Kommunikation des Glaubens: Gottesbeziehung als Kategorie praktisch-theologischer Theoriebildung 9783666624094, 9783525624098, 9783647624099


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Kommunikation des Glaubens: Gottesbeziehung als Kategorie praktisch-theologischer Theoriebildung
 9783666624094, 9783525624098, 9783647624099

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© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525624098 — ISBN E-Book: 9783647624099

Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie Herausgegeben von Eberhard Hauschildt, Franz Karl Praßl und Anne Steinmeier

Band 58

Vandenhoeck & Ruprecht

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Thomas Micklich

Kommunikation des Glaubens Gottesbeziehung als Kategorie praktisch-theologischer Theoriebildung

Vandenhoeck & Ruprecht

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Meinen Eltern Diethard und Gaby Micklich

Mit 21 Graphiken

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-62409-8

© 2009, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck und Bindung: b Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt Inhalt Inhalt Vorwort ..................................................................................................

9

Einleitung ...............................................................................................

11

1. Rationalitätstheorethische Erwägungen zum Problem der theologischen Ausgangssituation .....................................................

25

1.1

1.2

1.3

Die Mensch-Gott-Relation als Subjektivierung der Gottesbeziehung .................................................................... 25 1.1.1 „Des Glaubens Paradox“ – Zur subjektlogischen Formierung theologischer Grundbegriffe ............. 25 1.1.2 Paradoxie des Glaubens als Paradoxie des Glaubensbegriffes – Eine Umorientierung des Modells der Gotteswirklichkeit ...................... 31 Ein neuer systematischer Hintergrund für die Analyse der Paradoxie des Glaubensbegriffs: Der Glauben stiftende Kommunikationsvollzug des Evangeliums als sozial-theologische Grundkategorie ...................................... 37 1.2.1 Konzeptuelle Schwierigkeiten, die Kategorie des „Sozialen“ theologisch zu fassen .................... 39 1.2.2 Theologie ist nicht Soziologie, wohl aber sozial fundiert ........................................................ 59 1.2.3 Reinheit des Glaubens und Weltlichkeit der Kirche – Trennung statt Vermittlung .............. 71 1.2.4 Glaube und Kirche in der Spannung von Gottesbezug und Weltbezug ................................. 83 1.2.5 Glaube – Kirche – Gesellschaft. Ein theologisches Konstitutionsproblem .............. 103 1.2.6 Kirche als äußere Funktion des Glaubens und der Verlust der Intersubjektivität ............................................. 112 „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ oder den „Früchten des Glaubens“ ................................................ 122 1.3.1 „Freisein-von“ und „Freisein-zu“ als theologische Dialektik der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen ..................................... 122

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6

Inhalt

1.3.2

1.4

1.5

1.6

1.7

1.8

1.9

Gottes Beziehungssein impliziert eine geschichts-theologisch bestimmte christliche Freiheit ................................................ Gesellschaftlicher Erfolg und Glaube ................................... 1.4.1 Christlicher Glaube am Scheideweg zwischen Dienst am Wort Gottes und Funktion der Gesellschaft .................................................... 1.4.2 Christliche Freiheit als transzendierende Teilhabe an der intersubjektiv vermittelten Wirklichkeit Gottes mit dem Menschen ............... Von der zweistelligen Gott-Mensch-Relation zur dreistelligen Beziehung: Strukturelle Aspekte der Kommunikation des Evangeliums als Geschichte .......... 1.5.1 Die subjektive Gottesbeziehung als Ereignis des Wortes Gottes ist kategorial zu schwach ........ 1.5.2 Der geschichtliche Vollzugszusammenhang des Glaubens als Voraussetzung der Kommunikation des Evangeliums ......................... Beobachtungen zur Logik des Glaubens ............................... 1.6.1 Das aporetische Verhältnis von Gottesbezug, Selbstbezug und Sozialbezug des Menschseins .... 1.6.2 Die Inkommensurabilität von individueller Gottesbeziehung und linguistisch-epistemologischer Form .................... 1.6.3 Das Problem der Relationierung zweier Relationen – Nachordnung als Zuordnung? ........ 1.6.4 Probleme mit der konstitutionstheoretischen Privilegierung der Gottesbeziehung auf der Basis des subjektlogischen Selbstverhältnisses .............. Konkreter Glaube als sozialer Glaube im konzeptuellen Rahmen einer triadischen Relationalität .. 1.7.1 Zur Sprachlichkeit der Wirklichkeit Gottes .......... 1.7.2 Zur Erkennbarkeit der Wirklichkeit Gottes .......... Zwischenergebnis: Mitmenschlichkeit als Versöhnungswirklichkeit der Gottesbeziehung mit dem Menschen für den Menschen .................................. Zur Kommunikation der Wirklichkeit Gottes als Semiose ............................................................................ 1.9.1 Gottes Wirklichkeit als relationale Mitte des Menschseins ist die Seinsgeschichte kommunikativer Freiheit .......................................

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128 130 130 133

141 141 146 151 151 155 157 160 164 164 184

194 197 197

Inhalt

1.9.2 1.9.3

7

Desiderat einer grundbegrifflichen Bestimmung der aufgefundenen rationalitätslogischen Form der Intersubjektivität ............................................. 200 Die soziale Kategorie der Kommunikation ist als genuin theologische auszuweisen ............... 201

2. Die Kategorie der Beziehung als Ergebnis einer rationalitätlogischen Analyse – Möglichkeiten und Grenzen .......... 203 2.1

Das formale Dilemma zweier Motive: Sein Gottes und Glaube an Gott? ......................................... 2.1.1 Erkenntnisbezug als Funktion des Gegenstandsbezugs und umgekehrt: Gegenstandsbezug als Funktion der reflexiven Erkenntnisbeziehung des Subjekts ........................ 2.1.2 Die linguistische Herausforderung als paradigmentheoretisches Problem ................... 2.1.3 Die Unhintergehbarkeit der Motive des Seins und Erkennens und das Problem ihrer vermittlungslosen Beziehung ....................... 2.1.4 Der konstitutionstheoretische Schub hin zum Problem der Subjektivität des Glaubens ....... 2.1.5 Subjektivität Gottes als Vorschein von Intersubjektivität ............................................

203

203 206 216 226 228

2.2

Mangel an Vermittlung – Das Modell der Gottesbeziehung als zweistellige Relation: Gott–Mensch ................................ 231 2.2.1 Vermittlungslose Intersubjektivität als Beziehung doppelter Subjektivität: die des Seins Gottes und die des Glaubens des Menschen .................... 231 2.2.2 Identität und Differenz: Das Beziehungsmodell kommt nicht über die Kategorien Subjekt und Objekt hinaus ........................................................ 236

2.3

Logisch-analytische Erwägungen zum Problem der Relationalität der Gottesbeziehung im Spannungsfeld von Formalismus und Realismus .......................................... 240 2.3.1 Inhaltsloses Bezogensein oder Vermittlung der Bezogenen? Die Realität des Glaubens ist nur als erfahrbare konkret ................................ 240 2.3.2 Die Subjektzentriertheit des dyadischen Beziehungsmodells ............................................... 271 2.3.3 Die beziehende Beziehung als der Widerspruch der ontisch-subjektiven Einheit

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8

Inhalt

der Unterschiedenheit von Gott und Mensch und der erneute Rückfall aufs Glaubenssubjekt ... 282 2.4

Deontologisierung als Verschiebung der Frage nach dem Was ....................................................................... 2.4.1 Das ontologische Fundament der Frage nach Gott ist das weltliche Fundament des Glaubens ........... 2.4.2 Das Problem der Kontinuität und die gehaltvolle Beziehung des Glaubens ....... 2.4.3 Es gibt keinen Ausweg aus dem Dilemma ohne Veränderung der rationalitätslogischen Fassung der Grundbegriffe ..................................................

297 297 300 307

2.5

Probleme mit der theologischen Kategorie des Praktischen ...................................................................... 309 2.5.1 Welchen theologischen „Wert“ hat die Praxis von Glaube und Kirche in der Welt? ................... 309 2.5.2 Aktualität des Glaubens als Verlust von Praxis .... 312

2.6

Identität und Differenz als theologisches Problem ............... 2.6.1 Subjektivität als Grundbegriff der rationalitätslogischen Kategorie der Beziehung: Gottesbeziehung und die Subjektivität des Glaubens ......................................................... 2.6.2 Die Gottesbeziehung als triadische Relation ist Grundlage vermittlungstheologischen Denkens ... 2.6.3 Identität und Differenz als theologische Kategorien der Gottesbeziehung ...........................

317

317 319 325

Schlussbetrachtung und Ausblick .......................................................... 334 Literatur .................................................................................................. 353

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Vorwort

Das vorliegende Buch ist die leicht veränderte Fassung einer Studie, die im Sommer 2008 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen wurde. Intensive Forschungsjahre gingen dieser Studie voraus, die nicht in dieser Weise ohne die Unterstützung anderer möglich gewesen wären. Es ist, wie es immer ist, unmöglich, an alle zu denken, denen Dank gebührt. Als erster ist mein sehr verehrter Lehrer, Herr Prof. Dr. Wilfried Engemann, zu nennen, der meine Dissertation betreute. Theologisch hat er mich mehr gelehrt, als ihm wahrscheinlich bewusst sein wird. Ebenso danke ich Herrn Prof. Dr. Christian Grethlein für die Übernahme des Zweitgutachtens. Herrn Prof. Dr. Thomas Leinkauf vom Philosophischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster schulde ich herzlichen Dank für lebendige, scharfe und kritisch insistierende Diskussionen, wann immer seine Zeit es zuließ. Was ich von ihm gelernt habe, vermag ich nicht auszudrücken. Mein Dank gilt auch Herrn Prof. Dr. Eckhard Lessing, in dessen theologischer Sozietät allmontaglich zu später Stunde Texte gelesen und diskutiert werden konnten, die heute leider kaum noch Beachtung finden. Nicht zu vergessen ist Herr Prof. Dr. Horst Eduard Beintker, der mir jahrelang ein theologischer Tutor, Freund und Begleiter gewesen ist. Herrn Pfarrer Dr. Bernt Satlow und seiner Frau Irmhild Satlow verdanke ich unzählige Stunden wirklicher Gemeinschaft in Gespräch und Tun. Sie haben eine tiefe Spur des Glaubens in meinem Leben hinterlassen. Last but not least bedanke ich mich bei Frau Dipl. soz. Dorothee Zucca, die mir nicht nur beim Korrekturlesen eine unschätzbare Hilfe war. Ebenso ist zu danken der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster nicht nur für die Förderung durch ein vierjähriges Doktorandenstipendium, sondern auch für die Auszeichnung der Arbeit mit dem Dissertationspreis und der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die freundliche Gewährung eines Druckkostenzuschusses. Schließlich gilt mein Dank dem renommierten Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die Aufnahme der Studie in die Reihe Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie (APTLH) sowie Herrn Dipl. theol. Christoph Spill für seinen Einsatz. Münster, im Juni 2009

Thomas Micklich

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Einleitung Einleitung Einleitung 1. Vor dem Hintergrund einer umfassend angelegten rationalitätslogischen Forschungsarbeit kann mit den Studien hier ein neues Licht auf die stillschweigend vorausgesetzten Prämissen theologischer Begrifflichkeit geworfen werden. Denn es ist festzustellen, dass sich der zugrundeliegende Glaubensbegriff nicht mehr weiterhin so, wie das bisher als hinreichend erschien, ausweisen lässt. Die Erkenntnis, dass die vielfältigen Schwierigkeiten einer solchen Ausweisung nicht notgedrungen mit der Unmöglichkeit einer angemessenen Erfassung des Glaubensinhalts als der Wirklichkeit Gottes zusammenhängen müssen, sondern vielmehr in der inneren Widersprüchlichkeit der konzeptuellen Struktur der Fassung dieses Begriffs begründet liegen, lässt keinen anderen Weg zu als den, sich der rationalitätslogischen Grundlagen des Glaubensbegriffs, und damit zusammenhängend der Begriffe von Praxis und Wirklichkeit, erneut zu versichern. Die Grundthese, von der hierbei ausgegangen wird, lautet: Die Widersprüche, in die sich das Konzept des Glaubensbegriffs verstrickt, sind nicht seinem „zu großen“ Inhalt geschuldet, sondern der ihm dabei zugemuteten Form. Es muss also hier um die kritische Analyse des Formzusammenhangs der Grundbegrifflichkeit gehen. Das Paradox des Glaubens erweist sich dabei eben als eine Paradoxie des Glaubensbegriffs. Als was aber ebendieses festgestellte Paradox des Glaubens darüber hinaus noch durchschaut und dann auch explizit gemacht werden könnte, das lässt sich erst dann klären, wenn es gelingt, den Glaubensbegriff neu und hinreichend solide im kritischen Anschluss an Einsichten aus unterschiedlichen Theorietraditionen zu fundieren. Es wird sich dann aber – und das ist als das Novum der Überlegungen hier nun genauer zu zeigen – nicht mehr als eines der Form, sondern des Inhaltes, das heißt nicht als eines des Begriffs, sondern der Wirklichkeit, erweisen. 2. Es stehen demnach drei grundlegende Begriffe im Zentrum der Problemerhebung (Kapitel 1) und der daran anschließenden rationalitätslogischen Analysen (Kapitel 2): der Glaubensbegriff, im Zusammenhang damit die Frage nach der Wirklichkeit des Glaubens und in Abhängigkeit wiederum davon die Frage nach der Kategorie des Praktischen der Theologie. Dabei ist davon auszugehen, dass die rationalitätslogische Kategorie der Beziehung, theologisch der Gottesbeziehung, dasjenige fundamentale Theorem theologischen Denkens ausmacht, das allein in der Lage zu sein scheint, den

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Einleitung

komplexen Anforderungen des Glaubensbegriffs gerecht zu werden. Denn der Glaubensbegriff lässt sich nicht auf den ontologischen Begriff eines äußeren sachverhaltlichen Wissens von Gott verkürzen. Es geht nicht allein darum, zu fragen, was der Glaube aussagt, sondern eben auch darum, wer dies wie behauptet – und überhaupt auch nur so behaupten kann. Denn es zeigt sich, dass das, was man denkt, nicht zugleich eine an sich seiende Wirklichkeit beschreibt. Es ist ja das von mir Konzipierte und sodann das als solches Behauptete. Es stellt sich also nicht allein die Frage nach dem Gegenstand des Glaubens unabhängig von der Frage nach dem Erkenntnissubjekt, sondern eben auch und nachhaltig die Frage nach dem Subjekt des Glaubens. Das Wissen über Gott ist ja alles andere als ein sicheres Wissen von Gott.1 Es kann zwar nach den Regeln der Vernunft geprüft werden; aber nichts gibt dem Menschen Gewissheit darüber, dass es ein Wissen ist, das die Wirklichkeit Gottes tatsächlich auch repräsentiert. Gott ist, was er ist, unabhängig davon, dass und als was wir ihn denken. Gibt sich eine Wirklichkeit nicht zu erkennen, dann erschließt sie sich uns nicht als sie selbst. Wir können dann die Idee einer solchen Wirklichkeit konstituieren und damit Geltungsansprüche erheben. Aber sie wäre so doch durch nichts als durch unsere menschlichen Möglichkeiten, unsere kognitiven Fähigkeiten und epistemischen Ressourcen auszuweisen. Auch die letztlich ontologische Unterscheidung zwischen „theologia naturalis“ als der Lehre von der „revelatio universalis“ im Zusammenhang einer „praeambula fidei“ von einem aus der übernatürlichen Offenbarung („revelatio specialis ac supernaturalis“) stammenden Wissen von Gott ändert nichts an dieser Problematik, da ich in diesem Wissen nicht den wirklichen Gott selbst finde, sondern ein menschliches Wissen über Gott. Der Mensch findet doch nur immer sich selbst bei sich selbst, ausgebreitet nach seiner eigenen semantischen Vielfältigkeit und intellektuellen Tiefe. Der menschliche Glaube mag die Höhen seines Wissens erreichen und die Abgründe seines Denkens ausloten; er gelangt doch niemals dorthin, wo die Erkenntnis Gottes sich ereignet. Echte Erkenntnis des Glaubens wäre also nicht mehr tautologische Selbsterkenntnis eigener Konstitutionsleistungen, sondern wirkliche Erkenntnis dessen, was der Glaube als Wirklichkeit Gottes nur behaupten kann. Wirkliche Erkenntnis ist aber existenzbestimmende Begegnung der Wirklichkeit selbst, an welcher sich die deduktiven Zusammenhänge unserer Sinnkonstitutionen überhaupt nur als wahr erweisen lassen könnten. Nicht muss sich die Wirklichkeit Gottes an unseren Konstruktionen messen lassen, sondern umgekehrt sind unsere kognitiv-epistemischen Leistungen dieser Wirklichkeit selbst auszusetzen. Diese Wirklichkeit kann sich der Mensch aber nicht mehr selbst geben. Sie wird deshalb erst wirklich denkbar und sagbar, wenn sie 1

Vgl. Bultmann, Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden?, in: Ders., Glauben, 26–37.

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Einleitung

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sich zu erkennen gibt, sich als Wirklichkeit, nicht mehr des Menschen, sondern Gottes, offenbart. Erkennen ist Bedingung der Möglichkeit aller anderen kognitiven Vollzüge des Menschen im Glauben. Alle Seinsaussagen sind in dieser Weise letztlich auf Erkenntnis angewiesen. Die Wirklichkeit Gottes bleibt dem ontologischen Paradigma ganz äußerlich, da Gottes Sein nicht kritisch begegnet, nicht erfahren wird, sondern nur gedacht und dann in lebensweltliches Wissen transformiert wird. Begegnet sie mir aber nicht, dann ist es nicht Gott, der spricht, sondern es sind Menschen, die denken und reden, jenseits des Sprechens Gottes. Damit in eins zeigt sich nun aber die Vermitteltheit dessen, was man sagt, durch den, der es sagt. Es sind immer Subjekte, die denken und sprechen. Das Problem der Konstitution theologischer Bedeutung verschiebt sich so aufs Subjekt. Denn dieses ist es letztlich, das den Sinn konstituiert, den es dann als etwas behaupten kann. Gott ist also kein Ding in oder außerhalb der Welt, von dem man ein statisches Wissen haben und das man dann für wahr halten oder gar denkend zu rekonstruieren versuchen könnte. Das Wissen vermittelt mir nicht Gott. Es steht nicht zwischen mir und ihm, wie man in Anlehnung an ein Wort von Sören Kierkegaard2 sagen kann. Gott wird nicht für mich in diesem Wissen, sondern dieses Wissen wird erst ein Wissen von Gott für mich im Glauben. Gott erschließt mir das Glaubenswissen. Indem ich Gott erkenne, kenne ich Gott. Erkenntnis eröffnet den Zugang zu Wissen, und nicht umgekehrt. Das Subjekt des Glaubens ist der Erschließungspunkt eines Glaubenswissens. Es ist nicht die Beziehung Subjekt–Wissen–Gott, sondern Gott–Subjekt–Wissen zu begreifen. Wenn also das Sein Gottes nicht für mich wird, dann ist auch mein Wissen von ihm keine Erkenntnis Gottes und deshalb kein Glaube. Sein und Erkennen sind zwei grundverschiedene rationalitätslogisch zu fassende Motive. Das Sein Gottes und das Erkennen Gottes sind zu unterscheiden. Ohne Erkenntnis Gottes ist jede Rede über Gott ein hoffnungsloses Werk des Menschen. Der Gott der Philosophen ist und bleibt der Gott eines äußeren ontologischen Denkens, eines Denkens außerhalb der Glaubensbeziehung. Der Gott der Theologen ist der Gott des Glaubens, der Gott, der sich in seinem Wort auf den Menschen bezieht. Er ist der Gott der Anrede.3 Zwischen dem Wissen über Gott und dem Glauben des Menschen steht so das Wort Gottes. Nicht aber konstituiert das Glaubenssubjekt das Sein Gottes, sondern Gottes Wort seinen Glauben als fides coram deo, der so auch in ein neues Verhältnis zu seinem Wissen gesetzt wird. Die erkenntniskritische Wende im Verlauf von Descartes zu Kant hat zwar die Umstellung vom Seinsthema zum Subjektthema des Erkennenkön2 3

Vgl. Kierkegaard, Furcht, 64ff. Vgl. Jüngel, Gott, 1–16.

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Einleitung

nens bewirkt, aber damit dem Glaubensbegriff letztlich den Inhalt genommen, der sich zuvor naiv ontologisch zur Wirklichkeit aufgespreizt hatte. Aber indem die Frage nach der Erkenntnis auf diese Weise in den Mittelpunkt der philosophischen Diskussion eingerückt ist, wird klar, was in der christlichen Theologie spätestens seit Luther längst sich wieder angekündigt hatte: dass auch der Glaubensbegriff nicht auf die Seite seiner Seinsbegriffe hin verkürzt werden darf, sondern dem Aspekt der Erkenntnis grundsätzlich Rechnung zu tragen ist. Wie könnte auch einer von Gott wissen, wenn er ihn nicht zuvor im Glauben erkannt hätte, was immer sonst auch über Gott in der Welt behauptet werden mag? Lebensweltlich sedimentiertes Wissen ist jedenfalls kein Wissen von Gott, da es Gott als den wirklichen nicht erkennt. Nun zeigt sich, dass beide grundbegrifflichen Motive, das ontologische des Seins und das epistemologische des Erkenntnissubjekts, so wie die Philosophie sie dezidiert sich zum Thema gemacht hat, nicht hinreichen, einen angemessenen Glaubensbegriff theologisch auszuweisen. Das Seinsthema wird dem Thema des Erkennens nicht gerecht, das Thema des Erkenntnissubjekts nicht dem des Seins. Denn Sein wird ja als Seinssinn durch das Subjekt der Erkenntnis konstituiert.4 Es ist so kein Sein mehr, das er als etwas weiß, sondern subjektives Wissen, dessen Objektivität sich paradoxerweise durch seine Subjektivität transzendentaltheoretisch auszuweisen hat.5 Die Was-Frage kommt in konstitutive Abhängigkeit von der Frage nach dem Subjekt der Erkenntnis. Sein ist zum Thema subjektiv konstituierten „Seins“ depotenziert. Mit dieser Situation kann sich freilich ein theologischer Glaubensbegriff nicht zufrieden geben. Theologie benö4 Es zeigt sich, dass auch der Versuch, das epistemologische Paradigma des Subjekts auf eine (neue) Ontologie hin zu überwinden, nicht mehr an der Frage der Sinnkonstitution von Sein vorbei kommt, das heißt, dass er das epistemologische Motiv in eben diesem Sinne teilt und teilen muss. Sein ist, soll es mit mir zu tun haben, ein Sein für mich. Auch die Existentialontologie Heideggers vermerkt dies ausdrücklich unter dem Begriff des Daseins und der Frage nach dem Sein, die sich nicht anders stellen lässt als zunächst die Frage nach dem Sinn von Sein, die sich allein über den Begriff der Zeitlichkeit des Daseins erschließen lässt. In der Struktur der Zeitlichkeit ist Sein da, ist es Dasein. Da aber Zeit kein transzendentaler Modus des Subjekts mehr ist, sondern des Seins des Seienden, das so in der Zeit abkünftig ankommt, erweist sie sich als eine Struktur des Daseins. Das Sein des Seienden ist sinnhaft da als Anwesen, welches Ankunft gewährt im Entzug, wie der späte Heidegger es ausdrücken wird. Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, §5; ders., Was heißt Denken?, in: Ders., GA 7, 127–143. „Was sich entzieht, west an, nämlich in der Weise, daß es uns anzieht, ob wir es sogleich oder überhaupt merken oder gar nicht. Was uns anzieht, hat schon Ankunft gewährt. Wenn wir in das Ziehen des Entzugs gelangen, sind wir auf dem Zug zu dem, was uns anzieht, indem es sich entzieht.“ (S. 135), und: „Sein heißt Anwesen.“ (S. 142). Das frühe Motiv des „Da“ zeigt sich nun in dem „An“ des Wesens des Seins. 5 Auf diesen inneren Widerspruch haben die Idealisten nach Kant immer wieder hingewiesen, allen voran Hegel. Vgl. die transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe als den widersprüchlichen Versuch einer objektiv gültigen Grundlegung von Subjektivität bei: Kant, KdrV, B130–B169.

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Einleitung

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tigt beide Grundbegriffe, den des Seins (Wirklichkeit) und den des Erkennens (Glaube); den des Seins, soll das sein, was der Glaube glaubt, und damit mehr sein können als subjektive Konstitution, nämlich die Wirklichkeit des Seins Gottes; den des Erkennens aber, soll der Glaube ein wirklicher Glaube für mich werden, das heißt, mich in meiner Existenz so betreffen können, dass sich mir von hier aus meine Wirklichkeit neu erschließt. Ein Glaubensbegriff, der sich der Frage nach dem Sein Gottes und der Erkenntnis Gottes entledigt hätte, wäre ein Begriff, der nicht mehr mit der Wirklichkeit Gottes und nicht mehr mit der Wirklichkeit des Glaubens an den wirklichen Gott rechnen könnte. Er löste sich dann wohl in Psychologie, Soziologie oder Sprachpragmatik auf. Beide Motive, das des Seins und das des Erkennens, sind folglich konstitutiv für den Glaubensbegriff. Darin liegt nun aber das Problem einer angemessenen theologischen Erfassung dessen, was Glaube sein können soll. Will sie nämlich an der Wirklichkeit des Seins Gottes und an der Wirklichkeit des Glaubens an das Sein Gottes festhalten, dann stellt sich die Frage, wie beide Motive zusammen gedacht werden können. Dem philosophischen Diskurs ist es nicht wirklich gelungen, das ontologische mit dem subjektlogischen Paradigma zu vermitteln. Denn immer stellt sich die Frage, ist nun das ontologische Sein oder das subjektlogische Erkennen Basis ihrer „Vermittlung“ – die also keine wirkliche Vermittlung sein kann, weil sie sich doch immer wieder nur als auf einer der beiden Seiten fundiert erweist. Der Deutsche Idealismus hat in diese Richtung die größte Argumentationskraft entwickelt. Und doch war es am Ende wieder nur das „Subjekt“, und sei es bei Hegel gedacht als die obwaltende „Supersubjektivität“ des absoluten Geistes als die Identität von Subjekt und Objekt, die die „Vermittlung“ leisten können sollte. Aber auch diese schließt sich letztlich wieder in Form einer subjektlogischen Selbsterkenntnis des Geistes monadologisch ab. Einen Standpunkt vor oder außerhalb der Subjektivität in einem „Sein“ kann man so nicht gewinnen. Gott ginge also auf dem subjektlogischen Weg vollständig in der Wirklichkeit einer leistenden Subjektivität auf. Sein „Sein“ wäre das sinnkonstituierte des Subjektseins. Er wäre, eben der Idee nach, von ihr absorbiert. Also avancierte die Subjektkategorie zur Grundfigur neuzeitlichen Denkens. Der Glaubensbegriff der Theologie partizipiert nun an diesem so entfalteten Dilemma der Vermittlung. Hier kommt es zu dem in seiner Tragweite zu erfassenden Problem, ob das Sein Gottes konstitutiv für den Glauben ist oder nicht. Nun ist das theologisch entwickelte Selbstverständnis durchaus eben dies, dass das Subjekt des Glaubens nicht das Sein Gottes konstituieren kann. Umgekehrt ist aber kein Sein Gottes uns gemeinsam gegeben oder äußerlich verfügbar, auf das man sich objektiv beziehen könnte, um das, was ein Subjekt von Gott behauptet, prüfen zu können. Mein subjektiver Glaube schiebt sich immer zwischen Gott und mich, wenn ich Gott denken möchte.

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Einleitung

Denn wenn ich ihn denken will, muss ich mich zu mir verhalten. Und dasselbe gilt auch für mein Verhältnis zu dir. Will ich zu dir von Gott reden, stehe ich genau zwischen Gott und dir. Ich stehe mir selbst und dir im Wege. Aber dir geht es nicht anders. In eben diesem Sinn stellt sich das – hier nun genauer ausgearbeitete – relationslogische Problem einer transitiven Beziehung, die auf der Basis des bisher verwendeten Beziehungsmodells der Gottesbeziehung grundsätzlich nicht gedacht werden kann. Ausgangspunkt für unser Denken und Sprechen von Gott, für die Denkbarkeit und Sagbarkeit des Glaubens ist also das Erkennen des Glaubens. Dieses ist nicht mehr meine Leistung als der eines Subjekts; denn ich verfüge nicht über die Wirklichkeit des Gottes, der ist, was er ist. Es zeigt sich, dass beiden für das theologische Denken grundlegenden Motiven des Seins und des Erkennens durch die Kategorie der Beziehung entsprochen werden kann. Denn nun ist es ja Gott (Sein), der sich auf das Subjekt (Erkennen) bezieht. Die Beziehung hält beide Motive zusammen, so dass es auf den ersten Blick so scheint, als ob das Problem der Gleichursprünglichkeit beider Motive, die vorher nicht zusammen bestehen konnten, gelöst wäre. Sein löst sich nicht mehr in subjektives Erkennen auf, Erkennen gerinnt nicht mehr zu einem statisch verfügbaren Seinswissen; denn weder ist das Sein Erkennen, noch ist das Erkennen Sein. Die Differenz bleibt bestehen und doch herrscht Einheit beider Motive in der Beziehung. Dass es aber doch nicht so einfach ist, wie es auf den ersten Blick scheint, wird sich bei genauerer Analyse zeigen lassen – und eine solche ist deshalb sorgfältig durchzuführen. Denn die Vermittlung, sollte sie wirklich, und das heißt gehaltvoll, gelingen können, kann ja per se nicht mehr Vermittlung in nur Sein oder nur Erkennen sein, sondern müsste Vermittlung von Sein und Erkennen sein, setzte folglich einen dritten Aspekt voraus, worin sie sich im Blick auf beides zugleich realisiert. Vermittlung, so sie dies zurecht leistet, ist Verknüpfung beider Motive auf eine solche Weise, dass ein Neues, ein Drittes entsteht, worin beide Motive als transformierte aufgehoben wären.6 Worin sind aber das ontologische Seinsmotiv und das subjektlogische Erkenntnismotiv wirklich so vermittelt, dass eine dritte Dimension als deren konkretes Integral erwächst? Es geht also darum, der aporetischen Situation des Glaubensbegriffs systematisch auf die Spur zu kommen. Die Aporie findet ihre rationalitätslogische Erklärung darin, dass das Beziehungsmodell nur zweistellig gedacht wird. Dieses scheitert dadurch, dass es die Vermittlung, von der wir soeben gesprochen haben, nicht zu leisten imstande ist. Ist dies aber der Fall, dann kommt letztlich dem Sein das Erkennen, dem Erkennen aber das Sein ab6 „Die Verknüpfung würde nichts verknüpfen, wenn die verknüpften Inhalte durch sie nichts erfahren würden.“, Husserl, LU, II/2, 38.

