionen. Vor dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit, als die Eingliederung in ein neues System des mittelmeerischen Warenaustausches auf der Basis des regionalen, von der demographischen Krise um die Mitte des 14. Jahrhunderts ausgelösten Wachstums und der damit verbundenen Entwicklung erfolgte, kann man eine starke interne ökonomische Integration auf der Insel nur während der römischen Zeit beobachten. In jenen Jahrhunderten ruhte die gesamte Ordnung auf den beiden Pfeilern des senatorischen und kaiserlichen, später kirchlichen Großgrundbesitzes im Inneren der Insel und auf der in die Antike zurückreichenden Blüte der Städte in den Küstengebieten. Diese Konstellation verdankte ihr Bestehen in großem Maße der wirtschaftlichen Nachfrage innerhalb des Mittelmeerraums und dem Funktionieren des römischen und spätkaiserlichen Systems. Über die Seeverbindung mit Byzanz blieben Wirtschaft und Gesellschaft Siziliens bis ins 9. Jahrhundert in einer Gesamtstruktur spätantiken Typs verankert. Das Weiterbestehen eines „Funktionärsadels“, das Fortdauern der Interaktion zwischen einem urbanen Zentrum und seinem Hinterland sowie die Entwicklung der ländlichen Siedlungen zeigen Ausmaße von Konsum und Produktion an, die wahrscheinlich zu den höchsten in den Mittelmeerregionen gehören. Betrachtet man allerdings die archäologischen Funde, die Anzeichen des Wandels der Landschaft und die Entwicklung der ländlichen Siedlungen, so verhinderte das Fortbestehen der mittelmeerischen Konnektivität der Insel, wenn auch in einem Kontext von „Resilienz“ der kaiserlichen und byzantinischen Strukturen im Westen, nicht – und auch nicht in Sizilien – Phänomene der Fragmentierung und der Segmentierung in die für die frühmittelalterliche Gesellschaft charakteristischen unterregionalen Einheiten. Der lange, vom aglabidischen Islam eingeleitete Eroberungsvorgang, den erst die Fatimiden zu Beginn des 10. Jahrhunderts vollendeten, scheint diese Konstellation nicht verändert zu haben. In dieser war das lokale Wachstum über die subregionalen „cluster“ offen für den Warenaustausch auf lange Distanz, ohne jedoch eine kulturelle Vereinheitlichung und eine wirkliche Integration der insularen Wirtschaftsräume zu bewirken. Die Integration in den fatimidischen Mittelmeerraum führte zu einer relativen regionalen Prosperität. Dieser Prozess des Wachstums wirtschaftlicher Komplexität dauerte mindestens bis zur Hälfte des 13. Jahrhunderts an und ließ die Insel zu einem „verheißenen Land“ der expandierenden lateinischen Christen154-156; DERS., Ancora sulla “politica economica” di Federico II, in: Dentro e fuori la Sicilia. Studi di storia per Vincenzo D’Alessandro, hg. v. Piero CORRAO / E. Igor MINEO, Rom 2009, S. 226.

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heit werden. Die Protagonisten waren andere, ebenso die soziale Identität und der Herkunftsort der im Fernhandel aktiven Kaufleute, aber die Struktur der segmentierten Märkte, die die externen Mittelsmänner in die unterschiedlichen mittelmeerischen Kreisläufe einbrachten, blieb bestehen. Erst im Jahrhundert vor der Pest und mit Sicherheit auch in Verbindung mit dem von Friedrich II. herbeigeführtem Ende der muslimischen Präsenz lief die Öffnung für die Anregungen des neuen spätmittelalterlichen Mittelmeerraums Gefahr, sich in eine Fessel und ein Hindernis für die Entwicklung zu verwandeln. Aber nach der demographischen Krise und während der ganzen frühen Neuzeit wurde der Mittelmeerraum erneut zum Absatzmarkt einer fruchtbaren Insel und zu einem Faktor weiteren wirtschaftlichen Wachstums. Die Darlegungen auf diesen Seiten stützen sich auf mehr als 30 Jahre Forschung, die von vielen, scheinbar verschiedenen historiographischen Traditionen und Zeiten angehörenden Autoren vorangebracht und dabei ständig in Bewegung gehalten wurden. Sehr viel muss allerdings noch untersucht werden, bevor ein wirklich befriedigendes Bild der Beziehungen zwischen internen Wachstumsphänomenen auf der Insel und mittelmeerischer Konnektivität geliefert werden kann. Im Panorama der italienischen Regionen wurde Sizilien von den Mediävisten am erschöpfendsten untersucht: Keine Region kann eine vergleichbare Anzahl an Monographien auf internationaler Ebene aufweisen. Diese Tatsache erscheint umso einzigartiger, als Sizilien sicherlich nicht die am besten dokumentierte Region darstellt, auf jeden Fall nicht im Vergleich zu Mittel- und Norditalien. Meine bisherigen, unter einem im Wesentlichen wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Gesichtspunkt entwickelten Ausführungen sollten verstehen lassen, warum dieses kleine Paradox entstand und warum es auch in Zukunft wieder entstehen wird – mit weiteren Studien und wieder neuen Forschungsmonographien. Die Geschichte und Bedeutung Siziliens wird immer wieder im aktuellen mediterranen Forschungsdiskurs berücksichtigt werden. Das Schicksal unserer Insel wird es ebenfalls in Zukunft sein, im Herzen des Mittelmeers zu liegen, auch in dem der Historiker.

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Mediterrane Insularitäten zwischen Zentrum und Peripherie: Selbstrepräsentationen und Handlungsstrategien I. Einführung Der Mittelmeerraum und vor allem seine großen Inseln wie etwa Zypern, Kreta, Sizilien, Sardinien und Korsika können zweifelsohne als Bestandteil einer eruptiven Geschichtsregion eigener Art betrachtet werden. Hiermit will ich auf die ausgeprägte politische, sozioökonomische und „last but not least“ kulturelle Dynamik hinweisen, die sich durch eine jahrhundertelange Konjunktur abgespielt hat. Die größeren Inseln des Mittelmeerraums sind einer imposanten Reihe von politischen Überlagerungen durch fremde erobernde Herrschaftseliten und -systeme ausgesetzt gewesen. Solche Überlagerungsprozesse, die zu einer Peripherisierung des Mittelmeerraumes, des einstigen Zentrums der antiken Welt, führten, wurden allerdings mit der Formation des kapitalistischen Weltsystems zwischen 1450 und 1600 besonders akut. Diese wahrgenommenen und interpretierten historischen Erfahrungen haben die Lebenswelt, d. h. die sozialen Repräsentationen und Handlungsstrategien der Mitglieder von Mittelmeergesellschaften jenseits der Schichtzugehörigkeit der einzelnen sozialen Akteure tief geprägt. Dies gilt vor allem für das eigene Selbstbild auf den fremdbeherrschten Inseln. Die Mitglieder solcher Gesellschaften sind fest davon überzeugt, dass die Geschichte „schief gelaufen“ sei. Sie fühlen sich als „Objekte“ und als „Subjekte“ der eigenen Vergangenheit, denn diese hat sich im Laufe der Jahrhunderte als eine „feindliche“ und „betrügerische“ Macht entpuppt. Das Feindliche und das Betrügerische bilden bis in die Gegenwart die zwei Hauptkomponenten eines „historischen Syndroms“, wobei die Vergangenheit von den Mitgliedern der erwähnten Gesellschaften als eine unabwendbare Abfolge von Niederlagen gedeutet wird. Das historische Syndrom macht sich in allen Formen der gesellschaftlichen Repräsentationen und des sozialen Handelns bemerkbar. In diesem Zusammenhang braucht man nur eine inzwischen berühmt gewordene Passage aus dem Roman „Der Leopard“ zu zitieren: „Es sind zum mindesten fünfundzwanzig Jahrhunderte, dass wir auf den Schultern das Gewicht hervorragender, ganz verschiedenartiger Kulturen tragen: alle sind von aussen gekommen, keine ist bei uns gekeimt, in keiner haben wir den

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Ton angegeben; wir sind Weiße wie sie und ebenso weiss wie die Königin von England; und doch sind wir seit zweitausendfünfhundert Jahren eine Kolonie.“1

II. Insulare Peripherisierung und fremde Herrschaftsüberlagerung Es mag sein, dass die historische Darstellung von Prinz Salina, dem sizilianischen Leoparden, etwas übertrieben ist. Sie trifft jedoch ins Schwarze, denn der gesamte Mittelmeerraum, vor allem aber dessen gesamte Inselwelt waren regelmäßigen Überlagerungsprozessen unterworfen, welche die Peripherisierung verursacht, begünstigt und vorangetrieben haben. Unter Überlagerung verstehe ich die friedliche bzw. gewaltsame Unterwerfung einer Gesamtgesellschaft durch eine in der Regel zahlenmäßig kleinere Gruppe, die später in das betreffende Territorium eindringt und dort eine Herrschaftsposition innerhalb der sozialen Rangordnung des überlagerten Gesellschaftssystems erlangt. Überlagerungen wie die, die sich generell im Mittelmeerraum und besonders in seiner Inselwelt abgespielt haben, sind deshalb sowohl Phänomene der politischen, sozialen und ökonomischen Dominanz als auch eine Erscheinung der kulturellen Hegemonie. Überlagerer einerseits und Überlagerte andererseits stellen in der Regel ethnisch, kulturell bzw. sozial sehr unterschiedliche Gruppen dar, so dass die Ersten von den Zweiten als „Fremde“ bzw. als „Eroberer“ empfunden werden. Parallel zur Unterwerfung und Unterschichtung, bei der die Eroberer die obersten Positionen der sozialen und politischen Rangordnung des überlagerten Gesellschaftssystems einnehmen, verlaufen in der Regel auch Prozesse, durch die versucht wird, den subalternen Überlagerten die Werte und Normen der dominanten Gruppe aufzuoktroyieren. Diese sehr breite und allgemeine Definition beinhaltet mehrere Typen von Überlagerung, die sich im Hinblick auf die insularen Gesellschaften des Mittelmeerraumes allerdings nur analytisch trennen lassen, denn in den empirisch beobachtbaren Fällen herrschen vielfältige Überschneidungsmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang müssen zunächst die gewaltsamen Prozesse der ethnischen Überlagerung erwähnt werden, die zur Eroberung und Unterwerfung von ganzen Gesellschaften, Völkern und Ethnien durch fremde Eindringende geführt haben. Als klassisches Beispiel können die von Ibn Khaldun beschriebenen Invasionen im mittelalterlichen Maghreb erwähnt werden, die zur Überschichtung von sesshaften Gruppen urbanen Charakters durch beduinische Nomadengesellschaften mit tribalen und patriarchalen Strukturen geführt haben.2

1 2

Giuseppe TOMASI DI LAMPEDUSA, Der Leopard, München 1962, S. 19. Ibn Khaldun, Die Muqaddima: Betrachtungen zur Weltgeschichte, übersetzt und mit einer Einführung von Alma GIESE unter Mitwirkung von Wolfhart HEINRICHS, München 2011.

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Einen für die moderneren mediterranen Inselgesellschaften wesentlich prägnanteren Typus stellt zweifelsohne die bürokratische Herrschaftsüberlagerung dar, die in Verbindung mit den Expansionsbestrebungen von Reichen, Imperien und vor allem Nationalstaaten gesehen werden muss. Dieser Prozess kann sowohl als Folge von siegreichen Eroberungskampagnen als auch als Ergebnis von geschickten diplomatischen Verhandlungen und Abkommen betrachtet werden. Selbstverständlich traten häufig kriegerische Auseinandersetzungen und friedliche Transaktionen fast gleichzeitig auf. Der kontinuierliche Wechsel überlagernder Fremdmächte im italienischen „Mezzogiorno“ und besonders auf den zwei Inseln Sizilien und Sardinien von den Normannen bis zur Entstehung des einheitlichen Nationalstaates kann als eine ausgewogene Mischung der zwei Optionen gelten, so dass blutige Invasionen ebenso wie eine geschickte dynastische Heiratspolitik und zwischenstaatliche Ausgleichsmaßnahmen durchaus eine herausragende Rolle spielten. Jedenfalls ist demnach bei bürokratischen Herrschaftsüberlagerungen die gewaltsame Komponente nicht unbedingt vorherrschend und notwendig. Brachiale Unterwerfung kann freilich durch strukturelle Gewalt geschehen. Jedoch erweist sich die Besetzung oder mindestens die Kontrolle der wichtigsten Herrschaftspositionen als viel wichtiger. Ein hervorragendes Beispiel für diese subtilere Form der Überlagerung stellt gerade die sogenannte „piemontesizzazione“ des italienischen „Mezzogiorno“ und vor allem der zwei größeren Inseln Sizilien und Sardinien kurz nach der Entstehung des italienischen Nationalstaats dar. Nach der Eingliederung Süditaliens sowie Siziliens und Sardiniens in den neu gebildeten Staatsverband wurde kurz nach 1860 die Vereinheitlichung der Verwaltung eingeleitet. Das Muster, nach dem sich dieser Prozess richtete, war bekanntlich die als effizienter und daher als überlegener angesehene piemontesische Administration, so dass der bourbonische Apparat, der als willkürlich, korrupt und antiquiert präsentiert wurde, so schnell wie möglich außer Kraft gesetzt wurde. Es ist wichtig zu betonen, dass gleichzeitig auch ein radikaler Personalwechsel vorgenommen wurde, denn die Piemontesen zweifelten die Loyalität der vorherigen Bürokratie stark an.3 Es wurde also eine regelrechte Lustration avant la lettre vorgenommen. Die bourbonischen Funktionäre wurden abrupt und oft ohne Grund entlassen und durch Bürokraten aus Norditalien, vor allem aus Piemont, ersetzt. Es entstand somit eine piemontesisch dominierte und als fremd empfundene Administration mit äußerst zentralistischem Charakter, die nach den Vorstellungen von Camillo Cavour, dem ersten Ministerpräsidenten des vereinten Italien, als Antidoton gegen die „alte italienische Unsitte“, nämlich gegen die zentrifugalen Tendenzen der partikularistischen Regional- und

3

Francesco DE STEFANO / Francesco Luigi ODDO, Storia della Sicilia dal 1860 al 1910, Bari 1963, S. 78f.; Denis MACK-SMITH, Storia della Sicilia medioevale e moderna, Bd. 3, Bari 1973, S. 601-609; Guido DORSO, La rivoluzione meridionale, Torino 1972, S. 46.

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Lokalpatriotismen wirken sollte.4 Laut Cavour stellte die Existenz einer starken, effizienten und vereinheitlichten Verwaltung speziell in Sizilien und Sardinien zusätzlich auch die fundamentale Voraussetzung für die Beseitigung der sozioökonomischen Unterentwicklung und der kulturellen Rückständigkeit in den zwei in den neuen Nationalstaat aufgenommenen Inselregionen dar. Dem Prozess der „piemontesizzazione“ lag also wie übrigens auch bei der kolonialen und halbkolonialen Herrschaftsüberlagerung außerhalb Europas und auf den anderen Inseln des Mittelmeerraumes ein zivilisatorischer Anspruch zugrunde. Ähnliches kann auch für Korsika gesagt werden, denn die Franzosen hatten sich ebenso wie in Afrika und speziell im Maghreb die berühmt berüchtigte „mission civilisatrice“ vorgenommen. Aber auch die Briten in Zypern und Malta haben eine ähnliche Strategie vorangetrieben, die noch heute in der bürokratischen Struktur und im Rechtssystem beider Inseln deutlich sichtbar ist. Der „zivilisierte“ Funktionär aus dem Norden sollte im Endeffekt die „barbarischen“ Inselbewohner aus dem Süden domestizieren und vom Untertan zum Staatsbürger erziehen. Das Phänomen der bürokratischen Überlagerung im Mittelmeerraum ist wahrscheinlich eine Konstante politischer Zentralisierungsbestrebungen, die in engem Zusammenhang mit dem Aufkommen moderner zentralistischer Nationalstaaten steht. Einen weiteren Typus, der mit dem vorigen in engem Zusammenhang steht, stellt die urbane Überlagerung dar. Ibn Khaldun sowie auch andere Überlagerungstheoretiker wie etwa Friedrich Ratzel5, Franz Oppenheimer6 und Alexander von Rüstow7 hatten in ihren Untersuchungen lediglich die gewaltsame Überschichtung urbaner Gesellschaftsformen mit stammesähnlichen Organisationen unter die Lupe genommen. Es gibt allerdings auch den umgekehrten Fall, nämlich die überlagerungsartige Ausbreitung urbaner Gesellschaften in agrarischen und pastoralen Milieus. Ein gutes Beispiel dafür stellt die überlagernde Ausbreitung von städtischen Kulturmustern in Bauerngemeinschaften dar, die durch eine kleine feudale Oberschicht bzw. soziale Emporkömmlinge langzeitig mediatisiert wurden. Dadurch entstanden die generalisierten urbanen Aspirationen, die im entsprechenden Lebensideal verankert wurden und die im Siedlungstypus der mediterranen Agrostadt deutlich sichtbar sind.8

4 5 6 7 8

Massimo L. SALVADORI, Il mito del buongoverno, Torino 1960, S. 32. Friedrich RATZEL, Anthropogeographie, Stuttgart 1921. Franz OPPENHEIMER, Machtverhältnis, in: Handwörterbuch der Soziologie, hg. v. Alfred VIERKANDT, Stuttgart 1959, S. 338-348. Alexander VON RÜSTOW, Ortsbestimmung der Gegenwart. Eine universalgeschichtliche Kulturkritik, Erlenbach/Zürich, 1949-1957. Christian GIORDANO, Die Betrogenen der Geschichte. Überlagerungsmentalität und Überlagerungsrationalität in mediterranen Gesellschaften, Frankfurt a. M. 1992, S. 299-308.

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Einen weiteren Überlagerungstypus in mediterranen Inselgesellschaften stellt die Überschichtung traditioneller Bauerngemeinschaften durch das urban-industrielle Gesellschaftsmodell dar, dessen Ausbreitung im ruralen Milieu besonders nach 1945 von fremden Innovatoren, Reformen und Entwicklungsagenturen getragen wurde, wie auch am Phänomen der „Modernisierung ohne Entwicklung“ gezeigt werden kann. Verbunden mit der urbanen ist demzufolge die technologische Überlagerung, die als Auferlegung importierter technischer Neuerungen durch fremde Experten, Techniker und Planer definiert werden kann. Die meisten wirtschaftlichen Reformprogramme sowie die meisten Entwicklungsprojekte, vor allem jedoch die unterschiedlichen Industrialisierungsstrategien in den verschiedenen mediterranen Inselregionen lassen sich als paradigmatische Fälle technologischer Überlagerungsvorgänge interpretieren. Es handelt sich um Prozesse, die von den autochthonen Gesellschaften als fremdartig wahrgenommen werden und die daher – um mit Max Weber zu sprechen – durch eine strukturelle „Heteronomie“ und „Heterokephalie“ gekennzeichnet sind.9 In diesem Zusammenhang muss zudem betont werden, dass solche Fälle in der Regel nicht auf der brachialen Unterwerfung der Überlagerten beruhen. Wesentlich wichtiger ist bei diesen Überlagerungsprozessen die subtile Penetration der überlagerten Gesellschaft durch die Besetzung und Kontrolle leitender Positionen in Betrieben und Organisationen. Der letzte zu berücksichtigende Typus ist die ökonomische Überlagerung. Es handelt sich dabei vornehmlich um die Eingliederung des Mittelmeerraumes und dessen Inseln in das kapitalistische „World-System“ nach dem 15. und 16. Jahrhundert. Es geht in erster Linie um die Appropriation von profitreichen Wirtschaftschancen im Agrarsektor durch „fremde“ Unternehmer. Somit entstand im Mittelmeerraum eine vom Ausland (Norditalien, Flandern, England) abhängige Ökonomie, die den Zentren Getreide und Rohstoffe für die Produktion von Textilien lieferte. Auch die Eingliederung des italienischen Südens samt seiner Inseln in den einheitlichen Nationalstaat kann als ein spezifischer Fall ökonomischer Überlagerung gedeutet werden. Pizzorno hat mit seinem Begriff der „historischen Marginalisierung“ zu Recht in diesem Sinne argumentiert.10 Durch den neugebildeten Staatsverband wurde also nicht nur der Vorgang der bürokratischen Überlagerung in Form der „piemontesizzazione“ vollzogen, sondern auch derjenige der ökonomischen Überlagerung realisiert. Denn das industriellkapitalistisch orientierte Wirtschaftssystem des „Settentrione“ – d. h. des Nordens – konnte sich nach der Aufhebung der inneritalienischen Zollgrenzen im südlichen und insularen Teil des Landes endgültig ausbreiten und durchsetzen, 9 10

Max WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. 1, Tübingen 1956, S. 26f. Alessandro PIZZORNO, Familismo amorale e marginalità storica ovvero perché non c’è niente da fare a Montegrano, in: Le basi morali di una società arretrata, hg. v. Edward C. BANFIELD, Bologna 1976, S. 237-252, hier S. 251f.

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ohne dass es dem Staat dort gelang, den Prozess der nationalen Identifikation voranzutreiben. „Historische Marginalisierung“ im insularen Süden ist somit letztendlich die Folge der Interaktion zwischen der überlagerungsartigen Expansion des kapitalistischen Systems und dem parallelen Scheitern des italienischen Nationalstaates als identitätsbildende Institution. Wie auch später gezeigt wird, gelingt es dem Staat also nicht, als vertrauenswürdig und daher als legitim anerkannt zu werden. Die wirtschaftliche Überlagerung der Osmanen auf den Mittelmeerinseln Kreta und Zypern war in erster Linie fiskalischer Natur und zeichnete sich vor allem durch die Unübersichtlichkeit des Steuersystems und die Unberechenbarkeit der Steuerbehörden aus, was Missmut und Misstrauen der betroffenen Bevölkerung sowohl den fremden Lokalverwaltern als auch der Pforte gegenüber verstärkte.11 In Anbetracht der bisherigen idealtypischen Darstellung muss hier noch mit Nachdruck bekräftigt werden, dass zwischen den verschiedenen Formen von Überlagerungsprozessen enge Verflechtungen bestehen. So werden urbane und technologische Überlagerungsarten in den Inselregionen des gegenwärtigen Mittelmeerraumes stets von herrschaftlich-bürokratischen und von ökonomischen Formen begleitet. Bereits die Ausbreitung des Osmanischen Reiches war durch ein Konglomerat von ethnischen, bürokratisch-herrschaftlichen und ökonomischen Überlagerungsprozessen charakterisiert. Ähnliches kann auch im Hinblick auf die Bildung der mediterranen Nationalstaaten liberaler Prägung gesagt werden, denn wie bereits angedeutet, verlief und verläuft bis heute die bürokratische Überlagerung der peripheren und subalternen Inselgesellschaften parallel zur ökonomischen. Eine scharfe Trennung zwischen friedlichen und gewaltsamen Unterwerfungsstrategien lässt sich in den mediterranen Inselregionen kaum vornehmen. Solche Überlagerungsprozesse bestehen in der Regel aus einer Mischung aus militärischer Brachialgewalt, politischer Herrschaftsausübung und kultureller Dominanz mit Hilfe symbolischer Ressourcen, die zusammen die Überlegenheit der Unterwerfer verdeutlichen. Zum Abschluss dieses Abschnittes soll noch erwähnt werden, dass die verschiedenen Überlagerungsphänomene bisher lediglich als Summe tatsächlich beobachtbarer Prozesse, d. h. als Gesamtheit vermeintlich „objektiver“ Fakten betrachtet wurden. Der hier vertretene Ansatz beruht jedoch auf einer spezifischen Analyse, die sich stets um die Rekonstruktion und das Verstehen des Weberschen „subjektiv gemeinten Sinns“ bemüht, so dass es völlig ungenügend wäre, sich lediglich auf die strukturelle bzw. funktionale Dimension der genannten Phänomene zu beschränken.12 In der Folge werde ich mich daher 11

12

Abel Jean Baptiste PAVET DE COURTEILLE, Etat présent de l’Empire ottoman, Paris 1876, S. 72-143; Harry LUKE, Cyprus under the Turks, 1571-1850, London 1969, reprint of 1921; Pinar SENISIK, The Transformation of Ottoman Crete: Revolts, Politics and Identity in the late 19th Century, London/New York/Melbourne 2011. WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. 1 (wie Anm. 9), S. 1-3.

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auf die intentionale Ebene von Überlagerungsprozessen konzentrieren.13 Es geht darum, die kollektive Rezeption und Interpretation solch „objektiver“ Fakten durch die Betroffenen zu berücksichtigen.

III. Zur sozialen Logik von Überlagerungserfahrungen: Überlagerungswahrnehmungen und Überlagerungsinterpretationen Die meisten Sozialwissenschaftler, die mediterrane Gesellschaften erforscht haben, beschreiben immer wieder die auffallende Dramatik des geschichtlichen Schicksals solcher sozio-kulturellen Konfigurationen. Es steht also außer Zweifel, dass die Vergangenheit des Mittelmeerraumes durch eine extrem dynamische Tektonik geprägt war. Es ist daher nicht zufällig, dass Fernand Braudel in diesem Zusammenhang die „chocs sourds, violents, répétés“14 als eine Konstante der mediterranen Geschichte und der der Inseln hervorgehoben hat. Diese gewaltige historische „Dramatik“ lässt sich wahrscheinlich als eine unaufhörliche, beschleunigte Abfolge „geschichtlicher Krisen“ – um den berühmten Begriff Jakob Burkhardts wieder aufzugreifen – definieren.15 In mediterranen Inselgesellschaften stehen „geschichtliche Krisen“ meistens im Zusammenhang mit der Ablösung einer Fremdherrschaft durch eine andere. Vilfredo Pareto könnte daher von einem regen „Kreislauf der Eliten“ sprechen und würde sich in seiner Annahme bestätigt fühlen, die Geschichte sei lediglich ein kolossaler Friedhof von Aristokratien.16 Der ständige Wechsel fremder Eliten, der mehrere Jahrtausende die Geschichte der mediterranen Inselgesellschaften charakterisiert hat, erweckt den berechtigten Eindruck, dass der Mittelmeerraum ein ausgeprägtes Überlagerungsgebiet darstellt. Auf die möglichst detaillierte Rekonstruktion sämtlicher „objektiver“ Überlagerungsereignisse und -prozesse, die die Gesellschaften des mediterranen Raumes erschüttert haben, muss selbstverständlich im Rahmen dieses Beitrages verzichtet werden. Für Sozialwissenschaftler ist es in diesem Zusammenhang wichtiger, die Geschichte in die Soziologie/Anthropologie „hineinzutreiben“, wobei beide Disziplinen als „sciences du présent“ nicht an der Aufdeckung der historischen Wurzeln, sondern an Interpretationsmustern der Gegenwartsphänomene interessiert sind. Es geht also darum, den historisierenden Positivismus zu überwinden und zugleich, dafür plädierte der Gründer der modernen philoso-

13 14 15 16

Wilhelm Emil MÜHLMANN, Methodik der Völkerkunde, Stuttgart 1938, S. 7. Fernand BRAUDEL, La Méditerrannée. L’espace et l’histoire, Paris 1985, S. 171. Jakob BURCKHARDT, Weltgeschichtliche Betrachtungen, München 1978, S. 116-140. Vilfredo PARETO, Trattato di sociologia generale, Milano 1981; Thomas B. BOTTOMORE, Elite und Gesellschaft. Eine Übersicht über die Entwicklung des Eliteproblems, München 1966, S. 47-68.

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phischen Hermeneutik Hans-Georg Gadamer, die wirkungsgeschichtliche Verflechtung, in der das historische Bewusstsein steht, aufzudecken.17 Hiermit wird aber der zentrale Punkt dieses Abschnittes angesprochen, nämlich die Thematik der erfahrungsbedingten Rezeption von Geschichte und die Interpretation von Vergangenheit als Voraussetzung des historischen Bewusstseins einer Gesellschaft. Es geht also darum, zu analysieren, wie sich die Überlagerungsgeschichte und die Überlagerungsvergangenheit durch ihre überwältigende „Präsenz“18 und „Effizienz“19 in der Gegenwart auf die aktuelle Konstruktion des sozialen Wissens20 und daher auch auf die Planung von Handlungsentwürfen und auf die Verwirklichung von Handlungsvollzügen der Mitglieder mediterraner Inselgesellschaften auswirken. Geschichte und Vergangenheit – in unserem Fall Überlagerungsgeschichte bzw. vergangene Überlagerungserfahrungen – bestehen also niemals nur aus „objektiven“ Fakten und Prozessen. Geschichte, in welcher Form auch immer, gewinnt für den verstehenden Sozialwissenschaftler ihren Sinn erst im Zusammenhang mit der Interaktion zwischen „interpretierter Vergangenheit“ und „interpretierender Gegenwart bzw. Zukunft“.21 Es geht demzufolge auch darum, die „innere Geschichte“22 bzw. die „Geschichtlichkeit des Daseins“23 einer Gruppe zu rekonstruieren. Hiermit ist gemeint, dass historische Erfahrungen verinnerlicht, reflektiert und überliefert werden. Der „Effizienz“ der Geschichte ausgesetzt zu sein, stellt die Voraussetzung der Konstitution der kollektiven Vorwelt24, des kollektiven Wissensvorrats25 sowie des kollektiven Gedächtnisses26 einer Gesellschaft dar. Es handelt sich dabei um keine bloße geschichtsphilosophische Spekulation, denn gerade Halbwachs hat auf die empirisch beobachtbare Nachwirkung vergangener Erfahrungen in der Gegenwart hingewiesen. Wie dieser Autor schreibt, „gibt es neben der geschriebenen Geschichte eine lebendige Geschichte, die durch die Epochen hindurch fortbesteht oder sich erneuert“.27 Der Anthropologe Jean Pouillon hat also recht, wenn er sagt, Geschichte sei die Gesamtheit derjenigen Versionen des Vergangenen, die von den Mitglie17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

Hans-Georg GADAMER, Wahrheit und Methode, Tübingen 1965, S. 284. Adam SCHAFF, Die Präsenz der Geschichte, in: SSIP-Bulletin 43 (1976), S. 122-131, hier S. 129. Paul RICOEUR, Temps et récit, Bd. 3, Paris 1985, S. 314. Norbert ELIAS, Über die Zeit. Arbeiten zur Wissenssoziologie II, Frankfurt a. M. 1977. RICOEUR, Temps (wie Anm. 19), S. 314. Edmund HUSSERL, Phänomenologische Psychologie, Den Haag 1962; DERS., Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins, Den Haag 1966. Martin HEIDEGGER, Sein und Zeit, Tübingen 1979, S. 382. Alfred SCHÜTZ, Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt, Wien 1960, S. 236-246. DERS. / Thomas LUCKMANN, Strukturen der Lebenswelt, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1979, S. 119124. Maurice HALBWACHS, Das kollektive Gedächtnis, Stuttgart 1967, S. 34-45. Ebd., S. 50.

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dern einer Gesellschaft für wahr gehalten werden.28 Für den Soziologen/Anthropologen ist Geschichte also die gegenwärtige Verarbeitung, ja im Extremfall Deformation und Umkehrung vergangener Ereignisse, die als Grundlage des „sozialen Wissens“ eines Kollektivs dienen. Geschichte hat also mehrere vielleicht sogar oft widersprüchliche Dimensionen, je nachdem, ob man die Geschichte als kanonisierte Version vermeintlich objektiver Fakten, Prozesse und Interpretationen berücksichtigt oder ob man das Gedächtnis als Komplex der im gegenwärtigen Alltag verarbeiteten Darstellungen derselben Ereignisse befragt. Diese multiple Perspektive zeigt zugleich auch, dass Tradition und Traditionalität nicht so sehr auf habitualisierten Wiederholungsakten, sondern vielmehr auf gut durchdachten Handlungsentwürfen und -vollzügen beruhen. Die philosophisch begründete Opposition zwischen imitatio und ratio scheint daher, aus sozialwissenschaftlicher Perspektive und in Übereinstimmung mit hermeneutischen Überlegungen gesehen, kaum mehr vertretbar zu sein.29 In diesem Sinne erweisen sich schließlich Geschichte und Gedächtnis sowie Vorwelt und Tradition als fundamentale Grundlagen des sinnvoll-rationalen Wissensvorrates auch für die einzelnen Akteure gegenwärtiger Mittelmeergesellschaften. Kehrt man nun zum empirischen Objekt dieses Artikels zurück, nämlich zur mediterranen sozialen Konstruktion der gegenwärtigen Wirklichkeit, dann kann festgestellt werden, dass die imposante Überlagerungsabfolge eine noch heute aktuelle, adäquate, sprich rationale Sichtweise des negativen Schicksals der eigenen Gesellschaft geprägt hat. Die Effizienz vergangener Prozesse, d. h. die Überlieferung, Verinnerlichung und Verarbeitung der Überlagerungserfahrungen, hat ein spezifisches historisches Bewusstsein ins Leben gerufen. In Anbetracht der überlagerungsgeprägten Erfahrungsräume, die die gegenwärtigen und zukünftigen Erwartungshorizonte erheblich beeinflussen, fühlt man sich stets als „Betrogene/r der Geschichte“, wie sowohl von berühmten Intellektuellen als auch von einfachen Bürgern aus niedrigeren Schichten mit Nachdruck immer wieder betont wird.

28 29

Jean POUILLON, Fétiches sans fétichisme, Paris 1975; Marshall SAHLINS, Kultur und praktische Vernunft, Frankfurt a. M. 1981, S. 88; RICOEUR, Temps (wie Anm. 19), S. 322. GADAMER, Wahrheit (wie Anm. 17), S. 252f.

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IV. Die politische Kultur des öffentlichen Misstrauens: Zur Rationalität von mediterranen Betrogenen der Geschichte 1. Vertraute und gefährliche Räume. Zur Opposition zwischen privaten und öffentlichen Sozialfeldern Das Verhältnis zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen wird in den Gesellschaften des Mittelmeerraumes meistens als oppositionell aufgefasst, so dass es durchaus legitim ist, von einem generalisierten Gegensatz zwischen öffentlicher und privater Sphäre zu sprechen. Gemäß dieser vorgestellten Bipolarität bilden der öffentliche und der private Bereich niemals ein harmonisches Universum sozialer Beziehungen oder zwei Atome eines Moleküls.30 In den Gesellschaften des Mittelmeerraumes und speziell in denen der Inselregionen stellt die private Sphäre den einzigen Bereich dar, der Sicherheit vermittelt und in welchem Verlässlichkeit herrscht. Die positiven Qualitäten des Privatbereichs rechtfertigen aus der Perspektive der Handelnden jede Bemühung, die das partikularistische Wohl der eigenen Gruppe zu garantieren und zu maximieren versucht. Parallel zur positiven Bewertung des Privatbereichs beurteilen die Mitglieder solcher Gesellschaften den öffentlichen Bereich negativ, denn das Öffentliche gilt als feindlich, unzuverlässig und gefährlich. Sogar die beliebtesten Räume lokaler Öffentlichkeit31, die in der mediterranen Welt sehr verbreitet sind, werden mit einer gewissen Ambivalenz betrachtet. Orte wie die piazza, der corso, der paseo, das kafeneion und der hammām sind zugleich geschätzt und gefürchtet, denn dort entstehen durch Klatsch die statusgefährdenden Gerüchte, die den guten Ruf von Individuen sowie von Familien und Verwandtschaftsgruppen gefährden. Je mehr die öffentliche Sphäre den Betroffenen als versachlicht, anonym, entpersonalisiert und rationalisiert erscheint, desto mehr nimmt das Misstrauen zu. Dementsprechend erwecken öffentliche Institutionen mit überlokalem Charakter wie etwa die des Staates und der Zivilgesellschaft stets den Verdacht, dass sie dazu dienen, die Individuen zu unterdrükken oder im besten Fall auszunehmen. Die Aktivitäten solcher als gefährlich angesehener Behörden und Einrichtungen werden nun mit Handlungsstrategien erwidert, die sich nach dem Motto „man darf den eigenen Schwindler betrügen“ richten. Die Partizipation und die Mitbestimmung im öffentlichen Bereich sind daher von den personalisierten Interessen mitbestimmt, die man durchsetzen kann. Als Folge dieser Haltung kann das verbreitete Desinteresse und nicht 30 31

Richard SENNETT, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität, Frankfurt a. M. 1983, S. 33, 120. Gisela WELZ, Räume lokaler Öffentlichkeit. Die Wiederbelebung historischer Ortsmittelpunkte, Frankfurt a. M. 1986.

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selten das Verachtungsgefühl gegenüber dem Gemeinwohl verstanden werden. Bei den Betrogenen der Geschichte wird das bonum commune nicht als eine Ressource angesehen, die bei korrekter Verwaltung dem Wohlergehen und der Prosperität der ganzen Staatsbürgergemeinschaft dient, sondern es gilt als eine Quelle, die dazu da ist, um partikularistische, d. h. persönliche Vorteile zu ergattern.

2. Die Isolation und Einsamkeit der Lokalgewalten Ein Grundpfeiler der politischen Kultur mediterraner Inselgesellschaften ist zweifelsohne das tiefgründige Misstrauen gegenüber den Lokalgewalten als Vertretern der öffentlichen Hand. So begleitete der Spruch „Es lebe der König und nieder mit dem Vizekönig“ mehrere Revolten in Sizilien während der jahrhundertelangen Fremdherrschaft der Spanier und der Bourbonen.32 In den Augen der aufständischen Bevölkerung war also der Vizekönig und nicht der in fernen Hauptstädten wie Madrid und später Neapel lebende König der böse Herrscher und daher der eigentliche Feind. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass lokale Regierungsgesandte und Gemeindeverwalter innerhalb mediterraner Inselgesellschaften etwa Siziliens, Sardiniens, Korsikas, aber auch Kretas und Zyperns einen äußerst schlechten Ruf besitzen. So gilt beispielsweise in Andalusien das Rathaus als die eigentliche „Brutstätte der Korruption“.33 Eine ähnliche schlechte Meinung schlägt sich auch im folgenden sizilianischen Sprichwort nieder „Lieber Hund als Bürgermeister“.34 Der zitierte Spruch lässt darauf schliessen, dass es ehrenvoller ist, ein unmündiges Tier zu sein als ein Amtsinhaber im Gemeinderat. Der Gemeindepräsident gehört somit zur sogenannten „negativen Prominenz“ eines Dorfes bzw. einer Stadt und besitzt daher Affinitäten mit dem „cornuto“ d. h. dem Gehörnten. Die Polizei bildet zweifelsohne die Kategorie lokaler Staatsvertreter, die in mediterranen Gesellschaften die niedrigste Anerkennung besitzt und nicht selten verhasst ist. Die Ablehnung tritt jedoch vor allem in Sardinien, Sizilien und Korsika auf. Dort werden Polizisten häufig mit dem negativ stigmatisierenden Namen sbirri bzw. sbires d. h. „Schergen“ tituliert. Diese niedrige Wertschätzung, Abneigung und nicht selten tiefe Verachtung der staatlichen Ordnungshüter wurde von Leopoldo Franchetti und Sidney Sonnino in ihrer Sizilien-Enquete bereits kurz nach der Bildung des italienischen Nationalstaa-

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Christian GIORDANO, Führungspositionen in „peasant societies“. Zur partiellen Abbildung der Sozialstruktur in Genossenschaften, in: Schweizerische Zeitschrift für Soziologie 2 (1976), S. 143-172, hier S. 159. Brot für heute, Hunger für morgen. Landarbeiter in Südspanien. Ein Sozialbericht, hg. v. Hartwig BERGER / Manfred HEßLER / Barbara KAVEMANN, Frankfurt a. M. 1978, S. 209. Giuseppe PITRÈ, Proverbi siciliani, Palermo 1978, S. 79.

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tes in paradigmatischer Weise dargestellt.35 Mehr als hundert Jahre später haben sowohl die abneigungsbedingte Passivität der Bevölkerung als auch die mitschuldige Trägheit des Staates die Atmosphäre von Einsamkeit um General Carlo Alberto dalla Chiesa und um Richter wie Giovanni Falcone, Paolo Borsellino und Rocco Chinnici produziert, die den Mord an diesen Mafiagegnern erheblich erleichtert hat.

3. Die Ungerechtigkeit der dritten Gewalt: die Justiz als heimtückische Staatsinstanz Ein weiteres wichtiges Merkmal der politischen Kultur in mediterranen Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens ist die weit verbreitete Überzeugung, dass die Justiz unberechenbar und launisch ist. Obwohl die Idee, dass der Staat mit seinem Verwaltungsstab von juristisch ausgebildeten Fachbeamten der alleinige Garant für die sachlich korrekte Ausübung der Justiz ist, gewiss keine Neuheit mehr darstellt, wird diese Vorstellung im Mittelmeerraum noch immer nicht ganz anerkannt und oft abgelehnt. Das abgrundtiefe Misstrauen sowie die Ablehnung und die Aversion gegen die Institutionen und die Rollen, die mit dem staatlichen Justizapparat zusammenhängen, werden nun in den Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens häufig von der kollektiv geteilten Repräsentation begleitet, dass die von der öffentlichen Hand monopolisierte Rechtsprechung per se ungerecht ist. In den Augen solcher Gesellschaften besteht also stets eine tiefe Kluft zwischen dem in den Verfassungstexten deklarierten Gleichheitsprinzip und den faktischen Gerichtsentscheidungen. Gilt die staatliche Justiz als prinzipiell ungerecht, dann werden die Gesetze, d. h. die Grundlagen der öffentlichen Rechtsentscheidungen unwirksam und manipulierbar. Nach dem Motto „Wer Gesetze verabschiedet, erfindet Betrug“ oder „Das Gesetz ist da, aber es wird nicht angewandt“ oder „Das Gesetz ist nur für Dummköpfe“ soll sich jeder schlaue Mensch vor der gefährlichen Wirkung juristischer Normen durch die Eingliederung in Protektionsnetzwerke schützen. Nur auf diese Weise kann man sich der immensen negativen Macht der staatlichen Gesetzgebung entziehen.36 Verantwortlich für die verlogene Anwendung der Gesetze sind die vom Staat ernannten Fachbeamten, insbesondere die Richter, die in den Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens im Allgemeinen eine niedrige Wertschätzung genießen. Richter manipulieren laut verbreiteter Ansichten grundsätzlich das Recht zugunsten der „Mächtigen“, indem sie die Gesetze im Sinne von Privatinteressen auslegen und nicht im Sinne einer abstrakten Justiz, die sich nach der Rechtsgleichheit richtet.

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Leopoldo FRANCHETTI / Sidney SONNINO, Inchiesta in Sicilia, Firenze 1974, S. 41-53. GIORDANO, Die Betrogenen der Geschichte (wie Anm. 8), S. 408-411.

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4. Politik und öffentliche Verwaltung als Depravationsprozess: Politiker und Staatsbeamte als „Kleptokraten“ In Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens und speziell auf den Mittelmeerinseln (Sizilien, Sardinien, Korsika, Zypern, Kreta usw.) gilt Politik bzw. Staatsverwaltung als „schmutziges Geschäft“ und nicht als tugendhafte Partizipation am Staatsleben oder als ethisch orientierte Verwaltung der öffentlichen Ressourcen. Das Regieren wird oft mit einer Todsünde oder mit einem Putrefaktionsprozess verglichen. Politik hat fast zwangsläufig eine korrumpierende Wirkung, der sich auch der ehrlichste Mensch kaum entziehen kann. Dem Sozialforscher wird immer wieder von Personen erzählt, die ganz integer waren bis zum Zeitpunkt, als sie sich in ein politisches Amt wählen ließen. Sobald sie mit Politik in Berührung kamen, änderte sich schlagartig ihre Haltung und sie wurden geldgierig, betrügerisch, karrieresüchtig und unzuverlässig. Es gilt also die Überzeugung, wenn Politik korrumpiert, dann müssen die Politiker korrupt sein. Wenn sie ihre Machenschaften erfolgreich verwirklichen wollen, können Politiker also fast ausnahmslos keine ehrlichen Personen sein. Es herrscht folglich die äußerst verbreitete Auffassung, dass die Personen, die sich für eine politische bzw. administrative Laufbahn entschieden haben, lediglich skrupellose Karrieristen sind, die die Bestände des Staates ausplündern und sich auf Kosten der anderen Bürger bereichern. Bei den Mitgliedern solcher Gesellschaften werden neben Politik und Politikern auch Regierung und Verwaltung stets mit betrügerischen Praktiken in Verbindung gebracht. Will man nun Regierende und Bürokraten aus der Perspektive der Regierten definieren, dann können die Inhaber dieser Rollen im Rahmen der Struktur moderner institutioneller Flächenstaaten am besten durch den Terminus „Blutsauger des Volkes“ gekennzeichnet werden. Andererseits gelten Regierungen und Verwaltungen, die ohne Betrug und Diebstahl auskommen, als eine abstrakte Realität und daher als ein unerreichbares Ideal. Der schlechte Ruf der Regierenden und der Bürokraten ist inzwischen jahrhundertealt und steht nach der Meinung der Betroffenen in Zusammenhang mit der Raubgier langzeitiger Fremdherrschaften (Bourbonen, Osmanen, Venezianer, Genueser, Piemontesen, Franzosen aus dem Festland usw.). Diese negativen Vorstellungen haben sich aber auch nach der Bildung der neueren, meist verspäteten Nationalstaaten im Mittelmeerraum vor allem seit dem 19. Jahrhundert nicht wesentlich geändert. Es scheint sogar, dass sich diese sozialen Repräsentationen durch die Einführung des obligatorischen Militärdienstes und vor allem durch die neuen und undurchsichtigen Praktiken der nationalstaatlichen Steuerpolitik zusätzlich verstärkt haben. Für die große Masse der Bauern, die damals bei weitem den Hauptteil der Bevölkerung ausmachte, bestand nun die Aktivität der Regierung und der Bürokratie hauptsächlich darin, die schwer verdienten und ersparten Mittel sowie die Kinder skrupellos wegzunehmen.

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Maßgebender für die aktuelle Kontinuität von regierungs- und bürokratiefeindlichen Leitbildern im Mittelmeerraum ist zweifelsohne die Steuerpolitik. Am öffentlichen Steuersystem, das laut der „politischen Philosophie“ mediterraner „Staatsfeinde“ lediglich ein Instrument zur persönlichen Bereicherung parasitärer Staatsvertreter ist, wird besonders die ungerechte Eindringlichkeit in praktisch alle Lebensbereiche der Bürger beklagt. Um es auf den Punkt zu bringen: Für die Angehörigen der Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens ist die Regierungs- und Verwaltungselite des eigenen Staates nichts anderes als eine regelrechte „Kleptokratie“, die sich ausschließlich nach ihren eigenen, meist ökonomischen Interessen richtet.37 Hier muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass Politiker, Regierungsmitglieder, Bürokraten für ihre vielfältigen „kleptokratischen“ Praktiken nicht besonders getadelt werden. Die Tatsache, dass die Mächtigen im Allgemeinen so handeln und auch handeln müssen, gilt in mediterranen Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens als Selbstverständlichkeit, die nicht sanktioniert zu werden braucht. Mit dem Motto „Es war nie ein Verbrechen, vom Staat zu stehlen“, wird sogar die Normalität entsprechender Praktiken im politischen und bürokratischen Feld betont. Andererseits muss hinzugefügt werden, dass die Politiker, die sich ausdrücklich als „ehrlich“ inszenieren, meistens nicht ernst genommen werden. Sie gelten entweder als unfähig oder aber sie sind äußerst suspekt, denn es wird angenommen, sie hätten sich eine besonders raffinierte Handlungsstrategie ausgedacht.

5. Die Gesellschaft als Patronage- und Klientelsystem Nach der letzten Anmerkung des vorigen Abschnittes besteht also zwischen Herrschenden und Beherrschten kein offener Kontrast, sondern eher ein transaktionales Verhältnis. In den Augen der Mitglieder mediterraner Gesellschaften handelt es sich um vertikale sowie asymmetrische Beziehungen, die auf einer unausgeglichenen Reziprozität, sprich auf einem ungleichmäßigen Tausch beruhen. Als Grundlage für diese Sicht kann die kollektiv geteilte Vorstellung gelten, dass die Wirbelsäule der Gesellschaft das Patronage- und Klientelsystem ist. Patron-Klient-Verhältnisse, die die Grundlage von Patronage- und Klientelsystemen in mediterranen Gesellschaften bilden, können als sozialstrukturelle Erweiterung von Familien, Verwandtschafts-, Patenschafts- und instrumentellen Freundschaftsbeziehungen sowie hochpersonalisierten Bekanntschaftsrelationen betrachtet werden. Da der institutionelle Flächenstaat stets am Scheitern ist und die zivilgesellschaftlichen Organisationen meistens nicht funktionsfähig sind, gilt es in mediterranen Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens als unentbehrlich, Be37

GIORDANO, Die Betrogenen der Geschichte (wie Anm. 8), S. 412-417.

