179 92 15MB
German Pages [172] Year 2005
ENZYKLOPÄDIE DEUTSCHER GESCHICHTE BAND 14
ENZYKLOPÄDIE DEUTSCHER GESCHICHTE BAND 14
HERAUSGEGEBEN VON LOTHAR GALL IN VERBINDUNG MIT PETER BLICKLE, ELISABETH FEHRENBACH, JOHANNES FRIED, KLAUS HILDEBRAND, KARL HEINRICH KAUFHOLD, HORST MÖLLER, OTTO GERHARD OEXLE, KLAUS TENFELDE
KONIG, REICH
UND REICHSREFORM IM
SPÄTMITTELALTER VON KARL-FRIEDRICH KRIEGER
2., durchgesehene Auflage
R. OLDENBOURG VERLAG MÜNCHEN 2005
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2005 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: http://www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen.
Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Umschlagabbildung: Weihnachtliche Lesung Kaiser Karls IV. aus dem LukasEvangelium in Cambrai 1377 (vgl. auch S. 8, 63). Cliché Bibliothèque nationale de France, ms. français 28813, fol. 467v. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht) R. Oldenbourg Graphische Betriebe Druckerei GmbH, München
Gesamtherstellung:
ISBN 3-486-57670-4
(brosch.)
Vorwort deutscher Geschichte" soll für die Benutzer Fachhistoriker, Studenten, Geschichtslehrer, Vertreter benachbarter Disziplinen und interessierte Laien ein Arbeitsinstrument sein, mit dessen Hilfe sie sich rasch und zuverlässig über den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse und der Forschung in den verschiedenen Bereichen der deutschen Geschichte informieren können. Geschichte wird dabei in einem umfassenden Sinne verstanden: Der Geschichte der Gesellschaft, der Wirtschaft, des Staates in seinen inneren und äußeren Verhältnissen wird ebenso ein großes Gewicht beigemessen wie der Geschichte der Religion und der Kirche, der Kultur, der Lebenswelten und der Mentalitäten. Dieses umfassende Verständnis von Geschichte muß immer wieder Prozesse und Tendenzen einbeziehen, die säkularer Natur sind, nationale und einzelstaatliche Grenzen übergreifen. Ihm entspricht eine eher pragmatische Bestimmung des Begriffs „deutsche Geschichte". Sie orientiert sich sehr bewußt an der jeweiligen zeitgenössischen Auffassung und Definition des Begriffs und sucht ihn von daher zugleich von programmatischen Rückprojektionen zu entlasten, die seine Verwendung in den letzten anderthalb Jahrhunderten immer wieder begleiteten. Was damit an Unscharfen und Problemen, vor allem hinsichtlich des diachronen Vergleichs, verbunden ist, steht in keinem Verhältnis zu den Schwierigkeiten, die sich bei dem Versuch einer zeitübergreifenden Festlegung ergäben, die stets nur mehr oder weniger willkürlicher Art sein könnte. Das heißt freilich nicht, daß der Begriff „deutsche Geschichte" unreflektiert gebraucht werden kann. Eine der Aufgaben der einzelnen Bände ist es vielmehr, den Bereich der Darstellung auch geographisch jeweils genau zu bestimmen. Das Gesamtwerk wird am Ende rund hundert Bände umfassen. Sie folgen alle einem gleichen Gliederungsschema und sind mit Blick auf die Konzeption der Reihe und die Bedürfnisse des Benutzers in ihrem Umfang jeweils streng begrenzt. Das zwingt vor allem im darstellenden Teil, der den heutigen Stand unserer Kenntnisse auf knappstem Raum zusammenfaßt ihm schließen sich die Darlegung und Erörterung der Forschungssituation und eine entspreDie
„Enzyklopädie
-
-
-
VI
Vorwort
chend gegliederte Auswahlbibliographie an -, zu starker Konzentration und zur Beschränkung auf die zentralen Vorgänge und Entwicklungen. Besonderes Gewicht ist daneben, unter Betonung des systematischen Zusammenhangs, auf die Abstimmung der einzelnen Bände untereinander, in sachlicher Hinsicht, aber auch im Hinblick auf die übergreifenden Fragestellungen, gelegt worden. Aus dem Gesamtwerk lassen sich so auch immer einzelne, den jeweiligen Benutzer besonders interessierende Serien zusammenstellen. Ungeachtet dessen aber bildet jeder Band eine in sich abgeschlossene Einheit unter der persönlichen Verantwortung des Autors und in völliger Eigenständigkeit gegenüber den benachbarten und verwandten Bänden, auch was den Zeitpunkt des Erscheinens angeht. -
Lothar Gall
Inhalt Vorwort des Verfassers.
XI
Enzyklopädischer Überblick.
1
A. Das römisch-deutsche Reich des Spätmittelalters ein Sonderfall der europäischen Geschichte.
1
Königtum und Königsherrschaft im Spätmittelalter
5
/.
-
B.
3. 4.
..
5
.
8
.
11
Königtum und römische Kaiserwürde Die Thronfolge Der König und das Recht Erscheinungsformen der Königsherrschaft. 4.1 Der König als Herr des Reichsgutes. 4.2 Die königliche Lehnsherrschaft. 4.3 Die königliche Kirchenherrschaft. 4.4 Die königliche Rechtsetzung und Rechtswahrung 4.5 Die königliche Friedenswahrung. 4.6 Die königliche Wehrhoheit. Die materiellen Grundlagen der Königsherrschaft
1. Deutsches 2.
....
.
5. C.
.
König und Reich im Spätmittelalter. 1. Reich und Reichsrepräsentation in der Vorstellung der Zeitgenossen. 2. Fürsten und Kurfürsten als „Glieder" und „Säulen" des Reichs. 3. Nichtfürstlicher Adel und Bürger zwischen König 4.
13 13 14 18 21 25 27
31 36 36 37
und Reich.
39
König und Reichsverwaltung.
42
Inhalt
VIII
5. Teilhabe
von
Fürsten und Kurfürsten
an
der
Reichsgewalt Vom Hoftag zum Reichstag.
46
Reichsreform. Wesen und Zielsetzung. Lösungsvorschläge und Ergebnisse.
49
Grundprobleme und Tendenzen der Forschung.
55
A. Das römisch-deutsche Reich des Spätmittelalters ein Sonderfall der europäischen Geschichte.
55
.
6.
47
D. Die 1. 2.
II.
-
B.
Königsherrschaft im Spätmittelalter
50
Wesen, Probleme und Bewertung.
62
Königs-und Kaiserherrschaft. Wahlprinzip, Kontinuitätsproblem und Hausmachtkönigtum Der König und das Recht Erscheinungsformen der Königsherrschaft. 4.1 Der König als Herr des Reichsgutes. 4.2 Die königliche Lehnsherrschaft. 4.3 Die königliche Kirchenherrschaft. 4.4 Die königliche Rechtsetzung und Rechtswahrung 4.5 Die königliche Friedenswahrung. 4.6 Die königliche Wehrhoheit. Die materiellen Grundlagen der Königsherrschaft
62
1. 2.
-
.
3. 4.
.
.
5.
C.
49
.
König und Reich vom königlichen Monismus zum kurfürstlich-ständischen Dualismus. 1. Die Formel „König und Reich" Tautologie oder dualistisches Gegensatzpaar? -
-
.
„Glieder" und Reiches. des „Säulen"
64 71 74 74 74 84
88 96 99 100
103 103
2. Fürsten und Kurfürsten als
105
Inhalt
IX
3. Nichtfürstlicher Adel und Bürger zwischen König und Reich.
110
König und Reichsverwaltung. Vom Hoftag zum Reichstag.
111
Reichsreform.
114
Quellen und Literatur.
119
Quellen und Hilfsmittel zur Quellenerschließung. 1. Vorbemerkungen. 2. Hilfsmittel zur Quellenerschließung. 3. Quelleneditionen und Regestenwerke.
119
B. Literatur.
126
Allgemeine und übergreifende Darstellungen Königtum und Königsherrschaft im Spätmittelalter
126
3. Reich und Reichsreform.
141
4.
5.
D. Die
III.
A.
1. 2.
Register
.
112
119 122
123
129
.
147
Themen und Autoren.