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handen. Geht aber dem Sein das Erkennen verloren, dann ist es unerkanntes Sein. Jede propositionale Leistung, welche die Was-Frage im Blick hat, bleibt nun hinsichtlich ihrer theologischen Geltung unausgewiesen. Geht dem Erkennen das Sein ab, dann ist es Erkennen von Nichts. Denn wird das Seinsmotiv in der Frage nach dem Glaubensbegriff zur Beziehungswirklichkeit Gottes sublimiert, dann ist Erkennen ohne das Ereignis der Gottesbeziehung, in der sich Gott als der, der er ist, mitteilt, seinslos. Will er dann davon sprechen, ist er aus der Situation des Glaubens herausgefallen. Was ihm bleibt, ist Denken und Reden, das heißt propositionale Möglichkeiten, deren Wirklichkeit aber nicht mehr diejenige Gottes ist, sondern die des Seins der Welt. 3. Die Arbeit teilt sich in zwei Hauptkapitel. Im ersten geht es zunächst darum, die Aporie des Glaubensbegriffs sehen und durchschauen zu lernen, dabei an verschiedenen thematischen Erörterungen aufzuweisen und grundbegriffliche Bestimmungen einzuführen. Die Methode des Vorgehens ist „sokratischer Natur“, insofern in das Grundproblem dadurch eingeführt wird, dass eine entsprechende Problemerhebung an verschiedenen Themenstellungen vorzunehmen gesucht wird, um jedesmal auf die Widersprüchlichkeit der grundbegrifflichen Situation theologischen Denkens aufmerksam werden zu können. Diese Widersprüchlichkeit gilt es deutlich herauszuarbeiten, ohne sie schon eigens aufzulösen. Vielmehr können Lösungsansätze immer nur am Rande vorgezeichnet werden, um so der grundbegrifflichen Problematisierung, die im Mittelpunkt der Diskussion steht, eine größere Schärfe zu verleihen. Auf diesem Weg der problemerhebenden Erstellung von Konstellationen verschiedener Gesichtspunkte und Fragestellungen soll sich die theologische Situation also profilartig gewinnen lassen. Es wird immer wieder neu Anlauf genommen, um dem Problem, das sich leicht dem Blick entzieht, wenn man nicht sorgfältig acht gibt, nachhaltig auf die Spur zu kommen. Denn nur so kann man dann auch dieser Spur folgen. Es geht also darum, in solchen anlaufenden Bewegungen das Problem immer besser einzukreisen, mögliche Zufluchtspunkte zu verfolgen und praktische Konsequenzen durchzuspielen. Im Zentrum der Diskussion steht dabei zunächst einmal die Hypothese, dass die Kategorie der Gottesbeziehung das fundamentaltheologisch immer schon vorausgesetzte Konzept ist, an dem sich die Theologie in der Regel orientiert, auch dort und dann, wenn sehr unterschiedliche und kontroverse Interpretationen im Rahmen dieses Modells entwickelt worden sind beziehungsweise werden. Eine die Eigenart dieses Problems thematisierende rationalitätslogische Untersuchung kann man noch nicht finden. Aus der Kategorie der Gottesbeziehung leiten sich dann die Begriffe des Glaubens, der Wirklichkeit Gottes sowie der Wirklichkeit des Glaubens als einer innerweltlichen Praxis ab. Dabei partizipieren sie an

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dem Dilemma, das unter der Form dieses Modells unvermeidlich ist, wie wir argumentieren werden. Das Modell bedingt nämlich a priori bestimmte Interpretationsmöglichkeiten des theologischen Vokabulars, die gewissermaßen zwangsläufig in die Aporie führen, und zwar auch dort, wo dies nicht bemerkt oder wo es geleugnet wird. So wird die Wirklichkeit Gottes aufgrund dieses Modells zu einer transzendenten Position eines abstrakten Jenseits verdinglicht, so wie auch umgekehrt und dazu komplementär die Wirklichkeit des Menschen zur immanenten Wirklichkeit des Diesseits der Welt verdinglicht wird. Diese Diskrepanz zweier letztlich unvermittelbarer Bezüge, der des Gottesbezugs und der des Weltbezugs, wird dem Konzept des Glaubensbegriffs aufgebürdet. Er soll die Einheit aus Gottesbezug und Weltbezug, Glaubenserkenntnis und Glaubenswissen in Denken und Reden bilden können. Glaube ist so der zentrale Begriff, der den Widerspruch absorbiert und verdeckt. Denn die Unterscheidung gilt als fundamentalonto-theo-logische: Gottes Wort und mein Wort von Gott sind strikt zu unterscheiden. Dabei helfen auch die theologischen Konstruktionen nicht, die nun beide Ebenen zusammen zu denken suchen, indem sich Gott in meinem Wort dir als sein Wort mitteilt: als Wort Gottes. Mein Wort von Gott und Gottes Wort sind nicht vermittelt. Die Frage nach ihrem Verhältnis bleibt zu klären. Denn es handelt sich letztlich nur um eine Art Parallelismus zweier Ereignisebenen, nicht um eine wirkliche Vermittlung. Denn ich – mit meinem Wort – bleibe der göttlichen Kundgabe in meinem Wort äußerlich, werde zur Randbedingung meiner eigenen Rede in der göttlichen Anrede eines anderen Subjekts. Denn es spricht ja nun Gott, nicht mehr ich. Gott ist Subjekt meines und deines Glaubens. Erst eine Konzeption also, der es gelänge, beide Ebenen zu vermitteln, würde diesem Dilemma eines vermittlungslosen Parallelismus, wie immer man es auch wegdeutend umgangen hat, nicht mehr unterworfen sein. Diese Vermittlung könnte aber erst, und das ist eine wichtige Anschlussthese des eigenen Ansatzes, in der sozialen Relation der Intersubjektivität gedacht werden, so dass sich Gott mir in dir erschließt, weil er sich dir in einem anderen Du erschlossen hat. Gottes Wirklichkeit vollzöge sich so geschichtlich, wäre bestimmte soziale Geschichte mit dem Menschen, die man dann als eine semiotische Kommunikation denken kann, deren relationale Struktur nun als triadische zu begreifen ist, die allein das Problem der Transitivität von Beziehungen zu lösen vermag. Transzendenz und Immanenz, Sünde und Gnade, sind nun keine abstrakt hypostasierten Kategorien mehr, sondern konkrete und also reale inhaltliche Kategorien der Wirklichkeit Gottes mit dem Menschen. Transzendent ist dann die Wirklichkeit Gottes mit dem Menschen gegenüber anderen Wirklichkeiten, die sich der geschichtlichen Wirklichkeit Gottes als einer Geschichte mit dem Menschen in der Welt verschließen. Transzendenz vollzöge sich so als eine bestimmte innerweltlich konkrete

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Geschichte: als die Geschichte Gottes mit dem Menschen für den Menschen. Sie sind nun also nicht mehr statische Kategorien einer ontologisierenden Glaubensrede, sondern die dynamischen einer sich vollziehenden Wirklichkeit. Der Inhalt des Glaubensbegriffs ginge nun nicht mehr in der Transzendenz des Subjekts unter, sondern bezeichnete eine bestimmte Weise geschichtlichen In-der-Welt-Seins und also konkrete Realität. Keine abstrakte Transzendenz jenseits dieser Welt, sondern eine konkrete Transzendenz der Welt, ein Jenseits, das sich diesseits vollzieht, mitten unter uns als die geschichtliche Wirklichkeit Gottes mit dem Menschen. Gottes Wirklichkeit kann aber nicht zur realen Geschichte mit dem Menschen werden, wenn sie sich in ein ontisch-subjektives Beziehungsereignis verflüchtigt.7 Der Glaube des Menschen zerfällt so nämlich in seinen Weltbezug (subjektives Denken und soziales Reden) und Gottesbezug. Und auch dort, wo man diese Konsequenzen zu vermeiden sucht, geschieht dies doch nur auf dem Wege einer die Problematik umdeutenden Interpretation. Das Problem dabei ist das Modell selbst, welches das Wirklichwerden Gottes nicht erlaubt. Muss man aber mit der Wirklichkeit Gottes als einer konkret sich erschließenden, und das heißt erfahrbaren Wirklichkeit mit dem Menschen rechnen, wie steht es dann um den Glauben in der Welt? Wie verhält sich dazu kirchliche Praxis, ja was ist dann „Kirche“? Wir werden diese Fragen im Rahmen dieser Arbeit nicht mehr beantworten können, aber die Richtung lässt sich zumindest andeuten, die sich ergibt, wenn es gelingt, den Grundbegriff der zweistelligen Gottesbeziehung des Glaubens zu überwinden. Dazu bedarf es aber zuvor einer Analyse der rationalitätslogischen Aporien dieser Kategorie. Dies soll im zweiten Kapitel geleistet werden. Dabei geht es nun eigens um die rationalitätstheoretische Ausarbeitung der zuvor erhobenen theologischen Problematik, die anhand der Erstellung von bestimmten Konstellationen erfolgt ist, und zwar aufgrund einer rationalitätslogischen Analyse, die die Möglichkeiten und Grenzen der Denkbarkeit der Kategorie der 7 Das Konzept des Ereignisses ist, als zeitliches, konstitutiv für alle Denkansätze, die das Subjekt zum grundbegrifflichen Ausgangspunkt nehmen und ihm doch eine „Substanz“ nicht verwehren wollen, das heißt die nicht in der Kantischen Formalität des transzendentalen Subjekts als unvorgreiflicher, ursprünglicher Apperzeption der Synthesis des Ich denke verharren wollen. Das ereignislogische Denken avanciert geradezu zur Generalthese der Bewältigung des Problems der zweistelligen Gottesbeziehung. Es gilt ja, den theologischen Vorgaben in Form von Bekenntnissen und Glaubenssymbolen zu entsprechen: Gott sei „vere deus“ und „vere homo“, Gott werde wirklich Mensch, der Glaube ist konkreter Glaube und nicht abstrakte Rede aus immer nur unseren eigenen Möglichkeitshorizonten heraus. Vgl. dazu Jüngel, Gott, 1–16, der dort im Anschluss an Ernst Fuchs seine Semiotik des „Sprachereignisses“ entwickelt, die dann der ganzen Studie zugrunde liegt. Allerdings kann die Kategorie des Sprachereignisses das, was sie dort thematisch zu erreichen verspricht, nicht wirklich leisten, weil sie an der Widersprüchlichkeit der Konzeption der Gottesbeziehung teilhat.

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Gottesbeziehung erforscht. Es wird versucht, auf systematische Weise das Problem des Verhältnisses der beiden Grundmotive und den Versuch ihrer Verbindung in der Kategorie der Beziehung, theologisch der Gottesbeziehung, darzustellen und nach seinen verschiedenen Richtungen hin auszuleuchten. Dabei werden die Grundbegriffe geklärt und so ausgearbeitet, dass in einer weiteren Studie an sie angeschlossen werden kann, insofern es dann darum gehen muss, den Grundbegriff der Beziehungskategorie nicht nur kritisch zu rekonstruieren, sondern konzeptuell neu zu fassen und eigens zu erstellen. Wir werden im Verlaufe der Diskussion vielfache Hinweise für eine solche Lösungsrichtung geben – insofern geht es hier, so könnte man sagen, um die Prolegomena einer künftigen Ausarbeitung des grundbegrifflichen Fundaments für die Konzeptualisierung von Kommunikation, theologisch gefasst als das Problem der Kommunikation des Evangeliums. Diese weiteren Ausführungen aber können im Rahmen dieser Studie nicht selbst schon dargelegt werden.8 4. Hintergrund der Studie waren also Untersuchungen zum grundlagentheoretischen Problem der Rationalität. Aus den Resultaten, die sich aus der diesbezüglichen Forschungsarbeit ergeben haben, ergab sich sodann ein scharfer Blick auf das theologische Problem. Es ließ sich nicht einfach an einem speziellen Fall, einer besonderen Disziplin oder einem bestimmten Thema entwickeln, sondern erforderte von Anfang an eine systematische Perspektive der Herangehensweise. Systematisch in dem Sinne, als die grundbegriffliche Situation des Glaubens ausgelotet werden musste. Um aber den systematischen Ansatz seiner Idee nach zuallererst einmal zu plausibilisieren, war es nötig, eine problemerhebende Diskussion in Kapitel eins durchzuführen, die das Zentrum unserer kritischen Fragestellung in konzentrischen Kreisbewegungen immer schärfer zu markieren in der Lage ist. Der Ansatz dieser Arbeit versteht sich deshalb insgesamt als ein fundamentaltheologischer Beitrag, wenn man diesen Begriff im Rahmen protestantischer Theologie einmal so verwenden darf. Theologischer Ausgangspunkt 8

Eine Lösung sehen wir in der Umstellung von dem zweistelligen Modell der Gottesbeziehung, das an dem Problem der doppelten Subjektivität (Freiheit) scheitert und so letztlich dem Subjekt-Objekt Problem verhaftet bleiben muss, auf das dreistellige Modell der Gottesbeziehung, dessen Infrastruktur die Relation der Intersubjektivität ist. Damit wäre aber die Grundrelation des Menschseins weder seinslogisch noch subjektlogisch fundiert, sondern in seiner Sozialität. Die soziale Relation der Intersubjektivität konstituiert das Menschsein. Gottes Wirklichkeit würde sich nun nicht mehr im Rahmen der Subjektkategorie in eine letzte irrationale Innerlichkeit unvorgreiflich verflüchtigen, sozusagen innen von außen her sich auf mich beziehen, mit dem Problem nämlich, nun begründen zu müssen, wie ich unter dieser Bedingung noch zu dir von Gott sprechen können soll, oder auch nur zu mir selbst. Wie können wir gemeinsam an denselben Gott glauben, was ist dann noch Kirche, was sind ihre Praktiken, wenn sie doch soziale Praktiken sind, und so weiter?

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waren dabei grundsätzliche praktisch-theologische Fragestellungen. Wie funktioniert religiöse und kirchliche Kommunikation, was ist die eigentliche theologische Dimension des Begriffs des Praktischen in der Zusammensetzung des Begriffs „Praktische Theologie“, warum fragt man nach homiletischen Modellen zur Verbesserung von Predigtlehre und Predigtpraxis, weshalb werden unterschiedliche Theorieansätze im Blick auf die Rezeption von Predigt, Unterricht, Seelsorge und so weiter interessant – und wiederum: was ist an ihnen das, was sie als ein genuin theologisches Verfahren ausweist? Nun ergab sich auf diesem Wege des Fragens die beunruhigende Einsicht, dass sich die gläubige und kirchliche Praxis auf der Basis der eigenen stillschweigend gemachten Voraussetzungen nicht aus der Wirklichkeit Gottes unmittelbar oder mittelbar verstehen lässt. Denn dies wäre nur denkbar, wenn die Wirklichkeit Gottes das Subjekt ontologisch in die Welt hinein überschreiten und so selbst geschichtlich wirklich werden könnte, so dass sich mit dieser Praxis Gottes Wirklichkeit selbst vollzieht. Dann wäre man aber an dem Punkt angelangt, Predigt, Seelsorge und andere praktische Vollzüge selbst als Vollzüge der Wirklichkeit Gottes verstehen zu müssen. Diesen Gedanken kann aber die Theologie nicht denken, muss sie doch Gottes Wirklichkeit und die Wirklichkeit des Menschen strikt, und das heißt fundamentalontologisch, mit guten Gründen unterscheiden. Man wird kaum die organisatorische und institutionelle Praxis der Kirche in der Gesellschaft als einen Vollzug der Wirklichkeit Gottes behaupten wollen, sondern als einen Vollzug in der Welt, der von dieser Wirklichkeit Gottes spricht, den sie, mit einem Wort Husserls, redend und denkend intendiert, ohne jedoch den Anspruch auf Erfüllungsereignisse im Gepäck zu haben, sondern immer mit dem Hinweis auf die Kontingenz der sich ereignenden Gottesbeziehung als eines unverfügbaren Handelns Gottes an dem Einzelnen als ein Handeln von Gott her, der sich so letztlich als das Subjekt meines Glaubens erweist. Nur fragt man sich: Wer sagt das eigentlich und woher kommt nun dieses Wissen? Wenn die „praktischen“ Mittel optimiert oder an gesellschaftliche Entwicklungen angepasst oder gegen solche Entwicklungen korrektiv vorgegangen werden soll(en) – warum und wofür wäre dies nötig, wenn sie doch nicht die Wirklichkeit Gottes weder ausdrücken noch vermitteln können, wenn ihnen, als Mitteln, der Zweck ganz und gar äußerlich bleiben muss, weil Gott sich dieser Mittel frei bedient? Und: Warum sollte er sich dieser kirchlichen und nicht anderer Mittel im Zusammenhang seiner sich auf das einzelne Subjekt richtenden Selbstmitteilung bedienen, wenn diese Mittel ohnehin nichts vermitteln, sondern es Gott wieder ist, der sich dieser frei bedient? Etwa deshalb, weil die Semantik religiös (christlich) ist und von Gott explizit spricht? Nur: Sie kann doch gerade als Semantik nichts leisten, das eine Gottesbeziehung herstellt, mitteilt oder vermittelt. Sie redet ja von etwas ganz anderem als den lebendigen Gott, wenn

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sie von Gott spricht, solange sie nur aus sich selbst spricht. Sie ist als religiöse (christliche) Semantik, zugespitzt formuliert, ebenso unfähig wie jede andere Semantik, die von vornherein gar nicht von Gott spricht. Die explizite Rede des Predigers von Gott wäre nicht mehr oder weniger unendlich fern der göttlichen Wirklichkeit, wie die explizite Rede von etwas anderem. Auch in diese könnte sich Gott frei „einschalten“, um es einmal etwas drastisch zu formulieren. Man könnte aber auch sagen, Gott teile sich in Zeichen der Natur oder der Mitmenschlichkeit mit, so dass auf der Seite des Menschen die hypothetische Idee (Abduktion) aufkommen könnte, dass es einen Gott gibt, der so und so ist. Nur auch dies ändert nichts wirklich an dem zugrundeliegenden Problem, da auch dann zwischen Idee des Menschen von Gott und Wirklichkeit Gottes selbst streng zu unterscheiden wäre, so dass sich die Wirklichkeit Gottes nicht durch den und mit dem Menschen geschichtlich kommunizieren könnte. Würde eben dies aber behauptet werden, und es gibt theologische Modelle9, die es in Ansätzen tun, dann würde man bereits von solchen Grundlagen her argumentieren, die sich einem anderen Modell verdanken. Geht man aber von dem nur zweistellig angelegten Modell der Gottesbeziehung aus, so ergeben sich solche Möglichkeiten einer geschichtlichen Vermittlung Gottes nicht. Bricht aber der Wirklichkeitsbegriff theologisch gänzlich zusammen, weil der Glaubensbegriff in der Gottesbeziehung des einzelnen Subjekts gewissermaßen implodiert? Was können Praxis, Predigt, Unterricht, Mission, Seelsorge, Kirchenleitung, Liturgie und so weiter meinen, wenn sie alle zusammen der Situation der offenbarenden Gottesbeziehung, an der aller theologische Sinn hängt, äußerlich bleiben müssen? Löst sich dann nicht Kirche in eine gesellschaftliche Kommunikation auf, so wie dies durch die soziologische Theorie Niklas Luhmanns nahegelegt wird? Was ist an der äußeren Glaubenswirklichkeit noch genuin theologisch? Und umgekehrt: Ist nicht in der Tat im Bereich der Theologie ein voreiliger Zugriff auf die unterschiedlichsten Modelle aus anderen wissenschaftstheoretischen Zusammenhängen zu bemerken, um sie so dann gleichsam von außen an die positiv gegebenen Themenbestände des eigenen „theologischen“ Arbeitens heranzutragen? Reduziert sich der theologische Gegenstand Praktischer Theologie etwa auf einen positivistischen Traditionsbestand, der festlegt, was das Thema und der Gegenstand für sie jeweils sind, so dass man dann zu diesem Inhalt jene Formen beinah unbesehen übernehmen kann? Wenn alle diese nicht-theologischen Theorieformen (Kommunikationstheo9 Vgl. exemplarisch Deuser, Gott; Pöttner, Realität. Man denke aber auch an das frühe Werk Bonhoeffers, Akt und Sein, in welchem er, in Kontinuität zu „Sanctorum Communio“, „Christus als Gemeinde existierend“ zu begreifen sucht – und dies nicht anders als über die benannten zwei Grundbegriffe: Akt und Sein.

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rie, Semiotik, Handlungstheorie, Sprechakttheorie, Rezeptionsästhetik, Kognitionspsychologie und so weiter) irgendwie passen, hat man es dann wirklich noch mit einem theologischen Gegenstand zu tun? Wie verändern sich eigentlich die theoretischen Modelle, wenn sie auf einen theologischen Inhalt treffen? Ist die Form dem Inhalt derart äußerlich wie das prädikatenlogische Funktionsmodell seinen Argumenten gegenüber, so dass der Inhalt durch jeden anderen substituierbar wäre, weil das Modell nicht inhaltssensibel fungiert, sondern alles beschreibt, was immer der Inhalt wäre, selbst wenn er gar nicht passte? Dann wären aber die Theorien dem Inhalt nur äußerlich appliziert, wie man mit dem Logiker Husserl feststellen könnte. Der praktisch-theologische Umgang mit Theorie legt nahe und verifiziert, was ihr die systematische Theologie ohnehin vorausschickt: die Gottesbeziehung entzieht sich im Ereignis einer immer nur individuellen Mitteilung, so dass alles, was danach kommt, auch keine genuin theologische Qualität aufzuweisen hat, sondern weltförmig ist und also von Theorie so oder auch anders „be-griffen“ werden kann. Das „coram deo“ erweist sich demnach als eine Deutung unter der Kategorie der subjektiven Gottesbeziehung. Es könnte aber auch ein „coram deo“ konkreter Mitmenschlichkeit sein. Aber dann wäre die Kategorie des Subjekts, und sei es auch das der Beziehung, zu schwach, um dies denken zu können. Das Subjekt kann nicht – und zwar nicht als Subjekt – mitmenschlich werden. Diese neue „Substanz“ ist keine ihrer Möglichkeiten. Erst das Konzept der sozialen Relation der Intersubjektivität vermöchte diese neue relationale Substanz zu begreifen, in der das Subjekt nicht als Subjekt verloren ginge, sondern über sich hinaus geworden wäre – und zwar mehr als es selbst. 5. Es sind einige Anmerkungen zum Vorgehen zu machen. Es gibt drei textuelle Ebenen, auf denen argumentiert wird. Bei der ersten Ebene handelt es sich um den laufenden Text, der die Diskussion der Probleme und Analysen relativ ungebrochen entwickelt. Bei der zweiten Ebene handelt es sich um textuelle Einschübe, die dadurch gekennzeichnet sind, dass das Textformat verkleinert ist. Dabei handelt es sich um Unterbrechungen, die das Problem auf der textuellen Hauptebene vertiefen, einen wichtigen Gedanken weiter ausführen oder eine Vernetzung mit naheliegenden Problemen herstellen sollen, um so Zusammenhänge in den Blick nehmen zu können, die das Hauptproblem betreffen. Der Einschub ist hilfreich auch deshalb, weil er die Unterbrechung markiert und so der Gedankengang im Haupttext nicht verloren geht. Eine dritte Ebene bilden dann die Fußnoten. Diese haben einerseits die übliche Funktion der Ausweisung von Bezugnahmen auf Literatur; andererseits gibt es nun eine zweite Funktion der Fußnoten, die der Unterscheidung von erster Textebene und zweiter Textebene ähnlich ist. Es geht also wieder darum, dass der laufende Text der zweiten Ebene nicht abrupt unter-

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brochen wird, falls es nun nötig wird, noch einen wichtigen Gedanken zu entwickeln oder eine entscheidende Hintergrundinformation darzustellen, die nicht ohne Probleme vom textuellen Einschub der zweiten Ebene realisiert werden können. Es ließ sich gelegentlich also nicht verhindern, demgemäß auf drei einander untergeordneten Ebenen zu diskutieren.

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1. Rationalitätstheoretische Erwägungen zum Problem der theologischen Ausgangssituation Subjektivierung der Gottesbeziehung Subjektlogische Form theologischer Begriffe

1.1 Die Mensch-Gott-Relation als Subjektivierung der Gottesbeziehung 1.1.1 „Des Glaubens Paradox“ – Zur subjektlogischen Formierung theologischer Grundbegriffe Schon mit Sören Kierkegaard lässt sich zeigen, dass das Grundproblem theologischen Denkens im Umbruch zum 20. Jahrhundert mit einer Begrifflichkeit festgehalten wird, die notwendigerweise Widersprüche erzeugt, in die sich dann die unterschiedlichen Konzepte des Glaubensbegriffes als jeweilige Ausdifferenzierungen dieser begrifflich problematischen Grundkonstellation fortan verstricken. Kierkegaard wird auf das problematische Verhältnis von persönlichem Gottesbezug, individuellem Selbstbezug und sozialem Weltbezug aufmerksam und bringt es in aller Schärfe zum Ausdruck. Den Widerspruch deutet er dabei als die Paradoxie des Glaubens: „Das Ethische ist das Allgemeine und als solches wieder das Göttliche. […] Die Pflicht wird Pflicht, indem man sie auf Gott zurückführt, aber in der Pflicht selbst trete ich nicht in ein Verhältnis zu Gott. So ist es Pflicht, seinen Nächsten zu lieben. Es ist Pflicht dadurch, daß es auf Gott zurückgeführt wird, aber in der Pflicht trete ich nicht in ein Verhältnis zu Gott, sondern zu dem Nächsten, den ich liebe. […] Für die ethische Betrachtung des Lebens ist es die Aufgabe des Einzelnen, sich der Bestimmung der Innerlichkeit zu entledigen und diese in einem Äußeren auszudrücken. […] Des Glaubens Paradox ist dies, daß es eine Innerlichkeit ist, die dem Äußeren unangemessen (inkommensurabel) ist, eine Innerlichkeit, die wohlgemerkt nicht identisch mit jener ersten {Stimmung, Gefühl} ist, sondern eine neue Innerlichkeit. […] Dem Glauben geht eine Bewegung der Unendlichkeit vorher, erst dann tritt unerwartet kraft des Absurden der Glaube ein. […] Des Glaubens Paradox ist dies, daß der Einzelne höher ist als das Allgemeine, daß der Einzelne […] sein Verhältnis zum Allgemeinen bestimmt durch sein Verhältnis zum Absoluten, nicht sein Verhältnis zum Absoluten durch sein Verhältnis zum Allgemeinen. Das Paradox kann auch so ausgedrückt werden, daß es eine absolute Pflicht gegen Gott gibt; denn in diesem Pflichtverhältnis verhält der Einzelne als Einzelner sich absolut zum Absoluten. Wenn es da in diesem Zusammenhang heißt, daß es Pflicht ist, Gott zu lieben, so wird damit etwas anderes gesagt als in dem Vorhergehenden; denn ist diese Pflicht absolut, so ist das Ethische heruntergesetzt zum Relativen. Hieraus folgt jedoch nicht, daß dieses zunichte gemacht werden soll, aber es bekommt einen ganz anderen Ausdruck,

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Subjektivierung der Gottesbeziehung

den paradoxen Ausdruck, so daß z.B. die Liebe zu Gott den Ritter des Glaubens dahin bringen kann, seiner Liebe zum Nächsten den entgegengesetzten Ausdruck dessen zu geben, was, ethisch gesprochen, Pflicht ist. Verhält es sich nicht so, dann hat der Glaube nicht seinen Platz im Dasein, dann ist der Glaube eine Anfechtung, und Abraham ist verloren, weil er ihr erlegen ist. Dieses Paradox läßt sich nicht mediieren, denn es beruht gerade darauf, daß der Einzelne nur der Einzelne ist. Sobald dieser Einzelne seine absolute Pflicht in dem Allgemeinen ausdrücken will, sich ihrer bewußt werden will in dem Allgemeinen, so erkennt er sich selbst als in Anfechtung befindlich […] . Des Glaubens Paradox hat das Dazwischenliegende {zwischen Gott und Einzelnem}, d.h. das Allgemeine, verloren. Der Glaube ist auf der einen Seite der Ausdruck für den höchsten Egoismus {Selbstbezug} […] , auf der andern Seite ist er der Ausdruck für die absoluteste Hingabe, nämlich es Gott zuliebe zu tun {Gottesbezug}. Der Glaube kann nicht in das Allgemeine hinein mediiert werden, denn dadurch wird er aufgehoben. Der Glaube ist dies Paradox, und der Einzelne kann sich überhaupt nicht jemand anders verständlich machen. […] Der eine Ritter des Glaubens kann dem anderen überhaupt nicht helfen. Entweder wird der Einzelne selbst ein Ritter des Glaubens dadurch, daß er das Paradox auf sich nimmt, oder er wird es niemals.“1

Diese Überlegungen liefern bereits diejenigen Grundbegriffe, die für das theologische Denken tragend, ja, mindestens implizite, auch heute noch ihrer strukturierenden Form nach bindend sind. Die Theologie, insbesondere die protestantische, hat sich unter großen Anstrengungen mit dieser grundbegrifflichen Situation auseinander gesetzt und an den entsprechenden Kategorien immer wieder erneut abgearbeitet; doch ist es ihr auf diesem Weg nicht wirklich gelungen, den so in Geltung gesetzten grundbegrifflichen Rahmen zu überwinden und dabei theologische Kategorien zu erstellen, die der Zerrissenheit des Kierkegaard’schen individuellen Glaubenssubjekts in seiner scheinbar paradoxen Existenzsituation als der Unvermitteltheit von Selbst- und Weltbezug auf der einen und Gottesbezug seines darin absolut individualisierten Selbst auf der anderen Seite entkommen könnten. Kierkegaard’s Ansatz ratifiziert einen für die Theologie weichenstellenden rationalitätslogischen Umbruch, der schon lange bevorstand und nun theologisch zum Ausdruck brachte, was sich in der Philosophie längst als zentrales Motiv durchgesetzt hatte: den Umbruch von ontologischen Kategorien der Welt- und Wirklichkeitserfassung zu solchen einer Logik des Subjekts. Diese nun dezidiert subjektlogische Form des Denkens, die sich als die fundamentale Grammatik auch der theologischen Reflexion festsetzt und von der wir zunächst zeigen wollen, dass und wie sie bei aller kritischen Auseinandersetzung mit ihr schließlich auch heute noch dominant geblieben ist, soll hier kritisch weiterdenkend hinterfragt werden. Es wird dazu die These aufgestellt, dass des „Glaubens Paradox“ sich nicht als 1

Kierkegaard, Furcht, 62ff. Die Einfügungen in geschweiften Klammern sind von mir.

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Subjektlogische Form theologischer Begriffe

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ein Paradox des Glaubens, sondern als eines der zugrundeliegenden rationalitätslogischen Form der Begriffe darstellt, die es geradezu erzwingen müssen. Dieses Paradox entpuppt sich also, wie bereits eingangs betont wurde, als Paradox einer bestimmten Konzeption des Glaubens und nicht des Glaubens selbst. Dass aber die Paradoxie des Glaubens in Wirklichkeit keine der theoretischen Form sein kann, sondern eine konkreter Erfahrungen mit der Realität, das heißt gläubiger Erfahrungen mit und an der Wirklichkeit des Menschen ist, kann sich der Gesamtargumentation erst im Anschluss an eine tief genug ansetzende Analyse des entsprechenden Formproblems erschließen. Zunächst also ist die Formanalyse subjektlogischen Denkens in ihrer Relevanz für die theologische Fragestellung in ihren unterschiedlichen Facetten herauszustellen – und dabei kann von der Zerrissenheit des existenziellen Ich ausgegangen werden, so wie es sich Kierkegaard darstellte. Wird die Frage nach Gott auf diese radikale Weise, wie sie in dem Zitat zum Ausdruck kommt, dem Zusammenhang (klassisch)2 ontologischer Begriffe gänzlich entzogen und nun subjektlogischen Kategorien unterworfen, dann stellt sie sich der Theologie nicht mehr einfach als Frage nach Gott, sondern entschieden als die Frage nach dem Glauben an Gott. Gott ist demnach nicht mehr einfach ein Gegenstand des Denkens – beziehungsweise rationaler Bemühungen um eine konsistente Konzeption von „Gott“ – auf der Grundlage eines gemeinsam geteilten, mehr oder weniger selbstverständlichen äußeren Wissenshorizontes, der als Voraussetzung ontologischer Denkbemühungen fungiert, sondern seine Wirklichkeit wird nun auf eine existentielle Weise fraglich, die die lebensweltlichen Wissensbestände und ihre reflexiven Erklärungsmodelle unter der Frage nach der Gewissheit für mich als des Subjekts des Glaubens fundamental erschüttert. Wie also ist sicheres „Wissen“ von Gott möglich? Die unabweisbare Frage des René Descartes rückt ins Zentrum meiner Existenz: Wie kann ich mich der Wahrheit dessen versichern, was in ontologischen Begriffen vorgestellt wird? Gott ist mir doch keine verfügbar gegebene Erfahrung, an der ich dieses Wissen prüfen könnte. Gott könnte erst dann für mein Leben existenzbestimmend werden, wenn er mir auch zur Wirklichkeit würde. Solange dies aber nicht der Fall ist, redet man nur von einem Bild, Schema, Kon2 Man wird diese Präzisierung vornehmen müssen, also einen bestimmten Typ ontologischer Begriffe zurückweisen. Denn es lässt sich zeigen, und dies wollen wir im Anschluss tun, dass die Theologie, gerade auch in der Auseinandersetzung mit der philosophischen Entmachtung des ontologischen Ansatzes, doch nicht das ontologische Motiv als ein solches aufgeben kann, will sie dem Glauben nicht den Boden unter den Füßen wegziehen, ihn gewissermaßen in einen seinslos epistemischen Glauben des Subjekts transformieren. Der Begriff der Wirklichkeit Gottes fordert das Offenhalten des ontologischen Motivs als eines kritischen Korrektivs gegen das Philosophem des mündigen Subjekts, nicht aber dessen Aufgabe unter dem neuen Grundbegriff des Subjekts/der Subjektivität.

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Subjektivierung der Gottesbeziehung

strukt, das man sich von Gott gemacht hat. Würde er mir aber als Wirklichkeit die Wahrheit dessen, woran der Glaube glaubt, selbst bezeugen, ja würde er mir als diese Wirklichkeit diesen Glauben allererst kritisch erschließen, dann würde wirklich ich, diese Person, die ich bin, über die ideologischen Vorgaben hinaus selbst an ihn, den wirklichen Gott, glauben, und nicht eine in mir anonym sublimierte Meinungsgemeinschaft derer, die für wahr halten, was man so denkt.3 Meine Existenz würde nicht in sozialisatorischen Bedingungen aufgehen, die mich derart prägen, dass ich gewisse Verhaltensgewohnheiten in Denken (Mythos) und Handeln (Ritus) ausbilde. Denn dann wäre ja mein Glaube sozial kontingent, abhängig von den jeweiligen Kontexten als denjenigen äußeren Bedingungen, in denen sich meine personale Identität ausgebildet hat. Kommt die Frage nach Gott als die Frage nach dem Glauben an ihn wirklich zum Zuge, dann lässt sich nichts mehr an dem Glaubenssubjekt vorbei als wahr behaupten, sondern der Glaube wäre nun Behauptung des Subjekts als des individuellen, und nicht bloß als des mit einer nicht weiter hinterfragten Glaubensgemeinschaft gleichgestimmten und so abstrakt verallgemeinerten Subjekts. Es geht durchaus nicht darum, die Kontextbedingtheit der innerweltlichen Existenz der Subjekte zu leugnen, sondern darum, zu begreifen, dass der Glaube in solchen Voraussetzungen nicht aufgeht, nicht aus ihnen besteht. Damit schiebt sich nun auch das Subjekt vor das äußere Wissen der Gesellschaft (Kirche), und nicht mehr umgekehrt diese vor jenes. Es schiebt sich gewissermaßen zwischen sie und die Wirklichkeit Gottes, die sich ihm als ein Wissen nur erschließt, wenn es in einer Beziehung zu Gott steht. Diese individuelle Beziehung kann nicht durch ein äußeres Wissen oder irgendeine kirchliche Glaubenspraxis ersetzt werden, die ja nicht selbst Gott ist. Glaube ich einem gemeinschaftlich geteilten Wissen, dann ist das nicht Glaube aus Erkenntnis und also Glauben an Gott, sondern Glauben an den Glauben (der Kirche). Wird aber auf die besagte – emphatische – Weise der Kategorie der Subjektivität Rechnung getragen, dann erweist sich dies – und das wird genauer zu zeigen sein – als eine Situation, die doppelte Subjektivität impliziert. Denn die Wirklichkeit Gottes kann nicht mehr als ein relativ stabiles ontologisches Wissen objektiviert werden, sondern wird nun selbst als die Wirklichkeit des Glaubens des menschlichen Subjekts zum Subjekt: zum Subjekt der Gottesbeziehung des Glaubens. Gott wird so als das (göttliche) Subjekt meines Glaubens thematisch, als eine innere und zugleich für uns kontingente Wirklichkeit, die sich offenbarend menschlichen Subjekten zu erkennen gibt: in einer individuellen Gottesbeziehung

3 Vgl. zur existentialontologischen Analyse der Uneigentlichkeit des „man“ als des „alltäglichen Selbstseins“, Heidegger, Sein und Zeit, §27.