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ziehungen zu personalisieren. Solche Relationen zu pflegen, soll in erster Linie dazu dienen, die Tücken und Hindernisse des öffentlichen Bereichs zu überwinden. Aus der Sicht der Betroffenen erweisen sich in diesem Rahmen vor allem die Patron-Klient-Beziehungen zwischen Regierenden und Regierten als besonders nützlich. Die Gestaltung solcher Verhältnisse wird im Mittelmeerraum besonders aus der Sicht der „Unteren“ zwar als unerfreulich und ungerecht, jedoch stets als unausweichlich empfunden. Der Patron kann demnach im Extremfall ein „notwendiger Ausbeuter“ sein. Die soziale Organisation solcher Gesellschaften als Patronage- und Klientel-Systeme gilt somit als fraglos gegeben. Die permanente Beziehung zu Patronen ist aus der Sicht der Klienten so unersetzlich, dass diese sich um den Aufbau bzw. die Aufrechterhaltung solcher Verhältnisse mit Mächtigen durchgehend bemühen. Es ist also unumgänglich, einen „Heiligen im Paradies“ zu haben, wie die betroffenen Akteure zu sagen pflegen. In diesem Sinne kann man also von einem alle öffentlichen Strukturen infiltrierenden Patronage- und Klientel-System sprechen. Diese Personalisierungstendenzen führen gleichzeitig dazu, dass die Vertreter des politisch-bürokratischen Zwangsapparates, welche in einer Klientel, d. h. in einem dichten Netzwerk von Patron-Klient-Verhältnissen, verstrickt sind, die ihnen zur Verfügung stehenden legislativen, exekutiven sowie gerichtlichen Ressourcen des institutionellen Flächenstaates nicht für die Realisierung eines abstrakten Gemeinwohls einsetzen, sondern diese primär in den Dienst der partikularistischen Interessen der eigenen Klientelmitglieder stellen. Die Personalisierung der Sozialbeziehungen im Geflecht der klientelären Organisation dient zugleich in erster Linie dazu, den öffentlichen Sektor zu privatisieren. Die versachlichte Administration des Gemeinwesens garantiert nun laut der politischen Philosophie okzidentaler Provenienz eben gerade den Schutz vor personalisierter Willkür. Die Eigenschaft der Klientelverhältnisse, versachlichte Beziehungen zu personalisieren, verstößt demzufolge eindeutig gegen die Grundsätze dieser Denktradition, wonach das von Staat und Bürgern verwaltete Gemeinwohl als ein fundamentaler „sittlicher Wert an sich“ gilt. Dadurch wird auch deutlich, warum Experten und auch Sozialwissenschaftler die Klientschaft und die daraus entstehenden Klientelen stets mit Korruption, Parasitenwesen, Nepotismus und der Vergeudung öffentlicher Mittel assoziieren. Ganz anders und zweifelsohne fast umgekehrt sieht die Perspektive der Mitglieder der mediterranen Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens aus. Obwohl heutzutage die Klientelrelationen von den Handelnden meistens mit einer Terminologie verschleiert werden, die an Familien-, Verwandtschaftsund Freundschaftsnetzwerke erinnert, stellen solche interpersonalen Beziehungen ein wesentliches Mittel dar, um der Undurchschaubarkeit und Rigidität der flächenstaatlichen Organisation entgegenzuwirken. Die Klientschaft und die Klientel entpuppten sich sozusagen als eine Art „bridging mechanism“ zwischen Staat und Gesellschaft, so dass dieser Relationstypus im Extremfall

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paradoxerweise, wie Vuidaskis für Kreta beobachtet hat, „an der Herstellung einer (wenn auch so schwachen) positiven Beziehung des einzelnen Bürgers zu seinem Staat“38 mitwirken kann. Trotz der impliziten bzw. expliziten Anerkennung, dass manche Praktiken im Patronage-und Klientel-System illegal sind, bilden also die zugrundeliegenden Beziehungen nicht nur ein Element der Sozialstruktur, sondern zugleich auch eine kognitive Methode bzw. eine wichtige Komponente des sozialen Wissens, das den Handelnden erlaubt, sich als Patrone sowie als Klienten im unzuverlässigen und starren Dschungel der rechtlichen Paragraphen und der bürokratischen Ämter orientieren zu können. In den meisten gegenwärtigen Gesellschaften des Mittelmeerraumes wird es demzufolge grundsätzlich vorgezogen, die Unterstützung eines Patrons in Anspruch zu nehmen, anstatt auf die Aktivitäten einer staatlichen Stelle zurückzugreifen, die nach dem langwierigen Prinzip des Dienstweges handelt, oder auf die Tätigkeiten eines Anwalts, den man persönlich nicht oder kaum kennt und der sachlich das Recht durchzusetzen versucht. Die Präferenz der durch die Klientschaft gelieferten Orientierungshilfe ist in manchen Ländern so generalisiert, dass politisch-bürokratische Apparate in ihrer Gesamtheit nicht selten in echte Klientelsysteme umorganisiert werden. Inzwischen ist allerdings der alte Klientelismus der Honoratioren fast verschwunden und durch „modernisierte“ Organisationsformen ersetzt worden. Als antistaatliche Infiltrationsstrategie zur privaten Ausnutzung öffentlicher Ressourcen beruht der gegenwärtige Klientelismus auf dem professionellen „Fang“ von Wählerstimmen, die man am besten in geballter Form durch die systematische erfolgreiche Instrumentalisierung von Institutionen der Zivilgesellschaft (wie etwa Vereine, Genossenschaften, NGOs, Gewerkschaften, politische Klientelparteien usw.) gewinnen kann. In mediterranen Inselgesellschaften des öffentlichen Misstrauens kann man also von einer regelrechten Industrialisierung sprechen, die zum Entstehen eines einerseits personalisierten und andererseits flächendeckenden Massenklientelismus geführt hat.39

6. Ambivalenzen und Konflikte zwischen staatlicher Legalität und gesellschaftlicher Legitimität: Zur sozialen Logik des öffentlichen Misstrauens in der politischen Kultur Der bereits dargestellte Komplex sozialer Repräsentationen bildet die ideologische Basis der politischen Kultur in Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens. Dank dieser kollektiven Vorstellungen, Denkinhalte und Leitbilder 38 39

Vassilios VUIDASKIS, Tradition und sozialer Wandel auf der Insel Kreta, Meisenheim/Glan 1977, S. 88. GIORDANO, Die Betrogenen der Geschichte (wie Anm. 8), S. 452-454.

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werden Handlungsrezepte elaboriert, die sich als richtungweisend für die sozialen Praktiken erweisen, die die einzelnen Akteure im politischen Alltag verwenden. Die Analyse solcher Denkmodelle zeigt aus einer interpretativen Optik den Sinn und daher die soziale Logik von klientelären Tauschbeziehungen, mafiosen oder mafiaartigen Handlungen und Korruptionsgeschäften auf. Zusätzlich werden die rationalen Grundlagen sowie die Motivationen und die Legitimationen solcher Verhaltensweisen sichtbar, die allzu oft die fremden Beobachter aus dem Westen etwas voreilig als undurchsichtig, abwegig, rückschrittlich und sogar als unzivilisiert abtun. In der Folge geht es darum, die historische Einbettung dieser kollektiven Vorstellungen und sozialen Praktiken, die die politische Kultur von Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens bis heute so tief prägen, wiederum aus einer interpretativen Perspektive zu thematisieren. Durch die Analyse der grundlegenden Repräsentationen und den kurzen Hinweis auf die Bedeutung personalisierter Handlungsstrategien, die die politische Kultur in Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens charakterisieren, wurde im Grunde darauf hingewiesen, dass das Verhältnis zwischen Bürgern einerseits und dem Staat als Apparat gewählter Politiker und ernannter Beamter andererseits äußerst problematisch ist. Etwas konkreter formuliert kann man sagen, dass sich die große Bürgermehrheit mit sämtlichen staatlichen Einrichtungen nicht identifiziert. Es besteht somit eine tiefe Kluft zwischen Staat und Gesellschaft, die die ganze politische Kultur prägt. Diese Fraktur beinhaltet zugleich die Existenz von zwei divergierenden, hierarchisch gegliederten Normen-, Rollen- und Institutionssystemen. In solchen Gesellschaften sowie in ihren entsprechenden politischen Kulturen herrscht also – anders formuliert – eine prekäre Koexistenz von staatlichem Rechts- und sozialem Normensystem, weil die Akteure stets die legalen Einrichtungen in Frage stellen. Diese Situation normativer Parallelität, die an Formen des Rechtspluralismus erinnert, lässt sich nun, aus einer verstehenden Perspektive gesehen, als Gegensatz zwischen Legalität und Legitimität definieren. Das Phänomen kann, vom „subjektiv gemeinten Sinn“ der Mitglieder dieser Gesellschaften ausgehend, in folgendem Schema zusammengefasst werden: staatliche Normen und Institutionen

soziale Normen und Praktiken

legal

z.T. illegal

illegitim

legitim

Diese Darstellung muss nun etwas präzisiert werden: Zum Wesen des modernen Flächenstaates, der sich als „anstaltsmäßiger Herrschaftsverband“ ver-

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steht, gehört die Monopolisierung der „physischen Gewaltsamkeit“.40 Die Quintessenz der Legalität als Mittel der staatlichen Herrschaft besteht also gerade darin, brachiale Sanktionen mit dem Anspruch auf Ausschließlichkeit zu verhängen und durchzusetzen. Jegliche Form der privaten Ausübung und sogar Androhung physischer Gewalt wird daher prinzipiell strafrechtlich verfolgt. Phänomene wie die traditionelle Blutrache zwischen verfeindeten Familien- bzw. Verwandtschaftsverbänden in Kreta, Sardinien und Korsika sowie die Femejustiz von mafiaartigen Netzwerken, Koalitionen und Organisationen in Sizilien gehören auch im Bewusstsein der Mitglieder solcher Gesellschaften zum Bereich der Illegalität. Trotz der anerkannten Illegalität greift man auf solche Akte der Selbstjustiz zurück, solange diese eindeutig strafbaren Handlungen ihre gesellschaftlich garantierte Legitimität in den Augen der Akteure nicht verloren haben. Dies bedeutet aber zugleich, dass es den staatlichen Instanzen nicht gelungen ist, die für institutionalisierte Herrschaftsformen typische Legitimitätsgeltung zu erwerben. Die Handelnden entwickeln also gegenüber den Herrschaftsinstrumenten des staatlichen Zwangsapparats kein Gefühl der Verbundenheit41, so dass die institutionellen Flächenstaaten unfähig sind, das Recht, das sie zu sprechen beanspruchen, faktisch herzustellen. In diesem Sinne werden Bestimmungen, Verordnungen und Gesetze systematisch übergangen, weil sie zwar legal sind, jedoch keine Legitimitätsgeltung besitzen. In der politischen Kultur der mediterranen Inselwelt gilt die staatliche Herrschaft, wie bereits erwähnt, als fraglos gegeben und zugleich als korrupt. Es bestehen jedoch parallel dazu auch deutliche Vorstellungen über die notwendigen „Tugenden“, die der Legitimitätsgeltung und dem Legitimitätsanspruch der staatlichen Herrschaftsordnung sowie ihren Normen, Rollen und Institutionen zugrunde liegen sollten. In dem spezifischen Fall der Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens im ganzen Mittelmeerraum und speziell auf den größeren mediterranen Inseln lässt sich durchaus ein Legitimitätsmodell feststellen. Der springende Punkt ist aber dabei, dass das bewusst oder unbewusst erdachte Staats- und Regierungsideal in den Augen der Betroffenen in der eigenen Gesellschaft niemals realisiert worden ist und wahrscheinlich auch in der kommenden Zeit nicht verwirklicht werden kann. Diese Sichtweise geht von der Annahme aus, dass die Herrschaft des Staates und der Regierung in der Vergangenheit, in der Gegenwart und mit großer Wahrscheinlichkeit auch in der Zukunft vornehmlich aus „Machtmissbrauch“, d. h. aus illegitimen Praktiken besteht. Die Vorstellung des kontinuierlichen staatlichen „Machtmissbrauchs“ hat fast bis heute zur Folge, dass die Mitglieder von Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens im Mittelmeerraum niemals eine friedliche Masse darstell40 41

WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft (wie Anm. 9), Bd. 2, S. 832. Ebd., Bd. 1, S. 122.

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ten. Historische Phänomene wie der endemische Rebellismus in Spanien, Süditalien, Kreta42 und die beeindruckende Ausbreitung des Banditismus vor allem in Sardinien, Sizilien, Korsika, aber auch in Andalusien und im mediterranen griechischen Festland während verschiedener Epochen43 sprechen eher für die These der historisch eingebetteten Illegitimität staatlicher Herrschaftsinstitutionen. Es wäre allerdings allzu einseitig, nur die Muster des offenen Protestes und Widerstandes zu erwähnen. In der politischen Kultur des öffentlichen Misstrauens mediterraner Gesellschaften gibt es heute nämlich mehrere funktionale Äquivalente zu Rebellismus und Banditismus, die ebenso das Legitimitätsdefizit der staatlichen Ordnung und ihrer Gesetze andeuten. Darunter sind „undramatische“ Strategien wie etwa die bereits erwähnten Infiltrationspraktiken (Klientelismus, Korruption, Mafia usw.) des institutionellen Herrschaftssystems, die zwar kein offen deklariertes antistaatliches Rebellionsverhalten beinhalten, jedoch auf die Entkräftung der Staatsstrukturen sowie auf die Aushöhlung der legalen, aber illegitimen Rechtsnormen abzielen. Bei solchen „undramatischen“ Handlungsstrategien nimmt allerdings die Konfrontation zwischen Legalität und Legitimität einen ambivalenten Charakter an, denn einerseits betrachten die Akteure die Staatsinstitutionen und die Rechtsnormen als illegitim, andererseits werden die staatliche Herrschaftsordnung und das Gemeinwohl für die eigenen Privatinteressen genutzt. In diesem Zusammenhang haben daher Mühlmann und Llaryora zu Recht von einem „Ambivalenzkonflikt“ gesprochen.44 In einer solchen politischen Kultur herrscht für den Außenstehenden ein System der „doppelten Moral“, wonach die staatliche Legalität erst dann anerkannt wird, wenn sie für die legitimen Verhaltensweisen von Nutzen ist. Mit dem Hinweis auf die „Ambivalenz“ sowie auf die „doppelte Moral“ sind eigentlich die aktuellsten Formen der Konfrontation zwischen Legalität und Legitimität in den einzelnen politischen Kulturen des Mittelmeerraumes angesprochen. In den letzten Jahren haben die Gesellschaften des Mittelmeerraumes einschließlich der größeren Inseln einen tiefgreifenden Prozess des sozialen Wandels durchgemacht. Die alten politischen Eliten, Notabeln und Honoratioren sind entmachtet worden. Schließlich gehören die klassischen Formen des Agrarrebellismus und des Banditismus fast der Vergangenheit und dem nostalgischen und exotisierenden Gedächtnis der Anthropologen an. Die Bürger sind gewiss längst nicht mehr vom Staatsleben ausgeschlossen und sie kennen die Institutionen der Zivilgesellschaft. 42 43 44

Rural Protest: Peasant Movements and Social Change, hg. v. Henry A. LANDSBERGER, London/Basingstoke 1974, S. 1-64. Eric J. HOBSBAWN, Die Banditen, Frankfurt a. M. 1972. Wilhelm Emil MÜHLMANN / Roberto J. LLARYORA, Klientschaft, Klientel und Klientelsystem in einer sizilianischen Agro-Stadt, Tübingen, 1968, S. 48.

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Man kann somit zusammenfassend sagen, dass das Verhältnis von Bürger und Staat einen Rationalisierungsvorgang im Weberschen Sinne45 bzw. einen Zivilisationsprozess im Sinne Elias’46 erfahren hat. Die Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft ist allerdings nicht wesentlich besser geworden. Die Lokalgewalten, die Justiz, die Regierung, die Politiker, die Bürokratie, kurzum der Staat als irrationale, dämonische Institution ist vermutlich exorziert worden. „Der Staat“ wird aber weiterhin im besten Fall als Dieb bzw. Betrüger eingeordnet, der stets beabsichtigt, die Bevölkerung hereinzulegen. Das Problem der Legitimitätsgeltung und des Legitimitätsanspruches des Staates sowie die Konfrontation zwischen sozialen Normen, Rollen und Institutionen einerseits und Legalität andererseits bestehen also unter anderen Chiffren weiter. Die alten Formen des offenen Protestes und Widerstandes gegen den staatlichen Apparat sind nun fast verschwunden, denn sie sind durch neue Handlungsstrategien ersetzt worden, so dass die Kluft zwischen Staat und Gesellschaft häufig nicht mehr so offensichtlich ist. Ob und inwieweit dadurch ein irreversibler Evolutionsprozess in Richtung legitimer Legalität eingeleitet wurde und inwiefern sich das Durchsetzungsvermögen der heutigen legalen Institutionen in den Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens tatsächlich vergrößert hat, bleibt eine umstrittene Frage und wird dies auch noch längere Zeit bleiben. Es scheint jedoch ziemlich unrealistisch und sogar etwas naiv zu meinen, dass die alte politische Kultur in absehbarer Zeit durch eine neue ersetzt wird, die sich auf öffentliches, systemisches und daher nicht rein personalisiertes Vertrauen stützt. Die neuen Handlungsstrategien, welche die klassischen Formen des Rebellismus und des Banditismus ersetzt haben, beruhen nun, wie angedeutet, auf einer ambivalenten Auffassung der Konfrontation zwischen Legalität und Legitimität, so dass von den Akteuren im Endeffekt die Infiltration der Institutionen als Hauptzielsetzung verfolgt wird. Die betroffenen Akteure haben also gegenwärtig klar erkannt, dass die Legalität im Allgemeinen sowie der Staat und seine Institutionen im Besonderen bestimmte günstige Chancen anbieten, die durch geschickte Manipulationen in persönliche Vorteile umgesetzt werden können. Der innere Vorbehalt, d. h. die „reservatio mentalis“, bleibt erhalten, obwohl der staatliche Apparat inzwischen als „notwendig“, „großzügig“ und „wichtig“ betrachtet wird.47 Die hier dargestellte Haltung, die die politische Kultur des öffentlichen Misstrauens im Mittelmeerraum prägt, ist schließlich Bestandteil eines breiteren Komplexes ambivalenter Denk- und Handlungsmuster, die das Ziel ver45 46 47

WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft (wie Anm. 9), Bd. 2, S. 559-587. Norbert ELIAS, Über die Zeit. Arbeiten zur Wissenssoziologie II, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1977, S. 321-323. Wolfgang HOF, Der ferne Staat – ein Misstrauensvotum, in: Sizilien – die Menschen, das Land und der Staat, hg. v. Christian GIORDANO / Ina-Maria GREVERUS, Frankfurt a. M. 1986, S. 345-366, S. 360f.

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folgen, den Staat und seine Institutionen – d. h. die eigentlichen Betrüger par excellence – mit allen Mitteln finanziell auszunehmen. Der Staat als Herrschaftsapparat hat nach dieser Auffassung die Bürger so oft ausgenützt, dass es angemessen, sinnvoll und moralisch nicht verwerflich scheint, ihm die Rechnung auch in Form von immer massiveren, zwar illegalen, jedoch legitimen Aneignungspraktiken vorzulegen. Der jahrhundertlange Betrug wird heutzutage mit Strategien kompensiert, die mit der Herausbildung und der Mobilisierung personalisierter Netzwerke einhergehen. Die Darstellung der Handlungsmuster in den Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens zeigt, dass die dortigen Akteure dem Staat sowie den mitbestimmenden Strukturen der Zivilgesellschaft nicht trauen und dass folglich das im öffentlichen Bereich verankerte Gemeinwohl für sie eine entfremdete Realität darstellt. Diese spezifische Haltung der Mitglieder der erwähnten Sozialgebilde, die auch die gesamte politische Kultur prägt, darf allerdings nicht „völkerpsychologisch“ gedeutet werden. Es wäre demzufolge irreführend, sie, wie es manche Autoren getan haben, auf die Existenz einer „mediterranen Asozialität“ zurückzuführen.48 Das fast generalisierte Gefühl der Rechtsunsicherheit, das Vorherrschen von personalisierten Sozialbeziehungen (Freundschaftsdyaden und Bekanntschaftsdyaden instrumenteller Natur), Schutznetzwerken (langzeitige Klientelen usw.), Koalitionen (vorübergehende Korruptionsseilschaften) und Vergemeinschaftungen (wie etwa mafiaartige Verbände in Sizilien), die Präsenz so vieler Vorbehalte gegenüber dem Staat sowie die daraus resultierende Kluft zwischen „pays légal“ und „pays réel“ stellen vielmehr Indikatoren einer rational begründeten Produktion von Misstrauen dar. Faktisch ist es primär das wiederholt erlebte Scheitern des Staates, welches das Defizit an Vertrauen in der öffentlichen Sphäre erzeugt hat und noch heute erzeugt. Es handelt sich dabei also um ein sinnvolles System von sozialen Strategien, das die Akteure der Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens zur Grundlage ihres Verhaltens machen, wenn der Staat wiederholt seinen wichtigsten Pflichten nicht nachkommt, so vor allem seiner Aufgabe, Bedingungen zu schaffen, die einen „befriedeten Raum“ garantieren, innerhalb dessen alle individuellen sowie kollektiven Akteure einander aufgrund von Rechtsstaatlichkeit vertrauen können. Es muss gleich hinzugefügt werden, dass das Misstrauensverhältnis nicht nur die Sozialbeziehungen zwischen Bürgern, die keine ausdrücklich personalisierte Bindung zueinander unterhalten, charakterisiert. Ebenso wenig kann die soziale Produktion von Misstrauen gegenüber dem Staat ausschließlich auf die Perspektive der Bürger reduziert werden. In den Augen des Staates, d. h. 48

Edward BANFIELD, The Moral Basis of a Backward Society, Glencoe 1958; M. Rainer LEPImmobilismus. Das System der sozialen Stagnation in Süditalien in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 177 (1965), S. 303-342. SIUS,

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aus der Sicht der Machthaber und Funktionäre, ist der Staatsbürger ein Mensch von zweifelhafter Loyalität, der ständig dabei ist, wieder einmal das Gesetz zu übertreten. Solche Personen müssen daher stets unter Kontrolle gehalten und in viel stärkerem Masse wie unmündige Untertanen als wie Staatsbürger behandelt werden. Diese Reziprozität des Misstrauens ist gewiß ein wichtiges Moment der zermürbenden Pattsituation, welche die aktuelle politische Szene in mediterranen Ländern wie Spanien, Italien, Griechenland und Zypern prägt. Allerdings besitzt die gerade beschriebene soziale Produktion des öffentlichen Misstrauens und die damit verbundene politische Kultur auch eine historische Dimension, die keinesfalls unterschätzt werden soll und die erst adäquat erforscht werden kann, wenn man eine Perspektive der longue durée wählt. Die aktuelle soziale Produktion des Misstrauens in den Gesellschaften des Mittelmeerraumes besitzt eine alte Tradition und hat ihren Ursprung in spezifischen Praktiken, die in früheren negativen Erfahrungen wurzeln – Erfahrungen, die in der Gegenwart über das soziale Gedächtnis der Gruppe immer wieder neu aktiviert werden.

V. Schlussbemerkungen: Zur Rationalität des öffentlichen Misstrauens mediterraner Akteure Die politische Kultur des öffentlichen Misstrauens hat also gut beobachtbare historische Wurzeln und ist durch die im Laufe der Vergangenheit geformten Erfahrungsräume49 bedingt. Obwohl diese Räume zum Erlebnisbereich der einzelnen Individuen gehören, werden sie Bestandteil des sozialen Wissens bzw. des kognitiven Kapitals der meisten Mitglieder einer Gesellschaft. Die gegenwärtigen Menschen des Mittelmeerraumes orientieren sich nach diesem kognitiven Kapital und konstruieren somit ihren Erwartungshorizont. Dieser dient also dazu, sowohl die eigene Gegenwart zu organisieren als auch die Zukunft zu planen. Es ist daher berechtigt und zugleich sinnvoll, sich zum Schluss dieses Artikels die folgende eher rhetorische Frage zu stellen: Warum sollten die Menschen aus den mediterranen Inselgesellschaften des öffentlichen Misstrauens der Bürokratie trauen, den heutigen Politikern glauben, sich um die korrekte Verwaltung des Gemeinwohls und um die Institutionen der Zivilgesellschaft kümmern, positive Einstellungen zum Staat besitzen, wenn sie durchgehend bis in die Gegenwart mit negativen Erfahrungen konfrontiert worden sind und sich als betrogen fühlen? Die eigentliche Crux ist, dass die negativen Erfahrungen der Vergangenheit im Präsens regelmäßig durch zwar neue, jedoch analoge schlechte Erlebnisse bestätigt werden. Die gegenwärtige Fortsetzung 49

Reinhard KOSELLECK, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979, S. 349-370.

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solcher Verhaltensweisen beruht auf der sich stets wiederholenden und sich immer wieder bestätigenden Geschichte, die zu Recht als feindlich wahrgenommen wird. Das Leitmotiv der „Betrogenen der Geschichte“ sowie das der „Geschichte als Feind“ kann für die Betroffenen der genannten Gesellschaften folgendermaßen zusammengefasst werden: Die historische Vergangenheit ist eine traumatisierende Abfolge hinterlistiger (Ent-)täuschungen kollektiver Natur, die sich auf einen kontinuierlichen Prozess scheiternder Staatlichkeiten zurückführen lassen. Nach solch negativen Erfahrungsräumen, die sich im Hier und Jetzt immer wieder bewahrheiten, wäre es eigentlich naiv und zugleich ethnozentrisch zu meinen, dass sich die politische Kultur im Mittelmeerraum nach sonnigen Erwartungshorizonten richten würde, die auf dem Vertrauen in Staat und Zivilgesellschaft, auf dem Funktionieren von versachlichten Sozialbeziehungen sowie auf einem nicht partikularistischen Interesse am Gemeinwohl beruhen. Diese skeptische Haltung der Mitglieder von Gesellschaften des öffentlichen Misstrauens lässt sich jedoch kaum als Fatalismus oder Passivität unterentwikkelter bzw. rückständiger Gesellschaften abtun. Es handelt sich dagegen um eine kontextuelle „rational choice“, die in Anbetracht der „feindlichen Geschichte“ durchaus ihre volle Berechtigung besitzt.50 Der hier zum Schluss erwähnte politische Skeptizismus mediterraner Akteure lässt sich am deutlichsten in den Inselgesellschaften empirisch beobachten. In diesem Sinne sind vor allem Sizilien, Sardinien, Korsika, Kreta und Zypern aufgrund des regen, historisch nachweisbaren Fremdherrschaftswechsels und der entsprechend tiefgreifenden Überlagerungserfahrungen der Menschen besonders geeignete Feldforschungsräume für die empirisch arbeitende Anthropologie. Die Inseln des Mittelmeeres liegen daher im Kern einer „historischen Region“51, die von der Begegnung, der Konfrontation und vor allem dem Konflikt zwischen verschiedenen Gesellschaften, Kulturen und Zivilisationen geprägt wurde. Es ist daher sinnvoll und hilfreich diese südeuropäische Inselwelt als eine „transmediterrane Metapher“52 zu betrachten, die sich jedoch auch für die vergleichende Analyse ähnlicher Gesellschaften jenseits des Mittelmeerraumes (wie beispielsweise Südosteuropa und Lateinamerika) als äußerst inspirierend erweist.

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52

Alessandro PIZZORNO, Familismo amorale e marginalità storica ovvero perché non c’è niente da fare a Montegrano, in: Quaderni di Sociologia 3 (1967), S. 247-261, hier S. 247-249; DERS., Familismo amorale (wie Anm. 10), S. 237-239. Jeno SZÜCS, Die drei historischen Regionen Europas, Frankfurt a. M. 1990; Christian GIORDANO, The Anthropology of Mediterranean Societies, in: A Companion to the Anthropology of Europe, hg. v. Ulrich KOCKEL / Máiréad NICKCRAITH / Jonas FRYKMAN, Oxford 2012, S. 13-31, hier S. 26f. Christian GIORDANO, Ehre, Status, Reputation und Schichtzugehörigkeit in der sizilianischen Gesellschaft: Eine sozialanthropologische Untersuchung, in: Siziliens Geschichte. Insel zwischen den Welten, hg. v. Wolfgang GRUBER / Stephan KÖHLER, Wien 2013, S. 188-204.

JULIA CHATZIPANAGIOTI-SANGMEISTER

Der Wechsel der Worte: Netzwerke, Informationskanäle und Rezeption des Anderen in Reiseberichten des 18. Jahrhunderts über Zypern In seiner für den europäischen Philhellenismus emblematischen „Voyage littéraire de la Grèce“ (1771) veröffentlichte Pierre-Augustin Guys (17211799), ein Marseiller Kaufmann und leidenschaftlicher Altertumsforscher, einen 15-seitigen Brief, in dem er seine langjährigen Reiseerfahrungen zusammenfasste. Dieser Brief war eigentlich an seine Söhne adressiert, übernahm aber durch seine Publikation eine didaktische und normative Funktion, die über die real existierenden Adressaten hinaus auf ein breiteres, an Reisen und Reiseliteratur interessiertes Publikum zielte. So betrachtet, ist der Text des gelehrten Kaufmanns, in dem wissenstheoretische Überlegungen zur Reise und Gedanken zur Poetik der Reiseliteratur formuliert werden, eine kurze Apodemik, verfasst in der damals überaus populären Form eines Briefes.1 Wie aus seinem Text hervorgeht, bewertete Guys, ganz im Sinne der Aufklärung, die eigene Erfahrung positiv und begriff die Entwicklung des Wissens als Resultat einer dialektischen Beziehung zwischen der Beobachtung und dem reflektierenden Denken.2 Aus diesem wissenstheoretischen Ansatz leitete er das poetologische Prinzip ab, dass ein vorbildlicher Reisebericht die neue, individuelle Erfahrung mit dem älteren, kollektiven Wissen, das sich herauskristallisiert und in der bereits existierenden Reiseliteratur sedimentiert habe, kombinieren müsse: „Pour écrire, & pour avoir le droit d’instruire les autres, ce n’est pas assez d’avoir vu les hommes: il faut encore avoir lu ce qui a été écrit par ceux qui nous ont précédés; il faut ajoûter de nouvelles observations aux observations déja faites, & savoir distinguer ce que l’on ajoûte de ce qu’on ne fait que répéter: on ne s’instruit autrement“.3 Auffällig an dieser Passage ist die Dominanz eines den Sehsinn evozierenden Vokabulars. Die Gedanken von Guys, eines Menschen, der die rasante Entwicklung der europäischen Buchproduktion während des 18. Jahrhunderts 1

2 3

Ich benutze die dritte, vom Verfasser revidierte und bedeutend erweiterte Ausgabe: PierreAugustin GUYS, Voyage littéraire de la Grèce, ou Lettres sur les Grecs, anciens et modernes, 2 Bde., Paris 1776, hier Bd. II, S. 182-207. Über Guys im Kontext des französischen Philhellenismus siehe: Georges TOLIAS, La médaille et la rouille. L’image de la Grèce moderne dans la presse littérraire parisienne (1794-1815), Athen 1997, S. 36f., 131f., 157, sowie Olga AUGUSTINOS, French Odysseus. Greece in French Travel Literature from the Renaissance to the Romantic Era, Baltimore 1994, S. 134f., 147-157. GUYS, Voyage littéraire (wie Anm. 1), Bd. II, S. 188. Ebd., Bd. II, S. 187f.

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erlebte, scheinen vom Sehsinn durchdrungen zu sein: Das Wissen wird für ihn durch das Sehen („avoir vu“) und das Lesen („avoir lu“) erworben; sein Transfer erfolgt durch das Geschriebene („écrire“, „ce qui a été écrit“), wobei damit wahrscheinlich in erster Linie das Gedruckte gemeint ist. Der Rückgang der Bedeutung des Hörsinns und die allmähliche Vorherrschaft des Sehens in der Gedankenwelt der Europäer, besonders nach der Erfindung des Buchdrucks4, erklärt vielleicht eine auffallende Lücke in Guys’ kleiner Apodemik: die Abwesenheit jeglicher Erwähnung der bedeutenden Funktion, die im Prozess des Wissenserwerbs diejenigen Personen ausfüllten, die der Reisende in der Fremde kennenlernte. Diese Leerstelle ist umso bemerkenswerter, als Guys – wie er selbst wiederholt angibt – einen großen Teil des Materials, das in seiner „Voyage littéraire“ verarbeitet wurde, der mündlichen Kommunikation verdankte. Zahlreiche Stellen seines Werkes belegen die Diskussionen, die er während seines jahrelangen Aufenthaltes im Osmanischen Reich mit einem sozial und kulturell breiten Spektrum von Personen geführt hatte: mit Mitgliedern der osmanischen Eliten, vor allem aus der griechischen Oberschicht der Phanarioten, aber auch mit türkischen und armenischen Hofbeamten und Hochfunktionären, mit levantinischen Dragomanen (d. h. Dolmetschern), mit ausländischen Kaufleuten, Diplomaten und Reisenden. Der Umgang mit all diesen Personen versorgte Guys reichlich mit Informationen und Wissen und beeinflusste die Art, wie er die griechische und, allgemeiner, die osmanische Gesellschaft des 18. Jahrhunderts wahrnahm und darstellte.5 Diese Feststellungen gelten nicht nur für Guys’ „Voyage“. Die europäische Reiseliteratur der Neuzeit bietet häufig sowohl explizite als auch implizite Hinweise auf die konstitutive Rolle der mündlichen Kommunikation für die Wahrnehmung des Anderen und für die Produktion der Texte. Vor allem die Reiseberichte enthalten Material, anhand dessen die Netze der mündlichen Kommunikation und die Art der durch diese vermittelten Informationen, Begriffe und Vorstellungen von den Anderen und ihrer Realität sich aufspüren und rekonstruieren lassen. Die Rekonstruktion der Komponenten der mündlichen Kommunikation und ihrer praktischen Voraussetzungen kann nicht nur dazu beitragen, ihre Rolle bei der Wahrnehmung und Repräsentation des Anderen zu definieren, sondern auch dazu, die Reisemodalitäten und die Netzwerke zu untersuchen und somit die Entstehung der Informationsgesellschaft zu erforschen. Vor der Folie die4 5

Walter J. ONG, Orality and Literacy. The Technologizing of the Word, 4. Aufl., New York 1987, S. 71-74, 117-138. Siehe Dimitris DOLAPSAKIS, ∆ίκτυαπληροφόρησης: διπλωµάτες, Φαναριώτες, έµποροι και λόγιοι στο Voyage littéraire de la Grèce του P.-A. Guys [Informationsnetze: Diplomaten, Phanarioten, Kaufleute und Gelehrte in der Voyage littéraire de la Grèce von P.-A. Guys], in: ΤΑΞΙ∆Ι, ΓΡΑΦΗ, ΑΝΑΠΑΡΑΣΤΑΣΗ, Μελέτες για την ταξιδιωτική γραµµατεία του 18ου αιών [Reisen, Schreiben, Repräsentieren. Studien zur Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts], hg. v. Julia CHATZIPANAGIOTI-SANGMEISTER, Iraklio 2015.

DER WECHSEL DER WORTE

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ser Fragestellung wird in der Folge der Versuch unternommen, die orale Kommunikation zu rekonstruieren, so wie sie in der europäischen Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts über Zypern bezeugt ist.6 Als östlichste Insel im Mittelmeer und als einziges Eiland, das zu Asien gehört, stellt Zypern durch seine Position nahe den Grenzen dreier Kontinente mit Ländern ganz unterschiedlicher Kulturen und Religionen einen besonderen Fall dar und ist daher ein interessanter Forschungsgegenstand. In der gesamten Neuzeit wurde Zypern häufig von ausländischen Reisenden besucht, obgleich die Mehrheit die Insel nicht gezielt, sondern meist bloß als unumgängliche Zwischenstation auf der Reise ins Heilige Land und zurück oder aber von und nach Ägypten aufsuchte. Zu dieser besonderen geographischen Position kam noch das Interesse, das 1571 die osmanische Eroberung des damals venezianischen Königreichs Zypern ausgelöst hatte, weswegen die Insel häufiger, wenn auch meistens nur kurz, in der neuzeitlichen Reiseliteratur beschrieben wurde. Die Wahl Zyperns als Schauplatz für Shakespeares „Othello“ zu Beginn des 17. Jahrhunderts unterstreicht die Gegenwart der Insel im europäischen kollektiven Bewusstsein, zugleich aber die Verschwommenheit der mit ihr verbundenen Vorstellungen, die Zypern früh zu einer Projektionsfläche der europäischen Literatur machten.7 Im 18. Jahrhundert gehörte Zypern neben Kreta und Rhodos dank der Ausweitung des europäischen Handels mit Indien und Ägypten zu den am häufigsten besuchten Inseln des östlichen Mittelmeers, jedoch immer noch vorwiegend als Zwischenstation, was die bereits angesprochene Grenzposition der Insel in der Wahrnehmung der Reisenden unterstrich. Wenn die publizierte Reiseliteratur dem Reisenden in spe bereits zu Hause Informationen, Begriffe und Vorstellungen vom Anderen lieferte, wie verhielt es sich dann mit der mündlichen Kommunikation, die es hier zu rekonstruieren gilt? Diese begann lange bevor der Reisende die Grenzen des Reiches überschritt. Die Reiserouten, die Europa damals mit dem Reich verbanden, führten durch Städte, die wichtige Verkehrsknoten auf den See- oder Landwegen und daher sehr häufig Niederlassungsorte griechischer Kaufleute waren. Von den Mitgliedern dieser Handelskolonien, zu denen in der Aufklärungszeit auch verschiedene Gelehrte zählten, konnten die Reisenden Informationen über ihre Zielorte sammeln und sogar die Gelegenheit ergreifen, Kenntnisse des Neugriechischen zu erwerben.8 6

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Bibliographisch fußt meine Untersuchung auf: Julia CHATZIPANAGIOTI-SANGMEISTER, Griechenland, Zypern, Balkan und Levante. Eine kommentierte Bibliographie der Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts, 2 Bde., Eutin 2007. Zum Thema Zypern in der Belletristik siehe Dirk SANGMEISTER, Zypern in der deutschen Belletristik des frühen 19. Jahrhunderts, in: Zypern und der Vordere Orient im 19. Jahrhundert. Die Levante im Fokus von Politik und Wissenschaft der europäischen Staaten, hg. v. Sabine ROGGE, Münster 2009, S. 225-253. Eines der bekanntesten Beispiele wäre Wilhelm Müller (der sogenannte „Griechen-Müller”), der 1817 auf dem Weg ins Osmanische Reich in Wien Station machte und bei den prominenten Gelehrten Theoklitos Pharmakidis, Konstantinos Kokkinakis und Athanasios Vogoridis

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JULIA CHATZIPANAGIOTI-SANGMEISTER

Eine Schlüsselrolle für Reisen nach Zypern hatte die älteste griechische Kolonie im Westen, jene in Venedig. In der Serenissima – in der Neuzeit der wichtigste europäische Hafen im Verkehr mit dem osmanischen Reich, Sitz der ältesten griechischen Druckereien und zusammen mit dem benachbarten Padua der bevorzugte Studienort der Griechen – versammelten sich, nicht zuletzt aufgrund der historischen Beziehungen zu der Insel, mitunter viele Zyprioten, in erster Linie Kauf- und Seeleute, aber auch Gelehrte. Ein bezeichnendes Beispiel dafür, dass eben hier die erste mündliche Kommunikation angeknüpft wurde, ist das Treffen der britischen Botaniker John Hawkins (ca. 1758-1841) und John Sibthorp (1758-1796), die 1786 von Venedig aus nach Zypern und in die Ägäis reisen wollten, mit dem zypriotischen Archimandriten Kyprianos, einem wichtigen Historiker der griechischen Aufklärung, der sich damals in der adriatischen Stadt aufhielt.9 Die Informationsquellen der Reisenden vermehrten sich nach der Einschiffung. Die lange Reise bot ihnen Gelegenheiten zu Diskussionen mit den Mitreisenden, unter denen sich Kaufleute und andere Personen aus den Regionen, die sie besuchen wollten, befanden. Wichtige Informationsquellen waren auch der Kapitän und die Schiffsmannschaft, die aufgrund persönlicher Erfahrung und der mündlichen Überlieferung innerhalb ihres Berufsstandes ein breites Wissen über den Raum und die Menschen erworben hatten, das sie gerne teilten und verbreiteten. Kein Text illustriert besser die Rolle, die die Seeleute für die Reisenden und die Reiseliteratur gespielt haben, als die bekannte „Naukeurige Beschryving der Eilanden in de Archipel der Middelantsche Zee“ (Amsterdam 1688) von Olfert Dapper. Der Autor dieses sehr verbreiteten Werkes, das im 18. Jahrhundert eine Pflichtlektüre aller in das östliche Mittelmeer Reisenden war, hatte die Regionen, die er beschrieb, selbst nie besucht, sondern stützte sich laut seines Vorwortes auf Informationen, die er im Hafen von Amsterdam gesammelt hatte, indem er Seeleute befragt hatte.10 Besonders gute Kenner des Raums, aber auch der lokalen Gesellschaft, waren die Kapitäne der Schiffe, die jahraus, jahrein immer wieder dieselben Routen befuhren, darunter relativ kurze Strecken wie etwa diejenige zwischen Zypern und Syrien. Aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung mit und auf diesen Strecken bauten sie nach und nach ein breites Netzwerk von Bekannten in den angefahrenen Häfen auf und waren daher in der Lage, die Reisenden, die sie beförderten, sowohl mit Informationen zu versorgen als auch mit Empfehlungen an Personen zu versehen, die diese an ihrem Ankunftsort beherbergen

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Neugriechisch lernte; siehe: Wilhelm MÜLLER, Tagebücher, Briefe, in: Ders., Werke, hg. v. Maria-Verena LEISTNER, 6 Bde., Berlin 1994, hier Bd. V, S. 123f. Zu Müllers Drama Leo, Admiral von Zypern siehe SANGMEISTER, Zypern in der deutschen Belletristik (wie Anm. 7), S. 246f. Archimandrit KYPRIANOS, Ιστορία χρονολογική της νήσου Κύπρου [Chronologische Geschichte Zyperns], Venedig 1788, S. 332. Vgl. Leonora NAVARI, Manuscripts and Rare Books 15th-18th century. From the Collections of the Bank of Cyprus Cultural Foundation, Nikosia 2010, S. 314, Nr. 143.

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oder ihnen sonst behilflich sein konnten.11 Ähnliches lässt sich auch über die Kaufleute sagen, die die Reisenden auf den Schiffen kennlernten. Paul Lucas, Antiquar des französischen Königs Ludwig XIV., schreibt über seine Bekanntschaft mit den Kapitänen Marin12 und Pierre Arnault, während der deutsche Mönch Angelicus Maria Myller auf dem Schiff während der Fahrt von Larnaka nach Limassol den reichen Kaufmann Bress kennenlernte.13 Alle drei, Marin, Arnault und Bress, waren prominente Mitglieder der französischen Handelskolonie von Larnaka in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts14 und durchaus in der Lage, vielerlei Informationen über Zypern und das östliche Mittelmeer zu liefern. Bereits zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte sich auf Zypern ein Netzwerk von Personen herausgebildet, mit denen jeder Reisende in Kontakt kam, der mehr Zeit auf der Insel verbrachte als die wenigen Tage, die man für die bloße Versorgung der Schiffe benötigte. Die Knotenpunkte in diesem Netzwerk waren die katholischen Missionare, die diplomatischen Beamten (Konsuln, Vizekonsuln, Konsulats-Agenten, Dragomane) und die Kaufleute. Diese Personen, mehrheitlich Ausländer, waren einerseits Repräsentanten westlicher Lebensart und Mentalitäten, wie ihre Alltagswelt auswies: Ihre geräumigen Häuser15, ihre Bibliotheken16, Gemälde17 und Musikinstrumente18, die Kutschen19, das ausdifferenzierte Mobiliar, die Kleidung, die Perücken und viele Gegenstände des 11

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Ein diesbezüglich interessantes Beispiel ist die Erzählung von Myller über den Kapitän Daniel Bullam, der aus Zypern Wein für britische Kaufleute in Konstantinopel transportierte. Bullam, der offensichtlich die Insel nicht zum ersten Mal besuchte, führte im Mai 1726 eine Gruppe seiner Passagiere in den Weinberg eines reichen Griechen in der Nähe von Limassol; siehe Angelicus M. MYLLER, Peregrinus in Jerusalem. Fremdling zu Jerusalem, Wien/Nürnberg 1735, S. 296f. Paul LUCAS, Deuxième Voyage du Sieur Paul Lucas dans le Levant, octobre 1704-septembre 1708, hg. v. Henri DURANTON, Saint-Étienne 2002, S. 104f. MYLLER, Peregrinus in Jerusalem (wie Anm. 11), S. 793. Ihre Namen kommen häufig in Dokumenten des französischen Konsulats von Larnaka vor; siehe Consulat de France à Larnaca. Documents inédits pour servir à l’histoire de Chypre, hg. v. Anna POURADIER DUTEIL-LOIZIDOU, 6 Bde., Nikosia 1991-2009, hier Bd. III, S. 414, 416 und 427; Sylvain BERAUD, Liste des Consuls Français en Chypre de 1661 jusqu’en 1959, in: Kypriakai Spoudai 33 (1969), S. 149-154, hier S. 150. Siehe etwa Fredrik HASSELQUIST, Reise nach Palästina, Rostock 1762, S. 198, und Giovanni F. MARITI, Viaggi per l’isola di Cipro e par la Soria e Palestina, 9 Bde., Lucca/Florenz 1769-1776, hier Bd. I, S. 70. Über eine bedeutende Bibliothek verfügte das Franziskaner-Kloster in Larnaka; dazu MARITI, Viaggi (wie Anm. 15), Bd. I, S. 65. Wichtige Privatbibliotheken besaßen einige der Konsuln, etwa der Franzose François Luce, siehe Consulat de France à Larnaca (wie Anm. 14), Bd. IV, S. 276. MARITI, Viaggi (wie Anm. 15), Bd. I, S. 65. Johann Baptist LEIBLICH, Pilger in Jerusalem, Wien 1754, S. 237; MARITI, Viaggi (wie Anm. 15), Bd. I, S. 65. Carsten NIEBUHR, Reisebeschreibung nach Arabien, 3 Bde., Kopenhagen 1774-1837, Bd. III, S. 20: „Bey meiner Ankunft am Ufer wunderte ich mich nicht wenig eine hübsche englische Cariole anzutreffen, ein Fuhrwerk, das ich seit vielen Jahren nicht gesehen hatte, und auch nicht auf dieser Insel erwartete”.

