Konfessionsbildung im Zweiten Abendmahlsstreit (1552-1558/59) 3161592360, 9783161592362, 9783161598999

Der Zweite Abendmahlsstreit (1552-1558/59) zählt zu den wichtigsten Ereignissen für die Abgrenzung zwischen Luthertum un

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
I. Einleitung
I.1 Forschungsstand zum Zweiten Abendmahlsstreit (1552–1558/59)
I.2 Zur neueren Konfessionsdebatte
2.1 Unabgeschlossenheit der Konfessionsbildung um 1550
2.2 Konfessionsbildung – Konfessionalisierung – Konfessionskultur: Zur Beschreibung konfessioneller Abgrenzungsprozesse
2.3 Konfessionelle Identität
I.3 Konfessionelle Identitätsbildung in Luthertum und Reformiertentum
I.4 Anlage und Aufbau der Arbeit
4.1 Fokus der Untersuchung
a) Konzentration auf die überregionale theologische Debatte
b) Quellengrundlage und zeitliche Eingrenzung
c) Akteursperspektive und Analysekategorien
4.2 Aufbau und Gliederung
II. Historische und theologische Voraussetzungen des Streits
Vorbemerkung: Zur Bedeutung vorheriger innerevangelischer Debatten
II.1 Pluralität und erste Konflikte: Der evangelische Abendmahlsdiskurs bis 1526
1.1 Luther: Leibliche Präsenz und Abgrenzung gegen Karlstadt
1.2 Zwingli, Oekolampad, Bullinger: Signifikative Abendmahlsdeutung und ambivalentes Verhältnis zur Wittenberger Reformation
1.3 Die Straßburger Theologen: Vermittlungsbemühungen und theologische Sympathie für die Schweizer
1.4 Anbahnung umfassender innerevangelischer Konflikte
II.2 Weiterentwicklung der Positionen: Der Erste Abendmahlsstreit (1526–29)
2.1 Verlauf des Ersten Abendmahlsstreits im Überblick
2.2 Weiterentwicklung der Abendmahlstheologien und der Perspektiven auf andere reformatorische Positionen
a) Zwingli
b) Luther
c) Oekolampad
d) Melanchthon
e) Bucer
2.3 Das Marburger Religionsgespräch (1529)
II.3 Evangelische Einigung – aber wie? Die Entwicklung der 1530er Jahre
3.1 Bekenntnisse auf dem Augsburger Reichstag (1530)
a) Die Confessio Augustana und ihre Apologie
b) Die Confessio Tetrapolitana (und ihre Apologie)
c) Zwinglis Fidei Ratio und die Weiterentwicklung seiner Lehre
3.2 Einigungsversuche Bucers und der Bundestag zu Schweinfurt
3.3 Weitere Verhandlungen bis 1536 und die differierenden Einigungskonzepte der Beteiligten
3.4 Die Wittenberger Konkordie (1536)
3.5 Debatten über eine gesamtevangelische Verständigung auf Basis der Konkordie
3.6 Die Schmalkaldischen Artikel (1536/37)
II.4 Kooperation Wittenbergs und Straßburgs: Die Reichsreligionsgespräche (1540/41)
4.1 Die CA variata (1540) als gemeinsames Bekenntnis
4.2 Die Zusammenarbeit während der Gespräche
II.5 Erneute Abgrenzungen: Der Konflikt von 1544/45
5.1 Polemik gegen Zürich: Luthers Kurzes Bekenntnis (1544)
5.2 Ende des Dialogs mit Wittenberg: Das Zürcher Bekenntnis (1545)
5.3 Das Zerwürfnis zwischen Zürich und Straßburg
III. Die Ausgangssituation des Zweiten Abendmahlsstreits
Vorbemerkung: Konfessionell offene Situation, abendmahlstheologische Entwicklungen und reformatorisch normative Ansprüche
III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, Vermigli, a Lasco und ihren Kollegen
1.1 Zwischen Zürich und Straßburg: Neu gefasste Abendmahlstheologien der 1540er Jahre
a) Calvins Abendmahlstheologie und sein Einfluss in Frankreich
b) A Lascos Abendmahlstheologie und ihr ostfriesischer Kontext
1.2 Einigung zwischen Zürcher und Genfer Reformation: Der Consensus Tigurinus (1549)
a) Hintergründe evangelischer Einigung in der Eidgenossenschaft
b) Verhandlungen zwischen Calvin und Bullinger
c) Inhalt und Deutungsmöglichkeiten des Consensus
d) Aufnahme und Veröffentlichung des Consensus
1.3 Gesamtreformatorische Einigung und normative Ansprüche für ganz Europa: Die englische Reformation unter Eduard VI. und Thomas Cranmer (1547–52)
a) Erwartungen im Reich an die Reformation Eduards VI. und Rolle auswärtiger Theologen in England
b) Vermiglis Abendmahlstheologie und sein reformatorisch normativer Anspruch: Die Oxforder Disputation (1549)
c) Reformatorisch normativer Anspruch und internationaler Einfluss: Die Londoner Flüchtlingsgemeinden
d) Abendmahlstheologie und Identitätsvorstellung der Flüchtlinge: Microns Claer Bewijs (1552)
e) Anti-exhibitive Abendmahlsauffassungen: A Lascos Ausgabe seiner Epistola und der Tractatio Bullingers
f) Ausbau seiner Abendmahlstheologie und normativen Perspektive: A Lascos Tractatio de sacramentis (1552)
1.4 Ergebnisse
III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Westphal und seinem theologischen Netzwerk
2.1 Theologische Netzwerke und normative Ansprüche (1548–50)
a) Netzwerke der Interimsgegner
b) Innerwittenbergische Streitkultur und Identitätsbildung
2.2 Entwicklung abendmahlstheologischer Ketzervorwürfe (1551/52)
a) „Sakramentierer“ als Bedrohung
b) Ausbreitung abweichender Sakramentsauffassungen in Europa
2.3 Niederdeutsche Abendmahlspolemiken (1552)
a) Warnung an die Laien: Magdeburgs Kort Bericht
b) Ausbreitung der Gegner im eigenen Umfeld: Albers Vorrede
2.4 Die ersten großen Streitschriften (1552/53)
a) Vorwurf wechselseitigen Widerspruchs: Westphals Farrago
b) Rückführung der gegnerischen Lehre auf Karlstadt: Albers Wider die Carlstader
c) Konfrontation der eigenen und der gegnerischen Lehre: Westphals Recta fides
2.5 Ergebnisse
Exkurs A: Konflikte um die Londoner Flüchtlinge in Dänemark und Norddeutschland (1553/54)
A.1 Quellenproblem und Schwerpunktsetzung des Exkurses
A.2 Stationen der Flüchtlinge im Überblick
A.3 Der Konflikt zwischen Westphal und Micron in Hamburg
a) Gegenseitige Wahrnehmung beider Parteien
b) Formen und Instanzen reformatorischer Wahrheitsfindung
c) Abendmahlslehre und weitere dogmatische Streitfragen
d) Reformatorische und altkirchliche Autoritäten
e) Die Ausweisung der Flüchtlinge und ihre Hintergründe
A.4 Ergebnisse
IV. Die Hauptphase des Zweiten Abendmahlsstreits
IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite (1554/55)
1.1 Berufung auf die Väter und Vorwürfe gegen Melanchthon: Gallus’ Neuausgabe der Sententiae veterum
1.2 Kirchenväter und Reformatoren als Zeugen für den kirchlichen Konsens: Timanns Farrago
1.3 Westphals Autoritätenkampagne
a) Bemühen um internationale Verbreitung von Luthers Abendmahlsschriften: Westphals Vera et propria enarratio
b) Widerlegung der gegnerischen Berufung auf Augustin: Westphals Collectanea Augustini
c) Eindeutiger Zeuge für die eigene Lehre: Westphals Fides Cyrilli
1.4 Deutsche Übersetzung der Recta fides: Waldners Der rechte ungefälschte Glaub
1.5 Ergebnisse
IV.2 Ringen der von Westphal verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position (1554/55)
2.1 Pluralität und Kooperation: Briefliche Absprachen
a) A Lasco als Initiator einer Gegenschrift
b) Absprachen zwischen a Lasco und eidgenössischen Theologen
2.2 Calvins Position: Übereinstimmung im reformatorischen Kernanliegen
a) Suche nach Unterstützung in Sachsen
b) Verteidigung des Consensus Tigurinus und Betonung der Übereinstimmung mit Wittenberg: Calvins Defensio
2.3 Die Zürcher Position: Eigene Rechtgläubigkeit im Gegensatz zu Westphal
a) Kritik der Defensio: Hinweise an Calvin
b) Ergänzungen zur Defensio: Tabellen und Biblianders Widerlegung der Farrago
2.4 Kritik und differenzierte Übereinstimmung: Die Druckfassung der Defensio und ihre Aufnahme bei Calvins Mitstreitern
a) Calvins Überarbeitung der Defensio
b) Die Haltung eidgenössischer Kirchen zur Defensio und die Frage einer gemeinsamen Unterzeichnung
c) Calvins Verbreitung seiner Strategie in Sachsen
d) Diskussionen zwischen a Lasco, Calvin und Vermigli
2.5 Ergebnisse
IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte (1555/56)
3.1 Gegen Calvins Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation: Neue Schriften von Westphals Seite
a) Gegen Calvins Defensio: Westphals Iusta defensio
b) Calvin und andere Gegner als karlstadtische Unruhestifter: Die Publikation von Albers Wider die Carlstader
c) Gegen Calvins Berufung auf die Ernestiner: Schnepfs Confessio de eucharistia
d) Gegen Calvins Tauflehre: Westphals De vi, usu et dignitate baptismi
e) Gegen Calvins Berufung auf Luther: Judex’ Defensio verborum Coenae
3.2 Vom ‚Lutheropapismus‘ bis zur Berufung auf Melanchthon: Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen
a) Einigungspotential trotz unvollkommen reformatorischer Position der Gegenseite: A Lascos Vorrede zur Forma ac ratio
b) Absprachen über weitere Antwortschriften
c) Westphals Partei als ‚Lutheropapisten‘: Ochinos Syncerae et verae doctrinae defensio
d) Polemik gegen Westphal, positive Berufung auf andere Vertreter der Wittenberger Reformation: Calvins Secunda defensio
e) Betonung eigener Rechtgläubigkeit und Friedfertigkeit im Kontrast zu den Streitgegnern: Bullingers Apologetica expositio
3.3 Ergebnisse
Exkurs B. Regionale Abendmahlsdebatten und ihre Eskalation 1555/56
B.1 Der Bremer Abendmahlskonflikt
B.2 Der Frankfurter Abendmahlskonflikt
V. Scheitern der gesamtreformatorisch normativen Ansprüche und Ende des Zweiten Abendmahlsstreits
V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Wormser Religionsgespräch und endgültiges Scheitern einer gesamtevangelischen Verständigung (1556/57)
1.1 Streit um die Beanspruchung der Wittenberger Reformation: Westphals Kampagne gegen Calvins Secunda defensio
a) Calvins Text als unchristliche Polemik: Westphals Epistola
b) Widerlegung von Calvins Berufung auf Melanchthon: Westphals Philippi Melanthonis sententia de Coena Domini
c) Kirchliche Zeugnisse gegen Calvins Anspruch auf Übereinstimmung mit Wittenberg: Die Confessio fidei
1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon
a) Verstärkter Druck von Westphals Seite auf Melanchthon und Abgrenzung Melanchthons gegen Westphals Partei
b) Verketzerung Melanchthons: Hachenburgs Wider den Irrtum der neuen Zwinglianer
c) Beanspruchung Melanchthons für Westphal: Von Eitzens Defensio verae doctrinae
d) Gegen Brotanbetungsvorwürfe: Der Brief der Hamburger Pfarrer nach Wittenberg
e) Verketzerung von Westphals Gegnern und Begünstigungsvorwürfe an Melanchthon: Bötkers Kurzer und einfältiger Bericht
1.3 Das Eingreifen der Württemberger und ihre spezifische Position
a) Christologische Positionsbestimmung: Brenz’ Von dem hochwürdigen Sakrament
b) Abgrenzung gegen christologisch abweichende Auffassungen: Brenz’ Kolloquium mit a Lasco
c) Versuch, Westphals Gegner von der eigenen Lehre zu überzeugen: Andreaes Kurzer und einfältiger Bericht
d) Interpretation von Genfer Aussagen als Anschluss an die eigene Lehre: Die Confessio Goeppingensis
1.4 Reaktionen der Partei a Lascos, Bullingers und Calvins
a) Was ist vom Religionsgespräch zu erwarten? Briefliche Diskussionen
b) Endgültige Stellungnahme Calvins: Die Ultima admonitio
1.5 Die Abendmahlsfrage auf dem Wormser Religionsgespräch
a) Verteidigung für Worms: Westphals De Coena Domini confessio
b) Die Frage der Personalkondemnationen und der Bruch innerhalb der evangelischen Partei
c) Die Schweizer Delegation zugunsten evangelischer Franzosen
d) Die Abgrenzung der verbliebenen Delegierten gegen Zwingli
e) Gegen Calvin und gegen die in Worms verbliebenen Theologen: Westphals Confutatio enormium mendaciorum
1.6 Ergebnisse
V.2 Die Beendigung des Abendmahlsstreits (1558/59)
2.1 Kirchenpolitische Fronten der evangelischen Reichsstände
a) Einigungsversuch und mehrdeutige Abendmahlsaussagen: Der Frankfurter Rezess
b) Widerspruch von Westphals Partei und verketzernder Gegenentwurf: Das Weimarer Konfutationsbuch
2.2 Die Beendigung des Streits von Seiten Westphals
a) Westphals Festlegung gegen weitere Veröffentlichungen
b) Kompendium für die Nachwelt: Westphals Apologia
2.3 Die Beendigung des Streits von Seiten der Gegner Westphals
a) Indizien für ein Ende der Debatte
b) Eindeutige Abgrenzung gegen Westphal: Calvins Institutio
c) Antwort auf die Apologia und letztes Wort der von Westphal verketzerten Theologen: Bezas De Coena Domini tractatio
2.4 Ergebnisse
VI. Schluss
VI.1 Historischer Ausblick
1.1 Durchsetzung kirchenpolitischer Abgrenzungen: Bremen und Frankfurt (1560/61)
1.2 Entstehung neuer Abgrenzungen: Württemberg und die Kurpfalz (1559–64)
1.3 Differenzwahrnehmung und Uneindeutigkeit: Der Naumburger Fürstentag (1561)
1.4 Verschwinden bucerischer Positionen: Ostfriesland und Basel (1560er/70er Jahre)
1.5 Verlagerung des Konflikts auf andere Debatten
VI.2 Ergebnisse
2.1 Konfessionelle Unklarheit vor Streitbeginn
2.2 Konkurrierende normative Ansprüche und differierende Akteursperspektiven
2.3 Die Bedeutung von Zwischenpositionen
2.4 Der Streitverlauf und die Wechselwirkung theologischer mit außertheologischen Faktoren
2.5 Die konfessionsbildende Wirkung des Streits
a) Entstehung normativer theologischer Abgrenzungen – und Scheitern der gesamtreformatorisch normativen Ansprüche
b) Ausbildung einer gemeinsamen Identität innerhalb der Parteien
c) Kirchenpolitische Abgrenzungen und die Rolle der Confessio Augustana
2.6 Nach dem Streit offen gebliebene Fragen und deren Einfluss auf den Konfessionsbildungsprozess
Anhang: Zitate in Westphals Farrago
Quellen-und Literaturverzeichnis
1. Quellen
1.1 Alte Drucke
1.2 Editionen
2. Sekundärliteratur
Register
Personenregister
Ortsregister
Sachregister
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Konfessionsbildung im Zweiten Abendmahlsstreit (1552-1558/59)
 3161592360, 9783161592362, 9783161598999

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Spätmittelalter, Humanismus, Reformation Studies in the Late Middle Ages, Humanism, and the Reformation herausgegeben von Volker Leppin (Tübingen) in Verbindung mit Amy Nelson Burnett (Lincoln, NE), Johannes Helmrath (Berlin), Matthias Pohlig (Berlin), Eva Schlotheuber (Düsseldorf), Klaus Unterburger (Regensburg)

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Corinna Ehlers

Konfessionsbildung im Zweiten Abendmahlsstreit (1552–1558/59)

Mohr Siebeck

Corinna Ehlers, geboren 1987; Studium der Evangelischen Theologie in Tübingen, Z ­ ürich und Jena; Kollegiatin im DFG-Graduiertenkolleg „Religiöses Wissen im vormodernen Europa“ an der Universität Tübingen; Stipendiatin am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte Mainz, seit 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin ebd., ab 2020 im Projekt „Europäische Religionsfrieden Digital“ (Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz); 2019 Promotion. orcid.org/0000-0002-1696-925X

Gedruckt mit Unterstützung des Graduiertenkollegs 1662 „Religiöses Wissen im vormodernen Europa (800–1800)“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft. ISBN 978-3-16-159236-2 / eISBN 978-3-16-159899-9 DOI 10.1628/978-3-16-159899-9 ISSN 1865-2840 / eISSN 2569-4391 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 2018/2019 von der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung ist das Manuskript leicht überarbeitet und um Verweise auf neu erschienene Literatur ergänzt worden. Allen, die zum Gelingen der Arbeit beigetragen haben, danke ich sehr herzlich. Zuallererst gilt der Dank meinem Doktorvater, Prof. Dr. Volker Leppin. Er hat meine Forschung mit großem Engagement, Humor und Herzlichkeit begleitet, sich stets Zeit für Gespräche genommen und mir zugleich viel Freiraum gelassen, einen eigenen wissenschaftlichen Standpunkt zu entwickeln. Für die Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Prof. Dr. Volker Drecoll. Große Teile der Dissertation sind in meiner Zeit am Tübinger DFG-Graduiertenkolleg „Religiöses Wissen im vormodernen Europa (800–1800)“ entstanden. Prof. Dr. Renate Dürr und Prof. Dr. Andreas Holzem haben die Arbeit im Rahmen dieses Kollegs mit betreut. Die Gespräche mit ihnen haben die Fragestellungen dieser Untersuchung ebenso geschärft wie interdisziplinär geöffnet. Ein Stipendium am Leibniz-Institut für Europäische Geschichte Mainz hat mir ermöglicht, die Arbeit abzuschließen. Im Anschluss konnte ich dort eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Editionsprojekt „Religiöse Friedenswahrung und Friedensstiftung in Europa“ antreten, das mittlerweile in das Projekt „Europäische Religionsfrieden Digital“ (Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz) übergegangen ist. Für vielfältige Förderung und Unterstützung in dieser gesamten Zeit danke ich besonders Prof. Dr. Irene Dingel. Während der Stipendiatenphase haben Prof. Dr. Judith Becker (jetzt Berlin) und Dr. Henning Jürgens die Arbeit als Mentoren begleitet. Ein weiterer sehr besonderer Dank gilt den akademischen Lehrern, die mir reformationsgeschichtliche Forschung nahe gebracht und mich in je eigener Weise auch während der Dissertation unterstützt und ermutigt haben: Prof. Dr. Ulrich Köpf, Prof. Dr. Reinhold Rieger und alle am Tübinger Luther-Register haben ihre damalige Hilfskraft mit der Wittenberger Reformation vertraut gemacht; Prof. Dr. Emidio Campi hat mich in einem Zürcher Studienjahr für Bullinger, Calvin und ihr reformatorisches Umfeld begeistert. Auch an die Gespräche mit Dr. Christian Moser, Sang Bong Park (jetzt Seoul) und anderen am Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte denke ich gerne zurück.

VI

Vorwort

Auf einem vom Graduiertenkolleg ermöglichten Arbeitsgespräch haben Prof. Dr. Amy Nelson Burnett (Nebraska-Lincoln), Prof. Dr. Emidio Campi, Prof. Dr. Irene Dingel, PD Dr. Matthias Deuschle (Berlin), PD Dr. Johannes Hund (Mainz) und Prof. Dr. Miriam van Veen (Amsterdam) aus eigenen Forschungsprojekten berichtet und meine Thesen diskutiert. Ihnen allen danke ich für ihre Gesprächsbereitschaft – und vielfach für einen noch immer bestehenden Austausch. Prof. Dr. Matthias Pohlig (Berlin), Dr. Astrid Schweighofer (Wien) und viele andere haben mir mit Hinweisen weitergeholfen. Ohne das Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen wäre diese Arbeit nicht denkbar. Ganz besonders danke ich Dr. Tobias Jammerthal für den jahrelangen Austausch über reformatorische Abendmahlslehre, die Diskussion zahlreicher Entwürfe und das beständige Gespräch über die Praxis kirchenhistorischer Arbeit. Dr. Susanne Schenk hat mich immer wieder von der Relevanz dieser Untersuchung für andere Forschungen überzeugt. Die mehr als kollegiale Zusammenarbeit mit Katharina Bärenfänger, Waltraud Schnell und allen am Institut für Spätmittelalter und Reformation war ebenso eine große Unterstützung wie die freundschaftliche Bürogemeinschaft mit Johanna Jebe und Irina Saladin im Graduiertenkolleg. In Mainz haben mir Kollegen und Mitstipendiaten wichtige Anregungen gegeben – stellvertretend genannt seien hier Dr. Andrea Hofmann, Adam Storring und PD Dr. Christopher Voigt-Goy. Die Erfahrungen im Umgang mit Handschriften und Alten Drucken, die ich einem Praktikum in der Bayerischen Staatsbibliothek München – allen voran Dr. Ulrike Bayer – verdanke, waren für diese Untersuchung unverzichtbar. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Universitätsbibliothek Tübingen und zahlreicher weiterer Bibliotheken haben mir engagiert und freundlich große Mengen an Quellen und spezialisierter Literatur zugänglich gemacht. Marion Bechtold-Mayer, Benedikt Brunner, Martin-Paul Buchholz, Henning Bühmann, Andrea Hofmann, Tobias Jammerthal, Jonas Frank, Lorenz Kohl, Alexandra Schäfer-Griebel, Susanne Schenk und Astrid Schweighofer haben längere oder kürzere Teile der Arbeit Korrektur gelesen. Dem Herausgeberkreis danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Spätmittelalter, Humanismus, Reformation“, dem Graduiertenkolleg für einen beachtlichen Druckkostenzuschuss. Die freundliche und hochkompetente Betreuung durch Dr. Katharina Gutekunst, Dr. Martina Kayser und Susanne Mang im Verlag Mohr Siebeck hat den Prozess der Drucklegung befördert. Meine Eltern, Erika Möller-Ehlers und Horst Ehlers, haben mich während des Studiums und der Promotion stets so unterstützt, wie man es sich nur wünschen kann. Viele Freundinnen und Freunde haben Anteil an der Erforschung eines hoch spezialisierten Themas genommen und mich in schwierigen Phasen ermutigt. Ohne sie alle hätte ich dieses Buch nicht schreiben können. Mainz, den 3. Oktober 2020

Corinna Ehlers

Inhaltsverzeichnis Vorwort ......................................................................................................... V Inhaltsverzeichnis ....................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis .............................................................................. XV

I. Einleitung ............................................................................................ 1 I.1. Forschungsstand zum Zweiten Abendmahlsstreit (1552–1558/59) .......... 3 I.2. Zur neueren Konfessionsdebatte ............................................................17 2.1 Unabgeschlossenheit der Konfessionsbildung um 1550 ...................18 2.2. Konfessionsbildung – Konfessionalisierung – Konfessionskultur: Zur Beschreibung konfessioneller Abgrenzungsprozesse ................21 2.3 Konfessionelle Identität ...................................................................25 I.3. Konfessionelle Identitätsbildung in Luthertum und Reformiertentum .....30 I.4. Anlage und Aufbau der Arbeit ................................................................37 4.1 Fokus der Untersuchung ...................................................................37 a) Konzentration auf die überregionale theologische Debatte ...........37 b) Quellengrundlage und zeitliche Eingrenzung ...............................38 c) Akteursperspektive und Analysekategorien ..................................39 4.2 Aufbau und Gliederung ....................................................................43

II. Historische und theologische Voraussetzungen des Streits ....45 Vorbemerkung: Zur Bedeutung vorheriger innerevangelischer Debatten .....46 II.1 Pluralität und erste Konflikte: Der evangelische Abendmahlsdiskurs bis 1526 ..................................................................................................47 1.1 Luther: Leibliche Präsenz und Abgrenzung gegen Karlstadt .............47

VIII

Inhaltsverzeichnis

1.2 Zwingli, Oekolampad, Bullinger: Signifikative Abendmahlsdeutung und ambivalentes Verhältnis zur Wittenberger Reformation ............51 1.3 Die Straßburger Theologen: Vermittlungsbemühungen und theologische Sympathie für die Schweizer .......................................56 1.4 Anbahnung umfassender innerevangelischer Konflikte.....................58 II.2 Weiterentwicklung der Positionen: Der Erste Abendmahlsstreit (1526–29) ...............................................................................................63 2.1 Verlauf des Ersten Abendmahlsstreits im Überblick .........................63 2.2 Weiterentwicklung der Abendmahlstheologien und der Perspektiven auf andere reformatorische Positionen ........................65 a) Zwingli ........................................................................................65 b) Luther ..........................................................................................67 c) Oekolampad .................................................................................69 d) Melanchthon ................................................................................72 e) Bucer ...........................................................................................74 2.3 Das Marburger Religionsgespräch (1529) .........................................76 II.3 Evangelische Einigung – aber wie? Die Entwicklung der 1530er Jahre ......................................................................................................81 3.1 Bekenntnisse auf dem Augsburger Reichstag (1530) ........................81 a) Die Confessio Augustana und ihre Apologie ................................81 b) Die Confessio Tetrapolitana (und ihre Apologie) ........................84 c) Zwinglis Fidei Ratio und die Weiterentwicklung seiner Lehre .....85 3.2 Einigungsversuche Bucers und der Bundestag zu Schweinfurt .........86 3.3 Weitere Verhandlungen bis 1536 und die differierenden Einigungskonzepte der Beteiligten ...................................................90 3.4 Die Wittenberger Konkordie (1536) .................................................93 3.5 Debatten über eine gesamtevangelische Verständigung auf Basis der Konkordie ..................................................................................97 3.6 Die Schmalkaldischen Artikel (1536/37) ..........................................98 II.4. Kooperation Wittenbergs und Straßburgs: Die Reichsreligionsgespräche (1540/41) ..............................................101 4.1 Die CA variata (1540) als gemeinsames Bekenntnis ....................... 101 4.2 Die Zusammenarbeit während der Gespräche ................................ 103 II.5. Erneute Abgrenzungen: Der Konflikt von 1544/45 .............................. 107 5.1 Polemik gegen Zürich: Luthers Kurzes Bekenntnis (1544) .............. 107 5.2 Ende des Dialogs mit Wittenberg: Das Zürcher Bekenntnis (1545).109 5.3 Das Zerwürfnis zwischen Zürich und Straßburg ............................. 110

Inhaltsverzeichnis

IX

III. Die Ausgangssituation des Zweiten Abendmahlsstreits ..... 113 Vorbemerkung: Konfessionell offene Situation, abendmahlstheologische Entwicklungen und reformatorisch normative Ansprüche .................... 115 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, Vermigli, a Lasco und ihren Kollegen .................................................. 119 1.1 Zwischen Zürich und Straßburg: Neu gefasste Abendmahlstheologien der 1540er Jahre ........................................ 120 a) Calvins Abendmahlstheologie und sein Einfluss in Frankreich ..120 b) A Lascos Abendmahlstheologie und ihr ostfriesischer Kontext ..127 1.2 Einigung zwischen Zürcher und Genfer Reformation: Der Consensus Tigurinus (1549) .................................................... 138 a) Hintergründe evangelischer Einigung in der Eidgenossenschaft .138 b) Verhandlungen zwischen Calvin und Bullinger ......................... 140 c) Inhalt und Deutungsmöglichkeiten des Consensus ..................... 145 d) Aufnahme und Veröffentlichung des Consensus ........................ 149 1.3 Gesamtreformatorische Einigung und normative Ansprüche für ganz Europa: Die englische Reformation unter Eduard VI. und Thomas Cranmer (1547–52)........................................................... 151 a) Erwartungen im Reich an die Reformation Eduards VI. und Rolle auswärtiger Theologen in England ............................. 152 b) Vermiglis Abendmahlstheologie und sein reformatorisch normativer Anspruch: Die Oxforder Disputation (1549) ............ 160 c) Reformatorisch normativer Anspruch und internationaler Einfluss: Die Londoner Flüchtlingsgemeinden........................... 169 d) Abendmahlstheologie und Identitätsvorstellung der Flüchtlinge: Microns Claer Bewijs (1552) ................................. 172 e) Anti-exhibitive Abendmahlsauffassungen: A Lascos Ausgabe seiner Epistola und der Tractatio Bullingers ............................. 175 f) Ausbau seiner Abendmahlstheologie und normativen Perspektive: A Lascos Tractatio de sacramentis (1552)............. 176 1.4 Ergebnisse ...................................................................................... 184 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Westphal und seinem theologischen Netzwerk ...................................................... 187 2.1 Theologische Netzwerke und normative Ansprüche (1548–50) ......188 a) Netzwerke der Interimsgegner ................................................... 188 b) Innerwittenbergische Streitkultur und Identitätsbildung ............. 193 2.2 Entwicklung abendmahlstheologischer Ketzervorwürfe (1551/52) .195 a) „Sakramentierer“ als Bedrohung ................................................ 195 b) Ausbreitung abweichender Sakramentsauffassungen in Europa ..200

X

Inhaltsverzeichnis

2.3 Niederdeutsche Abendmahlspolemiken (1552) ............................... 206 a) Warnung an die Laien: Magdeburgs Kort Bericht ...................... 207 b) Ausbreitung der Gegner im eigenen Umfeld: Albers Vorrede ....209 2.4 Die ersten großen Streitschriften (1552/53) .................................... 210 a) Vorwurf wechselseitigen Widerspruchs: Westphals Farrago ....210 b) Rückführung der gegnerischen Lehre auf Karlstadt: Albers Wider die Carlstader ..................................................... 226 c) Konfrontation der eigenen und der gegnerischen Lehre: Westphals Recta fides ............................................................... 238 2.5 Ergebnisse ...................................................................................... 245 Exkurs A: Konflikte um die Londoner Flüchtlinge in Dänemark und Norddeutschland (1553/54) ........................................................... 249 A.1 Quellenproblem und Schwerpunktsetzung des Exkurses ................ 250 A.2 Stationen der Flüchtlinge im Überblick .......................................... 251 A.3 Der Konflikt zwischen Westphal und Micron in Hamburg ............. 253 a) Gegenseitige Wahrnehmung beider Parteien .............................. 254 b) Formen und Instanzen reformatorischer Wahrheitsfindung ........ 257 c) Abendmahlslehre und weitere dogmatische Streitfragen ............ 263 d) Reformatorische und altkirchliche Autoritäten ........................... 266 e) Die Ausweisung der Flüchtlinge und ihre Hintergründe ............. 270 A.4 Ergebnisse ..................................................................................... 276

IV. Die Hauptphase des Zweiten Abendmahlsstreits ............... 277 IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite (1554/55) .............................................................................................279 1.1 Berufung auf die Väter und Vorwürfe gegen Melanchthon: Gallusʼ Neuausgabe der Sententiae veterum .................................. 280 1.2 Kirchenväter und Reformatoren als Zeugen für den kirchlichen Konsens: Timanns Farrago ........................................................... 285 1.3 Westphals Autoritätenkampagne .................................................... 296 a) Bemühen um internationale Verbreitung von Luthers Abendmahlsschriften: Westphals Vera et propria enarratio .....297 b) Widerlegung der gegnerischen Berufung auf Augustin: Westphals Collectanea Augustini .............................................. 302 c) Eindeutiger Zeuge für die eigene Lehre: Westphals Fides Cyrilli ............................................................. 310 1.4 Deutsche Übersetzung der Recta fides: Waldners Der rechte ungefälschte Glaub ....................................................................... 314 1.5 Ergebnisse ...................................................................................... 317

Inhaltsverzeichnis

XI

IV.2 Ringen der von Westphal verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position (1554/55) ............................................................319 2.1 Pluralität und Kooperation: Briefliche Absprachen ........................ 319 a) A Lasco als Initiator einer Gegenschrift .................................... 319 b) Absprachen zwischen a Lasco und eidgenössischen Theologen .................................................................................. 324 2.2 Calvins Position: Übereinstimmung im reformatorischen Kernanliegen ................................................................................. 329 a) Suche nach Unterstützung in Sachsen ....................................... 329 b) Verteidigung des Consensus Tigurinus und Betonung der Übereinstimmung mit Wittenberg: Calvins Defensio ................ 332 2.3 Die Zürcher Position: Eigene Rechtgläubigkeit im Gegensatz zu Westphal ....................................................................................... 342 a) Kritik der Defensio: Hinweise an Calvin ................................... 343 b) Ergänzungen zur Defensio: Tabellen und Biblianders Widerlegung der Farrago .......................................................... 346 2.4 Kritik und differenzierte Übereinstimmung: Die Druckfassung der Defensio und ihre Aufnahme bei Calvins Mitstreitern .............. 349 a) Calvins Überarbeitung der Defensio .......................................... 349 b) Die Haltung eidgenössischer Kirchen zur Defensio und die Frage einer gemeinsamen Unterzeichnung ........................... 351 c) Calvins Verbreitung seiner Strategie in Sachsen ....................... 354 d) Diskussionen zwischen a Lasco, Calvin und Vermigli .............. 355 2.5 Ergebnisse ...................................................................................... 360 IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte (1555/56) .........................363 3.1 Gegen Calvins Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation: Neue Schriften von Westphals Seite....364 a) Gegen Calvins Defensio: Westphals Iusta defensio ................... 364 b) Calvin und andere Gegner als karlstadtische Unruhestifter: Die Publikation von Albers Wider die Carlstader ..................... 374 c) Gegen Calvins Berufung auf die Ernestiner: Schnepfs Confessio de eucharistia ........................................................... 376 d) Gegen Calvins Tauflehre: Westphals De vi, usu et dignitate baptismi .................................................................................... 380 e) Gegen Calvins Berufung auf Luther: Judexʼ Defensio verborum Coenae ...................................................................... 385 3.2 Vom ,Lutheropapismus‘ bis zur Berufung auf Melanchthon: Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen ..................................................................................... 388 a) Einigungspotential trotz unvollkommen reformatorischer Position der Gegenseite: A Lascos Vorrede zur Forma ac ratio 388

XII

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b) Absprachen über weitere Antwortschriften ............................... 395 c) Westphals Partei als ,Lutheropapisten‘: Ochinos Syncerae et verae doctrinae defensio .......................... 402 d) Polemik gegen Westphal, positive Berufung auf andere Vertreter der Wittenberger Reformation: Calvins Secunda defensio .......................................................... 407 e) Betonung eigener Rechtgläubigkeit und Friedfertigkeit im Kontrast zu den Streitgegnern: Bullingers Apologetica expositio ............................................... 416 3.3 Ergebnisse ...................................................................................... 425 Exkurs B. Regionale Abendmahlsdebatten und ihre Eskalation 1555/56.....427 B.1 Der Bremer Abendmahlskonflikt ................................................... 427 B.2 Der Frankfurter Abendmahlskonflikt ............................................. 433

V. Scheitern der gesamtreformatorisch normativen Ansprüche und Ende des Zweiten Abendmahlsstreits ...........447 V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Wormser Religionsgespräch und endgültiges Scheitern einer gesamtevangelischen Verständigung (1556/57) ....................................449 1.1 Streit um die Beanspruchung der Wittenberger Reformation: Westphals Kampagne gegen Calvins Secunda defensio .................. 450 a) Calvins Text als unchristliche Polemik: Westphals Epistola ...... 451 b) Widerlegung von Calvins Berufung auf Melanchthon: Westphals Philippi Melanthonis sententia de Coena Domini .....452 c) Kirchliche Zeugnisse gegen Calvins Anspruch auf Übereinstimmung mit Wittenberg: Die Confessio fidei .............. 459 1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon ............. 466 a) Verstärkter Druck von Westphals Seite auf Melanchthon und Abgrenzung Melanchthons gegen Westphals Partei ................... 467 b) Verketzerung Melanchthons: Hachenburgs Wider den Irrtum der neuen Zwinglianer ............................................................... 479 c) Beanspruchung Melanchthons für Westphal: Von Eitzens Defensio verae doctrinae ........................................................... 484 d) Gegen Brotanbetungsvorwürfe: Der Brief der Hamburger Pfarrer nach Wittenberg ............................................................. 488 e) Verketzerung von Westphals Gegnern und Begünstigungsvorwürfe an Melanchthon: Bötkers Kurzer und einfältiger Bericht ...................................... 492

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XIII

1.3 Das Eingreifen der Württemberger und ihre spezifische Position ....498 a) Christologische Positionsbestimmung: Brenz’ Von dem hochwürdigen Sakrament ........................................................... 499 b) Abgrenzung gegen christologisch abweichende Auffassungen: Brenz’ Kolloquium mit a Lasco ................................................. 502 c) Versuch, Westphals Gegner von der eigenen Lehre zu überzeugen: Andreaes Kurzer und einfältiger Bericht ................ 505 d) Interpretation von Genfer Aussagen als Anschluss an die eigene Lehre: Die Confessio Goeppingensis .............................. 514 1.4 Reaktionen der Partei a Lascos, Bullingers und Calvins ................. 517 a) Was ist vom Religionsgespräch zu erwarten? Briefliche Diskussionen ............................................................................. 517 b) Endgültige Stellungnahme Calvins: Die Ultima admonitio ........ 522 1.5 Die Abendmahlsfrage auf dem Wormser Religionsgespräch ........... 528 a) Verteidigung für Worms: Westphals De Coena Domini confessio ........................................................ 529 b) Die Frage der Personalkondemnationen und der Bruch innerhalb der evangelischen Partei ............................................. 533 c) Die Schweizer Delegation zugunsten evangelischer Franzosen ..537 d) Die Abgrenzung der verbliebenen Delegierten gegen Zwingli ...540 e) Gegen Calvin und gegen die in Worms verbliebenen Theologen: Westphals Confutatio enormium mendaciorum ....... 543 1.6 Ergebnisse ...................................................................................... 547 V.2 Die Beendigung des Abendmahlsstreits (1558/59) ................................549 2.1 Kirchenpolitische Fronten der evangelischen Reichsstände............. 549 a) Einigungsversuch und mehrdeutige Abendmahlsaussagen: Der Frankfurter Rezess .............................................................. 550 b) Widerspruch von Westphals Partei und verketzernder Gegenentwurf: Das Weimarer Konfutationsbuch .......................552 2.2 Die Beendigung des Streits von Seiten Westphals .......................... 555 a) Westphals Festlegung gegen weitere Veröffentlichungen ........... 555 b) Kompendium für die Nachwelt: Westphals Apologia ................. 556 2.3 Die Beendigung des Streits von Seiten der Gegner Westphals ........562 a) Indizien für ein Ende der Debatte ............................................... 562 b) Eindeutige Abgrenzung gegen Westphal: Calvins Institutio ....... 563 c) Antwort auf die Apologia und letztes Wort der von Westphal verketzerten Theologen: Bezas De Coena Domini tractatio ....... 565 2.4 Ergebnisse ...................................................................................... 569

XIV

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VI. Schluss..............................................................................................571 VI.1 Historischer Ausblick ..........................................................................573 1.1 Durchsetzung kirchenpolitischer Abgrenzungen: Bremen und Frankfurt (1560/61) ........................................................................ 573 1.2 Entstehung neuer Abgrenzungen: Württemberg und die Kurpfalz (1559–64)....................................................................................... 577 1.3 Differenzwahrnehmung und Uneindeutigkeit: Der Naumburger Fürstentag (1561) ........................................................................... 580 1.4 Verschwinden bucerischer Positionen: Ostfriesland und Basel (1560er/70er Jahre) ........................................................................ 582 1.5 Verlagerung des Konflikts auf andere Debatten .............................. 583 VI.2 Ergebnisse ..........................................................................................587 2.1 Konfessionelle Unklarheit vor Streitbeginn ................................... 587 2.2 Konkurrierende normative Ansprüche und differierende Akteursperspektiven....................................................................... 588 2.3 Die Bedeutung von Zwischenpositionen ......................................... 592 2.4 Der Streitverlauf und die Wechselwirkung theologischer mit außertheologischen Faktoren .......................................................... 593 2.5 Die konfessionsbildende Wirkung des Streits ................................. 594 a) Entstehung normativer theologischer Abgrenzungen – und Scheitern der gesamtreformatorisch normativen Ansprüche ......594 b) Ausbildung einer gemeinsamen Identität innerhalb der Parteien 597 c) Kirchenpolitische Abgrenzungen und die Rolle der Confessio Augustana..................................................................598 2.6 Nach dem Streit offen gebliebene Fragen und deren Einfluss auf den Konfessionsbildungsprozess .............................................. 601 Anhang: Zitate in Westphals Farrago ........................................................ 603 Quellen-und Literaturverzeichnis ............................................................... 607 1. Quellen ............................................................................................. 607 1.1 Alte Drucke .............................................................................. 607 1.2 Editionen .................................................................................. 613 2. Sekundärliteratur .............................................................................. 615 Register ......................................................................................................637 Personenregister ................................................................................... 637 Ortsregister ........................................................................................... 643 Sachregister .......................................................................................... 646

Abkürzungsverzeichnis Die Abkürzungen richten sich nach SCHWERTNER, SIEGFRIED M., IATG3 – Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin / Boston 32014. Darüber hinaus sind folgende Abkürzungen verwendet worden: ADRG BCor BDS BINDSEIL

BSELK BSELK QuM Calvin-StA C&C CO ConsTig

EpTig

ERNST FRH

GABBEMA

Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche im 16. Jahrhundert, hg. v. Klaus Ganzer u. Karl-Heinz zur Mühlen, 3 Bde., Göttingen 2000–07. Martini Buceri Opera omnia Series 3: Correspondance, Leiden 1979 ff. Martini Buceri Opera omnia Series 1: Deutsche Schriften, Gütersloh 1960–2016. Melanchthon, Philipp, Epistolae, iudicia, consilia, testimonia aliorumque ad eum epistolae quae in Corpore Reformatorum desiderantur, ed. v. Heinrich Ernst Bindseil, m. e. Nachtrag v. Robert Stupperich, Nachdruck Hildesheim / New York 1975 (= Halle (Saale) 1874). Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition, hg. v. Irene Dingel, Göttingen /Bristol 2014. Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Quellen und Materialien, 2 Bde., hg. v. Irene Dingel, Göttingen /Bristol 2014. Calvin-Studienausgabe, 8 Bde., hg. v. Eberhard Busch u.a., NeukirchenVluyn 1994–2011. Controversia et Confessio. Theologische Kontroversen 1548–1577/80, kritische Auswahledition, hg. v. Irene Dingel, Göttingen 2008 ff. Corpus Reformatorum, Series II: Johannes Calvin, Opera quae supersunt omnia, Braunschweig bzw. Berlin 1863–1900. Consensus Tigurinus, ed. v. Philipp Wälchli, in: Emidio Campi / Ruedi Reich (Hg.), Consensus Tigurinus. Die Einigung zwischen Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl. Werden – Wertung – Bedeutung, Zürich 2009, 125–142. Epistolae Tigurinae de rebus potissimum ad Ecclesiae Anglicanae reformationem pertinentibus conscriptae A. D. 1531–1558, ex schedis manuscriptis in Bibliotheca Tigurina aliisque servatis Parkerianae societatis auspiciis editae, Cambridge 1848. Briefwechsel des Herzogs Christoph von Wirtemberg, ed. v. Viktor Ernst, 4 Bde., Stuttgart 1899–1907. Franckfurtische Religions-Handlungen, Welche zwischen Einem HochEdlen und Hochweisen Magistrat und denen Reformirten Burgern und Einwohnern daselbst […] gepflogen worden […], 2 Bde., Frankfurt (Main) 1735. Illustrium & Clarorum || VIRORVM || EPISTOLÆ, || selectiores superiore & hoc seculo || scriptae […] Quas passim ex Autographis collegit et edidit || SIMON ABBES GABBEMA […], Harlingen (Friesland): Heron Galama, 1669.

XVI GLN

GORHAM

HBBW HBTS KSLuth KUYPER LStRLO MBW OrigLett

PRESSEL R5AS RefBek

RHTh SARRAU SILLEM USTC WOLF Z

Abkürzungsverzeichnis Bibliographie de la production imprimée des 15e et 16e siècles des villes de Genève, Lausanne et Neuchâtel (http://www.ville-ge.ch/musinfo/bd/ bge/gln/) Gleanings of a few scattered ears, during the period of the reformation in England and of the times immediately succeeding A. D. 1533 to A. D. 1588, ed. v. George Cornelius Gorham, London 1857. Heinrich Bullinger Werke, Abt. 2: Briefwechsel, Zürich 1973 ff. Heinrich Bullinger Werke, Abt. 3: Theologische Schriften, Zürich 1983 ff. Kommentare zu Schriften Luthers, Tübingen 2007 ff. A Lasco, Johannes, Opera, ed. v. Abraham Kuyper, 2 Bde., Amsterdam 1866. Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, Leipzig 2002 ff. Melanchthons Briefwechsel. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe, Stuttgart-Bad Cannstatt 1977 ff. Original letters relative to the English reformation, written during the reigns of King Henry VIII, King Edward VI, and Queen Mary, chiefly from the archives of Zurich, übs. u. ed. v. Hastings Robinson, 2 Bde., Cambridge 1846. Anecdota Brentiana. Ungedruckte Briefe und Bedenken von Johannes Brenz, ed. v. Theodor Pressel, Tübingen 1868. Refo500 Academic Studies, Göttingen 2011 ff. Reformierte Bekenntnisschriften, hg. v. Heiner Faulenbach u. Eberhard Busch / Andreas Mühling u. Peter Opitz, 3 Bde. in 7 Teilbdn., Neukirchen-Vluyn 2002–16. Reformed Historical Theology, Göttingen 2007 ff. Les lettres a Jean Calvin de la collection Sarrau, ed. v. Rodolphe Peter u. Jean Rott, Paris 1972 (CRHPR 43). Briefsammlung des hamburgischen Superintendenten Joachim Westphal, ed. v. Carl Hieronymus Wilhelm Sillem, 2 Bde., Hamburg 1903. The Universal Short Title Catalogue (http://www.ustc.ac.uk/) Quellenkunde der deutschen Reformationsgeschichte, hg. v. Gustav Wolf, 2 Bde. in 3 Teilbdn., Gotha 1915–1922. Corpus Reformatorum, Series III: Huldreich Zwingli, Sämtliche Werke, München u. a. 1905–1991.

Teil I

EINLEITUNG

Kapitel I.1

Forschungsstand zum Zweiten Abendmahlsstreit (1552–1558/59) Die Bedeutung des Zweiten Abendmahlsstreits (1552–1558/59) für die endgültige Abgrenzung zwischen Luthertum und Reformiertentum ist in der Forschung allgemein anerkannt.1 Eine ausführliche Analyse dieses Zusammenhangs hingegen ist seit über hundert Jahren nicht mehr vorgelegt worden und gilt als Desiderat. So bemerkt Wilhelm H. Neuser in seinem Standardüberblick von 1998: „Eine eingehende Darstellung fehlt“2 und Wim Janse hebt 2008 erneut hervor: „A complete history of this second eucharistic controversy is still to be written. […] In the first place, the literature on this subject is strikingly modest: its extent is in inverse proportion to that of the polemic itself. Secondly, the major part of this literature suffers from a confessional bias.“3 Damit ist bereits das zweite Hauptproblem der bisherigen Forschung benannt: Die Mehrheit der vorhandenen Arbeiten übernimmt – unter wechselnden Vorzeichen – die Sichtweise jeweils einer Streitpartei. Bis heute einflussreich sind vor allem die konfessionstheologisch geprägten Darstellungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Seither sind neben (wenigen) systematisch-theologisch orientierten Arbeiten eine Reihe kleinerer Beiträge zu Einzelfragen erschienen, nicht jedoch eine umfassende historische Untersuchung, die auf breiter Quellenbasis den Beitrag des Zweiten Abendmahlsstreits zur lutherischen und reformierten Konfessionsbildung beleuchten und ihn in die neuere Forschungsdiskussion zu konfessionellen Phänomenen einordnen würde.

1 Vgl. nur die folgenden – sonst ganz unterschiedlich akzentuierten – aktuellen Gesamtdarstellungen: MACCULLOCH, DIARMAID, Reformation. Europeʼs House Divided 1490– 1700, London u.a. 22004, 252; HOLZEM, ANDREAS, Christentum in Deutschland 1550–1850. Konfessionalisierung – Aufklärung – Pluralisierung, 2 Bde., Paderborn 2015, hier Bd. I, 305–307; KAUFMANN, THOMAS, Erlöste und Verdammte. Eine Geschichte der Reformation, München 2016, 241 f.; BENEDICT, PHILIP, Christʼs Churches Purely Reformed. A Social History of Calvinism, New Haven / London 2002, 75. 2 NEUSER, WILHELM H., Dogma und Bekenntnis in der Reformation: Von Zwingli und Calvin bis zur Synode von Westminster, in: HDThG 2, Tübingen 21998, 165–352 (darin 272–285 zum Zweiten Abendmahlsstreit, Zitat 272). 3 JANSE, WIM, The Controversy between Westphal and Calvin on Infant Baptism, 1555– 1556, in: Perichoresis 6/1 (2008), 3–43, hier 7 f.

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I.1 Forschungsstand zum Zweiten Abendmahlsstreit

Ausgangspunkt der Geschichtsschreibung zum Zweiten Abendmahlsstreit sind Darstellungen des späten 16. Jahrhunderts, die unmittelbar an die Perspektive der Streitparteien anknüpfen: So meinen Martin Chemnitz, Timotheus Kirchner und Nikolaus Selnecker in ihrer 1591 als Histori des Sacramentstreits nachgedruckten Historia der Augsburgischen Konfession,4 Calvin habe zunächst so getan, als ob er „mit dem Lutherischen theil einig“5 wäre, sich dann aber 1549 im Consensus Tigurinus „zu den zwinglern gntzlich gesellet“6 – weil dies für Ärgernis gesorgt habe, habe der Hamburger Pastor Joachim Westphal 1552 seine Farrago verfasst und nachgewiesen, dass die am Consensus Tigurinus Beteiligten Ketzer seien.7 Christoph Pezel dagegen betont im Jahr 1600 im Anschluss an Calvin, Westphal habe den Consensus Tigurinus zu Unrecht zum Anlass genommen, den durch Wittenberger Konkordie und Confessio Augustana variata bereits beigelegten Abendmahlsstreit zu erneuern.8 Der 4 Dieses Werk zielte darauf ab, die Konkordienformel gegen diverse Polemiken zu verteidigen. Vgl. zum historischen Hintergrund DINGEL, IRENE, Concordia controversa. Die öffentlichen Diskussionen um das lutherische Konkordienwerk am Ende des 16. Jahrhunderts, Gütersloh 1996 (QFRG 63), 148–155, zur Identität der Histori des Sacramentstreits von 1591 mit der Historia der Augsburgischen Konfession aaO., 711. 5 CHEMNITZ, MARTIN / KIRCHNER, TIMOTHEUS / SELNECKER, NIKOLAUS, Histori deß Sacramentstreits / || Darinnen klr=||lich außgefhret wirdt / wie || diese Zwytracht entstanden / biß auff vnsere || Zeit continuiret / Vnd sonderlich was hierinn von den || Augspurgischen Confessionsverwandten [...] || gehandelt || worden […], o.O. 1591, VD16 K 1044, 514. 6 AaO., 515. 7 AaO., 522: „Nach dem nun Caluinus […] mit den Zrchern vnd andern Sacramentirern einigkeit und consens getroffen / hat er denselben ffentlich in Druck außgehen lassen. Vnd weil davon allerley reden vnd rgerniß / auch vnter den vnsern sich erhaben / hat Joachimus Westphalus Pastor der Kirche zu Hamburg / dagegen ein Bchlein mit dem Tittel (Farrago […]) außgehen lassen / welches dahin gerichtet / daß der Leser auß der Sacramentschwermer eigenen Bchern […] sehen / vnn verstehen mchte / wenn sie schon von großer consension vnn einhelligkeit / vnter jnen viel schreiben vnn rhmen / daß sie doch in diesem Artickel (was belangt die außlegung und erklrung der wort der einsetzung […]) vnter sich selbst getrennet seyn / welches der Verfhrer vnd Betrieger eigentliche merckzeichen sind.“ 8 PEZEL, CHRISTOPH, Außfhrliche / warhaffte /|| vnd bestendige || ERzehlung:|| I. Was vom H. Nachtmal Christi / die Lehre dern || so man vnbefgt Caluinisch nennet.|| II. Was im Sacramentstreitt / fr vornemme Sa=||chen / zu desselben Hinlegung sich bey D.Lu=||ther begeben / biß zur Wittenbergischen Con=||cordien. || III. Wie der Sacramentstreitt widervmb ernewert /|| […], Neustadt (Haardt): Wilhelm Harnischs Erben 1600, VD16 P 2091, 99 f.: „Demnach aber Anno 1549. außerhalb Deutschlandes die […] Kirchen in Schweitz / vnnd Sophoy [i.e. Savoyen, C.E.] eine Vergleichung mit einander gemacht / vber der Lehr vnd Handel vom H. Sacrament […] / hat jhme Ioachimus VVestphalus Prediger zu Hamburg / daher Gelegenheit genommen / Daß er Anno 1552 […] den Sacramentsstreit in Sachsen / auffs newe angefangen / […] ein Buch außgehen lassen mit dem Titel: Farrago confusanearum et inter se dissidentium opinionum de Coena Domini ex Sacramentariorum libris congesta. Welcher Titel fr sich selbst Anzeigung gibt / Daß man auß der verloschenen Aschen eine [!] newes Fewer auffblasen / vnd aus allen Winckeln den Staub vnnd Kot zusammen kehren habe wllen / damit ja die Kirche Gottes in Vnruh auffs newe gesetzt / vnnd den

I.1 Forschungsstand zum Zweiten Abendmahlsstreit

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Consensus enthalte die gleiche Lehre, die zur Zeit der Konkordie von Luther anerkannt worden sei, stehe also nicht im Widerspruch zu Luthers Auffassung.9 Diese beiden Perspektiven bleiben bis ins frühe 18. Jahrhundert prägend.10 Ein neues Stadium der Forschung bilden dann die Darstellungen der Aufklärungszeit. Auch diese Werke sind nicht frei von den traditionellen konfessionellen Urteilen. Sie wurden jedoch grundlegend für die weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Zweiten Abendmahlsstreit, da sie erstmals die dafür relevanten Quellen zusammenstellten und erschlossen. So bietet Gottlieb Jakob Planck in seiner Geschichte der protestantischen Theologie (1799) eine ausführliche, mit präzisen Nachweisen versehene Gesamtdarstellung des Streits.11 Dabei knüpft er der Sache nach an die klassische reformierte Sichtweise an, wenngleich die Situation vor Streitausbruch nun unter aufklärerischem Vorzeichen als Ausdruck von Toleranz erscheint: Im Rahmen der Wittenberger Konkordie hätten alle Beteiligten eine gewisse Freiheit der „PrivatMeynung“ akzeptiert12 – daher sei Calvins Seite die Formulierung ihrer Position nicht vorzuwerfen.13 Westphal und seine Parteigänger erscheinen dagegen als „lutherische Zeloten“14 die ohne hinreichende Ursache den Streit erneuert hätten.15 Auf lutherischer Seite wiederum verfasste Arnold Greve seine Memoria Westphali (1749) in der Absicht, Westphal gegen derartige Vorwürfe zu Vnwissenden ein Nebel fr die Augen gemacht wrde / das jenige / so vorhin in der Concordi zu Fried vnnd Einigkeit gerichtet war / hinfro nit mehr zusehen.“ 9 Vgl. aaO., 137–141. 10 Vgl. LOESCHER, VALENTIN ERNST, Außfhrliche || Historia Motuum || zwischen den || Evangelisch Lutheri=||schen und Reformirten/ || in welcher || Der gantze Lauff der Streitigkeiten biß auff jetzige Zeit Acten-mäßig || erzehlet [...], 3 Bde., Leipzig 1723–1724, hier Bd. II (VD18 90213491), 81–85, einerseits; BECMANN, JOHANN CHRISTOPH, Christliche Erwegung || Der || HISTORIE || Der Ersten Religions Motuum || Zwischen Den EvangelischLutherischen || und Reformirten […] o.O. 1705, VD18 11368020, 77–80, andererseits. 11 PLANCK, GOTTLIEB JAKOB, Geschichte || der || protestantischen || Theologie || von Luthers Tode || bis zu der || Einführung der Konkordienformel, 3 Bde., Leipzig 1781–1800, hier Bd. II/2, 1–446. 12 AaO., 13–15: „Auch nach der Wittenbergischen Concordie hatten sich Bucer, Kapito, Martyr eben so wie Kalvin immer darauf eingeschrnkt, und es nur nicht immer so deutlich, wie er, geussert, daß sie bloß eine geistliche Gegenwart und einen geistlichen Genuß jener Substanz [des Leibes Christi, C.E.] annhmen: aber auch ausser Straßburg schien man sich fast allgemein darber zu verstehen, daß man sich damit begngen knnte und begngen drfte. Nicht nur Melanchthon und seine Freunde waren mehr als damit zufrieden, daß man das eigenthmliche und unterscheidende der lutherischen Kirchen-Lehre bloß in die allgemeine Bestimmung von einer substantiellen Gegenwart Christi setzen, hingegen alle weitere Bestimmungen ber die Art dieser Gegenwart der Privat-Meynung eines jeden berlassen sollte, sondern auch Luther selbst schien nichts dagegen zu haben, daß der Privat-Meynung diese Freyheit gestattet werden mchte.“ 13 Vgl. aaO., 5–11. 14 So aaO., 26. 15 Vgl. aaO., 24–28; 34 f.

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I.1 Forschungsstand zum Zweiten Abendmahlsstreit

verteidigen.16 Auch hier verbinden sich für die Aufklärung typische Impulse mit konfessionellen Interessen: Greve hebt seine Beschäftigung mit den Originalquellen hervor – um dann zu betonen, dass dieses Vorgehen ihn von der Berechtigung der Haltung Westphals überzeugt habe.17 In diesem Rahmen bietet er nicht nur präzisere Wiedergaben von Westphals Schriften als alle früheren (und viele späteren) Autoren, sondern druckt auch zahlreiche Dokumente ab, deren Originale mittlerweile verloren sind. Analoges gilt für Greves Biographien über Westphals kurz nach Streitausbruch verstorbenen Vorgesetzten Johann Aepin und dessen Nachfolger Paul von Eitzen.18 Zugunsten von Westphals Parteigängern in Dänemark argumentiert 1754 Ludwig Harboe;19 auch er gibt Archivalien wieder, die noch immer für die Forschung wertvoll sind. Bis heute prägend für die Wahrnehmung des Streits sind die Monographien des 19. Jahrhunderts, in denen mit wenigen Ausnahmen20 die konfessionellen Sichtweisen erneut massiv zum Tragen kommen und mit der zeitgenössischen Debatte über eine evangelische Union verknüpft werden. Dabei beruht die Beurteilung der Streitursachen zentral auf dem theologischen Urteil des jeweiligen Autors über die (Un-)Vereinbarkeit bestimmter Positionen: So postuliert Heinrich Heppe (1852) auf Basis einer dogmatischen Analyse der Theologie Calvins und Melanchthons, diese beiden Theologen hätten sich vor Ausbruch des Streits abendmahlstheologisch so angenähert, dass darin eine „Union des 16 Vgl. GREVE, ARNOLD, MEMORIA || IOACHIMI VVESTPHALI || SVPERINTENDENTIS || HAMBVRGENSIS || […],Hamburg 1749, VD18 10200649, XII f. 17

AaO., 72: „Ego sane, qui farraginem istam a VVestphalo scriptam aliquoties legi, non possum non eius soliditatem depraedicare. Et quid in moderatione ab eo adhibita iure desiderari possit, non video.“ 18 GREVE, ARNOLD, MEMORIA || IOANNIS AEPINI || DOCTORIS THEOLOGI || ET PRIMI HAMBVRGENSIVM || SVPERINTENDENTIS […], VD 18 11404019, Hamburg 1736; DERS., MEMORIA || PAVLI AB EITZEN || DOCTORIS THEOLOGI || ET SVPERINTENDENTIS HAMBVRGENSIS […], Hamburg 1744 VD18 11404027. 19 HARBOE, LUDWIG, […] Zuverläßige || Nachrichten || von dem || Schicksale || des Johann a Lasco || und seiner aus England vertriebenen || reformirten Gemeinde in Dännemark […], übs. v. Christian Gottlob Mengel, Kopenhagen / Leipzig: Johann Friedrich Pelt 1758, VD18 10214623, 11: „Vornehmlich aber wird man aus dieser Nachricht ersehen können, daß Dnnemark die harten Beschuldigungen und Urtheile, welche ber dieses Reich wegen des gehabten Besuches dieser Flchtlinge gefllet werden, gar nicht verdiene.“ Das Werk wurde 1754 auf dänisch, 1758 auf deutsch veröffentlicht, vgl. aaO., )( 1r– )( 2v. 20 Die Ausnahmen sind zwei Dissertationen, die aber zur Frage der konfessionellen Entwicklung kaum Neues beitragen: NIETER, JOHANNES, De controversia, quae de coena sacra inter Westphalum et Calvinum fuit, dijudicatio, Berlin 1871, gibt einen im Hinblick auf die Motive der Protagonisten ungewöhnlich ausgewogenen, sonst aber wenig originellen Überblick über den Streitverlauf; ebenfalls nicht auf die Unionsfrage bezogen und im konfessionellen Urteil zurückhaltend (wenngleich an der traditionell reformierten Sicht orientiert) äußert sich LENGEREAU, ERNEST, Théorie de Calvin sur la Cène d’apres ses controverses avec Joachim Westphal et Tilemann Heshusius, Toulouse 1896, der Calvins Abendmahlslehre anhand der Konflikte mit Westphal und Heshusius untersucht.

I.1 Forschungsstand zum Zweiten Abendmahlsstreit

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deutschen und Calvinischen Protestantismus“ zu sehen sei.21 Dafür führt er Calvins Unterzeichnung der CA variata an,22 aber auch die „Thätigkeit, welche Calvin […] entfaltete, um eine kirchliche Union der französisch-schweizerischen Kirche mit den evangelischen Kirchengemeinschaften des lutherischen Nordens und des reformirten Polens herbeizuführen“.23 Dieser von Heppe als Fortschritt hin zum eigentlichen Ziel des Protestantismus betrachtete Prozess sei jedoch von einer mit Flacius identifizierten, „retrograden Bewegung“ torpediert worden – unter anderem von dem „wilden Kampf, den Joachim Westphal in Hamburg seit 1552 gegen Calvin führte.“24 Auch Ernst Stähelin (1863) behandelt den Streit im Rahmen der „Unionsgedanken Calvins Deutschland gegenüber“;25 Westphal und seine Parteigänger erscheinen als Fanatiker, die durch ihre Polemik die von Calvin angestrebte Kirchenunion verhindern.26

21 Vgl. HEPPE, HEINRICH, Geschichte des deutschen Protestantismus in den Jahren 1555– 1581, 4 Bde., Marburg 1852–59, hier Bd. I, 57–61, Zitat 57. AaO., 61, wird betont, „daß sich Calvin und Melanchthon über den Sacramentstreitigkeiten ihrer Zeit freudig die Hand reichten, indem sie sich, von der unendlichen Differenz ihrer Prinzipien absehend, mit der Consequenz ihrer Doctrin in den für das praktische Interesse erheblichsten Resultaten begnügten.“ Diese Resultate sieht Heppe unter anderem darin, dass Melanchthon ebenso wie Calvin „jede communicatio idiomatum realis in Abrede stellte, und eine solche persönliche Einigung der beiden Naturen lehrte, in welcher jede derselben ihre volle Integrität behielt“ (aaO., 59) und dass beide „den Inhalt der sacramentlichen und der durch das Wort vermittelten Gnade völlig identifizirten, und teleologisch die gesammte Heilsinstitution nur in ihrer Beziehung auf den Gläubigen betrachteten.“ (aaO., 60). 22 AaO., 61 f.: „Aeußerlich beurkundet ward diese innere Beziehung Calvins und Melanchthons dadurch, daß ersterer, der die wesentliche Uebereinstimmung seiner Sacramentenlehre mit der Melanchthonischen einsah, die Augsburgische Confession in der späteren Ausgabe […] unterzeichnete.“ 23 AaO., 68. 24 Vgl. aaO., 68–90, beide Zitate 68. 25 So die Überschrift bei STÄHELIN, ERNST, Johannes Calvin, 2 Bde., Elberfeld 1863 (LASRK IV.1–2), hier Bd. II, 189; der ganze Abschnitt aaO., 189–234. Die Vollendung dieser Bemühungen sieht Stähelin in der unierten Kirche seiner Zeit, vgl. aaO., 233. 26 AaO., 206: „voll Parteigeistes und Parteieifers, wie man war, meinte man […] zu erkennen, daß eine eigentliche Verschwörung bestehe, um das Lutherthum auszurotten und die Religion der ,Sakramentirer‘ an seine Stelle zu setzen. Zuerst der Prediger Joachim Westphal in Hamburg fühlte sich dazu berufen, dieß seinen Glaubensgenossen kund zu thun […] Es ließ sich daraus sofort erkennen, von welcher Charakterart er war und welche Tendenz er verfolgte. Calvin wurde völlig und schlechtweg zu den Zwinglianern geworfen […]. Wo seine eigenthümliche tiefere Auffassung zur Sprache gebracht werden mußte, wurde sie inʼs Lächerliche gezogen und für berechnenden Betrug ausgegeben; nicht das Uebereinstimmende und zur Anknüpfung Geeignete, sondern gerade das Abstoßende und Polemische, die äußersten Spitzen und Härten in der lutherischen Lehre wurden ihr entgegengestellt; und dieß Alles in einem Tone der Rohheit, Feindseligkeit, Gewaltthätigkeit, Aufreizung, wie er selbst in dieser Zeit der rücksichtslosesten Bitterkeit und Derbheit, selbst in den Streitschriften eines Flacius und Amsdorf noch nicht vorgekommen war.“

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Nicht weniger von konfessionstheologischen Positionierungen geprägt sind die lutherischen Darstellungen, die sich gegen derartige Unionsthesen richten: So argumentiert Heinrich Schmid (1868) gegen Planck und Heppe,27 dass Calvins Lehre dogmatisch im gleichen Gegensatz zu der Luthers stehe wie diejenige Zwinglis.28 Also habe der lutherischen Kirche Gefahr davon gedroht, dass Calvin und die Zürcher sich auf den Consensus Tigurinus einigten29 und dafür „Propaganda machten, und […] die Lehre Luthers zu verdrängen suchten“:30 Da dieses Konzept bei Melanchthon und anderen Theologen auf Zustimmung gestoßen sei, habe Westphal vor einer solchen Verdrängung lutherischer Lehre warnen müssen.31 Insofern müsse man „Flacius, Heshusius, Westphal nachrühmen, dass sie die Existenz einer besonderen lutherischen Kirche gerettet haben.“32 Ähnlich motiviert ist die Arbeit Carl Mönckebergs (1865), der allerdings die Quellen meist eher ausführlich paraphrasiert als sie explizit zu bewerten.33 Ein weiterer Unterschied zu Schmid besteht darin, dass Mönckeberg

27 Zur Abgrenzung gegen diese Autoren vgl. SCHMID, HEINRICH, Der Kampf der lutherischen Kirche um Luthers Lehre vom Abendmahl im Reformationszeitalter. Im Zusammenhang mit der gesammten Lehrentwicklung dieser Zeit dargestellt, Leipzig 1868, III–V. 28 Vgl. aaO., 120–138; resümierend betont Schmid aaO., 137 f.: „dass […] der gleiche Unterschied zwischen Calvin und Luther, wie zwischen Zwingli und Luther besteht: denn so viel auch Calvin von einem Leib Christi spricht, den man im Abendmahl empfängt, es ist nicht der natürliche und wahrhaftige Leib, in dem Christus gen Himmel gefahren ist: denn der weilt jetzt im Himmel und seine Natur ist es, immer nur an Einem Ort zu sein, von einer Gegenwart des Leibes Christi ist also keine Rede, die Gegenwart des Leibes, von der Calvin spricht, ist nur eine geistige Gegenwart, und der Ausdruck ,Leib Christi‘ ist nicht in seiner eigentlichen natürlichen Bedeutung gefasst, sondern in der einen Wirkung, die von diesem im Himmel befindlichen Leib ausgehen soll.“ 29 Vgl. aaO., 139–142. 30 AaO., 147. 31 AaO., 148: „Es stellte sich dann in Bälde unbestreitbar heraus, […] dass Melanchthon keineswegs allein stand mit seinem Gefallen am consensus. […] Da nun Westphal zu den Theologen gehörte, welche der Ueberzeugung waren, dass der Gegensatz zwischen der lutherischen und der reformirten Lehre im wesentlichen noch der gleiche sei, wie früher, so war es von seinem Standpunkt aus ganz richtig, wenn er von der Wahrnehmung, dass der consensus Tigurinus auch in der lutherischen Kirche Beifall finde, Anlass zu der Klage nahm, der Sacramentarismus dringe jetzt auch in die lutherische Kirche ein. Es war gerade jetzt die Zeit gekommen, in der man auf die Gefahr aufmerksam zu machen hatte.“ 32 AaO., 151. 33 MÖNCKEBERG, CARL, Joachim Westphal und Johannes Calvin, Hamburg 1865 (Gallerie hamburgischer Theologen 4), 2 f., betont gegen Heppe und Stähelin: „Die Urtheile der älteren lutherischen Theologen über Westphal lauteten freilich ganz anders! […] Doch seitdem Plancks ,heiliger Eifer wider unsere Kirche‘ […] darauf ausgegangen ist, zu zeigen, wie Westphal und seine Genossen aus polemischem Ingrimm ein haeretisches Element in Calvins Theorie erblickten und aus Streitsucht gegen ihn auftraten, haben auch […] Vertheidiger der lutherischen Lehre Westphal nicht volle Gerechtigkeit widerfahren lassen.“

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den Hauptgrund von Westphals Polemik nicht bei Calvin und den Zürchern sieht, sondern im Auftreten des Johannes a Lasco.34 Der polnische Adlige und ostfriesische Reformator a Lasco ist auch die Hauptfigur einer Debatte, die Anfang des 20. Jahrhunderts entlang einer analogen Konfliktlinie verlief.35 Richard Kruske (1901) stellt die These auf, dass a Lasco und Calvin mit ihrer (aus Kruskes Sicht) Luther entgegengesetzten Auffassung „den Anspruch erhoben, ihre Lehre sollte allein massgebend sein, und den Lutheranern zumuteten, sich ihnen zu fügen“36 – Westphals Auftreten gegen diese Haltung erscheint als berechtigte Verteidigung der Lehre Luthers.37 Dem hält Karl Hein (1904) entgegen, a Lascos Lehre sei nach zwinglianischen Anfängen in die calvinische eingemündet, was sich in einer „Anerkennung der wirksamen Gegenwart Christi im Abendmahle“38 äußere. Insofern seien Westphals Zwinglianismusvorwürfe unberechtigt39 und verkennten, dass für a Lasco die dogmatische Differenz zu den Wittenberger Reformatoren „keine gemeinschafttrennende Bedeutung“ gehabt habe.40 Die Debatte bringt also für die konfessionelle Entwicklung kaum Neues; wohl aber kommt den daran beteiligten Forschern das Verdienst zu, erstmals die Quellen zu einem Autor außer Westphal und Calvin umfassend aufgearbeitet zu haben. Die konfessionellen Positionen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts prägen in versachlichter Form bis heute die Handbuchdarstellungen: Der lutherischen Sichtweise zufolge wurde im Zweiten Abendmahlsstreit ein längst vorhandener Gegensatz lediglich vertieft und neu bewusst gemacht.41 Aus reformierter Perspektive war vor dem Streit noch evangelische Einheit möglich; erst die starre Haltung einiger Lutheraner führte zur konfessionellen Trennung.42 Im 20. Jahrhundert ist keine historische Gesamtanalyse des Zweiten Abendmahlsstreits mehr veröffentlicht worden. Die Monographien, in denen die Debatte eine Rolle spielt, sind zumeist von systematisch-theologischen Interessen getragen und konzentrieren sich daher auf die dogmatische Begründung der als konfessionstrennend betrachteten Theologumena – die Frage, inwiefern der 34

Vgl. aaO., 13–19. Vgl. zu den Hintergründen der Debatte und zu hier nicht genannten weiteren Beiträgen NAUNIN, OTTO, Zur Laski-Kontroverse in der Gegenwart, Deutsch-Eylau 1906. 36 KRUSKE, RICHARD, Johannes a Lasco und der Sakramentsstreit. Ein Beitrag zur Geschichte der Reformationszeit, Leipzig 1901 (Studien zur Geschichte der Theologie und der Kirche 7/1), 203. 37 Vgl. aaO., 195–203. 38 HEIN, KARL, Die Sakramentslehre des Johannes a Lasco, Berlin 1904, Zitat 92. 39 Vgl. aaO., 168 Anm. 4. 40 Vgl. aaO., 94–97, Zitat 94. 41 Vgl. z.B. HAUSCHILD, WOLF-DIETER, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, 2 Bde., Gütersloh 32005–2007, hier Bd. II, 394–396. 42 Vgl. z.B. SELDERHUIS, HERMAN J., B.II.1. Calvin und Wittenberg, in: Ders. (Hg.), Calvin Handbuch, Tübingen 2008, 57–63, hier 61–63. 35

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Streit historisch zur Entstehung von Konfessionsgrenzen beitrug und was sich daran über den Prozess konfessioneller Abgrenzung ablesen lässt, tritt demgegenüber zurück. Explizit formuliert das Wilhelm Niesel,43 der seiner Studie über Calvins Abendmahlslehre (1930) die gegen Westphal gerichteten Werke Defensio und Ultima admonitio sowie die Institutio von 1559 zugrunde legt und herausarbeitet, dass die in dieser Ausgabe der Institutio formulierte Abendmahlslehre auf den Streit mit Westphal reagiert.44 Helmut Gollwitzer (1937) geht es um die Frage, welche innerevangelisch konfessionstrennenden Argumente weiterhin Gültigkeit besäßen, welche nicht.45 Er argumentiert, da das zentrale Anliegen damaliger lutherischer Lehre Schriftgemäßheit sei,46 sei deren Abgrenzung gegen Calvin exegetisch zu relativieren.47 Den Verlauf des Abgrenzungsprozesses behandelt er kaum. In Theodor Mahlmanns Arbeit zur lutherischen Christologie (1969), deren Erkenntnisse zur Entstehung ubiquitätstheologischer Aussagen bis heute grundlegend sind,48 wiederum besteht durchaus Interesse an der konfessionellen Entwicklung; jedoch wird sie nicht chronologisch dargestellt, sondern nach dogmatischen Gesichtspunkten. Zudem liegen diverse Untersuchungen zum Briefwechsel der Streitbeteiligten vor. Die Bedeutung dieser Analysen liegt in erster Linie darin, dass sie über die Streitschriften hinaus weitere Quellen erschließen. Im Hinblick auf die Konfessionsbildung dagegen übernehmen sie zumeist traditionelle Positionen. Nachdem Wilhelm Kolfhaus (1909) eine knappe Darstellung von Calvins und

43 NIESEL, WILHELM, Calvins Lehre vom Abendmahl, München 1930 (FGLP 3/3), 5: „Da unsere Arbeit aber keine historische, sondern eine sachliche Abzweckung hat, so verfolgen wir nicht die ganze Entwicklung der Auseinandersetzung.“ 44 Vgl. programmatisch aaO., 4–10; für die Ausführung aaO., 54–103. 45 Vgl. GOLLWITZER, HELMUT, Coena Domini. Die altlutherische Abendmahlslehre in ihrer Auseinandersetzung mit dem Calvinismus dargestellt an der lutherischen Frühorthodoxie, München 1937, IX. 46 AaO., VIII: „Im Unterschied zu einer heute weitverbreiteten Gewohnheit wurden die ganzen christologischen Fragen, die in die Abendmahlslehre herein spielen […], an den Rand gedrängt und die Exegese zum Ort des Ausgangs gewählt. Dies geschah vornehmlich unter dem Eindruck der alten lutherischen Väter selbst, die nur sehr widerwillig sich von ihren Gegnern auf das christologische Feld abdrängen und soweit wie möglich sich von den Texten der Schrift den Gang und die Grenze ihrer Überlegungen bestimmen ließen.“ 47 AaO., 309 f. hält er fest, es sei „uns heute unmöglich, so von der wörtlichen Exegese auszugehen, wie es die altlutherischen Theologen taten. […] Jede Bewegung von dieser Exegese weg, jede Auflockerung dieser Exegese schon rückt uns Calvin näher, auch wenn man noch so sehr bestrebt ist und bestrebt sein muß, das Richtige in der lutherischen Konzeption zu wahren“, nämlich nach Gollwitzer die Einsicht: „Von Erinnerung und Glauben selbst unabhängig kann es wahrhaft [nur] von außen Anstoß und Befestigung geben.“ (aaO., 309). 48 Vgl. MAHLMANN, THEODOR, Das neue Dogma der lutherischen Christologie. Problem und Geschichte seiner Begründung, Gütersloh 1969, zu Autoren des Zweiten Abendmahlsstreits besonders aaO., 44–92.

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Bullingers Briefwechsel über den Streit gegeben hatte,49 bietet Willem Nijenhuis (1959) eine nähere Analyse von Calvins einschlägiger Korrespondenz,50 übernimmt allerdings in seiner Absicht, Calvin als Ökumeniker darzustellen, de facto die traditionelle reformierte Perspektive.51 Joseph N. Tylenda (1974) widmet sich nochmals detaillierter den betreffenden Briefen Calvins und korrigiert diverse Datierungen des Corpus Reformatorum, die bis dahin zu Fehlinterpretationen geführt hatten.52 Die traditionelle lutherische Sichtweise vertritt Herwarth von Schade in einer Arbeit über Westphals Briefwechsel mit dem Frankfurter Drucker Peter Braubach und dem dortigen Pfarrer Hartmann Beyer (1981),53 die aufgrund ihrer druckhistorischen Ausrichtung wertvolle Informationen über die Publikation von Schriften Westphals und seiner Mitstreiter bietet. Was in diesen Werken für Calvin, Westphal und Bullinger schon teilweise geleistet ist, erscheint auch insgesamt lohnend: die Genese der Streitpositionen, deren Hintergründe und die Netzwerke der Beteiligten durch Analyse des Briefwechsels näher zu erhellen. Die vorhandenen Erkenntnisse bleiben in ein konfessionell differenzierteres Gesamtbild einzuordnen. Aktuellere umfassendere Forschungen schließlich befassen sich vor allem mit chronologisch späteren Entwicklungen der Abendmahlsdebatte, regionalen Auseinandersetzungen oder der Theologie einzelner Akteure: Spätere Kontroversen behandeln Hans Christian Brandy (1992), der Brenz’ Christologie unter anderem anhand seines Streits mit Vermigli und Bullinger (1561–65) darstellt,54 Johannes Hund (2006), der die christologisch-abendmahlstheologische 49 KOLFHAUS, WILHELM, Der Verkehr Calvins mit Bullinger, in: Calvinstudien. Festschrift zum 400. Geburtstage Johann Calvins, Leipzig 1909, 27–125, hier 101–114. 50 NIJENHUIS, WILLEM, Calvinus oecumenicus. Calvijn en de eenheid der kerk in het licht van zijn briefwisseling, s’Gravenhage 1959 (KHSt 8), 154–194. 51 AaO., 221 f.: „Het war Calvin te doen om een alle evangelische kerken omvattende consensus. […] De ogen der zwinglianen te openen voor de objectieve betekenis van het sacrament […], was het doel van Calvijns inspanningen, die uitliepen op de sluiting van de Consensus Tigurinus. […] In de tweede periode von Calvijns oecumenisch streven wird het een grote teleurstelling voor hem, dat de lutheranen keenen begrip bleken te hebben voor de bedoeling van de Consensus Tigurinus en zich er zelfs fel tegen keerden. Het is een teken van Calvijns grootheid van geest, dat hij zich door deze tegenstand niet uit het veld laten slaan, doch juist in de viftiger jaren zijn inspanningen naar de kant van de lutheranen geintensiveerd heeft. Enerzijds verdedigte hij de overeenkomst der Zwitsers in zijn antwoorden op Westphals aanvallen, anderzijds poogde hij tot een gesprek met de lutheranen te komen.“ 52 TYLENDA, JOSEPH N., The Calvin-Westphal-Exchange. The Genesis of Calvinʼs Treatises Against Westphal, in: CTJ 9 (1974), 182–209. 53 VON SCHADE, HERWARTH, Joachim Westphal und Peter Braubach. Briefwechsel zwischen dem Hamburger Hauptpastor, seinem Drucker-Verleger und ihrem Freund Hartmann Beyer in Frankfurt am Main über die Lage der Kirche und die Verbreitung von Büchern, Hamburg 1981 (AKGH 15). 54 BRANDY, HANS CHRISTIAN, Die späte Christologie des Johannes Brenz, Tübingen 1991 (BHTh 80), 54–69.

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Kontroverse innerhalb der Wittenberger Reformation (1567–1574) analysiert,55 Luka Ilić (2007), der sich der Abendmahlsdebatte zwischen Beza und Flacius ab 1565 widmet,56 und Michael Baumann (2016), der in seiner Arbeit zu Vermigli auch dessen christologischen Konflikt mit Brenz untersucht.57 Im Hinblick auf die 1550er Jahre sind regionale Abendmahlskonflikte mittlerweile weitaus besser erforscht als der überregionale Streit: Die Bremer Debatte (1555–1561) ist durch die Arbeiten von Hanns Engelhardt (1961),58 Wilhelm H. Neuser (1967)59 und Chang Soo Park (2016)60, vor allem aber durch Wim Janses Studie zu Albert Hardenberg (1994)61 erschlossen. Die Abendmahlskontroverse in Ostfriesland hat Jan Remmers Weerda (1944/48, veröffentlicht 2000)62 untersucht; die in Wesel Wilhelm H. Neuser (1968)63. Mit der Kontroverse um die Flüchtlingsgemeinden in Frankfurt haben sich – nach älteren Arbeiten von Gustav Adolf Besser (1906),64 Friedrich Clemens Ebrard (1906),65 Rudolf Jung (1910)66 und Karl Bauer (1920–1927)67 – in neuerer Zeit 55 HUND, JOHANNES, Das Wort ward Fleisch. Eine systematisch-theologische Untersuchung zur Debatte um die Wittenberger Christologie und Abendmahlslehre in den Jahren 1567 bis 1574, Göttingen 2006 (FSÖTh 114). 56 ILIĆ, LUKA, Beza and Flacius in the Sacramentarian Controversy, in: Irena Backus (Hg.), Théodore de Bèze (1519–1605). Actes du Colloque de Genéve (septembre 2005), Genf 2007, 353–365. 57 BAUMANN, MICHAEL, Petrus Martyr Vermigli in Zürich (1556–1562). Dieser Kylchen in der heiligen gschrifft professor und lser, Göttingen 2016 (RHT 36), 230–293. 58 ENGELHARDT, HANNS, Der Irrlehreprozeß gegen Albert Hardenberg 1547–1561, Diss. masch. Frankfurt (Main) 1961. Teildruck: DERS., Das Irrlehreverfahren des niedersächsischen Reichskreises gegen Albert Hardenberg 1560/61, in: JGNKG 61 (1963), 32–62. 59 NEUSER, WILHELM H., Hardenberg und Melanchthon. Der Hardenbergische Streit (1554–1560), in: JGNKG 65 (1967), 142–186. 60 PARK, CHANG SOO, Luthertum und Obrigkeit im Alten Reich in der Frühen Neuzeit. Dargestellt am Beispiel von Tilemann Heshusius (1527–1588), Berlin 2016 (Historische Forschungen 109), 348–459. 61 JANSE, WIM, Albert Hardenberg als Theologe. Profil eines Bucer-Schülers († 1574), Leiden u.a. 1994 (SHCT 57). 62 WEERDA, JAN REMMERS, Der Emder Kirchenrat und seine Gemeinde. Ein Beitrag zur Geschichte reformierter Kirchenleitung in Deutschland, ihrer Grundsätze und ihrer Gestaltung, Wuppertal 2000 (Emder Beiträge zum reformierten Protestantismus 3), 107–153. 63 NEUSER, WILHELM H., Die Aufnahme der Flüchtlinge aus England in Wesel (1553) und ihre Ausweisung trotz der Vermittlung Calvins und Melanchthons, in: Weseler Konvent 1568 / 1968. Eine Jubiläumsschrift, Düsseldorf 1968 (SVRKG 29), 28–49. 64 BESSER, GUSTAV ADOLF, Geschichte der Frankfurter Flüchtlingsgemeinden 1554– 1558, Halle 1906 (Hallesche Abhandlungen zur neueren Geschichte 43). 65 EBRARD, FRIEDRICH CLEMENS, Die französisch-reformierte Gemeinde in Frankfurt am Main 1554–1904, Frankfurt (Main) 1906. 66 JUNG, RUDOLF, Die englische Flüchtlings-Gemeinde in Frankfurt am Main 1554– 1559, Frankfurt (Main) 1910 (Frankfurter historische Forschungen 3). 67 BAUER, KARL, Die Beziehungen Calvins zu Frankfurt a.M., Leipzig 1920 (SVRG 38); DERS., Der Bekenntnisstand der Reichsstadt Frankfurt a. M. im Zeitalter der Reformation,

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Heinz Schilling (1972)68 und Irene Dingel (2006/2011)69 befasst. Den Beitrag der aus England vertriebenen Flüchtlingsgemeinden zum Streit hat Andrew Pettegree (1987) dargestellt.70 Mit dem Ergehen dieser Gemeinden in Norddeutschland beschäftigt sich die in Arbeit befindliche Untersuchung von Mirjam van Veen.71 Spätere regionale Debatten analysieren Rosemarie MüllerStreisand (1960/61) mit der Württemberger Diskussion ab 1559,72 Henning P. Jürgens (2014) mit den Konflikten in Polen und Preußen zwischen 1561 und 159873 sowie Bjørn Ole Hovda (2017) mit der Auseinandersetzung in Danzig von 1561–67.74 Die Pfälzer Debatte (1559–64) ist in Untersuchungen zu ihren zentralen Protagonisten näher behandelt worden: Peter F. Barton (1972)75 und Thilo Krüger (2004)76 befassen sich mit Tilemann Heshusius, Erdmann K. Sturm (1972) mit Zacharias Ursin;77 Wim Janse (2001) mit Wilhelm Klebitz.78 in: ARG 19 (1922), 194–251; 20 (1923), 127–174; 21 (1924), 1–36.206–238; 22 (1925), 39– 101; DERS, Valérand Poullain, Elberfeld 1927 (GBDHV.NS 3). 68 SCHILLING, HEINZ, Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert. Ihre Stellung im Sozialgefüge und im religiösen Leben deutscher und englischer Städte, Gütersloh 1972 (SVRG 187). 69 DINGEL, IRENE, Religionssupplikationen der Französisch-Reformierten Gemeinde in Frankfurt am Main, in: Dies. / Herman J. Selderhuis (Hg.), Calvin und Calvinismus – Europäische Perspektiven, Göttingen 2011 (VIEG.B 84), 281–296; DIES., Entstehung der Evangelischen Französisch-reformierten Gemeinde Frankfurt: theologische und ekklesiologische Aspekte, in: Georg Altrock et al. (Hg.), Migration und Modernisierung. 450-jähriges Bestehen der Evangelischen Französisch-reformierten Gemeinde Frankfurt am Main, Frankfurt (Main) 2006 (ArTe 134), 53–72. 70 PETTEGREE, ANDREW, The London Exile Community and the Second Sacramentarian Controversy, 1553–1560, in: ARG 78 (1987), 223–253. 71 Die Untersuchung befasst sich mit der zeitgenössischen Darstellung dieser Ereignisse in Jan Utenhoves Simplex et fidelis narratio und den reformiert-lutherischen Debatten über dieses Werk. Vgl. http://www.mirjamvanveen.nl/ [letzter Zugriff 13.11.2019]. 72 MÜLLER-STREISAND, ROSEMARIE, Theologie und Kirchenpolitik bei Jakob Andreae bis zum Jahr 1568, in: BWKG 60/61 (1960/61), 224–395, hier 325–378. 73 JÜRGENS, HENNING P., Innerprotestantische Konflikte in Polen und im Preußenland im 16. Jahrhundert. Das Beispiel Benedikt Morgenstern, in: Jahrbuch des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 22 (2014), 125–146. 74 HOVDA, BJØRN OLE, The Controversy over the Lord’s Supper in Danzig 1561–1567. Presence and Practice – Theology and Confessional Policy, Göttingen 2017 (R5AS 39). 75 BARTON, PETER F., Um Luthers Erbe. Studien und Texte zur Spätreformation: Tilemann Heshusius (1527–1559), Witten 1972 (UKG 6). 76 KRÜGER, THILO, Empfangene Allmacht. Die Christologie Tilemann Heshusens (1527– 1588), Göttingen 2004 (FDKG 87). 77 STURM, ERDMANN K., Der junge Zacharias Ursin. Sein Weg vom Philippismus zum Calvinismus (1534–1562), Neukirchen-Vluyn 1972 (BGLRK 33). 78 JANSE, WIM, Der Heidelberger Zwinglianer Wilhelm Klebitz (um 1533–1568) und seine Stellung im aufkommenden Konfessionalismus, in: Alfred Schindler / Hans Stickelberger (Hg.), Die Zürcher Reformation. Ausstrahlungen und Rückwirkungen, Bern u.a. 2001 (ZBRG 18), 203–220.

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Weiterführende Erkenntnisse zum überregionalen Abendmahlsstreit der 1550er Jahre finden sich in Arbeiten zu einzelnen Akteuren: Emidio Campi (1992) weist nach, dass Bernadino Ochinos Streitschrift von Zürcher Ideen beeinflusst ist;79 Wilhelm A. Schulze (1975)80 und Amy Nelson Burnett (2007) 81 analysieren Bullingers Haltung zur Wittenberger Reformation. Cornel A. Zwierlein (2000) betont die Eigenständigkeit von a Lascos Abendmahlslehre;82 Vermiglis Oxforder Disputation, die den Streit mit auslöste, bewerten mit ähnlichem Tenor unter anderem Jason Zuidema (2008)83 und Jin Heung Kim (2009).84 Hatte bereits Hans Christian Brandy (1991) bemerkt, dass Brenz noch 1557 eine „Verständigung und Konkordierung der Parteien“ im Abendmahlsstreit angestrebt habe,85 arbeitet Björn Slenczka (2005) heraus, dass auch Jakob Andreae 1557 noch nicht von einem unüberwindlichen Gegensatz zu Calvin und dessen Mitstreitern ausging.86 Reiner Kuhn (2019) betont, dass Westphals Verhältnis zu Melanchthon noch weit über den Streitbeginn hinaus ambivalent war.87 Wenn sich aus diesen Analysen bereits ein zusammenfassender Schluss ziehen lässt, dann der, dass unter den Akteuren des Zweiten Abendmahlsstreits – theologisch wie im Hinblick auf ihr Verhältnis zu anderen reformatorischen Richtungen – größere Pluralität herrschte, als die traditionelle Konzentration auf Westphal und Calvin das nahelegte. Das lässt Analysen zur Position weiterer Streitbeteiligter lohnend erscheinen und ist ein Indiz dafür, dass die konfessionelle Situation weniger eindeutig war als üblicherweise angenommen. 79 CAMPI, EMIDIO, “Conciliatione de dispareri” Bernadino Ochino e la seconda disputa sacramentale, in: Oberman, Heiko A. et al. (Hg.), Reformiertes Erbe. FS Gottfried W. Locher, Bd. 1, in: Zwing. 19/1 (1991/92), 77–92. 80 SCHULZE, WILHELM A., Bullingers Stellung zum Luthertum, in: Ulrich Gäbler / Erland Herkenrath (Hg.), Gesammelte Aufsätze zum 400. Todestag, Zürich 1975, Bd. 2 (ZBRG 8), 287–314. Die Arbeit beschränkt sich weitgehend auf Bullingers Apologetica expositio. 81 BURNETT, AMY NELSON, Heinrich Bullinger and the Problem of Eucharistic Concord, in: Emidio Campi / Peter Opitz (Hg.), Heinrich Bullinger. Life – Thought – Influence, 2 Bde., Zürich 2007 (ZBRG 24), hier Bd. I, 233–250. Burnett analysiert auf Basis des Briefwechsels differenziert die Entwicklung von Bullingers Position zwischen 1536 und 1560. 82 ZWIERLEIN, CORNEL A., Der reformierte Erasmianer a Lasco und die Herausbildung seiner Abendmahlslehre, in: Christoph Strohm (Hg.), Johannes a Lasco (1499–1560). Polnischer Baron, Humanist und europäischer Reformator, Tübingen 2000 (SuR.NR 14), 35–99. 83 ZUIDEMA, JASON, Peter Martyr Vermigli (1499–1562) and the Outward Instruments of Divine Grace, Göttingen 2008 (RHTh 4). 84 KIM, JIN HEUNG, Scripturae et Patrum Testimoniis. The Function of the Church Fathers and the Medievals in Peter Martyr Vermigliʼs Two Eucharistic Treatises: Tractatio and Dialogus, Apeldoorn 2009 (Publicaties van het Institut voor Reformatieonderzoek 5). 85 Vgl. BRANDY, Christologie des Johannes Brenz, 48–51, Zitat 48. 86 SLENCZKA, BJÖRN, Ein katechetischer Fingerzeig zum zweiten Abendmahlsstreit. Jakob Andreaes Erstlingswerk ,Bericht von des Herren Nachtmahl‘ (1557), in: ZKG 116 (2005), 327–353. 87 KUHN, REINER, Bekennen und Verwerfen. Westphals Ringen um Luther und Melanchthon, Göttingen 2019 (R5AS 58).

I.1 Forschungsstand zum Zweiten Abendmahlsstreit

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Eine neue, aber umstrittene These zur Konfessionsbildung im Zweiten Abendmahlsstreit hat Wim Janse 2008 aufgestellt: Auf Basis der Überlegung, dass Calvins Abendmahlslehre nacheinander zwinglianische (1536–1537), lutheranisierende (1537–1548) und in den 1550er Jahren wieder spiritualisierende Akzentsetzungen aufgewiesen habe,88 meint Janse, dass Westphal Calvin in seinen ersten Streitschriften zwischen 1552 und Anfang 1555 noch positiv zitiere und gegen die von ihm attackierten Zwinglianer (u.a. Bullinger und Vermigli) ausspiele89 – Calvin werde erst angegriffen, als er ab 1555 beginne, „pointedly Zwinglianizing statements“ zu vertreten.90 Damit ist die These verbunden, dass Westphals Abendmahlslehre weitgehend mit derjenigen übereinstimme, die Calvin vor 1549 vertreten habe:91 Auch Westphal sei nur am Dass, nicht am Wie der Realpräsenz interessiert und vertrete wie Calvin eine nichtkörperliche Präsenz des Leibes Christi im Abendmahl.92 Kritisiert wird diese Sichtweise von Irene Dingel (2012), die betont, Westphal berufe sich schon in der Farrago von 1552 nicht mehr positiv auf Calvin, sondern ordne ihn als häretischen „Sakramentierer“ ein.93 Entscheidend dafür sei der Consensus Tigurinus; Westphal versuche aber nachzuweisen, dass Calvin schon in früheren 88 Vgl. JANSE, WIM, Calvin’s Eucharistic Theology: Three Dogma-Historical Observations, in: Herman J. Selderhuis (Hg.), Calvinus sacrarum literarum interpres. Papers of the International Congress on Calvin Research, Göttingen 2008 (RHTh 5), 37–69. 89 JANSE, WIM, Joachim Westphalʼs Sacramentology, in: LuthQ N.S. [4.Serie] 22 (2008), 137–160, hier 139: „for Westphal the antithesis to his thesis was found wherever he observed the evacuation of the sacraments, that is, with the Zwinglians or ‘Sacramentarians’ […]: with Andreas Karlstadt […], Huldrych Zwingli; with Johannes a Lasco; Johannes Oecolampadius; Peter Martyr Vermigli; and especially Bullinger and his Zurich colleagues. Westphal devoted three publications to the refutation of these ‘Zwinglians’ before July 1555, when, directly attacked by Calvin, he aimed his arrows at the Genevan. These three were the Farrago (1552), the Recta fides (1553) and the Collectanea […] (early 1555). In as far as Calvin was mentioned in these documents at all, he was quoted mainly with approval.“ 90 Vgl. aaO., 142 f., Zitat 143. 91 Programmatisch aaO., 137: „Westphal’s sacramental theology was rather congenial to Calvin’s, that is, before the latter succumbed to Heinrich Bullinger’s spiritualism.“ 92 AaO., 143 f.: „Together with Luther, and just like Bucer and the younger Calvin, Westphal wanted to preserve the quod of the real presence; curiosity as to its quomodo he qualified as philosophy and rationalism […] Westphal rejected a praesentia localis or carnalis […] By praesentia corporalis he in fact meant what Calvin, in his lutheranizing mode, called ‘substantialiter pasci Christi carne’ that is, a praesentia corporis in a non-‘corporeal and physical way.’ “ 93 DINGEL, IRENE, Calvin im Spannungsfeld der Konsolidierung des Luthertums, in: Herman J. Selderhuis (Hg.), Calvinus clarissimus theologus. Papers of the Tenth International Congress on Calvin Research, Göttingen 2012 (RHTh 18), 118–140, hier 125: „Die Farrago bot […] Ausschnitte u.a. aus Schriften Andreas Bodensteins von Karlstadts [!], Huldrych Zwinglis, Petrus Martyrs, Johannes Ökolampads, Martin Bucers und Heinrich Bullingers […]. Westphal gesellte ihnen nun auch Calvin und Johannes a Lasco zu und zitierte außerdem einen Abschnitt aus dem Consensus Tigurinus. Damit war auch Calvin eindeutig

16

I.1 Forschungsstand zum Zweiten Abendmahlsstreit

Schriften – die bis dahin aus Perspektive der Wittenberger Reformation nicht negativ wahrgenommen worden waren – die gleiche Ketzerei vertreten habe.94 Janse und Dingel stimmen also darin überein, dass die konfessionelle Situation vor Ausbruch des Zweiten Abendmahlsstreits nicht eindeutig geklärt war. Strittig ist hingegen, wann sich das änderte und worin genau die Unklarheit liegt. Die neuere Forschung bietet insofern Indizien dafür, dass die konfessionelle Entwicklung im Streit nicht mehr nach den bekannten konfessionstheologischen Mustern dargestellt werden kann und sollte. Zugleich ist noch nicht klar, wie ein alternatives Beschreibungsmodell aussehen kann. Um dieser Frage heutigen Forschungsstandards entsprechend nachgehen zu können, ist sie im Horizont aktueller Konfessionsforschung zu reflektieren.

als „Sakramentierer“ gebrandmarkt […]. Man kann daher mit Recht bezweifeln, ob Westphal Calvin […] in diesem Kontext ,überwiegend zustimmend zitierte‘, wie die neuere Forschung kürzlich behauptet hat.“ 94 Vgl. aaO., 125–128.

Kapitel II.2

Zur neueren Konfessionsdebatte Die konfessionelle Entwicklung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hat seit einigen Jahrzehnten verstärkt das Interesse historischer Forschung gefunden: Wurde traditionell das Ende der Reformation als historischen Umbruchs auf den Augsburger Religionsfrieden 1555 datiert und die Folgezeit als epigonenhafte Verknöcherung bewertet,1 stellte Ernst Walter Zeeden schon 1956 die These auf, dass sich erst im Laufe der auf die Reformation folgenden 50 bis 150 Jahre stabile, klar gegeneinander abgegrenzte Konfessionskirchen entwickelten.2 Seit Ende der 1970er Jahre befasste sich eine breite Strömung der Geschichtswissenschaft mit verwandten Überlegungen; zugleich wurden die forschungsleitenden Paradigmen vielfach in Frage gestellt und modifiziert.3 Im Zuge der kirchenhistorischen Rezeption dieser Debatte wurde auch die traditionelle Ansicht revidiert, dass die theologischen Streitigkeiten der zweiten Jahrhunderthälfte „dogmengeschichtlich ein pathologisches Interesse“ aufwiesen,4 und der produktive Beitrag dieser Kontroversen zur Entstehung konfessioneller Identitätsvorstellungen herausgearbeitet.5 An die im Laufe dieses Prozesses entwickelten Einsichten kann eine Analyse konfessionsbildender Vorgänge im Zweiten Abendmahlsstreit anknüpfen, aber auch zu ihrer Weiterentwicklung beitragen. Das gilt vor allem für drei Aspekte: die Unabgeschlossenheit der 1 Vgl. zu dieser „Meistererzählung“ KAUFMANN, THOMAS, Lutherische Konfessionskultur in Deutschland – eine historiographische Standortbestimmung, in: Ders., Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts, Tübingen 2006 (SuR.NR 29), 3–26, hier 3–7, Zitat 5. 2 Vgl. ZEEDEN, ERNST WALTER, Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung in Deutschland im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1956), in: Ders., Konfessionsbildung. Studien zur Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform, Stuttgart 1985 (SMAFN 15), 67–112; DERS., Die Entstehung der Konfessionen. Grundlagen und Formen der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe, München / Wien 1965. 3 Vgl. die in den folgenden Abschnitten genannte Literatur; ein aktueller Überblick zur Forschungsgeschichte bei HOLZEM, Christentum in Deutschland I, 7–32. 4 LOOFS, FRIEDRICH, Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte, Halle 41906, 897: „Die Einzelkämpfe [i.e. die innerwittenbergischen Streitigkeiten, C.E.] […] sind […] wichtig als Voraussetzung der Konkordienformel von 1577. Daneben aber haben sie dogmengeschichtlich ein pathologisches Interesse. Sie zeigen, daß im Streit der Epigonen ein wirkliches Verständnis des reformatorischen Protestantismus immer mehr verschwand.“ 5 Vgl. u. Kap. I.2.1 und I.3.

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I.2 Zur neueren Konfessionsdebatte

Konfessionsbildung um die Mitte des 16. Jahrhunderts, die Frage, wie sich die Entstehung von Konfessionsgrenzen im Kontext neuerer Forschungsparadigmen beschreiben lässt, und das Problem konfessioneller Identitätsbildung.

2.1 Unabgeschlossenheit der Konfessionsbildung um 1550 2.1 Unabgeschlossenheit der Konfessionsbildung um 1550

Mit der Neubewertung des Konfessionellen Zeitalters als Phase dynamischer historischer Entwicklungen ist die Einsicht verknüpft, dass die Herausbildung von Konfessionen einen jahrzehntelang andauernden, komplexen Prozess darstellte. In der Forschung besteht denn auch bei aller Verschiedenheit der Ansätze6 weitgehend Einigkeit darüber, dass in den 1550er Jahren noch keine klaren Konfessionsgrenzen existierten: Hatte schon Zeeden betont, dass sich erst ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stabile, klar abgegrenzte Konfessionskirchen entwickelten,7 sieht Wolfgang Reinhard den Höhepunkt konfessioneller Bekenntnisbildung nach 1560;8 für Heinz Schilling wird in den 1540er bis 1560er Jahren die Konfessionalisierung erst vorbereitet.9 Nach Thomas Kaufmann bildeten sich Konfessionskulturen im strikten Sinne in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts heraus;10 für Andreas Holzem begann die „Entstehung ,konfessioneller Kulturen‘ und ,Konfessionsgesellschaften‘“ zwischen 1546 und 1558;11 Irene Dingel sieht Transformationsschritte hin zu einer (lutherischen) konfessionellen Identität im Kontext der Reichsreligionsgespräche von 1540/41 und 1557 sowie in den theologischen Streitigkeiten der Jahrzehnte nach 1548.12 Folgt man dieser von den meisten heutigen Forscherinnen und Forschern geteilten Sichtweise, fällt der Zweite Abendmahlsstreit in eine Zeit, in der Konfessionen erst allmählich entstanden.

6 Die folgende Liste ließe sich selbstverständlich erweitern. Sie ist unter dem Gesichtspunkt zusammengestellt, einerseits möglichst wirkmächtige, andererseits möglichst unterschiedliche Ansätze zu berücksichtigen. 7 Vgl. ZEEDEN, Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung, 69.80–100. 8 Vgl. REINHARD, WOLFGANG, Konfession und Konfessionalisierung in Europa, in: Ders. (Hg.), Bekenntnis und Geschichte. Die Confessio Augustana im historischen Zusammenhang, München 1981 (Schriften der Philosophischen Fakultät der Universität Augsburg 20), 165–189, hier 170–174. 9 Vgl. SCHILLING, HEINZ, Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620, in: HZ 246 (1988), 1–45, hier 14–19. 10 Vgl. KAUFMANN, Lutherische Konfessionskultur, 8–21. 11 Vgl. HOLZEM, Christentum in Deutschland I, 33–70, Zitat 70. 12 Vgl. DINGEL, IRENE, Von der Wittenberger Reformation zum Luthertum. Konfessionelle Transformationen, in: Wolfgang Thönissen et al. (Hg.), Luther: Katholizität & Reform. Wurzeln – Wege – Wirkungen, Paderborn / Leipzig 2016, 239–260, hier 243–259.

2.1 Unabgeschlossenheit der Konfessionsbildung um 1550

19

Neueren Datums ist die Einsicht, dass die Unabgeschlossenheit der konfessionellen Situation auch auf theologischer Ebene zu verorten ist: Eine Strömung der Konfessionalisierungsforschung postuliert theologische Konfessionalität („Formulierung, Fixierung und Durchsetzung von Glaubensbekenntnissen“) schon ab 1525, während die um 1550 noch unabgeschlossene Entwicklung in der „Ausformung der politisch-sozialen Entsprechungen der Glaubensbekenntnisse als gesellschaftlicher Großgruppen“ gesehen wird.13 Das mag auch mit der verspäteten Rezeption der Konfessionalisierungsdebatte seitens der theologischen Forschung zusammenhängen. Seit Thomas Kaufmann 1996 deren Relevanz für die kirchenhistorische Forschung hervorgehoben hat,14 haben sich jedoch vermehrt theologische Arbeiten dieser Zeit gewidmet: Zu nennen sind hier neben Kaufmanns eigenen Analysen, die sich unter anderem mit den Magdeburger Interimsgegnern und der Rostocker theologischen Fakultät befassen,15 insbesondere Irene Dingels Untersuchungen zu den Kontroversen über das Konkordienwerk und zu den theologischen Kontroversen innerhalb der Wittenberger Reformation zwischen 1548 und 1580.16 Generell liegt mittlerweile eine Fülle kirchenhistorischer Studien zur zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vor, die sich beispielsweise mit der Entwicklung apokalyptischer Vorstellungen, mit der Kanonisierung autoritativer Texte oder mit einzelnen wichtigen Theologen befassen.17 Unter den Autoren dieser Darstellungen besteht 13 So KLUETING, HARM, Das Konfessionelle Zeitalter. Europa zwischen Mittelalter und Moderne. Kirchengeschichte und Allgemeine Geschichte, 2 Bde., Bd. I Darmstadt 2007 / Bd. II Berlin 2009, beide Zitate Bd. I, 183. Ähnliche Perspektiven bei SCHMIDT, HEINRICH RICHARD, Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert, München 1992 (EDG 12), 110–112, sowie HECKEL, MARTIN, Reichsrecht und „Zweite Reformation“. Theologische und juristische Probleme der reformierten Konfessionalisierung, in: Heinz Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland. Das Problem der „Zweiten Reformation“, Gütersloh 1986 (SVRG 195), 11–43, hier 11 f. Anm. 1. 14 KAUFMANN, THOMAS, Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft. Sammelbericht über eine Forschungsdebatte, in: ThLZ 121 (1996), 1008–1025.1112–1121. 15 KAUFMANN, THOMAS, Das Ende der Reformation. Magdeburgs „Herrgotts Kanzlei“ (1548–1551/2), Tübingen 2003 (BHTh 123); DERS., Universität und lutherische Konfessionalisierung. Die Rostocker Theologieprofessoren und ihr Beitrag zur theologischen Bildung und kirchlichen Gestaltung im Herzogtum Mecklenburg zwischen 1500 und 1675, Gütersloh 1997 (QFRG 66). 16 Zum Konkordienwerk vgl. DINGEL, Concordia controversa, zu den innerwittenbergischen Streitigkeiten programmatisch DIES., Streitkultur und Kontroversschrifttum im späten 16. Jahrhundert. Versuch einer methodischen Standortbestimmung, in: Dies. / Wolf-Friedrich Schäufele (Hg.), Kommunikation und Transfer im Christentum der frühen Neuzeit, Mainz 2007 (VIEG.B 74), 95–111; für eine einschlägige Überblicksdarstellung DIES., The Culture of Conflict in the Controversies Leading to the Formula of Concord (1548–1580), in: Robert Kolb (Hg.), Lutheran Ecclesiastical Culture 1550–1675, Leiden / Boston 2008 (Brillʼs Companions to the Christian Tradition 11), 15–64. 17 Vgl. exemplarisch LEPPIN, VOLKER, Antichrist und Jüngster Tag. Das Profil apokalyptischer Flugschriftenpublizistik im deutschen Luthertum 1548–1618, Gütersloh 1999

20

I.2 Zur neueren Konfessionsdebatte

Einigkeit, dass theologische Konfessionalität im Rahmen der von ihnen untersuchten Phänomene nicht vorausgesetzt wird, sondern erst entsteht. Nicht eindeutig geklärt ist hingegen, wie sich aus der frühen Reformationszeit stammende theologische Konzepte zu den späteren, im strengen Sinne konfessionellen Abgrenzungen verhalten. Aktuelle Forschungsansätze tendieren hier zu einer differenzierten Verhältnisbestimmung zwischen Kontinuität und Veränderung. Das wird allerdings verschieden akzentuiert. So betont Thomas Kaufmann bei aller Modifikation eher die inhaltliche Kontinuität zwischen reformatorischen und konfessionellen Positionen: „ ,Reformation‘ und ,konfessionelles Zeitalter‘ verbindet eine Persistenz rechtlicher Strukturen und institutioneller Gegebenheiten, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelt und erprobt, in der zweiten Jahrhunderthälfte tradiert, modifiziert, in Frage gestellt und verteidigt wurden. […] Dasselbe gilt von biblischen Deutungsmustern, Zeitkonstruktionen und historiographischen Konzepten […] und den argumentativen Strategien, mit denen die nachgeborenen Söhne und Enkel der Wittenberger Reformation ihren Lehrern oder den Lehrern ihrer Lehrer folgten.“18

Irene Dingel hingegen hebt hervor, es sei „festzuhalten, daß die Inhalte, die in den Zusammenhängen von theologischen Kontroversen des 16. Jahrhunderts diskutiert werden, nicht von vorneherein als identitätsstiftend auszuweisen sind und ebenso wenig in diesem Sinne bereits gewirkt haben oder etwa auf eine bestimmte Herkunftsidentität festgelegt werden können. Selbst wenn sie Ausfluß einer in klar eingrenzbaren geographisch-politischen Zusammenhängen entstandenen Theologie sind und z.B. hermeneutische Zugänge zur Schriftauslegung und eine darauf aufbauende Lehrbildung der Wittenberger und nicht der Zürcher Theologie repräsentieren, haben sie in der vorkonfessionellen Phase des 16. Jahrhunderts noch keine Identitätskonnotation und wirken vorerst auch noch nicht identitätsstiftend. Erst über Kontroversen und über eine regelrechte Streitkultur […] gewinnen die diskutierten Inhalte identitätsstiftenden Charakter.“19

Hier wird betont, dass reformatorische Ideen im Zuge der Konfessionsbildung und der in diesem Kontext ausgetragenen Streitigkeiten eine neue Qualität gewinnen und inhaltlich anders akzentuiert werden. Dingel spricht anderenorts von „konfessionelle[n] Transformationen“20 – ein Begriff, der die allmähliche Verwandlung vorhandener Konzepte und Ideen zu einem neuen System akzentuiert.21 Zu dieser Debatte kann die Analyse des Zweiten Abendmahlsstreits (QFRG 69); MICHEL, STEFAN, Die Kanonisierung der Werke Martin Luthers im 16. Jahrhundert, Tübingen 2016 (SMHR 92); MATTHIAS, MARKUS, Theologie und Konfession. Der Beitrag von Ägidius Hunnius (1550–1603) zur Entstehung einer lutherischen Religionskultur, Leipzig 2004 (LStRLO 4). 18 KAUFMANN, Lutherische Konfessionskultur, 8 f. 19 DINGEL, Streitkultur und Kontroversschrifttum, 96 [Hervorhebungen im Original]. 20 DINGEL, Konfessionelle Transformationen. 21 Dingel definiert den Begriff nicht explizit; die ebd. gegebene Beschreibung legt jedoch nahe, dass er in ähnlichem Sinne verwendet ist wie sonst im Kontext theologischer Kirchengeschichtsschreibung vor allem bei Volker Leppin (vgl. programmatisch LEPPIN, VOLKER,

2.2 Konfessionsbildung – Konfessionalisierung – Konfessionskultur

21

beitragen: An einer Kontroverse, deren Protagonisten von verschiedenen Zweigen der Reformation geprägt sind, wird besonders deutlich, wo auf frühere reformatorische Gedanken zurückgegriffen wird und wie sich diese Konzepte im Zuge konfessioneller Abgrenzung verändern. Dabei ist auch zu beleuchten, welche Kontingenzen und Uneindeutigkeiten dieser Vorgang aufweist.

2.2 Konfessionsbildung – Konfessionalisierung – Konfessionskultur: Zur Beschreibung konfessioneller Abgrenzungsprozesse 2.2 Konfessionsbildung – Konfessionalisierung – Konfessionskultur

Im Laufe der Forschungsdebatte haben sich verschiedene Paradigmen zur Charakterisierung konfessioneller Phänomene und Entwicklungen herausgebildet. Für die Analyse eines Abgrenzungsprozesses, der auf konfessionelle Festlegungen erst hinführt, bietet sich der Begriff der Konfessionsbildung besonders an: Seit Ernst Walter Zeeden ist dieses Konzept auf die allmähliche Entstehung von Konfessionskirchen fokussiert,22 während sich das Konfessionalisierungskonzept Wolfgang Reinhards und Heinz Schillings auf die in allen Konfessionen parallelen gesellschaftsprägenden Wirkungen,23 Thomas Kaufmanns Modell der Konfessionskultur auf die für jede Konfession spezifischen Propria24 Religiöse Transformation im alten Europa. Zum historischen Ort der Reformation, in: Ders., Transformationen. Studien zu den Wandlungsprozessen in Theologie und Frömmigkeit zwischen Spätmittelalter und Reformation, Tübingen 2015 (SMHR 86), 17–29, hier 25 f.). 22 Nicht zufällig trägt Zeedens grundlegendes Werk zur Thematik den Titel Entstehung der Konfessionen. Vgl. im Folgenden. 23 Klassisch sind Schillings Definition der Konfessionalisierung als eines „gesellschaftlichen Fundamentalvorgang[s], der das öffentliche und private Leben tiefgreifend umpflügte“ (SCHILLING, Konfessionalisierung im Reich, 6) und sich in enger „Verzahnung mit der Herausbildung des frühmodernen Staates und mit der Formierung einer neuzeitlich disziplinierten Untertanengesellschaft, die […] institutionell und flächenmäßig organisiert war“ abspielte (ebd.), sowie Reinhards These, dass dieser Prozess „in allen drei konfessionellen Bereichen, bei Calvinisten, Katholiken und Lutheranern zeitlich und sachlich einigermaßen parallel“ verlaufen sei (REINHARD, WOLFGANG, Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: ZHF 10 (1983), 257–277, hier 258). 24 Programmatisch formuliert in KAUFMANN, THOMAS, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur, Tübingen 1998 (BHTh 104), 7 [Hervorhebungen im Original]: „Unter ,Konfessionskultur‘ verstehe ich den Formungsprozeß einer bestimmten, bekenntnisgebundenen Auslegungsgestalt des christlichen Glaubens in die vielfältigen lebensweltlichen Ausprägungen und Kontexte hinein, in denen der allenthalben wirksame Kirchenglaube präsent war. Im Unterschied zur komparatistischen Perspektive der neueren Konfessionalisierungsforschung […] ist mein Anliegen darauf ausgerichtet, die ,Innenperspektive‘ der Konfessionen, ihre Selbstdeutungen, ihre Wirkungen in der gesellschaftlichen und kulturellen Lebenswelt – zugespitzt formuliert von den Loci theologici bis zur Leichenpredigt – einzubeziehen.“

22

I.2 Zur neueren Konfessionsdebatte

konzentriert.25 Der Begriff Konfessionsbildung bezeichnet dabei keinen rein kirchlich-theologischen Vorgang,26 sondern einen ausgesprochen vielschichtigen Prozess. Bereits Zeeden versteht darunter „die geistige und organisatorische Verfestigung der seit der Glaubensspaltung auseinanderstrebenden verschiedenen christlichen Bekenntnisse zu einem halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und religiös-sittlicher Lebensform. Zugleich ihr Ausgreifen in die christliche Welt des frühneuzeitlichen Europas; ihre Abschirmung nach außen mit den Mitteln der Diplomatie und Politik; aber auch ihre Gestaltung durch außerkirchliche Kräfte, insonderheit die Staatsgewalt.“27

In diesem umfassenden Sinn wird der Begriff in der neuesten Forschung aufgegriffen: Johannes Burkhardt entwickelt Zeedens Konzept unter der Prämisse weiter: „ ,Konfessionsbildung‘ untersucht also, wie das geworden ist, was wir heute Konfessionen nennen“,28 und Irene Dingel beschreibt „Konfessionsbildung […] als […] Klärungs- und theologische[n] Identitätsbildungsvorgang“, der zur Entstehung und Abgrenzung konfessioneller Denominationen führt.29 Im Rahmen eines solchen, dem aktuellen Forschungsstand angemessenen Konzepts von Konfessionsbildung ist auch der Einsicht Rechnung zu tragen, dass in frühneuzeitlichen Konfessionskulturen theologische und kirchliche Entwicklungen, politische und gesellschaftliche Prozesse sowie menschliche Lebensvollzüge aller Art eng verschränkt sind und sich daher stets wechselseitig beeinflussen.30 Dieser Gedanke wird in theologischen Arbeiten oft gegen 25

Damit soll nicht gesagt sein, dass die jeweils anderen Aspekte in der betreffenden Forschungsrichtung ignoriert würden (vgl. im Folgenden) – es geht um den jeweiligen Fokus der Aufmerksamkeit. 26 In diesem Sinne wird der Begriff teilweise von Forschern gebraucht, die (in einer in sich problematischen These, vgl. o. Kap. I.2.1) einen vorangehenden kirchlich-theologischen von einem späteren gesellschaftsprägenden Prozess unterscheiden möchten – so etwa HECKEL, Theologische und juristische Probleme, 11 f. Anm. 1. 27 ZEEDEN, Entstehung der Konfessionen, 69. 28 BURKHARDT, JOHANNES, Das Konfessionsbildungskonzept von Ernst Walter Zeeden. Eine Erfolgsgeschichte und zwei Problemlösungen, in: Markus Gerstmeier / Anton Schindling (Hg.), Ernst Walter Zeeden (1916–2011) als Historiker der Reformation, Konfessionsbildung und „deutschen Kultur“. Relektüren eines geschichtswissenschaftlichen Vordenkers, Münster 2016 (KLK 76), 59–88, beide Zitate 65. 29 DINGEL, Konfessionelle Transformationen, 259, Zitat ebd. 30 So fordert HOLZEM, ANDREAS, Die Konfessionsgesellschaft. Christenleben zwischen staatlichem Bekenntniszwang und religiöser Heilshoffnung, in: ZKG 110 (1999), 53–85, hier 81, es „müßten die institutionelle, personelle und soziale Verankerung der Konfessionalisierung, die wechselseitige Bezogenheit der handelnden Personen und Gruppen samt ihrer Normen, Verständishorizonte [sic] und Interessen, die theologische, kultische und ethische Repräsentation des Heiligen als Teil des Wissens und der Praxis, nicht zuletzt die soziale Semantik von Sünde und Gewissen, Angst und Ehre, Individualität und Kollektivität einbezogen sein – eine solche Analyse ist keineswegs vollständig. Und diese Szenarien müssen ergebnisoffen sein.“ Vgl. auch KAUFMANN, Lutherische Konfessionskultur, 9–16.

2.2 Konfessionsbildung – Konfessionalisierung – Konfessionskultur

23

eine unterkomplexe Betrachtung religiöser Bezüge im Rahmen des Konfessionalisierungsparadigmas gewendet.31 Umgekehrt ist aber auch bei der Analyse von theologischen Abgrenzungsvorgängen wie dem Zweiten Abendmahlsstreit stets im Blick zu behalten, dass sie sich nicht losgelöst von politischen, gesellschaftlichen und anderen lebensweltlichen Vorgängen vollziehen, sondern in Wechselwirkung damit. In diesem Sinne beschreibt etwa Irene Dingel Konfessionsbildung als „allmähliche[n] Prozess, in dem verschiedene Faktoren eine Schrittmacherfunktion hatten: historische Ereignisse ebenso wie geistesgeschichtlich-theologiegeschichtliche Entwicklungen“.32 In der vorliegenden Arbeit liegt der Fokus auf einem bestimmten Ausschnitt dieser Wechselwirkungen: Analysiert wird die Entstehung konfessioneller Identitätsvorstellungen. Dabei ist stets zu fragen, inwiefern dieser Entstehungsprozess neben den Debatten theologischer Experten und den von ihnen verhandelten Inhalten auch durch politische Rahmenbedingungen und Ereignisse (auf lokaler, reichsweiter oder europäischer Ebene), durch soziale Konflikte (wie sie beispielsweise bei der Aufnahme andersgläubiger Flüchtlinge entstehen konnten), durch die spezifische Tradition und Situation bestimmter Ortskirchen oder durch persönliche Kontaktnetzwerke beeinflusst wurde – und wie diese verschiedenen Faktoren jeweils zusammenwirkten. Die Wirkung bzw. Rezeption solcher Identitätsvorstellungen in einzelnen Gemeinden, Stadt- oder Dorfgesellschaften hingegen kann im Rahmen dieses Schwerpunkts nicht im Einzelnen analysiert werden (wenngleich sie natürlich dann zur Sprache kommen muss, wenn sie ihrerseits wieder auf die Entwicklung der betreffenden Vorstellung zurückwirkt und damit Wirkungen hat, die über die lokale Ebene hinausgehen). Im Zusammenhang mit der verstärkten Wahrnehmung theologisch-lebensweltlicher Wechselwirkungen stehen Forderungen nach einer differenzierten Berücksichtigung der Akteursperspektive: Anton Schindling hat hervorgehoben, dass „Erlebnisse, Wahrnehmungen und Deutungen der handelnden und betroffenen Menschen, […] der subjektiv gemeinte und erfahrene Sinn“33 in der Konfessionalisierungsforschung vielfach zu kurz kämen, und einen „wahrnehmungs- und erfahrungsgeschichtlichen Ansatz“34 gefordert. Auch diese 31 KAUFMANN, Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft, 1121, wirft dem Konfessionalisierungskonzept „funktionalistisch-reduktionistische Betrachtung der Religion in ihrem gesellschaftlichen Kontext“ vor; HOLZEM, Konfessionsgesellschaft, 66, meint zurückhaltender, dass das Paradigma der Konfessionalisierung „die Fülle gegenläufiger Verwobenheiten von Religion, Politik und Gesellschaft nicht wirklich festhalten und abbilden kann. Das Modell ist gegenüber der Komplexität der historischen Wirklichkeit zu starr.“ 32 DINGEL, Konfessionelle Transformationen, 259. 33 SCHINDLING, ANTON, Konfessionalisierung und Grenzen von Konfessionalisierbarkeit, in: Ders. / Walter Ziegler (Hg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 7: Bilanz, Forschungsperspektiven, Register, Münster 1997 (KLK 57), 9–44, hier 12. 34 AaO., 41.

24

I.2 Zur neueren Konfessionsdebatte

Forderung ist unter dem Aspekt entwickelt worden, dem Faktor religiöser Sinnstiftung gegenüber sozialgeschichtlichen Fragestellungen verstärkt Beachtung zu verschaffen.35 Sie ist aber ebenso gegenüber einem Verständnis theologischer Dogmengeschichte geltend zu machen, bei dem ausschließlich aus dogmatischen Aussagen auf die konfessionelle Situation geschlossen wird: Die Dynamik, die der konfessionelle Abgrenzungsprozess für die historischen Akteure hatte, wird bei einem solchen Vorgehen schwerlich erkennbar – zumal, wenn wie in vielen älteren Arbeiten zum Zweiten Abendmahlsstreit das dogmatische Urteil des Forschers über die (Un-)Vereinbarkeit bestimmter theologischer Positionen absolut gesetzt wird,36 anstatt zu fragen, wie die Protagonisten das Verhältnis der verschiedenen Auffassungen beurteilen. Die historische Entwicklung konfessioneller Abgrenzungen wird auch daran deutlich, gegen welche Haltungen die Autoren selbst ihre Position (nicht) abgrenzen und mit welcher Begründung.37 Die Forschung sollte diese Urteile der Akteure nicht einfach übernehmen – sie aber differenziert erklären, anstatt den Zeitgenossen mangelnden Realismus oder Dissimulation zu unterstellen, sobald ihre Aussagen von einem Bild abweichen, das durch die Mittel heutiger Forschung und den Abstand mehrerer Jahrhunderte ermöglicht worden ist.38 Vielmehr ist im Einzelfall zu erwägen, wodurch eine bestimmte zeitgenössische Sichtweise bedingt ist: Für das Verständnis solcher Äußerungen ist der situative und kommunikative Kontext zu berücksichtigen, in dem sie stehen. Unterschiede je nach Textgattung und Adressat sind denkbar; ein Akteur kann je nach Situation unterschiedliche Handlungsspielräume haben.39 Im Rahmen dessen kann natürlich auch Dissimulation vorkommen, ist dann aber durch konkrete Anhaltspunkte (etwa Diskrepanzen zwischen Aussagen gegenüber Mitstreitern und ge-

35

Vgl. bes. aaO., 12. Vgl. o. Kap. I.1. 37 Eine solche wahrnehmungsgeschichtliche Perspektive auf konfessionelle Debatten vertritt auch das DFG-Netzwerk „Confessio im Konflikt. Religiöse Selbst- und Fremdwahrnehmung im 17. Jahrhundert“ mit der programmatischen Hypothese: „Die hinter inter- und innerkonfessionellen Diskursen stehenden Wahrnehmungsmuster der jeweiligen Kontrahenten [sind] von schwerlich zu überschätzendem Einfluss auf den Diskursverlauf“ (vgl. WITT, CHRISTIAN V., Wahrnehmung, Konflikt und Confessio. Eine Einleitung, in: Ders. / Mona Garloff (Hg.), Confessio im Konflikt. Religiöse Selbst- und Fremdwahrnehmung in der Frühen Neuzeit. Ein Studienbuch, Göttingen 2019 (VIEG.B 129), 9–20, Zitat 13 f.) 38 Die Problematik einer solchen Sichtweise zeigt sich zum Beispiel, wenn im klassischen lutherischen Urteil über den Abendmahlsstreit a Lasco und Calvin Dissimulation unterstellt wird, da sie wider besseres Wissen eine bereits vorhandene konfessionelle Abgrenzung bestreiten würden (vgl. z.B. KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 204–207). Dabei vermischt sich die konfessionelle Sicht der Forscher mit der Beobachtung trennender Faktoren, die für Zeitgenossen nicht unbedingt erkennbar waren, und mit einem Urteil ex post aufgrund der Tatsache, dass sich im Folgenden eine eindeutige Abgrenzung ergab. 39 Vgl. dazu KAUFMANN, Lutherische Konfessionskultur, 10–13. 36

2.3 Konfessionelle Identität

25

genüber Streitgegnern) zu belegen und von genuinen Überzeugungen zu unterscheiden, die erst heutiger Betrachtung als unrealistisch erscheinen oder von denen zum betreffenden Zeitpunkt noch gar nicht erkennbar war, dass sie sich langfristig nicht durchsetzen würden. Ein historisch adäquates Bild kann nur entstehen, wenn Akteurs- und Forschungsperspektive einerseits methodisch unterschieden, andererseits reflektiert aufeinander bezogen werden. Im Hinblick auf die Korrelation von Forschungs- und Akteursperspektiven auf konfessionelle Abgrenzung stellt sich allerdings die Frage, wie Unabgeschlossenheit konfessioneller Identitätsbildung von in der neueren Forschung hervorgehobenen Phänomenen wie Interkonfessionalität („bewußtes Hinausgehen über die Grenze der jeweiligen Konfession“40), Transkonfessionalität („Austauschprozesse zwischen einzelnen Personen oder Gruppen […] verschiedener konfessioneller Einheiten“41) oder konfessioneller Ambiguität („Uneindeutigkeit und Verstellung“ in Konfessionsfragen42) zu unterscheiden ist: Diese Begriffe haben das berechtigte Anliegen, Konfessionalität situativ statt monolithisch zu verstehen, setzen aber dabei per definitionem eine eigentlich eindeutige Konfessionsgrenze voraus. Das mag bei Phänomenen späterer Jahrhunderte unproblematisch sein, wirft aber für die Analyse eines Prozesses, in dem konfessionelle Abgrenzungen überhaupt erst entstehen, Schwierigkeiten auf: Ob die mangelnde Abgrenzung zu einer anders denkenden Gruppe als vorkonfessionell zu beurteilen ist, als Überschreitung einer Konfessionsgrenze oder als Teil eines Konflikts darüber, wo diese Grenze zu ziehen wäre, kann für den isolierten Einzelfall nur selten eindeutig erwiesen werden. Erst die Zusammenschau von Sichtweisen verschiedener Akteure zeigt, welche Konzepte oder Normierungsansprüche zu einem bestimmten Zeitpunkt allgemein in der Diskussion sind und wo ein Einzelner Aspekte in Frage stellt, die von anderen Akteuren als feststehend vorausgesetzt werden. Wie solche Abgrenzungsprozesse funktionieren, zeigen Theorien konfessioneller Identitätsbildung.

2.3 Konfessionelle Identität 2.3 Konfessionelle Identität

In der neueren Konfessionsforschung ist zur Beschreibung des Selbstverständnisses von Konfessionskirchen für gewöhnlich von „konfessioneller Identität“ die Rede. Oft wird dieser Begriff allerdings nicht definiert bzw. es wird nur 40

So die Definition bei KAUFMANN, THOMAS, Einleitung, in: Kaspar von Greyerz et al. (Hg.), Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, Gütersloh 2003 (SVRG 201), 9–15, hier 14 f. 41 AaO., 15. 42 PIETSCH, ANDREAS / STOLLBERG-RILINGER, BARBARA (Hg.), Konfessionelle Ambiguität. Uneindeutigkeit und Verstellung als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit, Gütersloh 2013 (SVRG 214).

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I.2 Zur neueren Konfessionsdebatte

selten näher erwogen, welche theoretischen Annahmen mit dieser Bezeichnung verbunden sind43 – während es gleichzeitig eine komplexe sozial- und kulturwissenschaftliche Debatte über kollektive Identitäten gibt. Freilich kann es hier nicht darum gehen, diese Diskussion auch nur annähernd vollständig aufzurollen. Jedoch ist zu reflektieren, welche Implikationen die Rede von „konfessioneller Identität“ mit sich bringt und welche Aspekte des Identitätsdiskurses für die Analyse konfessioneller Abgrenzungsprozesse wichtig sind. Mit der Herkunft des Begriffs „Identität“ aus der Psychologie einerseits, der amerikanischen soziologischen Tradition andererseits44 hängen die Annahmen zusammen, dass es sich um ein selbstreflexives und um ein sozial konstruiertes Phänomen handelt: Identität in diesem Sinne (im Unterschied zu formallogischer Gleichheit) ist nicht einfach gegeben, sondern entsteht dadurch, dass sich jemand zu sich selbst ins Verhältnis setzt.45 Das heißt im Fall kollektiver Identität: Auch wenn eine Gruppe ihr Selbstverständnis als durch Tradition oder ähnliche Faktoren vorgegeben ansieht, ist dieses Verständnis aus der im Identitätsbegriff implizierten Sicht konstruiert. Zum einen ist es durch einen Aushandlungsprozess entstanden; zum anderen kann es infrage gestellt werden.46 Eben diese Variabilität von Identitätskonstruktionen macht sie als Gegenstand historischer Forschung interessant: Inhalte, die in einer bestimmten Zeit prägend für kollektive Identitätsbildung werden, empfinden offenbar viele Zeitgenossen als wichtig für ihr Selbstverständnis – und gerade wenn Kontroversen darüber entstehen, zeigt sich, welche Vorstellungen sie damit verbinden.47 Damit sich kollektive Identität herausbilden kann, ist ein Gegenüber nötig. Dieses Gegenüber muss nicht als feindlich, jedoch als anders betrachtet werden: Gruppenidentität wird erst sichtbar, wenn es andere gibt, die nicht dazugehören (sollen); Exklusion gegenüber Außenstehenden und Inklusion innerhalb der Gemeinschaft stehen insofern in einem Wechselverhältnis.48 Trotz 43 Zu den wenigen Ausnahmen gehören die differenzierten Überlegungen bei POHLIG, MATTHIAS, Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546–1617, Tübingen 2007 (SuR.NR 37), 35– 42, denen die folgende Darstellung viel verdankt. 44 Einen Überblick zu diesen Hintergründen bietet IZENBERG, GERALD N., Identity. The Necessity of a Modern Idea, Philadelphia 2016 (Intellectual History of the Modern Age). 45 Das gilt für kollektive Identitäten ebenso wie für die von Einzelnen, wenngleich sich nicht alle mit personaler Identität verbundenen Vorstellungen auf Kollektive übertragen lassen. Für eine Verhältnisbestimmung vgl. STRAUB, JÜRGEN, Personale und kollektive Identität. Zur Analyse eines theoretischen Begriffs, in: Aleida Assmann / Heidrun Friese (Hg.), Identitäten. Erinnerung, Geschichte, Identität 3, Frankfurt (Main) 1998, 73–104. 46 Vgl. GIESEN, BERNHARD, Kollektive Identität. Die Intellektuellen und die Nation 2, Frankfurt (Main) 1999, 19 f. 47 Vgl. POHLIG, Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung, 35 f. 48 Klassisch zu diesem Mechanismus LUHMANN, NIKLAS, Inklusion und Exklusion, in: Helmut Berding (Hg.), Nationales Bewußtsein und kollektive Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 2, Frankfurt (Main) 1994, 15–45.

2.3 Konfessionelle Identität

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Grundsatzkritik am Identitätsbegriff, die in diesem Mechanismus der Exklusion und Inklusion eine Legitimation gewaltsamer Ausschließung angelegt sieht,49 bleibt der Begriff kollektiver Identität doch für die Beschreibung des Selbstverständnisses von Gruppen vorerst unersetzt und muss in diesem deskriptiven Sinne dann auch keine Abwertung der Exkludierten bedeuten.50 Ein Modell zur Entstehung solcher identitätsrelevanten Abgrenzungen bietet Bernhard Giesen:51 Ihm zufolge beginnen Abgrenzungsprozesse (idealtypisch) damit, dass ein Akteur52 eine Trennlinie vorschlägt – entweder, indem er sein Publikum mit sich selbst zusammen gegen eine auszuschließende Gruppe abgrenzt, oder indem er sich selbst gegen die Adressaten abgrenzt.53 Entscheidend ist nun, dass nicht schon durch diesen Vorschlag eine identitätsrelevante Grenze gegeben ist, sondern ihre Entstehung von der Reaktion des Angesprochenen abhängt. Eine eindeutige Abgrenzung entsteht, wenn er der Grenzziehung zustimmt, also seinen Ausschluss aus der definierten Gruppe hinnimmt bzw. seine Zusammenordnung mit dem Sprecher gegenüber Dritten akzeptiert. Lehnt er die Ausgrenzung dagegen ab, entsteht eine Debatte über Existenz und Verlauf der Grenze.54 Das wirft für den Zweiten Abendmahlsstreit die Frage auf, inwiefern die einzelnen Akteure neben differenten theologischen Inhalten auch unterschiedliche Vorschläge zur Zusammenordnung bzw. Abgrenzung reformatorischer Gruppen vertreten und wie dies zur Entwicklung entsprechender Identitätsvorstellungen beiträgt. Ein weiterer Faktor ist nach Giesen die Reaktion von Außenstehenden: Wenn sie die Grenzziehung nicht akzeptieren, ist diese nicht stabil, auch wenn sich die unmittelbar Beteiligten einig sind.55 Hier ist für den Abendmahlsstreit etwa zu beleuchten, wie sich das Verhalten der altgläubigen Partei auf die Entstehung innerreformatorischer Abgrenzungen auswirkt. Hinzu kommen evangelische Akteure, die nicht am Streit beteiligt, aber davon mit betroffen (also auch nicht eigentlich Außenstehende) sind. An letzterem Aspekt wird deutlich,

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Vgl. NIETHAMMER, LUTZ, Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur, Reinbek bei Hamburg 2000, 625. 50 Vgl. STRAUB, JÜRGEN, Identität, in: Friedrich Jaeger / Burkhard Liebsch (Hg.), Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 1: Grundlagen und Schlüsselbegriffe, Stuttgart / Weimar 2004, 277–303, hier 298–300; ein hilfreicher Überblick zur kulturwissenschaftlichen Verwendung des Identitätsbegriffs bei ASSMANN, ALEIDA / FRIESE, HEIDRUN, Einleitung, in: Dies. (Hg.), Identitäten. Erinnerung, Geschichte, Identität 3, Frankfurt (Main) 1998, 11–23. 51 Nicht übernommen werden damit Elemente in Giesens Konzept, die für die Beschreibung konfessioneller Phänomene in historischer wie theologischer Hinsicht problematisch wären, etwa die Typologisierung abgrenzender Momente in „primordiale“, „traditionale“ und „universalistische“ Codes (vgl. GIESEN, Kollektive Identität, 24–69). 52 Dieser kann als Einzelperson oder als gemeinsam agierende Gruppe gedacht sein. 53 Vgl. GIESEN, Kollektive Identität, 73–75. 54 Vgl. aaO., 75–77. 55 Vgl. aaO., 77–79.

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I.2 Zur neueren Konfessionsdebatte

dass das Modell ein idealtypisches ist – es sollte nicht dazu dienen, Phänomene in ein starres Raster zu sortieren, sondern ist in einer Weise anzuwenden, die der Komplexität der jeweiligen historischen Situation gerecht wird. Kollektive Identität besteht freilich nicht nur in der Zuordnung von Personen zu einer Gruppe, sondern auch in dem „Bild, das eine Gruppe von sich aufbaut und mit dem sich deren Mitglieder identifizieren. Kollektive Identität ist eine Frage der Identifikation seitens der beteiligten Individuen.“56 Im Fall konfessioneller Identitätsbildung beinhaltet dieses Selbstbild neben im engeren Sinne theologischen Aussagen alle Ideen, die für die Beteiligten das Selbstverständnis ihrer Konfession und die Abgrenzung zu einer anderen ausmachen. Von Interesse sind in diesem Kontext etwa Aussagen zu den Streitursachen, die Beurteilung früherer Kontroversen und vor allem – explizierte oder vorausgesetzte – Konzeptionen von kirchlichem Konsens: Inhaltliche Differenzen stellen erst dann eine identitätsrelevante Abgrenzung dar, wenn sie von den Beteiligten als solche betrachtet werden. Wo ein Akteur einen den kirchlichen Konsens zerstörenden Lehrunterschied sieht, kann der zweite ein Konzept zur Vereinbarung beider Positionen entwickeln und der dritte der Ansicht sein, die Auffassung seines Gegenübers sei zwar für ihn selbst nicht annehmbar, jedoch tolerabel. Ähnliche Ansichten über die prinzipielle Möglichkeit einer Einigung können (etwa aufgrund differierender Einschätzungen zur Verständigungsbereitschaft des Gegenübers) mit unterschiedlichen Ansichten darüber einhergehen, ob eine Verständigung de facto möglich sei, usw. Erst wenn die Komplexität solcher Aussagen beachtet wird, entsteht ein differenziertes Bild. Wird die Entwicklung von Identitätsvorstellungen in dieser Weise betrachtet, stellt sich allerdings die Frage, ab wann von Identität zu sprechen ist. Bei Wolfgang Schmale wird Identität von möglichen Vorstufen klar unterschieden: „Die wichtigste Unterscheidung zwischen Strukturem und Kulturem besteht darin, dass ein Strukturem eine identitäre Potenz aufweist, während ein Kulturem eine identitäre Essenz besitzt. Historisch betrachtet kann aus der identitären Potenz eine identitäre Essenz erwachsen.“57

Daher wird in Konzeptionen konfessioneller Identität, die an dieses Modell anknüpfen, von Identität erst für klar gegeneinander abgegrenzte Vorstellungen gesprochen, die sich einer ebenso eindeutig definierten Gruppe zuordnen lassen.58 So konsequent dies vom Gedanken der Identitätsbildung her ist, so schwierig erscheint es, den Umschlagpunkt von bloßem Identitätspotential zu einer tatsächlich identitätsbestimmenden Aussage oder Handlung festzustellen. 56 ASSMANN, JAN, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 72013, 132, Hervorhebung im Original. 57 SCHMALE, WOLFGANG, Das Konzept „Kulturtransfer“ und das 16. Jahrhundert, in: Ders. (Hg.), Kulturtransfer, Innsbruck 2003 (Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit 2), 41–61, hier 45, Hervorhebung im Original. 58 Vgl. etwa DINGEL, Streitkultur und Kontroversschrifttum.

2.3 Konfessionelle Identität

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Um ein Beispiel aus dem Kontext dieser Arbeit zu wählen: Es ist kaum zu entscheiden, ob der Überzeugung der Magdeburger Interimsgegner, gegen eine Übermacht von Irrlehrern Luthers Erbe verteidigen zu müssen, schon im Kampf gegen das Augsburger Interim identitätsbestimmende Bedeutung zukommt oder ob diese sich erst im Zuge der folgenden innerevangelischen Kontroversen entwickelt. Es handelt sich hier weniger um einen plötzlichen Umschwung als um einen allmählichen Prozess. Insofern ist auch beim Zweiten Abendmahlsstreit nicht binär zwischen vorkonfessionellen und konfessionellen Konzepten zu unterscheiden: Vielmehr ist möglichst präzise nachzuzeichnen, für wen bestimmte Inhalte und Grenzziehungen zu welchem Zeitpunkt und in welcher Hinsicht identitätsrelevant sind und wie sich daraus allmählich klar abgegrenzte konfessionelle Identitätsvorstellungen entwickeln. Hinzu kommt, dass Identitätsvorstellungen auch innerhalb der dadurch konstituierten Gruppe nicht in jeder Hinsicht homogen sein müssen. Aus diesem Umstand ist eine grundsätzliche Ablehnung „konfessioneller Identität“ als Kategorie abgeleitet worden: Konfessionszugehörigkeit spiele für das Selbstverständnis theologischer Laien oft keine zentrale Rolle.59 Dass Eliten konfessionelle Identitätsvorstellungen als allgemeingültig durchzusetzen versuchen, ist jedoch nicht inkompatibel damit, dass ihnen das in bestimmten Kontexten nicht oder nur eingeschränkt gelingt.60 Im überregionalen Abendmahlsstreit steht die Ebene der Eliten im Vordergrund, die in diesem Falle Identitätsvorstellungen allererst entwickeln. Jedoch ist bei ihren kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Durchsetzungsversuchen zu beleuchten, ob Misserfolge durch abweichende Identitätskonzepte bedingt sind – oder durch Faktoren, die mit der Konfessionsdebatte nichts zu tun haben. Zudem müssen konfessionelle Selbstbeschreibungen auch bei denjenigen, die sie für sich anerkennen, nicht völlig übereinstimmen: Zum einen kann es Pluralität innerhalb eines Identitätskonstrukts geben, etwa aufgrund von Zugehörigkeit zu konfessionsinternen sozialen Gruppen,61 zum anderen kann der Einzelne an verschiedenen Identitäten partizipieren.62 So verbindet sich bei den Protagonisten des Abendmahlsstreits die entstehende konfessionelle Identität etwa mit einem Selbstverständnis als Humanist oder als Bürger der eigenen Heimatstadt; diese Identitäten können einander gegenseitig verstärken oder in Spannung zueinander geraten. 59

Vgl. VOLKLAND, FRAUKE, Konversion, Konfession und soziales Drama. Ein Plädoyer für die Ablösung des Paradigmas der „konfessionellen Identität“, in: Kaspar von Greyerz et al. (Hg.), Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, Gütersloh 2003 (SVRG 201), 91–104. 60 In diesem Sinne auch POHLIG, Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung, 37–39. 61 Vgl. HOLZEM, Konfessionsgesellschaft, 76–80. 62 Vgl. grundsätzlich zu diesem Phänomen HAHN, ALOIS, „Partizipative“ Identitäten, in: Ders., Konstruktionen des Selbst, der Welt und der Geschichte. Aufsätze zur Kultursoziologie, Frankfurt (Main) 2000 (stw 1505), 13–79.

Kapitel I.3

Konfessionelle Identitätsbildung in Luthertum und Reformiertentum In der Analyse evangelischer Identitätsbildung sind im Rahmen neuerer Konfessionsforschung auch materialiter Neuansätze entstanden: Auf lutherischer Seite ist hier insbesondere das Konzept einer Streitkultur innerhalb der Wittenberger Reformation zu nennen, die zwischen 1548 und 1580 theologische Klärungen und konfessionell identitätsrelevante Abgrenzungen hervorbrachte1 – auf reformierter Seite die Akzentuierung der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Theologen und kirchlichen Zentren, die zwei konfessionell identitätsbestimmende Faktoren hervorgebracht habe: Verständigung zwischen einer Pluralität an Theologien und ein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit.2 Auffallend ist allerdings, dass in den meisten bisherigen Untersuchungen der Akzent auf Verständigungen und Abgrenzungen innerhalb einer späteren Konfession oder in deren Verhältnis zu Außenseitern liegt – nicht auf der Auseinandersetzung zwischen Haltungen, die im Folgenden für die Identität verschiedener etablierter Konfessionen prägend wurden. Die Untersuchung des Zweiten Abendmahlsstreits trägt hier zur Schließung einer Forschungslücke bei: Sie lässt Rückschlüsse darauf zu, wie der Beitrag solcher Konflikte zur konfessionellen Identitätsbildung im Verhältnis zur internen Debatte zu bewerten ist. Ferner zeigt sie, ob der Abgrenzungsprozess hier analog funktioniert oder anders als bei internen Grenzziehungen: Es ist zu erwägen, ob und inwiefern Faktoren, die bisher vor allem für eine Konfession herausgearbeitet worden sind, auch für die jeweils andere und für den wechselseitigen Prozess gelten. Das betrifft primär drei Aspekte: die Feststellung vorkonfessioneller theologischer Pluralität, den Beitrag theologischer Streitigkeiten zur Entstehung konfessioneller Identitätsvorstellungen und die konfessionsbildende Wirkung von Kooperation zwischen verschiedenen Kirchen und Theologen. Eine Gemeinsamkeit zwischen lutherischer und reformierter Forschung besteht zunächst in der Hervorhebung der Pluralität an Überzeugungen, die in die entstehenden Konfessionen eingingen: Für die Wittenberger Reformation betont Irene Dingel, dass Bekenntnisse wie die Confessio Augustana bis in die 1 Vgl. dazu grundlegend DINGEL, Streitkultur und Kontroversschrifttum; DIES., Culture of Conflict; zu weiteren Forschungsbeiträgen vgl. im Folgenden. 2 So etwa bei BENEDICT, Christ’s Churches Purely Reformed, 115–120.

I.3 Konfessionelle Identitätsbildung in Luthertum und Reformiertentum

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zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Pluralität theologischer Überzeugungen zuließen.3 Auch Thomas Kaufmann hebt die Existenz „pluraler und konkurrierender Auslegungs- und Aneignungsvarianten“ der Confessio Augustana hervor.4 Auf reformierter Seite hat sich eine breite Forschungsströmung darauf konzentriert, entgegen dem traditionellen Bild eines monolithisch von Genf geprägten „Calvinismus“ die Polyzentrik und Pluralität reformierter Theologie in der Mitte des 16. Jahrhunderts herauszuarbeiten.5 Dies hat sich neben einer Reihe von Arbeiten, die den Einfluss und die theologische Eigenständigkeit Heinrich Bullingers und der Zürcher Kirche,6 Peter Martyr Vermiglis7 oder Johannes a Lascos8 betonen, inzwischen auch in Überblicksdarstellungen niedergeschlagen.9 Für die fehlende Abgrenzung zwischen Positionen, die später in die gleiche konfessionelle Tradition eingingen, muss auch eine Analyse des

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Vgl. DINGEL, Streitkultur und Kontroversschrifttum, 96 f. Vgl. KAUFMANN, Lutherische Konfessionskultur, 9, Zitat ebd. 5 Für einen Überblick zum Forschungsstand vgl. BURNETT, AMY NELSON, Contributors to the Reformed Tradition, in: David M. Whitford (Hg.), Reformation and Early Modern Europe. A Guide to Research, Kirksville (MO) 2008 (SCES 79), 25–56. Im Folgenden werden Aspekte hervorgehoben, die für den Zweiten Abendmahlsstreit besonders relevant sind. 6 Vgl. nur SCHINDLER, ALFRED / STICKELBERGER, HANS (Hg.), Die Zürcher Reformation. Ausstrahlungen und Rückwirkungen, Bern u.a. 2001 (ZBRG 18); CAMPI, EMIDIO / OPITZ, PETER (Hg.), Heinrich Bullinger. Life – Thought – Influence, 2 Bde., Zürich 2007 (ZBRG 24); MÜHLING, ANDREAS, Heinrich Bullingers europäische Kirchenpolitik, Bern u.a. 2004 (ZBRG 19); OPITZ, PETER, Heinrich Bullinger als Theologe. Eine Studie zu den „Dekaden“, Zürich 2004; MOSER, CHRISTIAN, Die Dignität des Ereignisses. Studien zu Heinrich Bullingers Reformationsgeschichtsschreibung, 2 Bde., Leiden 2012 (SHCT 163). 7 Vgl. nur CAMPI, EMIDIO et al. (Hg.), Peter Martyr Vermigli. Humanismus, Republikanismus, Reformation, Genf 2002; JAMES, FRANK A. III. (Hg.), Peter Martyr Vermigli and the European Reformations: Semper Reformanda, SHCT 115, Leiden / Boston 2004; KIRBY, TORRANCE et al. (Hg.), A Companion to Peter Martyr Vermigli, Leiden 2009 (Brillʼs Companions to the Christian Tradition 16); ZUIDEMA, Vermigli and the Outward Instruments of Divine Grace; KIM, Scripturae et Patrum Testimoniis; BAUMANN, Vermigli in Zürich. 8 Vgl. insbesondere STROHM, CHRISTOPH (Hg.), Johannes a Lasco (1499–1560). Polnischer Baron, Humanist und europäischer Reformator, Tübingen 2000 (SuR.NR 14); JÜRGENS, HENNING P., Johannes a Lasco in Ostfriesland. Der Werdegang eines europäischen Reformators, Tübingen 2002 (SuR.NR 18); BECKER, JUDITH, Gemeindeordnung und Kirchenzucht. Johannes a Lascos Kirchenordnung für London (1555) und die reformierte Konfessionsbildung, Leiden / Boston 2007 (SMRT 122). 9 So behandelt MACCULLOCH, Reformation, eingehend „Reformed Protestantism: Alternatives to Calvin 1540–60“ (vgl. aaO., 253–269, Zitat 253); BENEDICT, Christʼs Churches Purely Reformed, betont neben dem Einfluss Calvins und Genfs auf andere Kirchen (vgl. aaO., 77–144) ebenso den anderer Reformatoren, darunter Bullinger, a Lasco und Vermigli (vgl. aaO., 49–76). Die Beiträge in BURNETT, AMY NELSON / CAMPI, EMIDIO (Hg.), A Companion to the Swiss Reformation, Leiden / Boston 2016 (Brill’s Companions to the Christian Tradition 72) bieten einen differenzierten Überblick über die verschiedenen Ausprägungen reformierter Theologie innerhalb der Eidgenossenschaft. 4

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I.3 Konfessionelle Identitätsbildung in Luthertum und Reformiertentum

Zweiten Abendmahlsstreits sensibel sein – zugleich kann sie hier teilweise auf vorhandene Forschungsergebnisse zurückgreifen. Weniger genau erforscht ist die Frage, inwiefern die vorkonfessionelle Pluralität evangelischer Theologien auch bedeutete, dass das Verhältnis verschiedener reformatorischer Richtungen zueinander nicht abschließend geklärt war: Nur Irene Dingel rechnet zu den reformatorischen Prägungen, die noch keine abgegrenzten konfessionellen Identitäten darstellen, explizit auch die „Wittenberger, Zürcher oder Genfer Theologie“ – führt jedoch nicht aus, ob das Verhältnis dieser Richtungen zueinander als genauso offen zu beurteilen ist wie das zwischen den von ihr untersuchten wittenbergischen Positionen.10 Diverse Einzeluntersuchungen lassen vermuten, dass das Verhältnis zumindest weniger klar ist als häufig angenommen: So hat Amy Nelson Burnett nachgewiesen, dass bis in die 1570er Jahre hinein in Basel noch bucerisch geprägte Positionen zwischen der Zürcher und Genfer Reformation einerseits, der Wittenberger Reformation andererseits möglich waren.11 Diarmaid MacCulloch betont, dass der englische Erzbischof Thomas Cranmer die Wittenberger, Straßburger, Zürcher und Genfer Richtung der Reformation in seine reformatorischen Bemühungen zu integrieren versuchte.12 Hier kann die Analyse des Zweiten Abendmahlsstreits anknüpfen und zur Klärung der Frage beitragen, ob die Situation zwischen verschiedenen reformatorischen Richtungen klarer war als innerhalb dieser Gruppierungen – oder ob die (etablierten) reformatorischen Strömungen in ihrer gesamten Bandbreite um 1550 noch nicht eindeutig gegeneinander abgegrenzt waren und eher ein Spektrum bildeten denn klar erkennbare Gruppen. Welche Bedeutung theologische Streitigkeiten für die Entstehung konfessioneller Abgrenzungen hatten, ist vor allem auf lutherischer Seite untersucht worden. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass die theologischen Prägungen der Wittenberger Reformation „erst über Kontroversen und über eine regelrechte Streitkultur […] identitätsstiftenden Charakter“ gewannen: Die Auseinandersetzungen führten zu einer Klärung, Profilierung und gegenseitigen Abgrenzung der Positionen.13 Auf reformierter Seite hingegen werden die in theologischen Streitigkeiten der 1550er Jahre vertretenen Positionen eher als 10 DINGEL, Streitkultur und Kontroversschrifttum, 96: „Wenn wir heute im wissenschaftlichen Zusammenhang von einer Wittenberger, Zürcher oder Genfer Theologie sprechen, dann meinen wir die von Luther, Zwingli oder Calvin beeinflusste Lehrbildung, die sich noch nicht oder nicht unbedingt unter einem identitätsstiftenden und konfessionell-kulturelle Gruppen konstituierenden Bekenntnis herausgebildet hat, sondern noch theologische Vielfalt duldet.“ 11 BURNETT, AMY NELSON, Basel and the Wittenberg Concord, in: ARG 96 (2005), 33– 56; DIES., Bucers letzter Jünger. Simon Sulzer und Basels konfessionelle Identität zwischen 1550 und 1570, in: BZGAK 107 (2007), 137–172. 12 MACCULLOCH, DIARMAID, Tudor Church Militant. Edward VI. and the Protestant Reformation, London u.a. 1999; DERS.,Thomas Cranmer. A Life, New Haven / London 1996. 13 Vgl. DINGEL, Streitkultur und Kontroversschrifttum, 95–98, Zitat 96.

I.3 Konfessionelle Identitätsbildung in Luthertum und Reformiertentum

33

charakteristisch für die Theologie des betreffenden Autors oder des Reformiertentums insgesamt beschrieben,14 als dass gefragt würde, ob die Auseinandersetzung konfessionell identitätsstiftende Abgrenzungen überhaupt erst hervorbrachte.15 Im Hinblick auf italienische Exulanten stellt Mark Taplin allerdings fest, dass Spielräume für „radikale“ theologische Positionen bis 1570 schwanden – bedingt unter anderem durch Konflikte mit etablierten Reformatoren wie Bullinger.16 Für einen späteren Zeitraum (1560er Jahre–frühes 17. Jahrhundert) arbeitet Kęstutis Daugirdas die Klärungsprozesse heraus, zu denen die Auseinandersetzung mit sozinianischen Ideen auf reformierter und lutherischer Seite führte.17 Zumal auch die Bedeutung theologischer Kontroversen für die katholische Konfessionsbildung verschiedentlich demonstriert worden ist,18 wirft das die Frage auf, ob eine „Streitkultur“ – in quantitativer Hinsicht wie in ihrer 14

Typisch für diese Sichtweise erscheint etwa die aktuelle Überblicksdarstellung bei VAN VEEN, MIRJAM, B.III.5 Calvin und seine Gegner, übs. v. Ulrike Sawicki, in: Herman J. Selderhuis (Hg.), Calvin Handbuch, Tübingen 2008, 155–164. Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Selbst eine so differenzierte Untersuchung wie HOLTROP, PHILIP C., The Bolsec Controversy on Predestination, from 1551 to 1555. The Statements of Jerome Bolsec, and the Responses of John Calvin, Theodore Beza, and Other Reformed Theologians, 2 Bde., Lewiston u.a. 1993, nimmt zwar eine weitere Ausarbeitung der Position Calvins im Zuge des Konflikts mit Bolsec an, diskutiert aber nicht, ob bestimmte Abgrenzungen dabei erst entstehen. Debatten, bei denen beide Parteien später dem Reformiertentum angehörten – etwa im Vorlauf zum Consensus Tigurinus – wiederum werden eher unter dem Gesichtspunkt gegenseitiger Verständigung diskutiert (s. u.). 15 Eine Ausnahme bildet DINGEL, IRENE, Reformation. Zentren – Akteure – Ereignisse, Göttingen 2016, 236, die (wohl mit von der Betrachtung der Wittenberger Zusammenhänge geschärftem Blick) explizit formuliert: „Auseinandersetzungen mit anderen Meinungen trugen dazu bei, dass die von Calvin geprägte reformierte Theologie Konturen gewann.“ Konkret nennt sie aaO., 236–239, die Konfrontationen mit Castellio, Bolsec und Servet. 16 TAPLIN, MARK, The Italian Reformers and the Zurich Church, c. 1540–1620, Aldershot 2003 (StASRH), 299 f.: „During the 1540s, 1550s and 1560s […] a series of doctrinal controversies revealed to Bullinger the extent of his differences with the radicals […]. Bullinger’s changing relationship with the Italian radicals offers insights into the evolution of Reformed orthodoxy more generally […]. In the early 1540s, […], Reformed doctrine was still comparatively unsystematized; no single theological tendency had yet achieved dominance […]. By the 1570s, that diversity had become much less pronounced, as an agreed Reformed line emerged on the main doctrinal issues that had once divided Geneva and the Swiss […]. The Italian radicals, who had earlier benefited from the lack of an agreed definition of orthodoxy, found themselves squeezed to the margins and, finally, excluded from the Reformed fold altogether.“ 17 Vgl. DAUGIRDAS, KĘSTUTIS, Die Anfänge des Sozinianismus. Genese und Eindringen des historisch-ethischen Religionsmodells in den universitären Diskurs der Evangelischen in Europa, Göttingen 2016 (VIEG 240), bes. 546 f. 18 Vgl. etwa die Beiträge von Matthijs Lamberigts, Ulrich G. Leinsle und Volker Leppin in: WALTER, PETER / WASSILOWSKY, GÜNTHER (Hg.), Das Konzil von Trient und die katholische Konfessionskultur. Wissenschaftliches Symposium aus Anlass des 450. Jahrestages des Abschlusses des Konzils von Trient, Münster 2016 (RGST 163).

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I.3 Konfessionelle Identitätsbildung in Luthertum und Reformiertentum

qualitativen Bedeutung für den Prozess der Konfessionsbildung – derart als lutherisches Proprium anzusehen ist, wie es zuweilen postuliert wird.19 Zudem konzentriert sich die Literatur auf Streitigkeiten innerhalb der Wittenberger Reformation;20 allenfalls spielen Konflikte wittenbergisch geprägter Theologen mit Außenseitern wie „Schwärmern“21 oder Antitrinitariern22 eine Rolle. Inwiefern für die Identitätsbildung des Luthertums auch Debatten mit den ins Reformiertentum einmündenden Zweigen der Reformation wichtig waren, ist hingegen bislang kaum systematisch untersucht worden – aufgrund der (auf reformierter und katholischer Seite analog zu beobachtenden) Konzentration auf Prozesse innerhalb einer Konfession, aber wohl auch aufgrund der (spezifisch lutherischen) Ansicht, der lutherisch-reformierte Abgrenzungsprozess sei mit dem Marburger Religionsgespräch 1529 bereits definitiv abgeschlossen.23 Hier kann die Analyse des Zweiten Abendmahlsstreits Wesentliches beitragen: Sie macht zumindest für einen Fall deutlich, inwiefern auch der Streit mit Kirchen außerhalb der Wittenberger Reformation zur lutherischen Konfessionsbildung beitrug, und liefert Anhaltspunkte dafür, in welchem Verhältnis zu innerwittenbergischen Konflikten er für die Protagonisten stand.

19 So KAUFMANN, Lutherische Konfessionskultur, 18, mit der These: „daß sich die lutherische Konfession hinsichtlich der Ausmaße ihrer Agonalität dezidiert und in eigentümlicher Weise vom Reformiertentum und vom römischen Katholizismus unterschied. Nicht daß es nicht auch in anderen Konfessionen theologische Streitigkeiten gegeben hätte! Doch die interne Streitbarkeit der Lutheraner war in quantitativer, vor allem aber in qualitativer Hinsicht ausgeprägter als die der konkurrierenden Konfessionen“. 20 Zu nennen wären hier neben der Editionsreihe Controversia et Confessio vor allem folgende Arbeiten: Zum Interimistischen und Adiaphoristischen Streit KAUFMANN, Ende der Reformation; MORITZ, ANJA, Interim und Apokalypse. Die religiösen Vereinheitlichungsversuche Karls V. im Spiegel der magdeburgischen Publizistik 1548–1551/52, Tübingen 2009 (SMHR 47); sowie die Beiträge in DINGEL, IRENE / WARTENBERG, GÜNTHER (Hg.), Politik und Bekenntnis. Die Reaktionen auf das Interim von 1548, Leipzig 2007 (LStRLO 8). In letzterem Band auch die Analysen: DINGEL, IRENE, Der Majoristische Streit in seinen historischen und theologischen Zusammenhängen, aaO., 231–247; MICHEL, STEFAN, Der synergistische Streit. Theologische und religionspolitische Interessen im Streit um den freien Willen des Menschen, aaO., 249–278. Zum Osiandrischen Streit WENGERT, TIMOTHY J., Defending Faith. Lutheran Responses to Andreas Osianderʼs Doctrine of Justification, 1551– 1559, Tübingen 2012 (SMHR 65); zum Zweiten Antinomistischen Streit RICHTER, MATTHIAS, Gesetz und Heil. Eine Untersuchung zur Vorgeschichte und zum Verlauf des sogenannten Zweiten Antinomistischen Streits, Göttingen 1996 (FKDG 67); zum Konflikt um die Wittenberger Christologie und Abendmahlslehre HUND, Das Wort ward Fleisch. 21 KAUFMANN, THOMAS, Nahe Fremde – Aspekte der Wahrnehmung der „Schwärmer“ im frühneuzeitlichen Luthertum, in: Kaspar von Greyerz et al. (Hg.), Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, Gütersloh 2003 (SVRG 201), 179–241. 22 Zu den antitrinitarischen Streitigkeiten vgl. die in C&C 9 edierten Dokumente. 23 Vgl. zu dieser These und ihrem Hintergrund in Luthers Perspektive u. Kap. II.2.3.

I.3 Konfessionelle Identitätsbildung in Luthertum und Reformiertentum

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Auch auf methodischer Ebene stellt sich die Frage, ob die Faktoren, die in der Forschung als typisch für innerwittenbergische Streitigkeiten herausgestellt werden, auf den Zweiten Abendmahlsstreit übertragbar sind. Das gilt etwa für die Wechselwirkung zwischen theologischen Debatten und territorialpolitischen Positionierungen,24 den Umgang mit reformatorischen Autoritäten25 oder den Funktionswandel von Bekenntnissen.26 Es gibt Ansätze zu einer Typologie der Streitschriftengattungen;27 das Editionsprojekt Controversia et Confessio hat neben den Editionsbänden und einer Datenbank28 auch Erwägungen zur Verbreitung und Leserschaft theologischer Streitschriften29 hervorgebracht. Dass diese Aspekte ähnlich im Zweiten Abendmahlsstreit festzustellen sein könnten, legt sich insofern nahe, als dessen Protagonisten aus dem Bereich der Wittenberger Reformation parallel in innerwittenbergische Debatten verwickelt sind. Jedoch erscheint es angesichts des abweichenden Hintergrunds der anderen Streitpartei wahrscheinlich, dass diese etwa die Autoritätenfrage anders bewertet, während Wechselwirkungen mit politischen Entscheidungen sich möglicherweise anders darstellen, wenn ein Teil der Beteiligten sich außerhalb des Reichs bewegt. Auch hier bleibt zu untersuchen, welche Erkenntnisse auf den Abendmahlsstreit übertragbar sind, welche nicht. Die Kooperation verschiedener Kirchen und Theologen als Faktor konfessioneller Identitätsbildung wird vor allem auf reformierter Seite betont: Philip Benedict spricht für Zürich, Genf und weitere kirchliche Zentren von „Cooperating Allies, Contrasting Models of Christian Community“.30 Briefnetzwerke einzelner Reformatoren werden ebenso in diesem Sinne untersucht31 wie der 24

Vgl. unter anderem GEHRT, DANIEL, Ernestinische Konfessionspolitik. Bekenntnisbildung, Herrschaftskonsolidierung und dynastische Identitätsstiftung vom Augsburger Interim 1548 bis zur Konkordienformel 1577, Leipzig 2011 (AKThG 34). 25 Vgl. insbesondere MICHEL, Kanonisierung der Werke Luthers; DINGEL, IRENE, Luther’s Authority in the Late Reformation and Protestant Orthodoxy, in: Dies. et al. (Hg.), The Oxford Handbook of Martin Luther’s Theology, Oxford 2014, 525–539; KAUFMANN, Ende der Reformation, 306–381. 26 DINGEL, IRENE, Integration und Abgrenzung. Das Bekenntnis als Ordnungselement in der Konfessionsbildung, in: Dies. / Armin Kohnle (Hg.), Gute Ordnung. Ordnungsmodelle und Ordnungsvorstellungen in der Reformationszeit, Leipzig 2014 (LStRLO 25), 11–30. 27 Vgl. etwa die instruktive Analyse jeweils eines Beispiels verschiedener Gattungen der Magdeburger Publizistik bei KAUFMANN, Ende der Reformation, 209–428. 28 Erreichbar unter http://www.controversia-et-confessio.de/ [letzter Zugriff 3.9.2020]. 29 HUND, JOHANNES / JÜRGENS, HENNING P., Pamphlets in the Theological Debates of the Later Sixteenth Century: The Mainz Editorial Project ‚Controversia et Confessio‘, in: Malcolm Walsby / Graeme Kemp (Hg.), The Book Triumphant. Print in Transition in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, Leiden / Boston 2011 (Library of the Written Word 15), 158–177. 30 BENEDICT, Christʼs Churches Purely Reformed, 115–120; Zitat 120. 31 MÜHLING, Bullingers europäische Kirchenpolitik; EULER, CARRIE, Couriers of the Gospel. England and Zurich 1531–1558, Zürich 2006 (ZBRG 25); MOSER, CHRISTIAN,

36

I.3 Konfessionelle Identitätsbildung in Luthertum und Reformiertentum

Austausch jeweils zweier Theologen, etwa Bullinger und Calvin,32 a Lasco und Hardenberg,33 Calvin und Vermigli34 oder Bullinger und Beza.35 In der lutherischen Forschung hingegen wird vor allem hervorgehoben, dass es nicht feste Gruppen von „Philippisten“, „Gnesiolutheranern“ u.ä. gab36, sondern die Gruppenbildungen je nach Thema wechselten, so dass etwa Melanchthon und Flacius (im adiaphoristischen Streit erbitterte Gegner) gemeinsam gegen Osiander vorgingen.37 Für den Zweiten Abendmahlsstreit sind beide Überlegungen ernst zu nehmen: Es ist auf beiden Seiten ebenso mit einer konfessionsbildenden Wirkung von Netzwerken zu rechnen wie mit wechselnden Gruppenbildungen. Insofern ist auch gegenüber einer allzu umstandslosen Identifikation der Streitparteien mit den späteren Konfessionen Vorsicht geboten: Zwischenpositionen sind ebenso denkbar wie Kooperationen zwischen Theologen, die später verschiedenen Konfessionen angehörten. Beide Phänomene lassen Rückschlüsse auf den Konfessionsbildungsprozess zu: Sind solche Kooperationen und Zwischenpositionen möglich, ist dies ein Indiz für eine konfessionell unabgeschlossene Situation; werden sie irgendwann unmöglich, zeigt dies den Fortschritt des konfessionellen Abgrenzungsprozesses.

Ferngespräche. Theodor Biblianders Briefwechsel, in: Christine Christ-von Wedel (Hg.), Theodor Bibliander (1505–1564). Ein Thurgauer im gelehrten Zürich der Reformationszeit, Zürich 2005, 83–106; DERS., Epistolary: Theological Themes, in: Torrance Kirby et al. (Hg.), A Companion to Peter Martyr Vermigli, Leiden 2009 (Brillʼs Companions to the Christian Tradition 16), 433–455. Diese Forschungstendenz ist verknüpft mit einer Reihe von Briefeditionen, speziell HBBW, BCor und Corr. Béze. Der Edition der Calvinbriefe in CO tritt in den Joannis Calvini opera omnia eine Neuedition an die Seite. Mit MYCONIUS, OSWALD, Briefwechsel 1515–1552. Regesten, ed. v. Rainer Henrich, 2 Bde., Zürich 2017; existieren für diesen Autor ausführliche Regesten. Vermiglis Briefwechsel ist durch DONNELLY, JOHN PATRICK / KINGDON, ROBERT M., A Bibliography of the Works of Peter Martyr Vermigli, with a Register of Vermigliʼs Correspondence by Marvin W. Anderson, Kirksville (MO) 1990 (Sixteenth Century Essays & Studies XIII), erschlossen; derjenige a Lascos neben der Edition in KUYPER II durch JÜRGENS, a Lasco in Ostfriesland, 352–375. 32 KOLFHAUS, Verkehr Calvins mit Bullinger; ROREM, PAUL, Calvin and Bullinger over the Lordʼs Supper, in: LuthQ N.S. [4. Serie] 2 (1988), 155–184; 357–389; CAMPI, EMIDIO, The Consensus Tigurinus: origins, assessment, and impact, in: R&RR 18 (2016), 5–24. 33 JANSE, WIM, A Lasco und Albert Hardenberg. Einigkeit im Dissens, in: Christoph Strohm (Hg.), Johannes a Lasco (1499–1560). Polnischer Baron, Humanist und europäischer Reformator, Tübingen 2000 (SuR.NR 14), 261–282. 34 CAMPI, EMIDIO, John Calvin and Peter Martyr Vermigli. A reassessment of their relationship, in: Irene Dingel / Herman J. Selderhuis (Hg.), Calvin und Calvinismus. Europäische Perspektiven, Göttingen 2011 (VIEG.B 84), 85–102. 35 Aktuell dazu CAMPI, EMIDIO, Theodore Beza and Heinrich Bullinger in Light of Their Correspondence, in: Ders., Shifting Patterns of Reformed Tradition, Göttingen 2014 (RHTh 27), 169–183. 36 Vgl. DINGEL, Concordia controversa, 17 f., und die dort angegebene Literatur. 37 Das hat vor allem WENGERT, Defending Faith, detailliert herausgearbeitet.

Kapitel I.4

Anlage und Aufbau der Arbeit 4.1 Fokus der Untersuchung 4.1 Fokus der Untersuchung

a) Konzentration auf die überregionale theologische Debatte Innerhalb der für die Konfessionsbildung im Zweiten Abendmahlsstreit relevanten Ereignisse konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf die Herausbildung konfessioneller Abgrenzungen in der überregionalen Debatte. Das hat zwei Gründe: Zum einen ist der Forschungsstand zur überregionalen Kontroverse deutlich schlechter als zur Mehrheit der regionalen Auseinandersetzungen.1 Zum anderen steht im Vordergrund des Erkenntnisinteresses die Entwicklung konfessionell prägender Theologumena und Identitätsvorstellungen, die im überregionalen Expertendiskurs naturgemäß besonders stark reflektiert werden. Insofern legt sich eine Darstellung mit entsprechendem Schwerpunkt nahe, die jedoch auf Wechselwirkungen mit regionalen Debatten, außertheologischen Faktoren und dem Agieren von Nicht-Experten hinweist und in Bezug auf diese Themenfelder teils auf vorhandene Erkenntnisse zurückgreifen, teils Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungen bieten kann. Für die regionalen Konflikte bietet es sich an, jeweils deren Verhältnis zum überregionalen Diskurs zu reflektieren: Angesichts des etwas besseren Forschungsstandes zu den regionalen Debatten lässt sich aus den vorhandenen Arbeiten ein Überblick gewinnen. Eine darüber hinausgehende Neuanalyse der regionalen Entwicklung kann hingegen nicht geleistet werden: Um die Komplexität der jeweiligen Situation vor Ort (Stadtpolitik, soziale Spannungen, örtliche Reformationsgeschichte …) umfassend zu bearbeiten, wäre eine eingehende Beschäftigung mit regionalen Streitschriften, Ratsprotokollen und weiteren Archivquellen, erforderlich: ein Unterfangen, das – wie neuere Arbeiten zu Bremen zeigen2 – für jede Region allein den Umfang einer Dissertation annehmen kann. Die vorhandene Literatur erlaubt es aber, Zusammenhänge und Wechselwirkungen mit der hier analysierten überregionalen Debatte aufzuzeigen. Die Exkursform bietet sich an, weil sich die Regionalstreitigkeiten nach und nach von der überregionalen Diskussion trennen: So entspinnt sich etwa in 1

Vgl. o. Kap. I.1. Vgl. JANSE, Hardenberg als Theologe; ENGELHARDT, Irrlehreprozeß; PARK, Luthertum und Obrigkeit. 2

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I.4 Anlage und Aufbau der Arbeit

Bremen ausgehend von Timanns Beitrag zur überregionalen Debatte ein lokaler Konflikt, der aber zu einem späteren Zeitpunkt wieder in die überregionale Diskussion hineinwirkt. Künftige Arbeiten zu regionalen Konflikten – die etwa im Frankfurter Fall sehr wünschenswert erscheinen – werden dann auf diese Erkenntnisse zurückgreifen und sie weiter präzisieren können. Eng verbunden mit der Beziehung zwischen überregionalen und regionalen Debatten ist die Frage nach dem Verhältnis von theologischem Elitendiskurs und der Relevanz konfessioneller Abgrenzungsprozesse für einzelne Gemeinden bzw. Stadt- und Dorfgesellschaften. Auch hier würde eine angemessen differenzierte Beschäftigung mit der jeweiligen gemeindlichen Situation umfassende Archivrecherchen erfordern, die im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten sind. Allerdings finden sich auch im Diskurs der Experten Indizien für entsprechende Zusammenhänge: etwa in ihren Bemühungen um Verbreitung volkssprachlicher Streitschriften, im argumentativen Rückgriff auf die Situation ihrer Ortskirche (wobei freilich auch die Möglichkeit rein topischer Aussagen in Betracht gezogen werden muss) oder in Reaktionen auf die Präsenz andersdenkender Flüchtlinge vor Ort. Diese Aspekte sind zu berücksichtigen und auf ihre Bedeutung zu befragen. Insgesamt jedoch bleiben Analysen zur Gemeinderealität ein Desiderat, für das diese Studie nur den überregionalen Rahmen und einzelne Anknüpfungspunkte zur Verfügung stellen kann. Umfassender zu berücksichtigen ist die Rolle nichttheologischer Akteure auf überregionaler Ebene: Zwar können in den meisten Fällen keine eigenen Detailanalysen etwa über die Motivation von Politikern angestellt werden. Zu vielen relevanten Personen (z.B. König Eduard VI. von England oder Herzog Christoph von Württemberg) und Ereignissen (z.B. dem Wormser Religionsgespräch von 1557) sind jedoch aktuelle Forschungsarbeiten vorhanden, mit denen sich die Beobachtungen zum Abendmahlsstreit korrelieren lassen. Das ermöglicht belastbare Hypothesen zum wechselseitigen Einflussverhältnis zwischen konfessioneller und (kirchen)politischer Entwicklung. b) Quellengrundlage und zeitliche Eingrenzung Für eine Analyse, die den Schwerpunkt auf die Herausbildung konfessioneller Theologumena und Identitätsvorstellungen legt, diese jedoch umfassend historisch kontextualisiert, sind vor allem zwei Gruppen von Quellen wichtig: die Streitschriften beider Parteien und der Briefwechsel der Beteiligten. Die umfassendsten theologischen Argumentationen und Identitätsaussagen finden sich naturgemäß in den gedruckt veröffentlichten Streitschriften. Schon diese bilden ein ausgesprochen umfangreiches Korpus: Der überregionalen Debatte lassen sich 34 Schriften zuordnen, die zusammen einen Umfang von über 7500 Druckseiten haben. Um zu erfassen, wodurch die Positionierungen bedingt sind, ist jedoch auch der Briefwechsel der Beteiligten heranzuziehen: Sie diskutieren nicht nur ihre Argumentationsstrategien untereinander; hier wird auch

4.1 Fokus der Untersuchung

39

am deutlichsten, welche Erfahrungen und Überzeugungen hinter ihren Beiträgen stehen. Allerdings ist der Briefwechsel nicht bei allen Akteuren gleich gut erschlossen: Während für Calvin, Bullinger und Melanchthon Editionen vorhanden sind, Westphals Briefsammlung gedruckt vorliegt und für a Lasco sowie Vermigli immerhin Übersichten existieren, ist bei vielen Mitstreitern Westphals die Lage schwieriger: Meist sind nur einzelne Schreiben ediert. Hier muss sich die Arbeit pragmatisch auf veröffentlichte Briefe konzentrieren – das ist aber insofern zu verschmerzen, als für Westphal als Zentralfigur dieser Partei die Briefsammlung vorliegt.3 Hinzu kommen jeweils für die Erschließung der Situation im Einzelfall relevante Quellen. Schließlich stellt sich die Frage nach der Abgrenzung des Untersuchungszeitraums: Der Beginn des Zweiten Abendmahlsstreits mit den ab 1552 von Westphals Partei veröffentlichten Schriften ist grundsätzlich nicht umstritten. Die hier aufeinander prallenden Positionen beider Streitparteien werden allerdings nur verständlich, wenn sie auch in ihrer Genese beschrieben werden – mit der die Darstellung daher einsetzt.4 Das Ende der Kontroverse ist weniger eindeutig festzustellen. Während ältere Arbeiten die Debatte ab ca. 1557 nicht weiter verfolgen5 oder fließend zur Schilderung der Pfälzer Konflikte in den 1560er sowie der Auseinandersetzungen um die Wittenberger Abendmahlslehre in den 1570er Jahren übergehen,6 beendet Neuser angesichts der Ausweisungen in Bremen, Frankfurt und anderen Orten seine Darstellung 1560/61.7 Auf überregionaler Ebene hingegen erscheinen 1558/59 die letzten Streitschriften, die eindeutig der durch Westphals Texte angestoßenen Debatte (im Unterschied etwa zu den späteren Pfälzer Ereignissen) zuzuordnen sind – und wie bei der Analyse zu erweisen sein wird,8 sehen die Akteure selbst darin einen Abschluss der Diskussion. Daher endet die Darstellung mit dem Jahr 1559. c) Akteursperspektive und Analysekategorien Um den historischen Prozess konfessioneller Identitätsbildung nachvollziehen zu können, darf sich die Quellenanalyse nicht auf die Feststellung dogmatischer Aussagen beschränken, die dann ex post als konfessionell oder vorkonfessionell eingeordnet würden, sondern muss zu erfassen versuchen, wann und 3

Dennoch bleibt zu hoffen, dass Projekte wie die an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften verfolgte Edition Südwestdeutsche Reformatorenbriefwechsel hier einmal Einsichten ermöglichen werden, die dieser Arbeit noch nicht zugänglich sind. 4 Vgl. u. Kap. III.1 und III.2. 5 Vgl. STÄHELIN, Johannes Calvin II, 226 f.; PLANCK, Geschichte der protestantischen Theologie II/2, 74. 6 Vgl. etwa SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 294 ff.; MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 142 ff. 7 Vgl. NEUSER, Dogma und Bekenntnis, 281–285. 8 Vgl. u. Kap. V.2.

40

I.4 Anlage und Aufbau der Arbeit

wie bestimmte Konzepte für die Akteure identitätsbestimmend werden. Das wirft die Frage auf, welche Quellenaussagen dafür relevant sind und mittels welcher Kategorien sich dieser Vorgang adäquat beschreiben lässt. Gemäß der gegebenen Definition des Identitätsbegriffs9 ist die Herausbildung konfessioneller Identitätsvorstellungen an Einschließungen und Ausgrenzungen abzulesen – also an Aussagen, in denen Streitbeteiligte andere Akteure entweder mit der eigenen kirchlichen Gruppe zusammenordnen oder deren Zugehörigkeit zu dieser Gruppe bestreiten. Dabei ist präzise zu beobachten, für wen ein bestimmter Inhalt ein- oder ausschließenden Charakter hat (um Pluralität und Ungleichzeitigkeiten der Entwicklung erkennbar zu machen), gegenüber welchen Gruppen (inhaltlich ähnliche Aussagen können sich bei verschiedenen Akteuren gegen unterschiedliche Gruppen wenden) und in welcher Hinsicht (ob der Vorwurf gegenüber Ausgegrenzten also etwa auf Ketzerei lautet, auf eine unvollkommene, aber nicht prinzipiell unwahre Position oder allein auf unnötige Polemik). Neben expliziten Verhältnisbestimmungen anhand der Abendmahlslehre oder anderer Theologumena ist hier etwa der Autoritätendiskurs von besonderem Interesse, also die Verständigung auf autoritative Personen und Texte innerhalb einer Gruppe einerseits, der ausgrenzende Vorwurf, dass sich jemand zu Unrecht auf diese Autoritäten beziehe, andererseits. Hinzu kommen Rekurse auf frühere Kontroversen und Einigungsbestrebungen, aber auch ausgrenzende Vorwürfe nicht strikt theologischer Natur (z.B. Beförderung von Aufruhr) und deren Verfestigung zu Stereotypen. Die Einbeziehung von Texten aller Akteure der überregionalen Debatte ermöglicht es, entgegen der traditionellen Konzentration auf Westphal und Calvin das gesamte innerreformatorische Spektrum an Positionen und Perspektiven zu berücksichtigen: Nur so kann sichtbar werden, bei welchen Aussagen es sich um Momente kollektiver Identitätsbildung handelt und bei welchen um die spezifische Sichtweise eines Einzelnen, welche Positionen es zu einem bestimmten Zeitpunkt gibt und wie sich diese zueinander verhalten, inwiefern anfangs eine vorkonfessionelle Pluralität an Haltungen besteht und wie sich das im Laufe des Streits verändert. Auch die konfessionsbildende Wirkung von Netzwerken kommt erst vollständig in den Blick, wenn nicht nur einzelne herausragende Protagonisten in den Fokus gerückt werden: Auch wer selbst keine Streitschrift verfasst, kann die Meinungsbildung einer Gruppe beeinflussen; ebenso ist von Interesse, welche Positionen zeitweilig noch möglich waren, obwohl sie sich im Ergebnis nicht durchsetzten. Um die Positionen so beschreiben zu können, dass sie vergleichbar werden, sind Analysekategorien nötig. Wenn hier „Reformation“ und „Normativität“ als Schlüsselbegriffe vorgeschlagen werden, entspringt dies in erster Linie der Absicht, Kategorien zu vermeiden, die implizit eine erst ex post mögliche, das

9

Vgl. o. Kap. I.2.3.

4.1 Fokus der Untersuchung

41

Ergebnis vorwegnehmende Sichtweise oder eine der beiden traditionellen, konfessionell geprägten Perspektiven auf den Streit transportieren. Wenn für die aus Sicht der Akteure identitätsrelevanten Inhalte von „Reformation“ die Rede ist, ist das zwar kein Quellenbegriff: Die Verwendung dieses Ausdrucks als „fester Terminus für die kirchlichen Ereignisse des 16. Jahrhunderts“ (im Unterschied zu Reformbewegungen generell) begann sich erst Ende des 16. / Anfang des 17. Jahrhunderts durchzusetzen.10 Jedoch erscheint er als die am ehesten treffende heutige Bezeichnung für diejenigen Bezüge, die für die Akteure identitätsrelevant sind: So postulieren sie eine Kontinuität der eigenen Position zur „Wiederentdeckung des Evangeliums“, berufen sich auf Reformatoren wie Luther, Bucer oder Zwingli und debattieren, inwiefern deren Positionen vereinbar sind; rechtfertigen oder desavouieren theologische Haltungen unter Verweis auf ihr Verhältnis zur „Papstkirche“ oder ringen um die Deutung von Ereignissen der frühen Reformationszeit. Diese Phänomene bereits als „lutherisch“ oder „reformiert“ zu bezeichnen, würde die heutigen Konfessionsbegriffe in die Quellen hineinlesen11 – und damit präjudizieren, was in dieser Arbeit ergebnisoffen untersucht werden soll: ob, wann und inwiefern diese konfessionelle Trennung für die Beteiligten absehbar war. Der Quellenbegriff „kirchlicher Konsens“ wiederum ist als Analysekategorie zu unspezifisch: Für die Zeitgenossen ist eindeutig, welche „die“ wahre Kirche ist: die jeweils eigene. Als historische Beschreibung jedoch erlaubt der Begriff keine Unterscheidung der spezifisch im Zweiten Abendmahlsstreit verhandelten 10 Vgl. den begriffsgeschichtlichen Überblick bei WOLGAST, EIKE, Reform, Reformation, GGB 5 (1984), 313–360, Zitat 329. 11 BEUTEL, ALBRECHT, „Wir Lutherischen“. Zur Ausbildung eines konfessionellen Identitätsbewusstseins bei Martin Luther, in: ZThK 110 (2013), 158–186, hat zwar einen Gebrauch des Begriffs „lutherisch“ als Gruppenbezeichnung schon bei Luther selbst nachgewiesen. So aufschlussreich dies im Hinblick auf die Selbstverständigung Luthers und seiner Anhänger ist, so problematisch erscheint es, darin bereits die „Ausbildung eines konfessionellen Identitätsbewusstseins“ (aaO., 158) zu sehen: Zum einen bleibt zu hinterfragen, ob der Begriff bei allen Autoren, die ihn verwenden (aaO., 178 nennt Beutel neben Luther Spalatin, Amsdorf und den Straßburger Capito) die gleichen, klar abgrenzbaren Personenkreise und Inhalte bezeichnet; zum anderen, ob sich für die von Beutel behandelte Zeit bereits im präzisen Sinne von „konfessionell“ sprechen lässt (vgl. o. Kap. I.2.1). In ähnlichem Sinne kritisch zu Beutels Ausführungen: DINGEL, Konfessionelle Transformationen, 239 f. bei und mit Anm. 2. Auch begriffsgeschichtlich ist für andere Quellenbestände überzeugend herausgearbeitet worden, dass Begriffe wie „lutherisch“ oder „calvinisch“ in der theologischen Literatur des 16. Jahrhunderts fast immer als polemische Fremdbezeichnungen gebraucht werden, während die Selbstbeschreibung meist „christlich“ o.ä. lautet (vgl. JÖRGENSEN, BENT, Konfessionelle Selbst- und Fremdbezeichnungen. Zur Terminologie der Religionsparteien im 16. Jahrhundert, Berlin 2014 (Colloquia Augustana 32), 49–127). Dem entspricht der Befund im Zweiten Abendmahlsstreit: Gelegentlich finden sich Begriffe wie „Lutherani“ in polemischem Gebrauch, vereinzelt auch als Selbstbeschreibung, aber von einer feststehenden, klar definierten Verwendung für eine bestimmte Gruppe kann nicht die Rede sein.

42

I.4 Anlage und Aufbau der Arbeit

Identitätsvorstellungen von (beispielsweise) altgläubigen oder spiritualistischen Überzeugungen. Wiewohl der Begriff „kirchlicher Konsens“ in der Wiedergabe von Quellenaussagen durchaus verwendet werden sollte, ist auf analytischer Ebene „Reformation“ trennschärfer und daher vorzuziehen. Erst recht ist „Normativität“ keine zeitgenössische Kategorie. Dieser Begriff bietet sich aber aus heutiger Perspektive an, um die von den Akteuren vertretenen Ansprüche auf kirchlich verbindliche Geltung bestimmter Theologumena und anderer identitätsrelevanter Inhalte zu beschreiben: Der Begriff „Norm“ wird dabei nicht als rein formale Festlegung (im Gegensatz zur tatsächlichen Praxis) verstanden,12 sondern als Aussage, die auf eine verbindliche Geltung der betreffenden Inhalte zumindest angelegt ist13 – ohne dass diese Geltung bereits gegeben sein müsste. Letzteres ist insofern wichtig, als Akteure des Streits regelmäßig postulieren, von ihnen vertretene Inhalte seien längst für die eigene Kirche verbindlich – faktisch jedoch dient dieses Argument dazu, die postulierte verbindliche Geltung allererst durchzusetzen. Werden solche Aussagen (wie in der älteren Forschung zum Abendmahlsstreit) als Tatsachenbeschreibung aufgefasst, führt das zu einer Färbung der Darstellung im Sinne einer Streitpartei.14 Die Kategorie der Normativität erlaubt es hingegen, den Geltungsansprüchen beider Parteien deskriptiv gerecht zu werden und sie zueinander ins Verhältnis zu setzen. So kann sichtbar werden, welche Theologumena und identitätsrelevanten Vorstellungen hinter solchen Ansprüchen stehen, inwiefern diese Geltungsansprüche kollidieren und wie das Ringen um ihre Durchsetzung zur Entwicklung konfessioneller Identitäten beiträgt. 12

Hinter diesem zuweilen anzutreffenden Begriffsgebrauch steht wohl die rechtshistorische Einsicht, dass in der Frühen Neuzeit die Geltung von Rechtsnormen an deren faktischer Observanz festgemacht wurde und somit „das Gesetz […] jederzeit zum Opfer gesetzesderogierenden Gewohnheitsrechtes werden konnte, so dass ihm im Verhältnis zu jenem eine ausgesprochen schwache Stellung zukam“ (vgl. zu diesem Phänomen SIMON, THOMAS, Geltung. Der Weg von der Gewohnheit zur Positivität des Rechts, in: Rechtsgeschichte 7 (2005), 100–137, Zitat 103. Für den Hinweis auf diesen Aufsatz danke ich Tim Neu.) 13 Insofern ist der Begriff im Sinne einer Definition aufgefasst, wie sie etwa Alexander Hollerbach im Hinblick auf die Rechtsnorm formuliert: „Ihre Seinsweise ist die der Geltung. Sie […] findet – gemäß ihrem präskriptiven Charakter – ihre Eigenart in ihrem Anspruch auf Verbindlichkeit.“ (HOLLERBACH, ALEXANDER, Art. Norm, Staatslexikon: Recht – Wirtschaft – Gesellschaft, Bd. 4, Freiburg 1988, 67). Dieses Verständnis lässt sich m.E. mutatis mutandis auf andere Arten präskriptiver Normen übertragen. 14 So setzt etwa die traditionell reformierte Forschungsthese zum Zweiten Abendmahlsstreit voraus, dass vor Streitbeginn die Mehrheit der Wittenberger Reformation mit Calvin theologisch übereingestimmt hätte – übernimmt also Calvins entsprechende, auf normative Geltung seiner Position zielende Aussagen als historisch. Die traditionell lutherische These wiederum postuliert, dass zu Luthers Lebzeiten die von Westphal verfochtene Auffassung in der Wittenberger Reformation allgemein normativ gegolten habe – und behandelt somit die Perspektive als historische Tatsache, die Westphal zur Durchsetzung seiner reformatorisch normativen Ansprüche entwickelte. Vgl. zu beiden Thesen o. Kap. I.1.

4.2 Aufbau und Gliederung

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4.2 Aufbau und Gliederung 4.2 Aufbau und Gliederung

Um die allmähliche Herausbildung konfessioneller Abgrenzungen im Laufe des Zweiten Abendmahlsstreits zu verfolgen, bietet sich eine chronologische Gliederung an. Daher beginnt die Arbeit nach der Einleitung (Teil I.) mit einer Analyse der historischen und theologischen Voraussetzungen des Streits (II.). Der Verlauf des überregionalen Zweiten Abendmahlsstreits (1552–1558/59) wird in drei Hauptteilen behandelt: Konstellation und Anlass (III.), Hauptphase (IV.) und Endphase der Debatte (V.) Den Abschluss bilden ein Ausblick auf die Folgen des Streits und die Zusammenfassung der Ergebnisse (VI.). Die Analyse der historisch-theologischen Voraussetzungen (Teil II.) ist im Hinblick auf die im Streit debattierten Inhalte zentral, aber auch für die Frage der Konfessionsbildung. Im Verhältnis zur vorherigen innerreformatorischen Entwicklung wird erkennbar, an welche Gedanken die Protagonisten des Zweiten Abendmahlsstreits anknüpfen: teils in expliziten Rückbezügen, teils implizit durch die von ihnen eingenommenen Positionen. Wie diese Konzepte sich im Laufe des Streits verändern, lässt sich ebenfalls nur im Vergleich mit der vorherigen Situation präzise bestimmen. Der Fokus liegt daher auf der Frage, welche Aspekte im Verhältnis der verschiedenen reformatorischen Richtungen vor 1550 geklärt und welche ungeklärt bzw. umstritten waren: Besonders wichtig sind die innerevangelischen Kontroversen und Einigungsversuche in Bezug auf die Abendmahlsfrage und deren Deutung durch die jeweiligen Beteiligten. Der erste Hauptteil (III.) analysiert die Konstellation, die zum Ausbruch des Zweiten Abendmahlsstreits führte: Die Parteien bildeten ab den 1540er Jahren zunächst unabhängig voneinander gesamtreformatorisch normative Ansprüche heraus, die dann ab 1552 aufeinander prallten. Calvin, Vermigli, a Lasco und ihre Kollegen formulierten zunächst im oberdeutschen Umfeld, später im Rahmen des Consensus Tigurinus und der englischen Reformation Eduards VI. Abendmahlsauffassungen, die sich zwischen der traditionellen Zürcher und Straßburger Lehre bewegten und mit dem Anspruch verbunden waren, dass sich alle reformatorischen Richtungen darauf einigen könnten (Kapitel III.1). In diesem Zusammenhang entstanden die Texte, die Westphals Partei als häretisch attackieren sollte. Westphals spätere Streitpartei wiederum entwickelte ab 1548 im Widerstand gegen das Interim und den folgenden innerwittenbergischen Kontroversen spezifische, normativ aufgeladene Identitätsvorstellungen (Kapitel III.2): insbesondere das Selbstverständnis, das Wittenberger theologische Erbe gegen eine Übermacht innerevangelischer Ketzer verteidigen zu müssen. Die Häresievorwürfe richteten sich zunehmend auch gegen abweichende Abendmahlsauffassungen, was zu ersten Streitschriften führte. 1553/54 ersuchte eine Gruppe von Flüchtlingen in Dänemark und norddeutschen Städten um Aufnahme, deren theologische Position von Westphal und seinen Mitstreitern verketzert worden war (Exkurs A). Damit trafen Mitglieder

44

I.4 Anlage und Aufbau der Arbeit

beider Parteien in einer Situation aufeinander, in der die umstrittenen normativen Konzepte unmittelbar mit praktischen Konsequenzen verbunden waren. Die Auseinandersetzungen zwischen Westphals Partei und den Flüchtlingen trugen dazu bei, dass der Streit sich ausweitete und in seine Hauptphase überging (Teil IV.): Westphals Partei konzentrierte sich ab 1554 zunächst auf die Publikation von Testimoniensammlungen (Kapitel IV.1), die ein spezifisches Verständnis von kirchlichem Konsens transportierten: durch die Gattung, die zitierten Texte, aber auch durch explizite Reflexion des Autoritätenproblems. Gleichzeitig diskutierten die von Westphal verketzerten Theologen untereinander über eine Antwortschrift (Kapitel IV.2). Der Briefwechsel macht Kooperation und Austausch zwischen den Akteuren ebenso sichtbar wie ihre unterschiedlichen theologischen Positionen. Ihren Höhepunkt erreichte die Kontroverse schließlich mit den umfassenden Streitschriften der Jahre 1555/56, die einen Überblick über die im Streit diskutierten Theologumena und deren Relevanz für die jeweilige Identitätsvorstellung ermöglichen (Kapitel IV.3). Dass hier von beiden Seiten diverse unterschiedlich konzipierte Schriften vorliegen, lässt Pluralität wie gemeinsame Anliegen innerhalb der Parteien erkennen. Im Rahmen eines Überblicks über wichtige regionale Abendmahlsdebatten (Exkurs B) bleibt zu erwägen, inwiefern ihre Eskalation um 1555/56 mit der Entwicklung des überregionalen Streits zusammenhing: In Bremen (B.1) wie in Frankfurt (B.2) kam es zu diesem Zeitpunkt zu einer Zuspitzung und verstärkten kirchenpolitischen Aufladung der Konflikte. Das wirkte im Folgenden wiederum auf die überregionale Diskussion zurück. Die Endphase des Streits (Teil V.) ist durch zwei Entwicklungen gekennzeichnet: Zunächst rückte 1556/57 das geplante Wormser Reichsreligionsgespräch ins Zentrum der Debatte (Kapitel V.1): Die Streitakteure versuchten jeweils, die Position der evangelischen Stände normativ festzulegen; die dadurch bedingten Kontroversen wirkten wiederum auf den Abendmahlsdiskurs zurück. Da aber in Worms letztlich keiner der Beteiligten seine Position als normativ durchsetzen konnte, endete der Streit (Kapitel V.2): Die Akteure äußerten sich 1558/59 selbst in diesem Sinne; zugleich zeigen ihre Texte, dass identitätsrelevante Abgrenzungen nunmehr fest etabliert worden waren. Im Schlussteil (VI.) bleibt zu bestimmen, welche Rolle im Prozess der Konfessionsbildung dem Zweiten Abendmahlsstreit im Verhältnis zu späteren Ereignissen zukommt (Kapitel VI.1): Im Zuge eines historischen Ausblicks auf die folgende Entwicklung wird einerseits deutlich, welche konfessionell identitätsbestimmenden Abgrenzungen durch den Streit etabliert worden waren und sich in den folgenden Jahrzehnten auswirkten – andererseits, welche Fragen nicht endgültig geklärt worden waren und für weitere Debatten sorgten. Den Abschluss (Kapitel VI.2) bildet eine Zusammenfassung der Ergebnisse – im Hinblick auf den Zweiten Abendmahlsstreit als Ereignis wie auf das Verständnis lutherischer und reformierter Konfessionsbildung generell.

Teil II

HISTORISCHE UND THEOLOGISCHE VORAUSSETZUNGEN DES STREITS

Vorbemerkung: Zur Bedeutung vorheriger innerevangelischer Debatten Zentrale historische Voraussetzung des Zweiten Abendmahlsstreits sind die abendmahlstheologischen Entwicklungen zwischen Beginn der Reformation und Mitte der 1540er Jahre und die damit einhergegangenen innerreformatorischen Kontroversen, Einigungsbemühungen und Abgrenzungsversuche: Die Akteure des Zweiten Abendmahlsstreits verweisen nicht nur in ihren Schriften laufend auf Konzepte und Ereignisse aus dieser Zeit, sondern auch die von ihnen eingenommenen Positionen sind nur vor dem Hintergrund der vorangegangenen Diskussionen und der dabei entwickelten Perspektiven auf andere reformatorische Richtungen angemessen zu verstehen. Zu diesen innerreformatorischen Debatten liegt eine Fülle von Untersuchungen vor; jedoch ist der Forschungsstand nicht zu allen Themenkomplexen gleichermaßen aktuell und umfassend. In Bezug auf die Entwicklung bis 1529 kann für eine differenzierte Analyse der unterschiedlichen zeitgenössischen Perspektiven – die im Zweiten Abendmahlsstreit dann in transformierter Form erneut aufeinanderprallen sollten – auf die beiden neuen Gesamtdarstellungen Amy Nelson Burnetts (2011/2019)1 zurückgegriffen werden. Im Übrigen sind die zahlreichen Arbeiten zu einzelnen Theologen bzw. Problemkreisen heranzuziehen, durch die die Forschung seit den umfassenden Arbeiten Walther Köhlers (1924/1953)2 und Ernst Bizers (1940)3 vorrangig vorangetrieben worden ist.4 Die Fülle von Ereignissen, Sachproblemen und beteiligten Personen macht dabei eine Konzentration auf diejenigen Aspekte erforderlich, die für den Zweiten Abendmahlsstreit später besonders wichtig wurden.

1

BURNETT, AMY NELSON, Karlstadt and the Origins of the Eucharistic Controversy. A Study in the Circulation of Ideas, Oxford 2011 (OSHT); DIES., Debating the Sacraments. Print and Authority in the Early Reformation, Oxford 2019. 2 KÖHLER, WALTHER, Zwingli und Luther. Ihr Streit über das Abendmahl nach seinen politischen und religiösen Beziehungen, 2 Bde., Gütersloh 2017 (Nachdruck der Erstauflage von 1924 bzw. 1953, QFRG 6). 3 BIZER, ERNST, Studien zur Geschichte des Abendmahlsstreits im 16. Jahrhundert, Gütersloh 1940, Nachdruck Darmstadt 1962 (BFChTh 2. Reihe 46). 4 Eben aufgrund dieser Konzentration auf bestimmte Personen und Themenkomplexe wäre eine Auflistung hier wenig sinnvoll. Vgl. im Folgenden bei den einzelnen Abschnitten.

Kapitel II.1

Pluralität und erste Konflikte: Der evangelische Abendmahlsdiskurs bis 1526 Der Abendmahlsdiskurs der frühen 1520er Jahre macht mehrere Aspekte deutlich, die für die innerevangelische Debatte bis in den Zweiten Abendmahlsstreit hinein wichtig bleiben sollten: Die verschiedenen Abendmahlstheologien waren eng mit dem jeweiligen reformatorischen Grundansatz verwoben – deshalb konnte diese Frage zentral für evangelische Identität und für die Verhältnisbestimmung zwischen verschiedenen Richtungen der Reformation werden. Die Sicht der Beteiligten auf andere Reformatoren bot Potential für Spannungen, aber auch für Verständigung – daher wurde das innerevangelische Verhältnis nicht schon hier eindeutig festgelegt, sondern es ergab sich eine Reihe von Streitigkeiten und Einigungsversuchen. Schließlich waren die Debatten Produkt eines vielstimmigen, weit über Wittenberg und Zürich hinausgehenden Diskurses, in dem sich das Denken und Handeln verschiedener Akteure laufend gegenseitig beeinflusste.1 Dies trug zur bleibenden innerevangelischen Pluralität ebenso bei wie zur gegenseitigen Wahrnehmung der Reformatoren.

1.1 Luther: Leibliche Präsenz Christi unter den Elementen und Abgrenzung gegen Karlstadt 1.1 Luther

Wie Amy Nelson Burnett nochmals differenziert herausgearbeitet hat,2 wurde für die folgende innerevangelische Auseinandersetzung vor allem diejenige Gestalt von Luthers Abendmahlslehre wichtig, die er ihr in den frühen 1520er Jahren gab:3 einerseits in Bezug auf Luthers reformatorisches Anliegen und die

1 BURNETT, Debating the Sacraments, 1–22 und passim, betont zu Recht, dass die in der Forschung oftmals vorgenommene Trennung zwischen den Konflikten etablierter Reformatoren (Wittenberg, Zürich, Straßburg) untereinander und den Debatten mit radikalen Reformatoren die Diskurslage der 1520er Jahre nicht trifft. Wenngleich in der vorliegenden Darstellung eine Konzentration auf Aspekte erforderlich ist, die später für den Zweiten Abendmahlsstreit wichtig wurden, bleibt diese Komplexität im Blick zu behalten. 2 Vgl. aaO., 77–97; BURNETT, Karlstadt and the Origins, 10–35. 3 Die vorherige Entwicklung bei Luther wird hier nicht näher behandelt, da sie in der Argumentation der Autoren des Zweiten Abendmahlsstreits keine Rolle spielt. Einen hilf-

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II.1 Der evangelische Abendmahlsdiskurs bis ca. 1526

daraus abgeleiteten theologischen Entscheidungen, andererseits im Hinblick auf die Abgrenzung gegen Andreas Bodenstein von Karlstadt, die für Luthers Sicht auf andere reformatorische Richtungen bestimmend wurde. Schon 1520 hatte Luther einen Zusammenhang von Rechtfertigungslehre, Schriftverständnis und Abendmahlstheologie formuliert, der seiner Haltung im Folgenden zugrunde liegt.4 Die Sakramente werden als Geschehen bestimmt, in dem Gott sich dem Menschen schenkt und die daher von der Zusage in Gottes Wort her zu verstehen sind – beim Abendmahl: von den Einsetzungsworten.5 Diese Worte gelten als testamentum, das mit Christi Tod in Kraft tritt. Inhalt des testamentum sind Sündenvergebung und ewiges Leben, die durch das Mahl an die Kommunikanten vermittelt werden.6 Die Verweigerung des Laienkelchs wird als nicht schriftgemäß zurückgewiesen; das Messopfer ist für Luther ein Versuch, durch menschliches Tun Heil zu verdienen.7 Der Transsubstantiationslehre setzt er entgegen, nach dem Wortlaut der Einsetzungsworte könnten Brot und Wein auch zusammen mit Leib und Blut präsent sein.8 In der Debatte mit Karlstadt bildete Luther dann seine eigene Position klarer aus und entwickelte eine Perspektive, die er auf Zwingli und andere Reformatoren übertragen und die Westphals Partei im Zweiten Abendmahlsstreit übernehmen sollte: die Wahrnehmung abweichender Abendmahlslehren als häretisch und aufrührerisch. Wie Wolfgang Simon gezeigt hat, waren für die Entstehung dieser Sichtweise die Konflikte über liturgische Reformen in Wittenberg in den Jahren 1521/22 zentral: Bereits hier war strittig, ob liturgische Formen dem Inhalt des Evangeliums entsprechen müssten (so Karlstadt), oder ob sie gegenüber dem Inhalt des Evangeliums nachrangig seien und es die Gefahr von Werkgerechtigkeit berge, sie als notwendig daraus abzuleiten (so Luther).9 reichen Überblick dazu bietet etwa GRASS, HANS, Die Abendmahlslehre bei Luther und Calvin, Gütersloh 21954 (BFChTh 2. Reihe 47), 17–29; ausführlicher und aktueller, aber auf ein spezielles Thema zugespitzt SIMON, WOLFGANG, Die Messopfertheologie Martin Luthers. Voraussetzungen, Genese, Gestalt und Rezeption, Tübingen 2003 (SuR.NR 22), 174–261. Umstritten ist vor allem, ab wann Luthers Lehre als reformatorisch zu werten sei (vgl. als profilierte Positionen BAYER, OSWALD, Promissio. Geschichte der reformatorischen Wende in Luthers Theologie, Göttingen 1971 (FDKG 24); STOCK, URSULA, Die Bedeutung der Sakramente in Luthers Sermonen von 1519, Leiden 1982 (SHCT 27)). 4 Für eine zusammenfassende Darstellung zu Luthers Texten dieser Zeit und eine Übersicht einschlägiger Literatur vgl. LOHSE, BERNHARD, Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1995, 143–154. 5 Vgl. prägnant etwa WA 6, 355,21–356,19 (Sermon von dem neuen Testament 1520). 6 Vgl. WA 6, 357,10–360,2 (Sermon von dem neuen Testament 1520). 7 Vgl. WA 6, 502–507; 512–523 (De captivitate Babylonica 1520). 8 Vgl. WA 6, 508–512 (De captivitate Babylonica 1520). 9 Vgl. SIMON, WOLFGANG, Karlstadt neben Luther. Ihre theologische Differenz im Kontext der „Wittenberger Unruhen“ 1521/22, in: Litz, Gudrun et al. (Hg.), Frömmigkeit – Theologie – Frömmigkeitstheologie, FS Berndt Hamm, Leiden / Boston 2005, 317–334; ähnlich BURNETT, Karlstadt and the Origins, 10–35.

1.1 Luther

49

Dass Luther in diesem Punkt eine Gefahr für die Rechtfertigungslehre sah, sollte ihn dazu bewegen, Karlstadt und ähnlich denkende Reformatoren als Häretiker anzusehen; dass der Dissens mit öffentlichen Unruhen verknüpft war, förderte die Assoziation mit Aufruhr. Zwischen 1523 und 1525 kam es dann zu einer Abgrenzung zwischen Luther und Karlstadt, die einerseits theologische Gründe hatte, andererseits damit zusammenhing, dass Luther seine Autorität innerhalb der reformatorischen Bewegung in Frage gestellt sah: Luther argumentierte seit 1523 gegen die – von Cornelijs Hendricxz Hoen in einem weit kursierenden Text vorgeschlagene10 – signifikative Deutung der Einsetzungsworte, dass deren wörtliche Bedeutung festzuhalten sei.11 Karlstadt hingegen, der 1523 Wittenberg verlassen hatte und Pastor in Orlamünde geworden war, begann eine innerreformatorische Opposition zu Luther aufzubauen12 und entwickelte eine scharf gegen Luthers Auffassung abgegrenzte Abendmahlslehre. Als Karlstadt nach einer Auseinandersetzung mit Luther Ende September 1524 aus Sachsen ausgewiesen worden war, wurden entsprechende Flugschriften gedruckt.13 Karlstadts Position ist von Hermann Barge, Crerar Douglas und Ralf Ponader in ihrem systematischen Zusammenhang, von Amy Nelson Burnett in ihrer Genese analysiert worden.14 Für die späteren Debatten sind besonders folgende Aspekte wichtig: Ausgehend von dem Gedanken, dass das Kreuzesopfer als Heilstat unwiederholbar und daher das Messopfer abzulehnen sei, bezieht Karlstadt das „Das ist mein Leib“ in den Einsetzungsworten auf das Kreuzesopfer.15 Christus habe beim Wort τοῦτο auf seinen Körper gezeigt, nicht auf das Brot;16 eine Präsenz im Brot sei aufgrund der räumlichen Ausdehnung des 10 Vgl. dazu SPRUYT, BART JAN, Cornelius Henrici Hoen (Honius) and his epistle on the Eucharist (1525). Medieval heresy, Erasmian humanism, and reform in the early sixteenthcentury Low Countries, Leiden / Boston 2006 (SMRT 119). 11 Vgl. insbesondere WA 11, 431–456 (Vom Anbeten des Sakraments 1523). 12 Zu Karlstadts Aktivitäten und dem von ihm etablierten Netzwerk vgl. LEPPIN, VOLKER, Martin Luther. Darmstadt 2006 (Gestalten des Mittelalters und der Renaissance), 209–212. 13 Für Beispiele vgl. die folgenden Anmerkungen. 14 Vgl. BARGE, HERMANN, Andreas Bodenstein von Karlstadt, 2 Bde., Leipzig 1905, hier Bd. II, 144–185; DOUGLAS, CRERAR, The coherence of Andreas Bodenstein von Karlstadtʼs Early Evangelical Doctrine of the Lordʼs Supper: 1521–1525, Diss. masch. Hartford (CT) 1973; PONADER, RALF, „Caro nichil prodest. Joan.vi. Das fleisch ist nicht nutz / sonder der Geist.“ Karlstadts Abendmahlsverständnis in der Auseinandersetzung mit Martin Luther 1521–24, in: Sigrid Looß / Markus Matthias (Hg.), Andreas Bodenstein von Karlstadt (1486– 1541). Ein Theologe der frühen Reformation, Wittenberg 1998 (Themata Leucoreana 4), 223–245; BURNETT, Karlstadt and the Origins, 54–76. 15 Vgl. KARLSTADT, ANDREAS, Auszlegung dieser wort || Christi. Das ist meyn leyb / welcher für euch || gegeben würt. Das ist mein blůth / || welches für euch vergossen würt. || […], o.O. [Basel: Johann Bebel] 1524, VD16 B 6111, a3r–a4r. 16 Vgl. KARLSTADT, ANDREAS, Karlstadts Schriften aus den Jahren 1523–25, ed. v. Erich Hertzsch, 2 Bde., Halle 1956–57 (NDL 325), hier Bd. II, 16 f. (Dialogus).

50

II.1 Der evangelische Abendmahlsdiskurs bis ca. 1526

menschlichen Leibes Christi unsinnig.17 Den Sinn des Abendmahls sieht Karlstadt demgegenüber im Gedächtnis des Kreuzesopfers, im (mystisch gefärbten) „inwendigen schmack […] des leydens Christi“.18 Auf dieser Basis assoziiert er die Wittenberger Theologen, die eine leibliche Präsenz Christi im Abendmahlsgeschehen vertreten, mit Altgläubigen: Wie diese schrieben sie dem Brot – statt allein dem Leiden Christi und dem Gedächtnis daran – Sünden vergebende Kraft zu19 und maßten dem Priester Macht an, Christus in die Hostie zu zwingen.20 Liturgisch wird dies unter anderem an der in Wittenberg beibehaltenen Praxis der Elevation festgemacht.21 Luthers ausführlichste Auseinandersetzung mit Karlstadts abendmahlstheologischem Konzept findet sich in der Schrift Wider die himmlischen Propheten (1524/25).22 Dort heißt es: „Doctor Andreas Carlstad ist von uns abgefallen, dazu unser ergester feynd worden“23 – in dieser Tradition sollte später auch Westphals Partei ihren Gegnern Abfall von Luther vorwerfen. Den von ihm gesehenen theologischen Gegensatz zu Karlstadt begründet Luther vom Kern seines reformatorischen Ansatzes her: Wieder kennzeichnet er es als Angriff auf die Rechtfertigungslehre, liturgische Vorschriften als notwendig aus der Schrift herzuleiten: Dann meine man durch deren Befolgung Gerechtigkeit zu erlangen.24 Auch die von Karlstadt betonte geistliche Betrachtung des Leidens Christi sieht Luther als Versuch, durch ein menschliches Werk zu Gott zu kommen, statt sich an Gottes Ordnung zu halten, der durch sein Wort zu den Menschen komme und sich dazu an Predigt und Sakramente binde, in denen er Sündenvergebung schenke. Aus dieser Ordnung begründet er wie bekannt, dass die Einsetzungsworte im Sinne leiblicher Präsenz zu verstehen seien.25 Davon ausgehend wird Karlstadts Auslegung der Einsetzungsworte ad absurdum geführt26 und ihm vorgeworfen, Vernunftgründe über Gottes Wort (nämlich über den Luther zufolge eindeutigen Inhalt der Einsetzungsworte) zu setzen.27 Wie Dorothea Wendebourg zu Recht betont,28 liegt in diesem Konnex zwischen Abendmahls- und Rechtfertigungslehre der Grund dafür, dass Luther fortan 17

Vgl. aaO., 11–13, 36–43 (Dialogus). AaO., 24 (Dialogus). 19 Vgl. aaO., 22 f. (Dialogus). 20 Vgl. aaO., 33 f. (Dialogus). 21 Vgl. KARLSTADT, ANDREAS, WJder die alte v || newe Papistische Messen.|| […], o.O.: o.D. [Basel: Thomas Wolff] 1524, VD16 B 6261, A1v–A2r. 22 Vgl. dazu BURNETT, Karlstadt and the Origins, 69–71. 23 WA 18, 62,6–7. 24 Vgl. insbesondere WA 18, 110,18–124,21. 25 Vgl. insbesondere WA 18, 202,28–213,2. 26 Vgl. WA 18, 148,1–164,30. 27 Vgl. WA 18, 182,11–194,15. 28 Vgl. WENDEBOURG, DOROTHEA, Essen zum Gedächtnis. Der Gedächtnisbefehl in den Abendmahlstheologien der Reformation, Tübingen 2009 (BHTh 148), 140. 18

1.2 Zwingli, Oekolampad, Bullinger

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von allen Auffassungen, die eine leibliche Präsenz Christi im Abendmahl bestritten, den Kern seiner reformatorischen Lehre angegriffen sehen sollte.

1.2 Zwingli, Oekolampad, Bullinger: Signifikative Abendmahlsdeutung und ambivalentes Verhältnis zur Wittenberger Reformation 1.2 Zwingli, Oekolampad, Bullinger

Parallel zu Luthers Auseinandersetzung mit Karlstadt entwickelte eine Reihe eidgenössischer Theologen eine signifikative Deutung der Einsetzungsworte. Bei allen Unterschieden innnerhalb dieses Kreises, der unter anderem Johannes Oekolampad, Ulrich Zwingli und Heinrich Bullinger umfasste, gilt für alle Beteiligten: Zum einen konnte ein solches Abendmahlsverständnis eng an ihre jeweiligen reformatorischen Grundanschauungen anschließen – entsprechend konstitutiv wurde es für ihre evangelische Identität. Zum anderen bewerteten sie Luther als reformatorischen Mitstreiter prinzipiell positiv – eine Perspektive, die sie sie auch beibehielten, als sie Luthers Abendmahlslehre stärker zu kritisieren begannen. Diese Ambivalenz im Umgang mit der Wittenberger Reformation prägte ihre Positionen im Ersten und Zweiten Abendmahlsstreit. Besonders gut dokumentiert ist die Entwicklung vor 1525 bei Zwingli. Wie William P. Stephens in differenzierender Zusammenfassung früherer Debatten darlegt, hatte Zwingli schon vor seiner Parteinahme für eine symbolische Lehre ein Abendmahlsverständnis entwickelt, an das dieses Argument anschließen konnte:29 Den aus der (für Zwinglis Theologie zentralen) Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf abgeleiteten Vorwurf, menschliche Vorschriften an die Stelle des Wortes Gottes zu setzen,30 wendet Zwingli neben der communio sub una31 auch gegen das Messopfer. Dem setzt er die Einmaligkeit des Selbstopfers Christi nach Hebr 9 entgegen und leitet daraus ab, dass es sich beim Abendmahl allein um ein „widergedechtnuß“ dieses einmaligen Opfers Christi handelt.32 Auf dieser Basis weist er die Transsubstantiationslehre zurück: 29

Vgl. STEPHENS, WILLIAM P., The Theology of Huldrych Zwingli, Oxford 1986, 218– 227, hier auch eine Übersicht wichtiger Forschungsbeiträge (aaO., 218 Anm. 1). Da diese frühen Texte Zwinglis im Zweiten Abendmahlsstreit kaum eine Rolle spielen, soll hier nicht die Entwicklung im Detail diskutiert werden, sondern nur die später wichtigen Grundgedanken. Die von Stephens differenzierend behandelte Forschungsdebatte dreht sich um die Frage, ob Zwingli zu dieser Zeit noch eine leibliche Präsenz vertrete (so prominent KÖHLER, Luther und Zwingli I, 16–61) oder nicht (so etwa BAUER, KARL, Die Abendmahlslehre Zwinglis bis zum Beginn der Auseinandersetzung mit Luther, in: ThBl 5 (1926), 217–226). 30 Zur Bedeutung dieses Motivs für Zwingli vgl. LEPPIN, VOLKER, Art. Zwingli, Ulrich (1484–1531), TRE 36 (2004), 798–804, hier 799. 31 Vgl. etwa Z 1 = CR 88, 323 (Apologeticus Archeteles 1522). 32 Z 2 = CR 89, 111: „die meß nit ein opfer, sunder des opfers ein widergedechtnuß sin und sichrung der erlösung, die Christus unß bewisen hatt.“ (67 Schlussreden 1523).

52

II.1 Der evangelische Abendmahlsdiskurs bis ca. 1526

Joh 6,63 („Der Geist macht lebendig, das Fleisch ist nichts nütze“) legt er so aus, dass Christi Rede vom Essen seines Leibes und Trinken seines Blutes (Joh 6, 51–56) nicht als leiblicher Vorgang verstanden werden darf, sondern als gläubige Vergegenwärtigung der durch Christi Tod erwirkten Sündenvergebung. Allein die in diesem Sinne verstandene Speisung der glaubenden Seele mit Christi Fleisch und Blut führt zum ewigen Leben – und dies kann nur durch den Heiligen Geist bewirkt werden, der Glauben weckt, nicht durch ein wie auch immer geartetes leibliches Geschehen an den Elementen.33 Hier knüpft Zwingli an den erasmianischen Gedanken an, dass der physische Vorgang nicht an sich heilsrelevant ist, und fasst den Gegensatz von Schöpfer und Geschöpf nun als solchen von Geist und Materie.34 An dieser Stelle sollte es zum Bruch mit Luther kommen – 1523 sieht Zwingli offenbar noch keinen Widerspruch zu ihm, akzentuiert aber anders als er: Luther nenne zu Recht das Abendmahl Testament. Das widergedechtnuß sei der angemessene Gebrauch dieses Testaments: der Glaube an das darin zugesagte Heil.35 Auch Luthers Kampf gegen Rom wird gelobt, wenngleich er in Bezug auf die Beichte zu nachgiebig sei.36 Eine ähnliche Ambivalenz zwischen positivem Bezug auf Luther und Kritik an (aus dieser Perspektive) mangelnder Konsequenz sollte später für Zwinglis Sicht auf Luthers Abendmahlslehre bestimmend werden. 1524 begann Zwingli dann (welche Rolle der ihm bekannt gewordene Hoenbrief dabei auch immer gespielt haben mag37) aus dem Gegensatz von Geist und Materie ein symbolisches Verständnis der Einsetzungsworte zu folgern. In Anbetracht der bisher positiven Bewertung Luthers wie des Umstands, dass Zwingli Luthers Wendung gegen symbolische Abendmahlsauffassungen erst 33

Vgl. Z 2 = CR 89, 141–144 (Auslegen und Gründe der Schlussreden 1523). Zum Zusammenhang beider Aspekte und zum philosophisch-theologischen Hintergrund dieser Vorstellung vgl. LEPPIN, Zwingli, 801–804; DERS., Der Erste reformatorische Abendmahlsstreit. Die Transformation religiöser Grundannahmen und die Schaffung neuer Aushandlungsprozesse, in: Renate Dürr et al. (Hg.), Religiöses Wissen im vormodernen Europa. Schöpfung – Mutterschaft – Passion, Paderborn 2019, 701–722, hier 712. 35 Z 2 = CR 89, 144: „Sydmal ich aber davor des weidlichen diener gottes Martini Luters gedacht hab, in dem, das ich anzeygt hab, wie er den fronlychnam und bluot Christi ein testament nemme […]; und nemm ich das essen ein widergedächtnus, und sye darinn dhein span; denn es sye ein testament an im selbs, und sye das wort ,widergedächtnus‘ ein nam des bruchs, also, das unser bruchen nüt anderst ist, weder von nüwem gedencken und brysen und ußkunnden das, so Christus einest gethon hat, und vestenklich glouben, daß das selb werck Christi unser heyl sye“. 36 Vgl. Z 2 = CR 89, 147–149 (Auslegen und Gründe der Schlussreden 1523). 37 Vgl. zum Hoenbrief SPRUYT, Hoen and his Epistle. Entgegen der gängigen These, dieser Text sei für Zwinglis Übergang zur symbolischen Deutung zentral gewesen, hält schon STEPHENS, Theology of Zwingli, 227, angesichts der Affinität von Zwinglis früherer Lehre zu einer solchen Auffassung fest: „It is impossible to say how important the letter of Cornelis Hoen in 1524 was in the development of Zwingliʼs eucharistic theology“. Vgl. dazu auch BURNETT, Debating the Sacraments, 74 f., und die dort angegebene Literatur. 34

1.2 Zwingli, Oekolampad, Bullinger

53

später bekannt wurde,38 ist es nicht als Adressierung an einen „Lutheraner“ in Abgrenzung gegen Luther zu verstehen,39 dass Zwingli diese Gedanken in einem Brief an den Reutlinger Pfarrer Matthäus Alber formulierte. Eher handelt es sich um einen Versuch, für seine Position zu werben und klarzustellen, dass sie nicht mit der Karlstadts identisch sei,40 dessen Anhänger in Reutlingen für Streit sorgten.41 Zwingli argumentiert, Karlstadts Argumente seien nicht alle falsch, aber er agiere so, dass Anstoß daraus erwachse. Karlstadts Auslegung der Einsetzungsworte weist er zurück.42 Dann begründet er aus Joh 6 wiederum, dass für das Heil allein der Glaube an Christi Kreuzestod entscheidend sei.43 Da der Glaube allein vom Wirken des Geistes abhänge, könne nicht das körperliche Essen des Leibes Christi selig machen.44 Nun aber leitet Zwingli aus Joh 6,63 nicht nur ab, dass das leibliche Geschehen nicht heilsrelevant sei, sondern dass die Substanz des Brotes nicht in Fleisch verwandelt oder leiblich gegessen werde: Sonst müsste Christus etwas eingesetzt haben, was nach seinen eigenen Worten unnütz sei.45 Da sich das „der für euch gegeben wird“ auf den am Kreuz gegebenen Leib bezieht, muss „est“ in den Einsetzungsworten als „significat“ verstanden werden: Das Brot symbolisiert den gekreuzigten Leib,46 dessen glaubende Vergegenwärtigung zum ewigen Leben führt. Wie Amy Nelson Burnett nachgewiesen hat, hing es mit Karlstadts Abendmahlsschriften zusammen, dass sich die Schweizer 1525 veranlasst sahen, ihre Lehre, die sie bis dahin nur brieflich mit anderen Theologen diskutiert hatten, nun auch öffentlich zu vertreten: Zwar hatten sie ihre Lehrauffassung unabhängig von Karlstadt entwickelt, aber dass dieser in deutschsprachigen Druckschriften die leibliche Präsenz Christi im Abendmahl bestritt, setzte sie unter Druck, Stellung zu der Debatte zu nehmen.47 Im März 1525 veröffentlichte Zwingli den Brief an Alber, wenig später den Commentarius de vera et falsa religione, in dem er seine Position näher begründete. Im August folgte das Subsidium de eucharistia. Oekolampads im Juni beendete Genuina expositio erschien im September. Oekolampad vermittelte seine Lehre nach Mülhausen; Zwinglis Zürcher Kollege Leo Jud reagierte zustimmend auf abendmahlstheologische Überlegungen des jungen Kappeler Predigers Heinrich Bullinger.48 38

Vgl. für den Nachweis BURNETT, Karlstadt and the Origins, 52 bei und mit Anm. 98. So KÖHLER, Luther und Zwingli I, 73; vorsichtiger etwa auch WENDEBOURG, Essen zum Gedächtnis, 85. 40 In diesem Sinne auch BURNETT, Debating the Sacraments, 99. 41 Vgl. dazu KÖHLER, Luther und Zwingli I, 203 f. 42 Vgl. Zwingli an Alber, 16.11.1524, Z 3 = CR 90, 335 f.; 343. 43 Vgl. aaO., 336–338. 44 Vgl. aaO., 338 f. 45 Vgl. aaO., 340–342. 46 Vgl. aaO., 342. 47 Vgl. BURNETT, Karlstadt and the Origins, 92–98. 48 Für diese Zusammenschau wie für die Chronologie vgl. aaO., 96–99. 39

54

II.1 Der evangelische Abendmahlsdiskurs bis ca. 1526

Letzterer ließ seine Ausführungen vorerst nicht drucken, sandte aber die Schrift Wider das Götzenbrot an die Kirchengemeinde in Zug.49 Abendmahlstheologische Texte Oekolampads und Bullingers aus dieser Zeit zeigen einerseits Übereinstimmungen mit Zwingli (wer hier wen beeinflusste, ist ein ungelöstes Forschungsproblem50), andererseits je eigene Ansätze: Oekolampad, dessen Position seit Ernst Stähelins grundlegenden Arbeiten nur wenig erforscht worden ist,51 attackierte die Ablehnung einer tropologischen Deutung der Einsetzungsworte als scholastische Fälschung52 und untermauerte dies durch eine Sammlung von Väterzitaten – die aufgrund ihrer ausgefeilten Argumentation wie aufgrund von Oekolampads Reputation als Humanist Aufsehen erregen sollte.53 Anders als Zwingli kritisiert er an der Transsubstantiation vor allem die Vorstellung eines Wunders: Der Aberglaube an dieses Mirakel lenke vom Glauben an den Gekreuzigten ab.54 Vom Kontext der Einsetzungsworte her sei eine tropologische Auslegung die einzig sinnvolle: Das symbolisch gebrochene Brot, das den Leib nährt, verweist darauf, dass Christus gekreuzigt wurde, um die Seele zu nähren.55 Das stützt er durch ein für die spätere Debatte zentrales Argument: Tropen seien anzunehmen, wo sonst Absurditäten folgen würden. Aus der Gegenwart von Christi Leib im Brot folgten unzählige Leiber Christi an vielen Orten.56 Wenngleich er den tropus im Wort corpus sieht, das als figura corporis zu verstehen sei, betont er, die Deutung von est als significat laufe auf das Gleiche hinaus57 – sieht sich also mit Zwingli einig.

49

HBTS 2, 46–65. Zu dieser Schrift vgl. STAEDTKE, JOACHIM, Die Theologie des jungen Bullinger, Zürich 1962 (SDGSTh 16), 274 f. 50 Vgl. aaO., 239 f., Anm. 17; BURNETT, Karlstadt and the Origins, 184 Anm. 22. 51 Dieses Defizit zeigt auf: BURNETT, AMY NELSON, Oekolampads Anteil am frühen Abendmahlsstreit, in: Christine Christ-von Wedel et al. (Hg.), Basel als Zentrum des geistigen Austauschs in der frühen Reformationszeit, Tübingen 2014 (SMHR 81), 215–231, das Folgende teils nach ihr. Grundlegend zur Thematik bleibt STÄHELIN, ERNST, Das theologische Lebenswerk Johannes Oekolampads, Leipzig 1939 (QFRG 21), 267–330; vgl. außerdem KÖHLER, Zwingli und Luther I, 117–137. 52 Vgl. OEKOLAMPAD, JOHANNES, […] DE GENVINA || Verborum Domini, Hoc est corpus meum, || iuxta uetustissimos authores, expo=||sitione liber.||, o.O., o. J. [Straßburg: Johann Knobloch 1525], VD16 O 331, A2v–A3v. 53 Vgl. BURNETT, AMY NELSON, “According to the Oldest Authorities”. The Use of the Church Fathers in the Early Eucharistic Controversy, in: Anna Marie Johnson / John A. Maxfield (Hg.), The Reformation as Christianization. Essays on Scott Hendrix’s Christianization Thesis, Tübingen 2012 (SMHR 66), 373–395, hier 377–382; HOFFMANN, GOTTFRIED, Kirchenväterzitate in der Abendmahlskontroverse zwischen Oekolampad, Zwingli, Luther und Melanchthon. Legitimationsstrategien in der innerreformatorischen Auseinandersetzung um das Herrenmahl, Göttingen 22011 (OUH Ergänzungsbd. 7), 20–51. 54 Vgl. OEKOLAMPAD, De genuina verborum Domini expositione, A4r–A6r. 55 Vgl. aaO., B7r. 56 Vgl. aaO., C3v–C4r. 57 Vgl. aaO., C6r.

1.2 Zwingli, Oekolampad, Bullinger

55

Wie Joachim Staedtke und Fritz Büsser herausgearbeitet haben,58 attackierte auch Heinrich Bullinger schon um 1525 die Auffassung, Christus sei leiblich in der Hostie: Diese Ansicht führe zur Vergötzung des Brots und zur Annahme eines Messopfers.59 Dass das „ist“ als „bedeutet“ auszulegen sei, belegt Bullinger wie Zwingli aus Ex 12,11, dem johanneischen Gegensatz von Fleisch und Geist und daraus, dass Leib und Blut von Christus ein für allemal am Kreuz gegeben wurden.60 Das wird in De institutione eucharistiae (10.12.1525) bundestheologisch untermauert:61 Das Passa als Sakrament des Alten wird mit dem Abendmahl als Sakrament des Neuen Bundes parallelisiert. Das im Passaritus typologisch Angezeigte wird durch das Vergießen von Christi Blut am Kreuz erfüllt.62 Daraus wird abgeleitet, dass die Einsetzungsworte nicht leiblich verstanden werden können: Auch beim Passa meinte niemand, den Messias leiblich zu essen.63 Wie Oekolampad betont Bullinger, wenn Christus leiblich im Mahl wäre, hätte er unzählige Leiber.64 Christi menschlicher Leib sei wie jeder andere menschliche Körper räumlich umschrieben und deshalb – im Unterschied zu Christi Gottheit – nicht an verschiedenen Orten zugleich präsent. Seit der Himmelfahrt befinde er sich zur Rechten Gottes im Himmel und könne daher nicht im Abendmahl sein.65 Bullinger wählt also einen anderen argumentativen Ausgangspunkt als Zwingli und Oekolampad, stimmt aber mit ihnen in der Ablehnung einer leiblichen Präsenz überein.66 Ähnlich ambivalent wie bei Zwingli ist Bullingers und Oekolampads Perspektive auf die Wittenberger Reformation: Oekolampad wendet sich gegen eine consubstantiatio;67 Bullinger weist die Ansicht von Personen zurück, die „spiritualiter carnem Christi naturalem edendam putent”.68 Gleichzeitig betont Bullinger, nicht nur Schrift und Kirchenväter stimmten in der Ansicht überein,

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Vgl. STAEDTKE, Theologie des jungen Bullinger, 234–254; BÜSSER, FRITZ, Heinrich Bullinger. Leben, Werk und Wirkung, 2 Bde., Zürich 2004, hier Bd. I, 32–37. 59 Vgl. HBTS 2, 51–55 (Wider das Götzenbrot 1525). 60 Vgl. HBTS 2, 57–59 (Wider das Götzenbrot 1525). 61 Vgl. STAEDTKE, Theologie des jungen Bullinger, 237–242. 62 Vgl. HBTS 2, 89–93 (De institutione eucharistiae 1525). 63 Vgl. HBTS 2, 93 f. (De institutione eucharistiae 1525). 64 HBTS 2, 94 f. (De institutione eucharistiae 1525). 65 HBTS 2, 104 f. (De institutione eucharistiae 1525). 66 Daher meint auch STAEDTKE, Theologie des jungen Bullinger, 249: „Während vom Ansatz her die Sakramentslehre Bullingers mit der Zwinglis differiert, so lässt sich im Ergebnis eine gewisse Annäherung konstatieren“. Zugleich arbeitet er eine Heilsbedeutung des Mahls bei Bullinger heraus, die in der Einleibung des Christen in die Gemeinde bestehe (vgl. aaO., 250 f.) und sieht hier bereits einen von Zwingli abweichenden abendmahlstheologischen Ansatz Bullingers angelegt, der dann 1549 den Consensus Tigurinus ermöglicht habe. Ob letzteres stimmt, könnte nur eine umfassende Analyse klären, die hier nicht zu leisten ist. 67 Vgl. OEKOLAMPAD, De genuina verborum Domini expositione, B8r. 68 Vgl. HBTS 2, 102 (De institutione eucharistiae 1525).

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II.1 Der evangelische Abendmahlsdiskurs bis ca. 1526

dass „carnem Christi edere nihil aliud esse quam credere“69, sondern auch Melanchthon und Bugenhagen.70 Luthers reformatorische Leistung schildert er positiv, ohne die Abendmahlslehre zu erwähnen.71 Oekolampad widmet sein Werk den Predigern in Schwaben.72 Das alles setzt die Ansicht voraus, dass aus mit Wittenberg geteilten reformatorischen Grundsätzen in der Konsequenz die eigene Lehre folge (was später zum Vorwurf an die Wittenberger werden sollte) – ob den Autoren hier schon bewusst war, dass dies in Wittenberg anders gesehen wurde, dürfte dagegen kaum entscheidbar sein.

1.3 Die Straßburger Theologen: Vermittlungsbemühungen und theologische Sympathie für die Schweizer 1.3 Die Straßburger Theologen

Ebenfalls zentral für den Ersten und – in besonders stark transformierter Form – für den Zweiten Abendmahlsstreit sollte das Konzept werden, das die Straßburger Theologen 1524 zu entwickeln begannen. Ihre Auffassung wird in der Forschung verschieden gedeutet: Während Walther Köhler und Reinhold Friedrich die Straßburger aufgrund ihrer Bemühungen um Vermittlung zwischen Wittenberg und Zürich von Anfang an theologisch zwischen diesen reformatorischen Zentren verorten,73 sieht Thomas Kaufmann die Straßburger Äußerungen aufgrund der theologischen Affinität zu den Schweizern als taktisch begründete Dissimulation über eine gegen Wittenberg gerichtete Auffassung.74 Das Straßburger Verhalten im Ersten Abendmahlsstreit, die Wahrnehmung durch die Zeitgenossen und die Wandlungen dieses Konzepts in den folgenden Jahrzehnten sind aber am besten zu erklären, wenn – wie bei Ian P. Hazlett und Amy Nelson Burnett75 – die innerreformatorischen Vermittlungsbemühungen und die (zumindest in dieser frühen Zeit recht eindeutige) theologische Sympathie für die Schweizer ernst genommen werden.

69

HBTS 2, 103 (De institutione eucharistiae 1525). Vgl. HBTS 2, 103 (De institutione eucharistiae 1525). 71 Vgl. STAEDTKE, Theologie des jungen Bullinger, 251. 72 Vgl. OEKOLAMPAD, De genuina verborum Domini expositione, L5r–L6v. 73 So – in je unterschiedlicher Ausprägung – KÖHLER, Zwingli und Luther I; FRIEDRICH, REINHOLD, Martin Bucer – ,Fanatiker der Einheit’? Seine Stellungnahme zu theologischen Fragen seiner Zeit (Abendmahls- und Kirchenverständnis) insbesondere nach seinem Briefwechsel der Jahre 1524–1541, Bonn 2002 (Biblia et symbiotica 20). 74 So KAUFMANN, THOMAS, Die Abendmahlstheologie der Straßburger Reformatoren bis 1528, Tübingen 1992 (BHTh 81). 75 Vgl. HAZLETT, IAN P., The Development of Martin Bucerʼs Thinking on the Sacrament of the Lordʼs Supper in its Historical and Theological Context 1523–1534, Diss. masch. Münster 1977; BURNETT, Karlstadt and the Origins, 101–114. 70

1.3 Die Straßburger Theologen

57

Dass die Straßburger um 1524 – nach stark von Luther beeinflussten reformatorischen Anfängen76 – zum einen ihre Abendmahlslehre veränderten, zum anderen einen Wunsch nach innerevangelischer Vermittlung entwickelten, hängt mit einer komplexen Gemengelage zusammen: Schon im März hatten sich die Prediger mit dem Augustiner Konrad Treger und dem Franziskaner Thomas Murner unter anderem über das Messopfer auseinandergesetzt; an Zwingli anschließende abendmahlstheologische Texte zirkulierten ebenso wie hussitische Gedanken, die polemisch gegen die Anbetung des Sakraments gewandt wurden.77 Als Karlstadt im Oktober auf der Durchreise Straßburg besuchte und seine Schriften sich zu verbreiten begannen, gab es also ein Publikum für seine Forderung radikaler liturgischer Reformen und seine Ablehnung einer leiblichen Präsenz Christi im Abendmahl.78 Angesichts dessen versuchten die Prediger, ein Zersplittern der evangelischen Bewegung zu verhindern: So reagierte Wolfgang Capito mit der Schrift Was man halten und antworten soll, in der er evangelische Gemeinsamkeiten wie sola gratia und Ablehnung des Messopfers hervorhebt. Karlstadt wirft er vor, es verstoße gegen die christliche Liebe, angesichts dieser Gemeinsamkeiten Streit um das Wort „das“ in den Einsetzungsworten anzufangen.79 Dass sich die Straßburger Prediger an ihre Kollegen in Wittenberg, Zürich, Basel, Nördlingen und Nürnberg wandten und um Urteile über die Lehre Karlstadts baten,80 ist daher wohl weder als unsicheres Ratsuchen zu bewerten81 noch als Versuch, Wittenberg gegenüber über eine Lehre zu dissimulieren, die man zugleich in Oberdeutschland verbreitete,82 sondern als Ausdruck des Bemühens, Streit im reformatorischen Lager zu verhindern. Luther gegenüber betonten die Straßburger, die Lehre der Zürcher und Basler unterscheide sich von der Karlstadts und die Pfarrer dieser Städte lehnten Karlstadts Angriffe auf Luther ab.83 Auf theologischer Ebene näherten sich die Straßburger Pfarrer gleichzeitig der Haltung Zwinglis und Oekolampads an – auch das bedingt durch eine Kombination von Einflüssen: Nachdem die Straßburger sich mit Karlstadt auseinandergesetzt hatten, brachte Mitte November Hinne Rhode den Hoenbrief nach 76

Auch diese frühe Entwicklung spielt im Zweiten Abendmahlsstreit kaum eine Rolle und wird daher hier nicht im Detail verfolgt. Vgl. dazu HAZLETT, Development, 38–69, FRIEDRICH, Martin Bucer, 7–21 und (nicht allein zu Bucer, sondern zur Position aller Straßburger Theologen vor 1524) KAUFMANN, Abendmahlstheologie, 17–151. 77 Vgl. dazu KAUFMANN, Abendmahlstheologie, 152–203. 78 Vgl. BURNETT, Karlstadt and the Origins, 102–105. 79 CAPITO, WOLFGANG, WAsz man hal||ten / vnnd antwurten || soll / von der spaltung zwischen Martin || Luther vnd Andres Carolstadtt. || […], Straßburg: Wolfgang Köpfel 1524, VD16 ZV 2928. Vgl. zum Inhalt der Schrift BURNETT, Karlstadt and the Origins, 105 f. 80 Die Texte sind abgedruckt in BCor 1, 278–297 (Nr. 80–83). 81 So die klassische Deutung, vgl. etwa die Einleitung in WA.B 3, 381 (Nr. 797). 82 So KAUFMANN, Abendmahlstheologie, 217–237. 83 Vgl. Straßburger Prediger an Luther, 23.11.1524, BCor 1, 291 f. (Nr. 83,95–100).

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II.1 Der evangelische Abendmahlsdiskurs bis ca. 1526

Straßburg. Hinzu kam Zwinglis Antwort auf die Straßburger Anfrage, in der er seine Position erläuterte und seinen Brief an Alber beilegte.84 In Bucers Schrift Grund und Ursach vom Dezember 1524 findet sich eine weiterentwickelte Position zur Abendmahlsdebatte: Die wahre geistliche Nießung des Fleisches Christi bestehe darin, im Glauben den Kreuzestod zu bedenken, und die Elemente seien „gedenckzeichen und bedeütung […] des woren einigen leybs und blts Christi, wlche dann leyplicher gestalt nit me bey uns sein sollen“.85 Damit steht Bucer theologisch auf Seiten der Schweizer, korreliert anders als sie aber nicht die Annahme einer leiblichen Präsenz per se mit der altgläubigen Auffassung: Vielmehr betont er, die geistliche Nießung und die Funktion als Gedenkzeichen seien innerevangelisch nicht umstritten – nur die Frage, ob die Elemente außerdem Leib und Blut Christi seien. Danach aber solle man nach Joh 6,63 nicht fragen, so dass Karlstadt keinen Streit über diesen Aspekt hätte anfangen sollen.86 Hier wird der Gedanke, dass die leibliche Präsenz Christi im Abendmahl für das Heil unerheblich sei, (anders als bei Zwingli) so gewendet, dass er Bucer ermöglicht, auch Luthers Position als legitim anzuerkennen.87 Für den Konflikt wird mit Karlstadt ein Theologe verantwortlich gemacht, gegen den sich Wittenberger wie Schweizer Reformatoren abgrenzten.

1.4 Anbahnung umfassender innerevangelischer Konflikte 1.4 Anbahnung umfassender innerevangelischer Konflikte

Die Entwicklung zwischen Sommer 1525 und Sommer 1526 war ein wichtiger Schritt hin zum Ersten Abendmahlsstreit und blieb auch später ein Referenzpunkt: Hier bildeten sich Sichtweisen heraus, die im Folgenden typisch wurden. Von Wittenberg geprägte Theologen, die von der Schweizer Ablehnung einer leiblichen Präsenz Christi im Abendmahl ihre Lehre angegriffen sahen, begannen Schriften zu veröffentlichen, in denen die Schweizer als Ketzer angegriffen wurden – Westphals Partei sollte sich im Zweiten Abendmahlsstreit auf diese Texte berufen. Darauf reagierten die Schweizer Theologen mit Schriften, in denen sie die von Luther geprägte Lehre als nur unvollkommen reformatorische Auffassung darzustellen begannen. Die Straßburger schließlich schalteten sich auf eine Weise ein, die von ihrer Seite als Vermittlung intendiert war, aber in Wittenberg als Angriff wahrgenommen wurde. Für den Ausbruch umfassenderer Abendmahlsstreitigkeiten war zunächst der Sendbrief zentral, den Johannes Bugenhagen im Juli 1525 an den Breslauer Pfarrer Johannes Hess sandte und ihn bald darauf veröffentlichte: Hatte Luther schon Ende 1524 in einem Brief Zwingli und dessen Kollegen Leo Jud mit 84

Vgl. zum Zusammenspiel der Faktoren BURNETT, Karlstadt and the Origins, 106 f. Vgl. BDS 2, 250,37–251,29; Zitat 251, 23–24. 86 Vgl. BDS 2, 251,30–254,20. 87 Vgl. BURNETT, Karlstadt and the Origins, 108. 85

1.4 Anbahnung umfassender innerevangelischer Konflikte

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Karlstadt zusammengeordnet,88 sahen sich die Schweizer nun öffentlich zusammen mit Karlstadt verketzert – noch dazu in einem Text, der aufgrund seiner konzisen Argumentation oft nachgedruckt wurde und entsprechende Popularität erreichte.89 Bugenhagens Argument gegen jede tropologische Deutung ist der Wortlaut der Einsetzungsworte. Inhalt des Testaments Christi sei die Sündenvergebung, die man nicht Brot und Wein zuschreiben dürfe, sondern allein dem um der Worte Christi willen präsent geglaubten Leib. Der Ton ist polemisch; Zwinglis Konzept wird als absurd dargestellt.90 Zu einer Vertiefung der theologischen Diskussion führten – wie Amy Nelson Burnett nachgewiesen hat – dann vor allem die durch Oekolampads Genuina Expositio ausgelösten Debatten.91 Von der hochreflektierten Argumentation des Basler Humanisten sahen sich eine Reihe von Autoren zu Gegenschriften herausgefordert, auf die Oekolampad dann seinerseits reagierte. So publizierte der Augsburger Pfarrer Urbanus Rhegius Ende 1525 eine eigene Stellungnahme und einen Brief des Nördlinger Pfarrers Theobald Pellikan, in dem dieser sich mit Oekolampads Argumenten auseinandersetzte. Der Nürnberger Humanist Willibald Pirckheimer kritisierte Oekolampads Väterdeutung und attackierte seine Lehre als häretisch und blasphemisch.92 Die prominenteste Schrift gegen Oekolampad aber war das 1525 verfasste, 1526 im Druck veröffentlichte Syngramma Suevicum. Eine Gruppe von Pfarrern unter Leitung von Johannes Brenz (darunter Westphals späterer Mitstreiter Erhard Schnepf) reagierte damit auf die an die „ecclesiastes in Suevia“ gerichtete Widmung der Genuina expositio.93 Sie stimmen mit Bugenhagen und Luther in der Ablehnung jeder tropologischen Auslegung der Einsetzungsworte überein, vertreten aber eine eigenständige Argumentation: Auch sie ordnen Oekolampad mit Karlstadt und Zwingli zusammen und betonen, die Lehre dieser Theologen sei suspekt, da alle drei die Einsetzungsworte unterschiedlich deuteten, aber die leibliche Präsenz Christi im Abendmahl bestritten.94 Spezifisch für das Syngramma ist die Worttheologie, die den Anspruch hat, das Wort Gottes gegen eine Lehre zu verteidigen, die in den Augen der Verfasser das „Hoc est corpus meum“ bestreitet. Dementsprechend wird gegen Oekolampad eine 88

Vgl. Luther an Nikolaus Hausmann, 17.11.1524, WA.B 3, 373,11–13 (Nr. 793). Vgl. BURNETT, Karlstadt and the Origins, 100; 129 f. 90 Vgl. BUGENHAGEN, JOHANNES, Eyn Sendbrieff || widder den newen yrrthumb || bey dem Sacrament des || leybs vnd blutts vn=||sers HERRN || Jhesu Chri||sti. || […], Wittenberg: Joseph Klug 1525, VD16 B 9383. 91 Das arbeitet BURNETT, Debating the Sacraments, 139–157, gegenüber älteren, stark auf Zwingli fokussierten Darstellungen heraus. 92 Vgl. zu diesen beiden Texten BURNETT, Debating the Sacraments, 140–144; 158–177. 93 Zu dessen Inhalt vgl. STÄHELIN, Lebenswerk Oekolampads, 287–290; JUNG, MARTIN H., Abendmahlsstreit. Brenz und Oekolampad, in: BWKG 100 (2000), 143–161, hier 148 f. 94 Vgl. BRENZ, JOHANNES, Werke. Eine Studienausgabe, hg. v. Martin Brecht u. Gerhard Schäfer, Tübingen 1970ff., hier Bd. 1/1, 235,30–237,9. 89

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II.1 Der evangelische Abendmahlsdiskurs bis ca. 1526

Position in Stellung gebracht, die die leibliche Präsenz am Wort (nicht, wie Oekolampad postuliert hatte, an einem widernatürlichen Mirakel) festmacht: Das Wort habe die Kraft, herbeizuführen, was es verheiße; deshalb sei der Leib Christi da.95 Von dort aus geht der Text auf die Christologie ein: Da Christi Gegenwart durch die Macht des Wortes bewirkt werde, sei Oekolampads Argument, dass kein Körper an mehreren Orten zugleich sein könne, fehl am Platz.96 Diese Aussagen sollten Westphals Seite noch im Zweiten Abendmahlsstreit als Referenz dienen. Zugleich ist der Ton konzilianter als bei Bugenhagen; die Verfasser – darunter viele Schüler Oekolampads97 – werfen ihm zwar vor, dass er Streit anfange, betonen aber ihre Hoffnung auf Einigung.98 Zwingli reagierte im Oktober 1525 mit einer Responsio auf Bugenhagen.99 Oekolampad beantwortete das Syngramma zunächst brieflich mit seinem Antisyngramma, das er Anfang 1526 zusammen mit einschlägigen Predigten und einer Antwort auf Pellikan und Rhegius unter dem Titel Apologetica veröffentlichte.100 Auch in diesen Texten bildeten sich gemeinsame, im Folgenden für diese Streitposition typische Perspektiven heraus: Die Autoren betonen, dass die Gegner Streit anfingen, nicht die eigene Seite.101 Diese Sichtweise ergibt sich daraus, dass Oekolampad und Zwingli bisher die Wittenberger Reformatoren nicht explizit kritisiert hatten (wenngleich diese auf theologischer Ebene ihre Texte als Angriff betrachteten). Während Bugenhagen oder die Syngrammatisten die Schweizer als Ketzer wahrnahmen, betrachteten diese die Wittenberger grundsätzlich als Verbündete gegen die Altgläubigen.102 Zugleich wird freilich die These einer leiblichen Präsenz in der Sache widerlegt und den wittenbergisch geprägten Theologen vorgeworfen, damit faktisch die altgläubige Position zu unterstützen, während die eigene Lehre die der Schrift und der Väter sei.103 Aus dieser Sicht vertritt also die Gegenseite eine von ihrer eigenen reformatorischen Haltung her inkonsequente Position. Besonders deutlich wird das in einer Schrift Leo Juds vom April 1526, in der er nachweisen will, dass aus Argumenten von Erasmus und Luther recht besehen die Zürcher Auffassung folge. So leitet er aus Luthers Angriffen auf das Messopfer ab, dass dieser 95

Vgl. aaO., 239,4–242,29. Vgl. aaO., 261,30–262,27. 97 Vgl. BURNETT, Oekolampads Anteil am Abendmahlsstreit, 220 f. 98 Vgl. BRENZ, Werke 1/1, 278,21–31. 99 Vgl. KÖHLER, Luther und Zwingli I, 282–287. 100 Vgl. zum Inhalt dieser Texte im Einzelnen STÄHELIN, Lebenswerk Oekolampads, 292–300; BURNETT, Debating the Sacraments, 144–146. 101 Vgl. OEKOLAMPAD, JOHANNES, APOLOGE||TICA […] || DE DIGNITATE EVCHARISTIAE || Sermones duo.|| AD THEOBALDVM BILLICANVM || […] || AD ECCLESIASTAS SVEVOS || Antisyngramma, Zürich: Christoph Froschauer 1526, VD16 O 305, A2v–B2r; Z 4, 789,9–793,2. 102 Vgl. Z 4,806,15–24; OEKOLAMPAD, Apologetica, T6r–T6v. 103 Vgl. Z 4,790,16–791,11; OEKOLAMPAD, Apologetica, H7r–H7v. 96

1.4 Anbahnung umfassender innerevangelischer Konflikte

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dann auch die leibliche Präsenz von Fleisch und Blut zurückweisen müsse.104 Dementsprechend ist der Ton bei den Schweizern weniger polemisch, aber die Betreffenden sollten sich davon – angesichts der zentralen Rolle leiblicher Präsenz für ihr Verständnis reformatorischer Lehre – dennoch angegriffen fühlen. Wie Walther Köhler gezeigt hat, wurde die Assoziation von Wittenberger und altgläubiger Lehre seitens der Schweizer Theologen dadurch befördert, dass die Schweizer Auffassung auch von altgläubiger Seite verketzert wurde – teils unter Verweis darauf, dass Luther hier rechtgläubiger denke:105 Johannes Eck weitete seine Ketzervorwürfe gegen Zwingli 1525 auf die Abendmahlslehre aus; Johann Fabri und Thomas Murner schlossen sich dem an. Im Mai / Juni 1526 attackierten Eck und Fabri auf der Badener Disputation Zwingli und Oekolampad als Ketzer.106 Daher konzentrierte Zwingli sich in Abendmahlstexten dieser Zeit (etwa der Klaren Unterrichtung vom Nachtmahl Christi) auf die Auseinandersetzung mit Altgläubigen – die damit einhergehende Stoßrichtung gegen die leibliche Präsenz vertiefte die Gräben gegenüber Wittenberg.107 1525/26 kam es auch in vielen süddeutschen Städten zu Debatten über das Abendmahl.108 In diesem Kontext verfassten die Straßburger Briefe, mit denen sie zwei Ziele verfolgten: Zum einen versuchten sie, andere von ihrer Sakramentslehre zu überzeugen, zum anderen, weitere innerevangelische Trennungen zu verhindern109 – eine Kombination, die in Wittenberg inakzeptabel erscheinen musste, zumal sie mit Kritik am Wittenberger Vorgehen verbunden war. So sandten die Straßburger Gregor Casel mit Briefen nach Wittenberg, in denen einerseits der Wunsch nach Einheit der Kirche betont, andererseits die Straßburger Lehre verteidigt und Bugenhagens Sendbrief kritisiert wird.110 Ähnlich äußerte sich Bucer gegenüber süddeutschen Theologen und wandte sich an die Herren von Gemmingen sowie an Brenz, um ein Abendmahlsgespräch zu initiieren. Als das misslang, verfasste er im März 1526 eine Apologia, in der er Zwingli und Oekolampad gegen das Syngramma verteidigte.111 Insofern ist es wenig überraschend, dass die Wittenberger und Brenz sich nicht auf die Einigungsversuche einließen: nicht nur, weil ihnen eine Suspendierung

104 Vgl. JUD, LEO, DEs Hochgelert || Erasmi von Roterdam/ v || Doctor Luthers maynung || vom Nachtmal vnsers Herren Jesu || Christi / […], o.O., o. J. [Zürich: Christoph Froschauer 1526], VD16 J 1002, A6v, und dazu KÖHLER, Zwingli und Luther I, 149–154. BURNETT, Debating the Sacraments, 187–190. 105 Vgl. KÖHLER, Zwingli und Luther I, 152 und passim. 106 Vgl. aaO., 152; 165–176; 326–354. 107 Vgl. BURNETT, Debating the Sacraments, 178–193. 108 Vgl. dazu im Einzelnen KÖHLER, Zwingli und Luther I, 203–206; 226–234. 109 Vgl. BURNETT, Karlstadt and the Origins, 109–112. KAUFMANN, Abendmahlstheologie, 303–333, betont ersteren, FRIEDRICH, Martin Bucer, 25–29, letzteren Aspekt. 110 Vgl. FRIEDRICH, Martin Bucer, 27–29; KAUFMANN, Abendmahlstheologie, 318–333. 111 Vgl. dazu HAZLETT, Development, 115–141; FRIEDRICH, Martin Bucer, 25–35.

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II.1 Der evangelische Abendmahlsdiskurs bis ca. 1526

der Frage leiblicher Präsenz nicht möglich erschien, sondern auch, weil sie die Straßburger als Parteigänger der Schweizer wahrnahmen.112 Dass die Wittenberger den Straßburger Einigungsversuchen Misstrauen entgegenbrachten, hängt zudem mit den Einfügungen in Bugenhagens Psalmenkommentar und Luthers Kirchenpostille zusammen, die Bucer als Übersetzer bzw. Herausgeber vornahm: In seiner deutschen Übertragung des Psalmenkommentars setzte Bucer – wie zeitgenössisch in derartigen Übersetzungen üblich – insgesamt gegenüber dem Original eigenständige Akzente.113 An einer Textstelle, an der Bugenhagen die geistliche Nießung im Glauben (in Luthers Sinn) hervorhob, meinte Bucer einen Beleg für seine These zu finden, dass über den geistlichen Aspekt des Abendmahls innerreformatorisch Einigkeit bestehe. Er gab daher nicht nur den Text in diesem Sinne wieder, sondern leitete daraus auch ab, es sei unchristlich, das Heil in einer leiblichen Gegenwart Christi zu suchen.114 Damit enthielt ein unter Bugenhagens Namen veröffentlichter Text eine von den Wittenbergern abgelehnte Position. Auch dem von ihm herausgegebenen vierten Band von Luthers Kirchenpostille fügte Bucer Erläuterungen bei, in denen er den Abendmahlsstreit in seinem Sinne deutete. Beides führte zu empörten Reaktionen und Betrugsvorwürfen seitens der Wittenberger.115 Fortan sahen sie Bucers Haltung als Versuch, ihnen gegen ihren Willen die gegnerische Position unterzuschieben – das sollte ihr Verhalten im folgenden Streit prägen und sich erst in den 1530er Jahren ändern. In diese Gesamtsituation gehören die Ereignisse und Äußerungen, die zwischen Sommer 1526 und Frühjahr 1527 zum Ausbruch eines umfassenden überregionalen Abendmahlsstreits führten.

112 Zu den Reaktionen vgl. BURNETT, Karlstadt and the Origins, 110–112; KÖHLER, Zwingli und Luther I, 206–220; KAUFMANN, Abendmahlstheologie, 328 f. 113 Dies arbeitet BURNETT, Debating the Sacraments, 121–138, zu Recht heraus – Bucers freier Umgang mit dem Text betraf also nicht singulär die Abendmahlsfrage! 114 Vgl. BDS 2, 220–222. 115 Vgl. zu diesen Konflikten KOCH, ERNST, Johannes Bugenhagens Anteil am Abendmahlsstreit zwischen 1525 und 1532, in: ThLZ 111 (1986), 705–730; HAZLETT, Development, 143–178; KAUFMANN, Abendmahlstheologie, 360–386; FRIEDRICH, Martin Bucer, 35–42.

Kapitel II.2

Weiterentwicklung der Positionen: Der Erste Abendmahlsstreit (1526–29) Besonders intensiv sollten viele Akteure des Zweiten Abendmahlsstreits auf Schriften und Ereignisse der Jahre 1526 bis 1529 rekurrieren: Im überregionalen Ersten Abendmahlsstreit wurden die Positionen weiter ausgebaut und geklärt. Das führte aber nicht zu einer einheitlichen Beurteilung der innerevangelischen Situation: Nach dem Marburger Religionsgespräch gab es nach wie vor sehr unterschiedliche Ansichten zum Verhältnis zwischen den diversen reformatorischen Richtungen. Hier konnten später Einigungs- wie Abgrenzungsbemühungen anknüpfen. Diese Perspektiven sollten auch im Zweiten Abendmahlsstreit fortgeschrieben werden. Im Folgenden wird nach einem Überblick über den Streitverlauf (2.1) die Entwicklung der Positionen thematisiert, auf die im Zweiten Abendmahlsstreit vorrangig Bezug genommen wird (2.2); dann das Marburger Gespräch als zentraler Referenzpunkt späterer Debatten (2.3).

2.1 Verlauf des Ersten Abendmahlsstreits im Überblick 2.1 Verlauf des Ersten Abendmahlsstreits

Der Beginn eines umfassenden überregionalen Abendmahlsstreits war durch Publikationsoffensiven beider Seiten markiert. Zugleich verlagerte sich die theologische Debatte zunehmend ins Deutsche und gewann so ein größeres Publikum: Hatte Ludwig Hätzer Übersetzungen von Oekolampads Genuina expositio und diverser Teile der Apologetica vorgelegt, reagierte die Gegenseite mit drei deutschen Übersetzungen des Syngramma.1 Luther verfasste ein Vorwort zu der im Sommer 1526 in Wittenberg gedruckten Fassung, in dem er Karlstadt, Zwingli und Oekolampad als Ketzer zusammenordnete.2 Bald darauf erschien sein Sermon von dem Sakrament des Leibs und Bluts Christi wider die Schwarmgeister.3 Oekolampad veröffentlichte im September 1526 seine Billiche antwurt und eine gekürzte deutsche Bearbeitung des Antisyngramma.4 1

Vgl. BURNETT, Debating the Sacraments, 148–150. Vgl. KÖHLER, Zwingli und Luther I, 293–295; zur Datierung des Drucks KAUFMANN, Abendmahlstheologie, 438 f. 3 Vgl. dazu KÖHLER, Zwingli und Luther I, 383–389. 4 Zu deren Inhalt vgl. STÄHELIN, Lebenswerk Oekolampads, 309–312. 2

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II.2 Der Erste Abendmahlsstreit (1526–29)

Zwingli reagierte auf Luthers Sermon und ältere Texte mit der Amica Exegesis und der Freundlichen Verglimpfung, die er im April 1527 an Luther sandte.5 Luther wiederum publizierte im Frühjahr 1527 seine erste große Streitschrift Dass diese Worte, Das ist mein Leib, noch fest stehen.6 Daraufhin ergaben sich briefliche Diskussionen zwischen Baslern, Straßburgern und Zürchern über eine Antwort. Die Straßburger rieten den Schweizern zu Gegenschriften, mahnten sie aber zu Zurückhaltung im Tonfall.7 Im Juni erschienen Oekolampads Dass der Missverstand Martin Luthers auf die ewigbeständige Wort, Das ist mein Leib, nicht bestehen mag und Zwinglis Dass diese Worte, Das ist mein Leib, ewiglich den alten einigen Sinn haben werden.8 Gleichzeitig gingen in Süddeutschland die Debatten weiter – wie Walther Köhler gezeigt und Amy Nelson Burnett erneut hervorgehoben hat, nicht immer entlang der gleichen Fronten wie in der überregionalen Diskussion. So publizierte der Ulmer Prediger Konrad Sam ein behutsam zwischen verschiedenen reformatorischen Positionen abwägendes Trostbüchlein; Eitelhans Langemantel in Augsburg attackierte aus spiritualistischer Sicht die Wittenberger Haltung als neuen Papismus; der Reutlinger Johannes Schradin wandte sich gegen Schweizer, vor allem aber gegen spiritualistische Thesen.9 Nachdem im Herbst 1527 Oekolampads und Zwinglis Schriften in Wittenberg eingetroffen waren, arbeitete Luther bis Februar 1528 an seiner Gegenschrift Vom Abendmahl Christi Bekenntnis.10 Während die Basler, Straßburger und Zürcher Pfarrer über eine Antwort darauf diskutierten, wandte sich Oekolampad im Mai 1528 brieflich an Melanchthon, um sich gegen Luthers Ketzervorwürfe zu verwahren.11 Ende August / Anfang September erschien mit den Zwo antworten dann eine Doppelschrift Zwinglis und Oekolampads gegen Luthers Bekenntnis.12 Bucer veröffentlichte nahezu zeitgleich den Dialogus, in dem er seinem Konzept innerreformatorischer Einigung eine neue Wendung gab.13 Melanchthon, der sich bisher mit Veröffentlichungen zurückgehalten, aber Luthers Texte befürwortet hatte,14 reagierte im April 1529 auf einen Brief 5

Zu den beiden Texten vgl. KÖHLER, Zwingli und Luther I, 462–491. Vgl. zu der Schrift aaO., 492–513; BURNETT, Debating the Sacraments, 223–226. 7 Vgl. dazu HAZLETT, Development, 181–187; FRIEDRICH, Martin Bucer, 42–47. 8 Vgl. STÄHELIN, Lebenswerk Oekolampads, 313 f.; KÖHLER, Zwingli und Luther I, 493; BURNETT, Debating the Sacraments, 227–229. 9 Vgl. BURNETT, Debating the Sacraments, 204–221 (auch aaO., 190–193; 198–199); KÖHLER, Zwingli und Luther I, 389–396; 448–451. 10 Vgl. dazu aaO., 619–643; BURNETT, Debating the Sacraments, 229–231. 11 Vgl. STÄHELIN, Lebenswerk Oekolampads, 319. 12 Vgl. zu beiden Texten KÖHLER, Zwingli und Luther I, 647–688. 13 Vgl. dazu aaO., 237–240; HAZLETT, Development, 242–257; KAUFMANN, Abendmahlstheologie, 420–437; FRIEDRICH, Martin Bucer, 49–57. 14 Vgl. dazu NEUSER, WILHELM H., Die Abendmahlslehre Melanchthons in ihrer geschichtlichen Entwicklung (1519–1530), Neukirchen-Vluyn 1968 (BGLRK 26), 235–264. 6

2.2 Weiterentwicklung der Abendmahlstheologien

65

Oekolampads und grenzte sich gegen dessen Lehre ab. 1529 veröffentlichte er dann mit den Sententiae veterum das Gegenstück zu Oekolampads Genuina expositio: eine Untermauerung der Wittenberger Haltung durch Väterzitate.15

2.2 Weiterentwicklung der Abendmahlstheologien und der Perspektiven auf andere reformatorische Positionen 2.2 Weiterentwicklung der Abendmahlstheologien

a) Zwingli Zwinglis Position, wie er sie in den Debatten zwischen 1526 und 1529 weiter ausarbeitete, sollte ein wichtiger Referenzpunkt im Zweiten Abendmahlsstreit werden – positiv für manche Gegner Westphals, aber vor allem negativ für Westphals Partei, die ihren Opponenten Übereinstimmung mit dieser Position und mit deren Abgrenzung zu Luther nachzuweisen versuchte. Die Entwicklung bei Zwingli in dieser Zeit ist in der Forschung weniger umstritten als die der früheren und späteren Jahre. Neben den älteren umfassenden Arbeiten, unter denen vor allem die Analyse Walther Köhlers hervorzuheben ist, bieten klassische Darstellungen etwa William P. Stephens und Ulrich Gäbler; Johannes Voigtländer hat unlängst eine Neuanalyse vorgelegt.16 Die Weiterentwicklungen im Ersten ebenso wie die Bezugnahmen im Zweiten Abendmahlsstreit betreffen neben der Abendmahlslehre im engeren Sinne speziell Zwinglis Christologie und seine Perspektive auf die Wittenberger Reformation. Dass Luther Zwinglis Position als Angriff auf den Kern seiner reformatorischen Auffassung wahrnahm – und Westphals Partei später auf Zwinglis Texte rekurrieren sollte, um zu belegen, dass die Position ihrer Streitgegner ebenfalls auf einen solchen Angriff hinauslaufe – hängt mit der Frontstellung zusammen, die Zwingli nun klar formulierte: Er wirft Luther vor, salutis summam in den Glauben an die leibliche Gegenwart Christi zu setzen.17 Das aber widerspricht aus Sicht Zwinglis (der hier seine bisherige Argumentation ausbaut) der für ihn reformatorisch zentralen Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf: Der menschliche Leib ist Kreatur, so dass Sündenvergebung nicht einem leiblichen Essen zugeschrieben werden darf. Das wird durch Joh 6 belegt.18 Sündenvergebung bewirkt nur der – nicht von einem Geschöpf, sondern allein von Gott

15

Vgl. dazu aaO., 291–308; KÖHLER, Zwingli und Luther I, 802–805. Vgl. KÖHLER, Zwingli und Luther I, 462–729; STEPHENS, Theology of Zwingli, 241– 250; GÄBLER, ULRICH, Huldrych Zwingli. Eine Einführung in sein Leben und sein Werk, München 1983 (Beckʼsche Elementarbücher), 119–125; VOIGTLÄNDER, JOHANNES, Ein Fest der Befreiung. Huldrych Zwinglis Abendmahlslehre, Neukirchen-Vluyn 2013, 108– 131. Insbesondere STEPHENS bietet umfassende Angaben zu weiterer Literatur. 17 Vgl. Z 5 = CR 92, 572, 16–19, hier das Zitat; aaO., 582, 14–17 (Amica Exegesis 1527). 18 So etwa sehr ausführlich in Z 5 = CR 92, 959,14–969,32 (Dass diese Worte 1527). 16

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II.2 Der Erste Abendmahlsstreit (1526–29)

gewirkte – Glaube an Christi Heilstat am Kreuz.19 Insofern beansprucht Zwingli, nicht aus reinen Vernunftgründen, sondern aus dem naturale fidei ingenium heraus zu argumentieren, von dem aus die Schrift verstanden werden müsse.20 Daher seien die Einsetzungsworte tropisch zu deuten: Zwingli legt Sammlungen von Schriftstellen vor, an denen es sich analog verhalte.21 In Verteidigung gegen den Vorwurf, dass bei einem signifikativen Verständnis der Einsetzungsworte Christus als abwesend gedacht werde, kann er von spiritualis praesentia sprechen,22 meint damit jedoch ausschließlich die vom Abendmahl unabhängige Präsenz der Gottheit Christi durch Glauben.23 Das sollte Westphals Partei später nutzen, um ihren Gegnern vorzuwerfen, deren Rede von geistlicher Präsenz sei nicht anders zu verstehen als bei Zwingli. Zudem baute Zwingli die christologische Begründung seiner Position aus – mit Argumenten, die teilweise auch für Westphals Streitgegner noch wichtig waren: Dass Christus nicht leiblich in den Elementen sein könne, wird mit den Glaubensartikeln der Himmelfahrt und des Sitzens zur Rechten Gottes begründet. Nach der göttlichen Natur ist Christus allenthalben, aber da menschliche Leiber per definitionem räumlich begrenzt sind, kann Christi menschliche Natur nach der Himmelfahrt nicht mehr auf Erden sein.24 Wie Stephens hervorhebt, geht es Zwingli bei diesem Argument letztlich um die wirkliche und als solche heilsrelevante Menschheit Christi:25 Ein Christus, der keinen wahrhaft menschlichen Leib hat, hätte nicht am Kreuz sterben können.26 Daher meint Zwingli, wenn wie bei Luther die menschliche Natur allgegenwärtig sein solle, werde eine Vermischung der Naturen gelehrt und die wahre Menschheit Christi aufgehoben.27 Um den von Luther dagegen gesetzten Vorwurf einer Zertrennung der Person Christi zu widerlegen, argumentiert er mit der Zweinaturenlehre: Bei der Personeinheit behalten beide Naturen ihre Eigenschaften.28 Gegen Luthers Argument der Idiomenkommunikation bringt er die rhetorische Figur der Alloiosis in Stellung: In der Schrift werden von einer Natur Christi

19

Vgl. etwa Z 5 = CR 92, 576, 3–7 (Amica Exegesis 1527). Vgl. Z 5 = CR 92, 707,3–708,13 die Formulierung 708,3 (Amica Exegesis 1527). 21 Dabei erscheint Ex 12,11 als diejenige Parallele, die den Einsetzungsworten am nächsten steht. Vgl. etwa Z 5 = CR 92, 863,1–876,17 (Dass diese Worte 1527). 22 Vgl. etwa Z 5 = CR 92, 587,16–21 (Amica Exegesis 1527). 23 Hier liegt die Schwierigkeit der Deutung bei KÖHLER, Zwingli und Luther I, 483 f., der in solchen Formulierungen einen „Bogen, nicht nur zu Luther, sondern noch stärker zu Calvin“ (aaO., 484) angelegt sieht. Vgl. zu Zwinglis Verständnis geistlicher Präsenz in dieser Zeit STEPHENS, Theology of Zwingli, 243 f. 24 Vgl. etwa Z 5 = CR 92, 692,21–696,25 (Amica Exegesis 1527). 25 Vgl. STEPHENS, Theology of Zwingli, 246 f. 26 Vgl. etwa Z 5 = CR 92, 919,5–19 (Dass diese Worte 1527). 27 Vgl. etwa Z 5 = CR 92, 912,6–9 (Dass diese Worte 1527). 28 Pointiert etwa in Z 5 = CR 92, 923,1–3 (Dass diese Worte 1527). 20

2.2 Weiterentwicklung der Abendmahlstheologien

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Dinge gesagt, die eigentlich der anderen zugehören, weil sie in der Person mit einer Natur verbunden sind, der diese Eigenschaft zukommt.29 Schließlich entwickelte Zwingli auch sein Urteil über die Wittenberger Theologen weiter, das speziell in Zürich bis in den Zweiten Abendmahlsstreit hinein wirken sollte: Luther und andere Gegner werden mit den Altgläubigen zusammengeordnet, da sie wie diese eine leibliche Präsenz Christi im Abendmahl verträten.30 Zugleich aber gelten Luther und seine Mitstreiter Zwingli (anders als umgekehrt) als Teil der Reformation bzw. wahren Kirche – daher hebt er sein Bedauern über den Streit hervor31 und betont die Friedfertigkeit der eigenen Seite, die aber dennoch auf Luthers Polemik reagieren müsse.32 Diese Spannung ist weder in ein „Streben nach Eintracht“33 aufzulösen noch sind Zwinglis Einheitsaussagen nur durch den Einfluss Bucers und Oekolampads motiviert.34 Zwingli wirft den Gegnern vielmehr vor, gegen von ihnen geteilte reformatorische Grundsätze zu verstoßen. So lobt er Luthers Bekämpfung der Transsubstantiation und folgert, Luther solle akzeptieren, dass Gott die idololatria der leiblichen Präsenz nun durch andere Theologen angreife – der Streit sei leicht beizulegen, wenn Luther zugebe, sich geirrt zu haben.35 Eine Einigung ist für Zwingli erwünscht, aber nur in der Form denkbar, dass die Gegenseite seine Auffassung annimmt. Das erklärt, warum seine Sichtweise von Bucer als friedfertig, von Luther dagegen als Provokation wahrgenommen wurde – letztere Perspektive sollte Westphals Seite auf ihre Gegner übertragen. b) Luther Luthers Position der Jahre 1526–29, die neben den grundlegenden Arbeiten von Walther Köhler, Hans Grass und Albrecht Peters durch eine Vielzahl weiterer Forschungsbeiträge erschlossen worden ist,36 sollte im Zweiten Abendmahlsstreit einen zentralen Bezugspunkt für Westphals Partei darstellen. Hier formulierte Luther seine Position in ausgereifter Form und in der verketzernden Abgrenzung gegen Zwingli, Oekolampad und die Straßburger, die Westphals Partei auf ihre Gegner übertragen sollte, während die Zürcher aus den Texten herleiteten, dass ein Dialogs mit Schülern Luthers sinnlos sei.