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Subjektlogische Form theologischer Begriffe

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des gläubigen Subjekts. Die Wendung nach Innen ist der Vollzug des Scheiterns äußerer ontologischer Kategorien des Wissens. Man hat schon lange auf Negativität zurückgreifen müssen, um den reifizierenden Zug ontologischen Denkens theologisch wieder auszugleichen. Man denke dabei an die ontologische Tradition der Negativen Theologie oder an die Tradition der Mystik. Spätestens seit Descartes, sodann aber und mit aller Konsequenz durchgeführt im Deutschen Idealismus wird man entdecken, dass Negativität selbst ein ontologisches Potential bereit hält, das eine Wirklichkeit sui generis bildet: die Wirklichkeit des (transzendentalen) Subjekts, dessen Sein Freiheit ist. Man hat freilich auf dieser Basis der reinen Subjektivität das Problem, Freiheit erklären zu müssen. Diese hatte ja nun im Zuge der Subjektivierung ihre lebensweltliche Konkretheit, ihren Weltbezug und das heißt ihre Substantialität gänzlich verloren. Was Freiheit positiv ist, konnte Kant nicht mehr eigentlich erklären, sondern nur als eine negative Prämisse einer synthetisch-apriorischen Ursprünglichkeit des Ich voraussetzen.4 Subjektivität lässt sich logisch aber als reine Negativität bestimmen, bestimmen als der Widerspruch, als das Widersprechenkönnen5, und in dieser Negativität besteht das ihr eigen-artige Sein. 4

Vgl. Kant, KdpV, §6. Die rationalitätslogische Problematik wird in einer sich anschließenden eigenen Studie im Detail ausgeführt werden. Subjektivität = Negativität = Sein des Widersprechenkönnens: Die These hat mit der inneren Struktur der (dyadischen) Relation zu tun. Soll das N (=Negation) Negation eines P (=Position) sein können, dann müssen sie in Beziehung sein. In Beziehung zu sein erfordert eine formelle Identität, das heißt mindestens ein irgendwie Bezogensein beider. Sie sind so formell identisch als aufeinander Bezogene. Anderenfalls fielen sie beziehungslos auseinander. N wäre nicht mehr N von P. Das heißt aber, dass die dyadische Relation ihrer Form nach (zweistellige) Identitätsrelation ist, so dass P=N gilt. Dann gilt aber eben auch, dass N selbst und an sich das P, und P selbst und an sich das N ist, aufgrund der syntaktischen Identität der Relation. Denn das P ist das dem N gegenüber Andere, Negation des N, denn P ist nicht N. Also ist P an sich selbst negativ, indem es N negiert; und ebenso für N, das als durch P Negiertes selbst Position ist, nämlich die Position der Negation gegenüber der Position des P. Daraus ergibt sich der Widerspruch (P=N)=(P=N) und letztlich immer so fort ad infinitum. Die Relation ist Widerspruch, und als subjektlogische Potenz: das Widersprechenkönnen. Denn das Subjekt ist diejenige Instanz, die die Negation zur Position erklären kann, gegen jede ontologische Festlegung. Es kann also widersprechen. Dies ist seine (negative) „Freiheit“ als die Freiheit von allen Festlegungen. Subjektivität ist ihrer Struktur nach folglich selbst eine Relation, ein sich zu sich selbst Verhalten, also ein Selbstverhältnis, in welchem beide Seiten identisch und unterschieden sein müssen, soll das Verhältnis zwischen mir und mir statthaben können. Die Deontologisierung durchs Subjekt vollzieht sich rationalitätslogisch durch das Sein des Nichts als der urteilslogischen Position der Negativität. Die Position der Negativität ist aber die reine Relation, das Beziehen, so dass sich zeigt, dass kein Seiendes mehr sein Sein außerhalb seines Negativseins, das heißt außerhalb seines Zusammenhangs mit seinem Bezogensein haben kann. Das Seiende ist vermittelt durch das Nichts des Subjekts, die Position von etwas durch die Negativität der Subjektivität. Fichte hat in seiner Wissenschaftslehre von 1794 diese „Relation“, die als Ursprungsrelation nicht mehr gegenständlich werden kann, weil sie selbst ja nicht Relat ist, sondern das, was Relate in Beziehung setzt, als die Tathandlung des ICH, also relational als Ich=Ich, gedeutet: als das Setzen. Damit geht er den entscheidenden Schritt über Kant hinaus, indem er nun die Synthesis a priori des Ichs bei Kant selbst – spekulativ – zu denken sucht. Aber wie kommt das Subjekt aus diesem subjektivitätslogischen Zirkel des Alles-negieren-Könnens wieder heraus? Wie kann dieser Form einer alles auflösenden Freiheit eine neue Substantialität der Freiheit verschafft werden, in der das Subjekt schließ5

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Subjektivierung der Gottesbeziehung

Freiheit, die das Subjekt praktisch-philosophisch geradezu definieren sollte, blieb auf diese Weise ganz und gar die nur abstrakte, die vor allem das Moment des Freiseins von etwas, und zwar genau genommen von allem, nicht aber mehr das des Freiseins zu etwas, zum Ausdruck bringen konnte. Freiheit impliziert nun auf der gegenständlichen Seite des Glaubens, dass Gott gerade kein Objekt meines Glaubens sein kann, sondern sich als das Subjekt meines Glaubens erweist, so wie dies, dass mein Glaube nur wirklicher Glaube ist, wenn ich mich frei dazu bestimmen kann, und nicht immer schon sozialisatorisch dazu bestimmt worden bin, so und so zu glauben. Diese kritische Selbstbestimmung6 versucht die Theologie konkret aus der Wirklichkeit Gottes zu denken, die das Subjekt des Glaubens frei macht, seiner göttlichen Wirklichkeit im Glauben zuzustimmen und zu entsprechen. Das Problem jedoch ist, diese Konkretheit im Rahmen des subjektlogischen Modells nicht konsistent denken zu können, wie wir zeigen werden.

Beruhte das ontologische Paradigma noch auf der Möglichkeit eines relativ stabilen theologischen (religiösen) Wissens, das man denkend prüfen und also rational nachzuvollziehen versuchen konnte, und sei es auch unter der Form der Negation7 beziehungsweise anhand der kritischen Unterscheidung zwischen einer der Vernunft zugänglichen natürlichen Offenbarung und einer die Vernunft überlastenden übernatürlichen Offenbarung8, so lässt sich diese Möglichkeit eines äußeren Wissens, das nicht die Wirklichkeit ist, von der es spricht, unter dem Paradigma der Subjektlogik nicht mehr aufrecht erhalten. Denn auch der eingebaute Vorbehalt (negative Theologie) reicht nicht aus, der existentiellen Frage nach individueller Gewissheit hinreichend Rechnung zu tragen. Denn Gott ist nun nicht mehr einfach Gegenstand des Denkens und Objekt einer äußeren Erkenntnis der Vernunft lich auch wieder frei zu und für etwas sein könnte? Vgl. zum Problem nicht allein die Idealisten Schelling und Hegel, sondern besonders auch die zeitgenössischen Analysen von Günther, Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik, Bd. 1–3; vgl. dazu aber auch die Überlegungen zum Problem der „kommunikativen Freiheit“ von Theunissen, Sein und Schein – Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, 37–60. 6 Kritische Selbstbestimmung als eine Selbst-Bestimmung nicht aus dem eigenen Selbst meint eine Selbstbestimmung, in der das Selbst des Menschen sich selbst von Gott her bestimmen lässt. Der sich in dieser Formulierung ausdrückende Widerspruch des Duals Selbst/Anderes lässt sich kategorial nur relationenlogisch bewältigen. 7 Zu denken ist vor allem an die Tradition der sogenannten Negativen Theologie. Vgl. zum Beispiel Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, liber primus, Capit. XIV: „Est autem via remotionis utendum praecipue in consideratione divinae substantiae. Nam divina substantia omnem formam quam intellectus noster attingit, sua immensitate excedit: et sic ipsam apprehendere non possumus cognoscendo quid est.“ Was der Reflexion der ratio bleibt ist das “quod est” Gottes. 8 Vgl. Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, liber primus, Capit. III: „Est autem in his quae de Deo confitemur duplex veritatis modus. Quaedam namque vera sunt de Deo quae omnem facultatem humanae rationis excedunt, ut Deum esse trinum et unum. Quaedam vero sunt ad quae etiam ratio naturalis pertingere potest, sicut est Deum esse, Deum esse unum, et alia huiusmodi; quae etiam philosophi demonstrative de Deo probaverunt, ducti naturalis lumine rationis.“

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Paradoxie des Glaubensbegriffs

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in Form der rationalen Überprüfbarkeit eines gegebenen theologischphilosophischen Wissensbestandes, der gleichwohl unbefragt vorausgesetzt wird und allenfalls im Rahmen dieser zu machenden Voraussetzung objektlogisch diskutiert und korrigiert werden kann, sondern er ist nun selbst als das Subjekt seiner Erkenntnis und damit meines Glaubens zu bestimmen, das sich eben nicht innerweltlich als ein (transzendenter) Gegenstand ontologisch konzipieren lässt. Dadurch aber, dass er zum nicht-gegenständlichen, zum nicht-objektivierbaren Subjekt seiner Selbstmitteilung werden kann, dadurch also, dass er das Subjekt meines Glaubens wird, wird eben seine Gegenständlichkeit, Inhalt theologischer Rede, und also die Möglichkeit sachverhaltlichen Redens und Denkens, zu einem grundsätzlichen Problem. Der Versuch, diesen dem Subjekt geschehenden Gottesentzug theologisch zu bewältigen, führt schließlich zu einem schon an sich problematischen Lösungsansatz, der sich des Modells einer strikten Nachordnung der Bezüge der Beziehung bedient. Dabei heißt es: erst konstitutiver Gottesbezug, dann expressiver9 Weltbezug (Selbstbezug, Sozialbezug) des Menschen10, wobei beide Bezüge durch nichts mehr vermittelt sein können, da eben diese Vermittlung nur entweder wieder die Gottes oder aber die des Subjekts sein könnte, wodurch das Problem nicht gelöst, sondern nur aufgeschoben wäre. Die Beziehung zwischen Gottesbezug und Weltbezug (Selbstbezug, Sozialbezug) wäre so aber die der materialen Beziehungslosigkeit.11 1.1.2 Paradoxie des Glaubens als Paradoxie des Glaubensbegriffes – Eine Umorientierung des Modells der Gotteswirklichkeit Paradoxie des Glaubensbegriffs Geht man dieser Problematik auf den Grund, trifft man auf eine Paradoxie, die nicht als die Paradoxie des Glaubens, sondern als die des Glaubensbegriffs anzusprechen ist, das heißt als diejenige einer bestimmten rationalitäts9 An dieser Stelle meint „expressiv“ all das, was den Gottesbezug des Glaubens auf der Seite der Welt auszudrücken sucht: Gefühle, Handlungen, Gedanken, Argumentationen. 10 Dabei ist der Gottesbezug eben nicht als natürliche Möglichkeit des Menschen, sondern als kontingente Offenbarungswirklichkeit Gottes unter der subjektlogischen Kategorie der Innerlichkeit zu denken. 11 Aber eben dies, einander nicht bezogen zu sein, ist ihre Beziehung: Negativität, oder, das Beziehen der unvermittelten Glieder der Beziehung bedenkend: „Beziehung ohne Bezogene“, also der Widerspruch, Bezogene (Gott-Welt) ohne Beziehung zu sein, wie Hegel (Wesenslogik) es ausdrücken würde. Ja Hegel weist diese Form des Denkens von Transzendenz geradezu als eine Verdinglichung Gottes nach, da Gott von Nicht-Gott zu unterscheiden wäre und im Festhalten der einen Seite gegen die andere jede einen dinglichen, wenn auch unter der Form der Negation durch die andere, Charakter annimmt. Vgl. die Diskussion der Kategorie der Unendlichkeit im Zusammenhang der Dialektik von Endlichkeit/Unendlichkeit in der Wissenschaft der Logik (Lehre vom Sein) sowie, dazu, auch Theunissen, Sein und Schein, 267–297.

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Subjektivierung der Gottesbeziehung

logischen Denkform, die den strukturellen Rahmen für den Glaubensbegriff absteckt. Sie besteht darin, dass von Gott angemessen zu reden nicht möglich ist. Die Rede Gottes (Weltbezug des Glaubens) ist nicht die Rede Gottes (Gottesbezug des Glaubens). Die „gläubige“ Rede des Menschen kann, sieht man genauer hin, letztlich nur ein Reden über Gott und so religiöse Rede sein. Dies gilt auch dann noch, wenn sich die Theologie bemüht, das sich ergebende Dilemma nachträglich auf dem Weg der Interpretation zu korrigieren, so dass die Schärfe der inneren Konsequenz des zweistelligen Modells der Relation der Gottesbeziehung nicht mehr – wie dies sich mit besonderer Heftigkeit bei Kierkegard noch zeigte – entsprechend zum Ausdruck kommt. Die Versuche der hermeneutischen Glättung dieser widersprüchlichen Situation, wie die protestantische (systematische) Theologie des 20. Jahrhunderts zeigt, haben darin bestanden, ihr doch noch einen – aber eben auch nur wieder im Medium des Allgemeinen, das heißt diesseitig auf diesseitige Weise verständlich zu machenden – Sinn abzugewinnen. Es kann aber eine solcherart angelegte konzeptuelle Vermittlung der Bezüge des Glaubens a priori nicht gelingen. Sie ist schon vom Ansatz her zum Scheitern verurteilt. Und dieses Scheitern, so unsere These, liegt bereits in der grundlegenden Form begründet, welche den ausgeführten theologischen Konzeptionen des Glaubens zum Ausgangspunkt dient. Man steht nämlich vor dem Dilemma, einerseits die fundamentalontologische Differenz zwischen Gott und Welt (Mensch) nicht vermittlungstheoretisch einebnen zu dürfen, sondern sie offen zu halten, andererseits aber Vermittlung doch zulassen zu müssen, da ja sonst Gott und Welt beziehungslos auseinanderfallen würden, woraus sich wiederum sowohl schwerwiegende ontologische Probleme hinsichtlich des Glaubensbegriffs von Gott – Gottes Wirklichkeit betreffend – als auch epistemologische Probleme hinsichtlich des Gottesbegriffs des Glaubens – die Wahrheit des Glaubens betreffend – ergeben würden. Eine unter solchen Bedingungen stattfindende Bemühung um Glättung und Deutung einer schon in der Form des Interpretationsansatzes liegenden weichenstellenden Paradoxie kann man allerdings besser als das verstehen, was Niklas Luhmann unter dem Titel der Entparadoxierung eines auf diese Weise grundgelegten Gedankensystems als einzig „sinnhafte“ pragmatische Strategie vorschlägt. Die interpretativen Bemühungen der Theologie haben aber, sofern dieses Problem sensibel wahrgenommen wurde, nicht grundsätzlich etwas an der Problematik ändern können. Das Grundmodell der modernen Theologie war endgültig zum Durchbruch gekommen und von Kierkegaard schließlich unverdeckt auf den wunden Punkt seines Begriffs gebracht. Es avancierte bei allen Versuchen der Adjustierung der grundbegrifflichen Situation schließlich zum maßgebenden Bezugsrahmen theologischen Denkens und theologischer Rede.

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Paradoxie des Glaubensbegriffs

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Die wichtigste Konsequenz war zunächst einmal die, dass der Graben zwischen Gott und Welt – der unendliche qualitative Unterschied Kierkegaard’s – nun nicht mehr durch ontologische Reflexionen diesseitig vermittelt werden konnte, auch nicht durch Rückgriff auf Möglichkeiten der Negation. Die Inkommensurabilität besteht nun nicht mehr nur ontologisch darin, dass die dem Menschen zur Verfügung stehenden Vernunftbegriffe ihrem „zu großen“ Sachverhalt unangemessen sind, nämlich Gottes Sein und Wesen zu erfassen. Denn auch diese selbstkritische Aussage setzte eine gewisse Kenntnis von dem „zu großen Gegenstand“ bereits voraus, soll sie nicht an ihrem Gegenstand gänzlich vorbei gehen. Die Inkommensurabilität besteht vielmehr nun darin, dass es für die menschliche Vernunft überhaupt keine Begriffe gibt, Gott als einen Gegenstand zu konstituieren, um ihn angemessen zu denken und womöglich auf dieser Grundlage anderen mitzuteilen. Denn der wirkliche Gott ist nicht der Begriff von Gott, vielmehr könnte er nur begrifflich werden als Gottes Begriff. Gott ist nicht eine begriffsinterne Bedeutung, sondern eine begriffsexterne Wirklichkeit, die jeden Begriff von ihm in Bedrängnis bringt. Er ist ja eine Wirklichkeit, die sich dem Menschen zunächst einmal zu erkennen geben muss, sollen dann Begriffe operativ werden können, diese Wirklichkeit zu denken und von ihr zu sprechen. Es handelt sich also nicht mehr bloß um das Problem, dass die begriffliche Form „zu klein“ ist für den substantiellen Inhalt des Gegenstandes „Gott“ (FormSubjekt) und in die epistemologische Subjektivität der Bezugnahme des Glaubens (GottMensch. Man fiele damit aber wieder auf denjenigen Kategorienfehler zurück, den es zu vermeiden galt, weil Gott auf eine Relatstelle reduziert ist, auch wenn ihm dann noch die Beziehung selbst eigenschaftslogisch zugeschlagen werden soll. Gott wäre erneut nur als das Seinssubjekt gedacht, theologisch als „der Herr“. Gottes Wirklichkeit ist aber vielmehr als Geschichte Gottes mit dem Menschen zu begreifen: Mensch–Gott–Mensch. Gottes Beziehungssein ist deshalb nur zu denken als ein Mit-dem-Menschen-für-denMenschen-Sein, als eine reale Beziehungsgeschichte mit und für ihn, die also allein die Voraussetzung auch dafür ist, dass sie für den Menschen reflexiv und so Glauben stiftend werden kann. Um dieses göttliche Beziehungssein aber angemessen denken zu können, ist es nötig, das relationale Modell der zweistelligen Beziehung zu überwinden.

2.2.2 Identität und Differenz: Das Beziehungsmodell kommt nicht über die Kategorien Subjekt und Objekt hinaus Subjekt-Objekt zwischen Identität und Differenz Das Beziehungsschema entwickelt eine komplizierte Dynamik, wenn man bedenkt, wie es die verfügbaren Grundbegriffe (Subjekt, Objekt) durch– einander bringt. Denn das Objekt des Glaubens (=Gott) ist das (seiende) Subjekt der Beziehung des Glaubens, und das Subjekt des Glaubens ist das (subjektive) „Objekt“ des Beziehungshandelns Gottes. Theologisch kommt Gott als das Seinssubjekt der Beziehung und das Erkenntnisobjekt des Glaubens, der Mensch als das Seinsobjekt der Beziehung und das Erkenntnissubjekt des Glaubens in den Blick. Damit sind die beiden zentralen Aspekte der Subjektphilosophie, der theoretische des Erkennens und der praktische des Handelns, ausgesprochen und zugleich auf unvermittelte Weise aufgeteilt: Gott handelt als Subjekt, ob er auch sonst noch erkennen mag, und der Mensch erkennt als Subjekt, ob er auch sonst noch handeln mag. Relevant für den Glaubensbegriff des Menschen ist nicht Gottes „theoretisches“ (erkennendes) Subjektsein, sondern sein praktisches (handelndes) Subjektsein als der sich auf den Menschen Beziehende. Und umgekehrt ist nicht des Menschen praktisches Subjektsein in der Welt (Handeln) relevant für den Glaubensbegriff, sondern sein Erkennen als Glaube (aus) der Gottesbeziehung. Der Riss geht mitten durch den Glau-

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Subjekt-Objekt zwischen Identität und Differenz

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benbegriff ebenso wie durch den Menschen. Als Subjekt des Glaubens in der Gottesbeziehung ist sein Erkennen der Handlung Gottes verdankt (=Gnade). Als praktisches Subjekt des Handelns steht es im Weltbezug (=Werk). Inwiefern beide Aspekte wiederum vermittelt werden können, bleibt ein Problem. Nun wird also, betrachtet man die Aufteilung der subjektlogischen Aspekte des Glaubensbegriffs, also den des praktischen Handelns sowie den des theoretischen Erkennens, Subjekt gleich Objekt, aber so, dass die Identität nur formale Identität, nicht aber schon die materiale, das hieße nämlich Vermittlung beider Seiten miteinander, werden kann. Die Identität von S=O42 ist aber der Sache nach eine idealistische These. Bei genauem Hinsehen zeigt sich nun, dass die formale S=O Identität nicht material, also als S=O Identität realisiert ist. Denn dadurch, dass immer nur eine Seite Subjekt sein kann, wodurch jedesmal die andere Seite korrelativ dazu zum Objekt wird, sei es der Handlung Gottes (Mensch), sei es der Erkenntnis des Glaubens (Gott), bleiben sich beide Subjekte strikt äußerlich, da sie sich nicht als Subjekte zueinander verhalten und so einander zugänglich werden können.43 Die Beziehung ist also zwar an sich die von S=O, sie ist dies aber nicht für mich als ein Subjekt dieser Beziehung. Sie ist es der ideellen Form nach, aber noch nicht als reeller Gehalt meines Subjektseins: formale Identität: materiale Differenz:

(Gott)S=O------O=S(Mensch) | | O-------------S ……… Erkenntnis des Glaubens S-------------O ……… Handlung des Beziehens

42

„S“ = Subjekt, „O“ = Objekt. Dies ist eine rationalitätslogische Aussage. Sie gilt also aus relationenlogischen Gründen der Form. Sie gilt auch dann noch, wenn die Theologie inhaltlich Anderes behauptet, gegen die Tatsache ihrer eigenen grundbegrifflichen Fundierung. Man kann also theologisch zwar behaupten, dass Gott den Menschen erkennt, aber das hilft nicht weiter, weil diese Erkenntnis Gottes nicht dadurch schon dem Menschen auch reflexiv vermittelt wird. Gott wird dem Menschen nicht als Subjekt, sondern nur als Objekt seines Glaubens gegenständlich und folglich nicht als er selbst, sondern als unsere Konzeption von „Gott“. Aus dem Subjekt-Objekt Zirkel gibt es kein Entrinnen, was immer man behaupten mag. Behaupten ist nicht schon Denken. Das Problem ist also, dass man durch diese doppelte subjektlogische Fundierung der Beziehung Gott und Mensch auf eine und dieselbe logisch-kategoriale Ebene gesetzt hat und Gott nun durch Verabsolutierung zu dem Allerseiendsten verklärt werden muss, um die fundamentalontologische Differenz zwischen Gott und Mensch zu bewahren. Gott ist aber unendlich viel mehr als das „Allerseiendste“. Denn das Allerseiendste ist, wie Heidegger in seiner Platon Interpretation von Sophistes 254d 15f. zeigt, selbst noch ein relatives, Relat, so dass er als der Widerspruch des relativen Absoluten konzipiert ist. Vgl. Heidegger, Satz der Identität. Vgl. auch schon die Vorlesung vom WS 1924/25, in der er auf das pro,j ti als intrinsisches Moment des kaqV au``to, verweist, Heidegger, Sophistes, 544ff. 43

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Das Vermittlungsdefizit der zweistelligen Relation

Man hat es also mit einer formalen Identität von Subjekt und Objekt zu tun, die ihre Aspekte material dann auf beide Seiten exklusiv-korrelativ aufteilt. Auf beiden Seiten der Relation, das heißt an beiden Relatstellen, zeigt sich die Identität, so wie sie sich auch in der Relation als diese Identität zeigt, aber erstens nur einem äußeren transzendentalen Beobachter, und dieser Gedanke ist widersprüchlich, zweitens nicht als wirklich vermittelte, denn es handelt sich nicht um eine Identität in dem Sinne, dass Subjekt und Objekt reell identisch geworden sind, sondern in dem Sinne, dass es sich um eine äußere Identität an ihnen handelt. Dies haben wir oben mit dem unendlichen Oszillieren hinsichtlich des funktionalen Wechsels von Subjektrolle und Objektrolle der Relate der Relation gemeint. Die Asymmetrie und also Differenz zwischen Subjekt und Objekt ist in dieser Form noch nicht durch Identität gehaltvoll (reell) überwunden, sondern nur erst die (unendlich) reziproke Form der S–O Beziehung, nämlich dadurch, dass sich zeigt, wie jedes Relat an sich selbst beides ist, Subjekt und Objekt. Die Symmetrie der Relate ist nur formal erreicht, materiale Intersubjektivität als die Vermittlung beider Subjekte mit- und füreinander aber noch nicht möglich. Zwei asymmetrische S–O Beziehungen in eins sind noch nicht Vermittlung beider, nicht Vermittlung von S und O: SÆO und OÅS GottÆMensch und GottÅMensch Wir haben es also mit der doppelt asymmetrischen oder reziproken Relationierung von S–O zu tun, also mit: SқO Dies ist die Relation des Umtausches, die Günther’sche „exchange relation“44: SļO An der „exchange relation“ zeigt sich nur erst die formelle Symmetrie der Glieder. Unsere Kritik an diesem in seiner Komplexität ausgereizten zweistelligen Modell besteht darin, dass es reale Vermittlung nicht begreifbar machen kann. Sobald die Realität der Beziehung thematisiert wird, fällt das Modell in die doppelseitige Asymmetrisierung der Beziehung zwischen den Bezogenen zurück, so dass die Subjekt- und Objektrollen immer nur abwechselnd verteilt sein können, so wie oben dargestellt. Es sind also die 44

Vgl. Günther, Formal Logic, Totality and The Super-additive Principle, in: Beiträge I, 329–

351.

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Subjekt-Objekt zwischen Identität und Differenz

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Aspekte von Subjekt und Objekt noch nicht wirklich vermittelt gedacht, gerade auch unter der Form ihrer Beziehung, das heißt, solange und wenn die Beziehung als dyadische, und nicht als triadische der transitiven Teridentität45, begriffen werden soll. Die Aspekte Subjekt und Objekt fallen reell auseinander, gerade indem sie formell aufeinander bezogen sind. Denn einmal ist Gott das Objekt des Glaubens des menschlichen Subjekts, das andere Mal ist Gott das Subjekt der Handlung am Menschen als dem Objekt seiner Beziehung. Beide sind beides, aber nur ihrer Form an sich, nicht ihrer Wirklichkeit füreinander nach. Es gilt also die logische Regel: Wenn Gott das Subjekt der Beziehung ist, dann ist der Mensch das Objekt, und wenn der Mensch das Subjekt der Beziehung ist, dann ist Gott das Objekt.46 Gott ist in anderer Hinsicht Subjekt und Objekt als der Mensch dies ist. Gott ist Subjekt hinsichtlich seiner Bezugnahme auf den Menschen, er ist Objekt hinsichtlich der (gläubigen) Bezugnahme des Menschen auf ihn. Der Mensch ist Subjekt hinsichtlich seiner gläubigen Bezugnahme auf Gott, er ist Objekt hinsichtlich der Beziehungshandlung Gottes auf ihn. Dabei ist zu sagen, dass die gläubige Bezugnahme des Menschen als Subjekt auf Gott als sein Objekt des Glaubens genau genommen als die Bezugnahme des Menschen auf die Bezugnahme Gottes auf ihn verstanden werden muss, in welcher er wiederum das Objekt göttlichen Handelns ist. Denn sein Objekt „Gott“ ist das Subjekt der Wirklichkeit der göttlichen Bezugnahme auf ihn, zu der er sich glaubend verhält, in Verstehen und Zustimmung.

Es lässt sich also unter der gegebenen Form der Beziehung, die das Problem lösen soll, beide Aspekte des Denkens als theologische Motive festzuhalten, nicht vermeiden, dass der Mensch des Glaubens in zwei Momente unvermittelt auseinanderfällt: in den theoretischen als Subjekt des Glaubens und in den praktischen als Objekt der Beziehung. Setzt man aber nun diese theologische Primärsituation voraus, so zeigt sich mit einem zweiten Blick, dass das menschliche Subjekt an sich selbst doch auch das praktische, also Handlungssubjekt ist. Jedoch ist es dies nicht in der theologischen Situation der Gottesbeziehung, sondern nur in seiner Weltbeziehung (Selbstbeziehung, Sozialbeziehung). Der Mensch zerfällt also nicht nur hinsichtlich seines Gottesbezugs in zwei Momente (Subjekt/Objekt), sondern in seiner Existenzsituation als Subjekt des Glaubens in seinen Gottesbezug und Weltbezug. Er ist das erkennende Subjekt als der passiv Gläubige der Gottesbeziehung (fides directa), sodann das praktische Subjekt in seiner Weltbeziehung, und zwar als der 45

Vgl. Peirce, Semiotische Schriften III, 76ff. Vgl. dazu die Dialektik von endlich/unendlich bei Hegel, Wissenschaft der Logik, Die Lehre vom Sein (1832), Erster Abschnitt, Zweites Kapitel. 46

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Formalismus und Realismus der Relationalität

tätige Gläubige, der dem Widerfahrnis der Gottesbeziehung einen (sekundären) lebensweltlichen Ausdruck zu geben versucht (fides indirecta), um seinen Glauben anderen mitzuteilen. Dabei ist nun auch seine kognitive Aktivität als Vorgang der epistemischen Aneignung von Sachverhalten insgesamt, also auch der Erfahrung der Gottesbeziehung, als eine praktische Leistung zu vermerken. Im Weltbezug ist der Mensch als Subjekt nicht passiv, sondern aktiv, und zwar sowohl theoretisch als auch praktisch.47 Also auch seine epistemische Konstitution verdankt sich eigenen Leistungen. Man mag dann auch noch zwischen theoretisch-erkennender und praktisch-handelnder Leistung des Subjekts in der Welt unterscheiden. Beide Male handelt es sich aber um seine Leistung, sein Tun, seine Erkenntnis, also seine subjektive Spontaneität. Denn auch Erkennen, soll es das kognitive Aneignen eines Gegebenen für mich sein können, ist eine Leistung, die ich als eine Sinnkonstitution selber zu vollziehen habe. Das Subjektsein des Menschen kommt in der Gottesbeziehung demnach nur verkürzt zur Geltung, nämlich nur auf der Seite seines Weltbezugs, indem der praktische, der die Beziehung konstituierende Aspekt aus theologischen Gründen hinsichtlich seines Gottesbezugs notorisch ausgeblendet bleiben muss. Gott allein konstituiert die Beziehung, und ich als Mensch habe daran keinen Anteil, als nur den, in der Beziehung diese Bezugnahme Gottes auf mich zu erkennen. In der Weltbeziehung, in der der Mensch dann als Subjekt wieder praktisch sein kann, kommt er aber, theologisch jedenfalls, immer schon zu spät – und zwar erkennend und handelnd.

2.3 Logisch-analytische Erwägungen zum Problem der Relationalität der Gottesbeziehung im Spannungsfeld von Formalismus und Realismus Formalismus und Realismus der Relationalität 2.3.1 Inhaltsloses Bezogensein oder Vermittlung der Bezogenen? Die Realität des Glaubens ist nur als erfahrbare konkret Inhaltslose Beziehung oder Vermittlung der Bezogenen 2.3.1.1 Das unentschiedene Oszillieren zwischen Sein Gottes und Glaube an Gott Nun entsteht im Rücken der Beziehungslösung des Problems „Sein oder Erkennen“, die sich als „Sein und Erkennen in der Gottesbeziehung“ darstellt, das andere, kaum bemerkte Problem, dass zwar die subjektlogisch 47 Es ist natürlich klar, dass diese subjektlogischen Analysen zu kurz greifen. Denn auch innerweltlich ist das Subjekt nicht nur setzend, sondern immer auch gesetzt, also passiv konstituiert. Nur erfordert dieser Gesichtspunkt eine andere rationalitätslogische Fundierung, indem das Problem der sozialen Relationierung hinreichend begriffen wird.