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alltäglichen Gebrauchs, die in ihren Nachlässen verzeichnet sind20, zeugen von ihrer Herkunft und ihren kulturellen Prägungen. Andererseits waren sie Träger von auf Erfahrung fußenden Vorstellungen und Begriffen über den fremden Ort und seine Bewohner. Sie waren zugleich fremd für die Einheimischen und vertraut, mitunter fast familiär, für die fremden Reisenden. Diese Landsleute in fremden Ländern übernahmen eine Vermittlerrolle bei dem Erwerb von Wissen, aber auch bei der Herausbildung von Stereotypen über den jeweils Anderen, in beide Richtungen. Unter den sozialen Gruppen, aus denen der Mikrokosmos der Kolonie bestand, sind die katholischen Missionare besonders interessant für die Erforschung des Phänomens Reisen und der Reiseliteratur. Aufgrund der geographischen Position von Zypern bekamen die Missionare auf der Insel, vor allem die Franziskaner, die zu der Custodia Terrae Sanctae gehörten, eine wichtige Stelle und Funktion in der Infrastruktur der Pilgerreisen ins Heilige Land. Die Klöster der Franziskaner und der Kapuziner in Larnaka21 stellten für die katholischen Pilger nicht nur Orte der Ausübung ihrer religiösen Pflichten dar, sondern auch Orte, in denen die Reisenden praktische Hilfe fanden. Wie 1699 der deutsche Reisende Schillinger beobachten konnte, beherbergte das Kloster der Franziskaner europäische Mönche, die sich dort auf ihre Missionen in Palästina vorbereiteten, aber auch einfache Pilger, die sich auf dem Weg ins Heilige Land befanden.22 Die häufigen Reisen der Missionare zwischen ihren verschiedenen Niederlassungen im Osmanischen Reich gewährleisteten die ununterbrochene Kommunikation unter den katholischen Missionen und verbanden sie zu einem weit gespannten Netz, das nicht nur Menschen, sondern auch Nachrichten und Informationen transportierte.23 Die Franziskaner und die Kapuziner von Zypern waren daher für die Reisenden wichtige Lieferanten von Informationen nicht nur über die Insel, sondern über den ganzen östlichen Mittelmeerraum. Diese Informationen hatten nicht ausschließlich einen praktischen und objektiven Charakter. Zuweilen vernehmen wir in der Reiseliteratur den Widerhall 20 21

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Verschiedene Listen von Nachlässen sind von POURADIER DUTEIL-LOIZIDOU in der mehrbändigen Ausgabe Consulat de France à Larnaca (wie Anm. 14) aufgeführt. Zu den Franziskanern siehe Kostas P. KYRRIS, Τα προξενεία στην Κύπρο επί Τουρκοκρατίας [Die Konsulate auf Zypern während der Türkenzeit], in: Philologiki Kypros (1963), S. 219225, hier S. 220; zu den Kapuzinern: Anna POURADIER DUTEIL-LOIZIDOU, Introduction, in: Consulat de France à Larnaca (wie Anm. 14), Bd. I, S. 11-47, hier S. 24. Franz Caspar SCHILLINGER, Persianische und Ost-Indianische Reis, Nürnberg 1707, S. 27; LEIBLICH, Pilger in Jerusalem (wie Anm. 18), S. 237; MARITI, Viaggi (wie Anm. 15), Bd. I, S. 66. Die Rolle der Missionen als Informationskanal geht deutlich aus den Instruktionen an die französischen Botschafter an der Pforte hervor, siehe Recueil des instructions donnés aux ambassadeurs et ministres de France depuis les traités de Westphalie jusqu’à la Révolution Française, hg. v. Pierre DUPARC, Paris 1969. Die reichste Quelle für das Thema stellen die Missionen der Jesuiten dar: Nouveaux Mémoires des missions de la Compagnie de Jesus, dans le Levant, hg. v. Thomas-Charles FLEURIAU D’ARMENONVILLE u. a., 9 Bde., Paris 1715-1755.

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lokaler Legenden in mündlicher Überlieferung, wie beispielsweise die Erzählung des Pilgers Pater Angelicus Maria Myller über die weiße Katze des Franziskanerklosters in Larnaka und ihren Kampf gegen die Schlangen. Myller schrieb die Erzählung, die offensichtlich der bekannten zypriotischen Legende über die Katzen des Sankt Nicholas-Klosters nachempfunden ist, nach den Worten des führenden Franziskaners, des Pater Guardian, nieder.24 Auf die gleiche Weise, durch mündliche Überlieferung, erfuhr der deutsche Reisende, diesmal vermittelt durch Griechen aus Larnaka, weitere lokale Legenden über die Reisen des Apostels Paulus und über die sieben Schläfer.25 Alle drei Legenden, die Myller niederschrieb, werden häufig in der Reiseliteratur erwähnt. An sie knüpfen sich zwei konstitutive Elemente der Repräsentationen von Zypern: die Vorstellung vom harten Kampf der Inselbewohner ums Überleben und die enge Verbindung Zyperns mit der Geschichte des Christentums. Erstere ist einerseits eine häufige Komponente des Begriffs der Insularität im Allgemeinen, andererseits fußt sie auf der historischen Realität einer zu knapp bemittelten Agrargesellschaft. Letztere spiegelt Zyperns bedeutsame, aber oft prekäre Lage als christlicher Vorposten im südöstlichen Mittelmeer wider. Eine prominente Stellung im Netz der Personen, mit denen die Reisenden auf Zypern in Kontakt kamen, hatten die Konsuln, die Vizekonsuln und die Konsularagenten inne, die sich um den reibungslosen Aufenthalt der Untertanen des von ihnen vertretenen Herrschers sorgen mussten.26 Die Schwierigkeiten mit den osmanischen Behörden, in die manche Reisende gerieten, stellten die diplomatischen Fähigkeiten der Konsuln auf die Probe. Zuweilen intervenierten sie, etwa um zu verhindern, dass europäische Matrosen zum Islam übertraten.27 Die Konsuln waren im 18. Jahrhundert über das gesamte Osmanische Reich verteilt. Sie informierten sich im Falle von prominenten Reisenden oft gegen24

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MYLLER, Peregrinus in Jerusalem (wie Anm. 11), S. 42. Die Legende über die Katzen des Sankt Nicholas-Klosters kommt in der Reiseliteratur bereits im 15. Jahrhundert vor. Es steht noch nicht fest, ob und inwiefern die Wiedergabe der Legende in der Reiseliteratur die orale Tradition beeinflusst hat, siehe: Katerina KRIKOS-DAVIS, Cats, Snakes and Poetry: A Study of Seferis’ ‘The Cats of Saint Nicholas’, in: Journal of Modern Greek Studies 2 (1984), S. 225-240, hier S. 228-230. Gleiches gilt für die in der Folge erwähnten Legenden über den Besuch des Apostel Paulus und die Sieben Schläfer. MYLLER, Peregrinus in Jerusalem (wie Anm. 11), S. 785. Zu den Konsulaten auf Zypern während des 18. Jahrhunderts siehe Thukididis P. IOANNOU, Εµπορικές σχέσεις Κύπρου – Γαλλίας κατά τον 18ο αιώνα [Die zypriotisch-französischen Handelsbeziehungen im 18. Jahrhundert], Nikosia 2002, S. 31-60, 63-73, sowie Anna POURADIER DUTEIL-LOIZIDOU, Introduction, in: Consulat de France à Larnaca (wie Anm. 14), Bd. I, S. 19-24. Ausführliche Informationen bietet der toskanische Reisende Domenico SESTINI, Viaggio di ritorno da Bassora a Costantinopoli, o.O. [vermutlich Livorno oder Konstantinopel] 1788, S. 137-139. Sestini, der bekannt als Numismatiker und Botaniker war, besuchte Zypern 1782. Siehe z. B. MYLLER, Peregrinus in Jerusalem (wie Anm. 11), S. 786; Consulat de France à Larnaca (wie Anm. 14), Bd. III, S. 127.

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seitig über den bevorstehenden Besuch. Wie Carsten Niebuhr berichtet, stellte er bei seiner Ankunft in Larnaka am 18. Juni 1766 mit Erstaunen fest, dass er bereits am Hafen von Giovanni Mariti erwartet wurde, dem damaligen Sekretär des britischen Konsuls Timothy Turner, zu dem ihn Mariti gleich führte.28 Turner hatte die Nachricht über die Anreise des einzigen Überlebenden der berühmten wissenschaftlichen Expedition nach Arabien vom holländischen Konsul in Aleppo erhalten.29 Reisende mit einer offiziellen Mission wurden häufig mit Schreiben versorgt30, die die Konsuln ihres Landes verpflichteten, ihnen Hilfe und Gastfreundschaft zu bieten. Dank solcher Schreiben fand Paul Lucas, Beauftragter Louisʼ XIV., Unterkunft bei den französischen Konsuln François Luce31 und Nicolas Morel de Cresmery (1678-1724)32, und der Linné-Schüler Fredrik Hasselquist (1722-1752) bei Girolamo Brigadi, dem Konsul Venedigs und Schwedens.33 Obwohl nicht jeder eine solch privilegierte Behandlung genoss, kamen fast alle Reisenden in Kontakt mit den Konsuln und Konsularbeamten, da die meisten Reisenden den diplomatischen Vertretern ihres Landes einen Besuch abstatteten.34 Den Konsuln und Konsularbeamten verdankten die Reisenden oft die demographischen und anderen statistischen Angaben, die sie dann später in ihren 28

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Das Interesse des britischen Konsuls für Niebuhr lässt sich nicht nur aus dem großen Interesse, das die Expedition in ganz Europa hervorgerufen hatte, erklären, sondern auch dadurch, dass der britische Konsul in Larnaka im 18. Jahrhundert auch Dänemark vertrat (dazu: IOANNOU, Εµπορικές σχέσεις [wie Anm. 26], S. 70), dessen König die Expedition nach Arabien finanziert hatte und der deshalb unmittelbar an Niebuhrs Reise interessiert war. NIEBUHR, Reisebeschreibung (wie Anm. 19), Bd. III, S. 11, 20. Siehe z. B. das Rundschreiben des Comte de Pontchartrain an die französischen Konsuln hinsichtlich der Reise von Lucas in: Consulat de France à Larnaca (wie Anm. 14), Bd. IV, S. 163f., sowie Henri OMONT, Missions archéologiques françaises en Orient aux XVIIe et XVIIIe siècles, 2 Bde., Paris 1902, Bd. I, S. 353. LUCAS, Deuxième voyage (wie Anm. 12), S. 186. Zu François Luce siehe BERAUD, Liste des consuls (wie Anm. 14), S. 150. Paul LUCAS, Troisième Voyage du Sieur Paul Lucas dans le Levant, mai 1714-novembre 1717, hg. v. Henri DURANTON, Saint-Étienne 2004, S. 123. Zu Nicolas Morel de Cresmery siehe BERAUD, Liste de consuls (wie Anm. 14), S. 150 und Anne MEZIN, Les consuls de France au siècle des Lumières (1715-1792), Paris 1997, S. 452f. HASSELQUIST, Reise nach Palästina (wie Anm. 15), S. 194. Der schwedische Reisende besuchte die Insel im Frühling 1751. Ziel seiner Reise ins östliche Mittelmeer war, Informationen über die Flora der Region zu sammeln und Beobachtungen über Palästina anzustellen, die der Bibelexegese dienen konnten. SCHILLINGER, Persianische und Ost-Indianische Reis (wie Anm. 22), S. 26; MYLLER, Peregrinus in Jerusalem (wie Anm. 11), S. 779; Bartholomew PLAISTED, A Journal from Calcutta in Bengal, 2. Aufl., London 1758, S. 123; Eyles IRWIN, A Series of Adventures in the Course of a Voyage up the Red-Sea, on the Coasts of Arabia and Egypt, 3. Aufl., 2 Bde., London 1787, Bd. II, S. 238 (die Erzählung der Reise nach Zypern findet sich erst in der dritten Ausgabe des Reiseberichtes); William WITTMAN, Reisen in der europäischen Türkey, Kleinasien, Syrien und Aegypten in Jahren 1799, 1800, 1801 und 1802, 2 Bde., Leipzig 18041805, Bd. Ι, S. 151 (Erstausgabe: London 1803, unter dem Titel Travels in Turkey, AsiaMinor, Syria, and across the Dessert into Egypt).

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Texten lieferten35, sowie auch die Informationen über das Innere der Insel, in das sie selbst nur sehr selten gelangten. „The same authority [i. e. the British consul]“, notierte Eyles Irwin, „from which I have derived my general information, enables me to say, that in the interior parts [of Cyprus], there are still plantations of oak and cedar, which, with a little attention, might supply timber for the repairs of a fleet.“36 Das Fehlen eigener Erfahrung führte jedoch mitunter zu Verzerrungen oder Übertreibungen, manchmal sogar zur Konstruktion eines gänzlich fiktiven Bildes vom einem mediterranen Eldorado: „Die Stadt allda dieses Nahmens [Baffo] ist dermahlen sehr ruinirt, und verheeret, doch ist sie auf einem angenehmen und fruchtbahren Hügel situirt; da man sehr feine Diamanten findet.“37 Den Konsuln und Konsularbeamten verdankten die Reisenden auch ihre Informationen über bedeutsame Ereignisse, die kurz vor ihrer Reise stattgefunden hatten. Durch Turner und/oder Mariti erfuhr etwa Niebuhr im Jahre 1766 das, was er über den Aufstand von 1764 auf Zypern berichtet.38 Wahrscheinlich durch dieselben erfuhr er auch von den Abenteuern und Amouren des schelmischen Adligen Edward Wortley Montagu (1713-1776), der damals mit seinem Leben zwischen Zypern, Kairo, Beirut, Konstantinopel und Venedig Aufsehen erregte.39 Über mündliche Kommunikation fanden Gerüchte und Fiktionen genauso gut wie Augenzeugenberichte den Weg in die Reiseliteratur. Wichtige Quelle spezifischer Informationen über den Handel, über landwirtschaftliche Methoden, Technik und Technologie waren die Kaufleute.40 In den ersten Dezennien des 18. Jahrhunderts, als der Antiquitätenhandel im östlichen Mittelmeer allmählich systematischer betrieben wurde, erwiesen sich die an ihm beteiligten Personen als wichtige Informanten über die antiken Orte und Objekte auf Zypern. Repräsentativer Vertreter dieser Kaufleute war beispielsweise ein Franzose namens Porry, bei dem Paul Lucas unter anderem ein antikes Relief für die Sammlungen des „Roi Soleil“ kaufte.41 Die geographische Reichweite der Informationen, die durch das Netz der Antiquitätenhändler von Zypern zirkulierten, läßt sich anhand eines Ereignisses erahnen, das in einem anonymen Brief aus dem Jahre 1725 berichtet wird: 35 36 37 38 39 40

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Dazu Julia CHATZIPANAGIOTI-SANGMEISTER, „Graecia Mendax“. Das Bild der Griechen in der französischen Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts, Wien 2002, S. 192. IRWIN, A Series of Adventures (wie Anm. 34), Bd. II, S. 250. MYLLER, Peregrinus in Jerusalem (wie Anm. 11), S. 41. NIEBUHR, Reisebeschreibung (wie Anm. 19), Bd. III, S. 26-28. Zu dem Aufstand siehe auch MARITI, Viaggi (wie Anm. 15), Bd. I, S. 214-216. NIEBUHR, Reisebeschreibung (wie Anm. 19), Bd. III, S. 28-32. Beispielsweise: Louis-François de FERRIERES-SAUVEBOEUF, Mémoires historiques, 2 Bde., Paris 1790, Bd. II, S.180; MYLLER, Peregrinus in Jerusalem (wie Anm. 11), S. 296-298, 781f. und 784. LUCAS, Troisième Voyage (wie Anm. 32), S. 124. Wichtiges Material zu den von Lucas gekauften Manuskripten und Antiquitäten liefert OMONT, Missions archéologiques françaises (wie Anm. 30), Bd. I, S. 317-382.

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Im Sommer jenen Jahres erhielt der Händler Porry eine Mumie aus Alexandretta, um sie nach Europa zu befördern. Da jedoch die Fracht nicht sofort weiter geschickt werden konnte, musste der Kaufmann sie für einige Tage in seinem Haus beherbergen. Der mysteriöse Gast erweckte die Neugier der Bevölkerung, und da man tagsüber niemanden zu Gesicht bekam, entstand nach und nach das Gerücht, es handle sich um einen nachts herumgeisternden Zauberer. Die dadurch ausgelöste Panik der alarmierten Bewohner von Larnaka legte sich erst, als die Muslime der Stadt die Mumie zur Leiche eines Heiligen erklärten und sie feierlich im Castell der Hafenstadt begruben.42 Dieser Vorfall bezeugt schon am Anfang des 18. Jahrhunderts die breite Vernetzung der zypriotischen Händler mit Kaufleuten in Ägypten (und, wie man wird annehmen dürfen, im Mittleren Osten allgemein) und in westeuropäischen Ländern und zeigt somit, dass die Informationen, die die Kaufleute von Zypern hinsichtlich dessen besaßen, was damals als archäologische Feldforschung galt, weit über die geographischen Grenzen der Insel hinausgingen. Eine Schlüsselposition bei den Kontakten der Reisenden mit der zypriotischen Gesellschaft und Kultur nahmen die Personen ein, die als Dolmetscher fungierten. Im griechischen Sprachraum, besonders auf den Inseln und an den ägäischen Küsten des Mittelmeers, war Italienisch als lingua franca die am weitesten verbreitete Fremdsprache.43 Die Mehrheit der Bevölkerung sprach jedoch nur die Landessprachen, eine oder mehrere, je nach Region und Religion bzw. Konfession: griechisch, türkisch, armenisch, judenspanisch usw. Die Assistenz von Dolmetschern dürfte also weitaus häufiger notwendig gewesen sein als es ihre spärlichen Erwähnungen in den Reiseberichten vermuten lassen. Unter den Autoren von Reiseberichten scheint sich keiner befunden zu haben, der Neugriechisch konnte. Selbst für Mariti und De Vezin, die mehrere Jahre auf Zypern verbrachten, sind solche Sprachkenntnisse nicht belegt. Die wenigen Dolmetscher, die in den Reiseberichten über Zypern benannt werden, waren Dragomanen, d. h. offizielle Dolmetscher der Konsulate. Die Dragomanen – von denen manche Griechen waren – begleiteten die vornehmsten der Reisenden bei der Besichtigung der Insel als Dolmetscher und Cicerone. Der (allem Anschein nach) erste Berufsdolmetscher war ein Maronite namens Parisin44, der kurz vor 1750 John Swinton und 1766 Carsten Niebuhr nach Kition führte, wo sie Inschriften besichtigten, die der bekannte Orientreisende Richard Pococke 1738 entdeckt, später als phönizische Inskrip42

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Der Brief datierte vom 2. August 1725. Erhalten ist eine anonyme Kopie, die am 20. Januar 2010 vom Aktionhaus Petros Vergos in Athen versteigert wurde. Im Auktionskatalog ist ein Teil des Briefes publiziert. Jocelyne DAKHLIA, Lingua Franca – histoire dʼune langue métisse en Méditerrané, Arles 2008. Je nach Region erfüllte das Italienische auch andere Funktionen. Auf den ionischen Inseln, die bis Ende des 18. Jahrhunderts Venedig gehörten, war es die Sprache der Obrigkeit. Für die griechischen Katholiken dort, aber auch in den Kykladen und auf Chios, hatte das Italienische als romanische Sprache auch eine kulturelle Funktion. MARITI, Viaggi (wie Anm. 15), Bd. I, S. 174.

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tionen identifiziert und in seiner „Description of the East“ (1748) beschrieben hatte.45 Einige, wenngleich seltene Aussagen, die auf eine direkte Kommunikation mit den Einheimischen hinweisen (etwa: „die Griechen sagten mir“46) und die in Berichten von Reisenden vorkommen, die Altgriechisch konnten, erlauben die Vermutung, dass solche Reisende Versuche unternahmen, mit Hilfe der vergangenen Sprache mit den gegenwärtigen zypriotischen Griechen zu kommunizieren. Dafür spricht beispielsweise die folgende Erzählung über die Begegnung dreier deutscher Pilger, nämlich des Barbiers Franz Caspar Schillinger sowie der Jesuiten Wilhelm Mayr (1661-1700) und Wilhelm Weber (1663-1700), mit einigen Zyprioten im Dezember 1699 in Larnaka. Schillinger schreibt: „Sonsten haben wir die dreytägige Einkehr genommen bey dem Französischen drey Lilien Wirth, welcher der letzte gewesen, der einen Schild geführet, dann durch ganz Asiam forthin wir keinen Schild-Wirth mehr angetroffen. Zeit unserer drey-tägigen Außrastung haben verschiedene Insulaner, gebürtige Cyprier bey unserem Herrn Wirth zugesprochen, von denen wir Europäer in aller Höflichkeit seynd begrüsset worden. Meine HH. Patres haben mit selben in etwas conversieren können / durch Mithülff Griechischer Sprache, deren etliche auß ihnen zimblich erfahren waren“.47 Schillingers Erzählung ist nicht nur die Momentaufnahme des Versuchs einer Kommunikation, sie hält auch einige wichtige Aspekte der Wahrnehmung Zyperns durch die fremden Reisenden fest. Die in der zitierten Passage vorhandenen Indizien über die Identität des Reisenden, der sich selbst, kontrastierend zu den griechischen Zyprioten, zu den Europäern zählte, zeigen, dass Schillinger, und wahrscheinlich auch andere ausländische Reisende, Zypern als einen Lebensraum wahrnahmen, der von ihrer eigenen Welt deutlich verschieden war. Die Insel und ihre griechische Bewohner sind, obwohl sie nicht dem als gänzlich fremd begriffenen Asien zugerechnet werden, durch das Pronomen „wir“ mit Entschlossenheit von dem „Eigenen“ abgegrenzt. Vielsagend ist auch, wie die Referenz von „wir“ bestimmt wird. Schillinger konkretisiert sie durch die Selbstbezeichnung „Europäer“ – nicht durch eine eher zu erwartende Selbstbezeichnung wie „Deutsche“. Somit erfasst das „wir“ von Schillinger nicht nur die drei deutschen Pilger – den Erzähler und 45

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Richard POCOCKE, A Description of the East, 3 Bde., London 1743-1745, hier Bd. II, S. 213; John SWINTON, Inscriptiones Citieae: sive in binas Inscriptiones Phoenicias, Oxford 1750; NIEBUHR, Reisebeschreibung (wie Anm. 19), Bd. III, S. 11, 24; vgl. dazu MARITI, Viaggi (wie Anm. 15), Bd. I, S. 173-176. MYLLER, Peregrinus in Jerusalem (wie Anm. 11), S. 785. Verschiedene Zitate aus altgriechischen Werken belegen, dass Myller Altgriechisch konnte. Man darf vermuten, dass er als Kleriker auch mit der Koine vertraut war. Darüber hinaus hatte Myller die Zeit und mehrere Gelegenheiten, sich das Neugriechische anzueignen: In den zwei Jahren seines Aufenthaltes im östlichen Mittelmeer hielt er sich sehr häufig im griechischprachigen Raum auf. Er besuchte unter anderem Kreta, Konstantinopel, Smyrna und mehrere Inseln der Ägäis. Auf Zypern war er fünfmal. SCHILLINGER, Persianische und Ost-Indianische Reis (wie Anm. 22), S. 28.

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die zwei Mönche –, sondern bezieht auch noch den französischen Wirt mit ein. Der enge Bezug des Reiseberichtes von Schillinger zur Religion, der auch im unmittelbaren Kontext der zitierten Passage deutlich ist, führt zu der Vermutung, dass das Element, das dieser Gruppe der vier ethnisch unterschiedlichen „Europäer“ im Denken von Schillinger Einheit stiftet, die Zugehörigkeit zur selben Konfession, zum Katholizismus, gewesen ist, die sie als eine homogene Gruppe gegenüber der Gruppe der zypriotischen, orthodoxen Griechen konstituierte. Der Begriff „Europäer“ bleibt auf jeden Fall unscharf, da er nur als Gegensatz zu den „Anderen“ konzeptualisiert wird, deren Identität unklar ist. Die „Anderen“, die Einheimischen, werden, obgleich sie Neugriechisch sprechen, was als relativ sicheres Indiz ihrer ethnischen Zugehörigkeit gelten darf48, nicht, wie zu erwarten, einfach als Griechen oder Zyprioten bezeichnet. Der Autor wählt die kompliziertere Bezeichnung „verschiedene Insulaner, gebürtige Cyprier“. Diese analytische Formulierung hebt durch die Wiederholung des Wortes „Insulaner“ – das in diesem fortgeschrittenen Punkt der Erzählung ohne Informationswert und daher überflüssig ist –, die „Insularität“ als konstituierendes Element der unklaren Identität der „Anderen“ hervor. Die proteische Natur und Symbolik der Insel, als gespaltener Ort zwischen Land und Meer, zwischen beengender Isolation und beschaulicher Idylle, prägt auch die Repräsentationen ihrer Bewohner, die in der Wahrnehmung und in der Erzählung des fremden Reisenden keine klar umrissenen Eigenschaften zu besitzen scheinen: Geographisch auf der Grenzlinie zwischen Europa und Asien, sprachlich zwischen Alt- und Neugriechisch und von der Religion her, als Orthodoxe in den Augen eines katholischen Beobachters, zwischen Glauben und Häresie angesiedelt, bleiben sie am Ende unfassbar.49 Die Insularität wird somit zum Inbegriff einer noch nicht konzeptualisierten Alterität. Die zitierte Passage aus Schillingers Erzählung erlaubt eine weitere Feststellung, welche zugleich von der Beschaffenheit der bislang lokalisierten Kommunikationsnetze bestätigt wird: Die ausländischen Reisenden nahmen (einmal abgesehen von manchen unvollendeten Versuchen direkter Kommu48

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Das Wahrscheinlichste ist, dass es sich um Griechen handelte. Man kann dies aber nicht mit absoluter Sicherheit annehmen, da das Neugriechische auf Zypern nicht nur von den Griechen gesprochen wurde, sondern auch von Angehörigen anderer ethnischer Gruppen, von Armeniern, Maroniten, Levantinern und Türken. Zur Rolle der Konfession bei der Wahrnehmung der Griechen seitens der ausländischen Reisenden siehe CHATZIPANAGIOTI-SANGMEISTER, „Graecia Mendax“ (wie Anm. 35), S. 209-289. Zu den negativen Stereotypen, die im Rahmen der Auseinandersetzung der christlichen Konfessionen entstanden, gehört auch das Stereotyp der sexuellen Freizügigkeit der Griechinnen, das im Fall von Inseln auch von der Symbolik der Insel als Ort der erotischen Initiation unterstützt wurde, siehe ebd. S. 265-277. In den Reiseberichten über Zypern wird das Sterotyp der sexuellen Freizügigkeit der Frauen zusätzlich genährt durch die antiken Mythen über die Geburt von Venus auf Zypern. Siehe z. B. SCHILLINGER, Persianische und Ost-Indianische Reis (wie Anm. 22), S. 24, sowie die anonym veröffentlichten Mémoires de Monsieur D. L. R. contentant ses voyages, et avantures, en Turquie, en Perse, aux Echelles du Levant, &c., La Haye 1750, S. 96f.

DER WECHSEL DER WORTE

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nikation mit den Inselbewohnern und von der vermittelnden Rolle der griechischen Dolmetscher) die zypriotische Realität vorwiegend durch die auf der Insel niedergelassenen westlichen Ausländer wahr. Die mündliche Kommunikation, die den Reisenden die Teilnahme an Netzwerken und Informationskanälen ermöglichte, begrenzte sich im 18. Jahrhundert auf das Milieu der ausländischen Handelskolonien. Das Bild des Anderen, welches von der Reiseliteratur entworfen und tradiert wird, spiegelt, sofern es durch die mündliche Kommunikation konstituiert ist, häufig nicht die persönliche Erfahrung des Reisenden, sondern die kollektive Erfahrung der Mitglieder der Handelskolonien wider. Diese Feststellung relativiert, aber annuliert nicht den hier rekonstruierten vielseitigen Beitrag der mündlichen Kommunikation zum Prozess des Wissenserwerbs. Das zweigliedrige wissenstheoretische Schema, das Guys in seinem einleitend skizzierten Brief vorschlug, war also in der Wirklichkeit dreigliedrig. Das von ihm zusammengestellte methodologische Arsenal der Reisenden, die individuell erfolgte Beobachtung und die Lektüre der früheren Reiseliteratur, musste durch die mündliche Kommunikation ergänzt werden. Und es war gerade die mündliche Kommunikation, die später die dominante Rolle bei der Erforschung des „Anderen“ übernahm, als sie im 19. Jahrhundert methodologisch systematisiert und in der Form der Feldforschung wissenschaftlich instrumentiert wurde.

GIAN FRANCO CHIAI

Thinking Spaces as Islands: Insularität als mentales Modell in der Antike Mit dem Terminus mental model (mentales Modell) beziehen sich die Kognitivisten auf Modelle bzw. mentale Bilder, die infolge einer empirischen Erfahrung oder eines Einflusses unseres kulturellen und natürlichen Umfeldes in unserem Gehirn entstehen.1 Solche Modelle oder Bilder besitzen eine kognitive Funktion, da sie uns ermöglichen, Gegenstände, Räume, usw. zu erkennen und besser zu erfassen. Es handelt sich um eine Form von „implizitem Wissen“, das auch in Gestalt von Analogien, Metaphern usw. zur Sprache kommen und dabei behilflich sein kann, andere Räume, Objekte usw. besser zu erkennen und zu definieren. Als konkretes Beispiel können wir das mentale Modell „Insel“ betrachten: Eine Insel ist eine mehr oder weniger große territoriale Einheit, die aus dem Wasser hervortritt und vom Wasser umgeben wird. Diese zwei Eigenschaften, welche unsere Inselvorstellung ausmachen, ermöglichen uns, auch andere Räume, Objekte usw., auf die diese Eigenschaften übertragen werden können, in Verbindung mit der Inselidee zu bringen und sie so besser wahrzunehmen. Beispielsweise kann der Begriff „Sprachinsel“ herangezogen werden, verwendet in Bezug auf eine Sprachminderheit. In diesem Fall lässt sich der metaphorische Einsatz des Inselbildes durch die Tatsache erklären, dass sich die Menschen, die zu einer Sprachminderheit gehören, wegen ihrer Mundart von den anderen Einwohnern eines gewissen Territoriums differenzieren und auf Grund ihrer sprachlichen und häufig damit verbundenen kulturellen und sozialen Verschiedenheit mit einer Insel verglichen werden können: So ist es möglich, auf den Begriff „Sprachminderheit“ das Bild der Insel per Analogie zu übertragen. Eine analogische und metaphorische Verwendung der Inselvorstellung – wenn auch in verschiedenen Kontexten und mit unterschiedlichen Konnotationen – lässt sich auch in der Antike feststellen, wobei wir uns in diesem Fall * Diese Arbeit, entstanden im Rahmen des Projektes „Insularity“ (C-5-3), geführt im Rahmen des Berliner Clusters Topoi, ist die überarbeitete deutsche Version von Gian Franco CHIAI, Thinking Space: Insularity as Mental Model, in: Common Sense Geography and Mental Modelling, hg. v. Klaus GEUS / Martin THIERING, Berlin 2012, S. 45-56. Für sprachliche Korrekturen und Verbesserungsvorschläge bedanke ich mich bei Daniela kleine Burhoff. Die Entwicklung dieser Arbeit konnte von den anregenden Diskussionen mit Herrn Prof. Dr. Klaus Geus viel profitieren. 1 Dazu vgl. mit reichen Literaturhinweisen Jürgen RENN / Peter DAMEROW, Mentale Modelle als kognitive Instrumente der Transformation von technischem Wissen, in: Übersetzung und Transformation, hg. v. Hartmut BÖHME / Christof RAPP / Wolfgang RÖSLER, Berlin 2007, S. 311-331, und Klaus GEUS / Martin THIERING, Common Sense Geography and Mental Modelling: Setting the Stage, in: Features of Common Sense Geography. Implicit Knowledge Structures in Ancient Geographical Texts, hg. v. DENS., Münster 2014, S. 89-113.

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auf literarische Texte stützen müssen. Im Rahmen dieser Arbeit habe ich mir als Ziel gesetzt zu zeigen, wie einerseits in der Antike die Insel auch ein wichtiges „mental model“ zur Wahrnehmung und Erfassung anderer geographischer Räume dargestellt hat, andererseits wie im literarischen Diskurs dieses mentale Modell als Analogie und Metapher verwendet wurde.

I. Antike Inseldarstellungen Bevor ich beginne, die ausgewählten Textstellen zu behandeln, halte ich es für wichtig, die Bedeutung der Inseln bzw. der Insularität im Rahmen der griechischen und römischen Kultur kurz darzulegen. Die literarischen Texte stellen – wie zuvor erwähnt – die wichtigsten Quellen dar, um die antike Wahrnehmung und Darstellung der Insel rekonstruieren bzw. erfassen zu können, wobei Unterschiede bei den griechischen und lateinischen Autoren festzustellen sind. In der griechischen und lateinischen Sprache werden die zwei oben angesprochenen Eigenschaften der Inseln durch die Verben eminere – ὑπερέχειν (hervortreten) und cingere – περιέχειν (umgeben) ausgedrückt2, darüber hinaus werden die Inseln weiterhin als isolierte territoriale Einheiten betrachtet, die über das Wasser erreicht werden müssen und auf Grund ihrer klimatischen und natürlichen Gegebenheiten ideale Lebensbedingungen (oder lebensfeindliche) für den Menschen bieten können. So lässt sich in den antiken Texten ein ambivalentes Bild der Inseln herausarbeiten: Sie werden als isolierte territoriale Einheiten dargestellt, die schwer zu errei2

Zur Insularität in der Antike vgl. Giusto TRAINA, Fra antico e medioevo: Il posto delle isole, in: Quaderni Catanesi di Studi Classici e Medievali 15 (1986), S. 113-125; Emilio GABBA, L’insularità nella riflessione antica, in: Geografia storica della Grecia antica: tradizioni e problemi, hg. v. Francesco PRONTERA, Roma/Bari, S. 106-109; Silvie VILATTE, L’insularité dans la pensée grecque (Annales littéraires de l’Université de Besançon 446), Paris 1991; Patrice BRUN, La faiblesse insulaire: histoire d’un topos, in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 99 (1993), S. 163-183; L’insularité: thématique et representations. Actes du colloque international de Saint-Denis de la Réunion, April 1992, hg. v. Jean-Claude MARIMOTOU / Jean-Michel RACAULT, Paris 1995; Impressions d’îles, hg. v. Françoise LÉTOUBLON, Toulouse 1996; Francesco PRONTERA, Art. Insel, in: Reallexikon für Antike und Christentum 18 (1998), S. 312-328; Federico BORCA, Terra mari cincta: Insularità e cultura romana, Roma 2000; Frauke LÄTSCH, Insularität und Gesellschaft in der Antike: Untersuchungen zur Auswirkung der Insellage auf die Gesellschaftsentwicklung (Geographica Historica 19), Stuttgart 2005; Christy CONSTANTAKOPOULOU, The Dance of the Islands: Insularity, Networks, the Athenian Empire and the Aegean World, Oxford 2007; Paola CECCARELLI, Isole e terraferma: la percezione della terra abitata in Grecia arcaica e classica, in: Immagine e immagini della Sicilia e di altre isole del Mediterraneo antico. Vol. 1. Atti delle seste giornate internazionali di studi sull’area elima e la Sicilia occidentale nel contesto mediterraneo, Erice, 12-16 ottobre 2006, hg. v. Carmine AMPOLO, Pisa 2009, S. 31-50; im selben Band auch Mauro MOGGI, Insularità e assetti politici, S. 51-66; Paola CECCARELLI, Naming the Aegean Sea, in: Mediterranean Historical Review 27 (2012) S. 25-49; Gian Franco CHIAI, The Mediterranean Islands and the Common Sense Geography, in: Features of Common Sense Geography (wie Anm. 1), S. 89-113.

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chen sind, sie können jedoch auch im Zentrum eines kommerziellen, politischen und religiösen Netzwerkes stehen und auf Grund ihrer Zentralität einen wichtigen Treffpunkt darstellen, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Inseln spielten eine wichtige Rolle bei der Wahrnehmung und Darstellung des unbekannten Westens im historischen Kontext der zweiten griechischen Kolonisation.3 Denn es sollte nicht vergessen werden, dass die älteste griechische Niederlassung in Italien eine Insel war, deren Name Πιθηκούσσαι (Insel der Affen)4, abgeleitet von einem Tiernamen5, wahrscheinlich dafür eingesetzt wurde, um die Wildheit und die kulturelle Alterität dieser neuen Gebiete, bewohnt von unbekannten Völkern, als unzivilisiert angesehen, zu unterstreichen.6 Die vor dem Festland gelegenen kleinen Inseln wurden häufig in der ar3

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Zu den mythischen Traditionen über den Westen vgl. allgemein Paul FABRE, Les Grecs et la connaisance de l’Occident, Lille 1981; Alain BALLABRIGA, Le soleil et le Tartare: L’image mythique du monde en Grèce ancienne, Paris 1986; Alberto GRILLI, Il mito dell’estremo Occidente nella letteratura greca, in: La Magna Grecia e il lontano occidente. Atti del ventinovesimo convegno di studi sulla Magna Grecia, Taranto 6-11 ottobre 1989, Taranto 1991, S. 924. Zu den literarischen Traditionen zu Pithekoussai vgl. Emilio PERUZZI, Le scimmie di Pitecussa, in: Parola del Passato 47 (1992), S. 115-126; Mario TORELLI, L’immaginario greco dell’oltremare: La lekythos eponima del Pittore della Megera, Pausania I, 23, 5-6 e Pitecusa, in: ΑΠΟΙΚΙΑ: I più antichi insediamenti greci in Occidente. Funzioni e modi dell’ organizzazione politica e sociale, hg. v. Bruno D’AGOSTINO / David RIDGWAY (Annali di Archeologia e Storia Antica, n. s. 1) Napoli 1994, S. 117-125; Luca CERCHIAI, Le scimmie, i giganti e Tifeo, in: L’incidenza dell’Antico: Studi in memoria di Ettore Lepore, hg. v. Luisa BREGLIA PULCI DORIA, Napoli 1996, S. 141-150; Alfonso MELE, Le anomalie di Pithecusa. Documentazione archeologica e tradizioni letterarie, in: Incidenza dell’antico 1 (2003), S. 13-39. Strabo (5, 6, 9) und Livius (7, 22, 6) beschreiben die Insel als ein reiches Handelszentrum mit Werkstätten, wo Metalle bearbeitet wurden, dazu siehe allgemein die wichtige historische Rekonstruktion von David RIDGWAY, L’alba della Magna Grecia, Milano 1984. Der Name Πιθηκούσσαι soll wahrscheinlich zum ersten Mal in Bezug auf eine Inselgruppe, gelegen vor der tunesischen Küste, von den euböischen Kolonisten verwendet und später auf die kleine Insel vor der Küste Kampaniens übertragen worden sein. Wir finden ihre Erwähnung in einer Textstelle bei Pseudo-Skylax (Periegesis, 11) zusammen mit den νῆσοι Ναξικαί. Zur Präsenz euböischer Niederlassungen in der Region vgl. mit einer Zusammenstellung und Auswertung der literarischen und archäologischen Zeugnisse Michel GRAS, Les Eubées et la Tunisie, in: Bulletin des Travaux de l’Institut Nationale du Patrimoine 5 (1990), S. 87-93; DERS., I Greci e la periferia africana in età arcaica, in: Hesperia 10 (2000), S. 3948. Die Verbindung mit dem Affennamen ist beispielsweise bei Strabo (13, 4, 6: οἱ δ’ ἐν Πιθηκούσσαις, οἳ καὶ τοὺς πιθήκους φασὶ παρὰ τοῖς Τυρρηνοῖς ἀρίµους καλεῖσθαι) belegt. Plinius (NH 3, 82) lehnt diese Pseudoetymologie ab: Pithecusa, non a simiarum multitudine (ut aliqui existimavere) sed a figlinis doliorum. Allgemein zum historischen Kontext mit ausführlichen Literaturhinweisen Bruno D’AGOSTINO, Pithecusae e Cuma all’alba della colonizzazione, in: Cuma. Atti del quarantottesimo Convegno di Studi sulla Magna Grecia. Taranto 12 settembre-1 ottobre 2008, Taranto 2009, S. 171-196; DERS., Pithecussa e Cuma nel quadro della Campania di età arcaica, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts. Römische Abteilung 117 (2011), S. 35-53. Als Parallele können wir die literarischen Traditionen zu den Gorgades insulae heranziehen (Hes. Theog. 274-275; Plin. NH 6. 200; Mela 3. 99; Sol. 56. 12; Mart. Cap. 6. 702), betrachtet als der Ort, wo die gorgones lebten und lokalisiert jenseits der Grenzen Afrikas, wie Plinius (NH 6, 200) erzählte: contra hoc promontorium Gorgades insulae narrantur, Gorgonum quondam domus. Zu diesen Traditionen vgl. allgemein Serena BIANCHETTI, Isole africane

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chaischen Zeit als Emporia verwendet, wo, wie der Fall von Pithekoussai selbst zeigt, Griechen zusammen mit Phöniziern und Italikern friedlich zusammenlebten.7 Thukydides (6, 3, 2) erzählt, dass die erste griechische Niederlassung auf Sizilien die kleine Insel Ortygia war, welche von den Korinthern, die später Syrakus gründeten, besetzt wurde. Derselbe Autor berichtet, dass die Phönizier auch die vor den sizilianischen Küsten gelegenen Inseln in Besitz nahmen, um sie als Stützpunkte für ihren Handel mit den Indigenen zu verwenden.8 Diese Niederlassungen, die einen starken emporischen Charakter hatten, besaßen zwei wichtige Eigenschaften9: Zentralität im Kommunikati-

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nella tradizione romana, in: L’Africa romana. Atti del VI convegno di studio. Sassari, 16-18 dicembre 1988, hg. v. Attilio MASTINO, Sassari 1989, S. 235-247. Zum emporischen Charakter dieser Gemeinde allgemein vgl. Giorgio BUCHNER, Nuovi aspetti e problemi posti dagli scavi di Pithecusa, con particolari considerazioni sulle oreficerie di stile orientalizzante antico, in: Contribution à l’étude de la société et de la colonisation eubéennes, Napoli 1975, S. 59-86; Roald DOCTER, Pottery, Graves and Ritual I: Phoenicians of the First Generation in Pithekoussai, in: La ceramica fenicia di Sardegna: Dati, problematiche e confronti, hg. v. Piero BARTOLONI / Lorenza CAMPANELLA, Rom 2000, S. 135-149. Thuk. 6. 2. 6: ᾤκουν δὲ καὶ Φοίνικες περὶ πᾶσαν µὲν τὴν Σικελίαν ἄκρας τε ἐπὶ τῇ θαλάσσῃ ἀπολάβοντες καὶ τὰ ἐπικείµενα νησίδια ἐµπορίας ἕνεκα τῆς πρὸς τοὺς Σικελούς. Zu dieser wichtigen Tradition vgl. Domenico MUSTI, Modi e fasi di rappresentazione dei Fenici nelle fonti letterarie greche, in: Atti del II Congresso Internazionale di Studi fenici e punici, Roma 1990, S. 161-168, der den Begriff der phönizischen Landschaft im Kolonialgebiet auf Grund der historischen Quellen herausarbeitet; dazu vgl. nun Gian Piero GUZZO, Tucidide e le isole, tra Fenici e Greci, in: Annali dell’Istituto Orientale di Napoli (Sezione Archeologia) 15-16 (2008-2009), S. 21-34; Corinne BONNET, Appréhender les Phéniciens en Sicile. Pour une relecture de l’«Archéologie sicilienne» de Thucydide (VI 1, 1-2), in: Pallas 79 (2009), S. 2740; Sandro Filippo BONDÌ, Tucidide e i Fenici: una proposta di interpretazione, in: Rivista di Studi Fenici 40 (2012), S. 57-66. Zur phönizischen Kolonisation auf Sizilien vgl. allgemein Sandro Filippo BONDÌ, La penetrazione fenicio-punica e storia della civiltà punica in Sicilia: La problematica storica, in: La Sicilia antica, hg. v. Emilio GABBA / George VALLET, Napoli 1979, S. 163-225; DERS., Le fondazioni fenicie d’Occidente: aspetti topografici e strutturali, in: Nuove fondazioni nel Vicino Oriente Antico: realtà e ideologia, hg. v. Stefania MAZZONI, Pisa 1994, S. 357-368; Gioachino FALSONE, Sicile, in: La civilisation phénicienne et punique: Manuel de recherche, hg. v. Véronique KRINGS, Leiden/New York/Köln 1995, S. 674697; Sandro Filippo BONDÌ, Fenici ed indigeni in Sicilia agl’inizi dell’età coloniale, in: Donum Natalicium: Studi presentati a Claudio Saporetti in occasione del suo 60° compleanno, hg. v. Paola NEGRI SCAFA / Paolo GENTILI, Rom 2000, S. 37-43. Allgemein zum Charakter der phönizischen Expansion mit Beobachtungen zur Rolle der Inseln vgl. Hans Georg NIEMEYER, The Phoenicians in the Mediterranean. Between expansion and colonisation: A nonGreek model of overseas settlement and presence, in: Greek colonisation – An account of Greek colonies and other settlements overseas I, hg. v. Gocha TSETSKHLADZE, Leiden/Boston 2006, S. 143-168; Massimo BOTTO, Da Sulky a Huelva: considerazioni sui commerci fenici nel Mediterraneo Antico, in: Annali dell’Istituto Orientale di Napoli. Archeologia e Storia Antica 11-12 (2004-05), S. 9-29. Die historischen Quellen dokumentieren zahlreiche Fälle von emporischen Gemeinden auf den Inseln, in denen eine gemischte Bevölkerung lebte; hier einige Beispiele: Oreine (Periplus Maris Erythraei 4); Kerne (Ps.-Scyl. 112) an der afrikanischen Küste des Roten Meers; Iktis (Diod. 5, 22, 4) zwischen Gallien und Britannien. Zum Unterschied zwischen emporia und apoikiai vgl. John-Paul WILSON, The nature of Greek Overseas Settlements in the Archaic Period: Emporion or Apoikia?, in: The Development of the Polis in the Archaic Greece, hg. v. Lynette G. MITCHELL / Peter J. RHODES, London 1997, S. 199-207; Robert OSBORNE, Ear-

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onssystem und eine gewisse Entfernung vom Festland, welche für eine relative Sicherheit sorgte.10 In diesem Zusammenhang sei auch auf die unterschiedliche Wahrnehmung von kleinen und großen Inseln kurz aufmerksam gemacht.11 Thukydides charakterisiert beispielsweise Sizilien als eine große χώρα, bewohnt von unterschiedlichen Völkern12: Sie war nicht, wie eine kleine Insel, überschaubar, und wurde als ein reiches und begehrenswertes Land geschildert.13 Derselbe Autor unterstreicht einerseits die schlechten Kenntnisse, welche die Athener vor dem Beginn der katastrophalen Expedition über die Größe der Insel und die Menge ihrer Einwohner hatten14, andererseits betrachtet er die Insularität als ein identitätsstiftendes Element für alle Einwohner Siziliens.15 Diese Textstelle erweist sich unter anderem deshalb als von Belang, weil sie die Diversität der Insel-

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ly Greek Colonization? The Nature of Greek Settlement in the West, in: Archaic Greece, hg. v. Nick FISHER / Hans VAN WEES, London 1998, S. 251-269; David RIDGWAY, Riflessioni sull’orizzonte “precoloniale” (IX-VIII sec. a.C.), in: Magna Grecia e Oriente mediterraneo prima dell’età ellenistica (Atti del XXIX Convegno di Studi sulla Magna Grecia), Taranto 2000, S. 91-108. Zur Definition des Begriffes Emporium vgl. nun Denise DEMETRIOU, What is an Emporium?, in: Historia 60 (2011), S. 255-272. Dazu vgl. Beobachtungen in CONSTANTAKOPOULOU, The Dance of the Islands (wie Anm. 2), S. 7-9. Vgl. dazu nun ausführlich die Arbeit von Mario LOMBARDO, Greek colonisation: small and large islands, in: Mediterranean Historical Review 27 (2012), S. 73-85, der sich mit dem historischen Kontext der griechischen Kolonisation befasst. Zu den literarischen Darstellungen Siziliens existiert eine umfangreiche Literatur, allgemein (mit Bezug auf die Insularität) vgl. Nicola CUSUMANO, Una terra splendida e facile da possedere, Roma 1994; Flavia FRISONE, L’isola improbabile: L’“insularità” della Sicilia nella concezione greca di età arcaica e classica, in: Immagine e immagini della Sicilia (wie Anm. 2), S. 149-156. Ein ähnlicher Topos ist auch bei der Schilderung Sardiniens bei Herodot (1, 170; 5, 106, 124; 6, 2) anzutreffen, der die Insel als ein reiches Land beschreibt, welches die von den Persern bedrohten Ionier ohne Probleme aufnehmen konnte. Zu dieser Tradition vgl. allgemein Nicola CUSUMANO, Biante e la Sardegna: libertà, dominio e felicità in Erodoto, in: Atti del Convegno Erodoto e l’Occidente, Palermo 27-28 aprile 1998 (Supplementi a KOKALOS Vol. 15) Roma 1988, S. 139-196; Sergio CELATO, Erodoto e la Sardegna, in: Hesperia 5 (1995), S. 4953; Emilio GALVAGNO, I Greci e il “miraggio” sardo, in: Da Olbìa ad Olbia: 2500 anni di storia di una città mediterranea, hg. v. Attilio MASTINO / Paola RUGGERI, Sassari 1996, S. 149-163. Thuk. 6, 1, 1: ἄπειροι ὄντες τοῦ µεγέθους τῆς νήσου καὶ τῶν ἐνοικούντων τοῦ πλήθους καὶ Ἑλλήνων καὶ βαρβάρων. Im Kontext dieser Textstelle verdient der Einsatz der Termini µέγεθος und πλήθος besondere Aufmerksamkeit: Sie unterstreichen einerseits die Größe der Insel, andererseits die große Zahl der Griechen und Barbaren, die dort wohnen. Dies wird im Rahmen der Rede des Syrakusaners Hermokrates behauptet (4, 64, 3): οὐδὲν γὰρ αἰσχρὸν οἰκείους οἰκείων ἡσσᾶσθαι, ἢ ∆ωριᾶ τινὰ ∆ωριῶς ἢ Χαλκιδέα τῶν ξυγγενῶν, τὸ δὲ ξύµπαν γείτονας ὄντας καὶ ξυνοίκους µιᾶς χώρας καὶ περιρρύτου καὶ ὄνοµα ἓν κεκληµένους Σικελιώτας: οἳ πολεµήσοµέν τε, οἶµαι, ὅταν ξυµβῇ, καὶ ξυγχωρησόµεθά γε πάλιν καθ᾽ ἡµᾶς αὐτοὺς λόγοις κοινοῖς χρώµενοι. In diesem Zusammenhang wird Sizilien nicht als νῆσος, sondern als eine µία χώρα, umgeben vom Meer, bezeichnet, deren Einwohner, abgesehen von sprachlichen und kulturellen Unterschieden, die Gesamtbezeichnung Σικελιώται haben.