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Vgl. Z 5 = CR 92, 925,14–928,17 (Dass diese Worte 1527). Vgl. etwa Z 5 = CR 92, 793,6–15 (Freundliche Verglimpfung 1527). 31 Vgl. etwa Z 5 = CR 92, 637,8–21 (Amica Exegesis 1527). 32 So etwa in Z 5, 568,13–569,5 (Amica Exegesis 1527). 33 So durchgängig die Deutung bei KÖHLER, Zwingli und Luther I, Zitat 484. 34 So STEPHENS, Theology of Zwingli, 242. 35 Vgl. Z 5 = CR 92, 751,4–9 (Amica Exegesis 1527). 36 Vgl. KÖHLER, Luther und Zwingli I, passim; GRASS, Abendmahlslehre bei Luther und Calvin, 37–129; PETERS, ALBRECHT, Realpräsenz. Luthers Zeugnis von Christi Gegenwart im Abendmahl, Berlin 1960 (AGTL 5). Eine hilfreiche Überblicksdarstellung bietet etwa LOHSE, Luthers Theologie, 190–194.324–333. Vgl. für Literaturübersichten aaO., 187.324 f. 30

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II.2 Der Erste Abendmahlsstreit (1526–29)

In der Sache hielt Luther weiter vehement an der leiblichen Präsenz Christi im Abendmahl fest und lehnte alle (aus seiner Sicht) damit unvereinbaren Auffassungen als ketzerisch ab. Dahinter steht wie bisher der Zusammenhang zum für Luther reformatorisch zentralen Verständnis der Rechtfertigungslehre: Für ihn wird in den Sakramenten die durch Christus erworbene Sündenvergebung jedem Christen persönlich zugeeignet, von außen und ohne jedes eigene Verdienst – und um sich so dem Gläubigen so schenken zu können, muss Christus selbst präsent sein.37 Alle weiteren Argumente dienen dazu, diese Vorstellung abzusichern, an der für Luther die Externität der Gnade hängt. Wenn Luther darauf insistiert, den wörtlichen Sinn der Einsetzungsworte zu vertreten,38 verbinden sich insofern Gnadentheologie und Schriftverständnis: Glaubensartikel kann für Luther nur sein, was im äußerlichen Wort ausgesagt ist – im Falle des Abendmahls in den Einsetzungsworten, in denen Christus seine Gegenwart verheißt.39 Deshalb wirft er seinen Gegnern vor, sich mit ihrer tropischen Deutung aus Vernunftgründen über Gottes Wort zu stellen: Für Luther kann Gott alles tun, was er in seinem Wort verheißt; auf diese Zusage muss sich der Glaubende verlassen.40 Von Zwingli und Oekolampad beigebrachte andere Schriftstellen erklärt Luther für irrelevant: Alle übrigen Loci seien im Einklang mit der entscheidenden Verheißung auszulegen.41 Den Gegnern hält er vor, letztere umzustoßen, so dass statt Christus nur Brot und Wein präsent seien.42 Die Unabhängigkeit der Präsenz von jeder Disposition des Empfängers verlange, dass Christus auch für Ungläubige gegenwärtig sei.43 In Auseinandersetzung mit Zwingli und Oekolampad untermauerte Luther seine Auffassung christologisch: Für ihn muss Christus so präsent sein, wie er die Menschen erlöst hat – also nicht allein nach der göttlichen, sondern auch nach der menschlichen Natur.44 Das begründet Luther mit der Personeinheit: Aufgrund der Idiomenkommunikation zwischen den beiden Naturen Christi ist auch die menschliche Natur allgegenwärtig und kann im Abendmahl sein.45 Deshalb wirft Luther Zwingli und Oekolampad eine Zertrennung der Person Christi vor, wenn sie nur eine Präsenz der Gottheit im Abendmahl annehmen.46 37

Vgl. etwa WA 19, 506,16–507,24 (Sermon wider die Schwarmgeister 1526). So z.B. WA 23, 95,17–35 (Dass diese Worte 1527). 39 Deutlich etwa WA 23, 153,13–17 (Dass diese Worte 1527). 40 Vgl. etwa WA 23, 117,6–119,10 (Dass diese Worte 1527). 41 Vgl. WA 23, 99,16–107,18 (Dass diese Worte 1527). 42 Vgl. z.B. WA 19, 121,16–26 (An die Christen zu Reutlingen 1526). 43 Vgl. etwa WA 26, 288,13–19 (Vom Abendmahl Christi Bekenntnis 1528). 44 Vgl. WA 19, 484,24–28 (Sermon wider die Schwarmgeister 1526). 45 Luther betont in diesem Zusammenhang, dass Allgegenwart und Präsenz im Abendmahl nicht identisch seien – aber für die in den Einsetzungsworten verheißene und allein heilbringende Präsenz Christi im Abendmahl sei die Allgegenwart Voraussetzung. Vgl. pointiert WA 23, 151,1–153,4 (Dass diese Worte 1527). 46 Vgl. WA 26, 332,12–333,25 (Vom Abendmahl Christi Bekenntnis 1528). 38

2.2 Weiterentwicklung der Abendmahlstheologien

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Insofern spricht für ihn auch die Himmelfahrt nicht gegen die leibliche Präsenz; die Rechte Gottes, an der sich Christus seitdem befindet, versteht er nicht (wie die Schweizer) als Ort, sondern als Gottes Allmacht.47 Darauf sollte Westphals Partei später rekurrieren. Angesichts der Argumente gegen eine räumliche Präsenz des Leibes Christi in den Elementen arbeitet Luther heraus, dass dessen Präsenz nicht lokaler Natur sei. Vielmehr seien in einer unio sacramentalis auf unbegreifliche Weise Leib und Brot, Blut und Wein vereinigt48 – eine Aussage, die dann für Bucers Einigungsbemühungen wichtig wurde. Auch die Argumente, die Luther gegen Zwinglis Deutung von Joh 6 entwickelte, sollten für Westphals Partei in Auseinandersetzung mit der von ihren Gegnern vertretenen spiritualis praesentia zentral werden: Für Luther ist der theologisch entscheidende Gegensatz nicht der von Geist und Leib, sondern der von (durch Sünde bestimmtem) Fleisch und (durch Glauben bestimmtem) Geist. Ob etwas geistlich oder fleischlich ist, macht sich daher für ihn nicht an der Art seiner Gegenwart fest, sondern an seinem Gebrauch – wenn das Abendmahl im Glauben genossen wird, geschieht dies geistlich. Das widerspricht aus Luthers Sicht also nicht der leiblichen Präsenz: Da diese in den Einsetzungsworten verheißen ist, ist es geistlich, daran zu glauben.49 Im Anschluss an derartige Aussagen sollten auch Westphal und seine Mitstreiter beanspruchen, ein geistliches Verständnis des Abendmahls zu vertreten, das (anders als ihre Streitgegner meinten) einer leiblichen Präsenz Christi nicht widerspreche. Schließlich baute Luther auch sein Urteil über die Streitgegner aus: Für ihn sind Karlstadt, Zwingli, Oekolampad und Bucer gleichermaßen Ketzer, die sich im Widerspruch gegen die wahre Lehre einig, in den Unterschieden ihrer positiven Auffassung sektiererisch uneins sind und hinter denen der Teufel steht, der das Evangelium bekämpft.50 Daher ist innerreformatorische Einigung für Luther nur möglich, wenn sich die Gegenseite zu seiner Auffassung bekehrt51 – auch dies ein später für Westphals Partei wichtiger Aspekt. c) Oekolampad An Oekolampads Position, die seit den grundlegenden Arbeiten Ernst Stähelins und Walther Köhlers nur wenig erforscht worden ist und erst bei Dorothea Wendebourg und Amy Nelson Burnett wieder stärker berücksichtigt wird,52 47

Vgl. WA 23, 131,7–143,22 (Dass diese Worte 1527). Vgl. WA 26, 442,8–443,7 (Vom Abendmahl Christi Bekenntnis 1528). 49 Vgl. WA 23, 183,34–189,37 (Dass diese Worte 1527). 50 Vgl. WA 26, 262,26–264,14 (Vom Abendmahl Christi Bekenntnis 1528). 51 Vgl. WA 23, 79,19–87,4 (Dass diese Worte 1527). 52 Vgl. STÄHELIN, Lebenswerk Oekolampads, 313–330; KÖHLER, Zwingli und Luther I, 295–300; 532–545; 674–683; WENDEBOURG, Essen zum Gedächtnis, 101–138; BURNETT, Oekolampads Anteil am Abendmahlsstreit (hier auch zum Forschungsdefizit); DIES., Debating the Sacraments, 139–246 passim. 48

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II.2 Der Erste Abendmahlsstreit (1526–29)

sind für die folgende Entwicklung mehrere Aspekte bedeutsam: Einerseits widerlegte Oekolampad im Einklang mit Zwingli die Lehre Luthers und der Syngrammatisten – darauf sollten sich speziell die Zürcher im Zweiten Abendmahlsstreit berufen. Andererseits setzte er in seiner positiven Lehre eigenständige Akzente, die ihn zwischen Bucer und den Zürchern verorten – hier sollte später Johannes a Lasco anknüpfen. Infolgedessen brachte Oekolampad für die theologischen Anliegen der Gegenseite mehr Verständnis auf als Zwingli, lehnte aber die These leiblicher Präsenz ebenso klar ab wie dieser. Seine Betonung, dass der Streit unnötig sei, konnte daher von anderen Streitbeteiligten ebenso als Friedensbestrebung wie als Provokation gedeutet werden. Grundsätzlich lehnt Oekolampad im Einklang mit Zwingli eine Wesensidentität von Leib und Brot zugunsten einer signifikativen Bedeutung der Einsetzungsworte ab.53 Um diese Position zu stützen, leitet er nicht nur ausführlich her, dass der Tropus bei Sakramenten die übliche Redeweise der Schrift sei,54 sondern entwickelt auch seine spezifischen Argumente weiter. Dazu gehören etwa Begründungen für die These, dass das Abendmahl kein übernatürliches Mirakel sei,55 und Ausführungen darüber, warum der menschliche Leib Christi nicht an mehr als einem Ort sein könne: Das wird neben der räumlichen Begrenztheit menschlicher Körper56 auch – in Auseinandersetzung mit Luthers Vorwurf, die Schweizer Lehre beruhe auf bloßen Vernunftargumenten – mit dem Auferstehungsglauben begründet, der Gleichförmigkeit zwischen dem Leib der Christen und dem menschlichen Leib Christi voraussetze.57 Andererseits setzt Oekolampad theologisch eigenständige Akzente: So kann ihm zufolge der Heilige Geist den Vorgang des Abendmahls gebrauchen, um die Gläubigen des am Kreuz erfüllten novum testamentum gewisser zu machen – er betont aber, dass der Glaube an die am Kreuz erwirkte Rechtfertigung diesem Geschehen vorausgehen müsse58 (also nicht, wie Luther annahm, durch das äußerliche Wort und Sakrament erst geweckt werde). Damit bewegt Oekolampad sich auf dem Spektrum reformatorischer Positionen zwischen Bucer, der die Sakramente zunehmend als Instrumente eines heilsrelevanten geistlichen Geschehens verstand, und Zwingli, der eine solche Bedeutung des Sakramentsvollzugs jedenfalls zu dieser Zeit59 strikt verneinte. Daher kann seine Haltung auch in der Forschung näher an Zwingli oder näher an Bucer gerückt werden, je nachdem, ob die Ablehnung einer eigenständigen Heilsvermittlung 53 Vgl. etwa OEKOLAMPAD, JOHANNES, Das der miszuer=||stand D. Martin Luthers / vff die ewig=||bstendige wort / Das ist mein leib /|| nit beston mag. || Die ander billiche ant/|| wort […], Basel: Andreas Cratander 1527, VD16 O 303, a4v–b1r. 54 Vgl. aaO., c1r–c4r. 55 Vgl. aaO., f2v–f4r. 56 Vgl. aaO., d3v–e3v. 57 Vgl. aaO., e1v. 58 Vgl. OEKOLAMPAD, Apologetica, F4v. 59 Zur späteren Weiterentwicklung von Zwinglis Position vgl. u. Kap. II.3.1c.

2.2 Weiterentwicklung der Abendmahlstheologien

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durch den Sakramentsvollzug oder die Indienstnahme dieses Vollzugs für ein vergewisserndes Wirken Gottes hervorgehoben wird.60 Diese Gedanken Oekolampads sollten im Zweiten Abendmahlsstreit insbesondere für Johannes a Lasco wichtig werden, der darauf eine zwischen den klassischen Zürcher und Straßburger Positionen stehende Abendmahlstheologie aufbaute. Oekolampad selbst brachte – von den genannten Aspekten her konsequent – zwar mehr Verständnis für die theologischen Anliegen der Gegenseite auf als Zwingli, lehnte die Folgerung einer leiblichen Präsenz Christi im Abendmahl aber ebenso klar wie dieser als unhaltbar ab: So kann er die Worttheologie der Syngrammatisten insofern würdigen, als es sich beim Sakrament in der Tat nicht nur um Brot handle, sondern dieses mit Wort und Danksagung verbunden sei.61 Er betont aber, die Gegenseite begnüge sich mit dieser richtigen Aussage nicht, sondern füge hinzu, dass das Brot wesentlich der Leib sein müsse62 – und letzteres gilt ihm als papistische Ansicht.63 Wenn Oekolampad also hervorhebt, dass der Abendmahlsstreit unnötig sei und man „vmb dieser sach willen / christenliche einikeit / Frid vnnd Lieb nit zerreissen“64 solle, ist darin nicht unbedingt das Vorspiel einer innerevangelischen Konkordie zu sehen, die auf Ansätzen zu einer „Objektivierung des Sakraments“ beruhen würde:65 Er lehnt Luthers Position nicht weniger klar ab als Zwingli. Jedoch betont er seine Wertschätzung für den Wittenberger Reformator abgesehen von der Abendmahlsfrage66 sowie die evangelische Einigkeit im Vertrauen auf Gottes Wort und gegen das Messopfer.67 Insofern konnte Bucer diese Aussagen als Unterstützung seiner Einigungsbemühungen wahrnehmen – während Luther zu dieser Position keinen geringeren Gegensatz sah als zu derjenigen Zwinglis. Die an Oekolampad anknüpfende Lehre a Lascos sollte im Zweiten Abendmahlsstreit ähnlich ambivalent beurteilt werden. Schon im Ersten Abendmahlsstreit zeigt sich an der Haltung Oekolampads, dass diese Streitpartei nicht einfach in eine Schweizer und eine Straßburger Gruppe zerfiel, sondern ein Spektrum theologischer Positionen in sich vereinte.

60 Vgl. für erstere Ansicht WENDEBOURG, Essen zum Gedächtnis, 133–137; für letztere BURNETT, Debating the Sacraments, 147; 238. Grundsätzlich wird die theologisch eigenständige Haltung Oekolampads aber bei beiden wahrgenommen und gewürdigt. 61 Vgl. OEKOLAMPAD, JOHANNES, Billiche ant||wurt Joan. Ecolam=||padij / auff D. Martin Lu=||thers bericht / des Sacraments || halb / sampt einem kurtzen begriff || auff etlicher Prediger in Schwa||ben schrifft / […], Basel: Thomas Wolf 1526, VD16 O 296, R3v–R4r. 62 Vgl. aaO., R4r–R4v. 63 Vgl. aaO., B4v. 64 OEKOLAMPAD, Dass der Missverstand, a3r. 65 So die Deutung bei KÖHLER, Zwingli und Luther I, Zitat 541. 66 Vgl. OEKOLAMPAD, Billiche Antwurt, A2r–A2v. 67 Vgl. Vgl. OEKOLAMPAD, Dass der Missverstand, s5r; s1r.

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II.2 Der Erste Abendmahlsstreit (1526–29)

d) Melanchthon In der Forschung ist umstritten, ob Melanchthon zwischen 1526 und 152968 eine von Luther abweichende und für die Lehre von dessen Streitgegnern offenere Position zum Abendmahlsstreit entwickelte (in diesem Sinne Wilhelm H. Neuser)69 oder ob seine Haltung im Wesentlichen mit derjenigen Luthers übereinstimmte (so Ralph Walter Quere und Dorothea Wendebourg).70 Diese Debatte hat eine Ambivalenz zutage gefördert, die auch für den Zweiten Abendmahlsstreit wichtig ist: Einerseits wandte Melanchthon sich im Ersten Abendmahlsstreit an Luthers Seite gegen dessen Streitgegner – daher sollte Westphals Partei Schriften aus dieser Zeit zitieren, um zu belegen, dass Melanchthon sich gegen die von ihnen bekämpfte Lehre wende. Andererseits setzte er theologische Akzente, die mit denen Luthers nicht identisch waren und ihn im Folgenden für eine Verständigung mit Bucer offen sein ließen – auf diese Verständigung sollten sich Westphals Gegner beziehen und geltend machen, Melanchthons Position aus dem Ersten Abendmahlsstreit sei dadurch überholt. Welche Position Melanchthon im Ersten Abendmahlsstreit vertrat und inwiefern er sich damit gegen die Schweizer Lehre wandte, wird in seinen 1530 veröffentlichten, aber schon 1529 entstandenen71 Sententiae veterum deutlich, die im Zweiten Abendmahlsstreit eine wichtige Rolle spielen sollten: Melanchthon stellt Oekolampads Genuina expositio eine Sammlung von Väterzitaten entgegen und begründet die Legitimität dieses Vorgehens aus dem consensus ecclesiae72 – auf diese Argumentation wie auf die einzelnen Väterzitate sollte Westphals Partei später zurückgreifen. Als Zielsetzung seiner Sammlung gibt Melanchthon den Nachweis an, dass die Väter wie die nos gemeint hätten „corpus et sanguinem domini vere adesse in coena dominica.“73 Dies wendet er gegen eine Bestimmung des Abendmahls als bloßes Zeichen des abwesenden Leibes, wie er sie bei der Gegenpartei sieht.74 Dabei kann Melanchthon die von

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Die Entwicklung bei Melanchthon vor 1526 spielt im Zweiten Abendmahlsstreit kaum eine Rolle und wird hier nicht näher behandelt. Die diesbezüglichen Forschungsdebatten sind – wie die im Folgenden referierte Diskussion – zentral von der Frage bestimmt, wie das Verhältnis zu Luthers Lehre zu bewerten sei. Vgl. dazu und zur Problematik einer solchen Fragestellung JAMMERTHAL, TOBIAS, Philipp Melanchthons Abendmahlstheologie im Spiegel seiner Bibelauslegung 1520–1548, Tübingen 2018 (SMHR 106), 6–12; 63–97. 69 Vgl. NEUSER, Abendmahlslehre Melanchthons, 235–413. 70 Vgl. QUERE, RALPH WALTER, Melanchthonʼs Christum cognoscere. Christʼs Efficacious Presence in the Eucharistic Theology of Melanchthon, Nieuwkoop 1977 (BHRef 22), 134–280; WENDEBOURG, Essen zum Gedächtnis, 204–238. 71 Vgl. zum Entstehungszeitpunkt NEUSER, Abendmahlslehre Melanchthons, 302–304. 72 Vgl. die Widmungsvorrede an Friedrich Myconius, MBW.T 4, 46–50 (MBW 863). 73 MBW.T 4, 46 (MBW 863). 74 Markant CR 23, 749: „Non enim invenio firmam rationem, cur nomine corporis in verbis coenae oporteat tantum absentis corporis signum intelligi.“ Vgl. auch CR 23, 739.

2.2 Weiterentwicklung der Abendmahlstheologien

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der eigenen Seite vertretene Präsenz Christi im Abendmahl dezidiert als körperliche fassen: So formuliert er eine Alternative von corporalis praesentia und (den Gegnern zugeordneter) sola efficacia75 und zitiert Passagen Cyrills, in denen von einer corporaliter erfolgenden Anteilhabe am Fleisch Christi76 oder von einer participatio naturalis77 an diesem Fleisch die Rede ist – später wichtige Referenzpunkte für Westphals Partei. Ebenfalls im Einklang mit Luther betont Melanchthon, dass sich Joh 6 nicht auf das Abendmahl beziehe und die bei Augustin aus dieser Stelle abgeleitete manducatio spiritualis nicht gegen die manducatio ceremonialis spreche.78 Er wendet sich gegen eine metaphorische Deutung der Einsetzungsworte79 und grenzt sich unter Berufung auf Luther gegen Karlstadt ab, mit dessen Lehre er die der Streitgegner identifiziert.80 Angesichts solcher Aussagen ist davon auszugehen, dass seine Wendung gegen diese Autoren theologischer Überzeugung entspringt.81 Zugleich ist diese Abgrenzung bei Melanchthon mit Akzenten verbunden, die für seine Abendmahlstheologie spezifisch sind und die erklären, warum er sich im Folgenden mit Bucer verständigen konnte:82 Ihm geht es darum, dass Christus im Abendmahl seine beneficia vermittelt und Glauben daran weckt – das setzt in seinen Augen (zu diesem Zeitpunkt) eine leibliche Präsenz Christi voraus.83 Daher wendet er sich gegen eine Auffassung, der zufolge aus seiner Sicht Christus abwesend ist: Für eine wahre Anwesenheit muss Christus auch nach seiner Menschheit präsent sein.84 Diese Präsenz beschreibt Melanchthon

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Vgl. MBW.T 4, 47 (MBW 863). Vgl. CR 23, 733. 77 Vgl. CR 23, 734. 78 Vgl. CR 23, 746–748. 79 Vgl. MBW.T 4, 47 (MBW 863). 80 Vgl. MBW.T 4, 48 f. (MBW 863). 81 Das ist mit QUERE, Melanchthonʼs Christum cognoscere, 266–280, gegen NEUSER, Abendmahlslehre Melanchthons, 300–308, festzuhalten, der 1527 einen Bruch Melanchthons mit Luthers Position sieht (vgl. aaO., 265–291) und Melanchthons Wendung gegen die Schweizer allein aus der „Kirchen- und Reichspolitik“ erklärt (aaO., 300). 82 Wie JAMMERTHAL, Melanchthons Abendmahlstheologie, 97, herausarbeitet, sind sowohl die Akzentuierung der „Glaubensweckung und –stärkung“ als Ziel des Abendmahls als auch die Konzentration der theologischen Überlegungen auf den Abendmahlsvollzug (im Unterschied zum Geschehen an den Elementen) bereits in Texten Melanchthons von 1520/21 festzustellen. Melanchthons Position in den späteren Abendmahlsdebatten ist nicht teleologisch daraus abzuleiten – wohl aber von den gleichen Kernüberzeugungen getragen. 83 Dies betont QUERE, Melanchthonʼs Christum cognoscere, 266–280, und verweist dazu unter anderem auf zwei Stellen aus den Sententiae: CR 23, 746 („Neque enim sunt instituta sacramenta tantum ut sint professionis nostrae signa coram hominibus […], sed sunt tradita, ut per ea coram Deo erigantur corda nostra, et fidem concipiant“) und CR 23, 751 („Nec video causam, cur non ibi vere adesse possit, ubi vere aliquid efficit.“) 84 Das arbeitet WENDEBOURG, Essen zum Gedächtnis, 240 f., anhand Melanchthons Brief an Oekolampad, vor 25.4.1529, MBW.T 3, 493 f. (MBW 775) heraus, wo Melanchthon seine 76

74

II.2 Der Erste Abendmahlsstreit (1526–29)

aber eher als Gegenwart der Person Christi im Abendmahlsvollzug denn als Gegenwart von Leib und Blut in den Elementen und daher als Präsenz cum (statt in oder sub) pane85 – hier liegt der Unterschied zu Luther, der beide aber nicht daran hinderte, die jeweils andere Lehrvariante als legitim anzuerkennen.86 Melanchthon fiel von seiner Position aus eine Verständigung mit Bucer leichter, während er die Ablehnung einer rein symbolischen Lehre beibehielt. e) Bucer Martin Bucer nahm in den Jahren 1526–29 eine wichtige Weiterentwicklung seiner Position vor. Die Bewertung dieser Entwicklung ist jedoch in der Forschung umstritten: Während Bucer für Thomas Kaufmann mit dem 1528 verfassten Dialogus erst zum Vermittler zwischen verschiedenen reformatorischen Positionen wird,87 betonen Ian Hazlett und Reinhold Friedrich in je eigener Akzentuierung, dass es sich um eine Weiterentwicklung vorhandener Konkordiengedanken handle.88 Für die weitere Entwicklung wie für die Rezeption im Zweiten Abendmahlsstreit sind sowohl die Kontinuitäten als auch die Veränderungen gegenüber Bucers bisheriger Position wichtig. In den Texten der Jahre 1526–27 zeigt sich eine Position, in der im Zweiten Abendmahlsstreit Parteigänger Westphals, aber auch der Zürcher Theodor Bibliander einen Beleg für Bucers theologische Übereinstimmung mit der Zürcher Reformation sehen sollten: Das Abendmahl wird als Gedächtnis ans Kreuzesopfer bestimmt; eine leibliche Präsenz Christi wird abgelehnt.89 Daher vertreten aus Bucers Sicht Zwingli und Oekolampad die rechte Lehre und er kann sie auffordern, Luthers These einer leiblichen Präsenz in den Elementen zu widerlegen.90 Für ihn ist klar, dass Luthers Lehre in diesem Punkt die irrige ist, wenngleich er betont, dass diese Frage angesichts der Übereinstimmung über die geistliche Präsenz auch suspendiert werden könnte – darin liegt zu diesem Zeitpunkt die innere Spannung seines Einigungskonzepts.91 Haltung nach Berufung auf die Einsetzungsworte auf die Formel bringt: „nihil opus est divellere ab humanitate divinitatem.“ 85 Darüber sind sich Neuser und Quere prinzipiell einig, wenngleich ersterer den Unterschied als inhaltlich zentral bewertet (vgl. NEUSER, Abendmahlslehre Melanchthons, 339– 398), letzterer als lediglich graduell (vgl. QUERE, Melanchthonʼs Christum cognoscere, 195– 294). Für den – äußerst komplizierten – Nachweis vgl. bei ihnen. 86 In Anbetracht dieses von NEUSER, Abendmahlslehre Melanchthons, 265–291, selbst anerkannten Umstandes erscheint es problematisch, dass er die abweichende Akzentuierung Melanchthons gegen Luthers Position gerichtet sieht. 87 Vgl. KAUFMANN, Abendmahlstheologie, 420–437. 88 Vgl. HAZLETT, Development, 242–257; FRIEDRICH, Martin Bucer, 49–57. 89 Vgl. etwa BUCER, MARTIN, ENAR=||RATIONVM IN EVAN=||gelia Matthaei, Marci, & Lucae, || libri duo […], Straßburg: Johann Herwagen 1527, VD16 B 8871, 330v–331r. 90 Vgl. Bucer an Oekolampad und Zwingli, 8.7.1526, Z 8 = CR 95, 646–650 (Nr. 502). 91 Vgl. HAZLETT, Development, 222 f.

2.2 Weiterentwicklung der Abendmahlstheologien

75

Einen veränderten Umgang mit dem Problem leiblicher Präsenz entwickelte Bucer 1528 im Dialogus in Reaktion auf Luthers Vom Abendmahl Christi Bekenntnis: Er identifiziert Luthers unio sacramentalis mit der Verbindung von leiblichem und geistlichem Essen. Brot und Leib seien, wie auch Luther sage, nicht natürlich oder persönlich, sondern allein sakramentlich vereint – was Bucer so deutet, dass durch den Sakramentsgenuss die Herzen zum Glauben an die Erlösung erweckt werden.92 Die Gläubigen nießen beim Mahl leiblich Brot und Wein, aber durch den Glauben wahrhaft geistlich Christi Leib und Blut.93 Damit hat Bucer ein Modell entwickelt, in dem er von einer wahren Gegenwart des Leibes Christi beim Abendmahl sprechen und so ein zentrales Wittenberger Anliegen aufgreifen kann, ohne darum das Anliegen der eigenen Seite aufzugeben, dass Christi Leib nicht räumlich in den Elementen sein könne – daher postuliert er, beide Parteien seien sich einig und könnten den Streit beenden.94 Dass diese Sichtweise für die Wittenberger Theologen gleichwohl inakzeptabel war, hängt damit zusammen, dass Bucer die geistliche Ebene nach wie vor mit der von ihm und den Schweizern vertretenen (seines Erachtens bei allen Evangelischen vorhandenen) Position identifiziert und Luther faktisch unterstellt, von der (aus Bucers Sicht zusätzlich vertretenen und falschen) Lehre leiblicher Präsenz des Leibes Christi abgerückt zu sein:95 Er hält weiterhin fest, dass der Leib Christi leiblich nur im Himmel sei.96 Deshalb meinte Luther, Bucer habe seine eigenen Worte gegen ihn verwendet.97 Zur Grundlage einer Einigung mit Wittenberg sollten Bucers Gedanken erst nach 1530 in wiederum weiterentwickelter Form werden.

92

Vgl. BDS 2, 314,3–11. BDS 2, 309,16–22: „wo die glaubigen durch die zeychen und wort des tods Christi im Abentmal erinnert, glauben und dancken dem Herrn, das er sein leib und blt fr sie geben hat, das sie alsdenn durch den glauben und im geyst den leib Christi und sein blt warlich haben und niessen; das wie das brot und der wein leiblich also der leib und das blt Christi geistlich genossen werden.“ 94 Vgl. BDS 2, 307,19–20. 95 Vgl. BDS 2, 319,11–23. Treffend formuliert HAZLETT, Development, 256: „Bucer was of the opinion that the possibilities of concord suggested by the concept of sacramental union were dependent on Lutherʼs abandonment of the word ‚corporaliter‘.“ Insofern betont FRIEDRICH, Martin Bucer, 54, zu stark, dass Bucer „zwischen den Fronten“ stehe und keiner Seite zuzuordnen sei. Bei KAUFMANN, Abendmahlstheologie, 426 f., ist die Identifikation mit Zwingli und Oekolampad klarer gesehen. Während er analoge Aussagen in früheren Schriften Bucers allerdings als Indiz für Parteilichkeit und Bucers Einigungsversuche als „Bagatellisierung“ des Abendmahlsstreits deutet, meint er aufgrund der hier vorgenommenen theologischen Veränderung, Bucer unternehme nun „erstmals den gezielten Versuch, den Gegensatz zu überwinden“ (aaO., 428). 96 Vgl. BDS 2, 322,7–9; 328,13–17. 97 Vgl. Luther an Nikolaus Gerbel, 28.7.1528, WA.B 4, 508,1–4 (Nr. 1300). 93

76

II.2 Der Erste Abendmahlsstreit (1526–29)

2.3 Das Marburger Religionsgespräch (1529) 2.3 Das Marburger Religionsgespräch (1529)

Das Marburger Religionsgespräch von 1529, für dessen Ablauf im Detail die Analysen Walther Köhlers immer noch nicht überholt sind,98 ist für die weitere Entwicklung in mehrfacher Hinsicht bedeutsam: als Endpunkt des Ersten Abendmahlsstreits, aber auch in der Ambivalenz seines Ergebnisses und dessen unterschiedlicher Deutung durch die Beteiligten: Hier liegt nicht nur der Grund dafür, dass mit dem Marburger Gespräch das Verhältnis der verschiedenen reformatorischen Positionen keineswegs endgültig geklärt war und sich weitere Debatten anschlossen, sondern auch dafür, dass im Folgenden unterschiedliche Interpretationen wirksam blieben und sich bis in die Argumentation der Akteure des Zweiten Abendmahlsstreits fortsetzten. Dass ein Gespräch zwischen den Streitparteien zustande kam, geht auf das Engagement Philipps von Hessen zurück, der aus theologischer Überzeugung wie aus politischen Gründen an evangelischer Einigung interessiert war.99 Erfolgreich waren seine Pläne allerdings erst, als sich die politische Lage so veränderte, dass beide Seiten Interesse an evangelischen Bündnispartnern haben mussten: 1529 wurde auf dem zweiten Speyrer Reichstag das 1526 verabschiedete Religionsedikt aufgehoben. Damit trat das Wormser Edikt erneut in Geltung, was die Lage der Evangelischen im Reich prekär werden ließ.100 Gleichzeitig gerieten die Evangelischen in der Eidgenossenschaft unter Druck, da die Badener Disputation zugunsten der Altgläubigen ausgegangen war. Zürich, Bern, Konstanz, Basel und weitere evangelische Orte schlossen sich zum Christlichen Burgrecht zusammen; Hessen und Straßburg waren an einem Anschluss interessiert.101 Vor diesem Hintergrund gelang es Philipp von Hessen, Luther, Melanchthon, Brenz, Osiander, Agricola und Jonas auf der einen,

98 KÖHLER, WALTHER, Das Marburger Religionsgespräch 1529. Versuch einer Rekonstruktion, Leipzig 1929 (SVRG 148); DERS., Zwingli und Luther II, 84–119; eine aktuelle kürzere Darstellung bei BURNETT, Debating the Sacraments, 289–297. Überblicke zur Forschungsliteratur in: Das Marburger Religionsgespräch 1529, ed. v. Gerhard May, Gütersloh 1970 (TKTG 13), 9–11; LOHSE, BERNHARD, Dogma und Bekenntnis in der Reformation: Von Luther bis zum Konkordienbuch, HDThG 2, Tübingen 21998, 1–164, hier 60 f., für die unterschiedlichen Thesen zur Deutung des Gesprächs siehe im Folgenden. 99 Vgl. dazu im Einzelnen SCHNEIDER-LUDORFF, GURY, Der fürstliche Reformator. Theologische Aspekte im Wirken Philipps von Hessen von der Homberger Synode bis zum Interim, Leipzig 2006 (AKThG 26), 167–171. 100 Vgl. KOHNLE, ARMIN, Reichstag und Reformation. Kaiserliche und ständische Religionspolitik von den Anfängen der Causa Lutheri bis zum Nürnberger Religionsfrieden, Gütersloh 2001 (QFRG 72), 376–379. 101 Vgl. dazu im Einzelnen BENDER, WILHELM, Zwinglis Reformationsbündnisse. Untersuchungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Burgrechtsverträge eidgenössischer und oberdeutscher Städte zur Ausbreitung und Sicherung der Reformation Huldrych Zwinglis, Zürich / Stuttgart 1970, 164–172.

2.3 Das Marburger Religionsgespräch (1529)

77

Zwingli, Oekolampad, Bucer und Hedio auf der anderen Seite zu einem Gespräch in Marburg zu versammeln.102 Das Marburger Gespräch begann mit Vorgesprächen zwischen Luther und Oekolampad bzw. Melanchthon und Zwingli am 1.10.1529; die Hauptgespräche wurden am 2. und 3.10. geführt. Da dabei zwar diverse Einigungsformeln vorgeschlagen wurden, aber keine allgemeine Zustimmung fand, setzte Luther auf Anregung Philipps von Hessen am 4.10. die Marburger Artikel auf, die nach einigen Änderungen von allen Beteiligten unterzeichnet wurden. Zentral für die folgende Entwicklung ist der ambivalente Inhalt der Marburger Artikel: Der Text konstatiert in vierzehn Artikeln Einigkeit,103 darunter neben unstrittigen Lehren wie der Trinität etwa auch die Erbsündenlehre, bei der Luther vorher Zwingli der Ketzerei verdächtigt hatte. Selbst in der Christologie wurde mit wahrer Gottheit und Menschheit, Personeinheit und Aussagen des Credo das Gemeinsame festgehalten104 – beide Seiten konnten dies aber nach wie vor höchst unterschiedlich deuten. Letzteres gilt auch für den Abendmahlsartikel, in dem Übereinstimmung und Differenz deutlich benannt werden: „gleuben und halten wir alle von dem nachtmale unsers lieben Hern Hiesu Christi, das man bede gestalt nach der insetzung Christi prauchen solle, das auch das sacrament des altars sey ein sacrament des waren leibs und pluts Hiesu Christi und di gaistliche niessung desselbigen leibs und pluts einem yeden christen furnemblich von notten, desgleichen, der brauch des sacraments, wie das wort von Got, dem almechtigen, gegeben und geordnet sey, damit di schwachen gewissen zu gleuben zubewegen durch den Heilligen Gaist. Und wiewol aber wir uns, ob der war leib und plut Christi leiblich im brot und wein sey, dißer zeit nitg vergleicht haben, so sal doch ein teill jegen dem andern christliche liebe, so ser yedes gewissen ymmer leyden kann, erzeigen und bedeteil Got, den almechtigen, vleissig bidten, das er uns durch seinen Gaist den rechten verstandt bestettigen wolle. Amen.“ 105

Der Ambivalenz des Textes entsprechen die unterschiedlichen Deutungen der Gesprächsteilnehmer, die in der Folgezeit weiter tradiert wurden und sich bis in den Zweiten Abendmahlsstreit hinein fortsetzen sollten. Ähnlich verschieden sind bis heute die Urteile der Forschung. Als Einigung deutete die Artikel Philipp von Hessen, der sie zur Lehrgrundlage für sein Territorium erklärte. Darauf beruft sich in der Forschung Köhler, für den der Text „im besten Wortsinne eine Konkordie darstellt“:106 Die Differenz werde gegenüber der Einigkeit in allen anderen Artikeln in den Hintergrund gerückt; die Hervorhebung der geistlichen Nießung entspreche Zwinglis, die Betonung des Gewissenstrosts Luthers Anliegen.107

102

Zu den vorausgegangenen Verhandlungen vgl. KÖHLER, Zwingli und Luther II, 1–66. Vgl. BSELK QuM 1, 44,1–46,5. 104 Vgl. BSELK QuM 1, 44,10–18. 105 BSELK QuM 1, 46,7–18. 106 Vgl. KÖHLER, Zwingli und Luther II, 118–127, Zitat 127. 107 Vgl. aaO., 119–163, zum Abendmahl 125–127. 103

78

II.2 Der Erste Abendmahlsstreit (1526–29)

Eine vorsichtigere Deutung des Gesprächs als erstem Schritt zu einer Konkordie, wie sie im Zweiten Abendmahlsstreit Calvin vertreten sollte, nahmen zeitgenössisch Oekolampad und Bucer vor: Oekolampad sieht in Marburg Ansätze zu einer Einigung, die jedoch hintertrieben werde;108 Bucer gibt den Wittenbergern die Schuld, dass keine vollständige Einigung zustande gekommen sei, meint aber, die Artikel hätten die Unhaltbarkeit ihrer Irrlehrevorwürfe klargestellt.109 In der Forschung vertritt Friedrich eine ähnliche Interpretation.110 Luther hingegen bewertete den Text dezidiert nicht als Einigung, sondern als Ausweis der Differenzen – diese Perspektive sollte Westphals Partei später übernehmen: Luther meint, seine Seite habe an ihrer Position festgehalten und die Gegner besiegt. Letztere hätten so tun wollen, als seien sie mit den Wittenbergern in einer wahren, geistlichen Präsenz einig, um die Wittenberger für ihren Irrtum beanspruchen zu können. Dagegen sei festgehalten worden, dass man sie nicht als Brüder, sondern als Häretiker ansehe; nur ein Ende der Polemik habe man zugestanden.111 Hier knüpft das traditionelle lutherische Forschungsurteil an: Aufgrund der Differenz in Bezug auf die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl sei das Marburger Religionsgespräch gescheitert.112 Zwingli wiederum sah Luther durch das Gespräch widerlegt – an diese Sichtweise sollte im Zweiten Abendmahlsstreit a Lasco anknüpfen. So meinte Zwingli, mit der in den Marburger Artikeln festgehaltenen geistlichen Nießung sei das caput religionis gewahrt. Den Gebrauch des Sakraments zum Trost der Gewissen deutet er als Gedächtnis des Todes Christi.113 Jedoch sieht er Luther nicht als exkommuniziert, sondern verortet ihn gegenüber Rom auf der eigenen Seite: Aufgrund der Einigkeit in allen anderen Lehren könne die Papstkirche Luther nicht mehr für sich in Anspruch nehmen.114 Unter Verweis auf Luthers

108 Vgl. Oekolampad an Berchtold Haller, 16.1.1530, in: Briefe und Akten zum Leben Oekolampads, ed. v. Ernst Stähelin, 2 Bde., Leipzig 1927–34, hier Bd. II, 409–412 (Nr. 719). 109 Vgl. Bucer an Ambrosius Blarer, 18.10.1529, BCor 3, 332–334 (Nr. 257). 110 Vgl. FRIEDRICH, Martin Bucer, 63. 111 Vgl. Luther an Jakob Probst, 1.6.1530, WA.B 5, 340 (Nr. 1577) und dazu KÖHLER, Zwingli und Luther II, 139–149. 112 Eigentümlicherweise wird diese Auffassung in Arbeiten, die sich spezifisch mit dem Marburger Gespräch befassen, nur selten vertreten (vgl. als Beispiele HOFFMANN, GOTTFRIED, Marburg 1529 – eine verpasste Gelegenheit? Zur Interpretation der letzten Sitzung des Marburger Gesprächs durch Walther Köhler, Oberursel 1974 (Oberurseler Hefte 1); BETO, GEORGE JOHN, The Marburg Colloquy of 1529: A Textual Study, in: CTM 16 (1945), 73–94), während sie seit langem und bis heute die lutherischen Überblicksdarstellungen prägt (vgl. etwa HEUSSI, KARL, Kompendium der Kirchengeschichte, Tübingen 121960, 298; WALLMANN, JOHANNES, Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation, Tübingen 7 2012 (UTB 1355), 68; HAUSCHILD, Lehrbuch, 214). 113 Vgl. Z 6/2 = CR 93/2, 549–551. 114 Vgl. Zwingli an Vadian, 20.10.1529, Z 10 = CR 97, 316–318 (Nr. 925).

2.3 Das Marburger Religionsgespräch (1529)

79

und Zwinglis entgegengesetzte Deutungen betont Susi Hausammann gegen Köhler, die Marburger Artikel stellten keine Konkordie dar.115 Angesichts des beschriebenen Befundes ist der Forschungsstreit nicht nur unentscheidbar; es wird auch deutlich, warum mit dem Marburger Gespräch der Diskurs über Abendmahl und innerevangelische Einigung keineswegs beendet war: Weiterhin wurden weit mehr als zwei verschiedene Perspektiven auf diese Frage vertreten, die Potential für Annäherung wie für neue Konflikte boten – und die alle die Marburger Artikel für sich beanspruchen konnten. Daher prallten im Zweiten Abendmahlsstreit die hier nebeneinander stehenden Perspektiven auf das Marburger Gespräch erneut aufeinander. Die Streitschriftenpolemik wiederum fand zwar ein vorläufiges Ende; auch das konnte aber verschieden interpretiert werden, vom bloß äußeren Verzicht auf Polemik über eine antirömische Allianz bis zur theologischen Einigung.

115

Vgl. HAUSAMMANN, SUSI, Die Marburger Artikel – eine echte Konkordie? in: ZKG 77 (1966), 288–321.

Kapitel II.3

Evangelische Einigung – aber wie? Die Entwicklung der 1530er Jahre 3.1 Bekenntnisse auf dem Augsburger Reichstag (1530) 3.1 Bekenntnisse auf dem Augsburger Reichstag (1530)

Dem Augsburger Reichstag kommt in den Abendmahlsdebatten eine Scharnierfunktion zu: Die hier vertretenen Positionen waren vom Ersten Abendmahlsstreit geprägt und bildeten zugleich die Basis der folgenden Entwicklung. Dass aus Anlass des Reichstags Bekenntnisse entstanden, hängt damit zusammen, dass der Kaiser aufgrund der osmanischen Bedrohung auf Unterstützung der evangelischen Stände angewiesen war und sich daher darauf einließ, die Religionsfrage zu verhandeln.1 Das Ausschreiben wurde evangelischerseits so interpretiert, dass ein Gespräch über Lehrfragen vorgesehen sei.2 Daher wurde schon vor Beginn des Reichstags über evangelische Bündnisse und deren theologische Grundlagen beraten;3 die entsprechenden Texte kamen aber endgültig erst während des Reichstags zustande. Insbesondere die Confessio Augustana, deren Apologie und Zwinglis Fidei Ratio sollten auch im Zweiten Abendmahlsstreit zentrale Referenzpunkte darstellen; die Confessio Tetrapolitana war in erster Linie zeitgenössisch wichtig. a) Die Confessio Augustana und ihre Apologie Die Bedeutung der Confessio Augustana (CA) für die folgende Entwicklung kann kaum überschätzt werden: Sie wurde nicht nur zur Grundlage des Schmalkaldischen Bundes, sondern auch darüber hinaus zum Kriterium evangelischer Rechtgläubigkeit und reichsrechtlicher Konformität – insofern sollte ihre Deutung auch Thema des Zweiten Abendmahlsstreits werden. Zwar beriefen sich die meisten Akteure beider (!) Parteien auf die 1540 erstellte Variata; die Differenzpunkte setzten aber schon bei der Situation von 1530 an: Umstritten war besonders der Stellenwert von Melanchthons Apologie, die von Westphals Partei als normative Deutung der CA angesehen, von ihren Gegnern abgelehnt

1

Vgl. im Einzelnen KOHNLE, Reichstag und Reformation, 381 f. Vgl. LEPPIN, VOLKER, Einleitung [zur Edition der Confessio Augustana], in: BSELK, 65–83, hier 65. 3 Vgl. dazu im Einzelnen KÖHLER, Zwingli und Luther II, 164–177. 2

82

II.3 Die Entwicklung der 1530er Jahre

wurde. Auch dass die CA überhaupt so verschieden interpretiert werden konnte, geht auf den Text von 1530 und dessen Entstehungskontext zurück. Die endgültige Form der Confessio Augustana entstand zwischen dem Eintreffen erster evangelischer Delegierter in Augsburg Anfang Mai und der Übergabe an den Kaiser am 25. Juni in einem komplizierten, von Wilhelm Maurer detailliert untersuchten4 Prozess, in dem es unter Federführung Melanchthons gelang, die Zustimmung der Stände Kursachsen, Hessen, Brandenburg, Anhalt, Braunschweig-Lüneburg, Mansfeld, Nürnberg und Reutlingen zu erreichen. Wie die Neuedition in den BSELK zeigt, war für die Rezeption dieses Textes die 1531 in Wittenberg publizierte offizielle Druckfassung zentral.5 Der Abendmahlsartikel belegt, dass im Nebeneinander der deutschen und lateinischen Fassung „Nuancen in der Bedeutung dazu genutzt werden konnten, die Akzeptanz unter den Beteiligten zu verbreitern“6 – entsprechend viel Spielraum für unterschiedliche Interpretationen blieb zeitgenössisch wie im Zweiten Abendmahlsstreit. So hält der deutsche Text fest, „das warer leib und blut Christi warhafftiglich unter gestalt des brods und weins im Abentmal gegenwertig sey und da ausgeteilt und genomen wirt. Derhalben wirt auch die gegenlahr verworffen.“7. Dies entspricht der Absicht, durch unanstößige Formulierungen eine Verständigung mit der altgläubigen Seite zu erleichtern8 – unter Gestalt lässt sich auch im Sinne der Transsubstantiation lesen.9 Das sollte Bullinger im Zweiten Abendmahlsstreit nutzen, um die Lehre der CA-Verwandten für quasi-papistisch zu erklären. Jedoch lässt sich der Text auch im Sinne einer an die Elemente gebundenen leiblichen Gegenwart und einer Verwerfung der Lehre von Luthers abendmahlstheologischen Gegnern verstehen. Dies kam zeitgenössisch Kursachsen entgegen, das eine Einbeziehung der Eidgenossen ablehnte – aus theologischer Überzeugung, aber auch, weil man die Verständigung mit dem Kaiser nicht durch Verbindung mit den im Reich randständigen, als antihabsburgisch geltenden Eidgenossen erschweren wollte.10 Eine analoge Deutung sollte im Zweiten Abendmahlsstreit Westphals Parteigänger Erhard Schnepf vertreten, der 1530 auf dem Reichstag anwesend war – 4

MAURER, WILHELM, Historischer Kommentar zur Confessio Augustana, 2 Bde., Gütersloh 1976–1978, hier Bd. I, 15–70; dort auch zur älteren Literatur. 5 Die auf dem Reichstag übergebene Fassung ist bekanntlich nicht überliefert. Auf mehrere Raubdrucke von 1530 reagierte Melanchthon mit der 1531 (in diversen Varianten) in Wittenberg publizierten editio princeps, die zur Grundlage der folgenden Druckausgaben wurde. Vgl. LEPPIN, Einleitung, 69–73. 6 AaO., 69. 7 BSELK, 104,8–11. 8 Zu dieser Intention der beteiligten Stände vgl. LEPPIN, Einleitung, 65. 9 Vgl. GRANE, LEIF, Die Confessio Augustana. Einführung in die Hauptgedanken der lutherischen Reformation, übs. v. Eduard Harbsmeier, Göttingen 1970 (GTL), 81. 10 Vgl. GRESCHAT, MARTIN, Martin Bucer. Ein Reformator und seine Zeit (1491–1551), Münster 22009, 114.

3.1 Bekenntnisse auf dem Augsburger Reichstag (1530)

83

freilich im Gefolge eines Fürsten mit ganz anderen Interessen: Philipp von Hessen. Dieser hatte sich für ein gesamtevangelisches Bekenntnis eingesetzt: gemäß seiner in Marburg zutage getretenen Überzeugung, aber auch, weil er an einem Bündnis mit dem Christlichen Burgrecht ebenso interessiert war wie an einer Verbindung mit den CA-Unterzeichnern.11 Ihm erleichterte es die Zustimmung zur CA, dass es im Lateinischen hieß, „quod corpus et sanguis Christi vere adsint et distribuantur vescentibus in coena Domini et improbant secus docentes“.12 Diese Formel lässt sich im Sinne einer melanchthonischen Präsenz cum pane verstehen, eventuell sogar straßburgisch als geistliche Präsenz. Da die Verwerfung nicht auf namentlich benannte Personen bezogen ist, lässt sie sich auch so lesen, dass die Schweizer nicht gemeint seien; zudem ist sie mit improbant milde formuliert. Hier konnte im Folgenden die Straßburger Deutung der CA anknüpfen. Beide Fassungen stehen also weder im Gegensatz zueinander13 noch ist es so, dass eine Version die andere eindeutig interpretiert:14 Vielmehr konnte sowohl die deutsche von der lateinischen als auch die lateinische von der deutschen Fassung her gelesen werden. Die Apologie der CA, deren Textgeschichte Christian Peters umfassend erforscht hat,15 wurde von Melanchthon ausgearbeitet, als am 3.8. mit der Confutatio eine Widerlegung der CA verlesen worden war, die sich (nach der Ausarbeitung durch eine altgläubige Theologenkommission) auch der Kaiser zueigen gemacht hatte. Zu einer Überreichung der Apologie kam es aber nie, und Melanchthon unterzog den Text bis zum Druck 1531 diversen Bearbeitungen. Mit der dabei von ihm vorgenommenen Interpretation von CA X hängt die Rolle der Apologie im Zweiten Abendmahlsstreit zusammen: Gemäß seiner bisher vertretenen Position versteht Melanchthon die Präsenz Christi als substantiale Gegenwart mit den Elementen,16 bestimmt diese als körperlich und beruft sich dafür in apologetischer Absicht auf die römische und griechische Kirche.17 Diese Aussagen sollte Westphals Seite als Beleg dafür heranziehen, 11

Vgl. SCHNEIDER-LUDORFF, Der fürstliche Reformator, 173–176. BSELK, 105,8 f. 13 So NEUSER, Abendmahlslehre Melanchthons, 449–473, der nur die lateinische Fassung als genuin melanchthonisch ansieht, sie als Stellungnahme gegen eine leibliche Präsenz deutet und die deutsche Letztfassung auf den Einfluss anderer Beteiligter zurückführt. 14 So MAURER, Historischer Kommentar I, 48: Die deutsche Fassung der CA sei die offizielle und daher maßgebliche. 15 PETERS, CHRISTIAN, Apologia confessionis Augustanae. Untersuchungen zur Textgeschichte einer lutherischen Bekenntnisschrift (1530–1584), Stuttgart 1997 (CThM.ST 15). 16 BSELK, 425,11–14: „Decimus articulus approbatus est, in quo confitemur nos sentire, quod in coena Domini vere et substantialiter adsint corpus et sanguis Christi et vere exhibeantur cum illis rebus, quae videntur, pane et vino, his qui sacramentum accipiunt.“ Da sich lateinische und deutsche Version in der Apologie weniger unterscheiden, wird hier die lateinische zitiert, auf die im Zweiten Abendmahlsstreit meist Bezug genommen wird. 17 BSELK, 425,15–22: „Et comperimus non tantum Romanam Ecclesiam affirmare corporalem praesentiam Christi, sed idem et nunc sentire et olim sensisse Graecam Ecclesiam, 12

84

II.3 Die Entwicklung der 1530er Jahre

dass die CA im Sinne einer körperlich-substantialen Gegenwart Christi zu verstehen sei – während Bullinger darin einen Beleg für den quasi-papistischen Charakter der in der CA vertretenen Abendmahlslehre sah. Calvin, dem an einer positiven Rezeption der CA gelegen war, betrachtete die Apologie dagegen als unmaßgebliche Privatschrift Melanchthons. b) Die Confessio Tetrapolitana (und ihre Apologie) Weniger für den Zweiten Abendmahlsstreit als für die unmittelbar auf den Augsburger Reichstag folgende Entwicklung wichtig ist die von Straßburg, Konstanz, Lindau und Memmingen vorgelegte Confessio Tetrapolitana (CT), die in der Literatur am eingehendsten in der Bucerforschung (Ian P. Hazlett, Reinhold Friedrich u.a.) untersucht worden ist.18 In diesem Text spiegelt sich das politische wie theologische Interesse der oberdeutschen Städte, sich einerseits nicht von den Schweizern zu trennen (Straßburg und Konstanz gehörten dem Christlichen Burgrecht an), andererseits im Reich eine Verständigung mit Wittenberg und Bündnisse mit den CA-Unterzeichnern zu suchen. Die Tetrapolitana kam zustande, als sich abzuzeichnen begann, dass ein Anschluss der Straßburger an die CA-Unterzeichner nicht möglich sein würde: Damit standen sie auf dem Reichstag isoliert da, da die Schweizer nicht geladen waren. Daher reisten Bucer und Capito nach Augsburg und entwarfen ein Bekenntnis, das die Einigkeit mit der CA hervorheben sollte.19 Ein erster Entwurf, der die CA im Sinne der von Bucer vertretenen unio sacramentalis deutete20, stieß auf Bedenken der Konstanzer, die befürchteten, die Altgläubigen würden CA und CT gegeneinander ausspielen.21. Daraufhin wurde formuliert, dass Christus im Abendmahl den Gläubigen „seinen waren leyb vnnd wares plut warlich zuessen vnnd trincken gipt, zur speyß irer seelen vnnd ewigem leben“.22 Keineswegs würden die Einsetzungsworte missachtet oder behauptet, dass nur Brot und Wein präsent seien.23 Der apologetische Charakter rückt also in den Vordergrund; das in Anlehnung an die CA formulierte wirkliche Essen des wahren Leibes erscheint als Brücke zu Altgläubigen und Wittenbergern.24 Die Nähe zur CA sollte für die Verständigung mit Wittenberg wichtig werden.

ut testatur Canon Missae apud Graecos. Et exstant quorundam scriptorum testimonia. Nam Cyrillus […]. inquit Christum corporaliter nobis exhiberi in coena. Sic enim ait: Non tamen negamus recta nos fide caritateque sincera Christo spiritualiter coniungi. Sed nullam nobis coniunctionis rationem secundum carnem cum illo esse, id profecto pernegamus“. 18 HAZLETT, Development, 310–330; FRIEDRICH, Martin Bucer, 67–69. 19 Den Ablauf referiert übersichtlich MOELLER, BERND, Einleitung, in: BDS 3, 15–19. 20 Vgl. dazu im Einzelnen HAZLETT, Development, 317–323. 21 Die Konstanzer Einwände sind zitiert in BDS 3, 122 f., Anm. 49. 22 BDS 3, 125,1–4. 23 Vgl. BDS 3,125,8–127,16. 24 Vgl. HAZLETT, Development, 326 f.

3.1 Bekenntnisse auf dem Augsburger Reichstag (1530)

85

Zugleich ist aber die Speisung der Seele festgehalten, so dass aus Bucers Sicht die Schweizer nicht ausgeschlossen waren.25 Damit waren die Konstanzer zufrieden und konnten Lindau sowie Memmingen für den Text gewinnen.26 Auch die CT wurde von den Konfutatoren widerlegt, was zu einer Apologie Bucers führte27 – letztere spielte aber in der folgenden Diskussion keine zentrale Rolle. c) Zwinglis Fidei ratio und die Weiterentwicklung seiner Lehre Dass Zwingli ein eigenes Bekenntnis verfasste, hängt damit zusammen, dass die eidgenössischen Evangelischen nicht zum Reichstag geladen waren, aber befürchteten, dass der Kaiser sie in Unkenntnis ihrer Lehre verurteilen und sich mit den altgläubigen Fünf Orten verbünden werde.28 In Zwinglis daraufhin an den Kaiser gerichteter Fidei Ratio und der auf Ecks Widerlegung dieses Textes hin verfassten Schrift De convitiis Eckii zeichnet sich eine Weiterentwicklung seiner Abendmahlslehre ab, deren Bewertung in der Forschung umstritten ist: Während Fritz Blanke meint, dass nach Zwingli nun dem Gläubigen beim Sakramentsgenuss etwas von Seiten Gottes widerfahre, geht Wilhelm Niesel davon aus, dass sich in der Sache nichts verändert habe: Es bleibe bei einem rein subjektiven Geschehen; von einem Handeln Gottes am Gläubigen könne nicht die Rede sein.29 Neuere Forschungsbeiträge tendieren zu der Sichtweise, dass Zwingli nichts am Kern seiner Position ändere, aber die geistliche Gegenwart stärker betone.30 Die Bedeutung dieser Entwicklung für den Zweiten Abendmahlsstreit liegt jedenfalls darin, dass sie im Folgenden einen zentralen Referenzpunkt für die Zürcher Theologen und insbesondere für Bullinger bildete. In der Fidei ratio formuliert Zwingli anders als die Autoren von CA und CT nicht in einer für Altgläubige möglichst unanstößigen Weise – nimmt aber das Anliegen auf, Christus im Abendmahl nicht als abwesend zu denken: „verum Christi corpus adsit fidei contemplatione, hoc est: quod ii, qui gratias agunt domino pro beneficio nobis in filio suo collato, agnoscunt illum veram carnem adsumpsisse, vere in illa passum esse, vere nostra peccata sanguine suo abluisse et sic omnem rem per Christum gestam illis fidei contemplatione velut praesentem fieri.“31

25

Vgl. die aaO., 326–328 zitierten Quellen. Vgl. MOELLER, BERND, Einleitung, in: BDS 3, 22. 27 BDS 3, 194–318, vgl. zum Inhalt der Apologie FRIEDRICH, Martin Bucer, 68 f. 28 Vgl. STAEDTKE, JOACHIM, Einleitung, in Z 6/2 = CR 93/2, 756–757. 29 Vgl. BLANKE, FRITZ, Zwinglis Sakramentsanschauung, in: ThBl 10 (1931), 283–290; NIESEL, WILHELM, Zwinglis ,spätere’ Sakramentsanschauung, in: ThBl 11 (1932), 12–17; zu dieser Debatte BOSSHARD, STEFAN NIKLAUS, Zwingli – Erasmus – Cajetan. Die Eucharistie als Zeichen der Einheit, Wiesbaden 1978, 96–98 (VIEG 89). 30 Vgl. etwa STEPHENS, Theology of Zwingli, 250–253; WENDEBOURG, Essen zum Gedächtnis, 96–100; VOIGTLÄNDER, Fest der Befreiung, 171–208. 31 Z 6/2 = CR 93/2, 806,7–13. 26

86

II.3 Die Entwicklung der 1530er Jahre

Zwingli spricht also nun von einer Präsenz des Leibes Christi – bleibt aber seiner Position insofern treu, als es sich dabei um die glaubende Vergegenwärtigung (fidei contemplatio) eines vergangenen Heilsgeschehens handelt, die Einsetzungsworte signifikativ auszulegen sind32 und ein Essen des natürlichwesentlichen Leibes Christi weiter als papistischer Irrtum abgelehnt wird.33 Positiv dagegen steht das geistliche Essen des Leibes als Seelenspeise.34 In Reaktion auf Ecks Repulsio, in der dieser Zwingli als gefährlichen Häretiker dargestellt hatte, formulierte Zwingli seine Gedanken in De convitiis Eckii weiter aus. Um dem Ketzervorwurf entgegenzuwirken, betont er noch deutlicher die wahrhafte Präsenz Christi, ohne darum die Wendung gegen eine leibliche Gegenwart aufzugeben. Dazu geht er von der Unterscheidung zwischen res und signum aus: „Propter significationem et analogiam“35 würden die Sakramente mit Namen der res bezeichnet, seien aber darum nicht mit letzteren identisch: Die Elemente sind nicht der natürliche Leib Christi, sondern dessen Zeichen; sie sollen sinnenfällig auf die Sache hinweisen, die der glaubenden Betrachtung gegenwärtig ist.36 Zugleich hält Zwingli aber weiter fest, die Gegenwart Christi hänge nicht von den Sakramenten ab, sondern allein vom Glauben. Daher können Sakramente aus seiner Sicht nicht rechtfertigen, sondern lediglich den vorhandenen Glauben anregen.37 Der innerevangelische Dissens liegt für ihn weiter darin, dass die Gegner von einem natürlich-wesentlichen Leib Christi ausgingen, der corporaliter gegessen werde – er von einem sakramentalen, rein spiritualiter genossenen.38 Diese Position prägte auch den Zürcher Umgang mit Bucers Einigungsbemühungen im Folgenden.

3.2 Einigungsversuche Bucers und der Bundestag zu Schweinfurt 3.2 Einigungsversuche Bucers und Bundestag zu Schweinfurt

Während des Reichstags begann Bucer erneut mit Melanchthon, Luther und weiteren Anwesenden über eine innerevangelische Einigung zu verhandeln; im Folgenden setzte er diese Bemühungen durch Gespräche und Briefwechsel mit CA-Anhängern, Schweizern und Oberdeutschen fort. Im Hintergrund dieser Einigungsbemühungen stand neben theologischen Motiven der Umstand, dass sich die Evangelischen im Reich unter Druck sahen (der Reichstagsabschied

32

Vgl. Z 6/2 = CR 93/2, 809, 27–29. Vgl. Z 6/2 = CR 93/2, 806,12–16. 34 Vgl. Z 6/2 = CR 93/2, 809,22–23. 35 Vgl. Z 6/3 = CR 93/3, 253,8–255,3. 36 Vgl. Z 6/3 = CR 93/3, 260,7–262,7. 37 Vgl. Z 6/3 = CR 93/3, 263,3–265,19. 38 Vgl. Z 6/3 = CR 93/3, 275,11–276,5. 33

3.2 Einigungsversuche Bucers und Bundestag zu Schweinfurt

87

forderte die Durchsetzung des Wormser Edikts sowie die Restitution eingezogener Kirchengüter).39 Für den Zweiten Abendmahlsstreit ist weniger der Ablauf der seit den Gesamtdarstellungen Walther Köhlers und Ernst Bizers40 primär in der Bucerforschung (Ian P. Hazlett, Reinhold Friedrich) analysierten41 Verhandlungen bedeutsam als der Umstand, dass sich hier eine theologische und politische Annäherung zwischen Wittenberger und Straßburger Reformation abzeichnete – die aber auf unterschiedlichen Interpretationen der Beteiligten beruhte und für die Zürcher Reformatoren nicht akzeptabel war. Bucer entwickelte in dieser Zeit seine Argumentation für eine abendmahlstheologische Übereinstimmung der verschiedenen reformatorischen Strömungen weiter: Er interpretiert Zwinglis fidei contemplatio ebenso wie die Wittenberger unio sacramentalis im Sinne einer geistlichen Präsenz des Leibes Christi als Speise der glaubenden Seele.42 Wichtig ist, dass er nun auch die Wittenberger Aussagen über eine leibliche Gegenwart in diesem Sinne versteht43 – daher macht er (anders als noch im Dialogus) nicht mehr diese Position für den Streit verantwortlich, sondern erklärt den Konflikt als Resultat wechselseitiger Missverständnisse: Eigentlich hätten die Schweizer betonen wollen, dass der Leib weder zu Brot werde noch eine Speise des Bauchs sei, die Wittenberger, dass im Abendmahl nicht nur Brot und Wein gereicht würden, sondern der wahre Leib – beides zu Recht.44 Diese Perspektive sollte im Zweiten Abendmahlsstreit für Calvin und Vermigli wichtig bleiben. Bucers veränderter Beurteilung der Wittenberger entsprach deren wachsendes Wohlwollen: Wie Quere nachgewiesen hat,45 liest Melanchthon im Oktober 1530 Bucers Haltung im Sinne einer wahrhaften und wesentlichen Präsenz des Leibes Christi in der Abendmahlshandlung und spricht erstmals von einem exhiberi des Leibes durch die Elemente46 – er beginnt also Bucer im Sinne seiner eigenen Position zu deuten. Dabei grenzt er Bucer aber von Zwingli ab: Während letzterer meine, dass Christi Leib nur localiter an einem Ort sein 39 Vgl. überblicksweise STROHM, CHRISTOPH, Das Reich: Politische Konstellationen und Fragestellungen in den Jahren zwischen dem Augsburger und dem Regensburger Reichstag (1530–1532), in: Simon, Wolfgang (Hg.), Martin Bucer zwischen den Reichstagen von Augsburg (1530) und Regensburg (1532). Beiträge zu einer Geographie, Theologie und Prosopographie der Reformation, Tübingen 2011 (SMHR 55), 13–26, hier 13–17. 40 Vgl. KÖHLER, Zwingli und Luther II, 220–302; BIZER, Geschichte des Abendmahlsstreits, 30–58. 41 Vgl. HAZLETT, Development, 331–372; FRIEDRICH, Martin Bucer, 69–87; eine stärker auf Melanchthons Perspektive konzentrierte Darstellung neuerdings bei JAMMERTHAL, Melanchthons Abendmahlstheologie, 100–109. 42 Vgl. die Konkordienschrift an Ernst von Lüneburg, November 1530, Z 11 = CR 98, 237,6–239,25 (Nr. 1134). 43 So deutlich aaO., 238,18–23 (Nr. 1134). 44 Vgl. aaO., 237,13–238,18 (Nr. 1134). 45 Vgl. QUERE, Melanchthonʼs Christum cognoscere, 297–304. 46 Vgl. CR 2,315.

88

II.3 Die Entwicklung der 1530er Jahre

könne, könne Bucer sich eine nicht-lokale Präsenz vorstellen47 – Zwinglis Position hält Melanchthon nach wie vor für inakzeptabel. Eine ähnliche Unterscheidung findet sich bei Luther: Nach anfänglicher Skepsis zeigt er sich erfreut, dass Bucer eine reale Präsenz lehre, bestreitet aber, dass dies bei Oekolampad und Zwingli auch gegeben sei. Zudem meint er, dass für eine völlige Einigung Schweizer und Straßburger eine manducatio impiorum et oralis annehmen müssten. Daher will er das ihm vorgelegte Konzept Bucers nicht akzeptieren, verspricht diesem aber, sich für eine Verständigung einzusetzen.48 Zwingli hingegen äußerte sich zunehmend skeptisch zu Bucers Einigungsgedanken: Aus seiner Sicht wird in Bucers Aussagen nicht klar genug festgehalten, „das der lyb Christi imm nachtmal zegegen sye, nit lyplich oder naturlich, sunder sacramentlich, dem reinen lutren gotzvörchtigen gmt“49 – eine körperlich-natürliche Präsenz Christi im Abendmahl bleibt für ihn ein papistischer Irrtum, der ausgeschlossen werden muss.50 Daher meint er, Verhandlungen auf der von Bucer vorgeschlagenen Basis würden der Wahrheit zum Nachteil gereichen.51 Hier deutet sich schon die Zürcher Position an, die Bullinger bis in den Zweiten Abendmahlsstreit hinein vertreten sollte. Auch hier werden verschiedene Lesarten erkennbar: Während Bucer beanspruchen kann, seit 1528 theologisch nichts an seiner Haltung verändert zu haben, wird diese nun von den Wittenbergern positiv, von Zwingli negativ wahrgenommen. Bucers veränderte Beurteilung Wittenbergs ermöglicht Luther und Melanchthon eine Deutung in ihrem Sinne, während Zwingli weniger Bucers positive Lehre ablehnt als die Offenheit für die Wittenberger Position. Der Entwicklung auf theologischer Ebene entsprach die politische Annäherung wittenbergisch und oberdeutsch geprägter Evangelischer: 1530/31 wurde der Schmalkaldische Bund als evangelisches Verteidigungsbündnis gegründet. Während die Aufnahme der Schweizer daran scheiterte, dass Kursachsen einen gemeinsamen Bekenntnisstand des Bündnisses forderte,52 wurden die Unterzeichner der Tetrapolitana – auf Basis ihrer (vorerst inoffiziellen) Versicherung, dass die CT theologisch mit der CA übereinstimme – aufgenommen.53

47

Vgl. CR 2, 316. Vgl. Luther an Bucer, 22.1.1531, BCor 5, 207,1–208,13. 49 Engelhard, Jud und Zwingli an Röist und Bygel, 20.11.1530, Z 11 = CR 98, 251,9–11 (Nr. 1136). 50 Vgl. Zwingli an Bucer, Z 11 = CR 98, 117,12–118,15 (Nr. 1190). 51 Vgl. Engelhard, Jud und Zwingli an Röist und Bygel, 20.11.1530, Z 11 = CR 98, 250,3– 251,25 (Nr. 1136). 52 Vgl. dazu SIMON, WOLFGANG, Die Überschreitung der Grenze: Bucers Annahme der Confessio Augustana und deren Apologie, in: Ders. (Hg.), Martin Bucer zwischen den Reichstagen von Augsburg (1530) und Regensburg (1532). Beiträge zu einer Geographie, Theologie und Prosopographie der Reformation, Tübingen 2011 (SMHR 55), 108–124. 53 Vgl. STROHM, Politische Konstellationen, 17–20. 48

3.2 Einigungsversuche Bucers und Bundestag zu Schweinfurt

89

Im Frühjahr 1532 erkannten die CT-Unterzeichner auf dem Bundestag zu Schweinfurt offiziell die CA an: Der Kaiser war angesichts außenpolitischer Bedrohungen an Einigung mit den evangelischen Ständen interessiert, richtete aber sein Waffenstillstandsangebot nur an die Unterzeichner der CA.54 Daher verfassten Bucer, Hedio und Zell ein Gutachten über die Frage, unter welchen Bedingungen eine Annahme der CA akzeptabel sei. Die darin asugedrückte Haltung hießen die CT-Unterzeichner auf einem Vorkonvent gut und unterschrieben dann auf einer in Schweinfurt abgehaltenen Tagung des Schmalkaldischen Bundes mit kaiserlichen Unterhändlern die CA und deren Apologie.55 Während die ältere Forschung die Schweinfurter Ereignisse als „Überordnung der Augustana“ über die Tetrapolitana deutete,56 hat Wolfgang Simon nachgewiesen, dass dies zwar von einigen CA-Unterzeichnern so gesehen werden konnte, aber aus Straßburger Sicht keineswegs der Fall war. Vielmehr basierte die Unterzeichnung für Bucer und seine Kollegen auf einer Interpretation der CA durch die CT:57 Sie deuten die in der CA vertretene wahre Präsenz unter Brot und Wein so, dass Brot und Wein Abbilder des Leibes und Blutes seien, die als Speise der gläubigen Seele gegeben würden – insofern sei die CA unproblematisch: „Stymmet auch aller ding mit unser Confessionn.“58 Entsprechend verteidigte Bucer die Unterzeichnung der CA gegenüber Kritikern: Man sei nicht vom eigenen Bekenntnis abgewichen, sondern habe die CA als damit übereinstimmend akzeptiert.59 Die Verpflichtung, nichts gegen CA und Apologie zu lehren, bedeute keinen Zwang, positiv deren theologische Formulierungen zu gebrauchen.60 Die Ansicht, dass die Wittenberger die unveränderte eigene Lehre akzeptiert hätten, vertrat er auch im Folgenden. Anders beurteilte den Sachverhalt Heinrich Bullinger, der nach Zwinglis Tod im Zweiten Kappelerkrieg dessen Nachfolge angetreten hatte: Er beschuldigte Bucer, von der bisher gemeinsam vertretenen Position abgewichen zu sein und auf eine Unterwerfung unter Luther zu zielen. Die Zürcher sähen sich von den Straßburgern verlassen, hielten aber an der Wahrheit fest.61 Die Heftigkeit dieser Äußerungen ist dadurch mit bedingt, dass Luther Zwinglis Tod als Gericht Gottes für seine Abendmahlslehre gedeutet hatte;62 grundsätzlich aber knüpft Bullinger an Zwinglis Haltung an: Da Wittenberger Theologen eine leibliche Präsenz vertreten, geht die Unterzeichnung gemeinsamer abendmahlstheologischer Texte für ihn auf Kosten der Wahrheit und ist abzulehnen. 54

Vgl. aaO., 21 f.; SIMON, Überschreitung der Grenze, 109 f. Zum Ablauf wohl am übersichtlichsten FRIEDRICH, Martin Bucer, 88 f. 56 So etwa KÖHLER, Luther und Zwingli II, 290 (dort das Zitat). 57 Vgl. SIMON, Überschreitung der Grenze, 110–114. 58 Vgl. BDS 4, 418,2–419,15 (Zitat 419,15). 59 Vgl. Bucer an Bonifatius Wolfhart, Ende Mai 1532, BCor 8,87,7–88,7 (Nr. 591). 60 Vgl. aaO., 121,3–5. 61 Vgl. Bullinger an Bucer, 12.7.1532, BCor 8, 207,5–214,19 (Nr. 610). 62 Vgl. WA 30III, 548, 37–38; 550,20–22. 55

90

II.3 Die Entwicklung der 1530er Jahre

3.3 Weitere Verhandlungen bis 1536 und die differierenden Einigungskonzepte der Beteiligten 3.3 Weitere Verhandlungen bis 1536

Nach 1532 kam es zu weiteren Verhandlungen zwischen Wittenberger, oberdeutschen und Schweizer Theologen, die auf die Wittenberger Konkordie hinführten. Für den Zweiten Abendmahlsstreit ist auch hier weniger der Verlauf der Debatten63 von Interesse als die dadurch erfolgte Weiterentwicklung der Abendmahlstheologien und der Perspektiven auf eine evangelische Einigung. Diese Perspektiven spiegeln sich in den Forschungspositionen: Hatte Walther Köhler (analog zur zeitgenössischen Wittenberger Sicht) das Verhalten Bucers als „Kapitulation“ gegenüber Wittenberg bewertet,64 haben Ian P. Hazlett und Reinhold Friedrich aus Straßburger Quellen nachgewiesen, dass Bucer seine Lehre weiterentwickelte, ohne seine theologischen Prämissen aufzugeben.65 Der bei Reinhold Friedrich (im Anschluss an Bucers Perspektive) damit verbundenen These einer mangelnden Dialogbereitschaft der Zürcher Theologen66 hat Martin Friedrich widersprochen, der anhand von Zürcher Texten herausarbeitet, dass Bullinger durchaus an einer Einigung interessiert war: Er habe Bucers „Schaukeldiplomatie“ abgelehnt, nicht eine Verständigung mit den Wittenberger Reformatoren überhaupt.67 Wie diese Debatte bereits zeigt, handelte es sich weniger um einen Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern einer Einigung als zwischen unterschiedlichen Einigungskonzepten – an die später die Akteure des Zweiten Abendmahlsstreits anknüpfen sollten. Bei Bucer fällt auf, dass er nach 1532 Formeln akzeptierte, die eine substantial-exhibitive Lehre festhielten: so die von Melanchthon nach einem Gespräch in Kassel 1534 formulierte Aussage, Christi Leib werde beim Abendmahl „wesentlich und wahrhafftiglich“68 empfangen. Brot und Wein seien signa exhibitiva, mit denen zugleich Leib und Blut gereicht und empfangen würden. Die Elemente seien mit Leib und Blut in einer sacramentalis coniunctio vereinigt, aber nicht vermischt.69 Wie Hazlett nachgewiesen hat, konnte Bucer solche Aussagen gemäß seinem Verständnis der unio sacramentalis so deuten, dass der Leib geistlich gegessen werde – die substantiale Präsenz bezog er nicht auf die Elemente, sondern auf die geistliche Ebene.70 In Reaktion auf Luthers Forderung nach Anerkennung der manducatio impiorum entwickelte Bucer dann 63

Dazu FRIEDRICH, Martin Bucer, 91–116; KÖHLER, Zwingli und Luther II, 302–432. KÖHLER, Zwingli und Luther II, 375. 65 Vgl. HAZLETT, Development, 372–412; FRIEDRICH, Martin Bucer, 91–117. 66 Vgl. etwa FRIEDRICH, Martin Bucer, 93. 67 Vgl. FRIEDRICH, MARTIN, Heinrich Bullinger und die Wittenberger Konkordie. Ein Ökumeniker im Streit um das Abendmahl, in: Zwing. 24 (1997), 59–79, hier 59–72, Zitat 72. 68 MBW.T 6, 262,7 (MBW 1514). 69 Vgl. MBW 1514 (MBW.T 6, 262,7–14). 70 Vgl. HAZLETT, Development, 389–410; ferner FRIEDRICH, Martin Bucer, 104 f. 64

3.3 Weitere Verhandlungen bis 1536

91

eine Unterscheidung, die für die Konkordie zentral werden sollte: Während er eine Nießung des Leibes durch Ungläubige (impii) weiter ablehnte, erkannte er eine Nießung durch Gläubige, die das Sakrament nicht ehrten (indigni) an.71 Auch damit ging er auf die Wittenberger Theologen zu, ohne seine spezifische Position aufzugeben.72 Wie Reinhold Friedrich betont, strebte Bucer auf dieser Basis weiter eine Einigung mit Wittenberg und Zürich an73 – aus seiner Sicht integrierten die beschriebenen Aussagen die Wittenberger, ohne die mit den Schweizern gemeinsame Lehre geistlicher Speisung der Seele aufzugeben. Angesichts dieser Veränderungen wurde Bucers Position für die Wittenberger besser akzeptabel: Die zitierte Formel Melanchthons zeigt, dass dieser Bucers Lehre nun anerkennen konnte. Dahinter stand eine Interpretation im Sinne des von Melanchthon selbst vertretenen Verständnisses substantialer Präsenz in der Abendmahlshandlung: Er sah in der Formel einen Beleg für Bucers Akzeptanz von CA und Apologie.74 Wie Tobias Jammerthal nachgewiesen hat, betonte Melanchthon in einer ebenfalls von 1534 stammenden Auslegung des matthäischen Abendmahlsberichts in auffallender Weise theologische Aussagen, die für Bucer wie Luther anschlussfähig waren, und schwieg zu innerevangelisch strittigen Fragen: So hob er die exhibitive Darreichung und wahrhaftige Nießung von Christi Leib und Blut hervor, ohne auf den modus praesentiae näher einzugehen.75 Luther wiederum, der noch im Vorfeld des Kasseler Gesprächs die innerevangelischen Differenzen für zu tiefgreifend erklärt hatte,76 zeigte sich von der dort gefundenen Formel durchaus angetan, wenngleich er noch immer skeptisch war, ob Bucers Seite diese Aussagen rechtgläubig verstehe. Um eine endgültige Einigung zu erreichen, erklärte er persönliche Unterredungen für erforderlich77 – hier liegt der Ansatzpunkt für die Verhandlungen, die letztlich zur Wittenberger Konkordie führten. Die Zürcher hingegen sahen in den von Bucer formulierten Formeln Gefahr für das eigene Wahrheitsbekenntnis – daher lehnten sie es ab, an von Bucer abgehaltenen Konferenzen teilzunehmen. Hingegen verfassten sie eigene Bekenntnisse und erlaubten Bucer, diese für Verhandlungen zu verwenden. Dahinter steht das Argument, wenn die Wittenberger (wie Bucer sage) bereit seien, die unveränderte Position der Straßburger und Zürcher anzuerkennen, müssten sie auch diese Bekenntnisse akzeptieren können.78 Bullinger war also,

71

Vgl. BDS 8, 274,1–275,7; BUCER, Opera latina 5, 114–118. Vgl. HAZLETT, Development, 392–396, der diese Entwicklung auf 1534 datiert; dass sie schon 1533 aufweisbar ist, belegt FRIEDRICH, Martin Bucer, 96. 73 Vgl. FRIEDRICH, Martin Bucer,103. 74 Vgl. MBW 1514 (MBW.T 6, 262,3–4). 75 Vgl. JAMMERTHAL, Melanchthons Abendmahlstheologie, 127–132. 76 Vgl. WA.B 12, 158,8–18 (Nr. 4251). 77 Vgl. WA.B. 12, 167–170 (Nr. 4253). 78 Vgl. etwa Bullinger an Bucer, 10.1.1536, HBBW 6, 58 (Nr. 718,18–22) 72

92

II.3 Die Entwicklung der 1530er Jahre

wie Martin Friedrich herausgearbeitet hat, durchaus bereit zu einer Einigung – unter der Bedingung, dass dabei die Zürcher Lehre nicht verändert würde.79 Typisch für Bullingers Haltung, die sich (mit Transformationen) bis in den Zweiten Abendmahlsstreit fortsetzen sollte, ist das Zürcher Bekenntnis von 1534, das Zwinglis Realpräsenz fidei contemplatione im Sinne einer Parallelität von spiritualis manducatio und Abendmahlsvollzug weiterentwickelte: Die Unterzeichner halten fest, Christi Leib und Blut seien im Abendmahl für die Gläubigen präsent, würden an sie ausgeteilt und von ihnen gegessen.80 Diese Präsenz bezieht sich auf die geistliche Ebene: Christus teilt Leib und Blut an die Gläubigen aus, indem er innerlich durch seinen Geist den Glauben an die Erlösung lehrt. Das Essen des Leibes ist mit diesem Glauben identisch.81 Die Elemente führen zur Betrachtung der unsichtbaren Dinge, die sie abbilden. Dabei bewirkt die Gnade eine geistliche Präsenz der Erlösung in der Seele.82 Jedoch hat der Glaube Christus auch ohne Sakrament gegenwärtig,83 während Ungläubige beim Mahl nur die Zeichen empfangen.84 Das geistliche Essen geschieht zwar beim Abendmahl, ist aber nicht daran gebunden,85 sondern allein vom Wirken Gottes abhängig. Wie Martin Friedrich betont, ging Bullinger damit auf die Straßburger und andere Oberdeutsche zu, die das Bekenntnis akzeptierten.86 Zugleich hielt Bullinger an Zwinglis Prämissen fest,87 auf dessen Spätschriften er sich berief:88 Christi Leib ist im Himmel;89 die spiritualis manducatio ist mit dem Glauben identisch und nicht an den Sakramentsvollzug gebunden. Insofern konnte diese Lehre einerseits 1549 Grundlage der Einigung mit Calvin werden – andererseits sollte Westphal Bullingers analog argumentierenden Korintherbriefkommentar (1534) als Beleg für dessen zwinglische Lehre heranziehen und den 1536 erfolgten Druck von Zwinglis Fidei expositio90 als Bruch des Marburger Friedens deuten. 79

Vgl. FRIEDRICH, Bullinger und die Wittenberger Konkordie, 70 f. Vgl. HBBW 4, 422–423 (Nr. 482,8–15.30–35). 81 Vgl. HBBW 4, 423–424 (Nr. 482,46–82). 82 Vgl. HBBW 4, 426,137–143 (Nr. 482). 83 Vgl. HBBW 4, 424,84–87 (Nr. 482). 84 Vgl. HBBW 4, 426,144–151 (Nr. 482). 85 HBBW 4, 426,152–154 (Nr. 482): „Colligimus item gratiam sacramentis non esse alligatam neque haec ceu instrumenta et canales esse, quibus gratia adeoque ipsum domini corpus vel incredulo infundatur.“ 86 Vgl. FRIEDRICH, Bullinger und die Wittenberger Konkordie, 67–69. 87 Insofern ist es auch zutreffend, dass diese Auffassung „ganz in Zwinglis Lehre“ gründet (so die Kommentierung in HBBW 4, Zitat 422 Anm. 5). Die Spannung mit dem vorgenannten Aspekt sollte nicht einseitig aufgelöst werden. 88 Vgl. etwa HBTS 6, 376,20–37 (Kommentar über den Ersten Korintherbrief 1534). 89 So explizit HBBW 4, 423,37–39 (Nr. 482). 90 Mit FRIEDRICH, Bullinger und die Wittenberger Konkordie, 71 f., ist gegen FRIEDRICH, Martin Bucer, 116, festzuhalten, dass Bullinger darin sicher einen Ausdruck des einer Einigung zugrundezulegenden, unveränderten Zürcher Wahrheitsbekenntnisses sah. 80

3.4 Die Wittenberger Konkordie (1536)

93

An Bucers Formeln kritisiert Bullinger vor allem die Rede von einer exhibitio durch die Elemente, da daraus aus seiner Sicht eine Schlüsselgewalt für den die Elemente austeilenden kirchlichen Amtsträger folgt. Es sei vielmehr festzuhalten, dass dieser allein die signa austeile, während die Austeilung des Leibes Christi allein Gott und Glauben zuzuschreiben sei91 – die Unabhängigkeit des geistlichen Geschehens vom leiblichen ist für ihn nicht verhandelbar. Das blieb im Folgenden zentraler Streitpunkt zwischen Zürich und Straßburg.

3.4 Die Wittenberger Konkordie (1536) 3.4 Die Wittenberger Konkordie (1536)

Im Mai 1536 kam es dann in der Wittenberger Konkordie zu einer Einigung der Wittenberger mit den Straßburger und weiteren oberdeutschen Theologen. Dass daraus ein wichtiger Kontroverspunkt des Zweiten Abendmahlsstreits werden sollte, hängt damit zusammen, dass auch dieser Text im Rahmen der verschiedenen Konzepte von Abendmahlslehre und evangelischer Einigung sehr unterschiedlich gelesen werden konnte – diese zeitgenössisch nebeneinander stehenden Interpretationen sollten im Streit erneut aufeinander prallen. Dass Konkordienverhandlungen zustande kamen, hängt mit einer Gemengelage theologischer und politischer Faktoren zusammen: Nach dem Gespräch mit Bucer setzte sich Melanchthon für einen Konvent ein, ebenso Philipp von Hessen.92 Zugleich waren Augsburg und andere oberdeutsche Städte an einem Beitritt zum Schmalkaldischen Bund interessiert, was Kursachsen blockierte – als sich die Städte daraufhin an Luther und Melanchthon wandten, signalisierte Luther im Oktober 1535 Bereitschaft zu einem Gespräch.93 Freilich gab es im Wittenberger Lager Kritiker dieses Vorhabens, etwa Nikolaus von Amsdorf, der die Straßburger Einigungsthesen für lügenhaft erklärte94 – daran sollte Westphal im Zweiten Abendmahlsstreit anknüpfen. Vorerst aber konnte es das Gespräch nicht verhindern, für das Luther den 14. Mai vorschlug.95 Gleichzeitig verhandelte Bucer mit den Schweizern.96 Das aus diesen Gesprächen entstandene Bekenntnis, die Confessio helvetica prior, enthält eine Position, die im Lateinischen unter Einfluss Bucers und Capitos so formuliert ist, dass auch eine Mitteilung des Heils mittels der Elemente hineingelesen werden kann – im deutschen Text hingegen wird sie klar im Zürcher Sinne

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Vgl. Bullinger an Oswald Myconius, 13.2.1535, HBBW 5, 101 f. (Nr. 528,6–46). Vgl. SCHNEIDER-LUDORFF, Der fürstliche Reformator, 185 f. 93 Vgl. zum Ablauf im Einzelnen KÖHLER, Zwingli und Luther II, 384–395. 94 Vgl. AMSDORF, NIKOLAUS VON, Widder die || Widderteuffer || vnd Sacramen=||tirer / Etliche sprche […], Magdeburg: Hans Walther 1535, VD16 A 2411, B3r–B3v. 95 Vgl. KÖHLER, Zwingli und Luther II, 418. 96 Vgl. zum Ablauf der Verhandlungen FRIEDRICH, Martin Bucer, 112–116. 92

94

II.3 Die Entwicklung der 1530er Jahre

interpretiert.97 Daher war sie für alle Schweizer akzeptabel; Bucer wiederum konnte sie im Straßburger Sinne deuten und machte den Schweizern Hoffnung, dass die Wittenberger dies anerkennen würden.98 Auch Bullinger zeigte sich angetan – jedoch sah er anders als Bucer den Text nicht als Schritt hin zu einem gemeinsamen Bekenntnis aller Beteiligten, sondern meinte, wenn es sich so verhalte wie von Bucer beschrieben, sollten die Wittenberger die CH prior als rechtgläubig anerkennen können.99 Daher waren die Schweizer auch nicht bereit, am Gespräch teilzunehmen, aber Bullinger erlaubte Bucer, dort die CH prior als Ausdruck der Schweizer Position vorzulegen.100 An den vom 21.–28. Mai 1536 in Wittenberg abgehaltenen Verhandlungen nahmen neben Luther und Melanchthon eine Reihe weiterer Wittenberger teil,101 neben Bucer und Capito die Theologen diverser oberdeutscher Städte.102 Aus dem von Köhler und Bizer dargestellten Ablauf des Gesprächs103 wurden später vor allem folgende Punkte bedeutsam: Luther war aufgrund von Bucers Vorwort zum Briefwechsel Zwinglis und Oekolampads erneut misstrauisch und verlangte einen Widerruf der Oberdeutschen sowie die Anerkennung der manducatio oralis et impiorum. Bucer zerstreute das Misstrauen, indem er sein Verständnis der unio sacramentalis erläuterte, den Streit als wechselseitige Übertreibung darstellte und zugestand, frühere Urteile über die Wittenberger zurücknehmen zu wollen. Das Problem der manducatio impiorum wurde durch die Übereinkunft gelöst, mit 1 Kor 11,27 von indigni zu sprechen: Damit blieb offen, ob (gemäß Luthers Lehre) völlig Gottlose oder (gemäß Bucers Lehre)

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So heißt es in Artikel 20 im Lateinischen: „res autem communicatio corporis domini: parta salus: et peccatorum remissio. Quae quidem ut ore corporis signa, sic fide intus percipiuntur.“ (RefBek 1/2, 64,9–11), im Deutschen dagegen: „das wesenlich aber und geystlich ist die geminschafft des lips Christi, das heyl, das am crütz erobret ist, und ablas der sündenn, welche wesenliche, unsichtbare und geystliche ding im glouben, glich wie die zeychen liplich, empfangen werden, und inn diesen wesenlichen geystlichen dingen stat die gantze krafft, würkung und frucht der sacramenten.“ (aaO., 52,8–12). Forscher, die bei den Zürchern eine konkordienfeindliche Haltung sehen, betonen die deutsche Fassung (vgl. etwa FRIEDRICH, Martin Bucer, 114); solche, die Bullingers Verständigungswillen akzentuieren, die lateinische (vgl. FRIEDRICH, Bullinger und die Wittenberger Konkordie, 71). 98 Vgl. dazu im Einzelnen FRIEDRICH, Martin Bucer, 114 f. 99 Vgl. Bullinger an Bucer, 18.2.1536, HBBW 6, 131 f. (Nr. 748). 100 Vgl. zu den vorausgegangenen Debatten KÖHLER, Zwingli und Luther II, 435–440. 101 Justus Jonas, Caspar Cruciger d. Ä., Johannes Bugenhagen, Friedrich Myconius aus Gotha und Justus Menius aus Eisenach. 102 Martin Frecht aus Ulm, Jakob Otter aus Esslingen, Wolfgang Musculus und Bonifatius Wolfhart aus Augsburg, Gervasius Schuler aus Memmingen, Johannes Bernhardi aus Frankfurt, Martinus Germanus aus Fürfeld, Johannes Zwick aus Konstanz sowie Matthäus Alber und Johann Schradin aus Reutlingen. 103 Vgl. KÖHLER, Zwingli und Luther II, 444–453; BIZER, Geschichte des Abendmahlsstreits, 96–117.

3.4 Die Wittenberger Konkordie (1536)

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unbußfertige Christen gemeint sein sollten. Melanchthon verfasste den Konkordientext. Zudem legten die Straßburger die CH prior als Ausdruck des Schweizer Beitrittswunsches vor. Davon zeigte sich Luther überrascht, lehnte aber den Text nicht prinzipiell ab, wenngleich er ihn unklar fand. Beide Seiten kamen überein, sich mit ihren jeweiligen Partnern zu verständigen. Für die im Folgenden vertretenen verschiedenen Deutungen der Konkordie, die formal eine Erklärung über die Lehre der Oberdeutschen darstellt, aber von beiden Seiten unterzeichnet wurde, ist die Passage zentral: „Sie bekennen lauts der wort Jrenaej, das inn diesem Sacrament zwey ding sind, eines himlisch vnd eins irdisch. Demnach halten vnd leren sie, das mit dem brot vnd wein warhafftig vnd wesentlich zu gegen sey vnd dargereicht vnd empfangen werde der leib vnd das blut Christi. Vnd wiewol sie keine Transsubstantiation halten, auch nicht halten, das der leib vnd blut Christi Localiter, reumlich, ins brot eingeschlossen oder sonst leiblich damit vereinigt werde, ausser der niessung des Sacraments. Doch so lassen sie zu, das durch Sacramentliche einigkeit das brot sey der leib Christi, das ist, sie halten, so das brot dar gereicht wird, das als denn zu gleich gegenwertig sey vnd warhafftig dar gereicht werde der leib Christi.“104

Nach einer Abgrenzung gegen die von altgläubiger Seite vertretene Präsenz des Leibes Christi in den Elementen auch extra usum und entsprechende Praktiken (Prozessionen u.ä.)105 folgt der Passus zu den indigni: Die Kraft des Sakraments hängt nicht von der Würdigkeit der Gebenden oder Empfangenden ab; auch die Unwürdigen empfangen Christi Leib, aber zum Gericht.106 Die Unterzeichner wollen noch keine Konkordie beschließen, sondern Obrigkeit und andere Prediger befragen, befürworten aber eine Konkordie.107 Diese Aussagen konnten von den Beteiligten unterschiedlich interpretiert werden – an diese Perspektiven sollten jeweils bestimmte Teilnehmer des Zweiten Abendmahlsstreits anknüpfen. Ähnlich verschieden sind bis heute die Urteile der Forschung. So las Luther die Konkordie als Bekehrung der Oberdeutschen zu seiner Auffassung – diese Sichtweise sollten im Zweiten Abendmahlsstreit (in je verschiedener Weise) Westphals Partei und die Württemberger übernehmen. Luther betont, die Oberdeutschen hätten CA und Apologie angenommen.108 Später behauptete er sogar, sie zur Annahme der manducatio 104

BDS 6/1, 121,5–123,8. Vgl. BDS 6/1,123,8–11. 106 BDS 6/1, 123,12–125,8: „das die Einsetzung dieses Sacraments, durch Christum geschehen, krefftig sey inn der Christenheit. Vnd das es nicht ligt an wirdigkeit oder vnwirdigkeit des dieners, so das Sacrament reichet, oder des, der es empfehet. Darumb, wie S. Paulus sagt, das auch die vnwirdigen dis Sacrament niessen, also halten sie, das auch den vnwirdigen warhafftig dargereicht werde der leib vnd das blut Christi vnd die vnwirdigen warhafftig dasselb empfahen, so man des herrn Christi einsetzung vnd befelh hellt. Aber solche empfahens zum gericht, wie S. Paulus spricht, Denn sie mißbrauchen des heiligen Sacraments, weil sie es on ware buß und on glawben empfahen.“ 107 Vgl. BDS 6/1, 125,12–127,8. 108 Vgl. Luther an Georg von Brandenburg, 29.5.1536, WA.B 7, 423 (Nr. 3030,26–38). 105

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II.3 Die Entwicklung der 1530er Jahre

impiorum und oralis gezwungen zu haben.109 Diese Auslegung stützt sich auf den Anklang an CA 10 (warhafftig vnd wesentlich zu gegen sey vnd dargereicht vnd empfangen werde), auf Bucers als Widerrufsversprechen interpretierte Aussagen und auf die Form als oberdeutsches Bekenntnis. Die gleichen Argumente bewegen in der Forschung Thomas Kaufmann zur Deutung der Konkordie als Bekenntnis der Oberdeutschen, das diesen den Beitritt zur CA auf von Wittenberg approbierter Grundlage ermöglicht habe.110 Bucer hingegen sah in der Konkordie eine Anerkennung der unveränderten Straßburger Position durch die Wittenberger Seite111 – diese Deutung sollte im Zweiten Abendmahlsstreit Calvin vertreten. Dazu wird der Text im Sinne eines wahrhaftigen Essens des Leibes Christi per unio sacramentalis gelesen:112 der von Bucer bekannten Auffassung. Für ihn ist der Text zudem kein reines Bekenntnis der eigenen Seite, sondern er impliziert, dass auch die Wittenberger Seite nicht von einer räumlichen Präsenz in den Elementen ausgeht113 – das sollte Calvin Westphal später vorhalten. Unter den Leib und Blut empfangenden vnwirdigen versteht Bucer Personen, die glauben, dass sie Christus empfangen, aber das undankbar tun, während völlig Ungläubige nur Brot und Wein empfangen.114 Dass Bucer damit keine Aussage annehmen musste, die gegen seine bisherige Lehre sprach, betont in der Forschung Reinhold Friedrich.115 Während der Streit zwischen den genannten Deutungen also wiederum nicht zu entscheiden ist, argumentiert eine weitere Gruppe von Forschungsthesen explizit mit der Verschiedenheit der zeitgenössischen Interpretationen: Folgert Köhler daraus, dass es sich um eine bloße Scheinkonkordie gehandelt habe,116 postuliert Bizer im Gegenteil eine „Einigung bei klar gesehenen Differenzen“117. Nun dürfte kaum feststellbar sein, inwieweit den Unterzeichnern die unterschiedlichen Auslegungen bewusst waren. Jedenfalls aber war gerade die Mehrdeutigkeit der Wittenberger Konkordie Voraussetzung dafür, dass sich alle Beteiligten auf diesen Text einigen konnten118 – insofern war auch jetzt das innerevangelische Verhältnis nicht abschließend geklärt. 109 Vgl. Luther an die Evangelischen in Venedig, Vicenza und Treviso, 13.6.1543, WA.B 10, 331 (Nr. 3885). 110 Vgl. KAUFMANN, THOMAS, Art. Wittenberger Konkordie, TRE 36 (2004), 247. 111 So in einer Erklärung für die anderen Oberdeutschen, vgl. BDS 6/1, 174,14–15. 112 Vgl. BDS 6/1, 181,3–183,20. 113 BDS 6/1,181,8–11: „das man do by [i.e. am Text der Konkordie, C.E.] auch sehe, das D. Luther das yrdisch vnd das himmlisch ym sacrament nit vermische oder zu ein ding naturlich mache oder auch das himlisch, das ist Christum, yns yrdisch reümlich eynschliesse oder ym anheffte einiger yrdischen, fleyschlichen weise.“ 114 Vgl. BDS 6/1, 189,13–195,5. 115 Vgl. FRIEDRICH, Martin Bucer, 121–127. 116 Vgl. KÖHLER, Zwingli und Luther II, 432–455, deutlich etwa 453. 117 BIZER, Studien zur Geschichte des Abendmahlsstreits, 121–130, Zitat 127. 118 In diesem Sinne auch BURNETT, Basel and the Wittenberg Concord, 54.

3.5 Debatten über eine Verständigung auf Basis der Konkordie

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3.5 Debatten über eine gesamtevangelische Verständigung auf Basis der Konkordie 3.5 Debatten über eine Verständigung auf Basis der Konkordie

Im Anschluss an die Wittenberger Konkordie wurde verhandelt, ob diese als Basis für eine gesamtevangelische Einigung dienen könne. Dass dies misslang, wird in der Forschung verschieden erklärt: Führt Walther Köhler es auf Bucers „Wendigkeit“ zurück, die „bis an den Rand der Unehrlichkeit“ gehe,119 weist Reinhold Friedrich eine konsistente Position Bucers nach und macht für das Scheitern die Zürcher verantwortlich, die sich darauf nicht eingelassen hätten.120 Dagegen arbeitet Martin Friedrich heraus, dass Bullinger nicht grundsätzlich eine Einigung ablehnte, aber ein von Bucer abweichendes Konzept dafür vertrat.121 Die Verständigung scheiterte nicht am mangelnden Willen einer Partei, sondern an unvereinbaren Vorstellungen darüber, wie eine Einigung auszusehen hätte – das sollte sich im Zweiten Abendmahlsstreit fortsetzen. Bucers Ziel war eine Annahme der Konkordie durch die Wittenberger, Straßburger und Zürcher Reformation. Sein Argument, die eidgenössischen Evangelischen könnten den Text ohne weiteres annehmen, da er sachlich mit der Confessio Helvetica prior übereinstimme,122 setzt dabei sowohl eine straßburgische Deutung der CH prior voraus als auch die Annahme, dass die Konkordie als ein auch Luther theologisch bindendes Dokument zu verstehen sei – auf dieser Basis konnte Bucer davon ausgehen, dass die Konkordie für beide Seiten sachlich unproblematisch sei. Bullinger und weitere eidgenössische Theologen lehnten dagegen eine Unterschrift unter die Konkordie ab: Sie verstanden diese als faktische Unterzeichnung von CA und Apologie, die in Bullingers Augen eine altgläubige Auffassung implizierte:123 ein Argument, das er im Zweiten Abendmahlsstreit ausbauen sollte. Bullinger konnte sich hingegen eine Einigung vorstellen, bei der beide Seiten die Rechtgläubigkeit der jeweils anderen Position anerkannten, ohne einen gemeinsamen Text zu formulieren.124 Am 12.11.1536 formulierten die Schweizer zu diesem Zweck eine Darlegung der eigenen Lehre und sandten sie direkt an Luther,125 da sie der Straßburger Vermittlung nun misstrauten.126 Dieses Misstrauen sollte nach 1545 noch stärker werden.

119

Vgl. KÖHLER, Zwingli und Luther II, 456–523, beide Zitate 523. Vgl. FRIEDRICH, Martin Bucer, 127–142. 121 Vgl. FRIEDRICH, Bullinger und die Wittenberger Konkordie, 72–76. 122 Vgl. etwa Bucer an Bullinger, 8.8.1536, HBBW 6, 387 (Nr. 876). 123 Vgl. Bullinger an Myconius, 18.7.1536, HBBW 6, 364 (Nr. 864). 124 Vgl. aaO., 365. BURNETT, Bullinger and the Problem of Eucharistic Concord, 242: „Rather than endorsing obscure formulae, Bullinger argued, it was better simply to agree to disagree. Mutual toleration, not ambiguity, should be the basis for eucharistic concord.“ 125 Vgl. WA.B 12, 247–258 (Nr. 4268 I); dazu KÖHLER, Zwingli und Luther II, 496–503. 126 Vgl. FRIEDRICH, Bullinger und die Wittenberger Konkordie,72–73. 120

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II.3 Die Entwicklung der 1530er Jahre

Luther reagierte auf die Kontaktaufnahme der Schweizer freundlich, war aber nicht bereit, ihr Bekenntnis anzuerkennen: Er betont, dass eine Konkordie durch Verhandlungen Bucers und Capitos mit den Schweizern herbeizuführen sei127 – für ihn ist also abendmahlstheologische Einigkeit mit letzteren nicht bereits gegeben, sondern muss dadurch entstehen, dass die Gegenseite sich (gemäß seiner Konkordiendeutung) zu seiner Haltung bekehrt. Insofern überrascht es nicht, dass Luther sich zu neuer Polemik berechtigt sah, als dies nicht geschah: Für ihn waren die Schweizer Reformatoren bis zum Widerruf Ketzer. Aufgrund der unvereinbaren Einigungskonzepte fand sich keine Lösung. Im Herbst 1538 nahmen die Schweizer Abstand von weiteren Verhandlungen.128

3.6 Die Schmalkaldischen Artikel (1536/37) 3.6 Die Schmalkaldischen Artikel (1536/37)

Dass die Wittenberger Theologen über die aus der Konkordie zu ziehenden Folgerungen unterschiedlicher Ansicht waren, zeigen die Debatten über den Abendmahlsabschnitt der Schmalkaldischen Artikel, die nach grundlegenden Analysen von Hans Volz und Ernst Bizer129 von Werner Führer neu dargestellt worden sind.130 Der Text blieb zeitgenössisch umstritten – sollte aber im Zweiten Abendmahlsstreit ein wichtiger Bezugspunkt für Westphals Partei werden. Im Dezember 1536 forderte Kurfürst Johann Friedrich Luther zur Abfassung von Artikeln auf, die als Ausdruck einer gemeinsamen evangelischen Position dienen und zugleich ein theologisches Testament Luthers darstellen sollten, dessen Gesundheitszustand zu diesem Zeitpunkt angegriffen war. Bis Anfang Januar 1537 entwarf Luther diesen Text und überarbeitete ihn dann zusammen mit Agricola, Amsdorf, Spalatin und seinen Wittenberger Kollegen.131 Der Abendmahlsabschnitt des so entstandenen Textes enthält neben Abgrenzungen gegen communio sub una und Transsubstantiation132 die Aussage: „Halten wir, das brod und wein im Abendmal sey der warhafftige leib und blut Christi Und werde nicht allein gereicht und empfangen von fromen, sondern auch von bösen Christen.“133 Die hier formulierte Identität von Elementen und Leib Christi und das Festhalten an der manducatio impiorum stehen für eine 127

Vgl. Luther an die Schweizer, 12.1.1538, WA.B 8, 150–153 (Nr. 3191). Vgl. BIZER, Geschichte des Abendmahlsstreits, 200–228. 129 VOLZ, HANS, Luthers Schmalkaldische Artikel und Melanchthons Tractatus de potestate papae, Gotha 1931; DERS., Luthers Schmalkaldische Artikel, in: ZKG 68 (1957), 259– 286; BIZER, ERNST, Zum geschichtlichen Verständnis von Luthers Schmalkaldischen Artikeln, in: ZKG 67 (1955/56), 61–92; DERS., Noch einmal: Die Schmalkaldischen Artikel, in: ZKG 68 (1957), 287–294. 130 FÜHRER, WERNER, Die Schmalkaldischen Artikel, Tübingen 2009 (KSLuth 2). 131 Vgl. zum Ablauf im Einzelnen aaO., 9–17. 132 Vgl. BSELK, 766,24–768,14. 133 BSELK, 766,21–24. 128

3.6 Die Schmalkaldischen Artikel (1536/37)

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Haltung, die in der Konkordie einen Anschluss der Oberdeutschen an die unveränderte Auffassung Luthers sah und daher keine Rücksichtnahme auf deren Position für erforderlich hielt. Auf diese Formel sollte sich Westphals Partei im Zweiten Abendmahlsstreit berufen. Jedoch war die Abendmahlsformel strittig. Melanchthon soll gegenüber Philipp von Hessen geäußert haben, der Abendmahlsartikel sei „etwas heftig gestalt […] Welchs doch Luther am irsten nit so gestalt, Sondern noch Inhalt der concordien, das mit dem brode der leib des herren geben wurde, Vnd solchs hab geursacht Pomeranus.“134 Später machte er Amsdorf dafür verantwortlich.135 Melanchthon hätte also die sachlich der Wittenberger Konkordie entsprechende „mit“-Formel lieber gesehen. Weniger klar ist, wer die Gegenposition vertrat: Luther hatte ursprünglich formuliert „unter brod und wein sey der warhafftige leib und blut Christi im Abend mal“ – die Endfassung entstand bei den Wittenberger Beratungen.136 Das „unter“ ist Luthers gängige Formel. Ob dessen Streichung eine Konzession an Oberdeutsche darstellte, für die „unter“ eine Einschließung ins Brot implizierte,137 ist zweifelhaft: Aus oberdeutscher Sicht war die Aussage einer Identität von Leib und Brot ähnlich unannehmbar. Ein Dringen auf massivere Aussagen ist für Bugenhagen wie für den Konkordiengegner Amsdorf plausibel – jedoch darf nicht übersehen werden, dass Luther ebenfalls die Konkordie im Sinne eines Anschlusses der Oberdeutschen an seine unveränderte eigene Auffassung verstand und Melanchthon sowie Philipp von Hessen ein Interesse hatten, nicht Luther, sondern andere Kollegen für das aus ihrer Sicht problematische Resultat verantwortlich zu machen.138 Zum gemeinsamen evangelischen Bekenntnis wurde der Text nur eingeschränkt: Die Vertreter des Schmalkaldischen Bundes einigten sich im Februar 1537, an CA und Wittenberger Konkordie als gemeinsamer Bekenntnisgrundlage festzuhalten, während Luthers Artikel dem Bundestag nicht offiziell vorgelegt wurden. Am 24.2. organisierte Bugenhagen eine Theologenversammlung, bei der die Artikel unterzeichnet werden sollten – die Mehrheit der Anwesenden (darunter Westphals spätere Mitstreiter Erhard Schnepf und Johann Timann, aber auch Melanchthon) tat dies; Bucer und weitere Oberdeutsche weigerten sich.139 Diese Konstellation erklärt, dass Westphals Seite die Artikel später zum reformatorisch normativen Bekenntnis erklären, die Gegenpartei diesen Charakter bestreiten konnte. Vorläufig trat mit der von Melanchthon überarbeiteten CA ein deutungsoffenerer Text in den Vordergrund. 134 Philipp von Hessen an Jakob Sturm, 10.2.1537, in: Urkunden und Aktenstücke zur Geschichte von Martin Luthers Schmalkaldischen Artikeln (1536–1574), ed. v. Hans Volz, KlT 179, Berlin 1957, 105 (Nr. IV.B.2). 135 In den Vorberatungen zum Wormser Religionsgespräch, zitiert aaO., 105 Anm. 10. 136 Vgl. die Dokumentation bei FÜHRER, Die Schmalkaldischen Artikel, 311. 137 So BIZER, Zum geschichtlichen Verständnis, 73–75. 138 Vgl. FÜHRER, Die Schmalkaldischen Artikel, 46 f. 139 Vgl. dazu im Einzelnen aaO., 44–59; 405–406.

Kapitel II.4

Kooperation Wittenbergs und Straßburgs: Die Reichsreligionsgespräche (1540/41) Zu einer engen Zusammenarbeit von Wittenberger und oberdeutschen Reformatoren, auf die vor allem Calvin im Zweiten Abendmahlsstreit rekurrieren sollte, kam es im Zuge der Reichsreligionsgespräche von 1540/41: Der Kaiser strebte eine Verständigung mit dem Schmalkaldischen Bund an, da er militärische Unterstützung gegen die Osmanen benötigte. Infolgedessen kam es im April 1539 zum Frankfurter Anstand, der ein Religionsgespräch vorsah.1 Damit sahen sich die in der Wittenberger Konkordie Zusammengeschlossenen veranlasst, gegenüber der altgläubigen Partei gemeinsam Position zu beziehen.

4.1 Die CA variata (1540) als gemeinsames Bekenntnis 4.1 Die CA variata (1540)

Anlässlich der Religionsgespräche entstand mit der Variata die Fassung der Confessio Augustana, auf die sich beide Parteien des Zweiten Abendmahlsstreits vorrangig berufen sollten. Das liegt zunächst daran, dass alle lateinischen Drucke bis 1558 ihr folgten2 – dass der Text in Calvins wie in Westphals Sinne lesbar war, hängt zugleich mit dem Entstehungskontext zusammen. Wie Wilhelm Maurer nachgewiesen hat, war die Variata nicht (wie die ältere Forschung meinte) eine Privatarbeit Melanchthons, sondern Teil der Strategie des Schmalkaldischen Bundes für das Religionsgespräch: Ab 1539 stellten die Bundestheologen Überlegungen an, wie die CA angesichts der Entwicklungen durch Wittenberger Konkordie und Schmalkaldische Artikel zu verteidigen sei. Zudem versuchten Kaiser und Altgläubige in den Vorverhandlungen sowie beim Hagenauer Gespräch von 1540, die Evangelischen zu spalten und sich nur mit den CA-Unterzeichnern von 1530 zu einigen – das scheiterte zwar, zeigte aber eine Gefahr. Darauf reagierte Melanchthons Neubearbeitung.3

1 Vgl. GANZER, KLAUS / ZUR MÜHLEN, KARL-HEINZ, Historische Einleitung, ADRG 1/1, XIIf. 2 Vgl. NEUSER, WILHELM H., Bibliographie der Confessio Augustana und Apologie 1530–1580, Nieuwkoop 1987 (BHRef 37), 16–18. 3 Vgl. für den Nachweis im Einzelnen MAURER, WILHELM, Confessio Augustana Variata, in: ARG 53 (1963), 97–151, hier 100–113.

102

II.4 Die Reichsreligionsgespräche (1540/41)

Im Laufe der Forschungsgeschichte ist deutlich geworden, dass die Variata deutungsoffen für alle unter den Unterzeichnern der Wittenberger Konkordie vertretenen Positionen war – was die differierenden Inanspruchnahmen im Zweiten Abendmahlsstreit erklärt: Hatte Wilhelm Maurer von seinem Urteil, dass die Variata klarer die evangelische Position ausdrücke als die Invariata, aber terminologisch auf die altgläubige Seite zugehe,4 den Abendmahlsartikel ausgenommen und als einseitige Annäherung an die Oberdeutschen geschildert,5 hat Pierre Fraenkel auch darin terminologische Anknüpfungspunkte für Altgläubige gefunden.6 Gottfried Seebaß schließlich hat nachgewiesen, dass der Text keineswegs einseitig oberdeutsch akzentuiert: Die Formulierung „De Coena Domini docent, quod cum pane et vino vere exhibeantur corpus et sanguis Christi vescentibus in Coena Domini“7 erklärt sich vielmehr daraus, dass gegenüber der Wittenberger Konkordie die anti-altgläubigen Abgrenzungen gestrichen sind, um das Gespräch mit der altgläubigen Seite nicht zu belasten. Ein Text, der nur die positiven Abendmahlsaussagen der Konkordie übernommen hätte, wäre aber für die oberdeutsche Seite nicht akzeptabel gewesen, da diese Aussagen fast wörtlich der deutschen CA invariata entsprachen.8 So wurde eine Formulierung gefunden, die die zwischen Wittenberg und Straßburg unstrittige Aussage festhielt, dass Leib und Blut Christi den Kommunikanten cum pane et vino wahrhaft angeboten würden. In welcher Weise und in welchem Verhältnis zu den Elementen sie präsent seien, wurde hingegen genauso offen gelassen wie die Frage der manducatio impiorum – so dass der Text für alle an der Konkordie beteiligten Theologen anschlussfähig war.9 Aufschlussreich für die Funktion der CA variata als gemeinsames Bekenntnis und gegenseitiger Deutungsrahmen von Wittenberger und Straßburger Reformation ist zudem der Umstand, dass sie nicht nur eine Lektüre im Sinne verschiedener positiver Lehrauffassungen ermöglichte, sondern auch Haltungen, die eine eindeutige positive Festlegung vermieden. Für ersteres stehen an beiden Enden des Spektrums Luthers Deutung im Sinne einer leiblichen Präsenz Christi in, cum et sub pane und die Straßburger Lesart im Sinne einer realen, exhibitiv an den Abendmahlsvollzug gebundenen, aber keine Einschließung in die Elemente implizierenden Präsenz;10 letzteres zeigt sich speziell an 4

Vgl. aaO., 113–132. Vgl. aaO., 133–136. 6 FRAENKEL, PIERRE, Die Augustana und das Gespräch mit Rom, 1540–1541, in: Martin Brecht / Reinhard Schwarz (Hg.), Bekenntnis und Einheit der Kirche. Studien zum Konkordienbuch, Stuttgart 1980, 89–103. 7 BSELK QuM I, 127,26 f. 8 SEEBAß, GOTTFRIED, Der Abendmahlsartikel der Confessio Augustana Variata von 1540, in: Johanna Loehr (Hg.), Dona Melanchthoniana, FS Heinz Scheible, Stuttgart-Bad Cannstatt 2001, 411–424, hier 416–419. 9 Vgl. aaO., 419–422. 10 Vgl. dazu o. Kap. II.3.4. 5

4.2 Die Zusammenarbeit während der Gespräche

103

der Haltung Melanchthons, der sich in der Folge bei abendmahlstheologischen Äußerungen positiv auf Formulierungen beschränkte, die eng an die CA variata angelehnt waren, und Abgrenzungen nur gegen Positionen vornahm, die den Abendmahlsvollzug entweder als verdienstliche Leistung (im Sinne des Messopfers) oder als rein symbolischen Bekenntnisakt auffassten.11 Beide Aspekte sollten für den Zweiten Abendmahlsstreit bedeutsam werden: Sowohl Westphals Partei als auch seine Streitgegner konnten sich für ihre jeweiligen Lehrauffassungen auf die CA variata berufen und davon ausgehend die übrige Wittenberger und Straßburger Reformation – gerade auch Melanchthons Haltung – in ihrem Sinne interpretieren. Melanchthon selbst wiederum versuchte an seinem Konzept der Variata als zureichendem, nicht näher auszudeutendem Rahmen wahrer Lehre festzuhalten, geriet aber damit im Laufe des Streits immer stärker in Schwierigkeiten, da beide Streitparteien eine bestimmte Deutung normativ setzten. Auf den Reichsreligionsgesprächen von 1540/41 hingegen war dies noch nicht der Fall: Hier konnten diese Interpretationen nebeneinander stehen und ermöglichten so eine Zusammenarbeit von Wittenberger und Straßburger Reformation gegenüber der altgläubigen Seite.

4.2 Die Zusammenarbeit während der Gespräche 4.2 Die Zusammenarbeit während der Gespräche

Die Zusammenarbeit zwischen Wittenberger und oberdeutschen Reformatoren setzte sich in den Sakramentsdebatten des Wormser und Regensburger Religionsgesprächs fort, die in der neueren Forschung Saskia Schultheis analysiert hat.12 Auf diese Kooperation sollte sich Calvin im Zweiten Abendmahlsstreit berufen, um zu belegen, dass seine Position mit Wittenberger abendmahlstheologischen Auffassungen kompatibel sei. Dass Westphal ebenfalls in diesem Kontext entstandene Dokumente ins Feld führen konnte, zeigt aber, dass sich die gemeinsamen Texte unterschiedlich interpretieren ließen – darin dürfte auch der Grund dafür liegen, warum sie 1540/41 für alle bei den Gesprächen anwesenden Evangelischen akzeptabel waren: von Calvin und Bucer bis zu Westphals späteren Parteigängern Timann und Schnepf. Dass die anwesenden Evangelischen sich nicht von den Altgläubigen gegeneinander ausspielen ließen, zeigte sich ab November 1540 in Worms: Nachdem von der evangelischen Seite als Gesprächsgrundlage CA variata und Apologie 11

Vgl. JAMMERTHAL, Melanchthons Abendmahlstheologie, 157–164. Vgl. SCHULTHEIS, SASKIA, Die Verhandlungen über das Abendmahl und die übrigen Sakramente auf dem Religionsgespräch in Regensburg 1541, Göttingen 2012 (FKDG 102). Wie Johannes Hund in seiner Rezension in: ZKG 124 (2013), 364 f., aufgewiesen hat, konzentriert sich Schultheis in ihrer Analyse allerdings auf wittenbergische und altgläubige Perspektiven, während andere evangelische Positionen „nur höchst selten als hermeneutisches Mittel zum Verständnis der innerevangelischen Debatten“ genutzt werden (aaO., 365). 12

104

II.4 Die Reichsreligionsgespräche (1540/41)

eingereicht worden waren, hatten altgläubige Stände mit den Argumenten opponiert, die Variata sei gegenüber der Invariata verändert und die Einbeziehung der CT-Anhänger stehe in Widerspruch zu ihrem früheren Bekenntnis.13 Dass dies keinen Erfolg hatte, hängt zwar auch damit zusammen, dass sich die Präsidialräte darauf nicht einließen14 und die Altgläubigen über die Bewertung der CA uneins waren.15 Jedoch achteten auch Evangelische auf Formulierungen, die für Wittenberg und Straßburg akzeptabel waren: So finden sich im auf Veranlassung des kaiserlichen Orators Granvella als Einigungsgrundlage erarbeiteten Wormser Buch, an dem neben dem Vermittlungstheologen Gropper auch Bucer und Capito beteiligt waren, Aussagen wie „Duobus enim hoc Sacramentum conficitur, Visibili elementorum specie et invisibili domini nostri Jesu Christi carne et sanguine, quae hoc Sacramento vera vere et realiter participamus“16 – das lässt sich im Sinne der Transsubstantiation, einer leiblichen Gegenwart, aber auch einer Straßburger geistlichen Realpräsenz lesen.17 Noch deutlicher wurde die Geschlossenheit der evangelischen Partei auf dem Regensburger Reichstag ab dem 5.4.1541 – insofern konnte der dort anwesende Calvin daran später festmachen, dass seine Auffassung für Theologen der Wittenberger Reformation unproblematisch sei. Der altgläubige Theologe Gasparo Contarini hatte im Vorfeld Einfügungen im Wormser Buch vorgenommen; Ergebnis war das Regensburger Buch, in dessen Abendmahlsartikel die deutungsoffene Formulierung des Wormser Buchs „durch ein klares Bekenntnis zur Transsubstantiationslehre überformt wurde“.18 In den Beratungen führten die anwesenden Evangelischen – von Brenz und Schnepf bis zu Calvin – keine Kontroverse über das Abendmahl, sondern lehnten nahezu geschlossen 13

Vgl. ADRG 2/1, 80, 6–16 (Nr. 37). Vgl. ADRG 2/1, 81,2–12 (Nr. 38). 15 Vermittlungstheologisch gesonnene Stände argumentierten, die CA sei akzeptabel (vgl. ADRG 2/1, 1190,24–27 (Nr. 414)), während das u.a. von Mainz, Köln, Bayern und Trier getragene Mehrheitsgutachten betonte, der Anschluss der CT-Unterzeichner an die CA sei betrügerisch (vgl. ADRG 2/1, 1185,33–1186,26 (Nr. 412)). 16 ADRG 2/1, 660,21–662,1 (Nr. 225). 17 Während SCHULTHEIS, Verhandlungen über das Abendmahl, 42–44, die altgläubigen und Wittenberger Lesarten differenziert herausarbeitet, ist ihr also im Hinblick auf die Aussage zu widersprechen, die Betonung des „vere“ sei eine „Absage an ein Eucharistieverständnis, das als ,symbolisch‘ kritisiert wird. […] Calvin, der in Regensburg anwesend ist, darf zurecht als ein Kritiker, wenn nicht sogar als ein Gegner der lutherischen Abendmahlslehre gesehen werden.“ (42) Dagegen ist festzuhalten, dass „vere“ gerade typisch für eine die Frage der Leiblichkeit offenlassende, also für Calvin akzeptable Auffassung der Realpräsenz ist (vgl. o. Kap. II.3.2; III.1.1.a) und es nicht einleuchtet, dass Bucer (!) die Absicht gehabt haben sollte, sich gegen seinen Straßburger Kollegen Calvin abzugrenzen. 18 So treffend JAMMERTHAL, Melanchthons Abendmahlstheologie, 148. Vgl. zu dem Text im Einzelnen MEHLHAUSEN, JOACHIM, Die Abendmahlsformel des Regensburger Buches, in: Luise Abramowski / J. F. Gerhard Goeters (Hg.), Studien zur Theologie und Geschichte der Reformation, FS Ernst Bizer, Neukirchen-Vluyn 1969, 189–211. 14

4.2 Die Zusammenarbeit während der Gespräche

105

Transsubstantiation und Anbetung des Sakraments ab.19 Zugleich einigten sie sich positiv auf eine gemeinsame, von Melanchthon, Bucer und Johannes Pistorius verfasste und am 10.5.1541 den Präsidenten des Religionsgesprächs zugestellte Stellungnahme. Dieser Text und seine Rezeption im Zweiten Abendmahlsstreit zeigen allerdings auch, wie sehr die innerevangelische Übereinstimmung auf Deutungsspielräumen beruhte. So heißt es darin: „testati sumus nos amplecti et tueri communem consensum catholicae ecclesiae, quod in coena domini consecrato pane et vino vere et realiter adsint et sumantur corpus et sanguis domini. Testati sumus etiam nos improbare eos, qui negant adesse et sumi verum corpus Christi.“20

Hier wird zunächst schlicht die CA variata zitiert und die wahrhaftige Präsenz des Leibes und Blutes Christi festgehalten. Das dürfte für die Straßburger nicht problematisch gewesen sein, zumal offen bleibt, wer mit der ausgeschlossenen Position einer Abwesenheit Christi gemeint ist. Andererseits kann der Text auch so interpretiert werden, dass eine leibliche Präsenz in den Elementen gemeint ist und alle damit unvereinbaren Positionen ausgeschlossen sind, zumal angesichts des (als terminologische Brücke zu altgläubigen Positionen eingefügten) consecrari. Insofern konnte sich Westphal später auf diesen Text als Beleg dafür berufen, dass die Theologen des Religionsgesprächs seine Position vertreten und die Auffassung seiner Gegner verdammt hätten. Die Verständigung mit der altgläubigen Seite scheiterte letztlich: Nach vergeblichen Vermittlungsversuchen endete das Religionsgespräch am 22. Mai.21 Die in diesem Kontext formulierten Abgrenzungen gegen die altgläubige Position sollten später vor allem für Melanchthon bedeutsam werden: Wie Tobias Jammerthal herausgearbeitet hat, akzentuierte Melanchthon auf und seit dem Regensburger Gespräch verstärkt, dass die Transsubstantiationslehre vor allem aufgrund ihrer Folgen für die Sakramentspraxis abzulehnen sei: Die daraus gefolgerte Präsenz des Leibes Christi in den Elementen auch außerhalb des Abendmahlsvollzugs (extra usum) führe zu Praktiken wie Prozessionen und Anbetung der Elemente – und damit aus Melanchthons Sicht zu einem nicht einsetzungsgemäßen Gebrauch des Sakraments, der als Götzendienst zu qualifizieren ist.22 Die Konsequenzen, die er in den folgenden Jahrzehnten aus dieser Haltung zog, sollten ihn in der Spätphase des Zweiten Abendmahlsstreits zu einer scharfen Abgrenzung gegen Westphals Partei führen.

19 Nur Bucer erwog eine vorübergehende Tolerierung von Transsubstantiationsaussagen. Vgl. zu den Debatten SCHULTHEIS, Verhandlungen über das Abendmahl, 62–72. 20 MBW 2693,8–12 (MBW.T 10, 178). 21 Vgl. dazu im Einzelnen SCHULTHEIS, Verhandlungen über das Abendmahl, 73–85. 22 Vgl. beispielsweise seine in Regensburg gehaltene Predigt in ADRG 3/2, 518–520 (Nr. 186) und dazu JAMMERTHAL, Melanchthons Abendmahlstheologie, 147–167.

106

II.4 Die Reichsreligionsgespräche (1540/41)

1541 hingegen scheinen die in Regensburg anwesenden Theologen kein Bedürfnis nach gegenseitiger Abgrenzung empfunden zu haben – die mit Wittenberger Konkordie und CA variata gefundene Grundlage für eine Zusammenarbeit von Wittenberger und Straßburger Reformation hatte sich in der Konfrontation mit Altgläubigen bewährt. Die dahinterstehenden verschiedenen Deutungen sollten erst im Zweiten Abendmahlsstreit problematisch werden, das Verhältnis beider Gruppen zur Zürcher Reformation dagegen schon 1544/45.

Kapitel II.5

Erneute Abgrenzungen: Der Konflikt von 1544/45 Schon Ernst Bizer hat nachgewiesen, dass der innerreformatorische Konflikt der Jahre 1544/45 für die folgende Entwicklung grundlegend war.1 Dennoch haben die betreffenden Ereignisse seither in der Forschung wenig Beachtung gefunden.2 Für den Zweiten Abendmahlsstreit sind sie jedoch von grundsätzlicher Bedeutung: Westphals Partei sollte an die hier vertretene Sichtweise Luthers anknüpfen; für Bullingers Perspektive auf die Wittenberger Reformation blieb die im Zürcher Bekenntnis formulierte Haltung prägend. Dass sich Zürich und Straßburg ebenfalls überwarfen, sorgte im Folgenden für Vermittlungsversuche wie den Consensus Tigurinus, die dann wiederum aus Perspektive von Westphals Partei problematisch erschienen.

5.1 Polemik gegen Zürich: Luthers Kurzes Bekenntnis (1544) 5.1 Luthers Kurzes Bekenntnis (1544)

1544 publizierte Luther mit dem Kurzen Bekenntnis erneut eine Abendmahlsschrift, in der die Zürcher verketzert wurden – hier sollte Westphals Partei anknüpfen und die dortige Bewertung Zürichs auf ihre Gegner übertragen. Ebenso war der in der neueren Forschung vor allem in Martin Brechts Lutherbiographie behandelte3 Text für die Zürcher Wahrnehmung der Wittenberger Reformation bis in den Zweiten Abendmahlsstreit hinein zentral. Dass Luther sich zu einer neuen Abgrenzung gegen die Zürcher veranlasst sah, hängt wohl mit dem Eindruck zusammen, dass die Grenzen zwischen der Wittenberger Theologie und von ihm abgelehnten abendmahlstheologischen Positionen zu verwischen drohten: Seit dem freundlichen Austausch der Jahre 1537/38 hatte Luther mehrfach gegen Zwingli polemisiert – er betrachtete die Zürcher unverändert als Ketzer. Darüber waren die Zürcher verärgert, ließen sich jedoch von Bucer überzeugen, vorerst keine Gegenschrift zu verfassen.4 1

Vgl. BIZER, Geschichte des Abendmahlsstreits, 229–243. Das dürfte damit zusammenhängen, dass sich die lutherische Forschung auf Ereignisse bis 1529, die an der Straßburger Reformation interessierte auf die Zeit bis 1536 konzentriert. Zu den vorhandenen Forschungsbeiträgen vgl. die folgenden Abschnitte. 3 BRECHT, MARTIN, Martin Luther. 3 Bde., Stuttgart 1981–1987, hier Bd. III, 319–327. 4 Vgl. überblicksweise FRIEDRICH, Martin Bucer, 142–144. 2

108

II.5 Der Konflikt von 1544/45

Als Luther dann 1543 eine übersandte Zürcher Bibel unter Ketzervorwürfen ablehnte5, sah sich Rudolf Gwalther veranlasst, im Vorwort zum zweiten Band seiner Zwingliausgabe Zwingli gegen Luther zu verteidigen.6 Das Zürcher Verhältnis zu Melanchthon hingegen verbesserte sich im Kontext der von Melanchthon und Bucer durchgeführten Kölner Reformation.7 Der Eindruck, dass die Abgrenzung unklar geworden sei, wurde bei Luther auch durch Briefe befördert: Italienischen Evangelischen war eine Deutung der Wittenberger Konkordie als Einigung auch mit den Schweizern vermittelt worden;8 ein ungarischer Pfarrer, der in Wittenberg studiert hatte, vertrat nun eine von Luther abgelehnte Abendmahlslehre;9 Schwenckfeld verwahrte sich gegen Luthers Vorwurf häretischer Christologie und sah sich gegenüber Zürich auf Luthers Seite.10 In seinem im September 1544 gedruckten Text greift Luther Schwenckfeld, Zwingli, Oekolampad und alle Zürcher an: Kurz vor seinem Tod wolle er nochmals bekennen, diese Sakramentsfeinde stets verdammt zu haben11 – den Vermächtnischarakter dieses Urteils sollte Westphals Seite für sich als verpflichtend ansehen. Es folgt ein Rückblick auf den Abendmahlsstreit, der die Verantwortung für neue Konflikte auf der Gegenseite verortet: Das Marburger Religionsgespräch gilt als zeitlicher Friede, bei dem die Gegner theologisch nachgegeben hätten.12 Zwinglis Fidei expositio ist für Luther ein Verstoß gegen diesen Frieden und ein Beleg dafür, dass Zwingli in Marburg geheuchelt habe – sonst hätte er in der aktuellen Schrift nicht seine frühere Auffassung weiterschreiben können. Also dürfe man nicht aufgrund Marburgs behaupten, dass er, Luther, mit Schwärmern einig sei: Diese hätten sich dort den Wittenbergern angeschlossen, nicht umgekehrt, und der Sakramentsartikel zeige die bleibende Uneinigkeit.13 An diese Sichtweise sollte Westphals Partei anknüpfen. In einem zweiten Teil zählt Luther Warnungen auf, welche die Gegner nicht beeindruckt hätten: ihre (aus Luthers Sicht) widersprüchlichen Deutungen der Einsetzungsworte, Luthers Widerlegung der Argumente, die sie aus Joh 6 und

5

Vgl. Luther an Froschauer, 31.8.1543, WA.B 10, 387 (Nr. 3908). Vgl. GWALTHER, RUDOLF, Epistola ad lectores, in: ZWINGLI, HULDRYCH, OPERA, 4 Bde., Zürich: Christoph Froschauer 1544–1545, VD16 Z 758–Z 761, hier Bd. II, a2r–a5r. 7 Vgl. dazu NEUSER WILHELEM H., Die Versuche Bullingers, Calvins und der Straßburger, Melanchthon zum Fortgang von Wittenberg zu bewegen, in: Ulrich Gäbler / Erland Herkenrath (Hg.), Heinrich Bullinger 1504–1575. Gesammelte Aufsätze zum 400. Todestag, Zürich 1975, Bd. 2 (ZBRG 8), 35–55, hier 35–38. 8 Auf dieses Argument reagiert jedenfalls Luthers Antwortbrief, vgl. Luther an die Evangelischen in Venedig, Vicenza und Treviso, 13.6.1543, WA.B 10, 330 f. (Nr. 3885). 9 Vgl. Luther an Matthias Dévay, 21.4.1544, WA.B 10, 555 f. (Nr. 3984). Da Dévays Lehre inhaltlich kaum charakterisiert wird, ist unklar, um was für eine Lehre es sich handelt. 10 Vgl. Schwenckfeld an Luther, 12.10.1543, WA.B 10, 421–426 (Nr. 3926). 11 Vgl. WA 54, 141,17–21. 12 Vgl. WA 54, 142,17–26. 13 Vgl. WA 54, 143,3–144,25. 6

5.2 Das Zürcher Bekenntnis (1545)

109

aus der Himmelfahrt Christi ableiteten, Zwinglis Tod in der Schlacht.14 Dann betont er, dass alles sonstige Engagement der Gegner für die Kirche nutzlos sei: Mit Unglauben in einem Artikel müssten auch alle anderen fallen. Er befinde sich mit ihnen in keiner Gemeinschaft15 – auch das später ein wichtiges Argument für Westphals Seite gegen Calvin oder Vermigli. Melanchthon äußerte sich Bullinger gegenüber bedauernd über Luthers Schrift und den neuen Streit16 – auch im Folgenden sollten ihn die Schweizer weniger negativ wahrnehmen als andere Wittenberger. Vorerst jedoch teilte ihm Bullinger mit, dass er nun auf Luthers Polemik antworten müsse.17

5.2 Ende des Dialogs mit Wittenberg: Das Zürcher Bekenntnis (1545) 5.2 Das Zürcher Bekenntnis (1545)

Die von Bullinger abgefasste Gegenschrift der Zürcher Pfarrer, die Ernst Bizer, Fritz Büsser und Andreas Mühling analysiert haben,18 hat ebenfalls die Form eines Bekenntnisses und ist von einer Wahrnehmung getragen, die Bullinger auch im Zweiten Abendmahlsstreit vertreten sollte: Die Zürcher hätten sich stets um Frieden bemüht, Luther dagegen habe sie attackiert – angesichts dieser Erfahrung seien weitere Versuche einer Einigung mit Wittenberg sinnlos. Die in der Vorrede eingeführte Perspektive, die Zürcher hätten um des Friedens willen lange geschwiegen, sähen sich nun aber zu einer Antwort auf die Angriffe gezwungen,19 zieht sich auch durch die Darstellung des bisherigen Streits: Es wird betont, dass sich die Schweizer in Marburg keineswegs Luther angeschlossen hätten, dass Zwinglis Fidei Expositio den Marburger Artikeln nicht widerspreche und dass sich die Zürcher in der Folge friedfertig gezeigt hätten – Luther hingegen habe den Frieden wiederholt durch Polemik gebrochen.20 Die Zürcher hätten sich dennoch auf die Straßburger Einigungsbemühungen eingelassen – zitiert wird für ihre Position bezeichnenderweise die deutsche (engere) Fassung der CH prior, so dass die Wittenberger Konkordie als damit nicht übereinstimmend zurückgewiesen werden kann. Dass die Zür-

14

Vgl. WA 54, 148,20–155,8. Vgl. WA 54, 155,9–162,30. 16 Vgl. Melanchthon an Bullinger, 31.8.1544, MBW.T 13, 404 (MBW 3671). 17 Vgl. Bullinger an Melanchthon, 3.12.1544, MBW.T 13, 530–531 (MBW 3748). 18 Vgl. BIZER, Geschichte des Abendmahlsstreits, 234–243; BÜSSER, Heinrich Bullinger, Bd. II, 149–154; MÜHLING, ANDREAS, Einleitung, in: RefBek 1/2, 449–455. 19 Alle Editionen bieten nur eine Auswahl aus dem Text. Daher wird hier nach dem Erstdruck zitiert: BULLINGER, HEINRICH, Warhaffte Be=||kanntnuß der dieneren der || kilchen z Zürych / […] mit gebürlicher Antwort vff das vn||begründt ergerlich schmhen […] || D. Martin Luthers […], Zürich: Christoph Froschauer 1545, VD16 B 9769, 2r–5v. 20 Vgl. aaO., 6r–31v. 15

110

II.5 Der Konflikt von 1544/45

cher dennoch friedenswillig gewesen seien, wird unter Verweis auf den Briefwechsel mit Luther von 1537/38 betont: Sie seien damals von Frieden ausgegangen – Luther dagegen habe wiederholt polemisiert, gipfelnd im Kurzen Bekenntnis.21 Mit analoger Begründung sollte Bullinger im Zweiten Abendmahlsstreit Versuche einer Einigung mit Wittenberg als zwecklos ablehnen. Ebenso typisch für die spätere Argumentation der Zürcher Theologen ist es, dass für die eigene Rechtgläubigkeit auf die Alte Kirche verwiesen wird: Gegen Luthers Ketzervorwürfe wird die Übereinstimmung der Zürcher Lehre mit Apostolikum, Nizänum, Athanasianum und Damascenum dargelegt, um sie dann ausführlich, aber inhaltlich gegenüber 1534 kaum verändert aus Schrift und Vätern herzuleiten.22 Luthers Lehre hingegen wird unter Verweis auf ihre (nach Zürcher Meinung) christologische Selbstwidersprüchlichkeit nunmehr wieder klar widerlegt und angesichts der These leiblicher Gegenwart in den Elementen als quasi-papistisch dargestellt.23 Auf dieser Basis betonen die Zürcher, sie seien sich ihrer Unschuld gewiss und verträten die Wahrheit.24 Mit den beiden Texten war der Bruch zwischen Luther und den Zürchern endgültig: Luther trug sich mit einer Antwort, konnte diese jedoch vor seinem Tod 1546 nicht vollenden. Allerdings sind einige sehr polemische Äußerungen von ihm überliefert – unter anderem in einem Brief an Jakob Probst, den Westphals Seite wiederholt zitieren sollte.25 Auch Melanchthon nahm das Zürcher Bekenntnis negativ auf und schrieb Bullinger vorerst nicht mehr.26 Deutlich wird die Dimension der Abgrenzung auch daran, dass Bullinger eine reichsrechtliche Verurteilung der Zürcher befürchtete und sich an diverse Reichsstände (u.a. Hessen) wandte, die dies verhindern sollten.27 Auch auf die Beziehungen der Zürcher zu Straßburg wirkten sich die Ereignisse aus.

5.3 Das Zerwürfnis zwischen Zürich und Straßburg 5.3 Das Zerwürfnis zwischen Zürich und Straßburg

Das Verhältnis zwischen Zürcher und Straßburger Theologen war seit Ende der 1530er Jahre von Misstrauen geprägt, da die Straßburger die Zürcher als Gegner der Wittenberger Konkordie, die Zürcher das Straßburger Einigungsmodell als Gefährdung des eigenen Wahrheitsbekenntnisses wahrnahmen. Angesichts der Bekenntnisse von 1544/45 überwarfen sich beide Seiten schließlich massiv.

21

Vgl. aaO., 31v–41r. Vgl. BULLINGER, Wahrhaftes Bekenntnis, 50r–86r. 23 Vgl. aaO., 86v–111r. 24 Vgl. aaO., 130r–141r. 25 Vgl. Luther an Jakob Probst, 17.1.1546, WA.B 11, 263 (Nr. 4188). 26 Nach dem 31.8.1544 (MBW 3671) ist bis zum 20.8.1555 (MBW 7558) kein Schreiben an Bullinger mehr belegt. 27 Vgl. dazu im Einzelnen MÜHLING, Einleitung, in: RefBek 1/2, 451. 22

5.3 Das Zerwürfnis zwischen Zürich und Straßburg

111

Das mündete zunächst in gegenseitige theologische Abgrenzung – als deren Folgen sichtbar wurden, erwuchsen daraus neue Verständigungsversuche. Im Zweiten Abendmahlsstreit sollten beide Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Bucer sah durch das Zürcher Bekenntnis seine Einheitsbemühungen sabotiert. Er zeigte sich enttäuscht, dass die Zürcher gegen Luther geschrieben hatten, und warf ihnen vor, mit ihrer Ablehnung der Konkordie den erneuten Streit verschuldet zu haben.28 Zudem kritisierte er den Inhalt ihres Bekenntnisses: bis hin zum Vorwurf, sie wollten nun das Abendmahl als reine Erinnerung an den abwesenden Christus sehen.29 Die Zürcher wiederum waren aufgrund von Luthers Polemik zu keiner Konzilianz mehr bereit: Luthers Lehre wird als quasipapistisch beschrieben; Bucer wird vorgeworfen, Luthers Hochmut begünstigt zu haben. Er hätte nie mit seinen Konkordienversuchen beginnen sollen.30 Das steigert sich bis zur Aussage, wenn Bucer zu Luther und den Seinen überliefe, müssten die Zürcher ihn mitsamt diesen exkommunizieren.31 Mit entsprechendem Tenor wurde die Zürcher nun gegen die Straßburger Theologie abgegrenzt. Das zeigt sich an Bullingers Tractatio de sacramentis, die er 1545 schrieb (aber zunächst nicht veröffentlichte)32 – nach ihrer Veröffentlichung durch a Lasco sollte Westphal die Aussagen dieser Schrift gegen die Verständigung zwischen Zürich und Genf im Consensus Tigurinus ausspielen. Überwiegend baut Bullinger hier seine bekannte Auffassung aus; neu ist auch nicht die Benennung der Differenzen zur exhibitiven Lehre – wohl aber die konfrontative Wendung dagegen. So bleibt Bullingers Grundsatz, dass äußeres und inneres Geschehen zu unterscheiden sind und nicht aneinander gebunden werden dürfen.33 Dies wird nun aber nicht mehr konziliant so gefasst, dass beides dennoch parallel geschehen könne,34 sondern für eine Abgrenzung genutzt, die auch exhibitive Auffassungen trifft: Christus binde sich nirgends an Zeichen oder verspreche, in oder mit ihnen körperlich, wesentlich oder wirklich anwesend zu sein.35 In Abgrenzung dagegen wird das eigene Verständnis 28 Vgl. Bucer an Bullinger, 13.12.1544, in: Die Vadianische Briefsammlung der Stadtbibliothek St. Gallen, 7 Bde., St. Gallen 1891–1915, hier Bd. VI, 374–389 (zu Nr. 1381). 29 Vgl. Bucer an Bullinger, 9.4.1545, HBBW 15, 244,13–15 (Nr. 2131). 30 Vgl. etwa Bullinger an Bucer, 24.11.1544, HBBW 14, 552–554 (Nr. 2037). 31 Vgl. Bullinger an Bucer, 12.3.1545, HBBW 15, 156,23–25 (Nr. 2096). 32 Er integrierte sie später verändert in die Dekaden, vgl. u. Kap. III.1.2.d. Die Version von 1545/46 wurde 1551 von a Lasco veröffentlicht, vgl. OPITZ, PETER, Einleitung, HBTS 3, XX–XXI; HBTS 3/2, 875 Anm. 4. Zum Kontext der Veröffentlichung u. Kap. III.1.3.e. In HBTS 3/2, 874–966 ist zum Dekadentext a Lascos Ausgabe kollationiert. Danach wird im Folgenden zitiert – gemeint ist stets die aus der Kollation hervorgehende Version von 1551. 33 Vgl. HBTS 3/2, 888,16–891,15. 34 Vgl. o. Kap. II.3.3. 35 HBTS 3/2, 891,11–15: „si quis per promissionem intelligat pactionem, qua se dominus singulariter obstrinxerit ac velut affixerit signis, in quibus aut cum quibus velit corporaliter, essentialiter et realiter esse praesens, quam plus dicit, quam scripturis demonstrari evincereque possit“.

112

II.5 Der Konflikt von 1544/45

betont als symbolisch bezeichnet: Das Mahl ist Zeugnis, Siegel und Erinnerung des im Himmel verorteten Leibes Christi.36 Der bekannte Akzent, den Sakramenten dürfe keine Gnadenvermittlung zugeschrieben werden, da diese sonst nicht allein von Gott abhänge,37 wird zur Basis einer polemischen Zusammenordnung von exhibitiver und altgläubiger Position.38 Altgläubige Tendenzen werden auch der Straßburger Amtslehre unterstellt: Wenn das Volk höre, dass es durch den Pfarrer himmlische Gaben erhalte, werde es mehr von ihm als von Christus abhängen. Dagegen sei festzuhalten, dass Gott innerlich in der Seele wirke; der Dienst des Pfarrers beziehe sich nur auf die äußeren Zeichen.39 Die Straßburger dagegen interpretierten die Zürcher weiterhin als prinzipiell mit der eigenen Position übereinstimmend – machten ihnen jedoch die Abkehr von einer konzilianten Haltung zum Vorwurf. Das zeigte sich, als Zürcher Studenten 1546 in Straßburg die Abendmahlsteilnahme verweigerten: Die Straßburger Geistlichen betonten in einem Brief an die Zürcher, Kirchengemeinschaft sei trotz des Abendmahlsstreits gegeben.40 Von den Studenten werde keine Festlegung zur Art der Präsenz verlangt, sondern nur ein Bekenntnis zu den Einsetzungsworten, zur praesentia et efficacia Domini nach der CH prior oder der communicatio corporis Domini nach 1 Kor 10,1641 – also Texte, die an sich zwar unstrittig sind, aber eine exhibitive Deutung nahelegen!42 Dem entspricht die Aussage, man habe den Studenten dargelegt, dass die Zürcher der CH prior nicht widersprächen und nicht von Symbolen des abwesenden Christus ausgingen.43 Hier wird aus dem am stärksten straßburgisch beeinflussten aller Schweizer Texte abgeleitet, dass die Zürcher auf eine Abendmahlsteilnahme ihrer Studenten hinwirken sollen44 – und unterstellt, dass sie andernfalls die radikale Position eines abwesenden Christus vertreten. Diese gegenseitigen Abgrenzungen sollten für Theologen beider Richtungen prägend werden – sie führten aber auch zu neuen Verständigungsversuchen. Letztere wurden unmittelbar Ausgangspunkt des Zweiten Abendmahlsstreits.

36

Vgl. HBTS 3/2, 891,21–893, Anm. 264. Das weist Bullinger nochmals ausführlich nach, vgl. HBTS 3/2, 924,13–928,28. 38 Vgl. HBTS 3/2, 958,24–40. 39 HBTS 3/2, 962,43–964,44. 40 Vgl. die Straßburger an die Zürcher Pfarrer, CR 40 = CO 12, 437 f. 41 Vgl. aaO., 438 f. 42 Das wird in der gängigen Interpretation des Textes als versöhnlichem Versuch der Friedensstiftung (vgl. etwa MOSER, Epistolary, 439) nicht gesehen, so dass dann die Zürcher Reaktion unverständlich hart erscheint. 43 Die Straßburger an die Zürcher Pfarrer, CR 40 = CO 12, 440: „Quumque institutionem ecclesiarum suarum allegarent, respondimus, nos non dubitare, vos confessioni Basiliensi non contradicere, nec percipere in sancta coena nihil percipi quam absentis omnino Christi symbola, panem et vinum.“ 44 Vgl. aaO., 441 f. 37

Teil III

DIE AUSGANGSSITUATION DES ZWEITEN ABENDMAHLSSTREITS

Vorbemerkung

Konfessionell offene Situation, abendmahlstheologische Entwicklungen und reformatorisch normative Ansprüche Konnten jahrzehntelang unterschiedliche reformatorische Abendmahlsauffassungen und Perspektiven auf das innerevangelische Verhältnis nebeneinander stehen, entwickelten zwischen Mitte der 1540er und Anfang der 1550er Jahre beide späteren Streitparteien verstärkt den Anspruch, dass ihre jeweilige Position für die gesamte Reformation normativ zu gelten habe. Die Akteure knüpften dabei – inhaltlich wie ihrem Selbstverständnis nach – an vorhandene evangelische Auffassungen an, entwickelten diese aber zugleich theologisch und strukturell weiter. Dieser Transformationsprozess führte zu Positionen, deren Einordnung ins innerevangelische Verhältnis erst geklärt werden musste, die aber beide Anspruch auf gesamtreformatorisch normative Geltung erhoben – und daher im Zweiten Abendmahlsstreit in Konflikt zueinander gerieten. Ursprünglich waren die Entwicklungen auf beiden Seiten nicht gegeneinander gerichtet, sondern reagierten auf anderweitige Herausforderungen: Theologen, die sich im Einflussbereich von Zürcher und Straßburger Reformation bewegten, bemühten sich nach dem Zerwürfnis von 1545, wieder eine gemeinsame Basis für diese Richtungen zu finden. In die Überlegungen zu innerreformatorischer Verständigung wurde auch die Wittenberger Reformation gedanklich mit einbezogen – weil sich die Straßburger seit der Wittenberger Konkordie mit ihr theologisch einig sahen, aber auch, weil mancherorts alle drei Richtungen vertreten waren. Verstärkt wurden diese Tendenzen um 1550 einerseits durch Trienter Konzil und Interim, die man als altgläubige Bedrohung für die Reformation insgesamt wahrnahm, andererseits durch die Mitarbeit vieler Theologen an der Reformation Eduards VI. in England. Auf Seiten Westphals und seiner späteren Mitstreiter rief vor allem die Bedrohung durch das Augsburger Interim eine verstärkte Besinnung auf die eigenen reformatorischen Grundlagen hervor. Die folgenden Konflikte innerhalb der Wittenberger Reformation führten bei Westphals Netzwerk zu der Wahrnehmung, das normative Erbe Luthers gegen abweichende evangelische Auffassungen verteidigen zu müssen. Dass die Konzepte letztlich kollidierten, hängt zunächst damit zusammen, dass sie beide Anspruch auf gesamtreformatorisch normative Geltung erhoben – sowohl im Hinblick auf ihre Abendmahlslehre als auch auf ihre Bestimmung des Verhältnisses zwischen verschiedenen Richtungen der Reformation. Hatten frühere Reformatoren noch jeweils alle anderen Beteiligten eines Eini-

116

Vorbemerkung zu Teil III

gungstextes – etwa der Wittenberger Konkordie – im Sinne der eigenen Perspektive lesen können, wurden nun von beiden Seiten abweichende Deutungen ausdrücklich bestritten. Ihre Konzepte konnten damit nicht mehr problemlos nebeneinander stehen, sondern stellten faktisch den Geltungsanspruch der jeweils anderen in Frage. Diese Normativität ist tendenziell ein Phänomen der zweiten reformatorischen Generation: Wo zuvor noch vieles im Fluss war und durch die persönliche Autorität von Gründerfiguren zusammengehalten wurde, mussten Institutionen nun auf Dauer gestellt und das jeweilige Selbstverständnis klarer definiert werden. Das Bedürfnis nach Selbstvergewisserung angesichts äußerer Bedrohung verband sich dabei mit praktischen Anforderungen. Auf lange Sicht sollten diese Ansprüche konfessionsbildend wirken. Zugleich dürfen die Gruppen, die sich hier herausbildeten, noch nicht mit den späteren Konfessionen identifiziert werden: Zum einen gab es – wie im Laufe des Streits deutlich werden sollte – eine Reihe von Theologen, die Zwischenpositionen einnahmen und die sich weder der einen noch der anderen Haltung anschlossen, von den Vertretern der klassischen Haltung Bucers über Melanchthon und seine Schüler bis zu den Württembergern. Zum anderen zielten aus Sicht der Beteiligten alle Konzepte mit ihrem normativen Anspruch auf das Ganze der Reformation. Dass sich dauerhaft mehrere evangelische Konfessionen etablieren würden, lag vor dem Zweiten Abendmahlsstreit nicht im Horizont der Akteure. Sie nahmen abweichende abendmahlstheologische Positionen als Differenz im Kontext der eigenen Kirche wahr, die es ins eigene reformatorische Selbstverständnis einzuordnen galt, sei es als Häresie, als unvollkommene Vorstufe der eigenen Haltung oder als grundsätzlich mit der eigenen Position übereinstimmend, wenngleich im Detail korrekturbedürftig. Diese unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen hängen einerseits mit der zuvor bestehenden Pluralität reformatorischer Ansichten zusammen, andererseits mit den theologischen Weiterentwicklungen, die beide späteren Parteien vorgenommen hatten: Da Calvin, Vermigli und a Lasco und ihre Mitstreiter eine zwischen der traditionellen Zürcher und traditionellen Straßburger Position stehende Abendmahlstheologie entwickelt hatten, war unklar, ob diese von Wittenberger Seite (analog zur Straßburger Lehre) als rechtgläubig oder (analog zur Zürcher Lehre) als häretisch wahrgenommen würde. Westphals Partei setzte sich für eine Einordnung in letzterem Sinne ein, vertrat zugleich aber selbst eine spezifische Vereindeutigung wittenbergisch geprägter Abendmahlstheologie, deren Mehrheitsfähigkeit ungeklärt war. Schließlich waren auch die Einflussbereiche der beiden späteren Streitparteien nicht klar getrennt: Zwar hatte Westphals spätere Partei einen Schwerpunkt in nord- und ostdeutschen Reichs- und Hansestädten, die Gegenseite in der Eidgenossenschaft, Frankreich und zeitweise England. Es gab aber nicht nur geographisch enge Nachbarschaften– etwa durch a Lascos Tätigkeit in Ostfriesland oder die Mitstreiter Westphals in süddeutschen Reichsstädten –, sondern aus Sicht der Akteure gab es auch gedanklich keine Trennung: So hofften

Konfessionell offene Situation, theologische Entwicklung, normative Ansprüche 117

in Bezug auf England alle späteren Streitbeteiligten auf eine Reformation in ihrem Sinne; die Einflussbereiche der Straßburger Reformation wurden von großen Teilen beider Parteien auf die jeweils eigene Seite gerechnet. Daran wird augenfällig, wie offen die konfessionelle Situation vor dem Streit war. Das Zusammenspiel von neu gefassten theologischen Positionen, deren Einordnung ins innerreformatorische Verhältnis erst geklärt werden musste, und normativen Ansprüchen, die auf das Ganze der Reformation zielten, macht die Ausgangskonstellation des Zweiten Abendmahlsstreits aus. Beides basiert in gewissem Sinne auf der konfessionellen Offenheit der vorherigen Situation. Das bedeutet freilich auch, dass der Streitausbruch weder aus diesen Faktoren teleologisch abzuleiten noch als kontingentes Ereignis zu betrachten ist: Die inhaltlichen Eigenschaften der Positionen machten es naheliegend, dass sie früher oder später kollidieren würden. Zugleich richteten sich die Konzepte ihrer Intention nach ursprünglich nicht gegeneinander. Insofern war weder vorhersagbar, wie eine solche Konfrontation ausgehen, noch, woran sie sich entzünden würde. Die Analyse der Ausgangssituation hat daher auch die konkreten historischen Kontexte und – im Detail durchaus kontingenten bzw. von außerhalb des Einflusses der Akteure liegenden Ereignissen bestimmten – Faktoren zu beleuchten, die dazu führten, dass es zu diesem Zeitpunkt und in dieser Form zu einer normativ aufgeladenen abendmahlstheologischen Kontroverse kam. Im Folgenden wird daher die Entwicklung neu gefasster (abendmahls)theologischer Konzepte und normativer Ansprüche bei beiden Streitparteien in zwei parallelen Kapiteln behandelt, nicht – wie in der traditionellen Darstellung – die Schriften Westphals und seiner Kollegen als Streitbeginn, die seiner Gegner als Vorgeschichte. Dass der Zweite Abendmahlsstreit nicht durch eines dieser Konzepte allein ausgelöst wurde, sondern durch die Kollision von Modellen, die in den vorangegangenen Jahren auf beiden Seiten entwickelt worden waren, wird erst sichtbar, wenn die Entstehung beider differenziert gewürdigt wird. Ebenso kann eine historische Kontextualisierung, die sowohl die auf den Streit hinführenden Ereignisse beleuchtet als auch teleologische Annahmen vermeidet, so besser geleistet werden. Schließlich werden auch die strukturellen Parallelen deutlicher erkennbar: Die Positionen von Calvin, Vermigli und a Lasco erreichten mit dem Consensus Tigurinus sowie den großen abendmahlstheologischen Entwürfen aus England den Status ausgereifter, umfassender Denkmodelle, die sowohl auf die Abendmahlslehre als auch auf das innerreformatorische Verhältnis bezogen waren – diejenigen Westphals und seiner Mitstreiter mit den Streitschriften, die darauf reagierten.

Kapitel III.1

Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, Vermigli, a Lasco und ihren Kollegen Zwischen 1540 und 1552 entwickelten Johannes Calvin, Peter Martyr Vermigli, Johannes a Lasco und ihre Kollegen neu gefasste Abendmahlstheologien und reformatorisch normative Ansprüche. Für den Konflikt mit Westphals Partei im Zweiten Abendmahlsstreit waren die theologischen Eigenschaften dieser Konzepte wichtig, die sich in neuer Weise zwischen den klassischen Positionen der Zürcher und der Straßburger Reformation bewegten – aber auch der damit verbundene Anspruch, auf dieser Basis eine Verständigung von Zürcher, Straßburger und Wittenberger Reformation herbeiführen zu können, sowie der Erfolg dieser Modelle in England und anderen Ländern Europas. Die Komplexität der Thematik wird freilich erst erkennbar, wenn der erneute Abendmahlsstreit nicht – wie in den meisten Darstellungen1 – allein auf den 1549 zwischen Calvin und den Zürchern geschlossenen Consensus Tigurinus zurückgeführt wird. Die Texte Westphals und seiner Mitstreiter zeigen, dass Schriften Vermiglis und a Lascos für ihre Reaktion eine ebenso wichtige Rolle spielten.2 Das hat schon die ältere Literatur bewogen, den Streitausbruch auch durch Lehre und Auftreten dieser Reformatoren zu erklären.3 Neigten diese älteren Thesen jedoch dazu, deren Ansichten als von Calvin abhängig zu betrachten, haben neuere Forschungen gezeigt, dass die theologischen Konzepte von Reformatoren wie Vermigli und a Lasco in hohem Maße eigenständig waren.4 Ebenso stellen Erkenntnisse über die europäische Verflechtung reformatorischer Prozesse die frühere Annahme in Frage, dass der Einfluss solcher Konzepte im Reich kontroverstheologisch entscheidend gewesen sei5 – konkret für den Abendmahlsstreit verweist bereits Wilhelm H. Neuser auf die 1

Für die Geläufigkeit dieser Ansicht in der reformationsgeschichtlichen Literatur vgl. exemplarisch die aktuellen Überblicksdarstellungen: MACCULLOCH, Reformation, 252; KAUFMANN, Erlöste und Verdammte, 241; SELDERHUIS, Calvin und Wittenberg, 62. 2 Vgl. dazu u. Kap. III.2. 3 MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 5–19, rückt dabei a Lasco in den Vordergrund; SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 128–147, hebt Vermigli neben Calvin hervor; bei KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 1–23, stehen alle drei Autoren nebeneinander. 4 Vgl. dazu allgemein o. Kap. I.3, spezifisch für die beteiligten Theologen im Folgenden bei den einzelnen Abschnitten. 5 Sehr deutlich wird das z.B. bei KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 8.

120 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. Entwicklung in England, Frankreich und den Niederlanden als wichtigen Faktor.6 Beides ermöglicht einen neuen Blick auf die Rolle, die diese Entwicklungen für den Ausbruch des Zweiten Abendmahlsstreits spielten: von ersten Entwürfen Calvins und a Lascos über den Consensus Tigurinus und seinen Kontext bis zu den Modellen, die Vermigli, a Lasco und weitere Theologen unter Eduard VI. und dessen Erzbischof Thomas Cranmer in England konzipierten.

1.1 Zwischen Zürich und Straßburg: Neu gefasste Abendmahlstheologien der 1540er Jahre 1.1 Neu gefasste Abendmahlstheologien der 1540er Jahre

In den 1540er Jahren entstanden die ersten der später von Westphals Partei verketzerten abendmahlstheologischen Konzepte. Diese gehörten dem ZürichStraßburger reformatorischen Spektrum an, waren aber nicht der klassischen Zürcher oder Straßburger Haltung zuzuordnen: Sie formulierten jeweils eine eigenständige Position und integrierten traditionell mit Zürich und traditionell mit Straßburg assoziierte Aussagen. Auf dieser Basis erhoben sie Anspruch auf gesamtreformatorisch normative Geltung der eigenen Auffassung. Das war im Rahmen ihres Konzepts folgerichtig und trug zur Einigung großer Teile des Zürich-Straßburger Spektrums im Consensus Tigurinus bei – für Westphals Partei hingegen wurde es zum Problem, da sie in diesen Konzepten den Versuch sah, ihre eigene Lehre durch als straßburgisch (und damit aus Wittenberger Perspektive rechtgläubig) getarnte Zürcher (und damit aus ihrer Sicht häretische) Ansichten zu verdrängen. Zwei solche Konzepte, die im Zweiten Abendmahlsstreit eine wichtige Rolle spielten, entwickelten Johannes Calvin in Straßburg und Genf sowie Johannes a Lasco in Ostfriesland. a) Calvins Abendmahlstheologie und sein Einfluss in Frankreich Eines der im Folgenden wirkmächtigsten und in der Forschung am meisten diskutierten7 abendmahlstheologischen Konzepte entwarf Johannes Calvin. Zentral für den Zweiten Abendmahlsstreit war die spezifische Zwischenstellung seiner Lehre zwischen Zürich und Straßburg, die es ihm ermöglichen sollte, sich im Consensus Tigurinus mit den Zürchern zu einigen und zugleich auf Basis straßburgisch geprägter Gedanken Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation zu beanspruchen. Der damit verbundene reformatorisch 6

Vgl. NEUSER, Dogma und Bekenntnis, 274. Im Folgenden kann daher nur exemplarisch auf besonders wichtige Forschungsthesen verwiesen werden. Aktuelle Literaturübersichten z.B. bei EWERSZUMRODE, FRANK, Mysterium Christi spiritualis praesentiae. Die Abendmahlslehre des Genfer Reformators Johannes Calvin aus römisch-katholischer Perspektive, Göttingen 2012 (RHTh 19), 16–33; DAVIS, THOMAS J., The Clearest Promises of God. The Development of Calvin’s Eucharistic Teaching, New York 1995 (AMS Studies in Religious Tradition 1), 15–27. 7

1.1 Neu gefasste Abendmahlstheologien der 1540er Jahre

121

normative Anspruch korrelierte mit Calvins zunehmendem kirchlichem Einfluss in der frankophonen Eidgenossenschaft und in Frankreich. Calvins Biographie brachte ihn mit Schweizer und Straßburger reformatorischen Gedanken in engen Kontakt: Aufgrund altgläubiger Verfolgung floh der Franzose Calvin 1534 nach Basel. Zwischen 1536 und 1538 war er in Genf tätig und knüpfte Kontakte zu anderen eidgenössischen Theologen, darunter Bullinger in Zürich. Als der Genfer Rat ihn 1538 auswies, wurde er Prediger der französischen Flüchtlingsgemeinde in Straßburg, wo er mit Bucer zusammenarbeitete. 1541 kehrte er nach Genf zurück.8 Hatte er schon in der Basler und ersten Genfer Zeit eine Abendmahlslehre vertreten, die Zürcher und Wittenberger Argumente verband,9 und zugleich ähnlich wie die Zürcher gegen Bucers Bemühungen um evangelische Einigung polemisiert10 (eine Kombination, die zu sehr unterschiedlichen Einordnungen seiner Position in der neueren Forschung geführt hat11), sollte im Folgenden vor allem die Fassung wichtig werden, die er seiner Position in der Straßburger Zeit gab – einerseits in ihrer Prägung durch Straßburger Gedanken und Erfahrungen, andererseits in ihren von Bucer abweichenden, für Zürich anschlussfähigen Akzenten. Prinzipiell tendiert Calvins Abendmahlslehre zwischen Ende der 1530er und Mitte der 1540er Jahre zu einer exhibitiven Position im Straßburger Sinne: Sinn des Abendmahls ist für ihn die communio mit Christus, in der dieser den Gläubigen Sündenvergebung mitteilt und ihre Sünde auf sich nimmt.12 Calvin hebt hervor, dass zur wahren Gemeinschaft mit Christus auch die Anteilhabe an seiner Menschheit gehört, in der er das Heilswerk vollbracht hat,13 und im Abendmahl nicht nur die Symbole von Leib und Blut gegeben werden, sondern zusammen damit auch Leib und Blut Christi selbst.14 Wie Bucer bestimmt er den Abendmahlsvollzug exhibitiv als Werkzeug, mittels dessen Christus Leib und Blut austeilt.15 Das Brot ist ein „symbolum […], quo veram corporis sui

8 Vgl. für den aktuellen Forschungsstand zu diesen biographischen Stationen GORDON, BRUCE, Calvin, New Haven 2009, 47–102. 9 Das geht beispielsweise aus dem entsprechenden Abschnitt seiner Institutio von 1536 hervor (CR 29 = CO 1, 121–140). 10 Vgl. Calvin an Bucer, 12.1.1538, CR 38 = CO 10, 138–144. 11 So sieht JANSE, Calvinʼs Eucharistic Theology, 39; 67 f., bei Calvin in dieser Zeit „Zwinglianizing […] tendencies“ (aaO., 39 u.ö.). MULLER, RICHARD A., From Zurich or from Wittenberg? An Examination of Calvinʼs Early Eucharistic Thought, in: CTJ 45 (2010), 243–255, hingegen führt Calvins Auffassung primär auf Melanchthon zurück; NEUSER, WILHELM H., Johann Calvin. Leben und Werk in seiner Frühzeit 1509–1541, Göttingen 2009 (RHTh 6), 221–231, leitet aus einer ähnlichen These sogar ab, Calvins Position richte sich gegen Zwingli. Zu weiterer Literatur vgl. MULLER aaO., 243 f. 12 Vgl. etwa CR 29 = CO 1, 992 (Institutio 1539). 13 Vgl. CR 33 = CO 5, 438 (Pétit traicté 1541). 14 Vgl. CR 29 = CO 1, 1000–1003 (Institutio 1539). 15 Vgl. CR 33 = CO 5, 438 f. (Pétit traicté 1541).

122 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. manducationem offert nobis Dominus“.16 Ab dem 1541 gedruckten17 Petit traicté kann er Christus sogar als substance des Abendmahls beschreiben.18 Diese Aspekte haben in der Forschung zu Deutungen seiner Lehre als mit Melanchthon kompatibel19 bzw. als an Bucer orientiert, offen gegenüber Wittenberg und anti-zürcherisch20 geführt. Ausweislich einzelner Bemerkungen etwa bei Veit Dietrich konnte sie auch zeitgenössisch aus Wittenberger Perspektive als analog zu Bucers Lehre und als rechtgläubig wahrgenommen werden,21 zumal Calvin als Vertreter Straßburgs an den Reichsreligionsgesprächen teilnahm und dort mit Wittenberger Theologen zusammenarbeitete. Darauf sollte sich Calvin später berufen, um zu belegen, dass seine Lehre damals durch Wittenberger Reformatoren akzeptiert worden sei. Auch Westphals Vorwürfe im Zweiten Abendmahlsstreit setzen eine solche Lesart voraus: Er sollte an Calvins Äußerungen dieser Zeit und speziell am Petit traicté die These festmachen, Calvin habe seine Lehre damals als rechtgläubig ausgegeben und über seine in Wahrheit zürcherische und ketzerische Auffassung dissimuliert.22 Gleichzeitig weist Calvins Position jedoch Eigenschaften auf, die sie von derjenigen Bucers unterscheiden und für die Zürcher anschlussfähig machen. Das betrifft vor allem die Christologie: Wie für die Zürcher (und anders als für Bucer23) folgt für Calvin aus der wahrhaft menschlichen Natur Christi, dass dessen Leib ebenso wie der aller anderen Menschen räumlich begrenzt ist und sich daher seit der Himmelfahrt im als Raum gedachten Himmel befindet.24 Insofern lehnt er eine lokale Präsenz in den Elementen ab und betont, dass die Gemeinschaft der Gläubigen mit Christi Leib und Blut ausschließlich durch den – in seinem Wirken nicht räumlich begrenzten – Heiligen Geist hergestellt 16

CR 29 = CO 1, 998 (Institutio 1539). Das ist eindeutig; der Entstehungszeitpunkt ist umstritten, vgl. BUSCH, EBERHARD, [Einleitung zu:] Kleiner Abendmahlstraktat, in: Calvin-StA 1/2, 431–439, hier 434–438. 18 Vgl. etwa CR 33 = CO 5, 437 und dazu WILLIS, DAVID, Calvinʼs Use of Substantia, in: Wilhelm H. Neuser (Hg.), Calvinus ecclesiae Genevensis custos. Die Referate des […] Internationalen Kongresses für Calvinforschung vom 6. bis 9. September 1982 in Genf, Frankfurt (Main) 1984, 289–301, hier 291. 19 So prägnant und wirkmächtig EBRARD, JOHANN HEINRICH AUGUST, Das Dogma vom heiligen Abendmahl und seine Geschichte, 2 Bde., Frankfurt (Main) 1845–1846, 548–550. 20 So etwa JANSE, Calvinʼs Eucharistic Theology, 51–58. 21 Vgl. dazu JAMMERTHAL, TOBIAS, Libellus de Coena Domini. Die lateinische Version von Johannes Calvins Petit traicté de la saincte cène, in: ZKG 129 (2018), 137–177, hier 137; 148 f. In Teilen der reformierten Forschung wird angenommen, dass auch Luther und Melanchthon sich entsprechend geäußert hätten; vgl. etwa NEUSER, Johann Calvin, 324– 326. Wie bereits GRASS, Abendmahlslehre bei Luther und Calvin, 193–195, nachgewiesen hat, lässt die Quellenlage kein sicheres Urteil darüber zu. Insgesamt ist davon auszugehen, dass eine solche Lesart aus Wittenberger Sicht möglich, aber nicht zwingend war. 22 Vgl. u. Kap. III.2.4a und IV.3.1a. 23 Vgl. o. Kap. II.3.3. 24 Ausführlich begründet wird das in CR 29 = CO 1, 1003–1009 (Institutio 1539). 17

1.1 Neu gefasste Abendmahlstheologien der 1540er Jahre

123

werde.25 Hier sollte 1549 die Einigung mit den Zürcher Theologen im Consensus Tigurinus anknüpfen. Westphal hingegen dienten entsprechende Aussagen als Beleg dafür, dass schon vor dem Consensus bei Calvin zürcherische Tendenzen festzustellen seien, die man damals nur nicht hinreichend wahrgenommen habe. Dafür führte er auch Aspekte wie die Bestimmung des Leibes Christi als Seelenspeise und die Unterscheidung von Element und dadurch vermittelter Sache an.26 Ähnliche Argumente haben vor allem lutherische Forscher dazu bewogen, Calvins Position als der Wittenberger Lehre entgegengesetzt und Zwingli nahestehend einzuordnen.27 Aus Calvins eigener zeitgenössischer Perspektive hingegen richteten sich diese Aussagen nicht gegen Wittenberg: In einem Entwurf für das Vorwort der Institutio von 1543 macht er gegen entsprechende Vorwürfe geltend, die Wittenberger Konkordie enthalte die Aussage, „non figurari modo in coena Christi corpus et sanguinem, sed per ecclesiae ministerium vere exhiberi et veluti coram repraesentari.“28 Seine Polemik beziehe sich allein auf papistische Vorstellungen. Zu letzteren zählt er körperliche Gegenwart und räumliche Einschließung des Leibes Christi in die Elemente.29 Calvin deutet also wie Bucer die Konkordie als auch für Wittenberg bindendes Dokument, dem zufolge dort keine lokale Gegenwart Christi in den Elementen vertreten werde:30 Das sollte er später Westphal ebenso entgegenhalten wie Bullinger, der die Wittenberger Position anders einschätzte. Calvins Lehre befindet sich also innerhalb des Interpretationsspielraums der Wittenberger Konkordie, bietet aber zugleich Anknüpfungspunkte für eine spätere Einigung mit Zürich.31 Calvin selbst kann auf Basis einer straßburgisch geprägten Perspektive auf den Abendmahlsstreit beanspruchen, dass sie mit Wittenberg und Zürich übereinstimme – aber auch dabei gibt es Unterschiede zu Bucer, die später wichtig werden sollten. Das zeigt sich am Pétit traicté: Calvin argumentiert, Luther habe zu Recht die Transsubstantiation angegriffen, aber den Anschein erweckt, er verstehe die leibliche Präsenz Christi so wie üblich. Zwingli und Oekolampad hingegen hätten, ebenfalls zu Recht, die Annahme einer fleischlichen Gegenwart Christi im Abendmahl bestritten, aber nicht hinreichend erklärt, welche Gegenwart Christi durch den Sakramentsvollzug hergestellt werde, so dass Luther glaubte, sie gingen von leeren Zeichen aus.32 Das entspricht weitgehend Bucers Sichtweise. Hatte Bucer jedoch 25

Vgl. CR 29 = CO 1, 1003 f.; 1009 f. (Institutio 1539). Vgl. für beides etwa CR 33 = CO 5, 438 f. 27 Vgl. etwa SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 128–139. 28 CR 37 = CO 9, 842 f. 29 Vgl. ebd. 30 Zu Bucers Deutung vgl. o. Kap. II.3.4. 31 Vgl. BURNETT, AMY NELSON, From Concord to Confession: the Wittenberg Concord and the Consensus Tigurinus in Historical Perspective, in: R&RR 18 (2016), 47–57, hier 54 f. 32 Vgl. CR 33 = CO 5, 458. 26

124 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. akzentuiert, dass beide Seiten das Richtige gemeint und sich nur missverstanden hätten, übt Calvin an beiden Kritik: Luther hätte ausdrücklich erklären sollen, dass er keine Anbetung der Elemente fordere und keine räumliche Präsenz Christi in ihnen annehme, Zwingli und Oekolampad hätten betonen sollen, dass es sich nicht um leere Zeichen handle, sondern Christusgemeinschaft damit verbunden sei.33 Was wie eine leichte Akzentverschiebung wirkt, transportiert einen deutlich stärkeren normativen Anspruch: Wo Bucer die Aussagen beider Seiten als rechtgläubig anerkennt, läuft Calvins Sicht darauf hinaus, räumliche Präsenz und bloße Zeichenhaftigkeit als nicht rechtgläubig zu widerlegen. Die Kombination von normativem Ausschluss bestimmter Positionen und Anspruch auf Übereinstimmung mit Wittenberg sollte später für Westphals Partei zum Problem werden – um 1540 kehrte sich Calvins normativer Anspruch, der damaligen Gesamtsituation entsprechend,34 eher gegen Zürich: So konnte er Schweizer Kollegen vorhalten, in den Retractationes habe Bucer zu Recht frühere Irrtümer zurückgenommen; Zwingli „cuius et falsa et perniciosa fuit de hac re opinio“,35 hätte auch zu einem solchen Widerruf bewogen werden sollen. Bucers Schweizer Kritiker seien allein am Bestand von Zwinglis Lehre interessiert, die aber die Kraft der communicatio mit Christus verdunkle.36 Insofern überrascht nicht, dass Bullinger sich in dieser Zeit gegenüber Calvins Abendmahlslehre skeptisch zeigte und ihm vorwarf, zu bucerisieren – jedoch brach sein Kontakt zu Calvin nie ganz ab.37 Hingegen dürfte solche Kritik an Zürich auf Wittenberger Seite durchaus zu einer positiven Wahrnehmung beigetragen haben. Jedenfalls sollte Westphals Seite sie Calvin nach dessen Einigung mit den Zürchern als Beleg für Inkonsequenz vorhalten. Jedoch ist für Calvin auch eine leiblich-räumliche Präsenz Christi in den Elementen eine Vorstellung, die aus der Transsubstantiation folgt, zur Anbetung der Hostie führt und Christi wahrer Menschheit widerspricht.38 Um 1540 wandte Calvin diesen Gedanken nicht gegen Wittenberg, da er die Wittenberger Konkordie so deutete, dass dort solche Ansichten nicht vertreten würden – für Westphals Partei wurde es später aber zum Problem: angesichts von Calvins auch auf die Wittenberger Reformation bezogenem normativem Anspruch, aber auch, weil für ihre Identitätsvorstellung eine substantial-leibliche Präsenz der menschlichen Natur im Abendmahl konstitutiv geworden war (während die CA variata um 1540 auch innerwittenbergisch verschiedene Deutungen zuließ). Daher sollte Westphal Calvins Stellungnahmen gegen eine leiblich-räumliche Gegenwart als Beleg für dessen Häresie anführen. 33

Vgl. CR 33 = CO 5, 459. Zu den damaligen Spannungen zwischen Zürich und Straßburg vgl. o. Kap. II.5.3. 35 Calvin an André Zébédée, 19.5.1539, CR 38 = CO 10, 346 (Nr. 171). 36 Vgl. aaO., 345–347 (Nr. 171). 37 Vgl. BURNETT, From Concord to Confession, 55. 38 Vgl. CR 33 = CO 5, 451 f. 34

1.1 Neu gefasste Abendmahlstheologien der 1540er Jahre

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Zu einem zentralen Argument Calvins für die Akzeptanz seiner Lehre seitens der Wittenberger Reformation sollten schließlich seine dorthin geknüpften Kontakte werden: So wandte er sich brieflich an Melanchthon und führte 1539 ein theologisches Gespräch mit ihm.39 Vor allem aber nahm Calvin als Straßburger Vertreter an den Reichsreligionsgesprächen teil und arbeitete dort mit wittenbergisch geprägten Theologen zusammen – daraus sollte er im Zweiten Abendmahlsstreit ableiten, dass seine Lehre für die Mehrheit der Wittenberger Reformation unproblematisch sei, und sich auf seine Übereinstimmung mit der CA variata berufen. In der Forschung ist umstritten, ob er die CA variata unterzeichnete.40 Jedenfalls trug er die dadurch bestimmte gemeinsame evangelische Position mit: So vertrat er in den Beratungen über das Regensburger Buch keine Thesen, an denen andere Anwesende – darunter mit Johann Timann und Erhard Schnepf zwei spätere Parteigänger Westphals – hätten Anstoß nehmen können, sondern wandte sich nur gegen Transsubstantiation und Hostienanbetung.41 Hier zeigt sich die Offenheit der konfessionellen Situation, die beide Seiten später zu vereindeutigen versuchten: Was Calvins Gegnern als Beleg für Dissimulation galt, konnte er als Akzeptanz seiner Lehre sehen. Schließlich trug auch Calvins Einfluss im französischen Sprachraum zur Besorgnis von Westphals Partei bei. Das betraf zum einen Frankreich, zum anderen frankophone Territorien, die mit der Eidgenossenschaft in Burgrechten verbunden waren oder unter der Herrschaft eidgenössischer Kantone standen.42 Hatte Calvin stets die Situation der Evangelischen in Frankreich im Auge behalten, verstärkte er seine Bemühungen ab 1539. Seine französischsprachigen Werke, darunter der Pétit traicté, hatten in Frankreich großen Erfolg:43 Selbst 39 Vgl. dazu WENGERT, TIMOTHY J., “We Will Feast Together in Heaven Forever”. The Epistolary Friendship of John Calvin and Philipp Melanchthon, in: Karin Maag (Hg.), Melanchthon in Europe. His Work and Influence beyond Wittenberg, Grand Rapids (MI) 1999, 19–44, hier 24–26. 40 So geht etwa SELDERHUIS, Calvin und Wittenberg, 60, davon aus, dass Calvin in Worms die Variata unterzeichnet habe, während FISCHER, DANIÉLE, Calvin et la Confession d’Augsbourg, in: Wilhelm H. Neuser (Hg.), Calvinus ecclesiae Genevensis custos, Die Referate des […] Internationalen Kongresses für Calvinforschung vom 6. bis 9. September 1982 in Genf, Frankfurt (Main) 1984, 245–271, dies bestreitet. Zu der Debatte und zu weiteren Forschungsbeiträgen vgl. DEUSCHLE, MATTHIAS A., Calvin und die Confessio Augustana. Ein Nachtrag zum Calvin-Jahr, in: ZThK 108 (2011), 138–164, hier 141. 41 Die Berichte über die Beratungen sind abgedruckt in ADRG 3/1, 142–149 (Nr. 89) und aaO, 150–153 (Nr. 90); vgl. zum Kontext o. Kap. II.4.2 und die dort angegebene Literatur. 42 Zum Verhältnis dieser Territorien zur Eidgenossenschaft vgl. BRUENING, MICHAEL W., Francophone Territories Allied to the Swiss Confederation, in: Amy Nelson Burnett / Emidio Campi (Hg.), A Companion to the Swiss Reformation, Leiden / Boston 2016 (Brill's Companions to the Christian Tradition 72), 362–388, und die dort angegebene Literatur. 43 Vgl. PETTEGREE, ANDREW, The Spread of Calvinʼs Thought, in: Donald K. McKim (Hg.), The Cambridge Companion to John Calvin, Cambridge 2004, 207–226, hier 209 f.; GORDON, Calvin, 187–189.

126 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. ein französischer Flüchtling, verfügte er über Glaubwürdigkeit, Kontakte vor Ort und die nötigen Sprachkenntnisse.44 Guillaume Farel, bis dahin der populärste evangelische Autor in Frankreich, hatte ähnliche theologische Ideen vertreten.45 Hinzu kam die zunehmende Verfolgung Evangelischer. Diese war einerseits nicht stark genug, um die Formierung evangelischer Zirkel zu unterbinden – in denen Calvins Lehre ebenso auf fruchtbaren Boden fiel wie die Genfer Kirchenordnung.46 Andererseits verstärkte sie eine Flüchtlingsbewegung, die ihrerseits Rückwirkungen auf Frankreich hatte: Ziel der Flüchtlinge war meist Genf. Dort waren sie nicht nur in Sicherheit; auch Calvins Reputation zog sie an – und in der Folge verbreiteten sie seine Ideen in Frankreich weiter.47 Zudem stellten wohlhabende Franzosen einen wichtigen Rückhalt für Calvin und seine Mitarbeiter in ihren Konflikten mit der Genfer Elite dar.48 Gleichzeitig gewann Calvin auch in den mit der Eidgenossenschaft verbündeten frankophonen Territorien an Einfluss. Neben seinen Schriften war das dadurch bedingt, dass er mit Guillaume Farel in Neuchâtel und Pierre Viret in Lausanne in wichtigen Städten Unterstützer hatte, mit denen er theologisch und kirchenpolitisch eng zusammenarbeitete.49 Allerdings blieben Konflikte mit dem im Pays de Vaud einflussreichen Bern nicht aus, dessen Vorstellungen von Theologie und Kirchenordnung stärker von Zürich beeinflusst waren.50 Diese Auseinandersetzungen sollten zum Consensus Tigurinus beitragen, während Calvins Erfolg auf Westphals Seite Befürchtungen auslöste. Angesichts der Entwicklungen in den 1530er und 1540er Jahren konnte Calvin also zu der Position gelangen, die seine Haltung im Zweiten Abendmahlsstreit prägen sollte: dem Anspruch auf allgemeine Akzeptanz seiner Position in Zürcher, Straßburger und Wittenberger Reformation. Dabei verbinden sich theologische Prägungen und konkrete Erfahrungen: Calvins straßburgisch geprägte Lehre und Sicht auf die Abendmahlsdebatte ließen ihn annehmen, dass sich Straßburger, Schweizer und Wittenberger prinzipiell auf seine Position einigen könnten. Der Erfolg im französischen Sprachraum dürfte ihn in der Überzeugung bestärkt haben, dass seine Lehre sich allgemein durchsetzen könnte, während er die Übereinstimmung mit Wittenberg angesichts der Konkordie und der Zusammenarbeit bei den Reichsreligionsgesprächen als auch faktisch gegeben ansehen konnte. Die ebenfalls prinzipiell beanspruchte Einigkeit mit 44

Vgl. zu diesen Aspekten GORDON, Calvin, 185–187. Vgl. in abendmahlstheologischer Hinsicht JACOBS, ELFRIEDE, Die Sakramentslehre Wilhelm Farels, Zürich 1978 (ZBRG 10). 46 Zu diesem Effekt und zu den Verfolgungen generell vgl. BENEDICT, Christʼs Churches Purely Reformed, 130–133. 47 Vgl. überblicksweise GORDON, Calvin, 198–200. 48 Vgl. dazu NAPHY, WILLIAM G., Calvin and the Consolidation of the Genevan Reformation, Manchester / New York 1994, 121–166. 49 Vgl. GORDON, Calvin, 150–156. 50 Vgl. dazu u. Kap. III.1.2a. 45

1.1 Neu gefasste Abendmahlstheologien der 1540er Jahre

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Zürich hingegen sah er als noch herzustellen – das wurde ein wichtiger Faktor für seine Verhandlungen mit Bullinger und für den Consensus Tigurinus. Hinter Calvins Sichtweise steht – wie bei Westphal und anderen dann auch – ein normativer Wahrheitsanspruch: Er setzt die eigene Lehre als wahr voraus und fragt nicht danach, ob andere Akteure aus ihrer Sicht seine Position als akzeptabel ansehen, sondern ob sich ihre Haltung in seinem Sinne deuten lässt. Insofern ist seine Perspektive nicht (gemäß der traditionell reformierten Forschungsthese) im heutigen Sinn ökumenisch:51 Sie ist vielmehr auf eine Durchsetzung der eigenen Position angelegt, die bestimmte andere Haltungen normativ ausschließt – darunter die einer leiblich-räumlichen Präsenz Christi im Abendmahl. Darum ist sie aber auch nicht (gemäß der traditionell lutherischen Forschungsthese) angesichts der vielen Anhänger leiblicher Präsenz im Wittenberger Raum unrealistisch bzw. unehrlich:52 Entscheidend ist nicht die numerische Anhängerschaft dieser Positionen, sondern die Tatsache, dass Calvin sie aufgrund seiner Deutung der Konkordie und seines normativen Anspruchs als nicht bestimmend für die Wittenberger Reformation insgesamt ansehen konnte. Das sollte für Westphals Partei zum Problem werden, die eben diese Haltung als reformatorisch normativ durchzusetzen versuchte. b) A Lascos Abendmahlstheologie und ihr ostfriesischer Kontext Die abendmahlstheologische Konzeption, die der polnische Humanist und ostfriesische Reformator Johannes a Lasco Mitte der 1540er Jahre entwickelte, unterscheidet sich von derjenigen Calvins, war aber für Westphals Partei ähnlich problematisch: Prinzipiell bewegt sich auch a Lasco mit seinem Verständnis geistlicher Präsenz auf dem Spektrum zwischen Zürich und Straßburg, aber anders als Calvin versteht er diese Präsenz nicht exhibitiv. Folgerichtig wendet er sich nicht nur (wie Calvin) gegen die leiblich-räumliche Präsenz des Leibes Christi in den Elementen, sondern auch gegen ein exhibitives Verständnis. Für diese Position erhebt er ebenfalls einen reformatorisch normativen Anspruch – der aber so gefasst ist, dass er die Thesen lokal-leiblicher oder exhibitiver Präsenz als unvollkommene Formen der eigenen, wahrhaft reformatorischen Auffassung definiert. Zwar sollte Westphals Partei nicht die Texte der 1540er Jahre attackieren, sondern a Lascos 1551/52 in England entstandenen Schriften. Erstere erklären jedoch seine Sichtweise: Die kirchenpolitische Situation in Ostfriesland bewog a Lasco zur Entwicklung des Konzepts und hinterließ bei ihm den Eindruck, dessen normative Durchsetzung könnte funktionieren. Auch bei a Lasco stehen im Hintergrund seines reformatorischen Konzepts Kontakte zu verschiedenen Richtungen der Reformation: Der polnische Adlige a Lasco hatte zunächst Karriere im Klerus seiner Heimat gemacht und sich in 51 52

Vgl. in diesem Sinne etwa NIJENHUIS, Calvinus oecumenicus, 131–154. Vgl. in diesem Sinne etwa SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 136–151.

128 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. Humanistenkreisen bewegt.53 Zeitpunkt und Motive seiner Hinwendung zur Reformation sind schwer zu klären:54 Belegt sind Kontakte zu Melanchthon und Albert Hardenberg ab Mitte der 1530er Jahre.55 Nachdem er aufgrund von Heirat seiner Benefizien enthoben worden war, erhielt er sie zurück, nachdem er unter Eid versichert hatte, keine antirömischen Lehren zu vertreten,56 entschied sich dann aber 1542/43 definitiv für das evangelische Lager, indem er die Berufung zum Superintendenten Ostfrieslands annahm.57 Dort knüpfte er, oft über Hardenberg,58 Briefkontakte zu einem breiten Spektrum von Reformatoren: von den Wittenbergern Melanchthon, Major und Cruciger59 bis zu Bullinger und Vadian.60 Hardenberg verhalf a Lasco zudem zu Aufenthalten im Umfeld der Kölner Reformation und so zur Bekanntschaft mit Bucer.61 Dem Spektrum von a Lascos Kontakten entspricht eine Abendmahlslehre, die Gedanken verschiedener reformatorischer Richtungen aufgreift und in der Forschung daher unterschiedlich eingeordnet worden ist: Speziell in der älteren lutherischen Literatur wurde sie als zürcherisch und gegen die Wittenberger Reformation gerichtet angesehen,62 während dem auf reformierter Seite entgegengestellt wurde, a Lascos Lehre sei anfangs zwar von Zwingli beeinflusst, trage aber ab 1545 „im wesentlichen calvinisches Gepräge“.63 Demgegenüber hat Cornel A. Zwierlein in einer Neuanalyse herausgearbeitet, dass in a Lascos Abendmahlslehre zwischen 1544 und 1548 keine prinzipielle theologische Veränderung stattfindet, sondern die fortlaufende Weiterentwicklung einer

53

Vgl. dazu JÜRGENS, A Lasco in Ostfriesland, 19–125; BARTEL, OSKAR, Jan Łaski, aus dem Polnischen übs. v. Arnold Starke, Berlin 1981, 1–99. 54 Dies betont ausdrücklich JÜRGENS, HENNING P., Art. Johannes à Lasco, in: Irene Dingel / Volker Leppin (Hg.), Das Reformatorenlexikon, Darmstadt 2014, 147–153., hier 148. 55 Vgl. JÜRGENS, A Lasco in Ostfriesland, 126–142. Zu Hardenberg vgl. u. Exkurs B.1. 56 Die Deutung dieses sog. „Reinigungseids“ ist umstritten. Vgl. zum historischen Ablauf wie zur Forschungsdebatte JÜRGENS, A Lasco in Ostfriesland, 141–157. 57 Vgl. dazu im Einzelnen JANSSEN, HEIKO EBBEL, Gräfin Anna von Ostfriesland – eine hochadelige Frau der späten Reformationszeit (1540/42–1575). Ein Beitrag zu den Anfängen der reformierten Konfessionalisierung im Reich, Münster 1998 (RGST 138), 85–100; JÜRGENS, A Lasco in Ostfriesland, 213–227. 58 Vgl. JANSE, A Lasco und Albert Hardenberg, 264. 59 Vgl. a Lasco an Melanchthon, 2.11.1543, MBW.T 12, 405 (MBW 3362); Major an a Lasco, 27.9.1543, GABBEMA 43 f.; Cruciger an a Lasco, Oktober 1545, GABBEMA 54–56. 60 Vgl. a Lasco an Bullinger, 14.3.1544, KUYPER II, 568 f. (Nr. 16); Bullinger an a Lasco, 24.6.1544, HBBW 14, 281–284 (Nr. 1933); Bullinger an Vadian, 19.4.1544, in: Die Vadianische Briefsammlung der Stadtbibliothek St. Gallen, 7 Bde., St. Gallen 1891–1915, hier Bd. 6, 303–307. 61 Vgl. VANʼT SPIJKER, WILLEM, Die Bedeutung des Kölner Reformationsversuchs für a Lasco, in: Christoph Strohm (Hg.), Johannes a Lasco (1499–1560). Polnischer Baron, Humanist und europäischer Reformator, Tübingen 2000 (SuR.NR 14), 245–260. 62 So markant KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 53–70. 63 Vgl. HEIN, Sakramentslehre des Johannes a Lasco, 3–99; Zitat 99.

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Grundanschauung, die in manchen Aspekten von Oekolampad beeinflusst, insgesamt jedoch eigenständig ist.64 Die sich daraus ergebenden theologischen Entscheidungen liegen a Lascos Position im Abendmahlsstreit ebenso zugrunde wie deren Wahrnehmung durch Westphals Partei. Die Grundgedanken von a Lascos Sakramentslehre der Jahre 1544–48 verorten ihn zwischen der klassischen Zürcher und Straßburger Position:65 Die Sakramente sind a Lasco zufolge von ihrem heilsgeschichtlichen Sinn her zu deuten. Da Christus das Ziel der Heilsgeschichte ist, zielen auf ihn alle Verheißungen; „ita et sacramenta, cum sint promissionum appendices, Christi beneficium oculis nostris proponant.“66 Dabei wird den Sakramenten versiegelnde Funktion zugeschrieben, aber nicht in dem Sinne, als vermittelten sie Heil, das der Glaubende vorher nicht besaß: A Lasco argumentiert, wenn es sich so verhielte, wären die heilsgeschichtlich früheren Verheißungen vor Einsetzung der Sakramente leer gewesen. Im Glauben an die Verheißung besitze der Mensch vielmehr bereits deren Inhalt: die gnädige Annahme durch Gott. Beim Sakramentsempfang erneuere der Heilige Geist diesen Glauben und präge ihn wie mit einem Siegel in die Seele ein.67 Im Rahmen dieser Konzeption stellt a Lasco den Vers 1 Kor 10,16 ins Zentrum seiner Abendmahlslehre und leitet daraus ab, dass das Abendmahl Siegel der communio des Leibes Christi ist:68 die durch den Heiligen Geist bewirkte Besiegelung der im Glauben schon zuvor gegebenen Anteilhabe an Christi Leib und Blut.69 Dass a Lasco von einer Besiegelung spricht, die er auch als geistliches Essen des Leibes Christi beschreiben kann,70 verbindet seine Lehre mit der Auffassung, die Calvin und Bullinger später im 64

Vgl. ZWIERLEIN, Der reformierte Erasmianer. Vgl. zum Folgenden aaO., 67–69; HEIN, Sakramentslehre, 25–41. 66 KUYPER I, 512 (Epitome 1544). 67 AaO., 512 f.: „Proponunt vero nobis Sacramenta beneficium Christi, non quasi Christo ante usum illorum caruissemus – alioqui vanae essent promissiones, quae semper priores Sacramentis fuerunt, – sed oculis nostris proponunt, quod apprehensa per fidem promissione iam nostrum erat eamque ipsam promissionum fidem, dum in oculos incurrunt, in animis nostris renovant et obsignant. […] Estque hic finis praecipuus omnium Sacramentorum sive veteris sive novae Ecclesiae, ut sint σφραγῖδας divinae erga nos misericordiae […] Ab hoc fine dependent alii fines omnes. Qui enim fidem promissionum in animo suo usu sacramentorum per Spiritum Sanctum obsignari sentit, is proculdubio cogitabit etiam praestandum sibi esse quidquid sacramentorum mysteriis sive allegoriis designatur. […] sacramenta σφραγῖδας esse dicemus acceptationis nostrae in gratiam Dei, verbi divini promissionibus nobis veluti diplomate quodam oblatae, obsignarique animos usu sacramentorum in fide promissionum, ut quae semel apprehendimus, perpetuo animis nostris impressas teneamus.“ 68 KUYPER I, 551 (Epitome 1544): „quemadmodum in aliorum sacramentorum usu obsignari dicimus animos nostros in fide mysteriorum quae per posita nobis ob oculos visibilis illorum symbola designantur, ita et coenam sigillum esse docemus communionis corporis et sanguinis Christi.“ 69 Vgl. Z. Lasc., Satz 104 (1548) mit KUYPER I, 550 f. (Epitome 1544). 70 Vgl. etwa KUYPER I, 551 (Epitome 1544). 65

130 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. Consensus Tigurinus formulieren sollten.71 Die Wendung gegen eine exhibitive Heilsvermittlung durch die Sakramente verortet a Lasco dabei näher an Bullinger, während der Gedanke eines Geistwirkens beim Sakramentsempfang eher der Lehre Calvins nahesteht72 – allerdings im Consensus auch für Bullinger akzeptabel war. Entsprechend identifizierte sich a Lasco mehr als Calvin mit der Zürcher Reformation und grenzte sich dogmatisch gegen Wittenberg wie Straßburg ab, akzentuierte aber stärker als die Zürcher die Zusammengehörigkeit von geistlichem Geschehen und Abendmahlsvollzug. Mit der Zürcher Haltung traf sich a Lascos Position in ihrer Abgrenzung gegen lokalpräsentische und exhibitive Lehren, die Westphals Partei später als Beleg für a Lascos Ketzerei anführen sollte: Räumliche Präsenz von Christi Leib in den Elementen führt für ihn auf die gleiche Idolatrie wie die Transsubstantiation73 und er argumentiert gegen eine physisch-lokale Präsenz Christi im Abendmahl mit leiblicher Himmelfahrt und wahrer Menschheit Christi74 – teilt also wie Calvin die Zürcher Christologie. Ein eigenständiges Argument a Lascos zielt in die gleiche Richtung: Die communio corporis Christi aus 1 Kor 10,16 kann nach a Lasco nicht aktivisch zu verstehen sein, so dass durch die Austeilung des Leibes Gemeinschaft mit Christus hergestellt würde – das würde auf das Verständnis führen, das er als heilsgeschichtlich absurd betrachtet: Wenn Heil durch die Sakramente vermittelt würde, wären vor Einsetzung der Sakramente Gottes Heilsverheißungen leer gewesen. Daher muss die communio passivisch als im Glauben bereits gegebene Anteilhabe an Christus gedeutet werden, die im Abendmahl lediglich besiegelt wird.75 Insofern führt aus a Lascos Sicht auch ein wörtliches Verständnis der Einsetzungsworte auf Widersprüche, so dass ein Tropus anzunehmen ist. Diesen sieht er wie Oekolampad im Begriff „corpus”.76 Spezifisch für a Lasco77 ist die Deutung von corpus 71

Vgl. u. Kap. III.1.2c. In beiden Fällen soll damit keine Abhängigkeit a Lascos von ihrer Auffassung postuliert werden. Es geht allein um seine Verortung auf dem Spektrum reformatorischer Positionen und um die wechselseitige Anschlussfähigkeit. 73 KUYPER I, 471 (Moderatio 1545): „damnamus Papisticam transformationem, damnamus item localem, ut vocant, ac naturalem in pane, sive sub pane ac vino, corporis et sanguinis Christi inclusionem, quod utraque sine manifesta idolatria constitui non possunt.“ 74 Vgl. KUYPER I, 562–564 (A Lasco an N.N., 1544). 75 Vgl. KUYPER I, 552 (Epitome 1544): „,communio apud Paulum active exponi non potest pro corporis domini distributione sive porrectione, neque enim docet Paulus symbolorum in coena porrectione hoc effici, ut corpori Christi tum primum participemus, quasi non antea membra ipsius fuissemus.“ Für die passivische Lesart von communio beruft sich a Lasco auf den juristischen Sprachgebrauch (vgl. z.B. KUYPER I, 566 f., zu dem dahinterstehenden Gedankengang ZWIERLEIN, Der reformierte Erasmianer, 77–87). 76 Vgl. KUYPER I, 564 f. (A Lasco an N.N., 1544). Dies spricht nach ZWIERLEIN, Der reformierte Erasmianer, 69–78, für die Beeinflussung von a Lascos Abendmahlslehre durch Oekolampad – ein solcher Konnex wäre plausibel, ist allerdings nicht zwingend. 77 Vgl. ZWIERLEIN, Der reformierte Erasmianer, 67, bei und mit Anm. 126. 72

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meum als communio corporis mei aufgrund von 1 Kor 10,16: Da die communio dort mit dem Brechen des Brotes identifiziert ist, ist sie nicht mit der Substanz des Brots, sondern mit der Abendmahlshandlung als ganzer gleichzusetzen.78 Dieses Konzept wendet a Lasco gegen lokalpräsentische wie exhibitive Lehre: Die Austeilung des Leibes, von der beide ausgingen, impliziere ein aktives Verständnis der communio, dem er sein passives entgegensetzt.79 Andererseits bringt a Lascos Lehre der Versiegelung durch den Heiligen Geist ihn dazu, sich gegen die Vorstellung rein erinnernder Symbolik deutlicher abzugrenzen als die Zürcher: Das Kreuzesgedächtnis beim Abendmahl versteht er explizit nicht als bloße Erinnerung, sondern als (mit der Versiegelung identische) Vergegenwärtigung der Christusgemeinschaft.80 Da der Heilige Geist in den Sakramenten wirkt, handle es sich um wirksame Repräsentationen des Evangeliums.81 Mit Karlstadt und Zwingli sieht a Lasco sich in der Abgrenzung gegen eine physische Präsenz Christi im Abendmahl einig, hält aber fest, die Besiegelung der communio corporis Christi als Skopus des Sakraments hätten diese beiden Theologen nicht hinreichend erklärt.82 A Lascos theologischer Position entspricht es, dass er schon zeitgenössisch im Zürcher Lager verortet wurde, während Bucer zwar Einigungspotential sah, aber auch Kritik übte. So kennzeichnete Hardenberg a Lascos Abendmahlslehre als mit der Zürcher übereinstimmend;83 Bullinger lobte a Lascos Abendmahlslehre84 und gab dessen Schriften weiter, speziell an Personen, die er von ihrer exhibitiven Auffassung abbringen wollte:85 A Lascos Widerlegung solcher Lehren kam seiner Abgrenzung gegen Straßburg nach 1544/45 entgegen.86 78

KUYPER I, 552 (Epitome 1544): „Paulus diserte docet pronomen touto non ad substantiam, sed ad fractionem panis, h.e., ad ipsam coenae actionem referri potius oportere, non enim alium quam fractum panem, h.e., in cibum iam exhibitum, vocat communionem corporis Christi. Corporis item nomen non pro substantia corporis accipit Paulus, sed pro corporis communione, h.e. participatione, idque iuxta sacramenti rationem, h.e., pro communionis obsignatione, quemadmodum et circumcisio foedus dicitur, baptismus peccatorum ablutio, agnus paschalis Phasae, cum tamen proprie sint sfra,gidej horum omnium.“. 79 Vgl. KUYPER I, 566 (A Lasco an N.N., 1544). 80 Vgl. KUYPER I, 550 f. (Epitome 1544). 81 A LASCO, Abendmahlstraktat, Satz 92–94: „coenam domini non equidem qualecunque mortis Christi memoraculum esse, sed quod assignet eciam animos nostros in omnium mortis Christi meritorum donata nobis communione. […] sacramenta […] visibilibus et palpabilibus notis oculis id nostris repraesentant […] Sed repraesentant efficaciter: adest enim spiritus sanctus cuilibet Christi domini institutioni et in omnibus donis suis efficax reddit testimonium Christo.“ 82 Vgl. KUYPER I, 564 (A Lasco an N.N., 1544). 83 Vgl. Hardenberg an die Zürcher Pfarrer, 23.3.1545, HBBW 15, 213 (Nr. 2120). 84 Vgl. Bullinger an Oswald Myconius, 1.5.1545, HBBW 15, 297 (Nr. 2150). 85 Vgl. z.B. Bullinger an Gervasius Schuler, 20.2.1546, HBBW 16, 174 (Nr. 2361). 86 In der Forschung wird sogar erwogen, ob a Lascos Texte Bullingers Tractatio de sacramentis beeinflussten (vgl. ZWIERLEIN, Der reformierte Erasmianer, 88–94).

132 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. Melanchthon wiederum lehnt a Lascos Lehre im Sinne der Wittenberger Sicht auf Zürich ab: A Lasco weise eine Sünden vergebende Kraft des Abendmahls zurück, betrachte es also nur als äußerliches Bekenntniszeichen.87 Wohl aufgrund der Betonung des Geistwirkens meinte aber auch Bucer, mit a Lasco zu einer Einigung kommen zu können. Er sah sich prinzipiell mit ihm einig,88 benannte aber auch präzise die Differenz: A Lasco gehe ausschließlich von einer besiegelnden Kraft des Sakraments aus, er selbst von einer exhibitiven communicatio.89 Letztere belegt er aus der für a Lasco so zentralen Stelle 1 Kor 10,16.90 Er greift also a Lascos Argumente und Begriffe auf, um zu zeigen, dass dessen Abgrenzungen gegen seine Lehre unberechtigt seien. So formuliert er: „In sacramento utroque Dominum ipsum eamque carnis et sanguinis eius communionem dari ac percipi“91 – um sogleich zu betonen, dass der heilsrelevante Vorgang nicht den Amtsträgern zugeschrieben werde, sondern allein Gott.92 Er betont, die unio sacramentalis bedeute keine räumliche Einschließung; leibliches Essen der Elemente und geistliches Essen Christi im Glauben blieben unterschieden.93 A Lascos passive communio-Auslegung lehnt er ab:94 Die Einsetzungsworte erzwängen, dass es sich um eine communicatio des Leibes, nicht nur des Geistes Christi handle.95 Das bestätigt, dass a Lasco auf dem theologischen Spektrum zwischen Bucer und den Zürchern steht, aber weiter von Bucer entfernt als Calvin (dessen Haltung Bucer akzeptieren konnte). Der gesamtreformatorisch normative Anspruch, den a Lasco erhebt, beruht einerseits auf den beschriebenen abendmahlstheologischen Aussagen, andererseits hängt er mit der kirchenpolitischen Situation in Ostfriesland zusammen: Bei a Lascos Ankunft gab es dort unter den Pfarrern sowohl eine an der Schweizer als auch eine an der Wittenberger Reformation orientierte Strömung. Täuferische und spiritualistische Bewegungen hatten Zulauf, aber auch Klöster und Messgottesdienste bestanden weiter. Darauf reagierte a Lasco, indem er Maßnahmen gegen altgläubige Praktiken und gegen die Duldung von Täufern ergriff und sich im Übrigen um eine Vereinheitlichung von Bekenntnisstand und 87 Vgl. Melanchthons Gutachten für Herzog Albrecht von Preußen, 15.7.1545, MBW.T 15, 365 (MBW 3950). 88 Bucer an a Lasco, 16.4.1545, POLLET, Martin Bucer I, 223: „Convenit inter nos potius fundamentum quam apparatum structurae.“ 89 AaO., 224: „De sacramenti definitione non videtur idem inter nos constitutum. Obsignandi vim divinas promissiones et testandi usurpantium inter se in Domino societatem tantum sacramentis tribuere videris: ego etiam vim exhibendi Christum ipsum: tamen communicatione.“ 90 Vgl. ebd. 91 Ebd. 92 Vgl. ebd. 93 Vgl. aaO., 224 f.; 230 f. 94 Vgl. aaO., 233 f. 95 Dies wiederholt Bucer mehrmals, vgl. z.B. aaO., 229.

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Kirchenstruktur bemühte.96 In diesen Kontext gehört a Lascos Epistola ad amicum quendam vom April 1545, die das Verhältnis der verschiedenen im Coetus der ostfriesischen Prediger vertretenen Abendmahlsauffassungen regeln sollte97 und aus der a Lascos Gedanken zu dieser Frage hervorgehen. A Lascos Verhältnisbestimmung zwischen den evangelischen Positionen beruht auf dem für seine eigene Lehre zentralen Begriff der communio. Er erklärt „vim, dignitatem ac mysteria“ des Abendmahls für umumstritten: die communio mit Christus in seinem Leib und Blut.98 Diese Kernauffassung ist a Lasco zufolge zum Heil hinreichend und folgt aus der Schrift.99 Im Abendmahlsstreit umstritten sei nur der modus von Christi Gegenwart. Da die hier diskutierten Ausdrücke sich jedoch nirgends in der Schrift fänden, sei darüber nicht die Kirchengemeinschaft zu zerreißen.100 Drei Meinungen sieht a Lasco in diesen Grundkonsens eingeschlossen: erstens die körperliche Gegenwart des Leibes Christi in und unter den Elementen auch für impii,101 zweitens die exhibitive und nicht lokale, durch Wirken des Amtsträgers hervorgerufene Präsenz des realen Leibes Christi nur für die Gläubigen,102 drittens die Vorstellung, dass der äußere Mensch auf Erden nur die Elemente isst und der Heilige Geist bewirkt, dass der innere Mensch in den Himmel gehoben wird und dort durch Glauben Christi Leib und Blut zum ewigen Leben nießt.103 Mit letzterer Auffassung identifiziert er offenbar seine eigene Lehre.104 Damit aber liegt eben das communio-Verständnis, das Grundlage von a Lascos Entscheidung für die nicht-exhibitive Lehre und seiner Abgrenzung gegen lokalpräsentische und exhibitive Auffassungen ist, zugleich der Definition des 96

Vgl. JÜRGENS, a Lasco in Ostfriesland, 178–203; 222–348. Vgl. aaO., 315. 98 KUYPER I, 471: „quod ad vim, dignitatem ac mysteria Coenae attinet, in iis unanimiter hactenus omnes consentiunt, ut agnoscant Coenae mysterium esse nostram cum Christo communionem in corpore et sanguine ipsius, quam sane summam Coenae Dominicae dignitatem esse constat: agnoscant item unanimiter omnes, nos in Coena vero corpori et sanguini Christi vere etiam communicare, quae omnium summa est Coenae virtutis atque efficacia.“ 99 Ebd.: „Nihil enim hic habetur praeter verbum Dei, et interim habetur quod ad salutem cuiusque satis est: nihil item quod non commune nobis cum Catholica Christi Ecclesia habeamus.“ 100 KUYPER I, 470 f.: „de modo praesentiae nihil anxii sumus, imo vero nobis, tantisper dum doctorum sententiae de illo variant, temperandum a curiosa illius apud populum disquisitione omnino esse putamus, quod nobis satis sit habere Christum, utut illum habeamus. Interim tamen patimur in suo quenque hic sensu abundare, neque doctrinae hac in parte dissidium tanti esse faciendum putamus, ut propter illud quenquam omnino iudicare, nedum Ecclesiarum societatem scindere velimus, modo ne ad populum attingatur, quia dissidia parit et voces, quae in hac adhibentur controversia, nusquam in scripturis leguntur.“ 101 Vgl. KUYPER I, 472 f. 102 Vgl. KUYPER I, 473 f. 103 Vgl. KUYPER I, 474–478. 104 Vgl. KUYPER I, 476 f. 97

134 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. reformatorisch Unumstrittenen zugrunde. Das führt dazu, dass die unumstrittene Lehre implizit immer wieder mit a Lascos eigener gleichgesetzt wird: etwa die im modus nicht festgelegte Präsenz Christi mit der Besiegelung der communio.105 Zudem widerlegt a Lasco als dem reformatorischen Grundkonsens widersprechend nicht nur Transsubstantiation und bloße Zeichenhaftigkeit, sondern auch die (vorher einbezogene!) räumliche Einschließung in oder unter den Elementen.106 Mit dieser inneren Spannung des Konzepts hängt zusammen, dass es in der Forschung einerseits als quasi-straßburgische Einigungsbemühung gedeutet werden konnte, in deren Rahmen die innerreformatorischen Differenzen „keine gemeinschafttrennende Bedeutung“ hätten,107 andererseits als Versuch, die Wittenberger Lehre durch a Lascos ihr entgegengesetzte Position zu verdrängen.108 In beiden Deutungen wird die Spannung aufgelöst: einmal in Richtung der beanspruchten Übereinstimmung mit den anderen reformatorischen Positionen, einmal in Richtung ihrer dogmatischen Widerlegung. Indem a Lasco jedoch gleichzeitig prinzipielle Übereinstimmung mit anderen reformatorischen Auffassungen beansprucht und sie dogmatisch widerlegt, erhebt er Anspruch auf gesamtreformatorisch normative Geltung der eigenen Lehre – nicht wie Calvin auf Basis von Straßburger Gedanken, sondern eher im Sinne einer Sichtweise, wie sie die Schweizer im Ersten Abendmahlsstreit vertreten hatten:109 Einerseits bezieht er Wittenberger und Straßburger Lehre in den reformatorischen Grundkonsens ein; andererseits entsprechen sie diesem aus seiner Sicht weniger als die eigene Auffassung. Wenn er also festhält, der Dissens betreffe menschliche Irrtümer (über den Konsens im Heilsnotwendigen hinaus), alle Lehrer würden ihre Meinung ändern, wenn sie durch die Schrift des Irrtums überführt würden, und varietas sei bis dahin zu akzeptieren,110 geht er implizit davon aus, dass die Irrenden bei den anderen Positionen zu suchen sind, sich aber angesichts ihrer Zustimmung zum richtigen Kerngedanken der Anschauung annähern würden, die dem vollständig entspreche: a Lascos eigener. Es handelt sich aus dieser Perspektive um eine Art unvollkommene Vorformen der eigenen, wahrhaft reformatorischen Auffassung. 105

KUYPER I, 471: „Praeterea omnes unanimiter agnoscunt etiam Christi Domini in Coena sua praesentiam, ut velut ab ipsomet nostram secum et suam nobiscum communionem obsignari credamus in sua institutione.“ 106 Vgl. KUYPER I, 471. 107 Vgl. HEIN, Sakramentslehre, 92–97, Zitat 94. 108 So betont KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 63: „Mit der lutherischen Lehre von der Sünde, den Sakramenten usw. ist diejenige a Lascos unvereinbar. Er gab das schon damals rückhaltlos zu und verurteilte die Lehre, dass die Taufe Vergebung der Sünden wirke und in, mit und unter dem Brote und Weine Leib und Blut Christi gereicht würden.“ AaO., 203 heißt es, dass a Lasco und seine Mitstreiter „den Anspruch erhoben, ihre Lehre sollte allein massgebend sein, und den Lutheranern zumuteten, sich ihnen zu fügen.“ 109 Vgl. o. Kap. II.1.4. 110 Vgl. KUYPER I, 479.

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Die Aufnahme von a Lascos Modell in Ostfriesland zeigt einerseits, wie problematisch dies für wittenbergisch geprägte Pfarrer war, andererseits liegt sie a Lascos Annahme zugrunde, ein solches Konzept ließe sich tatsächlich durchsetzen: Gegen die Epistola erhob sich Widerstand von seiten wittenbergisch geprägter Pfarrer und weltlicher Amtsträger, der sich speziell in Norden bis zu offenem Predigtstreit steigerte:111 Angesichts der implizit normativen Rolle von a Lascos eigener Lehre in der Epistola argwöhnten sie wohl, dass a Lascos Position durchgesetzt und die eigene unterdrückt werden solle.112 Im Verlauf des Konflikts trat a Lasco 1546 sogar vorübergehend vom Bischofsamt zurück, konnte aber schließlich erreichen, dass das Konzept der Epistola für alle ostfriesischen Geistlichen verbindlich gemacht wurde.113 Das führte ihn zu der Ansicht, es könnte auch in größeren Zusammenhängen funktionieren. Insofern bemühte a Lasco sich auch überregional um eine entsprechende Regelung: Nach dem Konflikt zwischen Luther und den Zürchern von 1544/45 bemühte er sich, Philipp von Hessen, Friedrich II. von der Pfalz oder Hermann von Wied zur Ausrichtung eines Religionsgesprächs zu bewegen.114 Dazu versuchte er eine Brücke zwischen den Zürchern und Straßburgern zu bauen: So meint er Bucer gegenüber, wenn die communio mit Christus nicht erst im Abendmahl beginne, sondern schon vorher gegeben sei, sei Bucers dari et percipi nicht weit von seinem eigenen obsignari entfernt.115 Den Zürchern hält er vor, Bucers exhibitio sei eine durch Glauben erfolgende perceptio, die akzeptabel sei, wenn sie obsignativ verstanden werde.116 Das zeigt a Lascos Zwischenstellung ebenso wie seinen normativen Anspruch: Anders als die Zürcher kann er Bucers Lehre als akzeptabel ansehen, interpretiert ihn dabei aber im Sinne seiner eigenen, für Zürich anschlussfähigen Lehre. Luthers Auffassung hingegen gilt ihm (gemäß der Epistola) als prinzipiell einzubeziehen, aber irrig: Nachdem er 1545 Zustimmung zum Zürcher Bekenntnis bekundet, aber gemeint hatte, die Zürcher hätten Luther weniger harsch behandeln sollen,117 charakterisiert er nach Luthers Tod dessen Sakramentslehre als menschlichen Irrtum. Zugleich betont er aber Luthers Verdienste um die causa iustificationis und den Kampf gegen das Papsttum118 und fordert die Zürcher auf, als versöhnliche Geste eine Würdigung Luthers unter Aussparung der Sakramentsfrage zu 111

Vgl. JÜRGENS, A Lasco in Ostfriesland, 315–317. Vgl. KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 64. 113 Vgl. JÜRGENS, A Lasco in Ostfriesland, 317–320. Zur Identität der Epistola mit der aus diesem Anlass öffentlich verlesenen Moderatio vgl. HEIN, Sakramentslehre, 63–71. 114 Vgl. JÜRGENS, A Lasco in Ostfriesland, 318 bei und mit Anm. 119, sowie die im Folgenden zitierten Briefe. 115 Vgl. a Lasco an Bucer, 23.6.1545, KUYPER II, 591 f. (Nr. 27). Treffend POLLET, Martin Bucer I, 221: „A Lasco tend a réduire la divergence qui le sépare de son correspondant.“ 116 Vgl. a Lasco an Bullinger und Pellikan, 23.3.1546, HBBW 16, 256 f. (Nr. 2390). 117 Vgl. a Lasco an Bullinger, 25.8.1545, HBBW 15, 472 f. (Nr. 2223). 118 A Lasco an Bullinger und Pellikan, 23.3.1546, HBBW 16, 257 (Nr. 2390). 112

136 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. verfassen.119 Das soll wohl zur Einbeziehung der Wittenberger dienen, aber auch zur Besänftigung Bucers: Ihm gegenüber betont a Lasco, er habe die Zürcher zum Lob Luthers und zum Gespräch aufgefordert. Wenn sie das verweigerten, setzten sie sich selbst ins Unrecht. Zudem betont er, auf Schweizer Seite sollten auch die von Calvin eingerichteten Kirchen eingeladen werden120 – eher auf Straßburger Seite stehende Akteure. A Lasco betont also die für die jeweiligen Adressaten anschlussfähigen Aspekte seines Modells: den Zürchern gegenüber Luthers Irrtum und die Einigung im Sinne seiner eigenen Lehre, Bucer gegenüber die Einigung unter Einschluss Calvins und der Wittenberger sowie die Rücknahme von Zürcher Vorwürfen. Dass aus dem Gespräch nichts wurde, dürfte damit zusammenhängen, dass die jeweils anderen Aspekte für sie nicht akzeptabel waren: Bucer konnte ausweislich seines früheren Briefs der normativen Setzung von a Lascos Lehre nicht zustimmen; Bullinger sollte a Lasco später vorhalten, seine Sicht auf die Wittenberger Reformation sei naiv.121 In seiner Perspektive auf wittenbergisch geprägte Reformatoren dürfte a Lasco schließlich ausgerechnet durch die Kooperation mit Theologen bestärkt worden sein, die später im Zweiten Abendmahlsstreit auf der Gegenseite stehen sollten: den Pfarrern in Hamburg und Bremen. Jedenfalls sollte er sich später im Streit darauf beziehen, um zu belegen, dass Westphal und seine Mitstreiter damals nichts gegen seine Lehre vorgebracht hätten.122 Zumal sie im Gegenzug ihr Misstrauen gegen a Lascos Ansicht auf diese Zeit zurückführten,123 darf seine Darstellung sicher nicht einfach übernommen werden. Jedoch ist plausibel, dass beide Seiten angesichts der Bedrohung durch das vom Kaiser erlassene Augsburger Interim – dessen Einführung in Ostfriesland sich a Lasco ebenso nachdrücklich entgegenstellte wie die Hamburger und Bremer in ihrem Umfeld124 – bereit waren, ihre Differenzen zurückzustellen. Belegt ist, dass a Lasco 1549 Hardenberg in Bremen sowie den Superintendenten Johann Aepin, Westphals Vorgesetzten, in Hamburg besuchte125 und ostfriesischen Bekannten mitteilte, er sei von den Predigern freundlich aufgenommen worden und habe mit ihnen vereinbart, sich um die Sakramentslehre nicht zu streiten.126 Auch 119

Vgl. a Lasco an Bullinger und Pellikan, 23.3.1546, HBBW 16, 257 f. (Nr. 2390). Vgl. a Lasco an Bucer, 2?.3.1546, KUYPER II, 604 (Nr. 36). 121 Vgl. u. Kap. IV.2.1b. 122 Vgl. u. Kap. IV.3.2a. 123 Vgl. u. Kap. III.2.2b. 124 Vgl. für a Lasco JÜRGENS, Johannes a Lasco in Ostfriesland, 331–334; für die Hamburger und Bremer Pfarrer u. Kap. III.2.1a. 125 Vgl. JÜRGENS, Johannes a Lasco in Ostfriesland, 334. 126 Gerhard thom Camph an Konrad Pellikan, 8.8.1549, zit. nach WEERDA, Der Emder Kirchenrat, 97 Anm. 23: „Nam iam omnes domesticae contentiones cessant; deinde D. a Lasko in Poloniam proficiscens scripsit, se humanissime ubique a concionatoribus Saxonicis exceptum et post mutua colloquia manus illi dedisse et promisisse, nolle propter rem sacramentariam discordiam alere amplius. Ego semper dixi, Ecclesiis nihil nisi crucem deesse.“ 120

1.1 Neu gefasste Abendmahlstheologien der 1540er Jahre

137

Hardenberg berichtete, a Lasco sei in Bremen zum Abendmahl zugelassen worden.127 Wenig später wandten sich die ostfriesischen Gemeinden nicht nur nach Straßburg und Zürich, sondern auch an Aepin, als in Abwesenheit a Lascos eine Regelung eingeführt wurde, die in ihren Augen einen illegitimen Kompromiss mit dem Interim bedeutete – und Aepin bestärkte sie in ihrer Ablehnung.128 Vor seiner Übersiedlung nach England im Jahr 1550 wohnte a Lasco sogar längere Zeit bei Aepin.129 Ob und worauf er sich mit den Pfarrern in der Sakramentsfrage verständigt hatte, ist unklar – jedenfalls waren sie angesichts der altgläubigen Bedrohung bereit, mit ihm zusammenzuarbeiten.130 Daran wird die konfessionell ungeklärte Situation vor Beginn des Abendmahlsstreits deutlich, in der eine solche Kooperation für beide Seiten noch denkbar war. Dafür, dass a Lasco das Verhältnis zu den Bremer und Hamburger Pfarrern im Sinne seines für Ostfriesland entworfenen Konzepts innerreformatorischer Verständigung bewertete, sprechen seine kurz zuvor entstandenen Texte zum Bremer Abendmahlskonflikt: Hardenberg war 1547 in Konflikt mit dem Pfarrer Johann Timann geraten, einem späteren Mitstreiter Westphals.131 A Lasco betonte daraufhin Hardenberg gegenüber, wenn der heilsnotwendige Glaube auf beiden Seiten vorhanden sei, gebe es keinen Grund, die Kirchengemeinschaft zu zerreißen.132 Zugleich hielt er fest, es wäre nicht schwer, die Auslegung von Hardenbergs Gegnern zu widerlegen. Er und Hardenberg sollten aber deren Schwächen brüderlich tragen und die Gegner sollten bis zur Klärung des Konflikts das Gleiche tun. Jedoch sollten beide Seiten bereit sein, den eigenen Standpunkt aus Gottes Wort zu begründen.133 Letzteres setzte er bezeichnenderweise um, indem er Hardenberg von dessen exhibitiver Abendmahlsauffassung abzubringen versuchte134 und einen Traktat an die Bremer verfasste, in dem er nicht nur seine eigene Lehre erläutert, sondern auch lokalpräsentische und exhibitive Lehre widerlegt.135 Auch hier geht a Lasco davon aus, dass beide Auffassungen nebeneinander existieren können, bis die Frage geklärt wird. Die

127

HARDENBERG, De controversia, zit. nach JANSE, a Lasco und Hardenberg, 278 Anm. 87: „Als averst he [i.e. a Lasco, C.E.] nha der hant hier quam, tho my, ethen und drenken se [i.e. die Bremer Prediger] mit em und her Jacob let hem hier tho aventmale.“ 128 Das sogenannte Ostfriesische Interim lehrte dogmatisch evangelisch, führte aber altgläubige Zeremonien wieder ein – ebenso wie die Leipziger Landtagsvorlage (vgl. dazu u. Kap. III.2.1a). Aepin verwies daher auf die Hamburger Argumentation gegen letztere. Vgl. WEERDA, Der Emder Kirchenrat, 96–102, JÜRGENS, a Lasco in Ostfriesland, 338–340. 129 Vgl. JÜRGENS, a Lasco in Ostfriesland, 344. 130 Zu möglichen Motiven Aepins und anderer Hamburger vgl. auch u. Kap. III.2.1a. 131 Näher zu dem regionalen Konflikt s.u. Exkurs B.1. 132 Vgl. a Lasco an Hardenberg, 29.1.1548, KUYPER II, 612 (Nr. 44). 133 Vgl. aaO., 612 f. 134 Vgl. a Lasco an Hardenberg, 29.1.1548, KUYPER II, 613 f. (Nr. 44). 135 Dieser Traktat ist ediert bei: CORNEL A. ZWIERLEIN, Ein verschollen geglaubter Abendmahlstraktat Johannes à Lascos von 1548, ARG 92 (2001), 43–86.

138 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. Klärung ist dem Anspruch nach ergebnisoffen – faktisch nimmt a Lasco aber an, dass seine als die wahrhaft reformatorische Position sich durchsetzen werde. In diesem Sinne sollte er später im Abendmahlsstreit auch die Kooperation mit Hamburger und Bremer Pfarrern deuten, während sie umgekehrt die damalige Lage im Sinne ihrer Streitposition interpretieren sollten. A Lasco vertritt insgesamt also ein Konzept geistlicher Präsenz Christi im Abendmahl, das wie dasjenige Calvins zwischen der klassischen Zürcher und Straßburger Position steht. Befindet Calvin, für den das Geistwirken exhibitiv durch den Abendmahlsvollzug vermittelt wird, sich jedoch näher an Straßburg, steht a Lasco, der eine solche exhibitive Heilsvermittlung ablehnt, der Zürcher Seite näher. Der Akzent, dass sich beim Abendmahl eine Versiegelung durch den Geist vollzieht (auch wenn diese in Übereinstimmung mit Zürich nicht als Vermittlung zuvor nicht gegebenen, sondern als Bestätigung vorhandenen Heils aufgefasst wird), unterscheidet ihn (zu dieser Zeit) von Bullinger und verortet ihn auf dem theologischen Spektrum zwischen diesem und Calvin. Mit Bullinger und Calvin verbindet ihn die Christologie, die Christi Menschheit im Himmel verortet und daher deren leibliche Präsenz im Abendmahl ablehnt. Insofern war der von ihm erhobene Anspruch auf reformatorisch normative Geltung seiner eigenen Lehre aus Sicht von Westphals Partei, die eine solche Präsenz des Leibes Christi vertrat, nicht minder bedrohlich als der Calvins. Von Calvin unterscheidet ihn wiederum die Begründung dieses Anspruchs: Er definiert abweichende reformatorische Lehrmeinungen als unvollkommene Formen seiner eigenen Position – auch das aus Sicht von Westphals Partei ein bedrohliches Argument, da sie damit ihre Lehre abgewertet sah. Zunächst aber trat die Aushandlung eines Textes in den Vordergrund, der a Lasco aufgrund seiner Position zwischen Calvin und Bullinger theologisch entgegenkam und den er nachdrücklich unterstützen sollte:136 der Consensus Tigurinus.

1.2 Einigung zwischen Zürcher und Genfer Reformation: Der Consensus Tigurinus (1549) 1.2 Der Consensus Tigurinus (1549)

a) Hintergründe evangelischer Einigung in der Eidgenossenschaft Dass Bullinger und Calvin in den Jahren 1547–49 über das Verhältnis zwischen Zürcher und Genfer Abendmahlslehre verhandelten und schließlich den Consensus Tigurinus vereinbaren konnten, war Ergebnis einer komplexen Verquickung theologischer Motive, eidgenössischer Kirchenpolitik und außenpolitischer Faktoren. Eine wichtige Rolle spielten zunächst Konflikte, die aus dem Zerwürfnis zwischen Zürich und Straßburg137 resultierten: Insbesondere in 136 137

Vgl. u. Kap. III.1.3f. Vgl. dazu o. Kap. II.5.3.

1.2 Der Consensus Tigurinus (1549)

139

Bern schwelten diese Debatten seit längerem. Die Konfliktlinien entsprachen dabei weitgehend denen zwischen Bucer und Bullinger: Die an Zwingli orientierte Fraktion warf den an Straßburg orientierten Pfarrern vor, das Wahrheitsbekenntnis zu verdunkeln und auf einen Anschluss an Luther zu zielen; die Bucerschüler kritisierten das (aus ihrer Sicht) starre Festhalten ihrer Gegner an Zwinglis Abendmahlslehre.138 Verstärkt wurde dieser Konflikt durch Calvins Erfolg in den mit Bern verbundenen frankophonen Territorien: Calvin war daran gelegen, Bern theologisch auf seine Seite zu ziehen. Aus Sicht der Berner Gegenpartei hingegen erschien die Annäherung an eine solche straßburgisch geprägte Position als Gefahr für Zwinglis Erbe.139 Zugleich gab es Konflikte über das Verhältnis zwischen Kirche und weltlicher Obrigkeit: Aus der zürcherisch geprägten Sicht der Berner Obrigkeit fielen Finanzen, Ämtervergabe und Kirchenmitgliedschaft in ihren Aufgabenbereich; für die Genfer Ekklesiologie war die autonome Regelung dieser Fragen durch kirchliche Instanzen zentral. Speziell im politisch Bern unterstellten, theologisch von Genf beeinflussten Pays de Vaud prallten beide Ansprüche aufeinander.140 Zu einer Zuspitzung der Konflikte kam es 1548: Pierre Viret publizierte in Genf eine Abendmahlsschrift, in der er Zwingli kritisierte, und geriet darüber in Lausanne in Streit mit André Zébedée.141 Gleichzeitig wurden im April die an Bucer orientierten Theologen aus Bern ausgewiesen, unter ihnen Simon Sulzer, der im Zweiten Abendmahlsstreit dann als Basler Pfarrer gegen die Linie Calvins und Bullingers opponieren sollte.142 Nachdem vorher im eidgenössischen Bereich verschiedene Auffassungen nebeneinander hatten existieren können, drohte nun eine Spaltung der dortigen Evangelischen, die sie theologisch und politisch geschwächt hätte143 – daran konnten weder Calvin noch Bullinger ein Interesse haben.

138 BURNETT, AMY NELSON, The Myth of the Swiss Lutherans. Martin Bucer and the Eucharistic Controversy in Bern, in: Zwing. 32 (2005), 45–70, hat nachgewiesen, dass es sich nicht (wie die Forschung lange Zeit annahm) um einen Konflikt zwischen Zwinglianern und Lutheranern handelte, sondern um einen Konflikt zwischen an Zürich und an Straßburg orientierten Theologen, in dem erstere letzteren polemisch vorwarfen, zu lutheranisieren. 139 Auch das arbeitet BURNETT, Myth of the Swiss Lutherans, 66 f, sehr präzise heraus. 140 Vgl. zu den Konflikten im Einzelnen BRUENING, MICHAEL W., Calvinism’s First Battleground. Conflict and Reform in the Pays de Vaud, 1528–1559, Dordrecht 2005 (Studies in Early Modern Religious Reforms 4); GÄBLER, ULRICH, Das Zustandekommen des Consensus Tigurinus im Jahre 1549, in: ThLZ 104 (1979), 321–332, hier 321–325. 141 Vgl. BRUENING, Calvinism’s First Battleground, 183–194; zu Calvins Rolle in diesem Konflikt GORDON, Calvin, 170–172. 142 Vgl. BURNETT, Myth of the Swiss Lutherans, 67; näher zu Sulzer ABENDSCHEIN, DANIEL, Simon Sulzer. Herkunft, Prägung und Profil des Basler Antistes und Reformators in Baden-Durlach, Stuttgart 2019 (Veröffentlichungen zur badischen Kirchen- und Religionsgeschichte 9); zu Sulzers Rolle im Zweiten Abendmahlsstreit s.u. Kap. IV.2.4b. 143 Vgl. CAMPI, Consensus Tigurinus, 10.

140 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. Hinzu kam die Entwicklung außerhalb der Eidgenossenschaft: Hatten schon das Trienter Konzil, die Verfolgung Evangelischer in den Niederlanden und Frankreich sowie das Vorgehen des Kaisers im Schmalkaldischen Krieg den Eindruck hervorgerufen, dass die Evangelischen in Europa an den Rand gedrängt würden, verstärkte sich dieser Eindruck durch das Interim massiv. Bullinger, Calvin und andere eidgenössische Reformatoren verfolgten die Geschehnisse im Reich mit Sympathie für die Evangelischen und lehnten das Interim in mehreren Schriften ab.144 Dabei äußerten sie Sympathie für die Magdeburger Interimsgegner145 – und damit für spätere Anhänger Westphals. Das zeigt wiederum die konfessionell noch offene Situation vor Beginn des Abendmahlsstreits, zumal man in Magdeburg Calvins Interim Adultero-germanicum nachdruckte:146 Zumindest gegenüber den Altgläubigen sah man sich einig. Insbesondere aber gingen den evangelischen Eidgenossen durch die Annahme des Interims in vielen oberdeutschen Städten und Territorien theologische und politische Bündnispartner im Reich verloren; zeitweise befürchteten sie sogar, selbst ins Visier des Kaisers zu geraten.147 Das führte nicht nur politisch zu verstärkter Orientierung an den anderen Eidgenossen, mit deren Hilfe man die eigene Unabhängigkeit zu verteidigen hoffte, sondern sollte auch Bullinger und Calvin motivieren, die abendmahlstheologische Verständigung weiter voranzutreiben,148 zumal die außenpolitische Isolierung zeitlich mit der Krise in Bern und Pays de Vaud zusammenfiel. b) Verhandlungen zwischen Calvin und Bullinger Dem Abschluss des Consensus gingen ausführliche Verhandlungen zwischen Calvin und Bullinger voraus – teils wurden diese brieflich geführt,149 teils bei Besuchen Calvins in Zürich. Wurde dieser Austausch in der Forschung oft entweder als Überwindung von Bullingers Vorbehalten gegenüber Calvins (unveränderter) Auffassung150 oder als „Geschichte des Zurückweichens Calvins“151 gegenüber Bullinger dargestellt, hat Emidio Campi herausgearbeitet, 144 Zur eidgenössischen Neutralität vgl. MAISSEN, THOMAS, Die Eidgenossen und das Augsburger Interim. Zu einem unbekannten Gutachten Heinrich Bullingers, in: Luise Schorn-Schütte (Hg.), Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt, Gütersloh 2005 (SVRG 203), 76–101, hier 76–87; zu Bullingers zwei (aus politischen Rücksichten ungedruckt gebliebenen, aber handschriftlich zirkulierenden) Widerlegungen des Interims aaO., 89–98. Calvins Interim adultero-germanicum ist ediert in CR 35 = CO 7, 545–674. 145 Vgl. dazu KAUFMANN, Ende der Reformation, 113–116. 146 Freilich mit kritischen Anmerkungen zu dessen Tauflehre, vgl. u. Kap. III.2.2b. 147 Vgl. MAISSEN, Die Eidgenossen und das Augsburger Interim, 78–89; 99 f. 148 Das herausgearbeitet zu haben, ist das Verdienst von MAISSEN aaO.,, 98–101. 149 Ihre Korrespondenz ist aufgelistet in CAMPI / REICH, Consensus Tigurinus, 381–386. 150 In diesem Sinne etwa KOLFHAUS, Verkehr Calvins mit Bullinger, 54–67. 151 So NEUSER, Dogma und Bekenntnis, 273; vgl. in abgewandelter Form auch JANSE, Calvin’s Eucharistic Theology, 41 f.

1.2 Der Consensus Tigurinus (1549)

141

dass Bullinger und Calvin sich im Laufe der Zeit wechselseitig annäherten.152 Dabei gaben sie allerdings ihre jeweils eigene Abendmahlslehre nicht auf – vielmehr gelang es ihnen zunehmend, den jeweils anderen im Sinne ihrer eigenen Position zu lesen. Aus diesem Grund konnte der Consensus ein breites Spektrum abendmahlstheologischer Positionen integrieren – und Calvin wie Bullinger konnten im Zweiten Abendmahlsstreit beanspruchen, dass sich ihre Haltung durch die Einigung nicht verändert habe. Westphals Partei dagegen sollte eben diese innere Pluralität der Allianz polemisch ausnutzen. Zu Beginn des Austauschs schienen Bullinger und Calvin sich zwar verständigen zu wollen – aber mit dem Ziel, dass der jeweils andere die eigene Position übernehmen sollte.153 So gab Bullinger Calvin Anfang 1547 bei einem Besuch seine unveröffentlichte Tractatio de sacramentis mit.154 Das signalisiert prinzipiell Dialogbereitschaft.155 Da Bullinger sich in der Tractatio in Reaktion auf die Ereignisse von 1544/45 konfrontativ gegen exhibitive Abendmahlsauffassungen wendet,156 lässt es aber auch den Schluss zu, dass er Calvin von dessen straßburgisch geprägter Position abbringen wollte. Entsprechend sah Calvin sich attackiert: Vielleicht sei das nicht beabsichtigt, aber der Leser müsse aus der Schrift den Eindruck gewinnen, dass Calvins Lehre die Seelen versklave.157 Dagegen hält Calvin fest, dass aus seiner Sicht für die in den Einsetzungsworten verheißene wahre Gegenwart Christi eine exhibitio erforderlich sei und sonst die Zeichen leer wären.158 Jedoch unterstellt er Bullinger nicht, dass dieser von leeren Zeichen ausgehe, sondern betont im Gegenteil, dass er dessen Grundsätze teile, aber von dort aus Bullingers Abgrenzung gegen exhibitive Lehre nicht als stichhaltig ansehe. Hier kommen die Berührungspunkte zwischen Calvins Lehre und der Zürcher Auffassung zum Tragen: Calvin betont, Christus sei in der Tat körperlich im Himmel und für die Sinne abwesend, aber für die Seele durch die Kraft des Heiligen Geistes anwesend. Christi Himmelfahrt widerspreche daher nicht seiner realen Präsenz beim Abendmahl.159 Mit der von ihm selbst vertretenen exhibitio sei keine (von Bullinger zu Recht 152

Vgl. CAMPI, Consensus Tigurinus, 11–15. Daher sehen manche Forscher (so z.B. ROREM, Calvin and Bullinger on the Lordʼs Supper, 170–177) hier den Beginn einer Annäherung, andere (so prägnant GÄBLER, Zustandekommen des Consensus, 325 f.) unverändert gegensätzliche Positionen. 154 Diesen Rückschluss erlaubt der Antwortbrief Calvins an Bullinger, 25.2.1547, CR 40 = CO 12, 480 (Nr. 880). 155 Vgl. ROREM, Calvin and Bullinger on the Lordʼs Supper, 170 f. 156 Vgl. o. Kap. II.5.3. 157 Calvin an Bullinger, 25.2.1547, CO 12, 486–488 (Nr. 880). 158 Vgl. aaO., 483 f., bes. 484: „Panem esse signum contendis. Idem sentimus. Exhibitionem negas. Ego contra assero. […] Neque vero tantum panis figurat Christi corpus fuisse semel pro me immolatum, sed mihi hodie in cibum dari pro vescar. […] Vera certe repraesentatio coenae non erit, nisi participes Christi fiamus, in quo exhibitio est rei figuratae.“ 159 Vgl. aaO., 481 f. 153

142 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. abgelehnte) coniunctio loci von Leib oder Brot oder eine Einschließung des Geistes in die Zeichen intendiert. Der Geist Gottes biete sich vielmehr durch Zeichen an; Gottes Alleinwirksamkeit werde damit nichts genommen.160 Bei aller Konzilianz bedeutet das nicht, dass Calvin einen weniger starker normativer Anspruch erheben würde als Bullinger: Die Vereinbarkeit der Positionen ist eine straßburgische These, die Bullinger bestreitet, und die Darstellung impliziert eine Deutung von Bullingers Lehre im Sinne Calvins. Insofern überrascht Bullingers Ablehnung nicht: Er antwortete zunächst überhaupt nicht; über die auf Calvins Nachfrage161 hin eingetroffene Reaktion schrieb dieser, Bullinger habe geantwortet, als hätte er ihn zum Kampf gefordert.162 Dem ersten Austausch entspricht die Entwicklung im Frühjahr 1548:163 Als Calvin und Farel im Mai nach Zürich kamen, um Bullingers Vermittlung im Pays de Vaud zu erbitten, lehnten die Zürcher inhaltliche Debatten über das Abendmahl ab und nahmen ihre Gäste als Buceraner wahr.164 Calvin hingegen hielt brieflich daran fest, dass er eine maior Christi communicatio in den Sakramenten lehre, man sich im Kern aber einig sei.165 Auf den Brief wie auf die mündlichen Diskussionen reagierte Bullinger Ende Mai, indem er festhielt, sich nicht anders äußern zu können, als er es getan habe. Zugleich bemerkte er, dass Calvin sich nach seiner früheren Kritik an Zürcher Schriften nun als einer der Ihren bekenne166 – beanspruchte ihn also für die Zürcher Lehre. Die folgende Annäherung zwischen Calvin und Bullinger konnte also daran anknüpfen, dass beide schon bisher versucht hatten, den jeweils anderen für die eigene Position zu beanspruchen – wenngleich sie gewiss auch dadurch bedingt ist, dass gerade um diese Zeit die Entwicklung im Pays de Vaud, der Fortschritt des Trienter Konzils und das Interim beiden Seiten die Notwendigkeit einer Einigung vor Augen stellten.167 So betont Calvin in einem Brief vom Juli 1548 wie bekannt die Übereinstimmung in der Christologie, der Alleinwirksamkeit des Geistes Gottes sowie der Unterscheidung von äußerem Abendmahlsvorgang und geistlichem Heilsgeschehen.168 Gleichzeitig hebt er 160

Calvin an Bullinger, 25.2.1547, CR 40 = CO 12, 484–486 (Nr. 880). Calvin an Bullinger, 13.10.1547, CO 12, 590 (Nr. 946). 162 Calvin an Viret, 23.1.1548, CR 40 = CO 12, 654 (Nr. 990). Der betreffende Brief Bullingers ist heute verloren. 163 Daher wird diese Phase in der Forschung teils noch zum ergebnislosen Dialog gezählt (vgl. GÄBLER, Zustandekommen des Consensus, 326; CAMPI, Consensus Tigurinus, 12), teils als Annäherung gewertet (so ROREM, Calvin and Bullinger on the Lordʼs Supper, 357 f). 164 So jedenfalls Calvin an Sulzer, CR 40 = CO 12, 720 (Nr.1035). Zur Zürcher Wahrnehmung der Einigungsbemühungen Bucers vgl. o. Kap. II.3.5. Vgl. auch Calvin an Bullinger, 1.3.1548, CR 40 = CO 12, 666–667 (Nr. 999). 165 Vgl. Calvin an Bullinger, 1.3.1548, CR 40 = CO 12, 666 f. (Nr. 999), Zitat 666. 166 Bullinger an Calvin, 26.5.1548, CO 12, 706 f. (Nr. 1025). 167 Vgl. dazu und zur einschlägigen Literatur o. Kap. III.1.2a. 168 Vgl. Calvin an Bullinger, 6.7.1548, CR 40 = CO 12, 727 f. (Nr. 1039). 161

1.2 Der Consensus Tigurinus (1549)

143

hervor, dass der Geist nur an den Erwählten handle.169 Das kommt der Zürcher Ansicht entgegen, dass der Glaube Voraussetzung für das Heilsgeschehen sei, stellt aber für Calvin kein Abrücken von seiner bisherigen Position dar: Von einer Nießung durch ungläubige impii (im Unterschied zu gläubigen, aber das Sakrament verachtenden indigni) gingen auch er und andere Straßburger nicht aus.170 Neu ist also weniger Calvins Position der Sache als der Umstand, dass er nun statt des Anbietens an alle Kommunikanten den Empfang nur durch Glaubende akzentuiert. Spiegelbildlich verhält es sich bei Bullingers Reaktion: Er bekundet, dass er nicht verstehe, wie Calvin die Sakramente als heilsvermittelnd verstehen können, wenn er gleichzeitig lehren wolle, dass die Gnade nicht daran gebunden sei:171 Für Bullinger bleiben Wirken Gottes und Sakramentsempfang strikt zu unterscheiden und dürfen nicht aneinander gebunden werden. Allerdings gesteht er zu, dass beides parallel geschehen kann, sofern (wie Calvin festgehalten hatte) das Heilswirken allein dem Geist zukomme.172 Auch er geht also auf Calvin zu, ohne seine Position grundsätzlich zu verändern: Er hatte das ja schon in den 1530er Jahren so vertreten173 – aufgegeben ist nur die nach 1544/45 erfolgte prinzipielle Abgrenzung gegen exhibitive Lehre. In Calvins Position sieht er die Gefahr, den Sakramenten zu viel zuzuschreiben, bemüht sich aber um eine aus Zürcher Sicht akzeptable Deutung. So hält er den Begriff instrumentum für problematisch, aber nicht für falsch, wenn er im Sinn von signum gemeint sei. Ein exhibere des Heils durch Sakramente geht ihm zu weit, aber er gesteht zu, dass sie das Heil anzeigen, bezeugen und besiegeln.174 Auch jetzt geben Calvin und Bullinger also weder zentrale Sachgehalte ihrer Position noch ihren normativen Anspruch auf; wohl aber bemühen sie sich verstärkt um Formulierungen, die für den jeweils anderen tatsächlich akzeptabel sind. Bullinger nimmt Abstand von der prinzipiell antiexhibitiven Wendung seiner Lehre, während Calvin darauf verzichtet, ihm diejenigen Akzente aufzuzwingen, die man in Straßburg gegenüber Wittenberg hervorgehoben hatte (substantiale Präsenz Christi auf geistlicher Ebene, Angebot dessen an alle Sakramentsteilnehmer usw.)175 Das setzt sich in den folgenden Briefen fort: 169

Vgl. aaO., 727. Für die generelle Straßburger Position vgl. o. Kap. II.3.3; für ihre Übernahme durch Calvin CR 33 = CO 5, 441 f. 171 Vgl. CR 35 = CO 7, 693. 172 CR 35 = CO 7, 694: „Deum agere aut operari in fidelium cordibus dum percipiuntur sacramenta, tutius videtur loqui quam dicere Deum operari per sacramenta. Nam vocabulum Per videtur rebus inanimatis, aquae, pani et vino, signis inquam, plus tribuere quam tribuendum est. Recte quidem tribuitur omnis boni efficacia spiritui sancto.” 173 Vgl. o. Kap. II.3.3. 174 Vgl. CR 35 = CO 7, 695. 175 Die Veränderung ist bei GÄBLER, Zustandekommen des Consensus, 326 f., gesehen, dem zufolge aber Calvin wie Bullinger wichtige Elemente ihrer bisherigen Position aufgeben; der gleichbleibende Kern bei BIZER, Studien zur Geschichte des Abendmahlsstreits, 170

144 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. Calvin erläutert nochmals seine Position als anschlussfähig für Zürich und akzentuiert, dass es sich bei den Elementen um Werkzeuge des Geistes handle, so dass sie Gottes Alleinwirksamkeit nichts nähmen.176 Er gesteht Bullinger zu, man könne statt von instrumentum auch von organum sprechen,177 und erklärt das simul von Heilsgeschehen und Abendmahl als similiter178 – was Bullingers Bedenken gegen eine Abhängigkeit des geistlichen Geschehens vom leiblichen Rechnung trägt, während Calvin es so deuten kann, dass er eine zeitliche Verknüpfung bestreite, nicht eine exhibitive Wirkung überhaupt. Gegen den Vorwurf des Bucerisierens macht er geltend, er schätze Bucer als Person, könne ihn aber gerade darum sachlich kritisieren.179 Darauf reagiert wiederum Bullinger, indem er um Entschuldigung bittet und Calvins letzten Brief als wünschenswert klar beschreibt. Zugleich grenzt er aber dessen Haltung von bucerischer flexibilitas ab und vereinnahmt Calvin für Zürich: Er wisse, dass Calvin die Unterschiede nicht für trennend halte, sehe aber nicht ein, warum dieser überhaupt anderer Meinung sei als die Zürcher.180 In den mitgesandten Annotata findet er einen Weg, Calvins Position ins eigene theologische System zu integrieren: Er gesteht eine Verbindung zwischen Gnade und Sakrament „propter fidem sumentis“181 zu. Die Gnadenwirkung resultiert nicht eigentlich aus dem Sakramentsempfang, sondern aus Glauben des Empfängers und Wirken des Geistes.182 Die Sakramente zeigen diesen potentiell zu ihnen parallelen, aber nicht an sie gebundenen Vorgang an und besiegeln ihn.183 Damit konnten Calvin und Bullinger die abendmahlstheologische Position des jeweils anderen im eigenen Sinne deuten – ohne dass dies die Unterschiedlichkeit ihrer Lehrauffassungen aufgehoben hätte.184 Dieser Umstand sollte nicht nur den Consensus Tigurinus prägen, sondern auch den Zweiten Abendmahlsstreit: Beide vertraten unterschiedliche Haltungen und diskutierten das durchaus kontrovers miteinander, unterstützten einander aber nach außen. 257–268, bei dem nun aber wiederum die Veränderung kaum herauskommt. Differenzierter äußern sich ROREM, Calvin and Bullinger on the Lordʼs Supper, 358–365, und CAMPI, Consensus Tigurinus, 13 f. („this exchange reveals significant differences, yet also that both reformers were able to come closer to the other’s view, in substance if not in emphasis.“) 176 Vgl. CR 35 = CO 7, 702. 177 Vgl. aaO., 703 f. 178 AaO., 704: „particula simul hic mihi nihil aliud significat quam similiter. Atque hic sensus est: tam vere nos fieri compotes rei signatae, quam vere signum oculis cernimus.“ 179 Vgl. Calvin an Bullinger, 21.1.1549, CR 41 = CO 13, 165 f. (Nr. 1129). 180 Vgl. Bullinger an Calvin, 13.3.1549, CR 41 = CO 13, 221 f. (Nr. 1165). 181 CR 35 = CO 7, 709. 182 Vgl. ebd. 183 Ebd.: „Deus enim proprie et revera per spiritum suum dona nobis exhibet. Sacramenta eadem nobis offerunt sacramentaliter, adeoque repraesentant aut obsignant.“ 184 Insofern ist es sowohl berechtigt, wenn CAMPI, Consensus Tigurinus, 14, die theologische Annäherung, als auch, wenn ROREM, Calvin and Bullinger on the Lordʼs Supper, die bleibende dogmatische Verschiedenheit als Ergebnis des Prozesses betont.

1.2 Der Consensus Tigurinus (1549)

145

c) Inhalt und Deutungsmöglichkeiten des Consensus Die im Mai 1549 zustande gekommene, später Consensus Tigurinus genannte Vergleichsformel Calvins und der Zürcher Pfarrer ließ sich sowohl im Sinne der Zürcher als auch im Sinne der Genfer Sakramentslehre lesen. Daher wird der Text in der Forschung teils als Anschluss Bullingers an die Genfer Auffassung,185 teils im Gegenteil als Übergang Calvins ins Zürcher Lager186 interpretiert. Wo die Möglichkeit verschiedener Lesarten wahrgenommen wird, wird dies teils als Kompromiss geschildert,187 teils in seiner integrativen Funktion hervorgehoben,188 teils als mangelnde Synthese der beteiligten Positionen kritisiert.189 Demgegenüber hat Emidio Campi in einer differenzierten Neuanalyse eine komplexe Verknüpfung von Mehrdeutigkeit und normativem Anspruch im Consensus herausgearbeitet: Einerseits ermöglichte der Text unterschiedliche Lesarten, andererseits waren tatsächlich gemeinsame Aussagen gefunden worden, die im Folgenden für das entstehende Reformiertentum normativen Charakter erlangten.190 Dieses Spannungsverhältnis ist auch für den Zweiten Abendmahlsstreit zentral: Die theologischen Inhalte des Consensus führten dazu, dass Westphals Partei in dem Text eine Zürcher Lehre in Straßburger Verkleidung erblickte; der damit verbundene normative Anspruch ließ sie befürchten, dass diese Lehre sich allgemein als maßgebliches Verständnis von Reformation durchsetzen könnte. Calvin konnte für den Consensus Kontinuität mit der (seitens der Wittenberger Reformation als rechtgläubig anerkannten) Straßburger Haltung beanspruchen, Bullinger Kontinuität mit Zwingli – und beide konnten den jeweils anderen im Sinne ihrer Interpretation verstehen. Zum Anlass für die Formulierung eines gemeinsamen Textes wurde die Confessio Gebennensis: Calvin hatte dieses Abendmahlsbekenntnis für eine Tagung in Bern verfasst, die zu einer Verständigung im Pays de Vaud führen sollte. Inhaltlich formulierte er darin seine Position in einer für Zürich offenen Form. Zwar wurde der Text auf der Tagung gar nicht diskutiert. Bullinger aber 185

So etwa EBRARD, Dogma vom heiligen Abendmahl, 487; KOLFHAUS, Verkehr Calvins mit Bullinger, 67–69. 186 In diesem Sinne NEUSER, Dogma und Bekenntnis, 272–274; JANSE, Calvin’s Eucharistic Theology, 41–51 und (vorsichtiger) DAVIS, Clearest Promises of God, 41–57. Belegen die genannten Autoren das meist durch Vergleiche mit früheren Texten Calvins, bietet eine spezielle Variante SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 140–142, der zum Beweis der These, dass der Consensus „vollkommen auf dem Boden des Zwinglianismus“ stehe, diesen mit der lateinischen Fassung der Confessio helvetica prior (also dem am stärksten straßburgisch beeinflussten aller Schweizer Abendmahlstexte, vgl. o. Kap. II.3.4) vergleicht. 187 Vgl. ROREM, Calvin and Bullinger on the Lordʼs Supper, 365–376. 188 Vgl. etwa MACCULLOCH, Reformation, 251 f. 189 So GÄBLER, Zustandekommen des Consensus, 330: „theologisch hat der Consens nicht erreicht, was er versprach […] eine Synthese von Calvins und Bullingers Denken ist keineswegs hergestellt worden.“ 190 Vgl. CAMPI, Consensus Tigurinus, 15–20.

146 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. bekam ihn zu lesen und nahm ihn offenbar ähnlich positiv auf wie Calvins vorherige Äußerungen – woraufhin Calvin nach Zürich kommen wollte.191 Bullinger reagierte mit einem Brief, in dem er das erreichte Maß dogmatischer Übereinstimmung lobte, sich aber gegen mündliche Verhandlungen aussprach.192 Allerdings ließ sich Calvin nicht davon abhalten, mit Farel nach Zürich zu kommen. Über den Verlauf der Verhandlungen ist wenig bekannt.193 Jedenfalls kam ein gemeinsamer sakramentstheologischer Text zustande, der teils Aussagen der Confessio Gebennensis übernimmt, teils neu formuliert. Dass Calvin den Consensus exhibitiv und als mit Straßburg übereinstimmend deuten konnte, während Bullinger ihn nicht-exhibitiv interpretierte und Westphals Partei ihn sogar als Ausdruck einer rein symbolischen Abendmahlslehre194 las, ist dadurch bedingt, dass der Text eine Genfer und eine Zürcher Deutung zulässt: Akzente, die der einen, und solche, die der anderen Seite wichtig sind, werden kombiniert, stehen aber nicht beziehungslos nebeneinander, sondern werden so gefasst, dass sie auch für die jeweils andere Seite akzeptabel sind. So wird in Artikel 6 die durch den Geist bewirkte und zum Glauben führende spiritualis communicatio mit Christus hervorgehoben, die durch Evangelium und Sakramente bezeugt werde195 – das Verhältnis zwischen diesem heilsrelevanten Geschehen und dem Sakramentsempfang bleibt offen. In Artikel 7 und 8 werden dann die theologischen Anliegen beider Seiten ausbalanciert:196 Artikel 7 bestimmt als Sinn der Sakramente, „ut per ea nobis suam gratiam testetur deus, repraesentet atque obsignet.“197 Das wird so erklärt, dass die res der Sakramente sich nicht von der des Worts unterscheide, aber durch die Sakramente als lebendige Bilder der Glaube angeregt werde.198 Das entspricht Bullingers Anliegen, keine selbständige Heilsfunktion der Sakramente anzunehmen (von einer Anregung des Glaubens durch sie ging bereits Zwingli aus199) – es ist aber auch für Calvin akzeptabel, der den dafür gebrauchten Begriff des Siegels (sigillum) stärker exhibitiv versteht.200 Artikel 8 wiederum formuliert Calvins Anliegen: „Cum autem vera sint, quae nobis dominus dedit gratiae suae testimonia et sigilla, vere proculdubio praestat ipse 191

Vgl. Calvin an Bullinger, 5.5.1549, CR 41 = CO 13, 266–269 (Nr. 1187). Vgl. Bullinger an Calvin, 11.5.1549, CR 41 = CO 13, 278–280 (Nr. 1194). 193 Für eine Übersicht der (wenigen) Quellenaussagen und eine vorsichtige Reflexion ihres historischen Gehalts vgl. ROREM, Calvin and Bullinger on the Lordʼs Supper, 366 f. 194 Vgl. dazu u. Kap. III.2.4a–c. 195 Vgl. ConsTig 6 (S. 129). 196 Vgl. für diese Deutung CAMPI, Consensus Tigurinus, 16–17. 197 ConsTig 7 (S. 129). 198 Vgl. ebd. 199 Vgl. o. Kap. II.3.1c. 200 Gegen JANSE, Calvin’s Eucharistic Theology, 43–45, der meint, das „quasi sigillis“ (ConsTig 7 (S. 129)) lasse diese Deutung nicht zu. Generell verweist er für seine These, dass die Lehre des Consensus zwinglianisch sei, laufend auf Art. 7 und nirgends auf Art. 8. 192

1.2 Der Consensus Tigurinus (1549)

147

intus suo spiritu, quod oculis et aliis sensibus figurant sacramenta.“201 Kann Calvin hier ein heilsrelevantes Wirken des Geistes mittels der Sakramente ausgedrückt sehen, lässt die Formulierung auch Bullingers Deutung zu, dass das Heilswirken des Geistes vom Sakramentsempfang unabhängig ist.202 Noch stärker ineinander verschränkt sind beide Positionen in Bezug auf die Kernfrage, ob den Sakramenten eine Heilswirkung zukomme (Artikel 12–14): „si quid boni nobis per sacramenta confertur, id non fit propria eorum virtute […] Deus enim solus est, qui spiritu suo agit et, quod sacramentorum ministerio utitur, in eo neque vim illis suam infundit nec spiritus sui efficatiam quicquam derogat, sed pro ruditatis nostrae captus ea tanquam adminicula sic adhibet, ut tota agendi facultas maneat apud ipsum solum. […] Organa quidem sunt, quibus efficaciter, ubi visum est, agit deus, sed ita, ut totum salutis nostrae opus ipsi uni acceptum ferri debeat. Constituimus ergo unum esse Christum, qui vere intus baptizat, qui nos in coena facit sui participes, qui denique implet, quod figurant sacramenta et uti quidem his adminiculis, ut totus effectus penes eius spiritum resideat.“203

Dass allein Gott durch seinen Geist das Heil bewirkt und den Sakramenten dabei keine Eigenständigkeit zukommt, ist für Bullinger zentral – aber für Calvin nicht problematisch. Für Calvin ist wiederum wichtig, dass die Sakramente organa des Geistes sind, so dass dieser per sacramenta wirksam handelt – das ist für Bullinger aber auch akzeptabel, da die Freiheit des Geistes durch das ubi visum est gewahrt bleibt, das per sacramenta in einem Konditionalsatz steht und lediglich von organa quidem und tanquam adminicula die Rede ist. Das Handeln Christi in coena kann Calvin exhibitiv verstehen, Bullinger im Sinne einer Parallelität beider Vorgänge. Unabhängig davon, ob das eine Veränderung in der Theologie der Beteiligten darstellt,204 sind hier jedenfalls gemeinsame Aussagen möglich, in deren Rahmen zugleich das jeweilige Kernanliegen beibehalten werden kann. Daher konnten Calvin wie Bullinger im Zweiten Abendmahlsstreit den Consensus in je unterschiedlicher Deutung gegen Westphal verteidigen,205 während letzterer in dem Text einen Versuch sah, durch exhibitiv klingende Ausdrücke die zwinglianische Lehre zu verschleiern. Für Westphals Deutung des Consensus als zwinglianisch und gegen die eigene Lehre gerichtet sollten zudem Aussagen eine Rolle spielen, die eine Zürcher und Genfer, aber keine Wittenberger Deutung zulassen. Das betrifft etwa die Nießung durch Ungläubige: Der Consensus betont, dass Christus und seine Gaben allen Menschen angeboten, aber nicht von allen empfangen würden, und 201

ConsTig 8 (S. 129). Insofern wiederum gegen KOLFHAUS, Verkehr Calvins mit Bullinger, 69, der meint, im Consensus sei „Zwinglis und auch Bullingers These überwunden, daß sichtbare Dinge nie unsichtbare Güter zu übermitteln vermöchten.“ 203 ConsTig 12–14 (S. 131–133). 204 Für zwei differenzierte Diskussionen dieser Frage vgl. CAMPI, Consensus Tigurinus, 18 (der dazu tendiert, sie zu bejahen) und ROREM, Calvin and Bullinger on the Lordʼs Supper, 372–374 (der sich nicht eindeutig festlegt). 205 Vgl. für Calvin u. Kap. IV.2.2; für Bullinger u. Kap. IV.2.3 und IV.3.2d. 202

148 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. dass dies ebenso vor Empfang der Sakramente und unabhängig davon wie auch zeitlich danach geschehen könne.206 Kann Bullinger dies so deuten, dass Ungläubigen beim Sakramentsempfang kein Heil angeboten wird, kann Calvin es so sehen, dass Ungläubigen durch die Sakramente Heil angeboten wird, das sie aber nicht empfangen. Für Westphal und seine Parteigänger, die von einer manducatio impiorum ausgehen, ist hingegen beides nicht akzeptabel. Die Abgrenzungen in Artikel 21–26 schließlich sollten aus Sicht von Westphals Streitpartei den definitiven Beleg dafür darstellen, dass der Consensus gegen ihre eigene Lehre gerichtet sei: Diese Artikel wenden sich unter anderem gegen eine lokal-räumliche Präsenz Christi im Abendmahl, gegen seine leibliche Verortung unter den Elementen und gegen eine wörtliche Deutung der Einsetzungsworte. Aus Sicht der Beteiligten war die Stoßrichtung jedoch nicht so eindeutig anti-wittenbergisch, wie es für Westphals Seite erschien:207 Die Abgrenzung erfolgt gegen „crassa omnia figmenta atque futiles argutiae, quae vel coelesti eius gloriae detrahunt vel veritati humanae eius naturae minus sunt consentanea.“208 Dass Christi wahre Menschheit eine räumliche Begrenzung seines Leibes verlange, der daher im Himmel zu verorten sei,209 ist zwischen Calvin und den Zürchern unstrittig. Wenn diese Lehre neben Transsubstantiation und Anbetung der Elemente210 auch gegen eine „localis praesentiae imaginatio“211 und ein „Christum sub pane locare vel cum pane copulare“212 gewandt wird, verstand Bullinger dies sicher (gemäß seiner Aussagen seit 1545) als gegen Luther und die Wittenberger Reformation gerichtet. Calvin hingegen konnte gemäß seiner Deutung der Wittenberger Konkordie davon ausgehen, dass die Wittenberger Reformation keine leiblich-räumliche Präsenz Christi im Abendmahl annehme und sich die Abgrenzung ausschließlich gegen altgläubige Auffassungen richte213 – so sollte er später gegen Westphal argumentieren. Auch hier liegen der Einigung zwischen Genf und Zürich ebenso wie dem Konflikt im Zweiten Abendmahlsstreit also unterschiedliche Lesarten zugrunde: Eben die Lehre, die Westphal und seine Mitstreiter –in Vereindeutigung gegenüber den im Verhältnis zu Straßburg wie innerwittenbergisch deutungsoffenen Aussagen in Wittenberger Konkordie und CA variata – als reformatorisch normativ durchzusetzen versuchten, wurde von den Unterzeichnern des Consensus mit gesamtreformatorisch normativem Anspruch bestritten. 206

Vgl. ConsTig 18–20 (S. 134–136). Das ist auch gegenüber der gängigen Forschungsthese festzuhalten, die die hier abgelehnten Anschauungen ohne weitere Differenzierung als „Lutheran“ qualifiziert (so etwa ROREM, Calvin and Bullinger on the Lordʼs Supper, 375). 208 ConsTig 24 (S. 137). 209 ConsTig 25 (S. 138). 210 Vgl. ConsTig 24 und 26 (S. 137–139). 211 ConsTig 21 (S. 136). 212 ConsTig 24 (S. 137). 213 Vgl. o. Kap. III.1.1a. 207

1.2 Der Consensus Tigurinus (1549)

149

d) Aufnahme und Veröffentlichung des Consensus Dem Gespräch in Zürich folgte bis zur Drucklegung ein längerer Prozess: Die Beteiligten ergänzten ihren Text, diskutierten ein Vor- bzw. Nachwort und holten von einer Reihe anderer Theologen Meinungen ein. Dieser Vorgang macht die Integrationskraft des Consensus ebenso deutlich wie deren Grenzen: Einerseits konnten viele Reformatoren des Zürich-Straßburger Spektrums von unterschiedlichen theologischen Positionen her den Consensus unterstützen – und sollten im Zweiten Abendmahlsstreit dementsprechend eine gemeinsame Front bilden. Andererseits gab es auch ablehnende bzw. skeptische Reaktionen – Indikatoren für Bruchlinien, die sich im Abendmahlsstreit vertiefen sollten. Calvin und die Zürcher gaben den Text zunächst an andere eidgenössische Kirchen weiter und nutzten die Reaktionen, um ihre jeweilige Lesart stärker in der endgültigen Textgestalt zu verankern. So berief sich Calvin den Zürchern gegenüber darauf, dass Viret in Lausanne sich gefreut, aber Ergänzungswünsche vorgebracht habe, und schlug Einfügungen vor, die im endgültigen Text zu Artikel 5 und 23 werden sollten.214 Diese betonten Aspekte, die für Calvin wichtig waren, aber in einer Form, die für die Zürcher nicht problematisch war: Artikel 5 hält ein exhiberi fest, aber ohne es auf den äußeren Abendmahlsvorgang zu beziehen;215 Artikel 23 formuliert, „Christus animas nostras per fidem spiritus sui virtute pascit“, hält aber fest, dies sei nicht so zu verstehen, „quasi aliqua fieret substantiae vel commixtio vel transfusio, sed quoniam ex carne semel in sacrificium oblata et sanguine in expiationem effuso vitam hauriamus.“216 Insofern konnte Bullinger diese Artikel problemlos akzeptieren.217 Die Zürcher wiederum beriefen sich für ihre Änderungswünsche auf die kritische Reaktion aus Bern: Die Berner hatten den Text für undeutlich erklärt und dafür Calvins Vorrede angeführt, in der dieser meint, der Consensus enthalte nicht alles, was zu den Sakramenten zu sagen wäre218 – dahinter vermutete man in Bern wohl ein Schlupfloch für bucerische Deutungen. Insofern lehnten die Berner eine Unterzeichnung ab, schlugen aber vor, die Zürcher und sie selbst sollten bei der bisherigen, mit der Berner Disputation und dem Zürcher Bekenntnis von 1545 identifizierten (also massiv antiexhibitiven) Lehre bleiben, die Genfer bei dem „quam hic declararunt, resecatis amphibologicis illis loquutionibus quibus hactenus usi sunt. Desinunt nostrorum calumniari doctrinam.“219 Faktisch verlangten sie damit eine einseitige Anpassung der Genfer an ihre Position! Der inzwischen in Bern tätige frühere Straßburger 214

Vgl. Calvin an Bullinger, 6.7.1549, CR 41 = CO 13, 305–307 (Nr. 1211). Vgl. ConsTig 5 (S. 128). 216 Beide Zitate ConsTig 23 (S. 137). 217 Vgl. Bullinger an Calvin, 14.8.1549, CR 41 = CO 13, 349 f. (Nr. 1239). 218 Vgl. CR 35 = CO 7, XLIX–LI. 219 Die Berner an die Zürcher Pfarrer, 2.6.1549, CR 41 = CO 13, 287–289, Zitat 289 (Nr. 1197); Haller an Bullinger, 2.6.1549, CR 41 = CO 13, 290 f. (Nr. 1198). 215

150 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. Wolfgang Musculus, den Bullinger daraufhin um Vermittlung gebeten hatte,220 berichtete diplomatisch, der Inhalt werde nicht bestritten, aber das Vorwort als zu unklar empfunden. Er sei persönlich zur Unterzeichnung bereit; eine Veröffentlichung sei aber für die Berner problematisch.221 Das nutzten die Zürcher, um Calvin vorzuschlagen, statt des in Bern abgelehnten Vor- und Nachworts sollten beigefügte Briefe den Sinn erläutern. Ihr Entwurf klingt allerdings nach einer Approbation Calvins durch Zürich: Er solle festhalten, dass er mit Farel gekommen sei, um Gerüchten entgegenzuwirken, dass ihre Lehre nicht mit der Zürcher übereinstimme. Die Zürcher würden die Übereinstimmung bestätigen und bezeugen, dass dies von den früheren Disputationen nicht abweiche.222 Schließlich einigte man sich auf ein Vor- und Nachwort: Calvins Vorwort betont seine aktive Rolle stärker als von Bullinger vorgeschlagen: Um der falschen Wahrnehmung abzuhelfen, dass er sakramentstheologisch anders lehre als die Zürcher, sei er mit Farel nach Zürich gereist und habe darauf gedrängt, den dort beschlossenen Konsens zu veröffentlichen. Alle Genfer und Neuenburger Pfarrer hätten sie gebilligt.223 Das Zürcher Nachwort hebt hervor, dass eine Reihe von Gelehrten zugestimmt habe und gewiss auch andere eidgenössische Kirchen und Fromme aller Länder die Einigung anerkennen würden.224 Das zielt auf die Berner Einwände, zeigt aber zugleich einen internationalen Geltungsanspruch, der auf Westphals Seite zu Befürchtungen führen sollte. Der Anspruch auf normative Geltung des Dokuments in der Eidgenossenschaft entsprach, dass neben Zürich, Genf und Neuchâtel auch die Kirchen von Schaffhausen, St. Gallen, Lausanne, Mülhausen und den Drei Bünden die revidierte Fassung annahmen; 1551 entschloss sich sogar Bern dazu.225 Außerhalb der Eidgenossenschaft erkannten etwa a Lasco und Vermigli den Text an – darauf sollte sich Bullinger gegenüber Westphal berufen.226 Während sich Vermigli allgemein enthusiastisch äußerte,227 lieferte a Lasco einen ausführlichen Kommentar. Darin deutete sich bereits die nicht-exhibitive Deutung des Consensus an, die er 1552 in seiner Tractatio de sacramentis bieten sollte.228 Jedoch gab es auch negative und ambivalente Reaktionen: So lehnte der in Basel tätige, der Zürcher Kirche verbundene Italiener Celio Secondo Curione 220

Vgl. CR 41 = CO 13, 304 Anm. 1. Vgl. Musculus an Bullinger, 21.6.1549, CR 41 = CO 13, 303 f. (Nr. 1210). 222 Die Zürcher Pfarrer an Calvin, 7.7.1549, CR 41 = CO 13, 320–322 (Nr. 1220). 223 Vgl. Calvin an die Zürcher, 1.8.1549, in: CAMPI / REICH, Consensus Tigurinus, 125 f. 224 Vgl. die Zürcher Pfarrer an Calvin, 30.8.1549, in: CAMPI / REICH, Consensus Tigurinus, 139–142. 225 Vgl. KOLFHAUS, Verkehr Calvins mit Bullinger, 72 f. 226 Vgl. u. Kap. IV.3.2d. 227 Vgl. Vermigli an Bullinger, 27.1.1550, EpTig 316 (Nr. 227); ders. an dens., 25.4.1551, EpTig 325 (Nr. 232). 228 Vgl. a Lasco an Bullinger, [undatiert], CR 41 = CO 13, 578–584 (Nr. 1375). Zur Tractatio de sacramentis und der Rolle des Consensus in diesem Werk s.u. Kap. III.1.3f. 221

1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

151

den Consensus ab: Der Zürcher sinceritas sei Fremdes untergemischt.229 Seine Kritikpunkte, zu denen auch die (für Bullinger nicht problematischen) Begriffe sigillum und confirmare gehören, lassen auf eine strikt symbolische Abendmahlsauffassung schließen.230 Ambivalent waren die Reaktionen Bucers und seiner Schüler: Bucer bewertete die Einigung prinzipiell positiv, beurteilte den Text allerdings als theologisch unzureichend,231 während Myconius in Basel privat die Christologie zurückwies, seine Ablehnung offiziell allerdings nur damit begründete, dass die Basler nicht an den Verhandlungen beteiligt gewesen seien.232 Die Skepsis aus Bern einerseits, Basel andererseits sollte auch die Debatte über Schriften gegen Westphal im Abendmahlsstreit prägen.233 Nachdem alle Stellungnahmen eingeholt waren, verständigten Calvin und Bullinger sich über die Drucklegung.234 Im März 1551 wurde der lateinische Text in Zürich und Genf gedruckt; eine deutsche und eine französische Fassung folgten im gleichen Jahr.235 Westphal und seinen Mitstreitern wurde der Consensus 1552 bekannt, zusammen mit Dokumenten der englischen Reformation.

1.3 Gesamtreformatorische Einigung und normative Ansprüche für ganz Europa: Die englische Reformation unter Eduard VI. und Thomas Cranmer (1547–52) 1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

Neben dem Consensus Tigurinus war für den Ausbruch des Zweiten Abendmahlsstreits vor allem die Entwicklung in England wichtig: Die Reformation Eduards VI. und seines Erzbischofs Thomas Cranmer zog Hoffnungen vieler europäischer Reformatoren auf sich, zumal die evangelischen Kirchen im übrigen Europa durch altgläubige Verfolgung, Interim und Trienter Konzil bedroht erschienen. Cranmer strebte eine Gegenbewegung dazu an, die alle etablierten Richtungen der Reformation integrieren und auf ganz Europa ausstrahlen sollte. Aus diesem Kontext stammt nicht nur ein Teil der Schriften, die 229

Vgl. Curione an Bullinger, 17.9.1549, CO 13, 362 f. (Nr. 1243). AaO., 362: „Appendices vocantur evangelii, sigilla, organa: dicuntur confirmare, continuare ac reparare communionem Christi ipsius: conferri per ea dicuntur bona quaedam, augeri quodammodo Christus in nobis dum illa usurpamus: fructum denique, qui fortassis in ipsa sacramentorum usurpatione non exstitit, nescio in quae tempora differri dilatumque proferri.“ 231 Vgl. Bucer an Calvin, 14.8.1549, CR 41 = CO 13, 350–358 (Nr. 1240); treffend zur Ambivalenz von Bucers Urteil ROREM, Calvin and Bullinger on the Lordʼs Supper, 378 f. 232 Vgl. dazu BURNETT, Basel and the Wittenberg Concord, 50. 233 Vgl. etwa u. Kap. IV.2.4b und IV.3.2b. 234 Bemerkungen hierzu finden sich in einer ganzen Reihe von Briefen, vgl. die Übersicht bei ROREM, Calvin and Bullinger on the Lordʼs Supper, 387 Anm. 67 [Anm. 172 nach der im Text durchlaufenden Zählung]. 235 Vgl. PHILIPP WÄLCHLI in: CAMPI / REICH, Consensus Tigurinus, 78–81. 230

152 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. Westphals Partei zu Streitbeginn angreifen sollte; Westphal und seine Kollegen hoben auch die Entwicklung in England als Grund ihrer Polemik hervor. Umgekehrt waren fast alle späteren Gegner Westphals zur Zeit Eduards VI. in England gewesen oder zumindest von Cranmer dorthin eingeladen worden.236 Cranmer und die von ihm berufenen Theologen beeinflussten einander nämlich wechselseitig in eben die Richtung, die Westphals Partei als problematisch ansah: In England erlangten Entwürfe kirchenpolitischen Einfluss, die eine Abendmahlslehre des Zürich-Straßburger Spektrums mit dem Anspruch verbanden, ein für Zürcher, Straßburger und Wittenberger Reformation normatives Konzept zu vertreten. Westphal und sein Umfeld betrachteten diese Entwürfe nicht nur auf theologischer Ebene als häretisch, sondern befürchteten auch angesichts der gesamtreformatorisch normativen Ansprüche sowie des Erfolgs in England, diese Konzepte könnten generell ihre Position verdrängen. Die Analyse dieser Zusammenhänge knüpft an aktuelle Tendenzen der englischen Forschung an: Speziell Diarmaid MacCulloch hat gezeigt, wie stark die englische Reformation unter Cranmer in europäische Kontexte eingebettet war; sie verdankte einem von Wittenberg bis Zürich reichenden Spektrum reformatorischer Kontakte wichtige Impulse.237 Mittlerweile befasst sich eine breite Forschungströmung mit verwandten Fragen, nimmt dabei allerdings meist Auswirkungen dieser Beziehungen auf England in den Blick, weniger solche in umgekehrter Richtung.238 Auch der Konnex zwischen den in England entwickelten reformatorischen Konzepten und dem Zweiten Abendmahlsstreit ist zwar vereinzelt gesehen,239 aber bisher nicht systematisch analysiert worden. a) Erwartungen im Reich an die Reformation Eduards VI. und Rolle auswärtiger Theologen in England Mit dem Regierungsantritt Eduards VI. im Jahr 1547 begann ein neues Stadium englischer Reformation.240 Schon im ersten Regierungsjahr des jungen Königs 236

Die Ausnahme ist Theodor Beza. Vgl. u. Kap. V.2.3c. Vgl. bes. MACCULLOCH, Tudor Church Militant; DERS., Thomas Cranmer. 238 Vgl. OʼDAY, ROSEMARY, The Debate on the English Reformation, Manchester / New York 22014, 259. 239 So etwa bei MACCULLOCH, DIARMAID, Sixteenth-century English Protestantism and the Continent, in: Dorothea Wendebourg (Hg.), Sister Reformations – Schwesterreformationen. The Reformation in Germany and in England – Die Reformation in Deutschland und in England, Tübingen 2010, 1–14, hier 7: „The exiles who most tuned in with Cranmerʼs thinking were those who sought to bring unity into the divided world of protestantism, particularly Martin Bucer and the Italian exile Peter Martyr Vermigli; their readiness to seek for compromise against Protestant disputes did not endear them to the increasingly strident German defenders of a gnesio-Lutheran party line.“ 240 Vgl. dazu allgemein MACCULLOCH, Tudor Church Militant; DAVIES, CATHARINE, A Religion of the Word. The Defence of the Reformation in the Reign of Edward VI, Manchester / New York 2002 (Politics, Culture and Society in Early Modern Britain). 237

1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

153

wurden zahlreiche Änderungen umgesetzt, darunter die Einführung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt.241 Diese Entwicklung zog Erwartungen zahlreicher Reformatoren im Reich auf sich – umgekehrt ging das reformatorische Konzept des englischen Erzbischofs Thomas Cranmer maßgeblich auf seine Kontakte zu Wittenberger, Zürcher und Straßburger Reformatoren zurück. Diese Wechselbeziehung ist für den Ausbruch des Zweiten Abendmahlsstreits zentral: Einerseits bildete sie die Grundlage für Cranmers Berufung auswärtiger Theologen nach England und für die Ausrichtung der dortigen Reformation; andererseits reagierte Westphals Seite auf die Entwicklung in England auch deshalb so heftig, weil sie ihre Erwartungen enttäuscht sah. Cranmer hatte schon lange vor Eduards Regierungsantritt Kontakte zu zahlreichen Reformatoren geknüpft: Erste Verbindungen ergaben sich, als er in Diensten von Eduards Vater Heinrich VIII. um Unterstützung für die Annullierung von dessen Ehe warb.242 Nach Heinrichs Bruch mit Rom 1533/34 verhandelte England sogar mit dem Schmalkaldischen Bund über ein Bündnis.243 Dieses Projekt scheiterte zwar an unterschiedlichen Erwartungen,244 aber bedeutete Verbindungen, auf die sich später zurückgreifen ließ. Bucer, der mit Cranmer im Briefwechsel stand, engagierte sich für die Verhandlungen.245 Westphals späterer Vorgesetzter, der Hamburger Superintendent Johann Aepin, war 1534 Leiter einer hansestädtischen Delegation nach England und erhielt im Folgenden den Kontakt aufrecht.246 Schließlich knüpfte auch Bullinger ab 1536 Verbindungen zu Cranmer und initiierte einen Studentenaustausch zwischen Zürich und England.247 Auch als sich die Politik Heinrichs VIII. ab 1539 so entwickelte, dass viele Reformatoren sie als antievangelisch und grausam empfanden und sich enttäuscht abwandten,248 gab es noch Kontakte, vor 241

Vgl. MACCULLOCH, Thomas Cranmer, 364–409. Vgl. BEDOUELLE, GUY / LEGAL, PATRICK, Le «Divorce» du Roi Henry VIII. Etudes et documents, Genf 1987 (THR 221); MURPHY, VIRGINIA, The Literature and Propaganda of Henry VIIIʼs First Divorce, in: Diarmaid MacCulloch (Hg.), The Reign of Henry VIII. Politics, Policy and Piety, Houndmills / London 1995 (Problems in Focus Series), 135–158; WENDEBOURG, DOROTHEA, Die deutschen Reformatoren und England, in: Dies. (Hg.), Sister Reformations – Schwesterreformationen. The Reformation in Germany and in England – Die Reformation in Deutschland und in England, Tübingen 2010, 53–93, hier 73–79. 243 Vgl. dazu MCENTEGART, RORY, Henry VIII, the League of Schmalkalden, and the English Reformation, Woodbridge 2002 (Royal Historical Society Studies in History. New Series); vgl. auch TJERNAGEL, NEELAK SERAWLOOK, Henry VIII and the Lutherans. A Study in Anglo-Lutheran Relations from 1521 to 1547, Saint Louis (CA) 1965. 244 Vgl. dazu MCENTEGART, League of Schmalkalden, 45–48; 95–108. 245 Vgl. aaO., 80–93; MACCULLOCH, Thomas Cranmer, 174–176. 246 Vgl. dazu u. Kap. III.2.2b. 247 Vgl. EULER, Couriers of the Gospel, 58–65; MÜHLING, Bullingers Kirchenpolitik, 155–158. 248 Gründe dafür waren vor allem der Act of Six Articles, der u.a. Zölibat und Privatmessen festhielt, sowie diverse Hinrichtungen. Vgl. zu Luthers Reaktion WENDEBOURG, Die 242

154 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. allem zwischen Bucer und Cranmer sowie über Exulanten wie Richard Hilles und John Hooper in Zürich.249 Tendenziell wurde in dieser Zeit der Einfluss zürcherischer und straßburgischer Gedanken in England stärker, derjenige wittenbergischer Ideen schwächer,250 aber die englischen Evangelischen waren insgesamt nicht klar einer reformatorischen Richtung zuzuordnen. Insofern überrascht es nicht, dass Reformatoren Wittenberger, Zürcher und Straßburger Prägung Hoffnungen auf die Reformation Eduards VI. setzten und sie im Sinne des jeweils eigenen reformatorischen Konzepts zu beeinflussen versuchten. Noch größere Bedeutung erhielten diese Erwartungen durch den Umstand, dass im Reich die Situation durch Interim, Schmalkaldischen Krieg und Tridentinum für die Evangelischen immer schwieriger wurde. So beklagte Aepin gegenüber Melanchthon 1547 die Lage der Evangelischen im Schmalkaldischen Krieg und schilderte zugleich die evangelische Haltung von Eduards Vormündern und die antipapalistische Proklamation des neuen Königs als Hoffnungszeichen.251 Angesichts der desolaten Situation im Reich beschrieb Melanchthon wenig später England als den rechten Ort für Theologen.252 Dogmatische Einflussversuche zeigen sich vor allem in den Widmungen theologischer Werke: Eine an Cranmer gerichtete Vorrede Melanchthons behandelt die Schrift als einzigen Maßstab evangelischer Lehre.253 Aepin widmete Eduard ein gegen Fegefeuer und Ablass gerichtetes Werk und betonte die Bedeutung der englischen Reformation angesichts der Befestigung solcher Lehren in

deutschen Reformatoren und England, 74 f.; 90–92, zu Melanchthons SCHOFIELD, JOHN, Philip Melanchthon and the English Reformation, Aldershot 2006 (StASRH), 130–132, zu Bullingers EULER, Couriers of the Gospel, 67–73. Ob Heinrichs Politik tatsächlich als antireformatorisch zu werten ist, ist in der Forschung umstritten, vgl. den Überblick bei RYRIE, ALEC, The Gospel and Henry VIII. Evangelicals in the Early English Reformation, Cambridge 2003 (Cambridge Studies in Early Modern British History), 13–57. 249 Vgl. MACCULLOCH, Thomas Cranmer, 183 f.; RYRIE, The Gospel and Henry VIII, 93–112; EULER, Couriers of the Gospel, 68–79. 250 So RYRIE, ALEC, The Strange Death of Lutheran England, in: JEH 53 (2002), 64–92. Der Aufsatz bietet viele hilfreiche Beobachtungen (vgl. zur Abendmahlslehre aaO., 69–77). Allerdings ordnet er die Positionen konfessionell sehr klar zu und identifiziert theologische und politische Haltung der Akteure miteinander: „broadly Lutheran in doctrine and nonconfrontational in […] politics“ steht gegen „aggressive reformism linked to the Reformed tradition“ (aaO., 68). Hier wäre zum einen zu fragen, ob für eine Zeit ungeklärter Konfessionsgrenzen solche eindeutigen Zuordnungen möglich sind – zum anderen, ob theologisch vorsichtige evangelische Positionen stets „lutherisch“ motiviert sein müssen oder nicht auch aus Rücksicht auf die Haltung Heinrichs VIII. zu erklären sein könnten. 251 Vgl. Aepin an Melanchthon, 12.3.1547, MBW.T 16, 189 f. (MBW 4647). 252 Vgl. Melanchthon an N.N., 25.3.1547, CR 6, 451 (Nr. 3797) = MBW 4659, bes. die Aussage: „Arbitror, studiosis coelestis doctrinae locus nunc esse in Anglia. Nam rex moriturus decreta reliquit gubernatoribus, quibus audio studia purioris doctrinae non impediri.“ Zum unklaren Empfänger vgl. das Regest zu MBW 4659. 253 Vgl. CR 7, 345–349; zu den Problemen dieser Textfassung das Regest zu MBW 5466.