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Inhaltslose Beziehung oder Vermittlung der Bezogenen

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reformulierte Kategorie des Ontologischen (=Gott) auf die des Subjekts (=Glaube) bezogen wird, dass also Sein und Erkennen in der Beziehung durch diese Beziehung zusammengehalten werden; dass andererseits aber nun dasselbe Problem, das zu lösen war, erneut auftaucht, und zwar als das Problem der Vermittlung beider Aspekte unter der Form der zweistelligen Relation Gott–Mensch. Denn bislang konnte eben dies nicht gewährleistet werden, die Beziehung als Beziehung „festzuhalten“. Vielmehr hat sie sich immer wieder verflüchtigt in ihre Seiten, sei es auf die Seite Gottes als dessen Beziehungshandeln, sei es auf die Seite des Glaubens als passiver Bestimmtheit. Damit ist gerade der Bezug der Seiten in der Beziehung nicht gelungen. Dieser kann auch nur gelingen, wenn die Seiten sich vermitteln, das heißt so verschränken, dass sie einander bestimmen. Erst auf diese Weise gewinnt die Beziehung ein beziehungslogisches Sein.48 Ohne diese Vermittlung geht letztlich immer eines der Motive verloren, indem das eine auf das andere zurückgeführt wird. Der Mensch wird zum Objekt der Beziehung Gottes, oder Gott wird zum Objekt des Glaubens. Zu zeigen ist jedoch, dass und inwiefern beiden Seiten der Beziehung gleichermaßen Relevanz zukommt, damit die Beziehung auch als Beziehung reellen Bestand hat und sich als wirkliche geschichtlich vollziehen kann. Sie kann dies aber nur, wenn sich ihre Differenz nicht wieder auf Sein oder Erkennen reduzieren muss. Damit ist aber das Dilemma der zweistelligen Beziehungsform angesprochen, die sich nicht als Beziehung zweier Seiten aufrecht erhalten lässt, sondern entweder auf Seinsbegriffe oder aber auf Subjektbegriffe zurückgeführt werden muss, soll ihr Problem bedacht werden. Es muss ja ein grundbegrifflicher Rahmen des Versuchs, das Problem zu lösen, ausgewählt werden. Das zweistellige Beziehungsmodell kann zwar nun die Idee der formellen Beziehung darstellen, jedoch nicht die Realität der Beziehung widerspruchsfrei begreifen. Immer wieder muss sie – die Idee – auf den sie bedingenden Begriffsrahmen (Sein oder Subjekt) zurückgreifen, um zu denken, was sie nicht denken kann. Denn die Beziehung 48 Um dem Leser an dieser schwierigen Stelle eine Orientierung an die Hand zu geben, sei gesagt, dass unsere Lösung, wir haben dies bereits gelegentlich angesprochen, dahin geht, dass wir Gott schließlich nicht mehr als Relat der einen Seite der Beziehung ansetzen werden, so wie das in den von uns besprochenen Modellen der Fall ist. Wir sprachen diesbezüglich bereits von einem Kategorienfehler. Die doppelte Subjektivität kann nicht die – dann auch noch totaliter asymmetrisierte und genau so wieder zurückgenommene – Beziehung zwischen Gott und Mensch sein, sondern ist vielmehr die Beziehung zwischen Mensch und Mensch. Ihre Verschränkung (Vermittlung) besteht in der transitiven Bestimmungsstruktur der genuin dreistelligen Beziehung, wobei die Beziehung, die sie bezieht, dasjeinige ist, was sie als Subjekte geschichtlich bestimmt und folglich reell-gehaltvoll konstituiert. Diese Beziehung der Bezogenen ist kategorial also auf einer anderen Ebene anzusiedeln (Relation, nicht Relat). In diesem Sinne können wir Gott rationalitätslogisch als Beziehung der Bezogenen begreifen. Erst wo seine relationale Bestimmtheit sich den Relaten durch die Relate mitteilt, wird das im Text besprochene Dilemma überwindbar. Wir erinnern an die Problemerhebung im ersten Teil, z.B. an Abschnitt 1.2.1.2.

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Formalismus und Realismus der Relationalität

findet ja nicht als Beziehung Halt, so dass sie selbst den Boden bereiten könnte, der den Gedanken trägt. Es ist also zumindest soviel gesagt, dass sich die Beziehung, als Beziehung zweier Seiten, nicht aus nur einer ihrer Seiten konstitutionstheoretisch erklären lassen darf, das heißt nicht entweder aus dem Sein Gottes oder aus dem Erkennen des Menschen. Damit wären wir aber nur wieder bei dem Ausgangspunkt unserer Problemdiskussion angelangt, indem es nicht gelungen ist, eine genuin beziehungslogische Antwort auf unsere Fragestellung zu finden. Denn wird die Beziehung auf die Leistung einer von beiden Seiten zurückgeführt, auf Gott oder den Menschen, so geht sie als Beziehung verloren. Dann wird die Relation in das Relat zurückgenommen und kann dann noch, wie wir gesagt haben, als Eigenschaft dem Subjekt Gott oder Mensch leistungsmäßig zugerechnet werden. Aus dem Relat der Relation kann aber nicht mehr die Relation der Relate brgündet werden. Die Beziehung kann so nicht mehr als Beziehung ihrer Bezogenen wirklich bestehen. Die groteske Situation entsteht, dass die Relate der Relation, in der sie stehen, ihre Relation begründen können müssen, statt umgekehrt. Es ist dann zum Beispiel Gott, der sich bezieht, und die Beziehung ist seine eigenschaftliche Leistung. Das Sein Gottes wird so unter der grundbegrifflichen Form des Subjekts gedeutet als das Sein des Gottessubjekts. Damit hat man zwar dem Gedanken der Wirklichkeit des Glaubens Rechnung getragen, sich zugleich aber das Problem eingehandelt, Gott auf das kategoriale Format eines Subjekt-Relats reduziert zu haben. Damit fängt die von uns analysierte aporetische Situation wieder von vorne an. Denn ist Gott das Sein, das sich bezieht, wie kann ich, der es glaubt, davon wissen, bin ich doch ich und nicht Gott. Also verweist mein Glaube zumindest auf die Beziehung, die sich auf ihn beziehen muss, soll er sich nicht als Erkennen ohne Gott konstituieren, und dies immer so fort ohne Ende. Dieses Oszillieren am Begriff der Beziehung, das wir unter die Form der Günther’schen „exchange relation“ (SļO) gebracht haben, ist also das perennierende Hin- und Her zwischen Seinsbegriffen der Beziehung und Erkenntnisbegriffen des Glaubens der Beziehung, weil die Beziehung als Beziehung selbst nicht zum Sein kommt, sondern immer nur ihre Seiten korrelativ appräsentiert. Was die Kategorie der (zweistelligen) Beziehung gewonnen hat, ist nur erst die oszillierende Bewegung zwischen Subjekt und Objekt. Diese kommt nicht zur Ruhe, findet nicht ihr neues Sein, in dem schließlich beide Aspekte auf wirkliche Weise miteinander vermittelt wären. Können aber beide Seiten der Beziehung nicht gleichermaßen aufrecht erhalten werden, dann implodiert die Beziehung notwendigerweise in eine ihrer Seiten – in den Standpunkt „Gott“ (Sein) oder in den Standpunkt „Mensch“ (Erkennen). Dass es in der Tat ein relevantes und schwieriges Problem darstellt, die beidseitige Beziehung auch als Beziehung der beiden Seiten aufrecht zu erhalten, ist im Folgenden zu zeigen.

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2.3.1.2 Die Beziehungslosigkeit des Glaubens unter der subjektiven Idee der Beziehung Die Leistung der Beziehungskategorie besteht also darin, beide Motive (Sein Gottes und Erkennen des Glaubens) zusammenzuhalten. Sie ist aber nicht in der Lage, sie zu vermitteln. Das Problem lässt sich auch dahingehend verdeutlichen, wenn man sich überlegt, was die Voraussetzung der Rede von der Beziehung zwischen Gott und Mensch ist, das heißt, wenn man die Frage nach dem Ausgangspunkt des und Zugang zum Problem der Beziehung stellt. Dieser Ausgangspunkt ist ja nicht selbst die Beziehung, sozusagen ein Dazwischenstehen zwischen Gott und Welt, sondern ist logisch auf der einen Seite der Beziehung zu platzieren. Denn die Rede von der Gottesbeziehung findet nicht auf der Seite Gottes statt, sondern auf der Seite des redenden Weltsubjekts. Dann ergibt sich wieder das Dilemma, dass nämlich aus der Seite der Beziehung die Beziehung als Beziehung ergriffen werden soll. Den Standpunkt des Menschen bilden demnach seine epistemologischen Voraussetzungen des Redens von der Beziehung (der Gottesbeziehung). Damit ist sein Erkennen Bedingung der Möglichkeit der Fragestellung und ihrer Beantwortung. Wie kann nun aber sein Erkennen das wirkliche Erkennen des Seins Gottes sein/werden, was voraussetzt, dass sein epistemologischer Ausgangspunkt hinreichend onto-theo-logisch fundiert ist? Eine onto-theo-logische Fundierung der epistemologischen Situation des Glaubens setzt aber voraus, dass sich die Beziehung zwischen Gott und Mensch in ihm für ihn vermittelt hat. Als diesbezügliche Behauptung, die einen theologischen Geltungsanspruch erhebt, ist nichts gewonnen, weil Behauptungen von Sachverhalten Metaaussagen vollziehen, deren eigener Boden sofort wieder strittig ist, und zwar immer so fort ohne Regressende. Auf diese Weise stellen sich folglich sofort alle bereits angesprochenen Schwierigkeiten nur erneut ein: das Problem der Ankunft Gottes unter der Bedingung der Subjektivität des Selbstverhältnisses sowie das Problem der sozialen Kommunizierbarkeit der individuellen Gottesbeziehung. Denn der menschliche Gedanke und die menschliche Rede von der Gottesbeziehung des Subjekts sind etwas anderes als das Ereignis und die Wirklichkeit der Gottesbeziehung selbst. Man bekommt es also nur wieder mit dem nicht gelösten Problem der Vermittlung von Gottesbezug des Subjekts und Weltbezug desselben zu tun. Theologische Wirklichkeitsbedingung (Gottesbeziehung) und innerweltliche Denk- und Behauptbarkeitsbedingungen (Weltbezug) fallen also unvermittelt auseinander. Die Aufrechterhaltung beider Seiten der Beziehung ist also nicht als bloße Beziehung der Form nach, sondern als die wirkliche Vermittlung beider Seiten zu begreifen, so dass die Beziehung den Bezogenen selbst zur inhaltlichen Wirklichkeit wird, sich also die Beziehung als Beziehung mit den Bezogenen auch für die Bezogenen vollzieht, sich folglich an ihnen fortsetzt

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und sie auf diese kommunikative Weise integriert. Die Pointe ist, dass sie so als Bezogene selbst diese Beziehung werden.49 Wäre dieser Gedanke nicht denkbar, dann löste sich die Beziehung Gott–Mensch in eine bloße subjektive Behauptung des Menschen auf. Sie wäre dann als Behauptung nicht beziehungslogisch, sondern eben nur subjektlogisch fundiert – also auf bloß einer Seite der Beziehung. Die Relation aber auf der Seite eines ihrer Relate, die Gottesbeziehung auf der Seite des Glaubens des Menschen zu fundieren, ist in sich selbst ein Widerspruch, dessen Begründungsschleife einer petitio principi unterliegt. Die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen fällt aber nicht ins menschliche Subjekt, da sie dann nicht mehr die Gottesbeziehung wäre, sondern eher die kognitive Selbstbeziehung des Subjekts, wenn es „Gott“ denkt. Denken ist aber seine Selbstbeziehung. Die Gottesbeziehung muss jedoch, soll sie einen theologischen Sinn ergeben, mehr als das menschliche Subjekt, mehr als sein Denken sein, das im Denken doch immer nur bei sich selbst bleibt, weil kognitive Fremdreferenz operative Selbstreferenz zur Voraussetzung und konstitutiven Grundlage hat. Die Beziehung als Beziehung ist aber weder in das Sein Gottes zurückzunehmen noch in das Denken des Menschen, sondern sei – als Postulat formuliert – die subsistierende Beziehung zwischen dem Sein Gottes und dem Denken des Menschen. Die Beziehung als Beziehung zu denken ist unter der gegebenen Voraussetzung der zweistelligen Relation also nicht möglich. Denn diese scheitert an dem Problem der inhaltlichen Vermittlung der beiden Seiten, so dass das Denken der Beziehung ein sachlich potentes Denken derselben wäre. Es ist anhand dieses Modell noch nicht zu begreifen, dass das eine Subjekt (Gott) dem anderen Subjekt (Mensch) als Subjekt – als Du – , und nicht nur als Objekt der eigenen egologischen Konstitutionsleistungen in Erkennen und Handeln, begegnet. Dies begründet sich so, dass ein Ich einem anderen Ich nicht als Ich zum Ich werden kann, sondern nur als Objekt (Er, Sie). Dies wiederum hat mit dem zugrundeliegenden Problem der Identität zu tun. Wären sie identisch, dann würden sie sich nicht mehr unterscheiden, so dass sich das andere Subjekt als anderes auflöst. Es würde ja bloß Ich, koinzidierte mit mir, solange jedenfalls, als nur die reduktive subjektlogische Form der Beziehung der konzeptuellen Fassung des Problems zur Verfügung steht, die Beziehung also als die Leistung des Subjekts, des Ich, zu denken ist. Die Beziehung kann ja auch in diesem Fall nicht etwas Drittes zwischen Ego und Alter sein. Es löst sich also das echte Beziehungsproblem bloß wieder in das unterbestimm49 Dies ist der Lösungsansatz, den es zu denken gilt: die transitive Relation der Teridentität. Uns geht es aber im Zusammenhang der Studie zunächst einmal um die Herausarbeitung des rationalitätslogischen Problems der zweistelligen Beziehungskategorie. Deshalb können wir dieser neuen Konzeption selbst nicht angemessen Rechnung tragen, sie jedoch immer wieder in begrifflichen Skizzen und Analysen vorzeichnen. Die Ausführungen zum Problem müssen einer anderen Studie vorbehalten bleiben.

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te subjektlogische auf, weil der Andere sich nicht als Anderer behaupten kann, sondern Ich geworden ist, nämlich meine Objektivierung von ihm. Die Beziehung ist so allenfalls noch die Selbstbeziehung des Subjekts, das sich zu sich selbst verhält. Der Andere ist auf diese Weise Ich selbst geworden, zum Gedanken meiner selbst, und die Beziehung damit zu meiner Idee. Soll es sich aber um eine echte Beziehung handeln können, setzt dies eine fundamentale Unterscheidung beider Subjekte (Gott, Mensch) voraus, da das andere Subjekt nur als anderes auch angemessen beziehungslogisch zu denken ist, soll es nicht wieder mit mir selbst subjektlogisch koinzidieren. Soll also die Differenz beider Subjekte aufrecht erhalten werden, dann bleiben sie sich radikal äußerlich, da die zweistellige Beziehung keine inhaltliche Vermittlung zu leisten vermag. Hält man so an der doppelten Subjektivität fest, dann gilt nun auf beiden Seiten der Beziehung, dass das andere Subjekt immer nur mein Objekt ist und umgekehrt, denn es ist mir nicht als Subjekt gegeben. Auch die Verdoppelung dieser Perspektive ändert also nichts, ja es handelt sich nur um die Verdoppelung des Gedankens des einen Subjekts, das seine eigene Projektion auf sein Subjektobjekt überträgt.50 Kommt es aber nicht zur Vermittlung, dann scheint es wieder nur das scharfe Entweder/Oder zu geben, das Oszillieren zwischen beiden Seiten. Entweder ist der Andere Ich, oder er ist Nicht-Ich, entweder Subjekt, das ich bin, oder Objekt, das ich nicht bin. Was die Beziehung leistet, ist folglich wieder nur das formale Beziehen, so dass die Bezogenen lediglich darin identisch sind, dass sie faktisch aufeinander Bezogene sind. Um einen gehaltvollen Zugang zum Anderen als Anderen, als Subjekt, zu haben, müssten sie bereits vermittelt (identisch) sein, bevor sich die Frage stellt. Die soziale Relation ist dann a priori und folglich logisch vor dem Subjekt zu denken, und zwar als diejenige Relation, die die Subjekte als Subjekte intersubjektiv setzt. Die zweistellige Beziehungsform lässt diesen Gedanken nicht zu, da ihr nichts übrig bleibt, als die Beziehung aus den Subjekten allererst herzustellen. Dann konstituiert aber jedes Subjekt das andere nur als sein Objekt, und sei es auch als ein Objekt, das es für ein Subjekt hält. Das andere Subjekt ist ja nicht identischer Teil der eigenen Subjektivität, also nicht als das Subjekt, das es an sich ist, mein Subjekt, sondern nur als mein Objekt das Subjekt. Dass die zweistellige Relation eine Identität nur der Form nach ist, die keine gehaltvolle Vermittlung der Bezogenen leistet, das heißt – theologisch – keine Ankunft Gottes beim Subjekt erlaubt, haben wir bereits im ersten Kapitel in verschiedenen Konstellationen ausgeführt. Denn G–S (G=Gott, S=Subjekt) könnte nur für das Subjekt wirklich werden, wenn auch die Beziehung für es wird. Sie kann aber nur für es werden, wenn es sich zu sich selbst verhält. Die zweistellige Beziehung macht aber nur ein Selbstverhältnis zwischen sich und sich möglich: S–S. Gott oder die Beziehung G–S findet darin keinen Platz mehr. Entweder G–S oder S–S. Will man nun beide Relationen als relationale Sequenzen in Relation setzen, ergibt sich keine Lösung, sondern die Verlängerung und Wiederholung des Dilemmas: (G–S°)–(S’–S’’), da nun die Selbigkeit zwischen S° und S’ auf dem Spiel steht. Diese lässt sich als zweistellige Relation wieder nur formell sichern, so dass kein Inhalt (informativer Übertrag als Mitteilung von einer relationalen Sequenz auf die andere) aufgenommen werden kann, da ja nun statt G–S° die Relation S°–S’ operativ wird. Der Zusammenhang stellt sich dann so dar: G–S°=S°–S’=S’–S’’ … ad infini50

Vgl. Husserl, Cartesianische Meditationen, Meditation V.

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tum. S° wird in der doppelten Beziehung zu Gott (G—S°) und zu sich selbst (S°—S’) in der Mitte unendlich zerrissen. Und dies gilt dann von jeder anderen Instantiierung von S, in welchem Verhältnis es auch stehen mag (zu sich selbst, zu einem anderen). Man kann sehen, wie sich das Problem an jeder Stelle neu ergibt. Denn nun steht ja auch S’ in zwei Beziehungen, und auch es muss in beiden mit sich selbst identisch bleiben, um nicht in zwei unverbundene Hälften auseinander zu brechen, so dass es sich dann um zwei verschiedene Instanzen handelte. Also sind die Instantiierungen S° und S’ auf Selbstidentität angewiesen, um in unterschiedlichen Verhältnissen stehen zu können, und dies gilt auch für unterschiedliche Verhältnisse zu sich selbst, wenn es sich zu sich verhält, also –S°=S°– und –S’=S’– und nicht S°/S° beziehungsweise S’/S’. Gott kommt auf diesem Wege nicht zur subjektiven Glaubenswirklichkeit, er kommt bei dem Subjekt und für es gar nicht an.

2.3.1.3 Formalismus der Beobachtung oder Realismus der Partizipation? 1. Um beide Seiten der Beziehung von der einen Position, die man innehat, gleichermaßen in den Blick zu bekommen, um also eine Zusammenschau beider Seiten der Beziehung zu erhalten, die mehr sein können soll als die nur wieder relative Perspektive einer der beiden Positionen – und unsere Position wäre eben immer die der Welt des Menschen – , wäre es nötig, die relative Position der Relation zu verlassen. Dazu müsste eine dritte Position aufgefunden werden, die in der Lage ist, ein Verhältnis zum zweistelligen relationalen Zusammenhang der Beziehung herzustellen, das heißt ein Verhältnis zum Verhältnis. Man kann nun eine solche quasi-absolute Position zwar behaupten, doch setzt diese Behauptung gerade als Behauptung auch wieder die Position des Erkenntnissubjekts voraus. Dieser erkenntnistheoretisch performative Widerspruch ist unvermeidlich. Denn die Behauptung einer dritten Position kommt qua Subjektivität des Geltungsanspruchs nicht aus ihrer eigenen Position heraus. Wird die Beziehung als solche dritte Position gedacht, so bleibt sie doch der Gedanke dieses Subjekts, theologisch: der Gedanke des Subjekts von Gott. Die Beziehung bliebe immer nur Idee, deren Realität als Wahrheitserweis sie sich nicht selbst zu geben vermag, sondern woanders zu verorten ist, nämlich in der individuellen Gottesbeziehung des Glaubens. Sich aus dieser rationalitätslogisch aporetischen Situation gedanklich herauszureflektieren, kann nicht gelingen und ist selbst dieser Widerspruch. Die Idee der Beziehungsbeziehung (Verhältnis zum Verhältnis) ist nicht selbst diese Beziehung. Wieder hängt alles an ihrer realen Validierung. Und diese liegt allein darin, dass Vermittlung gelingt, so dass die Seiten gehaltvoll vermittelte Momente der Beziehung werden, indem und weil sie nun selber diese Beziehung geworden sind. Das Problem besteht also darin, die Beziehung hinsichtlich ihrer beiden Seiten so zu denken, dass dieses Denken nicht selbst wieder nur in einer Seite gründet. Nur: Wie soll dies für das menschliche Subjekt möglich sein, wenn schon

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dessen Reflexion über sich hinaus auf eine es umgreifende Beziehungsstruktur es nicht wirklich aus seiner relativen Position herausführt? Der Grund seines Denkens und Redens ist ja immer der relative seines In-derWelt-Seins. Diese Positionierung setzt weder die Beziehung noch die andere Seite der Beziehung. Soll also der Nachweis erbracht werden, dass sowohl die Wirklichkeit Gottes (als die eine Seite der Beziehung) als auch der Glaube des Menschen (als die andere Seite der Beziehung) strukturell die eine Wirklichkeit der Beziehung ausmachen – so dass das Seinsmotiv des Objekts des Glaubens (und sei es als das Subjekt der Beziehung zu interpretieren) nicht ohne das Erkenntnismotiv des Subjekts des Glaubens (und sei es als das Objekt der Beziehung zu interpretieren) zu denken ist und umgekehrt, weil nur so Gott dem Glauben als wirklicher Gott begegnen kann – , dann wäre dies nur möglich unter der Idee eines transzendentalen, das heißt eines zur Beziehungssituation externen, Beobachters. Nur ein solcher, so scheint es, könnte die Beziehung auch als Beziehung überschauen. Er wäre in der Lage, von der Gottesbeziehung zu sprechen, indem er als ihr Beobachter nicht an der Gottesbeziehung teilhat. Die Voraussetzung, die Beziehung als Beobachter ohne Teilnahme zu erfassen, präsentiert uns aber den Widerspruch, dieser Beziehung gegenüber äußerlich bleiben zu müssen, um sie zu erkennen. Nur: Was wird dann erkannt? Da aber das Erkennen irgendeines Sachverhaltes ein auf den Sachverhalt Bezogensein voraussetzt, so wird doch dieses Erkennen selbst als ein Teil der Beziehung begriffen werden müssen. Erkennen ist eine Weise des Bezogenseins, nämlich des Bezogenseins auf das, was erkannt werden soll. Ist Erkennen nicht darauf bezogen, erkennt es es auch nicht. Erkennen kann folglich dem zu erkennenden Sachverhalt nicht äußerlich bleiben, und sei er auch eine Beziehung. Der Blick auch noch des „transzendentalen“ Beobachters auf die Beziehung der Bezogenen ist also selbst eine Beziehung, ist selbst Beziehung auf die Beziehung, nämlich Erkenntnisbeziehung, und setzt darin eine eigene Position „auf der einen Seite“ voraus. Damit wäre die „unbefleckte Erkenntnis des angeblich reinen, also „transzendentalen“ Beobachters befleckt und dahin. Aber achten wir nun auf folgende rationalitätslogische Pointe, die den Sachverhalt noch weiter verschärft. Stellt nämlich die dyadische, also zweistellige, Beziehungsform das maßgebliche Modell dar, dann bedeutet dies nun, dass der Beobachter die zu beobachtende Beziehung als Beziehung überhaupt nicht zu beobachten vermag, und zwar deshalb, weil er sich nicht auf sie beziehen kann, weil sie keinen dritten Anschluss vorsieht. Der Versuch, an die Beziehung als Beziehung anzudocken, muss misslingen. Was bleibt, ist allein das Andocken an die syntaktischen Relatstellen, die allein verfügbare Anknüpfungspunkte der Relation – und zwar nach ihren beiden Seiten hin – darstellen. Es gibt in diesem Fall der zweistelligen Relation also keine Möglichkeit der Beziehung zur Beziehung. Der transzendentale Beobachter müsste vielmehr unter dem formellen Zwang der Zweistelligkeit auf eine Seite der Beziehung zurückfallen; oder er bleibt der Beziehung vollständig äußerlich, das heißt aber ohne irgendeinen kognitiven Zugriff auf die Beziehung, nicht einmal mehr den

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relativen aus der relatstelligen „Seitenperspektive“ der Relation. Er kann nicht die Beziehung (die Gottesbeziehung) beziehungslos „von außen“ beobachten, da Beobachten ein kognitiver Aspekt des Erkennens ist und genau so selbst Bezugnahme auf den Sachverhalt der Beobachtung. Man kann sich diesen Sachverhalt relationenlogisch folgendermaßen veranschaulichen: dyadische Relation

dyadische Relation (soll bezogen werden)

triadische Relation

kognitiver Bezug gelingt nicht (Lücke) transzendentaler Beobacher

gelungener kognitiver Bezug (genuine Verknüpfung)

zweistellige Beziehung (–o–) wird durch dritten „Bezug“ auf die Beziehung (I) epistemisch zugänglich

Diese Form der relationalen Verwirklichung der epistemologischen Zugangsproblematik lässt sich demzufolge nur als eine Teilnahme-Teilhabestruktur, das heißt als Partizipation denken. Die epistemologische Relationierung lässt sich nicht als Addition von zwei zweistelligen Relationen oder einer zweistelligen und einer einstelligen Relation begreifen, da so die Lücke zwischen beiden Relationen, die so verknüpft werden sollen, dass die eine Relation die andere als Ganze erfasst, nicht zu schließen wäre. Denn der dritte Bezug könnte sich dann nicht als Beziehung der (oder: auf die) Beziehung realisieren, sondern sich ihr von außen nur unendlich annähern. Sobald sich die Lücke schließt, das heißt sobald die Verknüpfung gelingt, hat man es aber per definitionem nicht mehr mit einer dyadischen Relation zu tun, sondern mit einer triadischen Relation. Aus dyadischen Relationen lassen sich keine triadischen Relationen „herstellen“. Triadische Relationen sind also genuine Relationen51, das heißt sie haben als irreduzibel52 zu gel51 Es handelt sich um die relationenlogische Problematik der Reduktions- und Irreduzibilitätsthese hinsichtlich triadischer Relationen, die Peirce an verschiedenen Stellen seines Werkes ausgeführt und zu beweisen gesucht hat. Die relationenlogischen Thesen sind eng verbunden mit der Konzeption seiner Kategorienlehre. Vgl. zum Beispiel Peirce, Die Logik der Relative (1897), in: Semiotische Schriften I, 294ff., oder ders., Vorlesungen über Pragmatismus, 43–79, insbesondere aber 52ff. Einen umfassenden Überblick, systematisch und chronologisch, bieten die Semiotischen Schriften (3 Bände) von Ch. S. Peirce, die Helmut Pape herausgegeben hat. Hier wird das relationenlogische Problem vorwiegend semiotisch ausgeführt. Vgl. zum Thema auch Pape, Zeichenprozess, 412ff.; Burch, Peirce’s Reduction Thesis (1); Herzberger, Peirce’s Remarkable Theorem, 41–58. Ebenso Zink, Kontinuum, insbesondere Kapitel 2 und 3; sowie Baltzer, Relationengeflecht, insbesondere 110–159. 52 Triadische Relationen sind genuine Relationen, insofern sie irreduzibel auf andere Relationen und andere Relationen grundsätzlich reduzibel auf sie sind.

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ten, und dies wiederum besagt, sie sind komplex und einfach in eins, sind eine einfache Komplexität – die einfachste und damit Ursprungskomplexität – mit der transitiven Kraft des ter-identischen Verknüpfens.53 Deshalb ist der dritte Bezug als das Motiv der Beziehung der Beziehung nicht als ein äußeres Hinzutreten einer relationalen Perspektive zu denken, sondern als ein wesentlicher Aspekt von Relationalität an sich. Relationale Triadizität ist gleichsam ein ursprünglicher Sachverhalt a priori.54 Mit Peirce können wir nun semiotisch von dem Interpretantenaspekt der triadischen Relation sprechen und erkennen, dass die Beziehungswirklichkeit Gottes wesentlich epistemischer Natur ist, oder allgemeiner, ein irreduzibel kognitiver Bezug in die eigene relationale Struktur eingebaut ist. Dieser ist ein integraler Bestandteil seiner dynamischen, relations- (prozess-) ontologischen Vollzugswirklichkeit. Erst so kann sich die Beziehung selbst zum Gegenstand und damit zum reflexiven Inhalt werden, sich folglich gehaltvoll zu sich selbst verhalten. Es bedeutet, dass die Relation sich als Relation nun in ihren Relaten – mit ihnen und für sie – fortsetzt, realisiert, ohne als Relation in ihnen aufzugehen oder an ihnen zum Stillstand zu kommen. Ja sie kommuniziert sich nicht anders als durch ihre Relate, die sie zueinander in ihr Verhältnis setzt, indem sie durch die Relation bestimmt werden. Damit erübrigt sich die widersprüchliche Idee und ganz künstliche Konstruktion eines transzendentalen Beobachters. 2. Wie kann man also etwas erkennen, woran man keinen Teil hat? Dies ist ein logischer Widerspruch, weil das Erkennen selbst bereits eine Bezugnahme auf die Beziehung voraussetzt und folglich, soll die Bezugnahme nicht an der Beziehung vorbeizielen, ein Teil der Beziehung sein können muss. Die Beziehung nun, mit der wir es hier als (zweistellige) Gottesbeziehung zu tun haben, ist aber kognitiv als Beziehung nur dann zugänglich, wenn der Erkennende der von Gott her Bezogene ist. Der von Gott her Bezogene als der Erkennende jedoch ist der Gläubige der Beziehung. Also hätte nun wieder das gläubige Subjekt die Beziehung auszuweisen. Es vermag ja nicht von außen auf sich und Gott und die Beziehung zwischen 53 Vgl. Peirce, Vorlesungen über Pragmatismus, Vorlesung 3, 61: „Es ist bestimmt schwierig zu glauben, bis man zum Glauben gezwungen wird, daß eine Vorstellung, die so offensichtlich komplex ist wie die Drittheit, eine irreduzible, nicht analysierbare Vorstellung sein sollte. Man wird natürlich ausrufen, was, dieser Mann glaubt, uns zu überzeugen, daß eine Vorstellung gleichzeitig komplex und einfach ist! […] die besondere Idee der Komplexität […] ist eine nicht analysierbare Idee […]“. 54 Auf diesem Weg und diesem Weg allein, so behaupten wir, kann man an das überaus wichtige idealistische Motiv der „Synthesis a priori“ anschließen. Dabei verändert sich aber die Grundrelation radikal. Idealismus und Realismus werden nun zwei gleichermaßen gültige Momente der Synthesis. Der Streit zwischen Idealismus und Materialismus wird damit obsolet, weil sie sich als zueinander umgekehrte Abstraktionen erweisen.

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sich und Gott zu schauen. Es kann sich auch nur zu sich verhalten, wenn es nicht außer sich steht.55 Wie sollte das Subjekt als Subjekt aber die Beziehung ausweisen können? Die Diskrepanz ist auf einen Blick evident: Der Teil der Relation soll das Ganze der Relation, das seine Teile setzt und bedingt, begründen. Unter welchen Formbedingungen dies gelingen könnte (triadische Transitivität der Relationalität) und unter welchen es nicht gelingen kann (Dyadizität der Relationalität), haben wir bereits angesprochen. Die Form der dyadischen Relationierung gibt hier nichts her. Denn das Subjekt kann zwar von der Beziehung sprechen, jedoch kommt sie dadurch noch nicht als die reale Beziehung zur Sprache, sondern bleibt immer nur ein Gedanke des sie denkenden Subjekts, die subjektive Idee einer solchen Beziehung also. Es kann nicht in seinem Selbstverhältnis, in welchem es die Idee der Gottesbeziehung konstituiert, diese auch noch als eine reale Beziehung setzen, auch wenn es jene als eine solche behauptete. Das Subjekt mag sich eine solche Beziehung für sich ausdenken, jedoch hätte es dies nur kraft seiner eigenen Subjektivität getan und deshalb keine Möglichkeit, das Sein dieser Beziehung, die Wirklichkeit Gottes, dadurch schon mitzusetzen. Es hätte so nur immer eine, nämlich die eigene, Idee einer solchen Beziehung für sich gesetzt, nicht aber die Realität der Beziehung selbst. Wollte es als Subjekt den Gedanken mit Realität erfüllen, so müsste es als Subjekt zuvor Teil dieser Realität sein, die zudem das Subjekt als ihr Relat gehaltvoll bestimmt (Vermittlung). Dennoch: Bereits der Gedanke einer solchen, wenn auch bloß ideellen, Beziehung behauptet einen Überschuss, behauptet also mehr, als er eigentlich qua Subjektivität ausweisen kann. Er weist das Potential auf, diesen Überschuss über die eigene subjektlogische Situation hinaus zumindest als Idee zu denken. Denn natürlich ist Beziehung mehr als Subjekt, insofern die Wirklichkeit, von der der subjektive Gedanke spricht, diesen und mit ihm den Horizont von Subjektivität transzendiert. Der Gedanke maßt sich nicht an, Gottes Sein zu denken, er denkt allein die Bedingung der Möglichkeit, von Gottes Sein etwas zu erfahren. Insofern denkt er die Gottesbeziehung zwischen Gott und Subjekt. Das Subjekt kann also die Beziehung der ihrer Form nach ideell für sich denken. Es kann sie nicht ihrer Wirklichkeit nach reell (materialiter) begreifen. Die Idee weist das Subjekt formell über sich selbst hinaus. Daraus folgt zugleich die von uns im ersten Teil untersuchte Problematik der individuellen Gottesbeziehung des einsamen Glaubenssubjekts, insofern die Wirklichkeit der Beziehung dem Subjekt nicht jenseits des Ereignisses dieser Beziehung „zugänglich“ wird – und dies gilt schon 55

Konstruktionen, die eine Konzeption der Ekstase verwenden, um eben einen solchen Gedanken irgendwie doch noch zu denken, sind nichts anderes als eben dies: bloße Konstruktionen. Sie nehmen die basale relationenlogische Voraussetzung nicht ernst oder überhaupt nicht wahr.