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einwohner gegenüber den „Festlandmenschen“ zum Ausdruck bringt.16 Denn auch wenn sie unterschiedliche Sprachen verwenden sowie diverse Bräuche haben, scheint sich bei ihnen auf Grund der Tatsache, dass sie auf einer Insel in Kontakt miteinander leben müssen, ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln. Was die Ägäis betrifft, wie unter anderem Christy Constantakopoulou gezeigt hat17, pflegten die Inseleinwohner in den Inschriften, sich nach dem Inselnamen und nicht nach ihrem gebürtigen Stadtnamen zu benennen. Dies zeigt wiederum ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl bei den Einwohnern der ägäischen Inseln, welche sich als Insulaner definierten. Schon in der archaischen Zeit bzw. bei Homer werden die Inseln als ideale Orte der literarischen Fiktionalität verwendet: Der Gott Aiolos lebt beispielsweise auf einer Insel18 und die utopische Gesellschaft der Phaiaker wird ebenfalls auf einer Insel verortet.19 Diese Sichtweise ist, wie schon beobachtet20, mit der Rolle in Verbindung zu bringen, welche die Inseln bei der Erkundung des fernen und unbekannten Westens spielten. Die große Entfernung und die durch das Meer bedingte schwere Erreichbarkeit (oder Unerreichbarkeit) ermöglichen auch, dass sich die Inseln als die idealen Orte zur Verortung einer Utopie erweisen. So ist dies beispielsweise beim Mythos von Atlantis (der Utopie par excellence)21 und der insulae fortunatae22 der Fall, deren Utopiestatus in engem Zusammenhang mit ihrem Inselsein steht. Es sei auch gesagt, dass die beiden Inseln von den antiken Autoren jenseits der Herkulessäulen lokalisiert wurden, d. h. mitten im unbekannten Ozean. Als weiteres Beispiel kann der Mythos der Hyperboreer herange16

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Dazu vgl. auch Christy CONSTANTAKOPOULOU, Proud to Be an Islander: Island Identity in Multi-Polis Islands in the Classical and Hellenistic Aegean, in: Mediterranean Historical Review 20 (2005), S. 1-34. Dazu vgl. ebd., S. 4-8, mit einer wichtigen Zusammenstellung der epigraphischen Zeugnisse. Dazu allgemein VILATTE, L’insularité dans la pensée grecque (wie Anm. 2), S. 50-55. Dazu vgl. allgemein ebd., S. 18, 48-50. GABBA, L’insularità (wie Anm. 2), S. 106, bemerkt sehr treffend: „I mari dell’Occidente vennero conquistati gradualmente, dall’esperienza coloniaria alla riflessione geografica ed etnografica. Nell’epica (l’Odissea) quando l’orizzonte geografico è ancora ristretto o incerto, le isole dell’Occidente, idealizzate perché ancora non ben conosciute, possono facilmente diventare le sedi di storie mitiche, di società ideali, di fenomeni fisici e naturali straordinari: tutte queste manifestazioni erano collocate là dove sembravano essere i confini del mondo. L’isola nella sua circoscritta compattezza, si prestava meglio ad accogliere, almeno nei più dei casi, queste fantastiche localizzazioni.“ Allgemein dazu mit reichen Literaturhinweisen Gianfranco MOSCONI, I peccaminosi frutti di Atlantide: iperalimentazione e corruzione, in: Rivista di Cultura Classica e Medioevale 51,2 (2009), S. 331-360; DERS., I numeri dell’Atlantide: Platone fra esigenze narrative e memorie storiche, in: Rivista di Cultura Classica e Medioevale 52, 1 (2010), S. 11-55; Beobachtungen auch in CONSTANTAKOPOULOU, The Dance of the Islands (wie Anm. 2), S. 163-173. Dazu vgl. Gabriella AMIOTTI, Le isole fortunate: mito, utopia, realtà geografica, in: Geografia e storiografia nel mondo classico, hg. v. Marta SORDI, Milano 1988, S. 166-177; Valerio MANFREDI, Le isole fortunate. Topografia e storia di un mito, Roma 1996; dazu vgl. auch den Beitrag von Marco Frenschkowski in diesem Band.

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zogen werden, deren utopische Gesellschaft aus Platzmangel in Europa auf eine Insel im phantastischen Norden verlegt wird23, die ebenfalls als ein utopischer Ort mit idealen Lebensbedingungen, wo die Menschen eine glückliche Existenz führen, geschildert wird. Es handelt sich um denselben phantastischen Norden, in dem auch die utopische Insel Thule lokalisiert wurde24, die auch ein Ort der Phantastik ist. In diesem Zusammenhang kann auch die Insel der Seligen erwähnt werden, der Ort im Jenseits, an dem sich Helden und Verstorbene, die sich im Leben ausgezeichnet hatten, aufhalten durften. Bei der Entstehung dieser Tradition sowie bei der Gestaltung dieses fiktionalen Raums des Jenseits sollen zwei Konnotationen der Insularität eine wichtige Rolle gespielt haben: Insel als Utopie und Insel als isolierter und schwer erreichbarer Ort, den nur die Seelen ausgewählter Menschen erreichen dürfen.25 Diese Beispiele zeigen, wie wichtig die Insularität bei der Herausbildung der Phantastik in der griechischen Literatur war. Inseln wurden jedoch nicht nur als isolierte und schwer erreichbare territoriale Einheiten, sondern auch als wichtige Kommunikations- und Orientierungspunkte im Meer angesehen. In der Ägäis haben sie beispielsweise fast eine Brücke zwischen Griechenland und Kleinasien dargestellt26; eine derartige Darstellung ist noch auf einem Mosaik aus Tunesien vorzufinden, wo die Inseln nicht als isolierte Orte, sondern als miteinander verbundene geographische Räume abgebildet werden, in denen die Menschen eine glückliche Exis-

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Diese Lokalisierung ist zum ersten Mal bei Hekataios von Abdera (FGrHist 264 F 7 = Diod. 2, 47) belegt; zu dieser Tradition und im Allgemeinen zu den Hyperboreern vgl. Piotr KOCHANEK, Die Vorstellung vom Norden und der Eurozentrismus. Eine Auswertung der patristischen und mittelalterlichen Literatur, Mainz 2004, S. 46-77; Sven RAUSCH, Bilder des Nordens. Vorstellungen vom Norden in der griechischen Literatur von Homer bis zum Ende des Hellenismus (Archäologie in Eurasien 28), Mainz 2013, S. 49-59. Zu Thule vgl. allgemein mit weiteren Literaturhinweisen KOCHANEK, Die Vorstellung vom Norden (wie Anm. 23), S. 72-77; RAUSCH, Bilder des Nordens (wie Anm. 23), S. 168-177. Zu diesem Mythos sei allgemein verwiesen auf Hendrik WAGENVOORT, The Journey of the Souls of the Dead to the Isles of the Blessed, in: Mnemosyne 24 (1971), S. 113-161, mit einer wichtigen Zusammenstellung der Quellen; dazu auch vor kurzem Catherine COUSIN, Le monde des morts: espaces et paysages de l’au-delà dans l’imaginaire grec d’Homère à la fin du Ve siècle avant J.-C., Paris 2012; Anca DAN, L’Au-delà grec et ses réceptions romaines: espaces, passages, fin, in: Expériences et représentations de lʼespace, hg. v. Philippe GUISARD / Christelle LAIZÉ, Paris, 2012, S. 351-369. Der Name „Pontos“ selbst scheint unter anderem die Funktion der Inseln als Brücke zwischen dem griechischen und dem anatolischen Festland anzudeuten; vgl. dazu mit weiteren Literaturhinweisen CONSTANTAKOPOULOU, The Dance of the Islands (wie Anm. 2), S. 20-28. Eine derartige Rolle als Brücke zwischen Italien und Griechenland haben die Ionischen Inseln in der Zeit der zweiten griechischen Kolonisation gespielt, dazu mit einer Auswertung der archäologischen Zeugnisse und ausführlichen Literaturhinweisen Bruno D’AGOSTINO, Le isole ionie sulle rotte per l’Occidente, in: Alle origini della Magna Grecia. Mobilità migrazioni fondazioni: Atti del cinquantesimo Convegno di Studi sulla Magna Grecia. Taranto 1-4 Ottobre 2010, Taranto 2012, S. 279-304.

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tenz führen.27 In diesem Zusammenhang sei auch auf die antike Thalassokratie kurz eingegangen: Die ägäischen Inseln stellen die Territorien dar, wo Minos früher und Athen später ihre Herrschaft über das Meer ausübten. So werden die Inseln nicht als isolierte territoriale Einheiten, sondern als miteinander verbundene Territorien betrachtet, welche im Zentrum eines kommerziellen und politischen Netzwerkes stehen, dessen ideales und religiöses Zentrum mit seinen Kulten und Traditionen die Insel Delos darstellt.28 Diese Beispiele ermöglichen ein weiteres Bild der Insel in der griechischen Kultur zu ermitteln, in dem Meer und Insel fast eine territoriale Einheit darzustellen scheinen, die unter anderem auch durch die Ableitung einiger Meeresbezeichnungen aus Inselnamen (Sicilia, mare Siculum usw.) zum Ausdruck gebracht wird29, wobei in diesem Fall die Wahrnehmung und Definition des sogenannten spazio odologico eine wichtige Rolle gespielt haben dürfte.30 Die Insularität scheint auch eine wichtige Rolle im Rahmen des politischen Nachdenkens in der Zeit nach dem Peloponnesischen Krieg gespielt zu haben. So fragte sich Pseudo-Xenophon, was hätte passieren können, wenn Athen auf einer Insel gewesen wäre und von dort seine Thalassokratie ausgeübt hätte.31 27

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Zu diesem Denkmal vgl. Fathi BEJAOUI, Îles et villes de la Méditerranée sur une mosaïque d’Ammaedara (Haïdra en Tunisie), in: Comptes rendus des séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 141 (1997), S. 825-858. Dazu verweise allgemein mit ausführlichen Literaturhinweisen auf CONSTANTAKOPOULOU, The Dance of the Islands (wie Anm. 2), S. 61-89. Zu den Seebezeichnungen in der Antike vgl. mit reichen Literaturhinweisen CECCARELLI, Naming the Aegean Sea (wie Anm. 2), S. 26-29; dazu mit einer wertvollen Zusammenstellung der literarischen Quellen Alessandro RONCONI, Per l’onomastica antica dei mari, in: Studi italiani di filologia classica 9 (1931), S. 193-242 und S. 257-331; Viktor BURR, Nostrum Mare: Ursprung und Geschichte der Namen des Mittelmeeres und seiner Teilmeere im Altertum, Stuttgart 1932. Dazu vgl. paradigmatisch die folgende Textstelle von Isidorus von Sevilla (13.16.5): Asiaticum et Phoenicum a provinciis dictum: ab insulis: Carpathicum, Aegeum, Icarum, Balearium, Cyprium, a gentibus: Ausonium, Dalmatium, Ligusticum, Tuscum, ab oppidis: Adriaticum, Argolicum, Corinthium, Tyrium, a casibus hominum: Myrtoum vel Hellespontum, a memoria regis: Ionium, a bovis transitu vel angustis etiam meatibus boum perviis: Bosphoros, a moribus accolarum: Euxinos, Auxinos ante appellatus, ab ordine fluendi: Propontis. Zu diesem wichtigen Begriff verweise ich auf die grundlegende Arbeit von Pietro JANNI, La Mappa e il Periplo: Cartografia Antica e Spazio Odologico, Roma 1984; dazu auch Beobachtungen von Hans-Joachim GEHRKE, Die Raumwahrnehmung im archaischen Griechenland, in: Wahrnehmung und Erfassung geographischer Räume in der Antike, hg. v. Michael RATHMANN, Mainz 2007, S. 17-29. Ath. Pol. 2.13-16: (14) [...] εἰ γὰρ νῆσον οἰκοῦντες θαλασσοκράτορες ἦσαν Ἀθηναῖοι, ὑπῆρχεν ἂν αὐτοῖς ποιεῖν µὲν κακῶς, εἰ βούλοιντο, πάσχειν δὲ µηδέν, ἕως τῆς θαλάττης ἦρχον, µηδὲ τµηθῆναι τὴν ἑαυτῶν γῆν µηδὲ προσδέχεσθαι τοὺς πολεµίους. Zu dieser Tradition vgl. Paola CECCARELLI, Sans thalassocratie, pas de démocratie? Le rapport entre thalassocratie et démocratie à Athenes dans la discussion du Ve et IVe siècle av. J.-C., in: Historia 42 (1993), S. 444-470 (mit einer ausführlichen Rekonstruktion des historischen und kulturellen Kontextes); Marta SORDI, “Se Atene fosse un’isola” … un adynaton fra Tucidide e l’Athenaion Politeia, in: Ancient World 37 (2006), S. 153-156; CONSTANTAKOPOULOU, The Dance of the Islands (wie Anm. 2), S. 124f., 147-149; Ugo FANTASIA, Insularità e talassocrazia nello spazio egeo, in: Immagine e immagini della Sicilia (wie Anm. 2), S. 13-30; Marta

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Eine Insel wird als der ideale Ort betrachtet, an dem die Herrschaft über das Meer ausgeübt werden kann: Inseln sind einfach zu erreichen (einfacher als Orte, die beispielsweise in bergigen Gebieten liegen) und noch einfacher zu verteidigen, weil sie vom Meer umgeben werden. Diese beiden Eigenschaften sind unter anderem auch bei der römischen Wahrnehmung der kleinen Inseln anzutreffen. Denn während sie einerseits als Orte der Verbannung für portenta, wie Hermaphroditen32, und Kriminelle verwendet werden33, werden sie andererseits schon in der augusteischen Zeit von der römischen Oberschicht auf Grund ihrer klimatischen Bedingungen als ideale Erholungsorte genutzt.34 Schließlich sei auch das Vorhandensein einer Spezialliteratur zu den Inseln, der sogenannten „nesiotiká“, erwähnt – leider nur fragmentarisch überliefert – welche jedenfalls die Existenz eines Interesses für die Inseln, ihre Geschichte, Kultur und Traditionen sowie eines Publikums, das sich damit auseinandersetzte, belegt.35 Diese kurz entworfene Darstellung der Bedeutung der Inseln und der Inselvorstellungen im Rahmen der griechischen und römischen Kultur, die sich vorwiegend auf literarische Texte stützt, geht auf eine reale Erfahrung (und Begegnung) sowohl der Griechen als auch der Römer mit den Inseln zurück, welche im Mittelmeerraum nicht nur wichtige Orientierungspunkte für die Reisenden waren, sondern auch als Ort der Begegnung sowie auf Grund ihrer Entfernung vom Festland als Orte der Isolation betrachtet wurden. Diese Erfahrungen spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung von gemeinsamen mentalen Modellen, welche zur Erfassung und Definition anderer Räume ver-

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SORDI, La nautike dynamis in Senofonte. Dall’Athenaion Politeia ai Poroi, in: Historiká 1 (2011), S. 11-20. Als weitere Parallele können auch zwei weitere Textstellen von Xenophon (Poroi 1, 6-7) und Plato (Kritias, 114 d-e) herangezogen werden, in denen die Zentralität Athens mit der Zentralität einer Insel verglichen wird. Plinius (nat. hist. 7, 36) erzählt beispielsweise von einem Mädchen, das infolge seiner Verwandlung in einen Jungen auf eine Insel deportiert wurde: puerum factum ex virgine sub parentibus iussuque haruspicum deportatum in insulam desertam. Dazu mit einer Zusammenstellung und Auswertung der Quellen vgl. Gabriella AMIOTTI, Primi casi di relegazione e di deportazione insulare nel mondo romano, in: Coercizione e mobilità umana nel mondo antico, hg. v. Marta SORDI, Milano 1995, S. 246-258; BORCA, Terra mari cincta (wie Anm. 2), S. 141-143. Es handelt sich um die relegatio und die deportatio, welche, wie Ulpianus (dig. 48. 22. 7) in der folgenden Stelle erklärt, auf Inseln stattfindet: Haec est differentia inter deportatos et relegatos, quod in insulam relegari et ad tempus et in perpetuum quis potest. Sive ad tempus sive in perpetuum quis fuerit relegatus, et civitatem Romanam retinet et testamenti factionem non amittit. Dazu vgl. allgemein BORCA, Terra mari cincta (wie Anm. 2), S. 141-146. Sueton (Aug. 27, 2) erzählt beispielsweise, dass sich Augustus auf Capri eine monumentale Villa bauen ließ. Sein Nachfolger, Tiberius, hatte lange Jahre auf Rhodos gelebt und seine letzten Regierungsjahren ebenfalls auf Capri verbracht. Dazu vgl. Paola CECCARELLI, I nesiotikà, in: Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa III 19,3 (1989), S. 903-935; Francesco PRONTERA, Géographie et mythes dans l’“isolario” des Grecs, in: Géographie du Monde au Moyen Âge à la Renaissance, hg. v. Monique PELLETIER, Paris 1989, S. 169-179.

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wendet wurden, auf welche die Eigenschaften der Inseln übertragen werden konnten, wie die von mir ausgewählten Beispiele zeigen werden.

II. Die Inseln als mentale Modelle Die erste Quelle, die ich in diesem Zusammenhang besprechen möchte, ist ein Text von Festus, überliefert bei Paulus Diaconus, in welchem die Entstehung der Bezeichnung insula für die römischen Wohnkomplexe wie folgt gedeutet wird36: Insulae dictae proprie, quae non iunguntur communibus parietibus cum vicinis, circumituque publico aut privato cinguntur […] a similitudine videlicet earum terrarum, quae in fluminibus ac mari eminent, suntque in salo. (Im eigentlichen Sinne werden als insulae die Gebäude bezeichnet, welche nicht durch gemeinsame Wände mit den Nachbarhäusern verbunden sind und durch eine öffentliche oder private Straße umgeben werden [...] offenbar auf Grund der Ähnlichkeit mit den Ländern, die aus den Flüssen und aus dem Meer hervortreten und sich im [offenen] Meer befinden.)

In diesem Fall bietet die Insularität ein Modell für die Wahrnehmung und die Definition des urbanen Raumes der insulae, die, weil umgeben und begrenzt durch öffentliche Straßen, per Analogie als „Inseln“ bezeichnet werden können. In diesem Zusammenhang sei die in der Antike sehr verbreitete Etymologie bzw. Pseudoetymologie des Wortes aus in salo = insula kurz erwähnt37, welche die enge Verbindung der Insel mit dem Meer in der Antike zur Sprache kommen lässt.38 Mit anderen Worten: Die Inseln werden hauptsächlich als eine territoriale Einheit, die zum Meer gehört, betrachtet. Das Verb eminere (hervortreten) stellt einen wichtigen Terminus für die Definition und Wahrnehmung der Insularität dar, da die Inseln Landeinheiten sind, die aus dem Wasser hervortreten. So wurden a similitudine (per Analogie und Vergleich) viele Orte, welche hervortreten und in Bezug auf die umge36 37

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Zu dieser Stelle vgl. Beobachtungen in BORCA, Terra mari cincta (wie Anm. 2), S. 15-17. Dazu vgl. beispielsweise die folgende Stelle bei Martianus Capella: (Philolog. 6, 643) […] nunc quoniam continentis terrae limes interfluentis freti coercitione distinguitur, non alienum est inter fluenta emergentes terras, quae, quod in salo sint, insulae vocitantur, praesertimque nobiles commonere. Dazu auch die Etymologie von Isidorus (orig. 14.6.1): Insulae dictae quod in salo sint. Die richtige Etymologie des Terminus insula bleibt noch ein offenes Problem. Dazu vgl. Alois WALDE / Johann B. HOFMANN, Lateinisches etymologisches Wörterbuch, Vol. 1, Heidelberg 21938, S. 707f.; Alfred ERNOUT / Antoine MEILLET, Dictionnaire étymologique de la langue latine: Histoire des mots, Paris 21959 , S. 319f.; Alexander GAHEIS, Insula, in: Wiener Blätter 8 (1932), S. 151; Peter SKOK, Zum ‚insula‘-Problem, in: Glotta 25 (1934-1935), S. 217-222; Vittore PISANI, Insula und νῆσος, in: Glotta 26 (1934-1935), S. 276f.; Eric HAMP, Latin ‘insula’, in: American Journal of Philology 90 (1969), S. 463; Pablo P. ROZITIS, Insula, in: Emerita 39 (1971), S. 319-322; zum Problem der Etymologie vgl. auch vor kurzem Pietro JANNI, “Νῆσος, λίµνη, ἀκτή: Note di terminologia geografica antica e moderna”, in: Geographica Antiqua 12 (2004), S. 3-8.

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bende Landschaft dem Betrachter als isoliert erscheinen konnten, insulae genannt. Livius (44, 46, 6) verwendet beispielsweise den Ausdruck velut insula eminere (tritt wie eine Insel hervor) in Bezug auf die makedonische Burg Phacus, welche an einem hochgelegenen Ort gebaut wurde und sich mitten in einem Sumpfgebiet befand. Laut einer bei späteren Quellen überlieferten Tradition sei die Burg der Stadt Theben Μακάρων νῆσος genannt worden.39 Die Entstehung dieser Bezeichnung lässt sich einerseits durch die schon angesprochene Analogie zwischen einer Insel und einer befestigten Burg, andererseits wahrscheinlich auch durch den bekannten Mythos der sieben Helden, welche in Theben und für Theben starben, erklären. Denn der Name Μακάρων νῆσος stellt eine eindeutige Anspielung auf den Ort dar, wo sich im Jenseits die Seelen der verstorbenen Helden aufhielten. Im wissenschaftlichen Diskurs wurde die Inselidee auf die ganze οἰκουµένη übertragen, die ebenfalls wie eine Insel vom Meer umgeben wird. So definiert Cicero in einer vielzitierten Stelle die Welt als globum terrae eminentem e mari (Tusc. 1, 68); eine ähnliche Definition ist auch bei Aristoteles (De mundo 3, 20-22)40 anzutreffen, der die οἰκουµένη wie folgt definiert: Τὴν µὲν οὖν οἰκουµένην ὁ πολὺς λόγος εἴς τε νήσους καὶ ἠπείρους, ἀγνοῶν ὅτι καὶ ἡ σύµπασα µία νῆσός ἐστιν, ὐπὸ τῆς Ἀτλαντικῆς καλουµένης θαλάσσης περιρρεοµένη. (Die verbreitete Meinung gliedert die bewohnte Welt in Inseln und Kontinente, wobei man ignoriert, dass die ganze bewohnte Welt eine einzige Insel ist, umgeben vom Ozean, genannt Atlantik). So veranschaulicht das Inselbild am besten die Vorstellung der bewohnten Welt als eine Erde, die vom Ozean umfasst wird.

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Photius: : ἡ ἀκρόπολις τῶν ἐν Βοιωτίαι Θηβῶν τὸ παλαιὸν, ὡς Ἁρµένδας; Eustatius, ad Hom. Od. IV 563: Ὅτι δὲ καὶ περὶ Θήβας τὰς ἑπταπύλους ἐφιλοτιµήσαντό τινες νήσους µακάρων εἰπεῖν διὰ τὸ κατὰ χώραν εὔδαιµον, οἱ τοῦ Λυκόφρονος δηλοῦσιν ὑποµνηµατισταί. Zu dieser Tradition vgl. Maria ROCCHI, Kadmos e Harmonia, Roma 1989, S. 42, welche beobachtet: „Il fatto che questa città si fregiasse del titolo di Makaron nesos è molto interessante e degno di particolare attenzione. Isole dei Beati, Makaroi nesoi, era l’espressione con cui i Greci indicavano certe isole bagnate da Okeanos lontane dagli dèi e dagli uomini, dove, insieme a Kronos spodestato da Zeus, avrebbero continuato a vivere gli eroi: in specie Kadmos e quanti avevano combattuto sotto le mura di Tebe e di Troia.“ Zu dieser Stelle verweise ich allgemein auf Giovanni REALE, Il trattato sul cosmo per Alessandro attribuito ad Aristotele, Napoli 1995, S. 265-267, mit weiteren Beispielen für diese Verwendung im wissenschaftlichen Diskurs.

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III. Die nilotische Landschaft Die Insularität lieferte ein Modell zur Wahrnehmung und Definition der nilotischen überfluteten Landschaft. Schon bei Herodot wird eine Analogie zwischen dieser Landschaft und den Inseln erstellt, wie die folgende Stelle zeigt41: Hdt. 2, 97: ἐπεὰν δὲ ἐπέλθῃ ὁ Νεῖλος τὴν χώρην, αἱ πόλιες µοῦναι φαίνονται ὑπερέχουσαι, µάλιστα κῃ ἐµφερέες τῇσι ἐν τῷ Αἰγαίῳ πόντῳ νήσοισι. Τὰ µὲν γὰρ ἄλλα τῆς Αἰγύπτου πέλαγος γίνεται, αἱ δὲ πόλιες µοῦναι ὑπερέχουσι. (Wenn der Nil das Land überschwemmt, ragen nur die Städte über das Wasser hinaus, am meisten ähnlich den Inseln im ägäischen Meer. Denn aus dem übrigen Gebiet von Ägypten wird Meer, die Städte überragen es.)

Im Text sind verschiedene Elemente vorhanden, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. Die zweimal wiederholte Verbalform ὑπερέχειν ist die griechische Wiedergabe des Lateinischen eminere. Die hochgelegenen Städte und Dörfer werden per visueller Analogie mit den Inseln verglichen und als solche wahrgenommen, während die umliegende Landschaft d. h. die chora zum pelagos (Meer) wird. Das Binom „Meer-Inseln“ bietet (per Analogie) das ideale Raummodell, um die überflutete Landschaft zu schildern und zu definieren. Diese Analogie konnte unter anderem dazu dienen, bei einem Leser, der die ägyptische Landschaft weder kannte noch persönlich gesehen hatte, ein Bild hervorzurufen, welches der realen Gestalt der Nillandschaft treffend entsprach. Dies zeigt den kognitiven Charakter dieses mentalen Modelles, das dafür eingesetzt werden konnte, um ein geographisches Wissen (mittels eines literarischen Textes) zu vermitteln. Eine ähnliche Beschreibung der Nillandschaft nach der Überschwemmung liefert auch Diodoros Sikulos, der, wie der Ausdruck „Das Panorama ist ähnlich jenem der Kykladen“ zeigt, dieselbe herodoteische Modellbeschreibung benutzte. Diod. 1, 36, 8f.: [...] καὶ τῆς µὲν χώρας οὔσης περιάδος, τῶν δὲ πόλεων καὶ τῶν κωµῶν, ἔτι δὲ τῶν ἀγροικιῶν κειµένων ἐπὶ χειροποιήτων χωµάτων, ἡ πρόσοψις ὁµοία γίνεται ταῖς Κυκλάσι νήσοις. Der moderne wie der antike Leser kann den Vergleich mit den Kykladen nur verstehen, wenn er vor seinen Augen oder in seinem Kopf eine Karte des ägäischen Meers hat, gekennzeichnet durch das Vorhandensein zahlreicher kleiner Inseln. Dieser Vergleich ist unter anderem auch wichtig, weil er die Kenntnis der ägäischen Geographie bei Diodors Publikum vorauszusetzten scheint, das hiermit imstande gewesen wäre, das Bild der ägäischen Insel mit dem Bild der nilotischen überfluteten Landschaft zu vergleichen. Als weitere Parallele kann die folgende Stelle bei Strabon in Betracht gezogen werden: 41

Zu dieser Stelle vgl. Aldo CORCELLA, Erodoto e l’analogia, Milano 1984, S. 71; dazu auch die Arbeit von Federico BORCA, Il paesaggio nilotico nelle letterature greca e latina, in: Materiali e Discussioni per l’Analisi dei Testi Classici 41 (1998), S. 185-205.

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Strab. 17, 1, 4: ἐν δὲ ταῖς ἀναβάσεσι τοῦ Νείλου καλύπτεται πᾶσα καὶ πελαγίζει πλὴν τῶν οἰκήσεων· αὗται δ᾽ ἐπὶ λόφων αὐτοφυῶν ἢ χωµάτων ἵδρυνται, πόλεις τε ἀξιόλογοι καὶ κῶµαι, νησίζουσαι κατὰ τὴν πόρρωθεν ὄψιν. Πλείους δ᾽ἢ τετταράκοντα ἡµέρας τοῦ θέρους διαµεῖναν τὸ ὕδωρ ἔπειτ’ ὑπόβασιν λαµβάνει κατ’ ὀλίγον. (Beim Anstieg des Nils wird sie ganz und gar bedeckt und bildet ein Meer, die Wohnungen ausgenommen: diese liegen auf natürlichen oder aufgeworfenen Anhöhen, stattliche Städte sowohl als auch Dörfer, die aus der Ferne gesehen Inseln bleiben. Mehr als vierzig Tage des Sommers bleibt das Wasser stehen; dann senkt es sich ebenso allmählich wie es angestiegen ist.)

Die im Text vorkommenden Termini verdienen ebenfalls Aufmerksamkeit. Die Verwandlung der trockenen chora zum Meer wird durch den Einsatz des Verbs πελαγίζειν zum Ausdruck gebracht, während die hoch gelegenen Städte und Dörfer sich dem Blick des Betrachters als Inseln darbieten. Die Verben νησίζειν und πελαγίζειν, beide gebildet durch das Suffix -iz-, heben die Tatsache hervor, dass es sich um ein Meerwerden und ein Inselwerden handelt, das vierzig Tage dauert. Darüber hinaus sei auch auf die Tatsache aufmerksam gemacht, dass der Nil nach der neuen Wahrnehmung vom potamos (Fluss) zum Meer (pelagos) wird. Eine derartige Wahrnehmung bzw. Definition ist auch bei den Autoren der lateinischen Literatur anzutreffen, wie die folgende bei Seneca überlieferte Stelle zeigt: Sen. nat. 4a, 2, 11: Illa facies pulcherrima est, cum iam se in agros Nilus ingessit, latent campi opertaeque sunt valles, oppida insularum modo exstant, nullum mediterraneis nisi per navigia commercium est, maiorque est laetitia gentibus, quo minus terrarum suarum vident. (Es ist ein wunderschönes Bild, wenn der Nil sich schon über die Felder ergossen hat. Die Fluren sind bedeckt, die Täler voll Wasser, und nur Städte schauen wie Inseln heraus. Im Binnenland gibt es nur noch auf Schiffen Verkehr, und je weniger die Menschen von ihrem Land sehen, desto mehr freuen sie sich); (Üb. von Otto und Eva Schönberger).

Die Textterminologie ist wirklich interessant. Der Terminus facies, wörtlich „Gesicht“, wird in diesem Zusammenhang metaphorisch im Sinne von Erscheinungsbild der Landschaft verwendet. Wenn auch Seneca das Wort mare nicht einsetzt, lässt sich eine derartige Assoziation von alleine hervorrufen. Die Überschwemmung scheint nicht nur die Landschaft, sondern auch die menschlichen Verhältnisse und Kontakte zu verändern, die nur per navigia möglich sind. Der Ausdruck maiorque est laetitia gentibus verweist auf die utopische Atmosphäre dieser surrealen Landschaft, in der die Menschen, gerade weil sie nicht hart in den Feldern arbeiten müssen, glücklich sind. Die Nilüberschwemmungen werden nicht als eine Gefahr, sondern als ein glücksbringendes Ereignis wahrgenommen, das für die Fruchtbarkeit der Äcker sowie für den davon abhängigen Wohlstand der Ägypter sorgt. Denn, wie Herodot behauptete (2, 5, 1: Αἴγυπτος, ἐς τὴν Ἕλληνες ναυτίλλονται, ἐστὶ Αἰγυπτίοισι ἐπίκτητός τε γῆ καὶ δῶρον τοῦ ποταµοῦ), sei Ägypten ein Geschenk des Nils. All diese Stellen von Autoren aus verschiedenen Perioden zeigen die Art und Weise, wie die Insularität einerseits als mentales Modell zur Wahrneh-

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mung und Definition der nilotischen überfluteten Landschaft schon in der herodoteischen Zeit eingesetzt wurde, andererseits ihre Entwicklung zum literarischen Topos, der, wie die oben betrachtete Seneca-Stelle zeigt, zur Charakterisierung dieser Landschaft als Utopie verwendet werden kann. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Ikonographie der nilotischen Landschaft hingewiesen, welche, wie beispielsweise ein bekanntes Mosaik aus Palestrina zeigt42, wahrscheinlich durch Einfluss der literarischen Beschreibungen als ein Meer mit Inseln, auf denen die Menschen leben, dargestellt wird. Wie im zuvor erwähnten Mosaik aus Tunesien, werden auch in diesem Fall die Insel nicht als isoliert und menschenfeindlich, sondern als durch Schiffe miteinander verbundene Orte abgebildet, wo Menschen eine glückliche Existenz führen. Die Analogie Hügel-Inseln in einer überschwemmten Landschaft, die zum ersten Mal in Bezug auf Ägypten bei Herodot anzutreffen ist, wird bei späteren Autoren auch auf andere Landschaften übertragen, welche dieselben Eigenschaften aufweisen. Das ist beispielsweise der Fall bei einer bei Curtius Rufus überlieferten Stelle, welche die Überschwemmung des Flusses Indus wie folgt schildert: Curt. hist. 9, 9, 18: Iamque aestus totos circa flumen campos inundaverat, tumulis dumtaxat eminentibus velut insulis parvis, in quos plerique trepidi, omissis navigiis, enare properant. (Und schon hatte die Flut alle Felder rings um den Fluss überschwemmt, während lediglich Hügel wie kleine Inseln herausragten, und die meisten verließen in ihrer Angst die Schiffe und schwammen dann eilig zu diesen Hügeln); (Üb. von Holger Koch).

Das hervorgerufene Bild hat viele Ähnlichkeiten mit den Nilbeschreibungen. Die Hügel (tumuli) werden zu kleinen Inseln, welche herausragen (eminentes), wo die Menschen (als trepidi bezeichnet) Zuflucht suchen, weil sie von der Überschwemmung in Panik versetzt werden. Es handelt sich um ein Gegenbild zur ägyptischen Nillandschaft, in der die Überschwemmungen, die in regelmäßigen Abständen stattfinden, für die Einwohner keine Gefahr darstellen, und der Landschaft eine quasi utopische Aura verleihen: Die Verwendung desselben mentalen Modelles als Analogie verbindet sich mit zwei unterschiedlichen Charakterisierungen und Wahrnehmungen einer überschwemmten Landschaft.

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Zu diesem Denkmal vgl. Paul G. P. MEYBOOM, The Nile Mosaic of Palestrina, Leiden 1995; Fausto ZEVI / Elisa Valeria BOVE, Il mosaico nilotico di Palestrina, in: La lupe e la sfinge. Roma e l’Egitto dalla storia al mito (cat. mostra), hg. v. Eugenio LO SARDO, Roma 2008, S. 78-87; zu den nilotischen Darstellungen vgl. allgemein Miguel John VERSLUYS, Aegyptiaca Romana. Nilotic Scenes and the Roman Views of Egypt, Leiden/Boston 2002. Herrn Dr. Valentino Gasparini (Erfurt) habe ich diese wichtigen Literaturhinweise zu verdanken.

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IV. Inseln als Ortsnamen Die Insularität bot auch ein Modell zur Wahrnehmung von Territorien auf dem Festland, die sich zwischen zwei Flüssen befanden. Polybios bezeichnet beispielsweise als Nesos ein Gebiet in der Region der Allobages (Gallia Narbonensis), das sich zwischen den Flüssen Rhone und Isère befand. Die Stelle lautet wie folgt: Pol. hist., 3, 49, 5-8: Ἀννίβας δὲ ποιησάµενος ἑξῆς ἐπὶ τέτταρας ἡµέρας τὴν πορείαν ἀπὸ τῆς διαβάσεως ἧκε πρὸς τὴν καλουµένην Νῆσον, χώραν πολύοχλον καὶ σιτοφόρον, ἔχουσαν δὲ τὴν προσηγορίαν ἀπ’ αὐτοῦ τοῦ συµπτώµατος. ᾗ µὲν γὰρ ὁ Ῥοδανός, ᾗ δ’Ἰσάρας προσαγορευόµενος, ῥέοντες παρ’ ἑκατέραν τὴν πλευράν, ἀποκορυφοῦσιν αὐτῆς τὸ σχῆµα κατὰ τὴν πρὸς ἀλλήλους σύµπτωσιν. ἔστι δὲ παραπλησία τῷ µεγέθει καὶ τῷ σχήµατι τῷ κατ’ Αἴγυπτον καλουµένῳ ∆έλτα, πλὴν ἐκείνου µὲν θάλαττα τὴν µίαν πλευρὰν καὶ τὰς τῶν ποταµῶν ῥύσεις ἐπιζεύγνυσιν, ταύτης δ’ ὄρη δυσπρόσοδα καὶ δυσέµβολα καὶ σχεδὸν ὡς εἰπεῖν ἀπρόσιτα. (Hannibal aber war nach viertägigem Marsch von der Übergangsstelle aus zu der sogenannten Insel gekommen, einem dicht besiedelten und fruchtbaren Land, das seinen Namen auf Grund der geographischen Gegebenheiten führt. Die Rhone hier, dort die Isère, die an ihren beiden Seiten hinfließen, bilden miteinander ein spitzwinkliges Dreieck, dessen Scheitel der Punkt darstellt, an dem sie sich vereinigen. Diese Insel ist an Größe und Gestalt dem sogenannten Delta in Ägypten ähnlich, nur dass bei jenem sich das Meer als die dritte Seite über die beiden anderen von zwei Mündungsarmen gebildeten spannt, hier schwer zugängliche und schwer zu besteigende, ja man muss fast sagen, gänzlich unwegsame Berge); (Üb. von Hans Drexler).

Diese Landschaftsbeschreibung ist überaus interessant. Die Natur des Territoriums wird durch die Adjektive πολύοχλον καὶ σιτοφόρον (dicht besiedelt und fruchtbar) charakterisiert, welche die Fruchtbarkeit des Ortes (deswegen dicht bewohnt), hervorheben. Der Ausdruck ἔχουσαν δὲ τὴν προσηγορίαν ἀπ’αὐτοῦ τοῦ συµπτώµατος sowie die Wiederholung der Termini σύµπτωµα und σύµπτωσις unterstreichen die Tatsache, dass die Herkunft dieses Ortsnamens auf die mesopotamische Position des Territoriums zurückgeht. Ein weiteres zu berücksichtigendes Element ist die relative Isolierung des Gebietes, umgeben von den Bergen. Die im Text eingesetzten Termini δυσπρόσια und δυσέµβολα scheinen die geographische Isolierung sowie die schwere Zugänglichkeit des Gebietes (ἀπρόσδιτα) zu unterstreichen. Interessant erweist sich auch der Vergleich mit dem Nildelta auf Grund der dreieckigen Form dieses Territoriums. Schwere Erreichbarkeit und Insularität, verbunden mit der Fruchtbarkeit des Gebietes, welches seinen Einwohnern Wohlstand schenkt, stellen die Elemente dar, welche die literarische Schilderung und Definition dieses Territoriums charakterisieren. Derselbe Ortsname wird auch von Livius im Buch 21 (zum Hannibal Krieg) in der folgenden Textstelle erwähnt. Liv. 21, 31, 4: Quartis castris ad Insulam pervenit. Ibi †Sarar† Rhodanusque amnis diversis ex alpibus decurrentes, agri aliquantum amplexi confluent in

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unum in mediis campis; Insulae nomen inditum. Incolunt prope Allobroges, gens iam inde nulla Gallica gente opibus aut fama inferior. (In vier Marschtagen gelangte er zur Insel. Dort fließen Isère und Rhone zusammen, die aus verschiedenen Alpengegenden kommen und ein beträchtliches Stück Land umschließen. Das Gebiet zwischen den beiden heißt „Insel“. In der Nähe wohnen die Allobroger, ein Volksstamm, der schon damals keinem gallischen Stamm an Macht und Berühmtheit nachstand); (Üb. von Josef Feix).

Diese Nachricht bestätigt, dass Nesos/Insula der Ortsname war, mit dem die Griechen und die Römer, welche diese Bezeichnung übernahmen, dieses Territorium benannten. Dies kann unter anderem zur Annahme veranlassen, dass sich die Griechen, welche diese Region erkundet hatten, des Begriffes „Insel“ zur Wahrnehmung sowie Benennung des Ortes bedient hatten. So hat die Insularität in diesem Fall ein mentales Schema zur Erfassung eines fremden Territoriums geboten. Als weiteres Beispiel können wir die ciceronianische Beschreibung (Cic. verr. 2, 4, 117-118) von Syrakus in Betracht ziehen, in der gesagt wird, dass das vierte Stadtviertel (Ortygia), das eine Halbinsel war, Insula genannt wurde (pars oppidi quae appellatur Insula). Die Entstehung des Ortsnamens lässt sich durch die enge Verbindung der syrakusanischen Halbinsel zum Meer erklären, sowie durch die häufige Verwendung des Terminus insula in Bezug auch auf Halbinseln.43 Es handelt sich jedoch um ein anderes Problem, verbunden unter anderem mit der antiken Wahrnehmung der Halbinsel, welches ich nicht in diesem Kontext behandeln möchte.44 In diesem Zusammenhang scheint es mir jedoch wichtig zu betonen, wie sich der Terminus insula, der zuerst zur Definition der geographischen Lage einer Landeinheit verwendet wird, zum Ortsnamen entwickelt.

V. Die Oasen als Insel Die Begriffe „Insel“ und „Meer“ finden auch bei der Erfassung und Wahrnehmung der Oasen und der Wüsten eine Verwendung. So berichtet Strabon, 43 44

Eine Parallele ist beispielsweise der Name Πελοπόννησος für die peloponnesische Halbinsel, der wörtlich „Insel des Pelop“ bedeutet. Dazu allgemein verweise ich auf JANNI, Νῆσος, λίµνη, ἀκτή (wie Anm. 38), S. 3-5, der sehr treffend in Bezug auf die Entstehung des Terminus χερσόνησος (Halbinsel) behauptet: „Il suggerimento più prudente, quello in cui tutti possono trovare un punto d’incontro, è che νῆσος dovette avere dapprima il valore di ‘paese vastamente a contatto col mare, terra molto marina’, secondo una percezione che andava bene per una fase remota, un certo modo di vivere l’ambiente geografico, ma già non più per i Greci dell’età classica, esperti navigatori che con le vere isole, intese alla maniera nostra e ben distinte dal continente, avevano tutta la possibile familiarità. Per chi la coniò, la parola χερσόνησος indicava una νῆσος, una ‘terra marina’ si, ma connessa col continente, a differenza di altre completamente circondate dal mare. La specificazione poteva essere opportuna, rna sempre di νῆσος si trattava, in quel senso primitivo, nell’uno e nell’altro caso.“

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dass die Ägypter die bewohnten „chorai als Oasen“ bezeichneten, die sich in der Mitte der Wüste befanden, wie die Insel in der Mitte des Meeres.45 Strab. 17, 1, 5: [...] Αὐάσεις δ’οἱ Αἰγύπτιοι καλοῦσι τὰς οἰκουµένας χώρας περιεχοµένας κύκλῳ µεγάλαις ἐρηµίαις, ὡς ἂν νήσους πελαγίας. (‚Oasenʼ nennen die Ägypter die bewohnten Stellen, die, wie Inseln im Meer, ringsum von großen Einöden umgeben sind); (Üb. von Stefan Radt).

Eine nähere Betrachtung der Sprache dieser Textstelle erweist sich als schlüssig. Die Vorstellung des „umgeben sein“ wird durch den Einsatz des Dativs κύκλῳ, bezogen auf die Partizipialform περιεχοµένας (Lat. cingere), zum Ausdruck gebracht. Wie bei den Nilbeschreibungen, werden auch in diesem Fall die Inseln positiv charakterisiert, da sie (wie im Meer) die einzigen Orte darstellen, an denen das Menschenleben möglich ist: So werden sie τὰς οἰκουµένας χώρας genannt. Darüber hinaus soll auch nicht vergessen werden, dass die Oasen in der endlosen Einöde der Wüste (hier ist der Ausdruck µεγάλαις ἐρηµίαις wirklich relevant) wie die Inseln im Meer die einzigen Bezugspunkte in der Landschaft für Reisende sind. Strabon ist nicht die einzige Quelle, in der sich dieser Vergleich findet. Plinius vergleicht beispielsweise die Oasen der indischen Wüsten mit den Inseln im Meer. Plin. NH 6, 73: […] DCXXV infra solitudines Dari, Surae, iterumque solitudines per CLXXXVII, plerumque harenis ambientibus haut alio modo quam insulas mari. (Unterhalb sind für 265 Einöde, dann Darer, Surer, wiederum Einöde für 187 , wobei sich meistens Sandflächen darum ziehen, ganz in der Art wie das Meer um Inseln.); (Üb. von Kai Brodersen)

In diesem Kontext scheint der Terminus solitudines eine Wiedergabe des strabonianischen µεγάλαις ἐρηµίαις darzustellen. Eine besondere Aufmerksamkeit verdient die folgende Stelle bei Curtius Rufus, in der die Ankunft Alexanders in der Oase von Siwa wie folgt erzählt wird: Curt. hist. 4, 7, 10-12: (10) Ac primo quidem et sequente die tollerabilis labor visus, nondum tam vastis nudisque solitudinibus aditis, iam tamen sterili et emoriente terra. (11) Sed ut aperuere se campi alto obruti sabulo, haud secus quam profundum aequor ingressi terram oculis requirebant: (12) nulla arbor, nullum culti soli occurrebat vestigium. Aqua etiam defecerat, quam utribus cameli vexerant et in arido solo ac fervido sabulo nulla erat. (Am ersten und folgenden Tag schien die Mühsal noch erträglich, da man noch nicht in so wüste und nackte Einöden eingedrungen war. (11) Aber sobald sich vor ihnen die mit tiefem Wüstensand bedeckte Landschaft ausbreitete – nicht anders, als wenn man das unendlich tiefe Meer beträte – da suchten die Augen nach Land. (12) Kein Baum, keine Spur von Ackerbau zeigte sich. Selbst das Wasser war ausgegan-

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Zur Strabon-Stelle vgl. Beobachtungen in Guy WAGNER, Les oasis d’Egypte à l’époque grecque, romaine et byzantine d’après les documents grecs, Caire 1987, S. 113-115.

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gen, das Kamele in Schläuchen getragen hatten, und in dem dürren Boden und glühenden Sand fand sich nirgendwo etwas.)