1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

155

Trient.254 Georg Major widmete Cranmer seine antitridentinische Schrift De origine et autoritate verbi Dei und lobte Eduards Aufnahme verfolgter Evangelischer.255 Es war im Wittenberger Umfeld primär der konkordienfreundliche, mit Melanchthon vernetzte Flügel, der sich für England interessierte – was theologisch Folgen haben sollte. Zugleich erklärt die Beteiligung Aepins, warum Westphal später so genau über die englische Situation orientiert war.256 Die Hoffnungen auf England beschränkten sich aber nicht auf das Wittenberger Umfeld: Bucer verfasste eine Schrift, in der er zur Herstellung von rechter Lehre und Sakramentsverwaltung in England gratulierte.257 Calvin dedizierte dem die Regierung führenden Herzog von Somerset seinen Timotheuskommentar und machte ihm Reformvorschläge; Eduard VI. widmete er Kommentare zu Jesaja und zu den Paulusbriefen.258 A Lasco sandte Cranmer seine Kirchenordnung.259 Bullinger widmete drei seiner Dekaden nach England und hob hervor, dass er damit die dortige Reformation befördern wolle und die Reformbemühungen trotz des Trienter Konzils fortgesetzt werden sollten.260 Den reformatorischen Hoffnungen auf England korrespondierte Cranmers Plan, die englische Reformation mit einem gesamtevangelischen Gegenkonzil zum Tridentinum zu verbinden, dessen Beschlüsse eine normative Einigung in der Abendmahlslehre herbeiführen sollten. Dieser Gedanke geht auf Melanchthon zurück: Er ermutigte Cranmer, ein Korpus verbindlicher evangelischer Glaubenslehre ausarbeiten zu lassen261 und erklärte sich zur Mitwirkung daran 254 Vgl. AEPIN, JOHANN, LIBER DE || Purgatorio.|| Satisfactionibus.|| Remißione culpae & poenae || […], London: o.D. [= Hamburg: Joachim Löw] 1549, VD16 A 383, A2r–E2v. Vgl. zu Werk und Vorrede auch GREVE, Memoria Iohannis Aepini, 74–82. 255 Vgl. MAJOR, GEORG, DE ORIGINE ET || AVTORITATE VERBI DEI, || & quae Pontific, Patrum & Con/||ciliorum sit autoritas, admonitio || hoc tempore, quo de Concilio || congregando agitur, ualde || necessaria.|| […], Basel: Andreas Cratander 1551, VD16 M 2122, A5v–A7r. 256 Vgl. u. Kap. III.2.1a und III.2.2b. 257 Vgl. BUCER, MARTIN, GRATVLA-||TIO […] AD EC-||clesiam Anglicanam, de Religionis || CHRISTI restitutione: || [...], o.O.:o.J. [Basel: Johann Oporinus] 1548, VD16 B 8888. 258 Vgl. HAZLETT, W. IAN P., B.II.9. Calvin und die Britischen Inseln, übs. v. Frithjof Rittberger, in: Herman J. Selderhuis (Hg.), Calvin Handbuch, Tübingen 2008, 118–126. 259 Vgl. a Lasco an Hardenberg, 19.2.1548, KUYPER II, 615 f. 260 Vgl. die Vorreden an Eduard VI. und Henry Gray, HBTS 3, 252–260; 557–561; 728– 739, und dazu MÜHLING, Bullingers europäische Kirchenpolitik, 160–167. 261 Melanchthon an Cranmer, 1.5.1548, CR 6, 894 (Nr. 4225) = MBW 5144: „Quo diutius autem de vestra deliberatione, qua nulla gravior et magis necessaria in genere humano institui potest, cogito eo magis et opto et vos adhortandos esse censeo, ut de universo doctrinae corpore edatis confessionem veram et perspicuam, collatis iudiciis eruditorum, quorum et nomina adscribuntur, ut apud omnes gentes extet illustre testimonium de doctrina gravi autoritate traditum, et ut posteritas normam habet, quam sequatur. Nec vero multum dissimilis ea confessio nostrae erit futura, sed paucos quosdam articulos velim extare ad posteritatem magis explicatos, ne ambiguitates potea occasionem praebeant novis dissidiis.“ Vgl. ders. an dens., [vor 26.3.]1548, CR 6, 801 (Nr. 4142) = MBW 5103.

156 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. bereit.262 Welche Dimension das Projekt für Melanchthon hatte, zeigt sich daran, dass er dieses Lehrkorpus gegen Trienter Konzil und Interim setzt und meint, die innerevangelischen Streitigkeiten im Reich wären durch ein solches Modell verhindert worden.263 Besonders hebt er den Abendmahlsstreit hervor: Über den vielen Meinungen werde die einfache alte Lehre vernachlässigt.264 Das lässt vermuten, dass schon er an eine Einigung diverser reformatorischer Richtungen dachte.265 Cranmer machte sich den Plan jedenfalls im Sinne eines gesamtevangelischen Gegenkonzils zu Trient zu eigen: Seine Einladungen an auswärtige Reformatoren betonen den schriftgemäßen und für die Nachwelt verbindlichen Charakter des angestrebten Lehrkorpus.266 Dabei hebt Cranmer die Abendmahlslehre hervor: Hier sei eine Einigung besonders wichtig, zur Beilegung des innerevangelischen Streits wie zur Widerlegung Trients.267 Dass Cranmer in das Konzil – entsprechend der Vielfalt seiner Kontakte – Vertreter der Wittenberger, Straßburger und Zürcher Reformation einbeziehen wollte, wird an den eingeladenen Personen deutlich:268 Die Einladungsbriefe an Melanchthon, Calvin und Bullinger verband er ausdrücklich miteinander.269 262

Vgl. Melanchthon an Cranmer, 1.5.1548, CR 6, 894 (Nr. 4225) = MBW 5144. Vgl. ebd.; ders. an dens., [vor 26.3.]1548, CR 6, 801 (Nr. 4142) = MBW 5103. 264 Melanchthon an Cranmer, [vor 26.3.]1548, CR 6, 801 (Nr. 4142) = MBW 5103: „adferuntur filii Ionae literae, in quibus mihi sermonem quendam tuum narrat de quaestione non obscura, sed quae duriter concussit Ecclesias, et concutiet durius, qui Gubernatores illi tantae rei non quaerunt vera remedia. Nihil autem in ea Epistola praeter meum dolorem indicare volo, qui tantus est, ut exhauriri non possit […]. Vides multiplices explicationes et olim excogitatas esse et nunc excogitari: quia negligitur simplex et sincera vetustas.“ 265 So auch SCHOFIELD, Melanchthon and the English Reformation, 155 f. 266 Vgl. etwa Cranmer an a Lasco, 4.7.1548, in: CRANMER, THOMAS, The Works of Thomas Cranmer, Archbishop of Canterbury, Martyr 1556, ed. v. John Edmund Cox, 2 Bde., Cambridge 1844–1846, hier Bd. 2, 420–421 (Nr. 285).). 267 Cranmer an Calvin, 20.3.1552, CR 42 = CO 14, 306 (Nr. 1614): „Adversarii nostri habent nunc Tridenti sua concilia, ut errores stabiliant; et nos piam synodum congregare negligemus, ut errores refutare, dogmata repurgare et propagare possimus? Illi peri. th/j avrtolatrei,aj (ut audio) decreta condunt. Quare nos omnem lapidem movere debemus, non solum ut alios adversus hanc idolatriam muniamus, sed etiam ut ipsi in doctrina huius sacramenti consentiamus. Quantum ecclesiam Dei labefactarint circa hoc unitatis sacramentum dissensiones et opinionum varietates, prudentiam tuam latere non potest: quae etsi nunc alicubi sublatae sint, tamen in hac doctrina consensionem optarem, non solum de rebus ipsis, sed etiam de verbis et loquendi formulis.“ Vgl. ders. an Melanchthon, 27.3.1552, CR 7, 970 f. (Nr. 5081) = MBW 6394; ders. an Bullinger, 20.3.1552, CRANMER, Works 2, 430 (Nr. 296). 268 Das vermerkt ausdrücklich auch MACCULLOCH, Thomas Cranmer, 392 f. [Hervorhebung C.E.]: „A further and increasingly important dimension for Cranmer as he struggled to create acceptable formulae for the English Church, was his preoccupation with establishing English doctrine as a standard acceptable to the whole spectrum of evangelical truth on the Continent, from the Lutherans to the Swiss.“ 269 Die Einladungen erfolgten nicht nur gleichzeitig, sondern Cranmer argumentierte jeweils auch mit der Einladung der beiden anderen, vgl. Cranmer an Bullinger, 20.3.1552, 263

1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

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Generell reichte das theologische Spektrum der Personen, die er nach England zu holen versuchte, von Brenz über Bucer bis zu a Lasco.270 Das bedeutete keine Unentschiedenheit über die Ausrichtung der englischen Reformation,271 sondern Cranmer bevorzugte offenbar Theologen, von denen er sich eine Beförderung innerevangelischer Einigung erhoffte: Er bemühte sich wiederholt um ein Kommen Melanchthons;272 auch Bucer schrieb er mehrfach;273 a Lasco ließ er bei einem ersten Besuch bei sich wohnen und setzte sich später für seine Rückkehr ein.274 Wo Cranmer hingegen Potential für innerevangelische Konflikte sah, scheint er zurückhaltend gewesen zu sein: So wies er eine Anfrage Andreas Osianders ab, da sich der Streit um dessen Rechtfertigungslehre bereits andeutete.275 Ebenso hatten Celio Seondo Curiones Bemühungen um einen Ruf nach England keinen Erfolg276 – möglicherweise wegen Curiones strikt symbolischer Abendmahlslehre und anti-wittenbergischer Haltung.277 Zugleich war auch aus dem Raum der Wittenberger Reformation niemand eingeladen, der klar gegen Zürich und Straßburg eingestellt gewesen wäre.278 CRANMER, Works 2, 430 (Nr. 296); ders. an Calvin, 20.3.1552, CR 42 = CO 14, 306 (Nr. 1614); ders. an Melanchthon, 27.3.1552, CR 7, 970 f. (Nr. 5081) = MBW 6394. 270 Für Überblicke der eingeladenen Personen vgl. BENEDICT, Christʼs Churches Purely Reformed, 236; MACCULLOCH, Thomas Cranmer, 394 f. 271 Anders BENEDICT, Christʼs Churches Purely Reformed, 236: „Englandʼs confessional die was not yet cast in any irreversible direction, as is evident from the invitations that went out to theologians in Germany.“ 272 Die Einladungen begannen 1547, vgl. Melanchthon an Marcus Crodelius, 26.10.1547, CR 6, 714 (Nr. 4053) = MBW 4938; a Lasco an Hardenberg, 11.10.1547, KUYPER II, 611 (Nr. 43). Am 4.7.1548 berichtete Cranmer a Lasco, er habe Melanchthon zum dritten Mal eingeladen (CRANMER, Works 2, 420 f. (Nr. 285), vgl. MBW 5205), zudem schrieb Cranmer ihm am 10.2.1549 (CRANMER, Works 2, 425 (Nr. 289) = MBW 5444) und 27.3.1552 (CR 7, 970 f. (Nr. 5081) = MBW 6394) und 7.6.1553 (BINDSEIL 351 f. (Nr. 372) = MBW 6852. 273 Vgl. Cranmer an Bucer, 2.10.1548, WThC 2, 423 f. (Nr. 287); Peter Alexander an Bucer, 24.4.1549, in: BUCER, MARTIN, Scripta Anglicana || FERE OMNIA || Iis etiam, quae hactenus vel nondum, vel sparsim, || vel peregrino saltem idiomate edi-||ta fuêre, adiunctis || A CON. HVBERTO […]. || collecta.|| […], Basel: Peter Perna 1577, VD16 B 8924, 191 f. 274 Vgl. zum Hergang JÜRGENS, Johannes a Lasco in Ostfriesland, 330–333; MACCULLOCH, DIARMAID, The importance of Jan Laski in the English Reformation, in: Christoph Strohm (Hg.), Johannes a Lasco (1499–1560). Polnischer Baron, Humanist und europäischer Reformator, Tübingen 2000 (SuR.NR 14), 315–345, hier 321–324. Eine erhaltene Einladung Cranmers an a Lasco datiert vom 4.7.1548, CRANMER, Works 2, 420 f. (Nr. 285). 275 Vgl. MACCULLOCH, Thomas Cranmer, 71. 276 Vgl. OVERELL, Italian Reform and English Reformations, 58. 277 Vgl. dazu o. Kap. III.1.2d. 278 Allenfalls der „anti-Zwinglian Württemberg Lutheran Johannes Brenz“ (BENEDICT, Christʼs Churches Purely Reformed, 236) könnte hierher gerechnet werden. Dabei dürfte jedoch insofern Vorsicht angebracht sein, als Brenz später im Streit eine weit moderatere Haltung einnahm als Westphal (vgl. u. Kap. IV.3.3). Insofern kann Cranmer ihn durchaus als gesprächsbereiten Vertreter der Wittenberger Reformation wahrgenommen haben.

158 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. Wichtig für die Entwicklung der edwardianischen Reformation war allerdings ebenso der Umstand, dass diejenigen auswärtigen Theologen, die dann tatsächlich nach England kamen, dem Zürich-Straßburger Spektrum zuzuordnen waren: Melanchthon und Brenz blieben im Reich – nicht, weil sie eher geneigt gewesen wären, Kompromisse mit dem Interim zu machen,279 sondern weil ihnen im Unterschied zu anderen Reformatoren dort nicht alle Wirkungsmöglichkeiten genommen waren.280 Melanchthon lehnte zudem Seereisen ab, da ihm astrologisch ein Tod auf dem Meer vorausgesagt worden war.281 Hingegen begaben sich diverse Theologen nach England, die durch Schmalkaldischen Krieg und Interim akut in Gefahr geraten waren. Das galt zunächst für die zwei aus Italien stammenden Reformatoren Peter Martyr Vermigli und Bernadino Ochino, die Bucer an Cranmer empfahl: Beide hatten sich im kirchenreformerischen Kreis um Juan de Valdés bewegt und waren dann zusammen vor der Inquisition geflohen.282 Vermigli hatte nach einem Aufenthalt in Zürich, bei dem er Beziehungen zu Bullinger knüpfte, ab 1542 an der Straßburger Hochschule gelehrt und eng mit Bucer zusammengearbeitet.283 Dort war er als Ausländer besonders exponiert, als Straßburg im Schmalkaldischen Krieg vom Kaiser unter Druck gesetzt wurde.284 Ochino wiederum hatte als Prediger in Genf Bekanntschaft mit Calvin geschlossen und war dann in Augsburg tätig gewesen.285 Im Schmalkaldischen Krieg verfügte Karl V., Ochino sei im Falle einer Eroberung Augsburgs ans kaiserliche Heer auszuliefern.286 Der Humanist Francesco de Enzinas empfahl ihn nach Zürich und Basel,287 wo ihn Cranmers Einladung erreichte. 1549 musste dann auch Bucer selbst Straßburg verlassen: Nachdem die Obrigkeit anfangs seinen Protest gegen das Interim unterstützt 279

So etwa BENEDICT, Christʼs Churches Purely Reformed, 236. Vgl. MACCULLOCH, English Protestantism and the Continent, 7. 281 Vgl. dazu SCHOFIELD, Melanchthon and the English Reformation, 158. 282 Vgl. MCLELLAND, JOSEPH C., Italy: Religious and Intellectual Ferment, in: Torrance Kirby et al. (Hg.), A Companion to Peter Martyr Vermigli, Leiden 2009 (Brillʼs Companions to the Christian Tradition 16), 25–33; BENRATH, KARL, Bernadino Ochino von Siena. Ein Beitrag zur Geschichte der Reformation, Braunschweig 21892, 1–138. 283 Vgl. STURM, KLAUS, Die Theologie Peter Martyr Vermiglis während seines ersten Aufenthalts in Straßburg 1542–1547. Ein Reformkatholik unter den Vätern der reformierten Kirche, Neukirchen-Vluyn 1971 (BGLRK 31), 18–24; HOBBS, R. GERALD, Strasbourg: Vermigli and the Senior School, in: Torrance Kirby et al. (Hg.), A Companion to Peter Martyr Vermigli, Leiden 2009 (Brillʼs Companions to the Christian Tradition 16), 35–69. 284 Vgl. MACCULLOCH, DIARMAID, Peter Martyr and Thomas Cranmer, in: Emidio Campi et al. (Hg.), Peter Martyr Vermigli. Humanismus, Republikanismus, Reformation, Genf 2002, 173–201, hier 174. 285 Vgl. BENRATH, Bernadino Ochino, 140–168. 286 Vgl. OVERELL, ANNE, Italian Reform and English Reformations, c. 1535 – c. 1585, Aldershot 2008, 43. 287 Vgl. BENRATH, Bernadino Ochino, 170 f.. Zu Enzinas vgl. ENZINAS, FRANCESCO DE, Epistolario, ed. v. Ignacio J. García Pinilla, Genf 1995 (THR 290), XVII–XXIII. 280

1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

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hatte, wurde er untragbar, als die Stadt dieses doch einführte.288 Daraufhin entschloss er sich, Cranmers Einladung anzunehmen. A Lasco, der sich seit 1547 mit dem Gedanken getragen hatte, Cranmers Ruf Folge zu leisten, entschloss sich 1548, als in Ostfriesland die Einführung des Interims drohte, zunächst zu einer Reise nach England, 1549 dann zur Übersiedlung dorthin.289 Hinter Cranmers Einladungen an die auswärtigen Reformatoren stand sicherlich die Absicht, die Adressaten vor altgläubiger Bedrohung und Auswirkungen des Interims zu schützen. Gleichzeitig verfolgte er damit aber reformatorische und kirchenpolitische Interessen im Hinblick auf England wie auf die – im Sinne seines Konzilsplans – von ihm angestrebte Ausstrahlung auf andere europäische Länder. Dementsprechend verschaffte er den Theologen, die seine Einladung annahmen, Schlüsselpositionen in England: Als Ende 1547 Vermigli und Ochino eintrafen,290 wurde Vermigli Professor der Theologie in Oxford.291 Ochino erhielt ein Pfarramt für italienische Flüchtlinge in London; durch Predigten und Publizistik wurde er unter Adligen und Politikern populär.292 Bucer bekam nach seiner Ankunft im April 1549 einen Lehrstuhl in Cambridge.293 A Lasco schließlich wurde zum Superintendenten der reorganisierten Londoner Fremdengemeinde berufen.294 Cranmers Abendmahlslehre korrespondierte im Laufe der Zeit offenbar zunehmend den von Zürich und Straßburg geprägten Haltungen seiner Gäste: Er bat zunächst Bucer um Rat, der Vermigli und Ochino daraufhin ein Schreiben nach England mitgab, in dem er seine Abendmahlslehre darlegte.295 Vermigli brachte außerdem Kirchenvätertexte zu diesem Thema mit nach England.296 1548 war auch a Lasco in Cranmers Haushalt präsent.297 In welchem Verhältnis diese verschiedenen Einflüsse standen, ist in der Forschung umstritten.298 Jedenfalls ist bei Cranmer eine allmähliche Abkehr von der Vorstellung einer 288

Vgl. im Einzelnen zu diesen Vorgängen GRESCHAT, Martin Bucer, 234–251. Vgl. JÜRGENS, Johannes a Lasco in Ostfriesland, 330–344. 290 Vgl. MACCULLOCH, Thomas Cranmer, 380–381. 291 Vgl. ANDERSON, MARVIN WALTER, Peter Martyr. A Reformer in Exile (1542–1562). A chronology of biblical writings in England & Europe, Nieuwkoop 1975 (BHRef 10), 90 bei und mit Anm. 82; zur Oxforder Disputation s.u. Kap. III.1.3b. 292 Vgl. OVERELL, Italian Reform and English Reformations, 42–50; BENRATH, Bernadino Ochino, 177–191. 293 Vgl. HOPF, CONSTANTIN, Martin Bucer and the English Reformation, Oxford 1946, 12–16; MACCULLOCH, Thomas Cranmer, 421 f. 294 Vgl. PETTEGREE, ANDREW, Foreign Protestant Communities in Sixteenth-Century London, Oxford 1986, 31–37; zu den Fremdengemeinden s.u. Kap. III.1.3c. 295 Vgl. zur Vorgeschichte wie dem (unedierten) Brief MACCULLOCH, Thomas Cranmer, 354 f.; 378–383. 296 Vgl. dazu MACCULLOCH, Peter Martyr and Thomas Cranmer, 177–179. 297 Vgl. ab Ulmis an Bullinger, 27.11.1548, EpTig 253 (Nr. 186). 298 Das hängt auch damit zusammen, dass die Frage des entscheidenden Faktors mit derjenigen nach Cranmers abendmahlstheologischer Position und konfessioneller Einordnung 289

160 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. leiblichen Präsenz Christi in den Elementen299 zu beobachten: Er und seine Kollegen legten zwar in offiziellen Äußerungen noch Vorsicht an den Tag300, lancierten im Herbst 1548 aber eine publizistische Kampagne zur Abendmahlslehre.301 Im Dezember wandte sich Cranmer in einer Debatte mit konservativen302 englischen Bischöfen nicht nur gegen die Transsubstantiation, sondern auch gegen die Vorstellung eines körperlichen Essens des Leibes Christi. Für ihn geschieht das Essen des Leibes Christi durch den Glauben mit dem Herzen; er bestreitet eine manducatio oralis und impiorum ebenso wie eine Allgegenwart, zu deren Widerlegung er Christi wahre Menschheit und leibliche Himmelfahrt anführt.303 Da die Rolle der Elemente in seinen Aussagen nicht thematisiert wird, ist nicht klar, wo auf dem Zürich-Straßburger Spektrum diese Position einzuordnen ist – wohl aber, dass sie in dieses gehört. Auch Vermigli meinte nach dieser Debatte, die Transsubstantiation sei in England geschlagen, aber die Art der Präsenz Christi im Abendmahl bleibe vorläufig ungeklärt.304 b) Vermiglis Abendmahlstheologie und sein reformatorisch normativer Anspruch: Die Oxforder Disputation (1549) Die im Kontext von Vermiglis Oxforder Lehrtätigkeit entstandene Oxforder Disputation und abendmahlstheologische Tractatio gehörten zu den Texten, die zu Streitbeginn von Westphals Seite attackiert wurden. Wie die Lehre des Consensus Tigurinus bewegt sich auch die Abendmahlstheologie, die Vermigli in diesen Texten formuliert, zwischen der klassischen Zürcher und Straßburger Haltung. Hinzu kommt wie bei Calvin ein Anspruch auf Übereinstimmung mit Zürcher und Wittenberger Reformation, der auf straßburgisch geprägten Argumenten beruht, aber mit stärkeren normativen Abgrenzungen verbunden ist als seinerzeit bei Bucer – unter anderem mit einer Wendung gegen die leibliche Präsenz der menschlichen Natur Christi im Abendmahl. Das musste Westphals verbunden ist. Vgl. den Forschungsüberblick bei NEWMAN BROOKS, PETER, Thomas Cranmerʼs Doctrine of the Eucharist. An Essay in Historical Development, Houndmills 21992, 55–60, sowie für neuere Positionen ANDERSON, MARVIN WALTER, Rhetoric and Reality. Peter Martyr and the English Reformation, in: SCJ 19 (1988), 451–469; MACCULLOCH, Peter Martyr and Thomas Cranmer, 176–181; ZWIERLEIN, Der reformierte Erasmianer, 94 f. 299 Dies hatte er den Großteil der Regierungszeit Heinrichs VIII. über getan, vgl. NEWMAN BROOKS, Cranmerʼs Doctrine of the Eucharist, 3–37. 300 Vgl. MACCULLOCH, Tudor Church Militant, 67–69. 301 Vgl. MACCULLOCH, Peter Martyr and Thomas Cranmer, 182. 302 Dem Sprachgebrauch der englischen Forschung folgend, bezeichnet der Begriff „konservativ“ hier Personen, die loyal zur englischen Krone standen, jedoch theologisch altgläubige oder zumindest der Regierungszeit Heinrich VIIIs entstammende Ansichten vertraten. 303 Die Parlamentsdebatte ist ediert in: Background Documents to Liturgical Revision 1547–1549, ed. v. Colin Buchanan, Bramcote 1983, 15–33. Zu Hintergründen und Inhalt dieser Debatte vgl. MACCULLOCH, Thomas Cranmer, 404–407. 304 Vgl. Vermigli an Bucer, 26.12.1548, EpTig 309–312 (Nr. 225).

1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

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Seite alarmieren, die eine solche substantial-leibliche Präsenz vertrat – zumal die offizielle Unterstützung durch Cranmer dem gesamtreformatorisch normativen Anspruch Vermiglis auch kirchenpolitischen Einfluss verlieh. Cranmer hatte Vermigli mit dem Lehrstuhl in Oxford eine Schlüsselposition verschafft. Das Thema der ersten Vorlesung zeigt die damit verbundene reformatorische Programmatik: Vermigli legte den Ersten Korintherbrief aus, da er in diesem Text die ideale Grundlage für die Korrektur kirchlicher Fehlentwicklungen sah.305 Zugleich wurde er bei diversen Reformvorhaben beratend für Cranmer tätig, unter anderem mit einem abendmahlstheologischen Traktat.306 Im Frühjahr 1549 ergab sich dann eine Konstellation, die sich für eine Klärung der Abendmahlsfrage anbot: Vermiglis konservativer307 Vorgänger Smyth orchestrierte Proteste gegen Vermiglis – im Rahmen der Auslegung von 1 Kor 10–11 erfolgte – Bestreitung der leiblichen Präsenz Christi in den Elementen und forderte ihn zur Disputation heraus. Vermigli bestand darauf, die Debatte vor einer königlichen Kommission abzuhalten. Das wurde von der Regierung unterstützt und mit einer Visitation der Universität verbunden.308 So erhielt die Disputation offiziellen Charakter und wurde Teil von Cranmers Reformationsprogramm:309 In der Tradition reformatorischer Disputationen bot sich hier die Möglichkeit, eine zentrale Streitfrage debattieren und von einer formal unparteiischen Kommission entscheiden zu lassen, die aber faktisch auf Vermiglis Seite stand.310 Nachdem Smyth zum anberaumten Termin Oxford verlassen hatte, wurden die konservativen Theologen Philip Morgan, William Tresham und William Chedsey zu Opponenten ernannt und debattierten vom 29.5.–1.6.1549 mit Vermigli.311 Die Disputationsakten wurden im Anschluss zusammen mit einer Cranmer gewidmeten Tractatio veröffentlicht, in der Vermigli seine Lehre in systematischer Form erläuterte. Das Vorwort zur Disputation stammt von den königlichen Legaten;312 Vermigli betont in seiner Widmung zur Tractatio Cranmers Unterstützung.313 Weitere Indizien für eine 305

Vgl. ANDERSON, Peter Martyr, 95. Vgl. MACCULLOCH, Peter Martyr and Thomas Cranmer, 176–185; OVERELL, Italian Reform and English Reformations, 106 f.; ANDERSON, Peter Martyr, 95–97. 307 „Konservativ“ bezeichnet hier dem Sprachgebrauch der englischen Forschung folgend Personen, die loyal zur englischen Krone standen, aber altgläubige Theologie vertraten. 308 Vgl. OVERELL, Italian Reform and English Reformations, 108 f. 309 Vgl. aaO., 109; MACCULLOCH, Peter Martyr and Thomas Cranmer, 185 f. 310 Zu dieser Eigenschaft reformatorischer Disputationen vgl. MOELLER, BERND, Zwinglis Disputationen. Studien zur Kirchengründung in den Städten der frühen Reformation, Göttingen 22011, 192 f. Für eine ausführliche Diskussion des Phänomens vgl. u. Exkurs A.3b. 311 Vgl. OVERELL, Italian Reform and English Reformations, 108. 312 Vgl. VERMIGLI, PETER MARTYR, TRACTATIO || DE SACRAMENTO EV-||charistiae, habita in celeberrima vni-||uersitate OXONIENSI in Anglia, […] || Disputatio de eodē || EVCHARISTIAE SA-||cramento in eadem Vniuersitate || habita […], London: Reyner Wolfe 1549, USTC 24673, [ohne Seitenzählung]–a1r. Im im Folgenden wird diese Ausgabe zitiert. 313 Vgl. VERMIGLI, Tractatio de sacramento eucharistiae, α2r–β4r. 306

162 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. offizielle Förderung sind der Druck bei Cranmers Drucker Wolfe und die Tatsache, dass Eduard VI. sein Exemplar annotierte.314 Zudem verband sich mit der Veröffentlichung ein Interesse, das Cranmers Absichten entsprach und bei Westphals Partei für Befürchtungen sorgen sollte: Das Vorwort der Legaten betont, der Druck ermögliche eine Wirkung über England hinaus.315 Die in Oxforder Disputation und Tractatio formulierte Abendmahlslehre Vermiglis – der in Straßburg eng mit Bucer zusammengearbeitet und Kontakt zu Bullinger gepflegt hatte316 – steht zwischen der klassischen Zürcher und Straßburger Position: Er unterscheidet leibliches Essen der Elemente und geistliches Essen des Leibes und Blutes Christi, das darin bestehe, Christus im Glauben zu ergreifen.317 Letzteres Geschehen begreift er als Wirkung des Heiligen Geistes: Dieser bewege den Menschen durch Wirken im Herzen, äußerliches Wort und Sakramentsvollzug zum Heil.318 Der Abendmahlsvollzug ist also aus Vermiglis Sicht durchaus heilsrelevant, aber nur in seiner Rückbindung an die Wechselwirkung zwischen Geist und Glauben.319 Das ermöglicht Vermigli seine Lösung der Zürich-Straßburger Streitfrage im Hinblick auf das Verhältnis von geistlicher und leiblicher Ebene: Sakramente seien Werkzeuge, deren Wirksamkeit aber vom Wirken des Geistes abhänge. Dass dieser in der mens Glauben wecke, sei gleichbedeutend mit dem geistlichen Essen des Leibes Christi.320 So kann Vermigli sagen, dass im Mahl die Erinnerung an die Erlösung erneuert und Sündenvergebung angeboten werde – betont aber, dass dies nicht vom äußeren Vollzug, sondern allein vom Glauben abhängt.321 „Diximus sane et confirmamus haec symbola et significare et offerre ac exhibere verissime corpus Christi, licet spiritualiter, id est animo comedendum, non ore corporis.“322

Vermigli nimmt also mit seinem Konzept von spiritualis manducatio sowohl das Straßburger Anliegen einer realen manducatio des Leibes Christi und einer 314

Vgl. MACCULLOCH, Peter Martyr and Thomas Cranmer, 185–188. Vgl. VERMIGLI, Disputatio de eucharistiae sacramento, [2. Seite der Vorrede]. 316 Vgl. dazu im Einzelnen MOSER, Epistolary, 438 f.. 317 VERMIGLI, Tractatio de sacramento eucharistiae, α4r: „quemadmodum panis et vinum (quae corpus alunt) communicantibus externe porriguntur, ita vere datur eorum animis, ut corpore et sanguine Christi (quae in nostram data sunt redemptionem) per fidem vescantur, unde totus homo noster, cum interior, tum exterior, ad summam foelicitatem instauretur. Et haec est unica ratio manducandi corpus et bibendi sanguinem Domini, quam scriptura sancta et probat et novit, quando nimirum fide constanti et firma apprehendimus Iesum filium Dei.“ 318 Vgl. aaO., α4r. 319 Vgl. zu dieser Wechselwirkung ZUIDEMA, Outward Instruments, 148–153. 320 VERMIGLI, Tractatio de sacramento eucharistiae., α4r: „Christus panem et vinum pro symbolis adiecit in coena, quae per institutum et verba eius efficiuntur sacramenta, id est organa, quibus in mentibus nostris fidem spiritus sanctus excitat, ut per illam corpore et sanguine ipsius spiritualiter, sed tamen vere, alamur et substentemur.“ 321 Vgl. aaO., α4v. 322 VERMIGLI, Tractatio de sacramento eucharistiae, R3r. 315

1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

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exhibitiven Funktion der Sakramente auf als auch das Zürcher Anliegen, dass das Heil nicht an leibliche Vollzüge gebunden werden dürfe. Diese Stellung zwischen der klassischen Zürcher und Straßburger Haltung ist nicht nur für den Zweiten Abendmahlsstreit zentral, sondern hat auch zu differierenden Forschungsurteilen über Vermiglis Position geführt:323 Grundsätzlich besteht Konsens, dass Vermiglis Abendmahlslehre eigenständig ist und nicht auf einen anderen Reformator zurückgeführt werden kann. Zugleich ist seine Haltung aber ebenso als straßburgische wie als zürcherische Abendmahlsauffassung gedeutet worden.324 Neuere Arbeiten verorten sie im Rahmen des Consensus Tigurinus, wobei weiterhin diskutiert wird, ob sie Calvin oder Bullinger näher steht.325 Unabhängig davon ist für den Abendmahlsstreit gerade die Stellung zwischen beiden wichtig: Westphal sollte den Text analog zum Consensus Tigurinus im Sinne einer Zürcher Haltung lesen, die sich hinter straßburgisch klingenden Formeln verberge. In der internen Diskussion der von Westphal Attackierten wiederum konnte Vermigli zwischen Calvin und Bullinger vermitteln, weil er auf dem theologischen Spektrum zwischen ihnen stand.326 Mit Vermiglis Abendmahlstheologie verbindet sich ein normativer Anspruch, der anders gefasst ist als bei Calvin, aber auf ähnliche theologische Abgrenzungen hinausläuft. Das wendet Vermigli in Disputation und Tractatio primär gegen konservative327 Opponenten, beansprucht aber mit seiner Position zugleich – ganz auf der Linie von Cranmers Konzilsplänen – Geltung für ein von Wittenberg bis Zürich reichendes innerreformatorisches Spektrum. Dafür verortet er sein Konzept zunächst im Gegensatz zur Transsubstantiation,328 dann durch kritische Auseinandersetzung mit zwei anderen reformatorischen Haltungen. Diese beschreibt er als Annahme einer Verbindung der Elemente mit Leib und Blut, die zu einer natürlich-körperlichen Anwesenheit Christi führe, und als rein signifikative Verbindung von Elementen und Leib Christi.329 323

Vgl. den Forschungsüberblick bei KIM, Scripturae et Patrum Testimoniis, 52–72. Vgl. für erstere Deutung MCLELLAND, JOSEPH C., The Visible Words of God. An Exposition of the Sacramental Theology of Peter Martyr Vermigli A.D. 1500–1562, Edinburgh / London 1957, 272–289; für letztere LÖWE, J. ANDREAS, “The bodie and bloud of Christ ist not carnallie and corporallie in the bread and wine.” The Oxford Disputation revisited: Zwinglian traits in the Eucharistic Theology of Pietro Martire Vermigli, in: Alfred Schindler / Hans Stickelberger (Hg.), Die Zürcher Reformation. Ausstrahlungen und Rückwirkungen, Bern u.a. 2001 (ZBRG 18), 317–326. 325 Vgl. für erstere Ansicht KIM, Scripturae et Patrum Testimoniis, 149–169; für letztere OPITZ, PETER, Eucharistic Theology, in: Torrance Kirby et al. (Hg.), A Companion to Peter Martyr Vermigli, Leiden 2009 (Brillʼs Companions to the Christian Tradition 16), 387–398. 326 Vgl. etwa u. Kap. IV.3.2b. 327 Zum Begriff s.o. am Beginn des Abschnitts. 328 Vgl. VERMIGLI, Tractatio de sacramento eucharistiae, A2v–G2v. Für einen Überblick über die Argumentation dieses Teils vgl. KIM, Scripturae et Patrum Testimoniis, 96–103. 329 VERMIGLI, Tractatio de sacramento eucharistiae, O3v: „Fuerunt itaque nonnulli, qui substantiam panis et vini retinuerunt, corpus autem et sanguinem domini, Symbolis istis in 324

164 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. Er legt jedoch Wert darauf, diese beiden Positionen nicht mit Luther und Zwingli zu identifizieren, und führt dafür Bucers Argument an:330 Luther habe bei Zwingli leere Zeichen befürchtet, Zwingli bei Luther eine Gefahr von Schmälerung der wahren Menschheit Christi, Impanation und Aberglauben gesehen; der jeweils andere habe das aber gar nicht vertreten wollen.331 Er betont, dass Zwingli keine leeren Zeichen behauptet und Luther nach Auskunft von Leuten, die mit ihm umgingen (gemeint ist Bucer), eine coniunctio sacramentalis vertreten habe.332 Daher wolle er, Vermigli, die genannten Thesen nicht auf diese Personen beziehen, sondern so behandeln, wie sie aktuell im Umlauf seien.333 Dieser Gedankengang ermöglicht es Vermigli, wie Calvin Übereinstimmung mit einem von Wittenberg bis Zürich reichenden reformatorischen Spektrum zu beanspruchen und sich zugleich gegen die beiden genannten Positionen abzugrenzen. Anders als Calvin vermeidet er es aber, Luther oder Zwingli selbst zu kritisieren, und sei es nur in Bezug auf die Vergangenheit – das sollte Westphal ihm als Widerspruch zu Calvin vorhalten. Am eingehendsten grenzte Vermigli sich gegen die altgläubige Auffassung ab. Dass sich auch Westphals Partei von diesen Aussagen getroffen sehen sollte, hängt zunächst mit der Argumentation von Vermiglis konservativen334 Gegnern zusammen, die ihm zufolge leibliche Präsenz und Transsubstantiation im Sinne des Vorwurfs zusammenordneten: „Transsubstantiationem aufers, praesentiam corporalem, carnalem, realem atque substantialem tollis.“335 Es passt aber auch zur straßburgischen Annahme, dass ausweislich der Konkordie in Wittenberg keine lokal-räumliche Präsenz der menschlichen Natur Christi in den Abendmahlselementen vertreten werde.336 Insofern erscheint die Annahme einer körperlichen Präsenz Christi in den Elementen bei Vermigli als mit der Transsubstantiation verbundene Ansicht.337 Auf die gleiche Position zielt es offenbar, wenn Vermigli die Einsetzungsworte unter Berufung auf Joh 6,35 so erklärt, dass das Brot für den im Glauben wahrgenommenen Leib Christi stehe, der geistlich die Seele nähre, und unter Berufung auf die leibliche Himmelfahrt ein wörtliches Verständnis ablehnt.338 Diese Aussagen und die sua natura adhuc manentibus corpus et sanguinem domini coniunxerunt, nexu quam arctissimo, non tamen (ut arbitror) ita, ut ex illis coniunctis una hypostasis efficeretur, Realiter tamen (quemadmodum loquuntur) corporaliter et naturaliter dixerunt adesse pani et vino corpus et sanguinem Christi. Alii vero coniunxerunt solummodo per significationem.“ 330 Zu diesem Argument bei Bucer vgl. o. Kap. II.3.3. 331 Vgl. VERMIGLI, Tractatio de sacramento eucharistiae, O3v–O4r. 332 Vgl. aaO., Q4v–R1r. 333 Vgl. aaO., O3v–O4r. 334 Zum Begriff vgl. o. am Beginn des Abschnitts. 335 VERMIGLI, Tractatio de sacramento eucharistiae, β1v. 336 Vgl. dazu o. Kap. II.3.4. 337 Vgl. aaO., β2v– β3r. 338 Vgl. aaO., G4v–I1r.

1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

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dahinterstehende Christologie waren aus Sicht von Westphals Partei, die eine körperlich-substantiale Präsenz vertrat, Belege für eine zürcherische Auffassung. Vermigli hingegen konnte beanspruchen, dass eine solche Position auch in der Wittenberger Reformation keine Geltung habe: Wie bei Calvin ist dafür nicht maßgeblich, dass eine solche Haltung tatsächlich nicht im Wittenberger Raum vertreten wird, sondern dass sie Vermiglis normativem Anspruch zufolge unreformatorisch ist und daher auch von den Wittenbergern nicht vertreten werden sollte, mit denen er sich aus Straßburger Perspektive einig sieht.339 Weiterhin argumentiert Vermigli gegen eine natürlich-körperliche Präsenz des Leibes Christi mit den Elementen, die er zwar als reformatorisch legitime Anschauung von einer lokalen Präsenz in den Elementen unterscheidet, aber dennoch kritisiert – auch das war für Westphals Partei problematisch. Vermigli charakterisiert die Haltung derer, die „Christi corpus tam crasse coniungunt symbolis“340 durch die Vergleiche eines Krugs voll Wein sowie der Verbindung von Feuer und Eisen. Präzise betont er, die genannten Bilder würden im Sinne einer „vera atque realis coniunctio sacramenti et rei“341 verstanden und die Vertreter dieser Auffassung seien der Ansicht, „non localiter adesse Christi corpus, sed tantum diffinitive“.342 Weiterhin nennt er als charakteristisch für diese Position die Bejahung der manducatio impiorum, die Ablehnung einer tropischen Deutung der Einsetzungsworte, die Annahme einer Allgegenwart Christi nach der Menschheit und die Freigabe einer Anbetung der Elemente.343 In Auseinandersetzung mit dieser Position hält Vermigli fest, die natürlichkörperliche Verbindung von Leib und Abendmahl sei aus der Schrift nicht zu beweisen, habe keinen Nutzen über die geistliche hinaus und komme wie die Transsubstantiationslehre in die Schwierigkeit, bei ihrer Auslegung der Einsetzungsworte selbst nicht ohne tropus argumentieren zu können. Zudem weist er eine Ubiquität Christi nach der Menschheit, eine manducatio impiorum und jegliche Anbetung der Elemente zurück.344 Da Westphals Streitpartei diese Aussagen vertrat,345 fühlte sie sich von Vermiglis Argumenten getroffen. Wenn diese hingegen in der Forschung als Beleg dafür herangezogen werden, dass 339

Zu Calvins entsprechender Position und deren Hintergründen vgl. o. Kap. III.1.1a. VERMIGLI, Tractatio de sacramento eucharistiae, O4r. 341 AaO., O4v. 342 AaO., O4r. 343 Vgl. aaO., O4v–P4r. 344 Vgl. aaO., P4v–Q3r; R1r–R1v. 345 Das gilt auch für die Anbetung der Abendmahlselemente: Westphals Parteigänger Johann Hachenburg sollte sie in seiner Streitschrift einfordern, Westphal erklärte sie zum Adiaphoron – letzteres entspricht der von Vermigli referierten Position. Vgl. u. Kap. V.1.2b und V.1.5e. Ob Vermigli so vertraut mit dem innerwittenbergischen Diskurs war, dass er um solche Haltungen wusste, muss offen bleiben. Teils wird auch angenommen, dass die Aussage sich auf das Book of Common Prayer beziehe, vgl. JOSEPH MCLELLANDs Kommentierung in: The Peter Martyr Library, Kircksville (MO) 1994ff., hier Bd. 7, 112 Anm. 342. 340

166 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. Vermiglis Position per se zürcherisch und antiwittenbergisch346 bzw. „Reformed“ und gegen „Lutheran errors“ gewandt347 sei, wird das der Offenheit der konfessionellen Situation vor dem Zweiten Abendmahlsstreit nicht gerecht:348 Beide von Vermigli kritisierten Thesen waren nicht für die gesamte Wittenberger Reformation normativ. Vielmehr bot die Wittenberger Konkordie Interpretationsspielraum, den Westphals Partei hin zu einer substantial-leiblich bestimmten Präsenz, Vermigli dagegen (wie Calvin) im Sinne einer normativen Abgrenzung gegen diese Position zu vereindeutigen versuchte.349 Zugleich grenzt Vermigli sich – wie Calvin – gegen eine rein signifikative Auffassung ab: Für deren Vertreter sei das heilsrelevante Geschehen beim Abendmahl mit dem Essen im Glauben nach Joh 6 identisch. Die Feier gelte als Erinnerung, Danksagung, Bekenntnis und Anregung der mens durch die Zeichen. Abgelehnt würden eine ubiquitas des menschlichen Leibes Christi, die manducatio impiorum sowie die Sündenvergebung mittels leiblichem Sakramentsgenuss. Daraus werde eine Abwesenheit des Leibes Christi abgeleitet; die Einsetzungsworte würden metonymisch ausgelegt.350 Hier warnt Vermigli vor der These, Christus sei abwesend: Das stimme nur in natürlich-körperlicher Hinsicht, während Christus auf geistliche Weise gegessen und real mit den Kommunikanten verbunden werde.351 Er betont, dass letzteres bei den Autoren der signifikativen Richtung zu selten gesagt werde;352 „raro mentionem faciunt sacramentalis mutationis panis et vini.“353 Mit mutatio meint Vermigli, dass es sich bei den Elementen nicht um gewöhnliche Zeichen handle, sondern um solche, die den menschlichen Geist bewegten – nicht aus sich selbst heraus, sondern durch Wirken des Heiligen Geistes, der sie in Dienst nehme.354 Daher bestehe (anders als von den Vertretern dieser Ansicht befürchtet) keine Gefahr, 346

Vgl. LÖWE, The bodie and bloud, 325 f. So etwa KIM, Scripturae et Patrum Testimoniis, 103–109 u.ö., beide Zitate 109. 348 Besonders deutlich wird der Anachronismus bei LÖWE, The bodie and bloud, 324, der als typisch für die hier attackierte Haltung die Abendmahlslehre der Konkordienformel aus den Jahren 1579 und 1580 (!) heranzieht. 349 Vgl. dazu o. Kap. II.3.4; zur analogen Sichtweise Calvins o. Kap. III.1.1a. 350 VERMIGLI, Tractatio de sacramento eucharistiae, Q3r–Q4v. 351 AaO., Q4r: „argumentum non esse usque adeo firmum, nisi intelligant de corpore Christi realiter et corporaliter atque naturaliter praesenti: alioquin cum fide percipiatur, non intelligitur prorsus abesse, quamvis in coelis maneat quoad suam naturam atque substantiam; spiritualiter enim manducatur atque nobis revera iungitur.“ 352 Vgl. aaO., Q4v. 353 AaO., R1v. 354 AaO., R1v–R2r: „Deinde non adiecerunt semper ei efficaciam, quae illi debetur. Non enim efficiuntur ista vulgaria signa, sed quae potenter atque efficaciter animum permoveant. […] ista non illis tribui per seipsa, verum ob institutum DOMINI, spiritus sancti vim atque verborum claritatem. Si quaesierint, unde habeam Spiritum Sanctum hic agere, facile est respondere, quoniam est iam constitutum, spiritualem esse hanc manducationem: At quomodo spiritualiter manducabimus absque spiritu sancto? […] spiritus sanctus est, qui 347

1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

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die Elemente im Verhältnis zum Wirken Gottes überzubewerten.355 Die Verbindung mit Christus sei zwar im Glauben vorhanden; er werde aber durch den Abendmahlsvollzug immer stärker mit den Glaubenden verbunden.356 Die genannten Aussagen zu natürlich-körperlicher und rein symbolischer Abendmahlstheologie werden von einem Teil der Forschungsliteratur als Argument für eine Äquidistanz zu Luther und Zwingli357 bzw. für ein mit Bucer übereinstimmendes Konzept evangelischer Einigung358 herangezogen. Das kann sich auf die straßburgische Prägung von Vermiglis Argumentation berufen; unterbestimmt werden hier aber die theologischen Unterschiede zu Bucer sowie die Tatsache, dass Vermigli – wie Calvin359 – einen stärkeren normativen Anspruch erhebt als Bucer, indem er leibliche und signifikative Deutung nicht vollumfänglich im Sinne seiner eigenen Haltung interpretiert, sondern letztlich beide widerlegt und durch seine eigene Position ersetzt sehen will. Die Gemeinsamkeiten wie die Differenzen zu Bucers Position zeigen sich am Briefwechsel beider Theologen: Vermigli sandte Bucer den Disputationstext und betonte, dass für ihn zwar (anders als für Bucer) Christus allein durch Glauben präsent sei; dies sei aber ein durch den Heiligen Geist bewirktes vere percipere. Er bestreite eine fleischliche Verbindung von Leib und Elementen, nicht eine solche Verbindung überhaupt.360 Bucer reagierte darauf ähnlich wie auf den Consensus Tigurinus: Er betont die Einigkeit über die exhibitiv verstandene reale Präsenz Christi. Zugleich aber meint er, es bestünde die Gefahr, dass andere –d.h. wittenbergisch geprägte Theologen – den Text im Sinne einer Abwesenheit Christi läsen. Um solchen Anstoß zu vermeiden, empfiehlt er Vermigli, den Widerspruch gegen eine substantiale Präsenz aufzugeben und statt dessen (gemäß der Wittenberger Konkordie) hervorzuheben, dass er von einer nicht lokalen Präsenz ausgehe.361 Im gleichen Sinne kritisierte er den Text gegenüber Brenz und entschuldigte sich dafür, betonte aber Vermiglis Rechtgläubigkeit.362 Dass Vermigli christologisch einen bei Bucer offen gelassenen

revera sanctificat, verum instrumento et verborum et sacramentorum hoc facit. Non itaque auferenda est haec mutatio a pane et vino, qua reddantur signa corporis et sanguinis Christi efficacia, id est, quibus potenter et non vulgariter spiritus domini in nos agat.“ 355 So mehrfach aaO., R1v-R2r. 356 AaO., R2r: „coniunctis illis quidem est, sed indies redditur coniunctior, et dum communicamus, magis ac magis nobis unitur. Praeterea hoc accedit, quod mandato Dei satisfaciamus, qui ut manducaremus et biberemus hoc sacramentum praecepit. […] Quod si requisiveris an ista efficacia Eucharistiae se habeat aequaliter quoad omnes. Respondeo minime, sed ad rationem et portionem fidei communicantium.“ 357 Vgl. ZUIDEMA, Outward Instruments, bes. 155–157. 358 Vgl. MCLELLAND, Visible Words of God, 272–289. 359 Vgl. o. Kap. III.1.1a. 360 Vgl. Vermigli an Bucer, 15.6.1549, in: BUCER, Scripta Anglicana, 545 f. 361 Vgl. Bucer an Vermigli, 20.6.1549, in: BUCER, Scripta Anglicana, 546–550. 362 Vgl. Bucer an Brenz, 15.5.1550, OrigLett II, 543–545.

168 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. Punkt festlegt, führte also nicht zu einer von diesem abgelehnten Lehrposition, aber zu einer von ihm abgelehnten theologischen Abgrenzung.363 Für die Zürcher hingegen war Vermiglis normativer Anspruch offenbar unproblematisch, zumal nach dem Consensus Tigurinus: Der englische Theologe Johannes ab Ulmis, der lange in Zürich gelebt hatte, lobte Vermiglis Haltung als identisch mit Bullingers und als klare Ablehnung einer lokalen Präsenz des Leibes Christi in den Elementen. Die Abgrenzung gegen eine rein signifikative Position hingegen wertete er nicht als Kritik an Zürich, sondern als Verteidigung der Lehre Zwinglis gegen den Vorwurf, im Mahl nur leere Zeichen anzunehmen.364 Daraufhin scheint auch Bullinger zur Oxforder Disputation gratuliert zu haben.365 Dass beide – anders als wenige Jahre zuvor bei Calvin – die Kritik an einer signifikativen Deutung nicht auf sich bezogen, dürfte zum einen mit dem Consensus Tigurinus zusammenhängen, zum anderen damit, dass Vermigli die Kritik explizit nicht auf Zwingli bezogen hatte. Eine entsprechende Deutung zeigt sich auch in den Zürcher Nachdrucken von Oxforder Disputation und Tractatio: In der Vorrede zur Tractatio werden die Transsubstantiation und die Lehre Luthers als durch das Werk widerlegt betrachtet; hingegen gilt die dritte kritisierte Position einer rein symbolischen Deutung ausdrücklich nicht als die Zwinglis, sondern als diesem fälschlich zugeschrieben, was Vermigli nachprüfe. Es folgen Belege für die päpstliche, für Luthers und für Zwinglis (aus dieser Sicht) wahre Ansicht – letztere aus den Spätschriften, also einer mit Vermiglis Anliegen gut zu verbindenden Position.366 Diese Ausgabe der Tractatio wurde 1557 und 1558, die der Disputation 1557 in Zürich nachgedruckt – was ihre Verbreitung und den Nutzen belegt, den man zur Zeit des Abendmahlsstreits offenbar darin sah.367 363 Bucers Reaktion wird in der Forschung teils als Beleg für eine von Bucer abgelehnte, zürcherische Haltung Vermiglis gelesen (vgl. z.B. HALL, BASIL, Martin Bucer in England, in: D. F. Wright (Hg.), Martin Bucer. Reforming Church and Community, Cambridge 1994, 144–160, hier 152), teils als Beleg für theologische Einigkeit zwischen beiden, wobei Bucers abweichende Akzentuierung allein durch Rücksicht auf Wittenberg bedingt sei (vgl. MCLELLAND, Visible Words of God, 273–276). Ausgewogen urteilt CORDA, SALVATORE, Veritas Sacramenti. A Study in Vermigliʼs Doctrine of the Lordʼs Supper, Zürich 1975, 75: „The differences between the two friends were not unsurmountable, but their different emphasis both in content and approach cannot be overlooked.“ 364 Vgl. ab Ulmis an Bullinger, 7.8.1549, EpTig 257 f. (Nr. 188). 365 Das geht hervor aus Vermigli an Bullinger, 27.1.1550, Ep Tig 315 f. (Nr. 227). 366 VERMIGLI, PETER MARTYR, DISPVTATIO || DE EVCHARISTIAE || SACRAMENTO HABITA IN CE-||leberr. Vniuersitate Oxonien. in An||glia, antea quidem illic excusa, iam || uero denuò cum triplici indice || in lucem edita.|| […], Zürich: Andreas Geßner und Rudolf Wyssenbach 1552, VD16 D 2050; DERS., PETRI MARTYRIS || VERMILII FLORENTINI || uiri doctis. de sacramento eucha-||ristiae in celeberrima Angliae || schola Oxoniensi ha-||bita tractatio. || […], Zürich: Andreas Geßner und Rudolf Wyssenbach 1552, VD16 V 843. Die Vorrede aaO., a2r–b8v (zu Zwingli aaO., a4r–b1r sowie die Zitate aaO., b4r–b8v). 367 Vgl. für die Drucke VD16 V 845, VD16 V 846, VD16 D 2051.

1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

169

Insgesamt stehen auch Vermiglis Texte für ein Verständnis geistlicher Präsenz Christi im Abendmahl, das er dezidiert gegen eine leibliche Verbindung der menschlichen Natur Christi mit den Elementen abgrenzt. Dies wurde von Westphals Partei als häretisch und gegen die eigene Lehre gewandt wahrgenommen. Mit dem Gedanken einer mit dem Abendmahl verknüpften, aber rein durch Wirken des Heiligen Geistes hervorgerufenen geistlichen Nießung, welche die Verbindung der Gläubigen mit Christus zwar nicht herstellt, aber verstärkt, steht er auf dem Spektrum abendmahlstheologischer Positionen zwischen der von Calvin vertretenen exhibitiven Vermittlung von Heil mittels des Abendmahlsvollzugs einerseits, dem nicht exhibitiven Verständnis a Lascos und Bullingers andererseits – dementsprechend sollte er später wiederholt zwischen diesen Theologen vermitteln. Vermiglis gesamtreformatorisch normativer Anspruch wiederum ist von Straßburger Gedanken geprägt und nimmt wie Calvin an, dass Zürcher und Wittenberger Reformation die von ihm selbst vertretene Lehre akzeptieren könnten. Der Unterschied zu Calvin liegt darin, dass Vermigli seine Abgrenzung gegen leibliche Präsenz und rein symbolische Abendmahlsauffassungen nicht gegen Luther und Zwingli, sondern nur gegen aktuelle Extrempositionen gewandt wissen will. Darum sollte Westphals Partei darin aber nicht minder einen Versuch sehen, ihre Lehre zu verdrängen. Einen anders strukturierten, a Lascos Sicht entsprechenden reformatorisch normativen Anspruch vertraten hingegen die Londoner Flüchtlingsgemeinden. c) Reformatorisch normativer Anspruch und internationaler Einfluss: Die Londoner Flüchtlingsgemeinden Neben Vermigli sollten für den Zweiten Abendmahlsstreit auch die unter Eduard VI. neu organisierten Londoner Flüchtlingsgemeinden eine wichtige Rolle spielen: Zum Streitausbruch trugen Abendmahlsschriften ihrer Pfarrer Johannes a Lasco und Marten Micron bei; nach ihrer Flucht aus England gerieten die Gemeinden 1553/54 unmittelbar in Konflikt mit Westphals Streitpartei. Das hat ebenso mit ihrer Abendmahlslehre und Kirchenordnung zu tun wie mit ihrem gesamtreformatorisch normativen Anspruch, der mit der englischen Situation in Wechselwirkung steht: Cranmer etablierte die Flüchtlingsgemeinden gezielt als Vorbild für die englische Reformation und ermöglichte ihnen damit sowohl eine ungehinderte Umsetzung ihrer Vorstellungen vor Ort als auch eine Wirkung in den Heimatländern der Flüchtlinge. Diese Vorbildrolle beförderte zugleich den Anspruch der Gemeinden auf allgemein reformatorische Geltung ihres Konzepts, während sie bei Westphals Partei zu der Sorge beitrug, dass sich auch im eigenen Umfeld derartige Auffassungen ausbreiten könnten. Die Entstehung der Gemeinden war ein gradueller Prozess, den Cranmer dann gezielt für sein reformatorisches Konzept nutzte: Nachdem es schon vor 1547 in London Gemeinschaften ausländischer Kaufleute und Handwerker ge-

170 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. geben hatte,368 kamen mit Eduards Regierungsantritt, der Verfolgung Evangelischer in Frankreich und den Niederlanden sowie dem Interim zunehmend Glaubensflüchtlinge hinzu, die sich zum Gottesdienst trafen.369 An deren Unterstützung hatte die englische Regierung ein wirtschaftliches Interesse: Die Fremden brachten oft innovative handwerkliche Kenntnisse mit, etwa als Weber oder Buchdrucker.370 Zugleich erschien angesichts der großen Zahl371 von Ausländern, die teils durch radikale Zweige der Reformation geprägt waren, Kontrolle wünschenswert.372 Cranmers Strategie in diesem Kontext deutete sich bereits 1547/48 an: Er installierte Ochino als Pfarrer der italienischen Gemeinde und benutzte dies als Vehikel zur Durchsetzung evangelischer Interessen.373 1550 erfolgte eine umfassende Neuorganisation, bei der a Lasco Superintendent wurde und Micron eine Prädikantenstelle erhielt.374 Eduard gewährte den Gemeinden Freiheit in Predigt und Sakramentsverwaltung. Liturgie und Kirchenordnung durften von der in England vorgeschriebenen Praxis abweichen; Bischöfe und weltliche Autoritäten hatten keine Jurisdiktionsgewalt.375 Diese Privilegien lassen vermuten, dass Cranmer und Eduard in den Gemeinden ein Modell für den Zustand sahen, den sie sich in England erhofften: „the Stranger Church was intended as a demonstration to the people of the capital of what a properly reformed Church might look like. It was a signpost to one version of the future, a version which was congenial to Cranmerʼs strategy.“376

Die Organisation der Gemeinden entsprach einerseits der von Cranmer angestrebten Vorbild- und Kontrollfunktion, andererseits offenbar auch den Identitätsvorstellungen der Flüchtlinge: Aufnahmebedingung waren Annahme der 368

Vgl. FAGEL, RAYMOND, The Netherlandish Presence in England before the Coming of the Stranger Churches, 1480–1560, in: Randolph Vigne / Charles Littleton (Hg.), From Strangers to Citizens. The Integration of Immigrant Communities in Britain, Ireland and Colonial America, 1550–1750, Brighton u.a. 2001, 7–16. 369 Vgl. PETTEGREE, Foreign Protestant Communities, 23 f. 370 Vgl. RODGERS, DIRK W., John à Lasco in England, New York u.a. 1994 (AmUSt.TR 168), 30–33; PETTEGREE, Foreign Protestant Communities, 79–101. 371 Die genaue Zahl ist unklar; Pettegree schätzt für 1550/51 ca. 700 erwachsene Männer, für das Ende von Eduards Regierungszeit ca. das Doppelte (vgl. aaO., 77 f.) 372 The Chronicle and Political Papers of King Edward VI, ed. v. W. K. Jordan, Ithaca (NY) 1966 (Folger Documents of Tudor and Stuart Civilization), 37: „It was appointed that the Germans [i.e. die niederländischen Flüchtlinge, C. E.] should have the Austin Friars for their church to have their service in, for avoiding of all sects of Anabaptists and suchlike.“ 373 Er nötigte den konservativen Londoner Bischof Bonner, für die Gemeinde eine Predigtstätte zu finden und an Ochinos Amtseinführung teilzunehmen. Vgl. OVERELL, Italian Reform and English Reformations, 45 f.; MACCULLOCH, Tudor Church Militant, 79 f. 374 Vgl. dazu PETTEGREE, Foreign Protestant Communities, 49–53. 375 Vgl. den Abdruck der Gründungsurkunde bei LINDEBOOM, J., Austin Friars. History of the Dutch Reformed Church in London 1550–1950, aus dem Niederländischen übs. von D. de Iongh, Den Haag 1950, 198–200. 376 MACCULLOCH, The importance of Jan Laski, 326, vgl. auch aaO., 325–327.

1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

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Gemeindebekenntnisse und Unterwerfung unter die Kirchenzucht. Ein hohes Maß an Verbindlichkeit sollte die Einheit der Kirche sichern.377 Zur dogmatischen Vereinheitlichung dienten das Compendium doctrinae (1551), a Lascos Übersetzung des Emder Katechismus (1551), Microns De Kleyne Katechismus (1552) und seine Korte Ondersoeckinge.378 Wichtige Kirchenordnungen waren Microns Christlicke Ordinancien und a Lascos Forma ac ratio.379 Bei allen Unterschieden im Detail haben diese Texte ein Verständnis von Kirchenordnung gemeinsam, das diese unmittelbar aus der Schrift herleitet und ihre Einhaltung als konstitutiv für christliche Gemeinschaft betrachtet.380 Dem entsprechen Regelungen wie verpflichtende Abendmahlsteilnahme und umfassende Kirchenzucht.381 Ein solches Konzept war speziell für Flüchtlinge attraktiv, deren Identitätsvorstellungen darin aufgenommen und verstärkt wurden: Wer die Erfahrung gemacht hatte, aus Glaubensgründen verfolgt worden zu sein, dürfte ohnehin zu einem Selbstverständnis als rechtgläubige Minderheit tendiert haben382 – und eben dieses Verständnis wurde durch die der Gemeinde zugedachte Rolle gegenüber der englischen Kirche offiziell sanktioniert. Konflikte

377 Vgl. STROHM, CHRISTOPH, Discipline and Integration: Jan Laskiʼs Church Order for the London Strangerʼs Church, in: Randolph Vigne / Charles Littleton (Hg.), From Strangers to Citizens. The Integration of Immigrant Communities in Britain, Ireland and Colonial America, 1550–1750, Brighton u.a. 2001, 25–39, hier 28–32. 378 Vgl. dazu überblicksweise PETTEGREE, Foreign Protestant Communities, 60–63. 379 Vgl. zur Forma ac ratio umfassend BECKER, Gemeindeordnung und Kirchenzucht; zu den Christlicken Ordinancien noch immer SPRENGLER-RUPPENTHAL, ANNELIESE, Mysterium und Riten nach der Londoner Kirchenordnung der Niederländer, Köln / Graz 1967 (FKRG 7); Die Frage, welche der beiden Ordnungen in Gebrauch war und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen, wird kontrovers diskutiert. Vgl. BECKER, Gemeindeordnung und Kirchenzucht, 33–39, und die dort genannte Literatur. 380 Vgl. für Microns Text SPRENGLER-RUPPENTHAL, ANNELIESE, Zur Verwendung von Bibelstellen in Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, in: Dies., Gesammelte Aufsätze. Zu den Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Tübingen 2004 (JusEcc 74), 177–201, hier 179–186; für a Lascos Ordnung BECKER, Gemeindeordnung und Kirchenzucht, 54–68. 381 Vgl. zur konkreten Ausgestaltung dieser Elemente BECKER, Gemeindeordnung und Kirchenzucht, 79–106; PETTEGREE, Foreign Protestant Communities, 59–67. 382 In dieser Hinsicht könnte das von Heiko A. Oberman vorgelegte Konzept einer „Reformation of the Refugees“ und entsprechenden „Exulantentheologie“ (vgl. dazu OBERMAN, HEIKO A., Die Reformation als theologische Revolution, in: Peter Blickle et al. (Hg.), Zwingli und Europa. Referate und Protokolle des Internationalen Kongresses aus Anlaß des 500. Geburtstages von Huldrych Zwingli, Zürich 1985, 11–26; DERS., Europa afflicta. Reformation of the Refugees, in: Ders., John Calvin and the Reformation of the Refugees, Genf 2009 (THR 464), 177–194) möglicherweise auf die Londoner Flüchtlingsgemeinden angewandt werden. BECKER, JUDITH, Migration and Confession among Sixteenth-Century Western European Reformed Christians, in: R&RR 13 (2011), 3–31, weist aber zu Recht darauf hin, dass sich die Aspekte, die Oberman selbst für eine solche Theologie als typisch ansieht (u.a. doppelte Prädestination) in den Texten der Gemeinde kaum nachweisen lassen.

172 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. mit Cranmer und dem Londoner Bischof dürften die Gemeinden in der Wahrnehmung bestärkt haben, dass die englische Kirche nur unvollkommen reformatorisch sei: So wiesen die Fremdengemeinden den Gebrauch liturgischer Gewänder und die Praxis des Kniens beim Abendmahlsempfang als unbiblisch zurück, während Cranmer in solchen liturgischen Regelungen Adiaphora sah, deren obrigkeitliche Festlegung um der Einheitlichkeit kirchlicher Praxis willen hinzunehmen sei.383 Die entsprechende Sicht auf die englische Kirche sollten die Flüchtlinge später auf die Wittenberger Reformation übertragen. Wichtig für den Abendmahlsstreit wurde schließlich auch der Einfluss der Gemeinden in den Heimatländern der Flüchtlinge. Besonders stark war dieser in den Niederlanden: Theologen wie Marten Micron und Älteste wie Jan Utenhove, die vor der altgläubigen Verfolgung geflohen waren,384 konnten in London Strukturen und Konzepte entwickeln, die in ihrer Heimat rezipiert wurden: Für die evangelische Gemeinde in Brügge ist beispielsweise belegt, dass sie enge Kontakte nach London pflegte und von dort theologische Schriften bezog.385 Generell fanden Londoner Konzepte Resonanz in der niederländischen evangelischen Bewegung, die bis dahin von einem Spektrum verschiedener reformatorischer Einflüsse geprägt war:386 Das Konzept einer obrigkeitsunabhängigen, in Theologie und Kirchenordnung strikt nach außen abgegrenzten Freiwilligkeitskirche war für Gruppen, die von der altgläubigen Obrigkeit verfolgt wurden, sowohl inhaltlich attraktiv als auch hilfreich für die Etablierung kirchlicher Strukturen.387 Diese Entwicklung sollte Westphals Parteigänger Alexander Bruchsal in Antwerpen 1552 alarmiert zur Kenntnis nehmen und zur Abfassung von Streitschriften gegen die dem zugrundeliegenden Texte aufrufen: darunter die Abendmahlsschriften Microns und a Lascos.388 d) Abendmahlstheologie und Identitätsvorstellung der Flüchtlinge: Microns Claer Bewijs (1552) In Microns auf den 9.4.1552 datiertem, im gleichen Jahr in London gedrucktem Claer Bewijs zeigt sich der Konnex zwischen Identitätsvorstellungen und

383

Vgl. MACCULLOCH, The Importance of Jan Laski, 329–331. Vgl. zu ihrer Biographie GERRETSEN, J. H., Micronius. Zijn leven, zijn geschriften, zijn geestesrichting, Nijmegen 1895; PIJPER, FREDRIK, Jan Utenhove. Zijn leven en zijne werken, Leiden 1883. 385 Vgl. DECAVELE, JOHAN, De dageraad van de Reformatie in Vlaanderen, 2 Bde., Brüssel 1975 (VVAW.L 37), hier Bd. I, 336. 386 Vgl. PETTEGREE, ANDREW, Emden and the Dutch Revolt. Exile and the Development of Reformed Protestantism, Oxford 1992, 1–18; DERS., Foreign Protestant Communities, 234 f.; BENEDICT, Christ’s Churches Purely Reformed, 174–179. 387 Vgl. aaO., 123. 388 Vgl. u. Kap. III.2.2b. 384

1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

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Abendmahlslehre der Flüchtlingsgemeinden besonders deutlich.389 Der Text wurde zwar nicht in Streitschriften von Westphals Seite berücksichtigt, trug aber zur Besorgnis Westphals und seiner Mitstreiter bei. Die hier formulierte Auffassung ist zudem Basis für Microns späteren Konflikt mit Westphal.390 Auffallend im Verhältnis zu Vermiglis und a Lascos Abendmahlstexten ist zunächst, dass die englische Reformation in Microns Text kaum eine Rolle spielt und statt dessen die Fluchtsituation im Vordergrund steht. So wendet er sich in der Vorrede an die Londoner Gemeinde und an Flüchtlinge jenseits des Ärmelkanals, thematisiert ausführlich die blutige Verfolgung in Brabant, Flandern und anderenorts und erklärt diese als Verteidigung altgläubiger Irrlehren und Praktiken wie der Messe.391 Damit ist die Stoßrichtung des Textes vorgegeben: In den folgenden Ausführungen zum Abendmahl machen Abgrenzungen gegen Transsubstantiation und Messe zwei Drittel des Umfangs aus. Microns Abendmahlslehre weist Parallelen zu der Bullingers, bei dem er in Zürich studiert hatte,392 und zur Auffassung seines Kollegen a Lasco auf. So unterscheidet Micron wie Bullinger (und a Lasco ab der Tractatio393) zwischen der innerlich-geistlichen Sache und den äußerlich-fleischlichen Zeichen, die zur geistlichen Ebene hinführen sollen.394 Allein das geistliche Essen, das mit glaubendem Vertrauen auf Christus identifiziert ist, führt zum ewigen Leben.395 Daher bezeichnet Micron wie a Lasco (und Bullinger ab dem Consensus Tigurinus) die Sakramente als Siegel, versteht dies aber nicht exhibitiv: Die äußerliche Besiegelung durch die Sakramente wird von der inneren Besiegelung durch den Heiligen Geist unterschieden. Letztere vermittelt Gnade, während erstere sie lediglich anzeigt.396 Geistliche und leibliche Ebene sind nicht von Natur aus verknüpft, sondern allein durch Gottes Einsetzung und die Anschauung des Glaubens.397 Die Einsetzungsworte werden figurativ verstanden: 389

MICRON, MARTEN, Een claer bewijs, van het recht gebruyck des nachtmaels Christi, ende wat men van de Misse houden sal [1552], ed. v. Fredrik Pijper, in: Polemische geschriften der Hervormingsgezinden (BBN 1), ʼs-Gravenhage 1903, 437–563. 390 Zur ihrer Disputation 1553 in Hamburg vgl. u. Exkurs A.3.3. 391 Vgl. aaO., 440 f. 392 Vgl. zu dieser Übereinstimmung schon GERRETSEN, Micronius, 124–127; zu Microns Studien in Zürich aaO., 5–7. 393 Vgl. u. Kap. III.1.3f. 394 Vgl. MICRON, Claer Bewijs, 453 f. 395 Vgl. aaO., 481–483. 396 AaO., 456: „Maer hier moet een recht onderscheyt ghemaeckt wesen tusschen de beseghelinghe der Sacramenten ende de beseghelinge des Heiligen Gheests. Want dese verseghelinghe der Sacramenten is alleen vutwendich, den vutwendighen mensche (die de beloften Gods wederstaet) omhelsende, ende also tot de godlijcke beloften der ghenade GODS leydende. Maer de heylighe Gheest verseghelt de herten der gheloovighen, binnen ghetuyghenisse ghevende dat sij kinderen Gods sijn. Dit vermogen de Sacramenten nyet.“ 397 AaO., 457 f.: „dat in de Sacramenten gheen ghenade gheleghen is, of door haer cracht ghegheven werdt, om datter veel der Sacramenten deelachtich sijn, die daer en tusschen der

174 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. „est“ wie bei Bullinger im Sinne von „bedeutet“, „corpus meum“ wie bei a Lasco als Gemeinschaft mit Christus und dessen Wohltaten.398 Der Stellenwert von Kirchenordnungsfragen für die Flüchtlingsgemeinden wird an der Argumentation deutlich, der Abendmahlsvollzug ziele auf eine glaubende Anschauung des Heils, die zur Versiegelung der Herzen führe. Um dieses Ziel zu erreichen, ist Micron zufolge der exakte liturgische Vollzug wichtig: Jedes Element regt zur Betrachtung eines Heilsaspekts an; beispielsweise symbolisiert das Sitzen die Sicherheit in Christus.399 Dementsprechend stellt der dritte Teil der Schrift äußerst detaillierte liturgische Regeln auf – das sollte später Gegenstand von Westphals Polemik werden.400 In den Abgrenzungen, die Micron vornimmt, kommt sein anti-altgläubiger Schwerpunkt zum Tragen und wirkt sich auch auf seine innerreformatorische Positionierung aus: Er wendet sich gegen eine Gruppe, die Sakramente allein als Zeichen menschlicher Gemeinschaft verstehe, eine, die sie zunichte mache und eine, die ihnen Gnadenvermittlung zuschreibe – letztere wird mit den Altgläubigen identifiziert.401 Für Micron ist also jede Auffassung, die eine Heilsvermittlung durch Sakramente annimmt, letztlich römisch. Daher betrachtet er auch Transsubstantiation und andere Deutungen leiblicher Präsenz nur als verschiedene Spielarten der gleichen Ansicht.402 Entsprechend ähnlich geht er mit beidem um: Im Vordergrund der Argumentation steht die Zurückweisung von Transsubstantiation und Messe mit klassischen Zürcher Argumenten (Gefahr Godlijcke ghenaede niet delachtich sijn. […] Maer hier machmen nyet dencken, dat de Heylighe Gheest sodanighe maniere van spreken ghebruyckt, om dat de inwendighe ende vutwendighe dighen natuerlijck tsamen ghevoecht wer den, als of het een met den anderen lichamelijck ghebonden ware, oft dat het teeken in hem beslote het ghene datter beteekent is, maer om de navolghende oorsaken. Die eerste is de insettinghe Gods […] Ten anderen, het vutwendich ende inwendich dinck der Sacramenten werden gheseyt tsamen ghebonden te wesen om het aenschouwen des geloofs in haer recht gebruyck.“ 398 Vgl. aaO., 478. 399 Vgl. aaO., 467 f. 400 Vgl. MICRON, Claer Bewijs, 499–523; zu Westphals Reaktion u. Kap. III.2.4c. 401 MICRON, Claer Bewijs, 456 f.: „veele […] nyet recht van den ghebruyck der Sacramenten ordelende. Waer vut naemals groote sware dwalinghen volghen. De sommige maken de Sacramenten alleen teekenen des menschelijcken gheselscaps. De ander willense tonderbrenghen ende te nyete maken. Wederom sijn ander, die de Sacramenten boven de voorgheleerde verseghelinghe toegheven, datse door de cracht haers ghebruycks ghenade gheven, dat is verghiffenisse der sonden ende die erve des eewighen levens. De welcke leeringhe, hoe schadelijck datse der Ghemeynte Christi sij, machmen sien in de Roomsche Kerke.“ 402 AaO., 468: „Maer onder alle die dese verseghelinge des ghemeynschaps des lichaems Christi in het Nachtmael met ons bekennen, sijnder sommige die meynen dat dese ghemeynscap des lichaems Christi sonder de lichamelijcke teghenwoordicheyt des lichaems Christi niet sijn can. Hier vut spruyten nu tweederhande leeringhen: want sommighe willen, dat het weesen des broots ende wijns verandert werde in het warachtich lichaem ende bloet Christi: die ander, verwerpende dese plompe ende grove leeringhe, segghen, dat met het wesen des broots ende wijns dwarachtich natuerlijck lichaem Christi gegeven ende genut werdt.“

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der Abgötterei, Widerspruch zur leiblichen Himmelfahrt).403 Die wörtliche Auslegung der Einsetzungsworte wird zurückgewiesen.404 Gegen eine leiblichnatürliche Präsenz werden die gleichen Aspekte wiederholt; hinzu kommen weitere klassische Aussagen wie die Unnötigkeit einer solchen Präsenz zur Seligkeit angesichts von Joh 6.405 Davon sah sich Westphals Partei angegriffen. Weniger eindeutig ist, ob Micron die Vertreter einer leiblich-natürlichen Präsenz per se aus der Reformation ausgrenzen will oder ob er sie wie a Lasco darin einbezogen sieht, aber von ihrer Ansicht abbringen will: Einerseits wird ihnen vorgeworfen, viele in der Abgötterei bestärkt zu haben – andererseits wird ihnen ihre Verdammung der Sakramentsanbetung zugute gehalten und der Abschnitt zu ihrer Lehre endet mit einem Gebet um Frieden.406 Dass Micron 1553/54 in Dänemark und Norddeutschland innerreformatorische Solidarität erwartete, aber die örtlichen Pfarrer zur Disputation herausforderte, mag dafür sprechen, dass dies ähnlich wie bei a Lasco gedacht ist. Jedenfalls wurde Microns Wendung gegen eine leibliche Präsenz zentral für diese Debatten.407 e) Anti-exhibitive Abendmahlsauffassungen: A Lascos Ausgabe seiner Epistola und der Tractatio Bullingers A Lasco versuchte im April 1551 zunächst mit einer Druckausgabe408 von Bullingers Tractatio de sacramentis, die dieser zuvor nur handschriftlich verbreitet hatte,409 und seiner eigenen Epistola410 auf die englische Situation einzuwirken: Dass er einen gegen exhibitive Abendmahlslehre argumentierenden Zürcher Text mit einem Konzept verband, das Wittenberger und Straßburger Positionen als unvollkommene Vorformen der eigenen Auffassung ansieht, entspricht seiner in Ostfriesland entwickelten Überzeugung.411 Mit der Publikation zielte er 403

Vgl. aaO., 469–485; 523–563. Vgl. aaO., 483–485. 405 Vgl. aaO., 491–495. 406 AaO., 490 f.: „Men vindt somminghe oock God vreesende leeraers, die, de leere der Transubstantiacie verworpen hebbende, willen noch in het nachtmael des Heeren een naturlijcke tegenwor dicheyt des vleeschs Christi hebben. De welcke leringe, hoe wel dat se verdrage lijcker si dan de leere der transubstantiacie (want sij dat afgodisch aenbidden de broots ende omdragen verdoemt) so slamense nochtans niet volghen. Overmidts datse een cranck fondament in de Scrifturen heeft ende vele in de afgoderije versterct.“ Das Gebet aaO., 495. 407 Zu den Debatten vgl. u. Exkurs A. Den Zusammenhang vermerkt bereits PIJPER in BBN 1, 435: „Het kann niet verwonderen, dat deze rechts en links van zich afslaande polemikus het naderhand te Wismar, Lubeck en Hamburg zoowel met Menno Simons als met Joachim Westphal en hunne wederzijdsche aanhangers te kwaad moest krijgen.“ 408 BULLINGER, HEINRICH, ABSOLV-||TA DE CHRISTI || DOMINI ET CATHOLICAE || eius Ecclesiae Sacramentis tracta-||tio […], London: Stephan Mierdman 1551. 409 Vgl. o. Kap. II.5.3 und III.1.2b. 410 Vgl. dazu o. Kap. III.1.1b. 411 Vgl. o. Kap. III.1.1b. 404

176 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. auf Einfluss dieser Position in England: Die Vorrede an Prinzessin Elisabeth betonte die Verdienste der englischen Reformation; gegenüber Bullinger hob a Lasco hervor, die Drucklegung sei Cranmers Wunsch.412 Auf den Abendmahlsstreit sollte sich die Publikation in zweifacher Hinsicht auswirken: Westphals Seite machte daran fest, dass ihre Gegner nun Texte veröffentlichten, die sie vorher wegen ihres ketzerischen Charakters zurückgehalten hätten. Wichtiger ist jedoch ein inhaltlicher Aspekt: In der (auf der Tractatio basierenden) Fassung seiner Abendmahlslehre, die Bullinger selbst 1552 in den Dekaden herausgab, tilgte er infolge des Consensus Tigurinus seine Abgrenzungen gegen exhibitive Lehre413 – die von a Lasco veröffentlichte Version dagegen enthielt diese Abgrenzungen unverändert. Daher konnte Westphal diesen Text gegen Calvin und den Consensus ausspielen.414 f) Ausbau seiner Abendmahlstheologie und normativen Perspektive: A Lascos Tractatio de sacramentis (1552) A Lascos 1552 in London veröffentlichte Brevis de sacramentis tractatio415 ist neben Consensus Tigurinus und Oxforder Disputation die dritte Schrift, die Westphals Partei bei ihren Häresievorwürfen besonders hervorheben sollte. Die dafür ausschlaggebenden Aspekte entsprechen a Lascos Überlegungen aus der ostfriesischen Zeit, wurden hier aber erstmals gedruckt veröffentlicht und näher begründet: Für seine zwischen der klassischen Zürcher und Straßburger Position stehende Sakramentslehre beruft sich a Lasco nun auf den Consensus Tigurinus – ein Grund für Westphals Partei, hier einen konzertierten Angriff auf die eigene Position zu sehen, zumal a Lasco explizit postuliert, dass andere evangelische Abendmahlslehren und speziell Luthers Auffassung im Vergleich dazu nur unvollkommen reformatorisch seien. Der darin implizierte Anspruch auf gesamtreformatorisch normative Geltung von a Lascos eigener Position schlägt sich auch darin nieder, dass seine Theologie zur möglichen Grundlage einer über den Consensus hinausgehenden, an Cranmers Pläne anknüpfenden und auf Europa ausstrahlenden reformatorischen Einigung erklärt wird: für Westphals Partei später ein Grund zur Befürchtung, solche Auffassungen könnten auch im eigenen Umfeld ihr Verständnis von Reformation verdrängen. 412

Vgl. A LASCO, Epistola dedicatoria, in: BULLINGER, Absoluta de sacramentis tractatio, *2r–*4v; a Lasco an Bullinger, 10.4.1551, KUYPER II, 648 (Nr. 73). 413 Vgl. HBTS 3/2, 875,1–879,11 (Fassung in den Dekaden) mit aaO., 957,5–966,22 (von a Lasco gedruckte ursprüngliche Fassung). 414 Vgl. u. Kap. III.2.4a. 415 Das Titelblatt vermerkt nur „An. 1552“ (KUYPER I, 97), und auch die Vorreden sind nicht datiert. Terminus ante quem ist Bruchsals Brief an Westphal vom 10.8.1552, dem er ein Exemplar beilegte (vgl. u. Kap. III.2.2b). Zu diesem Zeitpunkt lag die Schrift also in Antwerpen bereits vor. Auch Melanchthon in Wittenberg hatte vor dem 20.8. ein Exemplar (vgl. Melanchthon an Major, 20.8.1552, CR 7, 1053 (Nr. 5183) = MBW 6529).

1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

177

Anders als Micron richtet a Lasco seine Schrift auf die innerevangelische Abendmahlsdebatte aus: Schon der Titel kündigt eine Erklärung des Abendmahlsstreits an.416 Die an Eduard VI. gerichtete Widmungsvorrede betont, die päpstliche idololatria sei durch die Reformation beseitigt worden; noch aber gebe es vom Teufel angerichteten Streit. Nachdem sich schon Bucer für eine Einigung eingesetzt habe, sei nun der Consensus Tigurinus geschlossen worden, der sich bis nach Friesland und England verbreitet habe. Er, a Lasco, stimme dem Consensus zu, wolle aber manches klarer erläutern.417 A Lasco proklamiert also den Consensus als Lösung des innerreformatorischen Abendmahlsstreits überhaupt418 und erklärt seine Deutung des Textes für normativ – zumal er betont, mit Gottes Hilfe sei bald eine noch bessere Konkordie zu erwarten, und dies implizit auf das Wirken seiner Gemeinde in England bezieht: Er fordert Eduard VI. auf, die reformatorischen Bemühungen fortzusetzen.419 Die Fremdengemeinde hoffe, dafür ein Beispiel zu geben und zur Reinigung des Königreichs von Sekten und Häresien sowie zur Beilegung des Streits beizutragen.420 Das entspricht der Rolle als Vorbild für die englische Reformation, welche die Fremdengemeinden aus Cranmers und ihrer eigenen Sicht einnehmen sollten – a Lasco möchte Cranmers 1551/52 wieder forcierte421 Bemühungen um evangelische Einigung in seinem Sinne beeinflussen. Hinter a Lascos Schilderung der Londoner Flüchtlingsgemeinde als Vorbild für eine gesamtevangelische Verständigung steht seine in Ostfriesland entwickelte Überzeugung, dass es sich bei der Lehre anderer Strömungen der Reformation um unvollkommene Vorformen der eigenen, wahrhaft reformatorischen Auffassung handle.422 Diese These wird nun durch a Lascos Perspektive auf den Ablauf der Reformation plausibilisiert: Luthers Vorgehen gegen die altgläubige Auffassung wird positiv geschildert.423 Dies wird aber zugleich zum Argument gegen an Luther anknüpfende Theologen, denen a Lasco vorwirft, ihre Auffassung absolut zu setzen: Luther sei für einen Gottesverächter gehalten worden, bis der Betrug der Transsubstantiation erkannt wurde. Genauso werde jetzt verfolgt, wer die natürlich-reale Verbindung von Leib und Elementen angreife. Sobald aber die Wahrheit erkannt sei, würden alle Frommen dankbar sein wie seinerzeit bei Luther.424 Daher möge man ihm seine von 416 KUYPER I, 97: „Brevis et dilucida de sacramentis Ecclesiae Christi tractatio, in qua et fons ipse, et ratio totius Sacramentariae nostri temporis controversiae paucis exponitur”. 417 Vgl. KUYPER I, 99–104. 418 So KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 22 f. 419 Vgl. KUYPER I, 104 f. 420 Vgl. aaO., 106 f. 421 1552 lud er dazu erneut Bullinger, Calvin und Melanchthon ein, vgl. o. Kap. III.1.3a. 422 Vgl. o. Kap. III.1.1b. 423 Vgl. KUYPER I, 99–101. 424 AaO., 113: „initio renascentis in Germania pridem Euangelii Christi plerisque Lutheri omnia fere placebant, si non Papisticam illam transubstantiationem attigisset […] attacta

178 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. einigen Lehrern abweichende Auffassung nicht übelnehmen; Maßstab rechter Lehre sei nach Augustin und Melanchthon allein die Schrift.425 Die Auffassungen einer leiblichen und einer exhibitiven Präsenz Christi im Abendmahl erscheinen im Folgenden auch explizit als unvollkommene Entwicklungsstufen der Reformation: Der Papst habe die Transsubstantiation erfunden.426 Zu deren Bekämpfung sei es zunächst vorteilhaft erschienen, eine naturhaft-reale Verbindung von Leib und Elementen anzunehmen, damit die Sakramente nicht als leere Zeichen erschienen. A Lasco betont, dass die damalige Widerlegung der Transsubstantiation ein beneficium Gottes sei – dieser offenbare sich aus Rücksicht auf die menschliche Schwachheit graduell.427 Aufgrund berechtigter Kritik an der naturhaft-realen Verbindung sei der Gedanke einer unio sacramentalis und diffinitiven Einheit entwickelt worden;428 da auch das nicht alle zufriedenstellte, dann die Idee einer rein durch Handeln des minister bewirkten Verbindung.429 Weil sich auch dies als problematisch herausstellte, sei schließlich das Konzept der unio sacramentalis durch Wirken des Heiligen Geistes gefolgt, die Christus zum Zeugen habe430 – letzteres Modell ist für a Lasco offenkundig der mit seiner eigenen Lehre identifizierte Zielpunkt der reformatorischen Entwicklung. Das entspricht seiner in Ostfriesland entwickelten Perspektive auf abweichende evangelische Auffassungen ebenso wie der Sicht der Flüchtlinge auf die englische Reformation. Noch deutlicher als in der ostfriesischen Zeit erscheint a Lascos Umgang mit anderen reformatorischen Positionen in der Tractatio weder (gemäß der traditionell reformierten Deutung) als irenisch431 noch (gemäß der traditionell transubstantiatione […] Lutherus ipse Divinorum protinus omnium contemptor haberi coepit, donec fucus et impostura transsubstantiationis plenius cognita esset; cum tamen vir ille Dei veram hauddubie dignitatem Sacramento Coenae Dominicae, pro donorum suorum mensura, restituere, magicasque ab illo praestigias omnes propellere modis omnibus conaretur. Ita et nunc nihil non arripitur ad traducendos et proscidendos eos, qui agnoscere nolunt realem illam substantiae corporis et sanguinis Christi naturalis cum coenae Dominicae elementis connexionem. Sed, quemadmodum Lutheri doctrina plausibilior est visa post detectum fucum transubstantiationis, ita nostram quoque doctrinam post agnitam connexionis istius superstitionem gratam piis omnibus fore haudquaquam dubitamus.“ 425 Vgl. aaO., 110 f. 426 Vgl. aaO., 144 f. 427 Vgl. aaO., 145. 428 Vgl. aaO., 146, zu Luthers entsprechender Position o. Kap. II.2.2b. 429 Vgl. KUYPER I, 146 f., zu Bucers entsprechender Haltung o. Kap. II.3.3 und II.5.3. 430 KUYPER I, 147: „ne haec quidem doctrina probari adhuc omnibus potuit, […], aliaque rursum doctrina tradita est de Sacramentali unione, nempe unionem Sacramentalem consistere, non in connexione ulla reali signatorum cum elementis, neque item in operis ministrorum efficacia ulla aut dignitate, sed in spiritus sancti, nostro ministerio assistentis, opere divino, quem Christus alioqui Dominus assiduum suum habet testem glorificatorem et cooperarium in omni sua doctrina et institutione.“ 431 Vgl. in diesem Sinne etwa NAUNIN, Zur Laski-Kontroverse, 18–33.

1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

179

lutherischen Deutung) als Provokation und Fehldeutung:432 Die Lehrauffassungen der Wittenberger und Straßburger Reformation werden vielmehr zugleich gewürdigt und theologisch überboten. Damit erhebt a Lasco einen für Westphals Seite höchst problematischen Anspruch auf gesamtreformatorisch normative Geltung seiner eigenen Auffassung: Eben das Verständnis leiblicher Präsenz Christi im Abendmahl, das sie durchzusetzen versucht, wird bei ihm als unvollkommene Form von Reformation gekennzeichnet. Auf theologischer Ebene wird in der Tractatio die aus der ostfriesischen Zeit bekannte Position ausgebaut433 und systematisch aus einem allgemeinen Sakramentsverständnis hergeleitet:434 Das sacramentum umfasse sowohl signum externum als auch signatum bzw. mysterium, aber beides dürfe nicht vermischt werden.435 Wie Bullinger bezieht a Lasco das Wirken des minister allein auf das signum; das signatum wird ihm zufolge allein durch Gott bewirkt.436 Das mysterium bestimmt er unter Bezug auf 1 Kor 10,16 als communio an Leib und Blut Christi437 und nennt als Zweck der Sakramente die Besiegelung dieser Christusgemeinschaft.438 All das wird in einer Definition zusammengefasst,439 aus der a Lasco ableitet, welche Sakramente anzuerkennen seien: im Alten Bund Beschneidung und Passa, in der Kirche Taufe und Abendmahl.440 Gegenüber a Lascos bisheriger Position vertieft wird in der Tractatio insbesondere die Argumentation für a Lascos passives Verständnis der communio als Anteilhabe, aus dem er seine Abgrenzung gegen andere reformatorische 432

Vgl. KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 78–81. So beurteilt den Sachverhalt auch ZWIERLEIN, Der reformierte Erasmianer, 67. 434 HEIN, Sakramentslehre des Johannes a Lasco, 107, und RODGERS, John a Lasco in England, 111 f, versuchen aufgrund der Angabe in der Vorrede (vgl. o.) fünf thematisch geschlossene Vorlesungen zu rekonstruieren. Folgt man a Lasco eigenen Bemerkungen an den Abschnittsübergängen und seinen Aussagen zum Aufbau (vgl. KUYPER I, 118 f.) ergibt sich allerdings eine komplexere Gliederung: [Allgemeine Sakramentslehre:] 1. vox sacramenti (119–128), 2. sacramenta in genere (128–133), 3. partes: a) signa (133–140), b) mysterium (140–144), c) unio sacramentalis (144–164); 4. finis (164–167), 5. definitio (167– 173). [Die einzelnen Sakramente:] 1. circumcisio (173–179), 2. Passa (179–182), 3. baptismus (182–189), 4. coena Domini (190–233). 435 Vgl. KUYPER I, 119–128. 436 Vgl. KUYPER I, 132. 437 Vgl. aaO., 140 f. 438 Vgl. KUYPER I, 164–167. 439 AaO., 167: „Sacramentum igitur est divina ordinatio, quae in ministerio Ecclesiae posita, sic ut ad totam Ecclesiam ordine suo pertineat, habet suum signum visibile, externam videlicet a domino institutam formam seu ceremoniam, et suum item invisibile mysterium nostrae cum Christo nobis donatae communionis in corpore et sanguine ipsius, ut fidem illius animis piorum in Christi Ecclesia infigat totamque adeo Ecclesiam in fide atque perpetua illius fruitione ita obsignet, ut vere et ex animo in ea conquiescat conscientiae suae iam pacificatae testimonio, et affectuum innovatione illam officiorumque sedulitate exprimat et contestetur.“ 440 Vgl. aaO., 167–173. 433

180 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. Positionen herleitet. Aus diesen Abschnitten sollte Westphal ausführlich zitieren:441 zum einen, weil hier für a Lasco spezifische Argumente vorliegen, die es ermöglichten, seine Position als different gegen die Ansichten Bullingers, Calvins oder Vermiglis auszuspielen, zum anderen, weil Westphal in diesen Abgrenzungen Belege für den zürcherischen und aus seiner Perspektive häretischen Charakter von a Lascos Lehre sah. A Lasco erläutert seine These, dass die communio mit Christus beim Abendmahl nicht aktiv als communicatio des Leibes Christi zu verstehen sei – wie es in der These einer Transsubstantiation der Elemente, in der Annahme einer natürlich-realen Präsenz Christi in ihnen und in einem exhibitiven Verständnis vorausgesetzt werde – sondern passiv als Anteilhabe der Glaubenden an Christus, zunächst mit biblischen Argumenten: Paulus spreche in 1 Kor 10,17 nicht von einer Austeilung des Leibes. Zudem sei die communio mit Christus bereits in den Sakramenten der Israeliten gegeben, also zu einem Zeitpunkt, zu dem Christus noch gar keinen austeilbaren menschlichen Leib hatte.442 Seine These, dass das Wort communio passiv gebraucht werden könne, stützt a Lasco weiter durch den Hinweis, dass der Begriff κοινωνία juristisch für eine Gütergemeinschaft gebraucht werde.443 Angewandt auf die Christusgemeinschaft führt das zu der Frage, ob Leib und Blut von Christus oder von den Menschen in die Gütergemeinschaft eingebracht würden. Dies beantwortet a Lasco so, dass Christus die Substanz von Leib und Blut in der Inkarnation von den Menschen erhalten habe, die Gläubigen hingegen deren qualitas von ihm erhielten: das durch Kreuz und Auferstehung erworbene meritum.444 Da Christus in den Einsetzungsworten von seinem in den Tod gegebenen Leib spreche, müsse die communio im Abendmahl auf letzteres bezogen sein, also nicht als aktive Austeilung einer Substanz, sondern als passive Anteilhabe an meritum und qualitas zu verstehen sein.445 Auf Basis dieser 441

Vgl. u. Kap. III.2.4a. Vgl. KUYPER I, 149 f. 443 AaO., 148: „Iurisconsulti societatem super rerum aliquarum communione initam κοινωνίαν appellant, estque titulus apud illos, περὶ κοινωνίας, hoc est, de inita super rerum communione societate, sive eum, qui communionem deferat, sive illos, qui in eam vocati sint, intueamur; et qui eiusmodi societatis participes sunt, κοινωνοί vocantur.“ Zum juristischen Hintergrund dieser Aussagen vgl. ZWIERLEIN, Der reformierte Erasmianer, 80–82. 444 KUYPER I, 151–160, bes. aaO., 160: „substantiam ipse duntaxat carnis nostrae a nobis ex matre sua virgine in sua nobiscum communione accepit; nobis vero de suo vicissim ad eandem ipsam communionem detulit propriam sibi alioqui soli corporis et sanguinis sui qualitatem, sic ut per hanc nostram cum ipso in qualitate corporis et sanguinis sui communionem tam innocentes iusti et sancti esse censeamur in conspectu Patris Dei, quam ipsemet Christus Dominus innocens iustus et sanctus in carne nostra apud Patrem suum habetur.“ Vgl. zu dieserr Argumentation ZWIERLEIN, Der reformierte Erasmianer, 84–86. 445 AaO., 154: „Ita sane Christus ipsemet D. in caena sua de corpore suo loquitur, non quatenus incarnatus esset, sed quatenus iam iam esset moriturus. Et Paulus Apostolus caenam Domini non sane incarnationis, sed mortis dominicae rememorationem esse docet, ut intelligamus, coenae dominicae verbis communionem nobis in corpore et sanguine Christi 442

1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

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Überlegungen kann a Lasco im Folgenden allen Ansichten, die von einer Gabe der Substanz des Leibes Christi ausgehen, vorwerfen, sie widersprächen der Natur der Sakramente.446 Das wird in Forschungsthesen betont, welche die Lehre der Tractatio als zürcherisch und antilutherisch kennzeichnen.447 Gleichzeitig betont a Lasco aber, auch die von ihm vertretene passive communio setze voraus, dass die Gläubigen an Leib und Blut Christi tatsächlich Anteil haben. Diesen Vorgang kann er sogar als exhibitio beschreiben – aber deren Subjekt ist nicht der austeilende Pfarrer, sondern allein Christus. A Lasco zufolge nährt dieser die Glaubenden beim Gebrauch der Sakramente mit seinem Leib und Blut, und zwar nach dem inneren Menschen, der dazu vom Heiligen Geist mittels Glauben in den Himmel gezogen wird.448 Dem korrespondiert, dass a Lasco von einer unio des Zeichens mit der Sache sprechen kann, die durch den Heiligen Geist bewirkt ist.449 Möglicherweise schlagen sich hier seine Gespräche mit Bucer nieder;450 jedenfalls aber kann a Lasco sich dadurch gegen den Vorwurf verteidigen, in seinem Verständnis seien die Sakramente leer: Er gehe von einer durch Glauben bewirkten fruitio des Leibes Christi und von einer Versiegelung der Seelen aus.451 Dieser Aspekt wird in der älteren reformierten Literatur als Beleg dafür angeführt, dass a Lasco in der Tractatio D. commendari, non iuxta substantiam ipsorum naturalem, quam ille nobis multo antea propriam in instituenda sua nobiscum communione a nobis, ut dictum est, ex matre virgine accepit, – sed iuxta id, quod ipse de suo proprio contulit ad eam ipsam communionem, iuxta meritum inquam passionis ac mortis suae et gloriam admirandae suae resurrectionis.“ 446 Vgl. aaO., 162 f. 447 Vgl. KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 73–78, mit der Folgerung: „Die Tractatio giebt den Erweis, dass a Lasco sich mit Recht Zwingli zuzählen durfte“ (aaO., 77). Ähnlich, wenngleich weniger differenziert argumentiert HALL, BASIL, John a Lasco, in: Ders., Humanists and Protestants 1500–1900, Edinburgh 1990, 171–207, hier 195. 448 AaO., 151: „Neque vero ideo, quod vocem communionis passive accipiendam esse dicimus, ipsam corporis et sanguinis Christi exhibitionem excludimus ab usu nostrorum sacramentorum. Quae enim esset societas ususque communionis, si id non haberetur, in quo communionem habemus? ac rursum quomodo haberetur, si non exhiberetur? […] sed eam exhibitionem positam esse dicimus non in ministri opere, ministerii etiam sui nomine, ut ille videlicet suis manibus in ipsis Sacramentorum elementis, aut cum illis, distribuat naturale corpus et sanguinem Christi, sed in ipsiusmet Christi Domini opere, qui subvectis fide per spiritum suum nostris in caelum cordibus iuxta interiorem in nobis hominem, corpore nos ipsemet suo ac sanguine pascit ad vitam aeternam in usu legitimo suorum Sacramentorum.“ 449 Vgl. aaO., 147. 450 So die These von POLLET, JACQUES, Études sur les relations de Bucer avec les PaysBas, l’Electorat de Cologne et l’Allemagne du Nord, avec de nombreux texts inedits, 2 Bde., Leiden 1985 (SMRT 33–34), 280–289. 451 KUYPER I, 205 f: „Et in coena igitur Dominica […] complectimur non tantum significationem communionis nostrae cum Christo Domino in corpore et sanguine ipsius, sed perpetuam simul etiam communionis illius durationem, fruitionem animorumque nostrorum in illa obsignationem. Unde sane perspicuum est, magnam nobis inferri iniuriam ab iis, qui nos signum coenae dominicae nudum atque ociosum facere hactenus putarunt.“

182 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. eine der Auffassung Calvins entsprechende, „wirksame Gegenwart“ Christi in den Sakramenten vertrete und eine „Mittelstellung“ zwischen substantialpräsentischem und rein signifikativem Verständnis einnehme.452 Wie die neuere Forschung in kritischer Auseinandersetzung mit beiden konfessionstheologischen Perspektiven nachgewiesen hat, handelt es sich aber bei a Lascos Aussagen um die konsequente Weiterführung seiner in Ostfriesland entstandenen eigenständigen Anschauung,453 die weder der Lehre Calvins noch derjenigen Zwinglis völlig entspricht,454 sondern sich auf dem dogmatischen Spektrum zwischen Calvin und Bullinger bewegt: Die antiexhibitive Ausrichtung unterscheidet sie von Calvins, die Betonung des Geistwirkens von Bullingers Position.455 Insofern leuchtet ein, dass a Lasco sie im zwischen Calvin und den Zürchern geschlossenen Consensus Tigurinus wiederfindet: Auch dort war es der Gedanke einer durch den Heiligen Geist bewirkten und im Himmel verorteten spiritualis manducatio des Leibes Christi, auf den man sich hatte einigen können.456 Während dort aber offen geblieben war, ob dies exhibitiv oder nicht-exhibitiv zu verstehen sei, erklärt a Lasco in der Tractatio sein anti-exhibitives Verständnis zur normativen Interpretation.457 Erst recht sah sich Westphals Partei schließlich davon angegriffen, dass a Lasco aus seiner Definition der Sakramente gleichzeitig eine gesamtreformatorische Übereinstimmung in den Kerngedanken und eine Widerlegung abweichender Auffassungen ableitete – den Anhängern anderer reformatorischer Positionen also faktisch vorwarf, dass ihre Lehre der von ihnen selbst geteilten Kernüberzeugung widerspreche und sie daher für den Abendmahlsstreit verantwortlich seien. Vor allem geschieht das anhand der Einsetzungsworte: A Lasco leitet aus den Einsetzungsworten her, dass das mysterium beim Abendmahl die communio an Leib und Blut Christi sei.458 Wie in seinen ostfriesischen Texten betont er, dass über dieses mysterium innerevangelisch Einigkeit bestehe – umstritten sei nur dessen Verhältnis zu den signa. Darüber solle nicht die Kirchengemeinschaft zerrissen werden.459 Zugleich aber leitet a Lasco aus seinem communio-Verständnis her, dass mit corpus meum keine Substanz gemeint sein könne, sondern nur die passive Anteilhabe an Christi Leib.460 Nur 452

So HEIN, Sakramentslehre des Johannes a Lasco, 107–165, vgl. bes. aaO., 120 f. Vgl. ZWIERLEIN, Der reformierte Erasmianer, 67.80–87. 454 Dies betont für a Lascos Sakramentslehre der englischen Zeit (mit Schwerpunkt auf der Forma ac ratio) auch BECKER, Gemeindeordnung und Kirchenzucht, 17; 47–54. 455 Vgl. RODGERS, John a Lasco in England, 124–126. 456 Vgl. o. Kap. III.1.2c. 457 Vgl.o. 458 Vgl. KUYPER I, 202. 459 Vgl. aaO., 231 f. 460 AaO., 206: „in coenae dominicae verbis corporis nomen accipimus, non pro ipsa corporis substantia, sed pro iure ac societate seu communione corporis Christi. Et, ut id ita faciamus, iustas nobis rationes, ex ipsis scripturis petitas, non deesse putamus. […] Christus 453

1.3 Die englische Reformation unter Eduard VI. und Cranmer (1547–52)

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diese Deutung der Einsetzungsworte stimme mit der (von a Lasco durch die communio definierten) Natur der Sakramente überein.461 Dementsprechend erhebt a Lasco den Vorwurf, die Lesarten der Einsetzungsworte, die in den Auffassungen einer Transsubstantiation, einer real-natürlicher Verbindung und einer durch den minister bewirkten unio impliziert seien, verstießen gegen die Natur der Sakramente: Sie gingen von einer Austeilung der Substanz Christi statt von passiver Anteilhabe der Glaubenden an seinem Verdienst aus und führten deshalb auf logische Widersprüche. So sei eine natürliche Verbindung von Brot und Leib unvereinbar mit der Anwesenheit des noch nicht gekreuzigten Christus bei der Einsetzung; die substantiale Präsenz widerspreche zudem der Wahrnehmung durch den Glauben (die sich nach Hebr 11,1 auf nach der Substanz Abwesendes beziehe).462 Die anderen reformatorischen Auffassungen würden zudem entgegen ihrer Absicht, von papistischer idololatria zu befreien, diese ermöglichen: Wenn der Leib Christi real vorhanden sei, müsse er aufgrund der Personeinheit von Gott und Mensch auch anzubeten sein.463 Damit gilt für a Lasco als erwiesen, dass seine eigene Lehre der Schrift, den Einsetzungsworten und der Natur der Sakramente gemäß ist.464 Den anderen evangelischen Auffassungen wird hingegen vorgeworfen, von dieser Natur abzuweichen und neue Lehren zu vertreten, die den Abendmahlsstreit ausgelöst hätten und die Einheit der Kirche zerrissen.465 Das entspricht a Lascos eingangs ausgeführter Perspektive, dass seine eigene Lehre D. nullam facit substantiae corporis sui mentionem in verbis suis. Non enim ait: Hoc est substantia corporis mei, sed ait duntaxat: Hoc est corpus meum, ut sive substantiam ipsam, sive sacramentum sub corporis nomine intelligere velimus, id nos utrunque ex nostra interpretatione adferre oporteat.“ 461 Vgl. aaO., 205–208. 462 Vgl. aaO., 212–220. 463 AaO., 224: „quemadmodum haec sola de reali corporis Christi in coenae elementis praesentia imaginatio maximam hauddubie omnis Papisticae idololatriae occasionem praebuit, ita haec doctrina etiam non prorsus nos adhuc ab ea idololatria liberare posse videtur. Etenim corpus Christi Domini ubi ubi est, adorandum plane est propter personalem atque identicam, ut vocant, Dei et hominis in illo unionem, iuxta quam in Christo Domino et eius corpore omnis plenitudo divinitatis corporaliter inhabitat. Si igitur Christi corpus naturale cum inhabitante in se omni divinitatis plenitudine ita aut elementis coenae ipsis, aut ministri operi unitur, ut vel pani ipsi realiter insit, vel manibus ministri distribuatur omnino, – adorari illud certe oportebit“. 464 Vgl. ausdrücklich etwa aaO., 231. 465 AaO., 220 f.: „Nos enim clare et perspicue interpretationem nostram in eiusdem generis loquutionibus per singula sacramenta ordine suo approbavimus iuxta scripturas. Ostendimus item, illam cum natura ac institutione omnium sacramentorum consentire, et respondere omni ex parte analogiae fidei […]. Quae interim omnia in istorum interpretationibus et variis et novis, denique et coactis cogimur desiderare. […] istae eorum interpretationes cum natura sacramentorum non consentiant, […] fidei Analogiae non respondeant, […] Sed, cum neque necessitas ulla doctrinae huius omnino, neque item utilitas, commonstrari in scripturis possit – imo, cum facile doceri possit, doctrinam hanc non modo non esse utilem,

184 III.1 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Calvin, a Lasco u.a. den Zielpunkt eines allmählichen Reinigungsprozesses darstelle – und somit die normative Grundlage einer potentiellen evangelischen Einigung. Neben einer Verwendung für Cranmers Bemühungen in England scheint a Lasco auch die Lektüre der Tractatio durch Wittenberger Reformatoren wichtig gewesen zu sein: So sandte er sie umgehend an Melanchthon. Dieser berichtete Georg Major am 20.8.1552 davon und versprach, ihm den Text und a Lascos Brief zukommen zu lassen – freilich, ohne sich auf eine Bewertung von a Lascos Konzept festzulegen.466 Etwa um die gleiche Zeit lag die Tractatio Alexander Bruchsal in Antwerpen vor, der sie an Westphal und Alber sandte.467

1.4 Ergebnisse 1.4 Ergebnisse

In den zu Streitbeginn von Westphals Partei attackierten Schriften Calvins, a Lascos, Vermiglis und weiterer Theologen zeigen sich mehrere Aspekte, die sowohl für die spätere reformierte Konfessionsbildung als auch für die Angriffe von Westphals Seite wichtig waren: Alle diese Akteure vertreten Abendmahlstheologien, die mit ihrem Verständnis geistlicher Präsenz Christi zwischen der klassischen Zürcher und Straßburger Position stehen – und damit zwischen einer seitens der Wittenberger Reformation verketzerten und einer dort als rechtgläubig anerkannten Haltung. Dabei lehnen die Autoren in Übereinstimmung mit der klassischen Zürcher Position eine substantial-leibliche Präsenz von Christi menschlicher Natur im Abendmahl ab, worin Westphals Partei eine häretische Position erblicken sollte. Zugleich aber sind die hier vertretenen Konzepte für Straßburger Gedanken anschlussfähig und damit nicht klar gegen die Wittenberger Reformation abgegrenzt. Das Konzept geistlicher Präsenz ist nämlich offen genug, um einen Großteil des Zürich-Straßburger reformatorischen Spektrums integrieren zu können: von der straßburgisch geprägten exhibitiven Mitteilung Christi an die Gläubigen mittels des Abendmahls bei Calvin über die Positionen Vermiglis und a Lascos bis zur nicht an den Abendmahlsvorgang gebundenen, allein durch freies Wirken des Geistes hervorgerufenen Parallelität von geistlichem und leiblichem Vorgang bei Bullinger. Diese Pluralität schlug sich im Streit nicht ne dicam necessariam, sed multa praeterea secum adferre incommoda etiam, multa item absurda gignere et pugnas praeterea in scripturis inevitabiles serere, – res profecto mira prorsusque dolenda est, quod eam a quibusdam ita mordicus retineri tantaque pertinacia defendi videmus, adeoque et tanti fieri, ut propter illius controversiam alii alios proscindant ac diris omnibus devoveant, mutuamque Ecclesiarum societatem non sine gravissima offensione multorum Evangeliique adeo ipsius infamia disrumpant.“ 466 Melanchthon an Major, 20.8.1552, CR 7, 1053 (Nr. 5183) = MBW 6529: „Lascius misit scriptum περὶ δείπνου Κυριακοῠ […] Curabo […] ut huc mihi mittatur libellus ille cum literis, et ut ad te perferatur.“ 467 Vgl. u. Kap. III.2.2b.

1.4 Ergebnisse

185

nur in verschiedenen Argumentationsstrategien nieder; Westphals Partei sollte sie auch polemisch ausnutzen. Jedoch ermöglichte das Konzept geistlicher Präsenz den Attackierten, einander gegenseitig im Sinne der jeweils eigenen Position zu deuten – ein ebenso für die Entwicklung einer gemeinsamen Identität wie für die Verteidigung gegen Westphals Seite wichtiger Aspekt. Diese Tendenz verbindet sich mit dem Anspruch auf gesamtreformatorisch normative Geltung nicht nur für die Zürcher und Straßburger, sondern auch für die Wittenberger Reformation: bei straßburgisch geprägten Konzepten (Calvin und Vermigli) in dem Sinne, dass die seit der Wittenberger Konkordie anerkannte Übereinstimmung mit Wittenberg unbeschadet der jetzigen Einigung mit Zürich weiter vorhanden sei – das setzt eine Deutung der Wittenberger wie Zürcher Lehre im Sinne der eigenen, normativ gesetzten Position voraus. A Lasco argumentiert eher in dem Sinne, dass Wittenberger und Straßburger Theologie unvollkommene Vorstufen seiner eigenen, wahrhaft reformatorischen Lehre darstellten – die in seiner Deutung im Consensus Tigurinus niedergelegt ist. In beidem sollte Westphals Partei Versuche sehen, ihre Theologie auch im Kontext der Wittenberger Reformation zu verdrängen. Schließlich erlangten die geschilderten reformatorischen Konzepte um 1550 herum zunehmend Einfluss in Europa – nicht nur in der Eidgenossenschaft, sondern auch in England unter Eduard VI. und Cranmer, ferner in den evangelischen Untergrundkirchen Frankreichs und der Niederlande. Dieser Erfolg beförderte ebenso den Anspruch der verantwortlichen Theologen, das normative Konzept von Reformation zu vertreten, wie er bei Westphals Partei die Befürchtung verstärkte, dass solche Konzepte sich auch im eigenen Umfeld verbreiten könnten. Diese Befürchtung hängt zugleich mit den reformatorisch normativen Ansprüchen zusammen, die sie ihrerseits im Kontext des Interims und der innerwittenbergischen Streitigkeiten entwickelt hatte.

Kapitel III.2

Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche bei Westphal und seinem theologischen Netzwerk Gleichzeitig mit Calvin, Vermigli, a Lasco und deren Kollegen entwickelte auch Joachim Westphals spätere Streitpartei den Anspruch, die reformatorisch normative theologische Position zu vertreten: Im Widerstand gegen das Augsburger Interim bildeten sich Netzwerke unter den Pfarrern diverser Reichs- und Hansestädte heraus. Deren Mitglieder verstanden sich im Zuge des Adiaphoristischen Streits (und weiterer Lehrkontroversen) zunehmend als Verteidiger des Wittenberger reformatorischen Erbes gegen eine Übermacht von Häresien. Diese Wahrnehmung übertrugen sie auch auf abweichende Abendmahlslehren. Zudem stellte es in ihren Augen eine Bedrohung für die reformatorisch verbindliche Geltung ihrer eigenen Lehre dar, dass Calvin, a Lasco oder Vermigli die Wittenberger Reformation in ihre normativen Ansprüche einbezogen – eine Befürchtung, die durch den Erfolg dieser Auffassungen in England, Frankreich und den Niederlanden noch verstärkt wurde. Als Westphal und seine Mitstreiter schließlich vom Consensus Tigurinus, von Vermiglis Oxforder Disputation und von a Lascos Tractatio de sacramentis erfuhren, verfassten sie Streitschriften gegen diese Texte und stellten ihren eigenen reformatorisch normativen Anspruch gegen denjenigen Vermiglis, a Lascos und Calvins. Insofern sind die ersten Streitschriften von Westphals Partei bereits Resultat eines Prozesses evangelischer Identitätsbildung, der sich im Abendmahlsstreit fortsetzen sollte. Die Beschäftigung mit diesem Prozess zeigt zugleich, dass die in der Forschung gängige Konzentration allein auf Westphals Farrago und Recta fides zu kurz greift:1 Zwar waren diese Streitschriften die wirkmächtigsten. Jedoch ist in Westphals Umfeld eine Reihe vergleichbarer Äußerungen nachweisbar, die teils lediglich aus historisch kontingenten Gründen weniger einflussreich wurden. Westphal agierte von Anfang an nicht allein, sondern 1 So etwa bei MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 19–23; SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 146–152; KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 81 f.; TSCHACKERT, PAUL, Die Entstehung der lutherischen und der reformierten Kirchenlehre samt ihren innerprotestantischen Gegensätzen, Nachdruck Göttingen 1979 (= 11910), 531 f. Auch in Darstellungen, die Westphals Hintergrund im Kreise der Interimsgegner betonen, werden normalerweise konkret nur Westphals Schriften behandelt (vgl. etwa STÄHELIN, Johannes Calvin II, 205 f.). NEUSER, Dogma und Bekenntnis, 274, nennt daneben Bruchsals Briefe, aber ebenfalls ausschließlich im Sinne eines Hintergrunds für Westphals Texte.

188 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk eingebunden in ein Netzwerk, das Informationen austauschte und sich eng absprach. Gleichzeitig wenden sich die Texte an unterschiedliche Zielgruppen und lassen erkennen, dass es bei dieser Streitpartei ebenfalls eine gewisse argumentative Pluralität gab: von den Äußerungen zu Interim und Adiaphoristischem Streit über die sakramentstheologischen Befürchtungen Erasmus Albers und Alexander Bruchsals sowie die niederdeutschen Polemiken Albers und Joachim Magdeburgs bis zu Westphals und Albers großen Streitschriften.

2.1 Theologische Netzwerke und normative Ansprüche (1548–50) 2.1 Theologische Netzwerke und normative Ansprüche

Spielte das Interim von 1548 für die spätere Gegenpartei eher die Rolle eines äußeren Bedrohungsfaktors,2 hatte es für die Vernetzung und Identitätsbildung von Westphals Streitpartei ähnlich große Bedeutung wie für die Kontroversen innerhalb der Wittenberger Reformation:3 Fast alle späteren Mitstreiter Westphals gehörten zum Kreis städtischer Interimsgegner, die in der Auseinandersetzung mit dem Interim und im folgenden Adiaphoristischen Streit4 den Anspruch entwickelten, dass ihre eigene Haltung als einzig angemessene Auslegung der Lehre Luthers und daher als reformatorisch normativ zu gelten habe. Diese Theologen entwickelten untereinander ein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit, im Verhältnis zu anderen reformatorischen Positionen scharfe Abgrenzungen. Zudem begann sich eine Streitkultur5 herauszubilden, deren Gattungen und Argumentationsstrategien im Abendmahlsstreit wieder begegnen. a) Netzwerke der Interimsgegner Der Protest gegen die Einführung des Augsburger Interims war zentral für die Vernetzung von Westphals späterer Streitpartei. Die Strukturen des Netzwerks erklären auch, warum Westphal und die Hamburger Pfarrerschaft im Abendmahlsstreit eine Führungsrolle einnehmen konnten: Fast alle Mitstreiter Westphals engagierten sich im Umfeld reichs- und hansestädtischer Interimsgegner; neben Magdeburg war Hamburg ein Zentrum dieses Theologennetzwerks.

2

Vgl. o. Kap. III.1.2a. Vgl. zur Bedeutung für die innerwittenbergischen Debatten DINGEL, IRENE, Historische Einleitung, in: Die Reaktionen auf das Augsburger Interim, C&C 1, Göttingen 2008, 3–32. 4 Zur Differenzierung zwischen den Stellungnahmen gegen das kaiserliche Augsburger Interim und dem Adiaphoristischen Streit als Auseinandersetzung zwischen verschiedenen evangelischen Haltungen vgl. DINGEL aaO., 14; KAUFMANN, THOMAS, Protestantische Bekenntnisbildungen, in: Ders. / Raymund Kottje (Hg.), Ökumenische Kirchengeschichte, Bd. 2: Vom Hochmittelalter bis zur frühen Neuzeit, Darmstadt 2008, 340–355, hier 342. 5 Vgl. zu diesem Begriff DINGEL, Streitkultur und Kontroversschrifttum. 3

2.1 Theologische Netzwerke und normative Ansprüche

189

Die Konzentration evangelischer Interimsgegner in Reichs- und Hansestädten hängt damit zusammen, dass ihre Opposition dort politisch geduldet wurde: Nach seinem Sieg über den Schmalkaldischen Bund versuchte Kaiser Karl V. 1548, das Augsburger Interim als Reichsgesetz durchzusetzen. Dieses basierte zwar auf Vermittlungstheologie, spitzte sie aber im altgläubigen Sinne zu. Priesterehe und Laienkelch wurden erlaubt, aber es wurde die (Wieder-)Einführung von Zeremonien verlangt, die im altgläubigen Kontext üblich waren. Zudem galt der Erlass nur für evangelische Territorien; denen die Annahme teils militärisch aufgezwungen wurde.6 Theologen, die diese Bestimmungen ablehnten, suchten daher Rückhalt in Kontexten, in denen die Einflussmöglichkeiten des Kaisers geringer waren. Im Falle von Westphals späteren Mitstreitern waren dies vor allem nord- und ostdeutsche Reichs- und Hansestädte. Zum besonders wirkmächtigen Kreis der Interimsgegner in Magdeburg gehörten mehrere spätere Unterstützer Westphals: Erasmus Alber war aufgrund des Schmalkaldischen Kriegs dorthin geflohen;7 Nikolaus Gallus war zuvor in Regensburg gegen das Interim aufgetreten, hatte dann aber 1549 auswandern müssen, nachdem die Stadt zur Annahme gezwungen worden war.8 Zusammen mit Matthias Flacius und Nikolaus von Amsdorf (die sich nur am Rande zum Abendmahlsstreit äußern sollten9) traten sie in zahlreichen Publikationen gegen das Interim auf.10 Matthäus Judex, ab 1549 Konrektor des Magdeburger Gymnasiums, beteiligte sich zwar nicht aktiv daran, bewegte sich aber im gleichen Umfeld und teilte die Haltung der anderen örtlichen Theologen.11 Die wendischen Hansestädte Hamburg, Lübeck und Lüneburg beauftragten ihre Geistlichen mit einer Stellungnahme zum Interim , die unter Federführung des Hamburger Superintendenten Johann Aepin erarbeitet wurde und die dortigen Regelungen theologisch klar zurückwies.12 Auch Westphal, seit 1541 6

Für den Forschungsstand zum Interim vgl. RABE, HORST, Zur Entstehung des Augsburger Interims 1547/48, in: ARG 94 (2003), 6–104, sowie die folgenden Sammelbände: SCHORN-SCHÜTTE, LUISE (Hg.), Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt, Gütersloh 2005 (SVRG 203); DINGEL / WARTENBERG (Hg.), Politik und Bekenntnis. Zur älteren Forschung vgl. den Überblick bei MEHLHAUSEN, Augsburger Interim. 7 Vgl. SCHNORR VON CAROLSFELD, FRANZ, Erasmus Alberus. Ein biographischer Beitrag zur Geschichte der Reformationszeit, Dresden 1893, 85–129; KÖRNER, EMIL, Erasmus Alber. Das Kämpferleben eines Gottesgelehrten aus Luthers Schule, nach den Quellen dargestellt, Leipzig 1910 (QDGR 15), 112–130. 8 Vgl. VOIT, HARTMUT, Nikolaus Gallus. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte der nachlutherischen Zeit, Neustadt (Aisch) 1977 (EKGB 54), 62–139. 9 Vgl. u. Kap. V.1.1c und V.1.5e. 10 Vgl. eingehend zur Bedeutung Magdeburgs für die Interimsdebatten und zum dortigen Theologenkreis KAUFMANN, Ende der Reformation; MORITZ, Interim und Apokalypse. 11 Zu seiner Person vgl. JUNGHANS, HELMAR, Art. Judex, Matthias, NDB 10, 639; zu seiner Rolle in Magdeburg KAUFMANN, Ende der Reformation, 162 Anm. 11; 232 Anm. 34. 12 Vgl. dazu HAUSCHILD, WOLF-DIETER, Zum Kampf gegen das Augsburger Interim in norddeutschen Hansestädten, in: ZKG 84 (1973), 60–81; POSTEL, RAINER, Die Hansestädte

190 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk Pastor an der Katharinenkirche,13 engagierte sich in diesem Sinne.14 Paul von Eitzen kam 1548 nach dem Wittenberger Studium in seine Heimatstadt Hamburg zurück und wurde lector secundarius am Dom.15 Weitere spätere Mitstreiter Westphals wandten sich anderenorts gegen die Einführung des Interims: In Bremen war es Johann Timann, der die Verweigerung der Stadt theologisch untermauerte: 1548 auf einer Synode in Hoya, 1549 dann auch publizistisch.16 In Frankfurt führte Hartmann Beyer den Widerstand der Prediger gegen das Interim an.17 Joachim Magdeburg, der aufgrund der Rekatholisierungsbestrebungen in Braunschweig-Wolfenbüttel seine Stelle verloren hatte, übernahm 1549 die Pfarrstelle in Salzwedel, wo er gegen die Einführung des Interims protestierte.18 Wolfgang Waldner, der 1548 aufgrund seiner evangelischen Ansichten Österreich hatte verlassen müssen, war noch neu in Nürnberg und nahm nicht öffentlich Stellung, knüpfte aber wohl Kontakte zu Flacius und Gallus.19 Nur zwei spätere Parteigänger Westphals sind zu dieser Zeit nicht klar im Kontext der städtischen Interimsgegner zu verorten: Johann und das Interim, in: Luise Schorn-Schütte (Hg.), Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt, Gütersloh 2005 (SVRG 203), 192–204; WARTENBERG, ROXANE, Städtische Theologen und das Interim. Johannes Äpinus in Hamburg, in: Irene Dingel / Günther Wartenberg (Hg.), Politik und Bekenntnis. Die Reaktionen auf das Augsburger Interim von 1548, Leipzig 2006 (LStRLO 8), 97–111. 13 Vgl. GREVE, Memoria Westphali, 17–26. 14 Inwiefern er konkret an der Abfassung der antiinterimistischen Stellungnahme beteiligt war, ist nicht klar festzustellen. Vgl. KUHN, Bekennen und Verwerfen, 48. 15 Vgl. GREVE, Memoria Pauli ab Eitzen, 9 f., BERTHEAU, CARL, Art. von Eitzen, Paulus, ADB 6 (1877), 481–485, hier 482. 16 Vgl. HAUSCHILD, WOLF-DIETER, Der theologische Widerstand der lutherischen Prediger der Seestädte gegen das Interim und die konfessionelle Fixierung des Luthertums, in: Bernhard Sicken (Hg.), Herrschaft und Verfassungsstrukturen im Nordwesten des Reiches. Beiträge zum Zeitalter Karls V., Köln u.a. 1994 (Städteforschung Reihe A 35), 253–264, hier 259 f.; SPRENGLER-RUPPENTHAL, ANNELIESE, Joannes Amsterdamus Bremensis als Kirchenrechtler. Studien zu seinen kirchenordnenden Schriften, insbesondere der Lipper Kirchenordnung von 1538, in: Dies., Gesammelte Aufsätze. Zu den Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts, Tübingen 2004 (JusEcc 74), 448–512, hier 477–480. 17 Vgl. dazu im Einzelnen STEITZ, GEORG EDUARD, Der lutherische Prädicant Hartmann Beyer. Ein Zeitbild aus Frankfurts Kirchengeschichte im Jahrhundert der Reformation, Frankfurt (Main) 1852, 29–52; KAUFMANN, Ende der Reformation, 518. 18 Vgl. KOCH, ERNST, Art. Magdeburg, Joachim, RGG4 5 (2002), 660; BERTHEAU, CARL, Art. Magdeburg, Joachim, ADB 10 (1884), 53–56, hier 53; ausführlicher RAUPACH, BERNHARD, PRESBYTEROLOGIA AUSTRIACA || Oder || Historische Nachricht || von dem || Leben, Schicksalen und Schriften || der Evangelisch-Lutherischen Prediger, || welche || in dem Erz-Herzogthum || Oesterreich unter und ob der Enns […] bis […] A. 1624 und A. || 1627 im ffentlichen Lehr-Ammt gestanden […], Hamburg 1741, VD18 10823816, 103 f. 19 Eindeutig nachweisbar sind diese Beziehungen ab 1554. Vgl. RAMHARTER-HANEL, ANDREA, Die Kontakte und das Netzwerk von Wolfgang Waldner († 1583) in Regensburg, in: JGPrÖ 131 (2015), 44–51.

2.1 Theologische Netzwerke und normative Ansprüche

191

Bötker, der erst 1552 nach Hamburg berufen wurde,20 und Johann Hachenburg, über dessen Leben vor Antritt seiner Erfurter Pfarrstelle wenig bekannt ist.21 Die Interimsgegner knüpften untereinander ein Netzwerk an Kontakten: Einige von ihnen mögen sich bereits vorher gekannt haben, etwa vom Studium in Wittenberg.22 Jetzt tauschten sie sich jedenfalls aus und unterstützten sich gegenseitig: Timanns und Beyers Texte gegen das Interim wurden in Magdeburg gedruckt;23 Beyer und Joachim Magdeburg pflegten Kontakt zu Alber.24 Westphal war im Gespräch mit den Magdeburgern sowie mit Timann;25 er und Aepin trafen Flacius;26 Aepin kommunizierte brieflich mit Beyer.27 Wie diese Verbindungen zeigen, bildete Hamburg neben Magdeburg ein Zentrum des interimsgegnerischen Netzwerks. Das hatte zunächst mit dem inhaltlichen Gewicht der Hamburger Stellungnahme zu tun: Diese setzt sich sehr differenziert mit dem Text des Interims auseinander, lehnt es aber insgesamt als papistisch ab und begründet dagegen ausführlich die Orthodoxie der eigenen Lehre.28 Die Argumente sind dabei durchaus eigenständig: Während die Magdeburger die Wiedereinführung altgläubiger Zeremonien mit der Begründung ablehnten, dass es sich im casus confessionis nicht um Adiaphora 20 SCHRÖDER, HANS, Lexikon hamburgischer Schriftsteller bis zur Gegenwart, 8 Bde., Hamburg 1851–1883, hier Bd. 1, 315 f., geht von einer Berufung am 3. Januar 1522 nach der Wittenberger Magisterpromotion aus. Die Wittenberger Matrikel verzeichnet nun aber erst am 28.5.1546 „Johannes Botticher Hamburgensis“ (Album Academiae Vitebergensis 1, 240). Dazu passt die Angabe in der Pfarrerliste von St. Jacobi: „M. Johannes Bœdecker, 1552. 3. Jan. Viteberga vocatus“ (abgedruckt bei FABRICIUS, JOHANN ALBERT, MEMORIAE || HAMBURGENSES || […], 6 Bde., Hamburg 1710–1745; hier Bd. 2, 883), was insofern plausibel ist, als Bötkers Vorgänger Melchior Gartze im April 1551 entlassen wurde (vgl. ebd.). Das lässt einen Lesefehler Schröders vermuten, der Fabricius als Quelle angibt. 21 Zu seiner Person und zur Verortung in Erfurt im Jahre 1557 vgl. u. Kap. V.1.2b. 22 So die Vermutung von KOLB, ROBERT, Matthaeus Judexʼs Condemnation of Princely Censorship of Theologiansʼ Publications, in: ChH 50 (1981), 401–414, hier 401. In der Tat sind für viele spätere Mitstreiter Westphals in den 1530er und 1540er Jahren Aufenthalte in Wittenberg belegt (vgl. GREVE, Memoria Westphali, 5–17; STEITZ, Hartmann Beyer, 7–12; VOIT, Nikolaus Gallus, 17–27; KÖRNER, Erasmus Alber, 6–15; GREVE, Memoria Pauli ab Eitzen, 5 f.; BERTHEAU, Magdeburg, 53; JUNGHANS, Judex; [für Bötker] Album Academiae Vitebergensis 1, 240). Wer dort wen kennenlernte, ist jedoch in der aktuellen Forschungssituation nicht eindeutig festzustellen, zumal nur von Westphal ein Briefwechsel publiziert ist. 23 Vgl. KAUFMANN, Ende der Reformation, 518; HAUSCHILD, Widerstand der lutherischen Prediger, 259 f. 24 Vgl. SCHNORR VON CAROLSFELD, Erasmus Alberus, 129 f.; 204 f. 25 Vgl. die bei SILLEM I, 96–121, gedruckten Briefe und dazu GREVE, Memoria Westphali, 43–53. 26 Vgl. KAUFMANN, Ende der Reformation, 161 Anm. 10., 164 Anm. 16. 27 Vgl. STEITZ, Hartmann Beyer, 38 f. 28 Der Text ist ediert in C&C 1, 287–479. Vgl. zum Inhalt HUND, JOHANNES / SCHNEIDER, HANS-OTTO, Einleitung, aaO., 277–286; HAUSCHILD, Kampf gegen das Augsburger Interim, 73–77; KUHN, Bekennen und Verwerfen, 47–62.

192 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk handle,29 machten die Hamburger geltend, dass die jetzigen Zeremonien der Erbauung der Kirche dienten und nicht durch solche ersetzt werden dürften, welche die rechte Lehre verdunkelten.30 Der Text wurde von Flacius und Melanchthon als beste Schrift gegen das Interim gelobt, erfuhr acht Nachdrucke und galt am Kaiserhof als besonders gefährlich.31 Insofern überrascht es nicht, dass Interimsgegner wie Alber und Joachim Magdeburg nach Hamburg gingen, als sie ihre bisherigen Wirkungsorte verlassen mussten.32 Von dort aus sollten sie sich an Westphals Seite im Zweiten Abendmahlsstreit engagieren. Im Anschluss an die gemeinsame Stellungnahme zum Interim wurde zudem die seit 1535 bestehende Zusammenarbeit zwischen den Pfarrerschaften der wendischen Hansestädte Hamburg, Lübeck und Lüneburg verstärkt und im Ministerium Tripolitanum institutionalisiert, das sich als theologisch eigenständige Größe innerhalb der Wittenberger Reformation verstand – und in dem die Hamburger die leitende Position einnahmen.33 Vor diesem Hintergrund konnte Westphal auch im Abendmahlsstreit einen Führungsanspruch erheben. Zugleich deteminierten die Allianzen gegen das Interim nicht die Frontstellung des Zweiten Abendmahlsstreits. Die Hamburger Pfarrer kooperierten auch mit einem späteren Streitgegner, der sich ebenfalls gegen das Interim positioniert hatte: Johannes a Lasco besuchte 1549 Aepin in Hamburg und teilte Bekannten mit, er sei von den Predigern freundlich aufgenommen worden und habe mit ihnen vereinbart, sich nicht über die Sakramentslehre zu streiten. In welchem Sinne man sich verständigt hatte, ist unklar, zumal Westphals Mitstreiter später ihr Misstrauen gegen a Lascos Auffassung auf diese Zeit zurückführen sollten und Aepin sich kritisch mit a Lascos Sakramentslehre auseinandersetzte. Jedoch veröffentlichte er den Text nicht. Zudem beriet er a Lascos Gemeinde in Ostfriesland und bestärkte sie in ihrer Ablehnung einer Regelung, die aus beider Sicht einen illegitimen Kompromiss mit dem Interim bedeutete. Vor dessen Übersiedlung nach England nahm er a Lasco für längere Zeit bei sich auf. 34 Hier spielte wahrscheinlich das Bewusstsein eine Rolle, angesichts der Gefährdung durch das Interim innerevangelische Differenzen zurückstellen zu müssen, vielleicht auch die persönliche Haltung des Melanchthonschülers Aepin (der auch später seine Schrift gegen a Lasco nicht publizierte, obwohl Westphals Partei ihn dazu drängte35). Jedenfalls aber war die konfessionelle 29

Vgl. u. Kap. III.2.1b. Vgl. C&C 1, 460–462; dazu HAUSCHILD, Kampf gegen das Augsburger Interim, 77 f. 31 Vgl. aaO., 79 f.; HUND / SCHNEIDER, Einleitung, 278–282. 32 Zu Alber vgl. u. Kap. III.2.3b. Bei Magdeburg geht BERTHEAU, Magdeburg, 53, von Ostern 1552, und RAUPACH, Presbyterologia Austriaca, 104, von Ostern 1551 als Zeitpunkt der Entlassung Magdeburgs in Salzwedel und seiner Übersiedlung nach Hamburg aus. 33 Vgl. HAUSCHILD, Kampf gegen das Augsburger Interim, 80 bei und mit Anm. 94; zu den Ereignissen von 1535 HAUSCHILD, Kirchengeschichte Lübecks, 219–223. 34 Vgl. zu diesen Ereignissen und für die Einzelbelege o. Kap. III.1.1b. 35 Vgl. u. Kap. III.2.2b. 30

2.1 Theologische Netzwerke und normative Ansprüche

193

Situation noch offen genug für eine solche Zusammenarbeit. Das änderte sich erst mit den folgenden innerwittenbergischen Debatten. b) Innerwittenbergische Streitkultur und Identitätsbildung Infolge der Debatten um das Interim entwickelte sich innerhalb der Wittenberger Reformation eine regelrechte Streitkultur.36 Das Agieren von Westphals Partei im Abendmahlsstreit ist von deren Ausdrucksformen ebenso geprägt wie von den Identitätsvorstellungen und reformatorisch normativen Ansprüchen, die das Netzwerk städtischer Interimsgegner in diesem Kontext herausbildete. Katalysierend für die Kontroversen innerhalb der Wittenberger Reformation wirkte der Adiaphoristische Streit: Melanchthon und andere Theologen der Wittenberger Fakultät lehnten das Interim klar ab,37 ließen sich jedoch in Verhandlungen mit den fürstlichen Räten auf einen Gegenvorschlag („Leipziger Landtagsvorlage“) ein, der theologisch evangelische Positionen festhielt, aber die im Interim vorgeschriebenen Zeremonien akzeptierte, da es sich um Adiaphora handle.38 Dieser Text wurde von Flacius und Gallus veröffentlicht und als „Leipziger Interim“ desavouiert: Sie betonten, Adiaphora seien an sich frei, aber nicht im Falle zwangsweiser, auf Durchsetzung falscher Lehre zielender Einführung.39 Zu der Streitpartei, die im Folgenden ähnliche Positionen vertrat, gehörten Westphal, Alber, Judex, Timann, Beyer und Joachim Magdeburg.40 Diese Positionierung Westphals und seiner späteren Mitstreiter verband sich mit der Herausbildung spezifischer Identitätsvorstellungen. Wichtig waren dafür zunächst geschichtstheologische Deutungen: Der Kampf gegen das Interim galt als endzeitliches Ringen zwischen Christus und Antichrist; daher forderte man zu Bekenntnis und Martyrium auf und warf den Wittenbergern Kompromisse zwischen „Christus und Belial“ vor.41 Das eigene Verhalten sahen die 36

Vgl. dazu DINGEL, Streitkultur und Kontroversschrifttum. Vgl. zu ihren einschlägigen Texten und Gutachten DINGEL, IRENE, „Der rechten lehr zuwider“. Die Beurteilung des Interims in ausgewählten theologischen Reaktionen, in: Luise Schorn-Schütte (Hg.), Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt, Gütersloh 2005 (SVRG 203), 292–311, hier 295–302. 38 Vgl. WARTENBERG, GÜNTHER, Das Augsburger Interim und die Leipziger Landtagsvorlage zum Interim, in: Ders. / Irene Dingel (Hg.), Politik und Bekenntnis. Die Reaktionen auf das Augsburger Interim von 1548, Leipzig 2006 (LStRLO 8), 15–32, hier 17–27. 39 Vgl. FLACIUS / GALLUS, Wider den Auszug des Leipsischen Interims, C&C 2, 27–37. 40 Die Datenbank des Projekts Controversia et Confessio zu den Wittenberger Streitkreisen (http://www.controversia-et-confessio.de/cc-digital.html [letzter Zugriff 11.5.2020]) weist, einschließlich aller Neuauflagen und Gemeinschaftswerke, für Gallus im Adiaphoristischen Streit 31 Treffer aus, für Westphal 19 (Alber 7, Judex 4, Magdeburg 3, Timann 3, Beyer 1). Vgl. allgemein zu dieser Publizistik KAUFMANN, Ende der Reformation; speziell zu Westphals Texten KUHN, Bekennen und Verwerfen, 63–210. 41 Vgl. MORITZ, Interim und Apokalypse, 200–281, DINGEL, Der rechten lehr zuwider, 303–311; zur zeittypischen Bedeutung der Apokalyptik LEPPIN, Antichrist und Jüngster Tag. 37

194 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk Interimsgegner – die teils aufgrund ihrer kritischen Haltung ihre bisherigen Wirkungsorte hatten verlassen müssen – demgegenüber als Standhaftigkeit einer kleinen Minderheit wahrer Christen.42 Diesem Selbstbild korrespondierte der Anspruch, das genuine Erbe der (Wittenberger) Reformation zu verteidigen. In besonderer Weise machte sich dies an der Rückführung der eigenen Position auf den 1546 verstorbenen Luther fest: In Texten Westphals und seiner Mitstreiter erscheint Luther als dritter Elia, den Gott zur Stürzung des Papsttums und Aufrichtung der wahren Kirche gesandt habe. Er gilt als die reformatorische Autorität schlechthin, seine Schriften als Garant der Wahrheit.43 Damit entwickelte sich auch im Umfeld Westphals ein Anspruch auf gesamtreformatorische Normativität der eigenen Lehre: Hatte der Auslegungsspielraum autoritativer Texte wie der Confessio Augustana bisher theologische Pluralität innerhalb der Wittenberger Reformation zugelassen,44 wurde nun durch Rekurs auf Luther die eigene Position als reformatorisch normativ legitimiert und abweichenden Haltungen die Legitimität abgesprochen. Das Misstrauen gegen divergente evangelische Positionen übertrug sich auch auf die Abendmahlsfrage: Der Magdeburger Nikolaus von Amsdorf, der schon 1536 zu den Gegnern der Wittenberger Konkordie gehört hatte,45 erhob den Vorwurf, die Wittenberger Theologen hätten in ihrer Lutherausgabe diverse gegen Bucer gerichtete Passagen bewusst ausgelassen.46 Dass dies illegitim sei, begründete er mit einer Argumentation, die sich später bei Westphals Partei ähnlich finden sollte: Die Straßburger seien Schwärmer, die ihrer Lehre in der Konkordie nur zum Schein abgeschworen hätten und diese heimlich weiter verbreiteten, was Luthers Bekenntnis von 1544 nachweise.47 Um davor zu 42 Diese Gedanken verbanden sich – gerade bei den Interimsgegnern – mit dem Motiv des „Exul Christi“, vgl. OSTEN-SACKEN, VERA VON DER, Exul Christi. Konfessionsmigration und ihre theologische Deutung im strengen Luthertum zwischen 1548 und 1618, in: Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz (Hg.), Europäische Geschichte Online (EGO), 18.4.2013, urn:nbn:de:0159-2013041205 [letzter Zugriff 11.5.2020]. 43 Vgl. DINGEL, IRENE, Strukturen der Lutherrezeption am Beispiel einer Lutherzitatensammlung von Joachim Westphal, in: Wolfgang Sommer (Hg.), Kommunikationsstrukturen im europäischen Luthertum der Frühen Neuzeit, Gütersloh 2005 (LKGG 23), 32–50; KAUFMANN, Ende der Reformation, 367–381. 44 Vgl. DINGEL, Streitkultur und Kontroversschrifttum, 96 f. und o. Kap. I.2.3. 45 Vgl. o. Kap. II.3.4. 46 Sprechend dafür ist der Titel: AMSDORF, NIKOLAUS VON, Das die zu Witten=||berg im andern teil der bucher Doc=||toris Martini im buch das diese wort || Christi (Das ist mein Leib etc.) noch fest ste=||hen / mehr denn ein blat vier gantzer Pa=||ragraphos vorsetzlich aussgelas=||sen haben wie folget.|| […], Magdeburg: Michael Lotther 1549, VD16 L 4281. Dass es sich um gegen Bucer gerichtete Passagen handelt, zeigt der Abdruck dieser Texte aaO., A2v–A4r (entspricht WA 23, 278,1–281,27; 282,1–5). Zum Inhalt der Schrift insgesamt vgl. MICHEL, Kanonisierung der Werke Luthers, 156–158. 47 AMSDORF, Das die zu Wittenberg, A4r–A4v: „Warumb aber diese wort ausgelassen seint, kann iderman wol dencken, das man der schwermer hat verschonen wollen; dieweil

2.2 Entwicklung abendmahlstheologischer Ketzervorwürfe

195

warnen, druckt Amsdorf die ausgelassenen Passagen.48 Er stellt also die Verketzerung Straßburgs als die genuine Position der Wittenberger Reformation dar, indem er mit den gedruckten Passagen an Luthers Wahrnehmung vor der Wittenberger Konkordie anknüpft und dessen 1544 erfolgte erneute Abgrenzung gegen die Zürcher scheinbar selbstverständlich auch auf die Straßburger bezieht: Luther hatte die Konkordie so gedeutet, dass die Oberdeutschen sich zu seiner Ansicht bekehrt hätten.49 Indem Amsdorf diese Interpretation normativ setzt und die Straßburger Position für damit unvereinbar erklärt, wird das Straßburger Festhalten an der eigenen Lehre zum Beleg für Heuchelei. Die Kritik an den Wittenbergern bedeutete freilich nicht, dass das gesamte interimsgegnerische Netzwerk Melanchthon ablehnend gegenübergestanden hätte: Gerade Westphal und die anderen Hamburger Pfarrer beriefen sich auch positiv auf Melanchthon und verbanden die sachliche Parteinahme für Flacius mit dem Versuch, die Wittenberger zu einer gemeinsamen Stellungnahme zu bewegen.50 Auch im Abendmahlsstreit finden sich bei Westphals Partei neben Kritik an Melanchthon ebenso Versuche, ihn auf die eigene Seite zu ziehen.

2.2 Entwicklung abendmahlstheologischer Ketzervorwürfe (1551/52) 2.2 Entwicklung abendmahlstheologischer Ketzervorwürfe

a) „Sakramentierer“ als Bedrohung Bereits in den Jahren 1551/52 finden sich bei Westphals Mitstreiter Erasmus Alber gehäuft polemische Bemerkungen über Zwingli(aner), „Sakramentierer“ oder „Sakramentschänder“, die er als Bedrohung für die wahre Kirche wahrnimmt. Ob er dabei schon die späteren Streitgegner vor Augen hat oder sich allein auf Luther zurückbeziehen will, der sakramentstheologische Opponenten mit den gleichen polemischen Begriffen bezeichnet hatte, ist nicht eindeutig. Die Erwähnung des späteren Gegners a Lasco und die Häufung solcher Bemerkungen könnten Indizien dafür sein, dass Alber bereits Befürchtungen in dieser sie aber allein zum schein ihren irthumb zu Wittenberg (unnd nicht fr ihrem volck) bekannt unnd widderruffet haben unnd doch gleichwol hernach ihre gifft heimlich unter die leute gebracht und nach brengen (wie Doctor Martinus Luthers heiliger gedechtnis letzt bekentnis vom heiligen Sacrament wol ausweisset), so kann man ihrer personen nicht schonen, man wolt denn des irthumbs mit verschonen und der kirchen iren irthumb und lgen fr warheit dar geben unnd verkeuffen.“ 48 Vgl. AMSDORF, Das die zu Wittenberg, A2r. 49 Vgl. zu letzterem o. Kap. II.3.4; zu Luthers Bekenntnis von 1544 o. Kap. II.5.1. 50 Dies betont insbesondere KUHN, Bekennen und Verwerfen, 63–123. Der Gedanke ist einleuchtend, die methodische Durchführung allerdings leider so problematisch, dass offen bleiben muss, ob es sich um einen derart grundlegenden Unterschied zwischen Westphal und den Magdeburgern handelt, wie Kuhn meint (vgl. meine Rezension in ZKG 131 (2020)).

196 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk Richtung hegte. Jedenfalls wird in den bisher für die Analyse des Zweiten Abendmahlsstreits nicht berücksichtigten51 Texten deutlich, welche Rolle „Sakramentierer“ in den Identitätsvorstellungen des interimsgegnerischen Netzwerks spielten und warum deren Ansichten bei Westphals Partei als Bedrohung für den eigenen reformatorisch normativen Anspruch galten. Alber verfasste seine Schriften im Kontext einer erzwungenen Auswanderung, die ihn ins Umfeld Westphals brachte: Da er sich in Magdeburg durch Polemik gegen das Interim hervorgetan hatte, war seine Ausweisung Bedingung für den Friedensschluss der Stadt mit dem Kaiser im Jahr 1551. Andere Interimsgegner nahmen Alber auf, unter anderem Joachim Magdeburg in Salzwedel; Ende 1551 dann (auf Empfehlung von Flacius) die Hamburger Kirche Westphals und Aepins.52 In Hamburg wurden Albers Schriften auch gedruckt.53 Albers Einordnung der „Sakramentierer“ in die für das Netzwerk städtischer Interimsgegner typische Exulantentheologie54 zeigt sich in der 1552 erschienenen Schrift Vom Wintervogel Halcyon.55 Alber gebraucht den mythologischen Vogel Halcyon, der unter widrigen Bedingungen wundersam erhalten wird, als Bild für die Situation der Kirche, in die er sich selbst als „exul Christi“56 einzeichnet. Die Welt gilt ihm als Reich des Teufels, der die Kirche zu vernichten versucht; Gott greift jedoch immer wieder ein und bewahrt die Kirche.57 In der als Endzeit gedeuteten Gegenwart manifestiert sich nach Alber dieser Kampf darin, dass Gott zur Wiederherstellung seiner Kirche den Propheten Luther erweckt hat – worüber der Teufel zürnt und Sekten hervorbringt. Zu diesen Sekten zählt Alber neben Altgläubigen, Spiritualisten, Agricola und Osiander nicht nur Karlstadt, Oekolampad und Zwingli, sondern auch Johannes a Lasco, und als aktuelle Bedrohung sieht er neben altgläubiger Verfolgung, Interim und

51

Ausführlich behandelt werden sie vor allem in älteren Biographien (SCHNORR VON CAROLSFELD, Erasmus Alberus; KÖRNER, Erasmus Alber); die neuere Forschung zieht sie teils in Bezug auf die Identitätsbildung der Magdeburger Interimsgegner oder auf den Osiandrischen Streit heran (vgl. u. bei den einzelnen Schriften). 52 Vgl. Flacius an Conrad Gerlach, 8.11.1551, SILLEM I, 118 f. (Nr. 72). Flacius bittet explizit darum, Westphal den Inhalt des Briefs weiterzugeben. 53 Vgl. zu den biographischen Daten SCHNORR VON CAROLSFELD, Erasmus Alberus, 129 f. (der bereits die Nutzung des Netzwerks der Interimsgegner bemerkt) und KÖRNER, Erasmus Alber, 129–134. Besonders Körner füllt – hier wie generell – Überlieferungslücken durch Spekulation (vgl. etwa ebd., 131), argumentiert von einer konfessionell lutherischen Identifikation mit Albers Haltung her und übernimmt dessen Aussagen i. d. R. ungeprüft. 54 Vgl. dazu o. Kap. III.2.1b sowie OSTEN-SACKEN, Exul Christi. 55 ALBER, ERASMUS, Vom Winter=||vogel Halcyon / ein herlich wunderwerck || Gottis / mit der heiligen Schrifft || aussgelegt […], Hamburg: Joachim Löw 1552, VD16 A 1545. Die Schrift ist auf den 1.1.1552 datiert; vgl. zu ihrem Inhalt SCHNORR VON CAROLSFELD, Erasmus Alberus, 135 f.; KÖRNER, Erasmus Alber, 137 f. 56 So wörtlich ALBER, Vom Wintervogel Halcyon, A2r. 57 Vgl. aaO., A2v–C3v.

2.2 Entwicklung abendmahlstheologischer Ketzervorwürfe

197

Täufern auch „Sacramentschender“.58 Beides könnte dafür sprechen, dass Alber bereits Befürchtungen in dieser Richtung hegte – der Schwerpunkt seiner Polemik liegt aber auf Positionen, die er als Kompromiss mit dem Interim wahrnimmt.59 Jedenfalls gelten in Albers geschichtstheologischer Deutung altgläubige und häretische evangelische Positionen als übermächtig: „der Teuffel hat itzt alle Kirchen in der welt in / Christus hat nur in Deutschland / ein wenig raumes / vnd denselben ghnnet ihm der Teuffel auch nit“60 – in diesem Sinne sollten er, Bruchsal und Westphal auch die Ausbreitung abweichender Abendmahlslehren als Bedrohung für den Bestand der wahren Kirche ansehen. In der Schrift Vom Basilisken zu Magdeburg61 wiederum wird deutlich, wie die Einordnung innerevangelischer Gegner als Sekten mit dem Anspruch zusammenhängt, die reformatorisch normative Lehre zu vertreten: Im Rahmen einer gegen „Antinomi und Adiaphoristen“62 gerichteten Argumentation über

58

AaO., C3v–C4r: „Endlich aber hat vnnser Herr Gott kurtz vor dem Jngsten tage / gesendet den grossen Propheten vnd Eliam D. Martinum / der hat alles widder zurecht bracht / […] vnd das flt die Schlange sehr wol / drumb tobet vnd wtet sie so seer / hat viel tausent Christen vmbracht / Vnd wie die Spanier wider die Christliche Kirch gewtet haben / vnd noch wten / da were wol ein sonderlich Buch von zuschreiben. Daneben hat der Teufel viel Secten erweckt, das klare liecht des Euangelii auszuleschen. Dann so bald D. Martinus anfing / war flux der Satan auch da / mit seinen Monstris / dem Deetzel / Carlstadt / Zwingel / Witzel / Grickel / Hirssbecken / Jeckel / Kochleffel / Ecken / Dencken / Prierio / Niclas Storck / Ecolampadio / Sadoleto / Serueto / Seudonio / Omphalio / Campano / Caietano / Campegio / Thoma de Vio / Thoma Todisco / Thoma Radino / Johan Latomo / Leo / Longolio / Pelargo / Pigio / Julio / Marciano / Rinco / Rubio / Rosio / Roterdamo / Roffense / Cremonense / Eboracense / Emser / Faber / Mntzer / Mentziger / Hetzer / Gropper / Schatzgeier / Aleander / Melander / Osander / Hoffman / Hoffmeyster / Hochstrath / Tornhaut / Ochsenfurtz / Stenckfelt / Lasco / Dauid Kochab / Rotzmundt / Edtmundt / Vsingen / Wimpina / Catharina / Carracciola / Lempa / Johan de Dauatria / Lenig / Alffelt / Schwartzman / Rottman / Murmar / Straussen / Kautzen vnd andern unntzen fleddermeusen / […] Gifftigen wrmen vnd schwermerkpfen / Sabatern vnd Judentzern. Nun wirt dennoch die Christliche Kirche furthin (wie bisher) bleiben / da wider hilfft kein Secten / Sacramentschender / Widerteuffer / dawider hilfft kein brennen / mordbrinnen / hencken / ertrencken / berauben / veriagen / ermorden / vnd wenn schon der leidige Teufel noch hundert Interim / vnd tausent Adiaphora herfr brecht / so soll vnd will vnd mus dennoch die Christliche Kirch bleiben.“ 59 Vgl. etwa aaO., E1r; E3v. 60 AaO., E1r; vgl. aaO., D4r–D4v. 61 ALBER, ERASMUS, Vom Basilisken zu Mag||deburg. Jtem vom Hanen eyhe / daraus || ein Basilisck wirt / mit seiner Bedeutung || aus der heiligen Schrifft. || […], Hamburg: Joachim Löw o.J. [1552], VD16 A 1538. Die Schrift ist über das Erscheinungsjahr 1552 hinaus nicht datiert; terminus post quem sind Ereignisse von Ostern 1552, die Alber erwähnt. Vgl. KAUFMANN, Ende der Reformation, 268 Anm. 290, der aaO., 266–272 eingehend Inhalt und mythologischen Hintergrund der Schrift erläutert. Inhaltsangaben ferner bei SCHNORR VON CAROLSFELD, Erasmus Alberus, 137–139; KÖRNER, Erasmus Alber, 138–140. 62 ALBER, Vom Basilisken zu Magdeburg, D1v; vgl. auch aaO., B2r.

198 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk Gesetz und Evangelium63 hebt Alber Luther als Urheber dieser Unterscheidung hervor und parallelisiert die Attackierten mit Zwingli und dessen Anhängern: Beide Gruppen seien undankbar, wollten alles besser wissen als Luther und gestünden ihre Abhängigkeit von ihm nicht ein. Die Reformation ist für Alber derart mit Luther identifiziert, dass diesem alle reformatorischen Errungenschaften zuzuschreiben sind und andere Reformatoren sie gar nicht unabhängig von Luther entwickelt haben können: Dass die „Zwinglischen“ etwa auch die Priesterehe abgeschafft haben, zeigt daher für ihn, dass sie von Luther abhängig seien.64 Auf dieser Basis kann er ihnen analog zu Gegnern innerhalb der Wittenberger Reformation Abfall von Luther vorwerfen: Ihre Sakramentslehre weicht von Albers eigener ab, die mit Luthers und damit mit der in seinen Augen reformatorisch ursprünglichen und wahren Auffassung identifiziert ist. In Albers Schrift gegen Osiander65 findet sich ein weiteres Argument: Osiander sei nicht nur wie Zwingli und Karlstadt von Luthers Reformation abgefallen, sondern berufe sich sogar auf Luther selbst, damit seine Ketzerei unter Luthers Schülern akzeptiert würde66 – mit analogen Vorwürfen sollte Alber im Abendmahlsstreit die gegnerische Beanspruchung Luthers zu entkräften versuchen. Unklar ist, ob der Osiandrische Streit bei Westphals späterer Partei auch zu verstärktem Misstrauen gegen christologisch abweichende Positionen führte. Dafür könnte sprechen, dass Alber Osianders Lehre von der Erlösung allein

63 Vgl. dazu KAUFMANN, Ende der Reformation, 271 f.; zur hinter diesen Vorwürfen stehenden Auseinandersetzung Albers mit Anhängern Agricolas aaO., 268 Anm. 290. 64 ALBER, Vom Basilisken zu Magdeburg, C2v: „Drumb bin ich den Zwinglischen von hertzen feind / das sie sich so undanckbar gegen D. Martino erzeygen / vnd wie die Suddeler / alles besser wissen wllen denn D. Martinus / und Zwingel darff sich rhmen / er habe nichts von D. Martino gelernt. Wann die Zwinglischen Prediger ihr weiber vnd kinder ansehen / sollten sie dencken. Disse beneficia haben wir / noch Gott lob / von D. Martino. Denn hett ein priester vor D. Martino / ein weib genummen / der Bapst hett ihn mit dem weib verbrennt.“ 65 Die Schrift scheint um den Jahreswechsel 1551/52 entstanden zu sein; vgl. WENGERT, Defending Faith, 363. Zum Inhalt des Werks vgl. aaO., 63; 88 f.; 363 f.; ferner SCHNORR VON CAROLSFELD, Erasmus Alberus, 131–135; KÖRNER, Erasmus Alber, 134–137. 66 ALBER, ERASMUS, Widder das Lesterbuch des || hochfliehenden Osiandri / darinnen er das || Gerechte Blut vnsers Herrn Jesu || Christi verwirfft / als vn=||tchtig zu vnser Ge=||rechtigkeit. […], Hamburg: Joachim Löw o.J. [1551/52], VD16 A 1561, hier B1v–B2r: „Da die gantze Welt […] verfuret war / erwecket vnser Herr Gott seinen auserweleten werckzeug D. Martinum / vnd offenbaret vns durch denselbigen seinen trewen Diener / sein heyliges Wort. Nach ihm aber kamen Carlstad / Zwingel vnd andere / die es besser machen wollten. Bei welchem sol ich nun bleiben? Soll ich den Born vnd vrsprvng verlassen / vnd aus den Cisternen vnd Krten pftzen sauffen? […] Es hat aber itzt der Satan ein newe list erdacht / die leute zubetriegen. De weil er sihet / das D. Martinus bei vns in grossem ansehen ist / so braucht er eyn recht bubenstuck / das seine Propheten ihre lugen mit D. Martini buchern schmucken / wie wir sehen an dem verfluchten Magister Interim zu Berlin / vnd an den schendlichen Bauchknechten den Adiaphoristen / desgleichen am Osiander.“

2.2 Entwicklung abendmahlstheologischer Ketzervorwürfe

199

durch die göttliche Natur Christi67 als Zwingli und Karlstadt analoge Bestreitung der communicatio idiomatum schildert.68 Dass Osiander mit ihnen übereinstimme, macht er daran fest, dass Christi Blut als Kreatur bezeichnet werde.69 Parallelisierungen Osianders mit „Sakramentierern“ kommen auch bei anderen Autoren vor, die später Westphal unterstützten, sind aber weniger spezifisch.70 So ordnet Nikolaus Gallus „Sacramentirer“ und Anhänger Osianders als ursprünglich von der eigenen Kirche abhängige, aber davon abgefallene Sekten ein.71 Diese Perspektive erscheint über Albers Texte hinaus typisch für das Netzwerk städtischer Interimsgegner.72 Der Osiandrische Streit verstärkte dessen Wahrnehmung, von Ketzern umzingelt zu sein. Ein inhaltlicher Zusammenhang zum Abendmahlsstreit dagegen ist fraglich: Die Parallelisierung der Gegner mit Osiander spielt in den späteren Streitschriften nur bei Alber eine Rolle und bezieht sich dort nicht auf spezifische Theologumena, sondern allgemein auf den Ketzervorwurf.73 Jedenfalls vertiefte die Debatte das Netzwerk 67 Vgl. zu Osianders Position überblicksweise SEEBAß, GOTTFRIED, Art. Osiander, Andreas, TRE 25 (1995), 507–515, hier 511; zur Christologie als Thema des Osiandrischen Streits WENGERT, Defending Faith, 88–93. 68 Vgl. ALBER, Widder das Lesterbuch, E1v–F4r; dazu WENGERT, Defending Faith, 88. 69 Vgl. ALBER, Widder das Lesterbuch, E2r „weil Osiander des Herrn Christi Blut ein Creatur nennet / so ist er nicht ferrn von der Zwinglischen ketzerei. [In der Marginalie:] „Ein Zwinglischer Syllogismus.“ [Im Haupttext:] „Ein Creatur kann nicht zugleich allenthalben sein. Des Herrn Christi Blut ist ein Creatur. Darumb kann sein Blut nicht allenthalben sein. Osiander bringt vns auch mit seiner newen ketzerei des Carlstads vocabel widderherfr / nemlich / Creaturalis / creaturlich / barbara vox est barbarorum haereticorum / Vnd nennet die Gerechtigkeit die wir im Blute Christi haben / ein creatrliche gerechtigkeit.“ 70 WENGERT, Defending Faith, 467, führt im Register seiner umfassenden Analyse antiosiandrischen Schrifttums ganze fünf Belege für den Begriff „Sacramentarians“ auf; vgl. seine Ausführungen an den entsprechenden Stellen. 71 GALLUS, NIKOLAUS, Proba des geists Osi=||andri von der rechtfertigung / durch || die eingegossne wesentliche ge=||rechtigkeit Gottes. || […], Magdeburg: Michael Lotther 1552, VD16 G 286, G2r–G2v: „Welche sich auch daran ergern / […] das inn vnd aus vnsern Kirchen / vnnd eben von etlichen der frnemsten Lerern solche zwispalt vnnd jrrung entstanden sind / vnnd jtzt abermals entstehen / die wollen ein wenig zurck inn die Schrifft dencken / da werden sie finden / das es nichts newes ist / sondern fast alweg also inn der rechten vnnd allerbesten Kirchen ist gangen. […] Widerteuffer / Sacramentirer / Antinomer […] sind vnser zeit des offenbarten Euangelij vnnd Antichrists aus vnsern Kirchen entstanden / Denen volget also jtzund auch Osiander / vnnd ist schrecklich / das Johannes vrteilt von solchen allen / Sie sind von vns ausgangen / spricht er / aber sie waren nicht von vns. Denn wo sie von vns gewesen weren / so weren sie ja bey vns blieben.“ Vgl. zu Gallus’ Schrift und ihrem Kontext WENGERT, Defending Faith, 133–136. 72 POHLIG, Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung, 42, Anm. 127, vermerkt, dass in der lutherischen Geschichtsschreibung zwischen 1546 und 1617 „in bezug auf die Reformierten immer wieder 1Joh 2,19 (mit der zugehörigen Antichrist-Konnotation) zitiert“ werde – also genau das von Gallus gebrauchte Schriftzitat (vgl. die vorige Anm.), das den Betreffenden nachträglichen Abfall von der eigenen Kirche unterstellt. 73 Vgl. u. Kap. III.2.4b.

200 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk der späteren Westphalpartei: In Absprache mit den Magdeburgern beteiligte sich die Hamburger Kirche mit einem Gutachten, das Westphal, Bötker und Joachim Magdeburg unterzeichneten.74 Wolfgang Waldner, der später Streitschriften Westphals übersetzte, engagierte sich erstmals als Polemiker.75 b) Ausbreitung abweichender Sakramentsauffassungen in Europa Zum konkreten Anlass abendmahlstheologischer Streitschriften von Westphals Seite wurde schließlich nicht (wie in der älteren Forschung angenommen) eine Ausbreitung der Lehre Calvins im Reich, sondern die Zustimmung, die Calvin, Vermigli, a Lasco und ähnlich denkende Theologen in anderen Ländern Europas fanden:76 Vor dem Hintergrund der Vorstellung, dass die wahre Lehre von einer Übermacht innerkirchlicher Ketzer bedrängt werde, empfanden Westphal und seine Kollegen den Erfolg abweichender Abendmahlsauffassungen in England, Frankreich und den Niederlanden als bedrohlich. Nachdem sie durch Hamburger Kontakte schon länger über die Entwicklung in England informiert waren, erhielten sie 1552 aus Antwerpen genauere Informationen und Exemplare der Texte, die sie dann in ihren Streitschriften als häretisch angriffen. Dass die Entwicklung in England in Hamburg aufmerksam beobachtet wurde und in Westphals Schriften eine hervorgehobene Rolle spielen sollte, hatte mit den Kontakten des Hamburger Superintendenten Johann Aepin zu tun:77 Im Kontext der Verhandlungen zwischen Heinrich VIII. und dem Schmalkaldischen Bund war er 1534 als Leiter einer hansestädtischen Delegation nach England gereist78 und erhielt die Verbindung dorthin aufrecht. Da in Hamburg 74

Die Absprache in Gallus an Westphal, 18.2.1552, SILLEM I, 120 f. (Nr. 73), vgl. dazu VOIT, Nikolaus Gallus, 194 f.; zum Hamburger Gutachten näherhin WENGERT, Defending Faith, 400 f. 75 Vgl. dazu aaO., 269–271; 365. 76 NEUSER, Dogma und Bekenntnis, 274: „Der Abendmahlsstreit entstand nicht, wie oft behauptet wird, um Calvins Einfluß in Deutschland zu bekämpfen, denn dieser besaß dort keinen nennenswerten Anhang. Der Streit entbrannte wegen der Ausbreitung des Calvinismus in Frankreich, den Niederlanden und England.“ Die Problematik der älteren Forschung, gegen die sich Neuser hier wendet (explizit gegen KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 9 f.) dürfte weniger darin liegen, dass sie die Geschehnisse außerhalb des Reichs nicht als Hintergrund des Streits wahrnähme (auch Kruske nennt aaO., die Entwicklungen in England), als darin, dass sie in Identifikation mit Westphals Befürchtungen (so KRUSKE ebd.; MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 13–19; SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 147– 151) oder Calvins Hoffnungen (so etwa STÄHELIN, Johannes Calvin, 203–206) davon ausgeht, dass die entsprechenden Auffassungen auch im Reich großen Einfluss hatten und letzteres für den Streitausbruch entscheidend war. Vgl. o. die Einleitung zu Kap. III.1. 77 Das bemerkt schon MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 16. 78 Zu den Verhandlungen zwischen dem König und dem Schmalkaldischen Bund vgl. o. Kap. III.1.3a. Die hansestädtische Delegation verhandelte mit Heinrich VIII. im Auftrag Hamburgs und Lübecks über ein Bündnis im Konflikt um die dänische Krone sowie über theologische Fragen, vgl. TJERNAGEL, Henry VIII and the Lutherans, 128–134.

2.2 Entwicklung abendmahlstheologischer Ketzervorwürfe

201

regelmäßig englische Schiffe eintrafen, liefen kirchliche Nachrichten von England ins Reich oft über ihn.79 Schon im März 1547 konnte er seinem Lehrer Melanchthon Bericht über die Thronbesteigung Eduards VI. und die evangelischen Sympathien von dessen Vormündern erstatten.80 Wie andere Theologen in Melanchthons Umfeld setzte er angesichts von Schmalkaldischem Krieg, Interim und Trienter Konzil große Hoffnungen auf Eduards Reformation und widmete dem König ein Buch.81 Wenn Westphal und seine Mitstreiter diese Hoffnungen teilten, muss es umso enttäuschender für sie gewesen sein, dass die Entwicklung in England nicht in ihrem Sinne verlief – in ihren Schriften sollten sie betonen, dort wäre eine wahre Reformation vonnöten gewesen, nicht eine Prägung im Sinne ihrer Streitgegner.82 Möglicherweise hegten sie in dieser Hinsicht auch bereits Misstrauen gegen den in England einflussreichen Johannes a Lasco, dessen Position sie 1549/50 bei dessen Besuchen in Hamburg kennengelernt hatten.83 Allerdings hatte a Lasco seine Auffassung damals noch nicht publiziert. Von seiner Schrift zur Sakramentslehre und ähnlichen Texten erfuhren Westphal und seine Kollegen erst durch Briefe aus Antwerpen. Alexander Bruchsal aus Antwerpen,84 der sich zwischen August und November 1552 in drei Briefen an Westphal und Alber wandte, bewegte sich im Umfeld der dortigen Lutheranhänger, die sich zu dieser Zeit noch nicht als feste Gemeinde formiert hatten.85 Dort gab es offenbar gute Verbindungen ins Umfeld der Interimsgegner: Bruchsal sollte 1555 nach Bremen auswandern; neben ihm korrespondierte auch Wilhelm Nicolai mit Westphal. Beruflich in Hamburg tätige Antwerpener sandten theologische Bücher in ihre Heimatstadt, die Gemeinde unterstützte das Studium eines Mitglieds in Jena. Da die Belege für diese Verbindungen aus den Jahren 1553–59 stammen, ist zwar nicht klar, ob sie Hintergrund oder Folge der Kommunikation zwischen Bruchsal und Westphal waren.86 Jedenfalls aber scheint Bruchsal bereits früher mit Westphal und

79 Beispielsweise informierte Alexander Alesius Melanchthon auf diesem Wege über die Ten Articles von 1536, vgl. WIEDERMANN, GOTTHELF, Alexander Alesiusʼ Lectures on the Psalms at Cambridge, 1536, in: JEH 37 (1986), 15–41, hier 19. 80 Vgl. Aepin an Melanchthon, 12.3.1547, MBW.T 16, 189 f. (MBW 4647). 81 Vgl. AEPIN, Liber de Purgatorio, A2r–E2v, und dazu GREVE, Memoria Iohannis Aepini, 74–82; zu den Hoffnungen in Melanchthons Umfeld o. Kap. III.1.3a. 82 Vgl. etwa u. Kap. III.2.4b und V.2.2b. 83 Vgl. o. Kap. III.2.1a. 84 Zur Person Alexander Bruchsals ist wenig bekannt. Die wohl eingehendsten Recherchen hat SILLEM I, 125 f., angestellt, der in ihm einen Antwerpener Goldschmied vermutet. 85 Zu dieser Gruppe vgl. – mit Fokus auf der Zeit nach der Gemeindegründung 1567 – BRALL, CARSTEN, Konfessionelle Theologie und Migration. Die Antwerpener Gemeinde Augsburger Konfession im 16. Jahrhundert, Göttingen 2018 (VIEG 249). 86 Vgl. MARNEF, GUIDO, Antwerp in the Age of Reformation. Underground Protestantism in a Commercial Metropolis 1550–1577, Baltimore / London 1996 (The Johns Hopkins University Studies in Historical and Political Science Series 114 Bd. 1), 81 f.

202 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk Alber in Kontakt gestanden zu haben, gegenüber denen er sich nun alarmiert über die Entwicklung in den Niederlanden, Frankreich und England zeigte: „Domine, vix crederes, quantum hic et in Anglia et in his regionibus circumjacentibus item in Francia augmentum sumat et crescat secta haec sacramentariorum, quae et maxima ex parte habet Calvinum patronum vel architectum suae sectae.“87

Vor dem Hintergrund der von Alber bekannten Vorstellung, dass sacramentarii von Luther abgefallene Ketzer seien und die Übermacht solcher Sekten die Kirche gefährde, wird verständlich, warum Bruchsal von einer secta spricht, deren Ausbreitung er als bedrohlich wahrnimmt. Westphal und Alber bezogen analoge Befürchtungen primär auf das Wirken Vermiglis, a Lascos und ihrer Mitstreiter in England.88 In Bezug auf Frankreich spielt Bruchsal auf den wachsenden Einfluss Calvins an,89 wenn er diesen als Haupturheber der secta ansieht. In Bezug auf die Niederlande wiederum dürfte er vor Augen haben, dass in der dortigen reformatorischen Bewegung der Einfluss der Londoner Flüchtlingsgemeinden größer wurde, während zugleich die altgläubige Obrigkeit ihre Verfolgung Evangelischer verstärkte. An Luther orientierte Gruppierungen wie Bruchsals Gemeinschaft in Antwerpen gerieten so von zwei Seiten unter Druck.90 Dass sich Bruchsal mit seiner theologischen Haltung marginalisiert fühlt, passt insofern ebenso zu seiner Situation vor Ort wie zu den Identitätsvorstellungen, die von seinen Briefpartnern in Hamburg bekannt sind. Die Texte, auf die Bruchsal als Belege für die von ihm diagnostizierte Ketzerei verweist – und die dann zum Ziel von Westphals und Albers Polemik wurden – stammen dementsprechend von Reformatoren, die in Frankreich, England und den Niederlanden einflussreich waren. Als schon früher an Westphal übersandte Texte führt Bruchsal den Consensus Tigurinus, a Lascos Tractatio de sacramentis und Vermiglis Oxforder Disputation an:91 drei in Westphals Farrago attackierte Schriften. Zudem sendet er Exzerpte aus Texten 87

Bruchsal an Westphal, 10.8.1552, SILLEM I, 127 (Nr. 76). S.u. Kap. III.2.4a und III.2.4b. 89 Vgl. o. Kap. III.1.1a. 90 Zum Londoner Einfluss in den Niederlanden vgl. o. Kap. III.1.3c; zur Situation vor Ort MARNEF, Antwerp, 61–87; BRALL, Theologie und Migration, 21–36. 91 Er fordert Westphal auf: „ut excerperes omnia argumenta ex libello Tigurini impresso de consensione mutua in re sacramentaria, Calvini et ecclesiae Tigurinae; item ex libello impresso Johannis a Lasco, quem tibi misi, item ex libello illo magno in Anglia impresso de re sacramentaria per disputationes, quem tibi plus quam ante annum misi.“ (Bruchsal an Westphal, 10.8.1552, SILLEM I, 127 (Nr. 76)). Der erste genannte Text ist der „Consensio mutua in re sacramentaria“ betitelte Consensus Tigurinus (vgl. o. Kap. III.1.2c); der zweite a Lascos Tractatio de sacramentis (vgl. o. Kap. III.1.3f), die zu dieser Zeit sein einziges gedrucktes Werk über die Sakramente war und Ziel der Attacken Westphals, Albers und Magdeburgs wurde (vgl. u. Kap. III.2.3–III.2.4), der dritte ist wohl Vermiglis Oxforder Disputation (vgl. dazu o. Kap. III.1.3b): Die Schrift behandelt die Sakramente per disputationes, ist wie angegeben umfangreich und Westphal sollte sie später als ketzerisch angreifen. 88

2.2 Entwicklung abendmahlstheologischer Ketzervorwürfe

203

a Lascos, Bullingers und Calvins.92 Da letztere nicht überliefert sind, ist nicht nachweisbar, ob es sich um später bei Alber und Westphal zitierte Abschnitte handelt (wenngleich das naheliegend wäre). Dazu kommen Microns Claer Bewijs aus der Londoner niederländischen Flüchtlingsgemeinde und die Schrift eines unbekannten Antwerpeners,93 die für die Polemik dann allenfalls indirekt eine Rolle spielten, aber zu den Einflüssen in Bruchsals Umfeld passen. Ketzerei diagnostiziert Bruchsal in Bezug auf verschiedene Theologumena: Calvin schreibt er die These zu, Gott sei Urheber des Bösen,94 mahnt in einem späteren Brief allerdings zur Vorsicht: Calvin verwahre sich gegen diese Aussage, vertrete aber eine illegitime Prädestinationslehre. Luther und Urbanus Rhegius lehnten jede Spekulation in dieser Frage ab.95 Zudem behaupte Calvin, Kinder hätten keinen Glauben96 – gemeint ist Calvins Argumentation zur Kindertaufe, die auf Gottes Bundesversprechen (nicht, wie die von Luther geprägte Auffassung, auf einen Glauben der Kinder) rekurriert.97 In letzterer Form sollten beide Argumente dann bei Alber und Westphal erscheinen.98 Zu Calvins Abendmahlstheologie äußert sich Bruchsal nur mit einer knappen Bemerkung, die aber zeigt, dass er hier eine neuartige Ketzerei sieht: „facit Christum in verbis coenae mendacem et nescio quam spiritualem praesentiam ponit et negat illic vere et substantialiter corpus et sanguinem Christi porrigi fidelibus et infidelibus, abusus enim non tollit rei substantiam.“99

Der Gedanke einer geistlichen Präsenz Christi im Abendmahlsgeschehen ist derjenige für die Positionen Calvins, Bullingers, Vermiglis oder a Lascos charakteristische Aspekt, der eine Einigung großer Teile des Zürich-Straßburger

92 Bruchsal an Westphal, 10.8.1552, SILLEM I, 127 (Nr. 76): „Mitto etiam hic scripta quaedam de re sacramentaria excerpta ex libris Jo. Calvini, Bullingeri et Johannis a Lasco.“ 93 Ebd.: „Mitto tibi haec, Domine Joachime, scripta duo sacramentariorum quae ego ex lingua nostra vulgari transtuli in linguam latinam, quare veniam dabis, si alicubi incongrue et non bene latine scripsi vel transtuli. Sensum reddidi, caetera tu emendabis. Unum scriptum est impressum Angliae in lingua nostra brabantica, et est author scripti hujus Martinus Micron, pastor ecclesiae Flandrorum Londini. Alterum scriptum est cujusdam sacramentarii, hic Antwerpiae, exusti in Octobri anno 1551.“ Die erstgenannte Schrift muss der Claer Bewijs sein, da nur diese Schrift Microns über die Sakramente in London veröffentlicht wurde. Vgl. o. Kap. III.2.4d. Die Antwerpener Schrift ist nicht eindeutig identifizierbar. 94 Vgl. Bruchsal an Westphal, 10.8.1552, SILLEM I, 128 (Nr. 76). Bruchsal macht dies am Streit mit Bolsec fest, vgl. dazu VAN VEEN, Calvin und seine Gegner, 159–161. 95 Einschlägige Exzerpte aus Calvins 1552 gedruckter Schrift gegen Bolsec (De aeterna Dei praedestinatione) legte Bruchsal als Beleg bei, vgl. Bruchsal an Westphal, 7.11.1552, SILLEM I, 132 f. (Nr. 79). 96 Vgl. aaO., 133 (Nr. 79). 97 Vgl. JANSE, WIM, C.II.12. Sakramente, übs. v. Ulrike Sawicki, in: Herman J. Selderhuis (Hg.), Calvin Handbuch, Tübingen 2008, 338–349, hier 344 f, sowie u. Kap. IV.3.1d. 98 Vgl. u. Kap. III.2.4b und IV.3.1a. 99 Bruchsal an Westphal, 7.11.1552, SILLEM I, 133 (Nr. 79).

204 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk reformatorischen Spektrums ermöglicht hatte.100 Bruchsal hebt die damit verbundenen Aussagen hervor, die er als häretisch betrachtet: die Bestreitung einer substantial-leiblichen Präsenz Christi im Abendmahl sowie der manducatio impiorum. Diese Einordnung hängt einerseits damit zusammen, dass diese Aspekte mit der traditionellen Zürcher Ansicht übereinstimmen, andererseits mit der von Westphals Partei vertretenen Haltung: Sie ging – in normativer Vereindeutigung gegenüber Wittenberger Konkordie und CA variata – davon aus, dass nur eine substantial-leiblich verstandene eine wahrhaftige Präsenz Christi darstelle. Die These geistlicher Präsenz nahm sie daher als Angriff auf die eigene Lehre wahr, befürchtete aber zugleich, diese Auffassung könnte aufgrund ihrer Anschlussfähigkeit für Straßburger Gedanken im Wittenberger Kontext als rechtgläubig anerkannt werden.101 Die Hintergründe dieser Position sollten bei Alber und Westphal deutlicher werden. Dass Bruchsal über seine Exzerpte sagt: „convincunt etiam Calvinum esse tectum sacramentarium“102 legt nahe, dass auch er meint, die Zugehörigkeit Calvins zu den „sacramentarii“ sei bislang nicht angenommen worden oder zumindest nicht eindeutig gewesen: Calvin hatte in seiner Straßburger Zeit mit Wittenberger Theologen zusammengearbeitet, ohne dass Ketzervorwürfe gegen ihn erhoben wurden.103 Zudem bittet Bruchsal Westphal, speziell die Argumente Calvins, a Lascos, des Consensus Tigurinus und der Oxforder Disputation im Detail zu widerlegen104 – also der Texte, die eine zwischen der traditionellen Zürcher und Straßburger Position stehende – also bisher aus Wittenberger Sicht nicht klar als ketzerisch oder als rechtgläubig eingeordnete – Auffassung geistlicher Präsenz vertraten. Als Gegenmaßnahme schlägt Bruchsal eine öffentliche Widerlegung durch Autoritäten der Wittenberger Reformation vor: Der Text solle von Westphal, Aepin und Flacius verfasst werden, also von Autoren aus dem hamburgischmagdeburgischen Netzwerk der Interimsgegner.105 Der angedachte Kreis von Unterzeichnern geht aber über diesen Kontext hinaus: Bruchsal nennt neben 100

Vgl. o. Kap. III.1.2c; III.1.3b und III.1.3 f. Vgl. u. Kap. III.2.4a–c. 102 Bruchsal an Westphal, 10.8.1552, SILLEM I, 127 (Nr. 76). 103 Vgl. o. Kap. II.4.2 und III.1.1a. 104 Vgl. die folgende Anm. 105 Bruchsal an Westphal, 10.8.1552, SILLEM I, 127 (Nr. 76): „vellem et obnixe oro te, D. Joh. Aepinum, item Mat. Flac. Illiricum, ut Calvino, item omnibus et singulis argumentis Johannis a Lasco, item horum scriptorum, quae ad te mitto, respondeatis publico scripto in lingua latina et deleatis omnia argumenta et objecta illorum. Vellem etiam ut excerperes omnia argumenta ex libello Tigurini impresso de consensione mutua in re sacramentaria, Calvini et ecclesiae Tigurinae; item ex libello impresso Johannis a Lasco, quem tibi misi, item ex libello illo magno in Anglia impresso de re sacramentaria per disputationes, quem tibi plus quam ante annum misi. Ex his vellem ut colligeretis omnia argumenta et objecta, quae videntur responsione propter simplices necessaria, et his plane respondete et solvite; indies ducendo lineam, absolvetis opus, indies unum argumentum solvendo, facile ad finem pervenietis.“ 101

2.2 Entwicklung abendmahlstheologischer Ketzervorwürfe

205

Flacius und Aepin Melanchthon, Brenz, Bugenhagen, Nikolaus von Amsdorf und Antonius Corvinus106 – ein Spektrum von Autoritäten, das offenbar dazu dienen soll, das Ketzerurteil als für die gesamte Wittenberger Reformation normativ zu etablieren. Dass Bruchsal hier Melanchthon einbezieht, zeigt (wie später Westphals und Timanns Texte107), dass Westphals Parteigänger nicht per se gegen Melanchthon eingenommen waren,108 sondern viele von ihnen versuchten, ihn auf die eigene Seite zu ziehen. Bereits am 27.8. drängte Bruchsal erneut, diesen Text in Angriff zu nehmen,109 ermutigte Westphal aber auch, als dieser sich stattdessen zur Abfassung der Farrago entschloss.110 Neben dem Bekenntnis sieht Bruchsal weitere Veröffentlichungen gegen die abendmahlstheologischen Gegner vor. Hier zeigt sich das gemeinsame Vorgehen des interimsgegnerischen Netzwerks: Bruchsal weiß bereits, dass Alber eine Schrift gegen Zwingli und Calvin plant, bittet Westphal, Alber die zugesandten Texte weiterzugeben111 und flicht wiederholt Hinweise für ihn ein.112 Zudem versucht er, Westphals Vorgesetzten Aepin zur Veröffentlichung einer thematisch einschlägigen Schrift zu bewegen.113 Dass Bruchsal vermutet, sie richte sich gegen a Lasco, und als Motto angibt „Illi nec logomachias struunt, nec seminaria dissidiorum spargunt, nec societatem ecclesiarum scindunt, nec ecclesias turbant, qui in coena domini verbo dei fide obediunt etc.“114 legt nahe, dass es sich um eine Verteidigung der eigenen Position gegen den Vorwurf 106 AaO., 128: „Non esset etiam meo judicio malum, sed valde bonum, ut huic vestro publico scripto subscriberent (ut in confessione Magdeburgensi) Philippus, Pomeranus, Brentzius, Nicolaus Amsdorfius, Corvinus, Illiricus, D. Johannes Aepinus, et si qui sunt nominis et aliquae authoritatis, quia, cum sacramentariis his proponuntur scripta vestra, dicunt non novimus hos recentiores doctores [SILLEM fügt ein: quominus], cum sacramentariis his proponuntur scripta vestra dicunt, [dicant] non novimus hos recentiores doctores.“ 107 Vgl. u. Kap. IV.1.2 und V.1.1b. 108 Diese Annahme liegt sowohl der reformierten These zugrunde, Westphal wende sich gegen die (im Rahmen dieser Auffassung postulierte) Übereinstimmung Calvins und Melanchthons (vgl. etwa STÄHELIN, Johannes Calvin, 206) als auch im Zuge der lutherischen Ansicht, Westphal habe aufgrund von Melanchthons Neigung zu Calvin seine ersten Streitschriften veröffentlicht (vgl. TSCHACKERT, Entstehung der lutherischen und der reformierten Kirchenlehre, 531 f.; KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 8–10). 109 Vgl. Bruchsal an Westphal, 27.8.1552, SILLEM I, 130 (Nr. 77). 110 Vgl. Bruchsal an Westphal, 7.11.1552, SILLEM I, 133 (Nr. 79). 111 Vgl. Bruchsal an Westphal, 10.8.1552, SILLEM I, 127 (Nr. 76): „Poteris fasciculum hunc D. Erasmi Alberi aperire et introspicere, et si quid est quod vis ut exscribatur, possis hoc per tuos curare ut exscribatur et haec omnia claudere tuo vel alio sigillo et dare Erasmo Albro. Vellem etiam ut illi communicetis scripta haec quae tibi mitto. Nam, ut intelligo, parat scriptum contra furores Zwinglii et Calvini.“ 112 So soll er gewarnt werden, Calvin nicht voreilig die These von Gott als Urheber des Bösen (s.o.) zu unterstellen (vgl. Bruchsal an Westphal, 7.11.1552, SILLEM I, 132 (Nr. 79)). 113 Vgl. Bruchsal an Westphal, 27.8.1552, SILLEM I, 129 (Nr. 77). 114 Ebd. Aepins Schrift wurde nie veröffentlicht und ist nicht überliefert – allerdings könnte das Zitat in TIMANN, Farrago, 247–249, ihr zuzuordnen sein; vgl. u. Kap. IV.1.2.

206 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk handelt, dass diese für den Abendmahlsstreit verantwortlich sei: Das hielt ihr a Lasco im Rahmen seines reformatorisch normativen Anspruchs vor. Ein solcher Text könnte anlässlich von a Lascos Besuchen in Hamburg115 entstanden sein. Aepin war jedoch offenbar – ob nun aus Verbundenheit mit a Lasco oder aus anderen Gründen – nicht zur Veröffentlichung bereit; jedenfalls bat Bruchsal Westphal am 7. November, Aepin nochmals zur Publikation aufzufordern, zumindest aber zu einer Antwort auf seinen Brief zu veranlassen.116 Schließlich fordert Bruchsal eine lateinische Übersetzung der Abendmahlsschriften Luthers117 – das sollten Westphal und Judex später umsetzen.118 Die bei ihnen damit verbundene Absicht, die eigene Position analog zu den Texten ihrer Streitgegner international zu verbreiten, steht vermutlich schon hinter Bruchsals Überlegungen. Deshalb sah er wohl auch vor, dass Westphal, Aepin und Flacius ihre Widerlegung lateinisch verfassen sollten,119 und fügte den mitgesandten niederländischen Schriften lateinische Übersetzungen bei.120 Vorerst trat allerdings bei Westphal Partei die Befürchtung in den Vordergrund, Teile der eigenen Kirche vor Ort könnten zu den Gegnern abfallen.

2.3 Niederdeutsche Abendmahlspolemiken (1552) 2.3 Niederdeutsche Abendmahlspolemiken

Noch vor den großen Streitschriften Westphals und Albers entstanden zwei niederdeutsche Abendmahlspolemiken Albers und Joachim Magdeburgs. Damit knüpfte Westphals Partei an die Praxis wittenbergisch geprägter Theologen im Ersten Abendmahlsstreit an, die eigene Streitposition auch in niederdeutscher Sprache zu verbreiten und so – jedenfalls der erklärten Absicht nach121 – einfache Gemeindeglieder in Norddeutschland für das Problem zu sensibilisieren.122 Aufgrund der Sprache und der entsprechenden rein regionalen Verbreitung wurden diese Texte zwar von der Gegenseite offenbar nicht zur Kenntnis genommen und sind daher auch in der bisherigen Forschung zum Zweiten Abendmahlsstreit nicht berücksichtigt worden. Sie sind jedoch aufschlussreich für die von Westphals Partei gehegten Befürchtungen. 115

Vgl. o. Kap. III.2.1a. Bruchsal an Westphal, 7.11.1552, SILLEM I, 133 f. (Nr. 79). 117 Vgl. Bruchsal an Westphal, 10.8.1552, SILLEM I, 128 (Nr. 76). 118 Vgl. u. Kap. IV.1.3a und IV.3.1e. 119 Vgl. Bruchsal an Westphal, 10.8.1552, SILLEM I, 127 (Nr. 76). 120 Vgl. o. in diesem Abschnitt. 121 Ob eine tatsächliche Wirkung bei einfachen Gemeindegliedern realistisch war, wäre je nach Inhalt und Anspruch des konkreten Textes zu diskutieren. Während im Ersten Abendmahlsstreit eine solche Rezeption in vielen Fällen belegt oder ohne weiteres vorstellbar ist, ist der Sachverhalt bei den hier vorgestellten Texten komplizierter. Vgl. dazu u. im Abschnitt zu Joachim Magdeburgs Schrift (Kap. III.2.3b). 122 Vgl. für den Ersten Abendmahlsstreit BURNETT, Debating the Sacraments, 40–48. 116

2.3 Niederdeutsche Abendmahlspolemiken

207

a) Warnung an die Laien: Magdeburgs Kort Bericht Als erste Streitschrift auf Westphals Seite entstand im Oktober 1552 der Kort Bericht des Hamburger Diakons Joachim Magdeburg, der 1553 dann gedruckt wurde.123 Da Magdeburg befürchtete, dass die von Bruchsal übermittelten Schriften zur Verbreitung ketzerischer Lehre im eigenen Umfeld führen könnten, wollte er theologische Laien davor warnen. Insofern bildete der Kort Bericht das niederdeutsche Pendant zu den lateinischen bzw. hochdeutschen Streitschriften Westphals und Albers, mit denen Magdeburg engen Kontakt hatte. Letzteres hatte sich aus dem Netzwerk der Interimsgegner ergeben: Magdeburg hatte Alber nach dessen Ausweisung in Salzwedel beherbergt.124 Als er Ostern 1552 selbst als Interimsgegner entlassen wurde, begab er sich nach Hamburg, wo Aepin ihn als Diakon an St. Petri anstellte.125 In der Vorrede begründet Magdeburg die Abfassung des Textes damit, dass es kaum niederdeutsche Schriften über das Abendmahl gebe, aber viele Menschen in Hamburg und den Niederlanden des Hochdeutschen nicht mächtig seien.126 Aus dem Kloster St. Anna zu Salzwedel sei er um eine Zusammenfassung einschlägiger Predigten gebeten worden.127 Schließlich betont er: „bin ick ock dardorch bewagen / dith Bock tho schryuende / dat ick see vnd erfare / wo geswinde de Sacramentirer mith eren schrifften heruth breken / vnd ere sake vppt hgeste putzen vnd smcken / vnd anders nicht sken / alse dath se den Kercken de noch (Gade sy danck) des erdoms rein syn / eren erdhom mgen by bringen / vnd se dardorch vorgifften. […] Vnd dewyle ick denn ock van Gade dem Hern tho einem vnderwechter auer Israel gesettet bin / so achte ick ydt darur / dat ydt ock myn ampt van my erfrdere / dat ick de armen simpeln Christen / de sluest nicht genochsam in Gades worde vnderrichtet synt / vor den hellischen vorgifft / den de Duel dorch de Sacramentirer vthspyet / vorwarne.“128

Abendmahlstheologische Schriften der Streitgegner lassen Magdeburg also befürchten, dass regionale Kirchen zu dieser Auffassung übergehen könnten. Zugleich nennt er altgläubige Gefahren: das Trienter Konzil und den Zwang zum Abendmahlsempfang sub una.129 Das ordnet er wie Alber in ein Bild der Welt als Lustgarten des Teufels ein, dessen Wirken Trient und Interim ebenso zugeschrieben werden wie das Auftreten der Sacramentirer.130 123 MAGDEBURG, JOACHIM, Ein kort bericht vnd || bekentnisse van dem Hilligen || Hochwerdigen Sacrament des Ly=||ues vnd Blodes Jesu Christi / darin || van den vornemesten stcken de dith || Sacrament belangende / gehandelt /|| vnd vele erdme vnd mißbrke / so der insetting || Christi entyegen synt / krtlick erkleret v confu=||tiret werden […], Hamburg: Joachim Löw 1553, VD16 M 162. Zur Datierung vgl. aaO., A8r–A8v. 124 Vgl. o. Kap. III.2.2a. 125 Vgl. BERTHEAU, Magdeburg, 53. 126 Vgl. MAGDEBURG, Kort Bericht, A3r. 127 Vgl. aaO., A3v–A4v. 128 AaO., A4v–A5v. 129 Vgl. aaO., A5v–A6v. 130 Vgl. aaO., 49r–v; 152v–154v; 159r.

208 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk Dass Magdeburg sein Vorgehen mit Alber und Westphal abgestimmt hatte, legen Indizien nahe: Mit Ausnahme der polemischen Datierung auf Zwinglis Todestag131 benennt er die Gegner nicht namentlich und wiederholt vor allem Argumente des Ersten Abendmahlsstreits132 – begründet das aber damit, dass begabtere Kollegen umfassende Widerlegungen vorbereiteten.133 Damit dürften Westphal und Alber gemeint sein: Sie bedienen den Expertendiskurs, während Magdeburg das durch eine Schrift für weniger Gebildete ergänzt. Jedoch attackiert er auch zwei originelle Aussagen a Lascos aus der von Bruchsal übersandten Tractatio de sacramentis: Leibliche Allgegenwart Christi impliziere dessen Präsenz in der Hölle und bei einer leiblichen Präsenz Christi im Abendmahl hätte Maria ihren Sohn gegessen.134 Diese Aussagen sollte auch Alber als frevelhaft hervorheben. Zudem wählt Magdeburg wie Westphal 1 Kor 11,23 als Motto und zitiert auf dem Vorsatz wie Alber Ps 139,21–22.135 Das lässt Absprachen vermuten, zumal alle drei zu dieser Zeit in Hamburg waren. Anders als Westphal und Alber behandelt Magdeburg allerdings auch altgläubige Bedrohungen wie den Zwang zur Kommunikation sub una.136 Das hängt wohl mit der Ausrichtung auf einfache Gemeindeglieder zusammen, die Magdeburg ebenso gegen altgläubige Positionen wappnen will wie gegen die Lehre Calvins oder a Lascos: Wolfgang Waldner, der mit seinen Übersetzungen eine analoge Zielgruppe ansprach, sollte später ähnlich vorgehen.137 Dass seine Zielgruppe theologische Laien sind, betont Magdeburg wiederholt: „de daglick mit Gades worde vmmeghan / vnd darin studeren […] de bedaruen mynes berichtes nicht.“138 Allerdings enthält der Kort Bericht neben grundlegenden Erklärungen139 auch lange, anspruchsvolle Argumentationen 131 AaO., A8r–A8v: „Datum Hamborg im 1552. Jahre […] / den 11. dag Octobris / vp welchen dag vor 21. jar de Sweytzer [i.e. die Einwohner von Schwyz, C.E.] mit den Zurichern eine slachting geholden / darinn de Sacramentirer Vlricus Zuinglius vmmkamen ys.“ 132 Beispielsweise diskutiert er, warum das „ist“ der Einsetzungsworte nicht als „bedeutet“ zu verstehen sei, vgl. aaO., 187r–192r. 133 AaO., 195v–196r: „will ick en ock dit mael vp slke ere Vngegrndede Gadeslesterlike Argumenta vnd lappendedinge nichts antworden: Sonderlick / dewile ick dit myn Bock nicht darmme angefangen hebbe / dat ick alle Argumenta der Sacramentirer darinn wedderleggen will. Thom andern / Dewile ick weth dat itzundt ander lde / de mith hgern gauen van Godt begnadet syn alse ick / im wercke syn / dat se nicht alleyn den anfencklichen ortsprunck der Sacramentirer Secten beschriuen / sondern ock de gantze lehre der Sacramentirer / vam Sacramente grndtlick wedderleggen werden“. 134 Vgl. MAGDEBURG, Kort Bericht, 179v–182r; aaO., 195r; zu a Lascos Thesen o. Kap. III.1.3 f. 135 Vgl. MAGDEBURG, Kort Bericht, A1v, mit WESTPHAL, Farrago, A1r; ALBER, Wider die Carlstader, *1r. 136 Vgl. etwa aaO., 62v–79v; 53v–57v. 137 Vgl. u. Kap. IV.1.4. 138 MAGDEBURG, Kort Bericht, A5v. 139 Etwa zum Hergang der Einsetzung, vgl. MAGDEBURG, Kort Bericht, fol. 5v–10v.

2.3 Niederdeutsche Abendmahlspolemiken

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und originalsprachliche Väterbelege.140 Die Einflechtung von Handreichungen für Dorfprediger141 könnte diese als Zielgruppe nahelegen; insgesamt aber entsteht eher der Eindruck, dass Magdeburg auf den über 400 Seiten des „kort“ Bericht schlicht alle seine Kenntnisse zum Thema Abendmahl referiert. Die Schrift scheint in Norddeutschland eine gewisse Verbreitung erlangt zu haben: Westphal wurde im Mai 1553 vom Greifswalder Superintendenten Johannes Freder, der das Buch bei einem anderen Prediger gesehen hatte, um Informationen über Joachim Magdeburg und um Exemplare für die Rügener Pfarrer gebeten.142 Über Reaktionen der Gegenseite ist dagegen nichts bekannt. b) Ausbreitung der Gegner im eigenen Umfeld: Albers Vorrede Die erste Äußerung, in der Alber eindeutig auf Basis von Bruchsals Informationen a Lasco und Calvin verketzerte, ist seine Vorrede zum Dialogus Georg Barths aus Lübeck – dort hatte sich Alber im Sommer / Herbst 1552 einige Zeit aufgehalten, bis er aufgrund eines Konflikts mit dem Prediger Laurenz Mörskens ausgewiesen wurde.143 Im November nutzte er die Vorrede zu einer für das interimsgegnerische Umfeld typischen Zeitdiagnose: Die Mehrheit der Theologen mache ausgerechnet jetzt, wo die Welt vergehen solle, mit ihr Kompromisse und verrate so die Wahrheit.144 Zu diesen Verrätern zählt er neben Osiander und „Adiaphoristen“ auch zwei theologische Lehrer, die angesichts der Aussagen aus Bruchsals Briefen als a Lasco und Calvin erkennbar sind: „ein nie145 Sacrament schender / eyner in Engelant / de scheldet de hillige Dpe einen affgodt / Der ander in Geneua / de leret / in der Dpe sy nicht vorgeuinge der snde / sondern

140 So diskutiert er, ob Christus nach der Auferstehung de essentia rei oder de qualitate bzw. de externa apparentia rei aus dem Grab abwesend gewesen sei und belegt dies durch ein mehrere Seiten langes lateinisches Augustinzitat, vgl. aaO., 176r–178r. 141 Beispielsweise eine Anweisung zur Durchführung der Beichte, vgl. aaO., 112v–127v. 142 Freder an Westphal, 15.5.1553, SILLEM 1, 145 (Nr. 83): „Rogo te […] ut mihi scribas, quis sit is M. Joachimus Magdeburgius, qui de coena domini libellum apud vos edidit. Vidi eum libellum Sundii apud concionatorem quendam ante paucos dies. Et legi paucas pagellas: ea quae legi mirifice placuerunt. Si venirent ad nos exemplaria, curarem ut omnes mei Rugiani eum emerent.“ Ders. an dens., 16.7.1553, SILLEM I, 153 (Nr. 86): „Vellem mihi mitti 15 exemplaria libellorum de sacramento D. Marpurgii, si cum certis hominibus et sine magnis sumptibus ad nos perferri possint.“ SILLEM 154 Anm. 2 vermutet hinter der Autorenangabe Johann Marbach, dessen Abendmahlsschrift aber erst 1565 gedruckt wurde (VD16 M 902). In Anbetracht der Erwähnung im vorigen Brief liegt wohl eher Joachim Magdeburg nahe. 143 Vgl. SCHNORR VON CAROLSFELD, Erasmus Alberus, 146–149; KÖRNER, Erasmus Alber, 143–151. 144 Vgl. ALBER, ERASMUS, Vorrede zu BARTH, GEORG, DIALOGVS. || Gespreke || van der vnstarff=||licheit der Sele / tho || dessen ergerliken tiden / gautz || trstlich vnd ntte tho lesen. || […], Lübeck: Georg Richolff 1552, VD16 B 489, A2r–A4v. 145 Der Text ist niederdeutsch abgefasst, „nie“ bedeutet hier also „neu“.

210 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk wy sin salich / vor der Dpe / vnde ane die Dpe / Wen wy doen / vnde geluen wat vns Christus hetet / dat modt nen affgederie heten / Wat will noch daruth werden?“146

Wie Magdeburg befürchtet Alber eine Verbreitung solcher Ansichten in der eigenen Kirche: „etlike Prediger sint im herten Swinglisch / vnde willens vmme des bukes willen / nicht pentlick bekandt syn / tuen147 vp gelegenheit / alstan willen se sick mit eren schwarm apenbaren.“148 Ob mit diesen Aussagen konkrete Personen gemeint sind, bleibt unklar. Eventuell denkt Alber an seinen Lübecker Opponenten Mörskens, dem – aufgrund einer eher idiosynkratischen Position, die sich gegen die Vorstellung einer Rechtfertigung ohne ethische Konsequenzen wandte und daher bestritt, dass Sakramentsempfang stets Sündenvergebung bewirke – sakramentiererische Ansichten vorgeworfen wurden.149 Jedenfalls aber kommt hier eine Sorge zum Ausdruck, die dann auch die großen Streitschriften Albers und Westphals prägen sollte.

2.4 Die ersten großen Streitschriften (1552/53) 2.4 Die ersten großen Streitschriften

a) Vorwurf wechselseitigen Widerspruchs: Westphals Farrago Westphals im Herbst 1552 entstandene, im gleichen Jahr gedruckte Farrago150 ist die für die Beweggründe seiner Partei aufschlussreichste der ersten Streitschriften: Die verketzerten Texte werden darin wörtlich zitiert und in Marginalien kommentiert – daher der Titel Farrago („Mischmasch“).151 Die Textauswahl und Kommentierung zeigen präzise, welche Werke Westphal und seine Mitstreiter als problematisch empfanden, warum sie deren Lehre als häretisch betrachteten und inwiefern sie darin eine Bedrohung für den eigenen Anspruch sahen, die reformatorisch normative Position zu vertreten. Neben der Abendmahlslehre der Streitgegner waren dafür auch deren reformatorisch normative Ansprüche und ihr kirchenpolitisch-publizistischer Einfluss wichtig.

146

ALBER, Vorrede zu BARTH, Dialogus, A3v. Niederdeutsch: warten. 148 ALBER, Vorrede zu BARTH, Dialogus, A3v. 149 Vgl. HAUSCHILD, Kirchengeschichte Lübecks, 246–248. 150 WESTPHAL, JOACHIM, FARRAGO || CONFVSANEARVM ET IN=||TER SE DISSIDENTIVM OPINIO=||num De Coena Domini ex Sacramentarior li=||bris congesta […], Magdeburg: Christian Rödinger 1552, VD16 W 2287. Terminus ante quem ist aufgrund des Erscheinungsjahrs 1552 der 31.12.; terminus post quem sind Bruchsals Briefe vom 10. bzw. 27.8. Dass Bruchsal am 7.11. vom Beginn der Arbeit gehört hat, aber noch nicht von der Fertigstellung, spricht für eine Entstehung zwischen September und Jahresende. 151 Der Begriff ist nicht per se pejorativ konnotiert, sondern bezeichnet eher eine kommentierte Sammlung von Zitaten: Johann Timanns Farrago soll beispielsweise seine eigene Streitposition positiv untermauern (vgl. u. Kap. IV.1.2). 147

2.4 Die ersten großen Streitschriften

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Die Auswahl der von Westphal zitierten und polemisch kommentierten Texte zeigt, dass er die Lehre Calvins, Vermiglis, a Lascos und ihrer Mitstreiter mit der von Luthers Opponenten des Ersten Abendmahlsstreits zusammenordnen will: Zitiert werden die von Bruchsal übersandten Texte (der Consensus Tigurinus, Vermiglis Oxforder Tractatio, a Lascos Tractatio de sacramentis), weitere Schriften Bullingers und Calvins152 (Bullingers Kommentar über den Ersten Korintherbrief, seine Tractatio de ecclesiae sacramentis, das Zürcher Bekenntnis von 1545, Calvins Petit traicte, sein Korintherkommentar und der Genfer Katechismus), Schriften der Gegner Luthers im Ersten Abendmahlsstreit (Karlstadts Dialogus, Zwinglis Responsio, Subsidium de eucharistia, Eine klare Unterrichtung vom Nachtmahl Christi und De convitiis Eckii, Oekolampads Sermo de dignitate eucharistiae, Antisyngramma und sein Brief an Pellikan, Bucers Apologia und sein Matthäuskommentar) sowie spätere Straßburger Texte (Bucers Ad amicum quendam und Liber de concilio).153 Um zu belegen, dass die in den von ihm zitierten Texten vertretene Abendmahlslehre ketzerisch sei, konzentriert sich Westphal in der Farrago vor allem auf ein Argument: Die Gegner bestritten das wörtliche Verständnis der Einsetzungsworte sowie die Austeilung des wahren Leibes und Blutes Christi im Abendmahl und verträten zugleich unvereinbare positive Auffassungen.154 Damit greift Westphal nicht nur auf einen geläufigen Ketzertopos zurück, sondern auch auf ein für Luther im Ersten Abendmahlsstreit zentrales Argument.155 Schon damit demonstriert er den Anspruch, dass seine mit Luthers Position identisch und insofern für die Wittenberger Reformation normativ sei, während die Lehre der Gegner mit der von Luthers Opponenten übereinstimme. Das wird noch deutlicher, wenn Westphal als Beleg für seine These, dass sich die Ansichten der Gegner untereinander widersprächen, zunächst die klassischen Beispiele Luthers und der Syngrammatisten anführt (Karlstadt sehe den Tropus der Einsetzungsworte im hoc, Zwingli im est, Oekolampad im corpus)156 und dann Aussagen hinzufügt, die auf den aktuellen Gegner Calvin gemünzt sind 152 Bei diesen ist nicht eindeutig festzustellen, ob es sich um die von Bruchsal gesandten Auszüge handelt, da letztere bei ihm nicht näher benannt werden (vgl. o. Kap. III.2.2b). 153 Für eine Aufstellung der zitierten Abschnitte und eine Konkordanz zu heutigen Editionen vgl. die Tabelle im Anhang. 154 WESTPHAL, Farrago, A4r–A4v: „Constant quidem sibi in uno eodemque errore tuendo, negant ad unum omnes, de mensa Domini dari Christi uerum corpus et sanguinem, pane et calice Domini distributa […] Cum urgentur claris uerbis Domini, Hoc est corpus meum, ac iam effugiendi uia non patet, quin cogantur respondere ad argumenta ex perspicuitate uerborum opposita, et ostendere, quo sensu, quaue ratione ipsorum dogma consentiat cum uerbis Christi, ibi Prothei in morem uertunt se in mille formas, et omnibus modis inter se dissonantia, imo pugnantia dicunt, quae nusquam inter se cohaerent.“ Vgl. aaO., A8v–B1r. 155 Zur Rolle des Arguments bei Luther und anderen Autoren des Ersten Abendmahlsstreits s.o. Kap. II.1.4 und II.2.2b. 156 Vgl. WESTPHAL, Farrago, A4v–A5r.

212 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk (alle späteren Ausleger der Gegenseite widerlegten Karlstadt; Zwingli werfe man vor, verkannt zu haben, dass mit den Elementen Leib und Blut Christi angeboten würden).157 Auch die These, dass die Gegner nicht nur einander widersprächen, sondern sich auch jeweils selbst, belegt Westphal sowohl an Luthers Gegner Zwingli, der einmal est als significat deute, ein andermal corpus als passio und ein wieder anderes Mal corpus als ecclesia,158 als auch an aktuellen Texten a Lascos, der für corpus die Auslegungen meritum mei corporis, ius in corpore meo, societas seu Ecclesia und actio seu forma coenae biete.159 Die Gestaltung der Schrift unterstreicht die polemische Strategie, den verketzerten Theologen widersprüchliche Aussagen vorzuwerfen: Dass Westphal Zitate der attackierten Autoren abdruckt, deren wörtliche Wiedergabe betont160 und seinen Kommentar in Marginalien verlegt, verstärkt die Überzeugungskraft der These, dass diese Auslegungen in sich unvereinbar seien, und sichert ihn gegen den Vorwurf falscher Unterstellungen ab.161 Zudem hebt er hervor, niemand könne sich zu Unrecht aufgenommen sehen: Er habe nur Theologen berücksichtigt, denen die Bestreitung der wahren Präsenz Christi nachzuweisen sei, und nur die wichtigsten, damit niemand sagen könne, es handle sich um Fehler von Ungelehrten.162 Eine Tabvla breviter et summatim ob oculorum ponens chaos diuersarum opinionum de uerbis Christi, Hoc est corpus meum163 stellt am Ende des Textes nochmals alle 28 unterschiedlichen Auslegungen der Einsetzungsworte zusammen, die Westphal in den Zitaten diagnostiziert hat. 157 Vgl. ebd. Westphal nennt hier keinen Autor; dass (unter anderem) Calvin gemeint ist, zeigt sich an den Bemerkungen zu dessen Texten aaO., D5v: „Insulsum commentum Carolst. de pronomine demonstratiuo repudiatur“ und aaO., D5r: „Incogitantia Zuinglianorum quindecim annis contenderunt panem et uinum esse uacua signa.“ 158 Vgl. aaO., A5v. Diese Aspekte finden sich in Westphals Randkommentaren zu Zwinglis Texten wieder: So kommentiert er aaO., B5v: „Corpus pro paßione tolerata in corpore.“ sowie aaO., B6v: „Corpus Christi pro Ecclesia“ und setzt gegen Zwinglis Argument, es sei unmöglich, corpus als ecclesia zu deuten, so dass das est als significat zu verstehen sein müsse, die Bemerkung: „tamen Zuinglius alio loco Corpus exponit de Ecclesia“ (aaO., B5v). 159 Vgl. aaO., A5v (dort die Zitate). Westphal spricht von „his unius scriptoris in uno libro definitionibus“; die Vorwürfe finden sich aber in den Kommentaren zu a Lascos Tractatio de sacramentis wieder: aaO., D8r: „H.E.C.M. Hoc est usus et ius communionis uobis delata.“ aaO., D8v „H.e. etc. Hoc est ius in corpore etc.“, aaO., E1r „H.E.C.M. Hoc est meritum corporis mei.“ und aaO., E2v: „H.E.C.M. Haec est actio externa seu forma coenae.“ 160 AaO., A8r: „His de causis collegi, et nunc in publicum emitto uiolentas, difformes, inter se dißidentes, seque inuicem collidentes opiniones de uerbis Domini, Hoc est corpus meum, descriptas ad uerbum, ut leguntur in libris Sacramentariorum prelo diuulgatis”. 161 Die von Westphal beabsichtigte Wirkung auf den Leser wird etwa bei MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 21, deutlich: „Westphal führt nun die Auslegungen […] mit ihren eigenen Worten an, indem er selbst nur am Rande kurze Anmerkungen gibt, in denen er die Ausdrücke der Schriftsteller aus ihren eigenen Schriften zu erklären sucht.“ Hier wird der polemische Charakter der Kommentierung völlig unterschlagen. 162 Vgl. WESTPHAL, Farrago, B2v. 163 AaO., E3v–E4r, Zitat E3v.

2.4 Die ersten großen Streitschriften

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In der Farrago wird zugleich deutlicher als in den früheren Texten, wie Westphal und seine Parteigänger ihre Ketzerurteile begründen und warum sie so alarmiert reagieren. Programmatisch bemerkt Westphal in der Vorrede: „Quanquam Pseudoprophetae ueniunt occultati sub uestimentis ouium, et angelus Satanae transformat se in angelum lucis, ideoque difficile est cauere insidias, dolos et fraudes haereticorum, tamen Deus uarijs, ijsque euidentibus, ac conspicuis notis eos manifestat, ut facile dinosci et uitari queant, si non indiligens animaduersio adhibeatur. Ex his indicijs non obscura neque ambigua est nota, quod falsae doctrinae siue authores siue sectatores, ut maxime in idem incumbant studium, et ad eundem tendant scopum erroris, ipsi tamen secum dissident et in varias ac pugnantes inter se opiniones et sermones discissi sibi inuicem aduersantur, suaque dogmata non tam suspecta reddunt, quam falsa esse produnt.“ 164

Was hier durch das Bild der Pseudopropheten in Schafskleidern (Mt 7,15) angedeutet ist, wird im Folgenden ausdrücklich formuliert: Westphal zufolge versuchen die Gegner, ihren Irrtum in der Kirche zu verbreiten, indem sie ihn in neuem Gewand vorbringen und als Wahrheit ausgeben.165 Er befürchtet, die Lehre der Gegner könnte nicht als Ketzerei erkannt werden und auch im eigenen Umfeld Anhänger finden, und will deshalb davor warnen.166 Westphal meint also, dass Calvin, Vermigli, a Lasco und ihre Mitstreiter eine häretische Ansicht verträten, die aber als solche nicht eindeutig erkennbar sei und insofern eine Gefahr für die eigene Kirche darstelle. Das hängt vor allem mit drei Aspekten zusammen: den nicht klar der bisherigen Zürcher oder Straßburger Haltung zuzuordnenden theologischen Positionen, dem damit verbundenen Anspruch auf gesamtreformatorisch normative Geltung und dem publizistisch-kirchenpolitischen Einfluss dieser Auffassungen in Europa. Auf dogmatischer Ebene enthält die gegnerische Lehre einerseits Elemente, die mit der klassischen Zürcher Position übereinstimmen und aus Westphals Sicht nicht mit seiner eigenen Lehre kompatibel sind – daher betrachtet er sie als zürcherische Ketzerei. Andererseits ist sie anschlussfähig für die Straßburger Position und damit für eine Lehre, die seitens der Wittenberger Reformation anerkannt ist – daher Westphals Befürchtung, sie könnte im eigenen Umfeld als rechtgläubig akzeptiert werden. Das zeigt sich im Nachwort: „Prudenter nobis cauendum est ab illorum errore, qui ex coena Domini nobis faciunt tantum Symbola quaedam corporis et Sanguinis Christi, quae nos admoneant mortis eius, et inuisibiliter quodammodo promissiones salutis nostrae obsignent. Haec alij docent aperte, alij occulte tectis uerbis, aliqui docent, quod panis et uinum in sacra coena significant corpus et 164

WESTPHAL, Farrago, A2r [im Druck fälschlich als A3 gekennzeichnet]. AaO., A3r: „Hos colores et notas peruerse docentium ualde insignes, et illustres gerunt adsertores Zuingliani erroris tollentis e sacra coena ueritatem corporis et sanguinis Christi, Variis tegmentis inuoluunt sese, quibus detractis subinde adsumunt alia, adhibent summum artificium, ut error de Eucharistia perniciosus non solum latente obrepat, et astute se insinuet in animos, sed etiam ut pro coelesti oraculo, in quo sola ueritas solida contineatur, cum applausu, et admiratione approbatus, admissus et acceptus, ubi late obtineat, et propagetur.“ 166 Vgl. aaO., A3r–A4v; A7v–B2r. 165

214 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk sanguinem Christi, nonnulli fatentur, in hac coena exhiberi, edi et bibi Domini corpus et sanguinem, sed spiritualiter, non tamen, ut panis Eucharistiae sit corpus, et uinum sit sanguis Domini. Hi astute ita occultant suum errorem, ut uideantur de synaxi sentire, et loqui, secundum orthodoxam fidem, non aliter, quam recte institutos conuenit credere, et docere de hoc sacramento, nihilominus tamen, cum alijs uersantur in eodem errore, qui negant praesentiam ueri corporis et sanguinis Christi in coena. Verbis quidem idem sonant, quod alij sinceri in recta fide, cum dicant, fideles edere corpus Christi, et bibere eius sanguinem, sed non sentiunt idem, neque credunt cum alijs pijs, de mensa Domini dari uerum corpus domini, traditum pro nobis in mortem, et Sanguinem effusum pro nobis in remissionem peccatorum nostrorum. His uerbis edere corpus et bibere sanguinem Christi, addunt suam glossam, siue expresse siue tacite, quod esum corporis, et potum sanguinis Domini intelligi uelint spiritualem seu symbolicum. Prolixe ubique concionantur de spirituali manducatione. Ac sane utiliter in his concionibus collocarent operam suam, si non occultato errore spiritualibus istis sermonibus deciperentur incauti.“ 167

Eben die Aussagen, vor denen Westphal hier als nur scheinbar rechtgläubigen Täuschungen warnt, haben dafür gesorgt, dass sich ein Großteil des ZürichStraßburger reformatorischen Spektrums auf den Consensus Tigurinus einigen konnte: Dass Christus im Abendmahl geistlich präsent ist, lässt ebenso Calvins straßburgisch-exhibitive Deutung zu, dass Gottes Geist mittels des Sakraments Heil an den Gläubigen wirkt, wie Bullingers nicht exhibitive Zürcher Lesart einer zwar potentiell zum Sakramentsvollzug parallelen, aber allein vom freien Wirken des Geistes abhängigen Nießung durch den Glauben. Vermigli in der Oxforder Disputation und a Lasco in der Tractatio de sacramentis entwickeln ähnliche Aussagen (Vermigli eher exhibitiv, a Lasco klar nicht exhibitiv).168 Damit steht das Konzept geistlicher Präsenz zwischen der bisherigen Straßburger und Zürcher Position und ist keiner von beiden eindeutig zugeordnet. Dass Westphal für eine Einordnung als zürcherisch und ketzerisch plädiert, hängt mit den dogmatischen Festlegungen zusammen, die sowohl die Gegenseite als auch er selbst gegenüber früheren innerreformatorischen Deutungsspielräumen getroffen haben: Im Consensus Tigurinus sowie bei Vermigli und a Lasco wird die geistliche Präsenz Christi so verstanden, dass die menschliche Natur Christi im Himmel lokalisiert und ihre leibliche Gegenwart im Abendmahlsgeschehen bestritten wird. Ebenso wird die Nießung nur durch Gläubige festgehalten und eine manducatio impiorum abgelehnt.169 Diese Aspekte sind aus Zürcher Perspektive essentiell, aber auch für straßburgisch geprägte Theologen nicht prinzipiell problematisch. Im Verhältnis zur Wittenberger Reformation bedeuten sie hingegen eine Festlegung von Aspekten, die in Wittenberger Konkordie und CA variata offen geblieben waren: Dort wurde eine wahrhaftige (und laut Konkordie substantiale) Präsenz Christi festgehalten, deren räumliche Verortung aber nicht festgelegt. Die manducatio indignorum in der 167

AaO., E4v–E5r. Vgl. o. Kap. III.1.2; III.1.3b und III.1.3 f. 169 Vgl. o. Kap. III.1.2; III.1.3b und III.1.3f. 168

2.4 Die ersten großen Streitschriften

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Konkordie ließ sich ebenso im Sinne einer Nießung durch impii wie durch unwürdige Christen deuten. Das ermöglichte ein Spektrum theologischer Lesarten, von Luthers Lehre einer leiblichen Gegenwart Christi in, mit und unter den Elementen über die Position Melanchthons, der Festlegungen auf eine bestimmte Deutung der Präsenz Christi vermied und die CA variata als Rahmen legitimer Lehrauffassungen ansah, bis zur Straßburger Lehre einer substantialen Präsenz Christi auf übernatürlicher Ebene, die den Kommunikanten exhibitiv mittels des Sakramentsvollzugs angeboten werde. Angesichts dessen konnte Luther die Konkordie als Bekehrung der Straßburger zu seiner eigenen Ansicht interpretieren, zumal Bucer Fragen nach der räumlichen Verortung von Christi menschlicher Natur abwies und generell Aussagen vermied, die Luther und ähnlich denkende Theologen als Angriff hätten empfinden können.170 Die Konzepte Vermiglis, a Lascos und Calvins legen sich hingegen zur Verortung der menschlichen Natur Christi und zur manducatio impiorum in einer Weise fest, die mit der traditionellen Zürcher Position übereinstimmt – darauf basiert Westphals Einordnung ihrer Lehre als Zürcher Häresie. Westphal sieht die Lehre der Streitgegner aber auch deshalb als häretisch an, weil er selbst die gegenteilige normative Vereindeutigung vertritt: Für ihn ist wahre Präsenz Christi im Abendmahl nur gegeben, wenn es sich um eine leibliche Gegenwart der menschlichen Natur handelt.171 Im Hinblick auf die positive Lehre ist dies mit Luthers Ansicht kongruent. Hatte Luther aber um 1536 andere (Wittenberger wie Straßburger) Deutungen wahrhaft-substantialer Präsenz als mit seiner Ansicht übereinstimmend interpretiert, ist für Westphal die Zustimmung zu der von ihm selbst vertretenen Art der Präsenz Voraussetzung für Rechtgläubigkeit. Wie Calvin oder Vermigli im Verhältnis zu Bucer,172 so knüpft Westphal im Verhältnis zu Luther inhaltlich an dessen Auffassung an, setzt aber seine präzise bestimmte eigene Lehre verstärkt normativ. Daher ordnet er in der Farrago auch Bucer als Häretiker ein: Nach Westphals verschärften normativen Kriterien stimmt auch diese, seinerzeit von Wittenberger Seite anerkannte Ansicht nicht mit der eigenen überein.173 Insbesondere aber sieht Westphal aufgrund dieser Festlegung auf ein leibliches Verständnis der Präsenz Christi die normative Festlegung Vermiglis, Calvins oder a Lascos auf ein geistliches Verständnis als Angriff auf die eigene Position an: Er betont, die Gegner sprächen von geistlicher Gegenwart, um die wahre – also aus seiner Sicht die leibliche – Präsenz als fleischlich abzuwerten, und bringt dagegen 170 Vgl. zur Wittenberger Konkordie, der CA variata und den verschiedenen möglichen Deutungen beider Texte o. Kap. II.3.3, II.4.1 und II.4.2. 171 Die Aussage „ut panis Eucharistiae sit corpus, et uinum sit sanguis Domini“ (s. Zitat o. bei Anm. 167) legt eine Identität von Leib und Elementen nahe; die Recta fides stellt aber klar, dass es Westphal um die substantial-körperliche Präsenz der Menschheit Christi geht, nicht um deren genaue Verortung im Verhältnis zu den Elementen. Vgl. u. Kap. III.2.4c. 172 Vgl. o. Kap. III.1.1a und III.1.3c. 173 Vgl. weiter unten in diesem Abschnitt.

216 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk Luthers Argument in Stellung: Der Begriff Fleisch bezeichne in der Schrift nicht Christi Leib, sondern den alten Adam.174 Geistlich sei hingegen alles, was im Glauben geschehe, im Falle des Abendmahls: es im Glauben an Christi wahre (aus dieser Sicht leibliche) Gegenwart zu vollziehen.175 Insofern kann auch Westphal positiv von einer spiritualis manducatio sprechen – aber nicht in der Bedeutung, die Calvin und andere Streitgegner vertreten,176 sondern im Gegensatz dazu: Setzen sie die geistliche Nießung im Herzen gegen eine leibliche Nießung von Christi Leib und Blut, ist für Westphal nur diejenige Nießung geistlich, die im Vertrauen auf Christi leibliche Präsenz erfolgt. Daher wirft er den Gegnern vor, ihre Lehre sei fleischlich: Sie basiere auf Vernunftargumenten statt auf Gottes Zusage seiner wahrhaften Gegenwart.177 Zugleich befürchtet Westphal, das von Theologen wie Calvin, Vermigli und a Lasco vertretene Verständnis geistlicher Präsenz könnte in der eigenen Kirche als rechtgläubig wahrgenommen werden. Das liegt darin begründet, dass dieses Konzept nicht nur für Zürcher, sondern auch für Straßburger Gedanken anschlussfähig ist. Insofern ist es – im Unterschied zur klassischen Zürcher Position – nicht eindeutig gegen Wittenberger abendmahlstheologische Auffassungen abgegrenzt: Die von ihnen vertretene geistliche Präsenz Christi soll aus Sicht Calvins oder Vermiglis ausdrücklich keine Bestreitung seiner realen 174

WESTPHAL, Farrago, E5r–E5v: „Ex re et usu Ecclesiae est saepius eam docere et commonefacere de spirituali communione Christi, nam soli digne ad salutem communicant coenae Christi, qui eum edunt, et bibunt spiritualiter, indigne in coena sumunt eius corpus et sanguinem, qui non simul spiritualiter per fidem Christo fruuntur. Sacramentarii autem imprudentes fallunt concionibus suis speciosis ac spirituali communicatione, qua eo tendunt, ut praesentia ueri corporis et sanguinis Domini, ab Eucharistia remoueatur, spiritum et spirituale solent fallaciter opponere sanctissimae Christi carni, et sanguini. Doctrinam de praesentia corporis et sanguinis illius, quae distributa sumuntur, in synaxi, sugillant, ac explodunt, tanquam carnalem. Ingerunt ubique oculis et auribus carnem, carnalem praesentiam, carnalem esum, cum haec et simila uerba sint ambigua, ac fere in scriptura male audiant caro et carnalia, et inter se opponantur, caro et spiritus, Cum sermo est non de Christi sanctissimo corpore, et sanguine, sed de uitiosa carne nostra, et de ijs quae sunt ueteris corrupti hominis.“ 175 Vgl. aaO., E5v–E6r. 176 Hier liegt das zentrale Missverständnis in der von JANSE, Westphalʼs Sacramentology, aufgestellten These, dass Westphals Lehre mit der übereinstimme, die Calvin vor dem Consensus vertreten habe – Janse betont aaO, 144 zu Recht, dass auch Westphal eine manducatio spiritualis vertritt, deutet diese aber im Sinne Calvins: „in partial verbal consonantia with the Swiss – for instance, using the term ‚spiritual‘ for „everything that is learnt, believed, and done in faith, according to Godʼs word, by the power of the Holy Spirit“ and using ,carnal‘ for „everything that is done without Word and faith“ – Westphal maintained the manducatio spiritualis as well as the manducatio impiorum, and the necessity of faith […] manducatio sacramentalis or participatio corporis by all – including the impii – through the mouth (ore), and the manducatio spiritualis in faith, by the digni, through the heart (corde).“ Letztere Unterscheidung entspricht der Lehre Calvins – aber eben nicht der Westphals, für den die geistliche Nießung gerade im Glauben an den leiblich-mündlichen Empfang besteht. 177 Vgl. WESTPHAL, Farrago, E6r–E7v.

2.4 Die ersten großen Streitschriften

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Gegenwart darstellen und kann im Sinne einer substantialen, exhibitiv durch den Abendmahlsvollzug vermittelten Präsenz verstanden werden. Daher beanspruchen diese Autoren, dass sich ihre Lehre im Rahmen der Wittenberger Konkordie bewege, und es ist denkbar, dass sie von Wittenberger Seite als straßburgisch und rechtgläubig akzeptiert wird. Letzteres gilt nicht nur im Hinblick auf Melanchthon, der seit der CA variata eine nähere Bestimmung der Präsenz Christi vermied und nur Ansichten ausgrenzte, die das Abendmahl entweder als rein symbolisches Bekenntniszeichen oder im Sinne der Transsubstantiation deuteten.178 Vielmehr konnten im Rahmen der Konkordie auch Theologen, die eine leibliche Präsenz vertraten, andere Bestimmungen substantialrealer Gegenwart als damit vereinbar ansehen: Zur Zeit der Reichsreligionsgespräche 1540/41 war offenbar auch die Lehre des auf Straßburger Seite beteiligten Calvin in diesem Sinne wahrgenommen worden179 und der Streitverlauf sollte zeigen, dass es analoge Urteile über die Genfer Abendmahlstheologie weiterhin gab.180 Verbindlich ist diese Einordnung in der konfessionell ungeklärten Situation vor dem Abendmahlsstreit ebenso wenig wie die von Westphal geforderte Ausgrenzung. Entscheidend für Westphals Befürchtungen ist, dass eine solche Einschätzung möglich ist – wenn sie sich durchsetzen sollte, wäre aus seiner Sicht eine Lehre in der eigenen Kirche anerkannt, die er als häretisch ansieht und deren normative Setzung seiner eigenen diametral entgegensteht. Daher betont er, es handle sich bei dem von den Streitgegnern verwendeten, rechtgläubig klingenden Begriff spiritualis praesentia lediglich um eine Verschleierung der Ketzerei. Ebenfalls nur scheinbar rechtgläubig ist für ihn etwa auch die Rede von einem vere adesse et exhiberi des Leibes Christi.181 Diese Formeln entsprechen der traditionellen Straßburger Position – daher bergen sie für Westphal die Gefahr, dass die dahinterstehende Lehre im eigenen Umfeld als rechtgläubig und evangelisch legitim anerkannt werden könnte.182 178 Wenn die klassischen konfessionellen Urteile davon ausgehen, dass Westphal sich hier spezifisch gegen Melanchthon wende, der inhaltliche Sympathien für die Lehre seiner Gegner hege (vgl. SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 148; STÄHELIN, Johannes Calvin II, 191–198), wird dies also nicht nur der Offenheit von Melanchthons Position (vgl. o. Kap. II.4.1) nicht gerecht, sondern auch der Deutungsoffenheit der Wittenberger Konkordie. 179 Vgl. o. Kap. II.4.2. 180 Dies zeigt sich etwa am Urteil von Brenz und Andreae (vgl. u. Kap. V.1.3) und an der Unterstützung für deren Haltung auf dem Wormser Religionsgespräch (vgl. u. Kap. V.1.5). 181 WESTPHAL, Farrago, B2v–B3r: „Quidem ita nouerunt attemperare sermonem, ut uideantur esse alieni et exempti a sacramentaria haeresi, et recte sentire, sic enim loquuntur, in Eucharistia uere corpus Christi adesse et exhiberi. Ab his minus est periculi simplicioribus. Nam plerique non quid ipsi occultent, sed quid cum recta consentiat fide intelligunt, quanquam aliquibus sub ista specie error iam insinuetur.“ 182 SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 151: „Nach Westphal geht ihrer aller Lehre dahin, dass die Sacramente nur Symbole des Leibes und Blutes Christi seien […]. Das sagen aber nur die Einen offen, die Anderen verbergen es, und ergehen sich in den gleichen Ausdrücken, deren sich die Lutheraner bedienen, und darin gerade liegt die Gefahr.“

218 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk Westphals Einordnung der gegnerischen Abendmahlslehre beruht also nicht – wie die traditionelle lutherische These in Übernahme von Westphals Perspektive meint – darauf, dass Westphal die längst für die Wittenberger Reformation normative Haltung vertreten würde und der Consensus Tigurinus, Vermiglis Oxforder Disputation sowie a Lascos Tractatio de sacramentis eine eindeutig zürcherische, antiwittenbergische Position enthielten.183 Ebenso wenig aber verkennt Westphal – wie die traditionelle reformierte Forschungsthese in Übernahme von Calvins Perspektive annimmt – eine Position dieser Texte, die eindeutig straßburgisch, irenisch und für Wittenberger Gedanken anschlussfähig wäre.184 Vielmehr ist aus Wittenberger Sicht gerade nicht normativ festgelegt, ob diese Ansichten analog zur bisherigen Straßburger Lehre als rechtgläubig anerkannt oder analog zur bisherigen Zürcher Lehre verketzert werden sollen. Aufgrund ihrer Gemeinsamkeiten mit der klassischen Zürcher Position und der damit verbundenen Abgrenzung gegen Aussagen, die für die von Westphal normativ gesetzte Auffassung konstitutiv sind, nimmt er ihre Lehre als zürcherisch und ketzerisch wahr und will diese Einordnung als reformatorisch verbindlich durchsetzen. Zugleich lassen ihn die Gemeinsamkeiten der gegnerischen mit der klassischen Straßburger Lehre befürchten, sie könnte im Wittenberger Kontext als straßburgisch und rechtgläubig eingeordnet werden. Viele Marginalien, die Westphal den Zitaten seiner Opponenten zur Seite stellt, zielen daher darauf ab, ihnen Übereinstimmung mit klassischen Zürcher Positionen nachzuweisen und so (aus seiner Sicht) rechtgläubig wirkende Aussagen als ketzerisch zu entlarven.185 Besonders deutlich ist dies bei Calvin: Zu dessen straßburgisch geprägter und für Wittenberger Leser im Sinne der Konkordie potentiell akzeptabler Aussage aus dem Petit traicté, den Kommunikanten werde die Substanz Christi angeboten, betont Westphal, Calvin meine damit nur eine geistliche Substanz und das Sakrament stelle bei ihm eine bloße

183 Vgl. etwa aaO., 146–152; hier 152: „Um nun diese Schrift [i.e. die Farrago, C.E.] […] richtig zu beurtheilen, muss man ihren Endzweck ins Auge fassen, der eben dahin geht, die lutherische Kirche auf die Gefahr aufmerksam zu machen, welche ihr von dieser Seite her drohte, und andere aufzufordern, zur Beseitigung der Gefahr mitzuwirken. Nur, dass die Gefahr noch vorhanden sei, brauchte er [i.e. Westphal, C.E.] zu constatiren, er hatte aber weder nöthig, den Beweis zu führen, dass die Lehre der Sacramentirer eine gefährlichirrthümliche sei, noch den, dass sich in dem Stand der Lehre durch das Erscheinen des consensus Tigurinus und durch das Auftreten Calvins nichts wesentlich geändert habe, denn darin war man in den lutherischen Kreisen einig, wie man es noch jetzt ist.“ 184 Sehr deutlich wird diese Sichtweise bei STÄHELIN, Johannes Calvin II, 206: „Calvin wurde völlig und schlechtweg zu den Zwinglianern geworfen […]. Wo seine eigenthümliche tiefere Auffassung zur Sprache gebracht werden mußte, wurde sie inʼs Lächerliche gezogen und für berechnenden Betrug ausgegeben; nicht das Uebereinstimmende und zur Anknüpfung Geeignete, sondern gerade das Abstoßende und Polemische, die äußersten Spitzen und Härten in der lutherischen Lehre wurden ihr entgegengestellt.“ 185 Vgl. in Bezug auf Calvin DINGEL, Calvin im Spannungsfeld, 126–128.

2.4 Die ersten großen Streitschriften

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figura dar186 – da nach Calvin Christi Leib auf geistlicher Ebene ausgeteilt wird, leiblich aber im Himmel ist, ist aus Westphals Sicht keine wahre Gegenwart gegeben: Diese bestünde für ihn in einer leiblichen Präsenz auf Erden. Westphal setzt also Calvins frühere Schriften nicht positiv gegen die Lehre der Zürcher und anderer Gegner, sondern will im Gegenteil nachweisen, dass Calvin schon 1541 (also zu der Zeit, zu der er zusammen mit Wittenberger Theologen an den Reichsreligionsgesprächen teilnahm und von diesen offenbar nicht als Häretiker wahrgenommen wurde) eine ebensolche verschleierte Ketzerei vertreten habe, wie Westphal sie in aktuellen Texten diagnostiziert.187 In diesem Sinne belegt Westphal die – von ihm als Verschleierung der Ketzerei eingeordnete – Deutung des Leibes Christi als spiritualis communio ebenso aus Calvins Petit traicté188 wie die Argumentation mit der leiblichen Himmelfahrt Christi gegen dessen leibliche Präsenz im Abendmahl, die aus Westphals Sicht die damit verbundene Lehre als zürcherisch erweist.189 Ebenso zitiert er als Beleg dafür, dass Bullingers Lehre geistlicher Anteilhabe an Leib und Blut rein symbolisch zu verstehen sei, eine Passage, in der Bullinger sich gegen eine physische Verbindung der Elemente mit Leib und Blut Christi wendet190 und 186 WESTPHAL, Farrago, D1v zitiert Calvin mit den Worten: „fructum, quem in coena quaerimus, in nihilum redigi, nisi in ea Christus, ut totius rei fundamentum et substantia, nobis donetur. Hoc constituto, Sacramentum inutile, et superuacuum reddi, si in eo ueram Christi communicationem offerri negemus“ und kommentiert: „Substantiam infra dicit spiritualem substantiam.“ AaO., D2v zitiert er die Passage „in communione, quam in Christi corpore et sanguine habemus, dicendum est Mysterium spirituale est, quod ne oculis conspici, nec ingenio humano comprehendi potest. Figuris igitur et signis, quae sub oculorum sensum cadunt, ut naturae nostrae imbecillitas requirit, ostenditur: ita tamen, ut non sit figura nuda et simplex, sed ueritati suae et substantiae coniuncta. Merito igitur panis appellatur corpus, cum id non modo repraesentet, uerum etiam nobis offerat. Itaque facile concedimus, corporis Christi nomen ad panem transferri, quod eius Sacramentum et figura sit.“ und kommentiert ebd.: „Panem eße figuram corporis Christi.“ 187 Mit DINGEL, Calvin im Spannungsfeld, 125 f., gegen JANSE, Westphalʼs Sacramentology, der zur Farrago meint: „In as far as Calvin was mentioned […] at all, he was quoted mainly with approval. Calvin judged Luther fairly, according to Westphal, who supported this by ample quotes from Calvinʼs unionistic Petit traicté de la saincte cene“ (vgl. aaO., 139–141, Zitat 139). Zum Hintergrund dieser These in Janses Calvindeutung vgl. o. Kap. III.1.1a; zur Auseinandersetzung mit seinen Textbeobachtungen vgl. im Folgenden. 188 In WESTPHAL, Farrago, D2r wird das Zitat: „necesse est, ut uita nostra in Christo sita sit, animas nostras ipsius carne et sanguine uesci, uelut cibarijs proprijs et peculiaribus. Eius rei testimonium habemus in coena […] Nominatim de corpore et sanguine habetur sermo, ut discamus in eis uitae nostrae spiritualis substantiam inquirere.“ mit den Worten kommentiert: „Coena Domini testimonium est spiritualis communicationis Christi.“ 189 AaO., D4r: „absurdissimi erroris esse, non agnoscere ea, quae de ascensione Christi tota scriptura testificatur. Ipsum in coelo in hominis natura receptum eße: ibique mansurum, quoad descendat ad iudicandum orbem.“ 190 Ebd. zitiert Westphal: „Non quod signum et signatum sibi uniantur corporaliter, ut panis sit caro Christi naturalis, et uinum sanguis carnalis, sed sacramentalis, mysticus et

220 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk entnimmt dem Zürcher Bekenntnis Aussagen, die Christi Himmelfahrt gegen dessen leibliche Präsenz im Abendmahl in Stellung bringen.191 Auch aus dem Consensus Tigurinus führt Westphal Passagen an, die für ihn den zürcherischen Charakter der Einigung zwischen Zürich und Genf belegen: Artikel 21 und 22, die eine signifikative Deutung der Einsetzungsworte positiv gegen eine wörtliche Deutung stellen und dies durch die lokale Verortung der menschlichen Natur Christi im Himmel seit der Himmelfahrt begründen,192 kommentiert er: „Panis et uinum significant corpus et Sanguinem Christi.“193 Bei Artikel 25 und 26, die betonen, dass man Christus nicht an die Elemente heften solle, hebt er hervor: „Panis datur in symbolum communionis.“194 Westphals Bemühen, seine Streitgegner als Ketzer zu entlarven, beschränkt sich aber nicht auf die am Consensus Tigurinus Beteiligten, sondern bezieht weitere von Bruchsal übersandte Schriften ein:195 Aus der Tractatio zu Vermiglis Oxforder Disputation zitiert er eine Passage, aus der hervorgeht, dass Vermigli mit der Aussage, dass Christus im Abendmahl wahrhaft spiritualiter gegessen werde, eine Seelenspeise meint und keinen leiblichen Vorgang196 – damit ist für Westphal erwiesen, dass die These geistlichen Essens die Bestreitung der wahren (aus seiner Sicht: leiblichen) Präsenz Christi verschleiere. A Lascos Tractatio de sacramentis entnimmt er die Erklärung des Leibes Christi als des am Kreuz erworbenen meritum197 und zitiert Passagen, in denen a Lasco betont, dass im Abendmahl nicht Christi natürlicher Leib ausgeteilt werde.198

spiritualis, et quod panis et uinum ex institutionis Domini Symbola sunt, quibus ab ipso Domino per Ecclesiae ministerium, uera corporis et sanguinis eius communicatio, non in periturum uentris cibum, sed in aeternae uitae alimoniam exhibeatur fidelibus.“ und kommentiert: „H.E.C.M. Hoc est symbolum, quo corporis mei communicatio exhibetur.“ 191 Vgl. aaO., C5r–C5v. 192 Vgl. aaO., D6v–D7r. 193 AaO., D6v. 194 Vgl. aaO., D7r, Zitat ebd. 195 Dies wird in den zahlreichen Überblicksdarstellungen nicht recht deutlich, die allein Calvin und den Consensus als Ziel von Westphals Attacken erwähnen – grundsätzlich ist allerdings in der älteren Literatur zum Zweiten Abendmahlsstreit bewusst, dass auch Vermigli und a Lasco für seine Polemik eine Rolle spielen. Vgl. o. die Einleitung zu Kap. III.1. 196 WESTPHAL, Farrago, B7v zitiert unter anderem Vermiglis Aussage: „Diximus et confirmamus, haec Symbola et significare et offerre, ac exhibere uerissime corpus Christi, sed spiritualiter, id est, animo comedendum, non ore corporis.“ 197 AaO., D1r. 198 Vgl. aaO., D8r–E3r. AaO., E1v kommentiert Westphal a Lascos Unterscheidung zwischen natürlicher menschlicher Substanz, die Christus in der Inkarnation von den Menschen angenommen habe, und Anteilhabe an seinem meritum, die die Gläubigen im Abendmahl von ihm erhielten (vgl. dazu o. Kap. III.1.3f): „Quasi uero recordatio mortis Christi, non etiam incarnationis eius commemorationem complectatur“; aaO., E2v meint er zu a Lascos Aussage, Christus rede nirgends von einer Austeilung seiner Substanz: „Quid alius est dicere, hoc est corpus meum, quam hoc est substantia corporis mei.“

2.4 Die ersten großen Streitschriften

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Schließlich hat aus Westphals Sicht auch Bucer eine verschleierte Ketzerei gelehrt. Hier wird besonders deutlich, dass nicht nur die Gegenseite gegenüber der Wittenberger Konkordie eine normative Vereindeutigung vertritt, sondern auch Westphal: War in der Konkordie offen geblieben, wie die substantiale Präsenz Christi zu verstehen sei, meint Westphal, Bucers damalige Bekehrung sei nur eine scheinbare gewesen, denn er rede zwar von einer Austeilung der Substanz des Leibes Christi im Abendmahl, meine aber damit eine geistliche Substanz, nicht den wahren Leib Christi199 – um letzteren würde es sich für Westphal nur dann handeln, wenn seine menschliche Natur leiblich ausgeteilt wird. Dass Bucer letzteres nicht annehme, belegt er durch Passagen, in denen Bucer die spiritualis manducatio als Seelenspeise versteht und eine manducatio impiorum bestreitet bzw. eine Präsenz in den Elementen als fleischlich ablehnt.200 Diese stammen zwar aus dem Ersten Abendmahlsstreit; durch ein Zitat aus dem Liber de concilio von 1545 insinuiert Westphal aber, dass Bucer nach der Konkordie die gleiche Lehre vertreten habe bzw. die dortige Formulierung „adesse, exhiberi et sumi uere et realiter“ eine analoge Verschleierung der Ketzerei darstelle, wie er sie Calvin und anderen Gegnern vorwirft.201 Damit aber ist für ihn klar, dass Bucer sich nicht (gemäß Luthers Konkordiendeutung) zu Luthers Ansicht bekehrt habe. Gegenüber der Situation von 1536 ist hier weniger die positive dogmatische Aussage neu als deren – damals von den Wittenbergern nicht vorgenommene – normative Abgrenzung gegen Bucers Auffassung: Wie Calvin an Bucers Sichtweise anknüpft, sie aber gegen eine leiblich-räumliche Präsenz wendet,202 knüpft Westphal an Luthers Sicht an, wendet dessen Verständnis substantialer Präsenz aber gegen dasjenige Bucers. Westphals Reaktion auf die Schriften Calvins, Vermiglis, a Lascos und ihrer Kollegen ist aber nicht nur durch deren Abendmahlslehre im engeren Sinne bedingt, sondern auch durch den damit verbundenen gesamtreformatorisch 199 AaO., B2v–B3r: „Vnus Bucerus uidetur rediisse in uiam, si id sensit, quod scriptum reliquit in quibusdam posterioribus suis libris. Est qui fatetur substantiam Corporis Christi dari in sacra coena, satis tamen declarat, quod loquatur de Substantia spirituali, non de uero Corpore Christi.“ 200 AaO., C2r–C2v: „Christus in Supernis, hoc est, spiritualibus quaerendus est, non in elementis mundi. Haec uerba, Hoc facite etc., animos nostros subuehunt ad mortem Christi praedicandum; non ad suspiciendum miraculosam ipsius in pane et uino praesentiam carnalem, ad Christum regnantem in coelis nos dirigunt, non realis modo in pane desidentem. […] Porrigendo panem Dominus ait, accipite, comedite, hoc est Corpus meum, quod pro uobis traditur, Hoc est, sicut hunc uobis trado panem edendum ore corporis, ita dono uobis corpus meum edendum animo, […] Christus non aliam sui manducationem docuit, quam qua aeterna uita constat, ea fidei manducatio est, et nequaquam quae fit ore, cum ea et impijs communis sit […]. Ergo non est nisi spiritualis manducatio affirmanda, quae solis discipulis competat.“ 201 AaO., C4r. Westphal kommentiert das Zitat an dieser Stelle nicht ausdrücklich, vgl. aber aaO., E4v–E5r zur Einordnung dieser Formulierung als Verschleierung von Ketzerei. 202 Vgl. o. Kap. III.1.1a.

222 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk normativen Anspruch:203 Die von beiden Streitparteien vorgenommenen theologischen Setzungen stellen einander auch deshalb gegenseitig in Frage, weil sie sich in der konfessionell ungeklärten Situation nicht auf getrennte Kirchen beziehen, sondern jeweils mit dem Anspruch verbunden sind, für die gesamte Reformation verbindlich zu sein. Die Geschichte vorheriger innerevangelischer Einigungs- und Abgrenzungsversuche bringt es dabei mit sich, dass beide Seiten teils die gleichen Autoritäten und Dokumente für sich beanspruchen können. Wenn die Gegenseite sich auf Autoritäten wie Luther beruft, stellt das den Anspruch Westphals und des interimsgegnerischen Netzwerks in Frage, mit ihrer Position normativ das Wittenberger reformatorische Erbe zu vertreten. Westphal bringt daher sein Widerspruchsargument auch gegen die Auffassung der Streitgegner in Stellung, dass ihre Auffassung für ein von Wittenberg bis Zürich reichendes evangelisches Spektrum annehmbar sei: „Hinc apparet, qua fide, qua conscientia, qua certitudine, qua religione diuulgent suas mutuas consensiones, et quantum tribuendum sit quorundam conciliationibus, qui aliquoties tentarunt in eam fidem inducere homines Lutherum et Zuinglium reipsa consensisse, et totam contentionem tantum fuisse quandam λογομαχίαν. Irrogatur utrique parti, dum hoc dicitur, intemperantis animi praeceps quaedam uehementia, et temeritas, quae adeo transuersos egerit disceptantes, ut obliti sui non uiderint, quid esset, de quo pugnarent, neque attenderint, quid sibi uel defendendum, uel refellendum sumpsissent, perinde ac si surdus cum surdo litigauerit. Non obscure etiam accusantur de ambitione, et insigni malitia, quae eos abripuerit in eam contentionem uerborum, et in ea φιλονεικία per multos annos detinuerit. Quod si aliqua est religio de tantis criminibus insimulare tot tantosque viros concedendum est, quod non de uerbis, sed de rebus certamen fuerit. Testantur haec utriusque partis scripta, quae extant. Declarat hoc satis Tigurinorum uehemens et acerba in Lutherum insectatio postrema, non ita diu scripta ante excellentissimi uiri obitum, Apparet praeterea ex Zuinglij libro ad principes Germaniae.”204

Der Begriff mutuas consensiones spielt auf den „consensio mutua in re sacramentaria“ betitelten Consensus Tigurinus an. Der Plural consensiones lässt aber vermuten, dass es nicht nur um den Consensus geht, zumal dieser die kritisierte These, dass Luther und Zwingli in der Sache übereinstimmten, gar nicht enthält. Hier sind Konzepte gemeint, die ihre These reformatorischer Übereinstimmung auch auf die Wittenberger Reformation beziehen. Solche Passagen aus Vermiglis Tractatio zur Oxforder Disputation, Calvins Petit traicté und Bucers Ad amicum quendam werden in der Farrago zitiert und mit entsprechenden kritischen Kommentaren versehen:205 Die Autoren beanspruchen aus 203

Das ist in älteren Arbeiten – in konfessioneller Deutung – prinzipiell bewusst (vgl. etwa STÄHELIN, Johannes Calvin II, 203–206, einerseits; SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 146–151 andererseits), tritt aber in der konkreten Analyse und in Überblicksdarstellungen meist hinter die dogmatischen Zusammenhänge zurück. 204 WESTPHAL, Farrago, A6r–A6v. 205 AaO., B7v–B8r zitiert Westphal entsprechende Passagen Vermiglis und bezeichnet dies in der Marginalie als „Conciliatio inter Lutherum et Zuinglium“; aaO., C2v–C4v führt

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straßburgisch geprägter Perspektive, dass ihre Lehre mit Luthers und Zwinglis theologischen Anliegen übereinstimme und daher für Wittenberger wie Zürcher Reformation akzeptabel sei. Das gefährdet Westphals Anspruch, die an Luther anknüpfende und daher reformatorisch normative Position zu vertreten: Die Gegner berufen sich nicht nur für eine Lehre auf Luther, die er als häretisch ansieht – das erhöht aus seiner Sicht die Gefahr, dass diese Haltung im Wittenberger Kontext als rechtgläubig anerkannt werden könnte. Es stellt auch die für seinen normativen Anspruch konstitutive Vorstellung in Frage, dass es zwischen der auf Luther zurückgeführten, mit seiner eigenen Lehre identifizierten Wahrheit und abweichenden reformatorischen Positionen einen ausschließenden Gegensatz gäbe: Letztlich liegt dieser Gedanke der Auffassung zugrunde, dass allein die Lehre einer (wie bei Luther) substantial-leiblich bestimmten Präsenz Christi rechtgläubig, jede andere Bestimmung dieser Präsenz häretisch sei. Das entspricht der für die Interimsgegner typischen normativen Entgegensetzung von Wahrheit und Lüge, Christus und Belial206 und wird hier im Anschluss an Luthers Sicht auf den Abendmahlsstreit mit Luther und Zwingli identifiziert: Für Westphal vertritt Luther die Wahrheit, Zwingli eine damit unvereinbare Häresie. Daher erhebt er den Vorwurf, mit den Thesen der Gegner würden Luther und Zwingli abgewertet: Wenn beide sachlich übereinstimmten, müssten sie aus Streitlust eine unnötige Debatte geführt haben. Entsprechend verteidigt er Luther in diversen Marginalien207 und spielt Zwingli sowie das Zürcher Bekenntnis, die von einem theologischen Gegensatz zwischen Zürich und Wittenberg ausgehen, gegen die Übereinstimmungsthesen aus.208 Wenn Westphal sein Widerspruchsargument auch gegen die Konsenstexte der Streitgegner wendet, stellt er sie also nicht nur als Häretiker dar, sondern untergräbt auch die Glaubwürdigkeit der These, dass sich alle Richtungen der Reformation auf die dortigen Formeln einigen könnten: So markiert Westphal die figurative Deutung der Einsetzungsworte im Consensus Tigurinus als Widerspruch zu Calvins exhibitiver Auffassung209 und spielt die Beteiligten gegeneinander aus, indem er mit Bullingers Tractatio de ecclesiae sacramentis er Bucers entsprechende Aussagen an und kommentiert aaO., C2v: „Conciliatur Lutherus et Zuinglius.“ Einschlägige Zitate aus Calvins Petit traicte finden sich aaO., D3v–D5r. 206 Vgl. zum reformatorischen Selbstverständnis der Interimsgegner o. Kap. III.2.1b. 207 So bemerkt er in WESTPHAL, Farrago, D4v in Auseinandersetzung mit Calvins Aussage, beide Seiten hätten sich nicht klar genug ausgedrückt: „D. Lutherus in omnibus satis se declarauit.“ und vermerkt aaO., C6r gegen den Vorwurf des Zürcher Bekenntnisses, die Gegner verstünden die Präsenz mal corporaliter, mal nicht: „Luthe. sic non uacillauit.” 208 AaO., B7r zitiert Westphal Zwinglis Aussage, der Streitpunkt sei, ob der Leib Christi naturale und substantiale oder sacramentaliter angeboten werde, und kommentiert: „Caput controversiae de eucharistia.“ AaO., C5v bemerkt er zum Zürcher Bekenntnis: „Tigurinorum iudicium de conciliationibus inter Lutherum et Zuinglianos.“ 209 AaO., D6v kommentiert er zum Consensus Tigurinus: „Habes explicata, quaecunque alias de Eucharistia scribit Caluinus. Panis et uinum significant corpus et Sanguinem

224 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk einen stark anti-exhibitiv argumentierenden Text zitiert und gegen Calvins Lehre setzt210 – nicht, um Calvin im Gegensatz zu Bullinger als rechtgläubig darzustellen,211 sondern um zu belegen, dass die Einigung zwischen Calvin und Bullinger angesichts dieser Diskrepanzen keine echte sein könne. In Bezug auf Vermiglis Tractatio und Calvins Petit traicté postuliert Westphal, Calvins Aussage, Luther wie Zwingli hätten im Streit übertrieben, widerspreche Vermiglis Ansicht, dass Luther und Zwingli nicht derart gegensätzliche Ansichten vertreten hätten wie seine Zeitgenossen:212 Knüpfen Vermigli und Calvin in unterschiedlicher Weise an das gleiche Argument Bucers an (und dürften darin selbst keine große Differenz gesehen haben), kann Westphal am formalen Widerspruch seine These festmachen, die angeblichen gesamtreformatorischen Verständigungen seien nicht einmal untereinander konsistent. Jedoch betont Westphal, dass er keineswegs grundsätzlich eine innerreformatorische Einigung ablehne – sein Modell ist anders strukturiert als die gegnerischen Konzepte, aber transportiert einen nicht minder starken normativen Anspruch: Die Bemühung um eine Konkordie sei lobenswert, dürfe aber nur durch Mittel geschehen, die der Wahrheit und dem Heil der Kirche gemäß seien.213 Darunter versteht er die Zustimmung aller Beteiligten zur offenbarten Wahrheit, die dann auch zu übereinstimmender Lehre führe214 bzw. er meint, die von den Gegnern behauptete gesamtevangelische Einigkeit werde erst eintreten, wenn alle eindeutig den Einsetzungsworten zustimmten.215 Gehen Theologen wie Calvin und Vermigli davon aus, dass ihre Lehre (in der vorliegenden Form) für Zürcher, Straßburger und Wittenberger Reformation annehmbar Christi.“ Bei Calvin kommentiert er u.a. (aaO., D2r): „Panem et uinum esse instrumenta quibus Dominus corpus et sanguinem suum distribuit.“ 210 AaO., D1r kommentiert er Bullingers Wendung gegen die Auffassung, dass mit Brot und Wein Leib und Blut angeboten würden: „In alteram partem contra Caluinus disputat.“ Das Zitat C8v–D1r stammt ausgerechnet aus der Passage von Bullingers Tractatio, die Bullinger nach dem Consensus ersetzte, weil er seine Abgrenzung gegen exhibitive Lehren als durch den Consensus überholt ansah (vgl. o. Kap. III.1.3e). 211 Dies gegen JANSE, Westphalʼs Sacramentology, 140 f. – der aber zu Recht beobachtet, dass Westphal diese Widersprüche herausarbeitet und sie stark betont. 212 Entsprechende Passagen werden in der Farrago wiedergegeben; Westphal bemerkt dabei zu Vermiglis Konzept: „Aliud videbis infra Calvinum scribere.“ (WESTPHAL, Farrago, B8r) und zu Calvins Thesen: „Quid Caluinus in Luthero et Zuinglio circa dissensionem de Eucharistia desideret.“ (aaO., D3v) 213 AaO., A6v: „Laude […] dignum est studium componendi dissensiones, unde non leuiora damna redundant publice in Ecclesiam […]. Verum laus illa, tum demum contingit plenior, quando id tentatur adhibitis non fucatis, sed ueris, et solidis remedijs, quae solae vim habent ad medendum rebus exulceratis, et ad solidam concordiam firmandam. Malim ego itidem operam aliquam conferre ad tollenda mota dissidia, quam ea uel leviter attingere, si ea ratione retineretur ueritas incorrupta ac gloria Dei et salus Ecclesiae illaesa consisterent.“ 214 Vgl. aaO., A2v. 215 Vgl. aaO., A8v.

2.4 Die ersten großen Streitschriften

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sei, ist für Westphal reformatorische Einigung nur dadurch möglich, dass sich alle Beteiligten seiner Auffassung anschließen und sich von anderen Positionen explizit abwenden. Auch das knüpft an Luthers Sicht auf den Abendmahlsstreit an und entspricht dem normativen Anspruch des interimsgegnerischen Netzwerks: Wie auf dem Wormser Religionsgespräch deutlich wird, gilt der kirchliche Konsens aus dieser Perspektive schon dann als inakzeptabel gestört, wenn neben der als wahr beanspruchten Lehre eine abweichende Auffassung geduldet wird.216 Die normative Entgegensetzung von Wahrheit und Lüge, Christus und Belial bedeutet, dass beides nicht nebeneinander stehen kann. Als Bedrohung für die reformatorisch normative Geltung der eigenen Lehre gilt Westphal schließlich auch der kirchenpolitische und publizistische Einfluss der Streitgegner. Dass er diesen primär in England verortet, dürfte neben der Förderung solcher Positionen durch Eduard VI.217 mit den Hamburger Verbindungen nach England zusammenhängen.218 Westphal beruft sich denn auch auf persönliche Kontakte: Dass in England der Abendmahlsstreit neu ausgebrochen sei, habe er über Freunde von einem berühmten Mann gehört.219 Mit den Freunden könnten Bruchsal oder Aepin gemeint sein; letztlich muss das aber ebenso offen bleiben wie die Identität des „piae memoriae praeclari uiri“.220 Gemeint ist jedenfalls die Reformation unter Cranmer und Eduard VI.: Westphal wirft den dort tätigen Theologen vor, in einer Situation, in der es an allen religiösen Grundlagen fehlte, wäre die Anfängerkatechese einzuhalten gewesen; sie aber zählten ihren Irrtum zu den grundlegenden Lehren und ließen keine Gelegenheit zu dessen Betreibung aus.221 Westphal meint also gemäß seinem reformatorisch normativen Anspruch, die Reformation in England hätte 216

Vgl. zum Wormser Religionsgespräch u. Kap. V.1.5. Vgl. dazu o. Kap. III.1.3. 218 Vgl. zu Aepins Verbindungen nach England o. Kap. III.1.3a. 219 Vgl. WESTPHAL, Farrago, A6v. 220 Ebd. MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 19, vermutet dahinter Thomas Cranmer. Es ist aber angesichts von Aepins Kontakten unwahrscheinlich, dass Westphal nicht wenigstens ungefähr über Cranmers Position hätte orientiert sein sollen. Auch die Rahmentexte der ihm vorliegenden Oxforder Disputation lassen darauf schließen (vgl. o. Kap. III.1.3b). Ferner legt piae memoriae nahe, dass der Betreffende inzwischen verstorben ist, was auf Cranmer nicht zutrifft. Letzteres lässt an Bucer denken, der die Oxforder Disputation gegenüber Theologen im Reich kritisch beurteilt hatte (s.o. Kap. III.1.3b). Gegen Bucer spricht aber, dass Westphal ihn in der Farrago attackiert. Daher muss offen bleiben, wer gemeint ist bzw. ob eine topische Aussage vorliegt, die sich nicht auf eine bestimmte reale Person bezieht. 221 WESTPHAL, Farrago, A7r–A7v: „nunquam […] finem faciunt agendi causam suam malam, ubique urgerunt et urgent eam, […], qualicunque arrepta potius, quam data occasione. Inter prima fundamenta collocare solent dogma sui erroris apud ipsos uanum, dubium et incertum, ubi elementa prima religionis tradenda, et Catechesis rudioribus ad uerbum inculcanda erat, ibi potissimum incipiunt, et desinunt circa materiam de Sacramento coenae Dominicae, tam in Concionibus, quam scriptis. Haec fuerunt bis annis in Anglia exordia reformationis.“ 217

226 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk in seinem Verständnis geschehen müssen: So kann er später sagen, die englische Kirche hätte dem Antichrist (d.h. der Rekatholisierung unter Maria) standgehalten, wenn sie auf festem Fundament gebaut gewesen wäre statt auf Berengar und Zwingli,222 und dafür Theologen aus dem Reich verantwortlich machen, die in England zwinglische Lehrauffassungen vertreten, dortige Debatten anderenorts verbreitet und zuvor zurückgehaltene Bücher herausgegeben hätten.223 Damit wird auf den Druck von a Lascos Epistola und Bullingers Tractatio sowie auf die von Cranmer gehegte, mit Vermiglis Texten verbundene Absicht angespielt, das in England entwickelte reformatorische Modell auf ganz Europa auszuweiten.224 Das bedroht aus Westphals Sicht die normative Geltung der eigenen Lehre. Offenbar strebt er im Gegenzug eine ähnlich internationale Wirkung seiner Schrift an: Dafür spricht, dass er auf Latein schreibt und französisch- bzw. deutschsprachige Texte in lateinischer Übersetzung zitiert.225 Erasmus Alber verfasste seine Polemik hingegen in deutscher Sprache. b) Rückführung der gegnerischen Lehre auf Karlstadt: Albers Wider die Carlstader Erasmus Albers Wider die Carlstader226 ist die umfassendste nicht von Westphal stammende Polemik der ersten Streitphase. Dass der Text weniger wirksam wurde als Westphals Schriften, hat in erster Linie historisch kontingente Gründe: Er wurde Ende April 1553 fertiggestellt. Jedoch starb Alber (der mittlerweile Superintendent von Stargard war und in Neubrandenburg lebte) kurz darauf227 und konnte sich nicht mehr selbst um die Drucklegung kümmern, die erst 1556 auf Betreiben Westphals und Bruchsals erfolgte.228 Deshalb wird das Werk in der Literatur nicht zur Anfangsphase des Streits gerechnet und meist 222

Vgl. WESTPHAL, Apologia contra Calvinum, 436 f. Vgl. aaO., 445. 224 Vgl. o. Kap. III.1.3b. 225 Vgl. die Tabelle im Anhang. 226 ALBER, ERASMUS, Widder die verflchte || Lehre der Carlstader / vnd alle fürnem-||bste Heubter der Sacramentirer / Rot=||tengeyster / widderteuffer / Sacramentlesterer / Ehe=||schender / Musicaverechter / Bildstürmer / feiertagfein=||de / vnd verwüster aller gten ordnung. […], Neubrandenburg: Anton und Walter Brenner 1556, VD16 A 1562. 227 Zur Berufung Albers nach Neubrandenburg vgl. KÖRNER, Erasmus Alber, 166–171. Die Daten gehen aus einem Brief von Albers Witwe an Flacius hervor: Sie teilt mit, Alber sei am 5.5.1553 gestorben, und fährt fort: „Auch […] thue ich euch zuwissen, das der Herr seliger gedechtnis, das Buch von den widderteuffern vnd Sacramentschwermern gentzlich vollendet, vnnd auch selbst corrigirt vnnd vberlesen hat, Denn den achten tag vor seinem tode, wie er seine letzte arbeit daran gethan hatte, stund er auff, schlug seine hende zu hauffe vnd sprach, Nuhn wil ich beschliessen, ich habe das Buch fertig, Gott sey lob, ehre, vnd danck, für seine gnade.“ (Gertrud Alber an Flacius, 28.5.1553, zit. nach SCHNORR VON CAROLSFELD, Erasmus Alberus, 221 (Nr. 18)). 228 S. u. Kap. IV.3.1b. 223

2.4 Die ersten großen Streitschriften

227

nur knapp erwähnt.229 Der Entstehung nach gehört es jedoch zu den ersten Schriften auf Westphals Seite – und zeigt eine mit dessen Texten im Anliegen kongruente, aber argumentativ eigenständige Position. Den Rahmen der Argumentation bildet der für die Interimsgegner typische geschichtstheologische Diskurs: Wie in früheren Texten230 ordnet Alber das Auftreten der sakramentstheologischen Gegner in eine Reihe von Attacken ein, durch die der Teufel Luthers Wiederentdeckung des Evangeliums zu stürzen versuche. Zu diesen Angriffen zählt er unter anderem die Bannbulle Leos X., Bauernkrieg, Interim und Osiander.231 Am Ende der Ketzerliste stehen Calvin und a Lasco,232 deren Lehre die Schrift verketzert. Alber betont, der Teufel erwecke reformatorische Häretiker, um das Evangelium zu diskreditieren.233 Er sieht die eigene Kirche in Europa von solchen Ketzern umzingelt: „Hat aber der Satan seine sache nicht klüglich angericht? Inn Preussen hat er den Osiander / das er daselbst wehre / auff das Gottes wort nicht auch inn der Polen / vnd Muscawiter lande kumme / darzu auch auß Preussenn vertrieben werde. Caluinus mß z Geneua wehren / das Gottes wort nicht in Italiam in Galliam vnd Hispaniam kumme. Lasco wehret in Engeland / das Christus daselbst vnd in Schotten land nicht bekand werde. Grickel [i.e. Agricola, C.E.] weret inn der Marck / das Gottes wort nicht sein fürgang habe.“234

Die Wahrnehmung Calvins und a Lascos analog zu den innerwittenbergischen Gegnern Osiander und Agricola basiert darauf, dass für Alber Gottes Wort mit 229 So bei STÄHELIN, Johannes Calvin II, 223; SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 175. KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 137–140, behandelt eine Auswahl der abendmahlstheologischen Argumente. Sonst spielt die Schrift nur in älteren Biographien über Alber eine Rolle, die sich aber auf Paraphrasen beschränken, vgl. SCHNORR VON CAROLSFELD, Erasmus Alberus, 155–158; KÖRNER, Erasmus Alber, 151–158. 230 S. o. Kap. III.2.1. 231 Vgl. ALBER, Wider die Carlstader, *2r–₵4v. 232 AaO., ₵3r–₵3v: „Zum drei und dreissigsten / Hat der Satan eynen newen Sacrament schender erweckt / der heyßt Caluinus / welcher leret / Die Kinder sein selig ehe sie getaufft werden / vnd die Tauffe werde nicht gegeben zur vergebung der snden. Dauon hernach weitter. Zum vier und dreissigsten / Gucket noch ein ketzer in Engelandt herfür / der heyst Lasco / der glosiret des Herrn wort (das ist mein Leib) auf zwlfferley weise / verwürfft auch die Tauffe / wie ich hernach weitter anzeygen will.“ 233 AaO., *4v: „Da […] das Euangelium noch ymer wuchs / versucht der Satan eyn recht meyster stck / vnn bewegt vnsern brder Andres Carlstad wider vns / das man sagen solt: Sihe / die ketzer werden selbst vnternander vneyns / drumb hat jr lere keynen grund noch bestandt.“ AaO., R4r–R4v: „ehe das Euangelium widerumb anfieng vnter vns zleüchten / da hret man von keinem Widerteuffer noch Sacramentschender / denn der Satan hatte seinen Pallast durchs Bapstumb dermassen bewart / das das seine mit frieden bleibe. Weil er aber mit seinem Bapstumb zschanden worden ist so wtet / tobet / vnd raffet er jtz also / vnd bringt manchen stinckenden nebel / wider die helle sonne vnn liecht des Euangelii. Darumb sol man nicht dem Euangelio die schuld geben / es komme nichts gts drauß.“ 234 AaO., ₵3v. „Muscawiter“ sind die Bewohner des östlich von Polen-Litauen gelegenen Königreichs Muskau.

228 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk Luthers Reformation identifiziert ist.235 Daher muss für ihn jede reformatorische Einsicht von Luther abhängig sein, auch die Ablehnung der Messe bei Zwingli, a Lasco und Calvin.236 Da diese Theologen aber zugleich Luther widersprechen, gelten sie Alber als von der Reformation abgefallene Ketzer: „Zwingel war ein stoltzer man / der rhmet sich in seinen bchern / er hett von D. Martino nichts gelernt. Ja man sihets wol / das er von D. Martino nichts gelernt hat / wie S. Johannes [1 Joh 2,19] sagt / Sie sind von vns außgangen / aber sie waren nicht von vns / denn wo sie von vns gewesen weren / so weren sie auch bey vns blieben. Alle rechtschaffene Christen bekennen / das sie das Euangelium von Gott durch D. Martinum haben.“237

Den Nachweis der Ketzerei führt Alber nicht wie Westphal oder Magdeburg allein anhand der Abendmahlslehre, sondern sammelt auf über 400 Seiten 491 verschiedene Ketzerzeichen: Während er im ersten Teil die Tauflehre Calvins, a Lascos und der Täufer behandelt,238 widmet sich der zweite Teil Themen von der Bilderfrage über die Prädestination bis zum Abendmahl und attackiert neben a Lasco und Calvin auch Bullinger, Karlstadt, Zwingli und Oekolampad.239 Wie bereits der Titel „Widder die verflchte Lehre der Carlstader / vnd alle fürnembste Heubter der Sacramentirer / Rottengeyster / widderteuffer / Sacramentlesterer / Eheschender / Musicaverechter / Bildstürmer / feiertagfeinde / vnd verwüster aller gten ordnung“240 nahelegt, zieht sich durch alle Streitfelder – als zentrale Verketzerungsstrategie Albers – die Assoziation der Streitgegner mit als Ketzer wahrgenommenen Personen, mit Aufruhr und Unmoral. Der Darstellung als Aufrührer, die die kirchliche wie weltliche Ordnung gefährdeten, dient speziell die Zusammenordnung mit Täufern:241 Alber nennt 235

Vgl. zu dieser Auffassung und ihrer Begründung o. Kap. III.2.2a. ALBER, Wider die Carlstader, s3r–t4v; bes. t2r–t2v: „Durch D. Martinum hat Got den aller grsten Abgott im Bapstumb die Messe […] züschanden gemacht. Ante Lutherum nemo uidit, quanta abominatio Missa esset. […] Zwingel / Lasco vnd Caluinus / wsten ebenso wenig dauon / als andere leüte / et tamen non agnoscunt praeceptorem suum D. Martinum. Das macht / weil sie das handwerck von jhm nicht recht gelernt haben. Wer sein handwerck nicht recht gelernt hat / der schemet sich billich seines meisters / oder veracht jhn.“ 237 AaO., t3r. 238 AaO., A1r–T1r. 239 Der zweite Teil aaO., T1v–u2v. Vgl. zur Gliederung auch aaO., u1r–u1v: „Anfenglich habe ich xxix. ketzerzeichen widder Caluinum vnd Lasco gesetzt. Darnach C.xxj. wider die Widderteüffer. Vnd z letzt CCC.xxj. widder Carlstad / Zwingeln / Oecolampaden / Lasco / Caluinum / Schwenckfeld / Bullinger / etc. Jn Summa CCCC.xci. vnd ist keins vnter denselben / das nicht des Hellischen fewrs werd sey.“ SCHNORR VON CAROLSFELD, Erasmus Alberus, 156, korrigiert die dritte Angabe in „CCC.XLI“ (so dass die Rechnung aufgeht). 240 AaO., [Titelblatt]. 241 So etwa aaO., N2r–N2v: „in der lere von Sacramenten / stimmen Zwinglischen vnd widderteüffer zsamen. Drumb lauts seer nerricht / das die Widderdüffer von Zwingler aussetzig genent werden / […] Das die Widderteüffer widder die heilige Schrifft so grewlich toben / das hat man niemand z dancken / denn den Zwingleren / mit jrem tollen glosieren des heiligen wort Gottes / vnn verschmehung des hochwirdigen Sacrament.“ 236

2.4 Die ersten großen Streitschriften

229

etwa das Täuferreich zu Münster, das Gefahr für die Obrigkeit und die bestehende Gesellschaftsordnung impliziert, schreibt Täufern Verfehlungen wie ein Gebot des Ehebruchs zu und führt analog anekdotische Beispiele für die moralische Verkommenheit von „Sakramentierern“ an.242 Spezifisch für Albers Werk ist dann die Assoziation der Streitgegner mit Karlstadt. Das passt nicht nur zum Aufruhrvorwurf; es erleichtert Alber auch die Darstellung der attackierten Lehre als Abfall von Luther: Eine solche Sichtweise ist beim früheren Wittenberger Karlstadt plausibler als bei anderen Gegnern.243 Dass die attackierte Lehre eine Gefahr für Gläubige sei, plausibilisiert Alber dadurch, dass er angibt, als Student von Karlstadt verführt worden zu sein.244 Dass Karlstadt später nach Basel ging, stützt die Assoziation Karlstadts mit Zwingli und anderen Schweizer Theologen – zugleich werden die Basler Pfarrer gegen Karlstadt ausgespielt, der auch dort für Unruhe gesorgt habe.245 Die Zusammenordnung der Streitgegner mit Karlstadt geht jedoch bei Alber weit über eine bloße Assoziation hinaus: Hatten Westphal und Magdeburg die These, dass die Streitgegner eine längst widerlegte Ketzerei verträten, vor allem durch Rückführung von deren Position auf Zwinglis Lehre untermauert, argumentiert Alber, alle Opponenten im Abendmahlsstreit seien theologisch von Karlstadt abhängig; Zwingli habe dessen Ketzerei nur verbessert und Oekolampad verführt.246 Das entspricht Luthers Sichtweise,247 die auch bei Westphal und anderen gelegentlich zitiert wird. Spezifisch für Alber ist aber, dass er diesen Gedanken zum zentralen Argumentationsprinzip seiner Schrift ausbaut. So sieht er etwa die Entfernung der Bilder in englischen Kirchen als Beleg dafür, dass dort die gleiche Ketzerei vorliege wie bei Karlstadts Wittenberger Bilderstürmen.248 Ebenso argumentiert er, Luther habe Missbräuche nie mit

242

Vgl. für ersteres z.B. aaO., f2r; für letzteres z.B. s1v–s3r. Vgl. etwa aaO., l 2v–l 3v. 244 Vgl. aaO., c1v. 245 Vgl. aaO., l 4v–m1r. AaO., m1v zitiert Alber einen Brief, in dem „Basilienses Ecclesiastae“ über Karlstadt klagten. Damit nutzt er ein inhaltlich anders motiviertes Zerwürfnis in seinem Sinne aus: Es ging um die bei Wiederherstellung der Basler Universität aufgeworfene Frage, ob die Kirche der Universität untergeordnet werden solle (vgl. EGLI, EMIL, Karlstadts Lebensabend in der Schweiz, in: Zwing. 2/3 (1906), 77–82, hier 79–82). 246 AaO., V3v: „Auff disse lügen vnd Bachanterey des Carlstads / ist die gantze ketzerey vom Sacrament / sampt aller Widerteüfferey gebawet / die sich so weit im Schweitzerland / Engeland / Frießland / vnd andere lender außgebreit hat. Denn ehe Carlstad vom Sacrament anfieng / leret Oecolampadius recht / vnd hatt kein mensch nimmermehr gedacht / das solche lügen vnnd lesterung vom Sacrament herfür kommen solt.“ k4v: „Carlstad hett seine ketzerey nicht knnen hinauß fren / wenn sie Zwingel nicht gefurdert hett. Oecolampadius were auch nicht in die schwermerey geraten / wenn jhn Zwingel nicht verfret hett.“ 247 Vgl. o. Kap. II.2.2. 248 Vgl. ALBER, Wider die Carlstader, Z2v–c2v; der Verweis auf England aaO., b4r–b4v: „Da siehstu lieber Leser / was das für Propheten vnn ploratores gewest / die im lande z 243

230 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk Gewalt abgeschafft, sondern dagegen gepredigt; in England seien die Zeremonien und Feiertage jedoch so plötzlich abgetan worden wie bei Karlstadt.249 Hier wird die Gegenposition zugleich mit Aufruhr assoziiert. Andere Aspekte zielen auf Empörung des Lesers: So gibt Alber Karlstadts Verunglimpfung der Wittenberger als papistisch sowie als Fleischfresser und Blutsäufer wieder und ordnet solche Aussagen auch Oekolampad, Zwingli und a Lasco zu.250 Dogmatisch sieht er etwa auch den Ursprung von Calvins Prädestinationslehre bei Karlstadt und führt dagegen Luther und Staupitz ins Feld.251 Die Argumentation zu Taufe, Christologie und Abendmahl zeigt einerseits Übereinstimmung mit Westphal, andererseits argumentative Eigenständigkeit. So verteidigt Alber besonders das Verständnis der Sakramente als Heilsmittel und deutet die Aussage a Lascos und Calvins, dass allein das Wirken des Geistes (nicht der äußere Sakramentsvollzug) heilsrelevant sei, als Verachtung der Sakramente. Er unterstellt, für sie habe die Taufe keine Heilsbedeutung und sie würden die Wassertaufe am liebsten abschaffen.252 Die bei Calvin durch die Verlässlichkeit von Gottes Bund begründete253 These, ungetauft verstorbene Kinder von Gläubigen seien gerettet, wird zur Behauptung, gläubige Eltern hätten heilige Kinder, und zur Preisgabe der Kinder an den Teufel.254 Dahinter steht in der Sache die Streitfrage, ob die Gnade an den Sakramentsvollzug gebunden werden dürfe. Alber argumentiert nämlich:

Wittenberg / in Engeland / vnd an anderen orten / alle Bilder auß den kirchen gestürmet haben / vnd nicht ein Crucifix lassen stehen. Sind sie nicht gt Turckisch vnd Jüdisch?“ 249 Vgl. aaO., X3v–Y2r; zu England aaO., d1v: „D. Martinus war ein weiser man / der keine misbrauch mit gewalt / sonder mit der predigt wolt abgestelt haben. Aber Carlstad wol jmmer mit dem kopff hindurch / vnd alles z gleich auff ein mal abthn / wie auch im lande z Wittenberg vnd in Engeland etc. geschehen / welchs viel leüte rgert vnd für die kpffe stsset / das sie ein abschewen für unsere lere haben.“ 250 Vgl. aaO., c2v–g3v; die Bezüge auf a Lasco, Oekolampad und Zwingli aaO., d3v; e2v. 251 Vgl. aaO, Y4r; B3v. 252 Vgl. aaO., A1r–H3r.p3r–p3v, etwa aaO., B4v: „Disse wort des frommen Annanias / das die Snde durch die tauffe abgewschen werden [vgl. Apg 9,17–18]/ ist den schwermern eben so angenem / wie ein Sauw inn eines Juden Hauß […] weil sie jhn aber nicht lügen straffen knnen / glosiern sie jhm sein wort auff Osiandrische weise / vnd sagen / Wasser bedeüdt Euangelium vnd sei Allegorica sententia / Er will man soll die wort Gottes anders verstehen / dann sie lauten / vnnd schreibt Mihi non aliud significat Aqua et Spiritus quam Spiritus et ignis. […] wasser sol so viel heissen als Geist. […] ja warlich weils Caluinus sagt / so ms sich Gott im Himmel demtigen vnnd sagen / Caluine / jhr habet recht / ich vnd meine Apostelen haben vnrecht / Heißt tufen so vil als Euangelium predigen / warumb sollen [!] dann die Schwrmer die wassertauff nicht gar abe? jha wann sie sich nicht für dem volck frchteten / sie würden das tuffen gar fallen lassen.“ 253 Vgl. zu Calvins Position ausführlich ALTING VON GEUSAU, LEO G. M., Die Lehre von der Kindertaufe bei Calvin gesehen im Rahmen seiner Sakraments- und Tauftheologie. Synthese oder Ordnungsfehler? Mainz 1963; überblicksweise JANSE, Sakramente, 342–345. 254 Vgl. ALBER, Wider die Carlstader, A1r–C1r; F3v–M3v.