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gemäß der subjektiven Idee selbst, die zwar nur die Idee eines Subjekts ist, aber doch als Idee die Idee der Beziehung zwischen Gott und Subjekt bedeutet, ohne dass aber dieses subjektive Bedeuten zugleich Anspruch auf die Wirklichkeit der Beziehung macht. Das subjektive Denken vermag nur das Dass des Ereignisses zu postulieren, nicht das Was des Geschehens zu deduzieren. Das Subjekt denkt also in der Idee „Beziehung“ einen Inhalt, der größer ist als es selbst, größer ist als die eigene subjektlogische Form. Es weist über sich hinaus, ohne doch durch diesen Verweis über sich hinaus auch wirklich über sich hinaus zu kommen. Bei Edmund Husserl findet man eine ganz ähnliche Struktur der Intentionalität. Mit ihm kann man auch von einem intentionalen Setzen von Transzendenz in der Immanenz des Subjekts, also nur der Idee nach, sprechen.56 Der subjektinterne Verweis geht also auf eine nicht bloß ideelle, sondern reelle Wirklichkeit, die man sich aber nicht mehr selbst geben kann. Das Konzept des transzendentalen Beobachters erweist sich auch aus dieser Perspektive als ein subjektlogisches Konstrukt, indem qua Subjekt versucht wird, die Beziehung zu denken. Dieser Versuch muss scheitern, weil das Subjekt rationalitätslogisch weniger „mächtig“ ist als die Beziehung selbst, die zwei Stellen aufweist (Gott, Mensch). Da nun außerdem die (zweistellige) Beziehung nur als ein Beziehungsereignis gedacht werden kann, ist das Denken der Beziehung durch das Subjekt nicht mehr selber Teil der sich ereignenden Beziehung, das heißt nicht mehr Teil der Wirklichkeit der Beziehung als Gottesbeziehung, sondern steht außerhalb dieser Beziehung als die Möglichkeit, eine solche Beziehung theoretisch zu reflektieren – fern der Wirklichkeit derselben, an deren Gehalt somit Subjekt qua Subjekt nicht heranreicht. Eine solche Beziehung qua Subjekt beziehungsweise subjektiv zu denken geht aufkosten der Teilhabe an der Beziehung, die zu denken ist. Man kann aber nur an der Beziehung teilhaben, wenn man in dem Gottesbezug steht, und man kann den Gottesbezug nur denken, wenn man sich darin zu sich selbst verhält. Damit stoßen wir auf unser Grundproblem aus dem ersten Teil, auf das Problem der vermittlungslosen Einheit des Glaubens hinsichtlich seiner zwei Bezüge, seinem Gottesbezug und seinem Weltbezug (Selbst- und Sozialbezug). Das Problem bestand darin, dass man nicht zugleich Gott denken (kognitiver Selbstbezug) und Gott erfahren (Gottesbezug) kann. Die Regel lautete dann: entweder Gottesbezug oder Selbstbezug (Weltbezug). Durch diese Vermittlungslosigkeit fällt das Subjekt, das von Gott reden und ihn denken will, immer wieder auf sich selbst zurück, sobald es außerhalb der theologi56

Vgl. Husserl, Logische Untersuchungen II/1, Teil V, §§11–12, 370–377. Husserl geht es natürlich um eine ganz andere Problematik. Was auffällt ist die rationalitätslogisch analoge Struktur des Denkens.

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schen Primärbeziehung zu stehen kommt. Dadurch kommt es zu einem Wechsel des ontologischen Standpunkts der Beziehung des Subjekts, welcher sich nun als der weltliche Standpunkt des Subjekts geltend macht. Das Subjekt setzt weder das Sein Gottes, noch ist es die Beziehung von Sein und Erkennen. Das Subjekt außerhalb der Beziehung und abgeschnitten vom Sein (Gottes) ist dann aber das sich selbst genügen müssende ungenügende Erkennen. Gibt es aber keinen transzendentalen Beobachter, dann ist die Rede von der Gottesbeziehung als der grundlegenden theologischen Wirklichkeit nicht nur nicht stichhaltig, sondern geradezu grundlos. Sie ist grundlos und nicht stichhaltig aufgrund ihrer Subjektivität. Ist aber die Wirklichkeit Gottes nur in der Beziehung auch für den Menschen wirklich, dann kann er nur als ein Subjekt des Glaubens, das heißt als an der Beziehung „Teilhabender“, nicht aber als Beobachter, von Gott wissen. Von Gott könnte er also nur dadurch wissen, dass er an dem Beziehungsereignis des göttlichen Mitteilungshandelns teilhat. Dieses Beziehungsereignis transzendiert aber die strukturelle Mächtigkeit des Subjekts. Idee (Selbstbezug) und Realität (Gottesbezug), Form und Gehalt bleiben im Rahmen des Modells der zweistelligen Relation unvermittelt. Denn entweder steht ein Subjekt in der Gottesbeziehung, oder es redet von ihr – zu sich oder zu anderen. 3. Die Beziehungskategorie leistet also zunächst nur eins, das ist, dass sie beide Fragestellungen – die nach dem Sein des Seienden (des Objekts) und die nach dem Subjekt der Erkenntnis – formal aufeinander bezieht. Denn als Kategorie ist sie nicht die Beziehung selbst, von der sie spricht. Sie ist als Kategorie zunächst einmal Gedanke (Idee) des Subjekts, dessen Wirklichkeit Subjektivität ist. Die Wirklichkeit, die der Gedanke meint, ohne sie selbst zu sein, ist nicht mehr nur eine subjektive Idee, sondern eben das reale Geschehen derjenigen Beziehung, das die Theologie als das Ereignis des Glaubens zwischen Gott und Mensch zu denken sucht. Die Idee als Idee kann also die Wirklichkeit der Beziehung in ihrem Wirklichsein nicht erfassen, wenn sie nicht an derselben Teil hat, das heißt selbst ein integrales Moment dieser Beziehungswirklichkeit ist. Die Idee abseits der Wirklichkeit der Gottesbeziehung ist eine bloße Idee. Die Idee als Teil der Gottesbeziehung des Glaubenssubjekts wäre die reale Idee von der Gottesbeziehung. Das Problem des Modells der zweistelligen Gottesbeziehung ist aber, wie wir wissen, dass das Subjekt diese Gewissheit für sich nicht finden kann, da diese Beziehung nicht als Beziehung für es werden kann. In diesem Modell zerreißt die Identität des Subjekts geradezu zwangsläufig, wie wir gezeigt haben, weil es in zwei unvermittelten Bezügen steht. Es kann sich auch nicht einfach umwenden, da die Frage der materialen Identität mit sich selbst nicht dadurch gesichert werden kann, dass man als „derselbe“ den Bezug wechselt. Denn seine Selbigkeit wäre so auf eine ganz und gar unwesentliche und äußerliche Identität seines Personseins reduziert. Es ergibt

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sich demnach das Problem der Identität des Selbst von da (Gottesbezug) nach hier (Weltbezug). Das Selbst in der ersten Beziehungshinsicht muss ja dasselbe Selbst in der zweiten Beziehungshinsicht sein, wenn es sich nicht um zwei verschiedene Personen handeln soll. Folglich schiebt sich nun zwischen den Gottesbezug und den Weltbezug der personale Selbsbezug dazwischen, der, weil er selber nicht mehr der Gottesbezug ist, nur ein weiterer Weltbezug ist. Gott geht unter diesem strukturell unvermittelbaren Schisma des zweistelligen Relationsgefüges inhaltlich verloren. Setzt man also beim Subjekt des Glaubens an, um die Beziehung von Gott und Mensch zu denken – und wo sollte man auch sonst ansetzen? – , dann ist man immer schon auf die eine von beiden Seiten der Relation zurückgefallen. Man kann sich zwar gedanklich auf die Seite Gottes versetzen, doch ist eben dies auch nur wieder ein Vollzug diesseits der relationalen Differenz. Schon die Behauptung einer reellen anderen Seite ist selbst eine durch nichts zu erweisende Unterstellung auf der Basis der eigenen Subjektivität. Die Idee der Beziehung, durch die beide unverzichtbaren Grundthemen als aufeinander bezogen gedacht werden sollen, ist keine reale (materiale) Vermittlung von Sein (Gott) und Erkennen (Glaube des Subjekts), die allein das Denken und Reden aus deren abstrakter Idealität befreien könnte. Nur eine solche Vermittlung kann also als die Bedingung der Möglichkeit angemessener Rede von Gott gelten, das heißt einer Rede, die nicht der Beziehungswirklichkeit Gottes entfremdet wäre. Erst unter der Voraussetzung der realen Beziehung können die aufeinander Bezogenen (Gott, Mensch) in einen konkreten Zusammenhang kommen. Aber die Realität einer solchen Beziehung folgt nicht mehr der Logik zweistelliger Relationen und darum auch nicht mehr der Logik des Subjekts beziehungsweise der Subjektivität. Damit ist dem subjektlogisch fundierten Glauben die Möglichkeit objektivsachgemäßer theologischer Rede abzusprechen. Die Lösung kann nun nicht darin bestehen, vor dem Problem zu kapitulieren, es als solches einfach zu überspringen oder systematisch abzublenden, um die eigenen Deutungen nach alt bewährtem Muster im Rahmen des eingespielten Modells nicht unterbrechen zu müssen. Vielmehr geht es gerade um eine solche Unterbrechung des eingerichteten Grundlagenverständnisses, und damit um einen neuen Versuch der sachgemäßen theologischen Selbstverständigung.

2.3.1.4 Partizipation als Transitivität der Gottesbeziehung – Die Kommunikation des Glaubens 1. Wie ist also die Realität der Beziehung zu denken? Sie müsste eine wichtige Bedingung erfüllen, damit der Mensch nicht in zwei – letztlich unvermittelt bleibende – „Abschnitte“ auseinanderfällt, in denjenigen, der unmittelbarer Teil der Gottesbeziehung ist, indem das Subjekt der von Gott Be-

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zogene ist, und in denjenigen, der nicht mehr Teil dieser Beziehung ist, sondern einer anderen, der Weltbeziehung, so dass es sich zu sich selbst verhalten, sich auf sich selbst beziehungsweise sozial auf andere beziehen kann. Die Bedingung, dass von der Gottesbeziehung überhaupt sachhaltig gesprochen werden kann, ist aber die schon mehrfach angesprochene Vermittlung der beiden Aspekte der Beziehung, so dass die Weltbeziehung der sich auf sich und aufeinander beziehenden Subjekte selber integraler Bestandteil der Gottesbeziehung wird, die Gottesbeziehung sich also dem Weltbezug der Subjekte wesentlich mit–teilt. Die Realität der Gottesbeziehung ist dann eine geschichtliche Kommunikation als Partizipation der Subjekte. Erst so kann gläubige Rede auch angemessenes Reden von Gott sein, will sie nicht aus den genannten strukturellen Gründen immer schon zu spät kommen und dadurch zum hilflosen Nachtrag eines ahnungslosen Redens über Gott werden. Gottes Sein müsste also so mit mir sein, dass mein Sein so für mich wird, dass darin Gottes Sein für mich wird (Selbstbezug). Und auf eben die besagte (transitive) Weise kann nun gelten, dass Gottes Sein so mit mir für mich ist, dass mein Sein so für andere wird, dass darin Gottes Sein mit ihnen ist. Ist nun Gottes Bei-mir-Sein so mit ihnen, dass nun darin sein Sein auch für sie wird, dann wird Gottes Bei-den-anderen-Sein auch mit weiteren anderen sein, in denen Gottes Sein sozial (intersubjektiv) vermittelt für sie werden kann (Sozialbezug) – und so fort ohne Ende. Die Beziehungswirklichkeit Gottes ist als eine transitive Relation zu denken. Diese kann aber keine dyadische Relation mehr sein. Sie ist vielmehr als Triade zu begreifen. Das „Mitsein“ (Hypostasis) und das „Fürsein“ (Ekstasis)57 der Relation implizieren folglich ein reflexives „Für-sich-Sein“ des Subjekts (als Kognition)58 und auf dieser Grundlage die Möglichkeit des „Für-andere-Seins“ (als Sprechhandlung) als des reflexiv gewordenen Fürseins des Mitseins durch das Für-sich-Sein hindurch. Denn das Fürsein, das aus dem Für-sich-Sein kommt, ist als das reflexive nun auch das bewusste Handeln des Subjekts im Zusammenhang der Beziehung. Wäre dies 57

Wir setzen an dieser Stelle die griechischen Begriffe „Hypostasis“ und „Ekstasis“ in Klammern dazu, weil sie als Grundbegriffe für ein ähnliches, sehr interessantes relationales Modell der Gottesbeziehung des Glaubens bei John Zizioulas dienen. Vgl. Zizioulas, Human Capacity. Ders., Being as Communion. Bei Dietrich Bonhoeffer findet sich der Ansatz zu einem ähnlichen, wenn auch rationalitätslogisch zu eng geführten, Modell unter den Begriffen von „Akt“ und „Sein“. Vgl. Bonhoeffer, Akt und Sein. Beiden Ansäzen ist gemeinsam, dass ihre Analysen nicht vollständig zur rationalitätslogische Pointe der triadischen Beziehung durchdringen. Das Problem wird weniger grundbegrifflich diskutiert, sondern semantisch reflektiert. Beide finden konzeptuell zur Kategorie der Gemeinschaft, deren Struktur sie aber nicht wirklich angemessen erfassen können. 58 Es geht ganz allgemein nur erst um Kognitionen aller Art, da die Beziehungswirklichkeit bestimmende Wirklichkeit meines Seins werden können muss. Kognitionen also auch in Form von Gefühlsbestimmtheiten, die nicht schon unbedingt ein reflexives Bewusstsein implizieren müssen.

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nicht so, dann könnte das Glaubenssubjekt der Gottesbeziehung nicht aus der Gottesbeziehung und folglich nicht sachhaltig von ihr her denken und sprechen, sondern wieder nur qua Subjektivität ideellen Sinn konstituieren. Wieder zerfiele der Glaube in zwei unversöhnte Abschnitte hinsichtlich der ihn bestimmenden Realitäten. Es geht aber darum, dass das Sein des Subjekts als ein intrinsischer Teil der Beziehungswirklichkeit Gottes verstanden werden kann und dass seine Existenz in diesem Sinn zur konkret geschichtlichen Bestimmung kommt. Nun kann das Subjekt als ein kommunikatives Zeichen59 der geschichtlichen Wirklichkeit Gottes verstanden werden. 2. Es ist die Schwäche des Modells der zweistelligen Gottesbeziehung, die Realitätsebene der Beziehung nicht zu erreichen, sondern den Menschen gleichsam unendlich in seiner Mitte zu halbieren, da die Aspekte des „VonGott-her-Bezogenseins“ und derjenige des reflexiven „Sich-auf-sichBeziehens“ beziehungsweise des sozialen „Sich-auf-andere-Beziehens“ nicht gleichermaßen demselben (göttlichen) Beziehungsgeschehen zugeschrieben werden können, sondern eben nur der erste Aspekt des passiven „Hörens“ (Rezeption60), während das aktive „Denken“ (Konzeption) beziehungsweise „Sprechen“ (Interaktion) den Menschen einer anderen Beziehungswirklichkeit zuordnet: seiner (reflexiven) Selbstrelation beziehungsweise der sozialen Relation. Denn entweder ist das Subjekt in der Gottesbeziehung, oder es redet von der Gottesbeziehung. Es redet aber davon, indem es außerhalb derselben steht – geradezu als die Bedingung der Möglichkeit solcher Rede – und also nicht mehr von der Beziehung als realer (de re), sondern über die Beziehung in Form eigener ideeller oder auch gemeinsamer sozialer Konstitutionsleistungen spricht (de dicto). Diesem Auseinanderbrechen des Subjekts entspricht die Unterscheidung zwischen „actus directus“ und „actus reflexus“ („fides directa“ und „fides indirecta“) oder auch die philosophische Problematik der Reflexionstheorie, die bei dem Versuch der Begründung des transzendentalen Ich-Subjekts scheitert.61 59 Wir setzen den Zeichenbegriff mit Peirce als eine genuin triadische Relation an. Erst so wird das Personsein des Glaubenssubjekts anthropologisch nicht verkürzt. „Ein Zeichen oder Repräsentamen ist alles, was in einer solchen Beziehung zu einem Zweiten steht, das sein Objekt genannt wird, daß es fähig ist ein Drittes, das sein Interpretant genannt wird, dahingehend zu bestimmen, in derselben triadischen Relation zu jener Relation auf das Objekt zu stehen, in der es selbst steht. Dies bedeutet, daß der Interpretant selbst ein Zeichen ist, das ein Zeichen desselben Objekts bestimmt und so fort ohne Ende.“ Peirce, Phänomen, 64. 60 Wobei das Präfix „re“ schon zuviel meint, nämlich eine subjektive Aufnahme, die doch schon ein Sich-zu-sich-selbst-Verhalten voraussetzt und also eine Aktivität. Gemeint sein kann also nur ein ungebrochenes, unmittelbares, einfaches Hören als gläubiges Vernehmen. Wie dieses dann ein Vernehmen für mich sein kann, ist unter den Voraussetzungen des Modells nicht mehr auszuweisen. 61 Vgl. zum problematischen Zusammenhang von Selbstbewusstsein und Ichstruktur Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht. Ders., Selbstbewusstsein, 257–284.

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Es ist festzuhalten, dass die Dominanz der Zeitdimension einhergeht mit der paradigmentheoretischen Grundlegung des Denkens unter der Form des Ich-Subjekts. Deshalb wird die Gottesbeziehung als das Ereignis der Gottesbeziehung des Subjekts in der Bezugnahme Gottes auf es verstanden. Zeitlichkeit ist die Grundkategorie der Verwirklichung von Subjektivität. Die Wirklichkeit des Subjekts ist seine Zeitlichkeit, während seine transzendentale Struktur die logische Form als Grundlage für alle zeitliche Verwirklichung ist. Das Subjekt (Form) vollzieht und verwirklicht sich als Subjekt (Inhalt) in der Zeit.62 Hingegen ist die Zeit im ontologischen Paradigma nur eine äußere Funktion des Seins, zum Beispiel hinsichtlich epistemisch wahrer Repräsentationen von Seiendem. Umgekehrt wird die Sachdimension im Subjektparadigma zur Funktion der Subjektzeit, das ist der subjektiven Operationen, in denen sich das Subjekt erkennend und handelnd in seinem Selbst- und Weltbezug verwirklicht. Erst der Wechsel in die Sozialdimension, deren rationalitätslogische Tiefenstruktur als die soziale Relation der Intersubjektivität zu begreifen ist, macht es möglich, das ereignislogische Dilemma unter der Form des Subjekts aufzulösen, um nun zu bedenken, worauf sachgemäße Rede von Gott eigentlich beruht. Unsere These ist, dass sie sich als Teil derjenigen dynamischen Wirklichkeit vollziehen können muss, von der sie spricht. Reden und Denken kommen nun als integrale Momente der Struktur dieser Realität in den Blick. Sie fallen also nicht deshalb aus dieser heraus, weil sie reflexiv sind. Reflexivität ist als ein wesentliches Strukturmoment dieser Realität des Glaubens festzuhalten. Es ist also theologisch mit einer Wirklichkeit zu rechnen, in der Denken und Rede Gottes konkret und sachgemäß werden/sind, weil sie aus der Beziehungswirklichkeit Gottes mit dem Menschen heraus geschehen, deren struktureller Teil sie sind; und es ist mit einer Wirklichkeit zu rechnen, in welcher Denken und Rede Gottes abstrakt werden/sind, weil es nun nicht mehr die Beziehungswirklichkeit Gottes mit dem Menschen ist, die sie fundiert, sondern eine andere soziale Wirklichkeit: die gesellschaftliche Praxis in ihrer eigenen – ideologischen – Logik, die Identität über das Schema von Inklusion und Exklusion ausbildet.

3. Im Modell der zweistelligen Gottesbeziehung prallen die beiden paradigmentheoretischen Motive des Seins (Gott) und des Erkennens (Glaube) unter der Form der Beziehung also nur unvermittelt aufeinander, ohne dass das Sein (Gott) für das Erkennen (Glaube) wirklich werden könnte und also das Erkennen von dem Sein des Erkenntnisgegenstandes des Glaubens real getragen wäre. Die Unmittelbarkeit der sich ereignenden Beziehung zwischen Gott und Mensch, so dies überhaupt ein denkbarer Gedanke ist, setzt sich nicht reflexiv in die kognitive „Für-Struktur“ des personalen Selbst um, und zwar dies schon aus logischen Gründen, da eine dritte Stelle der relationalen Struktur nicht vorgesehen ist. Dies hat zur Folge, dass die „Fortsetzung“ der Gottesbeziehung in eine reflexive Selbstbeziehung und dann soziale Fremdbeziehung nur noch mit anderen Mitteln funktionieren kann, 62

Streng genommen realisiert sich Subjektivität nur in aller Zeit, weil allein alle Zeit (=material) der Zeitlichkeit (=formal) entspricht. Dieser Gedanke der Subjektivität steht in der Tradition des Gottesbegriffs (complicatio/explicatio).

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und zwar darum, weil sich immer nur eine zweistellige Relation an die andere anschließen lässt. Wo die eine Relation beginnt, hört die andere auf. Es handelt sich dabei jedesmal um separate relationale Ereignisse (Gottesbeziehung/Selbstbeziehung/Sozialbeziehung), die sich per defintionem nicht gehaltvoll vermitteln, so dass es zu keiner relationalen Bestimmungsdynamik von Relation zu Relation kommt. Es gibt keine reale Fortsetzungsgeschichte. Die sich anschließende Relation bleibt der vorangehenden inhaltlich ganz äußerlich. So ist es unmöglich, einen relationalen Zusammenhang zwischen Gott, Mensch und Mitmensch zu denken, also einen Zusammenhang, der die Bezogenen der Beziehungen miteinander und sie für sich vermittelt, und sei es auch nur minimal und instabil. Die zweistellige Relationsform unterstützt nur ein formales Zusammenhängen. Theologisch hat man es mit der Idee einer unmittelbaren Begegnung von Gott und Mensch zu tun. In der konzeptuellen Fassung der Beziehung als Unmittelbarkeit der Begegnung kann die Gottesbeziehung zwar als eine Bezugnahme Gottes auf den Menschen, aber nicht mehr als Gottesbeziehung für ihn gedacht werden. Die Unmittelbarkeit schließt das Reflexivwerden der Beziehung für den Menschen und damit die Möglichkeit gehaltvollen Glaubens aus. Da der Mensch dieser Konzeption nach erst in der Beziehung mit der Wirklichkeit Gottes konfrontiert wird, kann er kein Wissen vor oder nach dieser Beziehung von ihm haben. Ereignet sich aber diese Beziehung, dann soll der „Gehalt Gottes“ am Menschen gegen-wärtig anliegen. Dieser kann aber nicht in die menschliche Struktur eindringen, sich mit ihr vermitteln, ihr mitteilen, das heißt als Gottesgehalt für den Menschen einsichtig werden. Die Präsenz Gottes findet keine Repräsenz des Glaubens. Um aber diese Beziehung zu deuten, ist der Mensch schließlich wieder genötigt, auf seine eigenen kognitiven Fähigkeiten und epistemischen Ressourcen zurückzugreifen, um das faktische Geschehen sinnhaft zu konstituieren – für sich und/oder für andere. Gottes Wirklichkeit vermittelt sich ihm ja nicht im Ereignis seiner Bezugnahme, da sie dazu in seine subjektive Struktur übergehen, das heißt dem Subjekt gewissermaßen zueigen werden können müsste. Die Selbstbeziehung des Subjekts ist aber nicht die Gottesbeziehung des Subjekts, wie wir wissen. 4. Der Sachverhalt ergibt sich aus logischen Gründen. Man muss sich dies klar machen: Sollte Gott in der Beziehung dem Menschen inhaltlich zugänglich werden, so dass dieser nun aus Gott von Gott weiß – und dies lässt sich logisch nicht mehr zweistellig (zweiwertig) denken – , dann ergibt sich das das von uns im ersten Teil der Studie verfolgte Problem, wes Natur dieses Wissen sei. Handelt es sich um ein menschliches Wissen des Menschen von Gott oder um ein göttliches Wissen des Menschen von Gott? Soll das menschliche Wissen von Gott letztlich aber nicht mehr unter der differenzlogischen Form „hier“ oder „dort“ aporetisch loziert werden, und dar-

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um geht es ja, um dem so generierten vitiösen Regress ein nichttautologisches Ende zu setzen; sondern soll es sich schließlich und wirklich um ein genuines menschliches Wissen von Gott handeln können, dann stellt sich erneut und nachhaltig die Frage nach der Vermittlung beider Seiten (Naturen), so dass sich Gottes Realität nicht wieder in ein ontologisches Jenseits verflüchtigt, das jedem epistemologischen Diesseits den Boden unter den Füßen wegzieht. Diese beiden, differenzlogisch generierten Seiten oder Naturen können ja nicht „substantiell“ nur nebeneinander in dem einen „Container“ Mensch zusammen bestehen, ohne sich an irgendeiner Stelle zu berühren, ja viel mehr: sich zu vermitteln. Der Mensch wäre dann lediglich der unsensible Rahmen von zwei aneinander vorbeilaufenden Ereignisreihen, das Dritte ihrer Nichtvermittlung, das deshalb gar kein Drittes ist, sondern ein Erstes irgendeiner anderen Ebene. Ein wirklich Drittes (tertium datur) könnte es nur geben, wenn es doch emphatisch das Dritte der beiden anderen wäre. Theologisch bedeutet dies abermals, dass Gott mit-teil-bar sein muss, sich realiter dem Menschen bestimmt. Wenn man diesen Gedanken aus rationalitätslogischen Gründen zulässt, dann ist auch entschieden Ernst mit ihm zu machen. Er besagt, dass Gott sich 1. wirklich und 2. mit dem Menschen verwirklicht. Seine wirkliche Verwirklichung (o;ntwj o;n) mit dem Menschen geht nicht an der Wirklichkeit des Menschen vorbei, sondern bestimmt geradezu die Wirklichkeit des Menschen, und zwar dahingehend, was das Menschsein sein kann und sein soll und deshalb manchmal auch wirklich schon ist.63 Man darf sich dieser Einsicht nicht verschließen: Gottes Wirklichkeit geht in die menschliche Wirklichkeit wirklichkeitsstiftend ein und macht alles neu (creatio ex nihilo) – mit allen Konsequenzen des Gedankens – und ist immer schon in sie als ihr Schöpfer (creatio continua) eingegangen. Gottes Sein für uns ist nicht anders wirklich als sein Wirklichsein mit uns. Indem er immer schon mit uns ist, kann er auch für uns werden. Sein Sein ist die Bedingung der Möglichkeit unseres Erkennens (Glaube), aber nicht so, dass nun eines der beiden Grundmotive durch das andere absorbiert wäre, sondern so, dass beide zusammengenommen als integrale Momente der Beziehung selbst gleichermaßen Bestand haben. Denn sein Sein ist nun als sein Mitsein zu begreifen, und in diesem Mitsein allein ist unser Erkennen begründet, welches das Mitsein auch für uns – reflexiv im Glauben – werden lässt. Gottes Sein ist so im Werden, wie man mit Eberhard Jüngel sagen kann. Unsere Korrektur und Präzisierung geht nun dahin, dieses Mitsein rationalitätslogisch genauer zu erfassen unter der allein angemessenen sozialen Form der Rela63

Und auf diese Weise ist die theologische Frage nach der Wahrheit eben ontoepistemologisch bestimmt. Sie lässt sich nicht stillstellen oder festhalten, sondern nur vollziehen, und zwar als die geschichtliche Kommunikation des Glaubens.

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tion der Intersubjektivität. Gottes Mitsein ist seine zwischenmenschliche Wirklichkeit, die auf mitmenschliche Realisierung drängt. Das Reich Gottes ist also mitten unter uns – und nicht nur „inwendig in euch“, wie Luther das „h`` basilei,a tou/ qeou/ meta. parathrh,sewj“ übersetzte – Luk. 17, 20f. Gottes Wirklichkeit konstituiert den Menschen in seiner Wirklichkeit auf neue Weise. Er schafft eine neue Wirklichkeit mit ihm und für ihn. Der Mensch wird neu mit Gott und so die menschliche Wirklichkeit neu mit dem neuen Menschen. Dies ist die relationenlogische Pointe einerseits der rationalitätslogischen Umstellung von der zweistelligen zur dreistelligen Relation und andererseits der Korrektur, die Gott nicht mehr aus der Relatstelligkeit, sondern ihn als Relation der Relate, als Beziehung der Bezogenen, die sie in ihrem Sein bestimmt, begreift. Man hat es nun mit einer Wirklichkeit zu tun, mit der man reale Erfahrungen machen kann, die das In-der-Welt-Sein des Menschen, sein Dasein verändern, neubestimmen und ebenso Glauben stiftend sind. Damit wäre aber der „theo-dialektische“ Riss, der alles andere als dialektisch ist, nicht mehr aufrechtzuerhalten und die fundamentaltheologische Differenz zwischen Menschsein (Welt) und Gottsein (Gott) ganz und gar anders, und zwar geschichtlich konkret zu bestimmen. Der nun echt-dialektische Bestimmungsvektor weist nicht mehr aus der Welt heraus, sondern direkt in sie hinein. Die fundamentaltheologische Differenz zwischen Sünde und Glaube muss sich nun an der Realität des Menschen selbst auszuweisen lassen – nicht aber in der Kraft des Menschen, sondern aus der sich real vollziehenden Wirklichkeit Gottes mit dem Menschen heraus, der (=Gott) durch sein Sein solche Differenzen allererst real markiert. Es lässt sich also keine (ideologische) Semantik abstrahieren und dann zurück auf die Welt applizieren (=Religion), sondern die gewonnene Semantik bleibt ganz und gar die „pragmatizistische“ Funktion64 der sich vollziehenden Realität Gottes, die wir als geschichtliche Kommunikation des Glaubens zu begreifen suchen. Die an der zweistelligen Relation sich konstituierenden Kategorien von Subjekt und Objekt reichen nicht hin, diesen Gedanken zu denken. Solange Gott nur als Objekt durchs Subjekt, also auf dieser Seite der Beziehung, konstituiert werden kann, und sei es auch, dass man dabei unterstellt, dieses Objekt sei selbst ein Subjekt oder gar das Subjekt des eigenen Glaubens, solange wird der Gedanke „Gott“, unter welcher Interpretation auch immer, eine Leistung der eigenen Subjektivität bleiben und niemals die Realität 64 Wir wählen ganz bewusst den Begriff „pragmatizistisch“ und nicht „pragmatisch“, obwohl letzterer genauer zum Problem des Verhältnisses von Semantik-Pragmatik passt. Wir folgen darin Charles Sanders Peirce’ kritischer Korrektur in Reaktion auf William James’ Begriffsvorschlag „Pragmatismus“, den er auf Peirce zurückführen wollte. Im Hintergrund steht natürlich Peirce’ Lehre von der Dreistelligkeit der Relationen und folglich seine James’ Denken an Komplexität bei Weitem übertrumpfende Semiotik.

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Gottes angemessen denken können. Damit der Gedanke denkbar wird, dass der Mensch dem wirklichen Gott begegnen kann, muss Gott anders und nicht als Subjekt begriffen werden. Es geht darum, die Kategorie des Ich (= des Subjekts) und des Er65 (= des Objekts) zu überwinden. Gott, unter der Kategorie des Ich-Subjekts gedacht, kann mir niemals zum Du werden, ebensowenig aber auch meine Mitmenschen. Das Du spricht aber eine Kategorie an, die einen zentralen Bestandteil der Rationalität des menschlichen Seins ausmacht. Die dritte Person-Perspektive ist immer die vergegenständlichende (verobjektivierende) einer externen Beobachtung. Dies zeigt bereits eine kurze Analyse des Satzes: Ich unterhalte mich mir Dir über ihn. Er ist nur der der kommunikativen Situation äußerlich bleibende Gegenstand der intersubjektiven Beziehung zwischen mir und dir, nicht selber mehr Teil derselben. Teilnahme und Beobachtung stellen folglich zwei ganz unterschiedliche Kategorien dar. Nun besteht das Problem darin, dass für eine beim Subjekt ansetzende Denkform die Kategorie des Du als ein Grundbegriff gänzlich ausfallen muss, wie wir ausgeführt haben. Denn der Andere wird mir als dem Ich-Subjekt niemals das Du, also er selbst als Subjekt wirklich, sondern bleibt mir das absolut unzugängliche Alter Ego, das ich nur als mein Objekt für mich konstituieren kann. Das bedeutet aber, dass die kommunikative Binnenstruktur, die sich zwischen Ich und Du, die über etwas sprechen, abspielt, auseinanderfällt in ihre singulären – und seien es auch viele – Ich-Perspektiven. Nicht nur der Gegenstand der Rede fällt also nunmehr unter die Objektkategorie, sondern schon der Andere als mein Kommunikationspartner. Die komplexe Situation lässt sich aus grundbegrifflichen Gründen nicht in ihrer Komplexität aufrechterhalten, sondern sie desintegriert in die Multiplizität singulärer Ich-Subjekte, denen gegenüber alles zum Objekt wird. Folglich konstituiere ich objektiven Sinn nicht mehr dialogisch mit jemandem, der mir als der Andere vermittelt und so als Subjekt auch für mich wirklich ist, nämlich als Du, sondern nur noch monologisch mit mir selbst. Steht die dritte Kategorie des Du grundbegrifflich nicht zur Verfügung, dann fällt sie unter die Form des Objekts, unter welcher das andere Subjekt, das mein Du sein könnte, mir nun wieder nur unvermittelt gegenübersteht. Denn das Objekt „Subjekt“ fällt nicht als Subjekt mit mir zusammen, dann wäre es Ich, oder in mich hinein, da es auch so noch ein mir unvermitteltes äußerliches Ding innerhalb meines Subjektraums bliebe, wenn der Gedanke überhaupt sinnvoll ist. Theologisch gewendet: Gott kann also für mich nur wirklich werden, wenn er mir zum Du wird, und das heißt – um nicht den Kategorienfehler zu machen, ihn mir gleichzusetzen: wenn er mit Dir als mein Du für mich wirklich wird und umgekehrt, ohne dass Du mir oder Ich Dir Gott bin, sondern vielmehr Gott, 65

+ Sie, Es.