Curtius Rufus beschreibt pathetisch den dramatischen Marsch durch die libysche Wüste. In diesem Zusammenhang verdient der Ausdruck profundum aequor (das unendlich tiefe Meer) besondere Aufmerksamkeit, da er zur Charakterisierung und Wahrnehmung der horizontlosen spatia der Wüste dient. In dieser romantischen Darstellung der Wüste stellen für den Reisenden die Oasen wie die Inseln im Meer die einzige Hoffnung auf Rettung dar, darüber hinaus ist das Bild der Oasen in engem Zusammenhang mit der Bewohnbarkeit dieser Räume zu betrachten. Das Adjektiv profundum steht in Verbindung mit einer dimensionalen bzw. vertikalen Wahrnehmung des Meers. Die Wüste kann ebenfalls als profundum bezeichnet werden, weil ihr Horizont den Reisenden als unendlich erscheinen kann. Hiermit begegnet man einer horizontalen Raumwahrnehmung, ausgedrückt mit diesem Terminus. Diese zwei Textstellen haben gezeigt, wie die Inseln in der Antike ein betrachtenswertes mentales Modell zur Erfassung und Wahrnehmung der immensa spatia der Wüste darstellten. Darüber hinaus soll auch hinzugefügt werden, wie kurz erwähnt, dass die Oasen, wie die Inseln im Meer, wichtige Bezugs- bzw. Orientierungspunkte für die Reisenden sowie die einzigen Orte, in denen das Leben für die Menschen möglich ist, darstellten.

VI. Die Inseln als Figuren Ein weiterer Aspekt, verbunden mit der Insularität, ist die Wahrnehmung der Inseln als kreisförmige Figuren, die vom Meer umgeben sind. In der lateinischen Sprache sind, wie schon erwähnt, die Termini cingere, ambire, circuitus häufig in Bezug auf Inseln anzutreffen. Diese Termini werden jedoch auch für andere geographische Räume verwendet, die vom Wasser umgeben sind. Paradigmatisch können wir die oben erwähnte Stelle Ciceros in Betracht ziehen, in der gesagt wird, dass Ortygia, weil vom Wasser umgeben, auch Insula genannt wird, obwohl es sich um eine Halbinsel handelt. Cic. verr. 2, 4, 117-118: Nam et situ est cum munito tum ex omni aditu vel terra vel mari praeclaro ad aspectum, et portus habet prope in aedificatione amplexuque urbis inclusos; qui cum diversos inter se aditus habeant, in exitu coniunguntur et confluunt. Eorum coniunctione pars oppidi quae appellatur Insula, mari disiuncta angusto, ponte rursus adiugitur et continetur. LIII. Ea tanta est urbs ut ex quattuor urbibus maximis constare dicatur; quarum una est ea quam dixi Insula, quae duobus portibus cincta in utriusque portus ostium aditumque proiecta est. (Denn sie hat eine Lage, die nicht nur geschützt ist, sondern von jeder Seite, von der man kommt, vom Lande oder vom Meer, einen herrlichen Anblick bietet, und besitzt Häfen, die von den umgebenden Bauten der Stadt fast

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eingeschlossen sind. Die Häfen haben zwar untereinander verschiedene Eingänge, am Ende aber vereinigen sie sich und fließen zusammen. Durch ihre Vereinigung wird ein Stadtteil, der „Insel“ heißt, durch einen schmalen Meeresarm abgetrennt und wiederum durch eine Brücke mit dem Festland fest verbunden. (118) Die Stadt ist so groß, dass man sagt, sie bestehe aus vier großen Städten. Eine von ihnen ist die von mir genannte Insel, die sich, von zwei Häfen umgeben, bis zur Mündung und Einfahrt beider Häfen erstreckt); (Üb. von Gerhard Krüger).

Eine nähere Betrachtung des Textes kann aufschlussreich sein. Insula war, wie zuvor erwähnt, der Name eines Wohnviertels (pars oppidi), durch das Meer vom Rest der Stadt getrennt (mari disiuncta) und nur durch eine Brücke mit dem Festland verbunden. Auch in diesem Fall hat sich der Name Insula, der wahrscheinlich zuerst als geographische Definition des Ortes diente, als Ortsname durchgesetzt. Als Parallele kann eine Stelle bei Livius (5, 33, 7) herangezogen werden, in der der Historiker behauptet, dass Italien vom Meer ähnlich einer Insel umgeben wird (mari supero inferoque […] Italia insulae modo cingitur). In der antiken Wahrnehmung sorgten die Inseln auch für die varietas der Meereslandschaft, die ohne sie monoton und nicht schön gewesen wäre. Diese ästhetische Funktion ist unter anderem in der folgenden bei Seneca überlieferten Stelle anzutreffen, in der gesagt wird, dass die Inseln, verstreut per vastum mare durch ihre Vorhandensein die maria distingunt.46 Sen. cons. ad M. 18, 5: varii urbium situs et seclusae nationes locorum difficultate, quarum aliae se in erectos subtrahunt montes, aliae ripis lacu, vallibus, palude circumfunduntur; adiuta cultu seges et arbusta sine cultore feritatis; et rivorum lenis inter prata discursus et amoeni sinus et litora in portum recedentia; sparsae tot per vastum insulae, quae interventu suo maria distinguunt. (Dein Auge schweift hin über die Städte in ihrer mannigfach verschiedenen Lage und über Völkerschaften, die infolge schwieriger Bodengestaltung ein abgeschiedenes Dasein führen, indem die einen sich durch Bäche, durch ihre Lage an einem See oder durch Täler zu sichern suchen. Du siehst sorgfältig gepflegte Saatfelder, aber auch wildwachsendes Gebüsch. Du folgst mit dem Auge den sanften Krümmungen des Bächleins durch das Wiesengelände, die Schönheit der Orte sowie die Küste, die sich zur Formierung der Hafen biegen; siehst du lieblichen Meeresfläche verteilten Inseln, durch welche eine gewisse Gliederung des Meeres ermöglicht wird); (Üb. von Otto Apelt).

Der Terminus vastum scheint die Unendlichkeit des Meeres hervorzuheben, dessen Monotonie gerade durch die Insel unterbrochen wird; der Ausdruck interventu suo scheint auf die aktive Rolle der Insel bei der Differenzierung der immensa spatia des Meeres hinzuweisen. Das Verstreutsein erweist sich auch

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Als Parallele aus dem Bereich der griechischen Literatur kann eine Textstelle von Aelius Aristides (44, 14) herangezogen werden, in der gesagt wird, dass die Inseln die Ägäis, wie die Sterne den Himmel, schmücken.

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als eine wichtige Eigenschaft der Inseln, betrachtet von oben in einer Art Vogelperspektive.47 Eine sehr ähnliche Vorstellung ist auch bei Cicero anzutreffen, der an einer Stelle des Werkes De natura deorum die Schönheit des Meeres (pulchritudo maris) und die Varietät der Inseln (varietas insularum) wie folgt preist48: Cic. de nat. deor. 2, 100: At vero quanta maris est pulchritudo, quae species universi, quae multitudo et varietas insularum, quae amoenitates orarum ac litorum, quot genera quamque disparia partim submersarum, partim fluitantium et innantium belvarum, partim ad saxa nativis testis inhaerentium! Ipsum autem mare sic terram appetens litoribus alludit ut una ex duabus naturis conflata videatur. (Doch wie groß ist erst die Schönheit des Meeres, welch wunderbaren Anblick bietet es in seiner Gesamtheit! Welche Fülle und Mannigfaltigkeit der Inseln! Welche Lieblichkeit der Küsten und Gestade! Wie viele und wie unterschiedliche Arten von Tieren! Einige leben tief unten im Wasser, manche treiben auf der Oberfläche und schwimmen in den Fluten, wieder andere haften mit ihren eigenen Schalen an den Riffen. Das Meer selbst aber strebt dem Land entgegen und umspült die Küsten, so dass es scheint, als seien zwei Elemente zu einem einzigen verschmolzen); (Üb. von Klaus Thraede).

Der Ausdruck quanta pulchritudo unterstreicht die Schönheit des Meeres, die unter anderem gerade durch die varietas der Inseln bedingt ist. Es sei auch gesagt, dass diese varietas ebenfalls in Verbindung mit der Funktion der Inseln als Orientierungspunkte für Reisende zu betrachten ist. Einer der Gründe für die varietas insularum soll auch die Form der Inseln selbst gewesen sein, von denen sie häufig ihre Namen bekamen. Beispielsweise können wir die folgende bei Diodor überlieferte Stelle betrachten, die sich mit der Herkunft des Inselnamens Siziliens beschäftigt49: Diod. 5, 2, 1: ἡ γὰρ νῆσος τὸ παλαιὸν ἀπὸ µὲν τοῦ σχήµατος Τρινακρία κληθεῖσα, ἀπὸ δὲ τῶν κατοικησάντων αὐτὴν Σικανῶν Σικανία προσαγορευθεῖσα, τὸ τελευταῖον ἀπὸ Σικελῶν τῶν ἐκ τῆς Ἰταλίας πανδήµει περαιωθέντων ὠνόµασται Σικελία. (Denn die Insel, die auf Grund ihrer Form früher Trinakria genannt und dann nach dem Namen der Sikaner, die dort wohn-

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Zur Vogelperspektive vgl. Thomas POISS, Looking for Bird’s Eye View in Ancient Greek Sources, in: Features of Common Sense Geography (wie Anm. 1). Zu diesem Elogium der Schönheit der Welt vgl. Eleanor W. LEACH, The Rhetoric of Space: Literary and Artistic Representations of Landscape in Republican and Augustan Rome, Princeton 1988, S. 86-88; Marina SECHI, La costruzione della scienza geografica nei pensatori dell’antichità classica, Roma 1990, S. 121f.; BORCA, Terra mari cincta (wie Anm. 2), S. 35-38. Dazu vgl. mit weiteren Literaturhinweisen Gian Franco CHIAI, Il nome della Sardegna e della Sicilia sulle rotte dei Fenici e dei Greci in età arcaica: Analisi di una tradizione storicoletteraria, in: Rivista di Studi Fenici 30 (2002), S. 125-146; Francesco PRONTERA, La Sicilia nella cartografia antica, in: Ampolo 2009, S. 141-148; Klaus GEUS, Die größte Insel der Welt: Ein geographischer Irrtum bei Herodot und seine mathematische Erklärung, in: Herodots Wege des Erzählens: Logos und Topos in den Historien, hg. v. Klaus GEUS / Elizabeth IRWIN / Thomas POISS (Zivilisation & Geschichte 22), Frankfurt a. M. 2013, S. 209-222.

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ten, Sikania bezeichnet wurde, wurde letztlich von den Sikulern, die aus Italien hierher mit dem ganzen Volk kamen, in Sikelia umbenannt.)

Eine nähere Betrachtung der Sprache dieser Textstelle kann schlüssig sein, um die Herkunft und Entwicklung dieser Tradition besser zu verstehen. Die Temporalangaben τὸ παλαιὸν und τὸ τελευταῖον ermöglichen uns eine Stratigraphie der Inselbezeichnungen zu erschließen, die in Zusammenhang mit der historischen Erkundung der Insel steht. Die Griechen hätten Sizilien zuerst Τρινακρία auf Grund ihrer Form (ἀπὸ µὲν τοῦ σχήµατος) genannt, nachdem sie die Küste umsegelt und dabei die dreieckige Form festgestellt hatten. So haben sie eine territoriale Einheit mit einer geometrischen Figur gleichgesetzt.50 Erst nach dem Kontakt mit den Einheimischen und der Kenntnis ihrer Ethnika seien die Inselnamen Σικανία und Σικελία entstanden, die sich später durchgesetzt hätten. Dieselbe Tradition ist auch bei Strabon anzutreffen, welcher erzählt: Strab. 6, 2, 1: Ἔστι δ’ἡ Σικελία τρίγωνος τῷ σχήµατι, καὶ διὰ τοῦτο Τρινακρία µὲν πρότερον, Θρινακία δ’ ὕστερον προσηγορεύθη µετονοµασθεῖσα εὐφωνότερον. Τὸ δὲ σχῆµα διορίζουσι τρεῖς ἄκραι. (Sizilien hat die Form eines Dreiecks und wurde deshalb früher Trinakria, später mit wohllautender Umbenennung Thrinakia genannt. Die Form wird bestimmt durch drei Landspitzen); (Üb. von Stefan Radt).

Bei Strabon ist dieselbe chronologische Abfolge anzutreffen, ausgedrückt durch die Adverbialformen πρότερον und ὕστερον. In diesem Zusammenhang wird auch die Tatsache betont, dass der älteste Name der Insel auf ihre Form (σχῆµα) zurückgeht.51 Diese Tradition scheint schon im 5. Jahrhundert v. Chr. bekannt gewesen zu sein, wie die folgende Stelle des Thukydides zeigt: Thuk. 6, 2, 2: [...] καὶ ἀπ’ αὐτῶν Σικανία τότε ἡ νῆσος ἐκαλεῖτο, πρότερον Τρινακρία καλουµένη. (Nach ihnen wurde damals die Insel Sikanien genannt, während sie vorher Trinakria hieß.)

Auch in diesem Fall wird das Adverb πρότερον eingesetzt, um zu betonen, dass der Name Τρινακρία älter als Σικανία und Σικελία sei. Als weiteres und letztes Beispiel können wir den Fall Sardiniens heranziehen.52 Die wichtigste Quelle über die Herkunft dieses Inselnamens ist Pausanias, welcher erzählt53: 50

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Allgemein zur Bedeutung der Geometrie für die Entwicklung der Erdkunde bei den Griechen vgl. Hans-Joachim GEHRKE, Die Geburt der Erdkunde aus dem Geiste der Geometrie. Überlegungen zur Entstehung und zur Frühgeschichte der wissenschaftlichen Geographie bei den Griechen, in: Gattungen wissenschaftlicher Literatur in der Antike, hg. v. Wolfgang KULLMANN / Jochen ALTHOFF / Markus ASPER, Tübingen 1998, S. 163-192. Eine ausführliche Untersuchung des Begriffes σχῆµα im wissenschaftlichen Diskurs bei den Griechen bietet nun Maria Luisa CATONI, La comunicazione non verbale nella Grecia antica, Torino 2008, S. 19-71. Allgemein zu den antiken mythischen Traditionen über Sardinien mit Beobachtungen zu den geographischen Quellen vgl. Sandro Filippo BONDÌ, Osservazioni sulle fonti classiche per la colonizzazione della Sardegna, in: Saggi Fenici I (1975), S. 421-476; Attilio MASTINO, Nur:

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Paus. 10, 17, 5: [...] ἡ δὲ Σαρδὼ µέγεθος µὲν καὶ εὐδαιµονίαν ἐστὶν ὁµοία ταῖς µάλιστα ἐπαινουµέναις. ὄνοµα δὲ αὐτῇ τὸ ἀρχαῖον ὅ τι µὲν ὑπὸ τῶν ἐπιχωρίων ἐγένετο οὐκ οἶδα, Ἐλλήνων δὲ οἱ κατ’ ἐµπορίαν ἐσπλέοντες Ἰχνοῦσσαν ἐκάλεσαν, ὅτι τὸ σχῆµα τῇ νήσῳ κατ’ἴχνος µάλιστά ἐστιν ἀνθρώπου. (Sardinien aber gleicht an Größe und Reichtum den am meisten gepriesenen Inseln. Den Namen, der ihr ursprünglich von den Einheimischen gegeben wurde, weiß ich nicht; die Griechen aber, die um Handel zu treiben dorthin fuhren, nannte sie Ichnousa (die Fußspur), weil ihr Umriß am ehesten der Spur eines Menschen gleicht); (Üb. von Ernst Meyer).

Wie bei Trinakria handelt es sich auch bei Ichnoussa um eine frühere Adjektivform ἡ ἰχνοῦσσα νῆσος (die fußförmige Insel), die sich in einer späteren Phase als Ortsname durchgesetzt hat. Die Tatsache, dass, wie Pausanias unterstreicht, die Griechen mit der Insel und ihren Einwohnern aus kommerziellen Gründen (κατ’ ἐµπορίαν) Kontakt aufnahmen, kann zur Annahme veranlassen, dass sie ihre Küste umsegelt hatten. Es sollte unter anderem auch nicht vergessen werden, dass auf Nord-Sardinien in Sant’Imbenia die ältesten Fragmente euböischer Keramik im Rahmen einer Niederlassung, welche die Archäologen als ein Emporion identifizierten, in dem Einheimische und Levantiner zusammenlebten, gefunden worden sind. Diese Funde haben zusammen mit anderen Objekten zur Annahme Anlass gegeben, dass dort eine kleine griechische bzw. euböische Gemeinde saisonal ansässig war.54 Der archäologische Befund scheint in diesem Fall die Worte des Pausanias zu bestätigen, dem zufolge die Griechen in der archaischen Zeit mit der Insel aus kommerziellen Gründen in Kontakt traten. In einem bei Plinius überlieferten Fragment bestätigt der Historiker Timaios aus Tauromenios diese Tradition, indem er sagt:

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La misteriosa civiltà dei Sardi, Milano 1980, S. 261-274; Luisa BREGLIA PULCI DORIA, La Sardegna arcaica tra tradizioni euboiche ed attiche, in: Nouvelle contribution à l’étude de la société et de la colonisation eubéennes, Napoli 1981, S. 61-95; Salvatore NICOSIA, La Sardegna nel mondo classico, in: Ichnussa: La Sardegna dalle origini all’età classica, hg. v. Giovanni PUGLIESE CARRATELLI, Milano 1981, S. 421-476; James DAVISON, Greeks in Sardinia: The Confrontation of Archaeological Evidence and Literary Testimonia, in: Studies in Sardinian Archaeology 1984, S. 187-200; Carlo TRONCHETTI, I rapporti tra il mondo greco e la Sardegna: note sulle fonti, in: Egitto e Vicino Oriente 9 (1986), S. 117-124; Gian Franco CHIAI, Ginnasi, templi e tribunali in Sardegna, in: Rivista di Studi Fenici 29 (2001), S. 35-52. Zu dieser Tradition vgl. Robert ROWLAND, The Biggest Island in the World, in: The Classical World 68,7 (1975), S. 438-439; Paola CECCARELLI, De la Sardegne à Naxos: le rôle des îles dans les Histoires d’Herodote, in: Impressions d’îles (wie Anm. 2), S. 41-55. Unter den wichtigsten archäologischen Funden können wir erwähnen: ein euböischer skyphos, datiert auf Ende des 9. Jh. v. Chr.; ein Becher auf chevrons, datiert auf die erste Hälfte des 8. Jh. v. Chr.; eine kotyle aus der zweiten Hälfte des 8. Jh. v. Chr. Zu diesen Funden vgl. allgemein mit weiteren Literaturhinweisen Marco RENDELI, La Sardegna e gli Eubei, in: Il Mediterraneo di Herakles: atti del Convegno di studi, 26-28 marzo 2004, Roma 2005, S. 91-124; Paolo BERNARDINI, Dinamiche della precolonizzazione in Sardegna, in: Contacto cultural entre el Mediterráneo y el Atlántico (siglos XII-VIII ane). La precolonización a debate, hg. v. Sebastian CELESTINO / Nuria RAFEL / Xose-Louis ARMADA PITA, Madrid 2008, S. 161-181; DERS., Le torri, i metalli, il mare. Storie antiche di un’isola mediterranea, Sassari 2010, S. 94-96.

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(NH 3, 85) Sardiniam ipsam Timaeus (FrHistGr 477, F. 11) Sandaliotim appellavit ab effigie soleae, Myrsilus (FrHistGr 477, F. 11) Ichnusam a similitudine vestigi. (Sardinien selbst bezeichnet Timaios nach der Form einer Sandale als Sandaliotis, Myrsilos wegen der Ähnlichkeit mit einer Fußspur als Ichnusa); (Üb. von Gerhard Winkler).

Diese Tradition ermöglicht uns unter anderem festzustellen, dass im 5. Jahrhundert diese Bezeichnung für Sardinien zur „common sense geography“ der Griechen dieser Zeit gehörte.55 Die oben in Betracht gezogenen Texte zeigen eine Wahrnehmung der vom Meer umgebenen Inseln als Figuren, welche in manchen Fällen die Herausbildung der Inselnamen bedingen. Es sei auch gesagt, dass die Entstehung dieser Bezeichnungen, wie beispielsweise die früheren Namen Siziliens und Sardiniens bezeugen, auf eine direkte Erfahrung der Griechen mit den Inselküsten, die umsegelt und auf einer Karte aufgezeichnet werden, zurückzuführen sind. In diesem Fall hat ein mentales Modell (eine Figur kann als ein mentales Modell betrachtet werden) bei der Erfassung, Definition und Denomination einer territorialen Einheit eine entscheidende Rolle gespielt.

VII. Zusammenfassung Im Rahmen dieses Beitrags habe ich, wie ich hoffe, die Art und Weise gezeigt, inwiefern die Insel bzw. die Insularität eine wichtige Kategorie zur Wahrnehmung, Erfassung und Definition geographischer Räume in der Antike darstellte. Die Inseln wurden nicht nur als Räume der Utopie angesehen, wo fantastische Lebenswesen, Götter und Magier wohnten, oder als Sitz einer utopischen Gesellschaft, wie im Fall von Atlantis. In der historischen Realität des 8. Jahrhunderts v. Chr. wurden sie sowohl bei den Griechen als auch bei den Phöniziern als ideale Orte betrachtet, in denen die ersten Kontaktaufnahmen mit den lokalen Völkern der unbekannten westlichen Regionen stattfinden konnten. Ein Ortsname wie Pithekoussai scheint in der Tat diese Rolle als Grenzgebiet zum Unbekannten widerzuspiegeln. Die römischen Wohnkomplexe, gerade weil durch Straßen umgeben und begrenzt, konnten als Inseln angesehen und bezeichnet werden. Die überflutete Nillandschaft und die hochgelegenen Städten und Dörfer konnten per Analogie mit Meer und Inseln verglichen werden. Als wichtige Orientierungspunkte in den Wüsten dienten die mit den Inseln verglichenen Oasen. Die Verschiedenheit der Inselformen, auf die häufig die Inselnamen selbst zurückgehen, sorgte auch für die varietas der immensa spa-

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Zum Begriff „common sense geography“ vgl. Anca DAN / Klaus GEUS / Kurt GUCKELSBERWhat is Common Sense Geography? Some Preliminary Thoughts from the Historical Perspective, in: Common Sense Geography (wie Anm. 1). GER,

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tia des Meeres. Dies sind nur einige der vielen Aspekte der Inseln, welche eine nähere Betrachtung der Quellen zu erschließen ermöglicht. Darüber hinaus erweist sich die Insel, als ein mentales Modell, auch als ein Medium für Wissenstransfer56, das schon in der Antike eingesetzt wurde, um in Form von Metaphern und Analogien Informationen zu anderen Räumen besser zu vermitteln. Das ist beispielsweise der Fall bei der Schilderung der nilotischen Landschaft, die durch die analogische Verwendung des Binoms Insel-Meer veranschaulicht wird. Da wir uns auf literarische Texte stützen, muss man mit der griechischen und lateinischen Kultur vertraut sein, um den Sinn der in diesen Texten vermittelten Informationen richtig entschlüsseln zu können. Die Bezeichnung insulae für die römischen Wohnkomplexe wird beispielsweise dank unserer archäologischen Kenntnisse im Gebiet der römischen Zivilarchitektur verständlich. Mentale Modelle können auch die verschiedenen Ebenen des Wissens überbrücken, indem sie denselben Gegenstand in unterschiedlichen Wissensformen präsentieren. Denn es reicht aus, nur einmal eine Insel gesehen zu haben, um eine Vorstellung dieser territorialen Einheit zu gewinnen und ihr Bild zur besseren Erfassung anderer Gegenstände oder Begriffe zu verwenden. Aus dieser Sicht erweisen sie sich als an neue Erfahrungen adaptierbar, weil sie gegenwärtige mit neuen Erfahrungen verknüpfen können.

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Dazu vgl. Beobachtungen in RENN / DAMEROW, Mentale Modelle (wie Anm. 1), S. 313f.

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Islands, Borders and Migratory Transnationalism: The Case of South Moroccans in the Canary Islands I. Introduction When we think about European islands and migration, most of us tend to focus our attention on residential tourism or boat people. In the first case because many of these islands specialise in tourism and attract (part-time) residents, and in the second case because we have all seen images of poor migrants in small, overcrowded boats trying to reach the European continent and what they encounter first during the maritime part of their migration are islands located in the interstitial spaces between continents. The Canary Islands have experienced both of these migration flows. More than half of their foreign population comes from European countries and many of them chose the Canaries for leisure activities, while the remaining Europeans work there, frequently in areas linked directly or indirectly to tourism. But the Canaries are also part of the irregular maritime migration routes taken by Africans to Europe. From the late nineties onwards the Canaries became more important as an alternative Atlantic route to Europe, used for by-passing the increasingly impermeable Mediterranean borders. Apart from this stepping stone function of islands in international irregular migration, the Canaries are also favoured as a permanent place of residence by a specific segment of African migrants. Moroccans are the most important group among them. The presence of Moroccans in the Canaries is not new and their migration networks are fairly consolidated, particularly in the oriental islands of Lanzarote, Fuerteventura and Gran Canaria. Not by chance are these destinations the islands nearest to the southern Moroccan coast (just over 100 kilometres at the closest point) and irregular maritime crossings have been chosen frequently as a mode of entry when restrictive immigration policies narrowed the channels for legal migration. It is this community of Moroccan migrants who settled in the Canaries that we focus on in this text, the main objective of which is to analyse the incipient transnational social field that covers the areas of origin of the emigrants in the south of Morocco, and their current places of residence in the south of Spain, specifically in the Canaries. This south-south nexus between two neighbouring countries is set in a particular border context since, despite being neighbouring regions, they are separated by a relatively impermeable border between a member State at the south of the European Union and a non-member State in northwest Africa.

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It is this particular geopolitical context that makes research on the transnational activities of Moroccan migrants in the Canaries more interesting, because it allows us to observe a combination of geographical proximity (neighbourhood), political disconnectedness (border regions) and islandness (maritime borders) and ask how this combination impacts migratory transnationalism. By doing so we have to explicitly introduce the notion of space into our understanding of the transnational activities of migrants as we look for the spatial dimension of social fields, an issue frequently neglected by the literature on migratory transnationalism. Additionally, our case study also focusses on the influence of restrictive border management on transnational social fields in island contexts, while most of the literature on island border management excludes transnational activities. The article is divided into four parts. The first will cover some basic conceptual and theoretical considerations about islands, borders and migratory transnationalism. The second introduces information about the geopolitical context of the Canary Islands near the West African coast. The third presents our research results about the transnational activities of Moroccan migrants living in the Canaries. The last section concludes.

II. About Islands, Borders and Migration 1. Islands and Migration A social study of islands raises the question of whether the geographical status of an island, a relatively small territory surrounded by ocean, is relevant to the social reality of its inhabitants. Different terms are used to group these features derived from an insular condition, the most frequent being “insularity” or “islandness”. The first of these, insularity, is more typical among economists, while the second, islandness, is favoured by anthropologists. Some authors use these terms interchangeably, others explicitly differentiate between them and yet another group often opts for one without making reference to the other. Hache relates insularity to the quantifiable effects on the geography and economy, while islandness involves perceptions and notions that are harder to quantify.1 Others, like Baldacchino2, prefer the term islandness for its lack of the negative and deterministic connotations they see in the concept of insularity. Since the subject of this paper includes both quantitative and qualitative 1

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Jean-Didier HACHE, Towards a Political Approach to the Island Question, in: Competing Strategies of Socio-Economic Development for Small Islands, Institute of Island Studies, ed. Godfrey BALDACCHINO / Robert GREENWOOD, Charlottetown 1998, pp. 31-68, here p. 41. Godfrey BALDACCHINO, Editorial: Introducing a World of Islands, in: A World of Islands: an Island Studies Reader, ed. IDEM, Malta/Canada 2007, pp. 1-29, here p. 15.

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aspects, and since the concept of islandness is broad and not associated with deterministic connotations3, we will use this term in what follows. With regard to the analytical relevance of the concept of islandness, our stance is that an analysis of the particularities of social systems on islands does not require new theories or measurement instruments, though this does not rule out the possibility of finding unique social phenomena on islands.4 The relationship between islandness, as a set of geographic, economic, social and political qualities of insular spaces, and connectivity is ambiguous. On the one hand, the concept of insularity relates more to the isolation and closure of island boundaries, one in which the challenge to the social and economic development of these insular spaces is to overcome their remoteness to the mainland. On the other hand, the elevated degree of openness of many islands through their inclusion in international and transnational networks, has given rise to a distinction between broadly connected “nodal islands” and “marginal islands” that suffer the consequences of isolation.5 The openness and connection of insular spaces have given rise to cultural mixtures and fusions, creating island cultures that draw on multiple influences. Cultural transnationality, then, is not at all foreign to these cultures, and migratory transnationalism is an important part of it. Migration is an expression of the social connectivity that links islands to other spaces, both because these nodal connections are a primary cause of migratory movements and because social ties stem from migration that persevere long after the fact. As a result, it is no surprise that nodal islands exhibit high rates of both incoming and outgoing external migration. This openness is due not only to their insertion in financial and social networks, but also to their reduced size, which usually has associated with it a higher degree of openness.6 In turn, the migratory flows of many European islands feature several segments: regular migration for work purposes, migration for pleasure (residential tourism) and irregular migration by sea (boat people). Lampedusa, Malta and the Canaries gained notoriety in the mass media for their role in the irregular maritime migrations from Africa to Europe, but they are also tourism destinations with their associated residential and labour immigration. As a result, these constrained areas that often have high population densities see a superimposition of different types of mobility, various origins and multiple cultures. 3

4 5 6

Rebecca Erinn JACKSON, Islands on the Edge: Exploring Islandness and Development in Four Australian Case Studies, Tasmania 2008, p. 48: http://eprints.utas.edu.au/7566/2/RJackson_Islands_on_the_Edge_2008_02whole.pdf. Dirk GODENAU / Raúl HERNÁNDEZ, Insularidad: ¿Un concepto de relevancia analítica?, in: Estudios Regionales 2,45 (1996), pp. 177-192. Russell KING, Geography, Islands and Migration in an Era of Global Mobility, in: Island Studies Journal 4,1 (2009), pp. 53-84, here p. 63. See, for example, the statistical correlation between rates of economic openness (the sum of exports and imports in terms of GDP) and the size of the country. China’s economy will be less open that Luxembourg’s, despite the former’s specialised export market, due to the huge size of its domestic market.

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Moreover, there are functional links among different migratory flows and segments. For example, specialisation in tourism results in leisure-related migrations that, in turn, affect the labour profiles in local job markets. A typical consequence of this is the migration of people of the same nationality as that of the residential tourists, who go on to provide the services to this concentrated population in specific residential enclaves. Irregular maritime immigration in islands can be high if they are part of international migration routes, as is the case of the Canaries. Some islands are located in the interstitial spaces7 between continental States and can act as stepping stones between the two. Islands can be independent States or be part of a mainland State. When islands are an insular region of a State, they can be viewed as an outpost through which migrants can eventually reach the mainland. In the case of an insular State, its sovereignty implies the power to design and implement its own migratory policies, with all of the difficulties that may entail if the island State lacks its own resources (e. g. Malta as a European Union State). The fact that many irregular immigrants do not stay on the island where they arrive should not be interpreted as proof of the destinations the migrants themselves had in mind. The perception of islands as being exclusively places of migratory transit could be faulty. Even among those immigrants irregularly crossing the border by sea, there could be groups for whom these islands were their intended destination. The analysis made by Falzon8 of the social construction of the transitory nature of these migrations by part of Malta’s society shows how the perception of living in a reduced and vulnerable space is at work on islands and gives rise to narratives about transitoriness as a desirable attribute of migrations in the face of the danger posed by “avalanches” or “invasions”. If in addition, in the case of border islands, the coastal boundary coincides with a national border, then repatriation and diversion operations by the state symbolise transit and represent the effectiveness of the protection of an island area perceived as vulnerable.

2. Bordering Islands Migration is the movement of people through physical areas using different modes of transport. The costs and risks of these movements are conditioned not only by the distance and natural barriers, because the intermediate obsta-

7

8

Ana María LÓPEZ-SALA / Valerio ESTEBAN-SÁNCHEZ, La nueva arquitectura política del control migratorio en la frontera marítima del Suroeste de Europa: los casos de España y Malta, in: Migraciones y fronteras. Nuevos contornos para la movilidad internacional, ed. María Eugenia ANGUIANO / Ana María LÓPEZ SALA, Barcelona 2010, pp. 75-102, here p. 78. Mark Anthony FALZON, Immigration, Rituals and Transitoriness in the Mediterranean Island of Malta, in: Journal of Ethnic and Migration Studies 38,10 (2012), pp. 1661-1680.

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cles9 between the origin and destination of the migration also include borders. In international migrations, borders, through the use of restrictive immigration policies, have a clear selective effect on flows.10 It is borders that differentiate international from domestic migrations and, in turn, generate the differences between regular and irregular migrations. Given the importance of borders in international migrations, a clarification is in order regarding the meaning of a border in the social sciences. Concepts like frontier, boundary and border have a geographic dimension (like lines or areas) and separate the inside from the outside. This process of bordering by Sovereign States is a social construct that is contextualised (embeddedness) and conditioned by the past (path dependency). In this sense, borders are territorial/international boundaries and “social, cultural and political constructs that are made meaningful and exploited by human beings as part of the institutionalisation process of territories. Boundaries, territorial symbolism and institutions that maintain and reproduce these very elements are, in a way, divergent sides of the same process of territory production. Boundaries matter because they are a means of organizing social space, they are a part of place making. Drawing boundaries is always an act of power”.11 Borders can be interpreted as social institutions. In general terms, a social institution can be defined as the set of rules that allows agents to create expectations regarding the interactions that can be maintained, more or less stably, with others. In the words of North, “institutions are the rules of the game in a society or, more formally, are the humanly devised constraints that shape human interaction”.12 Their channelling effect on behaviour stems from the reduction in uncertainty by structuring alternative options: “institutions define and limit the set of choices of individuals”.13 In keeping with Anderson, “the frontier is the basic political institution: no rule-bound economic, social or political life in complex societies could be organised without them”.14 Borders comprise a set of rules that regulate the bilateral and multidimensional permeability for incoming and outgoing flows.15 As the interface between (at least) two States, borders are bilateral and have two facets, one for each State. But the same facet is not shown to every other 9 10

11 12 13 14 15

Everett S. LEE, A Theory of Migration, in: Demography 3,1 (1966), pp. 47-57. Worlds in Motion. Understanding International Migration at the End of the Millennium, ed. Douglas S. MASSEY / Joaquín ARANGO / Graeme HUGO / Ali KOUAOUCI / Adela PELLEGRINO / J. Edward TAYLOR, Oxford 1998. Anssi PAASI, Europe as a Social Process and Discourse. Considerations of Place, Boundaries and Identity, in: European Urban and Regional Studies 8,1 (2001), pp. 7-28, here pp. 22f. Douglas C. NORTH, Institutions, institutional change and economic performance, Cambridge 1990, p. 3. Ibid., p. 4. Malcolm ANDERSON, Frontiers. Territory and State Formation in the Modern World, Cambridge 1997, p. 1. Dirk GODENAU, An Institutional Approach to Bordering in Islands: The Canary Islands on the African-European Migration Routes, in: Island Studies Journal 7,1 (2012), pp. 3-18.

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State (consider the concept of Third Countries used in the European Union). The multi-dimensionality of borders means that cross-border flows consist of both people and goods-capital with many interdependencies between these types of flows (for example, flows of capital condition flows of workers). Borders are selection devices that are used not only to restrict mobility, but also to enhance selected flows (e.g. preferential international trade agreements). With regard to border controls, the degree of permissiveness can be used as an informal regulatory mechanism when flows deviate from formal rules. Crossborder irregularity generates a market for contraband that is associated with the opportunity structures generated by the restrictive configuration of the border. Borders adapt to changes in objectives, available resources and mobility, including migrants. In this sense, borders “learn”. As Müller points out, “the spatial allocation of authority is the stable institutional core of the border, which remains unaffected over time. In contrast to this feature, the specific functions which are provided by borders are expressions of the institution’s flexibility”.16 The institutional change induced in borders reflects organisational modifications made in response to transformations in mobility. The implementation of this institutional change is not uniform in space or time due to a combination of limits in the resources available (the cost of control) and the need to enhance oversight (the benefits of control). As a result, implementing a greater degree of border control tends to be selective in space and gradual in time. Enhancing the control over one part of a border alters its relative permeability, making that part less appealing for irregular crossings than others where the status quo is maintained, and leads to a shift in the crossing strategies employed. As a part of the outermost borders of the European Union, many European islands are affected by their exposure to regular and irregular cross-border flows, be they migratory or of another nature, as well as by the implementation of border control strategies by national States and supranational organisations (like the EU agency FRONTEX). This exposure takes place in a maritime context, meaning that border management must adapt to this medium. What are the particularities of maritime areas in the formation and management of borders? According to Carling, it is more difficult and costly to monitor ocean than land areas, since the surveillance involves an area and not a line.17 This statement warrants clarification: “First, because the argument that maritime borders are areas and land borders are lines is conceptually wrong, as one can draw control lines on both shores and even at sea […]. Second, travelling on the high sea obliges journeys in groups: one cannot walk alone […]. 16 17

Andreas MÜLLER, Territorial Borders as Institutions. Functional Change and the Spatial Division of Authority, in: European Societies 15,3 (2013), pp. 353-372, here p. 354. Jorgen CARLING, Migration Control and Migrant Fatalities at the Spanish-African Borders, in: International Migration Review 41,2 (2007), pp. 316-343, here p. 324.

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Third, control costs vary due to many reasons, not only the length or extension of the border itself […]. Fourth, maritime borders can be too dangerous during part of the year and this natural impermeability lowers control efforts and costs”.18 Although the costs of controlling them are not necessarily higher than in land contexts, maritime transits have some features that merit special consideration. One such feature is the elevated propensity to travel in groups due to the high costs of individual transportation. Migrants move in groups, typically with the aid of smugglers who are familiar with the sea. Another feature involves international waters. There can be large interstitial areas between States separated by water that do not belong to either and where the rules of sovereignty and transit that exist in terrestrial contexts do not apply. A third feature is the technical mix that is required to control maritime borders. Monitoring a (relatively) flat and broad area with no predefined routes (there are no roads to travel on) affects the choice of technologies and differentiates between crossing detection and detention/diversion operations. Detection employs longrange devices (satellite, radar, airplane), while detention and rescue require the movement of personnel. The European Union’s EUROSUR initiative reveals the current strategy in use for implementing border controls in maritime borders.19 Its goal is to reduce the pressure on coastal entry points by detecting, intercepting and diverting during the migratory crossing phase, meaning that “border surveillance measures are risk analysis and intelligence-driven (no fences, no walls)”.20

3. Migratory Transnationalism in Bordered Islands Islands that form part of national or supranational borders are subject to a bordering process, whereby their geographical position at the border is combined with their status of belonging to the States that are the destinations of irregular migration. Their appeal as a stepping stone to the mainland is conditioned by the migrants’ expectations of being intercepted and subsequently diverted to the mainland. In this sense, most irregular migrants who reach these islands do 18 19

20

GODENAU, An Institutional Approach (as n. 15), p. 5. EUROPEAN COMMISSION, Examining the creation of a European Border Surveillance System (EUROSUR), Communication from the Commission to the European Parliament, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions, COM (2008) 68 final, Brussels, 13.2.2008; EUROPEAN COMMISSION, Determining the technical and operational framework of the European Border Surveillance System (EUROSUR) and the actions to be taken for its establishment, Commission Staff Working Paper SEC (2011) 145 final, Brussels, 28.1.2011; Julien JEANDESBOZ, Beyond the Tartar steppe: EUROSUR and the ethics of European border control practices, in: Europe under Threat? Security, Migration and Integration, ed. J. Peter BURGESS / Serge GUTWIRTH, Brussels 2011, pp. 111-132. Oliver SEIFFARTH, Proposal for a Regulation Establishing EUROSUR, presentation at PERSEUS Annual Conference 2012 Edition, 29/03/2012, Brussels, p. 7.

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so with the intent of making it to the national or supra-national territory to which these islands belong, and not necessarily of staying on the islands. Still, while recognising their importance as migratory stepping stones, there are also irregular migrants who arrive by sea and settle on these islands. Border regions, be they islands or not, occupy an interesting place for studying the impact of borders on migrations and on the transnational activities of migrants. After having passed the border as migrants, people tend to keep in touch with their friends and relatives on the other side of the border. Multiorigin populations living in nation-states’ territories therefore are linked to other places through social fields which cross borders. Social connectivity, produced and maintained by migration, impacts bordering efforts and, at the same time, is influenced by border management. On the one hand, crossborder mobility is expected to be higher between neighbouring border regions due to their proximity. Consider, for example, neighbouring regions in Europe that belong to different States with borders that allow for the free movement of people. On the other hand, these integrating effects of proximity can be altered and even nullified by an impermeable border. Such is the case of the islands that make up the European Union’s outermost borders, where we see flows that are regarded as irregular, as they lie beyond the filter of regularity that is offered by the border. Are the intensity and profile of transnational activities different between two neighbouring regions when these regions are separated by an impermeable border? Relating the subject of migrations in border islands to the phenomenon of migratory transnationality requires a comment on the concepts of social field, a term widely used in the literature on transnationality and islandness. Both concepts combine two dimensions: spatial and social. And even though the social field has spatial connotations, in the definition given to it by Bourdieu this spatial dimension is not inseparable from it. As for islandness, it goes beyond a merely spatial delimitation and implies social connotations. In this regard, social islands are relatively isolated social fields, whether they are located on geographical islands or not (for example, an isolated town in the mountains or desert). Typically, geographical islands are not social islands and comprise broader social fields. The exact extent depends, among other factors, on how well the islands are integrated into the national States. In the literature on transnationalism we can find the concept of “transnationalism from below”21, which refers to the counter-current extension of transnational social fields despite such cross-border links not being encouraged, or even being actively interfered with, from above. Borders are one important element that is able to stop migratory transnationalism. This is because their selective nature affects the magnitude and composition of migratory 21

Michael Peter SMITH / Luis Eduardo GUARNIZO, The Locations of Transnationalism, in: Transnationalism from Below. Comparative Urban and Community Research, ed. Luis Eduardo GUARNIZO / Michael Peter SMITH, 1998, pp. 3-34.

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flows. For example, if the border conditions a large proportion of irregular migration, the profile of its transnational activities will be different from that of other migrants who can move freely. Trips to visit a country of origin will probably be less frequent in the former, even if the trip is to a neighbouring region just a few kilometres distant. It is this contrast between geographical proximity and institutional separation that makes border islands such an interesting case study when determining the impact of institutional aspects on transnational social fields.

III. Embeddedness and Path-Dependency: the Context of the Canary Islands An analysis of the transnational social fields generated by migratory flows requires a study of both their historical and their current geopolitical context. In our case, the neighbouring border regions under consideration are the Canary Islands and southern Morocco, specifically the regions of Suss-Massa-Draa and Guelmin-Esmara. We will first focus on the patterns of migratory movement in the Canaries, paying particular attention to irregular maritime migrations. We will then describe the Moroccan system of emigration, emphasising the characteristics of the Moroccan-Spanish border in this specific geographical location.

1. Migration Patterns in the Canaries The Canary Islands have a population of over two million inhabitants. They also receive over ten million tourists every year. This high demographic density of over 280 inhabitants per square kilometre was reached after a population boom in the second half of the 20th century. While immigration in the 1970s and 1980s was associated with the return of former emigrants from America and with the immigration of retirees from Europe, labour immigration from mainland Spain and from America started growing rapidly in the 1990s. This growth in labour immigration stemmed from the economic boom in Spain between 1995 and 2007, after which the impact of the international financial crisis caused a considerable decline in immigration. Much of the immigration to the Canaries recently has been from Europe and South America. In 2012, 60% of the foreign population residing in the archipelago was European and 26% was American (Table 1). The neighbouring continent, Africa, only contributed 9% to the foreign population.

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Nationality European African American Asian Others Total

2000

2012

Annual growth rate

% of total foreign population in 2000 61.7

% of total foreign population in 2012 59.9

47,647

186,210

12.0

7,382

28,373

11.9

9.6

9.1

15,412

81,325

14.9

20.0

26.2

6,589

14,813

7.0

8.5

4.8

166

120

-2.7

0.2

0.0

77,196

310,841

12.3

100.0

100.0

Table 1: Foreign resident population in the Canary Islands by nationality, 2000 and 2012; Source: INE. Population Records. Author’s calculations.

As is the case in Spain in general, a considerable segment of non-EU immigrants who entered the Canaries in the first decade of the 21st century did so irregularly, subsequently legalising their status through extraordinary regularisations. This irregularity does not normally involve an irregular border crossing, but rather results from overstaying tourist visas after regular entries through airports. In this regard, maritime irregular immigration, so prevalent in the mass media22, barely contributed to the demographic growth of the Canaries. Irregular maritime immigration peaked temporarily in the Canaries in the first decade of the 21st century (see Figure 1), reaching a maximum of 30 thousand arrivals in 2006 during what was called the “cayuco crisis”, in reference to the type of fishing vessel utilised on the voyages from the countries in western Africa. It should be noted, however, that these flows had already started, albeit somewhat timidly, in the 1990s on vessels from the Moroccan coasts carrying Moroccan migrants, while during the period of peak arrivals the migrants were primarily from sub-Saharan countries (Senegal, Mali). Also worth noting is the fact that following the sharp reduction in arrivals in 2009, resulting from the sealing off of this Atlantic route by Spanish and European authorities, a small number of vessels is still arriving, once more departing from Moroccan coasts and carrying Moroccan migrants. Thus, irregular maritime migration has varied both in intensity and composition over the course of several phases. The first, until the year 2000, was low in intensity and involved short voyages from Morocco mainly by Moroccan nationals; the second, lasting from 2000 to 2005, was characterised by its intensity and by the diversity of the points of origin of the increasingly long voyages; the third, lasting from 2005 to 2009, saw a peak in the intensity and predominance of sub-Saharan migrants; the fourth phase started in 2009 and has seen a return to the characteristics of the 1990s, which fewer migrants, most of them making the short crossing from Morocco. 22

Hein de HAAS, The Myth of Invasion. Irregular migration from West Africa to the Maghreb and the European Union, Oxford 2007.

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These changes are explained, though only in part, by the growing impermeabilisation of Spain’s border with Morocco. The introduction of stricter visa requirements by Spain caused a substantial drop in the possibility of legal immigration from Morocco, leading to a growth in the amount of irregular migration. The corresponding increase in the number of irregular maritime arrivals triggered the so-called sealing off of the Straits of Gibraltar from 2000 to 2005. This closing off of the Mediterranean route made the Atlantic route via the Canaries more appealing. Subsequent cross-border cooperation between Spain and Morocco shifted the departure points further south in western Africa, which required expanding efforts to seal off maritime routes to the Canaries from 2006 to 2009, an endeavour that called for the active involvement of the European agency FRONTEX in deterring arrivals. The result of this “Europeanisation” of the Spanish border between the Canaries and the African continent is that two neighbouring regions, the south of Spain and the south of Morocco, separated by a strip of ocean less than 100 kilometres across at its narrowest point on Africa’s Atlantic coast, are under strict surveillance for clandestine migrations following a gradual sealing off that took place after a large number of recently arrived Moroccan immigrants entered the Canary Islands through the clandestine maritime routes. 45000 40000 35000 30000 25000 20000 15000 10000 5000 0

Canary Islands (Atlantic corridor) Strait of Gibraltar (Mediterranean corridor) Figure 1: Irregular immigrants arriving in Spain. Maritime routes (1999-2012); source: Ministry of Interior.