2.4 Die ersten großen Streitschriften

231

„Caluinus vnn Lasco / wissen nicht / das ein ander ding. Meritum, vnd ein ander ding / meriti disspensatio ist. Denn also gerahten solche Doctores / die D. Martini schule verachten. Ein ander ding ist verdienen oder erwerben. Ein ander ding ist außteilen. Drumb ist Caluinus gar toll / vnd beweist seine eselkunst / da er schreibt / was hilfft vns Christus […] wenn wir durch wasser slig werden? O du kalter und falscher Teologe / vnsere kinder die den Catechismum lernen / sind viel gelerter denn Caluinus / noch will disser grober essel vnnd vnfletige sauw die kirche reformieren / schreibt viel bcher vnd weiß noch nit was die Tauffe ist / kan nicht vnderscheiden meritum passionis Christi oder distributionem meritorum Christi. Also lernen vnd lehren wir auß der heiligen schrifft die ewige schetze / die vns Christus mit seim leiden vnnd blut vergiessen erworben hat / theilet der heilige Geist under vns durch die predigt vnnd Sacrament.”255

Zwar hatte Calvin seinem eigenen Verständnis nach eine Austeilung der Gnade mittels der Sakramente nicht bestritten, sondern im Gegenteil eine solche exhibitive Funktion der Elemente vertreten. Jedoch hatte er sich deshalb mit den Zürchern einigen können, weil dies für ihn ans Wirken des Heiligen Geistes geknüpft war – was aus Zürcher Sicht eine Freiheit des Geistes gegenüber dem Sakramentsvollzug implizierte, aus Calvins Perspektive zumindest die Möglichkeit einer analogen Wirkung ohne Sakramentsgebrauch, etwa bei ungetauft verstorbenen Kindern.256 Mit dieser nicht absoluten Bindung der Gnade an die Sakramente aber ist für Alber die Zuverlässigkeit der Gnadenzusage überhaupt in Frage gestellt: Wie Luther257 betont er, es sei Gottes Ordnung, durch Kreaturen Heil auszuteilen; Gott wolle sich in den Sakramenten finden lassen.258 Damit verbindet sich die – Westphal analoge – Zurückweisung des gegnerischen Verständnisses geistlicher Präsenz Christi im Abendmahl: Im Glauben seien alle Werke geistlich; die Gegner dagegen meinten, der geistliche Charakter der Sakramente verwerfe alles Äußerliche.259 Die Austeilung des Heils durch leibliche Kreaturen entspreche Christi Kreatürlichkeit260 – so wie diese Kreatürlichkeit Voraussetzung der Erlösung ist, ist Christus auch im Abendmahl für Alber nur dann heilswirksam präsent, wenn er es leiblich nach der menschlichen Natur ist.261 Diese Festlegung entspricht derjenigen Westphals: 255

AaO., E3v–E4r. Vgl. o. Kap. III.1.2. 257 Vgl. o. Kap. III.2.2. 258 Vgl. ALBER, Wider die Carlstader, C1r–D3v. 259 Vgl. aaO., C2r–C3r; D4r–D4v. 260 AaO., E2r: „Gleich wie vnser Herr Christus selbst einen leib / fleisch / beyn vnnd blut hat / wie wir menschen / vnnd bleibt warer mensch ewiglich / also ist auch sein predigt ampt leiblich / […] vnnd werden vnns durch solche leibliche dinge / eitel geistliche vnnd ewige Gter fürgetragen. Also sind auch vnsere sacrament leiblich.“ 261 AaO., g3v–g4r: „Fleisch ist nicht ntz [Joh 6,66] / deütet Carlstad / vnd nach jhm / Zwingel / auff des Herren Christi fleisch / vnd spricht / es sey nicht nütz. Denn der geist / so aus jhn redet / ist dissem heiligen fleisch bitter feind / weil wir dadurch von des teüffels gewalt erlset sind […] Weil nn des Herrn Christi fleisch nicht nütz ist (wie der Teüffel lgt / vnd lestert) so folget darauß / das es nicht im Abendmal sey.“ 256

232 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk Wie dieser setzt Alber gegenüber dem durch Wittenberger Konkordie und CA variata gegebenen Auslegungsspielraum in Bezug auf Christi wahre und substantiale Gegenwart nun die leibliche Präsenz der menschlichen Natur Christi normativ und sieht nur eine solche Präsenz als wahre an. Die gegnerische Lehre geistlicher Präsenz Christi nimmt er daher als Angriff auf die eigene Position wahr: Da die Gegner eine leibliche Präsenz Christi im Abendmahl bestreiten, wirft Alber ihnen vor, geistliche Präsenz bedeute für sie Abwesenheit.262 In Bezug auf das Verhältnis der Präsenz Christi zu den Elementen äußert sich Alber klarer als Westphal. Aufschlussreich dafür ist sein Umgang mit Aspekten, die er als Angriffe auf seine Lehre wahrnimmt: So setzt er der Kritik an einer Einschließung Christi ins Brot entgegen, „das vns sein leib mit dem brode gegeben wird“263 – eine der CA variata entsprechende Aussage. Den Vorwurf, Hoffnung auf kreatürliche Elemente zu setzen, beantwortet er mit: „Wir weisen die leüte nicht auff schlecht wasser / Brod / vnnd Wein / sondern auffs Wort / welchs vergebung der sünden / durch Christus blt erworben / bey vnd mit dem wasser verkundiget vnd mit sich bringt / vnd bezeügt das wir mit dem Brod vnd Wein / des Herren leib vnd blt empfahen.“264

Alber vertritt keine Lokalisierung des Leibes Christi in den Elementen, sondern einen Empfang mit ihnen. Entscheidend ist für ihn die an den Sakramentsvollzug gebundene leibliche Präsenz der menschlichen Natur. Andere Mitstreiter lehrten durchaus eine Präsenz Christi in den Elementen; Westphal selbst legte sich in Bezug auf das in oder cum pane nicht eindeutig fest.265 Konstitutiv für die Position von Westphals Partei insgesamt ist dieser Aspekt, wie hier erkennbar wird, nicht: Sie vertritt übereinstimmend eine an den Sakramentsvollzug gebundene leibliche Präsenz von Christi Menschheit – in Abgrenzung zur von der Gegenpartei vertretenen geistlichen Präsenz – kann aber deren genaue Verortung im Verhältnis zu den Elementen verschieden bestimmen. Folgerichtig macht Alber die Ketzerei der Gegner auch an ihrer Christologie fest. Er argumentiert allerdings weniger differenziert als Westphal, wenn er Calvin, a Lasco und Bullinger allein aufgrund ihrer Deutung der Rechten Gottes als Ort im Himmel (an dem sich die menschliche Natur Christi befinde und daher nicht im Abendmahl sein könne) nicht nur mit Luthers Gegnern des Ersten Abendmahlsstreits zusammenordnet, sondern sie auch – schlicht mit der 262 AaO., g4v–h1r: „Wir sagen eben so wol als die schwermer / das wir des Herren Leib im Abendmal geistlich empfangen / aber sie brauchen das wort Geistlich / anders denn die schrifft. Geistlich / heissen wir das Abendmal weill vns darinnen / nicht leiblich oder zeitlich / sonder Geistliche vnnd ewige Gter / nemlich / vergebung der sunden / vnd ewiges leben außgeteilt werden. […] Aber die schwermer brauchen das wort geistlich für Abwesend / Vnd sprechen / Christus Leib ist im Abendmal geistlich / das ist / abwesend.“ 263 AaO., o2v. 264 AaO., p2v. 265 Vgl. für letzteres etwa u. Kap. V.1.2a–b; für Westphal u. Kap. III.2.4c.

2.4 Die ersten großen Streitschriften

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Begründung, dass sie sein Verständnis der Rechten Gottes als Christi Allmacht nicht teilen – als theologisch inkompetent verspottet.266 Wie Westphal betont er, die gegnerische Berufung auf Christi Himmelfahrt und Kol 3,2 entspreche nicht der schriftgemäßen Bedeutung dieser Loci.267 Mit entsprechenden abendmahlstheologischen Abgrenzungen wendet Alber sich, anders als bei der Tauflehre, explizit vor allem gegen a Lasco (sowie gegen Bullinger und ältere Autoren), kaum je gegen Calvin.268 Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass Calvin das Geistwirken beim Abendmahl stärker an den Sakramentsvollzug bindet als bei der Taufe269 – Albers Argumentation, geistliche Präsenz bedeute faktisch Abwesenheit, wäre hier weniger plausibel. A Lascos anti-exhibitive Argumente dagegen kann er in diesem Sinne deuten: so die Aussage, der Gedächtnisbefehl impliziere Abwesenheit des Leibes Christi,270 die Bestreitung einer substantialen Präsenz Christi im Abendmahl271 und den Akzent, dass das Heil nicht durch den Sakramentsvollzug, sondern durch den Geist geschenkt werde – letztere These interpretiert Alber wiederum als Ablehnung jeglicher Heilsbedeutung der Sakramente.272 A Lascos Aussagen bieten sich aufgrund ihrer Zuspitzung auch eher dazu an, als blasphemisch verspottet zu werden. Das tut Alber etwa (wie Magdeburg) mit a Lascos Thesen, bei leiblicher Präsenz im Abendmahl müsse Maria ihren Sohn gegessen haben und ein allgegenwärtiger Christus müsse auch bei den Gottlosen in der Hölle sein, und (wie Westphal) mit Microns Vorschrift, das Mahl im 266 ALBER, Wider die Carlstader, h3v–h4r: „Carlstad ist der erst / der Christus almechtigkeit angefochten hatt / dem selben fantasten haben gefolget die weise leüte / Oecolampadius / Zwingel / Bucer / Bullinger / vnd jtzt Caluinus sampt Lasco. […] also sagen sie / Christus sitzt zr rechten Gottes / drumb kann er nicht auff Erden sein / vnd vil weniger kann er zgleich an allen orten sein. O jhr grobe Esel / wolt jhr lerer der kirchen sein / vnd wisset nicht was Gottes rechte hand ist. […] Bullinger schreibt. Gottes rechte hand / sey ein sonderliches ort im Himmel / da Christus sitze. O des armen gefangenen Christi / wie lang wird dem gten man die zeit / weil er stets an ein ort sitzen mß. Wir aber sagen. Gottes rechte hand sey / Gottes almechtigkeit / ewige krafft / Stercke / gewalt / macht vnnd herschafft.“ 267 Vgl. aaO., i2v–k4r. 268 Wohl deshalb meint KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 137 f., Alber habe a Lasco für gefährlicher gehalten als die anderen Streitgegner. Vgl. aaO., 138–140, für einen Vergleich von Albers Vorwürfen mit a Lascos Argumenten, der allerdings vor allem auf die Frage fokussiert, ob der jeweilige Vorwurf „mit Recht“ erfolge. 269 Vgl. JANSE, Sakramente, 345. 270 ALBER, Wider die Carlstader, p4r: „Wider das heilige Sacrament tobet Lasco weiter vnd spricht. Man gedencke nicht der dinge die gegenwertig / sonder die abwesend sind. Weil denn Christus spricht / Das tht z meinem gedechtnis / so mß sein leib nicht gegenwertig sein. Antwort. Bistu so ein grosser meister in Engeland / vnnd weist nicht / das (Gedencken) im Abendmal so vil heist als (verkundigen / predigen / loben / preisen / dancken etc.) wie es S. Paulus außlegt. Auch predigen wir nicht von dem abwesenden / sonder von dem gegenwertigen Christo.“ Vgl. auch aaO., q3r. 271 Vgl. aaO., o1v. 272 Vgl. etwa aaO., p4v–q1v.

234 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk Sitzen zu vollziehen.273 Zudem findet er bei a Lasco zwölf Deutungen der Einsetzungsworte: mehr als Westphal, obwohl das Argument widersprüchlicher Auslegungen bei Alber weniger zentral ist. Hier erweitert sich das Spektrum Betroffener auf einen fast Westphals Farrago entsprechenden Kreis: Alber führt a Lasco, Blarer, Bullinger, Oekolampad und Bucer, später dann Oekolampad, Karlstadt und Zwingli als einander widersprechende Ausleger an.274 Neben den dogmatischen Konfliktfeldern ist auch für Alber problematisch, dass die Gegner für ihre Position Anspruch auf gesamtreformatorisch normative Geltung erheben. Wie bei Westphal steht dabei zunächst die Befürchtung im Vordergrund, die als ketzerisch diagnostizierte Sakramentslehre könnte im eigenen Umfeld als rechtgläubig wahrgenommen werden: „Vnd ob wol die schwermer vom Sacrament gar nichts halten / […] noch thn sie ihm an etlichen orten die ehre an / vnn nennens ein hochwirdiges Sacrament […] das man gedencke / sie meinens so hertzlich gt. [ …] Hieher gehret auch / das Lasco in seinem bch D. Martinum lobet / als durch den Gott das Bapsthumb z stürtzen angefangen hat. Nn ists gewis (wie ich droben gesagt275) das Lasco z Emden D. Martinum ein vngelerten Bawren gescholten hat. Lieber / warumb lobt er jhn denn in seinem bch? […] Freilich / darumb / auff das wir jhn dagegen auch loben. Laudat, ut laudetur. Also lobt auch Osiander D. Martinum / auff das man seine ketzerey deste lieber anneme. […] Sein lob ist ein meußval / oder falstrick / da mitt er die leüte / so D. Martinum lieb haben / gern an sich ziehen vnd bewegen wolt / das sie jhm auch gleubten vnd sein schwermerey annemen / vnd auff das sie solchs thn / so schreibt er / Gott habe wol das Euangelium durch Martinum offenbaret / habe jhm aber nicht alles offenbaret […]. Drumb habe D. Martinus von anderen Artickelen recht geschrieben / was man aber vom Sacrament halten solle / das habe Gott dem Zwingel vnn seinen gesellen offenbaret / etc. Ja / der heilige Teüffel in der helle / hats jm offenbaret.“276

A Lascos Konzept, Luthers Sakramentslehre als Vorstufe seiner eigenen, wahrhaft reformatorischen Auffassung zu betrachten, gefährdet unter mehreren Aspekten Albers Position: Dass a Lasco sich auf Luther berufen kann, lässt Alber befürchten, a Lascos Lehre könnte auch im Wittenberger Umfeld als rechtgläubig wahrgenommen werden. Dass a Lasco zugleich Luthers Lehre als nur unvollkommen reformatorisch ansieht und überbietet, kann Alber nur als Versuch sehen, die aus seiner Sicht reformatorisch normative Position zu verdrängen. Alber nimmt aber nicht nur a Lascos Haltung als Gefahr wahr, sondern auch Calvins oder Vermiglis straßburgisch beeinflusste These, dass sich alle reformatorischen Strömungen von Wittenberg bis Zürich auf ihre Auffassung einigen könnten: Wie Westphal sieht er zwischen der eigenen, mit Luther, und der gegnerischen, mit Zwingli identifizierten Position einen diametralen Gegensatz. Luther und Zwingli verhalten sich aus seiner Sicht zueinander wie Gott 273

Vgl. o1r–o3r; p4r; für a Lascos These o. Kap. III.1.3f; für Magdeburgs Kritik o. Kap. III.2.3a; für Microns Aussage o. Kap. III.1.3d; für Westphals Polemik u. Kap. III.2.4c. 274 Vgl. ALBER, Wider die Carlstader, r2r–r3v; t4v. 275 Vgl. aaO., E4r. 276 AaO., r1v–r2r.

2.4 Die ersten großen Streitschriften

235

und Teufel, und er meint, die Berufung auf beide sei schlimmer als auf Zwingli allein.277 Auch hier sieht er die Gefahr, dass angesichts der gegnerischen Berufung auf Luther Anhänger der Wittenberger Reformation zu dieser Auffassung übergehen könnten – wie es der normative Anspruch von Calvins oder Vermiglis Konzept impliziert. Aus dem gleichen Grund diskreditiert Alber das Argument, die Gegner verfassten so gute Bibelkommentare, dass sie nicht ganz verwerflich sein könnten – für ihn birgt jede Beschäftigung mit ihren Werken die Gefahr, sakramentstheologische Ketzerei aufzunehmen.278 Dem gesamtreformatorisch normativen Anspruch der Streitgegner setzt Alber den eigenen entgegen, indem er die Eigenständigkeit reformatorischer Impulse bei Zwingli, Calvin oder a Lasco bestreitet: „Was wust man vom Zwingel / da D. Martinus den Ablaß angreiffe / vnd alle Theologen der gantzen Welt stil sassen? Wo war Zwingel / wo war Caluinus vnd Lasco / da D. Martinus des Euangelii halben zu Auspurg [!] für dem Cardinal erschein? Was wüst man vom Zwingel Lasco vnnd Caluino da D. Martinus vmb des Euangelij willen z Wurms furm gantschen Rmischen Reich / mit fahr seins leben erschein? Wer stund da mit jhm die selbige fahr auß / Wo bleib Zwingel? Wo war Lasco? Wo war Caluinus? sassen sie nicht hinderem offen / vnd brieten pffel? Wüst man doch zr selben zeit nicht / was Zwingel für ein ding were / noch schemen sich seine discipelen nicht z liegen / das z der zeit / da D. Martinus im lande z Sachssen den Bapst angreiffe / da habe Zwingel das Bapsthumb in Schweitzerlande angetast. Ja wol / were D. Martinus nicht zuuor kommen / Zwingel hett das messer wol stecken lassen. Da aber D. Martinus den Bapst getrst angreiff / vnd jhm glücklich von stat ging / da wolt ein jeglicher Bachant den Rhm haben / er were der man / der den Bapst geschlagen hett. Doch ich bin nicht da widder / das Zwingel mit D. Martino angefangen habe / ja wie die schlang mit vnserm Herren Got im Paradis anfing vnd jhm sein wort verkert / also fing auch Zwingel mit D. Martino an.“279

Hier wird Albers Perspektive vorausgesetzt, dass die Reformation mit dem Wirken Luthers identisch sei und deshalb alle anderen reformatorischen Lehrer

277 AaO., T4r–T4v: „also ginge es auch D. Martino / denn die welt weissen vnd bauch knechte sagten. Es were ein geringes / darumb er mit dem zwingel zanckte / etc. Ja wol ein gerings / Sind die nicht fern von einander / da einer Nein / der ander ja spricht? […] War der Teüffel im Paradis nicht feren von Gott / da Gott Nein / vnd er Ja sagt? […] Also sagten jetzt auch die Epicurische schweine / Luther vnd Zwingel / sind beyde Christliche lerer / Es ist ein geringes / darinnen sie nicht zsamen stimmen. Was ist auch an Sacrament gelegen? kann man doch wol on das Sacrament slig werden. Sola fides sufficit etc. […] Lieber Leser / wenn du einen hrest sagen. Es gilt mir Luther eben so vil / als Zwingel / oder also / Ich halts weder mitt dem Luther noch mitt dem zwingel / etc. so wisse fürwar / das derselbige ein Ertzschalck / vnd rger ist /denn ein Zwingler / der seinen jrthumb frey bekendt.“ 278 AaO., r3v–r4r: „Etliche sagen Es machen dennoch die Zwingler gte vnd grosse bcher vnd Comment vber Mattheum / Paulum / etc. drumb kan man sie nicht so gar verwerffen. Antwort. Ich lese lieber D. Martini / Brentii / Vrbani Regii M. Viti [i.e. wohl: Veit Dietrichs, C.E.] bucher Da spret man des heiligen Geists gegenwertigkeit. Der schwermer bcher stecken vol verachtung der heiligen Tauffe vnd des Herren Abendmal.“ 279 AaO., t3r.

236 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk von Luther abhängig sein müssten.280 Auf dieser Basis ordnet Alber a Lasco, Calvin und ihre Anhänger ebenso wie innerwittenbergische Gegner zu den kircheninternen Sekten, die gemäß seiner Geschichtsdeutung seit Luthers Tod auftreten: Da sie nicht die Lehre vertreten, die Alber unter Berufung auf Luther als reformatorisch normativ ansieht, müssen sie aus dieser Sicht nachträglich von Luther abgefallen sein. Gemäß der Rückführung ihrer Lehre auf Karlstadt wirft er ihnen vor, die Ketzerei des Ersten Abendmahlsstreits zu erneuern und sich angesichts von deren Widerlegung durch Luther, Brenz, die Syngrammatisten und Urbanus Rhegius verstockt zu zeigen.281 Der Consensus Tigurinus spielt dabei insofern eine Rolle, als Alber Calvin vorwirft, früher Zwingli verworfen zu haben, nun aber im Consensus zu Zürich abgefallen zu sein.282 Zudem begründet Alber seine Polemik dadurch, dass publizistische Verbreitung und politischer Einfluss der gegnerischen Position die Geltung der (aus 280

Vgl. dazu o. Kap. III.2.2a. ALBER, Wider die Carlstader, V4v: „D. Martinus hat schne Bcher widder die schwermer geschrieben / vnd sie gewaldiglich vberwunden. Des gleichen haben auch wider sie geschrieben Johannes Brentius / Vrbanus Regius / Andreas Athlaner / vnd andere gelerten. Dar z sind sie durch Buceren / welcher der fürnemste vnter jhnen war / vnd von jnen fiel / vermanet / jhre ketzerey zuuerlassen / noch beharten sie mtwilliglich darinnen / werden dar z nn auch gestercket durch Caluinum vnd Lasco.“ AaO., n4v–o1r: „D. Martinus […] streit für das heilige Sacrament ritterlich / vnd ließ schne Bcher widder die schwermer außgehen. Bey jhm stunden Brentius / Schnepff / vnd andere die das Syngramma gemacht haben. Aber nach D. Martini Tod / nam die Zwinglische ketzerey z / vnd ward gefordert durch den Lasco / vnd Caluinum / die liessen sich beduncken / sie woltens noch besser machen / denn Carlstad / Zwingel / vnnd die anderen.“ Zu den Texten Luthers und der Syngrammatisten vgl. o. Kap. II.1.4. Hinter „Athlaner“ könnte sich Andreas Althamer verbergen, der auf Wittenberger Seite am Ersten Abendmahlsstreit beteiligt war (vgl. BURNETT, Debating the Sacraments, 198 f.) Die Nennung von Rhegius erstaunt zunächst, da er bis 1527 keine eindeutige Position eingenommen und dann „die Hinwendung zu einem Abendmahlsverständnis, das in wesentlichen Zügen den Intentionen Luthers entspricht, in betont unpolemischer Weise vollzogen“ hatte (vgl. ZSCHOCH, HELLMUT, Reformatorische Existenz und konfessionelle Identität. Urbanus Rhegius als evangelischer Theologe in den Jahren 1520 bis 1530, Tübingen 1995 (BHTh 88), 165–217; Zitat 325). Rhegius scheint aber für Westphals Umfeld eine zentrale Autorität gewesen zu sein: Westphal beteiligte sich an der Planung einer Werkausgabe (vgl. VON SCHADE, Westphal und Braubach, 134–137) und Timann zitierte ihn (vgl. u. Kap. IV.1.2). Letztere Zitate lassen vermuten, dass dies mit Rhegiusʼ Hochschätzung Luthers und seiner Wendung gegen Karlstadt zusammenhängt. 282 ALBER, Wider die Carlstader, G1v „Das aber Caluinus truncken von schwermerey / vnnd vol Teüffel sey / zeügen seine vnsinnige bcher. In seinen ersten bchern verdampt er Zwingels lere vom Abendmal / vnd schreibet / Zwingel habe funfftzehen jare von des Herren Abendmal gschrieben / vnd nicht recht ztroffen / vnnd er selbst Caluinus / schreibt so tunckel vom Sacrament das er auch nicht weiß / was er schnacket. Endlich aber hat er seine vorige meinunge vom Zwingel verdampt / ist gen Zürich kommen / vnd sich den Zwinglischen gar ergeben / wie er selbst in ein bchlin bezeüget. Dabey man sihet / das Caluinus ein leichter man vnd truncken ist vom bsen geist.“ Zu den Aussagen Calvins und zu deren zeitlicher Entwicklung vgl. o. Kap. III.1.1a und III.1.2d. 281

2.4 Die ersten großen Streitschriften

237

seiner Perspektive) wahren reformatorischen Lehre gefährdeten: „Weil denn die schwermer jhre ketzerey so vleissig forderen / so mssen wir auch nicht feiren […] vnn für die liebe warheit getrst fechten.“283 Die Ausbreitung der gegnerischen Auffassung verortet er in England, der Eidgenossenschaft, Friesland und den Niederlanden284 – den von Bruchsal benannten Ländern und a Lascos früherem Wirkungsfeld. Besonders hebt Alber England hervor, wo die Abschaffung traditioneller liturgischer Elemente ihm zufolge „viel leüte rgert vnd für die kpffe stsset / das sie ein abschewen für unsere lere haben. […] Ich hre auch sagen / es sey in Engeland ein grosser auffrhr worden vmb der vnzeitigen vnnd pltzlichen enderung […] willen der feiertage vnnd ceremonien. Wes sinds nn die Engelender gebessert? Man hat sie auß dem regen wllen fren / vnd sind ins wasser gefallen. Denn die leüte sind auß dem Babstumb ins Carlstads schwermerey geraten.“285

Alber interpretiert also die Konflikte mit Altgläubigen und Konservativen in England286 als Ärgernis an der Reformation und macht das gegnerische Vorgehen für die Ablehnung der wahren reformatorischen Auffassung („unsere lere“) verantwortlich. Auch sonst betont er Bezüge der Gegner zu England, z.B. den dortigen Druck von Bullingers Tractatio.287 Aufgrund ihrer Publikationen befürchtet er, sie könnten auch in anderen Ländern politisch Einfluss nehmen: „Lasco wtet grewlich vnter den Engelischen schaafen / wie ein hungeriger Wolff / hat ein ketzer bch gemacht / das schickt er vmbher / vnd schenckts den frsten / auff das er jhr lande auch beschmeisse vnd vergifftige.“288

Im Gegenzug beendet Alber sein Buch mit der Forderung: „so vermane ich eüch / Ihr Obersten im Schweitzerland / dergleichen in Engeland / Frießland / Niderland / vnn an allen rten da Sacramentschender die kirchen einhaben / wllet jhrer mssig gehen / vnd ewere vntersassen mit Christlicher Prediger versehen.“289

Alber will also die eigene Position in Ländern kirchenpolitisch durchsetzen, in denen die gegnerische Lehre Einfluss hat – eine Zielsetzung, die den Anspruch auf gesamtreformatorisch normative Geltung deutlich macht. Wenn Alber tatsächlich auf eine Lektüre durch Fürsten hoffte, würde dazu (außer im Blick auf England) die deutschsprachige Abfassung passen; sie kann aber auch als komplementär zu Westphals lateinischen und Magdeburgs niederdeutschen Schriften gedacht sein oder schlicht Albers üblicher Praxis entsprechen. Jedenfalls konnte Alber dem Werk nicht mehr selbst zur Verbreitung verhelfen: Da er kurz nach Abschluss der Schrift verstarb, wurde diese erst 1556 283

AaO., V4v. Vgl. ebd. 285 AaO., d1v. 286 Vgl. dazu und zum Begriff „konservativ“ im englischen Kontext o. Kap. III.1.3b. 287 Vgl. ALBER, Wider die Carlstader, F3r. 288 AaO., m3r–m3v. 289 AaO., u1r. 284

238 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk auf Initiative Westphals und mit finanzieller Unterstützung Bruchsals gedruckt. Sie trug daher nicht unmittelbar zum Streitausbruch bei, sondern sorgte erst 1557 für verärgerte Reaktionen Bullingers und Calvins.290 c) Konfrontation der eigenen und der gegnerischen Lehre: Westphals Recta fides (1553) Westphals zweite Streitschrift, die 1553 publizierte Recta fides,291 verhält sich komplementär zur Farrago: Hatte er dort durch den Vorwurf wechselseitiger Widersprüche die Lehre und den normativen Anspruch der Gegner diskreditiert, verteidigt er hier die seinem Anspruch nach reformatorisch normative Auffassung, indem er einerseits seine positive Lehre untermauert, andererseits deren Gegensatz zur gegnerischen Position herausstellt. In der Literatur tritt die Recta fides oft hinter der Farrago zurück292 – für die Zeitgenossen auf Westphals Seite scheint sie dagegen eher wichtiger gewesen zu sein: Sie erfuhr einen Nachdruck und eine mehrfach gedruckte deutsche Übersetzung.293 Zur Reaktion der Gegenseite trugen beide Schriften gleichermaßen bei.294 Sprechend für Westphals Absicht, die Kirche in der recta fides zu unterrichten und gleichzeitig vor abweichenden Lehrauffassungen zu warnen, ist das von ihm gewählte Motto Kol 2, 6–8: „Quemadmodum accepistis Christum Dominum, ita in eo ambulate […]. Videte ne quis sit, qui depredetur uos per philosophiam, et inanem deceptionem, iuxta constitutionem hominum, iuxta elementa mundi, et non iuxta Christum.“295

Das Vorwort beginnt entsprechend mit der Mahnung zu Wachsamkeit gegenüber Falschpropheten:296 Diesen sei entgegenzutreten, da derzeit viele Christen zu Irrtümern gezogen würden, speziell zur Häresie der Sakramentierer.297 Hier 290

Zur Drucklegung vgl. u. Kap. IV.3.1b; zu den Reaktionen u. Kap. V.1.3a. WESTPHAL, JOACHIM, RECTA FI=||DES DE COENA DO=||mini, ex uerbis Apostoli Pauli, et || Euangelistarum demonstrata ac communita […], Magdeburg: Michael Lotther 1553, VD16 W 2308. 292 Vgl. etwa SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 152; KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 82; MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 22 f. 293 Der Nachdruck zusammen mit Erhard Schnepfs Confessio (s.u. Kap. IV.3.1c) erfolgte 1556 in Straßburg (VD16 W 2309); zu Waldners Übersetzung von 1554 und zu deren 1555 erfolgtem Nachdruck vgl. u. Kap. IV.1.4. 294 Vgl. dazu u. Kap. IV.2.1a–b. 295 WESTPHAL, Recta fides, A1r. 296 AaO., A2r: „filius Dei […] praedixit, magna illi postremis temporibus pericula impendere, et in primis a falsis prophetis et haereticis, quos uigilanter cauendos esse etiam atque etiam praemonuit.“ 297 AaO., A3v: „Magna est hoc tempore negligentia in stabiliendis ijs, quae ad solidam doctrinam et perseuerantiam in pietate pertinent, ac persoluunt homines negligentiae et contemptus sui graues poenas, dum imparati et male instructi incidunt in perniciosos errores. Idem malum multos implicat in haeresin Sacramentariorum.“ 291

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zeigt sich wieder die von Bruchsal und Alber bekannte Wahrnehmung: Angesichts des Erfolgs der Gegner auf europäischer Ebene – der zu Zeitdeutung und Ketzerbefürchtungen der Interimsgegner passt – fürchtet Westphal offenbar eine ähnliche Entwicklung im eigenen Umfeld. Seine Absicht beschreibt er den Adresssaten, der Hamburger Kirche, im Bild einer Stadtbefestigung: Wie man sich dadurch auf militärische Gefahren vorbereite, solle die Recta fides zur Befestigung in der rechten Lehre dienen und gegen Häresie schützen.298 Der Hauptteil ist als fortlaufende Auslegung der Einsetzungsworte konzipiert, mit denen Westphal (im Anschluss an Luther) die recta fides identifiziert: Weil es sich bei diesen Worten um die Zusage Christi selbst handle, seien sie die einzigen Waffen, mit denen die Kirche Irrtümern widerstehen könnte.299 Die Einsetzungsworte sind also für Westphal Garant der wahrhaft reformatorischen Auffassung – und aus seiner Perspektive herrscht nirgends größere Gefahr: Keine andere Irrlehre ziehe aktuell so viele Menschen an wie die Häresie der Sakramentierer, die das wörtliche Verständnis der Einsetzungsworte und die wahre Gegenwart Christi im Abendmahl attackierten.300 Diese Gegner benennt Westphal in der Recta fides nicht namentlich, sondern spricht stets allgemein von sacramentarii. Offenbar ist aber an die in der Farrago attackierten Autoren zu denken: Er führt Zitate Zwinglis, Oekolampads und Vermiglis an und setzt sich mit a Lascos Tractatio de sacramentis auseinander.301 Zentral für die Lehre, die Westphal als recta fides verteidigen möchte, ist (wie bei Alber) die Funktion des Abendmahls als Heilsmittel: Er beschreibt die Sakramente als organa, durch die Gott Heil anbiete;302 Christen würden nicht allein durch Glauben in die Gemeinschaft mit Christus aufgenommen, sondern auch durch die Predigt des Evangeliums und die Sakramente, mittels derer die

298

Vgl. aaO., A3v–A4v. Vgl. aaO., A6r–B3r. 300 AaO., C6r–C6v: „Nulla falsa doctrina tam late nostro tempore dispergitur, nulla tanto conatu et hypocrisi defenditur, nulla tam multos homines abripit in errorem, quam falsa doctrina de Eucharistiae Sacramento. Nulla alia tot machinis, dolis, fraudibus et insidijs oppugnatur, quam uera doctrina de Christi coena. Oportet nos ergo contra probe instructos esse, et in procinctu habere nostra arma, ut fidem rectam, inuiolatam, et illaesam conseruemus. Communire itaque eam firmis aliquot rationibus uolo, et praecipuas probationes, quibus nititur, indicare. Primum et longe firmißimum argumentum nostrae fidei consistit in uerbis Christi […], Hoc est corpus meum, Hic est sanguis meus. Dicenti fidem habeamus. […] Verbis Christi superstruunt fidem orthodoxi scriptores, cum proponunt doctrinam de praesentia corporis et sanguinis Domini in Sacramento.“ 301 Zu den Zitaten vgl. aaO., E7v; F3v–F5r; zur Auseinandersetzung mit a Lasco vgl. weiter unten in diesem Abschnitt. 302 WESTPHAL, Recta fides, A7v: „Sacramenta organa sunt, quibus Deus offert, distribuit, et exhibet beneficia redemptionis, quibus obsignat et confirmat promißionem remißionis peccatorum, iustitiae, et salutis.“ 299

240 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk von Christus erworbenen beneficia ausgeteilt würden.303 Den Abendmahlsvorgang kann Westphal durchaus als Essen und Trinken von Christi Leib und Blut beschreiben,304 betont aber wie Luther, man solle sich mit Christi Zusage seiner Anwesenheit zufriedengeben und nicht über deren modus spekulieren.305 Es geht Westphal also nicht darum, eine Präsenz Christi in den Elementen gegen eine der CA variata entsprechende Gegenwart mit ihnen durchzusetzen (sein Mitstreiter Alber hatte ausdrücklich nur eine Präsenz cum pane vertreten306). Darum ist Westphals Position aber nicht mit der kongruent, die Calvin in der Zeit vor dem Consensus Tigurinus festgehalten hatte:307 Zwar vertrat auch Calvin – vor wie nach dem Consensus – eine substantiale Präsenz Christi im Abendmahlsgeschehen und seinem Selbstverständnis nach eine mit der CA variata kompatible Position.308 Dass es sich dabei in Westphals Augen trotzdem nicht um eine wahre Präsenz Christi handelt und er Calvins Lehre ebenso verketzert wie die aller anderen Gegner, hat christologische Gründe: So hält Westphal gegen a Lascos Aussage, dass der Begriff „Leib Christi“ in den Einsetzungsworten sich nicht auf die Inkarnation, sondern auf die Passion beziehe,309 fest, im Abendmahl werde der gleiche Leib Christi ausgeteilt, der aus Maria geboren und am Kreuz hingegeben wurde – also der menschliche – und zwar dessen substantia, nicht nur (wie a Lasco meinte) seine qualitas.310 Zwar 303

AaO., C3v–C4v, bes. C4r: „Non est satis scire, quae nobis attulerit et promeruit Christus assumpta carne, et toleratis grauißimis supplicijs. Nouisse praeterea oportet, quibus medijs, nos parta bona consequamur. Ad hunc usum ordinauit Deus ministerium Euangelij, Baptismi et coenae Domini, his offert et exhibet beneficia sui filij, et credentes ad bonorum omnium communionem recipit. […] Non enim, sola fide absque uerbo et Sacramentis, sed per fidem, per uerbum et Sacramenta peruenimus ad consortium et communionem Christi. Fide uera uersatur circa uerbum Dei et Sacramenta, utrumque igitur complectitur fides, non excludit uel Baptismum, uel coenam sacram.“ 304 Ebd., passim. 305 Vgl. aaO., F7r–F7v. 306 Vgl. o. Kap. III.2.4b. 307 Ersteres beobachtet JANSE, Westphalʼs Sacramentology, 139–143, in kritischer Auseinandersetzung mit der älteren Literatur vollkommen zu Recht; letztere, daraus abgeleitete These ist m.E. nicht berechtigt. Vgl. im Folgenden. 308 Vgl. o. Kap. III.1.1a. 309 WESTPHAL, Recta fides, F6r: „Valde friuolum est, quod quidam Sacramentarius urget commemorationem mortis, exclusa Christi incarnatione, de inde suum fulcit errorem, negans Christum dare nobis carnem suam edendam in coena sua, quia non incarnationis suae, sed mortis memoriam Ecclesiae commendauit.“ 310 AaO., D6r–D6v: „Vsitatas locutiones consentientes cum Christi uerbis inceßit petulantia Sacramentariorum, Relationem, quae innuit substantiam, detorquent ad qualitatem. Non pudet eos scriptis suis publicare has calumnias. Alius ex praesepi, alius in cruce palpitantem adhuc edit, ita enim pronunciant, nos corpus Christi ueraciter et corporaliter edimus, ut in praesepi iacuit, ut in cruce pependit. Vides, ut calumniose Quod pro qualiter accipiant, et quae per relationem de substantia dici solent, traducant ad paßionem.“ Zu a Lascos Argumentation vgl. o. III.1.3f).

2.4 Die ersten großen Streitschriften

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hätte Calvin, anders als a Lasco, diesen Aussagen (in seinem Verständnis) zustimmen können – nicht aber der These Westphals, dass daraus eine körperliche Präsenz Christi folge:311 Für Calvin und seine Mitstreiter ist der Leib Christi zwar wahrhaft im Abendmahl präsent, aber auf geistliche Weise, während er sich körperlich im Himmel befindet.312 Auf derartige Positionen zielt Westphals Aussage, die Gegner gäben manchmal eine manducatio indignorum zu oder sprächen von exhibere (zwei für die Straßburger Deutung der Wittenberger Konkordie typische Aspekte313), legten dies dann aber so aus, dass es sich nur um Symbole des abwesenden Christus handle.314 Für Westphal ist Christus abwesend, sofern er nicht leiblich präsent ist – hier zeigt sich wiederum die von ihm vorgenommene normative Einschränkung gegenüber CA variata und Wittenberger Konkordie, in deren Rahmen unterschiedliche Deutungen wahrhaft-substantialer Präsenz als legitim anerkannt werden konnten. 315 In dieser körperlichen Präsenz der menschlichen Natur Christi im Abendmahlsgeschehen besteht Westphals zentrales theologisches Anliegen. Warum Westphal durch die Bestreitung einer derartigen Präsenz das Verständnis des Abendmahls als Heilsmittel in Frage gestellt sieht, zeigt sich an seiner Argumentation zur manducatio impiorum: Wie Luther betont er, Gott wolle nicht, dass Christi Präsenz im Sakrament von Voraussetzungen abhänge, die durch Menschen hergestellt werden müssten. Die sacramentarii machten sie aber davon abhängig, wenn sie eine vom Glauben unabhängige Nießung bestritten:316 Ist die Präsenz nicht zwingend an den Sakramentsvollzug gebunden, sondern – wie es die Gegenpartei vertritt – vom Wirken des Heiligen Geistes abhängig, wirkt sie sich nur an glaubenden Kommunikanten aus.317 Daher 311 AaO., H6v: „Christus tecum ad tempus esse uoluit, quando aut quam diu necesse fuit, exhibuit tibi ad tempus corporalem praesentiam suam, ut per illam ad spiritualem excitaret.“ 312 Vgl. o. Kap. III.1.1a; III.1.3b und III.1.3f. 313 Vgl. o. Kap. II.3.4. 314 WESTPHAL, Recta fides, F2v–F3r: „Aliquando concedunt sacramentarij indignos sumere Sacramentum, sed tantum intelligunt signa panis et uini, et tamen Sacramentum dicunt mysterium, et Sacramentaliter edere, pro eo exponunt, quod est mystice et spiritualiter edere, licet soli digni, hoc est, pij accedentes fide ad communionem spiritualiter participent. […] Subdole igitur offundunt incautis nebulas suis tropis, symbolis, allegorijs et mysterijs, quae cum sint inter se distincta, cumulant, ut rem tollant ex Eucharistia et obtineant, aliisque obtrudant suas significationes. Simili dolo ludificantur per ambigua uocabula, significare, exhibere, repraesentare et simila, quae deprauant in scriptis ueterum, dum exponunt pro adumbrare, similitudine, symbolis, notis, ac gestibus referre rem absentem […], ut stabiliant sua signa et symbola absentis corporis et sanguinis Christi, quae non aliter praesentia sint, quam ut in pane et uino tanquam notis et symbolis repraesententur.“ 315 Vgl. o. Kap. III.2.4a. 316 Vgl. aaO., G4v–H7r. 317 Entscheidend ist dieser Aspekt der Auswirkung bzw. tatsächlichen Nießung: Calvin kann durchaus vertreten, Ungläubigen werde der Leib Christi durch den Geist ebenfalls angeboten – aber eben erfolglos. Vgl. u. Kap. IV.2.2b.

242 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk wird im Consensus Tigurinus, a Lascos Tractatio de sacramentis und Vermiglis Oxforder Tractatio die manducatio impiorum bestritten.318 Dadurch sieht Westphal wie Luther letztlich das reformatorische sola gratia angegriffen. Angesichts der genannten Lehrunterschiede sieht Westphal in der Lehre der aktuellen Gegner eine Erneuerung der Position von Luthers Opponenten des Ersten Abendmahlsstreits und – aufgrund ihrer Bestreitung der aus seiner Sicht wahren Präsenz des Leibes Christi – eine faktisch rein symbolische Abendmahlsauffassung.319 Um diese These zu belegen, zieht er bevorzugt Aussagen derjenigen Theologen heran, bei denen sich das aus seiner Sicht besonders gut belegen lässt, und unterstellt diese dann allen Autoren der Gegenpartei. So argumentiert Westphal etwa ausführlich gegen a Lascos These, dass memoria sich stets (auch in den Einsetzungsworten) auf Abwesendes, nicht Anwesendes beziehe320 und Christus daher bis zu seiner Wiederkunft abwesend sei: Im Gegenteil habe Christus versprochen, bis zum Ende der Welt bei den Gläubigen gegenwärtig zu sein (Mt 28, 20), und zwar nicht nur spiritualiter, sondern auch im Abendmahl.321 Indem sich Westphal hier mit dem anti-exhibitiv argumentierenden a Lasco auseinandersetzt, kann er plausibel machen, dass die Gegner von einer Abwesenheit Christi ausgingen – während Calvin und andere exhibitiv argumentierende Ausleger das nicht behaupten. Gleichzeitig besteht für Westphal weiter ein zentrales Problem der gegnerischen Lehre darin, dass diese wie die traditionelle Straßburger und im Unterschied zur bisherigen Zürcher Position nicht eindeutig gegen die eigene Haltung abgegrenzt ist: Eben das liegt dem Anspruch der Gegenseite zugrunde, dass ihre Lehre auch für Anhänger der Wittenberger Reformation akzeptabel sei. Um eine Akzeptanz dieses Anspruchs zu verhindern, legt Westphal auch in der Recta fides einen Schwerpunkt darauf, den (aus seiner Sicht) in Wahrheit zürcherischen Inhalt der entsprechenden Aussagen herauszuarbeiten und sie so als nur scheinbar rechtgläubige Formeln darzustellen, die Gläubige zur Ketzerei ziehen sollten. So betont er, Zuingliani sprächen scheinbar rechtgläubig von sakramentalem Empfang, sähen aber die eigentliche res sacramenti (d.h. aus 318

Vgl. o. Kap. III.1.2c; III.1.3b und III.1.3f. Vgl. besonders WESTPHAL, Recta fides, B3v–B6v; D7v–E3r. 320 AaO., F6r–F6v: „proferunt sophisma de memoria mortis Christi, quam talem fingunt, qualis est, cum quis tacite et frigide apud se cogitans, utcunque reminiscitur praeterita, et sic ineptiunt, memoria est absentium non praesentium, Christus sui meminisse iubet. Paulus praecipit annunciare mortem Domini, non igitur corpus et sanguis Christi adsunt in coena sed absunt, Recolimus enim memoriam absentis non praesentis mortis Christi. Certe negabunt et Christum praesentem esse, cum commendet nobis sui memoriam, si memoria est absentis.“ 321 AaO., F8r–F8v, bes. F8v: „Stat ergo promißis suis, aduenit ad Ecclesiam suam, praesens est et habitat in Ecclesia […] non tantum spiritualiter, sed etiam ea praesentia, quam ordinauit in coena sua, in qua vere praesens dat carnem et sanguinem suum in cibum et potum non periturum, sed reficientem ad uitam aeternam.“ 319

2.4 Die ersten großen Streitschriften

243

seiner Sicht: den Sakramentsvollzug) als bloßes signum und die allegorica significatio (bestehend in der geistlichen Gemeinschaft der Gläubigen mit Christus) als res.322 Diese allegorica significatio gibt es zwar Westphal zufolge tatsächlich, weshalb sie rechtgläubig klinge. Er wirft den Gegnern jedoch vor, darin – statt in der in seinen Augen wahren Präsenz Christi – den einzigen und zentralen Sinn des Abendmahls zu sehen.323 Ebenso sprächen die Gegner von Leib und Blut, essen und trinken, aber verstünden dies rein geistlich im Sinne einer contemplatio fidei.324 Es folgt eine Liste von Aussagen Zwinglis, Oekolampads und Vermiglis, die offenbar wie in der Farrago sowohl deren gegenseitigen Widerspruch als auch die aus Westphals Perspektive zürcherische Abendmahlsauffassung ihrer Autoren belegen soll – allerdings ohne Namensnennung und meist mit anderen Zitaten als in der Farrago. Auffallend ist die Auswahl der Zitate: Diejenigen Zwinglis stammen sämtlich aus dem Ersten Abendmahlsstreit (nicht aus den Spätschriften, aus den sich eine über das Symbolische hinausgehende geistliche Präsenz ablesen ließe), Oekolampad hat sich nur im Ersten Abendmahlsstreit geäußert, und mit Vermigli ist jener exhibitiv argumentierende Autor gewählt, von dem sich am ehesten Aussagen finden lassen, die von fidei perceptio sprechen oder das exhibere auf den animus beziehen – und damit für Westphal den zürcherisch-symbolischen Charakter aller exhibitiven Auffassungen belegen.325 Den Vorwurf widersprüchlicher Auslegungen erhebt er auch zum Begriff „corpus meum“, aber ohne Zitate.326 322 AaO., F2r: „ludunt Amphibologia Zuingliani, cum usurpunt has formulas, accipi corpus et sanguinem sacramentaliter et Sacramenti modo. Verbis idem sonant, et idem sentiri uidentur cum orthodoxis, a quibus tamen per omnia dissentiunt. Commiscent signa et res, Sacramentum uocant panem et uinum, et signorum significationem, quae illis est res Sacramenti, cum tamen Sacramentum constet duabus rebus, Elemento et uerbo, uel re terrena et coelesti.“ 323 Vgl. aaO., E6r–E7r, bes. E6v: „Dvplex est panis et uini significatio, altera fidei de spirituali corporis et sanguinis Christi alimonia et fidelium communione cum Domino Christo, Altera charitatis inter membra Ecclesiae spiritualis participatio et communio cum Christo significatur natura panis et uini, et consistit similitudo in corporali et spirituali refectione. Panis et uinum nutriunt et confortant hominem, uitam naturalem conseruant. Christus corpore et sanguine nutrit et pascit animam, suppeditat et conseruat vitam spiritualem.“ 324 Vgl. aaO., E7v–F3v, bes. aaO., F1r: „Appellationem corporis et sanguinis intelligunt de solis signis et symbolis corporis et sanguinis. Panis et uinum nominantur, et sunt illis Christi corpus et sanguis Sacramentaliter, mystice, symbolice, et spiritualiter. Edere corpus et bibere sanguinem Christi spiritualiter, symbolice, tropice, figurate, Sacramentaliter, mystice, allegorice, per significationem, per contemplationem fidei, haec in uno et eodem sensu Sacramentarij accipiunt, Idem illis significant, tropus, figura, allegoria, mysterium, spiritus, symbolum, typus, Nam haec usurpant promiscue, cum tamen magnum in significatione sit discrimen.“ 325 Die Liste mit dem Titel „Quo sensu dicant Sacramentarij corpus et sanguinem Christi esse et dari in dominica coena, ex sequentibus eorum sententijs apparet.“ umfasst 17 Zitate. Vgl. aaO., F3v–F5r. 326 Vgl. aaO., G1v–G2v.

244 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk Um zu belegen, dass seine Position – und nicht die gegnerische – das reformatorisch normative Verständnis darstelle, listet Westphal neben zahlreichen Schriftbelegen auch eine Reihe reformatorische und altkirchliche Autoritäten auf. Das ist aufschlussreich für sein Verständnis von kirchlichem Konsens, das in der folgenden Streitphase eine wichtige Rolle spielen sollte: So macht sich sein Anspruch, dem Konsens aller rechtgläubigen Kirchen zu folgen, unter anderem an der Übereinstimmung mit der Lehre fest, die in Hamburg per tempus emendatae religionis festgelegt worden sei327 – die Hamburger Reformation gilt ihm offenbar in ähnlicher Weise als normativ wie die Schriften Luthers.328 Hinzu kommen zahlreiche Väterzitate.329 Schon hier treten zwei Autoren hervor, über die Westphal später Testimoniensammlungen veröffentlichte:330 Der prominenteste Autor ist mit 33 Zitaten Augustin; an Schlüsselstellen wird auf Cyrill verwiesen.331 Zudem beruft Westphal sich auf mittelalterliche Autoren: nicht nur auf evangelisch gängige Autoren wie Bernhard von Clairvaux und Papst Leo I.,332 sondern auch auf Thomas von Aquin.333 Unter Berufung auf die Väter entwickelt Westphal sogar eine positive Konsekrationslehre: Er betont, dass der Missbrauch der Konsekration im Papsttum kein Grund sei, ihren rechten Gebrauch zu verwerfen. Die Einsetzung, speziell aber die Worte „Hoc est corpus meum“ seien nicht – wie die sacramentarii meinten – eine bloße Aussonderung der Elemente zur Verwendung im Abendmahl, sondern eine Segnung, die zur wahren Präsenz von Leib und Blut Christi führe.334 Hier zeigt sich Westphal als Parteigänger einer Haltung, die ab 1557 zu seinem Zerwürfnis mit Melanchthon beitragen sollte und die in ihrer (von Westphal nicht geteilten, aber tolerierten) Extremform bei Hachenburg sogar 327 AaO., A5r: „Eum mihi habeo praefixum scopum, ut in omnibus partibus doctrinae per omnia sequar consensum huius et coniunctarum in recta fide Ecclesiarum. Idem mihi propositum et praecipuum studium fuit in hac tractatione de Eucharistia, nec dubito, quin omnes non negligenter uel in catechesi instituti agnoscant, et non difficiles mihi hoc testimonium ferant, me in hac parte itidem, ut in alijs amplecti et tueri, quae per tempus emendatae religionis de Eucharistia, haec, et uicinae Ecclesiae ex uerbo Dei accepta et credita, confessae sunt.“ 328 Vgl. o. Kap. III.2.1b zur Bedeutung Luthers in diesem Sinne bei Westphal. 329 Vgl. WESTPHAL, Recta fides, D7v–E3r. 330 S.u. Kap. IV.1.3. 331 Vgl. etwa WESTPHAL, Recta fides, B6v–B7r, C7r, C8r, G3r. 332 Vgl. aaO., F1v; D6r. 333 AaO., A8r: „Deus quae dicit, et promittit uerbis suis, ea perficit et praestat. […] Recte Thomas Aquinas, illius, inquit, est instituere, qui rei institutae dat uirtutem et operationem.“ 334 Vgl. aaO., B6v–C2v, bes. B7r: „in coena Domini ita benedicuntur panis et uinum, ut uere praesens sit corpus et sanguis Domini“ und C1v: „consecrantur panis et calix, non tantum ea ratione, quod panis et uinum adhibentur ad sanctum usum, ut placet Sacramentarijs, qui adserunt apud ueteres uerbum consecrandi non aliud significare, quam panem communem sacro usui dedicare, sed multo magis, quod adhibentur ad dispensationem corporis et sanguinis Domini, et haec per Christi benedictionem adsunt ac dispensantur in sacra coena.“

2.5 Ergebnisse

245

zur Forderung einer Anbetung der Elemente führte.335 Hier dient sie Westphal dazu, den Gegensatz zu den sacramentarii möglichst klar herauszustellen. Die Schrift endet mit einer Verwerfung, in der die Gegner mit Arius, Cerinth und Osiander zusammengeordnet werden.336 In diesem Kontext fordert Westphal ein Eingreifen der Obrigkeit: „Tam execrandae blasphemiae […] merentur potius sceptro magistratus, quam stylo refutari.“337 Er unterstellt den Gegnern also das reichsrechtlich sanktionierte Verbrechen der Blasphemie338 – was im Folgenden vor allem in seiner Debatte mit dem Londoner Flüchtlingspfarrer Marten Micron in Hamburg eine große Rolle spielen sollte.339

2.5 Ergebnisse 2.5 Ergebnisse

Wie die spätere Gegenpartei, so hatten auch Joachim Westphal und seine Mitstreiter schon vor Beginn des Abendmahlsstreits gesamtreformatorisch normative Ansprüche und entsprechende Identitätsvorstellungen herausgebildet: Im städtischen Widerstand gegen das Augsburger Interim und im Zuge des folgenden Adiaphoristischen Streits entwickelten sie eine Selbstverständnis als kleine rechtgläubige Minderheit, die das genuine Erbe der Wittenberger Reformation vertrete. Der Osiandrische Streit und weitere innerwittenbergische Debatten verstärkten die Vorstellung, dieses Erbe nicht nur gegen altgläubige Bedrohungen, sondern auch gegen eine Übermacht kircheninterner Häretiker verteidigen zu müssen. Diese gesteigerte Aufmerksamkeit für abweichende evangelische Positionen betraf auch die Abendmahlslehre – Nachrichten über die Haltungen Calvins, Vermiglis und a Lascos und deren wachsenden Einfluss in anderen europäischen Ländern lösten daher unmittelbar Besorgnis aus und führten zu Streitschriften, in denen Westphal, Alber und Magdeburg diese Auffassungen verketzerten und die eigene Kirche davor warnten, sie zu tolerieren. Die von Westphals Partei erhobenen Ketzervorwürfe hängen nicht nur mit dem theologischen Inhalt, sondern auch mit dem normativen Anspruch ihrer 335

Vgl. dazu u. Kap. V.1.2b; zu Westphals Stellungnahme Kap. V.1.5e. Vgl. WESTPHAL, Recta fides, H7r. 337 AaO., H6r. 338 Zur Bedeutung der Blasphemie als reichsrechtlich relevantes Verbrechen im 16. Jh. vgl. überblicksweise LIEBERWIRTH, ROLF, Art. Gotteslästerung, Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 2, Berlin 22012, 477 f. 339 Vgl. u. Exkurs A.3b. Entsprechend negativ wird diese Aussage in der reformierten Literatur hervorgehoben: So führt STÄHELIN, Johannes Calvin II, 206, diese Stelle an, um zu belegen, in welchem „Tone der Rohheit, Feindseligkeit, Gewaltthätigkeit, Aufreizung“ der Text geschrieben sei. Freilich ordnet er die Aussage Westphals Schrift von 1552, d.h. der Farrago, zu, wie er auch überhaupt die Recta fides nicht erwähnt (so dass fraglich sein dürfte, ob sie ihm überhaupt vorlag). Allerdings findet sich die falsche Zuordnung auch bei MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 22, der direkt im Anschluss die Recta fides behandelt. 336

246 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk eigenen wie der gegnerischen Ansicht zusammen.340 Wie Calvin und dessen Mitstreiter im Verhältnis zu Bucer, so vertritt auch Westphals Partei im Verhältnis zu Luther eine inhaltlich an dessen Auffassung anknüpfende, aber mit stärkeren normativen Setzungen verbundene Position: Hatten Wittenberger Konkordie und CA variata – im Verhältnis zwischen Wittenberger und Straßburger Reformation, aber auch innerwittenbergisch – unterschiedliche Deutungen einer wahrhaftigen und substantialen Präsenz Christi im Abendmahl zugelassen, setzt Westphals Seite die Interpretation normativ, dass die substantiale Präsenz als leibliche Gegenwart von Christi menschlicher Natur zu verstehen sei.341 Diese Position steht inhaltlich in Spannung zur von Calvin, Vermigli und a Lasco vertretenen normativen Festlegung auf eine geistliche Präsenz. Gleichzeitig ist vor dem Streit nicht eindeutig, wie die Lehre Calvins, Vermiglis, a Lascos und ihrer Mitstreiter aus Perspektive der Wittenberger Reformation insgesamt aufgefasst werden wird: Die These einer spiritualis manducatio Christi im Abendmahl steht zwischen der klassischen Zürcher und Straßburger Position und ist somit weder der im Wittenberger Kontext verketzerten Zürcher noch der im Wittenberger Rahmen seit 1536/40 als rechtgläubig anerkannten Straßburger Reformation eindeutig zugeordnet. Westphals Partei wendet sich insofern weder (wie es die traditionelle lutherische Forschungsthese in Übernahme von Westphals Perspektive postuliert342) selbstverständlich gegen eine längst normativ aus der eigenen Kirche ausgeschlossene Lehre, noch attackiert sie (wie es die traditionelle reformierte These in Anknüpfung an Calvins Perspektive annimmt343) allein aufgrund ihrer eigenen veränderten Position eine eindeutig straßburgische und in die Wittenberger Konkordie eingeschlossene Auffassung. Die Besorgnis entspringt vielmehr gerade daraus, dass dieses Konzept einerseits mit Aspekten verbunden ist, die der traditionellen Zürcher Auffassung entsprechen und der von Westphals Seite vertretenen normativen Vereindeutigung entgegenstehen, etwa die Verortung der menschlichen Natur Christi im räumlich gedachten Himmel. Daher erscheint sie aus Perspektive Westphals und seiner Mitstreiter als ketzerisch. Andererseits lässt sich der Gedanke wahrhaftiger geistlicher Gegenwart – besonders, wenn er wie 340 Obwohl dies in den älteren Darstellungen des Streits dem Grundsatz nach bewusst ist (vgl. etwa STÄHELIN, Johannes Calvin II, 197–205, einerseits, SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 149–151, andererseits), tendiert doch die Literatur bis heute dazu, die theologische Ebene derart herauszustellen, dass dieser Aspekt dahinter fast völlig verschwindet. 341 Zwar können Westphal und seine Mitstreiter von einer Identität von Brot und Leib sprechen (vgl. etwa o. Kap. III.2.4c); teils vertreten sie aber auch nur eine Präsenz cum pane (vgl. o. Kap. III.2.4b)). Der von ihnen als entscheidend angesehene Aspekt ist die als leiblich verstandene substantiale Präsenz von Christi menschlicher Natur im Abendmahl, nicht deren Verortung im Verhältnis zu den Elementen. 342 So prägnant etwa SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 136–146. 343 So deutlich etwa STÄHELIN, Johannes Calvin II, 206. Zu den Hintergründen beider Auffassungen und zu ihren weiteren Vertretern vgl. o. Kap. I.1.

2.5 Ergebnisse

247

bei Calvin oder Vermigli im Sinne einer exhibitiven Vermittlung des Heils durch den Abendmahlsvollzug verstanden wird – auch als straßburgisch auffassen. Damit erscheint diese Lehre anders als die traditionelle Zürcher Auffassung nicht klar gegen die Wittenberger Reformation abgegrenzt und könnte auch in diesem Kontext als rechtgläubig anerkannt werden. Es ist die Kombination von Straßburger und Zürcher Eigenschaften, die Westphals Partei befürchten lässt, dass eine aus ihrer Sicht ketzerische Lehre innerhalb der eigenen Kirche akzeptiert werden könnte. Infolgedessen versucht sie eine innerwittenbergisch normative Verketzerung dieser Lehre zu erreichen, indem sie die aus ihrer Sicht zürcherischen Aspekte herausarbeitet und die an Straßburg erinnernden als Verschleierung der Ketzerei desavouiert. Das Postulat Calvins, Vermiglis und a Lascos, dass sich Zürcher, Straßburger und Wittenberger Reformation auf die von ihnen vertretene Lehre einigen könnten, gefährdet aus Sicht von Westphals Partei zugleich den eigenen Anspruch, normativ das reformatorische Erbe zu vertreten. Das gilt zunächst auf prinzipieller Ebene: Zwei gesamtreformatorisch normative Konzepte kann es nicht geben; eine Anerkennung des anderen Modells in der eigenen Kirche birgt daher aus Sicht von Westphals Partei die Gefahr, dass das eigene verdrängt wird. Weiterhin hängt es mit den theologischen Vereindeutigungen auf beiden Seiten zusammen: Hatten frühere Reformatoren sich regelmäßig auf Formeln einigen können, die im Sinne unterschiedlicher Lehrauffassungen lesbar waren, hatte Westphals Seite sich nun normativ auf ein Verständnis substantialer als leiblicher Präsenz festgelegt, das aus ihrer Perspektive mit dem gegnerischen, im Sinne geistlicher Präsenz vereindeutigenden Verständnis in einem wechselseitigen Ausschlussverhältnis stand – auch deshalb befürchtete sie, die Anerkennung der gegnerischen Haltung würde eine Verdrängung der eigenen nach sich ziehen. Verschärfend kommt schließlich hinzu, dass das normative Konzept von Westphals Partei so strukturiert ist, dass kirchlicher Konsens als Zustimmung zu einer einzigen Wahrheit aufgefasst wird – so dass dieser Konsens schon gestört ist, wenn weitere Ansichten neben dieser Wahrheit kirchlich anerkannt und toleriert werden. Darum betrachtet sie die von der Gegenseite angestrebte Verständigung zwischen Anhängern Luthers und Zwinglis als undenkbar bzw. wirft ihr (analog zu den „Adiaphoristen“) vor, das sei eine Vereinigung von Wahrheit und Lüge, Christus und Belial. Wird die Analyse dieser Vorgänge nicht – wie in der Literatur weithin üblich – auf Westphals Streitschriften beschränkt, wird nicht nur der Prozess deutlicher erkennbar, in dem sich die normativen Ansprüche und abendmahlstheologischen Ketzervorwürfe herausbilden, sondern es wird auch deutlich, dass es sich dabei von vorneherein um die Identitätsbildung einer Gruppe von Theologen handelt, die sich untereinander eng abspricht und gemeinsame Anliegen verfolgt. Zugleich weisen ihre Positionen und Argumentationsstrategien untereinander eine gewisse Pluralität auf: Westphal verurteilt Bucer zusammen mit den aktuellen Streitgegnern, Alber spielt ihn gegen diese aus. Westphal

248 III.2 Herausbildung reformatorisch normativer Ansprüche: Westphals Netzwerk leitet den ketzerischen Charakter der gegnerischen Lehre aus der Übereinstimmung mit Zwingli her, Alber aus derjenigen mit Karlstadt. Westphal und Magdeburg thematisieren ausschließlich die Abendmahlslehre der Gegner, Alber auch Tauflehre und Bilderfrage. Während Alber eine Vielzahl von Ketzerzeichen zusammenstellt, konzentriert sich Westphal jeweils auf ein Argument: in der Farrago auf das Postulat wechselseitigen Widerspruchs der gegnerischen Ansichten, in der Recta fides auf den Nachweis, dass ihre Auslegung der Einsetzungsworte zur wahren Lehre im Gegensatz stehe. Schließlich ist die Niveaudifferenzierung zwischen Westphals hochkomplexen lateinischen Texten, Albers polemischer, aber theologisch ebenfalls recht eingehender hochdeutscher Schrift und Magdeburgs niederdeutscher Popularisierung hervorzuheben. Dieses Ineinander von präziser Absprache untereinander, gemeinsamen Anliegen und unterschiedlichen Strategien sollte das Agieren von Westphals Streitpartei auch im Folgenden prägen. Zunächst jedoch kam es zu einer persönlichen Konfrontation zwischen Westphal und einigen seiner Mitstreiter einerseits, einer bereits in ihren Streitschriften theologisch angegriffenen Gruppe aus den Londoner Flüchtlingsgemeinden andererseits.

Exkurs A

Konflikte um die Londoner Flüchtlinge in Dänemark und Norddeutschland (1553/54) Für den Fortgang des Abendmahlsstreits wurde wichtig, dass eine der Gruppen, denen Westphal und seine Mitstreiter Häresie vorgeworfen hatten, wenig später ins Umfeld Westphals und ähnlich denkender Theologen geriet: Nach der Thronbesteigung der altgläubigen Maria Tudor mussten die unter Eduard VI. eingerichteten evangelischen Flüchtlingsgemeinden1 England verlassen. Sie begaben sich nach Dänemark und in norddeutsche Städte, wurden aber nach Debatten mit den dortigen Geistlichen vielerorts ausgewiesen. Diese in der Literatur vielfach berichteten2 Ereignisse wirkten sich auf Vorgehen und Argumentation beider Streitparteien aus und bildeten im weiteren Diskussionsverlauf einen wichtigen Referenzpunkt. Insofern sind sie nicht nur lokal für die betreffenden Städte und Regionen relevant, sondern auch für die überregionale Abendmahlsdebatte, zumal mit Westphal, seinen Hamburger Kollegen und diversen späteren Mitstreitern auf der einen, den von Johannes a Lasco geprägten Flüchtlingsgemeinden und deren Pfarrer Marten Micron auf der anderen Seite wichtige Akteure des überregionalen Streits daran beteiligt waren. Ob die hier geführten Auseinandersetzungen im strikten Sinne Teil des Zweiten Abendmahlsstreits sind, ist dagegen schwer zu sagen, zumal es sich für beide Parteien unterschiedlich darstellt: Westphals Seite sah durch die Ankunft der Fremden ihre Befürchtung bestätigt, dass die von ihnen verketzerte Lehre auch in die eigene Kirche eindringen könnte3 – insofern gehörte die Debatte mit den 1 Vgl. zu den Gemeinden o. Kap. III.1.3c; zu ihrer Verketzerung durch Westphals Partei o. Kap. III.2.2b und IV.1a. 2 Vgl. aus den Darstellungen des Zweiten Abendmahlsstreits bes. KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 83–93; STÄHELIN, Johannes Calvin II, 207 f. Ältere Spezialuntersuchungen bieten MÖNCKEBERG, CARL, Die Ausweisung der Englischen Exulanten aus Hamburg im Jahre 1553, in: ZVHaG 5 (1866), 186–201; KAYSER, RUDOLF, Johannes a Lasco und die Londoner Flüchtlingsgemeinde in Hamburg, ZVHaG 37 (1938), 1–15; NORWOOD, FREDERICK A., The London Dutch Refugees in Search of a Home, 1553–1554, AHR 58 (1952), 64–72. Neuere hilfreiche Analysen bei PETTEGREE, London Exile Community, sowie JÜRGENS, HENNING P., Die Vertreibung der reformierten Flüchtlingsgemeinden aus London. Jan Utenhoves „Simplex et fidelis narratio“, in: Ders. / Thomas Weller (Hg.), Religion und Mobilität. Zum Verhältnis von raumbezogener Mobilität und religiöser Identitätsbildung im frühneuzeitlichen Europa, Göttingen 2010 (VIEG.B 81), 13–40. 3 So bei Westphal (vgl. u. Kap. IV.1.3b) und Johann Timann (vgl. u. Kap. IV.1.2).

250

Exkurs A: Die Londoner Flüchtlinge in Dänemark und Norddeutschland

Flüchtlingen für sie mit ihren (von dieser Befürchtung getragenen) Streitschriften zusammen. Für Calvin, Bullinger und andere Akteure der Gegenseite war das Schicksal der Flüchtlinge hingegen ein Grund, auf Westphals Texte zu reagieren und mit dessen Partei überhaupt in eine Debatte einzutreten4 – und damit eher ein Hintergrund als ein Teil des Streits. Bei der Auswertung der Ereignisse ist dieser komplexe Zusammenhang im Blick zu behalten. Zusätzlich verkompliziert wird die Lage durch die Überlieferungssituation.

A.1 Quellenproblem und Schwerpunktsetzung des Exkurses A.1 Zum Quellenproblem und zur Schwerpunktsetzung

Eine zentrale Schwierigkeit bei der Analyse der Ereignisse um die Flüchtlingsgemeinden besteht darin, dass fast alle vorliegenden Quellen nachträglich und im Zuge späterer Phasen des Abendmahlsstreits verfasst wurden. Seitens der Flüchtlinge sind die zwei wichtigsten Berichte Microns Apologeticum scriptum von 15575 und Jan Utenhoves Simplex et fidelis narratio, die auf den 29.8.1557 datiert ist und 1560 gedruckt wurde.6 Beide Schriften erhielten ihre Endfassung im Kontext der Konflikte um die Flüchtlingsgemeinden in Frankfurt.7 Die Berichte Westphals und seiner Mitstreiter stammen aus dem Sommer 1554 und zielen darauf, weitere Theologen zur Unterstützung ihrer Streitposition zu bewegen.8 Zeitgleiche Quellen sind nur vereinzelt bekannt.9 Um die Relevanz der berichteten Ereignisse für den Streitverlauf zu erfassen, werden sie (abweichend vom sonstigen Vorgehen) dennoch hier behandelt, während die mit den Texten verbundenen Absichten zum Abfassungszeitpunkt thematisiert werden. 4

Vgl. u. Kap. IV.2.1. MICRON, MARTEN, APOLOGE||TICVM SCRIPTVM || Martini Micronij: || quo Ecclesias Orientalis Frisiae, a Ioa||chimo VVestphalo, alijsque ei simili||bus falso traductas, mode||ste tuetur ac purgat […], o.O.: o.Dr. [Emden?] 1557, VD16 M 5168. 6 UTENHOVE, JAN, SIMPLEX ET || fidelis narratio de || INSTITVTA AC DEMVM DIS|| sipata Belgarum, aliorumque peregri-||norum in Anglia Ecclesia […], Basel: Johann Oporinus 1560, VD16 U 389. Der Text ist in BBN 9, 29–186, ediert. Da es sich nicht um eine kritische Edition handelt, wird hier der Erstdruck zitiert, BBN jedoch mit angegeben. 7 Vgl. dazu u. Exkurs B.2. 8 Vgl. Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 186–197; Westphal an Bording, Juni 1554, aaO., 198–213; Buscoducensis an Timann, 19.8.1554, aaO., 213–223. 9 Es handelt sich (1.) um dänische Archivquellen, ediert in: Danske Kirkelove samt Udvalg af Andre Bestemmelser verdrørende Kirken, Skolen og de Fattiges Forsørgelse fra Reformationen indtil Christian V’s Danske Lov, 1536–1683, ed. v. Holger Fr. Rørdam, 3 Bde., Kopenhagen 1883–89, hier Bd. I, 361–367; SCHWARZ LAUSTEN, MARTIN, Biskop Peder Palladius og kirken (1537–1560), Kopenhagen 1987 (Studier i den danske reformationskirke 2), 404–406; HARBOE, Zuverläßige Nachrichten, 22–61; (2.) um einen Brief a Lascos an Christian III. von Dänemark, 11.12.1553, in: UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 239– 255 (BBN 9, 152–159); (3.) Supplikationen der Flüchtlinge, abgedruckt in MICRON, Apologeticum scriptum, 45–68; UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, passim. 5

A.2 Stationen der Flüchtlinge im Überblick

251

Dabei bleibt aber das Problem, dass die Schilderung der Ereignisse durch diese Absichten gefärbt ist: Die Texte spiegeln nicht nur jeweils die Perspektive einer Streitpartei; sie verfolgen auch apologetische und polemische Interessen. Jedoch ist nicht immer klar, inwiefern solche Motive die Darstellung beeinflussen. Das gilt speziell dann, wenn für bestimmte Ereignisse nur eine Quelle vorliegt – oft ist dies Utenhoves Simplex et fidelis narratio. Diese erweckt zwar (etwa durch Wiedergabe der Debatten zwischen Flüchtlingen und Ortspfarrern im Stil eines Wortprotokolls) einen objektiven Eindruck; eben dieser Eindruck resultiert aber mit aus den apologetischen Absichten, die Utenhove 1557 mit Blick auf die Situation der Frankfurter Flüchtlingsgemeinden hegt.10 Eine Analyse des Gesamtablaufs, die nicht – wie meist die Sekundärliteratur – Utenhoves Schilderung schlicht übernimmt,11 würde hingegen umfassende Archivrecherchen erfordern, die nur in Spezialuntersuchungen zu leisten wären. Im vorliegenden Rahmen lässt sich die Bedeutung der Ereignisse für beide Parteien des Abendmahlsstreits am ehesten erfassen, wenn exemplarisch eine Station analysiert wird, für die Quellen beider Seiten vorhanden sind. Das erlaubt nicht nur einen Abgleich der berichteten Ereignisse, sondern macht auch die Perspektiven darauf sichtbar, die den weiteren Diskurs prägen sollten (auch wenn hier zeitgenössische und spätere Wahrnehmungen nicht klar zu trennen sind). Dafür bietet sich die Debatte in Hamburg an: Nicht nur handelt es sich neben den Konflikten am dänischen Hof um den einzigen Fall, für den Schilderungen beider Seiten vorliegen, sondern hier waren auch mit Westphal und Micron zwei wichtige Akteure des Abendmahlsstreits direkt involviert – eine entsprechend große Rolle spielten die Ereignisse im weiteren Streitverlauf.12 Im Folgenden liegt daher nach einem Überblick über den Reiseablauf (A.2) der Schwerpunkt auf einer Analyse der in Hamburg zwischen Westphal und Micron diskutierten Themenkomplexe (A.3). Die für andere Stationen belegten Informationen werden jeweils zum Vergleich herangezogen.

A.2 Stationen der Flüchtlinge im Überblick A.2 Stationen der Flüchtlinge im Überblick

Dass die Londoner Fremdengemeinden England verlassen mussten und ins Umfeld Westphals und seiner Mitstreiter gelangten, hängt mit dem Regierungsantritt der altgläubigen Königin Maria Tudor im Jahr 1553 zusammen: 10

Zu diesen Interessen vgl. JÜRGENS, Vertreibung der Flüchtlingsgemeinden, 29–40. Vgl. etwa KAYSER, a Lasco und die Londoner Flüchtlingsgemeinde; NORWOOD, London Dutch Refugees. Problematisiert wird dies schon früh in der lutherischen Literatur, die Utenhoves konfessioneller Perspektive ablehnend gegenübersteht (vgl. etwa MÖNCKEBERG, Ausweisung der Exulanten; KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 88 Anm. 3) – Quellen über die bisher genannten hinaus werden aber auch hier nicht beigebracht. 12 So etwa bei Westphal (vgl. u. Kap. IV.1.3b) und bei a Lasco (vgl. u. Kap. IV.3.2a). 11

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Exkurs A: Die Londoner Flüchtlinge in Dänemark und Norddeutschland

Deren Bemühungen, die Reformation ihres verstorbenen Bruders Eduard VI. rückgängig zu machen, betrafen auch die für das Reformationsprojekt von Erzbischof Thomas Cranmer so wichtigen Flüchtlingsgemeinden,13 die ab Sommer 1553 zum Verlassen des Landes gedrängt wurden.14 Die Pfarrer und Ältesten der Londoner Flüchtlingsgemeinden beschlossen daraufhin, bei König Christian III. von Dänemark um Aufnahme zu bitten,15 und die Gemeinden teilten sich auf: Eine Gruppe schiffte sich nach Dänemark ein, darunter der Superintendent a Lasco, der Pfarrer Micron und der spätere Chronist Utenhove. Weitere Gemeindeglieder verließen auf anderen Wegen England – unter anderem hielten sich ab Ende Oktober 1553 viele von ihnen in Hamburg auf.16 Eine dritte Gruppe blieb unter Leitung des Ältesten Deloenus und des Pfarrers Perussel vorerst in England.17 Da die Schiffe unterwegs getrennt wurden, traf die erste Gruppe nach und nach im dänischen Helsingborg ein. Der Großteil reiste nach Kopenhagen weiter, während a Lasco, Micron und Utenhove sich in die königliche Residenz Kolding begaben. Nach einer Predigt des Hofpredigers Paul Noviomagus gegen (aus seiner Sicht) häretische Sakramentslehren suchten a Lasco, Micron und Utenhove beim König um Aufnahme der Gemeinden nach. Nach einem Kolloquium mit Noviomagus und dessen Kollegen Heinrich Buscoducensis wurde ihnen jedoch mitgeteilt, die Gemeinde müsse entweder die in Dänemark übliche – von der Wittenberger Reformation geprägte – Lehre und Kirchenordnung annehmen oder das Land verlassen. Daraufhin reisten a Lasco und Utenhove nach Emden, Micron in Richtung Holstein.18 In Kopenhagen, wo Bischof Peder Palladius inzwischen die Gemeindeältesten über ihren Glauben befragt hatte, wurden die übrigen Flüchtlinge auf königlichen Befehl auf drei Schiffe verteilt.19 Die Passagiere des ersten Schiffes gelangten über die Ostsee nach Warnemünde und wurden dort zunächst aufgenommen, bis dies vom Rostocker Rat verboten wurde. Letzterer verwies sie 13

Zu den Londoner Flüchtlingsgemeinden vgl. o. Kap. III.1.3c. Am 24.7. wurden ausländische Evangelische bereits als Problem für die Aufrichtung von Marias Herrschaft wahrgenommen (vgl. Calendar of letters, despatches, and state papers, relating to the negotiations between England and Spain, Bd. 11. Edward VI. and Mary, London 1969, 118), am 16.8. wurde berichtet, ihnen sei Predigtverbot erteilt worden (vgl. aaO., 173), und am 4.9. heißt es: „The foreign Lutherans are gradually being sent away […] the foreign refugees mostly take the direction of Flushing, Zeeland and Holland on their way to Germany, Denmark and Northern Germany (Oostland)“ (aaO., 199). 15 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 20 f. (BRN 9, 39). 16 Vgl. aaO., 191 f. (BRN 9, 129). 17 Vgl. aaO., 21 f. (BRN 9, 39 f.) und dazu PETTEGREE, London Exile Community, 226. 18 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 24–100 (BRN 9, 41–77); der königliche Bescheid in Danske kirkelove I, 361 f. (Nr. 363). Zur dänischen Reformation vgl. umfassend SCHWARZ LAUSTEN, MARTIN, Die Reformation in Dänemark, übs. v. Lise Müller-Tönnies, Gütersloh 2008 (SVRG 208). 19 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 100–118 (BRN 9, 77–91); die entsprechenden königlichen Anweisungen in Danske kirkelove I, 363–366 (Nr. 365–366). 14

A.3 Der Konflikt zwischen Westphal und Micron in Hamburg

253

nach einer Debatte mit Pfarrer Georg Riken am 12.1.1554 auch aus Rostock, woraufhin sie sich nach Wismar begaben.20 Dort befand sich schon die zweite Gruppe von Flüchtlingen, die in einen Konflikt mit dem dort ansässigen Täufer Menno Simons und dessen Anhängern geraten und zugleich durch örtliche Prediger angegriffen worden war.21 Um sie zu unterstützen, traf Ende Januar Micron – der inzwischen die Gemeindeglieder in Hamburg besucht hatte22 – ein und disputierte einerseits mit Simons, andererseits mit den Pfarrern Vinzenz Reddinus, Henning Block, Johann Kole sowie dem Rostocker Theologen Heinrich Smedenstede. Diese Debatten führten dazu, dass die Flüchtlinge am 23.2. Wismar verlassen mussten und nach Lübeck reisten.23 Die dort befindliche dritte Gruppe hatte zum Erweis ihrer Rechtgläubigkeit Schriften beim Rat eingereicht, war jedoch zunehmend misstrauisch behandelt worden. Nach einem Kolloquium Microns mit den Ortspfarrern wurden die Flüchtlinge am 27.2. auch aus Lübeck ausgewiesen und begaben sich nach Hamburg.24 In Hamburg kam es Anfang März zu einer Konfrontation zwischen Westphal und Micron, in der sie sich über die strittigen theologische Fragen, Kriterien reformatorischer Wahrheitsfindung und den Stellenwert des Abendmahlsstreits auseinandersetzten.25 Wenige Tage später wurden die Flüchtlinge durch ein Ratsdekret ausgewiesen, das sie als Sakramentierer bezeichnete.26 Die meisten begaben sich daraufhin nach Ostfriesland, wo sie Aufnahme fanden.27

A.3 Der Konflikt zwischen Westphal und Micron in Hamburg A.3 Der Konflikt zwischen Westphal und Micron in Hamburg

Der Konflikt zwischen Westphal und Micron in Hamburg28 zeigt, wie die reformatorisch normativen Ansprüche der Stadtgeistlichen und der Flüchtlinge aufeinander prallten und welche Debatten sich daraus ergaben. Während die Literatur entweder nur die Tatsache des Kolloquiums und der folgenden Ausweisung vermerkt29 oder den Ablauf der Debatte referiert30 (der aber nur von Utenhove eingehend berichtet wird und insofern historisch unsicher ist) bietet 20

Vgl. aaO., 118–120 (BRN 9, 91 f.). Vgl. aaO., 120–126 (BRN 9, 92–97). 22 Vgl. MICRON, Apologeticum scriptum, 48 f. 23 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 126–165 (BRN 9, 97–116). 24 Vgl. aaO., 165–191 (BRN 9, 116–129). 25 Zu den verhandelten Inhalten und den hierfür vorliegenden Quellen vgl. im Folgenden. 26 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 230 f. (BRN 9, 147 f.). 27 Vgl. aaO., 231 f. (BRN 9, 148). 28 Zu den Gründen für die Wahl dieses Beispiels vgl. o. A.1. 29 So etwa PETTEGREE, London Exile Community, 229; NORWOOD, London Dutch Refugees, 71. 30 So KAYSER, Londoner Flüchtlingsgemeinde in Hamburg; MÖNCKEBERG, Ausweisung der Englischen Exulanten. 21

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Exkurs A: Die Londoner Flüchtlinge in Dänemark und Norddeutschland

sich hier eine Konzentration auf die diskutierten Inhalte an: Zum einen beziehen sich die Akteure im weiteren Verlauf des Streits jeweils auf bestimmte Themenkomplexe zurück. Zum anderen lassen sich thematische Aussagen der verschiedenen Quellen unabhängig vom Ablauf korrelieren. Von anderen Stationen berichtete Aspekte können dann jeweils dazu in Beziehung gesetzt werden. Zu beobachten ist insgesamt, dass sich der Konflikt verstärkt auf identitätsrelevante Grundsatzfragen ausweitet: von der gegenseitigen Wahrnehmung der Parteien über Instanzen reformatorisch normativer Wahrheitsfindung bis zur Rolle der Obrigkeit in theologischen Debatten. a) Gegenseitige Wahrnehmung beider Parteien Die gegenseitigen Wahrnehmungen der beiden Gruppen, die sich in Hamburg auseinandersetzten, bilden nicht nur den Hintergrund der inhaltlichen Debatte; sie lassen sich auch mit den im Abendmahlsstreit debattierten Identitätsvorstellungen und reformatorisch normativen Ansprüchen korrelieren. Relevant sind dafür in den Darstellungen der Flüchtlinge vor allem Aussagen zu den Motiven, welche sie bewogen, in Dänemark und Norddeutschland Schutz zu suchen – die Quellen von Westphals Seite wiederum bieten Indizien dafür, wie dessen Streitpartei die Präsenz der Fremden im eigenen Umfeld wahrnahm. Für die Perspektive der Flüchtlinge ist zentral, dass sie die Wittenberger Reformation einerseits gemäß den Schriften ihres Superintendenten a Lasco31 als Teil der wahren Kirche ansahen – Utenhove überliefert die Aussage, die Gemeinde habe (im Unterschied zur Gegenseite) niemanden wegen abendmahlstheologischer Differenzen exkommuniziert.32 Aus dieser Wahrnehmung heraus wird auch die Entscheidung plausibel, sich nach der Vertreibung aus England ins von der Wittenberger Reformation geprägte Dänemark zu wenden: Christian III. engagierte sich sehr für die Reformation in seinem Königreich33 – daher konnten die Flüchtlinge in ihm einen evangelischen Herrscher wie Eduard VI. sehen und sich von ihm ähnliche Privilegien erhoffen.34 Ähnlich ist es wohl zu erklären, dass sich ein Teil der Gemeinde im Oktober 1553 nach Hamburg 31

Vgl. o. Kap. III.1.1b und III.1.3f. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 89 (BRN 9, 72): „quod neminem unquam a nostra communione, controuersiae huius sacramentariae nomine, siue in Anglia, siue alibi exclusissemus: adeoque et amicitiae officia etiam libenter exhibuissemus ijs, qui hac in parte a nobis dissentiebant.“ 33 Vgl. zu Christians reformatorischem Engagement SCHWARZ LAUSTEN, MARTIN, Christian den 3. og kirken (1537–1559), Kopenhagen 1987 (Studier i den danske reformationskirke 1); zusammenfassend DERS., Reformation in Dänemark, 118–121. 34 UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 20 (BRN 9, 39), berichtet von den Überlegungen der Gemeinde, welcher Herrscher sich als neuer Schutzpatron eignen würde: „hic primus omnium occurrebat omnibus nobis […] Christianus, serenissimus Daniae Rex: apud quem nos impetraturos sperabamus, quod antea pius ille princeps […] Eduardus, in regno suo benigne concesserat, sed per tyrannidem Papisticam iam ademptum erat.“ 32

A.3 Der Konflikt zwischen Westphal und Micron in Hamburg

255

begab, um den Ausgang der dänischen Verhandlungen abzuwarten,35 und ihnen später die anderenorts Vertriebenen folgten: Dass ihre Wahl gerade auf Westphals Wirkungsort fiel, verwundert zunächst. Bedenkt man aber, dass sie zu diesem Zeitpunkt noch nichts von Westphals Streitschriften wussten,36 ist die Entscheidung nachvollziehbar. Hamburg war von England aus gut zu erreichen und ein günstiger Ausgangspunkt für eine Weiterreise nach Dänemark oder in andere Territorien des Reichs. Zudem besaß a Lasco gute Erfahrungen mit der dortigen Kirche: Hatte Aepin angesichts der gemeinsamen Opposition zum Interim die innerevangelischen Differenzen nicht als Hinderungsgrund für Gastfreundschaft gesehen,37 wäre plausibel, dass die Flüchtlinge angesichts der Bedrohung durch Maria nun eine ähnliche Behandlung erwarteten.38 Heikel wurde der Wunsch nach Aufnahme unter anderem, weil den Flüchtlingen die örtlichen Kirchen andererseits – analog zu ihrer Sicht auf die englische Kirche und gemäß a Lascos Bewertung der Wittenberger Reformation39 – als nur unvollkommen reformatorisch galten: So schildert Utenhove die wittenbergisch geprägte Rostocker Abendmahlsliturgie als Relikt aus dem Papsttum.40 Daher stellten sich die Flüchtlinge die Rolle ihrer Gemeinde vor Ort (analog zur Position, die ihnen Cranmer im englischen Reformationsprojekt zugedacht hatte41) als die eines weiter fortgeschrittenen Vorbilds vor: Utenhove referiert aus dem dänischen Kontext das Argument, zu Beginn der Reformation würden oft Riten erlaubt, die später abgeschafft werden müssten. Wie in England könnten dann Zeremonien der Flüchtlinge zur weiteren Reinigung beitragen.42 Die Kirchenordnung der Gastgeber solle mit ihrer verglichen werden, um diejenige allgemein einzuführen, die eher Gottes Wort gemäß sei:43 35

Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 192 (BRN 9, 129). A Lasco erfuhr Ende 1553 als erster davon. Vgl. u. Kap. IV.2.1a. 37 Vgl. o. Kap. III.1.1b und III.2.2b. 38 Das bemerkt bereits die Literatur, erläutert jedoch nur, die zweite Gruppe Flüchtlinge hätte aufgrund der Aufnahme der ersten solche Erwartungen hegen können (nicht den Zusammenhang mit a Lascos früheren Erfahrungen) – und erklärt damit nicht, warum sich die erste Gruppe nach Hamburg begab. Vgl. etwa PETTEGREE, London Exile Community, 228. 39 Vgl. zu ihrer Sicht auf die englische Reformation o. Kap. III.1.3c; zu der auf die Wittenberger Reformation o. Kap. III.1.3f. 40 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 118 f. (BRN 9, 92). 41 Vgl. o. Kap. III.1.3c. 42 UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 45 (BRN 9, 51): „Fit enim non raro, ut dum initio restituuntur Ecclesiae, multa permittantur etiam iuxta uerbum Dei, propter Ecclesiae ueluti infantiam quandam: quae tamen postea, iuxta idem ipsum uerbum Dei, retinere non licet. […] putauimus, quod nostrarum ceremoniarum diuersitatem, ad maiorem adhuc cultus diuini repurgationem non leuiter conducere existimemus: id quod in Regno alioqui Angliae per nostras Ecclesias abunde est declaratum.“ 43 AaO., 44 (BRN 9, 50 f.): „cogitabamus M. Regiam postulaturam esse, ut nostrae ceremoniae cum Regni eius [i.e. Dänemarks, C.E.] ceremonijs conferri possent: et qua parte aliae alijs puriores essent, plusque aedificationis habere, ex uerbo Dei iudicarentur, hac parte aliae 36

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Exkurs A: Die Londoner Flüchtlinge in Dänemark und Norddeutschland

Aus Sicht der Flüchtlinge konnte dies nur die eigene sein. Sie suchten also in Dänemark und den norddeutschen Städten nicht nur Schutz, sondern hofften auch – gemäß ihrem reformatorisch normativen Anspruch44 – die Ausrichtung der jeweiligen Ortskirche beeinflussen zu können.45 Aus Perspektive Westphals und seiner Kollegen wiederum war die Präsenz der Flüchtlinge im eigenen Umfeld problematisch: Nicht nur vertraten diese die aus Westphals Sicht häretische Abendmahlslehre a Lascos und Microns;46 der damit verbundene reformatorisch normative Anspruch verstärkte auch die von Westphals Partei artikulierte47 Befürchtung, solche Positionen könnten sich auch in der eigenen Kirche ausbreiten.48 Symptomatisch dafür ist Westphals Aussage, Gerüchten zufolge hätten sich die Flüchtlinge gerühmt, auf ihrer Reise überall die örtlichen Pfarrer argumentativ besiegt zu haben, etwa in Lübeck.49 Von Geistlichen anderer Städte, mit denen die Flüchtlinge konfrontiert wurden, berichtet Utenhove ebenfalls Häresievorwürfe.50 Es ist zwar denkbar, dass er hier eine einheitliche Front der Gegner nachweisen will; dass es diese Sichtweise gab, bestätigt aber Buscoducensisʼ eigener Bericht.51 Aufschlussreich für die gegenseitige Wahrnehmung der Parteien sind auch die Sichtweisen auf das Zustandekommen des Gesprächs in Hamburg: Micron und Utenhove werfen Westphal vor, eine Konfrontation gesucht zu haben, die sie vermeiden wollten. So betont Micron, er habe trotz Verleumdungen durch Hamburger Prediger darauf verzichten wollen, ein Gespräch mit Westphal zu fordern.52 Erst als ihm mitgeteilt worden sei, dass Westphal mit ihm sprechen und der Richter Wetken sich für ein Kolloquium einsetzen wolle, hätten sie

alijs cederent, quatenus id cum pace Ecclesiarum fieri posset: aut saltem aliae alias ad tempus tolerarent.“ 44 Vgl. dazu o. Kap. III.1.3c. 45 Diesen normativen Anspruch hebt die lutherische Literatur hervor, die damit freilich die konfessionstheologische und im Hinblick auf das Verhalten der Ortspfarrer apologetische These verbindet, es handle sich bei der Ansicht der Flüchtlinge per se um einen Angriff auf die Lehre der Ortskirche. Vgl. etwa KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 88–93. 46 So berichtet Utenhove, dass die Lübecker Flüchtlingsgruppe dort zum Erweis ihrer Rechtgläubigkeit Microns Korte Ondersoeckinge und a Lascos Tractatio de sacramentis vorlegte (vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 166 f. (BRN 9, 116 f.) 47 Vgl. o. Kap. III.2.3b; spezifisch für Westphal Kap. III.2.4a. 48 Insofern gegen die von MÖNCKEBERG, Ausweisung der Englischen Exulanten, 197, aufgestellte These, Westphal hätte gegen die Niederlassung der Flüchtlinge keine Einwände gehabt, bis Micron mit seiner Disputationsforderung aufgetreten sei – der Konflikt eskalierte zwar erst dann. Angesichts von Westphals früher artikulierten Befürchtungen erscheint es aber wenig naheliegend, dass er nicht von Anfang an hätte Bedenken haben sollen. 49 Vgl. Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 193. 50 Vgl. etwa UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 132 (BRN 9, 99). 51 Vgl. Buscoducensis an Timann, 19.8.1554, in: TIMANN, Farrago, 217–220. 52 Vgl. MICRON, Apologeticum scriptum, 50 f.

A.3 Der Konflikt zwischen Westphal und Micron in Hamburg

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sich zu Wetken begeben, der sie zu Westphal gesandt habe.53 Westphal dagegen unterstellt, Micron habe seine Sache nicht vertreten mögen: Er sei ihm auf Befehl des Richters vorgeführt worden und wäre schwerlich freiwillig gekommen.54 Diese Perspektiven setzen sich in der Darstellung der Debatte fort: Utenhove zeichnet Westphal als Provokateur, indem er etwa dessen verletzenden Spott betont;55 Westphal deutet das Beharren der Flüchtlinge auf ihren Kriterien als Ausweis schlechten Gewissens. b) Formen und Instanzen reformatorischer Wahrheitsfindung Besonders ausführlich wurde in Hamburg die Frage nach Instanzen reformatorisch normativer Wahrheitsfindung diskutiert: Während Micron im Namen der Flüchtlinge eine öffentliche, vom Rat organisierte Disputation forderte, beriefen Westphal und seine Kollegen sich auf die aus ihrer Sicht in Hamburg normative Lehre und auf Autoritäten der Wittenberger Tradition. Dass dies so eingehend thematisiert wurde, hängt damit zusammen, dass Westphal und Micron erstmals persönlich aufeinander trafen: Hatten beide in ihren Schriften jeweils die eigene Kriteriologie voraussetzen können, wurde in der direkten Auseinandersetzung strittig, auf welcher Basis sie zu führen sei. Damit war ein weiterer identitätsrelevanter Aspekt in die Debatte eingebracht – der auch im folgenden Streitverlauf und für die spätere Konfessionsabgrenzung wichtig war. Micron wie Westphal gingen implizit davon aus, dass die Anwendung der von ihnen vorgeschlagenen Kriterien die eigene Position als die reformatorisch wahre erweisen werde – und versuchten daher eine Diskussion auf dieser Basis herbeizuführen. Dieses Ringen ist bei Utenhove überliefert: Er berichtet, Micron habe ein colloquium erbeten, um die strittigen Fragen aus Gottes Wort zu klären56 – was von Westphal mit dem Argument abgelehnt worden sei, nur eine Sakramentslehre könne wahr sein; die übrigen seien aufzugeben. Dafür, dass die wahre Lehre seine sei, habe er sich auf den Konsens der Saxonicae et Orientales Ecclesiae (also der Kirchen eines von Niedersachsen über die ernestinischen und albertinischen Territorien nach Osten reichenden Raums57) berufen, der Zwinglis Lehre verdamme.58 Die wahre Kirche, die Gottes Wort folge,

53

Vgl. aaO., 51–53. Vgl. Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 193 f. 55 So soll er z.B. ihr Selbstverständnis als Märtyrer verspottet haben (vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 220 (BRN 9, 142)). Vgl. auch aaO., 210 f. (BRN 9, 138). 56 Vgl. aaO., 195 (BRN 9, 130). 57 Der Begriff Saxonia schließt neben den ernestinischen und albertinischen Territorien das heutige Niedersachsen und Teile Norddeutschlands ein, der Begriff Orientalis bezeichnet unspezifisch eine vom Sprecher aus gesehen östliche Gegend. 58 UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 195 (BRN 9, 130 f.): „In haec, de negocio Sacramentario, sententiarum uarietate, una duntaxat doctrina uera esse potest, quae, reliquis omnibus abiectis, unice sit amplexenda. De ueritate autem doctrinae nostrae Sacramentaria 54

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Exkurs A: Die Londoner Flüchtlinge in Dänemark und Norddeutschland

könne nicht irren – und die genannten (von der Wittenberger Reformation geprägten) Kirchen seien wahre Kirche.59 Micron habe dagegen gemeint, aufgrund der menschlichen Unvollkommenheit könne auch die wahre Kirche irren. Daher seien Streitfragen je aktuell aus Gottes Wort zu beurteilen.60 Kirchlicher Konsens als Wahrheitskriterium würde den Papst triumphieren lassen; auch Luther vertrete eine Irrtumsfähigkeit der Kirche.61 Aus dieser – nicht klar von der des Berichterstatters Utenhove zu trennenden – Perspektive macht sich also an dieser Verhältnisbestimmung reformatorische Identität fest. Dass dieser Austausch nur bei Utenhove überliefert ist, lässt allerdings erwägen, ob dieser Westphals Traditionsverständnis übertreibt, um ihn als quasi-papistisch darzustellen: Grundsätzlich ist die Überordnung der Schrift über die Tradition reformatorisch unstrittig. Näherliegend ist aber, dass die für Westphal überlieferten Aussagen im Kontext der interimsgegnerischen Identitätsbildung zu sehen sind, die das Wittenberger Erbe als Garant für Schriftgemäßheit definierte,62 zumal sich Westphal in Farrago und Recta fides in diesem Sinne auf Luther und den in Hamburg seit der Reformation geltenden Lehrkonsens als normativ berufen hatte.63 Dann hätte Micron die Position, die Westphals reformatorisch normativem Anspruch zugrunde liegt, als unreformatorische Überbewertung kirchlicher Tradition wahrgenommen. Das würde auch erklären, warum Westphals Partei im Folgenden ihre Haltung gerade durch Testimoniensammlungen untermauerte: Damit verteidigte sie ihr Konzept von kirchlichem Konsens.64 Gegen Westphals Berufung auf den Konsens der Wittenberger Reformation setzte Micron die Forderung nach einem Kolloquium als reformatorisch normativem Instrument der Wahrheitsfindung. Der Vergleich der Quellen zeigt, dass beide Seiten verschiedene Vorstellungen damit verbanden: Die Flüchtlinge wünschten sich ein ergebnisoffenes Kolloquium in Anwesenheit aller

nihil est ambigendum, cum ea in omnibus Saxonicis et Orientalibus Ecclesijs, ut a sanctissimis uiris et praeceptoribus suis eam acceperunt, unanimi consensu tradatur. Falsa igitur et repudianda est contraria Zwinglij sententia, quae in praedictis Ecclesijs est damnata.“ 59 AaO., 196 (BRN 9, 131): „Ecclesia Dei, quia in uerbo eius manet, aberrare nequit. Ecclesias autem Saxonicas […] tu Ecclesias esse Dei negare non possis: consequitur, eas recte de coena Dominica sentire.“ 60 AaO., 197 (BRN 9, 131): „uera Christi Ecclesia […] ex humana quadam imbecillitate in quibusdam nonnumquam impingit. […] Hinc etiam saepe errores in Ecclesia oboriuntur. Sed dum Ecclesia uerbo Dei iuxta ipsius mentem insistit, non aberrat. Proinde approbanda uenit doctrina Ecclesiae omnis, non ex Ecclesiarum aliquot consensu, sed uerbi Diuini autoritate.“ 61 Vgl. aaO., 196 (BRN 9, 131). 62 Vgl. o. Kap. III.2.1b. 63 Vgl. etwa WESTPHAL, Recta fides, A5r, und dazu o. Kap. III.2.4c. 64 Besonders deutlich wird dies bei Timann, vgl. u. Kap. IV.1.2. Für Westphal vgl. in grundsätzlicher Hinsicht u. Kap. IV.1.3b; für die Rückführung seiner Position auf Luther als reformatorische Autorität Kap. IV.1.3a.

A.3 Der Konflikt zwischen Westphal und Micron in Hamburg

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Pfarrer und einiger Bürger. Micron gibt an, Westphal sei darauf eingegangen.65 Utenhove lässt jedoch erkennen, dass Westphal sich als Ziel eines solchen Gesprächs ausschließlich eine Bekehrung der Gegenseite vorstellen konnte66 und die Diskussion nichtöffentlich organisierte: Es waren weder Bürger noch Ratsherren anwesend und nur ein Teil der Pfarrer.67 Utenhove berichtet: „Vuestphalus causam conuentus exponit eam esse, ut cum illis de controuersis quibusdam religionis capitibus agatur: non quod ipsi de sua doctrina quicquam dubitarent, ut quae in omnibus Ecclesijs et Academijs Saxonicis summo consensu traderetur, adeoque etiam decretis Senatus Hamburgani et illustrissimi Daniae regis aduersus Sacramentarios latis sancita esset: sed ut ipsos in eandem secum sententiam adducerent.“68

Demzufolge hätte Westphal befürchtet, die Zulassung einer Debatte könnte so wirken, als ob die Hamburger Kirche an ihrer Lehre zweifle – und klargestellt, dass das Gespräch einzig der Bekehrung der Flüchtlinge zu der Ansicht diene, die (aus seiner Sicht) für die Wittenberger Tradition normativ sei. Das passt zu Westphals normativem Anspruch. Das von Micron dagegen gesetzte Konzept eines Kolloquiums als reformatorisch angemessener Instanz der Wahrheitsfindung erschließt sich aus der von Utenhove überlieferten Argumentation: „Siquidem nos, qui ex Anglia ob puritatem Euangelij profecti sumus, in uestris Ecclesijs quotidie grauiter accusamur, deploratis haereticis et seditiosis uiris annumeramur, ac commiscemur. Cumque me Dominus pro sua bonitate Ecclesiae Belgicae quae Londini fuit, ministrum esse uoluerit, officij mei ratio postulat, ut apud uos, aut nostram innocentiam autoritate uerbi diuini approbem, aut saltem meliora a uobis discam. Non enim huc ueni, ut uestram Ecclesiam aut turbem, aut damnem, sed ut meam pro meo officio defendam […]. Sum itaque paratus audire, in quo Ecclesiae nostrae Londinensis doctrinam aut ritus Ecclesiasticos, autoritate Scripturae, damnare possitis, quo nomine digni sumus tam prophanis hominibus annumerari. Postremo nonnullae sunt rationes iustae, quae me cogunt, ut a uobis non priuatum, sed publicum colloquium, in praesentia omnium pastorum, magistratus et aliquod ciuium, habere postulem. […] Neque iniqua mihi uidetur postulatio, ut Magistratus, aut aliquot ipsius nomine deputati, nostro intersint colloquio, cum apud magistratum accusemur: cuius officium est, iuxta ius gentium et diuinum, accusatos in accusatorum praesentia audire […]. Ciuium autem praesentiam, praesertim eorum qui ueritatis studio tenentur, non refugimus: imo si fieri potest, omnino expetimus, utpote apod eos quotidie accusemur. Nos lucem non refugimus.“69

65 MICRON, Apologeticum scriptum, 53: „Christianum atque ab omni tyrannide liberum, idque in pastorum omnium, et ciuium aliquot praesentia colloquium, ab ipso ininstitui [!] posco. Hanc meam orationem amice accipit Vvestphalus […], curaturum se promittit, vt […] colloquium inter nos iuxta conditiones a me propositas institueretur.“ 66 UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 194 f. (BRN 9, 130) zitiert ihn mit den Worten: „Colloquium tibi permittemus liberum […] non quidem nostri, sed uestri duntaxat causa. Sumus enim de doctrina nostra certi: sed cuperemus uos in eandem nobiscum ueritatis doctrinam descendere.“ 67 Vgl. aaO., 203–205 (BRN 9, 134 f.). 68 AaO., 202 f. (BRN 9, 134) 69 UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 204 f. (BRN 9, 135).

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Exkurs A: Die Londoner Flüchtlinge in Dänemark und Norddeutschland

Micron wünscht sich demzufolge ein ergebnisoffenes Kolloquium auf Basis der Schrift, dessen Ziel er darin sieht, seine Gemeinde gegen Ketzervorwürfe der Hamburger Pfarrer zu verteidigen. Die Forderung nach Öffentlichkeit wird apologetisch damit begründet, dass die Flüchtlinge sich vor Rat und Bürgern verteidigen wollten, denen gegenüber sie als Ketzer angeklagt würden. Die unterschiedlichen Perspektiven Westphals und Microns hängen mit der Rolle zusammen, die Kolloquien in der jeweiligen reformatorischen Tradition zugeschrieben wird: Hinter Microns Kolloquiumsforderung steht die seit den Zürcher Disputationen entwickelte Tradition, mittels Disputationen die Reformation einzuführen.70 Der zuvor primär im akademischen Bereich übliche Gebrauch von Disputationen als Instrument der Wahrheitsfindung wurde damit auf den evangelisch-altgläubigen Dissens angewandt.71 Die Disputationen wurden meist durch die Obrigkeit einberufen und ihr Ergebnis als für das jeweilige Territorium normative Festlegung eingeführt.72 Analog dazu stellt sich Micron eine Klärung des Abendmahlsstreits durch ein Kolloquium vor und sieht dessen Einberufung als Aufgabe der Obrigkeit. Westphals Ablehnung dürfte hingegen damit zusammenhängen, dass sich in der Wittenberger Tradition Disputationen nicht als Instrument normativer Wahrheitsfindung durchgesetzt hatten. Zwar waren sie anfangs auch dort zur Klärung und Durchsetzung reformatorischer Erkenntnisse gebraucht worden,73 aber doch eher ein akademisches Medium geblieben, während sich für die kirchlich normative Entscheidung strittiger Lehrfragen andere Instanzen herausbildeten: neben Luthers Urteil vor allem Gutachten der Wittenberger theologischen Fakultät.74 Dazu passt, dass Westphal sich (laut Utenhove) auf den Konsens der sächsischen Kirchen und Universitäten berief und betonte, in Wittenberg werde niemandem ein akademischer Grad verliehen, der nicht die von ihm verteidigte Auffassung vertrete75 – hier stehen von der Wittenberger Reformation geprägte Universitäten 70

Vgl. die Liste solcher Disputationen bei MOELLER, Zwinglis Disputationen, 55–176. Dabei wurden freilich nicht alle traditionellen Eigenschaften der Gattung übernommen, vgl. aaO., 182–193. 72 Vgl. LEPPIN, VOLKER, Disputation und Religionsgespräch. Diskursive Formen reformatorischer Wahrheitsfindung, in: Christoph Dartmann et al. (Hg.), Ecclesia disputans. Die Konfliktpraxis vormoderner Synoden zwischen Religion und Politik, in: HZ.B 67 (2015), 231–251, hier 239–241. 73 Vgl. LEPPIN, VOLKER, Disputationen als Medium der Theologie- und Kirchenreform in der Reformationszeit. Zur Transformation eines akademischen Mediums, in: Gerlinde Huber-Rebenich (Hg.), Lehren und Lernen im Zeitalter der Reformation. Methoden und Funktionen, Tübingen 2012 (SMHR 68), 115–125, hier 118–124). 74 Vgl. LEPPIN, Disputation und Religionsgespräch, 242–248. Das heißt nicht, dass es im von Wittenberg beeinflussten Raum keine Reformationsdisputationen gegeben hätte (vgl. für Beispiele MOELLER, Zwinglis Disputationen, 55–176) – wohl aber, dass dies sich nicht auf Dauer als gängige Praxis durchsetzte. 75 UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 206 (BRN 9, 136): „nostra doctrina […] est multis iam annis magna cum pace Ecclesijs nostris tradita, et in Academijs excusa [Anm. cj: 71

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als reformatorisch normative Instanz gegen das von Micron normativ gesetzte Medium der öffentlichen Disputation. Mit dem unterschiedlichen Verständnis normativer Instanzen hängt auch die Debatte über die Ergebnisoffenheit des Kolloquiums zusammen: Micron führte gegen die Berufung auf Universitäten und Ratsbeschlüsse an, nach diesen Kriterien würde auch der Papst über Westphals Seite siegen76 – desavouierte also wiederum Westphals Verständnis als quasi-papistisch. Jedoch ist die von ihm dagegen gesetzte Forderung nach einer Debatte auf Basis der Schrift ebenfalls nicht inhaltlich neutral:77 Sie entspricht den reformatorischen Disputationen – bei denen de facto feststand, dass die evangelische Partei sich durchsetzen würde, jedoch beansprucht wurde, dass dies nur aufgrund der Schriftgemäßheit ihrer Position der Fall sei.78 Wenn Micron im Zuge seiner Disputationsforderung die Flüchtlinge als Propheten charakterisierte, die man hören solle,79 ging er davon aus, dass eine ergebnisoffene Debatte zum Sieg der eigenen als der schriftgemäßen Position führen würde – das passt zur Sicht der Flüchtlinge, dass Lehre und Kirchenordnung der Wittenberger Reformation nur unvollkommen reformatorisch und in Richtung der eigenen zu verbessern seien.80 Gleichzeitig leuchtet angesichts von Westphals Verständnis reformatorisch normativer Instanzen ein, dass für ihn ein ergebnisoffenes Kolloquium eine Infragestellung der aus seiner Sicht kirchlich normativen Lehre bedeutet hätte.81 excussa] et approbata. ac nemo Vuitebergae ad gradus ullos promouetur, qui non prius iuramento hanc nostram doctrinam approbet. 76 AaO., 206 f. (BRN 9, 136) „Similibus argumentis facile uos omnes uicerit Papa. […] Verum in Ecclesia Dei probatio doctrinae, iuxta uerbum Dei debet perpetuo manere libera.“ 77 Das bemerkt gegen die gängige reformierte Ansicht, die dies in Weiterführung von Utenhoves Perspektive annimmt (vgl. etwa NORWOOD, London Dutch Refugees, 71) bereits die ältere lutherische Literatur, die nun allerdings darin – in konfessionstheologischer Übernahme von Westphals Perspektive – umgekehrt „Propaganda“ gegen die „Lutheraner“ sieht (so prägnant KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 91–93, Zitate 92). 78 Vgl. MOELLER, Zwinglis Disputationen, 192 f., Zitat 192. Auch diese Spannung dürfte in der Gattung angelegt sein: Traditionell konnten in Disputationen auch grundlegende Glaubenseinsichten in Frage gestellt werden – gleichzeitig musste de facto das Ergebnis rechtgläubig sein. Vgl. LEPPIN, Disputation und Religionsgespräch, 231. 79 So markant überliefert von ihm selbst in MICRON, Apologeticum scriptum, 64 f. 80 Vgl. o. Exkurs A.3a. 81 UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 206 (BRN 9, 136) zitiert ihn mit den Worten: „Si has tibi conditiones permittamus, uidebimur de nostra doctrina dubitare: quam tamen uerissimam esse credimus.“ Westphal selbst bemerkt lediglich, er habe Micron erläutert, warum seinen Forderungen nicht entsprochen werden könne (vgl. Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 194), benennt die Gründe aber nicht. Diese Normativität der eigenen Lehre aus Westphals Sicht hebt die lutherische Literatur hervor, schließt sich allerdings so weitgehend seiner Perspektive an, dass die von Westphal postulierte normative Geltung als objektive Beschreibung der Hamburger Situation erscheint. Vgl. etwa SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 157; KRUSKE, A Lasco und der Sakramentsstreit, 92 f.; MÖNCKEBERG, Ausweisung der Englischen Exulanten, 199.

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Das wird an dem durch Utenhove überlieferten Vorwurf deutlich, die Flüchtlinge säten unter dem Vorwand der Prophetie Zweifel und seien ecclesiae perturbatores.82 Diese Perspektive wird durch Westphals eigene Äußerungen bestätigt, wenn er den Flüchtlingen vorwirft, durch ihre Disputationsforderungen Lehre und Ordnung gut eingerichteter Kirchen in Frage zu stellen und so auf eine Zerstörung dieser Kirchen hinzuwirken.83 Auch die Forderung nach Öffentlichkeit identifizierte Micron mit Vertrauen auf die Evidenz der eigenen Auffassung: Er warf Westphal und dessen Kollegen vor, sie seien wohl ihrer Sache nicht sicher, da sie sonst Leute von draußen als Zeugen hereinbitten könnten.84 Im Umkehrschluss hoffte er also, die Öffentlichkeit von der Schriftgemäßheit der eigenen Lehre überzeugen zu können – eine für Westphal inakzeptable Vorstellung: Für ihn waren die Flüchtlinge Ketzer und er befürchtete die Ausbreitung ihrer Ansicht im eigenen Umfeld.85 Er forderte daher, unter den gegebenen Bedingungen zur Abendmahlsfrage zu kommen, und diskreditierte Microns Beharren auf dessen Forderungen als Beleg dafür, dass dieser die inhaltliche Auseinandersetzung scheue.86 Dass beide Seiten mit der Genehmigung einer Disputation die Frage stadtgesellschaftlich normativer Lehre verbanden, zeigt sich an ihrer Debatte über die Rolle der Obrigkeit: Westphal sieht es als Pflicht des Rats, die vorhandene Sakramentslehre zu verteidigen,87 also keine Disputation zuzulassen. Micron meint, wenn die Gegenseite ein gutes Gewissen hätte, würde sie den Rat um Genehmigung bitten.88 Es es sei tyrannisch, keine Disputation zuzulassen und die Frage mit der Ratsautorität statt mit der Schrift zu entscheiden.89 Die gegenseitigen Vorwürfe verbanden sich schließlich auch mit Westphals Streitschriften: Micron kannte (ob nun von seinem vorigen Besuch in Hamburg oder über a Lasco, der den Text inzwischen erhalten hatte90) die Recta fides. 82

Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 207 f.; 216 (BRN 9, 136; 140). Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 195 f.: „Falsissime pro se allegauit illud Apostoli: Prophetas esse audiendos. […] Vult ille Prophetas audiri in illa Ecclesia, cum qua sunt coniuncti, et in qua Prophetae exponunt Scriptura ad aedificationem, non uagos circumcelliones currentes aliunde ad Ecclesias bene constitutas, ut eas destruant et subuertant.“ Vgl. ders. an Jakob Bording, Juni 1554, aaO., 206–210. 84 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 210 (BRN 9, 137 f.). 85 Vgl. o. Kap. III.2.4a. 86 Vgl. Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 194, mit UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 209 (BRN 9, 137). 87 Vgl. aaO., 212 (BRN 9, 139). 88 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 215 (BRN 9, 140). 89 AaO., 209 (BRN 9, 137): „Papistici doctores sunt lupi facti, qui sua dogmata non stylo scripturae, ut par erat, sed sceptro duntaxat Magistratus, tyrannice tuentur. […] At de uobis Euangelicis concionatoribus aliud mihi hactenus persuasi, quod uidelicet in controuersia religionis non tyrannice solo sceptro Magistratus, sed Christiane stylo scripturae agere uelletis.“ Vgl. auch aaO., 212 (BRN 9, 139); 216 (BRN 9, 141). 90 A Lasco kannte die Recta fides seit Dezember 1553, vgl. u. Kap. IV.2.1a. 83

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Nach Utenhoves Bericht warf er Westphal nicht nur vor, in dieser Schrift seine Lehre dem Urteil der Kirche zu unterwerfen, jetzt aber alle Widersprechenden als Häretiker zu verdammen,91 sondern verwies auch für seinen Tyranneivorwurf darauf, dass Westphal schon dort gefordert habe, die Gegner mit dem Schwert statt dem Stift zu bekämpfen92 – unterstellte ihm also wiederum, seine Sache mit Gewalt durchsetzen zu wollen. Diese Vorwürfe berichtet auch Westphal selbst und begründet, weshalb seine Aussage keineswegs tyrannisch sei: Für ihn ist ein solches Vorgehen notwendige Häresiebekämpfung und entspricht der Praxis aller Väter.93 Gegen Microns Papismusvorwürfe sah er sich offenbar veranlasst, sein Vorgehen als reformatorisch legitim zu verteidigen. Konflikte zwischen Disputationsforderungen der Flüchtlinge und normativen Vorstellungen der Ortspfarrer berichtet Utenhove auch für andere Stationen der Reise: So soll Henning Block in Wismar die Disputationsforderungen als Unruhestiftung gesehen und deshalb ein obrigkeitliches Vorgehen gegen die Flüchtlinge gefordert haben.94 Aus Dänemark, Lübeck und von Heinrich Smedenstede überliefert Utenhove Verweise auf Universitäten oder Superintendenten als zuständige Instanz.95 Sofern es sich dabei nicht um Stilisierungen handelt, die die Streitgegner als gemeinsame Front darstellen sollen, spricht das dafür, dass den Flüchtlingen hier Theologen mit ähnlichen Überzeugungen gegenüberstanden wie Westphal. Jedoch wurden diese Grundsatzfragen offenbar nirgends so eingehend diskutiert wie in Hamburg. c) Abendmahlslehre und weitere dogmatische Streitfragen Neben der Frage reformatorischer Wahrheitskriterien kamen in Hamburg auch die Abendmahlslehre und andere umstrittene Theologumena zur Sprache. Interessant ist, dass Micron und Westphal hier offenbar die Diskussion des Zweiten Abendmahlsstreits fortsetzten, während die für den aktuellen Streit spezifischen Argumente in anderen Städten kaum eine Rolle spielten und meist nur Positionen des Ersten Abendmahlsstreits wiederholt wurden. Die abendmahlstheologischen Aussagen und wechselseitigen Vorwürfe, die Utenhove von Westphal und Micron überliefert, stimmen mit ihren jeweiligen

91

Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 200 (BRN 9, 133). AaO., 217 f. (BRN 9, 141): „Ne quis uestrum me Vuestphalo mendacium impingere cogitet: en eius libellum, ad cuius calcem ad hunc modum scribit: Ex eodem promptuario mali cordis erumpunt ista: Corpus Christi haeret, aut non haeret. Si haeret, quorsum attinet saepe repetere coenam? Si non, quorsum euanescit? Tam execrandae blasphemiae et similes, merentur potius sceptro magistratus, quam stylo refutari. An non manifesta sunt haec Vuestphali uerba?“ Für Westphals Aussage vgl. WESTPHAL, Recta fides, H6r, dazu Kap. III.2.4c. 93 Vgl. Westphal an Jakob Bording, Juni 1554, in: TIMANN, Farrago, 199–202. 94 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 154; 87; 171–173 (BRN 9, 110 f.; 71; 119 f.) 95 Vgl. aaO., 87 (BRN 9, 71). 92

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Streitschriften überein. Das gilt im Falle Westphals etwa für den Vorwurf, die Flüchtlinge würden die Einsetzungsworte am liebsten aus der Schrift auslöschen96 – das passt zu den Streitschriften, in denen er die Einsetzungsworte als Beweis für seine Auffassung substantial-leiblicher Präsenz Christi im Abendmahl hervorgehoben und dies gegen die von ihm als zürcherisch und rein symbolisch wahrgenommene Lehre Microns und ähnlich denkender Theologen gestellt hatte.97 Micron bestritt laut Utenhove den Vorwurf unter Verweis auf das von ihm vertretene Verständnis geistlicher Präsenz und forderte Westphal auf, Belege für eine Verachtung der Einsetzungsworte beizubringen98 – auch das ist kongruent mit Microns Claer Bewijs.99 Daraufhin argumentierte Westphal wie in der Farrago100 mit den (aus seiner Sicht) widersprüchlichen Interpretationen der Einsetzungsworte durch die Gegner; Micron beanspruchte, es handle sich um unterschiedliche Formulierungen, die sachlich übereinstimmten.101 Micron berief sich Utenhove zufolge sogar auf Westphals Recta fides, um dessen Seite seinerseits Selbstwiderspruch vorzuwerfen: Wollten seine Gegner eine körperliche Präsenz Christi im Abendmahl behaupten, müssten sie sich mit Westphal auseinandersetzen, der sie bestreite – er behaupte nämlich in der Recta fides, Christi Leib sei nur so lange präsent, wie die Elemente sinnlich wahrnehmbar seien. Eine solche Präsenz aber könne nicht wirklich körperlich sein und beruhe auf papistischen Büchern102 – er warf Westphal also vor, im Sinne der Transsubstantiation zu argumentieren. Diesen Vorwurf berichtet auch Westphal selbst und verwahrt sich dagegen.103 Dieser Austausch zeigt, inwiefern Westphal Microns Lehre als ketzerisch, dieser seine als quasi-papistisch wahrnahm. Davon abgesehen ist der theologische Streitpunkt die von Micron vorausgesetzte Christologie, die ihm eine Präsenz des menschlichen Leibes Christi im Mahl per se als logisch widersprüchlich erscheinen ließ. Das zeigt sich an seiner Reaktion auf Westphals Aussage, die gegnerischen Auslegungen der Einsetzungsworte seien falsch: Micron betonte, dass diese Deutungen der analogia fidei entsprächen, während Westphals Position die Wahrheit des Leibes Christi verwerfe – das beruht auf der in Zürcher Tradition stehenden Ansicht, dass vom logischen Gesamtzusammenhang der Schrift auszugehen sei und die dort vertretene wahre Menschheit und leibliche Himmelfahrt Christi einer körperlichen Präsenz seines (seitdem im Himmel befindlichen) Leibes im 96

Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 212 (BRN 9, 139). Vgl. o. Kap. III.2.4a und III.2.4c. 98 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 212 f. (BRN 9, 139). 99 Vgl. o. Kap. III.1.3d. 100 Vgl. o. Kap. III.2.4a. 101 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 213 (BRN 9, 139). 102 Vgl. aaO., 218 f. (BRN 9, 141 f.) 103 Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 195: „Ex distorto suo cerebro fingit me dixisse, quod nunquam mihi in mentem uenit cogitare, nedum licere aut scribere, Corpus Christi tantisper manere apud nos, quamdiu durat gustus panis et uini.“ 97

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Abendmahl widerspreche.104 Daraufhin betonte Westphal: „Non licet de corpore Christi physice disputare“105 – auch das entspricht seinen Schriften, in denen er einen Rückschluss aus natürlichen Eigenschaften des Leibes auf dessen Präsenz im Abendmahl ablehnt.106 Micron hielt dagegen, die Schrift kenne nur einen physisch zu verstehenden Leib Christi107 – für ihn hing, gemäß dem Claer Bewijs, an diesem Verständnis Christi wahre Menschheit.108 Auch weitere Vorwürfe, die Utenhove von den Hamburger Pfarrern berichtet, passen zur Argumentation von Westphals Partei im Abendmahlsstreit: Ein Prediger soll wie in der Farrago argumentiert haben, die Flüchtlinge hätten in England nie den (aus Hamburger Sicht der eigenen, reformatorisch normativen Lehre entsprechenden) Katechismus gelehrt, sondern ihre Sakramentslehre.109 Daraufhin berief sich Micron offenbar darauf, sakramentstheologisch sachgemäß argumentiert und sehr wohl den Katechismus gelehrt zu haben – er hatte ja in England ein solches Werk verfasst.110 Von Westphal überliefert Utenhove noch das seinerzeit von Bruchsal übermittelte111 Argument, die Gegner verträten, dass ungetauft verstorbene Kinder christlicher Eltern auch ohne Taufe selig würden, das von Micron mit der Erklärung beantwortet worden sei, nicht der Sakramentsvollzug sei entscheidend, sondern die Anrechnung der Gerechtigkeit.112 Letztere Gesprächsinhalte bestätigt auch Westphal selbst.113 Wurden die dogmatischen Streitfragen in Hamburg nur knapp diskutiert, scheinen sie anderenorts im Vordergrund gestanden zu haben: Utenhove berichtet für fast alle Stationen ausführliche Debatten über Abendmahl und Christologie,114 teils auch über Tauflehre und Schriftverständnis.115 Soweit das nicht durch Utenhoves Darstellung bedingt ist (für Dänemark bestätigt es Buscoducensis116) ist das vermutlich so zu erklären, dass die Theologie der Flüchtlinge 104

Vgl. ebd.; zur Zürcher Tradition o. Kap. II.2.2a. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 213 (BRN 9, 139). 106 Vgl. o. Kap. III.2.4a. 107 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 213 (BRN 9, 139). 108 Vgl. o. Kap. III.1.3d. 109 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 219 (BRN 9, 142). Ob ein bestimmter Katechismus gemeint ist oder die Aussage allgemein auf die Vermittlung normativer, grundlegender Lehre zielt, ist unklar. Zu entsprechenden Thesen der Farrago o. Kap. III.2.4a. 110 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 219 (BRN 9, 142); zu Microns Katechismus o. Kap. III.1.3c. 111 Vgl. o. Kap. III.2.2b. 112 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 219 (BRN 9, 142). 113 Vgl. Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 195. 114 Vgl. für Kolding aaO., 54–95 (BRN 9, 55–75); für Kopenhagen aaO., 102 f. (BRN 9, 81 f.); für Rostock aaO.,118 f. (BRN 9, 92), für Wismar aaO., 126 (BRN 9, 97); 137–152 (BRN 9, 103–110); für Lübeck aaO., 174–177 (BRN 9, 120–122). 115 Vgl. für Kolding aaO., 53–57; 63 f. (BRN 9, 55–57; 60); für Kopenhagen aaO., 102 f. (BRN 9, 81 f.); für Wismar aaO., 126 (BRN 9, 97). 116 Vgl. Buscoducensis an Timann, 19.8.1554, in: TIMANN, Farrago, 217–220. 105

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für die dortigen Geistlichen neu war: Kannten Westphal und Micron in Hamburg bereits die Streitschriften des jeweils anderen, mussten bislang nicht in den Streit involvierte Prediger sich erst ein Urteil bilden. Dazu passt auch, dass die für Pfarrer anderer Städte überlieferten Argumente zwar teilweise mit Westphals Streitschriften kongruent sind, es sich aber nicht um die für den Zweiten Abendmahlsstreit spezifischen, sondern die aus dem Ersten Abendmahlsstreit bekannten Aspekte handelt: So gibt Utenhove beispielsweise den dänischen Hofprediger Noviomagus dahingehend wieder, dass er alle diejenigen als Häretiker verdammt habe, die eine substantiell-natürliche Präsenz des Leibes Christi in den Abendmahlselementen ablehnten.117 Die in den Streitschriften zentralen Argumente gegen die spiritualis praesentia oder Westphals Widerspruchsargument aus der Farrago spielen dagegen sonst nirgends eine Rolle. Das lässt vermuten, dass bei den anderen Pfarrern Sichtweisen vorliegen, die an die Position Luthers und ähnlich denkender Theologen im Ersten Abendmahlsstreit anknüpfen, die Lehre der Flüchtlinge als zürcherisch einordnen und insofern Westphals Auffassung ähneln – dass sie unmittelbar durch Westphals Streitschriften bedingt sind,118 ist hingegen zwar angesichts von deren Druckverbreitung möglich, aber nicht eindeutig.119 d) Reformatorische und altkirchliche Autoritäten Die Kontroverse, welche Partei sich auf welche Autoritäten berufen könne, hängt mit der Frage reformatorisch normativer Instanzen zusammen, setzt aber sachlich die theologische Debatte voraus: Zur Sprache kamen Kirchenväter, Konzilien sowie Personen und Texte der reformatorischen Tradition; umstritten war teils deren Auslegung, teils ihr autoritativer Status. Diese Diskussion sollte sich später in Streitschriften beider Seiten niederschlagen.120 In Bezug auf die Kirchenväter scheint vor allem debattiert worden zu sein, welche Partei Augustin für ihre theologische Haltung beanspruchen könne: Laut Utenhove zog Micron Ausgustin dafür heran, dass Christus sich nach der menschlichen Natur im Himmel befinde; Westphal bezeichnete dies als verfälschende Lesart, was Micron mit der Aussage konterte, Westphal entnehme Augustins Schriften eine „consubstantiationis doctrina“ und interpretiere sie so, wie es auch im Dienste der Transsubstantiation geschehe.121 Zwar wird diese Diskussion in anderen Quellen nicht überliefert; sie passt jedoch dazu, dass 117

Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 26 f. (BRN 9, 42). So die traditionelle Ansicht der refomierten Literatur, vgl. STÄHELIN, Johannes Calvin II, 207; NAUNIN, Laski-Kontroverse, 52. 119 Insofern hier vorsichtiger als JÜRGENS, Vertreibung der refomierten Flüchtlingsgemeinden, 20 Anm. 30, der zu Recht auf die Druckverbreitung verweist, daraus aber eine Kenntnis durch die anderen Pfarrer als gesichert ableitet. 120 Vgl. etwa u. Kap. IV.1.3b (Westphal) und IV.3.2a (a Lasco). 121 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 198 f. (BRN 9, 132), Zitat 199. 118

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Westphal im Folgenden eine Testimoniensammlung zu Augustin veröffentlichte – die explizit nicht nur die Berechtigung der eigenen Berufung auf diesen Kirchenvater erweisen sollte, sondern auch die Unhaltbarkeit der gegnerischen, unter anderem in Bezug auf das Verständnis der leiblichen Himmelfahrt.122 Die damit angeklungenen Anciennitätsansprüche verbanden sich mit der Frage nach dem Stellenwert von Konzilsentscheidungen und reformatorisch normativen Texten: Laut Utenhove beanspruchte Westphal, die allen Vätern entsprechende Lehre zu vertreten. Die Lehre der Gegenseite dagegen sei neu und schon gegen Berengar verdammt worden, später auch in der Confessio Augustana.123 Micron hielt dagegen, seine Lehre sei die biblische und die der Väter; Berengars Position sah er als Widerspruch gegen eine auf die Transsubstantiation hinführende Verfälschung. Dass eine Lehre Papisten unbekannt sei, heiße nicht, dass sie der Kirche Gottes fremd sei – sonst müsse das auch für die Rechtfertigung aus Glauben gelten. Interessant ist seine Beurteilung der Confessio Augustana: Einerseits betonte er laut Utenhove, der Augsburger Reichstag habe keine Konzilsautorität – wenn also Konzilien der Schrift unterworfen seien, dann auch die CA. Andererseits meldete er inhaltlich Zweifel an, ob sie überhaupt seine Lehre widerlege.124 Diese Ambivalenz in der Beurteilung der CA sollte für die Debatte in Frankfurt wichtig werden125 – insofern ist allerdings auch denkbar, dass Utenhove den Aspekt in die Darstellung der Hamburger Debatte einträgt. Dafür, dass die Frage so oder ähnlich in Hamburg diskutiert wurde, spricht andererseits, dass Westphal wenig später in seiner Widmungsvorrede zur Augustinsammlung – im Kontext einer gegen die Flüchtlinge gerichteten Argumentation – den Rang der CA, den Stellenwert von Konzilien und die Identifikation seiner Gegner mit Berengar behandelte, also seine von Micron als unreformatorisch attackierte Sicht rechtfertigte.126 122

Vgl. u. Kap. IV.1.3b. Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 213 f. (BRN 9, 139). 124 AaO., 214 f. (BRN 9, 139 f.): „Nostram doctrinam contra dicimus esse ueterem, Apostolicis scriptis per omnia consentientem, atque a Patris omnibus, clarissime autem ab Augustino traditam. Ea primum circa Caroli Magni tempora, per doctrinam carnalis cuiusdam praesentiae corporis Christi in pane obscurari coepit. Cui imaginationi se postea opposuerunt Bertramus ac Berengarius. Deinde posterioribus saeculis uera doctrina de Coena Domini plane defoedata est per idololatricam transsubstantiationem. Nec consequitur, nostram doctrinam Ecclesiae Dei propterea fuisset incognitam, quod a Papistis fuisset ignorata. Alioqui et ipse articulus iustificationis fidei hactenus Ecclesiae incognitus fuisse dicetur, qui etiamnum in Papistica Ecclesia ignoratur. Nec uideo uos iustam habere causam tantopere gloriandi de Augustanis comitijs, cum ea in eum finem instituta non sint, ut ibi audita prius utraque parte certi aliquid de re sacramentaria statueretur: sed fuit tantum nuda fidei confessio, quae nullo modo concilij legitimi autoritatem obtinere potest. Et si quidem concilia omnia iure adhuc subiacent Scripturarum autoritati, quanto magis confessio Augustana? quanquam adhuc nesciam, quatenus ea doctrinae nostrae aduersetur, et uestram iuuet.“ 125 Vgl. u. Kap. IV.3.2a sowie Exkurs B.2. 126 Vgl. Westphal an Jakob Bording, Juni 1554, in: TIMANN, Farrago, 202–206. 123

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An anderen Stationen der Flüchtlinge scheinen die Schwerpunkte der Diskussion andere gewesen zu sein: Debatten über die Kirchenväter und den Stellenwert von Konzilien berichtet Utenhove sonst nur aus Lübeck.127 Ansonsten stand ihm zufolge Luthers Autorität im Vordergrund: Von Smedenstede wie Noviomagus überliefert er, sie hätten ihre Verketzerung der Flüchtlinge damit begründet, dass deren Lehre nicht mit Luthers übereinstimme128 und zitiert speziell Smedenstede mit Aussagen, die voraussetzen, dass Luthers Lehre per se die apostolische und wahre ist.129 Wenngleich Utenhove möglicherweise übertreibt, um den in seinen Augen unangemessenen Stellenwert Luthers für die Gegenseite herauszustellen, passt dies zur von den Interimsgegnern entwickelten, auch bei Westphal und dessen Mitstreitern belegten Einordnung Luthers als Garant für schriftgemäße Lehre.130 Die von Utenhove zitierten Gegenargumente Microns und seines Kollegen Hermes Backerel laufen darauf hinaus, dass sie diese Perspektive als unzulässige Gleichsetzung der Autorität Luthers mit der Schrift wahrnahmen, wenngleich sie seine Verdienste anerkannten.131 Sie sollen sich erboten haben, Luthers Abendmahlslehre und Christologie als nicht schriftgemäß zu widerlegen.132 Das passt zur Sicht auf Luther als verdienstvollen, aber sakramentstheologisch irrenden Reformator, wie sie in Schriften a Lascos dargelegt ist.133 Analoge Kontroversen über Luthers Autorität sollten sich später im Streit zwischen Westphal und a Lasco ergeben.134 In Hamburg scheint die Frage der Autorität Luthers eher indirekt zur Sprache gekommen zu sein, nämlich in Bezug auf den Stellenwert des Abendmahlsstreits: Utenhove zufolge fragte Westphal Micron mehrfach, ob er nun Luther oder Zwingli verdamme.135 Das passt zu den aus Westphals Streitschriften bekannten Aussagen: Dort vertrat er ebenso die Normativität von Luthers Lehre wie die Ansicht, dass Luthers und Zwinglis Lehre unvereinbar seien – wer sie für vereinbar erkläre, wolle unter dem Deckmantel der Friedfertigkeit Irrtümer einschmuggeln.136 Eben eine solche Weigerung berichtet Utenhove für Micron: Er habe darauf bestanden, keinen der beiden verdammen zu wollen. Lehrer seien am Maßstab des Wortes Gottes zu unterscheiden, aber nicht wegen jedes 127

Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 179–181 (BRN 9, 122–124). Vgl. aaO., 138 (BRN 9, 103); aaO., 75–82 (BRN 9, 65–69). 129 So etwa aaO., 142 (BRN 9, 105) „Doceo, Lutheri doctrinam per omnia esse ueram, unamque cum Apostolica doctrina.“ 130 Vgl. o. Kap. III.2.1b; für Westphals Streitschriften o. Kap. III.2.4a. 131 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 137–144 (BRN 9, 103–106), besonders deutlich aaO., 143 (BRN 9, 106): „Habet Lutherus suum in Ecclesia gradum, quem nos insignem ei tribuimus: sed cum Apostolis in astruendo ullo dogmate non aequiparetur.“ 132 Vgl. aaO., 79 (BRN 9, 67). 133 Vgl. o. Kap. III.1.3f. 134 Vgl. u. Kap. IV.3.2a. 135 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 197 (BRN 9, 131). 136 Vgl. o. Kap. III.2.4a. 128

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Irrtums in einer Einzelfrage zu verurteilen; auch Augustin und Origenes hätten geirrt.137 Aus Westphals Antwort, Augustin sei in der Tat nicht zu verurteilen, da er das fundamentum salutaris doctrinae138 stets gehalten habe, folgerte Micron, Westphal möge dann auch die Flüchtlinge nicht wegen des Abendmahlsdissenses verurteilen, „cum Apostolicae et Propheticae doctrinae de Christo fundamentum retineamus“.139 Westphal deutete dies so, dass Micron die Sakramentsfrage für nebensächlich erkläre – das berichtet er selbst und interpretiert es als Zeichen theologischer Inkompetenz.140 Dies entspricht seinem aus den Streitschriften bekannten Argument, eine Suspension der Debatte zugunsten reformatorischer Einigung bedeute Verachtung des Sakraments:141 Für ihn hing an dieser Frage die Unterscheidung von Rechtgläubigkeit und Ketzerei. Micron hingegen differenzierte zwischen heilsrelevanter Verachtung des Sakraments als ganzem und der Streitfrage, die nicht das Heil tangiere.142 Mit der Frage reformatorischer Autoritäten und dem Stellenwert des Streits hängt schließlich auch die Diskussion zusammen, ob die strittige Frage mit dem Ersten Abendmahlsstreit entschieden sei: Laut Utenhove brachte Westphal vor, die Gegenseite sei 1529 in Marburg angehört und besiegt worden, und hielt daher ein erneutes Gespräch für überflüssig – das entspricht Luthers Sicht auf das Marburger Religionsgespräch143 und setzt die von ihm vertretene Identifikation der Lehre seiner Opponenten mit der Auffassung von Luthers Gegnern des Ersten Abendmahlsstreits voraus.144 Micron wandte ein, dass den Zürchern zufolge das Marburger Gespräch zu ihren Gunsten ausgegangen sei, folgerte daraus aber, dass ein weiteres Gespräch wünschenswert sei.145 Für ihn war die damalige Entscheidung offenbar nicht per se normativ, sondern in der aktuellen Situation – gemäß seiner Bewertung von Disputationen als normativer Instanz – neu aus der Schrift zu klären. Diese Debatte bestätigt Westphal, bezieht sie aber darauf, dass die Flüchtlinge wie seinerzeit die Zürcher in Marburg behaupteten, überall die örtlichen Pfarrer argumentativ besiegt zu haben,

137

Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 197 f. (BRN 9, 131 f.). AaO., 198 (BRN 9, 132). 139 Vgl. aaO., 198 f. (BRN 9, 132), Zitat aaO., 199. 140 Vgl. ebd. und dazu Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 194: „Quam aptus sit disputare in Theologia, inde satis apparuit, quod inter altercandum doctrinam de Coena Domini coniecit inter stipulas, quas extructa super fundamentum exuret ignis.“ 141 Vgl. o. Kap. III.2.4a und III.2.4c. 142 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 199 f. (BRN 9, 132 f.). 143 Vgl. o. Kap. II.2.3. 144 Vgl. o. Kap. III.2.4a. 145 UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 200 (BRN 9, 133): „VVEST. Estis in Marpurgo colloquio auditi, ac uicti. MICR. Hoc negant Tigurini, qui illud colloquium pro se facere existimant. Vtinam iustum aliquando ea de re habeatur colloquium. VVEST. Certior est nostra doctrina sacramentaria, quam ut multis ad eius approbationem concilijs, disputationibus aut colloquijs opus sit amplius.“ Zu Zwinglis Deutung Marburgs vgl. o. Kap. II.2.3. 138

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Exkurs A: Die Londoner Flüchtlinge in Dänemark und Norddeutschland

und so die Kirchen durcheinanderbrächten146 – das entspricht seiner Bewertung der Wittenberger Tradition, die ihn ein Kolloquium als Infragestellung der aus seiner Sicht reformatorisch normativen Lehre ablehnen lässt. e) Die Ausweisung der Flüchtlinge und deren Hintergründe Die Ausweisung der Flüchtlinge aus Hamburg basiert einerseits auf den Debatten mit Westphal und anderen Pfarrern: Das Ausweisungsedikt des Rats scheint sich die Argumentation von Westphals Seite zueigen gemacht zu haben. Andererseits wird auch deutlich, dass bei der Entscheidung nichttheologische Aspekte mitspielten. Der Vergleich mit den anderen Stationen wiederum zeigt, dass zwar Parallelen feststellbar sind, die Ereignisse aber auch nicht umstandslos mit der Hamburger Situation identifiziert bzw. allein auf den Zweiten Abendmahlsstreit zurückgeführt werden dürfen. Utenhove zufolge kam es nach dem Gespräch mit Westphal umgehend zu einem Beschluss, die Flüchtlinge aus Hamburg auszuweisen: Schon am folgenden Tag sei Micron dies mitgeteilt worden.147 Eine daraufhin verfasste Supplikation an den Rat, die nochmals die Lehre der Flüchtlinge zusammenfasste und auf dieser Basis um ein Kolloquium ersuchte,148 sei abgelehnt worden. Wenige Tage später habe der Rat ein Dekret öffentlich anschlagen lassen, mit dem die Flüchtlinge ausgewiesen wurden.149 Dass bald nach dem Gespräch ein Ausweisungsedikt erlassen wurde, bestätigt auch Westphal.150 Die Begründungen für die Ausweisung, die Utenhove überliefert, lassen eine Verknüpfung dogmatischer und politischer Interessen vermuten: Der Rat soll seine Ablehnung der Kolloquiumsforderung damit begründet haben, dass man sich in Hamburg der eigenen Lehre sicher sei. Er habe zudem auf ein 1535 angesichts des Täuferreichs zu Münster erlassenes151 Dekret gegen die Duldung von sacramentarii verwiesen, zu denen er die Flüchtlinge rechnete: Ihnen seien nicht nur Abwertung von Taufe und Abendmahl vorgeworfen worden, sondern auch Zugehörigkeit zur Sekte der Münsteraner Aufrührer. Solchen Tendenzen wolle der Rat beizeiten entgegenwirken.152 Dass das Edikt von 1535 146

Vgl. Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 193. Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 220–222 (BRN 9, 142 f.) 148 Der Text aaO., 222–230 (BRN 9, 143–147); MICRON, Apologeticum scriptum, 57–67. 149 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 230 f. (BRN 9, 147 f.). 150 Vgl. Westphal an Jakob Bording, Juni 1554, in: WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, A2r. 151 Abgedruckt bei GREVE, Memoria Aepini, 138–142 (Additamentum III.). 152 UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 230 (BRN 9, 147): „Magistratum de sua doctrina alioqui certum, de ea nullum cum pastoribus colloquium permittere uelle. Sed Academias et scholas publicas, ubi de controuersis religionis capitibus disputari est consuetum, ipsas adeundas esse, siquidem omnino disputare liberet. Cumque Senatus non ita nuper publico quodam decreto omnibus Sacramentarijs ciuitate sua interdixisset, uelle etiam nunc mandare, ut iuxta illud decretum ciuitatem desererent.“ AaO., 221 f. (BRN 9, 142 f.) wird 147

A.3 Der Konflikt zwischen Westphal und Micron in Hamburg

271

wiederholt wurde, bestätigt Westphal.153 Demnach hätte sich die theologische Verketzerung mit dem Vorwurf verbunden, die öffentliche Ordnung zu stören. Glaubt man Utenhove, hat es den Anschein, als ob letzterer Aspekt für den Rat entscheidend war – was als obrigkeitliches Interesse nachvollziehbar wäre. Es passt auch zu Westphals Vorwurf der Unruhestiftung. Dass Utenhove von ihm ebenfalls eine Assoziation mit den Münsteraner Täufern überliefert,154 kann zwar dem Interesse geschuldet sein, Westphal für die Ausweisung verantwortlich zu machen; grundsätzlich aber wäre es plausibel, dass Westphal Aufruhrvorwürfe nutzte, um auf die in seinem theologisch normativen Interesse liegende Ausgrenzung der Gegner durch die Obrigkeit hinzuwirken. Zugleich ist festzuhalten, dass die Disputationsforderungen der Flüchtlinge in der Tat das Potential hatten, öffentliche Debatten auszulösen – noch Microns Supplikation an den Rat hatte zwar die Obrigkeitstreue der Gemeinde betont155 und die eigene Theologie verteidigt, aber auch die Lehre der Hamburger Pfarrer zurückgewiesen.156 Insofern ist der Ausweisungsbeschluss weder – wie in Utenhoves Darstellung impliziert157 und von der reformierten Literatur übernommen158 – eine inhumane, allein durch Westphals Polemik hervorgerufene Entscheidung, noch – wie von der lutherischen Literatur postuliert – eine selbstverständliche Maßnahme, die sich die Flüchtlinge angesichts ihrer Provokationen selbst zuzuschreiben hätten.159 Die normativen Ansprüche beider Parteien trugen zu einer Situation bei, durch die der Rat den öffentlichen Frieden gefährdet sah. Auch an anderen Reisestationen verbanden sich theologische Konflikte mit dem Vorwurf, die öffentliche Ordnung zu stören. In Wismar waren Menno Simons und dessen Anhänger offenbar geduldet worden, bis sie mit den Flüchtlingen sakramentstheologisch in Konflikt gerieten. 160 Das lässt erwägen, ob es mehr die öffentliche Kontroverse als die dogmatische Abweichung von den als Aussage eines Stadtvertreters berichtet: „decretum fuisse, ut summo mane ciuitate exirent […]. Audire se etiam, multa inter ipsos falsa foueri dogmata: doctrinam Ecclesiae Catholicae ab ipsis reijci, sacramenta Baptismi et Coenae Dominicae ipsis pro nihilo duci. et ex secta eos esse Monasteriensium, qui seditiones aduersus Magistratum molirentur. Cui malo senatus in tempus occurrere vellet.“ 153 Vgl. Westphal an Jakob Bording, Juni 1554, in: TIMANN, Farrago, 198 f. 154 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 192 (BRN 9, 129). 155 Vgl. MICRON, Apologeticum scriptum, 61–63. 156 Vgl. etwa aaO., 60 f. 157 So berichtet er, angesichts der Haltung der Flüchtlinge, Anschuldigungen hinnehmen und ihre Sache Gott anvertrauen zu wollen, seien einem Ratsherrn die Tränen gekommen, ein anderer sei aus Bekümmerung wenig später gestorben. Dass eine weitere Gruppe aus London trotz stürmischen Wetters nicht zur Übernachtung eingelassen worden sei, schildert er als unmenschlich. Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 230–232 (BRN 9, 147 f.) 158 So etwa STÄHELIN, Johannes Calvin II, 207; NORWOOD, London Dutch Refugees, 71. 159 So markant KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 92 f.; SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 157. 160 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 153 f. (BRN 9, 110 f.).

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Exkurs A: Die Londoner Flüchtlinge in Dänemark und Norddeutschland

Ortspfarrern war, die als Problem galt und zur Ausweisung führte. Da hier allerdings allein Utenhoves Bericht vorliegt, sind gesicherte Aussagen nicht zu treffen. Auch in Lübeck spielte Utenhove zufolge ein Konflikt mit dort aufgenommenen Belgiern eine Rolle für die Ausweisung – der Fall ist aber insofern anders gelagert, als die Belgier dogmatisch mit der Ortskirche einig waren.161 Aus Dänemark berichtet Utenhove, dass als Voraussetzung für ein Bleiberecht eine Übernahme der dänischen Dogmatik und Kirchenriten sowie die Einhaltung der Reichsgesetze gefordert und eigene Gottesdienste der Flüchtlinge als Gefahr für die Ruhe im Königreich gesehen worden seien – und zwar speziell aufgrund der abweichenden Zeremonien.162 Eine derartige Identifikation kirchlicher und politischer Ordnung würde zu König Christian III. passen, der sich ineins mit seiner weltlichen Herrschaft als oberster Leiter der dänischen Kirche sah.163 Interessant ist, dass die Gefahr primär an der Liturgie festgemacht wurde. Vielleicht war bei diesem auch für Laien problemlos erkennbaren Unterschied die Befürchtung besonders stark, er könnte zu Debatten führen. Kritik der Flüchtlinge an den örtlichen Kirchenriten spielte nach Utenhove auch in Rostock eine Rolle.164 Sicher sind die Motive der jeweiligen Obrigkeiten mangels Vergleichsquellen nicht zu beurteilen – es entsteht aber der Eindruck, dass sich beim Zustandekommen der Ausweisungen theologische und politische Interessen eher gegenseitig verstärkten, als dass sie klar unterscheidbar wären. Schwer zu beurteilen ist Utenhoves Aussage, Bürger und Obrigkeit diverser Städte hätten die Flüchtlinge freundlich aufgenommen, die Pfarrer aber ihre Ausweisung betrieben: so in Wismar.165 In Lübeck habe der Rat die Flüchtlinge nach Lektüre von Microns Korte Ondersoeckinge aufgenommen, bis der Superintendent misstrauisch wurde.166 Selbst das Verhalten des dänischen Königs Christian III. wird von Utenhove so interpretiert, dass dieser bei der Ausweisung nicht freiwillig, sondern auf Druck seiner Theologen gehandelt habe167 – 161

Vgl. aaO., 170 f. (BRN 9, 118 f.) AaO., 41 f. (BRN 9, 49): „publicum ministerium nostris Ecclesijs se permittere non posse, cum rituum praesertim ac ceremoniarum uarietate: idque has potissimum ob causas. Primum, quod Rex sibi persuadeat, Regni sui ceremonias uerbi Diuini doctrinae consentaneas esse: et proinde alias non permittendas. Deinde, quod cum tot iam annis quiete illis in Regno suo Rex usus esset, noxium id fore putaret regno suo, si diuersas ab illis ceremonias admittat. fieri enim non posse, quin homines uisa earum diuersitate commoueantur: quod sine periculo forte fieri non posset. […] sed si aut nos, aut nostri, receptis in Regno suo ceremonijs, receptoque ministerio uti, simulque et doctrinam iamdudum receptam sequi: ac iura praeterea Regia omnia, publicasque regini ordinationes omnes obseruare uellemus, tum nobis receptaculum a Rege in regno ipsius concessum iri. Rursum si alio migrare uellemus, non defuturum nobis esse fauorem Regium, ad nostri commendationem.“ 163 Vgl. dazu SCHWARZ LAUSTEN, Reformation in Dänemark, 118–121. 164 Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 118 f. (BRN 9, 92). 165 Vgl. aaO., 125 (BRN 9, 96 f.). 166 Vgl. aaO., 166 f. (BRN 9, 116 f.) 167 Vgl. aaO., 96 (BRN 9, 75 f.); aaO., 92 (BRN 9, 73 f.) 162

A.3 Der Konflikt zwischen Westphal und Micron in Hamburg

273

das passt allerdings nicht dazu, dass Christian III. sich später etwa für die Ausweisung des von Westphals Streitpartei attackierten Albert Hardenberg aus Bremen einsetzen sollte.168 Insofern handelt es sich bei dieser Darstellung wohl eher um einen Ausdruck von Utenhoves Anspruch, dass die andere Seite die Flüchtlinge ebenso zur wahren Kirche rechnen müsse wie umgekehrt. Das kann bei den anderen Stationen auch der Fall sein, eventuell handelt es sich auch um Stilisierungen parallel zur Frankfurter Situation von 1557, in der die Obrigkeit den Flüchtlingen ursprünglich wohlwollend gegenüberstand und die den Abfassungsanlass von Utenhoves Werk darstellt.169 Andererseits ist es auch möglich, dass theologische Laien die dogmatischen Differenzen nicht als zentral empfanden. Eindeutige Aussagen sind angesichts der Überlieferungslage nicht möglich. Insgesamt ist also einerseits davor zu warnen, die Ausweisungen rein auf das Verhalten der Prediger zurückzuführen,170 andererseits davor, sie nur mit öffentlicher Unruhe zu erklären: Die normativen Ansprüche beider Parteien wirkten offenbar mit nichttheologischen Faktoren zusammen. In Bezug auf die Motive der beteiligten Ortspfarrer spricht teils ihr späteres Engagement im Abendmahlsstreit dafür, dass sie ähnlich dachten wie Westphal: Buscoducensis äußerte sich in Timanns Farrago171 und wandte sich gegen Timanns Bremer Gegner Hardenberg.172 Letzteres tat auch Palladius.173 Vinzenz Reddinus und Johann Kole unterzeichneten 1557 den Wismarer Beitrag zu Westphals Confessio fidei;174 zu letzterer steuerte auch die Lübecker Kirche einen Text bei.175 Dazu passt, dass die dänische, Lübecker und Hamburger Reformation mit Bugenhagen von einem scharfen Gegner Zwinglis und ähnlich denkender Theologen geprägt war;176 die drei dänischen Geistlichen, die an der Ausweisung beteiligt waren, waren Bugenhagenschüler.177 Ihr Verhalten ist dann aber nicht als Beleg dafür zu bewerten, dass die von Westphal vertretene Haltung für wittenbergisch geprägte Theologen selbstverständlich 168

Vgl. u. Kap. V.1.2a. Vgl. u. Exkurs B.2. 170 So STÄHELIN, Johannes Calvin II, 207; NORWOOD, London Dutch Refugees, 67–70. 171 Vgl. Buscoducensis an Timann, 19.8.1554, in: TIMANN, Farrago, 217–220. 172 Vgl. SCHWARZ LAUSTEN, MARTIN, Religion og politik. Studier i Christian IIIs forhold til det tyske rige i tiden 1544–1559, Kopenhagen 1977 (KHS (K)), 250–274. 173 Vgl. SCHWARZ LAUSTEN, Biskop Peder Palladius, 311. 174 Vgl. WESTPHAL, Confessio fidei, R4r und dazu u. Kap. V.1.1c. 175 Vgl. WESTPHAL, Confessio fidei, Q4r–Q5r. 176 Zu Bugenhagens Position vgl. o. Kap. II.1.4; zu seinem Einfluss in Norddeutschland und Dänemark überblicksweise HOLFELDER, HANS HERMANN, Art. Bugenhagen, Johannes (1485–1558), TRE 7 (1981), 354–363, und die dort genannte Literatur. Als möglichen Hintergrund für das Verhalten der Pfarrer gegenüber den Flüchtlingen benennt diese Prägung bereits JÜRGENS, Vertreibung der reformierten Flüchtlingsgemeinden, 20. 177 Vgl. für Buscoducensis MBW 6472; für Noviomagus ZWERG, Paul Noviomagusʼ Leben, in HARBOE, Zuverläßige Nachrichten, 179 f.; für Palladius SCHWARZ LAUSTEN, Biskop Peder Palladius, 19–26. 169

274

Exkurs A: Die Londoner Flüchtlinge in Dänemark und Norddeutschland

gewesen wäre:178 Es handelt sich um eine spezifische Prägung innerhalb der Wittenberger Reformation. Andererseits ist auch nicht anzunehmen, diese Haltung wäre so ungewöhnlich gewesen, dass sie durch Agitation Westphals verursacht sein müsste.179 Gerade Schüler des gegen Zwingli höchst misstrauischen Bugenhagen könnten auch selbstständig zu einer Einordnung der Flüchtlinge als Zürcher Ketzer gelangt sein – zumal diese theologisch weniger an die in Wittenberg anerkannte Straßburger Position anknüpften als an die dezidiert nicht exhibitive Lehre a Lascos und Bullingers.180 Eine von Westphal abweichende Haltung zur Abendmahlsdebatte berichtet Utenhove nur von einem der Geistlichen, Peder Palladius: Dieser habe erklärt, der König würde die Sakramentslehre der Flüchtlinge nicht dulden, er selbst aber habe keine Zweifel an ihrem Heil.181 Er halte sie nicht für eine Sekte, da der Dissens nur im Abendmahlsartikel bestehe und nicht im mysterium, sondern nur in der Art der Präsenz182 – das wirkt bis in die Formulierung hinein wie die Perspektive der Flüchtlinge und ist von der lutherischen Literatur daher als unglaubwürdig abgewiesen worden.183 Für eine moderate Position von Palladius könnte zwar sprechen, dass er in seiner späteren Abendmahlsschrift (1557) von melanchthonisch geprägten Überzeugungen her argumentiert. Zugleich wendet er sich aber gegen sacramentarii.184 Insofern ist seine Haltung durchaus mit der zeitgenössischen dänischen Religionspolitik konsistent: Die 1557 vom Kopenhagener Theologen Niels Hemmingsen als verbindliche Lehrnorm verfasste und von Palladius unterzeichnete Tabella de coena Domini 178

In diesem Sinne besonders SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 155–157. So etwa NAUNIN, Laski-Kontroverse, 52; STÄHELIN, Johannes Calvin II, 207. Im Hintergrund dieser These steht die Annahme, dass die Lehre Melanchthons zu dieser Zeit für die Wittenberger Reformation normativ gewesen sei; vgl. zum mit dieser These verbundenen konfessionstheologischen Interesse o. Kap. I.1. 180 Vgl. o. Kap. III.1.3c–f. 181 UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 106 f. (BRN 9, 84): „Regem illos nequaquam in suo regno laturum, imo nullibi eius quietas sedes datum iri, si in sua sententia sacramentaria perstarent: quanquam ipse interim de ipsorum salute, propter eam doctrinae partem, nihil addubitaret: et pro fratribus nihilominus complecteretur, etiamsi in ea parte doctrinae dissererent.“ 182 AaO., 104 (BRN 9, 82): „Pro hac fidei, inquit, confessione, quam ex istis uiris audiui, ago gratias Deo, ut quae ab omnibus sectis aliena, praecipuis Christianae Religionis capitibus consentiat. Exiguum duntaxat dissidium est circa Coenam Dominicam, non quidem in praecipua eius parte et mysterio, sed duntaxat in quaestione quadam, de modo praesentiae corporis Christi in Coena. Quod dissidium sane tanti non est, ut propterea fraternitatis uinculum rumpi a nobis debeat: praesertim cum in praecipuis articulis Christianae fidei sit consensus. Quapropter nos decet, homines istos in hac fidei ipsorum confessione pro fratribus complecti, ac pro nostra facultate auxilio uenire.“ 183 Vgl. HARBOE, Zuverläßige Nachrichten, 53 f. 184 Vgl. ERTNER, JØRGEN, Peder Palladiusʼ Lutherske Teologi, Kopenhagen 1988, 660– 736. 179

A.3 Der Konflikt zwischen Westphal und Micron in Hamburg

275

grenzte sich scharf gegen eine rein symbolische Abendmahlsauffassung ab, in zurückhaltender Form auch gegen die Annahme einer Präsenz des wahren Leibes Christi, der aber allein von den Glaubenden empfangen werde.185 Auf dieser Grundlage konnten König Christian III. und die dänischen Theologen gegen Täufer, sacramentarii und in diesem Sinne wahrgenommene Lehrauffassungen vorgehen und sich für eine überregionale kirchenpolitische Verurteilung des mit Westphals Partei in Konflikt geratenen Hardenberg einsetzen186 – im Hinblick auf verschiedene Strömungen innerhalb der Wittenberger Reformation dagegen eine integrative Politik verfolgen.187 In diesem Sinne könnte Palladius ebenso – wie einige Schüler Melanchthons innerhalb von Westphals Partei – die Flüchtlinge als Anhänger der auch von Melanchthon verurteilten Zürcher Lehre ausgegrenzt haben. Die bislang bekannten Quellen lassen keine eindeutigen Feststellungen darüber zu. Jedenfalls aber darf angesichts solcher Beispiele weder vorausgesetzt werden, dass alle Pfarrer, mit denen die Flüchtlinge in Kontakt kamen, eine mit Westphals Position kongruente theologische Haltung vertreten hätten – noch, dass das Gegenteil der Fall wäre. Definitive Aussagen dazu (soweit sie überhaupt möglich sind) müssen Einzelstudien zu den betreffenden Personen vorbehalten bleiben.

185 Vgl. den Abdruck der Tabella in RØRDAM, HOLGER FREDERIK, Kjøbenhavns Universiteits Historie fra 1537 til 1621, 4 Bde., Kopenhagen 1868–1874, hier Bd. 4, 78–86, die anti-symbolische Abgrenzung aaO., 78 f., die zurückhaltendere Passage aaO., 80: „Assertores praesentiae veri corporis et veri sanguinis, sed ea tantum fide accipi a credentibus putant, tametsi ista manu ministrorum porrigi fateantur. Hanc opinionem etsi qvidam docti non improbant, non tamen convenit cum verbis Pauli, qvi indigne sumentem pronunciat reum corporis et sanguinis Christi, propterea qvod non dijudicet corpus Domini.“ 186 Vgl. dazu u. Kap. V.1.2a. 187 Vgl. dazu SKAT SOMMER, MATTIAS, Envisioning the Christian Society. Niels Hemmingsen (1513–1600) and the Ordering of Sixteenth-Century Denmark, Tübingen 2020 (SMHR 116), 36–54. Die vom Autor aufgestellte These, dass die Politik dieser Zeit bereits in gewisser Weise eine – unter König Friedrich II. dann für Dänemark prägende – Form von „Pan-Protestantism“ und „readiness for Reformed theology“ vorbereite (beide Zitate aaO., 54) kann hier nicht im Detail diskutiert werden. Die geschilderten Aspekte belegen eindrücklich die Integration verschiedener Strömungen der Wittenberger Reformation. M.E. wäre aber – für diese wie für die spätere Zeit – zu erwägen, ob sie für eine Kirchenpolitik sprechen, die eindeutig auch Positionen des werdenden Reformiertentums integriert – oder eher für eine solche, die analog zu Texten wie dem Frankfurter Rezess (vgl. dazu u. Kap. V.2.1a) unterschiedliche Urteile über solche Haltungen zulässt, je nachdem, ob das Gegenüber im Sinne der eindeutig ausgeschlossenen Zürcher und anderer Gegner Luthers, der eindeutig integrierten Melanchthonschüler oder einer moderat zurückgewiesenen, aber nicht verketzerten Haltung dazwischen (vgl. das Zitat in der vorigen Anm.) interpretiert wird.

276

Exkurs A: Die Londoner Flüchtlinge in Dänemark und Norddeutschland

A.4 Ergebnisse A.4 Ergebnisse

Der Zusammenhang zwischen Ergehen der Londoner Flüchtlinge und Zweitem Abendmahlsstreit erweist sich als komplex: Der im Abendmahlsstreit verhandelte Konflikt verschiedener Sakramentstheologien und reformatorisch normativer Ansprüche trug zu den Ausweisungen der Flüchtlinge aus Dänemark und norddeutschen Städten bei, war aber nicht deren einzige Ursache. Insbesondere die Befürchtung öffentlicher Unruhe spielte für die Obrigkeiten eine Rolle und verband sich mit dem Abendmahlskonflikt, aber auch mit anders gelagerten Kontroversen (etwa zwischen den Flüchtlingen und Menno Simons). Dass die theologische Debatte vor Ort direkt durch die Schriften des Abendmahlsstreits bedingt ist, ist wiederum nur im Hamburger Fall definitiv nachweisbar. Jedoch zieht sich seitens der Flüchtlinge ihr reformatorisch normativer Anspruch durch, der sie Disputationen fordern ließ – während für die Ortspfarrer offen bleiben muss, ob ihre Wendung gegen die Flüchtlinge bereits durch Streitschriften von Westphals Seite bedingt war oder sie unabhängig davon zu einer Verketzerung gelangten und so erst zu den Unterstützern Westphals wurden, als die sie teils im späteren Streit erscheinen. Speziell die Debatte zwischen Westphal und Micron in Hamburg zeigt eine Verschiebung des Diskurses auf identitätsrelevante Grundsatzfragen: Sind die debattierten Theologumena hier aus den Streitschriften bekannt, stellt sich in der persönlichen Konfrontation die Frage, von welchen Instanzen der Konflikt entschieden werden soll – die Disputationsforderung Microns und der Flüchtlinge steht gegen Westphals Berufung auf die Wittenberger reformatorische Tradition. Beide Seiten beanspruchen die Väter für sich; der Stellenwert von Konzilien und Reformatoren für die Wahrheitsfindung wird debattiert. Mit beiden Konzepten verbindet sich nicht nur die Annahme, dass ihre Anwendung die eigene Position als schriftgemäß erweisen werde, sondern die dahinter stehenden Überzeugungen sind auch zentral für die reformatorische Identitätsvorstellung Microns bzw. Westphals. Hier liegt der Grund dafür, warum diese Aspekte im Folgenden auch in Streitschriften thematisiert wurden, besonders auf Westphals Seite und bei den Flüchtlingspfarrern: Während a Lasco und Micron Westphals Ablehnung der Disputationsforderungen als unreformatorisch, seine Bewertung kirchlicher Tradition als quasi-papistisch und sein Verhalten gegenüber den Flüchtlingen als tyrannisch desavouierten, verteidigten Westphal und dessen Mitstreiter in den Testimoniensammlungen ihr Verständnis reformatorisch normativer Tradition und schilderten das Verhalten der Flüchtlinge als Attacke darauf. Für die nicht unmittelbar an den norddeutschen Diskussionen beteiligten Theologen der Gegenseite – insbesondere Calvin und Bullinger – hingegen waren weniger die dort debattierten Inhalte relevant als der Vorgang der Ausweisungen an sich, der sie von a Lascos Plan einer Gegenschrift zu Westphals Texten überzeugte. Alle diese Entwicklungen prägten die folgende Hauptphase des Abendmahlsstreits.

Teil IV

DIE HAUPTPHASE DES ZWEITEN ABENDMAHLSSTREITS

Kapitel IV.1

Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite (1554/55) Teils schon parallel zur Debatte um die englischen Flüchtlinge in Norddeutschland, vor allem aber in der Zeit danach konzentrierte sich Westphals Streitpartei in auffallender Weise auf die Publikation von Testimoniensammlungen, Übersetzungen und Neuausgaben von Texten wichtiger Kirchenväter und Reformatoren. Diese Veröffentlichungen werden in der bisherigen Forschungsliteratur kaum behandelt;1 die Frage nach der spezifischen Bedeutung solcher Texte für den Streit wird nicht gestellt: Offenbar gelten sie als bloße Wiederholungen der edierten Schriften bzw. Zitate und insofern als irrelevant für die theologische Entwicklung. Wie Irene Dingel und Thomas Kaufmann an Beispielen aus dem Adiaphoristischen Streit gezeigt haben, handelt es sich bei solchen Testimoniensammlungen und Texteditionen jedoch um literarische Formen, die für die innerwittenbergischen Debatten der Zeit spezifisch sind und dazu dienen, als autoritativ angesehene Texte auf die aktuelle Situation hin zu aktualisieren. Entsprechend aufschlussreich sind schon die Wahl der zitierten Autoren, erst recht aber die Auswahl der Zitate und die Kommentierung für die kontroverstheologische Intention des jeweiligen Herausgebers und für sein Verständnis kirchlich normativer Autorität.2 Auch Westphals Partei untermauerte durch ihre Sammlungen, Übersetzungen und Neuausgaben altkirchlicher und reformatorischer Texte in spezifischer Weise ihre Streitposition. Zugleich wird an diesen Publikationen besonders deutlich erkennbar, welche Rolle diese autoritativen Personen und Texte für ihr Konzept von kirchlichem Konsens spielten. Die Veröffentlichungen waren unter den Autoren abgestimmt, setzten aber in der Auswahl wie in der Beurteilung der zitierten Autoritäten durchaus unterschiedliche Akzente. 1 Gar nicht berücksichtigt werden sie etwa bei SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, und STÄHELIN, Johannes Calvin II. Bei EBRARD, Dogma vom heiligen Abendmahl II; PLANCK, Geschichte der protestantischen Theologie II/2; TSCHACKERT, Entstehung der lutherischen und reformierten Kirchenlehre, und TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, werden jeweils einige Schriften knapp erwähnt; MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, referiert wichtige Aussagen der von Westphal publizierten Schriften. Diskutiert werden Texte dieser Phase vereinzelt dann, wenn sie im weiteren Streitverlauf eine wichtige Rolle spielen (vgl. etwa u. Kap. IV.1.3b zur Augustinsammlung) oder für das Thema einer Spezialuntersuchung relevant sind (vgl. etwa u. Kap. IV.1.2 zu Timanns Farrago). 2 Vgl. insbesondere DINGEL, Strukturen der Lutherrezeption; KAUFMANN, Ende der Reformation, 306–381.

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IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

1.1 Berufung auf die Väter und Vorwürfe gegen Melanchthon: Gallusʼ Neuausgabe der Sententiae veterum 1.1 Gallusʼ Neuausgabe der Sententiae veterum

Im Januar 1554 publizierte Westphals Mitstreiter Nikolaus Gallus, der nach längerer Tätigkeit in Magdeburg3 seit Oktober 1553 wieder Superintendent von Regensburg war,4 einen Nachdruck der Sententiae veterum aliquot scriptorum de Coena Domini, die Melanchthon in den Jahren 1529/30 zur Widerlegung der Väterzitation Oekolampads und anderer damaliger abendmahlstheologischer Gegner zusammengestellt hatte.5 Durch diese Neuausgabe einer damals für die Wittenberger Partei zentralen Testimoniensammlung (die auch von anderen Mitstreitern Westphals häufig zitiert wird6) beanspruchte er nicht nur die zitierten Kirchenväter, sondern auch die Wittenberger Haltung im Ersten Abendmahlsstreit für Westphals Streitposition – und wandte zugleich Melanchthons damalige Aussagen kritisch gegen dessen aktuelle Haltung. Die Vorrede, die Gallus der Neuausgabe voranstellt, zeigt seine Übereinstimmung mit Westphals Position: Wie dieser kritisiert er die behauptete Friedfertigkeit von Westphals Streitgegnern, d.h. den Anspruch Calvins, Vermiglis oder a Lascos, dass die von ihnen vertretene sakramentstheologische Position auch mit der Wittenberger Reformation übereinstimme. Hinter ihrer These geistlicher bzw. wesentlicher Präsenz Christi im Abendmahl verberge sich in Wahrheit eine Ablehnung seiner körperlichen Gegenwart. Der Interimsgegner Gallus parallelisiert die etwa von Vermigli und Calvin formulierte Absicht, eine Position zwischen Luther und Zwingli zu vertreten, mit (von ihm diagnostizierten) falschen Mittelwegen der Interimisten und Adiaphoristen:7 Wie

3 Zu seiner Auswanderung von Regensburg nach Magdeburg infolge des Interims und zu seiner Rolle im Kreis der dortigen Interimsgegner vgl. o. Kap. III.2.1. 4 Vgl. zu seiner Rückkehr nach Regensburg VOIT, Nikolaus Gallus, 207–227. 5 GALLUS, NIKOLAUS (Hg.), SENTEN-||TIAE VETERVM ALI-||quot scriptorum de coena domini || […] editae […] a || Philippo Melanchthone || Anno 1530. || IAM VERO RECVSAE || cum praefatione Nicolai Galli […], Regensburg: Hans Kohl 1554, VD16 M 4222. Zum ursprünglichen Kontext von Melanchthons Werk vgl. o. Kap. II.2.2d. 6 Vgl. etwa u. Kap. IV.1.2 und IV.1.3c. 7 GALLUS / MELANCHTHON, Sententiae veterum, B2v–B3r: „Nec est quod noui quidam Sacramentarij mediam sententiam inter Lutherum et Zuinglium quaerunt, sicut Interimistae medium se inuenisse inter Christum et Antichristum arbitrati sunt, et amplius Adiaphoristae inter religionem Christi et Interim. Ac quod idem uerbis affirmare quod nos, uideri nonnulli uolunt, similis Arianorum fraus est, qua cum orthodoxis τοῦ ὁμιουσίυ [!] titulo Christum uenerantes, sententia et corde blasphemabant, ferendique blasphemiam captabant occasiones. Idem agunt modestiam, uerecundiam, dilectionem plus quam Lutheranam aut Christianam prae se ferentes, dissimulando dissentientium iudicia, censuras ecclesiasticas deuorando. Quid quod et ipsi una hac re consentientes, quod a uerbis Christi et ecclesijs nostris dissentiunt, opinionibus inter sese maxime dissident? Quae res falsitatis certum iudicium habet, cum ueritas non esse nisi una possit, in qualibet re. Vniversa consensio ipsis est in hac

1.1 Gallusʼ Neuausgabe der Sententiae veterum

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Westphal und Alber8 hält er die Positionen von Wittenberger und Zürcher Reformation für unvereinbar und ordnet die Opponenten analog zu innerwittenbergischen Gegnern ein: als Vertreter einer der Häresien, die nach Luthers Tod erneuert worden seien und sich nun „ex plerisque locos Germaniae […] ad alias forte gentes“ ausbreiteten. Mit seiner Veröffentlichung will er sich Westphals Vorgehen gegen diese Entwicklung anschließen.9 Zudem fordert er, Luthers Abendmahlsschriften sollten ins Lateinische übertragen und auf diese Weise ebenso international verbreitet werden wie die Lehre der Gegner.10 Diesen Plan sollten Westphal und Judex wenig später umsetzen.11 Dass Gallus als Beitrag zum Abendmahlsstreit gerade Melanchthons Sententiae veterum nachdrucken lässt, begründet er durch die Bedeutung Melanchthons und der Väter als kirchlicher Autoritäten: „Cumque reperiantur, qui etiam Philippi authoritate errorem hunc molliant et insinuent, etsi causa haec non nititur hominum suffragiis, operae precium tamen me facturum arbitrabar (ac quod ne authori recte improbari possit) si hanc olim editam ab ipso Confessionem, darem recudendam, qua suum ipse testimonium, ueteris ecclesiae testimonijs utiliter collectis aperte coniungit, piosque consensu hoc ueteris ecclesiae magis confirmat, quam si quis uel ipsius, uel ueterum ac recentium mille contraria nunc proferat, cum uerba institutionis, adstipulantibus illis, in coena pro nobis stent.“12

Gallus wirft also Westphals Streitgegnern vor, ihren Irrtum durch Berufung auf Melanchthon zu bemänteln. Welche Äußerungen er dabei vor Augen hat, ist unklar: Calvin, der sich später auf Melanchthon berufen sollte, hatte Anfang 1554 noch nicht von Westphals Vorwürfen erfahren.13 Vermutlich sind frühere Aussagen Calvins oder a Lascos gemeint,14 die Gallus eine analoge Argumentation im aktuellen Konflikt befürchten lassen: Die Berufung auf einen wichtigen Wittenberger Reformator wäre eine ideale Untermauerung des von Calvin und seinen Mitstreitern erhobenen Anspruchs auf gesamtreformatorisch normative Geltung der eigenen Lehre, den Westphals Partei als Gefahr für die Kirche sieht. Daher will Gallus mit den Sententiae veterum Melanchthon und die Väter dafür ins Feld führen, dass Westphals Haltung – und nicht die der negatiua, Christum corporaliter in coena non adesse, quoque alias modo eum ibi collocent, spiritualiter, an etiam essentialiter, ut quidam loquantur.“ 8 Vgl. für Westphal o. Kap. III.2.4a; für Alber o. Kap. III.2.4b. 9 Vgl. GALLUS / MELANCHTHON, Sententiae veterum, A5r–A5v, Zitat ebd. 10 Vgl. aaO., B1r; zur Bedeutung dieses Gedankens für Westphals Partei vgl. EHLERS, CORINNA, Gibt es eine europäische Dimension des Zweiten Abendmahlsstreits? in: Christoph Mauntel / Volker Leppin (Hg.), Transformationen Roms in der Vormoderne, Stuttgart 2019 (Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte 27), 243–264. In weiteren Texten dieser Streitphase kam dies noch stärker zum Tragen, vgl. u. Kap. IV.1.3a. 11 Vgl. u. Kap. IV.1.3a (Westphal) und IV.3.1e (Judex). 12 GALLUS / MELANCHTHON, Sententiae veterum, A5v–A6r. 13 Vgl. u. Kap. IV.2.1a. 14 Vgl. dazu o. Kap. III.1.1a und III.1.1b.

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IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

Gegner – den kirchlichen Konsens wiedergibt und somit reformatorisch normativ ist. Allerdings sichert er sich sogleich durch die Bemerkung ab, dass es nicht auf menschliche Meinungen ankomme. Daher könne eine Zitation Melanchthons und der Väter für die Gegenposition nichts gegen den hier vorgelegten Text ausrichten: Letzterer stimme mit den Einsetzungsworten überein. Aufschlussreich ist auch, dass Gallus zwar Melanchthon und die Väter für den kirchlichen Konsens ins Feld führt, aber (in für die Magdeburger und Hamburger Interimsgegner typischer Weise15) Luther als Garanten der Schriftgemäßheit über beide setzt: Luther gilt ihm als neuer Elia, der über anderen Kirchenlehrern steht und die Schrift richtig interpretiert hat; wer in einer notwendigen Lehre von Luther abweicht, macht sich daher verdächtig. Gallus betont, Väterzitate dienten nur zur Bestätigung von Luthers Lehre und auch gelehrte Schüler Luthers könnten getäuscht werden – dass Luther von der Schrift abweichen könnte, ist für ihn hingegen faktisch nicht denkbar.16 Ein analoges Konzept der Autorität Luthers (und der eigenen Kirche) sollten wenig später Westphal und Timann vertreten und dies ausführlicher begründen. Hatte sich in den bisherigen Aussagen bereits ein ambivalentes Urteil über Melanchthon als kirchliche Autorität angedeutet, wird dies endgültig manifest, wenn Gallus Melanchthons Position des Ersten Abendmahlsstreits approbiert, seine aktuelle Haltung hingegen für suspekt erklärt: Er argumentiert, wenn sich die Gegner auf Melanchthon beriefen, unterstellten sie ihm, er hätte seine Ansichten unter Luther nicht nur verborgen, sondern das Gegenteil behauptet, so in der CA und in den Loci17 – letztere Texte identifiziert Gallus also offenbar 15

DINGEL, Strukturen der Lutherrezeption, 44, stellt anhand von Westphals Luthersammlung fest, Luther werde „in den Augen Westphals und der Gnesiolutheraner zur reformatorischen Autorität schlechthin. […] Selbst wenn Westphal verschiedentlich Zitate aus Schriften Melanchthons und […] des Johannes Brenz für seine Zwecke heranziehen kann, so gewinnen sie in diesem Zusammenhang doch nur deshalb Gewicht, weil ihr Inhalt mit dem, was Luther als maßgebliche reformatorische Autorität gelehrt hatte, übereinstimmt.“ 16 GALLUS / MELANCHTHON, Sententiae veterum, B1v–B2v: „Cumque Luthero multa testimonium reddunt, genuina interpretatio scripturae, […] eum uere esse postremo aetatis Heliam, diuinitus excitatum ad instaurationem doctrinae et ecclesiae, pietas hortatur ei in hac quoque causa nitenti sine sophistica fundamentis scripturae, magis fidem forte habere, quam multis alijs. Quique Lutherum ex se nietitur et alijs, hoc saeculo quantumuis eruditis, etsi nulla re necessaria ad unitatem ecclesiae uideatur ab eo dissentire, eo ipso tamen iudiecio fallitur longissime, et acceptis alijs doctoribus, etiam se ipso, falli et fallere de necessarijs dogmatibus facile potest, et in proclivi est. Qui uero palam dissentit, de necessario, inquam dogmate, nae ille eo ipso suspectam iam reddit suam singularitatem […]. Lutheri testimonio superaddita patrum dicta, et ipsa monent, testantur, explanant, atque ideo recte sentientes confirmant, ac magnifacienda sunt. Si quaedam alia ipsorum uidentur repugnare, aut uere repugnaant in hoc articulo, contra Scripturam non ualent, sicut in plerisque alijs articulis uidemus, et de transsubstantiatione iudicium desiderari in sequentibus potest. Ac unum scripturae consentiens testimonium, multis multorum dissentientibus anteferendum est.“ 17 Vgl. aaO., A6r.

1.1 Gallusʼ Neuausgabe der Sententiae veterum

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ebenso wie die Sententiae veterum mit seiner eigenen, Westphals Gegnern entgegengesetzten Haltung. Hingegen wird der antizipierte Einwand, dass Melanchthon sich in neueren Werken anders äußere, nicht etwa widerlegt, sondern mit einem Verweis auf den Adiaphoristischen Streit beantwortet: Dass Melanchthon trotz seiner autoritativen kirchlichen Stellung eine solche modestia in Lehrkontroversen zeige, wird bedauert und mit dem Verhalten des Flacius kontrastiert, der trotz fehlender formaler Autorität zum Widerstand gegen das Interim aufgerufen habe.18 Gallus beansprucht also Melanchthon weder rein positiv als Autorität für Westphals Streitposition19 noch attackiert er ihn eindeutig als deren Gegner:20 Vielmehr greift er auf eine für die Magdeburger Publizistik des Adiaphoristischen Streits typische Argumentationsfigur zurück, mit der Melanchthons (der Interpretation zufolge) frühere gegen seine aktuelle Position ins Feld geführt wird;21 dass das kritisierte Verhalten Melanchthons auch auf den Abendmahlsstreit zu beziehen ist, wird dabei nicht explizit gesagt, sondern nur insinuiert. So setzt Gallus Melanchthon unter Druck, sich zugunsten Westphals festzulegen – könnte sich gegebenenfalls aber darauf zurückziehen, nicht Melanchthon selbst angegriffen zu haben, sondern nur dessen fälschliche Beanspruchung durch Westphals Streitgegner. Diese Aussagen sollten 1557 zum Zerwürfnis zwischen Melanchthon und Westphals Partei beitragen.22 1554 dient die Rückführung auf Melanchthons Haltung im Ersten Abendmahlsstreit Gallus aber auch noch dazu, die eigene Position als normativ für die Wittenberger Reformation zu legitimieren: Wie Westphal betont er als Rechtgläubigkeitskriterium die leibliche Präsenz Christi, die den Einsetzungsworten entspreche und von den Vätern gestützt werde.23 Dafür kann er sich darauf berufen, dass Melanchthon nicht nur in Vorrede und Nachwort zu den Sententiae veterum die wahre Präsenz Christi als Inhalt der von ihm gesammelten Zitate betont24 und dies gegen ein „absentis corporis signum“25 abgrenzt, sondern dies teils auch im Sinne einer corporalis praesentia deutet.26

18

Vgl. aaO., A6r–A7r. In diesem Sinne NEUSER, Dogma und Bekenntnis, 277. 20 PLANCK, Geschichte der protestantischen Theologie II/2, 48: „Gallus von Regenspurg hatte […] eine Bewegung gemacht, an dem Spiel Theil zu nehmen, wobey es jedoch von seiner Seite nicht sowohl darauf angelegt schien, Kalvin und die Schweizer als vielmehr bloß Melanchthon zu necken“. 21 Vgl. zur Rolle dieses Arguments im Adiaphoristischen Streit KAUFMANN, Ende der Reformation, 306–319. 22 Vgl. u. Kap. V.1.2a. 23 Vgl. GALLUS / MELANCHTHON, Sententiae veterum, A7v–A8r. 24 Vgl. z.B. aaO., B4r; C2v. 25 Explizit in dieser Formulierung etwa aaO., D6v (sachlich öfter). 26 AaO., B4v: „Ego has sententias authorum sine glossematis nudas proposui, ut iudicium candido lectori relinquerem, utrum de corporali praesentia loquantur, an de sola efficacia. Ego quidem statuo eas ῥητῶς asseverare, quod corpus Domini uere adsit in coena dominica.“ 19

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IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

Auch Melanchthons Widerlegung des Arguments, dass Christus seit der Himmelfahrt seiner menschlichen Natur nach im Himmel sei und daher nicht im Abendmahl sein könne, ist für Gallus zentral, da Westphals Streitgegner hier unter Berufung auf die Väter die Rechtgläubigkeit der eigenen Lehre in Frage stellen und er Melanchthons Väterzitation dafür ins Feld führen kann, dass die Kirchenväter in Wahrheit auf der eigenen Seite stehen. Gegen die gegnerische These führt Gallus wie Westphal Personeinheit und Allmacht ins Feld: Christus könne anwesend sein, wie und wo er wolle. Das verdichtet er zu der Formel, Christi Präsenz im Abendmahl sei „non naturalis, sed voluntaria“ – daher werde der Leib Christi auch weder ins Brot eingeschlossen noch von den Kommunikanten verdaut; solche (von a Lasco erhobenen27) Vorwürfe seien blasphemisch.28 Melanchthons Text kann dies stützen, da er gegen geometricae speculationes betont, Christus sei im Sakrament wahrhaft anwesend.29 Ein weiterer Grund für den Nachdruck erschließt sich aus der Verwendung der Sententiae veterum bei Gallus’ Mitstreitern: So lobt Westphal diese Sammlung als Vorbild und verwendet sie für seine Cyrillsammlung; auch Timann entnimmt ihnen Zitate für seine Farrago.30 Das dürfte damit zusammenhängen, dass es sich um eine der wenigen Wittenberger Schriften des Ersten Abendmahlsstreits handelt, in denen in größerem Umfang Väterzeugnisse zusammengestellt worden waren – insofern war es naheliegend, angesichts gegnerischer Berufung auf den Konsens der Kirche darauf zurückzugreifen. Zudem erörtert Melanchthon die Frage altkirchlicher Autorität in einer Weise, die sich als Argumentationsgrundlage eignet: Er betont, es sei gefährlich, Lehren zu entwickeln, die nicht mit der Alten Kirche übereinstimmten.31 Zugleich begründet er aber auch, warum er nicht alle Väter aufgenommen habe, sondern nur diejenigen, die sich eindeutig zum Abendmahl äußerten.32 Schließlich setzt er sich mit der Berufung seiner Gegner auf Augustin auseinander und argumentiert, unklare Stellen könnten ihn nicht dazu bewegen, gegen eindeutige Aussagen von Hilarius, Cyrill und anderen eine neue, den Einsetzungsworten widersprechende Ansicht einzuführen33 – ähnlich sollte sich Westphal äußern. Melanchthon freilich zog aus seiner Berufung auf den Konsens der Alten Kirche wenige Jahre später andere abendmahlstheologische Konsequenzen als Westphals Streitpartei. 1554 war dies aber für Westphals Seite – trotz aller Befürchtungen – so noch nicht absehbar. Das zeigt sich auch an der sehr positiven Berufung auf Melanchthon bei einem anderen Mitstreiter: Johann Timann.

27

Vgl. o. Kap. III.1.3f. Vgl. GALLUS / MELANCHTHON, Sententiae veterum, A8r–A8v. 29 Vgl. aaO., D8r. 30 Vgl. u. Kap. IV.1.2 und IV.1.3c. 31 Vgl. GALLUS / MELANCHTHON, Sententiae veterum, C2v; B4r–B4v. 32 Vgl. aaO., B4v–C1r. 33 Vgl. aaO., D4r–D8r. 28

1.2 Timanns Farrago

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1.2 Kirchenväter und Reformatoren als Zeugen für den kirchlichen Konsens: Timanns Farrago 1.2 Timanns Farrago

Der Beanspruchung von Kirchenvätern und Reformatoren für Westphals Streitposition dient auch die Farrago des Bremer Pfarrers Johann Timann.34 Diese mit 601 Druckseiten sehr umfangreiche Sammlung ist bisher vor allem im Hinblick auf Timanns Konflikt mit seinem Bremer Kollegen Hardenberg35 sowie auf ihre Rolle in der Geschichte der Christologie36 näher erforscht worden. Im Kontext des Zweiten Abendmahlsstreits macht sie besonders deutlich, wie die von Westphals Partei postulierte Autorität der eigenen Kirche als Institution mit ihrem Verständnis von kirchlichem Konsens zusammenhängt. Dabei erweist die Schrift sich als in Absprache mit Westphal veröffentlichter, als komplementär zu dessen Farrago verstandener Text – jedoch betrachtet Timann durchaus nicht die gleichen Reformatoren und Inhalte als normativ. Die Entstehungsgeschichte der Farrago ist nicht in allen Details eindeutig zu erhellen. Deutlich wird aber die enge Zusammenarbeit zwischen Timann, Westphal und dem als Gegner der englischen Flüchtlinge aufgetretenen dänischen Hofprediger Heinrich Buscoducensis: Die Vorrede ist auf den 15.5.1554 datiert.37 Westphal reagiert am 11.6. auf Timanns Zusendung des Textes38 und Timann bittet ihn am 13.7., sich für einen Druck in Hamburg oder Magdeburg einzusetzen.39 Die an Westphal gesandte Version kann jedoch nicht der Druckfassung entsprochen haben, da letztere noch Texte bis September 1554 enthält.40 Eventuell hängt dies damit zusammen, dass sich die Veröffentlichung verzögerte: Nachdem Buscoducensis Timann im August 1554 mitgeteilt hatte,

34 TIMANN, JOHANN, Farrago Sen-||TENTIARVM CON-||SENTIENTIVM IN VERA ET CA||tholica doctrina, de Coena Domini,|| […], Frankfurt (Main): Peter Braubach 1555,

VD16 T 1313. 35 Vgl. NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 148–150; JANSE, Hardenberg als Theologe, 45 f. 36 Vgl. MAHLMANN, Das neue Dogma, 44–50. 37 Vgl. TIMANN, Farrago, 164. 38 Vgl. Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 186–197. 39 Vgl. Timann an Westphal, 13.7.1554, SILLEM I, 172 f. (Nr. 95,12–14). 40 Alle in TIMANN, Farrago, 176–223, abgedruckten Texte tragen Daten nach dem 15.5.; der chronologisch späteste Text ist der Brief Bugenhagens an Timann, 1.9.1554, aaO., 176– 185. Offenbar aus diesem Sachverhalt leitet NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 149, bei und mit Anm. 31, ab, Timann habe Westphal und später Buscoducensis nur den „ersten Teil“ der Farrago (d.h. aaO., 3–174) übersandt und alles Folgende erst später erstellt. Diese von JANSE, Hardenberg als Theologe, 45, übernomme These kann aber so nicht zutreffen, da Westphal in seiner Antwort diesen ersten Teil mit den abendmahlstheologischen Testimonien (aaO., 224ff.) vergleicht (vgl. Westphal an Timann, 11.6.1554, aaO., 188 f.), also ihm auch letztere schon vorlagen. Offen bleiben muss dagegen, ob Timann über die Einfügung der Briefe hinaus nachträglich weitere Ergänzungen vorgenommen hat.

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IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

ein Druck in Dänemark sei leider nicht möglich,41 berichtete der Frankfurter Drucker Peter Braubach erst im Juli 1555, er drucke nun Timanns Schrift, die ihm Westphal kürzlich gesandt habe,42 und Westphal monierte Braubach gegenüber am 16.11.1555, Timann habe noch keine Exemplare erhalten.43 Timann sprach sein Engagement im Abendmahlsstreit eng mit Westphal ab: Er sandte Westphal die Farrago zur Korrektur und Beurteilung.44 Westphal meinte daraufhin, die Hoffnung, dass Gott ihm Unterstützer geben werde, habe sich erfüllt.45 Er zollte der Schrift Lob, meinte, Timann solle sie bald veröffentlichen,46 und sah die Leitidee als komplementär zu seiner eigenen Farrago:47 Unter einer similis inscriptio den Konsens der wahren Kirche deutlich zu machen (nachdem Westphal sich bemüht hatte, die Ansichten der Streitgegner als in sich widersprüchlich zu erweisen) sei ideal, da die Gegner auf Uneinigkeitsvorwürfe zu reagieren pflegten, indem sie den nostri Widersprüche unterstellten.48 Zudem sandte er Timann seine Augustinsammlung.49 Timann wiederum reagierte darauf nicht nur mit großem Dank,50 sondern druckte auch in der endgültigen Version der Farrago Westphals Brief und dessen Widmungsvorrede zur Augustinsammlung mit ab51 – machte also die Zusammengehörigkeit zwischen seiner Schrift und Westphals Texten für den Leser erkennbar. Der Aufbau der Farrago ist komplex und teils unklar. Deutlich ist die Dreiteilung in eine Vorrede, einen Mittelteil, der neben den bereits genannten Briefen Urteile Luthers und Melanchthons über abendmahlstheologische Gegner 41

Vgl. Buscoducensis an Timann, 19.8.1554, in: TIMANN, Farrago, 222 f. Vgl. Braubach an Westphal, 19.7.1555, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 212 (Nr. 1.2). 43 Vgl. Westphal an Braubach, 16.11.1555, aaO., 215 (Nr. 2.1). 44 Vgl. Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 188. 45 Vgl. aaO., 186 f. 46 Vgl. aaO., 188 f.; zur inhaltlichen Analyse, mit der Westphal dies begründet, s.u. 47 Auf die komplementäre Absicht der beiden gleichnamigen Schriften weist die Literatur immer wieder hin; so spricht KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 106, von einem „Gegenstück zu Westphals Farrago“. BERTHEAU, Timann, 781, meint hingegen: „Der Titel des Werkes […] steht im Zusammenhang mit dem Titel der Schrift Joachim Westphals vom Jahre 1552 […] und weist gerade in seinem Gegensatz gegen diesen (Timanns Buch ist eine f a r r a g o s e n t e n t i a r u m c o n s e n t i e n t i u m ) auf eine friedliche Absicht des Verfassers.“ 48 Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 187 f.: „Non scio quod genus argumenti conuenientius magisquam necessarium tua prudentia deligere potuisset, quam quod simili quidem inscriptione, in contrariam tamen partem proponere uoluit consensum uerae Ecclesiae Dei. Sacramentarij accusati a nobis de uarietate opinionum dissidentium inter se in ijsdem uerbis […] solent in nos regerere ἀντικατηγορίαν, cauillantes nostros etiam inter se dissentire. Quam falsa sit ea obiectio, luculenter euincit consensio summa eorum, quos Dei insignia et selecta organa esse condecorata multiplici gratia Spiritus sancti, nemo nisi uanitate uanior negauerit.“ 49 Vgl. aaO., 190 f. Zu der Sammlung s.u. Kap. IV.1.3b. 50 Vgl. Timann an Westphal, 13.7.1554, SILLEM I, 172 (Nr. 95). 51 TIMANN, Farrago, 198–213; vgl. zum Inhalt der Widmungsvorrede u. Kap. IV.1.3b. 42

1.2 Timanns Farrago

287

sowie Zeugnisse für die Autorität Luthers enthält, und einen Schlussteil mit Testimonien zu den Themenkomplexen Christologie, Abendmahlslehre und Ketzerbekämpfung. Da allerdings die Vorrede großenteils aus Schrift-, Väterund Reformatorenzitaten besteht, bildet sie bereits eine Testimoniensammlung zu zwei weiteren Grundsatzfragen: zur Heilsmittelfunktion des äußerlichen Wortes und der Sakramente sowie zur Autorität der Heiligen Schrift. In diesem Sinne meint schon Westphal, die Vorrede sei der Kirche nicht weniger nützlich als die abendmahlstheologischen Zeugnisse.52 Der dritte Teil enthält Zwischenüberschriften, aber deren Hierarchie ist ebenso unklar wie die innere Ordnung der Abschnitte. Deshalb regt schon Buscoducensis an, „quod ordo fortassis in nonnullis mutari posset“53 und kommen auch heutige Forscher zu dem Schluss, die Farrago sei unsystematisch konzipiert.54 Welche Aspekte Timann an seiner Sammlung besonders wichtig waren und worin er selbst die Gründe für sein Engagement auf Seiten Westphals sah, lässt sich am Beginn der Vorrede ablesen: „Existimo uobis omnibus […] notissimum esse, […], quam in hac extrema, misera et calamitosa mundi senecta, amentia et caecitate, passim uagentur, et nidulari incipiant homines quidam leues et ociosi, qui Satanica audacia nouas quasdam opiniones, falsasque interpretationes, quae magnam caliginem offundunt doctrinae Euangelij, et noua dogmata fingunt ac spargunt, non solum ignota primae Ecclesiae, sed plane pugnantia cum doctrina Scripturae sanctae, et uerae ac sanctae Ecclesiae Catholicae consensu. Quarum autoritas, cum omnibus hominibus esse debeat sacrosancta et summae aestimationis, dubium non est, istos non nisi mali spiritus operatione, in hanc petulantiam impelli, ad dilacerandam Ecclesiam, ueritatemque simplicem eludendam, et ad deprauationem eorum, quae recte tradita sunt. […] Proinde cum metuendum sit, maiores confusiones opinionum sensim orituras esse, nisi principijs statim et prudenter occurratur, necesse erit in tempore illam licentiam et audaciam coercere, ne longius serpat. […] Triplici autem modo contra eos acerrime pugnandum est, precibus, scilicet, doctrina et legibus. Haec sunt uera praesidia aduersus Diaboli organa, quae ueritati aduersantur, et exitio sunt Ecclesiae et Rebuspublicis.“55

Wie Westphal, Gallus und Alber meint Timann, die Gegner breiteten sich mit ihrer Lehre allgemein aus, und deutet das gemäß der für das Netzwerk der Interimsgegner typischen Zeitdiagnose56 als Endzeitphänomen. Da er darin eine für Kirche und res publica gefährliche Tendenz sieht, fordert er Gebet, Lehre und Gesetze dagegen. Als Beitrag zur Lehre sieht er die Farrago, mit der er den Konsens der Kirche gegen die Auffassung der Gegner ins Feld führen will. Für die Befürchtung einer Ausbreitung der gegnerischen Lehre lassen sich verschiedene Gründe vermuten: Neben der Lektüre von Westphals Schriften (die Timann ausweislich seiner Zitate kennt), liegt als Hintergrund zunächst 52

Vgl. Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 189. Buscoducensis an Timann, 19.8.1554, in: TIMANN, Farrago, 222. 54 Vgl. NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 150; MAHLMANN, Das neue Dogma, 45. 55 TIMANN, Farrago, 3–5. 56 Vgl. o. Kap. III.2.1b; zu Timanns Engagement gegen das Interim o. Kap. III.2.1a. 53

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IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

der Streit Timanns und anderer Bremer Pfarrer mit Albert Hardenberg nahe,57 in dem Timann 1554 Hardenberg als Zwinglianer angegriffen hatte.58 Dieser Konflikt wird allerdings in der Farrago nicht erwähnt. Sie enthält dagegen Briefe, die nahelegen, dass a Lascos Rückkehr ins nahe Ostfriesland bzw. allgemein die Konflikte mit den englischen Flüchtlingen in Norddeutschland eine Rolle spielen:59 Ein Brief Bugenhagens kommentiert a Lascos Confessio de coena Domini, die Timann übersandt hatte.60 Auch an Westphal hatte Timann geschrieben, a Lasco plane eine Schrift gegen ihn und Micron äußere sich negativ.61 Timann beobachtete also die Haltung der Flüchtlinge mit Besorgnis und war offenbar gut informiert: Zu dieser Zeit plante a Lasco tatsächlich eine Gegenschrift.62 In der Farrago thematisieren auch ein Schreiben Westphals an Jakob Bording63 sowie ein Brief von Buscoducensis64 Kontroversen mit den Flüchtlingen. Dass diese Briefe nachträglich aufgenommen wurden (s.o.), spricht allerdings dagegen, sie als einzigen Auslöser der Abfassung zu betrachten.65 Plausibel wäre, dass sich Timanns Befürchtungen dadurch verstärkten, zumal die Flüchtlinge in seiner Nachbarschaft präsent waren. Das entspräche Westphals Sichtweise, der gegenüber Timann ihrer beider Pflicht zu polemischem Engagement damit begründet, dass aufgrund der geographischen Nähe zu „Sacramentarij“ die Gefahr in ihrem Umfeld aktuell besonders groß sei.66

57 Vgl. JANSE, Hardenberg als Theologe, 45–47; KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 106. NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 150, dagegen meint, die Farrago sei allenfalls indirekt ein Angriff auf Hardenberg. 58 Vgl. dazu aaO., 46; aaO., 33–45 zu den vorangegangenen Debatten. 59 Ersteres bei BERTHEAU, Timann, 780 f.; beide Aspekte bei NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 149–151, der einen Konnex zu Westphals Attacke auf a Lascos Tractatio de sacramentis herstellt, und JANSE, Hardenberg als Theologe, 45. KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 106 f., nimmt vorsichtiger an, dass der Text auch a Lasco attackiere. 60 Vgl. Bugenhagen an Timann, 1.9.1554, in: TIMANN, Farrago, 177 f.; zu a Lascos Confessio vgl. o. Kap. III.1.1b. 61 Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 192 f.: „Parturire aliquid contra meum libellum, siue Polonum illum, siue alium quempiam facile credo […] Nec uero mihi nouum est aut mirum Micronium hominem perditae impudentiae et futilem rixatorem male de me loqui, cum de omnibus Ecclesiis Saxonicis loquatur pessime, cum malus sit, nec didicerit bene loqui, neque uereatur falsare et corrumpere sacrosancta eloquia Dei.“ 62 Vgl. u. Kap. IV.2.1a. 63 Vgl. Westphal an Bording, Juni 1554, in: TIMANN, Farrago, 198–213. 64 Buscoducensis an Timann, 19.8.1554, in: TIMANN, Farrago, 213–223. 65 Die These von NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 149, dass diese vier Briefe „den Anlaß der Abfassung aufdecken“, ist insofern gewiss nicht falsch, aber zu differenzieren. 66 Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 190: „Alijs in locis minus periculi est ab isto contagio, minus nota sunt damna, quae dant Ecclesiae Sacramentarij: minus ut sentiunt, ita leuius afficiuntur publicis malis. Nos uiciniores audimus et uidemus quam seducant et perturbent multos. Nostrum ergo obsistere istis pestibus, etiam uicina quaeque infecturis, dum nihil praetermittunt, quo uenena sua latissime spargant.“

1.2 Timanns Farrago

289

Dem setzt Timann Testimonien entgegen, die den kirchlichen Konsens für seine und gegen die gegnerische Position in Anspruch nehmen. Die damit verbundenen Annahmen über kirchlich maßgebliche Autoritäten reflektiert er umfassend: Er arbeitet ausführlich die einzigartige Autorität der Heiligen Schrift heraus,67 um dann zu betonen, dass die eigene Kirche nichts Neues über die Sakramente lehre, sondern den seit Evangelisten und Aposteln unveränderten kirchlichen Konsens.68 Daraus leitet er eine kirchliche Lehrautorität ab: „Ideo necesse est, omnes, illis Ecclesiis accedere, consentire ac parere, quemadmodum iubet Christus, addita excommunicationis comminatione, audiendam esse Ecclesiam, pronunciantem iuxta uerbum Dei, recte intellectum. Nam candide et simpliciter testificantur, de illo ueteri Coenae Dominicae dogmate, se illud ideo amplecti, quia non est commenticium aut nouum, sed uera autoritate, ac deinde uniuersali Orthodoxae Ecclesiae Dei consensu, et meliorum scriptorum testimonijs conuinci se ostendunt, eam sententiam, quam profitentur ueram esse.“69

Der Kirchenbegriff ist hier eigentümlich schillernd: Der kirchliche Konsens wird auf die Universalkirche bezogen und an die Schrift zurückgebunden. Zugleich aber wird die Kirche, der Lehr- und Exkommunikationsautorität zugeschrieben wird, derart mit den nostrae Ecclesiae identifiziert, dass eine entsprechende normative Autorität der eigenen Ortskirchen impliziert scheint: eine Vorstellung, die auch zu Timanns Amtslehre passt (s.u.). Damit vertritt Timann eben das Verständnis von kirchlichem Konsens, das wenige Monate zuvor in den (ihm aus Westphals Bericht bekannten70) Debatten mit den Flüchtlingen strittig geworden war: Während Westphal und seine Mitstreiter den kirchlichen Konsens durch Lehre und Disputationsforderungen der Flüchtlinge gestört sahen, erhoben letztere den Vorwurf, hinter dieser Argumentation stehe eine unreformatorische Überbewertung menschlicher Tradition.71 Mit seiner Testimoniensammlung will Timann untermauern, dass Westphals Partei den kirchlichen Konsens auf ihrer Seite hat – gegen die Argumentation der Flüchtlinge und generell gegen den von Westphals Gegnern erhobenen Anspruch auf reformatorische Normativität ihrer Lehre. Die in den Debatten mit den Flüchtlingen zutage getretene72 grundlegende argumentative Schwierigkeit wird jedoch auch bei Timann nicht aufgelöst, 67

Vgl. aaO., 83–118. AaO., 118 f.: „nostrae Ecclesiae in doctrina de duobus sacratissimis Christi Sacramentis, nullum gignunt nouum dogma, nec ullam nouam opinionem, aut interpretationem, cum textu pugnantem fingunt, sed tantum profitentur sententias prius in scriptis Euangelicis et Apostolicis traditas. Et ostendunt quomodo intelligunt haec dicta Euangelica et Apostolica. Et hunc uerum intellectum ab Apostolis eorumque dicipulis ac successoribus, per uerbum certum et non ambiguum, purum et incorruptum ad posteros transmissum esse asserunt.“ 69 AaO., 119. 70 Vgl. Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 192–196. 71 Vgl. o. Exkurs A.3b. 72 Vgl. o. Exkurs A.3b und A.3.3d. 68

290

IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

sondern liegt seinem Vorgehen im Gegenteil zugrunde: Prinzipiell ist die Autorität der Kirche der Schrift untergeordnet, faktisch ist für Westphal und seine Mitstreiter nicht vorstellbar, dass die eigene Kirche und ihre Autoritäten von der Schrift abweichen. Deutlich wird dies etwa, wenn Timann betont, dass Luthers Lehre in jeder Hinsicht schriftgemäß sei und er nie neue Lehre hervorgebracht habe, die der frühen Kirche unbekannt gewesen sei, im Gegensatz zu seinen Gegnern.73 Daraus wird abgeleitet, Luthers Lehre sei nicht um Luthers willen zu folgen, sondern um des Wortes Gottes und des Konsens der Kirche willen74 – dass Luthers Ansicht diesem Konsens widersprechen könnte, ist jedoch aus dieser Sicht im Grunde nicht denkbar. Diesen Aspekt von Timanns Argumentation sollte a Lasco später kritisieren.75 Für Westphals Partei spezifisch und aus Sicht der Gegenpartei problematisch ist nicht die Sammlung von Testimonien an sich (Bullinger reagierte darauf seinerseits mit einer Zusammenstellung von Väterzitaten76), sondern das dahinterstehende Verständnis einer normativen Autorität der Kirche bzw. bestimmter Väter und Reformatoren. Beim Kreis der herangezogenen Autoritäten zeigen sich Unterschiede zu Westphal und Gallus. So beruft sich Timann auf das gesamte theologische Spektrum der Wittenberger Reformation: Neben Luther,77 Brenz,78 Melanchthon,79 Bugenhagen,80 Veit Dietrich,81 Urbanus Rhegius82 und Westphal83 73

TIMANN, Farrago, 141–143: „seriae et graues causae nos cogunt, ut integram uiri Dei, sancti Patris nostri Doctoris Martini Lutheri doctrinam amplectamur, probemus, profiteamur, et defendamus, ac ad posteros incorruptam eam transmittere summis uiribus conemur. Quarum prima est. Quia totum genus doctrinae ipsius, et sententia illius de Sacramento, nititur firmo et stabibili firmamento uerborum omnipotentis et ueracissimi filij Dei Domini nostri Iesu Christi, quae non detorquet, lacerat, corrumpit more suorum Antagonistarum […]. Altera. Non sequitur pruatae sapientiae persuasionem, sed ueterem et uerum consensum Catholicae Ecclesiae Dei, quae firma assensione reuerenter et humiliter amplectitur dicta diuina, et conquiescit in illis. Non gignit Lutherus, non gignit Ecclesia nouum articulum, nouum aliquod dogma, aut alias nouuas opiniones et interpretationes ignotas Augustino, Ambrosio, et primae ac puriori Ecclesiae. Tertia. Conuenit illius doctrina et donum interpretationis, cum ueris et synceris probatiorum scriptorum asseuerationibus, qui Apostolos aut eorum discipulos audiuerunt. Quarta. Nulla doctrinae ipsius pars cum uniuersalis Ecclesiae Dei syncera et catholica fide pugnat, quae etiam nusquam ab eo laesa est.“ 74 AaO., 144 f.: „Haec nos mouunt et cogunt, ut doctrinam Lutheri Prophetae Dei, amplectamur et credamus, non propter Lutherum, sed propter Dei uerbum et ecclesiae consensum.“ Zu Timanns Sicht auf Luther vgl. KAUFMANN, Ende der Reformation, 378–381. 75 Vgl. u. Kap. IV.3.2a. 76 Vgl. u. Kap. IV.3.2.e. 77 Vgl. aaO., 66–70; 262–278; 299–304; 311 f.; 323–327; 439 f.; 515–520 u.v.m. 78 Vgl. aaO., 71–75; 226–233; 261 f.; 308; 343 f. 79 Vgl. aaO., 135–138; 234–238; 318–320; 328–345; 336–338; 487–493; 542–555 u.v.m. 80 Vgl. aaO., 75–81; 176–185; 240–247; 304–308; 338–343; 421–423; 441–459. 81 Vgl. aaO., 70 f.; 140 f.; 377–390; 532 f.; 582 f. 82 Vgl. aaO., 172–174; 494–498; 534 f.; 569 f. 83 Vgl. aaO., 186–197; 198–213; 308 f.; 365–368; 528–530; 555.

1.2 Timanns Farrago

291

enthält die Sammlung Zitate von Johann Aepin, Andreas Althamer, Nikolaus von Amsdorf, Georg von Anhalt, Antonius Corvinus, Caspar Cruciger d. Ä., Matthias Flacius, Justus Menius und Georg Spalatin.84 Schon das ist ein auffallend breites Spektrum von Melanchthonschülern bis zu Gegnern der Wittenberger Konkordie, entspricht aber noch Bruchsals Überlegung,85 man solle die gesamte Wittenberger Reformation für die eigene Streitposition beanspruchen. Timann beruft sich aber auch auf Theologen der Straßburger Reformation: etwa auf den von Westphal als Häretiker attackierten Bucer86 oder den inzwischen in Bern tätigen Wolfgang Musculus.87 Die Forschung hat dies meist mit Verwunderung zur Kenntnis genommen und als Beweis für eine „unreflektierte Haltung“ Timanns gewertet.88 Der dahinter stehende Gedanke erschließt sich, wenn Timann sich auf das Regensburger Religionsgespräch beruft und dabei alle evangelischen Teilnehmer einschließlich Bucers und Calvins als nostri bezeichnet:89 Ganz im Sinne der Wittenberger Konkordie und der Zusammenarbeit auf den Reichsreligionsgesprächen, an denen er selbst teilgenommen hatte,90 bilden für Timann Wittenberger und Straßburger Reformation eine theologisch einige Koalition! Deutlich wird das auch an der Berufung Timanns auf anti-interimistische Texte: Er führt neben dem Magdeburger und dem Hamburger, Lübecker und Lüneburger auch das Straßburger Bekenntnis gegen das Interim an.91 In dieser Weise Wittenberger und Straßburger Theologen als rechtgläubige reformatorische Autoritäten ins Feld zu führen, war offenbar 1554 auf Westphals Seite noch ohne weiteres möglich: Buscoducensis merkt zwar an, Zitate einiger Personen, die weniger Autorität hätten, sollten besser gestrichen und durch Aussagen Luthers und Melanchthons ersetzt werden, überlässt dies aber Timanns Urteil.92 Westphal dagegen kritisiert diesen Aspekt nicht, scheint ihn also nicht als problematisch empfunden zu haben. 84

Vgl. für Aepin aaO., 247–249; für Althamer aaO., 530–532; für Amsdorf aaO., 350– 353; für Georg von Anhalt aaO., 390–405; für Corvinus aaO., 322 f.; für Cruciger aaO., 239 f.; für Flacius aaO., 498–505; für Menius aaO., 278–287; für Spalatin aaO., 414 f. Die Aufzählung umfasst nicht alle in der Farrago zitierten Reformatoren; sie soll lediglich einen Eindruck von der Breite des von Timann berücksichtigten Spektrums vermitteln. 85 Vgl. für Westphals Perspektive auf Bucer o. Kap. III.2.2b. 86 Vgl. TIMANN, Farrago, 369 f. 87 Vgl. aaO., 250–255; 371 f.; 552–555. 88 So MAHLMANN, Das neue Dogma, 45 f. (Zitat ebd.) 89 So etwa TIMANN, Farrago, 344 f.: „Octauo Maij colloquutum est de Sacramento Eucharistiae, neque hic inter Colloquutores conuenit, sed longe dissident. Nostri (Philippus Melanthon, Martinus Bucherus et Ioannes Pistorius, cum suis collegis) formulam quadam scripserunt, et stylo sententiam suam obtulerunt“. 90 Vgl. o. Kap. II.4.2 sowie BERTHEAU, Timann, 779. 91 Vgl. TIMANN, Farrago, 417–421. Zu Timanns Engagement gegen das Interim vgl. o. Kap. III.2.1a. 92 Buscoducensis an Timann, 19.8.1554, in: TIMANN, Farrago, 222 f.: „multa, praesertim ualde recentium, qui non admodum in magna autoritate sunt, omitti, ne magis copia quam

292

IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

Einige Autoritäten sind aus Timanns Sicht besonders wichtig für die Identität dieser reformatorischen Koalition: Im Titel ordnet er den Konsens, den er belegen will, den „Ecclesiae Augustanae confessionis“93 zu; später folgen auf seine Zitate aus CA (invariata) X und deren Apologie94 „Publicae et praeclarae commendationes, Augustanae confeßionis“95: Testimonien, die nicht inhaltlich auf die Abendmahlslehre zielen, sondern die Autorität der CA untermauern. Zur Zentralstellung der Confessio Augustana passt, dass Melanchthon als „Reverendvs praeceptor noster“96 bezeichnet wird und Timann ihn – anders als Gallus – auch sonst uneingeschränkt positiv sieht: Er zitiert von ihm nicht nur Texte des Ersten Abendmahlsstreits, sondern auch aktuelle Schriften (z.B. die Mecklenburger Kirchenordnung von 155497) und betont unter dezidierter Nennung des Autors die allgemeine Unterzeichnung der Confessio Saxonica.98 Vergleichbare Bekräftigungen finden sich sonst nur bei Luther, dessen Äußerungen über abendmahlstheologische Gegner99 Timann diverse Zitate anfügt, in denen Luther als größter Theologe aller Zeiten geschildert wird.100 In Bezug auf das Verhältnis von Vätern und Reformatoren schließlich fällt auf, dass Timann die Väterzitate zu „De substantia Sacramenti“ explizit Schriften anderer Reformatoren – Luthers Dass diese Worte, Melanchthons Sententiae veterum sowie Texten von Bugenhagen, Rhegius und Flacius – entnimmt und deren Urteile über die Autorität der Väter zitiert.101 Generell stehen die Reformatoren- gegenüber den Väterzitaten im Vordergrund. Beides könnte an mangelnden patristischen Kenntnissen liegen102 – allerdings kann Timann durchaus auch 20 Seiten lang Augustinstellen anführen.103 Insofern liegt eher nahe, dass er eine Art gegenseitige Bestätigung der Autoritäten anstrebt. Inhaltlich behandeln die Zitate primär vier Themenkomplexe: Abendmahlslehre, Christologie, Amtsverständnis und die Notwendigkeit obrigkeitlicher iudicio uincere nos uelle iudicaremur. Verum haec acutiori tuo iudicio permitto. Habeo multa a D. Martino Luthero, D. Philippo, et alijs praestantissimis uiris, quae in eandem sententiam tibi communicare possem, si tempus exscribendi fuisset. Sed propter haec noli differre editionem, quae Ecclesiae Dei utilissima esset.“ 93 TIMANN, Farrago, 1: „Farrago sententiarum consentientium in vera et catholica doctrina, de Coena Domini, quam firma assen-sione, et uno spiritu, iuxta diuinam uocem, Ecclesiae Augustanae confessionis amplexae sunt, sonant et profitentur.” 94 Vgl.. aaO., 314–317. 95 AaO., 317–323; Zitat 323. 96 AaO., 234; vgl. aaO., 328 u.ö. 97 Vgl. aaO., 318 f.; 337 f. 98 Vgl. aaO., 336. 99 Luther an Jakob Probst, 1530, in: TIMANN, Farrago, 165–168; ders. an dens., 17.1.1546, aaO., 169 f. 100 Vgl. aaO., 172–174. 101 Vgl. aaO., 421–505. 102 So MAHLMANN, Das neue Dogma, 46. 103 Vgl. z.B. aaO., 43–65.

1.2 Timanns Farrago

293

Ketzerbekämpfung. Am umfangreichsten ist der 190 Seiten lange Abschnitt zur Abendmahlslehre im engeren Sinne: Hier soll nachgewiesen werden, dass die Substanz des Sakraments in Christi wahrem Leib und Blut bestehe und daraus die manducatio impiorum folge.104 Hinter dieser Schwerpunktsetzung steht, dass Timann wie Westphal und Alber105 ein Kernproblem des Konflikts darin sieht, dass manche sacramentarii durch zweideutige Ausdrücke Rechtgläubigkeit vortäuschten – etwa durch Behauptung einer wahren Nießung des Leibes Christi, die aber als geistliche und somit (aus dieser Sicht) nur symbolisch gemeint sei.106 Dazu passt etwa ein Zitat Amsdorfs, der gegen eine nur angeblich wahrhaftige geistliche Nießung die Nießung des natürlichen Leibes hervorhebt.107 Wie das für Timann zur Berufung auf Straßburger Theologen passt, erschließt sich aus den von ihm herangezogenen anti-interimistischen Bekenntnissen: Dass aus Timanns Sicht die Magdeburger Verketzerung der „Zwinglischen Sect“, die eine leibliche, wahrhaftige und wesentliche Anwesenheit Christi ablehne,108 die Hamburger Betonung der substantialen Präsenz109 und das Straßburger exhibitive Verständnis110 übereinstimmen, ist genau dann sinnvoll, wenn er die Straßburger Lehre als Bekehrung von der Zürcher Position zur eigenen Ansicht einer leiblichen Präsenz liest – das entspräche Luthers Deutung zur Zeit der Wittenberger Konkordie und wäre insofern auch mit Timanns Berufung auf die Reichsreligionsgespräche kongruent.111 Der christologische Abschnitt „Quod Christi corpus ubique sit, eo, quod uerbo caro factum est. Et quod sedet ad dexteram Patris“112 sollte in einer späteren Streitphase wichtig werden, da die These eines ubique befindlichen Leibes Christi von den Streitgegnern sowie von Melanchthon angegriffen wurde und 104 Die Überschrift lautet aaO., 314: „De Svbstantia sacramenti Coenae Domini, quod scilicet panis sit uerum corpus Christi, quod uinum sit uerus sanguis Christi omnibus discipulis Christi ea sumentibus. Discipulos autem Christi uocamus eos, qui per Euangelium docti, confitentur uel confiteri uidentur Christum, et ea quae sunt Christi, quales quales sint coram Deo, qui solus ueros discipulos a falsis, dum latent, nouit discernere.“ 105 Vgl. o. Kap. III.2.4a und III.2.4b; dort auch zum Hintergrund dieser Wahrnehmung. 106 TIMANN, Farrago, 150: „nonnulli astuti Sacramentarij, ut sint extra suspicionem erroris, ambigue, et fucatis uerbis de Eucharistia loquuntur. Verbis quidem nobiscum fatentur in Coena uere manducari corpus Christi, uere bibi sanguinem illius, sed suo, id est, prauo et peruersu intellectu, symbolica tantum et spirituali manducatione, quae fide duntaxat fit, per uerbum, et non etiam ore, per panem, siue cum pane. Ad haec, dissimulato seu occultato suo errore, sancta specie, et speciosis uerbis, in genere uocant Coenam Domini Sacramentum corporis et sanguinis Domini, sed iuxta occultam suam glossam, signum uacuum intelligentes, absentis et non praesentis corporis et sanguinis Domini.“ 107 Vgl. aaO., 350. 108 Vgl. aaO., 418 f. 109 Vgl. aaO., 419 f. 110 Vgl. aaO., 420. 111 Zu Luthers damaliger Perspektive vgl. o. Kap. II.3.4. 112 TIMANN, Farrago, 225.

294

IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

dies zu christologischen Reflexionen auf Westphals Seite führte.113 Bei Timann sind damit aber keine dogmatisch originellen Gedanken verbunden.114 Der Schwerpunkt liegt nicht auf dem ubique (für das er unter anderem Luther und Brenz zitiert115), sondern gemäß dem zweiten Teil der Überschrift auf Aussagen zu Personeinheit und Himmelfahrt.116 Gegenüber Westphal, der kritisch angemerkt hatte, er selbst habe nach Luthers Vorbild die Frage des ubique so wenig wie möglich behandelt und versucht, sich nicht auf Details der Zweinaturenlehre einzulassen,117 betont Timann das explizit: Er wolle lediglich die Einheit der Person Christi belegen und sich so gegen das gegnerische Argument wenden, ein Leib könne nicht an mehreren Orten zugleich sein.118 Für Timann spezifisch und besonders wichtig ist schließlich die Lehre vom kirchlichen Amt: Dass die Gegenpartei (seiner Deutung zufolge) die Sakramente nicht als Heilsmittel versteht, gefährdet Timann zufolge nicht nur den Trost für die Gläubigen,119 sondern auch die Autorität des Predigtamtes, da die Amtsinhaber dann kein Heil austeilten. Für Timann sind die Amtsinhaber der rechten Kirche Prediger der Wahrheit; daher können die Gegner Gläubige nur zu ihrer Lehre ziehen, wenn sie die Glaubwürdigkeit des Amts untergraben.120 113

Vgl. u. Kap. V.1.2. Beide Aspekte arbeitet MAHLMANN, Das neue Dogma, 44–50, zu Recht heraus, allerdings verbunden mit der These, die Christologie sei übergeordnetes Ziel der Argumentation von Timanns Schrift. Dies begründet er damit, dass die Überschrift dieses Teils grammatisch nur zusammen mit dem Titel „Farrago sententiarum consentientium“ verständlich sei – das ist aber problematisch: Für eine These ist die Formulierung im Konjunktiv nicht ungewöhnlich; zudem funktioniert die Kombination bei Heranziehung des vollständigen Titels nicht. 115 Vgl. TIMANN, Farrago, 225–233. 116 Vgl. für ersteres z.B. 239 f. (Cruciger); für letzteres 261 f. (Brenz). 117 Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 191: „parce attigi disputationem, quod corpus Christi ubique sit. Nusquam magis tumultuati sunt aduersus Praeceptorem nostrum D. Lutherum, nusquam gloriosius iactauerunt suos triumphos, quam in physico argumento urgendo, sumpto a proprietate corporum, quae non possint esse ubique. Ego oppono, quod et illum feciss[…] uideo errorem infringentes, et quod longe ualidissimum simplicissimumque est, minusquam remoratur non ita acutos et armatos in difficilioribus istis quaestionibus de unitate personae, et proprietate duarum naturarum in Christo.“ 118 Vgl. Timann an Westphal, 13.7.1554, SILLEM I, 173 (Nr. 95). 119 Vgl. bes. TIMANN, Farrago, 34–36. 120 AaO., 6 f.: „Negant efficax esse ministerium Euangelij, quod publice administratur, imo inefficacem et euanidam esse uocem nugantur, quae nihil conferat, ac ne medium quidem uel instrumentum Spiritus sancti esse, per quod agat et operetur. Quo fit, ut coetus Ecclesiarum bene constitutarum deserant, aliosque inde absterrebant et abducant uituperatis Euangelij ministris […]. Norunt enim uersipelles isti, qui pessimae suae causae parum fidunt, non posse fieri, ut sibi homines adiungant, nisi prius praedicatores ueritatis, auditoribus suis suspectos reddant, ac praeiudicijs suis prauis, illis fidem adimant. Ad haec improbant, in Coena Domini sacratissima, manibus distribui pane et uino, oreque corporeo ab omnibus sumentisbus edi et bibi, uerum et uiuum corpus et uerum sanguinem Christi, adeoque plane negant praesentiam corporis et sanguinis Domini in Coena.“ 114

1.2 Timanns Farrago

295

Diese für Timann typische121 Identifikation von kirchlichem Amt und rechter Lehre passt zu seinem Verständnis normativer Autorität der Kirche als Instititution und erklärt, warum für ihn die Infragestellung einer Heilsvermittlung durch das kirchliche Amt per se eine mit Karlstadt und Täufern assoziierte Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt.122 Von dieser Wahrnehmung der gegnerischen Lehre als Gefahr für Predigtamt und öffentliche Ordnung her ist es konsequent, dass Timann die Farrago mit Testimonien beendet, in denen die Pflicht von Obrigkeit und Predigern zur Bekämpfung der Ketzerei hervorgehoben wird.123 Neben Aussagen Luthers und anderer Autoren des Ersten Abendmahlsstreits124 finden sich hier auch ein Zitat aus Westphals Farrago125 sowie die von Micron angegriffene Aussage aus der Recta fides, die Blasphemie der Gegner solle obrigkeitlich bekämpft werden126 (wovon Westphal in einem bei Timann abgedruckten Brief berichtet127). Auch wenn die Assoziation abendmahlstheologischer Gegner mit Aufruhr schon bei Luther vorgebildet ist128 und sich ähnlich in Albers 1553 entstandenem Text findet,129 spricht dies dafür, dass die Forderung nach obrigkeitlichem Eingreifen jedenfalls auch der Auseinandersetzung mit den Flüchtlingen geschuldet ist, deren Auftreten Westphals Seite als Bedrohung für die Stabilität der eigenen Kirche empfunden hatte. Auch für Westphals Texte dieser Zeit war die Debatte mit den Flüchtlingen ein wichtiger Hintergrund.

121 Anneliese Sprengler Ruppenthal bemerkt, dass „Timann in der Bremer KO [i.e. Kirchenordnung, C.E.] auf sehr eigenwillige Art eine völlig am Predigtamt orientierte Ekklesiologie entworfen hat“ (SPRENGLER-RUPPENTHAL, Joannes Amsterdamus Bremensis, 485). Diese Kirchenordnung „zeigt als erstes auf, worauf das Reich Christi steht, nämlich auf dem auswendigen Predigtamt […] Das Predigtamt beruht also auf göttlicher Stiftung. Keine christliche Gemeinde kann ohne das Predigtamt ausdauern“ (DIES., Untersuchungen zur Bremer Kirchenordnung von 1534, in: ZRG 114 Kan. Abt. 83 (1997), 449–528, hier 464). 122 TIMANN, Farrago, 30 f.: „Cum autem Deus uoluerit ministerium Euangelij esse publicum, idque ab omnibus fideliter ornari et conseruari, tertio praecepto, seuerissime praeceperit: non dubium est, grauiter offendi Deum contumacia illorum, qui coetus Ecclesiarum, qua recte constitutae sunt, deserunt, et alios, ut relinquant, sollicitant. […] Notae sunt fanaticae opiniones illorum, qui purioris doctrinae possessionem sibi sumebant. Hi enim neglecto ministerio, quod Deus in sua Ecclesia esse uoluit, abdebant se in angulos […], eoque modo expectabant promissionem spiritus […] nota sunt exempla in ijs locis, ubi Muntzerus, Carolostadius, Storchus et alij fanatici homines docuerunt, ac maior pars postea ad Anabaptistas, nihilo illis saniores, transierunt.“ 123 Vgl. aaO., 515–601. 124 Vgl. aaO., 515–522. 125 Vgl. aaO., 528–530. 126 Vgl. aaO., 555 = WESTPHAL, Recta fides, H6r; zur Rolle des Zitats im Hamburger Konflikt zwischen Westphal und Micron s.o. Exkurs A.3b. 127 Vgl. Westphal an Jakob Bording, Juni 1554, in: TIMANN, Farrago, 198–202. 128 Vgl. etwa TIMANN, Farrago, 542. 129 Vgl. o. Kap. III.2.4b.

296

IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

1.3 Westphals Autoritätenkampagne 1.3 Westphals Autoritätenkampagne

Westphal stellte 1554 drei Beiträge zum Abendmahlsstreit fertig, die bis 1555 nach und nach veröffentlicht wurden: eine lateinische Übersetzung aus Luthers Schrift Dass diese Worte, die der internationalen Verbreitung dieses aus seiner Sicht autoritativen Textes dienen soll, eine Sammlung mit Testimonien Augustins, die dazu gedacht ist, die gegnerische Berufung auf diesen Kirchenvater zu widerlegen, und eine Sammlung von Zitaten Cyrills, dessen Abendmahlslehre und Christologie Westphal als Beleg für die eigene Auffassung sieht. Damit bindet auch Westphal – teils in Reaktion auf die Debatten mit den Flüchtlingen130 – seine Streitposition an ein Konzept von kirchlich normativem Konsens und an entsprechende kirchliche Autoritäten zurück. Dass die drei Schriften ein Gesamtkonzept bilden, legt sich zum einen angesichts inhaltlicher Verknüpfungen nahe: In der Vorrede zur Lutherübersetzung führt Westphal Cyrill als Zeugen an und fügt eine Überschrift ein, die Luthers Auseinandersetzung mit der gegnerischen Berufung auf Augustin betont.131 In der Augustinsammlung steht Luther als wahrer Prophet gegen gegnerische Falschprophetie132 und Cyrill wird als Autorität hervorgehoben.133 In der Cyrillsammlung wird betont, es sei den Gegnern nie gelungen, Cyrill für ihre Ansicht zu beanspruchen – im Unterschied zu Augustin.134 Zum anderen ist ein Schreiben des Druckers Peter Braubach Indiz für einen Zusammenhang: Dieser sandte Westphal am 26.11.1554 Exemplare eines Werks,135 bei dem es sich um die Lutherübersetzung handeln muss: den einzigen 1554 bei ihm gedruckten Text Westphals.136 Braubach bemerkt, er könne den Druck der später geschickten Schriften wegen Papiermangels nicht versprechen, und bietet an, diese bis zur nächsten Messe zu behalten; falls Westphal das wünsche, könne er sie aber auch sofort zurücksenden.137 Diese Manuskripte müssen die schon im Juni 1554 weitgehend fertige, auf September datierte Augustinsammlung 130

Vgl. u. Kap. IV.1.3b. Vgl. für das Cyrillzitat WESTPHAL, Vera et propria enarratio, 14 f.; für den Augustinbezug aaO., 53. 132 Vgl. WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, A5v–A6r. 133 Vgl. aaO., A4r–A5r; H7v–H8r. 134 Vgl. WESTPHAL, Fides Cyrilli, 55–59. 135 Vgl. Braubach an Westphal, 26.11.1555, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 211 (Nr. 1.1). 136 Vgl. VON SCHADE, Westphal und Braubach, 115. 137 Braubach an Westphal, 26.11.1555, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 211 (Nr. 1.1): „De libellis proxime missis nihil possum vobis polliceri an hoc tempore excudere possim: retinebo nihilominus apud me, si tibi non fuerit molestum, usque ad proximas nundinas, si forte ita usu veniat ut excudantur: sin minus remittam tum temporis, aut citius, si ita voles et per literas significaveris, ad te, bona fide. Laboro iam inopia pappyri quae res etiam in cusa est, cur quam maxime cupio imprimere non possum.“ 131

1.3 Westphals Autoritätenkampagne

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und die auf August 1554 datierte Cyrillsammlung sein, die beide dann im Jahr 1555 erschienen:138 Alle anderen Schriften Westphals nach 1553 reagieren auf Werke, die im November 1554 noch nicht veröffentlicht waren. Braubachs Aussagen lassen vermuten, dass Westphal sich ursprünglich eine Veröffentlichung aller drei Werke im Herbst 1554 vorgestellt hatte. a) Bemühen um internationale Verbreitung von Luthers Abendmahlsschriften: Westphals Vera et propria enarratio Westphals lateinische Übersetzung diverser Passagen aus Luthers Schrift Dass diese Worte, die Vera et propria enarratio,139 ist aufschlussreich für Westphals Bewertung Luthers als reformatorisch normativer Autorität und für seine Sicht auf den Einfluss der gegnerischen Lehre in anderen Ländern Europas. Zudem lenkt Westphal das Augenmerk der Leser gezielt auf Passagen, die sich im Sinne seiner Streitposition beanspruchen lassen. Die Datierung im Verhältnis zu Westphals anderen Sammlungen ist unsicher; Braubach gibt aber bei seiner Übersendung erster Druckexemplare am 26.11.1554 zu erkennen, dass Westphal diese Schrift eher an ihn gesandt hatte als die beiden anderen.140 Wie Timann und Gallus nennt Westphal als Anlass seiner Veröffentlichung die Wahrnehmung, die gegnerische Lehre breite sich aus.141 In diesem Text hebt er jedoch (anders als im Gespräch mit Timann) weniger die Entwicklung im eigenen Umfeld hervor als diejenige in anderen Ländern Europas: „Haeresis tollens ex Eucharistia corpus et sanguinem Domini prae alijs infestat et inficit, exteros populos in ijs regionibus, in quibus fere fautores falsi dogmatis funguntur tam ciuili quam ecclesiastica administratione, et sibi studio habent, placita sua propagare et in eam persuasionem alios inducere, […] non aliter quam si cum indubitata ueritate, et fide catholica per omnia consentiat. Nemo ibi uel uoce uiua pro concione, uel scriptis malo resistit, nec facile cuiquam permittitur, ut quod recte pieque sentiat, palam profiteri, et quod sanae doctrinae aduersetur, redarguere audeat impune. […] Pauca extant latine scripta, quae fideles Ecclesiae custodes opposuerunt ad cohibendum errorem cum emergeret et dilataret se primum. Libri uulgati in latina lingua non multi ex Germania perueniunt ad exteros, iamque ante tot annos diuenditi ne quidem reperiuntur uenales. […] Bona pars librorum in hoc genere prodijt Germanico idiomate conscripta pro Ecclesijs Germaniae, ut omnibus suppeteret

138 VON SCHADE, Westphal und Braubach, 115, meint, es habe sich nur um die Augustinsammlung gehandelt – dafür, dass die Cyrillsammlung hier auch einbezogen ist, spricht m.E. die Rede von „libellis“ im Plural (s. das Zitat in der vorigen Anm.). 139 WESTPHAL, JOACHIM (Hg. u. Übers.), VERA ET || PROPRIA ENARRA-||TIO DICTI CHRISTI IOANNIS || VI. Caro non prodest quicquam, etc. || a […] Luthero scripta […] et in sermonem Latinum || per IOACHIMVM Vuest||phalum conversa […], Frankfurt (Main): Peter Braubach 1555, VD16 L 4279. Die Schrift ist kaum erforscht. Allein MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 27–29, bietet eine Wiedergabe wichtiger Aussagen der Vorrede. 140 Vgl. Braubach an Westphal, 26.11.1555, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 211 (Nr. 1.1). 141 Vgl. WESTPHAL, Vera et propria enarratio, 3.

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IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

copia legendi et praemuniendi se, ne uicina contagia laederent, Sed ut libri illi gnaris Teutonicae linguae inseruiunt, ita nihil conferunt ignaris.“142

Westphal sieht offenbar die Befürchtung bestätigt, die er, Bruchsal und Alber angesichts der Entwicklung in England, Frankreich und den Niederlanden schon 1552 gehegt hatten und die mit zur Abfassung ihrer ersten Streitschriften geführt hatte:143 Seinen Ausführungen zufolge steht die gegnerische Lehre in diversen nicht deutschsprachigen Ländern in kirchlich normativer Geltung. Dem will Westphal durch seine Übersetzung entgegentreten: Er betont, im Ersten Abendmahlsstreit hätten Luthers Schriften eine weitere Ausbreitung des Irrtums verhindert, Zweifelnde bestärkt und viele inter Sacramentarios bei der rechten Lehre erhalten oder zur Rückkehr zur wahren Kirche bewegt. So könne die Übersetzung dieser Texte auch jetzt dafür sorgen, dass Prediger und Obrigkeiten Abstand von ihren falschen Überzeugungen nähmen.144 Hinter dem Plan, durch eine Lutherübersetzung die Ausbreitung der gegnerischen Lehre zu bekämpfen, steht ein spezifisches Verständnis der Autorität Luthers: Hatten schon Timann und Gallus Luthers Schriften absolute kirchlich normative Geltung zugeschrieben,145 widerlegt auch nach Westphals Auffassung Luther die Argumente der Sacramentarii so effektiv, dass jeder, der beides vergleicht, nur zu dem Schluss kommen kann, dass Luther recht hat. Daher muss man gegen die aktuellen Gegner keine neuen Gedanken entwickeln, sondern nur Luther wiederholen.146 Aus dieser Perspektive (die bereits Westphals Luthersammlung im Adiaphoristischen Streit geprägt hatte147) muss die Evidenz von Luthers Argumenten notwendig dazu führen, dass alle davon überzeugt werden, die sie in einer ihnen vertrauten Sprache lesen können. Daher geht Westphals Partei davon aus, dass Lutherübersetzungen dazu beitragen, das eigene Modell von Reformation als normativ durchzusetzen – daher hatten Bruchsal und Gallus solche Übertragungen gefordert.148 Umgekehrt ist für 142

AaO., 3–5. Vgl. o. Kap. III.2.2b; III.2.4a und III.2.4b. 144 Vgl. WESTPHAL, Vera et propria enarratio, 5 f. 145 Vgl. o. Kap. IV.1.1 und IV.1.2. 146 WESTPHAL, Vera et propria enarratio, 6 f.: „Paralogismos, sophismata et praestigias sacramentariorum perspicue, euidenter, uere, grauiter, et solide dissoluit, refutat, et redarguit, ut praeditus mediocri iudicio, et non negligenti adhibita animaduersione, bis adiutus deprehendat istorum fallacias […]. Speciosißima et neruosißima quaeque argumenta seu potius humanae sapientiae noemata, in quibus Sacramentarij collocant summam uictoriae, collata cum illius claris, firmis, et solidis demonstrationibus plane apparent non dedita opera caecutienti, esse stipulae et ficulnea praesidia. Serutati sunt per annos aliquot omnes indagines, certamine feruente […] nihil admodum relictum est discipulis ad nouam inuentionem, repetunt dictata magistrorum, quanquam uariata et alio habitu uestita […] Labyrinthi omnes reclusi, nodi rescißi sunt a Luthero.“ 147 Vgl. dazu DINGEL, Strukturen der Lutherrezeption, 41–44. 148 Vgl. o. Kap. III.2.2b und IV.1.1. 143

1.3 Westphals Autoritätenkampagne

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Westphal deren Fehlen ein Grund, „cur haeresis ista obtineat ubique apud exteros, ubi lux aliqua uerae doctrinae radios suos spargit, Et cur Sacramentarij ubique extra Ecclesias Germanicas triumphent et obtineant regna.“149 Allerdings stellt sich die Frage, wo Westphal konkret die Zielgruppe seiner Übersetzung verortet: Die von ihm gesehene aktuelle Ausbreitung der gegnerischen Lehre kann sich schwerlich primär auf das Auftreten der Flüchtlinge im Reich und in Dänemark beziehen – dazu stimmen weder der postulierte Einfluss auf die Obrigkeit (Christian III. von Dänemark und die Obrigkeiten der Seestädte hatten sich explizit gegen die Flüchtlinge positioniert150) noch die Beschreibung der Adressaten als exteri populi. Letztere legt eher nahe, dass an die von Bruchsal und Westphal alarmiert betrachtete Entwicklung in England, Frankreich und den Niederlanden zu denken ist. Doch passt auch hier die Beschreibung nicht völlig: Nach der Thronbesteigung Maria Tudors vertrat die Obrigkeit in England im Jahr 1554 nicht mehr die gegnerische Position; in den Niederlanden und Frankreich hatte sie es nie getan. Kirchenpolitischen Einfluss hatte die Gegenpartei 1554 vor allem in den evangelischen Gebieten der Eidgenossenschaft, vielleicht noch in Ostfriesland. Bei diesen mehrheitlich deutschsprachigen Gebieten aber wäre wiederum die Rede von exteri populi ebenso merkwürdig wie die Absicht einer lateinischen Übersetzung, während eine Ausrichtung nur auf französischsprachige Gebiete der Eidgenossenschaft angesichts der von Westphal behaupteten Verbreitung des Phänomens (ubique extra Ecclesias Germanicas) wenig naheliegend erscheint. Dass Westphal der gegnerischen Lehre allgemein außerhalb des deutschen Sprachraums Einfluss zuschreibt, während seine Beschreibung auf kein Land konkret passt, lässt vermuten, dass es eher um die normativen Ansprüche beider Parteien geht als um die Lage in einer bestimmten Region:151 Seit Beginn der Kontroverse sieht Westphals Streitpartei die kirchlich normative Geltung ihrer Lehre nicht nur durch die Theologie der Gegenseite und deren Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation gefährdet, sondern auch durch deren Einfluss in Ländern wie England. Insofern ist es naheliegend, dass Westphal dem einen Anspruch auf international normative Geltung der eigenen und Verdrängung der gegnerischen Position entgegensetzen will. Eine tatsächliche Erreichung dieses Ziels ist zwar nicht sehr realistisch: Schon Braubach bemerkt, der Druck solcher Werke lohne sich finanziell kaum, da erfahrungsgemäß nur wenige Exemplare gedruckt und verkauft würden.152 Das

149

WESTPHAL, Vera et propria enarratio, 8. Vgl. o. Exkurs A. 151 Vgl. zu diesem Aspekt ausführlicher EHLERS, Europäische Dimension. 152 Braubach an Westphal, 26.11.1555, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 211 (Nr. 1.1): „non hoc quaero praecipue huiusmodi scriptis imprimendis ut magnum lucrum faciam, cum non multa exemplaria praelo subijciantur, et si subijciantur non ita statim distrahantur.“ 150

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IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

schließt aber nicht aus, dass die Lutherübersetzung einen entsprechenden normativen Anspruch transportiert – ganz unabhängig davon, ob es sich um rein topische Aussagen handelt (wie sie bei Übersetzungen ins Lateinische in der Rhetorik des 16. Jahrhunderts gängig sind153) und Westphal selbst klar ist, dass die Erreichung des von ihm postulierten Ziels unrealistisch ist, oder ob er diese Frage nicht reflektiert, da er genuin davon überzeugt ist, dass Luthers autoritative Position sich überall durchsetzen muss, wo sie sprachlich zugänglich ist. Im Hauptteil der Schrift bietet Westphal nicht eine vollständige Übertragung von Dass diese Worte, sondern eine Auswahl von Passagen, auf die er sich für seine aktuelle Streitposition berufen kann: Er schreibt, er habe keine Zeit für eine Übersetzung des gesamten Werks gehabt und beschränke sich daher auf Luthers Widerlegung zweier gegnerischer Argumente: der Berufung auf Christi Himmelfahrt und der Bezugnahme auf Joh 6.154 Die Auswahl des Abschnitts zu Joh 6 begründet er damit, dass die Berufung auf diese Stelle ein zentrales Argument der Streitgegner sei, um die wahre Präsenz Christi im Abendmahl zu negieren: Sie verdrehten diese Stelle, setzten sie gegen die Einsetzungsworte und beriefen sich dafür auf die Kirchenväter, anstatt sie wie die Väter gemäß den Einsetzungsworten auszulegen. Luther erweise dies als Missbrauch.155 Auffallend ist, dass diese Aussage auf die aktuellen Gegner nur teilweise passt: War Joh 6 für Luthers Opponenten des Ersten Abendmahlsstreits in der Tat zentral gewesen, ist das zwar etwa bei Bullinger weiterhin der Fall, bei Calvin oder a Lasco aber nicht.156 Insofern dürfte die Auswahl auch damit zu tun haben, dass dieser Abschnitt die geistliche Präsenz Christi behandelt, die Westphal schon in Farrago und Recta fides als besonders problematische, weil scheinbar rechtgläubige Aussage der Gegner identifiziert hatte. Daher betont er, der Begriff caro beziehe sich in Joh 6,63 entgegen der gegnerischen These nicht auf das Fleisch Christi (sondern auf das sündige menschliche Fleisch)157 zählt Luthers Argumente dazu auf158 und übersetzt die Passage.159 Zudem fügt er die Überschrift „De spirituali manducatione“160 in den Text ein: In dem dadurch bezeichneten Abschnitt verteidigt sich Luther gegen den Vorwurf, die Nießung des Abendmahls in seinem Verständnis sei keine geistliche: Nicht das Objekt sei geistlich, sondern der Gebrauch im Glauben (im Unterschied zum fleischlichen). Wo in der Schrift Fleisch und Geist 153

Vgl. zum Phänomen solcher Postulate THURN, NIKOLAUS, Neulatein und Volkssprachen. Beispiele für die Rezeption neusprachlicher Literatur durch die lateinische Dichtung Europas im 15.–16. Jh., München 2012 (Humanistische Bibliothek I/61), 469–474. 154 Vgl. WESTPHAL, Vera et propria enarratio, 8 f.. 155 Vgl. aaO., 9 f. 156 Vgl. u. Kap. IV.3.2a, IV.3.2d und IV.3.2e. 157 Vgl. WESTPHAL, Vera et propria enarratio, 11 f. 158 Vgl. aaO., 10 f. 159 Vgl. aaO., 17–52 [= WA 23, 167,28–205,25]. 160 AaO., 33.

1.3 Westphals Autoritätenkampagne

301

gegenübergestellt würden, sei diese Bedeutung gemeint, nicht Christi menschlicher Leib.161 Westphal hebt also bei Luther genau die Argumente hervor, die er in der Farrago gegen die geistliche Nießung gesetzt hatte.162 Westphal ist bewusst, dass Luthers Argumentation in die Zweinaturenlehre hineinspielt; jedoch geht er (wie gegenüber Timann programmatisch festgehalten163) darauf nicht näher ein: Er betont zwar die Personeinheit als Argument Luthers gegen Zwinglis Alloiosis,164 verweist dafür aber neben Cyrill165 primär auf Luthers zweites Buch (wohl den Sermon von dem Sakrament des Leibs und Bluts Christi wider die Schwarmgeister) und sein großes Bekenntnis, die am besten auch ins Lateinische übersetzt werden sollten.166 Im Anhang seines Werks bietet er einen entsprechenden Auszug aus Vom Abendmahl Christi Bekenntnis – aber bezeichnenderweise eine Passage, die gegen die Alloiosis nicht mit der Zweinaturenlehre, sondern mit den Begriffen Geist und Fleisch operiert: Christus spreche in Joh 3,6 von der neuen Geburt und verdamme die fleischliche alte. Hier müsse Christi Fleisch unter „Geist“ fallen, da es sich um Gottes gute Kreatur handle, nicht wie in Joh 3,6 um den alten Adam.167 Eine Passage, die Westphal mit den Worten einleitet: „Refutat D. Lutherus duas blasphemias sacramentariorum, alteram, quod praesentia corporis Christi in Eucharistia sit inutilis, alteram, quod non sit necessaria“168 betont schließlich, es sei Überhebung über Gott, einen Glaubensartikel wie die Präsenz des Leibes Christi im Abendmahl darum abzulehnen, weil er der Vernunft widerspreche.169 Vermutlich sieht Westphal darin das eingangs angekündigte Argument gegen die gegnerische Heranziehung von Christi Himmelfahrt, gegen die er auch sonst unter diesem Aspekt argumentiert170 – ein Abschnitt, in dem es speziell um die Himmelfahrt ginge, findet sich nicht. Auch das entspricht seiner Absicht, sich nicht auf christologische Detailfragen einzulassen. Ein weiterer Grund für die Auswahl dieses Abschnitts könnte darin liegen, dass Luther in dieser Passage Obrigkeiten vor seinen Streitgegnern warnt, da diese den

161

Vgl. aaO., 33–52 [= WA 23, 183,34–205,25]. Vgl. o. Kap. III.2.4a. 163 Vgl. o. Kap. IV.1.2. 164 Vgl. WESTPHAL, Vera et propria enarratio, 12; zu Luthers und Zwinglis Thesen und ihrem jeweiligen theologischen Anliegen o. Kap. II.2.2a und II.2.2b. 165 Vgl. WESTPHAL, Vera et propria enarratio, 14; aaO., 14 f. folgen Stellen aus Cyrills Auslegung von Joh 14–16. 166 AaO., 15: „Propter perniciosae imposturas pseudoprophetarum tam opus est legi latine hanc partem in altero et in postremo libro magnae confeßionis de Eucharistia, ubi plenius totam disputationem tractat de Alloeosi et coniunctione idiomatum.“ 167 Vgl. aaO., 77–79 = LUTHER, Vom Abendmahl Christi Bekenntnis, WA 26, 349,35– 352,35. 168 WESTPHAL, Vera et propria enarratio, 55. 169 Vgl. aaO., 55–76 = LUTHER, Dass diese Worte, WA 23, 247,26–269,18. 170 Vgl. o. Kap. III.2.4c. 162

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IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

gleichen aufrührerischen Geist hätten wie Müntzer.171 Dies passt zu Westphals Absicht, Obrigkeiten gegen die gegnerische Lehre einzunehmen. Ebenso entspricht es seiner Wahrnehmung der Flüchtlinge172 – falls die Übersetzung nach dem Konflikt mit ihnen entstand, könnte der Abschnitt vor diesem Hintergrund bewusst ausgewählt sein. Eindeutiger ist der Bezug auf die mit ihnen geführten Debatten bei Westphals zweiter Sammlung, den Collectanea Augustini. b) Widerlegung der gegnerischen Berufung auf Augustin: Westphals Collectanea Augustini Die Collectanea sententiarum divi Avrelii Avgvstini Episcopi Hipponensis de Coena Domini sind Westphals umfassendste Testimoniensammlung.173 Dass er anhand dieses Kirchenvaters so eingehend sein Verständnis von kirchlichem Konsens entwickelt, hat zum einen damit zu tun, dass sich die Flüchtlinge in Hamburg auf Augustin berufen hatten, zum anderen damit, dass der Rückbezug auf diesen Kirchenvater für Westphals eigenes reformatorisches Selbstverständnis zentral war.174 Daher befürchtete er, die Berufung auf Augustin könnte die gegnerische Lehre als rechtgläubig erscheinen lassen. Die Augustinsammlung wurde von der Gegenpartei stärker rezipiert und infolgedessen in der Forschung stärker berücksichtigt als andere Testimoniensammlungen.175 Wann die Sammlung entstand, ist nicht ganz klar: Westphal hatte sie im Juni 1554 an Timann gesandt und auch der Widmungsbrief ist ursprünglich auf diesen Zeitpunkt datiert.176 In der endgültigen Version dagegen trägt die Widmung das Datum September 1554.177 Gedruckt wurde das Werk erst 1555 in Regensburg (vielleicht vermittelt durch Westphals Mitstreiter, den dortigen Superintendenten Gallus), da ein Druck bei Braubach nicht möglich war.178

171 Vgl. WESTPHAL, Vera et propria enarratio, 57 = LUTHER, Dass diese Worte, WA 23, 249; WESTPHAL, Vera et propria enarratio, 70 = LUTHER, Dass diese Worte, WA 23, 263. 172 Vgl. o. Exkurs A.3a und A.3b. 173 WESTPHAL, JOACHIM (Hg.), COLLECTA=||NEA SENTENTIA=||RVM DIVI AVRELII AVGVSTINI || Episcopi Hipponensis de Coena Domini. || Addita est confutatio uindicans à corruptelis ple=||rosq; locos, quos pro se ex Augustino falsó citant || Sacramentarij. || […], Regensburg: Hans Kohl 1555, VD16 A 4170. 174 Das wird an einer anderen Sammlung von Testimonien Augustins deutlich, die er 1554 veröffentlichte: WESTPHAL, JOACHIM (Hg.), SAPIENTER || ET PIE DICTA EXCERP=||ta ex scriptis diui Aurelij Au=||gustini Episcopi Hip=||ponensis. || […] Magdeburg: Michael Lotther 1554, VD16 A 4168. Dieses Werk enthält keine Anspielungen auf den Abendmahlsstreit, sondern stellt augustinische Spruchweisheiten über das christliche Leben zusammen. 175 Vgl. besonders JANSE, Westphalʼs Sacramentology; MAHLMANN, Das neue Dogma, 27–43 passim; TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 197 f. 176 Vgl. o. Kap. IV.1.2; Westphal an Bording, Juni 1554, in: TIMANN, Farrago, 198–213. 177 WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, A7r. 178 Vgl. zu letzterem o. die Einleitung zu Kap. IV.1.3.

1.3 Westphals Autoritätenkampagne

303

Hatte Westphal schon Timann gegenüber die Augustinsammlung in die Debatten mit den Flüchtlingen eingeordnet und betont, dass sie deren Berufung auf Augustin widerlegen solle,179 wird dies in der Widmung an den Rostocker Medizinprofessor Jakob Bording180 näher ausgeführt: Westphal berichtet vom Hamburger Ratsmandat gegen die Flüchtlinge sowie vom Edikt des dänischen Königs und lobt beides als Maßnahmen gegen Versuche der Gegner, sich in den Seestädten auszubreiten und die Saxonicae ecclesiae mit ihrer Lehre anzustecken.181 Gegen Microns Vorwurf der Tyrannei182 verteidigt er die Forderung nach obrigkeitlicher Ketzerbekämpfung als bei Blasphemie angemessen183 und betont die Pflicht von Rat und Predigern zu einem solchen Vorgehen.184 Die Widmung an Bording, den er aus dessen Hamburger Zeit kennt,185 soll wohl ein entsprechendes Vorgehen anderer Seestädte befördern. In der Augustinsammlung wird deutlich, dass auch bei Westphal die Konzentration auf Testimoniensammlungen mit der – mit Micron geführten – Debatte über reformatorisch legitime Instanzen der Wahrheitsfindung zu tun hat. Das leuchtet nicht nur insofern ein, als dieser Themenkomplex im Konflikt mit den Flüchtlingen erstmals explizit debattiert worden war, sondern auch, weil damit Westphals Befürchtung neue Nahrung erhielt, die gegnerische Lehre könnte als reformatorisch rechtgläubig erscheinen:186 Micron hatte in Hamburg seine Forderung nach Disputationen auf Basis der Schrift als reformatorisch einzig angemessen dargestellt und Westphals normative Bewertung der Wittenberger Tradition als quasi-papistische Überhöhung menschlicher Autorität abgelehnt.187 Entsprechend verteidigt Westphal nun sein Modell von kirchlichem Konsens: Gegen den prophetischen Anspruch der Gegner bringt er (wie in der Farrago) vor, ihre differierenden Interpretationen der Einsetzungsworte 179 Westphal an Timann, 11.6.1554, in: TIMANN, Farrago, 186–197, hier 190: „Mitto autem uicissim tuae prudentiae dijudicandum et corrigendum meum scriptum, in quo collegi sententias D. Augustini, quem produco multis clarissimis testimonijs nostram sententiam communientem et uindicantem a corruptelis, quibus nonnulla eius dicta falsarij deprauare, et in suas partes pertrahere solent.“ 180 Zu seiner Person vgl. SILLEM I, 170. 181 Vgl. WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, A2r. 182 Vgl. o. Exkurs A.3b. 183 WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, A3r: „Scripsi in meo libello de coena Domini edito ante annum, dignas esse istas blasphemias, quibus diffluunt Sacramentarij, quae potius Sceptro Magistratus, quam stylo refutentur. Propter hoc dictum Monachus quidam insigniter impudens in quadam celebri urbe me arguit Tyrannidis. Atqui si tyrannis est, admonere Magistratum de coercendis blasphemis, tyrannicum etiam fuerit, edicere ne quis blasphemet, et poenis coercere blasphemos.“ Zu Westphals Blasphemievorwurf gegen die Flüchtlinge vgl. o. Kap. III.2.4c. 184 Vgl. WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, A2r–A3v. 185 Vgl. aaO., A6v–A7r. 186 Vgl. zu dieser Befürchtung o. Kap. III.2.4a. 187 Vgl. o. Exkurs A.3b.

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IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

erwiesen sie als Falschpropheten, und wirft ihnen (wie den Flüchtlingen in Hamburg) vor, befriedete Kirchen in Unruhe zu versetzen.188 Für Westphal sind Disputationen nicht ein Mittel, um festzustellen, welche Position schriftgemäß ist, sondern eine illegitime Infragestellung der Wittenberger Tradition, die für ihn per se Schriftgemäßheit garantiert: Er betont, die Ecclesiae Saxonicae hörten ihre eigenen Propheten, nicht fremde. Es bliebe keine Lehre sicher, wenn erlaubt würde, jede in Zweifel zu ziehen. Die von Gott gesandten Propheten (gemeint sind Luther und seine Parteigänger) hätten seit 26 Jahren erwiesen, dass ihre Lehre schriftgemäß sei, die gegnerische nicht.189 Faktisch geht also auch Westphal – wenngleich er nicht so explizit wie Timann eine normative Autorität der eigenen Kirche als Institution postuliert – davon aus, dass die Wittenberger Reformation und ihre Lehrer per se die reformatorisch rechtgläubige Position vertreten. Die Autorität dieser Größen wird zwar an die Schrift zurückgebunden, aber faktisch ist nicht denkbar, dass ihre Lehre nicht schriftgemäß sein könnte. Diese kirchlich normative Stellung von Festlegungen der Wittenberger Tradition zeigt sich auch, wenn Westphal sich in Auseinandersetzung mit dem von Micron in Hamburg vorgebrachten Argument, seine Sakramentslehre sei von keinem Generalkonzil verurteilt worden,190 nicht nur darauf beruft, dass die Alte Kirche Häretiker auch ohne Konzilsbeschluss bekämpft habe,191 sondern auch meint: „recipiunt ne tot Ecclesiarum consensum pro magnae alicuius Synodi cognitione, et certa ac infallibili sententia? Quod si non audiunt tot Ecclesias Christi, si non recipiunt tot uiros doctos iudices, quos ipsi nonnumquam praedicant esse organa Dei, si consensum illorum non amplectuntur, quid facient, etiamsi aliquando conueniat generale Concilium et contra ueteratum errorem definiat?“192

Für diesen kirchlichen Konsens in der Verurteilung der gegnerischen Lehre führt er den Schmalkaldener Konvent, die Confessio Virtembergica und die Confessio Augustana an – beansprucht also für diese Festlegungen der Witttenberger Reformation eben die normative Geltung, die Micron bestritten 188 Vgl. WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, A5r. Zur Farrago vgl. o. Kap. III.2.4a; zur Debatte mit den Flüchtlingen o. Exkurs A.3b. 189 WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, A5v–A6r: „Paulus iubet audire Prophetas, quos Deus dat in unaquaque Ecclesia, audiunt Ecclesiae Saxonicae suos Prophetas interpretes et pastores, alienos non audiunt, qui offerunt suas imposturas et corruptelas aliunde accurrentes, et spargentes maligni illius zizania. Quae relinquetur doctrina inuiolata et certa, quae non trahetur in dubium et disputationem, si audiendae sunt nouae opiniones et delyria, quoties phanatici discurrunt huc illuc, et ueniunt in nomine Prophetarum? […] Interpretationem suam congruere cum scriptis Euangelistarum et Pauli, contradicentium dissentire et repugnare, Prophetae missi a Deo et preclare instructi dono interpretationis ab annis amplius uiginti sex defenderunt.“ 190 Vgl. o. Exkurs A.3d. 191 Vgl. WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, A3v–A4r. 192 AaO., A4r.

1.3 Westphals Autoritätenkampagne

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hatte.193 Zudem bezieht er den Konzilsbeschluss gegen Berengar und die unter Vorsitz Cyrills zustande gekommene Verurteilung des Nestorius auf die aktuellen Gegner:194 ein Hinweis auf den Hintergrund seiner Cyrillsammlung.195 Dass die von ihm selbst und von Autoritäten der Wittenberger Reformation vertretene Position tatsächlich den universalkirchlichen Konsens darstellt, will Westphal gegen Micron (der eben das bestritten hatte) durch Rückführung seiner Lehre auf Augustin und die Alte Kirche belegen.196 Wohl um sich gegen den von Micron erhobenen Vorwurf der Überbewertung menschlicher Autorität abzusichern, betont Westphal, die Lehre habe sich zwar im Laufe der Zeit von der apostolischen Reinheit entfernt, aber im Wesentlichen sei der Konsens erhalten geblieben. Daher sei jede Lehre suspekt, die dem Konsens der Väter widerspreche – das werde auch von den Gegnern anerkannt, wenn sie sich auf die Väter beriefen.197 Vor diesem Hintergrund leuchtet auch ein, dass Westphal gerade Zitate Augustins zusammenstellt: Auf Augustin hatten sich in der Hamburger Debatte beide Seiten berufen.198 Insofern kann die Gegenseite seine Heranziehung als kirchliche Autorität nicht prinzipiell in Frage stellen. Zugleich will Westphal die gegnerische Berufung auf Augustin widerlegen, zumal angesichts der zentralen Bedeutung dieses Kirchenvaters für die Wittenberger Reformation: Um zu verhindern, dass andere durch den Rekurs auf Augustin von der Rechtgläubigkeit der gegnerischen Lehre überzeugt würden, wolle er dessen wahre Auffassung deutlich machen. Die Gegner könnten für ihre Ansicht nur einige mutilatae sententiae heranziehen; bei Lektüre des ganzen Werks ergebe sich ein anderes Bild.199 Entsprechend gliedert Westphal die 193

Vgl. aaO., A4r–A4v. Da Westphal die Texte nicht zitiert; ist unklar, ob die CA variata oder invariata gemeint ist. Zur Debatte mit Micron vgl. o. Exkurs A.3d. 194 Vgl. WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, A4v–A5r. 195 Vgl. u. Kap. IV.1.3c. 196 Vgl. WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, A6r. 197 AaO., A7v–A8r: „Etsi doctrina Christiana eo magis recessit a sua puritate, quo longius post Apostolorum aetatem annorum series procedit, et multa scripta ueterum Episcoporum interciderunt, tamen in praecipuis partibus integra permansit, et testimonia non obscura sunt conseruata, unde liquido constat, qui uetus Ecclesia senserit. Retinet enim semper Ecclesia catholica fundamentum doctrinae de articulis fidei et signis gratiae, et de his in summa consentit. Merito suspecta habentur dogmata, et tanquam falsa reijciuntur, quibus uel nulla patrocinantur suffragia antiquitatis, uel magno consensu eadem illa aduersantur. Cum igitur antiquorum testimonia magnum habeant authoritatis pondus in dissensionibus Ecclesiasticis, et a nostra parce in controuersia Coenae Domini opponi solebant Zuinglij sectatoribus, citant illi quoque priscos scriptores testes pro suo errore stabiliendo.“ 198 Vgl. o. Exkurs A.3d. 199 WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, A8v–B1r: „Zuinglij […] proferunt quasdam mutilatas sententias, quae prima fronte non inspectis alijs locis, idem plane uidentur sonare, quod isti contentiose astruunt, alia dicta perspicua, certa et firma praetereunt coedores talpis, ita concinnant incautis dolos, ut persuadeant, Augustinum ubique cum illis sentire, dissentire uero nusquam, […]. Fortasse rei huius fecerint fidem ignaris, qui nullos uel paucos

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IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

Sammlung in Belege dafür, dass Augustin die eigene Abendmahlslehre stütze, und Augustinstellen, die von den Gegnern zu Unrecht herangezogen würden.200 Dabei verbindet er die Interpretation fortlaufend mit den Zitaten. Die grundsätzliche Schwierigkeit bei Westphals Bemühungen, Augustin für die eigene Streitposition ins Feld zu führen, liegt in dem Umstand, dass für Augustin Zeichencharakter des Abendmahls und wahre Präsenz Christi keine Alternative darstellten – dass beides sich widersprechen könnte, war in seiner zeitgenössischen Situation gar nicht im Blick,201 während Westphal nun beides gegeneinander setzt. So führt er positiv für die eigene Lehre vor allem Stellen an, an denen Augustin von Empfang oder Austeilung des Leibes und Blutes Christi an die Kommunikanten spricht.202 Dabei setzt Westphal voraus, dass Leib und Blut Christi nur in seinem Verständnis wahrhaft im Abendmahl gegenwärtig, der gegnerischen Auffassung zufolge hingegen abwesend seien:203 Unter dieser Voraussetzung kann er Augustinstellen für sich beanspruchen, welche die Art der Gegenwart nicht reflektieren, da dieser Aspekt nicht im Horizont der damaligen Debatte liegt (während die Gegenpartei anführen kann, Augustin vertrete eine wahre Gegenwart Christi in ihrem Sinne; der zugleich behauptete Symbolcharakter der Zeichen lasse keinen anderen Schluss zu). Ebenso zieht Westphal Augustin gegen die gegnerische Ansicht heran, die innerreformatorischen Lehrunterschiede rechtfertigten keine Kirchentrennung: libros Augustini euoluerunt, uel negligenter legerunt in transcursu, alios non facile induxerint in eam persuasionem, qui attente totum legendo considerauerint, quae per omnia sibi congruens et concordans sententia in scriptis eius expressa reperiatur. Haec ut non cuiuis et in promptu esset, conscripsi ex toto Augustino praecipuas sententias, quibus perspicue adfirmatur, Corpus et Sanguinem Christi dispensari et sumi in Sacramento Eucharistiae.“ 200 Vgl. aaO., B1v. Der erste Teil aaO., B2r–C8v; der zweite aaO., C8v–H6r. TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 197 f., geht – ohne Seitenangaben – von einer Dreiteilung des Werks aus, wobei er offenbar die christologische Argumentation („the refutation of the objection that the nature of material bodies is opposed to ubiquity“) als eigenen Teil rechnet. 201 Zur Verschränkung beider Aspekte bei Augustin vgl. überblicksweise BRIGHT, PAMELA, C.II.9. Ekklesiologie und Sakramentenlehre, in: Volker Henning Drecoll (Hg.), Augustin Handbuch, Tübingen 2007, 506–518, hier 516. Dass es zentral dieser Umstand ist, der die Umstrittenheit Augustins in späteren Abendmahlsdebatten bedingt, arbeitet LEPPIN, VOLKER, Theologie im Mittelalter, Leipzig 2007 (KGE I/11), 45, prägnant heraus. 202 Vgl. aaO., B2r–C3v; C3r–C3v werden Begriffe Augustins aufgelistet, die Westphal zufolge „distributionem […] et participationem Dominici corporis et sanguinis“ anzeigen (u.a. „accipere corpus et sanguinem“, „cibum sanctum manducare“). 203 Besonders deutlich wird dies aaO., C2r: „Clare et expresse Augustinus definit, quid sit Sacramentum Eucharistiae, quis cibus ille et potus, qui distribuitur de mensa Domini, et a communicantibus sumitur in hoc sacro conuicio. Coenam Eucharisticam uocat Sacramentum Corporis et Sanguinis Christi propter praesentiam et dispensationem, non propter significationem, aut sola symbola absentis corporis et sanguinis pane et uino umbratice repraesentati. Quod aliquoties Corporis et Sanguinis dicit Sacramentum, alias frequenter appellat ipsum Christi Corpus et Sanguinem.“ Zu Westphals Deutung der gegnerischen Lehre als rein symbolischer Abendmahlsauffassung s.o. Kap. III.2.4a und III.2.4c.

1.3 Westphals Autoritätenkampagne

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Es handle sich nicht, wie die Gegner behaupteten, um eine Debatte allein über die äußeren Zeichen, deretwegen man nicht die Kirche zertrennen müsse, sondern um eine Kontroverse über die Einsetzungsworte.204 Augustin mache deutlich, dass es sich nicht um einen bloßen Brauch der Kirche handle, sondern um ein Essen des Leibes und Trinken des Blutes Christi.205 Auch hier wird den Gegnern ein rein symbolisches Verständnis des Abendmahls unterstellt, Augustin dagegen angeführt und (wie in der Farrago) die Suspendierung des Streits als Geringschätzung des Sakraments aufgefasst.206 Sakramentsverachtung soll wohl auch belegt werden, wenn Westphal das von Bruchsal beigebrachte207 Argument aufgreift, dass Calvin die Seligkeit ungetaufter Kinder von gläubigen Eltern vertritt. Diese These ordnet Westphal Täufern und Donatisten zu und setzt Augustins Begründung für die Notwendigkeit der Taufe dagegen208 – hier kann er eindeutiger als beim Abendmahl eine Ablehnung der gegnerischen Lehre durch Augustin namhaft machen. Als von den Gegnern beanspruchte Aussagen Augustins führt Westphal Zitate an, in denen etwa von „corporis et sanguinis sui figura“ die Rede ist.209 Daraus leitet er drei Missbräuche ab, deren Zurückführung auf Augustin er widerlegen will: die Annahme eines tropus in den Einsetzungsworten, die Behauptung einer spiritualis manducatio des Leibes Christi im Abendmahl und die Bestreitung leiblicher Präsenz unter Berufung auf Christi leibliche Himmelfahrt.210 Zum tropus betont er, Augustin spreche zwar beim Abendmahl von Zeichen, aber in anderem Sinne als die Gegner: als Zeichen für das tatsächlich Gegenwärtige, nicht für das Abwesende211 (wie in der Recta fides geht dies von 204

Vgl. aaO., C4v. Vgl. aaO., C4v–C5r. 206 Vgl. o. Kap. III.2.4a. 207 Vgl. o. Kap. III.2.2b. 208 WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, A8r–A8v: „Vigilantissimus ille praeses solicite excubias egit pro doctrinae puritate, acriter resistit multis haereticis, uarios refutauit errores. Quid ergo indignius? quiue minus ferendum, quam acerrimum oppugnatorem haereticorum, Sacramentaria haeresis authorem, patronum, et defensorem falso allegari, deprauate aliquot eius sententijs citatis? Renouatur hoc tempore error Donatistarum. Anabaptistae pariter et Sacramentarij negant, infantes natos ex fidelibus parentibus, antequam baptizantur, esse sub potestate Satanae, alienos ab Ecclesia, sed contendunt, ante Baptismum iam esse sanctos et membra ecclesiae, negant in baptismo remitti peccata, et paruulos primum inseri corpori Ecclesiae, cum per baptismum fuerint renati. Hic error communis Sacramentarijs et Anabaptistis, quam plurimis locis ab Augustino est refutatus, ubi scribit, propter damnatam primam nativitatem, ad salutem necessariam esse regenerationem, quae fit per Baptismum, adfirmat in Baptismo remitti peccata, neminem ab originali culpa et damnatione liberari, nisi gratia Baptismi.“ 209 Vgl. WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, C8v–D4v. 210 Vgl. aaO., D4v–D5r211 Vgl. aaO., D5r–E5r, bes. D7v–D8r: „Quanquam autem utitur appellationibus figurae et signi, facit id tamen alio sensu quam Sacramentarij. Etenim ille Domini coenam in uno 205

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IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

einer Auslegung aus, die zwar a Lasco, aber z.B. nicht Calvin vertritt212). Zur für ihn besonders problematischen These der spiritualis manducatio argumentiert Westphal analog zur Lutherübersetzung:213 Augustin spreche von spiritualis manducatio und von Abendmahlsgenuss. Die spiritualis manducatio bezeichne den Glauben an die Erlösung, der vom Sakramentsempfang zu unterscheiden sei – die Gegner vermischten beides, um das Heil allein dem Glauben zuzuschreiben und es den Sakramenten zu nehmen.214 Die Unterscheidung von spiritualis manducatio und Sakramentsgenuss hätte Calvin prinzipiell nicht bestritten. Westphals Aussage ist aber nicht so zu verstehen, als wolle er gegen die als zürcherisch gelesene Auffassung seiner Gegner ein Calvin analoges exhibitives Verständnis vertreten, bei dem Christus allen Kommunikanten das Heil anbietet, es aber nur die Gläubigen empfangen.215 Er betont vielmehr im Unterschied zu Calvin (der eine manducatio impiorum ablehnt), dass sich die leibliche Präsenz zwangsläufig an allen Empfangenden auswirkt und der Glaube bzw. Unglaube dann nur noch determiniert, ob positiv oder negativ: Er hebt hervor, Gläubige und Ungläubige empfingen Leib und Blut Christi, aber nur die Gläubigen deren fructus. Darauf beziehe sich die augustinische Unterscheidung von sacramentum und res sacramenti, die von der Gegenseite fälschlich gegen die manducatio impiorum angeführt werde.216 eodemque significato et sensu uocat figuram et signum, et Sacramentum corporis et sanguinis praesentis, hi uero absentis figuram. Ille appellat item signum tum propter relationem ad res significatas, tum propter speciem apparentem sensibus, nihil praeter formam panis et uiniuisui et gustui exhibentem, editur caro Christi, et bibitur eius sanguis, sed occulto modo secundum fidem intendentem ueritati uerborum Christi“. 212 Vgl. o. Kap. IV.1.2c. 213 WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, E5v–F2r; zur Argumentation im Rahmen der Lutherübersetzung vgl. o. Kap. IV.1.3.a. 214 Vgl. WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, E5r–E6v. 215 Gegen JANSE, Westphalʼs Sacramentology, der seine These, dass Westphal eine ähnliche Auffassung vertrete wie Calvin vor 1549 und dies nur gegen Calvin wende, weil dieser im Consensus Tigurinus zu einem zürcherischen „spiritualism“ übergegangen sei (Zitat 137, zur Auseinandersetzung mit dieser These s.o. Kap. III.2.4a) auch auf diese Passagen der Augustinsammlung stützt (vgl. JANSE, Westphalʼs Sacramentology, 143–145). Worin das Missverständnis besteht, wird an Janses Aussage deutlich: „Westphal maintained the manducatio spiritualis as well as the manducatio impiorum, and the necessity of faith. Corresponding to the essential distinction between on the one hand the sacrament, which, just as the word, promises and offers, and on the other hand faith, which appropriates, the dispensatio and sumptio of Word and Sacrament applied to everybody, the appropriation did not.“ (aaO., 144) – hier wird Westphals Unterscheidung von Sakrament und manducatio spiritualis im Genfer Sinne gedeutet; sie ist aber im Sinne Luthers zu verstehen. 216 AaO., F1v: „Ad hoc discrimen duplicis manducationis pertinet uulgatum dictum, quod citatur ex Augustino. Malus accipit sacramentum, bonus accipit sacramentum et rem sacramenti. Sacramentum non sola elementa dicit, nec uult, malos in sacramento nihil accipere nisi panem et uinum. Non solis elementis integritas sacramenti constat, sed etiam uerbo, Hoc est corpus meum. Quae uerbo suo Augustinus pronunciat, ea uere sunt. Sacramentum eo

1.3 Westphals Autoritätenkampagne

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In Bezug auf die Himmelfahrt äußert sich Westphal (gemäß den Aussagen gegenüber Timann) nicht näher zur Zweinaturenlehre,217 sondern beschränkt sich darauf, die Personeinheit allgemein gegen die Argumentation mit Christi menschlicher Natur zu wenden,218 die gegnerische Berufung auf die räumliche Umgrenztheit des menschlichen Leibes Christi als theologisch unangemessenen Gebrauch philosophischer Argumente zu schildern219 und die von der Gegenseite kritisierten Argumente der Wahrhaftigkeit und Allmacht Christi auf Augustin zurückzuführen.220 Er betont, Augustin vertrete zwar eine leibliche Präsenz Christi im Himmel, wende dies aber nicht (wie von den Gegnern behauptet) gegen Christi Präsenz im Abendmahl,221 sondern gegen christologische Häresien. Damit habe die eigene Lehre nichts gemein. Vielmehr seien es die Gegner, die Christi wahre Menschheit bestritten: Mit ihrer These der spiritualis praesentia gingen sie faktisch nur von der Präsenz seiner Gottheit aus.222 Resümierend hält Westphal am Ende fest, nun sei erwiesen, dass Augustin überall mit sich selbst, der Schrift und dem kirchlichen Konsens übereinstimme.223 Wenn sich die Gegner angesichts dessen darauf zurückziehen wollten, nicht die Meinung von Menschen für maßgeblich zu halten, sondern allein Gottes Wort, sollten sie aufhören, sich auf Augustin und die Alte Kirche zu berufen.224 Gleichzeitig betont Westphal, er wolle aus Unwissenheit Irrende zur Herde Christi zurückrufen und diejenigen, in deren Umgebung sich die Ketzerei ausbreite, dagegen immunisieren.225 Wie bei der Lutherübersetzung intelligitur hoc dicto Augustini coena Domini, instructa cibo carnis et potu sanguinis eius. Hoc sacramentum accipit malus pariter et bonus. Rem uero sacramenti dicit Augustinus non corpus et sanguinem Christi, sed ueritatem, gratiam et fructum sacramenti, quem soli digni fide sumentes coenam percipiunt.“ 217 Vgl. aaO., F2r–F7r; zu den Ausführungen an Timann s.o. Kap. IV.1.2. 218 Vgl. WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, F4r. 219 Vgl. aaO., F2r. 220 Vgl. aaO., F4r–F4v; vgl. zu diesen Argumenten MAHLMANN, Das neue Dogma, 27. 221 WESTPHAL, Collectanea sententiarum Augustini, G1r: „agit Augustinus, quod Christi corpus sit in coelo, Sacramentarij tendunt alio, negant corpus Christi esse in Eucharistia. Huc pertrahunt articulos fidei de resurrectione, de ascensione in coelum, de aduentu ad iudicium in forma ueri hominis. Augustinus probat inde, corpus Christi esse in coelo, non defendit eius absentiam in Ecclesiae communione.“ 222 Vgl. aaO., G1v–G2v. 223 Vgl. aaO., H6r–H8v. 224 AaO., H6v–H7r: „Quod si nolint admittere tam multa, tam certa, tamque perspicua testimonia, et ad hoc effugium malint dilabi, ut dicant, se non laborare, quid Augustinus, quid alij Patres scripserint de carnali praesentia Christi in Synaxi, solis se canonicis scripturis, non hominum placitis astringi, desinant citare ueteres, non cum oportunum est pro se adducant tanquam falsos testes subornatos et allegatos ab ipsis, cum uerba dant fingetes, Augustinum cum antiquis scriptoribus omnibus pro illis stare, nec rursus eludant, eleuent et abijciant, cum sentiunt ueteris Ecclesiae testimonijs et authoritate se premi, et uanos redargui et conuinci.“ 225 Vgl. aaO., H7r–H7v.