157
Fritz Trautz zum 75. Geburtstag
Vorwort des Verfassers Eine Verfassungsgeschichte des deutschen Reiches im Spätmittelalter gilt seit langem als Desiderat der Forschung. Der vorliegende Band versucht, Vorbedingungen, Rechtsgrundlagen, Möglichkeiten und Grenzen spätmittelalterlicher Königsherrschaft im Rahmen einer ungeschriebenen „Verfassung" aufzuzeigen und damit wenigstens teilweise diese Lücke zu füllen. Dabei beschränkt sich die folgende Darstellung jedoch auf die unmittelbaren Beziehungen zwischen dem König und den anderen verfassungsgestaltenden Kräften im Reich; der Prozeß der Entstehung und Ausbildung von Landesherrschaft innerhalb der Territorien bleibt einem anderen Band der Gesamtreihe vorbehalten. Unter „Spätmittelalter" wird der Zeitraum von ca. 1200 bis zum Ende des 15. Jahrhunderts verstanden. Ohne daß hiermit ein grundsätzliches Bekenntnis zur Periodisierung des Spätmittelalters abgelegt werden soll, bot sich diese zeitliche Eingrenzung vor allem unter dem Blickwinkel der verfassungsgeschichtlichen Entwicklung an: Erscheint doch vor diesem Hintergrund die Doppelwahl von 1198 mit dem nachfolgenden Thronstreit, der Ausbildung des freien Wahlprinzips, der Formierung besonderer Königswähler, dem päpstlichen Eingreifen in die Königswahl und dem damit ebenfalls in Zusammenhang stehenden Scheitern der staufischen „Reichslandpolitik" als eine tiefe Zäsur, die die künftige Entwicklung weit mehr geprägt hat als das „Interregnum" nach dem Tode Kaiser Friedrichs IL, dessen negative Bedeutung für die spätmittelalterliche Königsherrschaft von der älteren Forschung wohl überschätzt wurde. Wenn auch die Beschlüsse des Wormser Reichstages von 1495 im Rahmen der Reichsreformbewegung keineswegs einen Abschluß, sondern allenfalls ein Zwischenergebnis brachten, so ist es doch gerechtfertigt, im endenden 15. Jahrhundert ebenfalls einen entscheidenden Wendepunkt der verfassungsgeschichtlichen Ent-
XII
Vorwort des Verfassers
wicklung zu sehen, da nun mit der Ausbildung des Reichstages und der Neuorganisation der königlichen Gerichtsbarkeit das „Reich" als verfassungsrechtlich legitivertreten durch die Reichsstände mierte Gegenkraft an die Seite des Königs trat, so daß von diesem Zeitpunkt an der institutionalisierte Dualismus zwischen König und Reich Verfassungswirklichkeit geworden war. Auch für dieses Buch gilt, daß es ohne den Rat und die tatkräftige Mithilfe anderer nicht entstanden wäre. Zu danken habe ich in diesem Zusammenhang zunächst den Herren Kollegen Bernhard Diestelkamp (Frankfurt) und Karl Ferdinand Werner (RottachEgern), die mir freundlicherweise noch unveröffentlichte Arbeiten
-
-
Einsicht überließen. Besonderen Dank schulde ich auch Herrn Kollegen Eberhard Isenmann (Tübingen) sowie Herrn Dr. Karl-Heinz Spieß (Mainz), die sich der Mühe unterzogen haben, das Manuskript kritisch zu lesen. Das gleiche gilt für meinen Assistenten, Herrn Dr. Franz Fuchs, und Herrn Dr. Ralf Mitsch, die mich beide darüber hinaus auch sonst mit Rat und Tat unterstützt haben. Herzlich danken möchte ich außerdem dem zuständigen Bereichsherausgeber, Herrn Kollegen Johannes Fried, und dem Gesamtherausgeber der Reihe, Herrn Kollegen Lothar Gall, für kritische Einwände und sachkundige Hinweise sowie Herrn Dr. Adolf Dieckmann vom Oldenbourg Verlag für die umsichtige redaktionelle Betreuung des Manuskripts. Endlich gilt mein Dank auch allen, die mit Geduld und Nachsicht die Entstehung dieses Buches ertragen haben, wobei hier an erster Stelle meine Familie, aber auch meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Universität Mannheim zu nennen sind.
zur
Mannheim, im Sommer 1991
Karl-Friedrich
Krieger
Vorwort
zur
2.
Auflage
Seit der Erstauflage im Jahre 1992 hat sich die verfassungsgeschichtliche Forschung erfreulicherweise auch mit diesem Buch befasst. Neben grundsätzlicher Zustimmung wurden im Einzelnen auch kritische Anmerkungen an den Autor herangetragen, die, sofern sie offensichtliche Versehen und Druckfehler betreffen, jetzt korrigiert werden können. Andere Kritikpunkte berühren allerdings ein grundsätzliches, von der Konzeption der Reihe her bedingtes Problem, nämlich die Notwendigkeit, mehrere Jahrhunderte deutscher Verfassungsgeschichte mit den entsprechenden Forschungsansätzen und -ergebnissen auf relativ engem Raum (155 Seiten) abhandeln zu müssen, was jedem Autor schon fast zwangsläufig den Vorwurf einbringt, bestimmte Bereiche vernachlässigt zu haben. Im selbstkritischen Rückblick räume ich gerne ein, dass dieser Vorwurf bereits beim Erscheinen des Bandes vor allem für den Abschnitt „Vom Hoftag zum Reichstag" (S. 47f. und 112f.) berechtigt war. Dies gilt umso mehr für die Betrachtung aus heutiger Sicht, da inzwischen weitere wichtige Publikationen erschienen sind bzw. im Manuskript vorliegen, die unseren Kenntnisstand zu diesem Problembereich erheblich vertiefen und ergänzen. Andererseits sind Verlag und Autor der Ansicht, dass im Übrigen die Grundaussagen des Bandes auch mit Rücksicht auf den heutigen Forschungsstand noch nicht überholt sind, so dass auf eine umfassende Neubearbeitung zum jetzigen Zeitpunkt noch verzichtet werden konnte. Um dem Leser wenigstens die Möglichkeit zu geben, das angesprochene „Defizit" im Abschnitt „Vom Hoftag zum Reichstag" durch vertieftes Eigenstudium abzubauen, werden im Folgenden die wichtigsten neueren Veröffentlichungen hierzu in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt: -
-
Quellen Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III. Achte Abteilung, 2. Hälfte, 1471, hrsg. von H. Wolff. Göttingen 1999. Achte Abteilung, 1468-1471. Verzeichnisse und Register, bearb.von G. Annas/H. Wolff. Göttingen 2001. Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. (Deutsche Reichtstagsakten, Mittlere Reihe). Zweiter Band: Reichstag zu Nürnberg 1487. 2 Teile, bearb. von R. Seyboth. München 2001. -
XIV
Vorwort
zur
2.
Auflage
Darstellungen H. Angermeier/E. Meuthen (Hrsg.), Fortschritte in der Geschichtswissenschaft durch Reichstagsaktenforschung. Vier Beiträge aus der Arbeit an den Reichstagsakten des 15. und 16. Jahrhunderts. Göttingen 1988. G. Annas, Hoftag Gemeiner Tag Reichstag. Studien zur strukturellen Entwicklung deutscher Reichsversammlungen des späten Mittelalters (1349-1471), 2 Bde. Göttingen 2004. H. Boockmann, Geschäfte und Geschäftigkeit auf dem Reichstag im späten Mittelalter, in: HZ 246 (1988) 297-325. P.-J. Heinig, Kaiser Friedrich III. (1440-1493). Hof, Regierung und Politik. 3 Teile. Köln u.a. 1997. J. Helmrath, Die Reichstagsreden des Enea Silvio Piccolomini 1454/ 55, 2 Bde., ungedruckte Habil.-Schrift. Köln 1994. 1495 Kaiser, Reich, Reformen. Der Reichstag zu Worms. Katalog zur Ausstellung des Landeshauptarchivs Koblenz in Verbindung mit der Stadt Worms zum 500jährigen Jubiläum des Wormser Reichstags von 1495, hrsg. von der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz. Koblenz 1995. T. M. Martin, Auf dem Weg zum Reichstag. Studien zum Wandel der deutschen Zentralgewalt 1314-1410. Göttingen 1993. D. Mertens, Der Reichstag und die Künste, in: Mediävistische Komparatistik. Festschrift für F. J. Worstbrook zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. W. Harms/J.-D. Müller. Stuttgart/Leipzig 1997, 295-314. E. Meuthen, Der Regensburger Christentag 1471. Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III. Achte Abteilung, zweite Hälfte, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw. Hrsg. v. P.-J. Heinig u. a. Berlin 2000, 279-285. E. Meuthen (Hrsg.), Reichstag und Kirche. Kolloquium der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München, 9. März 1990. Göttingen 1991. P. Moraw, Hoftag und Reichstag von den Anfängen bis 1806, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch. Hrsg. v. H.-P. Schneider/W. Zeh. Berlin/New York 1989, 3-47. P. Moraw, Zu Stand und Perspektiven der Ständeforschung im spätmittelalterlichen Reich, in: Die Anfänge der ständischen Vertretungen in Preußen und seinen Nachbarländern. Hrsg. v. H. Boockmann. München 1992, 1-33. P. Moraw (Hrsg.), Deutscher Königshof, Hoftag und Reichstag im späteren Mittelalter. Stuttgart 2002. -
-
-
Vorwort
zur
2.
XV
Auflage
R. Seyboth, Reichsstadt und Reichstag. Nürnberg als Schauplatz von Reichsversammlungen im späten Mittelalter, in: Jahrbuch für fränk. Landesforschung 52 (1992) 209-221.
Mannheim, im Januar 2005
Karl-Friedrich
Krieger
I.