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indem er mit Dir ist mir, und indem er mit mir ist Dir zum Gott wird.66 Der andere wird mir real zum Subjekt, das er an sich ist, also als das Subjekt, das er wirklich ist, wenn er mir zum Du wird, nicht wenn er das Ich ist, das aus sich heraus sich nicht selbst mir zum Du machen kann, wie wir argumentiert haben. Du ist mehr als Ich, ist rationalitätslogisch komplexer zu veranschlagen. Du ist die Kategorie der Intersubjektivität. Ich die Kategorie der Subjektivität. Gottes Sein ist also prozessual im Werden als dem theologischen „Inbegriff“ von ontologischem Sein und (epistemologischem) Nicht-Sein, es ist folglich ein wirklich reales Werden.67 Die Struktur seines Werdens ist transitiv und ermöglich so die Ausbildung einer realen Geschichte mit dem Menschen und auf diese Weise für den Menschen. Es handelt sich nun um eine Realität, die nicht mehr nur ereignishaft, sondern nun synechetisch (kontinuierlich) zu denken ist. Nur eine relationsontologische Konzeption vermag die diesbezüglich nötige Komplexität zur Verfügung zu stellen, indem es ihr gelingt, die Grundmotive des ontologischen Seins (Objekt) und des subjektlogischen Erkennens (Subjekt) in die eigene genuin komplexe Struktur (Intersubjektivität als Kommunikation) aufzunehmen. Erst so wird schließlich auch die dritte Person-Perspektive (Er, Sie, Es) eigens wichtig, und zwar als diejenige eines nun gemeinsam – intersubjektiv – konstituierten Objekts. Gibt es reale Intersubjektivitätsbeziehungen, das heißt gibt es geschichtlich wirksame Kommunikation, dann stellen sie sich auch als Realität objektiv dar. Also wird gleichursprünglich mit der Realität der intersubjektiv strukturierten Kommunikation nicht nur der Subjektivitätsbegriff, sondern auch der Objektbegriff intersubjektivitätstheoretisch modifiziert. Denn wenn ich mit Dir über etwas spreche, so ist ebendieser Vollzug der Kommunikation Ich—Du selbst eine Realität, das heißt aber nun eine soziale objektive Wirklichkeit (zweite Natur), zu der sich dann immer ein weiteres Ich und Du gegenständlich – im Medium ihrer gemeinsam geteilten Sprache – verhalten können. Damit ist aber gesagt, dass das Objekt ein an sich sozial bestimmtes Objekt, folglich ein soziales Objekt ge66

Wir können die jeweiligen rationalitätslogischen Probleme nicht weiter ausführen, sondern nur bis zu einem gewissen Punkt ansprechen, um die laufende Plausibilität unserer Grundthese zu sichern. Die rationalitätslogischen Analysen und Begründungen sind einer eigenen Studie vorbehalten. 67 Die triadische Struktur seines Beziehungsseins kann man trinitarisch reflektieren: Gott der Vater ist die Beziehung selbst ohne die Bezogenen, Gott der Sohn die Beziehung mit den Bezogenen, Gott der Heilige Geist die Beziehung mit den Bezogenen, die auch reflexiv für die Bezogenen geworden ist. Darin schließt sich der Kreis, die Beziehungsdynamik ist als Kommunikation begreifbar. Das Verdanktsein (sola gratia) des „sola fide“ ist strukturell (Intersubjektivität) und material (Mitmenschlichkeit) gewährleistet, Passivität und Aktivität fallen nicht mehr auseinander, insofern das Subjekt des Glaubens in die Struktur des göttlichen Selbstvollzugs integriert ist, freilich unter den existentiellen Bedingungen seines In-der-Welt-Seins: simul justus et peccator.

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Formalismus und Realismus der Relationalität

worden ist. Es ist seiner Natur nach immer schon intersubjektiv vermittelt. Form und Inhalt, Idee und Realität kommen nun zu einer neuen Entsprechung. Die gläubige Rede beziehungsweise theologische Reflexion spricht dann nicht mehr von etwas, das ganz und gar das Andere ist – ein Gedankenkonstrukt, das wir als widersprüchlich und als Kategorienfehler nachgewiesen haben; sondern sie spricht nun von etwas, das so geworden ist, dass es zugleich erkennbar und begreifbar, nicht aber verfügbar, geworden ist. Die Bedingungen seiner Erkennbarkeit und Sagbarkeit hat Gott selbst erfüllt, indem er sie geschaffen hat (vgl. den Johannesprolog, Joh. 1, 1-18). Und er hat sie geschaffen, indem er den Menschen geschaffen hat. Mit der Schöpfung des Menschen hat er sich seiner Schöpfung immer schon mitgeteilt und mitgegeben (Röm. 1, 19f). Gibt es aber keine Möglichkeit, die Kategorie des Du angemessen zu denken, dann gibt es auch kein Objekt, das Gottes soziale Wirklichkeit real verkörpert. Dann gehen Erkennbarkeit und Sagbarkeit wieder verloren und man muss nach Auswegen und Tricks suchen, Gottes Wirklichkeit dann doch noch irgendwie zu behaupten und dafür – hoffnungslos – zu argumentieren. Wenn ich also wieder nur so zu „dir“ sprechen kann, dass ich nicht mehr mit dir spreche, sondern ich „dich“ als mein Objekt egologisch konstituiere, und „du“ mich, dann ist unser Gespräch nichts als eine subjektive Fiktion von Intersubjektivität, die sich jedesmal in Subjektivität (in relationale Subjekt-Objekt Einheiten) auflöst. Dieses Gespräch zwischen mir als Ego und dir als Alter ist dann also gerade kein soziales, kein intersubjektiv strukturiertes objektives Geschehen mehr, auf das sich andere beziehen und über das sie sich unterhalten beziehungsweise das sie als ein solches begreifen können. Die relationsontologischen Bedingungen der Möglichkeit für Erkennbarkeit und Sagbarkeit des Glaubens an Gott sind damit nicht mehr gegeben. Die Form des intersubjektiven Dialogs von Ich und Du bedingt also ihren Inhalt = genuin soziale Objekte. Form und Inhalt sind sich nun nicht mehr äußerlich, da nun beide sozial strukturiert sind. Man kann erst jetzt von einer Identität von Subjekt (Form) und Objekt (Inhalt) sprechen – nämlich S=O, aber eben erst im strukturellen Zusammenhang von Intersubjektivität. Die Identität von S=O kann weder in S noch in O widerspruchsfrei gedacht werden.68 Sie gelingt allein in ihrem Dritten, das sie strukturell vermittelt. Subjekte können demnach nur als intersubjektiv konstituierte ihre Realität angemessen deuten und sich praktisch auf sie beziehen, und das heißt als Intersubjekte. Darin liegen Chancen und Risiken zugleich. Die Chance liegt darin, die eigene Realität grundsätzlich angemessen begreifen zu können. Die theologisch zu begreifende Wirklichkeit Gottes liegt nicht 68

An dieser Pointe ist letztlich jeder Idealismus, auch der geistphilosophische Hegels, geschei-

tert.

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mehr in einem letztlich ganz und gar abstrakten Jenseits, sondern vollzieht sich real mitten in der Welt. Das Risiko liegt darin, dass sich die Wahrheit strukturell nicht ohne den Anderen realisieren kann. Sie gelingt nicht an dem Anderen vorbei, und die formale Freiheit der Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung der Subjekte kann zu ganz anderen sozialen Prozessen und Verläufen führen, die theologisch als Sünde bezeichnet werden. Behauptungen und ideologische Fixierungen, gesellschaftliche Verhärtungen und normativ zurichtende Institutionalisierungen müssen ausgehalten werden. Das Ringen um die Wahrheit ist das Ringen um Versöhnung zu ihren eigenen Bedingungen, ist ein „Kampf“ der und aus der Liebe Gottes, der den, der in der Nachfolge lebt, durchaus ans Kreuz führen kann – und zwar, wie wir sagten, nicht als Ausdruck des misslingenden Lebens, wie es in den Augen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit aussehen mag (zu denken ist an die „loser“-Semantik), sondern als Ausdruck des gelingenden Lebens der existentiell wahrhaftigen Nachfolge unter den Bedingungen des falschen (der Sünde).69 Dafür hat das Neue Testament Zeugnis abgelegt. Die „Wahrheit“ ist also nicht anders als kommunikativ und folglich immer nur gemeinsam mit den anderen Subjekten zu „haben“ und sie kann sich auch nur auf diese irreduzibel intersubjektive Weise – also nur miteinander – als wahr erweisen lassen. Wenn die Wirklichkeit eine intersubjektive Struktur aufweist, dann kann sich auch ihre Wahrheit reflexiv nur intersubjektiv, nämlich kommunikativ, durchsetzen und ausweisen und eben nicht an den Subjekten als aufeinander bezogene und angewiesene vorbei. Die Wahrheit ist die Wahrheit der Wirklichkeit und muss sich als Wirklichkeit vollziehen. Darin allein besteht ihr performativer Beweis. Pragmatik und Semantik kommen in eben dieser Form einer sich kommunikativ vollziehenden Realität als durcheinander vermittelte Momente in den Blick. Erst wenn die Wirklichkeit und ihre reflexive Wahrheit nicht getrennt sind, ist die Wahrheit die konkrete und reale: die Wahrheit der Wirklichkeit. Wahrheit wird so ein praktischer (intersubjektiver) und nicht mehr nur theoretischer (subjektiver) Begriff. Was der Glaube behauptet, muss sich in der Realität des menschlichen In-der-Welt-Seins ausweisen lassen und als gemeinsame Wahrheit erweisen können, muss folglich konkret erfahrbar sein, eine Erfahrung aber, die sich nicht mehr subjektiv verflüchigt und an sich inkommunikabel ist, sondern die sich als eine gemeinsame darstellt und eben so kommunikativ verwirklicht. Oder anders gesprochen: Die theologi69 Dabei ist immer die Ambivalenz unserer existentiellen Lebenssituation im Blick zu behalten, das „simul justus et peccator“. Als ein eindringliches Beispiel denke man an die Nachfolge Dietrich Bonhoeffers, die ihren bekennenden Ausdruck in dessen Hinrichtung zum Tode gefunden hat. Der christliche Glaube wird sich weigern, an dieser Stelle von einem „misslungenen Leben“ zu sprechen. Bonhoeffers Nachfolge war und ist vielmehr ein kommunikatives Zeichen, das Glauben in vielen Menschen gestiftet hat, aus der Kraft der Realität Gottes mit dem Menschen.

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sche und gläubige Rede von der Versöhnung und dem Heil Gottes wird zur sinnlosen, leeren und abstrakten Rede, wenn sie keinen Anhalt an der eigenen Realität findet und so konkret an dem eigenen Dasein erfahren und deshalb gemeinsam bezeugt werden kann. Gottes Wirklichkeit, die von den Subjekten intersubjektiv konkret erfahren wird, ist diejenige Wirklichkeit, die, indem sie in den Subjekten auch reflexiv den ihr entsprechenden Glauben ausbildet, nun kommunikativ zur Sprache kommt. Diesen Gedanken muss sich die Theologie zueigen machen, will sie das Problem der Realität Gottes so lösen können, dass sie nicht wieder im Bodenlosen der immer nur je eigenen subjektiv-abstrakten Innerlichkeit verpufft. 2.3.1.5 Zweistellige versus dreistellige Gottesbeziehung Der Mensch, der in der zweistelligen Relation die eine Relatstelle einnimmt, während Gott die andere besetzt, ist nicht in der Lage, den Gehalt der Gottesbeziehung einzusehen. Denn dies setzt voraus, dass er sich in der Beziehung zugleich zu der Beziehung inhaltlich verhalten kann. Nur so ist es möglich und denkbar, dass die Beziehung zwischen Gott und ihm auch als Beziehung zur Beziehung für ihn wird. Es mangelt dem Subjekt der zweistelligen Beziehung also der kognitiv-epistemische Zugang zu der Beziehung, deren Teil es ist und durch welche es an sich selbst gesetzt wird. Soll das Subjekt etwas von der Beziehung, in der es steht, wissen können – egal wie stark oder schwach auch immer – so muss es in der Lage sein, sich zu seinem Gottesverhältnis auch zu verhalten. Da es aber nur etwas kognitiv bemerken kann, wenn es sich zugleich auch zu sich selbst verhält, bedeutet dies, wie ausgeführt, dass es sich, indem es sich zu sich selbst verhält, zu Gott verhalten können muss. Diesen Gedanken gitl es zu denken. Das Erfordernis, dass sich das Subjekt zu seinem Gottesverhältnis verhalten können soll, bedeutet nun, dass es als Subjekt aus seiner subjektiven Stellung auf der einen Seite der Relation gegenüber der anderen herauskommen können müsste. Dies ist aber ein unmöglicher Gedanke, solange die zweistellige Relation das fundierende Modell abgibt. Will man diese Situation der relationalen Unmittelbarkeit in der Beziehung, nämlich der vermittlungslosen Bezogenheit in einer imaginären Mitte beider Beziehungsintentionen, der ontologischen Gottes und der subjektlogischen des Menschen (G—>G) muss in der Lage sein, einerseits die Intention

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Gottes auf ihn (G—>S) aufzunehmen und andererseits seine eigene Intention auf sich (S—>S) in diese Intention auf Gott (G—>S) zu integrieren. Allerdings dürfen beide Intentionen nicht bloß synchron zusammengezwungen werden, sondern es geht logisch darum, dass das Subjekt in beiden Intentionen mit sich selbst identisch bleibt, ohne dabei seine Gottesbestimmung wieder zu verlieren. Dieser Gedanke lässt sich aber auf der Basis des zweistelligen Beziehungsmodells nicht denken. Vielmehr zerreißt es das Subjekt in seine Bezüge70, wie wir mehrfach dargestellt haben. Es geht also um die Möglichkeit, in der Beziehung zu sein (1) und sich zur Beziehung, in der man ist, zu verhalten (2), und zwar so, ohne dass der Zusammenhang der Beziehung, und das ist der Zusammenhang zwischen mir selbst, abreißt. Die Beziehung kann demnach erst dann Beziehung für ein Subjekt werden, wenn sie ihm auch als Beziehung irgendwie71 zueigen werden kann. Theologisch gewendet heißt das, dass das Sein Gottes, die göttliche Beziehungswirklichkeit, in das Sein des Glaubens des Menschen realiter eingeht und so den Glauben als das neue Sein des Menschen nach der eigenen Wirklichkeit bestimmt, sich dem Menschen also vermittelt, sich ihm mitteilt, so wie umgekehrt gelten muss, dass dann auch der Glaube dem Sein Gottes zueigen wird.72 Eine dyadische Relationierung reicht nicht aus, diesen Gedanken zu fassen. Ihre Form ist dafür schlichtweg zu schwach: Gott

Mensch

G

Ego

Ego’

AlterEgo

Gottesbeziehung|Selbstbeziehung|Sozialbeziehung

Im Modell der Zweistelligkeit kann die Relation sich nicht auf sich selbst beziehen, wie immer man zweistellige Relationen anordnet. Die Beziehung kann nicht eine reflexive Beziehungsbeziehung und damit keine Beziehungswirklichkeit werden. Denn sie würde sich erst zur Wirklichkeit, wenn sie sich selbst als Relation zum Gegenstand haben könnte. Dyadische Relationierungen bilden zwar eine (ontische) Breite aus, sie können aber keine 70

Dieses Zerreißen zeigt sich in dem letzten Klammerausdruck im Text, in dem die Intentionen auseinanderlaufen: G—>S. 71 Das „irgendwie“ soll andeuten, dass es nicht nur eine Weise des „Zueigen-Seins“ gibt, sondern viele verschiedene Weisen. Ein Glaube, dem Gottes Wirklichkeit nicht „zueigen“ wäre, wäre kein sachhaltiger Glaube an die Wirklichkeit Gottes, sondern der eigenen kognitiven Projektionen. Der Gedanke verfolgt zwei Richtungen. Einmal kann der Glaube nicht ohne die Realität Gottes wirklicher Glaube an Gott sein; zum anderen kann sich diese Realität Gottes nicht ins Ereignis verflüchtigen, da so der Gedanke der Wirklichkeit Gottes nur noch Vorstellung ist, die dann nicht mehr in der Realität Gottes gründen könnte, sondern nur in der eigenen des Subjekts. 72 Die Theologie hat dafür einen eigenen Ausdruck: den der „communicatio idiomatum“. Gott wird wahrhaft Mensch. Dieser Richtung der Menschwerdung Gottes kann man nur gerecht werden, wenn verstanden wird, worin das Menschsein Gottes realiter besteht.

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(epistemische) Tiefe gewinnen.73 Für die Selbsbeziehung von mir zu mir, also Ego–Ego’, bedeutet dies, dass sich das Subjekt in dem Selbstverhältnis auf nichts als sich selbst bezieht. In diesem unmittelbaren Selbstverhältnis ist ein Bezug auf anderes als ein möglicher inhaltlicher Gegenstand des Selbstverhältnisses ausgeschlossen. Das Subjekt ist sich gewissermaßen selbst-genug, ist selbst-abgeschlossen, indem es sich in einer Folge unendlicher Selbstverhältnisse oder Instantiierungen dieses Selbstverhältnisses immer nur zu sich selbst, aber zu nichts anderem, verhalten kann, ohne sich dabei auf anderes hin zu öffnen, sich inhaltlich anreichern beziehungsweise inhaltlich angereichert werden zu können. Schon diese Einsicht verbietet es, dem zweistelligen Modell der Relationalität zuzutrauen, das theologische Problem der Gottesbeziehung angemessen zu rekonstruieren. Es ist nicht in der Lage, zu erklären, warum es möglich ist, dass der Mensch in seinem subjektiven Selbstverhältnis hinsichtlich seiner personalen Struktur inhaltlich wachsen, sich ändern und entwickeln kann, ja wie es überhaupt möglich ist, eine nicht leere Beziehung zu sich selbst auszubilden. Dies bedeutet aber, dass man es hierbei mit einem nicht mehr nur theologischen Problem zu tun hat, sondern mit einem ganz grundsätzlichen, das folglich auch im Hinblick auf andere Fragestellungen des Menschseins relevant wird. Erst die triadische Relation kann dem Dilemma Abhilfe schaffen, indem sie nun relative Einheit als Offenheit, Einheit als Differenz, die nicht in der Differenz stecken bleibt, relationenlogisch umzusetzen vermag. Einheit ist nun gerade nicht mehr eine monadologisch sich abschottende Struktur. Denn nun ist es möglich, die Gottesbeziehung als relationalen Gegenstand der Selbstbeziehung (für mich), und die Selbstbeziehung als relationalen Gegenstand der Sozialbeziehung (für dich) in der geforderten transitiven Relationsstruktur zu erfassen, so dass, nach dem nun wirksamen Gesetz der Transitivität, die Gottesbeziehung als Gegenstand der Selbstbeziehung, die Gegenstand der Sozialbeziehung ist, auch zum Gegenstand der Sozialbeziehung werden kann. Also sind nun alle drei Beziehungen gleichermaßen vermittlungslogisch relevant. Kein relationaler Bezugsaspekt darf theologisch ausgegrenzt werden, will man die Bedingung der Möglichkeit sachgemäßen Denkens und Redens von Gott wirklich verstehen können74:

73 Zu den logischen Konzepten der Breite (Extension) und Tiefe (Intension) vergleiche man auch schon die frühen Gedanken von Charles S. Peirce, zum Beispiel die „Neunte LowellVorlesung“ sowie „Eine neue Liste der Kategorien“ („A New List of Categories“, 1867), in: Ders., Semiotische Schriften I, 107–127 sowie 147–159. 74 Die Gott–Ego Beziehung ist fett gedruckt, um zu zeigen, dass die Relation, die uns das Ausgangsproblem war, nun als sich auf die anderen Relationen mitteilende gedacht werden kann. Man bleibt also nun nicht mehr bei der relationalen „Sequenz“ Gott–Mensch stehen, sondern kommt mit ihr über sie hinaus in den komplexen Weltbezug des Subjekts der Gottesbeziehung.

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Inhaltslose Beziehung oder Vermittlung der Bezogenen G

Ego für mich

Ego’

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AlterEgo

für dich

Es gibt nun immer einen genuin dritten Bezug, der aus der strukturell bedingten dyadischen „Abgeschlossenheit“ einer bloß linearen und so immer nur formalen Offenheit herausführt – sei sie als lineare Kette offen oder als in sich zurücklaufende Kette geschlossen, indem die relationalen Abschnitte miteinander verschränkt und so zu einem einfachen (synechetischen) Zusammenhang beziehungslogisch verknüpft werden.75 Dies ist der einzige Weg, der eine gehaltvolle Vermittlung der Glieder der Relation denkbar macht. Wir haben gezeigt, dass und warum von dieser Vermittlungsproblematik alles andere abhängt. Wenn man bedenkt, dass auch Alter adressiertes Subjekt einer individuellen Gottesbeziehung sein kann, ebenso wie Ego, dann stellt sich nicht nur die bisherige Frage, wie diese Beziehung dem adressierten Subjekt (Alter) repräsent werden können soll, sondern auch die, wie sich die einzeln adressierten Subjekte dann gemeinsam darüber verständigen können. Wir haben das Problem bereits im ersten Teil besprochen. Nun lässt sich rationalitätslogisch zeigen, dass es an dem Modell liegt, dass eine gemeinsame theo– logische Verständigung der Glaubenssubjekte unmöglich ist, da das Problem ensteht, wie man aus der Gottesbeziehung in die Selbst- und dann in die Sozialbeziehung so „überwechseln“ kann, dass der Gehalt der Gottesbeziehung dabei nicht verloren geht. Vor dem Hintergrund relationenlogischer Analysen zeigt sich nun deutlich, worin das Problem besteht. Es geht darum, zu erkennen, dass jede Verständigung über irgendetwas misslingen muss, soll sie auf der Basis des zweistelligen Modells gedacht werden. Positiv gewendet heißt das, dass zu erkennen ist, dass die triadische Relation der Intersubjektivität das Sein des Menschen strukturiert, und zwar als eine apriorische Voraussetzung unseres In-der-Welt-Seins. In diesem Sinne ist unser Dasein als ein irreduzibel sozial strukturiertes Sein zu begreifen. Das zweistellige Beziehungsmodell scheitert auf der ganzen Linie, auch wenn es viel geleistet hat, vor allem das Festhalten an und Nichtaufgeben der beiden Hauptmotive des abendländischen Denkens, was man beinahe umsonst sucht im philosophischen Diskurs. Insofern ist das theologische Denken auch ein progressiver werterhaltender Raum gewesen. Gleichwohl kann man das Scheitern nicht vertuschen, und es gilt nicht bloß für die theologische Frage nach Gott und dem Glauben. Was nun für die Gottesbe75 Durch Einbau weiterer Triaden lässt sich das Modell beliebig öffnen und schließen und so strukturelle Komplexität erzeugen.

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ziehung des Subjekts aus rationalitätslogischen Gründen gilt, gilt aus denselben Gründen auch für die Sozialbeziehung und ebenso für die Selbstbeziehung des Subjekts: Es kann von da nach dort: von Gott zu mir, von mir zu mir, von mir zu dir, nichts mitgeteilt (kommuniziert und so partizipiert) werden. Gelingt die rationalitätslogisch motivierte Tieferlegung der Grundbegriffe nicht, kann man die von uns im ersten Teil dieser Studie mehr oder weniger ausgeführten theoretischen und praktischen Schwierigkeiten nicht vermeiden. Einige praktische Konsequenzen für die Theologie, für Kirche und Glaube haben wir dort anhand einer Diskussion verschiedener Konstellationen problemerhebend darzustellen gesucht. Nun zeigt es sich, dass und wie die relationenlogische Verallgemeinerung des Problems der strukturellen Selbstabgeschlossenheit von Subjektivität ganz grundsätzliche Fragen aufwirft, denen man nicht länger ausweichen darf. Dabei läuft alles auf die Problematik der relationenlogischen Grundlegung der theologischen Konzepte hinaus, das heißt auf das Problem der Begründung der Theologie entweder auf der Basis zweistelliger Relationalität oder aber auf der Grundlage der dreistelligen Relationalität. Das mag sehr einfach klingen. Denn die Frage suggeriert eine „bloße“ Umstellung von der Zweistelligkeit auf die Dreistelligkeit. Dies ist aber ganz und gar nicht der Fall. Es geht nämlich darum, die Veränderung in ihrer Tiefe überhaupt erst einmal zu begreifen und dann theologisch Ernst damit zu machen. Man wird dann sehen, vor welcher grundlegenden Veränderung das Denken und Tun aus der theologischen Reflexion und dem Glauben heraus stehen. Verwendet man das triadische Modell der Beziehung, dann finden wir die Antwort auf das Problem des materialen Defizits der Vermittlung in der Beziehung. Nun wird in einer ersten Annäherung verständlich, wie sich auf der Grundlage der genuin triadischen Relation das vermittlungstheoretische Problem wirklich lösen und denken lässt. Dabei wird die Frage korrigiert, wie ich mich mit dir gemeinsam über etwas inhaltlich verständigen kann, wenn jeder von uns doch immer nur das individuelle Glaubenssubjekt einer je singulären Gottesbeziehung sein kann. Zu achten ist vorallem auf das besagte Problem der Transitivität. Es zeigt sich, dass der Sozialbezug von Ego (Gottesbeziehung für mich) auf Alter (Gottesbeziehung für dich) als Kommunikation dann und nur dann gelingt, wenn die Mitteilung von Ego den anderen (Alter) so anspricht, dass sich diesem dieselbe Wirklichkeit erschließt, die den Glauben von Ego auszeichnet. Dazu ist aber mehr nötig als jedesmal nur eine individuelle Gottesbeziehung, einmal von mir und das andere Mal von dir. Denn keiner von uns kann seine individuell sich ereignende Gottesbeziehung festhalten. Wir können sie schon deshalb auch nicht in irgendein Verhältnis zueinander setzen, weder vergleichen noch gemeinsam prüfen. Niemals kommen beide singulären Beziehungsereignisse so zusammen, dass sie mir und dir gemeinsam gegenständlich werden. Das

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triadische Modell macht deutlich, dass die Partizipation an derselben Wirklichkeit Voraussetzung ihrer Kommunizierbarkeit ist. Man kann einwenden, dass nicht davon auszugehen ist, dass schon beide Subjekte an dieser Wirklichkeit partizipieren, sondern dass das eine versucht, das andere gerade deshalb zu adressieren, weil es noch nicht glaubt. Man muss also auch die asymmetrische Situation Glaube/Unglaube im Blick haben. Doch das trifft nicht den Kern des Problems. Es geht darum, zu erkennen, wie alle Menschen immer schon an Gottes Wirklichkeit partizipieren (qua Schöpfung), und dann zu erkennen, wie sie diese sie seinsmäßig setzende Wirklichkeit im Glauben nicht reflexiv affirmieren. Gottes Beziehungssein mit dem Menschen ist nicht das Erzwingen von Reflexivität, die Glauben erschließt. Also ist das adressieren einer Mitteilung von Subjekt A an Subjekt B, das nicht glaubt, dadurch begründet, dass es darum geht, die reale Wirklichkeit Gottes mit dem Menschen dem Subjekt B im Lichte des Evangeliums zu erschließen. Der Gegenstand der adressierenden Mitteilung ist also kein jenseitiger außerhalb der Welt, sondern die real sich vollziehende Geschichte Gottes mit dem Menschen mitten in unserer Welt. Diese unterscheidet sich auf sehr bestimmte Weise von anderen sozialen Wirklichkeiten im Zusammenhang gesellschaftlicher Prozesse. Das Objekt der Mitteilung von Subjekt A an Subjekt B ist also das soziale Objekt der Geschichte Gottes mit dem Menschen, das sich in der Art und Weise seines Vollzugs von anderen Vollzugsweisen in der Welt sehr genau unterscheidet. Deshalb haben wir im ersten Teil mit Wolfhard Pannenberg auf den Gedanken einer cognitio dei naturalis insita zurückgegriffen. Der Mensch kennt Gott von Geburt an (Mitsein), aber das heißt nicht schon, dass er ihn erkennt (Fürsichsein) und anerkennt. Das Fürsichsein des Mitseins eines anderen Subjekts (Intersubjektivität der Gottesbeziehung) ist nun selber ein Mitsein mit anderen, oder, mit Dietrich Bonhoeffer gesprochen, ein „Für-andereDasein). Nur so kann der Gegenstand der Rede den Subjekten gemeinsam sein, wenn sie an derselben sozialen Objektivität (der Geschichte Gottes) partizipieren und ebendies ihnen im Glauben auch für sich reflex wird, und zwar auf eine solche Weise, dass dieser Glaube existenzbestimmend ist. Diese Wirklichkeit ist die ihnen reflexiv gemeinsame (thematisch bewusst seiende) dann, wenn sie dieselbe soziale Wirklichkeit teilen, von der sie sprechen. Es ist also diese Wirklichkeit der Geschichte Gottes mit dem Menschen, die die Rede der Subjekte von ihr trägt, nämlich der Subjekte, die an ihr reflexiv (Glaube) oder präreflexiv (Unglaube) teilhaben. Ich kann Dir etwas mitteilen, weil ich mit Dir an derselben Wirklichkeit – mehr oder weniger – immer schon partizipiere. Es handelt sich also bei der Wirklichkeit Gottes nicht um eine sich nur subjektiv-kontingent eröffnende und so individuell ereignende transsubjektive Wirklichkeit einer letztlich doch bloß weltlosen Gottesbeziehung, sondern um eine genuin soziale Wirklichkeit,

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die das Subjektsein von Dir und mir immer schon theologisch sozialiter konstituiert hat. Denn wo soziale Beziehung zu ihren Bedingungen der Intersubjektivität gelungen ist, vollzieht sich die Geschichte Gottes mit dem Menschen, die ihren Inhalt für uns in dessen Mitmenschlichkeit trägt. Deshalb ist Gott ganz und gar anwesend, auch wo er dem reflexiven Glauben abwesend zu sein scheint. Denn wäre dies nicht so, dann würde die soziale Bindung zwischen Menschen zerreißen, würde die vorauseilende Gnade der sozialen Integration, die an dieser Stelle nicht mit gesellschaftlicher Integration verwechselt werden darf, desintegrieren. Der Krieg ist das verheerende Zeichen par excellence für diesen Fall. Ist aber die Wirklichkeit Gottes sein Mit-dem-Menschen-Sein in der Zwischenmenschlichkeit der intersubjektiven Beziehung, die sich als Mitmenschlichkeit realisiert, dann bildet diese Wirklichkeit auch die sachliche Grundlage für das Referieren unserer Signifikationen in Rede und Denken. Ich teile dir folglich dann die Wirklichkeit Gottes mit, weil ich zu einem gewissen Grad an ihr teilhabe und weil auch du mit ihr schon vertraut bist, auch wenn dies noch nicht für dich reflex geworden ist, so dass sich dir in mir die Beziehung Gottes zu mir und darin die Beziehung Gottes zu dir erschließen kann, das heißt reflexiv wird. Würde der Andere nicht schon irgendwie an derselben Wirklichkeit Teil haben, und zwar auch unwissentlich ohne reflexive Zustimmung und Anerkennung, dann könnte ich nur über Gott zu ihm reden. Erschließt sich nun Alter die Wirklichkeit Gottes in der Anrede von Ego, die nicht der Subjektivität des Ich aus einer irgendwie unvorgreiflichen Gottesbeziehung entstammt, sondern sich als bestimmte soziale Wirklichkeit im adressierenden Subjekt dem adressierten Subjekt darstellt, dann erschließt sich diesem sein eigenes In-der-Welt-Sein in der Anrede des ihm zum Du gewordenen Subjekts geschichtlich-konkret und eben so von Grund auf ganz neu. Dieser Erschließungsvorgang kann Aspekte oder gar die ganze anthropologische Struktur des Menschseins betreffen, sein Denken, Handeln, Erleben und Fühlen. Natürlich kann dieser Prozess und wird dieser Prozess ambivalent sein und unter den Bedingungen der Sünde – der „verkehrten Welt“ – immer nur fragmentarisch gelingen können. Aber die Wirklichkeit Gottes setzt sich auch unter diesen Bedingungen der Ambivalenz mit den Subjekten und so für sie als eine reale Geschichte der Versöhnung fort. Sie betrifft nicht immer „ganze Subjekte“, sondern vollzieht sich als Geschichte mit den Subjekten auch quer (cross over), also so, dass sie sich situationsgebunden als Semiose realisiert. Ich mag in der Regel der Kommunikation des Glaubens im Wege sein, sie durch mein Handeln und Sprechen unterbrechen. Doch gelingt es mir aufgrund einer Situation, die mich für den Moment hinreichend stark bestimmt, an auch nur einer Stelle, und sei es schwach, so zu handeln, dass dieser Vorgang zum kommunikativen Zeichen für ein anderes Subjekt wird, das dadurch heilsam

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Die Subjektzentriertheit des dyadischen Modells

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verändert wird, und sei dies auch wieder nur für den Moment einer kurzen lebensweltlichen Episode, so mag doch auch diese Episode des durch mich bestimmten anderen Subjekts selbst wieder die Kraft der Existenzbestimmung hinsichtlich eines weiteren Subjekts haben und so fort ohne Ende. Damit zeigt sich die subjektive Unverfügbarkeit der Kommunikation des Glaubens, die schon in der Struktur der Intersubjektivität liegt und sich geschichtlich als Semiose vollzieht. Wird also in der Kommunikation der Andere auf diese Weise in seinem personalen Dasein intersubjektivgeschichtlich76 neu bestimmt, wie stark dies auch sein mag, dann findet dies seinen komplexen Ausdruck in seinem In-der-Welt-Sein, und zwar als ein geschichtlich-semiotischer Ausdruck, der zeigt, dass diese Wirklichkeit sich in keiner Weise selbst genügt, sondern an sich kommunikativ ist. Das so neu bestimmte Subjekt wird darin zum kommunikativen Zeichen der Wirklichkeit Gottes mit dem Menschen. Diese kommunikative Geschichte vollzieht sich also als Semiose in der reflexiven Struktur von Anrede–Antwort.77 2.3.2 Die Subjektzentriertheit des dyadischen Beziehungsmodells Die Subjektzentriertheit des dyadischen Modells 2.3.2.1 Der Ausweg der Vermittlung als Einkehr Gottes in die Geschichte Das zweistellige Beziehungsschema vermag nicht nur nicht, den Menschen der Gottesbeziehung mit dem Menschen der reflexiven Selbstbeziehung sowie dem Menschen der doppelt reflexiven Sozialbeziehung zu vermitteln, so dass der Mensch als Beziehungswesen „ganz“ bleiben könnte, das heißt in der komplexen relativen Einheit seiner personalen Integrität unversehrt. Es vermag vielmehr auch schon nicht, den Menschen der Gottesbeziehung mit dem Gott der Gottesbeziehung, obwohl sie in einer Beziehung stehen, gehaltvoll zu vermitteln, und also noch ehe es zur Frage nach der anthropologischen Einheit der relationalen Aspekte (Selbstbezug, Sozialbezug, Weltbezug) des Menschseins kommt. Denn diese Beziehung bezieht nur, ohne zu vermitteln. Es gibt keine dritte Hinsicht der unmittelbar aufeinander Bezogenen, in der sie sich, füreinander werdend, begegnen könnten. Das Schema der Beziehung gibt dies nicht her. Es verharrt in der Formalität des Beziehens der Bezogenen. Die so formal aufeinander Bezogenen der Beziehung kommen nicht in die materiale Bewegung ihrer Vermittlung, sondern bleiben sich ihrem Gehalt nach gerade in ihrem Aufeinanderbezogen76 „Intersubjektiv“ steht für die Form des Menschseins = Zwischenmenschlichkeit, „geschichtlich“ für den Inhalt dieser Form = Mitmenschlichkeit, damit aber auch für den Grad ihrer reellen Erfüllung in der sozialen Wirklichkeit der Welt des Menschen. 77 Es ist das, was mit „Anrede-Antwort“ gemeint ist, nicht kognitiv zu verengen, sondern (anthropologisch) als das ganze Sein des Menschen an–gehend zu begreifen.