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IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

erhofft er sich von der Rückführung der eigenen Position auf den kirchlichen Konsens eine Wirkung gegen die Ausbreitung der gegnerischen Lehre. Entsprechend der großen Bedeutung Augustins für beide Streitparteien wurden die Collectanea von der Gegenpartei intensiv rezipiert: Bullinger und Ochino reagierten darauf 1556; Calvin verspätet, aber umso ausführlicher 1557 in der Ultima admonitio.226 Vermigli hatte das Werk in seiner Bibliothek.227 c) Eindeutiger Zeuge für die eigene Lehre: Westphals Fides Cyrilli Westphals auf August 1554 datierte, wahrscheinlich im Januar 1555 gedruckte Fides Diui Cyrilli de praesentia Corporis et Sanguinis Christi in sacrae coenae communione228 wurde zwar von Westphals Gegnern nicht rezipiert, ist jedoch wichtig für Westphals Berufung auf den kirchlichen Konsens.229 Dabei verhält sie sich komplementär zur Augustinsammlung: Geht es Westphal dort darum, die gegnerische Berufung auf Augustin zu widerlegen, gilt Cyrill ihm als Zeuge, den die Gegner nicht für sich beanspruchen können. In der an Gallus gerichteten Widmungsvorrede wird deutlich, dass Anlass der Schrift (wie bei der Augustinsammlung) die Konflikte mit den Flüchtlingen sind: Westphal meint, er sei sicher, in Gallus einen Verteidiger gegen gegnerische Vorwürfe zu haben, und betont wiederum,230 Schweigen sei angesichts der Gefahr in der unmittelbaren Nachbarschaft schädlich: Man habe gerade „in nostris maritimis“ konkret erfahren, wie die Gegner ihr Reich auszuweiten versuchten.231 Insofern sind mit den Angriffen wohl die Vorwürfe der Flüchtlinge gemeint. Zur Widmung an Gallus passt, dass Westphal die von diesem veröffentlichte Sammlung heranzieht: Er nimmt Melanchthons Cyrillzitate aus den Sententiae veterum auf und druckt die gleichen Begriffe in Großbuchstaben wie dort, während sich in keinem anderen Zitat Großdruck findet.232 226

Vgl. u. Kap. IV.3.2c (Ochino), IV.3.2e (Bullinger) und V.1.4b (Calvin). Vgl. CAMPI, EMIDIO, Genesis Commentary: Interpreting Creation, in: Torrance Kirby et al. (Hg.), A Companion to Peter Martyr Vermigli, Leiden 2009 (Brillʼs Companions to the Christian Tradition 16), 209–229, hier 215 Anm. 28. 228 WESTPHAL, JOACHIM (Hg.), Fides Diui Cy||RILLI EPISCOPI ALE-||xandrini, de praesentia Corporis et || sanguinis Christi in sacrae || coenae commu-||nione. […], Frankfurt (Main): Peter Braubach 1555, VD16 C 6577; die Datierung aaO., 18. Terminus ante quem für den Druck ist der 8.2.1555: Hier informierte Cornelius Kerchoväus Westphal über den Erhalt eines Exemplars (vgl. Kerchoväus an Westphal, 8.2.1555, SILLEM I, 188 (Nr. 104)). 229 Insofern ist es nur teilweise richtig, wenn TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 197 Anm. 22, meint: „This treatise does not enter into the controversy.“ Die übrige Literatur zum Abendmahlsstreit berücksichtigt das Werk überhaupt nicht. 230 Vgl. zu seinen analogen Aussagen gegenüber Timann o. Kap. IV.1.2. 231 Vgl. WESTPHAL, Fides Cyrilli, 16 f., Zitat ebd. 232 Vgl. aaO., 23–31; 40 f. mit GALLUS / MELANCHTHON, Sententiae veterum, C3v–C4v. Westphal berücksichtigt allerdings in Fides Cyrilli, 22 f. im gleichen Zitat noch die Passage, die bei Cyrill vor dem von Melanchthon zitierten Abschnitt steht, zieht also zusätzliche 227

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Die Berufung auf die Väter begründet Westphal vom Bischofsamt her und verteidigt erneut sein Verständnis kirchlich normativer Tradition: Gemäß der für die Interimsgegner typischen Zeitdeutung hebt er hervor, da die Lügen des Teufels in der Endzeit nicht aufhörten, müsse man nicht nur die wahre Lehre vertreten, sondern auch denen widerstehen, die sie verfälschten.233 Das sei Amt des Bischofs234: Solange die Kirche gute Bischöfe habe, die Häretiker bekämpften, bleibe die Lehre rein.235 Weil die Kirchenväter gute Bischöfe gewesen seien, dürfe man ihre Schriften gegen Häresien heranziehen, wenngleich der Glaube nicht von Menschen abhänge, sondern allein vom Wort Gottes236 – eine Verteidigung gegen den Vorwurf der Flüchtlinge, menschliche Lehre über Gottes Wort zu stellen.237 Auf die Debatte mit Micron lässt sich auch die Aussage beziehen, da die Gegner sich auf die Väter beriefen, wolle er nachweisen, dass diese in Wahrheit Zeugen für die nostra sententia seien und die Gegner den altkirchlichen Konsens falsch interpretierten.238 Dass er eine Testimoniensammlung speziell über Cyrill erstellt, begründet Westphal mit dessen eindeutiger Haltung: Cyrill sei ein Zeuge für den „consensus ueterum orthodoxorum“, weil er so klar die Meinung der Kirche seiner Zeit zum Abendmahl vertreten habe. Daher lasse er sich besonders gut Zwinglis Häresie entgegensetzen, die den Nestorianismus wiederhole.239 Die an Luther anknüpfende240 Identifikation der gegnerischen Lehre mit der Auffassung des Nestorius zeigt, dass es Cyrills Christologie ist, die ihn für Westphal zum Quellen heran (vgl. ähnlich aaO., 41 f.). Für die Großschreibungen vgl. WESTPHAL, Fides Cyrilli, 30; 40–42 mit GALLUS / MELANCHTHON, Sententiae veterum, C6r; C3r. 233 Vgl. WESTPHAL, Fides Cyrilli, 3 f. 234 Ob Westphal mit dem Begriff episcopus gemäß dem paulinischen Verständnis den Ortspfarrer meint oder ein übergeordnetes kirchliches Amt, ist nicht eindeutig. 235 Vgl. WESTPHAL, Fides Cyrilli, 4–10. 236 Vgl. aaO., 11 f., besonders die Passage: „Vera fides non pendet ab humana authoritate, non nititur hominum suffragijs, sed solo uerbo Dei, quod est solidum et stabile fundamentum Christianae religionis: non igitur profero antiquiorum sententias, quasi fides nostra de praesentia corporis et sanguinis Christi in communione coenae mysticae destituta uerbo Dei indigeat hominum testimonijs: non aequo scripta Patrum scripturae Canonicae, quum ne ipsi quidem tantum sibi deferri et canonicis libris sua scripta paria haberi uoluerint.“ 237 Vgl. o. Exkurs A.3b und A.3d. 238 Vgl. WESTPHAL, Fides Cyrilli, 12. 239 AaO., 15 f.: „Pugnant haec [i.e. die sakramentstheologischen Aussagen der Gegner, C.E.] manifeste ex diametro cum scriptura sancta et totius Ecclesiae consensu: ideo rectissime post uerbi Dei authoritatem opponitur consensus ueterum orthodoxorum, inter quos non postremum locum obtinet Cyrillus clarissimus olim Ecclesiae Alexandrinae antistes. Nam citra ambiguitatem et perplexitatem ullam declarat sententiam suam et Ecclesiae suae temporis de praesentia, dispensatione et sumptione ueri corporis et sanguinis Christi in Eucharistica communione. Habet hoc praecipuum prae alijs, cur dignus sit, ut testis adhibeatur, quod execrabilem Zuinglianorum blasphemiam redolentem haeresin Nestorianam, negantem Christi carnem aliquid prodesse, passim oppugnat, infringit et explodit.“ 240 Vgl. zu Luthers analogen Vorwürfen gegen Zwingli o. Kap. II.2.2b.

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IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

besonders geeigneten Zeugen macht. Zudem lässt sich hier ein Konzilsbeschluss als kirchlich normative Instanz ins Feld führen: Cyrill habe Nestorius auf der Synode von Ephesus widerstanden, während viele Bischöfe zu Nestorius geneigt hätten.241 Wo andere Väter sich teils zweideutig geäußert hätten, sei das bei Cyrill nicht der Fall, so dass es den Gegnern nie gelungen sei, seine Lehre auf ihre Ansicht zu deuten.242 Im Gegensatz zu Augustin verwende er keine Tropen, Symbole oder Allegorien.243 Die Zielsetzung der Schrift ist also komplementär zur Augustinsammlung: Stand dort die Widerlegung der gegnerischen Berufung auf Augustin im Vordergrund, will Westphal hier das eigene Verständnis von kirchlichem Konsens durch Rückführung auf einen Kirchenvater untermauern, der von den Gegnern nicht herangezogen werden kann. Inhaltlich betont Westphal drei Themenkomplexe: die Heilsmittelfrage, Cyrills Position zur res des Abendmahls sowie zur leiblichen und geistlichen Nießung sowie die Christologie: Er sieht die gegnerische Lehre zentral als Bestreitung der Heilsmittelfunktion der Sakramente.244 Das begründet er analog zu seiner Argumentation in der Farrago: Die Streitgegner machten bloße Zeichen aus den Sakramenten, während in Wahrheit an die Zeichen ein Wirken Gottes gebunden sei.245 Dafür führt Westphal die von Bruchsal übermittelten Argumente gegen Calvins Tauflehre246 an: Die virtus baptismi werde zunichte, wenn die Streitgegner verträten, dass die Kinder Gläubiger auch vor der Taufe selig sein könnten. Insofern hänge die Gegenpartei der gleichen Irrlehre an wie die Täufer, auch wenn sie sich gegen diese abgrenze.247

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Vgl. WESTPHAL, Fides Cyrilli, 55 f. AaO., 56 f.: „quid senserit de Coena Domini, plerisque locis non obscure, non ambigue et perplexe, sed perspicue, diserte et significanter expressit. […] Si quid in alijs Patribus offendat, quasi parum proprie et dilucide sit explicatum, certe tale aliquid in Cyrillo desiderari iure non potest: si alij uideantur parum sibi constare, de qua tamen inconstantia non temere sunt accusandi: Cyrillus certe tam sibi constat, ut ab illa suspicione prorsus liberet se facile. Violenter et callide conantur Sacramentarij ueteres pertrahere in suas partes, at Cyrillus undiquaquam acerrime reluctans, non patitur se per deuia in ipsorum abripi castra.“ 243 Vgl. aaO., 58 f. 244 Vgl. WESTPHAL, Fides Cyrilli, 12 f. 245 Vgl. aaO., 13 f. 246 Vgl. o. Kap. III.2.2b. 247 WESTPHAL, Fides Cyrilli, 14 f.: „Sacramentarij hanc uirtutem et hos effectus adimunt baptismo et Eucharistiae: negant per baptismum renascinatos ex parentibus professione Christianis, negant ablui a peccatis, et inseri Ecclesiae, ut fiant eius membra: Contendunt sanctos esse et pertinere ad Ecclesiae societatem, iamque habere remissionem peccatorum, iam esse renatis priusquam eis confertur baptismus: illa beneficia iam ante collata obsignari, et externis signis adumbrari. Auersantur Anabaptistas et pro haereticis damnant, et tamen cum Anabaptistis in eodem luto haerent, non quia abijciunt baptismum paruulos, sed quia uim suam detrahunt Sacramentis, et idem dogma fasissimum astruunt utrique et defendunt obstinate, quod pueri nati ex fidelibus parentibus sunt sancti.“ 242

1.3 Westphals Autoritätenkampagne

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Zum Abendmahl wird betont, Cyrills Bezeichnung benedictio mystica ziele nicht auf ein allegorisches Verständnis, sondern auf ein Mysterium, das menschliches Fassungsvermögen übersteige. Als dessen res definiere Cyrill Christi Fleisch und Blut, die von den Kommunikanten gegessen würden.248 Ebenso betont Westphal Cyrills Befürwortung zeitweiliger Sakramentsabstinenz aus Ehrfurcht sowie die von ihm beschriebenen effectus der Nießung: Beides lasse keinen anderen Schluss zu, als dass Cyrill zufolge im Abendmahl Christi wahrer Leib ausgeteilt werde.249 Zugleich führt Westphal Cyrill dafür ins Feld, dass im Abendmahl nicht nur (wie von den Gegnern behauptet) eine geistliche Verbindung mit Christus durch den Glauben hergestellt werde: Cyrill vertrete zwar eine solche Verbindung, aber auch eine natürliche Anteilhabe an Christi Leib sowie eine communicatio seines Leibes und Blutes.250 Entgegen der – eigentlich nur von a Lasco aufgestellten,251 hier aber allen Streitgegnern zugeordneten – Behauptung, die natürliche Gemeinschaft Christi mit den Menschen werde ausschließlich durch die Inkarnation (nicht durch die Sakramente) hergestellt, beziehe Cyrill die communicatio von Christi Fleisch auf das Abendmahl und unterscheide sie von der geistlichen unio mit Christus.252 248 Vgl. aaO., 61–64; bes. 62 f.: „Vtitur his claris et propriis locutionibus, communicantes coenam digne ipsum Filium Dei suscipere, participare dominici corporis et sanguinis Sacramenta, Christum manducabilem suam apponere carnem, proprium uiuificantis uerbi corpus et sanguinem fideles accipere, suscipere lesum, comedere, gustare et manducare carnem Christi. Item carnem et sanguinem Christi recipere.“ Für die Zitate zu diesem Themenkomplex vgl. aaO., 46–48. 249 Vgl. aaO., 64–66; 69–72. 250 AaO., 66 f.: „Caeterum diligenter cautum est a Cyrillo, ne putetur, Ecclesiam percipere Christi carnem et sanguinem eique coniungi sola fide spiritualiter, non re ipsa communicare, nec corporali sumptione Christo copulari. Ne statuatur sola spiritualis manducatio et coniunctio cum Christo, nec altera, quae fit per mysticam benedictionem tollatur. Distincte ponit et astruit utrumque. In capitis xv. Ioannis expositione [vgl. aaO., 40–42] concedit, nos recta fide charitateque syncera Christo spiritualiter coniungi, sed nullam nobis coniunctionis rationem secundum carnem cum illo esse, id uero pernegat, et a diuinis scripturis alienum esse dicit. Tribuit eam uirtutem mysticae benedictioni, quod faciat, Christum corporaliter in nobis habitare. Et paulo post subdit, Christum non solum per charitatem in nobis esse, uerum etiam participatione naturali et communicatione corporis et sanguinis sui.“ 251 Vgl. o. Kap. III.1.3f. 252 WESTPHAL, Fides Cyrilli, 67 f.: „Sacramentarij contendunt, Christum nos sibi naturaliter uniuisse, per suam incarnationem: atqui clare affirmat Cyrillus, Christum communicatione suae carnis in nobis esse. lib. xi. cap. xxvi. [vgl. aaO., 44–46] fusius haec tractat, docens Christum credentes suo corpore per communionem mysticam benedicentem, et secum et inter nos, unum efficere corpus: rationem mox subijcit. Quid enim eos qui unius sancti corporis unione in Christo uniti sunt, ab hac naturali unione alienos putabit? Nam si omnes unum corpus manducamus, unum corpus omnes efficimur. […] Tandem Cyrillus statim subdit de spirituali unione, postquam de corporali satis se dixisse concludit. Corporalem coniunctionem cum Christo asserit esse per benedictionem mysticam participatione corporis Christi: spiritualem uero participatione spiritus eius.“

314

IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

Auch Cyrills Lehre der Personeinheit, die für dessen Konflikt mit Nestorius zentral gewesen war,253 stellt Westphal gegen die gegnerische Position, der er unterstellt, Christus als nudus homo zu verstehen.254 Gerade angesichts der Wichtigkeit der Christologie für Cyrill fällt allerdings auf, dass Westphal zwar von der Personeinheit aus argumentiert, sich aber (wie er es Timann gegenüber festgehalten hatte255) nicht auf Details der Zweinaturenlehre einlässt.256 So betont er gegen das Himmelfahrtsargument der Gegner nur, Christi Fleisch sei nach Cyrill consubstantialis mit dem Fleisch der Menschen, aber nicht an dessen Eigenschaften gebunden.257 Man dürfe solchen Glaubenswahrheiten nicht gegen das Zeugnis der Schrift nachforschen; das vertrete auch Cyrill.258 Den Streitgegnern scheint die Cyrillsammlung nicht zur Kenntnis gelangt zu sein. Im eigenen Umfeld hingegen wurde sie von Westphal verbreitet: Er bat den Drucker Braubach um weitere Exemplare, da außer den an ihn selbst gesandten keine angekommen seien und er kein einziges mehr besitze.259

1.4 Deutsche Übersetzung der Recta fides: Waldners Der rechte ungefälschte Glaub 1.4 Waldners Der rechte ungefälschte Glaub

1554 erschien in Nürnberg eine durch den dortigen Pfarrer Wolfgang Waldner besorgte deutsche Übersetzung von Westphals Recta fides,260 mit der die Schrift einem weniger gebildeten Publikum zugänglich gemacht werden sollte. Waldners Wiedergabe erweitert und interpretiert den Text von Westphals

253 Einen hilfreichen Überblick über die Forschung zu Cyrills Lehre der Personeinheit bietet FARAG, LOIS M., St. Cyril of Alexandria, A New Testament Exegete. His Commentary on the Gospel of John, Piscataway (NJ) 2007 (Gorgias Dissertations 29, Early Christian Studies 7), 128–131, Anm. 448, die aaO., 103–132 auch die Christologie Cyrills im (in Westphals Sammlung schwerpunktmäßig herangezogenen) Johanneskommentar analysiert. Zur Kontroverse Cyrills mit Nestorius vgl. WESSEL, SUSAN, Cyril of Alexandria and the Nestorian Controversy. The Making of a Saint and of a Heretic, Oxford 2004 (OECS). 254 Vgl. WESTPHAL, Fides Cyrilli, 75 f. 255 Vgl. o. Kap. IV.1.2. 256 Vgl. WESTPHAL, Fides Cyrilli, 76–79. 257 AaO., 80: „Confitetur ueram esse carnem Christi et consubstantialem nostrae, non tamen alligat eam ita stricte ad leges et proprietates naturae corporum nostrorum, ut in coena instituta a Christo non possit praesens distribui, sed his legibus relaxat late.“ 258 Vgl. aaO., 79–88. 259 Vgl. Westphal an Braubach, 16.11.1555, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 217 (Nr. 2.1). 260 WALDNER, WOLFGANG (Übs.):, Der rechte vngefelschte || Glaub / von dem Hochwirdigen Sa||crament des waren leybs vnd bluts vnsers || Herrn Jesu Christi / […] erstlich im Latein an=||gezeyget vnd beschrieben. || Durch. || M. Joachimum Westphalum / […] || Jetzt aber auffs treulichste verdeutscht / || […], Nürnberg: Georg Merkel 1554, VD16 W 2310.

1.4 Waldners Der rechte ungefälschte Glaub

315

Schrift261 und lässt zugleich vermuten, dass er mit Westphals Absichten im Abendmahlsstreit nur unvollkommen vertraut war. Der Text wurde 1554 gedruckt. Ob Waldner sich mit Westphal abgestimmt hatte, ist unklar: Zwar berichtet Flacius Westphal von Waldners Einsatz für den Druck „eorum, qui Norimbergae mittimus“262; zumal der Brief nicht datiert ist, ist jedoch unklar, welche Schrift gemeint ist. Jedenfalls ist hier die Einbindung Waldners in Westphals Netzwerk belegt, so dass eine Absprache denkbar erscheint – zumal Waldner durch das gemeinsame Engagement im Osiandrischen Streit263 auch Kontakt zu Gallus in Regensburg hatte. Seine Absicht erläutert Waldner in einem Nachwort: Er betont den Nutzen von Westphals Werk für einfache Leute, denen er mit der Übersetzung in sein „Bauerndeutsch“ habe dienen wollen, speziell seinen früheren Pfarrkindern in Steyr (bei Linz) sowie Evangelischen in altgläubiger Umgebung in Bayern, Österreich und der Steiermark.264 Wie Magdeburgs niederdeutsche Schrift265 wird hier ein Text für Nicht-Experten sprachlich regional ausgerichtet. Zugleich deutet sich Waldners biographischer Hintergrund an, der 1548 aufgrund evangelischer Ansichten aus Steyr vertrieben worden war.266 Mit der altgläubigen Umgebung der Adressaten hängt wohl auch zusammen, dass Waldner (wie Magdeburg) Westphals Auslegung der Einsetzungsworte nicht nur als Argument gegen Schwenckfeld, Zwingli und Täufer empfiehlt, sondern auch als Argument gegen Messopferlehre und Verweigerung des Laienkelchs.267 In der Übersetzung fallen Ausrichtungen auf die Zielgruppe auf (die von Stilfragen nicht klar zu trennen sind): Waldner formuliert emphatischer; so wird aus „Recta fides de coena Domini“ „Der rechte vngefelschte Glaub / von dem Hochwirdigen Sacrament des waren leybs vnd bluts vnsers Herrn Jesu Christi“268. Die Polemik wird veranschaulicht, so gibt Waldner „Insulse ratiocinantur Sacramentarij“ mit den Worten wieder: „Ist derhalben ein leppisch gedicht / darmit die Sacramentschwermer vmbgehen / daß sie also klgeln.“269 Er redet den Leser direkt an, wo Westphal unpersönlich formuliert, und ändert Aussagesätze in rhetorische Fragen.270 Als Hilfe für die Leser ist vermutlich

261 Wahrgenommen wird dies einzig bei DINGEL, Calvin im Spannungsfeld, 127, Anm. 36. Sonst zieht m.W. nur NEUSER, Dogma und Bekenntnis, 274, die Schrift heran. 262 Flacius an Westphal, o.O., o.J., SILLEM I, 181 (Nr. 100). 263 Vgl. dazu o. Kap. III.2.2a. 264 Vgl. WALDNER, Der rechte ungefälschte Glaub, Q4r, dort auch das Zitat. 265 Vgl. o. Kap. III.2.3a. 266 Vgl. dazu RAMHARTER-HANEL, Netzwerk von Wolfgang Waldner, 44–51. 267 Vgl. WALDNER, Der rechte ungefälschte Glaub, Q4r. 268 WESTPHAL, Recta fides, A1r; WALDNER, Der rechte ungefälschte Glaub, A1r. 269 WESTPHAL, Recta fides, B6r; WALDNER, Der rechte ungefälschte Glaub, D2v. 270 „Eo remittit et deducit haec mea tractatio, monstro et commonefacio, ut inde sumatur materia ad firmam aedificii stabilitatem“ (WESTPHAL, Recta fides, A4r) wird etwa zu: „Da-

316

IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

die Ergänzung von Bibelstellen gedacht.271 Geringer ist das Maß der Anpassung an das avisierte Publikum bei Väterzitaten (die teils übersetzt, teils lateinisch stehen gelassen, teils lateinisch und deutsch wiedergegeben werden272) und bei Fachausdrücken, die übersetzt, aber nicht erklärt werden273 – ähnlich wie Joachim Magdeburg274 scheint Waldner nicht anzunehmen, dass dies für seine weniger gebildete Zielgruppe ein Verständnisproblem darstellt. Aufschlussreich für Waldners Wahrnehmung des Abendmahlsstreits ist, dass er den Begriff „sacramentarii“ nicht nur mit „Sacramentierer“275 „Sacramentschwermer“276, „Sacramentschender“277 und „Sacraments feinde“278, sondern auch als „meister Zwingel vnnd Heinrich Schwermer mit jrem anhang“279 wiedergibt – den Sinn also auf die Zürcher Theologen Zwingli und Bullinger einschränkt,280 was eher die Frontstellung des Ersten Abendmahlsstreits nahelegt als die Debattenlage von 1554. Auch sonst ist nicht erkennbar, dass Waldner klar wäre, welche theologischen Gegner Westphal vor Augen hat; zumindest aber kennt er deren Texte nicht im Original: Westphals Zitate gegnerischer Schriften werden nummeriert, aber (anders als die Bibelstellen) nicht nachgewiesen;281 analog verfährt Waldner an einer Stelle, an der Westphal gar nicht wörtlich zitiert, sondern gegnerische Thesen zusammenfasst.282 hin wil ich dich auch inn diesem handel gewisen haben / vnd zeyge rechten werckzeug darinnen an / welcher dir trefflich dienstlich sein wirdt / zu dem starcken gebew wider die geschwinde vnd listige betriegerey menschlicher klugheyt“ (WALDNER, Der rechte ungefälschte Glaub, A4v); Westphals „Magna est hoc tempore negligentia in stabiliendis ijs, quae ad solidam doctrinam et perseuerantiam in pietate pertinent, ac persoluunt homines negligentiae et contemptus sui graues poenas, dum imparati et male instructi incidunt in perniciosos errores.“ (WESTPHAL, Recta fides, A3v) wird wiedergegeben als „Was kund zu diesen vnsern zeitten nachlessigers sein dann das man so wenig bedenckt / wie man doch den grund mcht fest vnd gewieß machen? Damit wir auch bey reiner lehr vnd rechtem glauben knden bestendig bleiben? aber weil es nicht geschicht / werden die leudt vmb dieses vnfleiß vnd verachtung willen gnugsam gestrafft / wenn sie vnversehens vnd vnverwaret in schedliche Schwirmerey geraten.“ (WALDNER, Der rechte ungefälschte Glaub, A4r). 271 Vgl. z.B. aaO., A3r mit WESTPHAL, Recta fides, A2v. 272 Vgl. für ersteren Fall z.B. WALDNER, Der rechte ungefälschte Glaub, C4r–C4v; für den zweiten z.B. aaO., L3r, N3v–N4r, für den dritten aaO., L2r. 273 Vgl. z.B. aaO., C4r: „daß figurliche Pascha“; aaO., L3r: „in seinen commenten super cap. 26. Matthei.“ 274 Vgl. o. Kap. III.2.3a. 275 Vgl. WALDNER, Der rechte ungefälschte Glaub, D3r; E3r; L2v u.ö. 276 AaO., A4r; D2v u.ö. 277 AaO., E4r; I3v u.ö. 278 AaO., C1v; F3r. 279 AaO., C3r. 280 Anders deutet DINGEL, Strukturen der Lutherrezeption, 127, Anm. 36: „Die Übersetzung erweitert den lateinischen Text, auch durch gezielte persönliche Bezugnahmen.“ 281 AaO., L3v–M3r. 282 AaO., I1r.

1.5 Ergebnisse

317

Das Werk wurde 1555 beim gleichen Drucker in sprachlich überarbeiteter Form nachgedruckt283 – ein Indiz dafür, dass der Absatz der Erstauflage gut war, sich also in der Tat ein deutschsprachiges Publikum für Westphals Thesen interessierte. Zudem schlug Flacius Westphal vor, Timann solle Exemplare in Bremen und Ostfriesland verteilen:284 Ob Waldners Arbeit nun ursprünglich mit anderen Mitstreitern Westphals abgesprochen war oder nicht, wurde sie spätestens hier ins gemeinsame Vorgehen von Westphals Partei eingebunden.

1.5 Ergebnisse 1.5 Ergebnisse

An den Testimoniensammlungen wird ein für Westphals Partei spezifisches Verständnis von autoritativem kirchlichem Konsens deutlich: Durch die gesamtreformatorisch normativen Ansprüche der Gegner, speziell aber durch die Disputationsforderungen der Flüchtlinge sehen Westphal und seine Mitstreiter die kirchlich normative Geltung der eigenen Haltung gefährdet – und wollen dem durch den Nachweis begegnen, dass die eigene Lehre und die Verwerfung der gegnerischen Position in der Tat den kirchlichen Konsens darstellen. Der Unterschied zur anderen Streitpartei liegt dabei weniger in der Berufung auf Reformatoren und Kirchenväter an sich als in deren identitätsrelevantem Stellenwert: Ihre Autorität wird zwar an die Schrift zurückgebunden; faktisch gelten jedoch Aussagen Luthers und autoritative Texte der Wittenberger Reformation als deren normative Auslegung – die Rückführung auf solche Autoritäten garantiert die Schriftgemäßheit der eigenen Haltung. Diese, in früheren Konflikten innerhalb der Wittenberger Tradition entwickelte285 (und daher in spezifische, auf der Gegenseite nicht belegte literarische Formen gekleidete) Vorstellung sollte die andere Streitpartei im Folgenden als unreformatorisch kritisieren286 – sich aber zugleich um den Nachweis bemühen, dass Väter und Reformatoren in Wahrheit theologisch auf ihrer Seite stünden.287 Zeigen sich in Bezug auf den prinzipiellen Stellenwert von Autoritäten also unterschiedliche reformatorische Traditionen, die in der Folge konfessionell identitätsrelevant werden sollten, ist die Umstrittenheit konkreter Kirchenlehrer eher ein Indiz für die Unabgeschlossenheit der Konfessionsbildung: Welche Seite sich inwiefern auf sie berufen konnte, musste im Streitverlauf erst geklärt 283 WALDNER, WOLFGANG, Der rechte vnge=||felschte Glaub / von dem || Hochwirdigen Sacrament des va||rē leibs vnd bluts vnsers Herrn Jesu Christi / || […] erstlich im Latein angezeygt || vnd beschrieben. || Durch. || M. Joachimum Westphalum || […] Jetzt aber auffs treulichste ver=||deutscht / […] Widerumb mit fleis vbersehen vnd || gebessert. ||, Nürnberg: Georg Merkel 1555, VD16 W 2311. 284 Vgl. Flacius an Westphal, o.O., o.J., SILLEM I, 181 (Nr. 100). 285 Vgl. o. Kap. III.2.1b sowie DINGEL, Strukturen der Lutherrezeption, 41–44. 286 Vgl. etwa u. Kap. IV.3.2a (a Lasco). 287 Vgl. etwa u. Kap. IV.3.2e (Bullinger).

318

IV.1 Testimoniensammlungen und Textausgaben auf Westphals Seite

werden. Das zeigt sich nicht nur an zwischen den Parteien umstrittenen Autoritäten wie Augustin, sondern auch daran, dass Westphals Parteigänger sich nicht auf einen einheitlichen Personenkreis berufen: Teils werden neben Wittenberger auch Straßburger Reformatoren auf die eigene Seite gerechnet; bei Melanchthon reichen die Urteile von positiver Beanspruchung bis zu unverhohlener Skepsis. Auch das sollte später wichtig werden.288 Vorerst jedoch trat die Verteidigung der Attackierten gegen Westphals Vorwürfe in den Vordergrund, die zeitlich parallel zu den Testimoniensammlungen entstand.

288

Vgl. u. Kap. V.1.2.

Kapitel IV.2

Ringen der von Westphal verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position (1554/55) Während Westphal und seine Parteigänger begannen, ihre Haltung mit Testimoniensammlungen zu untermauern, erhielten die von ihnen verketzerten Theologen allmählich Kenntnis von den ersten Streitschriften. A Lasco, Calvin, Bullinger und ihre Kollegen bemühten sich intensiv um eine gemeinsame Reaktion auf die Vorwürfe und tauschten sich brieflich darüber aus. Dabei wurde aber zugleich deutlich, dass es unter ihnen nach wie vor ein breites Spektrum von Positionen gab, sowohl in der Abendmahlslehre als auch im Hinblick auf ihr reformatorisches Selbstverständnis, die damit verbundenen normativen Ansprüche und ihre Beurteilung der Wittenberger Reformation. Entsprechend unterschiedlich waren ihre Strategien im Umgang mit den von Westphals Partei vorgetragenen Ketzervorwürfen.

2.1 Pluralität und Kooperation: Briefliche Absprachen 2.1 Briefliche Absprachen

a) A Lasco als Initiator einer Gegenschrift Dass a Lasco der erste der von Westphal verketzerten Theologen war, der sich mit dem Gedanken einer Antwortschrift trug und andere Betroffene von Westphals Vorwürfen in Kenntnis setzte, ist in der Forschung bekannt.1 Der traditionelle Fokus auf Calvin und die Zürcher bringt es freilich mit sich, dass a Lasco (zumal er seinen Antwortplan vorerst nicht in die Tat umsetzte) in vielen Darstellungen nur als Lieferant von Informationen erscheint, auf deren Basis Calvin und Bullinger über ihr Vorgehen entschieden.2 A Lascos Briefe zeigen jedoch, dass er ein eigenständiges Konzept zum Umgang mit den Streitschriften 1 So ausdrücklich z.B. KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 82; TYLENDA, CalvinWestphal-Exchange, 187. 2 Vgl. klassisch z.B. STÄHELIN, Johannes Calvin II, 206–208; SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 152; 159 f.; KOLFHAUS, Verkehr Calvins mit Bullinger, 102. Dagegen sehen NIJENHUIS, Calvinus oecumenicus, 163, PETTEGREE, London Exile Community, 260, sowie NEUSER, Dogma und Bekenntnis, 274, a Lascos Drängen durchaus als wichtigen Faktor für die Entstehung einer Antwortschrift – weiterhin aber nur im Sinne eines Impulses für Bullinger und Calvin. MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 29 f., sowie KRUSKE, a Lasco und

320

IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

entwickelte und durchaus auf Augenhöhe mit Calvin und Bullinger kommunizierte, die er für eine Mitwirkung an diesem Vorhaben gewinnen wollte. A Lasco erfuhr nicht nur eher als andere Betroffene von den Streitschriften; er entschloss sich auch als erster zu einer Gegenschrift: Am 1.1.1554 teilte er Hardenberg, der ihm Westphals Farrago gesandt hatte, mit, er wolle eine Antwortschrift verfassen.3 Anfang März 1554 wies er Bullinger und die Zürcher auf Westphals Texte hin,4 wenig später auch Calvin.5 Aus seiner Sicht stand von Anfang an fest, dass eine Gegenschrift erforderlich sei; die Dringlichkeit steigerte sich allmählich. Dahinter standen mehrere Faktoren. Dass a Lasco eine Antwort für nötig hielt, ergibt sich zunächst aus seiner bekannten6 Beurteilung der innerevangelischen Situation: Einerseits geht er davon aus, dass durch Texte wie den Consensus Tigurinus und seine Tractatio de sacramentis eine abendmahlstheologische Übereinstimmung aller reformatorischen Richtungen gegeben ist – er sieht daher in den von Westphal erhobenen Vorwürfen den Versuch, in solche consensiones erneut Streit einzumischen, um die Kirche zu spalten. Andererseits sieht er die These einer leiblichen Präsenz der menschlichen Natur Christi im Abendmahl als widerlegt an. Daher wirft er Westphal vor, mit seiner Streitposition einen theologischen Irrtum zu stützen, und betont, wenn eine Lehre wegen Widersprüchlichkeit verdammt werden sollte, dann Westphals, nicht (wie in dessen Farrago postuliert) die seiner Seite. Westphals Verleumdungen seien so offenkundig, dass sie der eigenen Sache eher helfen müssten, wenn von ihnen nicht Gefahr für die Kirche ausginge.7 der Sakramentsstreit, 82 f., folgern aus a Lascos Aussagen über die Haltlosigkeit von Westphals Argumenten (s.u.), er habe den Konflikt für sachlich unwesentlich gehalten. 3 A Lasco an Hardenberg, 1.1.1554, KUYPER II, 696 (Nr. 98): „Accepi tuas literas 23 Decembris scriptas, unaque et Farraginem Westphali, mendaciis et calumniis plenam, pro qua tibi interim magnam gratiam habeo, brevique ad illam respondebo per Dei gratiam et quidquid huius erit ad te transmittam, priusquam evulgetur.“ Der Brief Hardenbergs vom 23.12.1553 ist nicht überliefert (vgl. JÜRGENS, a Lasco in Ostfriesland, 369, Nr. 788). 4 Vgl. a Lasco an Bullinger und die Zürcher, 3.3.1554, CR 43 = CO 15, 63–65 (Nr. 1919). 5 Vgl. a Lasco an Calvin, 13.3.1554, CR 43 = CO 15, 81–84 (Nr. 1930). 6 Vgl. o. Kap. III.1.1a und III.1.3f. 7 A Lasco an Hardenberg, 1.1.1554, KUYPER II, 696 (Nr. 98): „Facile est autem de spiritu Westphali iudicare, dum in consensionibus dissidia comminiscitur et nodos in scirpo quaerit. Christi spiritus dissidia componit et conciliat quae dissidere videntur: iste in consensione quaerit dissidia, ut scindat Ecclesiam suoque errori patrocinetur. Si nobis fuisset studium conferendi interpretationes eorum, quos ille a suis partibus stare putat, facile istiusmodi farragines colligere possemus, et ostendere re ipsa, non mendacibus calumniis, ipsos, non modo inter sese, sed plerosque secum ipsos, et quidem non verbis, sed plane sensu ipso dissentire. Ut si quaeratur, alterutra doctrina ob dissensionem damnanda sit, multo magis ipsorum doctrina, quam nostra, condemnationi obnoxia futura esset, – ut ne dicam interim, nos multo graviores habere nodos in hac ipsorum doctrina, propter quos ea sane, si legitimum de illa Ecclesiae iudicium habendum esset, tolerari inter pios haudquaquam deberet. Ego sane, si alia nunc essent tempora et non tantum Ecclesiae Christi periculum ex istiusmodi

2.1 Briefliche Absprachen

321

Ein Faktor, der aus a Lascos Sicht eine konzertierte Reaktion aller angegriffenen Theologen nötig machte, war dann die Kenntnis mehrerer Streitschriften: Während im Januar Hardenberg gegenüber nur von der Farrago die Rede war und er sich damit nicht sofort an andere Betroffene wandte, macht er im März die Zürcher und Calvin auf Farrago und Recta fides aufmerksam. Dabei versteht er sich nicht als Schüler, der seinen Mentoren Informationen liefert,8 sondern als gleichberechtigten Akteur, der sie von seinem Konzept eines gemeinsamen Vorgehens überzeugen will: Er beschreibt die Farrago, nennt die darin attackierten Autoren und verspricht, darauf zu reagieren, während er die (nicht namentlich argumentierende) Recta fides gegen die eigene Seite als ganze gerichtet sieht, sie Calvin und den Zürchern übersendet und betont, dass er auch eine Antwort auf diesen Text für wichtig halte, selbst aber keine Zeit dafür habe. Die Notwendigkeit einer Antwortschrift sieht er mehr in Westphals Einfluss auf andere begründet als in seinen Ansichten, die von anderen schon besser formuliert worden seien.9 Er sieht also nicht die Diskussion mit Westphal prinzipiell als unwichtig an10 – wohl aber betrachtet er dessen Position als sachlich haltlos und wenig originell und verortet die Gefahr auf anderer Ebene. In welchem Kontext a Lasco einen gefährlichen Einfluss Westphals sieht, sagt er nicht explizit; als zumindest ein Hintergrund vermuten lässt sich aber die Ausweisung der Flüchtlinge aus Dänemark und Norddeutschland:11 Ist an Hardenberg nur allgemein von Bedrohung für die Kirche die Rede, folgen im libellis impenderet, gauderem tales ab istis libellos edi, nam hac tanta mendaciorum et calumniarum impudentia nihil dubitarem causam nostram apud pios omnes commendatum iri, nedum ut ipsis adiumento esset futura. Sed de hoc in responsione plura.“ 8 Selbst ein so differenziert argumentierender und am Beitrag der Flüchtlinge zum Abendmahlsstreit interessierter Autor wie PETTEGREE, London Exile Community, 230, formuliert: „Lasco urged that one or other of his mentors should answer Westphalʼs tract“ – a Lascos eigene Antwortabsicht wird dagegen gar nicht erwähnt. 9 A Lasco an Bullinger und die Zürcher, 3.3.1554, CR 43 = CO 15, 64 (Nr. 1919): „Hamburgi pastor quidam Ioachimus Westphalus in nos omnes in genere scripsit libellum mendaciis et maledictis refertum, in quo interim nihil habetur quod non ab aliis dictum sit prius et quidem felicius etiam. Eum vobis quoque mitto, si forte vestrum aliquis istic ei respondere velit: nam mihi nunc revera non vacat. Vellem tamen illi, non tam propter ipsum quam propter alios qui ab ipso pendent, responderi. Emisit praeterea etiam farraginem interpretationum super verbis coenae collectam ex scriptis Carolostadii, Zuinglii, Oecolampadii, Petri Martyris, Buceri, Vestrae confessionis adversus Lutherum, Bullingeri, Calvini, et ex meo quoque ad extremum libello. Sed huic ego cogito respondere, si Dominus gratiam dederit.“ Vgl. a Lasco an Calvin, 13.3.1554, CR 43 = CO 15, 83 f. (Nr. 1930). 10 Gegen KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 82, der folgert: „a Lasco hielt die Sache für bedeutungslos“ – ausweislich a Lascos sonstiger Argumentation ist das nicht der Fall; die Bedeutung liegt für ihn aber nicht auf der Ebene theologischer Originalität. 11 Zu dieser Ausweisung s.o. Exkurs A. In der Forschung wird zumeist vorausgesetzt, dass a Lasco nur ans Schicksal der Flüchtlinge denke (vgl. etwa MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 29) oder angenommen, dass Westphals Schriften in der Tat die Ausweisungen verursacht hätten (vgl. z.B. NAUNIN, Laski-Kontroverse, 52).

322

IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

März den Zürchern wie Calvin gegenüber die Hinweise zu Westphal auf einen Bericht über das Ergehen der Flüchtlinge, die a Lasco als eigentlichen Anlass des jeweiligen Briefs nennt.12 Während er den Zürchern allgemein von Angriffen durch Theologen berichtet, die offenbar eine abweichende Sakramentslehre vertreten,13 spricht er an Calvin von „Lutheranis Capernaitis“14 und schildert deren Ablehnung theologischer Kolloquien als quasi-papistische Tyrannei: „Sic illi doctrinam suam fortiter satis tuentur ac propugnant. Colloquia nulla admittunt legitima, sed nos ad academias suas ablegant, haud aliter quam papistae Lutetiam Lovaniumve aut Coloniam provocare solent: denique ita rem gerunt ut mihi Lutheropapistica tribunalia instituere velle videantur, planeque ego videam, verum esse quod ab Erasmo olim Roterodamo pluries me audisse memini: nempe fore, si Lutherani isti rerum potiantur, ut multo graviorem sub illis quam sub plerisque papistis tyrannidem sustinere cogamur.“15

Der Vorwurf, durch Ablehnung von (aus a Lascos Sicht16) reformatorisch legitimen Instanzen der Wahrheitsfindung „Lutheropapismus“ zu betreiben, wird illustriert durch Erzählungen von einem Pfarrer, der einen Flüchtlingsgeistlichen mit dem Jagdspieß bedroht habe, statt anhand der Schrift mit ihm zu diskutieren17 – eine sonst nicht belegte Szene, die wohl durch rhetorische Übertreibung18 die Tyrannei der Gegner unterstreichen soll – und einem anderen Pastor, der den Flüchtlingen sein Haus verboten und ihre Ausweisung betrieben habe.19 Bei Westphal diagnostiziert a Lasco eine analoge Haltung, wenn er Hardenberg sein Festhalten an der Tractatio de sacramentis (Hardenberg hatte den dadurch verursachten Anstoß gerügt) damit begründet, dass Westphal das Zepter des Rats dagegen gefordert und das des Wortes Gottes abgelehnt habe:20 Offenbar wolle er wie der Papst die Frage „ferro ac flammis“ lösen. Solche Leute besänftigen zu wollen, sei sinnlos.21 Ein weiterer Faktor war a Lascos Konflikt mit dem ostfriesischen Superintendenten Gellius Faber, der die dortige Kirchenpolitik im Sinne der klassischen Position Bucers prägte:22 Bullinger gegenüber begründet a Lasco die geplante Schrift gegen Westphal auch damit, dass sich in Ostfriesland in seiner Abwesenheit eine bucerische exhibitio eingeschlichen habe, die er korrigieren 12

Vgl. a Lasco an Bullinger und die Zürcher, 3.3.1554, CR 43 = CO 15, 63 f. (Nr. 1919); a Lasco an Calvin, 13.3.1554, CR 43 = CO 15, 81 f. (Nr. 1930). 13 A Lasco an Bullinger und die Zürcher, 3.3.1554, CR 43 = CO 15, 63 f. (Nr. 1919). 14 Vgl. a Lasco an Calvin, 13.3.1554, CR 43 = CO 15, 82 (Nr. 1930). 15 Ebd. 16 Vgl. zu dieser auch bei seinem Kollegen Micron anzutreffenden Sicht o. Exkurs A.3b. 17 Vgl. a Lasco an Calvin, 13.3.1554, CR 43 = CO 15, 82 (Nr. 1930). 18 Die Übertreibung bemerkt schon KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 89 Anm. 3, nutzt sie jedoch, um polemisch a Lascos Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen. 19 Vgl. a Lasco an Calvin, 13.3.1554, CR 43 = CO 15, 82 (Nr. 1930). 20 Gemeint ist Westphals Debatte mit Micron in Hamburg, vgl. dazu o. Exkurs A.3b. 21 Vgl. a Lasco an Hardenberg, 28.3.1554, KUYPER II, 700 (Nr. 100). 22 Vgl. zur Kirchenpolitik Gellius Fabers WEERDA, Der Emder Kirchenrat, 113–123.

2.1 Briefliche Absprachen

323

wolle.23 Calvin berichtet er, er werde angeklagt, die Hoffnung auf eine Konkordie zunichte zu machen, da man eine solche nur für möglich halte, wenn die Zeichen exhibitiv verstanden würden.24 Diese Auffassung ordnet er gegenüber Bullinger ostfriesischen Gegnern zu: Sie attackierten seine Lehre, dass nicht die Elemente Zeichen des Abendmahls seien, sondern die Anteilhabe daran,25 also sein passives communio-Verständnis,26 das sich nicht mit der bucerisch verstandenen exhibitiven Einheit von Brot und Leib Christi verträgt.27 Hier handelt es sich also nicht um eine mit dem Zweiten Abendmahlsstreit identische Frontstellung oder um Auswirkungen der Schriften Westphals.28 A Lasco sieht aber bei beiden Gruppen ein gemeinsames Problem:29 „Tantae est molis videlicet tollere prodigiosam illam omnisque Papisticae idololatriae parentem, imaginationem praesentiae corporis Christi in ceremonia ipsa et elementis coenae. Spero tamen brevi futurum ut ex animis piorum omnium tollatur omnino.“30

Wie schon in seinen Schriften aus der ersten ostfriesischen und aus der englischen Zeit betrachtet a Lasco lokalpräsentische und bucerisch-exhibitive

23

A Lasco an Bullinger und die Zürcher, 3.3.1554, CR 43 = CO 15, 64 f. (Nr. 1919): „Quid quod et hic post meum abitum admisceri quaedam etiam coeperunt per quosdam, quae tamen facile, spero, corriguntur. Urgent Buceranam exhibitionem.“ 24 A Lasco an Calvin, 13.3.1554, CR 43 = CO 15, 83 (Nr. 1930): „In hoc gravissime ab illis accusor quod negem panem et vinum coenae dominicae signa esse, sed institutam a Christo Domino illorum distributionem et participationem. Dicuntque haec doctrina praeripi omnem spem concordiae in re sacramentaria instituendae, eo quod non tantum id adimatur pani et vino coenae ut corpus et sanguinem Christi complectantur sed ne signa quidem coenae esse etiam dicantur. Alias quidem potuisse sperari aliquam concordiam dum panis et vinum symbola corporis et sanguinis Christi vocarentur, et concederretur haec symbola coenae esse, non tantum significativa, sed etiam exhibitiva.“ 25 Vgl. das Zitat in der vorigen Anm. und dazu a Lasco an Bullinger und die Zürcher, 3.3.1554, CR 43 = CO 15, 65 (Nr. 1919). 26 A Lasco an Calvin, 13.3.1554, CR 43 = CO 15, 83 (Nr. 1930): „coenae mysterium non est substantia corporis Christi naturalis, sed nostra in corpore Christi cum ipso communio, ita signum quoque coenae esse non possit panis ipse aut vinum in coena, sed illorum participatio ut est a Christo Domino instituta.“ 27 Ebd.: „dum panem et vinum signa coenae ipsius esse negamus, sibi vident omnem occasionem constituendae suae illius unionis corporis Christi cum pane [hier fehlt offenbar ein Partizip, CR konjiziert: arreptam]. 28 NAUNIN, Laski-Kontroverse, 52 f., sieht Westphals Texte als Ursache der ostfriesischen Debatte. Dahinter steht die ältere Forschungsthese, Gellius Faber sei ein „lutherischer Gegner“ a Lascos gewesen (so etwa auch HEIN, Sakramentslehre, 166 f.). Diese These ist aber durch WEERDA, Der Emder Kirchenrat, 113–123, überholt, der das bucerische Gepräge von Fabers Kirchenpolitik nachgewiesen hat – was auch zu den Aussagen der hier vorliegenden Briefe besser passt. Dass eine solche Position durch Texte Westphals beeinflusst wäre, ist wenig naheliegend (es sei denn im Sinne verstärkter Ablehnung der Kontroverse). 29 Ähnlich schon WEERDA, Der Emder Kirchenrat, 123. 30 A Lasco an Bullinger und die Zürcher, 3.3.1554, CR 43 = CO 15, 65 (Nr. 1919).

324

IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

Abendmahlsauffassungen als nur unvollkommen reformatorische Positionen, die die Gefahr des Rückfalls in die Transsubstantiation in sich bergen.31 Auch wenn a Lasco selbst aufgrund der ostfriesischen Situation vorläufig keine Zeit zur Abfassung seiner Schrift gegen Westphal fand, spielten seine Argumentation und sein Konzept für ein konzertiertes Vorgehen aller angegriffenen Theologen eine wichtige Rolle in der folgenden Diskussion. b) Absprachen zwischen a Lasco und eidgenössischen Theologen Die monatelange Debatte zwischen a Lasco und diversen eidgenössischen Theologen über den Umgang mit Westphals Vorwürfen lässt sich weder auf einen Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern einer Antwortschrift reduzieren,32 noch lässt sich die Entscheidung allein an der Ausweisung der Flüchtlinge festmachen.33 Vielmehr verbanden sich theologische Argumente, Urteile über andere reformatorische Richtungen, aktuelle Ereignisse und strategische Erwägungen zu einem komplexen Aushandlungsprozess,34 in dem viele Beteiligte ihre Position überhaupt erst klärten – und auf den nicht nur Calvin und Bullinger Einfluss nahmen, sondern auch eine Reihe weiterer Theologen.35 Sowohl die Genfer als auch die Zürcher standen ursprünglich einer Reaktion auf Westphals Schriften unschlüssig bis ablehnend gegenüber: Bullinger hatte wohl schon vor Erhalt von a Lascos Briefen von der Farrago erfahren und sie an Beza gesandt,36 worauf Calvin und Beza Ende März reagierten: Calvin ist sich über die Notwendigkeit einer Antwort unsicher, bietet aber an, drei Tage

31

Zur Entwicklung und Begründung dieser Vorstellung bei a Lasco vgl. o. Kap. III.1.3f. So KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 82 f., dem zufolge Calvin und a Lasco die Farrago unterschätzt und daher eine Gegenschrift für unproblematisch gehalten, Bullinger und Beza dagegen die Wirkung als Fanal richtig beurteilt und eine Antwort abgelehnt hätten. Vgl. (differenzierter) auch TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 185. 33 So die klassische These, vgl. etwa STÄHELIN, Johannes Calvin II, 207 f.; MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 29–31; SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 152.159 f. 34 Es ist das Verdienst von TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 184–192, diesen Prozess erstmals umfassend dargestellt und die Chronologie rekonstruiert zu haben. 35 In vielen Darstellungen entsteht der Eindruck, dass allein Calvin und Bullinger über eine Antwort auf Westphals Schriften entschieden, andere Theologen hingegen allenfalls Informationen beigetragen hätten (vgl. etwa KOLFHAUS, Verkehr Calvins mit Bullinger, 102 f.; SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 159 f.). Natürlich sind die Stimmen Calvins und Bullingers wichtig, aber das Zusammenspiel ist deutlich komplexer (s. im Folgenden). 36 Vgl. Calvin an Bullinger, 28.3.1554, CR 43 = CO 15, 95 (Nr. 1935): „Quin Bezae nostro scripseras de quodam magistro Westphalo, tandem librum nactus sum.“ Der ursprüngliche Brief Bullingers scheint nicht überliefert zu sein (vgl. ebd.; er ist auch in Corr. Béze 1 nicht enthalten). Dass die Nachricht vermutlich von a Lascos Brief an die Zürcher vom 3.3. unabhängig ist, ergibt sich daraus, dass a Lasco seinem Brief die Recta fides beigelegt hatte und Bullinger Calvin am 14.5. mitteilt, die von a Lasco übersandte Recta fides habe ihn erst am Vortag erreicht (vgl. Bullinger an Calvin, 14.5.1554, CR 43 = CO 15, 138 (Nr. 1954)). 32

2.1 Briefliche Absprachen

325

dafür zu investieren, wenn Bullinger es für richtig halte.37 Beza hält das Werk für keiner Antwort würdig, sieht die Gefahr, durch eine Reaktion den Abendmahlsstreit wieder anzufachen, und rät zu Zurückhaltung. Wolle jemand antworten, müsse es sorgfältig überlegt sein.38 Auf diese unschlüssigen Voten reagierte Bullinger am 22.4. ebenfalls uneindeutig:39 Eine Antwort sei nicht nötig, aber möglich, wenn Calvin oder andere das anders sähen.40 Die Haltung Calvins und Bullingers änderte sich dann durch den Erhalt von a Lascos Briefen. Die klassische Erklärung, die Vertreibung der Flüchtlinge habe für ihren Sinneswandel gesorgt,41 ist dahingehend zu präzisieren, dass a Lasco offenbar beide von der Notwendigkeit einer Gegenschrift überzeugt hatte und für sie je unterschiedliche Argumente im Vordergrund standen.42 Bei Calvin ist es in der Tat die Ausweisung der Flüchtlinge: „etsi libello boni illius Wesphali [!] nihil insulsius fingi potest, quia tamen videmus principum animos talibus calumniis corrumpi et nuper triste eius rei exemplum in regis Daniae apparuit, officii nostri esse videtur quibuscunque licebit modis occurrere.“43

Ob Calvin eine direkte Auswirkung der Schriften Westphals auf das Handeln Christians III. annimmt,44 bleibt unklar – jedenfalls geht er davon aus, dass der politische Einfluss von Ansichten, wie sie auch Westphal vertritt, zur Ausweisung der Flüchtlinge geführt hat. Er bittet Bullinger, eine Form für die Antwort vorzuschlagen: Die Schrift eines Einzelnen habe weniger Ansehen; kirchlicher Konsens sei wohl schwer zu erreichen.45 Bullinger teilt Calvin am 14.5. mit, die Verfolgung durch Lutherani sei schlimmer als die durch Papisten; allmählich bezweifle er, ob man ihre Schriften tatsächlich ignorieren solle.46 Hinter 37

Vgl. Calvin an Bullinger, 28.3.1554, CR 43 = CO 15, 95 (Nr. 1935). Vgl. Beza an Bullinger, 29.3.1554, Corr. Béze 1, 123 f. (Nr. 42). 39 Die These, Calvin habe von Anfang an eine Reaktion befürwortet, Bullinger sie zunächst abgelehnt (vgl. etwa KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 82 f.), vereindeutigt für beide zu sehr und beruht wohl auf Calvins nachträglicher Deutung an a Lasco vom 27.8. (vgl. am Ende dieses Abschnitts). Tendenziell vertreten dies auch noch DAVIS, Clearest Promises of God, 44 f., sowie TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 185, obwohl bei letzterem seine Quellenzitate eigentlich zeigen, dass der Zusammenhang komplexer ist. 40 Vgl. Bullinger an Calvin, 22.4.1554, CR 34, 119 (Nr. 1944). 41 So etwa SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 152: „Ob die Schweizer auf diese Schrift [i.e. Westphals Farrago, C.E.] geantwortet hätten, wenn nicht noch ein besonderes Ereigniss eingetreten wäre, ist zweifelhaft. Ein solches trat aber ein. Eine aus England vertriebene reformirte Gemeinde fand in Dänemark und in lutherischen Städten Deutschlands eine so üble Aufnahme, dass darüber alle reformirten Kirchen aufs tiefste entrüstet wurden.“ 42 Sein Drängen sehen auch PETTEGREE, London Exile Community, 260, NIJENHUIS, Calvinus oecumenicus, 163, sowie NEUSER, Dogma und Bekenntnis, 274, als wichtigen Faktor, gehen aber nicht auf Argumente außer der Ausweisung der Flüchtlinge ein. 43 Calvin an Bullinger, 29.4.1554, CR 34, 124 f. (Nr. 1947). 44 Davon geht die ältere Literatur aus, vgl. etwa STÄHELIN, Johannes Calvin, 207. 45 Vgl. Calvin an Bullinger, 29.4.1554, CR 34, 125. 46 Vgl. Bullinger an Calvin, 14.5.1554, CR 43 = CO 15, 138 (Nr. 1954). 38

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IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

dieser Überlegung steht a Lascos Argumentation: Bullinger betont, Westphal habe neben der Farrago noch ein weiteres Buch verfasst – offenbar wusste er bisher nichts von der Recta fides. Er habe dieses am gleichen Tag von a Lasco erhalten und noch nicht gelesen, wolle aber Calvin zwecks Beratung sein Exemplar schicken, falls dieser keines habe.47 Vermutlich ist die Sendung also a Lascos Brief vom 3.3., dem der Bericht über die Flüchtlinge und die Recta fides beilagen. Zentral scheint daran für Bullinger die zweite Streitschrift zu sein,48 während unklar ist, ob er speziell die Ausweisungen oder allgemein die von a Lasco berichteten Abendmahlskonflikte als Verfolgung sieht. Dass Bullinger a Lasco – durchaus auf Augenhöhe – als Initiator einer Reaktion sieht, mit dem das weitere Vorgehen abzusprechen ist, zeigt sich an der am Folgetag49 verfassten Antwort auf dessen Brief, in dem er a Lascos Überlegungen zur Arbeitsteilung aufgreift: Er unterstützt dessen Vorhaben, auf die Farrago zu antworten, und mahnt, nicht zu lange zu warten. Die von a Lasco erbetene Widerlegung der Recta fides soll Calvin übernehmen: Calvin erwäge, die Farrago zu widerlegen; er werde ihn aber darauf hinweisen, dass das aufgrund von a Lascos Werk nicht nötig sei und er sich auf die Recta fides konzentrieren solle. Weiter stellt Bullinger in Aussicht, dass eventuell auch ein Zürcher, wohl Bibliander, reagieren werde – das könne er aber noch nicht klar sagen, da bisher in Zürich noch niemand die Recta fides gelesen habe.50 Zugleich ordnet Bullinger die Gegner in seine Perspektive auf das innerreformatorische Verhältnis ein: Er hält a Lasco vor, das Verhalten der Lutherani zeige, wie unberechtigt dessen Kritik an der Zürcher Antwort (auf Luthers Vorwürfe) von 1545 gewesen sei: Die Zürcher hätten vorher jahrelang Derartiges 47

Vgl. aaO., 138 f. Beiläufig und ohne Bezug auf a Lasco bemerkt bereits DAVIS, Clearest Promises of God, 44: „Bullinger comes around (particularly after reading the second of Westphalʼs treatises) and agrees Westphal should be answered.“ 49 Der Brief wird in CR 43 = CO 15, 84 f. (Nr. 1931) auf den 17.3.1554 datiert, was jedoch im Verhältnis zu Bullingers anderen Briefen zu formalen wie inhaltlichen Inkonsistenzen führt; unter anderem müsste Bullinger dann seine Haltung zu einer Schrift gegen Westphal mehrfach geändert haben (zu dieser Annahme gelangt etwa KOLFHAUS, Verkehr Calvins mit Bullinger, 102 f.). TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 188 f., argumentiert daher überzeugend für eine Datierung auf den 15.5.1554, die hier übernommen wird (für die Argumente im Einzelnen vgl. aaO., Anm. 11–12). 50 Bullinger an a Lasco, 15.5.1554, CR 43 = CO 15, 85 (Nr. 1931): „Probo in te quod instituis Westphali respondere Farragini. Perge modo, neque differas diu opus necessarium. Sic intelligent calumniatores et Zoili te non dissentire a nobis. Spero autem Calvinum nostrum ei libello responsurum, quem misisti de recta Fide in coena etc. Westphali. Forte respondebit illi aliquis ex nostris, praecipue vero Bibliander noster. Ego enim quum nondum legerim nihildum certi potui constituere et ad te scribere. Hoc autem scio, Calvinum cogitasse de responsione ad Farraginem: id quod nuper epistola mecum contulit. Ego vero iam illi scribo, te responsurum Farragini: satius esse [hier fehlt offenbar ein Wort; CR konjiziert: ut] ad hunc respondeat ipse quem modo misisti, nempe quisquam nostrum vidit hucusque.“ 48

2.1 Briefliche Absprachen

327

erfahren und übergangen; a Lasco und andere Kritiker hätten diese Erfahrung nicht gemacht.51 Für Bullinger steht seit Luthers Polemik von 1544 fest, dass Einigungsversuche mit dessen Anhängern sinnlos sind.52 Das macht sich am Begriff Lutherani fest: Er formuliert quasi als Wesensbestimmung „Lutherani, contentiosum et perniciosum hominum genus sine iudicio et humanitate“53 sowie „Lutheranos, et iudicio sincero et caritate adeoque et humanitate vacuos“54 und bedauert, dass sie den Streit in der Kirche erneuerten.55 Die Stellungnahmen anderer eidgenössischer Theologen zeigen, dass ihnen der Umgang mit Westphal als ihre Kirchen gemeinsam betreffende Frage galt und es über die Genfer und Zürcher hinaus ein breites Spektrum von Positionen dazu gab: von Guillaume Farel in Neuchâtel, der eine Antwort für unbedingt nötig hielt,56 bis zum Basler Antistes Simon Sulzer, der sie strikt ablehnte: Gemäß seiner an Bucer anknüpfenden theologischen Haltung57 zeigte er sich betrübt über den erneuten Abendmahlsstreit und mahnte zu Eintracht.58 Das Eingreifen Johannes Hallers aus Bern und Pierre Virets aus Lausanne versuchte Calvin zu nutzen, um die Antwortschrift – von deren Notwendigkeit er mittlerweile offenbar überzeugt war – zu delegieren: Viret hatte sich an Calvin gewandt, da er sich aufgrund von Texten, die ihm Haller gesandt hatte, über Bullingers Haltung unsicher war.59 Calvin antwortete, er wolle einem von Haller gewünschten Handeln Virets nicht im Wege stehen und sei überlastet. Daher überlasse er seinen Teil gern Viret; den anderen habe a Lasco übernommen.60 Farel begründete dieses Vorgehen mit der Überlegung, so würden vielleicht auch Kritiker Calvins unterzeichnen.61 Erst im August scheint die Entscheidung für eine Antwort Calvins gefallen zu sein – auf Drängen anderer eidgenössischer Pfarrer:62 Farel bat Bullinger, Calvin zu einer Gegenschrift aufzufordern; Viret sehe sich zur Abfassung eines 51

Vgl. Bullinger an a Lasco, 15.5.1554, CR 43 = CO 15, 84 f. (Nr. 1931). Zum Konflikt zwischen Luther und den Zürchern vgl. o. Kap. II.5; zu a Lascos Vorwürfen o. Kap. III.1.1b. 52 Vgl. o. Kap. II.5.2. 53 Bullinger an Calvin, 14.5.1554, CR 43 = CO 15, 138 (Nr. 1954). 54 Bullinger an a Lasco, 15.5.1554, CR 43 = CO 15, 84 (Nr. 1931). 55 Vgl. aaO., 85. 56 Vgl. Farel an Calvin, 2.6.1554, CR 43 = CO 15, 144–146 (Nr. 1959). 57 Zu Sulzers – abendmahlstheologisch wie in der Konkordienfrage – an Martin Bucer anknüpfender Haltung vgl. BURNETT, Bucers letzter Jünger; ABENDSCHEIN, Simon Sulzer, 378–396; 431–455. 58 Vgl. Sulzer an Calvin, 14.7.1554, CR 43 = CO 15, 189 (Nr. 1985). 59 Vgl. Viret an Calvin, 12.6.1554, CR 43 = CO 15, 156 f. (Nr. 1966). 60 Vgl. Calvin an Viret, 23.6.1554, CR 43 = CO 15, 175 f. (Nr. 1978). 61 Vgl. Farel an Bullinger, 1.8.1554, CR 43 = CO 15, 202 (Nr. 1992). 62 Letzteres wird nicht deutlich, wenn TYLENDA, Calvin and Westphal, 12, ausschließlich Calvin als aktiv Handelnden darstellt: „By summer Calvin was becoming impatient that nothing was being done about Westphal. Since a delay could prove advantageous to the Hamburg pastor, Calvin decided he would take the matter in hand.“

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IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

solchen Textes nicht imstande.63 Wenig später teilte Calvin Bullinger mit, er habe dessen Befürwortung einer Reaktion erst aus einem Schreiben an Beza64 eindeutig ersehen und hätte lieber einen Geeigneteren (gemeint ist Viret) damit betraut gesehen, sei aber nun bereit, die Aufgabe zu übernehmen. Er wolle sich allerdings kurz fassen und werde nicht sofort dazu kommen. Das Buch solle nur mit Bullingers Zustimmung veröffentlicht werden.65 Die Tendenz des geplanten Textes wird deutlich, wenn Calvin Sulzer mitteilt, er werde allein die Rechtgläubigkeit der eigenen Lehre herausstellen, um die Störenfriede zu mäßigen, Fromme und Gelehrte dagegen für sich einzunehmen.66 Calvins Entschluss manifestierte sich auch darin, dass er wenig später67 a Lascos Brief vom März beantwortete. Nachdem er sich für seine späte Reaktion entschuldigt hat,68 nimmt er Anteil am Ergehen der Flüchtlinge und ordnet das Verhalten Christians III., die Beteiligung norddeutscher Pfarrer an der Ausweisung der Flüchtlinge und Westphals Streitschriften als einheitliche Haltung zusammen, die sich in Sachsen und der Umgebung ausbreite und der Reformation schade: „Danicae crudelitatis mihi valde tristis acerbaque fuit cognitio. Deus bone, tantam in gente christiana esse barbaritiem, quae maris quoque saevitiam exsuperet? […] Istorum vero, qui vel infensum placuere debuerant, non minus detestabilis fuit perfidia quam crudelitas. Sed, ut video, totam fere illam maritimam regionem diabolicus furor corripuit. Saxoniam quoque afflavit et vicinas regiones, ut sine ullo vel modo vel pudore contra nos insaniunt. Laetum scilicet ad suave papistis spectaculum. Quo etiam plus nobis dandum est operae ut taciti devoremus quae proferre nisi cum evangelii probro non licet.“69

In einer vereindeutigenden Deutung des vorherigen Ablaufs betont Calvin, er sei sofort für eine Antwort gewesen, Bullinger habe jedoch zunächst schweigen wollen. Nachdem Bullinger seine Meinung geändert habe, habe er selbst sich nun zu einer Schrift entschlossen, allerdings noch nicht begonnen.70 Nachdem

63

Vgl. Farel an Bullinger, 1.8.1554, CR 43 = CO 15, 202 (Nr. 1992). Dieses ist offenbar verloren, vgl. CR 43 = CO 15, 208, Anm. 2. 65 Vgl. Calvin an Bullinger, 7.8.1554, CR 43 = CO 15, 208 (Nr. 1995). 66 Vgl. Calvin an Sulzer, 7.8.1554, CR 43 = CO 15, 209 (Nr. 1996). 67 In CR wird der in CR 43 = CO 15, 142–144 (Nr. 1958) undatierte Brief Ende Mai/Juni eingeordnet – ich folge hier TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 190 f., Anm. 15, der ihn mit dem Schreiben vom 27.8. identifiziert, das a Lasco im Oktober beantwortete. 68 Vgl. Calvin an a Lasco, [27.8.?]1554, CR 43 = CO 15, 142 (Nr. 1958). 69 AaO., 143. 70 AaO., 143 f.: „Quoniam tamen mihi dubium non erat, quin doctis et moderatis hominibus odiosa esset ista intemperies, non duxi prorsus silendum esse. Et certe per me non stetit quominus illius reprimendae primo quoque die inita fuerit a nobis ratio. Optimo fratri nostri Bullingero aliud visum est, qui victoriam in silentio et tolerantia locabat. Ego ne molesta esset vel suspecta mea sedulitas, satagere destiti. Nuper vero mutata sententia, tantae opinor importunitatis pertaesus, ultro me hortatus est ut putidas illorum calumnias brevi libello refellerem, quod me facturum recepi. Sed […] nihil adhuc tentavi. Simul autem ac fuero aggressus, exigui ut spero temporis erit lucubratio.“ 64

2.2 Calvins Position: Übereinstimmung im reformatorischen Kernanliegen

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Bullinger ihn nochmals ermahnt hatte,71 verspricht Calvin am 18.9. eine baldige Zusendung und deutete an, dass das Werk als Verteidigung des Consensus Tigurinus konzipiert sei.72 Am 7.10. sandte er es an Bullinger und beschrieb seine Strategie: Er habe die Angreifer scharf angehen, aber Wohlmeinenden Gelegenheit zur Stellungnahme im eigenen Sinne geben wollen73 – dem entsprechen seine Bemühungen um Melanchthon und die Ernestiner.

2.2 Calvins Position: Übereinstimmung im reformatorischen Kernanliegen 2.2 Calvins Position: Übereinstimmung im reformatorischen Kernanliegen

a) Suche nach Unterstützung in Sachsen Sobald sich Calvin zu einer Schrift gegen Westphal entschlossen hatte, versuchte er, den Boden für deren Aufnahme in Sachsen zu bereiten: In Briefen an Melanchthon und die ernestinischen Fürsten hob er hervor, Westphal und dessen Parteigänger störten den innerreformatorischen Konsens. Die Ambivalenz dieser Strategie in Bezug auf die Wittenberger Reformation – den Adressaten gegenüber versöhnlich, gegenüber Westphal und dessen Parteigängern scharf abgrenzend – hat dazu geführt, dass sie in der Forschung als ökumenische Bemühung74 wie als antilutherische Provokation75 gedeutet werden konnte. Sie ist (wie in der Defensio noch klarer werden sollte) von Calvins reformatorisch normativem Anspruch aus konsequent, stieß aber bei den Adressaten aufgrund ihrer reformatorischen Identitätsvorstellungen auf Ablehnung. Calvins Perspektive auf das innerreformatorische Verhältnis wird in seinem Schreiben an Melanchthon deutlich: Er beruft sich implizit auf die Wittenberger Konkordie und auf die damalige Anerkennung der Straßburger Lehre durch die Wittenberger Reformation,76 indem er im Anschluss an Bucer77 Luther so interpretiert, dass dieser die reale Wirkung der Sakramente gegen deren Auffassung als leere Zeichen habe verteidigen wollen. Diese Wirkung aber sieht Calvin auch im Consensus Tigurinus ausgedrückt, der für ihn eine wahrhaftige Nießung Christi auf geistlicher Ebene impliziert.78 Calvin, dessen Haltung in 71

Vgl. Bullinger an Calvin, 9.9.1554, CR 43 = CO 15, 230 (Nr. 2009). Calvin an Bullinger, 18.9.1554, CR 43 = CO 15, 232 f. (Nr. 2011): „Breve mittam Consensus nostri defensionem.“ 73 Vgl. Calvin an Bullinger, 8.10.1554, CR 43 = CO 15, 255 (Nr. 2022). 74 Vgl. NIJENHUIS, Calvinus oecumenicus, 161 f.; STÄHELIN, Johannes Calvin II, 209 f. 75 Vgl. für diese Lesart etwa GREVE, Memoria Westphali, 97 f., Anm. 136. 76 So auch WENGERT, Epistolary Friendship, 38. 77 Vgl. dazu o. Kap. II.3.3; zum Gebrauch des Arguments bei Calvin o. Kap. III.1.1a. 78 Calvin an Melanchthon, 27.8.1554, CR 43 = CO 15, 216 f. (Nr. 2000) = MBW 7273: „Quid enim, obsecro, sibi volunt? Clamavit tota vita Lutherus, non alia de re se contendere, nisi ut suam sacramentis virtutem assereret. Convenit, non inanes esse figuras, sed re ipsa 72

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IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

der Abendmahlsfrage (bei allen konkreten Unterschieden zu Bucer) von seiner Straßburger Zeit geprägt ist,79 geht davon aus, dass auch der mit Bullinger geschlossene Consensus – da er im Sinne dieser Lehre gelesen werden kann – mit der Wittenberger Konkordie und damit der Wittenberger Reformation übereinstimmt. Dieses Argument sollte er in der Defensio ausbauen. Melanchthon gegenüber leitet Calvin aus der Übereinstimmung ab, dass dieser sich gegen Westphal und dessen Parteigänger in seinem Sinne äußern müsste: Er wirft ihm vor, durch Schweigen diejenigen zu begünstigen, die „a parte vestra“ den Sakramentsstreit erneuerten – wenn Melanchthon wollte, könnte er sie zumindest teilweise im Zaum halten.80 Calvin versucht Melanchthon also bei seiner Verantwortung für die Wittenberger Reformation zu behaften und so zu einer Äußerung zu bewegen. Dafür argumentiert er mit dessen normativer Stellung: Unzählige orientierten sich an Melanchthon; seine doppeldeutigen Äußerungen ließen sie im Zweifel. Daher fordert Calvin von ihm eine „sanae doctrinae professio“ oder zumindest eine Mäßigung der Polemiker.81 In der an die Söhne des ernestinischen Fürsten Johann Friedrich I. gerichteten Widmungsvorrrede seines Genesiskommentars argumentiert Calvin analog und verknüpft dies mit der Situation des ernestinischen Fürstenhauses: Er lobt den Bekennermut Johann Friedrichs im Schmalkaldischen Krieg82 und betont die geringe Zahl derer, die an der wahren Lehre festhielten, im Vergleich zu Papisten und Irrlehrern83 – ein für das ernestinische Selbstverständnis als für den wahren evangelischen Glauben kämpfende Minderheit84 anschlussfähiges Argument. Gegen diese Vertreter der wahren Lehre, zu denen er (im Sinne der gegenüber Melanchthon postulierten Übereinstimmung seiner eigenen Haltung mit der Wittenberger Reformation) sowohl die Adressaten als auch sich selbst rechnet, setzt Calvin ohne Namensnennung Westphals Parteigänger als Gruppe, die Material für neuen Streit suche und den innerkirchlichen Frieden störe. Seine Widmung solle dagegen die Gemeinschaft der Kirchen fördern.85

praestari quidquid figurant. In baptismo adesse spiritus efficaciam, ut nos abluat et regeneret. Sacram coenam spiritualem esse epulum, in quo vere Christi carne et sanguine pascimur.“ 79 Vgl. zur Prägung seiner Auffassung durch die Zeit unter Bucer in Straßburg, aber auch zu den Unterschieden zwischen seiner und Bucers Haltung o. Kap. III.1.1a. 80 Vgl. Calvin an Melanchthon, 27.8.1554, CR 43 = CO 15, 216 (Nr. 2000) = MBW 7273. 81 Vgl. ebd. 82 Vgl. Calvin an die Ernestiner, 31.7.1554, CR 43 = CO 15, 200 f. (Nr. 1991). 83 Vgl. aaO., 200. 84 Zur zeitgenössischen Identitätsbildung des ernestinischen Sachsen vgl. GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik, 35–97. Calvins Argumentation weist auffallende Parallelen zu diesen Identitätsvorstellungen auf, wenngleich unklar ist, ob und inwiefern ihm diese Entwicklungen bekannt waren. In jedem Falle jedoch stellen seine Aussagen auf die Lage der aufgrund ihrer reformatorischen Haltung marginalisierten Fürsten ab. 85 Vgl. Calvin an die Ernestiner, 31.7.1554, CR 43 = CO 15, 199 f.

2.2 Calvins Position: Übereinstimmung im reformatorischen Kernanliegen

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Zudem beruft er sich auf seine (von der Zusammenarbeit zwischen Wittenberger und Straßburger Reformation auf den Reichsreligionsgesprächen 1540/41 herrührende) Bekanntschaft mit dem sächsischen Kanzler Franz Burckard.86 Die Ernestiner lehnten Calvins Ansinnen aus einer Westphals Partei entsprechenden Perspektive heraus ab: Burckard teilte Calvin mit, nach Ansicht der fürstlichen Theologen habe Calvin in den Kommentar seine von der sächsischen abweichende Abendmahlslehre eingestreut und Luthers Genesisauslegung verhöhnt.87 Für die Hoftheologen Johann Stoltz und Johann Aurifaber, die sich mit der durch die Magdeburger Lutherdeutung repräsentierten theologischen Ausrichtung identifizierten,88 stand offenbar wie für Westphals Partei fest, dass Calvins Lehre sich im Gegensatz zu dieser Haltung befinde – daher nahmen sie seine Ausführungen als Provokation gegen den für ihr reformatorisches Selbstverständnis normativen Luther wahr. Zugleich betonte Burckard seine persönliche Wertschätzung für Calvin, „licet ipse in quodam praecipuo articulo cum ecclesiis nostris a te dissentiam“, und hob hervor, wie sehr er sich eine Konkordie wünsche.89 Bei Burckard, der neben der durch Stoltz und Aurifaber repräsentierten Haltung auch melanchthonische Gedanken in die ernestinische Konfessionspolitik integrieren wollte,90 ist dieser Wunsch wohl keine bloße Floskel, zumal er bemerkt, Calvin stimme mit Luther in allen anderen Artikeln überein. In der Abendmahlslehre jedoch konstatiert auch er einen Dissens und hält Calvin vor, es sei unklug, einen solchen (aus seiner Sicht Luther widersprechenden) Text Fürsten zu widmen, deren Urteil über Luther allgemein bekannt sei, und damit alte Wunden wieder aufzureißen.91 Melanchthon wiederum lehnte zwar eine Stellungnahme ab, legte sich aber inhaltlich nicht fest. Dass er sich nicht zum Abendmahlsstreit äußern könne, begründet er Calvin gegenüber mit seiner innerwittenbergisch prekären Situation: Gegner suchten Gründe, gegen ihn vorzugehen; er erwarte täglich das Exil.92 Indem er die Hoffnung ausdrückt, mit Calvin über den Streit und über dadurch aufgeworfene Fragen wie die Zweinaturenlehre sprechen zu können,93 86

Vgl. aaO., 201; zu den Reichsreligionsgesprächen o. Kap. II.4.2. Vgl. Burckard an Calvin, 7.10.1554, CR 43 = CO 15, 260 f. (Nr. 2025). 88 Vgl. dazu GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik, 40. 89 Vgl. Burckard an Calvin, 7.10.1554, CR 43 = CO 15, 260 (Nr. 2025), ebd. das Zitat. 90 Vgl. SLENCZKA, Wormser Schisma, 152 f. 91 Vgl. Burckard an Calvin, 7.10.1554, CR 43 = CO 15, 260 f. (Nr. 2025). 92 Melanchthon an Calvin, 14.10.1554, CR 43 = CO 15, 268 f. (Nr. 2031) = MBW 7306: „Quod vero in proximis literis me hortaris, ut reprimam ineruditos clamores illorum, qui renovant certamen περὶ ἀρτολατρείας, scito quosdam praecipue odio mei eam disputationem movere, ut habeant plausibilem causam ad me opprimendum. […] quotidie nova exsilia exspecto.“ 93 AaO., 268 f.: „Cum doctis et bonis viris multa colloquutus sum de multis disputationibus, quas haec una controversia complectitur, de divinarum personarum proprietatibus, de patefactione Dei διὰ λόγου καὶ πνεύματος in vera conversione seu consolatione. De his tantis 87

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IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

macht er zugleich deutlich, dass er Calvins These, sie seien sich theologisch einig, nicht uneingeschränkt teilt, sondern Gesprächsbedarf sieht.94 Calvin ließ sich durch diese Antworten nicht von seiner Perspektive auf die Wittenberger Reformation abbringen, sondern ordnete sie darin ein: In einem Schreiben an Farel meint er, Melanchthon sei in der Sache ihrer Meinung, traue sich aber nicht, dies offen zu vertreten. Die ernestinische Reaktion führt er auf Nikolaus von Amsdorf und dessen Anhänger zurück:95 eine Anspielung darauf, dass sich Amsdorf zur Zeit der Wittenberger Konkordie gegen diese Einigung gewandt und den Straßburger Theologen vorgeworfen hatte, sie täuschten nun zwar Rechtgläubigkeit vor, verträten aber in Wahrheit weiterhin eine zürcherische und ketzerische Lehre.96 Gegenüber Bullinger betont Calvin, man solle Melanchthon weiter zu einer Stellungnahme drängen. Dessen Brief zeige, wie die Gegner gegen alle wüteten, die ihnen nicht zornig genug seien.97 Calvin geht also – gemäß seinem reformatorisch normativen Anspruch98 – weiterhin davon aus, dass die Wittenberger Reformation mit ihm theologisch übereinstimmt, und führt abweichende Aussagen auf Einzelne zurück, die anders als die Wittenberger Mehrheit schon immer eine Einigung mit den Oberdeutschen abgelehnt hätten. Diese Sichtweise liegt der Defensio ebenso zugrunde wie später seinen Antwortbriefen an Melanchthon und Burckard.99 b) Verteidigung des Consensus Tigurinus und Betonung der Übereinstimmung mit Wittenberg: Calvins Defensio In der ersten Version von Calvins Defensio, die er (soweit dies rekonstruierbar ist100) am 7. Oktober 1554 an die Zürcher sandte und sie später aufgrund von

rebus maxime tecum loqui cuperem, quem scio amantem esse veritatis, et non habere animum occupatum odiis, aut aliis stultis affectibus.“ 94 Dies arbeitet WENGERT, Epistolary Friendship, 38, unter Verweis auf die Briefkonventionen des Zeitalters gegen die ökumenisch interessierte These heraus, die in derartigen Bemerkungen Belege für die besondere Freundschaft beider Theologen sieht (in diesem Sinne beispielsweise NIJENHUIS, Calvinus oecumenicus, 164 f.) 95 Vgl. Calvin an Farel, 27.11.1554, CR 43 = CO 15, 321 f. (Nr. 2052). 96 Vgl. o. Kap. II.3.4. 97 Calvin an Bullinger, 23.11.1554, CR 43 = CO 15, 318 (Nr. 2050): „Undique enim subinde affertur fama, nullum insaniendi modum facere panicis Dei patronos. Atque ex Philippi literis, quas nuper accepi, intelliges, quam formidabilis sit ipsorum insania probis hominibus, sed non satis animosis. Qui tamen adeo timidi sunt necessitate coacti, si a nobis accedat stimulus, aliquid forte audebunt. Certe in urgendo Philippo properandum est.“ 98 Vgl. o. Kap. III.1.1a. 99 Zu diesen Briefen vgl. u. Kap. IV.2.4c. 100 In CR 37 = CO 9, 1–36 ist zum Erstdruck der Schrift Calvins Handschrift kollationiert. Wie dort nachgewiesen, entsprechen die Abweichungen zwischen beiden meist Stellen, an denen Bullinger Änderungen angemahnt hatte; überwiegend stimmt auch der von Bullinger zitierte Wortlaut mit der Handschrift überein. Um den Modifikationsprozess erkennbar zu

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deren Kommentaren modifizierte, baute Calvin seine Strategie aus, die (gemäß seinem reformatorisch normativen Anspruch bestehende) Übereinstimmung zwischen Wittenberger, Straßburger und Zürcher Reformation herauszuarbeiten und Westphals Partei als eine Gruppe darzustellen, die diesen Konsens störe. An dem Text wird daher deutlich, wie diese These mit Calvins abendmahlstheologischen Überzeugungen zusammenhängt und inwiefern sie eine ambivalente Perspektive auf die Wittenberger Reformation bedingt. Die Schrift ist zentral darauf ausgerichtet, den Consensus Tigurinus gegen Westphals Ketzervorwürfe zu verteidigen. Daher ist sie als Auslegung des Consensus konzipiert: Anstatt (wie in einer klassischen Gegenschrift) Aussagen der Farrago oder Recta fides der Reihe nach zurückzuweisen, setzt Calvin sich zusammenfassend mit dem Sachgehalt beider Texte auseinander. Er lässt sich also nicht auf a Lascos und Bullingers Überlegungen zur Arbeitsteilung ein, sondern legt ein zugleich knapperes und inhaltlich umfassenderes Konzept vor. Die Vorwürfe, mit denen er sich auseinandersetzt, stehen dabei stellvertretend für die Position einer Gruppe: Einerseits sind ausweislich der Anspielungen auf spezifische Formulierungen101 klar Westphals Schriften gemeint. Andererseits wird Westphal nie namentlich genannt und ordnet Calvin die Aussagen teils einem singularischen „ille“102, teils pluralischen „importuni homines“103 oder dergleichen zu. Gemeint sind wohl die Positionen, die er im sächsischen Raum sieht, etwa bei den an der Ausweisung der Flüchtlinge beteiligten Pfarrern: Es gibt keine Indizien dafür, dass ihm zu diesem Zeitpunkt Schriften weiterer Mitstreiter Westphals bekannt waren. Bei Joachim Magdeburgs Text ist das auch deshalb unwahrscheinlich, weil er niederdeutsch abgefasst war; Albers Schrift war noch nicht erschienen; die Testimoniensammlungen von Westphal und Gallus gelangten Calvin erst später zur Kenntnis. Die Vorrede richtet sich an die Pfarrer aller eidgenössischen evangelischen Kirchen,104 die Calvin als Anhänger des Consensus Tigurinus gemeinsam von den dagegen gerichteten Ketzervorwürfen betroffen sieht. Mit seiner Streitschrift erhebt er den Anspruch, in ihrer aller Namen zu sprechen: Er wolle den Consensus erläutern und den (für Westphals Farrago zentralen) Vorwurf widerlegen, dass die Anhänger des Consensus widersprüchliche Abendmahlsauf-

machen, wird daher in diesem Abschnitt nach der aus der Kollation hervorgehenden ursprünglichen Fassung zitiert; sollte diese nicht eindeutig erkennbar sein, wird das vermerkt. 101 Vgl. etwa CR 37 = CO 9, 11–14: „Exprobrat nobis ille, de quo iam nimis multa, tam confusum esse inter nos opinonum chaos, ut nemo alterum intelligat“ – hier wird auf die in der Farrago enthaltene Tabelle (in Westphals Augen) widersprüchlicher Auslegungen der Einsetzungsworte und deren Überschrift (vgl. o. Kap. III.2.4a) angespielt. 102 Vgl. etwa das Zitat in der vorigen Anmerkung. 103 So z.B. CR 37 = CO 9, 16. 104 Zürich, Bern, Basel, Schaffhausen, Chur und Rhätien, St. Gallen, Biel und Lausanne; Bullinger ergänzte später das von Calvin vergessene Mülhausen. Vgl. CR 37 = CO 9, 5 f.

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fassungen verträten – und zwar, indem er die allen gemeinsame Lehre ausführe.105 Das soll nach außen Geschlossenheit demonstrieren, tendiert aber zugleich dahin, Calvins Auslegung des Consensus als die normative zu etablieren. Wie sich an den Reaktionen auf Calvins Schrift zeigen sollte, war das in Anbetracht des in der Eidgenossenschaft vertretenen Spektrums von Theologien und reformatorischen Identitätsvorstellungen nicht ganz unproblematisch. Calvin stellt den Consensus Tigurinus als gesamtreformatorisches Einigungsdokument dar. So kann er Westphal und dessen Parteigänger als Minderheit innerhalb des evangelischen Lagers sehen, die einen schon beigelegten Streit erneuere: Nachdem zuvor alle Bemühungen um Beilegung der Abendmahlskontroverse fruchtlos geblieben seien, sei der Consensus Tigurinus von allen Gelehrten und Maßvollen akzeptiert worden.106 Nun aber drohten „indocti quidam homines et turbulenti“107 den Streit von neuem anzufachen. Das schade der gemeinsamen reformatorischen Sache: Die interne Uneinigkeit freue die Feinde Christi. Dem Anspruch der Gegenseite, für ganz Sachsen108 zu kämpfen, wird die Aufforderung an die von ihr in Calvins Augen zu Unrecht beanspruchten Autoritäten (Melanchthon und andere Persönlichkeiten der Wittenberger Reformation) entgegengesetzt, dies nicht zu dulden.109 Calvin gesteht 105

Vgl. aaO., 11–14. AaO., 15: „Quum piis omnibus sanoque et recto iudicio praeditis tam odiosa pridem esset molestaque, quae hac nostra aetate mota fuerat, de sacramentis contentio, quam infeliciter ab ea prosperum evangelii cursum tardari videbant: non modo commoda aliqua ratione vel sepultam esse, vel compositam semper optarunt: sed in ea quoque sedanda a quibusdam non parum laboris positum est. Quod ex voto non protinus successit, in ea tarditate quam difficile sit ignem Satane artificio semel accensum restingui, triste documentum apparuit. Huc quidem usque profectum est, ut sedato nonnihil fervore, ad docendum magis, quam ad pugnandum utraque pars intenta foret. Sed quia adhuc ex sopitis carbonibus subinde micabant scintillae, a quibus novum incendium rursus timendum erat: quod optimum putavimus remedium, nos Tigurinae et Genevensis ecclesiae pastores, adhibito etiam optimo fratre nostro Farello, afferre conati sumus, ne qua in posterum residua maneret discordiae materia. Breve compendium edidimus, quod nostram de sacramentis doctrinam ita testatur, ut communem aliorum pastorem consensum, qui purum evangelium apud Helvetios Rhaetosque sequuntur, contineat. Hoc testimonio in publicum edito, doctis et moderatis hominibus plane satisfactum esse, nobis persuasimus: neminem certe putavimus ita morosum, quin placatus quiesceret. Nam ut postea videbimus, dilucida illic constat omnium rerum, de quibus antehac certatum est, definitio, quae nullum sinistrae suspicioni locum relinquat. Et singulari Dei beneficio factum est, ut magna in parte ex spe votoque nostro successerit.“ 107 AaO., 5 f. 108 Was mit der Berufung auf Sachsen auf „primis librorum paginis“ (aaO., 7 f.) der gegnerischen Schriften gemeint ist, wird nicht ganz klar. In CR wird ebd. Anm. 1 auf die Vorrede zur Recta fides verwiesen – wo Westphal aber allein die reformatorische Tradition in Hamburg anführt. Möglicherweise zielt die Aussage auch eher allgemein auf den Anspruch, die Wittenberger Reformation zu vertreten, als auf eine konkrete Vorrede. 109 CR 37 = CO 9, 5–8: „Doctos enim et graves viros, quorum nomen isti frivoli homines indigne obtendunt, sui officii monere volui, ne hanc petulantiam ultra grassari sinant. 106

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zu, dass Friede nicht auf Kosten der Wahrheit gehen dürfe (wie Westphal gegen seine und Vermiglis Thesen betont hatte), will aber mit seiner Auslegung zeigen, dass dies beim Consensus Tigurinus eben nicht der Fall ist.110 Die Auslegung des Consensus zeigt den Zusammenhang zwischen der Strategie, Westphal und dessen Parteigänger als Störer der reformatorischen Eintracht darzustellen, und Calvins theologischer Haltung: Die Deutung des Consensus im Sinne seiner geistlich-exhibitiven Abendmahlslehre ermöglicht es Calvin einerseits, (wie Bucer) auf Basis der Wittenberger Konkordie zu beanspruchen, dass die Wittenberger Reformation mit ihm übereinstimme – andererseits (wie die Zürcher) mit seiner Position nicht kompatible Thesen Westphals als unreformatorisch zurückzuweisen. Dabei lassen sich drei Themenkomplexe ausmachen, die Abschnitten des Consensus und zugleich zentralen Vorwürfen Westphals entsprechen: das Verhältnis von res und signum, die Frage der manducatio impiorum und die Art der communicatio. Calvin deutet den grundsätzlich aus Zürcher nicht-exhibitiver wie aus Genfer exhibitiver Perspektive lesbaren111 Consensus Tigurinus in der Defensio weder zürcherisch112 noch im Sinne Bucers oder gar Melanchthons.113 Vielmehr interpretiert er den Text im Sinne seiner bekannten, geistlich-exhibitiven Praeterquam enim quod pios omnes dare operam convenit, ne longius serpat quod per has faces excitat Satan incendium, certe eorum, de quibus loquor, magis quam nostra interest, importunum fervorem compesci, qui in commune multarum ecclesiarum dedecus redundat. Indocti et temulenti homines, dum bellum sacramentarium instaurant, primis librorum paginis audacter iactant, pro tota Saxonia et vicinis regionibus se pugnare. Id dum a multis creditur, alios involvit pia reverentia, quam saxonicis ecclesiis deferunt: alii eas derident, quod tam putidis indoctisque patronis utantur: alii nimiam sanioris numeri tolerantiam mirantur: impii vero et aperti Christi hostes summam ex mutua nostra concertatione, quasi lanistae ex gladiatorio ludo, voluptatem caperint. Quum igitur turpis dissmulatio sit, quae tot malis vagum et effraenem cursum permittit, viderint docti ac prudentes viri, annon suarum partium sit moderari caecos ostos impetus, unde tantum damnum inferri ecclesiae vident. Et quoniam omnes, qui non prorsus intractabiles sunt, vel nondum se adeo insolenter iactrunt, placide ad sanam mentem redire cupio.“ 110 AaO., 16: „Nec vero est, quod sancti zeli praetextu excusent suam intemperiem. Satis inter nos convenit, veritatis iactura minime redimendam esse pacem. […] Si quis sophisticis ambagibus, quae contrarias doctrinas fucando conciliant, strenue se cordateque opponat, non reprehendo. […] primum nihil in hac causa obscure vel perplexe a nobis dictum, nihil astute celatum, nihil denique omissum de tota rei summa ostendam: deinde nihil minus nobis propositum fuit, quam liberum veritatis cursum abrumpere.“ 111 Vgl. dazu o. Kap. III.1.2c. Die im Folgenden diskutierten Deutungen von Calvins Defensio in der Literatur hängen jeweils eng mit ihren (von dieser These abweichenden) Interpretationen des Consensus Tigurinus zusammen. 112 Gegen JANSE, Calvinʼs Eucharistic Theology, der seine Auffassung: „Calvinʼs notion of the exhibitive function of the signs was absent from the Consensus Tigurinus“ (aaO., 49) auch in der Defensio wiederfindet. 113 So am prägnantesten EBRARD, Dogma vom heiligen Abendmahl, der eine Calvin bei Westphal fälschlich zugeschriebene rein subjektive, eine genuin bei Calvin vorliegende und

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Auffassung,114 die auf dem Spektrum zeitgenössischer evangelischer Abendmahlsauffassungen zwischen den genannten Positionen steht und gegenüber jeder von ihnen Gemeinsamkeiten wie spezifische Unterschiede aufweist. So bestimmt er im Abschnitt zu res und signum als zentralen Sinn der Sakramente, dass sie zur communio mit Christus führen115 – er deutet also Artikel 1 des Consensus mit für seine eigene Lehrauffassung typischen Begriffen und hält eindeutiger als dort fest, dass der Sakramentsempfang heilsrelevant ist.116 In der Folge wird das spezifische Verständnis geistlicher Präsenz deutlich, das Calvin die Einigung mit den Zürchern ermöglicht hat: Er macht das heilsrelevante Geschehen allein am Wirken des Geistes fest – akzentuiert aber nicht wie Bullinger die Unterscheidung, sondern vielmehr die Zusammengehörigkeit von Sakramentsvollzug und Geistwirken, wenn er die Sakramente als Zeugnis, Repräsentation und Siegel der Gnade definiert und unter Berufung auf Artikel 8 des Consensus hervorhebt, dass sie keine leeren Zeichen sind, sondern sich durch Wirken des Heiligen Geistes innerlich ereignet, was durch sie äußerlich bezeugt wird.117 Auch die Definition der Sakramente als Siegel des Verheißenen bedeutet nicht, dass sie für Calvin (wie für die Zürcher) eine nachträgliche, völlig mit Melanchthon übereinstimmende objektive Wirkung des Heiligen Geistes und eine zwischen beidem stehenden Lehre des Consensus unterscheidet (vgl. aaO., 548–550) und die Defensio aaO., 550–552 als Rückkehr zu Calvins genuiner Auffassung deutet. 114 So auch ROREM, Calvin and Bullinger on the Lordʼs Supper, 379: „he interpreted the Consensus from his own ‘instrumentalist’ point of view”. Vgl. ferner DAVIS, The Clearest Promises of God, 41–56, dessen Interpretation allerdings auf der Annahme beruht, dass der Consensus zürcherisch akzentuiere und daher für die Defensio gelte: „Calvin’s main reason for writing was his desire to articulate fully what he considered essential to his Eucharistic thought that was downplayed in the Consensus.” (aaO., 46). 115 CR 37 = CO 9, 16: „Principio, ubi de sacramentis agitur, negari non potest, quin praecipue consideranda sit Domini institutio, eiusque finis. Hinc et vis sacramentorum et usus optime cognoscitur: ut errare nequeat, quiquis huc mentem dirigit, quo Dominus ipse nos vocat. Quorsum vero instituta sint sacramenta, recte a nobis traditum, vel iniquissimi quique fateri cogentur: nempe ut nos ad Christi communionem deducant.“ Zur exhibitiven Ausrichtung dieses Gedankens vgl. auch DAVIS, The Clearest Promises of God, 47 f. 116 Im Consensus steht allgemeiner „huc spectet totum spirituale ecclesiae regimen, ut ad Christum nos ducat“ (ConsTig 1, 127). Zu Calvins Auffassung vgl. o. Kap. III.1.1a. 117 CR 37 = CO 9, 20: „sacramenta notae sint ac tesserae christianae professionis sive societatis, item ad gratiarum actionem incitamenta, pietatis denique exercitia et syngraphae ad Dei cultum nos obligantes, esse tamen hunc finem praecipuum inter alios, ut per ea Dominus suam gratiam nobis testetur, repraesentet atque obsignet: secundo non esse nuda spectacula quae oculis nostris ingerantur, sed illic repraesentari spirituales gratias quarum effectum fideles animae percipiunt. Verba enim sunt: [,]quum vera sint quae Deus nobis gratiae suae dedit testimonia et sigilla, vere procul dubio ipsum intus praestare suo spiritu quidquid figurant sacramenta: hoc est ut potiamur Christo bonorum omnium fonte, tum ut beneficio mortis eius reconciliemur Deo, spiritu renovemur in vitae sanctitatem, iustitiam denique et salutem consequamur.[‘] Quibus subiicimus continuo post, nos inter signas et res signatas distinguendo, non tamen disiungere a signis veritatem, quin fateamur, quicunque

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nicht-exhibitive Bestätigung der davon unabhängigen Verheißung wären:118 Er bestimmt die Sakramente zugleich als organa, mittels derer Gott wirksam an den Erwählten handle119 – ordnet ihnen also eine instrumentale Rolle im Heilsgeschehen zu, wenngleich er in Rücksicht auf Zürich den Begriff organum aus dem Consensus statt des für ihn typischen instrumentum verwendet.120 Die exhibitive Auslegung des Consensus bildet die Grundlage für Calvins These, dass seine Lehre mit derjenigen der Wittenberger Reformation übereinstimme: Anknüpfend an Gedanken Bucers121 führt Calvin aus, Luthers Anliegen im Abendmahlsstreit sei gewesen, dass die Sakramente nicht als leere Zeichen verstanden werden dürften, sondern mit ihnen ein reales Wirken Gottes verbunden sei122 – und folgert, wenn Luther noch lebte, könnte er den Consensus akzeptieren: Für Calvin handelt es sich bei der dort festgehaltenen geistlichen communio um eine reale communicatio, die sich mittels der vom Geist dazu in Dienst genommenen Sakramente ereignet. Das stimme auch mit der Confessio Augustana überein, auf die sich die Gegner daher zu Unrecht beriefen123 – ein Argument, das er für die Druckfassung noch ausarbeiten sollte. Das von Westphal attackierte Verständnis der Sakramente als rein symbolischer, für das Heil nutzloser Zeichen vertrete in der Eidgenossenschaft niemand.124 oblatas illic promissiones fide amplectuntur, Christum spiritualiter cum omnibus suis donis recipere.“ Vgl. ConsTig 7–9 (S. 129 f.); das Zitat aus ConsTig 8 (ebd.) 118 Gegen JANSE, Calvinʼs Eucharistic Theology, 50, der diese Aussage als eindeutig zürcherisch interpretiert: „Godʼs promise was not constitutive for the sacrament.“ 119 CR 37 = CO 9, 18: „sacramenta neque inanes esse figuras, neque externa tantum pietatis insignia, sed promissionum Dei sigilla, testimonia spiritualis gratiae ad fidem fovendam et confirmandam, item organa esse quibus efficaciter agit Deus in suis electis, ideoque licet a rebus signatis distincta sint signa, non tamen disiungi nec separari, data esse ut quod verbo suo pollicitus est Deus, sanciant et confirment, ac praesentiam arcanam quae nobis cum Christo est communicationem obsignent.“ 120 Das beobachtet sehr präzise ROREM, Calvin and Bullinger on the Lordʼs Supper, 379: „he interpreted the Consensus from his own ‘instrumentalist’ point of view, here content to substitute ‘implement’ for ‘instrument’, but repeatedly saying that God confers or works per sacramenta, even calling the sacraments the ‘means of grace’ for being ingrafted into Christʼs body.” DAVIS, The Clearest Promises of God, 55 f., akzentuiert dagegen eher die unterschiedliche Bedeutung von organum und instrumentum. 121 Vgl. o. Exkurs A.3. 122 CR 37 = CO 9, 17 f. [ursprüngliche Version gemäß den Anmerkungen]: „Quanta vehementia causam hanc egerit Lutherus, cuius imitatores videri cupiunt isti, plus satis omnes norunt. Qua de re professus est se habere certamen? Nempe, quod ferre non posset, sacramenta externas tantum confessionis notas censeri, non etiam divinae erga nos gratiae tesserae ac symbola: deinde quod indignum statueret, vacuis et inanis figuris conferri, quum in illis vere testetur Deus quod figurat, et simul arcana virtute praestet atque impleat quod testatur.“ 123 AaO., 19 Anm. a: „His omnibus concessis, annon manum libenter porrigeret? Ne singulas Lutheri paginas evolvere necesse sit, quid aliud continet edita Augustae confessio qua falso inepti homines gloriantur?“ 124 Vgl. CR 37 = CO 9, 7 f.

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Verständlich wird Calvins Perspektive vor dem Hintergrund der Wittenberger Konkordie, in der (jedenfalls in Straßburger Lesart) die Straßburger Abendmahlslehre von Wittenberger Seite als rechtgläubig akzeptiert und im Folgenden in die Confessio Augustana variata integriert worden war:125 Calvin sieht seine Lehre als mit der Straßburger Auffassung übereinstimmend an, interpretiert den Consensus ebenso und leitet daraus ab, auch die Lehre des Consensus müsste von Theologen der Wittenberger Reformation akzeptiert werden. Daher hält er den Streitgegnern vor, er verlange nicht von ihnen, wie die Anhänger des Consensus zu lehren, sondern nur, deren Lehre nicht anzugreifen126 – die in der Konkordie ausgedrückte Haltung der Wittenberger Seite.127 Dass Calvins Auffassung insofern aus seiner straßburgisch geprägten Sicht konsequent ist und er sich mit der Wittenberger Reformation einig sieht, wird in der Forschungsrichtung betont, die seine Haltung als versöhnlich bzw. ökumenisch charakterisiert128 – oft wird dann jedoch der Aspekt unterbestimmt, in dem Calvins Argumentation sich von der seines Straßburger Mentors Bucer unterscheidet: die Wendung dieser Position gegen Westphals theologische Haltung. Aus seiner Deutung des Consensus leitet Calvin nämlich zugleich Argumente ab, mit denen er seine Position gesamtreformatorisch normativ setzt und von denen ausgehend er Westphal bedenkliche Nähe zur altgläubigen Auffassung vorwirft: Calvin betont, die Sakramente dürften nicht als leere Zeichen verstanden, aber auch nicht überbewertet werden – ersteres führe zu Verachtung, letzteres zu Aberglauben.129 Westphal und dessen Mitstreitern wirft er vor, sich nicht hinreichend gegen letzteren, als altgläubig qualifizierten Irrtum abzugrenzen.130 Artikel 10–15 des Consensus hingegen zielen Calvin zufolge darauf, die Wirkung der Sakramente nicht den Zeichen, sondern Gott allein zuzuschreiben. Dass er sich für diese Wirkung der Zeichen bediene, schmälere 125

Vgl. o. Kap. II.3.4 und II.4.1. CR 37 = CO 9, 17: „quis non obstinatos veritatis hostes esse dicat, qui maligne sanctum consensum arrodere malunt, quam vel comiter amplecti, vel saltem silentio probare? Neque enim ut in verba nostra iurent, postulamus: quiescant modo, et recte loquentibus non obstrepant. Obtendunt quidem, quia sacramentis vim suam non tribuimus, se nobiscum ideo contendere. Sed ubi ad rem ventum est, alii nihil praeter convicia proferunt et caecos tumultus, alii quasi fastidiose uno verbo damnant quod nunquam legerunt.“ 127 Vgl. o. Kap. II.3.4. 128 So etwa STÄHELIN, Johannes Calvin II, der aaO., 212–214 die Defensio auslegt und sie aaO., 212 wie folgt charakterisiert: „Westphal […] wird darin mit der äußersten Verachtung behandelt, und sein ganzes Benehmen der satanischen Lust zugeschrieben, den Frieden zu stören, und die Einheit des Glaubens zu zerreißen. In der Darstellung der strittigen Lehre dagegen ist Alles vermieden, was auf lutherischer Seite irgendwie Anstoß geben konnte, und dafür das Versöhnende und Einigende auf das Stärkste hervorgehoben.“ 129 CR 37 = CO 9, 17: „si plus aequo extollitur eorum [i.e. sacramentorum, C.E.] dignitas, facile obrepit superstitio: sin vero de vi eorum fructuque frigide vel minus splendide disseritur, mox profanus contemptus erumpit.“ 130 Vgl. aaO., 21. 126

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nicht die Kraft seines Geistes.131 In dieser Charakterisierung von Wittenberger Theologumena als quasi-altgläubig trifft sich Calvin mit den Zürchern. Indem er diesen Vorwurf aber anders als die Zürcher nicht auf die gesamte Wittenberger Reformation, sondern nur auf Westphals Parteigänger bezieht und mit der These verbindet, dass die Mehrheit der Wittenberger Reformation mit seiner Ansicht übereinstimme, wirft er Westphals Partei faktisch vor, ihre Aussagen stünden in Spannung zum auch in Wittenberg geteilten reformatorischen Konsens – worauf Westphal und seine Mitstreiter sehr empfindlich reagieren sollten. Das wird in Darstellungen betont, die in der Defensio eine antiwittenbergische Provokation sehen.132 Die Problematik dieser Forschungsthesen liegt wiederum darin, dass sie auf dieser Basis Calvins Anspruch auf abendmahlstheologische Übereinstimmung mit Wittenberg als polemisch motivierte Irreführung zurückweisen, ohne dessen Straßburger Hintergrund anzuerkennen. Der Ambivalenz der Argumentation ist nur gerecht zu werden, wenn beide Aspekte festgehalten werden: Calvins Postulat theologischer Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation und seine Widerlegung bestimmter, von ihm als unreformatorisch qualifizierter Aussagen Westphals. Auch beim zweiten strittigen Thema, der manducatio impiorum, greift beides ineinander: Calvin argumentiert, Gott biete allen im Sakrament das Heil an, aber die Ungläubigen empfingen es nicht:133 eine exhibitive Deutung134 von Artikel 16–18 des Consensus, die aus Zürcher Sicht auch so verstanden werden konnten, dass

131

AaO., 21–24; bes. 22 f.: „Haec doctrina nostrae summa est, quam dilucida et minime ambiguis verbis testamur, Deum solum peragere quidquid ex sacramentis consequimur: et quidem arcana sua et intrinseca, ut loquuntur, virtute. Caeterum ne quis obiiceret, signis quoque suas esse partes ne frustra data sint, mature illic occurrimus, sic Deum illorum uti ministerio, ut neque vim ipsis suam infundat, nec quidquam derogat spiritus sui efficaciae.“ 132 So etwa SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 164–170, bes. 169 f.: „Calvin legt alles Gewicht darauf, dass auch nach seiner Lehre eine reale Mittheilung von Seiten Christi im Abendmahl Statt habe und spricht so, als wenn der Streit sich nur um diesen Punkt bewegt habe. Auf die Hauptfrage, ob denn das, was nach ihrer Lehre mitgetheilt werde, dasselbe sei, was nach Luthers Lehre mitgetheilt werde, geht er gar nicht ein. […] Die Weise der Mittheilung, welche er lehrt, hält er für die einzig richtige und schriftgemässe, und bezeichnet die Lehre, die er für die Luthers hält, freilich ohne Luthern zu nennen, geradehin und in starken Ausdrücken für eine ungereimte […]. Ist es ein zu starker Ausdruck, wenn wir sagen, diese Weise der Polemik war […] ein Attentat auf Luther und seine Lehre, die Calvin mit kurzem Hinweis auf ihre Absurdität meint beseitigen zu können?“ Vgl. in ähnlichem Sinne auch MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 36–44. 133 CR 37 = CO 9, 25 f.: „ne quis ideo, vel quidquam decedere sacramentorum virtuti, vel hominum incredulitate et malitia infirmari Dei veritatem putaret, diligenter nos cavisse existimo, dum integra nihilominus diximus manere signa, indignisque Dei gratiam offerre, nec vim promissionum labefactari, licet non recipiant increduli quod offertur.“ 134 Gegen JANSE, Calvinʼs Eucharistic Theology, 49: „we are struck again by his emphasis – a Bullingerian reminiscence – on the autonomy of the Giver, and the precondition of faith in the receiver“.

340

IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

sich bei Ungläubigen gar kein geistlicher Vorgang ereigne.135 Diese Auslegung ermöglicht Calvin wiederum, Westphals Vorwürfe als unbegründet zurückzuweisen: Da der Unterschied zwischen Gläubigen und Ungläubigen nicht in Gottes Handeln liege, sondern in der Akzeptanz dieses Handelns durch den Menschen, werde die Verlässlichkeit von Gottes Zusage nicht infrage gestellt.136 Zugleich charakterisiert Calvin Westphals Auffassung der manducatio impiorum als gotteslästerlich: Gläubigen und Ungläubigen werde das Gleiche gegeben, aber wenn sie das Gleiche empfingen, würde das Christus von seinem Geist trennen.137 Für Calvin impliziert der Empfang Christi eine Christusgemeinschaft, die geistlich lebendig macht. Entsprechend setzt er sich mit dem Argument des Empfangs zum Gericht auseinander: Würden Ungläubige Christus empfangen, wäre ihnen vergeben; daher setze das Gericht gerade voraus, dass bei ihnen ein solcher Empfang nicht geschehe.138 Das gleiche Argumentationsmuster zeigt sich in Bezug auf die Art der communicatio mit Christus beim Abendmahl. Diese Frage kennzeichnet Calvin als zentralen Streitpunkt zwischen seiner und Westphals Partei und ordnet dem die Frage der localis praesentia sowie die Auslegung der Einsetzungsworte zu.139 Analog zur bisherigen Argumentation macht er einerseits geltend, dass die geistliche communicatio des Leibes Christi entgegen der von Westphals Partei erhobenen Vorwürfe eine wahrhaftige sei. Der im Consensus betonte Empfang durch Glauben bedeute nicht, dass dieser Vorgang sich nur imaginär ereigne, sondern dass er sich bei Ungläubigen nicht vollziehe.140 Daher hält Calvin die 135

Vgl. ConsTig 16–18 (S. 133 f.) und dazu o. Kap. III.1.2c. CR 37 = CO 9, 26 f.: „Sed haec duo longe inter se differunt, fidem Domino constare ad praestandum quod signo demonstrat: et hominem, ut fruatur oblata gratia, locum promissioni dare: quia ut quis recipiat quod datur, ante capacem esse oportet […]. Quare inscite quideam clamitant inanem et irritam fieri sacrae coenae figuram, nisi tantundem in ea percipiant impii, quantum fideles.“ 137 AaO., 27: „Si promiscue idem utriusque dari sentirent, facile subscriberem. Sed Christum absque fide recipi non minus portentum est, quam semen in igne germinare. Nam quo iure sibi permittunt, Christum a spiritu suo divellere? quod nefarium esse sacrilegum ducimus. Recipi ab impiis Christum volunt, quibus ne guttam quidem concedunt spiritus Christi. Quid hoc aliud est, quam veluti mortuum sepulchro includere?“ 138 Vgl. aaO., 27. 139 Vgl. aaO., 30 und dazu ConsTig 21–26 (S. 136–140) sowie o. Kap. III.1.2c. 140 CR 37 = CO 9, 30: „fatemur, Christum quod panis et vini symbolis figurat, vere praestare, ut animas nostras carnis suae esu et sanguinis potione alat. Facessat igitur putida illa calumnia […], nisi re ipsa praestet Dominus quod signo ostendit. Neque enim dicimus quidquam ostendi quod non vere detur. Iubet nos Dominus panem et vinum accipere: interea spirituale carnis suae et sanguinis alimentum se dare pronunciat. Huius rei non fallacem oculis proponi figuram dicimus, sed pignus nobis porrigi, cui res ipsa et veritas coniuncta est: quod scilicet Christi carne et sanguine animae nostrae pascantur. Nec fidei nomen quidquam imaginarium notat, quasi tantum cogitatione, vel memoria percipiant fideles quod promittitur: sed ne quis putet eo usque prostitui Christum, ut ipso fruantur increduli.“ 136

2.2 Calvins Position: Übereinstimmung im reformatorischen Kernanliegen

341

Aussage für akzeptabel, dass sich beim Abendmahl eine communicatio realis vollziehe, betont aber, das müsse im Unterschied zu einer rein imaginären communicatio verstanden werden. Die Gegner hingegen verwürfen zu Unrecht ein geistliches Verständnis als irreal, wenngleich sie nicht wagten, offen ein fleischliches zu vertreten.141 Andererseits arbeitet er heraus, dass die eigene Lehre schriftgemäß sei, die der Gegner nicht: Die Bestimmung der communicatio als geistlicher sei nötig, um fleischlichen Vorstellungen entgegenzuwirken; die Vermischung von Substanzen (d.h. des nach Auffassung von Westphals Partei substantial präsenten Leibes und Blutes Christi mit der Substanz der Elemente) widerspreche Schrift und analogia fidei.142 Auch in Bezug auf die lokale Präsenz des Leibes Christi in den Elementen verteidigt sich Calvin einerseits gegen den Vorwurf, die Ablehnung bedeute Abwesenheit Christi: Christus sei mit seinem Geist anwesend.143 Entsprechend hält er die – exhibitiv verstehbare – Rede von einem Empfang Christi „sub panis symbolo“144 für akzeptabel. Andererseits widerlegt er die gegnerische Christologie: Mit Transsubstantiation und lokaler Präsenz in den Elementen würden in Artikel 21 und 24 des Consensus Vorstellungen zurückgewiesen, die gegen Christi menschliche Natur verstießen145 – hier wird die Position von Westphals Partei wieder mit der altgläubigen zusammengeordnet.

141 Der ursprüngliche Text ist an dieser Stelle (vgl. CR 37 = CO 9, 32 Anm. a) nicht eindeutig zu rekonstruieren, enthielt jedoch, wie aus der Kommentierung der Zürcher hervorgeht, die Aussagen: „Qualis autem sit corporis et sanguinis Domini communicatio quaeritur? Carnalem isti palam et simpliciter asserere non audent.“ „Spiritualem quum dicimus, fremunt quasi hac voce realem, quam vocant, tollamus.“ „Barbare loqui malumus quam pugnis materiam praebere.“ (vgl. ebd. mit CR 43 = CO 15, 285 f.; zitiert nach letzterer Version). 142 Vgl. CR 37 = CO 9, 31. 143 AaO., 33: „De locali praesentia miror si censores nostros non pudeat certamen movere. Sed quum Christi corpus negent locorum spatiis circumscribi, immensum esse volunt. Quid autem nos? Nempe in coelo quaerendum esse, quod, teste scriptura, eum capit donec in iudicium appareat. Neque tamen est, cur nos ideo quisquam invidia gravet, ac si abesse a nobis fingamus, membraque separemus a capite. […] Abest igitur Christus a nobis secundum corpus: spiritu autem suo in nobis habitans, in coelum ad se ita nos attollit, ut vivificum carnis suae vigorem in nos transfundat, non secus ac vitali solis calore per radios vegetamur.“ 144 Vgl. aaO., 34. 145 AaO., 33 erläutert er, der Consensus weise neben der Transsubstantiation „crassa omnia figmenta, quam futiles argutiae, quae vel Christi gloriae derogant, vel naturae humanae veritati minus sunt consentaneae“ zurück (vgl. ConsTig 21 (S. 136) und 24 (S. 137)) und führt aus: „Quis nobis succenseat, si Christo manere salvum cupimus et integrum quod utriusque naturae est, ne laceretur mediator ille qui nos Deo coniungit? Immensitas quam imaginantur in Christi carne, prodigiosum spectrum est, quod spem resurrectionis evertit. Nam ubi omnia effutiverint de coelestis vitae qualitate, semper illus Pauli obiiciam: exspectare nos Christum de coelo, qui corpus nostrum humile transfigurabit, ut conforme reddat corpori suo glorioso. Nunc quam sit absurdum singulis fidelium corporibus totum mundum impleri, quid attinet dicere?“ (CR 37 = CO 9, 33 f.)

342

IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

Schließlich thematisiert Calvin die Auslegung der Einsetzungsworte: Er dreht Westphals Vorwurf widersprüchlicher Auslegungen um, indem er betont, die Behauptung einer Präsenz in, cum et sub pane enthalte selbst drei widersprüchliche Auslegungen, die nicht dem Wortlaut entsprächen.146 Da Christi Leib nicht im eigentlichen Sinne mit dem Brot identisch sein könne, müsse die Gegenseite faktisch auch von einem tropus ausgehen.147 Zudem beruft Calvin sich auf die paulinische Deutung des Abendmahls als communicatio corporis (1 Kor 10,16) – gesteht allerdings zu, man könne beim Wortlaut bleiben: beim paulinisch-lukanischen „testamentum in sanguine“.148 Im Kernanliegen aber sieht er innerreformatorisch Einigkeit und beendet die Schrift mit einer Mahnung, nicht wegen der strittigen Punkte die Kirchengemeinschaft zu zerreißen: „De re enim quum optime conveniat, quid magis praeposterum, quam scindi ecclesias, et atroces moveri tumultus, quia alii panem vocari corpus interpretantur, quod sub ipso et cum ipso exhibetur: alii vero symbolum est non lusorium nec inane, sed cui annexa sit sua veritas, ut vere participes fiant Christi, qui et ore signum, et fide promissionem recipiunt? Quod si illis statutum est nullum facere maledicendi finem, neminem qui a contentione integer erit, tam iniquum fore confido, qui non et recta nos docere, et sinceritatem colere, et paci studere agnoscat. Minime vero timendum esse arbitror, ne quis importunis istorum clamoribus, nisi eodem ipse quoque furoris oesto percitus, subscribat.“149

2.3 Die Zürcher Position: Eigene Rechtgläubigkeit im Gegensatz zu Westphal 2.3 Die Zürcher Position: Eigene Rechtgläubigkeit im Gegensatz zu Westphal

Die Zürcher Pfarrer setzten sich mit Calvins Entwurf auseinander und verfassten mehrere Texte, die sie Calvin sandten:150 eine Kritik der Defensio und drei Tabellen, die ihrer Meinung nach zusammen mit der Defensio gedruckt werden sollten. Die ersten beiden enthalten exegetische und patristische Belege, die dritte eine Widerlegung von Westphals Farrago. Die Texte zeigen einerseits Unterstützung für Calvin, andererseits die abweichende Zürcher Lehrauffassung und Sicht auf die Wittenberger Reformation. Dementsprechend verfolgten die Zürcher eine andere Strategie im Umgang mit Westphals Vorwürfen. 146

Vgl. aaO., 34 f. AaO., 36: „panem ubi dixerunt esse corpus, fateri tamen simul coguntur signum esse corporis. Unde porro hoc se habere dicent, nisi ex Christi verbis? Ergo signi nomen, de quo tam odiose nobiscum rixantur, furtim eliciunt ex eo loco, quem nolunt nisi literaliter intelligi. Nos vero, quod tam communis sensus quam pietatis ratio extorquet, dum figuratum esse loquendi modum ingenue concedimus, non confugimus neque ad allegorias neque ad parabolas, sed axioma sumimus, quod sine controversia receptum est inter omnes pios: quoties de sacramentis agitur, rei signatae nomen ad signum metonymice solere transferri.“ 148 Vgl. aaO., 35. 149 AaO., 36. 150 Vgl. Bullinger an Calvin, 25.10.1554, CR 43 = CO 15, 296 (Nr. 2036). 147

2.3 Die Zürcher Position: Eigene Rechtgläubigkeit im Gegensatz zu Westphal

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a) Kritik der Defensio: Hinweise an Calvin In Auseinandersetzung mit Calvins Entwurf für die Defensio berufen sich die Zürcher Pfarrer auf seine Aussage, er wolle ausführen, was alle anderen Anhänger des Consensus Tigurinus auch geschrieben hätten. Daher wollten sie ihre Änderungswünsche mitteilen „ut revera te exacte sensum nostrum expressisse testari possimus“151 – hier deutet sich schon an, dass sie ihre Haltung in Calvins erster Fassung nicht vollständig wiederfinden. Die Änderungswünsche betreffen vor allem Calvins Perspektive auf Luther und die Confessio Augustana sowie seine exhibitive Abendmahlsauffassung. Eher formaler Art ist die Ergänzung Mülhausens unter den Adressaten der Vorrede;152 es folgen Mahnungen zur Mäßigung im Tonfall:153 Wie das Beispiel Luthers zeige, wirke übermäßige Schärfe abschreckend.154 Gleichzeitig meinen die Zürcher, Calvin solle Westphal namentlich identifizieren, um erkennbar zu machen, dass sich die Schrift gegen ihn als für den Neubeginn des Abendmahlsstreits Verantwortlichen richte, nicht gegen andere, deren Wohlwollen Calvin erhalten wolle.155 Dementsprechend schlagen sie auch einen Titel vor, der den Bezug der Schrift auf Westphal eindeutig macht.156 Besonders ausführlich setzt sich das Zürcher Gutachten mit Calvins Berufung auf Luther auseinander. Hier wird auch am deutlichsten, dass der Unterschied zu Calvin im Umgang mit Westphals Vorwürfen nicht nur auf emotionaler Parteilichkeit der Zürcher gegen Wittenberg beruht,157 sondern auf unterschiedlichen Identitätsvorstellungen: Die Zürcher bitten Calvin, die Passage über Luther zu streichen, da dieser die ihm zugeschriebene Auffassung niemals 151

Zürcher Gutachten zu Calvins Defensio, CR 43 = CO 15, 272 f. (Nr. 2034), Zitat 273. Vgl. aaO., 273. 153 Diese werden in der lutherischen Forschung zur Diskreditierung Calvins genutzt, vgl. SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 164, MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 31 und speziell TSCHACKERT, Entstehung der lutherischen und reformierten Kirchenlehre, 534, der zur Defensio ausschließlich (!) bemerkt: „Hier wirft Calvin, ohne Westphal zu nennen, mit persönlichen Beleidigungen gegen ihn und seine Gesinnungsgenossen um sich und hält es nicht einmal für der Mühe wert, mit ihm eine richtige Disputation anzustellen.“ Die Gegenthese bemüht sich, Calvins Tonfall durch Westphals Polemik zu entschuldigen und so den Kontrast zu ihrer Sicht Calvins als versöhnlichen Ökumenikers zu minimieren, vgl. etwa STÄHELIN, Johannes Calvin II, 210. 154 Vgl. das Zürcher Gutachten zu Calvins Defensio, CR 43 = CO 15, 273 (Nr. 2034). 155 Vgl. ebd. 156 AaO., 286 f.: „Consensionis ministrorum in Ecclesiis Helvetiae Rhaetiae […] et Galliae quibusdam de sancta Coena Domini, adversus intempestivam Ioachimi Westphali farraginem assertio christiana“. 157 So STÄHELIN, Johannes Calvin II, 210: „Wie Westphal nur allzurichtig berechnet, hatte sein Anfall auf allen Seiten die Partei-Reminiscenzen wieder geweckt: dem Aufflammen des ausschließlich lutherischen Bewußtseins antwortete sofort eine verstärkte Empfindlichkeit und erneuerte Antipathie der ursprünglichen Zwinglianer.“ Vgl. auch NIJENHUIS, Calvinus oecumenicus, 166. 152

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IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

akzeptiert, sondern den Consensus Tigurinus verketzert hätte. Daher würden die Lutherani das Gleiche tun.158 Diese Sichtweise beruht zentral auf früheren Zürcher Erfahrungen mit Luther und der daraus entwickelten Sicht auf die Wittenberger Reformation:159 Während aus Calvins Sicht sowohl der Consensus als auch Luther von seiner eigenen exhibitiven Lehre her verstehbar sind, betonen die Zürcher – für die eine Einigung mit Luther spätetens seit 1544 undenkbar ist und die sich zu ihm dogmatisch im Gegensatz sehen – im Consensus gehe es nicht um Luther.160 Dass hier Calvins straßburgisch geprägte Perspektive kritisiert wird, zeigt sich an der Aussage, Calvin meine, Luther habe so gedacht, wie friedliebende Leute (gemeint ist Bucer) – ihn zu interpretieren versuchten. Dies sei aber nicht der Fall.161 Die Zürcher meinen, Calvin wisse vielleicht nicht, wie barbarisch Luther gedacht habe, weil sich das vor allem in deutschsprachigen Schriften zeige,162 und demonstrieren dies mit ins Lateinische übersetzten Exzerpten aus diesen Schriften. Eine erste Gruppe von Zitaten betont die aus Zürcher Perspektive inakzeptablen Elemente von Luthers Lehre: das körperliche Essen des Leibes Christi sowie die Identifikation von Brot und Leib.163 Eine zweite Gruppe stützt das Argument, Luther habe auch Zwingli und Oekolampad verketzert, die das Gleiche vertreten hätten wie Calvin.164 158

Vgl. das Zürcher Gutachten zu Calvins Defensio, CR 43 = CO 15, 273 f. (Nr. 2034). Dass die lutherische Forschung den Realismus der Zürcher Auffassung betont, ist im Hinblick auf die Einschätzung der Gegenseite durchaus nachvollziehbar. Die Problematik liegt darin, dass dies von der als normativ gesetzten Position Westphals aus interpretiert und Calvins Auffassung von dort aus als per se unrealistisch diskreditiert wird, so etwa SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 161 f.: „Heinrich Bullinger, der Züricher Theologe, der nicht nur besonnener und gemässigter, sondern auch einsichtiger und des wirklichen Standes der Dinge kundiger war als Calvin […] kannte […] die Stimmungen und Ueberzeugungen in Deutschland zu gut, als dass er sich wie Calvin der Täuschung hingegeben hätte, es sei in Deutschland alles auf dem Weg zur Annahme des consensus Tigurinus. […] Bullinger kennzeichnet […] sehr richtig den falschen Standpunkt, den Calvin in dem Streit mit Westphal einnahm, den nemlich, als sei kein wesentlicher Unterschied zwischen seiner und Luthers Lehre, und es ist erfreulich, einen reformirten Theologen selbst Zeugniss dafür ablegen zu sehen.“ Vgl. auch MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 32 f. 160 Zürcher Gutachten zu Calvins Defensio, CR 43 = CO 15, 274 (Nr. 2034): „in Consensione nulla sit facta D. Lutheri mentio.“ 161 Ebd.: „Existimas forte, sic illum [i.e. Lutherum, C.E.] sensisse, ut quidam viri boni pacisque amantes illius verba interpretati sunt, ac extra contentionem ipsum sensisse asseveraverunt. Caeterum certissimum est Lutherum longe crassius sensisse quam isti fingant et crassitiem illam editis scriptis sic ursisse improbe, ut nulla possint commoda expositione moderari. Fecit hoc non tantum in certaminis principio, sed etiam in medio et fine.” 162 Ebd.: „Nescis fortassis […] quam crasse et barbare D. Lutherus de hoc spirituali epulo senserit et scripserit. Neque enim libros eius vel legere vel intelligere potuisti, quum huius generis pleraque germanice scripserit.” 163 Vgl. aaO., 274–276. 164 AaO., 276: „mox subiungis: His omnibus concessis, annon manum libenter porrigeret Lutherus? Respondemus tibi: Mi Calvine, non porrigeret manum, quam vivens viventibus 159

2.3 Die Zürcher Position: Eigene Rechtgläubigkeit im Gegensatz zu Westphal

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Dafür werden bei Zwingli die Spätschriften angeführt (etwa die Aussage einer Präsenz fidei contemplatione aus De convitiis Eckii165): Hier lässt sich eine Übereinstimmung mit Calvin am ehesten belegen. Calvins Auffassung wird also im Sinne der Zürcher nicht-exhibitiven geistlichen Präsenz interpretiert – eine deutlich andere Deutung des Consensus als bei Calvin, der alle Beteiligten exhibitiv versteht! Luthers Polemik gegen diese Position wird belegt.166 Die Zürcher argumentieren, da diese Äußerungen bekannt seien, würde die Veröffentlichung von Calvins Thesen sie Angriffen der „Lutherani“ aussetzen.167 Eine ähnliche Sichtweise zeigt sich an den Kommentaren zur Confessio Augustana. Dass die Zürcher meinen, die Berufung der Gegner darauf sei berechtigt – was Calvin bestritten hatte – liegt zum einen daran, dass sie irrtümlich Luther für den Autor der CA halten.168 Zum anderen zitieren sie die Apologie zu Artikel X, um zu belegen, dass die CA nicht nur eine substantiale Präsenz Christi, sondern auch (ausweislich der Berufung auf die gesamte Kirche sowie der Akzeptanz des Artikels durch die Konfutatoren) Übereinstimmung mit Kaiser und Papisten behaupte.169 Die durch die Situation von 1530/31 bedingte Mehrdeutigkeit des Textes170 wird also genutzt, um ihn gemäß der Zürcher Perspektive auf Wittenberger Lehrauffassungen als quasi-papistisch darzustellen – daher gilt er aus Zürcher Sicht als reformatorisch inakzeptabel. Dass die Zürcher in der Lehre der Streitgegner eine der eigenen Auffassung strikt entgegengesetzte Position sehen, zeigt sich auch an der Auseinandersetzung mit Calvins Rede von einer realis communicatio.171 Dies sei – in Calvins Verständnis – zwar richtig, aber zu missverständlich, da die Gegner reale als

Zuinglio et Oecolampadio illa ipsa omnia concedentibus aut profitentibus noluit porrigere dextram. Atque nunc etiam paucis demonstrabimus D. Zuinglium et Oecolampadium consensisse aut docuisse quae tu confitenda censes, ut concordia sarciatur.“ 165 Vgl. ebd.; die entsprechenden Zitate insgesamt aaO., 276–278. Zur Theologie dieser Texte vgl. o. Kap. II.3.1c. 166 Vgl. Zürcher Gutachten zu Calvins Defensio, CR 43 = CO 15, 278–280 (Nr. 2034). 167 Vgl. aaO., 278. 168 Vgl. aaO., 280. 169 AaO., 280 f.: „Iactitant enim consensum in hunc articulo Caesaris et Papistarum. Quinimo, ne ulla eis unquam pateret elabendi rima, ita se coniunxerunt Papistis, ut nunquam sine pudore ab illis amplius avelli queant: dum diserte confitentur se sequi doctrinam in hoc articulo romanae ecclesiae atque adeo receptum in tota ecclesia.“ Es folgen ausführliche, enstprechend interpretierte Zitate aus Artikel X der Apologie, gipfelnd in der Passage: „Non enim improbat (observa mihi hanc sententiam) hunc articulum Caesarea maiestas, sed ut clarius etiam perspicerent quicunque ista legent (vide ut iam omnem sibi viam redeundi praecludant) NOS DEFENDERE RECEPTAM IN TOTA ECCLESIA SENTENTIAM quod in coena Domini vere et SUBSTANTIALITER adsint corpus et sanguis Christi et vere exhibeantur cum his rebus quae videntur, pane et vino.“ 170 Vgl. o. Kap. II.3.1a. 171 Vgl. ROREM, Calvin and Bullinger on the Lordʼs Supper, 381.

346

IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

corporale verstünden und die geistliche communicatio Christi als eine nicht wahrhaftige bekämpften.172 Weitere Änderungswünsche zielen darauf, Elemente zu tilgen, die nur exhibitiv verstehbar sind, oder so zu formulieren, dass auch ein Zürcher Verständnis möglich ist. So bitten die Zürcher, analog zum Consensus ein „per fidem“ in Aussagen einzufügen, in denen Calvin die communio mit Christus beschreibt173 – das lenkt darauf hin, dass im Zürcher Sinne allein der Glaube (unabhängig vom äußeren Vollzug) die Gemeinschaft bewirkt. In Bezug auf die manducatio impiorum wird die Unterscheidung zwischen körperlicher Anteilhabe am Zeichen und geistlicher Anteilhabe an Christus angemahnt.174 Hatte Calvin akzentuiert, dass das Heil allen angeboten, aber nicht von allen empfangen werde, tendiert dies eher dahin, dass Ungläubigen nur das Zeichen angeboten wird. Die Auslegung der Einsetzungsworte im Sinne einer communicatio corporis bitten die Zürcher zu tilgen: Die Gegner würden darin wieder eine neue, mit anderen unvereinbare Auslegung sehen. Auch hier wird eine exhibitive Aussage gestrichen.175 Ebenso wird die Streichung der Passage gefordert, in der Calvin einen Empfang Christi sub panis symbolo vertritt.176 b) Ergänzungen zur Defensio: Tabellen und Biblianders Widerlegung der Farrago Die Zürcher schlagen vor, „ad imitationem, imo confutationem Westphali“ in die Defensio Tabellen einzufügen, deren Ausarbeitung sie gerne übernehmen könnten.177 Es folgen drei allgemeine Beispiele und eine tabellarische Widerlegung der Farrago durch den Zürcher Sprachenprofessor und Ausleger des Alten Testaments, Theodor Bibliander.178 Diese Tabellen und die beigefügten Erläuterungen, die in der Forschung bisher kaum analysiert wurden,179 zeigen 172

Vgl. das Zürcher Gutachten zu Calvins Defensio, CR 43 = CO 15, 285 f. (Nr. 2034). Vgl. aaO., 281.286. 174 AaO., 281: „Observamus discrimen inter spiritualem perceptionem corporis et sanguinis Christi et inter visibilem vel externam sacramenti perceptionem, itemque inter homines ipsos qui sacramenta percipiunt, ne ingrati et iniqui aestimatores gratiae Dei reperiamur, neque Deo sanctissimo imputemus quod est culpae humanae.“ 175 Vgl. aaO., 286. 176 Vgl. ebd. 177 Vgl. ebd.; dort auch das Zitat. 178 Zur Person und Lebensgeschichte Biblianders vgl. CHRIST-VON WEDEL, CHRISTINE, Theodor Bibliander in seiner Zeit, in: Dies. (Hg.), Theodor Bibliander (1505–1564). Ein Thurgauer im gelehrten Zürich der Reformationszeit, Zürich 2005, 19–60, zu seinem Korrespondenznetzwerk MOSER, Ferngespräche. 179 Die Konzentration der Forschung auf Calvin und Bullinger führt dazu, dass diese Texte selbst in dezidiert an der Zürcher Position interessierten Darstellungen (vgl. etwa KOLFHAUS, Verkehr Calvins mit Bullinger, 103 f.) nicht behandelt werden. Nur TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 193, äußert sich wenigstens knapp inhaltlich dazu. 173

2.3 Die Zürcher Position: Eigene Rechtgläubigkeit im Gegensatz zu Westphal

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einen Umgang mit Westphal, der von Calvins Taktik abweicht und hinter dem eine andere Perspektive auf die Wittenberger Reformation steht. Mit den allgemeineren Tabellen soll bewiesen werden, dass Westphals Widerspruchsvorwurf unsinnig sei, weil er mit seiner Methode auch in der Schrift angebliche Gegensätze finden könnte180 – die eigene Rechtgläubigkeit wird also dadurch belegt, dass die von Westphal kritisierte Variation in der Formulierung auch bei Schrift und Vätern anzutreffen ist. Dafür werden in der ersten Tabelle Brot- und Kelchwort aller Synoptiker sowie Joh 6 angeführt.181 Die zweite Tabelle listet Auslegungen der Kirchenväter auf.182 Nicht ausgearbeitet wird eine dritte Tabelle, die erweisen soll, dass auch „apud Papistas“ vor Entwicklung der Transsubstantiationslehre die Auslegungen variiert hätten.183 Biblianders Widerlegung der Farrago folgt der gleichen Strategie: Er listet die bei Westphal als „chaos diversarum opinionum“ aufgeführten Auslegungen der Einsetzungsworte auf, ordnet ihnen Zitate aus in der Farrago attackierten Schriften zu und erläutert diese Texte, um ihre Übereinstimmung miteinander sowie mit den Kirchenvätern zu belegen.184 Das lässt sich als Ergänzung zu einem Abschnitt der Farrago verstehen, den Calvin nicht behandelt hatte.185 Zugleich verbindet sich damit ein deutlich konfrontativerer Umgang mit Westphals Vorwürfen: Bibliander will nicht nur die Schriftgemäßheit aller Auslegungen der eigenen Seite erweisen, sondern auch ihre Überlegenheit gegenüber Westphals Lehre, die er auf Lanfranks papistica opinio zurückführt186 – dass sich Westphals Partei auf das päpstliche Vorgehen gegen Berengar beruft,187 nutzt Bibliander, um sie als papistisch hinzustellen. Bibliander arbeitet daher 180

Vgl. CR 43 = CO 15, 288 (Nr. 2034). Vgl. aaO., 287–289. 182 Vgl. aaO., 289 f. 183 Vgl. aaO., 290; dort auch das Zitat. 184 Vgl. Biblianders Erläuterung dieses Vorgehens: CR 43 = CO 15, 290 f. (Nr. 2035). 185 So TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 193: „Biblianderʼs composition […] was intended to speak directly to Westphalʼs tabula since Calvin had neglected it, and it endeavoured to demonstrate that none of the interpretations of the words of the Supper, cited by Westphal, was in conflict with Scripture, doctrine, or Church Fathers.“ 186 CR 43 = CO 15, 290 (Nr. 2035): „offendit Ioach. Westphalum diversitas interpretationem quam Zuinglius et alii, quod Sacramentarios vocat, ediderunt de verbis sollenibus coenae, idque illi videtur evidens et indubitatum argumentum falsae, haereticae, impiae pestiferaeque doctrinae Zuinglianorum. Quid si ostendam in Tabula, quam ipse poetice appellat chaos diversarum opinionum de verbis Christi, nullam a nostris hominibus expositionem de mysticis verbis coenae Domini productam esse, quae vel pugnet cum divinis scriptis, vel quae adstruat haereticum dogma, vel quae non exemplum alicuius veteris probati doctoris in ecclesia Christi habeat, vel quae non sit verior commodior verbisque et rebus, quae in mysteriis et sacramentis exsistunt, convenientior, quam ipsius Ioachimi Westphali expositiones, aut etiam aliorum doctissimorum hominum qui Lanfranci papisticam opinionem asserunt, ne quid gravius dicam.“ 187 Solche Aussagen finden sich bei Westphal häufiger, vgl. etwa o. Kap. IV.1.3b. 181

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IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

anders als Calvin nicht die Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation im Kernanliegen heraus, sondern ausschließlich die eigene Rechtgläubigkeit im Gegensatz zu Westphal und dessen Anhängern. Die gegenseitige Übereinstimmung der in der Farrago attackierten Auslegungen wird in unterschiedlicher Hinsicht nachgewiesen: Um zu belegen, dass sich ein Autor entgegen Westphals Behauptung nicht selbst widerspricht, zitiert Bibliander etwa für Zwingli Stellen, an denen er erläutern kann, dass die genannten Aspekte auf den gleichen Gedanken zielen.188 Der Nachweis, dass alle Autoren miteinander übereinstimmten, beruht hingegen auf einer Lesart, die sie zürcherisch deutet: So gibt Bibliander nicht nur Vermiglis Position als Nießung „fideli memoria“ wieder,189 sondern interpretiert auch Bucer (!) unter Rückgriff auf dessen frühen Matthäuskommentar190 und das Vermigli zugeordnete Verständnis im Sinne einer rein geistlichen Nießung. Dass diese zürcherisch verstanden wird, zeigt sich daran, dass Bibliander das gegen Westphals Aussage ausspielt, Bucer habe sich von der zwinglischen Häresie bekehrt.191 Dass die Schriftgemäßheit der eigenen Lehre belegt werden soll, tritt hervor, wenn Bibliander gegen Westphal auf die paulinische Basis von Bullingers Auslegung des corpus Christi als ecclesia verweist.192 Die Übereinstimmung mit den Vätern betont er etwa, wenn er Vermiglis Unterscheidung zwischen leiblicher und geistlicher Ebene von Irenäus herleitet.193 Die kategoriale Widerlegung von Westphals Theologie zeigt sich, wenn er ironisch bemerkt, Westphal habe im Zürcher Bekenntnis von 1545 wohl kein Material für seine Widerspruchstabelle gefunden, und einen Satz als dafür geeignet zitiert, der die Rechtgläubigkeit einer leiblichen Präsenz Christi bestreitet.194 188

Vgl. CR 43 = CO 15, 291 (Nr. 2035). AaO., 292: „7. Hoc est signum quod admonet vos de corpore meo quo modo pro vobis traditum vos vivificet. P. Martyris verba sunt in tractatione de Eucharistia: Nihil aliud egit in coena Christus quam quod propositionem transposuit. Et sicut antea dixerat (Ioh. VI.) corpus suum et carnem esse panem ita nunc e diverso ostendendo pane protulit: hoc est corpus meum. Sit itaque sensus: Do vobis panem ut edatis et interim propono vobis corpus meum in crucem agendum ut ipsum fideli memoria et mente attentissima apud vosmet ipsos spiritualiter comedatis, utque corpore editis panem ita mente vescamini carne mea.“ 190 Zu Bucers Position im Ersten Abendmahlsstreit vgl. o. Kap. II.2.2e. 191 CR 43 = CO 15, 293: „13. Hoc est symbolum corporis mei quod dono vobis animo edendum, sicut panem trado vobis edendum ore. Sententiam eandem Petrus Martyr expresserat. Scripsit autem Bucerus cap. XXVI. Matth. exponens multa pie et erudite super verbis coenae in eam sententiam et conferens dictum Salvatoris Ioan. VI. concludit: Ergo non est nisi spiritualis manducatio affirmanda. Et hic est ille Bucerus qui unus ex omnibus Zuinglianis sacramentariis Ioachimo videtur in viam rediisse.“ 192 Vgl. aaO., 294 f. 193 AaO., 292: „hic etiam piaculum sacramentarii cum Irenaeo et aliis ecclesiae doctoribus committunt, quod in sacramento duas res offerri et percipi docuerunt, alteram corpore, alteram fideli mente ac spiritu.“ 194 Vgl. aaO., 293. 189

2.4 Die Druckfassung der Defensio und ihre Aufnahme bei Calvins Mitstreitern 349

Dem Ton wie der Sache nach vertritt Bibliander also eine Haltung, die nicht nur die Zürcher Lehre als für alle Unterzeichner des Consensus Tigurinus normativ versteht und auf dieser Basis eine dogmatische Einigung mit Wittenberg als unmöglich betrachtet, sondern auch – radikaler und eindeutiger als im anderen Zürcher Text – Westphal als nicht rechtgläubig ansieht.

2.4 Kritik und differenzierte Übereinstimmung: Die Druckfassung der Defensio und ihre Aufnahme bei Calvins Mitstreitern 2.4 Die Druckfassung der Defensio und ihre Aufnahme bei Calvins Mitstreitern

a) Calvins Überarbeitung der Defensio Calvin reagierte brieflich auf die Zürcher Kritik und überarbeitete seinen Text. Dabei hielt er an seiner Position fest und widersprach bestimmten Zürcher Argumenten, beschränkte sich aber nicht auf sachlich unerhebliche Veränderungen.195 Vielmehr modifizierte er die kritisierten Passagen in einer Weise, von der er hoffte, dass sie für die Zürcher akzeptabel sei, die aber nach wie vor seine Abendmahlslehre und Perspektive auf die Wittenberger Reformation ausdrückte, und versuchte den Zürchern diese Haltung plausibel zu machen.196 Formal korrigiert Calvin alle Stellen, an denen die Zürcher Mäßigung im Ton angemahnt hatten.197 Eine namentliche Benennung Westphals lehnt Calvin dagegen ab: Er fürchtet, Westphal Gelegenheit zur Reaktion und zur Einforderung von Solidarität zu geben. Zudem sei Westphal als Person derart unwichtig, dass man dann sagen werde, sie hätten aus geringfügigem Anlass reagiert. Insbesondere aber will er nicht nur Westphal, sondern das von ihm gesehene Gesamtphänomen treffen: „praestat quosdam tacite perstringi qui sunt in simili causa, quam unum adversarium deligere.“198 In Bezug auf die Zürcher Tabellen zeigt er sich skeptisch, ob diese zur ratio des Textes passten199 – die Bestreitung der Rechtgläubigkeit Westphals ist mit seiner Strategie unvereinbar. Auch gegenüber den Zürcher Argumenten zu Luther hält Calvin an seiner straßburgisch geprägten Sichtweise fest. Er kenne Luthers Ausbrüche, habe 195 Die älteren Thesen, die beide Positionen als Gegensatz betrachten, verorten die Änderungen meist rein auf Ebene des Tonfalls; so aus unionsinteressierter Sicht STÄHELIN, Johannes Calvin II, 210 f.; aus lutherischer Sicht MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 33. 196 Ähnlich ROREM, Calvin and Bullinger, 380, der sich auf die knappe Bemerkung beschränkt: „Calvin had to modify or defend his wording, such as realiter“. TYLENDA, CalvinWestphal-Exchange, 194, und DAVIS, Clearest Promises of God, 44, betonen, dass Calvin nur einen Teil der Korrekturen akzeptiert habe, führen aber nicht aus, welchen und warum. 197 Vgl. aaO., 304 mit CR 37 = CO 9, 11 f. Anm. a. 198 Vgl. Calvin an die Zürcher Pfarrer, 13.11.1554, CR 43 = CO 15, 304 f. (Nr. 2042); Zitat 304. 199 Vgl. aaO., 305.

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IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

sich aber auf das konzentriert, was dem Frieden dienlich sei.200 Daher macht er den Abschnitt weniger angreifbar, bleibt aber bei der Grundaussage: Übertreibungen Luthers werden zugestanden, aber von Aussagen unterschieden, in denen er bedacht für sein Anliegen geworben habe.201 Die These, dass der Consensus von Wittenberger Seite ohne weiteres akzeptiert werden könnte, wird nicht mehr auf Luther bezogen, sondern auf die aktuellen Gegner.202 Ähnlich geht Calvin mit den Kommentaren zur Confessio Augustana um. Nachdem er erklärt hat, dass sie nicht von Luther, sondern von Melanchthon stammt, begegnet er den Bedenken durch einen Bericht von den Reichsreligionsgesprächen, bei denen er selbst als Vertreter Straßburgs anwesend war: Weder altgläubige Versuche, die Änderung der CA als Fälschung und die Oberdeutschen als Zwinglianer hinzustellen, noch Bemühungen, die Straßburger gegen Luther auszuspielen, noch Amsdorfs Polemik gegen Bucer hätten verfangen.203 Daher habe er den Bezug auf die CA beibehalten, aber so bearbeitet, dass der Berufung auf Privatschriften ein Riegel vorgeschoben werde. Zu diesen Privatschriften gehöre die Apologie, die ihrem Verfasser selbst missfalle204 – wie in seinen Briefen setzt Calvin voraus, dass Melanchthon mit seiner eigenen Position übereinstimmt. Als Beleg für den unproblematischen Charakter der CA zitiert er den Wortlaut der Variata und führt diese auf das Regensburger Religionsgespräch zurück – in Auseinandersetzung mit der Zürcher Lesart mittels Apologie und der Situation 1530/31 macht er also den Bezug auf die Situation der Jahre 1540/41 explizit, in der Wittenberger und Straßburger Reformation eng zusammenarbeiteten. Zudem schließt er die in Zürich befürchtete Interpretation „ad captandam papistarum gratiam“ aus. Auf dieser Basis macht er geltend, der Consensus sei eine deutlichere Erklärung der auch in der Confessio Augustana ausgedrückten Position.205

200

Vgl. ebd. Vgl. CR 37 = CO 9, 17 f. 202 Vgl. aaO., 18 f. 203 Vgl. Calvin an die Zürcher Pfarrer, 13.11.1554, CR 43 = CO 15, 305 f. (Nr. 2042). 204 AaO., 306: „prorsus omittere confessionis mentionem mihi visum non est: ut qui nobis accedent, non putent, se ab ea discedere. Privatis interea scriptis diserte ianuam praeclusi: in quibus est Apologia, quae autori quoque suo ita displicet in hac parte ut nos sibi minime cupiat subscribere vel suffragari.“ 205 CR 37 = CO 9, 19: „ne privata singulorum scripta evolvere et excutere necesse sit, in Consensu nostro reperient lectores quidquid continet edita Ratisponae confessio, quam Augustanam vocant: modo ne crucis metu ad captandam papistarum gratiam flectatur. Verba sunt: in sacra coena cum pane et vino vere dari Christi corpus et sanguinem. Absit vero, ut nos vel coenae symbolo auferamus suam veritatem, vel pias animas tanto beneficio privemus. Dicimus, ergo, ne sensu nostros frustrentur panis et vinum, externae eorum figurae verum effectum esse coniunctum, ut corpus et sanguinem Christi illic recipiant fideles. Imo quia consilium nostrum erat, dubitationem omnem eximere piis lectoribus, quae illic tantum breviter perstricta erant, conati sumus fusius et dilucidius explicare.“ 201

2.4 Die Druckfassung der Defensio und ihre Aufnahme bei Calvins Mitstreitern 351

Ebenso bearbeitet Calvin fast alle Stellen, an denen die Zürcher dogmatische Änderungen wünschten, hält aber dennoch an seiner Position fest: So beharrt er auf seiner Sicht der manducatio impiorum206 und fügt zwar Präzisierungen ein, aber nicht im Sinne der Zürcher Unterscheidung von geistlichem und leiblichem Empfang, sondern zur Untermauerung seines (exhibitiven!) Arguments, dass der fehlende Empfang der Ungläubigen nicht die Kraft der Sakramente schwäche, sondern auf mangelnde Annahme durch den Empfänger zurückgehe.207 Ebenso streicht er nicht wie gefordert die Formulierung communicatio realis, sondern formuliert seine (von den Zürchern bestrittene) Aussage, dass die Gegner sich nicht trauten, eine fleischliche communicatio zu behaupten, vorsichtiger so, dass ihn wundere, wie sie zu dieser Behauptung kämen, und setzt eine explizite Erklärung seines Verständnisses dagegen.208 Auch die Aussage eines Empfangs Christi sub panis symbolo wird beibehalten, aber in Rücksicht auf die Zürcher Befürchtungen ausdrücklich gegen eine räumliche Einschließung Christi in den Abendmahlselementen abgegrenzt.209 b) Die Haltung eidgenössischer Kirchen zur Defensio und die Frage einer gemeinsamen Unterzeichnung Die revidierte Form von Calvins Defensio war in der Eidgenossenschaft weder unumstritten,210 noch gab es eine in sich homogene Mehrheit von Kritikern.211 Die Debatte, brachte vielmehr ein Spektrum von Urteilen hervor, in dem (wie das Beispiel Zürichs zeigt) auch ambivalente Haltungen möglich waren. Mit Calvins und Bullingers Plan, die Defensio durch alle eidgenössischen Kirchen unterzeichnen zu lassen, verband sich die Sorge, ob dies allgemein Unterstützung finden würde: Calvin dankt Farel am 1.11.1554 für dessen Zustimmung, hofft auf Akzeptanz der Bearbeitung in Zürich und meint, auch Blarer würde sie unterstützen. Dagegen befürchtet er, die Berner würden versuchen, sich herauszuhalten; Sulzer werde beschwichtigen wollen.212 Die gleiche 206

Vgl. Calvin an die Zürcher Pfarrer, 13.11.1554, CR 43 = CO 15, 306 (Nr. 2042). Vgl. CR 37 = CO 9, 19.23–25. 208 Vgl. aaO., 31 f. 209 CR 37 = CO 9, 34 wird eingefügt: „modo ne qua localis fingatur inclusio, vel carnalis infusio misceatur.“ 210 Dieser Eindruck entsteht, wenn TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 194 f., die Zürcher Haltung ausschließlich als Bestätigung für Calvin charakterisiert und auch sonst nur zustimmende Stellungnahmen zitiert. 211 Dieser Eindruck wird wiederum in Darstellungen erweckt, die nur kritische Aspekte der Zürcher Position hervorheben, auch sonst ausschließlich ablehnende Kommentare erwähnen und zudem nicht erkennen lassen, dass die Ablehnung aus ganz unterschiedlichen (teils diametral entgegengesetzten) Motiven erfolgt. Dahinter steht in lutherischen Texten die These, Calvins Einigungsmodell sei offenkundig unrealistisch, vgl. SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 163; MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 33 f. 212 Calvin an Farel, 1.11.1554, CR 43 = CO 15, 297 f. (Nr. 2037). 207

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Sorge in Bezug auf Basel hatte auch Bullinger geäußert, ging aber davon aus, dass Calvin bei seinen Nachbarn Unterschriften sammeln solle; die Zürcher wollten das bei Bern und anderen deutschsprachigen Kirchen tun.213 Nach Erhalt der Überarbeitung schlug Bullinger jedoch vor, die Defensio drucken und erst danach unterzeichnen zu lassen.214 Dahinter steht eine ambivalente Haltung zu Calvins Text: Bullinger argumentiert, die Vielzahl der Unterzeichner berge die Gefahr, dass diese erneut gegeneinander ausgespielt würden215 – ein nachvollziehbares, aber keineswegs neues Argument. Hier spielt wohl auch eine Rolle, dass die Zürcher Calvins Position nicht uneingeschränkt teilen und nicht dazu beitragen wollen, sie als normativ zu etablieren.216 Zugleich erkennen sie aber die überarbeitete Fassung an und versprechen, Calvin nötigenfalls zu verteidigen sowie die Genfer Erstauflage in Zürich nachzudrucken,217 d.h. sie akzeptieren die überarbeitete Defensio als legitime Auslegung des Consensus und sind bereit, sie nach außen zu unterstützen. Ferner könnte Zeitdruck hineinspielen, den Bullinger mit dem Ausschluss als zwinglianisch verunglimpfter Theologen von kirchlichen Ämtern (u.a. in Ulm) begründete.218 Calvin war von Bullingers Sinneswandel enttäuscht, akzeptierte ihn aber.219 Gedruckt wurde die Defensio nach Problemen mit den Genfer Zensoren220 um den Jahreswechsel 1554/55 in Genf,221 ohne die Letztfassung noch einmal mit den Zürchern abzusprechen. Das begründete Calvin mit Zeitdruck;222 möglicherweise befürchtete er aber auch weitere Kritik. 213

Vgl. Bullinger an Calvin, 25.10.1554, CR 43 = CO 15, 296 f. (Nr. 2036). Vgl. Bullinger an Calvin, 15.12.1554, CR 43 = CO 15, 350 (Nr. 2064). 215 Vgl. ebd. 216 Dies ist gesehen bei STÄHELIN, Johannes Calvin, 211 f., SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 163 und MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 33 f. – die jedoch die Zürcher Unterstützung für eine durch Calvin erfolgende Ausgabe nicht erwähnen und so den unzutreffenden Eindruck erwecken, die Zürcher hätten Calvins Schrift völlig abgelehnt. 217 Vgl. Bullinger an Calvin, 15.12.1554, CR 43 = CO 15, 349 f. (Nr. 2064). Dieser Aspekt wird bei TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 194, betont, der in der Änderung keinerlei anti-normatives Potenzial sieht und sie als rein praktische, durch Zeitdruck (vgl. im Folgenden) begründete Vereinfachung der Abläufe einordnet. 218 Vgl. Bullinger an Calvin, 18.12.1554, CR 43 = CO 15, 352–354 (Nr. 2065). 219 Vgl. Calvin an Farel, 26.12.1554, CR 43 = CO 15, 356 (Nr. 2068); ders. an Bullinger, 13.1.1555, CR 43 = CO 15, 378 (Nr. 2082). 220 Vgl. Calvin an Farel, 26.12.1554, CR 43 = CO 15, 356 (Nr. 2068). Ob die Probleme mit dem Inhalt des Werks zu tun hatten, ist unklar; möglicherweise standen dahinter eher anderweitige Konflikte Calvins mit der Genfer Stadtregierung (vgl. STÄHELIN, Johannes Calvin II, 211). MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 33, bezieht den Zensurvorgang irrtümlich auf die Zürcher Obrigkeit. 221 Am 10. Januar 1555 sandte Calvin den Zürchern ein Exemplar (vgl. CR 43 = CO 15, 375 f. (Nr. 2080)). Die ältere Literatur geht davon aus, dass zugleich mit der lateinischen eine französischsprachige Ausgabe erschienen sei (vgl. SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 160; MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 33). Diese ist m.W. nicht nachweisbar. 222 Vgl. Calvin an die Zürcher, 10.1.1555, CR 43 = CO 15, 375 f. (Nr. 2080). 214

2.4 Die Druckfassung der Defensio und ihre Aufnahme bei Calvins Mitstreitern 353

Bullinger verteilte Exemplare an die rhätische, St. Galler und Schaffhauser Kirche.223 Im März folgte der Zürcher Druck224 mit einem Nachwort Bullingers, das seine Bereitschaft zeigt, trotz aller Kritik Calvins Text zu unterstützen,225 zugleich aber spezifische Zürcher Sichtweisen zum Ausdruck bringt: So hebt Bullinger hervor, dass die Gegenseite für den Konflikt verantwortlich sei: Calvin müsse darauf reagieren, dass andere den Streit von neuem entfachten.226 Die Erläuterung, man habe die Gegner nicht provoziert, sondern im Bewusstsein der Übereinstimmung mit Schrift und Vätern frühere Beschimpfungen geduldig ertragen,227 spiegelt die seit 1545 typische Zürcher Sichtweise.228 Bullinger betont die eigene Friedensliebe, aber nicht wie Calvin die Übereinstimmung zwischen Schweizer und Wittenberger Reformation, sondern allein die Rechtgläubigkeit der eigenen Seite. Er formuliert aber auch: „amamus illos nostros antagonistas nihilominus, et sufferimus perlibenter, orantes perpetuo Dominum pro salute ipsorum: atque adeo nunc hortamur fratres illos nostros ut positis simultatibus, odiis et contentionibus, sicut filii pacis nobiscum coalescant in sancta pace et concordia, ac serio secum expendant, a Iesu Christo Dei filio Domino nostro sacrosanctam coenam esse institutam, ut in ipsa non tantum dona percipiamus spiritualia, sed ut etiam sit symbolum aeterni inter nos amoris mutui foederisque.“229

Bei aller Kritik an Calvins Sichtweise versteht Bullinger (anders als Westphals Partei umgekehrt und in ungebrochener Tradition zu den im Ersten Abendmahlsstreit von Zürcher Seite vertretenen Thesen) grundsätzlich die Streitgegner als Teil der wahren Kirche230 – zugleich verwendet er aber (anders als Calvin) keine für Wittenberger Theologen potentiell akzeptablen Formulierungen, sondern markiert mit der Definition des Abendmahls als perceptio einer geistlichen Gabe und als Bundeszeichen dezidiert ein Zürcher Verständnis. Die Kommentare anderer eidgenössischer Kirchen zur Defensio zeigen ein breites Spektrum an Urteilen: Zustimmung kam von den Pfarrern Neuchâtels231 sowie von Blarer.232 Ablehnend äußerte sich dagegen Sulzer, der in bucerischer Tradition Calvins Schrift als Erneuerung des Abendmahlsstreits wahrnahm.233 223

Vgl. Bullinger an Calvin, 18.1.1555, CR 43 = CO 15, 390 (Nr. 2090). Vgl. Bullinger an Calvin, 3.3.1555, CR 43 = CO 15, 472 (Nr. 2132). 225 ROREM, Calvin and Bullinger, 380 Anm. 178 [abgedruckt auf S. 388 und dort falsch nummeriert als Anm. 73] bemerkt ohne nähere Analyse: „critique did not prevent Bullinger from writing a rather innocuous postscript of support for Calvinʼs Defensio.“ 226 Vgl. Bullinger an den Leser, CR 37 = CO 9, 37. 227 Vgl. aaO., 38. 228 Vgl. o. Kap. II.5.2. 229 Bullinger an den Leser, CR 37 = CO 9, 38 f. 230 Im gleichen Sinne betont er, es freue den Teufel, dass gerade das Band der Liebe zum Anlass für Spaltungen werde, die den gemeinsamen Feinden nützten. Vgl. aaO., 39. 231 Die Pfarrer Neuchâtels an Calvin, 30.3.1555, CR 43 = CO 15, 535 f. (Nr. 2172). 232 Ambrosius Blarer an Bullinger, 11.12.1554, CR 43 = CO 15, 344 f. (Nr. 2060). 233 Vgl. Sulzer an Bullinger, 7.3.1555, CR 43 = CO 15, 491 f. (Nr. 2141). 224

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IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

Die St. Galler Pfarrer äußerten zwar ebenfalls Bedauern über den neuen Streit, gaben jedoch zugleich ihrer Hoffnung Ausdruck, Calvins Engagement möge zur Befriedung beitragen.234 Aus entgegengesetzten Gründen kritisch zeigte sich Haller in Bern: Calvin verteidige Luther und Bucer, gestehe den Gegnern zuviel zu und bestätige sie in ihrem Irrtum.235 Ähnlich ist es wohl zu bewerten, wenn Bibliander a Lasco mitteilt, Calvins Antwort sei so ausgefallen, dass sie selbst in Hamburg keinen Anstoß erregen dürfte.236 Zwischen Calvin und Zürich verorteten sich offenbar die Schaffhauser: Sie äußerten sich vorsichtig positiv237 und referierten dies Bullinger, den sie zuvor um Rat gebeten hatten.238 c) Calvins Verbreitung seiner Strategie in Sachsen Durch Briefe in den sächsischen Raum versuchte Calvin seine Defensio zu verbreiten und Vertreter der Wittenberger Reformation für seine Position zu gewinnen.239 So erklärt er Melanchthon die Defensio als Lehrkompendium, das die Polemik eindämmen solle. Indem er ihn und seine Kollegen um ihr Urteil über die Schrift bittet und droht, den Streit in der ganzen Welt bekannt zu machen, wenn die Angriffe nicht aufhörten, versucht er ihn zu einer Stellungnahme zu bewegen.240 Er wiederholt, Melanchthon sei eigentlich seiner Meinung und begünstige durch sein Schweigen das Wüten anderer, und hält ihm vor, die Suche seiner Gegner nach Angriffspunkten241 sei keine Entschuldigung: Melanchthon drohe schlimmstenfalls der Weggang aus Wittenberg, und er hätte Grund, sich diesen sogar zu wünschen.242 Auch an den ernestinischen 234

Vgl. St. Galler Pfarrer an Calvin, 12.4.1555, CR 43 = CO 15, 560–562 (Nr. 2182). Vgl. Haller an Bullinger, 28.12.1554, CR 43 = CO 15, 362 (Nr. 2072). 236 Vgl. Bibliander an a Lasco, CR 43 = CO 15, 584 (Nr. 2194). 237 Vgl. Schaffhauser Pfarrer an Calvin, 28.1.1555, CR 43 = CO 15, 408–410 (Nr. 2099). 238 Vgl. Simpert Vogt an Bullinger, 28.1.1555, CR 43 = CO 15, 406–408 (Nr. 2098) 239 Daher werden diese Texte wieder stark für ökumenisch interessierte Thesen herangezogen, so etwa bei NIJENHUIS, Calvinus oecumenicus, 167–169, mit der Leitthese: „bij alle heftigheid waarmede Calvijn de strijd tegen Westphal voert, mogen wij niet uit het oog verliezen, dat achter de grove vormen, die hij overigens deelt met zijn tijdgenoten, een vurig verlangen naar eendheid en gemeenschap verborgen ligt.“ (aaO., 168). Weniger stark interpretierend geben TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 196, und WENGERT, Epistolary Friendship, 38, den brieflichen Austausch mit Melanchthon wieder. 240 Calvin an Melanchthon, 5.3.1555, CR 43 = CO 15, 489 (Nr. 2139) = MBW 7424: „ut eorum [i.e. Westphals und seiner Mitstreiter, C.E.] tumultus compescerem, summam doctrinae nostrae rursus brevi compendio complexus sum. Subscripserunt omnes Helveticae ecclesiae. Tigurini etiam mirifice probarunt. Nunc iudicium tuum avidissime exspecto: quid etiam reliqui vestrates vel sentiant vel loquantur, scire vehementer expeto. Quod si tumultuari non desinant qui tam hostiliter nos traducunt, nos operam dabimus ut nostros clamores totus mundus exaudiat.“ 241 Zu entsprechenden Aussagen Melanchthons vgl. o. Kap. IV.2.2a. 242 Vgl. Calvin an Melanchthon, 5.3.1555, CR 43 = CO 15, 488 f. (Nr. 2139) = MBW 7424. 235

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Kanzler Burckard sandte Calvin eine Erklärung, in der er betonte, dass der Dissens – entgegen der Ansicht der ernestinischen Theologen – allein in Calvins Ablehnung plumper Redeweisen bestehe.243 Zudem schrieb Calvin an zwei Theologieprofessoren, von denen er sich aufgrund früherer Briefe Unterstützung für seine Strategie versprach: An den Leipziger Valentin Pacäus, der ihm bedauernd von den theologischen Streitigkeiten in Sachsen berichtet hatte,244 betont er seine Bereitschaft, zu einem Religionsgespräch nach Sachsen zu kommen. Er wisse nicht, ob die neulich veröffentlichte Defensio die dortigen Kritiker zum Schweigen bringe.245 Dem Erfurter Martin Seidemann, der ihn gebeten hatte, sich für den bedrängten Melanchthon einzusetzen,246 schreibt Calvin von der maßlosen Polemik der Theologen, die sich für Luthers wahre Nachfolger hielten, und betont, er habe Melanchthon aufgefordert, diese Polemiker zu mäßigen.247 d) Diskussionen zwischen a Lasco, Calvin und Vermigli In den Debatten, die a Lasco, Vermigli und Calvin im Kontext der Defensio führten, geht es um das Vorgehen gegen Westphal, zugleich aber um Abendmahlskonflikte in Ostfriesland und Straßburg. Diese in Forschungen zum überregionalen Abendmahlsstreit bislang kaum behandelten248 Korrespondenzen zeigen, inwiefern die Protagonisten diesen und die örtlichen Konflikte als zusammengehörig empfanden249 und lassen das Spektrum an Positionen innerhalb dieser Streitpartei noch deutlicher erkennbar werden. A Lasco reagierte auf Calvins Mitteilung, eine Antwort an Westphal verfassen zu wollen,250 im Oktober 1554 mit einem Schreiben, in dem er versuchte, Calvin zur Übernahme seiner argumentativen Strategie zu bewegen: Nachdem er in Reaktion auf Calvins Anteilnahme am Ergehen der Flüchtlinge ihre dogmatische Standhaftigkeit betont hat, fügt er an, darin wolle er auch Calvin und anderen Brüdern mit Gebeten und Ermahnungen helfen – und beginnt die Ermahnungen mit der Aussage, er sei stets für moderatio, lehne es aber ab, um des äußeren Friedens willen zweideutige Formeln zu gebrauchen. Der „error 243

Vgl. Calvin an Burckard, 27.2.1555, CR 43 = CO 15, 453 f. (Nr. 2123). Vgl. Pacäus an Calvin, 1.4.1554, CR 43 = CO 15, 98–100 (Nr. 1934). 245 Vgl. Calvin an Pacäus, 5.3.1555, CR 43 = CO 15, 477 f. (Nr. 2135). 246 Vgl. Seidemann an Calvin, 24.8.1554, CR 43 = CO 15, 271 f. (Nr. 2033). 247 Vgl. Calvin an Seidemann, 14.3.1555, CR 43 = CO 15, 501 f. (Nr. 2148). 248 Die insgesamt eher spärliche Literatur fokussiert sich auf die Situation in Ostfriesland bzw. Straßburg und/oder auf einen der Beteiligten (vgl. etwa HEIN, Sakramentslehre, 149– 161; MCLELLAND, Visible Words of God, 44–47; MOSER, Epistolary, 449 f.). 249 In diesem Sinne für Ostfriesland schon WEERDA, Der Emder Kirchenrat, 150. 250 A Lasco merkt an, er habe Calvins Brief vom 27.8. erst zehn Tage zuvor bekommen (vgl. a Lasco an Calvin, 29.10.1554, SARRAU 43 (Nr. 7)), zur Identifikation dieses Schreibens mit Calvins Ankündigung der Defensio vgl. TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 190 f., Anm. 15. 244

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IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

ille Capernaiticus“ solle moderat, aber eindeutig zurückgewiesen werden.251 Ob a Lasco hier Westphals Parteigänger im Blick hat, seine Gegner in Ostfriesland oder beides, bleibt in der Schwebe – jedenfalls fordert er Calvin auf, keine Übereinstimmung mit anderen reformatorischen Richtungen zu postulieren. Ebenfalls versucht a Lasco seine Position als normativ zu etablieren, indem er von Versuchen berichtet, Äußerungen Calvins gegen ihn auszuspielen, und um Bestätigung seiner Interpretation bittet: Calvins Lehre, mit den Elementen werde der Leib Christi gegeben, würde ihm (wohl im ostfriesischen Kontext252) in dem Sinne vorgehalten, dass Christi natürlicher Leib gemeint sei, dessen Substanz im Abendmahl ausgeteilt werde.253 Er erwidere, dass Calvin mit corpus dessen Symbol meine und nicht von einer Austeilung der natürlichen Substanz des Leibes, sondern von einem durch den Geist bewirkten Zuteilwerden der Güter Christi an die Seele spreche.254 Hier zeigt sich die konfessionell unabgeschlossene Situation: Calvins Position kann in a Lascos Sinne, aber auch im Sinne von dessen bucerischen Gegnern in Ostfriesland verstanden werden, weil sie auf dem theologischen Spektrum zwischen beiden steht.

251 Vgl. a Lasco an Calvin, 29.10.1554, SARRAU 43 f. (Nr. 7), bes. 44: „nihil hic quidem sollicitus, in hoc tantum laboro, ne cuius dogmatis autor fautorue reperiar in oculis Dej, quo nomen, gloria ac dignitas Christj domini, non dico labefactarj, sed etiam obscurarj quoquomodo possit. Hic uero et tuis tuorumque pariter omnium, mi Caluine, aliorumque ubilibet piorum fratrum, cum precibus, tum etiam adomnitionibus iuvarj cupio. Moderationem in controversijs omnibus semper amauj et pacem ecclesiarum summo semper studio retinendam, quoad eius fierj posset, esse putauj. Sed consilium illorum probare nunquam potuj, qui externam ecclesiarum pacem ipsi doctrinae lucj ac ueritatj anteponendam esse existimarent, ut eam propter pacem publicam quibusdam uerborum latebris atque inuolucris obtenderent atque obscurarent, id quod equidem in re sacramentaria a quibusdam factum uidemus. Proinde a formis loquendj illis quantum potuj abstinebam, adeoque et nunc etiam libenter abstineo, quae in utranque partem trahi possunt. Et quidem non ignoro me plerisque hac in parte paulo duriorem uisum esse. Sed iam experimur rem melius multo cessuram fuisse, si omissis omnibus ueroborum ambagibus, latebris atque involucris, error ille Capernaiticus libere, aperte et constanter, in omnj interim lenitate ac modestia christiana, reprehensus oppugnatusque fuisset. Nunc uidemus nostris nos ipsorum uerbis peti, quae aduersarij ad causae suae commodum trahunt, causamque nostram non uulgariter etiam grauant.“ 252 Zu a Lascos Konflikten mit bucerischen Gegnern in Ostfriesland vgl. o. Kap. IV.2.1a. 253 A Lasco an Calvin, 29.10.1554, SARRAU 44 f. (Nr. 7): „Quin et tuis […], mi Caluine, uerbis nonnullj nos premere conantur, ut id quoque obiter addam, praesertim cum alicubi doceas in porrigendis coenae elementis una etiam nobis darj ipsum corpus Christj. Intelligunt autem sub corporis Christj naturalis, idque ex tuis, ut inquiunt, uerbis illis quibus tu innuis tibj satis non esse, si dicamus nos ita amplecti per fidem Christum dominum in coenae suae usu, ut illum nobis in carne nostra datum, proque nobis in eadem ipsa carne nostra mortuum esse ac resurrexisse statuamus, legitimoque coenae usu in ea fide, autore Spiritu sanctu, obsignemur.“ Zu Bucers Auffassung einer substantialen Präsenz des Leibes Christi beim Abendmahl, die hinter der hier referierten Position steht, vgl. o. Kap. II.3.3. 254 Vgl. a Lasco an Calvin, 29.10.1554, SARRAU 45 f. (Nr. 7).

2.4 Die Druckfassung der Defensio und ihre Aufnahme bei Calvins Mitstreitern 357

Für seine Interpretation verweist a Lasco auf seine mitgesandte Confessio de nostra cum Christo Domino communione.255 In diesem einige Monate zuvor veröffentlichten256 Text unterscheidet er eine Gemeinschaft mit Christus nach der Substanz seines menschlichen Leibes von einer Anteilhabe an seinen Verdiensten und grenzt sich gegen eine Austeilung der Substanz von Christi Leib beim Abendmahl ab: In die Gemeinschaft brächten die Menschen die leibliche Substanz ein, Christus dagegen seine Verdienste. Daher gehe es im Abendmahl um passive Anteilhabe an letzteren, nicht um Austeilung ersterer.257 Daher lehnt er die bucerische Auffassung der exhibitio als Gabe der Substanz Christi an die Gläubigen ab, versteht die exhibitio aber positiv als Vorgang, bei dem Christi Leib und Blut dem Glauben in den Blick gerückt werden und die durch den Geist in den Himmel erhobenen Herzen Anteil daran erhalten.258 Auch wenn sich die Confessio primär auf die ostfriesische Situation bezieht, macht sie deutlich, welche Strategie a Lasco Calvin nahelegte und selbst in der geplanten Schrift gegen die Farrago vertreten wollte. Möglicherweise ist es in diesem Sinne gemeint, wenn er Bullinger gegenüber bedauerte, dass er aufgrund der ostfriesischen Debatten die Antwort an Westphal nicht habe fertigstellen können – wenigstens habe er aber die Confessio verfasst.259 Calvin wiederum sandte a Lasco seine Defensio260 und lehnte a Lascos Normierungsversuche gegenüber Vermigli ab: „Conquertur optimus vir se ab adversariis odiose mea autoritate premi, nescio quorsum, nisi ut me in suas loquendi formas adducat: quod fieri non potest.“261 Als nicht akzeptabel betrachtet er vor allem a Lascos These, im Mahl werde nicht Christi natürlicher Leib gegeben: Dies sei absurd, da Leben vom natürlichen Leib kommen müsse. Zudem 255

Vgl. aaO., 46 f. Vgl. WEERDA, Der Emder Kirchenrat, 128–130. 257 Vgl. A LASCO, Confessio de nostra cum Christo Domino communione, KUYPER I, 238 f. Zur dortigen Argumentation vgl. WEERDA, Der Emder Kirchenrat, 131–133, der aber – in der irrtümlichen Annahme, eine substantiale impliziere stets eine mündliche Nießung – bestreitet, dass a Lascos Abgrenzung bucerische Auffassungen sinnvoll treffe. 258 Vgl. KUYPER I, 240 f. und dazu HEIN, Sakramentslehre, 154–161 (der allerdings dazu tendiert, a Lasco auf Basis derartiger Gedanken möglichst nahe an Calvin zu rücken, und so die – von ihm durchaus gesehene – Differenz im Verständnis der exhibitio unterbestimmt). 259 A Lasco an Bullinger, 5.10.1554, KUYPER II, 707 f. (Nr. 104): „Coeperam in Westphalum adornare quaedam, sed me domestica hic tempestas quaedam interea excepit praeter omnem meam expectationem, qua de re nunc multa non possum. Edidi tamen brevem Confessiunculam doctrinae meae, quae calumniis impetebatur, cuius exemplar tibi mitto. Haec rursus a nonnullis oppugnari coepta, in coetu demum publico ministrorum huius patriae a me defensa est. Collecta habeo, quae acta sunt omnia, sed non videntur digna luce publica. Me tamen ita sunt remorata, ut in Westphalum nihil agere adhuc potuerim.“ 260 Calvin an a Lasco, 26.12.1554, CR 43 = CO 15, 360 (Nr. 2071). Vermutlich hatte er zu diesem Zeitpunkt a Lascos Schreiben noch nicht erhalten, vgl. Calvin an Vermigli, 18.1.1555, CR 43 = CO 15, 388 (Nr. 2089). 261 Calvin an Vermigli, 18.1.1555, CR 43 = CO 15, 388 (Nr. 2089). 256

358

IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

gibt er der Befürchtung Ausdruck, a Lasco verursache durch allzu präzises Festhalten an Formeln Anstoß – er selbst wolle sich mäßigen.262 Im gleichen Brief setzte er sich mit Vermiglis Anmerkungen zur Defensio auseinander, die er ihm als ebenfalls von Westphals Vorwürfen Betroffenem geschickt hatte.263 Die Kritikpunkte zeigen Vermigli als Vertreter einer zwischen Calvin und den Zürchern stehenden Position, während Calvin an seiner Haltung festhält, aber ausführlich auf die Hinweise eingeht und sich entschuldigt, dass er nur weniges habe einarbeiten können.264 Vor allem scheint Vermigli unter Verweis auf Bucer vor doppeldeutigen Formulierungen gewarnt zu haben, als die er (wie a Lasco und die Zürcher) offenbar Calvins Strategie wahrnahm, die Übereinstimmung mit Wittenberg zu betonen. Calvin reagiert darauf mit einer Abgrenzung gegen Bucer: Er charakterisiert diesen als „placandis saxonicis addictus“;265 er selbst dagegen wolle seine Position nicht den Gegnern zuliebe zurechtbiegen.266 Als Beleg zählt er Aspekte von Bucers Lehre auf, die er als problematische Annäherung an Wittenberg wahrnimmt und nicht teilt, darunter die Annahme einer substantialis manducatio.267 Zudem hatte Vermigli Aussagen kritisiert, bei denen er die Gefahr sah, dass Sakramente unmittelbar als Heilsmittel betrachtet werden könnten – nicht, wie es Vermigli akzentuiert, vermittelt durch den Geist.268 Das betrifft Aussagen zur Herstellung der communio mit Christus sowie zum sub pane dari; in die gleiche Richtung geht der Wunsch nach Betonung der „efficacia spiritus“.269 Calvin erkennt diese Aspekte an, meint aber, man müsse sie nicht betonen, da keine Gefahr von Missverständnissen bestehe. Beim sub pane dari habe er durch Ausschließung lokaler Präsenz, räumlicher Umschreibung und Ubiquität das 262 Ebd.: „Quidquid disputationum in suis literis agitat in hoc cardine vertitur, naturale Christi corpus in hoc cibum non dari. Quasi aliunde quam a naturali corpore petenda sit vita. Atqui in hoc potius capite insistere decebat ne qua fingatur substantiae vel transfusio vel commixtio. Ad hunc quidem ipse quoque scopum nobiscum haud dubie collimat: sed tamen aliquantulum vereor ne paucorum verborum illecebris captus suam loquendi formam nimis praecise urgendo homines morosos exasperet. Haec ego in tuum sinum. Vellem enim, si fieri posset, omnem proterviendi occasionem hostibus adimi. Hostes non sine acerbissimo dolore vocare cogor, qui fratrum loco esse debebant. Quamvis autem eorum pervicaciam cordate refutari expediat, nostrum tamen docendi modum sic cuperem temperari ut eorum morositati apud omnes aequos et sanos extremam invidiam conflaret.“ Vgl. zum dogmatischen Hintergrund der hier von Calvin gesehenen Differenzen HEIN, Sakramentslehre, 150–154. 263 Das Schreiben ist nicht erhalten. Ende November 1554 blickt er aber auf die Übersendung als schon erfolgt zurück und berichtet vom Stand der Verhandlungen mit Zürich (vgl. Calvin an Vermigli, 27.11.1554, CR 43 = CO 15, 322 f. (Nr. 2053)). 264 Vgl. Calvin an Vermigli, 18.1.1555, CR 43 = CO 15, 386 (Nr. 2089). 265 AaO., 386. 266 Vgl. ebd. 267 Vgl. ebd. 268 Diese Position hatte er in der Oxforder Disputation entwickelt, vgl. o. Kap. III.1.3b. 269 Vgl. Calvin an Vermigli, 18.1.1555, CR 43 = CO 15, 387 (Nr. 2089); ebd. das Zitat.

2.4 Die Druckfassung der Defensio und ihre Aufnahme bei Calvins Mitstreitern 359

richtige Verständnis gesichert.270 Hier wird also die auf Bitten der Zürcher erfolgte Präzisierung angeführt; zugleich betont Calvin, er habe verhindern wollen, dass die Basler durch weitergehende Änderungen verstimmt würden271 – er argumentiert also bei aller Kritik an Bucer zugleich damit, dass für Anhänger der klassischen Position Bucers seine Strategie akzeptabler sei. Indem Calvin Vermigli ein Exemplar der Defensio und einen Brief für die Straßburger Pfarrer mitsandte,272 versuchte er auch auf Straßburger Konflikte einzuwirken: Nach Vermiglis Rückkehr 1553 hatten einige Geistliche unter Führung Johann Marbachs Bedenken gegen seine Abendmahlslehre geäußert und die Unterzeichnung von Confessio Augustana und Wittenberger Konkordie zur Bedingung seiner erneuten Anstellung gemacht.273 Auch vom Prediger der französischen Gemeinde, Garnier, wurde eine Unterzeichnung der CA verlangt.274 Dass Vermigli sein Amt wiedererlangte, nachdem er seine Zustimmung zur CA erklärt hatte (wenn sie richtig verstanden werde) und sich gegen die – von ihm im Sinne einer definitiven Aussage der manducatio impiorum aufgefasste – Wittenberger Konkordie auf Bucer berufen hatte,275 zeigt die normative Bedeutung Bucers in Straßburg, die nun auch Calvin zu nutzen versucht: Er beansprucht, in der gegen Angriffe einiger „turbulenti homines“ gerichteten Defensio das Gleiche zu vertreten wie Capito und Bucer. Damit seien die Straßburger gewiss einverstanden.276 Anders als im Brief an Vermigli stellt er also hier die Parallelen seiner Strategie zu Bucer heraus! In der Folge unterstützten Vermigli und Garnier Calvins Defensio, während sich zugleich ein theologischer Austausch ergab: Vermigli akzeptierte die mangelnde Berücksichtigung seiner Kritikpunkte und gab die Defensio an die anderen Straßburger Pfarrer weiter.277 Garnier, der dem Text ebenfalls zustimmte, berichtete, er sei in der Pfarrerversammlung verlesen worden und habe vielen gefallen, aber nicht allen.278 Dass Vermigli bei aller Unterstützung für Calvin andere Akzente setzte als dieser, wird in einem Briefwechsel über die communio cum Christo deutlich, der wohl ebenso durch die Defensio angeregt wurde wie durch a Lascos Schrift, um deren Beurteilung Beza Vermigli gebeten 270

Vgl. aaO., 386 f. (Nr. 2089). Vgl. aaO., 387. 272 Vgl. aaO., 387 f.; Calvin an die Straßburger Pfarrer, [18.1.1555], CR 43 = CO 15, 385 (Nr. 2088). 273 Vgl. zum Ablauf im Einzelnen MCLELLAND, Visible Words of God, 44–47. 274 Vgl. Bullinger an Garnier, [o. Datum], CR 43 = CO 15, 355 (Nr. 2067). 275 Vgl. MCLELLAND, Visible Words of God, 46, und die aaO., 285–287 abgedruckte englische Übersetzung der Erklärung Vermiglis vom 27.12.1553, deren lateinisches Original nicht ediert ist (vgl. ANDERSON, Register epistolarum Vermilii, in: DONNELLY / KINGDON, Bibliography, 169 (Nr. 187)). 276 Vgl. Calvin an die Straßburger Pfarrer, [18.1.1555], CR 43 = CO 15, 385 (Nr. 2088). 277 Vgl. Vermigli an Calvin, 8.3.1555, CR 43 = CO 15, 492 f. (Nr. 2142). 278 Vgl. Garnier an Calvin, 28.2.1555, CR 43 = CO 15, 456 f. (Nr. 2125). 271

360

IV.2 Ringen der verketzerten Theologen um eine gemeinsame Position

hatte.279 Calvin geht anders als a Lasco von einer geistgewirkten Gemeinschaft mit Christi natürlichem Leib aus.280 Vermigli positioniert sich zwischen beiden, indem er a Lascos Unterscheidung zwischen natürlicher und geistlicher communio übernimmt, aber letztere wie Calvin als aktive communicatio durch den Geist versteht.281 Wenngleich die Debatten in Ostfriesland und Straßburg zunächst eher dazu beitrugen, dass Vermigli und a Lasco keine eigene Antwort auf Westphals Vorwürfe veröffentlichten – bei a Lasco ist dies eindeutig, bei Vermigli ist zumindest naheliegend, dass er sich in Straßburg nicht damit exponieren wollte – wurden sie von den Protagonisten als mit dem Westphalstreit zusammengehörig empfunden. Das galt auch für die Gegenseite: Marbach sowie ostfriesische Gegner a Lascos traten in Kontakt mit Westphal.282 Ein Vorbote dessen ist die Klage des ostfriesischen Pfarrers Martin Faber über den im benachbarten Norden tätigen Micron.283 Micron wiederum hatte sich 1554 in seinen Christlicken Ordinancien scharf gegen den Vorwurf der Sakramentschänderei gewandt, ohne dass erkennbar wäre, ob er damit ausschließlich die ostfriesische Kontroverse meinte oder auch den Westphalkonflikt.284

2.5 Ergebnisse 2.5 Ergebnisse

Die Diskussion der von Westphal verketzerten Theologen über den Umgang mit den Vorwürfen zeigt mehrere Phänomene, die für den weiteren Streitverlauf ebenso wichtig wurden wie auf lange Sicht für die reformierte Konfessionsbildung: Erkennbar ist zunächst ein identitätsrelevantes Bewusstsein von Einigkeit der Attackierten untereinander – positiv durch den Consensus Tigurinus, negativ gegen Westphals Vorwurf wechselseitigen Widerspruchs. Zugleich gibt es jedoch weiterhin eine Pluralität an abendmahlstheologischen Positionen und Perspektiven auf die Wittenberger Reformation. Die Ansichten 279

Vermigli an Beza, März 1555, Corr. Béze 1, 153 (Nr. 57). Vgl. Calvin an Vermigli, 8.8.1555, CR 43 = CO 15, 722–725. 281 Vgl. Vermigli an Calvin, 8.3.1555, CR 43 = CO 15, 493–496 (Nr. 2142); ders. an Beza, März 1555, Corr. Béze 1, 153–155 (Nr. 57). 282 Vgl. u. Kap. IV.3.1a. 283 Vgl. Martin Faber an Westphal, 29.3.1555, SILLEM I, 190 f. (Nr. 105). 284 MICRON, MARTEN, De christlicke Ordinancien der Nederlantscher Ghemeinten te Londen (1554), ed. v. W. F. Dankbaar, ʼs-Gravenhage 1956 (Kerkhistorische Studien 7), 38 f.: „Sommighe cryschen wt, dat wy de Sacramenten schenden ende verachten. […] Als wy Dienaren der Ghemeynte dese ende derghelijcke lasteringhen daghelijckx ghehoort hebben, so hebben wy […] bedwonghen gheweist, dʼordinancien onser Ghemeinten ordenlick ende ghetrauwelijck te bescriuen […] ende wilt doch dit lesen, so sult ghy ontwyfelijck beuinden, dat wy gheen Sacramentschenders sijn.“ Vgl. zu Microns Situation in Norden PETTEGREE, Emden and the Dutch Revolt, 37–42. 280

2.5 Ergebnisse

361

zerfallen nicht in eine von Zürich und eine von Straßburg geprägte Partei, sondern bilden ein Spektrum: von Biblianders Betonung eigener Rechtgläubigkeit gegen die als quasi-papistisch und typisch für die Wittenberger Reformation angesehene Lehre Westphals über die Positionen Bullingers, a Lascos und Vermiglis bis hin zu Calvins These, dass die Mehrheit der Wittenberger Reformation mit seiner straßburgisch geprägten Lehre einer geistlich-exhibitiven Vermittlung von Christusgemeinschaft mittels des Abendmahls übereinstimme und sich daher gegen Westphal wenden müsse. Dieses Spektrum sollte in weiteren Streitschriften dieser Partei zum Tragen kommen. Das Bewusstsein wechselseitiger Übereinstimmung und die interne theologische Pluralität der Allianz sind vereinbar, weil der Consensus Tigurinus und vergleichbare Texte für alle diese Positionen anschlussfähig sind und es so den Beteiligten erlauben, einander im Sinne der jeweils eigenen Abendmahlstheologie zu lesen: Kann Calvin alle Anhänger des Consensus – auch die Zürcher – im Sinne seiner exhibitiven, seinem Postulat zufolge mit der Wittenberger Reformation übereinstimmenden Lehre interpretieren, deutet Bibliander alle von Westphal Attackierten bis hin zu Calvin und Bucer im Sinne einer Zürcher geistlichen Nießung allein durch gläubige Erinnerung. Diese Deutungen haben zugleich das Potential, die Position des jeweiligen Autors für alle Einbezogenen normativ zu setzen – was wiederum die innere Spannung der durch den Consensus konstituierten Allianz ausmacht und zu einem Ringen um akzeptable Aussagen führt. Resultat dieses Ringens ist folgerichtig kein gemeinsam unterzeichneter Einheitstext, sondern mit der Defensio eine Schrift, welche die spezifische Haltung Calvins wiedergibt, aber im Interesse der anderen Beteiligten modifiziert worden ist und von diesen unterstützt wird. Dass Westphals Partei im Folgenden vor allem auf Calvins Position reagierte, hat zum einen damit zu tun, dass Calvins Mitstreiter vorerst keine weitere Gegenschrift verfassten – zum anderen damit, dass Calvins Anspruch auf theologische Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation aus Sicht von Westphals Partei die Gefahr barg, dass die von ihnen als ketzerisch angesehene Lehre der Streitgegner in ihrer eigenen Kirche akzeptiert werden könnte. Dementsprechend attackierten sie gezielt eben diesen Anspruch.

Kapitel IV.3

Der Höhepunkt der theologischen Debatte (1555/56) Zwischen Mitte 1555 und Februar 1556 reagierten beide Streitparteien umfassend auf die Beiträge der jeweils anderen: Während Westphals Seite Calvins Defensio mit neuen Streitschriften beantwortete, traten nun auf der Gegenseite weitere Autoren neben Calvin gegen die Ketzervorwürfe auf. Sah die ältere Forschung darin vor allem eine quantitative Ausweitung der Debatte und konzentrierte sich auf den Streitschriftenwechsel zwischen Westphal und Calvin,1 erweist sich diese Phase bei Einbeziehung aller Streitschriften als argumentativer Höhepunkt des Zweiten Abendmahlsstreits: Während zuvor beide Parteien ihre Haltung erst entwickeln mussten und später das Problem kirchenpolitischer Normativität in den Vordergrund trat, finden sich hier sehr eingehende Auseinandersetzungen mit der Argumentation der jeweiligen Gegenseite und umfassende theologische Begründungen der eigenen Position. Für den Prozess der Konfessionsbildung aufschlussreich sind einerseits die gemeinsamen Tendenzen der Streitparteien, andererseits deren interne Pluralität: Alle Autoren auf Westphals Seite wollen Calvins Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation widerlegen, der aus ihrer Sicht die normative Geltung ihrer eigenen Auffassung bedroht – sie tun das aber unter verschiedenen Aspekten. Die Gegenseite wiederum legt Wert darauf, gegen die von Westphals Partei erhobenen Ketzervorwürfe die Rechtgläubigkeit und reformatorische Normativität ihrer Haltung herauszuarbeiten – das schon in ihrer Debatte über eine erste Antwortschrift zutage getretene2 Spektrum an Abendmahlstheologien und Perspektiven auf die Wittenberger Reformation schlägt sich aber in sehr unterschiedlichen Argumentationsstrategien nieder. 1 So etwa HEPPE, Geschichte des deutschen Protestantismus I/1, 122 („Alsbald loderte der Kampf aller Orten in den hellsten Flammen auf.“) oder SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 175 („Westphals Schriften hatten die Wirkung, die er beabsichtigte. Eine Wolke von Zeugnissen für die Lehre Luthers trat auf […]. Dass die Partei der lutherischen Führer eine kleine sei, konnte man nun nicht mehr behaupten.“) Vgl. auch MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 84; TSCHACKERT, Entstehung der lutherischen und reformierten Kirchenlehre, 534 f. TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 203, bietet immerhin für die Texte von Bullinger, Judex und Schnepf wenige Sätze zum Inhalt; NEUSER, Dogma und Bekenntnis, 275, eine fast vollständige Auflistung der Beteiligten. Eingehender werden Schriften anderer Akteure neben Westphal und Calvin normalerweise nur in Spezialuntersuchungen zum betreffenden Autor behandelt; vgl. dazu u. bei den jeweiligen Schriften. 2 Vgl. dazu o. Kap. IV.2.

364

IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

3.1 Gegen Calvins Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation: Neue Schriften von Westphals Seite 3.1 Gegen Calvin: Neue Schriften von Westphals Seite

In Calvins Defensio (und teils in anderen Texten der Gegenseite) sahen Westphal und seine Mitstreiter ihre seit Beginn des Streits gehegte Befürchtung bestätigt: Hier wurde nicht nur eine Sakramentslehre und reformatorische Identitätsvorstellung für gesamtreformatorisch normativ erklärt, die aus Perspektive von Westphals Partei im Gegensatz zu ihrer eigenen stand. Der Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation wurde auch dadurch untermauert, dass Calvin Kontinuität mit der im Wittenberger Kontext als rechtgläubig anerkannten Straßburger Position beanspruchte und sich auf deren Würdigung durch Wittenberger Autoritäten berief. Das erhöhte aus Sicht Westphals und seiner Parteigänger die Gefahr, dass dieser Anspruch – und damit in ihren Augen eine Häresie – innerhalb der eigenen Kirche anerkannt werden könnte. Daher versuchten sie in ihren Schriften, ihn zu unterminieren: durch Widerlegung von abendmahlstheologischen Argumenten Calvins, durch Anführung weiterer (etwa liturgischer und tauftheologischer) Aspekte, die aus ihrer Sicht belegten, dass Calvins Partei sich außerhalb des kirchlichen Konsens bewege, insbesondere aber durch den Nachweis, dass die von Calvin angeführten Autoritäten nicht seine Streitposition stützten, sondern ihre eigene. a) Gegen Calvins Defensio: Westphals Iusta defensio Auf Calvins Defensio reagierte Westphal mit der Iusta defensio,3 die in der älteren Forschung je nach konfessionellem Standpunkt als reine Polemik4 oder als Verteidigung seiner bisherigen Texte5 dargestellt wurde. In diesen Urteilen wird jedoch nicht hinreichend deutlich, dass Westphal in der Schrift nicht einfach nur bekannte Aussagen wiederholt. Ebenso wenig allerdings ist davon auszugehen, dass sich seine Sicht auf Calvin grundlegend verändert hätte und er erst jetzt Calvins Auffassung als häretisch wahrnähme:6 Er bemüht sich vielmehr nachzuweisen, dass die Argumentation der Defensio nicht – wie von Calvin beansprucht – dessen Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation 3 WESTPHAL, JOACHIM, Aduersus cuius=||dam Sacramen-||TARII FALSAM CRI||MINATIONEM, IVSTA DEFEN=||sio […], in qua & Eucharistię cau/||sa agitur. Frankfurt (Main):

Peter Braubach 1555, VD16 W 2260. 4 So etwa STÄHELIN, Johannes Calvin, 214; PLANCK, Geschichte der protestantischen Theologie I/1, 68; NIJENHUIS, Calvinus oecumenicus, 169. 5 In diesem Sinne SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 170–173; MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 44–52; TSCHACKERT, Entstehung der lutherischen und reformierten Kirchenlehre, 534. 6 So JANSE, Joachim Westphal’s Sacramentology, 142 f. Zur Auseinandersetzung mit dem dieser These zugrunde liegenden Urteil Janses über Westphals frühere Texte (Westphal habe zuvor die Zürcher, aber nicht Calvin als Häretiker angegriffen), vgl. o. Kap. III.2.4a.

3.1 Gegen Calvin: Neue Schriften von Westphals Seite

365

belege, sondern im Gegenteil die in Farrago und Recta fides geäußerten Bedenken bestätige: Es handle sich um eine ketzerische Auffassung, die darum so gefährlich sei, weil sie ihren häretischen Charakter verschleiere. Zur Stützung dieser These führt Westphal neben bekannten Argumenten auch neue Aspekte an. So legt er dar, warum Calvin sich zu Unrecht auf Autoritäten der Wittenberger Reformation berufe, und listet weitere Positionen der Streitgegner auf, die in seinen Augen ihre Abweichung vom kirchlichen Konsens belegen: unter anderem Tauflehre, Liturgie und Perikopenordnung.7 Westphal selbst beschreibt die Iusta defensio als Verteidigungsschrift, die wegen der Polemik der Streitgegner notwendig sei.8 Dazu passt die Widmung an Alexander Bruchsal9 – derjenige Briefpartner, der Westphal 1552 zur Abfassung seiner ersten Streitschriften bewogen hatte,10 soll diese nun verteidigen. Angegriffen sieht Westphal sich, wie der Titel zeigt, durch Calvins Defensio;11 ausweislich einiger Bemerkungen kennt er auch a Lascos Confessio.12 Dass mit der Gegenpartei assoziierte Flüchtlinge in Frankfurt lebten, spielt für die auf den 6.7.1555 datierte, vor Ende September erschienene Schrift13 wohl 7

Diesen Aspekten widmen sich mehrere neuere Aufsätze, vgl. JANSE, Infant Baptism, Das fünfte Verbrechen. Joachim Westphal, Johannes Calvin und die Perikopenfrage im 16. Jahrhundert, in: JLH 22 (1978), 124–129. 8 Vgl. WESTPHAL, Iusta defensio, A2r–v. 9 Vgl. aaO., A2r. Dass Westphal die Widmung mit Bruchsals Standhaftigkeit inmitten von Sakramentierern und Altgläubigen begründet (vgl. aaO., A5v–A6r) spielt auf dessen Situation als Vertreter einer wittenbergisch orientierten Minderheit in Antwerpen an (vgl. o. Kap. III.2.2b) und entspricht zudem beider Identitätsvorstellung (vgl. o. Kap. III.2.1b). 10 Vgl. o. Kap. III.2.2b. 11 Wie Calvin umgekehrt auch (s.o. Kap. IV.2.2b) nennt Westphal ihn nicht namentlich, sondern wendet sich „aduersus cuiusdam Sacramentarii falsam criminationem“ (WESTPHAL, Iusta defensio, A1r), was er brieflich wie folgt begründet: „Vellem non apposuisse expresse nomen Calvini […], ne vel inde sumeret tumultuandi occasionem.“ (Westphal an Braubach, 16.11.1555, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 215 (Nr. 2.1)). 12 WESTPHAL, Iusta defensio, A6r–v: „His diebus, egregius aliquis Sacramentarius dedit publicam confeßionem, in qua id agit sollicite, ne uideatur suam sententiam mutasse, et affirmat se persistere in eo, quod ante sensit et docuit, Corpus Christi non adesse substantialiter in coena, demonstrationis loco adducens, quod Christus ex Maria uirgine carnem assumpsit. Alii itidem satis se detegunt, quantumuis astute sese occultent, et in Apostolos Christi se transfigurent, ut facile sit cognitos uitare, et positas insidias effugere, ne thesauro aeterno salutis nos depraedentur.“ Dass a Lascos Text gemeint ist, zeigt neben dem Titel confeßio das Argument der Annahme von Christi Fleisch aus Maria (vgl. o. Kap. III.1.3f; IV.2.4d). 13 Die Datierung findet sich in WESTPHAL, Iusta defensio, A6v. Johann Marbach empfahl Hartmann Beyer am 18.9. „Westphali nostri editam nunc defensionem“ zur Lektüre (SILLEM I, 203 (Nr. 113)); Westphal dankte Braubach für die pünktlich zur Frankfurter Herbstmesse erfolgte Veröffentlichung (vgl. Westphal an Braubach, 16.11.1555, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 215 (Nr. 2.1)). Diese Messe fand in der letzten September- und ersten Oktoberwoche statt (vgl. PETTEGREE, ANDREW, The Book in the Renaissance, New Haven / London 2010, 79); Westphals Schrift lag also vor Ende September vor. VON SCHADE, HERWARTH,

366

IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

noch keine Rolle, zumal Westphal erst Ende Juli durch seinen Drucker Peter Braubach von der Situation in Frankfurt erfuhr.14 Calvins Defensio bestätigte für Westphal alle Befürchtungen, die er seit der Farrago vorgetragen hatte: Calvin vertrat nicht nur eine in Westphals Augen häretische Abendmahlslehre und beanspruchte dafür gesamtreformatorisch normative Geltung; er stellte auch seine Übereinstimmung mit der in weiten Teilen der Wittenberger Reformation als rechtgläubig angesehenen Straßburger Auffassung heraus und berief sich dafür auf Wittenberger Autoritäten. Diese Argumentation erhöhte aus Westphals Sicht die Gefahr, dass Calvins Position in wittenbergisch geprägten Kirchen als rechtgläubig akzeptiert werden könnte. Dass diese Überlegung nicht unbegründet war, zeigt sich an einem Schreiben seines Amtskollegen Martin Faber. Dieser mahnte Westphal zur Mäßigung gegenüber Calvin, da auch gute Theologen die Bekämpfung solcher Abendmahlsauffassungen ablehnten, und führte an, dass Bucer und Melanchthon stets auf die Wittenberger Konkordie verwiesen hätten15 – gab also zu bedenken, dass Calvins Lehre teils als konkordiengemäß eingestuft werde. Mit seiner Schrift will Westphal verhindern, dass die eigene Kirche Calvins Auffassung in diesem Sinne als rechtgläubig anerkennt. Entsprechend ausführlich widmet er sich der Widerlegung der Argumente, die Calvin für seine Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation vorgebracht hatte. So setzt er gegen Calvins Berufung darauf, dass Luther im Kontext der Wittenberger Konkordie die Straßburger Lehre akzeptiert habe, Luthers Abgrenzung gegen die Zürcher Reformation von 1544: Luther habe im Kurzen Bekenntnis die Behauptung der sacramentarii zurückgewiesen, sie stimmten theologisch mit ihm überein.16 Während Calvin beansprucht, dass seine Lehre mit der Straßburger Position kongruent ist, geht Westphal (gemäß seiner bisherigen Argumentation 14

Zur Situation in Frankfurt vgl. u. Exkurs B.2, zur Information Westphals Braubach an Westphal, 19.7.1555, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 212 f. (Nr. 1.2); Anm. 15 Westphals Vermerk auf dem Brief: „mihi redditae sunt die 26 Julij.“ 15 Martin Faber an Westphal, 14.8.1555, SILLEM I, 199 (Nr. 111): „Accepi praeterea vos meditari apologiam in Calvini convicia […] In movendo hoc certamine Sacramentario scio dissimilia esse judicia etiam bonorum, alii non indulgere vellent ei rei nimirum periculosae, alii sepiliri quacunque via mallent ortas de eo dissensiones quam resuscitari, alii pugnandum non sentiunt cum illis qui concedunt in s. coena exhiberi nobis Christum, ejus beneficia, corpus item et sanguinem licet spirituali tamen ratione. D. Philippus saepe eos revocat ad consensionem illam factam Wittenbergae inter D. Lutherum, piae memoriae, Bucerum, Capitonem et ea formula praecidi occasiones multorum dissidiorum et contentionum in S. Coena posse affirmat. Quae forma, qualis esset et quomodo illa consensio facta esset, vellem exstaret. Audivi ex D. Bucero saepe, qui D. Lutherum imprimis venerabatur, se non dubitare, si vel Oecolampadius et plerique alii diversae partis illi interfuissent actioni et D. Lutheri mentem proprius intellexissent, numquam fuissent repugnatores illi et certaminis ejus modum vel finem postea futurum. Haec ideo addo, non quod uobis ego rudior quid praescribere velim aut possim, sed si constitutum est respondere Calvino, fiat modestius.“ 16 Vgl. WESTPHAL, Iusta defensio, 52; zu Luthers Kurzem Bekenntnis vgl. o. Kap. II.5.1.

3.1 Gegen Calvin: Neue Schriften von Westphals Seite

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und seiner Analyse im weiteren Verlauf der Defensio) davon aus, dass Calvins Auffassung mit der im Wittenberger Kontext als häretisch angesehenen Zürcher Lehre übereinstimmt. Das zeigt sich auch am folgenden Argument: Wenngleich die Gegner auf dem Marburger Religionsgespräch eine geistliche Präsenz Christi im Abendmahl zugestanden hätten, seien sie für Luther so lange mit ihm uneins, bis sie eine Austeilung der Substanz von Leib und Blut verträten und ihre Lehre widerriefen, dass es sich nur um Brot und Wein handle.17 Diese Aussage wird Calvin als Schibboleth vorgehalten: Wenn er die substantiale Präsenz anerkenne, dürfe er Westphal nicht tadeln; wenn nicht, seien alle Versuche, sich auf die Confessio Augustana zu beziehen oder Luther und die Zwinglianer zu versöhnen, bloße Täuschungen.18 Dementsprechend bestreitet Westphal auch vehement Calvins These, die Confessio Augustana stimme mit dem Consensus Tigurinus überein: „Me […] nulla alia causa urgeret, una tamen haec imponeret mihi magnam neceßitatem respondendi, quod trahit ad societatem haereticae consensionis de re Sacramentaria, coniunctos Augustanae confessioni, et tot Ecclesias ac Theologos auersatos tanto tempore Zuinglij dogma tantaque perpessos traducit: Et quosdam eximios uiros molitur suspectos facere, (id quod libenter factitare consueuerunt, fallaci praetextu) quasi sentiant cum Sacramentarijs, quamuis fidem suam de Coena Domini declarauerint integris libris, qui extant, et tacite retractauerint doctrinam ante defensam, et iuerint in sententiam Zuinglianam. Perniciosa esset patientia obnoxia graui culpae, dissimulare et tacere, ac permittere subdole allegari nostrarum Ecclesiarum consensum, idque callidum commentum obtrectum splendide sub nomine Augustane confessionis exteris obtrudi pro certissima ueritate, quo uel inducantur in errorem, uel obfirmentur inducti, fidem habituri tanto autori, de quo uel suspicari aliquid fraude, plus satis illi addicti putent nefas esse. Ita enim libere progrederetur error, nullo impedimento obsistente, tanquam fide publica data a nostris Ecclesiis: ac tum demum blandissima specie insinuaret se persuasio, […] esse illos homines turbulentos, paucos morose ac pertinaciter insistere suae opinioni, dissentientes a confessione ab omnibus recepta.“19

Da für Westphal die Confessio Augustana den anerkannten Konsens der eigenen Kirche darstellt, befürchtet er nicht nur, dass Calvins Berufung darauf zu einer Tolerierung von dessen Auffassung führt, sondern auch, dass sie den Eindruck erwecken könnte, die Lehre der Streitgegner sei Konsens der ganzen Reformation, und er selbst bestreite diesen: Da Westphal zwischen seiner eigenen und Calvins Auffassung einen ausschließenden Gegensatz sieht, käme es für ihn einer Ausgrenzung seiner Position aus dem kirchlichen Konsens gleich, wenn sich Calvins Deutung der Confessio Augustana durchsetzen sollte. 17

Vgl. WESTPHAL, Iusta defensio, 52 f. AaO., 53: „Quod si aduersarius hoc quod dixi credit, quid me flagellat? Si non credit, quid prudentes et uidentes tentat decipere? quid praestringit mentes fulgore Augustanae confessionis? quo ore praedicat se in consensione sua summatim complexum, quicquid habet de Sacramento praedicta confessio? Quid sibi uolunt fucatae et fallaces conciliationes repugnantium sententiarum D. Lutheri et Zuinglianorum?“ 19 WESTPHAL, Iusta defensio, 17 f. 18

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

Dem hält Westphal entgegen, dass im Gegenteil seine Lehre Inhalt der Confessio Augustana und damit normativer reformatorischer Konsens, Calvins Haltung hingegen mit der CA unvereinbar sei. Dabei stellt er der von Calvin angeführten Variata nicht die Invariata entgegen oder stellt in Frage, ob die Variata der ursprüngliche Text sei – dieses später so zentrale Problem scheint ihm noch nicht bewusst zu sein. Das ist angesichts der Textgeschichte einleuchtend: Nachdem lange die Variata alle Druckausgaben dominiert hatte, wurde erst 1557 (zwei Jahre nach der vorliegenden Schrift) erstmals wieder die Invariata gedruckt;20 der Unterschied zwischen den Fassungen wurde erst auf dem Naumburger Fürstentag 1561 virulent.21 Bis dahin konnten sich Mitstreiter Westphals für ihre Position ebenso auf die Variata berufen22 wie Calvin für seine Lehre. Wie Westphals Argumentation zeigt, waren nicht die Textfassungen strittig, sondern die Interpretamente: Er beruft sich auf Artikel X der Apologie als normative Auslegung von Artikel X der CA:23 Die Apologie hält die substantiale Präsenz des Leibes Christi im Abendmahl fest, die für Westphal Kern der wahren Lehre ist.24 Da Melanchthon die Präsenz Christi dort als körperliche bestimmt und sich dafür auf die römische und griechische Kirche beruft,25 kann Westphal zudem daraus ableiten, dass der Begriff substantialiter in dem von Calvin abgelehnten Sinn einer körperlichen Gegenwart zu verstehen sei: Die körperliche Präsenz sei nach ApolCA X nicht (wie Calvin gemeint hatte) eine Auslegung im Sinne der Altgläubigen, die von Anhängern der CA nicht vertreten werde,26 sondern Inhalt der CA und Konsens der Kirche.27 20

Vgl. NEUSER, Bibliographie der Confessio Augustana, 16–18. Vgl. u. Kap. VI.1.3. 22 So etwa Paul von Eitzen, vgl. u. Kap. V.1.2b. 23 WESTPHAL, Iusta defensio, 19: „Quam pulchre aduersario meo conueniat cum Augustana confessione, perspicue apparet ex declaratione prudenter addita in apologia, cum quidem breuitas in eo articulo posset trahi in ambiguum sensum.“ 24 AaO., 19 f. zitiert er ApolCA X und fährt fort: „Hic diserte affirmat apologia, uere et substantialiter Christi corpus et sanguinem adesse, et exhiberi in Coena, id constanter defendisse Theologos coniunctos editae confessioni: aduersarius contra negat adesse, et dari substantialiter. Nonne haec est manifesta contradictio?“ 25 Vgl. BSELK, 425, und dazu o. Kap. II.3.1. 26 Vgl. zum Hintergrund dieser Aussage bei Calvin o. Kap. IV.2.2b und IV.2.4a. 27 WESTPHAL, Iusta defensio, 20 f.: „Quae est ergo illa reuerentia, qua prosequitur professos, aperte se defendere, et defendisse corporalem praesentiam, quam tot sibilis et sannis excipiunt atque explodunt Sacramentarij, insimulans magnae leuitatis et inconstantiae, quasi nunc non defendant sententiam receptam in tota Ecclesia, sed ab ea defensione secesserint in castra Zuinglij? Sane aeque reuerenter eos honorat, hoc de illis diuulgando, quam defert eis honorifice, cum notat eos esse tales confessores, qui captent aduersariorum Christi gratiam, et metu crucis inflectant suam confessionem. Apologia allegat Romanae et Graecae Ecclesiae consensum de praesentia corporali in Eucharistiae Sacramento, uiderint cuius Ecclesiae sint ciues, qui hanc doctrinam damnant, et me non ob aliam causam, quam ob eius defensionem, atrociter maledicis conuicijs suis onerant et diffamant.“ 21

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Eine analoge Zielsetzung verfolgt Westphal auch im Umgang mit der theologischen Argumentation der Defensio: Beansprucht Calvin, dass es sich bei seiner Abendmahlslehre um eine mit der Straßburger Haltung kongruente und daher auch mit der Wittenberger Reformation übereinstimmende Auffassung handle, will Westphal nachweisen, dass sie im Gegenteil (wie in der Farrago postuliert) eine mit der Lehre der Zürcher Reformation kongruente, aus Wittenberger Sicht ketzerische Haltung darstelle und Calvin diesen ketzerischen Charakter lediglich zu verschleiern versuche. Er verteidigt also die Argumentation der Farrago und wendet sie auf die Defensio an. Im Vordergrund stehen dabei zwei Aspekte: die aus Westphals Perspektive widersprüchlichen Auslegungen der Einsetzungsworte durch die Streitgegner und seine These, dass ihre Lehre auf eine rein symbolische Abendmahlsauffassung hinauslaufe. Westphals Verteidigung seiner These, dass die Streitgegner einander widersprechende Auslegungen der Einsetzungsworte verträten, zielt nicht nur auf die Aufrechterhaltung seines entsprechenden Ketzervorwurfs aus der Farrago, sondern auch auf Calvins Postulat, dass alle Anhänger des Consensus Tigurinus im Sinne seiner Lehre übereinstimmten: „scripsi de omnibus falsae doctrinae autoribus, […] ad eundem tendere erroris scopum, unde uno nomine appellantur Haeretici, et tamen inter se dissidere, et in pugnantes uariasque opiniones diuisos sibi repugnare. […] Nec ualet ex particulari deducta argumentatio: In aliquibus sentiunt et loquuntur idem, Ergo per omnia et in omnibus inter eos conuenit. Sicut uitiosa est illa quoque: aliqui inter se consentiunt, proinde inter omnes Sacramentarios est consensio, quam tamen meus reprehensor inducit sic colligens: Scribo mutuas consensiones cum Tigurinis, una est nostra sententia, mutuas tradimus operas, nihil igitur dissensionis reperitur, neque fuit unquam ullo tempore aliqua discrepantia inter quoscunque Sacramentarios.“28

Um zu belegen, dass die theologische Uneinigkeit unter den Gegnern trotz des Consensus weiterbestehe, führt Westphal neben aus der Farrago bekannten Beispielen (wie der Auslegung des hoc bei Karlstadt, Calvin und a Lasco29) aktuelle Gegebenheiten an, etwa die von Faber berichtete Auslassung der Einsetzungsworte in Gottesdiensten der Flüchtlinge30 oder den Umstand, dass Calvin sich in der Defensio allein auf die lukanische und paulinische Fassung der Einsetzungsworte berufe.31 Neben 15 Auslegungen des Wortes corpus werden diverse Lesarten von κοινωνία bei den Streitgegnern aufgeführt.32 Damit ist für Westphal belegt, dass deren Position nicht die Wahrheit darstellen kann – denn diese müsste aus seiner Sicht einstimmig sein.33 28

AaO., 25 f. Vgl. aaO., 30 f.; a Lasco wird nur „tertius interpres“ genannt (aaO., 31). 30 Vgl. aaO., 28 f.; Faber an Westphal, 29.3.1555, SILLEM I, 190 (Nr. 105): „Sanctae Coenae ritus omnino diversus usurpant, nusquam puto locorum praeterquam in Anglia sua usitatos. De vulgari mensa scilicet et omissa verborum Christi ac institutionis recitatione.“ 31 Vgl. WESTPHAL, Iusta defensio, 31 f. 32 Vgl. aaO., 32 f.; 39 f. 33 Zu Westphals Überzeugung von der Einstimmigkeit der Wahrheit vgl. o. Kap. III.2.4a. 29

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

Komplexer ist die Argumentation, mit der Westphal belegen will, dass Calvins Lehre auf ein rein symbolisches Abendmahlsverständnis hinauslaufe – die Bestreitung dieser These aus der Farrago war für Calvins Anspruch zentral, dass seine Lehre rechtgläubig sei und mit der Wittenberger Reformation übereinstimme. Dagegen will Westphal nachweisen, dass die entsprechenden Aussagen der Defensio lediglich eine Verschleierung von Calvins Häresie darstellten.34 Dafür macht er sich den Umstand zunutze, dass Calvins Abendmahlslehre einen längeren Entwicklungsprozess durchgemacht hat: Er zieht die Institutio von 1536 heran, um zu belegen, dass Calvin schon damals eine substantiale Präsenz Christi im Abendmahl bestritten habe35 – also einen Text, bei dem eine zürcherische Deutung leichter möglich ist als bei späteren, straßburgisch beeinflussten Schriften Calvins.36 Letztere sieht Westphal lediglich als Beleg dafür, dass Calvin zeitweilig über seine wahre Ansicht dissimuliert habe und infolgedessen manche seine Lehre akzeptiert hätten – Calvins Zusammenarbeit mit Wittenberger Theologen zur Zeit der Reichsreligionsgespräche beruht also in Westphals Augen auf einer Täuschung. Die Einigung mit den Zürchern im Consensus Tigurinus habe dann offenbart, wie Calvin in Wahrheit denke. Nun versuche er seine wahre Position wieder zu verbergen.37 Dass Calvin auch aktuell keine rechtgläubige Lehre vertrete, will Westphal aus der Defensio erweisen. Dafür listet er zunächst Aussagen auf, die aus seiner Sicht eindeutig ketzerisch sind. Wie in der Farrago handelt es sich dabei um Aspekte, in denen Calvins Lehre sich von derjenigen Bucers unterscheidet und die ihm die Einigung mit Zürich ermöglicht hatten, die aber nicht wittenbergisch lesbar und aus Westphals Sicht gegen die eigene Lehre gerichtet sind:38 insbesondere die Bestreitung der manducatio impiorum39 und die Verortung der auferstandenen Menschheit Christi im räumlich verstandenen Himmel.40 Da derartige Ansichten aus Westphals Sicht eindeutig auf eine zürcherische und damit ketzerische Lehre hinauslaufen, muss es sich ihm zufolge auch bei rechtgläubig klingenden Aussagen wie der Behauptung einer wahren, aber geistlichen Präsenz um Ketzerei handeln, die lediglich verschleiert wird: „Praesentiam et sumptionem corporis et sanguinis aduersarius constituit in fidei spirituali communicatione et fruitione Christi, ut edere carnem, et bibere sanguinem eius, nihil aliud sit, quam credere in Christum“41

34

Vgl. WESTPHAL, Iusta defensio, 46–50. Vgl. aaO., 54 f. 36 Vgl. o. Kap. III.1.1a. 37 Vgl. WESTPHAL, Iusta defensio, 55 f. 38 Vgl. zum Verhältnis zwischen Calvins und Bucers Lehrauffassung o. Kap. III.1.1a; zu Westphals Begründung des dagegen gerichteten Arguments o. Kap. III.2.4a. 39 Vgl. WESTPHAL, Iusta defensio, 81 f. 40 Vgl. aaO., 74–77. 41 AaO., 63. 35

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Die von Calvin und seinen Mitstreitern vertretene Lehre einer geistlichen Nießung Christi im Abendmahl wird so interpretiert, dass sie mit dem Glaubensvorgang identisch sei und nicht darüber hinausgehe. Als Beleg führt Westphal eine Passage aus Zwinglis Amica Exegesis an, die den Begriff spiritualis praesentia in diesem Sinne interpretiert42 – Calvins Auffassung wird also als zürcherisch gedeutet. Sein Anspruch, mit der in Wittenberg als rechtgläubig anerkannten Straßburger Lehre übereinzustimmen, wird hingegen bestritten: Bucer habe eine reale Präsenz von Christi Leib und Blut vertreten; Calvin gebrauche zwar die gleiche Formel, verstehe sie aber nicht rechtgläubig, wenn er der realen keine zeichenhafte, sondern eine bloß eingebildete Präsenz entgegensetze.43 Damit ist für Westphal klar, dass es sich bei Calvins Auffassung um eine zürcherisch-ketzerische und nicht (wie von Calvin beansprucht) um eine straßburgische, mit Wittenberg übereinstimmende Position handelt. Dass die Gegenpartei theologisch nicht mit der Wittenberger Reformation übereinstimme, macht Westphal nicht nur an ihrer Abendmahlslehre fest, sondern auch an ihrer Haltung zu anderen Fragen. Dass er die entsprechenden Positionen Calvins und seiner Parteigänger als Angriffe auf den kirchlichen Konsens klassifiziert, zeigt, dass es sich nicht um „points foreign to the main matter“44 handelt, sondern um weitere Aspekte, die in seinen Augen den ketzerischen Charakter der gegnerischen Auffassung belegen und die später konfessionell identitätsrelevant werden sollten: Zunächst wirft Westphal der Gegenseite Verstöße gegen die hergebrachte Kirchenordnung vor, die ihm Faber von den Flüchtlingen in Ostfriesland berichtet hatte:45 die Abschaffung bestimmter liturgischer Formen, der Nottaufe, des Krankenabendmahls und der Privatbeichte sowie die abweichende Dekalogzählung und Perikopenordnung.46 Hinzu kommt die Tauflehre: Dass Calvin die Kinder gläubiger Eltern auch vor der Taufe für gerettet hält,47 belegt für Westphal, dass Calvin die Taufe

42 Vgl. WESTPHAL, Iusta defensio, 64 (die zitierte Stelle ist Z 5 = CR 92, 587). Zu Zwinglis Auffassung vgl. o. Kap. II.2.2a. 43 WESTPHAL, Iusta defensio, 59 f.: „Martinus Bucerus alicubi confessus est, uere et realiter corpus et sanguinem Domini adesse in Coena. Sonat eandem uocem aduersarius, sed habet paratam glossam, opponit imaginario reale, quod nostri opponant figurato, et intelligunt substantiale corpus: ideo pro se Bucerum allegat. Et gloriatur illum gratulatum esse ipsi de bella ista consensione, ut persuadeat permansisse in pristina sua sententia, et ut ante fecerat, cum Zuinglio ad extremum usque consensisse, licet aliud prae se tulerit quibusdam suis actionibus et scriptis: quae res quid ueri habeat ex Testamento eius, et tractatu de Coena quem scripsit ante mortem multis constat.“ 44 So TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 198. 45 Vgl. Martin Faber an Westphal, 29.3.1555, SILLEM I, 190 (Nr. 105). Dass Westphals Ausführungen auf diesen Bericht zurückgehen, arbeitet erstmals VON SCHADE, Das fünfte Verbrechen, 126 f., heraus, ihm folgt JANSE, Infant Baptism, 10 Anm. 15. 46 Vgl. WESTPHAL, Iusta defensio, 105 f. 47 Zu Calvins entsprechender Position vgl. o. Kap. III.2.2b und u. IV.3.1.d.

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

nicht als Heilsmittel verstehe.48 Anders als Alber und Bruchsal, die analoge Vorwürfe erhoben hatten,49 reflektiert Westphal, dass hinter Calvins Lehre dessen Positionen zu Prädestination und Heilsgewissheit stehen – wirft ihm aber vor, den effectus baptismi zweifelhaft zu machen.50 Insofern ist die Argumentation gegenüber den Collectanea Augustini ausgebaut; Westphal will das Thema aber nicht im Detail behandeln, sondern stellt eine (mit De dignitate baptismi dann realisierte) eigenständige Schrift zur Tauflehre in Aussicht. Neben den inhaltlichen Differenzpunkten diskutiert Westphal Calvins Darstellung des Streitausbruchs: Hatte dieser postuliert, Westphal störe den im Consensus Tigurinus gegebenen reformatorischen Konsens, beansprucht Westphal den kirchlichen Konsens für seine Partei und verortet die Verantwortung für den Streitausbruch bei den Gegnern.51 Dazu schreibt er Luthers Argumentation aus dem Kurzen Bekenntnis von 1544 weiter: Auf dem Marburger Religionsgespräch habe man sich gerade in der Frage, die Anlass des Gesprächs war – die Präsenz Christi im Abendmahl –, nicht einigen können und daher nur vereinbart, von Anfeindungen Abstand zu nehmen.52 Die Wittenberger Konkordie gilt als Bekehrung der Straßburger zur Wittenberger Ansicht, die Publikation von Zwinglis Fidei ratio als Zürcher Verstoß gegen den in Marburg vereinbarten Frieden.53 In dieses Muster antiwittenbergischer Provokation ordnet Westphal nun die Ereignisse ein, die zum Ausbruch des aktuellen Streits geführt haben: Dem Angriff auf Luthers Kurzes Bekenntnis (d.h. der Zürcher Gegenschrift54) seien Sakramentsdebatten in England gefolgt, wo sich die Gegner ein ewiges Reich versprochen und Bücher veröffentlicht hätten55 – gemeint sind unter anderem Vermiglis Oxforder Disputation und a Lascos Tractatio, die Westphal in der Farrago attackiert hatte. Im gleichen Sinne wendet er sich gegen Calvins These, consensiones wie der Consensus Tigurinus bedeuteten gesamtevangelische Einigung: Da diese Texte in seinen Augen selbst ketzerisch sind, könnten sie nur eine Einigung derer sein, die den Irrtum vertreten, keine Einigung mit der wahren Kirche.56 Also sei das Vorgehen dagegen nicht, wie Calvin behaupte, Störung der concordia; dies sei vielmehr den Gegnern 48

Vgl. WESTPHAL, Iusta defensio, 131–133. Vgl. o. Kap. III.2.2b und III.2.4b. 50 Vgl. WESTPHAL, Iusta defensio, 135–137; bes. aaO., 137: „Dubium autem facit aduersarius effectum baptismi, quia ad praedestinationem reuocat, quum scriptura nos reuocet ad Verbum et Sacramenta, et per haec deducat ad praedestinationis et salutis certitudinem, et eos in elctorum numerum referat, qui audiunt Christi uocem, promissionibus Euangelij credunt, et in fide perseuerant.“ 51 Deutlich etwa aaO., 96. 52 Vgl. aaO., 99; zu Luthers Argumentation vgl. o. Kap. II.2.3 und II.5.1. 53 Vgl. WESTPHAL, Iusta defensio, 99; zu Luthers Deutung der Konkordie o. Kap. II.3.4. 54 Vgl. dazu o. Kap. II.5.2. 55 Vgl. WESTPHAL, Iusta defensio, 100 f. 56 Vgl. aaO., 101–103. 49

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anzulasten.57 Die Vorwürfe wären nur berechtigt, wenn eine wirkliche kirchliche Einigung vorläge – und diese müsste für Westphal darin bestehen, dass die Gegner sich der eigenen Lehre anschlössen.58 Westphals inhaltlicher Anspruch, dass es sich bei seiner Lehre um die reformatorisch normative Auffassung handelt, macht sich schließlich auch an deren kirchlichem und politischem Einfluss fest: Er betont zwar, es würde in der Sache nichts ausmachen, wenn Calvin so wenige Gegner hätte, wie er behaupte.59 Dann arbeitet er aber heraus, dass keineswegs eine Mehrheit evangelischer Kirchen den Consensus Tigurinus akzeptiere: In der Nachbarschaft der vom gegnerischen Irrtum betroffenen Kirchen bestritten diesen viele und hätten ihn teils sogar in Bekenntnissen verurteilt; Gläubige in weit entfernten Gegenden wiederum wüssten oft noch gar nichts davon.60 Hier ist auffallend, dass Westphal kein konkretes Beispiel nennt – es bleibt also offen, welche Länder gemeint sind. Das spricht dafür, dass es ihm – wie schon bei den Aussagen über andere europäische Länder in der Vera et propria enarratio61 – weniger um die Situation in einem konkreten Land oder Kirchenwesen geht als darum, seinen normativen Anspruch zu untermauern:62 Durch die These, dass von der gegnerischen Ansicht noch nicht alle evangelischen Kirchen gehört hätten, wird die Perspektive gestützt, dass es sich bei der Auffassung von Westphals Streitpartei um die reformatorisch ursprüngliche und wahre, bei der Lehre der Gegner um eine illegitime Neuerung handle.63 Dazu passt auch, dass Westphal für sein Postulat, viele andere Kirchen würden gern jemandem folgen, der mit besserer Lehre voranginge, neben Deutschland Italien und Frankreich anführt.64 Er wählt also nicht Länder als Beispiel, in denen ihm die Zustimmung führender Theologen sicher wäre, sondern im Gegenteil solche, wo vor allem die gegnerische Lehre Anhänger hat. Wie in der Vera et propria enarratio65 suggeriert er, die dortigen Kirchen würden sich seiner eigenen Auffassung anschließen, wenn sie eines Besseren belehrt würden. 57

Vgl. aaO., 104. AaO., 107 f.: „Si cum Christi Ecclesia consentirent, si abiecissent errorem, […], tum faterer extinctos esse, et probe curatum uulnus: inhumanum dicerem, sanata sauciare, sopitos ignes reaccendere, id quod etiam protestatus sum in farragine, praescius aduersarios grauaturos me accusatione de contentionibus resuscitatis. Iam uero ignes non sunt extincti, sed accensi ardent et uicina quaeque corripiunt: uulnus non est sanatum sed oblitum: non detestantur haeresin, non agunt poenitentiam, sed ignea sua tela eiaculantur, pestis saeua grassatur ubique. Ego in communi periculo accurro, et alios oro ac moneo, ut accurrant ad extinguendos ignes uel saltem reprimendos, ne inuadant totam domum Ecclesiae, neue eam deuastent.“ 59 Vgl. aaO., 9 f. 60 Vgl. aaO., 11. 61 Vgl. dazu o. Kap. IV.1.3a. 62 Vgl. zu diesem Argument EHLERS, Europäische Dimension, 259–262. 63 Vgl. o. Kap. III.2.2a. 64 Vgl. WESTPHAL, Iusta defensio, 10 f. 65 Vgl. dazu o. Kap. IV.1.3a. 58

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

Die politische Normativität seiner Position betont Westphal auch in Bezug auf das Reich: Viele Fürsten hätten an CA und Apologie festgehalten – und das heißt aus seiner Sicht: Sie hätten sacramentarii von allen Ämtern ausgeschlossen.66 Dieser hier nur knapp erwähnte kirchenpolitische Aspekt sollte in der folgenden Streitphase eine größere Rolle spielen. Für den weiteren Streitverlauf war die Iusta defensio besonders wichtig: Sie führte dazu, dass nicht nur Calvin erneut gegen Westphal schrieb, sondern auch Bullinger und Ochino Schriften publizierten.67 Auch auf der eigenen Seite war sie einflussreich: Johann Marbach empfahl sie der Frankfurter Obrigkeit,68 die mit Westphals Gegnern assoziierte Flüchtlinge aufgenommen hatte. Auch Parteigänger Westphals griffen oft auf hier vorgetragene Argumente zurück. b) Calvin und andere Gegner als karlstadtische Unruhestifter: Die Publikation von Albers Wider die Carlstader Parallel zu den neuen Streitschriften bemühte sich Westphals Partei um die Publikation von Albers 1553 abgefasster, aber damals (bedingt durch den Tod Albers) nicht veröffentlichter Schrift Wider die Carlstader.69 Dieses bislang vor allem in druckhistorischer Hinsicht erforschte Projekt70 scheint bereits länger geplant gewesen zu sein: Am 6.2.1555 hatte Bruchsal einen finanziellen Beitrag zugesagt.71 Es passt aber zur Ausweitung der Verketzerungsstrategien, die Westphals Partei in dieser Streitphase vornahm: Der Text beschränkt sich nicht auf abendmahlsthologische Vorwürfe, sondern schildert die Gegner als Aufrührer, macht das wie die Iusta defensio unter anderem an liturgischen Fragen fest und attackiert wie De dignitate baptismi72 Calvins Tauflehre.73 Ermöglicht wurde die Veröffentlichung durch das Netzwerk städtischer Interimsgegner: Der Frankfurter Drucker Peter Braubach teilte Westphal am

66 WESTPHAL, Iusta defensio, 18 f.: „Multi optimi principes cum subditis suis tot annos persistunt in exhibita confessione immoti, nec passi sunt magnis difficultatibus, insidijs, atque periculis ab ea se dimoueri: repulerunt atque adhuc repellunt Sacramentarios ab Ecclesiae gubernaculis: edictis insuper promulgatis prohibuerunt a priuatis conuenticulis, et ciuium suorum congressibus“. 67 Vgl. u. Kap. IV.3.2b. 68 Vgl. Johann Marbach an Hartmann Beyer, 18.9.1555, SILLEM I, 203 (Nr. 113). 69 Vgl. zur Entstehung des Werks o. Kap. III.2.4b. 70 Eine erste Erwähnung schon bei GREVE, Memoria Westphali, 231 f.; zur Auswertung in druckhistorischer Hinsicht vgl. VON SCHADE, Westphal und Braubach, passim. HEPPE, Geschichte des deutschen Protestantismus I/1, 122; MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 84, und SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 175, nennen Albers Text, ohne diesen Hintergrund zu schildern, letzterer zudem mit falscher Datierung auf das Jahr 1557. 71 Vgl. Bruchsal an Westphal, 6.2.1555, SILLEM I, 186 f. (Nr. 103). 72 Vgl. u. Kap. IV.3.1d. 73 Zum Inhalt von Wider die Carlstader vgl. o. Kap. III.2.4b.

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20.9. mit, er habe von dem Hamburger Kaufmann Werner Rolefink74 erfahren, dass Westphal ein unveröffentlichtes Werk Albers vorliegen habe, und könnte sich vorstellen, es zu drucken.75 Westphal zeigte sich von diesem Vorschlag angetan: Die Publikation sei schon lange erwogen worden; einige (gemeint ist wohl Bruchsal) hätten bereits Kostenbeiträge zugesagt.76 Zudem sah er das Werk in der aktuellen Streitsituation als nützlich an: „Existimo igitur me mittere opus dignum tua industria, Ecclesiae Dei necessarium et frugiferum, quamvis exosum et invisum tam Sacramentariis, quam Anabaptistis.“77 Verzögert wurde der Druck wohl dadurch, dass der Frankfurter Rat am 14.11.1555 aufgrund der Polemiken zwischen Stadtgeistlichen und Flüchtlingen eine Buchzensur beschloss und den Druck abendmahlstheologischer Texte verbot.78 Darunter fiel auch Albers Schrift. Auf Nachfrage Westphals79 scheinen dann Braubach oder der gegen die Flüchtlinge engagierte Frankfurter Pfarrer Hartmann Beyer, der seit Herbst 1555 näheren Kontakt zu Westphal hatte,80 über einen Druck in Straßburg verhandelt zu haben: Westphal teilte Beyer am 23.4.1556 mit, er sei mit dem Resultat dieser Verhandlungen einverstanden.81 Anders als bei Westphals Schrift De dignitate baptismi, die ebenfalls auf Vermittlung Braubachs in Straßburg publiziert wurde,82 ist zwar als Druckort nicht Straßburg angegeben, sondern Neubrandenburg, wo Alber Superintendent gewesen war.83 Allerdings ist aus der betreffenden Offizin ausschließlich Albers

74 Zur Person Rolefinks vgl. SILLEM I, 206; er übermittelte oft für Westphal, Braubach und Beyer Geld oder Nachrichten (vgl. VON SCHADE, Westphal und Braubach, 119). 75 Braubach an Westphal, 20.9.1555, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 213 f. (Nr. 1.3): „Intellexi ex Warnero penes vos esse scriptum Doctoris Erasmi Alberi, piae memoriae, qui dum vixit, in his praesertim regionibus familiarissimus mihi fuit. Et si huius copia imprimendi mihi daretur, libenter gratificarer et defuncto ipsi et amicis illius superstitibis.“ Alber war zwischen 1527 und 1540 verschiedentlich in Hessen tätig gewesen, vgl. SCHNORR VON CAROLSFELD, Erasmus Alberus, 9–38; KÖRNER, Erasmus Alber, 15–56. 76 Vgl. Westphal an Braubach, 16.11.1555, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 215 f. (Nr. 2.1). 77 AaO., 216. 78 Vgl. VON SCHADE, Westphal und Braubach, 163; zum Hintergrund der Zensurbeschlüsse vgl. u. Exkurs B.2. 79 Westphal an Braubach, 3.3.1556, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 218 (Nr. 2.2): „De D. Alberi libri impressione quid factum sit quidve fiet ad me rescribes.“ 80 Er ließ Westphal über Braubach grüßen: Braubach an Westphal, 20.9.1555, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 214 (Nr. 1.3). 81 Vgl. Westphal an Beyer, 23.4.1556, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 221 (Nr. 2.3). 82 Vgl. dazu u. Kap. IV.3.1d. 83 Vgl. ALBER, Wider die Carlstader, *1r. Zu Albers dortiger Zeit vgl. KÖRNER, Erasmus Alber, 166–171. GREVE, Memoria Westphali, 231 f. gibt als Druckort Frankfurt an, bemerkt aber aaO., 232 „librum […] non vidi“ – daher handelt es sich wohl lediglich um eine Vermutung (die VON SCHADE, Westphal und Braubach, 139, übernimmt).

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

Werk mit zwei Nachdrucken belegt84 – was vermuten lässt, dass die Ortsangabe fiktiv ist.85 Jedenfalls erfolgte die Publikation via Braubach: Dieser meldete Westphal im September 1556, der Hauptteil des Buches sei gedruckt; sobald es ganz fertig sei, werde der Drucker Westphal Exemplare senden.86 1557 sollten Bullinger und Calvin dann die Schrift empört zur Kenntnis nehmen. c) Gegen Calvins Berufung auf die Ernestiner: Schnepfs Confessio de eucharistia Auch der Jenaer Theologieprofessor Erhard Schnepf will mit seiner Ende 1555 entstandenen, 1556 beim ernestinischen Hausdrucker Christian Rödinger in Jena publizierten Confessio de eucharistia87 Calvins Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation widerlegen. Dabei konzentriert er sich auf Calvins Widmungsbrief an die Ernestiner und generell auf Calvins Postulat, dass wichtige evangelische Fürsten mit seiner Position konform gingen. Die wenig erforschte88 Schrift ist aufschlussreich für die Befürchtungen, die ein ernestinischer Mitstreiter Westphals angesichts solcher Thesen hegte. Anders als bei vielen anderen Mitstreitern gehen aus Westphals Briefwechsel keine Absprachen mit Schnepf hervor. Deutlich ist aber, dass dieser sich mit Westphals Streitposition identifiziert: Er verweist lobend auf Westphal und dessen Zitation von Justinus Martyr; das folgende Zitat stimmt wörtlich mit Westphals Zitat in der Iusta defensio überein.89 Zudem möchte auch Schnepf Calvins Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation widerlegen. Er tut dies aber mit einem anderen Schwerpunkt, der mit seiner Rolle als Professor der ernestinischen Landesuniversität Jena zusammenhängt. 84

VD16 A 1563; VD16 A 1564; vgl. im Literaturverzeichnis. Für die Nachdrucke erwägt das auch RESKE, CHRISTOPH, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet, auf der Grundlage des gleichnamigen Werks von Josef Benzing, Wiesbaden 22015 (BBB 51), 697 – nicht aber für die Originalausgabe. 86 Vgl. Braubach an Westphal, September 1556, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 222 (Nr. 1.4). 87 SCHNEPF, ERHARD, CONFES=||SIO […] DE EV=||CHARISTIA: HANC OB CAV=||sam, hoc potißimum tempore edita, quod || certamina uetera, de Coena Domini=||ca, nouis Libellis claßicum ca=||nentibus, recrudescere || incipiunt, || Jena: Christian Rödinger 1556, VD16 S 3314. Die Widmungsvorrede ist auf den 1.12.1555 datiert, vgl. aaO., A7r. Zu Christian Rödinger vgl. KAUFMANN, Ende der Reformation, 57–60; zu seiner Bedeutung für die ernestinische Publizistik GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik, 68–73. 88 Nur LEPPIN, VOLKER, Art. Schnepf, Erhard (1495–1558), TRE 30 (1999), 233–235, hier 235, und MAHLMANN, Das neue Dogma, 29, äußern sich inhaltlich dazu. Erwähnt, aber nicht analysiert wird die Schrift bei TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 203, NEUSER, Dogma und Bekenntnis, 275, PLANCK, Geschichte der protestantischen Theologie II/2, 73; SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 175, TSCHACKERT, Entstehung der lutherischen Kirchenlehre, 534 f. Dafür, dass die letzteren drei Autoren den Text nicht eingesehen haben, spricht ihre (dem Titelblatt widersprechende) Fehldatierung auf 1557. 89 Vgl. SCHNEPF, Confessio de eucharistia, F7r–F7v, mit WESTPHAL, Iusta defensio, A7r. 85

3.1 Gegen Calvin: Neue Schriften von Westphals Seite

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Schnepfs Argumentation ist nicht nur charakteristisch für die ernestinische Konfessionspolitik, an der er seit seiner 1548 erfolgten Berufung nach Jena mitwirkte;90 sie wendet sich auch spezifisch gegen Calvins Versuch, die Ernestiner für seine Sache zu beanspruchen: Neben der Erneuerung des zwinglischen Irrtums (so sein Urteil über die gegnerische Lehre) nennt Schnepf als Anlass seiner Schrift die Behauptung der Streitgegner, in Germania sei ihre Auffassung allgemein verbreitet. Durch Widmungen an deutsche Fürsten versuchten sie den Eindruck zu erwecken, dies sei tatsächlich der Fall.91 Gemeint ist der Widmungsbrief an die Söhne Johann Friedrichs I. von Sachsen, in dem Calvin die Adressaten als führende evangelische Fürsten angesprochen, sie für den von ihm postulierten reformatorischen Konsens beansprucht und sie aufgefordert hatte, gegen Westphal vorzugehen.92 Dagegen wendet sich Schnepf, indem er sein Werk ebenfalls den Söhnen Johann Friedrichs I. widmet93 und sie ermahnt, so standhaft zu sein wie ihr Vater: im ernestinischen Selbstbild der idealtypische evangelische Bekenner.94 Diese Standhaftigkeit sieht Schnepf insbesondere darin verkörpert, dass das Fürstenhaus stets als Hüter der „Euangelij puritas“ gegen Häretiker gewirkt habe95 – auch das eine Vorstellung, die für das Selbstverständnis ernestinischer Konfessionspolitik typisch ist und sich mit der Identitätsvorstellung von Westphals Partei trifft.96 Da für Schnepf klar ist, 90

Vgl. zu den biographischen Daten LEPPIN, Schnepf; zu Schnepfs Rolle in der ernestinischen Konfessionspolitik GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik, 62–64.91. 91 SCHNEPF, Confessio de eucharistia, A7v–A8r: „Mvltae me graues causae, ad edendam hoc tempore, meam de Eucharistia sententiam, impellunt. Passim enim iam, in orbe terrarum, libelli, plausibilem illum Zuuinglianorum, de Eucharistia errorem, reuehentes, circumuolitant. […] Nouum sane iam, et egregie callidum aucupium, a talibus Scriptoribus instituitur, ut enim, cum exteris hominibus, Rerum Germanicarum ignaris, persuadeant quam latissime hunc suum in Germania, errorem patere, et hunc magno consensu, ab ijs etiam Principibus recipi, a quibus hactenus summa Constantia damnatus est et explosus, Tum ut posteritati fucum faciant, quasi a Maioribus suis, uel tandem, errori illi applausum sit, incipiunt iam suas lucubrationes ijs Regibus ac Principibus callidissimo sane, et plane Vulpini consilio, dedicare, apud quos nullum hactenus locum pestilens hoc dogma inuenire, nullam ab Ecclesijs et Doctoribus ipsorum approbationem, obtinere potuit.“ 92 Vgl. zu diesem Text o. Kap. IV.2.2a. 93 SCHNEPF, Confessio de eucharistia, A2r. 94 Vgl. aaO., A6v–A7r. Zur Bedeutung dieses Motivs für das ernestinische Selbstverständnis vgl. GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik, 74–81. 95 SCHNEPF, Confessio de eucharistia, A6r–A6v: „Domus haec uestra uere antiqua, dum tot undique haereseon et fanaticorum dogmatum procellis, Euangelij puritas oppugnata et nuper horribili defectione, multorum existimatio foede diminuta sit, Domus tamen haec uestra, singulari beneficio Dei, nulli hactenus uel Haeretico dogmati locum dederit, uel diris potentum interminationibus fracta, de statione sua cesserit. Sed et Doctrinae synceritatem, ad posteros illibatam conseruare, et praeclaro Constantiae exemplo, piae posteritati, in omnem aeternitatem praelucere, non uulgatae operae precium duxit.“ 96 GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik, 97, charakterisiert diese Identitätsvorstellung treffend als „Anspruch auf das „wahre“ Luthertum in Verbindung mit der Vorstellung,

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

dass Calvin ein solcher Häretiker ist, schildert er dessen Widmung als Versuch, den Ernestinern ihren Ruf als Verteidiger des wahren Glaubens zu entreißen, indem er ihnen unterstelle, Zwinglianer zu sein.97 Um Calvins Anspruch auf theologische Übereinstimmung mit den Ernestinern und anderen deutschen Fürsten inhaltlich zu widerlegen, wendet Schnepf sich vor allem gegen Calvins Berufung auf die Confessio Augustana.98 Das hängt neben der Identitätsbedeutung dieses Textes für die Wittenberger Reformation wohl damit zusammen, dass sich für seine auf Fürsten und andere Obrigkeiten fokussierte Argumentation eine Berufung auf das zentrale Bekenntnis der evangelischen Reichspartei anbietet. Ein Zusammenhang mit dem im September 1555 verabschiedeten Augsburger Religionsfrieden ist zwar denkbar, aber nicht eindeutig festzustellen, da Schnepf allein auf dogmatischer Ebene sowie mit dem Entstehungskontext des Bekenntnisses argumentiert: Calvins Berufung auf die Confessio Augustana sei ein Versuch, sich hinter dem Begriff vere aus CA X zu verbergen, aber das die rechte Lehre garantierende substantialiter nicht anzuerkennen.99 Wie für Westphal ist es für Schnepf die Lehre einer substantialen Präsenz der menschlichen Natur Christi im Abendmahl, die Rechtgläubigkeit garantiert.100 Er zitiert als Beleg dafür CA invariata X.101 Wie Westphal macht er aber den Konflikt nicht daran fest, dass sich Calvin auf die Variata beruft, sondern hält ihm vor, die normative Auslegungsgröße nicht zu

von vermeintlichen Irrlehren umgeben zu sein.“ Zum historischen Hintergrund dieser Idee vgl. aaO., 31–114; zu analogen Gedanken bei Westphals Partei o. Kap. III.2.1. 97 Vgl. SCHNEPF, Confessio de eucharistia, A6v. 98 Daran wird nebenbei deutlich, dass neben Calvins Widmungsbrief auch dessen Defensio für Schnepfs Ausführungen eine Rolle spielt – in der Widmung hatte Calvin die Confessio Augustana nicht erwähnt. Ob Schnepf die Defensio direkt rezipiert oder über Westphals Iusta defensio, die ihm bekannt ist (vgl. o. am Beginn des Abschnitts), ist allerdings unklar. 99 SCHNEPF, Confessio de eucharistia, A8r–A8v: „Qvin eo iam Audaciae et Impudentiae progressum est, vt quidam ex talibus Scriptoribus non uereantur, ex Confessione Augustana, autoritatem suo dogmati, Si Dijs placet, circumdare. Nimium enim impudenter affirmare audent, eadem se de Coena Domini, quae Confessio Augustana habeat, sentire ac docere. Propterea fortasse quod Articulus decimus Confessionis, qui est de Coena Domini, solo aduerbio, VERE, nullis alijs circumuallato uoculis, utatur. Sub quo tam procliue sit Zuiinglianis errorem suum, ut Arrianis olim, sub Adiectiuo ὅμοιος occultare. Quemadmodum enim olim Ariani, uocem ὁμοιούσιος, quae ahenus quidam Catholicae sententiae murus erat, et minus habebat ambiguitatis, obstinate refutantes Adiectiuum ὅμοιος, sub quo receptum aliquem habere poterant, haud illibenter admittebant, Sic nostris temporibus, ob non ualde dissimilem causam, Aduerbium SVBSTANTIALITER a Zinglianis prorsum exploditur. VEre autem haud grauate admittitur.“ 100 Einen weiteren möglichen Hintergrund nennt LEPPIN, Schnepf, 235: „die in der Stuttgarter Konkordie festgeschriebene Lehre von der substanzhaften Gegenwart Christi im Abendmahl betont er als der Apologie folgende korrekte Auslegung des Augsburger Bekenntnisses noch in den Auseinandersetzungen der zweiten lutherischen Generation“. 101 Vgl. aaO., B1v.

3.1 Gegen Calvin: Neue Schriften von Westphals Seite

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berücksichtigen: die Apologie, die das substantialiter festhalte.102 Zudem argumentiert Schnepf, wie das vere im Text der CA zu verstehen sei, ergebe sich daraus, dass die Unterzeichner keine Zwinglianer zu ihren Beratungen zugelassen hätten.103 Er könne dies bezeugen, da er dabei gewesen sei.104 Hier schreibt Schnepf die zeitgenössische kursächsische Perspektive weiter – was insofern bemerkenswert ist, als er als Berater Philipps von Hessen auf dem Reichstag gewesen war: Diesem war es auf einen Text angekommen, der die Schweizer und Straßburger gerade nicht ausschließen sollte!105 Dass Schnepf bereits die Abendmahlsstreitigkeiten der letzten dreißig Jahre miterlebt hat (unter anderem als Unterzeichner des Syngramma Suevicum)106 nutzt er auch sonst zur Unterstreichung seiner Glaubwürdigkeit.107 Mit der Prägung durch Debatten früherer Jahrzehnte könnte allerdings auch zusammenhängen, dass Schnepf kaum auf aktuelle Aussagen der Gegner eingeht: So führt er für das „absurditatum Chaos“ immer neuer tropologischer Auslegungen anders als Westphal keine zeitgenössischen Beispiele an, sondern nur Karlstadt, Zwingli und Oekolampad.108 Dass die Streitgegner für öffentlichen Aufruhr sorgten, leitet er aus Bauernkrieg, Kappelerkriegen und der Abschaffung der Zeremonien in Wittenberg 1522 her, nicht aus aktuellen Ereignissen.109 Bei Westphals Streitgegnern sorgte die Schrift für Verärgerung, fand aber keine eingehende Widerlegung.110 Auf der eigenen Seite scheint sie hingegen als wichtig empfunden worden zu sein: 1556 wurde sie zusammen mit Westphals Recta fides bei Blasius Fabricius in Straßburg nachgedruckt,111 der kurz 102 AaO., B1r–B1v: „Quanquam uero Articulo confessionis, qui solo aduerbio VERE vtitur, fucum incautis facere, tenebrasque incircumspectis Zuuingliani facile offundere possunt, Apologia tamen, quae […] in eisdem Comitijs Augustanis, exhibita quidem est Caesari, at repudiata, sententiam veram de Coena Domini, aduerbio Substantialiter adiuncto, munit, scrupulos eximit, et ab omni ambiguitate vindicat et asserit.“ AaO., B1v–B2r ist ApolCA 10 zitiert. Zu Westphals analoger Argumentation vgl. o. Kap. IV.3.1a. 103 SCHNEPF, Confessio de eucharistia, A8v–B1r: „Notum est autem omnibus, qui deliberationi illi augustanae, Anno Domini M.D:XXX. interfuere, in qua Confessio recens scripta […] quam ob causam placuerit eo tempore, solo aduerbio VERE, quanquam ambiguo, ut tum a multis disputabatur, uti, cum nemo tum omnium eorum, qui Augustanae Confessioni adiuncti, et in hunc deliberantium congressum admissi erant, cum Zuinglianis sentiret.” 104 Vgl. aaO., B1r. 105 Vgl. zu den damaligen Debatten zwischen den Unterzeichnern o. Kap. II.3.1a. 106 Vgl. als biographischen Überblick LEPPIN, Schnepf. 107 Vgl. etwa SCHNEPF, Confessio de eucharistia, B2v–B3r. 108 Vgl. ausführlich aaO., C7r–D6v, das Zitat aaO., B8v. 109 Vgl. aaO., D1r–D2v. 110 Vgl. u. Kap. V.1.4a. 111 WESTPHAL, JOACHIM / SCHNEPF, ERHARD, RECTA FI=||DES DE COENA DO=||MINI, EX VERBIS APO-||stoli Pauli, & Euangelistarum de=||monstrata ac communita, per Ma=|| gistrum Ioachim VVestpha||lum […] Addita sunt his eiusdem generis alia || saluberrima opuscula, Straßburg: Blasius Fabricius 1556, VD16 W 2309.

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

zuvor auf Braubachs Vermittlung Westphals De dignitate baptismi, eventuell auch Albers Wider die Carlstader publiziert hatte.112 Noch 1580 legte der Geraer Superintendent Martin Faber eine deutsche Übersetzung vor.113 d) Gegen Calvins Tauflehre: Westphals De vi, usu et dignitate baptismi Mit der 1556 in Straßburg gedruckten Schrift De vi, usu et dignitate baptismi114 attackierte Westphal die Rechtgläubigkeit Calvins und seiner Mitstreiter unter einem weiteren Aspekt: Die Lehre von der Seligkeit ungetaufter Kinder wird als Beleg für den häretischen Charakter der gegnerischen Sakramentstheologie angeführt. Damit ist die Schrift charakteristisch für die Einbeziehung weiterer identitätsstiftender Theologumena in den Streit – die auf die Abendmahlsfrage ausgerichtete Literatur behandelt sie mit wenigen Ausnahmen115 nicht. Westphal teilte seinem Drucker Peter Braubach am 16.11.1555 mit, die in der Iusta defensio angekündigte116 Schrift zur Tauflehre sei in Arbeit.117 Die Vorrede ist auf Dezember 1555 datiert.118 Allerdings wurde der Text offenbar nicht sofort gedruckt: Am 3. März 1556 drängte Westphal Braubach zu einer Antwort auf die sechs Wochen zuvor erfolgte Zusendung des Manuskripts;119 im folgenden Brief vom 23. April wird deutlich, dass die Schrift (wohl wegen der Buchzensur) von den Frankfurter Druckern zurückgewiesen worden war und Beyer erfolgreich über einen Druck in Straßburg verhandelt hatte.120 Westphals Werk ist nicht gegen einen konkreten Text der Streitgegner gerichtet, sondern als umfassende Darstellung seiner Tauflehre angelegt: Wie bereits der Titel „Loci praecipui de vi, vsv, et dignitate salvtiferi Baptismi ex

112

Vgl. u. Kap. IV.3.1d und o. Kap. IV.3.1b. FABER, MARTIN (Hg. und Übs.), Bekentnis || Vom heiligen Abent=||mal Christi / des Ehrwirdigen / etc. Er=||harti Schnepffen / […] || Anno 1556. in Latein gestelt vnd in || Druck gegeben: Weil dazumal der streit vom Sa=||crament widerumb von den Widersachern verne=||wert […] ward, Leipzig: Georg Bärwalds Erben 1580, VD16 S 3317. 114 WESTPHAL, JOACHIM, LOCI PRAE||CIPVI, DE VI, VSV, || ET DIGNITATE SALV=||tiferi Baptismi ex Euangelistis & || Apostolis collecti […], Straßburg: Blasius Fabricius 1556, VD16 W 2298. 115 MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 67–69, referiert wichtige Textaussagen. JANSE, Westphal’s Sacramentology, 139, führt den Text als Beleg für Westphals „stipulation of the necessitas baptismi“ an. In DERS., Westphal and Calvin on Infant Baptism, konzentriert er sich bei aller thematischen Nähe auf andere Quellen. 116 Vgl. o. Kap. IV.3.1a. 117 Vgl. Westphal an Braubach, 16.11.1555, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 216 (Nr. 2.1). 118 Vgl. WESTPHAL, De vi, usu et dignitate baptismi, B1r. 119 Vgl. Westphal an Braubach, 3.3.1556, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 218 (Nr. 2.2). 120 Vgl. Westphal an Beyer, 23.4.1556, aaO., 221 (Nr. 2.3). 113

3.1 Gegen Calvin: Neue Schriften von Westphals Seite

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Euangelistis et Apostolis collecti“121 nahelegt, ist es nach Bibelstellen gegliedert. Deren Abfolge richtet sich nach dem Neuen Testament; von den einzelnen loci aus behandelt Westphal jeweils tauftheologische Themen.122 Am Ende folgen Aspekte, die keiner Schriftstelle zugeordnet sind, beispielsweise die Nottaufe.123 Neben Argumentationen gegen die Lehre Calvins und seiner Mitstreiter finden sich auch Abschnitte, die sich gegen altgläubige Theologumena wenden,124 unstrittige Aspekte wie die Taufe im Namen des dreieinigen Gottes behandeln125 oder unpolemische Ausführungen bieten, etwa zum Patenamt.126 Obwohl es sich also bei De vi, usu et dignitate baptismi der Form nach nicht um eine klassische Streitschrift handelt, ist die Schrift aus Westphals Sicht Teil der Kontroverse mit Calvin und dessen Kollegen.127 Er hatte sie nicht nur in der Iusta defensio in diesem Sinne angekündigt,128 sondern beginnt auch seine Vorrede programmatisch mit der These, dass Häretiker gewöhnlich von einem Irrtum in weitere fielen – so von Angriffen auf Bilder in Kirchen in Attacken auf die rechte Abendmahlslehre und dann in eine Ablehnung von Taufe, Schrift, Amt und äußerlichen Dingen überhaupt.129 Mit der Schrift zur Tauflehre treibt Westphal also die Entwicklung weiter, die sich in der Iusta defensio 121

WESTPHAL, De vi, usu et dignitate baptismi, A1r. So schließt sich an Ausführungen zur Taufe Christi in Mt 11 (vgl. aaO., 5–8) ein Kapitel „De dignitate et gloria baptismi“ (aaO., 8–16) an; im Anschluss an Röm 6,3–7 werden finis, virtus und usus der Taufe verhandelt (vgl. aaO., 140–148). 123 Vgl. aaO., 214–254; zur Nottaufe darin aaO., 234–244. 124 So wird aus Tit 3,5 primär abgeleitet, dass menschliche Werke zum Heil beitrügen – sie folgten vielmehr aus der gratis zugeeigneten Taufe (vgl. aaO., 170–179). 125 Vgl. aaO., 30–37. 126 Vgl. aaO., 244–254. 127 Das gilt letztlich unabhängig davon, ob Westphal sie bereits früher konzipiert hatte oder ob er erst jetzt das von Bruchsal und Alber schon 1552/53 diskutierte Thema (vgl. o. Kap. III.2.2b) aufgriff. Erstere These findet sich bei MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 67: Die Schrift scheine „schon früher geschrieben zu sein, da sie auf den Streit gar keine Rücksicht nimmt.“ Er verortet sie aaO., 67 f. in der Debatte um Calvins Interim Adulterogermanum 1549 und stellt aaO., 68 die These auf, 1555 sei Westphal der Text dann „passend, um Calvins Angriff abzuwehren“ erschienen. Mit „Angriff“ meint Mönckeberg die Secunda defensio. Diese lag allerdings zur Zeit der Abfassung von De vi, usu et dignitate baptismi noch nicht vor, sondern entstand gleichzeitig (vgl. u. Kap. IV.3.1d), so dass dies nicht sein kann. Eine frühere Abfassung ist dennoch prinzipiell denkbar, aber nicht zu erweisen. 128 Vgl. o. Kap. IV.3.1a. 129 WESTPHAL, De vi, usu et dignitate baptismi, A2r: „Siqvis diligentius ex antiquis Historijs inuestiget, quibus erroribus singuli haeretici impliciti haeserint, uerißimum esse comperiet, quod ab ipsa experientia sumptum solet dici, unum errorem multos alios secum trahere: uix enim reperietur quisquam, qui non uno primum errore irretitus, semper longius a ueritate disceßerit.“ AaO., A3r: „Visi sunt incipere a paruis initijs, expugnantes primum imagines, et cum bonis artibus belligerantes: sed ex paruis scintillis accenderunt ingens incendium: Vlterius progreßi, ceperunt dominicam caenam transferre ad sola elementa, panis et uini, ablatis inde corpore et sanguine Christi, et detrahere Baptismo, scripturae sacrae, uerbo 122

382

IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

angedeutet hatte: Die bisher auf die Abendmahlslehre konzentrierte Kontroverse wird um weitere Themen erweitert, an denen für Westphal die Häresie seiner Streitgegner deutlich wird und die in der Folge konfessionell identitätsrelevant werden sollten. Bruchsal hatte schon 1552 angeregt,130 in diesem Sinne gegen Calvins Tauflehre zu argumentieren. Dass Westphal dies nun aufgreift, verschafft ihm ein weiteres Argument gegen die Rechtgläubigkeit der gegnerischen Sakramentslehre. Zudem kann er durch die Zusammenordnung mit Täufern die politische Zuverlässigkeit der Streitgegner in Zweifel ziehen. Westphals Argumentation richtet sich vorrangig gegen die Lehre, dass ungetauft verstorbene Kinder gläubiger Eltern das Heil erlangten: Calvin hatte diese These damit begründet, dass Gottes Gnade nicht so an den Vollzug äußerer Zeichen wie der Taufe gebunden werden dürfe, dass der Geist nicht auch ohne Zeichen wirken könne. Bei ungetauft verstorbenen Kindern sei von letzterem auszugehen, da sie über ihre gläubigen Eltern in Gottes Bund mit seinem Volk einbezogen seien: Sonst wäre die an diesen Bund geknüpfte Heilszusage Gottes nicht verlässlich.131 Ähnlich hatte sich auch Bullinger geäußert.132 Westphal meint hingegen, eine solche Argumentation nehme der Taufe ihre virtus: Nach seiner Überzeugung ist das zugesagte Heil an das von Christus eingesetzte Sakrament gebunden; die einschlägige Schriftstelle ist Mt 28: Aus dem Befehl zur Taufe aller Völker folge, dass alle Menschen Sündenvergebung durch die Taufe nötig hätten.133 Dass Calvin und seine Mitstreiter die Taufe nicht im strikten Sinne als heilsnotwendig verstehen, bedeutet daher aus seiner Sicht, dass sie dem Sakrament seine heilswirksame Kraft nehmen.134 Im Kontext des Streits ist dies für Westphal insofern wichtig, als er die Tauflehre Calvins und seiner Mitstreiter als Beleg dafür anführen kann, dass seine Vorwürfe gegen ihre Abendmahlslehre berechtigt seien: In der Defensio hatte Calvin hervorgehoben, dass im Abendmahl auch seiner Lehre zufolge Christus

Dei totique ecclesiastico ministerio, pleni suo spiritu, Dei autem uacui, nihil nisi spiritum spirabant, omnia alia quantumuis diuina et spiritualia, tanquam res externas et mutiles ad salutem contemptißime proijciebant, exibilabant et explodebant.“ 130 Zu Bruchsals und Albers Äußerungen vgl. o. Kap. III.2.2b und III.2.4b. 131 Vgl. zu Calvins Position und ihrer Begründung ausführlich ALTING VON GEUSAU, Lehre von der Kindertaufe, überblicksweise JANSE, Sakramente, 342–345. 132 Vgl. die Analyse bei STEPHENS, PETER, Bullinger’s Defence of Infant Baptism in Debate with the Anabaptists, in: RRR 4.2 (2002), 168–189, hier 180–187. 133 WESTPHAL, De vi, usu et dignitate baptismi, 43 f.: „Si omnes gentes baptizandae sunt, in remissionem peccatorum, tum sunt omnes peccatores, et baptismo ad remissionem peccatorum opus habent […] Si credentium infantes, in utero materno sancti saluique essent, quorsum illis opus esset Sacramento remissionis peccatorum?“ 134 JANSE, Westphal and Calvin on Infant Baptism, 13, formuliert treffend, in Westphals Augen sei „the Reformed practice not to baptize dying infants […] a denial of the regenerative and salutary power of the sacrament of baptism, which in Lutheran eyes was necessary for salvation and effective rebirth.“

3.1 Gegen Calvin: Neue Schriften von Westphals Seite

383

wahrhaft präsent sei und Heil vermittle.135 Bei der Taufe betont er hingegen stärker als beim Abendmahl die Freiheit des Geistwirkens gegenüber dem Sakramentsvollzug.136 Dadurch sieht Westphal seine These bestätigt, dass das geistliche Sakramentsverständnis der Streitgegner eine Entleerung der Sakramente bedeute: Die Taufe werde bei Calvin und seinen Mitstreitern nicht als Heilsmittel, sondern rein symbolisch verstanden137 – das ist genau die Befürchtung, die er seit der Farrago über ihre Abendmahlslehre äußerte.138 Um das zu untermauern, setzt Westphal sich ausführlich mit der Lehre der Streitgegner auseinander: Der Widerlegung der These, dass ungetaufte Kinder von Gläubigen selig werden könnten, widmet er einen eigenen Abschnitt.139 Darin setzt er gegen Calvins Verständnis, dass diese Kinder aufgrund ihrer Prädestination im Rahmen des Bundes gerettet seien, die eigene Auffassung: Allein die Taufe bewirke die Aufnahme in den Bund; über eine Prädestination solle man nicht spekulieren.140 Bei der Auslegung von Mk 16, 15–18 betont er, das Heil hänge zwar vom Glauben ab, dürfe aber darum nicht den Sakramenten entzogen werden.141 Diese Bindung des Heils an die Sakramente verteidigt er gegen den Vorwurf, damit werde Gottes Gnade einer Kreatur zugeschrieben: Allein Gott schaffe das Heil, gebrauche aber die Taufe als Werkzeug.142 Auch biblische loci, auf die sich die Gegenseite bezieht, werden erklärt, etwa die Aussage aus Röm 4, Abraham sei vor seiner Beschneidung durch Glauben gerechtfertigt worden: Westphal erläutert, dass es (anders als bei Abraham) bei Kindern keine Schriftzeugnisse dafür gebe, dass sie schon vor ihrer Taufe selig seien.143 Zahlreiche Väterzitate sollen belegen, dass Westphals Lehre mit dem Konsens der Kirche übereinstimmt, die der Streitgegner hingegen nicht.144

135

Vgl. o. Kap. IV.2.2b und IV.2.4a. Vgl. zu dieser unterschiedlichen Akzentuierung JANSE, Sakramente, 344 f. 137 Vgl. WESTPHAL, De vi, usu et dignitate baptismi, A5v. 138 Vgl. o. Kap. III.2.2a. Diesen Argumentationszusammenhang arbeitet auch JANSE, Westphal and Calvin on Infant Baptism, 21, anhand anderer Texte heraus. 139 Vgl. WESTPHAL, De vi, usu et dignitate baptismi, 83–90. 140 AaO., 90: „Per Baptismum recipimur in foedus Dei […]. Errant ergo et fallunt assertores noui dogmatis, qui astruunt fidelium infantes in utero materno receptos esse in foedus et societatem aeternae uitae. Quod attinet ad Praedestinationem, iudicandum est secundum Verbum, Sacramenta, et fidem. Non conuenit de ea iudicare sine uerbo, sacramentis et fide praeteritis.“ 141 Vgl. aaO., 58. 142 AaO., 62: „Neque […] salus nostra elementis alligatur, nec creaturis pars aliqua salutis adscribitur, quando per Baptismum saluos nos fieri docemus: Non nos ad baptismum salutem adstringimus, sed ipse Christus, promissionem salutis, Baptismo annectere uoluit. Nos nihilominus tamen credimus, quod Deus saluos nos faciat, baptismo enim tanquam diuinae ordinationi, ac instrumento, Deo autem ut efficienti, ac principali causae salutem adscribimus.“ 143 Vgl. aaO., 99–102. 144 Das betont Westphal explizit, vgl. aaO., A7v–A8r. Für Beispiele vgl. aaO., 91–93. 136

384

IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

Die Tauflehre dient Westphal auch unter einem weiteren Aspekt dazu, Calvins Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation zurückzuweisen: Wenn die Streitgegner die Heilsnotwendigkeit der Kindertaufe bestritten, argumentierten sie faktisch wie Täufer, auch wenn sie die Kindertaufe nicht abschafften wollten.145 Zudem sei die Bestreitung einer Heilsrelevanz des äußeren Sakramentsvollzugs ein Indiz dafür, dass sie – wie Täufer – auch die Schrift oder das kirchliche Amt als äußerliches Menschenwerk ablehnten und sich von der wahren Kirche trennten.146 Ausgehend von der Assoziation der Streitgegner mit Täufern wird schließlich auch Störung der gesellschaftlichen Ordnung insinuiert: Wenn die Streitgegner eine Bindung des Wirkens Gottes an äußerliche Sakramente ablehnten, dann – wie die darin mit ihnen übereinstimmenden Täufer – auch äußere Ordnungen wie Ehe und Obrigkeit.147 Dazu passt Westphals Begründung dafür, dass er das Werk dem Hamburger Ratsherrn Joachim Holthusen widmet: Seine Schrift solle zeigen, dass die Seestädte gute Gründe gehabt hätten, ihr Edikt gegen Täufer und Berengarschüler zu erneuern.148 Hier wird die Tauftheologie genutzt, um die Ausweisung der 1554 aus England gekommenen Flüchtlinge149 zu rechtfertigen und die Gegenseite der Obrigkeit gegenüber zu diskreditieren. Auf der Gegenseite scheint Vermigli von dem Werk gehört zu haben;150 näher aufgegriffen wurde es allerdings nicht. Auf der eigenen Seite forderten Flacius und der Pfarrer Johann Pauli aus Düshorn Exemplare an.151

145

Vgl. WESTPHAL, De vi, usu et dignitate baptismi, A3v–A4r. AaO., A4v–A5r: „quanto magis maledici et blasphemi in Deum iudicantur, qui Dei scripturam, uerbum, Baptismum, caenam domini aliasue res cultui diuino et ministerio salutis hominum consecratas dedecorant, et his detrabunt opera et beneficia quae Deus pro suo beneplacito per eas offert, efficit, et impertit: […] Quam reuerenter anabaptistae habeant scripturam, uerbi et sacramentorum tractationem, ostendunt separationes ab Ecclesia Christi, quas faciunt, occulta ipsorum conuenticula […] Audiui ipse ex Anabaptistarum signiferis, ita omnia se referre ad sui spiritus reuelationes et operationes, ut dicerent, doctrinam et institutionem quae ex sacris literis sumitur, nihil eße nisi carnalium hominum elementa.“ 147 AaO., A4r–A4v: „Anabaptistae sunt Sacramentarij, dum negant cum ipsis corpus et sanguinem Christi sumi in pane et calice domini, et nondum regeneratos et sanctificatos Baptismo sine peccato eße et confortes salutis sentiunt. Cuncti conclamant simul, ex scriptura, uerbo, et sacramentis facere idola, Dei opus transferre in homines, salutem ex parte creaturis nos aßcribere: qui illis ea tribuimus ad quae Dominus ordinauit, et pro sua bona uoluntate utitur […] praetendunt zelum pro aßerenda gloria Dei, et sacrilegi Deum ipsum contumelia afficiunt, dum et contemptu, et probris deformant quae Dei sunt et seruiunt Dei gloriae, iniurij sunt et contumeliosi in Deum qui coniugium, magistratum, et alias res conditas et ordinatas a Deo afficiunt probris et ignominia?“ 148 Vgl. aaO., B1r; A8r–A8v. 149 Zu deren Ankunft in den Seestädten vgl. o. Exkurs A. 150 Vgl. u. Kap. IV.3.2b. 151 Vgl. Flacius an Westphal, 24.9.[1556?], SILLEM I, 238 (Nr. 127); Pauli an Westphal, 24.10.1559, SILLEM I, 392 (Nr. 201). 146

3.1 Gegen Calvin: Neue Schriften von Westphals Seite

385

e) Gegen Calvins Berufung auf Luther: Judexʼ Defensio verborum Coenae Die auf den 1.1.1556 datierte Defensio verborum Coenae152 des Magdeburger Diakons Matthäus Judex153 greift einen weiteren Aspekt des gegnerischen Anspruchs auf Rechtgläubigkeit an: Calvins Berufung auf Luther. Dagegen stellt Judex eine lateinische Übertragung von Luthers Kurzem Bekenntnis. Direkte Absprachen zwischen Judex und Westphal sind nicht belegt.154 Es ist aber gut denkbar, dass Westphals Netzwerk bei der Veröffentlichung im Hintergrund stand: Judex gehörte zum Kreis der Magdeburger Interimsgegner, zu denen Westphal engen Kontakt pflegte.155 Zu Judexʼ früheren Kollegen in Magdeburg gehörte Westphals Mitstreiter Nikolaus Gallus – der 1554 eine Übersetzung von Luthers Abendmahlsschriften gefordert und dabei wie Judex von „τοῦ ῥητοῦ/ uerborum Christi“156 gesprochen hatte. Zudem wurde das Werk in Nürnberg gedruckt und ist dem Regensburger Rat gewidmet,157 obwohl sonst bei Judex keine Bezüge zu diesen Städten bekannt sind. Hier könnte der Regensburger Superintendent Gallus eine Rolle gespielt haben.158 Judexʼ Programm erinnert an das von Westphals Lutherübersetzung. Er will Luthers Text zum Gebrauch in Ländern, in denen das Deutsche nicht allgemein

152

JUDEX, MATTHÄUS (Hg. u. Übers.), DEFENSIO || τοῦ ῥητοῦ VERBORVM COE-||NAE: ACCIPITE, COME-||DITE: HOC EST CORPVS MEVM, || […] aedita Germanice a Luthe||ro, nunc uero in gratiam eorum, qui Germanice non sciunt, translata. […], Nürnberg: Johann vom Berg und Ulrich Neuber 1556, VD16 L 4280. Vgl. zur Datierung aaO., b6v; a1r. Wie viele andere Texte dieser Streitphase ist die Schrift kaum erforscht. Knappe Erwähnungen finden sich bei TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 203; TSCHACKERT, Entstehung der lutherischen und reformierten Kirchenlehre, 534; NEUSER, Dogma und Bekenntnis, 275. 153 Judex war dort ab 1549 Konrektor des Gymnasiums, ab 1553 Diakon an St. Ulrich. Zu seiner Biographie vgl. JUNGHANS, Judex. 154 Judex wird in Westphals Briefwechsel erst ab 1558 erwähnt, erstmals in: Valentin Curtius an Westphal, 18.10.1558, SILLEM I, 327 (Nr. 176). 155 Zu Judexʼ Rolle im Kreis der Magdeburger Interimsgegner vgl. KAUFMANN, Ende der Reformation, 162 Anm. 11, 232 Anm. 34; zu Westphals Kontakten dorthin o. Kap. III.2.1a. 156 GALLUS / MELANCHTHON, Sententiae veterum, B1r: „Reliqua quae ad confirmationem τοῦ ῥητοῦ/ pertinent, ac confutationem της διάνοιας aduersariorum, ex Lutheri magna Confessione praecipue sunt petenda, et altero eius libro, cui titulum fecerit, τοῦ ῥητοῦ uerborum Christi, de praesentia corporali in coena, stare illabefactatum contra phanaticos […]. Quos libros latinitate donatos extare optandum est propter exteras ecclesias, et oro ut quis laborem hunc uertendi sumat.“ Vgl. dazu o. Kap. IV.1.1. JUDEX, Defensio verborum Coenae, a1r, formuliert: „Defensio τοῦ ῥητοῦ verborvm coenae: accipite, comedite: hoc est corpvs mevm, Contra Phanaticos Sacramentariorum spiritus.“ 157 Judex begründet die Widmung mit dessen konstantem Bekenntnis, aufgrund dessen es in Regensburg nie Sakramentierer gegeben habe (vgl. aaO., b7r–b7v). 158 Da weder von Gallus noch von Judex auch nur Teile des Briefwechsels ediert sind, lassen sich über ihren Kontakt nach der Magdeburger Zeit beim aktuellen Forschungsstand allerdings nur Vermutungen anstellen.

386

IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

geläufig sei, ins Lateinische übertragen159 und dadurch Personen zur eigenen Haltung bekehren, in deren Heimat die gegnerische Lehre dominiert: „Non autem est dubium, quin multi docti et pij homines in illis regionibus degentes, cum audiant de re Sacramentaria controuersiam fuisse aliquando, et Doctorem Martinum Lutherum a Deo excitatum, et mirabiliter gubernatum et conseruatum, repurgatorem doctrinae coelestis non cum Sacramentarijs, a quibus ipsi doctrinam Euangelij acceperunt, sensisse, maxime desiderent et aueant scire, quae fuerit Lutheri ea de re sententia, et quibus fundamentis a Sacramentarijs dissenserit. Verum his illus impedimenti obiectum est, quod Lutherum germanice ea de re in plerisque libris disserentem propter germanicae linguae ignorantiam non intelligunt.“160

Judex identifiziert die Reformation offenbar derart mit Luther, dass er auch für Länder, in denen die Kirche im Sinne der Streitgegner geprägt ist, annimmt, im Bewusstsein dortiger Gläubiger sei Luther der Reformator schlechthin – so dass sie ihre örtlichen Reformatoren hinterfragen würden, sobald sie erführen, dass Luther mit diesen nicht einig sei. Den dortigen Erfolg der gegnerischen Lehre erklärt er wie folgt: Der Teufel habe nicht verhindern können, dass sich auch in Ländern das Evangelium ausbreite, in denen man kein Deutsch spreche und die papistischen Gegenden benachbart seien. Als Strafe für die späte Annahme des Evangeliums bekämen diese Länder es aber nicht in reiner Form.161 Ob Judex hier an bestimmte Länder denkt, bleibt unklar. Wie bei Westphals Übersetzung scheint es weniger um die Beeinflussung einer konkreten Zielgruppe zu gehen als um den Anspruch, dass das eigene Modell von Reformation das normative ist und aufgrund seiner Überzeugungskraft das gegnerische verdrängen wird, wenn das sprachliche Hindernis beseitigt ist.162 Zugleich aber bezieht sich Judexʼ Text spezifisch auf die aktuelle Streitphase und attackiert nach den Schriften von Westphal, Alber und Schnepf wiederum einen anderen Aspekt des gegnerischen Anspruchs auf Rechtgläubigkeit: Als zweites Ziel der Übersetzung nennt Judex die Widerlegung der – wörtlich wie in Calvins Defensio formulierten – These, Luther habe im Eifer 159

Vgl. JUDEX, Defensio verborum Coenae, a2v. AaO., a3r–a3v. 161 AaO., a2v–a3r: „Nam postquam sacramentariorum fanaticus et blasphemus spiritus, singulari beneficio Dei per […] Doctorem Martinum Lutherum, digito et spiritus Dei, e medio coetu filiorum Dei in quem in curia hominum irrepserat, eiectus est, coepit in finibus eorum, qui exteris populis papisticis uicini erant residere, aberrare omnia, circumspicere et explorare, ut si Dei uoluntate forte Euangelij ad illos etiam pateficet aditus, cum id non prorsus impedire posset, saltem hoc efficeret, ne syncera Euangelicae doctrinae puritas immaculata ad eos propagaretur. Vnde euenit, ut exteri populi ad reuelata Euangelij doctrinam sese referentes, plaerique Sacramentariorum erroribus sint implicati. Quod quidem ut sic fieret Deus commisit, ut tarditatem et cunctationem in suspicienda Euangelij ueritate, et priorem ueritatis impugnationem et contemptum ulcisceretur.“ 162 Vgl. grundsätzlich zu diesem Anspruch bei Westphals Streitpartei EHLERS, Europäische Dimension; zu den entsprechenden Gedanken Westphals o. Kap. IV.1.3a. 160

3.1 Gegen Calvin: Neue Schriften von Westphals Seite

387

des Gefechts übertrieben.163 Wie Westphal in der Iusta defensio charakterisiert Judex Calvins Anspruch, dass Luther kein Gegner seiner Lehre gewesen sei, als bloßes Täuschungsmanöver. Calvins Berufung auf Luthers Zusammenarbeit mit Straßburger Theologen setzt er in diesem Sinne Luthers Abgrenzung gegen die Zürcher entgegen: Die vorgetäuschte pietas finde nur Anklang, weil die Leute kein Deutsch könnten und nicht wüssten, was Luther gegen Sakramentierer geschrieben habe.164 Das will Judex mit der Übertragung des Textes von 1544 ändern, in dem der theologische Gegensatz deutlich werde – er wählt hier nicht zufällig eine besonders polemische Schrift Luthers.165 Der Übersetzung stellt Judex eine Art Leseanleitung voran, aus der die Unhaltbarkeit der gegnerischen Berufung auf Luther deutlich werden soll: Als Streitpunkt nennt er klassisch den Konflikt zwischen der aus seiner Sicht wahren, auf den Einsetzungsworten beruhenden Präsenz Christi bei Luther und der gegnerischen Ablehnung dieser Präsenz, die er als Lehre einer Abwesenheit Christi deutet. Judex akzentuiert allerdings nicht (wie Schnepf und Westphal) das leiblich verstandene substantialiter als Schibboleth wahrer Gegenwart, sondern die Präsenz des natürlichen Leibes.166 Das bedeutet keine sachliche Differenz, aber zeigt, dass es auch unter Westphals Mitstreitern noch keine einheitliche Terminologie für das gemeinsame Anliegen gibt. Dann listet er 15 rationes auf, mit denen die Gegner ihre Lehre begründeten,167 und erläutert, wie Luther diese widerlege.168 Die rationes sind offenbar unter dem Aspekt ausgewählt, die gegnerische Lehre als absurde, auf spitzfindiger Vernunft beruhende Argumentation gegen Gottes Wort darzustellen:169 Dass Christi Leib 163

JUDEX, Defensio verborum Coenae, a3v–a4r: „Secundo, quod arbitrabar quorundam aduersariorum impudentiam et improbitatem hoc Lutheri scripto retundi posse. Quidam enim, qui se cum Sacramentarijs infoeliciter coniunxerunt, quo suum errorem latius diffundant, et plurimorum incautas mentes inficiant, non uerentur Lutherum calumniari, quod et multa hyperbolice in contentione exciderint, et quod minime remissus fuerit in exagitanda causa, et quod non inueniatur ubi consistat, dum serio agendum est.“ Calvin hatte formuliert: „Quanta vehementia causam hanc egerit Lutherus, […] plus satis omnibus notum est. Scio quam multa hyperbolice ei in contentione excidant“ (CR 37 = CO 9, 17 f.). 164 Vgl. JUDEX, Defensio verborum Coenae, a4r. 165 Vgl. aaO., a2r–a2v; zu Luthers Text von 1544 und der dahinterstehenden Situation vgl. o. Kap. II.5.1. 166 Vgl. JUDEX, Defensio verborum Coenae, a4r–a5r. AaO., a2r–a2v sagt er über die Gegner, dass sie „uerba Christi: Hoc est corpus meum: oppugnant, et probare student, quod in coena merus panis, et merum uinum absque uera praesentia naturalis corporis et sanguinis Christi pro nobis traditi et effusi in remissionem peccatorum, exhibeatur.” 167 Vgl. aaO., a5r–a7r. 168 Vgl. aaO., a7r–b6v. 169 Bezeichnend ist die Bermerkung aaO., a7r–a7v: „Lutherus autem manifeste demonstrat has rationes e scrinio humanae rationis, quae non percipit ea, quae Dei sunt sumptas esse, et prorsus nihil firmitatis et roboris habere ad probandum contra τοῦ ῥητοῦ/ Christi in coena, panem corpore Christi, et uinum sanguine Christi uacuum manducari ac bibi.“

388

IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

nicht zugleich zur Rechten Gottes und auf Erden sein könne170 steht daher neben der These, daraus, dass die Apostel Christi Leib im Mahl nicht angebetet hätten, folge, dass sie nicht an die Gegenwart seines Leibes und Blutes geglaubt hätten.171 Zur Debattenlage des Zweiten Abendmahlsstreits passt, dass Judex (wie Westphal) Luthers Verständnis von spiritualis manducatio gegen das gegnerische abgrenzt und letzteres mit bloßem Glauben identifiziert.172 Die Übersetzung gibt den Text vollständig wieder; die wenigen Marginalien haben rein hinweisenden Charakter.173 Über die Rezeption des Werks ist nichts bekannt.