Enzyklopädischer Überblick
A. Das römisch-deutsche Reich des Spätmittelalters ein Sonderfall der europäischen Geschichte -
Während sich Frankreich und England bereits im Spätmittelalter zu Flächenherrschaftsstaaten entwickelten, hat das römisch-deutsche Reich den Weg zur modernen Staatlichkeit nicht gefunden; es blieb bis zu seinem Ende im Jahre 1806 ein archaisch wirkender, mittelalterlichen Denkformen verhafteter Personenverband. Dies erscheint um so bemerkenswerter, als in den Territorien weitgehend verwirk- Unterschiedliche licht wurde, was dem Reich als Ganzem versagt bliebt, so daß es in Entwicklungen im Reich und in den Deutschland eher die Territorialherrschaften waren, die den Grund- westeuropäischen stock für die Ausbildung des modernen „Anstaltsstaates" gelegt ha- Monarchien ben. Die Gründe für diese Entwicklung reichen bis in die Entstehungszeit des Reiches zurück; seine monarchische Gewalt sah sich von Anfang an mit weit ungünstigeren Ausgangsbedingungen sowohl in geographischer als auch in strukturell-politischer Hinsicht (Größe und Oberflächenstruktur, geringeres Ausmaß der Romanisierung, unterschiedliche Adelsstruktur) konfrontiert als z. B. das Königtum in Frankreich und England. Dazu kamen „biologische Zufälle" (Aussterben von Königsdynastien) und besondere, auf das Gründe für diese Reich beschränkte politische Probleme des Hochmittelalters, wie Entwicklung etwa der Investiturstreit, die Doppelwahl von 1198 und der Zusammenbruch der Stauferherrschaft nach dem Tode Friedrichs IL, die den herrschaftspolitischen Spielraum des deutschen Königtums zusätzlich beschränkten. Aus diesem hochmittelalterlichen Erbe waren vor allem fünf spezifisch „deutsche" Probleme entstanden, die die spätmittelalterliche Verfassungsgeschichte des Reiches entscheidend geprägt haben. Während in Westeuropa nach dem Grundsatz nulle terre sans
2
I.
Enzyklopädischer Überblick
seigneur („kein Land ohne [Lehns-]Herr") der König als oberster [Lehns-]Herr von Grund und Boden galt, befand sich in Deutschland ein Großteil des Grundbesitzes als Allod (eigen) in der Hand des Adels und bildete damit die Grundlage für „autogene", das
heißt von niemandem auch nicht vom König abgeleitete Adelsherrschaft (Allodialismusproblem). Zwar hatte bereits das staufische Königtum das dahinter stehende Herrschaftsproblem erkannt und versucht, diese dem verfassungspolitischen Zugriff entzogene adlige Allodiaiismus- Herrengewalt mit Hilfe des Lehnrechts zu „feudalisieren" und daproblem mjt m auftragsgebundene, abgeleitete Königsherrschaft umzuwandeln; dieser Feudalisierungsprozeß, der sich auch im Spätmittelalter verstärkt fortsetzte, hat jedoch bereits einen Teil der Herrschaftsenergien des staufischen und spätmittelalterlichen Königtums absorbiert, die dann bei anderen herrschaftspolitischen Zielen wie etwa der Stärkung der lehnsherrlichen Rechtsstellung des Königs fehlten. Im Zusammenhang mit dem Allodialismusproblem, der Größe des mittelalterlichen Reiches, den Schwierigkeiten der Kommunikation sowie den unterschiedlichen Interessen des Königs und der Teilgewalten untereinander ergab sich ein weiteres Grundproblem: „die Frage nach dem inneren Zusammenhalt oder anders formuliert nach der inneren Differenziertheit des Reiches" (Kohärenzproblem) (Moraw). Diese Differenziertheit führt dazu, daß man von den Erfolgsaussichten königlicher Herrschaftspolitik her gesehen das Reich geradezu in bestimmte Landschaftszonen aufteilen und z.B. von „königsnahen" (Franken, Mittelrhein-Untermain, Teile Kohärenzproblem Schwabens, teilweise Saale-Elbe-Region), „königsoffenen" (z. B. Oberrhein, innerer Niederrhein) und „königsfernen Landschaften" (im Norden und äußeren Südwesten) sprechen kann (Moraw). Erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts unter dem Druck äußewuchs das deutsche Reich zu einer engeren rer Bedrohungen „Pflichten- und Lastengemeinschaft" (Isenmann) zusammen; der in dieser Zeit aufkommende Begriff von der „deutschen Nation" kann wohl als ein Symptom für diesen „Verdichtungsprozeß" gedeutet werden. Die Monarchien Westeuropas hatten schon früh damit begonnen, auf einer breiten personellen Basis weisungsgebundener Amtsträger (baillifs, prévôts, vicecomites, sheriffs) so etwas wie eine allgemeine Verwaltung aufzubauen. Mit ähnlicher Zielrichtung wenn auch zunächst begrenzt auf das Reichsgut (terrae imperil) versuchte vor allem das staufische Königtum im Rahmen einer gezielten -
-
-
-
-
-
-
-
A. Das römisch-deutsche Reich des
Spätmittelalters
3
Reichsgutpolitik („Reichslandpolitik") unfreie, im Dienst des Königs stehende Dienstmannen (Ministerialen) als personelle Basis einer Reichsgutverwaltung und vielleicht auch als Grundlagen einer später hierauf aufbauenden allgemeinen Reichsverwaltung heranzuziehen. Diese Konzeption scheiterte jedoch daran, daß spätestens
nach dem Zusammenbruch der Stauferherrschaft diese ehemals unfreien Reichsministerialen sich bereits so weit von der königlichen Dienstherrengewalt emanzipiert hatten, daß sie sich in nichts mehr von den freien, nach Lehnrecht an den König gebundenen „Nor- Amtsherrscliaftlimalvasallen" unterschieden und damit für eine Verwendung als ches Organisationsproblem weisungsgebundene, jederzeit absetzbare Amtsträger nicht mehr in Frage kamen. Da hiermit zugleich die personelle Basis für den Aufbau einer allgemeinen Reichsverwaltung entfallen war, bot sich nun für das Königtum im Grunde keine Alternative mehr für das bisher geübte Verfahren an, durch „planvolle Zerlegung" (Mitteis) und Übertragung königlicher Gewalt im Wege lehnrechtlicher Verleihung seinem Herrschaftsauftrag gerecht zu werden. Es gab keine Reichsverwaltung und damit auch keine Exekutionsorgane des Königs. Das hier sichtbar werdende amtsherrschaftliche Organisationsproblem gehörte daher ebenfalls zu den Grundtatsachen, die die Verfassungswirklichkeit des spätmittelalterlichen Reiches entscheidend geprägt haben. Während sich in Westeuropa Erbkönigreiche entwickelten, setzte sich im Reich nach dem Tode Kaiser Heinrichs VI. der Wahlgedanke in der Form des freien Wahlrechts endgültig durch, so daß die Dynastien mehrfach wechselten und damit eine im Vergleich extreme Diskontinuität entstand (Kontinuitätsprozu Westeuropa blem). Angesichts der grundsätzlichen Ungewißheit über die Nachfolge war das Interesse des Königs zunächst auf die eigene Dynastie Kontinuitätsund Hausmacht, dann erst auf das Reich gerichtet. Von einem problem „Hausmachtkönigtum" kann man allerdings erst seit Karl IV. sprechen, da im ersten Jahrhundert nach dem Interregnum der König noch in aller Regel darauf verzichtete, neben der Königsherrschaft auch die Landesherrschaft über die Hausmachtterritorien in seiner Hand zu vereinigen, sondern es vorzog, mit der Herrschaft über die Hausmachtgebiete die eigenen Söhne oder andere Mitglieder seiner Dynastie zu betrauen. Der König beanspruchte zwar für seine Person von Rechts wedie Alleinherrschaft am Reich; in der Praxis traf er jedoch auf gen dualistische Gegenkräfte (Dualismusproblem), etwa in Gestalt des Dualismusproblem Papsttums, vor allem aber in Form von Kurfürsten und Fürsten, de-
-
4
I.
Enzyklopädischer Überblick
allerdings erst gegen Ende des Mittelalters gelang, den monistischen Anspruch des Königtums zurückzudrängen, in der Form des Reichstages Anteil an der Reichsherrschaft zu erlangen und auf diese Weise den Dualismus zwischen König und Reich zu institutionalisieren. nen es
B.