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2. Moroccan Emigration An analysis of the transnational activities of Moroccan migrants residing in the Canaries requires some knowledge of the area’s historical, economic and geopolitical context. The functions of Morocco in international migratory flows stem from its status as a North African neighbour of Spain and a nonEU member. Its position on Spain’s border has turned Morocco into a country from which Moroccans emigrate to the European continent and into a transit region for migratory routes from Africa to Europe. In managing Spain’s and the European Union’s strategy of deterring irregular maritime immigration, Morocco has taken on a key role in international cooperation against migratory irregularity though border controls and readmission agreements. Moroccan emigration to Europe has gone through various phases.23 Until the 1960s, it involved males emigrating for labour purposes mainly to France, a by-product of the latter’s colonial system. Starting with the financial crisis of the 1960s and until 1990, the closing of European countries to workers from the Maghreb caused an increase in migration for purposes of reuniting family ties, with the diversification of destinations shifting primarily to Italy and Spain. A third phase began in the late 20th century, with Moroccan emigration growing and its destinations diversifying considerably, with Spain gaining more importance than in the previous phases. Such was the extent of this emigration that Berriane speaks of the “Moroccan diaspora”24, with over 3 million emigrants living abroad while at the same time maintaining cultural, economic and social ties with their areas of origin. During this period of growth in Moroccan emigration to Spain starting in the 1990s, the Canaries grew in importance as a destination, while still falling short of regions such as Catalonia, Andalusia and Madrid. This growth in the number of arrivals in the Canaries became particularly apparent starting in the year 2000, associated with a high proportion of irregular migration and with the various extraordinary regularisations carried out by the Spanish government. A summary of this migratory pattern can be characterised by the emigration first of a young male, who then seeks a bride in the area of origin, returns to marry her and then tries to have her admitted to the country of destination as per the receiving country’s requirements. As regards the regions of origin in Morocco, immigration to the Canaries is characterised by a spike in flows from southern regions, with most recent arrivals departing from places like Sidi Ifni, Tan-Tan and Agadir, versus provinces like Casablanca, Nador or Tangier, which offer structures for the older Moroccans living in the Canaries. The protagonism of enclaves like El-Aaiún has 23

24

Mohammed BERRIANE, La larga historia de la diáspora marroquí, in: Atlas de la inmigración marroquí en España, ed. Bernabé LÓPEZ GARCÍA / Mohammed BERRIANE, Madrid 2004, pp. 24-26. BERRIANE, La larga historia (as n. 23), p. 25.

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persevered during the most recent stage, with Guelmin increasing in prominence as a source of emigrants from 1994 to 2002. In this sense, the relative permeability of the maritime border as a stimulus to mobility takes on even more importance. The choice of the Canaries as a destination, as stated by some interviewees, is due to their proximity and to the lack of resources to travel to more distant destinations. The growing importance of the South-South nexus between the south of Morocco and the Canaries is not foreign to the evolution of Morocco’s domestic migratory system. Since Africa was colonised, the regional migratory system that connects the various places along Africa’s northwest coast has been affected by struggles over sovereignty. The traditional north-south land routes used for trading fish and farming products all along this coast were interrupted in 1975 by the bordering practices of Morocco, the country that exerts administrative power over Western Sahara.25 The conflict in Western Sahara, with Morocco to the north, Algeria to the east and Mauritania to the south, materialised into a war during the 1980s that led to a United Nations-monitored cease-fire (see MINURSO map, figure 2) and a proposed referendum on independence that never took place. As a result, the reduced permeability of the Morocco-Canaries border and the proximity to the conflict in Western Sahara is having an influence on migration flows, both domestically in Morocco and internationally from Morocco to the Canaries.

25

El Hassane EL MAHDAD / Lékbir OUHAJOU / El Madani MOUNTASSER, Marruecos meridional: una región de tradiciones migratorias arraigadas, in: Atlas de la inmigración marroquí en España (as n. 23), pp. 194-197.

212

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Figure 2: Map of the United Nations Mission for Western Sahara 2012; source: United Nations, MINURSO 2012. http://www.un.org/Depts/Cartographic/map/dpko/minurso.pdf

In this geopolitical context, the regions of Suss-Massa-Draa and GuelminEsmara, just north of Western Sahara and very close to the Canaries, act as a buffer zone for the regional policy of Morocco’s central government. They are

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213

located near the conflict areas, with the increased border control efforts that entails, and they are also the regions through which Western Sahara is being integrated into Morocco’s strategies for territorial development. Relations between the Canaries and these regions are conditioned by their peripheral and bordering positions in their respective national territories. Their location at the European Union’s border means that cross-border flows are subject to strict surveillance, and local and regional interests are not strong enough to expand and improve interregional relations between the Canaries and Suss-Massa-Draa, despite the opportunities for exchange. This artificially low connectivity between neighbouring regions remains on the sidelines of the talks in the European Union on normalising cross-border relations and on policies of regional integration with non-EU neighbouring countries (the European Union’s Wider Neighbourhood Policy at its Outermost Regions; European Commission, 2004). These rhetorical discussions do not question the status quo of the one-sided relationship at the MoroccanSpanish border, and they are not contributing significantly to the development of transnational activities, whether they involve migration or business. As a result, what one expects to find at the south-south border between the Canaries and south Morocco is a migratory “transnationalism from below” that opposes circumstances and is not supported by the States involved.

IV. Transnational Activities of Moroccan Migrants in the Canaries 1. Space and Borders in Migratory Transnationalism The focus of analysing migratory transnationalism is the transnational social fields created and supported by the activities of migrants in different places and institutional contexts. The transnational approach shifts the focus of attention from being placed solely on a given territory (State), criticised as “methodological nationalism”, toward “the new modalities of social, territorial and cultural reproduction of identity in conditions of geographic mobility”.26 In this sense, the transnationalist approach seeks to expand the analysis to include the areas of origin of the migrants while at the same time focusing on the transnational social spaces that can result from a significant and continuous cross-border activity involving both the migrants themselves and the other members of the social networks of which they are a part.27 26

27

Giulia SINATTI, Migraciones, transnacionalismo y locus de investigación: multilocalidad y la transición de ‘sitios’ a ‘campos’, in: Nuevos retos del transnacionalismo en el estudio de las migraciones, ed. Carlota SOLÉ / Sonia PARELLA / Leonardo CAVALCANTI, Madrid 2008, pp. 91-112, here p. 103. Stephen VERTOVEC, Migrant Transnationalism and Modes of Transformation, in: International Migration Review 38,3 (2004), pp. 970-1001; IDEM., Trends and Impacts of Migrant

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Whether explicitly or implicitly, the concept of a social field comprises a frame of reference for the transnationalist approach. According to GlickSchiller and Levitt28, “the concept of a transnational social field as a network of networks –called by various authors a transnational space, circuit or social formation– allows us to examine how migrants can live within and across states at the same time”. If, in keeping with Bourdieu, the social field is generally defined as a system of social relationships characterised by the possession and production of a specific form of capital, the question becomes what does this capital consist of in the case of the transnational fields of migrants, and how are the structured relations among participants reflected in their habitus, by which we understand a subjective system of expectations and predispositions acquired through a person’s experience and that reflects the social influence in individual behaviours. When analysing the transnational fields created by migratory ties and networks, space becomes a relational concept and stops being considered solely as a geographical or physical entity.29 Pries proposes a definition and analysis of the social space that does not ignore the geographic context: “A given societal space must be regarded as a dense and durable configuration of social practices, systems of symbols and artefacts. It can either extend over one contiguous geographic space or span plurilocally different geographic spaces. […] According to the classical reasoning of John Stuart Mill, two conditions should be fulfilled in order to construct or identify societal spaces: (1) the commonality of features […] within the societal space should be significantly greater than the commonality of features shared by it and other societal units; and (2) the differences […] within the societal space should be significantly less than those between it and other societal units”.30 This combination of intra-homogeneity and extra-heterogeneity is the basic criterion in delimiting social fields. The spatial dimension of social reality is channelled through its effects on the intensity and relational homogeneity within a social field. On the one hand, spatial proximity between the players

28

29

30

Transnationalism, in: Policy and Society Working Paper, num. 3, Centre on Migration, University of Oxford 2004. Nina GLICK SCHILLER / Peggy LEVITT, Haven’t We Heard This Somewhere Before?: A Reply to Waldinger and Fitzgerald, Working Paper 06-01, Center for Migration and Development, Princeton 2006, p. 13: http://www.transnational-studies.org/pdfs/Waldinger_Reply.pdf. EADEM, Nuevas y viejas cuestiones sobre localidad: teorizar la migración transnacional en un mundo neoliberal, in: Nuevos retos del transnacionalismo en el estudio de las migraciones, ed. Carlota SOLÉ / Sonia PARELLA / Leonardo CAVALCANTI, Madrid 2008, pp. 21-46; Nina GLICK SCHILLER / Ayse ÇAGLAR, Migrant Incorporation and City Scale: Towards a Theory of Locality in Migration Studies, Willy Brandt Series of Working Papers in International Migration and Ethnic Relations 2/07, Malmö Institute for Studies of Migration, Diversity and Welfare (MIM) and Department of International Migration and Ethnic Relations (IMER), Malmö University 2008: http://muep.mah.se/handle/2043/5935. Ludger PRIES, Configurations of Geographic and Societal Spaces: a Sociological Proposal between ‘Methodological Nationalism’ and the ‘Spaces of Flows’, in: Global Networks 5,2 (2005), pp. 167-190, here p. 186.

ISLANDS, BORDERS AND MIGRATORY TRANSNATIONALISM

215

facilitates contact between them, thus making it more probable that the social fields will have territorial continuity. On the other hand, given the current technical possibilities, contact between distant places is less and less costly, and as a result migrants can more easily remain in touch with relatives and friends in the country of origin. Moreover, the effects of spatial proximity on social relationships are also modulated by territorial institutionalisation through borders: places close to each other can be made distant through institutional separation. It is well known that internal homogeneity can be reinforced by the bordering process31, as the selective handling of exchanges with the outside facilitates the establishment of specific domestic policies, creating and reinforcing feelings of belonging through national rules and symbols. Curiously, the functions that bordering processes have on the development and profiles of transnational social fields have not received much attention in the literature on migratory transnationality. In contrast, the literature on international migrations does not usually focus on social fields, but rather on managing borders with respect to how effective they are at controlling migratory flows. Borders do affect transnational activities, however, and an analysis of borders should include their effects beyond the generic debate of whether States matter or not in the development of transnational social fields.32

2. Methodological Implications and Field Research The study of transnational fields requires designing and implementing field work from a multidisciplinary perspective that allows integrating the cultural, political, economic and social aspects of the transnational phenomenon. The findings that are presented below stem from the information gathered both in Suss-Massa-Draa and in the Canaries by the Tenerife Immigration Observatory during extensive field work.33 The theoretical references used in our research were the transnational and the livelihood approaches, since both coincide in their efforts to reconcile agency (the individual) with structure (society), placing the emphasis on studying the home and the family (meso level). Those families with members residing in Morocco and the Canaries are the basic unit of our empirical analysis, as they are regarded as implementing the individual and collective strategies in which migratory mobility is considered as one more resource from 31

32 33

James ANDERSON / Liam O’DOWD, Borders, Border Regions and Territoriality: Contradictory Meanings, Changing Significance, in: Regional Studies 33,7 (1999), pp. 593-604, here p. 596. Roger WALDINGER / David FITZGERALD, Transnationalism in Question, in: American Journal of Sociology 109,5 (2004), pp. 1177-1195. Juan Salvador LEÓN SANTANA / Dirk GODENAU, Connecting the Disconnected. The Migratory Transnationalism of Moroccans in the Canary Islands, in: SHIMA: The International Journal of Research into Island Cultures 7,2 (2013), pp. 55-73.

216

DIRK GODENAU

among the strategic options available. Therefore, an understanding of the resource of migration and the use of transnational activities through family ties must recognise the comprehensive nature of family strategies. Migration must not be treated as an individual decision isolated from family systems and social networks. So as to calibrate, characterise and explain the transnational activities of Moroccan migrants living in the Canaries, we employed a mix of quantitative and qualitative social research techniques. In addition to interviews with experts in the Canaries and Morocco, and to the onsite visits to the residential settings of the migrants and their relatives in both countries, the primary research instruments used were a survey of 400 Moroccan migrants and in-depth interviews of 28 family units, including the migrants residing in the Canaries and direct relatives in the areas of origin. The purpose of the interview was to ascertain the extent, intensity and profiles of transnational activities so as to quantify the proportion of the so-called transmigrants (migrants who engage in a considerable amount and range of transnational activities). The in-depth interviews, however, only involved families regarded as transnational. Their aim was to determine the family structures and strategies, their migratory and labour histories and the functions and contributions of transnational activities in this context. In our study the survey and the interviews complement each other. The former is used to analyse the migratory pattern and to contextualise and quantify the transnational activities, while the qualitative technique is used to analyse the processes, the multi-location strategies of individuals and groups, the migrants and their families in their transnational community setting.

3. Common and Different Elements of Migratory Transnationality at the Canaries-Morocco Border The survey included questions about transnational activities, such as telephone/internet contact with the place of origin, regular remittances, trips to the place of origin, investments at the place of origin and involvement in development aid associations. The results were used to calculate a synthetic indicator of transnationality establishing three levels: maximum transnationality (three or more of these types of activities are regularly carried out); medium transnationality (two types of activity); low transnationality (only one or none of these activities is carried out). Our findings indicate that 21.8% of the cases fall under the category of maximum transnationality, while 39.2% of respondents are in the intermediate category, with a similar percentage (39%) not fulfilling any of the established criteria. The fact that more than one-fifth of migrants engage in three or more

ISLANDS, BORDERS AND MIGRATORY TRANSNATIONALISM

217

types of transnational activity on a regular basis can be regarded as a high value.34 The profile of transnational activities detected by the survey features the following components. Of particular relevance are the transnational activities associated with financial transactions (remittances, visits to place of origin, investments). This is to be expected in the context of emigration motivated by economic reasons. These transactions were mostly limited to family settings, with contributions to associations in the place of origin and investments unrelated to supporting the family being far less common. The socioeconomic profile of the emigrant population is also relevant to this aspect, since the analysis of the socioeconomic stratification of the 28 family units that were interviewed in detail shows that the most financially solvent families typically invest more in both the place of origin and destination. The transnationality profile of migrants with fewer economic resources, however, tends to show sporadic remittances of lower value intended to support the family, and online/telephone contact, with trips to the place of origin and investments being less frequent. With regard to the socioeconomic factors that determine the intensity of transnational activities, our findings reveal positive correlations between the arrival timeline, income, level of education, place of birth and residential pattern (Table 2). This leads to the following simplified pattern for transmigrant Moroccans residing in the Canaries: He is a male residing more than seven years at the destination, a small business owner, self-employed or qualified service worker with a university degree, with a spouse at the point of origin and who emigrated from a border region.35

34 35

Alejandro PORTES, Theoretical Convergencies and Empirical Evidence in the Study of Immigrant Transnationalism, in: International Migration Review 37,3 (2003), pp. 874-892. LEÓN SANTANA / GODENAU, Connecting the Disconnected (as n. 33).

218 Variable

DIRK GODENAU

Value

From 1 to 3 From 4 to 6 Years at From 7 to 9 current From 10 to 15 residence Over 15 Total Small business owner and/ or self-employed Scientific technicians and professionals Support technicians and professionals Restaurant and hotel workers Personal, protection services and salesmen Current occupation Craftsmen and construction Foremen Cleaners, domestic servants, kitchen helpers, etc. Industry and construction unskilled workers Agriculture and fishing unskilled workers Total Suss-Massa-Draa, Guelmin-Esmara Place of Rest of Morocco birth Total

Level of education

Spouse’s residence

Maximum De- Medium De- Low Degree of gree of Trans- gree of Trans- Transnationalinationality nationality ty 35.3 57.8 6.9 22.2 29.6 48.1 26.4 42.7 30.9 32.4 52.9 14.7 40.0 36.0 24.0 21.8 39.3 39.0 37.0

55.6

7.4

75.0

25.0

0.0

22.2

22.2

55.6

32.8

44.8

22.4

34.8

26.1

39.1

27.3

36.4

36.4

9.1

40.9

50.0

12.5

62.5

25.0

0.0

87.5

12.5

27.8

44.9

27.3

27.1

41.8

31.2

17.8

37.4

44.8

21.8

39.3

39.0

None

13.6

47.5

39.0

Primary school or less Secondary: high school or vocational school Higher education

17.6

45.4

37.0

21.7

35.4

42.9

36.8

31.6

31.6

Total

21.8

39.3

39.0

Lives with immigrant

19.0

40.5

40.5

Spouse at origin 30.8 53.8 15.4 Transnational activities considered: 1. Telephone/online contacts (telephone, internet, etc.); 2. Average no. of trips/year; 3. Frequency of remittances; 4. Investments at point of origin; 5. Involvement in associations that support the place of origin. Maximum DT (degree of transnational activities): satisfies 3 or more criteria; Medium DT: satisfies 2 criteria; Low DT: satisfies 1 or no criteria.

Table 2: Extent of transnationality based on socio-demographic determinants (horizontal %); Observatorio de Inmigración en Tenerife.36 36

Dirk GODENAU / Juan Salvador LEÓN SANTANA, El nexo fronterizo Sur-Sur. La transnacionalidad migratoria entre Marruecos y Canarias, Cabildo de Tenerife, Santa Cruz de Tenerife 2012, pp. 163-165, 168f.

219

ISLANDS, BORDERS AND MIGRATORY TRANSNATIONALISM

The variables with the highest influence are the years of residence in the Canaries and the professional and occupational status, both of which are related to the migratory destination. Long stays eventually consolidate the residential status (going from irregular to regular) and lead to social insertion (higher income, greater laboural stability). Those people who, at the time of the interview, had been living in the Canaries over seven years had the highest levels of transnationality, which remained relatively high among migrants with more than 15 years in the Canaries. This indicates that the passage of time does not undermine the evolution of the transnational field. As regards professional status, there were barely any unskilled workers in the group of migrants with maximum transnationality, with technicians and business owners being the norm. Some of the variables associated with the migrant’s place of origin, such as place of birth and family structure, also had an effect on the likelihood of transnational activities, though to a lesser extent. In the context of border regions, a noteworthy finding in our research is that migrants who originated in the neighbouring regions of Suss-Massa-Draa and Guelmin-Esmara had a higher propensity toward transnationality than migrants from regions further away from the Canaries (Table 3). This is true despite the impermeable border, costly border crossings and an arrival timeline that is skewed toward relatively recent dates. The reasons that help to explain this surprising pattern has to do with a compositional effect, with higher proportions of qualified migrants originating in neighbouring regions. This happens even though educational levels in the regions of south Morocco are below the national average. Thus, emigration from regions close to the Canaries could have a highly selective effect, with the corresponding risk of brain drain in the communities of origin. Place of birth Degree of transnationality

Suss-Massa-Draa/ Guelmin-Esmara

Total

Rest of Morocco

Maximum (*)

27.1

17.8

21.8

Medium

41.8

37.4

39.3

Low

31.2

44.8

39.0

Total

100.0

100.0

100.0

(*) see key for Table 2.

Table 3: Degree of transnationality by place of birth (%); Source: Observatorio de Inmigración en Tenerife.37

37

Dirk GODENAU / Juan Salvador LEÓN SANTANA, El nexo fronterizo Sur-Sur. La transnacionalidad migratoria entre Marruecos y Canarias, Cabildo de Tenerife, Santa Cruz de Tenerife 2012, p. 169.

220

DIRK GODENAU

The other determining factor of transnationality associated with the place of origin is family structure. Of particular importance in this regard is the marriage strategy. Many migrants are, at the time of their migration, either single or they are married but travel without their wives to the Canaries. Cohabitation patterns indicate that 51% were living with their wives in the Canaries at the time of the survey (13% were married to a Spanish national), and 10% had a wife in Morocco. Of those living with their wives at the time of the survey, 54% were married at the time they emigrated. The rest married later. There is a positive relationship between the intensity of transnational activities and having a wife in Morocco. One would expect the growth in family reunifications to reduce the intensity of transnational activities, although in the context of Moroccan strong-tie families, the reunification of nuclear families does not completely eliminate the need to support other family members at the place of origin. Another aspect of special interest in the context of neighbouring regions separated by impermeable borders is the visits by migrants to their places of origin in Morocco. Over 69% of Moroccan migrants living in the Canaries visit at least once a year. In 95% of these cases, the main reason is to see family. These trips are made despite the woeful maritime and aerial connections between these regions and the Canaries, with the result being high travel expenses and low, rigid connectivity. A non-trivial percentage of migrants notes how covering a straight-line distance of barely over 100 kilometres often requires flights via Madrid and Casablanca spanning thousands of kilometres and requiring a significant amount of time and money. Some migrants even reported organising the trip to their home towns by flying to France, buying a vehicle, crossing Spain by car to the Straits of Gibraltar, and then selling the car in Morocco or Mauritania. For the most part, the profile of transnational activities detected among Moroccans residing in the Canaries is along the same lines as Moroccan emigration toward Europe. What, then, are the specific implications of the relative impermeability of the border between the neighbouring regions of south Morocco and the Canaries on the transnational activities of migrants? First, the emigration potential from Morocco to the Canaries clearly exceeds the intensity of actual flows. In this regard, the deterrence strategy of restrictive immigration policies is having the effects desired by Spain and the European Union. However, reducing the possibilities of regular migration causes more migrants to resort to irregular immigration which, given the insularity context, means a higher propensity to migrate irregularly via maritime routes. Of the Moroccans surveyed, 38% had crossed into Spain irregularly. The conditioning of cross-border flows is also evident in its selective effects. Many of the Moroccan immigrants who reached the Canaries in the last 20 years utilised the strategy of having a young male migrate first for financial reasons, followed by family reunification. In the case of the Canaries, this pattern became even more evident once the irregular Mediterranean crossing was

ISLANDS, BORDERS AND MIGRATORY TRANSNATIONALISM

221

sealed off in the late 1990s, since the Atlantic route remained more permeable in the first few years of the 21st century. Second, once the migrants settled in the Canaries, often irregularly, their subsequent administrative regularisation and insertion into the workplace in the Canaries facilitate engaging in transnational activities, mainly in the areas of family support, showing the clear effects of the social stratification of said families. Despite the obstacles to the cross-border flows of people, the intensity of transnational activities is high, though its profile is skewed toward telephone and internet contact and financial remittances. In this sense, the bordering in place in Spain and Morocco at the Canaries-Africa border has selective effects on the transnational activities practised from below. Third, the geographical proximity between the regions of Suss-MassaDraa/Guelmin-Esmara and the Canaries does not translate into more visits to the place of origin. The insularity of the Canaries and the geopolitical conditioning of this part of the Spanish-Moroccan border result in few maritime or aerial connections between the regions on either side of the border. The high travel costs and the effects of administrative irregularity on a part of the migrant population condition the failure to fully utilise the geographical advantages provided by the proximity between the two regions. Fourth, the regions studied are near or adjacent to territories that are subject to the effects of the Sahrawi conflict. The geostrategic importance of these buffer zones to Morocco’s domestic policy on regional development is reflected in the public investment patterns and in the particular political sensibility to independent local development initiatives. The combination of these strong family ties and few possibilities to invest in business and group projects at the place of origin result in a low contribution from transnational activities to the development of the places of origin beyond providing financial support to families. In addition to the effects described above that borders have on transnational activities, we must also realise that the relationship between the two is bilateral, with the social transnational fields also having an effect on the bordering process. Firstly, the high intensity of transnational activities, even with a selective profile due to the effects of the impermeable border, shows a “transnationality from below” that is capable of overpowering restrictions and deploying and consolidating a social field between separated neighbouring regions. In this regard, migrants are overcoming borders in a dual sense. On the one hand they manage to partially buffer their effects through resilient family strategies, and on the other they are saving the group of neighbouring societies from completely disconnecting. Secondly, the consolidation of cross-border social networks generates a growing demand for direct maritime and aerial connections between the Canaries and south Morocco. In addition to this demand, especially in the current context of the worldwide financial crisis, is the search for new ways to invest

222

DIRK GODENAU

capital from the Canaries in the African continent. In this regard, there is a growing awareness on both sides of the border of the economic, social and cultural opportunities that are being lost due to isolation. The implementation of new business initiatives involving the creation of new aerial routes connecting the Canaries directly to neighbouring regions is one sign of these recent changes. Thirdly, the vast majority of the population of Moroccan origin residing in the Canaries already has the relevant residency permits and is taking advantage of this circumstance to promote family reunification. However, the impact of the financial crisis on employment and family income is also causing a partial reversal in this reunification, with part of the family, typically the wife and children, returning to Morocco at least part of the year so as to lower living costs. If the previous stage of heavy Moroccan immigration to the Canaries was driven by high job growth in the Spanish economy, the new financial crisis has altered both the overall immigration pattern in the Canaries and the evolution of the transnational fields between the Canaries and Morocco. While the previous phase can be labelled as one of growth and exploration, the present one is characterised by consolidation and adaptation. This is because the job crisis in the Canaries, with unemployment rates in excess of 40% among non-EU immigrants, is forcing many to draw on their family resources, including mobility, to adapt to the new circumstances.

V. Conclusions The Canary Islands, a territory of the Spanish State, and Suss-Massa-Draa and Guelmin-Esmara, in the south of Morocco, are neighbouring regions separated by a little over 100 kilometres of the Atlantic Ocean. The main factor separating the two regions, however, does not stem from the isolation associated with insularity, but is rather the result of restrictive bordering along the European Union’s southern border. Even so, the field work carried out by the Tenerife Immigration Observatory in the Canaries and the south of Morocco on the transnational activities of Moroccan emigrants living in the Canaries has revealed the presence of an incipient transnational social field driven by a “transnationality from below” that is conditioned by the political and economic impermeability of the Spanish-Moroccan border in this unstable region. The profile of these transnational activities is characterised by its focus on family support, online and telephone contact and visits to the place of origin, with evident traits of social stratification in these activities depending on the income levels of the families. Our research confirms how the mobility strategies employed by the families help to connect two geographic areas that are separated not so much by water, but by the geopolitical interests of the States on either side of this border.

ISLANDS, BORDERS AND MIGRATORY TRANSNATIONALISM

223

The case of the Canary Islands serves to highlight some of the particularities of migratory transnationality in insular border areas. First, a high percentage of migrants entered Spanish territory irregularly via maritime routes. Second, any maritime cross-border flows to the Canary Islands are under strict surveillance by Spain and the European Union. This bordering has a selective effect on migratory flows. Third, even though the Canary Islands have fairly high levels of openness, whether economic, migratory or cultural, and as such qualify as nodal islands, their connectivity with the African continent is reduced. In this context, migratory transnationallity opens new doors to ameliorate this disconnect between neighbours. The sealing off of the border between the Canaries and Africa in the wake of the “cayuco crisis” in 2006 is part of the Europeanisation of the management of the European Union’s outermost borders. The case of the Canaries was used by the agency FRONTEX and by the EUROSUR initiative to develop and test new formulas for transnational cooperation. An important aspect of these changes is the growing involvement of countries along migration routes in north Africa in the context of the European Union’s Neighbourhood Policy. In this context of inter-State cooperation and cat-and-mouse-games at the border, migrant communities will try to keep connected and opt for low social visibility. With drones spying from above and smart borders put into place even in cyberspace, migrants will once again have to adapt to decreasing border permeability. This is good news for black markets, whose fares are bound to rise.

CHRISTIAN DEPRAETERE / MICHAEL MEICHSNER

A Geohistorical Perspective on the Islands of the Mediterranean and the Baltic Sea The large gulfs which carve out the bulk of continents are suitable geographical settings to study interactions between the mainland and islands from a historical perspective. Amongst these “sinuses”1, as they were called by early cartographers, the Mediterranean appears to be the outstanding case, with countless indentations of the mainland coastlines, groups of islands of various sizes and a profuse historiography. The work of Fernand Braudel2 on the Mediterranean could be considered a seminal example where geography and history come side by side to give a new picture of one part of the Ecumene.3 There is a recent but steady trend in favor of regional and comparative studies on island patterns, as illustrated by the archaeological works by Dawson4 and Leppard5 who compare the paleolithic migrations in the Mediterranean with the Caribbean and Western Pacific or, on a global scale, with the “world archipelago” from a geohistorical perspective.6 World archipelago refers to the system of exploitation of the entire world after the first globalization or “proto-globalization” brought about by the European powers from the 16th century onward, including the triangular trading between Europe, Africa and America. These ideas are compatible with the concept of “Nissology” which defines islands and archipelagos as paradigmatic geographic spaces and permits the study of spatial processes and dialectics between mainland and islands on any scale.7 Instead of making a formal terminological distinction between conti1 2

3 4 5

6

7

“Sinus” means “lake” in Latin but also applies to gulfs such as “Sinus Persicus” for the Arabian/Persican gulf, “Sinus Euxinus” for the Black Sea, etc. He was the bellwether of the “École des Annales” which has strongly influenced French historiography since the publication of his book in 1949: Fernand BRAUDEL, La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’époque de Philippe II, Paris 1949. Ecumene or œcumene, oikoumene: refers to the inhabited world. Helen DAWSON, Mediterranean Voyages – The Archaeology of Island Colonisation and Abandonment, Walnut Creek 2013. Thomas P. LEPPARD, Similarity and Diversity in the Prehistoric Colonization of Islands and Coasts by Food-Producing Communities, in: The Journal of Island and Coastal Archaeology 9,1 (2014), pp. 1-15. Christian DEPRAETERE, Le phénomène insulaire à l’échelle du globe: tailles, hierarchies et formes des îles océanes, in: L’Espace Géographique 2 (1990-1991), pp. 126-134; IDEM / Arthur Lyon DAHL, Island Locations and Classifications, in: A World of Islands. An Island Studies Reader, ed. Godfrey Baldacchino, Charlottetown 2007, pp. 57-105. Christian DEPRAETERE, The Challenge of Nissology: A Global Outlook on the World Archipelago. Part I: Scene Setting the World Archipelago, in: Island Studies Journal 3,1 (2008), pp. 3-16; Idem, The Challenge of Nissology: A Global Outlook on the World Archipelago. Part II: The Global and Scientific Vocation of Nissology, in: Island Studies Journal 3/1 (2008), pp. 17-36; Grant McCall, Nissology: The Study of Islands, in: Journal of the Pacific

226

CHRISTIAN DEPREAETERE / MICHAEL MEICHSNER

nent (alias mainland on the global scale) and islands, all extents of land whatever their size will be considered fragments of statistical distributions of areas that appear to be more or less similar whatever the scale, in accordance with fractal properties of landsurfaces. The larger elements are usually termed “mainlands”, the smaller “islands”. It is relevant to mention the multidisciplinary approach to historical processes as claimed by “cliodynamics”8 with which nissology, in the framework of Island Studies, shares many aims and methods. At least nissology gets along with the following emblematic statement on cliodynamics: “Not everything in history is contingent and particular”.9 The aim of this study is to compare the case of the Mediterranean with its northern equivalent, the Baltic Sea, from a geohistorical standpoint in order to find differences, but also common traits or convergences. The underlying question is straightforward: are there any laws that are relevant to explaining historical processes on fragmented land patterns, with a special focus on islands as paradigmatic cases of fragmentation? Both gulfs are separated by the peninsula of Europe with two major isthmuses as shown in figure 9. The Maghreb, Cyrenaica and Egypt form the southern coast of the Mediterranean, while the northern side of the Baltic Sea corresponds to the Scandinavian Peninsula and the Finnish plateau. The table included in this figure sums up the main characteristics of the two gulfs. The total area of the Mediterranean is seven times that of the Baltic, but if all islands larger than 0.04 km² are taken into account10, then islands are much more numerous in the Baltic than in the Mediterranean (19 400 and 3 800 islands respectively) though they are much smaller (on average 1.8 compared to 27.5 km²). These two contexts, despite general similarities between the continental gulfs, present several differences in terms of land fragmentation patterns and shapes of the mainland. To what extent have various geographical factors (e.g. scale, distribution of islands and indentation of the mainland) influenced longlasting regional historical processes? We have to consider enduring processes

8 9 10

Society 17 (Nº 2-3, Nº 63-64, October 1994), pp. 1-14; Idem, Clearing Confusion in a Disembedded World: The Case for Nissology, in: Geographische Zeitschrift 84 (1996), pp. 74-85. Cliodynamics is an attempt to use mathematical models to explain “big history”, for instance the rise and fall of empires, religious outbreaks, sociodemographical evolution. Peter TURCHIN, Arise ‘Cliodynamics’, in: Nature 454 (2008), pp. 34f.; published online: http://www.nature.com/nature/journal/v454/n7200/full/454034a.html Computed from the GSHHS dataset and implemented in the Global Island Database (http://gid.unep-wcmc.org/). The data subset of the Baltic includes all islands larger than 0.04 km² but not the smaller ones. The GSHHS dataset will be used because it provides homogenous data on both gulfs; Paul WESSEL / Walter H. F. SMITH, A Global, Self-Consistent, Hierarchical, High-Resolution Shoreline Database, in: Journal of Geophysical Research 101/B4 (1996), pp. 8741-8743. Cf. also DEPRAETERE / DAHL, Island Locations and Classifications (as n. 6); DEPRAETERE, The Challenge of Nissology: A Global Outlook on the World Archipelago. Part I and Part II (as n. 7).

A GEOHISTORICAL PERSPECTIVE

227

that encompass large parts of both gulfs to identify converging phenomena. Due to the possibilities offered by seafaring, either by coastal navigation or island hopping, is there a built-in trend for these enclosed seas to become integrated under one hegemonic power? Where should the core of such a maritime power be located? To answer these questions, the focus must be put on the major migrations and thalassocracies that criss-crossed the two gulfs in the “temps long” of history.

I. Geography of Islands and Mainland in the Mediterranean and Baltic Sea Before analyzing the differences and similarities between the two gulfs, it appears necessary to take a look at the general properties of geographical objects on our planet. First of all and for comparison purposes, the two sets of islands need to be analyzed with the same methods and homogenous data. The method used to characterize the puzzling world of islands within gulfs surrounded by mainland will be based on the assumption that those fragments of emerged lands function like a fractal structure.11 The first paper by Benoit Mandelbrot on fractal theory was entitled “How long is the coast of Britain?”12 It could likewise have referred to the length of Scania or Sicily or any patch of coast in the world. Why? Geological and erosion processes tend to create a topographical surface with fractal structure and subsequently all related objects are contoured by this: shorelines and islands, but also lakes or even rivers. The subtitle of Mandelbrot’s paper was “statistical self-similarity and fractional dimension”. Self-similarity means that the properties that are observed on one scale appear to be the same on other scales, smaller or larger. This observation is particularly relevant for geohistory. Individuals or society in pre-scientific times tend to have conceptualized the entire world from their own specific local geographical experience. The second point is about “fractional dimension” which may sound cryptic but refers to the core of fractal theory: a seashore is neither a line (dimension 1) nor a plane (dimension 2) but an object whose dimension combines both, that is to say, a fractional dimension. If the fractal dimension is close to 1, the coastline shows very few indentations and islands nearby are seldom. This is true of the shorelines from the island of Djerba to Lebanon in the Mediterranean and from Lübeck to Courland in the Baltic. Conversely, when the fractal dimension is significantly higher than 1, the coasts appear to be a succession of peninsulas and bays associated with many offshore islands. This is exemplified by most coastlines of the northern Mediterranean and even more so by the northwestern shore of the Baltic from Saint Petersburg to Scania. 11 12

DEPRAETERE, Le phénomène insulaire (as n. 6). Benoit B. MANDELBROT, How long is the coast of Britain? Statistical self-similarity and fractional Dimension, in: Science 155 (1967), pp. 636-638.

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CHRISTIAN DEPREAETERE / MICHAEL MEICHSNER

To what extent have these contrasts in the indentation of the coastlines influenced the local population in its perception of the sea realm and conceptualization of the world? Dimension close to 1 means a sharp transition between the mainland and the sea and very few if no islands between the two. Dimension tending toward 2 implies countless islands buffering the mainland and the open sea. What a difference between the bare coastline of the Gulf of Sidra13 and the deeply indented Finnish coastline with its myriad of islands, islets, and rocks of the Åland archipelago! Are there self-similarities within each gulf? These questions can be answered with the box-counting method which is largely used in physics and geography.14 In figure 1, the size distribution of islands in the Mediterranean and the Baltic Seas follow linear trends that are directly related to the fractal dimension. The distributions correspond to a function with parameters a and b: F(s) = a S-b, F(s) is the number of islands with s>S 15

Figure 1: Distribution of island sizes with the box-counting method for all islands larger than 0.04 km². The Mediterranean islands (black line) comply with a constant distribution law (F(s)=569.S-0.56). The Islands of the Baltic Sea (grey line) which are smaller than 50 km² follow a different statistical distribution (F(s)=1106.S-0.89). The first corresponds to a fractal dimension of 1.12, the second to a fractal object with a dimension of 1.78.

The parameter b is of special interest because it is directly related to the fractal dimension D: b=D/2. The entirety of Mediterranean and Baltic islands larger than 50 km² are related to a fractal dimension D=2b=1.12 because the parame13 14 15

Also called “Gulf of Sirte”, Syrtis Major in Latin. Benoit B. MANDELBROT, The Fractal Geometry of Nature, New York 1982; André DAUPHINÉ, Géographie Fractale: Fractals auto-similaire et auto-affine, Paris 2011. For instance, F(50) corresponds to the number of islands larger than 50 km², that is to say 78 islands in the Mediterranean (101 486 km²), 25 islands in the Baltic Sea (25 393 km²).

A GEOHISTORICAL PERSPECTIVE

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ter b is equal to 0.56 (b corresponds to the slope of the lines on figure 1). There is a drastic change for Baltic islands smaller than 50 km² with a fractal dimension D=1.78 with b=0.89. This means that for this specific set there is a sudden and sharp increase of small islands. In fact, the Baltic is unique in the sense that it represents the most striking example of intricate pattern imbrications of mainland, islands and sea. The highest density of islands in the world by far is the Åland archipelago which is made up of 7 000 islands covering an area of 10 000 km².16 With a fractal dimension of D=1.12, there should be only 1400 islands smaller than 50 km² in the Baltic. However, the actual figure is 19 400 islands with a fractal dimension of D=1.78. Why? The Baltic Sea floor is made of lacustrian and morainic deposits uplifted by isostasy resulting from the melting of the Scandinavian inlandsis. Today, the rate of uplift is still 60cm/century in the Gulf of Bothnia despite the disappearance of the Scandinavian shield glacier ten thousand years ago. After this overview of the statistical distribution of islands, we shall now consider their geographical distribution. If the islands were distributed at random, the two gulfs should be entirely strewn with them and no point of the sea should be out of sight from the mainland and from islands. In fact, 36% of the Mediterranean (figure 2A) and 42% of the Baltic (figure 2B) cannot be seen from land. Conversely, a large continuous buffer defines the zone in which coastal navigation is possible along the mainland and island shorelines. If it is assumed that there was an effect of “capillarity” along the coast for navigation, at least during the period before compass and charting, this zone could be assimilated to a percolation buffer frequently criss-crossed by coastal seafarers. The islands and their buffer zones disconnected from the main buffer are very few in the Baltic and there is none in the Mediterranean per se.17 Gotland deserves special attention because it is the only island of significant size (3 000 km²) and population (57 000 inhabitants) that is located in the Baltic open sea. There is no proper equivalent in the Mediterranean. The only islands that are more or less disconnected from the percolation buffer are Malta (320 km², 452 000 inhabitants) and the islets of Lampedusa and Linosa between Sicily and Tunisia. It is conspicuous that islands are more frequently situated along the continental coastlines than in the open sea although huge contrasts are observed from place to place. What a difference there is between the Åland archipelago bridging Finland and Sweden and the emptiness of the Gulf of Sidra (figures 2A’ and B’)! If the two gulfs are compared regarding the location of islands, the same geographical distribution seems to apply to both. In figure 3, if the repartition of islands was random, then the curve of islands distribution (I%, 16 17

DEPAETERE, The Challenge of Nissology: A Global Outlook on the World Archipelago. Part I and Part II (as n. 7). One in the Black Sea (Erpilor or Serpent island, 0.15 km²), and several in the Baltic: Anholt in Danish Kattegat (22 km²), Gottska Sandön (40 km²), the large island of Gotland and its surrounding islets (Farö, Östergamsholm, Sidgesholm, Lilla Karlsö) in Sweden.

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black line) would be similar to the curve of the sea surface area according to the distance (S%, grey line), and the ratio between islands and distance frequencies (I%/S%) would be equal to 1.0 (black square). The most surprising result is that islands within the 20 km buffer18 are overrepresented: 70% with a ratio of 4.6 for the Mediterranean and 68% with a ratio of 2.5 for the Baltic Sea. Accordingly, the density of islands is lower for buffers over 20 km. The proportion of islands in the open sea is larger in the Baltic simply because of the special case of the Åland archipelago whose 8500 islands are spread as far as 100 km from the mainland (cf. figure 2B’). The parquetry of Danish islands paving the way between the Jutland and Götaland peninsulas may also contribute to this issue but to a much lesser degree: there are only 200 islands bridging the Danish and the Swedish coasts. The main Danish islands and both Swedish and Jutland mainland are today interconnected by bridges.

Figure 2: Distances to the mainland and visibility zones (“percolation buffers”) on the Mediterranean (A) and the Baltic Sea (B). There are huge contrasts between the shapes of mainland seashores and patterns of islands from place to place for instance between the coastal zones of the Gulf of Sidra (A’) and the Åland archipelago (B’).

18

The distance of 20 km is more or less equivalent to 12 nautical miles. It is noteworthy that the territorial waters of 12 nautical miles as defined in the UN Convention on the Territorial Sea (1982) corresponds to the visibity at the elvation of 25 meters which is about the elevation of tall buildings and trees along the coast or the crow’s nest on ship’s mast.

A GEOHISTORICAL PERSPECTIVE

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Figure 3: Frequencies of islands according to the distances from the mainland in the Mediterranean (A) and the Baltic Sea (B). Distributions: islands frequencies (I% as black dotted lines), sea surface (S% as grey lines), ratio (I%/S% as black squares). The islands within the 20km buffer are overrepresented (black lines above grey lines).

A specific feature of the Mediterranean proper, without the Black Sea, is the location of major islands along the middle line between the northern and southern continental coasts framing the Mediterranean as suggested in figure 2A: from east to west, Cyprus, Crete, Sicily, Sardinia, Minorca and Majorca. It is less obvious for the Baltic with the noticeable exceptions of Bornholm and particularly Gotland. These dotted lines of large outposts of the mainland countries could be considered the keystones of regional maritime geostrategy. Some of them are the remotest outreaches of their closest peninsulas: Sicily for the “Italian boot”, Crete as a midway platform between the Peloponnese, Anatolia and Cyrenaica, and Gotland in the vicinity of the Götaland peninsula. Overall, there are five times more islands in the Baltic than in the Mediterranean, the density being 436 islands/10 000 km² and 12 islands/10 000 km² respectively. Nevertheless, the contrast between the two is far less if the ratio between the surfaces of all islands relative to the gulf area is considered: 7.8% for the Baltic compared to 3.4% for the Mediterranean. This derives from the fact that Mediterranean islands tend to be much larger than their Baltic counterparts: For instance the largest island is Sicily (25 530 km²) in the southern gulf and Sjaelland (7 735 km²) in the northern gulf. It should be noted that the fractal dimension of the land pattern is closely related to percolation processes as it is in any physical setting.19 Percolation theory was formulated mathematically by Hammersley prior to any explicit fractal theorization.20 In simple and general terms, there are interactions between the granularity of the fragments and the turbulence of the fluxes flowing

19 20

DAUPHINE, Géographie Fractale (as n. 14), pp. 174f.; IDEM, Les théories de la complexité chez les géographes, Paris 2003. John Michael HAMMESLEY, Percolation Processes: Lower Bounds for the Critical Probability, in: Annals of Mathematical Statistics 28 (1957), pp. 790-795.

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through them. Here, the analogy with percolation within a soil is flagrant but it can also be applied to geographical processes as shown by de Gennes21: “Consider a seabed with a rugged topography with only few emerging spots, and suppose that the sea level gradually decreases. A situation like this is actually occurring in the Baltic Sea. Gradually the islands grow, and some relate to each other. A traveler who only works on land is at first confined to an island. However, this island, when the sea level goes down, becomes, usually, connected to numerous others; the number and extent of possible trips increases. Finally, when the sea level reaches a certain critical value, the traveler may be arbitrarily far away from the starting point: The island is now on a ‘continent’ that still has many lakes, but all emerged parts are connected: you can go from one point to another without ever crossing a channel of sea. What we have just described, between a group of islands disconnected and a system where some of the islands have coalesced to form a continent, is called ‘percolation transition’.”22

The key word in this geographical analogy is “percolation transition”. Leppard23 suggests a “stop and go” type of process for paleolithic migrations within insular spaces in various parts of the world. In soil science, it is well known that when water is poured onto a porous medium with open porosity, it does not flow through until all the particles are filled as a result of capillarity. Percolation transition then takes place, with an outflow depending on the water pressure. This analogy proposes a likeness between physical capillarity in soil and the latency migration phase sketched by Leppard, which may correspond to the time lag or “stop and go” process between the first settlement and a new phase of expansion to further land. This is an example where physical insights may help conceptualizing and formalizing migration theories, even without any mathematical modeling in mind. Percolation and capillarity also relate directly to nautical capabilities within the percolation buffers but even more so to historical processes in a broad sense: a minor power trapped between several major powers may “percolate” suddenly for internal and external reasons, a sort of unexpected victory of David against Goliath. That was typically the case not only for Macedonia or Rome but also for Prussia. For sure, any analogy must be handled with care, as Stefan Banach remarked: “good mathematicians see analogies. Great mathematicians see analogies between analogies”.24 Nevertheless in the context of this study and to circumvent long demonstrations, the purpose is to use the analogy as a heuristic asset to confront the usual perception of historical processes that tends to be more empirical. Before giving a brief overview of the narrative concerning of human beings in both gulfs, the following points should be made. The geographical patterns 21 22 23 24

Pierre-Gilles DE GENNES, Nobel Prize in Physics, 1991. Pierre-Gilles DE GENNES, La percolation: un concept unificateur, in: La Recherche 331 (mai 2000), pp. 58-61; translated from French by the authors. LEPPARD, Similarity and Diversity (as n. 5). Quoted from Stanislaw Marcin ULAM, Adventures of a Mathematician, New York 1976.

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and properties of both seas show significant similarities that justify their comparison, despite their differences of scale and geological context. Apart from the surrounding mainland, the fragmentation of the emerged lands is made up of an infinite number of small pieces from a theoretical point of view due to their fractal statistical distribution. From a scientific perspective, it is not meaningful to say that there are X islands in region Y unless the minimum size to define a significant island is given. In this comparative study, only the size is taken into account because it is an unequivocal and universal variable as demonstrated by figure 1 and previous studies.25 Apart from the size, many other characteristics should be taken into account, especially economic and strategic aspects, and location relative both to other islands (archipelago) and the mainland. For instance, the tiny island of Kronstadt with an area of only 16 km² is of great importance within the Gulf of Finland. Conversely, the island of Euboea with an area of 3 600 km² is so close to the Greek mainland and outcentered within the Aegean Sea that it could be considered negligible from an insular perspective. Geographical features tend to be loosely defined by the Greek, some peninsula being considered as islands and vise versa.The most emblematic case is the peninsula of Peloponesus which means the “island of Pelops”. This name reveals a perception of this peninsula as an island, because this region was almost thoroughly surrounded by the sea (personal communication Gian Franco Chiai). Conversely, the islandness of Eubeoa is questionable with its western shoreline closely embeded in the continental coast and a narrow strait of 30 meters. This detail reveals that when taking a geohistorical perspective there must be a degree of flexibility as regards strict geographical definitions. Not a blind compilation of geographical and historical facts is necessary but far more an attempt to blend them. On the other hand, history must be more open to factors that do not relate directly to bare facts which tend to make a period unique and result in an unpredictable series of causalities: providential personality, war, technical or intellectual innovations. Most works by historians have few maps, graphics and tables which are a straightforward way of exposing synthetic information without lengthy comments. The significance of other factors tends to be elusive or insufficiently documented: this is still the case for climate data and information given by tracing and dating human genetic material in the past.

25

DEPRAETERE / DAHL, Island Locations and Classifications (as n. 6).