3.2 Vom „Lutheropapismus“ bis zur Berufung auf Melanchthon: Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen

Gleichzeitig mit den Schriften von Westphals Partei reagierte die andere Streitpartei auf die Testimoniensammlungen, teils auch bereits auf Westphals Iusta defensio. Mit Ausnahme von a Lascos Text entstanden die Schriften – wie schon Calvins Defensio – wieder nach umfassenden brieflichen Absprachen. Zugleich wird an ihnen deutlich, dass es innerhalb dieser Streitpartei weiterhin sehr unterschiedliche Perspektiven auf das innerreformatorische Verhältnis und entsprechend verschiedene Verteidigungsstretegien gab: Während Calvin seine Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation akzentuierte, griff Ochino alle Anhänger Luthers als Vertreter quasi-papistischer Ansichten an; Bullinger und a Lasco bewegten sich zwischen diesen Extrempositionen. a) Einigungspotential trotz unvollkommen reformatorischer Position der Gegenseite: A Lascos Vorrede zur Forma ac ratio Nachdem er im Vorjahr seinen Plan einer Schrift gegen Westphals Farrago nicht umgesetzt hatte,174 holte a Lasco in der Vorrede zu seiner Forma ac ratio, 170

Vgl. aaO., a5r; a6v–a7r. Die logische Absurdität wird dabei auch in der thesenartigen Formulierung herausgestellt, so formuliert Judex etwa als Lehre der Gegner: „Apostoli non exhibuerunt honorem Sacramento, cum ijs daretur in coena. Ergo non crediderunt panem corpus, et uinum sanguinem Christi esse.“ (aaO., a6v), während er Luthers Position in den Worten zusammenfasst: „est infirma, est soluitur per instantiam. Apostoli Christum ad mensam in coena sedentem non adorabant, ergo Christus non erat uerus Deus, et per consequens, cum coenam celebrarent Apostoli, Christus non aderat.“ (aaO., b1v). 172 Vgl. aaO., a7r; b3r. 173 So kennzeichnen aaO., B1v die Marginalien „Quid Sacramentarii suo errore efficiant“ „Doctor Lutherus“ und „Sacramentarii“ eine Passage, in der Luther sein Verständnis der Einsetzungsworte verteidigt und den Gegnern vorwirft, bloß von Brot und Wein auszugehen. 174 Vgl. o. Kap. IV.2.1 und IV.2.4d. 171

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 389

der in London entstandenen Kirchenordnung, die Auseinandersetzung mit Westphal nach. Der Text ist weder ein Dokument einer Bucer oder Calvin entsprechenden Haltung175 noch eine generelle Polemik gegen die Wittenberger Reformation.176 A Lasco baut vielmehr eine aus früheren Texten bekannte177 Argumentation aus: Er will belegen, dass Lehre und Verhalten der Streitgegner ihrer eigenen reformatorischen Überzeugung nicht angemessen seien. A Lasco befand sich inzwischen in Frankfurt und nahm in der dortigen niederländischen Flüchtlingsgemeinde eine wichtige Rolle ein. Im Konflikt mitWestphals Parteigängern entwickelte sich bald eine Regionaldebatte.178 In der auf den 6.9.1555 datierten179 Vorrede zur Forma ac ratio bezieht sich a Lasco aber noch primär auf Schriften des überregionalen Streits: Er nennt Westphals und Timanns Farrago;180 zudem berücksichtigt er Argumente aus der Recta fides und der Vorrede zu den Collectanea Augustini.181 Ob auch die Iusta defensio verarbeitet ist, die er wenig später an Calvin und die Zürcher schickte,182 ist unklar. Die Absicht, die Flüchtlingsgemeinden und ihre in der Forma ac ratio dargelegte Kirchenordnung zu verteidigen, hat daneben sicher auch mit der Situation in Frankfurt zu tun, wo die Flüchtlinge von örtlichen Pfarrern unter Führung Hartmann Beyers misstrauisch beobachtet wurden:183 Eine gleichzeitige Eingabe dieser Pfarrer benennt neben der Lehre auch die Zeremonien der Flüchtlinge als suspekt.184 Explizit angesprochen wird das bei a Lasco jedoch nicht – wohl, weil sich die Situation erst allmählich zuspitzte: Besagte Eingabe wurde am 5.9., am Tag vor a Lascos Text, verlesen185 und war die erste ihrer Art, und noch hatte sich der Rat nicht festgelegt. Dass a Lasco daran gelegen war, sich gegen Ketzerei- und Aufruhrvorwürfe zu verwahren, gilt schließlich auch gegenüber König Sigismund II. August von Polen, dem Adressaten der Vorrede: A Lasco plante eine Rückkehr in seine Heimat und wollte den König überzeugen, dort die Reformation einzuführen.186 175

So die Deutung bei HEIN, Sakramentslehre, 169 f. In diesem Sinne KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 107–111; sachlicher, aber mit ähnlicher Stoßrichtung MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 72–74. 177 Vgl. dazu o. Kap. III.1.1b und III.1.3f. 178 Vgl. zur Ankunft der Gemeinden wie zum Regionalkonflikt u. Exkurs B.2. 179 Vgl. KUYPER II, 36. A Lasco hatte offenbar einen Teil seiner Forma ac ratio bereits gedruckt aus Ostfriesland mitgebracht und im Juli versucht, die fehlenden Teile in Frankfurt drucken zu lassen (vgl. Peter Braubach an Westphal, 19.7.1555, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 212 f. (Nr. 1.3)) – es ist aber unklar, ob das die Vorrede einschloss oder nicht. 180 Vgl. KUYPER II, 14. 181 Vgl. KUYPER II, 16; 22 (zu den Argumenten s. im Folgenden). 182 S.u. Kap. IV.3.2b. 183 Vgl. dazu im Einzelnen Exkurs B.2. 184 FRH I, Beil. III, 5. 185 AaO., 6. Insofern ist unwahrscheinlich, dass a Lasco diesen Text verarbeitet – es zeigt aber, dass dies ein Streitpunkt war. 186 Vgl. KUYPER II, 1.34–36; zu dem Rückkehrplan BARTEL, Jan Łaski, 186–199. 176

390

IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

In Auseinandersetzung mit den überregional von Westphals Partei, vor Ort von den Frankfurter Pfarrern erhobenen Ketzervorwürfen betont a Lasco die Rechtgläubigkeit und Ungefährlichkeit der in der Forma ac ratio niedergelegten Kirchenordnung.187 Gegen den Vorwurf, durch Abweichung von der liturgischen Tradition Unordnung zu stiften, betont er, die Erneuerung stelle keinen Anstoß dar, da die traditionelle Praxis nicht schriftgemäß sei.188 Ebenso hebt er hervor, dass das Konzept nicht auf politische Unruhe zielt: Die Kirchenordnung gehe auf die von Eduard VI. und Cranmer – also von der englischen Obrigkeit – approbierte Praxis der Londoner Gemeinde zurück und habe zu einer behutsamen Reinigung der Liturgie in England führen sollen.189 Westphal, Timann und ihre Mitstreiter zeichnet a Lasco demgegenüber als Reformatoren, die sich aber quasi-papistisch und nicht ihrer eigenen reformatorischen Überzeugung angemessen verhalten. Dazu setzt er sich mit drei Themenkomplexen auseinander, an denen die Gegenseite den Widerspruch a Lascos und der Flüchtlinge zum kirchlichen Konsens festmacht: der Abendmahlsbzw. Heilsmittelfrage, dem Stellenwert kirchlicher Tradition sowie dem Vorwurf, sie stifteten Aufruhr und würden daher nirgends dauerhaft geduldet. Auf dogmatischer Ebene nennt a Lasco zunächst die natürliche Subsistenz von Leib und Blut Christi im Abendmahl sowie die Heilsmittel und das kirchliche Amt als Streitpunkte190 – letzterer Aspekt hängt mit Timanns Farrago zusammen, der eine massive Auffassung von der Autorität des kirchlichen Amts vertreten hatte.191 Ein solches Amtsverständnis passt gut zur der von a Lasco bekannten192 Perspektive, dass es sich bei der Position der Streitgegner um eine nur unvollkommen reformatorische Haltung handle, die teils noch altgläubige Züge trage: Abendmahlstheologisch hält er fest, eine körperliche Präsenz Christi laufe auf die gleiche artolatreia hinaus, die auch die Gegner zu Recht der Transsubstantiation vorwärfen193 – aus a Lascos Sicht führt jede Annahme einer leiblichen Gegenwart Christi im Abendmahl (im Unterschied zur

187

Zu deren Inhalt vgl. BECKER, Gemeindeordnung und Kirchenzucht. Vgl. KUYPER II, 1–10, bes. 9. 189 Vgl. aaO., 10. 190 KUYPER II, 14: „Duo sunt, quorum nomine potissimum a Farraginum nescio quarum fartoribus […] et accusamur simul et condemnamur. Alterum quod in Ecclesiastico ministerio Dei ipsius opus proprium in ministri opus non transferamus. Alterum, quod in coenae Dominicae elementis realem, ut vocant, corporis et sanguinis Christi delitescentiam iuxta naturalem ipsius subsistentiam non statuamus.“ 191 Vgl. o. Kap. III.2.4. 192 Vgl. o. Kap. III.1.3f. 193 KUYPER II, 21: „rimam se habere non posse vident, qua se ullo modo ab ea Artolatria liberent, cuius nomine Papismum refutata transsubstantiatione potissimum accusant. Satis est illis igitur, si verba Christi clara perspicuaque ac intellectu facillima esse dicant, nudam tamen illam, quam iactant, ac simplicem eorum interpretationem nusquam proferant, sed tantum argumentatione quadam suam se delitescentiam comprobasse somniant, nempe quod, 188

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 391

von ihm vertretenen rein geistlichen Anteilhabe der Glaubenden an Christi meritum) dazu, dass der so präsente Leib dann auch als Gott anzubeten ist.194 Insofern sei nicht seine, sondern die gegnerische Lehre ein novum dogma, das Schrift und Konsens der Kirche widerspreche.195 Als reformatorischer Theologen und Pfarrer unwürdig betrachtet a Lasco auch den Umgang der Gegenseite mit dem theologischen Dissens: „Nos porro nullius nos hic novi dogmatis vel autores vel sectatores esse dicimus, sed tradita ab aliis nova quaedam dogmata immoderatamque illa tuendi pertinaciam, cum iniquissimis praeiudiciis coniunctam, accusare nos profitemur, et quidem id facimus ea mansuetudine ac modestia, ut rem quidem non dissimulemus […], sed neminem proscindamus interim, nedum ut quenquam omnino controversiae huius nomine damnemus, imo vero honorem etiam iis, qui a nobis dissentiunt, libenter deferimus […]; et de omnibus, quae nos offendunt, iamdudum expetimus pia modesta et Christiana, sive privata sive publica, colloquia, nostraque omnia legitimis ex verbo Dei Ecclesiarum iudiciis ultro subiicimus. Interim vero Catonum istorum censura a Christi Ecclesia […] excludimur ac diris omnibus devovemur“.196

Gegen die von Westphals Partei erhobenen Ketzervorwürfe hält a Lasco also fest, dass die eigene Seite den Streitgegnern umgekehrt keineswegs die Zugehörigkeit zur Reformation abspreche, auch wenn man die Sachdifferenz nicht verschweige. Davon ausgehend argumentiert er wie die Flüchtlinge in den Seestädten197 für Kolloquien als Instrument reformatorischer Wahrheitsfindung: Er beansprucht, die eigene Seite wolle die Schriftgemäßheit ihrer Lehre belegen, würde aber nachgeben, wenn sich die gegnerische Ansicht als schriftgemäß erweise198 – daher sei das Verbot eines solchen Gesprächs evangelischer Pfarrer unwürdig. Faktisch geht a Lasco freilich entsprechend seinen Texten seit der ostfriesischen Zeit199 davon aus, dass die eigene Position die schriftgemäße ist und sich daher in einer Disputation als reformatorisch normativ durchsetzen wird: Er meint, wenn die Gegner allein in der Anklage neuer zweifelhafter Lehren (gemeint ist die von Westphals Partei vertretene Abendmahlstheologie) eine Verwirrung der Kirche sähen, wäre der Papst im Recht, der allen evangelischen Kirchen analoge Vorwürfe mache.200 Die Gegner werden cum de pane corpus praedicetur, iam eadem opera etiam corpus ipsum in pane aut sub pane delitescere oporteat, ut corporaliter seu ore carnali (ita enim loquuntur) edi possit.“ 194 Zur Argumentation, die hinter dieser Vorstellung steht, vgl. o. Kap. III.1.3f. 195 Vgl. KUYPER II, 15. 196 KUYPER II, 14 f., vgl. im gleichen Sinne noch einmal programmatisch aaO., 33. 197 Vgl. dazu o. Exkurs A.3b. 198 KUYPER II, 15: „Quae quidem omnia bona iam ex parte ita se habere ostendimus, et clarius adhuc, si Dominus volet, per eius gratiam ostendemus: aut, si id non possimus, cedere ultro volumus meliora docentibus ex verbo Dei, si modo ad legitimum aliquod colloquium admittamur.“ 199 Vgl. o. Kap. III.1.1b und III.1.3f. 200 AaO., 15 f.: „ Catones nostri […] Accusant nos in suis farraginum centonibus, quod Ecclesias perturbemus. Sed si accusasse nova suspectaque dogmata (et quidem sine conviciis

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

also nicht als Papisten eingeordnet – wohl aber als Reformatoren, die sich so verhalten, wie sie selbst es bei Altgläubigen zu Recht kritisieren: „id sibi arrogabunt Catones nostri, quod ipsimet in Papa accusant? Queruntur se haereseos a Papa non auditos damnari, et interim ipsimet nos non auditos condemnant.“201

Neben der Verweigerung eines Kolloquiums schildert a Lasco auch das von Westphals Partei dagegen gesetzte Kriterium kirchlicher Tradition als unreformatorisch. Er differenziert allerdings: Zu Westphals These aus den Collectanea Augustini,202 die von ihm verketzerte Lehre sei schon auf Konzilien verurteilt worden, führt er zunächst Konzilien an, auf denen die Transsubstantiation vertreten und die Lehre der Gegner ebenso verurteilt worden sei wie die eigene.203 Hier rechnet er die Gegner wieder als Reformatoren auf die eigene Seite: Für die Ablehnung solcher Konzilien müsste auch Westphals Seite sie loben.204 Altkirchliche Konzilien dagegen beansprucht er positiv: Westphals Berufung auf Cyrill und das Konzil von Alexandria205 sei Missbrauch; die eigene Seite stimme mit den Vätern überein.206 Ein legitimes innerreformatorisches Kolloquium schließlich sei allein das Marburger Religionsgespräch gewesen:207 aut praeiudiciis ullis) est perturbasse Ecclesiam, non immerito sane Papa utrosque nos turbarum accusabit. Si usque adeo illis intolerabile videtur, dogmata ipsorum accusari, ut nos ad nulla colloquia velint admittere, facile et nos in universum omnes ad eundem modum arcebit Papa ab omnibus colloquiis, dum recepta iampridem magno multorum consensu ipsius dogmata. Si vero id in parte tyrannidis Antichristinae ponimus, cur nobis id ipsum usurpamus, quod in Papa omnes unanimiter damnamus? Dicunt Catones nostri, se in Papistica tyrannide accusanda sequi doctrinam verbi Dei. Fatemur id quidem esse verum, nam et nos eandem ob causam Papismum accusamus, sed et in accusandis ipsorum dogmatis id ipsum nos facere affirmamus. Negant illi verbum Dei a nobis stare, et proinde indignum esse, ut ad colloquium admittamur. At vero ad eum plane modum etiam Papa a nobis utrisque verbum Dei stare negat, atque ob hoc potissimum nos, ut seductores, a conciliis arcet.“ 201 AaO., 16. 202 Vgl. o. Kap. IV.1.3b. Da der Widmungsbrief, aus dem die These stammt, auch bei Timann mit abgedruckt ist (vgl. o. Kap. IV.1.2), ist aber nicht klar, aus welcher der beiden Quellen a Lasco ihn hier heranzieht (und ob er die Collectanea kennt). 203 Vgl. KUYPER II, 16. 204 AaO., 17: „Si de Papae loquuntur conciliis, diximus in illis ipsorum perinde atque nostram doctrinam damnatam esse. Quodsi ipsi decorum sibi esse putant, se ab illis conciliis damnatos esse, cur non et nos eandem ipsam condemnationem in laude nostra poneremus?“ 205 In der Fides Cyrilli und den Collectanea Augustini, vgl. dazu o. Kap. IV.1.3b–c. 206 Vgl. KUYPER II, 16. AaO., 16 f. legt a Lasco dar, warum er mit den Vätern einig sei, v.a. in dem Sinne, die Väter hätten das Brot als Christi Leib bezeichnet, da die Gläubigen damit zum ewigen Leben gespeist würden. 207 AaO., 17: „Certe nullum unquam de Sacramentaria hac controversia iustum alioqui colloquium institutum esse constat, praeterquam Martburgi, Illustriss. Cattorum Principis auspiciis, anno post Christum 1529, in quo sane tantum abest ut sit damnata nostra doctrina, ut ab utraque parte sit consentienter recepta et approbata, cui et nos libenter assentimur“. AaO., 17 f. folgt der Abdruck des 15. Marburger Artikels auf deutsch und lateinisch.

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 393 „Haec sane est Martburgensis conventio, sub illud ipsum tempus aedita, in qua ostendi aliquod vellemus, quo doctrinam nostram pudefactam esse Catones nostri iactant, quasi vero ipsa conventionis verba (nobis etiam tacentibus) non satis testentur, eos, qui a nostra tum doctrina abhorrebant, et nostrae doctrinae assensos esse, dum spiritualem corporis et sanguinis Christi esum, quem nos urgemus, inprimis commendant, et de sua dubitasse, dum non solum illam non approbarunt, sed Christianam utrinque charitatem inter sese pacti, preces etiam communes pro vero controversiae intellectu instituerunt.“208

Anders als Calvin hält a Lasco nicht nur fest, dass die eigene Lehre von der Marburger Vereinbarung aus legitim sei und man dort christliche Liebe vereinbart habe, sondern folgert (wie seinerzeit Zwingli209) aus dem Marburger Text, Luthers Seite habe dort die von Westphals Partei attackierte spiritualis manducatio empfohlen und ihre vorherige Position angezweifelt. Ähnlich wie mit dem Marburger Gespräch verfährt a Lasco auch mit der gegnerischen Berufung auf die Confessio Augustana (gemeint sind wohl die Vorrede der Collectanea Augustini und Timanns Farrago, vielleicht auch die Argumentation der Frankfurter Pfarrer und Westphals Iusta defensio210). Einerseits erhebt er den Vorwurf einer unreformatorischen Überbewertung der Tradition: Die CA stehe bei den Gegnern faktisch über der Schrift.211 Andererseits macht er geltend, dass Artikel X der CA variata der eigenen Lehre entspreche: Der CA zufolge geschehe das exhiberi des Leibes Christi beim Abendmahl durch Glauben. Das sei mit seiner eigenen Lehre kompatibel, dass Glaubende, die das Mahl einsetzungsgemäß feierten, durch den Glauben zugleich Christi Leib und Blut zum ewigen Leben nössen – eine körperliche Präsenz Christi hingegen habe der Glaube dagegen nicht nur nicht nötig, sondern lasse sie (gemäß a Lascos These, dass sich Glaube nach Hebr 11,1 stets auf leiblich Abwesendes beziehe212) auch gar nicht zu.213 Ist die CA also für Westphals Seite ein zentrales Argument dafür, dass ihre Position den normativen 208

AaO., 18. Vgl. o. Kap. II.2.3. 210 In den Collectanea Augustini wird die Confessio Augustana im Zusammenhang mit dem Konzilsthema und neben dem Schmalkaldener Konvent behandelt, den a Lasco erwähnt (vgl. KUYPER II, 19), so dass dieser Bezug naheliegend ist. Beides spielt auch bei Timann eine Rolle (vgl. o. Kap. IV.1.2); die CA ist auch für die Iusta defensio (vgl. o. Kap. IV.3.1a) sowie für die Frankfurter Prädikanten (vgl. FRH I, Beil. III, 4–6) zentral. 211 KUYPER II, 19: „Caeterum illis superest adhuc Sacra (quod dicitur) Anchora, Augustana confessio; ad hanc enim, ubi nihil aliud superest, recurrere solent et tanti illam faciunt, ut non desint inter ipsos, et quidem non postremi, qui dicant, se malle de Pauli ipsius Apostoli, quam vel de Lutheri, vel de confessionis Augustanae doctrina dubitare. Nos vero doctrinam Augustanae confessionis, ut debemus, plurimi facimus, sed cum doctrina Prophetica atque Apostolica non aequamus, neque ullo modo aequandam esse putamus.“ 212 Vgl. dazu o. Kap. III.1.3f. 213 KUYPER II, 19 f.: „Interim tamen non videmus, quidnam in controversa hac sua delitescentia adversus nostram doctrinam ex ipsa Augustana confessione proferre possint. Verba confessionis Augustanae de coena Domini sic habent: De coena Domini docent, quod cum 209

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

Konsens der Wittenberger Reformation darstelle, beansprucht a Lasco nicht nur Übereinstimmung mit diesem Bekenntnis; er spricht auch Westphals Partei ab, dass sie sich zu Recht darauf berufe! Diese These wurde im Folgenden von Westphals Seite massiv attackiert.214 Schließlich sieht a Lasco Lutheropapismus auch in Westphals Aussage, die Gegner seien ecclesiae perturbatores, denen man mit dem Zepter des Rats begegnen sollte, und in der Verunglimpfung a Lascos als erro.215 Die Blasphemievorwürfe sind reichsrechtlich relevant und könnten ihn, wie auch das Prädikat erro, beim polnischen König und der Frankfurter Obrigkeit suspekt machen. Die Vorwürfe weist a Lasco daher zum einen inhaltlich zurück: Westphal mache die Blasphemie an seiner Aussage, dass sich bei einer körperlichen Präsenz Christi im Abendmahl dessen gloria auch auf impii beziehen müsste, und an der Anfrage, ob Christi Leib bei körperlichem Verzehr dauerhaft im Menschen bleibe, fest. Dagegen argumentiert a Lasco gemäß der Tractatio de sacramentis, beides sei nicht blasphemisch, sondern zeige, wie absurd es sei, ein körperliches Essen des Leibes Christi anzunehmen.216 Zum anderen beruft a Lasco sich darauf, dass den Hamburgern seine Lehre durch den Austausch mit Pane et Vino vere exhibeantur corpus et sanguis Christi vescentibus in coena Domini. Hoc ipsum vero et nos agnoscimus, sed negamus id totum quidquam omnino ad Catonum nostrorum delitescentiam pertinere. Cum enim eadem ipsa confessio, ubi de Sacramentorum usu loquitur, disertis verbis testetur, nos eam gratiam, quam Sacramenta significant, fide ipsa percipere, eadem sane opera, fidei nostrae duntaxat illam offerri atque exhiberi fatetur. Porro fides eam delitescentiam, quam fartores isti propugnant, adeo non requirit, ut ne admittere quidem possit, quemadmodum Paulus docet. Tantum abest igitur, ut nobis Augustana confessio opponi quoquomodo possit, ut illam pro nobis etiam, contra Catones nostros, facere constet. Nos enim id semper professi sumus atque etiamnum profitemur, fideles omnes, dum coenae elementis participant iuxta Christ institutionem, simul quoque vere ad salutem aeternam communicare vero etiam corpori et sanguini Christi. Quare ne in Augustana quidem confessione habent quidquam Catones nostri, quod doctrinae nostrae merito opponant. Neque dubium esset, facile induci posse doctrinae consensionem (quemadmodum eius rei spem Bucerus olim in conventu Schmalcaldiensi faciebat), si praeter Augustanam confessionem nihil exigeretur.“ 214 Vgl. u. Exkurs B.2 sowie Kap. V.1.1b und V.1.2e. 215 KUYPER II, 22: „Hoc nimirum est sustulisse ac non potius ad se pertraxisse Papae tyrannidem, et quidem sub plausibili (si superis placet) Evangelii titulo, ut mirum non sit, si a quibusdam Lutheropapistae vocentur, quanquam id ego in nomen Lutheri, cuius memoriam sancte, ut debeo, veneror, redundare nolim. Iam vero, praeterquam quod doctrinam nostram ita conspuunt, nomini etiam nostro peculiares calumnias intendunt. Producuntur in farragine (ut mutuum muli scabant) qui, me cum meis, quos ex Anglia mecum eduxi, Ecclesiarum suarum perturbatores esse contendant: qui iidem alioqui eiusmodi nos alibi blasphemiae accusant, ut eam Magistratus sceptro potius quam stylo suo refutandam esse clament. Producuntur item, qui me per contumeliam Erronem faciant, et nescio quam Ecclesiam, quae non sit Christi, quaerere dicant.“ Zur Recta fides vgl. o. Kap. III.2.4c; zur Hamburger Debatte zwischen Westphal und Micron o. Exkurs A.3. 216 Vgl. KUYPER II, 26 f.

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 395

Aepin im Jahr 1548217 bekannt gewesen sei, und betont, Westphal hätte ihn damals um ein Gespräch bitten können. Stattdessen erhebe er nun Vorwürfe anhand der Tractatio.218 Das ist weder eine objektive Wiedergabe der Ereignisse von 1548219 noch eine wahrheitswidrige Behauptung.220 A Lasco interpretiert vielmehr – wie Westphals Streitpartei umgekehrt auch – die uneindeutige damalige Situation im Sinne seiner aktuellen Haltung: Wollte Bruchsal Aepins Widerlegung von a Lascos Lehre publizieren (also belegen, dass letztere schon damals in Hamburg als ketzerisch gegolten habe),221 deutet a Lasco die damalige Zusammenarbeit so, dass die Hamburger ihn als rechtgläubig anerkannt hätten. Gegen Timann betont er, seine Lehre habe dem Bremer pastor primarius (Jakob Probst) genügt und er habe dort am Abendmahl teilgenommen.222 Die Flüchtlinge hätten nie in den sächsischen Kirchen Unruhe stiften wollen, sondern seien auf Befehl des dänischen Königs dorthin gekommen.223 Gegen den erro-Vorwurf erläutert er die Gründe für seine Ortswechsel und betont, er habe stets mit herrscherlicher Erlaubnis gehandelt.224 A Lascos Aussagen wurden im Folgenden von mehreren Mitstreitern Westphals angegriffen.225 In seiner Argumentation sahen sie belegt, dass der gegnerische Anspruch auf gesamtreformatorische Normativität und theologische Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation auf eine Verdrängung ihrer eigenen, dazu im Gegensatz stehenden Position ziele. Auch in der Frankfurter Debatte spielte die Schrift ab 1556 eine wichtige Rolle.226 b) Absprachen über weitere Antwortschriften Weitere Streitschriften entstanden – wie im Vorjahr Calvins Defensio227 – wieder nach einem brieflichen Austausch unter den Theologen, die Westphals Partei verketzerte. Dieser Briefwechsel wird in der Literatur weniger behandelt als der des Vorjahrs,228 ist jedoch für das Verständnis der Schriften wichtig: War damals intensiv über inhaltliche Fragen debattiert worden, ging es nun vor allem um Form, Autoren und Unterzeichner einer Gegenschrift. Wieder war 217

Vgl. dazu o. Kap. III.1.1b. KUYPER II, 22 f. 219 So die reformierte Literatur, vgl. etwa HEIN, Sakramentslehre, 169 f. Anm. 3. 220 So die lutherische Literatur, vgl. KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 109. 221 Die Publikation war nicht gelungen, weil Aepin dies ablehnte; vgl. o. Kap. III.2.2b. 222 Vgl. KUYPER II, 24.17. 223 Vgl. aaO., 23 f. 224 Vgl. aaO., 30–32. 225 Vgl. etwa u. Kap. V.1.1c und V.1.2e. 226 Vgl. u. Exkurs B.2. 227 Vgl. o. Kap. IV.2.1. 228 Näher äußern sich dazu nur KOLFHAUS, Verkehr Calvins mit Bullinger, 106 f., und NIJENHUIS, Calvinus oecumenicus, 169–172. Die Analyse bei TYLENDA, Calvin-WestphalExchange, 198–201, stellt wieder einen großen Fortschritt dar. 218

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

nicht nur Calvins Votum ausschlaggebend229 – speziell Vermigli nahm Einfluss auf die Entscheidungsfindung, obwohl er keine eigene Streitschrift verfasste; und die Schriften Bullingers und Ochinos waren zwar als Unterstützung für Calvin gedacht, aber argumentativ völlig eigenständig. Die Debatte über eine Reaktion auf Westphals Iusta defensio sowie weitere Texte Westphals und seiner Mitstreiter begann Mitte September 1555. Angestoßen wurde sie von a Lasco und den Straßburger Theologen: A Lasco sandte Calvin und Bullinger die Forma ac ratio und machte sie auf die Iusta defensio aufmerksam, auf die Calvin antworten solle.230 Der Straßburger Pfarrer Hieronymus Zanchi berichtete Bullinger über Timanns Farrago.231 Am einflussreichsten war Vermiglis Schreiben an Calvin: Er teilte mit, die Gegner verfassten immer neue Polemiken und ließen diese in Frankfurt drucken – vielleicht, um die dortigen Flüchtlingsgemeinden in Schwierigkeiten zu bringen.232 Konkret nennt er Westphals neues Buch (die Iusta defensio), von dem er bisher nur gehört habe233 und Timanns Farrago, die er offenbar genauer kennt: Das Buch richte sich gegen sacramentarii, nenne aber weder ihn noch Calvin namentlich, sondern nur a Lasco.234 Er zählt die von Timann genannten Autoritäten auf und betont, dass aus dessen Perspektive Bucer, Flacius und Westphal übereinstimmten – das hängt bei Timann damit zusammen, dass er die Wittenberger Konkordie wie Luther als Anschluss der Straßburger Theologen an Luthers und damit (seiner Deutung zufolge) an seine eigene, mit Flacius und Westphal übereinstimmende Auffassung versteht.235 Für Vermigli, der eine auf dem theologischen Spektrum zwischen Calvin und Bullinger stehende Abendmahlslehre vertritt und sich darin mit seinem früheren Straßburger Kollegen Bucer einig sieht, ist eine solche Deutung der Straßburger Reformation absurd. Ebenso lehnt er Timanns These, Christi Leib sei ubique, ab und betont die schwache Begründung rein durch die Personeinheit. Insofern meint er, die Schrift sei inepta. Dennoch hält er sie nicht für harmlos: Der Locus De officio magistratus solle Fürsten gegen die eigene Seite aufbringen.236 Vermigli gab mit seinem Brief aber nicht nur Informationen an Calvin und andere Mitstreiter weiter, sondern machte auch einen Vorschlag, der intensiv 229 Dies kommt bei TYLENDA ebd. und den meisten anderen Autoren kaum heraus, da sie die Briefe ausschließlich als Hintergrund für Calvins Secunda defensio behandeln. PLANCK, Geschichte der protestantischen Theologie II/2, 69 f., nimmt immerhin das gemeinsame Vorgehen a Lascos, Calvins und Bullingers wahr. 230 Vgl. a Lasco an Bullinger, 19.9.1555, CR 43 = CO 15, 771–772 (Nr. 2295); analog a Lasco an Calvin, 19.9.1555, CR 43 = CO 15, 774 (Nr. 2296). 231 Vgl. Hieronymus Zanchi an Bullinger, 25.9.1555, CR 43 = CO 15, 794 f. (Nr. 2305). 232 Vgl. Vermigli an Calvin, 23.9.1555, CR 43 = CO 15, 788. 233 Vgl. ebd. 234 Timann druckte Briefe ab, in denen a Lasco erwähnt wird. Vgl. o. Kap. IV.1.2. 235 Vgl. ebd. 236 Vgl. Vermigli an Calvin, 23.9.1555, CR 43 = CO 15, 787.

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 397

diskutiert und in Calvins Secunda defensio modifiziert umgesetzt wurde – und damit erheblichen Einfluss auf den weiteren Streitverlauf hatte:237 Da die Lutheropapistae verbreiteten, ihre Kirchen würden „a nostris“ verdammt, solle die eigene Seite ein Schreiben an die filios ecclesiae Saxonicae verfassen, in dem diese Verleumdung korrigiert würde.238 Gemeint sind Aussagen Westphals und seiner Mitstreiter, aus deren Sicht die Lehre der Wittenberger Reformation und diejenige Calvins bzw. Vermiglis in ausschließendem Gegensatz zueinander standen. Vermigli hingegen nimmt gemäß der Oxforder Disputation239 an, dass die eigene Lehre mit der Wittenberger Reformation übereinstimmt – daher der Vorschlag, sich in Form eines offenen Briefs an wittenbergisch geprägte Kirchen zu wenden und die Übereinstimmung zu erläutern. Aufgrund der Briefe entschloss sich Calvin allmählich zu einer neuen Gegenschrift: Am 10.10. berichtet er Farel von Westphals Iusta defensio und ist unschlüssig, ob eine Antwortschrift sinnvoll sei.240 Am 24.10. trägt er nach, einige Saxonici wollten ihn exkommunizieren, bleibt aber bei seiner in der Defensio festgehaltenen Ansicht, es handle sich bei Westphals Partei um eine Minderheit innerhalb der Wittenberger Reformation. Vermiglis Vorschlag eines gemeinsamen Schreibens an die sächsischen Kirchen begrüßt er, ist aber skeptisch, ob sich dies umsetzen lasse.241 Ähnliche Bedenken äußert er Bullinger gegenüber, tendiert jetzt aber zu einer Antwortschrift: Er bittet um Rat, wie er mit der Iusta defensio umgehen solle, meint aber, wenn er bei seiner Meinung bleibe und den Ablauf erläutere, könne Westphal sich nicht ungerecht behandelt fühlen.242 Auf Basis von Vermiglis Brief berichtet er von Timanns Farrago und meint, der Konsens der eigenen Seite sei zwar gegeben, aber ein gemeinsamer Text aller Kirchen sei angesichts der Positionen der Basler (die die Defensio als unnötige Polemik gegenüber der Wittenberger Reformation

237 Das kommt in der gängigen Sicht, die allein Calvin als maßgeblichen Akteur sieht, nicht heraus. So formuliert etwa MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 64 f.: „Calvin hatte durch Peter Martyr erfahren, daß viele sächsische Pastoren derselben Ansicht, wie die Schweizer seien, […] er benutzte diese Nachricht bei der Herausgabe der secunda defensio.“ Ebenso irreführend schreibt TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 201: „Adopting Bullingerʼs suggestion, Calvin dedicated the new refutation to the ministers of Saxony and Lower Germany“ – Bullinger unterstützte den Vorschlag, aber ursprünglich stammt er aus Vermiglis Brief (wo ihn TYLENDA aaO., 199 f. nicht erwähnt). 238 Vermigli an Calvin, 23.9.1555, CR 43 = CO 15, 789: „quoniam isti Lutheropapistae, ut nobis invidiam conflent, multitudini persuadent, omnes illorum ecclesias a nostris esse damnatas, et quod volunt imperitis rerum facile persuadent, iudicaret esse utile si communi nostrarum ecclesiarum voluntate scriptum ad filios ecclesiae Saxonicae ederetur, quo calumnia haec purgaretur, reddereturque ratio quam simplicissime fidei nostrae.“ 239 Vgl. dazu o. Kap. III.1.3b. 240 Vgl. Calvin an Farel, 10.10.1555, CR 43 = CO 15, 812 (Nr. 2318). 241 Vgl. Calvin an Farel, 24.10.1555, CR 43 = CO 15, 842 (Nr. 2332). 242 Vgl. Calvin an Bullinger, ca. Mitte Oktober 1555, CR 43 = CO 15, 835.

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

kritisiert hatten) und der Berner (die sie im Gegenteil als zu konziliant ansahen) wahrscheinlich kaum realisierbar.243 Farel und Bullinger befürworteten nicht nur eine weitere Antwortschrift Calvins, sondern schlugen jeweils ein gemeinsames Vorgehen vor: Farel meint, Calvin solle ausschließlich auf die abendmahlstheologischen Vorwürfe reagieren, alles Persönliche aussparen und die Schrift wie die Defensio den Schweizer Kirchen widmen.244 Zusätzlich245 solle Beza Calvin gegen die persönlichen Angriffe verteidigen und sich zu anderen von Westphal angesprochenen Themen wie Liturgie und Bilderfrage äußern.246 Bullinger meint, da Westphal jetzt schon das vierte Buch247 veröffentlicht habe, solle Calvin ihm antworten, aber dabei alle persönlichen Angriffe übergehen.248 Er selbst wolle nach Möglichkeit auch gegen Westphal schreiben; Timanns Farrago habe a Lasco bereits beantwortet.249 In Bezug auf den von Vermigli angeregten gemeinsamen Text teilt er Calvins Bedenken – meint aber, wenn dieser ein solches Schriftstück verfassen wolle, solle er die anderen theologischen Fragen so erläutern wie in der Defensio das Abendmahl und seine Ausführungen den sächsischen Kirchen, ihren Pfarrern und dem dortigen Volk widmen.250 Die angestrebte Versöhnlichkeit gegenüber der Wittenberger Reformation nutzte Bullinger, um in der zwischen ihm und Calvin umstrittenen Prädestinationslehre auf eine Festlegung in seinem Sinne hinzuwirken: Westphal hatte dieses Thema in der Iusta defensio angesprochen. Bullinger legte Calvin nun 243

Vgl. aaO., 835 f. Zur Haltung von Basel und Bern vgl. o. Kap. IV.2.4b. Vgl. Farel an Calvin, 17.10.1555, CR 43 = CO 15, 823. 245 Nicht, wie TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 200, meint, anstatt dessen („Certainly, Westphal had to be checked, and in writing, but Farel did not think it should be done by Calvin“). Treffend bemerkt dagegen KOLFHAUS, Verkehr Calvins mit Bullinger, 106: „Farel […] riet, die Person des Gegners völlig aus dem Spiel zu lassen und sich rein sachlich auf die Verteidigung der Abendmahlslehre zu beschränken“ – er erwähnt allerdings wiederum den Plan einer zweiten, von Beza abzufassenden Schrift nicht. 246 Vgl. Farel an Calvin, 17.10.1555, CR 43 = CO 15, 823. 247 Damit ist wohl die Iusta defensio gemeint; die Zahl vier kommt dadurch zustande, dass Bullinger von Westphals Testimoniensammlungen nur die Collectanea Augustini kennt (vgl. Bartholomäus Bertlin an Bullinger, 6.3.1555, CR 43 = CO 15, 490 (Nr. 2140); ders. an dens., 22.5.1555, aaO., 621 (Nr. 2208)). Vgl. TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 197. 248 Vgl. Bullinger an Calvin, 2.11.1555, CR 43 = CO 15, 854 (Nr. 2340). 249 Vgl. ebd. 250 Ebd.: „quod consensum illum attinet, de quo clarissimus vir D. Petrus Martyr scribit, idem tecum sentire omnino cogor. Certissimum est nunquam nos Bernam et Basileam (possem et alios numerare) consentientes habituros. At omissis his non video an ullo cum fructu reliqui quidquam agant. Si omnino necessarium videatur huiusmodi quidpiam conscribere, operae pretium mihi facere videreris si tu ea ratione qua edidisti Defensionem consensionis etiam reliqua exponeres dogmata, quae dudum in libris ministrorum ecclesiarum Helveticarum copiosius exposita et omnibus sunt libris communicata. At oportebat illam expositionem incribere [!] et dedicare ecclesiis atque ecclesiarum ministris Saxoniae superioris et inferioris, denique toti populo etc.“ 244

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 399

nahe, in Reaktion darauf keine Prädestination zur Verdammnis, sondern nur eine Prädestination zum Heil zu vertreten – das entspricht seiner eigenen Haltung, während Calvin normalerweise eine doppelte Prädestination festhielt.251 Hier argumentiert Bullinger, eine solche Argumentation diene dazu, sich nicht bei Theologen der Wittenberger Reformation unbeliebt zu machen, die ebenfalls nur eine einfache Prädestination vertraten. Als Beispiel führt er Melanchthon an, der Calvins Lehre in diesem Sinne kritisiert hatte.252 Dass sich Calvin zu einem Alleingang entschloss, liegt wohl im Ärger über Bullingers Vorstoß zur Prädestination begründet: Am 23.11. berichtete er Farel empört davon und meinte, von Bullinger sei kaum Unterstützung zu erwarten. Er verspreche sich nichts von einem consensus und rede von der früher253 versprochenen Hilfe nun zurückhaltend. Er, Calvin, wolle die Schrift gegen Westphal fertigstellen, bevor er darauf antworte.254 Farel versuchte daraufhin mäßigend zu wirken: Eine Erklärung aller Schweizer Kirchen würde viele mit ihnen versöhnen, aber auch eine Schrift Calvins allein werde diesem Ziel dienen. Bullinger habe sicher in bester Absicht versprochen, was er selbst wollte, habe nun aber das Problem, dass andere dem nicht zustimmten.255 Auch die Zürcher reagierten besänftigend und sagten Unterstützung zu: Bullinger beteuerte seine Übereinstimmung mit Calvin und versprach, ebenfalls eine Schrift gegen Westphal zu verfassen. Er lobte, dass Calvin schon mit der Gegenschrift beschäftigt sei, und bat ihn, das Manuskript vor dem Druck nach Zürich zu schicken.256 Wenig später wandte sich der Zürcher Pfarrer Johannes Wolf an Calvin, um neben Bullingers Text eine Streitschrift Bernadino 251

Vgl. dazu VENEMA, CORNELIS P., Bullinger’s Correspondence on Calvin’s Doctrine of Predestination, 1551–1553, in: SCJ 17 (1986), 435–450. 252 Bullinger an Calvin, 2.11.1555, CR 43 = CO 15, 854 f. (Nr. 2340): „in hac expositione cave, […] ne praedestinationis negotium ita proponas ut toti operi omnem auferas gratiam et te magis invisum reddas quam antea unquam. Abstinendum itaque puto ab huiusmodi loquutionibus: Adamum ita esse conditum ut non potuerit non pec-care […] Placuerunt mihi maxime quae aliquando scribebas […], asserens Deum non esse malorum autorem: stoi-cam necessitatem pugnare cum praedicatione evangelica. Scis etiam quae scripserit D. Melanchthon in hac causa.“ Zu Melanchthons Skepsis gegenüber Calvins Prädestinationslehre vgl. WENGERT, Epistolary Friendship, 26–33. 253 D.h. in der Diskussion um eine Unterzeichnung der Defensio, vgl. o. Kap. IV.2.4b. 254 Calvin an Farel, 23.11.1555, CR 43 = CO 15, 861 (Nr. 2345): „Quid nuper a me postulaverit Bullingerus ex eius literis intelliges quas ad te mitto. Videbis etiam quid ad caput illus respondeam, ubi periculum esse admonet si quae praedestinationis fiat mentio. Quod de conventu nihil tentandum putat, mihi neque novum est neque mirum. Hoc iam mihi responsum finxeram priusquam scriberem. Simul tamen videbis quam frigide ac cuntanter nunc de suo et ecclesiae Tigurinae patrocinio, quod initio plus quam liberaliter pollicebatur, spem mihi faciat. Ego vero, sicuti causam non alieni subsidii fiducia suscepi, ita nunc quamvis me fallant non desistam.“ 255 Vgl. Farel an Calvin, 30.11.1555, CR 43 = CO 15, 864 f. (Nr. 2348). 256 Vgl. Bullinger an Calvin, 27.11.1555, CR 43 = CO 15, 863 f. (Nr. 2347).

400

IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

Ochinos anzukündigen,257 der im Juni nach Zürich gekommen war, um das Pfarramt für die Flüchtlinge aus Locarno zu übernehmen.258 Auch Ochino selbst schrieb in diesem Sinne an Calvin.259 Calvin stimmte sich auch mit Vermigli als dem Initiator einer Antwortschrift ab: Dieser lobte Calvins Plan und wies nochmals auf den Punkt hin, den er bei Timann als argumentative Schwäche der Gegner ausgemacht hatte: Calvin solle speziell das ubique behandeln. Zudem kündigte er an, er werde in der Sakramentsfrage gegen den englischen Bischof Gardiner schreiben.260 Letzteres setzte er erst 1559 um, aber es bewog Calvin dazu, die englischen Ereignisse unter Verweis auf die zu erwartende Schrift Vermiglis auszusparen.261 Am 26.12.1555 war der Text der Secunda defensio fertig; Calvin teilte dies Bullinger, a Lasco und Wolf brieflich mit.262 Dass er sie einbezog, aber zugleich vor vollendete Tatsachen stellte, wird besonders gegenüber Bullinger deutlich: Calvin entschuldigt sich, er habe ihm wegen Zeitdruck die Schrift nicht vorab geben können. Nun sei sie im Druck; der Bote werde Bullinger den Anfang zeigen.263 Angesichts von Bullingers Mahnungen erwartet er wohl Kritik am Stil der Schrift: Er meint, in Bezug auf Westphal sei der Text heftiger geraten, als er vorgehabt habe. Zugleich bemerkt er, er habe die sanabiles nicht abschrecken wollen – hier ist wohl die (von Bullinger nur eingeschränkt geteilte) Haltung gemeint, die etwa in der Vorrede zum Ausdruck kommt: Calvin beansprucht weiterhin theologische Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation.264 Im gleichen Sinne äußerte Calvin sich gegenüber a Lasco, von dem er wohl befürchtete, er werde ihm wie bei der Defensio Verschleierung der Differenzen vorwerfen.265 Auch auf Wolfs Brief reagierte er freundlich.266 257

Vgl. Wolf an Calvin, 3.12.1555, CR 43 = CO 15, 878 (Nr. 2353). Zur Einsetzung Ochinos als Pfarrer der Locarneser Gemeinde in Zürich vgl. BENRATH, Bernadino Ochino, 207–210; TAPLIN, The Italian Reformers and the Zurich Church, 84 f. 259 Vgl. Ochino an Calvin, 4.12.1555, CR 43 = CO 15, 880–881 (Nr. 2355). 260 Vgl. Vermigli an Calvin, 8.12.1555, CR 43 = CO 15, 884 (Nr. 2357). Zu Vermiglis Streit mit Gardiner vgl. ANDERSON, Rhetoric and Reality, 457–459. 261 Vgl. u. Kap. IV.3.2d. 262 Die Datierung dieser Briefe, die auf „7. Kalendas Januarii 1555“ datiert und daher in CR am Jahresende 1554 eingeordnet sind, folgt TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 201 bei und mit Anm. 25; vgl. dort zur Begründung. 263 Vgl. Calvin an Bullinger, 26.12.1555, CR 43 = CO 15, 358 f. (Nr. 2070). 264 Ebd.: „Quia videbam nihil eum magis captare quam ut nobiscum immensas copias in certamen committeret, huic malitiae obviam ire visum est. Itaque artem adhibui, ut quam paucissimos offenderem. Ex lectione facili tibi patebit, quantum operae in deflectenda eorum qui sunt adhuc sanabiles invidia ac etiam mollienda indignatione positum sit. Hominem ipsum paulo asperius me quam putabam tractasse nunc drepehendo [!]. Sed quia fratres quidam sibi immodicam vehementiam videri negarunt me persuaderi non aegre passus sum.“ 265 Vgl. Calvin an a Lasco, 26.12.1555, CR 43 = CO 15, 360 (Nr. 2071). A Lasco hatte damals in diesem Sinne argumentiert, vgl. o. Kap. IV.2.4d. 266 Vgl. Calvin an Wolf, 26.12.1555, CR 43 = CO 15, 357 f. (Nr. 2069). 258

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 401

Am 23.1.1556 war der Druck der Secunda defensio abgeschlossen: Calvin schickte sie Bullinger und bat um dessen Urteil. Zugleich erhob er allerdings Vorwürfe: Er ziehe bislang allen Hass der Gegner auf sich und verschaffe so den Zürchern Ruhe.267 Bullinger antwortete prompt, aber ohne sich festzulegen: Er habe noch keine Zeit gehabt, die Secunda defensio zu lesen. Auf Calvins Vorwürfe reagierte er mit der Zusage einer eigenen Schrift gegen Westphal und mit der Mitteilung, Ochinos Werk sei bereits im Druck.268 Vermiglis Position zwischen Calvin und Bullinger zeigt sich wieder daran, dass er in parallel abgefassten Briefen beider Vorgehen unterstützte: Bullinger gegenüber lobt er Calvins Text, äußert Vorfreude auf Bullingers und Ochinos Schriften und entschuldigt sich, dass er selbst sich momentan am Vorgehen gegen Westphal nicht beteiligen könne.269 Calvin schreibt er, er habe die Defensio regelrecht verschlungen. Er finde sie keineswegs zu heftig und stimme Calvin zu, dass man keine Lehre um des Friedens willen unterdrücken solle, die Gott durch die eigene Kirche habe offenbaren wollen270 – stellt sich also gegenüber bucerischen Positionen in Straßburg auf Calvins Seite. Auch die diversen Flüchtlingsgemeinden steuerten Informationen bei: Während Utenhove verspätet eine Gegenschrift zur Iusta defensio erbittet,271 weiß der Pfarrer Poullain in Frankfurt von der Secunda defensio und möchte sie lesen. Er berichtet von Schnepfs Confessio, von a Lascos Ärger über eine Schrift zu Augustin (vielleicht Westphals Collectanea Augustini) und von Gerüchten über neue polemische Pläne von Westphal und Flacius.272 Das kommentiert Calvin: „Lutheranos conspirasse video ut librorum mole nos obruant.“273 Er teilt Bullinger mit, er hätte Schnepfs Buch berücksichtigt, wenn er früher davon erfahren hätte274 (so spielt es erst in der Ultima admonitio eine Rolle275). Im März lagen auch Bullingers und Ochinos Texte gedruckt vor. Auf der eigenen Seite wurden die drei Schriften Calvins, Bullingers und Ochinos als gemeinsames Projekt wahrgenommen, aber nicht immer einheitlich beurteilt: François Hotman aus Straßburg dankt Calvin wie Bullinger; ebenso a Lasco, der auch Ochinos Werk nennt.276 Beza äußert sich lobend über Bullingers 267

Vgl. Calvin an Bullinger, 23.1.1555, CR 44 = CO 16, 11 (Nr. 2379). Vgl. Bullinger an Calvin, 27.1.1556, CR 44 = CO 16, 16 (Nr. 2382). 269 Vgl. Vermigli an Bullinger, 17.2.1556, CR 44 = CO 16, 38 (Nr. 2392). 270 Vgl. Vermigli an Calvin, 16.2.1556, CR 44 = CO 16, 34 f. (Nr. 2390). 271 Vgl. Utenhove an Bullinger, 9.3.1556, CR 44 = CO 16, 70 f. (Nr. 2408); ders. an Calvin, 9.3.1556, CR 44 = CO 16, 67–69 (Nr. 2407). 272 Vgl. Poullain an Calvin, 8.2.1556, CR 44 = CO 16, 22 f. (Nr. 2385). 273 Calvin an Bullinger, [undatiert], CR 44 = CO 16, 52 (Nr. 2400). 274 Vgl. ebd. 275 Vgl. u. Kap. V.1.4b. 276 Vgl. Hotman an Calvin, 25.3.1556, CR 44 = CO 16, 81 (Nr. 2416); ders. an Bullinger, 25.3.1556, aaO., 84 (Nr. 2417); a Lasco an Bullinger, 30.3.1556, aaO., 89 (Nr. 2420); ders. an Calvin, 2.4.1556, aaO., 93 (Nr. 2423). 268

402

IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

Schrift, speziell über die Christologie.277 Johannes Haller aus Bern lobt Bullingers Apologetica expositio; Ochinos Verae doctrinae defensio hält er nicht inhaltlich, aber argumentativ278 für problematisch. An Calvins Secunda defensio kritisiert er die Heftigkeit und die exhibitive Abendmahlslehre.279 Das ist nicht nur aufschlussreich für Hallers anti-straßburgische Haltung, sondern auch dafür, dass die Texte theologisch wie stilistisch sehr verschieden sind. c) Westphals Partei als „Lutheropapisten“: Ochinos Syncerae et verae doctrinae defensio Bernadino Ochinos auf den 1.1.1556 datierte Syncerae et verae doctrinae de coena Domini defensio280 wendet sich sehr polemisch und mit wenig originellen Argumenten gegen Westphals Partei. Jedoch ist sie aufschlussreich für den Prozess der Konfessionsbildung, da hier eine bisher nicht vertretene Position des innerreformatorischen Spektrums sichtbar wird: eine auf Zwingli und andere Zürcher rekurrierende, dezidiert symbolische Abendmahlslehre,281 von der ausgehend Ochino die Streitgegner und andere Wittenberger Theologen als Quasi-Papisten betrachtet und eine Einigung mit ihnen für aussichtslos hält. Ausweislich des Titels wendet sich Ochino gegen drei Bücher Westphals.282 Gemeint sind Recta fides, Farrago und Collectanea Augustini, die er in seiner Schrift fortlaufend diskutiert.283 Er kennt auch die Iusta defensio, will diese aber nicht näher behandeln, da Calvin selbst darauf antworten wolle.284 Mit den drei anderen Schriften geht Ochino so um, dass er jeweils Westphals Text zitiert und dann die Aussagen des Zitats widerlegt. Das führt zu einer sehr ausführlichen und eher unsystematischen Argumentation.

277 Vgl. Beza an Farel, 16.3.1556, Corr. Béze II, 36 (Nr. 80); ders. an Bullinger, 20.3.1556, aaO., 38 (Nr. 81). 278 Diese Differenzierung betont zu Recht CAMPI, Conciliatione de dispareri, 79. 279 Vgl. Haller an Bullinger, 15.3.1556, CR 44 = CO 16, 73 (Nr. 2410). 280 OCHINO, BERNADINO, SYNCERAE || ET VERAE DOCTRINAE || DE COENA DOMINI DEFENSIO || […] contra || Libros tres Ioachimi VVestpha-||li […], Zürich: Andreas und Hans Jakob Geßner 1556, VD16 O 225. Zur Datierung vgl. aaO., a8v. 281 Zu einem ähnlichen Schluss kommt in der bisher eingehendsten Untersuchung des Werks CAMPI, Conciliatione de dispareri, 79: „Le pagine della ,Defensio‘ non presentano novitá tematiche, non sollevano nessun problema teologico che abbia parvenza di eterodossia, ma si inseriscono nella tradizione dello zwinglianesimo, ripropogono le ben note convinzioni dei sacramentari.“ Den polemischen Charakter des Textes betont speziell MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 88–91. So meint er, „Die Ansichten Westphals stellt Ochino auf das roheste und mit dem größten Mißverstande vor“ (aaO., 89). BENRATH, Bernadino Ochino, 214–218, bietet eine zusammenfassende Wiedergabe wichtiger Aussagen Ochinos. 282 Vgl. OCHINO, Doctrinae de coena Domini defensio, a1r. 283 Der erste Teil der Streitschrift (aaO., 1–144) attackiert die Recta fides, der zweite (aaO., 145–167) die Farrago, der dritte (aaO., 167–203) die Collectanea Augustini. 284 Vgl. aaO., 203.

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 403

Wie a Lasco sieht Ochino die Haltung der Streitgegner als unvollkommene Form von Reformation, zieht daraus allerdings andere Konsequenzen: Gegen das Argument Westphals und einiger Mitstreiter, Luthers Position habe als reformatorisch normativ zu gelten, da alle anderen Reformatoren von Luther abhängig seien,285 führt er aus, die „Lutherana Ecclesia“ sei chronologisch die erste erneuerte Kirche gewesen. Darum sei sie aber nicht die reinste, sondern habe es im Gegenteil noch nicht geschafft, alle päpstlichen Irrtümer abzuschütteln. Anderen evangelischen Kirchen sei das besser gelungen.286 Entsprechend wird Luther eingeordnet: Da er nach eigenem Zeugnis anfangs nicht prinzipiell gegen den Ablass, sondern nur gegen dessen Missbrauch geschrieben habe, sei auch sein Festhalten an der hergebrachten Abendmahlslehre nicht verwunderlich.287 Wirft a Lasco den Streitgegnern vor, ihr Verhalten sei ihrer eigenen reformatorischen Überzeugung nicht angemessen, ordnet Ochino sie eher auf die Seite der Papisten: Er sieht nicht nur die von Mitstreitern Westphals vertretene Lehre einer Präsenz Christi in den Elementen als papistischen Irrtum,288 sondern meint auch, die Behauptung Altgläubiger, die Lutherani lehrten wie sie, zeige schon, dass es sich faktisch auch bei der Lehre der Lutherani um eine papistische Auffassung handle, die weg von der geistlichen Betrachtung des Todes Christi und hin zu Spekulation über die Abendmahlselemente führe.289 Die Einordnung von Westphals Partei als quasi-papistisch zieht sich durch alle Teile des Werks. Im ersten, gegen die Recta fides gerichteten Abschnitt vertritt Ochino abendmahlstheologisch eine symbolische Position, die eher der 285

Vgl. dazu o. Kap. III.2.4a und IV.3.1a, zum Hintergrund des Arguments III.2.2a. OCHINO, Doctrinae de coena Domini defensio, a4v–a5v: „obijciunt aduersarij: Cum Lutherana Ecclesia prima omnium nostris temporibus Euangelium ab inferis reuocarit, nec solum ipsa Christum cognouerit, sed etiam hanc cognitionem alios docuerit (quanquam Zuinglius et eius discipuli non omnia Martino accepta referant) aequum esse, ut reliquae Ecclesiae per hanc Christo genitae, ei obediant, nihilque ab ea diuersum credant […] Neque enim recte sic ratiocinareris: Lutherana Ecclesia reliquas praecessit, ergo maiori diuinarum rerum lumine pollet. Sed hoc potius pacto: Lutherana Ecclesia prima omnium coepit Papisticas falsitates, errores, superstitiones et idololatrias […] extirpare, Igitur non omnes extirpauit. Ecclesiae uero reliquae uiam sibi apertam nactae, ulterius progressae sunt.“ 287 Vgl. aaO., a5v–a6r. 288 Vgl. aaO., a2v–a3r. 289 AaO., a4r–a4v: „Papistae laetantur miris modis quod Lutherani secum sentiant, asserentes Christi corpus esse in pane, et sanguinem in uino […] Quanquam enim Lutherani consentiant adorandum esse unum Deum, nihilominus quia istud diuinum est mandatum non ipsorum inuentum, non ita gloriantur. Hinc autem discere licet opinionem istam de praesentia corporis Christi in Sacramento Papisticam esse, non diuinam, quod cum Christus sacramentum hoc instituerit, ut per ipsum passionem suam et mortem (unde spiritualis uita nostra, iustitia, et salus pendet) consideraremus, Satan in angelum lucis transformatus, id est, in sanctissimum et beatissimum Papam, persuasit corpus Christi in pane esse, et sanguinem in uino, ut a uiua passionis Christi contemplatione, ad mortuam ociosi corporis in pane, et sanguinis in uino speculationem reuocaret.“ 286

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

Zürcher Haltung im Ersten Abendmahlsstreit entspricht als der aktuellen Lehre vieler seiner Mitstreiter: Die figurative Deutung der Einsetzungsworte betont er so stark, dass eher ein symbolisches Verständnis impliziert scheint als (wie zu dieser Zeit bei Bullinger290) eine Parallelität von geistlichem Geschehen und Abendmahlsempfang.291 Auch dass er die Lehre der Streitgegner als Nießung Christi cum pane beschreibt und die spiritualis manducatio per contemplationem dagegensetzt, legt nahe, dass er letztere nicht exhibitiv, sondern als glaubende Betrachtung versteht.292 Dagegen gilt ihm Westphals Lehre als quasipapistisch: „VVestphalus […] Papistarum dogmata omnia, quae a Martino reiecta non sunt, diuina censet.“293 In diesem Sinne parallelisiert Ochino das Verständnis der Sakramente als Heilsmittel mit der altgläubigen Annahme einer Vermittlung von supererogationis opera an andere Gläubige294 oder betont die der altgläubigen ähnelnde Liturgie wittenbergisch geprägter Kirchen.295 Im zweiten, gegen Westphals Farrago gerichteten Teil der Schrift konzentriert sich Ochino auf den Vorwurf, die Partei Calvins und der Zürcher vertrete widersprüchliche Auslegungen der Einsetzungsworte. Er meint klassisch, wenn Widersprüche ein Indiz für Häresie wären, würde das Westphals und nicht die eigene Seite als Häretiker erweisen.296 Vor allem aber betont er, das Argument sei prinzipiell falsch: Wenn interne Lehrdifferenzen ein Zeichen für Häresie wären, wäre keine Religion so häretisch wie das Christentum. Zudem hätten dann die Papisten recht, die mit diesem Argument die nos verunglimpften.297 Dass die Papisten untereinander übereinstimmten, zeige nur die Tyrannei der römischen Kirche; ebenso folgten die Gegner blind Luther.298 Für die eigene Seite dagegen betont Ochino, sie deute die Einsetzungsworte zwar verschieden, stimme aber in der summa überein – und fasst letztere gemäß 290

Vgl. u. Kap. IV.3.2e. AaO., 60: „Scimus quidem ea esse Christi verba, et verißima: ac pro veris admittimus. Respondemus autem: fieri utique posse vt cum Christus dixit: Hoc est corpvs mevm, dicere voluerit, Hic panis significat corpus meum; siquidem in scripturis sacris spiritus sanctus, saepenumero tropice loquutus est“. Markant auch aaO., 108–110. 292 AaO., 43: „Nostra vero coena non est imaginaria sicut vestra, certi enim sumus quod quantum ad corpus, edamus panem, et bibamus vinum: quantum vero ad spiritum, Christum pro nobis crucifixum et mortuum fide et spiritu manducemus. Contemnis nostram coenam, quia edimus et bibimus corpus et sanguinem Christi per contemplationem, hoc est, per fidem, quasi uero spiritualis haec manducatio inutilis et vana esset, cum Christianis nihil sit aeque necessarium. Cum autem nescias quonam alio pacto fidem contemnere, contemplationem eam vocas, praefersque viuae fidei mortis Christi, falsam illam imaginationem vestram, quod cum pane illum edatis, et bibatis cum vino.“ 293 AaO., 55, ähnlich deutlich etwa auch aaO., 46 f. 294 Vgl. aaO., 55 f. 295 Vgl. aaO., 36. 296 Vgl. aaO., 147–149. 297 Vgl. aaO., 146 f. 298 Vgl. aaO., 150 f. 291

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 405

seiner eigenen Lehre: Leib und Blut Christi seien nicht im Sakrament.299 Um diese Übereinstimmung zu belegen, geht er die von Westphal attackierten Theologen durch und deutet sie entsprechend – was für seine mit exhibitiven Positionen kaum vereinbare Auffassung freilich noch schwieriger ist als für die Perspektiven Calvins oder Bullingers, die ebenfalls alle Mitstreiter im Sinne ihrer jeweiligen Lehre interpretiert hatten.300 Besonders hebt er Zwingli, Bullinger und die Zürcher Pfarrer hervor und verteidigt bei ihnen auch explizit dogmatische Inhalte301 – diese Positionen stehen seiner eigenen Haltung auf dem theologischen Spektrum am nächsten. Bei Zwingli werden die Reinheit seiner Lehre und deren Normativität auch für die italienische, französische und englische Kirche so stark betont,302 dass dies auf eine besondere Identitätsbedeutung für Ochino schließen lässt.303 Bucers Position hingegen deutet Ochino rein als Rücksicht auf die Wittenberger Theologen: Bucer habe die Wahrheit erkannt, aber seinen Gesprächspartnern einen allmählichen Weg zu ihr eröffnen wollen.304 Auch Calvins Lehre diskutiert Ochino nicht inhaltlich, sondern hebt nur hervor, dass sich dieser nirgends selbst widerspreche und stets für die Einheit der Kirche engagiert habe.305 Bei Vermigli betont er die Freundschaft 299 AaO., 151 f.: „Nos vero quantum ad summam rei attinet consentimus omnes, credentes scilicet corpus et sanguinem Christi non esse in Sacramento, quia per uerbum Dei id nobis demonstrari non potest. Et hanc veritatem firmiter adeo et constanter tenemus, vt licet mille Martini, et Papae omnes, Ecclesiaeque et Synodi, homines et Angeli contrarium docerent, illis non simus credituri sine verbo Dei. Quod si nostri verba illa, Hoc est corpus meum, varijs modis interpretari sunt, ad hoc vt obstinato animo vestro et pertinaciae aliqua ex parte satisfacerent, non ob id haeretici censendi sunt, cum non dissentiant in rebus ad salutem necessarijs.“ 300 Dies vermerkt – polemisch – bereits MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 89: „Ochinus versteht aber ebenso wenig Calvins Lehre vom Abendmahl, wie Luthers. Er will die Übereinstimmung aller Reformirten zeigen, und behauptet, daß sie alle glauben, daß Christi Leib und Blut nicht im Sacramente sei.“ 301 Vgl. zu Bullinger aaO., 162–164; zu den Zürcher Pfarrern vgl. aaO., 159–161, zu Zwingli aaO., 155 f. 302 Ebd.: „Doctrinam Zuinglij de Sacramento synceram, veram, puramque esse, tum ex verbo Dei, a quo ne latum quidem vnguem discedit, manifestum abunde est, tum ex eo quod doctrina illa, utpote diuina, quo magis iactata fuit, eo magis ac magis confirmata est, latiusque diffusa: Adeo ut Itali, Galli, Angli, reliquique pij omnes doctrinam hanc, imo veritatem amplectantur, et ei adhaereant hoc solum Zuinglij dogma plus contradictionem passum est, quam reliqua omnia Martini dogmata. Martinus habuit sibi adhaerentem et fauentem Ducem vnum, neque alios habuit aduersarios in reliquis quae docuit, praeter Papistas. Zuinglius vero solo diuino fauore fretus, contra externos, ciuiles, et intestinos hostes dimicauit.“ 303 Vgl. in diesem Sinne auch CAMPI, Conciliatione de dispareri, 78. 304 AaO., 158 f.: „Bucerum certo scio Sacramenti huius veritatem tam clare cognouisse, atque alius quisquam. Verumtamen sicut Paulus Timotheum circuncidi passus est ut aditum haberet ad euangelizandum Iudaeis, ita Bucerus interdum verba sua circuncidit ad praeparandam viam, quo facilius et liberius errantes paulatim illuminaret.“ 305 Vgl. aaO., 164 f.

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

zu ihm und die „contra Papistas et Lutheranos“306 geführte Oxforder Disputation – das hätte Vermigli selbst so nicht vertreten: Er erhob in der Disputation den Anspruch, dass seine Lehre mit der Wittenberger Reformation übereinstimme.307 Ochino dagegen setzt seine Position für die eigene Seite normativ und geht auf dieser Basis davon aus, alle Vertreter des Zürich-Straßburger Spektrums stünden abendmahlstheologisch im Gegensatz zu den Lutherani. Im dritten, gegen die Collectanea Augustini gerichteten Teil der Schrift wirft Ochino Westphal einerseits vor, die Berufung auf Augustin sei bezeichnend für eine quasi-papistische Überschätzung menschlicher Autorität.308 Andererseits will er gemäß seiner Überzeugung, dass die eigene die altkirchliche Lehre ist,309 erweisen, dass Augustin auf der eigenen Seite steht.310 Deshalb leitet er her, dass die Einsetzungsworte nach Augustin bildlich auszulegen seien,311 und wirft Westphal vor, dieser behandle die Väter wie Papisten die Bibel: Er lege sich alles so zurecht, dass es zu seiner vorgefassten Deutung passe. 312 Quasi-papistisch ist für Ochino auch der Umgang der Gegenseite mit den Flüchtlingsgemeinden: Die von Westphal gelobte Ausweisung der Flüchtlinge durch den dänischen König und den Hamburger Rat entspreche der Verfolgung

306 AaO., 166: „si de meo Petro Martyre nihil hactenus dixi, duabus enim de causis id factum est, tum ne suspecta esset in ore meo illius laus, quia Italus est, tum quia ipsum satis laudis consecutum putem ex libris suis, praecipue ex disputatione de hoc Sacramento, vbi solus contra Papistas et Lutheranos disserebat.“ 307 Vgl. o. Kap. III.1.3b. 308 OCHINO, Doctrinae de coena Domini defensio, 167–169: „Sicvt papistice et impie agit, qui neglecto diuino auxilio confugit ad opem et auxilium sanctorum, ita papistice agit, qui hominum fauore, autoritate et testimonio in probandis diuinis et supernaturalibus rebus vtitur: Signum enim est non suppetere ei, neque fauere verbum Dei. In Actis Apostolicis ne vnum quidem locum inuenias vbi Apostoli hominum uerbis Euangelicam ueritatem comprobare conati sint […]. Non tamen nego Augustinum, Hieronymum, et huiusmodi viros rerum diuinarum lumine praeditos et sanctos fuisse. Fuerunt tamen homines […]. Quod si etiam certo scirem illos santos fuisse, fieri tamen potest vt peccaverint et erraverint in his ipsis verbis quibus VVestphalus utitur. Dubitandum itaque semper erit de illis verbis, vera sint nec ne, donec certiores reddamur […] Papistica res est, sanctos Deorum loco adorare, ita etiam eorum verba loco verborum Dei.“ 309 So explizit etwa aaO., 179: „annis amplius septingentis post Christi ascensionem nulla prorsus fuit de hoc Sacramento discordia: Simpliciter enim credebant, […] quod in panem et uinum non essent Christi corpus et sanguis.“ 310 So ausdrücklich aaO., 203. 311 Vgl. aaO., 185–198. 312 AaO., 171: „Quemadmodum vero Papistae, qui uniuersa in Decretis Papae contenta credere decreuerunt, scripturas non vt veritatem discant, sed vt eas ad rem suam detorqueant, legunt: Ita VVestphalus, qui decreuit credere quod corpus Christi sit in Sacramento, Doctorum scripta legit non vt eorum sententiam se Sacramento inuestiget, sed ut omnia iuxta sententiam suam interpretetur, et ab omni genuino sensu ad institutum suum detorqueat. Conijcere itaque potest quantam fidem habituri simus sinistris suis expositionibus.“

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 407

Evangelischer durch den Papst.313 Auch die Aussage, man solle die Streitgegner mit dem Zepter des Rats bekämpfen, hält er Westphal als unreformatorisch vor: Die wahre Kirche verlasse sich allein auf Gottes Wort, fleischliche Kirchen verließen sich auf Obrigkeit und Tradition: im Falle Westphals auf Konzilien und die Confessio Augustana.314 Ochinos Werk wurde Westphal und einigen Mitstreitern bekannt, die es dann heranzogen, um die Unvereinbarkeit der gegnerischen und der eigenen Position zu belegen315 – das wirkte angesichts von Ochinos symbolischer Abendmahlslehre und seiner polemischen Wendung gegen Lutherani bei ihm besonders eindeutig. Eine Gegenschrift verfassten sie aber nicht: Westphals Partei nahm nicht die Positionen als besonders gefährlich wahr, die sich auf dem theologischen Spektrum besonders weit von ihr entfernt befanden, sondern im Gegenteil diejenigen, die Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation erhoben. Das gilt etwa für die neue Streitschrift Calvins. d) Polemik gegen Westphal, positive Berufung auf andere Vertreter der Wittenberger Reformation: Calvins Secunda defensio Die auf den 5.1.1556 datierte Secunda defensio Calvins stellt eine klassische Gegenschrift zu Westphals Iusta defensio dar. Calvin hält darin sowohl an seiner abendmahlstheologischen Haltung fest als auch an seinem Postulat, diese stimme mit der Wittenberger Reformation überein.316 Jedoch grenzt er nun deutlich stärker die Lehre Westphals und anderer Streitgegner als nicht rechtgläubig aus dem reformatorischen Konsens aus. Programmatisch macht Calvin in der Secunda defensio weiterhin geltend, mit der Mehrheit der Wittenberger Reformation einig zu sein – in einer Weise, die eine Gegenkampagne von Westphals Seite auf sich ziehen sollte:317 Wie Vermigli vorgeschlagen hatte,318 widmet er sein Werk „probis omnibus Christi ministris, et sinceris Dei cultoribus, qui puram Evangelii doctrinam in Saxonicis ecclesiis et Germania inferiore colunt et sequuntur“319 und warnt sie davor, 313 Vgl. aaO., 174. Gemeint sind Westphals Aussagen in der Vorrede zu den Collectanea Augustini, vgl. o. Kap. IV.1.3b. 314 Vgl. OCHINO, Doctrinae de coena Domini defensio, 142 f. 315 Vgl. u. Kap. V.1.1c und V.1.2d. 316 Deshalb entsprechen die Urteile der Literatur weitgehend denen über die Defensio (vgl. o. Kap. IV.2.2b): EBRARD, Dogma vom heiligen Abendmahl II, 557–563, STÄHELIN, Johannes Calvin II, 214–218, und NIJENHUIS, Calvinus oecumenicus, 171 f. sehen in der Schrift einen weiteren Beleg für Calvins Streben nach einer Einigung aller Evangelischen und für seine theologische Übereinstimmung mit Melanchthon; SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 173–175, sowie MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 52–64, werten sie im Gegenteil als Beleg für die Unvereinbarkeit von Calvins und Luthers Lehre. 317 Vgl. dazu u. Kap. V.1.1. 318 Vgl. o. Kap. IV.3.2b. 319 CR 37 = CO 9, 45 f.

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

aufgrund der Angriffe von Westphals Seite die Einigkeit der evangelischen Kirchen gegen das Papsttum aufs Spiel zu setzen.320 Er postuliert also wie in der Defensio Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation und wirft Westphals Streitpartei vor, mit ihrer Polemik attackiere sie diese Einigkeit, störe den Konsens der Kirche und gefährde damit die Reformation als ganze. In diesem Sinne argumentiert Calvin auch mit der Geschichte der innerreformatorischen Abendmahlskontroverse: Er selbst sei früher von der Lektüre Zwinglis und Oekolampads durch Luthers Aussage abgeschreckt worden, sie sähen die Sakramente als leere Zeichen.321 Dann aber hätten 1529 in Marburg alle Beteiligten Abstand von ihrer vehementia genommen. Gegen Westphals Dissimulationsvorwürfe betont er, dass er in seinen Schriften nie seine wahre Meinung verborgen und damals niemand etwas dagegen vorgebracht habe.322 Er beruft sich also auf die 1530er und 1540er Jahre, in denen er in Straßburg tätig war und auf den Reichsreligionsgesprächen mit Wittenberger Theologen zusammenarbeitete, beansprucht, seine Haltung seitdem nicht verändert zu haben, und setzt die damalige Situation für das innerreformatorische Verhältnis normativ. Die von Westphal normativ gesetzte Situation, in der sich Luther um 1544/45 von den Zürchern abgegrenzt hatte, beschreibt er so, dass die gleichen Leute, die jetzt für Unruhe sorgten, Luther damals bewogen hätten, den Streit neu anzufachen. Der Consensus Tigurinus sei ein Versuch gewesen, diese Kontroversen zu schlichten – sei aber von Westphal angegriffen worden.323 Den Consensus deutet Calvin weiterhin als Ausdruck seiner eigenen Lehre, für die er sich – gegen Westphal, der bestritten hatte, dass Calvin sich auf die in Wittenberg als rechtgläubig anerkannte Straßburger Theologie berufen 320 AaO., 49 f.: „Fontes totius controversiae digito monstrare placuit, ex quibus pateret superbo magis adversae partis fastidio quam iusta esset causa dissidium, quod exstinctum esse debuerat, rursus accendi: cuius sit funestum et lamentabilem exitum timetis, ut certe timendus est, vos per sacrum Christi nomen et nostrae in ipso unitatis vinculum obtestor, ut quaerendo remdio certatim operam detis. Quaecunque oblata fuerit conciliationis ratio, ad eam amplexandam me non modo propensum fore, sed alacrem profiteor. Vestrae quoque et pietatis et humanitatis vicissim erit, quem cognoscitis optima fide et cum fructu non poenitendo sua omnia studio et labores in ecclesiae aedificationem conferre, potius sublevare, quam calcandum permittere importuni hominis libidini. Sed quid de me privatim loquor? Quin sanctae potius cum tot ecclesiis coniunctionis, quam iste abrumpere conatur, vobis habenda ratio est. Quiquid enim in contrariam partem blateret, in hunc fidei consensum, ex misera papatus dissipatione non humanitus nos coaluisse certum est.“ 321 Vgl. aaO., 51. 322 Aao., 51: „Porro antequam scribere aggressus sum, Marpurgi inter se colloquuti aliquid ex priore vehementia remiserant, ut si nondum plane esset serenitas, aliquantulum tamen discussa esset densior caligo. Hoc quidem mihi iure vendico, nunquam me ambigua loquendi forma captiose aliquid prae me tulisse quam sentirem. Postquam absque dissimulatione ita in lucem prodii, nullus ex dissentientibus, quorum tunc vigebat fama et autoritas florebat, signum offensi animi dedit.“ 323 Vgl. aaO., 52 f.; in ähnlichem Sinne aaO., 45 f.

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 409

könne – in Kontinuität zu Bucer sieht:324 Er macht geltend, im Consensus stehe nichts anderes als in seinen früheren Schriften; das zeigten Westphals Marginalien in der Farrago. Davon ausgehend wirft er Westphal vor, dieser habe seine Lehrauffassung vor dem Consensus toleriert und lehne sie jetzt nur darum ab, weil auch die Zürcher zustimmten.325 Hatte Westphal argumentiert, dass die Einigung mit Zürich eine Ketzerei Calvins offenbar mache, die sich bei genauerer Betrachtung bereits in dessen früheren Schriften finde,326 wird die Übereinstimmung dieser Texte bei Calvin zum Beleg dafür, dass nicht nur er selbst mit der in Wittenberg als rechtgläubig anerkannten Straßburger Lehre einig sei, sondern auch alle anderen Anhänger des Consensus Tigurinus. Wie in der Defensio beruft sich Calvin auf Autoritäten der Wittenberger Reformation, um zu belegen, dass seine theologische Haltung dort als rechtgläubig anerkannt sei. In Reaktion darauf, dass Westphal in der Iusta defensio und den Testimoniensammlungen die Rechtmäßigkeit dieser Berufung bestritten und Luther sowie andere einflussreiche Wittenberger gegen ihn ins Feld geführt hatte, differenziert er aber nun verstärkt innerhalb der Wittenberger Reformation:327 Weiterhin hält er fest, Westphal vereinnahme christliche Kirchen für seinen Kampf, in denen viele Gelehrte Calvins Seite nicht die brüderliche Gemeinschaft verweigerten, wenngleich sie nicht in allen Fragen mit ihr übereinstimmten.328 Hatte er sich in der Defensio jedoch auch auf Luther berufen, 324

Vgl. aaO., 73. AaO., 45 f.: „Surrexit biennio post Ioachimus quidem Westphalus, quem adeo non mitigavit temperata illa ad concordiam doctrinae simplicitas ut nomen Consensus instar furialis taedae ad renovandum incendium arripuerit. Nam ex professo sententias, ut ipse quidam videri vult, pugnantes, undique collegit, quibus Consensum nostrum dissiparet, tantoque pacis odio se flagrare prodidit, ut praecipuum suum virus, non alia de causa in nos evomeret, nisi quia aegre ferebat nos idem sentire et loqui. Scribit libros meos sectae suae hominibus, quo tempore ab ecclesiae Tigurinae doctoribus discrepare me putabant, in pretio et delitis fuisse. Unde nunc subita alienatio? An quod a sententiis discesserim? Atqui ne ipse quidem dissimulat, imo in margine libri sui ascripsit, quiquid Consensus noster continet, passim in scriptis meis occurrere. Quis iam non videt tam implacabile in homines, quibus semel bellum indixit, esse hominis odium, ut eandem cui ante favebat doctrinam nunc hostiliter impugnet, ne quid illis affine habeat? Excusat quidem alicubi, se non nisi fucatae concordiae esse inimicum. Sed qui fit, ut quam antehac doctrinam placide in scriptis meis legebat, nunc, ubi a Tigurinis profecta est, duriter aversetur?“ 326 Vgl. o. Kap. IV.3.1.a. 327 Diese Beobachtung verdanke ich Matthias A. Deuschle, der sie am 6.9.2016 im Rahmen des Arbeitsgesprächs „Transformation reformatorischer zu konfessionellen Identitäten? Zweiter Abendmahlsstreit und innerevangelische Konfessionsbildung“ in Tübingen vorgetragen hat. Er akzentuiert sie stärker in dem Sinne, dass Calvin durch die breite innerwittenbergische Unterstützung für Westphal die Problematik seiner bisherigen Berufung auf die Wittenberger Reformation deutlich geworden sei. Ich danke Herrn Deuschle für die freundliche Erlaubnis, auf seine (bislang unveröffentlichten) Ausführungen zu verweisen. 328 CR 37 = CO 9, 58 f.: „Christi ecclesias ad paucos suos sodales alliget, qui eodem fervent impetu. Semper enim graves et cordatos doctores excipio, qui illis permixti non modo 325

410

IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

führt er nun vor allem Melanchthon und ähnlich denkende Theologen an: Explizit nennt er Veit Dietrich und Caspar Cruciger, die ihm ihre Zustimmung zum Consensus versichert hätten.329 Gegen Westphal, der unter Verweis auf die Apologie bestritten hatte, dass Calvin sich zu Recht auf die CA berufe,330 beansprucht er weiterhin Übereinstimmung mit der CA (variata), fügt aber hinzu, wenn es über die Deutung der CA Streit gebe, sei der beste Interpret deren Autor: Melanchthon.331 Auf diesen und ähnlich denkende Theologen ist wohl auch das Postulat gemünzt, Leute, die mehr Autorität in Sachsen hätten als hundert Westphals, lehnten dessen Störung des kirchlichen Friedens ab.332 Anders als diese in seinen Augen mit ihm übereinstimmenden Wittenberger Theologen – und ambivalenter als in der Defensio – beurteilt Calvin Luther: Einerseits hebt er hervor, dass Luther keine Einwände gegen seine Schriften gehabt habe. Das könnten viele aus Luthers Umfeld bezeugen, speziell Melanchthon.333 Wie in der Defensio klassifiziert Calvin Luthers Aussagen über die Präsenz des wahren und natürlichen Leibes Christi im Abendmahl als Übertreibungen, meint aber nun, Luther wäre nie zu solchen Aussagen gelangt, wenn er nicht dazu angestiftet worden wäre334 – und diejenigen, die Luther zu solchen Polemiken bewogen haben, sind ihm zufolge die aktuellen Streitgegner.335 Entsprechend meint er, Westphals Seite schmälere Luthers Ruf: Sie unterstelle ihm, er habe nicht zwischen der (von Calvin vertretenen) Lehre einer spiritualis manducatio und der Deutung der Abendmahlselemente als leerer placite se continent, sed utcunque paululum a nobis dissentiant, non tamen a fraterna societate abhorrent: et quia de summa inter nos convenit, pacem libenter nobiscum fovent ac colunt: adeoque reconciliatam inter ecclesias gratiam summopere cupiunt.” 329 Vgl. CR 37 = CO 9, 96 f. Ob beide tatsächlich in diesem Sinne Stellung genommen hatten, ist unklar. Dietrich hatte sich aber über frühere Schriften Calvins positiv geäußert, vgl. Dietrich an Calvin, 3.2.1546, CR 40 = CO 12, 265 f. (Nr. 758). 330 Vgl. o. Kap. IV.3.1a. 331 CR 37 = CO 9, 91: „alios deinde transitus facit, iam esse manifestum, quam mihi pulchre conveniat cum Augustana confessione […] breviter repeto quod iam semel attigisse satis erat, in confessione, qualis Ratisbonae edita fuit, verbulum non exstare doctrinae nostrae contrarium. Si qua in sensu ambiguitas incidat, nullum magis idoneum esse interpretem, quam autorem ipsum: cui etiam id honoris pro suo merito facile pii omnes et eruditi deferent.” 332 Vgl. aaO., 59. 333 Vgl. aaO., 51 f. 334 AaO., 69: „Atqui si quid habeat Luthero affine, eius autoritate crimen hoc probe dilutum esse putat. Scripsisse autem Lutherum refert, sibi eodem esse loco quicunque credere renuunt in sacra coena verum et naturale esse Christi corpus. Hoc quidem nimis imperiose, qui sententias longe remotas adeo non dignatur discernere, ut praeter naturam misceat. Atque hic locus amplo documento est, quam non temere dixerim Lutherum pravis delationibus accensum nimis verhementer causam hanc egisse. Quis enim non melius sibi temperaturum fuisse videt, nisi alieno impulsu provectus esset ad hanc hyperbolen?“ 335 So etwa aaO., 52: „Accidit postea infeliciter, ut Lutherus ab iisdem accensus flabellis, quibus nunc turbatur ecclesiae quies, privatim adversus Tigurinos rursum excandesceret.“

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 411

Zeichen unterscheiden können.336 Westphals These, Luther habe nach dem Marburger Gespräch über die Gegner nicht anders gedacht als vorher, setze voraus, dass Luther damals Frieden nur simuliert habe.337 Die Wittenberger Reformation zerfällt für Calvin also nun in die mit Melanchthon identifizierte Mehrheit, mit der er sich einig sieht, Westphals Partei, die er angreift, und den ambivalent beurteilten Luther zwischen diesen zwei Gruppen. Entsprechend der Beurteilung der Wittenberger Reformation verschiebt sich die der gegnerischen Lehre: Hatte Calvin in der Defensio den Streitgegnern vorgeworfen, von einem geteilten reformatorischen Konsens aus problematische Folgerungen zu ziehen, weist er jetzt ihre Position als Irrlehre zurück. So hält er gegen den Vorwurf, die Anhänger des Consensus Tigurinus verträten widersprüchliche Abendmahlstheologien, nicht nur wie bekannt fest, dass Unterschiede in der Formulierung keine Diskrepanz in der Sache bedeuteten, sondern beantwortet auch die von Westphal vorgenommene Zusammenordnung mit Täufern und Davidianern, indem er Westphal mit dem allgemein als besonders schlimmer Ketzer wahrgenommenen Servet assoziiert.338 Seine Ablehnung der manducatio impiorum verteidigt er nicht nur in dem Sinne, dass Ungläubigen seiner Lehre zufolge nicht etwa Gottes Heil nicht angeboten würde, sondern sie es nicht annähmen – er wirft Westphal auch vor, einen von seinem Geist getrennten Christus zu behaupten, da Christi Geist lebendig mache und sonst auch Ungläubigen ewiges Leben schenken müsse.339 Während sich die Abgrenzung gegen die Streitgegner verschärft, hat die dem zugrunde liegende positive Lehre sich kaum verändert: Gegen Westphals These, er gehe von leeren Zeichen aus, setzt Calvin wie bekannt den Anspruch, dass sich Christus in seiner geistlich-exhibitiven Sicht real mitteile, identifiziert diese Lehre mit dem Consensus Tigurinus und beansprucht, dass sie mit der CA in der Deutung ihres Autors Melanchthon übereinstimme.340 Jedoch

336

Vgl. aaO., 69. Vgl. CR 37 = CO 9, 92. 338 Vgl. aaO., 61. Zur zeitgenössischen Wahrnehmung Michael Servets vgl. VAN VEEN, Calvin und seine Gegner, 161 f. 339 Vgl. CR 37 = CO 9, 88 f. 340 AaO., 68: „Summa tamen est, vero nobis Christum offerri per sacramenta, ut eius facti participes bonis eius omnibus potiamur, ut denique ipse vivat in nobis, et nos in ipso. Qui ex adverso clamitat, statui a nobis vacua signa, an non aperte Christum totamque eius virtutem in nihilum redigit? Nam si quid est Christus, et si quo in pretio habentur spirituales eius divitiae, pignus quo se nobis communicat, vacuum et inane dicendum non est. […] Ac ne litigando plus verborum consumam, respondeat ipse uno verbo, si contendit vacua esse signa, an non aperte Christum totamque eius veritatem in nihilum redigit?“ AaO., 70: „Si nos in Consensu quod continet Augustana confessio complexos esse dixi, non est quod me astutiae insimulet. Verbis enim subscribo, quae illic etiam recitavi. De sensu, quia idoneus iudex non est Westphalus, ad quem potius, quam ad autorem ipsum provocabo?“ 337

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

grenzt er diese geistliche Nießung nun klar gegen die Annahme einer lokalen Präsenz des menschlichen Leibes Christi im Abendmahl ab341 und meint: „Praesentiam carnis Christi in coena urget Westphalus: nos simpliciter non negamus, modo nobiscum fide sursum conscendat. Sed corporali modo sisti Christum si intelligit, alios quaerat suffragatores. […] nihilo nobis minus displicet ficititia ubiquitas, quam mathematica sub pane circumscriptio. Negabit Westphalus se physicam Christi praesentiam imaginari, quia linealiter corpus sub pane non includat. Ego autem excipio, non minus perperam eum facere, dum Christo immensum affingens corpus, ubicunque peragitur coena, illic adesse contendit.“342

Calvin beansprucht also nicht nur, dass seine eigene Position rechtgläubig sei, sondern weist auch die Lehre der Streitgegner dezidiert als christologisch nicht rechtgläubig zurück. Das gilt neben Timanns These, dass der menschliche Leib Christi ubique sei, auch für die Auffassung Westphals, der sich in dieser christologischen Frage nicht festgelegt hat: Da Westphal eine körperliche – und damit auf die menschliche Natur bezogene – Präsenz Christi in jedem Abendmahlsvollzug annimmt, muss er in Calvins Augen von der gleichen Allgegenwart der menschlichen Natur ausgehen wie Timann. Gegen Westphals Verketzerung einer absentia Christi secundum corpus setzt Calvin daher nicht nur das Argument, dass die von ihm festgehaltene geistliche Selbstmitteilung Christi beim Abendmahl mehr sei als eine bloße Einwohnung des Geistes,343 sondern wirft Westphal auch vor, gegen den kirchlichen Konsens zu verstoßen. Er bestreite faktisch die Himmelfahrt – denn diese impliziert für Calvin, dass Christi menschlicher Leib seitdem nicht mehr auf Erden ist, da er als menschlicher Körper die Eigenschaft hat, nicht an zwei Orten zugleich sein zu können. Daher meint er, die gegenteilige Annahme Westphals mache aus Christus ein fallax et inane spectrum statt eines wirklichen Menschen.344 Nicht seine, sondern Westphals Seite argumentiere also arianisch.345

341 AaO., 72 f.: „Colligit enim manifeste me praesentiam substantiae corporis negare, si tantum exhibetur Christi corpus: quia vis eius spiritualis erga fideles se exserit. Si de locali praesentia litigat, fateor sane me abhorrere ab hoc crasso commento. Neque enim aliter Christum in coena statuo praesentem, nisi quia fidelium mentes, sicuti illa est coelestis actio, fide supra mundum evehuntur, et Christus spiritus sui virtute obstaculum, quod afferre poterat loci distantia, tollens, se membris suis coniungit.“ 342 AaO., 73. 343 Vgl. aaO., 76. 344 AaO., 76 f.: „Wesphalo intolerabilis est loquutio, Christum in coelo totum mentem sua ad nos virtute descendere, quia credat ecclesia, ubicunque coena peragitur, praesens esse eius corpus: modo praesentiae modum quem exposui amplectatur, non dissentio. Si vero Christum […] e coelo elicere velit, ipse sibi est ecclesia. […] Scriptura quum de Christi ascensu loquitur, simul inde venturum pronunciat. Si nunc secundum corpus occupat totum mundum, quid aliud vel fuit ascensus eius, vel erit descensus, quam fallax et inane spectrum?“ Vgl. auch aaO., 78–80. 345 Vgl. aaO., 87 f.

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 413

Gegen Westphals Argumentation, dass Calvin mit seiner Behauptung einer substantialen Präsenz Christi im Abendmahl Rechtgläubigkeit simuliert, dahinter aber eine ketzerische Position verborgen habe, betont Calvin, er habe die substantiale Präsenz stets anders verstanden als Westphal und darüber nie dissimuliert: Er spreche von Substanz in dem Sinne, dass durch die Kraft des Geistes die Seelen mit der Substanz des Fleisches Christi ernährt würden, eine localis inclusio dieser Substanz in die Abendmahlselemente schließe er dagegen aus.346 Die Ablehnung einer räumlichen Einschließung erinnert nicht zufällig an die Wittenberger Konkordie: Calvin hält Westphal vor, sich mit der Attacke auf sein Verständnis des Substanzbegriffs gegen eine in Wittenberg als rechtgläubig anerkannte Straßburger Lehrposition zu wenden.347 Auch seine Tauflehre verteidigt Calvin eingehend gegen die Ketzervorwürfe aus der Iusta defensio (noch nicht gegen De vi, usu et dignitate baptismi, das erst einige Monate später erschien348). Vor allem betont er, seine Lehre, dass das Heil vom Wirken des Geistes abhänge, mache die Taufe keineswegs zum rein äußerlichen Bekenntniszeichen: Gott selbst bewirke innerlich, was das Wirken des Pfarrers äußerlich anzeige; insofern sei die Taufe ingressus et receptio in ecclesiam.349 Auch die Auffassung, dass ungetauft verstorbene Kinder 346 AaO., 70 f.: „Colligit si in ea fide, quam ante annos circiter viginti professus sum adhuc persto, me nihil minus credere, quam substantialiter in coena dari Christi corpus. Ego vero, quamvis substantia carnis Christi animas nostras vere pasci fatear, substantialem praesentiam, quam imaginatur Westphalus, non minus hodie quam olim repudio. Neque enim si vivifica est nobis caro Christi, ideo transfundi in nos eius substantiam necesse est. Sublato hoc transfusionis commento, de voce substantiae controversiam movere nunquam mihi venit in mentem, nec unquam dubitabo fateri, arcana spiritus sancti virtute vitam in nos diffundi ex eius carnis substantia, quae non abs re cibus coelestis vocatur. Hac in re constanter asserenda maior semper fuit mea simplicitas, quam ut ad lucem eius obscurandam, vel labefactandam fidem, tuae calumniae vel minimum proficiant. Efficaciter exhiberi in coena dixi Christi corpus, non naturaliter, secundum virtutem non secundum substantiam. Quo posteriore membro, localis substantiae inclusio a me notata fuit. […] Corpus Christi vere spiritualem esse cibum, cuius substantia animae nostrae pascuntur et vivunt, idque non minus vere in sacra coena nobis praestari, quam externo symbolo figuratur: modo ne corpus quasi e coelo detractum in pane quispiam falsa imaginatione includat. Quia Westphalum offendit haec exceptio, anguillam cauda non posse teneri clamat.“ 347 Zur Wittenberger Konkordie und ihren verschiedenen Deutungen vgl. o. Kap. II.3.4. 348 Vgl. o. Kap. IV.3.1d. 349 CR 37 = CO 9, 115 f.: „quia baptismus solennis agnitio est, qua Deus liberos suos in vitae possesionem deducit, vera et efficax promissionis obsignatio, pignus sacrae cum Christo coniunctionis, me-rito ingressus et receptio in ecclesiam esse dicitur. Et quia mortua non sunt spiritus sancti organa, vere per baptis-mum efficit ac praestat Deus quod figurat. […] Frivolum […] est cavillum, me ludere ambiguo sermone, ac si receptio, quae fit per baptismum, nihil aliud foret, quam externa coram hominibus declaratio: si quidem palam affirmo, nobis in baptismo cum Deo esse negotium, qui non modo paternum amorem testando fidem nobis suam obligat, ut de salute nostra certo simus persuasi, sed etiam quod per ministri manum figurat, ipse intus sua virtute sancit.“

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

von Gläubigen gerettet seien, stehe nicht im Widerspruch zu einer solchen Heilsbedeutung des Sakraments: Die Kinder seien Gott – im Rahmen des Bundes – auch vorher nicht fremd; wohl aber bezeuge er in der Taufe ihre Annahme zum Heil.350 Dafür beruft Calvin sich nicht nur auf Paulus und andere biblische Gestalten, die schon vor der Taufe Glieder der Kirche gewesen seien,351 sondern postuliert auch, dass nur seine und nicht Westphals Lehre eine Verteidigung gegen täuferische Ansichten ermögliche: Wären Kinder nicht Teil des Bundes und schon vor der Geburt von Gott angenommen, ließe sich ihre Taufe nicht begründen.352 Anders als Westphal setzt er bei der Taufe keinen Glauben der Kinder voraus: Westphals Zitat „Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden“ (Mk 16,16) ist in seinen Augen der klassische täuferische Beleg dafür, dass man nur bekenntnisfähige Erwachsene taufen dürfe.353 Der Umgang mit Westphals Vorwürfen über Kirchenbräuche, Dekalogzählung und ähnliche Fragen lässt erkennen, dass diese Aspekte auch für Calvin zwar grundsätzlich Adiaphora darstellen, aber für sein reformatorisches Selbstverständnis von nicht unerheblicher Bedeutung sind: Er hebt jeweils hervor, dass die Praxis der eigenen Kirche Schrift und Alter Kirche gemäß sei, die von Westphal als kirchlicher Konsens deklarierte nicht. So arbeitet er beispielsweise für die Perikopenfrage heraus, dass die Väter Bücher der Schrift fortlaufend behandelt hätten. Später habe man dann versucht, Passagen auszuwählen, die zum jeweiligen Fest passten. Meist seien dies aber solche, welche die (altgläubige) Lehre der Postillen stützten.354 Dass Luther diese Ordnungen nicht abgeschafft habe, sei nicht zu tadeln, man dürfe das Resultat aber nicht zum Gesetz machen.355 Zudem wirft er Westphal vor, alle Kirchen aus dem kirchlichen Konsens auszuschließen, die liturgisch nicht Wittenberg und Hamburg folgten, und nennt als Beispiele Straßburg, Augsburg und Frankfurt:356 lauter Städte, deren Reformation von Straßburg beeinflusst ist; Frankfurt als Ort des aktuellen Konflikts zwischen Flüchtlingen und Stadtpredigern. 350

Vgl. aaO., 114. Vgl. aaO., 115. 352 Ebd.: „Si tecum Anabaptista quispiam disceptet, non alia tibi, opinor, succurret defensio, quam ad baptismum iure recipi, quos Deus adoptavit antequam nascerentur, et quibus se fore in patrem pollicitus est. Nisi enim gratiam suam a patribus in filios transmitteret Deus, infantes ab utero recentes in ecclesiam recipere, mera baptismi profanatio esset.“ 353 AaO., 116: „De infantibus quaestio inter nos vertitur: eos contendit baptismo fieri Christi membra, et votae haeredes. Quo testimonio hanc sententiam confirmat? nempe quod spem salutis infantibus praecideret, nisi constaret de adultis tantum intelligi, qui per aetatem iam ad credendum idonei sunt. Dum paedobaptismum impugnant fanatici homines, non sine specioso colore ex hoc loco ratiocinantur, everti positum a Christo ordinem, nisi baptismum fides praecedat. Apte refellitur eorum error, quod illic nominatim agat Christus de evangelii praedicatione, quae non nisi ad homines adultos dirigitur.“ 354 Vgl. aaO., 103 f. 355 Vgl. aaO., 100. 356 Vgl. aaO., 100 f. 351

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 415

Westphals Anspruch, den auch politisch normativen reformatorischen Konsens zu vertreten, hält Calvin schließlich entgegen, trotz den Versuchen, ganz Germania gegen ihn und seine Mitstreiter aufzubringen, sei es in den meisten Kirchen ruhig geblieben.357 Westphals These, dass die Kirchen Frankreichs und Italiens auf seiner Seite stünden, kontert er mit dem Verweis auf eine Vielzahl dortiger Märtyrer (d.h. von altgläubigen Obrigkeiten hingerichteter Evangelischer), deren Übereinstimmung mit seiner eigenen Lehre belegt sei,358 und führt speziell für Frankreich eine regelrechte Statistik von Personen an, für die das gelte – durch seine Kontakte ist Calvin über die Entwicklungen in Frankreich detailliert im Bilde und kann Westphals allgemeine Berufung auf die dortige Reformation mit konkreten Daten beantworten.359 Zudem wirft er Westphal vor, durch seine Ketzervorwürfe das Feuer gegen solche Märtyrer Christi weiter anzufachen.360 Ebenso reformatorisch unsolidarisches Verhalten sieht er in Westphals Beurteilung der Ereignisse in England: Er verweist für eine ausführliche Darstellung auf Vermigli (gemeint ist dessen brieflich angekündigte Schrift gegen Gardiner361), betont aber, wenn Westphal sich gegen die Hoffnung auf Dauerhaftigkeit der evangelischen Kirche in England wende, greife er neben dem umgestürzten aedificium pietatis der edwardianischen Reformation auch die dortigen Evangelischen an, die im Zuge der Gegenreformation Maria Tudors verfolgt würden.362 Ebenso sei es grausam gewesen, den Londoner Flüchtlingsgemeinden in den norddeutschen Städten und in Dänemark keine Gelegenheit zur Rast zu gewähren.363 Hier knüpft eine an a Lasco und Micron erinnernde Argumentation in Bezug auf die Wahrheitskriterien beider 357

Vgl. aaO., 55 f. AaO., 56 f.: „Ne tamen credatur numero inferior, in suam factionem trahere non dubitat, qui in Gallia et Italia puram evangelii doctrinam amplexi solo metu a libera professione retinentur. Hic vero […] fas non est tacere, ne perfida dissimulatione confessionem a sanctis Christi martyribus proditam obruere volens ac sciens videar. Quando tam stupide es, Westphale, ut pro nihilo ducas sacrum illum sanguinem, quo obsignata fidei nostrae veritas fuit, scito quum ab annis quindecim centum vel etiam plures in Gallia non minus alacriter ad mortem imprimis terrificam se obtulerint, quam tu superbe in otio tuo tripudias, ne unum quidem fuisse, qui nobis non subscripserit.“ 359 Vgl. aaO., 57. Zur Verfolgung von Evangelischen in Frankreich vgl. überblicksweise BENEDICT, Christ’s Churches Purely Reformed, 127–145; zur Bedeutung dieses Zusammenhangs für den Abendmahlsstreit s.o. Kap. III.1.1a; III.2.2b. 360 CR 37 = CO 9, 57: „Coelum et terram testor de re probe comperta me loqui, si crudeliter hactenus saevium fuit in plurimos Christi martyres, ignem, quo consumpti sunt, maxime eorum vocibus tanquam flabellis fuisse incensum, quibus in sacramentarios vociferari summa pietas fuit.“ 361 Vgl. o. Kap. IV.3.2.b. 362 Vgl. CR 37 = CO 9, 97 f. Zur Situation der Evangelischen unter Maria Tudor vgl. PETTEGREE, ANDREW, Marian Protestantism. Six Studies, Aldershot 1996 (StASRH). 363 Vgl. CR 37 = CO 9, 113, zu den hier angesprochenen Ereignissen in Norddeutschland und Dänemark vgl. o. Exkurs A. 358

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IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

Parteien an: Die Berufung auf Berengars Verurteilung stütze die Tyrannei der Bischöfe; die Verurteilung aller Aussagen, die nicht der eigenen Ansicht entsprächen, sei papistisch.364 Für die eigene Seite macht Calvin dagegen geltend, sie sei zum Gespräch bereit und fordere eine Beurteilung anhand der Schrift – und parallelisiert dies mit den Forderungen CA-verwandter Fürsten auf den Reichstagen, denen die altgläubige Seite nicht entsprochen habe.365 Gegen die Secunda defensio wandten sich im Folgenden besonders viele Schriften von Westphals Seite – wiederum nicht nur gegen Calvins theologische Haltung, sondern auch gegen seinen Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation und die damit verbundene These, Westphals Partei verstoße gegen diesen reformatorischen Konsens. Zunächst aber trat ein Mitstreiter Calvins mit einer anders akzentuierten Argumentation hervor. e) Betonung eigener Rechtgläubigkeit und Friedfertigkeit im Kontrast zu den Streitgegnern: Bullingers Apologetica expositio Mit seiner auf Februar 1556 datierten, wenig später erschienenen Apologetica expositio366 unterstützt Bullinger Calvin, argumentiert dabei aber nicht analog zu diesem, sondern im Sinne der Position, die Bullinger schon zuvor kritisch gegen das Konzept von Calvins Defensio gesetzt hatte:367 Anders als Calvin geht er nicht davon aus, dass die eigene Seite mit der Mehrheit der Wittenberger Reformation übereinstimmt, sondern sieht die Wittenberger theologisch im Widerspruch zur Zürcher Auffassung. Anders als Ochino sieht er aber die Wittenberger dennoch als Teil der Reformation und wahren Kirche. Insofern kann er sich zwar keine gesamtreformatorische Einigung auf gemeinsame Positionen vorstellen, wohl aber prinzipiell gegenseitige Toleranz – die er allerdings durch die Polemik Westphals und seiner Parteigänger verunmöglicht sieht. Daher konzentriert sich Bullinger in der bisher vor allem in Spezialuntersuchungen behandelten368 Schrift darauf, die Rechtgläubigkeit und Friedfertigkeit der eigenen Seite zu verteidigen. Besonders eingehend behandelt er die Christologie und die Rückführung der eigenen Lehre auf die Kirchenväter. 364

Vgl. CR 37 = CO 9, 57 f. Vgl. CR 37 = CO 9, 99. 366 BULLINGER, HEINRICH, APOLOGETICA EX-||POSTITIO, || QVA OSTENDITVR || TIGVRINAE ECCLESIAE MINISTROS || nullum sequi dogma haereticum in Coena domini, li-||bellis quorundam acerbis opposita […], Zürich: Andreas und Jakob Geßner 1556, VD16 B 9548. Vgl. für die Datierung aaO., 125; für das Erscheinen o. Kap. IV.3.2b. 367 Vgl. dazu o. Kap. IV.2.3. 368 Vgl. SCHULZE, Bullingers Stellung zum Luthertum, 292–300; ROREM, Calvin and Bullinger on the Lord’s Supper, 382. BURNETT, Bullinger and the Problem of Eucharistic Concord, widmet sich zwar nicht speziell dieser Schrift, arbeitet aber anhand zeitlich paralleler Briefe zahlreiche Aspekte heraus, die auch für die Interpretation der Apologetica expositio aufschlussreich sind. Unter den Darstellungen des Zweiten Abendmahlsstreits befasst sich allein MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 84–87, näher mit dem Text. 365

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 417

Als Anlass der Schrift nennt Bullinger, dass verschiedene Autoren nun schon fünf Werke gegen die nos veröffentlicht hätten, vielleicht auch mehr.369 Gemeint sind ausweislich der Argumentation Westphals Farrago, Recta fides, Collectanea Augustini und Iusta defensio sowie Timanns Farrago – die Texte, deren Kenntnis auch in Bullingers Briefwechsel belegt ist.370 Indem er auf die gleichzeitigen Streitschriften Calvins und Ochinos gegen Westphal verweist, macht er deutlich, dass die drei Texte zusammengehören.371 Die Schrift ist von der Identitätsvorstellung geprägt, welche die Zürcher in ihrem Bekenntnis von 1545 entwickelt hatten.372 Das zeigt schon der Titel: „Apologetica expositio, qva ostenditvr Tigvrinae Ecclesiae ministros nullum sequi dogma haereticum in Coena domini, libellis quorundam acerbis opposita, et ad omnes synceram ueritatem et sanctam pacem amantes Christifideles“:373

Bullinger sieht die eigene Seite als friedfertig und verortet die Aggression auf Seiten der Gegner, will aber – anders als Calvin oder a Lasco – keine theologische Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation postulieren, sondern allein die eigene Rechtgläubigkeit verteidigen. Entsprechend betont er, er sehe sich angesichts der verketzernden Angriffe auf die Zürcher Kirche zu einer Antwort gezwungen: Hier spricht Bullinger als Zürcher Antistes.374 Herausgestellt wird zudem Westphals und Timanns Vorwurf, Calvins und Bullingers Partei vertrete Lehren, die im Widerspruch zu Vätern und kirchlichem Konsens stünden.375 Um diese These zu entkräften, führt Bullinger ausführlicher als andere Autoren dieser Seite seine Lehre auf die Alte Kirche zurück. Ebenso entspricht es dem seit 1545 bekannten Zürcher Selbstverständnis, wenn er betont, er wolle auf die Beschimpfungen nicht genauso persönlich reagieren376 – daher handelt es sich im Ton um die unpolemischste der vier Verteidigungsschriften, während Bullinger sich inhaltlich massiver gegen Westphals Lehre abgrenzt als beispielsweise Calvin.377 369

Vgl. BULLINGER, Apologetica expositio, 3. Vgl. zu Westphals Farrago und Recta fides o. Kap. IV.2.1a; zur Iusta defensio und zu Timanns Farrago o. Kap. IV.3.2b; zu den Collectanea Augustini Bartholomäus Bertlin an Bullinger, 6.3.1555, CR 43 = CO 15, 490 f.; ders. an dens., 22.5.1555, aaO., 621 (Nr. 2208). 371 Vgl. BULLINGER, Apologetica expositio, 114 f. Bullinger führt unter anderem aus, dass er Westphals Vorwürfe gegen die Tauflehre der eigenen Seite nicht näher behandeln wolle, weil Calvin das in der Secunda defensio bereits getan habe. 372 Vgl. dazu o. Kap. II.5.2. 373 BULLINGER, Apologetica expositio, 1. 374 Vgl. aaO., 3 f. und dazu BURNETT, Bullinger and the Problem of Eucharistic Concord, 239–241. 375 Vgl. BULLINGER, Apologetica expositio, 4. 376 Vgl. aaO., 5–7. 377 Insofern dürfte es in dieser Allgemeinheit nicht haltbar sein, wenn ROREM, Calvin and Bullinger on the Lord’s Supper, 382, meint: „In contrast to Calvin’s Defensio, Bullingers’s work is more irenic.“ Vgl. im Folgenden. 370

418

IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

Wie Bullinger das Verhältnis der eigenen Kirche zu den Streitgegnern einschätzt, zeigt sich im Abschnitt „Consentire non dissentire nos in causa Coenae Domini“:378 Er schildert Westphals Farrago als Angriff auf den Consensus Tigurinus.379 Gegen Westphals These, dass die Anhänger des Consensus widersprüchliche Auslegungen der Einsetzungsworte verträten, hält er fest, „in doctrina Euangelica, et in causa Coenae Domini“ stimmten neben den Schweizer Kirchen auch Vermigli, a Lasco und andere renommierte Theologen überein.380 Zudem wirft er Westphal und dessen Mitstreitern vor, die Anhänger des Consensus so zu behandeln, wie die Papisten seinerzeit Luther behandelt hätten.381 Er folgert daraus aber weder wie a Lasco, dass die Streitgegner aufgrund ihrer reformatorischen Überzeugung die eigene Position übernehmen müssten, noch ordnet er sie wie Ochino zu den Papisten. Bullinger meint vielmehr: „Viuenti D. Luthero et hanc nobis diuersitatem interpretationum obijcienti, opposuimus morem catholicae et orthodoxae veteris ecclesiae, quae diuersas et non raro contrarias inter se eiusdem loci interpretationes habuit: neque tamen ob tam spectabilem diuersitatem, interpretes, quisquam haereseos aut corruptionis scripturarum condemnauit.“382

Bullinger diagnostiziert also einen sachlichen Widerspruch zwischen der eigenen und der gegnerischen Lehre – sieht sich aber mit den Gegnern dennoch in einer Kirche und meint, die Differenz müsse nicht zu gegenseitigen Verketzerungen führen. Das entspricht seiner im Laufe der 1530er Jahre entwickelten Position: Reformatorische Einigkeit sollte aus seiner Sicht nicht durch gemeinsame abendmahlstheologische Aussagen hergestellt werden, sondern durch wechselseitige Anerkennung des jeweils anderen Bekenntnisses bei offenem Eingeständnis der Differenzen.383 Eine solche Einigung ist prinzipiell aus seiner Sicht wünschenswert – wenngleich er sie faktisch seit 1544 angesichts der damals von Luther (und nun von Westphals Partei) erhobenen Ketzervorwürfe für undenkbar hält und daher Calvins oder a Lascos Einigungspläne ablehnt.384 Das Anliegen, die Rechtgläubigkeit der Zürcher Kirche durch Berufung auf den altkirchlichen Konsens zu verteidigen und die Gegner zu widerlegen, ohne sie zu exkommunizieren, zieht sich durch alle Abschnitte der Schrift. Dabei lassen sich drei Themenkomplexe ausmachen: abendmahlstheologische Fragen im engeren Sinne, Christologie und Geschichtsbild bzw. Streitursachen.

378

BULLINGER, Apologetica expositio, 7; der Abschnitt aaO., 7–14. Vgl. aaO., 7. 380 Vgl. aaO., 10 f., dort auch das Zitat. 381 Vgl. aaO., 9. 382 AaO., 10. 383 Treffend BURNETT, Bullinger and the Problem of Eucharistic Concord, 242: „Rather than endorsing obscure formulae, Bullinger argued, it was better simply to agree to disagree. Mutual toleration, not ambiguity, should be the basis for eucharistic concord.“ 384 Vgl. dazu o. Kap. II.5.2. 379

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 419

In abendmahlstheologischer Hinsicht verwahrt Bullinger sich zunächst gegen den Vorwurf Westphals und seiner Mitstreiter, die Sakramente zu entleeren.385 Er wirft ihnen vor, sie betonten, dass Christi Präsenz im Abendmahl nicht quantitativ, qualitativ oder lokal zu verstehen sei, sondern im Sinne eines modus ineffabilis (vermutlich sind hier Luthers Formulierungen gemeint386) – erhöben aber zugleich Vorwürfe, weil die eigene Seite eine körperliche Präsenz Christi im Abendmahl bestreite. Das ist für Bullinger ein Selbstwiderspruch: Aus seiner – auf Gedanken Oekolampads und Zwinglis aufbauenden387 – Sicht muss jede körperliche Präsenz lokal und quantitativ sein, weil sie sich auf Christi menschlichen Leib bezieht und dieser die Eigenschaft räumlicher Ausdehnung hat. Er betont, das sei nicht wie von Westphal insinuiert ein rein philosophisches Argument, sondern eine auch von den Kirchenvätern angestellte Überlegung.388 Zum anderen zitiert er Artikel 8–10 des Consensus Tigurinus, um zu belegen, dass die Sakramente für die eigene Seite nicht leer seien – deutet diesen Abschnitt jedoch anders als Calvin nicht exhibitiv, sondern im Sinne seiner Lehre, dass sich die spiritualis manducatio Christi in mente fidelium parallel zum leiblichen Abendmahlsgenuss vollzieht, aber nicht an diesen gebunden ist.389 Um zu belegen, dass schon Oekolampad und Zwingli diesen unberechtigten Vorwurf zurückgewiesen hätten, beruft er sich auf Zwinglis Spätschriften390 – verteidigt also die Zürcher reformatorische Tradition. Zudem wendet sich Bullinger gegen Westphals und Timanns These, bei den Kirchenvätern seien keine Belege für den tropus zu finden.391 Neben dem klassischen Argument, dass auch die Auslegung der Gegner nicht ohne tropus auskomme,392 führt er die Schrifthermeneutik ins Feld: Den Vätern zufolge könne nichts eine Schriftaussage sein, was gegen fides und charitas verstoße,393 in diesem Fall gegen den Glaubensartikel der wahren Menschheit Christi, der die gegnerische Deutung der Einsetzungsworte nicht zulasse.394 Geht Westphals 385

Vgl. BULLINGER, Apologetica expositio, 15–25. Vgl. dazu o. Kap. II.2.2b. 387 Vgl. dazu o. Kap. II.2.2a und II.2.2.c. 388 Vgl. BULLINGER, Apologetica expositio, 16 f. 389 Vgl. BULLINGER, Apologetica expositio, 17–20; das Zitat aaO., 20 f. = ConsTig 8–10 (S. 129 f.). ROREM, Calvin and Bullinger on the Lord’s Supper, 382, sieht diese Aussage – obwohl sie auf dem Spektrum reformatorischer Abendmahlstheologien weiter von Wittenberger Positionen entfernt ist als diejenige Calvins – merkwürdigerweise als Beleg dafür, dass Bullinger eine stärker irenische Ansicht vertrete als dieser. Zur Parallelität von geistlichem und leiblichem Geschehen nach Bullinger vgl. o. Kap. II.3.3 und II.5.2. 390 Vgl. BULLINGER, Apologetica expositio, 21–25. Zu Zwinglis Spätschriften vgl. o. Kap. II.3.1c; zu Bullingers theologischem Anschluss an dortige Aussagen o. Kap. II.3.3. 391 Vgl. BULLINGER, Apologetica expositio, 27 f. 392 Vgl. aaO., 27–30. 393 Vgl. aaO., 36 f. 394 AaO., 37 f.: „Quis autem ignoret non postremum in fidei capitibus illud esse, quod credimus consensu totius scripturae edocti, Christum Dominum in una inseparabili persona 386

420

IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

Partei davon aus, dass alle anderen Schriftstellen gemäß den Einsetzungsworten (in ihrer Interpretation) auszulegen sind, stellen für Bullinger alle Loci der Schrift ein logisch konsequentes System dar, in dem auf Kongruenz aller Aussagen miteinander und mit dem Credo (in seiner Interpretation) zu achten ist. In diesem Sinne will Bullinger erweisen, dass die Grundlage der gegnerischen Häresievorwürfe selbst nicht schriftgemäß sei: „Corporalem corporis Christi praesentiam et manducationem non congruere cum uera fide.“395 Dass Gott eine Allgegenwart des menschlichen Leibes Christi bewirken könne, bedeute nicht, dass er dies tun wolle; Christus sei seit der Himmelfahrt seiner Menschheit nach im Himmel.396 Entsprechend betont er auch, die Deutung von Joh 6 auf das Abendmahl sei nicht illegitim, sondern Praxis der Väter.397 Hingegen wende sich Westphals Vorwurf, die Rechtfertigung allein dem Glauben zuzuschreiben und so den Sakramenten zu entziehen, gegen das von den Vätern vertretene sola fide.398 Westphals Seite wird also ein Verstoß gegen ein reformatorisches Kernanliegen und den altkirchlichen Konsens vorgeworfen. Im zweiten Teil seiner Schrift behandelt Bullinger die Christologie – veranlasst durch die in Timanns Farrago vertretene These, dass der menschliche Leib Christi ubique sein könne,399 aber in der Sache auch gegen Westphal. Er zielt auf den Nachweis, dass die altkirchliche Christologie mit der eigenen Lehre übereinstimme, nicht mit derjenigen der Gegner – die Heranziehung der Kirchenväter ist insofern nicht irenisch gemeint,400 sondern soll die Berufung auf die Väter widerlegen, die Westphals Seite in den Testimoniensammlungen vorgenommen hat. So hebt Bullinger hervor, durch die Personeinheit würden die Eigenschaften der Naturen weder aufgehoben noch vermischt,401 und deutet geminam retinere naturam, naturarumque proprietates illaesas atque inpermixtas, et quidem iuxta diuinitatem patri, iuxta humanitatem nobis esse consubstantialem […]. Constat itaque Iesum Christum Dominum nostrum verum et naturale, non phantasticum aut spiritale corpus habere […]. Porro haec humani corporis in Christo veritas, nunquam admittit huiusmodi expositionem horum verborum, Hoc est corpus meum, quales vulgo confici solent, Hoc est corpus meum substantialiter, et tamen invisibiliter.“ 395 AaO., 46; der Abschnitt mit dieser Überschrift aaO., 46–56. 396 Vgl. aaO., 48–55. 397 Vgl. aaO., 42 f. 398 AaO., 43: „Quid vero hic nobis obijciunt aduersarij nostri? An putant nos errare qui ita tribuamus peccatorum remissionem fidei, vt adimamus sacramentis? Quid audio? Vos ne tribuitis iustificationem sacramentis? Vbi ergo illud axioma confessum et pro indubitato iure habitum ab omnibus, Sola fide iustificatur peccator per Christum?“ Zur Herleitung dieser Überlegung aus den Vätern und speziell Augustin vgl. aaO., 43–45. 399 Vgl. dazu o. Kap. IV.1.2. Vermigli hatte eine entsprechende Behandlung des Themas angeregt (vgl. o. Kap. IV.3.2b). 400 Gegen ROREM, Calvin and Bullinger on the Lord’s Supper, 382. 401 BULLINGER, Apologetica expositio, 56 f.: „Credimus et docemus scripturis sanctis instructi et totius ecclesiae verteris consensione inducti Christum dominum nostrum Deo patri consubstantialem esse secundum diuinitatem, nobis autem consubstantialem esse

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 421

die Idiomenkommunikation wie Zwingli als Alloiosis402 – das stellt die Zürcher Lehre als die altkirchliche dar und richtet sich gegen das von Westphals Partei vertretene Verständnis von Idiomenkommunikation, das es ermöglicht, jeder Natur die Eigenschaften der anderen zuzuschreiben. Zum Beweis dieser These führt Bullinger eine Vielzahl von Väterbelegen an und betont, dass auch Cyrill bzw. das Konzil von Ephesus bei Nestorius nicht die Unterscheidung der Personeigenschaften bekämpft hätten, sondern die Folgerung zweier Personen403 – eine Auseinandersetzung mit Westphals Postulat, dass Cyrill und das Konzil von Ephesus eine den Zürchern entsprechende Lehre verurteilt hätten.404 Explizit gegen Timann wendet sich der Abschnitt: „Christi Domini corpus diuinitati coniunctum non ubique esse, sed in loco“.405 Bullinger beansprucht, die räumliche Umgrenztheit von Christi menschlichem Leib werde in der Kirche schon vor und seit dem Chalcedonense gelehrt. Die Gegner führten zeitgenössische Autoritäten an, die aber sicher nichts dagegen hätten, wenn er lieber Schrift und kirchlichem Konsens folge.406 Die von Timann zitierten Autoren (darunter Melanchthon und Bucer407) repräsentieren für Bullinger also nicht den Konsens der Kirche, sondern er setzt seine Sicht des kirchlichen Konsens dagegen und beansprucht, sie würden das als gute Reformatoren akzeptieren. secundum humanitatem, vt idem sit et permaneat verus et naturalis Dei et hominis filius, Deus et homo verus. […] Addimus istis diuersas illas naturas diuinitatem et humanitatem coniunctas esse et vnitas in vna inseparabili persona: ita tamen, vt adhuc in vnitate persoane naturarum proprietates extent aut permaneant illaesae, non tollantur aut dispereant, aut confundantur, ex duabus vna duntaxat constitutat natura.“ 402 AaO., 58: „ea loquendi figura appellatur ab alijs avlloi,wsij alteratio vel mutatio […] Vulgo dicitur Communicatio idiomatum, nempe cum alteri naturae ea proprietas communicatur, quae propria est alterius.“ 403 Vgl. aaO., 58–66. 404 Vgl. zu Westphals Rückführung seiner Lehre auf Cyrill o. Kap. IV.1.3b–c. Da er auch in den Collectanea Augustini so argumentiert hatte, ist die Stelle nicht unbedingt ein Beleg dafür, dass Bullinger Westphals Fides Cyrilli kennt (wenngleich das natürlich möglich ist). 405 BULLINGER, Apologetica expositio, 66; der Abschnitt aaO., 66–78. 406 AaO., 66 f.: „Est enim haec definitio de vtraque Christi natura in vna indivisa per-sona semper ad hunc modum, quem exposuimus, tradita in Christi Ecclesia, a sanctis omnibus, etiam ante Synodum Chalcedonensem: et post ipsam continue, santißimis et doctißimis quibusque diserte exprimentibus sanctum Domini corpus diuinitati adunitum, propter ueritatem humanae naturae, non vbique esse, sed in loco. Adduxerunt quidem aduersarij nostri longo catalogo clarorum nostrae aetatis ministrorum Ecclesiae testimonia, quibus astuere volunt corpus Christi assumptum a diuinitate, et sublatum in coelos ad dexteram patris, esse vbique. Ego vero et illos, quorum testi-monia adduxerunt, veneror propter eximia ipsis a Domino concessa dona, et propter beneficia ecclesiae praestita, ita sat scio, ipsos qui uiuunt adhuc, pro sua modestia, non aegre laturos, si videant me hac in causa malle sequi diserta scripturae diuinae testimonia et consensum totius ecclesiae catholicae, cuius sententiam doctores aliquot insignes significantißime expresserint, testificantes Christi corpus non esse vbique, sed pro veritate sua in loco.“ 407 Vgl. zu Timanns Zitation o. Kap. IV.1.2.

422

IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

Um zu belegen, dass die Alte Kirche auf seiner Seite stehe, setzt er sich mit Westphals Collectanea Augustini auseinander408 und leitet aus Väterzitaten her, dass Christi Leib nach der Auferstehung seine natürlichen Eigenschaften behalte, also nicht an mehr als einem Ort zugleich sein könne.409 Im dritten Teil der Schrift legt Bullinger in Reaktion auf Westphals Ausführungen in der Iusta defensio dar, dass die Gegner für den Streit verantwortlich seien, nicht die eigene Seite. Dazu betont er zunächst wiederum, dass die eigene Lehre und nicht die gegnerische die altkirchliche sei: Die Alte Kirche habe sich nicht über die Präsenz Christi im Abendmahl gestritten, weil sie eine geistliche Gegenwart mittels Glauben vorausgesetzt habe.410 Bullinger meint – quasi in der umgekehrten Interpretation wie Westphal in den Testimoniensammlungen –, zwar werde in damaligen Texten sowohl davon gesprochen, dass Brot und Wein wahrhaft Leib und Blut Christi seien, als auch, dass sie deren Symbole seien; dabei sei jedoch vorausgesetzt, dass ersteres figurativ zu verstehen sei.411 Es habe gereicht, von wahrer Gegenwart Christi zu sprechen, weil niemand auf die Idee gekommen sei, diese leiblich oder natürlich zu verstehen.412 Als Belege dafür listet er Väterzitate auf.413 Im Bewusstsein, dass Westphal sich auf Cyrill beruft, betont er, Cyrill gebrauche die entsprechenden 408

Vgl. BULLINGER, Apologetica expositio, 67–70. Programmatisch formuliert aaO., 78; für die Zitate vgl. aaO., 81–88. 410 AaO., 89: „Cum autem vniversa vetustas de veritate corporis Christi ita senserit concorditer et constantißime, nihil mirum est nullas ei fuisse contentiones de sensu verborum Domini, Hoc est corpus meum, aut de praesentia et manducatione et potu veri corporis et sanguinis Christi. Omnes enim agnoscebant figurate dictum esse, Hoc es corpus meum: omnes agnoscebant sacramentum et mysterium, quod spiritualiter perficeretur per fidem.“ 411 AaO., 90: „In veterum vero monumentis vtrumque genus loquendi in ecclesia vsurpatum fuisse deprehendimus, et panem et vinum esse verum corpus et sanguinem Christi: et panem et vinum signa symbola et sacramenta esse veri corporis et sanguinis Christi. Qui dicebant panem et vinum esse verum corpus et sanguinem Domini, non oppugnabant eos ceu fidei hostes, et haereticos et sacramentorum euersores qui appellabant panem et uinum signa, symbola vel sacramenta veri corporis et sanguinis Domini. Agnoscebant enim et ipsi loquutionem sacramentalen et mysterium, neque ita craßi erant, aut figuratas loquutiones velut proprias exponendas contenderent. […] Nam intelligebant omnes et fatebantur, Christifideles spiritualiter per fidem participare rebus coelestibus, quarum sacramenta ore percipiebantur.“ Zu Westphals Interpretation des gleichen Befundes und zu den dahinterstehenden theologischen Aussagen diverser Kirchenväter (speziell Augustin) vgl. o. Kap. IV.1.3b. 412 BULLINGER, Apologetica expositio, 93: „Quis ergo […] non colligat, tametsi primitiua ecclesia diserte confessa sit fideles carnem veram et sanguinem Domini verum vere manducare et bibere, nunquam tamen cuiquam fidelium venisse in mentem, id fieri corporaliter et naturaliter, sed spiritualiter potius ac mystice, qui modus solus cognitus recte a priscis dicitur fidelibus. Proinde omnibus istis seculis abunde satis erat confiteri fideles vere participare corpore et sanguine Domini. Nemo adigebatur ad has voces Carnaliter, Naturaliter, Corporaliter, Substantialiter, in pane, sub pane, cum pane, aut mutata etiam et transsubstantiata substantia panis in substantiam corporis Christi.“ 413 Vgl. aaO., 90–93 (Hieronymus, Justinus Martyr, Tertullian, Irenäus, Augustin). 409

3.2 Argumentationsstrategien der von Westphals Partei attackierten Theologen 423

Begriffe anders als die Streitgegner.414 Dann arbeitet er unter Heranziehung kirchengeschichtlicher Belege heraus, dass die Lehre körperlicher Präsenz eine nachträgliche Verfälschung der altkirchlichen Auffassung darstelle: Sie sei auf römischen Konzilien entwickelt und zusammen mit der Transsubstantiation festgelegt worden und habe schon in der Scholastik zu Streit geführt.415 Auch zeitgenössisch ist es für Bullinger stets die Gegenpartei, die provoziert: Zwingli und Oekolampad hätten, als sie die simplex veteraque veritas religionis verae wiederherstellten (also die Reformation durchführten), auch die Irrtümer zum Abendmahl beseitigt; dafür habe sie Luther angegriffen. Dass sie die einmal erkannte Wahrheit nicht hätten aufgeben können, mache sie nicht zu den Schuldigen am Streit.416 Bullinger baut also die Zürcher Argumentation von 1545 aus:417 Die eigene Lehre gilt als der Alten Kirche entsprechende Wahrheit, an der festzuhalten ist; Einigungsversuche nach Straßburger Muster werden daher abgelehnt,418 aber die eigene Seite wird als friedfertig gesehen. Entsprechend deutet er das Marburger Religionsgespräch weder wie a Lasco als Einigung419 noch wie Westphal als Feststellung unüberbrückbarer Gegensätze,420 sondern als Einigung in allen anderen Artikeln, während in Bezug auf Christi Präsenz im Abendmahl ein Sachdissens festgehalten, aber ein Verzicht auf Polemik vereinbart worden sei.421 Zu Westphals Aussage, die Zürcher hätten Luther kurz vor seinem Tod ungerechtfertigt attackiert, empfiehlt er wie 1545, die Leser sollten beide Werke lesen und das selbst beurteilen.422 Luther wird weder wie anfangs bei Calvin positiv angeführt, noch wie bei Ochino als Quasi-Papist: Er gilt als „bene alioqui de Ecclesia meritus“423, aber als der (aus Bullingers Sicht seiner eigenen Lehre entsprechenden) Schrift unterzuordnen.424 Bullinger betont, die eigene Seite habe keinen Anlass zu einem neuen Abendmahlsstreit gegeben und denke weitaus respektvoller über Luther 414

Vgl. BULLINGER, Apologetica expositio, 93–95; zu Westphals Berufung auf Cyrill vgl. o. Kap. IV.1.3b–c. 415 Vgl. aaO., 95–103. 416 Vgl. aaO., 103. 417 Vgl. dazu o. Kap. II.5.2. 418 Vgl. dazu o. Kap. II.3.5. 419 Vgl. dazu o. Kap. IV.3.2a. 420 Vgl. dazu o. Kap. IV.3.1a. 421 BULLINGER, Apologetica expositio, 103 f.: „Neque [nostri, C.E.] se D. Luthero vnquam exhibuerunt. Vocati enim ab illustrißimo Hessorum Lantgrauio […] Martburgum, non difficiles sese praebuerunt. Et satis quidem feliciter cesserat istud colloquium. Nam in dogmatibus praecipuis concordes se esse declararunt, sed et in causa Eucharistiae, quamuis de modo praesentiae conuenire non possunt, pacem tamen mutuam se seruaturos pollicebantur.“ 422 Vgl. aaO., 104 f. 423 AaO., 103. 424 AaO., 105 f.: „Grande illis piaculum videtur vel in aliquo contradicere Luthero. […] Discant ergo aduersarij nostri et ipsi debitum honorem impendere scripturis diuinis, sobrie autem de omnium hominum etiam Lutheri dictis factisque sentire.“

424

IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

und die Ecclesiae Saxonicae als manche von deren Pfarrern über sie.425 Gegen Ende der Schrift bemerkt er dementsprechend: „speramus in Domino, sanctas Germanicas ecclesias, quantumuis ipsarum aliquot ministri tumultuentur et saeuos in nos libros conscribant, nihilominus bene sentire de nostro ministerio et complecti syncera charitate ecclesias Domini, et sanctas et numerosißimas, quarum ministri sumus, praesertim cum non nesciant quam grande malum schisma sit, cum denique videant quam iniuti pertrahamur in hoc certamen, et nostra culpa, non fieri, quod boni omnes fieri dolent, pacem turbari. Pacem enim et concordiam in Domino exoptamus.“426

Bullinger schildert also nicht nur die eigene Seite als friedliebend, sondern sieht sich mit der ganzen Wittenberger Reformation weiterhin in einer Kirche und warnt vor einem Schisma – auch wenn er in der Sache den Dissens festhält und die Wahrheit auf der eigenen Seite sieht. Darauf, dass Westphal Kirchenordnungsfragen als Verstöße gegen den kirchlichen Konsens betrachtet, reagiert Bullinger schließlich für seine Verhältnisse ungewöhnlich scharf: „Quale enim illud obsecro est, quod Iconomachia nobis obijcitur? An vero probant illi imaginum vsum in templis Christianorum? Quem vt cum scripturis diuinis ex diametro pugnare non nesciunt, ita meminisse debuerant, sero admodum vsum illarum in templa Christianorum esse admissum. An ignorant quanto cum ecclesiarum incommodo, de hac re disceptatum sit […], et quod innumera mala simul cum imaginibus exundarint in ecclesia Christiana?“427

Hier stehen für Bullinger Schrift und reformatorische Wahrheit so klar auf der eigenen Seite, dass er Westphals Vorwürfe als absurd ansieht – ebenso bei den anderen von Westphal als Beleg für die Ketzerei Calvins, Bullingers und ihrer Mitstreiter aufgezählten Aspekten. So erläutert er beispielsweise, dass die Praxis der Privatbeichte papistisch sei, die öffentliche Beichte dagegen dem altkirchlichen Brauch entspreche.428 Die Angriffe auf die Lehre von der Seligkeit ungetaufter Kinder weist er nur kurz zurück und verweist auf Calvins Ausführungen in der Secunda defensio.429 Abschließend wendet Bullinger sich an drei Lesergruppen: Den Streitgegnern gegenüber betont er, er sei friedfertig, halte aber an seiner Lehre als der Wahrheit fest.430 Gegenüber – nicht spezifizierten –) Obrigkeiten wendet er sich gegen Westphals Aussage aus der Recta fides, die Lehre der Zürcher und ihrer Mitstreiter solle mit dem Zepter des Rats bestraft werden.431 Anders als die Flüchtlinge bestreitet er nicht grundsätzlich die obrigkeitliche Kompetenz, Glaubensfragen zu regeln (auch in Zürich hatte die Obrigkeit kirchenordnende

425

Vgl. aaO., 106. AaO., 106 f. 427 AaO., 107. 428 Vgl. aaO., 110–113. 429 Vgl. aaO., 114–116. 430 Vgl. aaO., 116 f. 431 Vgl. aaO., 117 f. 426

3.3 Ergebnisse

425

Befugnisse432), macht aber geltend, die eigene Lehre sei in keiner lex Imperatorum verboten. Daher seien auch Bücherverbote unangemessen.433 Die Pfarrer als dritte Gruppe werden ermahnt, sich nicht aufgrund der von Westphals Seite vorgebrachten Anschuldigungen auf ein Schisma einzulassen.434 Auf die lateinische Ausgabe folgte eine auf August 1556 datierte, im gleichen Jahr gedruckte435 deutsche Fassung, die von Bullinger selbst stammen könnte, zumal sie als auf deutsch geschrieben (nicht: übersetzt)436 gekennzeichnet ist. Möglicherweise war Bullinger daran gelegen, das Werk für breitere Kreise zugänglich zu machen, etwa für die am Ende angesprochenen Obrigkeiten. Die Übersetzung betont die gleichen Aspekte wie die lateinische Version.437 1558 erschien die Schrift dann in französischer Übersetzung in Genf438 – vielleicht, um wie bei Calvins Defensio439 die Einigkeit zwischen Zürcher und Genfer Kirche zu betonen. Von Westphal und dessen Mitstreitern wurde das Werk wahrgenommen,440 erfuhr aber keine Gegenschrift.

3.3 Ergebnisse 3.3 Ergebnisse

Mit den Schriften dieser Streitphase hat sich insgesamt der konfessionelle Abgrenzungsprozess fortgesetzt. Am deutlichsten wird das bei Calvin, der sich anders als zuvor nur noch auf einen Teil der Wittenberger Reformation beruft und Westphals Seite nun weniger die problematische Auslegung einer prinzipiell geteilten Grundorientierung vorwirft denn ihre Lehre als mit seiner eigenen unvereinbar widerlegt. Prinzipiell hält er allerdings weiter am Anspruch fest, dass seine eigene Lehre mit Straßburger, Wittenberger und Zürcher Reformation übereinstimme und insofern gesamtreformatorisch normativ sei. 432

Vgl. zu diesem Themenkomplex BÄCHTOLD, HANS ULRICH, Heinrich Bullinger vor dem Rat. Zur Gestaltung und Verwaltung des Zürcher Staatswesens in den Jahren 1531 bis 1575, Bern u.a. 1982 (ZBRG 12). 433 Vgl. aaO., 117–120. 434 Vgl. aaO., 120–125. 435 BULLINGER, HEINRICH, Vff etliche scharpffe vnnd || bittere bchle Verantwortung […] dari one bitterkeit anzeigt wirt / || daß die diener der kilchen z Zürych/ kein || ktzerische leer von dem Nachtmal vnsers || Herren Jesu Christi haltind oder leerind […], Zürich: Andreas Geßner 1556, VD16 B 9549, zur Datierung vgl. die folgende Anm. 436 AaO., 170: „Geschriben im Augsten / als es daruor im Hornung zu Latin vßgangen was. Anno 1556.“ 437 Das zeigt sich z.B. schon am Titel (vgl. die vorletzte Anm.) – hier sind die Betonung der Zürcher Friedfertigkeit und der Anspruch auf die Wahrheit weiter verstärkt. 438 BULLINGER, HEINRICH, Apologie || […] En laquelle est demonstré que les Ministres || de lʼ Eglise de Zurich, ne suiuent aucune || opinion heretique, en la doctrine de la || Cene de nostre Seigneur. […], Genf: Mathieu de la Roche 1558, GLN 2049. 439 Vgl. dazu o. Kap. IV.2.4b. 440 Vgl. u. Kap. V.1.1c und V.1.2d.

426

IV.3 Der Höhepunkt der theologischen Debatte

Letzteres gilt auch für a Lasco, bei dem sich die Argumentation insofern verschärft, als er nun seine eigene, als reformatorisch normativ angesehene Lehre nicht nur auf Confessio Augustana und Marburger Religionsgespräch zurückführt, sondern auch Westphals Seite explizit abspricht, dass sie sich für ihre Position zu Recht auf diese Größen berufen könne. Beide Argumentationen sollten zahlreiche Widerlegungen von Westphals Seite hervorrufen – anders als die Schriften Bullingers und Ochinos, die zwar ebenfalls die Lehre von Westphals Partei auf theologischer Ebene widerlegten, aber dafür keine Übereinstimmung mit der Wittenberg beanspruchten. Die Streitbeiträge von Westphals Seite hingegen treiben den konfessionellen Abgrenzungsprozess vor allem insofern weiter, als darin systematisch verschiedene Aspekte attackiert werden, die dem Anspruch der Gegner auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation und gesamtreformatorische Normativität ihrer theologischen Haltung zugrunde liegen: neben der Abendmahlstheologie die Tauflehre Calvins und seiner Mitstreiter, aber auch die von Calvin postulierte Übereinstimmung mit der Confessio Augustana, mit Luther sowie mit Fürsten des Reichs und mit anderen europäischen Kirchen. In allen diesen Fällen wird herausgearbeitet, warum die eigene Haltung diesen Autoritäten entspreche und reformatorisch normativ sei, während diejenige Calvins, Bullingers, a Lascos und ihrer Kollegen im Widerspruch dazu stehe und damit aus dem reformatorischen Konsens ausgeschlossen sei. Damit kommen zum Konfliktfeld der Abendmahlslehre weitere Abgrenzungsfaktoren hinzu, die für das reformatorische Selbstverständnis beider Streitparteien wichtig waren und später konfessionell identitätsrelevant werden sollten. Zudem wird bei beiden Parteien die historische Argumentation mit früheren Abendmahlsdebatten ausgebaut: So wird die eigene Position in ein Bild der Reformation und ganzen Kirchengeschichte eingeordnet, das belegen soll, dass die eigene Auffassung der Alten Kirche und den als maßgeblich empfundenen reformatorischen Autoritäten entspricht, die gegnerische nicht. Indem so beide Seiten versuchen, ihr Geschichtsbild als das normative zu etablieren, entstehen gegeneinander abgegrenzte, identitätsstiftende Erzählungen. Die regionalen Debatten in Bremen und Frankfurt spielen in dieser Streitphase teils im Hintergrund eine Rolle, werden aber nirgends explizit diskutiert – wohl auch, weil sich die Konflikte zu dieser Zeit erst zu entwickeln begannen. Zu einer Zuspitzung kam es in beiden Fällen im Frühjahr 1556.

Exkurs B

Regionale Abendmahlsdebatten und ihre Eskalation um 1555/56 Parallel zum überregionalen Streit entwickelten sich regionale Abendmahlskonflikte in Bremen und in Frankfurt. Diese sind einerseits gegenüber der überregionalen Debatte ein eigenständiges Phänomen: Die Diskussionslage vor Ort war nicht mit der überregionalen identisch, sondern bedingt durch spezifische Faktoren wie Theologie der einzelnen Akteure, Bekenntnisstand der Ortskirche, soziale Konflikte und Verhalten der Obrigkeit. Andererseits gibt es Wechselwirkungen zwischen überregionalen und regionalen Auseinandersetzungen: hervorgerufen etwa durch Akteure, die sich in beiden engagierten oder durch Kontakte der Ortskirchen zu Protagonisten des überregionalen Streits. So war auch die Zuspitzung der Frankfurter und Bremer Konflikte in den Jahren 1555/56 einerseits durch spezifische Ereignisse vor Ort bedingt, andererseits legt sich ein Zusammenhang zur überregionalen Entwicklung nahe: Das forcierte Vorgehen Timanns gegen Hardenberg in Bremen, Beyers gegen die Flüchtlinge in Frankfurt passt zur Intention Westphals (der mit Timann und Beyer in Kontakt stand), den Anspruch der Gegner auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation zu widerlegen und sie so definitiv aus der eigenen Kirche auszugrenzen. Infolge der Reaktion der Betroffenen und der örtlichen Obrigkeiten begannen sich die regionalen Auseinandersetzungen daraufhin gegenüber dem überregionalen Diskurs zu verselbstständigen, wenngleich sie später punktuell wieder in diesen hineinwirkten. Dieser Zusammenhang wird hier in auf die vorhandene Literatur gestützten Überblicken1 skizziert.

B.1 Der Bremer Abendmahlskonflikt B.1 Der Bremer Abendmahlskonflikt

An der Bremer Abendmahlsdebatte2 wird deutlich, wie zwei Parteien, die beide die Straßburger Reformation positiv bewerteten und auf dieser Basis zu einem

1

Zur Begründung dieses Vorgehens vgl. o. Kap. I.4.1a. Die Bremer Abendmahlskontroverse ist nach den älteren Arbeiten: SPIEGEL, BERNHARD, D. Albert Rizäus Hardenberg. Ein Theologenleben aus der Reformationszeit, Bremen 1869, sowie ROTTLÄNDER, CARL, Der Bürgermeister Daniel von Büren und die Harden2

428

Exkurs B: Regionale Abendmahlsdebatten

Ausgleich gelangt waren, ab 1555/56 zunehmend unversöhnlich aufeinander prallten. Das stand mit der Entwicklung des überregionalen Konflikts in Wechselwirkung: Timann verwandte seine Streitschrift zugunsten Westphals – den zeitgleich von Westphals Partei verfolgten Bestrebungen entsprechend – auch vor Ort zur Ausgrenzung Hardenbergs. Dabei stellte sich allerdings heraus, dass sie weniger klar gegen dessen straßburgisch beeinflusstes Konzept abgegrenzt war als intendiert. Die Frage von Hardenbergs Rechtgläubigkeit blieb daher in der Schwebe, wurde von auswärtigen Streitakteuren aufgegriffen und wirkte sich so wiederum auf die überregionale Debatte aus. Ausgebrochen war der Konflikt in Bremen noch vor Beginn des überregionalen Abendmahlsstreits: Die formal weiter der Landeshoheit des Bremer Erzbischofs unterstehende, faktisch aber weitgehend selbstständige und zur Reformation übergetretene Stadt3 war im Schmalkaldischen Krieg von kaiserlichen Truppen belagert worden. Entsetzt wurde sie 1547 von einem Heer des Schmalkaldischen Bundes unter Führung Christophs von Oldenburg; dessen Feldprediger Albert Rizäus Hardenberg wurde zum Domprediger gewählt.4 Wenig später geriet Hardenberg, der theologisch von Bucer beeinflusst und mit a Lasco befreundet war,5 in Konflikt mit einem der Stadtpfarrer, Westphals späterem Mitstreiter Timann,6 der ihn des Zwinglianismus beschuldigte.7 1547/48 konnte der Konflikt jedoch noch dadurch beruhigt werden, dass ein von Hardenberg verfasstes Abendmahlsbekenntnis nach Wittenberg gesandt und von Melanchthon approbiert wurde, woraufhin sich der Rat und Timann zufrieden erklärten:8 nicht infolge eines „Mangels an dogmatischer Einsicht“9, sondern weil es zu diesem Zeitpunkt seitens der Wittenberger Reformation keine klare Abgrenzung gegen derartige Auffassungen gab: Hardenberg beschrieb den ganzen Christus mit seinen Gütern als Substanz des Abendmahls, vertrat also eine an die Straßburger Reformation anknüpfende Haltung.10 Das aber war angesichts der Straßburger Zusammenarbeit mit Wittenberger Reformatoren nicht nur für Melanchthon akzeptabel, sondern bot auch Timann keine bergischen Religionshändel in Bremen (1555–1562). Ein Beitrag zur Bremischen Geschichte, Diss. Göttingen 1892, durch NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, sowie JANSE, Hardenberg als Theologe, erschlossen; mit der juristischen Dimension des Konflikts befasst sich ENGELHARDT, Irrlehreprozeß. Für weitere Literatur vgl. NEUSER aaO., 142 Anm. 1. 3 Vgl. zu Bremens Rechtsstatus im Einzelnen ENGELHARDT, Irrrlehreprozeß, 4–50. 4 Vgl. dazu aaO., 19. 5 Zu Hardenbergs Biographie vgl. JANSE, Hardenberg als Theologe, 1–31; zu seinen damit in Zusammenhang stehenden theologischen Positionierungen vgl. im Folgenden. 6 Zur Person Timanns vgl. o. Kap. IV.1.2. 7 Vgl. zum Ablauf im Einzelnen JANSE, Hardenberg als Theologe, 32–34. 8 Vgl. zum Ablauf im Einzelnen aaO., 32–34. 9 So ROTTLÄNDER, Daniel von Büren, 12. 10 Vgl. zum Inhalt des Bekenntnisses NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 144–148; JANSE, Hardenberg als Theologe, 200–204; 441 f.

B.1 Der Bremer Abendmahlskonflikt

429

Angriffsfläche: Er selbst sollte noch 1554 in der Farrago Straßburger Autoritäten zitieren.11 Dafür, dass Hardenbergs Position als straßburgisch wahrgenommen wurde, spricht auch Melanchthons Argumentation, als er 1554 vom Briefwechsel Timanns mit Bugenhagen über die Londoner Flüchtlinge12 erfuhr und versuchte, ein erneutes Aufflammen des Konflikts zwischen Timann und Hardenberg zu verhindern: Als zwischen beiden Seiten unstrittigen Kerngedanken formulierte er Timann gegenüber „in usu vere et substantialiter adest Christus“ und berief sich dafür auf die Wittenberger Konkordie13 – legte ihm also nahe, dass sich Hardenberg innerhalb der Konkordie befinde. In den Jahren 1555/56 hingegen brach der Konflikt neu aus – was mit dem überregionalen Abendmahlsstreit zusammenhing: Im Herbst 1555 erschien Timanns Farrago14 und Timann verlangte von allen Bremer Predigern die Unterzeichnung dieser Westphal unterstützenden Testimoniensammlung.15 Unabhängig davon, ob Timann mit der Schrift ursprünglich neben Westphals Streitgegnern auch Hardenberg hatte treffen wollen oder nicht,16 gebrauchte er sie spätestens mit dieser Forderung gegen seinen Opponenten:17 Hardenberg verweigerte die Unterschrift, woraufhin Timann ihn von der Kanzel als Sakramentierer verketzerte.18 Hardenberg seinerseits warnte in Predigten vor dem von Timann vertretenen ubique des menschlichen Leibes Christi, das er als Verstoß gegen die Unterscheidung der zwei Naturen brandmarkte.19 Damit waren die Linien des folgenden Konflikts abgesteckt: Timanns Vorwurf gegen Hardenberg lautete auf abendmahlstheologische Ketzerei analog zu Westphals Gegnern, Hardenbergs Vorwurf an ihn auf nicht rechtgläubige Christologie. Angesichts der öffentlichen Polemik beider Seiten sah sich der Bremer Rat zum Eingreifen veranlasst und erließ zunächst ein Schweigegebot, das aber 11

Vgl. o. Kap. IV.1.2. Vgl. zum Ergehen der Flüchtlinge in Hamburg und anderen norddeutschen Städten o. Exkurs A; zu der Korrespondenz Timanns darüber o. Kap. IV.1.2. 13 Vgl. Melanchthon an Timann 1.9.1554, CR 8, 337 (Nr. 5659) = MBW 7277; kurz zuvor hatte er einen zu Frieden mahnenden Brief an Hardenberg gesandt: 29.8.1554, CR 8, 317 (Nr. 5638) = MBW 7274. 14 Welcher Quelle JANSE, Hardenberg als Theologe, aaO., 47 das Erscheinungsdatum 1. November entnimmt, ist nicht klar ersichtlich (evtl. aus unedierten Aussagen Hardenbergs); ungefähr kann der Zeitpunkt aber stimmen, da die Schrift sich im Juli 1555 im Druck befand und Timann Mitte November noch keine Exemplare hatte (vgl. o. Kap. IV.1.2). 15 Zu ihrem Inhalt und ihrer Entstehung vgl. o. Kap. IV.1.2. 16 Das ist bis heute umstritten (so geht etwa JANSE, Hardenberg als Theologe, 47, von einer Ausrichtung der Schrift gegen Hardenberg aus, während sie nach NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 150, allenfalls indirekt gegeben ist). Aus dem Text der Farrago heraus ist die Frage nicht eindeutig zu beantworten, vgl. o. Kap. IV.1.2. 17 So zu Recht bereits ROTTLÄNDER, Daniel von Büren, 14. 18 Vgl. NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 150; JANSE, Hardenberg als Theologe, 48. 19 Vgl. aaO., 48 f.; zum ubique bei Timann vgl. o. Kap. IV.1.2. 12

430

Exkurs B: Regionale Abendmahlsdebatten

nicht durchgesetzt werden konnte.20 Kurz vor Ostern 1556 wurde Hardenberg zu einem Gespräch mit dem Superintendenten Jakob Probst aufs Rathaus einbestellt, wo er versicherte, er kritisiere allein Timanns Ubiquitätslehre. Hingegen wolle er nicht die „reine in der Heiligen Kirchen angenommene Leer vom Heiligen Abentmal“21 infrage stellen: Er lehre gemäß der Kölner Reformation Bucers und Melanchthons, dass im Abendmahl wahrer Leib und wahres Blut Christi gereicht würden – in diesem Glaubensgeschehen müsse man aber auf fleischliche Gedanken verzichten und allein mit dem Herzen himmlische Gaben empfangen.22 Hardenberg vertritt also, ähnlich wie Calvin, eine straßburgisch beeinflusste exhibitive Lehre, für die er daher Übereinstimmung mit Bucer und Melanchthon beanspruchen kann – bei der aber die wahre Präsenz auf die himmlische, von der glaubenden Seele zu erfassende Ebene bezogen ist.23 Noch klarer wird dies in seinem Bekenntnis in der folgenden Sonntagspredigt, das Bucers Summarischem Vergriff von 1548 folgt, den Text jedoch einerseits um Betonungen der wahren Gegenwart, andererseits um dezidierte Unterscheidungen von Element und Abendmahlsgabe ergänzt.24 Hatte sich hier schon gezeigt, dass Hardenberg sich auf im Kontext der Wittenberger Reformation als rechtgläubig anerkannte Texte berufen konnte, spielte dieser Aspekt bei einem zweiten Gespräch am Palmdienstag eine noch größere Rolle: Nun war Timann anwesend, dessen Ketzervorwürfen Hardenberg dadurch begegnete, dass er in Timanns Farrago eine Reihe von Texten aufwies, denen er zustimmen könne: nicht nur von Bucer und Musculus, sondern auch von Luther, Brenz und Melanchthon.25 Das lag nicht daran, dass Timann bei der Zusammenstellung nachlässig vorgegangen wäre,26 sondern zeigt, dass Wittenberger und Straßburger Zitate aus dem Kontext der Reichsreligionsgespräche in Hardenbergs ebenso wie in Timanns27 Sinne gelesen werden konnten: Hatte die Interpretationsoffenheit damals für Kooperation28 und 1548 in Bremen für einen Ausgleich gesorgt, prallten nun im Kontext des Zweiten Abendmahlsstreits die Deutungen aufeinander. Das belegt einerseits einen Fortschritt des Abgrenzungsprozesses; andererseits zeigt das Ergebnis der Debatte, dass dieser noch nicht abgeschlossen war: Der Rat erklärte sich mit Hardenbergs Erläuterung zufrieden und erließ ein neues Schweigegebot.29 20

Vgl. ENGELHARDT, Irrlehreprozeß, 57 f. So sein eigener Bericht, zit. bei JANSE, Hardenberg als Theologe, 49. 22 Vgl. die Wiedergabe ebd. 23 Zu Hardenbergs Abendmahlslehre dieser Zeit und ihrer Anknüpfung an Bucer vgl. aaO., 205–210. 24 Das weist JANSE detailliert nach, vgl. aaO., 208 f. 25 Vgl. aaO., 49 f. 26 In diesem Sinne NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 155. 27 Für Timanns Konzept in dieser Hinsicht vgl. o. Kap. IV.1.2. 28 Vgl. dazu o. Kap. II.4.2. 29 Vgl. JANSE, Hardenberg als Theologe, 50. 21

B.1 Der Bremer Abendmahlskonflikt

431

Der Streit brach allerdings bald wieder aus: Hardenberg hielt sich gemäß der Mahnung Melanchthons an das Schweigegebot.30 Jedoch wandte er sich auf der Suche nach Unterstützern unter anderem an Martin Faber, den Briefpartner Westphals, der in Ostfriesland mit Micron aneinandergeraten war31 und nun Timann informierte.32 Die Bremer Pfarrer wiederum führten liturgische Elemente ein, die aus Hardenbergs Sicht auf Anbetung der Abendmahlselemente hinausliefen33 und beteiligten sich an einer Sammlung von Bekenntnissen zugunsten von Westphals Streitposition.34 Im Herbst 1556 bewog Hardenberg schließlich Bürgermeister Daniel von Büren, Timann brieflich zum Beweis seiner Ubiquitätslehre aufzufordern. Timann verwies dann allerdings nur auf seine Farrago sowie auf beigefügte Aussagen eines anderen Theologen.35 Daraufhin ging Hardenberg in die Offensive: Er predigte merhfach gegen die Ubiquität. Die Prediger beschuldigten ihn des Friedensbruchs und verklagten ihn beim Rat, der Hardenberg auffordern ließ, zur Ubiquität zu schweigen und der Abendmahlslehre Probsts und Timanns zuzustimmen.36 Hardenberg jedoch hielt an seiner Argumentationsstrategie fest: Er werde Timanns Lehre nicht anerkennen, bis dieser seine „erdichtete Ubiquitet“37 bewiesen habe. Dazu solle entweder eine Disputation abgehalten werden oder er werde Thesen verfassen. Zudem äußerte er Zweifel an der Unparteilichkeit des Rats.38 Der Rat und Hardenberg beharrten auf ihren jeweiligen Forderungen. Auf dieser Linie spitzte sich der Konflikt zu: Der Rat legte Hardenberg am 21. Oktober ein Bekenntnis der Stadtprediger zur Unterzeichnung vor, das zwar nicht explizit eine Ubiquität des menschlichen Leibes Christi lehrt, wohl aber dessen wesenhafte (essentialis) Identifikation mit den Elementen und eine entsprechende Präsenz allerorten im Abendmahl. Zudem werden manducatio impiorum und oralis festgehalten und eine tropische Deutung der Einsetzungsworte 30

Vgl. aaO., 50 f. Zu Fabers Kontakt mit Westphal und seinem Konflikt mit Micron vgl. o. Kap. IV.2.4d und IV.3.1a. 32 Vgl. NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 157. 33 Vgl. ebd. 34 Vgl. WESTPHAL, Confessio fidei, L1r; zur Ausrichtung der Sammlung insgesamt vgl. u. Kap. V.1.1c. 35 Vgl. zu dem Briefwechsel ROTTLÄNDER, Daniel von Büren, 14–16. Der (von Timann nicht benannte) andere Theologe wird gewöhnlich mit Brenz identifiziert; wie PLANCK, Geschichte der protestantischen Theologie 2/2, 155 f, Anm. 221 (dort Abdruck von Timanns Brief) ausführt, handelt es sich dabei jedoch um einen Rückschluss aus den theologischen Aussagen, auf die von Büren in der Antwort reagiert. JANSE, Hardenberg als Theologe, 333, führt an, dass sich Hardenberg auf früher mit Brenz ausgetauschte Argumente bezieht. Beides ist kein eindeutiger Beweis. Ob unter Heranziehung weiterer Dokumente klar festzustellen wäre, dass der von Timann gesandte Text von Brenz stammt, muss hier offen bleiben. 36 Vgl. JANSE, Hardenberg als Theologe, 52 f. 37 Zitiert nach aaO., 53. 38 Vgl. ebd. 31

432

Exkurs B: Regionale Abendmahlsdebatten

ausgeschlossen.39 Das entspricht der Streitposition Westphals. Hardenberg machte geltend, er könne diesem Bekenntnis nicht zustimmen, da es auf der von ihm abgelehnten Ubiquitätslehre gründe:40 Aus seiner Sicht ist eine substantial-leibliche Präsenz der menschlichen Natur Christi unter den Elementen nur denkbar, wenn die menschliche Natur als abstrakt allgegenwärtig gilt – das aber verstößt für ihn gegen die Unterscheidung der Naturen.41 Am 9.11. legte Hardenberg ein eigenes Abendmahlsbekenntnis vor, in dem er sich auf Schrift, Nizänum und Bucer berief, fügte Themata gegen die Ubiquität hinzu und verlangte, diese Texte und das Bekenntnis der Prediger zur Entscheidung an die Wittenberger Fakultät zu senden – er hoffte wohl, dass Melanchthon seine Partei ergreifen werde. Der Rat weigerte sich zunächst, dem nachzukommen.42 Dennoch erreichte Hardenberg schließlich eine Anrufung der Wittenberger Fakultät: In seiner von Timann und dessen Mitstreitern misstrauisch beobachteten Vorlesung zum Ersten Korintherbrief verlas er zum abendmahlstheologischen Kapitel 1 Kor 10–11 ohne Quellenangabe Passagen von Wolfgang Musculus – straßburgische Texte, an die er für seine Lehre anknüpfen konnte, die aber auch Timann in der Farrago zitiert hatte. Timann merkte nicht, worum es sich handelte, und griff Hardenbergs Aussagen an, woraufhin dieser den Passus abschrieb und ihn am 1.12. zusammen mit seinen eigenen, gegen die Ubiquität gerichteten Themata dem Rat vorlegte.43 Zudem forderte er erneut, Texte beider Seiten nach Wittenberg zu senden, und ließ Melanchthon und Eber privat die Themata zukommen – meinte also offenbar, die mangelnde Rechtgläubigkeit von Timanns Lehre erweisen zu können.44 Da das Domkapitel und Bürgermeister von Büren eine Entscheidung durch die Wittenberger Fakultät unterstützten, geriet der Rat in Verlegenheit und konnte nicht völlig ablehnen, beschloss aber am 19.12., nicht Hardenbergs Dokumente, sondern nur das Bekenntnis der Stadtpfarrer nach Wittenberg zu schicken und es zudem den Pfarrern der benachbarten niedersächsischen Städte vorzulegen.45 Damit war der Punkt erreicht, an dem die Bremer Debatte auf den überregionalen Streit zurückschlug: Melanchthon, der bisher jede Festlegung zur Abendmahlsdebatte 39

Vgl. den Abdruck des Bekenntnisses in: Dnische Bibliothec || oder || Sammlung || Von || Alten und Neuen || Gelehrten Sachen || aus || Dnnemarck, 9 Bde., Kopenhagen 1738– 1747, hier Bd. 5, 194–199. 40 Vgl. JANSE, Hardenberg als Theologe, 53 f. 41 Vgl. zur Begründung dieses Gedankens bei Melanchthon u. Kap. V.1.2a. 42 Vgl. NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 159; JANSE, Hardenberg als Theologe, 54 f. 43 Vgl. JANSE, Hardenberg als Theologe, 55–57; zum theologischen Gehalt von Hardenbergs Texten aaO., 210–232. 44 Insofern ist JANSE aaO., 57 in der These zuzustimmen, dass Hardenberg sich nicht (wie NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 159, meint) zu diesem Zeitpunkt bereits ausschließlich in der Defensive befand. 45 Vgl. JANSE, Hardenberg als Theologe, 57–59.

B.2 Der Frankfurter Abendmahlskonflikt

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vermieden hatte, war nun gezwungen, sich zu äußern; durch die Anfrage an die niedersächsischen Städte waren die Hamburger involviert. Diese Konstellation trug wesentlich zum Zerwürfnis zwischen Melanchthon und Westphals Partei bei, das die folgende Streitphase prägte.46 Zur Entscheidung des Bremer Konflikts kam es erst 1561 nach Ende des überregionalen Abendmahlsstreits.47

B.2 Der Frankfurter Abendmahlskonflikt B.2 Der Frankfurter Abendmahlskonflikt

Wie in Bremen, so prallten auch in der Frankfurter regionalen Abendmahlskontroverse48 zwei Parteien aufeinander, zwischen denen die Obrigkeit zuvor noch auf Basis straßburgisch geprägter Texte einen Ausgleich hatte herstellen können. Auch hier verschärften die Stadtpfarrer in den Jahren 1555/56 – passend zum überregionalen Vorgehen von Westphals Partei – ihre Bemühungen, die eigene Lehre und Kirchenordnung normativ zu setzen, und argumentierten für eine Ausweisung der vom Rat aufgenommenen, mit Westphals Streitgegnern assoziierten Flüchtlinge. Dabei stand die Berufung beider Seiten auf die Confessio Augustana im Vordergrund, die neben der kirchlich normativen Dimension zunehmend auch reichsrechtlich aufgeladen wurde. Die Entwicklung des überregionalen Streits und die normativen Absichten der Prediger traten mit sozial-wirtschaftlichen Spannungen innerhalb der Stadtgesellschaft und mit internen Konflikten der Flüchtlingsgemeinden in Wechselwirkung. Anders als in Bremen hatte sich die Ausgangskonstellation des Frankfurter Abendmahlskonflikts erst einige Zeit nach Beginn des Zweiten Abendmahlsstreits ergeben: Die Reichsstadt Frankfurt, deren Reformation und Kirchenordnung von Straßburger Einflüssen geprägt waren und die 1536 auf oberdeutscher Seite die Wittenberger Konkordie unterzeichnet hatte,49 nahm im März 1554 eine Gruppe ausländischer Glaubensflüchtlinge auf50: eine französischsprachige Gemeinde von Webern, die der in Kontakt mit Bucer und Calvin stehende Valérand Poullain in Glastonbury aufgebaut hatte und die (wie die Londoner Fremdengemeinden) 1553 nach dem Regierungsantritt Maria Tudors 46

Vgl. u. Kap. V.1.2a. Vgl. u. Kap. VI.1.1. 48 Die Frankfurter Debatten sind in diversen Spezialuntersuchungen behandelt worden. Vgl. allgemein BESSER, Geschichte; BAUER, Bekenntnisstand; PETTEGREE, London Exile Community; zur sozial-wirtschaftlichen Dimension des Konflikts SCHILLING, Niederländische Exulanten, passim; zur französischen Gemeinde EBRARD, Französisch-reformierte Gemeinde; BAUER, Valérand Poullain; zur englischen JUNG, Englische-Flüchtlings-Gemeinde. Zum Verhältnis der Beteiligten zu Calvin vgl. BAUER, Beziehungen Calvins zu Frankfurt; zu demjenigen zu Westphal VON SCHADE, Westphal und Braubach, passim. 49 Vgl. dazu im Einzelnen BAUER, Bekenntnisstand. 50 Vgl. überblicksweise PETTEGREE, Foreign Protestant Communities, 237; zu den Einzelheiten s. im Folgenden. 47

434

Exkurs B: Regionale Abendmahlsdebatten

aus England ausgewiesen worden war.51 Eine Gruppe von Stadtpfarrern unter Leitung des mit Westphal in Kontakt stehenden Hartmann Beyer52 warf dieser Gemeinde im Folgenden vor, sie vertrete eine häretische Abendmahlslehre. Dass Poullains Gemeinde in Frankfurt – im Gegensatz zu den Londoner Flüchtlingsgemeinden in Dänemark und Norddeutschland53 – aufgenommen wurde, hängt mit mehreren Faktoren zusammen, die dann auch für den folgenden Konflikt eine Rolle spielten: Mit Poullain kam ein straßburgisch geprägter Reformator in eine Stadt, deren Reformation ebenfalls stark von Bucer beeinflusst war.54 Daher dürfte es für den Frankfurter Rat nicht per se unglaubwürdig gewesen sein, wenn Poullain geltend machte, der Glaube der Flüchtlinge stimme mit dem der Frankfurter überein. Da sie aber die Landessprache nicht beherrschten und gern in ihrer Muttersprache Gottesdienst halten würden, bäten sie um Überlassung einer Kirche.55 Das läuft auf Privilegien hinaus, wie sie die Fremdengemeinden unter Eduard VI. in England genossen hatten,56 ist aber so begründet, dass es nicht als Bedrohung für die Ortskirche erscheint. Zudem fand die Gemeinde Rückhalt in der Frankfurter Oberschicht: Ein Kreis von Ratsherren um Johann und Adolf von Glauburg setzte sich für sie ein.57 Für den Erfolg der Bemühungen beim Rat dürfte zudem die Hoffnung auf wirtschaftlichen Nutzen durch innovative Handwerker eine Rolle gespielt haben.58 Schließlich blieb der Beschluss zur Aufnahme der Flüchtlinge so allgemein, dass der Rat sich die konkrete Ausgestaltung faktisch vorbehielt.59 Die Gemeinde bekam die Kirche des Weißfrauenklosters zur Verfügung gestellt und feierte am 19.4. ihren ersten Gottesdienst.60 Allerdings kam es schon im Frühjahr 1554 zu einem Konflikt mit den örtlichen Predigern, wenngleich dieser vorerst keine konkreten Konsequenzen 51 Zur Person Poullains vgl. die Biographie von BAUER, Valérand Poullain; zu der von Poullain aufgebauten Gemeinde in Glastonbury aaO., 127–174. 52 Vgl. zu ihm STEITZ, Hartmann Beyer; zu Beyers Kontakt mit Westphal VON SCHADE, Westphal und Braubach, sowie o. Kap. III.2.1a. 53 Vgl. dazu o. Exkurs A. 54 Das arbeitet BAUER, Bekenntnisstand, heraus, der freilich (an die traditionelle reformierte Sichtweise anknüpfend) von völliger Übereinstimmung der Positionen ausgeht und damit die Deutungsoffenheit früherer straßburgisch geprägter Festlegungen unterbestimmt. 55 FRH I, Beil. I, 2: „wiewol wir Ewerer Religion seinndt, so kenden wir doch ewerer Sprach nicht. Hierumb ist an E. F. W. vnser fleisig Bitt, sie wollten vns in dem fhal da sie vns vfnehmten auch ein Kirch oder Tempel inn geben, darinn wir vnser Gebet, Predig des Evangelii, vnd Austheilung der hailigen Sacramenten, in vnser Sprach nach der Lher des Apostels Pauli haben mochten, sol doch hindurch keiner Pfarr darunter ein jeder wrd wohnen an Pfar-Rechten nichts benommen sein, sondern allezeit gevolgt werden.“ 56 Vgl. o. Kap. III.1.3c. 57 Vgl. BESSER, Geschichte der Frankfurter Flüchtlingsgemeinden, 10 f. 58 Vgl. BAUER, Valérand Poullain, 182. 59 Das betont BESSER, Geschichte, 11 f.; der Beschluss in FRH I, Beil. II, 3. 60 Vgl. dazu im Einzelnen BAUER, Valérand Poullain, 184–189.

B.2 Der Frankfurter Abendmahlskonflikt

435

hatte: Die Frankfurter Pfarrer erhielten einen Brief aus Antwerpen, wo Poullains Gemeinde mit von Luther geprägten Evangelischen (wohl die Gemeinde von Westphals Briefpartner Bruchsal61) in Konflikt geraten war. Diese beschuldigten sie der Unruhestiftung und des Zwinglianismus.62 Beyer und seine Kollegen äußerten auf dieser Linie Misstrauen gegen Lehre und Liturgie der Flüchtlingsgemeinde.63 Als Poullain daraufhin dem Predigerkonvent als Erweis seiner Rechtgläubigkeit sein Bekenntnis aus Glastonbury vorlegte, verwiesen ihn die Pfarrer auf die Confessio Augustana. Poullain unterzeichnete diese, brachte allerdings Kommentare an. Einer Übernahme der Frankfurter Kirchenordnung verweigerte er sich unter Verweis auf CA VII. Beides fanden die Prädikanten bedenklich; der Rat folgte ihrer Argumentation aber nicht.64 Damit sind die Ereignisse von 1554 einerseits ein Beleg für die ungeklärte konfessionelle Situation: Poullain kann von seiner straßburgisch geprägten Haltung aus die CA unterzeichnen und die Prediger haben daher keine Handhabe gegen ihn. Andererseits beginnt sich zwei Jahre nach Beginn des überregionalen Abendmahlsstreits eine Polarisierung abzuzeichnen: Die CA integrierte nicht mehr (wie zur Zeit der Reichsreligionsgespräche) verschiedene Abendmahlsdeutungen, sondern beide Seiten versuchten ihre Interpretation festzulegen und entwickelten zunehmend wechselseitiges Misstrauen. Hier liegt der Keim des späteren Konflikts, in dem die Debatte über die CA zentral wurde. Dabei stand zunächst – wie im überregionalen Streit65 – die kirchlich normative Rolle der CA im Vordergrund, wenngleich der Charakter als Bekenntnis evangelischer Reichsstände möglicherweise mitschwang. So konnte sich Poullains Gemeinde in Frankfurt etablieren, wenngleich das Misstrauen von Seiten der Pfarrer weiter schwelte: Im Juli 1554 wurden 21 Fremde ins Bürgerrecht aufgenommen.66 Wenig später ließ die Gemeinde ihre Kirchenordnung drucken. Der Rat nahm den Text zu den Akten, während sich der Pfarrer Hartmann Beyer ein Gutachten von Nikolaus Gallus darüber erbat – hier zeigt sich die Affinität Beyers zum theologischen Netzwerk Westphals.67 Gallus brandmarkte die Liturgie prompt als zwinglianisch und äußerte Verwunderung darüber, dass sie in Frankfurt geduldet werde.68 Dass die Fremden einige Monate später doch in Schwierigkeiten gerieten, hängt neben dem Misstrauen der Prediger und der Entwicklung des überregionalen Abendmahlsstreits damit zusammen, dass der Gemeinde Poullains bald 61 BAUER behandelt das aaO., 171 als Tatsache; es ist aber nicht ganz zweifelsfrei festzustellen, da besagter Brief keinen Absender trägt (vgl. FRH II, 188). 62 Vgl. BAUER, Valérand Poullain, 170–173. 63 Vgl. aaO., 189–192. 64 Vgl. aaO., 192–217. 65 Vgl. o. Kap. IV.2.2b; IV.3.1a und IV.3.2c. 66 Vgl. BAUER, Valérand Poullain, 183. 67 Für Gallusʼ Vernetzung zu Westphal und seine Streitschrift vgl. o. Kap. IV.1.1. 68 Vgl. BAUER, Valérand Poullain, 197–205.

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Exkurs B: Regionale Abendmahlsdebatten

weitere Flüchtlinge folgten: Im Juni 1554 kam eine Gruppe Engländer nach Frankfurt. Der Rat gestattete ihnen, ebenfalls die Weißfrauenkirche zu nutzen und englischsprachige Gottesdienste abzuhalten.69 Es folgten zahlreiche Belgier.70 Allmählich sammelten sich auch Niederländer in Frankfurt, die sich ebenfalls eigene Gottesdienste wünschten. Die Überschneidungen zur Londoner Gemeinde scheinen nicht allzu groß gewesen zu sein,71 aber a Lasco beschloss, in Frankfurt eine neue Gemeinde aufzubauen, und holte die aus London bekannten72 Pfarrer Micron und Dathenus in die Stadt. Im September 1555 feierte die niederländische Gemeinde ihren ersten Gottesdienst.73 Mit a Lasco und Micron waren nicht nur Persönlichkeiten in der Stadt, die sich mit Westphal in Konflikt befanden,74 sondern die Zahl der Fremden wuchs auch stetig. Das Wachstum brachte zunächst interne Konflikte mit sich, die eine Wahrnehmung der Fremden als Unruhestifter beförderten: In der englischen Gemeinde hielt eine Gruppe am Book of Common Prayer (BCP) fest; die andere strebte eine an die Praxis der Genfer Kirche angelehnte Gottesdienstordnung an. Der Streit, an dem unter anderem John Knox beteiligt war, gelangte im März 1555 an den Rat. Knoxʼ Opponenten beschuldigten ihn der Majestätsbeleidigung gegen Maria Tudor, woraufhin der Rat Knox nahelegte, die Stadt zu verlassen. Ende März ging Knox nach Genf; im Folgenden setzten sich die Anhänger des BCP durch. Bis Ende 1556 blieb es unter den Engländern ruhig.75 In der französischen Gemeinde hingegen wandte sich nun eine Gruppe gegen Poullains Kirchenordnung – wohl auch deshalb, weil selbstbewusste Kaufleute und Handwerker nicht akzeptieren wollten, dass sich aller Einfluss bei der ursprünglichen Gemeinde aus Glastonbury konzentrierte. Für Poullain wiederum stand mit der Kritik an seiner Kirchenordnung der theologische Charakter der Gemeinde in Frage. Im Sommer 1555 verschärfte sich der Streit.76 Parallel spitzte sich der Konflikt zwischen Fremden und Stadtpredigern zu: Am 5.9.1555 reichten letztere ein Misstrauensvotum beim Rat ein. Anlass dafür war ein Gesuch der englischen Gemeinde, die aufgrund von Terminkollisionen in der Weißfrauenkirche die Katharinenkapelle mitbenutzen wollte.77 Die Prediger gaben daraufhin erneut ihrem Verdacht Ausdruck, die Gemeinden 69

Vgl. JUNG, Englische-Flüchtlings-Gemeinde, 10–12. Vgl. BAUER, Valérand Poullain, 205 f. 71 Vgl. PETTEGREE, London Exile Community, 238. 72 Vgl. o. Kap. III.1.3c. 73 Vgl. EBRARD, Französisch-reformierte Gemeinde, 74–76. 74 Vgl. dazu von Westphals Seite o. Kap. III.2.4a und III.2.4c; von Microns Kap. IV.2.4d; von a Lascos Kap. IV.3.2a. 75 Vgl. JUNG, Englische-Flüchtlings-Gemeinde, 12–19. 76 Vgl. PETTEGREE, London Exile Community, 237–241; BAUER, Valérand Poullain, 229–244. 77 Vgl. das Prädikantenvotum in FRH I, Beil. III, 4 und dazu EBRARD, Französisch-reformierte Gemeinde, 76. 70

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stimmten nicht mit der CA überein, obwohl sie sich anfangs erboten hätten, sich der örtlichen Lehre und Kirchenordnung anzupassen78 – das interpretiert die von Poullain postulierte Übereinstimmung im Sinne der kirchlich normativen Absichten der Prediger! Insofern sei öffentliches Ärgernis zu befürchten, zumal die Gemeinden unter sich zerstritten seien.79 Hier werden die internen Konflikte zum Indiz für Unruhestiftung. Vor allem aber gibt man zu bedenken: „So hat sich ja ein Erbar Rath bißher der Augspurgischen Confeßion neben anderen Stenden angenommen, derselben gemeß in Ihrer Stadt lassen lehren, sich auch fr der Zeit daruff berufen, wrde derhalben diese Neuerung einen Schein geben, als begnte man allgemach von derselbigen Confeßion zu weichen.“80

Wesentlich stärker, als es zu dieser Zeit in der überregionalen Diskussion der Fall war, wird hier ausdrücklich nicht nur mit dem kirchlich, sondern auch mit dem politisch normativen Charakter der CA argumentiert. Das wirft die Frage auf, ob und inwiefern diese Argumentation mit dem Augsburger Religionsfrieden zusammenhängt: Einerseits wurde dieser erst einige Wochen später (am 21.9.1555) verabschiedet, und die CA war von den Frankfurter Pfarrern schon im Vorjahr gegen die Flüchtlinge in Stellung gebracht worden, so dass ihre Heranziehung nicht durch die Augsburger Regelung bedingt sein muss. Zumal die Vorberatungen zum Religionsfrieden teils in Frankfurt stattgefunden hatten, ist es andererseits denkbar, dass die Pfarrer von den angedachten Regelungen erfahren hatten.81 Schon damals war ein reichsrechtlicher Ausschluss aller Positionen im Gespräch, die nicht dem alten Glauben oder der Confessio Augustana zugehörig seien.82 Unabhängig davon, ob Beyer und seine Mitstreiter diese Formeln kannten oder nur – ausgehend von den entsprechenden Aussagen des Passauer Vertrags – allgemein auf eine entsprechende Stellungnahme des Reichstags hofften, versuchten sie hier bereits, die Aktualität der Frage zu nutzen, um den Rat politisch unter Druck zu setzen. Die Formulierung bleibt allerdings, passend zur formal noch ungeklärten Situation, vage. Dieser Lage entspricht auch die Reaktion des Rats: Er beschloss, den Engländern vorerst nur ihre bisherige Kirche zu lassen, und forderte die Prädikanten auf, den Vorwurf des Widerspruchs zur CA zu erläutern.83 In der Tat wurde dann in Augsburg ein entsprechender Ausschluss festgelegt. Dieser war jedoch – was für die Frankfurter Debatte zentral werden sollte – deutungsoffen: Der Religionsfrieden schloss „Stende so der Augspürgischen Confession verwandt“ und „Stende, der allten Religion anhengig“ ein; 78

Vgl. FRH I, Beil. III, 4 f. Vgl. FRH I, Beil. III, 5. 80 Ebd. 81 So die Vermutung von BAUER, Valérand Poullain, 213 f. 82 Vgl. BAUER, Bekenntnisstand, 208; GOTTHARD, AXEL, Der Augsburger Religionsfrieden, Münster 2004 (RST 148), 123–126. 83 Vgl. FRH I, Beil. IV, 6. 79

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zugleich sollten „alle andere, so obgemelten bede Religionen nit anhängig, In diesem frieden nit gemeint, sonder gentzlich auß geschlossen sein.“84 Damit war – entgegen gängiger Forschungsperspektiven – nicht festgelegt, ob nur Wittenberger oder auch andere, an die CA variata anknüpfende evangelische Positionen in den Frieden eingeschlossen sein sollten: Der Text ließ in diesem Punkt unterschiedliche Deutungen zu.85 Für den überregionalen Zweiten Abendmahlsstreit sollte dies wichtig werden, als sich im Vorfeld des Wormser Religionsgesprächs die Frage nach einer gemeinsamen, gegenüber den Altgläubigen zu vertretenden evangelischen Deutung der CA stellte.86 In Frankfurt hingegen versuchten die Prädikanten den Reichsabschied für eine Festlegung in Westphals Sinn zu nutzen, noch bevor er verkündet worden war: In ihrer Antwort auf die Ratsanfrage betonten sie, dass ein in Frankfurt gedrucktes Buch der Fremden – wohl a Lascos Forma ac ratio87 – die körperliche Präsenz des Leibes Christi im Abendmahl bestreite. Das verstoße gegen CA und Apologie.88 Das ist eine Deutung im Sinne Westphals, der in seiner Iusta defensio ähnlich argumentierte und mit dem Beyer kurz zuvor Kontakt aufgenommen hatte.89 Zugleich argumentierten sie nun explizit mit dem erwarteten Reichsabschied, der Probleme für Frankfurt erwarten lasse, wenn es öffentliche Debatten mit (aus ihrer Sicht) nicht CA-konformen „Secten“ gebe.90 Allerdings wird an der Situation in Frankfurt ebenso sichtbar, dass die CA nicht mit dem Religionsfrieden automatisch eine exklusive Stellung gegenüber

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Augsburger Religionsfrieden (1555), ed. v. Alexandra Schäfer-Griebel, in: Irene Dingel (Hg.): Religiöse Friedenswahrung und Friedensstiftung in Europa (1500-1800): Digitale Quellenedition frühneuzeitlicher Religionsfrieden, Darmstadt 2013 ff., http://tueditions.ulb. tu-darmstadt.de/e000001/quellentexte/target/augsburger_religionsfrieden.html, hier Art. 16 (Z. 411–415) und Art. 17 (Z. 437–439). 85 Das betont zu Recht POHLIG, MATTHIAS, Wahrheit als Lüge – oder: Schloss der Augsburger Religionsfrieden den Calvinismus aus?, in: Andreas Pietsch / Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.), Konfessionelle Ambiguität. Uneindeutigkeit und Verstellung als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit, Gütersloh 2013 (SVRG 214), 142–169, in kritischer Auseinandersetzung mit der gängigen, etwa von GOTTHARD, Augsburger Religionsfrieden, 218–220, vorgetragenen These, dies sei eine Einschränkung auf „Katholiken“ und „Lutheraner“. 86 Vgl. u. Kap. V.1. 87 Vgl. o. Kap. IV.3.2a. 88 Vgl. FRH I, Beil. V, 7 f. 89 Vgl. o. Kap. IV.3.1a und die Grüße von Beyer in dem Schreiben: Braubach an Westphal, 20.9.1555, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 214 (Nr. 1.3). 90 FRH I, Beil. V, 8: „steht man inn Hoffnung, das der Abscheidt des jetztgehaltenen Reichstags einen Landfrieden mit sich bringen werde, darinn auch sonderlich die, so der Augspurgischen Confeßion sind zugethan, des Evangelii halben begriffen, doch alle andere Secten ausgeschlossen. Dieweil dann ein Erbar Rath und alle die, so unserer Kirchen zugehörig, der Augspurgischen Confeßion zugethan sind, was für Ehr und Rhum wird es gemeiner Stadt bringen, daß solche hohe Sach von dem H. Sacrament vom Nachtmal […] solle hie zu Franckfurt von newen wiederumb anbrennen, getruckt und ausgebreitet werden?

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anderen Elementen des oberdeutsch geprägten Bekenntnisstands einnahm: Vielmehr machten die Prediger geltend, die Lehre der Flüchtlinge sei „in diesem Artickel wieder die Augspurgische auch Schsische vnd Wirtenbergische Confeßion, fr kurtzen jaren im Concilio zu Trient eingelegt / item wieder die Concordien, so D. Bucerus seliger / vnd ander frnembsten Lehrer des Oberlendischen kreyß mit D. Luthern seligen vffgericht / vnd in Summa wieder alle vnsere Lehr / so nun von diesen Artickel in vnsern Kirchen hie / aus Grund gttliches Worts / in die dreyssig Jar her gehalten / getrieben / vnd nie kein Zwinglische Opinion offentlich geleret worden“ 91

Nicht nur CA, Confessio Saxonica und Virtembergica spielen hier eine Rolle, sondern gerade die Wittenberger Konkordie gilt als besonders charakteristisch für den Frankfurter Bekenntnisstand. Was zeitgenössisch ein Nebeneinander unterschiedlicher Positionen ermöglicht hatte und für einen Theologen wie Poullain in straßburgischer Deutung durchaus annehmbar gewesen wäre, wird hier zum Beleg dafür, dass in Frankfurt nie etwas anderes gegolten habe als die Deutung der Prediger, die an Luthers Sicht auf die Konkordie anknüpft 92 bzw. Westphals CA-Interpretation der Konkordie überordnet: Mit dieser Begründung wird gefordert, die Flüchtlingsgemeinden sollten „nach der Augspurgischen Confeßion lehren, Jhres Jrthumbs von Nachtmal abstehen und sich allerding Jn den Ceremonien mit vnser Kirchen vergleichen.“93 Der Rat hingegen versuchte gerade das integrative Potential des Frankfurter Bekenntnisstands zu nutzen: Die Prediger wurden aufgefordert, mit den Fremden ins Gespräch einzutreten oder ihre Vorwürfe ins Lateinische zu übersetzen, damit die Betroffenen sich dazu äußern könnten.94 Das lehnten die Pfarrer am 7.11. unter Berufung auf den überregionalen Abendmahlsstreit ab: Die Frage sei in vielen Schriften behandelt worden und der Gegensatz der Fremden zur CA manifest, so dass der Konflikt alle CA-Verwandten betreffe und nicht in Frankfurt gelöst werden könne. Die CA sei nicht nach der Deutung der Flüchtlinge auszulegen, sondern nach derjenigen der Unterzeichner, „Sachsen / Dnemarck / Meissen / Thringen / Hessen / Wirtemberg vnd die Stdte des Reichs“95 – nicht zufällig sind vor allem Stände genannt, bei denen Westphal Unterstützer hatte.96 Es wird nämlich postuliert, deren Deutung stimme mit der Lehre der Pfarrer überein, „quod Domini verum corpus, pro nobis traditum, et verus sanguis, pro nobis effusus, corporaliter, hoc est, vere essentialiter et realiter in Cena praesentia sunt, et cum pane et vino exhibeantur“:97 ein Anklang 91

Vgl. FRH I, Beil. V, 7 f. Zu den verschiedenen zeitgenössischen Deutungen der Konkordie vgl. o. Kap. II.3.4. 93 AaO., 8. 94 So geht es jedenfalls aus deren Reaktion hervor, vgl. FRH I, Beil. VI, 9–11. 95 Vgl. FRH I, Beil. IX, 9 f, Zitat 10. 96 Vgl. BAUER, Valérand Poullain, 215. Vgl. für Westphals dänische Anhänger o. Exkurs A; in Reichsstädten o. Kap. IV.1.1; für Sachsen, Meißen und Thüringen u. Kap. V.1.1c. 97 FRH I, Beil. IX, 10. 92

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an die CA variata, die in Westphals Sinn einer körperlichen Präsenz gelesen wird. Auf dieser Basis wird gefordert, den Flüchtlingen die Kirche zu entziehen, wenn sie sich der eigenen Lehre und Kirchenordnung nicht anschlössen.98 Daraufhin verwies der Rat auf Bucers Artikel, die 1533 den Frankfurter Abendmahlsstreit beigelegt hatten,99 und erkundigte sich, ob die Prediger diese als unzureichend empfänden100 – ein geschicktes Argument: Indem er einen für Frankfurt normativen Text heranzog, der straßburgisch geprägt und auf Ausgleich verschiedener Abendmahlslehren angelegt war, setzte der Rat die Prediger unter Druck und legte ihnen nahe, Formulierungen zu approbieren, die auch für die Lehre der Flüchtlinge anschlussfähig waren. Die Prädikanten reagierten mit der These, besagte Artikel seien Einsetzungsworten, CA und Wittenberger Konkordie gemäß, wie Bucer sie in seinen Retractationes erläutere.101 Letzterer Text war von Luther als Widerruf früherer Positionen Bucers gedeutet worden.102 Die Prediger führen damit also ihre Deutung der Konkordie weiter, dass es sich um einen Anschluss der Oberdeutschen an Luthers Lehre handle, der ihrer Auffassung entspreche. Darauf reagierte der Rat am 31.12. mit der Anordnung, den Flüchtlingen die Konkordie zuzustellen und ihre Meinung darüber zu erfragen.103 Im Unterschied zur Sicht der Prediger wird die Konkordie hier zum straßburgisch geprägten Anknüpfungspunkt: Im Fall der Akzeptanz durch die Flüchtlinge könnte der Rat argumentieren, beide Seiten hätten den gleichen Text anerkannt. Dazu passt die am 14.11. beschlossene Buchzensur, die den Druck von Westphals Schriften behinderte104 – der Rat bemühte sich, weitere Polemik beider Seiten zu verhindern. Jedoch wurde gleichzeitig die durch den Zuzug zahlreicher Flüchtlinge bedingte, wirtschaftlich-soziale Konkurrenz zu Einheimischen zum Problem: Waren ursprünglich etwa 20 Familien aufgenommen worden, zählten die Flüchtlinge Ende 1555 ca. 2000 Personen bzw. 10% der Bevölkerung.105 Dieser rapide Bevölkerungszuwachs führte nicht nur zu Teuerung, sondern auch zu Konflikten der fremden Handwerker mit alteingesessenen Kollegen: Besonders die Niederländer, die neue Techniken der Weberei beherrschten, stellten eine Konkurrenz für die entsprechenden Frankfurter Zünfte dar. Klagen über ihr unzünftiges Verhalten häuften sich.106 Am 11.11.1555 wurde im Rat (wohl auf 98

Vgl. FRH I, Beil. IX, 10 f. Vgl. dazu FRIEDRICH, Martin Bucer, 93 f. 100 So geht es zumindest aus der Antwort der Prediger hervor, vgl. FRH I, Beil. VII, 11. 101 Vgl. FRH I, Beil. VII, 11 f. 102 Vgl. dazu o. Kap. II.3.4. 103 Vgl. FRH I, Beil. VII, 12. 104 Vgl. zu den Zensurbeschlüssen BESSER, Frankfurter Flüchtlingsgemeinden, 48 f.; VON SCHADE, Westphal und Braubach, 163; zu den Folgen für den Druck von Westphals Publikationen o. Kap. IV.3.1b und IV.3.1d. 105 Vgl. PETTEGREE, London Exile Community, 237. 106 Vgl. dazu im Einzelnen SCHILLING, Niederländische Exulanten, 52–55. 99

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Betreiben der Handwerkerbank) der Antrag eingebracht, ein Verzeichnis aller Fremden und ihres Handwerks anzulegen. Das wurde am 14.11. genehmigt.107 Ende 1555 und Anfang 1556 kamen also drei Faktoren zusammen, die zu einer Zuspitzung des Konflikts führten: die – den Bestrebungen von Westphals Partei auf überregionaler Ebene entsprechenden108 – Bemühungen der Prediger um eine kirchenpolitische Ausgrenzung der Flüchtlinge, die wirtschaftliche Konkurrenz zwischen Fremden und Einheimischen sowie der interne Streit in der französischen Gemeinde, angesichts dessen Poullain und a Lasco im Dezember Johann von Glauburg sowie Calvin um Vermittlung baten.109 Das Zusammenspiel der drei Aspekte wird im Ratsbeschluss vom 3.2.1556 deutlich: Die Flüchtlinge sollten nach einer Stellungnahme zu Bucers Konkordienartikeln von 1542 befragt werden. Hatte der Rat aber bisher versucht, sie vor Angriffen der Prediger zu schützen, wurde nun auf eine Äußerung dazu gedrungen, ob sie ihre Zeremonien den ortsüblichen anpassen wollten. Zugleich wurden die Flüchtlinge ermahnt, sich den Bräuchen der Zünfte anzunähern, und vor Uneinigkeit gewarnt.110 Zur gleichen Zeit berichtete Glauburg an Calvin, die Gemeinde riskiere durch den internen Streit ihre Duldung in Frankfurt.111 Die Flüchtlinge reagierten mit einem am 27.2. verlesenen Text, der zum Erweis ihrer Rechtgläubigkeit dienen sollte: Sie machten geltend, mit der örtlichen Kirche grundsätzlich theologisch einig zu sein – die Prediger übertrieben die Differenzen.112 Hatte Poullain jedoch 1554 die CA in einer Form unterzeichnet, die vom Rat als Annahme des eigenen Bekenntnisses gesehen werden konnte, argumentierten die Flüchtlinge jetzt wie a Lasco113: Der Gebrauch der CA als Rechtgläubigkeitskriterium wird kritisiert, da sie nicht dem apostolischen Bekenntnis gleichzustellen sei. Nichtsdestoweniger könne man sie annehmen, wenn das des vere exhiberi im Sinne eines Empfangs durch den Glauben verstanden sei.114 Jedoch wird festgehalten, dass Christi Leib sich dabei nicht sub pane, sondern im Himmel befinde. Zur Begründung wird das recens dogma einer ubiquitas bzw. unendlichen räumlichen Ausdehnung des Leibes Christi abgelehnt: „Nam a corporis Christi ubiquitate abhorrent ipsimet Augustanae Confessionis Autores.“115 Die Flüchtlinge berufen sich also nicht nur 107

Vgl. JUNG, Englische-Flüchtlings-Gemeinde, 17 f. Vgl. dazu o. Kap. IV.3.1. 109 Vgl. BAUER, Valérand Poullain, 241. 110 Vgl. FRH I, Beil. IX, 15. 111 Vgl. BAUER, Valérand Poullain, 244. 112 Vgl. FRH I, Beil. XI, 17–21. 113 Vgl. dazu o. Kap. IV.3.2a. 114 Vgl. FRH I, Beil. XI, 21 f.; aaO., 22 wird explizit als Deutung von CA X formuliert: „quod cum pane et uino uere exhibeantur corpus et sanguis Christi uescentibus in Coena Domini, qui uidelicet fide accipiunt promissam gratiam, quam Sacramenta significant, et Spiritum sanctum“ 115 Vgl. aaO., 22, Zitat ebd. 108

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auf die CA, sondern postulieren, die Lehre von Westphals Partei (die aus Sicht der Flüchtlinge auch dann eine ubiquitas der Menschheit Christi voraussetzt, wenn das nicht explizit vertreten wird116) sei nicht CA-konform. Auch ihre Zeremonien verteidigt die Gemeinde nicht (wie Poullain) als auch von der CA gedeckt, sondern greift – wie Micron in Norddeutschland117 – konservativere liturgische Formen als papistisch an.118 Sie folgert, damit sei der Forderung des Rats „iuxta Decreta Comitiorum Imperialium“ Genüge getan119 – beansprucht also für diese Lesart der CA reichsrechtliche Konformität. Entsprechend verschärfte sich in der Antwort der Prediger vom 15.3. der Ton – in Übereinstimmung mit den zeitgleich von Westphal erhobenen Vorwürfen: Den Gemeinden wird nun auch in der Tauflehre Abweichung von der CA vorgeworfen; das wird an ihrer Lehre der Seligkeit ungetaufter Kinder festgemacht und sie werden mit Täufern assoziiert.120 Dies entspricht Westphals De vi, usu et dignitate baptismi, dessen Druck Beyer gerade vermittelt hatte.121 An Westphals Iusta defensio erinnert es, wenn für die aus Sicht der Prediger wahre, die Flüchtlinge ausschließende Deutung der CA auf die Apologie verwiesen wird.122 Diese Lehre gilt nicht nur als für Frankfurt normativ, sondern die Prediger betonen auch, man könne davon um der anderen Reichsstände willen nicht abweichen123 – hier tritt wiederum der reichsrechtlich normative Charakter hervor. Dass diese Argumentation auf eine Ausweisung der Flüchtlinge zielt, zeigt sich an der Berufung auf die Edikte, die in Dänemark und den Seestädten gegen sie erlassen worden seien.124 Der Rat ordnete an, den Text ins Lateinische zu übersetzen, damit die Fremden Stellung nehmen könnten.125 Etwa um die gleiche Zeit schalteten sich mit Calvin und Westphal wichtige Akteure der überregionalen Debatte in den Frankfurter Streit ein: Calvin, der dem Rat im September 1555 als Anerkennung für die Aufnahme der Flüchtlinge seine Evangelienharmonie dediziert hatte, dankte am 29.2.1556 für das ihm daraufhin zuteil gewordene Ehrengeschenk, protestierte aber zugleich gegen die (vor Einrichtung der Buchzensur erfolgte) Publikation von Timanns 116

Vgl. dazu o. Kap. IV.3.2a. Zur entsprechenden Position Microns vgl. o. Kap. III.1.3d und Exkurs A.3a. 118 Vgl. FRH I, Beil. XI, 23 f. 119 Vgl. FRH I, Beil. XI, 22–24, Zitat 23. 120 Vgl. FRH I, Beil. XII, 26 f. 121 Vgl. o. Kap. IV.3.1d. 122 Vgl. FRH I, Beil. XII, 27 f.; zu Westphals Argument o. Kap. IV.3.1a. 123 AaO., 28: „Nach welcher Lehr [der Apologie bzw. der so gedeuteten CA, C.E.][…] wie hieher beruffen / bißher gelehret / vnd noch gesinnet sind zu lehren / dann bey solchem Grund / als bey einer Vesten und Burg wir stehen vnd bleiben / vnd nit gedencken / davon ein Haar breit zu weichen / daß also vnnot viel gesprechs oder disputirens darber anzurichten / dann vns nit gebhren will / hinter den Stenden des Reichs ein ttell darin zu begeben.“ 124 Vgl. zu diesen Edikten o. Exkurs A. 125 Vgl. FRH I, Beil. XII, 28 f. 117

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Farrago und diversen Schriften Westphals und bot an, nach Frankfurt zu kommen, um an einer Lösung des Konflikts zwischen Flüchtlingen und Predigern mitzuwirken.126 Westphal wiederum ließ im März 1556 Beyers Gruß erwidern und bestärkte ihn am 23.4. brieflich in seinem Vorgehen gegen die Flüchtlingsgemeinden.127 Im März verfasste er zudem mit Adversus insignia mendacia eine (allerdings erst 1557 publizierte) Antwort auf a Lascos Vorrede zur Forma ac ratio.128 Die Widmung richtete er an den Frankfurter Rat: Gemäß seiner Argumentation im überregionalen Streit betont er, man solle sich nicht von der scheinbaren Rechtgläubigkeit der Flüchtlinge täuschen lassen,129 und schildert speziell deren Berufung auf die CA als Täuschung, hinter der sich zwinglianische, gegen die CA gerichtete Lehre verberge.130 Auf dieser Basis fordert er die Ausweisung der Flüchtlinge, weil sonst Ausbreitung ihrer Irrlehre und öffentliche Unruhe zu befürchten seien, und stellt dem Rat die in Dänemark und Hamburg erlassenen Edikte als Vorbild vor Augen.131 1557 erschien in Oberursel Beyers deutsche Übersetzung dieser Vorrede132 – Beyer war daran gelegen, diese Ausweisungsforderung an ein breiteres Publikum zu vermitteln. Mit den Ausweisungsforderungen der Prediger und Westphals begann der reichsrechtliche Aspekt eine immer größere Rolle für die Frankfurter Debatte zu spielen. Dazu passt, dass a Lasco sich um ein Kolloquium mit Theologen anderer Reichsstände bemühte und im Mai mit Brenz in Stuttgart ein Gespräch führte – ein Umstand, der sich dann auch auf die überregionale Debatte auswirken sollte.133 Entsprechend entwickelte sich die Diskussion vor Ort weiter: In einer neuen Eingabe vom 4.6. bezogen sich die Pfarrer auf das im Frankfurter Reichsabschied vorgesehene Religionsgespräch:134 Offenbar hatte jemand (ob nun a Lasco oder der Rat) gefordert, den Streit bis dahin zu sistieren. Dagegen betonen die Prediger, da zu dem Gespräch nur Anhänger des Papstes und 126

Vgl. PETTEGREE, London Exile Community, 239 f. Vgl. Westphal an Braubach, 3.3.1556, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 219 (Nr. 2.2); Westphal an Beyer, 23.4.1556, aaO., 219–222. 128 WESTPHAL, JOACHIM, IVSTA || DEFENSIO, ADVERSVS || insignia mendacia Ioannis a Lasco || quae in Epistola ad Sereniss. Poloniae || Regem, etc. contra Saxonicas Ecclesias || sparsit […], Straßburg: Blasius Fabricius 1557, VD16 W 2296, zur Datierung der Schrift aaO., *7v. In der Schrift wird a Lascos Vorrede fortlaufend abgedruckt und kommentiert. Zum Inhalt vgl. KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 130–134. 129 Vgl. WESTPHAL, Adversus insignia mendacia, *2r–*3r. 130 Vgl. aaO., *3v–*4r. 131 Vgl. aaO., *5r–*7r. 132 WESTPHAL, JOACHIM, Ein Christliche vnd || trewliche Warnung […] die Sacramentirer be||langend / geschrieben an […] die Burgermeister vnd || Rath zu Franckfurt am || Meyn, Oberursel: Nikolaus Heinrich 1557, VD16 W 2270; zur Identifikation des Übersetzers vgl. GREVE, Memoria Westphali, 263; zur Publikation VON SCHADE, Westphal und Braubach, 39. 133 Zum Gespräch mit Brenz vgl. u. Kap. V.1.3b; zum Einfluss auf die Diskussion unter a Lascos Mitstreitern u. Kap. V.1.4a. 134 Vgl. dazu u. die Einleitung zu Kap. V.1.1. 127

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der CA zugelassen seien, dürften die Fremden nicht teilnehmen: Sie beriefen sich zwar auf die CA, handelten ihr aber zuwider.135 Ihre Beteiligung würde die CA-Verwandten Verdächtigungen aussetzen und den Schutz des Religionsfriedens gefährden.136 Insofern sei nicht zu verlangen, dass man die Fremden bis zum Gespräch ungehindert ihren Irrtum verbreiten lasse.137 Hier wird die reichsrechtlich normative Geltung der CA explizit zum Argument gegen die Duldung von Lehre und Kirchenordnung der Flüchtlinge. Allerdings scheint diese Deutung noch keineswegs als selbstverständlich empfunden worden zu sein: Der Rat ordnete nämlich an, die Prädikanten sollten ihre Auslegung des Reichsabschieds näher erläutern.138 Daraufhin forderten die Prediger am 25.6. unter erneutem Rekurs auf die CA-Verwandtschaft Frankfurts, den Flüchtlingen die Kirche zu entziehen, sofern sie sich nicht der eigenen Lehre und Liturgie anschlössen.139 Dagegen wandte sich a Lasco mit seiner Purgatio ministrorum, in der er seine Argumentation für die Übereinstimmung seiner Lehre mit der CA ausbaute.140 Nun betonten wiederum die Prediger, die Tolerierung solcher Thesen bringe alle CA-verwandten Stände in Gefahr.141 Die Betonung der reichsrechtlichen Gefahr und die durch den Konflikt verursachte Unruhe ließen im Herbst 1556 die Stimmung im Rat umschlagen: Nach einer weiteren Eingabe der Prediger142 wurde am 21.10. festgehalten, die Fremden hätten anfangs geltend gemacht, in ihrem Glauben mit den örtlichen Pfarrern übereinzustimmen; nun aber erweise sich das Gegenteil. Wenn sie weiter in Frankfurt bleiben wollten, sollten sie sich in Lehre und Kirchenordnung der CA anschließen, wie diese von den Frankfurter Predigern schon viele Jahre lang gelehrt worden sei143 – der Rat schloss sich also nun der Argumentation der Pfarrer gegen die Flüchtlinge an. Allerdings scheint dies kaum praktische Konsequenzen gehabt zu haben – was vielleicht auch damit zu tun hat, dass sich die Unruhe verringerte: Der interne Streit in der französischen Gemeinde wurde im Herbst 1556 durch ein Schiedsgericht beigelegt; Poullain trat von seinem Amt zurück und François Perussel wurde neuer Pfarrer.144 135

Vgl. FRH I, Nr. XV, 32 f. AaO., 33: „wird also vndere Augspurgische Confession sambt derselben Verwanden / bei den andern Stenden inn Unglimpff vnd Verdacht kommen / so sie doch kaum inn nechst vergangenem Reichs-Tag von gemeinen Stendten inn des Reichs-Lant-Friden / ist vffgenommen worden.“ 137 Vgl. aaO., 33 f. 138 Vgl. aaO., 34. 139 Vgl. FRH I, Nr. XVI, 34 f. 140 Edition in KUYPER I, 243–268; zum Inhalt der Schrift vgl. KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 120–125; zur Datierung BAUER, Bekenntnisstand, 233. 141 Vgl. FRH I; Nr. XIV, 30–32. 142 Vom 15.10.1556, vgl. FRH I, Beil. XIV, 30–32. 143 Vgl. FRH I, Beil. XVII, 36. 144 Vgl. BAUER, Valérand Poullain, 244–262. 136

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Zu einer normativen Festlegung sollte es auch im Frankfurter Fall erst 1560/61 nach Ende des überregionalen Zweiten Abendmahlsstreits kommen.145 Vorerst schwelte der Konflikt vor Ort weiter, während verschiedene Beteiligte des regionalen wie des überregionalen Streits versuchten, seinen Ausgang durch – bislang nur unzureichend erforschte146 – Streitschriften zu beeinflussen: Westphal verfasste im März 1557 eine Responsio, um a Lascos Purgatio ministrorum und speziell dessen Anspruch auf theologische Übereinstimmung mit der CA zu widerlegen.147 Um die Frankfurter Gemeinden gegen diesen Text und gegen Westphals frühere Schrift Adversus insignia mendacia zu verteidigen, verfasste Poullain im Mai 1557 einen Antidotus, der die Übereinstimmung der Gemeinden mit der CA unter Rekurs auf die Lehre Bucers zu erweisen versuchte148 – ein nicht nur für ihn theologisch naheliegendes, sondern wohl auch angesichts des Frankfurter oberdeutschen, die Wittenberger Konkordie betonenden Bekenntnisstandes als zentral empfundenes Argument. Westphal antwortete darauf mit einer Apologia adversus venenatum antidotum.149 Auch Westphals im September 1557 publizierte Apologetica responsio scheint insofern durch die Lage in Frankfurt veranlasst gewesen zu sein, als er vermerkte, dort bestehe besondere Gefahr für die heimliche Verbreitung gegnerischer Lehre, vor der er mit der Schrift warnen wolle.150 A Lascos 1557 verfasste Responsio151 auf Westphals Texte hingegen wurde erst 1560 gedruckt, konnte also auf die Debatte keinen Einfluss nehmen. 145

Vgl. u. Kap. VI.1.1. Zur (spärlichen) vorhandenen Literatur vgl. die Anmerkungen im Folgenden. Eine nähere Untersuchung der betreffenden Werke, ihres Zusammenhangs mit der Frankfurter Situation und miteinander sowie ihrer Auswirkungen auf den Ausgang des Frankfurter Konflikts kann in dieser auf die überregionale Debatte konzentrierten Arbeit nicht geleistet werden, wäre aber sicherlich lohnend. Der folgende Absatz versteht sich als – notwendig überblicksartiger – Hinweis auf dafür relevante Schriften und Zusammenhänge. 147 Vgl. WESTPHAL, Responsio (s. im Literaturverzeichnis DERS., Epistola – beide Werke wurden gemeinsam gedruckt; vgl. VON SCHADE, Westphal und Braubach, 40–42). Die Ausrichtung gegen a Lascos Anspruch auf Übereinstimmung mit der CA zeigt der Titel „Responsio […] ad scriptum Iohannis a Lasco, in quo Augustanam Confessionem in Cinglianismum transformat“. Zum Inhalt vgl. KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 134–136. 148 Vgl. POULLAIN, VALERAND, ANTIDO-||tus […] AD-||versus Ioachimi Vuestphali […] Consilium nuper scriptum ad || […] Senatum […] ciuitatis Franco-||fordiae […], o.O. 1557, VD16 P 4517; zu Bucer aaO., 42–57; dazu BAUER, Valérand Poullain, 291–297. 149 WESTPHAL, JOACHIM, APOLO-||GIA ADVERSVS || VENENATVM AN||TIDOTVM VALERANDI || POLLANI SACRAMENTARII […], Oberursel: Nikolaus Heinrich 1557, VD16 W 2263.. Zur Datierung und Druck der Schrift vgl. VON SCHADE, Westphal und Braubach, 43; zu ihrem Inhalt MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 110–114. 150 WESTPHAL, JOACHIM, APOLO=||GETICA ALIQVOT || SCRIPTA MAGISTRI || Ioachimi Vuestphali, quibus & || sanam Doctrinam de Eucha-||ristia defendit, & foedissi=||mas calumnias Sacra-||mentariorum || diluit. […], Oberursel: Nikolaus Heinrich 1558, VD16 W 2262., bes. B8r–B8v. 151 Edition in KUYPER I, 271–344. 146

446

Exkurs B: Regionale Abendmahlsdebatten

Ebenso erschien Utenhoves 1557 verfasste Simplex et fidelis narratio erst 1560. Dieses Werk behandelt das Schicksal der Flüchtlinge 1553/54 in Dänemark und Norddeutschland, verfolgt dieses aber bis zur Aufnahme in Frankfurt,152 spielt auf personelle Kontinuitäten zu den dortigen Gemeinden an153 und ist insofern wohl durchaus darauf angelegt, die Behandlung der Frankfurter Fremden durch die Prediger mit der damaligen Situation in den Seestädten zu parallelisieren bzw. die Frankfurter Obrigkeit von einer Ausweisung der Flüchtlinge abzuhalten, wie sie seinerzeit die Hamburger oder die dänische Obrigkeit vorgenommen hatten.154 Ähnliches gilt für Microns im Juni 1557 geplantes,155 noch im gleichen Jahr veröffentlichtes Apologeticum scriptum, in dem er ebenfalls das Verhalten der Flüchtlinge in Dänemark und den Seestädten gegen Westphals Vorwürfe verteidigte.156 Auf der Gegenseite stellte Joachim Magdeburgs 1558 erschienene Schrift Von dem wahren und falschen Christo das Vorgehen gegen die Flüchtlinge in Hamburg als Vorbild für andere Obrigkeiten hin und verwies auf die Frankfurter Situation.157 Wenn er die von Westphals Partei vertretene Christologie gegen a Lascos Vorwürfe verteidigt und gegen Disputationsforderungen der Flüchtlinge argumentiert,158 sind wohl auch die Frage einer Einbeziehung der Gegenpartei in das bevorstehende Wormser Religionsgespräch sowie Melanchthons christologische Vorwürfe gegen Westphals Partei im Blick. Diese Aspekte prägten in besonderer Weise die gleichzeitige Phase des inzwischen weitergeführten überregionalen Streits.

152

Vgl. UTENHOVE, Simplex et fidelis narratio, 150. Vgl. etwa aaO., 39 f.; 92. 154 Zu Utenhoves Schilderung der Vorgänge von 1553/54 vgl. o. Exkurs A.1. Zur Motivation und Prägung des Werks durch die Frankfurter Vorgänge vgl. JÜRGENS, Vertreibung der reformierten Flüchtlingsgemeinden, 21–32. 155 Vgl. Micron an Bullinger, 5.6.1557, CR 44 = CO 16, 504 (Nr. 2642). 156 Vgl. MICRON, Apologeticum scriptum; zu seiner Wiedergabe der Ereignisse von 1553/54 s.o. Exkurs A.1. 157 MAGDEBURG, JOACHIM, Von dem alten vnd || newen Christo. || Das ist || Von dem wa||ren Christo / den Gott Vater im Paradys verheissen […] Vnd von dem falschen Christo / den der || Ketzer Berengarius erfunden […], o.O. 1558, VD16 M 170, hier A2r–C4r; der Hinweis auf Frankfurt aaO., k5v. 158 Vgl. zur Christologie aaO., H7v–Q5v; zu den Disputationsforderungen aaO., B1r– B3r. 153

Teil V

SCHEITERN DER GESAMTREFORMATORISCH NORMATIVEN ANSPRÜCHE UND ENDE DES ZWEITEN ABENDMAHLSSTREITS

Kapitel V.1

Normierungsversuche im Hinblick auf das Wormser Religionsgespräch und endgültiges Scheitern einer gesamtevangelischen Verständigung (1556/57) Nach dem durch umfassende, theologisch differenzierte Streitschriften markierten argumentativen Höhepunkt der Debatte traten im Laufe des Jahres 1556 bei allen Streitbeteiligten Bemühungen in den Vordergrund, der eigene Position auch auf kirchenpolitischer Ebene normative Geltung zu verschaffen. Neben den sich zuspitzenden regionalen Debatten in Bremen und Frankfurt hängt dies stärker, als es in der Literatur bislang wahrgenommen wurde,1 mit den Plänen für ein Religionsgespräch auf Reichsebene zusammen, das dann im Herbst 1557 in Worms abgehalten wurde: Wie die neuere Forschung zum Wormser Religionsgespräch gezeigt hat, führte das geplante Gespräch mit den Altgläubigen auf evangelischer Seite zu einem regelrechten „Ringen um eine gemeinsame Konfessionspolitik“2. Zumal zu erwarten stand, dass eine dort gemeinsam vertretene Position auch im Folgenden für die Kirchenpolitik der beteiligten Stände prägend sein würde, beteiligten sich viele Akteure des Zweiten Abendmahlsstreits an diesem Ringen und versuchten, ihre Position als normativ für die evangelische Partei durchzusetzen. Zugleich griffen in diesem Kontext Theologen wie Melanchthon, Brenz und Andreae in den Streit ein, die bisher nicht daran beteiligt gewesen waren oder sich nicht festgelegt hatten. Der Druck auf die evangelischen Theologen und Stände, sich konkret festzulegen, führte allerdings zu einem von den Akteuren des Abendmahlsstreits so nicht intendierten Resultat: Spätestens auf dem Wormser Gespräch selbst wurde unverkennbar, dass die angestrebte gesamtevangelisch normative Durchsetzung der eigenen Lehre und Identitätsvorstellung keinem der Streitbeteiligten gelingen würde. Dieser Umstand war entscheidend dafür, dass sie den

1 Zwar benennen diverse Forscher Ereignisse während des Wormser Religionsgesprächs als wichtig für den Zweiten Abendmahlsstreit (vgl. dazu u. Kap. V.1.5); die Pläne und Vorbereitungen für dieses Gespräch werden aber kaum als Kontext für die in dieser Zeit entstandenen Streitschriften wahrgenommen. Allerdings würdigt neuerdings KUHN, Bekennen und Verwerfen, 221–253, die Diskussionslage im Vorfeld des Wormser Gesprächs in ihrer Bedeutung für das endgültige Zerwürfnis zwischen Westphal und Melanchthon. 2 SLENCZKA, BJÖRN, Das Wormser Schisma der Augsburger Konfessionsverwandten von 1557. Protestantische Konfessionspolitik und Theologie im Zusammenhang des zweiten Wormser Religionsgesprächs, Tübingen 2010 (BHTh 155), Zitat 94.

450

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Abendmahlsstreit im Anschluss für beendet erklärten,3 und stellte eine wichtige Etappe im Prozess innerevangelischer Konfessionsbildung dar. Zugleich ergaben sich in dieser Phase Fragen, die nach Ende des Zweiten Abendmahlsstreits Gegenstand neuer Debatten werden sollten: Durch die nun erfolgenden Abgrenzungen zwischen Westphals Streitpartei und Melanchthon sowie durch das Eingreifen der Württemberger Brenz und Andreae wurde innerhalb der Wittenberger Reformation eine größere Pluralität von Positionen sichtbar als bisher; zugleich wurde verstärkt die Christologie diskutiert.

1.1 Streit um die Beanspruchung der Wittenberger Reformation: Westphals Kampagne gegen Calvins Secunda defensio 1.1 Westphals Kampagne gegen Calvins Secunda defensio

Westphals Beiträge zur überregionalen Debatte im Herbst 1556 waren darauf ausgerichtet, Calvins Anspruch auf theologische Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation zu widerlegen. Dass sich damit erst teilweise ein (kirchen)politisch normativer Anspruch verband, dürfte damit zusammenhängen, dass sich die Notwendigkeit einer evangelischen Einigung auf Reichsebene zu diesem Zeitpunkt erst vage abzeichnete: Zwar war bereits im Augsburger Reichsabschied von 1555 eine evangelisch-altgläubige Verständigung vorgesehen, aber erst auf dem Regensburger Reichstag im Dezember 1556 und Januar 1557 wurde definitiv ein Religionsgespräch beschlossen.4 Im Vordergrund der Argumentation steht daher der kirchlich normative Aspekt: Westphal sah seinen Anspruch auf reformatorisch verbindliche Geltung der eigenen Position dadurch gefährdet, dass in der vorangegangenen Streitphase mit a Lasco, Ochino, Calvin und Bullinger gleich vier bekannte Reformatoren Haltungen als reformatorischen Konsens dargestellt hatten, die im Widerspruch zu seiner eigenen standen.5 Konkret sah er die Gefahr, dass der gesamtreformatorisch normative Anspruch der Streitgegner anerkannt werden 3

Vgl. dazu u. Kap. V.2. Zum historischen Ablauf im Einzelnen vgl. VON BUNDSCHUH, BENNO, Das Wormser Religionsgespräch von 1557 unter besonderer Berücksichtigung der kaiserlichen Religionspolitik, Münster 1988 (RST 124), 68–247. 5 Deutlich erkennbar wird dies in der Vorrede zu seiner wichtigsten Streitschrift dieser Phase, der Confessio fidei: „Qvod hactenus tanquam mutus factus tacui, ad conuicia congesta in me a Sacramentarijs, id boni isti homines pro sua modestia pulchre interpretantur in eam partem, quasi iam deuictum me et causam ipsam expugnatam prostrauerint penitus. […] Quod si mox uel moderatissime respondissem, cum non unus et alter, sed quatuor prae caeteris insignes totis plaustris conuitiorum in me inueherentur, et non uno genere contumeliae me laederent, tum ex altera parte calumniam mihi intentassent dicturi nescire me quiescere […] et praecipitem ferri infinita contendendi libidine, nam quidam iam ante me ita calumniatus est.“ (WESTPHAL, JOACHIM, CONFESSIO || FIDEI DE EVCHA-||RISTIAE SACRAMENTO, IN QVA || Ministri Ecclesiarum Saxoniae solidis Argumentis sa=||crarum Literarum 4

1.1 Westphals Kampagne gegen Calvins Secunda defensio

451

könnte, weiterhin vor allem bei den Positionen, die Einigkeit mit der Wittenberger Reformation postulierten: Zu den Texten Bullingers und Ochinos, die keinen solchen Anspruch erhoben, verfasste er keine Gegenschriften;6 mit a Lasco und Calvin dagegen setzte er sich eingehend auseinander. Verband sich dies bei a Lasco mit dem Frankfurter Abendmahlskonflikt,7 konzentrierten sich die drei Beiträge zur überregionalen Debatte auf Calvins Secunda defensio. a) Calvins Text als unchristliche Polemik: Westphals Epistola Die auf den 1.9.1556 datierte, 1557 zusammen mit einem gegen a Lasco gerichteten Beitrag zur Frankfurter Debatte publizierte8 Epistola ist kürzer als Westphals andere Schriften gegen Calvin und setzt sich kaum inhaltlich mit den von diesem vorgetragenen Argumenten auseinander.9 Dennoch ist sie ein integraler Teil von Westphals Kampagne gegen die Secunda defensio: Westphal argumentiert, Calvins Polemik gegen die Verteidiger der wahren Lehre sei bereits ein hinreichendes Indiz dafür, dass dieser eine ketzerische Position vertrete – Calvins Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation (den Westphal in seinen anderen Texten aus dieser Zeit inhaltlich widerlegen möchte) gilt insofern schon a priori als unglaubwürdig. Zentral für Westphals Argumentation ist die These, Calvin zeige in der Secunda defensio nun sein wahres Gesicht.10 Hatte Westphal Calvin bisher vorgeworfen, er dissimuliere durch straßburgisch wirkende Lehraussagen und das Postulat theologischer Übereinstimmung mit Wittenberg über seine in Wahrheit ketzerische Haltung, macht er nun an Calvins Polemik fest, dass dessen astruunt Corporis et Sangui-||nis Domini nostri IESV CHRISTI, || praesentiam in Coena sancta […], Magdeburg: Ambrosius Kirchner 1557, VD16 W 2274, A2r). 6 Auf diese Schriften spielen Westphal und seine Mitstreiter gelegentlich an; teils setzen sie sich auch mit deren Argumenten auseinander (mit Bullingers Christologie z.B. im Magdeburger Beitrag zur Confessio fidei, s.u.) – aber das Fehlen eigener Gegenschriften ist doch bezeichnend, gerade im Verhältnis zur Fülle der gegen Calvin und a Lasco gerichteten Texte. 7 Vgl. o. Exkurs B.2. 8 WESTPHAL, JOACHIM, EPISTO-||LA IOACHIMI || Vuestphali, qua breuiter || respondet ad conuicia || Iohannis Cal-||uini.|| ITEM, || RESPONSIO IO-||achimi Vuestphali, ad scriptum Io||hannis a Lasco, in quo Augu=||stanam Confessionem in || Cinglianismum || transfor/|| mat.|| […], Oberursel: Nikolaus Heinrich 1557, VD16 W 2283. Für die Datierung vgl. B2r. 9 Beides dürfte dazu beigetragen haben, dass die Literatur sie kaum behandelt und sich auf die Confessio fidei konzentriert. Immerhin erwähnt wird die Schrift bei TSCHACKERT, Entstehung der lutherischen und reformierten Kirchenlehre, 535, und TYLENDA, CalvinWestphal-Exchange, 203, der explizit bemerkt: „The brevity of the letter clearly indicates that the author was contemplating a major attack, which came in The Confession of Faith“. 10 WESTPHAL, Epistola, A3r: „Quod si character animi est oratio, et ea repraesentat quicquid intus latet, si quis sit mentis habitus, quo quisque sit ingenio declarat: Certe in uno Scripto maledico, Caluinus sese totum ad uiuum tanquam Apelles aliquis expressit et contemplandum proposuit. Abstulit inuolucra, remouit uelamina, fucos et praetextus, quibus alias se occultat et personatus incedit, ne in sua propria imagine conspici et agnosci possit.“

452

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Anspruch unglaubwürdig sei, eine rechtgläubige und mit der Wittenberger Reformation übereinstimmende Position zu vertreten: Christus drohe jedem das Gericht an, der einem Bruder zürne, Calvin aber überschütte seinen (laut seinem Übereinstimmungspostulat) angeblichen Bruder Westphal mit Beschimpfungen.11 Westphal wirft Calvin vor, das sei eines christlichen Lehrers unwürdig und solle nur von der Sachproblematik ablenken.12 Zugleich betont er, Calvin beschimpfe nicht nur ihn selbst als Person, sondern verunglimpfe auch die wahre Lehre:13 Dass Calvin in der Secunda defensio Westphals Auffassung klarer als zuvor aus dem (aus seiner Sicht bestehenden) reformatorischen Konsens ausgegrenzt hatte,14 beweist für Westphal Calvins Ketzerei. Die Schrift endet mit einer Art Ankündigung der Confessio fidei, in der Westphal Zeugnisse von Theologen und Kirchen aus dem sächsischen Raum zusammenstellte, die seine Streitposition stützen und diejenige Calvin widerlegen sollten: Er, Westphal, biete sich unvoreingenommenen Richtern zur Verteidigung an – und diese sind nach seinem Verständnis in Sachsen zu suchen.15 Der Druck der Schrift verzögerte sich, da der Frankfurter Rat am 25. März 1557 Braubach die Veröffentlichung untersagte.16 Daher wurde die Epistola in Oberursel gedruckt.17 Der Druck erfolgte also nach Ende März, aber vor dem 1. August 1557, dem Datum von Calvins Widerlegung im Rahmen der Ultima admonitio. Trotz der fehlenden inhaltlichen Auseinandersetzung nahm Calvin diesen Versuch, seine Glaubwürdigkeit zu untergraben, offenbar ernst. b) Widerlegung von Calvins Berufung auf Melanchthon: Westphals Philippi Melanthonis sententia de Coena Domini Mit der Philippi Melanthonis sententia de Coena Domini reagierte Westphal auf ein wichtiges Argument Calvins für dessen Anspruch, den mit der Wittenberger Reformation übereinstimmenden evangelischen Konsens zu vertreten: die Berufung auf die Abendmahlslehre Melanchthons und der Confessio Augustana. Dagegen will Westphal in seiner Schrift belegen, dass Melanchthon und die von diesem verfassten, für die Wittenberger Reformation normativ gewordenen Bekenntnisse im Gegenteil mit seiner Auffassung übereinstimmten.

11

Vgl. aaO., A3v. Vgl. für ersteres etwa aaO., A3r–A3v; für letzteres aaO., B1r. 13 So etwa deutlich aaO., A4v: „Quam solicite cogitet Caluinus de reddenda ratione, quam extimescat seueritatem iusti iudicij, ostendunt non solum probra, conuicia, contumeliae, falsa crimina quae in me congerit, sed etiam uoces impiae et execrabiles, quibus doctrinam ipsam de caena Domini conspurcat foedissime.“ 14 Vgl. dazu o. Kap. IV.3.2d. 15 Vgl. WESTPHAL, Epistola, B1v–B2r. 16 Vgl. BAUER, Beziehungen Calvins zu Frankfurt, 26. VON SCHADE, Westphal und Braubach, 40, gibt als Datum irrtümlich (unter Verweis auf BAUER) den 25.5. an. 17 Vgl. VON SCHADE, Westphal und Braubach, 40 f. 12

1.1 Westphals Kampagne gegen Calvins Secunda defensio

453

Die Schrift wurde in zwei Ausgaben gedruckt: Eine im Text auf September 1556 datierte18 Ausgabe erschien 1557 in Nürnberg – eine Vermittlung durch den dortigen Pfarrer und Mitstreiter Westphals, Wolfgang Waldner,19 oder den im benachbarten Regensburg tätigen, wenig später in die gegenseitige Abgrenzung zwischen Melanchthon und Westphals Streitpartei involvierten20 Nikolaus Gallus wäre naheliegend, ist aber nicht eindeutig zu belegen.21 Ebenfalls 1557 wurde in Hamburg eine zweite, auf Oktober 1556 datierte Ausgabe gedruckt.22 Mindestens eine der beiden Ausgaben muss zu Jahresanfang 1557 erschienen sein: Ende Januar war die Schrift in Wittenberg bekannt.23 Zu Beginn des Textes betont Westphal, dass Calvin sich nun offen auf Melanchthon und die CA berufe und darin „summam victoriae“24 sehe – in der Tat hatte Calvin diesen Aspekt in der Secunda defensio betont. Da sich Melanchthon bisher zwischen den beiden Streitparteien nicht festgelegt hatte, verstärkte dies Westphals seit Beginn des Streits gehegte Befürchtung, Calvins reformatorisch normativer Anspruch könnte auch im Wittenberger Lager Akzeptanz finden. Daraus ergibt sich die Zielsetzung der Schrift: „Proferam igitur aliquot probationes inde collectas, quae indubitatam fidem faciant D. Philippum minime sentire cum Cinglij socijs, et sub uerbis Confessionis Augustanae non aliud occultare, non illa in alium sensum, siue inflecti siue protrahi debere, quam nostrae Ecclesiae sentiunt et docent, ac uerba illa ut sonant, accipiunt in propria sua significatione. Satis sententiam suam ille declarauit tum ante, tum post exhibitam Augustae confessionem, quod ostandam […] continuata progressione temporis, inde ab initio motae controuersiae, usque in hunc praesentem annum.“25

Westphal postuliert also, Melanchthon habe stets die abendmahlstheologische Position vertreten, die Westphals Partei verteidige, und dies sei immer noch der Fall. Insbesondere habe Melanchthon – entgegen der Aussage Calvins, der

18 Vgl. WESTPHAL, JOACHIM, REVEREN=||DI ET CLARISSI-||MI VIRI D. PHILIPPI MELAN=||thonis sententia de coena || Domini, ex scriptis ei=||us collecta, Nürnberg: Johann

vom Berg und Ulrich Neuber 1557, VD16 W 2272, B8v. Im Folgenden wird (wenn nicht anders vermerkt) diese Ausgabe zitiert. 19 Vgl. zu ihm o. Kap. IV.1.4. 20 Vgl. u. Kap. V.1.2. 21 Die These, dass sich hinter dem anonymen Adressaten „N. fideli Christi ministro in Ecclesia N.“ (WESTPHAL, Philippi Melanthonis sententia, A3r) ein Nürnberger Pfarrer verberge und der Text sich implizit an die Nürnberger Kirche richte (so KUHN, Bekennen und Verwerfen, 223 f.), erscheint spekulativ – zumal unklar ist, ob es sich überhaupt um eine spezifische Person handelt oder eine rein topische Stilisierung vorliegt. 22 WESTPHAL, JOACHIM, Clarissimi || Viri Philippi Me=||lanthonis sententia || de Coena Domini. || ex scriptis eius collecta […], Hamburg: Johann Wickradt 1557, VD16 W 2271, C3v. Zur Unterscheidung beider Ausgaben vgl. KUHN, Bekennen und Verwerfen, 222. 23 Vgl. Albert Lemeier an Westphal, 31.1.1557, SILLEM I, 264 (Nr. 141,17–19). 24 Vgl. WESTPHAL, Philippi Melanthonis sententia, A3v, Zitat ebd. 25 AaO., A4r–A4v.

454

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

sich für seine Auslegung der Confessio Augustana auf Melanchthon als deren Autor berufen hatte – die CA nie anders verstanden als die nostrae Ecclesiae. Um die These zu untermauern, dass Melanchthon stets in seinem Sinne gelehrt habe, stellt Westphal eine chronologisch durchlaufende Reihe von Melanchthonzitaten aus den Jahren 1529 bis 1555 zusammen, die er im Sinne seiner Lehre deuten oder deren Abgrenzung gegen andere Theologen er als Abgrenzung gegen Calvin lesen kann. Bei gegen Oekolampad, Zwingli und deren Mitstreiter gerichteten Texten des Ersten Abendmahlsstreits ist das (im Sinne des von Westphal bekannten Bezugs auf die damalige Wittenberger Streitposition) relativ leicht möglich.26 Für die spätere Zeit hingegen benötigt Westphal regelmäßig Kunstgriffe, um zu belegen, dass Melanchthon auch in Zeiten, in denen er sich innerevangelisch kaum festlegte, seiner Meinung gewesen sei: So zitiert er für die Zeit der Verhandlungen mit Straßburg in den 1530er Jahren27 keine Schrift Melanchthons, sondern die Schmalkaldischen Artikel – einen von Luther stammenden Text, den auch Melanchthon unterschrieben hat.28 Für das Regensburger Religionsgespräch von 1541, auf dem Wittenberger und Straßburger Reformation auf Basis der CA variata eng zusammengearbeitet hatten – was der damals als Vertreter Straßburgs anwesende Calvin als Argument für seine Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation angeführt hatte – zitiert Westphal einen seinerzeit von Melanchthon, Bucer und Pistorius vorgelegten Text, ergänzt die dortige Bestimmung der Präsenz Christi als vere durch et substantialiter und bezieht die unspezifische Abgrenzung gegen prophana iudicia auf Calvin.29 Für die 1550er Jahre führt Westphal unter anderem 26

Eine wichtige Rolle spielen etwa der Brief an Oekolampad von 1529 und die Widmungsvorrede an Myconius aus den Sententiae veterum (aaO., A4v–A6v). Vgl. zu Westphals diesbezüglicher Argumentation KUHN, Bekennen und Verwerfen, 227–229. 27 Vgl. dazu o. Kap. II.3.2–3. 28 Vgl. WESTPHAL, Philippi Melanthonis sententia, B1r. 29 Im Original lautet die zitierte Textstelle: „testati sumus nos amplecti et tueri communem consensum catholicae ecclesiae, quod in coena domini consecrato pane et vino vere et realiter adsint et sumantur corpus et sanguis domini. Testati sumus etiam nos improbare eos, qui negant adesse et sumi verum corpus Christi. Abhorremus enim a prophanis iudiciis in hac caussa“ (MBW.T 10, 178 = MBW 2693). Bei WESTPHAL, Philippi Melanthonis sententia, B2r–B2v, wird daraus nun: „confessi sumus nos retinere et defendere communem doctrinam Ecclesiae Catholicae, quod in coena Domini, consecratis pane et uino, uere et substantialiter adsint, et sumantur Corpus et sanguis Christi. Confitemur praeterea nos non sentire cum illis, qui negant uerum corpus et sanguinem Christi ibi adesse et sumi, et summopere abhorremus a tali opinione, quae ex sola ratione humana uenit sine uerbo Dei. Expendas uerba Emphatica, magni ponderis et efficaciae ad refutandum Caluinum. Postulat declarationem Domini Philippi, at ille claris uerbis expressam dedit. […] Caluinus horribili oppugnatione adoritur meam assertionem, quod Christi corpus et sanguis adsint in coena, at ille contra defendit substantialiter adesse et sumi. […] Caluinus fingat Philipum fauere et patrocinari ipsius opinioni, at ille reclamat, extreme se abhorrere.“ KUHN, Bekennen und Verwerfen, 230, meint, dass die Zitation dieses aus dem Kontext des Wormser Buchs stammenden

1.1 Westphals Kampagne gegen Calvins Secunda defensio

455

das Examen ordinandorum an, das die Präsenz Christi als vere et substantialiter beschreibt.30 Aus Melanchthons Lob für die Abendmahlspredigten Georgs von Anhalt – die die Übereinstimmung mit der kanonischen Tradition betonen und dementsprechend eine Lehre formulieren, die für Westphals Gegner in keiner Weise anschlussfähig ist31 – folgert Westphal, Melanchthon teile Georgs Auffassung.32 Damit erscheint Melanchthon sogar im aktuellen Abendmahlsstreit – in dem er bisher jede Festlegung vermieden hatte – auf Westphals Seite. Auffallend ist zudem, dass Westphal besonders eingehend die Deutung der Confessio Augustana behandelt. Das dürfte zum einen damit zusammenhängen, dass Calvin sich darauf berufen hatte, zum anderen mit dem bevorstehenden Religionsgespräch: Indem Westphal postuliert, dass dieses für die Wittenberger Reformation und die evangelischen Reichsstände zentrale Bekenntnis im Sinne seiner Streitposition zu verstehen sei, argumentiert er nicht nur für die kirchlich-theologische, sondern auch für die kirchenpolitische Normativität seiner eigenen Haltung.33 Dazu wiederholt er seine aus der Iusta defensio34 bekannte These, dass die abendmahlstheologischen Aussagen der CA durch das substantialiter der Apologie verbindlich interpretiert würden.35 Gegen die These Calvins und a Lascos, es handle sich nur bei der CA um einen kirchlich normativen Text, bei der Apologie um eine weniger verbindliche Privatschrift Melanchthons, bringt er vor, seine Gegner wollten die durch die Kürze der CA Dokuments außerdem auf das bevorstehende Religionsgespräch anspielen und vor Kompromissen mit der altgläubigen Partei warnen solle. Das ist denkbar, aber nicht eindeutig. 30 AaO., B6r–B6v: „praescripta est in ea ordinatione ratio examinandi ordinandos ad Mynisterium Ecclesiasticum, in qua proponitur ipsis haec quaestio: Quid distribuitur et sumitur in coena Domini? Illi uero respondent: Verum corpus et sanguis Domini nostri Iesu Christi. Instituit enim Dominus Iesus Christus hanc refectionem, ut testetur, quod uere et substantialiter apud nos, et in nobis esse, et in renatis habitare uelit, sua eis communicare bona, et in illis efficax esse sicut ait Ioann. 15. Manete in me et ego in uobis.“ 31 Gemeint sind Georgs in den Jahren 1553/55 gedruckte Sakramentspredigten (kritisch ediert in GEORG III. VON ANHALT, Abendmahlsschriften, ed. v. Tobias Jammerthal u. David Burkhart Janssen, Leipzig 2019 (Anhalt(er)kenntnisse), 159–411). Zur Theologie und religionspolitischen Zielrichtung dieser Predigten vgl. JAMMERTHAL, TOBIAS, „Vom Hochwirdigen Sacrament“. Georgs III. von Anhalt Abendmahlspredigten: theologisches Testament und Ausdruck religionspolitischen Hegemonialanspruchs, in: ZKG 127 (2016), 315–333. 32 Vgl. WESTPHAL, Philippi Melanthonis sententia, B4v–B5v. 33 Ähnlich KUHN, Bekennen und Verwerfen, 229. 34 Vgl. o. Kap. IV.3.1a. 35 WESTPHAL, Philippi Melanthonis sententia, A8r: „Non simpliciter in ea [i.e. in Apologia Confessionis Augustanae, C.E.] repetiuit uerba Confessionis, sed addita declaratione, quo substantialiter corpus et sanguis Christi adsint, et dispensentur in coena Domini, quam confirmant testimonia totius Ecclesiae. Allegat enim, non tantum Romanam Ecclesiam affirmare corporalem praesentiam, sed idem olim sensisse, et nunc sentire Graecam. Scribit Philippus in Apologia decimum articulum Confessionis de coena Domini a Caesarianis approbatam esse: Illi uero nequaquam approbassent, si nostros id, quod Sacramentarij astruunt, sentire animaduertissent, et tale aliquid confessio indicasset.“

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

gegebene Missverständlichkeit ausnutzen – die Apologie sei dagegen präziser und von Melanchthon namentlich unterzeichnet.36 Auch Melanchthon selbst beziehe sich auf CA und Apologie als Ausdruck von kirchlichem Konsens – nicht auf die CA allein.37 Indem Westphal als Beleg für die Zusammengehörigkeit von CA und Apologie auch die Überreichung durch die gleichen Protestantes anführt,38 spielt er auf die normative Rolle des Bekenntnisses für die Mehrheit der evangelischen Reichsstände an. Weniger eindeutig ist, welches Ziel Westphal mit der Schrift in Bezug auf Melanchthon selbst verfolgt – dementsprechend wird dieser Aspekt in der Literatur sehr unterschiedlich beurteilt. Nehmen einige Forscher an, Westphal wolle damit Melanchthon positiv für die eigene Streitposition beanspruchen,39 meinen andere, Westphal wolle Melanchthons Widerspruch provozieren, um ihn dann als Parteigänger der Gegner attackieren zu können.40 Letztere These beruht allerdings auf der Annahme, Westphal sei sich zum Zeitpunkt der Abfassung der Philippi Melanthonis sententia sicher gewesen, dass Melanchthon eine zur seiner eigenen im Widerspruch stehende Haltung zum Abendmahlsstreit vertrete. Eben dies ist aber nicht derart eindeutig: Wie die bisherigen Analysen gezeigt haben,41 ist die ältere These eines seit Streitbeginn bestehenden Gegensatzes zwischen Westphal und Melanchthon so nicht haltbar; vielmehr versuchten beide Streitparteien, den auf dem innerreformatorischen Spektrum zwischen ihnen stehenden Wittenberger Reformator für die eigene Position zu beanspruchen, während Melanchthon selbst eine klare Festlegung

36 AaO., A8r–A8v: „Non sine causa aliquis miretur, cur Caluinus et Lascus separent confessionem Augustanam et Apologiam, et non, haec praeterita, illam pro scuto suo praetendant, cum utraque sit ab uno scripta, ab ijsdem Protestantibus, eodemque tempore exhibita, et coniunctim haec cum illa impressa. Sed in causa est confessionis breuitas, quae cum simul aliquam obscuritatem secum afferat, facilius in ea impia Sophistica ludere potest. Quod si ex alterutra, declaratio aliqua de mente Philippi esset adducenda, conueniret potius ex Apologia, quam ex confessione eam afferre. Nam in Apologia praecipue suum nomen D. Philippus profitetur, et prolixius omnia explicat.“ 37 AaO., B1v–B2r: „Obtulit […] scriptum in quo sunt haec uerba. Vt autem constet quid sentiam, addo me amplecti doctrinam Ecclesiarum nostrarum, quae recensetur in Confessione Augustae exhibita et Apologia, et hanc doctrinam iudico uere esse doctrinam Euangelij et sententiam Catholicae Ecclesiae Christi. […] Obseruabis attente, coniungi Augustanam confessionem et Apologiam, et ad utranque D. Philippum remittere, de utroque scripto definire, quod ibi contineatur doctrina Euangelij, et sententia Catholicae Ecclesiae.“ 38 Vgl. aaO., A8r–A8v. 39 So GREVE, Memoria Westphali, 121–129, HEPPE, Geschichte des deutschen Protestantismus I, 122; NEUSER, Dogma und Bekenntnis, 278. 40 So STURM, Zacharias Ursin, 63: „die Partei Westphals wünscht sich ein deutliches Wort Melanchthons, das ihn dann zum Calvinisten und angreifbar machen würde.“ 41 Vgl. insbesondere Kap. III.2.2b, IV.1.1 und IV.1.2.

1.1 Westphals Kampagne gegen Calvins Secunda defensio

457

vermied.42 Das änderte sich erst um den Jahreswechsel 1556/57 herum, als Melanchthon sich im Bremer Abendmahlsstreit gegen Westphals Partei positionierte und sich explizit gegen deren Versuche verwahrte, ihn zu Äußerungen in ihrem Sinne zu bewegen.43 Die Philippi Melanchthonis sententia entstand aber vor diesem Zeitpunkt: Beide Druckausgaben erschienen zwar erst 1557, sind aber im Text auf September bzw. Oktober 1556 datiert.44 Das ist auch die Schwierigkeit der neueren These, es gehe Westphal darum, die „Autorität der Confessio Augustana vor Melanchthon selbst in Schutz zu nehmen“, da dessen Lehrposition und Haltung im Bremer Streit Westphal hätten befürchten lassen, Melanchthon könnte auf dem Wormser Religionsgespräch eine Deutung der CA vertreten, die „Zwinglische Interpretamente zugrunde lege“.45 Es ist plausibel, dass Westphal solche Befürchtungen hegte, nachdem er das Wittenberger Gutachten zum Bremer Streit zu Gesicht bekommen hatte. Dieses datiert vom 10. Januar 1557. Die Philippi Melanchthonis sententia muss aber vor Ende Januar 1557 erschienen sein.46 Der zwischen diesen zwei Daten liegende Zeitraum ist zu kurz, als der Text (oder auch nur ein Nachtrag) in dieser Zeit hätte abgefasst, übermittelt und gedruckt werden können – die Bremer Ereignisse können also nicht als Hintergrund für die Konzeption der Schrift gelten. Freilich ist im Herbst 1556 auch nicht von einem ungebrochen positiven Verhältnis Westphals zu Melanchthon auszugehen. Vielmehr spricht Westphals Argumentation für eine hoch ambivalente Perspektive (die von den genannten Forschungsurteilen jeweils in eine Richtung aufgelöst wird): Anders als Gallus, der 1554 Melanchthons Aussagen des Ersten Abendmahlsstreits gegen seine aktuelle Haltung ins Feld geführt hatte,47 behauptet Westphal eine kontinuierliche und weiterhin gegebene Übereinstimmung Melanchthons mit seiner eigenen Auffassung. Damit beansprucht er Melanchthon für die postulierte normative Geltung seiner Streitposition. Zugleich setzt er Melanchthon unter Druck: Äußert dieser sich weiterhin nicht, kann Westphal dies als Beleg für die Richtigkeit seiner Darstellung verbuchen. Widerspricht er hingegen, kann Westphal ihm vorwerfen, der bisher auch von ihm selbst vertretenen Haltung untreu zu werden. Das würde genau zu einer Situation passen, in der Westphal noch keine definitiven Aussagen Melanchthons zum Streit bekannt waren und er weiterhin daran interessiert sein musste, eine so zentrale Autorität der Wittenberger Reformation für sich beanspruchen zu können – während er zugleich zunehmend Misstrauen über Melanchthons wahre Position hegte.

42

Vgl. o. Kap. III.2.2b; IV.3.1a; IV.2.2b und IV.3.2d. Vgl. dazu u. Kap. V.1.2a. 44 Vgl. dazu oben am Beginn des Abschnitts. 45 So KUHN, Bekennen und Verwerfen, 221–235, beide Zitate 225. 46 Vgl. dazu oben am Beginn des Abschnitts. 47 Vgl. o. Kap. IV.1.1. 43

458

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Besonders deutlich zeigt sich Westphals ambivalenter Umgang mit Melanchthon an der Heranziehung anderer kirchlicher Autoritäten – einerseits wird Melanchthon damit zum Konsens der Wittenberger Reformation gerechnet, andererseits könnte Westphal ihm (wenn er dieser Argumentation widersprechen sollte) gegebenenfalls vorwerfen, zu eben diesem Konsens in Widerspruch zu treten: So betont Westphal, die Confessio Saxonica wolle vertreten, was in allen Luther und der CA anhängenden Kirchen gelehrt werde48 – Westphals normativem Anspruch zufolge also seine Lehrauffassung. Zudem führt er die Mecklenburger Kirchenordnung, das Examen ordinandorum und das Zeugnis für einen aus Hamburg stammenden Magister an, um zu belegen, dass Melanchthon sich mit der Hamburger Kirche theologisch einig sehe49 – damit steht für Westphal fest, dass Melanchthon die gleiche Position vertritt wie er selbst.50 Westphal macht sich hier zunutze, dass dieser Anspruch bei expliziten Erwähnungen der Hamburger Kirche besonders plausibel wirkt51 – Melanchthon selbst dürfte bei solchen Aussagen freilich an einen offeneren Konsens gedacht haben, etwa im Sinne der von ihm 1557 dann verfochtenen Offenlassung aller in der CA variata nicht eindeutig geklärten Fragen.52 Die Hamburger Ausgabe ist anhangsweise um mehrere Dokumente erweitert, darunter neben Kirchenväterzitaten ein auf den 2. September 1556 datierter Brief von Johannes Brenz, in dem dieser von seiner Unterredung mit a Lasco im Mai berichtet.53 Die Verbindung zum Hauptteil der Schrift liegt darin, dass Brenz in diesem Gespräch a Lasco nicht – wie von diesem gewünscht – Übereinstimmung mit der Confessio Augustana, sondern im Gegenteil eine diesem Bekenntnis widersprechende Lehrauffassung bescheinigte.54 Insofern kann Westphal mit diesem Zeugnis nicht nur seine Ansicht weiter stützen, dass die Lehre seiner Gegner von der CA nicht gedeckt sei; er führt damit auch einen 48

AaO, B3v: „In praefatione repetitae confessionis Augustanae protestati sunt [i.e. die sächsischen Theologen, C.E.], se nequaquam uoluisse dissidia accendere in his Ecclesijs: Sed simpliciter recitare summam doctrinae, quae sonat in Ecclesijs omnibus, quae reuerendi uiri D. Lutheri confessionem amplectuntur, ac repetere sententiam confessionis, quae Imperatori Carolo exhibita est.“ 49 Vgl. aaO., B6r–B7r. 50 Besonders deutlich wird dies in der Deutung des Examen ordinandorum, aaO., B6v– B7r: „nominatim approbat doctrinam, quam sonant Ecclesiae in his maritimis urbibus: Sonat una eademque uox in his Ecclesijs de Sacramento Domini, iuxta confessionem aeditam, cum alias tum in refutatione libri Augustani: a magistratu etiam illa doctrina defenditur publicis edictis, et poenis propositis, nec ea ignota est D. Philippo. Non igitur approbare se ostenderet, quae nostrae Ecclesiae docent unanimiter, si tam grauiter errarent in re Sacramentaria, quam atrociter accusantur a Sacramentarijs, etsi ille cum his consentiens ab illis dissentiret.“ 51 Dies betont zu Recht auch STURM, Der junge Zacharias Ursin, 71. 52 Vgl. u. Kap. V.1.2a. 53 Vgl. WESTPHAL, Philippi Melanthonis sententia (Hamburger Ausgabe), C3v–C5r. Zu Anlass und Verlauf dieser Unterredung vgl. u. Kap. V.1.3b. 54 Vgl. u. Kap. V.1.3b.

1.1 Westphals Kampagne gegen Calvins Secunda defensio

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weiteren bedeutenden Reformator für seine Streitposition ins Feld. Dass auch Brenz kein derart eindeutiger Parteigänger Westphals war, sollte sich in den folgenden Monaten und auf dem Wormser Gespräch zeigen.55 Ende 1556 war Westphal aber noch sehr daran gelegen, ihn ebenso wie Melanchthon für die eigene Position zu beanspruchen und so die These zu untermauern, dass diese von allen Autoritäten der Wittenberger Reformation vertreten werde. c) Kirchliche Zeugnisse gegen Calvins Anspruch auf Übereinstimmung mit Wittenberg: Die Confessio fidei Die Confessio fidei bildete den Höhepunkt von Westphals Bestrebungen, Calvins Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation zu widerlegen: Calvin hatte seine Secunda defensio den Saxonicae ecclesiae gewidmet und diese zur Beurteilung des Konflikts aufgerufen.56 Darauf57 reagierte Westphal, indem er Zeugnisse zahlreicher Kirchen und Einzelner aus dem (nieder)sächsischen Raum einholte und veröffentlichte, die seine Position stützten und die seiner Gegner verketzerten. Die mit abgedruckten58 Musterbriefe, in denen Westphal die Adressaten um derartige Zeugnisse bat, und die in manchen Texten enthaltenen Datierungen legen nahe, dass große Teile des 1557 gedruckten Werks zwischen August und Oktober 1556 entstanden.59 Die von Westphal in der Confessio fidei gesammelten Bekenntnisse sind weder als selbstverständlicher Ausdruck einer in allen Kirchen der Wittenberger Reformation ohnehin üblichen Auffassung60 noch als Ausdruck einer durch Westphal erst hervorgerufenen, vorher so nicht gegebenen Parteibildung61 zu 55

Vgl. u. Kap. V.1.3 und V.1.5. Vgl. o. Kap. IV.3.2d. 57 Die Schrift wendet sich nicht (wie KUHN, Bekennen und Verwerfen, 178, irrtümlich annimmt) gegen Calvins Ultima admonitio, die im Sommer 1557 entstand und somit 1556, als Westphal mit der Einholung von Zeugnissen für die Confessio fidei begann, noch nicht vorlag. Vielmehr reagiert die Ultima admonitio auf die Confessio fidei. Vgl. u. Kap. V.1.4b. 58 Vgl. WESTPHAL, Confessio fidei, A4v–B3v. 59 Einer von Westphals Briefen trägt die Angabe August 1556 (vgl. aaO., B1r); das Lüneburger Bekenntnis datiert vom 4.8.1556 (aaO., Q7v), das Bremer Bekenntnis vom 20.8.1556 (aaO., L1r), das Johann Magdeburgs vom 1.9.1556 (aaO., T2r), das Timanns vom September 1556 (aaO., L4r), das Hannoveraner vom 22.10.1556 (aaO., R2v), das Magdeburger vom 26.10.1556 (aaO., B5r); die Hildesheimer geben an, Westphals Brief in der Kirchenversammlung vom 13.10.1556 verlesen zu haben (aaO., M2r). Einzelne Texte sind allerdings später datiert, etwa die Stellungnahme von Flacius auf das Jahr 1557 (aaO., H4r). 60 So etwa SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 175: „Eine Wolke von Zeugnissen für die Lehre Luthers trat auf […]. Dass die Partei der lutherischen Führer eine kleine sei, konnte man nun nicht mehr behaupten.“ Vgl. auch GREVE, Memoria Westphali, 112–120; TSCHACKERT, Entstehung der lutherischen und reformierten Kirchenlehre, 535; MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 91. 61 Vgl. PLANCK, Geschichte der protestantischen Theologie II/2, 70–72; HEPPE, Geschichte des deutschen Protestantismus I, 122–123; STÄHELIN, Johannes Calvin, 223. Bei 56

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

bewerten: Der Kreis der Beteiligten (zu dem etwa die Kirchen Magdeburgs und Bremens oder Westphals Frankfurter Parteigänger Hartmann Beyer gehören62) spricht eher dafür, dass Westphal seine Bitten um Unterstützung an Personen und Ortskirchen richtete, die ihm wahrscheinlich zustimmen würden – um deren Haltung dann zum normativen Konsens der gesamten Wittenberger Reformation zu erklären. Dieses Verfahren hat Vorbilder in Debatten wie dem Osiandrischen Streit.63 Dass nicht nur Calvin und dessen Mitstreiter auf die Schrift besonders empfindlich reagierten, sondern auch Melanchthon, dürfte mit der Schlagkraft dieses normativen Arguments zu tun haben. Dass Westphal ein so massives Vorgehen wählt, hängt damit zusammen, dass in der Secunda defensio genau die Aspekte von Calvins Position ausgebaut sind, die er von Anfang an als problematisch diagnostiziert hatte: Calvin grenzt zunehmend die von Westphals Seite vertretene Lehre aus dem von ihm postulierten kirchlichen Konsens aus – was für Westphal bestätigt, dass es sich um einen Angriff auf die wahre Lehre handelt: Da Calvin eine reconciliatio mit der eigenen Seite anstrebe und zugleich die carnalis Christi praesentia bekämpfen wolle, könne die Einigung nur so gedacht sein, dass die nos ihre zugunsten von Calvins Position aufgäben64 (was im Hinblick auf Calvins normativen Anspruch nicht von der Hand zu weisen ist). Zugleich aber hat Calvin seine Argumente für die Übereinstimmung seiner Lehre mit der Wittenberger Reformation ausgebaut – was aus Westphals Sicht die Gefahr erhöht, dass Calvins diesbezüglicher Anspruch anerkannt werden könnte:

letzterem wird besonders deutlich, dass diese Ansicht auf der These beruht, vor Westphals Auftreten sei die evangelische Mehrheitsposition (auch im Bereich der Wittenberger Reformation) von Einigkeit zwischen Calvin und Melanchthon bestimmt gewesen. 62 Zu den Beteiligten im Einzelnen vgl. weiter unten in diesem Abschnitt. 63 Zu den Bemühungen Herzog Albrechts von Preußen, durch kirchliche Gutachten die Lehre Osianders zu legitimieren, vgl. JÜRGENS, HENNING P., Das „Urteil der Kirche“ im Osiandrischen Streit. Theologische Öffentlichkeit als Schiedsinstanz, in: Ders. / Thomas Weller (Hg.), Streitkultur und Öffentlichkeit im konfessionellen Zeitalter, Göttingen 2013 (VIEG.B 95), 229–252, hier 240–243. Der Fall ist in mancher Hinsicht anders gelagert (so war es dort der Herrscher, der die Gutachten einholte, und diese erbrachten mehrheitlich nicht das von ihm gewünschte Ergebnis), aber die Zielrichtung ist doch vergleichbar. Insofern ist Westphals Vorgehen wohl nicht so ungewöhnlich, wie beispielsweise PLANCK, Geschichte der protestantischen Theologie II/2, 71, Anm. 106, meint. 64 WESTPHAL, Confessio fidei, A7v-A8r: „Quis erit obsecro locus, quae uia ad reconciliationem, nisi ut turpiter praeuaricantes, prodita ueritate, sacrilegam palinodiam canamus, et ambobus brachijs amplectamur damnatum dogma ac supplices prostrati confiteamur, nos grandem iniuriam fecisse Cinglij sodalibus, uterque ueniam deprecemur? Nullam aliam spem reconciliandi Caluinus relinquit, cum confidenter uobis denunciat perpetuum bellum, et nostrae doctrinae hostem, dum uiuit futurum se esse minatur. Sic enim e uestigio post mentionem remedij et reconciliationis intonat, sibi decretum esse, carnalem Christi praesentiam usque ad extremum spiritum oppugnare uelle.“

1.1 Westphals Kampagne gegen Calvins Secunda defensio

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„Caluinus […] Ecclesijs Saxoniae, et inferioris Germaniae dedicauit omni uirulentia redundans scriptum, non solum ut dissensionis semina spargeret inter nostros, sed etiam ut longius dissitis, quibus res nostrae non ita notae sunt, nec eas possunt ita facile integre cognoscere, fucum faceret, se de Coena Domini non aliud sentire, docere et defendere, quam nostrae Ecclesiae sentiunt, docent et defendunt, meque non tam contra ipsum quam has nostras Ecclesias D. Lutheri sententiam defendere: qua astutia etiam Augustanae Confessioni manus inijcit, et ad D. Philippum Melanthonem prouocat, quasi Cingliani dogmatis non modo fautorem, sed etiam Patronum, et sub hoc praetextu magni nominis atque etiam sub specie consensionis harum Ecclesiarum suum errorem late extrudit.“65

Westphal befürchtet also zum einen, Calvins Berufung auf Melanchthon, CA und sächsische Kirchen könnte unbefangene Leser dazu führen, Calvins (in seinen Augen ketzerische) Lehre zu übernehmen. Diese Gefahr sieht er allerdings nur bei exteris hominibus, denen die wahren Verhältnisse nicht bekannt seien – denn aus seiner Sicht steht fest, dass die Wittenberger Reformation in Wirklichkeit auf seiner Seite steht.66 Für die eigene Kirche dagegen fürchtet er dissensio: Wenn neben seiner Auffassung auch Calvins Lehre als rechtgläubig anerkannt würde, wäre der kirchliche Konsens gestört. Diese Gefahr hängt für ihn auch damit zusammen, dass Anhänger Calvins in der sächsischen Kirche permixti seien und nur darauf warteten, sich zu ihrer Häresie zu bekennen67 – diese Anhänger werden aber nicht benannt, so dass es sich wohl eher um einen Häretikertopos handelt als um einen Angriff auf konkrete Personen. Calvins Anspruch, den kirchlichen Konsens zu vertreten, setzt Westphal den eigenen entgegen. Dass er dies mit einer Sammlung von Bekenntnissen tut, verschafft ihm argumentative Vorteile: Calvin kann er entgegenhalten, das Urteil der Ecclesiae Saxonicae (denen Calvin sein Werk gewidmet hatte) sei in seinem Sinne ausgefallen68 – wenn Calvin an Einigung interessiert sei, solle er sich danach richten.69 Zugleich ist Westphals Vorgehen im Hinblick auf normative Festlegungen günstig: Er hat die Stellungnahmen für den Fall erbeten, 65

WESTPHAL, Confessio fidei, B2v-B3r. Vgl. aaO., B1r-B1v; A8r–A8v. 67 Vgl. aaO., A7v. 68 AaO., A2r–A2v: „Cum enim [Calvinus, C.E.] scriptum suum […] dedicasset quasi re praeclare gesta, Ecclesijs Saxoniae, et uerbis quidem uideretur causae cognitionem adeas deferre, prolixe etiam promitteret, se recusare nolle, quaecunque reconciliationis ratio ostenderetur, […], putaui ibi quoque mihi consistendum esse, nec aliud quicquam attendandum, nisi hoc unum, ut ad idem forum Ecclesiasticum receptum haberem, et ab incorruptis et synceris iudicibus pro defensione iustae causae iustam sententiam obtinerem. Hoc igitur consilio scripsi ad eos, qui praesunt Saxonicis Ecclesijs et in his magno consensu secundum normam sacrae Scripturae, et probata Symbola fidei docent, ab his spectate integritatis uiris petiui, ut de Caluino et meis scriptis deque tota controuersia dijudicarent et suam de coena Domini aederent confessionem.“ 69 AaO., A3v–A4r: „Habet ergo Caluinus sibi responsum ad dedicatum nostris ipso dignum librum, et ad appellationem factam ad Ecclesias Saxoniae: habet sibi ostensam uiam reconciliationis, non cum uno atque altero, sed cum tota Ecclesia quam offendit […] Declaret 66

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

dass es nicht bald zu einem Kirchenkonvent komme, der die Frage kläre.70 Die eingeholten Zeugnisse ersetzen also als „virtuelle Synode“71 den Beschluss eines solchen Konvents – formal vorläufig, faktisch mit normativem Anspruch. Konkret enthält die Confessio fidei vor allem Zeugnisse niedersächsischer und norddeutscher Kirchen: Neben Texten der Magdeburger Pfarrer (mit einer subscriptio des Flacius) und des Mansfelder Superintendenten Erasmus Sarcerius stehen kirchliche Stellungnahmen aus Hamburg, Lübeck, Bremen, Lüneburg, Braunschweig, Hannover, Hildesheim, Nordhausen, Dithmarschen, Wismar, Husen in Holstein und Schwerin, die zumeist von einer Reihe Geistlicher namentlich unterzeichnet sind,72 sowie Briefe einzelner Pfarrer aus Bremen, Ostfriesland, Dithmarschen, Lüneburg und Husen.73 Dieser geographische Schwerpunkt entspricht Westphals Netzwerk: Viele dieser Kirchen (etwa Lüneburg und Lübeck) arbeiteten auch sonst mit den Hamburgern zusammen; Mitstreiter Westphals kamen von dort und unterzeichneten nun auch (etwa Matthäus Judex);74 Johann Timann und die Bremer Pfarrer wandten sich in seinem Sinne gegen Hardenberg;75 Lübeck und Wismar gehörten zu den Städten, aus denen englische Flüchtlinge ausgewiesen worden waren.76 Den Konsens dieser Kirchen postuliert Westphal als solchen der gesamten Wittenberger Reformation: Alle sächsischen Kirchen lehrten das Gleiche; auch die Wittenberger und Leipziger Theologen würden sich nicht anders äußern.77

nunc factis ipsis quam reuerenter sentiat de Ecclesijs Saxonicis, quam uere scripserit, se admittere uelle, quaecunque offeretur illi reconciliandi ratio. Hoc si facere noluerit […], desinat praetendere uenerabile nomen Ecclesiae et concilij, desinat postulare cognitionem in Synodo, qui non auscultet tam sanctis Synodis, ubi singulis tum locus tum tempus oportunius, tum potestas commodior proposita examinandi et prudenter dicendi sententiam data est, quam in aliquo generali conuentu dari potest.“ 70 Vgl. aaO., A8v. 71 Diese Formulierung verdanke ich JÜRGENS, Urteil der Kirche, 242 (der sie auf die Einholung kirchlicher Gutachten durch Albrecht von Preußen im Osiandrischen Streit bezieht). 72 Vgl. für Magdeburg WESTPHAL, Confessio fidei, B4r–H3v; für Flacius aaO., H3v– H4r; für Sarcerius aaO., H4v, für Hamburg aaO., O6v–Q1v, für Lübeck aaO., Q4r–Q5r, für Bremen aaO., H5r–M1v, für Lüneburg aaO., Q5v–Q8r, für Braunschweig aaO., Q8r–R1r, für Hannover aaO., R1r–R2v, für Hildesheim aaO., M2r–O6v, für Nordhausen aaO., S1r– S3r, für Dithmarschen aaO., R6v-S1r, für Husen aaO., R5v–R6v, für Wismar aaO., R3r– R4r, für Schwerin aaO., R4v–R5r. 73 Elias Segebade (Bremen), Martin Faber (Ostfriesland), Lukas Lossius (Lüneburg), Johann Magdeburg (Dithmarschen) und Peter Bokelmann (Husen), vgl. aaO., S3v–T4r. 74 Vgl. aaO., H3r–H3v. 75 Vgl. für die Bremer Pfarrer aaO., H5r–M1v, für Timann aaO., L2r-L4r. Zu ihrem Engagement im Bremer Streit vgl. o. Exkurs B.1. 76 Vgl. o. Exkurs A.2. 77 WESTPHAL, Confessio fidei, A3r–A3v: „nisi uelint fortassis dicere, se non a solis uel praecipue ab Ecclesijs istis Saxoniae inferioris iudicium et sententiam requisiuisse, susque deque habere, quid illae pronuncient: se demonstrasse nobis alias Saxonicas Ecclesias, ad

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Der Anspruch wird auch dadurch untermauert, dass Westphal in die Sammlung Briefe von Luther und Melanchthon einfügt78 – speziell durch die Wahl von Briefen stehen diese Texte zentraler Wittenberger Autoritäten den von ihm gesammelten Zeugnissen parallel. Zudem beansprucht er, in Meißen, in Oberdeutschland und allen Städten von Wittenberg bis Zürich bestehe Konsens in seinem Sinne79 – dass hier mit Zürich ein Zentrum der gegnerischen Lehrauffassung erwähnt wird, spricht dafür, dass es bei dieser These weniger um realistische Aussagen geht als darum, den eigenen gesamtreformatorisch normativen Anspruch gegen den der Gegner zu setzen. Auf konkrete Belege kommt es hier weniger an: Zitiert werden aus Oberdeutschland nur Brenzʼ Johanneskommentar80 sowie ein Brief Hartmann Beyers aus Frankfurt – eines weiteren vor Ort im Sinne Westphals engagierten Pfarrers.81 Dazu kommt ein Beitrag Wilhelm Nicolais aus Antwerpen82 – indem Westphal diesen anonymisiert und unter die Überschrift stellt „Epistola scripta ex la Babylone, de qua Apocalypsis xviij.“83 schützt er den Absender und stellt zugleich Antwerpen, wo gegnerische und altgläubige Gedanken dominieren, als antichristliches Babel dar. Auf inhaltlicher Ebene zeigen die abgedruckten Texte tatsächlich weitgehende Übereinstimmung. Speziell die Einordnung der gegnerischen Lehre als Zürcher Ketzerei zieht sich durch alle Beiträge – allerdings auf sehr unterschiedlichem Niveau: Die Magdeburger Geistlichen legen eine 96 Seiten lange, stringent aufgebaute Stellungnahme vor,84 setzen sich detailliert mit einzelnen alios Doctores prouocasse. Quas uero et ad quos? Equidem nullas scio Ecclesias, nullos Doctores in ulla parte Saxoniae quid aliud docuerint aut defenderint ante hac, uel aliud etiam num doceant ac defendant siue in scriptis suis, siue in concionibus, siue in praelectionibus, quam docetur et defenditur in nostris. Si nominatim nobis proferent Vitebergenses uel Lipsienses Theologos, nec de his diuersum aliquid scimus. Extant illorum scripta quae testimonium dicunt et facile, si illis habetur fides, litem diriment, in quibus claris uerbis fatentur, se amplecti et retinere harum Ecclesiarum doctrinam et earum consensum tueri.“ 78 Vgl. aaO., T6r–T8r; bei Luther handelt es sich um die zwei Briefe an Jakob Probst, bei Melanchthon um die Widmungsvorrede zu den Sententiae veterum. Zum ursprünglichen Kontext der Briefe vgl. o. Kap. II.5.1 u. II.2.2d. 79 WESTPHAL, Confessio fidei, A3v: „Idem plane constat de alijs Ecclesijs Misniae, et totius superioris Germaniae, quas cum his diebus inspiceret uir facturus inter in Italiam, et diligenter inquireret de genere doctrinae, et in urbibus ad quas peruenit, Viteberga digressus usque ad Tigurum, consensum se reperisse in doctrina de Sacramentis, ad me perscripsit. Nemo utique nisi temere suo periculo credulus, sinet sibi uerba dari posthac, et persuaderi, ibi Sacramentarium dogma probari, non inde expectabit eius defensionem, unde tanto tempore summa constantia, tot aeditis libris, toties error ille oppugnatus et damnatus est.“ 80 Vgl. aaO., Q1v–Q3v. 81 Vgl. aaO., S3v-S4r; zu Beyers Engagement in Frankfurt o. Exkurs B.2. 82 Vgl. zu dieser Identifikation des anonymen Autors SILLEM I, 246 (zu Nr. 130). 83 WESTPHAL, Confessio fidei, T4v. 84 AaO., B4r–H3v. Nach einem „Methodvs coenae dominicae“, gegliedert nach causa efficiens, materialis, formalis und finalis (B6r–C4v) folgen Argumente für die eigene Position (C4r–C8v), gegnerische Argumente (D1r–H2r) sowie eine conclusio (H2v–H3r).

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Argumenten Calvins, Bullingers und a Lascos auseinander85 und machen den Dissens präzise an der Heilsmittelfunktion des Abendmahls86 sowie der Zweinaturenlehre87 fest. Auch Elias Segebade und Martin Faber kennen Schriften Bullingers, Calvins und Ochinos;88 andere Autoren setzen sich immerhin allgemein mit dem Konzept einer spiritualis manducatio auseinander.89 Zugleich finden sich aber auch Texte, die schlicht voraussetzen, dass die gegnerische Lehre im Sinne einer rein symbolischen Auffassung zu verstehen sei, und ausschließlich Argumente des Ersten Abendmahlsstreits wiederholen.90 Der positive Lehrkonsens besteht dementsprechend in Erstem und Zweitem Abendmahlsstreit gemeinsamen Standardaussagen: vor allem der Berufung auf den (aus dieser Sicht) einfachen Sinn der Einsetzungsworte, der gegen eine tropisch-allegorische Deutung abgegrenzt wird.91 Originell sind nur die christologischen Überlegungen Johann Bötkers, die er später in seiner Streitschrift ausbauen sollte:92 Während andere Texte allenfalls allgemein auf Personeinheit und Allmacht Christi verweisen,93 reflektiert er über die Dominanz der göttlichen Natur in der unio hypostatica.94 Ein Indiz für den unabgeschlossenen 85

Vgl. aaO., F6v–F7r (Bullingers Rückführung seiner Christologie auf die Alte Kirche), G4v–G7r (a Lascos Anfrage, ob Christi Leib verdaut werde, und der von ihm postulierte Widerspruch zwischen Christi Annahme des Leibes von den Menschen und dessen Gabe an sie im Abendmahl), H1v–H2r (Calvins Berufung auf Dietrich und Cruciger). 86 AaO., C3v–C4r: „Negant applicationem remissionis peccatorum per hanc Coenam fieri, Sed dicunt esse tantum confirmationem iam acceptae remissionis, sic enim ratiocinantur, Sola fide iustificatur peccator. Ergo non per Sacramenta. […] Obseruare autem operae precium est insignem Sacramentariorum fraudem. Nam per hanc partem prorsus tollunt, quae prius de spirituali manducatione seu spirituali efficatia dixerunt. Nam cum de materia Sacramenti, id est, praesentia corporis Christi agere debent, cum omnia ad Spiritualem efficiciam uolunt applicare, quo uerba Christi eludant et simpliciori lectori imponant. Cum uero ad effectus uentum est, tum rursus efficaciam extenuant, qua ratione et corpus Christi, et eius efficaciam nobis auferunt.“ 87 AaO., B8r: „corpus Christi naturale, in coelo tantum certo angustoque loco, quantus unum hominis corpus capere possit, contineri, […] contendunt, nec esse reuera in Coena. Significari tamen hisce Symbolis Elementorum aiunt, carnem Christi in coelis iam sedentem eamque uirtute, potentia, efficacia, spiritu in nobis operari. Hinc sequitur, quod sumens Coenam Domini ipsorum iudicio, tantum elementa accipit tanquam Figuras et Symbola, neque fruitur substantiali Corpore et Sanguine Christi. Sed haec pugnant cum expressis et perspicuis uerbis Coenae.“ 88 Vgl. für Segebade aaO., S4v, für Faber aaO., S5v–S6r. 89 Vgl. etwa die Hildesheimer (aaO., M8r) und Lüneburger Stellungnahme (aaO., Q6v). 90 So die Texte aus Dithmarschen (vgl. aaO., R7r–R8r) oder Nordhausen (aaO., S1r–S3r). 91 Vgl. z.B. die Bremer (aaO., K5r–K5v) und Lüneburger Texte (aaO., Q5v–Q6r). 92 Vgl. dazu u. Kap. V.1.2e; den innovativen Charakter dieser Überlegungen arbeitet MAHLMANN, Das neue Dogma, 82–92, detailliert heraus. 93 So z.B. die Wismarer (WESTPHAL, Confessio fidei, R3r–R3v) und selbst die Magdeburger Theologen in ihrer Auseibnandersetzung mit Bullinger (vgl. aaO., F1v–F6v). 94 Vgl. aaO., P5r–P5v,

1.1 Westphals Kampagne gegen Calvins Secunda defensio

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Konfessionsbildungsprozess ist, dass zentrale Aussagen nicht einheitlich gefasst werden: Vertreten die Bremer eine Identität von Leib und Blut Christi mit den Elementen,95 kann beispielsweise die Hildesheimer Formulierung auch exhibitiv gelesen werden.96 Die Präsenz des Leibes Christi im Abendmahl wird mit verschiedenen Begriffen (substantialis, realis, corporalis, essentialis, praesentialis97) beschrieben, die aber kombiniert werden können98 und offenbar für die Akteure nichts gänzlich Verschiedenes bezeichnen. Bei den herangezogenen Autoritäten zeigt sich ein klarer Vorrang Luthers: Dieser gilt als Gottes Werkzeug; seine Position als theologisch normativ99 – bezeichnenderweise findet sich neben Berufungen auf seine Schriften100 auch das Argument, deren Existenz mache ein eigenes Bekenntnis eigentlich überflüssig.101 Berufungen auf die Kirchenväter finden sich auch recht häufig,102 auf die Confessio Augustana oder ihre Apologie eher gelegentlich.103 Nur die Magdeburger bestreiten explizit Calvins Anspruch auf theologische Übereinstimmung mit Melanchthon und fordern letzteren auf, sich entsprechend zugunsten von Westphals Partei und gegen Calvin zu positionieren.104 Auffallend ist, dass sich viele Autoren stark mit dem Vorgehen Westphals und seiner Mitstreiter identifizieren: Immer wieder werden Westphals Person 95

Vgl. aaO., I1r–I1v. AaO., M5r: „Signum est uisibile, medium necessarium, per quod exhibetur, et communicatur longe quiddam praestantius, Corpus et Sanguis Christi inuisibiliter“. 97 Die Begriffe substantialis und realis finden sich etwa bei den Bremern (aaO., L5r–v u.ö.), corporalis bei den Magdeburgern (aaO., F7r u.ö.), essentialis bei Segebade (aaO., S4v), praesentialis bei den Lübeckern (aaO., Q4v). 98 So sprechen z.B. die Lüneburger von „uere et substantialiter siue corporaliter“ (aaO., Q6v), Lukas Lossius von „uere, essentialiter et praesentialiter“ (aaO., S8r). 99 So formulieren die Magdeburger aaO., B4v: „Profitemur coram totae Ecclesiae Christi, nos sententiam et doctrinam Christi, quam electum Dei organon, D. Martinus Lutherus piae memoriae, sanctissimis atque luculentissimis scriptis de hac materia asseruit, pro ipsissima ueritate habere, eique publice subscribere, nec posse propter Sacramentariorum Sophistica et fucosa argumenta […] inde discedere.“ 100 Unter anderem Vom Abendmahl Christi Bekenntnis (bei den Bremern, aaO., K5v–K6r) und das Kurze Bekenntnis (im Lüneburger und im Nordhäuser Text, vgl. aaO., Q7v; S3r). 101 So etwa bei den Bremern (vgl. aaO., K3v–K4r). 102 So etwa bei den Magdeburgern (aaO., D8r–E3r) und Bremern (aaO., L5v–L7v). 103 So bei den Nordhäuser Pfarrern (aaO., S2r–S2v) und Timann (aaO., L4r). 104 AaO., G4r–G4v: „Lutherus piae memoriae, coeterique Ecclesiae Christi Doctores, non aliter intellexerunt confessionem eiusque Apologiam, quam quod corporalem praesentiam Christi in Eucharistia expresse adstruat, ac dolendum est, iam post Lutheri obitum, uocari eum in dubium, et quasi anguem in herba latitantem monstrari. Sed uerba Apologiae haec sunt. Decimus articulus approbatus est, in quo confitemur, nos sentire quod in Coena Domini VERE ET SVBSTANTIALITER adsint Corpus et Sanguis Domini etc. Haec cum Philippi uerba sint, existimamus eum ab hac sententia non discrepare. Forte et ipse gloriam Christi et ueritatem uerbi eius, denique etiam suum nomen ab hac terra labe defendet, ne propter ipsum uerbum Dei male audiat.“ 96

466

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

und sein Vorgehen im Streit verteidigt;105 teils wird auch auf seine Schriften Bezug genommen.106 Die Bremer berufen sich außerdem auf die Farrago ihres Kollegen Timann,107 Segebade auf Schnepfs Confessio.108 Teils ersetzt sogar die Approbation von Westphals Vorgehen gegen die sacramentarii die inhaltliche Auseinandersetzung mit deren Theologie.109 Gedruckt wurde die Schrift im Frühjahr 1557: Der inzwischen als Superintendent in Wismar tätige Johannes Freder bestätigte Westphal den Empfang am 17. April, der Mitautor Johann Magdeburg am 23.4.110 Im Folgenden wurde das Werk nicht nur von Westphals Gegnern, sondern auch auf der eigenen Seite als zentral empfunden: Westphals Mitstreiter Wolfgang Waldner legte 1558 eine Übersetzung ins Deutsche vor111 und Westphal selbst deklarierte seine Schriften gegen Calvins Ultima admonitio als Verteidigung der Confessio fidei,112 obwohl Calvin auch andere Schriften attackiert hatte. Zunächst aber wurden die hier zum Ausdruck kommenden normativen Bestrebungen wichtig für die Abgrenzung zwischen Westphals Streitpartei und Melanchthon.

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon 1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

Nahm die ältere Literatur überwiegend an, dass seit Beginn des Streits ein klarer Gegensatz zwischen Westphal und Melanchthon bestanden habe,113 hat die bisherige Untersuchung ein komplexeres Bild gezeigt: Zwar hatte Gallus 1554 Melanchthons Haltung zum Abendmahlsstreit für suspekt erklärt;114 insgesamt dominierte jedoch bei Westphals Partei zunächst das Bemühen, Melanchthon 105 So etwa bei den Magdeburgern (vgl. aaO., B4v), den Hamburgern (vgl. aaO., O6v– O7r), Hartmann Beyer (aaO., S3v–S4r) oder Johannes Vitus Ungarus (vgl. aaO., S7r–S7v). 106 Beispielsweise rekurrieren die Hildesheimer Pfarrer auf die Collectanea Augustini (vgl. aaO., N8r–N8v); Peter Bokelmann auf die Iusta defensio (vgl. aaO., T2v). 107 Vgl. aaO., K3v–K4r. 108 Vgl. aaO., S4r–S4v. 109 So etwa bei Lukas Lossius (vgl. aaO., S8r) und Erasmus Sarcerius (vgl. aaO., H4v). 110 Vgl. Johannes Freder an Westphal, 17.4.1557, SILLEM I, 267 f. (Nr. 143). Johann Magdeburg an Westphal, 23.4.1557, SILLEM I, 270 (Nr. 144). 111 WALDNER, WOLFGANG [Übs.], Confessio / oder Bekant=||nuß / deß Glaubens vnd der Lehr / von dem || Hochwirdigen Sacrament / deß waren Leibs vnnd || Bluts Jhesu Christi […], Regensburg: Heinrich Geißler 1558, VD16 W 2275. 112 Vgl. u. Kap. V.1.5e und V.2.2b. 113 Dahinter steht meist entweder das Interesse, Melanchthon von einer mit Calvin sympathisierenden Position her als damit übereinstimmend darzustellen (so bei HEPPE, Geschichte des deutschen Protestantismus I, 72–90; EBRARD, Dogma vom heiligen Abendmahl II, 434–483) oder umgekehrt die Absicht, ihn aus einem im Sinne Westphals definierten lutherischen Konsens auszugrenzen (so bei SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 147 f.). Zum Hintergrund dieser Perspektiven vgl. o. Kap. I.1. 114 Vgl. o. Kap. IV.1.1.