Königtum und Königsherrschaft im Spätmittelalter
1. Deutsches
Königtum
und römische Kaiserwürde
Der deutsche König des Spätmittelalters nannte sich in seinen Urkunden rex Romanorum, romischer kunig. In dieser Titulatur kommt bereits zum Ausdruck, wo die Grundlagen und das Selbstverständnis dieses Königtums zu suchen sind: in der Verbindung des regnum Teutonicum mit den romanischen Reichsteilen, in der Verknüpfung
zwischen deutscher Königsherrschaft und römischer Kaisertradition. Denn der deutsche König erlangte mit seiner Wahl und Krönung in Aachen zugleich eine Anwartschaft auf den Empfang der Kaiserkrone, und daraus leitete er den Anspruch ab, bereits jetzt auch Kaiserherrschaft (imperatura), was vor allem Herrschaft in Königs-und Reichsitalien und Burgund bedeutete, auszuüben. Aus dieser Dop- Kaiserherrschaft pelfunktion zwischen deutscher Königswürde und römischem Kaisertum ergaben sich in der Praxis zahlreiche Rechtsprobleme, die im Spätmittelalter zu Auseinandersetzungen mit den betroffenen Herrschaftsträgern in den romanischen Reichsteilen, vor allem aber mit dem Papsttum, führten, das naturgemäß an einer Entwertung seines Krönungsrechtes kein Interesse haben konnte. So beschränkte sich Papst Innozenz III. im Thronstreit nach der Doppelwahl von 1198 nicht darauf, den ihm angetragenen konkreten Streitfall zu entscheiden, sondern forderte ein grundsätzliches päpstliches Mitwirkungsrecht bei der Wahl des künftigen Kaisers, indem er für sich in Anspruch nahm, nicht nur das Wahlverfahren, sondern auch die „Eignung" (idoneitas) des Gewählten förmlich zu überprüfen und dabei gegebenenfalls den Kandidaten zu bestätigen (approbare) oder zurückzuweisen (reprobare). Dieses päpstliche „Approbationsrecht", das später in die von Papst Gregor IX. zusammengestellte ApprobationsanDekretalensammlung des Liber Extra [X 1.6.34, ed. 20: Corpus, sprach des Papste 2,79] Aufnahme fand, wurde sowohl mit dem Hinweis auf die angebliche Übertragung des römischen Reiches durch die Kirche von den Griechen auf die Franken (translatio imperii) als auch mit dem Argument begründet, daß der Papst, der den Gewählten zum Kaiser
6
I.
Enzyklopädischer Überblick
krönen solle, auch das Recht haben müsse, dessen Eignung zu überprüfen. In konsequenter Weiterführung dieser Überlegungen ging das Papsttum davon aus, daß vor der Kaiserkrönung, zumindest aber vor erteilter Approbation, das Reich noch „vakant" sei; für diesen Fall nahm es die Befugnis zur Ausübung der Reichsrechte (Reichsvikariat), vor allem in Reichsitalien, in Anspruch. Diese Ansicht blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Rechtspraxis in den romanischen Reichsteilen, wie das Aufkommen sogenannter „reichsfeindlicher" Theorien nach dem Interregnum zeigt, die dem König erst nach dem Vorliegen bestimmter Voraussetzungen das Recht Päpstliches Reichs- einräumten, auch außerhalb des regnum Teutonicum Reichsherrvikariat und schaft auszuüben. So machten einige die Herrschafsbefugnis des „reichsfeindliche" Theorien Königs davon abhängig, daß der Papst der Königswahl im Wege der Approbation förmlich zugestimmt habe („Approbationstheorie"), während andere sogar glaubten, erst einem in Rom gekrönten Kaiser gegenüber verpflichtet zu sein („Krönungstheorie"). Wieder andere forderten als Voraussetzung für die Ausübung der Königsherrschaft in diesen Gebieten vertragliche Vereinbarungen („Rezeptionstheorie") oder die Fähigkeit des Königs, seine Herrschaft mit Waffengewalt durchzusetzen („Machttheorie"). Demgegenüber bestand das Königtum darauf, bereits nach der Krönung in Aachen nicht nur in Deutschland, sondern auch in den romanischen Reichsteilen kaiserliche Herrschaftsrechte wahrnehmen zu können. Vor dem Hintergrund der machtpolitischen Auseinandersetzungen zwischen Ludwig dem Bayern und dem avignonesischen Papsttum prallten die gegensätzlichen Auffassungen über das Kaisertum in aller Schärfe aufeinander. Dabei gelang es Kaiser Ludwig, die Kurfürsten im Rhenser Kurfürstenweistum (1338) [42: Kurfürsten weistum Weinrich, Quellen, Nr. 88] zu einer förmlichen Erklärung über die von Rhens Reichsrechte des gewählten Königs zu veranlassen. Hiernach sollte dieser allein kraft seiner Wahl durch die Kurfürsten auch ohne päpstliche Approbation dazu befugt sein, die Verwaltung der Güter und Rechte des Reiches (administratio bonorum et iurium imperii) an sich zu nehmen. Was die Kurfürsten noch mit vorsichtiger Zurückhaltung ausgedrückt hatten, wurde dann von Kaiser Ludwig in dem Reichsgesetz Licet iuris vom gleichen Jahre [ebd. Nr. 89] noch einseitig verschärft: Der von den Kurfürsten Gewählte solle von allen „als wahrer und rechtmäßiger Kaiser" (pro vero et legitimo imperatore) angesehen werden, so daß nach dieser Auffassung der päpstlichen Kaiserkrönung in Rom allenfalls noch symbolische Bedeutung zukam. Wenn sich auch diese radikale Lösung nach dem -
-
B.
Königtum
und
Königsherrschaft
im
Spätmittelalter
7
Tod Kaiser Ludwigs politisch nicht durchsetzen ließ, so arbeitete die Zeit dennoch zugunsten des Königtums. In der Goldenen Bulle, dem berühmten Reichsgesetz Kaiser Karls IV. vom Jahre 1356 [ebd. Nr. 94], wurde der Konflikt auf diplomatisch geschickte Weise auf Eis gelegt, indem man zwar die eindeutig radikalen Formulierungen des Licet iuris vermied, andererseits aber auch die volle kaiserliche Verfügungsgewalt des noch nicht zum Kaiser gekrönten römischen Königs, der als in imperatorem promovendus oder als imperator electus bezeichnet wurde, grundsätzlich nicht in Frage stellte. Während die päpstlichen Ansprüche auf Approbation und Reichsvikariat mit Stillschweigen übergangen wurden, wurde das Reichsvikariatsrecht in Deutschland dem rheinischen Pfalzgrafen für die Länder fränkischen Rechts und dem Herzog von Sachsen für den sächsischen Rechtsbereich zugesprochen. Diese Entwicklung führte zu einer allmählichen staatsrechtlichen Entwertung der päpstlichen Kaiserkrönung, die dann seit dem 16. Jahrhundert als entbehrlich angesehen wurde (letzte Kaiserkrönung: Karl V. in Bologna 1530). War somit die rechtliche Bedeutung der Kaiserkrönung, zumindest nach königlicher und kurfürstlicher Auffassung, im Spätmittclalter eher gering, so war dennoch ein für den römischen König wichtiges Recht an die Kaiserkrönung gebunden. Nur der gekrönte Kaiser konnte andere zu Königen erheben nur ein Kaiser konnte daher bereits zu seinen Lebzeiten den eigenen Sohn zum römischen König wählen lassen, um auf diese Weise die Familienkontinuität in einem Wahlreich zu wahren. Im übrigen vermittelte bereits die Anwartschaft auf die Kaiserkrone dem römisch-deutschen König auch noch im Spätmittelalter ein schwer faßbares „Mehr" an Autorität gegenüber den anderen Königen Europas, das es z.B. König Sigmund erlaubte, im Rahmen der Verhandlungen des Konstanzer Konzils eine auch von änderen Mächten anerkannte politische Schlüsselrolle einzunehmen. Bewußt knüpfte das spätmittelalterliche Königtum dabei an das Pathos der staufischen Herrschaftsideologie an, wie es sich in den Arengen der Herrscherurkunden niedergeschlagen hat. So wurde auch im Spätmittelalter der sakrale Charakter des Reiches und das Charisma des Kaisers betont, ja geradezu mystisch übersteigert. Das Reich wurde in der Terminologie der königlichen Kanzlei zum „heiligen Reich" (sacrum Imperium), von den „heiligsten Reichsgesetzen" (sacratissimae leges imperil) war die Rede, der König sprach von den römischen Kaisern als seinen „vergöttlichten Vorfahren" (nostri divi predecessores) und ließ sich selbst als „geheiligte Majestät" (sacra maiestas) oder gar als
Regelung in der Goldenen Bulle
-
Bedeutung der Kaiserkrönung
Das sakrale Charisma der Königsund Kaiserwürde
8
I.
Enzyklopädischer Überblick
in terris) preisen. Vor diesem Hintergrund des Zeremoniells, die auf die sakrale auch bestimmte Formen sind Kaisers des Würde abstellten, zu sehen. Dazu gehörte (künftigen) z.B. der liturgische Empfang des Königs durch die Geistlichkeit des jeweiligen Gastortes im Rahmen einer kirchlichen Prozession mit Traghimmel, brennenden Kerzen, Weihrauch und vorangetragenem Kreuz sowie vor allem auch der sogenannte „Weihnachtsdienst". Hierbei handelte es sich um einen eigenartigen, seit der Regierungszeit Karls IV. bezeugten Brauch, der dem römischen König als einzigem Laien das Recht zugestand, im Rahmen der feierlichen Weihnachtsmette in der Heiligen Nacht aus dem Lukas-Evangelium vorzutragen: Exiit edictum a Caesare Augusto, ut describeretur uniDer königliche versus Orbis „es ging ein Gebot aus von dem Kaiser Augustus, daß »Weihnächte- der gesamte Erdkreis geschätzt werde". Der König erschien hierzu im geistlichen Gewände mit Pluviale und Stola, die Krone auf dem Haupt, umgeben von den Fürsten des Reiches, von denen einer das blanke Reichsschwert als Symbol kaiserlicher Herrschaftsgewalt über dem Haupt des Vortragenden gezückt hielt. Wenn es sich bei der Lesung auch nur um einen einzigen, zudem verkürzten Satz aus dem Evangelium handelte, so waren doch der Symbolwert und die politische Brisanz dieser Aussage unübersehbar: Der Nachfolger der römischen Kaiser erhielt hier die Möglichkeit, in der feierlichen Stunde, in der die gesamte Christenheit der Geburt ihres Erlösers gedachte, die Welt daran zu erinnern, daß es zur Zeit von Christi Geburt zwar noch keinen Papst, dafür aber bereits einen Kaiser gegeben hatte und daß die Heilige Schrift selbst die universale Herrschaftsgewalt dieses Kaisers, die sich über den ganzen Erdkreis erstreckte, verkündete.