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Formalismus und Realismus der Relationalität

sein einander strikt äußerlich. Ihre Beziehung ist erst die unmittelbare. Sie bleibt linear und so für die Bezogenen irreflexiv. Was sich an ihnen ereignen mag, kann nicht auch für sie werden. Die zweistellige Relation als solche ist natürlich reflexiv hinsichtlich ihrer relativen Glieder, also an ihnen. Aber die Reflexivität dieser Beziehung ist eben die der Relation an den Relaten. Die Reflexivität der Beziehung wird dadurch noch nicht zur Reflexivität für die Bezogenen. Das, was an ihnen passiert, passiert noch nicht für sie, geht noch nicht in ihre interne Selbststruktur reflexiv gehaltvoll ein. Denn dies würde eine Beziehung auf die Beziehung (Beziehung der Beziehung) voraussetzen, so dass die Reflexivität der Relation an den Relaten nun auch für die Relate selbst reflexiv werden kann. Damit dies geschehen kann, ist eine dreistellige Beziehung vorauszusetzen. Erst diese ermöglicht den (relativen) „Kurzschluss“ der Beziehung als Beziehung mit ihren relativen Gliedern (Relate). Zu unterscheiden ist also die Reflexivität der Relation an sich und die Reflexivität der Relation für sich. Letztere ist eine Reflexivität nicht nur an den Relaten, sondern mit den Relaten für die Relate. Das heißt, diese Form der Reflexivität der Relation weist einen epistemologischen Aspekt auf. Nicht kann sich die Relation als Relation auf sich beziehen, sondern sie kann sich auf sich nur in ihren Gliedern beziehen.

Vermittlung wird also zum zentralen Thema und ist die eigentliche Herausforderung, der sich die Theologie stellen muss. Diese hat im Vollzug des (insgesamt neuzeitlichen) Wechsels der Paradigmen erkannt, dass für sie beide Motive (Sein, Erkennen) konstitutiv und unaufgebbar sind. Sie hat unter dem Druck dieser grundbegrifflichen Situation der Umstellung von (ontologischem) Sein auf (subjektlogisches) Erkennen zur Kategorie der Gottesbeziehung gefunden, die beiden Aspekten ein motivisches Recht einräumt, indem es dieser gelingt, als Beziehung beide Motive zumindest aufeinander bezogen zu halten. Der Gedanke selbst lässt sich aber nicht widerspruchsfrei durchführen, da die Beziehung immer wieder auf eine ihrer beiden Seiten zurückfällt, der Standpunkt, der den Gedanken zu fassen sucht, sie als ganze nicht angemessen festhalten kann. Sie hat aber noch keine Antwort auf das Vermittlungsproblem finden können, insbesondere deshalb nicht, weil sie auf der Basis ihrer operativen Grundbegriffe die eigene Aporie noch nicht mit ebendiesen Grundbegriffen in einen wesentlichen Zusammenhang gebracht hat. Dabei ist zu bedenken, dass eine Vermittlung der göttlichen Wirklichkeit und der des Menschen zwar grundsätzlich die ganze Seinsstruktur des Menschen betreffen können muss und nicht nur einen strukturellen, zum Beispiel kognitiven Aspekt (Gedanken statt Handlungen, oder Gefühle statt Gedanken und so weiter), dennoch aber nicht notwendigerweise das ganze Sein des Menschen auch wirklich jedesmal bestimmt wird. Das Sein des Menschen soll also als ganzes bestimmt werden, aber „normalerweise“ ist dies nicht der Fall. Der Geschichte Gottes mit dem Menschen gelingt es oft

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Die Subjektzentriertheit des dyadischen Modells

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nur fragmentarisch und auf ambivalente Weise, das Dasein der Menschen in ihrem In-der-Welt-Sein der eigenen Wirklichkeit gemäß zu bestimmen. Erfasst sie den Menschen, dann bedeutet dies nicht gleich, dass sie ihn als ganzen Menschen in allen seinen Aspekten integrieren konnte und nach seinem ganzen Sein für die eigene Geschichte gewonnen hat. Der Mensch kann seiner ganzen anthropologisch relevanten Seinsstruktur nach der Geschichte Gottes, die ihn angeht, respondieren und so, semiotisch gesprochen, zum kommunikativen Zeichen dieser Geschichte werden (in Fühlen, Handeln, Denken). Seiner existentiellen Seinswirklichkeit nach ist er aber ambivalent bestimmt, und zwar im Sinne der Vieldeutigkeit seines In-derWelt-Seins. Vermittlung vollzieht sich so als ein fragmentarisches Geschehen zwischen dem Sein Gottes – das zunächst als das praktische Subjekt der Beziehung und als das theoretische Objekt für den Menschen gedacht war – und dem Subjekt des Menschen – das zunächst als das praktische Objekt der Beziehung und als das theoretische Subjekt der Erkenntnis gedacht war – , und das heißt als ein geschichtlicher Prozess, der im Werden begriffen ist. Die Differenz zwischen „Ist“ und „Soll“ bezeichnet den geschichtlichen Prozess der Realisierung der sozialen Wirklichkeit Gottes mit dem Menschen in der Spannung zwischen status corruptionis und status gratiae, zwischen der Wirklichkeit der Sünde der in sich verkehrten Welt und der Heilswirklichkeit des Glaubens der versöhnten Welt. Das „Soll“ ist das der Liebe Gottes selbst und folglich kein äußerer Imperativ, sondern ein geschichtlich konkretes Leiden und Mitleiden an der Welt und mit dem Menschen um der Welt des Menschen willen. Das eschatologische Soll, das sich als Sollen nicht moralisch auf das einzelne Individuum richtet, sondern auf diejenige Wirklichkeit bezieht, deren Struktur die Sünde ist, bezeichnet dabei die Idee der versöhnten Wirklichkeit des Menschen mit seinem Schöpfer, Versöhner und Vollender. Diese Idee ist nicht abstrakt, sondern die konkrete einer ganz bestimmten Wirklichkeit, die diese Idee real vollzieht. Ihr Ideesein liegt darin, dass noch nicht die ganze Wirklichkeit des Menschen versöhnt ist und das Leiden daran die Idee davon negativ bestimmt.78 Die existentielle Situation des Menschen ist hinsichtlich seiner Wirklichkeit also hoch ambivalent, mehrdeutig, vage und, was den Glauben von Personen angeht, äußerst zerbrechlich. Es kann nicht darum gehen, alle Wirklichkeit des Menschen als „Welt“ gegen die dazu unvermittelte andere Wirklichkeit „Gott“ abstrakt abzugrenzen, so dass Gott nun in einem weltlichen Sinne nicht mehr wirklich sein kann, sondern in eine eigene Wirklich78 Dies ist eine theologische Aufnahme der negativen Dialektik von Theodor W. Adorno. Der Glaube weiß aber konkret um die Bestimmtheit der bestimmten Negation. Die bestimmte Negation der negativen Dialektik ist deshalb theologisch alles andere als abstrakt oder ideell, sondern ganz und gar reell. Vgl. auch die Schlussbetrachtungen dieser Studie.

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keit jenseits dieser Welt abgedrängt ist. Diese logisch zweiwertige Hypostasierung Gottes und der Welt in ein Jenseits und Diesseits funktioniert nicht widerspruchsfrei, sondern führt geradewegs in das uns bekannte Dilemma, dennoch von der Wirklichkeit Gottes reden zu müssen. Dieser Sachverhalt lässt dann nur noch die Wahl, entweder die „Wirklichkeit“ Gottes als subjektive Konstruktion (Projektion) vollständig preiszugeben oder aber das zugrundeliegende Modell zu überwinden. Wir haben schon einige Argumente angeführt, weshalb das Modell rationalitätslogisch zu überwinden ist, und dies mit guten theologischen Gründen.79 2.3.2.2 Die Einheit der Unterscheidung als Widerspruch des Subjekts Da die Wirklichkeit der Gottesbeziehung auf der Grundlage des zweistelligen Modells der Relation nicht widerspruchsfrei gedacht werden kann, es sich vielmehr um die Form der petitio principii handelt, indem die Wirklichkeit der Beziehung nur subjektlogisch unterstellt wird, fällt man auf das Problem zurück, dass der Glaube des Menschen zwischen Sein und Erkennen oszilliert (GottesbezugқWeltbezug), ohne noch die Einheit der Unterscheidung angeben zu können.80 Kann man aber die Einheit der Unterschei79

Die Kritik an dem zweistelligen Modell der Gottesbeziehung und die Aussicht auf die Rekonstruktion der Gottesbeziehung als eine dreistellige Relation, nämlich als soziale Gottesbeziehung mit dem und so für den Menschen, nimmt die Argumentationslinie zum Atheismus/Theismus Streit in neuer Weise auf, so wie sie Eberhard Jüngel in seinem Buch „Gott als Geheimnis der Welt“ grundlegend vorbereitet hat. Der Gewinn theologischer Realität, der ja keiner der Theorie ist, sondern ein theoretischer „Gewinn“ der geschichtlichen Wirklichkeit Gottes mit dem Menschen, gibt der religions- und christentumskritischen Debatte einen für den Glauben und die Theologie ganz neuen Horizont der Diskussion und praktischen „Einmischung“, da nun nicht mehr auf subjektiv-individuelle Ereignisse verwiesen werden muss, die sich ultimativ jedem kognitivepistemischen und damit sodann auch angemessenen praktischen Zugang des weltlichen Glaubens entziehen müssen, sondern nun mit einer realen sozialen Wirklichkeit gerechnet werden kann, die sich als Geschichte Gottes mit dem Menschen erfahrbar vollzieht, und das heißt gläubige und theologische Rede ausweist und begründet. 80 Diese Problematik ist aus differenztheoretischen Gesichtspunkten interessant, und es war Niklas Luhmann, der im Rahmen seiner „soziologischen“ Systemtheorie die daraus zu ziehenden Konsequenzen erkannt und ausgesprochen hat. Die Theologie kann im Blick auf ihre eigenen theoretischen Strategien in dieser Hinsicht sehr viel von dem Denken Luhmanns lernen. Wir sagen nicht, dass sie dadurch ihre rationalitätslogischen Probleme lösen wird. Aber sie wird so lernen können, sie zu sehen. Für Luhmann ist die Differenz die zweistellige Relation, und ihre Einheit ist die Einheit (Beziehung) der Unterschiedenheit (der Bezogenen) und lässt sich gerade nicht aus der Relativposition eines Systems (in unserem Fall: des Subjekts) wiederherstellen. Er sieht allerdings nicht nur dies, sondern auch, dass dieser Gedanke selbst eben dieser Bedingung unterliegt, das heißt das Systeme (für uns wieder: Subjekte) immer nur ihre eigene, selbsterzeugte Realität operativ erzeugen, strukturell stabilisieren und reflexiv erkennen. Die Rede der Unterscheidung von Innen und Außen ist eben Rede innen. Damit kommt zum Ausdruck, dass der Grund (= das Systeminnen), auf dem diese Aussage getroffen wird, weniger ist als die Voraussetzung (der Differenz von Innen und Außen), die sie unterstellt. Die Idee der Differenz zwischen System und Umwelt kann nur systemintern erzeugt werden! Luhmann kritisiert mit eben diesem selbstkriti-

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dung, das heißt die Beziehung der Bezogenen als Beziehung, nicht als solche festhalten, dann fällt man immer wieder zurück auf einen (von beiden) relativen Standpunkt des Bezogenseins, und in unserem Fall natürlich auf den Standpunkt des menschlichen Subjekts des Glaubens, da der Mensch sich nicht jenseits seiner selbst widerspruchsfrei verorten kann. Diese Differenz, die der Mensch nicht als Einheit festhalten kann, bildet sich also an ihm ab, wie wir anhand des Glaubensbegriffs gezeigt haben. Theologisch bedeutet dies, dass er sich entweder im ontologischen Gottesbezug oder aber im epistemologischen Selbst- und Weltbezug befindet. Da der Mensch Subjekt der Rede und des Denkens nur sein kann, wenn er einen Bezug zu sich selbst beziehungsweise zur Welt (zu anderen) hat, fällt die ursprünglich komplexere Relation der Gottesbeziehung in sich und auf die eine Seite der Beziehung, die des Subjekts der Erkenntis, zusammen. Die Zweistelligkeit implodiert immerzu in die Einstelligkeit der einen Position, die sich dem Glauben als die des innerweltlichen Menschseins darstellt. Der Gedanke und die Rede von der Gottesbeziehung kommen so einem circulus vitiosus gleich, indem denkend und redend (subjektlogisch/soziologisch), das heißt performativ vorausgesetzt wird81, was diesem Denken und Reden sachlich allererst Grund und Wahrheit verleihen soll. Die sachlich vorausgesetzte Bedingung der eigenen Rede und des eigenen Denkens wird demnach redend und denkend unterstellt: nämlich als die Wirklichkeit der Gottesbeziehung, die sich nicht-wirklich im Sinne der menschlichen Wirklichkeit, sondern als individuelles Ereignis zwischen Gott und Subjekt unwirklich wirklich (weltlos) soll ereignen können. Die behauptete Voraussetzung (der Gottesbeziehung) wird also als Geltungsschen Argument die Ansprüche des sogenannten radikalen Konstruktivismus, der, so vermutet er, noch nicht radikal genug ist, um die Reste gewisser und naiv mitlaufender ontologischer Prämissen zu überwinden. Vgl. Luhmann, Wissenschaft der Gesellschaft, 510ff. „Denn wenn Erkenntnis nichts anderes ist als eine Konstruktion, dann gilt dies natürlich auch für eben diesen Satz; und es gilt erst recht für die übliche Kausalbegründung selbst. Ein Argument für Konstruktivismus kann deshalb nur aus einer Explikation der Probleme der Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung beobachtender Systeme gewonnen werden; und in einem derart ‚heißen’ selbstreferentiellen Kontext lösen die Prämissen üblicher wissenschaftlicher Beobachtung erster Ordnung […] sich auf.“ (ebd. S. 512) 81 Subjekt setzt den Gedanken „Gott als Beziehungswirklichkeit“ voraus. Es ist seine Setzung, die die Unzugänglichkeit der „eigentlichen“ Gottesbeziehung bedeutet. Es wird also eine ideelle Intention des Subjekts vollzogen, die als Intention den Gedanken auch noch der reellen Transzendenz impliziert, aber eben als eines immanenten Gedankens. Die Realität der Transzendenz ist so immer nur die von mir gedachte Realität. Karl Rahner spricht in diesem Zusammenhang von einem Ausschau halten, einem Bereitsein. Aber auch dies sind doch wieder nur Funktionen des bereits vorausgesetzten subjektlogisch erzeugten Gedankens. Auch der hoch reflexive Gedanke der Unerreichbarkeit und der Kontingenz der Bezugnahme Gottes ist nichts als wieder nur eine Setzung des Subjekts, das mittels dieser auf eine solche angeblich subjekttranszendente Wirklichkeit verweist. Dieser Verweis ist der auf eine innere Subjekttranszendenz, auf eine, wie Gotthard Günther es nennt, Intraszendenz.

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grund dafür in Anspruch genommen, eine solche Voraussetzung behaupten zu dürfen. Die Voraussetzung setzt sich so nur selbst voraus. Sie setzt sich selbst in Geltung. Sie ist Behauptung und Begründung zugleich: Begründung ihrer eigenen Behauptung. Diesen Widerspruch kann die Theologie nicht auflösen, solange sie das tiefergehende Problem der Fundierung der eigenen Grundbegriffe rationalitätslogisch nicht klärt. Denn das denkende und redende Subjekt erreicht nicht eine solche vor-subjektive Wirklichkeit, von der her es dann sachgemäß argumentieren könnte, weil die zweistellige Relationalität diesen Zugang nicht gewährt und weil das Subjekt selbst nicht diese Beziehung ist oder an ihr so Teil haben kann, dass sie ihm zueigen wird. Was also bleibt, um von dem zu reden, was das Subjekt als eine solche Wirklichkeit behauptend unterstellt, ist das Subjekt und seine Behauptung selbst; oder auch seine Bezüge jenseits der Gottesbeziehung, deren Idee sich diesseits im Zusammenhang aller übrigen, das heißt weltlichen Bezüge des Subjekts erzeugt. Wie soll die Relation als Relation dem Subjekt kognitiv-epistemisch – im weitesten Sinne des Wortes – zugänglich sein, wenn es entweder in dieser Relation (Gottesbeziehung) steht, dadurch aber gewissermaßen außerhalb seiner Selbstbeziehung als derjenigen Form, die allein Grundlage einer kognitiven Aneignung des Subjekts von etwas für sich82 sein kann, oder aber in einer Selbstbeziehung, dadurch aber nur außerhalb der Gottesbeziehung steht, die doch allein die Wirklichkeit des Glaubens des Subjekts zu verbürgen imstande sein soll?

2.3.2.3 Das subjektlogisch entschiedene Oszillieren zwischen Sein Gottes und Glaube an Gott 1. Die Beziehungskategorie transzendiert zwar vom Ansatz her thematisch die unzufriedenstellende Alternative von „Sein oder Erkennen“, findet jedoch an sich noch keinen hinreichenden Halt, die Beziehung aus der Beziehung – genauer: die Beziehung der Bezogenen aus der Beziehung der Bezogenen heraus – und so auf angemessene Weise als Beziehung zu begreifen. Denn will man sie auf Begriffe bringen, ist man aus ihr herausgefallen auf einen epistemischen Standpunkt jenseits von ihr. Denn sie lässt einen Bezug auf sich als Beziehung nicht zu, wie oben argumentiert. Wie ist also für mich,

82 Man bemerkt allerdings – und wir haben früher schon einmal darauf hingewiesen – , dass es sich um drei Aspekte handelt, will man einen sachhaltigen Selbstbezug erreichen. Denn die Rede ist von einer kognitiven Aneignung des Subjekts von etwas für sich selbst. Radiert man die dritte Stelle aus, dann bezieht sich das Subjekt nur noch auf sich, ohne dass ihm ein Inhalt zueigen werden könnte, der mehr wäre, als nur es selbst. Dadurch ist aber Wachstum und Entwicklung der Selbstidentität der Person nicht mehr denkbar. Es regrediert zu einem weltlosen, solitären, ja geradezu autistischen Ich, das weder Welt noch Gott kennen kann.

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als Bezogenem, der Standpunkt der Beziehung denkbar? Was bleibt, ist doch letztlich immer nur die subjektlogisch gegründete formale Behauptung einer solchen Beziehung. Selbst die Voraus-Setzung einer solchen Wirklichkeit als transsubjektiver ist nichts anderes als nur der Gedanke einer derartigen Wirklichkeit – ein Gedanke des Subjekts oder Begriff des sozialen Diskurses. Dieser Ansatz kommt dem Rechnen mit einer Wirklichkeit gleich, die man gedanklich zuvor selbst eingeführt hat, um dann auf ein individuell verifizierendes Erfüllungsereignis zu setzen, das induktiv bestätigt, wovon man ausgegangen ist. Aber wir wissen bereits: Selbst wenn ein solches Experiment gedanklich zugestanden wird, wird dadurch die Problematik nicht gelöst, sondern lediglich verschoben, und zwar aus dem sozialen Begründungszusammenhang in den subjektiven des Subjekts vor sich selbst. Was man sozial nicht begründen kann, könne man selber erfahren, aber nicht mehr ausdrücken noch beweisen. Die „Wirklichkeit“ der Beziehung wird so jedenfalls nicht erreicht. Der Gedanke von ihr regrediert immerfort auf die Behauptbarkeitsbedingungen des Subjekts, die selber nichts dergleichen zu begründen imstande sind. Sie ist so nicht die Wirklichkeit der Beziehung, sondern die Wirklichkeit des Subjekts. Will man den Gedanken denken, dass die subjektive Behauptbarkeit doch gerade aus dieser Gottesbeziehung lebt, dann kann die subjektive Behauptung nur Bestand haben, wenn sich die Gottesbeziehung dem Subjekt auch gehaltvoll mitteilt. Dies setzt aber die triadische Relationsform voraus. Man muss dann aber auch bereit sein, die theologischen Konsequenzen zu tragen, indem der Advent Gottes kein bloß historisch objektives Ereignis in der Welt oder ein bloß subjektives Ereignis der Gottesbeziehung des Individuums ist, sondern eine kontinuierlich sich vollziehende geschichtliche Wirklichkeit mit dem Menschen, mit der man reale und also konkrete innerweltliche Erfahrungen machen kann. Dann steht aber auch die genaue Interpretation der Wirklichkeit der zweiten Person Gottes auf dem Spiel und damit die angemessene christologische Interpretation der einen Person Jesus Christus. Einer solchen dynamisch-relationalen Interpretation kam die ekklesiologische Konzeption Dietrich Bonhoeffers nahe, der „Christus als Gemeinde existierend“ zu denken suchte.83

2. Die Theologie vermag keinen anderen Ausweg zu finden als den, der das Subjekt des Glaubens ins Zentrum stellt, um von Gott zu reden. Dieser ist ja nicht einfach gegenständlich gegeben und wie ein Ding da. Der Rückgriff auf die subjektlogische Kategorie als das letzte Fundament der eigenen Aussagen verweist schlichtweg darauf, dass ein seinsmäßiger Zugriff auf oder Zugang zu Gott ohne Subjekt oder an Subjekt vorbei nicht statthaben kann. Dennoch gewinnt man auf diesem Wege des theoretisch letztlich

83 Vgl. seinen frühen theologischen Ansatz in „Sanctorum Communio“ sowie vor allem „Akt und Sein“.

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verzweifelten Versuchs, an der Wirklichkeit Gottes unter den Bedingungen des Glaubens festzuhalten, eine Einsicht von entscheidender Bedeutung: Sie besteht darin, dass das Subjekt des Glaubens sein Verhältnis zu Gott nur als lebendige, seine Existenz betreffende und so bestimmende Beziehung denken kann. Der Glaube ist kein ontologisch fest-gestelltes Weltbild, noch ist er subjektlogischer Entschluss zu einem Weltbild. Der Gedanke der Gottesbeziehung, indem er an beiden rationalitätslogischen Grundmotiven des Seins und Erkennens gleichermaßen festhält, gewinnt also eine wertvolle selbst-kritische Dimension. Sowohl weltbildliche Festlegungen als auch willentliche Aneignungen eines Weltbildes durch einen subjektivem Entschluss wären nun nämlich theologisch nur dann als fundiert zuzugestehen, wenn sie sich aus der Beziehung Gottes mit dem Menschen ableiten könnten. Anderenfalls erstarrte das ontologisierende Weltbild zur Ideologie und der „freie Entschluss“ verkäme zur subjektiven Willkür oder zur Funktion kontingenter Sozialisierungsprozesse, die sich im Rücken der Subjekte mit ihnen abspielen. Die Kategorie der Gottesbeziehung wird also das Bindeglied zwischen Seinsbegriffen (Inhalt) und Subjektbegriffen (Freiheit) des Glaubens eingefordert, die beide zu substantiieren überhaupt erst in der Lage ist. Sie bleibt deshalb das entscheidende Kriterium theologischen Denkens auch unter der Form des Subjekts. Erst beide Motive zusammengenommen können diejenige christliche Freiheit (ontologischer Gehalt und subjektlogische Freiheit) ergeben, von der wir in Teil eins gesprochen haben. An der Kategorie der Gottesbeziehung muss sich theologisches Denken messen lassen, und an ihr entscheidet sich seine kritische Leistungsfähigkeit. Unabhängig also davon, dass aufgrund der formalen Unmittelbarkeit beide Seiten einander äußerlich bleiben müssen und damit die Möglichkeit der inhaltlichen Explikation der Gottesbeziehung auf der Seite des Erkenntnissubjekts des Glaubens de re nicht gegeben ist, sondern eben nur de dicto behauptet werden kann, ist mit der Kategorie der Gottesbeziehung der Theologie ein damit verbundenes, kaum zu überschätzendes selbstkritisches Potential gewonnen. Denn die Einsicht, dass das Subjekt nicht die Beziehung ist, bringt das Subjekt in Bezug auf den theologischen Gegenstand des Glaubens zu sich selbst auf kritische Distanz. Seine Rede von Gott wird durchschaut als immer nur indirekte Rede, die niemals direkt aus der Beziehung sprechen kann. Denn immer ist das, was man sagt, durch das, was in der Gottesbeziehung geschieht, unter einen grundsätzlichen Vorbehalt (Epoche) zu stellen. Das Problem, das sich nun ergibt, ist, dass die Kritik auf diese Weise abstrakt bleibt, weil sie selbst nicht als die aus der Beziehungswirklichkeit kommende konkret werden kann, das heißt sachlich bestimmte Rede des Glaubens ist. Sie ist also nicht in der Lage, die Wirklichkeit Gottes „positiv“ zu bestimmen. Sie ist und sie bleibt so die Kritikleistung des sich selbst zurücknehmenden Subjekts und somit doch

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wieder nur selbstgegründete, nicht verdankte und deshalb letztlich nicht theologisch bestimmte84, Kritik. Diese allerletzte Subjektzentriertheit ist demgemäß auch noch gegen den schärfsten Kritiker jeder subjektzentrierten Theologie kritisch einzuwenden – Karl Barth. Denn das Subjekt kann sich gar nicht selbst überwinden, selbst in der stärksten und absolutesten Negation seiner selbst, so wie der Mensch nicht nicht-menschlich reden kann, sondern vielleicht unmenschlich. 3. Es bleibt also dabei, dass das Subjekt des Glaubens auch unter der „Idee“ der Gottesbeziehung als der grundlegenden theologischen Kategorie im Zentrum des theologischen Denkens bleibt: als das gläubige Subjekt der Gottesbeziehung. Da die Beziehung auf der Subjektseite „de re“ nicht repräsentiert werden kann, gleichzeitig jedoch die beiden Grundmotive des Seins und des Erkennens aus theologischen Gründen nicht aufgegeben werden dürfen – was durch die Kategorie der Beziehung geleistet sein soll – fällt die zentrale Aufmerksamkeit notwendigerweise dem Subjekt der gedachten Beziehung zu, da nur von ihm her über die Gottesbeziehung (de dicto), gesprochen werden kann. Es bleibt die Subjektposition allein übrig, aus der die Gottesbeziehung „reflektiert“ werden kann, die aber gerade durch das Ereignis der Gottesbeziehung überwunden werden soll, wenn der gläubigen/theologischen Rede ein „de re“ Bezug zukommen können soll. Der „de re“ Bezug (Gottesbezug des Glaubens) lässt sich aber nur als Auflösung des „de dicto“ Bezugs (Weltbezugs des Glaubens) denken und umgekehrt. Da also die ontologische Seite der Relation (Gott) nicht ohne Subjekt (Glaube) thematisch werden kann, ergibt sich eine faktische Asymmetrisierung der relationalen Differenz von Gott und Glaube nun zugunsten des Glaubenssubjekts der Beziehung. Die ontologisch unterstellte Asymmetrie zugunsten Gottes ist so konterkariert durch die subjektlogische Asymmetrie zugunsten der Position des Subjekts. Denn es ist das Subjekt, das Gott diese ontologische Stellung einräumt, indem es sie für sich denkt und gegenüber anderen behauptet. Die Relation wird also wieder auf den Standpunkt von Subjekt zurückgeführt. Aus dieser rationalitätslogischen Situation heraus ergeben sich nun zwei relationale Sequenzen: Gott bezieht sich auf das 84 Eine ähnliche Problematik finden wir bei Theodor W. Adorno und seiner normativen Konzeption der negativen Dialektik, die sich nicht ohne das, was er die „bestimmte Negation“ nennt, vollziehen lässt. Die bestimmte Negation (Kritik) ist die Funktion einer bestimmten Wirklichkeit, die einer anderen konkret widerspricht. Die abstrakte Negation (Kritik) ist Negation ohne einen solchen konkreten Hintergrund, der die Negation inhaltlich bestimmen kann. Für Adorno ist freilich festzuhalten, dass die der bestimmten Negation innewohnende „negative Position“ nicht selbst zur geschichtlichen Konkretion kommt. Den Theologen interessiert an dieser Stelle, weshalb dies der Fall ist. Was ist der Hintergrund, den Adornos bestimmte Negation immer schon voraussetzt, will sie auch wirklich, und nicht bloß ideell, die bestimmte sein können?

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Subjekt = „ontologische“ Gottesbeziehung der Glaubensbeziehung: Gott–Subjekt (1); Subjekt bezieht sich auf sich selbst oder auf ein anderes Subjekt, um (für sich, gemeinsam) die Gottesbeziehung zu reflektieren = epistemologische Beziehung: Subjekt–Subjekt (Selbstverhältnis und/oder Sozialverhältnis) (2). In der ersten ist Gott das (praktische) Subjekt und der Mensch sein Objekt, in der zweiten ist der Mensch das (theoretische) Subjekt und Gott sein Glaubensobjekt. Der Mensch ist so aber an sich nicht, weder theoretisch noch praktisch, theologisch als Subjekt validiert, sondern eben immer nur als Subjekt der Welt. Seine praktische Subjektivität (sein Handeln in der Welt) ist folglich die außertheologische, das heißt psychologisch/soziologisch gegründet, ebenso wie seine theoretische Subjektivität (seine Gottesrede beziehungsweise sein Gottesgedanke) außertheologischer Natur ist. Der fundamentalontologische Riss verläuft demnach mitten durchs Subjekt, zwischen Subjektivität (Gottesbezug) und Subjektivität (theoretischer und praktischer Weltbezug), so dass sich logisch immer nur die eine „Hälfte“ als Subjektivität behaupten kann, während die andere ihr zum Objekt gerinnt. Denn entweder ist die Subjektivität des Menschen Objekt des Beziehungshandelns Gottes, oder die Subjektivität Gottes Objekt der (deutenden) Weltbeziehung des Subjekts. Damit ist der Bruch in der Glaubenssituation des Menschen auf den Punkt gebracht, indem der Mensch der Gottesbeziehung nur das Subjekt als das Objekt der göttlichen Handlung zu sein vermag, sowie dann umgekehrt zu dieser ontologischen Äußerlichkeitsrelation nun Gott als das Subjekt der Beziehung dem subjektiven Glauben des Menschen nur noch das Objekt sein kann, so dass sich die Äußerlichkeitsrelation also epistemologisch wiederholt. Denn der Glaube, der sozial von Gott spricht oder ihn subjektiv denkt, ist nicht mehr der primordiale Glaube der Gottesbeziehung selbst, sondern der Glaube im Weltbezug (Selbstbezug, Sozialbezug), der an Gottes Subjektivität nicht heranreicht, sondern „sie“ – denn schon die Idee von „Gottes Subjektivität“ wäre nun de dicto, also weltlich, konstituiert – den eigenen Möglichkeiten gemäß immer nur objektivieren kann. Gott wird also nicht als er selbst repräsent, sondern als das, was wir seinem Wortzeichen signifikativ einlegen. Die Vokabel wird zur semiotischen Folie semantischer Konstitutionsleistungen, die sich nicht aus der Gottesbeziehung selbst begründen lassen, sondern Grundlagen ganz anderer Art voraussetzen, seien diese nun subjektlogischer und/oder soziologischer Natur. Und so geschieht es dem menschlichen Subjekt des „Glaubens“, das Gott gegenüber letztlich gar nicht mehr als Subjekt zum Zuge kommt, sondern in der Gottesbeziehung reduziert wird auf das Objekt des göttlichen Handelns an ihm. Es nimmt also nicht als Subjekt an der Beziehung Teil, so dass sie ihm als Beziehung letztlich doch äußerlich bleiben muss. Dies ist auch dann noch der Fall, wenn Theologie alle möglichen konzeptuellen Anstrengungen unternimmt,

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diese Konsequenzen, so sie denn in den Blick kommen, interpretativ auszuräumen. Abhilfe ist auf diesem Wege nicht zu erreichen, sondern nur dann, wenn man sich auf die rationalitätslogische Grundlagensituation theologischen Denkens wirklich einlässt und erkennt, dass das implizit unterstellte Modell der Gottesbeziehung nicht hinreicht, theologisch angemessen zu denken. Die Leistung des Beziehungsthemas unter der benannten formalen Voraussetzung besteht also darin, an beiden für die Theologie konstitutiven Motiven, dem des ontologischen Seins sowie dem des subjektlogischen Erkennens, nicht nur festzuhalten, sondern sie einem eigenständigen konzeptuellen Rahmen zuzuordnen, der beide Themen gleichermaßen zumindest formal motiviert. Die Möglichkeit eines genuinen und also sachhaltigen Zugangs zum Problem der Beziehung als Beziehung lässt sich auf diesem Wege aber nicht gewinnen. Das Subjekt mag formal – der Idee nach – zwar als das bezogene gedacht sein, die Beziehung als Beziehung wird ihm aber dennoch nicht zueigen. Es findet gewissermaßen keinen Grund an sich selbst, die Beziehung selbst als Beziehung zu denken. Denken (Subjekt) und Sein (Objekt) müssten vielmehr beide gleichermaßen Teil der Beziehung sein können, aber eben so, dass sie sich material nicht ausschließen, sondern zur gehaltvollen Vermittlung kommen. Das Subjekt müsste also hinsichtlich seiner anthropologischen Struktur, die die formale Einheit seiner Personalität ausmacht, ein konkreter Teil der Gottesbeziehung werden können, so dass das In-der-Beziehung-Sein des Subjekts nicht das Denken des Gehalts der Beziehung durch das Subjekt, das heißt das Für-michWerden derselben, per se ausschließt. Die Beziehung müsste deshalb nicht allein seinslogisch, sondern zugleich reflexionslogisch85 bestimmt sein. Sie hätte die Einheit von Sein und Erkennen zu sein. Die Frage lautet dann aber, wie sich eine Beziehung so denken lässt, dass beide relationalen Sequenzen

85 Die Begriffe „seinslogisch“ und „reflexionslogisch“ sind an dieser Stelle nicht gleichbedeutend mit den terminologischen Festlegungen Hegels verwendet. „Reflexionslogisch“ meint oben im Text in etwa das, was Hegel „begriffslogisch“ nennen würde. Hegels Reflexionslogik, die er in seiner „Wissenschaft der Logik“ in der „Lehre vom Wesen“ entwickelt, handelt von der ontologischen Reflexivität zweistelliger Relationen und ihrer Komplexitätsmuster, also einer Reflexivität an sich. Seine in der „Wissenschaft der Logik“ ausgeführte Begriffslogik („Lehre vom Begriff“) handelt hingegen von einer Reflexivität für sich, einer epistemologischen Reflexivität, die nicht mehr auf der Basis zweistelliger Relationalität angemessen durchführbar ist, also von dem, was dann Gotthard Günther in seinen „Beiträgen zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik“ in Anlehnung an Hegel „doppelte Reflexivität“ nennen wird. Theologisch geht es darum, dass die ontologische Struktur der dynamischen Gottesbeziehung mit dem Menschen nun auch für den Menschen kognitiv reflexiv wird, rekursive Schleifen zulässt, und zwar als konstitutiven Teil der Beziehung und seines Bezogenseins selbst. Erst so wird es möglich, Operation und Kognition wirklich in eins zu denken. Basis einer solchen Komplexität kann jedoch nur die triadische Relationalität sein.