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

467

als wichtige Autorität der Wittenberger Reformation positiv für sich zu beanspruchen und so den eigenen reformatorisch normativen Anspruch zu untermauern.115 Der Konflikt ergab sich daraus, dass Theologen wie Calvin Melanchthon ebenfalls für die eigene Haltung beanspruchten,116 während er selbst sich weigerte, sich im Sinne einer Streitpartei festzulegen.117 Das ließ bei Westphals Partei die Skepsis über Melanchthons wahre Position wachsen – was aber zumindest bei Westphal nicht unmittelbar zu einer Wendung gegen Melanchthon führte, sondern zu einem ambivalenten Versuch, dessen Schriften für die eigene Haltung in Anspruch zu nehmen und ihn damit unter Druck zu setzen.118 Auch die neueste Forschung über Westphals Verhältnis zu Melanchthon attestiert Westphal noch bis 1556 ein zwischen Kritik und Wertschätzung oszillierendes „Ringen“ um seinen Wittenberger Lehrer.119 Klarere Abgrenzungen zwischen Melanchthon und Westphals Streitpartei bildeten sich erst zwischen Herbst 1556 und Sommer 1557 heraus.120 Auch jetzt war die Situation aber nicht eindeutig: Melanchthon nahm nicht positiv zugunsten von Westphals Gegnern Stellung, wohl aber wandte er sich im Laufe der Monate immer deutlicher gegen die Position von Westphals Streitpartei. Auf Westphals Seite wiederum waren weiterhin unterschiedliche Haltungen zu Melanchthon möglich – von positiver Beanspruchung für Westphals Position über deutliche, aber einen Bruch vermeidende Kritik bis zur Verketzerung. a) Verstärkter Druck von Westphals Seite auf Melanchthon und Abgrenzung Melanchthons gegen Westphals Partei Dass sich ab Ende 1556 eindeutigere Abgrenzungen zwischen Westphals Partei und Melanchthon entwickelten, hängt nicht nur mit sich zuspitzenden regionalen Abendmahlskonflikten zusammen, sondern auch mit den Vorbereitungen für das Wormser Religionsgespräch.121 Dogmatische Überzeugungen, normative Ansprüche und kirchenpolitische Absichten waren dabei wechselseitig 115

Vgl. etwa o. Kap. III.2.2b und IV.3.1a. Vgl. o. Kap. IV.2.2b und IV.3.2d. 117 Vgl. o. Kap. IV.2.2a. Dass für die Zeitgenossen noch lange offen war, wie Melanchthon sich verhalten würde, betont auch NEUSER, Dogma und Bekenntnis, 275–279. 118 Vgl. o. Kap. V.1.1b. Die These von KRÜGER, Empfangene Allmacht, 58, dass Melanchthons Weigerung, sich festzulegen, „in den Augen der deutschen Lutheraner nur als Votum für Calvin ausgelegt werden konnte“, sieht insofern etwas Richtiges, vereindeutigt aber zu stark. 119 Vgl. KUHN, Bekennen und Verwerfen, 211–243, Zitat 211. Zu den methodischen Problemen von Kuhns Argumentation vgl. meine Rezension in ZKG 131 (2020). 120 Grundsätzlich ähnlich KUHN, Bekennen und Verwerfen, 244–253 (zur Auseinandersetzung mit seinen Quellenanalysen im Detail vgl. die folgenden Abschnitte). 121 Ersteres wird in der Literatur häufig wahrgenommen (vgl. etwa NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 167–173; KRÜGER, Empfangene Allmacht, 58–62); letzteres kaum. Inzwischen hat jedoch SLENCZKA, Wormser Schisma, herausgearbeitet, wie sehr das „Ringen 116

468

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

verknüpft: Westphals Seite bemühte sich in der Bremer Debatte ebenso wie angesichts des bevorstehenden Religionsgesprächs noch massiver, die eigene Position gesamtwittenbergisch normativ zu setzen, und übte in diesem Sinne Druck auf Melanchthon aus.122 Dieser nahm daraufhin zwar nicht positiv zugunsten von Westphals Gegnern Stellung,123 wohl aber grenzte er sich gegen die Position von Westphals Streitpartei zunehmend deutlich ab.124 Die in der neueren Forschung hervorgehobene125 Weiterentwicklung seiner Abendmahlslehre zur gleichen Zeit ist eng mit dieser Kontroverse verbunden. Ein wichtiger Faktor für die Abgrenzung zwischen Melanchthon und Westphals Partei war zunächst, dass beide im Laufe des Jahres 1556 verstärkt in den Bremer Abendmahlskonflikt involviert wurden – und zwar vor dem Hintergrund des geplanten Reichstags in Regensburg und einer dafür möglicherweise erforderlichen Verständigung im evangelischen Lager: Die Hamburger Geistlichen verbreiteten ab Frühjahr 1556 auf Timanns Betreiben Texte von Hardenberg, an denen in ihren Augen der ketzerische Charakter seiner Lehre ablesbar war.126 Damit wollten sie offenbar auf eine kirchenpolitische Ausgrenzung nicht nur Hardenbergs, sondern aller Gegner Westphals hinwirken: Zu diesem Zeitpunkt wurde erwogen, einen überregionalen Theologenkonvent abzuhalten, um im Vorfeld des Reichstags und eines eventuell folgenden Religionsgesprächs eine gemeinsame evangelische Position festzulegen. Auf dem Möllner Konvent Ende Januar hatten die Hamburger und Lübecker Geistlichen beschlossen, auf solche Gespräche Einfluss zu nehmen, unter anderem mit dem Ziel einer Verurteilung von Westphals Streitgegnern.127 Melanchthon dagegen korrespondierte mit Hardenberg und setzte sich für dessen Teilnahme an Lehrgesprächen ein.128 Eine eigene Festlegung zur Abendmahlslehre vemied er – unter Verweis auf das Ergebnis eines solchen Konvents – weiterhin.129

um eine gemeinsame Konfessionspolitik“ die Zeit vor dem Wormser Religionsgespräch prägte (vgl. aaO., 40–198, Zitat 94). 122 Dies wird zu wenig deutlich, wenn lutherische Forscher bei Westphal allein eine Reaktion auf Melanchthons Verhalten sehen, so etwa KRÜGER, Empfangene Allmacht, 58–64. 123 Gegen STURM, Der junge Zacharias Ursin, 58–86 (deutlich etwa aaO., 76). 124 Das wiederum kommt zu wenig heraus, wenn bei Melanchthon nur „Zurückhaltung“ und eine „mittlere Linie“ gesehen werden (so NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 172 f.) 125 Vgl. HUND, Das Wort ward Fleisch, 87–93; KLINGE, HENDRIK, Verheißene Gegenwart. Die Christologie des Martin Chemnitz, Göttingen 2015 (FSÖTh 152), 53–65. 126 Vgl. JANSE, Hardenberg als Theologe, 68 f. 127 Vgl. GREVE, Memoria Pauli ab Eitzen, 23 f. 128 Vgl. Melanchthon an Hardenberg, 19.3.1556, MBW 7753 = CR 8, 696 (Nr. 5949), ders. an dens., 17.6.1556, MBW 7862 = CR 8, 782 (Nr. 6014), Gutachten für Kurfürst August von Sachsen, MBW 7855 = BINDSEIL 387–392 (Nr. 406). 129 Vgl. Melanchthon an Hardenberg, 6.3.1556, MBW 7731 = CR 8, 681–682 (Nr. 5935). Vgl. bereits ders. an dens., 21.6.1555, MBW 7526 = CR 8, 504 (Nr. 5808); ders. an dens. 14.9.1556, MBW 7950 = CR 8, 537–539 (Nr. 5840).

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

469

Zugleich nahm Melanchthon bereits Westphals Partei als Gruppe wahr, die eine tragfähige evangelische Einigung verhindere: So berichtete er im März 1556 einem Briefpartner, die Geistlichen der Seestädte hätten auf dem Möllner Konvent beschlossen, Lehrgespräche nicht zu beschicken.130 Da sie in Wahrheit entschieden hatten, die Gespräche zu beeinflussen, ist dies sachlich unzutreffend – aber bezeichnend für Melanchthons Wahrnehmung. An Hardenberg schrieb er im Juni, die vicini nostri wollten auf dem Regensburger Reichstag eine Verdammung derer verlangen, die τὴν ἀρτολατρείαν nicht akzeptierten.131 Gemeint sind offenbar Parteigänger Westphals, die auf eine Verurteilung von Hardenbergs Auffassung hinarbeiteten. Diesen unterstellt Melanchthon, ihre abendmahlstheologische Position laufe auf eine quasi-altgläubige Anbetung der Elemente hinaus. Welche Perspektive auf die von Westphals Partei vorgetragenen Positionen hinter diesem Urteil steht, sollte später deutlicher werden.132 Hier wird es von Melanchthon weder begründet, noch ist klar, ob er an die Hamburger und anderen Seestädte (als Hardenbergs Nachbarn) oder an ernestinische Theologen (als seine eigenen Nachbarn) denkt. Jedenfalls aber beginnt sich hier eine Abgrenzung gegen Westphals Partei abzuzeichnen, die sich nicht auf den Vorwurf mangelnder Gesprächsbereitschaft beschränkt, sondern sich auch gegen dogmatische Charakteristika ihrer Abendmahlslehre wendet. Ab Herbst 1556 begann dann Westphals Streitpartei Melanchthon verstärkt unter Druck zu setzen. Das hing vermutlich nicht mit Melanchthons Abgrenzungen zusammen – diese waren bisher nur im engsten Kreis geäußert worden und dürften Westphals Parteigängern nicht bekannt gewesen sein. Im Hintergrund standen vielmehr einerseits die Beratungen auf dem Regensburger Reichstag über ein Religionsgespräch,133 andererseits die Beanspruchung Melanchthons durch Calvin in der Secunda defensio. Wichtig ist hier neben Westphals zu dieser Zeit im Entstehen begriffener Philippi Melanchthonis sententia134 vor allem ein Brief, den Nikolaus Gallus Anfang November 1556 an Melanchthon richtete. Gallus betont die Notwendigkeit evangelischer Einigung im Kontext des laufenden Regensburger Reichstags und der dortigen Gespräche mit der altgläubigen Seite,135 um dann alle Fragen aufzulisten, in denen er sich mit Melanchthon uneins sieht. Dazu gehört auch die Abendmahlslehre: „Superest illa prorsus iam nova novae inter nos dissensionis materia de coena Domini, de qua vetus suspicio consensum tibi cum illis tribuit, qui corpus Christi in pane virtute tantum

130

Melanchthon an Johann Baptist Hainzel, 5.3.1556, MBW 7728 = CR 8, 680 f. (Nr. 5934). 131 Melanchthon an Hardenberg, 17.6.1556, MBW 7862 = CR 8, 782 (Nr. 6014). 132 Vgl. weiter unten in diesem Abschnitt. 133 Vgl. dazu SLENCZKA, Wormser Schisma, 40–93. 134 Vgl. o. Kap. V.1.1b. 135 Vgl. Gallus an Melanchthon, 9.11.1556, MBW 8017 = CR 8, 895 f. (Nr. 6113).

470

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

et efficacia collocant, ut spiritualis tantum communicationis fideiiussionem seu obsignationem, non corporali etiam praesentia, ad corporalis insuper communicationis et totius beneficii oppignerationem. Cuius tamen praesentiae et communicationis corporalis iuxta verba coenae modum nos non definimus, sed iubentis omnipotentiae permittimus ac credimus. Ad eam avertendam supicionem ego quoque ante triennium tuas recundendas sententias dedi, quam nunc denuo Calvinus suspicionem auget, et non paucis persuadet privatim et publice, ita ut ipsi iam tibi tua aliqua defensio necessaria sit.“136

Gallus äußert also den Verdacht, Melanchthon vertrete insgeheim wie Westphals Streitgegner ein Verständnis des Abendmahls als reiner spiritualis communicatio – und damit aus Sicht von Westphals Partei einer Präsenz des Leibes Christi virtute tantum et efficacia. In dieser schon in seiner Streitschrift von 1554 angeklungenen137 Vermutung sieht sich Gallus durch Calvins Secunda defensio bestärkt, in der dieser Melanchthon für seine Position beansprucht hatte. Gallus postuliert zwar, die Verdächtigung stamme nicht von ihm selbst, sondern er wolle sie widerlegen, aber seine Aussagen erwecken – gerade durch ihre Einreihung in eine Reihe von Dissenspunkten – den Eindruck, dass er den Vorwurf teilt. Jedenfalls setzt er Melanchthon unter Druck, indem er fordert: „necesse est, primum vos reverti ad confessionem illam priorem de disceptatis inter nos et reliquis articulis augustanae confessionis non disceptatis, inque eis perseverare. Deinde necesse est, consensum hunc esse publicum“138

Melanchthon wird hier zugemutet, sich in allen Punkten der von Gallus vertretenen Deutung der Confessio Augustana anzuschließen und dies öffentlich zu vertreten. Das entspricht der von Westphal bekannten Auffassung, dass reformatorischer Konsens nur durch Anschluss aller abweichenden Positionen an die eigene Auffassung möglich ist,139 und basiert wie bei diesem auf dem Postulat, dass letztere die ursprüngliche Haltung der Wittenberger Reformation darstelle (weshalb Gallus von reverti ad confessionem priorem sprechen kann). Dieses Ansinnen von Gallus bewog Melanchthon schließlich dazu, sich klar gegen Westphals Partei abzugrenzen. In seinem Antwortschreiben vom 1. Dezember hält er Gallus’ Kritik an seinem Schweigen entgegen, wenn er sich äußere, werde das ohnehin nur böswillig interpretiert. Als Beleg führt er Gallusʼ Vorrede zu den Sententiae veterum an, in der dieser insinuiert hatte, dass Melanchthons aktuelle Position weniger rechtgläubig sei als seine Haltung im Jahr 1530.140 Obwohl er, Melanchthon, stets betont habe, dass er am Bekenntnis der nostrae Ecclesiae festhalte, streue Gallus solche Verdächtigungen141 – damit 136

AaO., 899 f. Vgl. o. Kap. IV.1.1. 138 Gallus an Melanchthon, 9.11.1556, MBW 8017 = CR 8, 900 (Nr. 6113). 139 Vgl zu dieser Position bei Westphal o. Kap. III.2.4a. 140 Vgl. o. Kap. IV.1.1. 141 Melanchthon an Gallus, 1.12.1556, MBW 8042 = CR 8, 916 (Nr. 6127): „Expostulas mecum de silentio meo. […] Sed habeo causam gravissimam. Omnia calumniis depravantur, 137

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

471

ist auch der Vorwurf beantwortet, Melanchthon weiche vom früheren gemeinsamen Verständnis der Confessio Augustana ab. Dann wendet sich Melanchthon erstmals offen gegen die Haltung von Westphals Partei: „Miror autem, cur vos Episcopi mihi homini scholastico et misero non componatis explicatam formulam loquendi, scitis enim, vos ipsi aliter inter alios loqui. Quidam disputant, corpus ubique esse, quidam iubent abradi terram, si quid effusum sit. Nemo vestrum posuit propositionem, quam necesse est opponi papistis: nihil habet rationem sacramenti extra usum.“142

In diesen knappen ironischen Bemerkungen klingen die komplexen theologischen Hintergründe an, die Melanchthon zu einem negativen Urteil über die Lehre von Westphals Partei bewogen haben. Er wirft Westphals Streitpartei vor, sie fordere von ihm normative Festlegungen, schlage aber keine dem Sachverhalt angemessene Redeweise vor. Das macht er an mehreren Aspekten fest: Zunächst vertritt aus seiner Sicht niemand in Westphals Partei den Grundsatz nihil habet rationem sacramenti extra usum institutum. Für Melanchthon wäre aber nur eine Haltung reformatorisch angemessen, die von diesem Prinzip bestimmt ist: Der Auffassung zufolge, die er im Rahmen der Reichsreligionsgespräche von 1540/41 entwickelt hat, ist es zentral die Annahme einer (durch die Konsekration bewirkten) Präsenz des Leibes Christi in den Elementen auch extra usum, die zu altgläubigen Praktiken wie Prozessionen und Sakramentsanbetung führt – und diese stellen aus seiner Sicht eine von Christus wegführende Vergötzung der Elemente dar.143 Diese Position baute Melanchthon nach dem Augsburger Interim weiter aus: Der finis praecipuus des Abendmahls liegt für ihn darin, den Kommunikanten die in den Einsetzungsworten von Christus verheißene Sündenvergebung wirksam zu bezeugen; ein behaupteter Sakramentscharakter der Elemente auch extra usum führt von diesem Sinn der Einsetzung weg auf eine vergötzende Anbetung der Elemente.144 Insofern stellt der Grundsatz „nihil est sacramentum, nisi in suo usu, sicut institutio sonat“145 für Melanchthon geradezu ein Schibboleth reformatorischer Sakramentstheologie dar, das zur Abgrenzung gegen die altgläubige Auffassung unabdingbar ist – daher spricht er gegenüber Gallus von necesse est opponi Papistis. Den Vorwurf, dies nicht eindeutig festzuhalten, erhebt er gegen Westphals Streitpartei als ganze. Gleichzeitig postuliert Melanchthon, Westphals Partei vertrete in sich unterschiedliche Positionen, und macht dies an zwei Ansichten fest, die aus seiner Sicht theologisch eindeutig irrig sind: Erstens gelte für einige Parteigänger quae dicimus. Et exempla possem multa recitare. Etsi igitur saepe ostendi, me non dissentire a confessione nostrarum Ecclesiarum, tamen tu praecipue seris suspiciones, ut tua dulcissima praefatio ostendit, quam dictis a me collectis addidisti.“ 142 AaO., 916 f. (Nr. 6127). 143 Vgl. o. Kap. II.4.2. 144 Vgl. dazu JAMMERTHAL, Melanchthons Abendmahlstheologie, 201–221. 145 So prägnant etwa in CR 14, 1008.

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Westphals: iubent abradi terram, si quid effusum sit. Die Aufforderung zum Abkratzen verschütteter Elemente vom Boden ist für Melanchthon darum so problematisch, weil dahinter die Annahme steht, dass auch in diesen Elementen Christus präsent sei – so sollte es Westphals Parteigänger Johann Hachenburg bald darauf vertreten.146 Hier wird die von Melanchthon abgelehnte Präsenz in den Elementen extra usum explizit postuliert – daher ist diese Position für ihn nicht rechtgläubig. In den bisher von Westphals Mitstreitern veröffentlichten Texten waren solche Auffassungen zwar nicht vorgekommen, aber Melanchthon scheint bereits um sie zu wissen. Ausweislich des quidam ist ihm klar, dass es sich dabei um Einzelstimmen handelt – dem Rest von Westphals Partei hält er aber vor, dass sie sich nicht gegen diese Auffassung wende und sie damit faktisch befördere. Diese Unterscheidung sollte in späteren polemischen Aussagen Melanchthons verschwimmen. Hier aber formuliert er sehr präzise und nutzt sein Wissen über das Spektrum an Positionen innerhalb von Westphals Partei, um ihr gleichzeitig eine gemeinsame falsche Stoßrichtung und interne Widersprüchlichkeit vorzuwerfen – eine mit Ketzern assoziierte Eigenschaft. Zweitens behaupten Melanchthon zufolge einige Mitstreiter Westphals ein ubique des Leibes Christi. Hier denkt er wohl an Haltungen wie die Johann Timanns, eventuell auch Johann Bötkers. Wenngleich Bötker differenzierter argumentiert als Timann, haben diese Positionen gemeinsam, dass sie die körperlich-substantiale Präsenz des Leibes Christi in den Elementen damit begründen, dass Christi menschliche Natur aufgrund der Idiomenkommunikation mit der göttlichen Natur ebenso wie diese allgegenwärtig sei.147 Melanchthon hingegen hatte zwischen 1540 und 1551 die Auffassung entwickelt, dass man von einer Allgegenwart Christi als Person sprechen könne, nicht aber von einer Allgegenwart von Christi menschlichem Leib. Die communicatio idiomatum ist ihm zufolge so zu verstehen, dass konkret Christus als Mensch göttliche Eigenschaften zugeordnet werden dürfen, da dieser nie ohne seine göttliche Natur ist – hingegen dürfen nicht abstrakt Eigenschaften einer Natur auf die jeweils andere übertragen werden: Das wäre in Melanchthons Augen eine der altkirchlichen Lehre widersprechende Naturenvermischung.148 Daher unterstützt er Hardenbergs Widerspruch gegen Timanns Ubiquitätsthese149 und charakterisiert im Brief an Gallus diese Position als eine innerhalb von Westphals Partei vertretene Irrlehre. Auch hier ist Melanchthon ausweislich des quidam darüber informiert, dass nur manche Mitstreiter Westphals diese Auffassung vertreten – Westphal selbst verweigert sich christologischen Spekulationen.150 146

Vgl. u. Kap. V.1.2b. Zur Position Timanns vgl. o. Kap. IV.1.2; zu derjenigen Bötkers o. Kap. V.1.1b. 148 Vgl. dazu im Einzelnen HUND, Das Wort ward Fleisch, 78–85. 149 Vgl. Melanchthon an Hardenberg, 6.12.1556, MBW 8048 = CR 8, 917 f. (Nr. 6128). Zu Timann o. Kap. IV.1.2. 150 Vgl. dazu o. Kap. IV.1.2. 147

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

473

Auch diesen Vorwurf sollte Melanchthon später auf Westphals gesamte Streitpartei ausweiten. Hier aber unterscheidet er zwischen einer problematischen Haltung der Westphalpartei als ganzer und den aus seiner Sicht klar häretischen Positionen Einzelner. Brenz und dessen Württemberger Kollegen wiederum, die ebenfalls eine Ubiquitätslehre vertreten, scheinen bei Melanchthons Kritik nicht im Blick zu sein: Zum Streit zwischen seinen Schülern und den Württembergern über diese Frage sollte es erst ab 1564 kommen, während er noch Ende 1557 auf dem Wormser Religionsgespräch die Württemberger als Verbündete gegen die aus seiner Perspektive irrige Position von Westphals Partei ansah.151 Im Gutachten der Wittenberger Fakultät zum Bremer Abendmahlsstreit vom 10. Januar 1557152 wird die Kritik an Westphals Mitstreitern zurückhaltender formuliert, gewinnt aber zugleich stärker öffentlichen und normativen Charakter. Melanchthon und die übrigen Unterzeichner betonen, die Einigkeit der sächsischen Kirchen in der Abendmahlslehre der Confessio Augustana sei zu erhalten.153 Sie verweisen einerseits die Verständigung über einheitliche Redeformen auf einen abzuhaltenden Kirchenkonvent.154 Andererseits beschreiben sie die Haltung der Bremer Pfarrer als Hindernis für kirchliche Einigkeit: „Damit aber Einigkeit erhalten werde, achten wir auch für gut, daß nicht fremde Disputationes in diesen Artikel gemenget werden, daß auch bescheidenlich die gewöhnliche Form zu reden behalten werde. Nun haben wir nicht vernommen, daß die Gelehrten in Sächsischen Landen diese Worte gebraucht hätten: panem et vinum esse essentiale corpus et sanguinem Christi, sondern diese Form: cum pane sumitur corpus ist gewöhnlich, und ist gemäß dieser Form: panis est communicatio corporis etc. Und zu Verhütung vieler schrecklicher Mißbräuch und Abgötterei ist nöthig, dabei auszudrucken, daß kein Ding und kein Ritus außer dem Brauch, den Gott geordnet hat, Sacrament seyn kann.155

Die Wittenberger nehmen also weder Partei für eine Seite,156 noch vertreten sie ausschließlich eine vermittelnde Position:157 Sie versuchen vielmehr, die von 151

Zum Konflikt ab 1564 vgl. u. Kap. VI.1.5, zum Wormser Gespräch u. Kap. V.1.5. Vgl. zur Anforderung des Gutachtens im Bremer Streit o. Exkurs B.1. 153 MBW 8085 = CR 9,16 (Nr. 6150): „daß auch in den Kirchen allhie und im ganzen land dieser Herrschaft der Artikel vom Abendmal des Herren Christi einträchtiglich, laut der öffentlichen Confession aller dieser Kirchen, die Kais. Maj. anno 1530. zu Augsburg überantwortet ist, gepredigt wird. Und ist unser Gemüth nicht, Spaltung oder Trennung anzurichten, sondern zu bleiben in gemeldter Confession, und bitten Gott, daß wir in ihme in ewiger Einigkeit bleiben, und daß die Kirchen aller sächsischen Land Gottes Wohnung und Kirchen ewiglich seyn.“ 154 Vgl. CR 9,16 (Nr. 6150) = MBW 8085. Melanchthon mahnte Hardenberg mit der gleichen Begründung zu Zurückhaltung, vgl. Melanchthon an Hardenberg, 26.1.1557, CR 9, 74 f. (Nr. 6185) = MBW 8111. 155 CR 9, 16. 156 Gegen die Deutung bei KRÜGER, Empfangene Allmacht, 62, der meint: „Melanchthon votierte […] im Sinne Hardenbergs“. 157 So NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 169–173, der aaO., 170 formuliert: „Das Gutachten ist sowohl den Bremer Predigern wie Hardenberg gegenüber zurückhaltend.“ 152

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Melanchthon vertretene Präsenz Christi cum pane und nur in usu als verbindlichen Deutungsrahmen für die Confessio Augustana durchzusetzen und weisen Normierungsversuche im Sinne von Westphals Partei zurück. Die Wichtigkeit dieser Festlegung für Westphal ist daran abzulesen, dass in seiner Briefsammlung eine Abschrift überliefert ist.158 An dieser Stellungnahme wird ein weiterer wichtiger Aspekt von Melanchthons Perspektive auf Westphals Partei und auf den Abendmahlsstreit deutlich: Die Haltung Westphals und seiner Mitstreiter wird keineswegs per se als Irrlehre charakterisiert – wohl aber als Versuch, Aspekte festzulegen, die man im Sinne kirchlicher Einigkeit nicht festlegen sollte. Dies erklärt sich aus einem von Pierre Fraenkel herausgearbeiteten Charakteristikum der abendmahlstheologischen Auffassung Melanchthons: „Melanchthon is not so much hesitant in his own formulations as positively against any formulations that overstep the limits laid down by the church of antiquity and that risk for this very reason to be our own, new, false doctrines.“159 Der modus der Gegenwart Christi im Abendmahl gehört für Melanchthon zu eben diesen Fragen, zu denen sich die Kirchenväter nicht festgelegt haben (während er das Zeugnis der von Christus verheißenen Sündenvergebung als biblisch bezeugten finis praecipuus des Abendmahls betont).160 Aus seiner Sicht lässt sich gewissermaßen ein Raum für Abendmahlsaussagen abstecken, die sich im Rahmen des Schriftund Väterzeugnisses bewegen – im vorliegenden Text tut er dies unter Rückgriff auf das cum pane der Confessio Augustana und den Grundsatz nihil habet rationem sacramenti extra usum institutum. Aus diesem Raum lassen sich bestimmte Positionen – etwa die (von ihm Teilen der Westphalpartei vorgeworfene) These einer Präsenz Christi in den Elementen auch extra usum oder einer Ubiquität des menschlichen Leibes Christi161 – als eindeutig dem Väterzeugnis widersprechend ausgrenzen. Nicht möglich ist jedoch eine positive Festlegung des modus praesentiae. Der Versuch von Westphals Partei, diesen modus festzulegen und andere darauf zu verpflichten, ist somit in Melanchthons Augen die zurückzuweisende Bemühung, eine über das Zeugnis von Schrift und Vätern hinausgehende und somit potentiell falsche Lehre allgemein verbindlich zu machen. Verschärfend kommt eventuell hinzu, dass die von den Bremer Pfarrern vertretene These einer substantialen Identität von Leib und Elementen auch innerhalb von Westphals Partei eine recht massive Position darstellt – wie im Folgenden noch deutlicher werden sollte, nahm Melanchthon aber die von Westphals Partei unternommenen Normierungsversuche generell so wahr. 158

SILLEM I, 261–262 (Nr. 139). FRAENKEL, PIERRE, Ten Questions Concerning Melanchthon, the Fathers and the Eucharist, in: Vilmos Vajta (Hg.), Luther und Melanchthon. Referate und Berichte des Zweiten Internationalen Kongresses für Lutherforschung, Göttingen 1961, 146–164, Zitat 153. 160 Vgl. JAMMERTHAL, Melanchthons Abendmahlstheologie, 245–250. 161 Vgl. weiter oben in diesem Abschnitt. 159

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

475

Angehängt ist der Wittenberger Stellungnahme ein Sondervotum Johannes Bugenhagens. Aufschlussreich im Hinblick auf die Debattenlage innerhalb der Wittenberger Fakultät ist, dass Bugenhagen sich anders als der gemeinsameText klar gegen Westphals Streitgegner positioniert – sich zugleich aber Melanchthons Perspektive auf theologisch unnötige Festlegungen zueigen macht: Er wendet sich gegen die These, dass Christus nicht leiblich im Abendmahl sein könne, da er zur Rechten des Vaters sitze. Zugleich hält er fest, mit solchen Behauptungen könne man sich nur adäquat auseinandersetzen, wenn man keinen Streit um Formulierungen anfange, sondern sich an den Wortlaut der Einsetzungsworte halte, und verweist auf die Confessio Augustana, deren Apologie, die Confessio Saxonica und Melanchthons Loci, „in quibus sunt formae verborum, in quibus nos et nostrae Ecclesiae se continent.“162 Offenbar vereinbart Bugenhagen die gemeinsame Linie der Wittenberger Fakultät mit einer Position, die zu seiner Abgrenzung gegen Zwingli im Ersten Abendmahlsstreit163 passt. Damit changiert seine Haltung in ambivalenter Weise zwischen der Melanchthons und derjenigen Westphals und seiner Mitstreiter.164 Die Hamburger Pfarrer ihrerseits approbierten das Bekenntnis der Bremer Prediger165 und nahmen die dortige Debatte zum Anlass überregionaler Normierungsversuche, mit denen sie Melanchthon unter Druck setzten: In einem Gutachten für den Hamburger Rat fordern sie eine Festlegung gegen Hardenberg. Da dieser einen zwinglianisch-calvinistischen Irrtum vertrete und sich dafür wie Calvin und a Lasco auf die Confessio Augustana berufe166 (Hardenberg wollte die CA zwar nicht formal unterzeichnen, interpretierte sie aber in 162

Vgl. CR 9, 17 f., Zitat 17. Vgl. o. Kap. II.1.4. 164 Die Ambivalenz sieht auch MAHLMANN, Das neue Dogma, 58 f., meint aber, Bugenhagen ordne den „Sprachgebrauch der sächsischen Kirche“ dem Wortlaut der Schrift unter (vgl. aaO., 58, Zitat ebd.), menge „christologische Elemente in die Begründung der Realpräsenz“ und stehe so „trotz scheinbarer Abwehr den Bremern in der Sache nahe, trotz scheinbarer Billigung Melanchthons Antwort an die Bremer in der Tendenz fern“ (aaO., 59). Demgegenüber ist festzuhalten, dass das Verhältnis zwischen biblischem Wortlaut und kirchlich normativen Texten bei Bugenhagen offen bleibt – und dass er nicht eine positive Christologie formuliert, sondern allein die Christologie von Westphals Gegnern zurückweist. 165 Das auf den 13.1.1557 datierte Gutachten in: Dänische Bibliothec 5, 199–204; zu den Unterzeichnern zählten Johann Bötker und Joachim Magdeburg (vgl. aaO., 202 f.); Paul von Eitzen und Westphal befanden sich auf Reisen (vgl. aaO., 201). 166 Bedencken wo dem verforischen Erdome der Sacramentschwermer in der Stadt Bremen, vnde andern benaberden Steden mge geweret werden, 23.3.1557, in: GREVE, Memoria Pauli ab Eitzen, 117 f.: „D. Hardenbarch […] sich begifft tho der Verforischen Secten der Zwinglianer vnde Caluinisten, dersulven Erdom vor der Gemene opentlich leert vnde dartho ock sick (in gelyke mate als de Calvinus vnde Lasco) understeit tho bewysen, dat de Augsburgische Confeßion na erer verforischen ddinge […], vnde nicht na der vthlegginge der Apologia, Schmalkaldischen Artikeln, Catechismi vnde andern Schrifften Lutheri vnde der vnsen, tho verstande sin schole.“ 163

476

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

seiner Auslegung des Wittenberger Gutachtens im Sinne seiner Abendmahlslehre167), könne der mit Calvin und a Lasco geführte Abendmahlsstreit einem Urteil über Hardenberg zugrunde gelegt werden,168 so dass „van hochgedachten Christliken Potentaten moge gefordert werden, dat ere Hocheiden disses (nemlich, welkere van beyden alse des saligen Lutheri edder der Zwinglianer unde Calvinisten Lasco und Hardenberges Lehre vnde Geloue der Augspurgischen Confeßion Apologia etc. rechte Verstand sey) eine schlichte declaration ane eenige disputation vnde exception jenniges colloquii (ep dat nicht dorch solke exception de untwyfelhafftige Lehre der Augspurgischen Confeßion gegen alle vorige Handelinge vnde Berahtschlaginge der protesterenden Stende in twyfel gestellet […] werde) mochten vorderen van eren Gelerden vnde Theologen, besondern van de denn by der deliberation der Augspurgischen Confeßion, Apologia Schmalkaldischen Artikeln etc. gewesen, alse sin: Philippus, Brentius, Snepfius, Amsdorfius, Pistorius etc.“169

Die Alternative, ob Luthers oder a Lascos, Calvins und Hardenbergs Auslegung der CA die richtige sei, zielt darauf, den Konsens der Wittenberger Reformation in Westphals Sinne festzulegen (für den das eine ausschließende Alternative darstellt); Melanchthons Verweis auf ein Kolloquium gilt als Förderung von Infragestellungen der reichsrechtlich normativen Lehre. In diesem Sinne wandten sich die Hamburger auch an Christian III. von Dänemark, August von Sachsen und Christoph von Württemberg,170 woraufhin Christian III. Melanchthon unter Druck setzte, sich gegen Hardenberg festzulegen.171 Ein weiteres Stadium gegenseitiger Abgrenzung zwischen Melanchthon und Westphals Streitpartei wurde offenbar zwischen Mai und August 1557 erreicht. Dabei spielten sicherlich mehrere Faktoren eine Rolle: Zunächst sah Melanchthon sich gegenüber den Fürsten, über die ihn Westphals Partei unter Druck zu setzen versuchte, zur Rechtfertigung seiner Position genötigt. So verteidigte er im Mai gegenüber Christian III. von Dänemark und dessen Hofprediger Heinrich Buscoducensis seine eigene Haltung als notwendige, von Luther akzeptierte Abgrenzung gegen altgläubige Sakramentsanbetung und warf Westphal vor, den Grundsatz nihil habet rationem sacramenti extra institutum usum

167

Vgl. JANSE, Hardenberg als Theologe, 63. GREVE, Memoria Pauli ab Eitzen, 117: „dat de Beforderinge werde gegrndet up den gantzen Strydt van der Lehre vnde Gelouen des Artickels von dem Auendtmahle Jhesu Christi twyschen den Zwingelschen vnd vns.“ 169 AaO., 118. 170 Das (ebenfalls undatierte) Schreiben bei GREVE, Memoria Pauli ab Eitzen, 122–126. 171 Vgl. Christian III. von Dänemark an Melanchthon, 18.6.1557, BINDSEIL 413 f. (Nr. 428) = MBW 8253, ders. an dens., 5.5.1557, Aarsberetninger fra det kongelige Geheimearchiv, indeholdende Bidrag til Dansk Historie af Utrykte Kilder, ed. v. C. F. Wegener, 7 Bde., Kopenhagen 1852–1883, hier Bd. 1, 279 f. (Nr. 63) = MBW 8218, ders. an dens., 14.9.1557, WOLF 379–383 (Nr. 62) = MBW 8346. Zur Argumentation der Briefe im Einzelnen vgl. NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 182 f. 168

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

477

abzulehnen.172 Dann scheint die Publikation weiterer Schriften von Westphals Partei hinzugekommen zu sein: Anfang Juni kritisierte Melanchthon Westphals Confessio fidei als Unruhestiftung; er selbst wolle lieber das altkirchliche Zeugnis hören173 – auch hier sah er den Versuch einer problematischen, zu Uneinigkeit führenden Normierung altkirchlich nicht festgelegter Aspekte. Am 20. Juni warf er dann nicht mehr nur einzelnen Anhängern Westphals, sondern diesem selbst ἀρτολατρεία vor.174 Auslöser dafür war vermutlich das Erscheinen der Streitschrift Johann Hachenburgs, in der dieser unter Berufung auf Westphal eine Sakramentsanbetung gefordert und sich verketzernd gegen Melanchthon gewandt hatte.175 Zudem könnten die von Westphals Partei forcierten Ausweisungsforderungen gegen die Frankfurter Flüchtlinge eine Rolle gespielt haben, gegen die Melanchthon im Juli Stellung nahm.176 In diesen Äußerungen rückt Westphals Streitpartei als ganze für Melanchthon immer stärker in die Rolle einer Gruppe, die nicht nur problematische Festlegungen fordert und wichtige Prinzipien nicht festhält, sondern auch aktiv Irrlehren vertritt. Dazu passt, dass Melanchthon seine eigene Position in christologischer Hinsicht neu reflektierte: Im Juni 1557 definierte er in einer Vorlesung über den Kolosserbrief die Himmelfahrt Christi als Bewegung an einen räumlich zu verstehenden Ort, an dem sich Christi menschliche Natur seither befinde. Alle Aussagen über die Gegenwart Christi auf Erden bei den Gläubigen seien daher gemäß der Idiomenkommunikation zu verstehen: Es handle sich um eine Gegenwart der göttlichen Person, wenngleich diese bleibend durch die menschliche Natur bestimmt sei.177 Damit wird nicht nur die Ablehnung aller Thesen stärker begründet, die explizit von einer Ubiquität des menschlichen Leibes Christi ausgehen; von diesem Gedanken her muss auch die Lehre aller Mitstreiter Westphals als irrig gelten, die allgemein eine substantiale Präsenz der menschlichen Natur Christi im Abendmahl lehren. Das ist kongruent mit Melanchthons verschärfter Wendung gegen Westphal.

172

Melanchthon an Buscoducensis, 22.5.1557, MBW 8226 = CR 9, 156 (Nr. 6250): „Westphalus reprehendit hanc meam propositionem: Nihil habet rationem sacramenti extra institutum usum. Hanc propositionem et Lutherus probabat, cum eam in conventu Ratisbonensi opposuissem Eccii furoribus, qui adorationem in circumgestatione et alios furores stabiliebat.“ Vgl. ders. an Christian III., 22.5.1557, MBW 8227 = CR 9, 157 (Nr. 6251). 173 Melanchthon an Christoph Leib, 3.6.1557, MBW 8246 = CR 8, 496 (Nr. 5799): „Vidisse te opinor a Westphalo corrogatas subscriptiones, quas edidit περὶ ἀρτολατρείας. Vetustatis testimonia inquiri mallem, quam istius turbae tribunitiae clamores moveri.“ 174 Melanchthon an Hardenberg, 20.6.1557, MBW 8254 = CR 9, 167 (Nr. 2164): „Audio hoc agi, ut Westphalus fiat lector in Academia Heidelbergensi, […] ut sit magnanimus ibi defensor τήν [!] ἀρτολατρείας.“ 175 Melanchthon klagt im gleichen Brief massiv über diese Schrift (vgl. ebd.); zu diesen Aussagen und zu Hachenburgs Schrift vgl. u. Kap. V.1.2b. 176 Vgl. o. Exkurs B.2. 177 Vgl. dazu HUND, Das Wort ward Fleisch, 87–92.

478

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Umgekehrt rechneten im Sommer 1557 auch erstmals Briefpartner Westphals Melanchthon ausdrücklich auf Calvins Seite. So schreibt Freder: „Quod Philippus Calvi istius partes tueri etiam vult ex animo doleo.“178 Das sieht er also nicht als längst selbstverständlich an! Dass man Melanchthons Ablehnung der eigenen Normierungsversuche zumindest in dieser Schärfe nicht erwartet hatte, zeigt sich an Johann Magdeburgs Befremden darüber, dass Melanchthon sich der Confessio fidei nicht angeschlossen habe, obwohl er sich bisher für einheitliche Redeformen in der Kirche eingesetzt und vertreten habe, dass die Rechte Gottes auch im Brot sei.179 Ob letzteres auf die Kolosservorlesung anspielt, ist unklar, da diese erst 1559 im Druck erschien;180 jedenfalls nimmt Magdeburg die christologische Abgrenzung gegen die eigene Seite wahr. Zwischen November 1556 und Mitte 1557 hat Melanchthon sich also klar gegen Westphals Streitpartei positioniert: Als eindeutige und im Widerspruch zum Zeugnis der Kirchenväter stehende Irrlehren gelten ihm die von manchen Mitstreitern Westphals vertretenen Annahmen eines ubique befindlichen Leibes Christi und einer Präsenz in den Elementen auch extra usum. Die an Westphals Partei als ganze gerichteten Vorwürfe, den Grundsatz nihil habet rationem sacramenti extra institutum nicht zu vertreten sowie Aussagen über den durch die Väter nicht festgelegten modus der Gegenwart Christi im Abendmahl und damit potentiell irrige Ansichten zu verbreiten, entwickeln sich dabei im Laufe der Zeit stärker in Richtung expliziter Irrlehrevorwürfe. Die Grenze zwischen beidem bleibt allerdings fließend; es ist nicht immer klar, ob Westphals Partei als ganze sich aus seiner Sicht außerhalb des durch das in usu und cum pane definierten Rahmens zulässiger Lehrauffassungen bewegt oder an dessen Rand. Die Vorstellung eines Denkrahmens erklärt auch, warum Melanchthon gegen Westphals Streitpartei, aber nicht für ihre Gegner Stellung nimmt: Westphals Partei verstößt aus seiner Sicht teilweise dogmatisch, in jedem Falle aber durch ihr mangelndes Festhalten des Grundsatzes, dass die Elemente nur in usu Sakrament seien, und durch ihren Versuch, Aussagen über den modus praesentiae zur normativen Formel zu erheben, gegen den von Melanchthon definierten Rahmen. Damit ist aber nicht gesagt, dass Westphals Streitgegner dogmatisch im Recht wären, sondern nur, dass Melanchthon zumindest manche von ihnen nicht notwendig außerhalb dieses Rahmens sieht. Mit dieser Positionierung Melanchthons musste sich Westphals Streitpartei auseinandersetzen. Die dabei entstandenen Texte zeigen, dass sie dabei zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen kamen: von der scharfen Verketzerung Melanchthons bis zur Bemühung, theologisch auf ihn zuzugehen.

178

Johann Freder an Westphal, 13.8.1557, SILLEM I, 287 (Nr. 153). Johann Magdeburg an Westphal, 23.4.1557, SILLEM I, 270 (Nr. 144). 180 Vgl. BRANDY, Christologie des Johannes Brenz, 37–39. 179

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

479

b) Verketzerung Melanchthons: Hachenburgs Wider den Irrtum der neuen Zwinglianer Mit der 1557 erschienenen Schrift Wider den Irrtum der neuen Zwinglianer des Erfurter Pfarrers Johann Hachenburg181 wandte sich erstmals ein Parteigänger Westphals klar gegen Melanchthon. Dabei argumentierte Hachenburg in einer Schärfe, die Westphal und andere Mitstreiter nicht übernehmen sollten: Er attackierte Melanchthons Abendmahlslehre als genauso zwinglianisch, wie es Westphals Partei der Auffassung Calvins und seiner Kollegen vorwarf. Wie in der bisher einzigen ausführlichen, allerdings methodisch problematischen und wenig rezipierten Untersuchung des Werks182 angenommen, handelt es sich bei Hachenburgs Schrift offenbar um den Text, an dem sich ab Mitte 1557 Melanchthons Verärgerung über Westphals Streitpartei festmacht und der sonst in der Forschung als nicht identifiziert gilt:183 So teilt Melanchthon Hardenberg im Juni 1557 mit, Westphal habe einen Erfurter Prediger zur Bekämpfung der (für Melanchthons Abendmahlstheologie zentralen184) Lehre aufgefordert, dass Christus nur in usu im Abendmahl gegenwärtig sei.185 Genau diese These greift Hachenburg an. Auch die Beschreibung als Erfurter Prediger passt auf Hachenburg, der Pastor der Erfurter Michaelisgemeinde und seit 1556 als sog. Neunprediger für den Ratsgottesdienst verantwortlich war.186 Dass Melanchthon den Betreffenden einmal „Andream Erfordiensem concionatorem“ nennt,187 hat zwar in der Forschung zur Identifikation mit Andreas Poach geführt.188 Dieser veröffentlichte aber erst 1572 eine Abendmahlsschrift, 181 HACHENBURG, JOHANN, Wider deñ jrr=||thum̃ b der new=||en zwinglianer / nötige || vnterrichtung […], Erfurt: Merten van Dolgen 1557, VD16 H 89. Zur Datierung aaO., A1r. 182 Vgl. DIESTELMANN, JÜRGEN, Usus und Actio. Das Heilige Abendmahl bei Luther und Melanchthon, Berlin 2007, 141–156; eine ältere Fassung in DERS., Actio Sacramentalis. Die Verwaltung des Heiligen Abendmahles nach den Prinzipien Martin Luthers in der Zeit bis zur Konkordienformel, Groß Oesingen 1996, 159–180. Methodisch problematisch erscheinen zum einen die Spekulationen über den historischen Kontext, zum anderen die Identifikation mit Hachenburgs Perspektive, wenn es etwa heißt: „Nach Luthers Tod konnte sich der ,Zwinglianismus‘ im Bereich des Luthertums weiter ausbreiten, oft ohne als solcher erkannt zu werden.“ (aaO., 141). Nichtsdestoweniger sind Diestelmanns Erkenntnisse über die gegen Melanchthon gerichtete Stoßrichtung des Textes und dessen Konnex zum Zweiten Abendmahlsstreit m.E. im Grundsatz korrekt, wenngleich zu präzisieren. Vgl. im Folgenden. 183 Letzteres etwa durchgängig in MBW. 184 Vgl. o. Kap. II.4.2 und V.1.1a. 185 Melanchthon an Hardenberg, 20.6.1557, MBW 8254 = CR 9, 167 (Nr. 2164): „Westphalus […] scripsit etiam ad Erphordiensem concionatorem, ut mihi bellum inferat de hac propositione: Nihil habere rationem Sacramenti extra usum institutum.“ 186 Zu Hachenburgs Biographie vgl. BAUER, MARTIN, Evangelische Theologen in und um Erfurt im 16. bis 18. Jahrhundert. Beiträge zur Personen- und Familiengeschichte Thüringens, Neustadt (Aisch) 1992 (Schriftenreihe der Stiftung Stoye 22), 172 f. 187 Melanchthon an Ambrosius Claviger, 2.7.1557, CR 9, 175 (Nr. 6273) = MBW 8263. 188 So durchgängig in MBW (dem folgend KUHN, Bekennen und Verwerfen, 246).

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

die sich zudem nicht gegen eine Präsenz nur in usu wendet.189 Insofern passt Hachenburgs Text chronologisch wie inhaltlich besser. Die falsche Namensangabe bei Melanchthon ließe sich am einfachsten dadurch erklären, dass dieser das Werk nicht vorliegen hatte und entweder nur allgemein über einen Erfurter Pfarrer als Autor informiert war (so seine Angabe an den zwei anderen Belegstellen190), den er einmal irrtümlich mit Poach identifiziert, oder die unzutreffende Information erhalten hatte, es handle sich um Poach. Ob, wie von Melanchthon vermutet, Westphal hinter Hachenburgs Veröffentlichung stand, ist unklar. Nachweisbar ist, dass Hachenburg mit Westphal über die Abendmahlsfrage in Kontakt stand, Westphals Vorgehen gegen Calvin und dessen Mitstreiter lobte und sich von ihm ein Werk Calvins lieh.191 In eben dem Brief, aus dem diese Informationen hervorgehen, wird allerdings auch erkennbar, dass beide über die Person Melanchthons verschiedener Meinung waren: Westphal gehörte zu der Gruppe niedersächsischer Theologen, die beim Coswiger Gespräch im Januar 1557 versuchte, zwischen Melanchthon und Flacius zu vermitteln.192 Hachenburg kommentierte diesen Vermittlungsversuch skeptisch und warnte Westphal (in für Flacius typischer Terminologie) vor einer Vereinigung von Christus und Belial193 – für ihn war Melanchthons Haltung generell mit dem wahren Glauben unvereinbar.194 Westphal hingegen sollte sich auch in späteren Texten deutlich ambivalenter über Melanchthon äußern. Insofern erscheint eher naheliegend, dass Hachenburg angeregt durch Westphals Schriften, aber selbstständig agierte. Ob Westphal von dem geplanten Text wusste, ob ihm klar war, dass dieser sich neben den bisherigen Streitgegnern auch gegen Melanchthon richtete, und ob er dies befürwortete, muss offen bleiben. Hachenburg selbst dagegen sah, wie aus seinem Text hervorgeht, seine Polemik als konsequente Weiterführung von Westphals Streitposition. Gleich zu Beginn der Schrift ordnet Hachenburg programmatisch Westphals Streitgegner und Melanchthon zusammen: Wie Westphal betont er, „newe oder junge Sacramentirer“ strebten wiederum eine „zwinglische verachtung“ des Abendmahls an und hätten diese vielerorts auch schon erreicht.195 Als Beleg führt er unter anderem die in Westphals Iusta defensio berichtete Auslassung der Einsetzungsworte in Ostfriesland196 an – aber auch folgende Lehre: 189 POACH, ANDREAS, Bekentniß vnd Grund || der Lere / vom Heiligen / Hochwirdigen || Sacrament des Leibs vnd bluts vnsers HER=||REN Jhesu Christi / […], Mühlhausen (Thüringen): Georg Hantzsch 1572, VD16 P 3811. 190 Vgl. Melanchthon an Christoph Leib, 3.6.1557, MBW 8246 = CR 8, 496 (Nr. 5799); Melanchthon an Hardenberg, 20.6.1557, MBW 8254 = CR 9, 167 (Nr. 2164). 191 Vgl. Hachenburg an Westphal, 26.1.1557, SILLEM I, 262 f. (Nr. 140). 192 Vgl. dazu GREVE, Memoria Pauli ab Eitzen, 24–30. 193 Vgl. Hachenburg an Westphal, 26.1.1557, SILLEM I, 263 (Nr. 140). 194 Vgl. auch die Analyse des Briefs bei KUHN, Bekennen und Verwerfen, 244 f. 195 Vgl. HACHENBURG, Wider den Irrtum, A2r–A2v, Zitate A2v. 196 Vgl. aaO., A4v–A5r, zu Westphals Bericht vgl. o. Kap. IV.3.1a.

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

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„Etliche meinen […] das heilige Sacrament stehe allein in Actione, das ist / im geben vnd nehmen / […] das wenn das geben vnd nehmen sich anfahe / da fahe sich auch an das Sacrament / vnd wo das geben vnd nehmen sein ende habe / da habe auch das Sacrament des Altars sein ende / vnangesehen das noch etwas da von mchte vberbleiben / oder vergossen sein“197

Dass die Elemente nur in actione Sakrament seien, ist Melanchthons Position. Dass Hachenburg diese Ansicht als quasi-zwinglianisch einordnet, erklärt sich aus seiner Auffassung von der Wirkung der Einsetzungsworte: Die von Luther unter Rückgriff auf Augustin entwickelte Lehre, dass das Element durch das Wort zum Sakrament wird,198 deutet Hachenburg so, dass die Rezitation der Einsetzungsworte konsekratorische Wirkung hat. Dann aber kann sich ihm zufolge Christi Präsenz im Sakrament nicht auf den Vorgang der Austeilung beschränken, sondern ist ab der Rezitation der Einsetzungsworte gegeben und auch mit Ende der Austeilung noch nicht beendet.199 Vielmehr ist Christus aus seiner Sicht auch in übrig gebliebenen oder verschütteten Elementen noch präsent, da auch über diesen die konsekrierenden Einsetzungsworte gesprochen wurden.200 Sind die Elemente dagegen (wie Melanchthon es vertritt) nur während des Abendmahlsvollzugs als Sakrament anzusehen, impliziert das aus Hachenburgs Sicht, dass Ursache der Präsenz Christi nicht die Einsetzungsworte wären, sondern der Vorgang des Austeilens und Empfangens. Damit aber wäre in seinen Augen das Sprechen der Einsetzungsworte vergeblich und das mit diesen identifizierte Wort Christi nicht mehr konstitutiv für das Sakrament.201 Insofern sieht er in Melanchthons Position ebenso eine Entleerung des Sakraments, wie Westphals Partei sie Calvin und dessen Mitstreitern vorwirft. 197

HACHENBURG, Wider den Irrtum, A5v–A6r. Vgl. dazu o. Kap. II.1.1. 199 HACHENBURG, Wider den Irrtum, B1r–B1v: „vnordnung kmpt nu gar sehr daher / das man die Action oder austeilung des Sacraments verstmpelt /das ist / jr nicht gibt jren gebrlichen raum / anfang vnd ende / […] Solcher anfang ist nu nicht das geben vnd nehmen / sondern die Consecration / oder die wort Christi / Nemet hin vnd esset, das ist mein Leib / etc. wenn die vber Brot vnd Wein im Abentmal des HERRN gesprochen seind worden / als dann hebet sich das Sacrament an / v ist schon alda vorhanden der ware Leib vnd Blut Christi / Daher spricht S. Augustinus also / Adde verbum elemento, et fit Sacramentum […] Nach solcher Consecration sol so bald folgen das geben vnd nehmen / Also ist das ende solches Sacraments auch nicht / wenn keine Communicanten mehr vorhanden seind / sondern wenn das vbrige Sacrament vollens / eins mit dem andern gessen vnd getruncken / oder wo etwas da von bey seit gefallen oder getroffen vngefehrlich were / wider auffgehaben / auffgelecket / so viel mglich / mit aller reverentz ist worden.“ 200 AaO., D7r–D7v: „eben die Consecration / […] welche gesprochen ist worden vber das genommen teil / dieselbige ist auch gesprochen vber das vngenommen vnd vberblieben / auch vber das nidergefallen vnd verschutte teil.“ 201 AaO., A7v–A8r: „erstlich wird diß hiraus folgen mssen / das nicht die wort der Consecratio / sondern die hinreichung vnd empfahung an jr selbs ein vrsach sein mus des Sacraments […] Zum andern / […] das die wort der Consecratio mssen vergeblich vnd in den wind / […] gesprochen sein / weil das Sacrament allein stehen / das ist / ein Sacrament 198

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Auf dieser Basis wendet sich Hachenburg zudem gegen die These, dass Anbetung des Sakraments per se Abgötterei sei.202 Auch das ist Melanchthons Ansicht, der Sakramentsanbetung als von Christus wegführende Vergötzung der Elemente betrachtete und seine Lehre der Präsenz nur in usu explizit in der Absicht entwickelt hatte, dieser Gefahr entgegenzutreten: Für ihn liegt eben hier das Kernproblem der altgläubigen Auffassung, gegen das sich reformatorische Lehre konsequent abzugrenzen hat. Hachenburg hingegen unterscheidet eine wahre, reformatorisch legitime Anbetung von einer falschen, von Altgläubigen vertretenen: Christus habe das Sakrament in der Tat zur Nießung eingesetzt, nicht zur Anbetung in Monstranzen oder dergleichen, die vom rechten Sakramentsgebrauch weg auf eigene Werke führe.203 Eine Anbetung im rechten Gebrauch (also im Zuge der von Christus eingesetzten Abendmahlsfeier) sei dagegen legitim, da sie auf den im Sakrament gegenwärtigen Christus selbst gerichtet sei.204 Ausgehend von dieser Unterscheidung kann Hachenburg geltend machen, die (von Melanchthon vertretene) Ablehnung jeglicher Form von Sakramentsanbetung diene nicht der Verhinderung altgläubiger Tendenzen, sondern verrate Zweifel an Christi wahrer Präsenz im Sakrament205 – auch damit wird Melanchthon an die Seite von Westphals Streitgegnern gerückt. Um seine Auffassung von Konsekration und Sakramentsanbetung als reformatorische Lehre zu legitimieren, legt Hachenburg Wert darauf, Christi Präsenz in den Elementen außerhalb der Austeilung und die Möglichkeit einer legitimen Sakramentsanbetung aus Luthers Schriften nachzuweisen:206 Während

sein sol / wie sie wollen / im geben vnd nehmen. Zum dritten / […] das nicht das wort Christi / sondern die zeit an jr selbs wird mssen ein vrsache sein des Sacraments.“ 202 AaO., C1v: „wil ich nu auch sagen / von der Ehrerbietung vnd anbetung des Sacrament des Altars / wie weit solchs geschehen / vnd nicht geschehen knne / Denn es sind etliche / die inn keinem wege haben wollen / das mans anbeten sol / wenden fr / man sol Christum allein anbeten / zur rechten hand Gottes / Auch geben etliche fr / weil der HERR sein Abentmal / nicht vmb des anbetens / sondern vmb des essens vnd trinckens willen / […] eingesetzet habe / so sey es ein Abgtterey dasselbige anzubeten / Nu ich wil beweisen / das wenn das sacrament des Altars in dem gebrauch bleibet / darinnen es vom HERRN eingesetzet ist worden / so sey es kein Abgtterey / noch vnrecht.“ 203 Vgl. aaO., C4r–C5v. 204 AaO., C7r: „Nu aber solche anbetung / so im Sacrament geschicht / auff den HERRN selbs gerichtet ist / vnd auff keine Creatur / so ists ja keine Abgtterey / sondern schuldige ehre / vnd nicht ausser der Schrifft / sondern inn die wort verfasset / als da er auch saget / Das ist mein Leib.“ 205 AaO., D1r: „Ich frchte aber / das die beysorge / das man da nicht zu viel thue / durch anbetung Christi im Sacrament / werde von denen inn vieler leute hertzen heimlich gestackt / welche nicht gleuben / das Christus warhafftig im Sacrament gegenwertig sey / oder auch wol an seiner allmechtigkeit zweiffeln.“ 206 Vgl. in Bezug auf die Anbetung aaO., C3r–C3v; C5v; C8v–D1r; D4v–D7r; auf übrige Elemente aaO., D7v–F4v.

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

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Luther dergleichen gelegentlich vertreten, aber Melanchthons abweichende Position akzeptiert hatte,207 steht nun beides gegeneinander. Im Schlussteil ordnet Hachenburg nochmals polemisch Anhänger der Lehre Melanchthons mit Luthers Gegnern zusammen, indem er den Tod solcher Personen als Gottesurteile deutet: Neben dem bereits von Luther so interpretierten Tod Karlstadts, Zwinglis und Oekolampads208 berichtet er (in einer Weise, die vermuten lässt, dass es sich um topisch-polemische Aussagen handelt) von erschreckenden Todesfällen unter Anhängern der von ihm attackierten Lehre.209 Im Hinblick auf Hachenburgs Umgang mit Melanchthon als Person ist allerdings auffallend, dass er Melanchthon bei keiner gegen dessen Lehre gerichteten Aussage namentlich nennt – dagegen bestreitet er Calvins Anspruch auf abendmahlstheologische Übereinstimmung mit Melanchthon und beruft sich dafür neben Luther und Westphal auch auf Melanchthon selbst.210 Offenbar ist die Autorität Melanchthons aus Hachenburgs Sicht so groß, dass er ihn nicht explizit angreifen will und sich weiterhin auf ihn beruft, um den Konsens der Wittenberger Reformation für sich beanspruchen zu können – obwohl seine Schrift in der Sache massiv gegen Melanchthon gerichtet ist. Ähnliche Phänomene sollten sich auch bei anderen Mitstreitern Westphals zeigen. Durch Hachenburgs Konsekrations- und Anbetungslehre sah sich nicht nur Melanchthon in seinem Urteil bestätigt, dass die Lehre von Westphals Partei gefährliche altgläubige Tendenzen aufweise; offenbar wurde Hachenburg auch in Erfurt entsprechend verdächtigt und als Neunprediger abgesetzt.211 In Anbetracht der Tatsache, dass Hachenburg fordern kann, man solle verschüttete Elemente auflecken, da in ihnen Christus präsent sei, und als Beleg dafür das kanonische Recht zitiert,212 erscheint das zunächst wenig überraschend. 207

Vgl. dazu HOVDA, Controversy over the Lordʼs Supper, 44–46. Vgl. HACHENBURG, Wider den Irrtum, G7v–H5v. 209 Vgl. aaO., H6v–H10r. Für ein topisch zu verstehendes Stilmittel spricht, dass Hachenburg durchgängig keine Namen nennt und die Betroffenen nicht als prominente Persönlichkeiten geschildert werden, sondern als Pfarrer oder dergleichen, denen Hachenburg unter Berufung auf persönliche Bekanntschaft oder auf Gerüchte zuschreibt, dass sie die von ihm kritisierte Lehre vertreten hätten und eines schrecklichen Todes gestorben seien. 210 AaO., H5v–H6r: „Johannes Caluinus berffet sich in einer Schrifft wol zweymal / auff den Hochgelarten Herrn Philippum Melanthonem […] Aber ich halts dafr / wenn dem Caluino solche seine zusagung ein ernst / vnd nicht wort weren / er wrde langst hiebeuor / beide aus des Ehrwir. D. Martini Lutheri / vnd Herrn Philippi / auch aus M. Joachimi Westphali / Pfarherr zu Hamburg vnd andern Schrifften / […] von seinem schreiben haben abgestanden / vnd nicht also seinen gifft hin vnd wider in frembde Nation vnd Orter ausgespiegen haben / wie aus seiner andern Defension an genantten Pfarrherrn zu Hamburg zu sehen ist.“ 211 So jedenfalls MOTSCHMANN, JUST CHRISTOPH, ERFORDIA || LITERATA || CONTINUATA || oder || Fortsetzung || des Gelehrten Erffurths […], 5 Bde., Erfurt und Leipzig: Johann Christian Langenheim, 1733–1737, hier Bd. 2, 225–228, und (offenbar ihm folgend) BAUER, Theologen in und um Erfurt, 173. 212 Vgl. HACHENBURG, Wider den Irrtum, G3r. 208

484

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Bei näherer Betrachtung erweist sich Hachenburgs Haltungs allerdings weniger als Ausnahmeerscheinung denn als besonders scharfe Form einer in dieser Zeit häufiger diskutierten Ansicht: Auch Westphal vertrat eine Konsekrationslehre213 und sollte sich Hachenburgs Auffassung von Sakramentsanbetung zwar nicht zu eigen machen, sie aber als legitim verteidigen.214 Es spricht einiges dafür, dass zu diesem Thema innerhalb der Wittenberger Reformation – im Anschluss an die divergierenden Ansichten Luthers und Melanchthons – lange Zeit unterschiedliche Positionen nebeneinander gestanden hatten und dies in dem Moment zum Problem wurde, als Melanchthon sich 1556/57 gegen Westphals Partei abgrenzte: Auch der Hildesheimer Superintendent Tilemann Crage wurde 1557 aufgrund ähnlicher Vorwürfe aus dem Amt entfernt, wie sie Hachenburg gegenüber Melanchthon erhob.215 Dies zeigt nicht nur, dass die Vertreter einer Sakramentsanbetung keineswegs überall in der Minderheit waren, sondern auch, dass Westphals Partei in dieser Frage keine einheitliche Position vertrat: Crage hatte im Herbst 1556 noch den Hildesheimer Beitrag zu Westphals Confessio fidei unterzeichnet!216 Hier wird erneut deutlich, dass der Prozess der Konfessionsbildung noch nicht abgeschlossen war – zu einer gewissen Klärung dieses Aspekts sollte es erst in späteren Diskussionen kommen, wie sie unter anderem in den Jahren 1561–67 in Danzig geführt wurden.217 Auch Hachenburg sollte 1561 erneut eine einschlägige Schrift publizieren.218 1557 hingegen musste Westphals Partei zunächst einmal ihr Verhältnis zu Melanchthon klären – auch hier zeigte sich ein Spektrum an Positionen; die meisten fielen aber moderater aus als Hachenburgs Polemik. c) Beanspruchung Melanchthons für Westphal: Von Eitzens Defensio verae doctrinae Im Kontrast zu Hachenburgs Text zeigt die Defensio verae doctrinae des Hamburger Superintendenten Paul von Eitzen,219 dass es Mitte 1557 auch noch möglich war, Melanchthon für eine Westphal unterstützende Streitposition zu beanspruchen. Von Eitzen sucht die von Westphals Partei geprägte Hamburger Religionspolitik mit Loyalität zu seinem Lehrer Melanchthon zu vereinbaren, 213

Vgl. o. Kap. III.2.4c. Vgl. u. Kap. V.1.4e. 215 Vgl. dazu HOVDA, Controversy over the Lordʼs Supper, 49 f.; DIESTELMANN, Usus und Actio, 268–272. 216 Vgl. WESTPHAL, Confessio fidei, O6v. 217 Vgl. dazu neuerdings umfassend HOVDA, Controversy over the Lordʼs Supper; überblicksweise auch JÜRGENS, Innerprotestantische Konflikte. 218 HACHENBURG, JOHANN, Vom anbeten || des Sacraments / Dazu || vom vbriegen / vnnd niderfallen || Sacrament im Abendmal des || HERREN Christi / || Declaration / || […], o.O. 1561, VD16 ZV 7209. 219 VON EITZEN, PAUL, DEFENSIO || VERAE DOCTRINAE || de coena Domini nostri Iesu Chri-|| sti […], Oberursel: Nikolaus Heinrich 1557, VD16 E 913. 214

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

485

indem er Westphals Streitgegner verketzert, sich dafür auf Melanchthon beruft und eine für Westphals Position anschlussfähige, aber zugleich für Melanchthon unanstößige positive Abendmahlslehre formuliert. Aufschlussreich ist von Eitzens Konzept reformatorischer Autoritäten: So führt er gegen die Berufung von Westphals Gegnern auf die CA und gegen (a Lascos) These, Luther habe sich in Marburg der gegnerischen Auffassung angeschlossen, nicht nur die Apologie, Luthers Schriften und die Schmalkaldischen Artikel an, sondern auch das Zeugnis von Theologen, die in Marburg dabei gewesen seien und noch immer entsprechend lehrten: Bugenhagen, Brenz und Melanchthon.220 Damit äußert sich von Eitzen als Superintendent gemäß der Hamburger Religionspolitik und mit entsprechendem normativem Interesse: Wie Westphal sieht er die Apologie als repräsentativ für den Glauben der Kirche und dafür, dass die Protestantes status stets sacramentarii aus ihrem Kreis ausgeschlossen hätten.221 Die Erwähnung der evangelischen Reichsstände deutet an, dass es darum geht, mit Blick auf das Religionsgespräch die Deutung von Art. X der CA festzulegen, den er eingangs programmatisch zitiert – und zwar nach der Variata: Diese kann weiterhin für Westphal ins Feld geführt werden; strittig sind die Interpretamente, nicht die Version.222 Gleichzeitig fällt angesichts der Entfremdung zwischen Melanchthon und Westphals Streitpartei auf, dass von Eitzen ausdrücklich festhält, Melanchthon lehre noch immer im gleichen Sinne wie in Marburg. Auch sonst führt er Melanchthon oft positiv an: Er beruft sich nicht nur auf Texte des Ersten Abendmahlsstreits (z.B. Melanchthons Brief an Oekolampad223), sondern etwa auch auf seine Regeln zur Schriftauslegung224 oder eine 1541 in Regensburg von Melanchthon, Bucer und anderen aufgestellte Formel.225 Spitzen gegen Melanchthons aktuelle Position finden sich dagegen nicht. Zumal von Eitzen noch Ende 1557 Melanchthon verteidigen und dafür argumentieren sollte, dass dessen Abendmahlslehre mit der Hamburger Position übereinstimme,226 lässt dies 220

VON EITZEN, Defensio verae doctrinae, )( 4v– )( 5v. AaO., )( 6r: „Ecclesiae fides de coena Domini nititur certis uerbis Christi, Accipite, comedite, Hoc est corpus meum. […] Eam ecclesiae fidem recitat Apologia confessionis Augustanae.“ AaO., G2v: „in Apologia confessionis Augustanae hoc testimonio apposite probatur orthodoxa fides confessionis contra errores Sacramentariorum, quos Protestantes status semper e sua Ecclesia et fidei societate excluserunt.“ 222 Vgl. aaO., A1r; zur Zitation der CA bei Westphals Partei o. Kap. III.2.4b und IV.3.1a. 223 Vgl. VON EITZEN, Defensio verae doctrinae, F4v–F5r; G4v–G5r. 224 Vgl. aaO., I8r. 225 AaO., G4r: „Cum hac Apologia consentit etiam Formula collocutorum D. Philippi, Buceri, Pistorij, etc. in colloquio Ratisbonensi exhibita.“ Das Zitat folgt aaO., G4r–G4v. 226 Von Eitzen an Peter Bokelmann, 29.11.1557, in: Dänische Bibliothec 5, 273: „Aiunt Philippum nunc Wormatiae scribere de Sacramento. Dominus Iesus det suam gratiam, ut gloriationes Sacramentariorum de Philippo strenue confundantur. […] Certe ego adhuc nihil vidi a Philippo in publicum esse editum, quod nostrae fidei aduersetur.“ Bokelmann hatte sich an Westphals Confessio fidei beteiligt, vgl. o. Kap. V.1.1c. 221

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

vermuten, dass er nicht wie Gallus227 Melanchthons frühere Haltung gegen eine (postulierte) aktuelle Neigung zu Westphals Gegnern ins Feld führen will,228 sondern im Gegenteil versucht, eine Brücke zwischen Westphal und Melanchthon zu bauen. Das würde zur Biographie von Eitzens passen: Er war während seines Wittenberger Studiums von Melanchthon geprägt worden,229 unterstützte aber zugleich als Hamburger Superintendent Westphals Bemühungen, im Bremer Streit auf eine Verketzerung Hardenbergs und im Vorfeld des Wormser Gesprächs auf eine Festlegung der evangelischen Stände im Sinne von Westphals Streitposition hinzuwirken.230 Es ist naheliegend, dass Melanchthons Festlegung gegen Westphal einen solchen Theologen in die Bredouille brachte. Wenn er sich weder gegen seinen Lehrer Melanchthon wenden noch für Melanchthon gegen Westphal Partei nehmen wollte, musste von Eitzen eine Haltung finden, die es ihm weiterhin erlaubte, die Unterstützung für Westphals Streitposition mit einer positiven Berufung auf Melanchthon zu vereinbaren. Die Annahme, dass von Eitzen Unterstützung für Westphal mit einer positiven Haltung zu Melanchthon zu vereinbaren versucht, wird durch den dogmatischen Gehalt der Schrift bestätigt. Von Eitzen vertritt nämlich nicht exakt die gleiche Lehre wie Westphal.231 Er formuliert vielmehr eine Abendmahlsauffassung, die für Westphals Position anschlussfähig ist, aber zugleich melanchthonische Gedanken aufnimmt und sich als Versuch lesen lässt, Melanchthons Bedenken gegen Westphals Partei zu zerstreuen. So beschreibt er die Gegenwart Christi im Abendmahl mit der zu Westphals Anliegen substantialer Präsenz passenden, aber auch von Melanchthon gebrauchten Formel vere et substantialiter und hält ausdrücklich fest, dass diese Präsenz nur in usu coenae ordinato gegeben sei232 – letzteres ist Melanchthons Ansicht. Damit zeigt sich von Eitzen nicht nur als Schüler Melanchthons, sondern reagiert implizit auch auf dessen Vorwurf, Westphals Partei halte diesen Aspekt nicht fest. Auch wenn er dem Werk einen Traktat gegen altgläubige Abendmahlslehre anfügt233 227

Vgl. o. Kap. IV.1.1 und V.1.2a. So die Interpretation bei GREVE, Memoria Pauli ab Eitzen, 42 f. 229 Vgl. BERTHEAU, Paulus von Eitzen, 482. 230 Vgl. o Kap. V.1.2a. 231 So etwa MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 83 f.; SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 175; TSCHACKERT, Entstehung der lutherischen und reformierten Kirchenlehre, 534; TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 203. 232 VON EITZEN, Defensio verae doctrinae, A3v–A4r: „Sacramentarij negant in coena domini uere et substantialiter adesse et distribui corpus et sanguinem Christi. sed errant Sacramentarij, quia nesciunt scripturas et uirtutem Dei. Scriptura est, Accepit Iesus panem, et benedicens fregit, et dedit eis et ait: Hic est sanguis meus noui testamenti, qui pro multis effunditur in remissionem peccatorum. Cum hac scriptura coniuncta est uirtus Dei, iuxta dictum, Non est impossibile apud Deum omne uerbum. Ideo fides nostra quae credit, quod in usu coenae ordinato Christi corpus et sanguis iuxta ipsius uerba uere ac substantialiter adsunt et dispensantur, non errat.“ 233 Vgl. aaO., L5v–N7r. 228

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

487

und das damit begründet, dass er von sacramentarii erhobene Papismusvorwürfe widerlegen wolle,234 lässt sich das zwar auf Theologen wie a Lasco beziehen, die in diesem Sinne gegen Westphals Partei polemisierten. Zumal sich von Eitzen gegen die Unterstellung verwahrt, dass die von ihm vertretene Lehre aus Sakramenten idola mache,235 steckt darin aber implizit auch eine Verteidigung gegen Melanchthons ἀρτολατρεία-Vorwurf. Ebenso unterscheidet von Eitzen ganz melanchthonisch eine generalis praesentia, durch die Gott Himmel und Erde erfüllt, von der specialis praesentia, durch die Christus in Wort und Sakramenten den Gläubigen gegenwärtig ist:236 Auch Melanchthons These, dass die Lehre (eines Teils) von Westphals Partei auf eine den Kirchenvätern widersprechende Allgegenwart des menschlichen Leibes Christi hinauslaufe, verfängt hier also nicht. Zudem vertritt von Eitzen zwar eine manducatio impiorum und oralis, positioniert sich also in dieser von Melanchthon nicht entschiedenen Frage wie Westphal – formuliert dabei aber stets eine Austeilung des Leibes mittels der Elemente, gebraucht exhibitiv verstehbare Ausdrücke und setzt als Subjekt der Austeilung Christus.237 All das ist innerhalb von 234

AaO., )( 8v: „In fine addidi tractatum contra abusus Papisticos, propterea quod uideo Sacramentarios nos apud Vulgus pro Papistis accusare, ideo quod praesentiam ueri corporis et sanguinis Christi in sacramento coenae asserimus.“ 235 AaO., F6r–F7v: „Nosque falso accusant, quod gloriae Christi detrahamus, et ex Sacramentis Idola faciamus […] Docemus quod Dominus noster Iesus Christus cum et in ministerio Euangelij usum Sacramentorum, Baptismi et coenae, ideo instituit et ordinauit, ut quemadmodum fit per Euangelij annunciationem, et per absolutionem, ita etiam per Sacramentorum dispensationem, iuxta cuiusque Sacramenti institutionem offerantur singulis, et credentibus exhibeantur […] omnia ea merita et beneficia, quae Christus sua obedientia et morte meruit, utque credentes per haec media uerbi et Sacramentorum ad eam communionem et societatem Christi recipiantur.“ 236 AaO., C6r–C7v: „Generali seu uniuersali praesentia Deus implet coelum et terram […] Aliae sunt speciales praesentiae, quando Deus speciali modo adest suis creaturis, et se eis reuelat et exhibet. […] Sic speciali modo Dominus semper adest et adfuit Ecclesiae suae, et non adest Idololatricis et impijs Gentibus, Turcis, Iudaeis etc. […] Specialis praesentia est, qua per auditum Euangelij et Sacramenta sua uenit ad credentes, et habitationem in ipsis facit, et non uenit ad impios, nec in illis habitationem facit. […] Specialis praesentia est, qua praesens est Christus in sua coena, et in pane ac uino coenae nobis suum corpus et sanguinem exhibet et dispensat, ad manducandum et bibendum. Hae speciales praesentiae, habent singulae certum uerbum, et propter uerbum et uirtutem Dei sunt certissimae.“ 237 AaO., G8r–G8v: „Etsi infideles et indigni de mensa Domini non manducant ac bibunt uitam, sed iudicium, tamen accipiunt uerum sacramentum, hoc est, uerum corpus et sanguinem Iesu Christi, quae in sacramento coenae pane et uino dispensantur.“ AaO., H5r–H5v: „Stante illo quod etiam infideles de mensa Domini uerum corpus et sanguinem Christi accipiunt, ultro sequuntur haec sequentia. Vtpote, In Sacramento coenae dispensari corpus et sanguinem Christi pane et uino per uirtutem institutionis et uerborum Christi. Item. Corpus et sanguinem Christi in Sacramento coenae non tantum accipi fide, sed etiam ore, quo panis et uinum accipiuntur.“ AaO., C7r: „Christus in sua coena, et in pane ac uino coenae nobis suum corpus et sanguinem exhibet et dispensat, ad manducandum et bibendum.“

488

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Westphals Partei unproblematisch, wenn eine (leiblich-)substantiale Präsenz festgehalten wird – für Melanchthon ist es aber unanstößiger als die These einer Präsenz in pane oder die Aussage einer Identität von Leib und Brot. Gegen die Position der von Westphals Partei seit Streitbeginn attackierten Theologen wie Calvin oder a Lasco hingegen grenzt von Eitzen sich klar ab. Welche Texte er dabei im Blick hat, bleibt allerdings unklar, da er die attackierte Position sehr allgemein formuliert. Dass die gegnerische Behauptung, eine wahrhafte Präsenz Christi zu vertreten, betrügerisch sei, folgert er wie Westphal aus dem figurativen Verständnis der Einsetzungsworte, der rein geistlich verstandenen Nießung und der Verortung des Leibes Christi im Himmel.238 Auch seine Gegenargumente sind unoriginell: So stellt er dem figurativen Verständnis der Einsetzungsworte die Präsenz des wahren Leibes Christi entgegen,239 hält fest, dass die mündliche Nießung ebenso nötig sei wie die geistliche240 und betont den Gedanken der Personeinheit nur allgemein: Die Gottheit Christi sei nie ohne die Menschheit präsent.241 Auch hier ist ihm daran gelegen, die Abgrenzung gegenüber Westphals außerwittenbergischen Gegnern so zu formulieren, dass sie für Melanchthon möglichst unanstößig ist. Über Reaktionen auf die Schrift ist wenig bekannt. Insbesondere ist unklar, ob sie Melanchthon zur Kenntnis gelangte. Es ist schwer abzuschätzen, ob er sie (angesichts der seine eigenen Grundsätze berücksichtigenden Lehrposition) positiv wahrgenommen oder sie (angesichts der Tatsache, dass von Eitzen die Normierungsversuche der Westphalpartei unterstützt) als illegitimen Vereinnahmungsversuch zurückgewiesen hätte. Innerhalb von Westphals Partei scheint von Eitzens Haltung nicht per se als problematisch empfunden worden zu sein, solange die Abgrenzung gegen Westphals Streitgegner eindeutig war. Im Folgenden konnte der Superintendent von Eitzen sogar seine Hamburger Kollegen überzeugen, sich gemeinsam an die Wittenberger Fakultät zu wenden, wenngleich dieser Brief ambivalenter ausfiel als seine eigene Schrift. d) Gegen Brotanbetungsvorwürfe: Der Brief der Hamburger Pfarrer nach Wittenberg Eine ambivalente Haltung zwischen Versöhnungsbemühen und Abgrenzung zeigt ein Brief, den die Hamburger Pfarrer im August 1557 an die Wittenberger 238

Vgl. aaO., L3r–L3v. Vgl. aaO., E8v–F5r. 240 Vgl. aaO., C8r–E8v. 241 AaO., B2v–B3v: „Nos talem Christum in Dominica coena non habemus nec agnoscimus, qui ibi tantum adsit diuinitate, absit uero corpore et sanguine. Sed agnoscimus et habemus in coena Dominica talem Christum, qui ibi uere adest iuxta suum uerbum, non tantum diuinitate, sed etiam substantiali corpore et sanguine, quae nobis dispensat pane et uino. […] Duae naturae, diuina et humana, indissolubili et inseparabili unione hypostatica sic sunt unitae et connexae, ut Verbum non sit sine carne, et caro non sit sine Verbo.“ 239

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

489

Fakultät richteten.242 Auch wenn unklar ist, ob das Schreiben je abgeschickt wurde,243 ist es aufschlussreich für die Perspektive der Hamburger: In Reaktion auf Melanchthons Kritik betonen sie ihre Einigkeit mit den Adressaten, versuchen aber zugleich, den Konsens der Wittenberger Reformation normativ im Sinne ihrer – von Melanchthon abgelehnten – Position zu bestimmen.Geht man davon aus, dass der Text (wie es ein Schreiben des Lüneburger Superintendenten Friedrich Henninges an Westphal nahezulegen scheint244) sich nicht nur an die Wittenberger selbst richtete, sondern als eine Art öffentliche Apologie gegen Melanchthons Vorwürfe gedacht war, dürften die Hamburger damit auch die Absicht verfolgt haben, im Vorfeld des im September beginnenden Wormser Religionsgesprächs die Position der evangelischen Stände zu beeinflussen. Als Anlass des Briefs benennen die Hamburger, dass man ihnen in der Wittenberger Fakultät Ketzerei vorwerfe: neben der Verwerfung guter Werke (also einer gegen Major gerichteten Position im Majoristischen Streit245) altgläubige Irrtümer in der Abendmahlslehre, nämlich Transsubstantiation, Einschließung des Leibes Christi ins Brot und Brotanbetung246 – zumindest der letzte dieser drei Punkte entspricht Melanchthons Vorwürfen gegen Westphals Partei.247 In Verteidigung gegen Melanchthons Vorwürfe machen die Hamburger zum einen geltend, sie seien ebenso wenig papistischer Irrtümer zu verdächtigen wie Luther, da sie die gleiche Position verträten wie er. Interessant ist, dass sie nicht nur betonen, sie lehrten weder Transsubstantiation noch localis inclusio, sondern auch, der Vorwurf, dass sie den Grundsatz sacramenta extra usum non habere rationem sacramentorum nicht festhielten, sei unberechtigt.248 Anders 242

Dieser Text wurde in der Forschung schon früh wahrgenommen (vgl. GREVE, Memoria Westphali, 167 f.) Vgl. neuerdings auch KUHN, Bekennen und Verwerfen, 249–252. 243 Vgl. das Regest zu MBW 8310 mit Verweis auf GREVE, Memoria Westphali, 168 Anm. 43, der erläutert, der Text sei in den Akten des Hamburgischen Ministeriums nicht enthalten und ihm „ab attico“ zugänglich gewesen. 244 Henninges an Westphal, 18.8.1557, Sillem I, 289–291, hier 289 (Nr. 154): „cum intelligam ex postremis tuis literis pridie mihi redditis, Tuam H. dom. D. et Superintendentem vestrum […] hortaturam esse, ut confessio vel potius Apologia de operum necessitate et Sacramento Altaris propter D. Philippi absentiam in publicum edatur, non ignorabit ea, mihi hoc tuum concilium et propositum maxime probari.“ 245 Zur Diskussionslage vgl. DINGEL, IRENE, Historische Einleitung, in: Dies (Hg.), Der Majoristische Streit, C&C 3, Göttingen 2014, 3–16. Dieser Aspekt kann hier nicht näher verfolgt werden; vgl. MBW 8310 = GREVE, Memoria Westphali, 316–319. 246 MBW 8310 = GREVE, Memoria Westphali, 315: „Non sine magno dolore comperimus, quod aliqui in uestra academia nos iniuste et falso accusant et traducunt, quod in nostra Ecclesia simpliciter et plane reiiciamus bonorum operum necessitatem, et quod in doctrina de Coena Christi confirmemus papisticos errores de transsubstantiatione ac inclusione ac impium usum τῆς ἀρτολατρείας.“ 247 Das bemerkt bereits GREVE, Memoria Westphali, 167 Anm. 42. 248 GREVE, Memoria Westphali, 320 = MBW 8310: „Et sicut Lvthervs excitatus a Deo ad euersionem papisticorum errorum et Idolomaniarum, longissime abfuit a suspicione istorum

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

als Hachenburg scheinen nicht nur von Eitzen, sondern auch Westphal und andere Hamburger Pfarrer keine Einwände gegen diesen Grundsatz Melanchthons zu haben und können daher seinen Vorwurf zurückweisen. Zum anderen betonen die Hamburger, ihre Haltung sei ausschließlich gegen Täufer und Sakramentierer gerichtet, welche die reale Präsenz Christi verwürfen. Als Beleg werden Auszüge aus Schriften a Lascos und Ochinos beigefügt.249 Hier sind diejenigen Streitgegner Westphals gewählt, deren Lehre – anders als etwa bei Calvin – eindeutig nicht im Sinne der im Wittenberger Kontext anerkannten Straßburger Position interpretiert werden kann: Dadurch wird der folgende Vorwurf umso plausibler, die Wittenberger Professoren ehrten unverkennbare Irrlehrer und ließen zu, dass die Hamburger verleumdet würden, obwohl die von diesen verteidigte Lehre auch die der Wittenberger Fakultät sei.250 Hier gehen die Hamburger von der Verteidigung zum Angriff über – anders als Hachenburg verketzern sie aber nicht Melanchthons Lehre, sondern werfen den Adressaten vor, die Haltung nicht zu verteidigen, die – dem Hamburger Anspruch nach – für die Wittenberger Reformation normativ sein sollte. Interessant für das mit Blick auf das bevorstehende Wormser Religionsgespräch verfolgte normative Interesse wie im Hinblick auf den Konflikt mit Melanchthon sind die herangezogenen Autoritäten: Die Hamburger berufen sich auf Artikel X der CA variata, den sie gemäß Schrift und kirchlichem Konsens auslegten – hier ist also weiterhin251 nicht die Fassung der CA strittig, sondern die für ihre Interpretation maßgeblichen Größen: Genannt werden Luther, Brenz und Schnepf, die Apologie und weitere (nicht benannte) Wittenberger Texte.252 Hier wird ein normativer Konsens der Wittenberger Reformation für errorum et abusuum, ita nos quoque arbitramur, quod nemo candidus et aequus lector nostrorum librorum ista nefanda suspicione nos grauare possit, quod asseueramus transsubstantiationem aut localem inclusionem, aut quod repudiemus illud axioma: Sacramenta extra usum non habere rationem sacramentorum.“ 249 Ebd.: „Anabaptistis et Sacramentariis assentiri non possumus, qui non tantum realem praesentiam corporis et sanguinis e sacramento coenae tollunt, sed etiam non minore blasphemia sacramenta Iesu Christi afficiunt, quam ipse nebulo Stenckfeldivs. Gratias habemus V.D. quod tam serio redarguitis Stenckfeldivm, sed rogamus, ut scripta Ioannis a Lasco et suorum complicum perlustretis, animaduertetis sane, ipsos eorundem criminum reos esse, de quibus merito accusatis Stenckfeldivm. […] Vt autem sciatis, nos de Ioanne a Lasco, et aliis sacramentariis uera scribere, mittimus uobis duos locos, unum ex libro Ioannis a Lasco, alterum ex Ochini libro de sacramento, si fortassis ipsi eius libros non legistis.“ 250 Vgl. ebd. 251 Vgl. dazu o. Kap. IV.3.1a und IV.3.1c. 252 GREVE, Memoria Westphali, 320 = MBW 8310: „Docemus, sicut in confessione Augustana scriptum est, uidelicet, de Coena Domini docent, quod cum pane et uino uere exhibeantur corpus et sanguis Christi uescentibus in Coena Domini. Et de sententia seu expositione Augustanae confessionis iudicamus ex uerbo Dei, consensu catholicae Ecclesiae Christi, inde usque a temporibus Apostolorum ac imprimis ex catechismo, confessionibus ac libris Lvtheri, Brentii, Snepfii, ex apologia confessionis et aliis scriptis a uobismet editis.“

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

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die eigene Haltung beansprucht. Dabei ist einerseits auffallend, dass Melanchthon nicht erwähnt wird, zumal mit Brenz und Schnepf die beiden anderen für das Religionsgespräch vorgesehenen Kollokutoren aufgeführt sind.253 Das passt zur Entfremdung zwischen Melanchthon und Westphal. Andererseits ist die Apologie ein von Melanchthon verfasster Text, was zusammen mit dem Bezug auf weitere Wittenberger Schriften auch als versöhnliche Geste gewertet werden kann. Hier ist das Hamburger Schreiben also ambivalent und dadurch anschlussfähig für die unterschiedlichen Haltungen zu Melanchthon innerhalb der Hamburger Pfarrerschaft: von der positiven Wertung von Eitzens bis zur scharfen Kritik, die Johann Bötker wenig später veröffentlichen sollte. Dass die Berufung auf den Konsens der Wittenberger Reformation einerseits der eigenen Verteidigung dient, andererseits dazu, diesen Konsens im eigenen Sinne festzulegen, wird besonders deutlich, wenn die Hamburger gegen den Vorwurf, eine nova disputatio anzufangen, auf CA, Apologie, Schmalkaldische Artikel, Katechismus, weitere Bücher Luthers und ihre bisherigen Schriften zum Abendmahl rekurrieren und auf dieser Basis die Wittenberger auffordern, ihre Lehre als evangeliumsgemäß anzuerkennen und zu bestätigen, dass es ihnen nur darum gehe, die gemeinsame Position gegen Papisten, Interimisten, Täufer, Osiandristen, Schwenckfeld und Sakramentierer zu verteidigen.254 Das klingt zunächst, als würde der Wittenberger Fakultät die Kompetenz zugesprochen, über die Rechtgläubigkeit theologischer Aussagen zu entscheiden: eine Rolle, die sie in der Wittenberger reformatorischen Tradition traditionell eingenommen hatte.255 Andererseits ist angesichts des Konflikts zwischen Melanchthon und Westphal nicht zu erwarten, dass die Wittenberger die Hamburger Position approbieren – insofern kann die Aussage auch als Versuch verstanden werden, die Fakultät ins Unrecht zu setzen, wenn sie den Hamburger Anspruch auf gesamtwittenbergische Normativität nicht bestätigt. Letzteres 253 Zur Benennung von Melanchthon, Brenz und Schnepf als (Haupt-)Kollokutoren für das Religionsgespräch vgl. SLENCZKA, Wormser Schisma, 89. Natürlich kann die Erwähnung von Brenz und Schnepf auch einfach nur durch ihre Streitschriften bedingt sein, aber zwei Monate vor dem Religionsgespräch ist sie durchaus auffällig. 254 GREVE, Memoria Westphali, 320 f. = MBW 8310: „Non instituimus nunc nouam disputationem de Coena Christi, sed referimus nos ad Augustanam confessionem, Apologiam, Schmalcaldicos articulos, Catechismum et libros D. Lvtheri et ad nostra scripta de hac caussa promulgata. Ac promittimus, nos, quotiescunque opus fuerit, prolixe et clare sententiam nostram declaraturos et obtrectationibus ac calumiis responsuros esse. Vestras uero R. obnixe et in Domino nostro Iesu oramus, ut non sinatis uestros animos ullis calumniis a nobis abalienari, sed ut de nobis sic statuatis, quod in Ecclesiis nostris fideliter docemus purum Dei Euangelium et uerbum, sine omnibus corruptelis, et quod uestras Reu. ex animo diligimus et ueneramur, nihilque nobis magis est in uotis, quam ut simus unum in Christo Iesu et in ea unitate ac coniunctione per Dei gratiam ecclesiam Iesu Christi aedificemus et regnum Satane destruamus, fortiter contradicendo et resistendo omnibus erroribus Papistarum, Interimistarum, Anabaptistarum, Osiandricorum, Sacramentariorum, Stenckfeldii et similium.“ 255 Vgl. LEPPIN, Disputation und Religionsgespräch, 242–248.

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

würde zur Argumentation einer weiteren Hamburger Stellungnahme zu Melanchthons Position passen: dem Kurzen und einfältigen Bericht Johann Bötkers. e) Verketzerung von Westphals Gegnern und Begünstigungsvorwürfe an Melanchthon: Bötkers Kurzer und einfältiger Bericht Die Streitschrift eines weiteren Hamburger Kollegen Westphals, Johann Bötker, steht durch ihre Datierung auf Michaelis 1557256 zeitlich schon parallel zu den Beratungen in Worms, gehört aber sachlich in die Auseinandersetzung zwischen den Hamburger Pfarrern und Melanchthon.257 Dabei nimmt Bötker innerhalb von Westphals Partei eine Position zwischen Hachenburg und von Eitzen ein: Melanchthon wird nicht verketzert, aber ihm wird vorgeworfen, die „Sacramentschwermer“258 zu begünstigen. Dazu passt, dass Bötker sich neben der Verketzerung von Westphals Gegnern darauf konzentriert, die von Hardenberg und Melanchthon attackierte Christologie näher zu begründen. Bötker betont, er wolle den Vorwurf widerlegen, Luther habe anfangs zu heftig über das Abendmahl geschrieben, dies später aber nicht zurückziehen wollen.259 Das klingt zunächst nach einer Wendung gegen Calvin und andere

256 BÖTKER, JOHANN, Von des Hern || Christi Hoch-||wirdigen Abendmal / Kurtzer und ein-||feltiger Bericht […], Hamburg: Johann Wickradt 1557, VD16 B 6442, c4v. 257 MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 168, nimmt an, die Schrift gehöre in den innerhamburgischen Konflikt zwischen Anhängern Melanchthons und des Flacius. Das beruht jedoch darauf, dass er den gegen Melanchthon gerichteten Text Joachim Magdeburgs, durch den der Hamburger Streit ausgelöst wurde, irrtümlich mit MAGDEBURG, Von dem wahren und falschen Christo, identifiziert und daher zu der Einschätzung gelangt, der Konflikt sei durch die Abendmahlsfrage bedingt gewesen. Letztere Schrift wendet sich jedoch gegen die Flüchtlingsgemeinden, nicht gegen Melanchthon (vgl. o. Exkurs b nach Kap. IV.3) und erschien erst 1558, also nach Bötkers Text. GREVE, Memoria Pauli ab Eitzen, 51, gibt für das Werk, das den innerhamburgischen Streit auslöste, den Titel „Asinarius“ an. Das lässt vermuten, dass es sich um MAGDEBURG, JOACHIM, DIALOGVS || Oder. || Ein Gespreche || eines Esels vnd Berg=||knechts / Jhesu Christo vnserm einigen || erlser […] || zun ehren / seiner Christlichen Ge=||mein […] || zu troste vnd dem || Synodo Auium zu ||lieb geschrieben […], Lübeck: Georg Richolff 1557, VD16 M 156, handelt (so auch das Regest zu MBW 8557) – dieses Werk behandelt allgemein die zwischen den Anhängern von Flacius und Melanchthon strittigen Fragen, nicht speziell die Abendmahlslehre. 258 So z.B. BÖTKER, Kurzer und einfältiger Bericht, b1v. 259 AaO., a3v: „Das aber dem heiligen Vater D. Luther nicht allein von offenbaren Sacramentschwermeren / sondern auch von anderen Klglingen / Scepticis vnd Epicureis dieser zeit schuld gegeben wird / als sollte Er diesen Sacramentshandel nicht gnugsam verstanden vnd erwogen haben / vnd im anfang etwas zu reiff vnd hefftig zum streit gewesen / vnd sich in seinem Schreiben verstiegen haben / welchs / wiewol er zu letzt innen worden / dennoch / als die Bcher in den druck gekomen / nicht hette widerrufen vnd retracteren wllen / Das ist viel anders aus seinen Schrifften zubeweisen.“ Als Belege führt Bötker im Folgenden u.a. Zitate aus Luthers großem Bekenntnis von 1528, dem Kurzen Bekenntnis von 1544 und einer kurz vor Luthers Tod gehaltenen Predigt an (vgl. aaO., a3v–b1v).

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

493

Streitgegner Westphals, die sich auf Luthers Haltung zur Zeit der Wittenberger Konkordie berufen und darin eine Zurücknahme der Ketzerurteile aus dem Ersten Abendmahlsstreit gesehen hatten.260 Gegen derartige Auffassungen verteidigt Bötker Luthers Haltung und die entsprechenden Ketzerurteile als konsistent und normativ.261 Damit verbindet er aber Spitzen gegen Melanchthon: „sind jtzund viel ansehenlicher gelerter Leut / an welchen man vorhin anders nicht gespret / als das sie mit D. Luther in der Lere vnd Glauben / auch in diesem stck vom Sacrament eins weren / welche der Sacramentschwermerey nicht alleine nicht widersprechen […] sondern auch […] die hfflich vnd mit zweiuelhafftigen reden vnd antworten zudecken vnd entschldigen / lassen mit jrem namen wissentlich die Schwermer jren Jrthumb schmcken […] / verhinderen vnd verwerffen mit Jren rahtschlegen der Oberkeit eiuerige frnemen gegen die Schwermerey / halten auch die Schwermer in grossen ehren / rhmen vnd commenderen sie […] / Dagegen aber sie eines jglichen losen vnredlichen affterredners vnverschampte lgen / zu verleumdung dieses teils ertichtet vnd ausgetragen / fr warheit hren / auffnemen vnd wider ausschreien / vnd alles was dagegen Christlich vnd getrewlich berichtet / ermanet vnd verwarnet wird / in den wind schlahen / vnd fr Iniurien calumnien / ja ursachen der spaltung achten vnd verdamnen. Daraus denn erfolget / das ettliche andere gar stille zur sachen schweigen / vnd sein Neutrales / […]. Dis alles mus jtzund heissen / weisheit vnd frsichtigkeit / Ja ein jglicher / der sich wil einen Namen machen / das er sey bedechtig / klug vnd gelert / der helts auff der Sacramentirer seit / oder ist ein Neutralis / […] vnd schwebet so im vngewissen fr jm hin / bis ein mal hie von eine gemeine Vergleichung geschicht / […] Vnd mus dieweil der gute D. Luther sampt seinen rechtschaffenen Discipulen vngelert / vnbedechtig vnd halsstarrig geachtet sein / vnd gescholten werden.“262

Die hier erhobenen Vorwürfe passen exakt zu Melanchthons Haltung: von der mangelnden Abgrenzung gegen die von Westphal attackierten Theologen über die Verhinderung obrigkeitlichen Vorgehens gegen sie (durch seine Gutachten für Bremen und Frankfurt) und die Verschiebung von theologischen Festlegungen auf einen künftigen Konvent bis zum Vorwurf an Westphals Partei, durch ihre Polemik den Streit ausgelöst zu haben: Dadurch wird in Bötkers Augen die Position der wahren Schüler Luthers in Verruf gebracht. Er will also mit seiner Schrift nicht nur die eigene Position als mit Luther übereinstimmend evangelisch normativ setzen, sondern auch Melanchthons Haltung kritisieren. Auch Westphals Argumentation in Bezug auf die Confessio Augustana wendet Bötker gegen Melanchthon: Wie Westphal listet er Aspekte auf, die für ihn belegen, dass es sich bei der Lehre von dessen Opponenten um Zürcher Ketzerei handelt: darunter nicht nur abendmahlstheologische Aspekte, sondern etwa auch die Ablehnung von Bildern und die Bestreitung einer Notwendigkeit der 260

Vgl. zu Calvins entsprechender Sicht auf Luther o. Kap. IV.2.2b und IV.3.2d. AaO., b2v: „Wer nu von dem Abendmal Christi etwas anders helt vnd gleubet / als D. Luther gethan / sie heissen Papisten / Zwinglische / Widerteuffer / Schwenckfelder / oder wie sie Namen haben mgen / die sind Jrregeister / vnd haben falsche vnchristliche Lere vnd Glauben / Sintemal Gott durch Jn ungezweifelt der Kirchen den rechten waren verstand […] durch sonderliche verleuchtung des heiligen Geistes widerumb erffnet / […] hat.“ 262 BÖTKER, Kurzer und einfältiger Bericht, b2v–b3v. 261

494

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Kindertaufe.263 Auf dieser Basis qualifiziert Bötker nicht nur die Berufung der Streitgegner auf CA und Apologie als unglaubwürdig,264 sondern argumentiert auch, angesichts dieser Irrlehren könne niemand bestreiten, dass es nicht um Wortgezänk gehe – es sei denn, er teile die Position der Gegner oder wolle den Inhalt ihrer Schriften nicht zur Kenntnis nehmen.265 Auch das richtet sich gegen Melanchthon, der Westphal vorgeworfen hatte, unnötig Streit zu erregen. Bötkers Ketzervorwürfe beziehen sich dagegen nicht auf Melanchthon, sondern ausschließlich auf Westphals Streitgegner. Manches spricht dafür, dass er sich primär mit Hardenberg auseinandergesetzt hat – was zum Hamburger Engagement in der Bremer Debatte ebenso passen würde wie zu Bötkers Begünstigungsvorwürfen gegen den mit Hardenberg in Kontakt stehenden Melanchthon: So betont er, die Auslegung durch in, mit und unter verfälsche die Einsetzungsworte nicht, sondern erläutere deren rechtes Verständnis,266 ebenso wie die Rede von wahrer oder wesentlicher Gegenwart.267 Die substantiale Präsenz des Leibes Christi mit den Elementen impliziere weder eine Transsubstantiation oder räumliche Einschließung des Leibes ins Brot noch ein Leiden 263

Vgl. aaO., c1v–c2r. AaO., c2r–c2v: „Vnd bey diesem lassen sie es nicht bleiben / sondern vnterstehen sich auch / […] die lbliche Christliche Bekentnis zu Augsburg Anno etc. 30. fr dem gantzen Rmischen Reich wider den Teufel vnd seinen Antichrist / vnn zu gleich wider die Zwinglischen (denn die damals albereit fr langest auff der bahn gewesen / vnd der Augsburgischen Confession verwandten Stende von wegen dieses Artikels vom Sacrament sich von jnen abgesondert) geschehen / sampt der Apologien auff jre meinung zu ziehen / vnd damit sich zu behelffen vnd zu schtzen / vnd aus allen geistlichen vnd Weltlichen standes / so sich der Augspurgischen Confession verwandt bekennen / oder Sacramentschwermer / oder solche albern vnd schlechte Leute / ja Narren zu machen / die sich von einem jglichen affen lassen / vnd selbs was sie bekannt / nicht wissen noch verstanden haben.“ 265 AaO., c2v–c3r: „Das die Sacramentschwermer an diesem allen schldig sind / ist offenbar vnd am tage / vnd kan und mag es keiner leugnen / oder daran zweifeln / es sey denn sache / das er jnen mit gleichem falschen glauben / oder mit leichtfertiger heuchley zugethan ist / vnd so viel der sachen / Ja sich selbs / vnd der Kirchen zu gute nicht thun mag / das er jre Schriffte lese / darinne es alles von stcke zu stcke zu finden ist. Dieweil denn dis kein Mitteldinge / oder Wort gezencke / sondern solche stcke sind / daraus falsche Propheten / […] zu kennen / warlich so gehrte sich / das alle getrewe Haushalter der Geheimnis Gottes / u Lerer in Christlichen kirchen vnd Schulen fr einen Man stnden […] jrer geistlichen Dieberey / Reuberey / Gifft v Fewre zu wehren.“ 266 AaO., d3r: „Mit diesen worten / In / Mit / Vnter / enderen oder verwerfen wir nicht des herrn Christi worte / sondern erkleren / vnd beschreiben der selben eigentlichen waren verstandt / wie denn dasselbig in der Kirchen / bey allen rechtgleübigen Lerers / stets frey vnd gebreuchlich gewesen.“ 267 AaO., d4v: „gebrauchen wir auch diese Wort (Ware / Wesentlich) keiner anderer meinung / […] das im Sacrament / nicht falsch / Fantastisch / Figurlich / abwesend / sondern Christi rechte vnd ware Leib vnd Blut / oder die rechte vnd ware Substantz des Leibs / fr uns am Creutz gestorben / vnd des Bluts / fr vns am Creutz vergossen / gegenwertig sey / gereicht vnd empfangen werde.“ 264

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

495

des Brotes am Kreuz.268 Die Kombination der von Bötker widerlegten Argumente erinnert an Hardenberg;269 allerdings sind sie einzeln auch bei anderen Gegnern Westphals belegt. So finden sich der Vorwurf räumlicher Einschließung ins Brot und die These, dass die Deutung durch in, mit und unter einen tropus impliziere, auch in Calvins zwischenzeitlich erschienener Ultima admonitio;270 zudem bestreitet Bötker Calvins dortiges Argument, dass eine gleichzeitige Anwesenheit Christi als Person und im Brot beim ersten Abendmahl absurd sei.271 Möglich ist auch, dass Bötker Aussagen mehrerer Autoren zusammenfasst. Jedenfalls betont er, in Verteidigung gegen Vorwürfe von Westphals Gegnern wie von Melanchthon, die Abgrenzung der eigenen Partei gegen die Transsubstantiation.272 Mit der Betonung mündlicher Nießung273 und der Nießung durch Unwürdige274 hält er für Westphals Seite klassische Argumente gegen ein rein geistliches Verständnis der Präsenz Christi275 fest. Über die Standardargumente von Westphals Partei hinaus geht Bötker mit seiner gegen Melanchthon abgegrenzten Christologie.276 Entsprechend dem Duktus der Schrift wird das nicht als Verketzerung Melanchthons formuliert, aber Bötker hält es zur Verteidigung gegen Westphals Gegner für nötig, dezidiert etwas anderes zu vertreten als Melanchthon. Um das Argument zu widerlegen, dass der menschliche Leib Christi nicht an einer Vielzahl von Orten im Abendmahl präsent sein könne,277 beruft er sich nicht nur wie Westphal allgemein auf die Personeinheit, sondern definiert letztere anders als Melanchthon: Während für diesen göttliche Eigenschaften per Idiomenkommunikation zwar 268

Vgl. aaO., e1v–e2r; f1v. Vgl. JANSE, Hardenberg als Theologe, 216 (das in, mit und unter impliziere den von den Bremer Pfarrern bestrittenen tropus); 218 (die Rede von wahrer und substantieller Gegenwart finde sich nicht in der Schrift und sei eine gefährliche Interpretation); 218; 227 (die Lehre einer substantialen Präsenz bedeute eine Einschließung des Leibes ins Brot und nähere sich der Transsubstantiation an); 216 (aus der gegnerischen Lehre folgt die absurde Konsequenz, dass dann das Brot gekreuzigt sein müsste). Da Janse diese Aussagen Hardenbergs unedierten Quellen entnimmt, kann ein Quellennachweis hier nicht geleistet werden. 270 S. dazu u. Kap. V.1.4b. 271 Vgl. BÖTKER, Kurzer und einfältiger Bericht, h3v–h4r, zu Bötkers Aussagen im Einzelnen s.u. im folgenden Absatz, zu Calvins Argumentation s.u. Kap. V.1.4b. 272 AaO., e4r–e4v: „Das brot vnd Wein im Sacrament jre Substantz vnd Wesen behalten / vnd nicht in Christi Leib vnd Blut verwandelt werde / wie die Papisten leren / Aber doch durch die Einsetzung / befehl vnd zusag Christi one verwandlung / one natrliche oder Persnliche vereinigung / auch one reumliche verschliessung diese beide vnterscheidne Substancien also beysamen sein / das eins on das ander nicht gereichet […] wird.“ 273 Vgl. aaO., i4v–m2v. 274 Vgl. aaO., n3r–o2r. 275 Vgl. aaO., n1r–n3r. 276 Dies erstmals bemerkt und Bötkers Argumentation näher analysiert zu haben, ist das Verdienst von MAHLMANN, Das neue Dogma, 82–92. 277 Vgl. BÖTKER, Kurzer und einfältiger Bericht, g2r. 269

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

von Christus, nicht aber von seiner isolierten menschlichen Natur ausgesagt werden dürfen,278, folgert Bötker aus der Personeinheit eine Teilhabe der menschlichen Natur Christi an allen Eigenschaften der göttlichen.279 Hat für Melanchthon die menschliche Natur Christi in ihrem irdischen Dasein keinen Anteil an der göttlichen Allmacht,280 hat sie Bötker zufolge ab der Inkarnation Anteil an allen Eigenschaften der göttlichen Natur;281 Entäußerung während des irdischen Daseins Christi bedeutet nur, dass Christus teilweise auf den Gebrauch dieser Eigenschaften verzichtete.282 Auf dieser Basis kann Bötker argumentieren, dass Christus bereits beim ersten Abendmahl an mehr als einem Ort sein konnte: am Tisch sitzend und unter den Elementen283 – diese Folgerung hatte Calvin aus Westphals Lehre gezogen und für absurd erklärt.284 Das Gleiche gilt erst recht im Stand der Erhöhung: Inzwischen hat Christus bei der Himmelfahrt die Knechtsgestalt abgelegt,285 die menschliche Natur hat also die 278

Vgl. dazu o. Kap. V.1.2a. BÖTKER, Kurzer und einfältiger Bericht, g2r–g2v: „Wir gleuben vnd bekennen / das Christus ware menschliche Natur an sich genomen / vnd mit der selben zu Himel gefaren / vnd sitzet zur rechten Gottes / das auch in seiner Menschwerdung die Gottheit nicht in die Menscheit/oder in der Himelfart die Menscheit nicht in die Gottheit verandert ist / auch in ewigkeit nicht wird verandert werden / sondern das Gttliche vnn menschliche Natur one veranderung vnd vermengung Persnlich / vnzertrenlich vereinigt sind […] So ist aber auch dis war / […] das die angenomene Menscheit Christi / in / vnd von wegen der Persnlichen vereinigung mit der Gottheit / der vollen gttlichen Maiestet teilhafftig geworden.“ 280 HUND, Das Wort ward Fleisch, 89: „Das Sein Christi im Himmel von Ewigkeit her kommt für ihn [i.e. Melanchthon, C.E.] exklusiv und ausschließlich allein der göttlichen Natur Christi zu. […] In Bezug auf die Gegenwart der göttlichen Natur könnte man demnach von einem Extra-Philippicum zu [!] sprechen, bleibt Christus seiner Gottheit nach doch auch extra carnem an der göttlichen Weltherrschaft im Himmel beteiligt, während seine menschliche Natur in ihren Erdentagen von dieser göttlichen Eigenschaft ausgenommen wird.“ 281 BÖTKER, Kurzer und einfältiger Bericht, g3r–g3v: „in dem Menschen Christo auch fr der Aufferstehung vnd Himelfart / die Gottheit Leibhafftig gewonet / vnd die Persnliche vereinigung / vnd ware Mitteilung der gttlichen eigenschafften bald in der Menschwerdung angefangen / […] von dem augenblick an / da Gottheit vnd Menschheit ist vereinigt in eine Person / da ist und heist der Mensch marien Son / Almechtiger / Ewiger Gott / der ewige Gewalt hat vnd alles geschaffen hat / vnd erhelt / Per communicationem idiomatum.“ 282 AaO., g4r: „Das der Apostel sagt / Christus habe sich selbs geeussert / ist so viel geredt / Christus hat seine Gttliche Krafft vnd Maiestet solche zeit vber / zu dem gehorsam bestimpt / nicht alleweg ausgezogen vnnd gebraucht / sondern damit eingehalten / auff das er in Knechtes gestalt / […] warhafftig befunden wrde.“ 283 AaO., h3v–h4r: „Demnach hat Christus in der Nacht da er verrahten ist / […] mit seinem Leib am Tisch begreifflich sitzen / vnd zu gleich den Jngeren den selben vnbegreifflich zu essen / vnd sein Blut zu trincken geben / vnd also mit seinem waren Leibe zu gleich auff ein Mal / an vielen rtern / am einen begreifflich / vnd am anderen vnbegreifflich sein knnen vnd mgen.“ 284 Vgl. u. Kap. V.1.4b. 285 BÖTKER, Kurzer und einfältiger Bericht, h4r: „So er aber solchs auch zur zeit seiner venidrung / als er das Abendmal erst eingesetzet / hat thun knnen / Wie sollte ers denn jtzt 279

1.2 Der Konflikt zwischen Westphals Partei und Melanchthon

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göttlichen Eigenschaften permanent in Gebrauch.286 Indem Bötker gehäuft auf Luther287 und die Väter288 rekurriert, setzt er diese Position kirchlich normativ und verteidigt sie gegen Melanchthons Vorwurf, eine derartige Christologie entspreche nicht der Alten Kirche. Abschließend zitiert Bötker unter dem Titel „Welcher massen mit den Sacramentschwermern fried zu halten“ Aussagen aus Luthers Dass diese Worte, die betonen, dass zeitlicher Friede möglich sei, nicht aber geistlicher289 – und macht so nochmals deutlich, dass eine Haltung, wie sie Melanchthon gegenüber Westphals Gegnern vertritt, in seinen Augen Verrat an Luthers Erbe ist. Mit den zwischen Ende 1556 und Herbst 1557 entstandenen Texten ist auf Westphals Seite ein Spektrum an Haltungen gegenüber Melanchthon erkennbar, mit dem sich teils auch unterschiedliche Abendmahlstheologien verbinden: Während Hachenburg eine Präsenz des menschlichen Leibes Christi in den Elementen extra usum sowie eine Anbetung des Sakraments vertritt und Melanchthon zusammen mit Westphals Streitgegnern verketzert, beansprucht von Eitzen ihn positiv für eine Haltung, die er zwar klar gegen Calvin, a Lasco und ihre Mitstreiter abgrenzt, aber so formuliert, dass sie dogmatisch sowohl für Westphal als auch für Melanchthon anschlussfähig ist. Bötker steht zwischen diesen Extremen, wenn er nicht Melanchthons Lehre, wohl aber seine mangelnde Abgrenzung gegen Westphals Streitgegner angreift und eine von Melanchthon abweichende Christologie formuliert. Der Hamburger Brief an die Wittenberger Fakultät wiederum ist im Sinne der Position Bötkers und der von Eitzens lesbar. Melanchthon seinerseits hat sich zwar gegen Westphals Partei festgelegt, approbiert aber nicht die Lehre von Westphals Gegnern. Diese komplizierte Situation sollte sich auf dem Wormser Religionsgespräch auswirken. Noch komplexer wurde sie dadurch, dass eine dritte Gruppe aus der Wittenberger Reformation neu in den Streit eingriff: die Württemberger.

auch nicht vermgen / nach dem er die angenomene Knechts gestalt abgelegt / vnd sich in Gttliche Glorie begeben? […] Mit der Himelfart Christi hat es nicht die meinung / das es sey alleine eine reumliche vnd vmbschriebene verreisung oder begehung von einer stet zur anderen / von der Erden in einen gewissen ort des Himels / wie die Sacramentirer trewmen / Sondern es ist frnemlich eine verenderung vnd ablegung der Menschlichen geberden / vnn Knechtes gestalt / vnn eine begebung in die vnsichtbarliche vnn vnbegreiffliche Herrligkeit des Himelschen Vaters.“ 286 In diesem Sinne versteht Bötker das Sitzen zur Rechten Gottes, vgl. aaO., i2v–i3r. 287 Vgl. aaO., g3r–g3v; i1r–i1v. 288 Vgl. z.B. aaO., g4r–h2v die Rückführung der Argumentation auf Irenäus und Cyrill. 289 Vgl. aaO., o2v–o3v.

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

1.3 Das Eingreifen der Württemberger und ihre spezifische Position 1.3 Das Eingreifen der Württemberger und ihre spezifische Position

Parallel zur Abgrenzung zwischen Westphals Partei und Melanchthon griffen die Württemberger Theologen Johannes Brenz und Jakob Andreae in den Streit ein. Damit unterstützten sie zum einen die seit 1555 verfolgten Bemühungen Christophs von Württemberg um eine Einigung der evangelischen Reichsstände,290 die angesichts der konkreter werdenden Pläne für ein Religionsgespräch an Dringlichkeit gewannen. Zum anderen gerieten Brenz und Andreae im Kontext des Abendmahlsstreits unter Druck, sich festzulegen: Während a Lasco, Beza und Farel die Württemberger Einigungsbemühungen für eine Anerkennung ihrer Lehre zu nutzen versuchten, beanspruchte Westphals Partei Brenz zunehmend deutlich für ihre Streitposition. Die von den Württemberger Theologen eingenommene Haltung zeigt, dass sich das Spektrum von Ansichten innerhalb der Wittenberger Reformation nicht auf Westphals und Melanchthons Position beschränkte: Brenz und Andreae vertreten zwar wie Westphals Partei – und mit spezifischer christologischer Begründung – eine substantiale Präsenz der menschlichen Natur Christi im Abendmahl. Sie unterstützen aber deshalb nicht Westphals Streitposition,291 sondern knüpfen gedanklich an die Wittenberger Konkordie an und lassen so einen Deutungsspielraum, der ihnen Offenheit zumindest gegenüber straßburgisch geprägten Genfer Theologen (im Unterschied zu a Lasco) ermöglicht. Wie sich in Worms zeigen sollte, hatte diese Position weit über Württemberg hinaus Unterstützer – erwies sich jedoch als nicht durchsetzbar: Die christologische Abgrenzung gegen ihre Haltung war für Calvins Seite ebenso inakzeptabel wie für Westphals Seite die fehlende Verketzerung ihrer Streitgegner. Ein Phänomen, das den Abendmahlsstreit generell prägt, wird hier besonders deutlich: Wenngleich aus Sicht jedes einzelnen Protagonisten seine positive Lehre und seine Perspektive auf den innerevangelischen Konflikt unauflöslich zusammenhängen, lässt sich beides aus Forschungsperspektive nicht auseinander ableiten.292 Nach dem Wormser Gespräch sollte Westphals Partei aufs massivste gegen die Württemberger Haltung polemisieren, obwohl deren Position mit ihrer eigenen dogmatisch keineswegs inkompatibel war. 290 Vgl. dazu LANGENSTEINER, MATTHIAS, Für Land und Luthertum. Die Politik Herzog Christophs von Württemberg (1550–1568), Köln 2008 (Stuttgarter Historische Forschungen 7). 291 Das ist gegen das Urteil der älteren Literatur festzuhalten, die Brenz und Andreae auf Westphals Seite verortet und bei ihnen allenfalls einen diplomatischeren Tonfall sieht. Vgl. etwa SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 175–185; PLANCK, Geschichte der protestantischen Theologie II/2, 72 f.; MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 77 f. 292 So die Annahme der älteren theologischen Literatur, die den in der vorigen Anm. genannten Fehlurteilen zugrunde liegt.

1.3 Das Eingreifen der Württemberger und ihre spezifische Position

499

a) Christologische Positionsbestimmung: Brenz’ Von dem hochwürdigen Sakrament Die erste Württemberger Publikation zum Zweiten Abendmahlsstreit waren drei jedenfalls vor August 1556, vermutlich aber schon vor Mai (und damit vor dem Gespräch zwischen Brenz und a Lasco)293 gedruckte Predigten von Johannes Brenz. Hinter dieser Veröffentlichung steht eine komplexe Situation: Brenz hatte sich vorher im Abendmahlsstreit nicht festgelegt und weder den Kontakt zu Bullinger noch den zu Westphals Frankfurter Mitstreiter Hartmann Beyer abgebrochen.294 1556 geriet er aber verstärkt unter Druck, sich zu positionieren: Westphals Streitpartei beanspruchte ihn für ihre Position.295 Zugleich versuchte a Lasco, Herzog Christoph für ein Theologengespräch über die Abendmahlsfrage zu gewinnen.296 Damit war absehbar, dass Brenz sich würde äußern müssen – und dass beide Streitparteien eine Positionierung in ihrem jeweiligen Sinne erwarteten, der Herzog eine seinen Einigungsbemühungen förderliche Stellungnahme. Aufschlussreich für die von Brenz eingenommene Haltung ist ein Brief an Beyer vom März 1556. Brenz hält darin fest, es sei Aufgabe des 293

Zu dem Gespräch vgl. u. Kap. V.1.2a. Eindeutiger terminus ante quem für den Druck der Predigten ist der bei KÖHLER, WALTHER, Bibliographia Brentiana. Bibliographisches Verzeichnis der gedruckten und ungedruckten Schriften und Briefe des Reformators Johannes Brenz. Nebst einem Verzeichnis der Literatur über Brenz, kurzen Erläuterungen und ungedruckten Akten, Berlin 1904, Nr. 837, verzeichnete Brief von Georg Laetus an Bullinger, 7.8.1556, der Bullinger bewog, Calvin von dem Werk zu berichten (vgl. Bullinger an Calvin, 28.8.1556, CR 44 = CO 16, 270 (Nr. 2526)). BRANDY, Christologie des Johannes Brenz, 45, betrachtet die auf den 4.5.1556 datierte niederdeutsche Übersetzung Johannes Freders (VD16 B 7927; KÖHLER, Bibliographia Brentiana, Nr. 317 f.) als terminus ante quem – das ist aber nicht eindeutig: Freder bemerkt in der Vorrede, er habe die Predigten bereits „vor etlyken Jaren“ gelesen und zu übersetzen begonnen (zitiert nach SCHRÖDER, DIETRICH, Kirchen-Historie des Evangelischen Mecklenburgs vom Jahr 1518 bis 1742, 3 Bde., Rostock: Christian Müller 1788, hier Bd. II, 152). Selbst wenn das eine topische Aussage ist, kann Freder die 1547 gehaltenen Predigten (vgl. u.) bereits vor Erscheinen der hier diskutierten Ausgabe gekannt haben – sei es über persönliche Kontakte oder über die lateinische Fassung in Brenz’ Postille (VD16 B 7810), die Anfang 1556 erschienen war. 294 Vgl. Brenz an Bullinger, 6.6.1553, PRESSEL 367 (Nr. 341); Brenz an Beyer, 4.9.1553, aaO., 368 (Nr. 342), ders. an dens., 18.3.1556, aaO., 417 f. (Nr. 383). MAHLMANN, Das neue Dogma, 129, zitiert einen Brief Vergerios an Bullinger vom 9.4.1555, in dem von Brenzʼ Interesse an concordia und seinem Bedauern über den Abendmahlsstreit berichtet wird. Wenngleich die dort behauptete Ablehnung der Streitposition Westphals durch Brenz wohl eine Überzeichnung darstellt, passt die Grundhaltung doch zu seinem Verhalten in Worms (vgl. u. Kap. V.1.5) und ist Mahlmanns Folgerung nachvollziehbar, dass „er [i.e. Brenz, C.E.] sich in der Tat dem Abendmahlsstreit nicht von vornherein und ohne weiteres als Gesinnungsgenosse der norddeutschen Lutheraner einordnen läßt“ (ebd.). 295 Im Prinzip ist dies seit Beginn des Streits der Fall (vgl. o. Kap. III.2.2); öffentlich wurde es spätestens 1555 mit Timanns Farrago (vgl. o. Kap. IV.1.2). 296 Vgl. o. Exkurs B.2. Gegenüber Bullinger und Calvin äußerte er sich Ende März / Anfang April dazu (vgl. u. Kap. V.1.4a).

500

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Rats, Irrlehren und unübliche Zeremonien nicht zu dulden, legt sich aber nicht fest, ob die von Beyer verketzerte Position der Frankfurter Flüchtlinge darunter fällt oder nicht. Zudem rät er Beyer für den Fall, dass der Rat dem nicht nachkomme, von Polemik ab und fordert ihn auf, sich stattdessen auf die glaubwürdige Vermittlung der eigenen Lehre zu konzentrieren.297 Seine eigene Publikation entspricht dieser Maßgabe: Indem Brenz Predigten nachdrucken lässt, die 1547 gehalten wurden,298 also nicht auf den aktuellen Streit bezogen sind, äußert er sich zwar zum Abendmahl und untermauert positiv seine Lehre, lässt aber Spielraum in Bezug auf die Bewertung aktuell umstrittener Positionen. Für Brenzʼ Rolle in der Abendmahlsdebatte zentral sind seine christologischen Aussagen: Die These, „das darinn [d.h. im Abendmahl, C. E.] der ware Leib und Blut Jesu Christi warhafftiglich / vnd gegenwertiglich / mit Brodt vnd Wein außgetheilet empfangen vnd genossen werde“,299 begründet er zunächst klassisch mit Wahrhaftigkeit und Allmacht Christi.300 Dass die wahrhaftige Gegenwart – wie bei Westphal – als leibliche Präsenz der menschlichen Natur zu verstehen ist, zeigt die Aussage, die Himmelfahrt sei nicht so zu deuten, „das Christus an einen ort des Himels Leiblicher weiß gebunden sey / […] Sonder das Christus mit solcher Himelfart / sein Himlisch Reich / die Allmechtigkeit / vnn Mayestet Gott seines Himlischen Vaters habe eingenommen.“301

Originell und für Brenz charakteristisch ist es, dass er aus der von ihm betonten Personeinheit302 nicht wie viele Parteigänger Westphals nur herleitet, dass auch die mit der göttlichen vereinigte menschliche Natur Christi an mehr als einem Ort präsent sein könne,303 sondern dass die menschliche Natur ebenso wie die göttliche permanent an allen Orten der Welt und damit auch im Abendmahl 297 Brenz an Beyer, 18.3.1556, PRESSEL 417 f. (Nr. 383): „Intelligo […] hospites vobis graves esse et periculum minari. Equidem nec dogmata eorum nec Ritus eorum ecclesiasticos hactenus cognovi, ne licuit mihi libellum, qui tuis literis additus erat, lectione percurrere. […] Sed quicquid id est rei, certe hoc magistratus officium erit praecipuum, ut hospitibus nec nova nec falsa dogmata nec ritus a vestra ecclesia abhorrentes praesertim in dispensacione sacramentorum permittat. Quodsi vero magistratus aut cessaverit aut conniverit, tuum officium erit, non esse pugnacem aut mordacem, sed ecclesiam vera doctrina summa animi moderacione erudire et operam dare, ut et vestra ecclesia et vos ipsi ministri eius vere piam doctrinam honestis moribus ornetis et commendetis. Hac enim ratione retinebitis ecclesiam vestram in officio.“ 298 Vgl. für den Nachweis im Detail BRANDY, Christologie des Johannes Brenz, 45. 299 BRENZ, JOHANNES, Von dem Hoch=||wirdigen Sacrament des || Abendmals vnsers Herrn Jesu Christi / || Drey Predig / vber die Wort S. Pauli / 1. Corinth. 11.|| […], Frankfurt (Main): Peter Braubach 1556, VD16 B 7925, A1r. 300 Vgl. aaO., 8 f. 301 AaO., 13 f. 302 AaO., 15: „so ist Christus warer Gott vnd Mensch / in einiger Person / Wo nu Gott ist / da muß auch der Mensch sein / sonst wurden die Personen zertrennet.“ 303 Zu diesem Argument auf Westphals Seite s.o. Kap. IV.1.2 und IV.3.1a.

1.3 Das Eingreifen der Württemberger und ihre spezifische Position

501

gegenwärtig sei.304 Das untermauert er durch die Argumente, dass vor Gott menschliche Kategorien wie Raum keine Rolle spielten und dass Christus zwar einen menschlichen Leib habe; Gott habe diesen Leib aber mit (bei anderen Menschen nicht vorhandenen) übernatürlichen Eigenschaften ausgestattet.305 In der Forschung wird Brenzʼ Publikation meist als Stellungnahme zugunsten Westphals bewertet.306 Dieses Urteil kann sich auf die Kongruenz der von Westphal und von Brenz vertretenen positiven Lehre berufen und entspricht der Sichtweise von Westphals Partei: Westphals Mitstreiter Johannes Freder nahm umgehend eine niederdeutsche Übersetzung der Schrift vor.307 Wie im Folgenden deutlich werden sollte, trifft diese Lesart aber nicht Brenzʼ Perspektive:308 Gegen Gegner Westphals, die seinen christologischen Festlegungen widersprachen, grenzte er sich ab. Jedoch waren er und sein Kollege Jakob Andreae im Gegensatz zu Westphals Partei bereit, exhibitive Auffassungen einer substantialen Präsenz in bonam partem zu interpretieren, solange kein Widerspruch zu ihrer eigenen Lehre formuliert wurde. Das zeigt sich am Umgang mit a Lasco einerseits, den Genfer Theologen Beza und Farel andererseits. 304

BRENZ, Von dem hochwürdigen Sakrament, 29 f.: „Ist nun Gott und Mensch ein vnzertheilte Person / so folgt nothalb darauß / das wo Gott ist / da muß auch der Mensch (den er in einigkeit der Person an sich genommen hat) sein. Nun wirt aber niemand (als ich hoffe) das verneinen knnen / das Gott in dem Abendmal sey / Dann weil er alle Ort vnd Ende erfllet / wie solte er nicht auch in dem Nachtmal zugegen sein? Darumm ists offenbar / das er auch den Menschen / den er in vereinigter Person an sich genommen hat / mit sich bringen knne / vnd da in dem Nachtmal seinen Leib gegenwertig vnd warhafftig darreichen.“ BRANDY, Christologie des Johannes Brenz, 46 bei und mit Anm. 5, verweist zu Recht auf diese Stelle, um zu belegen, dass sich dieser von MAHLMANN, Das neue Dogma, 125–174 als neu und charakteristisch für Brenz herausgearbeitete Gedanke nicht erst in dessen Apologie der Confessio Virtembergica von 1557 findet, sondern bereits hier. Für Diskussionen des dogmatischen Zusammenhangs vgl. ebd. sowie BRANDY aaO., 125–132. 305 Vgl. BRENZ, Von dem hochwürdigen Sakrament, 31. 306 So etwa BRANDY, Christologie des Johannes Brenz, 48: „Brenz wollte im Abendmahlsstreit eindeutig Stellung beziehen, und er tat es seit 1556 durch seine Christologie. 1564 präzisierte er diese Darstellung durch den Hinweis, er habe sich am Anfang […] nicht zuerst gegen die ,Cingliani‘ gerichtet, sondern habe den Leuten im eigenen Lager – also den Norddeutschen – Sukkurs leisten wollen.“ Bei dem Zitat von 1564 ist jedoch gar nicht eindeutig, ob Brenz von 1556 spricht oder von der Veröffentlichung des Syngramma 1525 (vgl. BRENZ, JOHANNES, Recognitio || Propheticae & Aposto-||LICAE DOCTRINAE DE VERA || MAIESTATE DOMINI NOSTRI IE-||SV CHRISTI, AD DEXTERAM DEI || PATRIS SVI OMNIPO-||TENTIS.|| […], Tübingen: Ulrich Morhart 1564, VD16 B 7785, 114). 307

KÖHLER, Bibliographia Brentiana, 145 (Nr. 317) = VD16 B 7927; das nach aktuellem Wissensstand einzige überlieferte Exemplar UB Rostock, Sign. Fa 1119(69).2) ist ein Bruchstück. Der Text ist aber vollständig abgedruckt bei SCHRÖDER, Kirchen-Historie Mecklenburgs II, 152–166. Zum Problem von Freders Textvorlage vgl. o. am Beginn des Abschnitts. 308 Bemerkt wird dieser „Konkordienwille“ auch bei MAHLMANN, Das neue Dogma, 130–134 (Zitat 132), der aber dennoch bei Brenz ein „Votum für die von den Norddeutschen verteidigte Sache und Methode“ (aaO., 133) sieht.

502

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

b) Abgrenzung gegen christologisch abweichende Auffassungen: Brenz’ Kolloquium mit a Lasco Am 22.5.1556 führten Brenz und a Lasco in Stuttgart ein abendmahlstheologisches Gespräch. Im Hintergrund standen a Lascos Bemühungen, seine Lehre – angesichts der überregionalen Abendmahlsdebatte wie der Verketzerung seiner Frankfurter Flüchtlingsgemeinde durch Westphal und die Ortspfarrer – auf einem Kolloquium als rechtgläubig anerkennen zu lassen.309 Der (auch im Hinblick auf ein mögliches Religionsgespräch) an einer Einigung der Evangelischen im Reich interessierte Herzog Christoph von Württemberg war, wohl vermittelt durch Ottheinrich von der Pfalz, ein naheliegender Ansprechpartner dafür.310 Im Vorfeld legte a Lasco eine declaratio über seine Abendmahlslehre vor, auf der die Diskussion mit Brenz am 22.5. beruhte. Beide verfassten über das Gespräche Protokolle.311 Diese Texte zeigen, wie bei Brenz die Christologie zum Schibboleth abendmahlstheologischer Rechtgläubigkeit wird und welche Konsequenzen das für den Umgang mit abweichenden Positionen hat. A Lascos Argumentation für eine Anerkennung seiner Lehre durch die Württemberger ist weitgehend die von ihm bekannte:312 Er betont, nach Ansicht beider Seiten handle es sich bei den Elementen nicht um bloße Zeichen, sondern um Siegel, mit denen veritas und efficacia verbunden seien313 und spricht sogar von einer corporis et sanguinis Christi communicatio314 (die er selbst nicht-exhibitiv versteht315). Innerevangelisch strittig ist ihm zufolge nur der modus des Essens; er selbst votiert gegen eine substantialis unio von Leib und Elementen für eine Verbindung incomprehensibili spiritus virtute.316 Wichtig für Brenzʼ Reaktion ist die christologische Begründung: „Inprimis obstaculum de corporis immensitate submovere necesse est. Nisi enim constet finitum esse coeloque comprehendi, nulla erit dissidii conciliandi ratio. Nam quod absurdum quibusdam esse videtur, non ubique esse ex quo divinitati unitum est, facile diluitur. Etsi 309 A Lasco berichtet von diesem Plan in a Lasco an Bullinger, 31.3.1556, CR 44 = CO 16, 88–89 (Nr. 2420), ders. an Calvin, 2.4.1556, CR 44 = CO 16, 94 (Nr. 2423). Zum Frankfurter Hintergrund vgl.o. Exkurs B.2. 310 Wie genau es zu dem Gespräch kam, scheint bislang nicht geklärt zu sein; die hilfreichsten Angaben bieten KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 126, sowie BRANDY, Christologie des Johannes Brenz, 46. Dass Ottheinrich das Gespräch vermittelt haben könnte, wird nahegelegt durch einen Brief Ottheinrichs an Herzog Christoph, 14.5.1556, ERNST IV, 68 (Nr. 65); zum gemeinsamen Einsatz Württembergs und der Pfalz für eine innerevangelische Verständigung vgl. LANGENSTEINER, Für Land und Luthertum, 337. 311 Die Dokumente sind ediert in CR 44 = CO 16, 150–169 (Nr. 2459–2464). 312 Vgl. dazu o. Kap. III.1.1b und III.1.3f. 313 Vgl. CR 44 = CO 16, 150 f. (Nr. 2459). 314 Vgl. CR 44 = CO 16, 151 (Nr. 2459). 315 Zur Entwicklung dieses Gedankens in der Confessio de nostra cum Christo Domino communione vgl. o. Kap. IV.2.4d. 316 Vgl. CR 44 = CO 16, 152–154 (Nr. 2459).

1.3 Das Eingreifen der Württemberger und ihre spezifische Position

503

enim naturae duae unam mediatoris personam efficiunt, utrique tamen manet sua proprietas distincta […]. Christum filium Dei mediatorem et caput nostrum, sicuti in gloriam coelestem semel est receptus, ita locorum intervallo quoad carnem esse a nobis dissitum: divina autem essentia et virtute, gratia etiam spirituali, coelum et terram replere.“317

Indem a Lasco festhält, dass der menschliche Leib Christi nicht ubique, sondern umgrenzt im Himmel sei, vertritt er eine Christologie, die der von Brenz diametral entgegengesetzt ist. Zumal er die Zustimmung zu dieser Position zur Bedingung für concordia macht, leuchtet ein, dass Brenz ablehnend reagierte. Bemerkenswert an Brenzʼ Reaktion ist zunächst, dass er a Lasco zugesteht, beide Seiten verträten eine wahre Präsenz des Leibes Christi im Abendmahl – die Differenz bestehe in deren Verortung: Die eigene Seite sehe Christi Leib essentialiter in den Abendmahlselementen, a Lascos Seite im Himmel.318 Der Unterschied zu Westphals Partei besteht weniger in der dogmatischen Position: Eine wesenhafte Präsenz der Menschheit Christi im Abendmahl ist mit der von Westphal vertretenen substantialen Gegenwart kongruent. Die Differenz liegt vielmehr darin, dass Brenz bereit ist, a Lasco eine wahre Präsenz von Christi Leib als Aussageabsicht zuzugestehen – während Westphals Seite diesen Anspruch a Lascos und anderer Gegner stets bestritten und diesen unterstellt hatte, sie gingen von leeren Zeichen aus. Dieser Umstand, der für die Wahrnehmung der Württemberger Position durch andere Streitbeteiligte noch wichtig werden sollte, hängt mit Brenzʼ christologischem Schwerpunkt zusammen. Brenz führt nämlich die Streitfrage sofort auf die Christologie zurück, in der er die eigentlich entscheidende Differenz sieht: Er folgert aus der Personeinheit, dass die Menschheit Christi ebenso allgegenwärtig wie seine Gottheit und daher auch im Abendmahl präsent sei.319 Die weiteren vorgebrachten Aspekte (Verständnis der Rechten Gottes als Allmacht, Unterscheidung des räumlich begrenzten äußeren Himmels vom ewigen, allgegenwärtigen Himmel)320 stützen dieses Argument. Insofern ist es konsequent, dass Brenz den Streitpunkt in 317

CR 44 = CO 16, 152 f. (Nr. 2459). CR 44 = CO 16, 161 (Nr. 2463): „1. Transsubstantiationem papisticam utraque pars negat. 2. Veram praesentiam Christi in coena affirmant utrique. 3. Veram praesentiam corporis et sanguinis Christi in coena concedunt utrique. Sed in hoc dissentiunt quod theologi Augustanae confessionis sentiunt, corpus Christi et sanguinem eius esse in pane et vino coenae dominicae praesentia, vere, realiter, essentialiter. D. a Lasco et sui sentiunt, Christum esse realiter et essentialiter cum corpore et sanguine suo in externo illo et visibili coelo: ideoque corpus et sanguinem eius non posse realiter et essentialiter esse in pane et vino coenae dominicae.“ Vgl. a Lascos Bericht, aaO., 164 (Nr. 2464). 319 AaO., 161 (Nr. 2463): „Deus et homo sunt in Christo ita coniuncta ut constituant unam personam, nec possunt a se invicem, ne morte quidem, separari. Ubicunque igitur est divinitas Christi ibi humanitas Christi sit necesse est. Divinitas autem Christi est in pane coenae dominicae, quia replet coelum ineffabili modo. Ergo necessarium est ut et humanitas Christi, id est, corpus et sanguis Christi sint in pane coenae dominicae praesentia“. Sachlich wird diese Argumentation auch durch a Lascos Bericht bestätigt, vgl. aaO., 164 (Nr. 2464). 320 Vgl. CR 44 = CO 16, 162 (Nr. 2463); CR 44 = CO 16, 167 (Nr. 2464). 318

504

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

der Verortung der Gegenwart Christi sieht: Für ihn ist zentral, dass Christi Leib nicht nur im Abendmahl präsent sein kann (das vertritt auch Westphals Partei), sondern permament allgegenwärtig ist. Die Akzeptanz dieser Allgegenwart ist für ihn Rechtgläubigkeitskriterium – später begründet er die Einordnung a Lascos als Sakramentierer mit: „Alligat Christum uni certo loco coeli.“321 Insofern kann er a Lasco auch zugestehen, dieser vertrete eine wahre Präsenz Christi: Entscheidend ist nicht dieser Aspekt, sondern der christologische. Dass sich Brenzʼ Argumentation erheblich von der Westphals unterscheidet, wird auch daran sichtbar, dass a Lasco offenbar davon überrascht wurde:322 Er hält fest, dass beide Naturen ihre Eigenschaften behielten und die menschliche daher nicht allgegenwärtig sei.323 Auf darüber hinausgehende christologische Diskussionen will er sich nicht einlassen324 und argumentiert, Thema des Gesprächs sei nicht die Kontroverse über die Präsenz des Leibes Christi im Brot, sondern die Frage, ob seine Lehre der Confessio Augustana entspreche.325 Die Frage der Übereinstimmung mit der Confessio Augustana schließlich macht nicht nur den unterschiedlichen Umgang beider Seiten mit dem Bekenntnis sichtbar, sondern auch die kirchenpolitische Dimension des Gesprächs: Während sich a Lasco auf den Standpunkt stellt, dass ihm kein Widerspruch zum Wortlaut der CA nachzuweisen sei,326 wirft Brenz ihm vor, die CA zu missdeuten: Die wahre Bedeutung sei in der Apologie niedergelegt und werde von den „ecclesiae quae sunt huic confessioni coniunctae“ vertreten.327 Brenz setzt also (analog zu Westphals Partei) mit der Apologie einen Text als normative Auslegung der CA, der explizit die von ihm verfochtene substantiale Präsenz vertritt.328 A Lasco, der letztere Lehre ablehnt, betont dagegen, die Apologie sei anders als die CA nicht von den Reichsständen offiziell angenommen worden.329 War bei früheren Debatten über die CA im Streit oft nicht klar erkennbar gewesen, inwiefern über deren kirchlich normative Rolle hinaus auch deren reichsrechtliche Verbindlichkeit eine Rolle spielt330, ist letztere hier zentral: vielleicht schon im Hinblick auf ein Religionsgespräch, vor allem aber, weil a Lascos Frankfurter Gegner argumentierten, die Stadt stelle sich durch Duldung der Flüchtlinge und ihrer (aus dieser Sicht) nicht CA-konformen 321 Diese ca. vom Juni stammende, gegenüber Albrecht von Preußen getroffene Aussage in: Analecta Brentiana, ed. v. Ernst Bizer, in: BWKG 57/58 (1957/58), 253–373, hier 357. 322 So zu Recht BRANDY, Christologie des Johannes Brenz, 47. 323 Vgl. CR 44 = CO 16, 161 f. (Nr. 2463). 324 Vgl. CR 44 = CO 16, 164 f. (Nr. 2464) mit CR 44 = CO 16, 162 (Nr. 2463). 325 Vgl. CR 44 = CO 16, 164 f. (Nr. 2464). 326 Vgl. etwa CR 44 = CO 16, 168 (Nr. 2464). 327 Vgl. CR 44 = CO 16, 162 f. (Nr. 2463), Zitat 163. 328 Vgl. zur Apologie o. Kap. II.3.1a; zur Berufung darauf durch Westphals Partei o. Kap. IV.3.1a; IV.3.1c und V.1.1b. 329 Vgl. CR 44 = CO 16, 165 f. (Nr. 2464). 330 Vgl. etwa o. Kap. IV.2.2b und IV.3.1a.

1.3 Das Eingreifen der Württemberger und ihre spezifische Position

505

Lehre außerhalb des Augsburger Religionsfriedens.331 Für a Lasco und seine Gemeinde war insofern der Nachweis der CA-Konformität von existentieller Bedeutung; er wurde ihnen von Brenz aber verweigert: Wie der im Anschluss an das Gespräch im Namen Herzog Christophs formulierte Bescheid betont, geht aus Württemberger Sicht aus der Disputation hervor, dass a Lasco sich im Widerspruch zur CA befindet332 Wie Calvin oder Westphal auch setzt Brenz also seine eigene Position als reformatorisch normativ, deutet die CA entsprechend und leitet daher aus a Lascos Widerspruch gegen seine Christologie ab, dass dieser im Gegensatz zur CA stehe. Wie im Bescheid festgehalten, kann aus dieser Perspektive Einigung nur erreicht werden, indem a Lasco ohne Zusätze die Confessio Augustana annimmt.333 Dieser Gedanke wirkte hier ausgrenzend. Jedoch bedeutete er nicht, dass die Württemberger eine Verketzerung aller Streitgegner Westphals angestrebt hätten:334 Sie versuchten vielmehr tatsächlich, diese zur Annahme einer mit der eigenen Position konformen Lehre zu bewegen, und konnten sie in diesem Sinne interpretieren, sofern kein expliziter Widerspruch zur eigenen Position bestand. Das zeigt sich an Andreaes Abendmahlsschrift und an der Confessio Goeppingensis. c) Versuch, Westphals Gegner von der eigenen Lehre zu überzeugen: Andreaes Kurzer und einfältiger Bericht In Jakob Andreaes wohl schon im Herbst 1556 begonnenem, Anfang 1557 abgeschlossenem und vor Mitte Mai gedrucktem335 Kurzem und einfältigem Bericht zeigt sich eine spezifische Haltung zum Abendmahlsstreit, die im Folgenden die württembergische Kirchenpolitik prägte. Hatte die ältere Literatur diesen Text zumeist ohne nähere Analyse auf Westphals Seite eingeordnet,336 haben neuere Untersuchungen herausgearbeitet, dass Andreae eine eigenständige 331

Vgl. o. Exkurs B.2. Vgl. CR 44 = CO 16, 163 (Nr. 2463). 333 Vgl. ebd. 334 Das ist gegen die ältere lutherische Literatur festzuhalten, die eine solche Übereinstimmung mit Westphal postuliert – und bezeichnenderweise in ihrer Schilderung der Württemberger Position nur das Gespräch mit a Lasco berücksichtigt, mit dem sich eine solche These stützen lässt, nicht aber dagegen sprechende Äußerungen Andreaes. Vgl. SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 237 f.; KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, 121–129. 335 Herzog Christoph berichtet am 9.11.1556, Andreae arbeite an einem solchen Werk (vgl. ERNST IV, 208 (Nr. 76)). Andreaes Vorrede ist auf den 3.2.1557 datiert (vgl. ANDREAE, JAKOB, Kurtzer vnnd || einfeltiger Bericht von || des Herrn Nachtmal / vnnd || wie sich ein einfeltiger Christ inn || die langwirige zwispalt / || so sich darber erhebt / || schicken sol. […], Tübingen: Ulrich Morhart 1557, VD16 A 2653., 8v), diejenige von Brenz auf den 11.1.1557 (vgl. aaO., 3r). Terminus ante quem für die Publikation ist die Erwähnung in Bullinger an Calvin, 16.5.1557, CR 44 = CO 16, 484–486 (Nr. 4630). 336 So etwa TSCHACKERT, Entstehung der lutherischen und reformierten Kirchenlehre, 534; STÄHELIN, Johannes Calvin II, 225. 332

506

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Position vertritt, die in den Kontext von Herzog Christophs Bemühungen um evangelische Einigung im Vorfeld des Wormser Religionsgesprächs gehört.337 Andreae verfolgt mit der Schrift ein katechetisches, aber auch ein kirchenpolitisches Interesse:338 Er stellt das Ziel in den Vordergrund, Klärung für einfache Leute schaffen zu wollen, die durch den Streit verwirrt seien.339 Diese Intention erinnert an Joachim Magdeburgs Kort Bericht und Wolfgang Waldners Übersetzungen340 – dazu passt die deutschsprachige Abfassung, die insofern im Kontext des Streits auch nicht ungewöhnlich ist.341 Wollten Magdeburg und Waldner jedoch Westphals Ketzervorwürfe an ein breiteres Publikum vermitteln, strebt Andreae eine gerechte Darstellung der verschiedenen Standpunkte an.342 Er betont zwar, sich keine „vergleichung“ des Streits insgesamt anmaßen zu wollen, hofft aber doch auf eine friedensdienliche Wirkung.343 Die friedensdienliche Absicht gehört in den Kontext der württembergischen Bemühungen um evangelische Einigung vor dem Wormser Religionsgespräch: Die Entstehung zwischen Herbst 1556 und Februar 1557 führt nicht nur zeitlich in die Nähe des Regensburger Reichstags, auf dem das Gespräch beschlossen wurde und zu dem Herzog Christoph Andreae als Berater hinzuzog,344 sondern Andreae widmete das Werk auch Ottheinrich von der Pfalz – dem wichtigsten Unterstützer der Württemberger Einigungspolitik – und hob dessen Interesse an innerevangelischer Verständigung hervor.345 Herzog Christoph interessierte sich für die Schrift346 und Brenz gab in einer Vorrede seiner Hoffnung auf Eindämmung des Abendmahlsstreits Ausdruck.347 All dies spricht dafür, dass hier die Württemberger Ausgleichspläne befördert werden sollten. 337

Vgl. MÜLLER-STREISAND, Theologie und Kirchenpolitik bei Andreae, 278–293; SLENCZKA, Andreaes Erstlingswerk. 338 Vgl. zu dieser doppelten Zielsetzung SLENCZKA, Andreaes Erstlingswerk, 331–334. 339 Das betont er wiederholt, vgl. etwa ANDREAE, Kurzer und einfältiger Bericht, 6r–7r. 340 Vgl. o. Kap. III.2.3b und IV.1.4. 341 SLENCZKA, Andreaes Erstlingswerk, 330, meint, die Schrift sei „der erste ausfühlichere [!] monographische Beitrag in deutscher Sprache zu der bis dahin auf Latein geführten Auseinandersetzung.“ Diese These beruht darauf, dass Slenczka – gemäß dem bisherigen Forschungsstand – die Werke Magdeburgs, Waldners und Hachenburgs nicht geläufig sind und er Albers Streitschrift nicht als „eigentliche[n] Beitrag zum zweiten Abendmahlsstreit“ ansieht (aaO., Anm. 14). 342 Vgl. ANDREAE, Kurzer und einfältiger Bericht, 6v–7r. 343 Vgl. aaO., 11v; 6r–7r. 344 Zu den Festlegungen des Regensburger Reichstags vgl. VON BUNDSCHUH, Wormser Religionsgespräch, 68–247; zur Hinzuziehung Andreaes MÜLLER-STREISAND, Theologie und Kirchenpolitik bei Andreae, 304 f. 345 Vgl. ANDREAE, Kurzer und einfältiger Bericht, 5r–5v; 7v–8v. Zu Ottheinrichs Unterstützung der Württemberger Politik vgl. LANGENSTEINER, Für Land und Luthertum, 336 f. 346 Er bittet den Rat Hans Engelmann, ihm die noch nicht gedruckte Schrift zur Lektüre zu verschaffen, vgl. Herzog Christoph an Engelmann, 9.11.1556, ERNST IV, 208 (Nr. 76). 347 Vgl. ANDREAE, Kurzer und einfältiger Bericht, 2r–3r.

1.3 Das Eingreifen der Württemberger und ihre spezifische Position

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Hinter Andreaes Einigungsabsicht steht eine Beurteilung des Abendmahlsstreits, die sich von der Westphals und seiner Mitstreiter deutlich unterscheidet. So zitiert er unter der Überschrift: „Ob in dem Nachtmal / vnn auf was weis / der warhafftig Leib vnd Blut vnsers Herren Jesu Christi / dargereicht werde?“348 alle biblischen Überlieferungen der Einsetzung349 und folgert: „Aus diesen vier zeugnussen […] verstanden werden mag / was vns im heiligen nachtmal Christi dargeraicht vnd vbergeben wird. Nemlich zwey vnterschidliche ding / welche bey einander / ein Sacrament machen. Das jrdisch / ist Brot vnd Wein […]. Das Himmelisch ist der Leib vnnd das Blut vnsers Herrn Jesu Christi / welches doch von dem wesen / das ist / von leib vnd blut Marie der hochgelobten Jungfrawen / durch des heiligen Geists wurckung genomen ist“.350

Andreae geht also einerseits wie Brenz (und wie Westphals Partei) von einer wesenhaften Präsenz der menschlichen Natur Christi im Abendmahl aus. Andererseits knüpft er mit der Unterscheidung zwischen irdischer und himmlischer Ebene an die Wittenberger Konkordie an351 – einen von Luther approbierten Text, der aber Spielraum für den Umgang mit nicht-wittenbergischen Auffassungen bietet. Beides ist für seine Argumentation zentral. Den Irrtum einer Abwesenheit des Leibes Christi ordnet er nämlich nicht (wie Westphals Partei es tut) Westphals Streitgegnern, sondern allein den „Widerteuffern“ zu.352 Im innerreformatorischen Konflikt gesteht er dagegen beiden Seiten zu, irdischen und himmlischen Aspekt vertreten zu wollen: „Der […] Span / zwischen den Zwinglischen vnd Luthrischen / wie man sie zu beyden teylen nennet / […] erhebt sich eigentlich nicht vber dieser Frag […] Ob in dem heiligen nachtmal / der warhafftig Leyb vnd Blut Christi / ausgeteylt werden. Dann nicht allein D. Luther seliger gedechtnus / die gegenwertigkeyt des Leybs Christi bekennet / sonder es wllens auch die Zwinglischen niemals / geleugnet haben / dann (sagen vnnd schreiben sie) was were dz fr ein nachtmal des Herren / so der Herr selb nicht gegenwertig were / der zumal der Wirt / die speis / vnd dz tranck seiner beruffnen vnn erwlten gest ist? Sonder die frag ist eigentlich dise / wie / vnd vff was weis / der leyb vnnd blut Christi im heiligen nachtmal mit brot vnnd wein gegenwertig sey / vnd vbergeben werd?“353

Obwohl von „Zwinglischen“ die Rede ist, sind alle aktuellen Gegner Westphals gemeint, nicht allein die Zürcher: Dass Christus auch ihrem Verständnis nach wahrhaft gegenwärtig sei, ist ein Argument von Theologen wie Calvin und a Lasco.354 Wie Brenz und im Gegensatz zu Westphals Partei gesteht Andreae

348

ANDREAE, Kurzer und einfältiger Bericht, 12r. Vgl. aaO., 12v–13r. 350 AaO., 13v. 351 Vgl. dazu SLENCZKA, Andreaes Erstlingswerk, 339–341. Zur Wittenberger Konkordie vgl. o. Kap. II.3.4. 352 Vgl. ANDREAE, Kurzer und einfältiger Bericht, 21r–23r, Zitat 21r. 353 Vgl. aaO., 23r–23v. 354 Vgl. etwa o. Kap. IV.2.2b und IV.3.2a. 349

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

ihnen diese Aussageabsicht zu. Den eigenen Standpunkt identifiziert er demgegenüber mit Luther, wenngleich – ein interessantes Indiz für den Stand der Konfessionsbildung – der Begriff Luthrische noch keine feste konfessionelle Selbstbezeichnung darzustellen scheint: Andreae gebraucht ihn durchaus als gängig, aber stets mit Zusätzen wie dem hier belegten wie man sie nennet.355 Zwischen der eigenen Seite und Westphals Gegnern will Andreae zunächst gegenseitige Fehldeutungen ausräumen: Während er betont, dass Luther mit seiner Auslegung der Einsetzungsworte nur die wahrhaftige Gegenwart des Leibes festhalten wolle, keine Einschließung ins Brot,356 meint er zur figurativen Auslegung, diese werde zwar oft auf eine Abwesenheit Christi gedeutet, solle aber vielleicht nur vermeiden, dass das Brot für den Leib gehalten werde.357 Eine figurative Auslegung ist daher für ihn so lange akzeptabel, wie damit keine Abwesenheit des Leibes Christi ausgesagt werden soll.358 Er bemüht sich also um eine Deutung, die mit der aus seiner Sicht wahren Lehre vereinbar ist, ohne festzulegen, ob diese die Position der anderen Seite tatsächlich trifft359 – bzw. wie er betont, sollen die Anhänger einer figurativen Auslegung nicht verworfen werden: Ihnen solle vielmehr aufgezeigt werden, dass diese figurativen Aspekte zwar auch richtig seien, aber an das Geheimnis der Gabe von Christi Fleisch und Blut nicht heranreichten.360 Also liegt bei Andreae weder eine Deutung des Abendmahlsstreits vor, die zwar die „trotz aller Zerstrittenheit bestehenden Gemeinsamkeiten“ zwischen „Lutheranern und Schweizern“ herausstelle, aber an der prinzipiellen „Unvereinbarkeit“ ihrer Positionen nichts ändere,361 noch wird die Lehre von Westphals Gegnern approbiert. Vielmehr scheint es sich für Andreae um eine Position zu handeln, die zwar nicht die volle reformatorische Wahrheit trifft, deren Anliegen aber mit der wahren Lehre vereinbar sind – und deren Anhänger vielleicht überzeugt werden können, sich der wahren Lehre anzuschließen.362 355 SLENCZKA, Andreaes Erstlingswerk, 335 Anm. 32, beschreibt den Befund ähnlich, sieht allerdings darin ein entstehendes „Gruppenbewusstsein“ angelegt. Zur Problematik des Begriffs „lutherisch“ vgl. o. Kap. I.4c. 356 Vgl. ANDREAE, Kurzer und einfältiger Bericht, 23v–24v. 357 AaO., 23v–24r: „Die Zwinglischen aber / haben die wort Christi (das ist mein leyb) ausgelegt / das bedeut mein leyb / Das ist ein figur meins leybs / Das ist ein zeichen meins leibs / dar mit an zu zeygen / eintweder (wie sie von vielen beschuldigt werden) kein gegenwertigkeyt des fleyschs vnd bluts Christi / im heiligen nachtmal / oder den vnderscheid zwischen dem brot vnd leyb Christi / vff das dis Brot nach seiner substantz nicht fr den natrlichen leyb Christi gehalten werd / welchs des Bapsts meinung“. 358 Vgl. aaO., 25r. 359 Dies arbeitet SLENCZKA, Andreaes Erstlingswerk, 344 f., treffend heraus. 360 Vgl. ANDREAE, Kurzer und einfältiger Bericht, 34v. 361 So SLENCZKA, Andreaes Erstlingswerk, 345 f., alle Zitate ebd. 362 Die Ausrichtung auf eine Bekehrung von Westphals Gegnern arbeitet auch MÜLLERSTREISAND, Theologie und Kirchenpolitik bei Andreae, 278, heraus, nicht aber die Andreae zufolge graduelle statt absolute Differenz der Ansichten.

1.3 Das Eingreifen der Württemberger und ihre spezifische Position

509

Dem entspricht die Darstellung der umstrittenen Aspekte: leibliche und geistliche Präsenz, Christologie und manducatio impiorum. So lehnt Andreae zwar eine geistliche Präsenz, die eine bloße Erinnerung bezeichnen solle, klar ab;363 die Deutung, dass „das wir innerlich / neben Brot vnnd wein / mit dem hailigen Gaist gespeiset werden“364 kommentiert er hingegen wie folgt: „Dieweil aber Christus nicht von dem wesen oder wirckung des heiligen geists / sonder von dem Wesen vnd wirckung seins fleischs redet / das ist mein leib / das ist mein blut / kan ein jeder leichtlich verstehn / das dise Auslegung / ob sie wol etwas redet / dises Geheimnus nicht erreichet / vnnd demnach den worten Christi (so sie zuwenig zugibt) vngemes sey / Dann es wissen die schuler wol / das Geist leib vnd blut Christi nicht einerlai haissen noch einerlei wesen vnnd natur sein (von der Substantz reden wir)“.365

Eine rein durch den Geist vermittelte Speisung der Gläubigen mit Christus – wie sie Westphals Streitgegner vertreten – betrachtet Andreae also (im Unterschied zu Westphal) nicht als Gegensatz zur eigenen Lehre, wohl aber als demgegenüber unzureichend. Das hängt mit seiner eingangs im Anschluss an die Wittenberger Konkordie formulierten Position zusammen, dass Brot und Wein als irdisches, Leib und Blut als himmlisches Element zu unterscheiden sind, aber zusammen im Abendmahl genossen werden: Er meint, wenn Christus beim Mahl allein in den Herzen der Gläubigen präsent sei, solle zwar eine Gegenwart von irdischem und himmlischem Element vertreten werden; beides werde aber getrennt statt nur unterschieden.366 Er erkennt die Präsenz Christi in den Herzen also als richtig an; die volle Wahrheit ist für ihn aber erst erfasst, wenn noch etwas dazukommt: Da die Gläubigen Christus nie vollkommen hätten, müsse er zusammen mit den Elementen von außen empfangen werden367 – und das setzt für Andreae die substantiale Präsenz der menschlichen Natur voraus. Der Unterschied zu Westphals Seite liegt nicht in der dogmatischen Aussage einer substantial-leiblichen Präsenz, sondern darin, dass Andreae die Unterscheidung von himmlischer und irdischer Ebene akzentuiert368 und daher die 363

Vgl. ANDREAE, Kurzer und einfältiger Bericht, 29r–29v. AaO., 30v. 365 Ebd. 366 AaO., 48v: „mus ich hie ein subtilen irthumb anzaigen / deren die da wllen darfur gehalten werden / als ob sie nach der Apostel / vnd alten kirchen lehrer mainung / von dem heiligen nachtmal glauben vnd halten. Dieselbige vnterschaiden nicht allain die baide speis vnd tranck / sondern wider die Sacramentlich einigkeit trennen sie es / lassen in der warheit im nachtmal nichts dann brot vnd wein / welchs sie das Gratias nennen. Dann sprechen sie / wa die rechtgleubigen sein / da bringen sie in jhren hertzen mit sich Christum / die rechte speis / So sie nun von disem Brot essen / so seindt im nachtmal zugegen bey einander / das brot vnnd der Leib Christi / den sie in jhren hertzen mit sich bringen. Dise lehrer trennen beide speis / so sie es allain sollten vnterschaiden.“ 367 Vgl. aaO., 48v–49v. 368 Das ist differenzierend gegenüber SLENCZKA, Andreaes Erstlingswerk, anzumerken, der aaO., 337–341 präzise Andreaes Position beschreibt, jedoch aaO., 40 (in Anlehnung an 364

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Lehre einer allein durch den Geist hergestellten Präsenz würdigen kann, wenngleich er sie als unzureichend ansieht. Die Unterscheidung von himmlischer und irdischer Ebene nutzt Andreae für den Versuch, Bedenken der anderen Seite gegen die substantiale Präsenz von Christi Fleisch und Blut auszuräumen – bzw. ihr nahezulegen, dass die aus seiner Sicht reformatorisch normative Position mit den von ihr vertretenen Anliegen vereinbar sei und somit von ihr angenommen werden könne. So erläutert er, dass Luther mit der Betonung leiblicher Präsenz kein natürlich-kapernaitisches Verständnis vertreten, sondern allein die Gegenwart des wirklichen Leibes Christi habe betonen wollen,369 und schildert letztere in dem Sinne als geistlich, dass es sich um eine übernatürliche Präsenz handle, die der Mensch nur glauben, nicht verstehen könne.370 Er betont, dass nach Luthers und seiner eigenen Ansicht Christi Leib und Blut wahrhaftig und leiblich, aber nicht auf räumliche, sondern auf himmlische Weise im Abendmahl präsent371 und nicht in Brot und Wein eingeschlossen, aber mit diesen gegenwärtig seien.372 Indem Andreae mit der Ablehnung einer Broteinschließung und der Betonung einer Präsenz cum pane an Wittenberger Konkordie und CA variata anknüpft,373 vertritt er eine mit der Position von Westphals Partei kompatible positive Lehre substantial-leiblicher Präsenz – kann aber zugleich diese Präsenz als übernatürliche Glaubensgegenwart fassen und so dem von Westphals Gegnern erhobenen Einwand begegnen, leiblich-substantiale Präsenz impliziere natürliche Gegenwart und Einschließung ins Brot. Das ist deshalb geschickt, weil der Konkordientext für die Straßburger akzeptabel gewesen war und Autoren wie Calvin argumentativ an die Straßburger Position anschließen374 – daher kann Andreae geltend machen, dass die aus seiner Sicht reformatorisch vollkommene Lehre substantialer Präsenz von ihnen angenommen werden könnte. Insofern konnte er es auch als Annahme der eigenen Lehre deuten, als sich Beza und Farel in der Confessio Goeppingensis bereit fanden, eine substantiale Präsenz der Menschheit Christi im Abendmahl auszusagen375 – zwar GOLLWITZER, Coena Domini, 53) davon ausgeht, dass Westphals Partei eine „Gleichsetzung von Brot und Leib“ vertrete. Zumindest zum Teil gehen auch dessen Anhänger explizit nur von einer substantialen Präsenz cum pane aus, vgl. etwa o. Kap. III.2.4b und V.1.2c. 369 Vgl. ANDREAE, Kurzer und einfältiger Bericht, 27r–28v. 370 Er führt aus, es handle sich um „ein himlische / gttliche / vbernaturliche / vnd gaistliche weis der gegenwertigkeit des fleischs vnd bluts Christi / welche der mensch wol glauben / aber weil es ein Geheimnus des reichs Gottes ist / in disem leben nicht verstehen / noch mit der vernunfft begreiffen kan“ (aaO., 31v). 371 Vgl. etwa aaO., 36v. 372 Vgl. ANDREAE, Kurzer und einfältiger Bericht, 48r; 50r. 373 So zu Recht SLENCZKA, Andreaes Erstlingswerk, 339–341. Zur Wittenberger Konkordie vgl. o. Kap. II.3.4; zur CA variata o. Kap. II.4.1. 374 Vgl. dazu o. Kap. II.3.4; III.1.1a. 375 Vgl. u. Kap. V.1.3d.

1.3 Das Eingreifen der Württemberger und ihre spezifische Position

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stand dahinter ein anderes Verständnis dieser Gegenwart, aber Andreae konnte die Aussage substantialer Präsenz (wie seinerzeit Luther) als Bekehrung zur eigenen Ansicht deuten, solange dieser sonst nicht widersprochen wurde. Die Christologie bildet bei Andreae zum einen, wie bei Brenz, die Basis für sein Verständnis substantialer Gegenwart. Zugleich zeigt sich daran nochmals, dass sein Einigungskonzept darauf beruht, die eigene Position normativ zu setzen, sie aber als mit den Anliegen der Gegenseite vereinbar zu erläutern: Andreae zufolge handelt es sich um Fehldeutungen, wenn den Zwinglischen eine Einschließung Christi in den sichtbaren Himmel, den Lutherischen eine Vernichtung der menschlichen Natur unterstellt werde: Beides wolle die jeweilige Seite nach eigener Aussage nicht vertreten; der eigentliche Streitpunkt bestehe im Verständnis des Himmels und der Rechten Gottes.376 Dann leitet er aus Schriftbelegen her, dass es sich bei der Rechten Gottes nicht um einen Ort handle, sondern um Gottes Allmacht – da diese allgegenwärtig sei, sei der dort befindliche Christus es auch.377 Letzteres Argument entspricht in der Sache Westphals Partei. Andreae wendet es aber nicht gegen deren Opponenten, sondern fasst es in einer Weise, die deren Einwand ausräumen soll: „Solchs erfullen aber / ist nicht natrlich / dadurch die menschlich natur in Christo verleugnet / sonder ein Gttlichs / dardurch er alles regirt / welches wir glauben / aber nicht verstehen knnen.“378 Dass dabei an eine Allgegenwart in Brenzʼ Sinne gedacht ist, zeigt die Aussage, vor Gott seien alle Orte nur ein Ort; daher werde Christus beim Abendmahl nicht aus dem Himmel herabgezogen, sondern als gegenwärtig offenbart.379 Diese Position war zwar aus Sicht Calvins oder Bullingers ebenso problematisch wie die von Mitstreitern Westphals vertretene Ubiquität:380 Für sie stellte eine nicht-räumliche Gegenwart des Leibes Christi per se einen Widerspruch zu dessen wahrer Menschheit dar. Aus Andreaes Sicht hingegen ist die von ihm vertretene Präsenz so übernatürlich, dass damit die Bedenken ausgeräumt sein sollten: Gegen die wahre Menschheit Christi würde nur eine natürliche Gegenwart verstoßen. Daher meint er: „Dieweil sich dann baide theil jetzt der zeit erkleren / das sie weder durch den himmel / noch gerechte Gottes ein sonder ort verstehen / sonder die Maiestet / Gewalt / Glory / vnd Herrligkeit Gottes / so man die groben einbildungen fallen last / darmit beide thail einander beschuldigten / da man das flaisch Christi weder natrlich isset / noch in ein ort beschleusst / werden sich einfltige Christen auch wol selbst berichten knnen / wie Christus zur gerechten Gottes / im himmel vnd vber alle himmel sitzet / sein flaisch vnd blut im heiligen nachtmal zu einer lebendigen vnd warhafftigen speis gebe.“381

376

Vgl. ANDREAE, Kurzer und einfältiger Bericht, 39v–40r. Vgl. aaO., 42v–43v. 378 AaO., 43v. 379 Vgl. aaO., 43r–44r. 380 Vgl. dazu u. Kap. V.1.4. 381 ANDREAE, Kurzer und einfältiger Bericht, 44v–45r. 377

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Andreae deutet also die Ablehnung einer Einschließung Christi in den Himmel in dem von ihm selbst vertretenen Sinne, dass Himmel und Rechte Gottes keinen Ort bezeichneten, setzt voraus, dass es gelungen ist, die christologischen Bedenken der anderen Seite zu zerstreuen, und erklärt daher das Problem für gelöst. Auch hier läuft die Lösung auf seine eigene, normativ gesetzte Position hinaus, die für mit dem Anliegen der anderen Seite vereinbar erklärt wird. Ähnlich verfährt Andreae schließlich auch bei der manducatio impiorum: Die (von a Lasco gegenüber Brenz, von Calvin gegenüber Westphal vertretene382) Position, dass Christus Ungläubigen zwar angeboten, aber von ihnen nicht empfangen werde,383 führt er zutreffend auf das Anliegen zurück, dass Christi Fleisch lebendig mache, die Ungläubigen dieses Leben aber nicht empfingen.384 Dies erklärt Andreae für ebenso nachvollziehbar wie Luthers Anliegen, dass Gottes Treue zur Einsetzung nicht von menschlichem Unglauben abhänge.385 Dann leitet er jedoch ausführlich aus der Schrift her, dass Christus vom Vater nicht nur das Leben, sondern auch das Gericht erhalten habe. Daher wirke sich der Empfang Christi an den Gläubigen zum Leben, an den Ungläubigen zum Gericht aus386 und „ist es vil zu wenig geredt / so man lehret / den vngleubigen werde wol der leib vnnd blut Christi angebotten / aber sie empfangen vmb jres vnglaubens nichts dann lere zaichen.“387 Der anderen Seite wird also der Empfang Christi durch die Gläubigen zum Leben als berechtigtes Anliegen zugestanden – Andreae betont aber, dass ein Empfang Christi durch die Ungläubigen zum Gericht dem nicht widerspreche. Die volle Wahrheit wird für ihn erst vertreten, wenn letztere auch akzeptiert wird. Insgesamt liegt bei Andreae eine Auffassung vor, die bei aller dogmatischen Kongruenz zu Westphals Partei weitaus offener für die Position zumindest mancher Streitgegner Westphals ist. Dabei handelt es sich keineswegs um eine rein taktische Stellungnahme: Andreaes gedankliche Anknüpfung an die Wittenberger Konkordie ermöglicht es ihm vielmehr, Westphals Opponenten eine

382

Vgl. für a Lasco o. Kap. V.1.3b; für Westphal o. Kap. IV.2.2b. Vgl. die Wiedergabe bei ANDREAE, Kurzer und einfältiger Bericht, 53v. 384 AaO., 54v–55r: „die da vermeinen / das die vngleubigen / den leib vnd blut Christi nicht empfahen / wenden erstlich dise vrsach fur / dz flaisch Christi ist das leben / vnd wer sein flaisch esset / vnd sein blut trincket / der wirdt ewig leben. Nun ist aber gewis / das die vngleubigen nicht ewig leben / sonder lebendig tod sein / darumb kunden sie den leib vnnd das blut Christi nicht empfangen. […] Es seind auch vnter jhnen deren vil / die sich selbst nicht knden berichten / wie es mglich sey / dieweil das flaisch Christi das leben ist / wie es in eim vngleubigen sein knde […]. Dann entweder msse es sein natur verlieren / das aber nicht geschehen kan / oder aber es mus auch den vngleubigen lebendigmachen / der heiligen gttlichen schrifft zu wider.“ Das entspricht genau Calvins Begründung seiner entsprechenden Position, vgl.o. Kap. IV.2.1b; IV.3.2d. 385 Vgl. ANDREAE, Kurzer und einfältiger Bericht, 56r. 386 Vgl. aaO., 56r–62v. 387 AaO., 63v. 383

1.3 Das Eingreifen der Württemberger und ihre spezifische Position

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zwar unvollkommene, aber nicht prinzipiell irrige Position zu attestieren, ihre theologischen Anliegen zu würdigen und dafür zu argumentieren, dass sie von diesen Anliegen her problemlos seine eigene – vollkommenere – Lehre annehmen könnten. Dies entspricht genau der Perspektive auf die Straßburger Reformation, die von vielen Vertretern der Wittenberger Seite im Zuge der Wittenberger Konkordie eingenommen worden war!388 Neben dieser inhaltlichen Begründung und den Württemberger Einigungsabsichten im Hinblick auf das Reichsreligionsgespräch könnte für Andreaes Perspektive auch eine Rolle gespielt haben, dass er im Herbst 1556 im Rahmen der Reformation Baden-Durlachs eng mit dem Basler Antistes Simon Sulzer zusammengearbeitet hatte,389 der in Bezug auf Abendmahlslehre und evangelische Verständigung Bucers klassische Position fortführte.390 Es wäre plausibel, dass Andreae zumindest diejenigen von Westphals Streitgegnern, die wie Calvin theologisch an die Straßburger Reformation anknüpften, in Analogie zu Sulzer wahrnahm – das würde zum Rekurs auf die Wittenberger Konkordie passen. Ebenso ist es in Bezug auf die Lage in Oberdeutschland bezeichnend, dass sich Andreae und Christoph von Württemberg in Baden-Durlach bemüht hatten, den Einfluss der von ernestinischer Seite entsandten Theologen Johann Stössel und Maximilian Mörlin einzudämmen391 – offenbar sahen sie sich zu solchen, mit Westphal übereinstimmenden Positionen im Widerspruch, während sie die Kooperation mit den Baslern als unproblematisch empfanden. Andreaes Anknüpfung an eine verbreitete Lesart der Wittenberger Konkordie und die im oberdeutschen Raum ohne weiteres mögliche Kooperation mit straßburgisch geprägten Theologen sind nicht nur Indizien für den unabgeschlossenen Konfessionsbildungsprozess; sie erklären auch, warum Andreaes Haltung von den Zeitgenossen nicht als ungewöhnlich angesehen wurde, sondern im Gegenteil populär war: In Oberdeutschland wurde die Schrift noch im gleichen Jahr mehrfach nachgedruckt.392 Auch bei den anderen Streitbeteiligten stieß Andreaes Text auf ein breites Echo: Für Westphals Partei war nicht Andreaes Lehre inakzeptabel, wohl aber seine Weigerung, Westphals Gegner zu verketzern.393 Bullinger wie Calvin wiederum kamen angesichts der Lektüre zu dem Schluss, dass Andreaes Position dogmatisch unannehmbar sei, während sie die Aussichten einer Verständigung mit ihm verschieden beurteilten.394 Andreae selbst wiederum konnte ein Genfer Bekenntnis im Sinne der von ihm angestrebten Annäherung von Westphals Gegnern an die eigene Lehre deuten.

388

Vgl. zu den Deutungen der Wittenberger Konkordie o. Kap. II.3.4. Vgl. ABENDSCHEIN, Simon Sulzer, 371–378. 390 Vgl. o. Kap. IV.2.1b sowie BURNETT, Bucers letzter Jünger. 391 Vgl. ABENDSCHEIN, Simon Sulzer, 372 f. 392 So in Augsburg (VD16 A 2651) und Pforzheim (VD16 A 2652). 393 Vgl. u. Kap. V.1.5e. 394 Vgl. u. Kap. V.1.4a. 389

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

d) Interpretation von Genfer Aussagen als Anschluss an die eigene Lehre: Die Confessio Goeppingensis Die Confessio Goeppingensis vom 14.5.1557395 zeigt, dass sich aus den von Westphals Partei abweichenden Württemberger Perspektiven auf den Abendmahlsstreit auch in der Praxis ein anderer Umgang zumindest mit Genfer Auffassungen ergab: Im Gespräch mit Andreae entwickelten die beiden Genfer Theologen Beza und Farel ein von ihnen verfasstes Bekenntnis so weiter, dass es mit der Württemberger Haltung kompatibel erschien. Im Hintergrund stand eine Solidaritätsaktion für Evangelische außerhalb des Reichs. Beza und Farel versuchten nämlich, im Namen der Genfer Kirche evangelische Obrigkeiten für eine Intervention zugunsten der Waldenser zu gewinnen: Die als mittelalterliche Reformbewegung entstandenen Waldensergemeinden waren seit den 1530er Jahren in Kontakt mit Reformatoren getreten und hatten sich deutlicher gegen die alte Kirche abgegrenzt, was zu Konflikten mit altgläubigen Obrigkeiten führte.396 Dennoch verstärkten die Waldenser im Piemont unter Genfer Einfluss ihre öffentlichen Aktivitäten, woraufhin sie von der französischen Regierung vermehrt als Häretiker bekämpft wurden. Im Frühjahr 1557 forderte ein Edikt Heinrichs II. Konversion und Auslieferung der Pfarrer. Da die gewaltsame Durchsetzung des Edikts zu befürchten stand, versuchte die Genfer Kirche, evangelische Obrigkeiten zur Intervention bei Heinrich zu bewegen.397 Nachdem eidgenössische Städte dem bereits zugestimmt hatten,398 erklärte sich der Regent Montbéliards, Georg von Württemberg, zu Unterstützung bereit und empfahl die Genfer Delegation an Christoph von Württemberg, Ottheinrich von der Pfalz und Philipp von Hessen: die an evangelischer Einigung speziell interessierten Fürsten.399 Ähnlich verhielt sich, nach anfänglichem Misstrauen, Johann Marbach in Straßburg.400 Nachdem Ottheinrichs 395 Der Text hat in einigen Aufsätzen Beachtung gefunden, vgl. CORDA, SALVATORE, Bullinger et la confessione eucaristica di Goeppingen (1557), in: Ulrich Gäbler / Erland Herkenrath (Hg.), Heinrich Bullinger 1504–1575. Gesammelte Aufsätze zum 400. Todestag, Zürich 1975, Bd. I (ZBRG 7), 109–122; MÜLLER-STREISAND, Theologie und Kirchenpolitik bei Andreae, 293–300; CAMERON, EUAN, The Consensus Tigurinus and the Göppingen Confession, R&RR 18 (2016), 72–84; CAMPI, EMIDIO, Die schweizerische Reformation in ihren reziproken Verhältnissen von Süd- und Nordeuropa, in: Ulrich A. Wien / Mihai-D. Grigore (Hg.), Exportgut Reformation. Ihr Transfer in Kontaktzonen des 16. Jahrhunderts und die Gegenwart evangelischer Kirchen in Europa, Göttingen 2017 (VIEG.B 113), 117–128. 396 Vgl. dazu allgemein CAMERON, EUAN, The Reformation of the Heretics. The Waldenses of the Alps, 1480–1580, Oxford 1984; AUDISIO, GABRIEL, The Waldensian Dissent: Persecution and Survival, c. 1170–c. 1570, Cambridge 1999. 397 Vgl. ZWIERLEIN, CORNEL A., The Waldensians, Bucer, Beza, Castellio, and FrenchGerman Confessional Diplomacy 1556/7, in: ARG 106 (2015), 184–241, hier 191–195. 398 Vgl. dazu CAMPI, Schweizerische Reformation, 120–122. 399 Vgl. ZWIERLEIN, French-German Confessional Diplomacy, 195. 400 Vgl. CAMPI, Schweizerische Reformation, 122 f.

1.3 Das Eingreifen der Württemberger und ihre spezifische Position

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Hofprediger Michael Diller von Beza und Farel ein Abendmahlsbekenntnis erbeten hatte, wurde dieses im Mai 1557 in Gesprächen mit dem von Herzog Christoph dazu ermächtigten Andreae überarbeitet. Die so entstandene Confessio Goeppingensis401 wurde von Württemberger Seite als Beleg für die Rechtgläubigkeit der Waldenser akzeptiert – auf dieser Basis fertigten Württemberg, die Pfalz, Hessen und weitere süddeutsche Stände dann am 1. Juli auf dem Frankfurter Fürstentag eine Delegation an den französischen Hof ab.402 Die Confessio Goeppingensis (CG) ist also ein unter Mitwirkung Andreaes formulierter Text Bezas und Farels. Sie belegt nochmals eindrücklich, dass weder die Württemberger mit Westphals noch die Genfer mit der Zürcher Haltung identisch war: Angesichts der Position der Beteiligten auf dem theologischen Spektrum konnten hier vielmehr für beide Seiten akzeptable, wenngleich verschieden deutbare Aussagen gefunden werden. Veränderungen gegenüber dem in der Pfalz entstandenen Text sind dabei Indikatoren für von Andreae eingebrachte Anliegen: Beza und Farel hatten ursprünglich betont, dass beim Abendmahl „non modo Christi beneficiorum efficacia, sed ut ipse Christus nobis communicetur“403 – eine Calvins Defensio gegen Westphal entsprechende404 Aussage. In der CG wird nach ipse Christus „id est, inquam, Christi substantia“ eingefügt405 – das entspricht dem von Andreae und Brenz vertretenen Rechtsgläubigkeitskriterium einer substantialen Präsenz. Das exhiberi der substantia Christi im Abendmahl wird sogar zu einem exhiberi der filii hominis substantia.406 Damit handelt es sich eindeutig um die Substanz der menschlichen Natur. Deren Aufnahme in die Personeinheit wird als perpetua gekennzeichnet – auch das ein zur Lehre von Brenz und Andreae passender Akzent, aus dem sich für sie die Allgegenwart der menschlichen Natur und damit deren leibliche Präsenz im Abendmahl ableiten lassen. Aus Genfer Perspektive hingegen können die genannten Aussagen im Sinne einer Vermittlung des ganzen Christus auf rein geistlicher Ebene gelesen werden, sind also nicht per se problematisch. Die Aussage, dass innerevangelisch nicht die Präsenz Christi, sondern deren modus strittig sei,407 passt nicht nur zur Betonung von Christi substantialer Gegenwart, sondern entspricht auch Andreaes Perspektive ebenso wie der Genfer 401 Beide Textversionen sind synoptisch abgedruckt in Corr. Béze II, 244–247. Vgl. zum Hergang CAMPI, Schweizerische Reformation, 123 f. Die ältere Vermutung, dass das Bekenntnis ad hoc auf Basis einer Predigt Bezas entstanden sei (so MÜLLER-STREISAND, Theologie und Kirchenpolitik bei Andreae, 294) dürfte damit überholt sein. 402 Vgl. dazu ZWIERLEIN, French-German Confessional Diplomacy, 196 f. 403 Corr. Béze II, 244, 1 [linke Spalte]. 404 Vgl. o. Kap. IV.2.2b. 405 Corr. Béze II, 244, 1 [rechte Spalte]. 406 Corr. Béze II, 244, 2 [vgl. linke mit rechter Spalte]. Das „filii hominis“ ist zwar nur von „carnem“ zu „substantiam“ verschoben – jedoch wird dadurch die Zusammengehörigkeit von Substanz und menschlicher Natur akzentuiert, die Andreae wichtig ist. 407 Corr. Béze II, 245, 3. [vgl. linke und rechte Spalte].

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Beschreibung des Abendmahlskonflikts.408 Interessant ist, dass in der Erläuterung des von Bezas Seite vertretenen spiritualis modus die Abgrenzungen gegen natürliche Gegenwart, diffusio der menschlichen Natur, lokale Verbindung mit dem Brot und Vermischung der Substanz Christi und der Gläubigen nicht aus dem ursprünglichen Bekenntnis gestrichen werden – wohl aber deren Begründung durch die Begrenztheit der menschlichen Natur:409 Letztere hätte der von Brenz und Andreae vertretenen Christologie widersprochen und es somit aus Württemberger Sicht wie bei a Lasco unmöglich gemacht, die Unterzeichner als rechtgläubig anzuerkennen. Einschließung des Leibes ins Brot oder dergleichen will hingegen auch Andreae (gemäß seiner an die Wittenberger Konkordie anknüpfenden Position) nicht vertreten, so dass die Wendung dagegen für ihn unproblematisch ist. So kann dann auch die positive Bestimmung des spiritualis modus als „qui una incomprehensibili Spiritus Dei omnipotentis virtute nitatur“410 von den Genfern im Sinne einer Heilsvermittlung rein durch den Geist gelesen werden, von den Württembergern gemäß Andreaes Verständnis als den menschlichen Verstand übersteigende, nur dem Glauben zugängliche Präsenz: Die Einfügung des Begriffs incomprehensibilis411 ist kein Zufall! Das Bekenntnis ist also so gefasst, dass es für alle direkt Beteiligten akzeptabel war: Die Württemberger konnten geltend machen, dass die Genfer und Waldenser mit der Aussage substantialer Präsenz eine zur eigenen Lehre nicht im Widerspruch stehende Position vertreten hätten, die eine vollständige Bekehrung möglich erscheinen lasse und jedenfalls keine Verketzerung rechtfertige. In diesem Sinne sollten sie im Kontext des Wormser Gesprächs agieren. Die Genfer Beteiligten wiederum konnten darauf verweisen, sachlich nicht von der Genfer Lehre und der dort vertretenen Interpretation des Consensus Tigurinus abgewichen zu sein.412 Insofern hegten Beza und Farel Hoffnungen, auf dieser Basis eine Beilegung des Streits erreichen zu können. Jedoch waren für Westphals Seite die Württemberger Ausgleichsversuche inakzeptabel, für Bullinger die in der Confessio Goeppingensis vertretene substantiale Präsenz.

408

Vgl. o. Kap. IV.2.2b und V.1.3c. Corr. Béze II, 245, 5. [vgl. linke mit rechter Spalte]. 410 Corr. Béze II, 245, 5. [rechte Spalte]. 411 Corr. Béze II, 245, 5. [vgl. linke mit rechter Spalte]. 412 CAMERON, Göppingen Confession, 76–78, arbeitet zu Recht heraus, dass die CG und der Consensus unterschiedliche Zielrichtungen verfolgen und daher theologisch verschieden akzentuieren. Es erscheint aber problematisch, wenn er auf dieser Basis aus der Confessio Goeppingensis herleitet „that the CT [Consensus Tigurinus, C.E.] had not entirely taken deep roots in the minds of the Genevan theologians“ (aaO., 76): Das beruht auf einer zürcherischen Deutung des Consensus (vgl. aaO., 77), die dessen Mehrdeutigkeit zu wenig berücksichtigt: Der Text war ja schon früher im Zürcher und im Genfer Sinne interpretiert worden (vgl. o. Kap. IV.2). Vorsichtiger zu dem Problem CAMPI, Schweizerische Reformation, 126. 409

1.4 Reaktionen der Partei a Lascos, Bullingers und Calvins

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1.4 Reaktionen der Partei a Lascos, Bullingers und Calvins 1.4 Reaktionen der Partei a Lascos, Bullingers und Calvins

a) Was ist vom Religionsgespräch zu erwarten? Briefliche Diskussionen Die Ausdifferenzierung verschiedener Positionen innerhalb der Wittenberger Reformation wurde auch von den Theologen genau beobachtet, die seit Streitbeginn von Westphals Partei attackiert worden waren. Durch ihren brieflichen Austausch413 zieht sich als zentrales Thema die Frage, was von einem Religionsgespräch für die eigene Seite zu erwarten sei. Dabei zeigen sich zwei Tendenzen: Einerseits führen die Vielzahl der von Westphals Seite publizierten Schriften und der Ausschluss der eigenen Partei vom Wormser Gespräch zu Skepsis gegenüber der Möglichkeit einer gesamtevangelischen Einigung – das sollte sich auch in Calvins Ultima admonitio niederschlagen. Andererseits gibt es weiter ein Spektrum von Positionen: von Beza und Farel, die sich von einer Verständigung viel versprechen, bis zu Bullinger, der sie als sinnlos ablehnt. Wieder aktuell wurde die Frage evangelischer Einigung für Westphals Gegner ab Frühjahr 1556 zunächst durch a Lascos Bemühung um ein Kolloquium mit Theologen der Wittenberger Reformation.414 Hinzu kamen die Pläne für ein Religionsgespräch auf Reichsebene.415 Die Positionen waren zunächst die bekannten: Calvin warnt zwar vor zweideutigen Formeln, hält aber sincera moderatio für möglich und verspricht, sich bei den Zürchern für ein Kolloquium einzusetzen.416 Bullinger dagegen hält eine Einigung für aussichtslos: „Nimis bene noti sunt nobis Lutherani isti iam ab annis triginta.“417 Als Lutherani betrachtet er zwar nicht die gesamte Wittenberger Reformation, sondern nur Theologen wie Westphal, Brenz und Schnepf – ein begriffliches Indiz für die noch unabgeschlossene Konfessionsbildung. Jedoch meint er, auch moderatere Vertreter wie Melanchthon und Pacäus würden es sich mit den Lutherani nicht verderben wollen und nicht für die eigene Seite eintreten.418 In diesem Kontext 413 Dieser wird bisher in der Literatur allenfalls knapp im Sinne einer Vorgeschichte zu Calvins Ultima admonitio behandelt (vgl. etwa MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 91 f.; TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 205 f.) 414 Vgl. dazu o. Exkurs B.2. Brieflich erwähnt a Lasco diesen Plan erstmals in a Lasco an Bullinger, 31.3.1556, CR 44 = CO 16, 88 f. (Nr. 2420), ders. an Calvin, 2.4.1556, CR 44 = CO 16, 94 (Nr. 2423). 415 So berichtete z.B. der Frankfurter Ratsherr Johann von Glauburg an Calvin, dass Hoffnung auf ein colloquium beim Regensburger Reichstag bestehe. Vgl. von Glauburg an Calvin, 3.4.1556, CR 44 = CO 16, 96 (Nr. 2424). 416 Vgl. Calvin an a Lasco, Mai 1556, CR 44 = CO 16, 171 (Nr. 2465). 417 Bullinger an Calvin, 29.4.1556, CR 44 = CO 16, 123 (Nr. 2442). 418 AaO., 122 f.: „Ioannes a Lasco de spe colloquii nonnulla ad me quoque scripsit. […] Ego (sicuti et tu) parum aut nihil spero: quinimo timeo ex mediocre incendio oriturum incenidum amplissimum. Illi sane, cum quibus colloquendum erit, vel vehementioris adeoque plane Lutherani sunt ingenii, ut Schnepfius, Brentius, Westphalus, et huius farinae innumeri alii, vel moderatioris, ut Philippus, Pacaeus, et pauculi aliquot. Hi vero pro ingenii sui natura

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V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

spielt auch der Augsburger Religionsfrieden eine Rolle – und zwar als Argument Bullingers dafür, dass eine Einigung nicht zu erreichen sei, da die Fürsten die Annahme der CA fordern würden: Sie seien nicht nur mehrheitlich Lutherani, sondern auch vom Kaiser abhängig, dem sie 1530 die CA vorgelegt und die Zwingliani verdammt hätten. Abweichungen von dieser Position würden sie in Schwierigkeiten bringen, zumal sie die Verdammung auf dem letzten Reichstag wiederholt hätten.419 Bullinger versteht also gemäß seiner schon zuvor vorgetragenen Ansicht, dass die CA mit der eigenen Lehre inkompatibel sei,420 den Augsburger Religionsfrieden als Ausschluss der eigenen Partei.421 Die pessimistischen Einschätzungen verstärkten sich Mitte 1556 angesichts der Positionierung der Württemberger sowie neuer Schriften von Westphals Seite: Durch Herzog Christophs im Anschluss an a Lascos Gespräch mit Brenz erhobene Forderung, a Lasco solle ohne Zusatz die Confessio Augustana unterschreiben, sah Bullinger seine Einschätzung bestätigt,422 aber auch Calvin deutete Brenz’ Bericht als Triumphieren der Gegner.423 Zugleich schickte Vermigli Calvin ein Werk, das sich gegen dessen Tauflehre wandte (wohl Albers Wider die Carlstader).424 Johann Baptist Wisamer425 berichtete von Schnepfs aut molitie nolent illos offendere. Illi ne latum quidem culmum cedent, imo pro barbarie sua conviciorum plaustra in nos exonerabunt. Sed et post colloquium (quod et post Marpurgense colloquium factum videmus) scriptis epistolis et in cathedris suis triumphabunt. Neque est quod imaginatione quapiam suavi aliud et melius quidpiam polliceamur nobis. Vgl. ders. an a Lasco, 1.5.1556, CR 44 = CO 16, 125 f. (Nr. 2443). 419 Vgl. Bullinger an a Lasco, 1.5.1556, CR 44 = CO 16, 125 f. (Nr.2443); ders. an Calvin, 29.4.1556, CR 44 = CO 16, 123 (Nr. 2442), und dazu BURNETT, Bullinger and the Problem of Eucharistic Concord, 247. 420 Vgl. o. Kap. IV.2.3a. 421 Diese Deutung ist weder die einzig mögliche (so die gängige lutherische Ansicht – SCHMID, Kampf der Lutherischen Kirche, 180 Anm. 1 sieht Bullingers Äußerung daher als Beleg dafür, „wie Bullinger über die Einigungsversuche und über der Schweizer Verhältniss zur Augustana urteilt, viel richtiger und einsichtiger als Calvin“), noch ist im Reichsabschied eine Einschließung von Theologen wie Calvin intendiert (so die gängige reformierte Deutung). Der Text ist vielmehr in dieser Hinsicht ambivalent und lässt unterschiedliche Interpretationen zu. Vgl. POHLIG, Wahrheit als Lüge, und o. Exkurs B.2. 422 Vgl. Bullinger an Calvin, 26.7.1556, CR 44 = CO 16, 239 (Nr. 2503). 423 Vgl. Calvin an Bullinger, 1.7.1556, CR 44 = CO 16, 219 (Nr. 2492); zu dem Gespräch und zu dem von Brenz vorgelegten Bericht o. Kap. V.1.3b. 424 Vgl. Vermigli an Calvin, 14.6.1556, CR 44 = CO 16, 197 (Nr. 2479). Dass Vermigli den Text als Werk Westphals einordnet, dessen Druck in Frankfurt untersagt worden sei, legt zunächst nahe, dass De baptismo gemeint ist (vgl.o. Kap. IV.3.1d)). Zugleich beschreibt er sie aber als deutschsprachig, was dafür spricht, dass es sich um Wider die Carlstader handelt und Vermigli den Text aufgrund des tauftheologischen Inhalts (vgl. Kap. III.2.4b) irrtümlich mit De baptismo identifiziert, von dessen Zensurproblemen er wohl erfahren hat. 425 Zu seiner Person und seiner Korrespondenz mit Bullinger vgl. RÜETSCHI, KURT JAKOB, Baptist Johannes Wisamer (vor 1492 bis 1563/64). Ein Zwinglianer in Norddeutschland, in: Zwing. 15/2 (1979), 124–135.

1.4 Reaktionen der Partei a Lascos, Bullingers und Calvins

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Confessio.426 Bullinger informierte Calvin über Brenzens Drei Predig und beurteilte deren Abendmahlslehre als papistisch.427 Anfang 1557 förderten dann Nachrichten von den Bremer Debatten und dem Konflikt zwischen Westphals Seite und Melanchthon die Wahrnehmung, dass Melanchthon auf der eigenen Seite stehe: So berichtet Micron Bullinger von der Bremer Debatte um die corporis Christi ubiquitas, in der Melanchthon zu mäßigen versucht habe.428 Zugleich schließt er aus dem Empfang, den Melanchthon a Lasco im Namen der Wittenberger Fakultät bereitet habe, man sei dort der eigenen Lehre nicht abgeneigt – zumal Melanchthon a Lasco und Calvin auch sonst positiv erwähne und Westphal als Unruhestifter verurteile.429 Zugleich wurden aber weitere Zeugnisse dafür bekannt, dass viele Theologen der Wittenberger Reformation mit Westphal einig waren: speziell die in der Confessio fidei gesammelten Bekenntnisse. Unter dem Eindruck dieser Schrift betont nicht nur Bullinger, Melanchthon sei zwar friedenswillig, werde aber gegen die vielen anderen nichts ausrichten können,430 sondern auch Calvins Beurteilung der Wittenberger Reformation hat sich in eine Richtung verschoben, die dann auch die Ultima admonitio prägen sollte: Er ist nicht mehr (wie in der Secunda defensio) der Meinung, mit der Wittenberger Mehrheit gegen Westphal einig zu sein, sondern meint nun, dort seien die meisten unnachgiebig von ihrer falschen Meinung überzeugt. Nur bei einigen sei das vielleicht anders.431 Gemeint sind Einigungsbemühungen im Sinne Andreaes: Als Beispiel nennt Calvin den Regensburger Pfarrer Martin Schalling, der ihm in diesem Sinne geschrieben hatte.432 Auch Melanchthon sieht er weiter auf der eigenen Seite: Wenn dieser ein Privatgespräch führen wolle, werde er sicher Theologen dazu holen, die sich mit der eigenen Seite einigen könnten.433 Aus Calvins Sicht gibt es nun also drei Gruppen innerhalb der Wittenberger Reformation: Westphals Partei, die trotz dogmatischer Differenzen Gemäßigten wie Andreae und Melanchthons Seite, von der er sich eine Lösung erhofft. Das Bekanntwerden der Kollokutorenlisten für Worms führte zu weiterer Skepsis, da die eigene Seite nicht vertreten war, hingegen diverse Theologen, die man auf Westphals Seite rechnete:434 Vermigli berichtet entsprechend;435 426

Vgl. Johann Baptist Wisamer an Bullinger, 20.8.1556, CR 44 = CO 16, 264 (Nr. 2521). Vgl. Bullinger an Calvin, 28.8.1556, CR 44 = CO 16, 270 (Nr. 2526). 428 Vgl. Micron an Bullinger, 8.3.1557, CR 44 = CO 16, 422 (Nr. 2603). 429 Vgl. aaO., 202 f. 430 Vgl. Bullinger an Calvin, 25.2.1557, CR 44 = CO 16, 419 (Nr. 2601). 431 Vgl. Calvin an Bullinger 30.3.1557, CR 44 = CO 16, 435 (Nr. 2610). 432 Vgl. ebd. u. Schalling an Calvin, 4.2.1557, CR 44 = CO 16, 408–410 (Nr. 2594), Calvin an Schalling, 25.3.1557, CR 44 = CO 16, 428–431 (Nr. 2607). 433 Vgl. Calvin an Bullinger 30.3.1557, CR 44 = CO 16, 435 f. (Nr. 2610). 434 Zum Inhalt dieser Listen vgl. SLENCZKA, Wormser Schisma, 89–93; zur Korrelation der nominierten Theologen mit den Protagonisten des Abendmahlsstreits u. Kap. V.1.5. 435 Vgl. Vermigli an Calvin, 8.4.1557, CR 44 = CO 16, 443 f. (Nr. 2614). 427

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Bullinger führt die Beteiligung von Brenz, Johann Marbach und crassi Saxones dafür an, dass Hoffnungen illusorisch seien.436 Im Hinblick auf einen Nutzen des Wormser Gespräches zeigt sich nun auch Calvin skeptischer.437 Im Mai / Juni 1557 bringt Bullinger unter dem Eindruck der neu erschienenen Schriften von Alber und Andreae nochmals zum Ausdruck, dass er sich vom Wormser Gespräch nichts verspricht: Die große Zustimmung für Westphal belege, dass Calvins These, die Mehrheit der Wittenberger Reformation stehe auf der eigenen Seite, ebenso haltlos sei wie Versuche, der Confessio Augustana einen akzeptablen Sinn zu geben438 – Bullinger sieht hier eine Gelegenheit, Calvin endgültig von der Aussichtslosigkeit einer Einigung mit Anhängern der CA zu überzeugen. Daher lehnt er ein Kolloquium ab439 und fordert Calvin auf, gegen die Confessio fidei zu schreiben440 sowie Albers Schrift zu widerlegen, deren Polemik er hervorhebt.441 Andreae sei moderater, vertrete aber sachlich einen inakzeptablen Lutheranismus: Er behaupte eine Anteilhabe der impii am wahren Leib Christi, lehne ein räumliches Verständnis des Himmels ab und lehre, dass der Mensch Christus ubique sei. Zudem wolle er weder Gespräche noch Bücher der eigenen Seite zulassen, sondern dem Volk Luthers Lehre als wahr vermitteln442 – anders als Calvin rückt Bullinger also nicht Andreaes größere Offenheit für die eigene Seite, sondern seine dogmatische Position in den Vordergrund und rechnet auf dieser Basis auch die Württemberger zu den Gruppen, mit denen eine Einigung aussichtslos sei. Im Juli befürchtet er sogar, die eigene Seite könnte in Worms reichsrechtlich ausgeschlossen werden: Er erwartet altgläubige Versuche, einen Keil zwischen Wittenberger Reformation und eigene Seite zu treiben, wiederholt seine Einschätzung, dass die Fürsten die Annahme der CA verlangen würden, und mahnt, dies dürfe nicht zu einer internen Trennung führen.443 Das hat die Confessio Goeppingensis 436

Vgl. Bullinger an Calvin, 9.4.1557, CR 44 = CO 16, 445 (Nr. 2615). Vgl. Calvin an Conrad Hubert, 19.5.1557, CR 44 = CO 16, 488 (Nr. 2632). 438 Bullinger an Calvin, 16.5.1557, 483 f. (Nr. 4630): „Quid vero tibi videtur, reverende frater et amice? Vidistisne quid rursus nobis pepererit nostra Aphrica? Saxoniam dicere volui. Existimabas tu paucolos esse qui crassam illam corporeae praesentia opinionem sequerentur. Volebas sensum tolerabilem reddere confessionis Augustanae. Ac in hac causa sequutus est te et Lascanus noster. Suasimus nos ne huic pelago vos crederetis etc. Nunc turmatim excurrunt omnes, arma ferunt, omnes in nos insurgunt, omnes Westphalismum propugnant. Negant omnes confessionem Augustanam iilum habere sensum. Qua in re, pace tua dixerim, plus ipsis accedo quam Philippo, quem scio se non ita declaraturum quin illi victores triumphent.“ 439 Vgl. Bullinger an Calvin, 20.6.1557, CR 44 = CO 16, 514 f. (Nr. 2649). 440 Vgl. aaO., 515. 441 Vgl. aaO., 516; ders. an dens., 16.5.1557, CR 44 = CO 16, 484 (Nr. 4630). 442 Vgl. Bullinger an Calvin, 20.6.1557, CR 44 = CO 16, 516 (Nr. 2649); ausführlich zu Andreaes Schrift bereits ders. an dens., 16.5.1557, CR 44 = CO 16, 484–486 (Nr. 4630). 443 Bullinger an Calvin, 19.7.1557, CR 44 = CO 16, 541 f. (Nr. 2664): „Interea intelligo principes Germanos ante annum ita convenisse cum rege Ferdinando ut nos pro exclusis 437

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zum Hintergrund, zumal Bullinger an Bucers Einigungsversuche erinnert:444 Beides sieht er als illegitime Dissimulation über die Wahrheit zugunsten einer Einigung mit CA-Anhängern. Optimistischer beurteilten die Aussichten eines Gesprächs Beza und Farel – insofern ist es kein Zufall, dass sie dann nach Worms reisen sollten: Beza befürwortet eine Antwort Calvins gegen Westphal, mahnt aber zu Zurückhaltung, damit nicht die Hoffnung auf ein Kolloquium zunichte gemacht werde.445 Ähnlich äußert sich Farel, der betont, dass im Fall eines Kolloquiums keine Gegenschrift nötig sei, und kritisiert, dass Bullinger ein Gespräch ablehne.446 Auf Basis dieser Debatten entschloss sich Calvin zur Abfassung der Ultima admonitio und machte die dahinterstehende Haltung brieflich deutlich: Farel gegenüber betont er, angesichts der von Westphals Seite geäußerten Verketzerungen sei Zurückhaltung unmöglich gewesen.447 Die Schärfe hängt auch mit Enttäuschung über die Position der Württemberger zusammen: Er lobt Andreaes moderatio, zeigt sich aber betrübt, dass sie inhaltlich so weit auseinanderlägen.448 Dem Württemberger Bartholomäus Hagen teilt er mit, die Haltung Andreaes habe er nicht erwartet.449 Selbst gegenüber Melanchthon verschärft sich der Ton: Calvin beklagt dessen Schweigen und betont, Melanchthon missfalle gewiss die Polemik seiner Nachbarn. Da diese zu Unrecht Melanchthon ins Feld führten, habe er sich auf ihn berufen450 – in Reaktion auf Westphals Versuch, Melanchthon für seine Streitposition zu beanspruchen,451 setzt Calvin

agnoscant et non foveant. Frustra ergo ageretur, cum illis nisi quis simpliciter reciperet Augustanam confessionem. Id quod ante annos aliquot varie et multum a Bucero tentatum a nostris nunquam impetrari potuit. […] Pontificii arte veteratoria et diabolica illos sibi coniungunt, ut eos a nobis avellant. Sed satis nobis fuerit coniunctos nos esse cum Christo et nos consentire, quibus Dominus dedit unum et idem sentire. Cavendum ne et nos divellamur.“ 444 Vgl. ebd. 445 Vgl. Beza an Calvin, 17.7.1557, CR 44 = CO 16, 540 (Nr. 2663). 446 Vgl. Farel an Calvin, 3.7.1557, CR 44 = CO 16, 535 f. (Nr. 2659). 447 Vgl. Calvin an Farel, 1.8.1557, CR 44 = CO 16, 552 (Nr. 2673). 448 Vgl. Calvin an Andreae, 1.8.1557, CR 44 = CO 16, 553 (Nr. 2674). 449 Vgl. Calvin an Hagen, [undatiert], CR 44 = CO 16, 554 (Nr. 2675). 450 Calvin an Melanchthon, 3.8.1557, CR 44 = CO 16, 556 f. (Nr. 5677), zentral die Passage aaO., 557: „Vicinos tuos tanta in me intemperie bacchari, non dubito quin pro modestia tua et humanitate valde tibi displiceat: imo quum non hominem unum sed pios omnes, nec privatam unius doctrinam sed communem fidem oppugnent, tibi causae societas non vulgarem moerorem afferre debet. Caeterum, quando semel in hanc arenam protracto liberum non est pedem inde cito retrahere, truculentae vero bestias humano more tractare absurdum fuisset, dabis vehementiae meae veniam quae in tanta indignitate a me cohiberi non potuit. Si quid te privatim offendet, non longa excusatione opus fore arbitror. Quia subinde fallendis imperitis fucum ex tuo nomine videbam facere adversarios, ne viderer in re tam clara tergiversari (quod minime ingenuum erat) fidem tuo testimonio saepius deferre non dubitavi.“ 451 Vgl. o. Kap. V.1.1b. Calvin setzte sich damit in der Ultima admonitio auseinander, vgl. u. Kap. V.1.4b.

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ihn unter Druck, sich deutlicher gegen Westphals Seite zu äußern. Melanchthon solle seine Autorität dafür einsetzen, dass die Fürsten Calvins Seite zu einem colloquium einlüden (da Calvin mögliche Orte dafür nennt, ist offenbar nicht Worms gemeint, sondern ein separates Gespräch452). Wenn die Fürsten das ablehnten, solle er sich um eine Zusammenkunft von Gelehrten bemühen.453 Calvin hält also prinzipiell am Ziel eines Kolloquiums fest. b) Endgültige Stellungnahme Calvins: Die Ultima admonitio Wie bereits der Titel deutlich macht, sieht Calvin die Ultima admonitio als letzte Mahnung an Westphal in einer bereits geführten Debatte. Entsprechend enthält sie theologisch überwiegend seine bekannte Position.454 Jedoch hat sich nicht nur der Ton verschärft, sondern Calvins Haltung zur Wittenberger Reformation hat sich auch inhaltlich verschoben:455 Hatte er in der Defensio vor allem Gemeinsamkeiten mit Wittenberg betont und sich in der Secunda defensio auf die mit Melanchthon identifizierte Wittenberger Mehrheit gegen Westphal berufen, liegt nun der Schwerpunkt auf polemischer Widerlegung von Westphals Partei bis hin zur Verketzerung. Gleichzeitig hält Calvin an seiner Berufung auf Melanchthon fest und setzt diesen damit im Vorfeld des Wormser Gesprächs ebenso unter Druck, wie es Westphals Seite umgekehrt tut. Die Ultima admonitio wendet sich gegen Westphals Epistola, Philippi Melanchthonis sententia, die Confessio fidei und die von Calvin bisher noch nicht berücksichtigten Collectanea Augustini. Calvin geht die Argumentation dieser Texte nacheinander fortlaufend durch.456 Auch wenn er sich bei der Confessio fidei auf den Magdeburger Text konzentriert,457 führt dieses Vorgehen zu zahlreichen Wiederholungen. Durch alle Abschnitte ziehen sich jedoch Aspekte, die für Calvins modifizierte Haltung aufschlussreich sind: seine Einschätzung verschiedener Gruppen innerhalb der Wittenberger Reformation, sein Umgang mit Autoritäten und die scharfe Abgrenzung gegen Westphals Position. 452

Vgl. Calvin an Melanchthon, 3.8.1557, CR 44 = CO 16, 557 f. (Nr. 5677). Vgl. ebd. 454 Hier liegt der Hauptgrund dafür, dass die Literatur sie oft nur summarisch behandelt, so SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 173 f., TSCHACKERT, Entstehung der lutherischen und reformierten Kirchenlehre, 236; TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 206 f. 455 Zahlreiche Forscher verorten die hier erfolgte Verschiebung nur auf Ebene des Tonfalls: So meint STÄHELIN, Johannes Calvin, 219 „daß dem Reformator die Geduld ausgegangen war“; MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 92–101, reiht Zitate aneinander, die Calvins „hämische Ausfälle“ (aaO., 97) gegen Westphal hervorheben sollen. Dass beide keine inhaltliche Veränderung feststellen, hängt damit zusammen, dass Stähelin ausschließlich den weiter vorhandenen Anspruch auf Einigkeit mit Melanchthon, Mönckeberg rein den dogmatischen Gegensatz zu Westphal hervorhebt. 456 Vgl. zur Epistola CR 37 = CO 9, 141–146; zur Philippi Melanchthonis sententia aaO., 148 f.; zu den Collectanea Augustini aaO., 149–177; zur Confessio fidei aaO., 177–252. 457 Vgl. CR 37 = CO 9, 179 f. 453

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Hatte sich schon in den Briefen gezeigt, dass Calvin einer Einigung mit der Wittenberger Reformation mittlerweile skeptischer gegenüberstand, schlägt sich das nun auch in der Streitschrift nieder: Er gibt seinen Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation zwar nicht auf, beruft sich aber dafür nur noch auf eine mit Melanchthon identifizierte Teilgruppe, während er Westphal und dessen Parteigänger als Häretiker verurteilt. Das zeigt der Titel: „Vltima admonitio Ioannis Calvini ad Ioachimum westphalum [!], cui nisi obtemperet, eo loco posthac habendus erit, quo pertinaces haereticos haberi iubet Paulus. Refvtantur etiam hoc scripto superbae Magdeburgensium et aliorum censurae, quibus caelum et terram obruere conati sunt.“458

Hatte Calvin in der Defensio Westphals Argumentation als problematische Auslegung des reformatorischen Konsenses dargestellt und in der Secunda defensio eher betont, dass sie dem mit Wittenberg geteilten Konsens widerspreche, erklärt er sie nun für ebenso häretisch wie Westphals Seite umgekehrt seine Lehre – eine für den Prozess der Konfessionsbildung zentrale Tatsache. Entsprechend beantwortet Calvin die Vorwürfe aus Westphals Epistola:459 Westphals Reaktion auf seine Zurechtweisung mache offensichtlich, „quam insipide errori suo contra claram verae doctrinae lucem patrocinatus fuerit.“460 Auch hier erscheint Westphal als Verteidiger einer Irrlehre. Insofern meint Calvin, Parteigänger Westphals wie die Magdeburger seien mit seiner Widmung an die sächsischen Kirchen nicht gemeint gewesen: Diese habe sich nur an probi et fideles Christi ministri gerichtet (nicht an Häretiker).461 Im Autor der „Epistola scripta ex la Babylone“ vermutet er schließlich sogar einen Anhänger Servets462 – auf diese Assoziation mit einer allgemein als besonders schlimme Häresie geltenden Lehre463 sollte Westphal scharf reagieren.464 Obwohl Calvin also nun die Unterzeichner der Confessio fidei als Häretiker betrachtet, hält er seinen prinzipiellen Anspruch auf Übereinstimmung mit Wittenberg mit dem Hinweis aufrecht, die in der Confessio gesammelten Zeugnisse seien weder unabhängig noch repräsentativ: Aus den abgedruckten Briefen gehe hervor, dass Westphal die Empfänger unter Druck gesetzt und zu Verdammungen aufgefordert habe.465 Dass die Texte primär aus Norddeutschland 458 CALVIN, JOHANNES, VLTIMA || ADMONITIO || IOANNIS CALVINI || Ad Ioachimum westphalum, cui nisi obtem-||peret, eo loco posthac habendus erit, quo || pertinaces haereticos haberi iubet Paulus. || REFVTANTUR ETIAM HOC || scripto superbae Magdeburgensium et aliorum || censurae, quibus caelum et terram obruere || conati sunt., Genf: Jean Crespin 1557, GLN 390, a1r. Die Edition in CO gibt diese prägnante Titelformulierung nicht wieder. 459 Vgl. dazu o. Kap. V.1.1a. 460 Vgl. CR 37 = CO 9, 141–147, Zitat 143. 461 Vgl. CR 37 = CO 9, 236; 240 f. 462 Vgl. CR 37 = CO 9, 150–152; 179. 463 Vgl. zu dieser Wahrnehmung Servets VAN VEEN, Calvin und seine Gegner, 161. 464 Vgl. dazu u. Kap. V.1.5e. 465 Vgl. CR 37 = CO 9, 177 f.

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kommen, veranlasst ihn zur ironischen Aussage, Westphal halte wohl alle woanders gelegenen Kirchen für irrelevant.466 Auch dass Westphal Wittenberg und Leipzig für seine Position beansprucht, aber keine Zeugnisse von dort anführt, greift er auf: Die abgedruckten Briefe ließen vermuten, dass Westphal sich dort vergeblich um Unterstützung bemüht habe. Jedenfalls führe er kaum ein Zehntel Sachsens an und tue so, als ob es sich um das Ganze handle.467 Mit Melanchthon dagegen sieht Calvin sich weiter einig und setzt ihn unter Druck: Er warte auf ein Urteil Melanchthons, dass Westphal dessen Namen zu Unrecht gebrauche.468 Wenn Westphal das Gegenteil beweisen wolle, solle er Melanchthon bewegen, sich zu seinen Gunsten zu äußern.469 Auf Westphals Zitate will er nicht antworten, erklärt aber, dass anfangs der Sachverhalt noch nicht klar zu Tage gelegen habe und man Melanchthon mit der Forderung Unrecht tue, er dürfe in über vierzig Jahren seine Meinung nicht ändern.470 Dass er das getan habe, belegt für Calvin weiter die Zeit der Reichsreligionsgespräche: Melanchthon habe sich zwar teils aus Rücksicht auf Luther nicht klar geäußert, sei aber schon damals mit ihm (Calvin) einig gewesen.471 Calvins Umgang mit Luther scheint nicht nur auf dessen Heranziehung durch die Gegner zu reagieren, sondern auch auf deren Konflikt mit Melanchthon: So betont er gegen die Magdeburger, „docuerit Lutherus panem in ipsa tantum actione esse corpus: ipsi vero clamitent panem non esse symbolum, sed corpus verum et substantiale“472 – verortet also Luther in dieser Streitfrage auf Melanchthons Seite. Andererseits erscheint Luther als Vertreter der Sakramentsanbetung, die auch Melanchthon aktuell den Gegnern vorwirft.473 In der Beurteilung Luthers bleibt also eine Ambivalenz, aber tendenziell rückt er auf die Seite der Gegner – was auch erklärt, warum er als positive Autorität (anders als in Calvins vorherigen Schriften) kaum mehr eine Rolle spielt.474 466

Vgl. CR 37 = CO 9, 152. Vgl. CR 37 = CO 9, 178 f.; 152. 468 Vgl. CR 37 = CO 9, 149. 469 Vgl. CR 37 = CO 9, 148 f. 470 CR 37 = CO 9, 149: „Testimonia quae citat Westphalus non meum est refellere: neque etiam moror, quid inter primos conflictus, et causa nondum clare et dilucide explicata, homini ad negandum nimis tunc verecundo quorundam instigatio extorserit. Et lex nimis dura praescribitur literatis hominibus, si post editum ingenii ac doctrinae specimen, tota deinde vita nihil proficere liceat. Certe si quis annos quadraginta Philippo nihil attulisse dicat, magnam et homini privatim, et toti simul ecclesiae iniuriam faciet.“ 471 Vgl. ebd. 472 CR 37 = CO 9, 230. 473 CR 37 = CO 9, 231: „imaginatio de corporali praesentia idololatriae papisticae occasionem praebuit et eam adhuc confirmat […] Quid enim sibi vult illud Lutheri contra Lovanienses: Sanctum et adorabile sacramentum: nisi adoretur in pane corpus?“ 474 Letztere Beobachtung verdanke ich Matthias A. Deuschle, der sie am 6.9.2016 im Rahmen des Arbeitsgesprächs „Transformation reformatorischer zu konfessionellen Identitäten? Zweiter Abendmahlsstreit und innerevangelische Konfessionsbildung“ in Tübingen 467

1.4 Reaktionen der Partei a Lascos, Bullingers und Calvins

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Zudem betont Calvin nun explizit, dass die von beiden Seiten beanspruchten Wittenberger Autoritäten für ihn – anders als für Westphal – nicht per se normative Bedeutung haben: Die Richtigkeit seiner Lehre hänge für ihn nicht von deren Übereinstimmung mit Melanchthon ab. Er habe nur auf Westphals Versuch, ihn mittels der Confessio Augustana aus dem kirchlichen Konsens auszugrenzen, durch Berufung auf deren Autor reagiert.475 Ebenso habe er sich mit der Widmung an die sächsischen Kirchen nicht von deren Zustimmung abhängig gemacht, sondern ihnen die Secunda defensio in der Überzeugung vorgelegt, in diesen Kirchen seien viele an einer Einigung interessiert.476 Der Umgang mit den Kirchenvätern entspricht dem Umstand, dass Calvin nicht mehr daran liegt, Gemeinsamkeiten herauszustellen: Er geht Westphals Augustinsammlung durch,477 um zu belegen, dass Augustin der eigenen Lehre nicht widerspreche,478 und ihn gegen Westphals als quasi-papistisch desavouiertes Abendmahlsverständnis zu wenden.479 Zudem wirft er Westphal vor, Augustin falsch zu zitieren, oder widerlegt ihn durch Gegenzitate.480 Ähnlich behandelt er die Magdeburger Väterzitation.481 vorgetragen hat. Seiner – im Verhältnis zur hier vorgelegten Interpretation anders akzentuierenden – Deutung zufolge ist Calvin hier deutlich geworden, dass die Gegenseite sich mit größerem Recht auf Luther berufen kann als er selbst. Ich danke Herrn Deuschle für die freundliche Erlaubnis, auf seine (bislang unveröffentlichten) Ausführungen zu verweisen. 475 CR 37 = CO 9, 148: „Quia favorem apud pios obtinuit Augustana confessio, facere pridem cum sua factione coepit Ioachimus quod solent homines rationibus vacui, ut nobis clypeum autoritatis obtruderet. Ergo si nos a recepto consensus discedere monstraret, se quodammodo credidit coelum obnubilare, vel crassiores nebulas obducere simplicium oculis, quam ut in ipsa meridie micaret lucis scintilla. Hoc fallaci praeiudicio ut nos gravare desineret, provocavi ad autorem ipsum confessionis, fateor: cuius dicti me non poenitet. Quid autem Westphalus? pro crassa sua barbarie summam victoriae in eo ponere me iactat, si nobis subscribat Philippus.“ 476 CR 37 = CO 9, 178: „magnifice iactat nihil mihi amplius restare, nisi ut convictus obmutescam: quia mihi adversetur tota Saxonia. Ego vero ita cum piis et fidelibus Christi servis coniunctionem modeste colere didici, ut tamen ab eorum placitis non pendeam. Quia persuasus eram non paucos in Saxonia esse doctos et cordatos sanique iudicii homines, apud quos nonnihil valeret ratio et veritas, libellum meum omnibus inspiciendum obtuli.“ 477 Vgl. CR 37 = CO 9, 153–177. Vgl. zum Inhalt der betreffenden Passagen im Einzelnen LANGE VAN RAVENSWAAY, J. MARIUS J., Augustinus totus noster. Das Augustinverständnis bei Johannes Calvin, Göttingen 1990 (FDKG 45), 101–105. 478 So führt er aus, Augustins Lehre einer wahrhaftigen exhibitio des Leibes Christi widerspreche seiner Lehre nicht, da nur deren modus umstritten sei (vgl. CR 37 = CO 9, 157). 479 So deutet er das geistliche Essen bei Augustin in seinem Sinne und führt Westphals Verständnis des sakramentalen Essens auf die Transsubstantiation zurück (vgl. CR 37 = CO 9, 162); CR 37 = CO 9, 177 heißt es sogar: „quisquis tamen ad scopum animadvertet, facile videbit nihilo minus esse inter eius commentum et Augustini doctrinam, quam ab hoc sancto doctore, vel Scotus, vel alius quispiam ex illa sophistarum cohorte discrepat.“ 480 Beides z.B. CR 37 = CO 9, 156. 481 Vgl. CR 37 = CO 9, 207–209; 224–228.

526

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Theologisch entspricht Calvins Argumentation weitgehend seinen bisherigen Schriften, aber er polemisiert verschärft gegen Westphals Seite: Er betont zwar weiterhin, dass Christus im Abendmahl wahrhaft präsent und allein der modus dieser Präsenz umstritten sei,482 beschreibt aber Westphals Position als Vermischung der Substanzen von Leib und Brot, als körperliches Verschlingen von Leib und Blut und als quasi-altgläubige Einschließung Christi ins Brot.483 In diesem Rahmen bewegen sich die bekannten Argumente: etwa die Aussage, die Deutung der Einsetzungsworte durch in, cum et sub pane nehme selbst einen Tropus an484 oder die Bestreitung eines Empfangs durch increduli.485 Ausgebaut wird die christologische Argumentation: Unmittelbar reagiert dies auf die in der Confessio fidei vorgetragenen Argumente der Magdeburger Theologen gegen Bullinger,486 auf dessen Apologetica expositio Calvin sich beruft.487 Ob auch die von den Württemberger Theologen formulierte Christologie oder die Debatte zwischen Westphals Seite und Melanchthon im Hintergrund stehen, ist unklar – die Argumentation passt aber zu letzterer: Den Magdeburgern wird nicht nur vorgeworfen, dass ihrer Auffassung der substantialen Gegenwart unter dem Brot eine ubiquitas zugrunde liege, die dem wahren menschlichen Leib Christi widerspreche,488 sondern Calvin beantwortet auch den Vorwurf, von Christi Fleisch in abstracto statt von seiner unteilbaren Person auszugehen, mit dem Gegenvorwurf, dass vielmehr die Magdeburger beides nicht angemessen unterschieden, wenn sie die Allgegenwart des Fleisches durch die Personeinheit belegen wollten.489 Das trifft den Streitpunkt zwischen 482

Vgl. z.B. CR 37 = CO 9, 182. So z.B. CR 37 = CO 9, 182 f.: „negamus tamen fieri commixtionem substantiae: quia dum vitam ex substantia carnis et sanguinis percipimus, manet tamen integer homo Christus in coelo. Hoc modo a nobis repudiatur quae ab aliis fingitur corporis immensitas. Neque enim ut nos pascat ac vivificet Christus carne sua, eam sub pane includi necesse est, ut a nobis voretur. […] Tantum in ea vertitur quaestio, pascamurne Christi carne et sanguine dum ab illis vitam ipse nobis inspirat, an vero necesse sit substantiam carnis a nobis deglutiri ut sit nobis in cibum: et sanguinem, ut nobis sit in potum, substantialiter hauriri.“ Zur Zurückführung der körperlichen Gegenwart auf die Transsubstantiation vgl. aaO., 162.231. 484 Vgl. CR 37 = CO 9, 209 f. 485 Vgl. z.B. CR 37 = CO 9, 230. 486 Vgl. CR 37 = CO 9, 220–229; zum Bezug auf Bullinger o. Kap. V.1.1c. 487 Vgl. CR 37 = CO 9, 194 f. 488 CR 37 = CO 9, 191: „Quis enim neget verum commendari Christi corpus a Paulo? […] Cui si nihilo magis convenit ubiquitas, quam soli densitas opaca, vel terrestre pondus, sequitur Magdeburgensium commento nos a vero Christi corpore ad spectrum nescio quod traduci. Frustra enim clamant, verum Christi corpus, quod ipsi falsificant. Porro quod sacrilegium exprobrat Paulus indigne manducantibus Christi panem, quia non diiudicant corpus Domini, frigide et inscite inde colligitur, sub pane latere carnis substatiam [!].“ Dass der menschliche Leib Christi nicht ubique sein könne, wird mehrfach betont, vgl. etwa aaO., 214 f. 489 CR 37 = CO 9, 229: „Dicunt nos fallaciter et sophistice crebro ratiocinari ab attributis corporis in abstracto ad Christi personam: Quae calumnia nullo negotio diluitur. Neque enim 483

1.4 Reaktionen der Partei a Lascos, Bullingers und Calvins

527

dieser Position und der Melanchthons. Ferner argumentiert Calvin, die Magdeburger müssten beim ersten Abendmahl einen zweikörperlichen Christus annehmen: einmal sichtbar und sterblich (als der Einsetzende), einmal verborgen und mit göttlicher Ehre versehen (unter den Elementen).490 Angesichts von Calvins verändertem Verhältnis zur Wittenberger Reformation ist die Bereitschaft zu iusta comparatio und Gesprächen über eine Konkordie, die er am Ende erklärt,491 wohl so zu verstehen, dass er weiter auf eine Einigung mit Melanchthons Anhängern, vielleicht auch mit den im Briefwchsel als moderater qualifizierten Württembergern hofft. Westphals Position aber ist ausgeschlossen: Dem von Westphal postulierten consensus ecclesiae stellt Calvin den eigenen kirchlichen Konsens entgegen, durch den Westphal verdammt werde.492 Dementsprechend sollte er 1559 eine Widerlegung von Westphals Lehre in die Institutio aufnehmen. Dass Calvin Farel am 1.8. berichtete, die Ultima admonitio sei teils schon gedruckt,493 spricht dafür, dass die Publikation in seinen Augen eilte, ob nun im Hinblick auf das Wormser Gespräch oder auf mögliche neue Schriften von Westphals Seite. Dass sie noch vor dem Wormser Gespräch erschien, zeigt ein Brief Vermiglis vom 29.8., in dem er die Schrift lobt und berichtet, dass Melanchthon soeben in Worms eingetroffen sei.494 Sehr positiv nahm auch Bullinger den Text auf:495 Ihm dürften Calvins verschärfte Abgrenzung und die Rücknahme von dessen vorherigen Einigungsabsichten zugesagt haben.

docemus Christum, quamvis corpus eius finitum sit, eadem dimensione comprehendi: imo asserimus replere omnia, quia separari ipsum a suis membris nefas est. Quia autem de carne quaestio est, in ea insistimus. Denique discrimen, quod tenendum est inter Christi carnem in abstracto et eius personam, nos dextre illustramus: ipsi perversissime confundunt. Quia ut carnem Christi immensam et ubique esse probent, identidem obiiciunt unam esse personam in Christo. Itaque tam carnis suae quam divinitatis respectu coelum et terram implere. An non hoc est carnem Christi in abstracto quasi capillis trahere, ut sequatur quocunque se extendit divinitas?” 490 CR 37 = CO 9, 187 f.: „Viderint […] quomodo dederit Christus sub pane discipulis idem quod ipsorum oculis obiiciebat corpus. Nam si volunt substantialiter sub pane voratum esse, duplex fuit illius natura: quia in uno loco erat visibile et mortale: alibi autem, vel nusquam, et tamen simul ubique occultum et gloria sua coelesti praeditum, latebat.“ 491 Vgl. CR 37 = CO 9, 250. 492 CR 37 = CO 9, 152: „Multarum, inquit, ecclesiarum consensus ad damnationem sufficere debet. Cur ergo vicissim nostrarum ecclesiarum iudicio, a quibus damnatur, non acquiescit? nisi forte quia propinquus est mari glaciali, dum litus aspicit, orbem terrarum eodem spatio metitur, ut ecclesias omnes, quaquaversum dispersae sunt, pro nihilo ducat. Discat ergo, nisi velit ridiculum se facere, locum aliquem dare non poenitendis ecclesiis, quarum suffragiis probatur nostra doctrina.“ 493 Vgl. Calvin an Farel, 1.8.1557, CR 44 = CO 16, 552 (Nr. 2673). 494 Vgl. Vermigli an Calvin, 29.8.1557, CR 44 = CO 16, 495 Vgl. Bullinger an Calvin, 10.9.1557, CR 44 = CO 16, 616 (Nr. 2706).

528

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

1.5 Die Abendmahlsfrage auf dem Wormser Religionsgespräch 1.5 Die Abendmahlsfrage auf dem Wormser Religionsgespräch

Im August 1557 trafen die ersten Teilnehmer des Religionsgesprächs in Worms ein; im September begannen die evangelischen Vorberatungen.496 Die Vielzahl theologischer und politischer Positionen innerhalb des evangelischen Lagers, die Ende September dann zum Bruch unter den Augsburger Konfessionsverwandten führen sollte, stellte dabei von Anfang an auch ein Problem für die Einflussversuche von Teilnehmern des Abendmahlsstreits dar. Das gilt zunächst insofern, als die Hauptbeteiligten des Streits nicht selbst am Gespräch teilnehmen konnten: Zwar waren sowohl zahlreiche Vertreter von Westphals Streitpartei (Westphal selbst, Johann Timann, Nikolaus Gallus, Erhard Schnepf sowie die an der Confessio fidei beteiligten Matthias Flacius, Johann Wigand, Erasmus Sarcerius, Joachim Mörlin, Anton Otho und Friedrich Henninges) als auch Calvin, Peter Martyr Vermigli, Albert Hardenberg und der Straßburger Hieronymus Zanchi vorgeschlagen worden.497 Eben aufgrund ihrer Position im Abendmahlsstreit waren aber die wenigsten dieser Theologen unter den evangelischen Ständen konsensfähig; zudem verhinderte das „Prinzip der regionalen und ständischen Ausgewogenheit“ eine Nominierung zu vieler städtischer Vertreter.498 Das hatte zwei Folgen: Zum einen hatte keine Position des Abendmahlsstreits auf dem Gespräch eine Mehrheit. Calvins und Bullingers Partei war gar nicht vertreten. Westphals Streitpartei hatte zwar mit Schnepf einen der evangelischen Kollokutoren, die ernestinischen Delegierten sowie Sarcerius und Mörlin auf ihrer Seite. Da aber auch Melanchthon als Kollokutor fungierte, musste sie dennoch befürchten, dass ihre Position nicht durchsetzbar

496 Vgl. zum Ablauf im Einzelnen BUNDSCHUH, Wormser Religionsgespräch, 370–532; SLENCZKA, Wormser Schisma, 199–475. Im Folgenden werden nur diejenigen Aspekte erwähnt, die für den Abendmahlsstreit bzw. die Erwartungen und Wahrnehmungen seiner Teilnehmer unmittelbar relevant sind. 497 Bis auf Hardenberg, den Melanchthon vorgeschlagen hatte (vgl. SLENCZKA, Wormser Schisma, 88), sind diese Namen in einer Auswahlliste enthalten, die wohl eine Sammlung der Vorschläge verschiedener Stände auf dem Regensburger Reichstag darstellt (vgl. aaO., 78–81). Hinter dem aaO., 80 Anm. 173 nicht identifizierten „Fridericus zu Lunenburg“ dürfte sich Friedrich Henninges verbergen. Zur Beteiligung am Abendmahlsstreit vgl. neben den Streitschriftenautoren WESTPHAL, Confessio fidei, H3v–H4r (Flacius); H3r (Wigand); H4v (Sarcerius); R1r (Mörlin); S3r (Otho); Q7v (Henninges). Zu Zanchi o. Kap. IV.2.4d. 498 Vgl. SLENCZKA, Wormser Schisma, 83–93, Zitat 83. In seiner differenzierten Analyse ist m.E. nur die These zu problematisieren: „Die Schweizer waren von vorneherein ausgeschlossen, weil sie nicht zu den Augsburger Konfessionsverwandten zählten.“ (aaO., 83). Dies war im Jahr 1557 nicht so eindeutig, sondern – wie die Vorschläge gerade zeigen – unter den Augsburger Konfessionsverwandten umstritten. Eher trifft auch mit Blick auf den Abendmahlsstreit Slenczkas Aussage zu: „Zu einer Nominierung radikaler Exponenten der verschiedenen Richtungen in den aktuellen theologischen Kontroversen kam es jedoch nicht, weil sie durch den Einspruch der jeweiligen Gegenseite verhindert wurde.“ (aaO., 92).

1.5 Die Abendmahlsfrage auf dem Wormser Religionsgespräch

529

sein würde. Melanchthon seinerseits wurde von allen Seiten unter Druck gesetzt und musste befürchten, selbst ausgegrenzt zu werden. Die Position der Württemberger Brenz und Andreae war christologisch für Calvins und Bullingers Streitpartei, durch ihre Verweigerung von Ketzerurteilen für Westphals Seite problematisch. Zum anderen konnten mehrere Hauptbeteiligte des Streits den Ablauf kaum mitgestalten, sondern mussten sich von außen um Einfluss bemühen: Westphals Seite vor allem durch die Abfassung von Schriften an die Kollokutoren und die Öffentlichkeit, die Schweizer durch Briefe (vor allem an Melanchthon) sowie durch eine Delegation, die in Worms Unterstützung für die Evangelischen in Frankreich suchen sollte. a) Verteidigung für Worms: Westphals De Coena Domini confessio Mit der auf den 24.8.1557 datierten De Coena Domini confessio499 richtete Westphal unmittelbar vor Beginn des Wormser Gesprächs ein Abendmahlsbekenntnis an die drei evangelischen Kollokutoren Melanchthon, Brenz und Schnepf.500 Bedingt durch den Abbruch des Gesprächs wurde ihnen der Text allerdings nicht zugestellt, so dass Westphal ihn im Nachhinein gedruckt veröffentlichte.501 Mit dem Bekenntnis wollte Westphal einerseits normative Festlegungen in Worms beeinflussen, sich andererseits absichern: Angesichts des Konflikts mit Melanchthon befürchtete er Beschlüsse, die sich gegen seine Streitposition richten oder zumindest seine Gegner nicht ausgrenzen würden. Dass Westphal im Hinblick auf das Wormser Religionsgespräch Befürchtungen hegte, erklärt sich aus der Konstellation auf dem Gespräch und dem sich zuspitzenden Konflikt mit Melanchthon: Da Westphal nicht als Teilnehmer zugelassen war, war die Einreichung eines Textes für ihn die einzige Möglichkeit, seine Position offiziell in die Verhandlungen einzubringen. Dass er dies ausführlich rechtfertigt,502 spricht dafür, dass ein solches Vorgehen ungewöhnlich war. Westphal begründet es damit, dass die Gegner große Hoffnungen auf das Wormser Gespräch setzten und gewiss Abgesandte dorthin schicken würden.503 Diese Gelegenheit könnten sie nutzen, um auf Anerkennung ihrer Lehre oder sogar auf Verdammung seiner Position hinzuwirken: „Non dubito, authores resuscitati dissidij, si ipsi non interfuerunt uestro coetui, a quo hactenus exclusi fuerunt in Comitijs, et causam suam non egerunt coram, non tamen praetermissuros, quin scripta sua ad V.R. mittant, et sui dogmatis speciosis coloribus exornati patrocinium, uerae autem doctrinae per multos annos a uobismetipsis defensae condemnationem, 499

WESTPHAL, JOACHIM, DE COE=||NA DOMINI CON=||FESSIO […], Oberursel: Nikolaus Heinrich 1558, VD16 W 2269. Zur Datierung vgl. aaO., G8r; C4v. In der bisherigen Literatur zum Zweiten Abendmahlsstreit wird diese Schrift nicht berücksichtigt. 500 Vgl. aaO., A4r. 501 So berichtet es zumindest Westphal, vgl. aaO., A2r–A3r. 502 Vgl. aaO., A4r–A5r. 503 Vgl. aaO., A2r.

530

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

uel saltem conciliationem, qualemcunque apud uestrum tribunal quaerant, fortasse etiam, ut libris suis sparsis ubique fecerunt, me praegrauabunt accusationibus falsis.“504

Einiges spricht dafür, dass es sich bei diesen Befürchtungen nicht um einen bloßen Vorwand handelt: Dass die Gegenseite versuchen könnte, Einfluss auf den Gesprächsverlauf zu nehmen, war angesichts der Gesandtschaft Bezas und Farels und der Briefe der Gegenseite an Melanchthon realistisch.505 Zwar war bei der Besetzung des Gesprächs nicht zu erwarten, dass ihre Position übernommen würde. Jedoch war denkbar, dass Melanchthon auf eine Festlegung hingewirkt hätte, die Spielraum für die gegnerische Position gelassen, Westphals Partei für den Streit verantwortlich gemacht oder sogar ihre Position ausgegrenzt hätte – die Hamburger hielten es schließlich zeitgleich für nötig, gegenüber der Wittenberger Fakultät seine Vorwürfe zurückzuweisen.506 Gleichzeitig will Westphal seine Position normativ in das Gespräch einbringen: Formal unterwirft er seine Lehre dem Urteil der Kollokutoren, erhebt aber zugleich den Anspruch, dass seine Auffassung mit der Confessio Augustana und deren Apologie, den Schmalkaldischen Artikeln, Luthers Katechismus sowie den Schriften der Adressaten übereinstimme.507 Bezeichnenderweise betont er, die Adressaten würden sicher an der Lehre festhalten, die sie bisher verteidigt hätten. Wenn das wieder Erwarten nicht der Fall sein sollte, bitte er sie, ihre Sinnesänderung zu erläutern.508 Diese Aussage setzt die von Westphal bekannte (im vorliegenden Kontext aber durchaus heikle) Vorstellung voraus, dass es Westphals Lehre und Streitposition ist, die der Wittenberger Tradition 504

AaO., A5r–A5v. Vgl. dazu u. Kap. V.1.5c. Ob Westphal über diese Bemühungen konkret informiert war, ist unbekannt und muss dahingestellt bleiben. 506 Vgl. o. Kap. V.1.2d. Der Hamburger Brief nach Wittenberg ist allgemein auf August datiert, so dass das Zeitverhältnis zwischen beiden Texten nicht ganz klar ist – jedenfalls aber liegt beides chronologisch nahe beieinander. 507 WESTPHAL, De Coena Domini confessio, A5v-A6v: „Extat iam mea confessio de Coena Domini in aliquot meis libellis, quam cum uerbis institutionis et mente Christi, et cum ea doctrina conuenire uos iudicaturos existimo, quam per decennium traditam Vuitebergae, tum in praelectionibus, tum in concionibus, praeterea etiam in libris uestris diuulgatam, qua potui diligentia accepi, et tanquam depositum bonum fideliter custodire per annos ferme trigintos mihi habui. Hos ipsos libellos primum subijcio candido uestro iudicio et censurae […]. Deinde protector me retinere declarationem et defensionem doctrinae de Eucharistia quae continetur in Augustana confessione et eius Apologia, in Smalcaldicis articulis, in Catechismo uiri Dei beatae memoriae D. Lutheri, alijsque eius et uestris in hoc argumento scripto libris. Quod si mea inueniantur ab illis dissonare, beneficij loco mihi erit, ea errata simpliciter proferri, et in quibus discrepent ostendi.“ Vgl. auch aaO., C3r. 508 AaO., C3v: „Omnino persuasum habeo quod pro uestra constantia retineatis doctrinam a uobis per aliquot annos explicatam et defensam: tam de alijs Articulis fidei, quam de Coena Domini. Si cuiusquam animum graues aliquae et sufficientes causae permouerint ad mutationem sententiae in aliqua parte, peto de his edoceri, quas alij mecum sequantur, si cognouerint uerbo Dei consentientes praeiudicare et praeualere prioribus rationibus.“ 505

1.5 Die Abendmahlsfrage auf dem Wormser Religionsgespräch

531

entspricht, und dass es eine Abweichung von dieser Tradition darstellen würde, wenn die Adressaten etwas anderes vertreten! Entsprechend ist die Argumentation darauf ausgerichtet, eine Verurteilung von Westphals Gegnern zu erreichen, eine normative Festlegung in Melanchthons Sinne zu verhindern und Westphals Position gegen dessen Vorwürfe zu verteidigen. Dies zeigt sich schon daran, dass Westphal in der Confessio vor allem Väterzitate zusammenstellen will: Dass Westphals Position eine der Alten Kirche widersprechende Christologie impliziere, ist ein zentraler Vorwurf Melanchthons (wenngleich auch anderer Gegner).509 Auch die Erläuterungen zu den Zitaten zielen auf den Nachweis, dass Westphals Position der Alten Kirche entspricht. Dabei beurteilt Westphal – anders als Hachenburg – nicht Melanchthons Lehre an sich als ketzerisch, weist aber dessen Formeln als zu offen für die gegnerische Auffassung zurück: Er betont, ein figuratives Verständnis von Abendmahlsaussagen der Väter sei nicht zu tolerieren.510 Die (von Melanchthon gebrauchte) Formel cum pane hingegen sei richtig verstanden akzeptabel, sollte jedoch wegen ihrer Mehrdeutigkeit vermieden werden. Bei den Vätern seien die Formulierung in pane et vino bzw. die auf die Schrift zurückgehende Identifikation der Elemente mit Leib und Blut weit häufiger, stellten also die übliche Redeweise dar511 – gegen Melanchthons Vorwurf, dass Westphals Seite ungebräuchliche Formeln einführe, werden hier also für Westphals Partei typische Formulierungen als die kirchlich üblichen dargestellt. Um die Gefahr zweideutiger Formulierungen deutlich zu machen, listet Westphal solche Formeln auf und stellt jeweils seine Interpretation gegen die seiner Streitgegner. Das entspricht zunächst seiner üblichen Argumentation: Um zu verhindern, dass Positionen der Gegenseite als mit der Wittenberger Reformation übereinstimmend anerkannt werden, will er belegen, dass sich hinter ihren scheinbar rechtgläubigen Aussagen in Wahrheit Zürcher Ketzerei verberge.512 Auffallend ist aber, dass Westphal sein Verständnis so formuliert,

509

Vgl. für Melanchthon o. Kap. V.1.2a; für analoge Thesen Bullingers und Calvins vgl. z.B. o. Kap. IV.3.2e und V.1.4b. 510 Vgl. WESTPHAL, De Coena Domini confessio, A7r–A7v. 511 AaO., A7v-A8r: „placet nonnullis haec formula, ut dicatur, cum Pane et Vino dari et manducari Domini carnem et sanguinem: ego uero ubi de rebus ipsis constat, nolim […] de uerbis cum quoquam contendere, quanquam interim assentiar, dandam esse operam, ut quam proprijssime et simplicissime loquamur […] et uigilanti studio ambiguas, improprias et periculosas lucutiones uitemus, Patres promiscue usurpant usitata in nostris Ecclesijs de hoc Sacramento uerba, omnium tamen frequentissime sic loquuntur, quod in pane et uino sint et dispensentur Christi corpus et sanguis. Saepe etiam accomodant se sermoni familiari Euangelistis et Apostolo Paulo, et a Christo ipso usurpato: passim legas eos scribere, panem Eucharistiae esse corpus Domini, uinum sacrae coenae esse eius sanguinem. Cum praecipiat Apostolus retinere formam sanorum uerborum, nemo autem negare possit, uerba sana esse, quae Spiritus sanctus dictauit et praeformauit“. 512 Vgl. aaO., A8v–B1r.

532

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

dass es mit Melanchthons Lehre kompatibel ist: Offenbar will er verhindern, dass Melanchthon eine auch für Calvins Seite akzeptable Formel durchsetzt, aber nicht Melanchthons Theologie ausgrenzen. So setzt er dem gegnerischen, als rein allegorisch dargestellten Verständnis von sacramentaliter positiv die unio sacramentalis der Wittenberger Konkordie entgegen, in der mit den Elementen auch Christi Leib und Blut substantiell gegenwärtig seien.513 Das kommt (ob Westphal das bewusst ist oder nicht) auch Theologen wie Andreae entgegen;514 im Blick sind aber primär die Streitgegner und Melanchthon: Calvins Verständnis der Formulierung515 wird ausgeschlossen. Der Begriff substantialiter dürfe nicht so verstanden werden, als sei Christus nur seinem Geist oder seiner Gottheit nach präsent, sondern im Sinne einer mündlichen Nießung von Leib und Blut.516 Zudem verwahrt sich Westphal nicht nur gegen den Vorwurf der ἀρτολατρεία und betont, dass Anbetung des Sakraments für ihn Missbrauch ist;517 er kennzeichnet auch Melanchthons Formel „in actione consistere sacramenta“ als rechtgläubig: Die Elemente seien außerhalb des Gebrauchs kein Sakrament. Auch diese Formel ist für ihn allerdings gefährlich zweideutig, da sie auch so verstanden werden kann, dass die Substanz des Sakraments in der Handlung bestünde, nicht in der leiblichen Präsenz.518

513

AaO., B2r–B3r: „uocabulum sacramentaliter refertur ad occultam praesentiam corporis, non ad figurationem seu significationem absentis, in quo posteriore sensu non admittitur a nostris. In articulo conciliato vuitebergae cum D. Bucero anno 36. inserta sunt haec uerba propter unionem sacramentalem panis est corpus Christi, additur autem ibidem haec interpretatio, credimus cum pane uere adesse et exhiberi seu dari Domini corpus. Praemittitur in praecedente articulo, quod corpus substantialiter adsit et porrigatur cum pane. Cum in hanc sententiam accipitur unio Sacramentalis, et complectitur duo elementa, uidelicet panem et uinum, et cum his uere praesentem carnem et sanguinem Domini Iesu, nostrae Ecclesiae libenter admittunt et retinent hoc genus loquendi. […] Si sacramentale corpus uocant allegoricum, absens, significatum, adumbratum, merito reijcitur noua phrasis, ueri corporis ueram praesentiam aufferens ex Synaxi sacra.“ 514 Vgl. o. Kap. V.1.3c. 515 Vgl. o. Kap. IV.3.2d. 516 WESTPHAL, De Coena Domini confessio, B5v–B6r: „Haec ambiguitas cauenda est etiam, cum quispiam confitetur, Christum substantialiter adesse, ac uult hoc tantum intelligi de Diuinitate. Item cum dicitur, Corpus Christi edi spiritualiter ore fidei et ore cordis, et huiusmodi formulae opponuntur praesentiae corporis, et negatur, ore corporali accipi ueram Christi carnem. Nos alterum cum altero coniungimus, et docemus requiri, ut ore fidei simul spiritualiter edamus, cum Christi corpus ore corporali sumimus.“ 517 Vgl. aaO., B6r–C1r. 518 AaO., C1r–C1v: „Quidam callide remouent corporis et sanguinis praesentiam a pane et uino, et totius Sacramenti definitionem ac substantiam transferunt in ipsum ritum seu actionem, corpus exponunt significare ritum seu totam actionem, et in hunc sensum scribunt et dicunt, panem in ipso usu esse corpus Christi, Item in ipso usu Christi corpus sumi. Etsi autem nos fateamur in actione consistere sacramenta, et teneamus regulam, extra institutum usum, ea non esse sacramenta, tamen non patimur sic nobis illudi, ut corpus nobis significet

1.5 Die Abendmahlsfrage auf dem Wormser Religionsgespräch

533

Die Themen der Väterzitate entsprechen Westphals Testimoniensammlungen (wenngleich er sich nicht auf von dort bekannte Autoren beschränkt519): Neben Zitaten zur Identität der Elemente mit Leib und Blut Christi520 werden Belege für die manducatio oralis und manducatio indignorum521 gesammelt. Nachdem der Text den Kollokutoren aufgrund des vorzeitigen Gesprächsendes nie zur Kenntnis gelangt war, veröffentlichte Westphal ihn 1558 (die Vorrede datiert vom Februar522) im Druck. Die Schrift, die ursprünglich auf dem Gespräch für Westphals Position werben sollte, wurde so zu deren nachträglicher Rechtfertigung: Indem Westphal betont, dass es in Worms nicht möglich gewesen sei, die Abendmahlsfrage und andere strittige Themen so zu klären, wie es zum Nutzen der Kirche erforderlich gewesen wäre,523 wirbt er nicht nur weiter für eine kirchlich normative Regelung in seinem Sinne; er verteidigt sich auch implizit gegen den an ihn und seine Parteigänger gerichteten Vorwurf, für das Scheitern des Gesprächs verantwortlich zu sein. Dieser machte sich vor allem an ihrer Forderung nach Personalkondemnationen fest. b) Die Frage der Personalkondemnationen und der Bruch innerhalb der evangelischen Partei Durch den Verlauf des Wormser Gesprächs zieht sich vor allem ein zentrales Problem für die Einigkeit der evangelischen Seite, das schließlich zum Scheitern der Verhandlungen führte524 und für das der Abendmahlsstreit eine wichtige Rolle spielte: die Frage, ob namentliche Ausschlüsse aus dem Kreis der Augsburger Konfessionsverwandten erfolgen sollten. Zu den Personen, deren Verurteilung strittig war, zählten auch Westphals Streitgegner. Dabei zeigt sich ritum seu actionem, et manducatio corporis transferatur in ipsum ritum ad solum sumptionem symbolici panis et uini, et res ipsa misceatur cum usu.“ 519 Z.B. spielt Chrysostomus eine große Rolle. Vgl. aaO., D5v–D6r; D6v; E3v–E4r u.ö. 520 Vgl. aaO., C6r–D5v. 521 Vgl. für ersteres aaO., E3r–E5v, für letzteres aaO., Ev–F1v. 522 Vgl. aaO., A3r. 523 AaO., A2r–A2v: „Quapropter ne deessem tam causa et Ecclesiae Dei quam mihi, et ut ostenderem me lucem, iudicia ac cognitionem doctorum uirorum non defugere, existimabam mearum esse partium eo confeßionem meam ablegare. Quod autem exhibita non est collocutoribus, in causa fuit tristis illa separatio, quae obstitit quo minus tum de re Sacramentaria, tum de alijs grauißimis controuersis, uti postulabat utilitas Ecclesiae agi posse.“ 524 Die ältere Literatur konzentriert sich oft auf die Frage, welche Beteiligten für dieses Scheitern verantwortlich seien. Während etwa HEPPE, Geschichte des deutschen Protestantismus I, 157–205 „Agitation der Flacianer“ (aaO., 157) als Grund sieht, qualifiziert SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, die Position der übrigen Theologen als „Vertuschung oder Ignorirung der vorhandenen Differenzen“ (296) und betont: „Den Flacianern […] durfte man nicht zumuthen, eine Einigkeit zu fingiren, die nicht vorhanden war.“ (300). Ganz abgesehen von der grundsätzlichen Problematik einer solchen Fragestellung dürfte sie wohl spätestens durch SLENCZKA, Wormser Schisma, überholt sein, der umfassend gezeigt hat, dass alle beteiligten Gruppen Anteil am Misslingen der Einigung hatten.

534

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

wieder ein innerwittenbergisches Spektrum: Während die ernestinischen Delegierten auf Westphals Linie Verurteilungen forderten, lehnten unter anderem Melanchthon und die Württemberger sie ab. Deutlich wurden die Differenzen bereits in Bemühungen der evangelischen Seite, sich vor Beginn der Beratungen mit den Altgläubigen über eine gemeinsame Position zu verständigen.525 Die ernestinischen Delegierten, darunter Westphals Parteigänger Schnepf, versuchten eine Position durchzusetzen, die nicht nur charakteristisch für das religionspolitische Selbstverständnis der Ernestiner war,526 sondern auch derjenigen Westphals entsprach – so fand sie denn auch bei Theologen Unterstützung, die Westphals Confessio fidei unterzeichnet hatten: Sarcerius und Mörlin.527 Der Instruktion des ernestinischen Herzogs Johann Friedrich von Sachsen zufolge sollte sich die evangelische Partei nicht nur auf die Confessio Augustana verpflichten, sondern auch auf Apologie und Schmalkaldische Artikel sowie auf den Ausschluss namentlich benannter Ketzer, darunter neben Osiander und Major auch „Allerley Sectas der Zwinglianer vnnd Sacrament schwermer“.528 Damit aber wurde die Verwerfung von Positionen gefordert, deren Einordnung innerhalb der Wittenberger Reformation umstritten war – entsprechend reagierten die anderen Beteiligten. Melanchthon lehnte in Reden vom 5. und 9. September abendmahlstheologische Verwerfungen mit der Begründung ab, die Frage könne nicht angemessen behandelt werden, da die Zeit nicht reiche und nur ein begrenzter Kreis von Personen anwesend sei. Dabei scheint er nicht nur auf die Verbreitung der von Westphal verketzerten Lehre verwiesen zu haben, sondern auch darauf, dass die Betroffenen nicht anwesend seien, und auf das Schicksal der Flüchtlingsgemeinden.529 Inhaltlich distanzierte er sich zwar von beiden Parteien, übte aber an Westphals Seite weitaus massivere Kritik: 525

Im August wurden bereits informelle Gespräche geführt; am 5.9. begannen die Vorberatungen. Zum Ablauf im Einzelnen vgl. BUNDSCHUH, Wormser Religionsgespräch, 370– 425; SLENCZKA, Wormser Schisma, 199–366. 526 Vgl. allgemein und zur Korrelation mit Westphals Haltung o. Kap. IV.3.1c; in Bezug auf die in Worms erhobenen Forderungen GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik, 114– 118; SLENCZKA, Wormser Schisma, 138–150. 527 Vgl. SLENCZKA, Wormser Schisma,, 217.233.248–249.347–348. 528 So die Weimarer Instruktion Johann Friedrichs d. M. vom 27.7.1557, WOLF 320 f. (Nr. 34), Zitat 320. Vgl. zum Inhalt der Instruktion SLENCZKA, Wormser Schisma, 209–243. 529 Vgl. SLENCZKA, Wormser Schisma, 290.353. Von der Rede am 5.9. berichtet Schnepf: „so gering er [d.h. Melanchthon, C.E.] den Adiaphorismum gemacht hette, So hoch amplificiert er den Zwinglianismum vnd zeygte an, wie viel Land und Stedte, auch hohe gelerte Leutt im Zwinglianisimo stecken vnnd denen fur recht hielten und wollte sich nit geziemen, das von so wenig Personen deruon gehandelt sollte werden. Es gehorten andere vnd mehr leutt darzu, Solt man das Dogma vnd Controversien Recht dijudicieren.“ (WOLF, 333 (Nr. 45)). Aus dem unedierten Bericht Jakob Runges über den 9.9. zitiert SLENCZKA, Wormser Schisma, 353, sowohl den Bezug auf „viel elende veriagte vnd wegen der Religion getodte lewte“ als auch die Aussage: „Solche wichtige sache wollte warlich Zeit furderen, vnd

1.5 Die Abendmahlsfrage auf dem Wormser Religionsgespräch

535

„Und ob wol Calvinus nicht aller dinge genug oder recht sich explicierte, jedoch hette Westphalus mit seinem haufen auch novas et inusitatas loquendi formas, damit fast der Papisten Transsubstatio [!] vnd localis inclusio comprobieret oder gestercket wurde.“530

Als problematische Redeweisen auf Westphals Seite identifiziert Melanchthon die aus seiner Sicht nicht der altkirchlichen Lehre entsprechende Behauptung einer Identität von Brot und essentialis corpus Christi sowie die Forderung einer Anbetung des Sakraments.531 Eine Verpflichtung auf die Schmalkaldischen Artikel lehnt er zwar nicht prinzipiell ab, erklärt aber deren (eher Westphals als seiner Position entgegenkommende532) Abendmahlslehre für undeutlich.533 Auch die anderen Beteiligten lehnten Personalkondemnationen ab. Das gilt insbesondere für Brenz, für den allerdings weniger die Abendmahlsfrage im Vordergrund stand als die Ablehnung einer Verurteilung Osianders.534 Eine solche Haltung passt aber auch im Hinblick auf den Abendmahlsstreit zur Position der württembergischen Theologen und zur dortigen Konfessionspolitik:535 Andreae hatte in seiner Abendmahlsschrift versucht, die Anliegen von Westphals Gegnern als mit der eigenen Lehre vereinbar zu erläutern536 und Herzog Christoph formulierte in dem im Vorfeld des Wormser Gesprächs entstandenen Bedenken über die Einigkeit im Hinblick auf die Abendmahlsdebatte, es solle „mit cristlicher, bruderlicher liebe den sachen nachgedacht und wa möglich darinnen gleichait und concordia ecclesiarum gesucht werden“:537 Die Württemberger setzten nicht darauf, Westphals Gegner zu verurteilen, sondern darauf, sie zu einer Übernahme der eigenen Lehre zu bewegen. Dass innerwittenbergisch nach wie vor auch Positionen zwischen Melanchthon und Westphals Parteigängern möglich waren, zeigt auch der Einigungsversuch von Jakob Runge, Georg Karg, Johannes Pistorius und Johann Marbach: Sie schlugen vor, die Entscheidung innerevangelischer Kontroversen auf eine Synode zu verschieben und CA und Schmalkaldische Artikel durch Apologie, Melanchthons Loci und die Wittenberger Konkordie zu interpretieren. musten mehr lewte darbei sein. Vnd die sache furdere recht explication, oder die Kirche vnd Regimente wurden grewlichen schaden daher erfahren.“ 530 Bericht Jakob Runges über den 9.9., zitiert nach SLENCZKA, Wormser Schisma, 353. 531 In Bezug auf die Rede am 5.9. zitiert SLENCZKA, Wormser Schisma, 290 aus der (unedierten) ,Gemeinsamen Relation‘ der politischen Räte, dass Melanchthon zufolge „hin vnd wider sehr Vngeschicklich geredt, vnd geschrieben wurde. Quod panis sit essentiale corpus Christi, das in veterj Ecclesia nhie von keinem geschrieben oder gelehret where. So were es auch nicht lange, das Amsdorff vff die Adoration hart getrungen hette.“ 532 Vgl. zur dort formulierten Abendmahlsauffassung o. Kap. II.3.6. 533 Vgl. SLENCZKA, Wormser Schisma, 288 f. 534 Vgl. aaO., 216–231, zur dahinterstehenden Haltung Brenzens zu Osiander WENGERT, Defending Faith, 191–241. 535 Vgl. dazu o. Kap. V.1.3. 536 Vgl. o. Kap. V.1.3c. 537 ERNST IV, 294; vgl. zu diesem Text SLENCZKA, Wormser Schisma, 94–112.

536

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Abendmahlstheologisch beschränkten sie sich auf Abgrenzung gegenüber Transsubstantiation und Brotanbetung sowie die Aussage: „Nihil habet rationem[,] extra usum institutum, sacramenti“538 – eine tendenziell melanchthonische, aber nicht per se für Westphals Seite inakzeptable Position.539 Nachdem es schon in den evangelischen Vorverhandlungen zu keiner Einigung gekommen war,540 wurde die Situation im offiziellen Gespräch ab dem 11.9. dadurch verschärft, dass die altgläubige Seite von den Evangelischen eine Verwerfung aller Lehren forderte, die sie als nicht mit der Confessio Augustana übereinstimmend betrachteten. Zum Eklat kam es am 20.9.: Canisius erklärte die innerevangelischen Differenzen zum Beweis dafür, dass das Schriftprinzip als theologischer Maßstab unzureichend sei, und erwähnte als Beispiel den Abendmahlsstreit;541 Helding forderte, „vt Decreto Imperiali satisfiat“ diverse Gruppen zu verwerfen, darunter „Zvvinglianos & Calvinianos in Eucharistia“542. Die im Augsburger Religionsfrieden unspezifisch formulierte Verwerfung aller nicht der CA entsprechenden Auffassungen wurde hier dazu genutzt, den Evangelischen reichsrechtliche Unzuverlässigkeit vorzuwerfen. Prompt forderten auch die ernestinischen Delegierten die namentliche Verwerfung unter anderem Zwinglis und Calvins. Selbst Melanchthon legte nun einen Entwurf vor, in dem Zwingli verworfen wurde; dieser wurde aber von Brenz abgelehnt, der die ebenfalls enthaltene Verwerfung Osianders nicht vertreten wollte. Da die ernestinische Gruppe bei ihrer Forderung blieb, schlossen die politischen Räte sie letztlich von den Verhandlungen aus und es kam am 29.9. zum Auszug der ernestinischen Delegierten und ihrer Unterstützer unter Einreichung von Protestationsschriften.543 Die darin enthaltenen Informationen über die innerevangelischen Differenzen sollten im Folgenden von den Altgläubigen ausgenutzt werden und mit zur Verurteilung Zwinglis führen. Während dieser Verhandlungsphase hingegen nahmen zumindest die Genfer Melanchthon noch ungebrochen positiv wahr544 – er seinerseits zeigte sich Bullinger und Calvin gegenüber zwar reserviert, hielt sie aber auf dem Laufenden: 538

Zitiert nach SLENCZKA, Wormser Schisma, 314 Anm. 187. In diesem Punkt gegen SLENCZKA, Wormser Schisma, 314, der meint: „konnte Melanchthons Formel im Sommer 1557 nicht mehr neutral oder als nur gegen die römischkatholische Seite gerichtet zitiert werden. Ihre Zitierung mußte vielmehr als implizite Zustimmung zu Melanchthons Position in der Abendmahlskontroverse erscheinen.“ Dieses Urteil hängt offenbar damit zusammen, dass er seiner Beurteilung der Diskussionslage primär Melanchthons Äußerungen zugrunde legt, der Westphal eine Abweichung von diesem Grundsatz unterstellt (vgl. aaO., 313 f.) – eben das wurde aber ja von Westphal bestritten. 540 Die Frage der Verwerfungen wurde bis zum Ende des Religionsgesprächs sistiert, aber nicht gelöst. Vgl. SLENCZKA, Wormser Schisma, 367–384; 398–405. 541 Vgl. aaO., 406 f. 542 Beide Zitate nach VON BUNDSCHUH, Wormser Religionsgespräch, 458 Anm. 67. 543 Vgl. zum Ablauf im Einzelnen SLENCZKA, Wormser Schisma, 409–473. 544 Vgl. Calvin an Melanchthon, 9.9.1557, CR 44 = CO 16, 604 (Nr. 2701) 539

1.5 Die Abendmahlsfrage auf dem Wormser Religionsgespräch

537

So berichtete er Bullinger sowohl von den ernestinischen Verwerfungsabsichten, die aber von der Mehrheit der anderen Deputierten abgelehnt würden545 als auch davon, dass die Altgläubigen die Evangelischen anhand der Abendmahlsfrage zu spalten versuchten.546 Über die Abreise der ernestinischen Delegierten informierte er Bullinger und Calvin.547 Vermigli und Bullinger dankten ihm daraufhin für seinen Einsatz gegen Ketzerverurteilungen.548 c) Die Schweizer Delegation zugunsten evangelischer Franzosen Beza und Farel unternahmen eine Reise nach Worms, um dort um Unterstützung für verfolgte Evangelische in Frankreich zu bitten. Der Umgang mit dieser Mission zeigte einerseits, dass die nach Abreise der ernestinischen Delegierten in Worms verbliebenen Theologen keine klare Abgrenzung zu ihnen sahen549 – andererseits, dass auch Einigungsbemühungen auf Linie der Confessio Goeppingensis nicht durchsetzbar sein würden: Beza und seine Kollegen fanden Unterstützung für ihr Anliegen, aber keine Akteptanz ihrer Lehre. Auch von Zürcher Seite wurde die eingereichte Formel abgelehnt.550 Neben der im Vordergrund stehenden Bitte an die evangelischen Reichsstände, bei der französischen Krone zugunsten gefangen gesetzter Evangelischer in Paris und Dijon551 zu intervenieren, war mit der Delegation das Ziel einer Annäherung gegenüber der Wittenberger Reformation verbunden: Farel hat am 8.9. die Absicht, nach Worms zu reisen, und hofft, dadurch könne der Abendmahlsstreit beigelegt oder gemildert werden.552 Beza sieht es ähnlich.553 Im Hintergrund stehen wohl ihre positiven Erfahrungen mit den Württembergern im Kontext der Confessio Goeppingensis. Calvin äußert sich verhaltener, unterstützt aber den Plan, nach Worms zu reisen.554 545

Vgl. Melanchthon an Bullinger, 20.9.1557, MBW 8356 = CR 9, 283 f. (Nr. 6348). Vgl. Melanchthon an Bullinger, 23.9.1557, MBW 8364 = CR 9, 296 (Nr. 6352). 547 Vgl. Melanchthon an Bullinger, 5.10.1557, MBW 8380 = CR 9, 327 (Nr. 6369), ders. an Calvin, 8.10.1557, CR 44 = CO 16, 659 (Nr. 2735) [= MBW 8384]. 548 Vgl. Vermigli an Melanchthon, 20.10.1557, MBW 8401 = CR 9, 347–348 (Nr. 6382); Bullinger an Melanchthon, MBW 8408 = BINDSEIL 422–425 (Nr. 435). 549 Dies betont vor allem STURM, Der junge Zacharias Ursin, 97–102. 550 Das gilt der lutherischen Forschung, die zwischen den Wittenbergern und der Delegation einen theologischen Gegensatz sieht, als Beleg dafür, dass man dort die Lage realistischer eingeschätzt habe als in Genf, so SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, 301 f. Anm. 1; MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 129 f. 551 Das erschließt sich aus: Farel, Beza, Budé und Carmel an die Berner Geistlichen, 27.9.1557, Corr. Béze II, 112 f. (zu den Ereignissen in Paris und Dijon vgl. dort). 552 Vgl. Farel an Calvin, 8.9.1557, CR 44 = CO 16, 606 (Nr. 2702). 553 Vgl. Beza an Bullinger, [undatiert], CR 44 = CO 16, 614 (Nr. 2705). 554 Vgl. Calvin an Farel, 14.9.1557, CR 44 = CO 16, 622 f. (Nr. 2710); ders. an Beza, 13.9.1557, CR 44 = CO 16, 620 f. (Nr. 2709); ders. an Bullinger, 13.9.1557, CR 44 = CO 16, 619 f. (Nr. 2708). 546

538

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Wichtig dafür, dass die Gesandtschaft in Worms Unterstützung fand, war, dass sie dort Anfang Oktober nach Abreise der ernestinischen Delegiertengruppe eintraf: Da diese Gruppe eine Verurteilung Calvin als Ketzer anstrebte, hätte sie sich dem Ansinnen sicher verweigert, von Genf beeinflusste französischen Evangelische zu unterstützen. So aber hatten Beza, Farel und ihre Mitstreiter es allein mit den Theologen zu tun, die sich den Verwerfungsforderungen verweigert hatten. Bezas Bericht ist zu entnehmen, dass sich Melanchthon im Namen der evangelischen Delegierten zu einer Intervention bei den Fürsten bereit zeigte, aber die Einreichung eines Bekenntnisses forderte. Als die Delegation Calvins Katechismus vorschlug, erklärte er einen Text für nötig, aus dem hervorgehe, dass die Unterzeichner trotz Differenzen über das Abendmahl prinzipiell mit CA und Confessio Saxonica übereinstimmten, nicht die res sacramenti verwürfen und weder Täufer, Schwenckfelder noch Papisten seien.555 Der am 8.10. eingereichte Text stellt vor allem eine Erklärung über die von Melanchthon aufgestellten Rechtgläubigkeitskriterien dar: Die Unterzeichner versichern, sie selbst und die französischen Kirchen stimmten mit der Confessio Augustana überein, ausgenommen den Abendmahlsartikel. Sie hofften aber auf eine Beilegung der Streitigkeiten durch colloquia556 – das entspricht Melanchthons Plänen wie denen Bezas und Farels. Auch die Verdammung von Transsubstantiation und Brotanbetung, die auf den Satz zuläuft „retinemus propositionem, nihil habere rationem sacramenti nisi in usu instituto“557 markiert ihre Übereinstimmung mit Melanchthon und den anderen Anwesenden. Implizit gegen Westphals Vorwürfe bestreiten sie, dass das Abendmahl allein ein Bekenntniszeichen oder Symbol des abwesenden Christus sei558 und halten Christi Gegenwart im Abendmahl in relativ offener Weise fest: „Constantissime affirmamus, filium Dei missum esse, ut per eum colligatur Ecclesia, et adesse eum suo ministerio, et in Coena testificari quod faciat nos sibi membra. Et Pauli verba sequimur qui ait: Panis est κοινωνία corporis, id est res illa quam quum sumimus, filius Dei

555

Vgl. Beza an die Zürcher Pfarrer, 24.11.1557, Corr. Béze II, 132 (Nr. 120). Bezas Bericht ist sicher insofern gefärbt, als er betont, dass Melanchthon völlig mit der eigenen Seite übereinstimme und das Bekenntnis nur erbeten habe, um Verdächtigungen anderer vorzubeugen – die oben genannten Aussagen sind aber für Melanchthon durchaus plausibel. 556 Farel, Bude, Carmel und Beza an die Wormser Delegierten, 8.10.1557, Corr. Béze II, 115 (Nr. 114): „quum legerimus vestram confessionem quae Augustae exhibita est anno 1530, prorsus eam in omnibus articulis congruere cum nostris Ecclesiis judicamus, et eam amplectimur, excepto tamen uno articulo, videlicet de Coena Domini, in qua controversiae haerent, de quibus colloquia cum vestris semper expetivimus, et speramus dirimi eas posse, si eruditorum et piorum explicatio audiatur.“ 557 Vgl. ebd., dort auch das Zitat. 558 Farel, Bude, Carmel und Beza an die Wormser Delegierten, 8.10.1557, Corr. Béze II, 115 (Nr. 114).: „Nunquam hoc nos sensimus aut docuimus, Coenam Domini tantum esse signum professionis, sicut Anabaptistae sentiunt, aut sicut vociferatur Stenckfeldius aut esse signum tantum absentis Christi.“

1.5 Die Abendmahlsfrage auf dem Wormser Religionsgespräch

539

vere adest et facit nos per fidem sibi membra, et testificatur se nobis dare et applicare remissionem peccatorum, spiritum sanctum et vitam aeternam. Retinemus et Hilarii dictum: Haec sumpta et hausta faciunt ut Christus sit in nobis, et nos in eo.“559

Damit ist Melanchthons Forderung nach Definition der res sacramenti in einer Form Genüge getan, die sich zu den umstrittenen Punkten wie der Art der Gegenwart und der Verortung des Leibes Christi nicht festlegt. Insofern ist sie im Genfer wie in Melanchthons Sinne lesbar und muss selbst für die Württemberger oder Johann Marbach nicht per se problematisch sein. Die anwesenden Theologen unterstützten daraufhin das an Ottheinrich von der Pfalz, Wolfgang von Zweibrücken, Christoph von Württemberg und Philipp von Hessen gerichtete Gesuch der Schweizer um eine Gesandtschaft nach Frankreich560 mit einer Stellungnahme, in der es heißt: „Dyweil denn die Confession und lehr in allen articlen stimpt mit unsrer Confession, obgleich ein articel etwas dunkel gestellt ist, darin diese Leuth durch einen Synodum möchten gericht werden, haben wir in solcher groszen Vervolgung ihnen diesen Trost nicht nehmen wöllen.“561

Einerseits können die Unterzeichner dieses Textes – neben Melanchthon auch Brenz, Marbach und Andreae – also nach wie vor Genfer theologische Positionen als prinzipiell mit dem eigenen Bekenntnis übereinstimmend betrachten. Das unterscheidet sie von Westphals Seite. Andererseits wird die abendmahlstheologische Stellungnahme als unklar gekennzeichnet und die Formulierung kann so gelesen werden, dass die Unterstützung allein durch die Verfolgungssituation bedingt ist. Die vorbehaltlose Anerkennung, die sich Beza und Farel erhofft hatten, ist also nicht gegeben. Beza meinte allerdings, die verbleibenden Differenzen könnten ausgeräumt werden. Er berichtete nach Zürich, dass von den in Worms anwesenden Theologen „non omnes quidem, sed tamen aliqui ab nobis dissentiunt, sed placide tamen ac moderate.“562 Das beruht auf einer Einschätzung, wie sie Calvin seinerzeit in der Defensio formuliert hatte: Über die res sacramenti bestehe Einigkeit, umstritten seien allein die Verbindung von res und signum; die Frage, ob infideles ebenfalls die res empfingen, und das Verständnis der Himmelfahrt Christi, „sed tamen, si de prima quaestione semel convenerit, reliquae duae per se dissolventur, et necessario evanescent, et ubiquitatem illam spero perpaucos patronos inventuram.“563 Während Calvin angesichts der Erfahrungen mit Westphals Seite dazu übergegangen ist, seine These der Übereinstimmung mit Wittenberg primär auf Melanchthon zu beziehen, hält Beza das Problem weiter für lösbar – was vermutlich damit zusammenhängt, dass er in Worms neben 559

AaO., 115 f. Abgedruckt in Corr. Béze II, 118–120 (Nr. 115). 561 CR 9, 663. 562 Beza an die Zürcher Pfarrer, 24.11.1557, Corr. Béze II, 133 (Nr. 120). 563 Vgl. aaO., 132 f., Zitat 133. 560

540

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Melanchthon mit den Württembergern zu tun hatte: Zu deren Haltung passt es, dass er zwar sachliche Differenzen diagnostiziert, aber Einigungswillen sieht. Zu Hoffnungen sieht er sich auch insofern berechtigt, als offenbar geplant sei, einen Konvent zu veranstalten und die oberdeutschen Kirchen einzuladen.564 Nun stießen allerdings auch auf Bezas und Farels Seite das in Worms eingereichte Bekenntnis und die Einigungspläne nicht allgemein auf Zustimmung. Calvin akzeptierte den Text565 und betonte Bullinger gegenüber, Beza und Farel hätten sich zur gemeinsamen Lehre bekannt.566 Die Zürcher und Berner hingegen lehnten beides aus ähnlichen Gründen ab wie die Confessio Goeppingensis: Die Zürcher zeigten sich gegenüber einem Kolloquium skeptisch und sahen sich darin durch die in Worms erfolgte Spaltung der Evangelischen bestätigt.567 Sie betonten, einer Einigung müsse ein eindeutiges Bekenntnis der Wahrheit zugrundeliegen, die Wittenberger hingegen würden die Anerkennung der CA fordern568 und Versuche, sich dieser anzunähern, erst recht mit Polemik beantworten: Die Unterzeichner von Westphals Confessio fidei hätten auf nichts so empfindlich reagiert wie auf Calvins Umgang mit der CA.569 Insofern lehnten die Zürcher den in Worms überreichten Text ab und betonten, man hätte besser den Consensus Tigurinus eingereicht.570 Ebenso lehnten die Berner das Bekenntnis ab und erklärten Bezas Einigungshoffnungen für illusorisch.571 d) Die Abgrenzung der verbliebenen Delegierten gegen Zwingli Dass nach Abreise der ernestinischen Delegierten doch noch eine Abgrenzung gegen Zwingli erfolgte, belegt weder einen Gegensatz der in Worms verbliebenen Theologen zu Westphals Gegnern,572 noch erfolgte es gegen ihre und speziell Melanchthons Überzeugung.573 Die anwesenden Delegierten sprachen vielmehr auf altgläubigen Druck hin eine innerwittenbergisch unkontroverse 564

Vgl. aaO., 134. So berichtet es zumindest Beza an Farel, 19.11.1557, Corr. Béze II, 124 (Nr. 117). 566 Vgl. Calvin an Bullinger, 15.11.1557, CR 44 = CO 16, 692 (Nr. 2755). 567 Vgl. die Zürcher Pfarrer an Beza, 15.12.1557, Corr. Béze II, 145 f. (Nr. 124). 568 Vgl. aaO., 146. 569 Vgl. aaO., 147–149; der Bezug auf die Confessio fidei aaO., 148. 570 Vgl. aaO., 149. 571 Vgl. Berner Pfarrer an Beza, 1.1.1558, Corr. Béze II, 157 f. (Nr. 127). Ähnlich äußert sich Haller an Bullinger, 30.11.1557, CR 44 = CO 16, 717 (Nr. 2767), ders. an dens., 21.12.1557, CR 44 = CO 16, 745 f. (Nr. 2778). 572 In diesem Sinne MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 106 f. 573 So einerseits STURM, Der junge Zacharias Ursin, 104: „eine Niederlage für alle die – Melanchthon eingeschlossen –, welche die Zwinglianer hatten anhören und ihre Lehre prüfen, nicht aber über die Abwesenden hatten zu Gericht sitzen wollen“, andererseits KRÜGER, Empfangene Allmacht, 63: Die Verurteilung Zwinglis „schien zwar ein deutliches Signal für sein [i.e. Melanchthons, C.E.] Festhalten an der lutherischen Abendmahlslehre zu sein, doch wurde ihm dieser Schritt wohl eher abgenötigt, als daß er ihn aus freien Stücken getan hätte.“ 565

1.5 Die Abendmahlsfrage auf dem Wormser Religionsgespräch

541

Abgrenzung aus, um sich zu intern umstrittenen Positionen – wie derjenigen Calvins – nicht festlegen zu müssen. Nach außen führte dies jedoch zu weiteren Auseinandersetzungen: Einerseits warfen die Altgläubigen sowie Westphals Partei den Beteiligten Ketzerei vor, weil sie Westphals Gegner nicht verurteilt hätten; andererseits machte die Verurteilung Zwinglis aus Sicht eidgenössischer Kirchen eine gesamtevangelische Einigung undenkbar. Die Wendung gegen Zwingli war zentral dadurch bedingt, dass die altgläubige Partei auf dem Religionsgespräch die Evangelischen unter Druck setzte: Nach Abreise der ernestinischen Delegiertengruppe versuchte sie weitere Verhandlungen unter Verweis auf die zutage getretene innerevangelische Uneinigkeit zu unterbinden.574 Dies war insofern brisant, als die altgläubige Argumentation die reichsrechtliche Legitimation der evangelischen Partei überhaupt in Frage stellte: Aus der Protestation, welche die ernestinischen Vertreter vor ihrem Ausscheiden eingereicht hatten und darin die Verweigerung namentlicher Ketzerurteile durch die übrigen Evangelischen brandmarkten, leitete sie ab, im evangelischen Lager seien nicht der CA zugehörige, also vom Augsburger Religionsfrieden ausgeschlossene Ketzereien vertreten.575 Daraufhin erklärten die in Worms verbliebenen Theologen der evangelischen Partei am 21. Oktober: „Nec Ecclesiae nostrae nec nos Zwinglii dogma, aut ullas opiniones pugnantes cum nostra confessione probamus aut amplectimur.“576 Dass dies keine Festlegung zugunsten Westphals darstellte, sondern den Versuch, durch Formulierung einer innerwittenbergisch unstrittigen Abgrenzung die Verdammung intern umstrittener Lehren zu vermeiden, legen diverse Äußerungen Melanchthons nahe. So hatte er August von Sachsen mitgeteilt: „so wir im Colloquio fortschritten, mußten wir dennoch eine gewisse Form fassen wider päpstliche Abgötterei, und wider zwinglischen Irrtum“577. Die Schuld für die Debatten, die das nötig machten, sieht er aber bei Timann, Westphal und ihren Anhängern, denen er „viel ungereimter Reden“ vorwirft.578 Auch im Vorfeld des Frankfurter Rezesses 1558 sollte er sich gegen Westphal und Zwingli abgrenzen, nicht aber gegen Westphals aktuelle Gegner.579 Die Frage, ob diese analog zur Straßburger Reformation anzuerkennen seien, hielt er in der Schwebe, während die Württemberger – ebenfalls analog zum Umgang mit Straßburg – hofften, die Genfer (ohne Zürich) zu ihrem Verständnis

574 Vgl. zum Ablauf dieser Diskussionen im Einzelnen VON BUNDSCHUH, Wormser Religionsgespräch, 475–491. 575 Vgl. etwa den aaO., 477 f. zitierten Bericht Simon Thaddäus Ecks über die Verhandlungen am 6. Oktober. Zu Inhalt und Geschichte der Protestationsschrift vgl. SLENCZKA, Wormser Schisma, 462–470. 576 MBW 8403 = CR 9, 352. 577 Melanchthon an August von Sachsen, 19.10.1557, MBW 8398 = CR 9, 344 (Nr. 6350). 578 Ebd., dort auch das Zitat. 579 Vgl. u. Kap. V.2.1a.