„Gott auf Erden" (deus
-
-
-
2. Die
Thronfolge
Noch im hochmittelalterlichen Reich beruhte die Thronfolge auf einer Kombination von Geblüts- oder Sippenrecht und Wahlgedanken. Das Geblüts- oder Sippenrecht geht auf uralte germanische Traditionen zurück, wonach der Königssippe ein besonderes Herrschaftscharisma (Königsheil) zugemessen wurde, das den königlichen Familienverband allein dazu prädestinierte, Königsherrschaft auszuüben. Demgegenüber verkörperte das Wahlprinzip den GeGeblütsrecht und danken der idoneitas, der Prüfung der Eignung des Kandidaten, der Wahlgedanke aucri von der Kirche unterstützt wurde, die schon von ihrer Tradi-
B.
Königtum und Königsherrschaft im Spätmittelalter
9
tion her dem aus heidnischen Vorstellungen erwachsenen Sippengedanken grundsätzlich skeptisch gegenüberstand. Im hochmittelalterlichen Reich hatte sich insofern eine Synthese zwischen beiden Prinzipien durchgesetzt, als der König zwar gewählt, aber der Kreis der wählbaren Kandidaten grundsätzlich auf die königliche Sippe begrenzt wurde. Wie die westeuropäischen Monarchien zeigen, hätte diese Thronfolgeregelung durchaus auch zu einem dynastischen Erbkönigtum führen können. Einen Ansatz auf diesem Wege bedeutete die im Hochmittelalter verbreitete Praxis der Designation, die es dem Herrscher erlaubte, aus dem Kreise der königlichen Sippe bereits einen Nachfolger als künftigen König zu bezeichnen, was einem bindenden Wahlvorschlag gleichkam. Während sich in England und Frankreich bis zum Ende des 12. Jahrhunderts das Erbkönigtum durchsetzen konnte, gewann in Deutschland der Wahlgedanke in der extremen Ausbildung des „freien Wahlrechts" die Oberhand. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. So spielten biologische Zufälle (Aussterben von Königsfamilien in der männlichen Linie, hoher Anteil frühzeitiger Todesfälle), aber auch der Widerstand der Kirche und der bevorrechtigten Königswähler gegen eine Aushöhlung des Wahlgedankens sicher eine gewisse Rolle. Entscheidend für die Ausbildung des „freien Wahlrechts" waren jedoch konkrete politische Tatbestände, wie das Scheitern des „Erbreichplanes" Kaiser Heinrichs VI. sowie dessen früher Tod (1197) mit der Doppelwahl des Jahres 1198, so Sieg des „freien daß bereits in den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts der Sach- Wahlrechts" in Deutschland senspiegel davon ausging, daß zum König grundsätzlich jeder freie Mann gewählt werden könne [36: Sachsenspiegel Landrecht 111,54 § 3], Dies wurde in der spätmittelalterlichen Praxis auch durch „springende Wahlen" mit wechselnden Königsfamilien und Königen, die keineswegs alle dem Fürstenstand angehörten, bestätigt. Der König konnte dieser Entwicklung nur dadurch begegnen, daß er die Königswahl des eigenen Sohnes betrieb, was allerdings den Empfang der Kaiserkrone und Wahlverhandlungen mit entsprechenden Zugeständnissen an die Wähler voraussetzte. Im Verfahren bei der Königserhebung sind noch im Hochmittelalter begrifflich mehrere Rechtsakte zu unterscheiden, die allerdings im Zusammenhang zu sehen sind. Der eigentlichen politischen Entscheidung, der Wahl im engeren Sinne, die mit der Festle- Verfahren bei der gung der Wähler auf einen Kandidaten endete (vota dirigere in Königserhebung unum), folgten die förmliche Benennung des Kandidaten zum König (Kur) sowie die Zustimmungserklärung aller Anwesenden in
10
I.
Enzyklopädischer Überblick
Form der Akklamation. Nach diesem Wahlakt im weiteren Sinne auch noch im Spätmittelalter üblich, daß der Kandidat durch symbolische Rechtshandlungen förmlich von der Königsherrschaft im Reich Besitz ergriff. Hierzu gehörte zunächst das sogenannte „Königslager", das heißt die Verpflichtung für den Gewählten, in einem mehrwöchigen Feldlager vor der Stadt Aachen, bzw. später vor Frankfurt, Einsprüche potentieller anderer Thronbewerber gegen die Wahl abzuwarten und gegebenenfalls mit Waffengewalt zurückzuweisen. Die Thronerhebung wurde endlich durch die Salbung und Krönung in Aachen mit dem anschließenden Krönungsmahl war es
abgeschlossen. Für die eigentliche Königswahl bildete sich
erst im Spätmittelalter ein bestimmtes Verfahren heraus. Noch im Hochmittelalter wurde der König in der Theorie „vom ganzen Volk" (ab omni populo) gewählt. Wenn auch am tatsächlichen Einfluß der Großen des Reiches auf die Wahl kaum gezweifelt werden kann, so ging man doch von der Vorstellung aus, daß der Kreis der Wahlberechtigten Von der „Volks- grundsätzlich offen war. Eine entscheidende Wende brachte erst der wahl" zur Fürsten- Thronstreit nach der Doppelwahl des Jahres 1198, als die weifische wahl Partei Unterstützung für ihren Kandidaten bei Papst Innozenz III. suchte und dabei die Ansicht vertrat, daß für die Königswahl, die „auf fränkischer Erde" zu erfolgen habe, die Teilnahme und Zustimmung bestimmter Wähler, nämlich der rheinischen Erzbischöfe und des Pfalzgrafen bei Rhein, unabdingbar sei. Der Papst schloß sich insofern dieser Auffassung an, als er von Personen sprach, „denen die Kaiserwahl hauptsächlich zukomme" (ad quos principaliter spectat imperatoris electio) [34: Regestum Innocentii Nr. 29, S. 88], ohne diesen Wählerkreis jedoch näher zu definieren. Auch aus den Quellen der folgenden Königswahlen geht nicht hervor, inwieweit sich diese Auffassung von der Beschränkung der Königswähler auch in der Praxis durchgesetzt hatte. Einen neuen Stand läßt erst die aus den zwanziger Jahren des 13. Jahrhunderts stammende deutsche Fassung des Sachsenspiegels erkennen. Hiernach wurde den drei rheinischen Erzbischöfen von Trier, Mainz und Köln sowie dem Pfalzgrafen bei Rhein, dem Herzog von Sachsen und dem Sachsenspiegel: Markgrafen von Brandenburg das Recht zugebilligt, als erste vor Erstkurrecht und den übrigen Fürsten den künftigen Kaiser zu „küren", das heißt, Erzämter die vorher getroffene Wahl durch den Kürspruch unter Namensnennung des Kandidaten, förmlich zu verkünden. Der Wahlakt selbst als die eigentliche politische Entscheidungshandlung sollte jedoch nach wie vor von allen geistlichen und weltlichen Fürsten ge-
-
B.