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II. A Glimpse at Historiography 1. The Mediterranean Historiography tends to focus on nation-states or specific historical entities clearly bound in terms of time, location and goals.26 Transcultural and transnational historiography that covers a large geographical unit and considers longterm processes is rarely to be found. Conversely “case studies” such as the Punic Wars in the Mediterranean or the Hanseatic League in the Baltic are largely treated as an elementary and independent piece of history. As a consequence, the core part of each historiography is a world of its own, even if heritage and two-way influences with the neighborhood are taken into account. The grand view of regional processes in the long run requires that the priority must be on the study of and, as far as possible, on the modelization of the transfer processes of these heritages and those influences, not only on the isolated elements and layers but all through the complex pattern of history. In fact, regions and islands could be compared to soil particles with specific characteristics in terms of granulometry, texture, capillarity and porosity. This analogy between the dynamic of historical phenomena and soil science is particularly valid for insular spaces like our two gulfs. In this context, the surrounding mainland could be considered the dominant but non-exclusive source of migrations, ideas, technologies, goods, cultures, etc. Simultaneously, the pattern of region/island particles notably influences the pace and intensity of diffusion. The chronogram on the six major Mediterranean islands is a first attempt to sketch the impacts of the mainland political forces within the entire gulf (figure 10). This figure provides a synoptic view on the naval powers which were able to control the various islands that dot the mare nostrum. This sea came under the hegemony of various mainland powers in different historical periods: the Byzantines up to the end of the 8th century, various Muslim rulers from the beginning of the 9th to the mid 10th century, western Latin Christianity from the beginning of the 14th to the beginning of the 16th century, and European countries from 1920 up to now. The Punic Wars could be considered a major geostrategic example of antagonistic powers fighting for hegemony in a specific geographical context with islands as tactical stepping stones. The geographical context can be visualized by drawing the Thiessen line of proximity between Rome and Carthage across the Western Mediterranean (figure 11). This line goes from Messina to the mouth of the Ebro River. Prior to the First Punic War, Carthage controlled the islands of Sardinia and Corsica and the western part of Sicily. The cause of 26

Chris LORENZ, Comparative Historiography: Problems and Perspectives, in: History and Theory 38,1 (1999), pp. 25-39.

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the First Punic War was Messina. After Carthage was defeated, Rome took over the three islands and the boundary of Carthaginian influence in Iberia was set at the Ebro River. The pretext for the Second Punic War was Saguntum, a town that was located within the Carthaginian zone but eager to be under Roman rule. The final Punic War was almost a “promenade militaire” for the Romans partly because they were able to foment a rebellion in the hinterland of Carthage with the Numidians sharing the will to eradicate the city. Contrary to the First and Second Punic Wars, this final round was purely offensive for the Romans and their territories were never endangered. At the time, maps in the modern sense did not exist and geostrategic concepts were far from being clearly formulated. Anyhow, historical facts suggest that the geographic factor was a major guiding force for strategically minded actors such as Hannibal and Cato the Elder. The conflict between the two powers started because both Rome and Carthage aspired to control Sicily and the Strait of Messina. In modern terms, we would say that this island is the pivot of the “Mare Nostrum”. On the other hand, military operations during the three Punic Wars had no impact at all on Corsica and Sardinia. The objectives of the main operations of the second and third wars were mostly to control the hinterland of Carthage and to force the enemy’s capital city to surrender: delenda Carthago. This geostrategic overview of the control of the western Mediterranean should be supplemented by looking at the historical period prior to these events. Archaeological finds suggest that most islands were not or only irregularly populated before the Neolithic period. The dominant trend in terms of migrations as well as movement of ideas and technologies within the Mediterranean was westward. New methods of tracing and dating human genetic lineages open new insights on various types of migration. Taking the case of the Cardium Pottery Culture as an examplary neolithic migration from Epirus (6400 BP) toward Italy, France and Spain (5500 BP), the genetic results suggest that there were only male navigators breeding with local females.27 On the other hand, Egyptian, Assyrian and Hebraïc historical sources suggest that some of the seaborne migrations of the so-called Sea Peoples during the Bronze Age were mass migrations probably due to severe and recurrent droughts. For instance, the Medinet Habu wall relief at Ramses III tomb depicts a sea battle but also carts full of supplies, women and children.28 Similar processes, either progressive percolations of male migrants or bursts of mass migrations, were probably taking place among the Phoenicians, the Greeks 27

28

Marie LACAN / Christine KEYSER / François-Xavier RICAUT / Nicolas BRUCATO / Josep TARRÚS / Angel BOSCH / Jean GUILAINE / Eric CRUBEZY / Bertrand LUDES, Ancient DNA suggests the leading role played by men in the Neolithic dissemination, in: Proceedings of the National Academy of Sciences 108,45 (2011), pp. 18255-18259. Roger HENRY, Synchronized Chronology: Rethinking Middle East Antiquity: A Simple Correction to Egyptian Chronology Resolves the Major Problems in Biblical and Greek Archaeology, New York 2003.

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and perhaps the ancestors of the Etruscan and Sardinian peoples. In this microworld, the opening up of the Mediterranean was driven mostly by eastern populations. This assumption is metaphorically summarized by Miossec29: “L’histoire, une histoire politique et civilisationnelle, se lève à l’Est pour l’Europe”. It can be said that this process was enhanced or at least significantly facilitated by seafaring along the coast throughout the “Mare Internum”, suggesting a “fast train” hypothesis of maritime migrations by coastal and island hopping.30 There can be no doubt that nautical expansion can be brought about faster than inland dissemination even with only basic navigational skills. This Mediterranean “fast train” hypothesis compared to the stepwise inland diffusion is supported by the considerable longitudinal extension of the Mediterranean climate that makes the transfer of knowledge easier. This is particularly true for agrarian knowledge and practices. Sicily is the main pathway of coastal navigation that links the northern and southern parts of “Mare Internum”, with continuous land visibility from Calabria to Cape Bon. This island is also the central checkpoint between the oriental and occidental parts of the Mediterranean, with immediate access to the two bottlenecks narrowing down the southern and northern percolation buffers fringing the African and European shores respectively. Following the idea that the Mediterranean context is prone to political integration, that is to say, the rise of a dominant sea power, the eastern part should have brought forth the best candidates if demography and culture, including technological aspects, were the determinant factors. Strangely enough, the two protagonists in this competition for hegemony, Rome and Carthage, belong to the “New World” of the western Mediterranean, with Carthage being an offshoot of the Phoenician cities. Though on a different scale and at another time, a number of analogies are evident with the emergence of the USA, this prodigious extension of Europe as a world power. This coincidence may suggest that the geostrategic factor, and therefore geography, may well be more effective than others. One difference that has to be taken into account is that in Antiquity people had no formal knowledge of geostrategic principles but rather an empirical understanding of geo-graphical contexts for operational purposes. A good example of the ability of geostrategic concepts to predict the future are the theories of Mackinder and Spykman who were able to foretell processes leading to the Cold War and inspired the US strategy of containment.31 This lack of geostrategic knowledge could be partly explained by the lack of maps stricto sensu. Cartographic documents in Roman times were simply itineraries 29 30

31

Jean-Marie MIOSSEC, Rivages d’Europe: personnalité et avenir d’un continent ouvert (Terriroires de la Géographie), Paris 2013, p. 368. Echoing the Polynesian migration hypothesis termed “fast Train” and “slow Boat” by Stephen OPPENHEIMER / Martin RICHARDS, Fast Trains, Slow Boats, and the Ancestry of the Polynesian Islanders, in: Science Progress 84,3 (2001), pp. 157-181. Halford J. MACKINDER, The Geographical Pivot of History, in: Geographical Journal 23,1 (1904), pp. 421-442; Nicholas J. SPYKMAN, The Geography of Peace, New York 1944.

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237

that were not consistent in terms of orientation and scale. This was possibly sufficient for coastal seafaring, rather as our modern tube maps of London or New York are sufficient to get around these big cities. Priority was given to the practicality of the information and not to scientific precision.

2. The Baltic Sea While the Mediterranean appears to be one of the most ancient seas, the last remnant of the Tethys Ocean from the Mesozoic Era, the Baltic Sea is a relative newcomer which was only formed after the end of the last Würm ice age. Still, trying to obtain a coherent picture of the islands in the Baltic Sea from a historical point of view is even more challenging than for the Mediterranean because sources are scarce due to historical differences between both seas during the first millennium AD. The historiography of the Baltic has dealt with several islands but in terms of time and space its perspective is often limited. In cases where a broader approach is applied the role of islands for the formation of space in the Baltic Sea region is hardly mentioned.32 On the other hand literature about the history of the Baltic Sea region from a long-term perspective has so far focused on the history of neighboring territories and their interconnections and much less on the regional history of the space itself with all of its islands.33 Of course, we have to keep in mind that islands mirror mainland processes to a certain degree. A history of the islands of the Baltic Sea has to be seen in the light of political, social and economic developments on the mainland. But in analyzing islands we have to consider not only the bordering coasts. In certain periods some of the islands were of strategic significance for competing powers and played an important role in the history of the territories around the Baltic Sea.

32

33

Mårten STENBERGER, Boken om Gotland. Vol. 1: Gotlands historia fram till år 1645, Stockholm 1945; Hugo YRWING, Gotlands Medeltid, Visby 1978; IDEM, Visby – Hansestad på Gotland, Stockholm 1986; Matts DREIJER, The History of the Åland People, Vol. 1,1, From the stone age to Gustav Wasa, Mariehamn 1986; Volker SERESSE, Des Königs ‘arme weit abgelegenne Vntterthanen’. Ösel unter dänischer Herrschaft 1559/84-1613, Frankfurt a. M. 1996; Marko LEHTI, Mapping the Study of the Baltic Sea Area. From Nation-Centric to Multinational History, in: Journal of Baltic Studies 33,4 (2002), pp. 431-446; Rügens Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart: in 5 Teilen, ed. Fritz PETRICK, Putbus 2008-2013. David KIRBY, Northern Europe in the Early Modern Period. The Baltic World, London/New York 1990; Alan PALMER, Northern Shores. A History of the Baltic Sea and its Peoples, London 2005; Ostsee 700-2000. Gesellschaft – Wirtschaft – Kultur, ed. Andrea KOMLOSY / Hans-Heinrich NOLTE / Imbi SOOMAN (Edition Weltregionen 16), Wien 2008; Ulla EHRENSVÄRD / Pellerevo KOKKONEN / Juha NURMINEN, Die Ostsee. 2000 Jahre Seefahrt, Handel und Kultur, Hamburg, 2010; Matti KLINGE, Die Ostseewelt, Helsinki 2010; Michael NORTH, Geschichte der Ostsee. Handel und Kulturen, München 2011.

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In terms of geological history the Baltic Sea did not yet exist 13 000 years BP (figure 4).34 Due to global climate changes the glaciers moved repeatedly back and forth until they started to melt steadily ca 11 000 years BP. The first stage of development was an inland-lake of fresh water (A). Of today’s islands, only Bornholm existed as an island, though from time to time it was connected to the southern mainland.

Figure 4: Evolution of the paleogeography of the Baltic Sea between 11 000 and 7 800 BP (Robert SOMMER / Norbert BENECKE, Post-Glacial History of the European Seal Fauna on the Basis of Sub-Fossil Records, in: Beiträge zur Archäologie und prähistorischen Anthropologie 4 [2003], pp. 16-28).

Around 10 000 BP a breakthrough occurred in the area of today’s Lakes Vänern and Vättern (B). Huge amounts of fresh water poured into the Atlantic Ocean and for the first time salt water streamed into the Baltic at the Yoldia Stage. The weight of the melting glacier diminished and a process of tectonic uplift started that is still active. The area north of Bornholm continues to rise with the uplift increasing towards the north.35 At the Yoldia Stage the islands of Gotland, Öland, Saaremaa and other islands of the Estonian archipelago as well as the skerries emerged. At the end of this period the water bridge in the middle of the Scandinavian peninsula closed and the sea level of the Baltic Sea in the Ancylus Stage was higher than the Atlantic Ocean (C). A water run-off developed in the area of today’s Danish archipelago and sufficient water poured out of the Baltic to enable the surface of the islands to increase – Bornholm was for a second time connected to the southern mainland.

34

35

Lembi LÖUGAS, Postglacial Development of Fish and Seal Faunas in the Eastern Baltic Water Systems, in: The Holocene History of the European Vertebrate Fauna, ed. Norbert BENECKE (Archäologie in Eurasien 6), Rahden/Westfalen 1999, pp. 185-200. Today ca. 10 cm/century at the latitude of Gotland, ca. 60 cm/century at Åland, ca. 90 cm/century in the north of the Gulf of Bothnia.

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Figure 5: Proxies of climatic variations from 3 000 BC to 2 000 AD in Scandinavia (adapted from SEPPÄ et al., Last Nine-Thousand Years [as n. 36]).

The Litorina Stage (D) is characterized by a rising sea level worldwide so that the straits of the Danish archipelago as we know it today came into being. The sea level increased but the scale of the land lift was even higher. In the early Litorina Stage, the rising sea level formed e.g. Rügen into an archipelago (ca 7 500-5 500 BP). From then on the Baltic Sea evolved slowly to its present shape. The various stages of its evolution after the last phase of Würm glaciation prove that the present geography of coastlines and islands is just 8 000 years old which corresponds to the arrival of the first hunter-gatherers (figures 5 and 12). Traces of first human settlement were found on Rügen from around 11 000 BP, but Rügen did not exist as an island then. People also settled on the southern coast of the Ancylus Lake. When Rügen was again flooded in the Litorina Stage traces of early Mesolithic inhabitants disappeared. In late Mesolithic times, around 6 000 BP, the people of the so-called Lietzow culture were the first permanent inhabitants of Rügen. Bornholm, because of its height above sea level since 11 000 BP and its temporary connections to the mainland, is proven to have been inhabited since about 10 500 BP. The oldest archaeological finds in the area of Gotland came to light on Stora Karlsö and are dated to 9 500 to 9 000 BP. One of the oldest skeletons found on Gotland itself is dated to 7 000 BP. The first people on the Åland isles arrived around 6 000 BP. Figures 2B and 3B show that the islands are not evenly distributed in the Baltic. We find a kind of cluster starting with the Danish archipelago extending eastwards up to Rügen and Usedom with decreasing density. Five larger islands lie more or less in the open sea (Bornholm, Öland, Gotland, Saaremaa/Ösel, and Hiiumaa/Dagö) with Saaremaa about 6 km and Gotland about 140 km from the mainland. The gatekeeper to the Gulf of Bothnia is formed by the accumulation of the Åland isles – a densification of the Swedish and Finnish skerries. Compared to the Mediterranean, the climate might have had more impact on resources and therefore on historical evolution, especially as regards agricultural activities. Figure 5 gives some clues on temperature (pollen based) and rainfall (circulation proxy) fluctuations on the Scandinavian Peninsula during the last five millenaries after the Holocene Thermal Maximum, during

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which the first Neolithic Funnel Beaker and Corded Ware Cultures spread through large parts of the Baltic basin, including the islands. Although it is difficult to be peremptory on connections between major climatic fluctuations and historical events, this relation provides at least a basis which can support hypotheses. For instance on figure 5, there is at least a concordance of time between the expansion of the Vikings after 800 AD and a significant climatic change to much cooler and wetter periods than before.36 Apart from the impact on agricultural resources, this may also have had an effect on the duration of sea freezing periods and hence on fishing and navigation. The chronogram for the main islands of the Baltic (figure 12) depicts the influence of the main political powers in the region. Imaginary borderlines reveal that for a long time the history of the Baltic Sea, including the islands, was shaped by the main political powers Denmark and Sweden, in a line from west to east. With Russia emerging on the Baltic coast from the beginning of the 18th century, this line slowly changed to a north-south direction, starting with Kronstadt in the bay of Saint Petersburg and going south to include Saaremaa and Hiiumaa and even (in)directly Wolin, Usedom and Rügen during Soviet times. In the long run, this was an anticipation of Cold War circumstances. Today all the major islands of the Baltic are part of the European Union, with Åland as a special case due to its autonomous and demilitarized status in the Finnish sovereign state since 1920/21. Some periods show hegemonic dominance by mainland powers: From the middle of the 12th century to 1227 Danish superiority was evident. DanishSwedish antagonism over the dominium maris baltici was ongoing throughout the period between the mid 16th and the beginning of the 18th century. Russian influence starts around 1720 and reaches its zenith during the 20th century. Most of the islands became peripheral due to confrontation between the mainland political powers and at the same time outposts during both World Wars and the Cold War. In order to avoid misrepresentation of the Danish-Swedish antagonism in the Early Modern Period, it has to be related to events dating back to the mid 13th century. At that time, Sweden finally became a sole kingdom while Denmark has probably developed as a single kingdom already since about the time of Harald Bluetooth around 970.37 From the late medieval period up to the beginning of the 16th century, the fate of the islands was less influenced by a realm than by individual characters and interests. Although Bornholm, for example, probably belonged to Den36

37

H. SEPPÄ / A. E. BJUNE / R. J. TELFORD / H. J. B. BIRKS / S. VESKI, Last Nine-Thousand Years of Temperature Variability in Northern Europe, in: Climates of the Past 5 (2009), pp. 523-535. Inge SKOVGAARD-PETERSEN, The Making of the Danish Kingdom, in: The Cambridge History of Scandinavia, Vol. 1, Prehistory to 1520, ed. Knut HELLE, Cambridge 2003, pp. 168183; Thomas LINDKVIST, Kings and Provinces in Sweden, in: ibid., pp. 221-234; Dick HARRISON, Sveriges Historia 600-1350, Stockholm 2009, here pp.124-128 and 254-264.

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mark since Viking times, the island was owned by the Archbishops of Lund who could use it to strengthen their position against the Danish kings. This situation is most striking for Gotland between 1394 and 1525 as well as for Åland between 1434 and the beginning of the 16th century. These islands and their strongholds were enfeoffed to the most powerful Swedish or Danish families. Consequently, the noblemen could pursue their own political aims and establish far-reaching networks mostly in opposition to or at least independently of the policy of the kings or the councils of the respective realms. All islands in the Baltic seem to have been inhabited since Neolithic times. Already then for most of the large islands the influence from Scania or the south-west coast of the Baltic is traceable. From the Bronze and Iron Ages onwards the islands appear as a contact zone between east and west, with Gotland, Bornholm and Öland having a rich material culture during the Iron Age although they did not possess iron ore deposits. One of the main common features of the islands is their participation in long distance trade, dependent on the seafaring capacities of each era. Not surprisingly, important trade emporia had been established – apart from those on the mainland (e. g. Hedeby) – at the intersections of sea routes on the various islands since Viking times: e. g. Ralswiek on Rügen38, Fröjel and Paviken on Gotland39, Köpingsvik on Öland, Sorte Muld on Bornholm40, and Saltvik on Åland41, as well as on the islands of Wolin42 and Saaremaa at unspecified locations.43 These extensive trade contacts are illustrated by the vast number of Arab and Byzantine coins that have been found e.g. on Gotland, Åland and Saaremaa. Trade and wealth have always attracted piracy and raiding. One reason for the Danish crusades to Rügen in 1168 and Estonia in 1219 apart from Christianisation was the continuous raiding by Slavic and Estonian tribes on the western and northern shores of the Baltic. The numerous treasure hoards that

38 39

40

41 42

43

Joachim HERRMANN, Ralswiek auf Rügen, Vol. 6., Lübstorf 1997-2008. Dan CARLSSON, Ridanæs. A Viking Age Port of Trade at Fröjel, Gotland, in: The Viking World, ed. Stefan BRINK, London 2008, pp. 131-134; IDEM, Paviken Research Project 20132016, published online: http://www.gotland-fieldschool.com/pavikenresearch.pdf (24.02.14). Anne NØRGÅRD JØRGENSEN, Harbours and Trading Centres on Bornholm, Öland and Gotland in the late 9th Century, in: Wulfstan’s Voyage. The Baltic Sea Region in the Early Viking Age as seen from Shipboard, ed. Anton ENGLERT / Athena TRAKADAS (Maritime Culture of the North 2), Roskilde 2009, pp. 145-159. DREIJER, The History of the Åland People, Vol. 1, 1 (as n. 32). Donat WEHNER, Grundzüge der Herrschaftsentwicklung am Fernhandelsplatz Wollin vom 8. bis 12. nachchristlichen Jahrhundert, in: Potestas et communitas. Interdisziplinäre Beiträge zu Wesen und Darstellung von Herrschaftsverhältnissen im Mittelalter östlich der Elbe, ed. Aleksander PAROŃ / Sébastien ROSSIGNOL / Bartłomiej Sz. SZMONIEWSKI / Grischa VERCAMER,Wrocław/Warszawa 2010, pp. 345-356. Marika MÄGI, “…Ships are their main strength.” Harbour Sites, Arable Lands and Chieftains on Saaremaa, in: Estonian Journal of Archeology 8,2 (2004), pp. 128-155.

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have been found on the islands and the large number of early fortifications there indicate a troublesome time.44 Fortifications continued to be a common feature. Union King Eric of Pomerania erected and later enlarged the castle of Visborg in Visby from 1411 onwards. On Öland the stronghold of Borgholm and on Åland the fortress of Kastelholm were built. It seems that in the 1380s Kastelholm was a means for the Seneschal of the Realm (in Swedish “Riksdrots”) Bo Jonsson Grip to connect his large estates in Sweden and Finland via the Åland isles. The Order of the Teutonic Knights erected a castle in Kuressaare on Saaremaa in the second half of the 13th century. On Bornholm, Hammershus fortress was of great importance for the archbishops of Lund during their struggle with the Danish kings between 1254 and 1325. Important castles were also erected along the coasts of Sweden, Denmark and Finland. Since the 12th century an orientation towards the sea in order to defend the coastlines appears obvious in Denmark. The castles mentioned above were among the most robustly fortified strongholds in the Baltic Sea region and almost unconquerable. These fortresses witnessed unstable political times with various conflicts between the main Baltic powers Denmark, Sweden, the Order of the Teutonic Knights and the Hansa during the Middle Ages, and between Denmark, Sweden and Russia in the Early Modern Period. After the loss of Gotland and Saaremaa in 1645, the small islands of Christiansø and Frederiksø off the eastern coast of Bornholm were Denmark’s most easterly outposts and consequently protected with fortresses after the mid 17th century. Gotland was an outpost for Sweden against a possible invasion by German or Russian troops in the 20th century and therefore fortified with approximately 1000 small bunkers along the coast. During the Cold War foreigners could not access large parts of the northern part of both Gotland and Fårö. Compared with other parts of Sweden most soldiers were stationed on Gotland. This situation remained unchanged more or less until 2002. Restricted military areas could also be found in the north of Rügen during GDR times, while Saaremaa was closed to all but the Soviet military. To sum up: Islands can be seen through the ages as important stepping stones in terms of migration, political and economic processes. Due to their comparatively small size the Baltic islands have been in the focus of many political powers aspiring to extend their influence to the other side of the sea. Since the time of Valdemar IV Atterdag (1340-1375), the sphere of Danish political interest and influence extended from the Danish archipelago step by step to encompass Bornholm, Rügen, Öland, Gotland and Saaremaa far to the east on the opposite side of the Baltic Sea. The islands enabled the Danish 44

On Rügen (probably 20 since the Bronze Age – Hans D. KNAPP, Rügens Frühe Geschichte, Putbus 2008, p. 83), Öland (19 since the migration period – NØRGÅRD JØRGENSEN, Harbours and Trading Centres [as n. 40], p. 151) or Gotland with Torsburgen as the largest prehistoric fortification in Scandinavia (Marita JONSSON / Sven-Olof LINDQUIST, Kulturführer Gotland, translated by Ingrid and Robert BOHN, Uppsala, 1993, p. 149).

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kings to engage influentially in various political spheres. The demarcation line for the Danish-Swedish antagonism was relevant more than once: e. g. in 1622 the Danish council of the realm confirmed that Danish dominion in the Baltic was orientated along a line from Bornholm and Gotland up to Ösel.45 The islands of the Baltic were of great importance for trade in the Baltic Sea region. Above all Gotland has had an extraordinary position in the history of world commerce. Since the Viking age peasants from the island sailed east and westwards to important trading centers like Birka or Novgorod. Visby also appears as a nucleus for the development of the Hanseatic League. Up to the 15th century, as long as coastal shipping was necessary on the route from west to east Öland, Gotland and the Åland isles were often essential points of rest and orientation for the seafarers. From the islands the route led further eastwards to Novgorod and via the rivers of Dvina and Dniepr to the Black Sea, Byzantium and the Mediterranean (“trade route from the Varangians to the Greeks”). Without Rügen and its cereal production, Stralsund could not have developed into one of the most important Hanseatic cities. The city council of Lübeck also repeatedly showed interest in Fehmarn, Bornholm and Gotland. In short, we can see that the islands of the Baltic were coveted by competing Baltic powers from the High Middle Ages on. At the beginning the islands were mostly independent but in time all of them were subjected to remote political power centers. Maybe the Baltic is too small and has had too many competing powers on its shores to allow for the development of independent political units on islands.

III. The opposite and opposing shore Now, these quantitative and descriptive approaches will be put aside in order to consider how geographical differences and similarities may have influenced the world view of people living along those shores. In the same spirit, some observations from other fields than pure geography or genuine history might be appropriate. In this aspect, the drastic difference between the coast of the Gulf of Sidra and the masses of islands that make up the Åland labyrinth appears to be relevant. At first glance, the Sidra Gulf looks like the weak underbelly of the southern shore of the Mediterranean (figure 2A’). The present tensions between the two provinces of Cyrenaica and Tripolitania within Libya tend to confirm this view. In his most famous novel “The opposing shore”, Julien Gracq, who was a writer as well as a geographer, creates the image of a dormant fortress in a no man’s land (in French “Le Rivage des Syrtes”).46 Gracq’s aim is not to tell a story. His foremost concern is to evoke a mysteri45 46

SERESSE, Des Königs ‘arme weit abgelegenne Vntterthanen’ (wie Anm. 32), p. 22. Julien GRACQ, The Opposing Shore, translation by Richard HOWARD, New York 1986.

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ous, elusive, out-of-time atmosphere and an impression of civilization in decay. The place is described as an empty and flat seashore from which the coast of the archenemy cannot be sighted except for a tiny remote island on the skyline. This is a geographical archetype that fits exactly with the idealistic mindset that may evolve when living along the Gulf of Sidra: “From antiquity down to the present century the shores of Greater Syrtis have had the ill fame of constituting the most desolate and inhospitable part of the Mediterranean seabord.”47

To experience such a simple and bare landscape facilitates abstraction. Eratosthenes was probably familiar with those bleak coasts because he was brought up in Cyrenaica before becoming the first scientist to give a good estimate of the earth’s radius. An antithetic landscape, or “islandscape” to be more accurate, can be observed in the Baltic Sea area: the labyrinthine micro-world of the Åland archipelago (figure 2B’). Åland means in Swedish “the land of water”. As a matter of fact, this extreme example of land fragmentation was the experimental fieldsite for Ilkka Hansli’s influential work on metapopulation.48 What is a metapopulation? “A metapopulation consists of a group of spatially separated populations of the same species which interact at some level. In other words, it is ‘a population of populations’. These populations occupy habitat patches of varying quality within the metapopulation. At any time, some plots may be available and unoccupied. The intermediate zone could be called the ‘matrix’. It is made of unusable habitats but can be traversed.”49

If one replaces “species” by “homo sapiens”, “habitat patches” by “islands”, and “matrix” by “oceans”, this citation sounds something like the Ecumene spotting the entire world archipelago and is reminiscent of the history of mankind. The innovative scientific work of Hanski’s team at the University of Helsinki is based on the study of a metapopulation of butterflies (Glanville Fritillary Melitaea cinxia) over 2000 meadows dotting the many islets that constitute the Åland archipelago – that is to say islands of meadows within islands. History is no more than the study of a set of peoples whose niches vary in space and time on a fragmented surface. Is there some functional and non scale dependent similarity between the evolution of a butterfly on the Åland archipelago (figure 6A) and the expansion of mankind (Homo sapiens) on the entire world archipelago (figure 6B)? To what extent must the methods of an ecologist differ from those of a historian? 47 48 49

Richard Georg GOODCHILD, Arae Philaenorum and Automalax, in: Paper of the British School at Rome 20 (1952), pp. 94-110, here p. 94. Ilkka HANSKI, Metapopulation Dynamics, in: Nature 396 (1998), pp. 41-49. He was awarded the Balzan prize 2000 in environmental science. Adapted from Wikipedia, Metapopulation; https://en.wikipedia.org/wiki/Metapopulation (accessed 20 June 2015).

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Figure 6: A.: Location of meadows suitable for the butterfly Glanville fritillary on the Åland archipelago (from Ilkka Hanski personal communication and SACCHERI et al., Inbreeding and Extinction (as n. 92). B.: Expansion of man on the world archipelago (John H. TANTON, End of the Migration Epoch, reprinted by The Social Contract, Vol. 3, No. 3 and Vol. 5, No. 1, 1995).

Hanski distinguishes between three approaches to large-scale spatial ecology. Metapopulation ecology stands between what he calls theoretical and landscape ecologies which were the first to evolve (figure 7). He writes, “the third approach, metapopulation ecology, attempts to strike a compromise: Here landscapes are viewed as networks of idealized habitat patches or fragments in which species occur as discrete local populations connected by migration”.50

Figure 7: The three approaches to spatial ecology (adapted from HANSKI, Metapopulation Dynamics [as n. 48], p. 41). The metapopulation approach (B) is acute to define multi population dynamics with a graph like formalism (cf. theory of graphs Keijo RUOHONEN, 2013 http://math.tut.fi/~ruohonen/GT_English.pdf).

We have to consider that Ilkka Hanski’s way of conceiving biological processes on fragmented landscapes could have been significantly influenced by 50

HANSKI, Metapopulation (wie Anm. 48), p. 41.

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his own experience of the labyrinth of islands dotting the coast of his own country. Inland, too, a similar complex patchwork of lakes (“islands of water” or “anti-islands”) surrounded by a matrix of land (“anti-matrix”) tends to shape the mindset of observers or travelers in Finland. At least, there is a coincidence between the emergence of a new conceptualization of processes on fragmented landscapes and the location of the experimental fieldsite used for the test. Is it just by chance that this site on the Finnish coast appears to be the most highly fragmented in the world? Conversely, Eratosthenes was more familiar with the vast, bleak and uniform landforms of Cyrenaica or Egypt. With this personal experience in mind, he was more prone to think about large-scale measurements such as the circumference of the earth. What a tremendous difference there is between theoretical works in history such as “A study of history” by Arnold Toynbee51, and histoire événementielle (or “landscape history”?) that makes up the bulk of publications in that domain. It proves that history tends to be more a purely human science and much less a social science, as urged by Pierre Chaunu in his book “Histoire, science sociale”.52 As an excellent example of an event-driven approach, the book by Nigel Cawthorne entitled “Victory: 100 great military commanders” states that “warfare has been described as man’s second favourite pursuit: it has without doubt played a defining role in the history of the world”.53 He also quotes Shakespeare: “Cry ‘Havoc’ and let slip the dogs of war”.54 At school, on one side of the Channel pupils learned about Austerlitz, on the other side about Trafalgar or Waterloo. Many years later, as scholars, our aims should be far more ambitious for the benefit of a holistic history as propounded by the world historian Arif Dirlik55 whose works have inspired the present study. A geohistorical approach could be beneficial for both types of history in the same way as metapopulation concepts and methods stimulate research in theoretical and landscape ecology. Indeed, there is at least one critical point that ought to be briefly considered: A common statement is that human beings are not butterflies and the world is far more complex than the Åland archipelago. Are these differences in nature, differences of scale, or both? Beyond nature and culture, Philippe Descola posited that, amongst the four possible ontologies56, “naturalism” corresponds 51 52 53 54 55 56

Arnold TOYNBEE, A Study of History, Oxford 1972. Arnold Toynbee was a specialist of Greek and Byzantine history before he became a theoretically minded “World historian”. Pierre CHAUNU, Histoire: science sociale. La durée, l’espace et l’homme à l’époque modern (Société d’édition d’enseignement supérieur), Paris 1974. Nigel CAWTHORNE, Victory: 100 Great Military Commanders, London 2004, p. 208. William SHAKESPEARE, Julius Caesar, Act 3, Scene 1. Arif DIRLIK, Performing the World: Reality and Representation in the Making of World Histor(ies), in: Journal of World History 16,4 (2005), pp. 391-410. The four ontologies of Descola are the following: totemism, animism, analogism and naturalism. They are instances of combinations of two criteria “physicalité/psychisme” and “identité/differentiation”. Philippe DESCOLA, Human Nature, in: Quaderns 27 (2011), pp.11-25, also in: Social Anthropolology/Anthropologie Sociale 17/2 (2009), pp. 145-157.

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to the occidental way of conceiving relationships between the human being – the “self” – and all other elements of the environment – the “non self”. In a nutshell, naturalism and the sciences superimposed on this cultural stance induce the idea that human “interiorities” are different from those of the rest of the universe though all living creatures are identical from the biological and physical point of view. Naturalism assumes “resemblance of physicalities” and “difference of interiorities”.57 This partly explains the reluctance of historians and social scientists to accept any functional analogies between the simplistic dynamic of an insect population on a fragmented landscape and the glorious human narratives on our fragmented planet. Another reason relates to the excesses of social Darwinism in the recent past. This point deserves attention. If history is a science and not a matter of opinion, there is a lot to gather from metapopulation methods to understand the complex pattern of historical processes. For instance, the metapopulation of butterflies in Åland demonstrated that inbreeding leads to extinction “because small population size results in both inbreeding and loss of genetic variation”.58 Anthropologists from India recently reviewed a trajectory from inbreeding in animals to consanguineous marriages in human populations.59 Despite the fact that culture is the determinant factor for the rate of marriages between relatives nowadays60, location and isolation remain a structural factor, as also illustrated on the Balearic Islands61: the smaller the island, the higher the consanguinity (Table 1). The most extreme case of consanguinity is on the islet of Pitcairn in Polynesia with a population of less than 60 people. Population Area km² Consanguinity Islands 700000 3644 2.5% Majorca 79000 705 2.9% Menorca 73000 576 5.4% Ibiza 7500 84 7.8% Formentera Table 1: Consanguinity within the Balearic islands over the period 1930-196062

57 58 59

60 61 62

Ibid. Richard FRANKHAM / Katherine RALLS, Inbreeding Leads to Extinction, in: Nature 392 (1998), pp. 441f. Dweep C. SINGH / Divyani KHURANA / Ravinder SINGH, Inbreeding to Consanguineous Marriages: Is it a Beneficial Trajectory?, in: International Journal of Research in Sociology and Social Anthropology 1,3 (2013), pp. 59-74. For instance 32% in Alexandria (Egypt) and only 0.6% in Sweden, cf. http://ccg.murdoch.edu.au/consang/www.consang.net/ Arturo VALLS, Inbreeding Frequencies in the Balearic Islands (Spain), in: Zeitschrift für Morphologie und Anthropologie 61 (1969), pp. 343-351. VALLS, Inbreeding Frequencuies (wie Anm. 61).

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This phenomenon is largely well known but tends to be only marginally considered by historians when considering the viability of human societies and culture, especially in “isolates”. If we put aside the biological aspects to shed light on cultural facts broadly speaking, the method of analysis provided by metapopulation may also be useful, the necessary adaptions having been made. Following the metahistory of Arnold Joseph Toynbee, Oswald Spengler or even Leo Frobenius, the human continuum in space and time is assumed to have a certain geohistorical granularity. Pooled with the principle that each of these grains profits from cultural “outbreeding”63, the general geographical factors that may foster those outbreeding processes in coastal zones have to be formalized in generic terms of mainland, island, hinterland and percolation buffer in the adjacent sea (figure 8).

Figure 8: Conceptual representation of historical coastal zone processes. A: Several islands and islets visible or not from the mainland seashore back up by the Hinterland prior to Neolithic. B: With coastal navigation, a percolation buffer connects the various pools of settlement along the mainland and islands coastlines from Neolithic up to modern times.

The way we have conceived the representation of geographical space from the Portolans with their rhumb lines to proper geographical maps with geographical coordinates and a specific projection was rather different prior to the Modern period. Despite the seminal theoretical work of Ptolemy on “the mathematical syntax”, the Romans had a much more pragmatic approach to representing the routes along the coast of their mare nostrum based on a distorted and anisotropic representation of coastlines, distended in the East/West axes and flattened along the North/South.64 The Peutinger Tabula is a facsimile of an original map from the time of Theodosius65 around 390 AD (figure 13). Although this chart was drawn first and foremost to visualize the terrestrial journeys throughout the dense network of Roman roads, it also appears to be relevant for coastal navigation. An unsolved mystery remains about Ptolemy’s 63

64 65

Laurent DOUSSET, Evidence for Systemic Outbreeding: A Rejoinder to Denham, Beyond Fictions of Closure in Australian Aboriginal Kinship, in: Mathematical Anthropology and Cultural Theory 5,2 (2013), pp. 1-14. MIOSSEC, Rivages d’Europe (as n. 29), p. 289. Theodosius was the last emperor to rule both parts of the Roman Empire.

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seminal works that did not include any maps although he was the first to propose a consistent projection in latitude and longitude for the entire world as known at the time. It seems that the supposed “Ptolemy’s map” was drawn by the Byzantines thirteen centuries later, suggesting that maps were rarely used for practical and technical reasons in Antiquity, as proposed by Brotton.66 Peutinger type maps could have been a useful alternative for long-distance travel. For operational use within the percolation buffer, navigators just needed to know a sequence of harbors and preeminent features, a sort of “periegesis”67 instead of navigation routes with definite directions (no compass) and coordinates (no astrolabe). A periegesis, or “act of leading or showing around, geographical description”, is well illustrated in the work of Herodotus who described all the peoples living along the coasts from Egypt to the south of Tunisia as he navigated from east to west along the southern percolation buffer.68 An interesting point about his enumeration69 is that it provides some proxies on the “granularity” of cultural pools along the coast: The geographic span for each of these cultural pools would be approximately 200 kilometers of coastline. The span was of the same order for the Etruscans, the people of Latium and the Phoenicians. Furthermore, this way of depicting the world might also be undertaken purposefully. During Antiquity, the teaching of geography was marginally, if at all, based on maps. Few examples suggest that the transmission of knowledge was brought about by memorizing difficult poems which described the places of the world along itineraries, a sort of intellectual periegesis used as a mnemonic trick. The best example comes from the work of Dionysius the Periegete (~130 AD) who wrote a poem which includes 1187 hexameter verses depicting the world as known at the time of the Emperor Hadrian.70 Another hint is given in the Periplous of Skylax of Karyandra (500 BC) where “the experience of navigation is a guide for writing” with a text depicting the coast of the Mediterranean clockwise from the Pillars of Hercules.71 This does not mean that during Antiquity there were no proper maps representing the world or re66 67 68 69

70

71

Jerry BROTTON, A History of the World in 12 Maps, New York 2012, p. 47. Periegesis: (from Greek periegesis, a cruise), Act of leading or showing around, geographical description. Jacques LACARRIERE, En cheminant avec Hérodote, Paris 1981, p. 243. Adyrmachides, Giligames, Asbystes (Cyrenaic), Auschises, Nasamons, Psylles (Gulf of Cirta), Maces, Gindanes, Lotophages (cf. Odyssey), Machlyes (probably Shott el Gerid) and Auseans. About 11 peoples along 2 200 km of coast from Alexandria to the island of Djerba. Christian JACOB, L’œil et la mémoire: sur la ‘Périégèse de la Terre Habitée’ de Denys, in: arts et légendes d’espace: figures du voyage et rhétorique du monde, ed. IDEM / Frank LESTRINGANT, Paris 1981, pp. 21-97; Christian JACOB, La description de la terre habitée de Denys d’Alexandrie ou la leçon de géographie, Paris 1990; George KISH, Periplus and Periegesis: Greek Maritime Writings, in: A Source Book in Geography, ed. IDEM, Cambridge/MA 1978, pp. 21-29; Kai BRODERSEN, Dionysios von Alexandria. Das Lied von der Welt, Hildesheim 1994. Jean-Marie KOWALSKI, Navigation et géographie dans l’antiquité gréco romaine: la terre vue de la mer (Antiquité synthèses 14), Paris 2012, p. 30.

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gion in a less distorted way, for instance for teaching purposes, as pointed out by Brotton.72 However, their publication and diffusion was probably limited. As long as seafaring was mostly cabotage73 and ad hoc techniques were used to depict the world, there was no need for true two-dimensional representations of navigation routes; instead, a linear (dimension 1) or pseudo fractal representation of itineraries (dimension between 1 and 2) with few sketchy elements referring to major capes and bays was more useful to traders within the percolation buffer. In those times, geographical space was conceived as a reticular network instead of a geo-referenced continuum. Added to the differences related to local coastal experience, as between Åland and the Gulf of Sidra, it is impossible to conceive that the representation of relationships between geographical elements on charts or in the mind has no influence on the conceptualization of the world at large. The vision of the world, that is to say the Weltanschauung74, is not a pure abstraction. It is the result of a cultural prismatic selection of empirical knowledge and specific techniques to represent and transmit it. The span of various peoples should be partly related to the indentation of the mainland coast as well as to the occurrence of islands. Both in the Mediterranean and the Baltic, the percolation buffers take the form of long ribbons with narrowings at straits (Messina in the former, Åland in the latter), bifurcations (around Sicily, around Bornholm) or even anastomoses (the Aegean Sea, the Moonsund archipelago in Estonia). The proximity of the seashore is ambivalent from a navigational perspective: harbors and supplies are closer but it can also be a source of danger due to the presence of reefs, the complexity of currents and the risk of piracy. The optimal choice is to pilot on the outer part of the percolation buffer where the land is within sight and still sufficiently far away to avoid hazards. Navigation through complex and narrow waterways requires special skills, as described, for instance, in the famous myth of Scylla and Charybdis. That being said, it is easier to navigate on the outer skirt of the buffer but it might take longer. The two percolation buffers in their southern and northern versions could be considered major “highways” for traveling from the eastern to the western part of the Mediterranean and the south-west to the north-east of the Baltic. Each Gulf is made of two types of percolation buffers:

72 73 74

BROTTON, A History (as n. 66), pp. 10-15. Cabotage: traditionally refers to shipping along coastal routes, from port to port. Weltanschauung is a concept fundamental to German epistemology and refers to a broad world perception. It is attributed to Wilhelm von Humboldt (1767-1835), the younger brother of Alexander. “World (en)vision” in English or “vision du monde” in French do not really refer to the same philosophical background.

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- Type 1 “monochord”75 percolation buffer: a long and regular strip with no major bottleneck due to straits and without bifurcation resulting from the presence of islands. This is the case for the Mediterranean from the Phoenician harbors on the foothills of Lebanon up to the Pillars of Hercules along the coast of Africa. This was the “Punic highway” for the Carthaginians. The same type appears in the Baltic from Kronstadt down to Lübeck along the European mainland. This was the “Hanseatic highway” with a string of major trading cities: Rostock, Gdansk, Königsberg, Riga and Reval. Flanking the highways in the open sea, a number of island outposts were controlled to protect these strategic routes: the west part of Sicily for the Punic trading network and the island of Gotland with the Hanseatic city of Visby for the Hanseatic highway. - Type 2 “multichord” percolation buffer: an anastomosed set of water ways flowing through an intricate pattern of straits and islands with many alternative navigation routes through straits or via bypasses around islands. The northern coast along Europe from Cyprus up to the Tuscan/Etruscan shores is the emblematic example of such a complex structure and constitutes the geographical core of the Greco-Roman world. Likewise, the north-west buffer of the Baltic along the Fenno-Scandinavian coast and the Jutland Peninsula display a similar pattern with many islands and archipelagoes shaping the course of navigation routes: Åland, Öland, Bornholm and the Danish islands. We may assume that surface currents or even winds were less complex to handle in routes of type 1 than in type 2. As a consequence, it was easier to pilot boats with heavy loads of trading goods in type 1. Conversely, war ships with shallow drafts, such as the drakkars in the Baltic or the triremes in the Mediterranean, were much better able to deal with the complex navigation conditions encountered in type 2. It might be relevant to emphasize that the Phoenicians/Carthaginians and the Hanseatic League were predominantly trading powers with little political and military significance. They were in danger of being conquered by antagonists coming from the hinterland or the opposing shore. These two trading civilizations developed their realm on type 1 percolation highways. Conversely, the Romans and the Vikings/Swedes who were more prone to military action flourished first along the type 2 coastal buffers. It should be taken into account, on which coasts the stakeholders are domiciled. It is evident that a state tends to have the policy of its geography. In other words, “The policies of all powers are inherent in their geography” as coined by Napoleon. To make it short, we assume two types of outlook in historiography: zealots of geographical or any kind of functionalism in history, let us 75

Monochord and multichord refer to “chord”, or string. By analogy with hydrology, it could have been mono or multi channeled.

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call them the “(geo)functionalists”. On the other side are the advocates of a stochastic history where the destiny of mankind is in the hands of Tyche76; these we can call “tycheistes”. Instead of sterile and missguiding debates between these two credos, we may assume that most historians are aware that the most appropriate approach lies between the two, depending on the period and the space and time scale considered. Specific research has to be continued in order to reveal the various processes considered at specific space and time scales that have shaped the Ecumene from the Dark Ages up to the present globalisation. We believe that geofunctionalism could contribute to it. The following case study tries to illustrate this aim.

IV. Toward Hegemonies within a Gulf, the Cases of Rome and Stockholm Many historians consider the expansion and even more the duration of the Roman Empire to be an astounding historical “success story”. How is it possible that such a small people living in Latium, trapped as they were in so small a territory surrounded by fierce and powerful enemies such as the Etruscans, the Greeks and the Carthaginians could become a long-lasting hegemonic power on the entire Mediterranean? It took several centuries for the Romans to overcome the Etruscans (700 to 263 BC). They were also endangered by invasions from the hinterland (~290 BC). They did not become a naval power until the end of the First Punic War (241 BC) when they had to protect their new maritime possessions in the insular triangle of the Tyrrhenian Sea defined by Corsica, Sardinia and most importantly, Sicily. After the third and last Punic War (146 BC) a remarkable process of “grab and grow” started that was to last just over a century until the entire Mediterranean became a Roman lake following the defeat of Ptolemaic Egypt (30 BC). The present hypothesis to explain this momentous event is based on the assumption that the “state variables”, that is to say, the geographical factors, were in favor of Rome. A comparison with the expansion of the Swedes from their stronghold of Stockholm/Uppsala could help to support this interpretation. The previous figure 8B is a straightforward attempt to simplify the local geographical context of Rome, Stockholm or any city fringing the coastal percolation buffer along the mainland shoreline. Each location has specificities depending on the indentation of the coast and the occurrence of islands of different sizes at various distances from the mainland. This is the local or tactical level which directly controls the initial stage of a city’s growth. As mentioned before, it has to be kept in mind that in premodern times the perception of the significance of geography was not as sharp as it is now after the theoretical advances made by Machiavelli and more evidently with the theories of Mac76

Tyche is the tutelary deity that governed the destiny of a city.

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kinder and Spykman on the “pivot” and the antagonistic strategy confronting naval and terrestrial superpowers. On a local scale, Rome and Stockholm have similarities. First, they are part of a large peninsula that is not directly exposed to frequent wanderings of peoples crisscrossing the mainland as was the case for the Phoenician coast and Baltic cities on the southern shores for instance. Secondly, in the immediate hinterland they are protected by sparsely populated mountains that serve as natural obstacles to invasion: the rugged and wild Apennin Mountains ranges for Rome, the bare and frozen central Scandinavian highlands for Stockholm. Finally, Major islands bridging or at least paving the way to the “opposing shore” are close to both cities: the Åland archipelago, Öland, Gotland and Bornholm for Stockholm, Sicily and Corsica/Sardinia for Rome. From the local to regional scale, a geostrategic perspective has to be taken. To some extent, it can be assumed that the tactical aspects at local level could have been clearly perceived thanks to practical political and commercial experience. But the shift from local, tactical and empirical knowhow to a regional geostrategic perspective supposes a deeper understanding, even a “vision”. The most obvious factor is that both Rome and Stockholm occupy a central position within their respective gulf but also within their type 2 “northern highways” as detailed before. Furthermore, a key geostrategic element is the proximity of Rome and Stockholm to the geographical pivot of the respective Gulf. Several more elements have to be well thought-out to define these two pivots, for instance, by a graph modeling of fluxes, but this cannot be developed here. Anyway, it is quite clear that Sicily could be considered the pivot of mare nostrum. This notion is strongly borne out by the events during the First Punic War (cf. figure 2) and by the Axis and Allies campaigns during World War II. The choice is more difficult for the Baltic Sea. Gotland could have been considered a good candidate but this island is disconnected from the northern highway and is far away from the southern highway. Gotland is more a secondary trading and logistical stop-over than an operational bridge with the opposing shore. By analogy with Sicily, the “pseudo-island” of Götaland/ Scania77 at the southern tip of Scandinavia presents many arguments in favor of its being the pivot of the Baltic Sea. The main fact is the proximity of many islands paving the way to the opposing shore, including the Danish islands. This pseudo-island has been an enduring bone of contention between the Danes and the Swedes. Mutatis mutandis, Copenhagen could be compared to Carthage, if it were not for the fact that the cultural and political ties were far more intricate between Denmark and Sweden as undoubtedly proven by the Union of Kalmar that lasted from 1397 to 1523. Compared to what happened in the Mediterranean during the Punic Wars, it is astounding that Sweden did

77

This triangular pseudo-island of Götaland/Scania was an island during the Yoldia and Ancylus stages. Its shape and size are quite similar to that of Sicily.