542

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

der CA ziehen zu können. Die Abgrenzung gegen Zwingli war hingegen seit dem Ersten Abendmahlsstreit innerwittenbergisch unkontrovers. Die Ausgrenzung Zwinglis, nicht aber Calvins wurde freilich nicht nur von Westphal und seinen Mitstreitern als Beleg dafür gesehen, dass die in Worms verbliebenen Theologen heimlich Sympathien für abendmahlstheologische Häretiker hegten,580 sondern auch von den altgläubigen Theologen in Worms: Sie argumentierten, a Lasco und Calvin beriefen sich auf die CA, obwohl „unleugbar [sei], das beide Calvinus und Lasko de praesentia corporis Christi in eucharistia secundum veritatem substantiae gar nichts halten“ und es sich um „newen und etwas vermantelten Zwinglianismus“.handle.581 Petrus Canisius führte sogar Auszüge aus Calvins Ultima admonitio an, um die theologische Übereinstimmung Melanchthons mit Calvin zu belegen,582 und argumentierte, da sich die CA-Vertreter gegen solche Aussagen nicht abgrenzten, wollten sie offenbar diese Lehre in den Schutz des Augsburger Religionsfriedens aufnehmen. Daher sei das Religionsgespräch zu beenden.583 Angesichts der unversöhnlichen Positionen der evangelischen und der altgläubigen Seite kam es Anfang Dezember dann tatsächlich zum Abbruch des Gesprächs.584 Bei den Schweizern beförderte die Ausgrenzung Zwinglis dagegen die Ablehnung weiterer Einigungsbemühungen. Insbesondere gilt dies für die Zürcher, die sich damit verurteilt sahen: So erklärte Bullinger, die Wendung gegen Zwingli zeige, wie Melanchthon mittlerweile denke. Mit dem namentlichen Verdammungsurteil, das die evangelischen Vertreter auf den Reichstagen bisher verweigert hätten, habe die altgläubige Seite die Spaltung der Evangelischen erreicht.585 Weniger klar ist Calvins Haltung: Einerseits äußert er Bullinger gegenüber, das hätte er von Melanchthon und Brenz nicht erwartet. Nun stehe keine Rücksicht mehr dem eigenen Wahrheitsbekenntnis im Weg.586 Den Straßburgern gegenüber erhofft er sich dagegen einen Sinneswandel Melanchthons und bittet sie, sich für eine Einigung einzusetzen.587

580

Vgl. u. Kap. V.1.5e. So die Antwort der altgläubigen Theologendelegation vom 27.10. auf den Protest der evangelischen Delegierten, zitiert nach VON BUNDSCHUH, Wormser Religionsgespräch, 490. 582 Vgl. VON BUNDSCHUH, Wormser Religionsgespräch, 490 f. Nach aaO., 491 f. Anm. 44 handelte es sich bei den Auszügen um die Passagen CR 37 = CO 9, 141–149.177–179. 583 Vgl. ebd. 584 Vgl. zum Ablauf VON BUNDSCHUH, Wormser Religionsgespräch, 491–507. 585 Bullinger an Calvin, 12.1.1556, CR 45 = CO 17, 16 (Nr. 2791): „21. Octobris oblata ipsi quoque protestatione praesidi nominatim condemnarunt Zwinglium, et quidem solum […]. Habemus ergo nunc declarationem Phlippi, quid nunc de eucharistia sentiat. […] Post oblatam illam protestationem papistae in colloquio pertinacius quam antea progredi noluerunt. Habuerunt enim quod voluerunt et quaesierunt. Hactenus in tot comitiis non potuit impetrari a principibus evangelicis ut ipsi nominatim voluerunt damnare Zwinglium.“ 586 Vgl. Calvin an Bullinger, 23.3.1558, CR 45 = CO 17, 61 (Nr. 2813). 587 Vgl. Calvin an Hotman, 10.1.1558, CR 45 = CO 17, 14 f. (Nr. 2790). 581

1.5 Die Abendmahlsfrage auf dem Wormser Religionsgespräch

543

In der Folge war eine Einigung der nicht Westphals Partei angehörigen Wittenberger Theologen mit der gesamten Schweizer Reformation nicht mehr möglich: Zwischen den Genfern und Melanchthons Anhängern existierte weiterhin keine Abgrenzung (was noch wichtig werden sollte), aber für die Genfer wäre eine Einigung mit gemäßigteren Wittenbergern nur noch um den – für sie inakzeptablen – Preis eines Bruchs mit Zürich möglich gewesen. e) Gegen Calvin und gegen die in Worms verbliebenen Theologen: Westphals Confutatio enormium mendaciorum Westphals unmittelbar nach dem Wormser Religionsgespräch entstandene Confutatio aliquot enormium mendaciorum588 wendet sich formal gegen Calvins Ultima admonitio, offenbart daneben aber ein ambivalentes Verhältnis zu Melanchthon: Einerseits verketzert Westphal in seiner Vorrede eine Haltung, mit der eigentlich nur die nach Abreise der ernestinischen Gruppe in Worms verbliebenen Theologen gemeint sein können; andererseits hält er gegen Calvin seinen Anspruch fest, mit Melanchthon übereinzustimmen. Die Schrift scheint Anfang 1558 fertig gewesen zu sein,589 aber erst zur Herbstmesse gedruckt vorgelegen zu haben: Aufgrund der Frankfurter Druckzensur konnte Braubach sie nicht veröffentlichen; Bemühungen bei Fabricius in Straßburg (dem Drucker von De dignitate baptismi) waren ergebnislos geblieben.590 In der Vorrede zur Confutatio unterstellt Westphal – nachdem es nicht gelungen ist, seine Haltung in Worms als evangelisch normativ durchzusetzen – erstmals explizit einer als melanchthonisch erkennbaren Position Häresie: Theologen, welche die Lehre Zwinglis, aber nicht Calvins verdammten, seien heimliche Sakramentierer. Da Calvin aus seiner Sicht die gleiche Ketzerei vertritt wie die Zürcher, ist eine Verdammung Zwinglis für ihn nur dann glaubwürdig, wenn zugleich Calvins Partei verdammt wird.591 Zwingli, aber nicht 588 Vgl. WESTPHAL, JOACHIM, CONFV-||TATIO ALIQVOT || ENORMIVM MEN-||daciorum Ioannis Caluini, secu-||turae Apologiae aduersus eius || furores […], Oberursel 1558, VD16 W 2278. Auch diese Schrift ist in der Literatur kaum berücksichtigt worden: GREVE, Memoria Westphali, 131, und VON SCHADE, Joachim Westphal und Peter Braubach, 46, erwähnen sie knapp; KRUSKE, a Lasco und der Sakramentsstreit, bringt einzelne Zitate daraus (vgl. z.B. aaO., 196); aber niemand bietet eine nähere Interpretation des Inhalts. 589 Westphal bat zu diesem Zeitpunkt Hartmann Beyer, sich um die Veröffentlichung zu bemühen, vgl. Westphal an Beyer, 4.1.1558, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 233 (Nr. 2.7); zur Identifikation der hier genannten Apologia mit der Confutatio aaO., 124. 590 Vgl. aaO., 124 f. 591 WESTPHAL, Confutatio aliquot enormium mendaciorum, A3r–A3v: „Nonnulli occulti Sacramentarij dicunt se damnare errorem Cinglij, et tamen errorem Caluini non damnant, cum quidem ille sit totus Cinglianus. Scribit enim Cinglium oppugnasse corporalem Christi praesentiam, et sibi decretum esse eandem oppugnare usque ad extremum spiritum. Consensionem scripsit cum Tigurinis, qui nunquam damnare se doctrinam sui Cinglij professi sunt. Docet spiritualem manducationem, quam solam Cinglius quoque propugnauit, exclusa et

544

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Calvin zu verdammen, entspricht Melanchthons in Worms vertretener Haltung. Es ist zwar unklar, ob Westphal im Oktober 1557592 schon über die Verurteilung Zwinglis am 21.10. informiert war. Selbst wenn das nicht der Fall war, konnte er aber angesichts seiner Verbindungen zu den Anfang Oktober abgereisten Teilnehmern von der Verweigerung namentlicher Verdammungsurteile erfahren haben. Auch die Information, dass Melanchthon sich gegen Zwingli wende, muss nicht aus Worms stammen: Wie Westphal festhält,593 wusste er (als Teilnehmer der Delegation, die versucht hatte, dort zwischen Melanchthon und Flacius zu vermitteln594) davon seit dem Coswiger Gespräch im Januar. Ein weiterer Aspekt wird auf Calvin bezogen, entspricht aber dem Konflikt mit Melanchthon: Westphal verwahrt sich gegen den Vorwurf, er kämpfe für Brotanbetung und Transsubstantiation. Die von Melanchthon abgelehnte Anbetung Christi in den Elementen fordert er (anders als Hachenburg) zwar nicht, hält sie aber für legitim: Er wirft den Gegnern vor, aus einer Anbetung des im Brot präsenten Christus auf eine Anbetung des Brotes zu schließen.595 Zugleich beansprucht Westphal im gegen Calvins Ultima admonitio gerichteten Hauptteil des Werks weiterhin Melanchthon für die eigene Position und bezieht dies nicht nur auf die Vergangenheit, sondern führt dafür auch aktuelle Belege an: In Reaktion auf Calvins Forderung, er solle Melanchthons Urteil

oppugnata ueri Corporis Christi manducatione. Vtitur omnino ijsdem argumentis, quibus Cinglius usus est, deprauat ac pro se detorquet easdem scripuras, quas Cinglius corrupit et ad suum dogma detorsit. Non est igitur uerisimile, quenquam ex animo uere improbare Cinglianismum, nisi ingenue et simpliciter eius sectatores Caluinistas et propugnatores disseminati a Cinglio, et Carolstadio damnare et auersari se profiteatur: suamque operam pro sua uocatione et dono conferat, ad ornandam et tuendam doctrinam de coena Domini, quae magno consensu, dum uiueret Lutherus, defensa et custodita est.“ 592 So die Datierung seiner Vorrede, vgl. aaO., A3v. 593 Vgl. aaO., A8v. 594 Vgl. zur Rolle der Hamburger beim Coswiger Gespräch GREVE, Memoria Pauli ab Eitzen, 24–30. 595 WESTPHAL, Confutatio aliquot enormium mendaciorum, A2r–A3r: „Spargunt de nobis suas fabulas, nos mouisse certamen de adoratione et conuersione Panis. Credo, doceo et defendo uerum Christi corpus et sanguinem uere adesse, dispensari et sumi in Eucharistia administrata secundum eius institutionem: nunquam cogitaui, multo minus certamen de hoc moui, quod panis conuertatur in Christi corpus, et quod panis sit adorandus. Quod Caluinus et alij quidam haec falso nobis imputant, et hanc consequentiam de suo addunt nostrae doctrinae, qua affirmamus Christi corpus et sanguinem praesentia distribui et sumi, cum uel in pane et uino. Ea consequentia perinde ualet, ac si quis calumniaretur, prophetas dociusse tabernaculum uel templum esse adorandum, eo quod crediderint Deum olim in tabernaculo uel in templo praesentem fuisse, ibique eum adoruerint. Similis plane est consequentia in hac uitiosa argumentatione, pij credunt Christum adesse in Sacramento, et praesentem uera fide secundum praescriptum uerbi adorant. Ergo credunt et docent panem esse adorandum. Reuerenter apus nos dispensatur Eucharistia: non propterea docemus panem conuerti in corpus Christi, neque panis adorationem statuimus.“

1.5 Die Abendmahlsfrage auf dem Wormser Religionsgespräch

545

einholen, betont er, dass Melanchthon im Gespräch über die Coswiger Einigungsartikel eine Verurteilung Zwinglis akzeptiert habe;596 der Argumentation, dass Melanchthon seine Auffassung mittlerweile geändert habe, stellt er entgegen, dass die Zitate in der Philippi Melanchthonis sententia bis ins Jahr 1556 reichten.597 Hier erscheint Melanchthons Verurteilung Zwinglis, wie früher bei Westphal und im Gegensatz zu den in der Vorrede geäußerten Vorwürfen, als Verurteilung auch von Calvins Position. Offenbar will Westphal Melanchthon als Wittenberger Autorität für seine eigene Haltung beanspruchen, obwohl er zugleich sein Verhalten in Worms (ohne Namensnennung) scharf kritisiert. Zudem verteidigt Westphal sich selbst und die Beiträger der Confessio fidei gegen Calvins Ultima admonitio. Dabei geht es weniger um theologische Details (dafür kündigt er die ausführlichere Apologia an598), als um Argumente, mit denen Calvin die Legitimität von Westphals Vorgehen in Frage gestellt hatte. Besonders wichtig ist es Westphal, die Assoziation mit einer Position zu widerlegen, deren ketzerischer Charakter unstrittig ist: Calvins These, dass ein Beitrag zur Confessio fidei von einem Anhänger Servets stamme, bestreitet er nicht nur,599 sondern fügt auch einen Text des Betroffenen (Wilhelm Nicolai) an, in dem dieser Servets Lehre bestreitet.600 Interessant im Hinblick auf das soeben beendete Religionsgespräch ist, dass Westphal sich auf sein in Worms eingereichtes Bekenntnis beruft, um zu belegen, dass er nicht grundsätzlich gegen Kolloquien sei601 – ein Kolloquium dürfe aber nicht zur Infragestellung von Lehren dienen, die gewiss seien.602 Besonders heftig bestreitet er auch den Vorwurf, die Verfolgung von Christen zu befördern, und beruft sich auf seine Übereinstimmung mit Schrift, altkirchlichen Bekenntnissen und Confessio Augustana, um zu belegen, dass er die Sache der Kirche verteidige.603 Die Schrift wendet sich also gegen verschiedene Entwicklungen, die infrage stellen, dass Westphals Position kirchlicher Konsens ist: Calvins Ketzervorwürfe einerseits, die Wormser Verweigerung eines Verdammungsurteils gegen

596

Vgl. aaO., A6v–A8v, bes. A8v: „Dedit nobis Melanchthon responsum ad primum nostrum articulum, propositum de constituenda concordia, in quo errores Sacramentariorum reijciuntur. Hunc articulum ille recepit, non ignarus pro errore haberi in Ecclesijs nostris dogma Sacramentariorum de coena Domini.“ 597 Vgl. aaO., B1r–B1v. 598 Vgl. aaO., A4v. 599 Vgl. aaO., B7v–C3r. 600 Die „Epistola docti et pii cvivsdam viri, qva macvlam serviticae haeresis aspersam sibi a Calvino abstergit“ in WESTPHAL, Confutatio aliquot enormium mendaciorum, E1r– E8r. Zur Identifikation des bei Westphal anonymen Autors SILLEM I, 211 f. 601 AaO., C8v–D1r: „Confessio mea oblata hoc anno, collocutoribus ex nostra parte congregatis Vuormatiae testatur, nihil ueri esse in accusatione de aditu praecluso legitimae cognitioni et de recusato colloquio.“ 602 Vgl. aaO., C7v–C8v. 603 Vgl. aaO., D5r–D6r.

546

V.1 Normierungsversuche im Hinblick auf das Religionsgespräch

Calvin andererseits. Dagegen erneuert Westphal seinen Anspruch, dass nicht die Position der in Worms verbliebenen Theologen, sondern seine eigene den Konsens der Wittenberger Reformation darstelle. Die Ambivalenz in der Beurteilung Melanchthons lässt sich dann entweder so lesen, dass Westphal Melanchthon unter Druck setzen will, aus der Verurteilung Zwinglis die (für Westphal) logische Konsequenz zu ziehen und auch Calvin zu verurteilen, oder so, dass er Melanchthon nicht mehr auf die eigene Seite rechnet, aber für seinen Anspruch auf den Wittenberger Konsens die formale Berufung auf ihn benötigt. Welches von beiden gemeint ist, bleibt – vielleicht absichtlich – unklar. Dass Westphal damit innerhalb der eigenen Streitpartei keineswegs eine Extremposition einnahm, zeigen die ähnlich motivierten, aber deutlich heftigeren Vorwürfe, die Nikolaus von Amsdorf 1558 im Öffentlichen Bekenntnis erhob: In Bezug auf die Abendmahlsfrage wirft er den in Worms verbliebenen Theologen vor, durch ihre fehlende Verurteilung der „Zwinglianer“ selbst von der CA abgewichen zu sein:604 Gemäß dieser Position ist der kirchliche Konsens nicht erst dann gestört, wenn davon abweichende Lehren approbiert, sondern schon, wenn sie nicht explizit verurteilt werden. Wie scharf dies gefasst ist, zeigt sich daran, dass Amsdorf als Beispiel für eine aus seiner Sicht inakzeptable Haltung gegenüber Westphals Gegnern nicht etwa Äußerungen Melanchthons anführt, sondern Andreaes Kurzen und einfältigen Bericht und dessen von Brenz verfasste Vorrede605 – also einen Text, der auf dogmatischer Ebene mit Westphals Position kompatibel ist, aber die Lehre von dessen Streitgegnern wohlwollend interpretiert. Schon das ist aus Amsdorfs Perspektive der Versuch einer Vereinigung von Luther und Zwingli und eine von der CA abweichende Position. Diese scharfe Abgrenzung zwischen den in Worms vertretenen Theologengruppen sollte sich in Frankfurter Rezess und Weimarer Konfutationsbuch dann auch kirchenpolitisch auswirken.606 604 AMSDORF, NIKOLAUS VON, Offentliche || Bekentnis der reinen lere des Euan=||gelij / Vnd Confutatio der jtzigen || Schwermer.|| […], Jena: Thomas Rebart 1558, VD16 A 2382, A4r–A4v: „wiewol die Theologen / so im Colloquio zu Wormbs / nach der vnsern abschied geblieben sind / ffentlich ausgeschrieben haben / das sie bey der Augsburgischen Confession bleiben wollen / So thun sie doch mit der that dawider / Denn dieweil sie die Zwinglianer vnd Osiandristen nicht verdamnen / So knnen sie bey der Augsburgischen Confession nicht bleiben / Sondern sein schon dauon abgewichen vnd abgefallen […] Dieweil aber die Augsburgische Confession bekennet vnd saget / das Christus blut / leiden vnd sterben vnser gerechtigkeit ist / Vnd das das Brod im Abendmal der Leib Christi sey / So kan sie des Zwingels vnd Osianders schwermerey neben sich nicht leiden / Derhalben reimet sichs nicht zusamen / bey der Augsburgischen Confession bleiben / vnn Zwinglium vnd Osiandrum entschldigen / oder verteidingen.“ 605 AMSDORF, Offentliche Bekenntnis, A3v–A4r: „Etliche sagen / sie verdamnen den Cinglianismum / Aber B. Vorred vber D. Jacobs Buch zu Gppingen / zeuget viel anders. Denn darinn wollen sie Lutherum / Gottseligen / vnd Cinglium concordiren / Si dijs placet / Quod plane impossibile est. Wer hat je gehrt / das man contradictoria concordiren knne?“ 606 Vgl. u. Kap. V.2.1.

1.6 Ergebnisse

547

1.6 Ergebnisse 1.6 Ergebnisse

Mit den Ereignissen im Kontext des Wormser Religionsgesprächs 1557 war unübersehbar zutage getreten, was sich während des Abendmahlsstreits herauskristallisiert hatte: Es würde keiner Streitpartei gelingen, ihre Abendmahlslehre und ihre Vorstellung evangelischer Identität als gesamtreformatorisch normativ durchzusetzen. Westphals Partei musste zur Kenntnis nehmen, dass nicht alle Theologen und Fürsten der Wittenberger Reformation gewillt waren, Calvins gesamte Streitpartei pauschal zu verketzern. Was schon an den Stellungnahmen Melanchthons und der Württemberger deutlich geworden war, wurde auf dem Wormser Religionsgespräch reichspolitisch relevant: Mit der Abreise der ernestinischen Fraktion und dem Beschluss der verbliebenen Theologen, Zwingli, nicht aber Calvin zu verwerfen, war Westphals normativer Anspruch vorläufig gescheitert. Umgekehrt war aber auch Westphals Partei nicht nur zu stark, als dass sich ein anderes Modell als wittenbergisch normativ hätte durchsetzen können; ihr Beharren auf der Verbindlichkeit ihrer Verwerfungsurteile und der Abbruch des Gesprächs ließen auch die Normierungsversuche Melanchthons und der Württemberger erfolglos bleiben. Bei Calvin führte die große Unterstützung für Westphal zu Ernüchterung im Hinblick auf die Durchsetzbarkeit seines normativen Anspruchs; auch die dogmatische Position der Württemberger war aus seiner Sicht problematisch. Insofern gab er seinen Anspruch auf Einigkeit mit der Wittenberger Reformation zwar nicht auf, bezog ihn aber de facto nur noch auf Melanchthons Partei, während er Westphals Seite verketzerte. A Lascos Plan, seine Lehre als CA-konform anerkennen zu lassen, scheiterte an Brenz und Herzog Christoph; das von Beza und Farel vertretene Konzept am Veto der Zürcher und Berner. Bullinger, der seit langem den Versuch einer Einigung mit der Wittenberger Reformation für aussichtslos und theologisch problematisch erklärt hatte, sah sich bestätigt. Zugleich sind Ergebnis dieser Phase nicht zwei eindeutige konfessionelle Gruppen: So erschien eine Einigung zwischen Württembergern, Genfern und dem dazwischen stehenden Spektrum noch möglich; sie wäre aber für Genf nur um den Preis des Bruchs mit Zürich möglich gewesen, für die Württemberger nur um den Preis des Bruchs mit Westphals Seite. Beides wollte niemand in Kauf nehmen. Da Melanchthon sich nun gegen Westphal und gegen Zürich abgrenzte, war ihm der Weg zu einer Einigung mit Westphals Partei ebenso versperrt wie zu einem Konsens mit Westphals Gegnern als Gesamtgruppe. Auf Westphals Seite war unklar, welche wittenbergischen Theologen ihre Position einschließen sollte – speziell in Bezug auf Melanchthon. Zu gesamtreformatorischen Normierungsversuchen kam es daher vorläufig nicht mehr – auch wenn alle Beteiligten prinzipiell ihren Anspruch beibehielten, für die ganze Reformation zu sprechen. Infolgedessen nahm auch der Zweite Abendmahlsstreit ein Ende. Jedoch entstanden noch einige abschließende Schriften mit der Zielsetzung eines letzten Worts für die Nachwelt.

Kapitel V.2

Die Beendigung des Abendmahlsstreits (1558/59) In den Jahren 1558 und 1559 erschienen nicht nur die letzten Schriften des überregionalen Zweiten Abendmahlsstreits; auch die Beteiligten erklärten die Debatte explizit für beendet:1 Westphal und Calvin äußerten dies in Briefen; Westphal verfasste ein abschließendes Kompendium; Beza reagierte darauf und schloss sich dann Calvins Gesprächsabbruch gegenüber Westphal an. Diese Texte haben in der Forschung noch weniger Aufmerksamkeit gefunden als die Schriften früherer Streitphasen2 – in der Tat bringen sie auf theologischer Ebene kaum Neues. Wichtig für die Geschichte des Zweiten Abendmahlsstreits sind sie, weil an ihnen die Situation am Ende der Debatte erkennbar wird: Sie zeigen, welche Abgrenzungen zwischen Westphals Partei einerseits, den Anhängern des Consensus Tigurinus andererseits sich mittlerweile herausgebildet hatten, aber auch, welche Fragen offen geblieben waren: in theologischer Hinsicht, aber auch im Verhältnis zwischen den Streitparteien und den auf dem innerreformatorischen Spektrum zwischen ihnen stehenden Strömungen.

2.1 Kirchenpolitische Fronten der evangelischen Reichsstände 2.1 Kirchenpolitische Fronten der evangelischen Reichsstände

Parallel zu den letzten Streitschriften entstanden, spiegeln Frankfurter Rezess und Weimarer Konfutationsbuch die Fronten, die sich im Kontext des Wormser Religionsgesprächs herausgebildet hatten. Dieses Nebeneinander zweier theologisch-kirchenpolitischer Normierungsversuche zeigt, welche Fragen innerhalb der Wittenberger Reformation – nicht nur, aber auch im Hinblick auf die Abendmahlslehre und das Verhältnis zu anderen reformatorischen Strömungen – am Ende des Zweiten Abendmahlsstreits nicht abschließend geklärt waren: Im Folgenden sollten sie Stoff neuer Auseinandersetzungen werden.

1 TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 208, und PETTEGREE, London Exile Community, 247, bemerken dies bereits, bieten aber keine umfassende Analyse des Sachverhalts. 2 So behandeln STÄHELIN, Johannes Calvin II, und SCHMID, Kampf der lutherischen Kirche, diese Streitphase überhaupt nicht; auch die übrige Literatur bietet oft allenfalls Erwähnungen (vgl. u. bei den einzelnen Schriften). MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 114–142, paraphrasiert seinem üblichen Verfahren gemäß wichtige Argumente.

550

V.2 Die Beendigung des Abendmahlsstreits

a) Einigungsversuch und mehrdeutige Abendmahlsaussagen: Der Frankfurter Rezess Da die in Worms zutage getretene Uneinigkeit die evangelischen Stände schwächte, bemühte man sich umgehend um eine neue Einigung. Ein erstes Ergebnis dieser Bemühungen war der Frankfurter Rezess: Hatte Melanchthon schon für ein Gespräch der in Worms verbliebenen Theologen im November 1557 eine Formula consensus entworfen, sandte er August von Sachsen im Januar 1558 eine überarbeitete Fassung.3 Anlässlich der Übertragung der Kaiserwürde auf Ferdinand I. hielten Kursachsen, Kurpfalz, Kurbrandenburg, Hessen, Württemberg und Zweibrücken Ende Februar einen Konvent in Frankfurt ab4 und einigten sich auf einen an Melanchthons Vorlage angelehnten Text.5 Hinter der Einigung im Frankfurter Rezess stand – auch im Hinblick auf den Abendmahlsstreit – eine Pluralität von Positionen. Melanchthon hatte sich kurz zuvor im Bedenken vom Synodo6 gegen Westphals Streitpartei gewandt. Dort heißt es im Anschluss an eine Auseinandersetzung mit Transsubstantiationslehre und altgläubiger Sakramentsanbetung, die er als idololatria ansieht:7 „Nun sind viel der Unsern, die solchen Irrthum strken, als neulich ein Esel zu Erffort von den Partikeln, die auf die Erde fallen, geschrieben hat, daß es der Leib Christi sey, und soll angebetet werden. Und wre von vielen andern dergleichen zu reden. So haben die Bremischen Prdicanten einen Artikel gestellet, das Brod sey essentiale corpus Christi, und der Wein sey essentialis sanguis Christi. Dazu hat Westphalus zu Hamburg ein Buch lassen ausgehen, und viel subscriptiones dazu gesammelt, und hat dieses Fundament: der Leib Christi sey an allen Orten, in Stein und Holz. Diese Reden sind neu in der Christenheit von Anfang bis auf diese Zeit […]. Denn diese propositio ist wahr: Christus est ubique communicatione idiomatum, wie er spricht: ego in eis. Item: in medio eorum sum. Dieses hat einen andern verstand denn diese Rede: Corpus est ubique.“8

Mit dem „Esel zu Erffort“ ist der dortige Pastor und Mitstreiter Westphals, Hachenburg, gemeint, der in seiner Streitschrift eine Anbetung des Sakraments und ein Auflecken verschütteter Elemente gefordert hatte – mit der Begründung, dass Christus nach dem Sprechen der Einsetzungsworte dauerhaft in den Elementen präsent sei, auch außerhalb des eigentlichen Abendmahlsvorgangs. 3 Der Text der Erstfassung in CR 9, 365 f. (Nr. 6399) = MBW 8425, die überarbeitete Version in CR 9, 406–411 = MBW 8494. Vgl. zum Frankfurter Rezess und seiner Vorgeschichte insgesamt DINGEL, IRENE, Melanchthons Einigungsbemühungen zwischen den Fronten: Der Frankfurter Rezeß, in: Jörg Haustein (Hg.), Philipp Melanchthon. Ein Wegbereiter für die Ökumene, Göttingen 21997 (Bensheimer Hefte 82), 121–143, zur Formula consensus und ihren Bearbeitungsstufen auch SLENCZKA, Wormser Schisma, 507. 4 Vgl. DINGEL, Frankfurter Rezeß, 131 f. 5 Abgedruckt in CR 9, 489–507 (Nr. 6483); zum Verhältnis zwischen Vorlage und endgültigem Text vgl. DINGEL, Frankfurter Rezeß, 137. 6 Abgedruckt in CR 9, 463–478 (Nr. 6471) = MBW 8543. 7 Vgl. aaO., 470. 8 AaO., 470 f.

2.1 Kirchenpolitische Fronten der evangelischen Reichsstände

551

Dies hatte er in scharfer, verketzernder Weise gegen die Ansicht gewandt, dass Christus nur in usu im Abendmahl präsent sei9 – und damit gegen die Haltung, die Melanchthon seit langem vertrat und (wie er auch im Bedenken unter Verweis auf die Debatten mit Altgläubigen beim Regensburger Religionsgespräch festhält10) als unabdingbar für eine adäquate Abgrenzung gegen die altgläubige Sakramentsanbetung ansah. Daher erhebt er gegen Westphals Partei den Vorwurf, solche idololatria zu befördern: nicht nur gegen Hachenburg, der explizit eine Anbetung des Sakraments gefordert hatte, sondern auch gegen Westphal und das gegen Hardenberg gerichtete Bremer Bekenntnis. Für Melanchthon läuft die dort vertretene Wesensidentität von Elementen und Leib Christi auf die gleiche Problematik hinaus wie Hachenburgs Ansicht, und er betont, diese Auffassung basiere auf einem der altkirchlichen Lehre nicht gemäßen Verständnis der Ubiquität Christi. Das entspricht den seit 1557 von ihm formulierten Abgrenzungen gegen Westphals Partei.11 Zugleich weist Melanchthon zwar die – Zwingli zugeordnete – Position zurück, dass es sich beim Abendmahl um ein rein äußerliches Bekenntniszeichen handle,12 äußert sich aber nicht zur Haltung von Westphals aktuellen Gegnern. Dagegen hatte Christoph von Württemberg im Vorfeld des Frankfurter Treffens gefordert, „Das auch auf solchem conventu bedacht wurde, wie ein christenliche conciliation mit den Schweizern und exteris ecclesiis zu treffen sein möchte, sie von iren irthumben abzuweisen.“13 Das entspricht der württembergischen Perspektive, wie Andreae sie 1557 vertreten hatte:14 Westphals Gegner sollen zwar (anders als bei Westphals Partei) in die Einigung integriert werden, aber ihre Position wird (anders als bei Melanchthon) als Irrtum qualifiziert. In Anbetracht des Spektrums an Auffassungen unter den Unterzeichnern liegt die Integrationskraft des Frankfurter Rezesses auch in Bezug auf die

9

Vgl. o. Kap. V.1.2b. Vgl. CR 9, 472 (Nr. 6471) = MBW 8543; zur Entwicklung dieses Arguments bei Melanchthon o. Kap. V.1.2a. 11 Vgl. ebd. Dass Brenz gemeint ist, der ebenfalls ein ubique des Leibes Christi vertritt (so MAHLMANN, Das neue Dogma, 175 f.), ist nicht nur deshalb unwahrscheinlich, weil Melanchthon sich hier explizit gegen Westphal wendet (so auch BRANDY, Christologie des Johannes Brenz, 31), sondern auch, weil Melanchthon solche Vorwürfe bisher nie auf Brenz bezogen hatte. Eventuell hängt das damit zusammen, dass beide in Worms gemeinsam gegen die ernestinische Partei agierten und Brenz bisher im Abendmahlsstreit eine moderate Position vertrat (vgl. o. Kap. V.1.3; V.1.5) – anders als dann ab 1559 (vgl. u. Kap. VI.1.2). 12 CR 9, 473 (Nr. 6471) = MBW 8543: „Daß aber Zwinglius und andere allein dieses sagen: es sey ein ußerlich Zeichen, und der Herr Christus sey nicht wesentlich dabei; Item, es sey nur ein Zeichen, dabei sich die Christen kennen: diese Reden sind unrecht.“ 13 Christoph von Württemberg an Melanchthon, 1.12.1557, ERNST IV, 457 f. (Nr. 364) = MBW 8444. Zu den politischen Absichten, die Herzog Christoph mit dieser Position verband, vgl. LANGENSTEINER, Für Land und Luthertum, 339–342. 14 Vgl. zu Andreaes Haltung o. Kap. V.1.3c. 10

552

V.2 Die Beendigung des Abendmahlsstreits

Abendmahlslehre darin, dass er sich als bloße Wiederholung von CA und Apologie versteht, auf namentliche Verurteilungen verzichtet und theologisch Spielraum lässt:15 Ganz melanchthonisch wird festgehalten „es kann nichts Sacrament seyn außerhalb der gttlichen Einsetzung“16 und betont, dass „in dieser, des Herrn Christi, Ordnung seines Abendmahls, er wahrhaftig, lebendig, wesentlich und gegenwrtig sey.“17 Abgrenzungen erfolgen aber nur gegen Messe, Transsubstantiation, Prozessionen und „falsche Anbetung“18 sowie dagegen, „daß der Herr Christus nicht wesentlich da sey, und daß dieses [!] Zeichen allein ußerliche Zeichen seyen.“19 Diese Aussagen sind – zumal jegliche christologische Festlegung vermieden wird – offen für ein recht breites Spektrum von Abendmahlstheologien: Nicht nur Melanchthon, die Württemberger und andere in Frankfurt anwesende Stände konnten dem Text zustimmen, sondern auch Hardenberg und die Frankfurter Flüchtlinge20 – ein von Melanchthon wohl intendierter Umstand. Zugleich dürften sich die Unterzeichner erhofft haben, durch das Festhalten einer wesenhaften Präsenz und die Abgrenzung nur gegen falsche Anbetung auch die Partei Westphals und der Ernestiner gewinnen zu können: Darum bemühten sie sich im Folgenden.21 b) Widerspruch von Westphals Partei und verketzernder Gegenentwurf: Das Weimarer Konfutationsbuch Wenngleich die Unterzeichner des Frankfurter Rezesses versuchten, alle evangelischen Reichsstände in die Einigung einzubeziehen, stieß der Text bei Westphals Mitstreitern gerade aufgrund seiner theologischen Offenheit auf Ablehnung. Mit dem Weimarer Konfutationsbuch entstand ein alternativer theologisch-kirchenpolitischer Normierungsversuch, der die Position der ernestinischen Partei in Worms und der Partei Westphals im Abendmahlsstreit spiegelt. Die Begründungen, mit denen etwa die Hamburger Pfarrer den Frankfurter Rezess ablehnten, entsprechen der Position von Westphals Streitpartei: „Vom Wesen der Sacramenten werden gemeine Reden und fast Zwinglische gesetzt. Denn daß Christus im Abendmahl, wahrhafftig, lebendig, wesentlich und jegenwertig sey sagen auch die Zwingler. Darum muß da klar ausgedrucket werden, daß Christus uns seinen wahren Leib, und sein wahres Blut zu essen und zu trincken laut seiner Wort und Zusage gebe.“22

15

Diese Aspekte hebt DINGEL, Frankfurter Rezeß, 133, als charakteristisch für den Text insgesamt hervor. 16 CR 9, 499 (Nr. 6483). 17 CR 9, 499 (Nr. 6483). 18 Vgl. CR 9, 499 f. (Nr. 6483), Zitat 499 (dort im Dativ). 19 CR 9, 500 (Nr. 6483). 20 Vgl. u. Kap. VI.1.1. 21 Vgl. zu den Bemühungen um weitere Unterzeichner DINGEL, Frankfurter Rezeß, 131. 22 A. 1558 Einige Mngel in dem Franckfurtischen Abschiede, in: GREVE, Memoria Pauli ab Eitzen, 36 (Add. VI.). AaO., 36 f. folgen weitere Kritikpunkte mit analogem Tenor.

2.1 Kirchenpolitische Fronten der evangelischen Reichsstände

553

Die Offenheit für die Lehre von Westphals Streitgegnern macht den Rezess für die Hamburger inakzeptabel. Wie Westphals Streitpartei, der viele von ihnen angehörten, und wie die ernestinische Partei in Worms fordern sie die explizite Verwerfung der aus ihrer Sicht für „Zwingler“ typischen Lehraussagen.23 Herzog Johann Friedrich II. von Sachsen, der den Frankfurter Rezess ebenfalls ablehnte, versuchte vergeblich, eine Versammlung von Reichsständen und Theologen zustande zu bringen, die einen alternativen kirchenpolitisch normativen Text erarbeiten sollte – die jedenfalls auch durch den Abendmahlsstreit bedingte Parteibildung zeigt sich daran, dass sich unter den Eingeladenen zahlreiche Städte befanden, deren Pfarrer an Westphals Confessio fidei mitgewirkt hatten.24 Am 20.6.1559 versammelte Johann Friedrich schließlich Theologen und Juristen seines Territoriums, die ihn in seiner Ablehnung des Rezesses bestätigten.25 Das begründeten sie unter anderem mit dessen Abendmahlslehre: „Was den artickell vom Sacrament belangt, seind alle [!] dahin gerichtet, das allein die geistliche niessung geleret, vnnd leibliche niessung des leibes vnd bluts aussen gelassen, vnd also der Sacramentlichen jrthumb wider die die warheit gesterkht wurde.“26

Noch massiver als bei den Hamburgern wird hier der Vorwurf erhoben, der Frankfurter Rezess begünstige die Auffassung von Westphals Gegnern: Dass deren Position nicht eindeutig ausgeschlossen wird, ist aus ernestinischer Sicht gleichbedeutend mit Parteinahme gegen die wahre Lehre. Als ernestinischer Gegenentwurf zum Frankfurter Rezess wurde Ende 1558 das Weimarer Konfutationsbuch fertiggestellt.27 Dieses formuliert, wie von der 23 So ausdrücklich aaO., 37: „Die Antithesis im letzten paragrapho ist gar zu schweglich und generaliter gesetzt, derhaluen von nthen daß mans klar heraus drucke, daß man der Zwingler Lher fr vnrecht halte, nemlich daß etzliche leren, Brodt und Wein sein nur Zeichen des abwesenden Leibes und Bluts Christi. Item, daß nur allein die Krafft und Wirckung des leibs und Blutes Christi im Brauch des heiligen Abendmahls vorhanden sey. Item. Das Wrtlein IST radebricht fr ein Zeichen, Bedeutnis, Figur etc. Item von einander reisset die Verheissung und die euserliche action […]. Item daß die Unwrdigen nicht den Leib noch Bluth Christi empfangen.“ 24 Vgl. aaO., 125–127. Geladen waren u.a. die Städte Hamburg, Bremen, Magdeburg, Braunschweig, Lübeck, Hannover, Lüneburg, Hildesheim, Nordhausen und Regensburg. 25 Vgl. GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik, 127–129. 26 Der Text ihrer Stellungnahme bei HEPPE, Geschichte des deutschen Protestantismus I, Anhang 86–98, hier 92. 27 Der Text erschien unter dem Titel: DEs Durchleüchtigen /|| Hochgebornen Fürsten vnd Herren / her=||ren Johans Friderichen des Mittlern / Hertzogen || zu Sachssen […] in Gottes || wort / Prophetischer vnd Apostolischer schrifft / gegrün=||dete Confutationes […] || etlicher […] / zu wider demselben Gottes wort / v || heyliger Schrifft / auch der Augspurgischen Confession || Apologien vnd den Schmalkaldischen Artickeln […] eingeschlichenen vnd eingerissenen Corruptelen / || Secten vnd Jrrthuen […], Jena: Thomas Rebart 1559, VD16 S 1097. Vgl. zum Entstehungsprozess GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik, 122–134; ILIĆ, LUKA, Theologian of Sin and Grace. The Process of Radicalization in the Theology of Matthias Flacius Illyricus, Göttingen 2014 (VIEG 225), 144–147.

554

V.2 Die Beendigung des Abendmahlsstreits

ernestinischen Partei in Worms gefordert, namentliche Verwerfungen:28 So wird unter der Überschrift „Widerlegung des Irrthumbs der Allten vnd newen Zwinlianer [!] / vom Abendtmal des Herren“29 unter Berufung auf CA, Apologie und Schmalkaldische Artikel ausführlich die körperliche Präsenz des Leibes Christi im Abendmahl begründet.30 Dann werden auf der Linie von Westphals Streitpartei acht Gegenargumente zurückgewiesen: Unter anderem wird ein geistliches Verständnis der Präsenz Christi für eine Entleerung des Sakraments zum bloßen Zeichen erklärt; es wird hervorgehoben, dass der geistliche Charakter der Sakramente ihre Herkunft von Gott bezeichne (also einer leiblichen Präsenz nicht widerspreche)31 und gegen die These, dass Christus zur Rechten des Vaters sitze und daher nicht leiblich im Abendmahl sein könne, wird das Vertrauen auf die Einsetzungsworte betont.32 Die Argumentation wird auf Luthers Schriften gegen Zwingli zurückgeführt, wobei ausdrücklich betont wird, dass damit auch Calvins Schriften widerlegt seien.33 Als Johann Friedrich II. 1559 auf dem Reichstag in Augsburg anderen evangelischen Fürsten das Weimarer Konfutationsbuch als Konkordiengrundlage vorschlug, stieß er bei Ständen wie Württemberg, Kursachsen und Hessen auf Ablehnung. Daher wurde das Werk zwar verbindliche Bekenntnisschrift des ernestinischen Sachsen und einiger von diesem Territorium abhängiger Herrschaften, erlangte aber keine überregionale Bedeutung.34 Mit Frankfurter Rezess und Weimarer Konfutationsbuch standen zwei Versuche nebeneinander, auf kirchenpolitischer wie theologischer Ebene normativ zu bestimmen, wer zu den CA-Verwandten gehöre – es war also weder Westphals Partei noch den Vertretern abweichender Positionen gelungen, ihre Haltung als für die gesamte Wittenberger Reformation normativ durchzusetzen. 28 Thematisch geht der Bogen allerdings über die in Worms diskutierten Fragen hinaus und reicht von der Lehre Servets bis zur Frage der Adiaphora. Vgl. dazu LEPPIN, VOLKER, Bekenntnisbildung als Katastrophenverarbeitung. Das Konfutationsbuch als ernestinische Ortsbestimmung nach dem Tode Johann Friedrichs I., in: Ders. et al. (Hg.), Johann Friedrich I. – der lutherische Kurfürst, Gütersloh 2006 (SVRG 204), 295–306, hier 301–306. 29 JOHANN FRIEDRICH II., Confutationes, 25v. 30 Vgl. aaO., 28r–36v. 31 AaO., 42r–42v: „Sacramentierer pflegen die Sacrament / vnd sonderlich das Nachtmal des Herren / gaistliche Dinge zu nennen / nach dem verstande […] / Daß sie seind etliche Figuren vnn fürbild allein der vernunft vnd menschlichen gedancken vnterworffen etc. Aber Sacrament hayssen eygentlich gaistliche Dinge / angesehen die wircklichen vnd endtlichen vrsache / […] Also daß sie von Gott / nicht auß natürlichen vrsachen entspringen.“ 32 Vgl. aaO., 37r–38r; zu den übrigen fünf widerlegten Argumenten aaO., 38v–42r. 33 AaO., 43r: „Auß dieser kurtzen vnd einfltigen Erklrung der Wort vnn Einsetzung Christi / Auch auß kurtzer vnn gründtlicher Widerlegung des jrrthumbs Zwinglij / welche wir auß D. Lutheri vnd ander gewaltigen Schrifften kürtzlich zusammen gezogen haben / knnen alle geschwinde vnd listige schrifften Caluini / liederlich vnd leichtlich widerlegt werden.“ 34 Vgl. GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik, 132–137.

2.2 Beendigung des Streits von Seiten Westphals

555

Die entsprechenden ungeklärten Fragen wurden später Gegenstand neuer Kontroversen, ebenso das – im Frankfurter Rezess gleichfalls offen gebliebene – Verhältnis der mit Westphals Partei nicht übereinstimmenden Gruppierungen innerhalb der Wittenberger Reformation zu Westphals Streitgegnern.35

2.2 Die Beendigung des Streits von Seiten Westphals 2.2 Beendigung des Streits von Seiten Westphals

a) Westphals Festlegung gegen weitere Veröffentlichungen Im Jahr 1558 publizierte Westphal nicht nur seine letzten Schriften zum Zweiten Abendmahlsstreit; er legte sich auch fest, sich fortan nicht mehr gegen die Opponenten aus dieser Kontroverse äußern zu wollen.36 Neben den Schriften aus dem Kontext des Wormser Gesprächs (De Coena Domini Confessio und Confutatio aliquot enormium mendaciorum37) und den auf die Debatten mit den Flüchtlingsgemeinden bezogenen Apologetica aliquot scripta38 veröffentlichte er 1558 die in der Confutatio bereits angekündigte umfassende Antwort auf Calvins Ultima admonitio, die Apologia contra calumnias Calvini. In einem Schreiben an Hartmann Beyer, den er bat, das Manuskript durchzusehen und einen Drucker zu finden,39 formulierte er explizit, dass die Debatte mit Calvin und dessen Parteigängern für ihn beendet war: „Respondi fere ad difficillima quaeque et in tota controversia intricatissima, non quidem per se, sed culpa adversariorum, qui lucem suis tenebris obscurant. […] Valedicam hoc scripto Sacramentariis, nihil responsurus post hac, nisi inevitabilis aliqua necessitas exigat. Spero me fore excusatum coram Deo et Ecclesia. Et mundum ab illorum sanguine, qui in errore suo perire, quam veritate vinci maluerunt.“40

Westphal will also fortan den Gegnern nicht mehr antworten und erklärt, seiner Verantwortung gegenüber der Kirche umfassend gerecht geworden zu sein (wenngleich er sich für den Fall einer inevitabilis aliqua necessitas vorbehält, noch einmal etwas zu veröffentlichen). An dieser Position hielt er im Folgenden fest: An einer Neuausgabe seiner Schriften gegen Calvin, die Braubach ihm 1560 vorschlug, zeigte er kein Interesse.41 Der Verzicht auf Veröffentlichungen gegen Calvin und dessen Mitstreiter bedeutete allerdings nicht, dass Westphal sich in abendmahlstheologischen 35

Vgl. zu diesen Debatten u. Kap. VI.1.5. Das betonen auch VON SCHADE, Westphal und Braubach, 126, und PETTEGREE, London Exile Community, 247. 37 Vgl. dazu o. Kap. V.1.5a und V.1.5e. 38 Vgl. dazu o. Exkurs B.2. 39 Vgl. Westphal an Beyer, 28.4.1558, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 238 (Nr. 2.9). 40 Ebd. 41 Vgl. VON SCHADE, Westphal und Braubach, 126 f. 36

556

V.2 Die Beendigung des Abendmahlsstreits

Fragen gar nicht mehr engagiert hätte: So war er 1560/61 am Vorgehen des niedersächsischen Reichskreises gegen Hardenberg beteiligt42 und wandte sich ab 1562 gegen die Abendmahlslehre von Theologen der Wittenberger Fakultät, die er für zwinglianisch erklärte.43 In beiden Fällen veröffentlichte er aber – gemäß seinem gegenüber Beyer formulierten Vorsatz – keine Druckschriften. Im Fall der Auseinandersetzung mit den Wittenbergern kommt hinzu, dass die Gegner nun andere waren und die Fragestellung sich verlagert hatte: Zwar liegt die Abgrenzung gegen die Wittenberger Theologen in der Fluchtlinie des im Zweiten Abendmahlsstreit aufgebrochenen Konflikts mit Melanchthon; es handelt sich aber um eine Konsequenz, die Westphal gegenüber Melanchthon selbst noch nicht ziehen wollte. Das wird auch in der Apologia deutlich. b) Kompendium für die Nachwelt: Westphals Apologia Mit der 1558 erschienenen Apologia contra calumnias Calvini44 schloss Westphal sein Engagement im Abendmahlsstreit ab. Formal handelt es sich um die Verteidigung gegen Calvins Ultima admonitio, die er in der Confutatio aliquot enormium mendaciorum angekündigt hatte.45 Jedoch zielt die Schrift darüber hinaus darauf ab, die Debatte insgesamt für die Nachwelt zusammenzufassen. Dementsprechend geht Westphal zwar auf Calvins aktuelle Vorwürfe ein; seine Ausführungen sind jedoch inhaltlich nicht originell, sondern wiederholen auf 462 Seiten nochmals seine Position zu sämtlichen im Streit diskutierten Fragen46 – hier ist ein Abschluss der Diskussion erreicht. Zugleich wird allerdings auch deutlich, welche Fragen durch den Streit nicht geklärt worden waren. Westphal deklariert das Werk als Verteidigung der Confessio fidei,47 obwohl er der Sache nach auch die anderen in Calvins Ultima admonitio attackierten Texte und seine Streitposition überhaupt verteidigt. Hier zeigt sich die Sonderstellung, die die Confessio fidei in seinen Augen einnimmt: Dass sich die Kirchen diverser anderer Städte seiner Position angeschlossen haben, bestätigt aus Westphals Sicht seinen seit Beginn des Streits erhobenen Anspruch, mit seiner Haltung die ganze Wittenberger Reformation zu vertreten. Wie stark dieser Umstand (aus Sicht wittenbergisch geprägter Theologen) Westphals reformatorisch normativen Anspruch stützte, hatten Nachdrucke und Übersetzungen 42

Vgl. u. Kap. VI.1.1. Vgl. u. Kap. VI.1.5. 44 Die Schrift ist bisher kaum erforscht. MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 114–128, bietet eine Paraphrase; TSCHACKERT, Entstehung der lutherischen und reformierten Kirchenlehre, 536, und TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 208, knappe Erwähnungen. 45 Vgl. o. Kap. V.1.5e. 46 Dies bemerkt bereits MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 114–166. 47 WESTPHAL, JOACHIM, APOLO=||GIA CONFESSIO=||NIS DE COENA DOMINI, || CONTRA CORRVPTELAS || et calumnias Ioannis Caluini […],Oberursel: Nikolaus Heinrich 1558, VD16 W 2264. 43

2.2 Beendigung des Streits von Seiten Westphals

557

von Mitstreitern Westphals ebenso gezeigt wie ex negativo Melanchthons Attacken.48 Dementsprechend hält Westphal Calvin vor, dass er sich nicht an das Urteil der von ihm als Schiedsrichter angerufenen Kirchen halte (gemeint ist die in Calvins Secunda defensio formulierte Aufforderung an andere wittenbergisch geprägte Kirchen, den Streit zu entscheiden),49 und verteidigt neben seinen eigenen Aussagen auch die Argumente anderer in der Confessio fidei enthaltener Bekenntnisse.50 Daneben ist ihm offenbar auch die Verteidigung der schon 1554 erschienenen, aber von Calvin erst in der Ultima admonitio beantworteten51 Collectanea Augustini wichtig: Die Diskussion von Augustinzitaten fällt durchgängig besonders ausführlich aus.52 Empfindlich reagiert Westphal zudem darauf, dass Calvin ihn in der Ultima admonitio nun ebenso exkommuniziert hat, wie er selbst Calvin verketzert hatte: Er betont, die Streitgegner wollten nicht als Häretiker verurteilt werden und täten es nun selbst; ja, er vergleicht Calvin anhand der Exkommunikation mit dem Papst.53 Die Absolutheit dieser Abgrenzung ist bei ihm weniger neu als bei Calvin, illustriert aber, dass hier endgültig keine Diskussionsbasis mehr besteht. Insgesamt jedoch beschränkt Westphal sich nicht auf eine Auseinandersetzung mit den aktuell von Calvin vorgetragenen Argumenten, sondern will noch einmal seine Streitposition als ganze verteidigen: „Quoniam autem praecipua nobis cura esse debet tuendae ueritatis, et pro huius defensione certamen sustineo, malo Apologiam meam causae susceptae totam deseruire, quam criminationes et maledicta aduersarij prolixe confutare, ne uidear illatas priuatim iniurias magis ulcisci, quam causam bonam uelle defendere.“54

Dementsprechend umfasst die Schrift, wie Westphals eigene Inhaltsangabe erkennen lässt, alle im Streit diskutierten Themen: Der erste Teil widmet sich der Frage eines tropus in den Einsetzungsworten (wohl Kapitel 1–11), der zweite der spiritualis manducatio (12–18), der dritte den proprietates des menschlichen Leibes Christi (19–31). Nach von Westphal in der Gliederung nicht genannten Einzelfragen (32–35) folgen Zeremonien, Krankenabendmahl und ähnliche Themen (36–42) sowie von Westphal als calumnias et maledicta Calvini qualifizierte Aussagen, also die Frage, welche Seite den Streit verschuldet habe (43–46).55 Der Charakter der Schrift als Kompendium der Debatte wird dadurch unterstrichen, dass ihr, anders als allen anderen Schriften Westphals, 48

Vgl. für Westphals Seite o. Kap. V.1.1a; für Melanchthons Seite o. Kap. V.1.2a. Vgl. WESTPHAL, Apologia contra calumnias Calvini, *2r–*2v; zum Hintergrund dieses Arguments in Secunda defensio und Confessio fidei vgl. o. Kap. IV.3.2d u. Kap. V.1.1c. 50 Vgl. etwa WESTPHAL, Apologia contra calumnias Calvini, 5 f.; 68 f.; 268–270. 51 Vgl. o. Kap. V.1.4b. 52 Vgl. z.B. WESTPHAL, Apologia contra calumnias Calvini, 142–157. 53 Vgl. aaO., *3v–*4r. 54 AaO., 4. 55 Vgl. aaO., 4. 49

558

V.2 Die Beendigung des Abendmahlsstreits

ein Inhaltsverzeichnis vorangestellt ist, das alle 46 Kapitel auflistet und es damit ermöglicht, ohne großen Aufwand Westphals Position zu einem bestimmten Thema nachzuschlagen56 (ob dieses Verzeichnis und die dortige Einteilung von Westphal selbst stammen, ist allerdings unklar57). In allen Abschnitten wird Westphals bisherige Argumentation zu dem jeweiligen Thema wiederholt und ausgebaut. Dabei zeigt sich eine Tendenz zur Auflistung sämtlicher denkbaren Argumente: So geht Westphal etwa zur Frage des tropus alle in den Einsetzungsworten auftretenden Begriffe durch, betont für jeden einzelnen, dass er nicht tropisch zu verstehen sei, und verhandelt in diesem Kontext zahlreiche Schriftbelege aus Calvins Ultima admonitio sowie dort vorkommende Augustinstellen.58 Bekannte Kernargumente liegen auch vor, wenn er als Belege für die Ketzerei der Gegner den (aus seiner Sicht vorliegenden) wechselseitigen Widerspruch ihrer Auffassungen und ihre Ablehnung der manducatio indignorum anführt59 oder wenn er gegen das gegnerische Verständnis der spiritualis manducatio den Vorwurf erhebt, durch scheinbar rechtgläubige Formulierungen über ihre Ketzerei zu dissimulieren und zu Unrecht vorzugeben, dass der Streit nur den modus der Präsenz betreffe:60 Christus werde vielmehr leiblich und geistlich gegessen, umstritten sei, ob sich beides ausschließe.61 Zur Frage der Seligkeit ungetaufter Kinder wird Calvin vorgeworfen, seine Argumentation führe dazu, dass man Kinder ohne Heilszueignung sterben lasse;62 bei Zeremonien wird ausführlich erläutert, warum die Gegner sich in Adiaphora unnötigerweise von der Kirche trennten.63 Hier zeigt 56

Vgl. aaO., *5r–*7v. Auffallend ist etwa, dass sich die dort aufgeführten Kapitelnummern nicht im fortlaufenden Text finden und dass die Überschriften, die dort als Kapitel behandelt werden, nicht alle auf die gleiche Ebene zu gehören scheinen (z.B. werden Augustinzitate, die inhaltlich zum vorher Ausgeführten gehören, als neue Kapitel behandelt, vgl. aaO., 256–274). 58 Vgl. aaO., 35–103. 59 Vgl. aaO., 5 f.; 103–127. 60 So aaO., 173: „Suae ipsius laudis praeco gloriatur, se luculente aßerere communionem corporis Christi, et non semel inculcat, utramque partem fateri, corpus Christi manducari, nullam de ea re litem eße, tantum quaeri modi definitionem. Interea id facit maxime, quod se facere magnopere tegit ac dißimulat, neque alio tendunt declamatoria ista artificia, quam ut doctrina de manducatione praesentis corporis aboleatur, et Cinglianismus obtineat.“ 61 AaO., 174: „in hac definitione modi ita immoratur, perinde ac si nihil unquam huius doctrina innotuerit Ecclesijs nostris, et nouum sit ac inauditum, animas nostras spiritualiter pasci carne Christi, ut insiti Christo, uita eius fruamur. Caeterum Dei beneficio haec doctrina illustrata est, et diligenter proponitur in nostris Ecclesijs, neque in controuersia uenit, sed de hoc disceptatur, num ille modus manducandi spiritualiter alterum excludat. Caluinus eo studio praedicat et euehit alterum modum, ut alterum eleuet et abijciat. Alterum extollendo splendida uestem circumdat peruerso suo dogmati, tollenti ex Eucharistia substantialem praesentiam carnis et sanguinis Christi“. 62 Vgl. aaO., 349–361. 63 Vgl. für letzteres und als Beispiel für ersteres aaO., 389–401. 57

2.2 Beendigung des Streits von Seiten Westphals

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sich, dass der Streit beendet ist: Die Argumentation entwickelt sich nicht mehr weiter, sondern wird in ausgereifter, geschlossener Form dargestellt. Auch wo Westphal auf aktuelle Vorwürfe Calvins eingeht, ist seine Argumentation inhaltlich nicht neu. Besonders deutlich zeigt sich dies bei der Christologie: Obwohl Westphal den proprietates des menschlichen Leibes Christi knapp 60 Seiten widmet, lässt er sich weiterhin64 nicht auf Fragen der Zweinaturenlehre ein, sondern wiederholt seine Argumente zu Wahrhaftigkeit und Allmacht Christi65 und diskutiert Schrift- und Augustinstellen.66 Obwohl andere Autoren sich im Laufe des Streits mit dem Thema auseinandergesetzt und neue Argumente entwickelt hatten, blieb die Zweinaturenlehre – auch wegen Westphals Weigerung, sich auf dieses Thema einzulassen – eine durch den Zweiten Abendmahlsstreit nicht endgültig geklärte Frage, die in den folgenden Jahren erneut zum innerevangelischen Streitpunkt werden sollte. Empfindlich reagiert Westphal auf Aussagen Calvins, von denen er sich beleidigt fühlt – etwa den Kapernaitenvorwurf67 – oder die seine Haltung mit der altgläubigen zusammenordnen und damit ihre reformatorische Legitimität in Frage stellen: So betont er zur Assoziation der Präsenz in und unter Brot und Wein mit der Transsubstantiation, auch Luther habe eine substantiale Präsenz in seinem Sinne vertreten und die altgläubige Position nachdrücklich bekämpft.68 Zudem äußert sich Westphal zu den Streitursachen – offenbar in der Absicht, nochmals seine Sicht auf den Streit als ganzen zu überliefern. Wie in der Iusta defensio69 betont er, dass die Gegenseite wiederholt den Frieden gestört habe: zunächst durch die Veröffentlichung von Zwinglis Fidei expositio nach dem Marburger Religionsgespräch, dann durch das Zürcher Bekenntnis von 1545, das er als Aufkündigung der Wittenberger Konkordie ansieht. Im gleichen Sinne bewertet er die 1544/45 erfolgte Ausgabe von Zwinglis Werken.70 Neben der These, dass die Streitgegner nach Luthers Tod begonnen hätten, ihre

64

Vgl. zu dieser Haltung und ihrer Begründung o. Kap. IV.1.2. Besonders deutlich etwa WESTPHAL, Apologia contra calumnias Calvini, 207–213. 66 Vgl. aaO., 214–274. 67 Vgl. aaO., 180–189. 68 AaO., 27 f.: „Obijcitur a Cinglio et Caluino periculum, conuersionis elementorum panis et uini, in corpus et sanguinem Christi. […] Hic metus, quosdam religiosos martyres, adeo anxios et addictos facit Sacramentarijs, ut malint discerpi, quam sine tropo simpliciter fidem uerbis Christi adhibere. At liberat a tanti periculi metu, fides intenta sermoni Christi, quae credit et panem et uinum, et cum his simul corpus eius et sanguinem dari. […] Asseruit D. Lutherus ueri corporis praesentiam, nihilominus euertit tam μετουσίαν tam λατρείαν Antichristi. Panem et uinum substantialiter esse corpus et sanguinem Christi defendit, non quod sentiret illa in haec conuerti, sed praesentia cum his adesse.“ 69 Vgl. o. Kap. IV.3.1a, dort auch näher zum Hintergrund der einzelnen Argumente. 70 Vgl. WESTPHAL, Apologia contra calumnias Calvini, 444–446. 65

560

V.2 Die Beendigung des Abendmahlsstreits

bis dahin verheimlichte Ketzerei offen zu vertreten,71 hebt Westphal die Situation in England hervor: Mehrfach betont er, dass die Gegner dort den Abendmahlsstreit wieder entfacht hätten.72 Ihm zufolge hätte die englische Reformation in seinem Sinne geschehen müssen, um eine wahrhaftige zu sein: Wenn sie auf festen Grund gebaut gewesen wäre, hätte sie dem Antichrist (d.h. der Gegenreformation unter Maria) standgehalten.73 Für sich beansprucht er wie bekannt, dass er gegen die Verbreitung von Ketzerei habe vorgehen müssen, dass er in der Farrago die Gegner lediglich zitiert habe, um gegen ihre consensiones den gegenseitigen Widerspruch ihrer Auffassungen zu belegen, und dass er vertrete, was von Luther bekannt sei.74 Auch hier hat sich eine konsistente Kette von Argumenten entwickelt, die den Gegnern die Verantwortung für den Streit zuweist und die reformatorische Legitimität ihrer Auffassung bestreitet. Ambivalent bleibt hingegen Westphals Haltung zu Melanchthon: Wo dieser namentlich erwähnt wird, zitiert Westphal ihn positiv und führt ihn etwa gegen tropische Deutungen der Einsetzungsworte oder gegen Calvins Ablehnung der Privatabsolution ins Feld.75 Westphal sieht ihn offenbar – bei aller Kritik – noch immer als wichtige Autorität der Wittenberger Reformation.76 Jedoch finden sich auch Vorwürfe, die wohl Melanchthon treffen sollen: „Adversarij infamant Ecclesias Saxonicas, et earum ministros foedis mendacijs, ut et causam bonam, et eius siue defensores siue fautores obruant, quos ueritate se superare posse diffidunt: alij manifesti propugnatores Cinglianismi, accusant Ecclesias nostras de Idolatria, alij occulti patroni, in literis, quae late sparguntur, traducunt concionatores, quod mouerint certamina, et adhuc decertent acriter de conuersione et adoratione panis.“77

71

AaO., 445: „Postquam e statione sua euocatus Lutherus deceßit, cuius praesentia et authoritas represserat et tyrannos et phanaticos Prophetas, Cingliani rati se nactos esse oportunitatem diu expectatam, liberius causam suam agitare coeperunt, et libris suis, quos diuulgabant ubique immiscere sapientiam haustam ex Cinglij lacunis, idque prae ceteris faciebat Caluinus artificiosius.“ 72 So ebd.: „Cum quidem eius notae Theologi, ex Germania seceßissent in Angliam, propter religionis mutationem, inprimis studium et operam suam eo impenderunt, ut Cingliana dogmata latè in eo regno disseminarent. Agitabantur ibi publicae disputationes de Sacramento coenae, quae mox diuulgatae per Angliam et alias regiones, circumuagabantur. Libri praeterea quidam Sacramentarij, per aliquot annos domi detenti, tum in publicum prodibant.“ 73 Vgl. aaO., 436 f. 74 Vgl. aaO., 446–449. 75 Vgl. aaO., 33; 384–388. 76 Dieser Befund steht in einer gewissen Spannung zu der neuerdings von KUHN, Bekennen und Verwerfen, 244–253, vorgetragenen These, dass Westphal 1557 einen definitiven „Bruch“ (aaO., 249) mit Melanchthon vollzogen habe. Berechtigt ist gewiss die Überlegung, dass innerhalb der schon länger vorhandenen, von Kuhn treffend herausgearbeiteten Ambivalenz in Westphals Urteil über Melanchthon das kritisch-ablehnende Moment ab 1557 stärker wird (vgl. o. Kap. V.1) – m.E. zeigt der vorliegende (von Kuhn nicht untersuchte) Text jedoch, dass die Ambivalenz grundsätzlich auch danach noch vorhanden ist. 77 AaO., 305.

2.2 Beendigung des Streits von Seiten Westphals

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Es liegt nahe, dass die occulti patroni auf Melanchthon gemünzt sind, der gegen Westphals Seite genau diese Vorwürfe erhebt: bedenkliche Nähe zur altgläubigen Auffassung, Tendenz zur Vergötzung des Sakraments und Anrichten unnötiger Streitigkeiten.78 Dann würde Melanchthon vorgeworfen, heimlich Westphals Gegner zu unterstützen, was zu seiner Protegierung von Theologen wie Hardenberg und zu den Ereignissen im Kontext des Wormser Gesprächs passt. Wie schon bei seiner Kritik an Melanchthon in der Confutatio aliquot enormium mendaciorum79 nennt Westphal ihn aber nicht namentlich und könnte sich gegebenenfalls darauf zurückziehen, Calvin gemeint zu haben, der den Vorwurf der Brotanbetung ebenfalls erhoben hatte. Interessant für Westphals Positionierung zu Melanchthon und innerhalb der eigenen Streitpartei ist auch sein Umgang mit dem Brotanbetungsvorwurf: „Scripsit D. Lutherus in libro ad fratres Valdenses, Christum in Sacramento et in cordibus piorum proprie non esse, ut ibi adoretur, sed ut uiuificet credentes. Quid est quaeso dißidij inter D. Lutherum, inter Magdeburgenses et nos, qui dicimus Christum non instituisse coenam, ut in pane adoretur, ita quidem ut proposito in pane peculiaris cultus praestetur. In eodem libro externam adorationem relinquit liberam, et nihil nisi hypocrisin absque interna spirituali adoratione esse pronunciat. […] De spirituali adoratione praecipue et sedulo populus erudiendus est, ne altera in hypocrisin et Idolatriam abeat. Cum illa non negligitur, externa reuerentia ultro sequitur.“80

Zumal Westphal im Folgenden eine legitime Anbetung des in der Eucharistie präsenten Christus von einer als papistisch qualifizierten Brotanbetung außerhalb der Eucharistie unterscheidet,81 erinnern diese Aussagen an Hachenburg.82 Westphal formuliert allerdings nicht nur zurückhaltender, sondern qualifiziert die äußerliche Anbetung auch explizit als Adiaphoron: Während Hachenburg sie zum Rechtgläubigkeitskriterium erklärt und Melanchthon sie als papistisch zurückweist, ist sie für Westphal nicht erforderlich, aber legitim. Die Ambivalenz zwischen Berufung auf Melanchthon und Melanchthonkritik bei Westphal, sein Umgang mit Melanchthons Vorwürfen und seine Positionierung in der Anbetungsfrage zeigen noch einmal, dass es innerhalb der Wittenberger Reformation durch den Streit zwar zu einer Polarisierung gekommen war, aber das Verhältnis zwischen den Gruppen und Positionen noch nicht endgültig geklärt war. Das sollte erst in den folgenden Jahrzehnten geschehen. 78

Vgl. o. Kap. V.1.2a. Vgl. o. Kap. V.1.5e. 80 WESTPHAL, Apologia contra calumnias Calvini, 312 f. 81 AaO., 315 f.: „Papistae iure accusantur de Idolatria, qui extra usum institutae Eucharistiae, contra Dei uerbum panem proponunt spectandum, et circumferunt adorandum ut Deum. Nos edocti ueraci sermone Christi, credimus ipsum adesse in S. coena administrata, secundum eius ordinationem, et ne ullo modo uideamur Papisticam idololatriam confirmare, ambiguas et periculosas formulas loquendi uitamus. Diabolica igitur est calumnia, qua nos incessunt Cingliani, qui transferunt ad panem, quod nos tribuimus Christo“. 82 Vgl. zu Hachenburgs Argumentation o. Kap. V.1.2b. 79

562

V.2 Die Beendigung des Abendmahlsstreits

Die Apologia erschien spätestens im September 1558: Zu diesem Zeitpunkt schickte Braubach Exemplare an Westphal.83 Calvin lag die Schrift im November, Westphals Briefpartner Johannes Freder im Dezember vor.84 Sie trug dazu bei, dass Calvin und Beza ebenfalls die Debatte für beendet erklärten.

2.3 Die Beendigung des Streits von Seiten der Gegner Westphals 2.3 Beendigung des Streits von Seiten der Gegner Westphals

a) Indizien für ein Ende der Debatte Auch auf der Seite von Westphals Streitgegnern finden sich in den Jahren 1558 und 1559 Indizien dafür, dass sie die Kontroverse mit Westphals Partei für beendet ansahen: Calvin hatte bereits in der Ultima admonitio erklärt, er wolle Westphal in Zukunft als verstockten Häretiker betrachten und ihm nicht mehr antworten.85 Dementsprechend trat der Abendmahlsstreit in seinem Briefwechsel zurück, bis dann im Spätsommer 1559 die regionalen Debatten in der Pfalz und Württemberg aktuell wurden.86 In drei Briefen machte Calvin allerdings noch einmal explizit deutlich, dass die Debatte mit Westphal für ihn abgeschlossen war: Am 19.11.1558 schrieb er gleichzeitig an Utenhove, Bullinger und Melanchthon. Gegenüber Bullinger hält er fest: „Novi Westphali impetus se ipsos discutient: quia hominem stolidum video non parvae gloriae loco ducere si cum eo confligam, contemnere decrevi et iam eius ineptias satis superque refutasse videor. Reperietur forte alius quispiam qui eum exagitet ut dignus est. Philippus noster vanis querimoniis se fatigans remedium non quaerit, ac ne admittit quidem: forte quia manum nemo porrigit, quae mihi semper causa fuit et erit expetendi colloquii, a quo dum abhorretis clausa est ianua. Nec moror quod minus recte sentiunt qui in adversa parte sunt aequiores, quia flecterentur eorum magistri, nisi fallor, ac propius ad nos accederent, quorum autoritas istos retinet. Imo non dubito metu impediri quominus sententiam suam liberius explicent: sicuti Iacobus Andreae […] serviliter Brentio suo et aliis gratificatur.“87

Wie Westphal ist also auch Calvin der Meinung, sich genug zum Abendmahlsstreit geäußert zu haben, und will die Reaktion auf Westphals Apologia, jemand anderem überlassen. Zudem erklärt Calvin, der bisher stets die Möglichkeit eines Kolloquiums verfochten hatte, das nun für zwecklos, auch wenn er hervorhebt, dass dies nicht an den Genfern liege: Den Zürchern wird ihre Ablehnung eines Gesprächs vorgeworfen, dem weiter für die eigene Seite beanspruchten Melanchthon (Philippus noster) mangelnde Bemühung um eine Verständigung, Andreae und anderen aequiores innerhalb der Wittenberger Reformation 83 Vgl. Braubach an Westphal, September 1558, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 240 (Nr. 1.9). 84 Vgl. u. Kap. V.2.3a; Freder an Westphal, Dezember 1558, SILLEM I, 331 (Nr. 179,3). 85 Vgl. o. Kap. V.1.4b. 86 Zu den pfälzischen und württembergischen Debatten vgl. u. Kap. VI.1.2. 87 Calvin an Bullinger, 19.11.1558, CR 45 = CO 17, 387 (Nr. 2986).

2.3 Beendigung des Streits von Seiten der Gegner Westphals

563

mangelnder Mut, ihre Auffassung zu vertreten. Calvin hält also daran fest, dass mit der Wittenberger Reformation abgesehen von Westphals Partei prinzipiell Einigung möglich wäre, erklärt das nun aber angesichts der Haltung der anderen Beteiligten für de facto undurchführbar. Damit hat sich seine Sichtweise der Bullingers angenähert.88 Dass nun (anders als zu Streitbeginn) auch seitens dieser Streitpartei faktisch niemand mehr eine gesamtevangelische Einigung anstrebte, stellt einen wichtigen Schritt im Prozess konfessioneller Abgrenzung dar. Zugleich wird sichtbar, dass das Verhältnis der von Genf und Zürich geprägten Allianz zu Württembergern und Melanchthonschülern noch nicht abschließend geklärt war – das sollte erst in den Debatten der folgenden Jahrzehnte geschehen. Die prinzipielle Denkbarkeit einer gesamtevangelischen Einigung schließlich blieb auch danach reformierte Überzeugung. Auch gegenüber Melanchthon beansprucht Calvin weiterhin, dass dieser theologisch eigentlich mit ihm übereinstimme, macht ihm aber zugleich Vorwürfe darüber, dass er nicht nachdrücklich genug gegen die Polemik von Westphals Partei vorgehe.89 Utenhove rät er im Namen der Genfer Pfarrer von einer Publikation der Simplex et fidelis narratio ab, da das Westphals Partei Gelegenheit zu neuer Polemik geben könnte90 – ein weiteres Indiz dafür, dass Calvin den Streit als beendet ansieht.91 Utenhove wiederum sollte das Werk 1560 dann doch veröffentlichen, zusammen mit der letzten einschlägigen Schrift des mittlerweile verstorbenen a Lasco.92 Damit war auch in der literarischen Debatte über das Schicksal der Flüchtlinge ein Endpunkt erreicht. b) Eindeutige Abgrenzung gegen Westphal: Calvins Institutio Während Calvin keine Streitschrift gegen Westphal mehr verfasste, nahm er 1559 doch noch ein letztes Mal Stellung zum Zweiten Abendmahlsstreit – und zwar an einer Stelle, die kaum prominenter hätte sein können: im Abendmahlskapitel seiner neu bearbeiteten Institutio.93 Hier formulierte er eine sachlich der 88

Selbstverständlich ist sie damit nach wie vor nicht identisch: Der Unterschied dürfte neben der Abendmahlslehre im engeren Sinne darin liegen, dass die prinzipiell denkbare, faktisch aber unmögliche Einigung nach Calvin in einem Kolloquium (also in gemeinsamen theologischen Aussagen) bestehen würde, für Bullinger in wechselseitiger Anerkennung der differierenden Positionen – hier spiegelt sich die seit den 1530er Jahren bestehende Differenz zwischen Zürich und Straßburg über Wege evangelischer Einigung (vgl. o. Kap. II.3.3). 89 Vgl. Calvin an Melanchthon, 19.11.1558, CR 45 = CO 17, 386 (Nr. 2985) = MBW 8782. Angesichts dieses Schreibens meint auch WENGERT, Epistolary Friendship, 41: „Calvin’s patience had finally reached the breaking point.“ 90 Vgl. Calvin an Utenhove, 19.11.1558, CR 45 = CO 17, 379 (Nr. 2982). 91 So auch bereits PETTEGREE, London Exile Community, 247. 92 Vgl. dazu o. Exkurs B.2. 93 Die Literatur zur Bedeutung der Institutio ist zu umfangreich, als dass sie hier im Detail diskutiert werden könnte; vgl. überblicksweise SELDERHUIS, HERMAN J., C.I.4 Institutio, in: Ders. (Hg.), Calvin Handbuch, Tübingen 2008, 197–204. Dass die dortigen Ausführungen

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V.2 Die Beendigung des Abendmahlsstreits

Ultima admonitio entsprechende, nun aber (wie dort angekündigt) endgültige Abgrenzung gegen Westphals Streitpartei – jetzt bestand auch von seiner Seite eine klare Grenzziehung zu dieser Position. Calvin nennt Westphal in der Institutio zwar nicht explizit, grenzt sich aber im Kapitel De sacra Christi coena (IV,17)94 ausführlich gegen eine theologische Position ab, die der von Westphals Streitpartei entspricht. Wie wichtig Calvin diese Abgrenzung war, zeigt sich schon daran, dass sie vier Fünftel des Kapitels über das Abendmahl einnimmt: Nach einer kurzen Darstellung seiner eigenen Abendmahlstheologie (die communio mit Christus als res des Abendmahls ist von den Zeichen zu unterscheiden, aber durch den Abendmahlsvollzug erfolgt ein vere exhiberi95) grenzt er sich ebenfalls knapp gegen eine Ansicht ab, die das edere beim Abendmahl als identisch mit credere verstehe.96 Alles Folgende richtet sich neben der altgläubigen Haltung gegen die Position von Westphals Streitpartei: Calvin unterscheidet zwar zwischen Transsubstantiation und leiblicher Präsenz unter dem Brot,97 ordnet aber letztere wie in der Ultima admonitio als quasi-altgläubig ein, da sie auf der Vorstellung basiere, Christi Leib sei im Brot eingeschlossen.98 Damit ist, anders als vor dem Streit und in der Defensio, diese Haltung nicht mehr in bonam partem gedeutet, sondern als reformatorisch inakzeptabel gekennzeichnet. In der Sache wiederholt Calvin zusammenfassend die Argumente, die er im Laufe der Auseinandersetzung mit Westphals Streitpartei entwickelt hat: Einerseits widerlegt er die von Westphals Seite vorgebrachte Argumentation, indem er etwa die Umgrenztheit des menschlichen Leibes Christi betont, der sich im Himmel befinde und daher nicht ubique auf Erden sein könne99 oder die manducatio impiorum zurückweist.100 Andererseits hebt er hervor, dass die fi-

zur Abendmahlslehre auf die Debatte mit Westphal zurückgehen, hat bereits NIESEL, Calvins Lehre vom Abendmahl, herausgearbeitet (vgl. aaO., 4–10; 54–103); seitdem ist es in der Forschung jedoch nur vereinzelt zur Kenntnis genommen worden (so etwa bei DAVIS, The Clearest Promises of God, 202–213). 94 Zum Aufbau der Institutio und zur Stellung dieses Kapitels im Gesamtgefüge vgl. MULLER, RICHARD A., The Unaccommodated Calvin. Studies in the Foundation of a Theological Tradition, Oxford 2000 (OSHT), 118–139. 95 Vgl. CR 30 = CO 2, 1002–1004. 96 Vgl. aaO., 1005–1009. 97 Vgl. CR 30 = CO 2, 1011–1018. 98 Vgl. CR 30 = CO 2, 1010.1013. 99 Deutlich etwa CR 30 = CO 2, 1011: „Siquidem ut finitum esse, pro perpetua corporis humani ratione, minime ambigimus, coeloque contineri, quo semel receptum est, donec ad iudicium redeat: ita sub haec corruptibilia elementa retrahere ipsum, aut ubique praesens imaginari, prorsus ducimus nefas esse. Neque id sane opus est, quo ipsius participatione fruamur; quando hoc beneficii per spiritum suum nobis Dominus largitur, ut unum corpore, spiritu et anima secum fiamus.“ Vgl. auch aaO., 1015–1018. 100 Vgl. CR 30 = CO 2, 1034–1038.

2.3 Beendigung des Streits von Seiten der Gegner Westphals

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gürliche Interpretation der Einsetzungsworte keine Entleerung der Zeichen bedeute, sondern diese die Sache wahrhaft darböten101 und betont, der Streit betreffe nicht die Frage, ob Christus präsent sei, sondern allein den modus der Präsenz. Entgegen der gegnerischen Behauptung sei Christus durch das Wirken des Geistes nicht minder gegenwärtig als aus Sicht von Westphals Partei in den Elementen;102 die Frage sei, ob er fleischlich oder geistlich präsent sei.103 Weiterhin vertritt Calvin eine aus seiner Sicht mit der Zürcher Auffassung übereinstimmende, aber dogmatisch nicht damit identische geistlich-exhibitive Lehre. c) Antwort auf die Apologia und letztes Wort der von Westphal verketzerten Theologen: Bezas De Coena Domini tractatio Mit der 1559 erschienenen104 Schrift De Coena Domini tractatio105 beantwortet Beza Westphals Apologia und beendet den überregionalen Streitschriftendiskurs. Über den Entstehungshintergrund geben weder die Schrift noch Bezas Briefwechsel näheren Aufschluss. Da Calvin beabsichtigt hatte, einen anderen Autor für die Widerlegung von Westphals Apologia zu finden, lässt sich aber vermuten, dass die Anregung von ihm kam: Beza war ab 1558 in Genf tätig; er und Calvin konnten sich also ohne Weiteres mündlich absprechen.106 Wie Westphals Apologia ist Bezas De Coena Domini tractatio formal eine weitere Antwortschrift, schließt aber zugleich die Debatte insgesamt ab. So blickt Beza auf den Streit als ganzen zurück und begründet, warum sich die eigene Seite in Zukunft mit Westphal nicht mehr auseinandersetzen will: Er betont, man habe stets gehofft, Westphal werde sich eines Besseren belehren lassen oder zumindest mäßigen; da dies aber weder durch Calvins noch durch 101

Vgl. CR 30 = CO 2, 1018–1031. Vgl. CR 30 = CO 2, 1032. 103 CR 30 = CO 2, 1034: „Falso iactant, quidquid nobis de spirituali manducatione, verae et reali (ut loquuntur) opponi: quandoquidem non nisi ad modum respicimus. Qui apud eos carnalis est, dum Christus pane includunt; nobis spiritualis, quia vis arcana spiritus nostrae cum Christo coniunctionis vinculum est.“ 104 Im Text ist nur das Druckjahr angegeben. Worauf MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 134, seine Angabe stützt, dass die Schrift im September erschienen sei, ist unklar. 105 BEZA, THEODOR, DE COENA DO-||mini, plana et perspicua tractatio. || In qua Ioachimi Vvesphali calumniae postre-||mum editae refelluntur, Genf: Robert Estienne 1559, GLN 2106. Die Schrift ist wenig erforscht. Selbst bei JILL RAITT, The Eucharistic Theology of Theodore Beza. Development of the Reformed Doctrine, AAR.SR 4, Chambersburg [PA] 1972) wird sie nur erwähnt (vgl. aaO., 7 Anm. 34), aber nicht näher analysiert. MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 134–142, bietet eine Paraphrase wichtiger Argumente; bei TSCHACKERT, Entstehung der lutherischen und reformierten Kirchenlehre, 536; NEUSER, Dogma und Bekenntnis, 275, TYLENDA, Calvin-Westphal-Exchange, 208, sowie ILIĆ, Beza and Flacius, 354, wird immerhin auf die Schrift hingewiesen. 106 Insofern ist es zwar nachvollziehbar, überschreitet aber den Rahmen des historisch zuverlässig Feststellbaren, wenn MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 133, es als eindeutig ansieht, dass Calvin Beza zur Abfassung aufgefordert habe. 102

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V.2 Die Beendigung des Abendmahlsstreits

Bullingers Antwort erreicht worden sei, bleibe nichts anderes übrig, als die Auseinandersetzung mit Westphal aufzugeben.107 Hier wird der von Westphal attackierte Gesprächsabbruch Calvins gerechtfertigt und Beza macht deutlich, dass auch er eine weitere Debatte nicht für sinnvoll hält – ein weiterer Beleg für die nun feststehende Abgrenzung zu Westphals Streitpartei. Gleichzeitig bringt es der Charakter des Textes als Antwortschrift mit sich, dass auch Beza nochmals fast alle Streitfragen verhandelt: Er folgt Westphals Gliederung. Inhaltlich ist Bezas Darstellung nicht originell, sondern verhandelt zusammenfassend die im Streit behandelten Fragen. Auch die Unterschiede zu Calvin liegen eher im polemisch zurückhaltenderen Stil und in der Schwerpunktsetzung, während sich beider Abendmahlslehre jedenfalls zu diesem Zeitpunkt kaum unterscheidet.108 So deutet Beza den Consensus Tigurinus im Anschluss an Calvin und beschreibt den Streitpunkt analog: Christus bleibe als wahrer Mensch im Himmel. Er biete sich aber im Abendmahl den Gläubigen an und werde von ihnen durch Glauben genossen. Umstritten sei also nicht die wahrhaftige Präsenz Christi, sondern deren modus; die von den Gegnern angenommene Präsenz in vel sub pane widerspreche der Leiblichkeit Christi.109 Dementsprechend beschreibt er tropus und sacramentalis locutio als üblichen

107

BEZA, De Coena Domini tractatio, 3 f.: „putarunt docti et pij homines sibi multo meliore iure tueri veritatem licere, quam tibi in nos ad oppugnandam illam calumnam stringere permisisses. Nam, vt reliquas rationes omittam, non omnem spem abiecerant fore vt simulatque ex eorum responso, in quo etiam tuo nomini parcere voluerunt, cognouisses quantopere tum in nostra explicanda sententia, tum etiam in tua defendenda esses hallucinatus, deinceps quiescere malles, aut certe, si tibi satisfactum non esset, mitius aliquid consilium capere, quam infaustas illas tragoedias maxima iam ex parte sopitas iterum excitare. Haec vero spes quum nos adeo fefellisset vt te neque D. Caluini vehementiore oratione, neque D. Bullingeri humanissimo responso saniorem effectum, imo vero etiam haec incendia late spargentem videremus: quid aliud ageremus quam quod iubet Paulus, id est, vt a te homine tam praefracto deinceps abstineremus? […] Haec vna causa fuit VVesphale, non cur te ex Ecclesiae communione eiiceremus (quod ne in nostra quidem est potestate) sed cur tecum diutius contendere non constituerimus.“ 108 Die inhaltliche Übereinstimmung der De Coena Domini tractatio mit Calvins Lehre bemerkt bereits MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 135 f., der allerdings (dem damaligen Forschungsstand gemäß) Bezas Abendmahlsauffassung generell gänzlich auf Calvin zurückführt. Demgegenüber hebt RAITT, Eucharistic Theology of Beza, dessen eigenständige Akzente hervor. Sie sieht den Beginn einer entsprechenden Entwicklung aber erst 1561, während sie 1556 noch Einklang mit Calvin feststellt. Die vorliegende Schrift von 1559 scheint ebenfalls dieser frühen Phase anzugehören. 109 BEZA, De Coena Domini tractatio, 19 f.: „Verum corpus et verum sanguinem Domini, ipsumque adeo Dominum vere adesse, dari et sumi in Coena Domini, non simpliciter negamus, sed eo duntaxat modo, quo adesse, dari et sumi volunt qui nobis aduersantur. Volunt enim adesse inuisibiliter corpus, quod etiam negant caelis tanquam loco circunscribi: volunt manibus tradi et sumi, cum vel in vel sub pane. Quamobrem id vero? quoniam existimant alioqui nos non posse fieri Christi participes in Coena Domini, nisi talis modus prae-

2.3 Beendigung des Streits von Seiten der Gegner Westphals

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Sprachgebrauch der Schrift110 und verteidigt Calvins Bezeichnung der Lehre Westphals als carnalis manducatio: Das bedeute nicht, dass die eigene Seite eine wahrhaftige Präsenz des Leibes Christi bestreite, sondern dass Westphals Seite dessen geistliche Gegenwart als unzureichend zurückweise und eine körperliche Präsenz annehme, die Christi wahrer Menschheit widerspreche.111 Allerdings setzt Beza durchaus eigene Schwerpunkte: So verteidigt er ausführlich die Kontinuität zwischen den Sakramenten des Alten und Neuen Testaments112 – dieser Aspekt spielt für alle Autoren seiner Seite eine Rolle, ist ihm aber wohl besonders wichtig. Den nicht abendmahlstheologischen Streitfragen wird hingegen relativ wenig Platz eingeräumt. Machten sie bei Westphal mehr als ein Viertel des Werks aus, ist es bei Beza weniger als ein Zehntel113 und er beschränkt sich auf summarische Bemerkungen: Die Wiedereinführung abgeschaffter Zeremonien sei kein Adiaphoron, da diese Rituale dem Aberglauben Vorschub leisteten.114 Das Heil von Kindern sei nicht vom äußerlichen Vollzug der Taufe abhängig, sondern von ihrer Aufnahme in den Bund Gottes.115 Diese Fragen sind für ihn offenbar weniger bedeutend. In christologischer Hinsicht geht Beza nicht nur auf Westphals Argumente der Allmacht und Zusage Gottes ein,116 sondern auch auf die Zweinaturenlehre, obwohl Westphal sich darauf in der Apologia kaum eingelassen hatte. Er betont, dass Westphals Position auf einer ubiquitas des Leibes Christi beruhe, die nicht aus der Personeinheit folge: In dieser behielten beide Naturen ihre Eigenschaften.117 Wie Calvin unterscheidet Beza eine Rede von Personeinheit de abstracto und de concreto118 und betont dementsprechend, Christus als Person sei zwar allgegenwärtig, mache deshalb aber nicht überall seinen menschlichen Leib präsent: Da für die Wahrheit des Leibes dessen räumliche Begrenztheit sentiae statuatur. Nos vero dicimus ista cum corporis Christi veritate ac manifestissimis testimoniis Scripturae pugnare, et nihilominus fatemur Christum verum hominem in caelis manentem ac mansurum ad consummationem vsque seculi, seipsum cum omnibus suis donis, secundum verbum suum, inexplicabili sua virtute (cui omnia sunt possibilia quae vult) non minus vere sistere et offerre, per fidem sumendum ac fruendum, quam verum est nobis a ministerio panem et vinum praeberi. […] Neque id ego primus dico, quum id aperte testetur Consensio, et ante ac post Consensionem Caluinus infinitis locis expresserit.“ 110 Vgl. aaO., 7–29. 111 Vgl. aaO., 53–58. 112 Vgl. aaO., 103–121. 113 Vgl. aaO., 154–167. 114 Vgl. aaO., 154–157. 115 Vgl. aaO., 157–160. 116 Vgl. aaO., 78–80. 117 Vgl. aaO., 53; 70 f. 118 Zu Calvins Auffassung vgl. o. Kap. V.1.4b. Hier besteht sachlich Konvergenz mit Melanchthon (vgl. o. Kap. V.1.2a). Dass Beza diese Übereinstimmung betonen wollte, ist aber aus der Argumentation nicht ersichtlich und erscheint insofern unwahrscheinlich, als Beza (anders als Calvin) in dem Werk sonst nicht mit Melanchthons Position argumentiert.

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V.2 Die Beendigung des Abendmahlsstreits

unabdingbar sei, bleibe dieser im Himmel, während der ganze Christus im Abendmahl durch den Geist genossen werde.119 Die seitens dieser Streitpartei jetzt deutlich herausgearbeiteten, von Westphal aber vermiedenen Fragen der Zweinaturenlehre sollten ab 1562 Gegenstand neuer Debatten werden. Ein weiteres Indiz für den abschließenden Charakter der Schrift ist, dass Beza eine Reihe anderer Theologen seiner Seite für die von ihm vorgetragene Position beansprucht – das untermauert den Anspruch, in ihrer aller Namen zu sprechen und zeigt noch einmal, wie der Consensus Tigurinus es den Beteiligten ermöglicht, alle anderen Unterzeichner gemäß ihrer eigenen Auffassung zu interpretieren.120 So verweist Beza nicht nur auf Bullingers Apologetica expositio,121 beansprucht, Calvins und Vermiglis Sakramentsverständnis zu verteidigen,122 oder betont a Lascos Übereinstimmung mit Calvin,123 sondern beruft sich auch auf Oekolampad, Zwingli und Bucer. Bei diesen Positionen wird die Interpretation gemäß der eigenen Lehre besonders deutlich: Während für Zwingli die (am ehesten im Genfer Sinne deutbaren) Spätschriften angeführt werden,124 wird Bucer dafür beansprucht, dass Christus sich im Himmel befinde und beim Abendmahl rein sacramentaliter mit dem Brot verbinde.125 Bucer gilt also als Zeuge in einer Frage, zu der er sich seit den 1530er Jahren dezidiert nicht mehr festgelegt hatte126 – für die vom Straßburger reformatorischen Ansatz geprägten Genfer Theologen ist es auch am Ende des Zweiten Abendmahlsstreits noch wichtig, Bucer auf die eigene Seite zu rechnen. Weniger eindeutig als bei Calvin ist bei Beza, wie er das Verhältnis zur Wittenberger Reformation beurteilt: Zur Zeit des Wormser Gesprächs war er in Bezug auf eine mögliche Einigung noch optimistischer gewesen als Calvin.127 Auch jetzt scheint zwar der Diskurs mit Westphals Partei aufgegeben. In einer 119 BEZA, De Coena Domini tractatio, 72: „fatemur, totum Christum, si personaliter, esse vbique: non tamen totum quod est Christi, vbique esse concedimus. Vbicunque enim filius Dei sit, is nimirum est qui naturam humanam coniunctam habet. licet non vbicunque ipse est, praesentem re ipsa illam faciat: quandoquidem necesse est ad eius veritatem (cui volens ipse sese subiecit) vt suis finibus circunscripta sit, et loco certo contineatur. Quamobrem etiam totum Christum nobis praesertim in Coena Domini offerri, et a nobis vere fide et spiritu apprehendi confitemur, sed cum VVesphalo non exigimus ad veram coniunctionem membrorum cum capite, vt corpus Christi re ipsa vel corpora nostra vel animos penetret.“ 120 Vgl. ausführlicher zu diesem Phänomen Kap. IV.2. 121 Vgl. BEZA, De Coena Domini tractatio, 4. 122 Vgl. aaO., 12. 123 Vgl. aaO., 28 f. 124 Vgl. aaO., 44–46. 125 AaO., 121: „quid [Westphalus, C.E.] tandem ex Bucero colliget, nisi quod nos etiam vrgemus, Christum quamuis in caelo manentem, sacramentaliter tamen cum pane coniungi, id est, ita vt sicut symbola figurant, spiritualiter per fidem verissime vnum fiat nobiscum, vt vitam aeternam ex eo hauriamus?“ 126 Vgl. o. Kap. II.3.2. 127 Vgl. o. Kap. V.1.4a und V.1.5c.

2.4 Ergebnisse

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gegen Westphals Verketzerung der in Frankreich verfolgten Evangelischen gerichteten Argumentation kann Beza sich jedoch weiter darauf berufen, dass die in Worms versammelten Theologen sich trotz aller inhaltlichen Differenzen anders verhalten und für die Betroffenen verwendet hätten128 – hier spielt wieder Bezas persönliche Erfahrung eine Rolle, der selbst in Worms gewesen war und dort mit Melanchthon, Brenz und den anderen Anwesenden verhandelt hatte.129 Andererseits beruft Beza sich in der Schrift sonst nirgends auf seine Übereinstimmung mit Theologen der Wittenberger Reformation – was allerdings auch schlicht damit zu tun haben könnte, dass er den dortigen Diskurs zu wenig kennt: Auf Westphals Ausführungen zur Sakramentsanbetung reagiert er mit Unverständnis und kann sich offenbar nicht vorstellen, dass evangelische Theologen dergleichen vertreten.130 Insofern ist schwer einzuschätzen, ob es wie bei Calvin nur mehr auf prinzipieller Ebene postuliert oder als realistisch vorgestellt ist, wenn er am Ende der Schrift erklärt, der Streit sei angesichts der Übereinstimmung in zentralen theologischen Fragen und der gemeinsamen (altgläubigen) Gegner unnötig,131 und die Bereitschaft der eigenen Seite zu einem Kolloquium betont.132 Dass er Ende 1559 Bullinger angesichts der Pfälzer Ereignisse für ein solches Kolloquium zu gewinnen versuchte, zugleich aber betonte, er erhoffe sich keine plena consensio und bereue die zu großen Zugeständnisse der Confessio Goeppingensis,133 lässt vermuten, dass er hier optimistischer war als Calvin, aber skeptischer als 1557. Jedenfalls aber lässt seine Schrift den Schluss zu, dass auch er jetzt zu Westphals Partei eine klare Grenze sah, wenn auch vielleicht nicht zum Rest der Wittenberger Reformation.

2.4 Ergebnisse 2.4 Ergebnisse

1558/59 endete der überregionale Zweite Abendmahlsstreit: Die Argumente waren ausgetauscht; die Abgrenzung zwischen beiden Streitparteien war eindeutig festgelegt. Jedoch lief die Diskussion nicht einfach aus, sondern beide Parteien sahen sich veranlasst, sie explizit für beendet zu erklären: einerseits, um der Gegenpartei eine endgültige Absage zu erteilen, andererseits, um der Nachwelt eine definitive Fassung der eigenen Position zu überliefern – bei 128

BEZA, De Coena Domini tractatio, 21 f.: „Longe sane aliter de sanctis istis martyribus iudicarunt illustrissimi quique Germani principes, et doctissimi theologi, qui perlecta Gallicarum Ecclesiarum confessione, etsi non defuit quod in ea requirerent, tamen tantum abfuerunt ab eo vt VVesphali rabiem comprobarent, vt dignos etiam censuerint quorum causa apud Regem semel atque iterum honorifice missa legatione intercederent.“ 129 Vgl. dazu o. Kap. V.1.5c. 130 Vgl. BEZA, De Coena Domini tractatio, 122 f. 131 Vgl. aaO., 165. 132 Vgl. aaO., 166 f. 133 Vgl. Beza an Bullinger, Dezember 1559 [?], Corr. Béze II, 34 f. (Nr. 154).

570

V.2 Die Beendigung des Abendmahlsstreits

Westphal in Form eines Kompendiums der Debatte, bei Calvin eingearbeitet in die Letztfassung der Institutio. Letztlich zeigt sich auch an diesem Wunsch der normative Anspruch beider Parteien: Zwar hatte sich eine gesamtevangelisch normative Durchsetzung dieser Ansprüche spätestens mit dem Wormser Gespräch als undurchführbar erwiesen; in Bezug auf alle Evangelischen diesseits der nun klar gezogenen Grenze hielt man umso dezidierter daran fest. Diese Aussagen bestimmten die Identität der entstehenden zwei Konfessionen mit. Abgeschlossen war der Konfessionsbildungsprozess damit aber nicht. Das hat zum einen mit den Gruppen zu tun, die auf dem theologischen Spektrum zwischen beiden Parteien standen und deren Zuordnung noch keineswegs eindeutig war – ein Umstand, der 1558/59 zu einer kirchenpolitischen Trennung der evangelischen Reichsfürsten in die (diese Zwischenpositionen umfassenden) Anhänger des Frankfurter Rezesses und die (mit Westphal sympathisierenden) Parteigänger des Weimarer Konfutationsbuchs geführt hatte – zum anderen mit offen gebliebenen theologischen Fragen insbesondere im Bereich der Christologie. Die Debatten, die sich aus dem Wechselspiel dieser politischen und theologischen Faktoren ergaben, sollten die folgenden Jahre bestimmen und den Prozess innerevangelischer Konfessionsbildung weiter vorantreiben.

Teil VI

SCHLUSS

Kapitel VI.1

Historischer Ausblick Die theologischen und kirchenpolitischen Entwicklungen nach Ende des Zweiten Abendmahlsstreits lassen erkennen, welche identitätsrelevanten Abgrenzungen durch den Streit entstanden waren – aber auch, dass damit die konfessionelle Grenzziehung zwischen Luthertum und Reformiertentum keineswegs abgeschlossen war: Zwischen Westphals Partei auf der einen, ihren Streitgegnern in Genf, in Zürich und in den Fremdengemeinden auf der anderen Seite bestand nun eine theologische Abgrenzung, die zunehmend auch zu kirchenpolitischen Grenzziehungen führte. Zugleich war noch offen, wie sich die zwischen beiden Parteien stehenden Gruppen – Melanchthonschüler, Württemberger und Anhänger der klassischen Position Bucers – dazu verhalten würden: Das stellte sich erst in den folgenden Jahrzehnten heraus. Für diesen Prozess waren regionale Abendmahlsdebatten ebenso wichtig wie überregionale Konflikte über Fragen, die noch nicht abschließend geklärt worden waren.

1.1 Durchsetzung kirchenpolitischer Abgrenzungen: Bremen und Frankfurt (1560/61) 1.1 Durchsetzung kirchenpolitischer Abgrenzungen: Bremen und Frankfurt

In den Jahren 1560/61 setzten Westphals Parteigänger schließlich durch, dass Hardenberg aus Bremen ausgewiesen und den Flüchtlingen in Frankfurt die Kirchenbenutzung verboten wurde. Das zeigt die durch den Abendmahlsstreit erfolgte Polarisierung – jedoch wird zugleich deutlich, dass ein solches Vorgehen auch jetzt nicht selbstverständlich war. Vielmehr war der Erfolg der Ausgrenzungsbemühungen durch eine je individuelle Gemengelage von Faktoren bedingt und bedurfte weiterer Auseinandersetzungen vor Ort. Gegen Ende des überregionalen Abendmahlsstreits war es in Frankfurt wie in Bremen noch nicht zu kirchenpolitisch normativen Ausgrenzungen gekommen: Hardenberg wie den Frankfurter Flüchtlingen wurde von den (mit Westphal sympathisierenden) Stadtpfarrern zwar schon länger vorgeworfen, sie gefährdeten durch nicht CA-konforme Lehre den Schutz der Stadt im Augsburger Religionsfrieden.1 Ausweisungsbemühungen waren jedoch vorerst erfolglos geblieben: nicht nur deshalb, weil die Flüchtlinge im Frankfurter Rat Rückhalt 1

Vgl. o. Exkurs B.2.

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VI.1 Historischer Ausblick

hatten und Hardenberg vom Bremer Erzbischof geschützt wurde, sondern auch, weil Hardenberg und die Flüchtlinge 1558 dem Frankfurter Rezess zustimmten.2 Damit konnten sie beanspruchen, ihre Lehre sei mit der CA-Interpretation wichtiger evangelischer Reichsstände konform. Dass es 1561 doch zu kirchenpolitischen Ausgrenzungen kam, hing in Bremen einerseits mit dem Einfluss von Westphals Netzwerk im niedersächsischen Raum zusammen, andererseits mit dem Tod Melanchthons, der Hardenberg bislang geschützt hatte: Auf Vorschlag des Braunschweiger Superintendenten Joachim Mörlin sollte Ende 1559 Tilemann Heshusius als Bremer Superintendent berufen werden – hier setzte sich wohl nicht zufällig ein Parteigänger Westphals für einen ähnlich denkenden Theologen ein.3 Heshusius verlangte jedenfalls prompt eine Disputation mit Hardenberg, bei der ihm zwei Mitstreiter Westphals sekundieren sollten: Mörlin und der Hamburger Superintendent Paul von Eitzen.4 Melanchthon versuchte die Disputation zu verhindern, bot aber Hardenberg an, gegebenenfalls zusammen mit Vermigli auf dessen Seite teilzunehmen.5 Die seit Ende 1556 entwickelte Abgrenzung Melanchthons gegen Westphals Partei ging also inzwischen so weit, dass er sich vorstellen konnte, öffentlich gegen sie aufzutreten. Ob darin eine Stellungnahme Melanchthons zugunsten einer Schweizer Abendmahlslehre zu sehen ist,6 ist aber zweifelhaft: Angesichts seiner Äußerungen von 1557/587 liegt eher nahe, dass er Hardenbergs (und Vermiglis) Lehre im Unterschied zu der Zwinglis als rechtgläubig im Sinne der Wittenberger Konkordie ansah. Melanchthon starb allerdings am 19.3.1560. Damit konnte er Hardenberg nicht mehr schützen, der am 21.5. in einer Disputation zum Zwinglianer erklärt wurde.8 Auch jetzt war der Bremer Erzbischof nicht unmittelbar zur Entlassung Hardenbergs bereit, brachte aber die Frage vor den niedersächsischen Reichskreis.9 Am 16. und 21.1.1561 kamen in Mölln und Celle Theologen dieses Kreises – in Mölln neben Westphal selbst zahlreiche Unterstützer seiner Streitposition10 – zusammen 2 Vgl. BAUER, Beziehungen Calvins zu Frankfurt, 53–55; JANSE, Hardenberg als Theologe, 76 f. 3 Zu Mörlins Haltung vgl. o. Kap. V.1.5b; zu Heshusiusʼ Position u. Kap. VI.1.2. 4 Vgl. JANSE, Hardenberg als Theologe, 78 f., zu von Eitzens Schrift o. Kap. V.1.2c. 5 Vgl. Melanchthon an Hardenberg, 29.2.1560, CR 9, 1063 (Nr. 6943) = MBW 9246. 6 So NEUSER, Hardenberg und Melanchthon, 186: „Eine Sensation bahnte sich an: Melanchthon beabsichtigte, zusammen mit einem Schweizer an der Bremer Disputation teilzunehmen, das heißt, er wollte sich Heshusius, Westphal und Mörlin stellen, den Kampf gegen die Abendmahlslehre der Gnesiolutheraner offen führen und seine Sympathie für die Schweizer öffentlich dokumentieren.“ 7 Vgl. o. Kap. V.1.2a und V.1.5b–d. 8 Vgl. JANSE, Hardenberg als Theologe, 80–83. 9 Vgl. aaO., 83–87; ENGELHARDT, Irrlehreverfahren, 33–46. 10 Für die Teilnehmer und Beschlüsse des Möllner Konvents vgl. aaO., 46 f. Neben Johann Bötker aus Hamburg (vgl. zu seiner Streitschrift o. Kap. V.1.2e) waren die an der Confessio fidei beteiligten Friedrich Henninges und Hartwig Ekenbach aus Lüneburg dabei (vgl.

1.1 Durchsetzung kirchenpolitischer Abgrenzungen: Bremen und Frankfurt

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und verketzerten Hardenberg als Zwinglianer. Auf dem Kreistag (3.–8.2.1561) wurde Hardenberg offiziell als Calvinist, Zwinglianer, subsannator der Confessio Augustana und Störer des öffentlichen Friedens verurteilt, der auszuweisen sei.11 An diesem Urteil waren mit Mörlin, Heshusius und Martin Chemnitz wiederum mehrere Parteigänger Westphals beteiligt;12 Chemnitz publizierte zudem eine Anatome propositionum gegen das Bekenntnis, das Hardenberg dem Kreistag vorgelegt hatte.13 Am 18.2.1561 verließ Hardenberg Bremen. Etwa gleichzeitig hatten auch die Ausgrenzungsbemühungen der mit Westphal sympathisierenden Prediger in Frankfurt Erfolg. Interne Streitigkeiten der Fremdengemeinden und soziale Spannungen trugen dazu bei: 1558 gelangten Kontroversen innerhalb der französischen Flüchtlingsgemeinde an den Rat14 – das ließ die Fremden als Unruhestifter erscheinen. Hinzu kamen Spannungen mit Zünften, die sich von der Konkurrenz niederländischer Handwerker bedroht fühlten.15 1560 bat dann Justus Velsius, der sich den Fremdengemeinden angeschlossen hatte, um Druckerlaubnis für seine Summa christlicher Lehre.16 In ihrer Stellungnahme lehnten die Frankfurter Prediger nicht nur Velsiusʼ Werk mit der Begründung ab, dass „es sich fast allerding nach der Schwenckfeldischen und Wiederteuffischen Lehr artet“ und „der Apostolischen Lehr und Augspurgischen Konfession entgegen“ sei,17 sondern nutzten auch die Gelegenheit, um die Fremdengemeinden mit Aufruhr zu assoziieren und ihnen vorzuwerfen, dass ihre Lehre ebenfalls nicht CA-konform sei: Aus „Newerung und rottierung“,18 wie sie momentan in Frankfurt zu beobachten sei, seien Bauernkrieg und Täuferreich zu Münster gefolgt.19 Die Prediger betonen: „woh man nit wirt drein sehen / […] werden auch grosse spaltung vnd vneynigkeit folgen mssen / daß zu frchten / daß alßdann solch vneynigkeit ein Oberkeit dieses Orts […] nit mehr stillen knnen / vnnd wol ein frembder Gewalt solche werde entsetzen mssen / wie mehr Orten geschehen. Derhalben solche zu uermeiden / Gnstige Liebe Herrn / bitten vnnd vermanen wir hiemit abermals / sintemal E. F. W. sampt Ihrer Gemein sich zu der Augspurgischen Confession gethan haben / man wlle bey derselbigen eintrechtiglich bleiben / vnnd auch die frembden Kirchen inn dieser Stadt […] dahin halten / daß sie sich derselbigen nach WESTPHAL, Confessio fidei, Q7v); die ebenfalls in Mölln vertretenen Lübecker hatten zur Confessio fidei ein Bekenntnis ohne Einzelunterschriften beigesteuert (vgl. aaO., Q4r–Q5r). Für die Teilnehmer des Celler Konvents vgl. LOESCHER, Historia motuum II, 186; hier finden sich keine offenkundigen Überschneidungen zu Westphals Netzwerk. 11 Vgl. JANSE, Hardenberg als Theologe, 87–89; ENGELHARDT, Irrlehreverfahren, 48–55. 12 Zu ihrer Anwesenheit vgl. ebd.; zur Parteinahme für Westphal o. Kap. V.1.1c; V.1.5b. 13 Vgl. zu diesem Text KLINGE, Verheißene Gegenwart, 79–83. 14 Vgl. dazu im Einzelnen BAUER, Beziehungen Calvins zu Frankfurt, 55–64. 15 Vgl. SCHILLING, Niederländische Exulanten, 127–130. 16 Vgl. STEITZ, Hartmann Beyer, 138 f. Zur Person von Velsius vgl. SPRINGER, KLAUSBERNWARD, Art. Velsius, Justus, BBKL 20 (2002), 1492–1495. 17 FRH II, Anhang, 288 (Beilage Nr. 30), beide Zitate ebd. 18 Ebd. 19 Vgl. aaO., 288 f.

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VI.1 Historischer Ausblick

vnsern Ceremonien gleichfrmig machen / auch die Ihren derselbigen nachlehren vnnd weisen / […] woh aber die Frembden solchs nit thun wllen / So hette man vrsach gnug, Ihnen Ihre Kirche zuzuschliessen / wie offtmals begert.“20

Um die von ihnen aus theologischen Gründen gewünschte Lösung – entweder Anpassung der Fremden an ihre Auslegung der CA oder Kirchenentzug – zu erreichen, verbinden die Prediger die Wahrnehmung der Fremden als Unruhestifter mit der (für eine in der Nachbarschaft altgläubiger Territorien gelegene Reichsstadt wie Frankfurt keineswegs unrealistischen!) Vorhaltung, dass bei Zweifeln an der Treue zum Augsburger Religionsfrieden äußere Obrigkeiten eingreifen könnten. Auf diese Drohung reagierte der Rat, der sich bisher einem Vorgehen gegen die Fremdengemeinden verweigert hatte: Da die Flüchtlinge eine Anpassung an die Lehre der Prediger ablehnten, erwog der Rat am 18.3. 1561, ihnen nach Ostern die Benutzung der Kirche zu entziehen, die ihnen bislang zur Verfügung gestellt worden war;21 am 15.4. erging ein Predigtverbot.22 Am 28.8 wurde der Kirchenentzug letztlich beschlossen.23 Einerseits hatten also in Frankfurt die Parteigänger Westphals ihre Position durchgesetzt, zumal ein Teil der französischen und niederländischen Flüchtlinge (die englische Gemeinde war bereits nach dem Tod Maria Tudors 1558 in ihre Heimat zurückgekehrt24) nun die Stadt verließ und nach Frankenthal in der Pfalz übersiedelte.25 Dazu gratulierte Westphal den Frankfurter Pfarrern.26 Andererseits duldete der Rat die verbleibenden Exulanten, gewährte ihnen allerdings auch auf wiederholte Supplikationen hin keinen öffentlichen Gottesdienst, um nach außen hin „konfessionelle Eintracht und religionsrechtliche Konformität signalisieren zu können“27 – als Beispiel für eine eindeutige konfessionelle Abgrenzung taugt die Frankfurter Situation insofern nicht.

20

FRH II, Anhang, 289 (Beilage Nr. 30). Vgl. FRH I, Anhang, 57 (Nr. 30). 22 Vgl. FRH I, Anhang, 58 (Nr. 31). Der Beschluss wurde am 22.4. wiederholt, vgl. FRH I, Anhang, 59 (Nr. 31). 23 Vgl. FRH I, Anhang, 78 (Nr. 45). 24 Vgl. JUNG, Englische Flüchtlings-Gemeinde, 19 f. 25 Vgl. DENIS, PHILIPPE, Les églises dʼ étrangers en pays Rhenans (1538–1564), Paris 1984 (BFPUL 242), 388–398; BÜTFERING, ELISABETH, Niederländische Exulanten in Frankenthal, Neu Hanau und Altona: Herkunftsgebiete, Migrationswege und Ansiedlungsorte, in: Wilfried Ehbrecht / Heinz Schilling (Hg.), Niederlande und Nordwestdeutschland. Studien zur Regional- und Stadtgeschichte Nordwestkontinentaleuropas im Mittelalter und in der Neuzeit, FS Franz Petri, Köln / Wien 1983 (Städteforschung Reihe A Bd. 15), 347–417. 26 Vgl. Westphal an Peter Braubach, 15.8.1563, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 250 (Nr. 2.12). 27 Vgl. dazu DINGEL, Religionssupplikationen der Französisch-Reformierten Gemeinde, Zitat 289. 21

1.2 Entstehung neuer Abgrenzungen: Württemberg und die Kurpfalz

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1.2 Entstehung neuer Abgrenzungen: Württemberg und die Kurpfalz (1559–64) 1.2 Entstehung neuer Abgrenzungen: Württemberg und die Kurpfalz

Hatte es in Frankfurt und Bremen schon vor 1560/61 Polarisierungen gegeben, bildeten sich in anderen Territorien zur gleichen Zeit innerevangelische Abgrenzungen heraus, die es bis dahin nicht gegeben hatte. Besonders deutlich wird dies an der (wechselseitig verknüpften) Entwicklung in Württemberg und der Kurpfalz, die beide noch 1558 den Frankfurter Rezess unterzeichnet hatten. In der Kurpfalz veränderte sich die Situation durch eine Verbindung von Herrschaftswechsel und Abendmahlskonflikt: Kurfürst Ottheinrich starb am 12.2.1559. Sein Nachfolger Friedrich III. knüpfte zunächst an die innerevangelisch offene Politik Ottheinrichs an,28 bis in den Jahren 1559/60 in Heidelberg ein Abendmahlskonflikt ausbrach. Wie offen die konfessionelle Situation vorher gewesen war, zeigt sich daran, dass beide Kontrahenten noch von Ottheinrich angestellt worden waren:29 Wilhelm Klebitz als Diakon an der Heiliggeistkirche, Tilemann Heshusius als Theologieprofessor und Superintendent. Heshusius hatte seine Stelle 1557 auf Vermittlung Melanchthons erhalten und nahm in innerwittenbergischen Streitigkeiten eher moderate Positionen ein,30 war allerdings zugleich mit Mitgliedern von Westphals Netzwerk (Bording, Judex, Flacius) bekannt.31 Letzteres könnte für seine abendmahlstheologische Positionierung eine Rolle gespielt haben: Der nicht eindeutig einer bestimmten reformatorischen Richtung zuzuordnende Klebitz32 wurde von Heshusius zum Zwinglianer erklärt, als er die Unterschrift unter ein antizwinglianisches Gutachten verweigerte.33 In den Thesen für seine Bakkalaureatsdisputation am 4.4.1559 betonte Klebitz dann, die Einsetzungsworte ließen sich nicht simpliciter verstehen.34 Nach längerem Streit mussten beide Kontrahenten dem Kurfürsten ihr Bekenntnis vorlegen – und dieses fiel bei Heshusius im Sinne Westphals aus: Er wendet sich nicht allein gegen eine (auch von Melanchthon bestrittene) symbolische Abendmahlsauffassung, sondern auch gegen die These, dass Christi Leib spiritualiter und nicht substantialiter im Abendmahl sei.35 Da 28

Dies hebt etwa STROHM, CHRISTOPH, Der Übergang der Kurpfalz zum reformierten Protestantismus, in: Udo Wennemuth (Hg.), 450 Jahre Reformation in Baden und Kurpfalz, Stuttgart 2009 (Veröffentlichungen zur badischen Kirchen- und Religionsgeschichte 1), 87– 107, entgegen der älteren These hervor, dass im Herrschaftswechsel unmittelbar ein Umschwung vom „Luthertum“ zum „Calvinismus“ zu sehen sei. 29 Vgl. aaO., 93. 30 Das arbeitet BARTON, Um Luthers Erbe, 154–169, gegen die ältere Forschung heraus. 31 Vgl. aaO., 58 f.; 124–126. 32 Vgl. zu seiner theologischen Haltung JANSE, Wilhelm Klebitz, 210–215. 33 Vgl. die Darstellung der Ereignisse bei BARTON, Um Luthers Erbe, 168–196. 34 Vgl. aaO., 202–205. 35 HESHUSIUS, Bekenntnis vom heiligen Nachtmahl, zitiert nach BARTON, Um Luthers Erbe, 212 f.: „Das auch niemand gedenck, wir thun den Zwinglianern vnd Caluinisten

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VI.1 Historischer Ausblick

ein Versuch, beide Kontrahenten auf die CA variata zu verpflichten, erfolglos blieb,36 wurden am 16.9.1559 beide entlassen. Melanchthon billigte Friedrichs Vorgehen und kritisierte in einem Gutachten Heshusiusʼ Position in dem Sinne, in dem er sich seit 1556/57 gegen Westphals Partei geäußert hatte.37 Zur Verteidigung gegen diese Vorwürfe verfasste Heshusius 1560 eine Abendmahlsschrift, auf die unter anderem Calvin und Beza reagierten.38 Im Folgenden positionierte sich die Kurpfalz gegen Westphals Partei, ohne sich klar zwischen Genf, Zürich und Melanchthon zu entscheiden: Mit Zacharias Ursin wurde ein Melanchthonschüler, der auch in Zürich gelehrt hatte, nach Heidelberg berufen.39 Dazu kamen mit der Genfer Reformation sympathisierende Gelehrte wie Caspar Olevian und Thomas Erastus; Flüchtlinge wurden aufgenommen (darunter Mitglieder der Frankfurter Gemeinden).40 In abendmahlstheologischer Hinsicht zeigt sich das Ineinander von Abgrenzung gegen eine Westphals Partei entsprechende Position und nicht eindeutiger positiver Festlegung am deutlichsten im Heidelberger Katechismus:41 Die Frage „Wird denn auß Brot und Wein der wesentlich leib und blut Christi?“ vnrecht, das wir sagen, sie laugnen die gegenwertigkeyt des leybs vnnd bluts Jhesu Christi im Abendmal, So zeyge ich fünff Puncten an, in welchen die Caluinisten mit vns nit stimmen, vnnd an welchen man alle Zwinglianer vnnd Calvinisten kan kennen. Zum ersten: die Caluinisten wöllen nit bekennen, das der leyb Jesu Christi substantialiter, wesentlich, im Abendmal gegenwertig sey […]. Zum andern: Die Zwinglianer vnd Calvinisten wöllen nicht gestehn, das der leyb Christi auff zweyerley weis gessen werde, sonder allein spiritualiter. […] Zum dritten: die Caluinisten wöllen nit mit vns bekennen vnd reden: das brod ist der ware leyb Christi […] Zum vierden: die Caluinisten vnd Zwinglianer […] gestehen nit, das der leyb Christi zugleich sein könne im Himel droben vnd hie auff erden vnd an vielen orten, wo das Nachtmal des Herrn gehalten wirdt […]. Zum fünfften: die Caluinisten vnd Zwinglianer bekennen nicht, das die vnglaubigen, falschen, bösen Christen im Abendtmal den waren leyb essen vnd das ware blut Christi trincken.“ 36 Vgl. dazu STROHM, Übergang der Kurpfalz, 93; BARTON, Um Luthers Erbe, 215–217. 37 Der Text des Gutachtens in CR 9, 961–966 (Nr. 6861B) [= MBW 9119]. 38 Vgl. zur Entstehung dieses Textes BARTON, Um Luthers Erbe, 217–221; zum Inhalt KRÜGER, Empfangene Allmacht, 68–96; zu den Reaktionen aaO., 154–160. 39 Vgl. STURM, Zacharias Ursin, 168–238. 40 Vgl. STROHM, CHRISTOPH, „Deutsch-reformierte“ Theologie? Die kurpfälzische Reformation im Rahmen der frühneuzeitlichen Konfessionalisierung, in: Ders. / Jan Stievermann (Hg.), Profil und Wirkung des Heidelberger Katechismus. Neue Forschungsbeiträge anlässlich des 450jährigen Jubiläums, Gütersloh 2015 (SVRG 215), 113–135, hier 124–129. 41 Auf die umstrittene Frage, von welchen reformatorischen Richtungen der Katechismus beeinflusst wurde, kann hier nicht im Detail eingegangen werden. Vgl. für den aktuellen Diskussionsstand BIERMA, LYLE D., The Theological Origins of the Heidelberg Catechism, aaO., 13–22; CAMPI, EMIDIO, Der Heidelberger Katechismus und die „candida ingenia Helvetiorum“, aaO., 54–71; GUNNOE, CHARLES D. (JR.), The Origins of the Heidelberg Catechism in the Light of Contemporary Correspondence, aaO., 136–162; SCHREIBER, TOBIAS, Petrus Dathenus und der Heidelberger Katechismus. Eine traditionsgeschichtliche Untersuchung zum konfessionellen Wandel in der Kurpfalz um 1563, Göttingen 2017 (R5AS 32).

1.2 Entstehung neuer Abgrenzungen: Württemberg und die Kurpfalz

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wird verneint42 – das ist formal auf die Transsubstantiation gemünzt, lässt sich aber auch gegen die von Westphal oder Heshusius vertretene substantiale Präsenz der Menschheit Christi im Abendmahl wenden. Positiv heißt es, „daß wir so warhafftig seines [i.e. Christi, C.E.] leibs und bluts durch wirckung des heiligen Geists teilhafftig werden, als wir diese heilige warzeichen, mit dem leiblichen mund zu seiner gedechtnuß empfangen“43 – eine für alle Positionen innerhalb des Consensus Tigurinus offene, aber auch Melanchthons Lehre nicht ausschließende Aussage. Der Ausschluss einer Allgegenwart der menschlichen Natur Christi44 stellt ebenfalls eine mit Melanchthon, Genf und Zürich übereinstimmende Abgrenzung gegen Westphals Partei dar. Folgerichtig wurde der Text im Sinne Westphals angegriffen: Flacius betonte in einer entsprechenden Streitschrift, der Text behaupte Konformität mit der CA, sei aber in Wahrheit calvinisch, da er die Himmelfahrt als eine localis translatio verstehe.45 In Württemberg wiederum kam es 1559 zu einer christologischen Festlegung im gegenteiligen Sinne: Der Dettinger Pfarrer Bartholomäus Hagen wurde verklagt, im Sinne Calvins zu lehren. Als Brenz ihn zur Stellungnahme aufforderte, legte er eine Apologia vor, in der er sich auf Melanchthon berief. Auf einer Synode verhandelte Andreae mit Hagen, der schließlich nachgab. Am 19.12.1559 unterzeichneten alle Beteiligten den von Brenz verfassten Text Bekenntnis und Bericht, der in der Folge in Württemberg Lehrnorm wurde.46 Dieser hält abendmahlstheologisch nur eine wahrhaftige Präsenz und Reichung der Substanz von Leib und Blut Christi fest47 – das entspricht der bisherigen Haltung von Brenz und Andreae.48 Christologisch betont er aber die Allgegenwart der menschlichen Natur Christi.49 Auch das ist durchaus konsistent mit der Position, die Brenz und Andreae in früheren Schriften vertreten hatten – war es 1557 aber kein Hindernis dafür gewesen, sich mit Genfer Theologen auf 42

Vgl. RefBek 2/2, 194,35–195,8, Zitat 194,36. AaO., 195,18–20. 44 Vgl. aaO., 187, 4–11. 45 Vgl. FLACIUS, MATTHIAS, Widerlegung / || Eines Kleinen Deut=||schen / Caluinischen Catechismi / so in || disem M.D.Lxiij. Jar […] ausgangen. || Jtem / Beweisung / || Das auch die vnwirdigen den wa=||ren Leib vnd Blut Jesu Christi im Abend=||mal empfahen / Wider ein Schwenck=||feldisch/ Bchlein […], Regensburg: Heinrich Geißler 1563, VD16 F 1568, a6r–a6v; b2v–b3r. Zu weiteren Gegenschriften mit ähnlichem Tenor vgl. DINGEL, IRENE, Die lutherische Kritik am Heidelberger Katechismus, in: Christoph Strohm / Jan Stievermann (Hg.), Profil und Wirkung des Heidelberger Katechismus. Neue Forschungsbeiträge anlässlich des 450jährigen Jubiläums, Gütersloh 2015 (SVRG 215), 226–241. 46 Vgl. BRANDY, Christologie des Johannes Brenz, 52–54. 47 Vgl. BRENZ, JOHANNES, BEkanntnus vnnd Be/||richt der Theologen vnd Kirchen=||diener im Fürstenthumb Würtemberg/ || von der warhafftigē gegenwertigkeit des || Leibs vnnd Blůts Jesu Christi || im heiligen Nacht=||mal. ||, Tübingen: o.D. 1560, VD16 B 1558, A2v– A3r. 48 Vgl. dazu o. Kap. V.1.3. 49 Vgl. aaO., A3v. 43

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VI.1 Historischer Ausblick

die Confessio Goeppingensis zu verständigen, wurde es nun gegen einen Anhänger Calvins gewandt. Auf dieser Linie sollte es ab 1561 zum Konflikt zwischen Brenz, Bullinger und Vermigli kommen – und damit zu einer Abgrenzung zwischen Westphals Streitgegnern und den Württembergern, die sich noch auf dem Wormser Gespräch gegen deren Verurteilung eingesetzt hatten.

1.3 Differenzwahrnehmung und Uneindeutigkeit: Der Naumburger Fürstentag (1561) 1.3 Differenzwahrnehmung und Uneindeutigkeit: Der Naumburger Fürstentag

Der Naumburger Fürstentag 1561 zeigte die zu dieser Zeit entstehenden Polarisierungen ebenso wie die ungeklärten Fragen: Einerseits wurden Differenzen zwischen verschiedenen Fassungen der Confessio Augustana gesehen, die man bisher kaum wahrgenommen hatte, andererseits konnten die meisten Beteiligten einer Lösung zustimmen, die das Verhältnis der Fassungen offen ließ. Nach den konkurrierenden Festlegungen der Jahre 1558/59 bemühten sich Christoph von Württemberg, Wolfgang von Zweibrücken sowie Philipp von Hessen um eine Einigung der evangelischen Reichsstände. Ein Fürstentag kam allerdings erst zustande, als Pius IV. ankündigte, ab Ostern 1561 das Trienter Konzil fortzusetzen: Die evangelischen Reichsstände planten, im Januar 1561 in Naumburg den Umgang damit zu besprechen und gemeinsam ein Exemplar der CA zu unterzeichnen, das dem Kaiser überreicht werden sollte: So wollte man Einigkeit demonstrieren, ohne theologische Debatten führen zu müssen.50 Allerdings warf die Frage nach dem zu unterzeichnenden Exemplar der CA Probleme auf – bedingt durch die infolge des Abendmahlsstreits entstandene Polarisierung: Friedrich III. von der Pfalz forderte die Unterzeichnung der Variata von 1540; andere Fürsten bestanden auf einem Druck von 1531.51 Das hat bei Friedrich III., der Formulierungen von 1531 als papistisch empfand, sicher mit dem Abendmahlsstreit zu tun.52 Komplizierter ist es auf der Gegenseite: Zwar liegt bei Ständen wie den Ernestinern nahe, dass die Präferenz für die Version von 1531 mit der Abgrenzung gegen Westphals Gegner zu tun hatte, aber auch Mitstreiter Westphals hatten von der Variata aus argumentiert.53 Die Differenz der Fassungen kam erst jetzt stärker zu Bewusstsein. 50

Vgl. LANGENSTEINER, Für Land und Luthertum, 347–350. Vgl. CALINICH, ROBERT, Der Naumburger Fürstentag 1561. Ein Beitrag zur Geschichte des Luthertums und des Melanchthonismus aus den Quellen des Königlichen Hauptstaatsarchivs zu Dresden, Gotha 1870, 159–163. 52 Vgl. aaO., 166. Nach BARTON, Um Luthers Erbe, 215 f., hatte Heshusius als Reaktion auf die Forderung nach Unterzeichnung der Variata ein Exemplar der Invariata vorgelegt – das würde Friedrichs Problembewusstsein erklären. 53 Sie bestanden nicht auf der Verwendung der Invariata statt der Variata, sondern auf der Interpretation der Variata durch die Apologie. Vgl. o. Kap. IV.3.1a und V.1.2c. 51

1.3 Differenzwahrnehmung und Uneindeutigkeit: Der Naumburger Fürstentag 581

Die in Naumburg gefundene Lösung betonte allerdings nicht die Differenz, sondern im Gegenteil die Übereinstimmung der Versionen: Die deutsche wie die lateinische Version der CA wurden in einem Druck von 1531 unterzeichnet;54 in der Vorrede wurde aber eine an den Frankfurter Rezess angelehnte Abendmahlslehre vertreten und die Variata wurde als gebräuchliche Wiederholung der CA qualifiziert.55 Das ließ sowohl die Möglichkeit offen, die Invariata durch die Variata zu interpretieren, als auch die Option, die Variata im Sinne der Invariata zu verstehen,56 und war so für die Mehrheit der Beteiligten akzeptabel – insofern bestand hier weiter keine klare Grenze zwischen Ständen wie Kurpfalz, Württemberg und Albertinisch-Sachsen. Einige Stände verweigerten jedoch aus einer mit Westphals Streitpartei übereinstimmenden Haltung heraus die Unterzeichnung der Vorrede: Neben den Ernestinern gehörten dazu die Hansestädte Hamburg, Bremen, Magdeburg, Braunschweig, Lübeck, Rostock und Lüneburg (allesamt Beiträger von Westphals Confessio fidei!): Im Juli 1561 hielten sie einen Konvent in Lüneburg ab und legten als Bedingung für innerevangelische Verhandlungen u.a. eine eindeutige Abgrenzung gegen „Zwinglianer“ und „Calvinisten“ fest57 – was sich aber über den hansestädtischen Raum hinaus nicht durchsetzen konnte. Hier zeigt sich nochmals, dass Westphals Partei zwar mittlerweile eine größere Gruppe innerhalb der Wittenberger Reformation repräsentierte, ihre Auffassung aber darum nicht gesamtwittenbergisch normativ geworden war.

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CALINICH, Naumburger Fürstentag, 163–166, meint unter Verweis auf PLANCK, Geschichte der protestantischen Theologie III, 234 Anm. 275, und WEBER, GEORG GOTTLIEB, Kritische Geschichte || der || Augspurgischen Confession || aus || archivalischen Nachrichten || nebst einigen || diplomatischen Zeichnungen, 2 Bde., Frankfurt (Main) 1783–84, hier Bd. II, 337–340, es habe sich um die deutsche Quart, aber die lateinische Oktavausgabe gehandelt, und zitiert einen Brief, in dem Friedrich III. abendmahlstheologische Aussagen als papistisch ablehnt, die in dem ursprünglich vorgeschlagenen Exemplar (nach Calinich also in der lateinischen Quartausgabe) belegt waren. Die von Friedrich III. inkriminierte Formel sub specie panis et vini findet sich jedoch der Sache nach eher im deutschen als im lateinischen Text (vgl. BSELK, 105 f.), und die von Weber betonten Unterschiede zwischen den Ausgaben sind nicht abendmahlstheologischer Art. Zumal neuere Forschungen eine komplizierte, weit mehr als zwei Ausgaben umfassende Druckgeschichte der CA im Jahr 1531 verzeichnen (vgl. LEPPIN, Einleitung, in: BSELK, 70), bedürfte die Frage, welches Exemplar unterzeichnet wurde, einer erneuten Detailuntersuchung, die hier nicht zu leisten ist. 55 Vgl. die entsprechenden Passagen im Abdruck der Vorrede bei GELBKE, JOHANN HEINRICH, Der || Naumburgische || Fürstentag || oder || wichtige Urkunden und Acten || den, […] von || den Protestantischen Fürsten und Ständen in Deutschland || 1561. zu Naumburg an der Saale gehaltenen || Convent betreffend, Leipzig 1793, VD18 11357126, 235–239 (Nr. 41). 56 Vgl. zu den diesbezüglichen Debatten aaO., 171–177. 57 Vgl. zur Positionierung der Ernestiner wie der Hansestädte GEHRT, Ernestinische Konfessionspolitik, 182 f.

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VI.1 Historischer Ausblick

1.4 Verschwinden bucerischer Positionen: Ostfriesland und Basel (1560er/70er Jahre) 1.4 Das Verschwinden bucerischer Positionen in Ostfriesland und in Basel

Aufgrund der Abgrenzungen, die durch den Zweiten Abendmahlsstreit und die folgenden Debatten entstanden, wurde die Lage auch für bucerische Haltungen immer schwieriger. Wie die Entwicklung in Ostfriesland und Basel zeigt, war dies jedoch weniger Ergebnis gezielter Ausgrenzung; eher wurde bucerische Theologie allmählich irrelevant und verschwand durch Generationenwechsel. Die weder gegen Genf und Zürich noch gegen die verschiedenen Strömungen der Wittenberger Reformation abgegrenzte Position fand allmählich keinen Platz mehr zwischen den zunehmend klarer definierten Parteien. In Basel hatte der bucerisch denkende Antistes Simon Sulzer sich auf Basis seiner bucerischen Haltung nicht nur geweigert, in den Zweiten Abendmahlsstreit einzugreifen;58 er arbeitete auch mit seinem Pfarrkollegen Johannes Jung gut zusammen, obwohl dieser theologisch eher Bullinger zuneigte. Jung lobte seinerseits die Abendmahlsschrift Jakob Andreaes,59 der mit Sulzer im Rahmen der Reformation in Baden-Durlach zusammengearbeitet hatte.60 Nach Ende der überregionalen Debatte entwickelte sich dagegen in der Basler Pfarrerschaft ein Konflikt, in dem unter anderem Jung die zürcherische, Sulzer eine bucerische Linie vertrat.61 Die an Zürich orientierte Gruppe versuchte, auf eine theologische Festlegung der Basler Kirche im Zürcher Sinne hinzuwirken und wurde darin von Bullinger unterstützt. Da Sulzers Seite aber Rückhalt unter den Pfarrern und in der städtischen Elite hatte, gelang eine solche Festlegung bis zum Ende der 1560er Jahre nicht.62 Noch im Jahr 1571 konnte eine innerbaslerische Abendmahlskontroverse dadurch beigelegt werden, dass der Rat beide Parteien auf die Confessio helvetica prior und die Wittenberger Konkordie in Bucers Auslegung verpflichtete.63 Ein 1578 verfasstes Abendmahlsbekenntnis Sulzers argumentierte weiterhin ganz auf der Linie Bucers.64 Unhaltbar wurden bucerische Positionen in Basel erst in den 1580er Jahren infolge späterer Entwicklungen: des Konflikts zwischen Württemberg und Zürich, der innereidgenössischen Einigung auf Bekenntnisse wie die Confessio helvetica posterior, aber auch der Tatsache, dass jüngere Pfarrer bucerische Positionen zunehmend als obsolet empfanden65 – anders als vor 1552 hatte der 58

Vgl. o. Kap. IV.2.1b und IV.2.4b. Vgl. BURNETT, Bucers letzter Jünger, 146–150. 60 Vgl. ABENDSCHEIN, Simon Sulzer, 376 f. 61 Vgl. aaO., 400; BURNETT, Bucers letzter Jünger, 151–158. 62 Vgl. BURNETT, Bucers letzter Jünger, 158–169. 63 Vgl. ABENDSCHEIN, Simon Sulzer, 410–416. 64 Vgl. aaO., 431–455. 65 Vgl. BURNETT, AMY NELSON, “It Varies from Canton to Canton“. Zurich, Basel, and the Swiss Reformation, in: CTJ 44 (2009), 251–262, hier 257–260. 59

1.5 Verlagerung des Konflikts auf andere Debatten

583

Gedanke gesamtevangelischer Einigung seine Plausibilität verloren. Nach Sulzers Tod 1585 schloss Basel sich der Genfer und Zürcher Linie an.66 Ebenso war in Ostfriesland die Abkehr von der bucerischen Linie ein allmählicher Prozess: Während des Abendmahlsstreits hatte Gellius Faber sich bemüht, seine in sich theologisch diverse Kirche in bucerischem Sinne zusammenzuhalten, und war darüber einerseits mit a Lasco in Streit geraten, andererseits von Westphals Parteigänger Martin Faber kritisiert worden.67 Dennoch hielt er bis zu seinem Tod 1564 an seiner Haltung fest.68 In den folgenden Jahren verstärkte sich die konfessionelle Polarisierung, da Graf Edzard Hofprediger wie Johannes Ligarius und Gottfried Heshusius (den Sohn von Tilemann Heshusius) berief.69 In die entgegengesetzte Richtung ging die Entwicklung in Emden; jedoch blieben mit Theologen wie Hardenberg weiter Zwischenpositionen einflussreich.70 Erst nach Hardenbergs Tod wurde 1575 mit Menso Alting ein klar der Zürich-Genfer Linie zuzuordnender Pfarrer Vorsitzender des Emder Coetus71 – auch das wohl eine Generationenfrage: Wie für die jüngeren Basler dürfte sich für den 1541 geborenen Alting72 die Frage nach einer Position zwischen den konfessionellen Lagern überhaupt nicht mehr gestellt haben.

1.5 Verlagerung des Konflikts auf andere Debatten 1.5 Verlagerung des Konflikts auf andere Debatten

Ab 1561 kam es zu neuen theologischen Konflikten über Fragen, die durch den Zweiten Abendmahlsstreit nicht geklärt worden waren: Im Streit von Bullinger und Vermigli mit Brenz verlagerte sich die Diskussion auf die Christologie. In der Folge grenzten die Württemberger sich scharf gegen die Schweizer ab. Darüber gerieten sie mit Theologen der Wittenberger Fakultät in Konflikt, mit denen sie vorher gegen Westphal und die Ernestiner einig gewesen waren – und die infolgedessen genötigt wurden, sich zwischen den anderen Wittenberger Strömungen und den Schweizern zu entscheiden. Auch Westphal griff in diese Debatten ein, allerdings nicht mehr mit Druckveröffentlichungen. Mit der Christologie wurde ab 1561 ein Thema diskutiert, das zwar schon im Abendmahlsstreit eine Rolle gespielt hatte, jedoch – auch, weil Westphal sich nicht darauf eingelassen hatte – nicht abschließend geklärt worden war. Anlass war die Publikation von Melanchthons Gutachten zum Heidelberger

66

Vgl. aaO., 258. Vgl. o. Kap. IV.2.4d. 68 Vgl. WEERDA, Der Emder Kirchenrat, 114–117. 69 Vgl. aaO., 117 f. 70 Vgl. aaO., 151 f.; zu Hardenberg in Emden JANSE, Hardenberg als Theologe, 101–109. 71 Vgl. WEERDA, Der Emder Kirchenrat, 152. 72 Vgl. zu Alting SCHULZ, WALTER, Art. Menso Alting, Biographisches Lexikon Ostfrieslands 1 (1993), 24–30. 67

584

VI.1 Historischer Ausblick

Abendmahlsstreit: Brenz reagierte mit der Veröffentlichung seiner Schrift De personali unione, die sich gegen die Bestreitung einer Allgegenwart des menschlichen Leibes Christi wandte.73 Davon unabhängig74 publizierte Bullinger seine Tractatio verborum Domini, in der er begründet, warum es sich bei dem Himmel, in den Christus aufgefahren sei, um einen räumlich umschriebenen Ort handle.75 Auf Brenzʼ Schrift reagierte Vermigli mit dem Dialogus de utraque in Christo natura;76 auf Bullingers Text Brenz mit einer Sententia.77 Daraus ergab sich eine Kontroverse zwischen Brenz und Bullinger.78 Die christologische Auseinandersetzung führte zu einer Abgrenzung zwischen Württemberg und der Zürich-Genfer Allianz, die anhand der Abendmahlsfrage allein nicht derart eindeutig gewesen war. Das wird auch daran augenfällig, dass Westphal die Württemberger, die er nach dem Wormser Religionsgespräch noch scharf kritisiert hatte, nun offenbar als Verbündete empfand: So wandte er sich an den Drucker Braubach (der auch Brenzʼ Werke druckte), um diesem das Erscheinen von Bullingers Fundamentum firmum mitzuteilen und Brenz zu einer Gegenschrift aufzufordern.79 In christologischer Hinsicht kam es 1564 beim Maulbronner Gespräch zu einer klaren Abgrenzung zwischen der Pfalz und Württemberg.80 In der von Bullinger verfassten Confessio Helvetica posterior, die durch Friedrich III. von der Pfalz erbeten worden war, aber vor allem in den evangelischen Kirchen der Eidgenossenschaft Bekenntnisrang erreichte,81 erfolgte 1566 eine klare Abgrenzung gegen jede Lehre, die den Menschen Christus nicht im räumlich verstandenen Himmel verortet.82 Die Christologie der Württemberger wurde auch zum Streitpunkt zwischen ihnen und der Wittenberger Fakultät und damit zwischen zwei Gruppen, die sich gegen Ende des Zweiten Abendmahlsstreits noch zusammen gegen Westphal gestellt hatten: So wurde die 1562 erschienene Abendmahlsschrift des

73

Vgl. BRANDY, Christologie des Johannes Brenz, 56 f. Letzteres wird aaO., 57 f. herausgearbeitet. Ob Bullingers Schrift durch die pfälzischen Ereignisse veranlasst ist, geht aus dem Text nicht eindeutig hervor. Vgl. BULLINGER, HEINRICH, TRACTATIO || VERBORVM || DOMINI, IN DOMO || PATRIS MEI MANSIONES || multae sunt […], Zürich: Christoph Froschauer 1561, VD16 B 9731. 75 Vgl. aaO., 7r–10v; 21r–21v. 76 Zu dieser Schrift und ihrer Christologie vgl. BAUMANN, Vermigli in Zürich, 230–293. 77 Vgl. zum Hergang im Einzelnen BRANDY, Christologie des Johannes Brenz, 58. 78 Vgl. zum Ablauf BRANDY, Christologie des Johannes Brenz, 58–61; zur theologischen Position von Brenz aaO.,115–283, zu derjenigen Bullingers aaO., 92–114. 79 Vgl. Westphal an Braubach, 2.6.1563, in: VON SCHADE, Westphal und Braubach, 247. 80 Vgl. dazu LEPPIN, VOLKER, Das Maulbronner Religionsgespräch zwischen württembergischen und pfälzischen Theologen 1564, in: Ders. et al. (Hg.), Zwischen theologischem Dissens und politischer Duldung. Religionsgespräche der Frühen Neuzeit, Göttingen 2018 (VIEG.B 121), 161–182. 81 Zur Entstehungsgeschichte vgl. CAMPI, EMIDIO, Einleitung, in: RefBek 2/2, 246–248. 82 Vgl. RefBek 2/2, 294, 18–25; 332,23–31. 74

1.5 Verlagerung des Konflikts auf andere Debatten

585

Wittenberger Theologen Paul Eber, die sachlich an Melanchthon anknüpfte,83 ursprünglich von Westphal als zwinglisch,84 von Bullinger als lutherisch verworfen, während Sulzer sie empfahl und Brenz sich bemühte, sie in bonam partem zu lesen:85 Melanchthonische Auffassungen wurden von Westphal und in Zürich nach dem Zweiten Abendmahlsstreit als inakzeptabel empfunden, in Württemberg dagegen ebenso wenig wie unter Anhängern Bucers. Zum Bruch zwischen Württemberg und Wittenberg kam es erst, als Herzog Christoph 1564 christologische Texte seiner Theologen an Kurfürst August sandte, gegen die Major, Eber und Crell eine Censura verfassten.86 Die christologischen Fragen wurden ab 1567 zum Gegenstand einer Auseinandersetzung um Abendmahlslehre und Christologie der Wittenberger Fakultät87 – das zwang Melanchthons Schüler, sich zwischen der Schweizer Reformation und den übrigen Wittenbergern zu entscheiden. Debatten zwischen Schweizer und Wittenberger Theologen ergaben sich nur noch vereinzelt, etwa zwischen Flacius und Beza.88 In der Debatte um die Wittenberger Lehre warf Westphal den Wittenberger Theologen Zwinglianismus vor – wo er sich über Melanchthon ambivalent geäußert hatte, galten dessen Schüler ihm klar als Häretiker. Seinen Vorsatz von 1558, keine Abendmahlsschriften mehr zu publizieren, hielt er dabei zwar ein, erstellte aber diverse Texte, die handschriftlich weitergegeben wurden.89 Sein Lob für einen Text, in dem Andreae vor einer Einigung mit (Wittenberger) Semicinglianis gewarnt wird, wurde sogar in eine Ausgabe von Predigten hineingesetzt, mit denen Andreae für Verständigung innerhalb der Wittenberger Reformation warb90 – aufgrund seiner Rolle im Abendmahlsstreit wurde Westphal offenbar in diesem Kontext als Autorität empfunden.

83

Vgl. dazu BRANDY, Christologie des Johannes Brenz, 61–64. Vgl. seine in GREVE, Memoria Westphali, als Add. XXIX abgedruckte Censura. 85 Für die Aussagen von Bullinger und Sulzer vgl. BURNETT, Bucers letzter Jünger, 162; für die von Brenz BRANDY, Christologie des Johannes Brenz, 63 f. 86 Vgl. aaO., 64–67. 87 Vgl. dazu die umfassende Untersuchung von HUND, Das Wort ward Fleisch. 88 Vgl, dazu ILIĆ, Beza and Flacius. 89 Einige Schriftstücke dieser Art finden sich in Cod. Guelf. 7.3. Aug. 2 der HAB Wolfenbüttel, fol. 139–188 (unterbrochen durch Texte anderer Autoren). Der Text fol. 143–148 ist ediert bei GREVE, Memoria Westphali, Add. XLVIII, der Text fol. 163r als Add. XLVII, der Text fol. 188 als Add. XLIV. Dazwischen finden sich in der Handschrift weitere Texte Westphals, die Greve nicht berücksichtigt. Zum Inhalt der bei Greve edierten Schriftstücke vgl. aaO., 204–209; MÖNCKEBERG, Westphal und Calvin, 190–208. Eine eingehende, dem aktuellen Forschungsstand entsprechende Analyse dieser Quellen und ihrer Rolle im Konflikt kann hier nicht geleistet werden, wäre aber mit Sicherheit lohnend. 90 Vgl. Westphal an N.N., [undatiert], in: ANDREAE, JAKOB, Sechs Christlicher Pre=|| dig /|| Von den Spaltun=||gen / so sich zwischen den Theologen || Augspurgischer Confession / von Anno 1548. || biß auff diß 1573. Jar / nach vnnd nach erhaben […], Tübingen: Georg Gruppenbach 1573, VD16 A 2699, 99. 84

Kapitel VI.2

Ergebnisse Der Prozess evangelischer Konfessionsbildung im Zweiten Abendmahlsstreit (1552–1558/59) erweist sich als komplexes Phänomen, das ebenso vereindeutigende Momente wie bleibende Unklarheiten beinhaltet. Gängige konfessionstheologische Sichtweisen werden dadurch in Frage gestellt. In den folgenden Schlussbemerkungen sollen die Ergebnisse des chronologischen Durchgangs durch den Zweiten Abendmahlsstreit thematisch gebündelt werden. Zugleich wird jeweils erwogen, was der betreffende Aspekt über das Phänomen der Konfessionsbildung generell aussagt, welche Erkenntnisse auf andere Kontexte übertragbar sind und welche Forschungsperspektiven sich damit eröffnen.

2.1 Konfessionelle Unklarheit vor Streitbeginn 2.1 Konfessionelle Unklarheit vor Streitbeginn

Die konfessionelle Situation vor Beginn des Zweiten Abendmahlsstreits ist im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Wittenberger, Straßburger und Zürcher Reformation ähnlich ungeklärt, wie es die neuere Forschung für jede dieser Richtungen in sich herausgearbeitet hat. Weder gibt es – wie die traditionelle lutherische These annahm – bereits zwei klare evangelische Parteien, noch besteht – wie es die traditionelle reformierte These postulierte – unter den maßgeblichen Reformatoren Einigkeit. Vielmehr ist im Hinblick auf die Abendmahlstheologie wie auf die Beurteilung des Verhältnisses zu anderen reformatorischen Strömungen ein breites Spektrum an Auffassungen erkennbar: Ochino vertritt eine symbolische Abendmahlslehre und lehnt jede Einigung mit Wittenberg ab. Bullinger betont eine dem Abendmahl parallele, aber nicht daran gebundene geistliche Nießung und hält eine gegenseitige Anerkennung mit Wittenberg und Straßburg nicht für prinzipiell, aber für de facto unmöglich. Bucer beansprucht für seine Position exhibitiv verstandener substantialer Präsenz Einigkeit mit der Wittenberger wie Zürcher Reformation und tritt für die Formulierung gemeinsamer Texte ein. Melanchthon sieht sich mit dem Wittenberg-Straßburger reformatorischen Spektrum im Sinne der CA variata einig; viele Theologen der Wittenberger Reformation interpretieren die Straßburger im Sinne der Lehre Luthers, sehen aber die Zürcher als Ketzer an; Amsdorf hingegen hält die Straßburger ebenso für Ketzer wie die Zürcher.

588

VI.2 Ergebnisse

Die Pluralität hängt damit zusammen, dass die von den Akteuren vertretenen Ansichten zwar auf Konzepte zurückgehen, die zwischen den 1520er und 1540er Jahren entwickelt worden waren. Diese Traditionen sowie die bisherigen Einigungs- und Abgrenzungsversuche legen aber das Verhältnis dieser Positionen zueinander nicht abschließend fest, sondern eröffnen verschiedene Anknüpfungsmöglichkeiten. So können wichtige Texte unterschiedlich gelesen werden: Die Wittenberger Konkordie gilt Luthers Schülern als Bekehrung der Straßburger weg von ihrer früheren Lehre zu Luthers Auffassung, Bucer als Anerkennung seiner unveränderten Position durch die Wittenberger, Melanchthon als Ausdruck einer gemeinsamen Wittenberger und Straßburger Haltung. Zudem haben zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedliche Verhältnisbestimmungen gegolten: Wer die Situation von 1536 zugrunde legt, in der die Einigung Wittenbergs mit Straßburg erfolgte und die Einbeziehung Zürichs denkbar schien, schätzt die Lage anders ein als jemand, dessen Haltung von der Polemik zwischen Luther und den Zürchern um 1544/45 geprägt ist. Im Hinblick auf das Phänomen evangelischer Konfessionsbildung generell wirft das die Frage nach dem Verhältnis zu anderen, ex post betrachtet konfessionsexternen Gruppen auf: Steht bisher meist die Pluralität und allmähliche theologische Klärung innerhalb der späteren Konfessionen im Fokus einschlägiger Forschungen, wäre genauso zu untersuchen, welche Rolle etwa die Auseinandersetzung mit dem Trienter Konzil, der Konflikt mit Schwenckfeld oder Debatten mit Täufern für die lutherische und reformierte Konfessionsbildung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts spielten.1 Dabei ist ebenso damit zu rechnen, dass auch hier konfessionelle Unklarheiten und allmähliche Abgrenzungsprozesse zutage treten, wie damit, dass teils bereits deutlichere identitätsrelevante Grenzziehungen vorliegen oder es ungeklärte Aspekte gibt, die aber auf anderer Ebene liegen als im Abendmahlsstreit. Weitere Arbeiten zum Vergleich wie zum Zusammenwirken dieser Abgrenzungsprozesse würden sehr zu einer differenzierten Theorie evangelischer Konfessionsbildung beitragen.

2.2 Konkurrierende normative Ansprüche und differierende Akteursperspektiven 2.2 Konkurrierende normative Ansprüche und differierende Akteursperspektiven

Zum Zweiten Abendmahlsstreit kam es, weil beide späteren Streitparteien neben ihren neu gefassten abendmahlstheologischen Positionen auch gesamtreformatorisch normative Ansprüche entwickelten und das mit unterschiedlichen 1

Zur Debatte mit Schwenckfeld vgl. demnächst: EHLERS, CORINNA, Eindeutiger Außenseiter? Die Auseinandersetzung des Flaciuskreises mit Schwenckfeld im Vergleich mit anderen innerreformatorischen Debatten, in: Henning P. Jürgens / Christian V. Witt (Hg.), An den Rand gedrängt – den Rand gewählt. Marginalisierungsstrategien in der Frühen Neuzeit, Leipzig 2021 (LStRLO 41).

2.2 Konkurrierende normative Ansprüche und differierende Akteursperspektiven 589

Perspektiven auf das innerevangelische Verhältnis verbanden. Diese Positionen konnten aufgrund ihres theologischen Inhalts wie ihres normativen Charakters nicht ohne weiteres nebeneinander stehen – welche Verhältnisbestimmung sich durchsetzen würde, musste hingegen erst geklärt werden. Beide Parteien hatten in den Jahren vor dem Abendmahlsstreit normative Ansprüche entwickelt, die aus der jeweiligen Binnenperspektive auf das Ganze der Reformation zielten: Nachdem Theologen wie Calvin oder a Lasco sich schon länger bemüht hatten, das seit 1544/45 bestehende Zerwürfnis zwischen Zürcher und Straßburger Reformation zu kitten, gelang 1549 mit dem Consensus Tigurinus eine Einigung großer Teile des Zürich-Straßburger reformatorischen Spektrums. Dass häufig die Wittenberger Reformation in diese Überlegungen mit einbezogen wurde, hatte teils mit straßburgischen Perspektiven auf die Wittenberger Konkordie zu tun, teils mit praktischen Herausforderungen. Durch die Reformation Eduards VI. in England, die Straßburger, Zürcher und Wittenberger Reformation integrieren sollte, wurden diese Impulse verstärkt. Westphal und seine späteren Parteigänger wiederum verstanden sich in Auseinandersetzung mit dem Augsburger Interim als Verteidiger des Wittenberger reformatorischen Erbes. In den folgenden innerwittenbergischen Kontroversen entwickelten sie den Anspruch, die aus ihrer Sicht normative, Luther entsprechende Lehre gegen abweichende evangelische Auffassungen zu verteidigen. Im Zuge dessen hatten beide Streitparteien zugleich Abendmahlstheologien herausgebildet, die an frühere evangelische Positionen anknüpften, diese aber weiterentwickelten und neu fassten. Wie sie aus Perspektive anderer reformatorischer Richtungen eingeordnet würden, blieb zu klären. Nachdem Theologen wie Calvin und a Lasco bereits Konzepte entwickelt hatten, die zwischen der klassischen Straßburger und Zürcher Position standen, formulierte der Consensus Tigurinus (1549) ein für große Teile des Zürich-Straßburger Spektrums anschlussfähiges Modell von spiritualis manducatio Christi. Die englische Reformation wurde von ähnlichen Positionen geprägt, so in Vermiglis Oxforder Disputation (1549) und a Lascos Tractatio de sacramentis (1552). Was eine Verständigung zwischen Zürich und Straßburg ermöglichte, machte das Verhältnis zur Wittenberger Reformation kompliziert: Die spiritualis manducatio konnte im Sinne exhibitiver, straßburgisch geprägter wie im Sinne nicht-exhibitiver Zürcher Abendmahlslehre verstanden werden. Damit war unklar, ob sie von Wittenberger Seite als straßburgisch – und im Sinne der Wittenberger Konkordie rechtgläubig – angesehen würde oder als zürcherisch und gemäß der seit dem Ersten Abendmahlsstreit üblichen Einordnung häretisch. Westphals Partei ihrerseits vertrat eine spezifische Vereindeutigung früherer Lehrpositionen: Hatte die CA variata im Verhältnis zwischen Wittenberg und Straßburg, aber auch innerwittenbergisch unterschiedliche Deutungen der wahrhaftigen Präsenz Christi im Abendmahl zugelassen, interpretierten Westphal und seine Mitstreiter dies als substantial-körperliche Gegenwart der menschlichen Natur (deren Verhältnis zu den Elementen sie nicht normativ festlegten).

590

VI.2 Ergebnisse

Dass diese beiden Konzepte kollidierten, hängt ebenso mit ihren theologischen Eigenschaften wie mit ihrem normativen Anspruch zusammen. Auf theologischer Ebene waren sie jeweils mit Abgrenzungen gegen Aspekte verbunden, die von der anderen Seite als konstitutiv für die eigene Lehre angesehen wurden: Der Consensus Tigurinus sowie Vermigli und a Lasco wandten sich gegen eine Verortung des menschlichen Leibes Christi auf Erden und gegen eine manducatio impiorum, Westphals Partei gegen eine geistliche Gegenwart Christi im Abendmahl, die keine Präsenz der menschlichen Natur impliziere. Damit verbanden sich – bei aller Anknüpfung an frühere reformatorische Haltungen – verstärkte normative Setzungen: Calvin griff Bucers Deutung der Wittenberger Konkordie auf, Westphal die Luthers. Hatte Bucer den Abendmahlsstreit aber als Missverständnis über Aussagen erklärt, mit denen von beiden Seiten eigentlich das Richtige gemeint gewesen sei, erklärte Calvin sowohl die Annahme leiblich-räumlicher Präsenz als auch ein rein symbolisches Verständnis für – im Verhältnis zu seiner eigenen, normativ gesetzten Lehre – theologisch unzureichend. Hatte Luther Bucers Zustimmung zur Konkordie als Bekehrung zu einer mit Wittenberg übereinstimmenden Auffassung gedeutet und keine darüber hinausgehenden Festlegungen verlangt, erhoben Westphal und seine Mitstreiter die vollumfängliche Zustimmung zur ihrer eigenen Position und den damit verbundenen Abgrenzungen zum normativen Maßstab. Zugleich ermöglichten die Deutungsspielräume der vorherigen, konfessionell noch offenen Situation es beiden Seiten, ihre jeweilige Haltung als normativ für die gesamte Reformation anzusehen: Calvin, der dem Selbstverständnis nach mit seiner Lehre an die Straßburger Reformation anknüpfte, ging davon aus, dass ihr aufgrund des Consensus Tigurinus auch die Zürcher, aufgrund der Wittenberger Konkordie auch die Wittenberger Reformation zustimmen könne. A Lasco deutete Straßburger und Wittenberger Lehre als unvollkommene Formen seiner eigenen, aus seiner Sicht wahrhaft reformatorischen Auffassung. Westphal und seine Mitstreiter interpretierten aufgrund ihrer Auslegung von Confessio Augustana und Wittenberger Konkordie andere Strömungen der Wittenberger, teils sogar der Straßburger Reformation im Sinne ihrer als verbindliches Erbe Luthers verstandenen Position. Damit stellten die normativen Ansprüche beider Parteien einander wechselseitig in Frage: Beide zielten auf das Ganze der Reformation, und beide gingen davon aus, dass alle aus ihrer Sicht reformatorisch rechtgläubigen Akteure die eigene Position inklusive der damit verbundenen Abgrenzungen verträten. Für diese Ansprüche war es problematisch, wenn eine größere innerreformatorische Gruppe die eigene Auffassung bestritt – und eben das tat die jeweils andere Seite. Westphals Partei versuchte daher die Einordnung als verbindlich durchzusetzen, dass es sich bei der Gegenposition um Zürcher Häresie handle, die durch straßburgisch klingende Formeln Übereinstimmung mit Wittenberg vortäusche, aber in Wahrheit nicht konkordiengemäß sei. Calvin setzte sich umgekehrt für die Einordnung von Westphals Partei als radikale, gegen die

2.2 Konkurrierende normative Ansprüche und differierende Akteursperspektiven 591

Konkordie eingestellte und für die Wittenberger Reformation nicht charakteristische Minderheit ein. Ob sich eine dieser Sichtweisen tatsächlich als reformatorisch normativ durchsetzen würde, blieb zu klären – dass der Konflikt dauerhaft zu mehreren etablierten evangelischen Konfessionen führen könnte, hatten die Akteure beider Seiten zu Beginn der Kontroverse nicht im Blick. An dieser Konstellation werden mehrere Aspekte deutlich, die auch für andere Konfessionsbildungsprozesse relevant sind. Das betrifft zunächst die Perspektivität konfessioneller Einschätzungen: Ob bestimmte Positionen vereinbar sind, ist nicht – wie die traditionellen Forschungsthesen annahmen – durch dogmenhistorische Analysen objektiv feststellbar. Zeitgenössisch ist vielmehr entscheidend, welcher Akteur welche Lehre im Sinne seiner eigenen interpretieren kann. Kategoriale Unterscheidungen, sei es (gemäß der traditionell lutherischen These) zwischen Wahrheitsbekenntnis und Dissimulation oder (gemäß der traditionell reformierten These) zwischen Ökumene und Intoleranz, sind problematisch: Westphals Auffassung, dass er die seit jeher für die Wittenberger Reformation normative Lehre vertrete, ist nicht realistischer als Calvins Ansicht, dass seine Lehre aufgrund der Konkordie für die Wittenberger annehmbar sei. Vielmehr setzt beides eine Deutung anderer reformatorischer Haltungen voraus, deren Mehrheitsfähigkeit zu klären bleibt. Ebenso unterscheiden sich die Positionen im Hinblick darauf, welche Auffassungen ein- und ausgeschlossen werden. Dabei wird aber nicht (wie bei heutigen ökumenischen Bemühungen) das Selbstverständnis der Betroffenen zugrunde gelegt, sondern deren Ansichten werden ins eigene gedankliche System eingeordnet und in einer Weise gedeutet, die nicht ihrer Perspektive entspricht. Das gilt für Calvins These, dass im Wittenberger Kontext niemand eine leibliche Präsenz der Menschheit Christi im Abendmahl vertrete, ebenso wie für Westphals Deutung der Lehre Vermiglis als rein symbolisches Abendmahlsverständnis. Der konfessionelle Identitätsbildungsprozess wie die Gründe für die Kollision bestimmter Positionen werden erst präzise erkennbar, wenn diese unterschiedlichen Perspektiven rekonstruiert und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Theologische Position und Sicht auf das innerreformatorische Verhältnis gehören dabei für den Akteur jeweils zusammen, sind aber nicht aus Forschungsperspektive auseinander abzuleiten: Ähnliche positive Lehrauffassungen können mit unterschiedlichen Einschätzungen des Verhältnisses zu anderen Positionen einhergehen (so bei Westphal und Andreae), theologisch differierende Ansichten mit einer Allianz in der Debatte (so bei Calvin und a Lasco). Konfessionsbildend wird die Kontroverse, da diese theologischen Differenzen und unterschiedlichen Perspektiven mit verstärkten normativen Setzungen verbunden werden. Die Verschiebungen gegenüber früheren reformatorischen Positionen zeigen, dass das über den mit jeder Theologie verbundenen Wahrheitsanspruch hinausgeht: Letzterer ist schon zuvor gegeben, wird nun aber so gefasst, dass für Rechtgläubigkeit auch die Übernahme eigener Unterscheidungslehren erforderlich sei. Auch dieses Phänomen ist nicht allein für den

592

VI.2 Ergebnisse

Abendmahlsstreit charakteristisch. Es ist vielmehr typisch für die zweite Reformatorengeneration, die nicht mehr Disparates nebeneinander stehen lassen und Konflikte durch die Autorität von Gründerpersönlichkeiten lösen konnte, sondern verbindliche Normen entwickeln musste. Das wird bisher vor allem in Bezug auf innerwittenbergische Kontroversen beobachtet, in denen Deutungen der Confessio Augustana in Konkurrenz zueinander gerieten, die zuvor nebeneinander stehen konnten.2 Die hier vorgelegten Ergebnisse legen nahe, dass es lohnend wäre, solche Vorgänge auch auf reformierter Seite und im Verhältnis zu anderen reformatorischen Strömungen verstärkt in den Blick zu nehmen.

2.3 Die Bedeutung von Zwischenpositionen 2.3 Die Bedeutung von Zwischenpositionen

Neben den Haltungen der beiden Parteien wird der Zweite Abendmahlsstreit von dem Umstand bestimmt, dass eine Reihe reformatorischer Theologen sich keiner Seite anschließt, sondern Zwischenpositionen einnimmt. Insofern dürfen die Streitparteien weder mit den späteren Konfessionen identifiziert werden, noch war der Ausgang des Streits von vorneherein eindeutig. Im Abendmahlsstreit gibt es nicht nur eine Zwischenposition, sondern ein ganzes Spektrum von Ansichten, die weder der einen noch der anderen Partei zuzuordnen sind: Simon Sulzer und Gellius Faber versuchen in Bucers Tradition eine Wendung gegen die eine oder andere Seite zu vermeiden. Melanchthon legt sich lange nicht fest. Letztlich grenzt er sich gegen Westphals Partei theologisch ab, tritt aber im Übrigen für die Sistierung aller über die CA variata hinausgehenden Fragen ein. Die Württemberger betrachten die Lehre von Westphals Gegnern nicht als häretisch, aber als unvollkommen reformatorisch und wollen sie (im Sinne von Luthers Konkordiendeutung) zu ihrer eigenen Ansicht bekehren. Die Zwischenstellung wird auch daran sichtbar, dass innerhalb der Streitparteien das Urteil über diese Positionen differiert: So äußert sich Westphal vor 1557 positiver über Melanchthon als Gallus. Calvin beansprucht Melanchthon für die eigene Lehre; die Zürcher tun dies nicht. Bucer wird von Westphal verketzert, von Timann positiv zitiert. Calvin versucht die Bucerschüler einzubeziehen; a Lasco wendet sich polemisch gegen sie. Die starke Stellung dieser Auffassungen auf dem Wormser Gespräch macht augenfällig, dass sie innerevangelisch keineswegs randständig sind. Dass beide Streitparteien ihre jeweilige Position als längst normativ gültig darstellen, entspricht den zeitgenössischen Wahrheitskriterien – historisch betrachtet sind jedoch beide vor dem Streit nicht selbstverständlich. Daher ringen beide Parteien nicht nur miteinander, sondern auch mit den dazwischen stehenden Akteuren. Die Aufmerksamkeit für solche Zwischenpositionen ist für die Forschung zu Konfessionsbildungsprozessen generell relevant: Die Reduzierung einer 2

Vgl. zu diesem vor allem von Irene Dingel entwickelten Ansatz o. Kap. I.2.1 und I.3.

2.4 Wechselwirkung theologischer mit außertheologischen Faktoren

593

Kontroverse auf zwei Parteien birgt nicht nur die Gefahr, die konfessionelle Situation eindeutiger darzustellen, als sie ist – sie verleitet auch zu der irreführenden Annahme, dass die Stellungnahme gegen eine Partei eine Positionierung zugunsten der Gegenseite (und der Einsatz gegen die Verurteilung einer Ansicht dogmatische Zustimmung dazu) bedeute. Im Falle des Abendmahlsstreits wird das speziell an den Forschungsurteilen über Melanchthon deutlich; es ist aber etwa auch auf die Haltung von Brenz im Osiandrischen Streit übertragbar. Auch hier ermöglicht nur der differenzierte Blick auf Innen- wie Außenwahrnehmung eine präzise Einschätzung der konfessionellen Situation.

2.4 Der Streitverlauf und die Wechselwirkung theologischer mit außertheologischen Faktoren 2.4 Wechselwirkung theologischer mit außertheologischen Faktoren

Der Ablauf des Zweiten Abendmahlsstreits erschöpft sich nicht darin, dass sich weitere Personen den beiden Parteien anschließen: Die Abfolge aufeinander aufbauender Streitphasen lässt vielmehr zum einen eine theologische Entwicklung erkennen, zum anderen macht sie sichtbar, dass der Konfessionsbildungsprozess nicht nur durch inhaltliche Aspekte bedingt ist, sondern auch durch außertheologische Faktoren und historisch kontingente Ereignisse. Schon die Ausgangskonstellation und die dazu führenden Entwicklungen (Teil III.) waren neben theologischen Motiven und dem Verhältnis zwischen Wittenberger, Zürcher und Straßburger Reformation auch durch äußere Faktoren bestimmt: etwa durch das Augsburger Interim oder dadurch, dass Reformatoren wie Vermigli und a Lasco in England die Gelegenheit bekamen, ihre Konzeptionen auszuarbeiten und damit kirchenpolitisch Einfluss zu nehmen. Die Konfrontation mit Westphals Partei lag zwar inhaltlich nahe. Dass sie zu diesem Zeitpunkt und in dieser Form erfolgte, hat aber wesentlich mit den Kontakten Westphals und seiner Mitstreiter nach England und Antwerpen zu tun, durch die sie von den Schriften Vermiglis, a Lascos und Calvins erfuhren. 1553 trat ein weiteres historisch kontingentes Ereignis ein: die Thronbesteigung Maria Tudors, die dazu führte, dass die Londoner Flüchtlinge England verlassen mussten sowie ins dänische und norddeutsche Umfeld von Westphals Streitpartei gelangten (Exkurs A). Angesichts der Sorge von Westphals Partei wie von a Lascos Einsatz für eine Antwortschrift ist denkbar, dass es auch ohne dieses Ereignis zu einer größeren Kontroverse gekommen wäre. Faktisch jedoch wurde die Auseinandersetzung zwischen Westphals Partei und den Flüchtlingsgemeinden bestimmend für die Hauptphase des Streits: Die Präsenz der Gegenpartei in der eigenen Umgebung verstärkte die Besorgnis Westphals und seiner Anhänger, während die Diskussion mit ihr zugleich den Anstoß für eine inhaltliche Weiterentwicklung gab: Eben das Konzept von kirchlichem Konsens, das der Flüchtlingspfarrer Micron als unreformatorisch kritisiert

594

VI.2 Ergebnisse

hatte, wurde von Westphal, Timann und ihren Kollegen in den Jahren 1554/55 sowohl theoretisch begründet als auch durch die Sammlung konkreter Väterund Reformatorenbelege untermauert (Kap. IV.1). Auf der Gegenseite trugen das Ergehen der Flüchtlinge und der darin gesehene Einfluss von Westphals Streitpartei dazu bei, dass es tatsächlich zu der von a Lasco geforderten Gegenschrift kam. Dass diese auch von Theologen unterstützt werden konnte, die nicht die gleiche Lehre vertraten wie der Autor Calvin, verdankte sich inhaltlich dem Consensus Tigurinus. Die Ereignisse waren aber ein Motiv, sich öffentlich zu positionieren und gemeinsame Lösungen zu suchen (Kap. IV.2). Die Streitschriften der Jahre 1555/56 reagierten umfassend auf die bisherigen Texte der jeweils anderen Seite: Westphals Partei vor allem mit Argumenten gegen Calvins Anspruch auf Übereinstimmung mit der Wittenberger Reformation, die Gegenpartei mit verschiedenen Strategien zur Begründung der eigenen Rechtgläubigkeit. Das führte auf theologischer Ebene zu hoch differenzierten Argumentationen, die teils neben der Abendmahlsfrage andere Theologumena einbezogen (Kap. IV.3). Die entsprechenden Argumente beginnen sich zugleich auch auf die regionalen Debatten in Bremen und Frankfurt auszuwirken – in Wechselwirkung mit dem jeweiligen örtlichen Bekenntnisstand und mit außertheologischen Faktoren, die den Abgrenzungsprozess teils verstärkten (Befürchtung von Unruhe), teils eher bremsten (wirtschaftlicher Nutzen durch Personen, die theologisch mit den Ortspfarrern uneins waren). In der Schlussphase des Streits brachten die Planungen für das Wormser Religionsgespräch von 1557 Melanchthon und die Württemberger dazu, sich zu positionieren, und stellten die normativen Ansprüche beider Streitparteien kirchenpolitisch auf die Probe – woraufhin beide einsehen mussten, dass ihnen die angestrebte gesamtreformatorisch normative Durchsetzung ihrer Position nicht gelingen würde (Kap. V.1). Das führte zur Beendigung des Streits und zur Publikation von Zusammenfassungen für die Nachwelt (Kap. V.2). Der Verlauf des Streits bestätigt somit die Einsicht neuerer Konfessionsforschung, dass konfessionell relevante Entwicklungen sich aus einer komplexen Wechselwirkung theologischer Faktoren, politischer Interessen, gesellschaftlicher Konstellationen, persönlicher Beziehungen und kontingenter Ereignisse ergeben. Die Gewichtung ist dabei nicht a priori zu bestimmen, sondern unterscheidet sich je nach Kontext, Situation und konkreten Akteuren.

2.5 Die konfessionsbildende Wirkung des Streits 2.5 Die konfessionsbildende Wirkung des Streits

a) Entstehung normativer theologischer Abgrenzungen – und Scheitern der gesamtreformatorisch normativen Ansprüche Die Auseinandersetzung im Zweiten Abendmahlsstreit führte dazu, dass die Argumente beider Parteien näher ausgearbeitet wurden und sich im Laufe des

2.5 Die konfessionsbildende Wirkung des Streits

595

Streits zu identitätsbestimmenden Abgrenzungen verfestigten. Diese Abgrenzung weitete sich auf andere Fragestellungen aus, die für das reformatorische Selbstverständnis beider Seiten wichtig waren. Die Herausbildung von Gruppen mit abgegrenzter Identität bedeutete allerdings zugleich, dass beide Parteien ihren gesamtreformatorisch normativen Anspruch aufgeben mussten. In abendmahlstheologischer Hinsicht wurden beide Auffassungen in Konfrontation mit der jeweils anderen näher ausgearbeitet und begründet. Zu dogmatisch neuen Aussagen führte das im Zweiten Abendmahlsstreit nur selten – am augenfälligsten in Johann Bötkers Argumentation für die von der Gegenpartei als häretisch angegriffene Ubiquität der Menschheit Christi. Darum war die Debatte aber nicht theologisch unproduktiv: Legten ursprünglich beide Seiten in einer konfessionell noch offenen Situation Konzepte vor, die in Bezug auf ihren normativen Anspruch kollidierten und inhaltlich in Spannung zueinander standen, entstanden nun zunehmend klare, von beiden Seiten anerkannte und für sie identitätsrelevante abendmahlstheologische Abgrenzungen. Im Zuge der Auseinandersetzung über reformatorisch normative Auffassungen weitete sich die Abgrenzung auf weitere Theologumena aus. Das betraf nicht nur Themen, die sakramentstheologische Rückschlüsse zuließen (Heilsstatus ungetaufter Kinder), sondern auch solche, die nicht direkt mit der Thematik verknüpft, aber für das reformatorische Selbstverständnis relevant waren: etwa Liturgie und Bilderfrage. Hier wurde zugleich ein unterschiedliches Verständnis von kirchlichem Konsens formuliert: Für Westphal waren diese Fragen zwar Adiaphora, die Position der Gegner dazu war aber darum nicht irrelevant. Er betonte, die Trennung vom kirchlich Üblichen in Fällen, wo sie nicht nötig wäre, sei Ketzerei. Die Gegenseite hingegen argumentierte, liturgische Elemente, die es in der Alten Kirche nicht gegeben habe, könnten nicht den kirchlichen Konsens darstellen. Es handle sich um altgläubige Praktiken, deren Wiedereinführung unreformatorisch wäre. Auch die Verfahren normativer Wahrheitsfindung waren strittig: Zwar vertraten beide Seiten das Schriftprinzip; Westphals Seite sah aber die Übereinstimmung mit Luther und anderen Autoritäten der Wittenberger Reformation als Garant schriftgemäßer Lehre an, a Lasco und Micron die Abhaltung einer Disputation. Micron erklärte Westphals Ansicht zur quasi-altgläubigen Überordnung menschlicher Autoritäten über die Schrift; Westphals Seite ordnete Disputationen als Infragestellung des kirchlichen Konsenses ein. So entstanden Gruppenidentitäten, die nicht nur in abendmahlstheologischer Hinsicht gegeneinander abgegrenzt waren, sondern in Bezug auf ihr Verständnis reformatorischer Theologie überhaupt. Infolge dieser theologischen Klärungen veränderten sich auch die von den Akteuren vorgetragenen innerreformatorischen Verhältnisbestimmungen. Besonders deutlich wird dies bei Calvin: Zwar hatte er eine leibliche Präsenz der menschlichen Natur Christi im Abendmahl inhaltlich von Anfang an abgelehnt. Hatte er jedoch ursprünglich auf Basis seiner straßburgisch geprägten Interpre-

596

VI.2 Ergebnisse

tation der Wittenberger Konkordie beansprucht, dass die Wittenberger Reformation seine Lehre anerkenne und die von ihm abgelehnte Ansicht dort kaum jemand ernsthaft vertrete, stellte er im Laufe der Debatte fest, dass bei Westphals Partei in beiderlei Hinsicht das Gegenteil der Fall war. Infolgedessen verketzerte er schließlich explizit Westphals Streitpartei und deren Auffassung. Bei Westphals Partei lag der Fall insofern anders, als sie von Anfang an eine identätsrelevante Ausgrenzung aller Anhänger des Consensus Tigurinus vertreten hatte. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass sie sich mit ihrer innerevangelischen Verhältnisbestimmung durchgesetzt hätte: Es gelang ihr entgegen ihrer Intention nicht, eine Verketzerung ihrer Streitgegner als theologische Norm für die Wittenberger Reformation durchzusetzen. Im Gegenteil wandte sich auf dem Wormser Religionsgespräch die Mehrheit der anwesenden Theologen gegen dieses Konzept. Melanchthon, der zuvor von Westphals Partei für die eigene Position beansprucht worden war, erklärte sogar deren Christologie und Abendmahlslehre für nicht rechtgläubig. Die Württemberger Theologen und ihre Parteigänger schlossen sich zumindest der von Westphals Partei vertretenen normativen Abgrenzung nicht an bzw. wandten sich nur normativ gegen die Zürcher, aber nicht gegen die Genfer Reformation. Insgesamt hatte also weniger eine Partei sich durchgesetzt, als dass alle Beteiligten einsehen mussten, dass sie ihre Position nicht als gesamtreformatorisch normativ etablieren konnten: Calvin konnte nicht die Wittenberger Mehrheit für sich gewinnen, aber auch Westphals Partei musste hinnehmen, dass ihre Haltung nicht für die Wittenberger Reformation normativ wurde. Den Flüchtlingsgemeinden gelang es nicht, alle anderen reformatorischen Richtungen von der aus ihrer Sicht vollkommenen Lehre zu überzeugen. Die übrigen Gruppen konnte ihre jeweilige Zwischenposition je länger, desto weniger als evangelisch allgemeinverbindlich ansehen. Die entstandene Abgrenzung war nicht mit der späteren Konfessionsgrenze identisch, aber alle Beteiligten mussten sich damit abfinden, dass es auf absehbare Zeit mehr als eine kirchlich institutionalisierte, politisch einflussreiche Form von Reformation geben würde. Der Zweite Abendmahlsstreit ist insofern ein besonders deutliches Beispiel dafür, dass die Entwicklung hin zu einer klareren konfessionellen Verhältnisbestimmung zugleich das Scheitern gesamtreformatorisch normativer Ansprüche bedeutete. Ob dies bei anderen konfessionsbildenden Kontroversen ähnlich ist, wäre zu untersuchen: Bei Debatten, deren eine Partei derart in die Defensive gedrängt wurde, dass sie keine eigenen Institutionen ausbilden konnte, verhält es sich möglicherweise anders. In jedem Falle aber sollte nicht davon ausgegangen werden, dass stets eine Streitpartei ihre Haltung vollumfänglich durchsetzen konnte: Selbst wenn eine Partei die Kontroverse dominierte, gehört es ebenso zum Konfessionsbildungsprozess, dass sie sich im Laufe der Debatte von bestimmten Vorstellungen verabschieden musste – auch von der Hoffnung, mit der anderen Partei sympathisierende oder zwischen beiden stehende Personen auf ihre Seite ziehen zu können.

2.5 Die konfessionsbildende Wirkung des Streits

597

b) Ausbildung einer gemeinsamen Identität innerhalb der Parteien Im Laufe des Streits entwickelten beide Parteien innerhalb der eigenen Allianz gemeinsame Identitätsvorstellungen. Wird das in der Forschung meist eher auf reformierter Seite als konfessionsbildender Faktor hervorgehoben, zeigt sich im Abendmahlsstreit, dass der Prozess auf beiden Seiten ähnlich funktioniert: Durch das kollektive Agieren im Streit und den wechselseitigen Austausch entstanden gemeinsame Haltungen und ein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit. Dabei konnten beide Seiten eine gewisse interne Pluralität integrieren; die innere Struktur der Allianzen war dagegen unterschiedlich. Die Partei Calvins, a Lascos und Vermiglis reflektierte in Verteidigung gegen Westphals Partei ihre Zusammengehörigkeit und etablierte den Consensus Tigurinus endgültig als gemeinsame Grundlage. Das bedeutete keine Eliminierung der theologischen Pluralität: Weder hatten alle Zürcher die Genfer noch alle Genfer die Zürcher Position übernommen. Vielmehr gab es weiterhin ein Spektrum von Ochinos Gleichsetzung geistlicher Präsenz mit dem Glauben über die Positionen Bullingers, a Lascos und Vermiglis bis zur exhibitiven Auffassung Calvins und Bezas. Im Laufe der Debatte kristallisierte sich aber heraus, dass alle diese Positionen sich auf den Consensus berufen und auf dieser Basis die anderen Beteiligten im eigenen Sinne interpretieren konnten. Ausgrenzend wirkte das nur gegenüber Positionen an den Enden des Spektrums, die mit dem Consensus auch inhaltliche Schwierigkeiten hatten: symbolischen Positionen einerseits, der Haltung von Bucerschülern wie Sulzer andererseits. Die auf Westphals Seite vorgebrachten Positionen waren dogmatisch homogener: Westphals Partei als ganze trat für eine leiblich verstandene substantiale Präsenz der menschlichen Natur Christi im Abendmahl ein. Unterschiedlich beurteilt wurde allerdings deren Verhältnis zu den Elementen: Hachenburg und einige Kollegen betonten Christi Präsenz in den Elementen; Theologen wie Alber und von Eitzen vertraten eine Präsenz mit dem Brot. Das stellte lange Zeit für die Beteiligten kein Problem dar; in Sammlungen wie der Confessio fidei standen diverse Varianten nebeneinander. Schwierig wurde dieser Aspekt erst, als er sich mit der Frage der Sakramentsanbetung verband: Für Hachenburg war die Anbetung der Elemente während des Abendmahls Signum der Rechtgläubigkeit; andere Mitstreiter Westphals sprachen sich gegen eine solche Anbetung aus. Dies war brisant, zumal Melanchthon unter Verweis auf diesen Aspekt Häresievorwürfe gegen Westphals Partei erhob. Für deren internes Verhältnis wurde es aber vorerst nicht problematisch, da die gemeinsame Frontstellung gegen Calvin und dessen Kollegen davon nicht tangiert wurde. Erst in den späteren Danziger und Lübecker Debatten brach die Frage wieder auf. Im Hinblick auf den Prozess der Konfessionsbildung insgesamt wirft das die Frage auf, unter welchen Bedingungen dogmatische Unterschiede innerhalb identitätsrelevanter Gruppenbildungen integriert werden können. Die Analyse des Abendmahlsstreits legt nahe, dass dies so lange der Fall ist, wie sie weder

598

VI.2 Ergebnisse

die Gemeinsamkeit nach innen und die Formulierung positiver Kernaussagen noch die kollektive Abgrenzung zur Gegenpartei gefährden – anders gesagt: solange der gemeinsame normative Anspruch nicht in Frage gestellt wird. In diesem Verständigungsprozess ist bei den Anhängern des Consensus Tigurinus allenfalls eingeschränkt eine Zentrierung auf bestimmte Personen oder Kirchen festzustellen: Die Genfer und Zürcher wurden zwar von kleineren Kirchen als Autorität betrachtet; Vermigli oder a Lasco dagegen kommunizierten mit ihnen auf Augenhöhe. Calvin verfasste zwar die meisten Schriften zum überregionalen Streit; bezieht man aber regionale Debatten ein, sind von a Lasco mehr Texte zu verzeichnen. Dass Calvin sich zu mehreren Antwortschriften verpflichtet fühlte, scheint weniger Ausweis einer Zentralstellung zu sein als Folge des Umstands, dass er die erste Schrift gegen Westphal verfasst hatte. Die Entstehung dieser Schrift ging auf die Initiative a Lascos zurück, die Verteidigungsschriften der folgenden Phase auf die Initiative Vermiglis. Bei der anderen Partei gab es hingegen mit Westphal und der Hamburger Kirche ein Zentrum, aus dem über die Hälfte der Streitschriften kam und mit dem die anderen Beteiligten in Kontakt standen oder sich darauf bezogen. Ein abweichendes Verständnis theologischer Autorität scheint sich dahinter insofern nicht zu verbergen, als auch Westphals Verhältnis zu seinen Mitstreitern eher gleichberechtigt als hierarchisch wirkt. Jedoch wurde der Streit wesentlich vom Hamburger norddeutsch-hansestädtischen Netzwerk bestimmt, das von Mecklenburg und Ostfriesland bis nach Dänemark reichte. Die Unterstützung aus Magdeburg und dem ernestinischen Sachsen, die in der Literatur oft als Zentren der interimsgegnerischen Allianz hervorgehoben werden, hatte keine prinzipiell andere Bedeutung als die aus Frankfurt oder Regensburg. Die gängige Vorstellung, dass konfessionsrelevante Gruppen ein festes, inhaltlich dominierendes kirchliches Zentrum hätten, ist also vom Abendmahlsstreit her zu differenzieren. Im reformierten Kontext ist grundsätzlich schon länger bewusst, dass Genfer und Zürcher Kirche eine wichtige Rolle für entsprechende Diskurse spielten, sie aber nicht allein bestimmten. In Bezug auf das Netzwerk städtischer Interimsgegner wäre es ein lohnender Gegenstand weiterer Forschungen, ob diese Gruppe in anderen Kontroversen von wieder anderen Akteuren angeführt wurde (was eine situative Aufgabenverteilung nahelegen würde), ob häufiger eine Führungsrolle norddeutscher Kirchen nachweisbar ist oder ob im Zweiten Abendmahlsstreit ein Sonderfall vorliegt. c) Kirchenpolitische Abgrenzungen und die Rolle der Confessio Augustana Im Verlauf des Abendmahlsstreits entstanden auch kirchenpolitische Abgrenzungen. Entgegen gängiger Annahmen darf diese Entwicklung allerdings nicht allein am Augsburger Religionsfrieden von 1555 festgemacht werden, und auch die Rolle der Confessio Augustana ist komplexer als oft vermutet.

2.5 Die konfessionsbildende Wirkung des Streits

599

Die Debatte, welche Partei sich auf die Confessio Augustana berufen dürfe, wurde schon vor dem Religionsfrieden geführt: Calvin berief sich bereits 1554 darauf, dass seine Abendmahlslehre und der Consensus Tigurinus mit der CA variata übereinstimmten, die Wittenberger und Straßburger Reformation auf den Reichsreligionsgesprächen gemeinsam vertreten hatten. Es handelt sich also nicht (wie oft angenommen) um eine nachträgliche Schutzbehauptung, die den Einschluss seiner Ansicht in den Religionsfrieden begründen sollte. Die Diskussion über die CA vor 1555 ist auch nicht so zu erklären, dass sie schon zu diesem Zeitpunkt (etwa basierend auf dem Passauer Vertrag) als die für Evangelische kirchenpolitisch normative Größe gesehen worden wäre: Timann und Westphal argumentierten zu dieser Zeit bereits für eine kirchenpolitische Ausgrenzung der Gegenpartei, rückten dabei aber nicht die CA in den Vordergrund. Westphal unterstellte den Gegnern das reichsrechtlich sanktionierte Verbrechen der Blasphemie und berief sich auf Edikte des Hamburger Rats sowie des dänischen Königs; Timann rekurrierte auf Aussagen Luthers und Augustins zur Ketzerbekämpfung. Die CA kam erst in Reaktion auf Calvins Aussagen stärker in den Blick – und zwar zunächst als kirchlich normative Größe: Calvin gebrauchte sie als Argument für die Übereinstimmung seiner Auffassung mit der Wittenberger Reformation; Westphals Seite befürchtete, dies könnte dazu führen, dass seine Lehre im Wittenberger Kontext als rechtgläubig wahrgenommen würde, und betonte, dass er sich nicht auf die CA berufen könne. Der Charakter der CA als Bekenntnis evangelischer Reichsstände mag dabei mitschwingen, wird aber von den Akteuren nicht hervorgehoben. Sie wird argumentativ nicht anders behandelt als beispielsweise Texte Luthers. Die gegeneinander stehenden Positionen waren aus Sicht der Streitakteure zudem nicht mit Variata und Invariata identifiziert: Zwar beriefen sich Calvin und a Lasco auf die Variata; Westphal und die Mehrheit seiner Mitstreiter setzten ihnen jedoch nicht die Invariata entgegen, sondern eine andere Deutung der Variata: Diese sei nicht vom Consensus Tigurinus her zu interpretieren, sondern von Melanchthons Apologie der CA. Selbst Akteure wie Schnepf, die sich auf die Invariata beriefen, argumentierten analog und rekurrierten in keiner Weise auf den Unterschied der Fassungen. Deren Differenz sollte erst auf dem Naumburger Fürstentag von 1561 stärker zu Bewusstsein kommen. Im Zweiten Abendmahlsstreit waren nicht sie strittig, sondern die Auslegungsgrößen. Der 1555 geschlossene Augsburger Religionsfrieden scheint sich auf die überregionale Debatte nicht sofort ausgewirkt zu haben: Er wurde nicht nur von den Akteuren kaum explizit erwähnt; auch die Diskussion über die CA wurde zunächst wie zuvor weitergeführt. Methodisch ist insofern nicht jede Erwähnung der CA als Anspielung auf den Religionsfrieden zu deuten. Eine verstärkte kirchenpolitische Aufladung erfolgte erst, als die Planungen für das Wormser Religionsgespräch von 1557 konkret wurden: Da die evangelischen Reichsstände sich für dieses Gespräch auf eine Interpretation der CA verstän-

600

VI.2 Ergebnisse

digen mussten und zu erwarten stand, dass diese Deutung längerfristig kirchenpolitisch normativ würde, versuchten beide Streitparteien und Vertreter der dazwischen stehenden Positionen, diese Festlegung im Sinne ihrer jeweiligen CA-Interpretation zu beeinflussen – in inhaltlicher Hinsicht wie mit Blick auf die Frage, welche Gruppen als ein- bzw. ausgeschlossen gelten sollten. In regionalen Debatten dagegen wurde der Religionsfrieden umgehend als Argument herangezogen, am deutlichsten in Frankfurt. Auch das stellte allerdings keine aus dem Reichsrecht resultierende Selbstverständlichkeit dar. Vielmehr sahen die mit Westphal sympathisierenden örtlichen Prediger darin eine Chance, die ihnen der oberdeutsch geprägte Frankfurter Bekenntnisstand nicht bot: Nun konnten sie unter Verweis auf auswärtige Obrigkeiten und die von Westphals Partei vertretene CA-Deutung den Rat unter Druck setzen, der zu Westphals Gegnern zählende Flüchtlinge aufgenommen hatte. Diese CA-Interpretation wurde aber nicht als allgemeinverbindlich anerkannt: Nicht nur die Flüchtlinge argumentierten, dass ihre Lehre CA-konform sei; auch der Rat interpretierte den Bekenntnisstand und die CA gemäß einer oberdeutschen Lesart der Wittenberger Konkordie, während die Pfarrer umgekehrt geltend machten, die Konkordie sei im Sinne von Westphals CA-Deutung zu verstehen. Da sich die Evangelischen 1557 in Worms nicht auf eine gemeinsame Position einigen konnten, führte auch die überregionale Debatte nicht zu einer eindeutigen kirchenpolitischen Festlegung, sondern mit Frankfurter Rezess und Weimarer Konfutationsbuch zu konkurrierenden Modellen verbindlicher CAAuslegung. Die Frankfurter Flüchtlinge und andere Gegner Westphals konnten sich daher auf den Rezess berufen, und selbst als die Prediger in Frankfurt später eindeutige Abgrenzungen erwirkten, kamen die Flüchtlinge anderenorts im Reich unter. Darin spiegelt sich auf politischer Ebene der Umstand, dass keiner Partei eine reformatorisch normative Durchsetzung ihrer Position gelang. Somit liegt auch auf kirchenpolitischer Ebene der konfessionsbildende Effekt des Streits nicht in einer normativen Deutung des Religionsfriedens, sondern darin, dass sich unterscheidbare Gruppen von CA-Deutungen herausbildeten, die im Nachhinein auf dem Naumburger Fürstentag mit Variata und Invariata identifiziert wurden – und es zugleich den evangelischen Reichsständen weiterhin ermöglichten, sich gemeinsam unter dem Dach der CA zu sammeln. Dies bestätigt die Einsicht jüngerer Forschung, dass die inhaltliche Definition der im Religionsfrieden postulierten CA-Verwandtschaft im Wechselspiel mit gleichzeitigen theologischen Kontroversen erst geklärt werden musste – und es zugleich nicht gelang, sie „tatsächlich eindeutig festzulegen.“3 Dabei sind zwei Aspekte zu betonen, die auch für andere Zusammenhänge relevant 3 Vgl. DINGEL, IRENE, Augsburger Religionsfrieden und Augsburger Konfessionsverwandtschaft – konfessionelle Lesarten, in: Heinz Schilling / Heribert Smolinsky (Hg.), Der Augsburger Religionsfrieden 1555, Gütersloh 2007 (SVRG 206), 157–176, Zitat 158; zudem KAUFMANN, Lutherische Konfessionskultur, 9; POHLIG, Wahrheit als Lüge, 145–148.

2.6 Nach dem Streit offen gebliebene Fragen

601

sein dürften: Zum einen ergab sich der Klärungsvorgang nicht per se aus der Friedensbestimmung, sondern es musste konkreter kirchenpolitischer Regelungsbedarf hinzukommen – sei es auf überregionaler oder lokaler Ebene. Zum anderen hatte die CA keine exklusive Stellung, sondern je nach Kontext galten auch andere Dokumente als kirchenpolitisch normativ. Insofern sind für kirchenpolitische Klärungsprozesse nicht nur die zitierten CA-Versionen in den Blick zu nehmen, sondern auch diese anderen Texte, die teils als Auslegungsgrößen für die CA, teils unabhängig davon herangezogen wurden.

2.6 Nach dem Streit offen gebliebene Fragen und deren Einfluss auf den Konfessionsbildungsprozess 2.6 Nach dem Streit offen gebliebene Fragen

Mit dem Zweiten Abendmahlsstreit war die lutherisch-reformierte Konfessionsbildung nicht abgeschlossen; die dadurch entstandene Abgrenzung war nicht mit der zwischen den späteren Konfessionen identisch. Vielmehr blieben in theologischer Hinsicht wie im Hinblick auf das innerevangelische Verhältnis Fragen offen, die erst in den folgenden Jahrzehnten allmählich geklärt wurden – und sich so auf den weiteren Konfessionsbildungsprozess auswirkten. Unklar war am Ende des Streits zunächst die Verortung derjenigen Gruppen, die mit ihrer theologischen und kirchenpolitischen Haltung zwischen beiden Streitparteien standen: Die Bucerschüler, Melanchthon und seine Anhänger sowie die Württemberger und ähnlich denkende Theologen waren weiterhin keiner Seite eindeutig zugeordnet. Das galt zum einen aus ihrer eigenen Sicht: Bucerschüler wie Sulzer sahen sich nach wie vor mit einem reformatorischen Spektrum einig, das (mindestens) von Württemberg bis Zürich reichte. Melanchthon und seine Anhänger hatten sich sowohl gegen Westphals Partei als auch gegen die Zürcher abgegrenzt, aber weder gegen Genfer noch gegen Württemberger Positionen. Die Württemberger hatten zwar von einer Einigung mit Genf Abstand genommen, aber auch von einer Verständigung mit Westphals Partei. Zum anderen gingen auch innerhalb der Streitparteien noch immer die Urteile über diese Gruppen auseinander: Viele, aber nicht alle Parteigänger Westphals hatten sich gegen Melanchthon abgegrenzt. Die Zürcher kooperierten kaum noch mit Bucerschülern, die Genfer durchaus. Calvin gab den Dialog mit den Württembergern auf, Beza nicht. Einige Mitstreiter Westphals wandten sich scharf gegen Brenz, andere betrachteten ihn weiterhin als Autorität. An diesen Gruppen wird auch deutlich, dass der Ausgang des Konfessionsbildungsprozesses um 1560 noch nicht eindeutig vorherzusagen war. Die Polarisierungen zwischen ihnen und den Streitparteien ließen es sogar denkbar erscheinen, dass sie längerfristig eine eigene, dritte evangelische Partei bilden würden: Besonders Melanchthon und seine Anhänger hatten sich massiv gegen Westphals Partei abgegrenzt. Der Ausgang des Wormser Gesprächs sowie die

602

VI.2 Ergebnisse

Opposition von Frankfurter Rezess und Weimarer Konfutationsbuch ließen es unwahrscheinlich wirken, dass Melanchthon und die Württemberger sich mit Westphals Partei verständigen würden. Die Verurteilung Zwinglis, auf die sie sich in Worms festgelegt hatten, hinderte sie daran, Allianzen mit der um den Consensus Tigurinus versammelten Partei einzugehen. Die Bucerschüler waren von Westphals Partei ausgegrenzt worden, standen aber zugleich in einem konfliktreichen Verhältnis zu Zürich. Hingegen kooperierten die Württemberger in Worms mit Melanchthon, in süddeutschen Kontexten mit den bucerisch denkenden Baslern – eine Abgrenzung untereinander gab es vorläufig nicht. Diese Situation war mit Unklarheiten auf theologischer Ebene korreliert, die insbesondere die Christologie betrafen. Zwar hatten viele Streitakteure – speziell Melanchthon, die Württemberger und einige Anhänger Westphals – im Laufe der Debatte ihre christologischen Positionen weiterentwickelt. Zumal Westphal die Diskussion dieses Themas verweigerte, war aber das Verhältnis dieser Ansichten zueinander ebenso wenig eindeutig bestimmt wie die Frage, welche davon sich durchsetzen würde. Ob Johann Bötkers Argumentation für die Ubiquität der Menschheit Christi innerhalb von Westphals Partei mehrheitsfähig war und ob sie als kongruent mit der Württemberger Ubiquitätslehre wahrgenommen würde oder nicht, war genauso unklar wie das Verhältnis zwischen Melanchthons Wendung gegen eine solche Ubiquität und der Genfer Argumentation. Ebenfalls war offen, ob eine inhaltliche Verständigung zwischen den Positionen Melanchthons und der Württemberger möglich sein würde. Die ungeklärten Aspekte führten in den folgenden Jahrzehnten – wiederum in Wechselwirkung mit außertheologischen Faktoren – zu weiteren Kontroversen: Angestoßen durch die politische Rivalität Württembergs und der Pfalz entwickelte sich in den 1560er Jahren eine christologische Abgrenzung zwischen den Württembergern und den Anhängern des Consensus Tigurinus. Daraus wiederum ergaben sich Differenzen zwischen Wittenberger und Württemberger Theologen. Da die Württemberger nun auch von Westphals früherer Partei unterstützt wurden, standen Melanchthons Schüler vor der Wahl, ob sie sich der norddeutsch-württembergischen oder der von Genf und Zürich geprägten Allianz anschließen wollten. Im Laufe dieses Prozesses wurden auch bucerische Positionen zunehmend irrelevant. Erst damit war die konfessionelle Abgrenzung von Luthertum und Reformiertentum abgeschlossen. Die Nachgeschichte des Zweiten Abendmahlsstreits bestätigt somit nicht nur, dass die Konfessionsbildung des 16. Jahrhunderts einen langandauernden, vielschichtigen Prozess darstellte, sondern macht auch sichtbar, dass von einem bestimmten Stadium dieses Vorgangs nicht teleologisch auf das Endresultat geschlossen werden kann. Identitätsrelevante Abgrenzungen und bleibende Unklarheiten waren vielmehr gerade in ihrem Zusammenspiel historisch produktiv – für den weiteren Konfessionsbildungsprozess ebenso wie für die Bezugnahmen späterer Jahrhunderte.

Anhang: Zitate in Westphals Farrago Westphals Farrago besteht zu großen Teilen aus Zitaten gegnerischer Abendmahlsschriften, deren häretischen Charakter er zu erweisen sucht. Diese, bei Westphal nur grob verorteten Zitate werden in der folgenden Tabelle nachgewiesen. Falls eine moderne Edition vorliegt, erfolgt der Verweis auf diese Edition, sonst auf den Erstdruck. Verwendete Abkürzungen und Kurztitel beziehen sich auf das Abkürzungs- bzw. Literaturverzeichnis dieser Arbeit. Westphal zitiert durchgängig in lateinischer Sprache. Bei diversen ursprünglich auf Deutsch oder Französisch abgefassten Werken – Karlstadts Dialogus, Zwinglis Eine klare Unterrichtung vom Nachtmahl Christi, dem Zürcher Bekenntnis von 1545 und Calvins Petit traicte – stimmt die von Westphal gebotene Textfassung mit keiner bekannten Übersetzung des 16. Jahrhunderts überein, so dass zu vermuten steht, dass er oder einer seiner Mitstreiter diese Passagen selbst übersetzt hat. Bei Zwinglis De convitiis Eckii entspricht die Wiedergabe weder der Erstausgabe (= CR) noch dem 1545 erfolgten Abdruck in der Zürcher Zwingliausgabe, so dass es sich wahrscheinlich ebenfalls um eine Übersetzung der zeitgenössischen deutschen Fassung (VD16 Z 777) handelt. Überschrift D. Andreas Carolstadivs in Dialogo Anno 25.

In responsione Zvinglij ad Epistolam Ioannis Bugenhagen Pomerani In Subsidio de Eucharistia 25.

Zitierte Schrift KARLSTADT, Dialogus (1524)

ZWINGLI, Responsio (1525)

ZWINGLI, Subsidium de eucharistia (1525)

Passage in der Farrago B3r (Hic uersus […] est perfectus) B3v (Bonum esset […] sibi uellet) B3v (τοῠτο graecum est pronomen […] mein leib) B3v (Ego semper sic sensi […] loquuntur mentientes) B3v–B4r (Haec oratio […] non panem demonstrasse) B4r–B4v

Edition / Druck HERTZSCH II, 13 f. HERTZSCH II, 15

B4v–B5v

CR 91 = Z 4, 477 f.

HERTZSCH II, 16 HERTZSCH II, 17 HERTZSCH II, 19 f. CR 91 = Z 4, 560

604 Zvinglivs de coena domini.

Idem ad Principes Germaniae. Petrvs Martyr in tractatione de eucharistia, Anno 49.

Zitate in Westphals Farrago ZWINGLI, Klare Unterrichtung vom Nachtmahl Christi (1526)

ZWINGLI, De convitiis Eckii (1530) VERMIGLI, Tractatio de sacramento eucharistiae (1549)

Ioannes Oecolampadivs in sermone de dignitate Eucharistiae. Idem ad Theobaldvm Bellicanum.

OEKOLAMPAD, Sermo apologeticus de dignitate eucharistiae (1526) OEKOLAMPAD, Ad Theobaldum Billicanum (1526)

Idem ad Ecclesiastes in Suevia.

OEKOLAMPAD, Antisyngramma (1525)

Martinvs Bvcervs in Apologia de doctrina Coenae Domini. In Evangelium Matth. Cap. 26.

BUCER, Apologia (1526)

BUCER, Enarrationes in Evangelia (1527)

B5v (Sacramentum idem est […] Corpus Christi) B5v (Corpus quidem […] in Eucharistia percipitur) B5v–B6r (Caro in uerbis […] nihil est curandum) B6r (Verbum (est) accipitur […] pro significat) B6r (Vocula (est) non potest […] corporis mei) B6r (Hic calix est […] significat Sanguinem meum) B6r (Obseruandum est […] pro nobis effusi) B6r–B6v (Paulus […] multi sumus) B6v–B7r

CR 91 = Z 4, 793 f. CR 91 = Z 4, 794

B7r–B7v (Cvm Christus dicit […] carne mea) B7v (Diximus et confirmamus […] non ore corporis) B7v–B8r (Idem […] uerborum potius, quam rei) B8r (Et aliqvanto […] Sacramentalem) B8v

Ausgabe London 1549, 33. AaO., 81.

B8v–C1r (In Coena […] tradendum vel traditum) C1r–C1v (Quia apud Mattheum […] quod pro nobis traditum) C1v (De hoc […] panis significet corpus) C1v (Verba Apostoli […] membra simus) C1v (Satis liquet […] quadam) C1v–C2r (Edere panem […] in pane desidentem) C2r–C2v (Porrigendo pane […] in remissionem peccatorum vestrorum)

CR 91 = Z 4, 816 CR 91 = Z 4, 842 CR 91 = Z 4, 844 CR 91 = Z 4, 847 CR 91 = Z 4, 850 CR 91 = Z 4, 860 CR 93.3 = Z 6.3, 275

AaO., 65. AaO., 78. OEKOLAMPAD, Apologetica aliquot scripta, A8r.

AaO., E8r–E8v. AaO., F1v.

AaO., I2v. AaO., P8v–Q1r. BUCER, Apologia, 12r. AaO., 16r–v. BUCER, Enarrationes, 330v–331r.

605

Zitate in Westphals Farrago Idem ad amicvm qvendam. Idem in libro de concilio et legitime iudicandis controuersijs religionis. Ministri Tigurinae Ecclesiae in Confessione sua aduersus Lutherum.

Bullingervs in I. Epist. ad Chorinth. Cap. X. In Cap. XI.

In Tractatione de Ecclesiae Sacramentis.

Ioannes Calvinvs in libro de coena Domini.

?

C2v–C4v

?

BUCER, De concilio (1545)

C4r

BUCER, De concilio, o2v–o3r.

BULLINGER, Wahrhaftes Bekenntnis (1545)

C4v (Qvod si autem Lutherus […] nulla fit prorsus mentio etc.) C4v–C5r (Praeterea scimus […] multum prodest) C5r–C6v (Et si quis obiiciat […] prorsus repugnat) C6v (D. Andreas Carolstadius […] non malum testimonium dabit) C7r (Evcharistiae panis […] corpus mysticum coetunt) C7r (Sancti in Baptismo […] exhibeatur fidelibus) C7r–C7v (Fatemur ergo […] sanguis Christi) C7v (Quod humanam Christi carnem […] uado ad Patrem etc.) C8r (Summa uerborum Pauli […] initamque) C8r (Equidem propter uim […] panem corpus suum appellauit) C8r–C8v (Porro adiecta ad calicem particula […] in medio est coenantium) C8v (Verba Domini […] effusi sanguinis)

BULLINGER, Wahrhaftes Bekenntnis, 64r. AaO., 78v–79r.

BULLINGER, Kommentar über 1 Kor (1534) Ebd.

BULLINGER, Tractatio de ecclesiae sacramentis (1547)

CALVIN, Petit traicte (1541)

C8v–D1r (Significatur Baptismo […] Christi communionem) D1r (Communio, uel communicatio […] redempta est.) D1r (Iam ingredimur […] vna cum ipso perfruamur) D3v–D5r (Vt autem finiamus […] exhibet)

AaO., 94r–95r. AaO., 115v–116r.

HBTS 6, 367.

HBTS 6, 369. HBTS 6, 370. HBTS 6, 371.

HBTS 6, 379 f. HBTS 6, 380.

HBTS 6, 382.

HBTS 3.2, 891, Anm. 260 (Londoner Ausgabe!) HBTS 3.2, 958 f. (dito) HBTS 3.2, 947.

CR 35 = CO 5, 438–440. CR 35 = CO 5, 457–459.

606 In I. Corinthios XI. Ex consensione mutua in re sacramentaria, cum ministris Tigurinae Ecclesiae. Ex Catechismo.

Ioannes a Lasco Polonus in tractatione de Ecclesiae Christi Sacramentis.

Zitate in Westphals Farrago CALVIN, Kommentar zu 1 Kor (1546) Consensus Tigurinus (1549)

CALVIN, Catechismus Ecclesiae Genevensis (1545)

A LASCO, Tractatio de ecclesiae sacramentis (1552)

D5v–D6r (Non recensebo infoelices pugnas […] quam pane uescimur) D6v–D7r (Praesertim uero tollenda […] quantum coelum abest a terra.) D7r (Quod si imaginatione nostra […] Christum adoraturi) D7r (M. Quid est Sacramentum? […] ueritas melius confirmetur) D7r–D7v (M. Ac primo […] ad nos perueniat) D7v–D8r (M. Quid ergo […] ut ipso fruamur) D8r–D8v (Et Paulus […] sanguine Christi) D8v–E1r (Neque […] usu legitimo Sacramentorum) E1r (In Corporis […] nobis tradidisse.) E1r (In instituenda […] tradi audiamus) E1r (Scriptura […] pro sua misericordia detulisset) E1r–E1v (Ita sane […] suae resurrectionis) E1v (Substantiam ipse […] apud Patrem habetur) E1v–E2r (Mysterium coenae […] Sanguine ipsius) E2r (In coenae Dominicae Sacramento […] corpus meum.) E2r (Nos in coenae uerbis […] panis substantiam demonstrari) E2v (Verbum porro […] cum signo fruitionem) E2v (In coenae Dominicae uerbis […] oporteat) E2v–E3r (Et ut clarius […] mecum in corpore) E3r (Iuxta ipsam fidei analogiam […] Domini institutione obsignemur)

CR 49 = CO 27, 486 f. ConsTig 21–22 (S. 136 f.) ConsTig 25–26 (S. 138 f.) CR 34 = CO 6, 113. CR 34 = CO 6, 124. CR 34 = CO 6, 127 f. KUYPER I, 149. KUYPER I, 151. KUYPER I, 152. KUYPER I, 153. KUYPER I, 153 f. KUYPER I, 154. KUYPER I, 160. KUYPER I, 203. KUYPER I, 203.

KUYPER I, 204.

KUYPER I, 205. KUYPER I, 206. KUYPER I, 208. KUYPER I, 208.

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellen 1. Quellen

1.1 Alte Drucke AEPIN, JOHANN, LIBER DE || Purgatorio. || Satisfactionibus. || Remißione culpae & poenae || […], London: o.D. [= Hamburg: Joachim Löw] 1549, VD16 A 383. ALBER, ERASMUS, Widder das Lesterbuch des || hochfliehenden Osiandri / darinnen er das || Gerechte Blut vnsers Herrn Jesu || Christi verwirfft / als vn=||tchtig zu vnser Ge=||rechtigkeit. […], Hamburg: Joachim Löw o.J. [1551/52], VD16 A 1561. DERS., Vom Winter=||vogel Halcyon / ein herlich wunderwerck || Gottis / mit der heiligen Schrifft || aussgelegt […], Hamburg: Joachim Löw 1552, VD16 A 1545. DERS., Vom Basilisken zu Mag||deburg. Jtem vom Hanen eyhe / daraus || ein Basilisck wirt / mit seiner Bedeutung || aus der heiligen Schrifft. || […], Hamburg: Joachim Löw o.J. [1552], VD16 A 1538. DERS., Widder die verflchte || Lehre der Carlstader / vnd alle fürnem-||bste Heubter der Sacramentirer / Rot=||tengeyster / widderteuffer / Sacramentlesterer / Ehe=||schender / Musicaverechter / Bildstürmer / feiertagfein=||de / vnd verwüster aller gten ordnung. […], Neubrandenburg: Anton und Walter Brenner 1556, VD16 A 1562. DERS., Wider die ver=||fluchte Lere der Carlsta||der / vnd alle frnemste Heubter || der Sacramentirer / Rottengeister/ Wi=||derteuffer / Sacramentlesterer/ Ehe||schender / Musica verechter / Bild||strmer / Feiertagfeinde/ vnd || verwster aller guten || ordnung. || […], Neubrandenburg: Anton und Walter Brenner 1565, VD16 A 1563. DERS., Wider die verkehrte Lehre || der Carlstader/ || Vnd alle fr=||nemste Hupter der Sa=||cramentirer / Rottengeister / Wi=||derteuffer / Sacramentlesterer / Ehe=||schender / Musica verchter / || Bildtstrmer / vnd ver=||wster aller guten || ordnung. || […], Neubrandenburg: o.D. 1592, VD16 A 1564. AMSDORF, NIKOLAUS VON, Widder die || Widderteuffer || vnd Sacramen=||tirer / Etliche sprche […], Magdeburg: Hans Walther 1535, VD16 A 2411. DERS., Das die zu Witten=||berg im andern teil der bucher Doc=||toris Martini im buch das diese wort || Christi (Das ist mein Leib etc.) noch fest ste=||hen / mehr denn ein blat vier gantzer Pa=||ragraphos vorsetzlich aussgelas=||sen haben wie folget.|| […], Magdeburg: Michael Lotther 1549, VD16 L 4281. DERS., Offentliche || Bekentnis der reinen lere des Euan=||gelij / Vnd Confutatio der jtzigen || Schwermer.|| […], Jena: Thomas Rebart 1558, VD16 A 2382. ANDREAE, JAKOB, Kurtzer vnnd || einfeltiger Bericht von || des Herrn Nachtmal / vnnd || wie sich ein einfeltiger Christ inn || die langwirige zwispalt / || so sich darber erhebt / || schicken sol. || […], Tübingen: Ulrich Morhart 1557, VD16 A 2653.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

DERS., Sechs Christlicher Pre=||dig / || Von den Spaltun=||gen / so sich zwischen den Theologen || Augspurgischer Confession / von Anno 1548. || biß auff diß 1573. Jar / nach vnnd nach erhaben […], Tübingen: Georg Gruppenbach 1573, VD16 A 2699. BARTH, GEORG, DIALOGVS. || Gespreke || van der vnstarff=||licheit der Sele / tho || dessen ergerliken tiden / gautz || trstlich vnd ntte tho lesen. || […], Lübeck: Georg Richolff 1552, VD16 B 489. BEZA, THEODOR, DE COENA DO-||mini, plana et perspicua tractatio. || In qua Ioachimi Vvesphali calumniae postre-||mum editae refelluntur, Genf: Robert Estienne 1559, GLN 2106. BÖTKER, JOHANN, Von des Hern || Christi Hoch-||wirdigen Abendmal / Kurtzer und ein-|| feltiger Bericht […], Hamburg: Johann Wickradt 1557, VD16 B 6442. BRENZ, JOHANNES, Von dem Hoch=||wirdigen Sacrament des || Abendmals vnsers Herrn Jesu Christi / || Drey Predig / vber die Wort S. Pauli / 1. Corinth. 11.|| […], Frankfurt (Main): Peter Braubach 1556, VD16 B 7925. DERS., BEkanntnus vnnd Be/||richt der Theologen vnd Kirchen=||diener im Fürstenthumb Würtemberg/ || von der warhafftigē gegenwertigkeit des || Leibs vnnd Blůts Jesu Christi || im heiligen Nacht=||mal. ||, Tübingen: o.D. 1560, VD16 B 1558. DERS., Recognitio || Propheticae & Aposto-||LICAE DOCTRINAE DE VERA || MAIESTATE DOMINI NOSTRI IE-||SV CHRISTI, AD DEXTERAM DEI || PATRIS SVI OMNIPO-||TENTIS. || […], Tübingen: Ulrich Morhart 1564, VD16 B 7785.

BUCER, MARTIN, APOLOGIA || MARTINI BVCERI QVA || fidei suae atque doctrinae, circa Christi Cae=||nam […] sim||pliciter reddit […], Straßburg: Johann Herwagen 1526, VD16 B 8848. DERS., ENAR=||RATIONVM IN EVAN=||gelia Matthaei, Marci, & Lucae, || libri duo […], Straßburg: Johann Herwagen 1527, VD16 B 8871. DERS., DE CONCILIO, || ET LEGITIME IVDICANDIS || CONTROVERSIIS RELIGIONIS, || […], Straßburg: Georg Messerschmidt 1545, VD16 B 8858. DERS., GRATVLA-||TIO […] AD EC-||clesiam Anglicanam, de Religionis || CHRISTI restitutione: || [...], o.O.:o.J. [Basel: Johann Oporinus] 1548, VD16 B 8888. DERS., Scripta Anglicana || FERE OMNIA || Iis etiam, quae hactenus vel nondum, vel sparsim,|| vel peregrino saltem idiomate edi-||ta fuêre, adiunctis || A CON. HVBERTO […]. || collecta.|| […], Basel: Peter Perna 1577, VD16 B 8924. BUGENHAGEN, JOHANNES, Eyn Sendbrieff || widder den newen yrrthumb || bey dem Sacrament des || leybs vnd blutts vn=||sers HERRN || Jhesu Chri||sti. || […], Wittenberg: Joseph Klug 1525, VD16 B 9383. BULLINGER, HEINRICH, Warhaffte Be=||kanntnuß der dieneren der || kilchen z Zürych […] mit gebürlicher Antwort vff das vn||begründt ergerlich schmhen […] || D. Martin Luthers […], Zürich: Christoph Froschauer 1545, VD16 B 9769. DERS., ABSOLV-||TA DE CHRISTI || DOMINI ET CATHOLICAE || eius Ecclesiae Sacramentis tracta-||tio […], London: Stephan Mierdman 1551. DERS., APOLOGETICA EX-||POSTITIO, || QVA OSTENDITVR || TIGVRINAE ECCLESIAE MINISTROS || nullum sequi dogma haereticum in Coena domini, li-||bellis quorundam acerbis opposita […], Zürich: Andreas und Jakob Geßner 1556, VD16 B 9548. DERS., Vff etliche scharpffe vnnd || bittere bchle Verantwortung […] dari one bitterkeit anzeigt wirt / || daß die diener der kilchen z Zürych/ kein || ktzerische leer von dem Nachtmal vnsers || Herren Jesu Christi haltind oder leerind […], Zürich: Andreas Geßner 1556, VD16 B 9549.

1. Quellen

609

DERS., Apologie || […] En laquelle est demonstré que les Ministres || de lʼEglise de Zurich, ne suiuent aucune || opinion heretique, en la doctrine de la || Cene de nostre Seigneur. […], Genf: Mathieu de la Roche 1558, GLN 2049. DERS., TRACTATIO || VERBORVM || DOMINI, IN DOMO || PATRIS MEI MANSIONES || multae sunt […], Zürich: Christoph Froschauer 1561, VD16 B 9731. CALVIN, JOHANNES, VLTIMA || ADMONITIO || IOANNIS CALVINI || Ad Ioachimum westphalum, cui nisi obtem-||peret, eo loco posthac habendus erit, quo || pertinaces haereticos haberi iubet Paulus. || REFVTANTUR ETIAM HOC || scripto superbae Magdeburgensium et aliorum || censurae, quibus caelum et terram obruere || conati sunt, Genf: Jean Crespin 1557, GLN 390. CAPITO, WOLFGANG, WAsz man hal||ten / vnnd antwurten || soll / von der spaltung zwischen Martin || Luther vnd Andres Carolstadtt. || […], Straßburg: Wolfgang Köpfel 1524, VD16 ZV 2928. VON EITZEN, PAUL, DEFENSIO || VERAE DOCTRINAE || de coena Domini nostri Iesu Chri-|| sti […], Oberursel: Nikolaus Heinrich 1557, VD16 E 913. FABER, MARTIN (Hg. und Übs.), Bekentnis || Vom heiligen Abent=||mal Christi / des Ehrwirdigen / etc. Er=||harti Schnepffen / […] || Anno 1556. in Latein gestelt vnd in || Druck gegeben: Weil dazumal der streit vom Sa=||crament widerumb von den Widersachern verne=||wert […] ward, Leipzig: Georg Bärwalds Erben 1580, VD16 S 3317. FLACIUS, MATTHIAS, Widerlegung / || Eines Kleinen Deut=||schen / Caluinischen Catechismi / so in || disem M.D.Lxiij. Jar […] ausgangen. || Jtem / Beweisung / || Das auch die vnwirdigen den wa=||ren Leib vnd Blut Jesu Christi im Abend=||mal empfahen / Wider ein Schwenck=||feldisch / Bchlein […], Regensburg: Heinrich Geißler 1563, VD16 F 1568. Franckfurtische Religions-Handlungen, Welche zwischen Einem Hoch-Edlen und Hochweisen Magistrat und denen Reformirten Burgern und Einwohnern daselbst […] gepflogen worden […], 2 Bde., Frankfurt (Main) 1735. GABBEMA, SIMON ABBES (Hg.), Illustrium & Clarorum || VIRORVM || EPISTOLÆ, || selectiores superiore & hoc seculo || scriptae, distributae in centurias tres. […], Harlingen (Friesland): Heron Galama, 1669. GALLUS, NIKOLAUS, Proba des geists Osi=||andri von der rechtfertigung / durch || die eingegossne wesentliche ge=||rechtigkeit Gottes. || […], Magdeburg: Michael Lotther 1552, VD16 G 286. DERS. (Hg.), SENTEN-||TIAE VETERVM ALI-||quot scriptorum de coena domini || […] editae […] a || Philippo Melanchthone || Anno 1530. || IAM VERO RECVSAE || cum praefatione Nicolai Galli […], Regensburg: Hans Kohl 1554, VD16 M 4222. DERS., Voñ Jrthum̃ en vñd || Secten Theses vnd Hypotheses / das ist / || gemeine erwiesene Sprche / auff gegenwerti=||ge zeit vnd hendel gezogen / zu erhaltung wares ver=||stands / vnser Christlichen Augspurgischen Con=||fession / vnd absonderung der Secten / || Dieser zeit ntig […], Jena: Thomas Rebart 1558, VD16 G 310. HACHENBURG, JOHANN, Wider deñ jrr=||thum̃ b der new=||en zwinglianer / nötige || vnterrichtung […], Erfurt: Merten van Dolgen 1557, VD16 H 89. DERS., Vom anbeten || des Sacraments / Dazu || vom vbriegen / vnnd niderfallen || Sacrament im Abendmal des || HERREN Christi / || Declaration / || […], o.O. 1561, VD16 ZV 7209. JOHANN FRIEDRICH II. VON SACHSEN, DEs Durchleüchtigen /|| Hochgebornen Fürsten vnd Herren / her=||ren Johans Friderichen des Mittlern / Hertzogen || zu Sachssen […] in Gottes || wort / Prophetischer vnd Apostolischer schrifft / gegrün=||dete Confutationes […] || etlicher […] / zu wider demselben Gottes wort / vn̄ || heyliger Schrifft / auch der

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Augspurgischen Confession || Apologien vnd den Schmalkaldischen Artickeln […] eingeschlichenen vnd eingerissenen Corruptelen /|| Secten vnd Jrrthum̄ en […], Jena: Thomas Rebart 1559, VD16 S 1097. JUD, LEO, DEs Hochgelert || Erasmi von Roterdam / v || Doctor Luthers maynung || vom Nachtmal vnsers Herren Jesu || Christi / […], o.O., o.J. [Zürich: Christoph Froschauer 1526], VD16 J 1002. JUDEX, MATTHÄUS (Hg. u. Übers.), DEFENSIO || τοῦ ῥητοῦ VERBORVM COE-||NAE: ACCIPITE, COME-||DITE: HOC EST CORPVS MEVM, || […] aedita Germanice a Luthe||ro, nunc uero in gratiam eorum, qui Germanice non sciunt, translata. […], Nürnberg: Johann vom Berg und Ulrich Neuber 1556, VD16 L 4280. KARLSTADT, ANDREAS, WJder die alte v || newe Papistische Messen.|| […], o.O. [Basel: Thomas Wolff] 1524, VD16 B 6261. DERS., Auszlegung dieser wort || Christi. Das ist meyn leyb / welcher für euch || gegeben würt. Das ist mein blůth / || welches für euch vergossen würt. || […], o.O. [Basel: Johann Bebel] 1524, VD16 B 6111. MAGDEBURG, JOACHIM, Ein kort bericht vnd || bekentnisse van dem Hilligen || Hochwerdigen Sacrament des Ly=||ues vnd Blodes Jesu Christi / darin || van den vornemesten stcken de dith || Sacrament belangende / gehandelt /|| vnd vele erdme vnd mißbrke / so der insetting || Christi entyegen synt / krtlick erkleret v confu=||tiret werden […], Hamburg: Joachim Löw 1553, VD16 M 162. DERS., DIALOGVS || Oder. || Ein Gespreche || eines Esels vnd Berg=||knechts / Jhesu Christo vnserm einigen || erlser […] || zun ehren / seiner Christlichen Ge=||mein […] || zu troste vnd dem || Synodo Auium zu || lieb geschrieben […], Lübeck: Georg Richolff 1557, VD16 M 156. DERS., Von dem alten vnd || newen Christo. || Das ist || Von dem wa-||ren Christo / den Gott Vater im Paradys verheissen […] Vnd von dem falschen Christo / den der || Ketzer Berengarius erfunden […], o.O. 1558, VD16 M 170. MAJOR, GEORG, DE ORIGINE ET || AVTORITATE VERBI DEI, || & quae Pontificũ, Patrum & Con/||ciliorum sit autoritas, admonitio || hoc tempore, quo de Concilio || congregando agitur, ualde || necessaria.|| […], Basel: Andreas Cratander 1551, VD 16 M 2122. MICRON, MARTEN, APOLOGE||TICVM SCRIPTVM || Martini Micronij: || quo Ecclesias Orientalis Frisiae, a Ioa||chimo VVestphalo, alijsque ei simili||bus falso traductas, mode||ste tuetur ac purgat […],o.O.: o.Dr. [Emden?] 1557, VD16 M 5168. OCHINO, BERNARDINO, SYNCERAE || ET VERAE DOCTRINAE || DE COENA DOMINI DEFENSIO || […] contra || Libros tres Ioachimi VVestpha-||li […], Zürich: Andreas und Hans Jakob Geßner 1556, VD16 O 225. OEKOLAMPAD, JOHANNES, […] DE GENVINA || Verborum Domini, Hoc est corpus meum,|| iuxta uetustissimos authores, expo=||sitione liber.||, o.O., o. J. [Straßburg: Johann Knobloch 1525], VD16 O 331. DERS., APOLOGE||TICA […] || DE DIGNITATE EVCHARISTIAE || Sermones duo. || AD THEOBALDVM BILLICANVM || […] || AD ECCLESIASTAS SVEVOS || Antisyngramma, Zürich: Christoph Froschauer 1526, VD16 O 305. DERS., Billiche ant||wurt Joan. Ecolam=||padij / auff D. Martin Lu=||thers bericht / des Sacraments || halb / sampt einem kurtzen begriff || auff etlicher Prediger in Schwa||ben schrifft / […], Basel: Thomas Wolf 1526, VD16 O 296. DERS., Das der miszuer=||stand D. Martin Luthers / vff die ewig=||bstendige wort / Das ist mein leib /|| nit beston mag.|| Die ander billiche ant/||wort […], Basel: Andreas Cratander 1527, VD16 O 303.

1. Quellen

611

POACH, ANDREAS, Bekentniß vnd Grund || der Lere / vom Heiligen / Hochwirdigen || Sacrament des Leibs vnd bluts vnsers HER=||REN Jhesu Christi / […], Mühlhausen (Thüringen): Georg Hantzsch 1572, VD16 P 3811. POULLAIN, VALERAND, ANTIDO-||tus […] AD-||versus Ioachimi Vuestphali […] Consilium nuper scriptum ad || […] Senatum […] ciuitatis Franco-||fordiae […], o.O. 1557, VD16 P 4517. SCHNEPF, ERHARD, CONFES=||SIO […] DE EV=||CHARISTIA: HANC OB CAV=||sam, hoc potißimum tempore edita, quod || certamina uetera, de Coena Domini=||ca, nouis Libellis claßicum ca=||nentibus, recrudescere || incipiunt, || Jena: Christian Rödinger 1556, VD16 S 3314. TIMANN, JOHANN, Farrago Sen-||TENTIARVM CON-||SENTIENTIVM IN VERA ET CA|| tholica doctrina, de Coena Domini,|| […], Frankfurt (Main): Peter Braubach 1555, VD16 T 1313. UTENHOVE, JAN, SIMPLEX ET || fidelis narratio de || INSTITVTA AC DEMVM DIS-|| sipata Belgarum, aliorumque peregri-||norum in Anglia Ecclesia […], Basel: Johann Oporinus 1560, VD16 U 389. VERMIGLI, PETER MARTYR, TRACTATIO || DE SACRAMENTO EV-|| charistiae, habita in celeberrima vni-||uersitate OXONIENSI in Anglia, […] || Disputatio de eodē || EVCHARISTIAE SA-||cramento in eadem Vniuersitate || habita […], London: Reyner Wolfe 1549, USTC 24673. DERS., PETRI MARTYRIS || VERMILII FLORENTINI || uiri doctis. de sacramento eucha-|| ristiae in celeberrima Angliae || schola Oxoniensi ha-||bita tractatio.|| […], Zürich: Andreas Geßner und Rudolf Wyssenbach 1552, VD16 V 843. DERS., DISPVTATIO || DE EVCHARISTIAE || SACRAMENTO HABITA IN CE-||leberr. Vniuersitate Oxonien. in An||glia, antea quidem illic excusa, iam || uero denuò cum triplici indice || in lucem edita.|| […], Zürich: Andreas Geßner und Rudolf Wyssenbach 1552, VD16 D 2050. WALDNER, WOLFGANG (Übs.), Der rechte vngefelschte || Glaub / von dem Hochwirdigen Sa||crament des waren leybs vnd bluts vnsers || Herrn Jesu Christi / […] erstlich im Latein an=||gezeyget vnd beschrieben. || Durch. || M. Joachimum Westphalum / […] || Jetzt aber auffs treulichste verdeutscht / || […], Nürnberg: Georg Merkel 1554, VD16 W 2310. DERS. (Übs.), Der rechte vnge=||felschte Glaub / von dem || Hochwirdigen Sacrament des va||rē leibs vnd bluts vnsers Herrn Jesu Christi / || […] erstlich im Latein angezeygt || vnd beschrieben. || Durch. || M. Joachimum Westphalum || […] Jetzt aber auffs treulichste ver=||deutscht / […] Widerumb mit fleis vbersehen vnd || gebessert. || […], Nürnberg: Georg Merkel 1555, VD16 W 2311. DERS. (Übs.), Confessio / oder Bekant=||nuß / deß Glaubens v der Lehr / von dem || Hochwirdigen Sacrament / deß waren Leibs vnnd || Bluts Jhesu Christi / gestellet vnnd geschriben von den || Christlichen Lehrern der Schsischen Kirchen / || auff das Buch Johannis Caluini / das er || jnen dedicirt vnd zugeschri=||ben hat. || Erstlichen […] Lateinisch ausgangen / jetzt || aber trewlichen verteutschet. […], Regensburg 1558, VD16 W 2275. WESTPHAL, JOACHIM, FARRAGO || CONFVSANEARVM ET IN=||TER SE DISSIDENTIVM OPINIO=||num De Coena Domini ex Sacramentarior li=||bris congesta […], Magdeburg: Christian Rödinger 1552, VD16 W 2287. DERS., RECTA FI=||DES DE COENA DO=||mini, ex uerbis Apostoli Pauli, et || Euangelistarum demonstrata ac communita […], Magdeburg: Michael Lotther 1553, VD16 W 2308. DERS., RECTA FI=||DES DE COENA DO=||MINI, EX VERBIS APO-||stoli Pauli, & Euangelistarum de=||monstrata ac communita […] Addita sunt his eiusdem generis alia || saluberrima opuscula, Straßburg: Blasius Fabricius 1556, VD16 W 2309.

612

Quellen- und Literaturverzeichnis

DERS. (Hg.), SAPIENTER || ET PIE DICTA EXCERP=||ta ex scriptis diui Aurelij Au=||gustini Episcopi Hip=||ponensis. || […], Magdeburg: Michael Lotther 1554, VD16 A 4168. DERS. (Hg. u. Übs.), VERA ET || PROPRIA ENARRA-||TIO DICTI CHRISTI IOANNIS || VI. Caro non prodest quicquam, etc. || a […] Luthero scripta […] et in sermonem Latinum || per IOACHIMVM Vuest||phalum conversa […], Frankfurt (Main): Peter Braubach 1555, VD16 L 4279. DERS. (Hg.), COLLECTA=||NEA SENTENTIA=||RVM DIVI AVRELII AVGVSTINI || Episcopi Hipponensis de Coena Domini. || Addita est confutatio uindicans à corruptelis ple=||rosq; locos, quos pro se ex Augustino falsó citant || Sacramentarij.|| […], Regensburg: Hans Kohl 1555, VD16 A 4170. DERS. (Hg.), Fides Diui Cy||RILLI EPISCOPI ALE-||xandrini, de praesentia Corporis et || sanguinis Christi in sacrae || coenae commu-||nione. […], Frankfurt (Main): Peter Braubach 1555, VD16 C 6577. DERS., Aduersus cuius=||dam Sacramen-||TARII FALSAM CRI||MINATIONEM, IVSTA DEFEN=||sio […], in qua & Eucharistię cau/||sa agitur. Frankfurt (Main): Peter Braubach 1555, VD16 W 2260. DERS., LOCI PRAE||CIPVI, DE VI, VSV, || ET DIGNITATE SALV=||tiferi Baptismi ex Euangelistis & || Apostolis collecti […], Straßburg: Blasius Fabricius 1556, VD16 W 2298. DERS., EPISTO-||LA IOACHIMI || Vuestphali, qua breuiter || respondet ad conuicia || Iohannis Cal-||uini.|| ITEM, || RESPONSIO IO-||achimi Vuestphali, ad scriptum Io||hannis a Lasco, in quo Augu=||stanam Confessionem in || Cinglianismum || transfor/||mat.|| […], Oberursel: Nikolaus Heinrich 1557, VD16 W 2283. DERS., REVEREN=||DI ET CLARISSI-||MI VIRI D. PHILIPPI MELAN=||thonis sententia de coena || Domini, ex scriptis ei=||us collecta, Nürnberg: Johann vom Berg und Ulrich Neuber 1557, VD16 W 2272. DERS., Clarissimi || Viri Philippi Me=||lanthonis sententia || de Coena Domini. || ex scriptis eius collecta […], Hamburg: Johann Wickradt 1557, VD16 W 2271. DERS., CONFESSIO || FIDEI DE EVCHA-||RISTIAE SACRAMENTO, IN QVA || Ministri Ecclesiarum Saxoniae solidis Argumentis sa=||crarum Literarum astruunt Corporis et Sangui-||nis Domini nostri IESV CHRISTI, || praesentiam in Coena sancta […], Magdeburg: Ambrosius Kirchner 1557, VD16 W 2274. DERS., […] IVSTA || DEFENSIO, ADVERSVS || insignia mendacia Ioannis a Lasco || quae in Epistola ad Sereniss. Poloniae || Regem, etc. contra Saxonicas Ecclesias || sparsit […], Straßburg: Blasius Fabricius 1557, VD16 W 2296. DERS., Ein Christliche vnd || trewliche Warnung […] die Sacramentirer be||langend / geschrieben an […] die Burgermeister vnd || Rath zu Franckfurt am || Meyn, Oberursel: Nikolaus Heinrich 1557, VD16 W 2270. DERS., APOLO-||GIA ADVERSVS || VENENATVM AN||TIDOTVM VALERANDI || POLLANI SACRAMENTARII […], Oberursel: Nikolaus Heinrich 1557, VD16 W 2263. DERS., APOLO=||GETICA ALIQVOT || SCRIPTA MAGISTRI || Ioachimi Vuestphali, quibus & || sanam Doctrinam de Eucha-||ristia defendit, & foedissi=||mas calumnias Sacra-||mentariorum || diluit. […], Oberursel: Nikolaus Heinrich 1558, VD16 W 2262. DERS., DE COE=||NA DOMINI CON=||FESSIO […], Oberursel: Nikolaus Heinrich 1558, VD16 W 2269. DERS., CONFV-||TATIO ALIQVOT || ENORMIVM MEN-||daciorum Ioannis Caluini, secu-|| turae Apologiae aduersus eius || furores […], Oberursel: Nikolaus Heinrich 1558, VD16 W 2278.

1. Quellen

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Register Personenregister Personenregister Die Namen „Westphal, Joachim“ und „Calvin, Johannes“ sind nicht aufgenommen. Buchdrucker werden nur aufgeführt, wenn sie außerhalb von Literaturangaben erwähnt werden. Autoren der Sekundärliteratur werden nicht verzeichnet. Kursiv gesetzte Zahlen bezeichnen Erwähnungen in einer oder mehreren Anmerkungen. Aepin, Johann 6, 136, 153–155, 189– 193, 196, 200 f., 204–207, 255, 291, 333, 395 Agricola, Johann 76, 98, 196, 198, 227 Alber, Erasmus 188–193, 195–210, 226–238, 239 f., 245–248, 281, 287, 293, 372, 374–376, 381 f., 386, 506, 518, 520, 597 Alber, Gertrud 226 Alber, Matthäus 53, 94 Albrecht von Preußen 460, 462 Alesius, Alexander 201 Alexander, Peter 157 Althamer, Andreas 236, 291 Alting, Menso 583 Amsdorf, Nikolaus von 7, 41, 93, 98 f., 189, 194 f., 205, 291, 293, 332, 350, 476, 535, 546, 587 Andreae, Jakob 14, 217, 449 f., 498, 501, 505–516, 519 f., 529, 532, 535, 539, 546, 551, 562, 582, 585, 591 Arius von Alexandrien 245 August von Sachsen 476, 541, 551 Augustinus, Aurelius 178, 244, 266 f., 269, 292, 296, 302–310, 312, 401, 406, 422, 481, 525, 557–559 Aurifaber, Johann 331 Backerel, Hermes 268 Barth, Georg 209 f. Berengar von Tours 226, 267, 305, 347, 416

Bernhard von Clairvaux 244 Bernhardi, Johannes 94 Bertlin, Bartholomäus 398 Beyel siehe Bygel Beyer, Hartmann 11, 190–193, 365, 389, 427, 433–445, 460, 463, 466, 499 f., 543, 555 Beza, Theodor 12, 36, 152, 324 f., 328, 359, 398, 401 f., 498, 501, 510, 514– 516, 521, 530, 537–540, 549, 565– 569, 578, 585, 597, 601 Bibliander, Theodor 326, 346–349, 354 Billican siehe Pellikan Blarer, Ambrosius 78, 234, 353 Block, Henning 253, 263 Bötker (Bödeker), Johann 190 f., 200, 464 f., 472, 475, 492–497, 574, 595, 602 Bokelmann, Peter 462, 466, 485 Bolsec, Hieronymus 33, 203 Bonner, Edmund 172 Bording, Jakob 250, 288, 303, 577 Braubach, Peter 11, 286, 296 f., 299, 302, 314, 365, 366, 374–376, 380, 389, 543, 555 f., 562, 576, 584 Brenz, Johannes 11 f., 14, 59–62, 76, 104, 157, 167, 205, 217, 235, 236, 282, 290, 294, 430 f., 443, 449 f., 458 f., 463, 473, 476, 485, 490 f., 498–507, 511 f., 517–520, 529, 535, 539, 542, 546, 551, 562, 569, 579 f., 584 f., 593, 601 f.

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Personenregister

Bruchsal, Alexander 172, 184, 188, 197, 201–206, 208 f., 211, 220, 225 f., 238, 291, 298 f., 307, 312, 365, 372, 374 f., 381, 382, 395, 435 Bucer, Martin – abendmahlstheologische Position 56–58, 61 f., 64 f., 74–77; 84 f., 86– 98, 103–106, 110–112, 587 f. – Schüler außerhalb der Streitparteien 116, 139, 322 f., 327, 513, 582, 585, 592 f., 597, 601 f. – Verhältnis zu Westphals Streitgegnern 121–124, 128, 132, 135 f., 144, 158, 162–164, 167 f., 181, 335, 337 f., 358 f., 396, 405, 409, 421, 428–432, 445, 568 – Wahrnehmung durch Westphals Streitpartei 194 f., 211, 215 f., 221– 224, 233, 234, 236, 247, 291, 366, 371, 439, 454 – Sonstiges 107 f., 153–160, 434, 440 Budé, Guillaume 537 Büren, Daniel von 431 f. Bugenhagen, Johannes 56, 58–62, 94– 96, 99, 205, 273 f., 290–292, 429, 475, 485 Bullinger, Heinrich – abendmahlstheologische Position 14 f., 53–56, 89 f., 92 f., 97 f., 109– 112, 140–148, 176, 184, 290, 310, 342–346, 353, 372, 388, 416–425, 511, 584, 587 f. – Verhältnis zu Mitstreitern 124, 128– 130, 135 f., 140–151, 162, 168, 173 f., 319–329, 351–354, 357, 396– 402, 404 f., 517–522, 526 f., 562 – Wahrnehmung durch Westphals Streitpartei 203 f., 211–226, 228, 232–237, 300, 313, 316, 450 f., 464 – Sonstiges 11, 31, 36, 39, 153–156, 238, 250, 363, 382, 499, 528, 537, 580 Burckard, Franz 331 f., 355 Buscoducensis, Heinrich 252, 256, 265, 273, 285 f., 288, 476 f. Bygel (Beyel), Werner 88 thom Camph, Gerhard 136 Canisius, Petrus 536, 542

Capito, Wolfgang 5, 41, 57, 84 f., 93– 96, 98, 104, 359 Carmel, Gaspard 537 Casel, Gregor 61 Cerinth (Kerinth) 245 Chedsey, William 161 Chemnitz, Martin 575 Christian III. von Dänemark 250, 252, 254, 272–275, 299, 303, 325, 328, 395, 406, 476 f., 599 Christoph von Oldenburg 428 Christoph von Württemberg 38, 476, 498 f., 502, 505 f., 513–515, 518, 539, 551, 580, 585 Claviger, Ambrosius 479 Contarini, Gasparo 104 Corvinus, Antonius 205, 291 Crage, Tilemann 484 Cranmer, Thomas 32, 120, 151–162, 169–172, 175–177, 185, 225 f., 252, 255, 390 Crell, Paul 585 Cruciger, Caspar d.Ä. 94, 128, 291, 410, 464 Curione, Celio Secondo 150 f., 157 Cyrill von Alexandrien 244, 284, 296 f., 301, 305, 310–314, 392, 421–423, 497 Dathenus, Petrus 436 Deloenus, Walter 252 Dévay, Matthias 108 Dietrich, Veit 122, 235, 290, 410, 464 Diller, Michael 515 Duns Scotus 525 Eber, Paul 432, 585 Eck, Johannes 61, 85 f. Eck, Simon Thaddäus 541 Eduard VI. von England 38, 43, 115, 120, 151–160, 162, 169 f., 177, 185, 201, 225, 249, 252, 254, 390, 415, 434, 589 Edzard von Ostfriesland 583 von Eitzen, Paul 6, 190, 368, 475, 484– 488, 492, 574, 597 Ekenbach, Hartwig 574 Elisabeth I. von England 176 Engelhard, Heinrich 88

Personenregister Engelmann, Hans 506 Enzinas, Francesco de 158 Erasmus von Rotterdam 60 Erastus, Thomas 578 Faber, Gellius 322 f., 583, 592 Faber, Martin 360, 366, 371, 380, 431, 462, 464, 583 Fabri, Johann 61 Fabricius, Blasius 380 f., 543 Farel, Guillaume 126, 142, 327 f., 332, 351, 397–399, 402, 498, 501, 510, 521, 527, 530, 537–540 Ferdinand I., Kaiser 550, 580 Flacius, Matthias 7 f., 36, 189–196, 204–206, 226, 283, 291 f., 315, 317, 384, 396, 401, 459, 462, 480, 492, 528, 544, 577, 579, 585 Frecht, Martin 94 Freder, Johannes 209, 466, 478, 499, 501, 562 Friedrich II. von Dänemark 275 Friedrich II. von der Pfalz 135 Friedrich III. von der Pfalz 577 f., 580 f., 584 Froschauer, Christoph 108 Gallus, Nikolaus 189 f., 193, 199, 200, 280–284, 287, 297 f., 302, 310 f., 315, 333, 385, 435, 453, 457, 466, 469–473, 486, 528, 592 Gardiner, Stephen 400, 415 Garnier, Jean 359 Gartze, Melchior 191 Georg von Anhalt 291, 455 Georg von Brandenburg 95 Georg von Braunschweig-Lüneburg 574 Georg von Württemberg 514 Gerbel, Nikolaus 75 Gerlach, Conrad 196 Germanus, Martinus 94 Glauburg, Adolf von 434 Glauburg, Johann von 434, 441, 517 Granvella, Nikolaus 104 Gropper, Johannes 104 Gwalther, Rudolf 108 Hachenburg, Johann 165, 191, 244, 472, 477, 479–484, 490, 492, 506, 531, 544, 550 f., 561, 597

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Hätzer, Ludwig 64 Hagen, Bartholomäus 521, 579 Haller, Berchtold 78 Haller, Johannes 149, 327, 354, 402, 540 Hardenberg, Albert Rizäus 12, 36, 128, 131, 136–138, 273, 275, 285, 288, 320–322, 427–433, 462, 468 f., 473, 475 f., 479, 486, 492, 494 f., 528, 551 f., 556, 573–575, 583 Hausmann, Nikolaus 59 Hedio, Caspar 77, 89 Heinrich II. von Frankreich 514 f. Heinrich VIII. von England 153 f., 160, 200 Helding, Michael 536 Hemmingsen, Niels 274 Henninges, Friedrich 489, 528, 574 Hermann von Wied 135 Heshusius, Gottfried 583 Heshusius, Tilemann 6, 8, 13, 574 f., 577 f., 580 Hess, Johannes 58 Hieronymus 406, 422 Hilarius von Poitiers 284, 539 Hilles, Richard 154 Hoen, Cornelijs Hendricxz 49, 52 Holthusen, Joachim 384 Hooper, John 154 Hotman, François 401, 542 Hubert, Conrad 520 Irenäus von Lyon 95, 348, 422, 497 Johann Friedrich I. von Sachsen 98, 330, 377 Johann Friedrich II. von Sachsen 330 f., 377, 534, 553 f. Johann Friedrich III. von Sachsen 330 f., 377 Johann Wilhelm von Sachsen 330 f., 377 Jonas, Justus 76, 94 Jud, Leo 53, 58–61 Judex, Matthäus 189, 193, 206, 281, 363, 385–388, 462, 577 Jung, Johannes 582 Justinus Martyr 376, 422

640

Personenregister

Karg, Georg 535 f. Karl V., Kaiser 81–83, 85, 89, 101, 136, 158, 189, 345, 518 Karlstadt, Andreas 15, 47–51, 53, 57 f., 59 f., 63, 73, 131, 196–199, 211 f., 228–237, 248, 295, 369, 379 Kerchoväus, Cornelius 310 Klebitz, Wilhelm 13, 577 f. Knox, John 436 Kole, Johann 253, 273 Laetus, Georg 499 Lanfrank 347 Langemantel, Eitelhans 64 a Lasco, Johannes – abendmahlstheologische Position 14 f., 70, 119 f., 127–138, 176–184, 284, 288, 320, 322–324, 357, 390– 395, 589 f., 597, 599 – Rolle in Flüchtlingsgemeinden 159, 169–172, 177, 249, 252, 254–256, 389 f., 436, 441–446 – Verhältnis zu Mitstreitern 129 f., 150, 173 f., 175 f., 181 f., 319–329, 354–360, 396 f., 400 f., 415–418, 428, 517–522, 568, 598 – Wahrnehmung durch Westphals Streitpartei 187, 192 f., 195 f., 201– 206, 208, 211–225, 227–237, 239– 243, 245–248, 256, 280, 300, 308, 365, 369, 450 f., 455, 464, 485–488, 490 – Wahrnehmung durch Württemberger Theologen 498 f., 502–505, 507 – Sonstiges 9, 31, 36, 39, 157, 542, 563, 583, 593 f. Leib, Christoph 477 Lemeier, Albert 453 Leo I., Papst 244 Leo X., Papst 227 Ligarius, Johannes 583 Lossius, Lukas 462, 465 f. Luther, Martin – abendmahlstheologische Position 47–51, 63–65, 67–69, 76–79, 88, 91, 93–99, 107–109 – Bedeutung für Westphals Partei 194– 198, 202, 215 f., 222–225, 227–236, 239–244, 268 f., 282, 286, 290–295,

297–302, 331, 385–388, 439, 463– 465, 482 f., 490, 492 f., 497, 546, 554, 559–561, 588 – Wahrnehmung durch Westphals Streitgegner 109 f., 123 f., 135 f., 163–169; 177 f., 258, 268 f., 329, 343–345, 349 f., 403 f., 410 f., 423 f., 430, 524 – Sonstiges 52, 56, 60 f., 89, 507 f. Magdeburg, Joachim 188, 190–193, 196, 200, 206–209, 228, 233, 237, 245–248, 316, 333, 446, 492, 506 Magdeburg, Johann 459, 462, 466, 478 Major, Georg 128, 155, 184, 489, 534, 585 Marbach, Johann 209, 359 f., 365, 374, 514, 520, 535 f., 539 Maria I. von England 226, 249, 251 f., 255, 299, 415, 436, 560, 576, 593 Melanchthon, Philipp – abendmahlstheologische Position 64 f., 72–74, 76 f., 81–84, 87 f., 90 f., 93–96, 98 f., 101–106, 449 f., 468–478, 534–536, 540–543, 550– 552, 574, 578, 587 f., 592 f., 596 f. – Perspektive auf Westphals Streitgegner 108 f., 122, 125, 128, 132, 178, 184, 331 f., 428 f., 536–540, 574 – Perspektive auf Westphals Streitpartei 331 f., 429, 467–480, 534 f., 541 f., 550–552, 557, 578, 592 f., 601 f. – Schüler 153–155, 192 f., 274 f., 291, 484–488, 563, 573, 577 f., 583–585, 601 f. – Wahrnehmung durch Westphals Streitgegner 329 f., 334, 350, 354 f., 399, 410 f., 421, 430 f., 517–527, 562 f., 567 – Wahrnehmung durch Westphals Streitpartei 195, 201, 204 f., 215– 217, 280–284, 286, 290–293, 310, 318, 366, 368, 452–459, 463, 466– 497, 528–532, 543–546, 556, 560 f., 599 – Sonstiges 5, 6–8, 14, 36, 154–158, 244, 432 f., 579 Menius, Justus 94, 291

Personenregister

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Micron, Marten 169–175, 203, 233 f., 245, 249–276, 288, 295, 303–305, 311, 322, 360, 394, 415, 431, 436, 442, 446, 593, 595 Mörlin, Joachim 528, 534, 574 f. Mörlin, Maximilian 513 Mörskens, Laurenz 209 f. Morgan, Philip 161 Müntzer, Thomas 302 Murner, Thomas 57, 61 Musculus, Wolfgang 94, 150, 291, 430, 432 Myconius, Friedrich 72, 94, 454 Myconius, Oswald 36, 93, 97, 131, 151

Poach, Andreas 479 f. Poullain, Valérand 401, 433–444 Probst, Jakob 78, 110, 137, 395, 430 f.

Nestorius 305, 311–314, 421 Nicolai, Wilhelm 201, 463, 523, 545 Noviomagus, Paul 252, 266, 268

Sam, Konrad 64 Sarcerius, Erasmus 462, 466, 528, 534 Schalling, Martin 519 Schnepf, Erhard 59 f., 82 f., 99, 103– 106, 125, 236, 238, 363, 376–380, 386 f., 401, 466, 476, 490 f., 517, 528 f., 534, 599 Schradin, Johannes 64, 94 Schuler, Gervasius 94, 131 Schwenckfeld, Caspar von 108 f., 315, 490, 491, 538, 588 Segebade, Elias 462, 464–466 Seidemann, Martin 355 Servet, Michael 411, 523, 545 Seymour, Edward 155 Sigismund II. August von Polen 389, 394 Simons, Menno 253, 271 Smedenstede, Heinrich 253, 263, 268 Smyth, Richard 161 Spalatin, Georg 41, 98 f., 291 Staupitz, Johannes von 230 Stössel, Johann 513 Stoltz, Johann 331 Sturm, Jakob 99 Sulzer, Simon 32, 139, 327 f., 351, 353, 513, 582, 585, 592, 597, 601

Ochino, Bernadino 14, 158 f., 170, 310, 374, 388, 396, 399–407, 416–418, 450 f., 464, 490, 587 Oekolampad, Johannes 15, 53–56, 59– 65, 69–71, 77 f., 108, 123 f., 129– 131, 196, 211, 228–230, 234, 239, 280, 344 f., 379, 408, 419–423, 453, 483, 485, 568, 597 Olevian, Caspar 578 Origenes 269 Osiander, Andreas 36, 76, 157, 196– 200, 209, 227, 234, 245, 460, 534– 536, 546 Othman siehe Hotman Otho, Anton 528 Otter, Jakob 94 Ottheinrich von der Pfalz 502, 506, 514 f., 539, 577 Pacäus, Valentin 355, 517 Palladius, Peder 252, 273–275 Pauli, Johann 384 Pellikan, Konrad 136, 211 Pellikan (Billican), Theobald 59 f. Perussel, François 252, 444 Philipp von Hessen 76 f., 83, 99, 135, 379, 392, 423, 514, 539, 580 Pirckheimer, Willibald 59 Pistorius, Johannes 105, 454, 476, 535 f. Pius IV., Papst 580

Ratramnus von Corbie 267 Reddinus, Vinzenz 253, 273 Rhegius, Urbanus 59 f., 203, 235, 236, 290–292 Rhode, Hinne 57 Riken, Georg 253 Rödinger, Christian 376 Röist, Diethelm 88 Rolefink (Rolevink), Werner 375 Runge, Jakob 534, 535 f.

Tertullian 422 Thomas von Aquin 244 Timann, Johann 38, 99, 103–106, 125, 137, 190 f., 193, 205, 210, 236, 256, 273, 285–295, 297 f., 301, 309, 317, 389–398, 412, 417–422, 427–433,

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Personenregister

462, 465, 466, 468, 472, 499, 528, 541, 592, 599 Treger, Konrad 57 Tresham, William 161 ab Ulmis, Johannes 168 Ungarus, Johannes Vitus 466 Ursin(us), Zacharias 13, 578 Utenhove, Jan 172, 250–275, 401, 446, 562 f. Vadian, Joachim 78, 128 Valdés, Juan de 158 Velsius, Justus 575 Vergerio, Pietro Paolo 499 Vermigli, Peter Martyr – abendmahlstheologische Position 14 f., 119 f., 160–169, 184 f., 358– 360, 396, 580, 584, 589 f., 593, 597 – Verhältnis zu Mitstreitern 150, 162 f., 169, 184, 348, 355–360, 395– 402, 405 f., 418, 518 f., 527, 568, 597 – Wahrnehmung durch Westphals Partei 187, 202–204, 211–226, 234 f., 239–243, 245–248, 280 f., 591 – Sonstiges 5, 11 f., 31, 36, 39, 310, 335, 528, 537, 574 Viret, Pierre 126, 139, 149, 327 f. Vogt, Simpert 354 Waldner, Wolfgang 190, 200, 208, 314– 317, 453, 466, 506

Wetken, Hermann 256 f. Wigand, Johann 528 Wisamer, Johannes Baptist 518 f. Wolf, Johannes 399 f. Wolfe, Reyner 162 Wolfgang von Pfalz-Zweibrücken 539, 580 Wolfhart, Bonifatius 89, 94 Zanchi, Hieronymus 396, 528 Zébédée, André 124, 139 Zell, Matthäus 89 Zwick, Johannes 94 Zwingli, Ulrich – abendmahlstheologische Position 51–53, 58–67, 76–79, 85 f., 88 – Bedeutung für Zürcher Theologen 92, 344 f., 348, 402–407, 419–423 – Wahrnehmung durch andere Streitgegner Westphals 123 f., 131, 268, 393, 408, 568 – Wahrnehmung durch Westphals Streitpartei 196–199, 208, 211–226, 228–236, 239, 243, 257, 268, 301, 311, 315 f., 371 f., 379, 454, 460, 483, 546, 559 – Tod in der Schlacht 89, 109, 208, 379, 483 – Verurteilung auf dem Wormser Gespräch 536, 540–546, 551 – Sonstiges 8, 15, 107 f., 139

Ortsregister Ortsregister Berücksichtigt werden ausschließlich Ortsnamen im geographischen Sinne (keine Bezeichnungen wie „Zürcher Reformation“ oder „Marburger Religionsgespräch“). Druckorte werden nur aufgeführt, wenn sie außerhalb von Literaturangaben erwähnt werden. Kursiv gesetzte Zahlen bezeichnen Erwähnungen in einer oder mehreren Anmerkungen. Anhalt, Fürstentum 82 Antwerpen 172, 184, 200–203, 365, 435, 463, 593 Augsburg 59, 64, 81–85, 93, 94, 158, 235, 414, 513 Baden im Aargau 61, 76 Baden-Durlach 513, 582 Basel 32, 57, 76, 121, 150, 151, 229, 327, 333, 352, 397, 582 f., 602 Bayern 104, 315 Bern 76, 126, 139 f., 145, 149 f., 291, 327, 333, 351 f., 354, 398, 402 Biel (Bienne) 333 Brabant 173 Brandenburg, Markgrafschaft 82, 227, 550 Braunschweig, Stadt 462, 553, 574, 581 Braunschweig-Lüneburg 82 Braunschweig-Wolfenbüttel 190 Bremen 12, 37, 39, 136 f., 190, 201, 273, 285, 288, 317, 395, 427–433, 449, 457, 459, 462, 465, 519, 551, 553, 573–575, 581, 594 Breslau 58 Brügge 172 Cambridge 159 Celle 574 f. Chur 333 Coswig 480, 544 f. Dänemark 6, 43 f., 175, 249–252, 254– 256, 263, 265, 272–275, 299, 321, 325, 406, 415, 434, 439, 442 f., 446, 593, 598 Danzig 13, 484, 597 Dettingen unter Teck 579 Dijon 537

Dithmarschen 462, 464 Drei Bünde, Freistaat 150, 333, 343 Düshorn 384 Eidgenossenschaft 31, 51, 76, 82, 85 f., 93 f., 116, 125 f., 136, 138–140, 149 f., 185, 229, 235, 237, 299, 327, 333 f., 337, 351–354, 398 f., 584 Eisenach 94 Emden 234, 252, 583 England 13, 32, 43, 115–117, 119 f., 137, 151–184, 187, 192, 200–203, 209, 225 f., 229 f., 233, 237, 249, 251 f., 255, 298 f., 369, 372, 390, 400, 405, 415, 434, 436, 560, 589, 593 Erfurt 191, 355, 550 Esslingen 94 Frankenthal 576 Frankfurt am Main 12, 39, 94, 250, 273, 365 f., 374 f., 380, 389 f., 394–396, 401, 414, 433–446, 449, 451 f., 460, 463, 499 f., 502, 552, 573–576, 578, 598, 600 Frankreich 116, 120–126, 140, 170, 185, 187, 200–202, 227, 298 f., 343, 373, 405, 415, 529, 537–539 Fürfeld 94 Genf 120 f., 126, 139, 151, 158, 209, 352, 425, 436, 514, 565 Gera 380 Glastonbury 433, 435 f. Göppingen 514–516, 546 Gotha 94 Graubünden siehe Drei Bünde Greifswald 209

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Ortsregister

Hagenau 101 Hamburg 7, 136 f., 153, 188–193, 196, 200–202, 206–209, 225, 239, 244 f., 251–276, 282, 285, 291, 302–304, 354, 384, 394 f., 406, 433, 443, 446, 453, 458, 462, 466, 468, 484–486, 488–492, 550, 552 f., 574, 581, 598 Hannover 459, 462, 553 Heidelberg 477, 577–579, 583 Heiliges Römisches Reich deutscher Nation 35, 76, 81–87, 110, 119, 140, 156, 158, 201, 226, 299, 374, 449 f., 517, 528–546, 599–601 Helsingborg 252 Hessen, Kurfürstentum 76 f., 82 f., 110, 439, 515, 550, 554 Hildesheim 459, 462, 464, 465, 553 Holstein 252 Hoya 190 Husen in Holstein 462 Italien 158, 227, 373, 405, 415 Jena 201, 376 Kappel am Albis 53, 89 Kassel 90 f. Köln, Kurfürstentum 104 Kolding 252, 265 Konstanz 76, 84 f., 94 Kopenhagen 252, 265 Lausanne 126, 139, 149 f., 327, 333 Leipzig 355, 462, 524 Lindau 84 f. Linz 315 Locarno 400 London 159, 169–177, 203, 251 f., 389 f., 415, 436 Lübeck 189 f., 192, 200, 209 f., 253, 256, 263, 265, 268, 272 f., 291, 462, 465, 468, 553, 581, 597 Lüneburg 189 f., 192, 291, 459, 462, 464, 465, 489, 497, 553, 574, 581 Magdeburg 19, 140, 188–191, 196, 200, 280, 282, 285, 291, 385, 451, 459, 462–466, 522 f., 526 f., 553, 561, 581, 598

Mainz, Kurfürstentum 104 Mansfeld, Grafschaft 82, 462 Marburg 76–79, 83, 269, 408 Maulbronn 584 Mecklenburg, Herzogtum 598 Meißen, Markgrafschaft 439, 463 Memmingen 84 f., 94 Mölln 468 f., 574 Montbéliard 514 Mülhausen in der Eidgenossenschaft (Mulhouse) 53, 150, 333, 343 Münster in Westfalen 229, 270, 575 Muskau, Königreich 227 Naumburg 580 f. Neubrandenburg 226, 375 f. Neuchâtel (Neuenburg) 126, 150, 327, 353 Niederlande 120, 140, 170–173, 185, 187, 200–203, 207, 237, 298 f. Nördlingen 57, 59 Norden in Ostfriesland 135, 360 Nordhausen im Harz 462, 464, 465, 553 Nürnberg 57, 59, 82, 190, 314 f., 385, 453 Oberursel 443, 452 Österreich 190, 315 Orlamünde 49 Ostfriesland 12, 116, 120, 127–138, 159, 173, 177, 192, 229, 237, 288, 299, 317, 322–324, 355–357, 360, 371, 431, 462, 480, 583, 598 Oxford 159–162 Paris 537 Pays de Vaud siehe Waadtland Pfalz, Kurfürstentum 13, 39, 502, 515, 550, 562, 569, 576, 577–579, 581, 602 Pfalz-Zweibrücken 550 Pforzheim 513 Piemont 514 Polen(-Litauen) 7, 13, 127 f., 136, 227, 389 Preußen 13, 227 Regensburg 104 f., 189, 280, 302, 315, 385, 453, 519, 553, 598

Ortsregister Reich siehe Heiliges Römisches Reich deutscher Nation Reutlingen 53, 64, 82, 94 Rhätien siehe Drei Bünde Rostock 19, 252 f., 265, 303 Rügen 209 Sachsen – allgemein (in Wortbedeutung des 16. Jh.) 257 f., 303 f., 328–332, 334, 354 f., 396–398, 407–410, 423 f., 439, 452, 459–463, 520, 524 f., 560 – albertinisches 550, 554, 581 – ernestinisches 49, 82, 88, 93, 330 f., 376–380, 513, 528, 534–537, 541, 580, 598 Salzwedel 190, 192, 196, 207 Schaffhausen 150, 333, 354 Schmalkalden 88, 98 f. Schottland 227 Schweinfurt 89 Schweiz siehe Eidgenossenschaft Schwerin 462 Spanien 227 Speyer 76 St. Gallen, Stadt 150, 333, 354 Stargard, Kreis 226 Steiermark 315 Steyr 315 Straßburg 57, 76, 84 f., 120 f., 158 f., 355, 359 f., 375, 379 f., 396, 401, 408, 414, 514, 528, 543 Stuttgart 443, 502

645

Treviso 96, 108 Trier, Kurfürstentum 104 Ulm 64, 94, 352 Ungarn 108 Venedig 96, 108 Vicenza 96, 108 Waadtland (Pays de Vaud) 126, 139 f., 142, 145 Warnemünde 252 Weimar 534 Wesel 12 Wismar 253, 263, 265, 271–273, 462, 464 Wittenberg 48 f., 57, 61, 82, 94–96, 98 f., 190 f., 193–195, 260, 354, 379, 432, 453, 462 f., 491, 524, 585 Worms 103 f., 235, 449, 498, 519 f., 527, 528–546, 569, 600, 602 Württemberg 13, 59, 439, 498–516, 535, 551, 554, 562, 579–581, 583– 585, 592, 602 Zürich 51, 57, 76, 121, 140, 146, 151, 154, 158, 236, 352 f., 399 f., 417, 425 f., 463, 578 Zug, Stadt 54

Sachregister Sachregister Um die Komplexität zeitgenössischen Denkens sichtbar zu machen und eine Benutzung für unterschiedliche Fragestellungen zu ermöglichen, orientiert sich die Untergliederung theologischer Stichworte weitgehend an den Begrifflichkeiten der Akteure. Unterschiedliche Bestimmungen sind daher nicht als wechselseitig ausschließend zu verstehen. Abendmahl – Anbetung des Sakraments 105, 125, 165, 175, 245, 390, 471 f., 477, 481– 483, 487, 489, 524, 532, 535 f., 538, 544, 550–552, 560 f., 569, 597 – communio cum Christo – exhibitive 112, 121, 132, 135, 142, 180, 336–342, 345, 351, 358–360, 538, 564, 587 – passive 129–138, 179–184, 323 f., 359 f., 502 – communio sub utraque / sub una siehe Laienkelch – Elevation 50 – Fleisch und Geist (Joh 6) 51–55, 65– 67, 69, 108, 164, 175, 215 f., 300 f. – instrumentum / organum 143 f., 147, 162, 239 f., 336 f. – Konsekration 105, 244 f., 471, 481– 483 – Krankenabendmahl 371, 557 – Laienkelch 48, 98, 153, 189, 207 f., 315 – manducatio indignorum 90, 94–96, 143, 214 f., 241, 339 f., 533, 558 – manducatio impiorum 89 f., 94–96, 98 f., 102, 133, 143, 147 f., 160, 165, 214 f., 221, 241 f., 275, 293, 308, 339 f., 346, 351, 359, 370, 394, 411, 431, 487 f., 512, 520, 539, 564, 590 – manducatio oralis 94, 96, 160, 431, 487 f., 533 – Messe / Messopfer 48, 51, 60, 71, 103, 132, 173–175, 228, 315, 552 – Präsenz Christi, Art – corporaliter 47–51, 59–62, 67–69, 72 f., 77, 83, 89, 124, 163, 175, 208, 215–223, 231–233, 240– 243, 264, 283, 293, 308, 313, 320, 344, 348, 368, 390, 412, 419 f., 439, 465, 494, 500, 509–

512, 542, 553 f., 557 f., 564, 567, 589 f., 595 – naturaliter 8, 55, 73, 177 f., 180, 220, 266, 293, 387, 511 – (non) localiter 95 f., 124, 133 f., 137, 141, 148, 164, 167 f., 340 f., 351, 412 f., 489, 494, 510, 564, 590 – spiritualiter 8, 58, 62, 70, 74 f., 77, 85–88, 92, 129, 142–148, 162–169, 173, 178–185, 203 f., 213–221, 231–233, 246 f., 264– 266, 293, 300, 307 f., 335–342, 345–348, 353, 370 f., 388, 390– 394, 403–405, 411–413, 416– 425, 464, 470, 502, 516, 553 f., 557 f., 577, 587, 589 f., 597 – substantialiter / essentialiter 87, 90 f., 95 f., 122, 167, 214 f., 221, 240 f., 293, 341, 358, 368, 378 f., 412 f., 429, 431 f., 439, 454 f., 465, 485–488, 494, 498, 503, 507–512, 515 f., 526, 532, 535, 542, 550, 552, 559, 577–579 – vere / realiter 15, 82–84, 89–91, 95 f., 102–105, 162, 211, 214– 216, 221, 275, 293, 370 f., 378 f., 430, 439, 441, 454 f., 465, 485– 488, 494, 500, 503, 506–512, 526, 552, 565 f., 579 – Präsenz Christi, Verortung – cum pane 95 f., 99, 102 f., 165, 232, 356, 473 f., 531, 597 – fidei contemplatione 85–87, 92, 181, 243, 345, 371, 404, 419–422 – in actione / in usu 74 f., 95, 105, 471–484, 486, 489 f., 524, 532, 536, 538, 551 f. – in coelo 92, 133, 141, 148, 214, 220, 357, 430, 441

647 – in, cum et sub pane 99, 102, 133 f., 148, 221, 342, 403, 494 f., 526, 531, 566, 581, 597 s.a. Verhältnis des Abendmahlsvollzugs zum Heilsgeschehen – Prozessionen 95, 105, 471, 552 – Transsubstantiationslehre 48, 51, 54, 67, 95, 98, 105, 123, 125, 133, 163– 166, 178, 180, 264, 266 f., 324, 341, 347, 390, 392, 423, 494 f., 536, 538, 544, 552, 564, 579 – Verhältnis des Abendmahlsvollzugs zum Heilsgeschehen – besiegelnd 112, 129–138, 146, 173, 179–181, 336, 502 – exhibitiv 90 f., 102, 111, 121– 123, 132 f., 141–144, 146–149, 163, 166 f., 214 f., 322 f., 335– 342, 356, 358, 411–413, 430, 465, 487, 515 – gleichgesetzt 98 f., 230 f., 239– 242, 312, 344, 382, 431, 464 f., 524, 531, 535, 551 – parallel 92, 143 f., 146–148, 214, 346, 393, 419 f., 587 – signifikativ / symbolisch 51–56, 58 f., 65–67, 111 f., 124, 131 f., 134, 151, 163, 166–168, 275, 370 f., 383, 402–407, 587, 590 – unio sacramentalis 69, 75, 84, 87, 90, 95 f., 132, 164 f., 178, 532 – Vollzug im Sitzen 174, 233 f. s.a. Abendmahlsstreit, Christologie Abendmahlsstreit – Erster (der Reformationszeit) 63–79, 211 f., 236, 269, 280–284, 292, 298, 316, 353, 454, 457, 464, 475, 485 – im Mittelalter 226, 267, 305, 347, 416, 423 – regionaler siehe im Ortsregister – Stellenwert 109, 222–225, 234 f., 269, 307 s.a. Abendmahl, Konflikt von 1544/45, Wittenberger Konkordie Ablass 154, 403 Adiaphoristischer Streit 34, 187, 193– 198, 209, 280, 283, 298, 534, 589 Amtslehre 50, 93, 112, 133, 178 f., 289 f., 294 f., 311, 381, 384, 390

Anbetung des Sakraments siehe Abendmahl Antinomistische Streitigkeiten 34, 197 f. Antitrinitarier 34, 523, 545 s.a. im Personenregister s.v. Servet Apokalyptik siehe Endzeitvorstellungen Apologie der CA (1530/31) 83 f., 91, 97, 103, 292, 345, 350, 368, 374, 379, 410, 438, 455 f., 465, 475 f., 485, 490 f., 494, 504, 530, 534 f., 554, 580, 599 Apostolikum 110 Arianer 245, 412 Aufruhrvorwurf 40, 49, 262, 270–273, 294 f., 301 f., 304, 374, 384, 394 f., 435–443, 594 Augsburger Bekenntnis siehe Confessio Augustana Augsburger Interim (1548) 43, 115, 136 f., 140, 142, 151, 154, 156, 158 f., 187–193, 196 f., 207, 227, 291, 589, 593 Augsburger Religionsfrieden (1555) 378, 437–439, 504 f., 518, 536, 541 f., 573–576, 598–601 Badener Disputation (1526) 61, 76 Bauernkrieg 227, 379 Beichte 52, 209, 371, 424, 560 Beschneidung 179, 383 Bilderfrage 228 f., 381, 493 f., 595 Blasphemie 59, 233, 245, 284, 295, 301, 599 Buchzensur 375 f., 380, 425, 440, 442, 452 Burgrechtsverträge 76, 83 f., 125 Christologie – Alloiosis 66 f., 301, 420 f. – Himmelfahrt / Rechte Gottes 55, 66, 92, 109, 122, 130, 164, 219 f., 223 f., 264, 267, 284, 300 f., 309, 314, 370, 412, 477 f., 500, 503, 511, 539, 579 – Idiomenkommunikation 7, 68, 464, 472, 477, 487, 495–497, 500 f., 552 – Personeinheit / wahre Menschheit (allgemein) 54 f., 60, 66–70, 77, 110, 130, 138, 164, 264 f., 284, 309, 331, 412, 419 f., 422, 464, 500, 526 f.

648

Sachregister

– Ubiquität 10, 49 f., 55, 59 f., 66, 70, 122, 165 f., 208, 233, 284, 293 f., 387 f., 396, 400, 412, 420–422, 429– 433, 441 f., 472–474, 495–497, 500, 503 f., 511 f., 519 f., 526, 550, 564, 566–568, 579, 583–585, 594, 602 – Verweigerung des Themas (bei Westphal) 294, 301, 309, 314, 559 – Sonstiges 198 f., 268, 311 f., 416 Confessio Augustana – Entstehung 81–83, 101 f., 345, 379 – Interpretation 30 f., 83, 88 f., 91, 96 f., 101–106, 148, 194, 204, 214– 217, 232, 240 f., 267, 282, 292, 304, 337 f., 345, 350, 359, 367 f., 378 f., 393 f., 410, 435, 437–445, 452–459, 470 f., 473–476, 485, 490 f., 493 f., 504 f., 510, 520 f., 525, 530, 533– 536, 538–540, 542, 545 f., 554, 575 f., 589–591, 598–601 – invariata / variata 4, 7, 81, 102–105, 124 f., 292, 338, 350, 368, 378 f., 410, 439 f., 485, 490, 510, 580 f., 587, 589, 592, 599–601 – Sonstiges 99, 374, 465, 518 s.a. Apologie der CA, Augsburger Religionsfrieden, Confutatio der CA Confessio Gebennenis (1549) 145 f. Confessio Goeppingensis (1557) 505, 510, 514–516, 520 f., 537, 569, 580 Confessio Helvetica posterior (1566) 582, 584 Confessio Helvetica prior (1536) 93 f., 97, 109, 112, 582 Confessio Saxonica (1551) 292, 438, 458, 475, 538 Confessio Tetrapolitana (1530) 84 f., 88 f., 104 Confessio Virtembergica (1552) 304, 438 Confutatio der CA (1530) 83, 345 Consensus Tigurinus 4, 15, 111, 117, 119 f., 123, 126 f., 130, 138–151, 168, 176 f., 187, 202, 204, 214, 218, 220, 222, 236, 240, 320, 329 f., 332– 342, 344–350, 360 f., 369 f., 372 f., 408–411, 418 f., 516, 549, 566–568, 589 f., 594, 596–599, 602

Dekalog, Zählung 371, 414 Deutsche Sprache / Übersetzungen siehe Hochdeutsch; Niederdeutsch Disputation / Kolloquium 257–263, 270 f., 276, 289, 303 f., 317, 322, 391 f., 416, 443, 468 f., 473, 502, 517–522, 527, 538, 545, 562, 569, 595 s.a. Religionsgespräch Endzeitvorstellungen 196, 311 Flüchtlinge / Flüchtlingsgemeinden – Ausweisung aus Dänemark und norddeutschen Städten 249–276, 288, 295, 299, 302–304, 310, 321 f., 324–326, 328, 384, 391, 406 f., 415 f., 442 f., 446, 462, 563, 593 f., 599 – in England 159, 169–175, 177 f., 202, 251 f., 433 f., 436 – in Frankfurt 250 f., 273, 365 f., 374 f., 389, 396, 401, 414, 433–446, 500, 504 f., 534, 552, 555, 563, 573– 576, 578, 594 – in Ostfriesland 252, 360, 369, 371, 480 Frankfurter Rezess (1558) 275, 541, 546, 549–552, 554 f., 574, 577, 581, 600 Französische Sprache / Übersetzungen 151, 425 Geistliches Amt siehe Amtslehre Heidelberger Katechismus (1563) 578 f. Himmelfahrt siehe Christologie Hochdeutsche Sprache / Übersetzungen 151, 207, 237, 314–314, 344, 425, 466, 506 Idiomenkommunikation siehe Christologie Interim siehe Augsburger Interim Interimsgegner, Netzwerk 29, 136 f., 140, 188–210, 227, 239, 286, 302 f., 315, 317, 365, 374 f., 385, 434, 468 f., 478, 528, 598 Interimistischer Streit 34, 188–193

649 Kindertaufe siehe Taufe Kirchenordnung 48, 50, 57, 170–172, 174, 191 f., 230, 237, 256 f., 262, 272, 365, 369, 371, 374, 389 f., 414, 435–445, 500, 558, 567, 595 s.a. Abendmahl, Beichte, Perikopenordnung, Taufe Kirchenväter (prinzipiell / als Autorität) 54 f., 59, 159, 209, 244, 266–268, 279–284, 289–292, 302–318, 347, 383, 406, 416–423, 458, 465, 474, 478, 487, 525, 531–533, 545, 594 s.a. im Personenregister Kölner Reformation (1543) 108, 128, 430 Kolloquium siehe Disputation Konflikt von 1544/45 107–112, 138 f., 194 f., 326 f., 344, 348, 353, 366, 372, 385–388, 408, 417 f., 423, 493, 559 f., 588 Konsekration siehe Abendmahl Konsens der Kirche 225, 281 f., 289 f., 295, 304, 309–312, 317 f., 367 f., 371, 384, 417–422, 461–463, 473 f., 527, 556 f., 595 Konzilien – allgemein / als Autorität 266–268, 304 f., 312, 392, 406, 423 – Konzil von Ephesus (449) 305, 312, 421 – Konzil von Trient (1545–1563) 115, 142, 151, 154–160, 207, 588 – Konzilsplan Cranmers 155–159, 163 Kurzes Bekenntnis (1544) siehe Konflikt von 1544/45 Laienkelch siehe Abendmahl Lateinische Sprache / Übersetzungen 206, 226, 281, 297–300, 344, 385– 388, 442 Liturgie siehe Kirchenordnung Märtyrer, evangelische 415 Majoristischer Streit 34, 489 Marburger Religionsgespräch (1529) 34, 76–79, 83, 108 f., 269, 367, 372, 392 f., 408, 423, 485, 559 Messe siehe Abendmahl Ministerium Tripolitanum 192

Naumburger Fürstentag (1561) 368, 580 f., 599 f. Niederdeutsche Sprache / Übersetzungen 206–210, 499, 501 Nizänum 110 Obrigkeit 260–263, 295, 322, 396, 424 f., 499 f. s.a. Aufruhr Osiandrischer Streit 34, 157, 198–200, 209, 315, 460, 462, 491 Oxforder Disputation (1549) 14, 160– 168, 187, 202, 204, 211, 214–222, 372, 397, 406, 589 Passa 55, 66, 179 Passauer Vertrag (1552) 437, 599 Perikopenordnung 365, 371, 414 Prädestinationslehre 203, 228, 372, 383, 398 f. Predigtamt siehe Amtslehre Priesterehe 189, 198 Quasi-Papismus (als Vorwurf) 110 f., 264, 303, 322, 339, 390, 402–407, 519 Rechtfertigungslehre 48–51, 68, 135, 210 s.a. Majoristischer Streit; Osiandrischer Streit Reformatoren 244, 268–270, 276, 279– 284, 289–295, 297–305, 317 f., 594 s.a. im Personenregister Regensburger Buch (1541) 104 f., 125 Reichsreligionsgespräche – Hagenau / Worms / Regensburg (1540/41) 101–106, 122, 126, 219, 291, 293, 370, 408, 430, 454, 485, 524, 599 – Worms (1557) 38, 225, 443, 449, 455, 457, 467 f., 473, 485, 489, 498, 506, 513, 517–522, 528–546, 549 f., 561, 592, 594, 596, 599–602 Reichstage – allgemein 416, 542 – Augsburg (1530) 81–86, 267, 345, 379

650

Sachregister

– Augsburg (1555) 437 f., 443 s.a. Augsburger Religionsfrieden – Regensburg (1556/57) 450, 468 f., 506 – Speyer (1526) 76 – Speyer (1529) 76 Religionsgespräch siehe Disputation / Kolloquium; Marburger Religionsgespräch; Reichsreligionsgespräche Schmalkaldische Artikel (1536/37) 98 f., 101, 304, 454, 476, 491, 530, 534 f., 554 Schmalkaldischer Bund 81, 88 f., 101 f., 153, 189, 200 f. Schmalkaldischer Krieg (1546/47) 154, 158, 189, 330 Schriftprinzip 10, 68, 258, 261, 264 f., 276, 289 f., 304, 309, 381, 384, 391, 414, 536, 595 Schwenckfelder 538, 568, 575 s.a. im Personenregister s.v. Schwenckfeld Sozinianer 33 Spiritualisten 33 f., 64, 132, 196 Syngramma Suevicum (1525) 59 f., 63, 71, 236, 379 Taufe – allgemein 228, 265, 365, 374, 380 f., 413, 518 – Nottaufe 371 – Seligkeit ungetaufter Kinder 203, 230 f., 265, 307, 312, 371 f., 380, 382–384, 413 f., 424, 442, 493 f., 558, 567, 595 Täufer(tum) 132, 197, 228 f., 270 f., 295, 307, 312, 375, 382–384, 411, 414, 442, 491, 538, 575, 588

Transsubstantiation siehe Abendmahl Tridentinum siehe Konzilien Trinitätslehre 77, 381 Tropus siehe Abendmahl Ubiquitätslehre siehe Christologie Ungläubige siehe Abendmahl: manducatio impiorum Universitäten – allgemein / als Instanz 260 f., 491 – für einzelne siehe im Ortsregister Vernunftgebrauch (in der Theologie) 50, 66, 68, 70, 216, 301, 314, 387 f., 419 Waldenser 514–516 Weimarer Konfutationsbuch (1559) 546, 549, 552–555, 600 Wittenberger Konkordie (1536) 4, 93– 96, 99, 101 f., 109–111, 115 f., 123, 126, 148, 194, 204, 214–217, 221, 232, 241, 291, 293, 329 f., 338, 359, 366, 372, 413, 429, 433, 439 f., 445, 498, 507–513, 532, 535, 559, 574, 582, 588, 590 f., 600 Wormser Buch (1540) 104 Wormser Edikt (1521) 76, 87 Wormser Religionsgespräch (1540) siehe Reichsreligionsgespräche Wormser Religionsgespräch (1557) siehe Reichsreligionsgespräche Zensur siehe Buchzensur Zeremonien siehe Kirchenordnung Zürcher Bekenntnis (1534) 92 Zürcher Bekenntnis (1545) siehe Konflikt von 1544/45