Königtum und Königsherrschaft
im
11
Spätmittelalter
meinsam vorgenommen werden. Das besondere „Erstkurrecht" der genannten drei weltlichen Fürsten wurde vom Sachsenspiegel damit begründet, daß diese Wähler im Besitz bestimmter Ehrenämter beim Krönungsmahl (Truchsessen-, Marschall- und Kämmereramt) seien, wobei der König von Böhmen obwohl im Besitz des Schenkenamtes ausgeschlossen sein sollte, da er kein Deutscher sei. Wenn auch das hier genannte Vorrecht noch mehr als Ehrenrecht aufgefaßt wurde, so bedeutete die vom Sachsenspiegel vertretene „Erzämtertheorie" in der Praxis doch „einen erheblichen Schritt auf dem Wege zur Anerkennung subjektiver Wahlrechte" (Mitteis) einzelner Wahlfürsten. Bereits in der Doppelwahl von 1257 erschieein- 1257: die Kurfürnen die nach dem Sachsenspiegel bevorrechtigten Fürsten schließlich des vom Sachsenspiegel noch ausgeschlossenen Königs sten als alleinige Konigswahler als alleinige Konigswahler. Dieser Gruppe war es im von Böhmen Ergebnis gelungen, ihr formales Ehrenvorrecht in ein alleiniges Königswahlrecht umzudeuten und die anderen Fürsten vom Wahlakt auszuschließen. Mit der Beschränkung der Königswahl auf die künftigen sieben „Kurfürsten" waren zwiespältige Wahlen allerdings noch keineswegs ausgeschlossen, wie die Doppelwahlen von 1257 und 1314 zeigen. Denn noch hatte sich das Mehrheitsprinzip innerhalb des Kurkollegs nicht durchgesetzt. Erst die Goldene Bulle vom Jahre 1356, in der die Königswahl endgültig geregelt wurde, legte neben dem Alleinstimmrecht der Kurfürsten auch das Mehrheitsprinzip bei der Wahl für die Zukunft verbindlich fest. -
-
-
,,
t^-
^
•
•
-
3. Der
König und
das Recht
Die Stellung des Königs zum Recht wurde auch noch im Spätmittelalter stark von alten, aus dem Früh- und Hochmittelalter überkommenen Auffassungen geprägt. Hiernach war das Recht nicht Produkt menschlicher Vernunft, sondern unmittelbarer Bestandteil der göttlichen Weltordnung selbst; es war damit wie diese seinem Wesen nach „alt", „gut" und „ungeschrieben". Wie das göttliche Walten stand diese althergebrachte „gute Gewohnheit" (bona consuetudo) nicht nur über dem Herrschaftsanspruch des Menschen; sie Die Auffassung menschlicher Disposition entzo- vom „guten war auch grundsätzlich ö Jjeglicher b „alten" Recht gen. Recht konnte weder gesetzt, noch gemacht, noch verbessert, sondern allenfalls aufgespürt, „gefunden" und vor dem Mißbrauch (abusus), dem Unrecht (mala consuetudo), geschützt und gegebenen,
t
12
Der König als Wahrer des Rechts
I.
Enzyklopädischer Überblick
falls in seinem Bestände wiederhergestellt werden. Aufgabe des Königs war es deshalb nicht, neues Recht im Wege der Gesetzgebung zu schaffen, sondern das bereits in der Form des altüberlieferten Herkommens existente Recht zu „wahren", zu „handhaben" und zu „stärken", wie es in der Sprache der Quellen heißt. Wenn somit auch der Idee nach dem König praktisch jede Rechtsneuerung und -fortbildung untersagt war, so bot doch bereits die hochmittelalterliche Praxis ein wesentlich differenzierteres Bild. Im Ergebnis wurde das der Idee nach statische Recht einem dauernden Wandlungs- und Fortbildungsprozeß unterworfen: Indem der König nämlich durch zahlreiche Einzelprivilegien und -regelungen etwa neue im Bereiche der Kirchenherrschaft und des Lehnswesens Herrschafts- und Normensysteme schuf, wurde auch die Rechtsordnung insgesamt im Sinne der königlichen Vorstellungen modifiziert und umgestaltet. Weiter kompliziert wurde die Rechtswirklichkeit dadurch, daß das Königtum seit der Stauferzeit auch auf römisch-rechtliche Vorstellungen zurückgriff, die seit dem 14. Jahrhundert als „Kaiserrecht" nicht nur in den romanischen Reichsteilen, sondern nun auch verstärkt im regnum Teutonicum Eingang fanden. Im Gegensatz zu der geschilderten „deutschrechtlichen" Auffassung hatten die Römer das Recht als Ergebnis menschlicher Vernunft betrachtet, dessen Funktion darin bestand, das Zusammenleben der Menschen rational zu regeln und die Existenz sowie den Weltherrschaftsanspruch des römischen Imperiums zu sichern. Im Rahmen dieser Vorstellungen kam dem römischen Staat später repräsentiert durch die Person des Kaisers nicht nur die Aufgabe zu, Recht verbindlich festzustellen, sondern dieses Recht auch durch Gesetze und Einzelanweisungen (rescripta principis) zu ändern und weiterzuentwickeln wie es der Rechtsgelehrte Ulpian in dem bekannten Satz, der später in die Rechtssammlung des Corpus iuris civilis eingegangen ist, formuliert hat: „Was dem Kaiser gefällt, hat Gesetzeskraft" (quod principi placuit, legis habet vigorem) [Dig. 1,4,1, ed. 21: Corpus 1, 35]. Weitere Rechtssätze aus der gleichen Sammlung, wie z.B. die Feststellung: „Der Kaiser ist an die Gesetze nicht gebunden" (princeps legibus solutus est) [Dig.1,3,31, ed. 21: Corpus 1,34], schienen den deutschen König, der sich als legitimer Nachfolger der römischen Kaiser sah, von den Fesseln des „guten, alten Rechts" zu befreien. Es verwundert daher kaum, daß auch die spätmittelalterlichen Könige vor allem nach der Kaiserkrönung sich auf diese für ihre Rechtsstellung günstigen Vorstellungen beriefen, die seit -
-
-
-
Römisch-rechtliches Rechtsverständnis
-
-
-
B.
Königtum
und
Königsherrschaft
im
Spätmittelalter
13
dem 14. Jahrhundert über den neuen Typus des am römischen Recht verstärkt auch nördlich der Alpen verbreitet wurden und die dazu führten, daß der König als „Quelle allen Rechts" angesehen, ja mit dem Recht selbst geradezu identifiziert wurde. So hatte sich bereits Kaiser Friedrich II. in seinen Ur- Der König als künden als lex animata in terris, als die Inkarnation des Rechts auf >.Qlielle allen Rechts" Erden schlechthin, verherrlichen lassen, und im 15. Jahrhundert schienen Wendungen wie der kung were uberall gesetz und recht und wer das lebendig recht in sinem herezen, und daz gemein geseez daz bind in nicht [25: Fürstenbergisches Urkundenbuch 6, Nr. 195, Anm. 4, 298] darauf hinzudeuten, daß sich die neue Auffassung von der Stellung des Königs zum Recht auch im regnum Teutonicum durchgesetzt hatte. Dennoch waren in der Rechtspraxis nach wie vor auch noch die alten Vorstellungen lebendig.
geschulten Rechtsgelehrten
4.
Erscheinungsformen König als
der
Königsherrschaft
Herr des
Reichsgutes Mit seiner Wahl und Krönung erlangte der König die Herrschaft über das Reichsgut, das sich aus dem Reichsgut im engeren Sinne (Reichskammergut), dem Reichslehngut und dem nicht nach Lehnrecht ausgegebenen Reichskirchengut zusammensetzte. Diese HerrSchaftsgewalt bedeutete jedoch nicht, daß der König zum Eigentümer des Reichsgutes wurde. Vielmehr galt auch noch im weiteren Verlauf des Spätmittelalters die Auffassung, die der Dichter Reinmar von Zweter (t um 1260) in die Worte gefaßt hat: daz riche dast des keisers niht, er ist sin phleger unt sin vogt [35: Roethe, Reinmar von Zweter Nr. 146, S. 484]. Der König erlangte lediglich eine dem Vormund eines Mündels vergleichbare Rechtsstellung, die ihm kein Eigentum (eigen), sondern allenfalls eine „treuhänderische Gewere" (Mitteis/Lieberich) am Reichsgut vermittelte. Wie von einem Vormund erwartete man vom König, daß er die Rechte und Güter des Reiches wenigstens in ihrem Bestände erhalte, möglichst aber noch vermehre. Quellenmäßig fassen läßt sich diese doppelte Erwartung, die im Spätmittelalter geradezu den Rang eines fundamentalen Verfassungsgrundsatzes annahm, im Krönungseid und vor allem in der irrigen Ableitung des römischen Augustus-Titels vom lateinischen Verb augere (vermehren), was dann in der Urkundenpraxis dazu führte, daß dem König der formelhafte Titel semper Augustus zuer4.1 Der
kannt wurde, der deutsch mit allzit ein
merer
des richs oder ähnlich
Zusammensetzung Reichssutes
des
Verfügungsgewalt des kömss
14
I.
wiedergegeben wurde.
Enzyklopädischer Überblick Wenn der
„mehren", zuwiderhandelte
König diesem Gebot, das Reich zu
etwa
indem
er
Reichsrechte ohne
ent-
sprechende Gegenleistung preisgab -, konnte dies als Grund zur Absetzung aufgefaßt werden, wie das Beispiel König Wenzels zeigt, -
Der König als hrer" des Reichcs
jem bei seiner Absetzung unter anderem vorgeworfen wurde, mit der Erhebung Mailands zum Herzogtum gegen eine Geldzahlung die Rechte des Reiches verletzt zu haben. Wollte der König bei der Veräußerung von Reichsgut nicht Gefahr laufen, als ein versumer des riches getadelt zu werden, empfahl es sich bereits im Hochmittelalter, entsprechende Verfügungen nur mit breiter Zustimmung der Fürsten zu treffen.