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Formalismus und Realismus der Relationalität

(Gott–Subjekt und Subjekt–Subjekt86) als Teil ein und derselben Relation (der Gottesbeziehung) begriffen werden können?

2.3.3 Die beziehende Beziehung als der Widerspruch der ontischsubjektiven Einheit der Unterschiedenheit von Gott und Mensch und der erneute Rückfall aufs Glaubenssubjekt Beziehende Beziehung und ontisch-subjektiver Widerspruch 2.3.3.1 Ontologik – Epistemologik: eine ontisch-subjektive Beziehungslogik 1. Das Beziehungsschema, theologisch bestimmt als Gottesbeziehung, ergibt also zwei relationale Sequenzen, deren Zusammenhang materialiter nicht gesichert werden kann, indem sie unvermittelt einander nur berühren: die Beziehungssequenz Gott–Subjekt sowie die Sequenz Subjekt–Subjekt. Die erste Sequenz nimmt das ontologische Motiv der Beziehungsidee auf, die zweite das epistemologische Motiv. Wird nämlich das ontologische Motiv (Sein) und das subjektlogische Motiv (Erkennen) beziehungslogisch relativiert, indem auf die Beziehung als solche, die beide als ihre Momente aufeinander bezieht, abgehoben wird, dann verändern sich beide Grundthemen nachhaltig. Beziehungslogisch werden beide Motive relativiert, weil die Beziehung beide Seiten aufeinander bezieht und dadurch gegeneinander einschränkt. Sie spreizt sich so – als „das Beziehen“ – selbst als Absolutes auf. Dadurch wird das Problem akut, was dann die Beziehung neben Gott und Subjekt noch sein soll. Das Lösungsdilemma bisher bestand darin, sie entweder auf die eine oder die andere Seite zurückführen zu müssen, das heißt sie entweder der Handlung Gottes (ontologische Gottesbeziehung) oder dem Erkennen des Subjekts (epistemologische Glaubensbeziehung) zuzurechnen. Dadurch wurde aber regelmäßig das Problemniveau der Beziehung als Beziehung verloren, wie wir immer wieder gezeigt haben.

Da es nun aber darum geht, den Glauben nicht „abstrakt“ aus seinem Weltbezug (epistemologische Reflexivität), sondern aus seinem Gottesbezug (ontologisches Bezogensein) zu denken, das heißt die „Schnittstelle“ zwischen „dort“ und „hier“ selbst, die Beziehung also, die beide Wirklichkeiten bezieht, in den Blick zu bringen, um so dem Ziel des Beziehungsmodells zu entsprechen, weder Gott noch den Menschen zu verlieren, ist der Beziehung als Beziehung zumindest dem Anspruch nach theologisch die entscheidende Bedeutung beizumessen. Uns geht es nun darum, die Struktur dieses Ansatzes logisch-analytisch in den Blick zu nehmen. 2. Die Ontologik des Objekts (Gott) wird, als aufs Subjekt (Glaube) bezogene, subjektiv verflüssigt und gleichzeitig die Epistemologik des Subjekts,

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S—S als Selbstbeziehung (Ego–Ego’) und/oder Sozialbeziehung (Ego–Alter) gedacht.

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Beziehende Beziehung und ontisch-subjektiver Widerspruch

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als aufs Objekt bezogene, und weil das Objekt „Gott“ das handelnde Subjekt der Beziehung ist, ontisch dynamisiert. Das Sein des Objekts ist nicht ohne die kognitiven Leistungen des Subjekts „für es“ da. Es wird subjektiviert. Das Erkennen des Subjekts ist nicht ohne das Sein des Objekts wirklich. Es wird objektiviert. Diese zwei gegenläufigen Bewegungen finden aber keinen realen Einheitspunkt, der den materialen (gehaltlichen) Zusammenhang beider gewährleisten kann, auch wenn er der Idee nach der „der Beziehung“ sein soll, die sie bezieht. Zieht man in Betracht, dass das Objekt der Beziehung nun als Subjekt der Handlung der Beziehung zu denken ist (GottÆMensch), dann wird das Erkennen des Subjekts (Glaube) in der Beziehung auf dieses Subjekt-Objekt (Gott), als das sich Gott hinsichtlich der verfügbaren Kategorien rationalitätslogisch darstellt, ontisch dynamisiert. Weder ist nun die Objektseite ontologisch stabil, noch ist dies die Subjektseite epistemologisch. Substanzontologische Festlegungen halten der Beziehungssituation ebenso wenig stand wie transzendentallogische oder auch schwächer veranschlagte psychologisch-soziologische Erkenntnisbedingungen des Subjekts. Das epistemologische Subjekt des Glaubens verliert in der Beziehung zu Gott seinen ihm eigenen epistemischen Logos. Es wird als Subjekt darin ontisiert. Denn sein Logos ist nicht der Logos des Seins Gottes, den es nicht erfassen kann. Es wird in der Beziehung, in der es seinen eigenen epistemischen Logos verliert, deshalb nur ontisiert, nicht ontologisiert, nicht zum Logos Gottes erhoben. Denn es kann nicht der göttliche Logos selbst werden, weil und insofern es eben menschliches Subjekt ist und bleiben können muss, soll der Mensch als der Gläubige sinnvoll denkbar bleiben. Der Glaube kann also nur aus dem Glauben der wirkliche Glaube des Menschen sein, wenn dabei nicht die Minimalbedingungen der Identität verletzt werden. Anderenfalls handelte es sich um zwei verschiedene Menschen mit zwei verschiedenen Glauben. Deshalb wird nun umgekehrt die ontologische Wirklichkeit Gottes, die das epistemologische Subjekt ontisiert, um das Subjekt noch treffen zu können, in der Glaubensbeziehung des menschlichen Subjekts der Gottesbeziehung subjektiviert, das heißt ohne darin auf den epistemischen Logos des Menschen reduziert zu werden. Der Ontisierung des epistemologischen Glaubenssubjekts in der Gottesbeziehung entspricht die Subjektivierung des ontologischen Subjekts Gott in der Glaubensbeziehung. Nur auf diese Weise kann dem Gedanken der zweistelligen Beziehung noch Rechnung getragen werden, das heißt nur so reißt die Beziehung zwischen beiden nicht ab, um dann in eine ihrer Seiten zu implodieren. Sie bleibt dennoch die nur formelle Beziehung zwischen beiden relationalen Intentionen, der onto-theo-logischen Gottes und der epistemo-theo-logischen des Glaubens. Rationalitätslogisch kann man dies so ausdrücken: Der Logos wandert aus dem ontologischen Objekt und dem epistemologischen Subjekt aus und

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in die Kategorie der Beziehung – die Relationslogik87 – ein. Die Beziehungskategorie absorbiert also den „Logos“ des „o;n“ Gottes und der „evpisth,mh“ des Menschen, zieht ihn von den durch die Beziehungskategorie nun als (aufeinander) Bezogene (Relata) zu begreifenden Kategorien des Objekts und Subjekts ab. Der Logos wandert aus dem onto-logischen als auch aus dem subjekt-logischen Gefüge aus und lässt sich in der Kategorie der Beziehung selbst nieder. Die Logik der Rationalität wäre dem impliziten Anspruch nach nun also nicht mehr grundgelegt als (klassische88) Ontologie oder (subjektlogische) Epistemologie, sondern als Relationslogik zu reformulieren. Will man sich dieser rationalitätslogischen Umbruchssituation im Zeichen des Beziehungsthemas ernsthaft stellen, das heißt die Beziehung als Beziehung auf genuine Weise – zu ihren eigenen Bedingungen – denken, so sind die rationalitätslogischen Voraussetzungen im Rahmen der Unterscheidung von Subjekt und Objekt unzureichend, da sie im Blick auf den nun zu bestimmenden „Logos der Beziehung“ per se zu kurz greifen müssen. Soll also die Beziehung als Wirklichkeit zwischen Gott und Mensch festgehalten werden, um den jedesmaligen Verlust der anderen Seite der Beziehung zu verhindern, dann ist die Beziehung nur die ontischsubjektive Einheit des Beziehens beider. Der Logos ist das Beziehen, dieses aber Einheit ohne Vermittlung. Die Theologie, die auf den Beziehungsaspekt abhebt, bekommt es mit dem Problem zu tun, dass sie vor dem Hintergrund dieser Transformation der rationalitätslogischen Grundlegung weder auf ein ontologisch noch auf ein subjektlogisch stabiles oder stabilisierbares Grundgerüst zurückgreifen kann, wenn sie die Beziehung zwischen Gott und Mensch wirklich als Beziehung zu denken sucht. Der Logos hat sich ja aus den Seiten der Beziehung zurückgezogen in die Mitte der Beziehung selbst und folglich auch aus der uns zugänglichen Seite. Und Beziehung ist als Beziehung ohnehin nicht qua Objekt und/oder Subjekt angemessen zu denken. Es wird so einerseits erkennbar, dass das Problem der Beziehung nicht in der Problematik der Bezogenen (Objekt, Subjekt) aufgeht (Relation vs. Relate), sondern als ein eigenes Thema und folglich als ein Problem sui generis begriffen werden muss. Andererseits sieht sich die Theologie dem 87 „Relationslogik“ wird hier nun natürlich nicht so sehr als eine formale Logik verstanden, die mit unserem Problem auf bestimmte Weise gleichwohl zusammenhängt, sondern als eine rationalitätslogische Problematik hinsichtlich der Bestimmung philosophischer und grundlagentheoretischer Kategorien. 88 Die Ontologie ist damit als Thema nicht abgeschafft. Mit der Kennzeichnung „klassisch“ sei darauf hingewiesen, dass es sich um eine spezifische Form von Ontologie handelt. Es wäre genauer zu zeigen, dass das relationslogische Paradigma eine neue Ontologie erfordert, welche die klassisch-ontologischen als auch die subjektlogisch-epistemologischen Motive nicht zu den historischen Akten legt, sondern als konstitutive Motive strukturell integriert.

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Problem gegenüber, den Zusammenhang der Beziehung nicht als Zusammenhang begreifen zu können, sondern ihn immer wieder auf die eine der beiden Perspektiven reduzieren zu müssen, um etwas sagen oder denken zu können. Diese Reduktion aufs Subjekt als der Position des Glaubens wird folglich unter der Hand immer wieder und gegen die eigentliche theologische Intention zur problematischen Bedingung der Möglichkeit derjenigen Rede von der Gottesbeziehung, die das Problem eigentlich lösen soll. Das Fundament der Rede von der Gottesbeziehung ist ja nicht selbst die Gottesbeziehung oder ein subjektiv angeeigneter Teil der Gottesbeziehung, der Vermittlung voraussetzte, sondern immer nur das des Subjekts oder, nach der linguistischen Wende, das sprachlicher Praktiken (sozial konditionierter Verhältnisse). 3. Das Thema der Beziehung als Beziehung zwischen Gott und Mensch, das die seinslogische Bestimmung ebenso unterläuft wie die subjektlogische, findet seinen theologischen Ausdruck vor allem in mystisch orientierten Erklärungsmodellen, die dem Problem der Unmittelbarkeit der Beziehung zwischen Gott und Mensch Rechnung zu tragen suchen, ja ihm geradezu den entscheidenen theologischen Sinn abgewinnen wollen, oder besser: zuschreiben. Damit ist sofort wieder das Problem benannt. Unabhängig davon, dass es sich auch hier wieder um eine kognitiv-epistemische Leistung der Zuschreibung und also subjektive/soziale Konstitution von Sinn handelt, die das, was sie behauptet, eben behauptet und darum nicht auch schon angemessen ausweisen kann, wird doch auch sachlogisch die Begegnung als solche zum Problem, da sich der logische Widerspruch zwischen Sein (Gott) und Erkennen (Glaube) dadurch keineswegs auflöst, sondern nun nur ein allerletztes Mal verschoben werden konnte, nämlich auf die Beziehung selbst als den Gedanken der Mitte des „Berührungspunktes“.89 Dieser soll jetzt die ganze Last des Dilemmas auf sich nehmen und so das Modell tragen, um dann die Anschlüsse der Diskussion von solchen Lasten möglichst freizuhalten, die auf dieses Ereignis nur noch begründungstheoretisch Bezug nehmen müssen. Der Widerspruch wird also bis in den äußersten Fluchtpunkt einer relationalen Berührung zwischen Gott und Mensch verdrängt oder von diesem stellvertretend und systementlastend absorbiert, um ihn dann nur noch dort als ein allerletztes Paradox aushalten zu müssen und möglicherweise als „Paradox des Glaubens“ zu deuten. Doch das Dilemma verschwindet nicht, und es ist auch keines des Glaubens, sondern 89 Hegel entwickelt genau diesen Gedanken in der Konzeption der Grenze und Schranke in der Dialektik von Etwas und Anderem. Diese Dialektik entwickelt sich schließlich zur Dialektik von Endlichem und Unendlichem, die ihre Pointe im Punkt der Mitte als der qualitativen Grenze hat, die an sich die Wahrheit der begrenzten Glieder darin ist, dass sie Grenze ohne Glieder ist. In der Wesenslogik nennt Hegel den reflexionslogisch analogen Sachverhalt dann „Beziehung ohne Bezogene“.

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der Grundbegriffe. Es ist nun auf den Punkt der „Begegnung“ zusammengestaucht. Dieser Ansatz liegt demnach ganz auf der Linie der zweistellig gedachten Gottesbeziehung, indem das Onto-logische und das Subjektlogische in der Beziehung ent-logisiert werden, da der Logos nun der der Beziehung selbst ist und folglich beide Aspekte, der des Ontologischen sowie der des Subjektlogischen unter Abscheidung des jeweils eigenen logischen Anspruchs ontisch-subjektiv „verschmelzen“. Diese ontischsubjektive Einheit ist dann der irrationale Logos der Beziehung. Jedoch zusätzlich zu beachten ist, dass die Beziehung als die Wirklichkeit Gottes selbst, als das Beziehungshandeln Gottes, zu denken ist, da anderenfalls die Beziehung als ein Drittes zu den Bezogenen, die sie bezieht, und damit als etwas auch noch Gott beziehendes, zu begreifen wäre. Dann wäre die Wirklichkeit Gottes reduziert auf ein Relat der Relation. Was wäre dann aber die Relation? Also muss auch in diesem Modell die Beziehung als die Wirklichkeit Gottes gedacht werden, wenn anders Gott als „wirklicher Gott“ gedacht werden können soll. Dennoch bleibt der Dualismus der dyadischen Relation bestehen, und zwar in Form einer starken handlungstheoretischen Asymmetrisierung. Das Sein Gottes, als das „theoretische“ Objekt des Glaubenssubjekts „Mensch“, ist praktisches Subjekt des Handelns in der Beziehung, die von ihm ausgeht. Allerdings wird diese Wirklichkeit unter den Bedingungen des Modells eben nicht wirklich erreichbar. Denn durch die absolute Asymmetrie zwischen Gott und Mensch sowie durch die Form der Zweistelligkeit, die bestenfalls nur eine unmittelbare Reflexivität der Relationierung der Glieder, nicht aber eine vermittelte Reflexivität der Relationalität für sie denkbar macht, kann der so gedachte Gott doch nur wieder als der subjektlogische Gedanke konstruktiv geltend gemacht werden. Er entzieht sich in seiner ontologischen Absolutheit dem Subjekt vollständig und bleibt diesem so nur als ein Gedanke unter der subjektlogischen Form des funktionalen Erkenntnisobjekts. Die Beziehung wird nicht zu den Bedingungen der Beziehung gedacht. Der zu denkende Inhalt (Beziehung) soll mittels einer unterkomplexen Form (Subjekt) begriffen werden können. Die Form ist so jedoch dem Inhalt nicht gewachsen. Auf der Objektseite der Beziehung relativ zum Subjekt des Glaubens wird Gott gedacht als „seiende Beziehung“, so aber der Gedanke des „beziehenden Seins“ an sich verfehlt. Das Beziehungssein Gottes gerinnt zum gedanklichen Objekt „Beziehung“. Auf der Subjektseite des Glaubens wird er als „beziehendes Sein“ zwar behauptet, aber die Behauptung ist nicht selbst das „beziehende Sein Gottes“, kann sich also nicht aus dem Vollzug der Wirklichkeit dieses beziehenden Seins heraus verstehen, sondern gründet in Erkenntnis- und Behauptbarkeitsbedingungen des Subjekts selbst. Erst wenn das Sein Gottes als ein wirklich beziehendes Sein, als eine reale Beziehungsgeschichte verstanden werden kann, die nun das Bedingungsverhältnis umkehrt, so dass aus dieser Beziehungswirklichkeit ontologische und epistemologische Fragen allererst ihren realen Sinn und Boden erhalten, indem sie seinsmäßig in ihr gründen und sich erkenntnismäßig aus ihr reflexiv begründen – indem sie sich also dieser Wirklichkeit verdanken – , erst dann ist es möglich, den Beziehungsgedanken zu den ihm eigenen Bedingungen angemessen zu denken.

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2.3.3.2 Das von zwei Grenzwerten geklammerte Subjekt des Unterscheidens und Bezeichnens 1. Da die epistemologische Rationalität des Menschen differenzlogisch arbeitet, das heißt Sinn sich ihm nicht anders als über Differenz (Unterscheiden) und Identität (Bezeichnen), das heißt zweiwertig (Position/Negation), erzeugen lässt, insofern man etwas nur dann bezeichnen kann, wenn man es von anderem unterscheidet; wobei in diesem epistemologischen Fall die Identität zur Funktion der Differenz depotenziert wird, obwohl es sich relationslogisch doch umgekehrt verhält, dass also die Differenz eine Funktion der Identität ist, da die Identität die formelle Relation zwischen ihren Relaten ist, die sich nur eben nicht mehr als Identität (als Beziehung) reell auf dem klassisch epistemologischen Weg einholen lässt, gleichwohl aber von der epistemologischen Differenzperspektive konstitutiv vorauszusetzen ist90, da Differenz zwei Entitäten nur dadurch unterscheiden kann, dass sie sie aufeinander bezieht und so eine mindestens formelle Identität zwischen den beiden voraussetzen muss; da also dies die eigentümliche epistemologische Grundsituation der Rationalität des Menschen unaufgebbar ist, der Logos des Subjekts folglich nichts begreift, was nicht unterschieden (unterscheidbar) ist, darum kann der neue Logos der Beziehung aus der rationalen Perspektive des Menschen als des Subjekts von Objekten nicht angemessen erfasst werden. Diese Situation ist der Grund dafür, dass in der Beziehung zwischen Gott und Mensch die Kategorien des Objekts und Subjekts ihren eigenen Logos verlieren, sie gewissermaßen ent-logisiert werden. Denn der Logos des menschlichen Subjekts, der einen Logos göttlichen Seins unterstellt, vollzieht sich so, dass er nicht unterscheiden und bezeichnen kann, was sein Unterscheiden und Bezeichnen relational allererst fundieren und so ermöglichen soll: die Beziehung selbst. Denn wird die Beziehung bezeichnet, dann wird sie unterschieden. Wird sie aber unterschieden, dann ist sie nicht mehr Beziehung, sondern Bezogenes, nicht mehr Relation, sondern Relat. Da also die epistemologische Verfassung menschlicher Rationalität in der Gottesbeziehung ihre eigene differenzlogische Griffigkeit verliert, das heißt ihren Logos; und weil umgekehrt der göttliche Logos sich nicht dem Menschen sachhaltig mitteilen, das heißt dem Menschen zueigen werden kann, da er sich dann ja unter der differenzlogisch verdinglichenden Form (subjektlogisch) darstellen lassen können müsste; darum ist die Einheit der Beziehung zwischen Gott und Mensch nur als die ontisch-subjektive zu begreifen. Was von den ontologischen und epistemologischen „Seiten“ (Gott, Mensch) in der Be90

Diese logisch hoch komplexe und nicht mehr mittels einer zweiwertigen Logik zu denkende Materie bildet das Zentrum von Hegels Theorie des spekulativen Satzes. Vgl. die Vorrede zur Phänomenologie des Geistes.

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ziehung übrig bleibt und auf diese Weise den Kontakt relationaliter denkbar halten soll, ist die bloße ontisch-subjektive Einheit der Beziehung zwischen den Bezogenen, der Logos der puren Faktizität der Beziehung. 2. Da es aber noch keine wirklichen rationalitätslogischen Alternativen zu den Kategorien von Subjekt und Objekt gibt – denn die Beziehungskategorie kann einen solchen Anspruch noch nicht einlösen, da sie ja nicht als Beziehung denkbar ist, sondern immer als Idee auf den Standpunkt des Subjekts zurückfallen muss – , deshalb bleibt der Logos der Beziehung letztlich doch wieder von der defizienten Form des Subjekts abhängig. Der Versuch, dem Subjekt und Objekt, derer man nicht ledig wird, sogleich den Logos zu entziehen, um dann eine Stelle zwischen ihnen zu markieren, die sie kategorial transzendiert, ist folglich selbst und an sich widersprüchlich. Auch wenn die Markierung der Beziehung als solcher gelten soll, so ist das Markieren doch selbst eine differenzlogische Operation des Bezeichnens und Unterscheidens, ist so Gedanke beziehungsweise Idee. Man fällt also auf eben den Boden zurück, den zu überwinden man sich anschickte, als man die Idee der reinen Beziehung ohne Bezogene zu konzipieren versuchte: auf den operativen Boden des die Unterscheidung und Bezeichnung vornehmenden Erkenntissubjekts. Die Markierung der die Subjekt- und Objekt-Kategorien transzendierenden Beziehungskategorie gleicht also wieder mehr einer chiffrierenden Deutung derjenigen Lücke, die zwischen Objekt und Subjekt klafft und nicht von ihnen ausgefüllt werden kann. Im Wirkungsfeld dieser neuen Kategorie würden sie ihren eigenen logischen Charakter aufgeben müssen, sozusagen als Preis dafür, in der Beziehung als der nun ontisch-subjektiven Einheit dann auch nicht mehr auseinander zu fallen. Der Gedanke ist dabei die Konstruktion einer Beziehung als derjenigen Wirklichkeit, die die Differenz der Relate Objekt–Subjekt hinter sich lassen kann, um so wenigstens die Einheit beider festzuhalten. Dem Ontologischen des „Objekts“ (Gott) und dem Epistemologischen des „Subjekts“ (Glaube) wird also der Logos entzogen. Zurück bleibt dann die schale ontisch-subjektive Einheit der Faktizität ihres puren Bezogenseins als der Beziehung zwischen beiden. Erst „nach“ dem Ereignis der Beziehung kann das Subjekt (der Mensch) wieder in die Dimension des Logischen (als des für ihn Rationalen) zurückkehren und seine doch immer nur zu spät kommenden Versuche anlaufen lassen, darüber dann doch noch zu sprechen. Die Einheit der ontisch-subjektiven Beziehung ist differenzlogisch nicht erfassbar. „Einheit“ ist demnach nicht zu denken als Einheit der Differenz. Vielmehr ist sie gedacht als Einheit der Differenz, als das Zusammenziehen der Differenz auf den Indifferenzpunkt, wie man mit Schelling formulieren kann, als reine Identität oder als – mit Hegel gesprochen – „Beziehung ohne Bezogene“. Dies bedeutet aber, dass man es mit einer Einheit zu tun hat, die „einfacher“ ist als die Relation und ihre Relate, ja die einfacher ist noch als

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ein einziges Relat ohne seine Relation und sein Korrelat. Sie wird zur Einheit durch Rückzug auch noch hinter die Position der Relate, und zwar durch den Gedanken der Auflösung der relativen Positionen zugunsten der Einheit der Relation: der reinen Beziehung. Im Blick auf die relative Position des Subjekts in der Relation kann man also von zwei Grenzwerten sprechen, auf die das Subjekt sich bezogen sieht. Der eine Grenzwert ist die ganze dyadische Relation mit ihren Relaten (_–_), weil diese komplexer als es selber ist. Es kann nicht diese Relation selbst werden, in der es steht. Der andere ist der der reinen indifferenzierten Relation ohne Relate, weil diese einfacher als es selber ist, wenn man relationenlogisch bedenkt, dass das Subjekt Relat einer Relation ist. Das Subjekt hat also zwei Grenzwerte, die es beide als Subjekt nicht erreichen kann: die Beziehung mit ihren Bezogenen, die es nicht ist, weil es nur eines der Bezogenen sein kann, sowie die reine Beziehung ohne Bezogene, die es nicht ist, weil es Bezogenes der Beziehung ist. Will es als Relat der Relation die ganze Relation werden (=Realisierung der Relation), müsste es sich als Subjektrelat zur Relation ausdehnen, also selbst die Relation mit ihren Relaten werden, in welcher es doch selbst ein Relat nur ist. Will es als dieses Relat der Relation die reine indifferenzierte Relation werden, müsste es sich als Relat der Relation auf seine Relationalität zusammenziehen können, auf seine reine Form. Das Subjekt als Relat der Relation ist aber weder die reine formelle Relation noch ihre Realisierung, sondern steht, logisch gesehen, dazwischen, und zwar in der für es unüberwindbaren Differenzsituation der Relation. Es scheitert demnach nicht nur der Weg, die Wirklichkeit der Relation logisch zu ergreifen, sondern auch der Weg, sich auf ihre reine Form radikal zu reduzieren, um sich ihr als einer formellen Identität (Relation) anzuschmiegen. Im ersten Fall ist der Inhalt zu mächtig, um ihn zu erfassen, im zweiten Fall gibt es gar keinen Inhalt. In dieser Situation des doppelten Begrenztseins bleibt das Subjekt immer nur bei sich selbst. Die Konsequenz dieser Erwägungen ist, dass demgemäß aus der Subjektposition die Beziehung nicht als Beziehung sui generis gedacht werden kann, sondern immer nur nachträglich und indirekt, indem man dem Gedanken zu folgen sucht, die Mitte (die Relation) von beiden Seiten (der Relate) her als den indifferenten Einheitspunkt grenzwertig zu bestimmen, so dass nun durch den Grenzwert die Beziehung selbst angezeigt wäre. Dabei ist der „Zugang“ zu ihr eben nur „von der Seite her“ relatstellig zu denken. Ausgangspunkt ist immer die eigene Position. In der Mitte als dem ideellen Indifferenzpunkt der nun gleichsam relatfreien reinen Relation laufen beide Seiten zusammen und treffen aufeinander. Das Ontologische und Subjektlogische wird entlogisiert, der Logos Gottes als das Theologische nun auf sein Beziehen reduziert.

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…………theo——————logische

Beziehung

onto-logisch--------------(ontischÆÅsubjektiv)------------subjekt-logisch ad intraGott ad extra

GW91

ad intraGlaube ad extra

Aufgrund der kognitiven Situation des Menschen, unterscheiden zu müssen, um denken zu können, wiederholt sich auch in der Rekonstruktion der angeblich unmittelbaren Beziehungssituation der differenzlogische Zwang, das heißt unterscheiden zu müssen, um die Unterscheidung auf die Beziehung hin überwinden zu können. So ist zu denken, dass sich in der Begegnung zwei, Gott und Subjekt, vereinen, da anderenfalls die ganze theologische Konzeption ihren Unterscheidungssinn verlöre und damit nichtssagend würde. Und auch nur so, das heißt aufgrund einer basalen Unterscheidung, die nicht aufgegeben werden darf, ist es möglich, die Vereinigung einem der beiden „Akteure“ zuzuschreiben, soll sich die Beziehung nicht noch als etwas Drittes außer Gott und Mensch zwischen ihnen geltend machen. Gott muss demnach als der Sich-Beziehende seinen Seinslogos auf das pure Beziehen hin reduzieren, um sich auf den Menschen zumindest noch ontisch beziehen zu können – da er, pointiert ausgedrückt, mit seinem Logos nicht auf die andere Seite kommt. Er kann den Menschen nicht seiner Realität nach „theologisieren“. Das Nadelöhr der zweistelligen Relation ist zu eng, um dem Menschen einen entsprechenden theologischen Gehalt mitzuteilen. Dieser wiederum verliert in der Bezugnahme Gottes auf ihn seinen Subjektlogos, so dass das, was sich an ihm ereignet, reflexiv nicht einholbar ist, weil es sich seinem Logos gänzlich entzieht, sieht man einmal davon ab, dass ja auch Gott in dieser Beziehung nichts mehr zu sagen hat. Diesem Modell ist implizit die Aufspaltung in die Aspekte des Daseins Gottes (Existenz) und des Wesens Gottes geschuldet. Das Wesen Gottes bleibt als der ontologische Aspekt der Wirklichkeit Gottes, die er an sich ist, der Beziehungssituation des gläubigen Menschen deshalb grundsätzlich äußerlich (deus absconditus). Die ontische Bezugnahme Gottes ereignet sich „für den Menschen“ nur subjektiv an ihm und also nicht wirklich für ihn, sondern nur in Bezug auf ihn. Das Problem ist, dass das zweistellige Beziehungsmodell eine ontologisch gehaltvolle „communicatio idiomatum“ hinsichtlich des Glaubensbegriffs als einen sinnvollen Gedanken nicht zulässt. Daran leiden alle damit in einem Zusammenhang stehenden theologischen Kategorien, der Realitätsbegriff des Glaubens, der Erfahrungsbegriff des Glaubens, das Problem der Erkennbarkeit, Denkbarkeit und Sag-

91

GW = Grenzwert der Beziehung als Beziehung.

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barkeit des Glaubens, um ein paar grundlegende Probleme zu benennen. Welche weiteren Konsequenzen damit verbunden sind, zum Beispiel sakramentstheologische, homiletische, ekklesiologische, soteriologische, christologische und so weiter, muss hier dahin gestellt bleiben. 3. Man kann das Problem der unmittelbaren Beziehung also doch nur immer wieder nachträglich, aus einer sekundären Perspektive heraus, zu denken suchen. Die Beziehung wird so unterschieden als die ontischsubjektive Einheit beider Pole. Die Unterscheidung zwischen ontischem und subjektivem Aspekt der unmittelbaren Beziehung lässt sich nicht restlos in „Beziehung“ auflösen, soll der Gottesbegriff nicht vom Ansatz her gänzlich verloren gehen. Denn auch in dieser Beziehung können sie (Gott und Mensch) nicht identisch werden, soll sich das Beziehungsproblem nicht in nichts auflösen und das Menschsein in Gottsein oder umgekehrt umschlagen. Also bleibt das Problem der Differenz und der konstitutionslogischen Asymmetrisierung beider Wirklichkeiten auch an dieser Stelle bestehen. Denn letztlich muss Gott als der Sich-Beziehende, der Mensch aber als der Bezogene rekonstruiert werden. Diese Subjektivierung des Ontologischen (Ereignis des Glaubens) und Ontisierung des Subjektlogischen (Ereignis des Glaubens) zielt also auf die Mitte der Relate (Subjekt, Objekt) als derjenigen Grenze, die die Relation ist.92 Indem beide Seiten den ihnen jeweils eigenen, gegeneinander inkompatiblen Logos in der Beziehung aufgeben, können sie sich relational berühren. Begreift man Gott als Relat, das sich auf den Menschen, als das andere Relat, bezieht, dann teilt sich die Relation in zwei Abschnitte auf: Gott-------------->Mensch (Relat)

(Relation)

(Relat)

Gott------>S, epistemologisch: O