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not make significant encroachments on the Danish islands glacis.78 Subdueing Copenhagen should have been Sweden’s priority before any other objective. By entirely controlling the pivot of Götaland/Scania from Göteborg to Malmö, the Swedish were just a few miles away from the core part of Denmark. This failure is mostly due to the deliberate policies of the Dutch and British who supported the Danes against the Swedes to preserve their access to the Baltic. Thus, the Swedish never controlled the Kattegat entirely and never achieved their dream of a “Sinus Nostrum”.79 Their conquests did not last long as a result of progressive encroachments from the new rising powers of Russia and Prussia. Once again, a comparison with what happened between Rome and Carthage could well illustrate the geostrategic instinct of the Romans. They stubbornly believed that the obliteration of Punic power was a condition sine qua non of growth or even survival for them. That was their priority. Many historians suggest that this angst concerning the Carthaginians heightened the Roman fighting spirit throughout the Punic Wars. Accordingly, they not only laid waste to the city of Carthage but also to its huge library; nothing remained of Punic culture. Vae victis is a common saying to the effect that history tends to be written by the victors. As soon as Carthage was eradicated, Rome could start on its course of rapid expansion because they controlled the pivot that bridges the two shores and gave them control of the two percolation buffers between the Pars Orientalis and the Pars Occidentalis of the Mediterranean. Beside these two comparative historical case studies, it is worthwhile to analyze which cities could have been good candidates for hegemonic power. In the Mediterranean, several coastal cities located on the mainland could have been suitable. The case of the Phoenician cities has already been commented on: they were too far from the center of the mare internum and dangerously exposed to hinterland invasions. Carthage was also considered: however, its hinterland did not extend far south and the southern highway was rather limited in terms of resources, except for Egypt. Alexandria appeared very late in Egyptian history. It is well known that this city was founded by the Macedonian Alexander the Great, the Egyptians never having engaged in long-distance trading or naval expeditions. From a geographical standpoint, this Ptolemaic city like Byblos and Tyre was far from the center of the Mediterranean with difficult access to the northern highway and the western Mediterranean. It also has to be considered that the Nile valley was so fertile that Egypt was largely self sufficient and secure in terms of food production and other resources entering via the Red Sea or Abyssinia. Athens or any other city on the Greek mainland could have been in a position to control the entire Mediterranean, but the hinterland, like the political setting, was much too fragmented to be united. At least, the Aegean Sea was a Greek lake for many centuries. The lo78 79

Except on Bornholm but it lasted only a few years. Similar to mare nostrum.

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cation of Byzantium and then Istanbul appears to be of strategic importance if access to the vast steppic hinterland of Eurasia considered predominant, but the location presents many obstacles to accessing the Mediterranean. The Dardanelle strait and the clusters of islands in the Aegean Sea are difficult to control before gaining access to the Northern highway. In the western Mediterranean, Tarraco (near Barcelona) and Massilia present drawbacks despite some advantages such as a large peninsular hinterland and proximity to the Balearic islands for the former and wide open access to the European hinterland via the Rhône and Rhine valleys for the latter (figure 14A). In the Baltic context, it has already been mentioned that Copenhagen was the longstanding opponent of Stockholm. The location of this Danish stronghold on an archipelago controlling the Kattegat, the equivalent of the Gibraltar strait in the Mediterranean, is rather unique and deserves special attention (figure 14B). For sure, its location could be seen as a key strategic advantage enabling it to control the major route between the North Sea, the Baltic and consequently the vast hinterland of the eastern European peninsula. Equally, though, it is an insecure position especially if the proximity of the mainland to all the Danish islands is considered which also makes them vulnerable to terrestrial invasion. At the beginning of the 16th century for instance the Dutch and the British were competing with the declining Hanse for control of Baltic trade with political implications for Denmark. More recently, the control of Denmark was a vital geostrategic necessity for the German Kriegsmarine. In many ways, the position of the Swedes was much more secure on the Scandinavian Peninsula, far away from the almost permanent turmoil on the opposing shore. Which town of the region had the suitable location to aspire to hegemony on this opposing shore? From Lübeck to Saint Petersburg, the Baltic southern highway skirts a flat hinterland that was always the theater of drastic backand-forth migrations and invasions from the Migration period until the 20th century. Lübeck and Saint Petersburg are far too remote from the center. Intermediate positions on this highway would be on the coast between Danzig and Riga. There are no major coastal indentations, peninsulas or islands except between the cape of Courland in Livonia and the Moonsund archipelago of eastern Estonia that frame the entrance bottle-neck to the Bay of Riga (figure 14B). In terms of tactical and strategic rationales, these regions could be considered the most appropriate locations for the rise of a major power in the Baltic. From an economic point of view, Riga was a key trading center for the Hanseatic League but firm control at the entrance of the bay was necessary. The cases of the Livonian Confederation (1418-1561) and one of its offshoots, the Duchy of Courland (1561-1795), are quite significant in comparison to the many political units that appeared and vanished along the southern highway. The Livonian Confederation includes a large hinterland backing the entire Bay of Riga, the Moonsund islands and the peninsula of Courland. This Confederation managed to preserve its autonomy despite the proximity of continental

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powers such as Russia and the Polish-Lithuanian realm. Even the small Duchy of Courland was able to become a noteworthy naval power with colonial outposts in West Africa and the Caribbean. This illustrates that the geographical “state variable” could have promoted the rise of Courlandish-Livonian power in the Baltic, but the historical “dynamic variable” impeded this occurring. This geohistorical case study presents an approach to history that should never be dogmatic. It is driven by the aspiration to bridge the gap between historical geography and historiography. Being the core part of human science, history remains an everyday reality in the never-ending process of globalization that percolates from all previous periods to Modern Times.80 The pace of the “mathematization of reality” as coined by Giorgio Israel81 also percolates through all social sciences with new means and aspirations. It is far more than a fashion, rather a steady tendency. History, the soul of human sciences, cannot shy away from this inspiring challenge.

V. Conclusion Leppard, in his most recent publications on paleolithic maritime migrations, prudently speaks about “similarities and differences”.82 Literally speaking, “similarities” relates to determinism and “differences” to randomness. There is a tacit consensus among historians that both extreme positions are not acceptable. In fact, though the terms of determinism and chance are rarely applied, they tend to pop up as soon as there is a debate on the approach to the complexity of human history. The present study would be confronted by the same opposing judgments, whilst there is a common understanding that environmental factors, especially geographical factors, influence but do not determine historical processes.83 The fact that there are no possibilities to practice experimental history is the major downside in the practice of history. What would have happened if Rome had not become a hegemonic power? If Sweden had ruled the entire Baltic from the 17th century onward, would this have changed the equilibrium of

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Nayan CHANDA, Bound Together: How Traders, Preachers, Adventurers and Warriors shaped Globalization, Yale 2007. Giorgio ISRAEL, La mathématisation du réel, Paris 1996. LEPPARD, Similarity and Diversity (as n. 5). Even mathematicians contribute to this confusion in a way. The “deterministic chaos”, as they call it, may be a source of ambiguity as soon as it comes to physical processes. In physics, the ergodic theory of Yakov Sinai applied to dynamic systems proves that certain stochastic phenomena appear to be predictable (i.e coin toss) while others that are good candidates for a deterministic approach, can only be solved by stochastic methods (i.e. trajectory of a flipper ball). There are also “coin toss” or “flipper ball” cases in history.

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forces in all of Europe? This type of uchronia belongs to the genre of fiction84, not to science. Comparative studies might help to circumvent this difficulty. From a scientific perspective, historiography should not be limited to “the compilation and recapitulation of mere facts and historical categories”, as proposed by Leonard Krieger.85 In Krieger’s view, the historical endeavor must be a deliberate “thinking-through” process to unravel the relations between ideas and events, whereby “ideas” have to be understood in their broad sense. For instance, the idea of the Baltic as a “Swedish Lake” as envisioned by King Gustav II Adolf (1594-1632) after the end of the Union of Kalmar could be interpreted just as a personal motivation and capability based on this ruler’s military skills. Conversely, this Swedish golden era throughout the 17th century may also have resulted from an opportunity for the “obvious destiny”86 of this country before the rise of new regional powers such as Russia or Prussia. The historian François Furet, a quantitativist follower of Chaunu’s “serial history”87, claimed that “serial history offers the conclusive advantage […] of substituting for an elusive “event” of positivist history the regular repetition of data selected or constructed by reason of their comparability”.88 The methodological key word “comparability” is undoubtedly the fundamental stumbling block that faces the “serial” historians. The present work does not ignore this difficulty. Indeed, the problem runs through this modest attempt, highlighting implicit hypotheses. The Mediterranean and the Baltic Sea are both regional gulfs that make them comparable; the Roman and the Swedish expansion throughout those gulfs presents analogies despite many differences. Furet’s work as quoted by Krieger, states that “general history”, that is to say global history, sits “at the feet of serial history”.89 The present paper advocates a more precise depiction of the geographical factors in historical processes for the obvious reason that they are fairly stable, universal and easily quantifiable. This quantitative geohistorical approach interest could be a corner stone and has a leverage effect to bind together effectively and not elusively the spatio-temporal dynamics behind the pace of mankind’s development in our fragmented world, the world archipelago. Several

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Utopia is a place that never existed (cf. Utopia, Sir Thomas More) while a “uchrony” (or “alternate history” in English speaking countries) usually takes place in a real geographical context but at a time that never existed due, for instance, to a bifurcation of historical events. The best example is the novel of 1867 by Charles Renouvier titled “Uchronie (L’Utopie dans l’histoire), esquisse historique apocryphe du développement de la civilisation européenne tel qu’il n’a pas été, tel qu’il aurait pu être”. Leonard KRIEGER, Ideas and Events: Professing History, Chicago 1992. The term “obvious destiny” is echoing the a posteriori US historiography: USA felt it was their obvious destiny across North America to expand to the Pacific Ocean. Pierre CHAUNU, Histoire quantitative, histoire sérielle, Geneva 1968. François FURET, Quantitative History, in: Daedalus 100/1 (1971), pp. 151-167, here p. 153. KRIEGER, Ideas and Events (as n. 85).

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quantitative methods have been mentioned: fractal90, percolation91, metapopulation92, graph theory93. They are picked up in this study for at least two reasons; the first is simply because the objective of this work is mostly didactic and not demonstrative; the second is far more complex. It has to do with a problem that was clearly stated by Charles Percy Snow in his books on the “two cultures”.94 The dichotomy between the “sciences” and the “humanities” should be overcome by a mediating “third culture” postulated by John Brockman95 and illustrated by the controversial works of de Santillana/von Deshend and Jared Diamond.96 In a way, the present nomothetic geohistorical fragment is in the same vein and is a plea for the emergence of this third culture. It suffers from the imperfections of being an inbetween. Both History and Geography are confronted with identical forces coming from the “big data” challenge and the urgent need for sciences to find answers to contemporary issues, political globalization in particular. Nomothetic geohistory is far more than an academic challenge; it deals with reality and data. This echoes the visionary book by William Kent entitled “Data and Reality”.97 In his conclusion, he reminds us that “there is no singular objective reality” but that we can share a common enough view so that reality appears to be objective and stable.98 We need to understand the extent to which the processes associated with a historical fact in a specific geographical context could be relevant for similar events taking place on a different scale, in another place or at a different time, including the present. This is the challenge with nomothetic geohistory as a means to enhance the relevance of historical studies for global issues.

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93 94 95 96

97 98

MANDELBROT, How long is the coast of Britain? (as n. 12); IDEM, The Fractal Geometry of Nature (as n. 14). DE GENNES, La percolation (as n. 22). HANSKI, Metapopulation Dynamics (as n. 48); Ilki SACCHERI / Mikko KUUSSAARI / Maaria KANKARE / Pia VIKMAN / Wilhelm FORTELIUS / Ilkka HANSKI, Inbreeding and Extinction in a Butterfly Metapopulation, in: Nature 392 (1998), pp. 491-494. Alan GIBBONS, Algorithmic Graph Theory, Cambridge 1985. Charles P. SNOW, The Two Cultures and the Scientific Revolutions, London 1959; IDEM, The Two Cultures: A Second Look, Cambridge 1963. John BROCKMAN, The Third Culture: Beyond the Scientific Revolution, New York 1995. Giorgio DE SANTILLANA / Hertha VON DECHEND, Hamlet’s Mill: An Essay on Myth and the Frame of Time, Harvard 1969; Jared M. DIAMOND, Collapse: How Societies Choose to Fail or Succeed, New York 2005. William KENT, Data and Reality, New York 1978. Ibid., p. 228.

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Figure 9: The gulfs of the Mediterranean and the Baltic Sea fringing the European peninsula.

Figure 10: Chronogram of the main Mediterranean islands from 10 000 BP to the present

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Figure 11: The geostrategic context of the Punic Wars. The strait of Messina and the Ebro river are located on the line of proximity between Rome and Carthago.

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Figure 12: Chronogram of the Baltic islands from 10 000 BP to the present

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Figure 13: The Mediterranean part of the Peutiger Tabula representing a distorted map where the coastlines are limited to the percolation buffer used for cabotage. Top: Mediterranean part 4.8 x 0.34 meters. Bottom: subsets showing the main islands of the Mediterranean.

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Figure 14: Centers of power, percolation buffers, southern and northern highways, pivots, islands and bottlenecks in the process of gulf hegemonisation. A.: The Mediterranean and the Roman realm between 30 AD and 400 BC. B.: The Baltic and the Swedish expansion during the 17th century.

Register Das Register umfasst alle Personennamen und Orte aus Haupttext und Anmerkungen. Mittelalterliche Personen sind alphabetisch unter ihrem Vornamen verzeichnet. Die omnipräsent mit dem Thema des Bandes verbundenen Lemmata Insel, Insularität und Mittelmeer wurden nicht aufgenommen. Abalus 58 Abessinien (Abyssinia) 254 Abulafia, David 119f., 132 Abu-Lughod, Janet 129 Achilleus 50f., 59 Adriatisches Meer, Adria 36, 51, 117, 119, 121f., 127f., 164, 182 Afrika, Afrikaner (Africa, Africans) 54f., 123, 140, 177f., 199, 201, 207-211, 221-223, 225, 236, 251 Nordafrika 24, 36, 61, 69, 124, 126, 131 Nordwestafrika 65 Westafrika (West Africa) 71, 200, 256 Agadir 210 Ägäis siehe Ägäisches Meer Ägäische Inseln (Aegean Islands) 16, 77, 85, 98, 110, 180, 182 Ägäisches Meer, Ägäis (Aegean Sea) 16, 30-32, 34-36, 41, 76f., 79-81, 85, 89, 91f., 98, 101-104, 106, 109, 111f., 114f., 117, 121, 123, 131, 164, 170f., 180f., 186, 193, 233, 250, 254f. Agatharchides 63 Agathokles von Syrakus 18 Agesilaos 50 Aglabiden 36, 124f., 134 Agrigent 118, 123

Agrippa (Marcus Vipsanius Agrippa), röm. Feldherr 108 Ägypten, Ägypter (Egypt) 24, 27, 37, 52f., 62, 91, 97, 100, 103, 106, 110f., 125-128, 163, 170, 186-189, 191, 226, 235, 246f., 249, 252, 254 Aigaion Pelagos siehe Ägäisches Meer Aigina 100 Aioler (Aeolians) 78, 97, 102 Aiolos 180 Aischylos 102 Åland 39, 228-230, 238-247, 250f., 253 Aleppo 168 Alexander der Große (Alexander the Great), König von Makedonien 51, 59, 64, 89, 106, 191, 254 Alexander IV. Aigos, König von Makedonien 89 Alexander von Myndos 61 Alexandretta 170 Alexandria 27, 91, 127, 247, 249, 254 Alexis, Dichter 52 Algerien (Algeria) 211 Alkaios 45, 102 Alkinoos, König der Phäaken 45 Alkmaioniden (Alcmeonids) 82 Allobages 189

266 Allobroger 190 Al-Mahdiyya 130 Alpen 190 Amalfi 125-127 Amentet 62 Amerika (America) 34, 56, 72f., 207f., 225 Nordamerika (North America) 257 Lateinamerika 159 Südamerika (South America) 207 Amparakia 52 Amphipolis 91 Amsterdam 164 Anatolien (Anatolia) 117, 123, 181, 231 Ancylussee (Ancylus Lake) 239 Andalusien (Andalusia) 147, 155, 210 Anderson, Malcom 203 Andronikos II. Palaiologos, byzant. Kaiser 111 Andronikos III. Palaiologos, byzant. Kaiser 112 Angeln 66 Anholt 229 Antäus 60 Anthemussa 52 Antilia 71 Antissa 97, 99, 107 Antonius Diogenes 53f., 57 Apameia Kibotos 91, 107 Apennin 253 Aphrodite 26, 89f. Apollon (Apollo) 26, 34, 76, 8083, 85, 91-93, 101 Apollonius von Rhodos 59, 80 Apollonius von Tyana 62 Appelland 59

REGISTER

Apulien 121, 131 Aquitanien 57 Arabien, Araber 19, 31, 57, 63, 122, 124, 168, 241 Arabischer Golf (Arabian Gulf) siehe Persischer Golf Aragon 20 Arbois de Jubainville, Henri de 48 Arborea 19 Arisbe 97 Aristides (Publius Aelius Aristides Theodorus) 193 Ariston 63 Aristoteles 23, 52, 101, 185 Arkadien 71 Armenien, Armenier 162, 172 Armorica 57, 68 Arnault, Pierre 165 Arrian 47, 55 Arsinoë II. 88f. Artemis 26, 34, 76, 80, 85, 91f. Asien 163, 171f. Asklepios (Asclepius) 79 Assyrer 235 Athen, Athener (Athens, Athenians) 35, 50, 80-86, 99, 104f., 107, 170, 179, 182f., 254 Athos 51, 109 Atlantik siehe Atlantischer Ozean Atlantis 21f., 48, 52f., 55, 62, 73, 180, 197 Atlantischer Ozean (Atlantic Ocean) 33f., 46, 53-56, 61, 64f., 70, 119, 185, 199, 208f., 221f., 238 Atlasgebirge 62, 71 Augustinus 56 Augustus (Gaius Iulius Caesar Octavianus Augustus), röm. Kaiser 64, 183

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Austerlitz 246 Avalon 58f., 71 Avienus (Rufius Festus Avienus) 62, 65 Axieros 87 Axiokersos 87 Ayyubiden 131 Azoren 65 Baal-Hammon 65 Babylon 102 Baffo 169 Bahrain 47 Baldacchino, Godfrey 9, 200 Balearische Inseln (Balearic Islands) 20, 28f., 32, 117, 182, 247, 255 Baltikum siehe Ostsee Banach, Stefan 204 Barbaresken 20 Barcelona 255 Barnabas, Apostel 25f. Bartoli, Matteo 18 Basileia siehe Abalus Basken 20 Beirut 169 Belgien 68 Benedetto Zaccaria, Admiral 111 Bennassar, Bartolomé 28 Berber 61f. Birka 243 Bo Jonsson Grip 242 Borgholm 242 Bornholm 231, 238-243, 250f., 253f. Borsellino, Paolo 148 Bosporus 35, 182 Bottnischer Meerbusen (Gulf of Bothnia) 229, 238f. Bourbonen 147, 149 Bourdieu, Pierre 206, 214

267 Brasilinsel (Hy Brazil) 71 Braudel, Fernand 28, 40, 129, 143, 225 Brendan 71 Bress, Kaufmann 165 Bretagne 68f. Briareus 48 Brigadi, Girolamo, Konsul 168 Britannia, Britannien siehe Großbritannien Brittia 49, 66-69 Brockman, John 258 Broodbank, Cyprian 30 Bullam, Daniel 165 Buondelmonti, Cristoforo 16 Burkhardt, Jakob 143 Byblos 254 Byzantinisches Reich, Byzanz, Byzantiner (Byzantium, Byzantines) 16, 29, 32, 36, 69, 109-113, 115, 118f., 121-127, 129, 131, 134, 234, 243, 249, 255 Cádiz 51, 61, 63, 65 Cagliari 19 Candia siehe Kreta Capri 22, 183 Carling, Jorgen 204 Casablanca 210, 220 Cäsar (Gaius Iulius Caesar) 57, 61 Cassar, Carmel 30 Cato der Ältere (Cato maior, Cato the Elder) 100, 235 Cavour, Camillo 139f. Cawthorne, Nigel 246 Cefalù 123 Ceylon siehe Sri Lanka Chankowski, Véronique 85 Charybdis 250 Chaunu, Pierre 246, 257

268 Cherronesos 14 China 72, 201 Chinnici, Rocco 148 Chios 14, 17, 25, 35, 40f., 95-116, 170 Christiansø 242 Cicero (Marcus Tullius Cicero) 23, 55, 99, 185, 190, 192, 194 Claudian 68 Claudius (Claudius Tiberius Caesar Augustus Germanicus), röm. Kaiser 58 Columbus siehe Kolumbus Corbero, Don Fabrizio (Prinz von Salina) 138 Corfu siehe Korfu Cornwall 57f. Crassus, Publius 57 Croce, Benedetto 10 Curtius Rufus (Quintus Curtius Rufus) 188, 191f. Custodia Terrae Sanctae 166 Cyprier siehe Zypern Dagö siehe Hiiumaa Dal Campo, Luchino 16 Dalla Chiesa, Carlo Alberto 148 Dalmatien 32, 121, 182 Damaskus 129 Dänemark (Denmark) 39, 68, 168, 230, 238-243, 251, 253-255 Danzig (Gdansk) 251, 255 Dapper, Olfert 164 Dardanellen (Dardanelle Strait) 255 Dardanos 86f. Dareios I., persischer König 103 Darer 191 Dawson, Helen 225 De Vezin, Michael 170 Defoe, Daniel 32

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Delphi 18, 77f., 82f., 85, 101 Delos 26f., 34f., 59, 75-93,182 Demeter 87 Demone-Tal (Val Demone) 125 Descola, Philippe 246 Deutschland, Deutsche 166f., 171, 242, 255 Deutschritterorden (Teutonic Knights) 242 Diadochen (Diadochoi) 91, 106f. Dilmun siehe Bahrain Diodor (Diodorus Siculus) 13f., 20f., 27, 57, 59, 64, 87, 90, 186, 194 Diomedes, König von Argos 51 Dionysios, Epiker 57 Dionysios I. von Syrakus 18 Dionysios Periegetes (Dionysius the Periegete) 249 Dionysios Skytobrachion 54 Dionysos 26, 98 Dioskuren 49 Dirlik, Arif 246 Djerba 29, 227, 249 Dnepr (Dniepr) 243 Domenico Cattaneo, Fürst von San Nicandro 112 Donau 50f. Dorer (Dorians) 83, 85, 92 Dursey Island 69 Dvina 243 Dymas 87 Ebro 234f. Eetion siehe Iasion Eileithyia 85 El Aaiún 210 Elba 17 Eleusis 78 Elias, Norbert 156 Elysion, elysisch 46-50, 61

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England, Engländer 35, 68, 113, 138, 141 Epameinondas 50 Ephesos 89 Epidaurus 79 Epiktet (Epictetus) 78 Epirus (Epeiros) 121, 129, 235 Epstein, Stephan 132 Eratosthenes 46, 244, 246 Eresos 97, 99, 107-109 Erik VII. (Eric of Pomerania), König der Kalmarer Union 242 Erpilor siehe Leuke Erytheia 51f. Erythrai 96, 101 Essaouira 65 Essener 61 Estland (Estonia) 238, 241, 250, 255 Etrusker (Etruscans) 49, 236, 249, 251f. Euboia (Euboea) 96, 233 Euhemeros 50, 52, 63 Europa, Europäer (Europe, Europeans) 24, 32, 71, 110, 114, 120, 132f., 140, 159, 161163, 168, 170-172, 181, 199, 201, 206-210, 220, 225f., 236, 251, 255, 257 Nordeuropa 37, 64, 122 Südosteuropa 159 Europäische Union (European Union) 199, 202, 204-206, 210, 213, 220, 222f., 240 Eurybia 44 Eustathius 46 Falcone, Giovanni 148 Fårö 229, 242 Fatimiden 27, 36, 124f., 127f., 134

269 Fehmarn 243 Ferrara 16 Festus (Sextus Pompeius Festus) 184 Finnischer Meerbusen (Gulf of Finland) 233 Finnland, finnisch (Finland) 226, 228f., 239f., 242, 246 Flandern 35, 113, 141 Florenz, Florentiner 16, 132 Formentera 247 Fortunatae Insulae siehe Inseln der Seligen Francesco I. Gattilusio 113 Franchetti, Leopoldo 147 Franken 66, 67 Frankreich, Franzosen (France) 30, 36, 140, 149, 161, 165f., 168f., 210, 220, 235 Franziskaner 165-167 Frederiksø 242 Friedrich I. Barbarossa, dt.-röm. Kaiser 130 Friedrich II., dt.-röm. Kaiser 130f., 133, 135 Friesen 66 Frobenius, Leo 248 Fröjel 241 Fuerteventura 61, 199 Furet, François 257 Gadamer, Hans-Georg 144 Gadeira siehe Cádiz Gades siehe Cádiz Gallien 49, 57, 66, 68, 72, 178, 190 Gallia Narbonensis 189 Gallura 19 Gavdos (Kauda) 25 Gdansk siehe Danzig Gellius, Aulus 45

270 Gelon 18 De Gennes, Pierre-Gilles 232 Genua, Genuesen 20, 35f., 41, 111-113, 115, 129f., 149 Geoffrey of Monmouth 58 Germanien 56 Geryon 51 Gibraltar 209, 220, 255 Gilgamesch, König von Uruk 50 Giustiniani, Familie 112 Glückselige Inseln siehe Inseln der Seligen Gorgades insulae 177 Götaland 230f., 253f. Göteborg 254 Gotland 229, 231, 238f., 241-243, 251, 253 Gottska Sandön 229 Gracq, Julien 243 Gran Canaria 61, 199 Griechenland, Griechen (Greece, Greeks) 13, 17-19, 34, 45, 59f., 63f., 75, 77, 86, 91, 100, 104, 113, 155, 158, 162-164, 167, 170-172, 177-179, 181-183, 190, 195-197, 235, 252, 254 Grimm, Jakob 68 Großbritannien, Briten, britisch (British) 9f., 46, 49, 51, 57-59, 65f., 68f., 72, 140, 165, 168f., 178, 277, 254f. Große Sirte (Greater Syrtis) siehe Golf von Sidra Guelmin-Esmara 207, 211f., 218f., 221f. Gustav II. Adolf, König von Schweden 257 Gutones 58 Guys, Pierre-Augustin 161f., 173 Habel 59

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Hades 50, 87 Hadrian (Publius Aelius Hadrianus), röm. Kaiser 249 Haithabu (Hedeby) 241 Halbwachs, Maurice 144 Hammershus 242 Hammersley, John Michael 231 Hannibal 189, 235 Hanno der Seefahrer 55, 71 Hanse (Hanseatic League) 234, 242f., 251, 255 Hanski, Ilkka 244f. Harmonia 87f. Hasselquist, Fredrik 168 Hawkins, John 164 Heinrich VI., dt.-röm. Kaiser 130 Hekataios von Abdera 52f., 181 Helena 16 Helgoland 58 Helios 52 Helixoia 53 Hellespont 182 Helsinki 244 Hemithea 14, 21 Hera 26, 80 Heraion von Delos 81f. Heraion von Samos 26, 90 Herakles 44, 55, 62, 71 Hermes 87 Hermokrates von Syrakus 21, 179 Herodorus 63 Herodot (Herodotus) 57, 60, 79, 83, 86, 88, 91, 179, 186-188, 194, 249 Hesiod 48, 52, 61 Hesperia, Hesperiden, Hesperion 51, 53, 70f. Hethiter 97 Hiera 14 Hieron I. von Syrakus 18

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Hiiumaa 239f. Hippokrates 13 Homer 45f., 48, 50, 52, 54, 57, 61, 80f., 101, 180 Horden, Peregrine 29, 76, 117120 Humboldt, Alexander von 53, 250 Humboldt, Wilhelm von 250 Hyperboreer 55, 180f. Hypereides 80 Iambulos siehe Jambulos Iasion, Sohn des Zeus 87 Iasos 87 Iberische Halbinsel (Iberia) 117, 235 Ibiza 247 Ibn Khaldūn 138, 140 Ifriqiya 117, 124-126, 131 Iktis 178 Île de Sein (Sena) 59 Ilion siehe Troja Indien, Inder (India) 37, 48f., 56, 63, 106, 114, 163, 191, 247 Indischer Ozean 9, 29, 51, 53, 57f., 63, 129 Indus 63, 188 Inseln der Seligen 14, 22, 33, 4850, 56, 60-65, 70, 72 Ionier (Ionians) 79, 81, 83, 85, 92, 97-101, 103, 179 Ionische Inseln 16, 119, 170, 181 Ionisches Meer 121, 128 Irland 69 Irwin, Eyles 169 Isère 189f. Isidor, Bischof von Sevilla 68, 70, 182, 184 Island 68 Israel 27, 45 Israel, Giorgio 256

271 Istanbul 255 Italien (Italy) 17, 69f., 91, 100, 132, 139, 141, 147, 158, 177, 181, 193, 195, 210, 235 Mittelitalien 122, 135 Norditalien (Settentrione) 122, 129-132, 135, 139, 141 Süditalien (Mezzogiorno) 122, 126, 130f., 139, 155 Italiker 178 Iuba II., König von Mauretanien 50, 61f., 65 Iustinian I. (Flavius Petrus Sabbatius Iustinianus), röm. Kaiser 110 Jacoby, David 30 Jambulos 53, 63 Jesuiten 166, 171 Johannes III. Dukas Vatatzes, byzant. Kaiser 111 Johannes Tzetzes 68 Johannes V. Palaiologos, byzant. Kaiser 113 Johannes, Evangelist 16, 27, 70 Johanniter 31 Jona, Prophet 54, 71 Josephus (Flavius Josephus) 61f., 65 Juden (Hebräer) 23f., 45, 54, 62, 65, 127f., 235 Jütland (Jutland) 68, 230, 251 Kabeiroi 86f. Kadmos, König von Theben 87f., 185 Kairo 127, 129, 169 Kalabrien (Calabria) 119, 121, 123, 126, 131, 236 Kallimachos (Callimachus) 26, 80 Kalloni, Golf von 96

272 Kalmarer Union (Union of Kalmar) 253, 257 Kalymnos (Kalymna) 17 Kalypso 46, 51 Kampanien 117, 122f., 125f., 128, 130f., 177 Kanarische Inseln (Canary Islands) 38, 49, 61, 65, 199-223 Kap Bon (Cape Bon) 236 Kap Nun 53 Kap Sounion (Cape Sounion) 80 Kapuziner 166 Karibik (Caribbean) 33, 225, 256 Karthago (Carthage, Carthaginians) 18f., 39, 49, 55, 62, 65, 122, 124, 234-236, 251254 Kasmilos 87 Kassiteriden 48, 57f., 65, 73 Kastelholm 242 Katalonien (Catalonia) 132, 210 Kattegat 229, 254f. Kauda siehe Gavdos Kelten 34, 45, 48, 50, 57-59, 65, 69, 71 Kent, William 258 Keos 44 Kerkyra siehe Korfu Kerne 178 Keto 44 Kilikier 61 Kimbern 60 Kirke 46, 51 Kition 170 Klazomenai 96 Kleinasien (Asia Minor) 70, 91, 96-99, 104, 110f., 113, 181 Knapp, Bernard 30 Knidos 99 Kokkinakis, Konstantinos 163

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Kolodny, Emile 30 Kolumbus, Christoph 56f. Königsberg 251 Konstantin VII., byzant. Kaiser 16 Konstantinopel 110f., 114, 122f., 127-129, 165, 169, 171 Kopenhagen (Copenhagen) 253f., 255 Köpingsvik 241 Koptos 91 Korfu 28, 45 Korinth, Korinther 178, 182 Korsika (Corsica) 20, 32, 117, 137, 140, 147, 149, 154f., 159, 234f., 252f. Korybantes 87 Kos 13-15, 17, 20, 25, 52 Kouropedion 89 Krantor 52f. Kreta (Crete) 16f., 19f., 25f., 59, 64, 96, 111, 117, 127, 137, 142, 147, 149, 152, 154f., 159, 163, 171, 231 Krieger, Leonard 257 Kronos 48f., 59, 64f., 185 Kronstadt 233, 240, 251 Kuressaare 242 Kurland (Courland) 227, 255f. Kykladen (Cyclades) 17, 27, 80, 170, 186 Kyprianos, Archimandrit 164 Kyrenaika (Cyrenaica) 39, 226, 231, 243f., 246 Kyrene 91 Kythira (Cerigo) 16 Ladon 71 Laistrygonen 45 Lampedusa 24, 201, 229 Lanzarote 61, 199 Larnaka 165-168, 170f.

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Latium 122f., 249, 252 Leon III., byzant. Kaiser 122 Leppard, Thomas 225, 232 Lérins 26 Lesbos 17, 20, 35f., 40f., 95-116 Leto 26, 76, 80 Lettland (Livonia) 255 Leuke, Leuce 50, 59, 229 Levante, Levantiner 35f., 97, 110, 113, 126, 129, 162, 172, 196 Libanon (Lebanon) 227, 251 Libyen (Libya) 63, 243 Lietzow 239 Ligurisches Meer 117 Lilla Karlsö 229 Limassol 165 Lindos 91 Linné, Carl von 168 Linosa 229 Lipara, Lipari 14, 17, 51 Liparische Inseln 21 Livius (Titus Livius) 177, 185, 189, 193 Logudoro 19 London 237 Lopašić, Aleksander 30 Lotophagen 45, 249 Lübeck 227, 243, 251, 255 Lucas, Paul 165, 168f. Luce, François, Konsul 165, 168 Ludwig XIV., König von Frankreich 165, 168 Lukas, Evangelist 26 Lukian 53f., 56f. Lund 241f. Lusignan, Familie 19, 32 Lusitanier 60 Luxemburg (Luxembourg) 201 Lyder 97f., 101f. Lyonesse 71

273 Machiavelli, Niccolò 252 Machimos 52 Mackinder, Halford John 236 Madagaskar 63 Madeira 61, 65 Madrid 147, 210, 220 Mag Mell 71 Maghreb 126f., 129, 138, 140, 210, 226 Mago, punischer Autor 55 Makedonien (Macedonia) 88f., 91, 106, 185, 232 Mali 208 Mallorca (Majorca) 231, 247 Malmö 254 Malta 17, 20, 24-26, 29, 31f., 69, 122, 125, 130, 140, 201f., 229 Mandelbrot, Benoit 227 Marco Polo 63 Mare Creticum 27 Mare Siculum 27, 182 Marin, Kapitän 165 Mariti, Giovanni 168-170 Marius (Gaius Marius), röm. Konsul 18, 60 Markellos (Marcellus) 53 Marokko, Marokkaner (Morocco, Moroccans) 38, 199f., 207-213, 215-222 Maroniten 170, 172 Marseille, Marseiller (Massilia) 161, 255 Martinetti, Joseph 30 Mauretanien (Mauritania) 50, 60f., 211, 220 Mayr, Wilhelm 171 Mayrhofer, Manfred 57 Mazara 118, 124, 127 McCormick, Michael 124 Medinet Habu 235

274 Mehmet II., osman. Sultan 114 Melqart 62 Menelaos, König von Sparta 49 Menorca 231, 247 Meropis 52 Messina 119, 124, 127, 130, 234f., 250 Straße von Messina (Strait of Messina) 235, 250, 261 Methymna 97, 99f., 104f., 107, 109 Metellus Celer (Quintus Cecilius Metellus Celer), Konsul 56 Milet 103 Mill, John Stuart 214 Mimas 96 Minos, König von Kreta 182 Mithridates VI., König von Pontos 60, 107 Mittelerde 73 Mittlerer Osten 113, 170 Mogador siehe Essaouira Mommsen, Theodor 60 Montagu, Edward Wortley 169 Moonsund-Inseln 250, 255 Morel de Cresmery, Nicolas, Konsul 168 Muʿāwiya I., umay. Kalif 110 Müllenhoff, Karl 46, 66 Müller, Wilhelm 163 Mykale 79 Mykene 97 Myller, Angelicus Maria, Mönch 165, 167, 171 Myrsilos 197 Mytilene 97-104, 105-110, 114 Nador 210 Napoleon (Napoléon Bonaparte) 251 Naukratis 99

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Nausikaa (Nausicaa), Tochter des Alkinoos 81 Naxos 17, 26, 82 Neapel 121f., 126, 130, 147 Nepos, Cornelius 56 Neptun 44 Nereus 44 Nesoi 109 New York 237 Niccolò II. Gattilusio 114 Niebuhr, Carsten 168-170 Niederländer (Dutch) 254f. Nigeria 71 Nil (Nile) 38, 186-189, 191, 197, 254 Nisyros 15 Nordsee (North Sea) 34, 255 Normannen 36, 129-133, 139 Nosala 51, 58 Novgorod 243 Numenor 73 Numidier (Numidians) 235 Nursia 60 Odysseus 22, 45, 54, 81 Ogygia 45f., 51 Oinussai-Inseln 103 Okeanos 14, 44, 46, 49, 52, 54 Öland 238f., 241-243, 251, 253 Olbia 91 Olrik, Axel 64 Olympia 78 Olympias, makedonische Königin 88 Oppenheimer, Franz 140 Orcades siehe Orkney Oreine 178 Origenes 56 Orkney 58 Ortygia 178, 190, 192 Ösel siehe Saaremaa

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Osmanisches Reich, Osmanen (Ottomans) 29, 32, 35, 41, 76, 112-115, 129, 142, 149, 162164, 166f. Osteodes (Ustica) 23 Östergamsholm 229 Ostsee (Baltic Sea) 39, 225-264 Otbertinger 130 Otranto 117, 131 Padua 164 Palaiphatos 55 Palästina (Heiliges Land) 27, 37, 131, 166, 168 Palermo 119, 125, 127, 130 Palestrina 188 Panchaia 50, 52, 58, 63 Pareto, Vilfredo 143 Parisin, Übersetzer 170 Paros 17 Patala 63 Patmos 16, 26f., 70 Paulus Diaconus 184 Paulus, Apostel 25f., 45, 167 Pausanias 195f. Paviken 241 Pazifischer Ozean (Pacific Ocean) 21, 33, 225, 257 Peisistratos 83f. Pelasger (Pelasgians) 86 Peloponnes (Peloponnese) 119, 131, 190, 231, 233 Perikles 104 Persephone 87 Perseus 107 Persien, Perser 35, 102-106, 114, 179 Persischer Golf (Persican Gulf) 47, 225 Phäaken, Phaiaker 22, 45f., 52, 180

275 Phalaris von Agrigent 18 Phanarioten 162 Pharmakidis, Theoklitos 163 Pharsalos 108 Phebol 59 Pikten 69 Philipp II., König von Makedonien 88 Philipp III. Arrhidaios, König von Makedonien 89 Philippi 91 Philippson, Alfred 28 Philon 62 Philostrat 51, 62f. Phokaia, Phokaier 99, 103 Phönizien, Phönizier (Phoenicians) 55, 62, 64, 71, 103, 170, 178, 197, 235f., 249, 251, 253f. Phorkys 44 Photius 53, 63, 185 Piemont, Piemontesen 36, 139, 149 Pindar 80 Pisa, Pisaner 20, 129f. Pithekoussai 177f., 197 Pizzorno, Alessandro 141 Platon 21-23, 49, 52f., 56f., 62, 183 Plinius (der Ältere) 13, 58, 61, 64, 107, 177, 183, 191, 196 Plouguel 68 Plutarch 18, 46, 48f., 53, 56, 59, 61, 64f. Pococke, Richard 170 Polen-Litauen (Polish-Lithuanian Realm) 256 Polybios 45, 57, 189 Polybotes 15 Polynesien (Polynesia) 236, 247 Pitcairn 247

276 Polyphem 51 Pompeius (Gnaeus Pompeius Magnus), röm. Feldherr 20, 107f. Pomponius Mela 54-56, 59, 61 Pontchartrain, Louis Phélypeaux, comte de 168 Pontos 44, 181 Porto Santo 61 Porry, Kaufmann 169f. Poseidon 15, 26, 44f. Poseidonios 57, 65 Pouillon, Jean 144 Preußen (Prussia) 232, 254, 257 Priamos, König von Troja 51 Pries, Ludger 114 Proklos 48, 53 Prokop 45, 66, 68f. Proteus 43f. Provence 26, 132 Pseudo-Aristoteles 51, 54f., 59f. Pseudo-Xenophon 182 Ptolemäus, Claudius (Ptolemy) 248f. Ptolemaier 89, 106, 252, 254 Ptolemaios II. (Ptolemy II), Pharao 89 Purcell, Nicholas 29, 76, 117-120 Pyrrha 97, 99 Pytheas von Marseille 58 Radermacher, Ludwig 68f. Ralswiek 241 Ramses III., Pharao 235 Ratzel, Friedrich 140 Ravenna 122 Reval siehe Tallinn Rhadamanthys 50 Rhein (Rhine) 66, 255 Rhodos (Rhodes) 16f., 20, 22, 25f., 44, 91, 99, 105, 163, 183

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Rhone 189f., 255 Riga 251, 255 Rinia (Rheneia) 84 Rom, Römer (Rome, Romans) 18f., 39, 45, 57, 60, 65f., 91, 107-110, 115f., 118f., 121f., 129, 183, 190, 197f., 232, 234236, 248, 251-254, 256 Rostock 251 Rotes Meer (Red Sea) 50, 178, 254 Rügen 239-243 Russland (Russia) 39, 240, 242, 254, 256f. Rüstow, Alexander von 140 Saaremaa 238-242 Sabiner 60 Saguntum 235 Salerno 125f. Sallust (Gaius Sallustius Crispus) 61 Saltvik 241 Samos 14, 20, 25f., 52, 90, 105 Samothraki (Samothrace) 17, 20, 24, 34f., 41, 59, 75-93 Sankt Petersburg (Saint Petersburg) 227, 240, 255 Sant’Imbenia 196 Sappho 102 Sardes 103 Sardinien, Sarden (Sardinia) 13, 19f., 32, 36, 40, 117, 137, 139f., 147, 149, 154f., 159, 179, 195197, 231, 234-236, 252f. Saturn 65 Saudi-Arabien 47 Säulen des Herakles (Pillars of Hercules) 62, 180, 249, 251 Scherie 45f., 52, 63

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Schillinger, Franz Caspar 166, 171f. Schlangeninsel (Serpent Island) siehe Leuke Schonen (Scania) 227, 241, 253f. Schwarzes Meer (Black Sea) 97, 99, 100, 110, 113, 122, 225, 229, 231, 243 Schweden (Sweden, Swedes) 39, 168, 229, 239-243, 247, 251257 Scotia 68 Seeland (Sjaelland) 231 Seevölker (Sea Peoples) 235 Selera 51 Sena siehe Île de Sein Seneca (Lucius Annaeus Seneca) 38, 56, 187f., 193 Senegal 208 Serenissima siehe Venedig Sertorius (Quintus Sertorius) 44, 60f. Servilius Caepio (Quintus Servilius Caepio), Konsul 60 Sestini, Domenico 167 Sestos 91 Shakespeare, William 32, 163, 246 Sibthorp, John 164 Sidgesholm 229 Sidi Ifni 210 Sidra, Golf von (Gulf of Sidra) 228-230, 243f., 250 Sigeion 99 Sikanien, Sikaner 194f. Sikuler 195 Sinai 59 Sinai, Yakov 256 Siwa 191

277 Sizilien, Sizilianer (Sicily) 13, 1719, 25f., 27, 30f., 35f., 40, 117135, 137-140, 147, 149, 154f., 157, 159, 178f., 182, 194-197, 227, 229, 231, 234-236, 250253 Skandinavien (Scandinavia) 58, 226, 229, 238f., 251, 253, 255 Skyklax aus Karyandra (Skylax of Karyandra) 177, 249 Skylla (Scylla) 250 Slaven 110, 241 Smyrna 171 Snow, Charles Percy 258 Solon 53 Sonnino, Sidney 147 Soqotra 49, 58, 63 Sorte Muld 241 Sosipatra 63 Sourvinou-Inwood, Christiane 75 Spanien, Spanier, spanisch (Spain) 30, 56-58, 60, 65f., 68, 70, 147, 155, 158, 199, 207-210, 213, 220-223, 235 Spann, Philipp 61 Sparta, Spartaner 84, 104f. Spengler, Oswald 248 Spykman, Nicholas John 236, 253 Sri Lanka 58 Statius Sebosus 61 Staufer 36, 130 Stephan von Byzanz 46, 52, 57, 107 Stesimbrotos von Thasos 87 Stevenson, Robert Louis 32 Stockholm 39, 252f., 255 Stora Karlsö 239 Strabon 45, 177, 186, 190f., 195 Stralsund 243 Süleyman I., osman. Sultan 115

278 Sulla (Lucius Cornelius Sulla Felix) 60 Surer 191 Susa 103 Suss-Massa-Draâ 207, 212f., 215, 218f., 221f. Swinton, John 170 Syrakus, Syrakuser 25, 118f., 122, 124f., 127, 130, 178f., 190 Syrien 111, 126, 131, 164 Tabrobane siehe Sri Lanka Tacitus (Publius Cornelius Tacitus) 58 Tallinn 251 Tangier 210 Tan-Tan 210 Tarragona, Tarraco 255 Tarschisch 55 Tartessos 51, 55 Telchinen 43 Teneriffa (Tenerife) 218, 222 Tertullian (Quintus Septimius Florens Tertullianus) 52, 56 Tethys 44, 237 Teutonen 60 Thaumas 44 Theben 185 Theodosius I. (Flavius Theodosius), röm. Kaiser 248 Theopomp von Chios 52, 99f. Thera 91 Theseus 44 Thesprotis 52 Thrakien (Thrace) 91, 99, 103 Thrinakria 52, 195 Thukydides (Thucydides) 13, 21, 81, 83, 85, 178f., 195 Thule 48, 53f., 58, 66, 181 Tiberius (Tiberius Iulius Caesar Augustus), röm. Kaiser 22, 183

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Timaios von Tauromenion 13, 196f. Timoleon 18 Tír na n-óg 71 Tolkien, John R. R. 70, 73 Toynbee, Arnold Joseph 246, 248 Trafalgar 246 Trapani 26, 118, 127 Treguier 68 Trinakia (=Sizilien) 13, 194-196 Tripolitanien (Tripolitania) 243 Troas 99 Troja (Troy) 16, 51, 86f. Tunesien (Tunisia) 125, 127, 130, 177, 181, 188, 229, 249 Türkei, Türken 112, 162, 170, 172 Turner, Timothy, Konsul 168f. Tuszien, Tusker 130, 182, 251 Tyche 252 Tyros (Tyre) 182, 254 Tyrrhenisches Meer (Tyrrhenian Sea) 23, 36, 117, 119, 121, 123, 125-129, 131, 252 USA 236 Usedom 239f. Valdemar IV. Atterdag, König von Dänemark 242 Val Demone siehe Demone-Tal Vandalen 110 Vänersee 238 Vättersee 238 Velleius Paterculus 72 Venedig, Venezianer 32, 37, 111, 118, 121f., 129, 149, 163f., 168170 Venus 172 Verres (Gaius Verres), röm. Statthalter 108 Vespasian (Titus Flavius Vespasianus), röm. Kaiser 108

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Vidal de la Blache, Paul 28 Villemarqué, Théodore Claude Henri Hersart Vicomte de la 68 Visborg 242 Visby 242f., 251 Vogoridis, Athanasios 163 Wallerstein, Immanuel 129 Warnen 66 Waterloo 246 Weber, Max 141f., 156 Weber, Wilhelm 171 Westsahara, Sahrawi (Western Sahara) 211-213, 221 Wickham, Chris 119-121, 129 Wien 163

279 Wikinger (Vikings) 240f., 243, 251 Wolin 240f. Xenophon 183 Zaccaria, Familie 112 Zedler, Johann Heinrich 28 Zemmrich, Johannes 72 Zeus 26, 44, 49, 64, 185 Zink, Burkhard 16 Zypern, Zyprioten (Cyprus) 17, 19, 25f., 31f., 37, 40, 57, 102, 111, 117, 127, 137, 140, 142, 147, 149, 158f., 161-173, 182, 231, 251