königliche Lehnsherrschaft Der König war oberster Lehnsherr im Reich und damit auch Herr des Reichslehngutes. Die damit verbundene königliche Lehnsherrschaft gründete sich auf das Lehnswesen, dessen Anfänge bis in die Karolingerzeit zurückreichen. Nach wie vor beruhte dieses System auf folgendem Grundprinzip: Ein Freier (genannt Lehnsherr, lat. dominus) überließ einem anderen Freien (genannt [Lehns-]Mann, Vasall, lat. homo) regelmäßig auf Lebenszeit ein Stück Land, ein 4.2 Die
Grundprinzip des Lehnswesens
Amt oder ein anderes vermögenswertes Recht, das dauernde Erträge abwarf (Lehen, lat. feudum), zur Nutzung gegen das Versprechen, ihm Treue, Gehorsam und Dienstleistungen, vor allem ritterlichen Waffendienst, zu erweisen. Die Besonderheiten des auf diese Weise entstehenden Rechtsverhältnisses spiegeln sich bereits im Be-
lehnungsakt wider, der aus drei rechtsbedeutsamen Handlungen bestand: Mannschaft, Treueid und Investitur. Mit der Mannschaftsleistung (lat. hominium, homagium), die meist in der Form des „Handganges" (Ineinanderlegen der Hände des Vasallen in die des Herrn) erfolgte und damit an uralte Selbstverknechtungsriten erinnerte, unterwarf sich der Vasall der Herrengewalt des zukünftigen Lehnsherrn. Die Härte dieses Unterwerfungsaktes wurde aber wesentlich Mannschafts- durch die zweite Rechtshandlung, die Leistung des Treueides leistung, Treueid, (Hulde, lat. fidelitas), modifiziert. Das hierin zum Ausdruck komInvestitur mende Treueprinzip band nicht nur einseitig den Vasallen, sondern es begründete ein wechselseitiges Rechtsverhältnis, das sowohl den Mann als auch umgekehrt den Herrn zur Treue verpflichtete; dadurch wurde die quasi-knechtische Unterwerfung zu einer Art Partnerschaftsverhältnis aufgewertet und damit für den Freien und Adligen erst akzeptabel. Mit der Investiturhandlung (investitura) räumte
B.
Königtum
und
Königsherrschaft
im
Spätmittelalter
15
der Lehnsherr endlich mit Hilfe eines symbolträchtigen Gegenstandes (Fahne, Szepter u.a.) dem Vasallen die Gewere und damit die Nutznießungsbefugnis am Lehnsobjekt ein. Das Lehnsverhältnis wurde grundsätzlich von beiden Partnern auf Lebenszeit eingegangen, und es konnte vom Lehnsherrn nur beim Vorliegen besonderer Umstände unter Einhaltung eines förmlichen Rechtsverfahrens vor den Mitvasallen (pares curiae) im Lehngericht widerrufen werden. Aus dem Treueprinzip ergab sich Rechtsverhältnis außerdem ein streng persönlicher Charakter des Rechtsverhältnisses. auf Lebenszeit Wenn sich im Laufe des Hochmittelalters die Erblichkeit auch im Bereich des Lehnrechts durchgesetzt hatte, so gingen die Lehen beim Tode des Lehnsherrn (Herrenfall) oder des Vasallen (Mannfall) niemals automatisch auf den Rechtsnachfolger über. Wollte dieser nicht Gefahr laufen, seine Ansprüche für immer zu verlieren, war er gehalten, innerhalb einer Frist von „Jahr und Tag" (= in der Regel ein Jahr, sechs Wochen und drei Tage) das Lehen zu „muten", das heißt vom Lehnsherrn die Erneuerung des Lehnsverhält- Mutungspflicht nisses zu verlangen. Waren keine zur Nachfolge berechtigte Personen vorhanden oder wurde das Lehen dem Vasallen wegen Verletzung der Lehnspflichten (Felonie) abgesprochen, so fiel es an den Lehnsherrn zurück (Lehnsheimfall). Als Lehndienste hatte der Vasall „Rat und Hilfe" (consilium et auxilium) zu leisten, wobei sich diese abstrakte Verpflichtung auch noch im Spätmittelalter vor allem in der „Hoffahrt" und der „Heerfahrt" konkretisierte. Während der Vasall im Zuge der Hoffahrtspflicht gehalten war, den Herrn an seinem Hofe aufzusuchen, ihn dort zu beraten und am lehnsherrlichen Gericht mitzuwirken, hatte er im Falle eines bewaff- Lehndienste neten Konflikts im Rahmen der Heerfahrtspflicht nach einem entsprechenden Aufgebot des Herrn ritterlichen Waffendienst zu leisten.
Wenn es dem Vasallen auch nicht gestattet war, sein Lehen ohne Zustimmung des Herrn zu verändern oder zu veräußern, so konnte er es doch ganz oder teilweise nach Lehnrecht weiterverleihen. Durch dieses Prinzip der Unterleihe wurde eine Vielzahl von einzelnen Lehnsverhältnissen begründet, die alle in ein hierarchisch abgestuftes System lehnrechtlicher Rangordnung einbezogen waren, das beginnend beim König als der Lehnsspitze und endend beim in der sogenannten „Heeruntersten Vasallen der Lehnskette literarischen Niederdes seinen schildordnung" Sachsenspiegels sich einzelnen stellte diese Im Rangordnung in schlag gefunden hat. der Form einer siebenstufigen Pyramide dar, in der der König die -
-
16
Die Heerschiidordnung des Sachsen-
Spiegels
Entwicklung Spatmittelalter
Die im
I.
Enzyklopädischer Überblick
erste, die geistlichen Reichsfürsten (Bischöfe, Reichsäbte und -äbtissinnen) die zweite, die weltlichen Fürsten die dritte, die Grafen und freien Herren die vierte, deren Vasallen und die Schöffenbarfreien die fünfte sowie deren Vasallen die sechste Herrschildstufe einnahmen; ^ie Zuweisung der an sich vorgesehenen siebten Stufe wurde offengelassen. Geprägt wurde das ganze System durch das Verbot der Heerschildniederung, das heißt, kein Vasall durfte von einem anderen Vasallen, der der gleichen oder einer niedrigeren Stufe angehörte, Lehen annehmen, wollte er nicht Gefahr laufen, seinen Heerschild zu „niedern" und damit seine lehnrechtliche Standesqualität in Frage zu stellen. Oder anders ausgedrückt: Die Heerschildstufe, die ein Vasall innerhalb dieses Systems einnahm, gab Auskunft darüber, von welcher Standesqualität er selbst Vasallen haben konnte, so daß sich die Heerschildordnung genau genommen als eine Rangordnung der Vasallen nach dem Grade ihrer aktiven Lehnsfähigkeit erweist. Wer keiner dieser Stufen angehörte oder wer nicht „zum Schilde geboren", also nicht von ritterlicher Abstammung war (nichtfürstliche Geistliche, Bürger, Bauern), war nach Auffassung des Sachsenspiegels grundsätzlich lehnsunfähig. Mit Modifizierungen bei der Zuweisung der einzelnen Rangstufen, die vor allem dem gesellschaftlichen Aufstieg der Dienstmannen in den Kreis der freien Vasallen Rechnung trugen, wurde das System auch von den spätmittelalterlichen Rechtsbüchern übernommen oder vorausgesetzt. Die Grundgedanken dieses Ordnungssystems blieben auch in der Rechtspraxis des Spätmittelalters leben^jg mit einer gewichtigen Ausnahme. Im Gegensatz zu den Forderungen des Sachsenspiegels wurden auch Bürger grundsätzlich als lehnsfähig anerkannt; doch mußten in den Ländern sächsischen Rechts bürgerliche Vasallen im Gegensatz zu ihren Standesgenosrechtliche Diskriminierungen sen in Süd- und Westdeutschland für die „gnadenhalber" ereiner Anerkennungsgebühr (Zahlung teilte Belehnung u.a.) hinnehmen. Aus der Sicht des Königtums bot das Lehnswesens die Möglichkeit, nicht nur das ritterliche Wehrpotential des Adels zu erfassen, sondern darüber hinaus im Wege einer „planvollen Zerlegung" der Reichsgewalt wichtige Reichsaufgaben zu delegieren. Außerdem eröffnete das Lehnswesen dem Königtum die Chance, auch das Problem des Allodialismus im Bereiche adliger Herrschaftsgewalt anzugehen und diesen bisher im verfassungspolitischen Abseits stehenden Teil der Adelsherrschaft organisch in den Reichsaufbau zu integrieren. So beschritt auch das spätmittelalterliche Königtum den _
-
-
Lehnspoiitik als Herrschaftspohtik
B.
Königtum und Königsherrschaft
im
Spätmittelalter
17
bereits in der Stauferzeit eingeschlagenen Weg weiter, indem es bestrebt war, diese Herrschaftsgewalt zu „feudalisiereh", das heißt in vom König abhängige Lehnsherrschaft umzudeuten; dabei suchte man dieses Ziel vor allem durch eine bewußte Vasallitätspolitik sowie durch Erhebungen in den Fürstenstand (vgl. hierzu unten S. 38 f.) zu erreichen. Während es den westeuropäischen Königen gelang, die lehnsherrlichen Rechte der Krone gegenüber ihren Vasallen zu stärken, setzten sich im Reichslehnrecht schon früh vasallenfreundliche Tendenzen durch, wie das bereits im 12. Jahrhundert in Oberitalien ent- Vasallenfreundstandene, aber erst im Spätmittelalter mit dem römischen Recht liche Tendenzen nördlich der Alpen rezipierte Rechtsbuch der Libri Feudorum erkennen läßt. Auch die deutschen Rechtsbücher (Sachsenspiegel, Schwabenspiegel) zeigen das Bestreben, die Vasallenpflichten zeitlich und räumlich einzuschränken. Diesen Tendenzen entsprach auch, daß das deutsche Lehnrecht im Spätmittelalter immer mehr „allodialisiert", das heißt dem Allodialrecht der jeweiligen Region angepaßt wurde. Dies äußerte sich vor allem bei der Rechtsnachfolge in Reichslehen, wo das strengere Lehnserbrecht, das den Kreis der Berechtigten grundsätzlich auf die Söhne des verstorbenen Vasallen (Sachsenspiegel, Schwabenspiegel) oder die vom Erstbelehnten ab- „Allodialisierung" stammenden Agnaten (Libri Feudorum) beschränkte, immer mehr des Reichslehnrechts von allodialrechtlichen Vorstellungen verdrängt wurde, wonach auch kognatische Verwandte (Frauenverwandte) erbberechtigt waren. Diese Entwicklung führte zwar im Verein mit den immer öfter erteilten Lehnsanwartschaften und den häufig praktizierten Gesamtbelehnungen dazu, daß der Lehnsheimfall für den König immer seltener eintrat. Kam es jedoch dazu, konnte der König von Rechts wegen über die heimgefallenen Güter völlig frei verfügen. Der vom Sachsenspiegel behauptete und später auch vom Schwabenspiegel übernommene Rechtsgrundsatz, wonach der König verpflichtet gewesen sei, beim Heimfall bedeutender Amtslehen (Fahnlehen) diese innerhalb einer Frist von Jahr und Tag wieder nach Lehnrecht zu verleihen (sogenannter Leihezwang bei heimgefallenen Fahnlehen), hat die königliche Rechtspraxis des Spätmittelalters nicht beeinflußt. Zwar entschieden sich die Könige beim Heimfall von Fahn- Kein Leihezwang lehen in den meisten Fällen für eine Wiederverleihung nach Lehnetwa indem sie den eigenen Sohn damit belehnten; dies recht geschah jedoch nicht, um einer Rechtspflicht nachzukommen, sondern in Ausübung freier politischer Ermessensentscheidungen. Wenn auch die prinzipielle Zentrierung der Lehnshierarchie -
18
I.
Enzyklopädischer Überblick
Spitze hin der Ausbildung königlicher Zentralgewalt grundentgegenkam, so wurde dieser Prozeß doch durch den streng persönlichen Charakter des Lehnsverhältnisses nicht gerade gefördert. Als Lehnsherr konnte der König lediglich auf die unmittelbar von ihm belehnten Vasallen (Kronvasallen), nicht aber auf die Masse der ebenfalls mit Reichslehngut ausgestatteten Untervasaiien zurückgreifen. In der spätmittelalterlichen Praxis versuchte das Königtum, diesem Mangel dadurch zu begegnen, daß man verstärkt auch Untervasallen mit (kleineren) unmittelbaren Reichsleauf eine sätzlich
Zugriff auf die Untervasallen?
hen belehnte und damit ebenfalls
zu
Kronvasallen machte.
königliche Kirchenherrschaft Im Rahmen der königlichen Kirchenherrschaft ist zwischen den höheren und den sonstigen Reichskirchen zu unterscheiden. Die Grundvereinbarung für das Verhältnis zwischen dem Königtum und den höheren Reichskirchen hierzu gehörten alle Erzbistümer, Bistümer, Abteien und Klöster, deren Vorsteher unmittelbar vom König die Regalienleihe empfingen bildete im Spätmittelalter im4,3 Die
-
noch das Wormser Konkordat vom Jahre 1122 [41: Weinrich, Quellen bis 1250, Nr. 49], das mit der Beschränkung des Königs auf ^ie Temporalienleihe die unmittelbare königliche Kirchenherrschaft durch eine Herrschaft nach Lehnrecht ersetzt hatte; auch wenn die Vertragsurkunden selbst längst in Vergessenheit geraten waren, bildete der hier gefundene Konsens doch nach wie vor die entscheidende Rechtsgrundlage. Von den Rechten, die das Wormser Konkordat einst dem König bei der Bischofs- und Abtswahl zugestanden hatte, war im Spätmittelalter allerdings nur noch die Belehnung mit der weltlichen Herrschaftsgewalt (Regalienleihe) übriggeblieben. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts hatte das Königtum die „freie kanonische Wahl" im Sinne der kurialistischen Deutung zugestanden und damit auf die Anwesenheit des Königs bei der Wahlhandlung (praesentia regis) und das königliche Entscheidungsrecht bei zwiespältigen Wahlen verzichtet. Auch die Bestimmung des Wormser Konkordates, daß der Gewählte im Bereich des regnum Teutonicum verpflichtet war, die Regalienleihe vom König bereits vor der Konsekration zu erlangen, wodurch dem König praktisch ein Prüfungsrecht des Wahlvorganges eingeräumt wurde, war hinfällig geworden. Seit dem 13. Jahrhundert hatte nämlich das Papsttum diese Einflußmöglichkeit des Königs unterbunden, indem es von dem künftigen Bischof oder Abt neben Wahl und Weihe als -
mer
Das Wormser Konkordat
B.
Königtum
und
Königsherrschaft
im
19
Spätmittelalter
drittes kanonisches Erfordernis die päpstliche Konfirmation (confirmatio) verlangte. Da der Gewählte in aller Regel diese confirmatio vor der königlichen Regalienleihe einzuholen pflegte, wurde hierdurch in der Praxis das königliche durch ein kanonisches Wahlprüfungsrecht ersetzt. Endlich wurde vom Königtum auch nicht mehr beanstandet, daß die im regnum Teutonicum angesessenen Kandidaten bereits vor der Regalienleihe nicht nur die päpstliche confirmatio, sondern auch die Konsekration erlangten, obwohl dieses Verhalten offensichtlich im Widerspruch zum Wormser Konkordat stand. Diese Rechtslage wurde indirekt durch das Wiener Konkordat vom Jahre 1448 [42: Weinrich, Quellen, Nr. 127] bestätigt, das zwar die päpstliche Konfirmationspraxis als Rechtsbrauch voraussetzte, der Rechte des Königs aber bezeichnenderweise mit keinem Wort mehr gedachte. Trotz dieser rein juristisch gesehen ungünstigen Entwicklung vermochte das spätmittelalterliche Königtum dennoch in der Praxis, vor allem seit der Mitte des 14. Jahrhunderts, seinen Einfluß auf die Besetzung der höheren Reichskirchen in bemerkenswertem Umfange zu behaupten. Dies wurde durch ein enges politisches Bündnis mit dem Papsttum ermöglicht, das im Rahmen einer rigiden Fiskalpolitik immer mehr dazu übergegangen war, bedeutende Kirchenpfründen einfach durch päpstliche Ernennung (provisio) oder nach vorheriger Reservation (reservatio) zu besetzen. Dadurch war es in scharfen Gegensatz zu den an sich zuständigen Wahlgremien (Domkapitel, Konvente) geraten. Seit dem zusätzlich geEnde des 14. Jahrhunderts war das Papsttum schwächt durch Schisma, Konzilsbestrebungen und eine chronische Verstrickung in die inneritalienischen Machtkämpfe um so mehr auf die Unterstützung des römisch-deutschen Königtums angewiesen und daher auch um so eher bereit, die Wünsche des Königs bei der Besetzung bedeutender Reichskirchen im Wege der Provision zu berücksichtigen. So konnte Kaiser Karl IV. die Päpste Urban V. und Gregor XI. durch förmliche Verträge verpflichten, die Bistümer in Böhmen und im Reich nur mit seinem Einverständnis zu besetzen. Ähnlich erreichte Kaiser Friedrich III., daß Papst Sixtus IV. im Jahre 1478 vertraglich zusicherte, in Zukunft im Reiche keinen Bischof mehr ohne ausdrückliche Zustimmung des Kaisers ernennen oder bestätigen zu wollen; dabei wies der Papst die Domkapitel zahlreicher Reichsbistümer an, bei künftigen Vakanzen keine Wahlhandlungen mehr ohne vorherige ausdrückliche Aufforderung des Kaisers vorzunehmen. Bei dem zunehmenden moralischen und politischen Autoritätsverlust des Papsttums bot allerdings die geschil-
Das Konfirmationsrecht des
Papstes
Wiener Konkordat von 1448
-
Einfluß des Königs in der Praxis
-
-
Verträge über die Besetzung von Reichsbistümern
20
I.
Enzyklopädischer Überblick
derte Allianz für sich alleine noch keine absolute Gewähr dafür, daß sich die Personalentscheidungen des Königs auch in der Rechtspraxis durchsetzen ließen, wo der mit der päpstlichen Provisionsbulle ausgestattete königliche Anwärter nicht selten auf den erbitterten Widerstand eines vom heimischen Domkapitel und Stiftsadel unterstützten Gegenkandidaten traf. In diesem Falle wußte das Königtum, vor allem zur Zeit Sigmunds und Friedrichs III., eine althergebrachte Rechtsinstitution als politische Waffe einzusetzen: die Regalienleihe. Nach wie vor ging man in Theorie und Rechtspraxis Regalienleihe als von der Auffassung aus, daß der Kandidat mit der Regalienleihe politische Waffe njcnt nur